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eu
— —
Schopenhauer-Lerikon.
Ein EN Wörterbuch),
Arthur Schopeuhauers
ſämmtlichen Schriften und handſchriftlichem Nachlaß bearbeitet
von
Sulins Branenfädt.
g
Erfter Band.
Aberglaube bis Jury.
Leipjig:
5 U Brodpaus.
1871.
Das Ueberſetzungsrecht ift vorbehalten.
F)238
Borwort.
Bei ven großen Denkern genügt es uns nicht, blos im All⸗
gemeinen ihre Lehre zu kennen, ſondern wir haben auch das Be—
rürfniß einer Weberficht über die ganze Fülle von Gegenjtänben,
vie ſie in ben Bereich ihrer Betrachtung gezogen, und über das
Beientliche Deifen, was fie über jeden einzelnen Gegenſtand ge⸗
iehrt Haben. Daher pas Bebürfnig nah Wörterbüchern ber
großen Philoſophen, welche uns über Beides, über den ganzen
Umfang und den wefentlichen- Inhalt ihrer Lehre leichte Ueber⸗
iiht gewähren.
Solche Wörterbücher jind keineswegs von blos hiſtoriſchem,
rudwärts gewandtem Intereffe, jondern jie find von Intereſſe auch
für bie zufünftige Weiterförberung ber Wahrheitserkenntniß.
Denn in den Schriften ver großen Philoſophen find ja nicht blos ver⸗
aängliche, ihrer Zeit angehörige Gedanken, fondern es find in ihnen
anch bleibende, für alle Zeiten gültige Wahrheiten und Wahrheite-
‘eıme niebergelegt, an die man anfnüpfen muß, um bie Erfenntniß
weiter zu fördern.
Da mın Schopenhauer zu biefen großen Denkern gehört, ein
Zörterbuch der erwähnten Art aber, durch welches man fich über
den ganzen Umfang und ben wefentlichen Inhalt feiner Lehre orien⸗
. ‚men kann, bisher noch gefehlt bat, fo habe ich mich zur Aus⸗
arbeitung eines folchen entfchloffen und lege nun bie Frucht meiner
Arbeit hiermit dem Bublicum vor.
vi Borwort.
Hätte es bisher nicht an einem folchen Lexikon gefehlt, fo wären
nicht fo viele falſche Darftellungen und fchiefe Beurtheilungen ver
Schopenhauer’schen Lehre erjchienen. Mit gegenwärtigen Lerifen
in ber Hand wird man künftig Jeden, ber über Schopenhauer
berichtet und richtet, controliren können.
Ein zweites Hauptmotiv, welches mich zur Ausarbeitung tee
vorliegenden Lexikons beftimmt bat, ift folgendes. Unfere Zei
ijt zwar reih an Kenntniffen anf affen Gebieten bes Wiſſens,
und die ſogenannten „Real-Lexika“ ſuchen die errungenen Kennt:
niſſe allen Bildungsbefliſſenen zugänglich zu machen; aber in Folge
der Verachtung, in welche die Philoſophie gerathen iſt, und an
welcher zum Theil die Philoſophen ſelbſt Schuld ſind, hat die
Entwicklung der Einſicht nicht gleichen Schritt gehalten mit „ber
Frweiterung und Verbreitung der Kunde, und doch ift Kunde
nur als Mittel zur Einſicht von Werth. (Vergl. den Artilel
Einſicht in vorliegendem Lerifon.) Wie jehr es ſelbſt. Männern.
der Wiffenfchaft an philofophifcher Bildung fehlt, das kann man
an der mitunter rohen Weife fehen, in der die Naturforfcher über
bie empirifch ermittelten Ihatfachen urtheilen. Noch immer kommt
ihr Urtheil über ven Gegenfab zwifhen Muterialismus und
Spiritualismys nicht hinaus, während boch biefer Gegenſatz
fängft durch Sant, vollends aber durch Schopenhauer überwun—⸗
ven ift.
Dem beklagten Mangel an philofophifcher Bildung nun entgegen
zuwirken thut ein philofophifches Lexikon Noth, ein Lexikon, welches
die Kunde zur Einficht erhebt, ein Begriffs-Lexikon, welches
bie durch die Sach-Lexika dargeftellte Erfcheinungswelt richtig
deuten lehrt. Von allen nachlant’schen Syſtemen fcheint mir mul
aber Fein anderes geeigneter zu dieſem Zwed, als das Schopen-
hauer’iche. Die Schopenhauer’iche Philofophie ift, als aus ber
äußern und ümern Erfahrung gefchöpft, reich wie die Welt uud
nit den Ergebniffen der empirifchen Wiffenfchaften im Wefentlichen
|
Borwort. vii
übereinftimmend, während diejenigen nachkant'ſchen Syſteme, welche
die Welt a priori conſtruiren, arm ſind an Begriffen und arg gegen
vie Empirie verſtoßen. Dazu kommt, daß Schopenhauer, wie fein
Anderer, mit der Tiefe ver Gedanfen Klarheit des Ausdrucks verbindet;
während die Andern entweber tief find, ohne Far, oder klar, ohne
tief zu fein. Im allen viefen Beziehungen fchien mir ein aus ben
Schopenhauer’jchen Schriften bergeftelltes Lerifon am geeignetiten,
rhifofopbifche Bildung und Einficht zu verbreiten.
Obwohl die Darftellung in diefem Lexikon mit Schopenhauer
eigenen Worten gegeben ift, fo Tonnte fie doch nur eine ſumma—
rifhe fein und mußte die nähere Ausführung ven Werfen Schopen-
bauers jelbft überlaffen, wo man fie an den von mir in Parenthefe
bezeichneten Stellen finden wird. Auch wird man bie fehrift-
ttellerifche Größe Schopenhaners nicht aus meiner einfach und
ihmudlos gehaltenen ‘Darftellung, ſondern nur aus feinen eigenen
Derfen kennen lernen können.
Es war feine leichte Arbeit, das vorliegende Lexikon herzuſtellen.
Denn Schopenhauer betrachtet einen und denſelben Gegenſtand in
ſehr verſchiedenen Beziehungen, und was er in dieſen verſchiedenen
Beziehungen über ihn ſagt, ſteht nicht immer an einem Ort bei—
ſammen, ſondern häufig ſehr zerſtreut, worauf er ſelbſt am Schluß
| des erften Bandes ber „Welt als Wille und Vorſtellung“ auf:
merfiam macht. Es galt daher, bie zerftreuten Stellen zu ſam—
‚ men, zu orbnen, und das in ihnen enthaltene Wefentliche mit
Veglaffung alles zur bloßen Ausführung Gehörigen darzuftellen,
um ein Gefammtbild deſſen zu geben, was Schopenhauer über
jeden einzelnen Gegenftand lehrt. Dabei war, da Schopenhauer
häufig denfelben Gebanfen mit andern Worten wiederholt, unter
den verjchiebenen Ausdrücken eines und befjelben Gedankens cine
Auswahl zu treffen. In allen vdiefen Beziehungen war bie vor-
liegende Arbeit fchwierig und zeitraubend; doch glaube ich bie
Schwierigkeiten glüdlich überwunden zu haben, ‘Die Ueberfchriften,
viii Borwort.
durch welche innerhalb eines Artikels die verſchiedenen Beziehungen,
in welchen, ober die verſchiedenen Gefichtspunfte, von welchen
ans der Gegenſtand betrachtet wird, bezeichnet find, rühren won
mie ber.
In dem Bewußtfein, eine eben fo nützliche, als ſchwierige Ar-
beit vollendet zu haben, fehe ich getroft ver Aufnahme entgegen,
welche viefelbe beim Publicum finden wird.
Berlin, im Auguft 1871.
Zulius Sranenflädf.
Abkürzungen.
E. bedentet: Die beiden Grundprobleme der Ethik, 2. Aufl.
su om
gs.
E13
Ueber das Sehen und die Farben, 3. Aufl.
Ueber die vierfahe Wurzel des Sates vom zureichenden
Grunde, 3. Aufl.
Aus Arıhur Schopenhauers handſchriftlichem Nachlaß.
Arthur Schopenhauer: Bon ihm, über iin. Memora-
bilien, Briefe und Nachlaßſtücke.
Ueber den Willen in der Natur, 3. Aufl.
Barerga und Paralipomena, 2. Aufl.
Belt ale Wille und Borftellung, 3. Aufl.
nn — — —
MaR_IESE
wipdoid dargeneui.
—— ——
* | aber vielmehr, mad man füunfer Beichlecht
* * / (immer Einfluß. Die ei ald den Staat
al ift befanntlih dad Mium des Staates
An Sf barauffolgende Ausführung II, neben und in!
ea, Frankfurter Ppilofophen gem der Staat eine|
ilojopb Telber, das Eadıng diefer zwei,
Y mnten, |0 wäre bie Telae n jeßen wollen,
in ein rein Verhmuliqns © ben # und Menigen
ve jolen, daß ed auf die Nefulttauf hingemieien
f lien Frage, fondern auf did Menſchen kön.
Theorie zur Vernichtung alled Künftier, wie
” u halten gewohnt find, fie deſchiecht mochte
fe mahr erlannt. Man fulgelegten Sinne,
be, eopardi’d und vieler andern |ed h durgaug
A Bi man Sarodefoucault.e ‚verehrt, gleich
ie bat; man tomme aber nit Pder meint man
. rochefoucault’8 und Schon ein Volt Ari.
fhimpfen, man verzeihe ! Gtaatömänner
Ein anderer Vorwand a, der und, bei”
DD * miömus zu wenden. Dieſer id keinerlei ſiu.
—— a Diejer Welt ab, ınirgends Etnat!.
*
2 Aberglaube
entgegengefetste ift es eben, weldye macht, daß faft alle große Dränner,
unabhängig von Zeit und Nation, einen gewiffen Anftrid von Aber«
glauben verratden haben. (N. 109.)
Der Gefpenfterglaube ift dem Menfchen angeboren; er findet
fih zu allen Zeiten und in allen Ländern, und vielleicht ift fein Menſch
ganz frei davon. Der große Haufe und das Voll, wohl aller Länder
und Zeiten, unterfcheidet Natürliches und Uebernatürliches, als
zwei grumbverfchiebene, jedoch zugleich vorhandene Ordnungen der Dinge.
Dem Webernatürlichen fchreibt er Wunder, Weiſſagungen, Gefpeufter
und Zauberei unbebenklih zu, läßt aber überdies auch wohl gelten, daß
überhaupt nichts durch und durch bis auf den legten Grund natürlic
fei, fondern die Natur felbit auf einem Webernatitrlichen beruhe. Im
Wefentlichen füllt nun diefe populäre Unterſcheidung zuſammen mit der
Kantiſchen zwiſchen Erjcheinung und Ding an fi; nur daß biefe die
Sache genauer und richtiger beftimmt, nämlich dahin, daß Natürliches
und Uebernatürliches nicht zwei verſchiedene und getrennte Arten von
Wefen find, fondern Eines und Dafſelbe, weldes an fich genommen
übernatürlich zu nennen ift, weil erft, indem es erfcheint, d. 5. in
die Wahrnehmung unſers Intellects tritt und daher in deſſen Formen
eingeht, die Natur ſich darftellt, deren phlinomenale Gefegmäßigfeit es
eben ift, bie man unter dem Natürlichen verfteht. (P. I, 284 fg.)
Wie dem Gefpenfterglauben, fo liegt auch dem Glauben an Omina,
der fo allgemein und unvertilgbar ift, daß er felbft in den überlegenften
Köpfen nicht felten Raum gefunden hat, Wahrheit zu Grunde. Denn
da nichts abfolut zufällig ift, vielmehr Alles nothwendig eintritt und
fogar die Gleichzeitigkeit felbft des caufal nicht Zufanmenhängenden,
die man den Zufall nennt, eine nothwendige ift, indem ja das jett
Gleichzeitige ſchon durch Urfachen in der entfernteften Vergangenheit als
ein ſolches beſtimmt wurde; fo fpiegelt ſich Alles in Allem, klingt
Jedes in Jedem wieder. Der unvertilgbare Hang des Menfchen, auf
Omina zu adten, feine extispieia und opviIooxonıa, fein Bibelauf:
fchlagen, fein Kartenlegen, Bleigießen, Kaffeefapbefchauen u. dgl. zeugen
von feiner den Bernunftgründen trogenden Vorausſetzung, daß es irgend:
wie möglich fei, aus dem ihm Gegenwärtigen und Mar vor Augen
Liegenden das durch Raum oder Zeit Berborgene, alfo das Entfernte
oder Sufünftige zu erkennen, fobaß er wohl aus Jenem Diefes ableſen
fönnte, wenn er nur ben wahren Schlüffel der Geheimfchrift Hätte.
(®. I, 230 fg.) Auf der, wenn and) nicht deutlich erfannten, doch ge⸗
fühlten Ueberzeugung von ber firengen Nothwenbigfeit alles
Geſchehenden beruft die bei den Alten fo feſt ftehende Anſicht dom
Fatum, ber eluappevn, wie auch ber Fatalismus der Mohammedaner,
fogar auch der überall umvertilgbare Glaube an Omina, weil eben
ſelbſt der Heinfte Zufall nothwendig eintritt und alle Begebenheiten, fo-
zu fagen, miteinander Tempo halten, mithin Alles in- Allem wieder:
klingt. Endlich hängt fogar dies damit zufammen, daß, wer ohne bie
leiſeſte Abficht und ganz zufällig einen Undern verftimmelt oder getübtet
Abrichtung 3
hat, dieſes Piaculum fein ganzes Leben hindurch betrauert, mit einem
Gefühl, welches dem der Schuld verwandt ſcheint, und auch von Anbern
ale persona piacularis (Unglücksmenſch) eine eigene Art von Dis-
erebit erfährt. (E. 60 fg.) E
Wendet men die Uebereinſtimmung zwiſchen dem Mechanismus
md der Technik der Natur, oder dem nexus eflectivus und dem
nexus finalis, demzufolge die Naturproducte fid) ebenfo rein canfal
als teleologifch erflüren laſſen (ſ, Teleologie), auf den Lebens⸗
(auf des Menſchen an, fo wird die Möglichfeit der omina, praesagia,
portenta begreiflih. Das, was nad, dem Laufe ber Natur noth⸗
wendig eintritt, iſt alsdann doch andererſeits wieder anzufehen als fir
den Lebenslauf de Einzelnen berechnet, bloß in Bezug auf ihn ge»
ſchehend und eriftirend; wonach dann das Natürliche und urſächlich
nachweisbar Nothwendige eines Ereignifjes das Ominofe beffelben Feines»
wegs aufhöbe und ebenjo diefe® nicht jenes. Daher find Die ganz auf
dem Irrwege, welche bad Ominoſe eines Creigniffes baburch zu bes
feitigen vermeinen, baß fie die Unvermeidlichleit feines Eintritts dar»
tun, indem fie die natürlichen und nothwendig wirkenden Urfachen
deffelben nachweifen. Denn an biefen zweifelt fein vernünftiger Menſch,
„3 für ein Mirafel will Keiner dad Omen ausgeben; fondern gerade
daran, daß die ins Unendliche hinaufreichende Kette der Urfachen umd
Wirkungen mit der ihr eigenen, ftrengen Nothwendigkeit und unvor⸗
Venflichen Prädeftination ben Eintritt biefes Ereigniſſes in ſolchem be⸗
deutfamen Augenblid unvermeidlich feftgeftellt bat, erwächft demſelben
das Ominoſe. (P. I, 236 fg. W. II, 884.) Anbererfeits jedoch fehen
wir mit dem Ölauben an die Omina auch der Uftrologie wieder
die Thür geöffnet, da die geringfte ald ominos geltende Begebenheit
durch eine ebenfo unendlich lange und ebenfo ftreng nothwendige Kette
von Urfachen bedingt ift, wie ber berechenbare Stand der Geſtirne zu
einer gegebenen Zeit. (P. I, 236.)
1) Abrichtung der Thiere,
Die Abrichtung (Drefiur) der Thiere beruht auf der Benutzung
ihres Erinnerungsvermögens und ber bei ihnen überaus ſtarken
Macht der Gewohnheit (f. Gewohnheit), Das Erinnerungs-
vermögen ber Thiere ift, wie ihr geſammter Intellect, auf das An⸗
ſchauliche beſchrünkt und befteht zunüchft blos darin, daß ein wieder
tfhrender Eindrud fi) als bereits dageweſen ankündigt, indem bie
gegemwärtige Anſchauung die Spur einer frühen auffriſcht; ihre Erin«
zerung ift daher ſtets durch das jest wirklich Gegenwürtige vermittelt.
Diefes regt aber eben deshalb die Empfindung und Stimmung, welche
ie frühere Erfcheinung hervorgebracht hatte, wieder an. Demnach
der Hund die Belannten, unterfcheidet Freunde und Feinde,
den einmal zuridgelegten Weg, die fchon beiuchten Hünfer Lit
und wird durch den Anblid bes Tellers oder den bes Sto
in bie entfprechende Stimmung verfeßt. Auf der Benutzung
1*
4 Abſolut
dieſes anſchauenden Erinnerungevermögens und der bei ben Thieren
überans ſtarken Macht der Gewohnheit beruhen alle Arten der Ab⸗
richtung. (W. II, 63.) Das Thier wird durch den gegenwärtigen
Eindrud beftimmt; nur die Furcht vor dem gegenwärtigen Zwange
Tann feine Begierde zähmen, bis jene Furcht endlich zur Gewohnheit
geroorden ift und nunmehr als foldye e8 beftimmt: das iſt Dreſſur.
(W. I, 44.) Die Drefiur ift demnach die durch das Medium der
Gewohnheit wirkende Furcht. (E. 34 und P. II, 620.) Sie macht
nur eine fcheinbare Ausnahme von der Beftimmbarkeit der Thiere
durch blos anfchauliche und gegenwärtige Motive. (E. 34.) |
Bon der menfhlihen Erziehung ift die Abrichtung gerade fo ver:
ichieden wie Anfchauen vom Denfen. (W. I, 63.) '
2) Abrichtung des Menfchen.
Bei Menfchen tritt häufig an die Stelle der Erziehung und
Bildung eine Art von Abrichtung, namentlich beim großen Haufen.
Sie wird bewerfftelligt durch Beifpiel, Gewohnheit und fehr frühzeitiges
feftes Einprägen gewilfer Begriffe, ehe irgend Erfahrung, Berftand und
Urtheilstraft da wären, das Werk zu ftören (W. IL, 74.) a, ber
Menſch übertrifft fogar an Abrihtungsfühigfeit alle Thiere. Die,
Moslem find abgerichtet, fünfmal des Tages das Geficht gegen Dieda
gerichtet, zu beten; thun es unverbrüchlich. Chriften find abgerichtet,
bei gewiſſen Gelegenheiten ein Kreuz zu ſchlagen, ſich zu verneigen u. dgl.;
wie denn iiberhaupt bie Religion das vechte Meifterftücd der Abrichtung
ift, nämlich die Abrichtung der Denkfähigkeit. (P. II, 638.) |
Wie die Abrichtung der Thiere, fo gelingt auch bie des Menſchen
nur in früher Yugend volllommen. (P. IL, 638.)
Abfolut. Mas Abfolute. '
1) Der Degriff des Abfoluten hat Realität allein au
der Materie. |
Verſteht man unter dem fo viel gebrauchten Ausdrud Abfolutum
Das, was nie entftanden fein, nod jemals vergehen kann, woraus hin-
gegen Alles, was eriftirt, befteht und geworben ift, fo hat man baffelbe
nicht in imaginären Räumen zu fuchen, fondern es ift ganz Har, daß
jenen Anforderungen die Materie gänzlich entſpricht. (P. II, 114.)
Das Prüdicat abfolut hat an der Materie feinen alleinigen Beleg,
dadurch es Realität erhält und zuläffig ift, außerdem e8 ein Prädicat,
für welches gar fein Subject zu finden, mithin ein aus der Luft ge-
griffener, durch nichts zu realificender Begriff fein würde. (E. Vorr. XX VI.)
Beſſer als alle erfafelten Nebelgeftalten jener feit Kant verfuchten Philo-
jopbie, deren alleiniges Thema das Abfolute bildet, entſpricht den An-
forderungen an ein folches die Materie. Diefe ift unentftanden und
andergänglich, aljo wirflid) unabhängig und quod per se est et per
se coneipitur. Aus ihrem Schooß geht Alles hervor und Alles in
ihn zurück: was kann man bon einem Wbfoluten weiter verlangen ?
(®. I, 574.)
Abftract 5
2) Wie das Abfolute nicht zu denken ift.
Des Abfolute ift nicht al8 erfte Urfache zu benfen, weil es eine
erſte Urfache überhaupt nicht gibt (ſ. Urſache). Es ift aud) nicht
ale das Unbedingt: Nothwendige zu benfen, weil Nothivendigjein
dutchaus und überall nichts Anderes befagt als aus einem runde
tolgen, ein folder aljo die Bedingung aller Nothwendigfeit und mit-
in das Unbedingt-Nothwendige eine contradictio in adjecto, aljo gar
kın Gedanke, fondern ein hohles Wort if. (P. I, 199.) Endlich ift
das Abſolne auch nicht als Object zu denlen, denn alles Objective
iſt ſets nur ein Secundäres, nänlicd, eine Vorſtellung. Beim Ob-
jetiven können wir nie zu einem Ruhepunlkt, einem Letzten und Ur⸗
prünglichen, gelangen, weil wir hier im ®ebiete der Borftellungen
ad, diefe aber fümmtli) dem Satz vom Grunde unterworfen find,
deiſen Forderung jedes Object fogleich verfällt. Auf ein angenom-
menes objectives Abfolutum dringt fogleich bie Trage Woher? und
Varum? zerftörend ein, dor ber es weichen und fallen muß. (P. I, 84.)
Tie Gültigfeit des Satzes vom Grunde liegt fo fehr in der Form des
Lwußtſeins, dag man fchlechterdings fi) nichts objec tiv vorftellen
tom, davon fein Warum weiter zu fordern wäre, alfo Fein abjolutes
Abſolutum, wie ein Brett vor dem Kopf. Daß Diefen oder Jenen
jcine Bequemlichfeit irgendwo fill ftehen und ein ſolches Abjolutum
keliebig annehmen heißt kann nichts ausrichten gegen jene unumfößliche
Gewißheit a priori. (W. I, 573 fg.)
3) Gegen ben Mißbrauch, der mit dem „Abfoluten” ger
trieben wird.
Das ganze, fi fir Philofophie ausgebende Gerede vom Abſoluten
läuft auf einen verfchämten und daher verlaruten kosmologiſchen Beweis
wüd. (W. U, 50.) Es ift nichts Anderes, ale der loomologiſche
Beweis incognito. (W. I, 574. P. I, 123.)
Diejenigen, welche vorgeben, ein Urwefen, Abfolutum, oder wie fonft
zen es nennen will, nebft dem Proceß, den Gründen, Motiven oder
uf was, infolge welcher die Welt daraus hervorgeht oder quillt, oder.
lt, oder producirt, ind Dafein gefeßt, „entlafen und hinauskompli⸗
westirt wird, zu erfennen, — treiben Poffen, find Windbentel, mo nicht
zur Scharlatane. (W. I, 206.)
Aftract. Abfiracte vorſtellung. Abſtracte Erkenntniß.
1) Das Abſtracte als Gegenſatz des Intuitiven.
| Der Hauptunterfchieb zwifchen allen unſern Borftellungen ift ber des
| Yatnitiven (Anſchanlichen) und Abſtracten (ans den Anſchaulichen
tuogenen). neueren madit nur eine Klafſe von Vorftellungen aus,
te Begriffe. (W Ä
2) —8 des Abſtracten von dem Intuitiven.
Ale abſtracte Erlenntniß, wie fie aus der anſchaulichen entſprungen
#, hat auch allen Werth allein durch ihre Beziehung auf dieſe, alfo-
| Find), daß ihre Begriffe, oder deren Theilvorftellungen, durch Au⸗
-6 Abftract
ſchauungen zu realiſiren, d. h. zu belegen find. Begriffe und Abftractionen,
die nicht zulegt auf Anfchauungen binleiten, gleichen Wegen im Wale,
die ohne Ausgang endigen. (W. II, 89. I, 41.) Die abftracte Bor-
ftellung bat ihr ganzes Wefen einzig und allein in ihrer Beziehung
auf eine andere Borftelung, welche ihr Erfenntnißgrund iſt. Diele
kann nun zwar wieder zunächft eine abftracte Vorftellung fein, und jo
gar auch diefe wieder nur einen eben folchen abftracten Erlenntnißgrund
baben; aber nicht fo ins Unendliche, fondern zuletzt muß bie Reihe der
Erkenntnißgründe mit einem Begriff fehließen, ber feinen Grund in der
anſchaulichen Erkenntniß hat (W. I, 48.) Daher Hat die Klaſſe der
abftracten Borftellungen von den andern das Unterfcheidende, daß in
diefen der Sag vom Grund immer nur eine Beziehung auf eine andere
Borftellung der nämlichen Klaſſe forbert, bei den abftracten Bor-
ftellungen aber zulegt eine Beziehung auf eine Vorſtellung aus ein
andern Klaſſe. (W. I, 49.) |
3) Bildung des Abftracten aus dem Anſchaulichen.
Bei ber Bildung der abftracten Vorftellungen zerlegt das Abftractione
vermögen die anfchaulichen VBorftellungen in ihre Beftandtheile, um bielt
abgejondert, jeden für ſich, denken zu können, als die verfchiebene:
Eigenfchaften oder Beziehungen ber Dinge. Bei diefem Proceſſe mu
aber büßen die Vorftellungen nothwendig die Anfchaulichkeit ein, wi
Waſſer, wern in feine Beitandtheile zerlegt, die Flüſſigkeit und Sicht
barkeit. Denn jede alfo ausgefonberte (abitrahirte) Eigenjchaft läßt Ir
für ſich allein wohl denken, jedoch darum nicht für ſich allein au
anfhauen. Dean bat ſolche Vorftellungen Begriffe genannt, mei
jede derfelben unzählige Einzeldinge unter fich begreift, aljo ein In
begriff derſelben if. Man kann fie auch befiniren als Borftel
Iungen aus Borftellungen. (©. 97 fg.)
4) Berhältniß der abftracten Erfenntniß zur intuitiven
Die abſtracte Erkenntniß vereint oft mannichfaltige intuitiu
Erkenntniſſe in eine Form ober einen Begriff, fo daß fle num nid
mehr zu unterfcheiden find. Daher ſich die abftracte Erkenntniß zı
intwitiven verhält wie der Schatten zu ben wirklichen Gegenftänbe:
beren große Mannichfaltigkeit er durch einen fie alle befaffenbe
Umriß wiedergiebt. (WB. I, 571.) Die anfchauliche Erkenntniß erleid
bei ihrer Aufnahme im bie Reflexion beinahe fo viel Veränderung, w
die Nahrungsmittel bei ihrer Aufnahme in den thierifchen Organismu
befien Formen und Miſchungen durch ihn felbft beftimmt werden uı
aus beren Zuſammenſetzung gar nicht mehr die Beſchaffenheit d
Nahrungsmittel zu erkennen iſt, — ober (weil dieſes ein wenig zu di
gefagt ift) die Feflexion verhält ſich zur anfchaulichen Erleuntniß Feine
wegs wie ber Spiegel im Waffer zu den abgefpiegelten Gegenftänbe
fondern kaum nur nod) fo, wie bee Schatten diefer Gegenftände zu ihn
felbft, welcher Schatten nur einige äußere Umriffe wiedergibt, aber au
das Mannichfaltigfte in dieſelbe Geftalt vereinigt und das Verſchied
duch den nümlichen Umriß darftellt, jo daß keineswegs von ihm au
Abftract 7
gehend fih die Geftalten ber Dinge vollftändig und ficher conſtruiren
em (W. I, 538.)
5) Mittel zur Firirung der abftracten Vorſtellungen.
Ta die zu abftracten Begriffen fublimirten und dabei zerfeßten Vor⸗
fellungen alle Anfchaulichkeit eingebüßt haben, jo würden fie bem Be⸗
mußtfeim ganz entjchlüpfen und ihm zu den damit beabfichtigten Denk⸗
speratiouen gar nicht Stand Halten, wenn fie nicht durch Zeichen
ſinnlich firirt und feßgehalten würden: bies find die Worte. (©. 99.)
6) Nutzen der abftracten Borftellungen.
Dadurch, daf die aus dem Anfchaulichen abftrahirten Begriffe weniger
in fi entfalten als die Borftellungen, daraus fie abftrahirt worben,
find fie Leichter zu handhaben als diefe, und verhalten fid) zu ihnen
ungefähr, wie bie Formeln in der höhern Arithmetik zu ben Denl-
operatiomen, aus denen folche hervorgegangen find und die fie vertreten,
oder wie der Logarithmus zu feiner Zahl. Sie enthalten von den vielen
Serfiellungen, aus denen fie abgezogen find, gerade nur ben Theil, den
mon braucht; flatt daß, wenn man jene Borftellungen ſelbſt durch die
Phawtafie vergegenwärtigen wollte, man gleichfam eine Laft von Un⸗
weientlichem mitjchleppen müßte und dadurch verwirrt wilrbe: jet aber,
darch Anwendung von Begriffen (abftracten Borftellungen), beuft man
zur die Theile und Beziehungen aller dieſer Borftellungen, die der
jedesaialigt Zweck erfordert. Ihr Gebrauch ift demnach dem Abwerfen
müssen Gepäds, ober auch dem Operiren mit Quinteſſenzen, flatt mit
ben Pflanzenfpecies felbft, zu vergleichen. (©. 101.) Beim eigenen
Nachdenlen iſt die Abftraction ein Abwerfen unnützen zum
Dehuf leichterer Handhabung der zu vergleichenden und darum bin
und Ber zu werfenben Erlenntniſſe. Man läßt nämlich dabei das viele
Ummefentliche, daher nur Berwirrende ber realen Dinge weg und operirt
mit wenigen aber weſentlichen in abstracto gedachten Beftimmungen.
Uber eben, weil die Allgemeinbegriffe nur duch Wegbenfen und Ans-
sten vorhandener Beitimmungen entftehen, und daher, je allgemeiner,
to leerer find, beſchränkt der Nuten jenes Verfahrens fich auf Die
Berarbeitung unferer bereit erworbenen Erfenntniffe. Neue Grund⸗
zufichten hingegen find nur aus der anfchaulichen, als der allein vollen
md reihen Erkenntniß zu fchöpfen mit Hülfe ber Urtheilskraft.
S. II, 68. 89.)
7) Unzulänglidfeit des Abftracten.
Das Abftracte kann das Anfchauliche nie erfegen, weil Begriffe ftets
iigemein bleiben und daher auf dad Einzelne nicht herab gelangen.
deher die Unzulänglichleit des Abftracten fiir das praktifche L wo
ch das zu Behandelnde ein Einzelnes iſt. Im Praltiſchen vermag
ve winitive Erlenntniß bes Verftandes umfer Thun und Benehmen un-
zutelber zu leiten, während die abſtracte ber Vernunft e8 nur unter
Bermitielung des Gebüdtnifies Tann. Hieraus entipringt der Verzug
ker iatritiven Erkenntniß für alle die Fülle, die feine Zeit zur leber-
gang geftatten, alſo für den tüglichen Verlehr, in welchen eben bes-
8 Abfurde — bel
halb die Weiber excelliven. Auch erklärt ſich Hieraus, warum im wirl-
fichen Leben der Gelehrte, deſſen Borzug im Reichthum abftracter
Erfenntniffe liegt, fo ſehr zurücteht gegen den Weltmann, deſſen Vorzug
in ber vollkommenen intuitiven Erkenntniß befteht, die ihm urſprüngliche
Anlage verliehen und reiche Erfahrung auegebilbet hat. (W. II, 80-82.)
Die abftracte Erfenntniß hat ihren größten Werth in der Meirtheilbar-
feit und in der Möglichkeit, firirt aufbehalten zu werden. Erſt hier
durch wird fie fiir das Praftifche fo unſchätzbar wichtig. (W. I, 66.)
8) Gegen das Ausgehen von abftracten Begriffen in
ber Philoſophie.
In der Bhilofophie wird aus bloßen abftracten Begriffen feine
Weidheit zu Tage geförbert. Weite, abftracte, zumal aber durch keine
Anſchauung zu realifirende Begriffe dürfen nie die Erlenntnißquelle,
der Ausgangspunkt oder ber eigentliche Stoff des Philoſophirens fein.
(W. I, 92.) Das Operiren mit weiten Abftractis, unter gänzlichem
Berlaffen der anfchaulichen Erkenntniß, aus der fie abgezogen worden
unb welche daher die bleibende, naturgemäße Controle derſelben ift, war
zu allen Zeiten die Sauptquelle der Irrthümer des dogmatifchen Philo-
ſophirens. (W. IL, 93.) Die erftaunliche Aermlichkeit und marterndt
Langweiligleit jener philofophifchen Schriften, welche mit weiten Ab⸗
ftractis, wie Enbliches, Unendlihes, — Sein, Nichtſein, Andersfein, —
Einheit, Bielheit, Mannichfaltigkeit, — Identität, Diverfität, Indif⸗
ferenz u. ſ. w. operiren und aus foldem Material ihre Conftructionen
aufbauen, erklärt fich daraus, daß weil Durch dergleichen weite Ab-
ftracta unendlich Vieles gedacht wird, in ihnen nur äußerſt wenig ge:
dacht werben Kann; e8 find leere Hilfen. (W. II, 91 fg.)
Abfurde, das.
1) Das Gebiet, in weldem das Abfurde liegt.
Das Abfurde liegt im Gebiete der Gebanken, ber abftracten Be—
griffe, als in welche alles nur Erfinnliche, mithin aud das Falſche,
das Unmögliche, das Abfurbe, das Unfinnige eingeht. (W. U, 74.)
2) Herrfchaft des Ahfurden.
Die bleibende Herrſchaft behauptet in der Welt das Abfurde und
Verkehrte im Reiche des Denkens, nur durch kurze Unterbrechungen ge:
ſtört. (W. 1, 382. 9. 390.) Das Abfurbe erfüllt, wie Goethe richtic
fagt, recht eigentlich die Welt (F. 92. M. 296. W. I, Borrede XXX
und macht am leichteften Glück in der Welt. (P. I, 6.)
Accidenz, |. Subftan;.
Actio in distans, |. Magie.
Adel.
Dad Recht des Beſitzes ift zwar ethiſch und rationell ungleid
beſſer begründet als das Recht der Geburt. Jedoch iſt es mi
diefem verwandt und berwachfen, welches man daher ſchwerlich würd
wegfchneiden Können, ohne jenes in Gefahr zu fegen. Der Grund hier
von ift, daß der meifte Befig ererbt, folglich aud) eine Art Geburts
Aecht — Aegypier 9
recht iR; wie denn eben der alte Adel auch nur den Namen bes
führt, alfo durch denfelben blos feinen Beſitz ausdrückt.
Dengemäß follten alle Befigenden, wenn fie, flatt neibifch zu fein,
flug wären, auch der Erhaltung ber Rechte der Geburt anhängen.
Der Adel ald folcher gewährt den doppelten Nuten, daß er einer-
ſeits das Recht des Beſitzes und andererfeitS das Geburtsrecht des
Könige Fügen Hilft; denn der König ift der erfte Cdelmanmm im Lande.
Mit Recht beruft ein Edelmann ſich auf feine Vorfahren, weift auf
feinen Stammbanın bin. Bornirt und lächerlich ift es, die Abſtam⸗
nung für unbedeutend zu halten, nicht darauf fehen zu wollen, weſſen
Sohn Einer if; denn allerdings ift der Charakter vom Bater erblich.
($. U, 276. Bergl. Vererbung.)
Acht.
Alles Urfprünglicde und daher alles Aechte im Dienfchen wirkt, ale
foldhes, wie bie Naturkräfte, unbewußt. Was burch dns Bewußtſein
bindurdd gegangen ifl, wurde eben damit zu einer Borftellung; folglich)
iR die Aenferung befielben gewiffermaßen Mittheilung einer Borftellung.
Denmach mun find alle ächten und probehaltigen Eigenſchaften bes
Charalters und des Geiftes urfprüinglich nnbewußt, und nur als folche
mechen fie tiefen Eindrud. Alles Bewußte der Art iſt fchon nach⸗
gebefiert und iſt abfichtlich, geht daher ſchon über in Affectation,
d. i. Trug. Darım ift nur dad Angeborene ädt und ftichhaltig.
($. II, 637.)
Argppier.
Die Aegypter find urfprünglich eine Hindukolonie, baher fo viel dem
Indifcgen Aehnliches in ihrer Religion, daher auch ihr Kaſtenweſen.
M. 174.) Zu den Anzeichen, daß die Aegypter (Aethiopen), ober
wenigſtens ihre Priefter, ans Indien gelommen find, gehören auch im
Leben des Apollonius von Thyana bie Stellen 2, III, 20 und VI, 11.
P. I, 431.)
Die Aegypter glaubten an Metempfychofe (Herod. II, 123), von
welchen Orpheus, Pythagoras uud Plato fie mit Begeifterung entgegen-
nahmen. (W. II, 577.) Den neuplatonifchen Dogmen Liegt Indo⸗
Aegyptiſche Weisheit zu Grunde. (P. I, 63f.) Die Aegypter haben
den Orkus Amenthes genannt, weiches nach Plutard) (de Is. et Osir.
c. 29.) bedeutet 6 AapBavav xaı drdoug, „der Nehmende und Gebende“,
um anszubrüden, daß es derfelde Quell ift, in den Alles zurück und
aus dem Alles hervorgeht. (PB. II, 292.)
Bern man die Höhe des intellectuellen Werthes richtig ſchätzen kann
ash dem Grabe, in welchem ein Menſch das Problem des Dafeins
une wird und fi) darum kümmert, wie hoch ftehen dann die Hinbus
und die alten Aegypter gegen bie Europäer. (9. 430.)
Son der Regel, daß ein Bol, fobald es einen Ueberſchuß von
Kräften ſpurt, auf Raubzüge ausgeht, fcheinen die zwei fehr veligiöfen
Bölker, Hindu und Aegypter, eine Ausnahme zu machen, welche,
zern fie einen Ueberſchuß von Kräften fühlten, ſolche meiftens nicht
10 Aerger — Aeſthetifch
auf Raubzilge oder Heldenthaten, ſondern auf Bauten verwendet haben,
welche den Jahrtauſenden trotzen und ihr Andenlen ehrwürdig machen.
(P. I, 480)
Aerger.
Aerger iſt die Richtung des Subjects des Erkennens auf die Hem—
mung einer ſtarken Aeußerung des Subjects des Willens. Ihn zu
vermeiden ſind zwei Wege: entweder nicht heftig zu wollen, d. i. Tugend;
oder das Erkennen nicht auf die Hemmung zu richten, d. i. Stoiciomus.
(9. 448.)
Aeſthetiſch.
1) Elemente und Bedingungen ber äſthetiſchen Betrach—
tungsweife und des äfthetifchen Wohlgefallens.
Die äſthetiſche Betrachtungsweiſe enthält zwei unzertrenn⸗
liche Beſtandtheile: die Erkenniniß des Objects, nicht als eingeluen
Dinges, fondern als platonifcher Idee, d. h. als beharrender Form
biefer ganzen Gattung von Dingen (|. Idee); fodann das GSelbfi-
bewußtfein des Erkennenden, nicht als Individuums, fondern ald reinen,
willenlofen Subjects der Erkenntniß. (W. I, 330) Das
Afthetiſche Wohlgefallen beruht auf beiden, und zwar bald mehr auf
dem einen, bald mehr auf dem ambern, je nachdem ber Gegenftand der
äfthetifchen Kontemplation iſt. (W. 1, 230.)
Die Bedingung, unter welcher beide Beſtandtheile immer vereint
eintreten, ift das Berlafien der an den Sat vom Grund gebundenen,
nur Relationen faflenden Erkenntnißweiſe, welche Hingegen zum
Dienfte des Willens, wie aud) zur Wiſſenſchaft die allein taugliche ift.
Wenn der Wille fchweigt, die Gegenftände aufhören Motive fiir unfer
Wollen zu fein, wenn wir in der Unfchauung aufgehen, uns ins Object
verlieren, alle Individualität vergeflen, fo treten wir in ben feligen
Zuftend der äfthetifhen Contemplation. Beim Eintritt deffelben
wird zugleich und unzertrenulich das angefchaute einzelne Ding zur
Fee feiner Gattung, unb das erkennende Individuum erhebt ſich zum
reinen Subject des twillenlofen Erkennens, fo daß nun Beide als folche
nicht mehr im Strome der Zeit und allen andern Relationen ftehen.
(W. I, 230—232. PB. I, 447—452.) Es ift dann einerlei, ob man
aus dem Kerker oder aus dem Palaft die Sonne umtergehen fieht, je wie
es einerlei ift, ob das ſchauende Auge einem mächtigen König ober
einem gepeinigten Bettler angehört. (W. I, 232 fg.)
Innere Stimmung, Uebergeivicht des Erkennens über das Wollen,
ann unter jeder Umgebung diefen Zuftand hervorrufen. Aber erleichtert
und von Außen befördert wird jene rein objective Gemüthsſtimmung
durch entgegenfommenbe Dbjecte, durch die zu ihrem Anſchauen ein-
ladende, ja ſich aufdringende Yülle der ſchönen Natur. (W. I, 232.)
Was den Zuftand der äſthetiſchen Kontemplation erſchwert, ift, daß
darin gleichfam das Accidenz (dev Yutellect) die Subftanz (den Willen)
bemeiftert und aufhebt, wenngleich nur auf eine kurze Weile. (W. IL, 420.)
Aether 11
Vie groß der Antheil ift, welchen am äfthetifchen Woblgefallen bie
fubjective Bedingung deſſelben hat, nämlich die Befreiung des Erfen-
nens vom Dienfte des Willens, das Bergefien feines Selbft als In⸗
dividuums und die Erhöhung des Bewußtſeins zum reinen, willenlofen,
zitlofen, von allen Relationen unabhängigen Subject des Erkennens,
zeigt fi unter anderm in dem wunderſamen Zauber, den die Phan⸗
tafie über die Vergangenheit und Entfernung verbreitet. Es find bie
Dbjecte allein, welche bie Phantafle zurücdruft, nicht das unrubige,
leidende, gequälte Subject des Willens, das damals zu ihnen in Be
ziehung ftand. (W. I, 234.)
Bas das Dbjective der äfthetifchen Anfchauung, alfo die (platonifche)
Idee betrifft; fo Täßt diefe fich befchreiben alS das, was wir vor und
haben witrben, wenn die Seit, biefe formale und fubjective Bedingung
unferd Erkennens, weggezogen wiirde wie das Glas aus dem Kaleibofkop.
Bir, fehen 3. B. die Entwidelung von Knospe, Blume und Frucht,
md erſtaunen über die treibende Kraft, welche nie ermlidet, biefe Reihe
von Neuem durchzuführen. Diefes Exrftaunen witrde wegfallen, wenn
wir erkennen Mönnten, baf wir bei allem jenem Wechſel doch nır die
eine und umnveränberliche Idee der Pflanze vor und haben, welche aber
als eine Einheit von Knospe, Blume und Frucht anzuſchanen wir nicht
vermögen, fondern fie vermittelt der Form der Zeit erkennen müſſen,
wodurch unſerm Intellect die Idee auseinandergelegt wird in jene
fucceffiven Zuſtände. (PB. II, 452.)
2) Barum die äſthetiſche Auffaffung felten und vor-
übergehend ift.
Bei der Auffaffung des objectiven, felbfteigenen Weſens ber Dinge,
weiches ihre (platonifche) Idee ausmacht, wird der Intellect, der ur⸗
ſprünglich dem Willen entfproffen, zum Dienfte des Willens beftimmt
ft und in faft allen Menfchen auch darin bleibt, abusive gebraudit;
feine Thätigkeit ift Bier eine ihm unnatürliche, demgemäß ift fie bedingt
durch ein entfchieben abnormes, daher fehr feltenes Uebergewicht des
Intellecis und feiner objectiven Erſcheinung, des Gehirns, über ben
übrigen Organismus und über das Verhältniß, welches bie Zwecke des
Billens erfordern. ben weil dies Ueberwiegen bes Intellects ein ab-
normes ift, erinnern die baraus entfpringenden Phänomene biöweilen an
den Wahnſinn. (P. II, 451 fg.)
Uebrigens ift die vein objective Auffaffung der Welt und ber Dinge,
ſowohl aus objertiven als aus fuhjectiven Gründen, nur eine vorüber
gehemde, indem theils die dazu erforderte Anfpannung nicht anhalten
faun, theils der Lauf der Welt nicht erlaubt, daß wir durchweg ruhige
und antheildlofe Zufchauer barin bleiben, ſondern Jeder im großen
Marionettenſpiel des Lebens doch mitagiren muß und faft immer den
Draht fühlt, durch welden auch ex bamit zufammenhängt und in Be-
wegung gefett wird. (P. II, 452.)
Acher, ſ. Licht.
12 Aetiologie
Aetiologie.
1) Gegenſtand und Umfang der Aetiologie.
Die Aetiologie oder Erklärung der Veränderungen in der Natur
bildet eine Hauptabtheilung der Naturwiſſenſchaft, die Morphologie oder
Beſchreibung der Geſtalten die andere.
Die Aetiologie betrachtet die wandelnde Materie nach den Geſetzen
ihres Ueberganges aus einer Form in die andere. Zur Aetiologie ge⸗
hören alle die Zweige der Naturwiſſenſchaft, welchen die Erkenntniß
der Urfache und Wirkung überall die Hauptfache if. Dieſe lehren, wie,
gemäß einer unfehlbaren Regel, auf einen Zuftanb der Materie noth-
wendig ein beftimmter anderer folgt; wie eine beftimmte Beränderung
nothwendig eine andere, beftimmte, bebingt und herbeiführt, welche Nach⸗
weifung Erflärung genannt wird. Hierher gehören hauptſächlich
Mechanik, Phyſik, Chene, Phyſiologie. (W. 1, 114 fg.)
Die ütiologifche Erklärung thut im Grunde nichts weiter, als daß
fie die gefegmäßige Ordnung, nad der die Zuflände in Raum
und Zeit eintreten, nachweiſt und für alle Fälle lehrt, welche Erfchei-
nung zu diefer Zeit, an diefem Orte, nothivendig eintreten muß; fie
beftimmt ihnen alfo ihre Stelle in Zeit und Raum nad) einem Geſetz,
beffen beftimmten Inhalt die Erfahrung gelehrt hat, deflen allgemeine
Form und Nothwendigkeit jedoch unabhängig von ihr uns bewußt iſt.
Ueber da8 innere Wefen irgend einer jener Erfcheinungen erhalten
wir dadurch aber nicht den minbeften Aufſchluß: diefes wird Natur-
fraft genannt und liegt außerhalb des Gebiets der ütiologifchen
Erflärung, welche die unmanbelbare Conftanz des Eintritts der Aeußerung
einer ſolchen Kraft, fo oft die ihr befannten Bedingungen dazu da find,
Naturgefeg nennt. Dieſes Naturgefeg, diefe Bedingungen, biefer
Eintritt, in Bezug auf beftimmten Ort, zu beftimniter Zeit find Alles,
was fie weiß und je willen Tann. Die Kraft felbft, bie ſich äußert,
das innere Wefen der nad) jenen Gefeten eintretenden Erjcheinungen,
bleibt ihr ewig ein Geheimuiß, ein ganz Fremdes und Unbelanntes, fo-
wohl bei der einfachften, wie bei der complicirteften Erfcheinung.
(®. I, 116.)
Seldft die volllommenfte ätiologifche Erklärung ber gefammten Natur
wäre eigentlich nie mehr als ein Verzeichniß der unerklärlichen Kräfte,
und eine fichere Angabe der Regel, nach welcher die Erfcheinungen der-
felben in Zeit und Raum eintreten, fich fuccediven, einander Platz
machen; aber das innere Weſen, die Bedeutung ber alfo erfcheinenden
Kräfte müßte fle, weil das Gefetz der Cauſalität, dem fie folgt, nicht
dahin führt, ftetS unerflärt laſſen. (W. I, 117.)
2) Fehler, welche die Yetiologie zu vermeiden hat.
Die ätiologifche Erflärung hat richtig zu unterfcheiben, ob eine Ver⸗
fchiebenheit der Erfcheinung von einer Verfchiedenheit der Kraft, ober
nur bon Berfcjiedenheit ber Umftände, unter denen die Kraft fich
äußert, herrührt, und hat gleich fehr fich zu Hiten, für Erſcheinung
verfchiedener Kräfte zu halten, was Aeußerung einer und derfelben
Affe 13
Kraft, blos unter verfchiedenen Umftänden, ift, als umgelehrt, für
Aeuferungen Einer Kraft zu Halten, was urfprünglich verfchiedenen
Kräften angehört. (W. I, 166.)
3) Berbältnig der Wetiologie zur Philoſophie der
Natur.
Bo die ätiologifhe Erklärung zu Ende ift, bei ben allgemeinen
Naturkrüften und den Geſetzen, nach denen ihre Ueußerungen eintreten,
da fängt die metaphyfifche an. Die Wetiologie ber Natur und die
Bhilofophie der Natur thun daher einander nie Abbruch, fondern gehen
neben einander, benfelben Gegenftand ans verfchiedenen Geſichtspunkten
betrachtend. Jene giebt in der vollftändigen Darlegung der Naturkräfte
und Geſetze ein complete Thatfachenregilter, infofern jedes Naturgefeg
doch nur eine allgemein ausgefprochene Thatſache, un fait generalise
if; diefe giebt Aufjchluß über das innere Wefen diefer allgemeinen
Thatſachen. (W. I, 167.)
Wenn die Xetiologie, ftatt der PHilofophie vorzuarbeiten und ihren
Lehren Anwendung durch Belege zu liefern, vielmehr meint, es fei ihr
Zid, alle urfprünglichen Kräfte wegzuleugnen, bis etwa auf eine, die
allgemeinfte, 3. B. Undurchdringlichkeit, welche fie von Grund aus zu
verftehen ſich einbildet und denmadh auf fie alle andern gewaltjanı
urüdzuführen ſucht, fo entzieht fie fich ihre eigene Grundlage und
tann mm Irrthum ftatt Wahrheit geben. (W. I, 168.)
Affe.
1) Der Affe ale Stammpater des Menfdhen.
Bir wollen e8 uns nicht verhehlen, daß wir die erften Dienfchen
uns zu denfen haben als in Aften vom Pongo (beffen Junges Orang⸗
Utan beit), in Afrifa vom Schimpanje geboren, wiewohl nicht als
Affen, ſondern fogleih als Menſchen. Diefen Urfprung lehrt fogar
aan buddhiftifcher Mythos. (P. II, 164.)
Wenn die Natur den legten Schritt bis zum Menſchen, ftatt vom
Affen aus, vom Hunde oder Elephanten aus genommen hätte, wie
ganz anders wäre da der Menſch. Er wäre ein vernünftiger Elephant,
der vernünftiger Hund, ftatt daß er jett ein vernünftiger Affe ift.
Sie nahm ihn vom Affen aus, weil e8 der fürzefte war; aber durch
äine Meine Aenderung ihres frühern Ganges wäre er von einer andern
<telle aus Türzer geworden. (9. 348.)
2) Die Geſtalt des Affen.
Tie Geftalten der Thiere find durchweg nur das Abbild ihres Wollens,
der fichtbare Ausdruck der MWillensbeftrebungen, die ihren Charakter
(N. 45); der Wille zum Leben ift bas (Ramardfche) Ur⸗
tbier, welches nad) Maßgabe der Umftände aus einem und demfelben
Srmbtypus die Mannichfaltigkeit der Geftalten Hervorbringt. Will er
As Affe auf den Bäumen umhberflettern, fo greift er alsbald mit vier
Händen nad) den Zweigen und ſtreckt dabei Una nebſt Radius unmäßig
m die Pänge; zugleich verlängert er das os coccygis zu einem. ellen-
14 Affeet
langen Widelfehwanze, um ſich damit an die Zweige zu hängen und
von einem Aft zum andern zu fchwingen. (N. 52.)
3) Die Intelligenz bes Affen. -
Wie mit jedem Organ und jeber Waffe, zur Offenfive oder Defen⸗
five, hat fi) auch in jeder Thiergeftalt ber Wille mit einem entfprechen:
den Imtellect ausgerüftet, al8 einem Mittel zur Erhaltung des In⸗
dividıumd und der Art. Der außerordentliche Verftand der Affen war
nöthig, theils weil fie bei einer Lebensdauer, bie felbft bei denen
mittlerer Größe fi auf funfzig Jahre erftredit, eine geringe Prolifica-
tion haben, nämlich nur Ein Yunges zur Zeit gebären; zumal aber,
weil fie Hände haben, denen ein fie gehörig benutzender Verſtand vor-
ſtehen mußte und auf deren Gebraud; fie angewiejen find, fowohl bei
ihrer Bertheidigung mittelft äußerer Waffen, wie Steine und Stöde,
als auch bei ihrer Ernährung, welche mancherlei Fünftliche Mittel ver-
langt und überhaupt ein gejelliges und künſtliches Raubſyſtem nöthig
macht, mit Zureichen der geftoälenen Früchte von Hand zu Band,
Ausftellen von Schilöwachen u. dgl. m. Hierzu kommt noch, daß
diefer Verſtand hauptſächlich ihrem jugendlichen Alter eigen ift, als in
welchen bie Musfelfraft noch unentwidelt ift; 3. V. der junge Pongo
oder Drang-Utan hat in der Jugend ein relativ überwiegendes Gehirn
und ſehr viel größere Intelligenz, als im Alter der Reife, wo bie
Muskelkraft ihre große Entwidelung erreicht Hat und den Intellect
erfegt, der bemgemäß ſtark geſunken iſt. Daſſelbe gilt von allen Affen;
der Intellect tritt alfo hier einftweilen vicarirend für die künftige
Muskelkraft ein. (N. 48 fg. W. II, 462—454.) So entwidelt der
Intellect der vollfommenften Thiere auch ift und fo überrafchend oft
ihre Sagacität, fo müſſen wir uns doch andererſeits wundern, daß die
klugen Orang-litane da8 vorgefundene Feuer, an dem fie ſich wärmen,
nicht durch Nachlegen von Holz unterhalten, — ein Beweis, daß biefe®
Ihon eine Weberlegung erfordert, die ohne abftracte Begriffe nicht zu
Stande kommt. (W. I, 27 fg.)
Die Thiere faffen im Allgemeinen an den Objecten nur Das auf,
was Bezug auf ihr Wollen bat, der Untellect fteht alſo bei ihnen noch
ganz im Dienfte des Willens; fogar die klügeren Thiere fehen bie Ob-
jecte nur, fofern fie Motive fir den Willen find. Bei den aller
flügften und noch durch Zähmung gebildeten Thieren jedoch ftellt fid)
bisweilen fchon die erfte fchwache Spur einer antheilslofen Auffafiung
der Umgebung ein. Hunde bringen es fchon bis zum Saffen, Affen
ſchauen bisweilen umber, als ob fie über die Umgebung fid) zu befin-
nen ftrebten. (N. 74fg. P. II, 71.)
Die Heftigfeit des Willens hält mit der Erhöhung der Intelligenz.
gleichen Schritt. Die Lebhaftigfeit und Heftigkeit des Affen fteht mit feiner
Ile jehr entwidelten Intelligenz in genauer Verbindung. (W. II, 318.)
Affeet. |
1) Urfprung und Wirkung des Affects.
Ieder Affeet (animi perturbatio) entſteht baburch, daß eine auf
|
Affect 15
une Willen wirtende Borftellung uns fe übermäßig nahe tritt, daß
fie ans alles Uebrige verbedit und wir nichts mehr, als fie, ſehen Tünnen,
weich wir für den Augenblid unfähig werben, das Anderweitige zu
gen. (W. II, 164.)
Der Affect ift die plögliche, heftige Erregung des Willens durch eine
ven außen einbringende, zum Motiv werdende Borftellung, die eine
ſolche Lebhaftigkeit bat, daß fie alle andern, welche ihr ald Gegenmotive
entgegenwirlen Könnten, verbuntelt und nicht deutlich ing Bewußtſein
tnımen Bit. (E. 100.)
Der Affect iſt jedoch nur eine vorübergehende Erregung bes
Willens durch ein Motiv, welches feine Gewalt nieht durch eine tief
wurzelnde Neigung, fondern blos dadurch erhält, daß es, plöglich
eintretend, bie Gegenwirkung aller andern Motive für den YAugen-
blid ansfchließt. (W. II, 678.)
Zur Leidenfchaft verhält fich der Affect, wie die Bieberphantafie zum
Bahnfinn. (W. II, 679.)
2) Warum der Affect bie Zurehnung vermindert.
Durch den Affeet wird die Fähigkeit der Ueberlegung und damit bie
intellectuelle Freiheit (j. Freiheit) im gewillem Grade auf
gehoben. (WB. II, 679.) Sie wird vermindert oder partiell aufe
gehoben (E. 100.) Demnach ift bei den im Affect begangenen Thaten
ſewohl die juridifche, als die moralifche Berantwortlichkeit, nad) Be⸗
ihaffenheit der Umftände, mehr oder weniger, doch immer zum heil
aufgehoben. (E. 100.)
Das im Affect gefchieht, ift nicht ganz eigene That und giebt daher
tem vollgliltiges Zeugniß über die Befchaffenheit des Charakters. Denn
mw ſolche Thaten find Symptome des Charakters, die bei vollem Ge⸗
branch der Bernunft, alfo überlegt und befonnen gefchehen. Hin⸗
xgen was blos dadurch begangen wird, bag ein Motiv, weil e8 an-
'Hanlid) war (gegenmwärtiger Reiz), die Oberhand gewann über ein
uderes, das als bloßer Gedanke (Borjag, Maxime) ihm gegeniiber:
fand, — dies ift Wirkung des Affects, und bie Befchaffenheit des
Billens darf nicht geradezu nach diefer That beurtheilt werden; denn
ser bat nicht unmittelbar der Wille Schuld, fondern die Vernunft,
som abftracte Borftellungen zu ſchwach waren, um fi im Bewußtſein
‚a erhalten, während das anfchauliche Motiv gewaltfam auf ben Willen
endrang unb ihn ſtark bewegte. Daher entjchuldigt man eine ſolche
at dadurch, daß fie im Affect gefchehen. Man ſieht mehr einen
xchler der Erkenntnißkräfte darin, als des Willens, Im Affect thut
a Menſch Das, was er nicht fähig wäre zu beſchließen. Alfo
gt die Sache eigentlich in der Erkenntniß, ift mehr ein fehler der
Armutmig, als des Willens. (H. 392-394.)
3) Gegenmittel gegen den Wffect.
Ein gutes Gegenmittel gegen den Affect wäre, dag man ſich da⸗
a bräcte, die Gegenwart unter ber ‚Zinbilbung anzufehen, £ ſei
it, within feiner Apperception den Briefſtil der Römer
16 Affectation — Mlabemien
angewöhnte. Bermögen wir doch jehr wohl umgelehrt das längſt Ber-
gangene fo lebhaft als gegenwärtig anzufehen, daß alte, Längft fchlafende
Affecte dadurch wieder zu vollem Toben erwachen. (W. II, 164.)
Da im Affert das Motiv den Willen nicht, wie in der Leidenfchaft,
durch feine Materie, Gehalt, fondern durch feine Form, Anfchaulid-
feit in ber Gegenwart, unmittelbare Realität bewegt, und die Bermuuft
zu ſchwach ift, um über den unmittelbaren Eindrud des Anfchaulicen,
Gegenwärtigen Herr zu werden, fo ift e8 gut, bie Vernunft durch ein
onfchaufiches Bild, Phantasına, zu armiren, das man an die Stelle
ihres Talten Begriffs feßt, wie jener Italiäner that, der ben Schmerzen
der Tortur dadurch widerfland, daß er während derfelben das Bild des
Galgens, an welchen fein Geſtändniß ihn gebracht Haben würde, nicht
einen Augenblid aus ber Phantafie entweichen ließ. (P. I, 469;
H. 393.)
Affeetation.
1) Was die Affectation bedeutet.
Das Affectiven irgend einer Eigenschaft, das Sich-brüften damit,
ift ein Selbftgeftändniß, daß man fie nicht hat, Sei es Muth oder
Gelehrſamkeit, oder Geift, oder Wit, ober Glück bei Weibern, ober
Reichthum, oder vornehmer Stand oder was fonft, womit einer groß
thut, jo kann man daraus fchließen, daß es ihm gerade daran in etwas
gebricht; denn wer wirflich eine Eigenfchaft vollkommen beſitzt, dem fällt
es nicht ein, fie berauszulegen und zu affectiren. (P. I, 485 fg.)
2) Wirkung ber Affectation.
Die Affectation erwedt allemal Geringfhägung: erſtlich als Be-
trug, der als folcher feige ift, weil er auf Furcht berubt; zweitens als
Berdammungdurtheil feiner felbft durch fich felbft, indem man fcheinen
will, was man nicht ift und was man folglich für beſſer hält, als
was man if. (P. I, 485.) Nachahmung fremder Eigenfchaften und
Eigenthümlichkeiten ift viel ſchimpflicher als das Tragen fremder Kleider;
denn es ift das Urtheil ber eigenen Werthlofigfeit, von fich felbft aus-
geſprochen. (W. I, 361.)
3) Unhaltbarkeit ber Affectation.
Das Affectiren wird erfannt, felbft ehe Mar geworden, was eigent-
ih Einer affectirt. Und endlich Hält e8 auf die Länge nicht Stich,
fondern die Maske fällt einmal ab. (P. I, 486.)
Agape, ſ. Tiebe.
Agilität der Glieder, |. Bewegung.
Akademien.
1) Aufgabe der Akademien. |
Neue Wahrheiten von Belang gehen jelten von Akademien aus,
Daher follten fie wenigſtens wichtige Leiftungen zu beurtheilen fähi
fein und genöthigt werden, ex officio zu reden. Wenn der größte Gei
einer Nation eine Sache zum Hauptſtudium feines Lebens gemacht hat,
Allegorie 17
wie, Bd Goethe die Farbenlehre, und fie findet keinen Eingang, fo
ft 8 Pflicht der Regierungen, welche Akademien bezahlen, biefen auf⸗
utrogen, die Sache durch eine Kommiffion unterfuchen zu laſſen; wie
Ties in Frankreich mit viel unbedeutenberen ‘Dingen geſchieht. (P. II, 507.)
Aodemien baben zum Zweck die Auffindung thatfächlicher, mithin
feld um befonderer Wahrheiten; diefem Zweck ift die vereinte Be⸗
rüßung Bieler angemefien. Hingegen die Auffindung der allgemeinen
Bahrheiten ift das Wert Einzelner und Seltener, welche Mitarbeiter
weder brauchen noch finden können. (H. 468.)
2) Berhältnig der Alademiler zu den großen Öeiftern.
Tie wirklich überlegenen und privilegirten Geifter, welche dann und
wann ein Mal zur Erleuchtung der übrigen geboren werden, find es
„von Gottes Gnaden“ und verhalten fi) demnach zu den Alademien
und zu deren illustres confröres, wie geborene Fürſten zu den zahl«
sahen und aus der Menge gewählten Repräfentanten des Volkes.
Daber follte eine geheime Schen die Herren Alademiler warnen, ehe
je ih an einem ſolchen rieben, — e8 wäre denn, fie hätten bie trif«
haften Gründe aufzuweifen. (W. II, 303.)
Denn die Größe der Geiftesfraft nicht eine rein intenſive wäre,
die ducch kein Nebeneinander und Beieinander anwächſt, dann wären
Undemien viel wert. ( H. 468.)
riftesüberlegenheit jeder Art ift eine ſehr ifolirende Eigenfchaft, bie
geflohen mb gehaßt wird. Zum Vorwärtskommen in ber Welt, aud)
ar Erlangung von Ehrenftellen und Würden, ja, Ruhm in ber ge-
ihrten Belt, find Freundſchaften und Kamaraderien bei Weitem das
Hauptmittel. Daher fitzt z. B. in den Akademien die fiebe Mebiocrität
#8 oben auf, Leute von Verdienſt Hingegen kommen fpät ober nie
kein. (P. I, 491.)
3) Berhalten der Akademien zu ernften und bedenk—
lichen Preisfragen.
Kine Alademie ift fein Slaubenstribunal. Wohl aber bat nun jede,
& fie fo hohe, ernfte und bedenfliche ragen, wie 3. 3. die über bie
ziheit des Willens und das Fundament der Moral aufftellt, vorher
x fich felbft auszumachen, ob fie auch wirklich bereit ift, der Wahr-
kett, wie immer fie lauten möge, öffentlich beizutreten. ‘Denn Hinter
er, nachdem auf eine ernfte Frage eine ernfte Antwort eingegangen,
% 8 nicht mehr an der Zeit, fie zurückzunehmen. Dieſe Bebenklichkeit
R ohne Zweifel der Grund, weshalb die Afademien Europas fich in
a Regel wohl hüten, Fragen folder Art aufzuftellen. (E. XVIL)
Alrgorie.
1) Weſen ber Allegorie.
3a der Allegorie wirb das Kunſtwerk abfichtlich und eingefländlich
Anddrud eines Begriffs beftiimmt. Eine Allegorie if ein Kunft-
wel, weides etwas Anderes bedeutet, als es barftellt. Durch bie
egerie fol immer ein Begriff bezeichnet und folglich der Geift des
Edopenhauersfegiton. I. 2
18 Allegorie
Beichauers von der bargeftellten anfchaulichen Vorſtellung weg, auf eine,
ganz andere, abftracte, nicht anfchauliche, geleitet werden, die völlig.
außer dem Kunſtwerk Liegt. Hier ſoll aljo Bild ober Statue leiſten,
was die Schrift, nur viel vollfommener, Teiftet. (W. I, 279 fg)
2) Berwerflichleit der Allegorie in der bildenden Kunft,
Da nun Zwed der Kunft Darftellung der nur auſchaulich auf-
zufaflenden Idee ift, und da das Ausgehen von Begriff in der Kunſt
verwerflich ift (ſ. Kunft), fo ift die Allegerie zu migbilligen. Die
Alegorie ift in der bildenden Kunſt ein fehlerhaftes, einem der Kunſt
ganz fremden Zweck dienendes Streben. (W. I, 279—281.)
3) Unabhängigkeit des Kunſtwerths einer Allegoric
von ihrer Bedeutung. Ä
Für Das, was in der Allegorie beabfidhtigt wirb, ift feine große
Bollendung des Kunſtwerks erforderlich, da es Hinreicht, daß man
fehe, wa8 das Ding fein fol. Hat daher ein allegorifches Bild aufer
feiner begrifflichen Bedeutung aud) Kunftwerth, fo ift diefer von dem,
was es als AUllegorie leiftet, ganz gejondert und unabhängig; ein foldes
Kunftwerk dient zweien Zweden zugleich, nämlich dem Ausbrud eines
Begriffs und dem Ausdrud einer Idee Die reale und nominale
Bedeutung find in ihm zu unterfcheiden. Die nominale ift das Ale
gorifche als folches, 3. B. der Genius des Ruhmes; die reale das
wirflih Dargeftellte. Die reale Bedeutung wirkt nur fo lange man die
nominale, allegorijche vergift. (W. I, 280 fg.)
4) Zuläffigfeit der Allegorie in der Poeſie. |
Menngleich aber die Allegorie in der bildenden Kunft verwerflidh
ift, fo iſt ſie doch in der Poeſie zuläffig und zwedbienlid. Denn in
der bildenden Kunſt leitet fie vom gegebenen Anfchaulichen, dem eigent-
tichen Gegenftand aller Kunft, zu abftracten Gedanken; in der Poefie
hingegen ift ber Begriff das Material, das unmittelbar Gegebene,
welches man daher fehr wohl verlaffen darf, um ein gänzlich verſchie—
denes Anſchauliches Hervorzurufen, in welchem das Ziel erreicht wird.
In den vedenden Künften find Gleichniſſe und Allegorien zur Bere
anſchaulichung von Begriffen von trefflicher Wirkung. (W. I, 283 fg.)
Wenn die poetifche Allegorie bisweilen durch ein gemaltes Bilb, eine
Vignette unterftütst wird,’ fo wird diefes darum doch nicht als Werl
der bildenden Kunſt, fondern nur als bezeichnende Hieroglyphe be:
trachtet. (W. I, 285.)
(Meber eine Abart der Allegorie, da8 Symbol, f. Symbol.)
5) Warum die Dinge reihen Stoff zu allegorifchen
Deutungen bieten. |
Aus der Urverwandtichaft aller Weſen und der Thatſache, da fir
fänmtli einen Ähnlichen Typus tragen und gewiffe Gefege, wenn nu
allgemein genug gefaßt, ſich als bie felben bei allen geltend machen, —
wird es erflärlidh, daß man nicht nur die Heterogenften ‘Dinge an:
einander erläutern oder veranjchaulichen kann, fondern auch treffend:
Allegorien felbft in Darftelungen findet, bei denen fie nicht beabfichtig:
Allseins-Lehre 19
waren. Diefer univerfellen Analogie und -typifchen Identität der Dinge '
verdanft die Hefopifche Fabel ihren Urjprung, und auf ihr beruht eg,
daß das Hiftorifche allegorifch, das Allegorifche Hiftorifch werben Tann.
Mehr ald alles Andere jedoch Hat von jeher die Mythologie der Griechen
Ziff zu allegorifchen Auslegungen gegeben, weil fie dazu einlabet, in⸗
an fie Schemata zur Beranfchaulihung faft jedes Grundgedantens
liefert, ja gewiffermaßen die Urtypen aller Dinge und Berhältnifie
athält, welche, eben als foldhe, immer und überall durchſcheinen.
*. I, 439 fg.)
Al-tins-Ichre.
1) Die Allseins-L2ehre ift von jeher dageweſen.
Daß in allen Erjcheinungen das innere Wejen, das ſich Mani-
ftirende, das Erfcheinende, Eines und das Selbe fei, — die große
Xhre vom Ev xaı av, — ift im Orient wie im Occident früh
aufgetreten und bat fich, allem Widerfpruch zum Trotz, behauptet oder
te fetd erneuert, (W. II, 362. E. 268 fg.)
2) Bas das Eine fer, hat erſt Schopenhauer gelehrt.
Las fv xou rav hatte, nachdem die Eleaten, Stotus Erigena, Jor⸗
Yo Bruno und Spinoza es ausführlid) gelehrt und Schelling diefe
he aufgefrifcht Hatte, Schopenhauer’8 Zeit bereitS begriffen und ein»
schen. Aber was dieſes Eine ſei und wie e8 dazu komme ſich als
des Viele darzuftellen, ift ein Problem, deſſen Löſung zuerft bei
Shopenganer zu finden iſt. (W. II, 736. 362.; M. 369.)
3) Der Beweis der Allseing=Lehre läßt ſich allein aus
Sant führen.
Das xx ray war zu allen Zeiten ber Spott der Thoren und
ke endlofe Meditation der Weifen. Jedoch läßt der firenge Beweis
kefelben ſich allein aus Kant's Lehre von Raum unb Zeit führen,
So Kant felbft das nicht gethan hat, fondern nach Weife kluger
feuer nur die Prämifien gab, den Zuhörern die Freude der Con⸗
im überlaffend. (E. 269 fg) Nah Kant's transfcendentaler
kärtt find Raum und Zeit die Formen unfers Anfchauumgsver-
Egens, gehören dieſem, nicht den dadurch erkanuten Dingen an, können
& nimmermehr eine Beſtimmung der Dinge an ſich feldft fein, ſon⸗
x lommen nur der Erfcheinung derjelben zu, wie foldhe in unferm,
a pinfiologifche Bedingungen gebundenen Bewußtjein ber Außenwelt
wem möglich iſt. Iſt aber dem Dinge an ſich, d. 5. dem wahren
Sen der Welt, Zeit und Raum fremd, fo ift es nothwendig auch
t: Bielheit; folglich kann daſſelbe in den zahllofen Erfcheinungen
"ser Sinnenwelt doch nur Eines fein, und nur das Eine und iden⸗
She Weſen fich im diefen allen manifefticen. Und umgekehrt, was fich
cn Vieles, mithin in Zeit und Raum barftellt, kann nicht Ding
ad, fondern mr Erfheinung fein. (E. 267 fg.)
Die All-eins-Lehreim Verhältniß zum Bantheismus,
Tr Meins-Lehre ift nicht nothwendig Pantheismus, da das
| 2*
20 Allgegenwart — Allgemeine
ibentifche Weſen aller Dinge nicht als Gott, und die Erfcheinung
welt nicht als eine Theophanie gefaßt zu werben braudt.
bem Pantheismus bat die All-eind- Lehre zivar das Ev xXor za
gemein, aber im Mebrigen kann fie doc) fehr vom Pantheismus ab
weichen, und die Schopenhauer’jche All⸗eins⸗Lehre weicht in erhebliche
Punkten von dem Pantheismus ab, (W. U, 736— 740. Vergl. aul
Pantheismus.) |
Algegenwart, der Naturkräfte, |. Naturfraft.
Allgemeine, das. Erkenntniß des Allgemeinen. Allgemein
Wahrheiten.
1) Zwei Arten von Allgemeinheit.
Die Allgemeinheit des Begriffs ift zu unterſcheiden von der AM
gemeinheit der Idee. Sowohl der Begriff als die Idee vertritt, al
ein Allgemeines (universale), eine Bielheit von Dingen, doch i
zwifchen der Allgemeinheit des Begriffs und der der Idee ein groß
Unterfchied. Der Begriff ift ein nicht anfchanliches, fondern m
denfbares Allgemeines, die Idee Bingegen ein anſchauliches. D
Idee ift die vermöge der Zeit» und Raumform unferer intuitive
Apprehenfion in die Bielheit zerfallene Einheit; Hingegen der Begri
ift die mittelft der Abftraction unferee Vernunft aus der Vielhe
wiederhergeftellte Einheit. Der Begriff kann daher bezeichnet werd
als unitas post rem, die Idee als unitas ante rem. (W.I, 275—277
Die Ideen al8 urfprüngliche Allgemeinheiten können in ber Sprached
Scholaſtiker bezeichnet werden als universalia ante rem, bie Begrif
als fecundäre, durch die Neflerion der Vernunft entftandene, hingeg!
als universalia post rem. (W. II, 416g.) Der Begriff fomn
zwar an Umfang der Idee gleich, jedoch hat in ihm das Ailgemeit
(universale) eine ganz andere Form angenommen, dadurch aber d
Anfchaulichkeit und mit ihr die durdgängige Beſtimmtheit eingebüf
(W. U, 416.) |
2) Erkenntniß des Allgemeinen. Ä
Die Idee wird intuitiv erfamt (f. Idee). Das Einzelne far
unmittelbar als ein Allgemeines aufgefaßt werben, wenn es 5l
Platonifhen Idee erhoben wird. (W. II, 155.) ‘Dagegen gelang!
wir zum Allgemeinen des Begriffs nur mittelbar, durch Ahftractu
aus dem Einzelnen. Das Kant’jche Vorgeben, daß unfere Erkenntn
einzelner Dinge durch eine immer weiter gehende Einfchränfung al
gemeiner Begriffe, folglich auch eines allerallgemeinften, der alle Realit
in ſich enthielte, entftehe, iſt falfh, da gerade umgelehrt unfe
Erfenntniß, vom Einzelnen ausgehend, zum Allgemeinen erweitert wi
und alle allgemeinen Begriffe durch Abftraction von vealen, einzelne
anfchaulich erfannten Dingen entftehen, welche bis zum allerallgemeinft
Begriff fortgefetst werden Tann, der dann Alles unter ſich, aber fi
nichts in ſich begreift. Es ift philoſophiſche Charlatanerie, ftatt !
Begriffe für aus den Dingen abftrahirte Gedanlen zu erfennen, u
Allmacht — Alten 21
gefehrt die Begriffe zum Erften zu machen und in ben Dingen nur
eoncrete Begriffe zu fehen. (8. I, 603.)
3) Allgemeine Wahrheiten.
Die empirifche Anfchauung kann zunächſt nur einzelne, nicht aber
allgemeine Wahrheiten begründen; durch vielfache Wiederholung und
Terätigung erhalten folche zwar auch Allgemeinheit, jedoch nur eine
camparative und prefäre, weil fle immer noch der Anfechtung offen
fett. (®. II, 132.)
Hat aber ein Sat abfolute Allgemeingültigkeit, fo ift die Anfchauung,
anf die er ſich beruft, Teine empirische, fondern a priori. Bollfommen
fihere Wiſſenſchaften find demnach allein Logik und Mathematik.
(®. D, 132.)
Almadt, des Willens, ſ. Magie.
Alwiffenheit, |. Magnetismus.
Alte Welt, |. Amerika,
Alten, die.
1) Borzüge der Alten.
Ran kann den Geift der Alten dadurch charakteriſtren, daß fie
ängig und in allen Dingen beftrebt waren, fo nahe als möglich)
ter Natur zu bleiben, und dagegen den Geift der neuen Zeit durch
dad Beftreben, jo weit als möglich fich von der Natur zu entfernen.
Nan betrachte die Kleidung, die Sitten, bie Geräthe, die Wohnungen,
be Sefüße, die Kunſt, die Religion, die Lebensweiſe der Alten und
Xen. (®. II, 438.)
Die Alten werben nie veralten. Gie find und bleiben ber Polar-
ken für alle umfere Beftrebungen, fei es in ber Litteratur oder in der
lidenden Kunſt, den wir nie aus den Augen verlieren bürfen. Schande
wartet des Zeitalters, welches ſich vermeflen möchte, die Alten bei
<ete zu fegen. (P. II, 436.)
Pegänftigt durch den Einfluß des fchönen gemäßigten Klimas und
gr Bodens, wie auch der vielen Seeküſten Griechenlands und Klein⸗
Hs erlangten die Hellenen eine ganz naturgemäße Entwidelung
rein menſchliche Eultur, in einer Volllommenheit, wie ſolche
wierdem nie und nirgends vorgelommen ifl. (P. IL, 435.)
Tiefer Nation ganz allein verdanken wir die richtige Auffaffung und
sturgemäße Darftellung der menfchlichen Geftalt und Geberbe, bie
! der allein regelrechten und von ihnen auf immer feft-
‚ielten Berhältniffe der Baufunft, bie Entwidelung aller ächten For⸗
=ı ber Poeſie nebſt Erfindung ber wirklich jchönen Sylbenmaße,
* Arftellung philofophifcher Syſteme, nach allen Grundrichtungen des
Diqhlichen ens, die Elemente der Mathematik, die Grundlagen
a vernünftigen Geſetzgebung und überhaupt die normale Darſtellung
er wehrhaft fchönen und edeln en eicden Eriftenz. (®. II, 435.)
Tee Griechen, dieſes Heine auserwählte Bolt der Mufen und Grazien,
zu mit emem Inſtinct der Schönheit ausgeftattet. Diefer
22 Alten
erſtreckte fich auf Alles: auf Gefichter, Geftalten, Stellungen, Geis
der, Waffen, Gebäude, Gefäße, Geräthe und was nod) fonft war, u
verließ fie nie und nirgends. (P. II, 435.) |
Die Sculptur, obgleich hauptſächlich auf Darftellung der Schön
heit (de8 Gattungscharaktere) ausgehend, hat doch diefe immer in ea
dur, den individuellen Charakter zu mobdificiren und bie I
ber Meenfchheit immer auf eine beftimmte, individuelle Weife, cine b
fondere Seite berfelben herborhebend, auszubrüden, weil das menjhlid
Individuum als folches gewiſſermaßen die Dignität einer eigenen Id
hat umb ber Idee der Menſchheit es eben weſentlich ift, daß fie fü
in Individuen von eigenthümlicher Bedeutſamkeit darſtellt. Dief
Forderung entfprechend finden wir in ben Werken ber Alten bie ve
ihnen deutlich aufgefaßte Schönheit nicht durch eine einzige, fonde
durch viele, verfchiedenen Charakter tragende Geftalten ausgebritdt, gleid
fam immer von einer andern Seite gefaßt und demzufolge anders da
geftelt im Apoll, anders im Bacchus, anders im Herkules, anders i
Antinous. (W. I, 266.)
Das Reizende ift in der Kunft, als den Beichauer aus ber rein
Contemplation berabziehend und feinen Willen aufregend, überall |
vermeiden. Demgemäß find bie Antiten, bei aller Schönheit un
völliger Nadtheit der Geftalten, faft immer davon frei, weil der Künſil
jelbft mit rein objectivem, von ber idealen Schönheit erfüllten Geil
fie ſchuf, nicht im Geifte fubjectiver, fchnöder Begierde. (W. I, 245 fü
Die Baufunft fol, wenngleich, nicht die Formen ber Natur, w
Baumſtämme u. dgl. nachahmen, doc im Geifte der Natur fchaffe
namentlich indem fie alles Ueberflüſſige und Zweckloſe vermeidet, ih
jedesmalige Abfiht ſtets auf dem kürzeſten und natürlichften We,
erreicht und fo dieſelbe durch das Werk felbft offen darlegt. Dabur
erlangt fie eine gewiſſe Grazie, der analog, welche bei lebenden Wef
in der Leichtigkeit und der Angemefjenheit jeber Bewegung und St
lung zur Abficht berfelben beſteht. Demgemäß fehen wir im gute
antifen Bauftil jeglichen Theil feinen Zwed auf die geradefte ui
einfachfte Weife erreichen, ihn dabei unverhohlen und naiv an ben Tı
legend, eben wie die organifche Natur es in ihren Werfen auch thı
(W. II, 472.) Daffelbe gilt von den antilen Gefäßen, deren Schö
heit daraus entfpringt, daß fte anf fo naive Art ausbrüden, was '
zu fein und zu leiften beftimmt find, und ebenfo von allem übrig
Geräthe der Alten, man fühlt dabei, daß, wenn die Natur Bafe
Amphoren, Lampen, Tifche, Stühle, Helme, Schilbe, Panzer u. f. '
herborbrächte, fie fo ausjehen würden. (P. II, 460.)
Nur der antike Bauftil ift in rein objectivem Sinne gebad
der gothifche mehr in fubjectivem. Jene durchgängige, reine Kati
nalität, vermöge welcher Alles firenge Rechenfchaft zuläßt, ja, fie de
denfenden Beſchauer ſchon von felbft entgegenbringt und welche zu
Charakter des antiken Bauſtils gehört, ift hier nicht mehr zu finde
(®. II, 474.)
Alten 233
De großen alten Hiflorifer find im Einzelnen, wo die Data fie
verliſen, 3. B. in den Reben ihrer Helden, Dichter; ja, ihre ganze
Sehendlungsart des Stoffes nähert ſich dem Epifchen. Dies aber eben
gieht ihren en Einheit und läßt fic die innere Wahrheit
tehalten, felbft da, wo die äußere ihnen nicht zugänglich oder gar
verfilfht wor. Wir finden Windelmann’s Ausſpruch, daß das Porträt
das Seal des Individnums fein fol, auch von den alten Hiftorifern
befelst, da fie das Einzelne doch fo darftellen, daß die ſich darin aus
iprechende Seite der Idee der Menſchheit hervortritt; die neuen dagegen,
Wenige aufgenommen, geben meiflens nur „ein Stehrichtfaß und eine
Kırmpellammer und höchftens eine Haupt» und Staatsaction. (W. I, 290.)
Die Alten ftanden in Bezug auf die für Yortfchritte in der Meta-
phyſik nöthige Denkfreiheit im Vortheil gegen und, dba ihre Landes⸗
religionen zwar die Mitteilung des Gedachten etwas befchränften, aber
die Freiheit des Denkens felbft nicht beeinträchtigten, weil fie nicht
jörmlich und feierlich den Kindern eingeprägt, wie auch überhaupt nicht
ie emfhaft genommen wurden. Daher find die Alten noch unfere
Yehrer in der Metaphufil. (8. II, 208.)
3m gefellfhaftliher Hinficht find es hauptſächlich zwei ‘Dinge,
melde ben Zuſtand der neuen Zeit von dem bes Alterthums zum Nach⸗
teil des erfteren unterfcheiden, indem fie demſelben einen ernften,
finſtern Anftrich gegeben haben, von welchem frei das Alterthum heiter
amd unbefangen, wie der Morgen des Lebens, daftcht. Sie find: das
ritterlihe Ehrenprincip und die venerifche Krankheit, — par nobile
fratram! (®. I, 413.) Das ritterlihe Chrenprincip mit feinem
Duellweſen, diefe ernfthafte Poſſe, welche die moderne Gefellfchaft fteif,
eraft und ängftlich macht, war den Alten fremd und unbelannt, weil
fe in allen Stüden der unbefangenen, natürlichen Anſicht der Dinge
getreu biieben und daher ſolche finiftre und heilloſe Fragen fich nicht
aureden ließen. (P. I, 401. 414.)
2) Mängel der Alten.
Ja den mehanifhen und techniſchen Künften, wie aud in
den Zweigen der Naturwiſſenſchaft, ftanden die Alten weit hinter
md zurück, weil dieſe Dinge eben mehr Zeit, Geduld, Methobe und
Erfahrung, als hohe Geiſteskräfte erfordern. Daher ift aus den meiften
uturwiſſenſchaftlichen Werten der Alten für uns wenig mehr zu lernen,
8 was doc Alles fie nicht gewußt haben. (P. II, 436.)
Methiſcher und veligidjer Hinficht fanden die Alten noch weit
räd, In der alten Zeit war der Charakter des öffentlichen Lebens,
2 Staates und der Religion, wie bes Privatlebens, eniſchiedene
Sejahnug des Willens zum Leben. (M. 350.) Die Kriftliche
re von der Sünde und Erlöfung war den Griechen und Römern,
& mele noch gänzlich im Leben aufgiengen und über daſſelbe nicht
ih hinausblidten, völlig fremd. Die Alten, obwohl in faft allem
Iabern weit vorgerüdt, waren in der Hauptfache Finder geblieben und
nude darin Jogar von den Druiden übertroffen, die doch Metempiychofe
24 Alten
lehrten. Daß ein paar Philoſophen, wie Pythagoras und Plato, anders
dachten, ändert in Bezug auf das Ganze nichts. (W. II, 720.) Zwiſchen
dem Geifte des griechiſch⸗römiſchen Heidenthums und bem des Chriften-
thums ift der eigentliche Gegenfag der der Bejahung und Ber:
neinung bed Willens zum Leben, wonad an letter Stelle das
Chriſtenthum Recht behält. (P. II, 335.)
Die Ethik der Alten war Eudämonil, die der Neuen meiltens
Heilslehre. Unter den Alten macht Plato allein eine Ausnahme,
deſſen Ethik nicht eudämoniſtiſch ift. Hingegen ift fogar die Ethik der
Kyniker und Stoiler nur ein Eudämonismus bejonderer Art. (E. 117.)
Die Philoſophen des Altertfums Haben zwar die Gerechtigkeit als
Carbinaltugend anerkannt, aber die Menfchenliebe (caritas, ayarı)
haben fie noch nicht als Tugend aufgeftellt. Selbft ber in ber Moral:
fi) am höchſten erhebende Plato gelangt doch nur bis zur freiwilligen,
uneigennützigen Gerechtigkeit. Praftifch und faltiſch ift zwar zu jeder
Zeit Menſchenliebe dageweſen, aber theoretifch zur Sprache gebradjt und
förmlich als Tugend, und zwar als die größte von allen aufgeftellt,
fogar aud) auf die Feinde ausgedehnt, wurde fie zuerft vom Chriften-
thum. (E. 226.) Das Alterthum, von feinem niedrigern ethijchen:
Standpunkte aus, billigte, ja ehrte den Selbfimord, während bad
Chriftentfum, von feinem höhern Standpunft aus, ihn verwirft.
(P. I, 332.) Diefem Gegenſatz bes ethifchen Standpunkts entſpricht
auch der Gegenſatz zwifchen dem antiken und chriftlichen Trauerfpiel.
Wie ber ftoifche Gleichmuth von der chriftlichen Refignation fich von
Grund aus dadurch umterfcheidet, daß er nur gelaffenes Ertragen und
gefaßtes Erwarten der ımabünberlich nothiwendigen Uebel lehrt, das
Chriſtenthum aber Entfagung, Aufgeben des Willens; ebenfo zeigen die
tragifchen Helden der Alten ftandhaftes Unterwerfen unter bie unaus-
weichbaren Schläge des Schickſals, das chriftliche Trauerſpiel dagegen
Aufgeben des ganzen Willens zum Leben, freubiges Berlafien der Welt.
Aber das Trauerfpiel der Neuern fteht darum auch höher als das ber
Alten, weil die Alten noch nicht zum Gipfel und Ziel des Trauer
ſpiels (f. Trauerfpiel), ja, der Lebensanftcht iiberhaupt gelangt waren.
(W. DI, 494 fg.) In ihren Komödien haben und die Alten einen
treuen umd bleibenden Abdrud ihres heitern Lebens und Treibens hinter:
lafien. (B. U, 471.)
Der Begriff des Schickſals bei den Alten ift der einer im Ganzen
der Dinge verborgenen rückſichtsloſen Nothwendigkit. Die Vor—
ſehung ift das dhriftianifirte Schidfal, alfo das in die auf das Beſte
der Welt gerichtete Abficht eines Gottes verwandelte. (PB. II, 471.)
In der Philoſophie waren die Alten mit ihrem Ausgehen von
der objectiven Außenwelt nicht auf dem richtigen Wege. Wenn man
bedenkt, daß das Object durch das Subject bedingt ift, folglich bie
imermeßliche Außenwelt ihr Dafein nur im Bewußtfein erkennender
Weſen hat, fo geht man zu der Anficht über, daß nur die nad) innen
gerichtete, vom Subject ald dem unmittelbar Gegebenen ausgehende
Alter — Amerika 25
Wiliſephie, alfo die der Neuern feit Cartefius, auf bem richtigen Wege
ja, mithin die Alten die Hauptſache tiberfehen haben. (P. II, 17.)
De Beilofophie der Alten, gleichfam noch im Stande der Unfchuld,
kt die zwei tiefften und bedenklichſten Probleme der neuern Philoſophie
uch nicht zum deutlichen Bewußtſein gebracht, nämlich die Frage nad
ver greiheit des Willens umd die nach der Realität der Außen-
welt oder dem Verhältniß des Idealen zum Realen. (E. 64.) Die
tiefe Auft zwiſchen dem Idealen und Realen gehört nämlich zu den
Dingen, deren man wie ber Bewegung der Erbe nicht unmittelbar inne
wird; darum hatten die Alten fie, wie eben auch dieſe, nicht bemerft.
®. DO, 214.) Die Intellectualität ber Anſchauung jedoch
(ogl Auſchauung) ift im Allgemeinen fchon von den Alten eingefehen
worden (G. 75.)
Alter, |. Lebensalter.
Altes Teflament, |. Bibel.
Aucrika. Amerikaner.
1) Amerika in phyfifher Hinficht, verglichen mit der
alten Welt.
Tee alte Welt, Amerika und Auftralien Haben befanntlich Jedes feine
ogerthümliche felbitftänbige und von der der beiden andern gänzlich
verfchiedene Thierreihe. Die Specied find auf jedem diefer großen
Eontinente durchweg andere, haben aber doch, weil alle drei demſelben
Planeten angehören, eine durchgängige und parallel laufende Analogie
miteinander, daher die genera größtentheil® die felben find. Dieſe
Analogie iſt zwifchen der alten Welt und Amerika augenfällig und
zwar fo, daß Amerika an Süäugethieren ſtets das fchlechtere Analogon
anfweift, dagegen aber an Vögeln und Reptilien das beſſere. So hat
«8 zwar ben Condor, die Aras, die Kolibrite und die größten Batrachier
ud Ophibier voraus; aber 3.2. ftatt des Elephanten nur den Tapir,
hatt des Löwen den Kuguar, ftatt ded Tigers den Jaguar, flatt des
Lumeeld das Lama umd ftatt der eigentlichen Affen nur Meerfagen.
Schon aus biefem legtern Mangel läßt fich fchließen, daß die Natur
e in Amerila nicht bis zum Menfchen hat bringen können, da fogar
som der nächſten Stufe unter diefem, dem Zjchimpanfee und dem
Orung⸗Utan oder Bongo der Schritt bis zum Menfchen noch ein un-
wäpg großer war. Dem entiprechend finden wir bie ‘Drei, fowohl aus
Fafiolsgichen als linguiftifchen Gründen nicht zu bezweifelnden gleich
arpränglichen Menſchenracen, die Taufafische, mongolifche und üthiopifche,
lem im der alten Welt zu Haufe, Amerika Hingegen von einem ge-
mijchten oder llimatiſch modificirten, mongolifchen Stamme bevölkert,
= don Afien hinübergekommen fein muß. (W. II, 355.)
2) Charakter und Berfaffung der Nordamerikaner.
‚Sa ben vereinigten Staaten von Norbamerila fehen wir den Verſuch
ner Staatsverfaffung gemacht, in welcher das ganz unverſetzte, reine,
iracte Hecht herrſche. Allein der Erfolg ift nicht anlodend; dem
%6 Amor — Anatomie
bei aller materiellen Profperität des Landes finden wir daſelbſt als
berrfchende Gefinnung den niedrigen Utilitartanismus, nebft feiner ım-
ausbleiblichen Gefährtin, der Unmiffenheit, welche der finpiden anglı-
kaniſchen Bigotterie, dem dummen Dünkel, der brutalen Rohheit im
Berein mit einfältiger Weiberveneration den Weg gebahnt hat u. f. m.
Dies Probeſtück einer reinen Rechtsverfaſſung fpricht alfo gar wenig
für die Republifen, noch weniger aber die Nachahmungen beffelben un
Mexiko, Ouatimala, Kolumbien und Peru. (B. II, 269 fg.)
Der eigentliche Charakter der Nordamerikaner ift Gemeinheit; fi
zeigt fih an ihnen in allen Formen ale moraliſche, intellectuelle,
äſthetiſche und geſellige Gemeinheit, und nicht blos im Privatleben,
ſondern auch im öffentlichen. Sie verläßt den Yankee nicht, er ſtelle
fih wie er will. Der Grund mag theils in der republifanifchen Ber:
fafjung Liegen, theil8 darin, daß ihre Abftammung zum Theil von einer
Strafcolonie, zum Theil von ‘Denen ift, die in Europa mandherle zu
fürchten heuen — theils im Klima. (H. 386 fg.)
3) Die nordamerikaniſchen Wilden.
Die unzählige Mal wiederholte Nachricht, daß die nordamerikaniſchen
Wilden unter dem Namen des großen Geiſtes Gott, den Schöpfer
Himmels und der Erden, verehrten, mithin reine Theiſten wären, iſt
ganz unrichtig. Dieſer Irrthum ift widerlegt durch Bohn Scoulers
Abhandlung über die nordamerikaniſchen Wilden, aus ber hervorgeht,
daß die Religion dieſer Indianer ein reiner getifgiemus ift, der in
Zaubermitteln und Zaubereien beſteht. (B. I, 140 fg.)
Amor, f. Liebe.
Amtschre, |. Ehre.
Analptiſch, ſ. Methode.
Anatomie.
1) Sie lehrt den Willen ale das Weſen des Leibe:
tennen.
Die Anatomie und Phyjiologie läßt uns fehen, wie fid dei
Wille benimmt, um das Phänomen des Lebens zu Stande zu bringer
und eine Weile zu unterhalten. (W. II, 337.)
Die vergleihende Anatomie betätigt dur ihre Tchatfadeı
a posteriori die Lehre der Schopenhauer’fchen Philofophie, daß dei
organische Leib Wille, in der Exfenntnißform des Raumes angefchaut
fer; daß demnach, wie jeder einzelne momentane Willensact ſich in de
äußeren Anſchauung des Leibes als eine Action deffelben darftellt, fi
auch das Gejammtwollen jedes Thieres, ber Inbegriff aller feiner Be
ſtrebungen, fein getreues Abbild haben müſſe an dem ganzen Leibe felbfi
an der Beichaffenheit feines Organismus, und zwiſchen den Zwecke
feines Willens überhaupt und den Mitteln zur Erreichung derfelben
die feine Organifation ihm darbietet, die allergenauefte Uebereinftim
mung fein müſſe. Ober kurz: der Gefammtcharakter feines Willen
milffe zur Geftalt und Befchaffenheit feines Yeibes in eben dem Ver
Anatomie 27
hältnfie fliehen, wie der einzelne Willensact zur einzelnen ihn aus-
füraden Perbesaction. (N. 34.) Somohl die am Knochengerüſte ſich
jägende genaue Angemeffenheit des Baues zu den Zweden und äußern
!chensverhältnifien des Thieres, als auch die fo bewunderungswilrdige
Zwedmäßigfeit und Harmonie im Getriebe feines Innern wird durch
kine andere Erklärung oder Annahme auch nur entfernterweife fo be⸗
greiflich, wie durch die Wahrheit, daß der Leib des Thieres eben nur
fein Bille ſelbſt ift, angefhaut als Vorſtellung, mithin unter den
Formen des Ranmes, ber Zeit und der Caufalität im Gehirn, —
aljo bie bloße Sichtbarkeit, Objectität des Willens. (N. 54.) Man
betrachte die zahllojen Geſtalten der Thiere. Wie iſt doch jedes burdh-
weg mm das Abbild feines Willens, der fihtbare Ausdrud der Willens-
beftrebungen, die feinen Charakter ausmachen. Bon dieſer Verfchieden-
keit der Charaktere ift die der Geftalten blos das Bild. (N. 45.)
2) Sie lehrt die Einheit des Willens zum Leben auf
den verfchiedenen Stufen feiner Erſcheinung kennen.
Da in allen Ideen, d. h. in allen Sräften der unorganiſchen und
alen Geflalten der organischen Ratur einer und derfelbe Wille
ed it, der ſich offenbart, d. 5. in die Form der Borftellung, in bie
Objectität, eingeht, fo muß fich feine Einheit auch durch eine innere
Serwanbtfchaft zwifchen allen feinen Erfcheinungen zu erfennen geben.
Tiefe nun offenbart fich auf den höhern Stufen feiner Objectität, im
Pflanzen und Thierreih, durd) die allgemein durchgreifende Analogie
aller Hormen, den Grundtypus, der in allen Erfcheinungen ſich wieder-
findet. Diefer wird am vollftändigften in der vergleichenden Ana—
tomie nachgewieſen, als 1’unite de plan, l’unit6 de l’&löment
anatomique. (8.1, 170.) Dieſes anatomiſche Element bleibt,
me Seoffroy Saint» Hilaire gründlich nachweiſt, in der ganzen Reihe
der Wirbelthiere dem Wefentlichen nad) unverändert, ift eine conftante
Größe, ein zum Voraus ſchlechthin Gegebenes, burd) eine unergründ-
liche Nothwendigkeit unwiderruflich Feftgefetstes, deſſen Unmandelbarfeit
ber Beharrlichkeit ber Materie unter allen phyſiſchen und chemifchen
Beränderungen vergleichbar ift. (N. 52.) Diefes feftftehende, unwan⸗
delbare anatomiſche Element fällt nicht innerhalb der teleologifchen
Erflärung, fonbern deutet auf ein bon ber Teleologie unabhängiges
Frincip, welches jedoch das Fundament ift, auf dem fie baut, oder der
‚am Borand gegebene Stoff zu ihren Werfen. (W. II, 378 und N. 53.)
Ee berußt theils auf ber Einheit und Identität des Willens zum Leben
überhaupt, theils darauf, daß die Urformen ber Thiere eine aus ber
azdern berborgegangen find und baher der Grundtypns des ganzen
Stammes beibehalten wide. Das anatomifche Element ift e8, was
Arfietele unter feiner avayxara pvoıc verftcht. (M. 54.)
3) Ethiſcher Nupen des Studiums ber Anatomie.
Die Befdäftigung mit Zoologie und Anatomie ift aud) in ethif her
Hinficht nüglich, weil fie entfchieden die Identität des Wefent-
Iiden in ber Erfcheinung des Thieres und der bes Menſchen
\
28 Angeboren — Antmalifher Magnetismus
zum Bewußtſein bringt und dadurch der Rohheit ımb Barbarei in ber
Behandlung der Thiere, dem Vorurtheil der Rechtloſigkeit der Thiere
entgegenwirkt und ben Thierſchutz befördert. (E. 238 ff.)
Angeboren.
1) Das intellectuell Angeborene.
Obſchon dem Intellect die Form feines Erkennens angeboren ift,
fo ift e8 doch nicht der Stoff ober die Materie derfelben. Dies
war ed, was bie Lehre von den angeborenen Ideen, bie Cartefius
und Leibni behaupteten und Locke beftritt, eigentlich befagte. (9. 429.)
Eine, materielle Erkenntniſſe urſprünglich und aus eigenen Mitteln
liefernde und daher über alle Möglichkeit der Erfahrung hinaus pofitiv
belehrende Bernunft, als welche dazu angeborene Ideen enthalten
müßte, ift eine reine Fiction der Philofophieprofefioren.. (G. 117;
P.1, 200.) Diefen Berfechtern der, materielle Kenntniffe aus eigenen
Mitteln (angeborenen been) liefernden Vernunft ift Locke's erſtes,
ausdrüdlich gegen alle angeborenen Erfenntniffe gerichtetes Buch zu
empfehlen, befonders im dritten Kapitel defielben die SS. 21—26.
Denn obwohl Lode in feinem Leugnen aller angeborenen Wahrheiten
infofern zu weit geht, als er es auch auf die formalen Erfenntniffe
ausdehnt, worin er fpäter von Kant auf das Glänzendſte berichtigt
worden ift, fo bat er doch Hinfichtlich aller materiellen, d. i. Stoff
gebenden Erfenntniffe, volllommen und unleugbar Recht. (G. 117 fg.)
Durch Beifpiel, Gewohnheit und fehr frübzeitiges, feftes Einprägen
gewifjer Begriffe, ehe irgend Erfahrung, Verſtand und Urtheilsfraft da
wären, das Werk zu ftören, werden dem großen Haufen Gebanfen ein
geimpft, die nachher jo feſt und durch Keine Belehrung zu erfchüittern
haften, als wären fe angeboren, wofür fie auch oft, felbft von Philo-
fopben, angefehen werben. (W. II, 74. 208.)
2) Das ethiſch Angeborene,
Es giebt nur einen angeborenen Irrthum und es ift der, daß wir
da find, um glüdlich zu fein. Angeboren ift er uns, weil er mit
unferın Dafein ſelbſt zufammenfält und unfer ganzes Wefen eben nur
feine Paraphrafe, ja unfer Leib fein Monogramm iſt. (W. IL, 726.)
Fr „Eubämonologie berubt auf biefem angeborenen Irrthum.
(P. I, 331.)
Der individuelle Charakter ift angeboren (f. Charakter). — Da
der Charakter angeboren ift, — die Thaten blos feine Danifeftationen, —
der Anlaß zu großen Miſſethaten nicht oft kommt, ftarte Gegenmotive
abjchreden, für uns felbft unfere Sinnesart ſich duch Wüuſche, Ge-
danken, Affecte offenbart, wo fie Andern unbelannt bleibt; fo ließe fich
denen, daß Einer gewiflermaßen ein angeborenes fchlechtes Gewifien
hätte, ohne große Bosheiten verübt zn haben. (5. 398.)
(Ueber die Wechtheit des Angeborenen im Gegenfab zu dem Be-
abfichtigten fiehe Aecht.)
Animaliſcher Magnetismus, |. Magnetismus.
Anonymität — Anſchauung 29
Ausıymitat.
Amaymität ift das Schild aller Titterarifchen Schurkerei. Dft auch
dient fie blos, die Obfeurität, Incompetenz und Unbebeutenbheit des
Urtheilenden zu bedecken. Rouſſeaus Wort: tout honnste homme
det arouer les livres qu'il publie, das heißt auf beutfch: „Jeder
Aihe Mann ſetzt feinen Namen umter Das, was er ſchreibt“ — gilt
von der Zeile, die zum Drud gegeben wird. (P. II, 546 fg.)
Preßfreiheit follte durch das firengfle Berbot aller und jeder Anony-
mität und Pfeubonymität bedingt fein, damit Jeder für Das, was er
durch das weitreichende Sprachrohr der Preffe öffentlich verkündet,
wenigften® mit feiner Ehre verantwortlich wäre. (P. II, 268. 547.)
So lange ein folches Verbot nicht eriftirt, follten alle redlichen Schrift-
ſteller fich vereinigen, die Anonymität durch das Brandmal der öffent-
lich, mermüdlich und täglich ausgefprochenen äußerſten Verachtung zu
proſcribiren. (PB. II, 548.
Leute, die nicht anonyın gefchrieben haben, anonym anzugreifen, ift
fenbar ehrlos. Blos anonyme Bücher ift man berechtigt anonym zu
receufiren. (PB. II, 548 fg.)
Anfhanung. Anſchauende Erkenntnif. Das Anſchauliche.
1) Intellectwalität der Anſchauung.
Ale Anfhauung ift intellectual, d. 5. fie ift eine Yunction des
Berkanbes (f. Berftand). Die erfte, einfachfte, ſiets vorhandene
bed Berftandes ift die Anſchauung der wirklichen
Belt; dieſe iſt durchaus Erkenntniß der Urfache aus der Wirkung.
Die Beränderungen, welche der thierifche Leib erfährt, werben unmit-
teilbar erlanut, d. h. empfunden, und indem fogleich diefe Wirkung auf
ihre Urſache bezogen wird, entfteht die Anfchaunug ber letztern als eines
Objects. Diefe Beziehung ift fein Schluß in abftracten Begriffen,
xichieht nicht durch Reflerion, nicht mit Willlür, fondern unmittelbar,
wthwendig und ſicher. Sie ift die Erkenntnißweiſe des reinen Ber-
kandes, ohne welchen es mie zur Anfchauung küme, fondern nur ein
dampfes, pflanzenartiges Bewußtſein der Veränderungen bes eigenen
Yeıbes (ded unmittelbaren Dbjects) übrig bliebe. Wie mit dem Ein-
init ber Sonne die fihtbare Welt bafteht, fo verwandelt der Verſtand
mt einem Schlage durch feine einzige, einfache Function ber Be⸗
der Wirkung auf ihre Urfache die dumpfe, nichtsfagende
Empfindung in Anſchanung. Was das Auge, das Ohr, die Hand
empfindet ift nicht die Anfchauung, es find bloße Data. Erſt indem
va Verſtand von der Wirkung auf die Urfache übergeht, fteht die Welt
da als Anſchauumng im Raume ausgebreitet, der Geftalt nad) wechielnd,
ir Materie nach beharrend; denn er vereinigt Raum und Zeit in ber
derftelung Materie, d. i. Wirkſamkeit (ſ, Materie). Im erften
Kapitel der Abhandlung Über „das Sehen und die Farben“ und noch
asrährlicher und grünblicher in dem $. 21 der Abhandlung liber
„Die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde” ift aus
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3 Anuſchanung
einandergeſetzt, wie aus den Datis, welche die Sinne liefern, der Ver⸗
ſtand die Anfchauung ſchafft, wie durch Vergleichung der Eindrücke,
welche vom nämlichen Object die verfchiedenen Sinne erhalten, das
Kind die Anfchauung erlernt, wie eben nur diefes den Auffchluß über
fo viele Sinnenphänomene giebt, über das einfache Schen mit zwei
Augen, über das Doppeltfehen beim Schielen oder bei ungleicher Ent
feruung Hinter einander ftehender Gegenftände, die man zugleich ind
Auge faht, und über den Schein, welcher durch eine plögliche Ver⸗
änderung an ben Ginneöwerkzeugen hervorgebradht wird. — Das
Sehenlernen der Kinder und operirter Blindgeborenen, das einfade
Sehen bes doppelt, mit zwei Augen Empfundenen, das Doppeltſehen
und Doppelttaften bei der Berriidung der Sinmeswerkzeuge aus ihrer
gewöhnlichen Lage, die aufrechte Erfcheinung der Gegenftände, währen
ihr Bild im Auge verkehrt fteht, das Uebertragen der Farbe, welche
blo8 eine innere Yunction, eine polarifche Theilung ber Thätigkeit des
Auges ift, auf die äußern Gegenftände und endlich auch das Stereoflop —
dies Alles find feſte und unwiderlegliche Beweiſe davon, dag alle An-
fhauung nit blos fenfual, fondern intellectual (oder objectib
ausgedrüdt cerebral), d. h. nicht blos Werk der Sinne, fondemn |
des Berftandes if, nämlich reine Berftandeserfenntniß der
Urſache aus der Wirkung, folglid) das Geſetz ber Caujalität vor:
ausſetzt, von deſſen Erkenntniß alle Anfchauung, mithin alle Erfahrung
ihrer erften und ganzen Möglichkeit nad) abhängt. (W. I, 13—15.
W. O, 13. 23—30. ©. 51—84. 8. 7—20. P. I, 93. 96. 242)
2) Berbältnig des Antheils der Sinne zu dem des
Gehirns in der Anſchauung.
Was zur Anfchauung, in ber die objective Welt bafteht, die bloßen
Sinne liefern, verhält fi) zu Dem, was dazu die Gehirnfunction.
liefert (Raum, Zeit, Caufalität), wie die Maffe der Sinneönerven zur
Mafle des Gehirns, nach Abzug desjenigen Theiles von biefer, der
überdies zum eigentlichen Denken, d. 5. dem abftracten Borftellen,
verwendet wird. ‘Denn, verleihen bie Nerven der Sirmesorgane den
erfcheinenden Objecten Farbe, Klang, Geſchmack, Geruch, Tempera
tue u. ſ. w., fo verleiht da8 Gehirn denjelben Ausdehnung, Form,
Unduchdringlichkeit, Beweglichkeit u. ſ. w., kurz Alles, was erft mittelft
Zeit, Raum und Caufalität vorftellbar if. Wie gering bei ber An
fhauung der Antheil der Sinne ift gegen den bes Intellects (Berftandes)
bezeugt alſo aud der Vergleich zwifchen dem Nervenapparat zum
Empfangen der Eindrüde mit dem zum Verarbeiten berfelben, indem
die Maſſe der Empfindungsnerven fänmtlicher Sinnesorgane fehr gering
ift gegen die bes Gehims, felbft noch bei den Thieren, deren Gehirn,
da fie nicht eigentlich, d. h. abftract denken, bloß zur Hervorbringung
der Anſchauung dient und doch, wo diefe vollkommen ift, alfo bei den
Süugethieren, eine bedeutende Maſſe hat, auch nach Abzug dee
Heinen Gehirns, deſſen Function die geregelte Leitung ber Bewegungen
ft. (W. II, 23 fg.)
Anſchauung 31
YGegenſtand der Anfhauung.
Gegenſtand der Anfchanung find unmittelbar die Dinge, nicht von
din verichiebene Vorſtellungen. ‘Die einzelnen Dinge werden als
ſache angefchaut im Berftande und durch die Sinne. Sobald wir
mpg zum Denken übergehen, verlaffen wir die einzelnen ‘Dinge
md haben e8 mit allgemeinen Begriffen ohne Anfchaulichkeit zu thun,
kam wir gleich die Reſultate unferes Denkens nachher auf die einzelnen
Tinge anwenden. Kant macht die einzelnen Dinge zum Gegenftande
theild der Anſchauung, theils des Denkens, Wirklich find fie aber
zur Erſteres. Nur mittelbar, wmittelft der Begriffe, bezieht ſich das
Latn auf Gegenftände, biefe felbft aber find allezeit anſchaulich.
Ja der Anfchamung felbft ſchon ift die empirifche Realität, mithin die
Erfahrung gegeben. (W. I, 525.)
de intnitive Borftellung befaßt die ganze fichtbare Welt ober
de gefamımte Erfahrung, nebſt den Bedingungen der Möglichleit der⸗
jelben. (W. I, 7.)
4) Berhältniß der Anfhanung zum Ding an ſich oder
zum Realen.
Der Uebergang von der Sinnesempfindung zn ihrer Urſache, der
ler Sinnesanfhauung zum Grunde liegt, ift zwar hinreichend, uns
x eupiriſche Gegenwart in Raum und Zeit eines empirischen Ob-
:c# anzuzeigen, alfo völlig genügend für das praftifche Leben; aber er
et feineswegd Hin und Aufichluß zu geben über das Dafein und
Seien an fich der auf ſolche Weife für uns eutftehenden Erfcheinungen
oder vielmehr ihres intelligibeln Subſtrats. Daß alfo auf Anlaß ges
zer, in meinen Sinnesorganen eintretender Empfindungen, in meinem
Ropfe eine Anſchauung von räumlich ausgedehnten, zeitlich beharren-
‘a und urſächlich wirkenden Dingen entfteht, berechtigt mich durchaus
act zu der Annahme, daß auch an fi felbft, d. h. unabhängig
ca meinem Kopfe und außer demſelben, dergleichen Dinge mit ſolchen
zen ſchlechthin angehörigen Eigenſchaften exiſtiren. (W. II, 13.)
Es zeugt bon Unkenntniß be8 Sinnes ber Trage nad) dem Ber-
Ak zwifchen bem Idealen und Realen, wenn biefes Berhältnig
*zichnet wird als das zwiſchen Denken und Sein. Das Denken
A zmächft blos zum Anſchauen ein DVerhältniß, das Anfchauen
ze hat eines zum Sein an fich des Angefchauten, und dieſes Letztere
3808 eigentliche Problem. Das Denken entlehnt feinen Inhalt allein
88 der anſchaulichen Borftellung, welche daher Urerfenntniß ift und
us bei Unterfuchung bes Verhältniffes zwifchen dem Idealen und
Kalen allein in Betracht lommi. (W. IL, 215. P. I, 29 fe.)
5) Bedeutung der Anfhauung für bie Erfenntniß, die
Siffenigaft, die Kunft, die Philofophie und die
ugend.
Die Anſchauung ift nicht nur die Quelle aller Erkenntniß, ſonde
= jebR if die Erkenntniß xar’ dEoynv, ift allein bie en die
, die ihres Namens wirdige Erkenntniß; denn fie allein ertheilt
30 Auſchauung
einandergeſetzt, wie aus ben Datis, welche die Sinne liefern, der Ver⸗
ftaud die Anfhauung ſchafft, wie durch BVergleihung der Eindrüde,
welche vom nümlichen Object die verjchiedenen Sinne erhalten, das
Kind die Anfchauung erlernt, wie eben nur diefes den Auffchluß über
fo viele Sinnenphünomene giebt, über das einfache Sehen mit zwei
Augen, iiber da8 Doppeltfehen beim Schielen oder bei ungleicher Ent:
feruung hinter einander ftehender Gegenftände, die man zugleich ins
Auge faßt, und über den Schein, welcher durch eine plögliche Ber-
änderung an den Sinneswerkzeugen bervorgebradt wird. — Das
Sehenlernen der Kinder und operirter Blindgeborenen, das einfache
Sehen des doppelt, mit zwei Augen Eupfundenen, ba8 Doppeltfehen
und Doppelttaften bei der Berriidung der Sinneswerkzeuge aus ihrer
gewöhnlichen Lage, die aufrechte Erſcheinung der Gegenftände, während
ihe Bild im Auge verkehrt fteht, das Uebertragen der Farbe, welche
blos eine innere Function, eine polarifche Theilung der Thätigleit des
Auges ift, auf die äußern Gegenftände und endlich auch da8 Stereoflop —
dies Alles find fefte und unmwiberlegliche Beweiſe davon, daß alle An-
ſchauung nit blos ſenſual, fondern intellectual (oder objectiv
ausgedrüdt cerebral), d. h. nicht blos Werk der Sinne, fondern
bes Berftandes ift, nämlich reine Verſtandeserkenntniß der
Urſache aus der Wirkung, folglich da8 Gefeg der Caufalität vor-
ausfegt, von deſſen Erfenntniß alle Anſchauung, mithin alle Erfahrung
ihrer erften und ganzen Möglichkeit nad; abhängt. (W. I, 13— 15.
W. II, 13. 23—30. ©. 51—84. $. 7—20. P. I, 93. 96. 242.)
2) Berbältniß bes Antheils der Sinne zu dem bes
Gehirns in der Anſchauung. |
Was zur Anjchauung, in der die objective Welt bafteht, die bloßen
Sinne liefern, verhält fi zu ‘Dem, was dazu die Gehirnfunction
liefert (Raum, Zeit, Caufalität), wie die Mafle der Sinnesnerven zur
Mafje des Gehirns, nad) Abzug desjenigen Theiles von diefer, der
überdies zum eigentlihen Denken, d. 5. dem abftracten Borftellen,
verwendet wird. Denn, verleihen die Nerven ber Sinmesorgane den
erfcheinenden Objecten Barbe, Klang, Geſchmack, Geruch, Tempera⸗
tur u. ſ. w., jo verleiht da8 Gehirn denfelben Ausdehnung, Form,
Undurchdringlichkeit, Beweglichkeit u. ſ. w., kurz Alles, was erſt mittelft
Zeit, Raum und Canfalität vorftellbar if. Wie gering bei der An-
ſchauung der Antheil der Sinne ift gegen den bes Intellects (Berftaubes)
bezeugt alſo auch der Vergleich zwifchen dem Nervenapparat zum
Empfangen der Eindrüide mit dem zum Verarbeiten derjelben, indem
die Maſſe der Empfindungsnerven fänmtliher Sinnesorgane fehr gering
ift gegen bie bes Gehirns, felbft noch bei den Thieren, deren Gehirn,
da fie nicht eigentlich, d. h. abftract denken, bloß zur Hervorbringung
der Anſchauung dient und doch, wo dieſe volllommen ift, alfo bei den
Säugethieren, eine bedeutende Maſſe Hat, aud nach Abzug des
Heinen Gehirns, deſſen Function bie geregelte Leitung ber Bewegungen
iſt. (W. II, 23 fe.)
Anſchauung | al
3) Gegenftand der Anfhanung.
GEegenſtand der Anfchanung find unmittelbar die Dinge, nicht von
dieſen verfchiebene Borftellungen. Die einzelnen Dinge werben ale
ſulche angeſchaut im Berflande und durch bie Sinne. Sobald wir
kimgegen zum Denken übergehen, verlafien wir die einzelnen “Dinge
md haben es mit allgemeinen Begriffen ohne Anfchaulichkeit zu thun,
vom wir gleich die Kefultate unſeres Denlens nachher auf die einzelnen
Dinge anwenden. Sant macht die einzelnen Dinge zum Gegenftande
theil8 der Anſchauung, theils bes Denkens. Wirklich find fie aber
au Erſteres. Nur mittelbar, mittelft der Begriffe, bezieht ſich das
Denen auf Gegenftände, diefe felbft aber find allezeit anſchaulich.
Ju der Anſchauung felbft ſchon ift die empirifche Realität, mithin die
Erfahrung gegeben. (W. I, 525.)
Die intuitive Borftellung befaßt die ganze ſichtbare Welt ober
die gefammte Erfahrung, nebft den Bedingungen der Möglichkeit ber»
iben. W. I, 7.)
4) Berhältniß der Anſchauung zum Ding an fich oder
zum Realen.
Der Üebergang von ber Sinnesempfindung zu ihrer Urſache, der
ler Sinnesanfhauung zum Grunde liegt, ift zwar hinreichend, uns
die emmpirifche Gegenwart in Raum und Zeit eines empirischen Ob-
kci$ anzuzeigen, alſo völlig genügend für das praftifche Xeben; aber er
recht Feineswegs hin ums Aufſchluß zu geben über das Dafein und
Bein an fi) der auf folche Weife für uns entftehenden Erfcheinungen
oder vielmehr ihres intelligibeln Subſtrats. Daß alfo auf Anlaß ge
affer, in meinen Sinnesorganen eintretender Empfindungen, in meinem
Kopfe eine Auſchauung von räumlich ausgedehnten, zeitlich beharren⸗
den und urſächlich wirkenden Dingen entfteht, berechtigt mich durchaus
nht zu der Annahme, daß auh an fich ſelbſt, d. h. unabhängig
son meinem Kopfe und außer demfelben, dergleichen Dinge mit folchen
en ſchlechthin angehörigen Eigenfchaften exiſtiren. (W. II, 13.)
Es zeugt von Unkenntniß des Sinnes der Frage nach dem Ver⸗
altmiß zwifchen bem Idealen und Realen, wenn biefes Verhältniß
“zeichnet wird als das zwilchen Denken und Sein. Das Denfen
hat zunächft blos zum Anſchauen ein Berhältniß, das Anfchauen
er bat eines zum Sein an ſich des Angefchauten, und diefes Letztere
R das eigentliche Problem. Das Denken entlehnt feinen Inhalt allein
6 der anfchaulichen Vorftellung, welche daher Urerkenntniß ift und
Ufo bei Unterfuchung bes Verhältnifies zwifchen dem Idealen und
Relen allein in Betracht kommi. (W. II, 215. P. I, 29 fg.)
5) Bedeutung der Anfhauung für die Erkenntniß, die
Siffenfgaft, die Kunft, die Philofophie und bie
ugenb.
Die Anſchauung ift nicht nur die Duelle aller Erkenntniß, fonbern
re ſelbſt iſt die Erkenntniß xar’ dEoynv, ift allein die wahre, die
Kite, die ihres Namens würdige Erkenntniß; denn fie allein ertheilt
32 Anſchauung
eigentliche Einſicht. (W. II, 83.) Neue Grundeinfihten find nur
‚aus der anfchaulichen, als der allein vollen und reichen Erlenniniß zu
ſchöpfen, mit Hülfe ber Urtheilskraft. (W. II, 68. 77.) Die am
ſchauende Erkenntniß ift fir das Syſtem aller unjerer Gedanken Das,
was in der Geognoſie der Granit ift, der letzte fefte Boden, der Allee
trägt ımb über den man nicht hinaus Tann. (W. II, 69. 76.) Alk
Wahrheit und alle Weisheit liegt zulett in der Anfchanung. (8. U, 79)
Um irgend etwas wirklich und wahrhaft zu verftehen, ift erforderlich,
daß man es anſchanlich erfaffe, ein deutliches Bild davon empfange,
womöglich aus der Realität felbft, außerdem aber mittelft der Phan⸗
tafte. Selbft was zu groß oder zu complicirt ift, um mit Emm
Blid überfehen zu werden, muß man, um e8 wahrhaft zu verftehen,
entweder theilweife oder durch einen tberfehbaren Repräfentanten fih
anschaulich vergegenwärtigen; ‘Das aber, welches felbft Diefes nicht zu
[äßt, muß man wenigftens duch ein anfchanliches Bild und Gleichniß
fi faßlich zu machen fuchen. So fehr ift die Anſchaunng die Baſis
unferes Erfennend. (B. II, 50. W. II, 76.) Nur was aus der An
ſchauung, und zwar der rein objectiven, entfprimgen oder unmittelbar
durch fie angeregt ift, enthält den lebendigen Keim, aus welchem ächte
und originelle Leiftumgen erwachfen können, nicht nur in den bildenden
Künften, jondern auch im der Poeſie, ja, in der Philoſophie. Das
punctum saliens jedes ſchönen Werkes, jedes großen oder tiefen Ge⸗
dankens, ift eine ganz objective Anſchauung. (W. II, 422.) Die
Anſchauung ift es, welcher das eigentliche und wahre Wejen der ‘Dinge,
wern auch noch bebingterweife, fich aufſchließt und offenbart. Alle
Begriffe, alles Gedachte, find ja nur Abftractionen, mithin Zheilvor-
ftellungen aus jener und blos durch Wegdenken entflanden. Alle tiefe
Erkenntniß, fogar die eigentliche Weisheit wurzelt in der anfchan-
lichen Auffafjung der Dinge, Eine anfhauliche Auffafjung ift alle-
mal der Zeugungsproceß gewefen, in welchem jedes ächte Kunſtwerk,
jeder umfterbliche Gedanke, den Lebensfunken erhielt. Alles Urdenken
gefchieht in Bildern. (W. O, 77. 431.) Alle großen Köpfe haben
ftetsS in Gegenwart der Anfhauung gebadht und den Blick un
verwandt auf fie geheftet, bei ihrem ‘Denken. (W. II, 78.)
Sogar die Tugend geht eigentlich von der anfchauenden Erkenntniß
aus; dem nur die Handlungen, welche unmittelbar durch diefe hervor⸗
gerufen werden, mithin aus reinem Antriebe unferer eigenen Ratur ge=
ſchehen, find eigentliche Symptome unferes wahren und unveränderlichen
Charakters; nicht fo die, welche ans der Neflerion umd ihren Dogmen
hervorgegangen, dem Charakter oft abgezwungen find und daher feinen
unveränberlichen Grund und Boden in uns haben. (W. I, 83.)
6) Mängel und Vorzüge der anfchauenden Erfenntniß
bor der abftracten.
Die Anfchauung Täßt fich leider weder fefthalten, noch mit-
theilen; allenfalls laſſen fi) die objectiven Bedingungen dazu durch
bie bildenden Künfte und fchon viel mittelbarer durch die Poeſie, gereinigt
Anſchauung 33
und vedentlicht den Andern vorlegen; aber fie beruht ebenſo ſehr auf
jabjectiden Bedingungen, die nicht Jedem und Seinem jederzeit zu
Geste ftehen, ja die in den höhern Graben der Vollkommenheit nur
Ye Kegünſtigung Weniger find.- Unbedingt mittheilbar ift nur bie
ſchlechteſte Erfenntniß, die abftracte, die fecundäre, der Begriff, der
Hope Schatten eigentlicher Exfenntniß. (W. U, 79. — Bergl. aud)
Ahfract.)
Tie nfchauende Erfenntniß ift zwar die vollfommenfte und genitgendfte,
aber je it auf das ganz Einzelne, das Individuelle be-
ihräntt. (W. DO, 155.) Im Braltifchen vermag bie intuitive
Frlenntniß des Berftandes unfer Thun und Benehmen unmittelbar zu
ktten und ift dadurd) in allen Fällen, die feine Zeit zur Ueberlegung
gefatten, im Bortheil vor der abftracten Exlenntnig der Bernunft.
Tie intuitive Erfenntniß, welche ſtets nur das Einzelne auffaßt, fteht
is unmittelbarer Beziehung zum gegenwärtigen Fall: Kegel, Tall und
Anwendung iſt für fie Eins, und diefem folgt das Handeln auf dem
Auß. Jedoch giebt es auch Dinge und Lagen, fr welche die abftracte
Zrtenntuig brauchbarer ift als die intuitive Wenn es nämlich ein
Begriff ift, der bei einer Angelegenheit unſer Thun leitet, fo bat ex
da Borzug, einmal gefaßt, unveränderlich zu fein, daher wir unter
jimer Leitung mit vollfommener Sicherheit und Feftigfeit zu Werke
gehen. Allein dieſe Sicherheit, die der Begriff auf der fubjectiven
Seite verleiht, wird aufgewogen durd) die auf der objectiven Seite ihn
begleitende Unficherheit; nämlich der ganze Begriff Kann falſch und
grundlo8 fein, oder auch das zu behandelnde Object nicht unter ihn
gehören. Iſt es Hingegen unmittelbar die Anfchauung der zu behan-
delnden Objecte und ihrer Berhältniffe, die unfer Thun leitet, fo
jchwanlen wir leicht bei jedem Schritt; denn bie Anſchauung ift durch⸗
xeg modificabel, ift zweideutig, Hat unerfchöpfliche Einzelheiten in fich
Ad zeigt viele Seiten nacheinander; wir handeln daher ohne volle
ssserficht. Allein diefe jubjective Unficherheit wird durch die objective
Scherheit compenfirt; denn bier fteht lein Begriff zwiſchen bem Object
= uns, wir verlieren dieſes nicht aus dem Auge, wenn wir baber
est richtig jehen, fo werden wir das Rechte treffen. (W. I, 81 fg.)
<o lange wir uns vein anſchauend verhalten ift Alles Mar, feft und
rd. Da giebt es weder Tragen noch Zweifeln, noch Iren. Die
Siammg ift ſich felber genug; daher was rein ans ihr entfprungen
=> ie teen geblieben ift, wie das ächte Kunſtwerk, niemals faljch fein,
«a6 durch irgend eine Zeit widerlegt werden lann; denn e8 giebt Feine
Keuumg, fondern die Sache ſelbſt. Aber mit der ahftracten Erfennts
35 mit der Vernunft, ift im Theoretiſchen der Zweifel und ber Irr⸗
m, im Praftijhen die Sorge und die Reue eingetreten. Wenn in
auſchaulichen Borftellung der Schein auf Augenblide die Wirk⸗
tet entflellt, jo Tann in der abftracten der Irrthum Jahrtauſende
zjhen, auf ganze Böller fein eifernes Zoch werfen. (W. I, 41 fe.)
zz Ratur, d. i. das Anſchauliche, Tügt nie noch wiberfpricht fie fi,
Shepenbauereriion. L 3
34 Anthropologie
da ihr Weſen dergleichen ausſchließt. Wo daher Widerfpruch md
füge if, da find Gedanken, die nicht aus objectiver Auffaflung en:
ſprungen find, 3. B. im Optimismus. (P. II, 13 fg.) Keine, ans
einer objectiven, anfchauenden Auffaffung der Dinge entjprungene und
folgerecht durchgeführte Anficht der Welt Tann durchaus Falfch fein,
fondern fie ift, ſchlimmſten Falles, nur einfeitig, fo 3. B. der voll
fommene Materialismus, der abfolute Idealismus u. a. m. — Unvoll⸗
ftändig und einfeitig Tann eine objective Auffaflung fein; dann gebührt
ihr eine Ergänzung, nicht eine Widerlegung. (P. II, 13 fg.)
Die Begriffe, welche die Vernunft gebildet und das Gedächtniß auf-
behalten bat, Tünnen nie alle zugleich dem Bewußtſein gegenwärtig fein,
vielmehe nur eine fehr Heine Anzahl bderfelben zur Zeit. Dingegen die
Energie, mit welcher die anfchauliche Gegenwart aufgefaßt wird, erfilllt
mit ihrer ganzen Macht das Bewußtſein in Einem Moment. Hierauf
beruht das unendliche Meberwiegen des Genies über die Gelehr—
ſamkeit; fie verhalten fich zu einander wie der Tert Bes alten
Klaſſikers zu feinem Commentar. (W. II, 79.)
Das Anfchauliche wirkt, weil e8 das Unmittelbare ift, auch unmit-
telbarer auf unfern Willen, als der Begriff, der abfiracte Gedanle.
der blos das Allgemeine giebt, ohne das Einzelne, welches doch gerade
die Realität enthält. Infolge diefer Unmittelbarfeit dringt das An
fchaulicde weit flärfer auf das Gemüth ein umb ftört leichter deſſen
Ruhe oder erfchüittert feine Vorſätze. (Bergl. Affect.) Das Gegen:
wärtige, Anfchauliche wirkt, als leicht überfehbar, ſtets mit feiner ganzer
Gewalt auf ein Mal, hingegen Gedanken und Gründe verlangen Zei
und Ruhe, um ftüdweife durchdacht zu werben; daher man fie nid
jeden Augenblid ganz gegenwärtig haben kann. Daraus entjpringt di
Schwierigkeit, Herr zu werden über den Eindrud des Anfchaulichen
mittelft bloßer Gebanfen, und daher ift es rathſam, einen anſchaulicher
Eindru durch den entgegengefegten zu neutraliſiren. (P. I, 468 fg.
Anthropologie.
Anthropologie als Erfahrungswiſſenſchaft iſt theils Anatomie un
Phyſiologie, theils bloße empiriſche Pſychologie, d. i. aus der Be
obachtung geſchöpfte Kenntniß der moraliſchen und intellectuelle
Aeußerungen und Eigenthümlichleiten des Menſchengeſchlechts, wie au
der Verſchiedenheit der Individualitäten in dieſer Hinſicht. Das Wich
tigſte darans wird jedoch nothwendig als empiriſcher Stoff von de
drei Theilen der Metaphyſik (Metaphyſik der Natur, des Schönen un
der Sitten) vorweggenommen unb bei ihnen verarbeitet. (P. II, 20 fg
Eine Anthropologie müßte drei Theile haben: 1) Beichreibung de
äußern oder objectiven Menſchen, d. h. des Organismus; 2) Beſchre
bung des innern oder fubjectiven Menfchen, d. 5. des Bewußiſein
das dieſen Organismus begleitet; 3) Nachweifung beftimmter Verhät
niffe zwiſchen dem Bewußtfein und dem Organismus, alfo zwiſch
dem äußern und imern Menfchen (nach Cabanis zu bearbeiten
Piychologie als ſelbſtſtändige Wiflenfchaft kaun kaum beftehen; denn ı
Antichriſt — Anticipation 35
Pharenene des Denkens und Wollens Tafjen fig nicht gründlich be-
trahten, wenn man fie nicht zugleich anſieht als Wirkung phufifcher
Urfshen im Organismus. (H. 350.)
Istihrifl,
Bos der Glaube als den Antichrift perfonificirt hat, ift im Grunde
ie Berverfität der Öefinnung, aus der die Leugnung der morg-
lijchen Bedeutung der Welt hervorgeht. (P. II, 215.)
Anlicipation.
1) Anticipation in der Natur.
Die Inftincte der Thiere und das Wirken der Natur im
bringen organischer Körper erläutern einander wechfelfeitig i
Hinficht (ſ. Inftinct), befonders auch in Hinficht der Auticipation
des Aulänftigen, die in Beiden hervortritt. Mittelſt
ud Lunſttriebe forgen die Thiere fiir die Befriedigung folder
dücfuiſſe, die fie noch nicht fühlen, ja, nicht nur ber eigenen,
iogar der ihrer künftigen Brut; fie arbeiten aljo auf einen i
fie
und
H
Hp;
wbelannten Zwed hin. Dies geht jo weit, daß fie z. B. di
Krer fünftigen Eier fchon zum voraus verfolgen tödten.
um jeben wir in ber ganzen Corporifation eine® Thieres fei
agen Bedirfniffe, feine einftigen Zwede durch bie erganiidgen
zuge zu ihrer Erreichung und Befriebigung anticipirt, woran®
ne vollommene Angemefienheit des Banes jebes Thi zu fa
Lehensweiſe, jene Ausrüftung defielben mit den ihm möthigen
um Angriff feiner Beute und zur Abwehr feiner Feinde, mb |
derechnung feiner ganzen Geftalt auf das Element umd bie Ilmgebung,
a welher er als Berfolger aufzutreten hat, hervorgeht, weiche im der
<änft „Ueber den Willen in der Natur“, unter der Rubrit „Ber-
sähende Anatomie’ ausführlich gefchildert worden ifl.
Ale diefe, fowohl im Inſtinct als in der Organiſatien hervortreten⸗
“a Anticipationen könnten wir unter den Begriff einer Erlenntiiß
ı from bringen, wenn benfelben überhaupt eine Erkenutniß zu
"rade läge. Allein ihr Urfprung liegt tiefer, als das Gebiet der
Errntniß, nämlich im Willen als dem Dinge an fidh, der als folder
a von den Formen der Erkenntniß frei bleibt; daher im Hinſicht
"a bie Zeit Feine Bedeutung bat, mithin das Zufüäuftige igm fe
‚Air legt wie das Gegenwärtige. (W. IL, 397 fg.)
_ 2) Anticipation in der Kunfl.
ir Künftler kann das Schöne nicht durch bloße Nachahenung der
Ar erreichen; denn woran foll er ihr gelungenes umb machzuahmen-
k: Bat eriennen und es unter den mißlungenen herausfinden, wenn
Erät vor der Erfahrung das Schöne anticipirt? — Rein a poste-
rn, 08 bfoßer Erfahrung, ift gar feine Erlenntniß des Schönen
ih, fie ift immer, wenigſtens zum Theil, a prior. Wir haben
* Infiipation Defien, was die Natur darzuftellen ſich bemüht,
= Inticipation im ächten Genins von dem Grabe der Befonnen-
3*
H
nd
3
n
Gar
R
36 Antit — Antinomien
heit begleitet ift, daß er, indem er im einzelnen Dinge deffen Idee
ertennt, gleichjam die Natur auf halbem Worte verfteht und nun
rein ausfpriht, was fie nur ſtammelt. Nur fo Founte der geniale
Grieche den Urtypus der menfchlichen Geftalt finden und ihn als
Kanon der Schule der Sculptur aufftellen; und aud allein vermög
einer folchen Anticipation ift e8 uns Allen möglid), das Schöne da,
wo es der Natur im Einzelnen wirklich gelungen ift, zu erlennen.
Diefe Unticipation ift da8 Ideal; es ift die Idee, ſofern fie,
wenigftend zur Hälfte, a priori erfaunt ift und, inden fie als folde
dem a posteriori durch bie Natur Gegebenen ergänzend entgegenfommt,
für die Kunſt praftifch wird. (W. I, 262.)
Die Möglichkeit folder Anticipation des Schönen a priori im
Künftler, wie feiner Anerlennung a posteriori im Kenner, liegt darin,
daß Künftler und Kenner das Auſich der Natur, der ſich objectivirende
Wille, felbft find. Denn nur vom Gleichen wirb das Gleiche erfanıt;
nur Natur kann fich felbft verſtehen. Wir könnten nicht anticipiren,
was für eine Geftalt, was filr eine Körperform die Natur gewollt
bat, wenn wir nicht ſelbſt der Wille wären, deffen Objectivation wir
äfthetifch auffaffen und beurtheilen. (W. I, 262.)
Wie in der bildenden Kunft, fo wirft aud in der Dichtlunft
die Anticipation, nur mit dem Unterfchiede, daß es dort das Schöne,
bier das Charakteriftifche ift, was fie anticipirt. So wenig die
Griechen das Ideal menſchlicher Schönheit empirisch zuſammengeleſen
haben, ebenjo wenig hat ein Shafefpeare die mannichfaltigen, jo wahren,
fo gehaltenen, jo aus der Tiefe herausgearbeiteten Charaktere feiner
Dramen aus der eigenen Erfahrung im Weltleben ſich gemerkt und
wiedergegeben. (W. I, 263.) |
Um jedoch das Anticipirte, da8 a priori dunkel Bewußte, zur vollen
Deutlichleit zu ringen und es befonnen barftellen zu können, bedarf
ſowohl der bildende Künftler, als der Dichter, der Erfahrung als eines
Schemas. (W. I, 263.) |
Antik, f. d. Alten.
Antinomien.
1) Die Antinomien haben ihren Sig nit im Wirf-
lichen, |
Bei gehöriger Ueberlegung wird Jeder e8 zum Voraus al® unmög-
lich erfennen, daß Begriffe, die richtig aus den Erfcheinungen und den
a priori gewiſſen Gefegen berfelben abgezogen, fodann aber, den Ge:
jegen der Logik gemäß, zu Urtheilen und Schlüffen verfnüpft find, auf
MWiderjprüche fiihren follten. Denn alsdann müßten, in der an-
ſchaulich gegebenen Erſcheinung felbft, oder in dem gefegmäßigen Zu-
ſammenhang ihrer Glieder, Widerfprüche Liegen, welches eine unmögliche
Annahme if. Denn das Anfchauliche als folches Kennt gar keinen
Widerſpruch; dieſer hat in Beziehung auf dafielbe feinen Sinn, nod)
Bedeutung. Demm er eriftirt, blos in ber abftracten Erkenntniß der
Antinomien 37
Reflexien; man Tann wohl, offen ober verftedt, etwas zugleich fegen
und nuht feßen, d. 5. fich widerjprechen, aber es Kann nicht etwas
Virkliche 8 zugleich fein und nicht fen. (P. I, 114.)
2) Kritik der Kant'ſchen Antinomien.
Die Kant'ſche vierfahe Antinomie ift eine grunblofe Spiegel-
fehteret, ein bloßer Scheinfampf. (W. I, 36. 585. P. I, 114.)
Kur die Behauptungen der Antithefen beruhen wirklich auf ben
formen unſers Erlenntnißvermögens, d. h. wenn man es objectiv aus⸗
drüdt, auf den nothwendigen, a priori gewiflen, allgemeinften Natur⸗
gefegen. Ihre Beweiſe allein find daher aus objectiven Gründen
geführt. Hingegen haben die Behauptungen und Beweife der Thefen
temen andern, als fubjectiven Grund, beruhen ganz allein auf ber
Schwäche des vernünftelnden Individuums, deſſen Einbildungsfraft bei
einem unendlichen Regrefius ermüdet und daher demfelben durch will-
fürlihe Vorausſetzungen ein Ende macht, und defien Urtheilskraft noch
überdies durch früh und feft eingeprägte Vorurtheile an diefer Stelle
gelähmt iſt. (W. I, 585 ff. P. L, 113.)
Kant's Fritifche Entfcheibung bes Streits der Antinomien iſt eigent-
ich eine Betätigung der Antithefen durch die Erläuterung ihrer
Ausſage. (W. I, 592 ff.)
Eine gewiſſe Scheinbarkeit ifl den Antinomien nicht abzufprechen.
(W. I, 591.) Sie find prägnante Ausbrüde der aus dem Sage vom
Grunde entfpringenben Perplerität, bie von jeher zum Bbilojophiren
getriebe! Hat. (P. I, 111.)
3) Zwei naturwiffenfhaftlide Antinomien.
Für die Naturwiffenfchaft, welche am Leitfaden der Cauſalität alle
möglichen Zuftände der Materie aufeinander und zulegt auf einen
zuückzuführen fucht, entſtehen zwei Antinomien, deren eine man die
demifche, die andere die phyfiologifche nennen Tönnte,
a) Die chemiſche Antinomie.
Das Gefeg der Homogeneität leitet auf die Borausfegung eines
erften chemischen Zuftandes der Materie, der allen andern als nicht
weſentlichen vorhergegangen ift unb allein der Materie als ſolcher zu-
tommt. Andererſeits ift nicht einzufehen, wie biefer, da nocd fein
zweiter, um auf ihn zu wirken, da war, je eine chemifche Veränderung
erjahren konnte. Diefer Widerfpruch könnte ganz eigentlich als eine
demifche Antinomie aufgeftellt werden. (W. I, 34 fg.)
b) Die phyfiologifhe Antinomie. .
Die objective Welt fett Sinne und Berfland bes erfennenden Sub-
ject8 voraus. Denn Sonnen umd Planeten ohne ein Auge, das fie
fiht, und einen Verſtand, der fie erkennt, laſſen fi) zwar mit
Zorten fagen, aber diefe Worte find für die Borftellung ein Wiber-
izruch. Nun leitet aber dennoch andererfeits das Gefe der Caufalität
ud die ihm nachgehende Betrachtung und Forſchung der Natur uns
nothwendig zu der Annahme, daß, in der Zeit, jeder höher organifirte
Zuftand der Materie erft auf einen rohern gefolgt ift, daß nämlich
38 Apagoge — Apriori
Thiere früher als Menſchen, Fiſche früher als Landthiere, Pflanzen
auch früher als dieſe, das Unorganifche endlich vor allem Organiſchen
dageweſen ift; daß folglich die urſprüngliche Maſſe eine lange Reihe
bon Veränderungen durchzugehen gehabt, bevor das erite Ange fid
öffnen Tonnte. Und dennoch bleibt immer von dieſem erften Auge, das
fih öffnete, und habe es einem Inſelt angehört, das Dafein jener
ganzen Welt abhängig als von dem nothmendig VBermittelnden der
Erfenntniß, für die und in der fie allein ift und ohne die fie nicht
einmal zu denken ift, da fie ald Vorſtellung des erfennenden Subjects
als Trägers bedarf, und jene lange Zeitreihe felbft, in welcher die
Materie fi von Form zu Form fteigerte, allein denkbar ift in ber
Identität eines Bewußtſeins. So fehen wir einerfeits nothwenbig das
Dofein der ganzen Welt abhängig vom erften erfennenden Wefen,
andererſeits ebenjo notwendig dieſes erfte exrfennende Thier völlig ab-
büngig von einer langen ihm vorhergegangenen Kette von Urfachen und
Wirkungen, in die es felbft als ein Glied eintritt. Dieſe zwei wider:
fprechenden Anfichten, auf jede von welchen wir mit gleicher Nothwen⸗
digleit gefiihrt werden — dieſe das Gegenftild zur chemifchen bildende
Antinomie — findet jedoch feine Auflöfung in der Kant’fchen Lehre
von Raum, Zeit und Caujfalität als nicht dem Dinge an fich, fondern
allein feiner Erſcheinung zufommenden Formen, wonach aljo die ob-
jeetive Welt, d. h. die Welt als Vorftellung, nicht die einzige,
fondern nur die eine, gleichſam bie äußere Seite der Welt ift. (W. I, 35fg.)
Es ließe ſich demnach fagen: das Bewußtſein bedingt jene kosmogoni⸗
ſchen, chemifchen und geologifchen Vorgänge, bie dem Cintritt eines
Bewußtfeing lange vorhergehen mußten, vermöge feine Formen, ift
aber wiederum durch fie bedingt vermöge ihrer Materie. Im Grunde
jedod find alle jene Vorgänge, welche Kosmogonie und Geologie als
lange vor dem Dafein irgend eines erfennenden Wefens gefchehen vor-
auszujegen und nöthigen, felbft nur eine Ueberſetzung in die Sprade
unferes anfchauenden Intellects, aus dem ihm nicht faplichen Wefen
an fi der Dinge. (P. II, 150 fg.)
Apagoge, ſ. Epagoge.
Apperception, fynthetifche Einheit der Apperception, ſ. Ich.
Apriori.
1) Bedeutung der Erfenntniß a priori,
Erfenntniß & priori bedeutet nichts Anderes, als „nicht auf dem
Wege der Erfahrung gewonnen, aljo nicht von Außen in uns gelonmen“.
(®. I, 518.)
2) Erklärung berfelben.
Die von Kant fireng bewiefene Thatſache, daß ein Theil unferer
Erfenntniffe und a priori bewußt ift, läßt gar feine andere Erklärung
zu, als daß biefe bie Formen unfers Intellects ausmachen, die
allgemeine Art und Weife, wie alle feine Gegenftände ſich ihm dar⸗
ftellen müſſen. „Erkenntniffe a priori“ und „felbfteigene Formen bes
Architectur 39
Intelleci“ find im Grunde nur zwei Anedrücke für die felbe Sache,
alje gewiffermaßen Synonyımna. (W. I, 518 fg.)
3) Das Apriorifche bedarf des Stoffs von Außen, um
materielle Erkeuntniß zu Tiefern.
Das Apriorifche und von der Erfahrung Unabhängige unfers ge-
ſaunulen Erfenntuißgvermögens ift durchaus befchränft auf den formellen
Theil der Erkenntniß, b. h. auf das Bewußtſein der felbfteigenen Yunc-
tonen des Intellects und ber Weiſe ihrer allein möglichen Thätigkeit,
welche Sunctionen jedoch ſammt ımb fonders des Stoffs von Außen
bebürfen, nm materielle Erkenntniſſe gu liefern. (®. 115.) So
nimmt ber die anfchauliche Welt mittelft feiner apriorifchen Form
(de8 Cauſalitãtsgeſetzes) jchaffende Verſtand ben Stoff, welcher diefer
feiner aprioriſchen Form Inhalt giebt, aus der Siumesempfinbung,
und die Bernunft ſchöpft die Begriffe, anf bie ſich ihre apriorifchen
Formen (die Logijcher Gefege) beziehen, aus ber anfchaulichen Welt.
(6. 115.) Eine, materielle Kemmtniffe aus eigenen Mitteln (an-
geborenen Ideen) liefernde Vernunft giebt e8 nicht (f. Angeboren).
4) Unmittelbarleit, Nothwendigkeit und Allgemeinheit
des aprioriſchen Erkennens.
Das a priori Gewiſſe erlennen wir unmittelbar; es iſt, als bie
Horm aller Erkenntniß, uns mit der größten Nothwendigkeit be
wußt. 3.8. daß die Materie beharrt, d. 5. weder entſtehen noch ver-
gehen Tann, wiſſen wir unmittelbar als negative Wahrheit. Zu einem
Entflehen oder Verſchwinden von Materie gebricht e8 uns an Formen
der Borftellbarfeit. Daher ift jene Wahrheit zu allen Zeiten, überall
und Jedem evident gewefen, nod jemals im Ernſt bezweifelt worben;
was nicht fein könnte, wenn ihr Erkenntnißgrund in einem ſchwierigen
Yweis beſtiinde. (W. I, 80.) .
5) Bedeutung eines Berzeichniffes ſämmtlicher in un-
ferer anfhauenden Erfenntniß a priori wurgelnden
Srundwahrbeiten.
Ein Verzeichniß biefer Art, wie e8 in der Tafel ber Praedicabilia
ı priori (W. DO, Tafel zu ©. 55) gegeben ift, kann angefehen werben
atweder als eine Zufammenftellung ber ewigen Grundgeſetze ber Zelt,
mithin als die Baſis der Ontologie; oder aber als ein Kapitel aus
ver Bhyfiologie bes Gehirns, je nachdem man den realiftifchen
der den ibealiftifchen Gefichtspunft fat, wiewohl der zweite in
letter Inſtanz Recht behält. (W. II, 54.)
Arditectur.
1) Aufgabe der Arditectur als ſchöner Kunft.
Die Architectur, blos als fchöne Kunft, abgefehen von ihrer
Beftimmung zu nützlichen Zwecken betrachtet, kann Feine andere
t haben, als die, einige von jenen IAdeen, welde die niedrigfien
Stufen ber Objectitit (Sichtbarkeit) des Willens find, zu deutlicher
Infcanlichleit zu bringen, nämlich Schwere, Cohäſion, Starrheit,
40 Architeetur
Härte, dieſe allgemeinen Eigenſchaften des Steines, dieſe erſten, ein⸗
fachſten, dumpfſten Sichtbarkeiten des Willens, Grundbaßtöne der Natur;
und dann neben ihnen das Licht, welches in vielen Stücken der Gegen:
fa jener ift. Selbft anf dieſer tiefften Stufe der Objectität des Wil-
lens fehen wir ſchon fein Weſen fi) in Zwietracht offenbaren; denn
eigentlich ift der Kampf zwifchen Schwere und Starrheit der alleinige
äſthetiſche Stoff ber ſchönen Arditectur. Ihn auf mannichfaltige
Weiſe deutlich Hervortreten zu laſſen tft ihre Aufgabe. (W. I, 252.)
2) Löjung diefer. Aufgabe.
Die Baukunſt löſt die bezeichnete Aufgabe, indem fie jenen unvertilg-
baren Kräften (Schwere und Starrheit) den Fürzeften Weg zu ihrer
Befriedigung benimmt und fie durch einen Umweg binhält, wodurch ber
Kampf verlängert und das unerfchöpfliche Streben beider Kräfte auf
mannichfaltige Weife fichtbar wird. Dies gefchieht durch das richtige
eonftructionelle Berhältnig von Stüße und Laſt. Denn nur indem
jeder Theil fo viel trägt, als er füglic, kann, und jeder geftiigt ift gerade
da und gerabe fo fehr als er muß, entfaltet fich jenes Widerfpiel, jener
Kampf zwifchen Starrheit und Schwere, welche das Leben, die Willend-
äußerungen des Steines ausmachen, zur volllommenften Sichtbarfeit,
und es offenbaren fich deutlich diefe tiefften Stufen der Objectität des
Willens. (W. I, 253. II, 466.) Die reinfte Ausführung dieſes
Thema’s ift Säule und Gebälk; baher ift die Säulenordnung gleich—
fan der Generalbaß der ganzen Architectur geworden. In Säule und
Gebälk nämlich find Stüge und Laſt vollkommen gefondert, wo-
durch die gegenfeitige Wirkung Beider und ihr Verhältniß zu einander
augenfällig wird. In Hinficht auf die von der Baukunſt durchgängig
angeftrebte reine Sonderung ber Stüge und Laſt ſteht der Säule mit
dem Gebälke als eine eigenthiimliche Conftruction zunächſt das Gewölbe
mit dem Pfeiler, welches jedoch bie äfthetifche Wirkung Jener bei
Weitem nicht erreicht, weil hier Stütze und Laſt noch nicht rein ge:
ſondert, jondern in einauder übergehend verfchmolzen find. (W. II, 467.)
Während die conftructionellen Verhältniffe, d. 5. die zmwifchen
Stüße und Laſt, in der Architecture bie Hauptſache find, fo find
dagegen die regelmäßige Form, Proportion und Symmetrie
als ein rein Geometrifches nur von untergeordneter Bedeutung, ba fic
nicht Ideen, jondern nur räumliche Verhältniffe ausdrüden. Wären
fie in der Architectur die Hauptfadhe, fo müßte das Modell bie gleiche
Wirkung thun, wie das ausgeführte Werk, was nicht der Fall if.
Regelmäßigkeit, PBroportion und Symmetrie find nur der leichten Faß-
licfeit und Weberjehbarkeit wegen nöthig. Nur mittelft der Symmetrie
fimdigt ſich das architectonifche Werk ſogleich als inbivibuelle Einheit
und als Entwicelung eines Hauptgebanfens an. (W. I, 254. II, 469 ff.)
3) Schönheit und Grazie in der Baufunft.
Die Schönheit eines Gebäudes Tiegt in der augenfälligen Zweck.
mäßigfeit jedes XTheiles, nicht zum äußern willfürlichen Zweck dee
Menfchen (denn infofern gehört das Werk der nützlichen Baufunft an)
Architectur 41
jondern unmittelbar zum Beſtande des Ganzen. (W. I, 253.) Die
Schönkeit wird erreicht, indem die Baufunft zwar nicht bie Formen
ir Natur, wie Baumftämme u. dgl. nachahmt, aber im Geiſte ber
Natur Schafft, alfo indem fie da8 Gefeg: Die Natur thut nichts ver-
geblich und thut nichts Weberflitffiges, — auch zu dem ihrigen macht,
demmadh alles, felbſt nur fcheinbar Zweckloſe vermeidet und ihre jedes-
mafige Abficht auf bem natürlichften Wege durch das Werk felbft offen
tarlegt. Dadurch erlangt fie eine gewiffe Örazie, der analog, welche
bei lebenden Weſen in der Leichtigkeit und ber Angemefjenheit jeder
Bewegung und Stellung zur Abficht derfelben befteht. Der gefchmad-
loſe Bauftil fucht bei Allem unnütze Umwege und gefält ſich in Will»
kürlichkeiten; er fpielt mit den Mitteln der Kunft, ohne die Zwecke ber-
felben zu verftehen. Dagegen die Schönheit in der Baufunft geht
hauptſächlich aus der unverhohlenen Darlegung der Zwede und dem
Crreihen derfelben auf dem fürzeften und natürlichften Wege hervor.
®. 0, 472g. P. II, 459.)
4) Verbindung des Schönen mit dem Nüglidhen in
der Baukunſt.
Da die Werke der Baufımft fehr felten, gleich denen anderer Künſte,
za ven äfthetifchen Zwecken aufgeführt werben, vielmehr nüßlichen
Aweden zu dienen beftimmt find, fo gilt es, die rein äfthetifchen Zwecke,
treg ihrer Unterordnung unter nüßliche, body durch geſchickte Anpaflung
en diefe durchzuſetzen und richtig zu beurtheilen, welche ardjitectonijche
Schönheit fi) mit einem Tempel, welche mit einen Palaft, welche mit
enem Zeughaufe u. |. tw. verträgt und bereinigen läßt. Hierin eben
befteht daS große Verdienſt des Baukünſtlers. (W. I, 256.)
5) Beziehung der Werke ber Baufunft zum Lichte.
Die Werke der Baufunft gewinnen an Schönheit durd) die Bes
leuchtung. Daher bei Aufführung derfelben Rückſicht zu nehmen ift
af die Wirkungen des Lichts und auf die Himmeldgegenden. Dies
hat feinen Grund zwar großentheil® darin, daß helle und fcharfe Be-
lachtung alle Theile und ihre Berhältniffe erſt recht fichtbar macht;
mperdem aber bat die Baukunft, fo wie Schwere und Starrheit, auch
glei, das diefen ganz entgegengejetste Wefen des Lichts zu offen-
baren. Indem nämlich das Licht von den großen, undurdjfichtigen,
ſcharfbegrenzten und mannichfach geftalteten Maſſen aufgefangen, ge«
%umt, zurüdgetvorfen wird, entfaltet e8 feine Natur und Eigenfchaften
a renften und beutlichften zum großen Genuß bes Beſchauers.
V. I, 255.)
6) Das Baumaterial.
Ta bie Baukunſt den Kampf zwifchen Starrheit und Schwere zu
dextlicher Anfchaulichfeit zu bringen Hat, fo ift es nicht gleichgültig,
weiches Materials fie fich bedient. Zum Verſtändniß und äſthetiſchen
Gera eines Werkes der Baulunſt ift unumgänglich nöthig, von feiner
Raterie, nach ihrem Gewicht, ihrer Starrheit und Cohäfion, eine
mittelbare, anfchauliche Kenntniß zu haben. Ein Gebäude, als deſſen
42 Architectur
Material wir Stein vorausſetzen, würde, wenn wir erführen, daß es
von Holz ſei, unſere äſthetiſche Freude plötzlich ſehr verringern, weil
nimmehr dns Verhältniß zwiſchen Schwere und Starrheit und dadurch
die Bedeutung und Nothwendigkeit aller Theile ſich ändert, da jene
Naturkräfte am hölzernen Gebäude ſich viel ſchwächer offenbaren.
Daher kann aus Holz eigentlich kein Werk der ſchönen Banukunſt wer⸗
ben, fo ſehr daſſelbe auch alle Formen annimmt. Dies beweiſt, daß
die Baukunſt nicht blos mathematiſch wirkt, ſondern dynamiſch.
(W. I, 255.)
7) Bergleihung des antiken mit dem gothifhen Bauſtil.
In der Baukunſt, wie in ber Sculptur, fällt das Streben nad) dem
deal mit der Nachahmung der Alten zufammen (f. d. Alten).
Denn die Alten haben bie Baukunft, jo weit fie ſchöne Kunft ift, m
Weſentlichen vollendet, jo daß der moberne Architect fi) von den
Kegeln und Vorbildern ber Alten nicht merklich entfernen kann, ohne
eben ſchon auf dem Wege ber Verfchlechterung zu fein. Dem gothiſchen
Bauſtil ift zwar auch eine gewiſſe Schönheit, in feiner Art, nicht ab⸗
zufprechen, aber ebenbürtig ift er dem antiken durchaus nicht. Unſer
Wohlgefallen an gothifchen Werken beruht größtentheils auf Gedanken
afjociation und hiftorifchen Erinnerungen. Nur ber antile Bauftil if
in rein objectivem Simme gebacht, der gothifche mehr in ſubjectivem.
Der Grundgedanfe ber antifen Baukunft, die Entfaltung des Kampfes
zwifchen Schwere und Starrheit, ift ein wahrer, in der Natur ges,
gründeter; bingegen die von der gothifchen Baukunſt angeftrebte Ueber⸗
wältigung und Beftegung der Schwere durch die Starrheit bleibt ein,
bloßer Schein. Der myſteridſe und hyperphyſiſche Charakter ber gothi-
fchen Baukunſt entfteht Hauptfüchlich dadurch, daß hier das Willfürliche
an die Stelle des xein Rationalen, ſich als durchgängige Angemeflen-
beit des Mittel zum Zweck Kundgebenben getreten ift. Hingegen ift
die glänzende Seite der Gothifchen Kirchen die innere, während au an-
ga Gebäuden die Außenſeite die vortheilhaftere ift. (WW. U, 473—476;
.D,460) |
8) Bergleihung der Baukunſt mit den übrigen Künften.
Da die objective Bedeutſamkeit Deflen, was uns die Baukunſt
offenbart, verhältnigmäßig gering ift, weil die Ideen, welche fie zur
deutlichen Anfchauung bringt, die niebrigften Stufen der Objectität
des Willens bilden, fo beftcht der äfthetifche Genuß beim Anblid eines
[hönen und günftig beleuchteten Gebäudes nicht jo fehr in der Auf-
faſſung der Idee, als in dem reinen, willensfreien Erkennen, bei
von allen Leiden des Wollens und der Individualität befreiten Con:
. templation. (Bgl. unter Wefthetifch die Elemente des äſthetiſcher
MWohlgefallens.) — In dieſer Hinficht bildet in ber Reihe der ſchönen
Künfte da8 Drama, weldes die allerbedeutfamften Ideen zur An
fhauung bringt und bei defien Genuß daher bie objective Geit
durchaus überwiegend ift, den Gegenfat zur Architecture. (W. IL, 255.
Die Baukunft Hat von den bildenden Künſten und der Poeſie da
Kriftofratie 43
Inteiheidende, daß fe ihr ein Nachbild, fonden die Sache
jelbß giebt. (W. I, 256.)
Ju der Reihe der Künſte bilden Architectur und Muſik die bei-
den äuferfien Enden. Sie find ihrem innern Weſen, ihrer Kraft, dem
Umfang ihrer Sphäre und ihrer Bedeutung nad) die heterogenften, ja
wahre Intipoden. Diefer Gegenſatz erſtreckt fi) auf die Formen ihrer
erſcheummg, indem bie Architectur allein im Raum ift, ohne Be-
In auf die Zeit, die Muſik allein in der Zeit, ohne Beziehung
den Raum. Hieraus entjpringt ihre einzige Analogie, daß näm⸗
rl bie in ber Architectur die Symmetrie das Drdnende und Zu⸗
Iammenhaltenbe ift, jo in der Muſik der Rhythmus. Diefe Analogie,
die auch zum dem Witzwort, daß Architectur gefrorene Muſik fei, Anlaß
gegeben, erſtredt ſich demnach blos auf die äußere Form, Teineswegs
ober anf das innere Wefen beider Künſte. Es wäre lächerlich, die
Arditectur, bie bejchränktefte und ſchwächſte aller Künfte, mit der Mufit,
tr ausgebehnteften und wirkfamften, im Wefentlichen gleichftellen zu
rellen. (W. U, 516—518.)
Artkokratie.
1) Drei Arten von Ariflofratie.
E9 giebt drei Arten von Ariftofratie: 1) die Ariflofratie der Geburt
und des Ranges; 2) die Geldariftofratie; 3) die geiftige
Irfofratie, Lebtere ift die vornehmſte. (Ueber die Ariftofratie der
"rt dgl, Adel.)
Vihrend jede diefer drei Ariftofratien umgeben ift von einem Heer
un erbitterten Neidern, fo vertragen ſich die der einen Ariftofratie
„ingen mit denen ber anbern meiftens gut und ohne Neib, weil
Ber ſeinen Borzug gegen ben der andern in die Waage legt. (P. 1, 459.)
2) Intellectuelle Ariftofratie der Natur.
Ja Hinficht auf den Intellect ift die Natur höchſt ariftofratifch.
St Unterfchiede, die fie hier eingeſetzt hat, find größer als ‚die, welche
hat, Rang, Reichthum oder Kaftenunterfchied in irgend einem Lande
lm. Wie in andern Ariſtokratien, fo auch kommen in ber ifrigen
“e tanfend Blebejer auf einen Edlen, viele Millionen auf einen
arm (W. U, 161. H. 382.) Ariſtokratiſch ift die Natur, arifto-
wijcher als irgend. ein Feudal- und Kaſtenweſen. Deimgemäß Läuft
=: Poramibe von einer fehr breiten Baſis in einen gar ſpitzen Gipfel
Zt. Und wenn es ben Pöbel und Gefindel, welches nichts über fich
Sen will, auch gelänge, alle andern Ariftofratien umzuftoßen, fo
* es diefe doch beftehen Lafin. (P. I, 212.)
3) Kontraft zwifchen ber Ranglifte der Natur und der
der Convention.
deiſchen der Raugliſte der Natur und der der Convention iſt
jqreiender Contraſt, deſſen Ausgleichung nur in einem goldenen
alter zu boffen flände, Inzwiſchen haben die auf der einen und
= af der andern Ranglifte kr body Stehenben das Gemeinfame,
44 Arit hmetil
daß fie meiſtens in vornehmer Iſolation leben. (W. II, 161.) Eine
radicale Verbeſſerung der menſchlichen Geſellfchaft könnte dauernd nur
dadurch zu Stande kommen, daß man die conventionelle Rangliſte nach
der der Natur regelte. Die Schwierigkeiten einer folchen Regelung
find freilich unabfehbar. Es wäre nöthig, daß jedes Kind feine Be
ftimmung nicht nad) dem Stande der Litern, fondern nad) ben Aus:
ſpruch bes tiefften Menſchenkenners empfienge. (9. 383.)
4) Nachtheilige Folgen ber Berkennung der Ariftofratie
ber Natur und Nußen ihrer Anerlennung.
Weil das Publikum die Ariftofratie der Natur nie erfennt und be
greift, weil es gute Gründe hat, fie nicht erfennen zu wollen, darum
legt es die Werke der geiftigen Heroen fobald ans ben Händen, um
ſich mit den Productionen des neueften Stümpers befannt zu machen.
(P. I, 191.) Das Publikum könnte durch nichts fo fehr gefördert
werben, als durch die Erkenntniß jener intellectuellen Ariftofratie der
Natur. Es wiirde in folge derfelben nicht mehr die ihm zu feiner
Bildung kärglich zugemeſſene Zeit vergeuden an den Productionen ge-
wöhnlicher Köpfe; e8 würde nicht mehr, in dem kindiſchen Wahne, daß
Bücher, gleih Eiern, frifch genoffen werben müſſen, ſtets nach dem
Neueften greifen, fondern würde fi) an die Leitungen der wenigen
Auserlefenen und DBerufenen aller Zeiten und Bölfer halten und könnte
jo allmälig zu ächter Bildung gelangen. Dann würden aud) bald jene
Tauſende unberufener Productionen ausbleiben, die wie Unkraut dem
guten Weizen das Aufkommen erfchweren. (W. II, 162.)
Arithmetik,
1) Woranf die Arithmetik berupt.
Die Arithmetif beruht auf der apriorifchen Anſchauung ber Zeit,
in welcher, da die Zeit nur eine Dimenfion bat, jeber gegenwärtig:
Angenblid bedingt ift durch den.vorangegangenen. Auf der apriorifchen
Einfiht in diefen Nerus der Theile der Beit beruht alles Zählen,
deffen Worte nur dienen, die einzelnen Schritte der Succeſſion zu
markiren; folglich auch die ganze Arithmetik, die durchweg nichte
Anderes, als methodiſche Abkürzungen des Zählens lehrt. Jede Zah
feßt die vorhergehenden als Gründe ihres Seins voraus; zur Zehr
kann ich nur gelangen durch alle vorhergehenden, und bloß vermög
diefer Einfiht in den Seinsgrund (ſ. Seindgrund unter Grund
weiß ich, daß wo Zehn find, auch Acht, Sechs, Bier find. (©. 135
®. 1, 90.)
2) Beweis, daß die Arithmetif auf ber reinen An
Ihauung der Zeit beruht.
Daß die Arithmetik auf der veinen (apriorifchen) Anfchauung de
Zeit beruhe, ift zwar nicht fo augenfällig, wie daß die Geometrie au
ber des Raumes bafirt ſei. Man Tann es aber auf folgende Ar
beweifen. Alles Zählen befteht im wiederholten Schen der Einhei
Bloß um ſtets zu wiflen, wie oft wir fchon die Einheit geſetzt haben
Arithmetik 45
marhren wir fie jedes Mal mit einem andern Wort; dies find die
Zahlworte. Nun ift aber Wiederholung nur möglid dur) Suc-
cefjion, diefe aber, aljo das Nacheinander, beruht unmittelbar auf der
Anſchauung der Zeit, ift ein nur mittelft diefer verfländlicher Begriff.
Folglich iſt auch das Zählen nur mittelft der Zeit möglich. (W. II, 40.)
3) Borzug der Arithmetik vor allen andern Wiſſen—
ſchaften.
Die Arithmetik übertrifft in Klarheit und Genauigkeit alle andern
Wiſſenſchaften, was fi) daraus erklärt, daß die Zeit das einfache, nur
das Weſentliche enthaltende Schema aller Geftaltungen des Satzes vom
Srunde ift. Alle Wiffenfchaften nämlich beruhen auf dem Sate vom
Irunde, indem fie durchweg Berknüpfungen von Gründen und Folgen
fund. Die Zahlenreihe nun aber ift die einfache und alleinige Reihe
der Seinsgründe und Yolgen in ber Zeit. Wegen diefer vollfonmenen
Zinfahheit, indem nichts ihr zur Seite liegen bleibt, noch irgendwo
aubeftimmte Beziehungen find, läßt fie an Genauigkeit, Apodicticität
md Deutlichkeit nichts zu wünſchen übrig. Hierin ftehen alle andern
Wiſſenſchaften ihr nad), fogar die Geometrie, weil aus den brei
Timenfionen des Raumes fo viele Beziehungen hervorgehen, daß bie
Ueberſicht derfelben ſowohl der veinen, wie der empirifchen Anſchauung
zu ſchwer fällt; daher die complicirten Aufgaben der Geometrie nur
inch Rechnung gelöft werden, die Geometrie alſo eilt, ſich in Arit-
nit aufzulöfen. (©. 151.)
Unfere unmittelbare Anſchauung der Zahlen in der Zeit reicht zwar
act weiter ald etwa bis Zehn; darüber hinaus muß fchon ein ab»
ſtracter Begriff der Zahl, durch ein Wort firirt, die Stelle der An⸗
'danung vertreten, welche daher nicht mehr wirklich vollzogen, fondern
zu ganz beftimmt — wird. Jedoch iſt ſelbſt fo, durch das
ꝛichtige Hilfsmittel der Zahlenordnung, welche größere Zahlen immer
‚sch diefelben Heinen vepräfentiren laßt, eine anfchauliche Evidenz jeder
Kchnung möglich gemacht, jogar dba, wo man die Abftraction fo fehr
» Hülfe nimmt, daß nicht nur die Zahlen, fondern unbeftimmte Größen
md ganze Operationen nur in abstracto gedacht und in diefer Hinficht
sgeichnet werben. (W. I, 90.)
4) Untergeordneter Rang der arithmetiſchen Geiftes-
thätigfeit.
Taß die niedrigfte aller Geiftesthätigfeiten die aritgmetifche fei, wird
stard belegt, daß fie die einzige ift, welche auch durch eine Mafchine
geführt werben kann. (P. UI, 52.
Rechnen ift nicht Verftehen und liefert an ſich kein Verftändniß
“t Sachen. Rechnungen haben blos Werth für die Praxis, nicht
tär die Theorie. Sogar kann man fagen: wo das Rechnen an-
fängt, Hört das Berftehen auf. Denn der mit Zahlen befchäftigte
Tepf if, während er rechnet, dem caufalen Zufanımenhang des phufifchen
Hergangs gänzlich entfrembet ; ex fledft in lauter abftracten Zahlbegriffen,
I Refultat aber befagt nie mehr, als Wie viel, nie Was. (©. 77.)
46 Armuth
Armuth.
1) Urſprung der Armuth.
Armuth und Sclaverei find nur zwei Formen, faſt möchte man
ſagen zwei Namen der ſelben Sache, deren Weſen darin beſteht, daß die
Kräfte eines Menſchen großentheils nicht für ihn ſelbſt, ſondern für
Andere verwendet werden, woraus für ihn theils Ueberladung mit
Arbeit, theils kärgliche Befriedigung feiner Bedurfniſſe hervorgeht.
Denn die Natur bat dem Menjchen une fo viel Kräfte gegeben, dak
er, unter mäßiger Anftrengung derfelben, feinen Unterhalt der Erde
abgewinnen Tann; großen Ueberfchuß von Kräften hat er nicht erhalten.
Nimmt man nun die gemeinfame Laſt der phufifchen Erhaltung dee
Menfchengefchlechts einem nicht ganz unbeträchtlichen Theile deſſelben
ab, jo wird dadurch der übrige übermäßig belaftet und ift elmd. So
zunächſt entjpringt alfo jenes Uebel, welches, entweder unter dem Ramen
ber Sclaverei, oder ıumter dem des Proletariats, jederzeit auf der
großen Mehrzahl des Mienfchengefchlechts gelaftet Hat. Die entferntere
Urſache deffelben aber ift ber Luxus (f. Luxus). — Zwiſchen Armuih
und Schaverei it der Fundamentalunterſchied, daß Sclaven ihren Ar-
fprung ber Gewalt, Arme der Liſt zugufchreiben haben. (P. II, 261fg.)
2) Die Armuth in ethifcher Hinficht.
Der Arme, der vermöge der Ungleichheit des Befiges fi zu Mangel
und fchwerer Arbeit verdammt fieht, während Andere vor feinen Augen
im Weberfluß und Müſſiggange leben, wird ſchwerlich erfennen, daß
biefer UngleichBeit eine entjprechende der Berbienfte und bes reblichen
Erwerbes zu Grunde liege. Wenn er aber dies nicht erfennt, woher
foll er dann den rein ethifchen Antrieb zur Eprlichleit nehmen, der ihn
abhält, feine Hand nad) dem fremden Ueberfluffe auszuftreden? Meiftens
ift e8 die gefegliche Ordnung, bie ihn zurückhält. In Fällen aber,
wo er vor der Wirkung des Geſetzes gefichert, fich in den Befig bes
fremden Gutes fegen fann, wird in ber Regel nicht religiöfer Glaube
oder gar ein vein moralifches Motiv ihn von der Ungeredtigleit ab-
Balten, fondern nur noch die aud) dem geringen Marne fehr an-
gelegene Sorge für den guten Namen, aljo die bitrgerliche Ehre.
E. 189g.)
Eine ethifche Eigenthümlichleit der Armen iſt es, daß fie, zu Wohl:
ftand gelangt, weit geneigter zur Verſchwendung find, als die im
Wohlftande Geborenen umd Gebliebenen. Der Grund ift diefer, daß
Dem, der in angeflammtem Reichthume geboren ift, diefer als etwas
Unentbehrliches erfcheint; daher er meiſtens vorfichtig und ſparſam iſt.
Dem in angeflammter Armuth Geborenen hingegen erfcheint diefe als
der natürliche Zuftand, der ihn danach irgendwie zugefallene Reichthum
aber als etwas Weberflüffiges, blos tauglich zum Genießen und Ber-
praflen, indem man, wenn er fort ift, fi fo gut wie vorher ohne ihn
behilft. Dazu kommt nod das übergroße Zutrauen folder Leute theils
zum Scidjal, theils zu den eigenen Mitten, die ihnen fchon aus
Noth und Armuth herausgeholfen haben, (P. I, 368 fg.)
A — Amt 47
Art.
Art oder Species ift das empirifche Correlat der Adee (f. Idee);
d. h. Das, was, als bloß objectives Bild, bloße Geftalt betrachtet,
mb dadurch aus der Zeit, wie aus allen Relationen berausgehoben,
bie Platonifche Idee iſt, das ift, empirisch genommen unb in der
Zt, die Species ober Art. Die dee ift ewig, die Art aber von
unendlicher Dauer, wenngleich die Erſcheinung derfelben auf einem
Planeten erlöfchen Tann. Auch die Benennungen Beider gehen in ein-
ander über: ıdsa, sıdog, species, Art. Die Idee ift species, aber
nicht genus; darım find die species das Werf der Natur, die genera
das Werk des Menjchen, denn fie find bloße Begriffe Es giebt
species naturales, aber genera logica allein. (W. II, 415.)
Artefact.
1) Segenfag zwifchen den Artefacten und den Natur-
producten.
Foentität der Form und Materie ift Charakter des Naturprobucts,
Toerfität beider des Kunſtproducts (Artefacts). Im lebenden Orga
niemus iſt der Meifter, das Werk und der Stoff Eines und Daffelbe.
Hier bat nicht der Wille erft die Abficht gehegt, den Zweck erkannt,
dam die Mittel ihm angepaßt und den Stoff befiegt, fondern fein
Wollen ift unmittelbar auch der Zwed und unmittelbar das Erreichen;
8 bedurfte ſonach Feiner fremden, erft zu bezwingenden Mittel; Bier
wor Wollen, Thun und Erreichen Eines und Daſſelbe. Daher ift
jeder Organismus ein überfchwänglich vollendetes Meiſterſtück. Dagegen
it bei den Werken wenfchlicher Kunft, 3. B. einer Uhr, zubörberft der
Bille zum Werk und das Werk zweierlei; fobann liegen zwifchen dieſen
Beiden felbft noch zwei Andere: erftlic das Medium der Borftellung,
durch welches der Wille, ehe ex fich verwirklicht, Hindurchzugehen hat,
und zweitens der bem hier wirkenden Willen fremde Stoff, dem eine
ihm fremde Form aufgezwungen werden fol. (N. 54—56.)
2) Segenfag zwifchen ben Artefacten und den Werfen
der ſchönen Kunft.
Bon Artefacten giebt e8 Feine Ideen, fondern bloße Begriffe,
W. II, 416.) Dadurch bilden die Artefacten einen Gegenfaß zu den
Verlen der fchönen Künſte. Das Artefact geht feiner Form nad) von
enem menfchlichen Begriff aus; dagegen ift das Werk der ſchönen
Kunft Ausdruck einer Idee. Artefacten dienen zwar auch, aber. nur
ven Seiten ihres Materials, dem Ausdrud von Ideen, nicht aber
von Seiten der künſtlichen Form, die man diefem Material gab. Es
iſt falſch, wenn Platon von den Ideen des Tiſches und Stuhles ſpricht.
rTiſch and Stuhl drüden vielmehr nur Ideen aus, die fchon in ihrem
bloßen Material als ſolchem ſich ausſprechen. (W. I, 249.)
t
Arzt.
Der Arzt fieht den Menſchen in feiner ganzen Schwäche; der Yurift
m feiner ganzen Schlechtigkeit; der Theolog in feiner ganzen Dumm
kt. (B. II, 639.)
48 Aſeität — Ackleſe
Afeität.
1) Afeität als Eigenfhaft des Dinges an fid.
Afertät ift gleichbedeutend mit Jreiheit, d.h. Unabhängigkeit
von einem Andern fowohl im Sein und Wefen, als im Thun und
Wirken, Nichtunterworfenfein unter den Sag vom Grund. Sie kann
daher nicht der Erfheinung, noch auch einem gefchaffenen Weſen
zufommen, fondern allein dem ursprünglichen, aus eigener Urfraft und
Machtvolllommenheit Eriftirenden, den Ding an fid, dem Willen.
(W. I, 364. ®. I, 68.)
2) Afeität als Borausfegung der Berantmwortlichkeit
und Unfterblidhfeit.
Freiheit und Berantwortlichkeit, diefe Grundpfeiler aller Ethik, laffen
fid) ohne die Borausfegung der Afeität des Willens wohl mit Worten
behaupten, aber nicht denken, Verantwortlichkeit hat Freiheit, dieje aber
Urſprünglichkeit zur Bedingung. Aſeität des Willens ift alfo die
erfte Bedingung einer ernftlid, gedachten Erhit. Abhängigkeit dem Sein
und Wefen nach, verbunden mit Freiheit dem Thun nad, iſt ein
MWiderfprud. (N. 142; E. 72; P. I, 68. 135.) Wie Afeität Be
dingung der Zurechnungsfähigkeit ift, fo ift fie aud) Bedingung der
Unfterblichfeit. (P. I. 137.)
Askefe.
1) Urfprung der Astefe.
Die Astefe hat ihren Urfprung in der das principium individua-
tionis durchfchauenden Erfenntniß, d. 5. in jener Erfenntniß, welde
den Unterfchied zwifchen dem eigenen und dem fremden Individuum
aufhebt und die Einheit des Wefens in allen Erfcheinungen intuitiv
erfennt, welche Erkenntniß auch ſchon der ächten Tugend zu Grunde
liegt.
Wenn ein Menfch nicht mehr den egoiftifchen Unterfchieb zwischen
fi) und den Andern macht, fondern am Leiden der Anbern fo viel
Antheil nimmt, als an feinem eigenen, fo folgt von felbfl, daß ein
folder in allen Wefen fein Selbft wiedererfennender Menſch aud) bie
endlofen Leiden alles Lebenden als die feinen betrachten und fo den
Schmerz der ganzen Welt fich zueignen muß. Er erfennt das Ganze,
faßt das Weſen defjelben auf, fieht die Nichtigkeit alles Strebens ein,
und diefe Einficht wird ihm zum Duietiv des Willens (f. Onietip).
Der Wille wendet fih nunmehr vom Leben ab, der Menfch gelangt
zum Zuftande der freiwilligen Entfagung, der Refignation, der
Berneinung des Willens zum Leben. Das Phänomen, wodurch dieſes
fich Fundgiebt, der Abfcheu vor dem Wefen der Welt, dem Willen zum
Leben, ift der Uebergang von ber Tugend zur Askeſis. (W. I, 447—449.
W. IL, 694.)
2) Yeußerungsweifen der Asfefe.
Die Asleſe äußert fih in der gänzlichen Gelaffenheit und Gleich-
gültigkeit gegen die Dinge diefer Welt. Der Asket Hütet ſich, feinen
Asleſe 49
Willen an irgend etwas zu hängen. Obgleich fein Leib ben Geſchlechts⸗
eb durch Genitalien ausſpricht, will er feine Geſchlechtsbefriedigung.
öremilige, volllommene Keuſchheit ift der erſte Schritt in der Adfefe.
Zodann ferner zeigt ſich die Askeſe in freiwilliger und abfichtlicher
Irmuth. Endlih, da der Asket den in feiner Perſon erfcheinenden
Eilen felbft verneint, fo widerftrebt er auch nicht, wenn ein Anderer
ee thut, d. 6. ihm Unrecht zufügt. Daher freudiges und gelaffenes
Ertragen jedes Schadens, jeder Schmad), jeder Beleidigung.
8. 1,449— 451.) Wie den Willen felbft, fo mortificirt ex die Sicht-
barkeit, die Objectität deflelben, den Leib. Daher greift er zum Faſten,
2 zu Kaſteiung und Selbftpeinigung, um den Willen zu brechen.
Dieſes vorſätzliche Brechen des Willens durch Verfagung des An-
zenehmen und Aufſuchen des Unangenehmen, bie felbftgewählte büßende
Lebensart und Selbftfafteiung, zur anhaltenden Mortification bes Wil⸗
as, iſt Aslefe im engern Sinn. (W. I, 451. 463.) |
Weil jedoch Schon die vollkommene Uebung der Tugenden der Gerech⸗
tötat und Menſchenliebe ein ſtarkes Beförderungsmittel der Verneinung
st Willens zum Leben ift, indem fie ohne Entfagung unmöglich ift,
wei aiſo Armuth, Entbehrungen und eigenes Leiden vielfacher Art
ihen durch die vollkommenſte Ausübung der moraliſchen Tugenden her-
xiweührt werden, jo wird die Askeſe im engern Sinne, alfo die vor-
ſarlihe Selbftpeinigung, das Faſten, das härene Hemd und bie
Kofei, nicht mit Unrecht von Bielen als überflüffig verworfen.
8. I, 694 fg.)
3) Lebereinfiimmung ber Askeſe verfchiedener Ränder
und Religionen ihrem innern Sinn und Öeifte nad).
Dan lann fich nicht genugfam vermundern über die Einhelligfeit,
che man findet, wenn man das Leben eines chriftlichen Büßenden
A des eines indifchen lief. Bei fo grundverfchiedenen Dogmen,
<ten und Umgebungen ift da8 Streben und das innere Leben Beider
2 dafſelbe. (W. I, 460.) Duietismus, d. i. Aufgeben alles
ms, Astefis, d. i. abfichtliche Ertödtung des Eigenwillens, und
Nass, d. i. Bewußtfein der Identität feines eigenen Weſens
= dem aller Dinge, ober dem Kern der Welt, ftehen in genauefter
dabindung, fo daß, wer fich zu einem derſelben befennt, allmälig aud)
St Amahme der andern, felbft gegen feinen Borfag, geleitet wird.
ts Tann überrafchender fein, ais die Uebereinftimmung der jene
“Stra vortragenden Schriftfteller unter einander bei der allergrößten
Sichiedenheit ihrer Zeitalter, Ränder und Religionen. Sie bilden nicht
me eine Sekte, vielmehr wiſſen fie meiftentheil® nicht von einander;
2, die indiſchen, chriftlichen, mohammedanifchen Myſtiker, uietiften
a Akten find fich im Allem heterogen, nur nicht im innern
-ıau and Geift ihrer Lehren. (W. II, 702.)
Co diele iebereinftimmung, bei fo verfchiedenen Zeiten und Völlern,
% cm ſactiſcher Beweis, daß hier nicht eine Verſchrobenheit und Ver⸗
heit der Geſinnung, fondern eine wefentliche und nur durch ihre
dexeqeuer⸗Lexiton. 1. 4
50 Aflertion — Aftronomie
Trefflichkeit fich felten hervorthuende Seite der menſchlichen Natur fid
ausfpricht. (W. I, 460.)
4) Srundverfhiedenheit des Geiftes bes Kynismus
von dem der Astefe,
Die alten ächten Kynifer, die ein für alle Mal jedem Befig, allen
Bequemlichkeiten und Genüffen entfagt, zeigen viel Aehnlichkeit mit den
ächten und beſſern Bettelmönchen der Neuzeit. Jedoch Liegt dieſe
Aehnlichkeit nur in den Wirkungen, nicht in der Urſache. Sie trefien
im Reſultat zufanmen, aber der Grundgedanfe Beider ift ganz
verfchieden; bei den Mönchen ift er, wie bei ben ihnen verwandten
Saniaffis, ein über das Leben Hinausgeftedtes Ziel, bei den Kynikern
aber nur die Meberzeugung, daß zur möglichften Glückſeligkeit in biefem
Leben der Weg der Entfagung der Fürzefte und leichtefte fei. Die
Grundverſchiedenheit des Geiftes des Kynismus von dem der Askefe
tritt augenfällig hervor an der Demuth, als welche der Askeſe wefent-
lich, dem Kynismus aber fo fremd ift, daß er im Gegentheil den Stolz
und die Verachtung aller Uebrigen im Schilde führt. (W. II, 170.)
Affertion,
Ein Sag, der ſich unmittelbar auf die empirische Anſchauung be⸗
ruft, iſt eine Aflertion; feine Confrontation mit derfelben verlangt
Urtheilsktraft. (W. II, 132.)
Affociation, der Ideen, ſ. Gedankenaſſociation.
Aſtrologie.
Einen großartigen Beweis von ber erbärmlichen Subjectivität der
Menfchen, in Folge welcher fie Alles auf fich beziehen und von jedem
Gedanken fogleih in gerader Linie auf fich zurückgehen, liefert Die
Aftrologie, welche den Gang ber großen Weltkörper auf das arm-
felige kr bezieht, wie auch die Kometen am Himmel in Berbindung
bringt mit den irdifchen Händeln und Lumpercien. ‘Dies aber ift zu
allen und ſchon in den älteften Zeiten gefchehen. (P. I, 478.)
(Ueber den Zufammenhang der Aftrologie mit dem Glauben an
Dmina fiehe Aberglaube.)
Aſtronomie.
1) Was die Aſtronomie eigentlich zeigt.
Mechanik und Aſtronomie zeigen uns eigentlich, wie der Wille, der
das Weſen und der Kern der Welt iſt, ſich benimmt fo weit als er, auf
der niedrigften Stufe feiner Erfcheinung, bloß als Schwere, Starr⸗
heit und Trägheit auftritt. (W. II, 337.) Da bie Materie blos
die Wahrnehmbarkeit der Erſcheinungen des Willens ift, fo hat nıan
in jedem Streben, welches aus ber Natur eines materiellen Weſens
hervorgeht und eigentlich diefe Natur ausmacht (alfo aud) in der Gra-
bitation der Himmelsförper), ein Wollen zu erkennen, und es giebt
demnach Feine Materie ohne Willensäußerung. Die niedrigfte und des⸗
halb allgemeinfte Willensäußerung ift die Schwere. (M. 84.)
Aftronomie. 51
2) Woher die Sicherheit und Berftändlichkeit der
Aftronomie ftammt.
Die Sicherheit der Aftronomie ftamınıt daher, daß ihr die a priori
gegebene, alfo umnfehlbare Anſchauung des Raumes zum Grunde
liegt, alle räumlichen Berhältniffe aber eines aus dem andern, mit
einer Nothwendigkeit, welche Gewißheit a priori liefert, folgen und
fi daher mit Sicherheit aus einander ableiten laſſen. Zu biefen
mathematifchen Beftimmungen kommt bier nur noch eine einzige Natur⸗
kaft, die Schwere, welche genau im Berhältniß der Maſſen und des
Quadrats der Entfernung wirkt, und endlich das a priori geficherte,
weil and dem der Saufalität folgende, Geſetz ber Trägheit (f. Träg-
keit), mebft dem empirifchen Datum der ein fiir alle Mal jeder diefer
Maſſen aufgebridten Bewegung. Dies ift da8 ganze Material ber
Aſtronomie, welches fowohl durch feine Einfachheit als feine Sicherheit
zu feften und, vermöge ber Größe und Wichtigfeit ber Gegenftände,
ihr intereffanten Refultaten führt. (W. I, 79.)
Die Aufgabe, aus vielerlei zufammenwirkenden Naturkräften ge-
gebene Erfcheinungen zu erflären, und ſogar jene erſt aus dieſen heraus⸗
zufinden, ift viel ſchwieriger, als die, welche nur zwei und zwar fo
finple und einförmig wirkende Kräfte, wie Gravitation und Trägheit,
im widerftandslofen Raume, zu berüdfichtigen hat; und gerade auf
dieſer unvergleichlichen Einfachheit ober Aermlichkeit ihres Stoffes beruht
f mathematifche Gewißheit, Sicherheit und Genauigkeit der Aftronomie.
(P. II, 135.)
Die fo genauen und richtig zutreffenden aftronomifchen Berechnungen
find mre dadurch möglich, daß der Raum eigentlich in unferm Kopfe
ft; fie beweifen aljo die Idealität des Raumes. (P. II, 46.)
Vie die größere Sicherheit, fo beruht auch die größere Ver⸗
Händlichfeit der Aftronomie darauf, daß in ihr die apriorifche Form
den empirifchen Gehalt überwiegt. So weit nämlich) bie Dinge rein
apriori beftimmbar find, gehören fie allein der Borftellung an, ber
bisgen Erfcheinung, deren und a priori bewußte Yormen das Princip
der Berftändlichkeit find. ‘Daher hat mau völlige, durdigängige Be-
gaflichleit nur fo lange, ala man fid) ganz auf dieſem Gebiete hält,
mihin bloße Vorftellung, ohne empirischen Gehalt, vor ſich Hat, bloße
sem; alfo in den Wiflenfchaften a priori, in der Arithmetif, Geo-
arie, Phoronomie und in der Logik. Hingegen beginnt die Unver-
fäinblichfeit da, wo wir es nicht mehr mit ber bloßen Form, fonbern
wt dem Was, dem Gehalt, bem Ding an fich, dem Willen,
a ttun haben, und fie wächft in dem Maße, als diefer Höher fleigt
mb die mathematische Berechenbarkeit feiner Aeußerungen abnimmt.
Daher nimmt die Verſtändlichkeit der Naturerfcheinungen in den Maße
», als fie höher auf der Wefenleiter ftehen und ihr empirifcher Gehalt,
ve Billensmanifeftation, das allein a posteriori Erkennbare, über-
wiegt, folglich Urfache md Wirkung immer ungleichartiger umd der
arfale Zufammenhang immer unverftändlicher wird. (N. 86 fg.)
4*
52 Aftronomie.
3) Die bei den aftronomifhen Entdeckungen ftatt-
findende Berftandesoperation.
Keine Willenfhaft imponirt der Menge fo fehr, wie die Aftronomie.
Es erregt Staunen, daß fie fogar noc nicht gejehene Planeten an
kündigt. Und doch beruht Letzteres num auf derfelben Berftandes-
operation, die bei jedem Beſtinmmen einer noch ungefehenen Urfache aus
ihrer ſich fundgebenden Wirkung vollzogen wird und in noch bewun-
derungswitrdigerem Grade ausgeführt wurde durch jenen Weinfenner,
der aus einem Glaſe Wein mit Sicherheit erfannte, es müßte Leber
im Faffe fein, welches ihm abgeleugnet wurde, bis, nach endlicher Aus:
feerung befjelben, fich auf deflen Boden liegend ein Schlüffel mit einem
Riemchen daran fand. Die hierbei und bei der Entdedung bes Neptun
ftattfindende Berftandesoperation ift die felbe, und der Unterfchied liegt
blo8 in der Anwendung, im Gegenftand; fie ift blos durch den Stoff,
keineswegs durch die Form verjchieden. (P. II, 134—136.) |
4) Methode der Aftronomie. |
Der Urfprung der erften aftronomifchen Gruudwahrheiten ift eigent-
ih Induction, d. h. Zufammenfaffung des in vielen Anfchauungen
Gegebenen in ein richtiges unmittelbar begrümdetes Urtheil; aus dieſem
werden nachher Hypotheſen gebildet, deren Beftätigung durch die Er-
fahrung, als der Volftändigfeit fi) nähernde Induction, den Beweis.
für jene8 erfte Urtheil giebt. 3. B. die fcheinbare Bewegung der
Planeten ift empiriſch erfannt; nach vielen falfchen Hypotheſen über
den räumlichen Zufammenhang diefer Bewegung (Planetenbahn) ward
endlich die richtige gefunden, fodann die Gelee, welche fie befolgt (bie
Kepleriſchen), zulegt auch die Urfache derſelben (allgemeine Gravitation),
und ſämmtlichen Hypotheſen gab die empirisch erfanute Webereinftim-
mung aller vorkommenden Fälle mit ihnen und mit den Folgerungen
aus ihnen, alfo Induction, volllommene Gewißheit. (W. I, 79 fg.)
5) Die Aftronomie, vom Standpunkt der Philofophie
aus betradıtet. Ä
Bom Standpunkt der Philofophie aus könnte man die Aftronomen
Leuten vergleichen, weldye der Aufführung einer großen Oper beimohnen,
jedoch ohne ſich durch die Muſik oder den Inhalt des Stückes zerftreuen
zu laſſen, blos Acht güben auf die Maſchinerie der Decorationen und
and; jo glüdlic wären, das Getriebe und den Zufammenhang berfelben
vollkommen herauszubringen. (P. II, 136. 685.) |
6) Einfluß der Aftronomie auf den Glauben.
Der ernſtlich gemeinte Theismus fegt nothwendig voraus, daß man
die Welt eintheile in Himmel und Erde; auf dieſer laufen die
Dienfchen herum, in jenem figt der Gott, der fie vegiert. Nimmt
nun die Aftronomie den Himmel weg, fo hat fie den Gott mit weg—
genommen; fie hat nämlich, die Welt fo ausgedehnt, daß flir den Gott
fein Raum übrig bleibt. Uber ein perfünliches Weſen, wie jeder Gott
unumgänglich ift, das feinen Ort hätte, fondern überall und nirgends
wäre, läßt fich blos fagen, nicht imaginiren und darum nicht glauben.
&
Atheismus — Ahmen 53
Darm muß in dem Maaße, ala die phyſiſche Aſtrononie popularifirt
wird, der Theismus ſchwinden. (P. I, 55 fg.)
Atheismus,
1) Ueber das Wort „Atheismus“.
Tas Wort Atheismus enthält eine Erſchleichung, weil es vor⸗
weg den Theismus als ſich von felbft verftehend annimmt. Dean follte
fatt Deſſen ſagen: Nichtjudenthum, und ftatt Atheiſt: Nichtjude;
jo wäre e8 ehrlich geredet. (G. 129; P. I, 124.)
2) Was dem Vorwurf bes Atheismus Kraft ertheilt.
Hinter dem an ſich abgeſchmackten, auch meiftens boshaften Vorwurf
des Atheismus liegt, als feine innere Bedeutung und ihm Kraft
atheilende Wahrheit, ber dunkle Begriff des auf den Thron der Meta⸗
phyſik gefeßten Naturalismus oder der abfoluten Phyſik. Eine
ode müßte allerdings für die Ethik zerftörend fein, als welche, wenn
auch nit von Theismus, doch von einer Metaphyſik über—
haupt, d. 5. von der Erfenntniß, daß die Ordnung der Natur nicht
re einzige und abfolute Ordnung der Dinge fei, ungertrenulich ift.
B. II, 194.)
3) Atheismus ift nicht nothwendig Materialismus,
28 auf Kant beftand ein Dilemma zwifchen Materialismus und
Theiomus, d. 5. zwifchen Ableitung der Welt aus blindem Zufall und
Ableiting derfelben aus einer von Außen zwedinäßig orbnenden In⸗
telligen. Daher war Atheismus und Materialismus gleid)-
bedeutend. Man batte nur die Wahl zwifchen Theismus und Ma-
terialismus. Aber da für die Zwedmäßigfeit der Welt (nad) Kant's
Kritih) eine andere Erklärung eröffnet ift, als die aus einem intelligenten
Fott (j. Teleologie), fo hat jenes Dilemma zwifchen Materialismus
und Theismus feine Gültigkeit verloren und Atheismus fehließt nicht
utiiwendig Materialismus ein. (W. I, 608 fg.)
4) Atheismus ift nicht gleichbedeutend mit Religions—
lofigkeit.
Religion ift nicht identifch mit Theismus, folglich iſt Atheismus
aicht gleichbedeutend mit Religionslofigkeit. Dies beweifen die factifch
cifirenden atheiftifchen Religionen, ber Brahmanismus, Buddhais-
rus und neben dem Buddhaismus die beiden andern fich in China
keimuptenden Religionen: die der Taoſſee und die des Konfuzius.
Kefigion und Theismus find keineswegs ſynonym, ſondern erftere ver⸗
kl fh zu Teßterem, wie das Genus zu einer einzigen Species.
® 125—129. P. I, 126.)
Ahmen.
1) Ob das Athemholen zu den willkürlichen oder un—
willkürlichen Bewegungen gehöre.
Man könnte verſucht werden, das Athemholen als ein Mittelglied
when den willkürlichen, d. h auf Motiv, und den unwillkür—
lichen, d. h. auf Heiz erfolgenden Bewegungen anzufehen. Marjhall
54 Ahmen
Hall erklärt es für eine gemifchte Yunction, da c8 unter dem Cinfluß
theils der Cerebral⸗ (willfürlichen), theils der Spinal- (unwillfürlichen)
Nerven ſteht. Indeſſen müſſen wir es zulegt doch den auf Motiv
erfolgenden Willensäußerungen beizählen, denn andere Motive, d. 5. bloße
Borftellungen, können den Willen beftimmen, es zu hemmen ober zu
beſchleunigen, und e8 hat, wie jede andere willfürliche Handlung, den
Schein, daß man es ganz unterlaffen könnte und frei erftiden. Diet
fünnte man auch in der That, fobald irgend ein anderes Motiv ben
Willen fo ſtark beftinmite, daß es da8 dringende Bedürfniß nach Luft
überwöge. Einige follen wirklich auf diefe Weife ihrem Leben ein
Ende gemacht haben. Für das menigftens theilweife Bedingtfein des
Athmens durch cerebrale Thätigkeit fpricht die Thatfache, dag Blau-
ſäure zunächft dadurch töbtet, daR fie das Gehirn lähmt und fo mittel:
bar das Athınen hemmt; wird aber diefes Fünftlich unterhalten, bis
jene Betäubung des Gehirns vorüber ift, fo tritt gar Fein Tod ein.
(W. I, 138 fg.)
2) Erklärung bes Abnehmens der KRefpiration im
Schlafe und bei geiftiger Anftrengung.
Daß die Refpiration im Schlafe abnimmt, ift daraus zu erflären,
daß fie eine combinirte Function ift, d. 5. zum Xheil von Spinal-
nerven ausgeht und ſoweit Reflexrbewegung ift, die als ſolche auch im
Schlafe fortdauert, zum Theil aber von Oehirnnerven ausgeht und da
ber von der Willkür unterftügt wird, deren Pauſiren im Schlafe bi:
Reipiration verlangfamt und auch das Schnarchen veranlaft. Aus
diefem Antheil der Gehirnnerven an der Xefpiration ift e8 auch zu
erflären, daß, bei Sammlung ber Gehirnthätigkeit zum angeftrengten
Nachdenten ober Leſen, die Refpiration leifer und langſamer mir.
P. DO, 177.)
3) Der Athmungsproceß als erfter Anfnüpfungspunfi
des Lebens des thierifhen Organismus an bie
Außenwelt.
Man würde den lebenden thierifchen Organismus anfehen können al
eine ohne äußere Urfache ſich bewegende Mafchine, als eine Reih
bon Bewegungen ohne Anfang, eine Kette von Urfachen und Wirkungen
deren Feine die erfte wäre, wenn da8 Leben feinen Gang gienge, ohn
an die Außenwelt anzufnüpfen. Wber diefer Anknüpfungspunkt ift dei
Ahmungsproceh; er ift das nächfte und weſentlichſte Verbindungs
glied mit der Außenwelt und giebt den erften Anftoß. Daher muß di
Dewegung des Lebens als von ihm ausgehend und er ald das erſt
Stied der Caufalfette gedacht werden. Demnach tritt als erſter Im
puls, alſo als erfte Aufere Urfache des Lebens, ein wenig Luft a
welche, eindringend und orybirend, fernere Proceſſe einleitet und fo da
Leben zur Bolge hat. Was num aber diefer äußern Urſache v
Innen entgegen kommt, giebt fi fund als Heftiges Verlangen, i
unaufhaltfamer Drang, zu athuen, alfo unmittelbar als Wi
(®. II, 178.)
tom 55
Alom. Atomiftik.
1) Die Annahme der Atome ift Feine nothwendige.
Kant's, freilich nur zu dialektifchen Behuf aufgeftellte, die Atome
vertheidigende Theſis der zweiten Antinomie ift ein bloßes Sophisma
vergl. Antinomien), und keineswegs leitet unfer Verſtand felbft uns
nothwendig auf die Annahıne von Atomen hin. Dem, fo wenig wir
genötfigt find, die vor unfern Augen vorgehenbe ftetige und gleich
förmige Bewegung eines Körpers uns zu denken als beftehend aus
amzähligen abfolut fchnellen, aber abgefesten und durch eben fo viele
abjolnt kurze Zeitpunkte der Ruhe unterbrochene Bewegungen; ebenfo
wenig find wir genöthigt, und bie Mafje eines Körpers als aus
Atomen und deren Zwilchenräumen, d. h. dem abfolut Dichten und
dem abfolut Leeren beftehend zu denken; fondern wir faflen, ohne
Schwierigkeit, jene beiden Erfcheinungen als ftetige Continua auf, deren
emes die Zeit, das andere ben Raum gleihmäßig erfüllt. Wie
aber dabei dennoch eine Bewegung fchneller als bie andere fein,
d. 5. in gleicher Zeit mehr Raum durchlaufen kann, fo kann auch ein
Körper fpecififch ſchwerer als ber andere fein, d. h. in gleichem
Ranme mehr Materie enthalten. Der Unterfchieb beruht nämlich in
beiden Fällen auf ber Imtenfität der wirkenden Kraft. — Aber fogar,
wem man die Hier aufgeftellte Analogie nicht gelten laſſen, fondern
daranf beftehen wollte, daß die Verfchiedenheit des fpecififchen Gerichts
ihren Grund ſtets nur in der Porofität haben Fönne, jo wiirde diefe
Annahme noch immer nicht auf Atome, fondern blos auf eine völlig
dichte und in den verfchiedenen Körpern ungleich vertheilte Materie
keiten, die daher ba, wo feine Boren mehr hindurchſetzten, zwar ſchlech⸗
terdings nicht weiter comprimabel wäre, aber dennoch ftets, wie der
Raum, den fie füllt, ins Unendliche theilbar bliebe, weil darin,
daß fie ohne Poren wäre, gar nicht Tiegt, daß Feine mögliche
Kraft die Contimität ihrer räumlichen Theile aufzuheben vermöchte.
W. II, 344 fg.)
Die Atome find Fein notwendiger Gedanke der Vernunft, fondern
bloß eine Hypotheſe zur Erflärung der Verſchiedenheit des fpecifilchen
Gewichts der Körper. Daß wir aber auch dieſes anderweitig und
jogar beffer und einfacher als durch Atomiftil erklären können, hat
Kaut in der Dynamik feiner „Metaphufiichen Anfangsgründe zur
Raturwifienfchaft”, vor ihm jedoch Prieftley gezeigt. a, ſchon um
Iriftoteles ift der Grundgedanke davon zu finden. (W. I, 590.)
In Deutſchland hat Kant's Lehre den Abfurbitäten der Atomiftif und
der durchweg mechanijchen Phyſik auf die Dauer vorgebeugt, wenngleich
m gegenwärtigen Augenblid dieſe Anfichten auch hier grajfiren.
®. U, 343.) Im Wahrheit find die Atome eine fire Idee der fran⸗
öfifcden Gelehrten, daher diefe von ihnen reden, als hätten fie fie ger
ihen. Daß aber eine fo empirisch gefinnte Nation, wie die Sranzofen,
ſo ft an einer völlig transfcendenten, alle Möglichkeit der
Erfahrungen überfliegenden Hypothefe halten Tann, ift eine Folge des
56 Atom
bei ihnen zuridgeblichenen Zuftandes der Metaphyſik. (W. I, 343;
P. Ii, 117.
Das am ift ohne Realität — dies ift eines PBrädica-
bilien a priori der Materie. (W. II, 55, Tafel der Praedicabilia
a priori der Materie Nr. 24.)
2) Die chemiſchen Atome find nicht im eigentliden
Sinne Atome.
Die chemifchen Atome find bloß der Ausdrud der beftändigen feften
Berhältniffe, in denen die Stoffe fi) mit einander verbinden, welchem
Ansdrud, da er in Zahlen gegeben werden mußte, man eine belichig
angenommene Einheit, da8 Gewicht des Quantums Orygen, mit dem
ſich jeder Stoff verbindet, zu Grunde gelegt hat; für diefe Gewichts⸗
verhältniffe hat man aber, höchſt unglitdlicher Weife, den alten Aus-
drud Atom gewählt, und hieraus ift unter den Händen der franzö-
fifchen Chemiker eine crafle Atomiſtik erwachſen, welde die Sache
ala Ernft nimmt, jene bloßen Rechenpfennige als wirkliche Atome
bypoftafirt und nun von dent Arrangement derfelben in einem Körper
fo, im andern anders, redet, um daraus deren Dualitäten und Ber-
fchiedenheiten zu erflären, ohne irgend eine Ahndung von der Abjurbität
der Sache zu haben. (P. II, 117.)
Wenn die chemifchen Atome im eigentlichen Sinn, alfo objectiv und
als veal verftanden werden; fo giebt e8 im runde gar feine eigent«
fiche chemifche Verbindung mehr, fondern eine jebe läuft zuriid auf ein
fehr feines Gemenge verfchiedener und ewig gejchieden bleibender Atome,
während der eigenthlimliche Charakter einer chemifchen Verbindung
gerade darin befteht, daß ihr Product ein durchaus homogener Körper
fei, d. 5. ein folcher, in welchem fein felbft unendlich Meiner Theil an-
getroffen werden Tann, der nicht beide verbundene Subftanzen enthielte.
(P. I, 120.) Bei der Zurüdführung der chemifchen Verbindungen
auf fehr feine Atomengemenge findet freilich die Manie und fire Idee
der Tranzofen, Alles auf mecdhanifche Hergänge zurüdzuflihren, ihre
Rechnung, aber nicht die Wahrheit. (P. II, 121.)
3) Widerlegung der auß der PBorofität gefhöpften Ber:
theidigung der Atome.
Die Bertheidigung der Atome ließe fi) dadurch führen, daß man
von ber Porofität ausgienge und etwa fagte: alle Körper haben Poren,
alſo auch alle Theile eines Körpers; gienge es nun hiermit ins Unenb-
liche fort, jo mürde von einem Körper zulegt nichts als Poren übrig
bleiben. — Die Widerlegung wäre, daß das übrig Bleibende zwar ale
ohne Poren und infofern als abfolut dicht anzunehmen ſei; jedoch darum
noch nicht als aus abjolut untheilbaren Partikeln, Atomen, beftehend.
Demnach wäre es wohl abfolut intompreffibel, aber nicht abfolut nn-
teilbar; man müßte denn die Theilung eines Körpers als allein durch
Eindringen in feine Poren möglid, behaupten wollen, was aber ganz
unerwiefen if. Nimmt man es jedoch an, fo hat man zwar Atome,
d. 5. abjolut untheilbare Körper, alſo Körper von fo flarker Cohäſion
Attractions- und Repulſionskraft — Auge 57
ihrer rämmlichen Theile, daß keine mögliche Gewalt fie trennen lann;
folde Lörper aber kam man alsdann fo gut groß, wie Hein annehmen,
und ein Atom Tönnte fo groß fein wie ein Ochs, wenn es nur jedem
möglichen Angriff wiberftände (28. II, 345.)
4) Bie Atome, wenn e8 welde gäbe, befchaffen fein
müßten.
Era Atom wäre nicht etwa blos ein Stüd Materie ohne alle Boren,
ſondern, dba es untheilbar fein muß, entweder ohne Ausdehnung
(dann wäre es aber nicht Materie), oder mit abfoluter, d. 5. jeder
möglihen Gewalt überlegener Cohäfion feiner Xheile begabt.
(P. I, 120.)
Bern es Atome gäbe, müßten fie unterſchiedslos und eigen-
ſchaftslos fein, aljo nicht Atome Schwefel und Atome Eifen u. f. w.,
jondern blos Atome Materie; weil die Unterfchiede die Einfachheit auf-
heben, z. B. das Atom Eiſen irgend etwas enthalten müßte, was dem
Atom Schwefel fehlt, demnach nicht einfach, fondern zufammengefegt
wire. Wenn überhaupt Atome möglich, fo ſind fie nur als bie legten
Beftandtheile der abjoluten oder abftracten Materie, nicht aber der
beftummten Stoffe denkbar. (P. U, 121.)
Altractions- und Repulfionskraft.
Die Raumerfüllung — diefe mechanische Wirfungsart des Kör⸗
vas, bie allen Körpern als ſolchen zufommt und daher nicht weg⸗
gebacht werden kann, ohne ben Begriff des Körpers aufzuheben — ift
von Kant richtig zerlegt worden in Attractions⸗ und Repulſionskraft.
Beide Kräfte im Verein ftellen den Körper innerhalb feiner Gränzen,
d. h. in beſtimmtem Bolumen dar, während die eine allein ihn ins
Unendliche zerftreuend auflöfen, die andere allein ihn in einen Puntt
contrahiren würde. Diefes gegenfeitigen Balancemente, oder Neutrali-
ietion, ungeachtet wirft der Körper noch repellivend auf andere Körper,
de ihm den Raum ftreitig machen, und attrahivend auf alle Körper
überhaupt, in der Gravitation. Daß Undurchdringlichkeit und Schwere
waflich genau zufammenbängen, bezeugt, obwohl wir fie in Gedanken
nennen Eönnen, ihre empirische Unzertrennlichkeit, indem nie eine ohne
de andere auftritt. (W. II, 56.)
Autoritäten, ſ. Citate.
Auföfung, chemiſche, ſ. Chemie.
1
1) Das, Auge als Ausgangspunkt der Anſchauung.
Unter allen Sinnen iſt das Geficht ber feinſten und mannichfaltigſten
Eindrüce von außen fähig; dennoch kann es an fi bloß Empfin-
tung geben, welche erft durch Anwendung des Verſtandes auf diefelbe
am Anfhauung wird. (Vergl. unter Anfchauung: Intellectwalität
ver Anſchauung) Könnte Jemand, der. vor einer jchönen, weiten
Ansicht fteht, auf einen Augenblic alles Berftandes beraubt werben,
58 Ange
fo würde ihm von der ganzen Ausficht nichts übrig bleiben, als
die Empfindung einer fehr miannichfaltigen Affection feiner Retina,
den vielerlei Warbenfleden auf einer Malerpalette ähulih, — welde
gleichſam der rohe Stoff ift, aus welchem vorhin fein Verſtand jene
Auſchauung ſchuf. Das Kind in den erften Wochen feines Lebens
empfindet mit allen Sinnen, aber es ſchaut nicht au, es apprehendirt
nicht, daher ftarrt e8 dumm in die Welt hinein.
Das Kind muß die Anſchauung erft erlernen, inden es die von
dem Auge gelieferten Data mittelft des Verftandes als Wirkungen auf-
foßt und auf ihre Urſachen zurückbezieht. Das erfte zur Erlernung
der Anfchauung Weſentliche ift das Aufrechtfehen der Gegenftände,
während ihr Eindrud im Auge ein verfehrter iſt. Das zweite ift, daß
das Kind, obwohl es mit zwei Augen fieht, deren jedes ein fogenanntes
Bild des Gegenftandes erhält, und zwar fo, daß die Richtung vom
felbigen Punkte des Gegenſtandes zu jedem Auge eine andere ift, ben-
noch nur einen Gegenſtand fehen lernt.
Die Sinne find blos die Ausgangspunfte der Anfchauung der
Welt. Ihre Modificationen find daher vor aller Anfchauung gegeben,
als bloße Empfindungen, find die Data, aus denen erft im Berftaube
die erkemende Anſchauung wird. Zu biefen gehört ganz vorzüglich der
Eindrud des Lichts auf das Auge und demmächft die Farbe, als eine
Modification diefes Eindruds. Diefe find alfo die Affection bes
Auges, find die Wirkung felbft, welche da ift, auch ohne daß fie auf
eine Urfache bezogen werde. Das neugeborene Kind empfindet Licht
und Farbe. Verwandelt der Berftand die Empfindung in Anfchauung,
dann wird freilich diefe Wirkung anf ihre Urfache bezogen und über⸗
tragen und dem einwirkenden Körper Licht oder Farbe als Qualitäten
beigelegt. (5. Cap. 1. ©. $. 21, ©. 58 ff.)
2) Das Auge in phyfiologifcher Hinficht.
Die Sinme find blos die Ausläufe des Gehirns, durch welche es
von Außen den Stoff (in Geftalt der Empfindung) empfängt, ben e8 zur
anfchaulihen Borftellung verarbeitet. ‘Diejenigen Empfindungen nun,
welche Hauptfächlich zur objectiven Auffaflung der Außenwelt dienen
jollten, mußten an fich felbft weder angenehm nod) unangenehm fein,
d. 5. den Willen nicht berühren, da fonft die Empfindung felbft
unfere Aufmerkſamkeit feſſeln und uns hindern würde, von ihr ale
Wirkung fogleich zur Urfache überzugehen. Demgemäß find auch die
Empfindungen der beiden edlern Sinne (des Gefihts und Gehörs), die
Varben und Töne, an fich felbft und fo lange ihr Eindrud das normale
Maß nicht überfchreitet, weber fchmerzliche nod) angenehme Empfin-
dungen, fondern treten mit derjenigen Gleichgültigkeit auf, die fie zum
Stoff rein objectiver Anfchauungen eignet. Phyſiologiſch beruht dies
darauf, dag in den Organen ber edlern Sinne diejenigen Nerven, welche
den fpecififchen äußern Eindrud aufzunehmen haben, gar feiner Empfin-
dung von Schmerz fähig find, fordern keine andere Empfindung, ale
die ihnen fpecififch eigenthüümliche, der bloßen Wahrnehmung dienende,
Auge ‚59
fernen. Demnad) ift die Retina, wie auch der optifche Nero, gegen
jede Berlegung unempfindlich, und eben fo ift es der Gehörnerd; in
beiden Organen wird Schmerz nur in den übrigen heilen berfelben,
ben Umgebungen des ihnen eigenthüümlichen Sinmesnerven, empfunden,
nie in biefem felbft; beim Auge hauptſächlich in der Conjunctiva, beim
Ohr im meatus auditorius, Alſo nur vermöge diefer ihnen eigen-
thümlichen Gleichgültigfeit in Bezug auf den Willen werben bie
Empfindungen des Auges gefchict, dem Berftande bie jo mannichfaltigen
und fo fein nüancirten Data zu liefern, aus denen er bie objective
Belt aufbaut. (W. II, 30 fg.)
3) Das Auge in phyfiognomifcher Hinficht.
Siel befier, als aus ben Geften und Bewegungen, find aus dem
Antlig, vor allem aus dem Auge, bie geiftigen Eigenfchaften eines
Menfchen zu erfennen, vom Fleinen, trüben, mattblidenden Schweins-
ange an, durch alle Zwifchenftufen, bis zum ſtrahlenden und bligenden
Auge de8 Genies hinauf. — Der Blid der Klugheit, felbft der
feinften, tft von bem der Genialität dadurch verfchieden, daß er das
Geproge des Willensbienftes trägt; der andere hingegen davon frei ift.
$. I, 676.)
In der Kindheit liegt unfer ganzes Dafein viel mehr im Erkennen,
als im Wollen, welcher Zuftand zudem noch von Außen durch bie
Renheit aller Gegenftände unterftügt wird. Daher Liegt bie Welt, im
Morgenglanze bes Lebens, fo frifch, fo zamberifch fchimmernd, fo an-
jiehend dor und. Die Fleinen Begierden, ſchwanlenden Neigungen und
geringfügigen Sorgen ber Kindheit find gegen jenes Vorwalten der
ertennenben Thätigfeit nur ein ſchwaches Gegengewicht. Der unſchul—
dige und Flare Blid der Kinder, an dem wir und erquiden und ber
bisweilen im einzelnen den erhabenen contemplativen Ausdrud, mit
welchem Raphael feine Engelsköpfe verherrlicht Hat, erreicht, ift aus
dem Geſagten erklärlich. (W. I, 450; P. I, 509.)
Benngleid das Moralifche ſchwerer aus der Phyfiognomie zu erken⸗
nen ift, als das Intellectuelle, fo drüdt fich doch auch Jenes in ihr
aus. Schlechte Gedanken und nichtswürdige Beitrebungen drüden all»
mälig dem Antlig ihre Spuren ein, zumal dem Auge. (P. I, 677.)
An den Ansdrud des Blides Tann man trog aller fonftigen Ber-
änderungen der {Form des Leibes auch nach vielen Jahren noch einen
Menſchen wiedererfennen, weiches beweilt, daß troß aller Veränderungen,
die am ihm die Zeit hervorbringt, doch etwas in ihm davon völlig un«
berührt bleibt, der Kern feines Weſens. (W. II, 269.)
In den Mienen der auf Gemälden bargeftellten Heiligen, befon-
ders den Augen, fehen wir ben Ausdruck, den Wieberfchein der voll«
lemmenſten Erkenntniß, derjenigen nämlich, welche nicht auf einzelne
Dinge gerichtet ift, fondern die Idee, alfo das ganze Weſen der Welt
und des Lebens volllommen aufgefaßt hat und zur Reſignation führt.
®. I, 274 fg.)
60 Augenbid — Außenwelt
Augenblick.
Jeder Augenblic ift bedingt durch den vorhergegangenen und iſt nur,
fofern diefer aufgehört hat zu fein, — dieſes Geſetz der Folge gehört
zu den Prädicabilien a priori der Zeit. Auf ihm beruht alles
Zählen, folglich bie ganze Arithmetik. (W. II, 55, Tafel der
Praedicabilia a priori der Zeit, Nr. 26 und ©. 133. Bergl. auch
Arithmetif.)
Ausdehnung, |. Materie.
Außenwelt.
1) Idealität der Außenwelt.
So unermeßlich und maffiv die Außenwelt aud) fein mag, fo hängt
ihr Dafein doch an einem einzigen Fädchen, und diefes ift das jedes⸗
malige Bemwußtfein, in welchem fie daftcht. Diefe Bedingung, mit
welcher das Dafein der Welt unwiderruflich behaftet ift, drüdt ihr,
trog aller empirifchen Realität, den Stempel ber Idealität und
fonit der bloßen Erfcheinung auf, wodurch fie, wenigftens von einer
Geite, ald dem Traum verwandt, ja, al8 in bie felbe Elaffe mit ihm
zu feßen, erfannt werden muß. ‘Denn bie felbe Gehirnfunction, welche
während bes Schlafes eine vollkommen objective, anfchauliche, ja hand⸗
greifliche Welt bervorzaubert, muß eben fo viel Antheil an der Dar:
ftellung der objectiven Welt des Wachens haben. Beide Welten nämlich
find, wenn auch durch ihre Materie verfchieden, doch offenbar aus
Einer Form gegoffen. Diefe Form ift der Intellect, die Gehirnfunction.
(®. I, 17—21; II, 4.)
2) Die transfcendentale Idealität hebt nicht die empi-
rifche, fondern nur die abfolute Realität der Außen-
welt auf.
Bei aller transfcendentalen Mealität behält die objective Welt
empirifche Realität; das Object ift zwar nicht Ding an fi), aber
es ift als empirifches Object real. Zwar ift ber Raum nur in meinem
Kopf, aber empiriſch ift mein Kopf im Raum. Das Caufalitäts-
geſetz kann zwar nimmermehr dienen, den Idealismus zu befeitigen,
indem es nämlich zwifchen den Dingen an fid) und unferer Erkenntniß
von ihnen eine Brücke bildete und fonach der in Folge feiner Anwen⸗
dung fich darftellenden Welt abfolute Realität zuficherte; allein Dies
hebt Teineswegs das Gaufalitätsverhältnig der Objecte unter ein—
ander, alfo aud nicht Das auf, welches zwifchen dem eigenen Leibe
jedes Erkennenden und ben übrigen materiellen Objecten unftreitig Statt
bat. Aber das Caufalitätsgefeg verbindet blos die Erfcheinungen,
führt Hingegen nicht über fle hinaus. Wir find und bleiben mit dem-
jelben in ber Welt der Objecte, d. h. der Erfcheinungen, aljo eigentlich
der Borftellungen. (W. II, 22.)
Nichts wird fo anhaltend mißverfianden als der Idealismus, in-
dem er dahin auögelegt wird, daß er die empirifche Realität der
Außenwelt leugne. Der wahre Zbealisinus (d. i. der transfcendentale)
Außerzeitlich — Ausſicht 61
fügt die empiriſche Realität der Welt unangetaftet, hält aber feſt,
baf alles Object, alfo das empirisch Reale überhaupt, durch das
Subert zweifach bedingt ift: erftlich materiell oder als Dbject über:
haupt, weil ein objectives Daſein als folches nur einem Subject gegen-
über md als deſſen Vorſtellung denkbar ift; zweitens formelt, indem
de Art und Weiſe der Eriftenz des Objects, d. h. des Vorgeftellt-
nerdens (Raum, Zeit, Caufalität), vom Subject ausgeht, im Subject
prädisponirt if. (W. II, 8fg.) Der transfcendentale Idealismus
macht alſo der vorliegenden Welt ihre empirifhe Realität durch—
aus nicht ftreitig, fondern befagt nur, daß diefe feine unbedingte fei,
indem ſie unfere Gehirnfunctionen zur Bedingung hat; daß mithin
S empiriſche Realität felbit nur die Realität einer Erf heinung ſei.
P. I, 90.)
3) Wahrer Sinn ber Frage nad der Realität ber
Außenwelt.
Der wahre Sinn der Trage nad) der Realität der Außenwelt,
welche die Philoſophen fo anhaltend beſchaftigt hat, ift dieſer: Was ift
dieſe anfchauliche Welt noch außerdem, daß fle meine Borftellung ift?
of fie, deren ih mir nur einmal und zwar als Vorftellung bewußt
bin, ift fie, wie mein eigener Leib, deſſen ich mir doppelt (nänılich
als VBorftellung und Wille) bewußt bin, ebenfalls einerſeits Vorſtel⸗
lung, andererſeits Wille? (W. I, 21 fg.)
Außerzeitlid, |. Ewigfeit.
Ansficht, fchöne.
1) Berfchiedenheit des Bildes der felben Ausſicht in
verſchiedenen Köpfen.
Vermöge der ntellectuafität der Anfchauung (f. unter Anfchauung:
Jutellectualität der Anfhauung) ift auch der Anblid ſchöner Gegen⸗
Hände, 3. B. einer ſchönen Ausficht, ein Gehirnphänomen. Die
Keinheit und Vollkommenheit defjelben hängt daher nicht blos von:
Object ab, ſondern aud von der Befchaffenheit des Gehirns, nämlich
von der Form und Größe deffelben, von der Feinheit feiner Textur
md bon ber Belebung feiner Thätigkeit dich die Energie des Pulfes
der Gehirnadern. Demnach fällt gewiß das Bild der felben Ausficht
in verfchiedenen Köpfen, auch bei gleicher Schärfe ihrer Augen, fo ver⸗
Ihieden aus, wie etwa ber erfte und letzte Abdruck einer ſtark ge-
brauchten Rupferpfatte. Hierauf beruht die große Verfchiedenheit der
Fähigkeit zum Genufje der fchönen Natur und folglich auch zum Nach⸗
bilden derfelben durch die Kımfl. (W. II, 29.)
2) Birkung der ſchönen Ausſicht auf den Geift.
Der Anblid der fchönen Natur wirkt durch das Harmonifche ihres
Eindruds läuternd auf unfer gefammtes Denken. Cine jchöne usficht
if daher ein Kathartifon des Geiftes, wie die Muſil, nad) Ariftoteles,
des Gemüths, und in ihrer Gegenwart wird man am richtigften denfen.
(®. U, 459 fg.)
62 Antobiograpfie — Bebdingen
Autobiographie, |. Biographie.
Ariom.
Ein Sag von unmittelbarer Gewißheit ift ein Axiom. Nur bie
Srundfäge der Logik und die aus der Anſchauung a priori gefchöpften
der Mathematik, endlich auch das Gefeß der Cauſalität, haben unmit-
telbare Gewißheit. (WW. II, 132.)
B.
art.
1) Wirkende und Endurſache des Bartes.
Die wirkende Urſache des Bartes iſt, daß überall, wo die Schleim⸗
baut in die äußere Haut übergeht, Haare in der Nähe wachſen. Die
Endurfadhe ift vermuthlich diefe, daß das Pathognomifche, alſo bie
jede innere Bewegung des Gemüths verrathende fchnelle Aenderung ber
Geſichtszüge, hauptfählih am Munde und defjen Umgebung fichtbar
wird; um daher diefe, al® eine bei Unterhandlungen ober bei plößlichen
Borfällen oft gefährliche dem Späherblid des Gegenparts zu entziehen,
gab die Natur dem Manne den Bart. Hingegen Tonnte deſſelben das
Weib entrathen, da ihr bie Verftellung und Selbftbemeifterung an-
geboren if. (W. II, 383.)
2) Der Bart als Barometer der Eultur.
Das Tragen langer Bärte ift ein Symptom überhand nehmender
Nohheit, ein Zeichen, dak man die Masculinität, die man wit den
Thieren gemein hat, der Humanität vorzieft. Das Abſcheeren ber
Bärte in allen Hochgebildeten Zeitaltern ift aus dem entgegengejeßten
Streben hervorgegangen. Die Bartlänge hat ſtets mit der Barbarei,
an die ſchon ihr Name erinnert, gleichen Schritt gehalten. Dem
Menfhen im Naturzuftande ift der Bart allerdings ganz angemeflen;
eben jo aber dem Menfchen im civilifieten Zuftande die Raſur. Der
Bart giebt durch Vergrößerung und Hervorhebung des thierifchen Theiles
des Gefichts ein brutales Anſehen. Zudem ift alles Behaartfein
thieriſch. Als Geſchlechtsabzeichen mitten im Geſicht ift der Bart
obſcön. (P. I, 189 fg.; I, 482.)
Baf, |. Muſil.
Baukunſt, |. Arditectur.
Bedingen.
Das Wort „bedingen” tft abftracter und unbeftimmter, ald „bewirken“
oder „verurſachen“; erfteres befagt weniger, als Iegteres, nämlich:
„wicht ohne Dieſes“, während letzteres befagt: „durch Diefes”.
Da nun die modernen deutſchen Schriftfteller den abftracteren Aus:
Bedlirfniffe — Befriedigung 63
dend überall dem concreteren, die Sache der Anfchaulichleit näher bringen-
den borziehen, fo jegen fie mißbräudjlich ftatt „bewirken“ oder „ver⸗
jeden“ faft überall „bedingen. (P. II, 554.)
bedũrſniſſe.
Richtig und ſchön hat Epikuros die menſchlichen Bedürfniſſe in
drei Claſſen getheilt: erſtlich, die natürlichen und nothwendigen; zweitens,
die natürlichen, jedoch nicht nothwendigen; drittens, die weder natür⸗
lien, noch nothwenbigen.
Die erften find die, welche, wenn nicht befriedigt, Schmerz ver-
nfehen. Folglich) gehört hierher nur Nahrung und Kleidung. Gie
find leicht zu befriedigen. Zur zweiten Claſſe gehört das Bedürfniß
der Gefchlechtsbefriebigung; dieſes zu befriebigen hält fchon fchwerer.
Zur dritten Claſſe gehören die Bebürfnifie des Luxus, der Ueppigkeit,
des Prunkes und Glanzes; fie find endlos und ihre Befriedigung ift
ihr ſchwer. (P. I, 365.)
Sefriedigung.
1) Worin fie befteht.
Befriedigung, Wohlfein, Glück befteht in der Erreichung des Zieles
des Willens und bildet folglich den Gegenfag zu dem durch die Hem⸗
mmg des Willens bewirkten Leiden. (W. I, 365.)
2) Negative Natur aller Befriedigung.
Ale Befriedigung, oder was man gemeinhin Glüd nennt, ift eigent-
ih und wefentlid immer nur negativ und durchaus nie poſitiv.
Denn Wunſch, d. 5. Mangel, ift bie vorberrfchende Bedingung jeder
Befriedigung. Daher kann die Befriedigung oder Beglüdung nie mehr
fein, als die Befreiung von einem Schmerz, einer Noth. Unmittelbar
gegeben ift uns immer nur der Mangel, db. 5. ber Schmerz. Die Be-
friedigung aber und den Genuß können wir nur mittelbar erkennen,
durch Erinnerung an das vorhergegangene Leiden und Entbehren. Daher
fommt e3, daß wir der Güter umb Vortheile, die wir wirflid) befigen,
gar nicht recht inme werben, noch fie ſchätzen, fondern meinen, es müſſe
ebenjo fein. Erſt, nachdem wir fie verloren haben, wird uns ihr Werth
fühlbar; denn der Mangel, das Entbehren, das Leiden ift das Pofitive,
id nmmittelbar Ankündigende. (W. I, 376fg. II, 667. €. 210.)
3) Unerreihbarkfeit bauernber Befriedigung.
Keine Befriedigung ift dauernd, vielmehr ift jede ſtets nur der An-
feng eines neuen Strebens. (W. I, 365.) Weil alles Glück nur
megativer, nicht pofltiver Natur ift, kann e8 eben deshalb nicht dauernde
Befriedigung und Beglüdung fein, fondern immer nur von einem
Schmerz oder Mangel erlöfen, auf welchen entweber ein neuer Schmerz
oder auch languor, leeres Sehnen und Langeweile folgen muß. Dies
findet einen Beleg auch in jenem treuen Spiegel des Wefens der Welt
und des Lebens, in ber Kunft, befonders in der Poeſie. Jede epifche
Ser dramatiſche Dichtung nämlich Tann immer nur ein Ringen,
Streben ımd Kämpfen um Glück, nie aber das bleibende und vollendete
64 Begierde — Begriff
Glück ſelbſt darftelen. Sie führt ihren Helden durd) taufend Schwierig:
feiten und Gefahren zum Ziel; fobald es erreicht ift, läßt fie ſchnell
den Vorhang fallen. Weil ein bleibendes Glück nicht möglich ift, kann
es fein Gegenftand der Kunft fein. (W. I, 377 fg.)
Die Unerreichbarfeit dauernder Befriedigung und die Negativität alles
Glücks findet feine Erffärung darin, daß der Wille, deſſen Objectivation
das Menſchenleben wie ie: Sefdeimung ift, ein Streben ohne Ziel und
ohne Ende if. (W. I, 378.)
Begierde.
1) Begierde als allgemeines Wefen der Naturdinge.
Durch die ganze Schrift über den „Willen in der Natur“ ift nad)
gewiefen, daß Begierde nicht blos den Thieren und Menſchen, fondern
auch den Pflanzen, ja den unorganifchen Körpern zukommt, daß folg⸗
lich Begierde auch da ftattfindet, wo Feine Empfindung und Feine
Erfenntniß ift, Begierde mithin unabhängig ift von Empfindung und
Erleuntniß, und daß dies din die Ausſprüche bedeutender Natur:
forſcher beftätigt wird.
Es ift feineswegs blos zufällig, daß in ben meilten, ja vielleicht
allen Sprachen das Wirken aud) der erfenntniflofen, ja der Leblojen
Körper durch Begehren oder Wollen ausgedrüdt wird, Es zeigt
fi) darin die tiefe Weisheit der Sprache. Auch iſt e8 entjchieden nicht,
als blos bildficher Ausdrud, wenn bie mobernen Chemiler von der
Begierde ber Stoffe, fi) mit einander zu verbinden, ſprechen. Es be
ruht diefer Ausdrud auf dem innig verftandenen unb gefühlten Hergang
des chemifchen Procefles. (N. 95—97.)
Derfchiedene große Männer der alten und neuen Zeit haben richtig
die Begierde, den appetitus, ald das Weſen ber Naturkräfte erfannt.
(Bergl. außer den in der Schrift „über den Willen in ber Natur“
Angeführten noch beſonders W. I, 151; II, 333 fg.)
2) Die Begierde in pfyhologifgger Hinfidt.
Die Begierde wirkt ähnlich wie die Freude; fie macht unüberlegt,
rüdfichtelo8 und veriwegen, — ein Beweis, daß der Wille das Reale und
Effentiale im Menfchen ift, der Intellect bingegen, als das Secundäre,
unter den Einfluß des Willens fteht, da jener feine Function nur jo
lange rein und richtig vollziehen kann, als diefer ſchweigt. (W. UI, 241.)
Begriff.
1. Die Begriffe als eine eigenthümliche Claſſe von
Borftellungen.
Ueber die Begriffe als eine eigenthümliche Claſſe von Borftellungen,
die den Gegenfag bilden zu den anſchaulichen Vorftellungen, und
nur in der Beziehung auf biefe ihr Weſen und ihren Werth haben,
ift oben unter Abftract bereits das Nöthige beigebracht. |
2) Die Degriffsbildung als Function ber Bernunft.
Wie der Verſtand nur eine Function hat: unmittelbare Erkenntniß
des Berhältnifies von Urſach und Wirkung, und dadurd) Organ ber
Begriff 65
iwıgeuung ift (vergl. Anſchauung); fo hat aud die Vernunft
eine danchion: Bildung des Begriffs, und aus dieſer einzigen
erffären ſich alle jene Erfcheinungen, die das Leben des Menfchen von
dem des Thieres unterſcheiden, und auf die Anwendung oder Nict-
Arnendung jener Function beutet fchlechthin Allee, was man überall
und Ioegeit et oder unvernünftig genannt hat. (W.I, 7. 46;
il, 72. ©. 8. 26.
3) Inhalt F Umfang der Begriffe.
Inhalt und Umfang der Begriffe ſtehen in entgegengeſetztem Ver⸗
baltniß, d. h. je mehr unter einem Begriffe gedacht wird, defto weniger
wird im ihm gedacht. Daher bilden die Begriffe eine Stufenfolge,
ase Hierarchie, vom fpeciellften bis zum allgemeinften, an deren unternt
Tube der ſcholaſtiſche Realismus, am obern der Nominalismus beinahe
Recht behält. Denn der fpeciellfte Begriff ift fchon beinahe das In-
ididuum, alſo beinahe real, und der augen einft Begriff, 3. B. das
Zen, beinahe nichts als ein Wort. (W. II, 68.)
4) Begriffsiphären.
Hat man, verjchiedene anjchauliche Gegenftände betrachtend, von jedem
etwas Anderes fallen laſſen, und doch bei allen Daſſelbe übrig behalten,
b iſt dies das genus jener Species. Demnach ift der Begriff eines
‚den genus ber Begriff einer jeden darunter befaßten Specie® nach
Abzug alles defien, was nicht allen Speciebns zulommt. Nun kann
aber jeder mögliche Begriff als ein genus gedadjt werden; darum bat
er sine Sphäre, als welche der Inbegriff alles durch ihn Dent-
baren it. (©. 98 fg.)
Die Sphäre jedes Begriffs hat mit den Sphären anderer etwas
Gemeinſchaftliches, d. h. es wird in ihm zum Theil dafjelbe gedacht,
was in diefen andern, und in diefen wieder zum Theil daflelbe, was
in jenem eritern. Die Darftellung der Begriffsiphären durd) räumliche
Figuren. ift ein überaus glüdlicher Gedanke. Es laſſen fich fogar
priori die möglichen Verhältniſſe der Begriffe in Yiguren darftellen,
ww zwar auf folgende Weife:
1) Die Sphären zweier Begriffe find fi) ganz glei, z. B. der
Begriff der Nothiwenbigfeit und der Folge aus gegebenem Grunde; es
ad Wechſelbegriffe. Solche ftelt dann ein einziger Kreis dar, ber
insohl den einen als den andern bedeutet.
2) Die Sphäre eines Begriffs ſchließt die eines andern ganz ein:
m
Thier N
E&openhauer-Zerilon, I. 5
66 Begriff
3) Eine Sphäre ſchließt zwei ober mehrere ein, die ſich ausjchlie.
und zugleid die Sphäre füllen:
„un —
„en rechter /
v 8. /
⸗
Si
Win: | tel
fpiger \ ftumpfe- -
W. B.
NL r
nn
4) Zwei Sphären ſchließen jede einen Theil der andern ein:
—— N MN
/ INT \
/ fi \
Blume vo |
\ / ,
m _. N 5,24
5) Zwei Sphären liegen in einer dritten, die fie jedoch nicht füllen:
„”
Materie
—
Dieſer letztere Fall gilt von allen Begriffen, deren Sphären nicht
unmittelbare Gemeinſchaft Haben, da immer ein dritter, wenngleich ofi
fehr weiter, beide einfchließen wird. (W. I, 50—52.)
5) Repräfentanten der Begriffe.
Mit dem Begriff ift das Phantasma nicht zu verwechſeln, als
welches eine anfchauliche und vollftändige, alſo einzelne, jeboch nicht
unmittelbar dur Eindruck auf die Sinne hervorgerufene Borftellung
iſt. Auch dann ift das Phantasma vom Begriff zu unterfcheiden,
wenn es als Repräfentant eines Begriffes gebraucht wird. Dies
gefchieht, wenn man die anfchauliche Vorftellung, aus welcher der Be—
griff entfprungen ift, felbft, und zwar biefem entjprechend haben will,
was allemal unmöglich ift; denn 3. B. von Hund überhaupt, Farbe
überhaupt, Zriangel überhaupt, Zahl überhaupt giebt es fein ent-
ſprechendes Phantasma. Man ruft alsdann das Phantasma 3. D,
irgend eine® Hundes von beftinmmter Größe, Form, Farbe u. ſ. m.
hervor, während doch der Begriff, deſſen Repräſentant er ift, alle ſolch
Beftimmungen nicht hat. Man ift ſich daher beim Gebrauch einch
Begriff 67
ſelchen Repräfentanten eines Begriffs immer bewußt, daß er den Be
grfi, ken er repräfentirt, nicht adäquat, jondern voll willlitrlich ange-
mamer Beftimmungen if. (G. 8. 28; W. I, 48.)
6) Begriff und Wort.
En fo wichtiges Werkzeug ber Intelligenz, wie ber Begriff ift,
en offenbar wicht identisch fein mit den Wort, diefem Klang, der
as Sinneseindruck mit der Gegenwart, oder ala Gehörphantasma mit
&r Zeit verflänge.. Dennoch ift der Begriff eine Vorſtellung, deren
teutlihes Bewußtſein und deren Aufbewahrung an das Wort gebunden
it, obwohl er fowohl von dem Worte, an welches er gebunden ift,
os auch von den. Anjchauungen, aus denen er centftanden, völlig
itiden und ganz anderer Natur ift, als diefe Sinneseindrüde.
V. II, 67.)
Tie enge Berbindung des Begriffes mit dem Worte, alſo der Sprache
der Beruunft, beruht im letzten Grunde auf Tolgendem. Unſer
guzes Bewußtfein, mit feiner innern und äußern Wahrnehmung, hat
duchweg die Zeit zur Form. Die Begriffe, als völlig allgemeine
Scrtellimgen, haben in dieſer Eigenfchaft ein feiner Zeitreihe ange-
förendes Dafein. Daher müſſen fie, um in bie unmittelbare Gegen⸗
wart eine® individuellen Bewußtſeins treten, mithin im eine Zeitreihe
angehoben werben zu können, gewifjermaßen wieder zur Natur ber
einzeinen Dinge herabgezogen, inbivibualifirt und daher an eine finnliche
derfiellung geknüpft werben; diefe ift da8 Wort. Es ift demnad
das ſimliche Zeichen des Begriffs und als ſolches das nothwendige
Dittel ihn zu firiren, d. h. ihn dem an die Zeitform gebundenen
Vewußtſein zu vergegenmwärtigen und fo eine Verbindung herzuftellen
wijchen der Vernunft, deren Dbjecte blos allgemeine, weder Ort nod)
Zeitpunkt kennende Universalia find, und dem an die Zeit gebundenen,
'unlihen und infofern blos thierifchen Bewußtſein. (W. II, 70.)
Die Worte einer Rede werben volllommen verftanden, ohne an«
ſchauliche Borftellungen, Bilder in unferm Kopfe zu veranlaffen. Wir
äberfegen nicht etwa, während wir einen Andern fprechen hören, fogleid)
me Rede in Bilder der Phantafie, die blitzſchnell an und vorüber-
Regen und fich verfetten. Denn welch ein Zumult wäre dann in
jerm Kopfe während des Anhörend einer Rede oder des Leſens eines
VBaches! Sondern, der Sim der Rede wird unmittelbar vernommen
Ex aufgefaßt, ohne daß in der Regel fi) Phantasmen einniengten.
ce it die Vernunft, die zur Bernunft fpricht, und was fie mittheift,
ſird abftracte Begriffe, nicht anfchauliche Vorftellungen. (8.1, 47;
I, 71 fg.; G. 8. 26.)
7) Begriff und Idee.
Ueber den Gegenfag zwifchen Begriff und Idee ift unter All⸗
gtmeined das Nöthige beigebracht worben.
_ 8) Begriffstategorien.
Einfache Begriffe müßten eigentlih unauflösbare fein und
tomten demnach nie dad Subject eines analytifchen Urtheils bilden.
5 *
68 Begriff
Dies ift unmöglich; da, wenn man einen Begriff denkt, man au
feinen Inhalt muß angeben können. Was man als Beifpiele vo
einfachen Begriffen anzuführen pflegt, find gar nicht mehr Begriff
fondern theils bloße Sinmesempfindungen, wie etwa die einer beftimmte
Farbe, theil die a priori uns bewußten Formen der Anfchann:
alfo eigentlich die letzten Elemente der anſchauenden Erfenntnif
(®. Il, 69.)
Klar find eigentlich nur Anſchauungen, nicht Begriffe; diefe Fonne
höchſtens deutlich fein. Zur Deutlichkeit eines Begriffes ift er
forderlich, nicht nur, daß man ihn in feine Merkmale zerlegen, fonder
auch, dag mar diefe, falls auch fie Abftracta find, abermals analyjire
fünne, und fo immer fort, bi8 man zur anfchauenden Erkenntni
berabgelangt, mithin auf concrete Dinge binweift, durch deren klar
Anſchauung man die letzten Abftracta belegt und dadurch dieſen, wi
auch allen auf ihnen beruhenden höhern Abftractionen, Realität zu
fihert. Daher ift die gewöhnliche Erflärung, der Begriff fer dentlid
fobald man feine Merkmale angeben kann, nicht ausreichend; denn di
Zerlegung dieſer Merkmale führt vielleicht immerfort nur auf Begrifie
ohne daß zuletzt Anfchauungen zum Grunde lägen, welche allen jene
Begriffen Realität ertheilten. (W. II, 69.)
Man hat diejenigen Begriffe, welche nicht unmittelbar, fondern nu
durch Bermittelung eine® oder mehrerer anderer Begriffe ſich auf di
anſchauliche Erkenntniß beziehen, vorzugsweife abstracta, und hin
gegen die, welche ihren Grund ummitielbar in der anfchaulichen Wel
haben, concreta genannt. Dieſe letztere Benennung paßt aber nu
ganz uneigentlich auf die durch fic bezeichneten Begriffe, da matürld
auch diefe immer noch abstracta find amd keineswegs anſchauli
Borftelungen. Beifpiele der erfien Art, alfo abstracta im eminent
Sinne, find Begriffe, wie „VBerhältniß, Tugend, Unterſuchung, An
fang“ u. |. w. Beifpiele der leßtern Art, oder uneigentlich fogenanıt
concreta find die Begriffe „Menſch, Stein, Pferd“ u, ſ. w. Pu
fönnte bildlich die letztern das Erdgeſchoß, die erftern die obern Stoc
werfe des Gebäudes der Reflexion nennen. (W. I, 49.)
Keine Begriffe find folche, die keinen empirifchen Urſprun
haben. Als ſolche Laffen ſich blos die aufweifen, welche Kaum un
Zeit, d. h. den blos formalen Theil der Anfchauung betreffen, folgli
allein die mathematifchen, und höchſtens noch der Begriff der Gau
jalität, durch den die Erfahrung erft möglich wird, obgleich er mittel]
derjelben ins Bewußtfein tritt. (W. II, 200.) Hiernach beantwortt
ſich auch die Trage, ob e8 angeborene Begriffe giebt, dahin, dal
nur die den formalen Theil unferer Erkenntniß ausmachenden Begriff
angeboren find. (Bergl. Angeboren.)
9) Wichtigkeit des Begriffs,
Ueber die theoretifche und praftifche Wichtigkeit der Begriffe ift Ihe
unter „Abftract” (f. Nuten der abftracten Borftelungen), un
unter „Anſchauung“ (f. Mängel und Vorzüge der anfchauenden Er
Begriff 69
— Einiges beigebracht worden. Es gehört hierher noch Fol⸗
gendes:
Ter abſtracte Reflex alles Intuitiven im nicht anſchaulichen Begriff
ser Vernunft ift es allein, der dem Menfchen jene Befonnenheit
verleiht, welche fein Bewußtfein von bem des Thieres fo durchaus
terfeibet.. Das Thier lebt in der Gegenwart allein, der Menſch
dabei zugleich in Zukunft und Vergangenheit. Die Thiere find dem
wmdrud des Augenblids, der Wirkung bes anfchaulichen Motivs gänz-
lich anheimgefallen; den Menſchen beftimmen abftracte Begriffe unab-
tüngig von der Gegenwart. Daher führt er überlegte Pläne aus,
oder handelt nad; Marimen, ohne Rüdfiht auf die Umgebung und bie
wiälligen Cindrüde des Augenblids. Das Thier theilt feine Empfindung
md Stimmung durch Geberde und Laut mit, der Menſch theilt dem
andern Gedanken (Begriffe) durch Spradye mit, und bringt mit Hilfe
der Sprache feine wichtigften Leiſtungen zu Stande. MWebereinftimmendes
Sandeln, planvolles Zuſammenwirken Bieler, die Civilifation, der
Staat, die Wiſſenſchaft, — alles diefes ift Werk des Begriffs.
®. 1,43 fg.; ©. 101 fg.)
Alles fichere Aufbewahren, alle Mittheilbarkeit und alle fichere und
weitreichende Anwendung der Erkenntniß auf das Praltifche hängt
davon ab, daR fie cine abftracte (begriffliche) Erkenntniß geworben jet.
Tie intuitive Erkenntniß gilt immer nur vom einzelnen Sal, geht nur
af dag Nächfte und bleibt bei dieſem ftehen. Jede anhaltende, zu⸗
jmmmengefette, planmäßige Thätigfeit muß daher von Grundfägen,
aljo von einem abftracten Erkennen (von Begriffen) ausgehen und
danach geleitet werden. (W. I, 63.) Weder dem augenblidlichen
Verſchwinden des finnlihen Eindruds, noch dem allmäligen feines
Ehantafiebildes unterworfen, mithin frei von der Gewalt der Zeit ıft
ellein der Begriff. In ihm muß alfo die belehrende Erfahrung
niedergelegt fein, und er allein eignet ſich zum fichern Lenker unferer
Schritte im Leben. Um im wirklichen Leben den Andern itberlegen
u fein, ift überlegt fein, d. 5. nad) Begriffen verfahren, die un-
räßlihe Bedingung. (W. II, 67.) Den unfchäsbaren Werth der
degriffe kann man ermeflen, wenn man auf die unendliche Menge
ad Berfchiedenheit von Dingen und Zuſtänden, die nad) und neben
enander da find, den Blid wirft und nun bedenkt, daß Sprade und
Schrift (die Zeichen der Begriffe) dennoch jedes Ding und jedes Ber-
hältniß, wann und wo es and) gewefen fein mag, zu unferer genauen
dunde zu bringen vermögen; weil eben verhältnigmäßig wenige Be:
zriffe eine Unendlichkeit von Dingen und Zuſtänden befaffen und ver-
treten. (W. I, 68.)
Würde und Größe des Menjchengeiftes beruhen auf der Herrſchaft
des Begriffes. Das Beftimnimwerden durd) das Anfchauliche nad)
Beife des Thieres ift des Menſchen unwürdig. Ihm ziemt es, fein
Sandeln durch Begriffe zu leiten. Dadurch emancipirt er fi von
dr Macht der anfchaulich vorliegenden Gegenwart, In dem Maaße,
70 Begriff
als ihm dies gelingt, haudelt er vernünftig, oder gemäß der prak—
tifhen Vernunft. (W. II, 163; ©. 116.) |
Zum Lebensglüde ift erforderlih, daß man die Phantajie ım
Zügel halte und mit bloßen Begriffen, in trodener und kalter Ueber⸗
fegung operire. Zum Leitftern feiner Beftrebungen ſoll man nicht Bild
der Phantaſie nehmen, fondern deutlich gedachte Begriffe. Nu
der Begriff ift ed, der Wort hält; daher iſt e8 Bildung, nur ihm
zu trauen. (P. I, 462 und 468.) |
Kein Charakter ift fo, daß er fid) ſelbſt überlaffen bleiben und ſich
ganz und gar gehen lafien dürfte; fondern jeder bedarf der Lenkung
durch Begriffe und Maximen. Auf der Uebung hierin beruht der
erworbene Charakter. (S. unter „Charakter“ eriworbener Charakter.)
(®. I, 484.)
Höflichkeit ift das Löbliche Werk des Begriffs. (W. I, 68.)
10) Nachtheile des Begriffs.
Durch die Begriffe fteht der Menjch dem Irrtum und Wahn
offen. Das Thier kann nie weit vom Wege der Natur abirren; denn
feine Motive Tiegen allein in der anſchaulichen Welt, wo nur das
Mögliche, ja nur das Wirklihe Raum findet. Hingegen in die ab-
firacten Begriffe, in die Gedanken und Worte geht alles nur Erſinnliche,
mithin auch das Falſche, das Unmögliche, das Abfurde, das Unfürmige.
(®. O, 73 fg.)
Die Zuſammenſaſſung des Vielen und Berfchiedenen in einen Be
griff ift nur möglich durch das Weglaffen der Unterjchiede, mithin ift
der Begriff eine fehr unvolllommene Art des Vorftellene. (W. II, 155.)
Die Begriffe, mit ihrer Starrheit und fcharfen Begränzung, find,
fo fein man fie auch durch nähere Beſtimmung fpalten möchte, doch
ftet8 unfähig, die feinen Modificationen des Anfchaulichen zu erreichen.
Ihre Anwendung wird daher ftörend bei allen Gegenftänden und Ber:
rihtungen, zu denen intuitive Erkenntniß erforderlich if. Wilde
und rohe Menfchen führen darum manche Leibesübungen, den Kampf
mit Thieren, das Xreffen mit dem Pfeil u. dgl. mit einer Sicherheit
und Geſchwindigkeit aus, die der reflectirende, nad) Begriffen verfah:
rende Europäer nie erreicht, weil feine Ueberlegung ihn ſchwanken und
zaubern madt. Beim Billardipielen, Fechten, Stimmen eines In:
firuments, Singen und folden Berrihtungen, wirkt bie Reflerion (das
Berfahren nad; begrifflicher Ueberlegung) Hinderlih; hier muß die an-
ſchauliche Erkenntniß die Thätigkeit unmittelbar leiten. Auch beim
Berfländnig der Phyfiognomie wirkt die Anwendung von abftracten
Begriffen ftörend.
ieſe Beichaffenheit der Begriffe, bie feinen Nüancen bes Wirklichen
nicht erreichen zu Türmen, weshalb die Anfchauung ftets ihre Aſymptote
bleibt, ift auch der Grund, warum in der Kunft nichts Gutes durd
fie geleiftet wird. Will der Sänger, ober Birtuofe, feinen Vortrag
durch Reflerion leiten, jo bleibt er todt. ‘Das Selbe gilt von ben andern
Künften. Auch im perfönlichen Umgang ift das Unzichende, Gratiofe,
Beharrlichkeit — Beifall 21
Giuuehsende des Betragens nicht Werk des Begriffs. Ale Ber»
ſtellang iſt Werk der Reflerion. — Im hohen Lebensdrange, wo es
der zaichen Entfchlofienheit bedarf, kann die Keflerion leicht verwirrend
wre und Unentfchlofjenheit Herbeiflihren. Auch Tugend und Heiligfeit
ib nicht Werk des Begriffs, fondbern der intuitiven Erkenntniß.
8. I, 67—69. Bergl. auch unter „„Abftract”: Unzulänglichfeit des
Intracten, und unter „Anfchauung‘: Borzlige ber anfchauenden vor
da abftracten Erkenntniß.)
Scharrlichkeit, j. Subſtanz und Materie.
btiſall.
1) Quelle des Beifalls.
Tie Quelle alles Wohlgefallens iſt die Homogeneität. Daher
werden Jedem die Werke der ihm Homogenen zuſagen, alſo wird der
Tlatte, Seichte, Verfchrobene, in bloßen Worten Kramende nur den
tm Berwandten feinen aufrichtigen, wirklich gefühlten Beifall zollen; die
Tele der großen Geifter hingegen wird er allein auf Auctorität,
da h. duch Scheu gezwungen, gelten laſſen; während fie ihm im
Seren mißfallen. (P. II, 492 fg.)
2) Barum die Werke der Öenies fo ſchwer Beifall
finden.
Urtdeilslofigfeit und Neid, alfo ein intellectuelle8 und mora-
tes Sinderniß der Anerkennung des Aechten find Schuld, daß die
Ente der Genies fo ſchwer und fo fpät Beifall finden.
Eigen der Urtheilslofigkeit der Menge gejchieht es nur durch einen
langſamen und complicirten Proceß, daß die Werke der Genies Beifall
2 Ruhm erlangen, indem nämlich jeder fchlechte Kopf allmälig, ge⸗
;wangen und gleichjam gebändigt, da8 Uebergewicht des zunächft über
ihm Stehenden anerkennt, und fo aufwärts, wodurch es nach und nach
dahin lommt, daß das bloße Refultat des Gewichtes der Stimmen
133 der Zahl derjelben itberwältigt. (P. IL, 493.)
Richt weniger jedoch, als die Urtheilslofigkeit, fteht der Anerkennung
zu Berbienftes in hoher Gattung der Neid entgegen, er, der ja felbit
iz den niebrigften demſelben beim exften Schritte ſich entgegenftellt und
3 zum legten nicht von ihm weicht. (PB. II, 494 fg.)
3) Der Beifall als Maßſtab des intellectuellen
Werthes eines Zeitalter.
Den richtigen Maßſtab fiir den intellectuellen Werth eines Zeitalters
geben nicht Die großen Geifter, die in demfelben auftraten, fondern die
Unfnahme, welche ihre Werke bei ihren Zeitgenofien gefunden haben,
id nämlich ihnen ein baldiger und lebhafter Beifall ward, oder ein
äter und zäher, ober ob er ganz ber Nachwelt überlafjen blieb.
9. I, 505.)
4) Geringer Werth bes Beifalls der Zeitgenofjen.
Da die Menfchen in ber Regel ohne eigenes Urtheil find und zumal
hehe und fchmwierige Leiftungen abzufchägen durchaus keine Fähigkeit
72 Beifpiel
haben; fo folgen fie hier ſtets fremder Auctorität, und der Ruhm, ü
hoher Gattung, beruht bei 99 unter 100 Rühmern, blos auf Tre
und Glauben. ‘Daher kann auch der vielftimmigfte Beifall ber Zeit
genoffen file dentende Köpfe nur wenig Werth haben, indem fie in ihn
ftet3 nur das Echo weniger Stimmen hören, die zudem felbjt nur find
wie ber Tag fie gebracht hat. Würde wohl ein Birtuofe fich geſchmeichel
fühlen durch das laute Beifallsflatfchen feines Publikums, wenn ihn
befannt wäre, daß es, bis auf Einen ober Zwei, aus lauter völlis
Tauben beftände, bie, um einander gegenfeitig ihr Gebrechen zu ver
bergen, eifrig Matfchten, fobald fie die Hände jenes Einen in Bewegung
jähen? Und nun gar, wenn die Kenntniß Hinzu küme, daß jene Bor:
klatſcher fich oft beitechen Tießen, um bem elenbeften Geiger den lauteſter
Applaus zu verſchaffen? (PB. I, 425 fg.)
5) Das Ungenügende des eigenen Beifalls.
Der eigene Beifall ift nie eine Garantie bes Werthes eines Ge:
danfenwerks; denn er befagt nur, daß die darin ausgebrüdten Gebanter
des Autors mit feiner Anficht der Welt übereinftimmen, welches nd
von felbft verfteht; wohl aber ift jeder aufrichtige fremde Beifa
eine ſolche Garantie. Denn wenn die Gedanken, nachdem fie ihren
Weg aus einem Kopf in den andern gemacht haben, aud) mit ba
in diefem vorhandenen Anſchauung dev Welt übereinftimmen, fo Fanı
dies feinen Grund mur darin haben, daß fie objectiv find. Den
fremben, einzelnen Beifall aus zufälliger Uebereinftimmung der Denkar!
erklären, geht nur dann, wann man in ber Dlanier, Diode, herrſchenden
Denfungsart der Zeit, alfo ohne Originalität gefchrieben, oder Kai:
ſonnements gemacht bat, wie „Jeder fie jelbft macht, aljo trivial i
Außerdem ift die Berfchiedenheit jeder Individualität von der ande
zu groß. Alſo ſchon ein ächter fremder competenter Beifall giebt dem
Selbſtgedachten und Driginellen Garantie. (IM. 410.) Ä
Beifpiel.
1) Worauf der ftarfe Einfluß des Beispiels beruht.
Der Einfluß des Beifpiels ift mächtiger, als der ber Lehre Die
jehr ſtarke Wirkung des Beiſpiels beruht auf der Unfelbftändigkeit der
meiften Menſchen. Die Deeiften haben zu wenig Urtheilöfraft und zu
wenig Kenntniß, um nad) eigenem Ermeſſen zu handeln. Daher jie
gern in die Fußſtapfen Anderer treten. Die Scheu vor eigenem Nach—
denken und das große Mißtrauen gegen das eigene Urtheil treibt fie
zur Nachahmung. (P. II, 254.)
2) Zwiefahe Wirkungsweiſe des Beispiels,
Das Beifpiel wirkt entweder hemmend oder befördernd. Erſteres,
wenn es den Menſchen beftimmt, zu unterlaffen was er gern thäte,
fei es, daß er es nicht für räthlich Hält, oder gar an einem Andern,
der ed gethan, die ſchlimmen Folgen wahrgenommen; dies iſt das
abſchreckende Beifpiel. Befördernd wirkt das Beifpiel, indem es
entweder den Menfchen bewegt, zu thun was er gern unterließe, oder
Bejahung — Beredfamteit 713
ika ermmihigt, zu thun, was er gern thut, jeboch bisher aus Furcht
vor Gefahr oder Schande unterließ; dies ift das verführeriſche
Balpe. (P. II, 253 fg.)
3) Mittelbare Wirkung des Beifpiels.
Benn das Beifpiel den Menſchen auf Etwas bringt, das ihm fonft
gar nicht eingefallen wäre, jo wirkt es in diefem Fall zunädft nur
auf den Intellect; die Wirkung auf den Willen ift dabei ſecundär
und wird, wenn fie eintritt, durch einen Act eigener Urtheilskraft,
oder duch Zutrauen auf den, der das Beiſpiel giebt, vermittelt.
P. UI, 254.)
4) Berfchiedene Art der Wirkung des Beifpiels bei
verfchiedenen Charakteren.
Die Art der Wirkung des Beifpield wird durch den Charakter eines
eben beftimmt; daher daffelbe Beifpiel auf den Einen verführerifch,
anf den Andern abfchredend wirkt. Der Eine denkt: „Pfui, wie
egoiſtiſch, wie rückſichtslos ift dies; ich will mich hüten, dergleichen zu
th.“ Zwanzig Andere benken: „Thut Der Das, darf ich's auch.“
2. II, 254.)
5) Wirkung des Beifpiels in moralifcher Hinfidt.
Das Beifpiel kann, wie die Lehre, zwar eine civile, oder legale
Deſſerung befördern, jedoch nicht die innerliche, eigentlihh moralijche.
Das Beiſpiel wirkt nur als ein Beförderungsmittel des Herbor-
treten der guten und ſchlechten Charaktereigenfchaften, aber es ſchafft
fie nicht. P. II, 255.)
Sejahung, des Willens, |. Wille.
Scleidigung, ſ. Injurie und Grobheit.
Beredſamkeit.
1) Definition der Beredſamkeit.
Beredſamkeit iſt die Fähigkeit, unſere Anſicht einer Sache, ober
unſere Geſinnung hinſichtlich derſelben, auch in Andern zu erregen,
anfer Gefühl darüber in ihnen zu entzünden und fie jo in Sympathie
mit und zu verjeßen; dies Alles aber dadurch, daß wir, mittelft
Borten, den Strom unferer Gedanken in ihren Kopf leiten, mit foldyer
Gewalt, daß er dem ihrer eigenen von dem ange, den fie bereit8 ge—
nommen, ablenkt und in feinen Lauf mit fortreißt. (W. II, 129.)
2) Duelle der Beredfamleit.
Aus der angegebenen Definition wird begreifli, warum die eigene
Ueberzengung und die Leidenſchaft bevedt macht, und überhaupt Be:
redſamkeit mehr Gabe der Natur, ale Werk der Kunft ift, obgleich auch)
ber die Kunft die Natur unterftügt. (WW. II, 130.)
.3) Regeln der Beredfamfeit. '
Um Einen von einer Wahrheit, die gegen einen von ihm fellge-
heltenen Irrthum ftreitet, zu überzeugen, ift die erfte Kegel diefe:
Ran laffe die Prämiſſen vorangehen, die Conclufion aber
174 | Bergpredigt — Beſcheidenheit
folgen. Das entgegengeſetzte Verfahren des Eifers und der Recht⸗
haberei macht den Gegner leicht kopfſchen, macht ihn unzugänglich für
alle Gründe und Prämiffen, von denen er ſchon vorher weiß, zu
welcher unliebfamen Conclufion fie führen. (W. I, 130; 9. 41 fg.)
Beim Bertheidigen einer Sache bringe man nicht alles Erfinnliche,
was ſich dafür fagen läßt, Wahres, Halbwahres und blos Scheinbares
durcheinander vor; denn da8 Falſche verdächtigt das mit ihm zufammen
vorgetragene Zriftige und Wahre. Mean gebe alfo dieſes rein und
allein und hüte fich, eine Wahrheit mit fophiftifchen Gründen zu ver:
tdeidigen, da der Gegner durch Umftoßen diefer den Schein gewinnt,
auch die darauf geftügte Wahrheit umgeftoßen zu haben. (W. LI, 130.)
Sergpredigt, |. Chriſtenthum.
Sefchäftigung.
In Hinfiht auf das Lebensglück Leiftet dem geiftig Befähigten u-
tellectuelle Beichäftigung mehr, als das wirkliche Leben mit feinem
beftändigen Wechjel des Gelingens und Mißlingens, nebft feinen Er—
fhütterungen und Plagen. Das nad außen thätige Leben lenkt von
den Studien ab und benimmt dem Geifte die bazu erforderliche
Sanmlung. Andererfeit® macht anhaltende Geiftesbefhäftigung zum
Treiben und Tummeln des wirklichen Lebens mehr oder weniger un-
tüchtig. Wo daher energifche praftifche Thätigkeit erfordert wird, ift
es rathſam, erftere einzuftellen. (P. I, 444.)
Seſcheidenheit.
1) Wurzel der Lobreden auf die Beſcheidenheit.
Wer ſelbſt Verdienſt Hat, läßt auch die ächten und wirklichen Ver-
dienſte Anderer gelten. Aber der, dem ſelbſt Vorzüge und Verdienſte
mangeln, wünſcht, daß es gar feine gäbe; ihr Anblick an Andern erregt
feinen Neid, er möchte alle perjünlich Bevorzugten. ausrotten. Muß
er fie aber leider leben laſſen, jo foll es nur unter der Bedingung fein,
daß fie ihre Vorzüge verfteden. Dies ift die Wurzel der fo häufigen
Lobreden auf die Beſcheidenheit. (W. U, 485; I, 277; P. LI, 232.)
Die Befcheidenheit ift demnach eine zu Gunften der platten Gewöhn⸗
lichkeit erfundene, fchlaue Tugend, welche dennoch, eben durch bie in
ihr an den Tag gelegte Nothwendigkeit der Schonung der Armfäligkeit,
diefe gerade and Licht zieht. (P. I, 232.) Die Tugend ber Be-
jcheidenheit ift blo8 zur Schugwehr gegen den Neid erfunden worden.
(P. U, 496.) Unfehlbarer daher noch, als Göthes: „Nur die Lumpe
find beſcheiden“, wäre die Behauptung gewefen: Die, welche fo cifrig
von Andern Beſcheidenheit fordern, auf Beſcheidenheit dringen, find
zuverläfftg Qumpe. (W. II, 485.)
» 2) Unverträglichteit der Befcheidenheit mit Verdienſt
und Genie.
Es gehört zu den nachgefprochenen Irrthümern: „Berbienft und
Genie find aufrichtig bejcheiden. (PB. I, 64.)
Beſchränkung — Beſonnenheit 75
Orfeibenheit in einem großen Geiſte würde den Leuten wohl gefallen,
near ıft fie leider eine contradictio in adjecto. Denn ein folcher
fm nichts Großes fchaffen, ohne die Art und Weife, die Gedanken
and Anfichten feiner Zeitgenoflen für nichts zu achten. Ohne diefe
Arroganz wird fein großer Daun. (P. I, 85 fg) Es ift fo un-
möglich, dat wer Berdienfte hat und weiß was fie Foften, felbft blind
dagegen fei, wie daß ein Dann von ſechs Fuß Höhe nicht mierke, daß
er die Andern überragt. Horaz, Lucrez, Ovid und faft alle Alten
haben ſtolz von fich geredet, desgleihen Dante, Shakejpeare, Bako
von Verulam und Biele mehr. Daß Einer ein großer Geiſt fein
Ag obne etwas davon zu merken, ift eine Abſurdität. (W. Il, 484;
. I, 496))
Beicheibenheit bei mittelmäßigen Fähigkeiten ift bloße Ehrlichkeit, bei
grogen Zalenten ift fie Heuchele. Darum ift Diefen offen audge-
ſprochenes Selbftgefühl und unverhohlenes Bewußtſein ungewöhnlicher
Kräfte gerade fo wohlanftändig, als Jenen ihre Beſcheidenheit. (P. II,
638; W. I, 277.)
Schhrankung.
Beihränktung ift Bedingung des Lebensglüdes, Alle
Veſchränkung beglüdt. Je enger umfer Geſichts-, Wirkungs- und
Berührungskreis, defto glücklicher find wir; je weiter, deſto öfter fühlen
wir und gequält, oder geängftigt. “Denn mit ihm vermehren und ver-
größern fich die Sorgen, Wünſche und Schredniffee Je weniger Er-
zegung des Willens, defto weniger Leiden. Bejchränktheit des Wirfungs-
freifes benimmt dem Willen die äußern Veranlaffungen zur Erregung;
Beihränktheit des Geiftes die innen. Nur hat legtere den Nachtheil,
dag fie der Langeweile die Thür öffnet, welche mittelbar die Duelle
von Leiden wird. Aus dem Idhyll ift zu erfehen, wie förderlich die
äußere Beſchränkung dem menfchlichen Glücke if. (PB. I, 443 fg.)
Man Hüte fi), das Glück feines Lebens, mittelft vieler Exforder-
niſſe zu demfelben, auf ein breites Fundament zu bauen; denn
uf einem folchen ftehend, ftürzt e8 am leichteften ein, weil es viel.
zehr Unfällen Gelegenheit darbietet und diefe micht ausbleiben. Das
Gebäude unfere® Glücks verhält fi) alfo in diefer Hinficht umgekehrt
wie alle anderen, als welche auf breitem Fundament am fefteften ftehn.
Zeine Anſprüche, im Berhältniß zu feinen Mitteln jeder Art, möglichft
meörig zu ftellen ift demnach der ficherfte Weg, großem Unglüd zu
ntgehen. (P. I, 437.)
beſizrecht, ſ. Adel.
beſinnen, ſich, ſ. Gedächtniß.
beſonnenheit.
1) Quelle der Beſonnenheit.
Das Denken, die Reflexion ertheilt dem Menſchen jene Beſonnenheit,
die dem Thiere abgeht. Denn, indem ſie ihn befähigt, tauſend Dinge
did Einen Begriff, in jedem aber immer nur das Weſentliche zu
76 Befonnenheit
denken, kann er Unterfchiebe jeder Art, alſo auch die des Raumes und
der Zeit, beliebig fallen laſſen, wodurd) er in Gedanken die Ueberſicht
der Bergangenheit und Zufunft, wie auch des Abwefenden, erhält;
hen das Thier in jeder Hinficht an die Gegenwart gebunden if.
(®. 101.)
Duch den im Menfchen auftretenden überwiegenden Intellect iſt
nicht nur die Auffaffung der Motive, die Mannigfaltigkeit derfelben
und überhaupt der Horizont der Zwede unendlich vermehrt, fondern
auch die Deutlichkeit, mit welcher der Wille fi) feiner ſelbſt bemukt
wird, aufs höchfte gefteigert, in Folge der eingetretenen Klarheit dee
ganzen Bewußtfeins, welche, durch die Fähigkeit des abftracten Gr-
kennens unterftügt, bis zur vollflommenen Befonnenheit geht. (WU,
317.) Das Thier lebt ohme alle Beſonnenheit. Bewußtſein hat rk,
d. h. e8 erkennt fih und fein Wohl und Wehe, dazu auch die Gegen
ftände, welche beides veranlafjen. Aber feine Erkenutniß bleibt ftets
fubjectiv, wird nie objectiv; alles darin Vorlommende ſcheint fich ihm
von felbft zu verftehen und kann ihm daher nie weder zum Object der
Darftellung, noch zum Object der Meditation werden. Sein Bewußt⸗
fein ift aljo ganz immanent. Bon verwandter Bejchaffenheit ift das
Bewußtfein des gemeinen Menſchenſchlages. (W. IL, 435; N. 75.)
Die Befonnenheit entfpringt aus der Deutlichleit, mit welcher man der
Welt und feiner felbft inne wird und dadurch zur Befinnung darüber
tommt. Sie beruht aud darauf, daß der Intellect durch fein Weber:
gewicht fi) vom Willen, dem er urſprünglich dienftbar ift, zu Zeiten
losmacht. (W. IL, 436.) |
2) Die Befonnenheit als Wurzel aller großen theo-
retifhen und praftifchen Leiftungen des Menjden.
Die Befonnenheit ift die Wurzel aller jener theoretifchen und pral-
tifchen Leiftungen, durch welche der Menjc das Thier fo fehr übertrifft;
zunächſt nämlich der Sorge für die Zukunft, unter Berüdfichtigung der
Vergangenheit, fodann des abfichtlichen, planmäßigen, methodiſchen
Berfahrend bei jedem Vorhaben, daher des Zufammenwirkens Bieler
an Einem Zwed, mithin der Ordnung, des Geſetzes, des Staates u. |. w.
G. 101.)
Die Befonnenheit ift es, welche den Dealer befähigt, die Natur, die
er vor Augen hat, treu auf der Leinwand wiederzugeben, und ben
Dichter, die anfchauliche Gegenwart, mittelft abftracter Begriffe, genau
wieder hervorzurufen, indem er fie ausfpricht und fo zum deutlichen
Bewußtfein bringt; imgleichen Alles, was die Uebrigen blos fühlen,
in Worten auszudrüden. — Befonnenheit ift die Wurzel der Philoſophit,
der Kunft und Poeſie. (MW. II, 436.) Bermöge feiner Objectivität
nimmt das Genie mit Befonnenheit alles Das wahr, was bie Anderit
nicht fehen. Dies giebt ihm die Fähigkeit, die Natur fo anſchaulich
und lebhaft als Dichter zu ſchildern, oder als Maler darzuſtellen
(®. II, 451.)
Befferung 77
3) Die Grade ber Befonnenheit.
Te Grade der Deutlichkeit des Bewußtſeins, mithin der Be-
fonuenheit, fünnen angefehen werden als die Grade der Realität
des Daſeins; denn die unmittelbare Realität ift bedingt durch eigenes
Sewußtjein. Nun aber find im Menjchengefchlecht die Grade der
Sejonmenheit oder des deutlichen Bewußtſeins eigener und fremder
eriftenz gar vielfach abgeftuft, nad) Maaßgabe der natürlichen Geiftes-
fräfte, der Ausbildung derfelben und der Muße zum Nachbenfen.
P. I, 630.)
4) Bedingung des befonnenen Lebens.
Um mit volllommener Bejfonnenheit zu leben, ift erfordert, daß
man oft zurüddenfe und was man erlebt, gethan, erfahren und dabei
empfunden Bat recapitulire, aud) fein ehemaliges Urtheil mit feinem
gegenwärtigen, feinen Borjag und Streben mit dem Erfolg und ber
Lefriedigung durch denfelben vergleiche. Wer im Getümmel der Ge-
ihäfte, oder Bergnügungen, dahinlebt, ohne je feine Vergangenheit zu
mmmiren, ‚vielmehr nur immerfort fein Leben abhaspelt, dem geht
!are Beformenheit verloren. Dies ift um fo mehr der Fall, je größer
die äußere Unruße, die Menge ber Einbrüde, und je geringer die
Fa Zhätigfeit feines Geiftes iſt. (P. II, 444; N. 8.)
ru
ng.
1) Sphäre und Bereich der Beſſerung.
Auf der Conſtanz des Charakters (ſ. Charakter) beruht es, daß
an Menſch, ſelbſt bei der deutlichſten Erfenntuiß, ja Berabfchenung
ner moralifchen Fehler, ja beim aufrichtigften Vorſatz der Beflerung,
och eigentlich fich nicht beffert, fondern immer wieder in biefelben
Fehler fällt. Blos feine Erfenntniß läßt ſich berichtigen; dann
undert er die Mittel zu feinen Zwecken, nicht die Zwede. Die Sphäre
nd der Bereich aller Beſſerung und Veredelung Tiegt allein in ber
Erfenntniß. Der Charakter ift unveränderlih. (E. 51 fg. 254.).
Einficht, Erkenntniß kam ınan erlangen und wieder verlieren, kann fie
indern, befjern, verderben; aber den Willen fann man nicht ändern:
tarum „ich begreife“, „ich erkenne”, „ich fehe ein“ — ift wandelbar
md umficher; „ich will‘, nach vechterfannten Motiven gefagt, ift feft
me die Natur ſelbſt. (H. 394.)
2) Unwirkſamkeit der Ethif und Religion zur mora-
lifchen Bejferung.
Beiter, als auf die Berichtigung der Erkenntniß, erſtreckt fich feine
mralifche Einwirkung, und das Unternehmen, die Charakterfehler eines
Renſchen durch Reden und Moralifiren aufheben und fo feinen Charakter
ilbft, feine eigentliche Moralität, umjchaffen zu wollen, ift ganz gleich
dem Borhaben, Blei durch äußere Einwirkung in Gold zu verwandeln, .
eder eine Eiche durch forgfältige Pflege dahin zu bringen, daß fie
Aprikoſen trüge. (E. 52.)
Benn nit der Charakter, als Urfprüngliches, unveränderlid und
daher aller Beſſerung unzugänglich wäre; wenn vielmehr, wie die platte
18 Befimmung — Bewegung
Ethik es behauptet, eine Befjerung des Charafters mittelft der Moral
mögfih wäre; — fo müßte, follen nicht alle die vielen religiöſen An-
falten und moralifirenden Bemühungen ihren Zwed verfehlt Haben,
werigftens im Durchſchnitt die ältere Hälfte der Menſchen bedeutend
befier, als die jüngere fein. Davon ift aber jo wenig eine Spur, daß
wir umgelehrt eher von jungen Leuten etwas Gutes hoffen, al& von
alten. (E. 251 fg.)
3) Was zur moralifhen Befferung erfordert wäre.
Zur wirklihen Befferung wäre erfordert, daß man die ganze Art
der Empfänglichkeit für Motive, auf welcher die angeborene
und urfprüngliche Berfchiedenheit der Charaktere beruht, umwandelte,
alfo 3. B. machte, daß dem Einen fremdes Leiden als foldhes nicht
mehr gleichgültig, dem Andern die Verurſachung defjelben nicht mehr
Genuß wäre, oder einem Dritten nicht jede, felbft die geringfte Ber:
mehrung des eigenen Wohljeind alle Motive anderer Art weit überwöge
und umwirkfam machte. Dies aber tft viel gewifjer unmöglich, als
Umwandlung des Blei's in Gold. Denn es würde erfordert, dag man
dem Menſchen gleichjam das Herz im Leibe umfehrte, fein tief Innerſtes
umſchüfe. (E. 254.)
Beſtimmung, des Menfchen, ſ. Heilsordnung.
Belrachtungsart, der Dinge.
Es giebt zwei entgegengefetste Betrachtungsarten der Dinge. Die
eine geht dent Sage von Grunde nad}, die andere iſt unabhängig vom
Sate de8 Grundes. Die eine, im Dienfte des Willens ſtehend, fat
die Beziehungen der Dinge auf, die andere, frei von Dienfte dee
Willens, faßt das felbfteigene Wefen, die Ideen der Dinge auf.
Die erftere ft die vernünftige Betradtungsart, welche im praftifchen
Leben, wie in der Wiffenfchaft allein gilt und Hilft; die letztere ift die
geniale Betrachtungsart, welde in der Kunft allein gilt und hilft.
Die erftere ift die Betrachtungsart des Ariftoteles, bie zweite die
des Platon. (W. I, 218; II, 413 fg.)
Beleng, ſ. Lüge.
Betielmöndge, |. Askeſe.
Bewegung.
1) Bewegung al& praedicabile a priori ber Materie.
Ale Bewegung ift nur der Materie möglich. Die Materie ift das
Beharrende in der Zeit und das Beweglihe im Kaum; durch den
Vergleich des Kuhenden mit dem Bewegten meſſen wir die Dauer.
Die Größe der Bewegung.ift, bei gleicher Gejchwindigfeit, im
geraben geometrifhen Berhältnig der Materie (Maſſe). Meßbar, d. b.
ihrer Duantität nad) beftimmbar, ift die Materie als ſolche (die Maſſe)
nur indirect, nämlich durch die Größe der Bewegung, welche ſie
enıpfängt und giebt, indem ſie fortgeftoßen ober angezogen wird.
(W. II, 55, Tafel der Praedicabilia a priori der Materie, Nr. 15—18.
und hiezu die Anmerkung W. II, 58—60,)
Bewegung 19
2) Bewegung als urfprünglicher Zuftand der Welt-
förper.
Da jeder Körper als Erfcheinung des Willens angefehen werben
an, Wille aber nothwendig als cin Streben ſich darftelt; fo Tann
ber arſprüngliche Zuftand jedes zur Kugel geballten Weltförpers nicht
Kuhe fein, fondern Bewegung, Streben vorwärts in den unendlichen
Kaum, ohne Raſt und Ziel. Dieſem fteht weder das Geſetz der Träg-
bet, noch das der Raufalität entgegen; denn da, nad jenen, bie
Daterie als folche gegen Ruhe und Bewegung gleichgültig ift, fo Tann
Bewegung, fo gut wie Ruhe, ihr urjprünglicher Zuftand fein; baber,
wem wir fie in Bewegung vorfinden, wir ebenjo wenig berechtigt find
toramzufegen, daß derfelben ein Zuftand des Ruhe vorhergegangen fei,
and nad) der Urfache des Eintritt der Bewegung zu fragen, als
mmgelehrt, wenn wir fie in Ruhe fänden, wir eine diefer vorherge-
gangene Bewegung vorauszufegen und nad) der Urſache ihrer Auf⸗
hebung zu fragen hätten. (W. I, 176 fg.)
3) Die Bewegung als Aeußerung des Gelbfter-
haltungstriebes.
As Grundbeſtrebung des Willens finden wir überall die Selbft-
erhaltung. Alle Aeußerungen diefer Orundbeftrebung aber laffen
ſich ſtets zurückführen auf ein Suchen oder Verfolgen, nnd ein Meiden
oder Fliehen, je nach dem Anlaß. Dies zeigt fi) nicht blos Bei
enden und ertennenden Wefen, fondern auch ſchon auf der aller-
nerigften Stufe der Natur, wo die Körper nur als Körper, aljo rein
nehanifch wirken. Auch bier noch zeigt fi) das Suchen als
Fravitation, das Fliehen aber als Empfangen von Bewegung, und
die Beweglichkeit der Körper durch Drud oder Stoß, welche die
Bafis der Mechanik ausmacht, ift im Grunde eine Aeußerung des aud)
ihnen imewohnenden Strebens nach Selbfterhaltung. Der ges
Hoßene und gedrüdte Körper würde von dem ftoßenden ober drückenden
zermalmt werden, wenn er nicht, um feine Cohäfton zu vetten, der
Gewalt deffelben fich durch die Flucht entzöge, und wo biefe ihm be
nommen ift, gefchieht es wirklich. Ja, man kann die elaftifchen
Körper als die muthigeren betrachten, welche ben Feind zurüdzutreiben
inhen. So fehen wir denn in der Mittheilbarkeit ber Bewegung eine
Aenßerung der Grundbeftrebung des Willens in allen feinen Er«
Yeimmmgen, alfo des Triebes zur Selbfterhaltung, der als das Wefentliche
ſich auch noch auf der unterften Stafe erfennen läßt. (W. II, 338 fg.)
4) E8 giebt nicht zwei grundverfchiedene Principien
der Bewegung.
Die gewöhnliche Anficht der Natur nimmt an, daß es zwei grund»
Derichiebene Principien der Bewegung gebe, daß nämlich die Bewegung
“nes Körpers entweber von Innen ausgehe, wo man fie dem Willen
wihreiht, oder von Außen, wo fie durch Urfachen entfteht. Aber jo
at und allgemein dieſe Anficht auch fein mag, fo falfc, ift fie doch.
ẽe giebt nicht zwei grumdverfchiedene Urfprünge der Bewegung, fondern
80 Bewegung
die Bewegung von Innen und von Außen findet bei jeder Bewegung
eines Körpers zugleich und unzertrennlich Statt. Dem bie einge⸗
ftändlih aus dem Willen entfpringende Bewegung fett immer auch
eine Urſache voraus; diefe ift bei erfennenden Weſen ein Motiv, ohne
welches bei diefen die Bewegung unmöglich ıft. Und anbererfeits, bie
eingeftänblih dur eine äußere Urſache bewirkte Bewegung eines
Körpers iſt an ſich doch Aeußerung feines Willens, welche durch dic
Urfache blos hervorgerufen wird. Es giebt demnach nur ein einziges,
einförmiges, durchgängiges und ausnahınslojes Princip aller Bewegung:
ihre innere Bedingung ıft Wille, ihr äußerer Anlaß Urſache, welche,
nach Beichaffenheit des Bewegten, auch in Geftalt des Reizes oder
Motivs auftreten kann. (N. 84 fg.)
5) Unterſchied der unmwillfürlihen und willfürlichen
Bewegung.
Die nit vom Gehirn ausgehenden und daher nicht auf Motive,
fondern auf bloße Reize gejchehenden Bewegungen find unwillkür—
lich, die erftern hingegen willkürlich. Marfball Hall Hat in
der Entdedung der Heflerbewegungen uns eigentlich die Theorie der
unmwilllürliden Bewegungen geliefert. Diefe find theils normale
oder phyfiologifche, wie die Verfchliegung der Ein- und Ausgänge des
Leibes (der sphincteres vesicae et anı), der Augenlider im Schlaf,
fodann das Schluden, Gähnen, Niefen, die Erection, Ejaculation u. ſ. w,
theils find fie abnormale und pathologijche, wie das Stottern, Schluch⸗
zen, Erbrechen, die Krämpfe und Convulſionen aller Art. Diele
jänuntlihen Bewegungen find unwillkürlich, weil fie nicht vom Gehirn
ausgehen und daher nicht auf Motive gefchehen, fondern auf bloße
Reize. Die fic veranlafjenden Reize gelangen blos zum Nüdenmarl,
oder zur medulla oblongata, und von da aus geſchieht unmittelbar
die Reaction, welche die Bewegung bewirkt. Dafjelbe Verhältniß,
welches das Gehirn zu Motiv und Handlung hat, hat das Rüdenmarf
zu jenen unwillfürlichen Bewegungen. Daß dennoch, in den Einen,
wie in den Andern, das eigentlich bewegende der Wille iſt, fällt um
jo deutlicher in die Augen, als die unwillfürlich bewegten Musleln
großentheils diefelben find, welche, unter andern Umftänden, vom Gehirn
aus bewegt werden, in den willfürlichen Actionen, wo ihr primum
mobile uns durch das Selbſtbewußtſein als Wille intim belannt iſt.
(W. I, 291 fg.; N. 23 fg.)
Die vom Gehirn ausgehenden willfürlichen Bewegungen ermüden
und, welche Ermüdung ihren Sig im Gehirn, nicht, wie wir wähnen,
in den Gliedern hat, daher fie den Schlaf befördert; Hingegen die
nicht vom Gehirn aus erregten, alſo unwilllürlichen Bewegungen dee
organischen Lebens, des Herzens, der Lunge u. |. w. gehen unermüd-
fi fort. (P. II, 676.)
6) Beweglichkeit (Agilität) der Glieder.
Philofophifch merkwürdig ift, daR das Webergewicht der Maſſe des
Gehirns über die des Rückenmarks und der Nerven, welches nad)
Beweis 8
Sömmerring's fcharffinniger Entdedung den wahren nüchſten Maß-
Hab für den Grad der Intelligenz, ſowohl in ben Tchiergefchlechtern,
al? in den wmenfchlichen Individuen, abgiebt, zugleich die unmittelbare
Beeglichleit, die Agilität der Glieder vermehrt; weil, durch bie
große Ungleichheit des Verhältniſſes, die Abhängigkeit aller motorischen
Nerven vom Gehirn entjchiedener wird; wozu wohl noch kommt, daß
2 der qualitativen Bolllommenheit des großen Gehirns auch die des
firmen, dieſes nächften Lenker der Bewegungen, Theil nimmt; burd)
Veides alfo alle willfürlichen Bewegungen größere Leichtigkeit, Schnelle
md Vehändigkeit gewinnen. Darum deutet Schwerfälligfeit im Gange
tee Körpers auf Schwerfälligkeit im Gange der Gedanken und wird als
ein Zeichen der Geiftlofigfeit betrachtet. (W. II, 321 fg.; P. IL, 675 fg.)
7) Wichtigkeit der Bewegung für die Geſundheit und
das Lebensglüd.
Ohne tägliche gehörige Beweguug kam man nicht gefund bleiben
und ohne Geſundheit nicht heiter fein. Alle Lebensprocefie erforbern,
um gehörig vollzogen zu werden, Bewegung ſowohl der Theile, darin
fie vorgehen, al® des Ganzen. Das Leben befteht in ber Bewegung
und bat fein Welen in ihr. Im ganzen Innern des Organismus
bericht unaufhörliche, rafche Bewegung. Wenn nun hiebei, wie es bei
der figenden Lebensweife der Ball ift, die äußere Bewegung fo gut
wie ganz fehlt, fo entfteht ein ſchreiendes und verderbliches Mißver⸗
Amiß zwifchen der äußern Ruhe und dem inmern Tumult. Denn
jogar will bie beftändige innere Bewegung durch die ünfere etwas
usterftügt fein; jenes Mißverhältniß aber wirb bem analog, wenn, in
Felge irgend eines Affects, ed in unferm Innern kocht, wir aber nadı
Augen nichts davon fehen laſſen dürfen. Sogar die Bäume bedürfen,
mau zu gedeihen, der ‚Bewegung durch den Wind. (P. I, 843.)
Wie unfer phyfifches Leben nur in und durch eine manfhörliche
Bewegung befteht; fo verlangt auch unfer inneres, geiftiges Leben fort-
während Beichäftigung mit irgend etwas durch Thun oder Denen.
Unjer Dafein nämlih ift ein weſentlich raftlofes; daher wird bie
genzliche Untgätigkeit uns bald unerträglich, führt Langeweile herbei.
Liefen Trieb nun fol man regeln, um ihn methobifch und dadurch
beſſer zu befriedigen. (P. I, 466.)
beweis.
1) Was jeder Beweis iſt.
Jeder Beweis iſt die Darlegung des Grundes zu einem ausge⸗
ſtrochenen Urtheil, welches eben dadurch das Prädicat wahr erhält.
8.23.) Ein Sag von mittelbare Gewißheit ift ein Lehrſatz, und
das diefelbe Bermittelnde ift ber Beweis. (W. II, 132.) Jeder
Beweis iſt die Zurückführung auf ein Anerkanntes. (G. 23.)
2) Worauf ſich jeder Beweis zuletzt ſtützt.
Der den Wiſſenſchaften eigenthümliche Weg der Erkenntniß vom
Allgemeinen zum Bejondern bringt es mit fi, daß in ihnen Vieles
sch Ableitung aus vorhergegangenen Sägen, alfo durch Beweiſe,
Sqchopenhauer⸗ Lexilon. I. 6
82 Beweis
begründet wird, unb dies hat den alten Irrthum veranlaft, daß mu
das Bewiefene volltommen wahr fei und jete Wahrheit eines Beweiſe
bedürfe; da vielmehr im Gegentheil jeder Beweis einer unbewiejene
Wahrheit bedarf, die zuleßt ihn, oder auch wieder feine Beweiſe ſtütz!
daher eine unmittelbar begründete Wahrheit der durch einen Bewei
begründeten fo vorzuziehen ift, wie Wafler aus der Duelle dem au
dem Aquäduct. (8. I, 76. 78.
3) Die bewiefenen Säße find nit evident, fonder:
nur folgerichtig zu nennen.
Jede Beweisführung ift eine logifche Ableitung des behaurptetei
Sates aus einem bereitd ausgemachten und gewifien, — mit Hülfe eine
andern, als zweiter Prämiffe. Jener Sag nun muß entweder felbi
urjprüngliche Gewißheit Haben, oder aus einem, der ſolche bat, folgen
Dergleihen Süße von urfprünglicher Gewißheit, als entftanden durd
Uebertragung des anſchaulich Aufgefaßten in das Abftracte, Heißer
evident; welches Prüdicat eigentlich nur ihnen zufommt, nicht abeı
ben blos bewiefenen Süßen, welche als Folgerungen aus den Prämiffen
nur folgerichtig zu nennen find. (P. II, 23.) |
4) Die fubjective Fähigkeit zum Beweifen. Ä
Säge aus Sägen zu folgern, zu beweifen, zu ſchließen, vermag
Jeder, der nur gefunde Bernunft hat. Hingegen das anfchaulid)
Erkannte in angemefjene Begriffe für bie Reflerion abfegen und
firiren — dazu gehört Urtheilsfraft. (W. I, 77.) Die fubjective
Bedingung zur Erfenntniß der unmittelbar wahren Säge — die Ur-
theilskraft — gehört zu ben VBorzügen der überlegenen Köpfe, während
die Fähigkeit, aud gegebenen Prämiſſen die richtige Concluſion zu ziehen,
feinem gefunden Kopfe abgeht. (P. IL, 24.)
5) Unterfhied der Köpfe in Hinficht auf das Beweis-
bedürfniß.
Urtheilsfähige Köpfe, Erfinder und Entbeder befigen bie Fähigkeit
der Durchſchauung complicirter Berhältniffe, wodurch das Feld der
Sätze von unmittelbarer Wahrheit für fie ein ungleich ausgedehnteres
iſt, als das der gewöhnlichen Köpfe, und Bieles von Dem befaßt,
wovon dieje Legtern nie mehr, al8 die ſchwächere, blos mittelbare Weber:
zeugung erhalten können. Für diefe Letzteren eigentlich wird zu einer
neu entbedten Wahrheit hinterher der Beweis, d. i. die Zurückführung
auf bereits anerlannte, oder fonft unzweifelhafte Wahrheiten gefucht.
(B. II, 24 fg.)
6) Fehler im Beweife.
Ein Beweis beweift zu viel, wenn er ſich auf Dinge oder Fälle
erftredt, von denen das zu Beweiſende offenbar nicht gilt, daher er
durch diefe apagogifch widerlegt wird. (W. IL, 132.)
Es kommt bisweilen der Fall vor, daß eine wahre Concluſion aus
faljchen Prämiſſen gefolgert wird. Dies entfteht allemal dann, wann
wir duch ein richtiges Appergu eine Wahrheit unmittelbar einfehen,
aber das Herausfinden und Deutlihmachen ihrer Erlenntnißgriünde
Bewußtſein 83
uns zipfingt, indem wir dieſe nicht zum deutlichen Bewußtſein bringen
fonzen Denn bei jeder urfprünglichen Einficht ift die Ueberzeugung
früßer da, als der Beweis; dieſer wird erft hinterher dazu erfonnen.
& 82 fg.)
7) Barım beweifen fchwerer ift, als widerlegen.
Hierüber fiehe: Epagoge.
bewußtſein.
1) Das Bewußtſein iſt uns nur als Eigenſchaft ani—
maliſcher Weſen bekannt.
Das Bewußtſein iſt uns ſchlechthin nur als Eigenſchaft animaliſcher
Weſen bekannt; folglich dürfen, ja können wir es nicht anders, denn
els animaliſches Bewußtfein denken; fo daß dieſer Ausdruck fchon -
zantologiſch iſt. (W. I, 227.)
Bewußtlofigkeit ift der urfprünglide und natürliche Zuftand aller
Tinge, mithin aud) die Baſis, aus welder, in einzelnen Arten der
Veſen, das Bewußtſein, als die höchſte Efflorescenz derjelben, hervor-
gebt, weshalb auch dann jener immer noch vorwaltet. Demgemäß find
die meiſten Weſen ohne Bewußtfein; fie wirken dennoch nad) ben Ge⸗
ken ihrer Natur, d. h. ihres Willens. Die Pflanzen haben höchſtens
an Analogon von Bewußtfein, die unterften Thiere blos eine Dänmerung
deſſelben. Aber auch nachdem es fich, durch die ganze Thierreihe, bie
un Menſchen und feiner Vernunft gefteigert bat, bleibt die Bewußt⸗
lofigfeit der Pflanze, von ber es ausgieng, noch immer die Grundlage,
und ift zu fpüren in der Nothwendigfeit des Schlafes, wie auch in
ten wefentlichen und großen Unvolllommenheiten jedes durch phyſio⸗
logiſche Functionen hervorgebrachten Intellects; von einem andern aber
haben wir Teinen Begriff. (W. II, 156.)
2) Urfprung und Zmed des Bewußtſeius.
Tas Bewußtfein ift feinem Zwed und Urfprung nad eine bloße
pryavn der Natur, ein Anskunftsmittel, den thierifchen Wejen zu
srem Bedarf zu verhelfen. (PB. II, 290.) Die Nothwendigkeit bes
Bewußtfeins wird dadurch herbeigeführt, daß, in Folge der gefteigerten
Implication und dadurch der mannigfaltigern Beduͤrfniſſe eines Or⸗
janisums, die Alte feines Willens durch Motive gelenkt werben
nüfſen, nicht mehr, wie auf den tieferen Stufen, durch bloße Neize.
Zu dieſem Behufe mußte der Wille Hier mit einem erfennenden Be⸗
wußtſein, aljo mit einem Intellect, ald dem Medio und Ort ber
Rotive, verfehen auftreten. (W. I, 284; N. 69.)
3) Sit des Bewußtfeins.
Tas Bewußtfein Hat feinen Sig im Gehirn und ift daher auf
jolche Theile des Leibes befchränft, deren Nerven zum Gehirn gehen;
tz fällt auch bei dieſen weg, wenn fie durchjchnitten werden. (N. 24.)
ter Sammelplag der Motive, wofelbft ihr Eintritt in ben einheitlichen
docus des Bewußtſeins Statt hat, ift das Gehirn. Hier werben fie
m vernunftlofen Bewußtſein blos angeſchaut, im vernünftigen durch
6*
84 Bewußtſein
Begriffe verdeutlicht, alſo in abstracto gedacht und verglichen
(W. DO, 284.) |
4) Das Gemeinfame und bie Unterfchiede alles Be:
wußtſeins.
Was in jedem thieriſchen Bewußtſein, auch dem unvollkommenſter
und ſchwächſten, ſich ſtets vorfindet, ja ihm zum Grunde Liegt, iſt dat
unmittelbare Innewerden eines Verlangens und der wechſelnden De
friedigung und Nichtbefriedigung deſſelben, in ſehr verſchiedenen Graden
Die Unterſchiede des Bewußtſeins liegen in der beſtimmten Erkennt:
nißweife und Erkenntnißſphäre der verfchiedenen Species. Ein Verlangen,
Begehren, Wollen, oder Berabjcheuen, Fliehen, Nichtwollen, ift jedem
Bewußtfein eigen; der Menſch hat es mit dem Polypen gemein.
Diejes ift demnach das Wefentliche und die Baſis jedes Bewußtſeins.
Die Berfchiedenheit der Aeußerungen defjelben in den verfcjiedenen
Geſchlechtern thierifcher Weſen beruht auf der verfchiebenen Ausdehnung
ihrer Erkenntnißſphären, als worin die Motive jener Aeußerungen
liegen. (W. II, 227 fg.) |
Nicht blos zwifchen Menſch und Thier ift ein großer Unterſchied
des Bewußtſeins, fondern auch zwifchen den verfchiedenen Thierarten
find die Unterfchiebe des Intellects und dadurd) des Bewußtfeind groß
und unendlich abgeftuft. Das bloße Analogon von Bewußtfein, welches
wir noch der Pflanze zufchreiben müſſen, verhält fich zu dem noch viel
dumpfern fubjectiven Weſen eines unorganifchen Körpers ungefähr, wie
das Bewußtſein des unterften Thiered zu jenem quasi Bewußtſein der
Pflanze. Man kann fi) die zahllofen Abftufungen im Grade des
Bewußtſeins veranfchanlichen unter dem Bilde der verfchiedenen Gr
fhwindigkeit, welche die vom Centro ungleich entfernten Punkte einer
drehenden Scheibe haben. Aber das richtigfte, ja, natürliche Bil
jener Abftufung liefert die Tonleiter, in ihrem ganzen Umfang, vom
tiefiten noch hörbaren bis zum höchſten Ton. Nun aber ift es der
Grad des Bewußtſeins, welcher den Grad des Dafeins eines Weſens
beftimmt. Denn alles unmittelbare Daſein ift ein fubjectives; das
objective Dafein ift im Bewußtſein eines andern vorhanden, alfo ganz
mittelbar. Durch den Grab des Bewußtſeins find die Weſen jo ver
ſchieden, wie fie durch den Willen gleich find, fofern diefer bas Gemein:
fame in ihnen allen ift. — Wie zwifchen Pflanze und Tier, und dam
zwiſchen ben verfchiedenen Thiergefchlechtern, fo auch zwiſchen Menſch
und Menſch begründet das Secundäre, der Intellect, mittelft der von
ihm abhängigen Klarheit des Bewußtfeins einen fundamentalen und
unabfehbar großen Unterfchied in der ganzen Weife des Daſeins und
dadurch im Grade deſſelben. (W. I, 318 fg; B. U, 63019;
N. 74—77.)
5) Gegenſatz bes Seibfibewußtfeins und des Bewußt—
ſeins anderer Dinge.
Das empirische Bewußtfein zerfällt in das Bewußtfein des eigenen
Selbſt (Selbftbewußtfein) und in das Bemwußtfein anderer Dinge.
. Bewußtſein 85
BG. I, 89.) Letzteres enthält, ehe noch jene andern Dinge darin
torleamen, gewiſſe Formen der Art und Weife bdiefes Vorkommens,
weihe deumad, Bedingungen der Möglichkeit ihres objectiven Daſeins,
d. 5. ihres Daſeins als Objecte fir uns find; dergleichen find Zeit,
Xanm, Saufalität. Obgleich nun diefe Formen des Erkennens in uns
ſelbſt Tiegen, fo ift dies doc nur zu bem Behuf, daß wir und anderer
Tinge als folder bewußt werden können und in burchgängiger Be—
zehung auf diefe; daher wir jene Formen, wenn fie glei in uns
liegen, nicht als zum Selbftbewußtjein gehörig anzufehen haben,
dielmehr als das Bewußtſein anderer Dinge, d. i. bie objective
Erkenntniß möglich) machend. (E. 9.)
Bon ımferm gefammten Bewußtſein ift der bei weitem größte Theil
siht das Selbftbemußtfein, fondern das Bewußtſein anderer
Tinge. Diefes ift der Schauplaß der realen Außenwelt. Erſt was
wir nach Abzug diejes bei Weitem größten Theiles unferes geſammten
Bewußtſeins übrig behalten, ift da8 Selbftbewußtfein, alfo ift der
Reichthum defielben nicht groß. Gegenftanb des Selbſtbewußtſeins ift
allezeit nur das eigene Wollen, worunter nicht bloß bie entfchiedenen,
zur That werdenden Willensacte und die förmlichen Entfchlüffe, fondern
auch alles Begehren, Streben, Winfchen, Verlangen, Sehnen, Hoffen,
Yieben, Freuen, Jubeln u. dgl., als zu ben Aeußerungen des Wollens
sehörend, zu verftehen if. (E. 10—12; W. U, 225.)
Nicht nur das Bewußtſein von anderen Dingen, d. i. die Wahr-
nehmung der Außenwelt, fondern auch da8 Selbftbewußtfein enthält
en Sriennendes und Crlanntes; fonft wäre e8 fein Bewußtfein;
denn ohne Gegenftand ift fein Bewußtſein. (W. IL, 225; I, 17.)
Alſo auch das GSelbftbewußtfein ift nicht ſchlechthin einfach, ſondern
zerfällt, wie das Bewußtſein von anderen Dingen, in ein Erlennendes
and Erkanntes. Diefes nun ift hier ausfchließlich der Wille in feinen
verjchiedenen Regungen. (8. II, 225; ©. 140.)
Im Selbſtbewußtſein ftreift das Ding an fich, der Wille, die eine
feiner Erfcheinungsformen, den Raum, ab und behält allein die andere,
te Zeit, bei. Nun aber kann in der bloßen Zeit ſich feine be⸗
harrende Subftanz, dergleichen die Materie ift, darftellen, weil eine
jolche nur durch die innige Vereinigung des Raumes mit der Zeit
möglich wird. Daher wird im Selbftbemußtfein der Wille nidjt als
das bleibende Subftrat feiner Regungen wahrgenonmmen, mithin nicht
als beharrende Subftanz angejchaut; fondern blos feine einzelnen Acte,
Bewegungen und AZuftände, dergleichen bie Entfchliegungen, Wünſche
und Affecte find, werben, fucceffiv und während der Zeit ihrer Dauer,
mittelbar erfannt. Die Erkenntniß des Willens im Selbftbewußtfein
ft denmach Feine Anſchauung befjelben, fondern ein ganz unmittel-
bared Innewerden feiner fuccejfiven Regungen. (WB. II, 279.) Das
Subject erfennt den Willen eben auch nur wie die Außendinge, an
jenen Aenßerungen, alſo an den einzelnen Willensacten und fonftigen
Afectionen, folglich erkennt es ihn immer noch als Erfcheinung,
86 Bewußtſein
wenngleich nicht unter ber Beſchrünkung bes Raumes, wie bie Außen-
dinge. (P. II, 48.)
6) Befhränfung des Bewußtſeins auf Erfheinungen.
Unfer Bewußtſein wird heller und deutlicher, je weiter ed nah Außen
gelangt, wie denn feine größte Klarheit in der finnlichen Anjchauung
Tiegt; es wird hingegen dunkler nad) Innen zu und führt, im fein
Imerftes verfolgt, in eine Finfterniß, in der alle Erkenntniß aufhört.
Dies hat feinen Grund darin, daß das Bemwußtfein Individualität
vorausſetzt, biefe aber ſchon der bloßen Erfcheinung angehört, indem fie
als Bielheit des Gleichartigen durch die Formen der Erfcheinung, Raum
und Zeit, bedingt iſt. Unſer Inneres dagegen hat feine Wurzel in
dem, was nicht mehr Erfcheinung, fondern Ding an fi ift, wohin
baher bie Formen der Erſcheinung nicht reichen, wodurd dann die
Hauptbedingungen der Individualität mangeln und mit diefer das deut-
liche Bewußtſein wegfält. In diefem Wurzelpunkt des Dafeins nämlich
hört die Berfchiedenheit der Weſen fo auf, wie die der Nadien eincı
Kugel im Mittelpunkt; und wie an diefer die Oberfläche dadurch ent:
fteht, daß die Radien enden und abbrechen, fo ift das Bewußtfein nur
da möglich, wo das Wefen an fi) in die Erfcheinung ausläuft, durch
deren Yormen die gefchiebene Iudividualität möglich wird, auf ber bas
Bewußtfein berubt, welches eben deshalb auf Erſcheinungen befchräntt
if. (W. DO, 370fg.) Das Bewußtfein ift in feinem Innern dunkel,
ift mit allen feinen objectiven Erkenntnißfräften ganz nach Außen ge
richtet. Da draußen liegt vor feinen Bliden große Helle und Klarheit.
Aber innen ift es finfter, wie ein gut gefchwärztes Fernrohr; Fein
Sat a priori erhellt die Nacht feines eigenen Iunern, fondern dieſe
Leuchtthiirme ſtrahlen nur nach außen. (E. 22.) Das Ih iſt der
finftere Punkt im Bewußtfein, wie auf der Netzhaut gerade der Ein⸗
trittspunft des Sehnerven blind ift, wie das Auge Alles fieht, nur ſich
jelbft nicht. Unſer Erkenntnigvermögen ift ganz nad, Außen gerichtet,
Dem entjprechend, daß es das Product einer zum Zwecke der bloßen
Sefbfterhaltung entftandenen Gehirnfunction if. (W. I, 560) Wir
können uns unferer nicht an uns felbft unabhängig vom den
Dbjecten des Erkennens und Wollens bewußt werden, fondern
fobalb wir, um es zu verfuchen, in und gehen und und, indem wir
das Erkennen nach Innen richten, einmal völlig befinnen wollen, fo
verlieren wir uns in eine bobenlofe Leere. (W, I, 327, Anmerkung.)
7) Das Bewußte im Öegenfage zum Unbewußten.
Bergleihen wir unfer Bewußtfein mit einem Waſſer von einiger
Tiefe; fo find die deutlich, bewußten Gedanken blos die Oberfläche; die
Maſſe Hingegen ift das Unbentliche, bie Gefühle, die Nachempfindung
ber Anſchauungen und des Erfahrenen überhaupt, verfetst mit der eigenen
Stimmung unſeres Willens, welcher der Kern unferes Weſens if.
Diefe Maſſe des ganzen Bewußtfeins ift num, mehr oder weniger, nad)
Maßgabe der intellectuellen Lebendigkeit in ſteter Bewegung, und was
Bewußtfein 87
in Feige dieſer auf die Oberfläche fteigt, find bie Haren Bilder der
Poeztafie, oder die deutlichen, bewußten Gebanten und die Befchlüffe
des Billens. Selten liegt der ganze Proceß unferes Denlens und
Veihliegens auf ber Oberflähe. Urtheile, Einfülle und Befchlüffe
Prigen oft unerwartet und zu unferer eigenen Verwunderung aus der
Tiefe unfered Innern auf. Das Bewußtſein ift die bloße Oberfläche
anſeres Geiſtes, von welchen, wie vom Erdkörper, wir nicht das
Innere, ſondern nur die Schaale fennen. (W. I, 148 fg.)
Unfere beften, finnreichiten, und tiefften Gedanken treten plötzlich ins
Bewußtſein, wie eine Imfpiration. Offenbar aber find fie Refultate
langer, unbewußter Meditation. Beinahe möchte man es wagen, die
phyfiologifche Sapothele aufzuftellen, daß das bewußte Denken auf der
Oberfläche des Gehirns, das unbewußte im Innern feiner Markſubſtanz
vor fih gehe. (P. U, 8. 41.)
8) Das Fragmentarifche des Bewußtfeine.
Ta unfer Bewußtjein niht den Raum, fondern allein die Zeit
zur Form bat, fo ift e8 Fein ftehendes, fonbern ein fließendes. Der
Intellect apprehendirt nämlich nur fucceffiv und muß, um bas Eine
zu ergreifen, das Andere fahren laſſen, nichts, als die Spuren von
ihm zurädkbehaltend, welche immer ſchwächer werden. Eines verbrängt
das Andere aus dem Bewußtſein. Auf diefer Unvolllonmenheit des
Intellects beruht das Rhapſfodiſche und Fragmentariſche unſers Be⸗
wußtſeins. Der Schlaf, die veränderte phyſiſche Miſchung der Säfte
md Spannung ber Nerven, welche nah Stunden, Tagen und Jahres⸗
zeiten wechjelt, tragen das ihrige dazu bei. (W. II, 150 fg.)
9) Das dem Bewußtfein Einheit und Zufammenhang
giebt.
Das, was dem Bewußtſein Einheit und Zufammenhang giebt, indem
es, durchgehend durch deſſen ſämmtliche Vorftellungen, feine Unterlage,
fein bleibender Träger ift, kann nicht felbft durch das Bewußtſein be-
dingt, mithin feine Vorftellung fein; vielmehr muß es das Prius des
Bewußtſeins umd die Wurzel des Baumes fein, wovon jenes die Frucht
ft. Diefes ift der Wille Cr allein ift unmwandelbar und ſchlechthin
identiſch, und Hat, zu feinen Sweden, da8 Bewußtſein hervorgebracht.
Daher iſt auch ex es, welcher ihm Einheit giebt und alle Borftelungen
md Gebanten deſſelben zufammenhält, gleichjfam als durchgehender
Ermdbaß fie begleitend. Der Wille ift es, welcher alle Gedanken und
Lorftellungen als Mittel zu feinen Zwecken zufannnenhält, fie mit der
verbe feines Charakters, feiner Stimmung und feines Interefjes tingirt,
die Aufmerkſamleit beherrfcht und den Faden ber Motive in der Hand
Kl. Er ift der wahre, letzte Einheitspunkt des Bewußtſeins und das
Band aller Functionen und Alte deffelben. (W. II, 153.)
10) Antagonismus zwifhen dem Selbftbemußtfein
und dem Bewußtfein anderer Dinge.
Je mehr die eine Seite des Bewußtfeins hervortritt, beito mehr
wacht die anbere zurück. Demnach wird das Bewußtfein anderer
88 Bibel
Dinge, alfo bie anfchauende Erfenntuiß, um fo volllommener, d. h
um fo objectiver, je weniger wir uns dabei des eigenen Selbſt bewuß
find. Je mehr wir bes Objectd uns bewußt find, defto weniger de:
Subjects; je mehr Hingegen dieſes das Bewußtfein einnimmt, deſte
ſchwächer und umvollkommener ift unfere Anfchauung der Außenwelt.
Zum reinen willenlofen Erkennen, zur objectiven Auffaflung der
Welt kommt es nur, wenn das Bewußtſein anderer Dinge fidh fc
hoch potenzirt, daß das Bewußtfein vom eigenen Selbft verjchwinbet.
(®. I, 418.)
11) Erlöfchen des Bewußtſeins durch den Tod.
Das Bewußtſein beruht zunächſt auf dem Intellect, diefer aber aui
einem phyfiologifchen Proceß. Denn er ift augenfcheinlich die Function
des Gehirns und daher bedingt durch das Zuſammenwirken des Nerven-
und Gefäßfuftems, näher, durch das vom Herzen aus ernährte, belebte
und fortwährend erfchütterte Gehirn. Ein individuelles Bewußt-
fein, alfo überhaupt ein Bewußtfein, Täßt fi) an einem unförper-
lichen Wefen nicht denken, weil die Bedingung jedes Bewußtfeine, dic
Erkenntniß, nothwendig Gehirnfunction if. Da alfo das Bemußtfein
nicht unmittelbar dem Willen anhängt, fondern durch den Intellect und
biefer durch den Organismus bedingt ift, fo bleibt fein Zweifel, daß
durch ben Tod das Bewußtſein erlifcht, — wie ja ſchon durch deu
Schlaf und jede Ohnmacht. (P. II, 289 fg.)
12) Duplicität des Bemwußtfein®.
Es giebt zwei entgegengefette Weifen, fich feines eigenen Daſeins
bewußt zu werden: einmal in empirischer Anjchauung, wie e8 von
Außen ſich darftellt, als eines verſchwindend Heinen, in einer der Zeit
und dem Raume nach grängenlojen Welt; — dann aber, indem man
in fein eigenes Inneres ſich verjenkt und ſich bewußt wird, Alles in
Allem und eigentlich das allein wirkliche Wefen zu fein. (P. II, 236.)
Bibel,
1) Die einzige metapbufifhe Wahrheit im Alten
Teſtament.
Nichts iſt gewiſſer, als daß, allgemein ausgeſprochen, die ſchwere
Sünde der Welt es iſt, welche das viele und große Leiden der
Welt herbeiführt. Dieſer Anſicht gemäß iſt die Geſchichte vom Sünden:
fall die einzige metaphyſiſche, wenn auch im Gewande der Allegorie
auftretende Wahrheit im Alten Teſtament. Denn nichts Auderem ſieht
unſer Daſein fo ähnlich, wie der Folge eines Fehltritts und eines
firafbaren Gelüſtens. (P. U, 323.) — Der Gott Ichovah, ber
animi causa und de gaietö de coeur biefe Welt der Noth und des
Jammers Herborbringt und dann gar fich felber Beifall Hatfcht, mit
rayra ara Arav, — Das ift nicht zu ertragen. (P. U, 322.)
2) Astetifcher Geift des Neuen Teftaments.
Im ächten urfpräinglichen Chriftenthum, wie es fi, vom Kern des
Bibel 89,
Neuen Zeftaments aus, in den Schriften der Kirchenväter enttvidelte,
in die asfetifche Tendenz unverkennbar; fie ift der Gipfel, zu welchen
Ales emporftrebt. Als die Hauptlehre derfelben finden wir die Empfeh—
lang des ächten und reinen Cölibats (diefen erften und wichtigften
Schritt in der Berneinung des Willens) fchon im Neuen Teftament
mögeiprochen: Matth. 19, 11 fg. — Luc. 20, 35—37. — 1. Cor. 7,
1-11 und 25—40. — (1. Thefl. 4, 3. — 1. Ih. 3, 3. —)
“pool 14, 4. — (W. II, 706.)
Alen proteftantifch -rationaliftifchen Verbrehungen zum Trotz, bildet
ver asketiſche Geift ganz eigentlich die Seele des Neuen Teftaments.
Tiefer aber ift die Verneinung des Willens zum Leben. (P. II, 335.)
Das meuteftamentliche Chriftenthum Tegt dem Feiden als ſolchem
Auternde und heiligende Kraft bei und fchreibt dagegen dem großen
Soblfein eine entgegengefeiste Wirkung zu. Die beriiämteften Stellen
tr Bergpredigt enthalten fogar eine indirecte Anweiſung zur freiwilligen
Amuth und dadurch zur Berneinung des Willens zum Leben. Denn
die Vorſchrift Matth. 5, AO ff., allen an uns gemachten Forderungen
unbedingt Folge zu leiften, Dem, der um die Tunifa mit uns redjten
rl, andy noch das Pallium dazu zu geben u. f. w., imgleichen da-
jelbſt (6, 25—34) die Vorschrift, uns allec Sorgen für die Zukunft,
ſagar fir den morgenden Tag, zu entfchlagen und fo in den Tag
hnem zu leben, find Lebensregeln, deren Befolgung unfehlbar zur
gazlihen Armuth führt. Nocd) entjchiedener tritt dies hervor in der
Stelle Matth. 10, 9—15, wo den Apofteln jedes Eigenthum, fogar
Schuhe und Wanderftab, unterfagt wird und fie auf das Betteln an«
gemejen werben. Diefe Borfchriften find nachmals die Grundlage der
Lettelorden geworden. (W. II, 725 fg.)
3) Segenfaß des Alten und Neuen Teſtaments.
Mit der optimiftifchen Schöpfungsgefchichte de8 Iudenthums fteht
tie neuteſtamentliche, weltverneinende Richtung in Widerſpruch. Allein
die Berbindung des Neuen Teftaments mit dem Alten ift im Grunde
kur eine äußerliche, eine zufällige, ja erzwungene, und den einzigen
Infrüpfungspunkt fiir die chriftliche Lehre bot diefes nur in ber Ge-
hihte vom Sündenfall dar, welcher übrigens im Alten Teſtament
Yolırt daſteht und nicht weiter benußgt wird. Sind es doch, der evan-
Lliſchen Darftellung zufolge, gerade die orthodoren Anhänger bes Alten
Teſaments, welche den Krenzestod des Stifters herbeiführen, weil fie
kne Lehren im MWiderftreite mit den ihrigen finden. (W. II, 710.)
bgeſehen vom Sündenfall, der in Alten Teftament wie ein hors
doeusre bafteht, ift ber Geift des Alten Teftaments dem des Neuen
Tſſaments diametral entgegengefeßt: jener optimiftifch, diefer peffimiftifch.
'®. 1, 711.) Dem eigentlichen Chriftentgum ift das ravıa xada
um des Alten Teftaments wirklich fremd; denn von der Welt wird
m Neuen Teftament durchgängig gevebet als von etwas, dem man
ht angehört, das man nicht liebt, ja deſſen Beherrſcher der Teufel
90 Bibel
iſt; z. B. Joh. 12, 25 und 31.— 14, 30. — 15, 18. 19. — 16,
33. — Coloſſ. 2, 20. — Eph. 2, 1—3. — 1 Joh. 2, 15—17 umd
4, 4.5. Dies ftimmt zu dem asfetifchen Geiſte der Verläugnung des
eigenen Selbft und der Ueberwindung der Welt, welcher, wie grängen-
Ioje Liebe des Nächflen, ſelbſt des Feindes, ber Grundzug ift, welchen
das Chriſtenthum mit dem Brahmanismus uud Buddhaisſsmus gemein
bat, und der ihre Verwandtſchaft beurkundet. (W. II, 715.)
Gerechtigkeit ift der ganze ethifche Inhalt des Alten Teftaments,
und Menfchenliebe der des Neuen; diefe ift die xauyn evroan (Joh. 13,
34), in welder, nad; Paulus (Röm. 13, 8—10) alle chriſtlichen
Tugenden enthalten ſind. (E. 230.)
Das Alte Teſtament ſtellt den Menſchen unter die Herrſchaft des
Geſetzes, welches jedoch nicht zum Erlöſung führt. Das Neue Teſta⸗
ment hingegen erklärt das Geſetz für unzulänglich, ja, ſpricht davon
108 (z. B. Röm. 7. — Gal. 2 und 3). Dagegen predigt es das Reich
der Gnade, zu welchen man gelange durch Glauben, Nächftenliebe und
gänzliche Berläugnung feiner ſelbſt; Dies fer der Weg zur Erlöfung
vom Uebel und von der Welt. (P. II, 335.)
Immer ift der Menſch auf fich ſelbſt zuriidigewiefen, wie in jeber,
fo in der Hauptſache. Vergebens macht er ſich Götter, um von ihnen
zu erbetteln und zu erfchmeicheln, was nur bie eigene Willenskraft
herbeizuführen vermag. Hatte das Alte Teftament die Welt und dar
Menſchen zum Werk eines Gotted gemacht, fo ſah das Neue Zeftament,
um zu ehren, daß Heil und Erlöfung aus dem Jammer biefer Welt
nur von ihr felbft ausgehen Tann, fi genöthigt, jenen Gott Menſch
werden zu laffen. Des Menjchen Wille ift und bleibt c8, wovon Als
fir ihn abhängt. (W. I, 384.)
Die Annahme, daß der Menfh aus Nichts gefchaffen fei, führt
nothwendig zu der, daß der Tod fein abjolutes Ende fei. Hierin ift
alfo das Alte Teftament völlig confequent; denn zu einer Schöpfung
aus Nichts paßt Feine Unſterblichkeitslehyre. Das neuteftamentlide
Chriſtenthum hat eine folche, weil es Indiſchen Geiftes und daher,
mehr als wahrfcheinlih, auch Indiſcher Herkunft ift, wenngleich nur
unter Aegyptiſcher Dermittlung. Allein zu dem Jüdiſchen Stamm,
auf welchen jene Indiſche Weisheit im gelobten Lande gepfropft werden
mußte, paßt told, „ie die Freiheit des Willens zum Gefchaffenfein
deſſelben. (W. UI
4) Die biftorifäen Stoffe der Bibel, als Vorwürfe
der Hiftorienmalerei betrachtet.
Entjchieden nachtheilig wirken hiftorifche Borwürfe nur dann, wann
fie den Maler auf ein willfürlih und nicht nach Kunftzweden, fondern
nad) andern gewähltes Feld beſchränken, vollends aber, wann diefes Feld
an malerifchen und bedeutenden Gegenftänden arm ift, wenn es z. B.
vie Geſchichte eines Heinen, abgefonberten, eigenfinnigen, hierarchiſch,
d. h. durch Wahn beherrſchten, von den gleichzeitigen großen Völlern
des Orient und Occidents verachteten Winkelvolls ift, wie die Juden. —
Bibliotheken — Bildung 91
Beſonders aber war es für die genialen Maler Italiens, im 15. und
16. dahrhundert, ein Schlimmer Stern, daß fie in dem engen Kreiſe,
an den fie für die Wohl der Vorwürfe mwillfitrlich gewiejen waren, zu
Nueren aller Art greifen mußten; denn das Neue Teſtament ift, feinem
elorifchen Theile nach, file die Malerei faft noch unginftiger, als das
Tr. Jedoch hat man von den Bildern, deren Gegenſtand das Ge»
ichichtliche, oder Mythologiſche, des Judenthums und Chriſtenthums iſt,
gar fehr diejenigen zu unterſcheiden, im welchen der eigentliche, d. h. der
cihijche Geift des Chriſtenthums für die Anfchauung offenbart wird,
durch Darftelung von Menfchen, welche dieſes Geiſtes voll find.
W. I, 274.)
Sibliotheken.
1) Bibliothefen bewahren die verfteinerten Irrthü—
mer auf.
Wie die Schichten der Erde die lebenden Wefen vergangener Epochen
reihenweiſe aufbewahren; fo bewahren die Bretter der Bibliotheken
tehenweife die vergangenen Irrthümer und deren Darlegungen, welche,
wie jene Erſteren, zu ihrer Zeit, fehr lebendig waren und viel Lärm
machten, jet aber flarr und verfteinert daftehen, wo nur nod) die
knerariſche Paläontologie fie betrachtet. (PB. II, 589.)
2) Bibliothefen find das papierne Gedächtniß der
Menſchheit.
Von dem geſammten menſchlichen Wiſſen iſt immer nur ein kleiner
Will in jedem gegebenen Zeitpunkt in irgend welchen Köpfen wirklich
lehendig. Der allergrößte Theil eriftirt ftetS nur auf dem Papier, in
ven Büchern, diefem papiernen Gedächtniß der Menjchheit. Wie ſchlecht
wirde e8 um das menfchliche Wiffen ftehen, wenn Schrift und Drud
acht wären. Daher find die Bibliothefen allein das fidjere und blei-
bende Gedächtniß des menſchlichen Geſchlechts, defjen einzelne Mitglieder
alle nur ein fehr befchränttes und unvollfommenes haben. (P. II, 519.)
bild, ſ. Malerei.
bilddanerkunſt, ſ. Sculptur.
bildung.
1) Gegenſatz zwiſchen Bildung und natürlichem Ver—
and
Natürlicher Berftand kann faft jeden Grab von Bildung erfegen,
ober feine Bildung den natürlichen Berftand. (WW. II, 84.)
2) Bildung kann den urfprünglidhen Unterfchied der
Seifter nicht aufheben.
Ter gleiche Grab der Bildung kann den urfprünglichen Unterſchied
kr Geifter nicht aufheben. Denn felbft bei ziemlich gleichem Grabe
kt Bildung gleicht die Converfation zwifchen einen: großen Geifte und
tum gewöhnlichen Kopfe der gemeinfchaftlichen Reife eines Mannes,
‘rauf einem muthigen Roſſe fit, mit einem Fußgänger. Beiden
92 Billigleit — Biographie
wird fie bald höchſt Täftig und auf die Länge unmöglid. Auf ein:
lurze Strede kann zwar der Reiter abfigen, um mit dem Audern ;ı
gehen; wiewohl auch dann ihm die Ungebuld feines Pferdes viel a
Ichaffen machen wird. (W. II, 162.)
3) Berhältniß der Bildung zu natürlichen Borzügen
des Geiſtes.
Bildung verhält fid) zu natürlichen Vorzügen des Imtellects, wie
eine wächſerne Nafe zu einer wirflicdyen, aud) wie Planeten und Monde
zu Eounen. Denn vernöge feiner Bildung fagt der Menſch nidjt
was er deut, fondern was Andere gedacht haben und er gelernt hat;
und er thut nicht ſogleich was er möchte, fondern was man ihn zu
thun gewöhnt hat. (9. 459.)
Killigkeit.
Die Billigkeit ift der Feind der Gerechtigkeit und jegt ihr oft
gröblich zu; daher man ihr micht zu viel einräumen foll. Der Deutice
ift ein Freund der Billigfeit, der Engländer hält es mit der Gerech⸗
tigkeit. (E. 221.)
Biographie. |
1) Vorzug der Biographie vor der Gedichte. |
In Hinfiht auf die Erkenntniß des Weſens der Menfchheit iſt den
Biographien, vornehmlich den Autobiographien, ein größerer
Werth zuzugeftehen, als der eigentlidien Geſchichte, wenigften® wie
fie gewöhnlich behandelt wird. Theils nämlich find bei jenen die Data
richtiger und vollftändiger zufammenzubringen, als bei diefer; theils
agiven in der eigentlichen Geſchichte nicht ſowohl Menſchen, als Völker
und Heere, und die Einzelnen, welche noch auftreten, erfcheinen in
foldyer Entfernung und Verhüllung, daß es ſchwer wird, durch diefe
hindurch das menjchliche Wefen zu erfennen. Hingegen zeigt das treu
gefchilderte Leben des Einzelnen in einer engen Sphäre bie Handlungs-
weile der Menſchen in allen ihren Nitancen und Geftalten und eröffnet
und den Blick in bie innere Bedeutung des Erſcheinenden, für
welche es fich gleich bleibt, ob die Gegenftände, um bie es ſich Handelt,
relativ Mein oder groß, Bauerhöfe oder Königreihe find. — Die Ge
ſchichte zeigt uns die Menſchheit, wie und eine Ausfiht von einem
hohen Berge die Natur zeigt. Dagegen ‚zeigt und das dargeſtellte
Leben des Einzelnen den Dienfchen fo, wie wir die Natur erkennen,
wenn wir zwiſchen ihren Bäumen, Pflanzen, Felſen und Gerväflern
umhergehen. (W. I, 291—293.)
2) Widerlegung der Zweifel an der Wahrhaftigkeit
der Autobiographien.
Dean hat Unrecht zu meinen, die Autobiographien feien voller Trug
und Berftellung. Bielmehr ift das Lügen dort vielleicht ſchwerer, als
irgendwo. In einer Selbftbiographie fid) zu verſtellen ift fo ſchwer,
daß es vielleicht feine einzige giebt, die nicht im Ganzen wahrer wäre,
Bid — Böle 93
als jede andere gefchriebene Geſchichte. Der Menſch, der fein Leben
aufjeihmet, überblidt e8 im Ganzen und Großen, das Einzelne wird
fein, das Nahe entfernt fid), das Ferne kommt wieder nah, die Rüd-
kohten ſchrumpfen ein; er fitt fich felbft zur Beichte ımd Hat fid)
freimillig hingeſetzt; der Geift der Lüge faßt ihn hier nicht jo leicht;
San es Niegt im jedem Menſchen auch eine Neigung zur Wahrheit,
Ne bei jeder Lüge erft überwältigt werden muß und die eben hier eine
ungemein ftarfe Stellung eingenommen bat. (W. I, 292.)
Blik, ſ. Ange.
Blut.
1) Das Blut als Urflüffigfeit des Organismus,
Das Blut hat, wie e8 alle Theile des Leibes ernährt, auch fchon,
als Urflüffigleit des Organismus, diefelben urſprünglich aus ſich erzeugt
und gebildet; und die Ernährung der Theile, weldye eingeftändlich die
Sanptfunction des Blutes ausmacht, ift nur die Yortjegung jener ur⸗
iprünglidyen Erzeugung derſelben. (W. U, 288.)
Der Wille objectivirt ſich am unmittelbarften im Blute, als welches
den Organismus urſprimglich fchafft und formt, ihn durch Wachsthum
vollendet und nachher ihn fortwährend erhält, ſowohl durd) regelmäßige
(fmeuerung aller, al8 durch außerordentliche Herftellung verletster Theile.
W. UI, 289.)
Das erfte Product des Blutes find feine eigenen Gefäße. (W. II,
289.) Die Gefäße felbft hat das Blut gemacht, da es im Ei früher,
als fie erfcheint; fie find nur feine freiwillig eingefchlagenen, dann gebahn-
ten, endlich allmälig condenfirten und umfchloffenen Wege. (W. 11, 287.)
2) Die Bewegung des Blutes,
Die Bewegung des Blutes ift eine jelbftftändige und urfprüngliche,
ne bedarf nicht einmal, wie die Yrritabilität, des Nerveneinfluffes,
und ift felbft vom Herzen unabhängig; wie dies am deutlichften der
Rücklauf des Blutes durd) die Venen zum Herzen fund giebt, da bei
dieſem nicht, wie beim Arterienlauf, eine vis a tergo ed propellict,
end auch alle fonftigen mechaniſchen Erklärungen, wie etwa durd)
am Saugekraft der rechten Herzlammer, durchaus zu Furz kommen.
B. U, 286.)
3), Der Lauf des Blutes beftimmt die Geftalt des
Leibes.
Ter Lauf der Arterien beftimnit die Geftalt und Größe aller Glie—
ser; folglich ift die ganze Geftalt des Leibes durch den Lauf des Blutes
beſtimmt. (W. II, 288.)
Sole. Bosheit.
1) Bedeutung des Wortes „böfe”.
Böfe ift, fo wie gut, Ausdrud einer Relation. Alles, was den
Leitrebungen irgend eines individuellen Willens gemäß ift, heißt, in
91 Böfe
Beziehung auf diefen, gut, 3. B. gutes Efien, gute Wege, gute Vor
bedentung; — ba8 Gegentheil ſchlecht, am belebten Weſen böſe.
(E. 265.) Der Begriff des Gegentheild von gut wird, fo lange von
nichterfennenden Weſen die Rebe ift, durch das Wort ſchlecht, feltene
und abftracter durch Uebel ausgedrückt, welches alles dem jedesmaligen
Streben des Willens nicht Zufagende bezeichnet. Im Deutſchen und
Franzoſiſchen bezeichnet man dieſes bei erfeimenden Weſen (Thieren und
Menfchen) durch ein anderes Wort, als bei erkenntnißloſen, nämlich
durch böfe, mechant, während in faft allen andern Sprachen dieſer
Unterſchied nicht Statt findet und xaxo<, malus, cattivo, bad vor.
Menfchen wie von lebloſen Dingen gebraucht werden, welche den Zwecken
eines beſtimmten individuellen Willens entgegen ſind. (W. J, 426.)
2) Weſen und Grundelemente des böſen Charakters.
Wenn ein Menſch, ſobald Veranlaſſung dazu da iſt und ihm feine
äußere Macht abhält, ſtets geneigt ift, Unrecht zu thun, nennen wir
ihn böfe. Diefes heißt nad) dem Begriff des Unrechts (I. Unredit‘,
daß ein folcher nicht allein den Willen zum Leben, wie ex in feinem
Leibe erjcheint, bejaht; fondern in dieſer Bejahung fo weit geht, dat
er den in andern Inbividuen erjcheinenden Willen verneint; was ſich
darın zeigt, daß er ihre Kräfte zum Dienfte feines Billens verlangt
und ihr Dafein zu vertilgen ſucht, wenn fie ben Beſtrebungen ſeines
Willens entgegenſtehen. Die letzte Quelle hiervon iſt ein hoher Grad
des Egoismus. Zweierlei iſt hier ſogleich offenbar: erſt lich, daß in
einem ſolchen Menſchen ein überaus heftiger, weit über die Bejahung
feines eigenen Leibes hinausgehender Wille zum Leben ſich ausſpricht;
und zweitens, daß ſeine Erkenntniß, ganz im principio individus-
tionis befangen (ſ. Individuation), bei dem durch dieſes letztere ge
ſetzten gänzlichen Unterſchiede zwiſchen feiner eigenen Perfon und allen
andern feit ftehen bleibt; daher er allein fein eigenes Wohlfein ſucht,
vollfommen gleichgiiftig gegen das aller Anderen, deren Weſen ıhm
vielmehr fremd ift, durch eine weite Kluft von dem feinigen geſchie⸗
den, a, die er eigentlich nur als Larven, ohne alle Realität, anficht.
(W. I, 428 fg.)
3) Phyfiognomifher Ausdrud des böſen Charakters.
Große Heftigkeit des Wollens ift an fich eine ftete Quelle des Lei⸗
dens. Weil nun vieles und heftiges Leiden von vielem und heftigem
Wollen unzertrennlid) ift, trägt der Gefichtsausdrud fehr böfer Menſchen
das Gepräge des innern Leidens; felbft wenn fie alles äußerliche Glück
erlangt haben, ſehen ſie ſtets unglücklich aus, ſobald ſie nicht in augen⸗
blicklichem Jubel begriffen find, oder fich verftellen. (W. I, 429.)
4) Weſen und Urfprung der eigentlichen Bosheit.
Aus ber dem böfen Menſchen weſentlichen innern Dual geht zulett
die nicht aus bloßem Egoismus entſprungene, ſondern uneigennittzige
Freude an fremden Leiden hervor, welche die eigentliche Bos heit iſt
und ſich bis zur Grauſamkeit ſteigert. Dieſer iſt das fremde Leiden
Brahmanisnms 95
nicht mehr Mittel zur Erlangung der Zwecke des eigenen Willens,
ſondem Zwed an fill. Der bis zur Bosheit ſich fteigernde böſe
Bile fucht nümlich für die innere Qual, an der er leidet, in⸗
direct die Linderung, deren er direct nicht fähig ift, fucht durch
des Anblick fremden Leidens, welches er zugleich als eine Aeußerung
mer Macht erkennt, das eigene zu mildern. Fremdes Leiden wird
ihm jest Zweck an fi, ift ihm ein Anblid, an dem er fid) weidet.
'E. 1, 429 fg.)
5) Unterfchieb der Bosheit vom Egoismus.
Der Egoismus Tann zwar zu Verbrechen und Unthaten aller Art
führen; aber ber dadurch verurfacte Schaden und Schmerz Anderer
m ihm blos Mittel, nicht Zweck, tritt alfo nur accidentell dabei ein.
der Bosheit und Grauſamkeit hingegen find die Leiden und Schmerzen
Anderer Zwed an fi) und defien Erreichen Genuß. Deshalb machen
Bosheit und Grauſamkeit eine höhere Potenz moralifcher Schlechtigfeit
and. Die Marime des üußerften Egoismus ift: Neminem jyva, imo
mnes, si forte conducit (alfo immer noch bedingt), laede., Die
Narıme der Bosheit iſt: Omnes, quantum potes, laede. (E. 200.)
6) Zufammenhang der moralifden Schledhtigfeit mit
der Dummheit ſ. Dummheit.
Scahmanismus.
1) Der Brahmanismus ift Atheismus und Fennt feinen
erften Anfang der Welt.
Die Urreligionen unferes Geſchlechts, welche auch noch jest die
größte Anzahl von Belennern auf Erden haben, alfo Brahmanismus
und Buddhaismus, kennen keinen erften Anfang der Welt, jondern
führen die Reihe der einander bebingenden Erjcheinungen ins Unendliche
kinauf, — ein hiftorifcher Beleg dafür, daß die Annahnıe eines abjoluten
Anfangs, die Annahme einer Gränze ber Welt in ber Zeit, keineswegs
em nothwendiger Gedanfe der Vernunft, alfo Teineswegs im Weſen der
Bermunft begründet if. (W. I, 574. 587.)
Es darf uns nit in den Sinn Tommen, dad Brahm der Hindu,
welches in mir, in dir, in meinem Pferde, in deinem Hunde lebt und
leidet, — oder auch deu Brahma, welcher geboren ift und ftirbt, andern
Drahma's Pla zu machen, und dem überdies fein Hernorbringen der
St zur Schuld und Sünde angerechnet wird, mit Gott dem Herru,
km perfönlichen Schöpfer und Regierer der Welt, der Alles wohl⸗
gemacht, zu verwechſeln. (G. 125.)
2) Der Brahmanismus ıft Idealismus.
Tie edleren, älteren und befleren Religionen, alfo Brahmanismus
md Buddhaismus, legen ihren Kehren durchaus den Idealismus zu
Grunde, deflen Anerkennung fie mithin fogar dem Bolt zumuthen.
3.11, 40.) Blos in Europa ift der Idealismus, in Folge der wer
jentlich und unumgänglich realiftifchen Grundanficht, parador. (G. 32.)
96 nu — Yale
3, Ter Prefmanismue lehrt Mitempiydoie.
I den Seden, wir in allen heibgrn Püdgern Indiens gelehrt, if
die Weiez’yhoir der Kern des Froiencamm: md Buddhaismus
herricht deizacdh mod jegt im ganzen iuirten Afien, alſo bi
mich ale der Eüitte des ganzen Menicheugihleikz, als die feitefte Ueber:
zeugung und mit enzlanbüd Harlem yratzichen Chu. (WB. 1,57)
4, Ter Brahmanismus in Feijimismut. |
Brahma bringt durch eine Art Sünderiall, oder Berirrung, di
Welt hervor, bleıbt aber dafür jelbfi darin, e& abzubüßen, bis er fih
daraus erlöjt hat; — fehr gut! (P. DO, 322; ©. 125.)
5, Brahmaniſche Lehre von der mmperänderliden Be— |
ftimmtheit des angeborenen Charalter®.
Die Brahmanen drüden die unveränderliche Beſtimmtheit des ange |
borenen Charalters mythifc, dadurch aus, daR fie jagen, Brahma hal,
bei der Hervorbringung jedes Menſchen, fen Thun und fein Leiben in
Schriftzeichen auf feinen Schädel gegraben, denen gemäß fein Lebens
lonf ausfallen müfſe. Als diefe Schrift weijen fie die Zacken der
Euturen der Schädelluochen nad. (P. II, 243.)
Grunfl.
Die manmigfaltigen, heftigen Aeuferungen der Brunft bei da |
Thieren find die Stimme bes Willens zum Leben, mit der er niit:
„Das Leben des Individuums thut mir nicht genug, ich braude dat
Leben der Gattung zur Ausfüllung endloſer Zeit, der Form meine |
Erfcheinens.” (9. 406.)
Bücher.
1) Der Werth der Bücher liegt entweder im Stofi
oder in der Form.
Ein Buch kann nie mehr fein, als der Abdruck der Gedanken dei
Derfoffers. Der Werth diefer Gedanken liegt entweder im Stoll,
alfo in Dem, wortiber er gedacht hat; oder in der Form, d. h. der
Bearbeitung des Stoffe, alfo in Dem, was er darüber gedacht hat.
Das Worliber ift mannigfaltig, und ebenfo die Vorzüge, welde ©
den Büchern ertheilt. Ein Buch kann ftofflich wichtig fein, wer ud
immer der Berfaffer fei. Bei der Form hingegen entjpringt der Werth
nicht aus dem Object, fondern ans dem Subject. Iſt daher en
Buch von diefer Seite vortrefflich, fo ift es der Verfaſſer auf. —
Wenn ein Buch berühmt ift, fo hat man wohl zu unterfcheiden, ob
wegen des Stoffes, oder der Form. (P. II, 540 fg.)
2) Bücher find nicht fo belehrend, als die Wirklichkeit.
Betrachtung und Beobachtung jedes Wirklichen, fobald es irgend
etwas dem Beobachter Neues darbietet, ift belehrender, als alles Leſen
und Hören. Denn fogar ift in jedem Wirflichen alle Wahrheit und
Weisheit, ja, das letzte Geheimniß der Dinge enthalten, freilich nur
in concreto, und fo, wie das Golb im Erze fledt; es kommt daran)
an, es heranszuziehen. Aus einem Buche Hingegen erhält man, in
Bücher 97
beten Fell, bie Wahrheit doch nur aus zweiter Hand, dfter aber gar
nd (8. I, 77; ®. DO, 51.)
3) Barum Bücher nicht die Erfahrung erfegen lönnen.
Deß Bücher nicht die Erfahrung, und Gelehrſamleit nicht das Genie
efeet, find zwei verwandte Phänomene; ihr gemeinfamer Grund if,
ff das Abſtracte nie das Anfchanliche erfegen kann. Bücher erſetzen
mn die Erfahrung nicht, weil Begriffe ftets allgemein bleiben
md daher anf das Einzelne, welches doch gerade das im Leben zu
Lehandelnde ift, nicht herab gelangen. Hiezu kommt, daß alle Begriffe
een aus dem Einzelnen und Anfchaulichen der Erfahrung abftrahirt
fad, daher man dieſes fchon Kernen gelernt haben muß, um auch nur
= an, welches die Bücher mittheilen, gehörig zu verftehen.
'®,. U, 80.)
4) Bas die meiften Bücher mittelmäßig und lang-
weilig macht.
Bei den meiften Büchern, von den eigentlich fchlechten ganz abgefehen,
et, wenn fie nicht durchaus empirifchen Inhalts find, der Verfafler
war gedacht, aber nicht geſchaut; er Hat aus der Neflerion, nicht
and der Intuition gefchrieben; und dies eben ift e8, was fie mittel-
möfig und Iangweilig macht. Nur, wo dem Denken eines Autors ein
Schauen zu Grunde lag, da ift es, als fchriebe ex aus einem Rande,
wo der Leſer nicht auch fchon geweſen ift; da ift Alles friſch und neu;
® N ift and der Urquelle aller Erkenntniß unmittelbar gefchäpft.
.D, 77 fg.)
5) Bücher, als die Duinteffenz eines Geiftes, find
gehaltreicher, als fein Umgang.
Die Werke find die Quinteffenz eines Geiftes; fie werben daher,
and wenn er der größte ift, ſtets ungleich gehaltreicher fein, als fein
Umgang. Sogar die Schriften eines mittelmäßigen Kopfes Tünnen
belehrend, leſenswerth und unterhaltend fein, eben weil fie feine Quint⸗
Menz find, die Frucht alles feines Denkens und Studirens; während
ru Umgang uns nicht genügen kann. (P. II, 597.)
6) Schlechte Bücher find nidt blos unnüg, fondern
pofitiv ſchaädlich.
Die ſchlechten Bücher find das wuchernde Unkraut der Litteratur,
ulies dem Weizen die Nahrung entzieht und ihn erftidt. Sie reißen
mich Zeit, Geld und Aufmerkſamkeit des Publikums, welche von
Kehtöwegen den guten Büchern und ihren eblen Zweden gehören, an
hd; fie find affo micht blos unnitg, fonbern pofitiv ſchädlich. (P. IL,
89.) Schlechte Bücher find intellectwelles Gift, fie verderben ben
GR. (P. I, 590.) Ä
T) Die neueften Bücher find nicht immer die beften.
Kein größerer Irrihum, als zu glauben, daß das zuletzt gefprochene
ort ſteis daS richtigere, jedes ſpater Gefchriebene eine Verbeſſerung
5 früber Gefchriebenen und jede Veränderung ein Portfchritt fei.
du ſitierariſche Geſchmeiß ift ſtets bei der Hand und emfig bemilht,
ẽqepenhauer⸗exilon. IL. 7
98 Büchertitel — Buddhaismus
das von denkenden und urtheilsfähigen Köpfen nach reiflicher Ueberlegung
Geſagte auf feine Weife zu verbeſſern. Daher hüte ſich, wer über
einen Gegenſtand fich belehren will, fogleih nur nad) den meueften
Büchern darliber zu greifen, in der Borausfegung, daß die Wiffen:
fchaften immer fortfchreiten.. Schon oft ift ein älteres, vortreffliches
Bud durch neuere, fchlechtere verdrängt worden. ‘Den Neuerern ift es
mit nichts in der Welt Eruft, fie wollen fid) nur geltend machen.
Daher ift oft der Gang der Wiffenfchaften ein retrogader. (P. Il,
538 fg.)
Büchertitel.
1) Erfordernifje eines guten Büchertitels.
Was einem Briefe die Aufjchrift, das fol einem Buche fein Titel
fein, alfo zunächft den Zweck haben, daffelbe dem Theil des Publikums
zuzuführen, welchem fein Inhalt interefjant fein Tann. Daher foll der
Zitel bezeichnend, und da er wefentlich kurz ift, concig, lateniſch präg-
nant und wo möglid) ein Monogramm des Inhalte fein. (B. II, 540.)
2) Welche Büchertitel ſchlecht find.
Sälcht find die weitjchweifigen, die nichtsfagenben, die fchielenden,
die zweideutigen, oder gar faljchen und irreführenden Zitel, welche
legtere ihrem Buche das Schidjal der falſch überfchriebenen Briefe
bereiten fönnen. (P. I, 540.)
3) Auf Bühertiteln foll der Autor nit mit feinen
eigenen Ziteln prunfen.
Auf Büchertiteln mit feinen eigenen Titeln und Aemtern zu
prunfen ift höchſt unpaffend; denn in der Litteratur gelten feine andere
als geiftige Vorzüge: wer andere geltend machen will, verräth, daß er
diefe nicht bat. (M. 425.)
Buddhaismus.
1) Der Buddhaismus als die vornehmſte Religion
auf Erden.
Der Buddhaismus iſt ſowohl wegen der überwiegenden Anzahl feiner
Belenner, als wegen feiner innern Bortrefflichleit und Wahrheit, als
die bornehnifte Religion auf Erden zu betrachten. (N. 130 fg. W. IL,
186. P. I, 139; U, 241.)
2) Charakter des Buddhaismus.
Der Buddhaismus iſt, ſo wie ſtreng idealiſtiſch und peſſimiſtiſch,
auch entſchieden und ausdrücklich atheiſtiſch, durch melde letztere
Eigenſchaft er beweiſt, daß diejenigen irren, welche Religion und
Theismus ohne Weiteres als identiſch und ſynonym nehmen.
* 125—128. N. 132ff. P. I, 126, Anmerk. P. IL, 40. 324.
32.)
3) Borzug bes Buddhaismus vor dem Brahmanismus.
Der Buddhaismus iſt frei von jener ſtrengen und übertriebenen
Askeſe, welche im Brahmanismus eine große Rolle ſpielt, alſo von |
der abfichtlichen Selbftpemigung, Er Täßt e8 bei dem Coclibat, der
Buddhaismus 99
freiviligen Armuth, Demuth und Gehorſam der Mönche und Ent⸗
zalteng von thieriſcher Nahrung, wie auch von aller Weltlichkeit bes
zen. (W. I, 695.)
Tie Buddhaiften laſſen Feine Kaften gelten. (W. I, 421.) (Ueber
den Borzug des Buddhaismus vor der indifchen Religion in Hinficht
zıf die Götterlehre fiehe: Inder.)
4) Borzug des Buddhaismus vor dem Chriftenthum.
Ein eigenthümlicher NachtHeil des Chriftenthums, der befonders feinen
Anſprüchen, Weltreligion zu werden, entgegenfteht, ift, daß es fi in
der Hauptſache um eine einzige individuelle Begebenheit dreht und von
dieſer das Schidfal der Welt abhängig macht. Kine Religion, die zu
ihrem Fundament eine einzelne Begebenheit hat, fteht auf fehr
ihwahem Fundament. Wie meife ift dagegen im Buddhaismus die
Annahme der taufend Buddhas! damit es fich nicht ausnehme, wie
im Chriſtenthum, wo Jeſus Chriftus die Welt erlöft hat und aufer
ihm fein Heil möglich iſt. (P. UL, 423.) Der chriftlichen Asfefe fehlt
es an einem eigentlichen, Klaren, deutlichen und unmittelbaren Motiv;
ne hat Fein anderes, ald die Nachahmung Chriſti. (H. 431.)
Die Moral des Chriſtenthums fteht hinter der des Brahmanismus
und Buddhaismus darin zurüd, daß fie die Thiere nicht berüdfichtigt.
E. 241.)
5) Mebereinfiimmung des Buddhaismus mit der Scho—
penhauerfhen Philofophie.
Der Buddhaismus hat durch feinen Idealismus, Atheismus
sn Peſſimismus bie größte Webereinftimmung mit der Schopen-
dauerſchen Philofophie, — eine Mebereinftimmung, bei welcher die
lestere niht unter den Einfluß des Buddhaismus geftanden hat.
'®. II, 186. 9. 432. P. OD, 324.) Auch in einzelnen Lehren läßt
fi, diefe Webereinftimmung nachweiſen. So ftimmt die Buddhaiſtiſche
Betrachtung der phyfifchen Uebel und Kataftrophen als Folgen
morolifcher Fehler und Vergehen ihrer Wahrheit nach) mit der
Schopenhauerfchen Lehre überein, daß die Natur die Objectivation des
Willens zum eben ift und feiner moralifchen Beichaffenheit gemäß
euefällt; wie der Wille ift, fo ift feine Welt. (H. 430 fg. B.U, 322.)
Auh von der Scopenhauerfchen Lehre, daß die Natur ihre Erlö-
fing vom Menfchen zu erwarten hat, finden ſich im Buddhaismus
manhe Ausdrücke. (W. I, 450.) In Hinfidt auf die Fortdauer
a dem Tode giebt es im Buddhaismus eine eroterifche und efoterifche
Lehre; erſtere ift, wie in Brahmanismus, die Metempſychoſe, lettere
ft eine viel fchwerer faßliche Palingenejie, die in großer Weberein-
ſtinmung fteht mit Schopenhauer8 Lehre vom metaphyſiſchen Be—
Hande des Willens bei ber blos phyſiſchen Befchaffenheit und diefer
entſprechenden Bergänglichkeit des Intellects. (PB. II, 293. W. II, 574.)
Der Buddhaiflifche Gegenfag von Sanfara und Nirmana entfpricht
dem Schopenhauerfchen von der Bejahung und Verneinung des
Eilens zum Leben. Sanfara ift die Welt der fteten Wiedergeburten,
7#
100 Calembourg — Charalter
bes Gelüftes und Verlangens, ber Sinnentäufhung und wandelbarn
Formen, des Geborenwerbend, Alterns, Erkrankens und GSterbene.
Nirwana, d. 5. Erlöfchen, ift die Erlöfung von allem diefem und
bezeichnet Das, was eintritt nach Verneinung bes fünblichen Willene,
der das Phänomen biefer Welt Kervorbringt, alſo die Erſcheinung des
Nichtwollens, im Wefentlichen daflelbe mit dem magnum sakhepat
ber Bedalehre und dem erexerwva der Neuplatoniker. (W. I, 581.
640, 696. 698. P. I, 334. W. I, 421.)
C.
Calembourg, ſ. unter Lächerliches: Witz.
Caricatur.
Diejenigen Künfte, deren Zwed die Darftellung der Idee der Menſch⸗
heit ift, haben neben der Schönheit, als bem Charakter ver Gattung,
noch den Charakter des Individuums, welcher vorzugsweife Charakter
genannt wird, zur Aufgabe, jedoch muß aud) der (individuelle) Charafter
idealifch, d. 5. mit Hervorhebung feiner Bedeutſamkeit in Hinſicht
auf die Idee der Menfchheit aufgefaßt umd bargeftellt werden. Weder
darf die Schönheit durdy den Charakter, noch diefer durch jene aufge:
hoben werden, weil Aufhebung des Gattungscharafters durch den bes
Individuums Caricatur, und Aufhebung des Individuellen burd
den Oattungscharalter Bedeutungslofigkeit geben wiirde. — Geht das
Charafteriftiiche bis zur wirklichen Aufhebung des Charakters der
Gattung, alfo bis zum Unnatürlihen, fo wird e8 Caricatur.
(W. I, 265 fg.)
Caritas, |. Liebe.
Charakter.
1) Der Charakter als Naturkraft.
Der Menſch ift, wie jeder andere Theil der Natur, Objectität bes
Willens. Wie jeded Ding in der Natur feine Kräfte und ualitäten
bat, die auf beflimmte Einwirkung beftimmt reagiren und feinen
Charakter ausmachen; jo hat auch er feinen Charakter, aus dem bie
Motive feine Handlungen hervorrufen und zwar mit Nothwenbigfeit.
(®. 1, 339.) Ä
Die fpeciell und individuell beftimmte Befchaffenheit des Willens,
vermöge beren feine Reaction auf die felben Motive in jedem Menfchen
eine andere ift, macht Das aus, was man befien Charakter nennt.
Durch ihn ift die Wirfungsart der verfchiedenartigen Motive auf den
gegebenen Menfchen beftimmt. Denn er liegt allen Wirkungen, welde
die Motive hervorrufen, fo zum Grunde, wie die allgemeinen Neturkräfte
Eharalter 101
den krch Urſachen im engften Sinn bervorgerufenen Wirkungen, und
die Lebenskraft den Wirkungen ber Reize. (E. 48.)
Jedes Seiende muß eine ihm weientliche, eigenthümliche Natur °
haben, vermöge welcher e8 ift was es ift, die es ſtets behauptet, deren
Aenßerungen von den Urſachen mit Nothwenbigfeit hervorgerufen werden;
während Hingegen diefe Natur felbft keineswegs das Werk jener Ur⸗
ſechen, noch durch diefelben modificabel if. Alles dies gilt vom
Menſchen und feinem Willen eben jo fehr wie von allen übrigen Wefen
in der Natur. Auch er bat zur Existentia eine Essentia, d. h. grund»
weſentliche Eigenjchaften, die feinen Charakter ausmachen und nur ber
Seranlafjung bediirfen, um hervorzutreten. (E. 57 fg.)
2) Unterſchied zwifhen Thier und Menſch in Hinficht
auf den Charafter.
Bei den Thieren ift der Charakter in jeder Species, beim Menfchen
in jedem Individuum ein anderer. Nur in den alleroberften, klügſten
Thieren zeigt ſich fchon ein merklicher Inbividualcharafter, wiewohl mit
durhaus Überwiegendem Charakter der Specied. (E. 48.) Die große
Serfhiedenheit individueller Charaktere im Menfchengefcjlecht drückt ſich
Ihon äußerlich aus durch ſtark gezeichnete individuelle Phyſiognomie,
weihe die gefammte Korporifation mitbegreift. Diefe Individualität
hat bei weiten in ſolchem Grabe fein Thier. Ye weiter abwärts in
der Thierreihe, defto mehr verliert fich jede Spur von Individualdjarafter
in den allgemeinen ber Species, deren Phyfiognontie auch allein übrig
bleibt. Man kennt den pfychologifchen Charakter der Gattung und
wig daraus genau, was vom Individuo zu erwarten fteht; mwährenb
in der Deenfchenfpecieß jedes Individuum für fich flubirt und ergrlinbet
fan will. (8. I, 156.)
3) Wefentliche Prädicate des menſchlichen Charakters.
Der Charakter bes Menfchen ift 1. individuell, 2. empirifch,
3. conftant, 4. angeboren. (E. 48 ff.)
1. Die Individualität des Charakters zeigt ſich befonders in
der Berjchiedenheit der Wirkung eines und deſſelben Motivs auf ver
Khiedene Menſchen. Aus ber Kenntniß des Motivs allein läßt ſich
deher die That nicht vorherfagen, fondern man muß hiezu auch den
mdinibnellen Charakter genau kennen. (E. 48.)
2. Daß der Charakter empiriſch ift, d. 5. daß man feinen eigenen,
wie den Charakter anderer Individuen nur duch Erfahrung kennen
iemt, zeigt fich in der häufigen Enttäufchung über ſich und Andere,
m der Entbedung der Abweſenheit von Eigenfchaften an fi) und an»
dern, die man vorher vorausſetzte. Weil man den Charakter erft aus
ver Erfahrung und wenn bie Gelegenheit kommt, Tennen lernt, Tann
feiner vorher wiſſen, wie er felbft ober wie ein Anderer in einer be
fimmten Lage handeln wird. Nur nad) beftandener Probe iſt man
des Andern und feiner jelbft gewiß. (E. 49. P. DO, 247.) In Folge
der der innern Erkenntniß anhängenden Form ber Zeit erkennt Jeder
rnen Willen nur in beffen fucceffiven einzelnen Acten, nicht aber im
102 Charakter
Ganzen, an und für fich; daher Fennt Steiner feinen Charakter a priori,
fondern Jeder lernt ihn exit erfahrungsmäßig und ſtets unvollfommen
- Innen. (W. II, 220.)
3. Die Conftanz oder Unveränderlichfeit des Charakters wäh⸗
rend des ganzen Lebens wird durch die Erfahrung beftätigt, daß man
fi) und Andere oft nad) langen Zwifchenräumen auf deufelben Pfaden
betrifft, wie ehemals. Blos in der Richtung und dem Stoff erfährt
der Charakter fcheinbar Modificationen, welche Folge der Verſchiedenheit
der Lebensalter und ihrer Bedürfniffe find. Bios die Erkenutniß
ändert fi) im Laufe des Lebens, und damit die Handlungsweife,
aber nicht der Charakter. (E. 50—53.) Bei der Bergleichung
unferer Denfungsart in verfchiedenen Lebensaltern zeigt fi uns em
fonderbares Gemifch von Beharrlichkeit und Veränderlichkeit. Einerfeits
ift die moraliſche Tendenz de8 Mannes und Greiſes noch diejelbe,
welche die des Knaben war; andererjeits ift ihm Vieles jo entfremdet,
daß er fic nicht mehr Kennt und ſich wundert, wie er einſt Diefes und
Jenes thun oder fagen gekonnt. Bei näherer Unterfuhung aber wird
man finden, daß das Beränderliche der Intellect war, mit jeinen
Tunctionen der Einfiht und Erkenntniß. Als das Unabänderliche im
Bewußtfein hingegen weift fi) die Bafis defjelben aus, der Wille, der
Charakter; wobei jedoch die Modificationen in Rechnung zu bringen
find, welche von den Törperlichen Fähigkeiten zum Genuffe und Hiedurd
vom Alter abhängen. (W. U, 251fg. P. I, 248. I, 483.) Der
große Anatom Bichat ift auf dem Wege feiner rein phyſiologiſchen
Betrachtungsweiſe dahin gelangt, die Unveränderlichkeit des moralifchen
Charakters daraus zu erklären, daß nur das animale Leben, aljo
die Function des Gehirns, dem Einfluß der Erziehung, Uebung, "Bil-
dung und Gewohnheit unterworfen ift, der moralijche Charakter
aber dem von außen nicht modificabeln organifchen Leben, d. 5. dem
aller übrigen Theile, angehört. (W. II, 298.)
(Bergleiche aud) den Artikel Befferung.)
4. Die Angeborenheit des individuellen Charakters wird durch
die Erblichleit des Charakters bewiefen. (Bergl. Vererbung.)
Zufolge derjelben legen bei der allergleichiten Erziehung und Umgebung
verjchtedene Kinder den grumdverjchiedenften Charakter aufs Deutlichſte
an den Tag. (E. 53.) Zugenden ‘und Lafter find angeboren.
(E. 53 ff.) Der ethifche Unterfchied der Charaftere ift angeboren
und unvertilgbar. Den Boshaften ift feine Bosheit fo angeboren,
wie der Schlange ihre Giftzähne und Giftblafe; und fo wenig, wie fir,
fann er e8 ändern. (E. 249.) Die in ben verjchiedenen Menſchen
fo höchſt verfchiedene Empfänglichfeit für die Motive des Cigen:
nuges, der Bosheit und des Mitleids, worauf der ganze moraliſche
Werth des Menjchen beruft, ift nicht etwas aus einem Andern Er⸗
Färliches, noch durch Belehrung zu Erlangendes und daher in der
Zeit Entftehende8 und DVeränderliches, ja, vom Zufall Abhängiges,
fondern angeboren, underänderlich und nicht weiter erklärlich. (E. 258.)
Charakter 103 .
H Berhältniß des intelligibeln zum empirifchen
Sharalter. .
Bas, durch die nothwendige Entwidelung in der Zeit und das da-
buch bedingte Zerfallen in einzelne Handlungen, ald empirifcher
Ohrrafter erfannt wird, ift, mit Abftraction von dieſer zeitlichen Form
dr Erſcheinung, der intelligible Charalter, nad dem Ausdrucke
Lants. Der intelligible Charakter fällt alfo mit der Idee oder noch
agentficher mit dem urfprünglichen Willensact, der ſich in ihr offenbart,
fanmen. Inſofern ift alfo nicht nur der empirifche Charakter jedes
NMenſchen, fondern auch jeder Thierfpecies, ja jeder Pflanzenjpecies und
jogar jeder urjprünglichen Kraft der unorganijchen Ratur, ale Er⸗
iheinung eines intelligibeln Charakters, d. 5. eines außerzeitlicdyen
ntheilbaren Willensactes anzufehen. (W. I, 185.) Wie der ganze
Baum nur die ſtets wiederholte Erſcheinung eines und defjelben Triebes
it, der fi) am einfachften in der Faſer darftellt und in der Zufammen-
kung zu Blatt, Stiel, Aft, Stamm wiederholt und leicht darin zu
zfemen ift; fo find alle Thaten des Menfchen nur bie ftetS wiederholte,
in der Form etwas abwechfelnde Aeußerung feines intelligiblen Charal-
ters, unb die aus der Summe derfelben hervorgehende Induction giebt
jenen empirifchen Charakter. (W. J, 341 fg.) Der intelligible Charalter
ft in allen Thaten des Individui gleichmäßig gegenwärtig und in
ihnen allen, wie das Betfchaft in tanfend Siegeln, ausgeprägt. Bon
ihm erhält der empirische Charakter, der in der Zeit und Succeſſion
der Acte ſich darftellt, feine Beſtimmtheit, und zeigt in allen von den
Rotiven hervorgerufenen Aeußerungen die Conſtanz eines Naturgeſetzes.
E. 176 fg. 251.)
Der empiriſche Charakter iſt ganz und gar durch den intelligibeln,
welcher grundloſer, d. h. als Ding an ſich dem Satz vom Grund (der
dorm der Erſcheinung) nicht unterworfener Wille iſt, beſtimmt. Der
empiriſche Charakter muß in einem Lebenslauſe das Abbild des intelli⸗
gibeln Tiefern, und kann nicht anders ausfallen, als das Weſen diefes
8 erfordert. Allein dieſe Beſtimmung erftvedt fih nur auf das
Befentfiche, nicht auf das Unwefentliche des demnach erjcheinenden
henslaufs. Zu diefem Unwefentlichen gehört die nähere Beftimmung
der Begebenheiten und Handlungen, welche der Stoff find, an ben der
ampiriiche Charalter fich zeigt. (W. I, 189.)
5) Befeitigung einer falfchen Folgerung aus ber Un-
peränderlidhfeit des empirifchen Charalters.
Ans der Unveränderlichleit des empirischen Charakters, al® welcher
de bloße Entfaltung des außerzeitlichen intelligibeln ift, könnte fehr
kiht die Folgerung zu Gunſten ber verwerflichen Neigungen gezogen
werben, daß es vergebliche Mühe wäre, an einer Beflerung feines
Cherafter8 zu arbeiten, oder der Gewalt böfer Neigungen zu wider⸗
freben, daher e& gerathener wäre, fi) dem Unabänberlichen zu unter»
werfen und jeder Neigung, fei fie auch böfe, fofort zu willfahren.
Tiefe Folgerung aber ift falſch. Denn, obgleich unfere Enten immer
. 104 Charalter
unſerm Charalter gemäß ausfallen, ſo iſt uns doch keine Einſicht
a priori in dieſen gegeben; ſondern mm a posteriori, durch die Er⸗
fahrung lernen wir, wie die Anbern, fo auch uns felbft feunen. Brachte
der intelligible Charakter es mit fi, dag wir einen guten Entſchluß
nur nach langem Kampf gegen cine böfe Neigung faflen konnten; jo
muß diefer Kampf vorhergehen und abgewartet werden. Die Reflerion
über die Unveränderlichleit des Charakters, über die Einheit der Duelle,
aus welcher alle unfere Thaten fließen, darf uns nicht verleiten, zu
Gunften des einen, noch des andern Theiles, ber Entjcheidung des
Charakters vorzugreifen; am erfolgenden Entſchluß werben wir fehen,
welcher Art wir find, und uns an unfern Thaten fpiegeln. (®. 1,
355357.)
6) Der erworbene Charalter.
Neben dem intelligibeln und empirifchen Charakter ift als ein Drittes,
von beiben Berfchiebenes zu erwähnen der erworbene Charakter.
(W. I, 357.) Erft die genaue Kenntniß feines eigenen empiriſchen
Charakters giebt dem Dienfchen Das, was man erworbenen Charakter
nennt. Derjenige befigt ihn, der feine eigenen Eigenfchaften, gute wie
fchlechte, genan kennt und dadurch ficher weiß, was er ſich zutranen
und zumutben darf, was aber nicht. Er fpielt feine eigene Rolle, die
er zubor, vermöge feines empirifchen Charakters, nur naturalifirte, jett
funftmäßig und methodiſch, mit Teftigfeit und Anſtand, ohne jemale,
wie man fagt, aus dem Charakter zu fallen. (E. 50.) Den erwor:
benen Charakter erhält man erft im Leben durch den Weltgebraud,
umd von ihm iſt die Rede, wenn man gelobt wird als ein Menid,
der Charakter hat, oder getadelt als charakterlos. (W. I, 357—362.)
7) Erkennbarkeit des Charakters.
Wührend das Thun des Tieres blos durch anſchauliche Motive
beftimmt wird, und daher der Charakter des Thieres, wo nicht etwa
Dreſſur entgegenwirkt, leicht zu erfennen ift, hat ſich beim Menſchen
mit der Vernunft umb den durch fie gelieferten abftracten Motiven,
welche ihn von der Gegenwart und anfchaulichen Umgebung unabhängig
machen, bie Fähigkeit der Verſtellung eingeftellt. Diefe drüdt allen
feinen Bewegungen das Gepräge des Borjäglichen, Berechneten auf,
und darum ift der Charakter des Dienfchen viel ſchwerer erkennbar, als
der des Thieres. (W. I, 156. N. 78.) |
Jedoch wie ein Botaniker an Einem Blatte die ganze Pflanze er
kennt; wie Cuvier aus Einem Knochen das ganze Thier conftruitt;
fo Tann man aus Einer harakteriftifchen Handlung eines Menſchen
eine richtige Kenntniß feines Charakters erlangen, alfo ihm gewiſſermaßen
daraus conftruiren; fogar auch wenn diefe Handlung eine Kfeinigleit
betrifft; ja, dann erſt am beften; denn bei wichtigen Dingen nehmen
die Leute ſich in Acht, bei Kleinigkeiten folgen fie, ohne vieles Bedenken,
ihrer Natur. (PB. UI, 246.) In Sleinigfeiten, als bei welchen der
Menſch ſich nicht zufammennimmt, zeigt er feinen Charafter, und da
Charakter 105
tann man oft an geringfügigen Handlungen, an bloßen Manieren,
feinen Charakter keunen lernen. (P. I, 482.)
De der Leib des menfchlichen Individuums nur die Sichtbarkeit
jeined individuellen Willens ift, alfo dieſen objectiv darftellt, fo muß
niiht mr die Beichaffenheit feines Intellects aus der feines Gehirns
um dem bdaffelbe ercitivenden Blutlauf, fondern auch fein geſammter
zeraliicher Charakter mit allen feinen Zügen und Eigenheiten muß
eu3 der nähern Befchaffenheit feiner ganzen übrigen Corporifation, alfo
as der Tertur, Größe, Qualität und bem gegenfeitigen BVerhältniß
des Herzens, ber Leber, der Lunge, der ‘Milz, ber Nieren u. f. w. zu
verfichen umd abzuleiten ſein; wenn wir auch wohl nie dahin gelangen
erden, dies wirklich zu leiften. Uber objectiv muß die Möglichkeit
dan vorhanden fein. (B. IL, 189.)
8) Erflärung des Disharmonifchen und Harmoniſchen
im Charalter.
Das Disharmonifche, Ungleihe, Schwanfende im Charakter ber
meiften Menſchen möchte vielleicht daraus abzuleiten fein, daß das
Individunm feinen einfachen Urfprung bat, fondern den Willen vom
Suter, den „ntellect von der Mutter überlommt. (Bergl. Verer⸗
bung.) Je beterogener, unangemefjener zu einander beide Eltern .
waren, deſto größer wird jene Disharmonie fein. Während Einige
erh ihr Herz, Andere durch ihren Kopf ercelliven, giebt es noch
Andere, deren Borzug blos in einer gewiffen Harmonie und Einheit
dee ganzen Weſens liegt, weldye daraus entfteht, daß bei ihnen Herz
md Kopf einander jo überaus angemefjen find, daß fie fich wechfelfeitig
| und hervorheben; welches vermuthen läßt, daß ihre Eitern
eine befonbere Angemeffenheit und Uebereinftimmung zu einander hatten.
(B. DO, 601.)
9) Aufpebung des Charakters,
Sp lange die Erkenntniß feine andere als bie im principio indivi-
duationis (f. Individuation) befangene, dem Sat vom Grund fchlecht-
im nachgehende ift, ift auch die Gewalt der Motive auf den Willen un⸗
lich; wann aber das principium individuationis durdhfchaut,
die Ideen, ja das Weſen der Dinge an fi, als der felbe Wille in
Man, unmittelbar erfannt wird, und aus biefer Erfenntniß ein allge-
nemes Quietiv (f. Quietiv) des Wollens hervorgeht, dann werden
die einzelnen Motive unwirkfam, weil bie ihnen entfprechende Erkennt⸗
zweite, durch eine ganz andere verbunfelt, zurüdgetreten iſt. Daher
Ina der Charakter ſich zwar nimmermehr theilweife ändern, fonbern
mug, mit der Confequenz eines Naturgefeßes, im Einzelnen den Willen
ansfüßren, deſſen Erſcheinung er im Ganzen ift; aber eben dieſes
Ganze, der Charakter ſelbſt, kann völlig aufgehnben werden, durch
die angegebene Beränderung der Erkenntniß. Diefe feine Aufhebung ift
ee, was in ber chriftlichen Kirche, fehr treffend, die Wiedergeburt,
md die Erfenntniß, aus der fie hervorgeht, ift Das, was die Gnabden-
Kirfung genannt wurde: (W. I, 477.) Eben baher, daß nicht von
106 Chemie
einer Aenderung, fondern von einer gänzlichen Aufhebung bes Eharalter:
bie Rebe ift, kommt es, daß fo verfchieden vor jener Aufhebung di
Charaktere, welche fie getroffen, auch waren, fie dennoch nach derſelber
eine große Gleichheit in der Handlungsweife zeigen, obwohl noch jeder,
nach feinen Begriffen und Dogmen, fehr verfchieden redet. (W. 1, 477.
Chemie.
1) Was die Chemie lehrt.
Die Chemie lehrt uns, wie der Natunville fich benimmt, wann di
innern Qualitäten der Stoffe, durch den herbeigeführten Zuftand der
Flüffigkeit, freies Spiel erhalten, und nun jenes wunderbare Sucher
und Fliehen, fi) Trennen und Bereinen, Fahrenlaſſen des Einen, um
da8 Andere zu ergreifen, wovon jeder Nieberfchlag zeugt, auftatt,
welches Alles man als Wahlverwandtfchaft bezeichnet. (8. II, 337.
2) Chemifhe Antinomie.
Die Chemiker fuchen unter der Vorausſetzung, daß bie gualitatis
Theilung der Materie nicht, wie die quantitative, ins Unendliche geben
wird, die Zahl ihrer Grundfloffe immer mehr zu verringern, und wären
fie bi8 auf zwei gefommen, fo würden fie diefe auf einen zurückführen
wollen. Denn da8 Geſetz der Homogeneität leitet auf die Voraus:
ſetzung eines erften chemischen Zuftandes der Materie, der allen anderen,
als welche nicht der Materie als folcher wefentlih, fondern nur zu:
fällige Formen, Onalitäten find, vorhergegangen ift und allein da
Materie als folcher zukommt. Andererfeits ift nicht einzufehen, wi
diefer, da doch fein zweiter, um auf ihn zu wirken, da war, je ein
chemifche Veränderung erfahren konnte; wodurch hier im Chemiſchen
diefelbe BVerlegenheit eintritt, auf welche im Mechaniſchen Epikuros ſtief
als er anzugeben hatte, wie zuerft das eine Atom aus der urfprünglicen
Richtung feiner Bewegung kam; ja, diefer fich ganz von felbft ent:
widelnde und weder zu vermeibende, noch aufzulöfende Widerſpruch
könnte ganz eigentlich als eine chemifche Antinomie aufgeftellt werden.
(W. J, 34 19.) .
3) Die hemifhen Atome.
Siehe Atom. Atomiftik.
4) Chemifche Auflöfung.
Chemifche Auflöfung ift Ueberwindung der Cohäſion durch bie Ber
wandtſchaft. Beides find qualitates occultse. (P. I, 122.)
5) Unzulänglichleit der Chemie zur Erklärung dei
Drganifden.
So wenig, als ein Chemifches auf ein Mechaniſches, ebenfo wenig
Yäßt fich ein Organifches auf ein Chemifches zurüdführen. (W. I, 35.)
Es ift Unverftand, die Lebenskraft abzuleugnen und die orgamifche Natur
zu einem zufälligen Spiele chemifcher Kräfte zu ernicdrigen. Den
Herren vom Tiegel und der Netorte muß beigebracht werben, daß bloße
Chemie wohl zum Wpotheler, aber nicht zum Philofophen befähigt.
Es ift ein Hoher Grab von Bethörung, eriftlich zu vermeinen, det
Chriſtenthum 107
Schliff zu dem Myſterium des Weſens und Daſeins dieſer bes
wundernswürdigen und geheimnißvollen Welt ſei in den armjäligen
hemiiden Berwandtichaften gefunden. Wahrlich der Wahn der
Alchymiſten, welche den Stein der Weifen fuchten und blos hofften,
Gh zu machen, war Kleinigkeit, verglichen mit dem Wahn umferer
hnfiologifchen Chemiker. (N. Borrede S. VL — Bergl. auch
Yeben, Lebenskraft.)
Ehriftenthum.
1) Heterogene Beftandtheile des Chriſtenthums.
Tas Chriſtenthum ift aus zwei fehr heterogenen Beftandtheilen zu«
junmengefeßt, aus der mit bem Hinduismus verwandten ethifchen
Yebendanficht und der damit verbundenen Jüdiſchen Glaubenslehre,
verch welche letztere, als durch ein fremdartiges Element beſchränkt, jene
chiche Anficht nicht zu entſchiedenem Ausbrud gelangen konnte. Der
riı ethiſche Beſtandtheil ift als der vorzugsweife, ja ausjchlieglich
hriſtliche von dem widernatürlich mit ihm verbundenen Jüdiſchen
Toymatismus zu unterfcheiden. (W. I, 458.)
Im Chriftentfum hat die Xehre von der Erlöfung ber Menjchheit
and der Zelt, welche offenbar indifchen Urſprungs ift und daher aud)
die indiſche Lehre vorausfett, nach welcher der Urſprung der Welt
dieſes Sanfara der Bubdhaiften) felbft ſchon vom Uebel ift, — ges
siropft werden müſſen auf den Jüdiſchen, Theismus, wo ber Herr bie
Belt nicht nur gemacht, fondern auch nachher fie vortrefflich gefunden
tt Daher die Schwierigkeiten und Wiberfprüche der chriftlichen
Elaubenslehre (P. 1, 67) ımd das feltfane, bem gemeinen Berftande
niderſtrebende Anſehen der chriftlichen Myſterien. (W. II, 691 fg.)
Bergleihe auch unter Bibel: Gegenfag des Alten und Neuen
Teſtaments.)
2) Zuſammenhang des Chriſtenthums mit dem Brah—
manismus und Buddhaismus.
In Wahrheit ift nicht das Judenthum mit feinem ravra ara
ur (fiehe da, Alles war ſehr gut, 1. Mof. 1, 31), fondern Brahına-
xsans und Buddhaismus dem Geifte und der ethifchen Tendenz nad)
x Chriſtenthum verwandt. Der Geift und bie ethifche Tendenz find
ir das Wefentliche einer Religion, nicht die Mythen, in melde fie
Icihe Heidet. Die ethifchen Lehren des Chriftentyums deuten auf den
Unprung beijelben aus jenen Urreligionen bin. Vermöge dieſes Ur⸗
prungs (oder wenigftens diejer Uebereinftimmung) gehört das Chriften-
Zum dem alten wahren und erhabenen Glauben ber Menfchheit an,
weider im Gegenſatz fteht zu dem falfchen, platten und verberblichen
Sptimismus, der fich im griechifchen Heidenthum, im Judenthum
ad im Islam darftellt. (W. II, 713 fg.) Die Moral des Chriften-
Kıms zeigt, — abgerechnet von dem Mangel, daß fie die Thiere nicht
kerüdſichtigt, — die größte Lebereinftimmung mit der des Brahmanismus
ud Buddhaismus und ift blos weniger ſtark ausgebrüdt und nicht
63 zu ben Ertremen burchgeführt; daher man kaum zweifeln kann,
108 Chriſtenthum
daß fie, wie auch die Idee von einem Menſch gewordenen Gott
(Avatar), aus Indien ftammt und über Aegypten nad Judäa gelommeı
fein mag; fo daß das Chriftenthum ein Abglanz indifchen Urlichtei
von den Ruinen Aegyptens wäre, welcher aber leider auf Vübifche
Boden fie. (E. 241.)
3) Asketiſcher und peffimiftifher Geif des Chriften
thums,
Nicht allein die Religionen bes Orients, fondern auch das wahr
Chriſtenthum Hat durchaus asketiſchen Grundcharakter. Haben dod
ſogar die in neueſter Zeit aufgetretenen, offenen Feinde des Chriſten
thums ihm die Lehren der Entſagung, Selbſtverleugnung, vollkommenen
Keuſchheit und überhaupt Mortification des Willens, welche ſie gan
richtig mit dem Namen der „antikosmiſchen Tendenz“ bezeichnen
als weſentlich eigen nachgewieſen. Hierin haben fie unleugbar Recht
Daß fie aber dieſes als einen offenbaren Vorwurf gegen das Chriften:
thum geltend machen, während gerade hierin feine tiefe Wahrheit, ſei
hoher Werth und fein erhabener Charakter liegt, das zeugt von eineı
. Berfinfterung des Geiſtes. (W. II, 706.)
Sleih dem Brahmanismus und Yubbhaismus, betrachtet auch dat
ächte Chriſtenthum Arbeit, Entbehrung, Noth und Reiben, gekrönt durd
ben Tob, als Zwed des Lebens. (Bergl Bergpredigt unter Bibel)
Im Neun Teftament ift die Welt dargeftellt als ein Jammerthal, dai
Leben als ein Lauterungsproceß, und ein Darterinftrument ift das Symbol
des Chriftenthums. Daher beruhte, al8 Leibnitz, Shaftesbury,
Bolingbrofe und Pope mit dem Optimismus hervortraten, da
Anftoß, den man allgemein daran nahm, hauptſächlich darauf, daß der
Optimismus mit dem Chriftentbum unvereinbar ſei. (W. II, 669.\
Das Chriftenthum trägt in feinem Innerſten die Wahrheit, daß dai
Leiden (Kreuz) der eigentliche Zweck bes Lebens ift; daher verwirft es
als dieſem entgegenftehend, den Selbftmord, welchen Hingegen bei
Atertbum, von einem niedrigern Standpunkt aus, billigte, ja ehrie
@®. II, 332.) |
Dean benfe nur ja nicht etwa, daß bie hriftliche Glaubenslehre deu
Optimismus günftig ſei; da im Gegentheil in den Evangelien Well
und Uebel beinahe als fynonyme Ausdrücke gebraucht werden. (W. I, 385.)
Zwifchen dem Geifte des griechiſch⸗römiſchen Heidenthums und bem
des Chriftenthums ift der eigentliche Gegenfag der der Bejahung ai
Berneinung des Willens zum Leben, wonach an letter Stelle da
Chriſtenthum Hecht behält. (P. II, 335.)
Die Kraft, vermöge welcher das Chriftentfum zunächft das Juden⸗
thum und dann das griechiſche und römifche Heidenthum überwinden
konnte, liegt ganz allein in ſeinem Peſſimismus, in dem Eingeſtändniß,
daß unſer Zuſtand ein höchſt elender und zugleich ſündlicher iſt, während
Judenthum und Heidenthum optimiſtiſch waren. Jene von Jedem tief
und ſchmerzlich gefühlte Wahrheit ſchlug durch und Hatte das Bedürfniß
der Erlöfung in ihrem Gefolge. (W. IL, 188.)
Citate 109
4) Lern der chriſtlichen Glaubenslehre.
Vicht die Individuen, ſondern bie Idee des Menſchen in ihrer Ein⸗
beit betrachtend, fymbolifirt die chriftliche Glaubenslehre die Natur,
d. i die Bejahung des Willens zum Leben, im Abam, beflen
af uns vererbte Sünde, db. 5. unfere Einheit mit ihm im der bee,
wide in der Zeit durch da8 Band der Zeugung ſich darftellt, uns
Ale des Leidens und bes ewigen Todes theilhaftig macht; dagegen
fmboltfirt fie die Gnade, d. i. bie Berneinung des Willens,
te Erlöfung, im menfchgeworbenen Gotte, der, als frei von aller
Zündhaftigfeit, d. h. von allem Lebenswillen, auch nicht, wie wir, aus
der entfchiedenften Bejahung des Willens (der gejchlechtlichen Zeugung)
berporgegangen fein Tann, noch, wie wir, einen Leib haben fan, der
eh und durch nur concreter Wille, Erfcheinung des Willens ift;
ſendern von ber reinen „Jungfrau geboren, auch eigentlich nur einen
Schenleib hat. — Wirklich ift die Lehre von der Erbfünde (Bejahung
des Willens) und von ber Erlöfung (VBerneinung des Willens) bie
grofe Wahrheit, weldhe den Kern des Chriſtenthums ausmadt;
zihrend das Uebrige meiftens nur Einfleidung und Hülle, oder Bei⸗
wert if. (W. I, 388. 479 fg.; II, ’719.)
Bei feiner Sadje hat man fo fehr den Kern von der Schale zu
suterjcheiden, wie beim Chriſtenthum. (W. II, 715.)
Mit Recht lehrt das Chriftenthum, daß alle äußeren Werke werthlos
ſind, wenn fie nicht aus jener ächten Gefinnung, welche in der wahren
Gerwilligkeit und reinen Liebe befteht, hervorgehen, und daß nicht die
varihteten Werke (opera operata), fondern der Glaube, die ächte Ge⸗
kunımg, welche allein der beilige Geift verleiht, nicht aber der freie
und überlegte, das Geſetz allein vor Augen habende Wille gebiert, jälig
nahe und erlöfe (W. I, 624.) Daß aber, wie St. Paulus
Rom. 3, 21 f.), Auguflinus und Luther lehren, die Werke nicht
rechtfertigen können, indem wir Alle wefentlih Sünder find und blei-
ben, — beruht zuleßt darauf, daß, weil operari sequitur esse, wenn
wu handelten, wie wir follten, wir auch fein müßten, was wir follten.
Zem aber bebürften wir keiner Erlöfung and unferm jetigen Zu-
fande, d. h. wir brauchten nicht etwas ganz Anderes, ja, Dem was
sr find Entgegengefeßtes, zu werden. Weil wir aber find was wir
ihr fein follten, thun wir and) nothiwendig was wir nicht thun
ſelten. Darum aljo bedürfen wir einer völligen Umgeftaltung unfers
Zimes und Wefens, db. i. ber Wiedergeburt, als deren Folge die
Krlöfang eintritt. (W. II, 691.)
Eitate,
1) Segen den häufigen Gebraud der Citate.
Dur viele Citate vermehrt man feinen Anſpruch auf Gelehr-
Iauteit, vermindert aber den auf Originalität, und was ift Gelehrfamteit
gen Originalität! Dan foll fie alfo nur gebrauchen, wo man fremder
Inctoritäten wirklich) bedarf. (5. 474.)
110 Coelibat — Damen
Die Leute, welche fo eifrig und eilig find, ftreitige Tragen dur
Anführung von Auctoritäten zu entfcheiden, find eigentlicdy froh, war
fie, flatt eigenen Berftandes und Einfiht, daran es fehlt, fremde ir
Feld führen können. Ihre Zahl ift Legio. (P. II, 533.)
2) Ueber verfälfchte Citate.
Wie wenig Ehrlichkeit unter den Schriftitellern ift, wird fidhtbar a
der Gewiffenlofigkeit, mit der fie ihre Anführungen aus fremden Schri
ten verfälfchen. Oft gefchieht die Verfälfhung aus Nachläſſigkei
indem ihre trivialen und banalen Ausdrüde und Wendungen ihn
ſchon in der Feder liegen, und fie folde aus Gewohnheit hinſchreiber
bisweilen gefchieht fie aus Nafeweisheit, die beffern will; aber nur ;
oft gefchieht fie aus fchlechter Abficht, — und dann ift fie eine ſchänd
liche Niederträdhtigfeit und. ein Bubenftüd, der Falſchmünzerei gleid
welches feinem Urheber den Charakter des ehrlichen Mannes ein fi
alle Mal wegnimmt. (PB. II, 583.) .
Eoelibat, j. Ehelofigfeit unter Ehe.
Coitus, f. Zeugung, Zeugungsact.
Da capo.
Wie inhaltreid) und bedentungsvoll bie Sprache der Mufif ii
bezeugen fogar die Nepetitionszeichen, nebft dem Da capo, als meld,
bet Werken in der Wortfprache unerträglich wären, bei jener hingegen
fehr zwedimäßig und wohlthuend find; denn um es ganz zu faſſen, nu
man e8 zwei Mal hören. (W. I, 312.)
Daguerrotnp.
1) Der Daguerrotyp als ein Beweismittel ber fub
jectiven Natur der Farbe.
Der Daguerrotyp, der, auf feinem rein objectiven Wege, alli
Sicätbare der Körper wiebergiebt, nur nicht die Farbe, Liefert einen
Beweis von der fubjectiven Natur der Farbe, daß fie nämlich em
Yunction des Auges felbft ift, folglich diefem unmittelbar angehört unt
erft fecundär und mittelbar den Gegenftänden. (F. 65.)
2) Dagnerre’8 Erfindung verglichen mit Xeperrier’t
Entdedung.
Daquerre's Erfindung, wenn nicht etwa, wie Einige behaupten, ber
Zufall viel dazu beigetragen Bat, ift Hundert Mal fcharffinniger, ali
die fo bewunderte Entdedung des Leverrier. (P. II, 136.)
Damen, |. Weiber.
Dämmerung — Dafein 111
Bemmerung,.
Die ber Dlenbung entgegengefette Verlegung des Auges ift bie
Arſtrergung defjelben in der Dämmerung. Bei der Blendung ift der
Ka; von außen zu ftarf, bei der Anftrengung in der Dämmerung ift
er za ſchwach. Durch den mangelnden äußern Reiz des Lichtes ift
särılich die Thätigkeit der Retina intenfiv getheilt und nur ein Heiner
Tel derfelben. ift wirklich aufgeregt. Diefer wird nun aber durd)
willlürſiche Anftrengung, 3. B. beim Lefen, vermehrt, alfo ein intenfiver
Tal der Thätigleit wird ohne Reiz, ganz durd) innere Anftrengung
aufgeregt. Diefes fchadet auf diefelbe Art, wie Onanie und überhaupt
ide, ohne Einwirkung des naturgemäßen Reizes von außen, durch
Foantafie entftehende Aufreizung der Genitalien viel ſchwächender ift,
el die wirkliche natürliche Befriedigung des Gefchlechtötriebes. (F. 64.)
Damen.
Das innerfte Weſen des Dienfchen, der Dämon, ber ihn lenkt und
xı nah Platon nicht ihn, ſondern den er felbft gewählt hat, der don
Kant als intelligibler Charakter bezeichnet wird, — ift es, wovon
Ser ober Unwerth des Dafeins, Heil oder Verdammniß abhängt.
W. 1, 319.)
Dämsion, des Sokrates.
1) Zu welcher Art pſychiſcher Erfcheinungen das
Dämonion des Sokrates gehört.
Das Dämonion des Sokrates, jene innere Warnungsftimme, die
im, jobald er irgend etwas Nachtheifiges zu unternehmen fid) ent-
Idliegen wollte, davon abmahnte, immer jedoch nur ab=, nie zurathend,
gehört in da® Gebiet der Ahndbungen. (P.1, 2
2) Was das Bedürfen eines Dämonions beweiſt.
Daß Sokrates, der Weiſeſte der Menſchen, um nur in ſeinen eigenen,
perſönlichen Angelegenheiten dad Richtige zu treffen, oder wenigſtens
sehltritte zu vermeiden, eined warnenden Dämoniond bedurfte, be-
wi, daß Hiezu Fein menjchlicher Verſtand ausreiht. (PB. I, 460.)
Dankbarkeit.
Gin fo Häßliches, oft felbft empörendes Lafter auch der Undank ift,
cf Dankbarkeit doch nicht Pflicht zu nennen; weil ihr Ausbleiben
Eıne Verlegung des Andern, aljo fein Unrecht ift. Außerdem müßte.
ter Wohlthäter vermeint haben, ftilfchweigend einen Handel abzufchließen.
E. 221.) (Bergl. Pflicht.)
Dafein,
1) Das Problem des Dafeins und bie Gedanfenlofig-
keit der Menſchen hinſichtlich deſſelben.
Ben man erwägt, wie groß und wie naheliegend das Problem
des Dafeins ift, dieſes zweibentigen, gequälten, flüchtigen, traum-
eigen Daſeins; — fo groß und fo naheliegend, daß, fobald man es
wahr wird, es alle andern Probleme und Zwecke überfchattet und
112 Dauer
verbedt; — und wenn man nun babei vor Augen Bat, wie bie meifte
Menfchen dieſes Problems fich nicht deutlich bewußt, je, feiner gaı
nit inne zu werden fcheinen, ſondern unbefiimmert um bajjelb:
dahinleben oder ſich hinfichtlich deffelben mit irgend einem Glaubens:
ſyſtem abfinden laſſen; — fo kann man ber Meinung werden, daß der
Menſch doch nur im weiteren Sinne ein denkendes Wefen heiße
(B. II, 534 fg.) .
2) Nichtigkeit des Daſeins.
Die Nichtigkeit de Daſeins findet ihren Ausdruck an der ganzen
Form befielben, an der Unendlichkeit der Zeit und des Raumes, gegen-
über der Enblichleit des Individuums in beiden; an ber dauerlojen
Gegenwart, als der alleinigen Dafeinsweife der Wirklichkeit; am der
Abhängigkeit und Relativität aller Dinge; am fleten Werben ohne
Sen; am fteten Wünſchen ohne Befriedigung. Die Zeit und die
Bergänglichleit aller Dinge in ihr umd mittelft ihrer ift blos bie
Form, unter welcher bem Willen zum Leben bie Nichtigkeit feines
Strebens fi offenbart. (PB. II, 303. W. I, 656.)
Unfer Dafein bat feinen Grund und Boden, darauf es fußte, als
die dahin fchwindende Gegenwart. Daher hat es weſentlich die be-
ftändige Bewegung zur Form, ohne Möglichkeit der von ums fiets
angeftrebten Ruhe. — Unruhe ift der Typus des Dafeins. (PB. IE, 304.
H. 414 ff.)
3) Zwed bes Dajeins.
Das Dafein ift anzufehen als eine Derirrung, von welcher zurüd⸗
zufommen Erlöfſung ift; auch trägt e8 durchweg biefen Charakter, umd
in biefem Sinne faflen es die beffern Religionen auf. Als med
unferes Dafeins ift in der That nichts Anderes anzugeben, als die Er⸗
tenntniß, daß wir beffer nicht ba wären. Dies aber ift die wichtigſie
aller Wahrheiten, die daher ausgefprochen werben muß, fo ſehr fie auch
mit der heutigen Europätfchen Denkweiſe in Contraft ſteht. (W. II,
693. ®. I, 343, $. 173.)
4) Das unendblie Dafein im Gegenfag zum enb-
lichen.
Im Gegenfag zum endlichen Daſein, deſſen Charalter die Rte⸗
lativität, Abhängigkeit, Wandelbarteit, Ruhelofigkeit ift, wäre ein
unenbliche® zu denken als weder dem Angriff von anfen aus⸗
geſetzt, noch der Hülfe von außen bedürftig und daher ewig ſich gleid
bleibend, in ewiger Ruhe, weder entftehend, noch vergehend, ohne Wechſel,
ohne Zeit, ohne Bielheit und Verſchiedenheit, — deffen negative Er-
fenntniß der Grundton der Philofophie des Plato if. Kin folches
muß dasjenige fein, wohin die Verneinung bes Willens zum Leben den
Weg eröffnet. (P. II, 305.)
Dauer.
Die Borftellung der Dauer entjpringt aus der Bereinigung des
Raumes wit der Zeit. Im der bloßen Zeit giebt es fein Zugleid-
fein und beshalb nichts Beharrliches und Feine Dauer. Denn
Deduction — Denken 113
die Zeit wird nur wahrgenommen, fofern fie erflillt iſt, uub ihre
Fertang nur durch ben Wechſel bes fie Erfüllenden. Das Be-
barren eines Dbjectd wird daher nur erfannt dur ben Wechſel
anderer, bie mit ihm zugleich find. Die Vorſtellung des Zugleich⸗
feins (der Simultaneität) aber ift in der bloßen Zeit nicht möglich;
jeubern, zur andern Hälfte, bedingt durch die Borftellung vom Raum;
sei in der bloßen Zeit alles nacheinander, im Raum aber neben-
einander ift. Diefelbe entfteht alfo erft durch den Verein von Zeit
md Raum. (©. 29. W. I, 11. 559 fg. P. I, 109.)
Beduction, f. Beweis und Methode.
Dclirium.
Das Delirium verfälfht die Anfchauung, der Wahnſinn die Ge-
danken. (W. I, 226. Berge. Wahnfinn.)
Bemago
Das Boll wird, wie alle Unmindigen, gar leicht das Spiel Hinter«
Ifmger Gauner, welche deshalb Demagogen heißen. (P. I, 264.)
Die faljche VBorfpiegelung, als feien die Negierungen, Geſetze und
affentlichen Einrihtungen Schuld an allem Elend, während das Elend
doh von dem menſchlichen Dafein unzertrennlich ift, ift nie auf lügen«
baftere und frechere Weife gemacht worden, als von den Demagogen
der „Jetztzeit“. Diefe nämlich find, als Feinde des Chriſtenthums,
Optimiften. Die gegen ben Optimismus fchreienben koloſſalen Uebel
der Belt jchreiben fie gänzlich den Aegierungen zu; thäten nämlich
an diefe ihre Schuldigkeit, jo würde nad ihrer Vorſpiegelung ber
Himmel auf Erben eriftiren. (PB. I, 275.)
Benuth.
Kants Definition: „Das Bewußtfein und Gefühl der Geringfigig-
kit ſeines moralifhen Werthes in Bergleihung mit dem Geſetz
iR die moralifche Demuth (humilitas moralis)“ ift faljch; denn fie hat
nichts, was fie vom Gefühl der Schuld unterjcheidet, als etwa den
Grad. Demuth ift vielmehr der in meinem Weſen lebendige Ausdruck
des Gedankens: „Dein Reich ift nicht von diefer Welt”, d. h. das
Bewußtſein der höchſten Tugend wird mic) nie verleiten, fir folche die
Zeichen der Verehrung und Unterwürfigleit zu fordern, die im der
Einnenwelt der Uebermacht gezollt werden. — Mehr in Kants Aus-
trud: Demuth ift die Betrachtung dev gänzlichen Verfchiedenheit meiner
0 noumenon von mir als homo phaenomenon, das Bewußtfein,
dab die Trefflichkeit jenes zu och fteht, um diefem zu Gute zu kommen.
Je höher der Menſch fich ald homo noumenon ſchützt, defto weniger
wird er auf fich ald homo phaenomenon, ober auf irgend einen Vorzug,
den er als foldher hat, einen Werth legen. (5.157 fg. DM. 281 fg.)
Denken.
1) Denken im weitern Sinne.
Alles Denken, im weitern Sinne des Worts, alfo alle innere
Seiftestgätigkeit überhaupt, bedarf entweder der Worte, ober ber
Eqhopenhauer⸗Lexikon. I. 8
114 Denten
Phantafiebilder; ohne Eines von Beiden hat es keinen Anhalt. Aber
Beide zugleich find nicht erfordert; obwohl fie, zur gegenfeitiger Unter⸗
flügung, ineinanbergreifen fünnen. (©. 103.) |
2) Denken im engern Sinne, |
Denken im engem Sinne ift das Bilden abftracter Begriffe aus
Anfhanungen und da8 Operiren mit ihnen. (W. II, 312.) Ju
den endlofen, mit Hillfe der Worte vollzogenen Kombinationen der
Begriffe befteht da8 Denken. (E. 10. 33.) Die Beichäftigung des
Intellects mit Begriffen ift es, welche eigentlich und im engen
Sinne Denken heißt. (©. 101.) Das Denken um engern Sinne
befteht nicht in der bloßen Gegenwart abftracter‘ Begriffe im Bewußt⸗
fein, fondern in einem Verbinden, oder Trennen zweier, ober mehrerer
derfelben, unter mandherlet Reftrictionen und Modificationen, welde die
Logik angiebt. (©. 105.)
3) Unterfhicd zwifhen dem rein logifhen und dem
auf Anfhauungen fich beziehenden Denken. |
Das Denfen im engern Sinne, alfo das abftracte, mit Hülfe der
Worte vollzogene, ift entweder ein logifches Rüſonnement, wo es dam
gänzlich auf feinem eigenen Gebiete bleibt; ober es ftreift an bie Gränze
der anſchaulichen Vorftellungen, um fich mit dieſen auseinanberzufegen,
in der Abficht, das empirifch Gegebene und anſchaulich Erfaßte mit
deutlich gedachten abftracten Begriffen in Berbindung zu bringen, um
e8 fo ganz zu befiten. Es fucht alfo entweder zum gegebenen au-
ſchaulichen Ball ben Begriff, ober die Hegel, unter die er gehört; oder
aber zum gegebenen Begriff, oder Kegel, den Fall, der fie belegt. In
biefer Eigenfchaft ift es Thätigfeit der Urtheilsfraft. (©. 103.)
Das mit Hilfe anfchaulicher Vorftellungen operivende Denken iſt
der eigentliche Kern aller Erkenntniß, indem es zurüdgeht anf die Ur
quelle, auf die Grundlage aller Begriffe. Daher ift e8 ber Erzeuger
aller wahrhaft originellen Gedanken, aller urfprünglichen Grundanfichten
und aller Erfindungen, fo fern bei diefen nicht der Zufall das Beſte
gethban hat. Bei bemfelben ift der Verſtand vorwaltend thätig, wie
bei jenem erftern, rein abftracten, die Bernunft. (G. 103 fg.)
4) Berhältnig der Empirie zum Denken.
Die bloße Erfahrung kann das Denken nicht erfegen. “Die rveme
Empirie verhält fi) zum Denken, wie Eſſen zum Verdauen und
Alfimiliren. Wenn jene ſich brüftet, daß fie allein durch ihre Ent:
dedungen das menfchliche Wiflen gefördert habe; fo ift es, wie wenn
der Mund fich rühmen wollte, daß der Beſtand bes Leibes fein Werl
allein fei. (P. II, 532.)
5) Qualität und Schnelligkeit bes Denkens.
Der Unterfchied der Intelligenzen zeigt fich vorzüglich in ber Qua⸗
lität und Schnelligkeit des Denkens. Die Onalität befteht in dem
Grabe der Klarheit des Berftändniffes und demnach in ber
Deutlichfeit des gefammten Denkens. Wie in Zimmen der
Grad der Helle verfchieden ift, fo in den Köpfen. Diefe Qualität
Denter 115
des ganzen Denkens fpürt man, fobald man nur einige Geiten
einet Schriftſtellers gelefen hat. Da fieht man, che man nocd weiß,
was er Alles gedacht hat, fogleich wie er denkt, nämlich welches die
formelle Beichaffenheit, die Tertur feines Denkens fei, die fi in
Km, worüber er denkt, gleich bleibt, umb deren Abbrud der Gedanken⸗
gg uud Stil if. Die fchlehten Köpfe find es nicht blos dadurch,
daf fie ſchief find und mithin falſch urtheilen; fondern zunächft durch
Ne Undentlichleit ihres gefammten Denkens, als welches dem Schen
durch ein ſchlechtes Fernrohr, in welchem alle Umriſſe undeutlich und
wie verwifcht erjcheinen und bie Gegenftände in einander laufen, zu
rergleichen if. Statt deutlicher Begriffe begnügen fie ſich mit unbe⸗
ftimmten fehr abftracten Worten. &. U, 158 fg.)
Ferner zeigt ber Unterfchieb ber Intelligenzen fi in der Schnellig-
feit des Denlens. Die Ferne ber Folgen und Gründe, zu der das
Zenfen eines Jeden reichen kann, fcheint mit ber Schnelligkeit des Den-
a im einem gewiſſen Verhältniß zu ſtehen. Wahrfcheinlich macht
das langſame und anhaltende Denken den mathematijchen Kopf, bie
Schnelle des Denkens das Genie; dieſes ift ein Flug, jenes ein ficheres
Gehen anf feftem Boden, Schritt vor Schritt. (W. IL, 157.)
6) Die Anfahung, deren das Denken bedarf.
Man kann ſich zwar willfürlich appliciren auf Lejen und Lernen;
auf das Denken hingegen eigentlich nicht. Diefes nämlich muß, wie
dad Feuer durch einen Ruftzug, angefacht und unterhalten werben durch
icgend ein Intereffe am Gegenſtande befielben; welches entweder ein
tem objectives, ober aber blos ein fubjectivcs fein mag. Das legtere
ft allem bei unfern perfönlichen Angelegenheiten vorhanden; das
erftere Hingegen nur filr die von Natur denfenden Köpfe, benen das
m jo natürlich ift, wie das Athmen, welche aber fehr felten find.
P. U, 526.)
7) Die Rolle des Gehirns beim Denken, f. Gehirn.
8) Berhältniß des Denkens zum Sein. (Siehe unter
Anfhauung: Berhältniß der Anfhauung zum Ding an ſich ober
um Realen.)
Denker.
1) Eintheilung der Denter. |
Man lann die Denler eintheilen in ſolche, bie fiir ſich felbft, und
isihe, die fir Andere denken; bieje find die Regel, jene die Aus»
nahme. Erſtere find demnach Selbftdenker im zwiefachen, und Egoiften
m edeiften Sinne des Wortes; fie allein find es, von denen die Welt
delehrumg empfängt. Denn nur das Licht, welches Einer fich felber
angezümbet bat, leuchtet nachmals auch Andern. (P.I, 165; II, 534.)
2) Gegenjag zwifhen Denkern und Gelehrten.
Die Gelehrten find die, welche in ben Büchern gelefen haben; bie
Tenfer, die Genies, die Welterleuchter und Förderer des Menfchen-
geihlehts find aber die, welche unmittelbar im Buche der Welt gelefen
haben. (B. I, 527.) Die Gelehrten gleichen denen, welche aus vielen
8 *
116 Denlformen — Denlkgeſetze
Heifebefchreibungen ſich genaue Kunde von einem Laube erworben haben,
die Denker bingegen folchen, die felbft in jenen Lande gewefen find.
(P. H, 530.)
Benkformen.
1) Begriff und Eintheilung der Denkformen. |
Da das Denken durchweg im Urtheilen befteht, fo beftehen die un-
veränderlichen, urfprünglichen Formen des Denkens in den weſent⸗
lichen Sormen des Urtheils, und zwar in folgenden:
a) Qualität: Bejahung ober Berneinung, d. i. Verbindung oder
Trennung der Begriffe; zwei Formen. Sie hängt der Copula ar.
b) Duantität: der Subjectbegriff wird ganz oder zum Zheil ge
nommen: Alheit ober Bielheit; alfo zwei Formen. Ste hängt bem
Subject an.
c) Modalität: bat drei Formen. Sie beftimmt die Qualität als
nothwendig, wirklich oder zufällig. Sie hängt folglich ebenfalls der
Copula an.
d) Relation. Sie tritt blo8 ein, wenn über fertige Urtheile ge
urtbeilt wird und kann nur darin beftehen, daß fie entweder die Ab:
bängigfeit eines Urtheild von einem andern angiebt, mithin fie verbindet
im bypothetifchem Sa; oder aber angiebt, daß Urtheile einander
ansichliegen, mithin fie trennt im bisjunctivem Sat. Sie hängt
der Copula an, welche hier die fertigen Urtheile trennt oder verbindet.
Die drei erfigenannten Denkformen entfpringen aus den Dentgefegen
vom Widerfprych und von der Nentität; die vierte aber entfteht aus
dem Sat vom Grunde und dem vom ausgejchloffenen “Dritten.
(®. I, 567 fg.)
2) Berhältniß der Denkformen zu ben Rebetheilen,
ſ. Grammatik.
Denkgeſeße.
1) Die Denkgeſetze als Bedingungen der Möglichkeit
alles Denkens.
Die in der Vernunft gelegenen formalen Bedingungen alles
Denkens find der Grund von Urtheilen, die man Denkgeſetze ge
nannt bat. Solcher Urtheile giebt e8 vier, die man durch Induction
gefunden hat. Sie find folgende: 1) Ein Subject ift gleich der Summe
feiner Prädicate, oder aa. 2) Einem Subject Tann ein PBrädicat
nicht zugleich beigelegt und abgefprochen werben, ober a = — a — 0.
3) Bon jeden zwei contrabictorifch entgegengeſetzten Prüdicaten muß
jedem Subject eines zufommen. 4) Die Wahrheit ift die Beziehung
eines Urtheils auf etwas außer ihm als feinen zureichenden Grund.
Daß dieſe Urtheile der Ausbrud der Bedingungen alles Denkens
find, erkennen wir an ber Unmöglichkeit, diefen Geſetzen zumider zu
denen. (©. 108 fg.)
2) Bereinfahung der Lehre von den Denkgeſetzen.
Man könnte die Lehre von ben Denfgefegen baburd) vereinfachen,
Dentimale 117
dag man deren nur zwei aufftellte, nämlich da8 vom ausgefchloffenen
Dritten und das vom zureihenden Grunde. Erfteres fo: „jeden
Subject ıft jegliches Prädicat entweber beizulegen, oder abzufprechen.“
Hier liegt im Entweder Ober ſchon, daß nicht Beides zugleich gejchehen
darf, folglich eben Das, was bie Geſetze ber Identität und des Wiber-
isad® bejagen; diefe würden alſo als Corollarien jenes Satzes hin-
jalommen, welcher eigentlich befagt, daß jegliche zwei Begriffeiphären
0. Begriffsfphären unter Begriff) entweder als vereint ober als ge⸗
trennt zu denken find, nie aber Beides zugleich. — Das zweite Denkgeſetz,
der Sag vom Grunbe, würde befagen, daß obiges Beilegen oder Ab⸗
ſprechen durch etwas vom Urtheil ſelbſt Verſchiedenes beftimmt fein
muß, welches eine Anſchauung, oder aber blos ein anderes Urtheil ſein
lanm. Dieſes Andere und Verſchiedene heißt alsdann der Grund bed
Urtheils. (W. II, 113 fg.)
3) Unterſchied zwifchen den Dentgefegen und empiriſch
erfannten Naturgejegen.
Die unerfchütterliche Gewißheit, mit der wir a priori in allen Fällen
von der Erfahrung erwarten, daß fie den Dentgefegen gemüß aus«
fallen werbe, unterfcheibet fi) von der Gewißheit der empirisch erfamıten
Raturgefege dadurch, daß es uns fogar unmöglich ift, zu denken,
daß jene irgendwo in der Erfahrung eine Ausnahme erleiden, während
wir und 3. B. fehr wohl denken fünnen, daß das Geſetz der Gra⸗
vitation einmal aufhörte zu wirken. (G. 90.)
Denkmale.
1) Werth der hiſtoriſchen Denkmale.
Was die Vernunft dem Individuum iſt, das iſt die Geſchichte dem
menſchlichen Geſchlechte, nämlich die Bedingung eines beſonnenen und
zujammenhängenden, nicht auf die bloße Gegenwart beſchränkten Be-
wußtſeins. (S. Geſchichte.) Was nun für die Bermmft der Individuen,
als unnmgängliche Bedingung des Gebrauchs derfelben, die Sprade
ft, das ift für die Vernunft des ganzen Geſchlechts, für die Gejchichte,
ve Schrift. Die Schrift nämlich dient, das durch den Tod une
aufhörlich unterbrochene und demnach zerftüdelte Bewußtſein des
Menfchengejchlechts wieber zım Einheit herzuftellen; fo daß ber Gedanke,
welcher im Ahnherrn aufgeftiegen, vom Urenkel zu Ende gedacht wird.
Sieranf beruht der Werth der geſchriebenen, fo wie aud) der noch
älteren fteinernen Denkmale. Der Zweck der großen, mit ungeheurem
Aufwand errichteten fteinernen Denkmale, ber Pyramiden, Monolithen,
delfengräber, Obelislen u. |. w., kann fein ephemerer geweſen fein.
Offenbar war ihr wirflicher Zwed, zu den fpäteften Nachkommen zu
reden, in Beziehung zu biefen zu treten und fo das Bewußtſein ber
Menſchheit zur Einheit Herzuftellen. "Und nicht blos den Bauten der
Hindu, Aegypter, Griechen und Römer, ſondern auch benen ber fpäteren
Zeit fieht man den Drang an, zur Nachkommenſchaft zu reden. Daher
iſt es ſchändlich, wenn man fie zerftört, oder fie verunftaltet, um fie
niedrigen, nützlichen Zweden dienen zu lafien. Die gejchriebenen
118 Desperation — Determinismus
Denkmale haben weniger von den Elementen, aber mehr von ber Barbare
zu fürchten, al® die fleinernen; fie leiften viel mehr. (W. II, 508 fg.
2) Bemerkungen über bie den großen Männern er:
richteten Denkmale.
Ueber das Verdienſt großer Männer vermögen die meiften Menfcher
nicht aus eigenen Mitteln, fondern blos auf fremde Auctorität zu
urtheilen. Und dies ift nod für ein Glück zu erachten, ba, indem
Jeder noch fo viel eigenes Urtheil bat, um bie Superiorität bes zunächft
über ihm Stehenden anzuerlennen, jene Hierarchie der Urtheile zu
Stande fommt, auf der die Möglichfeit des feften und weitreichenden
Ruhmes beruht. Für bie unterfte Claſſe, der die Verdienſte eines
großen Geifted ganz unzugänglich find, ift am Ende blos das Monn-
ment, als welches in ihr, durch einen finnlichen Eindrud, eine dumpfe
Ahndung davon erregt. (P. II, 494.)
Es ift geſchmadlos — wie in unferer Zeit gefchieht — auf bei
Monumenten, welde man großen Männern errichtet, diefe im mobernen
Coſtüm darzuftellen. Denn das Monument wird der idealen Berfon
errichtet, nicht der realen, dem Heros als folchem, nicht dem mit
Sehlern und Schwächen behafteten Individuum. Als idealer Menſch
num aber ftehe er da in Menjchengeftalt, blos nad; Weife der Alten
bekleidet. So allein ift e8 auch der Sculptur gemäß. (P. II, 483.)
Eine augenfälige Abgeſchmacktheit ift es ferner, die Statue auf em
zehn bis zwanzig Fuß Hohes Poftament zu ftellen, wo man fie, zumal
fie in der Regel von Bronce, alfo ſchwärzlich ift, nicht deutlich jehen
ann; dem aus der Ferne gejehen wird fie nicht deutlich, tritt man
aber näher, fo fteigt fie fo hoch auf, daß fie den hellen Himmel zum
Hintergrund Hat, ber das Auge biendet. Die Deutſchen ftehen in
biefem Punkte Hinter den Italienern an gutem Geſchmack zurüd.
(PB. I, 483.)
Besperation, |. Verzweiflung.
Despotismus. |
Despotismus und Anarchie find zwei polarifch fich entgegengefegte
Uebel, zwifchen denen die menjchliche Geſellſchaft Hin und Her ſchwebt.
So weit fie von dem einen fich entfernt, nähert fie fich dem andern.
Beide Uebel find keineswegs gleich fchlimm und gefährlich, ſondern das
erftere, deſſen Schläge blos in der Möglichkeit vorhanden find und
nicht Jeden treffen, ift ungleich weniger zu fürdten, als das letztere,
defien Schläge wirkliche find und Jeden täglich treffen, — Jede Ber:
faffung ſoll fi) viel mehr der Despotie, als der Anarchie nähern;
ja, fie muß eine Heine Möglichkeit des Despotismus enthalten. (H. 381.)
Determinismus.
1) Unerſchütterlichkeit des Determinismus.
Der Determinismus, d. h. die Annahme, daß jedes Weſen ohne
Ausnahme mit ſtrenger Nothwendigkeit wirkt, daß folglich auch
die Thaten der Menſchen mit Nothwendigkeit aus ihrem Charakter
Deus — Deutſch 119
und ben anf denfelben wirkenden Motiven hervorgehen, ift unerſchütterlich.
% ihm zu rütteln Hat man fich lange genug vergeblich bemüht.
(8. 0, 365.)
2) Rettung aus ben Bonfequenzen bes Determi-
niſsmus.
In Folge des Determinismus wird die Welt zu einem Spiel mit
Puppen, an Drähten (Motiven) gezogen; ohne daß auch nur abzuſehen
wäre, zu weſſen Beluftigung. Hat das Stüd einen Plan, fo ift ein
Fatum, bat es keinen, fo ift die blinde Nothwendigkeit der Director.
Aus diefer Abfjurdität giebt es feine andere Rettung, als die Er⸗
kenummiß, dag da8 Sein und Wefen aller Dinge die Erſcheinung
eines wirklich freien Willens ift, der fid) eben darin felbft erfennt;
ten ihr Thun und Wirken ift vor der Nothwendigfeit nicht zu
retten. Um die Freiheit vor dem Schidfal, oder dem Zufall zu bergen,
amp fie aus der Action in die Eriftenz verjett werden. Die Noth-
wendigkeit ift in das Wirken und Thun (Operari), die Freiheit in
a8 Sein und Wefen (Esse) zu verlegen. (W. II, 365 fg.)
Dens, f. Gott.
Aevregog aAovs, |. unter Wille: Berneinung des Willens.
Dentlichkeit, |. Begriffsfategorien unter Begriff.
Beutfc.
1) Charakterzüge der deutfhen Nation.
Die Deutſchen find frei von Nationalftolz und legen hiedurch einen
Beweis der ihnen nachgerühmten Ehrlichkeit ab; vom Gegentheil aber
Tie unter ihnen, weldye einen folchen vorgeben und lächerlicher Weiſe
offectiren, wie die Demokraten. (P. I, 381.)
Ein eigenthiimlicher Fehler der Deutichen ift, daß fie, was vor ihren
Füßen liegt, in den Wolken fuchen. Ein ausgezeichnetes Beifpiel bievon
kefert die abftracte Behandlung des Naturrechts von den Philofophie-
profefforen. Bei gewillen Worten, wie Recht, Freiheit, das Gute, das
Sein, die Idee, wird dem Dentichen ganz fchwindlih. Statt die
Realität ins Auge zu faflen, ergeht er fich in michtsfagenden, hoch⸗
trabenden Phraſen. (P. U, 256. ©. 113.)
Der wahre Nationaldharakter der Deutichen ift Schwerfälligfeit.
Cie leuchtet hervor aus ihrem Gange, ihrem Thun und Treiben, ihrem
Ren, Erzählen, Berftehen und Denken, ganz befonders aber aus ihrem
Stil im Schreiben. (P. U, 578.) Die Deutfchen zeichnen fich dur)
Radläffigkeit des Stils, wie des Anzuges, vor andern Nationen aus,
und beiderlei Schlumperei entfpringt aus derfelben im Nationaldarafter
legenden Quelle. (P. II, 576.)
Die Deutfchen find fehr tolerant. Sie bewundern und ahmen leicht
je neue Narrheit (namentlich in Stil und Schreibart) nad, ftatt fie
m tadeln. Daher greift in Deutſchland jede fo ſchnell um fid.
$. I, 487.)
Dem Deutfchen find, in allen Dingen, Ordnung, Kegel und Geſetz
120 Drutih
verhaßt; er licht ſich bie imbivibmelle Willtür und das eigene Capricı
In gefelligen Bereinen, Clube und bergleichen Tamm man jehen, wi
gern, felbft ohne allen Bortheil ihrer Bequemlichkeit, Biele die zweck
mäßigften Geſetze der Geſellſchaft muthwillig brechen. Aus dieſe
befagten Eigenthümlichkeit der Deutſchen entipringt bei ihnen Di
gegenwärtig fo allgemein geworbene Manie der Sprachverhunzung
® Il, 568 fg.)
Reine Nation ift fo wenig, wie die Dentfchen, geneigt, jelbft zı
uriheilen und danach zu verurtheilen, wozu das Leben und *
Litteratur ſtündlich Anlaß biete. Sie find one Galle, wie die Tan:
ben; aber wer ohne Galle ift, ift ohne Berftand mund ohne die aut
dieſem hervorgehende Schärfe zum Tadeln tadelhafter Dinge, welcht
vom Nachahmen derſelben —5* (P. DO, 584.)
Die Urtheilslofigleit der Deutfchen zeigte fi) befonders in ihrem
Berhalten zur Göthe’fchen Farbenlehre —* zur Hegelſchen Philoſophie.
Ihr Urtheil über Göthe's Farbenlehre entſpricht den Erwartungen, bie
man ſich zu machen hat von einer Nation, die einen geiſt- und ver⸗
bienftlofen, Unfinn fehmierenden und hohlen Philofophafter, wie Hegel,
30 Jahre lang als den größten aller Denker und Weifen präconifiren
konnte. (P. 1, 105; I, 210.)
Bon den Deuiſchen ſagt Thomas Hood (ap the Rhine), für eine
mufifalifche Nation feien fie die lärmendfte, die ihm je vorgekommen.
Daß fie dies find, liegt aber nicht daran, daß fie mehr, als Andere,
zum Lärmen geneigt wären, fondern an der aus Stumpfheit ent-
fpringenden Unempfindlichkeit :Derer, die den Lürm anzuhören haben,
als welde dadurch in keinem Denken ober Lefen geftört werden, wei.
fle eben nicht denken. Die allgemeine Toleranz gegen unnöthigen Lärm,
3. B. gegen das Thürenwerfen, ift geradezu ein Zeichen ber allgemeinen
Stumpfheit und Gedankenleere der Köpfe. In Deutichland ift es, als
ob es ordentlich darauf angelegt wäre, daß vor Lärm Niemand zur
Befinnung komme. (P. I, 681.)
2) Die deutfhe Sprade.
Der einzige wirkliche Vorzug, den die beutfche vor ben übrigen
europäifchen Nationen hat, ift die Sprade. Die dentſche Sprache
nämlich iſt Die einzige, in der man beinahe jo gut fhreiben faun, wie
im Griechifchen und Lateinifchen, welches ben andern europäifchen Haupt⸗
ſprachen, als welche bloße patois find, nachrühmen zu wollen lächerlich
fein würbe, Daher eben hat, mit diefen verglichen, das Deutſche etwas
fo ungemein Edles und Erhabenes. (P. II, 572.) Der pedantiſche
Puriemus jedoh, die Deutjhthümelei und Deutfhmichelei, die alle
Fremdwörter, namentlich die termini technici ber Wiſſenſchaften, ver-
deutſchen will, ift zu verwerfen. (W. UI, 184—136. P. I, 602.)
Fichtenberg bat über hundert deutfche Anstrüde für Betrunfen-
jein aufgezählt; Fein Wunder, da die Deutfchen von jeher als Säufer
berühnt waren. Uber merkwürdig ift, daß in ber Sprade der für
die chrlichfte von allen geltenden deutſchen Nation vielleicht mehr, als
Dialektit 121
in mgnb einer andern, Ausdrücke für Betrügen find; und zwar
haben fie meiſtens einen triumphirenden Anftrich, vielleicht weil man
die Sache für fehr ſchwer hielt; z. B. Hintergehen, Anführen, Be⸗
fhnzpen, Beihunmeln u. |. wm. (9. 386 fg.) |
3) Die deutfche Philofophie und Wiſſenſchaft.
Die von Kant bervorgebradhte Umwandlung ber Bhilofophie begrün-
bet in mancher Hinficht einen Fundamentalunterſchied zwifchen deutjcher
md anderer europätfcher Bildung. (N. 109.)
In der Naturwiſſenſchaft ftehen die Deutfchen in Folge des ver-
berblichen Einfluffes der Schelling’fchen, a priori conftruirenden Natur⸗
zhiloſophie zurück Hinter den Franzofen, bie, mit ihrer redlichen Empirie,
beftxebt find, nur von der Natur zu lernen und ihren Gang zu er⸗
ferichen, nicht aber ihr Geſetze vorzuſchreiben. (PB. I, 62 fg.)
4) Der deutſche Gelehrte.
Der deutfche Gelehrte ift zu arm, um redlich und ehrenhaft fein zu
Bunen. Daher ift drehen, winden, fi accomodiren und feine Ueber⸗
xugung verleugnen, Ichren und fchreiben, was er nicht glaubt, kriechen,
Ihmeicheln, Partei machen und Kamaradfchaft fchließen u. ſ. w., kurz
Alles cher, als die Wahrheit fein Gang und feine Methode. Ex wird
dadurch meiftens ein rückſichtsvoller Lump. (P. II, 518.)
5) Die deutfhe Berfaffung.
Tem deutſchen Bolke ift fein Getheiltfein in viele Stämme, bie
unter eben fo vielen, wirklich regierenden Fürſten ftehen, mit einem
Kaiſer über Alle, der den Frieden im Innern wahrt und des Reiches
Ginheit nad) außen vertritt, natürlich; weil aus feinem Charakter und
jeinen Berhältuiffen hervorgegangen. Deshalb ift die beutfche Kaiſer⸗
würde, und zwar möglichit effectiv, wieberherzuftellen.. Denn an ihr
gängt die beutfche Einheit und wird ohme fie ftets blos nominell ob
yıelär fen. (P. UI, 273.)
Bialcktik.
1) Definition der Dialektik.
Dialektik ift die Humft des auf gemeinſame Erforſchung dev Wahr»
beit, namentlich der philojophifchen, gerichteten Geſprächs. Kin Ges
ſpräch diefer Art geht aber nothwendig, mehr ober weniger, in bie
Controverfe Über; daher Dialektik auch erflärt werben kann ale
Disputirkunſt. Beiſpiele und Muſter der Dialeltik haben wir an ben
Platonifchen Dialogen. (W. II, 112. 9, 4.)
Tie Theorie der Dialektik, aljo die Technik des Disputirens, Liefert
die Eriſtik. (Vergl. Eriſtik.)
2) Zuſammengehsrigkeit der Dialektik mit Logik und
Rhetorik.
Logik, Dialektik und Rhetorik gehören zuſammen, indem fie das
Ganze einer Technik der Bernunft ausmachen, unter welcher Be⸗
nennung ſie auch zuſammen gelehrt werden ſollten, Logik als Technil
des eigenen Denkens, Dialektik des Disputirens mit Andern und
zu Bielen; alfe entſprechend dem Singul
d Plural, wie aud, dem Monoleg, Dialog und Panegyrif:
1
1) Barum tiefe Wahrheiten niht auf bem Wege d
Dialogs zu zuge geföi ‚gefördert werden.
Zur eigenen eruſtlichen Meditation verhält fi) das Geſpräch n
einem Andern, wie eine Mafchine zu einem lebendigen Organtsmı
Denn nur bei erfterer iſt Alles wie ans Einem Stück gefdhnitte
daher es volle Klarheit, Dentlichleit und wahren Zufammenhaug,
Einheit erlangen fan. Beim andern Hingegen werden heterogene Stüc
Iehr verfchiebenen Urfprungs, an einander gefügt und wird eine gemil
Einheit der Bewegung erzwungen, die oft unerwartet flodt. Nur fi
felbft nämlich verfteht man ganz; andere nur halb. Denn man kan
es böchftens zus Gemeinſchaft der Begriffe bringen, nicht aber zu di
der diefen zum Grunde liegenden, anfdanlihen Auffaffung. Dahe
werden tiefe, pbilofophifche Wahrheiten wohl nie auf dem Wege de
gemeinfchaftlichen Dentens, im Dialog, zu Zage gefördert werder
. IL, 7)
2) Wozu der Dialog bienlid if.
Das gemeinfchaftfiche Denken, im Dialog, iſt fehr dienlich zu
Borübung, zum Aufjagen der Brobleme, zur Bentilation derjelben, un!
nachher zur Prüfung, Controle und Kriti der aufgeftellten voſeng
In dieſem Sinne find auch Plato's Geſpräche abgefaßt. (P. I,
3) Der geſchriebene Dialog als Form der Ri
theilung.
Als Form der Mittheilung philofopgiicher Gedanken ift der ge
fchriebene Dialog nur da zwedmäßig, wo der Gegenftanb zwei, ode
mehrere, ganz verſchiedene, wohl gar entgegengefegte Anfichten zuläßt
über welche entweder das Urtheil dem Leſer anheim geſtellt bleiben ſoll,
ober welche zuſammengenommen ſich zum vollſtändigen und richtigen
Berfländnig der Sache ergänzen. Zum erftern Fall gehört aud die
Widerlegung erhobener Einwürfe. Die im ſolcher Abſicht gewählte
dialogifche Yorm muß aber alsdann daburd, daß die Verſchiedenheit
der Anfichten von Grund aus hervorgehoben und herausgearbeitet iſt,
ächt dramatifch werden; ; es müffen wirklich Zwei ſprechen. Ohne der:
gleichen Abſicht ift fie eine müßige Spielerei, wie meiftens. (P. II, 8.)
Bianoiologie.
1) Gegenftand der Dianoiologie.
Die Dianoiologie oder Berftandeslchre, ein Theil ber Erkennt—
nißlehre, Hat zum Gegenſtand ihrer Detrachtung die primären,
d. i. die anſchaulichen Vorſtellungen. (P. II, 19.) (Bergl. An:
ſchauung und Berftand.)
2) Zur Geſchichte der Dianoiologie.
Die Dianoiologie, welche, ala Reſultat der Forſchungen des Carteſius,
Diäten — Ding an ſich 123
bis ver Kant gegelten bat, findet man en resums und mit naiver
Deriſichfeit dargelegt in Muratori della fantasia, Gap. 1—4 und 13.
Das Ganze ilt ein Neft von Irrthümern. Vene ganze Dianoiologie
3 1a elgie ift auf den falfchen Cartefanifchen Dualismus gebaut.
ip. L, 84.)
Die Kritik der reinen Bernunft hat die Ontologie in Dianoio-
logie verwandelt. (P. I, 89.)
Dichten, Dichter und Dichtkunſt, |. Poefie.
Dilettanten.
1) Worauf die Geringfhägung der Dilettanten be-
ruht.
Dilettanten — fo werden Die, welde eine Wiffenfchaft oder
Kunft ans Liebe zu ihr und Freude an ihr treiben, mit Geringſchätzung
genannt von Denen, die ſich des Gewinnes halber darauf gelegt haben;
weil fie nur das Geld delectirt, das damit zu verdienen iſt. Diefe
Geringſchätzung beruht auf ihrer nieberträdhtigen Ueberzeugung, daß
Keiner eine Sache ernftlic angreifen werde, wenn ihn nicht Noth,
Sunger, ober fonft welde Gier dazu anſpornt. Das Publicum: ift
deſſelben Geiſtes und daher derfelben Meinung; hieraus entjpringt fein
durhgängiger Reſpect vor ben „Leuten von Fach“ und fein Mißtrauen
gegen Dilettanten. (PB. II, 515 fg.)
2) Borzug der Dilettanten vor den Leuten von Fach.
In Wahrheit ift den Dilettanten die Sache Zwed, dem Manne
vom Fach als ſolchem blos Mittel; nur Der aber wird eine Sache
mit ganzem Ernſte treiben, dem ummittelbar an ihr gelegen ift und ber
fh ans Liebe zu ihr damit befchäftigt, fie con amore treibt. Bon
Solchen, und nicht von den Kohndienern, ift ſtets das Größte ausge
gangen. (P. UI, 516.)
Bing an fid.
1) Die Annahme des Dinges an fidh.
Die Anmahme eines Dinges an fid) Hinter den Erfcheinungen, eines
tolen Kerns umter fo vielen Hüllen, ift Teinegwegs unwahr; da viel-
zchr die Ableugnung befielben abjurd wäre. (P. I, 96.)
2) Gegenſatz zwiſchen Ding an fid und Erfheinung.
Ding an ſich bedeutet das unabhängig von unferer Wahrnehmung
Borhandene, alfo das eigentlich Seiende. (P. II, 97.) Erſcheinung
heißt Vorſtellung, und weiter nichts; alle Vorftellung, alles Object
Mt Erfheinung. Das Ding an fi ift durchaus nicht Borftellung,
jenbern toto genere von ihr verſchieden; es ift Das, wovon alle
dorſtellung, alles Object die Erſcheinung, die Sichtbarkeit, die
Ihjectität if. Es ift das Innerfte, der Kern jedes Einzelnen und
tenfo des Ganzen. (W.I, 37. 41. 131. 517; II, 8. 216.) Das
Ting an ſich ift von feiner Erfcheimmg gänzlich verfchieden und völlig
fa von allen Formen und Geſetzen derfelben, in welche es eben erft
eingeht, indem es erjcheint, die daher nur feine Objectität betreffen,
124 Ding an fid
ihm felbft fremd find. (W. I, 118. 134. 144. 152; 0, 568
P. I, 93.) Das Ding an fi ift die natura naturans, die Cr
fheinung die natura naturata. (P. II, 98.) Der Unterſchied zwiſche
Ding an fih und Erſcheinung läßt fi auch ausdrüden als be
zwiſchen dem innerlichen, fubjectiven und dem äußerlichen, objecti
ven Weſen eines Dinges. (P. Il, 100, Anmerkung) Das An- uni
Türfichfein jedes Dinges muß nothwendig ein fubjectives fein; in
der Vorftellung eines Andern bingegen fteht es eben fo nothwendig alı
ein objectives da; ein Unterjchieb, der nie ganz ausgeglichen werden
kann. (W. U, 217.)
3) Auf welden Wege allein zur Erfenntnig dei
Dinges an fi zu gelangen ift.
Da der Eat von Grunde feine unbebingte Gilltigfeit vor, aufe
und über aller Welt hat, fondern nur eine relative und bebingte, allein
in ber Erfcheinung geltende, jo kann das innere Weſen der Wel:
das Ding an fi, nimmer an feinem Leitfaden gefunden werden.
(W. I, 38 fg.)
Ueberhaupt iſt das Ding au fi auf dem Wege der rein objec—
tiven Erkenntniß nimmermehr zu erreichen, da diefe immer Vorftellung
bleibt, als folche aber im Subject wurzelt und nie etwas von der
Borftellung wirklich VBerfchiedenes liefern kann. Sondern nur dadurch
fanı man zum Dinge an ſich gelangen, daß man die unmittelbare
Erfenntniß, welche Jeder vom innern Wefen feiner eigenen leiblichen
Erſcheinung Hat, auf die übrigen, lediglich in der objectiven Anſchauung
gegebenen Erſcheinungen analogiſch überträgt und fo die Selbfterfeuntng
als Schlüffel zur Erfenntniß des innern Wefens der Dinge, d. 5. der
Dinge an ſich felbft, benugt. Zu biefer alfo fann man nur gelangen
auf einem don der rein objectiven Erfenntniß ganz verjchiebenen Wege,
indem man das Selbftbewußtfein zum Ausleger des Bewußi—
feins anderer Dinge madt. Dies ift der allein rechte Weg, bie
enge Pforte zur Wahrheit. (B. I, 100 fg. W. II, 14. 218 fg.
I, 118fg. ©. 83. P. 1, 84. N. 91. ®. IL, 517.)
4) In weldem Sinne der Wille ale das Ding an fid
zu betrachten ift.
Das Ding an fih, welches als folches nimmermehr Object ift, eben
weil alles Object fchon wieder feine bloße Erſcheinung, nicht mehr es
ſelbſt ift, mußte, wenn es bennoch objectiv gedacht werben follte, Namen
und Begriff von einem Object borgen, von etwas irgendwie objectiv
Gegebenem, folglich von einer feiner Erfcheinungen; aber diefe durfte,
um als Berftändigungspunft zu dienen, keine andere fein, als unter
allen feinen Erfcheinungen bie vollfommenfte, d. 5. die beutlichfte, vom
Erkennen unmittelbar beleuchtete. Diefe aber ift bes Menſchen Wille.
Die Bezeihnung des Dinges an fih als Wille ift zwar nur eine
denominatio a potiori, eine Benennung be8 Genus nach der vorzüg-
Iichften Species, wodurch der Begriff Wille eine größere Ausdehnung
erhält, als er bisher Hatte; aber diefe Ausdehnung ift wegen der
Ding an ſich 125
Veztitit des Weſens jeder irgend ſtrebenden und wirkenden Kraft in
der Retırr mit dem Willen eine berechtigte. (W. I, 131 ff.)
De Vahrnehmung, in der wir die Regungen und Acte des eigenen
Bılas erlennen, iſt eine bei Weiten unmittelbarere, als jede andere;
fe it der Bunt, wo das Ding an fih am unmittelbarften in bie
Erideinung tritt und in größter Nähe vom erfennenden Subject be⸗
isshtet wird; Daher eben der aljo intim erfannte Vorgang der Ausleger
ze andern zu werden einzig und allein geeignet if. Denn bei jedem
Havortreten eines Willendactes aus der dunkeln Tiefe unferes Innern
in das erfennende Bewußtfein gefchieht ein unmittelbarer Uebergang des
enger der Zeit liegenden Dinges an fi) in die Erfcheinung. Demnach
m zwar ber Willensact nur die nächfte und deutlichfte Erſcheinung
des Dinges an fi; doch folgt Hieraus, daß wenn alle übrigen Er⸗
ſcheinungen ebenfo unmittelbar und innerlich von uns erkannt werden
Bunten, wir fie fiir eben das anſprechen müßten, was der Wille in
ws iſt. In diefem Sinne alfo ift das innere Weſen eines jeben
Zuges als Wille aufzufaflen und der Wille das Ding an fi) zu
nemen. Kants Lehre von der Unerkennbarkeit des Dinges an ſich
rd hiedurch dahin mobdificirt, daß daſſelbe nur nicht fchlechthin und
ton Grund aus erkennbar fei, daß jebod) die bei Weiten unmittelbarfte
feiner Erfcheimungen es fir uns vertritt, und wir ſonach die ganze
Belt der Erſcheinungen zurüdzuführen haben auf diejenige, in welcher
das Ding an ſich in ber allerleichteften Verhüllung fich darftellt und
run noch in fofern Erfcheinung bleibt, als mein Intellect, der allein
das der Erkenntniß Fähige ift, von mir als dem Wollenden noch immer
ucterichiedem bleibt und auch die Erkenntnißform der Zeit, ſelbſt bei
der innerm Perception, nicht ablegt. (W. II, 221.)
5) Barum unjere Erfenntniß bes Dinges an fid
feiue erfhöpfende, adäquate ift.
Die inmere Wahrnehmung, welche wir von unferm eigenen Wefen
Gaben, iſt zwar ber einzige Weg, zur Erfenntni des Weſens am ſich der
Dinge zu gelangen; aber diefe Erkenntniß ift feine erſchöpfende,
edäguate. Denn, obgleich die Selbfterfemmtniß eine unmittelbarere
it, al8 die der Außendinge, fo ift fie dod; Feine ganz unmittelbare,
da auch fie noch an die Form der VBorftellung gebundene Wahr-
zhmung iſt und als ſolche in Subject und Object, in ein Erkennendes
md Erkanntes zerfällt. Alſo auch in ber innern Erkenntniß findet
roch ein Unterſchied Statt zwifchen bem Sein an fich ihres Objects
und der Wahrnehmung bdefjelben im erfennenden Subject. Jedoch ift
die imere Erkenntniß von zwei Yormen frei, welche der äußern an⸗
kängen, nämlich von der des Raumes und ber Caufalität. Hin-
gegen bleibt noch die Form der Zeit, wie aud) die des Erkanntwerdens
ud Erkennens überhaupt. Demnach hat in biefer innern Erfenntniß
3 Ding an fic feine Schleier zwar großen Theils abgeworfen, tritt
aber doch noch nicht ganz nadt auf. (W. UI, 220. 563 fg.)
Beam es auch mittelft der Verknüpfung der nad) anfen gerichteten,
126 Ding en fid
objectiven Erkemtniß mit ben Datis bes Selbſtbewußtſeins wöglid
wird, zn einem gewiffen Berftänbnig ber Welt und bes Weſens an fid
der Dinge zu gelangen; fo wirb diefes doch nur ein fehe limitirtes
ganz mittelbares und velatives, nämlich eine parabolifche Leber:
fegung in die Yormen ber Erkenntniß, aljo ein quadam prodir
tenus fein, welches ftets noch viele Probleme ungelöſt übrig laſſer
muß. (W. U, 327.)
Die volltommenfte Erkennbarkeit, d. 5. die größte Klarheit, Deut:
lichkeit und erfchöpfende Ergrünblichfeit fommt nur Dem zu, was da
Erfenniniß als folder eigen ift, alfo der apriorifchen Form ber Cr:
kenntniß, nicht aber Dem, was, an fi nicht PVorftellung, nicht
Object, erft durch das Eingehen in dieſe Formen erfennbar, d. h.
Vorſtellung, Object geworben ift. Jeder Inhalt, ben die Formen be
fommen, enthält ſchon etwas nicht mehr vollftänbig feinem ganzen
Weſen nad) Erkennbares, alfo etwas Grundlofes, wodurch fogleid die
Erkenntniß an Evidenz verliert und die vollkommene Durchlichtigfeit
einbüßt. Diefes der Ergründung ſich Entziehende ift eben das Ting
an fih, ift dasjenige, was weſentlich nicht Borftellung, nicht Objet
der Erkenntniß iſt, fondern erft indem es in jene Form einging, tr
fennbar geworden if. (8. I, 144.)
Die Erfenntniß und die Bielheit, oder Individuation, ftehen und
fallen mit einander, indem fie ſich gegenfeitig bedingen. Hieraus if
zu fchließen, daß jenfeit3 der Erjcheinung, im Wefen an fid aler
Dinge, welchem Zeit und Raum, und deshalb auch die Vielheit fremd
fein muß, auch Feine Erfenntniß vorhanden fein kann. in „Erkennen
der Dinge an fi” im ftrengftien Sinne des Worts, wäre demnach
[don darum unmöglih, weil, wo das Wefen an ſich der Dinge ar
fängt, das Erkennen wegfältt, und alle Erkenntniß ſchon grundweſentlich
blos auf Erſcheinungen geht. (W. II, 311.)
Die objective Anficht des Intellects (f. Intellect), melde cu
Genesis deffelben enthält, macht begreiflich, daß er, ausſchließlich zu
praftifchen Sweden beftimmt, das bloße Medium der Motive iſt,
mithin durch richtige Darftellung biefer feine Beſtimmung erfüllt, und
daß, wenn wir aus dem Compler und der Gefegmäßigkeit der hierbei
fi) uns objectiv darftellenden Erſcheinungen das Weſen ber Dinge on
ſich ſelbſt zu conſtruiren unternehmen, diefes auf eigene Gefahr und
Berantwortlichkeit geſchieht. Unfer Intellect, urfprünglich nur beftimmt,
einem individuellen Willen feine kleinlichen Zwede vorzuhalten, faßt
demgemäß bloße Relationen ber Dinge auf und dringt nicht in iht
Irmeres, in ihr eigenes Wefen; er ift demnach eine blofe Flächenkraft,
haftet an ber Oberfläche ber Dinge und faßt bloße species transitvas,
nicht das wahre Weſen derfelben. Hieraus eben entjpringt es, dag
wir fein einziges Ding, aud nicht das einfachfte und geringfte, durch
und durch verftehen und begreifen können, fonbern an jedem etwas und
völlig Unerflärliches übrig bleibt. (28. II, 324 fg.)
Ding an fich 127
6) Das Ding an ſich in der Geſchichte der Bhilofophie.
Die Unterfcheidbung zwiſchen Erjcheinung und Weſen an fich ber
Dinge war im Grunde zu allen Zeiten da, wurde nur meiften® fehr
umellommen zum Bewußtfein gebracht unb daher ungenügend ausge
iprechen, trat fogar oft in feltfamer Berkleibung auf. (W. II, 195.)
Den Demofritos war das Ding an fi) die geformte Materie;
des Eelbe war e8 im Grunde noch den Rode; Kanten war es — x;
Shopenhanern ift es Wille (P. H, 97) Eine auffallend
dentliche und beitimmte Unterfcheidimg des Dinges an fich von ber
Eriheinung, eigentlich) fogar ſchon im Kant'ſchen Sinne, finden wir
meiner Stelle bes Porphyrius, welche Stoblius (Eclog. L. I, o. 43,
Fragm. 3) un® anfbewahrt bat. (P. U, 98.)
Kanten zufolge iſt das von ımferm Vorftellen und deſſen Apparat
zmabhängige Weſen der Dinge, welches er das Ding an ſich nennt,
alfo das eigentlich Reale, im Gegenjap bes Idealen, ein von der
ih ım8 anſchaulich barftellenden Geftalt ganz und gar Berfchiedenes,
kan jogar, da es von Raum und Zeit unabhängig fein joll, eigentlich
weder Ausdehmung, noch Dauer beizulegen ift; obwohl es allem Dem,
wat Ausdehnung und Dauer bat, die Kraft dazuſein ertheilt. Auch
Spinoza Hat bie Sache im Allgemeinen begriffen, wie zu erjehen
aus Eth. P. OH, prop. 16, mit dem 2ten Coroll., auch prop. 18,
schol. — Das Locke'ſche Ding an fich (Reale im Gegenjag des Idealen)
ft ım Grunde die Materie, zwar entblößt von allen ben Eigen-
\haften, die er, als fecnndaire, d. h. durd) unfre Sinnesorgane bedingte,
beſeitigt; aber doch ein an und für fi) als ein Ausgedehntes u. |. w.
Griftirendes, deſſen bloßer Reflex oder Abbild die Vorſtellung in uns
it. Diefes vermeinte Reale Locke's, die Materie, geht jedoch nad)
Kant und Schopenhauer ganz und gar in das Ideale und damit im
das Subject zurück; d. h. es eriftirt allein in der Vorftellung und für
die Borftellung. (PB. 1, 17 fg. 94. W. I, 23.) Die Sranzofen find,
duch den frühen Einfluß Condillacs im Grunde noch immer
Yodianer. Daher ift ihnen das Ding an ſich eigentlich die Materie,
ons deren Örundeigenfchaften, wie Undurchdringlichkeit, Geftalt, Härte
end fonflige primary qualities Alles in ber Welt zulett erklärbar
im müfle. (W. II, 14, 343.) u
Die ganze Locke'ſche objective Welt von Dingen an ſich wurde
sch Kant in eine Welt von bloßen Erjcheinungen in unferm Er⸗
kennmißapparate verwandelt. Dennoch ließ Kant nod) immer das Ding
an fi als etwas von unfern Borftellungen Unabhängiges beftehen,
208 denfelben als bloßen Erſcheinungen zu Grunde läge So fehr
zun and Kant Hierin im Allgemeinen Recht hatte, fo war doch bie
Art, wie er das Ding an ſich einführte, fehlerhaft. Kanten leitete
die fiher gefühlte Wahrheit, das Hinter jeder Erſcheinung ein an ſich
jelbit Seiendes, von bem fie ihren Befiand erhält, alſo Hinter der
Verſtellung ein Vorgeftelltes liege. Aber cr unternahm, biefes aus ber
gegebenen Borftellung ſelbſt abzuleiten, unter Hinzuziehung ihrer uns
128 Dieputiren
a priori beisußten Geſetze, welche jedoch, gerade weil fie a priori ſind,
in von der Cricheiuung, oder Vorſtellung, Unabhängiges und
Berfdjiebenes leiten Mönnen; weshalb man zu biefem einen ganz andern
Die Iucaufequenzen, in welche Kaut, durch
den fehlerhaften Gang, den er im biefer Hinfiht genommen, ſich ver-
widelt hatte, wurden ihm dargetfan von ©. E. Schultze zuerft im
oph
E
„Aenefidenus“ (befondere S. 374— 381) und fpäter in feiner „Kritif
ie” (Bd. 2, ©. 205 ff.); wogegen Reinhold
igung, jchoch ohne ſonderlichen Erfolg, geführt hat.
($. 1, 96fg. ©. 1, 200. 516 fg. 595 fg.)
Kant ftellt durchgängig das Moralifche in uns als in der engften
Berbindung mit dem wahren Weſen an fid) ber Dinge, ja, als
unmittelbar biefeö treffend dar. Ueberall wo bei ihm das geheinmißvolle
Ding an ſich irgend bentlicher hervortritt, giebt es fi zu erkennen
als das Moraliſche in uns, als Wille (E. 133. P. I, 145.)
Bei ber Idee der Freiheit (in der Auflöfung der dritten Antinomie
wird Kant vom Ding an fi ausführlicher zu reden gemöthigt.
Ueberhaupt liegt hier der Bınıkt, wo Kants Philofophie auf die Schopen-
hauerfche Hinlertet, ober wo diefe als aus ihrem Stamm hervorgeht.
Kant iſt mit feinem Denken nicht zu Ende gelommen. Schopenhauer
bat bloß feine Sache durdägeführt, indem er, was Kant von ber menſch⸗
lien Erſcheinung allein fagt, auf alle Erfcheinung überträgt, nämlich
dag das Weſen an fich berfelben ein abfolut Freies, d. h. ein Wille
if. (8. 1, 595. P. I, 145.)
Schopenhauer Hat dad Ding an fi) nicht erfchlichen noch er-
ſchloſſen nad; Geſetzen, die es außfchliegen, indem fie ſchon jeine:
Erfheimmg angehören; vielmehr Hat er es unmittelbar nachgemwieien,
da, wo es ımmittelbar liegt, im Willen, ber ſich Jedem als dat
Anfich feiner eigenen Erſcheinung unmittelbar offenbart. (W.1, 597.) —
Schopenhaner läßt ganz und gar Kants Lehre beftehen, da die Welt
der Erfahrung bloße Erfcheinung fei und daß bie Erkenntniffe a prior
blos in Bezug auf biefe gelten; aber er fügt Hinzu, daß fie gerade ald
Erſcheinung die Manifeftation Desjenigen if, was erfcheint, und nennt
ed mit ihm das Ding an fi. Diefes drüdt nach Schopenhauer.
fein Weſen und feinen Charakter in der Erfahrungswelt aus, und
zwar in dem Stoff, nit im der bloßen Form ber Erfahrung.
(W. II, 204.)
Bisputiren.
1) Nupen des Disputirens.
Das Disputiven über einen theoretiichen Gegenftand kaun, ohne
Zweifel, für beide barin implicirte Parteien fehr fruchtbringend werden,
indem es die Gedanken, die fie haben, berichtigt, oder beftätigt, und
aud) neue erwedt. Es ift eine Reibung, ober Collifion zweier Köpfe,
die oft Funken jchlägt, jedoch auch darin der Collifion ber Körper
analog ift, daß der fchwächere oft darunter zu leiden hat; während ber
Dogmatismus 129
Härtere ſich dabei wohl befindet und nur einen flegreichen Klang ver-
nehmen läßt. (P. II, 25.)
2) Haupt» Erforderniß beim Disputiren.
Ein Haupt- Erfordernig beim Disputicen, wenn es fruchtbringend
werden ſoll, ift, daß beide Disputanten wenigſtens einigermaßen einander
ſewohl an Kenntniffen, ald an Geift und Gewandtheit gewachfen
fen. Fehlt e8 dem Einen an den Erfteren; fo ift er nicht au niveau,
and dadurch den Argumenten des Anbern nicht zugänglich. Fehlt es
fm aber gar am Zweiten, fo wird bie dadurch in ihm bald rege
werdende Erbitterung ihn allmälig zu allerlei Unredlichkeiten, Winkel⸗
zügen und Ehilanen im Disputiren, und, wenn ihm dieſe nachgewieſen
werden, zum Grobheit verleiten. Daraus folgt, daß man nur mit
Ebenbürtigen disputiren foll, alfo nicht mit Unwiffenden und
nicht mit Menſchen von beſchränktem Verſtande. (P. II, 25 fg.)
3) Technik des Disputirens. |
Die formalen Regeln des Disputirens Liefert die Eriſtik. (S. Eriftil.)
Bogmatisnng.
1) Gegenſatz zwifhen Dogmatismus und Ariti-
ciſsmus.
Es befleht ein fundamentaler Unterſchied zwiſchen Dogmatismus
oder dogmatiſcher Philoſophie und Kriticismus oder Transſcendental⸗
philofophie. Der Dogmatismus wendet bie aus dem menſchlichen
Intellect (Gehirn) entfpringenden apriorifchen Wahrheiten, welche bloße
Geſetze der Erſcheinung find und daher nur relative Gültigfeit
haben, auf das Weſen an ſich der Welt an und hält fie für ewige
Bahrheiten (veritates aeternas.) WS Widerfacher diefer ganzen
Methode ift mit Kant die Fritifche Philofophie aufgetreten, welche
gerade die, allem ſolchem dogmatiſchen Bau zur Unterlage dienenden
veritates aeternas zu ihrem Problem macht, dem Urfprunge derfelben
nachforſcht und ihn fodann findet im menfchlichen Kopf, wojelbft nüm-
ih fie aus den diefem eigenthümlich angehörenden Formen, welche er
zum Behuf der Auffafjung einer objectiven Welt in fich trägt, erwachfen.
Dadurch, daß die Fritifche Philofophie, um zu diefem Reſultat zu ge«
lungen, über bie veritates aeternas, auf welche aller bisherige Dog⸗
natismus fich gründete, hinausgehen mußte, um biefe jelbft zum
Gegenftande der Unterfuchumg zu machen, ift fie Transfcendental-
Philofophie geworben. Aus biefer ergiebt fi, daß die objective
Welt, wie wir fie erkennen, nicht dem Wefen der Dinge an fich felbft
augehört, fondern bloße Erſcheinung deflelben ift, bedingt durch eben
je formen, die a priori im menſchlichen Intellect (d. h. Gehirn)
legen, daher fie auch nichts als Krfcheinungen enthalten Tann.
V. I, 498 fg.)
2) Srundfehler des Dogmatismus.
‚ Der Srundfehler des durch Kant zerftörten Dogmatismus war
wollen feinen Formen biefer, daß er fchlechthin von der Erleuntniß,
Shopenhauerskerifon, I. 9
130 Dogmen
d. i. ber Welt als Vorftellung, ausgieng, um aus beren Gefeken
das Seiende überhaupt abzuleiten und aufzubauen, wobei er jene Welt
der Vorſtellung, nebft ihren Geſetzen, als etwas fchlechthin Vorhandenes
und abfolut Reales nahm; während das ganze Dafein derfelben von
Grund aus relativ und ein bloßes Reſultat oder Phänomen des ihr
zum Grunde liegenden Weſens an fich ift, — oder mit andern Worten,
daß er eine Ontologie conftruicte, wo er blos zu einer Dianoio-
logie Stoff Hatte. (W. II, 327.)
Der alte, von Kant umgeftoßene Dogmatismus ift transfcendent,
indem er über die Welt hinausgeht, um fie aus etwas Anderem zu
erklären; er macht fie zur Folge eines Grundes, auf welchen er aus
ihr fchließt, während es doch allein in der Welt und unter Borant-
fegung derfelben Grunde und Folgen giebt. (P. I, 142.)
3) Warum alle PHilofophie zuerft Dogmatismus ift.
Beim Philofophiren wird der Intellect angewendet Auf etwas, wozu
er gar nicht gemacht ımd berechnet ift, nämlich das Daſein überhaupt
und an fi. Sein erfter Verſuch ift nun natürlich, die Geſetze ber
Erſcheinung (die ihm eigenthümlich find) anzumwenden auf das Dajein
überhaupt, alfo das Dafein an fich zu conſtruiren nad) Geſetzen der
bloßen Erfcheinung, 3. B. Anfang, Ende, Urſache, Zweck des Daſeins
überhaupt zu fuchen. Daher ift jede Philofophie zuerfi Dogmatis:
mus. Nah deſſen Miflingen und dem Darthun dieſes Mißlingene,
welches der Skepticisſmus ift, tritt fpäter der Kriticismus ein.
(5. 297; P. DL, 9.) |
Bogmen.
1) Einflußlofigkeit der Dogmen auf die Gefinnung.
Weil die Tugend, d. 5. die Güte der Geſinnung, nit aus ab-
ftracter, begrifflicher Erkenntniß hervorgeht, fo find die abftracten Dogmen
ohne Einfluß auf die eigentliche Tugend; die falfchen Dogmen ftörcn
fie nit, und die wahren befördern fie ſchwerlich. Zwar anf das
Handeln, das äußere Thun, können die Dogmen als Motive flarken
Einfluß Haben; aber damit ift die Gefinnung nicht geändert. Motiv:
Können überhaupt nur die Richtung des Willens, nie ihn felbft ändern.
Wie die Dogmen daher auch ald Motive den Willen lenken mögen,
fo ift dabei dennoch immer die weſentliche Beichaffenheit des Willens
biefelbe geblieben. (8. I, 434 fg.)
2) Eigentliher Werth der Dogmen für die Moralität.
Die Dogmen haben fir die Moralität blos den Werth, daß der
aus intuitiver Erfenntniß ſchon Tugendhafte an ihnen ein Schema, ein
Formular bat, nad) welchem er feiner eigenen Vernunft von feinem
nicht egoiftifchen Thun, deſſen Weſen er nicht begreift, eine meiftens
nur fingirte Rechenſchaft ablegt, bei welcher er fie gewöhnt hat fich
zufrieden zu geben. (W. I, 435.)
Bei guten Thaten, deren Ausüber fi auf Dogmen beruft, muß
man immer unterfcheiden, ob biefe Dogmen auch wirklich das Motiv
Don Quijote — Drama 131
bazı ſind, ober ob fie nichts weiter al8 die fcheinbare Rechenfchaft
find, durch die Jener feine eigene Vernunft zu befriedigen ſucht, über
em and ganz anderer Duelle fließende gute That, die er vollbringt,
weil er gut ift, aber nicht gehörig zu erflären verficht. (W. I, 436.)
Bon Quijote.
Don Quijote allegorifirt da8 Leben jedes Menſchen, der nicht, wie
die Anderen, blos fein perfünliches Leben beforgen will, fondern einen
objectiven, idealen Zweck verfolgt, welcher fich feines Deufens und
Vollens bemächtigt hat; womit er fi dann in diefer Welt freilich
ionderbar ausnimmt. (W. I, 284.)
Brama,
1) Das Drama vergliden mit ber lyriſchen und
epifchen Poefie.
Bie in der lyriſchen Poeſie das fubjective Element vorherrfcht, fo
ft dagegen im Drama das objective allein und ausfchlieglich vorhanden.
Zwifchen beiden hat die epifche Poefle, in allen ihren Yormen und
Modificationen, von der erzählenden Romanze bis zum eigentlichen
Epos, eine breite Mitte inne. Denn obwohl fie in der Hauptſache
objectiv ift; fo enthält fie doch ein bald mehr bald minder hervor⸗
tretendes fubjectives Element, welches auı Ton, an der Form bes
Bortrags, wie auch an eingeftreuten Reflexionen feinen Ausdrud findet.
Bir verlieren nicht den Dichter jo ganz aus den Augen, wie beim
Drama. (MW. I, 492.) Das Dranıa ift die objectivfte und in mehr
als einer Hinficht volllommenfte, auch ſchwierigſte Gattung ber Poefie.
W. I, 293.)
2) Zwed des Dramas.
Der Zwei des Dramas ift, und an einem Beifpiel zu zeigen, was
das Welen und Dafein des Menfchen fei. Dabei kann nun die trau⸗
rige oder die heitere Seite beffelben uns zugewendet werden, oder aud)
deren Uebergänge. (W. II, 492.)
3) Mittel zur Erreihung des Zweds des Dramas.
In den mehr objectiven Dichtungsarten, befonders dem Epos und
Trama, wird der Zweck, die Offenbarung der Idee der Menſchheit,
keſonders durch zwei Mittel erreicht: durch richtige und tiefgefaßte
Tarftellung bedeutfamer Charaktere und durd, Erfindung bedentſamer
Situationen, an denen fie fich entfalten. (W. I, 296.)
Da dem Drama mit dem Epos gemeinfchaftlihe Zweck, an be
dentenden Charakteren in bedeutenden Situationen die durch beide
berbeigeführten außerordentlichen Handlungen darzuftellen, wird von
Dichter am vollfommenften erreicht werden, wenn er uns zuerft bie
Charaltere im Zuftande der Ruhe vorführt, in welchem blos die allge-
meine Färbung bderfelben ſichtbar wird, dann aber ein Motiv eintreten
läßt, welches eine Handlung herbeiführt, aus der ein neues und ftärferes
Motiv entfteht, welches wieder eine bebeutendere Handlung hervorruft,
de wiederum nene und immer flärkere Motive gebiert, wodurch dann,
9 *
132 Drama
in ber der Form angemefienen Frift, an die Stelle der urſprünglichen
Ruhe die leidenſchaftliche Aufregung tritt, in der nun die bebeutfamen
Handlungen geſchehen, an welchen die in den Charakteren vorhin
ſchlummernden Eigenfchaften, nebit bem Laufe der Welt, in hellem
Lichte hervortreten. (W. II, 492 fg.)
4) Die beiden Ertreme des Dramas.
Zwar find die beiden Elemente des Dramas: die Charaktere
einerfeits und das Schidjal, die Begebenheit, die Handlung anderer:
feits, fo feft mit einander verwachſen, daß wohl ihre Begriff, aber nidit
ihre Darftellung fich tremen läßt. Denn nur die Umftände, Scid-
fale, Begebenheiten bringen die Charaktere zur Aeußerung ihres Weſens,
und nur aus den Charakteren entfteht die Handlung, aus der bie
Begebenheiten hervorgehen. Doch kann in der Darftellung das Eine
oder das Andere mehr hervorgehoben fein; in welcher Hinſicht das
Charakterſtück und das Intriguenftlid die beiden Ertreme bilden.
(®. Io, 492.) .
5) Drei Stufen des Dramas.
Das Drama, als die vollfonımenfte Abipiegelung des menfchlichen
Dafeins, hat einen dreifachen Klimar feiner Auffafiungsweife beffelben
und mithin feiner Abſicht und Prätenſion. Auf der erften und fire
quenteften Stufe bleibt e& beim blos Interefſanten: die Perfonen
erlangen unfere Theilnahme, indem fie ihre eigenen, den unfrigen ähn-
lichen Zwede verfolgen; die Handlung fchreitet, mittelft der Intrigue, der
Charaktere und bes Zufalls, vorwärts; Wit und Scherz find die Würze
des Ganzen. — Auf der zweiten Stufe wird das Drama fentimental:
Mitleid mit den Helden, und mittelbar mit uns felbft, wird erregt; die
Handlung wird pathetifch; doch kehrt fie zur Ruhe und zur Befriedigung
zurück, im Schluß. — Auf der höchſten und fehwierigften Stufe wird
das Tragifche beabfichtigt: das fchwere Leiden, die Noth des Dafeins,
wird uns vorgeführt, und die Nichtigkeit alles menſchlichen Strebens
ift bier das leute Ergebniß. Wir werben tief erfchüttert, umd bie
Abwendung des Willens vom Leben wird in un® angeregt, entweder
direct oder als mitklingender harmonifcher Ton. (P. I, 472.)
6) Die Wahrheit im Drama.
Die durchgängige Bedeutſamkeit der Situationen fol das ‘Drama,
wie aud den Roman und das Epos, vom wirklichen Leben unter-
ſcheiden, ebenſo fehr, al8 die Zufammenftelung und Wahl bedeutjamer
Charaltere; bei beiden ift aber die ftrengfte Wahrheit unerläßliche
Bedingung ihrer Wirkung, und Mangel au Einheit in den Charafteren,
Widerfpruch derfelben gegen fich felbft, oder gegen das Weſen der
Menſchheit überhaupt, wie auch Unmöglichkeit, oder ihr nahe kommende
Unwahrfcheinlichkeit in den Begebenheiten, fei e8 auch nur in Neben.
umftänden, beleidigen in der Poefie ebenfo fehr, wie verzeichnete Figuren,
oder falfche PBerfpective, oder fehlerhafte Beleuchtung in der Malerei;
denn wir verlangen, dort wie bier, den treuen Spiegel des Lebens,
Drama 133
der Menſchheit, der Welt, nur verdeutlicht durch die Darftellung und
bebentſam gemacht durch bie Zufanmenftellung. (28. I, 297.)
Der bramatifche Dichter ſoll (mie der epifche) willen, daß er das
Sqicſal ift, und daher ımerbittlich fein, wie diefes; — imgleichen, daß
er der Spiegel des Menſchengeſchlechts ift, und daher fehr viele jchlechte,
mituster xuchlofe Charaktere auftreten laſſen, wie auch viele Thoren,
perfhrobene Köpfe und Narren, dann aber Hin unb wieder einen Ver⸗
nünftigen, einen Klugen, einen eblichen, einen Guten und nur als
ſeltenſte Ausnahme einen Edelmüthigen. (W. I, 497.)
Auf der (in der Ethik dargelegten) Unveränberlichleit bes
Charakters (S. Charakter) beruht es, daß ber größte Fehler eines
dramatischen Dichters diefer ift, daß feine Charaktere nicht gehalten find,
d. h. nicht, gleich den von großen Dichtern bdargeftellten, mit der Con⸗
fanz und ſtrengen Confequenz einer Naturkraft burchgeführt find, wie
bei Shafefpeare. (E. .51.)
T) Das Edle und Erhabene im Drama.
Da der Wille ald das Allen Gemeinjame eben aud) da8 Gemeine
and jedes Heftige Hervortreten beffelben gemein ift, fo erfcheinen auch
un Drama bie Leidenſchaften und Affecte leicht gemein. Das Edle,
d. i. das Ungemeine, ja, das Erhabene, wird auch in das “Drama
allererft durch das Erkennen, im Gegenfatz des Wollens, hineingebradt,-
indem daffelbe über allen jenen Bewegungen bes Willens frei jchwebt
und fie fogar zum Stoffe feiner Betrachtung macht, wie Dies befon-
ders Shalefpeare durchgängig fehn läßt, zumal aber im Hamlet.
Steigert nun gar die Erkenntniß fich zu bem Punkte, wo ihr bie
Hihtigleit alles Wollene und Strebens aufgeht und in Folge bavon
der Wille fich felbft aufhebt; dann erſt wird das Drama eigentlich
tragiſch, mithin wahrhaft erhaben und erreicht feinen höchften Zweck.
(P. I, 635.) (Bergl. auch Trauerfpiel.)
8) Die- drei Einheiten des Dramas.
Die den Neuern fo oft vorgeivorfene Bernachläffigung der Einheit
fer Zeit und des Orts wird nur dann fehlerhaft, warn fie jo weit
echt, daß fie die Einheit der Handlung aufhebt. Die Einheit der
Sandlung braucht aber auch nicht fo weit zu gehen, daß immerfort
von derfelben Sache gerebet wird und, wie in ben franzöfifchen Trauer⸗
Ipeien, der dramatiſche Berlauf einer geometrifchen Linie ohne Breite
geicht. Das Shaleſpeare'ſche Trauerfpiel gleicht einer Linie, die auch
dreite hat; e8 kommen in ihm nebenfächliche Reben und Scenen vor,
bard) welche wir jedoch die handelnden Perjonen und ihre Umftände
rüber lennen lernen und dann auch das Ganze grünblicher verfichen.
Die Handlung bleibt zwar bie Hauptfache, jedoch nicht fo ausfchlieglich,
Kl — Ping * in de —5 — es auf die Dar⸗
menſchlichen Weſens und Daſeins überhaupt abgeſehen iſt.
8.0, 497. M. 358.) harpt angefeden in
Die Shakeſpeare ſchen Dramen gehören auch darum, daß fie nicht
m gerader Linie vorwärts ſchreiten, ſondern ſich ſeitwärts in die Breiie
134 Draperie — Dummheit
ausdehnen, nicht eigentlich in ba8 Gebiet des Intereffanten; benn
die Dimenfion des Imtereflanten ift die Ränge Daher wirken
Shafefpeare'8 Dramen nicht merklich auf den großen Haufen. — Die
Forderungen bes Ariftoteles in Betreff der drei Einheiten find auf das
Sntereffante abgefehen, nicht auf das Schöne. Ueberbaupt find
biefe Forderungen dem Satze vom Grunde gemäß abgefaßt; wührend
das Schöne doch von ber Herrichaft dieſes Satzes frei iſt. — Die
befte und teeffenbfte Widerlegung ber Einheiten bes Ariftoteles iſt bie
von Manzoni in der Borrede zu feinen Trauerfpielen. (9, 48 fg.)
9) Eine befondere Schwierigkeit des Dramas.
Bon dem Spridwort: Aller Anfang ift fehwer, gilt in der Drama-
turgie das LUmgelehrte: alles Ende ift ſchwer. Dies belegen die
unzähligen Dramen mit verfehltem und unbefriedigendem Ende. Diefe
Schwierigkeit bes Ausgangs beruht theils barauf, daß es überall Leichter
ift, die Sachen zu verwirren, als zu entwirren; theils aber auch darauf,
daß wir an das Ende beftimmte Anforderungen ftellen, daß es nämlich
entweder ganz glüdlih, ober ganz tragifch fein fol; während bie
menſchlichen Dinge nicht Leicht eine fo entfchiedene Wendung nehmen.
Sodann fol es natürlich, richtig und ungezwungen herauskommen,
dabei aber boch von Niemandem vorhergefehen fein (P. II, 473.)
Braperie, f. Stulptur.
Dreffur, |. Abrichtung.
Druck, |. Mechanik.
Buell, ſ. unter Ehre: eine Afterart der Ehre.
Dummheit.
1) Weſen der Dummheit.
Dummheit iſt Mangel an Verſtand, Stumpfheit in der Anwendung
des Geſetzes der Cauſalität, Unfähigkeit zur unmittelbaren Auffaſſung
der Verkettungen von Urſach und Wirkung, Motiv und Handlung.
Ein Dummer merkt z. B. nicht, daß verſchiedene Perſonen, ſcheinbar
unabhängig von einander, in der That aber in verabredetem Zuſammen⸗
hange handeln; er läßt fich daher Leicht miftificiren. Immer mangelt
dem Dummen nur das Eine: Schärfe, Schnelligkeit, Leichtigkeit der
Anwendung des Geſetzes der Caufalität, d. i. Kraft des Verſtandes.
(W. I, 26 fg.)
2) Beliebtheit der Dummen.
Daß die Dummen fo beliebt find und in dem Rufe befonberer
Herzensgüte ftehen, bat folgenden Grund. Jeder wählt zu feinem
Umgang am Tiebften Einen, dem er an Verſtande überlegen ift; benn
nur bei biefem fühlt er fich behaglich. Aus dem felben Grunde flieht
und haft Jeder Den, ber ihm überlegen ifl. Dies ift «8, was bie
Dummen jo allgemein beliebt macht. Diefen wahren Grund ber
Zuneigung gefteht fich jedoch Keiner ein, und daher wird, als plauſibler
Dummheit 135
Vorwand fir diefelbe, den Dummen eine bejondere Herzensglite ange-
dichtet. (W. II, 256 fg.)
3) Zufammenhang der Dummpbeit mit der moralifchen
Schlechtigkeit.
Da man Dummheit ſo oft mit moraliſcher Schlechtigkeit beiſammen
findet, fo entſteht der Anſchein, daß beide eng zuſammenhängen, beide
us Einer Wurzel entſprießen. Dem iſt jedoch nicht fo. Jener An⸗
igein ift gänzlich aus dem fehr häufigen Vorkommen Beider zu
erffären, in Folge deflen ihnen leicht begegnet, unter Einem Dache
wohnen zu müſſen. (P. II, 224.)
Große VBefchränftheit des Kopfes Tann mit großer Güte bes Herzens
miammenbeftehen, und Balthazar Gracian geht daher zu weit, wenn
e fügt: No ay simple, que no sea malicioso (Es giebt feinen
Tropf, der nicht boshaft würe), obwohl er das Spaniſche Sprid;-
wort: Nunca la necedad anduvo sin malicia (Nie geht die Dumm-
heit ohne die Bosheit), für fich hat. Jedoch mag es fein, daß manche
Dumme, aus dem felben Grunde wie manche Budlige, boshaft werden,
nämlich ans Erbitterung über die von der Natur erlittene Zurückſetzung
od indem fie gelegentlich, was ihnen an Verftande abgeht, durch Hein»
tide zu erfegen vermeinen, darin einen Turzen Triumph fuchend.
8.0,255 fg.) Es ift nicht zu leugnen, daß Dummheit und Schlech⸗
tigfeit einander in die Hände ſpielen. Namentlich ift der Unverfland
dem deutlichen Sichtbarwerden ber Falſchheit, Niederträchtigfeit und
Losteit günftig; während bie Klugheit dieſe beſſer zu verhüllen verfteht.
Und wie oft verhindert andererſeits bie Perverfität des Herzens ben
Menſchen, Wahrheiten einzufehen, denen fein Verftand ganz wohl ges
wachen wäre. (P. II, 224.)
4) Gegenſatz zwifhen Dummheit und Schlechtigkeit
in Hinfiht auf bie Zurechnung.
IR Eimer dumm, fo entfchuldigt man ihn damit, daß er nicht dafür
lm; aber wollte man Den, der fchlecht ift, eben damit entſchuldigen,
jo würde man ausgelacht werben. Und doch ift das Eine, wie das
Andere angeboren. Dies beweift, daß ber Wille der eigentliche Menſch
it, der Intellect blos ſein Werkzeug. (W. II, 259.)
5) Worauf die Schlauheit ber Dummen beruht.
Der beſchrünkte Kopf kann die wenigen und einfachen Verhältniſſe,
welche im Bereich feiner engen Wirkungsfphäre Liegen, mit viel größerer
keichtigkeit überfehen und die Hebel berfelben handhaben, als ber emi⸗
zente, der eine ungleich größere und veichere Sphäre überblidt und mit
langen Hebeln agirt, es könnte. So ſieht das Inſekt auf feinen
Stängeln und Blättchen Alles mit minutiöſeſter Genauigkeit und beſſer,
dd wir; wird aber nicht den Menſchen gewahr, ber drei Schritte
devon ſteht. Hierauf beruht die Schlauheit der Dummen und das
datadoron: Il y a un mystöre dans l’esprit des gens qui n'en
mt pas (W. I, 161.)
134 Draperie — Dummheit
ansbehnen, nicht eigentlich in das Gebiet des Intereffanten,; bemm
bie Dimenfion des Imtereffanten ift die Länge Daher wirken
Shafefpeare'8 Dramen richt merklich auf den großen Haufen. — Die
Forderungen bes Ariftoteles in Betreff der drei Einheiten find auf das
Sntereffante abgefehen, nicht auf da8 Schöne. Ueberhaupt find
biefe Forderungen dem Sate vom Grunde gemäß abgefaßt; während
das Schöne doch von ber Herrſchaft diefes Satzes frei if. — Die
befte und treffendfte Widerlegung ber Einheiten bes Ariftoteles ift bie
von Manzont in der Vorrede zu feinen Trauerſpielen. (9, 48 fg.)
9) Eine befondere Schwierigkeit des Dramas.
Bon dem Spridwort: Aller Anfang ift fehwer, gilt in der Dranta-
turgie das Umgelehrte: alles Ende ift ſchwer. Dies belegen die
unzähligen Dramen mit verfehltem und unbefriedigendem Ende. Dieſe
Schwierigkeit des Ausgangs beruht theil® darauf, daß es überall Leichter
ift, die Sachen zu verwirren, als zu entwirren; theils aber aud darauf,
bag wir an das Ende beftimumte Anforderungen ftellen, daß es nämlich
entweder ganz glüdlih, ober ganz tragifch fein fol; während die
menfhlihen Dinge nicht Leicht eine fo entfchiebene Wendung nehmen.
Sodann fol es natürlich, richtig und ungezwungen herauskommen,
dabei aber boch von Niemandem vorhergefehen fein (P. U, 473.)
Braperie, ſ. Skulptur.
Dreſſur, ſ. Abrichtung.
Druck, ſ. Mechanik.
Buell, ſ. unter Ehre: eine Afterart der Ehre.
Dummheit.
1) Weſen der Dummheit.
Dummheit iſt Mangel an Verſtand, Stumpfheit in der Anwendung
bes Geſetzes ber Cauſalität, Unfähigkeit zur unmittelbaren Auffaſſung
der Berfettungen von Urſach und Wirkung, Motiv und Handlung.
Ein Dummer merkt 3. ®. nicht, daß verfchiedene Perfonen, fcheinbar
unabhängig von einander, in ber That aber in verabredetem Zuſammen⸗
hange handeln; er Täßt ſich daher Leicht myſtificiren. Immer mangelt
dem Dummen nur das Eine: Schärfe, Schnelligkeit, Xeichtigkeit ber
Anwendung des Geſetzes ber Caufalität, d. i. Kraft des Verſtandes.
(W. I, 26 fg.)
2) Beliebtheit der Dummen.
Daß die Dummen fo beliebt find und in dem Rufe befonderer
Herzensgüte ftehen, bat folgenden Grund. Jeder wählt zu feinem
Umgang am Tiebften Einen, dem er an Berftanbe tiberlegen ift; denn
nur bei biefem fühlt er fich behaglih. Aus dem felben Grunde flieht
und haft Jeder Den, der ihm überlegen ifl. Dies ift es, was die
Dummen fo allgemein beliebt macht. Diefen wahren Grund ber
Zuneigung gefteht fich jedoch Keiner ein, und bader wird, als planftbler
Dummheit 135
Borwand für diefelbe, den Dummien eine befondere Herzensgüte ange-
dichtet. W. U, 256 fg.)
3) Zufammenhang der Dummheit mit der moralifchen
Schlechtigkeit.
Da man Dummheit ſo oft mit moraliſcher Schlechtigkeit beiſammen
findet, fo entſteht der Anſchein, daß beide eng zuſammenhängen, beide
and Einer Wurzel entſprießen. Dem iſt jedoch nicht fo. Jener An⸗
ihein iſt gänzlih aus dem fehr häufigen Vorkommen Beider zu
erflären, in Folge deffen ihnen leicht begegnet, unter Einem Dache
wohnen zu müflen. (P. I, 224. "
Große Beichränftheit des Kopfes lann mit großer Güte bes Herzens
iujammenbeftehen, und Balthazar Gracian geht daher zu weit, wenn
ı fagt: No ay simple, que no sea malıcioso (Es giebt feinen
Tropf, der nicht boshaft wäre), obwohl er das Spaniſche Sprid;-
wort: Nunca la necedad anduvo sin malicia (Nie geht die Dumm-
get ohne die Bosheit), für fich hat. Jedoch mag es fein, daß manche
Dumme, aus dem felben Grunde wie manche Budlige, boshaft werben,
nämlich aus Erbitterung über bie von der Natur erlittene Zurüdfegung
ud indem fie gelegentlich, was ihnen an Verftande abgeht, durch Heim-
tüde zu erfegen vermeinen, darin einen kurzen Triumph fuchend.
®.D, 255 fg) Es ift nicht zu leugnen, daß Dummheit und Schledh-
tigkeit einander in die Hände fpielen. Namentlich ift der Unverftand
dem deutlichen Sichtbarwerden der Falfchheit, Niederträchtigkeit und
Bosheit günflig; während bie Klugheit dieſe beffer zu verhüllen verfteht.
Und wie oft verhindert andererfeits die Perverfität des Herzens den
Menſchen, Wahrheiten einzufehen, denen fein Berftand ganz wohl ges
wachfen wäre. (P. II, 224.)
4) Öegenfaß zwifhen Dummheit und Schlechtigkeit
in Hinfiht auf die Zurehnung.
Sf Eimer dumm, fo entfchuldigt man ihn damit, daß er nicht dafür
lann; aber wollte man Den, der ſchlecht ift, eben damit entfchuldigen,
jo würde man ausgelacht werden. Und doch ift das Eine, wie das
Andere angeboren. Dies beweift, daß ber Wille ber eigentliche Menſch
in, ber Imtellect blos fein Werlzeug. (W. M, 259.)
5) Worauf die Schlanheit ber Dummen berußt.
Der beſchränkte Kopf kann die wenigen und einfachen Berhältniffe,
meihe im Bereich feiner engen Wirkungsiphäre Tiegen, mit viel größerer
trihtigfeit überjehen und bie Hebel berfelben handhaben, als der emi«
werte, der eine ungleich größere und veichere Sphäre überblidt und mit
langen Hebeln agirt, es könnte. So fieht das Inſekt auf feinen
Stängeln und Blättchen Alles mit minntiöfefter Genauigkeit und beffer,
ds wir; wird aber nicht den Menſchen gewahr, der drei Schritte
bason flieht. Hierauf beruht die Schlaufeit der Dummen und das
Paradozen: Il y a un mystöre dans l’esprit des gens qui n’en
at pas» (W. II, 161.)
136 Durchfichtigleit — Edel
6) Auch Dummköpfe fprehen mitunter eine Wahrheit
aus, die nicht geringzuſchätzen iſt.
Man fchäge nicht einen neuen, vielleicht wahren Ausfprud) oder
Gedanken gering, weil man ihn aus dem Munde eines Dummfopfs
vernimmt. Ein fpanifches Spridwort jagt: „In feinen Haufe weiß
der Narr beſſer Beſcheid, als ber Kluge in einem fremden” Auch
findet ja bisweilen eine blinde Henne ein Körndgen, und es if wahr:
il y a un mystere dans l’esprit des gens qui n’en ont pas.
($. U, 67.) |
Burchfichtigkeit, ſ. Pellucidität.
Dyskolos, ſ. Eukolos.
E.
Edel.
1) Der edle Charakter.
Ein edler Charakter wird nicht leicht über fein eigenes Schidjal
Hagen; vielmehr wird von ihm gelten was Hamlet dem Horatio nad
rühnt:
Denn du warft flets als hätteſt,
Indem dich Alles traf, du nichts zu leiden:
Des Schickſals Schläge und Geſchenke haft
Mit gleihem Dank du hingenommen u. f. w.
Und dies ift daraus zu verftehen, daß ein folcher, fein eigenes Weſen
auch in Andern erfennend und daher an ihrem Schidfal Theil nehmend,
rings um fich faft immer noch härtere Looſe, als fein eigenes erblidt;
weshalb er zu einer Klage über biefes nicht Tonımen kann. (P. II, 337.
W. I, 244.)
Einen fehr edlen Charafter benfen wir uns immer mit einem ge-
wiffen Anſtrich ſtiller Trauer, die nichts meniger iſt, als beftändige
Verdrießlichkeit über die täglichen Widerwärtigkeiten (eine folche wäre
ein unedler Zug und ließe böfe Gefinnung fürchten); fondern ein aus
der Erfenntniß bervorgegangenes Bewußtfein der Nichtigkeit aller Güter
und des Leidens alles Lebens, nicht des eigenen allein. (W. I, 468.)
2) Warum es den edleren Naturen an Menden:
fenntniß und Weltklugheit fehlt.
Daß Leute eblerer Art und höherer Begabung fo oft, zumal in ber
Jugend, auffallenden Mangel an Menſchenkenntniß und Weltklugheit
berrathen, daher leicht betrogen ober fonft irre geführt werden, während
die niedrigen Naturen ſich viel ſchneller und befier in die Welt zu
finden wiffen, Tiegt daran, daß man, beim Mangel ber Erfahrung,
Egoismus 137
a pnrori zu urtheilen hat, und daß überhaupt Feine Erfahrung es dem
a prori gleichthut. Died a priori nämlich giebt Denen von gewöhn-
lichen Schlage das eigene Selbft an bie Hand, den Edlen und Vor⸗
züglichen aber nicht; denn eben als folche find fie von ben Andern
weit derſchieden. Indem fie daher deren Denken und Thun nad) dem
ihtigen berechnen, trifft die Rechnung nicht zu. CP. I, 480.)
Der Menſch eblerer Art glaubt in feiner Jugend, die mefentlichen
und entfcheibenden Verhältniſſe und daraus entftehenden Verbindungen
zwiſchen Menfchen feien bie ibeellen, db. 5. die auf Wehnlichkeit ber
Sefinnung, der Denkungsart, des Geſchmacks, der Geiftesfräfte u. ſ. w.
berußenden; allein er wird fpäter inne, daß es bie reellen find, d. h.
de, welche fich auf irgend ein materielles Intereſſe ftügen. (P. J, 487.)
An einem jungen Menſchen ift es in intellectueller und auch in mora-
liicher Hinficht ein fchlechtes Zeichen, wenn er im Thun und Treiben
kr Menſchen fich recht früh zurechtzufinden weiß, ſogleich darin
m Haufe iſt und, wie vorbereitet, in daſſelbe eintritt; es kündigt Ge⸗
weinheit an. Dingegen beutet in folcher Beziehung ein befrembetes,
Ankigeß, ungeſchicktes und verfehrtes Benehmen auf eine Natur eblerer
An. ®. L, 514)
eEgoismus.
1) Das Wort Egoismus.
Das deutſche Wort Selbftfucht führt einen falfchen Nebenbegriff
von Krankheit mit fih. Das Wort Eigennuß aber bezeichnet den
Egoiemus, fofern er unter Leitung der Vernunft fteht, welche ihn be»
fähigt, vermöge der Reflerion feine Zwede planmäßig zu verfolgen;
daher man die Thiere wohl egoiftiich, aber nicht eigennlgig nennen
lam. Alſo ift für dem allgemeinen Begriff das Wort Egoismus
beizubehalten. (E. 196.)
2) Urfprung des Egoismuß,
Die Bielheit von Individuen, in welcher der Wille fich erfcheint,
kifft nicht ihm felbft als Ding an fich, fondern nur feine Erſcheinungen;
aM in jeder von diefen ganz und ungetheilt vorhanden und erblidt
m fi herum das zahllos wiederholte Bild feines eigenen Weſens.
dieſes felbft aber, aljo das wirklich Reale, findet er unmittelbar nur
m feinem Innern. Daher will Jeder Alles für fi, will Alles be-
ten, wenigſtens beherrfchen, und was fich ihm widerſetzt, möchte er
dernichten. Hierzu kommt, bei ben erfennenden Wefen, daß das In-
diidunm Träger des erfennenden Subjects, und diefes Träger der
Veit it, d. 5. daß die ganze Natur außer ihm, alfo auch alle übrigen
dadididnen, nur in feiner Vorftellung eriftiren, er fich ihrer ftets nur
8 feiner Vorftellung, alfo blos mittelbar bewußt ift. Hieraus
die, daß jedes Individuum fi allein für real Hält und die andern
wiſermaßen als bloße Phantome betrachtet, weil Jeder ſich felber
tumittelbar gegeben ift, die Andern aber nur mittelbar durch bie
138 Egoismus
Borftellung von ihnen in feinem Kopfe, — entipringt der Egoismus.
(W. I 391 fg. E. 197. W. IL, 687.)
3) Wefen und Umfang des Egoismus,
Der Egoismus, d. 5. der Drang zum Dafein und Wohlſein, ifl
die Haupttriebfeber im Menfchen, wie im Thiere. Cr nimmt unter
ben drei Orundtriebfedern der Handlungen: Egoismus, Bosheit,
Mitleid, die erfte Stelle ein. Er ift mit dem imerften Kern und
Weſen bes Menfchen aufs genauefte verknüpft, ja, eigentlich identiſch.
Daher entfpringen in der Kegel alle Handlungen aus dem Egoismus.
Derfelbe ift feiner Natur nach grängenlos. Der Menfc will unbedingt
fein Dafein erhalten, will e8 von Schmerzen unbedingt frei, will die
größtmögliche Summe von Wohlfen, und will jeben Genuß, zu dem
er fähig ift, ja, fucht, wo möglich, nod) neue Fähigkeiten zum Gemf
in fi zu entwideln. Alles was fich feinem Streben eutgegenftellt,
erregt feinen Unwillen, Zorn, Haß; er wirb es als feinen Feind zu
vernichten ſuchen. Er will, wo möglich, Alles genießen, Alles haben;
da aber dies unmöglich ift, wenigftens Alles beherrſchen. „Allee für
mich, und nichts fir die Andern” ift fein Wahlſpruch. Aus bdem
egoiftifchen Individuum, fei daffelbe auch nur ein Inſect, ober ein
Wurm, redet die Natur alfo: „Ich allein bin Alles in Allem; an
meiner Erhaltung ift Alles gelegen, das Uebrige mag zu Grunde geben,
es ift eigentlich nichts.” Diefe Geftnnung, die die eigene Eriftenz und
Wohlſein vor Allem Anbern berückſichtigt, bereit, alles Andere dieſer
aufzuopfern, ift der Egoismus, der jebem Dinge in der Natur
wefentlich if. (E. 196 fg. 210. W. I, 392; II, 687.)
4) Was im Egoismus fich offenbart.
Der Egoismus ift es, wodurd der innere Widerftreit des Wet
Willens mit fich felbft zur fürdhterlichen Offenbarung gelangt. Diefer
MWiderftreit erreicht im Menſchengeſchlecht feinen Gipfel, wo der Egois⸗
mus den höchſten Grad erreicht und der durch ihm bebingte Wiberftreit
der Individuen daher auf das entfetslichfte Hervortritt. Dies fehen wir
überall vor Augen, im Kleinen wie im Großen, fehen es bald von der
fchredlichen Seite, im Leben großer Tyrannen und Böfewichter und in
weltverheerenden Kriegen, bald von ber Lächerlichen Seite, wo es bad
Thema des Luftfpiels ift und ganz befonders im Eigendünkel und
Eitelkeit Hervortritt; wir fehen e8 in der Weltgefchichte und im der
eigenen Erfahrung. (W. I, 392 fg.)
5) Der aus dem Egoismus entfpringende Grund:
irrthum und die Schuld diefes Irrthums.
In Folge des Egoismus ift unfer Aller Grundirrthum biefer, dab
wir einander gegenfeitig Nicht- Ich find, daß wir Zeit und Kaum
nicht als bloße Formen bes Intellects, fondern als Beſtimmungen ber
Dinge an ſich betrachtend, die metaphufifche Identität aller Weſen
nit erkennen, das priucipium individuationis nicht durchſchauen.
(X. M, 688.)
Ehe 139
Die Schuld diefes Irrthums fällt auf den Willen zurück; «denn
die Durchſchauung bes principii individuationis würde in Jedem
vorhanden fein, wenn nicht fein Wille fich ihr widerſetzte, als welcher,
dermöge feines unmittelbaren, geheimen und despotifchen Einflufies auf
den Intellect, fie meiftens nicht auffommen läßt. (W. II, 688.)
6) Unterfchiedb zwifchen Egoismus und Bosheit, f. Böfe.
Bospeit.
7) Unmittelbarer und mittelbarer Egoismn®.
Egoiftifh find nicht blos die Handlungen, die man offenbar zu
feinem eigenen Nuten und Bortheil unternimmt, dergleichen die aller-
meiften find, fondern aud) diejenigen, von denen man irgend einen
atfernten Erfolg, fei e8 in diefer, oder einer andern Welt, für fich
erwartet, kurz alle Handlungen, bie, ihr Beweggrund fei, welcher er
wolle, zulegt da8 eigene Wohl des Handelnden zur eigentlichen
Ixtebfeder haben. (E. 207.)
8) Unvereinbarleit des Egoismus mit dem morali«
[hen Werth ber Handlungen.
Egoismus und moralifcher Werth einer Handlung fchließen einander
ichlechthin aus. Hat eine Handlung einen egoiftifchen Zweck zum
Motiv, fo kann fie feinen moralifchen Werth haben; ſoll eine Handlung
moralifchen Werth baben, fo darf kein egoiftifcher Zwed, unmittelbar
sder mittelbar, nahe ober fern, ihr Motiv fein. (E. 206.)
9) Der theoretifche Egoismus.
Der abfolnte Idealismus, der alle Exrfcheinungen außer dem eigenen
Individnum für Phantome hält, ift der theoretifche Egoismus und
thut genan baffelbe, wie der praftifche Egoismus in praftifcher Hinficht.
Der theoretifche Egoismus ift zwar durch Beweiſe nimmermehr zu
widerlegen; dennoch ift ex zuverläfftg in der Philofophie nie anders,
dem als fleptifches Sophisma, d. h. zum Schein gebraucht worden.
Ad eraftliche Ueberzeugung hingegen könnte ex allein im Tollhauſe
gefunden werden; als ſolche bedlirfte e8 dann gegen ihn nicht ſowohl
mes Beweiſes, als einer Kur. (W. I, 124.)
e.
1) Ehe.
a) Hauptzweck der Ehe.
Bas zwei Individuen verſchiedenen Geſchlechts mit ſolcher Gewalt
msjhlieglich zu einander zieht, daß fie die unvertilgbare Sehnſucht zu
einer wirklichen Bereinigung und Verſchmelzung fühlen, ift ber in ber
ganzen Gattung fich barftellende Wille zum Leben, der hier eine feinen
Sweden entiprechende Objectivation feines Weſens anticipirt in bem
Jabividuo, welches jene Beiden zeugen können. Dem gemäß liegt es
m Weſen der wahren, naturgemäßen, aus Liebe, d. 5. im Intereſſe
der Gattung gefchloffenen Ehe, daß ihr Hauptzweck nicht bie gegen
wärtige, fonbern die Fommenbe Generation if. (8. II, 637 fg.)
140 Ehe
b) Gegenfatz zwiſchen Ehen ans Liebe und Che:
ans Convenienz.
Ehen ans Liebe werden im Intereſſe der Gattung, nicht der Indi
vibnen gefchloffen. Zwar wähnen bie Betheiligten ihr eigenes Glüc
zu fördern; allein ihr wirklicher Zwed tft ein ihnen felbft fremder
indem er in der Hervorbringung eines nur durch fie möglichen In
dividuums liegt. Sehr oft wird das durch Teidenfchaftliche Lieb:
zuſammengebrachte Baar im Uebrigen von der heterogenften Befchaffen
heit fein, und dies kommt an den Tag, wenn ber leidbenfchaftliche Wahı
verfchwindet. Demgemäß fallen die aus Liebe gefchloffenen Chen ir
der Regel unglüdlih aus; dem buch fie wird für die kommend
Generation auf Koften der gegenwärtigen geforgt. Umgekehrt verhäl
ed fi mit den aus Convenienz gefchlofienen Ehen. Die hie
waltenden NRidfichten find reale, und durch fie wirb für das Glüd
der Borhandenen, aber zum Nachtheil der Kommenden geforgt. Den:
gemäß fommt bei Abjchliegung einer Ehe meiftens entweder dad
Iudividuum, oder das Intereſſe der Gattung zu kurz. Denn daß
Convenienz und leidenſchaftliche Liebe Hand in Hand giengen, ift der
feltenfte Glücksfall. Wird jeboch neben der Convenienz aud bie
Neigung in gewiſſem Grabe berüdfichtigt; fo ift das gleichſam eine
Abfindung mit dem Genius der Gattung. (W. U, 637 fg.)
c) Sreundfhaft und Mitleid als Förderungsmittel
des ehelichen Glücks. |
Obwohl glüdliche Ehen felten find, fo kann es doch Liebenden Ge
müthern zum Troſte gereichen, daß bisweilen der leidenſchaftlichen
Geſchlechtsliebe fich ein Gefühl ganz andern Urfprungs zugefellt, mäm-
lich die auf Uebereinftimmung der Gefinnung gegründete Freundſchaft,
welche nach dem Erlöfchen der eigentlichen Geſchlechtsliebe hervortrin
und meiften® daraus entjpringt, daß bie einander ergänzenden phufifcen,
moralifchen und intellectuellen &igenfchaften beider Individuen, aus
welchen in Rüdficht auf das zu Erzeugenbe die Geſchlechtsliebe entfland,
eben auch in Beziehung anf bie Individuen felbft als entgegengefehte
Zemperamentseigenfchaften unb geiftige Vorzüge fi) zu einander er⸗
gänzend verhalten und dadurch eine Harmonie ber Gemüther begründen.
(W. IL, 639.)
Caritas (Liebe im Sinne bes Mitleids) und amor (Gefchledhte-
Tiebe), auf diefelbe Perſon und gegenfeitig gerichtet, geben eine glüd-
liche Ehe. G. 405.)
d) Grund der Berabfhenung der Geſchwiſterehe.
In Folge der Erblichfeit des Charalters vom Vater und ber
Intelligenz von der Mutter (f. Vererbung) ift e8 ber ſelbe Cha-
rafter, alfo ber felbe individuell beftimmte Wille, ber im ollen
Descendenten eines Stammes lebt. Allein in jedem berfelben iſt ihm
ein anberer Intellect beigegeben, dadurch ſtellt ſich ihm im jedem der⸗
jelben das Leben in anderm Lichte bar; ex erhält in jebem eine neu
Che 141
Grwderſicht, und durch diefe befommt das Wollen felbft eine andere
Richteeg, was in ethifcher Hinficht, in Hinficht auf die Entſcheidung
zu ſchea Bejafung und Berneinung bes Willens, von Wichtigfeit if.
Die aus der Nothwendigleit zweier Geſchlechter zur Zengung ent-
tpringende Raturanftalt der immer wechjelnden Verbindung eines Willens
zit amem Intellect wird fo zur Baſis einer Heilsordnung. Weil nun
temfelben Willen gerade die befländige Erneuerung und völlige Ber-
; des Intellect8, als eine neue Weltanficht verleihend, den Weg
des Hefe offen Hält, der Imtellect aber von der Mutter kommt, fo
Yürfte Hier der tiefe Grund liegen, aus weldem, mit wenigen Aus⸗
möuren, alle Bölfer die Gefchwifterehe verabjcheuen und verbieten, ja
ſogar eine Geſchlechtsliebe zwifchen Gefchwiftern in der Regel gar nicht
entfteht. Denn aus einer Gefchwifterehe könnte nichts Anderes hervor⸗
gehen, als ſtets nur ber felbe Wille mit dem felben Intellect, wie beide
ichen vereint in den Eltern eriftiren, aljo die hoffnungslofe Wieber-
helung der ſchon vorhandenen Erfcheinung. (WB. I, 603 fg.)
2) Ehelofigkeit.
a) Ehelofigfeit vom chriſtlichen und vom ethiſchen
Standpunkt aus,
Tie Che gilt im eigentlichen Chriftenthun blos als ein Com⸗
promig mit der fiindlichen Natur des Menfchen, als ein Zugeftänbniß,
ta Erlaubtes file Die, welchen bie Kraft das Höchſte anzuftreben
mangelt, umd als ein Ausweg, größeren Berberben vorzubeugen; in
dieſen Sinne erhält fie die Sanction der Kirche, damit das Band
uuflösbar fei. Uber als bie höhere Weihe des Chriſtenthums, durch
welche mar in die Reihe der Auserwählten tritt, wird das Koelibat
md die Birgimität aufgeftellt; durch diefe allein erlangt man die
Siegerfrone. (W. I, 706 fg.) Vom etbifhen Standpunkt aus ift
de Ehe als entfchiedenfter Ausorud der Bejahung bes Willens zum
then zu verwerfen. (P. II, 660, Anmerf.)
b) Epelofigkeit vom eudämonologifhen Stand-
punft aus.
Die Trage, ob es beſſer fei zu heirathen, ober nicht, läßt ſich in
jr vielen Fällen darauf zurüdführen, ob Liebesforgen befier find,
is Nahrungsforgen. (M. 357.)
ddr Männer, von höherem, geiftigem Berufe, fir Dichter, Philo-
pen, überhaupt für Die, welche ſich der Wiflenfchaft und Kunft
nidmen, ift Chelofigfeit der Ehe vorzuziehen, weil das Joch der Che
ft hindert, große Werke zu fchaffen. (MR. 357.)
3) Ehegejepe.
Die Europätfchen Chegefege nehmen das Weib als Uequivalent bes
Rames, gehen alfo von einer unrichtigen Vorausſetzung ans. Je mehr
he Kechte und Ehren, welche die Gefeße dem Weibe zuertennen, das
utirliche Verhältniß deffelben überfteigen, befto mehr verringern fie die
AH der wirklich diefer Vergünftigungen theilhaft werdenden. Denn
142 Ehre
bei ber wibernatilrlich vortgeilhaften Stellung, welche bie Mono
gamie und die ihr beigegebenen Ehegeſetze dem Weibe ertbeilen, trage
Inge und vorfichtige Mäımer jehr oft Bedenken, zu heirathen. Währen
daher bei den polygamifchen Bölfern jedes Weib Berforgung finde:
ift bei den monogamifchen die Zahl ber verehelichten Frauen bi
ſchränkt und bleibt eine Unzahl ftütelofer Weiber übrig. Für da
weibliche Geſchlecht ald Ganzes betrachtet, ift demnach die Polygami
eine Wohlthat. (P. II, 658.)
Aus den Naturrecht läßt fich die Monogamie nicht ableiten, ſonder.
fie ift blos pofitiven Urfprunge. Aus dem Naturrecht folgt nämlıd
blos die Verbindlichkeit des Mannes, nur ein Weib zu haben, fo lang
diefe im Stande ift, feinen Trieb zu befriedigen, und ſelbſt eine
gleichen Trieb Hat. Bleibend ift blos die Verbindlichkeit der Corg
für das Weib, fo Lange fie febt, und für die Kinder, bis fie erwadhfe:
find. Der Trieb und die Fähigkeit zur Gefchlechtsbefriedigung dauer
beim Manne mehr als doppelt fo lange, al8 beim Weibe. Da iſt nu
aus den Naturrecht Feine Berbindlichteit abzuleiten, daß der Mam
feine noch gebliebene Zeugungsfraft und Zeugungstrieb dem zu beider
jet unfähigen Weibe opfern folltee Hat er fie gehabt von feinen
24. bi8 AO. Jahre, und fie ift nicht mehr tauglich, jo thut er ih:
fein Unrecht, wenn er ein zweites jüngeres Weib nimmt, fobald cı
dann im Stande ift, zwei Weiber zu unterhalten, fo lange beide leben
und fir alle Kinder zu forgen. (9. 379.)
4) Ehebruch. Ä
Die Geſchlechtsliebe, d. i. das Intereffe der Gattung, überwiegt,
fobald fie ind Spiel fommt und einen entfchiedenen Bortheil vor fid
fieht, jedes andere noch fo wichtige individuelle Intereſſe. Ihm
allein weichen daher Ehre, Pflicht und Treue, nachdem fie jeder anden!
Verſuchung, nebft der Drohung des Todes, widerftanden haben. So
finden wir denn, daß in feinem Punkte Gewifjenhaftigfeit jo felten ift,
wie in diefem; fie wird hier bisweilen fogar von fonft redlichen und
gerechten Leuten bei Seite geſetzt, und der Ehebruch rüdfichtslos be-
gangen, wenn bie leivenfchaftliche Liebe, d. h. das Untereffe der Gattung,
fih ihrer bemächtigt hat. Es fcheint fogar, als ob fie dabei eine
höhern Berechtigung fich bewußt zu fein glaubten, als die Jutereſſen
der Individuen je verleihen können, eben weil fie im Intereſſe ber
Gattung handeln. Wer fich hierüber ereifern wollte, wäre auf bie
auffallende Nachfiht zu verweifen, welche der Heiland im Evangelio
der Ehebrecherin wiberfahren läßt, indem er zugleich die felbe Schult
bei allen Anwefenden vorausjegt. (WW. II, 631 fg.)
(Ueber das Recht der Fürften, eine Maitrefle zu halten, ſiehe
Fürften.)
Ehre.
‚ 1) Definition ber Ehre.
Eine Definition wie biefe: die Ehre ift das äußere Gewiſſen, und
das Gewiflen bie innere Ehre, Tönnte vielleicht Manchen gefallen, wäre
Ehre 143
jedod mehr eine glänzende, als eine deutliche und gründliche Erklärung.
Dertücher und gründlicher ift: die Ehre iſt, objectiv, die Meinung
Anderer von unjerm Werth, und fubjectiv, unfere Furcht vor diefer
mung. (P. I, 383.)
2) Burzel und Urfprung des Ehrgefühls.
Die Wurzel und der Urfprung des jedem nicht ganz verborbenen
Menſchen innewohnenden Gefühls file Ehre und Schande liegt in dem
Innewerden des Individuums, daß c8 nicht in der Iſolirung, fondern
me in der Gemeinſchaft etwas ift und vermag. Hieraus entfteht
398 Beftreben, für ein tangliches Mitglied der menfchlichen Gefellfchaft
zu gelten und dadurch der Vorteile der menſchlichen Gemeinschaft theilhaft
za werden. Hiezu kommt c8 auf die günftige Meinung der Andern an,
und hieraus entfpringt demnach das eifrige Streben nad) der günſtigen
Keinung Anderer und der hohe Werth, der darauf gelegt wird.
P. I, 383.)
3) Wirkungen der Ehre.
Kad ihrer fubjectiven Seite, al8 Furcht vor der Meinung Anderer,
hat die Ehre oft eine fehr heilſame, wenn aud) feineswegs rein mora-
ide Wirkung, — im Mann von Ehre. (P. I, 383.)
Nichts ſtärkt den Lebensmuth mehr, als die erlangte, oder erneuerte
Gewißheit von der günftigen Meinung Anderer; weil fie den Schuß
und die Hülfe der vereinten Kräfte Aller verfpridt. (P. I, 383.)
4) Werth der Ehre.
Der Werth der Ehre ift nur ein mittelbarer. Denn die Meinung
Anderer von uns kann nur infofern Werth fiir uns haben, als fie ihr
Handeln gegen uns beftimmt oder gelegentlich beſtimmen kann. Dies
it jedoch der Fall, fo lange wir mit oder unter Menſchen Teben.
Unmittelbarer Werth kommt der Ehre nicht zu. (P.I, 386.) Alle
Ehre beruht zulett auf Nützlichkeitsrückſichten. (P. I, 388.)
5) Berluft der Ehre.
Auf der Wahrheit, baf der Charakter unveränderlid ift (ſ. Cha-
rakter) beruht es, daß die wahre Ehre, ein Mal verloren, nie wieder
berzuftellen ift, fondern der Makel einer einzigen nichtswürdigen Handlung
dem Menfchen auf immer anflebt. (E. 51.) Immer beruht bie
Ehre, in ihrem legten Grunde, auf der Ueberzeugung von ber Unver-
änderlichleit des moralifchen Charakters, vermöge welcher eine einzige
ſchlechte Handlung die gleiche moralifche Beſchaffenheit aller folgenden,
jobald ähnliche Umftände eintreten werden, verbürgt. Deshalb eben ift
de verlorene Ehre nicht wieber herzuftellen; es fei denn, daß der Verluſt
auf Tanſchung, wie Berläumbung, oder falfchem Schein beruht hätte.
2. 1, 384.)
6) Segenfag zwifhen Ehre und Ruhm.
Die Ehre hat im gewiſſem Sinne einen negativen Charalter,
wimfich im Gegenfag zum Ruhm, der einen pofitiven Charalter
dat. Denn die Ehre ift nicht die Meinung von befondern, dieſem
144 Ehre
Subject allein zulommenden Eigenfchaften, ſondern nur don den dei
Regel nach vorauszufegenden, welche auch ihm nicht abgehen follen
Sie befagt daher nur, daß das Subject feine Ausnahme mache; mähren!
der Ruhm befagt, daß es eine made. Ruhm muß daher erſt erworber
werden; bie Ehre hingegen braucht blos nicht verloren zu gehen. ‘Dem
entfprechend ift Ermangelung des Ruhmes Obfcurität, ein Negatives;
Ermangelung der Ehre ift Schande, ein Pofitivee. (PB. 1, 385.)
Die Ehre betrifft blos folche Eigenschaften, die von jedem im benjelben
Berhältniffen Stehenden gefordert werben, der Ruhm blos ſolche, die
man von Niemand fordern darf; die Ehre ſolche, die Jeder ſich ſelber
öffentlich beilegen darf; der Ruhm folche, die Keiner fich felber beilegen
darf. Während unfere Ehre fo weit reicht, wie bie Kunde von und;
fo eilt, umgelehrt, der Ruhm der Kunde von uns voran und bringt
diefe fo weit er felbft gelangt. Auf Ehre bat Jeder Anſpruch, auf
Kuhn nur die Ausnahmen. (P. I, 415.) Während die Ehre in der
Regel gerechte Richter findet und kein Neid fie anficht, ja fogar fie
Jedem zum voraus, auf Exedit, verliehen wird, muß ber Ruhm dem
Neide zum Trog erfänpft werden und den Lorbeer theilt ein Tribunal
entfchieden ungünftiger Richter aus. (P. I, 421.)
7) Arten der Ehre.
Aus den verfchiebenen Beziehungen, in denen der Menfch zu Anbern
ſteht und in Hinficht auf welche fie Zutrauen zu ihm, alſo eine gewiſſe
gute Meinung von ihm, zu hegen haben, entftehen mehrere Arten der
Ehre. Diefe Beziehungen find Hauptfächlih das Mein und Dein,
fodann die Leiftungen der Anheifchigen, endlich das Serualverhälinig;
ihnen entſprechen die bürgerlide Ehre, die Amtsehre und die
Serunlehre, jede von welchen noch wieder Unterarten hat. (P. I, 334.)
a) Die bürgerliche Ehre, welche die weitefte Sphäre hat, beſteht
in der Vorausſetzung, daß wir die Rechte eines Jeden unbedingt achten
und baher uns nie ungerechter, ober gefeßlich unerlaubter Mittel zu
unferm Bortheile bedienen werden. Sie ift die Bedingung zur Theil
nahme an allem friedlichen Verkehr. (P. I, 384.) Die Grundfäpe:
ber bürgerlichen Ehre beruhen auf dem moralifchen und nicht auf dem
blos pofitiven Recht. (W. U, 683.)
b) Die Amtsehre ift bie allgemeine Meinung Anderer, baß ein
Mann, der ein Amt verfieht, alle dazu erforderlichen Eigenſchaften
wirklich babe und auch in allen Fällen feine amtlichen Obliegenheiten
pünktlich erfülle. Die Amtsehre erfordert ferner, daß wer ein Ant
verfieht, das Amt felbft in Reſpect erhalte. (P. I, 386 fg.)
c) Die Serualehre. |
Die Serualehre zerfällt ihrer Natur nach in Weiber- und Männer
Ehre, und ift von beiden Seiten ein mwohlverftandener esprit de corpe.
Die weibliche Ehre ift die allgemeine Meinung von einem Mädchen
daß fie fih gar feinem Manne, und von einer Frau, daß fie ſich nur
dem ihr angetrauten bingegeben habe. (P. I, 388.) Die weiblide
Ehre bat zwar große Wichtigkeit für das weibliche Glück; aber iht
Ehre 145
Werth fi doch nur ein relativer, Fein abfoluter, über das Leben und
ſeine Zwecde Hinausliegender. Daher ift den überfpannten Thaten der
Yucretia und des Birginins fein Beifall zu fchenfen, und der Schluß
der Emilia Galotti hat etwas Empörendes. Jenes auf die Spike
Treiben bes weiblichen Ehreuprincips gehört zum Bergeflen des Zwecks
über bie Mitte, Die Serualehre hat mehr als alle andere Ehre einen
stsd relativen, ja, man möchte fagen einen blos conpentionellen
Serth. (P. I, 388 fg.)
Die Geſchlechtsehre der Männer wird durch die der Weiber hervor-
gerufen, als ber entgegengefette esprit de corps, weldjer verlangt,
daß Jeder, ber bie Ehe eingegangen ift, darüber wache, daß biefes
Yedum nicht durch Einreißen einer laren Obfervanz feine Feſtigkeit
verliere. Demgemäß fordert die Ehre des Mannes, daß er den Che
rad feiner Frau ahnde und wenigſtens duch Trennung von ihr firafe.
2. 1, 390fg.) Die den Mann dur Berluft der Gefchlechtsehre
eftende Schande ift nicht fo groß, wie die das Weib treffende, weil
km Manne die Gefchlechtsbeziehung eine untergeordnete ift, indem er
in noch vielen andern und wichtigern ſteht. (P. I, 391.)
8) Eine Afterart der Ehre.
Obgleich die Ehre einen negativen Charakter hat (f. Gegenſatz
wiſchen Ehre und Ruhm), fo ift doch dieſe Negativität nicht mit
Bafjıvität zu verwechfeln; vielmehr Hat die Ehre einen ganz activen
Charalter. Sie geht nämlich allein von dem Subject derjelben aus,
beruht auf feinem Thun und Laffen, nicht aber auf Dem, was Andere
tun and was ihm wiederfährt. Dies ift ein Unterfcheidungsmerfmal
der wahren Ehre von der ritterlichen, ober Afterehre. (P.I, 385.)
Käsrend die Achten Arten der Ehre fich bei allen Völkern und zu allen
Zeiten finden, ift die ritterliche Ehre oder das point d’honneur erft
im Dittelafter entftanden, und blos im chriftlichen Europa und zwar
bios unter den höheren Ständen einheimifch geworben. (P. I, 391.
398 fa.)
Di Grundſätze ber ritterlihen Ehre find von denen der ächten
Arten der Ehre gänzlich verfchieden, ja ihnen zum Theil entgegengefegt
und bilden einen ganzen Cober oder Spiegel ber ritterlichen Ehre.
2.1, 391 ff.) Daß diefer feltfame, barbarifche und lächerliche Cober
ter Ehre nicht aus dem Weſen der menfchlichen Natur oder einer ges
funden Anficht menjchlicher Verhältnifje hervorgegangen fei, erkennt der
Unbefangene auf den erften Blid. (PB. I, 398.) Das ritterliche
Ehrenprincip mit feinem abfurden Duellweſen ift ein Fünftliches, ift
cm Kind jener Zeit, wo die Yäufte geübter waren, als die Köpfe, wo
die Pfaffen die Vernunft in Ketten hielten und fchwierige Rechtöfälle
durch Orbalien, Gottesurtheile, die hauptfächlich in Zweikämpfen be-
ſianden, eutſchieden wurden, alſo ein Kind bes Mittelalters und feines
Kittertfums. (P. I, 402.)
Die Tendenz des ritterlichen Ehrenprincips ift biefe, daß man durch
Udrohuug phyſiſcher Gewalt die äuferlichen Bezeugungen derjenigen
cqoepenhauet⸗exiton. I. 10
146 Ehrlichkeit
Arhtung erzwingen will, welche wirklich zu erwerben man entwed
für zu beſchwerlich, oder für überflüffig Hält. Während die bunnern
Ehre in der Meinung der Andern von uns beſteht, daß wir vo
kommenes Zutrauen verdienen, weil wir die Rechte eines Jed
unbebingt achten; fo befteht bie ritterliche Ehre in ber Meinung v
uns, daß wir zu fürchten find — ein Grundſatz, ber fo falſch
imäre, wenn wir noch im Naturzuftand lebten, der aber im Stan
ber Cipilif ation feine Gültigkeit mehr hat und deſſen Feſthalten mı
auf einer der Natur und dem Loofe des Menfchen gänzlih unang
meflenen Ueberſchätzung des Werthes ber eigenen Berjon beruf
(B. I, 403. 9. 384.)
Die Befhönigungen des vermeflenen Hoch⸗ umd Uebermuthes de
ritterlichen Ehrenprincips mit feinen Duellen find nicht ſtichhalti—
Weit entfernt, eine Wehrmauer gegen die Ausbrüche der Rohheit um
gezogene zu fein, ift das vitterliche Ehrenprincip oft das fiche
Alylum, wie im Großen der Unredlichkeit und Schlechtigfeit, fo is
Kleinen der Ungezogenheit, Rückſichtsloſigkeit und Flegelei. (P. I, 404 is
9) Die Nationalehre.
Die Nationalehre ift die Ehre eines ganzen Volles als Theiles de
Volkergemeinſchafi. Da es in dieſer Fein anderes Forum giebt, al
das der Gewalt, und demnach jebes Mitglied derjelben jelbft fein Red
zu ſchützen Kat; fo befteht die Ehre einer Nation nicht allein im d
erworbenen Meinung, daß ihr zu trauen fei (Credit), fonbern aud i
der, daß fie zu fürchten fei; daher darf fie Eingriffe in ihre Rech
niemals ungeahndet laſſen. Sie vereinigt alfo den Ehrenpunft de
bürgerlichen mit dem der ritterlihen Ehre, (P. I, 416.)
10) Die dem Alter erwiefene Ehre, f. Lebensalter.
Ehrlichkeit.
1) Ehrlichkeit eriftirt, aber al8 Ausnahme.
Wer alt ift, denke zurüd an alle Die, mit welden er zu thu
gehabt hat; wie viele wirllich und wahrhaft ehrliche Leute werden ihr
vorgelommen fein? Waren nicht bei Weitem die Meiften, trog ihr
ſchaamloſen Auffahren beim Leifeften Verdacht einer Unredlichkeit, ode
nur Unwahrheit, gerade heraus gejagt, das wirkliche Gegentheil
(W. U, 732.)
Es giebt in der That wahrhaft ehrliche Leute, — wie es aud
wirklich vierblätterigen M lee giebt; aber Hamlet fpricht ohne Hyperbel
wenn er fagt: Nach dem Laufe diefer Welt heißt ehrlich fein eu
aus Zehntaufend Auserwählter fein. (E. 191. 203.)
2) Wefen der wahrhaft ehrlichen Leute.
Diejenigen, bie gerecht handeln einzig und allein damit dem Ander
fein Unrecht geſchehe, ja, denen gleichſam der Grundſatz, dem Anten
fein Recht wiberfahren zu laſſen, angeboren iſt, die daher Niemandcı
abfichtlich zu nahe treten, die ihren Bortheil nicht unbebingt fuchen
Eid 147
ſondern dabei auch die Rechte Anderer berüdfichtigen, die bei gegenfeitig
übernsemmenen Verpflichtungen nicht blos darüber wachen, daß der
Andere das Seinige leifte, fondern aud) darüber, daß er dns Seinige
empfange, indem fie aufrichtig nicht wollen, daß, wer mit ihnen han⸗
beit, zu Turz komme — dies find die wahrhaft ehrlichen Leute, die
wenigen Aequi unter der Unzahl der Iniqui. (E. 203.)
Eid.
1) Zwed des Eides.
Der unbeftrittene Zweck des Eibes ift, der nur zu häufigen Falſch⸗
beit und Lügenhaftigkeit des Menſchen auf blos moralifchem Wege zu
begegnen, dadurch, daß man die von ihm anerkannte moralifche Ver⸗
Midtung, die Wahrheit zu fagen, durch irgend eine auferorbentliche,
hier eintretende Rüdficht erhöht, ihm Tebhaft zum Bewußtſein bringt.
‘$. IL, 281.)
2) Die von der Religion unabhängige, rein moralifche
Bebeutung bes Eides,
Obwohl bei Feiner Angelegenheit die Religion fo unmittelbar und
engenfällig in das praktifche Leben eingreift, wie beim Eide, fo hat
dech ber Eid eine von dem religiöfen Glauben und deſſen Wandlungen
mabhängige, beshalb auch den DBerfall der Heligionen tiberbauernbe
rein moraliſche Bedeutung, welche fi auf beutliche Begriffe bringen
läßt. Jeder Menſch trägt nämlich die, wenngleich unbeutliche Ueber⸗
yengung in fi, daß die Welt nicht blos eine phyſiſche Bedeutung
habe, fondern zugleich irgendwie eine metaphufifche, und ſogar auch,
dan in Bezug auf ſolche unfer individuelles Handeln feiner bloßen
Moralität nad) noch ganz anderartige und viel wichtigere Folgen habe,
eld ihm vermöge feiner empirischen Wirkfamkeit zukommen, und ſonach
wirflih von transfcendenter Bedeutſamleit fei. Die Aufforderung zum
ide ftellt nun den Menfchen ausdrüdlich auf den Standpunkt, wo er
hd, in diefem Sime, als blos moralifches Wefen und mit Bewußtſein
ter Hohen Wichtigkeit für ihn felbft feiner in dieſer Eigenfchaft gegebenen
Entjheidinigen anzufehen Hat, wodurch jett bei ihm alle anderen Rück⸗
ſichten zufammenfchrumpfen follen, bis zum gänzlichen Berfchwinden,
®. U, 283.) “
3) Die Eidesformel.
Es ift unwefentlich, ob die beim Eide in Anregung gebrachte Ueber-
jtugung von einer metaphufifchen und zugleich moralifchen Bedeutung
unjeres Dafeins blos dumpf gefühlt, oder in allerlei Mythen gekleidet
und dadurd belebt, oder aber zur Klarheit des philofophifchen Denkens
gebracht jei; woraus wieder folgt, daß es im Wefentlichen nicht darauf
aulommt, ob die Eibesformel dieſe, oder jene mythologifche Beziehung
ausdrüde, oder aber ganz abftract fei, wie das franzöfiiche je le jure.
Ze Formel iſt nad. dem Grade der intellectuellen Bildung des
Shmwörenden zu wählen. Die Sache, jo betradjtet, Tünnte ſogar
10*
148 Eiferſucht — Eigenthum
Einer, ber fich zu Feiner Religion belennt, fehr wohl zum Eide zug:
fafien werden. (P. II, 283.)
Eiſerſucht.
Weil in der leidenſchaftlichen Liebe der Geiſt der Gattung ſein
Zwecke mit einer den Intereſſen des Individuums unendlich überlegene
Macht geltend macht, darum ift der Berluft der Geliebten durdy eine:
Nebenbuhler, ober durch den Tod, für den Leidenfchaftlich Liebenden eu
Schmerz, der jeben andern überfteigt; eben weil er transjcendenter Ar
ift, indem er ihn nicht blos als Yubividuum trifft, fonden ihn u
feiner essentia aeterna, im Leben der Gattung angreift. Daher if
Eiferſucht fo qualvoll und jo grimmig, und ift die Abtretung der Ge:
liebten das größte aller Opfer. (W. II, 631.)
Eigennuß, |. Egoismus.
Eigenfinn.
Aller Eigenfinn beruft barauf, daß der Wille fih an die Stelle
der Erkenntniß gedrängt bat. (P. IL, 625.)
Eigenthum.
1) Worauf das ächte Eigenthumsrecht beruht.
Alles ächte, d. h. moralifche Eigenthumsrecht gründet ſich urſprünglich
einzig und allein auf Bearbeitung der Dinge, nicht auf erſte Be—
fißergreifung. ‘Denn wie follte doch die bloße Erklärung meines
Willens, Andere vom Gebrauche einer Sache auszufchliegen, fofort aud
ein Recht dazu geben? Dffenbar bedarf fie felbft exft eines Rechts⸗
grundes. Es kann ganz und gar keine rechtliche Befigergreifung
geben, jondern ganz allein eine vechtlihe Aneignung, Befiker:
werbung der Sade, durch Berwendung urfprünglich eigener Kräfte
auf fie. Wo nämlich eine Sache durch irgend eine fremde Mühe, fei
diefe noch fo Hein, bearbeitet, verbefjert, vor Unfällen geſchützt, bewahrt
ift; da entzieht der Angreifer folcher Sadje offenbar dem Anbern den
Erfolg feiner darauf verwendeten Kraft, läßt alfo den Leib Jenes, ftatt
bem eigenen, feinem Willen dienen, bejaht feinen eigenen Willen über
befien Erſcheinung hinaus, bis zur Verneinung des fremden, d. h. thut
Unredt. Hingegen bloßer Genuß einer Sadje, ohne alle Bearbeitung
oder Sicherftellung derfelben gegen Zerftörung, giebt chen fo wenig ein
Recht darauf, wie die Erklärung feines Willens zum Wlleinbefis.
(8. I, 396 fg.; II, 682 fg. E. 188. H. 146.)
2) Unabhängigkeit des Eigenthumsrechtes von ftaat-
tier Ordnung.
Die, welde mit Spinoza leugnen, daß es aufer dem Staate en
Hecht gebe, verwechfeln die Mittel, das Hecht geltend zu machen, mit
dem Rechte. Des Schutzes ift das Hecht freilich nur im Staate
verfichert, aber es felbft ift von diefem unabhängig vorhanden. Denn
durch Gewalt kann es blos unterbrüidt, nie aufgehoben werden. (WW. II,
680.) Demzufolge giebt es auch im Naturzuftand vollkommenes
Eipappevn — GEinfalt 149
Figentfemesrecht, d. 5. folches, welches mit vollfommenem natürlichen,
d. & etbifchen Rechte beſeſſen wird, daher ohne Unrecht nicht verlegt,
aber one Unrecht aufs Aeußerſte vertheidigt werden kann. (9. 375.)
3) Wozu das Eigenthumsrecht Befugniß giebt.
Tas moralifch begründete Eigenthumsrecht giebt feiner Natur nad)
dem Beſitzer eine eben fo uneingeichränkte Macht über die Sache, wie
die ft, welche ex über feinen eigenen Leib hat; woraus folgt, daß er
jean Eigenthum durch Tauſch, oder Schenkung, Andern übertragen Tann,
weihe alsdann, mit dem felben moralifchen Rechte, wie er, bie Sache
isn. (W. I, 397.)
4) Schwierigkeit der Erkennung bes ethifhen Rechts
in dem auf pofitives Recht gegründeten Befig.
Die rein ethifchen Motive zur Ehrlichfeit können meiftentheild mır
sach einem weiten Umweg ihre Anwendung auf den bürgerlichen Beſitz
mden. Sie können nämlich fid) zunächſt und unmittelbar allein auf
ns natürliche Necht beziehen; auf das pofitide aber erft mittelbar,
fem nämlich jenes ihm zu Grunde liegt. Das natürliche Recht aber
weitet an Teinem andern Kigenthum, als au bem durch eigene Mühe
xworbenen, durch befien Angriff die darauf verwendeten Kräfte des
beſitzers mit angegriffen, ihm alfo geranbt werden. Nun foll freilich)
eder auf pofitives Recht gegründete Beſitz, wenn and) durch noch jo
steile Dittelglieder, zufeßt und in erfter Duelle auf dem natürlichen
Figenthumsrechte beruhen. Aber wie weit liegt nicht, in ben meiften
Söälen, unfer bürgerlicher Befig von jener Urquelle des natürlichen
Eigenthumsrechtes ab! Meiftens hat er mit biefem einen fehr ſchwer
er gar nicht nachweisbaren Zuſammenhang. Es bedarf fchon be-
bentender Bildung, um bei allem pofitiven Beſitz das ethifche Recht
ja erfeımen und es demnach aus rein moralifchem Antriebe zu achten.
E. 188 fg.)
5) Barum bei Begründung des natürliden Eigen-
thumsrechtes der Ausdrud Formation zu vermei-
den iſt.
Es iſt zwar richtig, daß es zur Begründung des natürlichen Eigen-
Sumsrechtes nicht der Annahme zweier Rechtsgründe neben einander,
dee auf Detention gegründeten, neben dem auf Formation gegrün-
beten bedarf, ſondern letzterer allein überall ausreicht. Aber der Name
Sormation ift nicht recht paſſend, da die Verwendung irgend einer
Mühe anf eine Sache nicht immer eine Formation zu fein braucht.
(®. I, 397 Ammerk.)
Eragusrn, |. Fatum.
Einbildungskraft, ſ. Phantafie,
Einfalt.
Tie Einfalt befteft im Mangel an Urtheilsfraft. (W. L, 28.
dgl. Urtheilstraft.)
150 Einfamfeit
Einfamkeit.
1) Borzüge der Einfamleit por der Bejellfchaft.
Die Einſamkeit giebt Freiheit und Gemüthsruhe. Jede Geſellſcha
erfordert nothiwendig eine gegenfeitige Accomodation. Ganz er felb
fein barf Jeder mur fo lange er allein ift. Wer alfo nicht die Ein
famfeit liebt, der Tiebt auch micht die Freiheit; denn nur wenn ma
allein ift, ift man frei. Zwang ift ber unzertrennliche Gefährte de
Geſellſchaft, und jede fordert Opfer, die um fo fchwerer fallen, je b«
deutender die eigene Imbivibualität iſt. (PB. I, 446.) IJeder kann it
vollfommenften Einklange nur mit fich ſelbſt ſtehen, nicht mi
feinem Freunde, nicht mit feiner Geliebten; denn die Unterfchiede be
Individualität und Stimmung führen allemal eine, wenn anch gerin:
Diffonanz herbei. Daher ift der mahre, tiefe Friede des Herzens u
die vollfonmene Gemüthsruhe allein in der Einſamkeit zu finden
al8 dauernde Stimmung nur in der tiefften Zurückgezogenheit. CP.
448.) Die Geiftesruhe wird durch jede Geſellſchaft gefährdet
kann daher ohne ein bedeutendes Maaß von Einſamleit nicht beftehen
(P. I, 452.)
Die Einfamfeit und Dede läßt alle ihre Uebel auf cin Mal, wen
auch nicht empfinden, doch überfehen; Hingegen die Geſellſchaft i
infidiös; fie verbirgt hinter dem Scheine der Kurzweil, der Mit
theilung, des gefelligen Genuffes u. f. f. große, oft unheilbare Uebel
(B. I, 448.)
Je böher Einer auf der Ranglifte der Natur fteht, deſto einjame
fteht er, und zwar wefentlih und unvermeiblid. Dann aber ift di
eine Wohlthat fir ihn, wenn die phyſiſche Einſamkeit der geiftige:
entfpricht; widrigenfall® dringt die häufige Umgebung heterogener Wefer
ftörend, ja, feindlich auf ihm ein, raubt ihm fein Selbft und Hat nicht
als Erſatz daflir zu geben. Sodann, während die Natur zwiſcher
Menſchen die weitefte VBerfchiedenheit, im Moralifchen und Intellectuelle
geſetzt hat, ſtellt die Gefellfchaft, diefe filr nichts achtend, fie alle gleich
ober vielmehr fie fett an ihre Selle die Fünftlichen Unterfchiede uni
Stufen des Standes und Ranges, welche der Ranglifte der Natur fehı
oft diametral entgegen laufen. Bei diefer Anordnung kommen die vor
Natur hoch Stehenden zu kurz. ..... Die Geſellſchaft, welche mar
die gute nennt, bat nicht nur den Nachtheil, daß fie uns Menſchen
darbietet, die wir nicht loben und lieben Fünnen, fondern fie läßt aud
nicht zu, daß wir felbft feien, wie c8 unferer Natur angemefjen ifi;
vielmehr nöthigt fie uns, des Einklanges mit den Andern wegen, ein:
zuſchrumpfen, oder gar uns felbft zu verunftalten. (PB. I, 446 fg.)
Dem intellectuell hochftehenden Menſchen gewährt die Einſamkei—
einen zwiefachen Bortheil: exftlich den, mit ſich felber zu fein, um
zweitens ben, nicht mit Andern zu fein. Diefen letztern wird man
body anſchlagen, wenn man bebenft, wie viel Zwang, Beſchwerde und
felbft Gefahr jeder Umgang mit fi) bringt. Gefelligfeit gehört zu den
Einſamkeit 151
gefährlichen, ja, verderblichen Neigungen, da fie uns in Contact bringt
mit Be, deren große Mehrzahl moralifch fchlecht und intellectuell
fiumpf oder verehrt if. (P. I, 451.)
Cifamfeit ift das 2008 aller hervorragenden Geifter; fie werden
fotche bisweilen bejeufzen, aber ſtets als das Kleinere von zwei Uebeln
mmählen. (P. I, 455.)
2) Liebe zur Einſamkeit als Maafftab des intellec-
tualen Werthes.
Für den intellectualen Werth der PBerfon ift der Grab der Fähigkeit
ym Ertragen oder Lieben der Einjamleit ein guter Maaßſtab. (W. I,
340.) Jeder wird in genauer Proportion zum Werthe feines eigenen
Seht die Einſamkeit fliehen, ertragen oder lieben. Denn in ihr fühlt
der Jämmerliche feine ganze Dämmerlichfeit, der große Geift feine ganze
Größe, kurz Jeder ſich als was er if. (P.I, 446.) Ye mehr Einer
an fich jelber hat, defto weniger können Andere ihm fein. Ein gewiſſes
fühl von Allgenugfamleit ift es, welches die Leute von innerem
Verth und Reichthum abhält, der Gemeinfchaft mit Andern die be-
teıtenden Opfer, welche fie verlangt, zu bringen, geſchweige diefelbe zu
fshen. Das Gegentheil hiervon macht die gewöhnlichen Leute fo ge⸗
klig und accomodant; es wird ihnen nämlich leichter, Andere zu
ertragen, als ſich ſelbſt. (P. I, 448 ff.) Es ift ein ariſtokratiſches
Gefühl, welches den Hang zur Abfonderung und Einfamkeit nährt.
Al Pumpe find gefellig, zum Erbarmen; daß Hingegen ein Menſch
edlerrr Art fei, zeigt fich an feiner Liebe zur Einfamleit. (PB. I, 454 fg.)
3) In weldem Sinne die Einfamleit dem Menſchen
natürlich und wieder nicht natürlich ift.
Wie urjprünglich die Noth, fo treibt, nach Beſeitigung diefer, bie
Sangeweile die Menfchen zitfammen. Ohne Beide bliebe wohl Jeder
allein, Schon weil nur in der Einfamfeit die Umgebnng der ausfchließ-
lichen Wichtigkeit, ja Einzigfeit entfpricht, die Jeder in feinen eigenen
Augen hat, und welche vom Weltgebränge zu nicht verkleinert wird.
In dieſem Sinne iſt die Einſamleit fogar der natürliche Zuſtand eines
Jen; fie ſetzt ihm wieder ein, als erften Adam, in das urfprlngliche,
kiser Natur angemefiene Glück. (®. I, 452.)
Im einem andern Sinne wieder ift dem Menſchen die Einfamteit
nicht natürlich; fofern nämlich er, bei feinem Eintritt in die Welt,
ich nicht allein, fondern zwifchen Eltern und Geſchwiſtern, aljo in
Gemeinſchaft gefunden hat. Demzufolge kann die Liebe zur Einfanfeit
mt als urfprünglicher Hang da fein, fondern erſt in Folge der Er-
fahrung und des Nachdenkens entftehen, und died wird Statt haben
nd Maaßgabe der Entwidelung eigener geiftiger Kraft, zugleich aber
such mit der Zunahme der Lebensjahre. (P. I, 452.)
4) Einfluß des Alters auf den Hang zur Einſamkeit.
Im Ganzen genommen fteht der Gefelligkeitötrieb eines Jeden im
wngelehrten Beshältnifie feines Alters. Das Heine Kind erhebt eim
152 Einfamfeit
Angft- und Jammergeſchrei, fobald es nur einige Minuten allein ge
laſſen wird. Dem Kuaben ift das Alleinfein eine große Pöniten;
Yinglinge gefellen ſich leicht zu einander, mr die edleren und hodhge:
finnten unter ihnen fuchen ſchon bisweilen die Einſamleit. Der Manı
faın ſchon viel allein fein, und beflo mehr, je älter er wird. Ze
Greis findet an der Einfamleit fein eigentliches Element. Immer abeı
wird Hierbei in ben Einzelnen die Zunahme der Neigung zur Ab—
fonderung und Einſamkeit nad) Maaßgabe ihres intellectwellen Werthes
erfolgen. (P. I, 452 fg.)
In den fechziger Jahren iſt der Trieb zur Einfamleit ein wirklich
naturgemäßer, ja, inftinctartiger. Denn jegt vereinigt ſich Alles, ihn
zu befördern. (BP. I, 455 fg.) Nur höchſt dürftige und gemeine
Naturen werben im Alter noch fo gejellig fein, wie ehebem. (B.I, 456.)
Das dargelegte entgegengefettte Verhältniß zwifchen ber Zahl ber
Lebensjahre und bem Grade ber Gejelligkeit hat auch eine teleo-
Logifche Seite. Je jünger ber Menſch ift, defto mehr hat er noch
in jeder Beziehung zu lernen. Sehr zwedmäßig aljo befucht er die
natürliche Unterrichtsanſtalt (die Geſellſchaft) defto fleißiger, je jünger
er if. (P. I, 457.)
5) Nachtheile der Einjamteit.
Neben ihren großen Bortheilen hat doch die Einſamkeit auch ihre
Meinen Nachtheile und Beichwerben, die jedody im Bergleich mit denen
der Gefellfchaft gering find. Unter jenen Nachtheilen ift einer, der
nicht fo leicht, wie die übrigen, zum Bewußtſein gebradyt wird, nämlich
biefer: wie durch anhaltend fortgejetstes Zuhanfebleiben unfer Leib fo
empfindlich gegen äußere Einflüffe wird, daß jedes kühle Lüftchen ihn
krankhaft afficirt; jo wird durch anhaltende Zurüdgezogenheit und Ein
ſamkeit unſer Gemüth fo empfindlich, daß wir durd) die unbedeutendften
Borfälle, Worte, wohl gar durch bloße Mienen, uns beunruhigt, oder
gefränkt, ober verletzt filylen; während ‘Der, welcher ftets im Getümmel
bleibt, Dergleichen gar nicht beachtet. (P. 1, 457.)
6) Rath zur Berbindung der Einfamleit mit der
Geſellſchaft.
Wer, zumal in jüngeren Jahren, ſo oft ihn auch ſchon gerechtes
Mißfallen an den Menſchen in bie Einſamkeit zurückgeſcheucht hat,
doch die Dede derfelben auf die Länge nicht zu ertragen vermag, dem
ift zu vathen, daß er ſich gewöhne, einen Theil feiner Einfamleit in
die Geſellſchaft mitzunehmen, alfo daß er lerne, auch in der Gefellfchaft
in gewifjen Grade allein zu fein, demnach was er denft nicht fofort
den Anderen mitzutheilen, und andererfeits mit Dem, was fie fagen,
es nicht genau zu nehmen, vielmehr moralifc wie intellectnell nicht
viel davon zu erwarten und daher, Hinfichtlich ihrer Meinungen, die-
jenige Gleichgültigkeit in ſich zu befeftigen, die das ficherfte Mittel ift,
um ſtets eine lobenswerthe Toleranz zu üben. Er wird alsdann, ob-
wohl mitten unter ihnen, doch wicht jo ganz in ihrer Gefellichaft fein,
Einſicht — Vitelkeit 153
jondern hinfichtlich ihrer fih mehr rein objectiv verhalten. Dies wird
ihn vor zu genauer Berithrung mit der Gefellfhaft und dadurch vor
jeder Befubelung, ober gar Berlegung, ſchützen. (P. I, 457 fg.)
Einficht.
1) Quelle der Einjidt.
Die Anfhauung allein ertheilt eigentliche Einficht, fie allein wird
son Menjchen wirklich affimilirt, geht in fein Weſen über umd kann
mt vollem Grunde fein heißen; während die Begriffe ihm blos an-
fieben. (W. I, 83. Bergl. and) Anſchauung.)
2) Berhältniß der Kunde zur Einfidt.
Bon Allem Kunde zu haben, von allen Steinen, Pflanzen u. f. w.,
Yet an ſich wenig Wert. Denn die Kunde ift ein bloßes Mittel
ar Einfiht. Sie als bloßes Mittel zur Einficht zu betrachten, ift die
Tentungsart, welche den philofophifchen Kopf im Gegenfage zum bloßen
Gelehrten charakterifirt. (PB. II, 513. W. II, 87.)
Eitelkeit.
1) Bedeutung des Wortes.
In faft allen Spradjen bedeutet Eitelfeit, vanitas, urſprünglich
Leerheit und Nichtigkeit, womit das Gehaltlofe ihres Streben
treffend bezeichnet if. (W. I, 384. P. I, 376. 9. 454.)
2) Wefen der Eitelkeit.
Der Eitele legt auf die Meinung Anderer von ihm den höchften
Werth, und es ift ihm darum mehr zu thun, als um Das, was als
in feinem eigenen Bewußtfein vorgehend unmittelbaren Werth
hat. Er kehrt demnach die natürliche Ordnung um, indem ihm das
Bild feines Weſens im Kopfe Anderer der reale, fein eigenes Weſen
hingegen der blos ideale Theil feines Dafeins ift. Diefe unmittelbare
Bertjihägung Deſſen, was nur mittelbaren Werth hat, ift diejenige
Thorheit, welche das Wort Eitelkeit bezeichnet. Sie gehört, wie der
Geiz, zum Bergefien des Zwecks über die Mittel. (P. I, 376.)
3) Segenfag zwiſchen Eitelfeit und Stol;.
Zwiſchen Eitelkeit und Stolz beruht der Gegenſatz darauf, daß der
Stolz bie bereits feftftehende Weberzeugung vom eigenen überwiegenden
Berthe in irgend einer Hinficht ift, Eitelfeit Hingegen der Wunſch,
in Andern eine ſolche Ueberzeugung zu erweden, meiftens begleitet von
ter fillen Hoffnung, fie in Folge davon auch felbft zu der feinigen
maden zu können. Demnach ift Stolz die von innen auögehende,
folglich directe Hochſchätzung feiner ſelbſt, Hingegen Eitelkeit das Streben,
vie von außen her, alfo imdirect zu erlangen. ‘Dem entiprechend
macht die Eitelfeit gefpräcdig, der Stolz ſchweigſam. (P. I, 379 fg.)
4) Stärke und Allgemeinheit der Eitelkeit.
Die Eitelfeit ift von allen Neigungen des Menſchen die unzerftör«
darfte mb thätigfte; fie ift es, Die felbft im Leben der Heiligen am
154 Ekelhafte — Elephant
letzten ſtirbt. (W. J, 463.) Sie kann als eine Art allgemein ver⸗
breiteter, oder vielmehr angeborener Manie angeſehen werden. Sie
zeigt ſich ſchon im Kinde, ſodann in jedem Lebensalter, jedoch am
ſtärkſten im fpäten. Bei den Franzofen iſt fie ganz endemiſch und
daher am beutlichften zu beobachten. Sie ift felbft im Verbrecher auf
dem Schaffot noch wirkſam. (P. I, 377 fg.)
Ehelhafte, das.
Das Efelhafte ift ein Negativ-Reizendes nnd ift in der Kunſt
noch verwerflicher als das Pofitin-Reizende. (Bergl. das Reizende).
Denn e8 erwedt, wie diefes, den Willen des Beichauers und zerftört
dadurch die rein äfthetifche Betrachtung. Aber es ift ein heftiger
Nichtwollen, ein Widerftreben, was dadurch angeregt wird; es er
wedt den Willen, indem es ihm Gegenftände feines Abſcheus vorhält.
(W. I, 246.)
Eloflicität, ſ. Mechanilk.
Elephant.
1) Intelligenz des Elephanten.
Wenngleich den Thieren die Vernunft abgeht, fo giebt ſich doch,
gemäß dem Geſetze, daß die Natur keinen Sprung macht, eine ſchwache
Spur von Vernunft, von Reflexion, Denken, Vorſatz, Ueberlegung in
den vorzüglichſten Individuen der oberſten Thiergeſchlechter allerdings
bisweilen kund. Die auffallendſten Züge dieſer Art hat der Elephant
geliefert, deſſen ſehr entwickelter Intellect noch durch die Uebung und
Erfahrung einer bisweilen zweihundertjährigen Lebensdauer erhöht und
unterſtützt wird. Bon Prämeditation, welche uns an Thieren fiel?
am meiſten überraſcht, hat er öfter unverkennbare Zeichen gegeben.
(W. II, 66; I, 27.)
Der bemundernswürdige Verſtand des Elephanten war nöthig, weil,
bei zweihunbertjähriger Lebensdauer und fehr geringer Prolification, er
für längere und fichere Erhaltung des Individuums zu forgen hatte,
und zwar in Ländern, die von den gierigften, ftärfften und behendeſten
Kaubthieren wimmeln. (N. 48.)
2) Geftalt des Elephanten.
Die verfchiedenen Geftalten der Thiere find der Ausdrud des in
ihnen erfcheinenden Lebenswillens. Der Wille zum Leben iſt das
(Lamard’iche) Urthier, das nad; Maßgabe der Umftände feine Geſtalt
verändert und die Mannigfaltigfeit der Formen aus einem und demfelben
Grundtypus zu Stande bringt. Kann nun, wenn der Wille zum
Leben als Elephant auftritt, ein langer Hals die Laſt des übergroßen,
mafjiven und noch mit Hafterlangen Zähnen befchwerten Kopfes un⸗
möglich tragen; jo bleibt folcher ausnahmsweife kurz, und als Noth-
hülfe wird ein Rüſſel zur Erde geſenkt, der Futter und Wafler in
Ni — zieht und auch zu den Kronen ber Bäume hinauflangt.
(R. 52 79.)
Eltern — Cmblem 155
Eltern.
1) Elternliebe.
In den Geſchlechtstrieb knüpft ſich die Eiternliebe, in welcher ſich
aloe das Gattungsleben fortſetzt. Demgemäß hat bie Liebe des
Zhiereß zu feiner Brut eine Stärke, welche die der blos auf das eigene
Individuum gerichteten Beftrebungen weit übertrifft. Dies zeigt fich
m dem Kanıpf und der Aufopferung, zu denen felbft die fanfteften
Zhiere für ihre Jungen bereit find. Beim Menſchen wirb dieſe in-
finctive Elternliebe durch die Vernunft, d. h. die Weberlegung geleitet,
bisweilen aber auch gehemmt. An ſich felbft ift fie jeboch im Menſchen
nicht weniger ſtark, wie manche Beifpiele zeigen. Bei den Thieren
jedoch, da fie Feiner Ueberlegung fähig find, zeigt bie inftinctive Mutter⸗
lebe (das Männchen iſt ſich feiner Baterfchaft meift nicht bewußt) ſich
unvermittelt und unverfälicht, daher mit voller Deutlichkeit und im
isrer ganzen Stärke. Im Grunde ift fie der Ausdrud des Bewußt⸗
ſeins im Thiere, daß fein wahres Weſen unmittelbarer in der Gattung,
als im Individuo, liegt, daher es nöthigenfalls fein Leben opfert, da⸗
mit in den Jungen die Gattung erhalten werde. Alſo wird bier, wie
auch im Gefchlechtstriebe (f. Geſchlechtstrieb), der Wille zum Leben
geniffermaßen transfcendent, indem fein Bervußtfein fi) über das In⸗
dividnum, melden es inhärirt, Hinaus auf die Gattung crfiredt.
W. I, 587 fg.)
2) Pfliht und Recht der Eltern.
Alle Pflichten beruhen zwar auf gegenfeitiger Verpflichtung, unb
brefe ift im der Regel eine ausbrüdliche, gegenfeitige Uebereinkunft.
(S. Pflicht.) Doc giebt e8 eine Berpflichtung, die nicht mittelft
einer Mebereinkunft, fondern unmittelbar durch eine bloße Handlung
übernommen wird; weil ‘Der, gegen den man fie bat, nod) nicht da
war, als man fie übernahm. Es ift die der Eltern gegen ihre Kinder.
Ber em Kind in die Welt fetst, bat die Pflicht es zu erhalten, bis
es ſich ſelbſt zu erhalten fähig ift; und follte dieſe Zeit, wie bei einem
Umden, Krüppel, Kretinen u. dgl. nie eintreten, fo hört auch bie
Filiht nie auf. Denn durch das bloße Nichtleiften der Hilfe, aljo
eine Unterlaffung, würde er fein Kind verlegen, ja, dem Untergange
führen. Die moralifche Pflicht der Kinder gegen die Eltern ift nicht
io unmittelbar und entfchieden. Sie beruht darauf, daß, weil jede
Pit ein Recht giebt, auch die Eltern eines gegen ihre Kinder haben,
weſches bei diefen die Pflicht des Gehorſams begründet, die aber nach⸗
mals mit dem Recht, aus welchem fie entftanden ift, auch aufhört. (E. 221.)
3) Barum Eltern das kränkliche Kind am meiften
lieben.
Dog Eltern in der Kegel das kränkliche Kind am meiften lieben,
beruht darauf, ba es immerfort Mitleid erregt. (E. 238.)
Emmmationsfpflem, |. Syſteme.
Emblem, ſ. Symbol,
156 Empfindlichkeit — Empfindung
Empfindlichkeit.
1) Empfindlichkeit als Folge der Zurückgezogenheit
und Einfamleit. (S. unter Einſamkeit: Nachtheile
der Einfamfeit.) |
2) Empfindlichleit als Folge des Hochmuths und
mangelnder Menſchenkenntniß.
Wir würden bei Beleidigungen, als welche eigentlich immer in
YHeußerungen der Nichtachtung beftehen, viel weniger aus der Faſſung
gerathen, wenn wir nicht einerfeit8 eine ganz übertriebene Borftellung
von unferm hohen Werth und Würde, aljo einen ungemeflenen Hod-
muth hegten, und andererfeits uns deutlich gemacht hätten, was in
ber Regel Jeder vom Andern in feinem Herzen hält und denkt. Weld
ein greller Contraft ift doch zwiſchen der Empfindlichkeit der meiften
Leute über die leifefte Andeutung eines fie treffenden Tadels und Dem,
was fie hören würden, wenn fie die Geſpräche ihrer Bekannten über
fie belaufchten! (P. J, 492 fg.) Der ritterlichen Empfindlichkeit gegen
Beleidigungen liegt der unmäßigfte Hochmuth zu Grunde. (P.I, 403.
Bergl. unter Ehre: Eine Afterart der Ehre.)
3) Empfindlichfeit gegen Kleinigkeiten als ein Zeiden
bes Wohlſtandes.
Wenn man ben Zuftand eines Menſchen, feiner Glücklichkeit nad,
abjchägen will, fol man nicht fragen nach Dem, was ihn verguügt,
fondern nad) Dem, was ihn betrübt; denn, je geringfügiger Diefes, an
fich felbft genommen, ift, defto glüdlicher ift der Menſch, weil ein Zuſtand
des Wohlbefindens dazu gehört, um gegen Kleinigkeiten empfind-
Lich zu fein, im Unglüd fpüren wir fie gar nit. (P. I, 437.)
Empfindfamkeit.
Empfindfamkeit wird leicht zum Hinderniß ber wahren Refignation. In
jenem vom Leben ablöfenden Gram, den eine himmliſche Yreubde begleitet,
welche das melancholifchefte aller Bülfer the joy of grief genannt hat,
liegt die Klippe der Empfindfamfeit, ſowohl im Leben ſelbſt, ale
in deſſen Darftellung im Dichten. Wenn. nämlid immer getrauert
umd immer geflagt wird, ‚ohne daß man fich zur Refignation erheit
und ermannt; jo hat man Erde und Himmel zugleich verloren und.
wäflerichte Sentimentalität übrig behalten. Nur indem das Leiden die
Form bloßer reiner Erkenntniß aunimmt und fodann diefe als Duietiv
des Willens (f. Quietiv) wahre Kefignation herbeiführt, ift es der
Weg zur Erlöfung und dadurch ehrwürdig. (W. I, 469.)
Empfindung.
1) Subjectivität der Empfindung.
Die Empfindung ift felbft in den ebelften Sinnesorganen nid?
mehr, als ein locales, fpecififches, innerhalb feiner Art einiger Ab⸗
wechfelung fühiges, jedod) an fich jelbft ftets fubjectives Gefühl, welche
als ſolches gar nichts Objectives, alſo nichts einer Anfchauung
Empirie — Enblid und unendlih 157
Aehnſiches enthalten Tann. Denn die Empfindung jeder Art ift und
bleilt ein Borgang im Organismus felbft, als ſolcher aber auf das
Gebiet unterhalb der Haut beichräuft, kann daher, an ſich felbft, nie
eine enthalten, was jenjeitd diefer Haut, alfo außer uns läge. Sie
fm angenehm oder unangenehm fein, — welches eine Beziehung auf
sujeren Billen bejagt, — aber etwas Objectives liegt in feiner Empfin⸗
fing. 4G. 52 ff. 5. 7. ff. Vergl. auch Anfhauung.)
2) Gegenfag zwifhen Empfindung und Anfhauung.
Die Sinnesempfindungen Tiefern noch keineswegs die Anfchauung
der objectiven Welt, jondern blos den rohen Stoff dazı. In ihnen
jabſt liegt fo wenig die Anſchauung der Dinge, daß fie vielmehr nod)
gar feine Achnlichleit haben mit den Eigenfchaften der Dinge, bie
mitelft ihrer fi) uns darftellen. Nur muß man, um dies einzufehen,
Tas, was wirflid der Empfindung angehört, deutlich ausfondern von
Tem, was in der Anſchauung ber Intellect hinzugethan hat. Dies
# Anfangs ſchwer, weil wir fo jehr gewohnt find, von ber Empfindung
ſegleich zu ihrer objectiven Urſache überzugehen, daß biefe ſich uns
darftellt, ohne daß wir die Empfindung, welche bier gleidhjam die
Prämiffen zu jenem Schluſſe des PVerftandes liefert, an und für ſich
teahten. (©. 54 ff.)
3) Woher der Schein entfteht, als ob die Sinnes-
empfindung unmittelbar, ohne Berftandesoperation,
die Gegenftände lieferte.
Die Meinng, daß die Sinnesempfindungen der Seele wirkliche
Gegenſtände vorftellen, erklärt fich aus Folgendem. Obwohl bie
Anwendung bed uns a priori bewußten Caufalitätsgefeges die An⸗
ſchauung vermittelt (f. Anſchauung); fo tritt dennoch ber Berftandes-
act, mittelft bdeffen wir von der Wirkung zur Urſache übergehen und
fo aus den Datis der Sinnesempfindung den Gegenftand conftruiren,
keineswegs ins deutliche Bewußtfein; daher fondert fi die Sinnes-
empfindung wicht von der aus ihr, als dem rohen Stoff, erft vom
Verftande gebildeten Vorftellung aus. (W. II, 25—28.)
4) Nuplofigleit der Empfindung ohne Berftand.
Ale Thiere, bis zum niebrigften herab, müſſen Berfland, d. h. Er-
kenntniß des Cauſalitätsgeſetzes haben, wenn auch in fehr verfchiedenem
Grade der Feinheit und Deutlichfeit; aber ſtets wenigftens fo viel, wie
ar Anſchauung mit ihren Sinnen erfordert ift; denn Empfindung ohne
Berftand wäre nicht nur ein unnüßes, fondern ein graufames Gefchent
der Natur. (G. 76.)
Euyirie, ſ. Erfahrung.
Er zu zav, |. Alleins- Lehre.
Endlih) und unendlich.
Endlich) und "unendlich find Begriffe, die blos in Beziehung auf
Ranm und Zeit Bedeutung ‚haben; indem biefe beiden unendlich,
158 Enburfahen — Cnglänber
b. 5. enblos, wie auch in's Unendliche theilbar find. Wendet man jene
beiden Begriffe noch auf andere Dinge an, fo müſſen es folde fein,
die, Raum und Zeit füllend, durch fie jener ihrer Eigenfchaften theil⸗
baft werden. Hieraus ift zu ermeflen, wie groß der Mißbrauch ſei,
welchen Bhilofophafter und Windbeutel in diefem Jahrhundert mit jenen
Begriffen getrieben haben. (PB. I, 18.) An Wortkram vom Endlichen
und Unendlichen hat der deutfche Leſer in der Regel fein Genügen und
merkt nicht, daß er am Ende nichts Deutliches dabei denken kann, ald
nur „mas ein Ende hat“ und „was Feines hat.” (©. 114.)
Endurfachen, |. Teleologie.
Engländer.
1) Mängel der Engländer.
Die Engländer gehören in metaphyſiſchen Dingen gänzlid zum
großen Haufen (mob), indem ihnen jede die bloße Phyſik itberfchreitende,
alfo metaphyfiſche Annahme ſogleich zufammenfält mit dem Hr
bräifcehen Theismus. Teleologie ift ihmen noch immer identiſch mit
Theologie. Sie ftehen nod) immer auf dem Standpunkt, der zwilden
Materialismus und Theismus fein Drittes kemt. So ein En:
länder in feiner Berwahrlofung und völligen Rohheit hinſichtlich ala
fpeculativen Philofophie, oder Metaphyſik, ift eben gar Feiner geiſtigen
Auffaffung der Natur fähig; er kennt daher Fein Mittleres zwiſchen
einer Auffaffung ihres Wirkens als nad) firenger, womöglich mecha
nifcher Geſetzmäßigkeit vor fich gehend, oder aber als das vorke
mohlüberlegte Kunftfabricat des Hebräergottes, den er feinen ınaker
nennt. (P. U, 165. W. I, 608; U, 386. P. II, 109.)
Die Engländer fehen, wie auch bei uns die unterften Claſſen de
Geſellſchaft, gar nicht die Möglichkeit ab, die Moral anders als an
Theismus zu ſtützen. (P. I, 234.)
Die Pfaffen in England, die verjchmißteften aller Obscuranten,
haben bie Köpfe daſelbſt fo augeriäet, daß fogar in den kenntnißreichſten
und aufgeflärteften derjelben das Grundgedankenſyſtem ein Gemiſch vom
kraſſeſten Materialiemus mit plumpfter Fubenfuperftition if. (P. II,
165. W. I, 387.) Die fo intellectuelle und urtheilskräftige engliſche
Nation ift durch bie fchimpflichfte Bigotterie und Pfaffenbevormundung
degradirt. (P. I, 16. 286—289; II, 521.) Dies zeigt fich unter
andern auch in der Anfiht und Behandlung des Selbſtmordes.
(®. II, 328. 331.)
Die englifhe Prüderie Hat das eigenthümliche Vorurtheil erzeugt,
daß die Gefticulation, diefe allgemeine Sprache, welche die Natur
Jedem eingiebt und die Jeder verftcht, etwas Unwürdiges und Ge—
meines fei. Doch diefelbe der Gentlemanrie zu Liebe abzufchaffen und
zu verpönen möchte fein Bedenkliches haben. (P. II, 648.)
2) Borzüge der Engländer.
Während der Deutiche ein Freund der Billigkeit it, hält der
Engländer es mit der wichtigeren Tugend, der Gerechtigkeit. (E. 222.)
Ens realissimum — (ntbedung 159
Ja England ift das Duell faft ganz ausgerottet, fommt nur nod)
had felten vor und wird dann als eine Rarrheit verlacht. (B.I, 410
Yrzrrf.)
dormißiger unb verbächtiger Neugier gegenüber, der man als im
sale der Nothwehr ſich befindend das Recht hat, durch Lügen zu
begegnen, tft das englifche „Ask me no questions, and T’ll tell you
ro lies” (Frag' du mich nicht aus, will ich dich nicht belügen) die
richtige Maxime. Nämlich bei den Eugländern, benen ber Vorwurf
der Lüge als die ſchwerſte Beleidigung gilt, und die eben daher wirklich
weniger lügen, als die andern Nationen, werben den entſprechend alle
unbefugten, die Verhältnifie des Andern betreffenden Tragen als eine
Ungezogenbeit angefehen, welche der Ausdruck to ask questions
bezeichnet. (E. 224.)
Die fein fühlende englifehe Nation ift vor allen andern durch ein
bervorftechendes Mitleiden mit Thieren ausgezeichnet, welches fi
bei jeder Gelegenheit Fund giebt und die Macht gehabt Hat, auf die
Orfepgebung zu wirken. Denn zum Ruhme der Engländer fer es
selagt, daß bei ihnen zuerft das Gefeß auch die Thiere ganz ernftlich
gegen graufame Behandlung in Schuß genommen hat. Außerdem thut
auf Privatwegen die Londoner Thierfchug-Gefellfchaft fehr viel gegen
Thierquälerei. (E. 242 fg.) Die Macht des Mitleids zeigte fich im
Großen in ber hochherzigen brittifchen Nation, als -diefelbe 20 Millionen
Fund Sterling hingab, um den Negerfclaven in ihren &olonien bie
Iriheit zu erfaufen. (E. 230.)
Ins realissimum.
Tas ens realissimum (allerrealſte Weſen) der Scholaſtiker — dieſe
grottesle Borſtellung eines Inbegriffes aller möglichen Realitäten iſt
bon Kant zu einem ber Vernunft weſentlichen und nothwendigen Ge⸗
danfen gemacht worden. Es iſt aber jo weit davon entfernt, ein der
Sernunft wefentlicher und nothiwendiger Gedanke zu fein, daß er viel-
mehr zu betrachten iſt als ein rechtes Meeifterftüd von den monftrofen
Erzeugniſſen eines durch wunderliche Umftände auf die feltfamften Ab-
wege und Berkehrtheiten gerathenen Zeitalters, wie das der Scholaftif
wor. Ber den Philofophen des Alterthums ift vom ens realissimum
sırgenbs eine Syn. (W. I, 602 - 605.)
Entdeckung.
Jede Entdeckung entjpringt aus einer intuitiven unmittelbaren Auf-
feflung durch den Berftand, denn fie ift nichts Anderes, als ein
richtiges unmittelbares Zurückgehen von der Wirkung auf die Urfache
tgl. Berftand). Beifpiele: Hookes Entdeckung des Gravitationsgeſetzes
md die Zurückführung fo vieler und großer Erjcheinungen auf bies
time Geſetz, ferner Lavoiſiers Entdedung des Sauerftoffes und feiner
wihtigen Rolle in der Natur, ferner Göthes Entbedung der Ent-
Kehungsart phyſiſcher Farben. Ale Entdedungen find eine blos
km Grade nach verfchiedene Aeußerung der nämlichen und einzigen
160 Enthymemata — Euiſchluß
Function des Verſtandes, durch welche auch ein Thier bie Urſache,
welche auf feinen Leib wirkt, als Object im Raum anſchaut. Daher
find auch jene großen Entdeckungen alle, eben wie bie Anfchauung und
jede Verftandesäußerung, eine unmittelbare Einficht und als fjoldye das
Werk des Augenblids, ein appergu, ein Einfall, nicht das Product
langer Schlufletten in abstracto. (W. I, 25.) Der Kern jeder
großen Entdeckung iſt das Erzeugniß eines glüdlihen Augenblids, im
welhem, durd) Gunft äußerer und innerer Umftände, dem Berflande
complicirte Saufalreihen, oder verborgene Urſachen taufend Dial gejehener
Aaunomene, oder nie betretene, dunkle Wege fich plößlich erhellen.
(©. 78.) |
Enthumemata.
Sclüffe werden felten förmlich und in extenso vorgetragen; fonbern
man läßt eine der Prämiffen weg, entiweber weil fie fi) von felb
verfteht, oder weil fie (bei hypothetiichen und disjunctiven Schlüffen)
aus der andern Prämiffe Hervorgeht. 3.3. „Kant konnte irren, denn
er war ein Menfch.” Solche Weglaffungen der Prämifien heißen
Enthbymemata. (9. 472.)
Entſchluß.
1) Berhältnig des Entſchluſſes zum Wunſch und zur
That.
So lange ein Willensact im Werden begriffen iſt, heißt er Wunſch;
wenn fertig, Entſchluß; daß er dies aber ſei, beweiſt dem Selbit-
bewußtfein erft bie That; denn bis zu ihr ift er veränderlih. (E. 17.
Allein der Entſchluß, nicht aber der bloße Wunſch, ift beim Menſche
ein gültiges Zeichen feines Charakters, für ihn felbft und für Anden.
Der Entſchluß aber wird allein dur die That gewiß. Der Wunfd
drüdt blos den Gattungscharafter aus, nicht den individuellen, d. h.
deutet blo8 an, was ber Menſch überhaupt, nit was das den
Wunſch fühlende Individuum zu thun fühig wäre. Die überlegte
That allein ift der Ausdruck ber intelligibein ‘Marine des Handelns,
das Refultat des innerften Wollens, der Spiegel des Willens. (WW. 1,
354. ©. 169.)
2) Tebensregel in Bezug auf das Verhalten vor und
nach dem Entſchluß.
Man überlege ein Borhaben reiflich und wiederholt, ehe man daſſelbe
ins Werk fest. Iſt man aber einmal zum Entſchluß gefommen und
bat Hand ans Werk gelegt, fo daß jest Alles feinen Berlauf zu nehmen
bat und nur noch der Ausgang abzuwarten fteht; dann ängſtige man
ſich nicht durch ſtets erneuerte Ueberlegung, beruhige ſich vielmehr mit
ber Ueberzeugung, daß man Alles zu feiner Zeit reiflid erwogen habe.
Diefen Rath ertheilt auch das Sprihwort: „Du fattle gut und reite
getroft,” (PB. I, 459 fg.)
Sntfehen und Vergehen — Epagoge und Apagoge 161
Eniſtehen und Dergehen.
Des beftändige Entftehen und Vergehen der Individuen greift keines⸗
wege an die Wurzel der Dinge, fondern ift nur ein oderflächliches
Phizszmen, von weldem das eigentliche, ſich unferem Blick entziehende
um durchweg geheimnißvolle innere Wefen jedes Dinges nicht mitge-
teren wird, vielmehr babei ungeflört fortbefteht, wenn wir gleich die
Bere, wie dad zugeht, weder wahrnehmen, noch begreifen können.
S. II, 540fg. 546.) Da nur mittelft der Anfchanungeform bes
Kaumes die Vielheit und mittelft der der Zeit das Vergehen und Ent-
then möglich ift, fo Tann das Entftehen und Bergehen keine abfolute
Kealität haben, kann dem in der Erſcheinung fich darftellenden Wefen
m fich felbft nicht zufonmmen. (PB. I, 91; U, 287.) Hieraus ergiebt
id der wahre Sinn der paraboren Lehre der Elenten, daß es gar
an Entftefen umd Bergehen gebe. (W. II, 547.)
Eragoge und Apagoge.
1) Segenfaß zwifchen ber Epagoge und Apagoge.
Lie Epagpge (srayarym, inductio bei Ariftoteles) iſt das Gegen-
tel der Apagoge (arayayn). Diefe weift einen Sat als falſch
uch, indem fie zeigt, daß, was aus ihm folgen würde, nicht wahr ift;
fo durd) die instantia in contrarium. Die Epagoge hingegen
wit die Wahrheit eines Sates dadurch nad), daß fie zeigt, daß, was
ws ihm folgen würde, wahr if. Sie treibt demnach durch Beifpiele
m me Annahme bin; die Apagoge treibt ebenfo von ihr ab.
(W. N, 117.)
2) Warum die Epagoge unfidyerer ift als die Apagoge.
Ta die Epagoge, oder Induction, ein Schluß von den Folgen
wf den Grund tft, und zwar modo ponente (denn fie ftellt aus vielen
fällen die Regel auf, aus der dieſe dann wieder die Folge find); fo
i fie nie vollfonmen ficher, fondern bringt es höchſtens zu fehr großer
Kahrſcheinlichkeit. Indeſſen kann diefe formelle Unficherheit durch
ke Menge der aufgezählten Folgen einer materiellen Sicherheit
Rıım geben. Die Apagoge hingegen ift zunächſt der Schluß vom
Erumde anf die Folgen, verfährt jedoch nachher modo tollente, indem
fe das Nichtdafein einer nothwendigen Folge nachweift und dadurd) die
Labrheit des angenommenen Grundes aufhebt. Eben deshalb ift fie
ed volllommen ficher und leiftet durch ein einziges ficheres Beifpiel
tw contrarium mehr, als die Induction durch unzählige Beifpiele für
ten anfgeftellten Sat. So fehr viel Teichter ift widerlegen, als
teneifen, umwerfen, als aufftellen. (W. II, 117.)
3) Die Apagoge beim eriftifhen Disputiren.
Leim eriftifchen Disputiren, wo es gilt, eine aufgeftellte Theſe zu
Dierlegen, innen wir inbdirect verfahren, indem wir die Theſe bei
idten Folgen angreifen, um aus der Unwahrheit diefer auf ihre eigene
Umohrheit zu ſchließen. Hiezu können wir uns entweder der bloßen
Yatanz, oder aber der Apagoge bedienen. Die Inftanz (svoraaıg)
ShepenhauersZerilon. L 11
162 Epitheta — Erbfünde
ift ein bloße exemplum in contrarium; fie widerlegt die Thefe du
Nahweifung von Dingen ober Verhältniffen, die umter ihrer Ausfı
begriffen find, bei denen fie aber offenbar nicht zutrifft, daher fie ni
wahr fein kam. Die Apagoge bringen wir dadurch zu Wege, d
wir bie Theſe vorläufig als wahr annehmen, nun aber irgend eir
andern, al8 wahr anerkannten und unbeftrittenen Sat fo mit ihr v
binden, daß Beibe die Brämiffen eines Schluffes werden, deſſen Concluſi
offenbar falſch iſt. Jedenfalls muß, da die Hinzugenommene and
Prämiffe von ıumbeftrittener Wahrheit ift, die Falſchheit der Conchfi
von ber Theſe herrühren; diefe kann alfo nicht wahr fein. (P. I, %
Epitheta, in der Poeſie, ſ. Poefie.
Epos.
1) Das Epos verglichen mit Lyrik und Drama.
Das Epos gehört zu den objectiven Dichtungsarten, in meld
der Darzuftellende von dem Darftellenden verfchieden if. (W. I, 2%
Zwiſchen der Lyrik, in welcher das fubjective Element vorherrſcht, m
dem Drama, in welchem das objective allein und ausſchließlich do
handen ift, bat bie epiſche Poeſie, in allen ihren Formen nnd Modi
cationen, von der erzählenden Romanze bis zum eigentlichen Epo
eine breite Mitte inne. Denn obwohl fie in der Hauptſache objet
ift; fo enthält fie doch ein bald mehr, bald minder hervortretend
fubjectives Element, welches am Ton, an der Form des Vortrage, N
auch an eingeftreuten Reflexionen feinen Ausdrud findet. Wir verlien
nit den Dichter jo ganz aus ben Augen, wie bei dem Drum
(W. II, 492.) |
2) Zwed des Epos und Mittel zur Erreichung deffeibe
Das Epos Hat mit dem Drama den gemeinfchaftlichen Zwed,
bebentenden Charakteren im bedeutenden Situationen die durd ki
berbeigeführten außerordentlichen Handlungen darzuftellen. (28. II, 49
Sn den mehr objectiven Dichtungsarten, befonders dem Koma
Eyos und Drama wird der Zweck, die Offenbarung der Ihe d
Menfchheit, befonder® durch zwei Mittel erreicht: durch richtige ur
tiefgefaßte Darftellung bebentender Charaktere und durch Erfindur
bedeutfamer Situationen, an denen fie fich entfalten. (W. 1, 29618
Equivoque, f. unter Lächerliches: Wis.
Erblichkeit, der Eigenjchaften, ſ. Bererbung.
Erbfünde. |
1) Die Erbfünde als die Ur- und einzig wahre Sind
Die Exrbfüinde ift die Sünde, durch welche der Menſch ſchon ve
ſchuldet auf die Welt kommt, die Sünde, die nicht im Thun (operari
fondern im Wefen und in der Eriftenz (essentia ef existenti
aus weldyen das Thun mit Nothwendigkeit hervorgeht, liegt. Cie !
eigentlich umfere einzig wahre Sünde, von der alle andern Siinden d
Ereetion — Erfahrung 163
Folge fd. Sie beſteht in der Bejahung des Willens zum Leben. —
Der qciſtliche Mythos läßt fie zwar erft, nachdem bee Menſch fchon
ta wer, entfliehen; dies thut er aber eben ale Mythos. — Daß der
Kath Son verfchuldet auf die Melt kommt, kann nur Dem wiber-
fing erſcheinen, der ihn für erſt fo eben aus Nichts geworden und
für des Werl eines Andern hält. (W. IL, 690 fg. 696.)
2) Erlöfung von der Erbfünde.
Bon der Erbfünde, der Bejahung des Willens zum Leben, erlöfen
ht die guten Werke, fondern einzig und allein die völlige Umgeftaltung
zfers Simes und Weſens, die Wiedergeburt, d. i. die Berneinung
dei Willens zum Leben. Zwiſchen biefen beiben liegt das Moralifche;
& begleitet den Dienfchen als eine Lenchte auf feinem Wege von der
Bejahnng zur Berneinung des Willens. (W. II, 696.)
3) Berwandtfchaft des Dogma von der Erbfünde mit
der Lehre von der Seelenwanderung (S. Metem-
pſychoſe.)
4) Berhältniß des Rationalismus zum Dogma von
der Erbfünde (S. Rationalismus.)
Erection, ſ. unter Genitalien: Unabhängigkeit des Genitalientillens
von der Erkenntniß.)
Erfahrung.
1) Das Medium der Erfahrung.
Tes Medium, in welchem die Erfahrung Überhaupt fich barftellt,
ft die Borftellung, die Erkenntniß, alfo der Intellect. (P. IL, 18 fg.)
2) Die beiden Elemente ber Erfahrung.
Kant hat unwiderleglich gezeigt, daß die Erfahrung überhaupt aus
wei Elementen, nämlicd den Exfenntnißformen und dem Weſen an ſich
er Dinge, erwächſt, und daß fogar beide ſich darin gegen einander
sbgränzen laſſen; nämlich als das a priori und Bewußte und das
ı posteriori Dinzugelommene. (W. II, 203.)
3) Die gefammte Erfahrung als bloße Erfcheinung.
Verl der eine Beſtandtheil der Erfahrung, nämlich der allgemeine,
fermelle und gefegmäßige, a priori erkennbar ift, eben deshalb aber
cf den weſentlichen und gefegmäßigen Yunctionen unſers eigenen In⸗
wllet® beruht, der andere hingegen, nämlich der befondere, materielle
md zufällige, aus der Sinnesempfindung entfpringt; fo find beide
fubjectiven Urſprungs. Hieraus folgt, daß die gefammte Erfahrung,
bit der in ihr fi) darftelenden Welt, eine bloße Erſcheinung,
d. h. ein zunächſt und ummittelbar nur file das es erfennende Subject
Vorhandenes, ift; jedoch weift diefe Erjcheinung auf irgend ein ihr zum
Grunde liegendes Ding an ſich ſelbſt Hin. (P. I, 87.)
4) Bedingte Gültigkeit der Erfahrungsmwahrheit.
Die Wahrheit der Erfahrung ift (nach Kant) nur die Wahrbeit
ciner Gupothefe; würden die suppositiones, bie allen Auffchläfien der
11*
164 Erhaben
Erfahrung zum Grunde liegen (nämlich Subject, Object, Zeit, Raum
Caufalität) weggenommen, fo bliebe auch an allen diefen Aufichlüfien
fein wahres Wort. — Dies heißt: die Erfahrung ift bloße Erſcheinung,
nicht Erlenntniß von Dingen an ſich. (9. 390 fg.)
5) Wichtigkeit des Begriffs für die Erfahrung.
Der äußere Eindrud auf die Sinne, fammt der Stimmung, die er
in uns hervorruft, verjchwindet mit der Gegenwart ber Dinge. Jene
beiden können daher nicht felbft die eigentlihe Erfahrung ausmachen,
deren Belehrung für die Zukunft unfer Handeln leiten jol. Bielmche
wird dieſe erft durch den der Gewalt der Zeit nicht untermorjenen
Begriff vermittelt. (S. Begriff) In ihm muß die : belchrende
Erfahrung niedergelegt fein, und er allein eignet fi) zum fichern Lenk
unferer Schritte im Leben. Er vermag alle Rejultate der Anfchauung
in fi aufzunehmen, um fie, auch nad) dem Tängften Zeitraun, unver;
ändert und unverminbert wieder zurüdzugeben; erft hiedurch entſteht die
Erfahrung (W. DO, 67.) |
Erhaben.
1) Unterfhieb des Gefühls des Erhabenen von dem
des Schönen. |
So lange die Bedeutſamkeit und Deutlichleit der Formen der Natur,
aus denen die in ihnen inbdivibualiftrten Ideen und leicht anfprechen,
es ift, was uns in die äſthetiſche Contemplation verjegt; fo lange
ift es blos da8 Schöne, was auf uns wirkt, und Gefühl der
Schönheit, was erregt wird. Wenn nun aber eben jene Gegen
ftäinde, deren bebeutfame Geftalten uns zu ihrer reinen Contemplatie
einladen, gegen ben menfchlichen Willen ein feindliches Berhälif
baben, ihm entgegen find, durch ihre allen Widerftand aufhebende Leber
macht ihn bebroßen, oder vor ihrer unermeßlichen Größe ihn bis zum
Nichts verfleinern; der Betrachter aber dennoch nicht auf dieſes ſich
aufdringende feindliche Berhältnig zu feinem Willen feine Aufmerkjanilet
richtet, fondern fih mit Bewußtfein davon abwendet und jeme dem
Willen furchtbaren Gegenftände als reines willenlofes Subject des Er—
kennens ruhig contemplirt, ihre Idee allein auffaffend, folglich dadurch
‘ über fi, feine PBerfon, fein Wollen und alles Wollen Hinausgehoben
wird; — dann erfüllt ihn das Gefühl des Erhabenen. Was alſo
das Gefühl des Erhabenen von bem des Schönen unterjcheidet, if
dieſes, daß bei letzterem das reine, willenlofe Erkennen ohne Kampf die
Oberhand gervonnen bat, hingegen bei erfterem der Zuftand des reinen
Erkennens allererft gewonnen ift durch ein bewußtes und gewaltjames
Losreißen von den als ungünftig erfannten Beziehungen des Objects
zum Willen. (28. I, 237.)
2) Grabe des Erhabenen.
Da bas Gefühl des Exrhabenen mit dem des Schönen in ber Haupt:
face, dem reinen willensfreien Erkennen ber Ibeen, Eines ift und nur
durch einen Zufag, nämlich die Erhebung über das erlaunte feindliche
Erinnerung — Eriſtik 165
Berholtiß des contemplirten Objects zum Willen ſich vom Gefühl des
Z chösen unterfcheidet; fo entftehen, je nachdem diefer Zufat ftarf, laut,
dringend, nah, oder nur fchwach, fern, bios angedentet ift, mehrere
Grade des Exrhabenen, ja, Uebergänge vom Schönen zum Erhabenen.
S. J, 239 ff. 9. 361 fg.)
3) Arten des Erbabenen.
Der Eindruck des Erhabenen kann entftehen beim Anblid einer dem
Jadividuo Bernidhtung drohenden, ihm überlegenen Macht; er kann
aber auch entftehen bei der Vergegenwärtigung einer bloßen Größe in
Raum und Zeit, deren Uuermeflichkeit das Individuum zu Nichts
terfleinert. Wir fünnen, Kants Benennungen und feine richtige Ein-
tkealung beibehaltend, die erftere Art das Dynamifch-, die zweite
des Mathematijch-Erhabene nennen. (W. I, 242g. 9. 363.)
4) Das ethiſch Erhabene,
Auf das Ethiſche angewendet bezeichnet das Prädicat „erhaben‘ den
echaberen Charakter. Dieſer entipringt daraus, daß der Wille den
Nenſchen und dem Scidfal gegenüber nicht erregt wird durch Gegen-
finde, welche allerdings geeignet wären, ihn zu erregen; fondern das
Irlennen aud) hierbei die Oberhand behält. Der erhabene Charakter,
ke Dienfchen rein objectiv betrachtend, ift frei von Haß ımb Neid.
W. ], 244.)
5) Das Oegentheil des Erhabenen.
Tas eigentliche Gegentheil bes Erhabenen iſt das Meizenbe,
iV. I, 244. Bergl. da8 Reizende.)
Erinnerung, |. Gedächtniß.
Eris.
Eine Hauptquelle des allem Leben wefentlichen und unvermeiblichen
Leidens ift, ſobald e8 wirklich und im beftimmter Geftalt eintritt, die
Eris, der Kampf aller Indivibuen, der Ausdrud des MWiderfpruchs,
mit welchem der Wille zum Leben im Innern behaftet ift. In dieſem
sriprünglichen Zwielpalt Tiegt eine unverfiegbare Duelle des Leidens,
og den Borkehrungen, die man dagegen getroffen hat. (WW. I, 393.)
Eriftik.
1) Definition der Eriftit.
Die Eriſtik ıft die Technik des Disputirens. (W. IL, 112.)
Ta jedes auf Erforfchung der Wahrheit gerichtete Gejpräc mit Andern
wegen der Berfchiedenheit ber Individualitäten leicht in die Kontro-
verfe umb wegen der Unreblichkeit der Menſchen leicht in Rechthaberei
übergeht; jo muß man, um regelrecht zu disputiren und befonders um
den Schlichen und Kniffen der Rechthaberei zu begegnen, gewiſſe for-
male Regeln innehaben und anwenden. Die Theorie diefer Regeln
M die Eriftil ober eriftifche Dialektik. Sie ift alfo die geiftige
Schtfunft, in Regeln gebracht. (PB. U, 27 ff. 9. 3 ff.)
166 Erkenntniß
2) Inhalt der Eriſtik.
Die Eriſtik enthält erſtens die Darſtellung des Weſentlicher
jeder Disputation, das abſtracte Grundgerüſt, gleichſam das Sleler
der Kontroverſe überhaupt. (P. II, 28—30. H. 11—14.) Zweiten:
enthält fie die begriffliche Darlegung der Stratagemata (Kunſtgrifft
denen ſich die Disputivenden inftinctiv zu bedienen pflegen. (PB. 30 fi
H. 14—35.) Dieſe Stratagemata nehmen als eriſtiſch-dialektiſch
Figuren die Stelle ein, welche in der Logik die fyllogiftifchen, und u
der Rhetorik die xhetorifchen Figuren ausfüllen, mit welchen beiden fü
das Gemeinfame haben, daß fie gewifjermaßen angeboren find, indem
ihre Praris der Theorie vorhergeht, man aljo, um fie zu üben, nidı
erft fie gelernt zu haben braucht. (P. O, 27.)
Erkenntniß,
1) Woher das Bedürfniß der Erfenntniß überhaugt
entftebt.
Die Nothwendigkeit, oder das Bebürfnig der Erkenntniß über-
baupt entfteht aus der Bielheit und dent getrennten Dafein ber
Mefen, alfo aus der Individuation. Denn denkt man fich, es ja
nur ein einziges Wefen vorhanden; fo bedarf ein folches Feiner Cı-
fenntniß, weil nichts da ift, was von ihm felbft verſchieden wäre, und
defien Dafein es daher erſt mittelbar, durch Erkenntniß, d. 5. Bil
und Begriff, in fi aufzunehmen hätte. (W. II, 310.) |
2) Grund» und Urform der Erfenntnif. |
Die Srund- und Urform alles Erkennens ift Das, was man ak
das Zerfallen in Subject und Object, in ein Erlennenbes m
Erfanntes, bezeichnet, alfo da8 Bewußtjein. (P. I, 89; IL, 2391.
Bergl. Bewußtfein.)
3) Phyfiologifhe und metaphyſiſche Anſicht der Er-
kenntniß.
Die ganze Form des Erkennens und Erkanntwerdens iſt blos durch
unfere animale, mithin ſehr ſecundäre und abgeleitete Natur bedingt,
alſo keineswegs der Urzuſtand aller Weſenheit und alles Daſeins.
(P. OD, 291. W. U, 564.) Das Erkennen gehört als Thätigkeit des
Gehirns, mithin als Function des Organismus, der bloßen Cr:
fheinung an. (W. UI, 565.) Die Erfennbarkeit überhaupt, mit
ihrer wmefentlichften, baher ſtets nothwendigen Form von Subject und
Object, gehört blos der Erfheinung an, nicht dem Wefen an fih
der Dinge. Wo Erkenntniß, mithin Borftellung ift, da ift auch nur
Erſcheinung, und wir ftehen dafelbft fchon auf dem Gebiete der
Erfheinung (W. U, 735 fg.) Aber, obgleich das Erkennen als
Function des Organismus zur Erfcheinung gehört, fo gehört es doch
zur Erfcheinung des Dinges an ſich, d. i. des Willens; auch in
ihm objectivirt fich der Wille und zwar als Wille zur Wahrnehmung
der Außenwelt, aljo als ein Erlennenwollen. Go groß und funde-
mental daher auch der Unterfchied des Wollens vom Erkennen ift, jo
Erkenntniß 167
bleibt democh das letzte Subſtrat Beider das ſelbe, nämlich der Wille,
als des Weſen an ſich der ganzen Erſcheinung; das Erkennen aber,
der Irtellect, welcher im Selbſtbewußtſein fi) durchans als das
Secradäre darſtellt, iſt nicht nur als fein Accidenz, ſondern auch als
ſein Werl auzuſehen und alſo durch einen Umweg doch wieder auf ihn
aridaführen. Phyſiologiſch angeſehen iſt das Erkennen eine
fanction eines Organs des —* des Gehirns, metaphyſiſch hin⸗
en iſt es Objectivation des Willens und zwar bes Willens zu
rtennen. (W. IL, 293.)
4) Zwed der Erkenntniß. (S. unter Bewußtfein: Ur⸗
ſprung und Zweck bes Bewußtſeins.)
5) Beſtandtheile der Erkenntniß.
Die Erkenntniß Hat einen formellen und materiellen Beſtandtheil.
2 Angeborene, baher Apriorifche und von der Erfahrung Unabhängige
fers gefammten Erfenntnißvermögens macht ben formellen Theil
u. (Bergl. Apriori.) Alles Bingegen, was fich nicht auf dieſe
hective Form, felbfteigene Thätigkeitsweiſe, Function bes Intellects
nädführen läßt, mithin der ganze von außen, d. h. aus der von der
amesempfindung ausgehenden objectiven Anſchauung kommende Stoff
Bet den materiellen Theil der Erkemtniß. (©. 115.)
6) Arten der Erfenntniß.
Es giebt zwei grundverfchiedene Arten der Erkenntniß. Die eine tft
w den Sat vom Grunde unterworfene, die andere bie von dieſem
Sape abhängige. Die erftere ift die gemeine, d. i. die dem Willen
ienende Erkenntniß, zu ber auch noch die Wiſſenſchaft gehört, die
A nur durch Höhere ſyſtematiſche Form von der gemeinen Erkenntniß
aterjcheidet; die zweite iſt bie willens freie Erkenntniß. Gegenftand
⁊ erſteren find die einzelnen Dinge und ihre Relationen zu einander
id zum Willen, Gegenitand der lebtern die Ideen. Subject ber
Ben iſt das Individuum, Subject der Iettern das reine Sub-
ct des Erkennens, da8 Genie (W. L 181. 208 ff. Bergl.
sh Idee und Genie.)
Tie den Sak vom Grunde unterworfene Erfenntniß bat wieber
X Unterarten. Sie zerfällt nämlich in die anſchauende oder
zerſtandes-Erkenntniß und in die abftracte (begriffliche) oder
ernunft-Erkenntniß. (Ueber beide vergl. Anfhauung und
"tgriff.)
7) Grade der Erkenntuiß.
Das Erkennen wird um fo bdentlicher, um fo veiner, um fo objec⸗
er, je mehr in der auffleigenden Thierreihe der Intellect fich entwidelt,
llonınener wird, und je mehr dadurch das Erkennen ſich vom
&ollen fondert. In dem Maafe, als in der auffteigenden Thierreihe
8 Nerden⸗ und das Muskelſyſtem fich immer beutlicher von einander
ſondern, bis das erftere in den Wirbelthiexen und am volllommenften
m Menſchen fich in ein organifches und cerebrales Nervenſyſtem
168 Erkenntniß
ſcheidet und dieſes wieder ſich zu dem überaus zuſammengeſetzt
Apparat von großem und Meinem Gehirn, verlängertem und Rücke
Mark, Eerebral- und Spinal-Rerven, fenfibeln und notorifchen Nerv:
bündeln fteigert; in demjelben Maaße fondert fih im Bewußtſe
immer deutlicher das Motiv von dem Willensact, den es Hervc
ruft, alfo die Borftellung vom Willen, und daburd nun nimmt |
Dbjectivität des Bewußtſeins beftändig zu, indem die Borftellung
fi) immer deutlicher und reiner darin darftellen. Die Objectivität i
Erkenntniß, und zunädft der anfchauenden, Hat unzählige Grade, |
auf der Energie des Intellects und feiner Sonderung vom Bill
beruhen und deren höchfter da8 Genie if. (W. II, 329 fg. NR. 74—7i
8) Objectiver Gehalt der Erfenntniß.
Je mehr Nothmwendigkeit eine Erkenntniß mit fich führt, je mehr
ihr von Dem ift, was fich gar nicht anders denken und vorftel
läßt — wie 3. B. die räumlichen Berhältniffe —, je Härer und
nügender ſie daher ift; defto weniger rein objectiven Gehalt Bat
oder defto weniger eigentliche Realität ift in ihr gegeben; und ut
gelehrt, je Mehreres in ihr als vein zufällig aufgefaßt werden mu
je Mebreres fi) uns als blos empirisch gegeben aufdringt; deſto mı
eigentlich Dbjectives und wahrhaft Reales ift in folder Erkenntui
aber auch zugleich defto mehr Linerflärliches, d. h. aus Anderm ni
weiter Ableitbares. (W. I, 145.)
9) Warum e8 fein Erkennen des Erfennens giebt. |
Das vorftellende Ich, das Subject des Erkennens kann, da *
nothwendiges Correlat aller Vorſtellungen, Bedingung bderfelben ı
nie felbft Vorſtellung oder Object werden. Daher aljo giebt es &
Ertennen des Erkennens; weil dazu erforbert würde, daß d
Subject fil vom Erkennen trennte und nun doch das Erkennen |
fennte, was unmöglid if. (G. 141.)
Unfere Erkenntniß jieht, wie unfer Auge, nur nad außen und ni
nach innen, fo daß, wenn das Erkennende verfucht, fich nad) innen
richten, um fich felbft zu erkennen, e8 in ein völlig Dunfeles blickt,
eine günzliche Leere gerät. (P. II, 47.) Richtet fih das Subj
des Erkennens nad) innen, fo erkennt es zwar den Willen, weldyer
Bafis feines Wefens ift; aber Dies ift für das erfennende Subj
doch feine eigentliche Selbfterfenntniß, fondern Erkenntniß eines Ande
von ihm felbft noch Verfchiebenen, welches nun aber, ſchon als €
fanntes, fogleich nur Erſcheinung if. (P. II, 48. W. OL, 294.)
(Vergleiche auch unter Bewußtfein: Beſchräukung des Bewußtſei
auf Erjcheinungen.) |
|
10) Einfluß des Willens auf die Erfenntnif. Ä
Auf der Identität des erfennenden mit dem wollenden Subject ben!
der Einfluß, den der Wille auf das Erkennen ausübt, indem er
Erkenntniß 169
uöthet, Vorſtellnngen, die demſelben ein Mal gegenwärtig geweſen,
zu wiederholen, überhaupt die Aufmerkſamkeit auf dieſes oder jenes zu
richten und eine beliebige Gebankenreihe hervorzurufen. Der Wille ift
auch der heimliche Lenler der jogenannten Ideenaſſociation. (©. 145 fg.
Bel Gedanken⸗Aſſociation.)
Der Einfluß des Willens auf die Erkenntniß zeigt fich ferner beſonders
darin, daß jeder Affeet, oder Leidenfchaft, die Erkenntniß trübt und
verfälicht, ja, jede Neigung oder Abneigung nicht etwa blos das Ur-
:heil, fondern ſchon bie urſprüngliche Anſchauung der Dinge ent
ftelt, färbt, verzerrt. (W. II, 424 |g.)
11) Einfluß der Erkenntniß auf den Willen. (©. Beſ⸗
ſerung, und unter Charakter fiehe: Aufhebung bes Cha⸗
rakters.)
12) Einfluß der Erkenntniß auf den Grab der Em—
pfindung und des Leidens.
Wie die Erſcheinung des Willens vollkommener wird, fo wird aud)
das Leiden mehr und mehr offenbar. In der Pflanze ift nod) feine
Senſibilität, alfo Fein Schmerz; ein gewiß fehr geringer Grad von
Yeiden wohnt den unterften Thieren, den Infuforien und Radiarien
an; fogar in den Inſekten ift die Fähigkeit zu empfinden und zu leiden
noch bejchränft; erft mit dem vollfommenen Nerveufyften der Wirbel-
tiere tritt fie in hohen Grade ein, und in immer höherem, je mehr
die Intelligenz ſich entwidelt. In gleichem Maaße alfo, wie die Er:
kenntniß zur Dentlichleit gelangt, das Bewußtſein fich fteigert, wächſt
andy die Dual, welche folglich ihren höchften Grad im Menſchen er-
racht, und dort wieder um fo mehr, je deutlicher erfennend, je intelligenter
der Menfch if. Der, in welchem ber Genius Lebt, leidet am meiften.
(®. I, 365 fg.) Die Klarheit der Intelligenz erhöht, mittelft der
Iebhafteren Auffaffung der äußern Umftände, bie durch diefe hervor⸗
gerufenen Affecte. Daher z. B. laſſen ſich junge Kälber ruhig auf
einen Wagen paden und fortfchleppen; junge Löwen aber, wenn von
der Mutter getrennt, bleiben fortwährend unruhig und brüllen unab-
iäfig; Kinder im einer ſolchen Lage würden ſich faft zu Tode fchreien
und quälen. Auf dieſem Verhältniß beruht es, daß der Menſch über-
haupt viel größerer Leiden fühig ift, als das Thier; aber auch größerer
Freudigkeit, in den befriedigten und frohen Affecten. Ebenfo macht der
erhöhte Intellect ihm die Langeweile fühlbarer, als dem Thier, wird
aber auch, wenn er individuell fehr vollkommen ift, zu einer uner⸗
Ihöpflichen Quelle der Kurzweil. (W. II, 317 fg. B.II, 315—318.)
Die Steigerung des Schmerzes mit der Erhöhung der Erfenntnif-
traft im Menſchen läßt fi auf ein allgemeineres Geſetz zurüdführen.
Erfenutniß ift, an fich felbft, ſtets ſchmerzlos. Der Schmerz trifft
alein den Willen und befteht in der Hemmung, Hinderung, Durd-
treuzung deſſelben; dennoch ift dazu erfordert, daß diefe Hemmung bon
ver Erkenntniß begleitet ſei. Wie nämlich das Licht ben Raum nur
170 Erkenntnißgrunnd — Grflärung
bann erhellt, wann: Gegenftände da find, es zurückzuwerfen; wie ber
Ton ber Refonanz bedarf; — eben fo nun muß die Hemmung des
Willens, um ald Schmerz empfunden zu werben, von der Erkenntniß,
welcher doch, an ſich felbft, aller Schmerz fremd iſt, begleitet fein.
(P. I, 319.)
13) Worin die Keife der Erfenntnig befieht und
woburd fie bedingt tft.
Die Reife der Erfenntniß, d. 5. die Vollkommenheit, zu der dieſe
in jedem Einzelnen gelangen kann, befteht darin, daß eine genaue Ber-
bindung zwiſchen feinen fämmtlichen abftracten Begriffen und feiner
anſchauenden Auffaffung zn Stande gekommen fei; fo daß jeder feiner
Begriffe, unmittelbar oder mittelbar, auf einer anfchaulichen Baſis ruhe,
als woburch allein derfelbe realen Werth hat; und ebenfallg, daß er
jede ihm vorlommende Anfchauung dem richtigen, ihr angemeflenen
Begriff zu fubjumiren vermöge. Dieſe Reife ift allein da8 Werk der Er-
fahrung und mithin der Zeit; fie ift ganz unabhängig von der fonftigen,
größern, ober geringern Vollfommenheit der Fähigkeiten eines \Jeden,
als welche nicht auf dem Zuſammenhange der abftracten und intw:
tiven Erkenntniß, fondern auf dem intenfiven Grade Beider berußt.
(PB. IL, 668.)
Erkenntnißgeund, |. Grund.
Erklärung.
1) Brincip und Begriff aller Erflärung.
Der Satz vom Grunde ift das Princip aller Erflärung; denn eine
Sache erklären heißt ihren gegebenen Beftand, oder Zuſammenhang
zurüdführen auf irgend eine Geftaltung des Satzes vom Grunde, der
gemäß er fein muß, wie er if. (©. 156. W. I, 88.) Die Nad)
weifung des Berhältnifjes der Erfcheinungen zu einander, gemäß dem
Sag vom Orunde und am Leitfaden des durch ihn allein geltenden
und bedeutenden Warum heit Erklärung. (W. I, 95.)
2) Gränze der Erflärung.
- Die Erflärung kann nie weiter geben, als daß fie zwei Borftellungen
zu einander in dem Berhältniffe der in der Klaſſe, zu der fie gehören,
herrfchenden Geftaltung des Sapes vom Grunde zeigt. Iſt fie dahın
gelangt, jo kann gar nicht weiter Warum gefragt werden; denn das
nachgewiefene Verhältniß ift dasjenige, welches jchlechterdings nicht
anders vorgeftellt werden Tann, d. h. es ift die Form aller Erkennmiß.
Daher frügt man nit, warım 2+2=4 ift; oder warum auf
irgendeine gegebene Urfache ihre Wirkung folgt; oder warum aus der
Wahrheit der Prämifien die der Conclufion einleuchtet. Jede Er-
Märung, die nicht auf ein Berhältniß, davon weiter fein Warıım gefordert
werben Tann, zuriidführt, bleibt bei einer angenommenen qualitas occulta
ſtehen; diefer Art ift aber auch jede urfprüngliche Naturkraft. Bei
einer folhen muß jede naturwiffenfchaftliche Erklärung zuletzt ftchen
Erlbſung — Ernſt 171
bleiben, alſo bei einem völlig Dunkeln. (Vergl. Aetiologie.) — Jede
nach dem Leitfaden des Satzes vom Grunde gegebene Erklärung iſt
inmer nur relativ; fie erflärt die Dinge in Beziehung aufeinander,
tät aber immer Etwas unerflärt, welches fie ſchon vorausſetzt. Dieſes
iſt . 8. in der Mathematif Raum und Zeit; in der Mechanik, Phyſik
ua Chemie die Materie, die Qualitäten, bie urjprünglichen Sräfte,
die Raturgefete; in der Botanif und Zoologie die Verjchiedenheit der
Species und das Reben felbft; in der Geſchichte das Menſchengeſchlecht,
mit allen feinen Eigenthümlichkeiten des Denkens und Wollens; — in
allen der Sat vom Grunde in feiner jedesmal anzumendenden Ge⸗
faltung. (W. I, 96 fg.)
3) Segenfag zwifhen phyfifcher und metaphyſiſcher
Erflärung.
Weil jegliches Weſen in der Natur zugleih Erfcheinung und
Ding an fich ober auch natura naturata und natura naturans ifl;
jo ıft e8 demgemäß einer zweifachen Erklärung fähig, einer phyſiſchen
md emer metaphyfiichen. Die phyſiſche ift allemal aus der Ur-
(ade; die metaphyſiſche allemal aus dem Ding an fich, dem Willen.
P. I, 98 fg. 101.)
(Ueber die Erklärung ber Erfcheinungen ans den Ur ſachen fiche
Aetiolog ie.)
Erlöfung, ſ. Chriſtenthum und Erbſünde.
Ersährung.
Das ganze Leben ift burch und durch ein fleter Wechfel der Materie
unter dem feften Beharren der Form, umd eben das ift die Bergäng-
tihfet der Individuen bei der Umnvergänglichkeit der Gattung. Die
beftändige Ernährimg und Reproduction ift alfo nur bem Grade nad
ven der Zeugung, und die befländige Ereretion nur dem Grade nad)
vom Tode verſchieden. Der Ernährungsproceß ift ein ſtetes Zeugen,
ver Zeugungsproceß ein höher potenzirtes Ernähren. Andererfeits ift
—— das ſtete en und Abwerfen von Materie das
Selbe, was in erhöhter Potenz der Tod, der eufa der un
ft. (B. I, 326.) Gegerſat ber Zeugung,
Erafi.
1) Der Ernft als Gegeutheil bes Scherzes.
Das Gegentgeil des Ladens und Scherzes ift der Eruſt. Dem-
gemäß befteht er im Bewußtfein der volllommenen Uebereinſti
und Congruenz des Vegriffs, oder Gedanlens, mit dem Anſchanlichen
Re der Realität. Der Erufte ift überzeugt, daß er die Dinge deuit,
wie fie find, und daß fie find, wie er fie denkt. Eben deshalb iſt der
Ubergang vom tiefen Ernſt zum Lachen fo befonders leicht und durch
Rimgfeiten zu bewerfftelligen, weil jene vom Eruſt angenommene
Uebereinſtimmung, je volllommener fie ſchien, deſto leichter jelbſt durch
tine geringe, unerwartet zu Tage lommende Incongruenz aufacheben
172 Erſcheinung
wird. Daher je mehr ein Menſch ganzen Ernſtes fähig iſt, deſto
herzlicher kann er lachen. (W. I, 108.)
2) Der Eruft als ben "Säwerpuntt des Lebens be-
ftimmend.
Alles kommt zulekt darauf an, wo ber eigentliche Ernſt des
Menſchen liegt. Bei fat Allen liegt er ausſchließlich im eigenen Wehl
und dem der Ihrigen; daher fie dies und nichts Anderes zu fördern im
Stande find, weil eben fein Vorſatz, feine willkürliche und abſichtliche
Anftrengung den wahren, tiefen, eigentlichen Exnft verleiht. Denn et
bleibt ftet8 da, wo die Natur ihm hingelegt bat; ohne ihn aber Tann
Alles nur halb betrieben werden. Wie ein bleiernes Anhängſel einen
Körper immer wieder in die Lage zuritdbringt, die fein durch daſſelbe
determinirter Schmwerpunft erfordert; fo zieht ber wahre Ernſt dei
Menſchen die Kraft und Aufmerkfamfeit feines Intellects immer bahın
zurüd, wo er liegt; alles Andere treibt der Menſch ohne wahren
Ernſt. (W. UI, 438.)
Erſcheinung.
1) Gegenſatz zwiſchen Erſcheinung und Ding an ſich
(S. Ding an ſich.)
2) Die Erſcheinung als Manifeſtation des Dinges
an ſich.
Die Erſcheinung iſt Manifeſtation Desjenigen, was erſcheint, de?
Dinges an ſich. Dieſes muß daher fein Weſen und feinen Charakter
in der Erfcheinungswelt ausdrücken, mithin folcher aus ihm herauf
zubeuten fein, und zwar aus dem Stoff, nicht aus der bloßen Forn
der Erfcheinung. (W. II, 204.) In der objectiven, d. 5. im de
Erfcheinungsmelt kann ſich nichte darftellen, was nicht im Weſen in
Dinge an fich, alfo in dem der Erſcheinung zum Grunde Tiegenden
Willen, ein genau den entiprechend modificirtes Streben hätte. Denn
die Welt al8 Borftelung kann nichts aus eigenen Mitteln Tiefern, chen
darum aber auch kann fie Fein eitles, müßig erſonnenes Mährchen
auftiſchen. Die endloſe Manuigfaltigkeit der Formen und ſogar der
Fürbungen der Pflanzen und ihrer Blüten muß doch überall der Ans
drud eines eben fo mobificirten fubjectiven Weſens fein; d. h. der
Wille als Ding an fi, der fich darin darftellt, muß durch fie genan
abgebildet fein. (P. II, 188 fg.) So weit die Dinge a priori be—
ftimmbar ‚find, gehören” fie der bloßen Erſcheinung Vorſtellung) an,
hingegen in dem Maaße, als fie empiriſchen, apoſterioriſchen Ge
haltes find, offenbart ſich in ihnen das Ding an fi, der Wille. (N. 86.)
Die empirifchen Eigenfchaften (oder vielmehr die gemeinfame Duelle
derfelben) verbleiben dem Dinge an fich felbft, ala Aeußerungen ſeines
felbfteigenen Wefend durch das Medium der apriorifchen Formen hir
durch. (P. I, 98.) Zwar nicht in den Kigenfchaften, weder den
apriorifchen, nod) den empirifchen, ftellt ſich das Weſen des Dinge?
an fid) dar, da ja auch die empirischen Eigenſchaften, als durch die
Sinnesempfindung bedingt, noch fubjectiven Urfprungs find; wohl
Erſcheinung 173
aber müffen die ſpeciellen und individuellen Unterſchiede dieſer
Eiaihaften, die Unterfchiebe im Allgemeinen genommen, irgendivie
cin Ansorud des Dinges am ſich fein; 3. B. weder die Geftalt, noch
die Farbe der Roſe, wohl aber Dieſes, daß die eine ſich in rother,
die andere fich im gelber Farbe darſtellt; ober nicht die Form, noch
tie Farbe des Menfchengefichts, aber, daß der Eine diefe, der Andere
rue Phyſiognomie hat. (P. I, 99 fg. M. 594.)
3) Das Srundgerüft der Erfcheinung.
Tie Erfcheinungswelt (die Welt als Borftellung, die objective Welt),
kat zwei Kugel Pole: nämlich das erfennende Subject ſchlechthin und
die reine, formlofe Materie. Man kann die Beharrlichkeit der Materie
ketrachten als den Reflex der Zeitlofigfeit des reinen, ſchlechthin als
Bedingung alles Objectd angenommenen Subjectd. Beide gehören der
Erſcheinung an, nicht den: Dinge an fi), aber fie find das Grund-
gerüft der Erfcheinung. Beide werden nur durch Abftraction herans-
gefunden, find nicht unmittelbar und für fi; gegeben. (W. II, 18.)
Tie Erfenntnig und die Materie (Subject und Object) find mur relativ
für einander und machen die Erſcheinung aus. (NR. 21. W. II,
%—22.) Das Object- für ein Subject-Sein ift die erfte und all»
gemeinfte Form aller Erſcheinung. (W. I, 206.)
4) Unterfchied zwifchen der unmittelbaren und mittel»
baren Erjcheinung.
Obwohl Alles Object Erfcheinung ift, fo ift doch ein Unterfchied zu
mahen zwifchen ber urfprünglichen, unmittelbaren Objectität
Sichtbarkeit) und der mittelbaren, fecundären. Zu jener gehören
die Ideen, (f. dee), zu diefer die einzelnen Dinge. Das
einzelne, in Gemäßheit des Gates vom Grunde erfcheinende Ding ift
nur eine mittelbare Objectivation des Dinges an fich (welches der
Hille iM), zwifchen welchem und ihm noch die Idee ſteht, als bie
ofleinige unmittelbare Objectität des Willens, indem fie feine au⸗
dere dem Erkennen als ſolchem eigene Form angenommen hat, als die
der Borftellung überhaupt, d. i. des Objectfeins für ein Subject. Tie
‚bee allein ift die möglihft adäquate Objectität des Willens ober
Tinges an fich, die einzelnen Dinge hingegen find feine ganz abäguate
Ihjectität des Willens, fondern diefe ift hier ſchon getrübt durch jeme
Aormen, deren gemeinjchaftlicher Ausdrud der Eat vom Grunde ift.
®. I, 206; DO, 414 fg.) Während die Individuen, im Denen die
Idee fich darftellt, unzählige find und unaufhaltfans werden uud ver-
gehen, bleibt die Idee unverändert als die eine und jelbe fichen, mund
dr Sag vom Grunde hat für fie feine Bedeutung :B. I, Zum,
5) Nothwendigkeit der Erfheinungen.
Die Erfcheinung ift durchweg dem Sa vom Grunde unterwerien
m feinen vier Geſtaltungen. (5. Grund.) Te nun Reihwendig-
feit durchaus identifch ift mit Folge ans gegebenem Grunde, uns
tades Wechſelbegriffe find (j. Rotgwendigleit,; fo iſn Allee, was
174 Erſtaunen — Erziehung
zur Erſcheinung gehört, d. h. Object fir das erkennende Subject i
einerſeits Grund, andererſeits Folge, und in dieſer letztern Eigenſcha
durchweg nothwendig beſtimmt, kann daher in keiner Beziehung ande
fein, ala es if. Der ganze Inhalt der Natur, ihre gefammten E
ſcheinungen, find alfo durchaus nothwendig, und die Nothwendigft
jedes Theile, jeder Erſcheinung, jeder Begebenheit, läßt ſich jedesm
nadhweijen, indem der Grund zu finden fein muß, von dem fie a
Folge abhängt. Dies leidet Feine Ausnahme; es folgt aus der und
fchräntten Gültigkeit des Sates vom Grunde innerhalb des Gebiet
der Erſcheinung. (W. I, 338.)
Erflaunen, |. Berwunderung.
Erziehung.
1) Segenfag zwifhen Erziehung und Abrichtun,
(S. Abrichtung.)
2) Gegenfag zwifchen der natürlihen und künftlide
Erziehung.
Der Natur unſers Intellects zufolge follen die Begriffe dm
Abftraction aus den Anſchauungen entftehen, mithin diefe frük
dafein, als jene, Bei Dem, der blos die eigene Erfahrung zum Lehre
und zum Buche hat ift diefes wirklich der Fall; er weiß daher, weld
Anſchauungen es find, die unter jeden feiner Begriffe gehören und vo
bemfelben vertreten werden, er kennt Beide genau umd behandelt bemnad
alles ihm Vorkommende richtig. Es ift dies der Weg der natür
lichen Erziehung.
Den entgegengefegten Weg fchlägt die künſtliche Erziehung em
Bei diefer wird durch Vorſagen, Lehren und Leſen, der Kopf voll %t
griffe gepropft, bevor nod) durch Erfahrung eine irgend ausgebreitet
Bekanntfhaft mit der anſchaulichen Welt da if. Die beigebraditu
Begriffe werden daher faljch angewendet, die Dinge und die Menfdri
faljch angefehen und behandelt. So madıt die künſtliche Erzichun|
ichiefe Köpfe und verfchrobene Menſchen. (P. UI, 663.) |
3) Aufgaben der Erziehung.
Dem Gefagten zu Folge ift ein Hauptpunft in der Erziehung, daß di
Belanntfhaft mit der Welt, deren Erlangung als Zwed alle
Erziehung bezeichnet werben Tann, vom rechten Ende angefange!
werde, daß alfo in jeder Sache die Anfhanung dem Begriff!
vorhergehe, ferner ber engere Begriff den weitern, und bag fo Di
ganze Belehrung in der Ordnung gefchehe, wie die Begriffe der Dinge
einander vorausſetzen. Demnach ſoilte man die eigentlich natürlich
Reihenfolge der Erkenntniſſe zu erforſchen fuchen, um dann methodifd
nach derjelben die Kinder mit den Dingen und Verhältniſſen der Well
befannt zu machen. Die Hauptfache bliebe aber immer, daß die An
ſchauungen den Begriffen vorhergiengen, und nicht umgekehrt. (8. 1,513;
U, 664—666.)
Weil eingefogene Irrthümer meiftens unauslöfchlich find umd bie
— &a 175
forte
Ungäsfraft am fpätefen zur Reife foumt, joil man die Kinder bis
um Ichte von allen Lern, werin große Irrthümer fein
fieun, frei erhalten, alle von aller Philoſophie, Religion und allge»
meine Aufschten jeder Art. Mam laſſe die Urtheilskraft, da fie Keife
= Erfahrung werumsfett, mod ruhen mad lähme fie wicht buch
iM,
prah umd fülle es mit dem Befentfichften und Richtigſten in jeder
Art am. (P. I, 666 fg. 349. H. 428 fg.)
Um die Jugend nicht für da® praftifche &eben zu verderben, hat man
iht eine genaue umd gründlide Kenntniß davon, wie es eigentlich
in der Belt hergeht, beizubringen, folglich zu verhüten, daß fie
ht eine falfche, himüriidhe, mit der Wirklichkeit nicht übereinftinnmende
Lebensanſicht aufnehme. Deshalb ift das Leſen von Romanen, mit
Ausnahme weniger, den falſchen Einbildungen entgegenwirkender Romane,
euözufchließen. (P. II, 668 fg.) Auch iſt e8 nachtheilig, die Moralität
ter Zöglinge dadurch befördern zu wollen, daß man fie über die wahre
moralifche Beſchaffenheit der Menſchen täufcht und ihnen Hechtlichkeit
und Tugend ale bie in der Welt allgemein befolgten Marimen darftellt.
Bean dann fpäter die Erfahrung fie, und oft zu ihrem großen Schaden,
ans Andern belehrt; jo lann die Entdedung, daß ihre Jugendlehrer
dıe Erflen waren, welche fie betrogen, nachtheiliger auf ihre eigene
Moralitãt wirten, als wenn diefe Lehrer ihnen das erſte Beifpiel der
<fienherzigkeit und Keblicheit jelbft gegeben und unverhohlen gejagt hätten:
„Tie Welt liegt im Argen, die Menſchen find nicht, wie fiefein follten;
aber laß” es did) nicht irren nnd fei Du beffer.” (E. 193 fg. H. 390.)
4) Gränze der Erziehung.
Die Wirkſamkeit der Erziehung bat fowehl in intellectueller, als in
moralifcher Hinfiht, an dem Angeborenen des Zöglings ihre Gränze.
Ste unfer moraliſcher, jo and) kommt unfer intellectueller Werth nicht
von Außen in uns, fondern geht aus ber Tiefe unſeres eigenen
Beſens hervor, und fönnen feine Veftalozzifche Erziehungskünſte aus
einem geborenen Tropf einen bdenfenden Dienfchen bilden; nie! er ift
als Tropf geboren und muß als Tropf fterben. (P. I, 510.) Aus
der angeborenen Verſchiedenheit des individuellen Charakters iſt es zu
erflären, daß trotz der allergleichſten Erziehung und Umgebung zwei
Kinder dennoch den grundverjchiedenften Charakter an ben Zag legen.
Zo wenig als den angeborenen Geift, eben fo wenig vermag die
riehung den angeborenen Charakter Een. Hatte doch gerade
Nero den Seneka zum Erzieher. (E. 53 fg.)
Esprits forts, ſ. unter Glaube: Schädliche Wirkung früh einge-
prägter Staubenslehren.
eſſen.
Dadurch, daß wir eſſen, fallen wir dem Tode, und dadurch, def
wir zeugen, dem Leben nothwendig anheim. Denn duch das Efien
176 Essentia unb existentia
zerftören wir bie fremde Form, um und ihrer Materie zu bemeiftern;
daher muß, weil alles Lebende beinfelben Geſetze unterliegt, auch unſere
Form wieder zerftört werben, damit ihre Materie wieder andern Formen
zufall. Die Zeugung aber ift bie vollendete Bejahung des Willens
zum Leben, die eben als Leben erjcheinen muß. (HD. 406.)
Essentia und existentia.
1) Berhältniß beider zu einander.
Jede Existentia feßt eine Essentia voraus, db. h. jedes Seientt
muß eben aud Etwas fein, ein beſtimmtes Wefen haben. Es Tann
nicht dafein und dabei doch nichts fein; fondern fo wenig ei
Essentia ohne Ixistentia eine Realität liefert, eben fo wenig vermag
dies cine Existentia ohne Essentia. Denn jedes Seiende muß eine
ihn wefentliche, eigenthilmliche Natur haben, vermöge weldjer es if
was es ift. Eine Eriftenz ohne Effenz läßt ſich nicht einmal denlen.
Hingegen fchließt die bloße Eſſenz noch nicht die Eriftenz ein; dem,
wie ſchon Ariftoteles richtig gefagt hat: „Die Eriftenz kann mie zur
Efienz, das Dafein nic zum Wefen des Dinges gehören.” (€. 51.
P. 1,68. ©. 11. ®. I, 606.)
2) Solgerungen aus dieſem Verhältniß.
Erftens in Bezug auf die Freiheit des Willens: To
jedes Seiende eine, ihm wejentliche eigenthümliche Natur (Effenz) haben
muß, deren Aeußerungen von den Urfachen mit Nothwendigfeit hervor:
gerufen werben, und diefes vom Menſchen und feinem Willen eben je
fehr gilt, wie von allen übrigen Wefen in der Natur, alfo and er
zur Existentia eine Essentia, d. h. grundwefentliche Eigeufchaften hat
die eben feinen Charakter ausmachen und nur der Beranlafjung ve
Außen bedürfen, um hervorzutreten, fo wäre die Erwartung, daß rm
Menſch, bei gleichem Anlaß, ein Mal fo, cin andec Mal aber gaı;
anders handeln werde, gleid) der Erwartung, da der felbe Baum, dir
diefen Sommer Kirfchen trug, im nächften Birnen tragen werde. Die
Willensfreiheit bedeutet, genau betradjtet, eine Existentia ohne Essentia,
welches heit, daß Etwas ſei und dabei doch Nichts fei, meldet
wiederum heißt, nicht fei, alfo ein Widerfprud; iſt. (E. 58. F. |,
68. 134.) |
Zweitens in Bezug auf das Dafein Gottes: Da die
Eſſenz nicht die Eriftenz involvirt, fo ift der ontologifche Bewer
für das Dafein Gottes, welcher aus der Effenz Gottes feine Exit;
folgert, unhaltbar, ift nichts als ein fpitfindige® Spiel mit Begriffen,
ohne alle Ueberzeugungskraft. (W. I, 606.) Der von Anfelm von
Canterbury überkommene Gedanke des Cartefins, daß aus dem bloken
Begriff einer Sadje fid) ihr Dafein folgern laffe, ober mit andern
Worten, daß vermöge der Beichaffenheit oder Definition einer blos ge:
dachten Sache es nothwendig werde, daß fie nicht mehr eine blos gedachte,
ſondern eine wirflich vorhandene fei, diefer auf Gott, als das vollkonmeuſit
Wefen (ens perfectissimum), angewendete Ocdanfe ift falſch. (P. 1, 77.)
Eihit und Ethiſch — Eulolos und Dyglolos 177
3) Iufammenfallen der Eſſenz und Exiſtenz bei der
reinen Materie,
Ta die reine Materie die objectiv aufgefaßte Caufalität ſelbſt ift,
inden ihr ganzes Wefen im Wirken überhaupt befteht, fie felbft
io die Wirkſamkeit (evepyaa—Wirflichleit) der Dinge überhaupt
it, gleichſam das Abftractum alles ihres verfchiebenen Wirkens (vergl.
Raterie); fo läßt fi von der Materie behaupten, daß bei ihr
Existentia und Essentia zufammenfallen und Eines fein; denn fie
bat feine andern Attribute als das Dafein felbft überhaupt und
abgeichen von aller nähern Beitimmung deſſelben. Aber bie reine,
atſtracte Materie ift ein Gegenſtand des Denkens allein, nicht der
Auſchauung. Wir denken unter reiner Materie das bloße
Birken in abstracto, ganz abgefchen von der Art diefes Wirfens,
io die reine Canfalität, und als ſolche it fie uiht Gegenſtand,
ſedem Bedingung ber Erfahrung. (W. II, 52 fg.)
Ethik md Ethifch, |. Moral und Moralife,
Eimmologie, |. Sprade.
Eıdämonologie, ſ. Slüdfäligkeitslchre.
Eukolos und Bpskolos.
1) Worauf der Gegenſatz zwifchen dem Enkolos und
Dyskolos beruht.
Vie im Erkennen, fo iſt auch im Gefühl des Leidens oder Wohl⸗
Imst ein fehr großer Theil fubjectiv und a priori beftinmt. In jedem
Jobipidumm iſt nämlich das Maaß des ihm weſentlichen Frohfinns
oder Trübfinns durch feine Natur ein filr alle Mal beſtimmt, welches
Mack fich gleich bleibt, wie fehr auch die äußern Umftände wechfeln
wögen. Sein Leiden und Wohljein ift demnach nit von außen,
Imdern eben nur durch jenes Maaß, jene Anlage beftummt, melde
war durch das phyſiſche Befinden einige Ab- und Zunahme zu ver-
Ihiedenen Zeiten erfahren kann, im Ganzen aber die felbe bleibt und
nichts Anderes ift, ald was man fein Temperament oder feine Grund-
Kummung nennt. Auf der urfprünglichen Berfchiedenheit diefer beruft
der Platoniſche Gegenſatz zwifchen dem Eukolos und Dystolos,
d. i. zwiſchen dem, ber leichten und dem, der ſchweren Sinnes ift.
B. 1, 372fg. P. I, 345 fg.)
2) Entgegengefegtes Berbalten des Eulolos und
Dystolos,
Rad) gleicher Möglichkeit des glüdlichen und des
ganges einer Angelegenheit wird der Dyslolos beim
örgern, oder grämen, beim glüdlichen aber ſich nicht freuen
leles Bingegen wird über den unglüdlichen ſich wi nicht ärgern,
srämen, aber über ben glüdlichen ſich freuen. ku T
ton ‚che Borhaben neun gelingen, fo freut er * wer über
kadern ärgert ſich ilber das Eine mißlungene; der Eulolos wei
EüopenfauersLeriton. I. 12
ber Eu⸗
noch
dieſe,
iß, im
178 Euthanafie — Ewigkeit
umgelebrten Fall, fi) doch mit dem Einen gelungenen zu tröften un
aufzuheitern. (P. I, 345.) Die Motive, auf welche ber Selbftmor!
erfolgt, find beim Dystolos und Eukolos fehr verfchteden. Ye größer
die Dyskolie ift, ein defto geringerer Aulaß reiht Hin, Lebensiberbruf
und Selbſtmord Herbeizuführen; je aedber Bingegen bie Eulolie if
defto mehr muß im äußern Anlaß liegen, um zum Selbitmorb zu
beftimmen, die Schreden des Todes zu überwinden. (P. I, 346
d. 449 fg.)
3) Borzug des Dyskolos vor dem Eufolos.
Wie nicht leicht ein Uebel ohne alle Compenfation ift, fo ergiebt
fih aud bier, daß bie Dystoloi, alfo die finftern und ängſtlichen
Charaktere im Ganzen zwar mehr imaginäre, dafiir aber weniger real
Unfälle ımd Leiden zu überftehen haben werben, als bie heitern und
forglofen; denn wer Alles ſchwarz fieht, ſtets das Schlimmſte befürchtt
unb bemnach feine Vorkehrungen trifft, wird ſich nicht fo oft verrechet
haben, al& wer ſtets den Dingen bie heitere Farbe und Ausficht lei.
(®. I, 346.)
Euthanafie, |. Tod.
Evidenz.
1) Welchen Sägen Evidenz zukommt.
Sätze von uriprüngricer, alfo durch feinen Beweis vermittelte
Gewißheit, wie fie die Grundwahrheiten aller Wiſſenſchaften ausmachen,
find ſtets entſtanden durch Uebertragung des irgendwie anſchaulit
Aufgefaßten in das Gedachte, Abſtracte. Dieſerwegen heißen ſie ebi⸗
dent, welches Prädicat eigentlich nur ihnen zukommt, wicht aber
blos bewiefeuen Sägen, weldye, als conclusiones ex
nur folgerihtig zu nennen find. (P. I, 23. Vergl. auch Bewei
2) Unterfchiedb zwifchen empirifher und apriorif
Eviden;.
Alle legte, d. h. urſprüngliche Evidenz ift eine anſchauli
dies verräth ſchon das Wort. Demnach iſt fie entweder eine emp
rifche, ober aber auf bie Anſchauung a priori ber Bedingunge
möglicher Erfahrung gegründet. In beiden Fällen Liefert fie u
d
immanente, nicht transfcendente Exrfomtnig. (W. I, 78.)
3) Das Prübdicat „evibent“ unterfhieden von
Prädicaten „richtig“ „„wahr“, real“.
Ein Begriff iſt richtig; ein a wahr; ein Körper real; d
Berhältnig evident. (W. II,
Ewige Gerechtigkeit, f. Beretigteit
Ewigkeit.
1) Begriff der Ewigleit.
Die Ewigkeit ift ein Begriff, dem keine Anfchauung zum ie
liegt; er ift auch deshalb blos negativen Inhalts, befagt nämlich |
Experiment 179
zeitiofed Dafein. (W. II, 551.) Dem von jeher bagewefenen Be⸗
arıft der Ewigkeit liegt das Bewußtſein der Zdealität der Zeit zum
Grade. Die Ewigkeit ift nämlich weſentlich der Gegenſatz ber
Zeit, und fo Haben bie irgend Einſichtigen ihren Begriff auch ſtets
gsi, was fie nur Eomnten in Folge des Gefühls, daß bie Zeit blos
in mferem Intellect, nicht im Weſen der Dinge an fich liegt. Blos
der Umverftand der ganz Unfähigen hat den Begriff der Ewigkeit nicht
arders fi auszulegen gewußt, denn als eine endlofe Zeit. Dies eben
zörhigte die Scholaftiker zu ausbrüdlihen Ausfprüchen, wie: aeternitas
mon est temporis sine fine successio, sed Nunc stans; hatte doc)
ſchon Plato und nah ihm Plotinos gefagt: die Zeit ift dad bewegte
Bib der Ewigkeit (alavog elxav xıvaun 5 xpövos). Man könnte in
dieſer Abficht die Zeit eine auseinandergezogene Ewigfeit nennen und
Darauf die Behauptung ftüten, daß, wenn e8 feine Ewigkeit gäbe, aud)
lie Zeit nicht fein könnte. Seit Kant ift, im felben Sinne, der Be⸗
gi bes außerzeitlichen Seins in die Philoſophie eingeführt
korden; doch follte man im Gebrauch defjelben jehr behutfam fein, de
e zu denen gehört, die fich wohl noch denken, jedoch durch gar Feine
Irkhanung belegen und realifiven lafien. ®. II, 43. ®. I, 207.
30; OH, 551.)
2) Wem Ewigkeit zulommt.
Das Ding an fich bleibt unberührt von der Zeit und Dem, was
sur duch fie möglich ift, dem Entſtehen und Bergehen, iſt Folglich
iwig, eben fo die Ideen. Die Zeit ift blo8 bie vertheilte und zer-
Aldie Anficht, welche ein individuelles Wefen von den Ideen hat,
de auger der Zeit, mithin ewig find. (W. II, 551; I, 207.) Den
zbinduellen Erfheinungen hingegen lommt Ewigkeit wicht zu;
Santen fogar die Erfcheinungen in der Zeit jenes raftlos flüchtige, dem
Fichts zunächſt fiehende Dafein nicht haben, wenn wicht im ihmen ein
Kern aus der Ewigkeit wäre. (W. II, 551.)
3) Woran wir uns der Ewigkeit unfers eigenen in-
nern Weſens bewußt werden.
Je deutlicher Einer ſich der Dee, Nidtigleit uud traum⸗
engen Beſchaffenheit aller Dinge bewußt wird, defle bemtlidher
Pr
H
ud; wie man ben raſchen Lauf feines Schiffes mar 5* dem fehlen
In — dl nicht wenn man in das Schiff feibf fickt.
8
Eiperiment.
1) Der Weg des Experiments.
Der gewöhnliche und meift ber ei — — Weg der Ferichaug
2 kn empirifchen eofjenihafien, wie wir in den de
wıtühen Lebens, ift der, vom der Folge auf deu zugehen,
12*
180 Experiment
welcher Weg ſtets unficher if. Das Erperiment ift fchon ein Berfud
ihn in umgelehrter Richtung zurüdzulegen; daher ift es entſcheiden
und bringt wenigſtens den Irrthum zu Tage, vorandgefett, dai e
richtig gewählt und redlich angeftellt jei. (W. IL, 97.)
2) Wie der ähte Forſcher erperimentirt.
Die, welche bie Fortſchritte der Phyfif ganz von dem Händen, ohn
Zuthun des Kopfes, erwarten, aljo am liebſten blos erperimentire
möchten, ohne dabei zu benfen, meinend, ihr phufifalifcher oder chemiſche
Apparat ſolle ftatt ihrer denken und folle felbft, in der Sprache bloße
Erperimente, die Wahrheit ausfagen, diefe Deuffchenen häufen die Eppen
mente ind Unenbliche und in denfelben wieder die Bebingungen, jo da
nit lauter höchſt complicirten, ja, endlich mit ganz vertradten Grpa
menten operirt wird, alfo mit foldhen, die nimmermehr ein reines u
entſchiedenes Refultat liefern können; während der ächte und jet
dentende Forfcher feine Experimente möglichft einfach einrichtet, um %
deutliche Ausfage der Natur rein zu vernehmen und danach zu ı
theilen. (P. II, 1165.)
3) Arfplangliqhteit bes Erperiments ohne Urtheils
raft.
Auch das Experiment muß wieder beurtheilt werben, ſetzt all
Urtheilöfraft voraus. (W. I, 97.) Wohin Denken ohne Erperima
tiven führt, hat und das Mittelalter gezeigt; aber unfer Dahrhunde
ift beftimmt, uns fehen zu laffen, wohin Experimentiren ohne Dark
führt. Beifpiel: bie unglaublihe Roheit der jetigen mechanilde
Phyſik mit ihrer abfurden Atomiſtik. (PB. U, 119.)
Zur Entdedung der widtigften Wahrheiten wird nicht bie &
obachtung ber feltenen und verborgenen, nur duch Erperiment
darftellbaren Erfcheinungen führen; fondern die der offen baliegende
Jedem zugänglichen Phünomene. Daher ift bie Aufgabe nicht ſowoh
zu fehen, was noch Seiner gefehen bat, als bei Dem, was Jh
fieht, zu denken, was nod Keiner gebadht bat. Darum aud ge
I p viel mehr dazu, ein Philofoph, als ein Phyſiker zu jem
(P. O, 116.) Ä
Zabel — Farbe 181
2
Da miverjellen Analogie und typifchen Identität ber Dinge, vermöge
kam man die heterogenften Dinge an einander erläutern oder veran-
Kanliden Tann, verdankt die Wefopifche Fabel ihren Urfprung.
f$, II, 439.)
Sahgelchrte, der, f. Gelehrſamkeit.
ſatismus
Tie Verwebung der Moral mit mythiſchen Dogmen in den poſitiven
Onmbensiehten — welche Verwebung jeder pofitiven Glaubenslehre ihre
goie Kraft giebt — hat zur Folge, daß die Gläubigen bie Moral
Yan dem mit ihr verwebten Mythos nicht mehr zu trennen vermögen
ud nım jeden Angriff auf ben Mythos für einen Angriff auf Recht
ut Tugend anfehen. Dies geht fo weit, bag bei den monotheiftifchen
Silke Atheismus, oder Gottlofigkeit, das Synonym von Ab:
weienbeit aller Moralität geworben if. Den Brieftern find
Ihe Begriffaverwechfelungen willkommen, und nur in folge berfelben
kenzte jenes furchtbare Ungeheuer, der Fanatismus, eutftehen und
nt ewwa nur einzelne verkehrte und böfe Individuen, fondern ganze
Bühee beherrſchen und zuletzt, was zur Ehre der Menfchheit nur Ein
Re in ihrer Gefchichte bafteht, in diefem Dccibent ſich als Ingui«
fitien verförpern, welche in Madrid allein in 300 Yahren 300,000
Feihen, Glaubensſachen halber, auf dem Scheiterhaufen qualvoll
Feten lich. (W. I, 427, Anmerl. €. 262 fg.)
Sache.
1) Subjectiver Urfprung ber Farbe.
Eine gründliche Betrachtung der Forbe muß von ihr als phyfio-
logiſcher Function ausgehen. Die Farbe bildet im Vergleich zu
ven intellectuellen Theil der Anſchauung ber Körperwelt (vergl. An-
‘Hanung) einen untergeordneten Theil berfelben; denn wie der in«
blectuelle Antheil derſelben bie Function der fo beträchtlichen 3 bis 5
Ha wiegenden Nervenmaſſe des Gehims ift, fo ift die Farbe bie
Fran eines feinen Nervenhäntchens, auf bem Hintergrunde bes
Ingepfels, der Retina, beren befonders mobificirte Thätigfeit fie ift.
De Garde gehört alfo, wie die andern Sinnesempfindungen, zu den
a vor aller objectiven Anfchauung gegebenen Datis, aus denen
m Verſtand die objective Anfchauung wird. Cie ift als Affection
da Auges die Wirkung, welche da ift, auch ohne daß fe auf eine
Urfahe bezogen wir. Das neugeborene Kind empfindet Licht und
Suche, ee es den leuchtenden oder gefärbten Gegenftand als folchen
Mat uud anſchaut. Vadurch, daß wir bie Farbe als einem Körper
auffaffen, wird ihre dieſem vorbergegangene unmittelbare
182 Farbe
Wahrnehmung durchaus nicht geändert; fie ift und bleibt Affection
des Auges. Blos als deren Urfache wirb der Gegenftand angejchaut,
die Farbe felbft aber ift allein die Wirkung, ift der im Auge hervor:
gebrachte Zuftand, und als folder unabhängig von der Anfhauung
des Gegenftandes, der nur für den Berftand da iſt. „Der Körpe
ift roth“ bedeutet demnach, daß er im Auge bie rothe Farbe bewirkt.
(F. 19 fg.)
2) Die äußeren Urfadhen der Yarbe.
Erft nach der Betrachtung ber Farbe als fpecififcher Empfindung
im Auge ift, als eine völlig von ihr verfchiedene, bie der Äußeren
Urfachen jener befondern Mobdificationen ber Lichtempfindbung anja-
ftellen, d. 5. die Betradhtung derjenigen Farben, welche Goethe ſehr
richtig in phnfifche und chemiſche eingetheilt hat. Die genaue Kenntuf
der Farbe als phyfiologifcher Erfcheinung, als Empfindung un Aug,
liefert nämlih Data zur Auffindung der Urſache, d. 5. bes äußen
Keizes, der ſolche Empfindung erregt. Zunächſt nämlich muß überall
zu jeder möglichen Modification einer Wirkung eine ihr genau ent
ſprechende Mobificabilität der Urſache nachweisbar fein; ferne,
wo die Mobificationen der Wirkung keine fcharfen Gränzen gegen
einander zeigen, ba dürfen auch in ber Urſache dergleichen nicht abge
ftedt fein, fondern muß auch hier die ſelbe Allmäligfeit der Uebergänge
fi) vorfinden; endlich, wo die Wirkung Gegenſätze zeigt, da mühe
auch Hiezu die Bedingungen in der Natur der Urfache liegen. Diefem
gemäß liefert die (Schopenhauerfche) Theorie, welche die Farbe an fid
felbft, d. 5. als gegebene fpecififhe Empfindung im Auge betrfl,
Data a priori an die Hand zur Beurtheilung der Newtonifchen mb
Götheſchen Lehre vom Objectiven der Farbe, d. h. von da
äußeren Urfachen, die im Auge folde Empfindung erregen. (F. 2.
®. ID, 191g.)
8) Orundfehler ber bisherigen Sarbentheorien.
Mewton's Fundamentalverſehen war, daß er, ohne die Farbe old
Wirkung im Auge irgend genau unb ihren innern Beziehungen nad
kennen zu lernen, voreilig zur Auffuchung der äußern Urſache derſelben
ſchritt. Jedoch ift das felbe Verſehen allen Farbentheorien, von de
älteften bis auf bie Götheſche, gemeinfam; fte alle reden blos davon,
welche Modification ber Oberfläche ein Körper, oder welche Modification
das Licht, fei e8 durch Zerlegung in feine Beſtandtheile, fei es durch
Trübung, ober fonftige Verbindung mit dem Schatten, erleiden muf,
um Farbe zu zeigen, d. h. um jene fpecififhe Empfindung im Auge
zu erregen, die fidy nicht befchreiben, ſondern nur finnlich nachweiſen
läßt; während offenbar der vechte Weg ber ift, fich zunächſt am dieſt
Empfindung felbft zu wenden, um zu exforfchen, ob nicht auß ihrer
Beichaffenheit und Geſetzmäßigkeit ſich heraus bringen ließe, worin fit
— für ſich, alſo phyſiologiſch, beſtehe. (F. 21. P. U,
g.
Farbe 183
4) Weſen der Farbe.
Uster Einwirkung bes Lichtes, ober bes Weißen, iſt bie Retina in-
voller Thätigkeit, mit Abweſenheit jener beiden aber, d. h. bei
Aufersiß, oder Schwarz, tritt Unthätigkeit der Retina ein. Die
Garde fiegt zwifchen biefen beiben, zwifchen Schwarz und Weiß,
weihe felbft feine eigentlichen Yarben find. Die Farbe ift nämlich die
gaalitatin getheilte Thätigleit der Retina. Die Berfchieden-
pet ber Farben ift das Nefultat der Berfchiebenheit ber qualitativen
Säfften, in welche dieſe Thätigkeit anseinandergehen Tann, und ihres
Berhältuifjes zu einander. Gleich Lünnen diefe Hälften nur Ein Mal
kin, und dann ftellen fie das wahre Roth und das volllommene Grün
ir. Ungleich fünnen fie in unzähligen Berhältnifien fein, und daher
R die Zahl der möglichen Farben ımenblih. Jede einzelne Farbe ift
ein beſtimmter Zablenbruch der vollen Thätigfeit der Retina. Jeder
derbe wird, nad) ihrer Exrfcheinung, ihr im Auge zuridgebliebenes
Ssmplement zur vollen Thätigleit der Retina als phyſiolo⸗
Hs Spektrum nachfolgen. Dies gefchieht, weil die Nervennatur
kr Retina es mit ſich bringt, daß, wenn fie, durch die Beſchaffeuheit
aus änfern Reizes, zur Teilung ihrer Thätigkeit in zwei verfchiebene
Hälften genöthigt worben ift, dann ber vom Weiz herborgerufenen
hälfte, nad) Wegnahme defielben, bie andere von jelbft nachfolgt.
Juden nämlich die Retina den natürlichen Trieb bat, ihre Thätigkeit
gen; zu äußern, fucht fie, nachdem fie auseinandergerifien war, fie
wieder zu ergänzen. Kin je größerer Theil der vollen Thätigkeit der
Stine eine Farbe ift, ein defto lleinerer muß ihr Komplement zu dieſer
Zhitigleit fein; d. h. je mehr eine Farbe, und zwar weſentlich, nicht
willig, Hell, dem Weißen nahe ift, befto dunkler, der Finfterniß
kr, wird das nach ihr ſich zeigende Spektrum fein; und umgelehrt.
i#. 23. 32. P. II, 194 fg.)
Gothes Urphänomen verdient dieſen Namen nicht mehr. Denn
& ift nicht, wie er es nahm, ein fehlechthin Gegebenes und aller Er-
Ming anf immer Entzogened; vielmehr ift e8 nur bie Urfache, wie
Re, der phyſiologiſchen Theorie zufolge, zur Hervorbringung der Wirkung,
Lider Halbirung der Thätigleit der Netzhaut, erfordert ift.
Ggentfiches Urphänomen ift allein dieſe organifche Fähigkeit ber Neb-
kat, ihre Nerventhätigkeit in zwei qualitativ entgegengefette, bald
fee, bald ungleiche Hälften anseinandergehen und fnceceffto hervor
Beten zu lafſen. Dabei müffen wir ftehen bleiben, indem, von Bier an,
Wh höchftens nur noch Endurfachen abfehen Laffen, wie uns bie in
ve Penfiotogie durchgängig begegnet, alfo etwa, daß wir durch bie
Farke ein Mittel mehr haben, die Dinge zu unterfcheiden und zu er-
mm. (F. 73. ®. II, 194.)
5) Die Haupt- Farben und ihr Schema.
Zwar fcheint es, da der Farbenkreis eine zufammenhängenbe ftetige
Köße iſt und alle feine Farben durch unmerfliche Nitancen in einander
Iergchen, beliebig, wie viele Karben man annehmen will. Es finden
184 Sarbe
ſich jedoch bei allen Völkern, zu allen Zeiten, für Roth, Grüi
Drange, Blau, Gelb, Violett, befondere Namen, welche über—
verftanden werden, als bie nämlichen, ganz beftimmten Farben b
zeichnend, und jede empirifch vorkommende Farbe wird nach derjemigı
aus jenen ſechs benannt, der fie am nüchften kommt; dabei aber mi
ihre Abweichung von derfelben, alfo der Grab der Reinheit oder Ui
reinheit, in welchem fie diefe barftellt, gefühlt. Diefe ſechs Farb
müffen daher gewiffermaßen a priori erfannt fein und es muß ei
Norm, ein Ideal, eine Anticipation jener Yarben, unabhängig von d
Erfahrung geben, mit welcher jebe wirkliche, empirifche Farbe verglich,
wird. Den Schlüffel hiezu Liefert die Erkenntniß, daß das ſich als
gewiffen ganzen und den erften Zahlen ausdrückbar bdarftellende Be
hältniß der beiden Hälften, im welche bei ben angeführten Tyarbeu t
Thätigfeit der Retina fich theilt, diefen drei Farbenpaaren eim
Borzug giebt, der fie vor allen andern audzeichnet. Wie die fich
Töne der Skala fi von den unzähligen andern der Möglichkeit na
zwifchen ihnen liegenden nur durch die Kationalität ihrer Bibration
zahlen auszeichnen, fo auch die ſechs mit eigenen Namen bean
Farben von den unzähligen zwiſchen ihnen liegenden nur durch
Rationalität und Simplicität des im ihnen fich darftellenden Brudy
der Thätigkeit der Retina, wie aus folgendem Schema zu erfehen iſt
Schwarz, Violett, Blau, Grün, Roth, Orange, Gelb, Bei
0 "ja /s Ya Ye 9. Ya 1
U iin (eine, RER —
". ET A nn —.
Schwarz und Weiß, da fie Feine Brüche, alfo feine qualitative in
darſtellen, ſind nicht im eigentlichen Sinne Farben. Sie ſtehen hi
blos als Gränzpfoſten, zur Erläuterung der Sache. Die wahre Far
theorie hat es demnach ftetS mit Farbenpaaren zu thun, und d
Reinheit einer gegebenen Yarbe beruft auf der Richtigkeit des im il
ſich darftellenden Bruches. Die Zahl der Farben ift unendlich; denn
enthalten jede zwei entgegengefetste Farben die Elemente, die ol
Möglichkeit aller andern. Die Farbe erfcheint immer als Dualitä
da fie die qualitative Bipartition der Thätigkeit der Retina if. DI
Theilungspunfte find unzählig, und, als durch äußere Urfachen bi
ftimmt, infofern file das Auge zufällig, Sobald aber die eine Halli
gegeben ift, folgt die andere, als ihr Kompfement, nothwendig. E
war daher eine doppelte Abfurbität, die Summe aller Farben, wie di
Newtonianer thun, aus einer ungeraden Zahl beftehen zu laſſer
(F. 32—35.)
6) Die phyfifhen und chemiſchen Farben. |
An den erften und wefentlichften Theil der Farbenlehre, welcher bi
Farben als Zuftände, Affectionen des Auges, betrachtet, alſo an di
Farbenlehre im engften Sinne fchließt fi als der zweite Theil di
Betrachtung der Urfachen, welche, von Außen als Keize auf dat
Fatum. Kataliemus 185
Auge wirtend, nicht, wie das reine Licht und das Weiße, die unges
theihe Thätigleit dex Retina in ſtürkern ober ſchwächern Graben, fondern
me mm eine qualitative Hälfte berfelben hervorrufen. Dieſe äußern
Ihieden bat Göthe fehr richtig und treffend in zwei Klaſſen gefonbert,
zirih in die demifchen und phyfifchen Farben, d. 5. in die den
Zirpera inhärirenden, bleibenden Yarben, und die blos temporären, durch
md eine befondere Kombination bes Lichtes mit den bircchfichtigen
Medien entfiehenden. Ihr Unterfchied läßt fich durch einen einzigen
»ölig allgemeinen Ausbrud fo bezeichnen: phyſiſche Farben find
diejtigen Urfachen der Erregung einer qualitativen Hälfte der Thätig-
kit der Retina, die uns als ſolche zugänglich find; daher wir einfehen,
af, wenn wie auch über die Art ihres Wirkens noch uneinig find,
hafielbe doch gewifjen Gefegen unterworfen fein muß, die auch unter
kzı verihiebenften Umftänden und bei den verjchiedenften Materien
sirolten, fo daß das Phänomen ſtets auf fie zurildgeführt werden
kan Die chemiſchen Farben Hingegen find die, bei denen dies nicht
kr Fall iſt, ſondern deren Urſache wir erkennen, ohne die Art ihres
ſxciellen Wirkens auf das Auge irgend zu begreifen. Denn, wenn
zu gleich willen, daß z. B. diefer oder jener chemifche Nieberfchlag
heile beſtimmte Farbe giebt und infofern: ihre Urfache ift; fo wiſſen
wir doc, hier nicht die Urfache der Farbe als folder, nicht das
Geſet, demzufolge fie eintritt, fondern ihr Eintreten wirb nur a posteriori
efumt und bleibt fir uns infofern zufällig. Von den phyſiſchen
Hacken hingegen wiffen wir als ſolchen die Urfache, das Gefeg ihrer
Eſcheimmg; daher auch unfere Erkenntniß derfelben nicht an beftimmte
Haterien gebunden ift, fondern von jeder gilt; fo z. B. entfteht Gelb,
Iteld Licht durch ein trübes Mittel bricht, die® mag nun ein Perga-
met, eine Flüſſigkeit, ein Dunft, oder das prismatifche Nebenbild
fen. — Dem Gefagten zufolge kann man die phyſiſchen Farben auch
x verftändlichen, die hemifchen aber die unverſtändlichen
zum Durch SZurädführung der chemifchen Farben auf phyſiſche, in
einem Siüme, würde der zweite Theil der Tarbenlehre zur
vollendung gebracht fein. (F. 66 fi. P. II, 200.)
fıtım. Satalismus,
1) Borauf der Fatalismus beruht.
Tie bei den Alten fo feft ftehende Anficht vom Fatum, der ELRAP.EVN,
sr and) der Fatalismus ber Mohammedaner, beruht auf der, wenn
uch nicht deutlich erfannten, doch gefühlten Ueberzeugung von der
huengen Nothwendigkeit alles Geſchehenden. (E. 60.)
2) Beweisbare Grundwahrheit des Fatalismus,
3 Fatum, die slmappewn, der Alten ift eben nichts Anderes, als
te um Bewußtſein gebrachte Gewißheit, daß alles Geſchehende durch
Ye Cauſallette feſt verbunden ift und daher fireng nothwendig eintritt,
sand) das Zukunftige ſchon vollfommen feft ftcht, fiher und genau
Kat it und daran fo wenig etwas geändert werben faun, wie om
186 Fatum. Fatalismus
Vergangenen. Blos das Vorherwiſſen deffelben kann an den fataliſtiſchen
Mythen der Alten als fabelhaft angeſehen werden, wenn wir hierbei
von der Möglichkeit des Hellſehens und des zweiten Geſichts abſtrahiren.
Statt die Grundwahrheit des Fatalismus durch feichtes Geſchwätz und
alberne Ausflüchte befeitigen zu wollen, follte man ſuchen, fie recht
deutlich zu verftehen und zu erkennen, ba fie eine dbemonftrable
Wahrheit ift, welche ein richtiges Datum zum Berftändniß unfers fo
vätbfelhaften Dafeins liefert. (PB. II, 251 fg.)
3) Unterfhied zwifhen Präbeftination und Yatalit
mus, Borjehbung und Fatalismus.
Prädeftination und Yatalismus find nit in der Hauptſache vers
ſchieden, fondern nur darin, daß ber gegebene Charakter und bie von
außen kommende Beftimmung des menſchlichen Thuns bei jemer von
einem erfennenden, bei diefem von einem erfenntnißlofen Weſen
ausgeht. Im Refnltat treffen fie zufammen: es gefchiebt was ge:
ſchehen muß. (P. U, 252.)
Was die Alten Schidfal (Fatum) nannten, ferner Das, was fi
unter bem leitenden Genius jebes Einzelnen verftanden, endlich Das,
was die Chriften als Vorſehung (mpovox) verehren — dieſe Tri
unterfcheiben ſich zwar dadurch, daß das Yatum blind, bie beiden Anderr
fehend gedacht werben; aber dieſer anthropomorpbiftifche Unterſchied
fällt weg und verliert alle Bedeutung bei dem tiefinnern, metaphyſiſcher
Weſen der Dinge, in welchem allein wir die Wurzel jener umerflär-
lichen Einheit des Zufälligen mit dem Nothwendigen zu fuchen haben,
welche ſich als der geheime Lenker aller menfchlichen Dinge darſtell
(®. I, 225.)
4) Unterfhied zwifchen dem gewöhnlichen und bım
höhern Fatalismus.
Die Ueberzeugung, daß, fo fehr auch der Lauf der Dinge ſich ald
rein zufällig darftellt, er e8 doch im Grunde nicht ift, vielmehr alk
Zufälle von einer tief verborgenen Nothwendigkeit umfaßt werden, deren
bloßes Werkzeug der Zufall felbft ift, — diefe Meberzeugung, der zufolge
jene Nothwendigfeit alles Gefchehenden feine blinde ift, folglich auch
der Lebenslauf jedes Einzelnen einen eben fo planmäßigen, wie noth⸗
wendigen Hergang hat, ift ein Fatalismus höherer Art, der fih
jedoch nicht, wie der einfache, demonftriren läßt, auf welchen aber
dennoch vielleicht Jeder, früher oder fpäter, einmal gerät. Man kam
benfelben, zum Unterfchiede von dem gewöhnlichen und demonftrablen,
den transfcendenten Fatalismus nennen. Er ſtammt nicht, wie
jener, and einer eigentlichen theoretifchen Erlenntniß, fondern er fekt
fi aus den Erfahrungen des eigenen Lebenslaufs allmälig ab, welcher,
fo verworren und zufällig er auch fcheinen mag, als ein in fidh über
einftimmendes, beftimmte Tendenz und belehrenden Sinn habende?
Ganzes, wie ein durchdachtes Epos, fich darftellt. Diefer transfcendente
Batalismus, zu welchem die aufmerffame Betrachtung bes eigenen Lebens
Feiertage — Flußfiſche 187
lacht Jedem einmal Anlaß giebt, hat nicht nur viel Troſtreiches,
fonds vielleicht audy viel Wahres, daher er zu allen Zeiten fogar als
Togma behauptet worden iſt. (P. I, 218 fg.)
5) Widerlegung einer falfhen Yolgerung aus dem
Fatalismus.
Man könnte aus der Theorie vom unabwendbaren Schickſal die
folgerung bes Türkenglaubens ziehen, daß man ſich dem Lauf der Dinge
gegmüber paffio zu unterwerfen babe, weil e8 ja unnüß fei, dem
Unebänderlichen zu widerftreben. Diefe Folgerung ift aber eine falfche.
Chwohl nämlich Alles als vom Scidfal unwiderruflich, vorherbeftimmt
sgeichen werden kann, fo ift es dies doch eben nur mittelft der Kette
dr Urſachen. Daher in keinem Yale beftimmt fein Tann, daß eine
Bidung ohne ihre Urſache eintrete. Nicht die Begebenheit fchlechthin
dio ift vorherbeftimmt, fonbern diefelbe als Erfolg vorhergängiger Ur-
ſehen; alfo ift nicht der Erfolg allein, fondern aud) die Mittel, als
kren Erfolg er einzutreten beſtimmt ift, vom Scidfal beſchloſſen.
Zreten demnach die Mittel nicht ein, dann auch ſicherlich nicht der
Erfolg; beides immer nad) der Beftimmung des Schidfals, die wir
aber auch immer exft hinterher erfahren. (W. I, 356.)
Stiertage.
63 wäre vielleicht beffer, wenn e8 gar feine Feiertage gäbe, ‚dafür
er fo viel mehr Feierftunden. Wie mohlthätig würden die 16
Etinden des Tangweiligen und eben baburd) gefährlichen Sonntags,
som 12 davon auf alle Tage der Woche vertheilt wären. Zur Re
litiondübung hätte ber Sonntag an zweien immer noch genug, und
acht werben derfelben doch faſt nie gewibmet, noc weniger der an⸗
dächtigen Meditation. Die Alten hatten auch feinen wöchentlichen
Robetog. Freilich aber würde e8 fehr ſchwer halten, die fo erfauften
Drei täglichen Mußeſtunden ben Leuten wirklich zu exhalten und vor
fien zu fihen. (P. U, 278.)
Sägheit, |. Muth.
sche, Seſtlichkeiten, ſ. Freude.
Außfiſche.
Die Vergleichung der Flußfiſche in ſehr weit von einander entfernten
ändern legt vielleicht das deutlichſte Zeugniß ab von der urfprünglichen
<höpferfraft der Natur, welche fie überall, wo Ort und Umſtände
Said find, auch auf ähnliche Weife ausgeübt hat. Bei ungefährer
Glicheit der geographifchen Breite, der topographifchen Höhe, endlich
ud der Größe uud Tiefe der Ströme wird man, felbft an den von
tmander entlegenften Orten, entweder ganz die felben, ober doch fehr
ialche Fiſchfpecies finden. (B. II, 160 fg.)
188 Folge — Form
Solge, zeitliche.
1) Die zeitlihe Folge als allein vermöge der W
ſchauung a priori verftändliches Berhältniß.
Was in Hinfiht auf den Raum Tage heißt, das Verhültniß,
welchen die Theile deffelben zu einander ftehen, das Heißt in Hinſi—
auf die Zeit Folge, Succeffion. (G. 131.) Diefe Berhältuiffe fi
eigenthilmliche, von allen andern möglichen Berhältniffen unſerer V
ftellungen durchaus verſchiedene, daher weder ber Berftand, nod) |
Bernunft, mittelft bloßer Begriffe, fie zu faflen vermag; ſondern ein;
und allein vermöge der reinen Anſchauung a priori find fle un v
ftändlih, denn was vor und nad) fei, ift aus bloßen Begriffen
wenig beutlih zu machen, ald was oben unb unten, rechts u
fints, hinten und vorn fe. (©. 131.)
2) Geſetz der zeitlichen Folge.
In der Zeit ift jeber Augenblid bebingt durch den vorigen. €
einfach ift hier der Grund des Seins, als Geſetz der Folge; weil
Zeit nur Eine Dimenfion bat, daher Feine Mannigfaltigleit der %
ziehungen, wie im Raume, in ihr fein kann. Das Zählen dient da}
die einzelnen Schritte der Succeffion zu markiren. (©. 133. Ber
Arithmetik.)
3) Unabhängigkeit der zeitlichen Folge von ber Caı
falität.
Nach Kant Lönnen wir gar feine Folge in der Zeit als object
wahrnehmen, ausgenommen die von Urſache und Wirkung; jede ande
von und wahrgenommene Yolge von Erfcheinungen ſei blos durch u
Willkür fo und nicht anders beſtimmt. Dies ift falſch. Denn
fheinungen können fehr wohl auf einander folgen, ohne a
einander zu erfolgen. Unb dies thut dem Gefege der Caufalit
feinen Abbruch. Denn es bleibt gewiß, daß jede Veränderung Bir
einer andern ift; num folgt fie nicht bloß auf die einzige, bie ih
Urfache ift, fondern auf alle andern, die mit jener Urſache zugleich fi
und mit denen fie in Feiner Caufalverbindung ſteht. Sie wird ui
gerade in der Folge der Reihe der Urfachen von mir wahrgenomme
fondern in einer ganz andern, bie aber deshalb nicht minder objectin |
und von einer fubjectiven, z. B. meiner Phantasmen, ſich fehr unterſcheid
Das Aufeinanderfolgen in der Zeit von Begebenheiten, die nicht in Cauſe
verbindung ftehen, ift eben was man Zufall nennt. (©. 87 fg.)
(Ueber das Verhältniß von Grund und Folge ſ. Grund.)
Form.
1) Die Form als Beftimmung der Materie.
Unter Form im weitern Sinne verficht man die Zuftände di
Materie. (W. II, 49.) Im philofophifchen Sinne ift die de
der Gegenfa der Materie, begreift daher alle Dualität. (P. U, 459
Indem der Wille (dad Ding an fi) objectiv wird, d. h. in d
Form 189
Berhellung übergeht, ift bie Materie das allgemeine Subſtrat biefer
Ohjecknation, oder vielmehr bie Objectivation felbft, in abstracto ge⸗
usceen, d. 5. abgefehen von aller Form. Die Materie ift demnach
de Sihtbarkeit des Willens überhaupt, während der Charafter feiner
köineten Erſcheinungen an der Form und Dualität feinen Ausdrud
it (®. I, 350.)
2) Öegenfag zwifhen Form und Materie.
Die Formen wecjeln, die Materie beharrt. (W. II, 49.) Das
ag Bleibende ift — dies müſſen wir als die unmittelbare und un-
verfälichte Ausfage der Natur anerkennen — die Materie, welde
mentftanden und unvergänglich, Alles aus ihrem Schooße gebiert,
wehalb ihr Name aud mater rerum entftanden ſcheint, und neben ihr
A als der Vater der Dinge die Form, melde, eben fo flüchtig, wie
gar beharrlich, eigentlich jeden Augenblid wechfelt und fi nur erhalten
Im, jo lange fie fich der Materie parafitifch anflammert (bald dieſem,
bb jenem Theil derſelben), aber wenn fie diefen Anhalt ein Mal ganz
verliert, untergeht, wie die Paläotherien und Ichthyoſauren bezeugen.
Th lönnen wir diefer Ausſage der Natur keine unbedingte Wahr
heit zugeftehen, fondern nur bie bedingte, welche ber Kant’jche
Wealisumd treffend als eine ſolche bezeichnet hat, indem er fie die
Erſcheinung im Gegenſatz des Dinges an fi namte. (W. U,
327. ®, II, 286.)
Ir die Form, als das Wechfelnde, ift dem Geſetz der Cauſalität
unterworfen, die Materie dagegen, als das Beharrende, ift frei von
knlben. Daher betrifft die Trage nach der Urfache eines Dinges
Ras nur deſſen Form, d. 5. Zuftand, Beſchaffenheit, nicht aber deſſen
Date. (W. II, 49.)
Die Form begründet die Verſchiedenheit der Dinge; während bie
Materie als in allen gleichartig gedacht werden muß. Daher fagten
de Sholaftifer: forma dat esse rei; genauer würde dieſer Sag lauten: '
forms dat rei essentiam, materia existentiam. (MW. II, 49.)
3) Berbindung der Form mit der Materie.
Die Verbindung der Form mit der Materie, ober ber Essentia
st der Existentis, giebt das Konfrete, welches ftets ein Einzelnes
iR, alfo da8 Ding. (W. U, 49.) Durch die ihm innewohnenden
Xtäfte, die feine Qualität ausmachen, ift jeder Körper die Bereinigung
don Materie und Form, weiche Stoff heißt. (W. II, 352.)
4) Zeitlider Urfprung der Formen.
Der zeitliche Urfprung der Formen, der Geftalten ober Species,
Im fügfich nicht irgend wo anders gefucht werden, als in der Materie.
Ans dieſer müfjen fie einft hervorgebrochen fein; eben weil folche bie
Hofe Sichtbarkeit des Willens ift, welcher das Weſen an ſich aller
en ausmacht. Indem er zur Erfcheinung wird, d. 5. dem
Select fi, objectin darftellt, nimmt die Materie, als feine Sicht⸗
dareit, mittelft der Functionen des Iutellects, die Form an. Daher
1% Fortdauer — Franzoſen
ſagten die Scholaſtiker: materia appetit formam. Daß der Urfprur
aller Geſtalten der Lebendigen ein ſolcher war, iſt nicht zu bezweifel
es läßt fich nicht einmal anders denfen. Ob aber noch jegt, da d
Wege zur Perpetuirung der Geſtalten offen ftehen ımd von ber Ratı
mit gränzenlofer Sorgfalt und Eifer gefichert und erhalten werben, d
generatio aequivoca Statt finde, ift allein durch die Erfahrung zu en
ſcheiden. (W. IL, 352.) In Wahrheit ift zwar keineswegs die legte un
erjhöpfende Erklärung der Dinge, wohl aber der zeitliche Urfprung, w
der unorganifchen Formen, fo auch der organifchen Weſen allerdings i
der Materie zu fuchen. (W. U, 354. N. 56. Bergl. auch gem
ratio aequivoca.)
5) Gegenfag zwifhen Natur- und Kunftprobuct u
Hinfiht auf die Form.
Identität der Form und Materie ift Charakter des Naturproducts
Diverfität beider des Kunſtproducts. Bei legterem wird vom Wille
dem Stoff eine ihm fremde Form aufgezwungen, welcher er wiberftrebt
weil er fchon einem andern Willen, nümlid ferner Naturbeſchaffenheit
feiner forma substantialis, der in ihm fich ausbrüdenden (Platonifchen,
Mee angehört; er muß alfo erft überwältigt werben und wird im
Innern ſiets noch wiberftveben, fo tief auch die künſtliche Form eim
gedrungen fein mag. Ganz anders fteht e8 mit den Werken der Natur;
bier ift die Materie von der Yorm völlig burchdrungen. (NR. 55 fg.)
Sortdauer, nad) dem Tode, |. Unzerftörbarfeit.
Sortuna, ſ. Glüd,
Sranzofen.
1) Nationaldaraklter der Franzofen.
Die übertriebene Sorge und Bekümmerniß um bie fremde Deeinung
(um Das, was man dorftellt), eine Sorge, melde allem unſerm,
fo oft gefränften, weil fo krankhaft empfindlichen Selbftgefühl, allen
unfern Eitelfeiten und Prätenfionen, wie auch unferm Prunfen umd
Großthun zum Grunde Tiegt, — läßt fid) am beutlichften an den
Franzoſen beobadjten, als bei welchen fie ganz endemifch tft und fid
oft in der abgeſchmackteſten Ehrjucht, lächerlichſten National Eitelkeit
und unverfchämteiten Prahlerei Luft macht; wodurch dbaun ihr Streben
fi jelbft vereitelt, indem es fie zum Spotte der audern Nationen ge
macht hat und bie grande nation ein Nedname geworden if. (B. 1,
377. 424. 9. 386.) Daß die Franzoſen, die lebeneluftigfte,
beiterfte, finnlihfte und Leihtfinnigfte Nation in Europa,
es find, unter welchen ber bei Weiten ftrengfte aller Möndsorden, der
Trappiftifche, entflanden ift und fich erhalten hat, — diefe auffallend:
Thatjache findet ihre Erläuterung an den Belchrungsgeihichten Solcher,
die nad einem fehr bewegten Leben im Drange der Leidenſchaften
plöglic zur Refignation griffen, Einfiedler und Mönche wurden.
(W. I, 467.)
Franzofen 191
Geij der Erfahrung, daß jeder Charakter ſich am vortheilhafteften
in aus beflimmten Lebensalter ausnimmt, ift an den Franzoſen häufig
ja feneıken, daß fie fich am vortheilhafteften un Alter darftellen, ale
me fe milber, weil erfahrener und gelaflener find. (P. 1, 518.)
2) Bhilofophie der Franzofen.
Ja Frontreich fteht die Philofophie, im Ganzen genommen, faft
ud da, mo Locke und Condillac fie gelaffen haben. (E. 85.)
De franöfiichen Senfnalphilofophen, welche, feitdem Condillac in
he Fußſtapfen Locke's trat, ſich abmühen, wirklich barzutfun, daß
uafer ganzes Borftellen und Denken auf bloße Sinnesempfindungen
prädiaufe (penser c'est sentir), welche fie, nad) Locke's Vorgang,
ies simples nennen, haben wirklich des idées bien simples. (8. II,
ul. 9.1, 50.)
Die Franzoſen find, durd den frühern Einfluß Condillac’s, im
Gruzde noch immer Lodianer. Daher ift ihnen das Ding an fid
lc die Materie, aus beren Grumbeigenfchaften, wie Undurch⸗
Kuglichkeit, Seftalt, Härte und fonftige primäre Dualitäten (primary
galities) fie Alles in ber Welt erklären zu Tünnen meinen. Ihre
Kliäweigende Vorausſetzung babei ift, daß die Materie nur durch
schanifche Kräfte bewegt werden fann. (W. II, 843. P. I, 121. 127.)
An den Franzoſen fünnte man fo recht ein gute® Werl (une charit6)
antüben, wenn man ihnen Kants metaphufiiche Anfangsgründe der
Rammsifienfchaft richtig und genan überfegen wollte, um fie vom
y in ben Demokritismus, wenn es noch möglich ift, zu curiren.
$.0, 118.)
Die Rohheit der jetzigen, namentlich von den Franzoſen ausge
ber mehanifhen Phyſik zeigt, wohin Erperimentiren ohne
Daten, übertriebene Werthichägung des mathematifchen Calciiis und
Srmehläffigung der Kant’ihen Philofophie führt. CP. II, 119.
0.17. ®. I, 343.)
Jedoch gegenüber ber deutfchen a priori conftruirenden Natur-
Nlajophie ſtehen die Franzoſen fehr würdig da, mit ihrer reblichen
Smpirie, eingeftänbfich beftrebt, nur von der Natur zu Iernen und ihren
Gang zu erforfchen, nicht aber ihr Geſetze vorzuſchreiben. Blos auf
ka Wege der Indnction haben fie ihre jo tief gefaßte, wie treffenbe
Enthelnng des Thierreichd gefunden. (P. UI, 63.)
3) Franzöfifde Sprade und Stil.
Tie franzöfifche Sprache mit ihren ſcheußlichen Endſylben und dem
Xelal ift der elendefte romanische Jargon, die fchlechtefte Berftimmelung
Itimfcher Worte, — eine armfälige Sprache. (PB. II, 612.) Die
Sermfaltung und Verhunzung griechischer Worte durch die franzöfifche
Säribart — 3. B. Etiologie, Esthötique; bradype, Oedipe, An-
ue — ift eine Inabenhafte Barbarei, von der die Alademiler
ch abftehen follten. (PB. IL, 612.)
u Gegenfag zum deutſchen stile ompes zeichnet fid der franzdftfche
192 Grauen — Freiheit
Stil vortheilfaft aus. Keine Profa lieſt ſich fo leicht und angench
wie die franzöfifche. Der Franzoſe reiht feine Gedanken in möglıd
fogifcher und überhaupt natürlicher Ordnung an einander umd legt
fo feinem Leſer fucceffive zu bequemer Erwägung vor, damit dielt
einem jeden berfelben feine ungetheilte Aufmerkſamkeit zumenden könn
während der deutfche verſchränkte Periodenbau dem leitenden Orundis
der Stiliftit, daß der Menſch nur einen Gedanken zur Zeit deutli
denfen kann, zuwiderhandelt, indem er ihm zumuthet, daß cr deren zw
oder gar mehrere auf ein Mal denke. (P. O, 577.)
4) Franzöſiſche Poeſie.
Die Armfäligkeit franzöſiſcher Poeſie beruht hauptſächlich dar
daß fie (da es in der franzöfifhen Sprache fein Metrum, ſonde
Neim allein giebt) ohne Metrum, auf den Reim allein befchräntt i
und wird dadurch vermehrt, daß fie, um ihren Mangel an Mitteln ;
verbergen, durch eine Menge pedantiſcher Sagungen ihre Keim
erfchwert hat, wie 3. B., daß nur gleich geſchriebene Syiben reim
daß der Hiatus verpönt ift, u. f. w., welchem Allem die neuere fra
zöſiſche Dichterfchule ein Ende zu machen ſucht. (W. II, 486 ig.)
"Daß jedes ‚heftige Hervortreten des Willens gemein ift und je
im Drama die Leidenfchaften und Affecte leicht gemein erſcheinen,
dies wird beſouders an den franzöfifchen Tragifern bemerflich, als wel
fi) fein höheres Ziel, als eben Darftellung der Leidenſchaften, ge
haben und nun bald Hinter ein ſich blähendes, Lächerliches Pathos,
hinter epigrammatifche Spitzreden die Gemeinheit der Sache zu ver
ſtecken ſuchen. (P. II, 635.)
Während jede Empfindung der poetiſchen Perſonen bei Shakeſ peart,
— ganz entgegengeſetzt der Art, wie ſich in der Wirklichkeit die Er
pfindung äußert, — fo beredt ift und wir Unrecht haben, bies
unnatürlich zu tadeln, weil es zum Idealiſchen der Perſon gehört; |
find die Franzofen bierin der Natur getrener: „Dieu! — Ciel! —
Seigneur!“ — und fo viel ſchlechter. (9. 366.)
(Weber die Einrichtung des franzöfifchen Trauerfpiel® in Hiuſicht au)
die Einheit vergl. unter Drama: Die drei Einheiten.)
5) Sranzöfifhe Muſik.
Allegro in Mol ift in der franzöfifchen Muſik ſehr Häufig un
harakterifirt fie; e8 if, wie wenn Einer tanzt, während ihn der Schul
drückt. (W. I, 521.)
Scauen, ſ. Weiber.
Freiheit.
I. Die Freiheit als metaphyſiſche Eigenſchaft.
1) Begriff der Freiheit.
Der Begriff der Freiheit iſt eigentlich ein negativer, indem fe
Inhalt blos die Verneinung der Notwendigkeit, d. h. des als wol
durch einen Grund Beftimmtfeins, if. In metaphyſiſcher Hinſicht
Freiheit 193
bedeutet effo Freihe it fo viel ald Grundloſigkeit, Urfprünglichkeit.
(®. 1, 338.)
2) Subject der Freiheit.
De die Erſcheinung durchweg dem Say vom Grund unterworfen
zuh Rotbwendigfeit durchaus identisch ift mit Folge aus gegebenem
Gemie, fo ift Alles, was zur Erſcheinung gehört, durchweg noth-
wendig Seftimmt, Tann daher in Feiner Beziehung anders fein, als es
id Freiheit lann daher nur Demjenigen zulommen, was nicht Er«
fdenung, fondern Ding an fi und als folches nicht dem Sag vom
&rend unterworfen, nicht als Folge durch einen Grund beftimmt ift,
jo nur dem Willen, dem Kern aller Erfcheinung. (W. I, 338.)
3) Bereinigung der Freiheit mit der Nothwendigfeit.
Jedes Ding ift ale Erfcheinung, als Object, durchweg nothwen-
big; daffelbe ift aber an ſich Wille und als ſolcher für alle Ewigfeit
frei Die Erfcheinung, das Object, ift nothwendig und unabänderkich
a der Berkettung der Grunde und Folgen beftimmt, die keine Unter-
kechung haben Tann. Das Dafein überhaupt aber diefes Objects und
de Art feines Dafeins, d. h. bie Idee, welche im ihm fich offenbaxt,
ar mit andern Worten fein Charakter, ift unmittelbar Erfcheinung
des Willens. Yu Gemäßheit der Freiheit dieſes Willens könnte eg
«io überhaupt nicht dafein, oder auch urfprünglich und wefentlich ein
yauız Anderes fein; wo bann aber auch die ganze Kette, von ber es
ein Glied iſt, die felbft Exfcheinung defielben Willens ift, eine ganz
andere wäre; aber einmal da und vorhauben, ift es in die Reihe der
Gründe und Folgen eingetreten, in ihr ſtets nothwendig beftimmt und
famı demnach weder ein Anderes werben, d. h. ſich ändern, noch auch
ars der Reihe austreten, d. h. verichwinden. (W. I, 338fg. €. 96.
114— 178.)
4) Unvereinbarfeit der Sreiheit mit dem Theismus.
Tem Theismus zufolge ift der Menſch feinem ganzen Sein und
Reim (Existentia und Essentia) nah das Werf Gottes. Allein
wie foll man ſich vorftellig machen, daß ein Wefen, welches feiner
ganzen Existentia und Essentia nad da8 Werk eines Andern ift,
dech fich ſelbſt uranfänglich und vom Grund aus beftimmen und dem⸗
sch für fein Thun verantwortlich fein könne? Aus dem Sat Operari
seuitur esse, d. h. die Wirkungen jedes Weſens folgen aus feiner
veſchaffenheit, ergiebt fi, daß der Urheber feiner Beſchaffenheit auch
der Urheber feiner Wirkungen, oder Handlungen, und als folcher für
diefelben verantwortlich if. Wenn eine fchlechte Handlung aus der
Rate, d. 5. der angeborenen Befchaffenheit des Menſchen entipringt,
fo fiegt die Schuld offenbar am Urheber diefer Natur. Was witrde
man don dem Uhrmacher fagen, der feiner Uhr zürnte, weil fie unrichtig
genge? Ohne Afeität ift die Freiheit und Veranwortlichkeit undenfe
tar. (E. 71fg. P. I, 135; I, 252. Vergl. auch Ajeität.)
Sqhopenhauer⸗Lexiton. 1. 13
194 Freiheit
U. Die praltiſche Freiheit.
1) Begriff der praktiſchen Freiheit.
Auch in praktiſcher Hinſicht iſt der Begriff der Freiheit ein n
tiver. Wir denken durch ihn nur bie Abwefenheit alle Din
und Hemmenden; dieſes hingegen muß, als Kraft äufernd, ein Po
fein. (€. 3.) |
2) Eintheilung ber praftifhen Freiheit.
Der möglichen Beichaffenheit des Hemmenden entſprechend Hat
Begriff diefer Freiheit drei fehr verfchiedene Unterarten: pHyfif
intellectuelle und moralifche Freiheit. (E. 3.) |
a) Phyſiſche Freiheit ift die Abweſenheit der materiel
Hinderniffe jeder Art. Im diefer phyſiſchen Bedeutung des Begı
der Sreiheit, in welcher er ald das Prädicat animalifjher W
gebraucht wird, werden Thiere und Menfchen dann frei genannt, w
weder Bande, noch Kerker, noch Lühmung, alfo iiberhaupt fein mraterie
Hinderniß ihre Handlungen hemmt, fondern diefe ihrem Willen geu
vor fich gehen. Dieſe Freiheit bezieht fi) alfo nur auf das Köun
Ihr ift die politifche Freiheit beizuzählen. Diefe Bedeutung des |
griffs der Freiheit ift die urfprimmgliche und populäre, (E. 4.)
b) Intellectuelle Freiheit. Diefe befteht darin, daß der
tellect oder das Erkenntnißvermögen, welches da8 Medium der Moi
ift, durch welches hindurch fie auf den Willen wirken, fih in ein
normalen Zuſtande befindet, feine Yunctionen regelrecht vollzieht z
daher die Motive unverfälfcht, wie fle in der reglen Außenwelt
liegen, dem Willen zur Wahl barftellt, jo daß bietet id feiner N
d. h. dem individuellen Charakter des Menjchen gemäß, emtf
alfo ungehindert, nad, feinem felbfteigenen Weſen fi äußern Iaz
Aufgehoben wird dieſe intellectuelle Freiheit theil8 durch dauern
oder vorübergehende Zerrüttung des Erkenntnißvermögens, wie Wah
finn, Delirium, Paroxysmus, Sclaftrunfenheit, theild durch äuf
Umftände, welche die Auffaſſung der Motive verfälfchen, indem
Irrthum veranlafien, wie z. B. wenn Jemand Gift ftatt Arzı
eingießt.
Vermindert oder partiell aufgehoben wird die intellectuelle Freih
durch den Affect und durch den Rauſch.
As in intellectweller Unfreiheit begangen find alfo alle !
Thaten anzufehen, bei denen der Menſch entweder nicht wußte, was
that, oder ſchlechterdings nicht fähig war, zu bedenken, was ihn davı
hätte abhalten follen, nämlich die Folgen der That. (E. 98—-101
ec) Moralifche Freiheit. Während die phnfifche Freiheit fich a
das Können bezieht, bezieht fich die moralifche auf das Wolle
Man warf nämlich, ausgehend von der Erfahrung, da ein Menſ
manchmal ohne durch materielle Hinderniffe gehemmt zu fein, bur
bloße Motive, wie efwa Drohungen, Berfprehungen, Gefahren u. ſ. ı
. Freiheit 195
abgehalten wirb fo zu handeln, wie es außerbem feinem Willen gemäß
wäre, dir frage auf, ob der Wille in dem Sinne frei ift, daß er,
berh Motive als Gründe zu einer Entfcheidung gendthigt zu
in, Bi son felbft, d. h. ohne allen Grund oder, was gleichbedeutend
„ae alle Rothwendigkeit, zu dem Einen oder Anbern entfcheiden
m Lie Freiheit im dieſem Siune heißt liberum arbitrium in-
Kßerentine. Ihr wejentliches Merkmal ift, daß einem mit ihr begabten
Mindmm unter gegebenen, ganz individuell und durchgängig bes
Daten änßern Umſtänden, zwei einander biametral entgegengefegte
n gleich möglich find. Ob es eine folche Treiheit giebt,
WÄR zu unterſuchen. (E. 5—9. 13.)
3) Kritik ber Indifferenz des Willens.
a) Ausſage des Selbſtbewußtſeins.
Selbſtbewußtſein jagt zwar die Freiheit des Thuns aus —
ß Voransſetzung des Wollens; aber über die Freiheit de8 Wol⸗
‚d.h. über bie Unabhängigkeit unferer Willendacte von Motiven,
& die Möglichkeit alfo, im einzelnen Falle Entgegengefegtes wollen,
Bf entgegengefetste Weiſe beftimmen zu können, jagt e8 nichts aus
6 larıı e8 nichts ausfagen. Die Hauptquelle des Scheine, vermöge
bi phifofopkifch Hohe in einem gegebenen Falle entgegengejegte
Biensacte für gleich möglich hält, iſt Verwechſelung des Wünſchens
8 Bollen. Winfchen kann er Entgegengefettes, aber Wollen nur
ab ton, und welches diefes fei, offenbart dem Selbſtbewußtſein
km die That. Ueber die gefegmäßige Nothwendigkeit aber, ver-
dge deren von entgegengefegten Wilnfchen der eine umd nicht ber
den zum Willensact‘ und zur That wird, kann eben deshalb das
Sfbewußtſein nichts enthalten, ba es das Nefultat fo ganz a posteriori
Rt, niht aber a priori weiß. ntgegengefetste Wünſche mit ihren
fleigen vor ihm auf und nieder; tiber jeden derfelben fagt
x Selbſtbewußtſein aus, daß er zur That werden wird, wenn er
m Bilensact wird. Aber diefe fubjective Möglichkeit ift eben ganz
Wothetifch. Weber die objective, ben Ausichlag gebende Mög-
Kit Hingegen fagt das Selbſtbewußtſein, welchem fie als in der
Kertiven Welt Tiegend fremd ift, nichts aus. Jene fubjective
Riglichteit iſt gleicher Art mit der, welche im Steine liegt, Funken
I geben, jedoch bedingt ift durch den Stahl, an welchem die ob-
ide Möglichkeit haftet. (E. 16—18. 42 fg.)
Ügefehen davon, daß, weil ber Wille, ald das wahre Ding an fich,
a wirlich Urjprüngliches und Unabhängiges ift, aud) in Selbſtbewußt⸗
das Gefühl der Urfprünglichkeit und Eigenmächtigkeit feine, obwohl
kon determinirten Acte begleiten muß, — entftcht der Schein einer
apmihen Freiheit des Willens (ftatt der transfcendentalen, die ihm
beizufegen ift), alfo einer Freiheit der einzelnen Thaten, aus der
derten und fuborbinirten Stellung des Intellects gegen den Willen.
de Intellect erfährt nämlich die Beſchlüſſe des Willens erft a posterior
. 13*
Datum i
telligible Charakter (vergl Charatter), vermöge deſſen, bei gegel
Motiven, nur eine CEntidyeibung möglid; und biefe bemnady eine z
wendige iſt, fällt nicht in die Crlemutuiß des Intellects, ſondern
der empiriiche wird ihm durch jeine einzelnen Acte juccefjive beke
Taher alſo jheint erfennenden Bewußtſein (Intellect), Daß,
einem vorliegenden Fall, dem Willen zwei entgegengeſetzte Entſcheidm
gleich möglid, wären. Siermit aber verhält e& fi} gerabe fo,
wenn man bei einer jenkrecht fiehenden, aus dem Gleichgewicht und
Schwanlen gerathenen Etange, jagt „fie kam nach der rechten ı
nad) der linken Seite umfdylagen”, welches „Tann“ do nur
fubjective Bebentung hat umb eigentlich; bejagt „Hinfichtlich Der
befannten Data“; denn objectiv iſt die Richtung des Falls ſchon m
wendig beſtimmt, fobald das Schwanken eintritt. So demnach iſt
die Entfcheidung des eigenen Willens bios für feinen Zuſchauer,
eigenen Intellect, indeterminirt, mithin nur relativ und fubjec
hingegen an ſich felbft und objectiv ift die Enticheidung Deterumik
und notbwendig, wenngleich diefe Determination erft durch die erfolge
Entſcheidung in's Bewußtfein tritt. (W. I, 342 fg.)
b) Ausfage des Berftandes,
Die allgemeinfte und grundmefentlichfte Form des Berftandes, :
Organs der Anſchauung ber objectiven Welt (vergl. Berftand),
das Gefen der Cauſalität. Mit dem Berftande nun die im |
Erfahrung vorlommenden wollenden, vom Willen bemegtı
Weſen betrachtend, finden wir zwar, daß eine große Verſchiedech
in der Art flattfindet, wie die Saufalität ihr Recht an ihnen gelte
macht, indem die wmorganifchen Körper durch Urfachen (im enge
Sinne des Worts), die Pflanzen durch Reize, die Thiere durch Mt
tive bewegt werben; aber durch biefe Unterjchiebe der Caufalität
das allgemeine, a priori gewifle Geſetz, daß jede Veränderung, di
auch jeber Willensact, eine Urſache Hat, folglich nothwendig ei
nicht beeinträchtigt. Der Menſch, fo frei er auch feheint, macht
feine Ausnahme von dem Gefege der Caufalität, diefem allgenti
Naturgefege. Seine Freiheit ift nur eine relative, comparatid
bat nur den Sinn, daß er vermöge feiner Vernunft und Deliberatio
fähigkeit frei ift vom unmittelbaren Zwange der anſchaulich gege
wärtigen, auf feinen Willen als Motive wirkenden Objecte, welch
das Thier unterworfen ift, indem er fih nah Gedanken, meld
feine Motive find, beftimmt. Durch dieſe relative Freiheit iſt ab
ganz allein die Art der Motivation geändert, Hingegen die Bad
wendigfeit der Wirkung der Motive nicht im Mindeften aufgeho
oder auch nur verringert. Daher kann nur eine fehr oberflädlid
Anficht jene relative und comparative Freiheit für eine abfolute, ci
liberum arbitrium indifferentiae halten. Der Menſch ift, wie all
GSegenftände ber Erfahrung, eine Erfcheinung in Zeit und Raum, un
Freiheit 197
a det rk der Cauſalität für alle dieſe a priori und folglich aus⸗
while gilt, muß auc er ihm unterworfen fein. So fagt es der
x Serfand a priori, fo beftätigt e8 die durch die ganze Natur
Analogie und fo bezeugt es die Erfahrung, wenn man fidh
dach die geiftige, immaterielle Beichaffenheit der den Menſchen
euden Urfachen (Gedanken) täufchen läßt. Bei dem Verſuch,
iberum arbitrium indifferentiae ſich vorftellig zu machen, fteht
der Berftand ftill, weil er keine Form hat, fo etwas zu denten.
dies ift mit der Annahme einer ſolchen Willensfreiheit, die darin
daß jedem Menſchen, in jeder Tage, entgegengefegte Handlungen
möglih fein follen, die thatfächliche, angeborene Grundver-
iedenheit der Charaktere unvereinbar. (Vergl. Charalter.)
Charakter des Individuums müßte von Haufe aus eine tabula
kin, wenn ihm entgegengejeßte Handlungen gleich möglich fein
- Bie von Außen alle Wirkungen durch die Urfachen, fo find
von Innen durch das Wefen des Dinges beftimmt, welches Weſen
Menſchen der individuelle Charafter ift; oder, wie die
filer es ausbrüdten, operari sequitur esse. Wie jede Wirkung
kr belebten Natur ein nothwendiges Product zweier Factoren ift,
inlıh der hier ſich äußernden allgemeinen Naturkraft, und ber
Aenßerung hier hervorrufenden einzelnen Urfache; gerade fo ift
x That eines Dienfchen das nothwendige Product feines Charakters
Ds eingetretenen Motive. Sind diefe beiden gegeben, fo erfolgt
x manebleiblih. Damit eine andere entftände, müßte entweber ein
un uf oder ein anderer Charakter gefetst werden. (E. 26— 60.
‚ Kimnte ein Menfch unter gleichen Umftänden das eine Mal fo, das
Mal anders Handeln; fo müßte fein Wille felbft ſich inzwifchen
haben und daher in der Zeit liegen, da nur in diefer Ver⸗
mg möglich if. Dann aber müßte entweder der Wille eine bloße
nung, oder die Zeit eine Beſtimmung des Dinges an fich fein.
nad dreht jener Streit über die Freiheit des einzelnen Thuns
das liberum arbitrium indifferentiae) ſich eigentlich um bie
Mur, ob dee Wille in der Zeit Tiege, ober nicht. Iſi er das Ding
Mh, außer der Zeit unb jeder Form des Satzes vom Grunde; fo
“a niht allein das Imbividuum in gleicher Tage ſtets auf gleiche
It handeln, ımb nicht nur jebe böfe That der fefte Bürge für un-
{ge andere fein, die es vollbringen muß und nicht laffen Tann;
5 m es ließe ſich auch, wie Kant fagt, wenn nur ber empirifche
herafter und bie Motive vollftändig gegeben wären, des Menfchen
ten anf die Zukunft wie eine Sonnen» und Mondfinfterniß
“tchnen. Mie die Natur confequent ift, fo ift es der Charalter;
* riß muß jede einzelne Handlung ausfallen, wie jedes Phänomen
* Naturgeſetz gemäß ausfällt. Die Urſache im letztern Fall und
—* im erſtern ſind nur die Gelegenheitsurſachen. Der Wille,
a Eiſcheinung das ganze Sein und Leben des Menfchen iſt, kann
|
198 Freiheit
fih im einzelnen Fall nicht verleugnen, und mas ber Mexzf ch
Ganzen will, wird er auch ftets im Einzelnen wollen. (W.IL, 34
4) Geſchichtliche Beftätigungen.
Alle wirklich tiefen Denker aller Zeiten, fo verfchieden aruch)
fonftigen Anfichten fein mochten, ſtimmten darin überein, daß
Nothwendigkeit der Willensacte bei eintretenden Motiven behazzy
und die Willensfreiheit (dad liberum arbitrium indifferentise )
warfen, während die oberflächlichen Geijter mit dem großen S—
der Willensfreiheit anhängen. Hobbes zuerft, dann Spinoza,
Hume, au Hollbach im Systöme de la nature, und Fe,
ausführlichften und gründlichften Prieftley, Haben die volllou
und ftrenge Nothwendigkeit der Willensacte bei eintretenden Wen!
fo deutlich bewiefen, daß fie den volllommen demonftrirten WBahrhy
beizuzählen if. Und nicht blo® große Philoſophen, fondern auch 8
Theologen, wie Auguftinns und Luther, und große Dichter ,
Shafefpeare, Gothe, Schiller, haben dieſe Wahrheit geleh
daß nur noch Unwiſſende und Hohe von einer reiheit des Merz
in ben einzelnen Handlungen zu veden fortfahren Fönnen. Es q
aber noch einen Mittelfchlag, welcher, fich verlegen fühlend, hin
her lavirt, fi) und Andern den Zielpunft verrüdt, ſich Hinter W
und Phrafen flüchtet, oder die Trage fo lange dreht und verdreht,
man nicht mehr weiß, worauf fie hinauslief. So hat e8 5. B. Zeibı
gemadt. (E. 58 fg. 63—89. 174. N. 23. W. I, 598. ©. 4
5) Zufammenhang der falfchen Freiheitslehre mit 3
falfhen Pfychologie.
Die Behauptung einer empirifchen Freiheit des Willens, eines Lbe
arbitrii indifferentise hängt auf das genauefte damit zufammzen, h
man das Weſen des Menjchen in eine Seele ſetzte, die urfprüng!
ein erkennendes, ja eigentlich ein abftract dentendes Weſen wi
und nur erft in Folge hievon auch ein wollendes, daß man alfo ü
Willen fecundärer Natur machte, ftatt daß in Wahrheit die Erkenntr
dies ift. Danach nun wäre jeder Menſch das, was er ift, erft
Folge feiner Erkenntniß geworden; er käme als moraliiche Null a
bie Welt, erfennte die Dinge in diefer, und beſchlöſſe darauf, Der od
Der zu fein, fo oder fo zu handeln, Könnte alfo auch in Folge neu
Erfenntniß ein ganz Anderer werden. Diefe Anficht ift eine Umfehru:
des wahren Verhältniſſes. Der Wille ift das Erſte und —
die Erkenntniß blos hinzugekommen, zur Erſcheinung des Willens
ein Werkzeug gehörig. Durch die hinzugekommene Erkenntniß erfäh
er im Laufe der Erfahrung was er iſt, d. h. ex lernt feinen Charaftı
fennen. Er erteunt fih aljo in Folge und Gemäßheit ber B
fchaffenheit feines Willens; ftatt daß er nach der alten Anficht wit
in Folge und Gemüßheit feines Erkennens. (W. L 345. €. 152,
Weit entfernt, daß der Charakter das Werk vernünftiger Wahl un!
Ueberfegung wäre, hat ber Intellect beim Handeln nicht® weiter ;ı
Freiheit 199
hun, au dem Willen bie Motive vorzubalten; dann aber muß er als
bieder zuſhaner und Zenge zufehen, wie aus ihrer Wirkung auf ben
gegehemen Charakter der Lebenslauf fich geftaltet, deſſen ſämmtliche
Bergisg, genau genommen, mit bderfelben Notwendigkeit eintreten,
we de Bewegungen eined Uhrwerks. (P. II, 250.)
6) Bo die moralifche Freiheit liegt.
te Berneinung der empirifchen Willensfreiheit ift nicht gleichbe-
werd mit Berneinung der Willensfreiheit überhaupt. Die Leugnung
r Villensfreiheit ſchlechthin widerftritte der Thatfache des Gefühle
s 8erantwortlichkeit für Das, was wir thun, der Zurechnungs⸗
higfeit für unfere Handlungen. ‘Da nun aber die {Freiheit weder
den Handlungen, noch im empirischen Charakter Liegt, jo muß fie
o ander gefucht werden. Nur durch die Kant'ſche Unterſcheidung
aiden empirischen und intelligibelm Charakter gelangen wir zur wahren,
dem Anficht über die Freiheit. (Vergl. unter Charakter: Verhältniß
3 intelligibeln zum empirischen Charakter.) ‘Der empiriiche Charakter
', al8 Segenftand der Erfahrung, eine bloße Erfcheinung, daher
de Formen aller Erfcheinung, Zeit, Raum und Caufalität gebunden
» deren Gejegen unterworfen; hingegen ift die als Ding an fich von
Ken Formen unabhängige und deshalb keinem Zeitunterſchied unter
orjene, mithin beharrende und unveränderliche Bedingung und Grundlage
er ganzen Erſcheinung fein intelligibler Charakter, d. 5. fein
dile als Ding an fi, welchem, in folder Eigenfchaft, allerdings
at abſolute Freiheit, d. h. Unabhängigkeit vom Gefege der Caufalität
aloımt. Diefe freiheit aber ift eine transfcendentale, d. h. nicht
a der Erſcheinung hervortretende, fondern nur infofern vorhandene, als
con der Erſcheinung und allen ihren Formen abftrahixen, um zu
am zu gelangen, was, außer aller Zeit, als da8 innere Weſen des
Reichen am fich felbft zu denken if. Vermöge biefer Freiheit find
de Thaten des Menfchen fein eigenes Wert, fo nothwendig fie aud
md dem empirifchen Charakter bei feinem Zufammentreffen mit den
Motiven herporgehen; weil biefer empirische Charakter blos die Er-
henung des intelligibein if. Demzufolge ift zwar der Wille frei,
oe nur an fich felbft und außerhalb der Erfheinung; in
Beier hingegen ſtelit ex fich ſchon mit einem beftimmten Charakter dar,
when alle feine Thaten gemäß fein und daher, wenn durch bie
ſenngetretenen Motive näher beftimmt, nothivendig ſo und nicht anders
"stellen müffen.
‚DE Wert unferer Freiheit haben wir demnach nicht in unfern
telnen Handlungen, fondern im ganzen Sein und Wefen zu
den. Die Freiheit, welche im Operari nicht anzutxeffen ift, muß
Mm Esse liegen. Hierauf, daß der Menſch Das ift, was er fein
Su, beruht das Bewußtſein der Berantwortlichleit und die moralifche
Ledenz des Lebens. (E. 90--98. B. II, 242.)
‚er erfennt fi) ohne Weiteres als den Willen, d. h. als Das
Kup, was als Ding an fi nicht dem Sat vom Grunde unterworfen
200 Freiheit
ift und das ſelbſt von Nichte, von dem vielmehr alles Andere
hängt; aber nicht Jeder unterfcheidet zugleich mit philoſophiſcher K
und Befonnenheit fich als ſchon in der Zeit eingetretene und beſtin
Erſcheinung diefes Willens, man könnte fagen Willensact,
jenem Willen zum Leben felbft und fucht daher, ftatt fein gan
Dafein als Act feiner Freiheit zu erkennen, diefe vielmehr in fei
einzelnen Handlungen, alfo an einem falfchen Orte. (W.1, 597
Die moralifche Freiheit ift nirgends in der Natur, fondern
außerhalb der Natur zu fuchen. Sie ift ein Metaphyſiſches, abeı
der phufifchen Welt ein Unmögliches. Demuach find unfere einze
Thaten Teineswegs frei; hingegen ift ber individuelle Charalter aı
fehen als feine freie That. Er felbft ift ein Solcher, weil er ein
alle Mal ein Solcher fein will. (P. II, 242.)
Der täufchende Schein einer Freiheit in den einzelnen Handl
beruht auf ber im Menſchen eintretenden deutlichen Sonderung
Intellects vom Willen und folglich des Motivs von der Handlu
Bo im Unorganifchen Urfachen, im Begetabilifhen Reize bie Birk
hervorrufen, ift, wegen der Einfachheit der Cauſalverbindung, nidt
mindefte Schein von Freiheit. Aber fchon beim animalifchen Leb
wo, was bis dahin Urfache oder Reiz war, als Motiv auftritt, folgl
in einem andern Gebiete, im Gebiete der Borftellung liegt, iſt
caufale Zufammenhang zwifchen Urſach und Wirkung nicht mehr
augenfällig. Zwar ift er beim Thiere noch unverkennbar. Aber
Menfchen, bem eine unfichtbare Gedankenwelt im Kopfe —*
Gegenmotive für ſein Thun liefert, da entzieht ſich jener Zuſamme
der Beobachtung. (N. 77 fg.) |
7) Teleologifche Erklärung der Illuſion der Freikt
bei jeder einzelnen Handlung.
Die Endurfache des natürlichen Scheins der Freiheit des Wille
bei jeder einzelnen Handlung ift folgende. Indem die Freiheit u
Urfprünglichfeit, welche in Wahrheit allein dem intelligibein Charalt
eines Menſchen, deſſen bloße Auffaſſuug durd) den Intellect fein Leben
lauf ift, zukommt, jeder einzelnen Handlung anzuhängen fcheint und |
das urfprüngliche Werk für das empirische Bewußtfein feheinbar |
jeber einzelnen Handlung aufs Neue vollbracht wird; fo erhält hiedur
unfer Lebenslauf die größtmöglichfte moralifhe Ermahnung (m
zesncı), indem fämmtliche fchlechte Seiten unfers Charalterd u
dadurch erft vecht fithlbar werden. Jede That nämlich begleitet de
Gewifien mit dem Commentar: „Du fönnteft auch anders handeln“, -
obwohl deſſen wahrer Sinn ift: „Du lönnteft auch ein Anderer je
(®. II, 250.)
8) Eintritt der Freiheit in die Erfcheinung bei
Menſchen.
Im Menſchen als der vollkommenſten Erſcheinung des Willens fon
der Wille zum völligen Selbftbewußtfein, zum deutlichen und erſchöpfender
Freimaurerei — Freude 201
Erkemen feines eigenen Weſens, wie es fich in ber ganzen Welt ab-
fyiegelt, gelangen. Aus. dem wirklichen Vorhandenſein diefes Grades
ser Srkerminiß geht nicht nur die Kunſt hervor (f. Kunft), fonden
e8 wird durch fie auch, indem der Wille fie auf fich ſelbſt bezieht, eine
Sefpebung nnd Selbftverneinung befjelben in feiner vollfommenften
Erfheinung möglich; ſo daß die reiheit, welche fonft, al8 nur dem
Ting an fi zufommend, nie in der Erfcheinung fich zeigen Tann, in
foldem Wall auch in diefer hervortritt und, indem fie das ber Er»
ſcheinung zum Grunde liegende Weſen aufhebt, während dieſe felbft in
ber Zeit noch fortdauert, einen Widerſpruch der Erfcheinung mit fi
jelbſt Hervorbringt und gerade dadurch die Phänomene der Heiligkeit
md Selbftverleugnung darftelt. Der Menſch unterfcheidet fi) alſo
ten allen andern Erfcheinungen des Willens dadurch, daß die Freiheit,
b. 5. Unabhängigkeit vom Sag des rundes, welche nur dem Willen
a8 Ding an fi zukommt und der Erfcheinung widerfpricht, dennoch
ber ihm möglichermweife aud in die Erſcheinung eintreten kann, wo ſie
sber dann nothwendig als ein Widerfpruch der Erfeheinung mit fich
ſelbſt ſich darſtellt. In diefem Sinne kann nit nur der Wille an
ſich, ſondern jogar der Menſch allerdings frei genannt und dadurch
von allen andern Weſen unterfchieden werden. (W. I, 339 fg. 355.
476— 478.)
freimaurerei, f. Diyfterien.
frende.
1) Wirkung der Freude.
Wie jede merkliche Erregung des Willens die Function des Intellects
ſtört und durch ſeine Einmiſchung ihr Reſultat verſälſcht, ſo auch die
Frende. Die Freude macht unüberlegt, rückſichtslos und verwegen.
W. II, 241.)
2) Segen das Uebermaaß der Yreube.
Unmäßige Freude und fehr heftiger Schmerz finden ſich immer nur
in der felben Perfon ein; denn beide bedingen fich wechlelfeitig und
find auch gemeinfchaftlich durch große Rebhaftigfeit des Geiſtes bedingt.
Beide werden nicht durch das rein Gegenwärtige, fondern durch An⸗
ticipatton der Zukunft bervorgebraht. Da aber der Schmerz bem
Lehen weſentlich ift und auch feinem Grade nach durd) die Natur des
Snbject8 beftimmt ift, daher plögliche Veränderungen, weil fie immer
äußere find, feinen Grab eigentlich nicht ändern können; fo liegt dem
übermäßigen Jubel oder Schmerz immer ein Irrthum und Wahn zum
GErunde; folglich Tießen jene beide Ueberfpannungen des Gemüths fich
ducch Einficht vermeiden. Jeder unmäßige Jubel (exaltatio, insolens
laetitia) beruht immer auf dem Wahn, Etwas im Leben gefunden zu
haben, was gar nicht darin anzutreffen ift, nämlich dauernde Befriedigung.
Som jedem einzelnen Wahn diefer Art muß man fpäter nnausbleiblich
wrüdgebracht werden und ihn dann, wenn er verjchwindet, mit eben fo
bittern Schmerzen bezahlen, als fein Eintritt Freude verurſachte. Er
202 Freundſchaft
gleicht inſofern durchaus einer Höhe, von der man nur durch Fal
wieder herab Tann; und jeder plögliche, übermäßige Schmerz ift ebeı
nur der Sal von fo einer Höhe, das Berfchwinden eines ſolche
Wahnes, und daher durch ihn bedingt. Um beide zu vermeiden, ba
man die Dinge ſtets im Ganzen und in ihrem Zuſammenhang auf
zufafien und ſich zu hüten, ihmen die fubjective Farbe zu leihen. Di
Stoifhe Ethik gieng hauptfächlich darauf aus, das Gemüth von allen
ſolchen Wahn zu befreien und ihm ftatt deffen unerſchütterlichen Gleich
muth zu geben. (W. I, 374 fg.) Ueber keinen Vorfall ſollte man tı
großen „Jubel, oder große Wehllage ausbrechen; theild wegen der Ber
änberlichfeit aller Dinge, die ihn jeden Augenblid umgeftalten Tann
theil8 wegen der Trüglichleit unſers Urtheils über das uns Gedeihliche
oder Nachtheilige, in Folge welcher faft Jeder ein Mal gewehflagt ha
über Das, was nachher fich als fein wahres Beſtes auswies, ode
gejubelt über Das, was die Quelle feiner größten Leiden geivorden iſt
P. I, 503.)
3) Unterfchied der ächten von der gleißneriſchen Freude.
Die allermeiften Herrlichleiten find bloßer Schein, wie die Theater⸗
decoration, und das Weſen der Sache fehlt. 3. B. bewimpelte und
befränzte Schiffe, Kanonenfchüffe, Illuminationen, Pauken und Trom⸗
peten, Jauchzen und Schreien u. |. w. — dies Alles ift das Aus—
hängejchild, die Hieroglyphe der Freude; aber die Frende felbft iſt
dabei meiftens nicht zu finden; fie allein bat beim Feſte abgefagt. Die
wirfliche Freude kommt in ber Regel ungeladen und ungemelbet, von
felbft und sans fagon, ja, ftill herangefchlichen, oft bei den unbeden⸗
tendften Anläffen, unter den alltäglichften Umfländen, ja, bei nichts
weniger als glänzenden, oder ruhmvollen Gelegenheiten. Bei ala
oben erwähnten gleißenden Dingen und Feitlichkeiten ift auch der Zwed
blos, Andere glauben zu machen, hier wäre die Freude eingelehrt; biefer
Schein im Kopf Anderer ift die Abſicht. Glänzende, rauſchende Hefte
und Luftbarkeiten tragen ſtets eine Leere, wohl gar einen Mißton im
Innern, ſchon weil fie dem Elend und der Dürftigkeit unfers Dafeins
laut widerfprechen, und der Contraft erhöht die Wahrheit. (P. J, 436.)
Sreundſchaſt.
1) Die Freundſchaft als eine Miſchung heterogener
Elemente.
Die Freundſchaft iſt immer Miſchung von Selbſtſucht und
Mitleid; erſtere liegt im Wohlgefallen an der Gegenwart des Freundes,
beffen Individualität der unfrigen entfpricht, und fe macht faft immer
ben größten Theil aus; Mitleid zeigt ſich in der aufrichtigen Theil
nahme an feinem Wohl und Wehe und den uneigennüßgigen Opfer,
die man diefem bringt. (W. I, 444.)
Wahre, ächte Freundſchaft ſeht eine ſtarke, rein objective und völlig
unintereſſirte Theilnahme am Wohl und Wehe bes Andern voran,
und dieſe wieder ein wirkliches Sich⸗ mit dem Freunde⸗Identificiren.
Freundſchaft 203
Ten ſteht der Egoismus der menſchlichen Natur fo ſehr entgegen, daß
wahre Freundſchaft zu den Dingen gehört, von denen man, wie von
den coloſſalen Seeſchlangen, nicht weiß, ob fie fabelhaft find ober
itzendio exiſtiren. Indeſſen giebt es mandherlei, in der Hauptſache
falih auf verſteckten egoiſtiſchen Motiven der mannigfaltigſten Art
bernhende Verbindungen zwiſchen Menſchen, welche dennoch mit einem
Gran jener wahren Freundſchaft verſetzt ſind, wodurch ſie ſo veredelt
werden, daß ſie in dieſer unvollkommenen Welt mit einigem Fug den
Namen der Freundſchaft führen dürfen. (P. J, 488.)
Bei den Alten iſt Freundſchaft ein Hauptcapitel der Moral. Aber
fie ift eine bloße Eingefchränttheit und Kinfeitigkeit, die Beſchränlung
Desjenigen auf Ein Individnum, was der ganzen Menfchheit gebührt,
des Wiedererlennens feines eigenen Weſens im Andern; höchſtens ıft
fie ein Compromiß zwifchen biefem umd dem Egoismus. (©. 402.)
2) Werth eines treuen, aufridtigen Freundes.
Wegen der Verunreinigung faft aller Erkenntniſſe und Urtheile des
Intellects durch die fubjectiven Intereſſen des Willens ift e8 ung,
namentlich in und wichtigen perfönlichen Angelegenheiten, wo das In⸗
tereffe bald al8 Furcht, bald als Hoffnung jeden Schritt des Intellects
verfälfcht, faft unmöglich, Mar zu jehen und das Wichtige zu treffen.
Deshalb ift, unter fehr erregenden Umftänben, ein treuer und aufrichtiger
Freund von unſchätzbarem Werth; weil er, felbft unbetheiligt, die
Dinge fieht wie fie find, während fie unferm Blicke durch die Gaukelei
kr Leibenfchaften verfälfcht ſich darftellen. (P. II, 69 fg.)
3) Erprobung bes Freundes.
Die Aechtheit eine® Freundes zu erproben, hat man nächſt den
Fällen, wo man ernftlicher Hilfe und bedeutender Opfer bebarf, bie
befte Gelegenheit in dem Angenblid, wo man ihn ein Unglitd, davon
man jo eben getroffen worden, berichte. Alsdann nämlich malt ſich
in feinen Zügen entweder wahre, innige, unvermifchte Betrübniß, ober
aber fie beitätigen, durch ihre gefaßte Ruhe, oder einen fliichtigen
Rebenzug, Rochefoucaulds Wort, daß felbft in dem Unglüd unferer
beften Freunde Etwas ift, was uns nicht mißfällt. Die gewöhnlichen
fogenannten Freunde vermögen bei ſolchen Gelegenheiten oft kaum
das Zuden zu einem leifen, wohlgefälligen Lächeln zu unterdrüden.
(P. I, 488.)
4) Was jeder Freundfhaft Eintrag thnt.
Entfernung und lange Abwefenheit thun jeder Freundfchaft Eintrag,
jo ungern man es gefteht. Denn Menſchen, die wir nicht fehen, wären
fie auch unfere geliebteften Freunde, trodnen im Laufe ber Jahre all-
mälıg zu abftracten Begriffen auf, wodurch uufere Theilnahme an ihnen
mehr und mehr eine blo8 vernünftige, ja traditionelle wird; bie leb-
hafte und tiefgefühlte bleibt Denen vorbehalten, die wir vor Augen
haben. So ſinnlich ift die menfchlihe Natur. (P. I, 488 fg.)
904 Fröhlichkeit — Fürſten
5) Die Zahl der Freunde.
Die Zahl der Freunde, die Einer hat, iſt kein Beweis ſeines
Werthes. Nichts verräth weniger Menſchenkenntniß, als wenn man
als einen Beleg ber Verdienſte und des Werthes eines Menſchen an-
führt, daß er fehr viele Freunde hat; als ob die Menfchen ihre
Freundſchaft nad dem Werth und BVerdienft verfchenkten. Es Täßt ſich
gegentheild behaupten, daß Menſchen von vielem Werth und Berbienft |
nur wenig Yreunde haben fünnen. (MM. 257.)
6) Unabhängigkeit der Freundſchaft zwifchen Berfonen
verfhiedenen Geſchlechts von der Geſchlechtsliebe.
(S. Geſchlechtsliebe.)
Sröhlichkeit, ſ. Heiterkeit.
Sühlen, ſ. Gefühl.
Surcht.
1) Wirkung der Furcht.
Der ſtörende Einfluß der Erregung des Willens auf den Intellect
zeigt ſich bei der Furcht darin, daß dieſelbe uns in Gefahren ver-
hindert, die noch vorhandenen, oft nahe liegenden Rettungsmittel zu
fehen und zu ergreifen. Ferner, wie die Hoffnung ung Das, was
wir wünfchen, fo läßt die Furcht und Das, was wir beforgen, als
wahrſcheinlich und nahe erbliden, und beide vergrößern ihren Gegen:
ſtand. (W. U, 241 fg.)
2) Die Furcht als Urfprung bes Ödtterglaubens.
Primus in orbe Deos fecit timor ift ein altes Wahrwort des
Petronius. Dean könnte daher, das Leben und die populäre Theologie
im Auge habend, zu den drei von Sant fritifirten Beweiſen fiir dae
Dafein Gottes noch einen vierten fügen, den a terrore, als befien
Kritit Hume's unvergleihliche natural history of religion zu be
trachten if. Im Sinne defjelben verftanden, möchte wohl auch der
von Schleiermacher verfuchte Beweis aus dem Gefühl der Abhängigkeit
feine Wahrheit haben, wenn auch nicht gerade die, welche ber Auffteller
deffelben ſich dachte. (W. I, 607. N. 38.)
Surchtſamkeit.
Ein gewiſſes Maaß von Furchtſamkeit iſt zu unſerm Beſtande in
der Welt nothwendig; die Feigheit iſt blos das Ueberſchreiten deſſelben.
(®. 1, 506)
Sürſten.
1) Was die Fürſten urſprünglich waren und was ſie
ſpäter wurden.
Voltaire fagt: Le premier qui fut roi fut un soldat heureux.
Allerdings find urfprüngli wohl alle Fürſten flegreiche Heerführer
gewefen, und lange Zeit haben fie eigentlich in diefer Eigenſchaft ger
herrfcht. Nachdem fie ftehende Heere hatten, betrachteten fie das Voll
ald dag Mittel, fi) und ihre Soldaten zu ernähren, folglich als eine
Fürften 205
Herde, für die man forgt, damit fie Wolle, Milch und Tleifch gebe.
Dies beruht darauf, daß von Natur, alfo urfprünglich, nicht das
Keht, fondern die Gewalt auf Exden herrfcht und daher vor jenem
tn Vorzug des primi occupantis bat. Demnach fagt ber Fürft:
ich herrſche über euch, durch Gewalt; dafür aber fchließt meine Gewalt
jede andere aus. Mit der Zeit und ihren Yortjchritten ift jener Begriff
ia den Hintergrund getreten und an feine Stelle der des Landesvaters
gelommen und ber Fürſt (König) ift der Erxfte, unerſchütterliche Pfeiler
der ganzen gefetlichen Ordnung und bie Stüge der Rechte Aller ge-
worden. Died kann er aber nur leiften vermöge feines angeborenen
Vorrechts, das ihm eine unbezweifelte, unangefochtene Auctorität giebt,
der Jeder inftinctiv gehorcht. Daher heißt ex mit Recht „vor Gottes
Guaden“ und ift allemal die nüglichfte Perfon im Staat, deren Ver⸗
dienfte durch Feine Civillifte zu theuer vergolten werben können. (P. U,
264 fg.)
2) Die conftitutionellen Fürſten.
Die conftitutionellen Yürften haben eine unläugbare Aehnlichfeit mit
den Göttern des Epikuros, als weldhe, ohne fi) in die menfchlichen
Angelegenheiten zu miſchen, in ungeftörter Seligkeit und Gemüthsruhe
da oben in ihrem Himmel fiten. Sie find nun aber ein Mal jest
Mode geworden, und in jedem beutfchen Duodezfürftenthum wirb eine
Parodie der englifchen Verfaſſung aufgeführt. Aus dem englifchen
Charakter und den englifchen Verhältniffen hervorgegangen find die con⸗
Ritutionellen Formen dem englifhen Volfe gemäß und natürlich; eben
ſo aber ift dem deutſchen Bolfe fein Getheiltfein in viele Stämme, die
mter eben fo vielen, wirklid regierenden Fürften ſtehen, mit einem
Kaiſer über Alle natürlich, weil aus feinem Charakter und feinen
Berhältniffen hervorgegangen. (PB. II, 273.)
3) Gegen die morganatifche Ehe der Fürften.
Die Fürften handeln viel moralifcher, wenn fie eine Mätreſſe halten,
als wenn fie eine morganatifche Ehe eingehen, deren Desfcendenz, beim
etrvaigen Auöfterben der Iegitimen, einft Anfprüche erheben Tönute; wes⸗
bald, fei es auch noch fo entfernt, durch folche Ehe die Möglichkeit
eines Bürgerkrieges herbeigeführt wird. Ueberdies ift eine folche mor-
ganatifche, d. h. eigentlich allen äußern Berhältniffen zum Trotz ge«
ſchloſſene Ehe im letzten Grunde eine den Weibern und Pfaffen gemachte
Gonceffion, zweien Claffen, denen man Leine Conceffionen machen fol.
Ferner ift zu erwägen, daß Jeder im Lande das Weib feiner Wahl
chelihen Tann, bis auf Einen, den Fürften nämlich, dem dieſes
natürliche Recht benommen iſt. Seine Hand gehört dem Lande und
wird nach ber Staatsräfon vergeben. Nun aber ift er doch ein Menfch
and will auch dem Hange feines Herzens folgen. Daher ift ed fo
ungerecht und undankbar, wie ſpießbürgerlich, dem Fürſten das Halten
einer Mätreffe verwehren, oder vorwerfen zu wollen. (P. I, 390.)
206 Gähuen — Ganglien
Gahnen. |
Tas Gühnen gehört zu den Neflerbewegungen. Vermuthlich iſt
feine entfernte Urfadye eine durch Langeweile, Geiftesträgheit, oder
Schlafrigkeit herbeigeführte momentane Depotenzirung bes Gehirns,
über weidyes jetzt das Rückenmark das Uebergewidht erhält und mun
ans eigenen Mitteln jewen fonberbaren Krampf hervorruft. Hingegen
fann das dem Gähnen oft gleichzeitige Reden der Glieder, da es, ob-
wohl unvorfäglich eintretend, doch der Willlür unterworfen bleibt, nicht
mehr den Reflerbewegungen beigezählt werden. Wie das Gähnen in
letzter Iuflanz aus einem Deficit an Senfibilität entfteht, jo das Reden
ans einem angehäuften, momentanen Ueberfhuß an Irritabilität, deiten
man fi) dadurch zu entlebigen ſucht. Demgemäß tritt es nur in
Perioden der Stärke, nidht in bemen der Schwäche ein. (P. I, 179.)
Galgen.
Der Galgen ift ein Ort ganz befonderer Offenbarungen und eine
Warte, von welcher aus dem Menſchen, der daſelbſt feine Beſinnung
behält, die Ausfichten in die Ewigkeit fich oft weiter aufthun und
deutlicher barftellen, als den meiften Philofophen über den Paragraphen
ihrer rationalen Pfychologie und Theologie. Dies geht aus den und
aufbewahrten, von Verbrechern gehaltenen Galgenpredigten hervor, melde
zeigen, welche große und fchnelle Umwälzung des innerſten Weſens im
Menſchen da eintritt, wo er bei vollem Bewußtſein einem gewaltſamen
und gewiflen Tode entgegengeht, alfo bei Hinrichtungen. (W. D,
723— 725.)
ang, f. unter Bewegung: Beweglichkeit ber Glieder.
Sanglien. |
Die Rolle, welche im Organismus die Ganglien fpielen, haben
wir al8 eine diminutive Gehirnrolle zu denken, wodurch die eine zur
Erläuterung der andern wird. Die Ganglien liegen überall, wo die
organifchen Functionen des vegetativen Syſtems einer Aufſicht be
dürfen. Es ift, als ob dafelbft der Wille, um feine Zwede durchzuſetzen,
nicht mit feinem directen und einfachen Wirken ausreichen konnte, fondern
einer Leitung und deshalb einer Controle deſſelben bedurfte. Hiezu
reihen, für das Innere des Organismus, bloße Nervenknoten aus.
Die Ganglien find Heine Senforia im Innern, für fpecielle und deshalb
einfache Verrichtungen; während das KHauptfenforium das Gehirn,
der große und künſtliche Apparat für die complicirten und vielfeitigen,
auf die unaufhörlich und unregelmäßig wechjelnde Außenwelt bezüglichen
Berrichtungen if. Wo im Organismus Nervenfüden in ein Ganglion
zufammenlaufen, da ift gewiffermaßen ein eigenes Thier vorhanden und
abgefchloffen, welches, mittelit des Ganglions, eine Art von ſchwacher
Gartenkunſt 207
Eckentniß hat, deren Sphäre jedoch beſchränkt ift auf die Theile, aus
denen diefe Nerven unmittelbar fommen. (W. II, 290 fg.)
Te Fortfchritte der Phyfiologie feit Haller haben aufer Zweifel
geegt, daß nicht blos die vom Bewußtſein begleiteten äußern Handlungen
fmctiones animales), fondern and) die völlig unbewußt vorgehenden
Seheneprocefie (functiones vitales et naturales) durchgängig unter
Yang des Nervenfyftems ftehen, und der Unterfchied, in Hinficht
ze da8 Bewußtwerden, blos darauf beruht, daß die erfteren durch
Rerven gelenft werden, die von Gehirn ausgehen, die letzteren aber
der Nerven, die nicht direct mit jenem, hauptſächlich nad) Außen
geriteten Hauptcentrum des Nervenſyſtems communiciren, dagegen
oder mit untergeorbneten Heinen Centris, den Nervenfnoten, Ganglien
and ihren Berflechtungen, welche gleihjam als Statthalter den ver-
ihiedenen Provinzen des Nervenſyſtems vorftehen und die innern
Vorgänge auf innere Reize leiten, wie das Gehirn die äußern Handlungen
uf äußere Motive; welche alfo Eindrüde des Innern empfangen und
krauf angemeſſen veagiren, wie das Gehirn Borftellungen erhält und
krauf befchließt; mur daß jegliches von jenen auf einen engeren
Virkungskreis befchränft if. Hierauf beruht die vita propria jedes
Zyſtems. Hieraus ift auch das fortbauernde Leben abgejchrittener
Zheile erklärlich, bei Infecten, Reptilien und andern niedrig ftehenden
Ihieren, deren Gehirn fein großes Webergewicht über die Ganglien
cainzelner Theile hat; ingleichen, daß manche Reptilien, nad) wegge⸗
soumenem Gehirn, noch Wochen, ja Monate lang leben. (N. 24.)
Sorienkunfl.
1) Die Reiftungen der Sartenfunft.
Bas fir die unterften Stufen der Objectität des Willens, die Ideen
der flarren und der flüffigen Materie, die Baukunſt und die ſchöne
Waſſerleitungskunſt leiften, das leiftet fiir die höhere Stufe der vege-
tabiliſchen Natur gewiſſermaßen die fchöne Gartenkunft. Die land»
ſchaftliche Schönheit eines Fleckes beruht großentheils auf der Mannig⸗
faltigleit der auf ihm ſich beifammenfindenben natürlichen Gegenftände,
und ſodann darauf, daß dieſe fich rein ausfondern, deutlich hervortreten
ud doch im paflender Verbindung und Abwechslung fich darftellen.
Diefe beiden Bedingungen find es, denen die ſchöne Gartenkunſt nach⸗
hitft; jedoch ift fie ihres Stoffes Lange nicht fo Meifter, wie die
Vanfunft des ihrigen, und daher ihre Wirkung befehränft. Das Schöne,
was fie dorzeigt, gehört faft ganz der Natur; fie felbft hat wenig dazu
gethan, und andererjeitS kann fie gegen die Ungunft der Natur wenig
anrichten, und wo ihr biefe nicht vor⸗ fondern entgegenarbeitet, find
Ihre Leiftungen gering. (W. I, 257.)
2) Unterfchied zwiſchen den englifhen und altfran-
zöfifhen Gärten.
Tas Brincip der englifchen Gärten ift, die Kunft möglichft zu ver-
bergen, damit es ausjehe, als babe Hier die Natur frei gewaltet.
208 Gattung
Der mächtige Unterfchieb zwifchen den englifchen, richtiger chineſiſchen
Gärten und ben jett immer feltener werbenden, jedoch noch in einigen
Praht- Exemplaren vorhandenen altjranzöfifchen, beruht im letzter
Grunde barauf, daß jene im objectiven, biefe im fubjectiven Sinn
angelegt find. Im jenen nämlich wirb der Wille der Natur, wie cı
fih in Baum, Staude, Berg und Gewäſſer objectivirt, zu möglidf
reinem Ausdruck biefer feiner Ideen, alſo feines eigenen Weſens, ge:
bradt. In den franzöfiichen Gärten hingegen fpiegelt fi nur der
Wille des Befiters, welcher die Natur unterjodht hat, jo daß fie, ftatt
ihrer Ideen, bie ihm entfprechenden, ihr aufgezwungenen Yormen, ald
Abzeichen ihrer Sclaverei, trägt: gefchorene Heden, in allerhand Ge—
ftalten gejchnittene Bäume, gerade Allen, Bogengänge u. |. m.
(W. DO, 460 fg.)
&attung,
1) Begriff der Battung.
Die (Platonifchen) Ideen der verfchiebenen Stufen der Weſer,
welche die adäquate Objectivation des Willens zum Leben find, ftellen
fih in der an die Form der Zeit gebundenen Erkenntniß des Jı-
bividuums als die Gattungen, db. h. al8 die durch das Band da
Zeugung verbundenen, fucceffiven und gleichartigen Individuen der.
Die Gattung ift daher die in ber Zeit auseinander gezogene Ider
(slöog, species.) (W. II, 582.)
2) Uebermacht des Gattungslebens Über das indivi-
duelle Leben. |
Obgleich der Wille nur im Individuum zum Selbftbewußtjein ge
fangt, alſo unmittelbar nur als Individuum erkennt; fo tritt das a
der Tiefe liegende Bewußtſein, daß eigentlich die Gattung es ift, ®
ber fein Wefen fich objectivirt, doch darin hervor, daß dem Imbividum
die Angelegenheiten der Gattung als folder, aljo die EGeſchlechtä.
verhältnifie, die Zeugung und Ernährung der Brut, ungleich wichtig
und angelegener find, als alles Andere. Daher aljo bei den Thierm
die Brunft und beim Menfchen die forgfältige und capricidfe Auswahl
des andern Individuums zur Befriedigung des Gefchlechtstriebes, welche
fi) bis zur leidenfchaftlichen Liebe fteigern kann; eben daher endlich
die überfchwängliche Liebe der Eltern zu ihrer Brut. (W. II, 582)
Alle Thatfachen deuten darauf Hin, daß das Leben des Imbivibuumd
im Grunde nur ein von der Gattung erborgte® und daß alle Lebens⸗
kraft gleichfam durch Abdämmung gehemmte Gattungstraft iſt. Dieled
aber ift daraus zu erflären, daß das metaphyſiſche Subftrar des Leben
fid) unmittelbar in der Gattung und erft mittelft diefer im Je
bivibuum offenbart. ‘Die Heftigkeit des Gefchlechtötriebes, ber rege
Eifer und ber tiefe Ernft, mit weldyem jedes Thier, und ebenjo Dt
Menſch, die Angelegenheiten deffelben betreibt, bezeugt, daß durch de
ihm dienende Function das Thier Dem angehört, worin eigentlid und
bauptfächlich fein wahres Wefen liegt, nämlich der Gattung; toäßrend |
Gebärde — Gebäctniß 209
alle andern Functionen und Organe unmittelbar nur dem Individuum
tiemen, deffen Dafein im Grunde nur ein fecundäres if. In ber
Heftigleit jenes Triebes, welcher die Concentration des ganzen thicrijchen
Wejens iſt, drückt ferner ſich das Bewußtſein aus, daß das Individuum
nicht jortdauere und daher Alles an die Erhaltung der Gattung zu
ſcden babe, in welcher fein wahres Dafein liegt. (W. II, 583 fg.).
zer Bille zum Leben äußert fi) zwar zunächſt als Streben zur Er-
baltımg des Individuums; jedoch ift dies nur die Stufe zum Streben
ach Erhaltung der Gattung, welches Iettere in dem Grabe heftiger
kin muß, als das Leben der Gattung an Dauer, Ausbehnung und
Verih das des Individuums übertrifft. (W. II, 586. 639.)
(Ueber Gattung im logischen Sinne ſiehe: Genus.)
Gebärde, ſ. Geſten. Geſticulation.
Bebaude, |. Architectur.
Schet.
1) Jedes Gebet zeugt von Idololatrie.
Ob man fih ein Idol macht aus Holz, Stein, Metall, oder es
zujammenſetzt aus abftracten Begriffen, ift einerlei; e8 bleibt Ydolo-=
latrie, fobald man ein perjönliches Weſen vor fich hat, dem man
opfert, das man amruft, dem man danft. Es ift auch im Grunde fo
perichieben nicht, ob man feine Schanfe oder feine Neigungen opfert.
Jeder Ritus, oder Gebet zeugt unmwibderfprehlid von Idololatrie.
(P. I, 405.)
2) Das fhönfte Gebet.
Es giebt Fein jchöneres Gebet, als Das, womit die Alt-Imdifchen
Schauſpiele (wie in früheren Zeiten die Englifchen mit bem für den
König) ſchließen. Es Laute: „Mögen alle lebende Weſen von
Schmerzen frei bleiben.” (E. 236.)
Ecbirge, f. unter Natur: Die äftgetifche Wirkung der Natur.
Gcburtsrecht, |. Adel.
Erdachtnif.
1) Das Gedächtniß als Function bes Intellects,
Der Wille, an fid) und als folder, hat Fein Gedächtniß, als
welches eine Function des Intellects ift, der, feiner Natur nad,
nichts Liefert und enthält, als bloße Vorftellungen. Was daher nicht
Borftellung ift, Liegt nicht im Bereich des Gedächtniſſes. Beil
stende und Leid nicht Borftellungen, fondern Willensaffectionen
find, Liegen fie auch nicht im Bereich des Gedächtniſſes, und wir ver-
mögen nicht, fie felbft zurückzurufen, al® welches hieße, fie erneuern;
ſondern blos die Vorftellungen, von denen fie begleitet waren, können
wir uns wieder vergegenmwärtigen, zumal aber unferer durch fie damals
bervorgerufenen Aeußerungen uns erinnern, um daran, was fle gewefen,
Edopenbauerskeriton. IL 14
210 Gedachtniß
zu ermeſſen. (P. II, 641.) Der Intellect allein Bat die Fuͤhiglen
ber Erinnerung. (W. II, 574.)
Die Eigenthiimlichleit des erfennenden Subjects (Intellect®), daß es
in Bergegenwärtigung von Borftellungen dem Willen defto leiter ge-
horcht, je öfter folche Vorftellungen ihm fchon gegenwärtig gewelen
find, d. 5. feine Uebungsfähigkeit, ift das Gedächtniß. Dafjelbe
ift alfo nicht als ein Behältniß zu denken, in welchem wir einen Bor-
rath fertiger Vorftellungen aufbewahrten, die wir folglid) immer hätten,
nur ohne uns berfelben immer bewußt zu fein. Denn keineswegs ift
eine Erinnerung immer die felbe Vorftellung, bie gleichſam aus ihrem
Behältnig wieder hervorgeholt wird, fondern jedesmal entfteht wirklich
eine nene, nur mit befonberer Leichtigkeit durch die Uebung. (©. 146 fg.
W. II, 154. P. O, 642.)
Für das Gedächtniß ift wohl die Verwirrung und Confufton des
Selernten zu beforgen, aber doch nicht eigentliche Ueberfüllung. Seine
Tähigfeit wird durch das Gelernte nicht vermindert, fo wenig, wie bie
Formen, in welche man fucceffiv den Sand gemodelt hat, defien Fähig-
feit zu neuen Formen vermindern. In diefem Sinne ift das Gedächmiß
bodenlos. Jedoch wirb, je mehr und vieljeitigere Kenntniffe Einer hat,
er befto mehr Zeit gebrauchen, um Das heranszufinden, was jest plöglid
erforbert ift; weil er ift, wie ein Kaufmann, der aus einem großen
und mannigfaltigen Magazin die eben verlangte Waare hervorſuchen
fol; oder, eigentlich zu reden, weil er, aus fo vielen ifm möglichen
gerade den Gedankengang herporzurufen hat, der ihn, in Folge frühere
Einübung, auf das Berlangte leitet. Denn das Gedächtniß ift fen
Behältniß zum Aufbewahren, fondern blos eine Uebungsfähigkeit der
Geiftesträfte; daher ber Kopf alle feine Kenntniffe ſtets num potentia,
nit actu beſitzt. (P. U, 641 fg.)
Aus der Form der Zeit und der einfahen Dimenfion der
Borftellungsreihe, vermöge welcher der Intellect, um Eines aufzufaflen,
alles Andere fallen laffen muß, folgt, wie feine Zerftreuung, fo auf
feine Vergeßlichkeit. (W. II, 154.)
2) Unterfhied zwifchen dem thierifhen und menſch—
liden Gedächtniß.
Die Thiere haben ein blos anfchanendes Gedächtniß, ber Maid
Bingegen außer dem anfchauenden ein begrifflidhes, und daher hat
der Menſch eine geordnete, zufammenhängende, denkende Rückerinnerung
und mittelſt diefer eim deutliches Bewußtſein der Vergangenheit und
ihres Zufammenhanges mit ber Gegenwart. Die Thiere haben eigent-
lich Feine Borftelung von der Vergangenheit als ſolcher und daher fein
eigentliches Gedächtniß. Das Erinmerungsvermögen der Thiere if,
wie ihr gefammiter Intellect, auf das Anfchauliche beſchräukt und
befteht zunächſt blos darin, daß ein wieberfehrender Eindruck ſich ald
bereits dageweſen ankündigt, indem die gegenwärtige Anfchauung die
Spur einer frühern auffrifcht; ihre Erinnerung ift daher ſtets burd
Geduchtniß 211
das jept wirklich Gegenwärtige vermittelt. Dieſes regt aber eben
beehelb die Empfindung und Stimmung, welche bie frühere Erſcheinung
hervorgebracht hatte, wieder an. Demnad; erkennt der Hund bie Be—
anzten, umterjcheidet Freunde und Feinde, findet ben einmal zurück⸗
gelegten Weg u. |. w. wieder. Auch wir find in einzelnen Fällen, wo
des eigentliche Gebächtniß feinen Dienſt verfagt, auf jene anſchauende
Rũderinnerung beſchränkt, wodurch wir den Unterfchied beider aus
agener Erfahrung ermefien können. Bei den Mügften Thieren fteigert
fich dieſes blos anfchauende Gedächtniß bis zu einem gewifjen Grabe
von Phantafie, welche ihm wieder nachhilft und vermöge deren
. DB. dem Hunde bas Bild des abweſenden Herrn vorſchwebt und
Verlangen nad ihm erregt, daher er ihn, bei längerem Ausbleiben,
dt. (W. II, 63 fg.; I, 227.)
3) Die auf das Gedächtniß wirkenden Einflüffe.
a) Einfluß der Uebung.
Da das Gebädjtnig Fein Behältniß, fondern eine bloße Webungs-
fähigkeit im Hervorbringen beliebiger Vorſtellungen ift, fo muß es aud)
buch ſtete Wiederholung biefer in Uebung erhalten werden, da fie
jonſt fich allmälig verlieren. (W. UI, 154.) Die willfürliche Wieder⸗
holnng gegenwärtig gemwejener Borftellungen wird durch Uebung fo
lat, daß, fobald ein Glied einer Reihe von Borftellungen uns gegen-
wärtig geworben ift, wir al8bald die übrigen, felbft oft fcheinbar gegen
wien Willen, Hinzurufen, ähnlich wie ein Tuch die Falten, in die es
oft gelegt worden, nachher gleichfam von felbft wieder ſchlägt. Wie
der Leib dem Willen durch Uebung gehorchen lernt, ebenfo das Vor⸗
tellmgsvermögen. Erworbene Kenntniffe, wenn wir fie nicht üben,
verihwinden allmälig aus unferm Gedächtniß, weil fie eben nur aus
der Gewohnheit und dem Griffe kommende Uebungsſtücke find. (G. 147.)
Rdes Erlernte muß von Zeit zu Zeit durch Wiederholung aufgefrifcht
werden; fonft wird es allmälig vergefien. (P. II, 55, Anmerkung.)
Aus dem Einfluß der Wiederholung auf das Gedächtniß erflärt es
\d, warum die Umgebungen und Begebenheiten unferer Kindheit fich
jo tief dem Gedächtniß einprägen; weil wir nämlich als Kinder nur
wenige und hauptſächlich nur anfchauliche Vorftellungen haben und wir
bieie daher, um befchäftigt zu fein, unabläffig wiederholen. (©. 148.)
b) Einfluß ber Anſchaulichkeit der Borftellungen.
Anfganliche Bilder haften fefter im Gedüchtniß, als bloße Begriffe,
dder gar nur Worte. Darum behalten wir fo fehr viel befier was
wir erlebt, als was wir gelefen haben. Hieraus ergicht fich die Regel:
Man ſuche Das, was man dem Gedächtniß einverleiben will, fo viel
als möglich, auf ein anfhauliches Bild zurüdzuführen, ſei es nun
unmittelbar, oder als Beiſpiel der Sache, oder als bloßes Gleichniß,
Aulogon, oder wie noch fonft. Phantaflebegabte Köpfe lernen bie
Sprahen leichter, als andere; denn fie verknüpfen mit dem nenen
Bert ſogleich das anfchauliche Bild der Sache; während die Audern
14*
212 Gedãchtniß
blos das Aäquivalente Wort ber eigenen Sprache damit verknüpfen.
(8. 149. ®. I, 643.) Ein Wort haftet fefter im Gedähtniß, wenn
man ed an ein Phantasına gelnüpft hat, ald wenn an einen bloßen
Begriff. (P. I, 55, Anmerkung.)
c) Einfluß des Zufammenhanges der Borftellungen.
Am beften behalten wir ſolche Reihen von Vorftellungen, bie unter
fi) am Bande einer oder mehrerer Arten von Gründen und Folgen
zufammenhängen; fchwerer aber die, welche nit unter ſich zuſammen⸗
hängen, fondern nur willkürlich zufammengeftellt find und zufantmen:
gehalten werden. Bei jenen nämlich ift in dem uns a priori bewußten
Tormalen die Hälfte der Mühe uns erlafien. (©. 149.)
d) Einfluß der Energie des Vorſtellungsvermögens
und der Menge der Borftellungen.
Das Gedächtniß fteht unter zwei einander antagoniftifchen Einflüfien:
bem ber Energie des Borftellungsvermögens einerfeit® und dem der
Menge der diefes bejchäftigenden Borftellungen andrerſeits. Je Heiner
der erfte Factor, deſto Feiner muß auch der andere fein, um ein gute
Gedächtniß zu liefern; und je größer der zweite, deſto größer muf
auch der andere fein. (©. 148.)
e) Einfluß des Willens.
Jeder bat das meifte Gedächtniß fir Das, was ihn intereffitt,
das wenigfte für das Uebrige. Daher vergißt mancher große Grit
die Heinen Angelegenheiten und Borfälle des täglichen Lebens, fo wi
die ihm bekannt getwordenen unbebeutenden Menfchen, unglaublich fuel;
während befchränkte Köpfe das Alles trefflich behalten; nichtsdefe:
weniger wird Jener für bie ihm wichtigen Dinge und für das an
fih felbft Bedeutende ein gutes, wohl gar ein ftupenbes Gedachtniß
haben. (©. 148.) |
Durd) den Drang bes Willens wird das Gedächtniß gefteige.
Selbft wenn es ſchwach ift, bewahrt es volllommen, was für die
berrfchende Leidenſchaft Werth bat. Der Verliebte vergift Feine ihm
günftige Gelegenheit, der Ehrgeizige keinen zu feinen Plänen pafjenden
Umftand, der Geizige nie ben erlittenen Verluft u. ſ. w. Dieſer Ein
flug des Willensintereſſes auf das Gedächtniß zeigt ſich auch bei den
Thieren. Aus demjelben erklärt fih, warum eine Sade, die dem
Gedüchtniß entfallen ift, mwofern fie nur eine Beziehung auf unſem
Willen Hatte, am Leitfaden diefer in Erinnerung gebliebenen Be
ziehumg leicht wieder auch felbft in die Erinnerung zurüdgerufen wir.
Ehen jo dem Gedächtniß entfchwundene Perfonen, wenn fie chemald
eine, ſei e8 angenehme oder unangenehme Beziehung zu unferm Willen
batten und ein Nachklang diefer Beziehung in unferm Gedächtnis
zurüdgeblieben if. Dan könnte Das, was diefem Hergang zu Grunde
liegt, das Gedüchtniß des Herzens nennen; daffelbe ift viel intime,
als das des Kopfes. Dies hängt damit zufammen, daß das Gedächtiiß
überhaupt der Unterlage eines Willens bedarf, als eines Fadens,
Gedachmiß 213
auf welchen ſich die Erinnerungen reihen und ber fie feſt zuſammenhält. An
einer reinen „Jutelligenz, an einem blos erkennenden und ganz willenlofen
Befen läßt ſich daher ein Gebüchtnif nicht wohl denken. (WW. II, 249 fg.)
Ans dem Einfluß bes Willens auf das Gedächtniß läßt fich
folgendes Phänomen erklären. Bisweilen will unfer Gedächtniß ein
Sort einer fremden Sprache, oder einen Namen, oder einen Kunft-
ansdrud nicht veprobuciren, obwohl wir ihn fehr gut wiffen. Nachdem
wir uns vergeblich damit abgequält und und endlich der Sache ent-
ihlagen haben, fällt uns einige Stunden oder Tage fpäter das gefuchte
Bort zwiſchen ganz andern Gedanken von felbft ein. Dies ift fo zw
erflären: Nach dem peinlichen, vergeblichen Suchen behält der Wille
die Begier nad dem Wort und beftellt daher bemfelben einen Auf-
voffer im Intellect. Sobald nun fpäter, im Lauf und Spiel ber
Gedanken, irgend ein diefelben Anfangsbuchftaben habendes oder. fonft
ähnliches Wort zufällig vorkommt, fpringt der Aufpafler Hinzu und
mgänzt es zum gefuchten, welches er nun padt und plöglich triumphi-
rend bervorgejchleppt bringt. (P. II, 642.)
Es giebt zwei Weifen, auf. weldde Dinge unferm Gedächtniß ein-
geprägt werben: nämlich entweder durch Vorſatz, indem wir abfichtlic)
fe memoriren; ober aber fie prägen fi), ohne unfer Zuthun, von
felbR ein, vermöge bes Einbruds, den fie auf uns machen. Dazu
M erfordert, daß fie und in irgend einer Beziehung intereffant
fein. An je mehr Dingen Einer lebhaftes Intereſſe nimmt, defto
Mehreres wird ſich ihm auf diefe fpontane Weile im Gedächtniß
frten. (P. O, 56.)
f) Einfluß des Lebensalters.
Aus der dem Kindesalter eigenen tieffinnigen Auffafjung der erften
anfhanlichen Außenwelt erflärt e8 fi), warum bie Umgebungen und
Erfahrungen umferer Kindheit ſich fo feft dem Gedächtniß einprägen.
Bir find nämlich ihnen ungetheilt Hingegeben gewefen, nichts hat uns
dabei zerftreut und wir haben die Dinge, welche vor uns ftanden, an-
geſehen, als wären fie bie einzigen ihrer Art, ja überhaupt allein vor⸗
fanden. (P. I, 510.)
Da in der Jugend die Neuheit der Dinge das Intereffe an ihnen
eföht, und die Dinge fich um fo beffer dem Gedächtniß einprägen,
je lebhafteres Interefie wir an ihnen nehmen, fo haben wir in ber
Jugend ein befjeres Gedächtniß, als im fpätern Alter. (P. IL, 56.)
Unie Gedächtniß gleicht einem Siebe, das, mit ber Zeit und burd)
den Gebrauch, immer weniger dicht hält, fofern nämlich, je älter wir
werden, deito jchneller aus dem Gedächtniß Das, was wir ihm jeßt
noch anvertrauen, verfchtwindet, hingegen Das bleibt, was in dem erften
Zeiten fich feftgefest Hat. Die Erinnerungen eines Alten find baher
um fo deutlicher, je weiter fie zuridliegen, und werben es immer
weniger, je näher fie der Gegenwart kommen, jo daß, wie feine Augen,
uud fein Gedächtniß fernfichtig gervorden if. (P. II, 643.) -
214 Gedachtniß
g) Einfluß des Geruchs.
Daß bisweilen, fcheinbar ohne allen Anlaß, Tängft vergangene Scenen
uns plöglich und lebhaft in die Erinnerımg treten, mag in vielen Fällen
baber kommen, daß ein leichter, nicht zum beutlichen Bewußtſein ge:
fongender Geruch, jett gerade wie damals, von uns gefpürt wurde
Denn befanntlid) erweden Gerüche befonder® leicht die Erinnerung und
überall bebarf der nexus idearum nur eines änferft geringen Auſtoßes.
Wie das Geficht der Sinn bes Verftandes, das Gehör der Sinn ber
Bernunft, fo könnte man den Gerud den Sinn des Gedädhtnifies
nennen, weiler unmittelbarer, als irgend etwas Anderes, den Ipecifijchen
Eindrud eines Vorganges, oder einer Umgebung, felbft aus ber ferufter
Bergangenbeit, und zurüdruft. (PB. II, 644. W. II, 86.)
b) Einfluß bes Raufches.
Ein leichter Rauſch erhöht die Erinnerung vergangener Zeiten und
Scenen oft fehr, fo daß man alle Umſtäude derfelben fich vollkommener
zurückruft, als man e8 im nildternen Zuftande gelonnt hätte; hingegen
ift die Erinnerung Deffen, was man während des Rauſches felbft ge-
fagt, oder gethan hat, unvolllommener, als fonit, ja, nach einem ſtarken
Rauſche, gar nicht vorhanden. Der Raufc erhöht alfo die Erimermg,
liefert ihr hingegen wenig Stoff. (P. Il, 644.)
i) Einfluß des Traumes und Wahnſinns.
Der Traum hat eine nicht zu leugnende Achnlichfeit mit bem Wahn
finn. Nämlich, was das tränmende Bewußtſein vom wachen haupt:
fächlich unterfcheidet, ift der Mangel an Gedächtniß, oder vielmeht
an zufammenhängenber, befonnener Rückerinnerung. Wir träumen unt
in wunderliche, ja unmögliche Tagen und Verhäftniffe, ohne daß &#
uns einftele, nach den Relationen derfelben zum Abweſenden und den
Urfachen ihres Eintritts zu forfchen; wir vollziehen ungereimte Hand⸗
fungen, weil wir bes ihnen Entgegenftchenden nicht eingedenk fint.
Längft Verftorbene figuriren noch immer als Lebende in unfern Träu-
men, weil wie im Traume uns nicht darauf befinnen, daß fie todt
find. Oft fehen wir ung wieder in ben Verhältniſſen, die in unſerer
frühen Jugend beftanden, von ben damaligen PBerfonen umgeben, Alles
beim Alten; weil alle feitbem eingetretenen Veränderungen und Um-
geftaltungen vergefien find. Im Traume ift alfo, bei der Thätigkeit
aller Beiftesträfte, das Gedächtniß allein nicht recht disponibel. Hierauf
berubt feine Achnlichkeit mit dem Wahnfinn, welcher im Weſentlichen
auf eine gewiſſe Zerrüttung des Crinnerungsvermögens zu
rüdzuführen iſt. (P. I, 246. W. I, 28. 226 fg. W. IL, 45419.)
4) Eine Vorſchrift für das Gedächtniß.
Mit feinem Gedüchtniß foll man ftreng und bespotifch verfahren,
bamit es ben Gehorfam nicht verlerne, 3. B. wenn man irgend eine
Sache, oder Verb, oder Wort, fich nicht zuritdrufen kann, folches ja
nicht in Büchern aufichlagen, fondern das Gedächtniß wochenlang
Geduchtnißkunſt -— Gedanken 215
periodiſch bamit quälen, bis es feine Schuldigkeit gethan Hat. “Denn
je länger man ſich hat darauf befinmen müſſen, deſto fefter haftet es
her. Was man fo mit vieler Anftrengung aus der Tiefe feines
Geähtniffes heraufgearbeitet Hat, wird dann ein ander Dlal viel leichter
zu Gebote ftehen, als wenn man es mit Hülfe der Bücher wieber
sufgefriicht Hätte. (P. UI, 54 fg.)
Ooähtnifkunf. (Mnemonil.)
Stets fucht, wer eine Erinnerung hervorrufen will, zunächſt nach
einem Faden, an dem fie durd; die Gedanfenaffociation hängt. (S. Ge⸗
banfenaffociation.) Hierauf beruht die Mnemonik. Sie will zu
ellen aufzubewahrenden Begriffen, Gedanfen, oder Worten, und mit
leicht zu findenden Anläffen verjehen. Das Schlimme jeboch if,
daß doch auch diefe Anläſſe felbft erft wiedergefunden werben müflen
und hiezu wieder eines Anlaſſes betürfen. (W. II, 146.) Die
Mnemonit beruht im Grunde darauf, dag man feinem Wige mehr,
als feinem Gedächtniſſe zutraut und daher die Dienſte diefes jenem
überträgt. Sr nämlich muß einem fchwer zu Behaltenden ein leicht
in Behaltendes fubitituiren, um es einft wieder in Jenes zurück zu
überfegen.. Die Mucmonik verhält fich aber zum natürlichen Ges
dachtnißß, wie ein künſtliches Bein zum wirklichen. Es ift bienlich, ſich
ibrer bei neu erlernten Dingen, oder Worten, Anfangs zu bedienen,
wie einer einftweiligen Krüde, bis fie den natürlichen, unmittelbaren
Gedächtniß einverleibt find. Doch nimmermehr können bei der unge,
Karen Menge und Mannigfaltigfeit des Etoffes die Operationen des
netürlichen Gedächtniffes durch ein finftliches und bewußtes Spiel mit
Analogien erjegt werben, bei denen das natürliche Gedächtniß doc
immer wicder das primum mobile bleiben muß, num aber ftatt Einc®
ger Zwei zu behalten hat, das Zeichen und das Bezeichnete. Jeden⸗
falls kann ein folches künſtliches Gedächtniß nur einen verhältnigmäßig
ſehr geringen Borrath faffen. (PB. I, 55 fg.)
Der Name Mnemonik gebiihrt nicht forwohl der Kunft, da un« -
mittelbare Behalten durch Wig in ein mittelbare zu verwandeln, ale
dielmehr einer fuftematifchen Theorie des Gedächtniſſes, die alle feine
Eigenheiten darlegte und fie aus feiner weſenilichen Beſchaffenheit ud
dann aus einander ableitet. (P. II, 643.)
dedanken.
1) Die Gedanken als Product zweier Factoren.
Die Qualität unferer Gedanken (ihr formeller Werth) kommt von
imen; aber ihre Richtung, und dadurch ihr Stoff, von außen; fo ba,
wos wir in jedem gegebenen Augenblicke denken, das Product zweier grund»
derſchiedener Factoren ift. Demmad find fiir dem Geiſt die Objecte nur
Das, was das Plektron für die Lyra; daher die große Verſchiedenheit der
Gedanken, welche der felbe Anblid in verfchiedenen Köpfen erregt. Ob
die Lyra mwohlgeftimmt und hochgeſtimmt fei, Das begründet den großen
Unterfegieb ber in jedem Kopfe fich darftellenden Welt. (P. II, 57.)
216 Gedanken
2) Unabhängigkeit ber Gedanken von der Willkür.
Gedanken Tommen nit, warn wir, fondern wann fie wollen
(P. U, 54.) Die Qualität unferee Gedanken hängt von phufiolo
gischen und anatomijchen Bedingungen ab, die Gegenftände berfelben
vom Zufall. Zwar ftehen die Gegenftände, mit denen wir uns im
Denken bejhäftigen, zum Theil in unferer Willliir, und wir fönner
bier mit methobifcher Abfichtlichfeit verfahren. Jedoch gute, ernfte Ge
danken über würdige Gegenſtände laſſen fich nicht zu jeder Zeit will:
kürlich heraufbeſchwören; Alles was wir thun können ift, ihnen den
Weg frei zu halten, durch Berfcheuchung aller futilen, Täppifchen,
ober gemeinen Ruminationen. Dan laſſe den guten Gedanken nur den
Plan frei; fie werden fommen. (PB. O, 57.)
3) Sörderung ber Gedanken durd) Bewegung im freier
t
uft. |
Das Gehen in freier Luft ift dem Auffteigen eigener Gedanken
ungemein günftig. Dies ift dem durch jene Bewegung beſchleunigten
Athmungsproceß zuzufchreiben, als welcher theils den Blutumlauf Träf-
tigt und beichleunigt, theils das Blut beffer orydirt; wodurch erſtlich
die zwiefache Bewegung bes Gehirns, nämlich bie, welche jedem Athem-
zuge, und die, welche jedem Pulsſchlage folgt, rafcher und energifcher,
wie auch der turgor vitalis defjelben gejpannter wird, und zweitens
ein volllommener orydirtes und becarbonifirtes, alfo vitaleres, arterielles
Blut aus den von den Karotiden ausgehenden Berzweigungen in die ganze
Subftanz des Gehirns dringt und die innere Vitalität deffelben erhöft.
Die durch alles Diefes herbeigeführte Belebung ber Denkkraft dauert jedoch
tur, fo lange man vom Gehen durchaus nicht ermüdet. (P.IL, 175.)
4) Sedanfe und Wort.
Das eigentliche Leben eines Gedankens dauert nur, bis er an da
Gränzpunkt der Worte angelangt ift; da petrificirt er, ift fortan tobt,
aber unverwüftlich, gleich den verfteinerten Thieren und Pflanzen der
Borwelt. Auch dem des Kryftalle, im Augenblid des Anſchießens
kann man fein eigentliches Leben vergleichen. (PB. II, 542.) |
5) Warum man werthvolle Gedanken bald nieder:
[reiben ſoll.
Werthvolle eigene Gebanken ſoll man möglichft bald niederjchreiben.
Denn die Gegenwart eines Gedankens ift wie die Gegenwart einer
Geliebten. Aus dem Augen, aus dem Sinn! Der fchönfte Gebanfe
läuft Gefahr, unwiederbringlich vergefien zu werden, wenn er nicht
aufgefchrieben, und die Geliebte, von uns geflohen zu werben, wenn fie
nicht angetraut worden. (P. II, 54. 534.)
6) Unterfchiedliher Werth der Gedanken.
Es giebt Gedanken die Dienge, welche Werth haben für Den,
ber fie denkt; aber nur wenige unter ihnen, welche bie Kraft befisen,
noch durch Reperkuffton oder Reflexion zu wirken, d. 5. nachdem fie
‚niedergefchrieben worden, bem Lefer Antheil abzugewinnen. (P. U, 534.)
Sedanlenaffociation 217
T) Quelle aller wahrhaft originellen Gedanken,
Das mit Hülfe anſchaulicher Vorftellungen operirende Denken
iR, a6 anf die Grundlage aller Begriffe zurückgehend, der Erzeuger
aller wahrhaft originellen Gedanken, aller urfprünglichen Grundanſichten.
G. 104.) (Bergl. Anſchauung.)
Erdankenaffociation.
1) Burzel der Gedantenaffociation.
Die Gegenwart ber Vorftellungen und Gedanken in unferm Bewußt⸗
rn iſt dem Sat vom Grunde in feinen -verfchiebenen Geftalten fo
Freng unterworfen, wie die Bewegung der Körper dem Geſetze ber
Tanſalität. So wenig ein Körper ohne Urfache in Bewegung gerathen
fan, ebenfo wenig ift es möglich, daß ein Gedanke ohne Anlaß ing
Vewußtſein trete. Der Anlaß ift nun entweder ein äußerer, alfo
ein Eindrud anf bie Sinne; oder ein innerer, alfo felbft wieder ein
Gedanke, der einen andern herbeiführt vermöge der Affociation.
Tie Gedankenaſſociation ift demnach nichts Anderes als bie Anwendung
des Saßes vom Grunde in feinen verſchiedenen Geftalten auf den
intjectiven Gebanfenlauf, alſo auf die Gegenwart ber Borftellungen
m Bewußtfein. (W. II, 145. ©. 146.)
2) Arten der Gedantennffociation.
Die Affociation beruht entweder auf einem Verhältniß don Grund
und Folge zwifchen den aflociirten Gedanken; oder aber auf Aehnlich-
tat, auch bloße Analogie; oder endlich auf Gleichzeitigkeit ihrer erften
Anffaffung, welche wieder in der räumlichen Nachbarfchaft ihrer Gegen-
kände ihren Grund haben kann. File ben intellectuellen Werth eines Kopfes
ft das Borherrfchen des einen dieſer drei Bänder der Gebankenafjociation
vor den andern charafteriftifch; das zuerft genannte wirb in den denfenden
md gründlichen, das zweite in ben wißigen, geiftreichen, poetifchen,
das letzte in dem befchränkten Köpfen vorberrfchen. (W. II, 145.)
3) Scheinbare Ausnahmen von dem Gefete der Ge-
dankenaffociation. |
Bon bem Geſetze, auf welchem die Gedanfenafjociation beruht, daß
nämlich Fein Gedanke ohne einen genügenden Anlaß ins Bewußtfein
treten Tarın, fcheinen die Fälle eine Ausnahme zu machen, wo ein Ge-
danle, ober ein Bild der Phantafle uns plöglid und ohne bemußten
Ynlß in den Sinn kommt. WMeiftens ift dies jedoch Täuſchung, die
tarauf beruht, daß der Anlaß fo gering, der Gedanke felbft aber fo
KU mb intereffant war, daß er jenen augenblidlich aus dem Bewußtſein
vderdrängte. Bisweilen aber mag ein folder plößlicher Eintritt einer
Borftellung innere Törperliche Eindrüde, entweder der Theile des Ge-
hims auf einander, oder auch des organifchen Nervenſyſtems auf das
chim zur Urfache Haben. (W. II, 148.)
4) Der heimliche Lenker der Gedankenaſſociation.
Der heimliche Lenker ber Gedankenafjociation ift der Wille des
Rdividuums. Er ift e8, der das ganze Getriebe in Thätigkeit verſetzt,
218 Gebankenfreihett
indem er dem Intereſſe, d. h. ben individuellen Zwecken ber Perjſen
gemäß, ben Intellect antreibt, zu feinen gegenwärtigen Borftellunge
die mit ihnen logifch, oder analogifch, oder durch räumliche oder zeitlick
Nachbarſchaft verfchwifterten herbeizufchaffen, wenngleich die Thätigleit
bes Willens bicbet fo unmittelbar ift, daß fie meiſtens nicht ind dent:
liche Bewußtſein fällt, und fo fchnell, daß wir uns bisweilen nicht ein
Mal des Anlafles zu einer alfo hervorgerufenen Vorſtellung bemuft
werden, wo e8 uns dann fcheint, als fei Etwas ohne allen Zufammer-
bang mit einem Andern in unfer Bewußtfein gelommen. (©. 146.)
In legter Inſtanz ift alfo die Geftalt des Satzes vom Grunde, welcht
die Gedanfenafjociation beherrfcht und thätig erhält, daS Geſetz dei
Motivation; weil Das, was das Senſorium lenkt und es be⸗
fiimmt, in diefer oder jener Richtung der Analogie ober fonftigm
Gedantenaffociation nachzugehen, der Wille des denkenden Subjch
ft. (®. IL 149.)
5) Was auf der Gedankenaſſociation beruht.
Auf der Gedankenaffociation beruht die Mnemonil. (S. Or
dächtnißkunſt.) Im Grunde beruht aber auch unfer nicht durch
mnemonifche Künſte vermitteltes Wortgedächtniß und mit Diem
unfere ganze Spracdfähigfeit auf der Gedankenaſſociation. Tem dei
Erlernen der Sprache beftcht darin, daß wir auf immer einen Begnf
mit einem Wort fo zufammenketten, daß bei dieſem Begriff ſiets zu⸗
gleich diefes Wort, und bei diefem Wort dieſer Begriff uns einfäht
Den felben Proceß haben wir nachmals bei Erlernung jeder nem
Sprache zu wiederholen. (W. II, 146.)
Auf der Gedanktenaffociation beruht ferner auch das Wiederanknüpfen
beö Fadens der durch den Schlaf unterbrochenen Erinnerung. Jam
Morgen beim Erwachen ift das Bewußtſein eine tabula rasa, die ih
ſchnell wieder füllt. Zunächſt nämlich ift es die jet wieder eintretende
Umgebung des vorigen Abends, welche uns an das erinnert, was mE
unter eben dieſer Umgebung gedacht haben; daran kuüpfen fi die
Ereigniffe des vorigen Tages, und fo ruft ein Gedanke ſchnell der
andern hervor, bis Alles, was uns geftern bejchäftigte, wieder da ill
Darauf, daß dies gehörig geichehe, beruht die Gefundheit des
Geiftes, im Gegenfage des Wahnflnnd. (W. II, 147. Begl
Wahnſinn.)
Gedankenſreiheit. |
Der Gedanfenfreiheit ftcht nichts fo hinderlich im Wege, als de
Zwang, den die Dogmen der jedesmal herrichenden Landesreligion —2*
ben Geiſt ausüben. Nicht allein auf die Mittheilung der Gedanlch
fondern auf das Denten felbft erftredt fich jener Zwang bdaburd),
die Dogmen dem zarten, bilbfamen, vertrauensvollen und gedanlar
Iofen Kindesalter fo feft eingeprägt werden, daß fie mit dem Or
bien verwachſen und faft die Natur angeborener Gedanken annehmen
(8, I, 207 fg.)
Gednuld — Se 219
Gedild.
1) Die Geduld als angeborene Eigenſchaft.
Geduld, patientis, heißt fo von leiden, iſt mithin Pafftvität,
dos Gegentheil der Activität des Geiftes, mit der fie, Mo diefe groß
it, ſich ſchwer vereinigen läßt. Sie ift die angeborene Tugend der
Phlegmatici, wie auch der Geiftesträgen und Geiftesarmen, und ber
Beier. (®. II, 625.)
2) Der Muth als eine Art Geduld. (S. Muth.)
3) Worauf die Nothwendigkeit der Geduld deutet.
Daß die Geduld fo fehr nüslich und nöthig ift, deutet auf eine
traurige Beſchaffenheit diefer Welt. (P. I, 625.)
4) Mittel zur Erlangung der Gebulb.
Zur Geduld im Leben und bem gelafienen Extragen der Uebel und
der Menfchen kann nicht® tauglicher fein, als eine Budbhaiftifche
Srinnerung biefer Art: „Dies ift Sanfara, die Welt des Gelüftes
and Berlangen® unb daher die Welt der Geburt, der Krankheit, des
Alterns und Sterbens; es iſt die Welt, welche nicht fein follte Und
bes bier ift die Bevölkerung der Sanſara. Was aljo könnt ihr
Befiereß erwarten?” (P. II, 327.)
Um unter Menfchen leben zu können, müſſen wir Jeden mit feiner
gegebenen Individualität ertragen lernen. Hiezu ift nun gut, feine
Geduld an Ieblofen Gegenſtänden zu üben, welche vermöge mechaniſcher,
oder fonft phyſiſcher Nothwendigkeit unferem Thun fich hartnädig wider
fegen. Die dadurd) erlangte Geduld lernt man nachher auf Menfchen
übertragen, inden man ſich gewöhnt, zu denken, baf auch fie zufolge
Preuger Naturnothiwendigkeit fo find und handeln, wie fie find und
handeln. (P. IL, 473.)
Srfühl.
1) Gefühl ale Taftfinn. (S. Sinne)
2) Gefühl als Gegenſatz des Wiſſens.
Im firengen Sinne genommen ift die abftracte begriffliche Erkenntniß
lin ein Wiffen. Willen ift das Firirthaben in Begriffen der Ver-
nunft des auf andere Weiſe überhaupt Erkannten. (Bergl. Wiffen.)
Ja dieſer Hinſicht num iſt der eigentliche Gegenſatz des Wiſſens das
Gefühl. Das Wort Gefühl Hat durchaus einen negativen Inhalt,
nämlid, biefen, daß Etwas, das im Bewußtfein gegenwärtig ift, nicht
Begriff, nicht abftracte Erkenntniß der Vernunft fi. So
wurd von jeber Erfenntniß, jeder Wahrheit, beren man fi) nur erft
intnitid bewußt ift, fie aber noch nicht in abftracte Begriffe abgeſetzt
hat, gefagt, daß man fie fühle. Die Sphäre des Begriffs Gefühl
iſt daher eine ummäßig weite, die heterogenften Dinge umfafjende, welche
bier lediglich, weil fie in der negativen Nüdficht, nicht abftracte
degriffe zu fein, iübereinflimmen, von der Vernunft unter einen
Begriff zufammengefoßt werden, ähnlich wie der Grieche alle Andern
220 Gegebene, das — Gegenwart
unter den Begriff Barbaren, der Gläubige alle Anbern unter ben
Begriff Keber, der Student alle Andern unter den Begriff Philifie
zufammenfaßt. Unkenntniß dieſes Verhältniſſes ift Schuld an der
falfchen Aufftellung eines befonbern Geflihlsvermögend unb den Theorie
iiber daffelbe. (W. I, 60—62.)
3) Gefühl als Willensaffection.
Die Gefühle der Luft und Unluft find Affectionen bes felben Willens,
der in den Entjchlüffen und Handlungen thätig if. Sie find zwar un
großer Mannigfaltigleit von Graben und Arten vorhanden, laſſen fid
aber doch allemal zurüdflihren auf begehrende ober verabjcenend
Affectionen, alfo auf ben als befriedigt oder unbefriebigt, gehemmt ode
losgelaſſen, fich feiner bewußt werdenden Willen felbft; ja dieſes erftredi
ſich bis auf die körperlichen, angenehmen oder fchmerzlichen, und alle zwi
fchen diefen beiden Tiegenden zahllojen Empfindungen; da das Weſen alle
biefer Affeetionen darin befteht, daß fie als ein dem Willen Gemöfre,
ober ihn Widerwärtiges, unmittelbar in's Selbſtbewußtſein treten.
(€. 11fg. ©. 143.)
Segebene, das.
Carteſius wurde ergriffen von ber Wahrheit, daß wir zunädfi
auf unfer eigenes Bewußtfein befchränkt find und die Welt uns allein
al8 VBorftellung gegeben ift; durch fein befanntes dubito, cogito
ergo sum wollte er das allein Gewiſſe des fubjectiven Bewußtiens,
im Gegenſatz des Problematifchen alles Uebrigen, hervorheben und die
große Wahrheit ausfprechen, daß das einzige wirklich und unbedingt
Gegebene das Selbftbewußtfein if. (P. I, 4.)
Kant fertigt fehlerhafter Weife nach Darftellung ber bloßen Fom
der Anfchauung ihren Inhalt, die ganze empirische Wahrnehmung, mit
dem „fie ift gegeben‘ ab und frägt nicht, wie fie zu Stande kommt,
ob mit, oder ohne Berftand. (W. I, 509. 565.) '
Gegenfählichkeit, |. Polarität.
Grgenfland, |. Object.
Gegenwart, |
1) Die Gegenwart als alleinige Form der Kealıtät
und als das allein Beharrenbe.
Die Form der Erfcheinung des Willens, alfo die Form des Leben
oder der Realität ift eigentlich nur die Gegenwart, nicht bie Zukmf,
noch Vergangenheit. Diefe find nur im Begriff, find nur im Zu
fammenhange ber dem Sag vom Grund folgenden Erfenntnig ba. Die
Gegenwart fanımt ihrem Inhalt ift immer da. Reale Objecte giebt
es nur in ber Gegenwart; Vergangenheit und Zukunft enthalten bloße
Begriffe und Phantasmen; daher ift die Gegenwart die weſentliche
Form der Erſcheinung des Willens und von diefer unzertrennlich. Dit
Gegenwart allein iſt Das, was immer da ift und unverrückbar feftftehl
Empiriſch aufgefaßt das Hlüichtigſte von Allem, ftellt fie dem mele
Gegenwart 221
phafiichen Blick, der über die Yormen ber empirifchen Anfchanung
hinmegficht, fich ald das allein Beharrende bar, das Nunc stans ber
Schelsfiler. (W. I, 328g. P. I, 91; II, 288.)
Es giebt nur Eine Gegenwart ımb dieſe ift immer; benn fie ift
die alleinige Form des wirklichen Dafeind. Man muß dahın gelangen
einzuſehen, daß die Bergangenheit nicht an ſich von der Gegenwart
verihieden ift, ſondern nur in unferer Apprehenfion, als welche die
Zeit zum Form hat, vermöge weldyer allein fich das Gegenwärtige als
verihieden vom Bergangenen darftellt. (P. II, 300.)
2) Die beiden Hälften der Gegenwart.
Die Gegenwart hat zwei Hälften, eine objective und eine fub-
jective. Die objective allein hat die Anfchauung der Zeit zur Form
md rollt daher unaufhaltfam fort; die fubjective fteht feft und ift daher
immer diefelbe. Hieraus entfpringt unfere lebhafte Erinnerung des
längft Bergangenen und das Bewußtfein unferer Unvergänglichkeit, trotz
ter Erkenntniß der Flüchtigkeit unferd Daſeins. (P. II, 288.)
Bir fönnen bie Zeit einem endlos drehenden Kreife vergleichen: die
ſiets finfende Hälfte wäre die Vergangenheit, die ſtets fteigende bie
Zukunft; oben aber ber untheilbare Bunt, der die Tangente berührt,
wäre die ausbehnungslofe Gegenwart. Wie die Tangente nicht mit
fortrollt, fo auch nicht die Gegenwart, der Berührungspunkt des Objects,
deſſen Form die Zeit ift, mit dem Subject, das Feine Form hat, weil
8 nicht zum Erkennbaren gehört, fondern Bedingung alles Erkennbaren
ft. Ober, die Zeit gleicht einem unaufhaltfamen Strom, und bie
Gegenwart einem Felſen, an dem ſich jener bricht, aber nicht ihn mit
fortreißt. (W. I, 329. P. I, 111. 517.)
3) Berfchiedener Werth der erfüllten Gegenwart;
worauf er berußt.
Jede Wirklichkeit, d. 5. jede erfüllte Gegenwart, befteht aus
zwei Hälften, dem Subject und Object, wiewohl in fo nothwendiger
und enger Berbindung, wie Oxygen und Hydrogen im Waſſer. Hierauf
berußt es, daß die gegenwärtige Wirklichkeit für verfchiebene Individuen
von jo verfchiedener Bedeutung ift. Bei völlig gleicher objectiver Hälfte,
aber verfchiedener fubjectiver ift fo gut, wie im umgefehrten Fall, die
gegenwärtige Wirklichkeit eine ganz andere; die fchönfte und befte ob»
tive Hälfte bei ftumpfer, fchlechter fubjectiver, giebt body nur eine
ichlechte Wirklichkeit und Gegenwart, gleich einer fchünen Gegend im
\lehten Wetter, oder im Refler einer fchlechten Camera obscura.
Der Werth und die Bedeutung der gegenwärtigen Wirklichkeit beruht
ao Hauptfächlich auf der Beichaffenheit des Subjects, auf Dem, was
Cine if. (P. I, 334 fg.)
4) Genuß ber Gegenwart als ein wichtiger Punkt ber
Lebensweisheit.
Ein wichtiger Punkt der Lebensweisheit beſteht in dem richtigen
derhaltniß, in welchem wir unfere Aufmerffamfeit theils der Gegenwart,
222 Gehaſſigkeit — Gehirn
theils der Zukunft widmen, damit nicht die eine uns die andere ber
derbe. Diele leben zu fehr in der Gegenwart: die Leihtfinniger
Andere zu fehr in der Zukunft: bie Aengſtlichen und Beforglicden. —
Statt mit den Plänen und Sorgen für die Zukunft ausſchließlich un
immerbar befchäftigt zur fein, oder aber uns der Sehnfucht nach de
Bergangenheit hinzugeben, follten wir nie vergefien, daß die Gegenmar
allein real und allein gewiß ift, Hingegen die Zukunft faft imme
ander ausfällt, als wir fie denfen; ja, auch die Vergangenheit anber:
war. Die Gegenwart allein ift wahr und wirklich; fie ift Die reo
erfüllte Zeit und ausſchließlich in ihr Liegt unfer Daſein. Dabe
follten wir fie ſtets einer heitern Aufnahme witrdigen, folglich jede er
trägliche Stunde mit Bewußtjein als folche genießen, d. 5. fie nid)
trüben durch verdrießliche Gefichter über verfehlte Hoffnungen in de
Bergangenheit oder Beſorgniſſe fiir die Zukunft. (PB. I, 441—443.
Wie follte es thöricht fein, ftets dafiir zu forgen, daß man bie alleir
fihere Gegenwart möglichft genieße, ba ja das ganze Leben nur ein
größeres Stüd Gegenwart und als folches ganz vergänglicdh if?
(Ö. 447)
Gchäffigkeit, f. unter Moraliſch: Antimoraliſche Zriebfedern.
Gehirn.
1) Metapbyfifche Betradtung des Gehirns. |
Was im Scelbftbewußtjein, alſo fubjectiv, der Intellect ift, das
ftellt fi im Bewußtſein anderer ‘Dinge, aljo objectiv, als das Gehirn
dar. (8. O, 277.) Das Gehirn und defien Function, das Erkennen,
alfo der Intellect, gehört mittelbar zur Erſcheinung des Willens; aud)
in ihm objectivirt fi), wie überhaupt int Organismus, der Wille und
zwar als Wille zur Wahrnehmung der Außenwelt, alſo als ein Er-
tennenmwollen. Wie der Intellect phyſiologiſch fich ergiebt als die
Bunction eines Organs des Leibes (de8 Gehirns); fo ift er metaphyfiſch
anzufehen als ein Wer! des Willens, deſſen Objectivation oder Sicht⸗
barfeit der ganze Leib iſt. Alſo ber Wille zu erfennen, objedio
angeſchaut, ift da8 Gehirn; wie ber Wille zu gehen, objectiv angr-
ſchaut, der Fuß ift; der Wille zu greifen, die Hand; der Wille zu
verdauen, der Magen; zu zeugen, die Öenitalien u.f.w. (XB.IL, 293.)
Das Gehirn felbft ift, fofern es vorgeftellt wird, — alfo im Be
wußtfein anderer Dinge, mithin fecundär, — felbft nur Borftellung.
An fi) aber und fofern e8 vorftellt, ift e8 ber Wille, weil dieſer
das reale Subftrat der ganzen Erfcheinung ift; fein Ertennenwollen
objectivirt ſich als Gehirn und deſſen Functionen. (W. II, 294.)
Die wahre Phyftologie, auf ihrer Höhe, weift das Geiftige im
Menfchen (die Erkenntniß) als Product feines Phyfifchen nad; abe
die wahre Metaphyſik belehrt uns, daß diefes Phyſiſche felbft bloße
Product, oder vielmehr Erſcheinung, eines Geiftigen (des Willens) ſei,
ja, daß die Materie felbft durch die Vorftellung bedingt fei, im welder
allein fie eriftirt. Das Unfchauen und Denken wird immer mehr au
Gehirn 223
em Organismus erflürt werden, nie aber ba8 Wollen, fondern aus
diefem der Organismus. Ich ſetze alfo erftlih den Willen, als
Ding an fi, völlig Urfprüngliches; zweitens feine bloße Sichtbar-
ft (Objectivation), ben Leib; und drittens die Erfenntniß, als bloße
Furchon eines Theiles dieſes Leibes (des Gehirns). Diefer Theil felbft
it das objectivirte (Borftellung geworbene) Erfennenmwollen, indem
der Wille zu feinen Sweden der Erkenntniß bedarf. Diefe Function
mm aber bedingt wieder die ganze Welt als Vorſtellung, mithin aud)
den Leib felbft, fofern er anſchauliches Object if. (N. 20 fg.)
2) Phyfiologiſche Betrachtung des Gehirns.
a) Urfprung und Function des Gehirns,
Für die objective Betrachtung ift das Gehirn die Efflorescenz
de8 Organismus; daher erft, wo diefer feine höchſte Vollkommenheit
aud Complication erlangt hat, e8 in feiner größten Entwidlung auf
tt. (W. OD, 311.) Das Gehirn ift nebſt den ihm anhängenden
Nerven und Rückenmark eine bloße Frucht, ein Product, ja, injofern
an Parafit des übrigen Organismus, als es nicht direct eingreift in
deſſen Getriebe, fondern dem Zwed der GSelbfterhaltung blos dadurch
datt, daß es die VBerhältniffe defelben zur Außenwelt regulixt. (W. IL,
224. ®. I, 79.) Bielleiht ift e8 Tiedemann, welcher zuerft das
cerebrale Rervenfyften mit einem Parafiten verglichen hat. Der
Vergleich ift treffend, fofern das Gehirn, nebft ihm auhängendem
Aüdenmark und Nerven, dem Organismus gleichſam eingepflanzt ift
und don ihm genährt wird, ohme jelbft feinerfeitS zur Erhaltung der
Ielonomie deſſelben direct etwas beizutragen; daher das Xeben auch
ohne Gehirn beftehen Tann, wie bei den hirnlofen Mißgeburten, auch
bei Schildkröten, bie nach abgefchnittenem Kopfe noch drei Wochen
eben; nım muß dabei die medulla oblongata, als Organ ber Refpira-
an, verſchont fein. Sogar eine Henne, der Flourens das ganze
große Gehirn weggefchnitten, Iebte noch zehn Monate und gedieh.
Selbft beim Menſchen führt die Zerfiörung des Gehirns nicht direct,
jondern erft durch Vermittelung der Runge und dann des Herzens ben
Tod herbei. Dagegen beforgt da8 Gehirn die Lenkung der Ber-
hältniffe zue Außenwelt; dies allein iſt fein Amt, und hiedurch
trägt es feine Schuld an ben es ernährenden Organismus ab; da deſſen
Viſtenz durch die äußern Verhältniſſe bedingt if. Demgemäß bedarf
#8, unter allen Theilen allein, des Schlafes; weil nämlich feine Thä⸗
tigkeit von feiner Erhaltung völlig gefondert ift, jene blos Kräfte
und Subftanz verzehrt, diefe vom übrigen Organismus als feiner
Auıme gefeiftet wird; indem aljo feine Thätigfeit zu feinem Beftande
nichts beiträgt, wird fie erfchöpft, und erft, warn fie paufirt, im
Schlafe, geht feine Ernährung ungehindert von Statten. (W. II, 279.)
Tas Gehirn ift blos das Minifterium des Aeußern, wie da8 Ganglien-
ſyftem das Mlinifterium des Innern if. Das Gehirn mit feiner
Santion des Erkennens ift nichts weiter, als eine vom Willen zu
224 Gehirn
feinen draußen Tiegenden Zwecken aufgeftellte Vedette, welche oben,
auf der Warte des Kopfes, durch die Fenſter der Sinne umherſchart,
anfpaßt, von wo Unheil drohe und wo Nuten abzufehen fei, und nad
deren Bericht der Wille fich entſcheidet. (W. II, 273. N. 23 fg.)
(Ueber den Antheil bes Gehirns an ber Anſchauung der
Außenwelt im Berhältnig zum Antheil der Sinne fiehe: Au—
ſchauung. Ueber das Berhältnig des Gehirns zu den Ganglien
fiehe: Öanglien.)
Der Sammelplat der Motive, mofelbft ihr Eintritt im ben ein
heitlichen Bocus des Bewußtſeins Statt hat, ift das Gehirn. Hier
werben fie im vernunftlofen Bewußtjein blos angefchaut, im ber:
nünftigen durch Begriffe verdeutlicht; worauf der Wille fich, feinen
- individuellen Charakter gemäß, entjcheidet, und fo ber Entſchluß
hervorgeht, welcher nunmehr, mittelft des Cerebellums, des Marks und
der Nervenftänme, bie äußern Glieder in Bewegung fett. (W. I, 284.
Die Pflanze führt noch ein Lediglich ſubjectives Dafein, in welchen
fie nod) fein Bewußtfein von irgend etwas außer ihr Hat. Hingegen
Schon das der Pflanze am nächſten ſtehende, unterfte Thier ift durch
gefteigerte und genauer fpecificirte Bedürfnifſe veranlaft, die Sphän
ſeines Dafeins über die Gränze feines Leibes hinaus zu erweitern.
Dies gefchieht durch die Erkenntniß; es hat eine dumpfe Bahr
nehmung feiner nächiten Umgebung, aus welcher ihm Drotive für ſtin
Thun, zum Zweck feiner Erhaltung, erwachſen. Hiedurch tritt ſonach
dag Medium der Motive ein, die in Zeit und Raum objectin de
fiehende Welt, fo dumpf und kaum dämmernd auch diefes erſte un
niedrigfte Eremplar berfelben fein mag. Aber deutlicher und immer
deutlicher prägt fie fi) aus in dem Maaße, wie in ber auffteigenden
Thierreihe dad Gehirn immer vollfommener wird. Diefe Steigerung
der Gehirnentwidelung wird aber herbeigeführt durch das immer mehr
fid) erhöhende und complicivende Bedürfniß der Organismen. Dem
ohne Noth bringt die Natur nichts, am wenigften die ſchwierigſte ihre
Broductionen, ein vollfommenes Gehirn, hervor. Jedes Thier hat fit
ausgeftattet mit den Organen, die zu feiner Erhaltung, den Waffen,
die zu feinem Kampfe nothwendig find; nach dem nämlichen Maagßſiabe
daher ertheilte fie jedem das wichtigfte der nad) außen gerichteten Organt,
das Gehirn, mit feiner Function, dem Erkennen. Demgemäß ſehen
wir die BVorftellungsfräfte und ihre Organe, Gehirn, Nerven md
Sinneswerfzenge, immer volllommener hervortreten, je höher wir m
der Stufenleiter ber Thiere aufwärts gehen; und in dem Maaße, mit
dag Cerebralfyftem ſich entwidelt, ftellt fi die Außenwelt immer
deutlicher, vielfeitiger, volllommener, im Bewußtſein dar. (W. Il, 22%.
315fg. P. II, 49. N. 48—52.)
Durch das Gehirn ift ber thierifhe Organismus gewiſſermaßen
monarchiſch conftruirt: das Gehirn allein ift der Lenker umd Regieret,
das Hegemonifon. Wenngleich Herz, Runge und Magen zum Beſtande
Gehirn 225
des Ganzen viel mehr beitragen; fo können dieſe Spießbürger darum
doch nicht lenken und leiten. Dies iſt Sache des Gehirns allein und
wnh von Einen Punkte ausgehen. (P. IL, 271.)
Fin denlendes Wefen ohne Gehirn (als reiner, immaterteller Geift
geht) ft, wie ein verbauendes Wefen ohne Magen. (WW. II, 70.)
In der Nothwendigkeit des Schlafes, an den Veränderungen durch das
Aber und an den Unterſchieden der anatomiſchen Conformation ift die
derchgängige Abhängigkeit des Geiſtes (Intellects) von einem einzelnen
Irgan, dem Gehirn, deffen Zunction er ift, wie das Greifen Function
der Hand, nachgewieſen. Der Geift (Imtellect) ıft mithin phyſiſch,
wie die Berdauung, nicht metaphyſiſch, wie der Wille. Wie gute
Verdanung einen gefunden ftarfen Magen, wie Athletenkraft musculöfe
fehuige Arme erfordert; jo erfordert außerordentliche Intelligenz ein
ungewöhnlich entwideltes, ſchön gebautes, durch feine Textur auöge-
zeichnetes und durch energifchen Pulsjchlag belebtes Gehirn. Hingegen
# die Deichaffenheit des Willens von feinem Organ abhängig und aus
kinem zu prognofticiren. Der größte Irrthum in Gall's Schädel
ihre if, daß er aud) fiir mioralifche Eigenſchaften Organe des Gehirns
anfftellt. — Kopfverlegungen mit Berluft von Gehirnſubſtanz wirken in
der Regel ſehr nachtheilig auf den Geift (Untellect); fie haben gänz«
ihen oder theilweifen Blödfinn zur Folge, oder Bergefjenheit der
Sprache, auf immer oder auf cine Zeit, bisweilen jedody von mehrern
gewußten Sprachen nur einer, bisweilen wieder blo8 der Eigennanen,
gleichen den Berluft anderer bejefjener Kenntniffe. Dagegen wird der
Ville, der Charakter, als welcher feinen Sig nicht im Gehirn hat,
iondern als das Metaphufifche das Prius des ganzen Leibes ift, durch
Gehimverleßungen nicht verändert. — Nach gemachten Berfuchen bleibt
eine Schnede, der man den Kopf abgefchnitten, am Leben, und nad)
anigen Wochen wächſt ihr ein newer Kopf, nebft Fühlhörnern; mit
dieſem ſtellt ſich Bewußtſein und VBorftellung wieder ein, während bis
dahin das Thier, durch ungeregelte Bewegungen, bloßen blinden Willen
zu erkennen gab. Auch Hier aljo finden wir den Willen als die Sub-
fanz, welche beharrt, den Intellect hingegen bedingt durch fein Organ,
ald da8 wechſelnde Accidenz. Er läßt fi bezeichnen ald der Regu⸗
lator des Willens (W. U, 277—279.)
b) Das Gehirn als Bedingung des Selbftbewußt-
ſeins.
Nicht nur die Anſchauung der Außenwelt, oder das Bewußtſein
anderer Dinge, iſt durch das Gehirn und feine Functionen bedingt,
ſondern audy das Selbftbewußtfein. Der Wille an fich felbft ift
bewußtlos und bleibt e8 im größten Theile feiner Erfcheinungen. Die
keundäre Welt der Vorftellung muß binzutreten, damit er fid) feiner
bemußt werde; wie das Licht erft durch die e8 zurückwerfenden Körper
fichthar wird und außerdem ſich wirkungslos in die Finfterniß verliert.
Indem der Wille, zum Zweck der Auffafjung feiner Beziehungen zur
EopenhauersLerifon. I. 15
226 Gehirn
Außenwelt, ins thierifchen Individuo ein Gehirn hervorbringt, entftehl
erft in diefem das Bewußtjein des eigenen Selbft, mittelft des Subjent
des Erkennens, welches die Dinge als dafeiend, das Ic als wollen
auffopt. Nämlich die im Gehim aufs Höchſte gefteigerte, jedoch ı
die verfchiedenen Theile defielben ausgebreitete Senſibilität muß je
vörderft alle Strahlen ihrer Thätigkeit aufammenbringen, fie gleihien
in einen Brennpunkt concentriren. Diefer Brennpunkt der gejamate
Sehirnthätigkeit it Das, was Kant die fynthetifche Einheit dei
Apperception nannte; erft mittelft berfelben wird der Wille fich jemr
felbft bewußt, indem dieſer Focus der Gehirnthätigfeit, oder das Er
kennende, ſich mit feiner eigenen Baſis, daraus er entjprungen ift, den
Wollenden, als identiſch auffaßt und fo das Ich entfteht. (WB. IL, 313 18,
c) Einfluß ber Entwidlung und der Wandinungen de
Gehirns auf die Intelligenz in den verfchredene
Lebensaltern.
Die frühe Kindheit bleibt der Wlbernheit und Dummheit p
gegeben; zunächft weil dem Gehirn noch die Vollendung fehlt, wel
es fowohl feiner Größe, als feiner Tertur nach erft im fiebenten Jah
erreiht. Sodann aber ift zu feiner energifchen Thätigfeit nod de
Antagonismus des Genitalſyſtems erfordert; daher jene erft mit de
Pubertät anfängt. Durch diefelbe aber hat alsdann der Intellect ef
die bloße Fähigkeit zu feiner pfychifchen Ausbildung erlangt; dit
jelbft Tann, allein durch Uebung, Erfahrung und Belehrung gemonze
werden, weshalb man die volllommene Keife erft ins vierzigfte Joh
das Schwahenalter, verfett Hat. Allein während diefe pſychiſche, am
Hülfe von aufen beruhende Ausbildung noch im Wachſen ift, füngt de
innere phyſiſche Energie des Gehirns bereits an wieder zu finfen. Tiit
nämlich hat, vermöge ihrer Abhängigkeit vom Blutandrang und de
Einwirkung des Pulsſchlages auf das Gehirn, und dadurch wieder don
Uebergewidht des arteriellen Syftems über das venöfe, wie auch ver
der frifchen Zartheit der Gehirnfafern, zudem auch durch die Energi
des Genitalſyſtems, ihren eigentlichen Culminationspunft um das dreibigſt
Jahr; ſchon nad) dem fünfunddreißigſten wird eine leiſe Abnahai
derfelben merklich, die durch das allmälig herankommende Uebergewicht
des vendjen Syſiems über das arterielle, wie auch durch die immtf
fefter und fpröder werdende Confiftenz der Gehirnfafern, mehr und mehr
eintritt und viel mierflicher fein würde, wenn nicht andererjeits die
pfyhifche Vervolllommnung durch Uebung, Erfahrung, Zuwachs der
Kenntniffe und erlangte Fertigkeit im Handhaben derſelben ihr er
gegenwirkte; welcher Äntagonismus glücklicherweiſe bis ins ſpäte Alt
fortdauert, indem mehr und mehr das Gehirn einem ausgeſpielten si
firumente zu vergleichen ift. Aber dennoch fehreitet die Abnahme di
urfprünglicen, ganz auf organischen Bedingungen beruhenden Cuerg!
des Intellects zwar langjam, aber unaufhaltfam weiter, und ſo geht
es Schritt vor Schritt abwärts bis Hinab in das kindiſche Ahr
(W. U, 264 fg. 237.)
Gehirn 227
d) Berhaltungsregel in Bezug auf die Anftrengung
des Gehirns.
Der Intellect (da8 Gehirn) ift als ein Secundäres und Phyſiſches,
me ales PBhnfifche, der Vis inertiae unterworfen und ermüdet
kur fortgeſetzte Anftrengung bis zur gänzlichen Abftumpfung. Darum
erjerdert jede anhaltende Geiftesarbeit Paufen und Ruhe. Eben wegen
Bieiec feiner fecundären Natur bedarf der Intellect auf faft ein Drittel
feiner ganzen Lebenszeit der günzlihen Suspenfion feiner Thätigfeit
im Schlafe, d. h. der Ruhe des Gehirns. (W. U, 239 fg.)
Ans diefer phyſiſchen Beſchaffenheit des Intellects ergiebt fich für
bie Bewahrung und Befeftigung der zum Lebensglüd fo nothwendigen
Geſundheit die Regel: Man hüte das Gehirn vor gezwungener, zu
anhaltender, oder unzeitiger Anftrengung. Demnad) lafje man es ruhen
während der Verdauung; weil dann eben die felbe Lebenskraft, welche
m Gehirn Gedanken bildet, im Magen und den Eingeweiden ange-
ſteagt arbeitet, Chymus und Chylus zu bereiten; ebenfalls während,
er auch nach bedeutender Muskelanſtrengung. Denn, e8 verhält ſich
zit den motorifchen, wie mit den fenfibeln Nerven, und wie der Schmerz,
fen wir in verlegten Gliedern empfinden, feinen wahren Sig im
Gehirn Hat; fo find es eigentlich auch nicht die Beine und Arme,
weiche gehen und arbeiten, jondern das Gehirn, nämlich der Theil
deſſelben, welcher, mittelft bes verlängerten und Rückenmarks, die Nerven
ger Glieder erregt und dadurch diefe in Bewegung fett. Demgemäß
Bat auch die Ermüdung, welche wir in den Beinen und Armen fithlen,
ihren wahren Si im Gehirn. Offenbar alfo wird das Gehirn
beeinträchtigt, wenn man ihm ſtarke Musfelthätigkeit und geiftige An-
ſpannung zugleich, oder auch nur dicht hinter einander abzwingt. Be—
ionder8 aber gebe man dem Gehirn das zu feiner Refection nöthige,
volle Maag des Schlafes. Dieſes Maaß wird um fo größer fein,
je entwidelter und thätiger das Gehirn if. Ueberhaupt begreife man
wohl, daR unfer Denken nichts Anderes ift, al8 die organische Function
des Gehirns, und ſonach ſich, in Hinficht auf Anftrengung und Ruhe,
kder andern organischen Thätigkeit analog verhält. Wie übermäßige
Inftrengung bie Augen verdirbt, eben jo das Gehim. Mit Recht if
gelagt worden: das Gehirn denkt, wie der Magen verdaut. Man foll
fih daher gewöhnen, feine Geiftesträfte durchaus als phyſiologiſche
'unctionen zu betrachten, um danach fie zu behandeln, zu fchonen,
enzuftrengen, u. |. w., und foll bedeufen, daß jedes Förperliche Leiden,
Beihwerde, Unordnung, in welchem Theil es anch fei, den Geift
ajficirt. (P. I, 470 fg.) |
Erzwungene Anſtrengung eines Kopfes, zu Studien, denen er nicht
gewachſen ift, ober wann er milde geworden, oder überhaupt zu an⸗
haltend, ftumpft das Gehirn fo ab, wie Lefen im Mondſchein die
Angen. Ganz befonders thut dies auch die Anftrengung des noch un«
tem Gehirns, in den frühen Kinderjahren. (W. II, 86.)
15 *
228 Gehirn
e) Bereinzelte Bemerkungen. .
In der menfchlichen Gattung fehen wir den Individualdaraft:
bedeutend hervortreten, während bei den Xhieren der Gattungt
harafter vorherrſcht und je weiter abwärts, deſto mehr jede Ep
von Individualcharakter fi in den allgemeinen der Epecies verlie
Wahrjcheinlih hängt es mit diefem Unterfchiede der Menſchengattu
von allen andern zufammen, baß die Furchen und Windungen d
Gehirns, welche bei den Vögeln noch ganz fehlen und bei deu N
tieren noch ſehr ſchwach find, ſelbſt bei den obern Thieren
ſymmetriſcher an beiden Seiten und conftanter bei jedem Individuo
jelben find, als beim Menſchen. (W. I, 156.)
Wenn man erwägt, daß die Schädel der Idioten, wie auch
Neger, allein in der Breitendimenfion, aljo von Scläfe zu Sdlä
durchgängig gegen andere Schädel zurüdftehen, und daß im Gegent
große Denfer ungewöhnlich breite Köpfe haben; — wenn man ft
dazu nimmt, daß das Weißwerden der Haare, weldyes mehr die yıl
ber Geiftesanftrengung, wie aud) des Grams, als des Alters if,
von den Schläfen auszugehen pflegt; jo wird man zu der Vermuth
geführt, daß der unter der Schläfengegend liegende Theil des Gehi
der beim Denken vorzugsweife thätige fei. CP. O, 182.)
Stellt man fi die Denkoperationen als mit wirklichen, wenn ar
noch jo Heinen, Bewegungen in der Gehirnmaſſe verfnüpft vor,
müßte durch den Drud der Heineren Theile auf einander ber Ein
der Lage ein jehr großer und augenblidlicher fein. Daß er nun
dies nicht ift, beweift, daß die Sache nicht gerade mechanifch vor ſi
gehe. Dennoch kann die Tage des Kopfes, da von ihr nicht nur f
Drud der Gehirntheile auf einander, ſondern auch der, jedenfalls m
fame, größere oder geringere Blutzufluß abhängt, nicht gleichgültig ti
Tür das Denken fcheint die vortheilhaftefte Lage die, bei welder di
basis encephali ganz horizontal zu liegen kommt. ‘Daher man bei
tiefen Nachdenken den Kopf nad) vorne ſenkt. (P. II, 183.)
Der Geniale ift nicht immer genial, fondern nur in lucidis inter
valis. Chen fo ift der DBernünftige, der Kluge, der Gelehrte midt ;jı
allen Stunden vernünftig, klug, gelehrt. Kurz, nemo omnibus hori
sapit. Alles Diefes jcheint auf eine gewiſſe Fluth umd Ebbe de
Säfte des Gehirns, oder Spannung und Abfpannung der Fiben
deſſelben, hinzudeuten. (PB. U, 53 fg.)
In Hinfiht auf die Thatfache, daß aus der unbewußten Tiefe unfer!
Innern oft unerwartet und zu unferer eigenen Verwunderung Gedanler
auffteigen, die ums wie Inſpirationen erfcheinen, obgleich fie Refultel
langer, unbewußter Rumination find, — in Hinficht auf diefe hat:
ſache möchte man beinahe es wagen, bie phnfiologifche Hyporket
-aufzuftellen, daß das bewußte Denken auf der Oberfläche des Or
hirns, das unbewußte im Innern feiner Markfubftanz vor fid geht
(P. II, 59.)
Gehör — Geifl 229
f) Die Thätigfeit des Gehirns im Traume (©.
Traum.)
g) Das Gehirn des Genies. (S. unter Genie: Ana⸗
tomifche und phyſiologiſche Bedingungen des Genies.)
h) Einfluß des Gehirns auf bie Beweglichkeit
(Agilität) der Glieder. (S. Bewegung.)
ı) Einfluß des Lärms auf das Gehirn. (S. Lärm.)
Schör, j. Sinne.
beifl.
1) Der Begriff „Seift“.
Mit dem Wort „Geiſt“ wird in der Regel kein deutlicher Begriff
erbunden. Denn zur Deutlichkeit eines Begriffes genügt es nicht,
ee man ihn in feine Merkmale zerlege, jondern es ift audy erforbert,
5 man diefe, falls auch fie Abftracta find, abermals analyfiren könne,
we jo immerfort, bis man zuleßt zu Anfchauungen herabgelangt,
mihe allen jenen Begriffen Realität ertheilen. Nun nehme man den
Begriff „Geift” und analyfire ihn in ferne Merkmale: „ein denkendes,
llendes, immaterielles, einfaches, feinen Raum füllendes, unzerſtör⸗
us Weſen“; fo ift dabei doch nichts Deutliches gedacht, weil die
Eemente diefer Begriffe fich nicht durch Anfchauungen belegen laſſen,
ram ein denkendes Weſen ohne Gehirn ift wie ein verdauendes Weſen
oe Magen. (W. H, 69 fg.)
Orgen die plumpe Unverfchämtheit, mit ber bie Hegelianer in allen
irn Ehriften ohne Umftände und Einführung ein Ranges und Breites
über den fogenannten „Geiſt“ reden, wäre bie geeignete Sprache:
„Gaft? wer ift denn der Burſche? und woher Tennt ihr ihn? ft er
nicht ewa blos eine beliebige und bequeme Hypoſtaſe, bie ihr nicht ein
Mal definirt, gefchweige deducirt, oder beweift?” u. ſ. w. (P.I, 185.)
Veluſtigend ift es, wie Einige, die ſich nicht mehr unterftehen, von
der Freiheit des Willens zu reden, ftatt befien, um e8 fein zu machen,
lagen „Freiheit des Geiſtes“ und damit biurchzufchleichen hoffen,
Alec doch das Wort „Geift“, eigentlich ein tropifcher Ausdruck,
überall die intellectuellen Fähigkeiten im Gegenfag bes
Billens bezeichnet, und diefe in ihrem Wirken durchaus nicht frei
kun, fondern ſich zunächft den Regeln der Logik, fodann aber dem
yetmaligen Object bes Erfennens anpafien follen. Ueberhaupt ift
dirfer „Gift“, ber im jegiger deutſcher Literatur ſich überall herum-
teeikt, ein durchaus verdächtiger Gefelle, ben man daher, mo er ſich
betreffen Täßt, nach feinem Paß fragen fol, Der mit Feigheit ver-
bunderen Gebankenarmuth als Masfe zu dienen ift fein häufigftes
. Medrigens ift das Wort „Geiſt“ bekanntlich mit dem
Vorte Gas verwandt, welches, aus dem Arabifchen und der Alchymie
Nanmend, Dunſt oder Luft bedeutet, eben wie and) spiritus, TVsuRe,
“mus, verwandt mit Kvepog. (E. 86 fg.)
230 Geiſter
Der wahre Begriff des Geiſtes iſt der des Intellects als ©:
hienfunction. (Bergl. Intellect und Gehirn.)
2) Der Öegenfag zwifchen Geift und Materie.
Unter philoſophiſch rohen Leuten befteht noch der alte, grundfalid
Gegenſatz zwifchen Geift und Materie, den die Hegelianer unter de:
Namen „Geift und Natur‘ von Neuem in Gang gebradjt. Unt:
Borausfegung diefes falſchen Gegenjages giebt e8 danı Spiritua
liften und Moaterialiften.
In Wahrheit aber giebt e8 weder Geift, noch Materie, wohl
viel Unfinn und Hirngefpinnfte in der Welt. Das Streben der Sch
im Steine ift gerade fo unerflärlih, wie das Denken im menjchli
Gehirne, würde aljo, aus diefem runde, auch auf einen Gef ı
Steine ſchließen laſſen. Nehmt Ihr im Menfchenkopfe, als Deum
machina, einen Geift an; fo müßt ihr auch jedem Stein einen Gei
zugeftehen. Kann Hingegen Eure todte und rein pajfive Materie
Schwere ftreben, oder als Electricität anziehen, abftoßen und Funler
Ihlagen; fo kann fie auch als Gehirnbrei denken. Kurz, jedem az
geblichen Geiſt kann man Materie, aber auch jeder Materie Cal
unterlegen; woraus ſich ergiebt, daß der Gegenſatz falſch if.
Alfo nicht jene Kartefianifche Eintheilung aller Dinge in Geift mb
Materie ift die philoſophiſch richtige; fondern die in Wille us
Borftellung ift e8; diefe aber geht mit jener feinen Schritt paralld.
Denn fie vergeiftigt Alles, indem fie einerſeits auch das dort gem
Reale und Objective, den Körper, die Materie, in die Borftelluns
verlegt, und amdererjeit8 das Weſen an ſich einer jeden Erfcheum
auf Willen zurüdführt. (PB. DO, 111fg. P. I, 12. 20.)
3) Unterſchiede ber geiftigen Befähigung. (©. In—
telligenzen.)
Geiſter (Geſpenſter.)
1) Charakter und Problem der Geiſtererſcheinung.
Es liegt ſchon im Begriff eines Geiſtes, daß feine Gegenwart un?
auf ganz anderem Wege fund wird, als bie eines Körpers. Was ein
©eifterfeher, der fich felbft recht verftände und auszubriiden wüßte,
behaupten würde, ift blos die Anmwefenheit eines Bildes in feinem an
ſchauenden Intellect, volllommen ununterfcheidbar von dem, weldks,
unter Bermittelung des Lichtes und feiner Augen, dafelbft von Körpen
veranlagt wird, und dennoch ohne wirkliche Gegenwart folcher Körper:
deögleichen, in Hinfiht auf das hörbar Gegenmwärtige, Geräufche, Tön
unb Laute, ganz und gar gleich den durch vibrirende Körper und Luit
in feinem Ohr bervorgebradhten, doch ohne die Anweſenheit oder Be—
wegung jolcher Körper. Eben hier Liegt die Quelle des Mißverſtand⸗
nifjes, welches alles für und wider bie Realität der Geiftererfcheimumgen
Geſagte durchzieht. Nämlid die Geiftererfheinung ftellt fid
Geifter 231
dar völlig wie eine Körpererfcheinung; fie ift jedoch Feine,
und fl es auch nicht fein. Es kommt folglich darauf an, zu be
greifen, daß eine Einwirkung gleich ber von einem Körper nicht noth-
werkg die Anweſenheit eines Körpers vorausfege.. Da nun alle
Irkdenung intellectual, d. 5. (objectiv ausgedrüdt) cerebral ift,
indem die Sinnesempfindungen blos den Stoff liefern, aus welchem
sleaft der Berftand (das Gehirn) diefe Körperwelt durch An«
vxcndung des ihm a priori bewußten aufalitätsgefeges und der
aprieriſchen Formen Raum und Zeit aufbaut (vergl. Anſchauung),
jo eutfieht die Frage, ob nicht auch noch auf andere Weife, als durch
ke Sinnesempfindung, die Erregung des Gehirns zu diefem An⸗
ſchanungsacte gejchehen könnte. Warum follte es aber nicht möglich
kun, daß and) ein Mal eine von innen, vom Organismus felbft
aögehende Erregung zum Gehirn gelangen unb von diefem mittelft
finer eigenthiimlichen Function eben fo wie die normale, von der Sinnes⸗
mpfindung ausgehende verarbeitet werden könnte? Bei einem falle
feier Art würde die Trage entitehen, ob die dadurch herborgebrachte
Criheinung nicht noch eine entferntere Urſache, als aus dem Innern
des Organismus, d. h. eine äußere Urfache haben könnte, welche dann
falih in dieſem Falle nicht phyſiſch oder körperlich gewirkt haben
wiirde. Weiter würde dann bie Trage entftehen, welches Verhältniß
de gegebene Erfcheinung zur Beichaffenheit einer folden entfernten
iufern Urfache haben könne, alfo ob fie Indicia über dieſelbe enthielte,
ja wohl gar ihr Weſen ausbrüdte. Alfo käme e8 auch bier, wie bei
da realen Körperwelt, auf die Beantwortung ber Trage nad) dem
erhält dev Erfcheinung zum Ding an fih an. (P. 1,
11-243.)
Jedenfalls ift eine Geiftererfcheimung zunächſt und unmittelbar nichts
miter, als eine Bifion im Gehirn des Geifterfehers. Daß von
Außen ein Sterbender folhe erregen könne, hat häufige Erfahrung
bezeugt; daß ein Lebender es Künne, ift ebenfalls, in mehrern Yällen,
dan guter Hand beglaubigt worden. Die Frage ift blos, ob aud) ein
Geſtorbener es könne. (P. I, 328.)
2) Kritik der Verwerfung der Geiſtererſcheinungen.
De Ableugnung a priori jeder Möglichkeit einer Geiſtererſcheinung
und das Berlachen des Glaubens an diefelbe kann auf nichts Anderem
erußen, als auf der Ueberzeugung, daß der Tod die abfolute Ver⸗
uhtung des Menſchen fei. Denn fo lange diefe fehlt, ift nicht abzufehen,
warnn en Weſen, das noch irgendivie eriftirt, nicht auch follte irgendivie
NE menifeftiren und auf ein anderes, wenngleich in einem andern
Irene befindliches, einwirken können. Iſt am Menfchen außer der
Datere noch irgend etwas Unzerſtörbares; fo ift wenigftend a priori
nö einzufehen, daß Jenes, welches die wundervolle Erſcheinung des
“hs dervorbrachte, nach Beendigung berfelben, jeder Einwirkung
u die noch Lebenden durchaus unfähig fein follt. Die Sache
230 Geiſter
Der wahre Begriff des Geiſtes iſt der des Intellects als ©:
Hirnfunction. (Bergl. Intellect und Gehirn.)
2) Der Segenfag zwiſchen Geift und Materie.
Unter philofophifch rohen Leuten befteht noch der alte, grundfalid
Gegenſatz zwifchen Geift und Materie, den die Hegelianer unter der
Namen „Geiſt und Natur” von Neuem in Gang gebradjt. Lit
Borausfegung diefes faljchen Gegenſatzes giebt e8 dann Spiritun
tiften und Materialiften.
In Wahrheit aber giebt e8 weder Geift, noch Materie, mohl de
viel Unſinn und Hirngefpinnfte in der Welt. Das Streben der Ed
im Steine ift gerade fo unerflärlicd), wie das Denken im menſchlihhe
Gehirne, würde alfo, aus diefem Grunde, aud) auf einen Geil u
Steine ſchließen laſſen. Nehmt Ihr im Menfchenfopfe, als Deum a
machina,. einen Geift an; fo müßt ihr auch jedem Stein einen G
zugeftehen. Kann hingegen Eure todte und rein paffive Materie &
Schwere ftreben, oder als Electricität anziehen, abftoßen und Yunla
ſchlagen; fo Tann fie auch als Gehirnbrei denken. Kurz, jeden #
geblichen Geift kann man Materie, aber auch jeder Materie Ci
unterlegen; woraus fich ergiebt, daß der Gegenſatz falſch ift.
Alfo nicht jene Kartefianifche Eintheilung aller Dinge in Geiſt m
Materie ift die philofophifch richtige, fondern die in Wille m
Vorſtellung ift e8; diefe aber geht mit jener feinen Schritt parald
Denn fie vergeiftigt Alles, indem fie einerjeitS aud) das dort gay
Reale umd Objective, den Sörper, die Materie, in die Borftelluy
verlegt, und andererjeits das Weſen an ſich einer jeden Erichrum
auf Willen zurüdführt. (B. U, 111fg. P. I, 12. 20.)
3) Unterfchiede der geiftigen Befähigung. (©. dd
telligenzen.)
Geiſter (Geipenfter.)
1) Charakter und Problem der Geiftererfcheinung.
Es Liegt fchon im Begriff eines Geiftes, daß feine Gegenwatt und
auf ganz anderem Wege kund wird, als bie eines Körpers. Bad ein
Geifterfeher, der ſich felbft recht verftände und auszubrüden wäh
behaupten wiirde, ift blos die Anweſenheit eines Bildes in feinem ar
ſchauenden Intellect, vollkommen ununterfcheidbar von dem, welt,
unter Vermittelung des Lichtes und feiner Augen, bafelbft von Kim
veranlagt wird, und dennoch ohne wirkliche Gegenwart folcher Kört:
beögleichen, in Hinficht anf das hörbar Gegenwärtige, Geräuſche, 2
und Laute, ganz und gar gleich den durch vibrirende Körper und den
in feinem Ohr bervorgebradhten, doc, ohne die Anweſenheit oder S
wegung folder Körper. Eben hier liegt die Quelle des Hrifverflänt
nifjes, welches alles für und wider die Realität der Geiſtererſcheinungen
©efagte durchzieht. Nämlich die Geiftererfcheinung ftellt ji
Geiſter 231
yar dillig wie eine Körpererſcheinung; fie iſt jedoch Feine,
au) fl es auch nicht fein. Es kommt folglich darauf an, zu be
greifen, daß eine Einwirkung gleich ber von einem Körper nicht noth-
werhg die Anweſenheit eines Körpers vorausfege. Da nun alle
Lrchaunng intellectual, d. h. (objectiv ausgedrüdt) cerebral ift,
aim die Sinnesempfindungen blos den Stoff liefern, aus welchem
dere der Berftand (das Gehirn) biefe Körperwelt durch An«
endung des ihm a priori bewußten Caufalitätögejeges und der
prierifchen Sormen Raum und Zeit aufbaut (vergl. Anfchauung),
‚ entiteht die Frage, ob nicht auch noch auf andere Weife, als durch
: Sinnesempfindung, die Erregung des Gehirns zu diefem An⸗
hauungsacte gefchehen könute. Warum jollte e8 aber nicht möglich
in, daß and ein Mal eine von innen, vom Organismus felbft
sögchende Erregung zum Gehirn gelangen und von biefem mittelft
iner eigenthünmlichen Sunction cben fo wie die normale, von der Sinnes⸗
Bindung auögehende verarbeitet werden Fünnte? Bei einem Talle
ker Art würde die Frage entftehen, ob die dadurch hervorgebrachte
kiheinung nicht noch eine entferntere Urſache, als aus dem Innern
6 Organismus, d. h. eine äußere Urſache haben Tünnte, weldye dann
mid in diefem alle nicht phyſiſch oder körperlich gewirkt haben
vice. Weiter würde dann bie frage entftehen, welches Verhältniß
ie gegebene Erjcheinung zur Beichaffenheit einer ſolchen entfernten
Igfern Urfache haben könne, alfo ob fie Indicia über diefelbe enthielte,
e wohl gar ihr Weſen ausbrüdte. Alſo käme e8 auch hier, wie bei
ver realen Sörperwelt, auf die Beantwortung der Frage nach dem
Sehältniß dee Erfheinung zum Ding an fih an. (P. 1,
241-243.)
Jedenfalls ift eine Geiftererfcheinung zunächft und unmittelbar nichts
weiter, als eine Bifion im Gehirn des Geiſterſehers. Daß von
Infen ein Sterbender foldje erregen Tünne, hat häufige Erfahrung
beugt; daß ein Lebender es künne, ift ebenfalls, in mehrern Fällen,
von guter Hand beglaubigt worden. Die Yrage ift blos, ob aud) ein
Heſtorbener es könne. (P. I, 328.)
2) Kritil der Verwerfung ber Geiſtererſcheinungen.
Die Ableugnung a priori jeder Möglichkeit einer Geiftererfcheinung
m das Berlachen des Glaubens an diefelbe kann auf nichts Anderem
beruhen, als auf der Üeberzeugung, daß der Tod die abjolute Ver⸗
Mhtung des Menſchen fei. Denn fo lange diefe fehlt, ift nicht abzufehen,
marm ein Wefen, das nod) irgendwie eriftirt, nicht auch follte irgendwie
14 manifeftiren und auf ein amberes, wenngleich in einem andern
Iran befindliches, einwirken fünnen. Iſt am Menſchen außer der
Datei noch irgend etwas Unzerftörbareg; fo ift wenigſtens a priori
m einzuſehen, daß Jenes, welches die wundervolle Erjcheinung des
os heworbrachte, nad) Beendigung derfelben, jeder Einwirkung
a die noch Lebenden durchaus unfähig fein follte Die Sache
232 Geiſter
wäre demnach allein a posteriori, durch die Erfahrung, zu entſcheiden
(B. I, 31219) |
Man glaubt meiftens die Realität einer Geiftererfcheinung umgeftofer
zu haben, wenn man nachweiſt, daß fie fubjectiv bedingt war; abrı
diefes Argument kann fir Den fein Gewicht haben, welcher weiß, wi
ftart der Antheil fubjectiver Bedingungen an der Erſcheinung dei
Körperwelt ift, wie nämlich diefe, ſammt dem Raum, darin fie dajtch:
und der Zeit, darin fie fi) bewegt, und der Caufalität, darin
Weſen ber Materie befteht, aljo ihrer ganzen Form nad) ein bloß
Product der Gehirnfunctionen ift, nachdem folche durch einen Reiz ı
den Nerven der Sinnesorgane angeregt worden; jo daß dabei nur
die Frage nad) dem Dinge an ſich übrig bleibt. — Die materiell
MWirflichfeit der auf unfere Sinne von außen wirkenden Körper To
freilich der Geiftererfcheinmg jo wenig zu, wie dem Traum, d
deffen Organ fie wahrgenommen wird, daher man fie immerhin et
Traum im Wachen nennen Tann; allein im Grunde büßt fie dad
ihre Realität nicht ein. Allerdings ift fie, wie der Traum, eine blog
Borftellung und als ſolche nur im erfennenden Bewußtfein vorhanden;
aber dafjelbe läßt fic) von unferer realen Außenwelt behaupten, da au
diefe zunächft und unmittelbar und nur als Borftellung gegeben un
wie gefagt, ein Gehirnphänomen ift. Berlangt man eine ander
weitige Realität derfelben, fo ift dies fchon die Trage nad) dem Din
an fih. Wie aber jedenfall® das Ding an fidh, welches in der Er:
fheinung ber Außenwelt fich manifeftirt, toto genere von ihr verfchietes
ift; fo mag es fi) mit Dem, was in der ©eiftererfcheinung fid
manifeftirt, analog verhalten, ja, was in Beiden fich fund gich.
vieleicht am Ende das Selbe fein, nämlid Wille. Diefer Anfıdt
“ entfprechend giebt es alſo Hinfichtlih ber objectiven Realität, tote der
Körperwelt, fo auch der GSeiftererfcheinungen, einen Realismus, einen
Idealismus und einen Skepticismus, endlich aber auch einen
Kriticismus, welcher letztere allein der richtige Standpunkt iſt.
(P. I, 318 fg.) |
3) Grundfehler aller früheren Auffaffung ber Geiſter—
erfcheinungen.
Die Doppelgänger, als bei welchen die erfcheinende Perfon offen:
fundig am Leben, aber abmejend ift, aud) in der Kegel von ihrer
Erſcheinung nicht weiß, geben uns den richtigen Geſichtspunkt fir de
Erſcheinungen Sterbender und Geftorbener, aljo die eigentlichen Geiſter⸗
erjcheinungen an bie Hand, indem fie uns lehren, daß eine unmittelbar
reale Gegenwart, wie die eines auf die Sinne wirkenden Körpers,
keineswegs eine nothwendige Vorausfegung berfelben fei. Gerade diefe
Borausfegung aber ift der Grundfehler aller früheren Auffafjung:
der Geiftererfcheinungen, ſowohl bei der Beftreitung, als bei der Bes
bauptung derſelben. Jene Vorausſetzung beruht nun wieder darauf,
dag man fi) auf den Standpunkt des Spiritualismus, flatt auf
ben de8 Idealismus, geftellt Hatte. Jenem nämlich gemäß gieng
Geifter 233
mon end von der völlig unberechtigten Annahme, daß der Menfch aus
wa gemdverfchiebenen Subftanzen beftehe, einer materiellen, bem Leibe,
uud amer immateriellen, der Seele. Nach ber im Tode eingetretenen
Immmug beider follte nun bie letztere, obwohl immateriell, einfach
um unandgebehnt, doc noch im Raume eriftiven, nämlich fich bewegen,
enbergehen und dabei von außen auf die Körper und ihre Sinne ein-
mwlen, gerade wie ein Körper, und demgemäß auch eben wie ein folcher
Ah darftellen. Diefer durchaus unhaltbaren, fpiritnaliftifchen Anficht
von den Geiftererfcheinungen gelten alle vernünftigen Beſtreitungen der⸗
ſelben und auch Kants kritifche Beleuchtung der Sache, welche den
nften, theoretifchen Theil feiner „Iräume eines Geifterfehers, erläutert
ker Träume der Metaphyſik“ ausmacht. Diefe fpiritualiftifche
Mit, alfo die Annahme einer immateriellen und doch Iocomotiven,
imgleichen nach Weife der Materie auf Körper, mithin auch auf bie
Sinne wirkenden Subftanz, hat man, um eine richtige Anficht von
de Geiftererfcheinungen zu erlangen, ganz cufzugeben und, ftatt ihrer,
J idealiſtiſchen Standpunkt einzunehmen. (P. I, 243. 311.
329)
4) Das Urphänomen, auf welches bei Erklärung der
Geiftererfheinungen zurüdgugehen ift.
Eine uns jehr vertraute Erfcheinung, nämlich der Traum, benimmt
ns jeden Zweifel darüber, ob in unferm anſchauenden Intellect, oder
Gehirn, anfchauliche Bilder, volllommen und umunterfcheidbar gleich
deren, welche dafelbft die auf die äußern Sinne wirkende Gegenwart
der Körper veranlaft, ohne diefen Einfluß entftehen können. (B.I, 244.)
Lei der Entftehung der Träume erhält das Gehirn, dieſer alleinige Sitz
md Organ aller Vorftellungen, eine rein phufiologifche Erregung aus
dem Innern des Organismus. Bein Einfchlafen, als wo die äußern
Eintrüde zu wirken aufjören und auch die Regſamkeit der Gedanken
m Innern des Senforiums allmälig erflirbt, da werden alle jene
Eintrüde, die aus dem innern Nervenheerbe des organifchen Lebens
cuf mittelbarem Wege heraufdringen zum Gehirn, imgleichen jebe ge
rue Modification des Blutumlaufs, — Eindrüde, die viel zu ſchwach
ind, als dag fie auf das wache Gehirn wirken könnten —, fühlber
wd bringen eine Erregung der einzelnen Theile des Gehirns und feiner
wriellenden Kräfte hervor. Das Gehirn nimmt aus ihnen den Stoff
und Anlag zu feinen Traumgeftalten, fo heterogen diefe aud) ſolchen
Cntrüden fein mögen. Denn, wie alle Sinnesnerven ſowohl von
men, ald von außen, zu ihren eigenthümlidhen Empfindungen erregt
werden Kunen; auf gleiche Weife Tann auch das Gehirn durch Reize,
die anf dem Immern des Organismus fommen, beftimmt werben, feine
Nunkon der Anſchauung raumerfüllender Geftalten zu vollziehen; wo
die fo entſtandenen Erfcheinungen gar nicht zu unterfcheiden fein
Werden don ben dich Empfindungen in den Sinnesorganen veranlaften,
wihe durch äußere Urfachen hervorgerufen wurden.
Dieſe Thatſache nun, daß wir ein Vermögen haben zur anſchaulichen
234 Geiſter
Borftelung raumerfüllender Gegenflände und zum Bernehmen mı
Berfichen von Tünen und Stimmen jeder Art, Beides ohne die änfe
Anregung der Sinnedempfindungen, — welches Bermögen fih amı pa
jendften als Traumorgan bezeichnen Täßt, — diefe keinem Zweil
unterworfene Thatfache haben wir bei Exrflärung der Geiftererfdeimung:
feftzuhalten; denn fie iſt das Urphänomen, auf welches hier zurüt
zugehen if. (P. I, 248—254.) Wir haben uns bei Erklärung &
Geiftererfcheinungen ftet8 zu erinnern, daß fänmtliche durch das Traus
organ vollzogene Anſchauungen von der gewöhnlichen, den wachen 3x
ftand begründenden Wahrnehmung fi) dadurch unterfcheiden, daß
der letztern das Gehirn von außen, durch eine phyſiſche Einwirk
auf die Sinne erregt wird, wodurch es zugleich die Data erhält, mad
welchen e8, mittelft Anwendung feiner Yunctionen, die empiriſche An
fhauung zu Stande bringt; während Hingegen bei der Anjchauuz;
duch das Traumorgan bie Erregung vom Innern bes Organiduzus
ausgeht und vom plaſtiſchen Nervenſyſtem aus fid in das Gehin
fortpflanzt, welches dadurch zu einer der erftern ganz ähnlichen Ar:
fhauung veranlagt wird, bei der jedoch, weil die Anregung dazu vor
der entgegengejeßten Seite fommt, alſo aud) in entgegengefeßter Rich
tung geſchieht, anzunehmen iſt, daß auch die Schwingungen, oder
überhaupt innern Bewegungen der Gehirnfibern, in umgekehrter Richtung
erfolgen und demnach erſt am Ende ſich auf die Sinnesnerven
ftreden, welche alſo das hier zuletzt in Thätigkeit Verſetzte find, flatt
daß fie, bei ber gewöhnlichen Anfchauung, zu allererft erregt werden
P. I, 321.)
5) Was in der Geiftererfheinung das bon anfe
Einwirfende und welder Art feine Einwirkung ık
Da die wirkliche Geiftererfcheinung eine durch das Traumorgan
vermittelte Anſchauung iſt, aber eine ſolche, die dennoch ſich auf etwa
wirklich Aeußeres, empirifch Vorhandenes, aljo vom Subject gan
Unabhängiges bezieht; fo frägt fih, was dieſes Aeußere ift und wie
es auf das geifterfehende Subject wirkt. Dffenbar muß es mit dem
Innern des Organismus, von welchem aus bie Anſchauung erregt
wird, in irgendeine Communication getreten fein. Diefe kann aber
feine phyſiſche, fondern nur eine metaphyſiſche, folglich nur cine
im Ding an fich wurzelude fein. Die Einwirkung Tann demnad, nur
eine vom Willen ald dem allen Individuen zu Grunde liegenden, dir
Schranken der Individuation durchbrechenden Ding an ſich herrührende
fein, alfo eine magiſche. Der Wille als Ding an ſich liegt aukerhalt
des principii individuationis (Raum und Zeit), durch welches die In-
dividuen gefondert find; die durch daſſelbe entftehenden Schranfen
find alfo für ihn nit da. Hieraus erklärt fich die unmittelbare
Einwirkung der Individuen auf einander, unabhängig von ihrer Nübe
oder Ferne im Raum, im Hellfehen und in den magifchen Wirkungen,
Inden der Wille des Einen, durch feine Schranken der Individuation
gehemmt, alfo unmittelbar und in distans, auf den Willen des Anden
Geifter 235
wit, bat er chen damit auf den Organismus defielben, als welcher
Die Obfectivation eben dieſes Willens ift, eingewirkt. Wenn nun eine
jelche, auf diefem Wege das Innere des Organismus treffende Ein-
wich fich auf defien Lenker und Borftand, das Ganglienfuften,
eferdt umd dann von bdiefem aus ſich bis ins Gehirn fortpflanzt;
fe laun fie von dieſem doc immer nur auf Gehirnweife, alſo zu an«
Khenlicyen Bildern, verarbeitet werden. Inzwiſchen wird eine Einwirkung
jeer Art noch immer da8 Gepräge ihres Urfprunges an fi tragen
amd dieſes der im Gehirn hervorgerufenen Geſtalt aufdrücken. Wirkt
+ DB. ein Sterbender durch ſtarke Sehnſucht oder ſonſtige energiſche
Sillensintention auf einen Entfernten; ⸗⸗ wird die Geſtalt deſſelben
ſich im Gehirn des Andern darſtellen, d. h. ganz ſo wie ein Körper
in der Wirklichkeit ihm erſcheinen.
Ta nun der Wille, fo fern er Ding an ſich iſt, durch den Tod
sicht zerftört wird; fo läßt fih a priori nicht die Möglichkeit ab-
kagnen, baf eine magifche Wirkung der befchriebenen Art nicht auch ſollte
su einem bereits Geftorbenen ausgehen können. (B.I, 321—325.)
6) Schwierigkeiten bei der Annahme wirklicher Geifter-
erſcheinungen.
Wenngleich ſich a priori nicht geradezu die Möglichkeit einer ma-
giſchen, von einem bereits Geftorbenen ausgehenden Einwirkung ableugnen
läßt, jo läßt ſich eine ſolche Möglichkeit jedoch auch nicht deutlich
abſehen und daher pofitiv behaupten, indem fie, wenn aud) im Allge-
menen nicht undenkbar, doch, bei näherer Betrachtung, großen Schwie-
rigfeiten unterworfen iſt.
Diefe Schwierigkeiten Tiegen theils auf der Seite des die Geifter
wehmehmenden Subjects, theils auf der objectiven Seite, d. h. auf
der Seite des angenommenermaßen einwirkenden Berftorbenen.
a) Schwierigfeiten auf der fubjectiven Seite. Da wir bas
un Tode umverſehrt gebliebene innere Wefen des Menjchen und zu
denken haben als außer der Zeit und dem Raume exiſtirend; fo könnte
ane Einwirkung befielben auf und Lebende nur unter fehr vielen Ver⸗
mittelungen, die alle auf unjerer Seite lägen, Statt finden; fo daß ſchwer
enszumachen fein würde, wie viel davon wirklich von ben Berftorbenen
auögegangen wäre, Denn eine derartige Einwirkung hätte nicht nur
smvörderft in die Anſchauungsformen des fie wahrnehmenden Subjects
einzugehen, mithin fich darzuftellen als ein Räumliches, Zeitliches und
nad dem Cauſalitätsgeſetz materiell Wirkendes; fondern fie müßte
überdieg auch noch in den Zuſammenhang feines begrifflichen Denkens
treten, indem er fonft nicht wife würde, was er baraus zu machen
hat, der ihm Erfcheinende aber nicht blos gefehen, fondern aud) in
feinen Abfichten verftanden werden will. Demnach hätte diefer ſich
auch noch den bejchränften Anfichten und VBorurtheilen des Subjects,
beireffenb das Ganze der Dinge und der Welt, zu fügen und zu
accommodiren. Aber noch mehr, obwohl durch eine innere, aus dem
236 Geiſtesgegenwart — Geiz
Weſen an ſich der Dinge entfprungene, aljo magiſche Einwirckung
auf den Organiemus, welche ſich mittelft des Ganglienſyſtems bis zum
Gehirn fortpflanzt, zu Wege gebracht, wirb die Geiftererfcheimung doch
aufgefaßt nach Weile der von Außen, mittelft Licht, Luft, Schall,
Stoß und Duft auf uns wirkenden Gegenflände. Welche Veränderung
müßte nicht die angenommene Einwirkung eines Geftorbenen bei einer
folchen Ueberfegung zu erleiden haben! (P. I, 325 fg.)
b) Schwierigkeiten auf ber objectiven Seite Da ke
Wille allen eine metaphufifche Wefenheit hat, vermöge welcher er
durch den Tod ungerftörbar ift, der Intellect Hingegen als Yunction
eines körperlichen Organs (bed Gehirns) blos phyſiſch ift und im Zode
untergeht, fo ift die Art und Weife, wie ein BVerftorbener von dem
Lebenden noch Kenntniß erlangen follte, um foldyer gemäß auf fie m
wirken, höchſt problematifh. Nicht weniger ift e8 die Art dieſes
Wirkens felbft, da er mit der Leiblichkeit alle gewöhnlichen, d. i. phy⸗
ſiſchen Mittel der Einwirkung auf Andere, wie auf die Körpermelt
überhaupt verloren hat. Nur vermöge magiſcher Gewalt Fünnte er:
allenfalls felbft noch jegt actio in distans, ohne körperliche Beihülfe,
ausitben und demnach auf Andere direct, ohne alle phyſiſche Ber
mittelung, einwirken, indem er ihren Organismus in der Art afficıte,
daß ihren Gehirnen fid) Geſtalten anſchaulich barftellen mitten, we
fonft nur in Folge äußerer Einwirkung durd) die Sinne von demſelber
producirt werden.
Wenn wir daher auch eine wirkliche Einwirkung Geftorbener auf di
Melt ber Lebenden als möglich zugeben wollen, jo könnte eine folk
doch nur überaus felten und ganz ausnahmsweiſe Statt haben, wil
ihre Möglichkeit an alle die angegebenen, nicht leicht zufanımen cu
tretenden Bedingungen gefnüpft wäre. (P. I, 326—328.)
Geiflesgegenwart.
Zum Beftehen plöglicher Gefahren, in benen die Furcht uns leicht
verhindert, die noch vorhandenen, oft nahe Tiegenden Rettungsmittel zu
fehen (vergl. Furcht), wie auch zum Streit mit Gegnern und Feinden,
ift Kaltblütigfeit und Geiftesgegenwart bie wefentlichfte De
fähigung. Jene befteht im Schweigen des Willens, damit der Intellect
agiren könne; diefe in der ungeftörten Thätigkeit des Intellects unter
dem Andrang der auf den Willen wirkenden Begebenheiten; daher eben
ift jene ihre Bedingung, und Beide find nahe verwandt, find felten und
flet8 nur comparativ vorhanden. Sie find aber von unfchägbaren
Bortheil, weil fie den Gebrauch des Intellects gerade zu den Zeiten,
wo man jeiner am meiften bedarf, geftatten und dadurch entfchieden:
Ueberlegenheit verleihen. (W. II, 241 fg.)
Geiz.
Die Stelle des Geizes unter den Laſtern läßt ſich nicht minder
in Zweifel ziehen, als die der Tapferleit unter den Tugenden. Ber
Gelaffenheit 237
vehjelt man Geiz nicht mit Habfucht (avaritia), fo läßt fich für ihn
‚agen, daß er von dem richtigen Grundfage ausgehend, daß alle Genüſſe
bles mgatin wirken, die Schmerzen Bingegen pofitiv und fehr real find,
Rh me verfagt, um fich vor biefen deſto befier zu fichern, jonad) das
sine et abstine zu feiner Marime macht. Sogar, wem der
heizige hierin zu weit gienge, würde diefer Fehler höchſtens ihm felbit,
iht Andern zum Schaden gereihen. Die von ihm aufgehäuften
"häge Iomımen meift Andern zu Gute; aber aud) noch bei feinem
ben läßt fich in Fällen großer Noth immer noch eher von ihm etwas
fen, als von bem ausgebeutelten, verfchuldeten Verſchwender.
AndererfeitS aber, von einem andern Gefichtspunft aus, lüßt fich
egen den Geiz jagen, daß er die Quinteſſenz der Lafter if. Denn,
ührend der Berſchwender, blo8 vom Reize ber Gegenwart Hingerifjen,
mer finnlichen Natur unterliegt und unüberlegt, um bie Zukunft
tbefümmert, Handelt, jo überlebt hingegen in Dem, deſſen Fähigkeit
ı finnlihen Genüſſen erftorben ift, wenn er ſich zum Geize wenbet,
ie geiftige Gier die fleifchlihe. Das Geld, der Repräfentant
fer Güter der Welt, das Abftractum berfelben, wird jet der dürre
tamm, an welchen feine abgeftorbenen Begierden, als Egoismus in
bstracto, fi) klammern. Sie regeneriren ſich nunmehr in der Xiebe
m Mammon. Aus ber flüchtigen, finnlichen Begierde ift eine über-
ste und berechnende Gier nad) Gelde geworden. E8 ift die hartnädige,
ſeichſam fich felbft itberfebende Liebe zu den Genüſſen der Welt, die
nblimirte und vergeiftigte Fleiſchesluſt. Der Geiz ift das Lafter des
Übers, wie Berfchwendung das der Jugend. (P. U, 221—223.)
belaſſenheit.
1) Bortheil der Gelaſſenheit.
Dan gewöhnt ſich an Alles; daher iſt Gelaſſenſein blos der
Gemohupeit zuvorkommen, — ein großer Vortheil: der Gewohnheit nicht
bedürfen. (©. 448.)
2) Was bie Öelafjenheit befonders befördert.
Der, welcher bei allen Unfällen gelafien bleibt, zeigt, daß er weiß,
we coloffal und taufenbfältig die möglichen Uebel des Lebens find;
weihalb er das jet eingetretene anfieht als einen fehr Heinen Theil
deſen, was kommen Könnte. Dies ift die ftoifche Gefinnung, in Ge-
mößkeit welcher man niemals des menfchlichen Looſes uneingedenk fein
hl, jondern eingedent, wie unzählig die Uebel, denen das menfchliche
Zalein ansgefegt ift. Diefe Einficht aufzufrifchen, braucht man überall
Nr einen Blick um ſich zu werfen. (P. I, 503.) Nichts aber wird
pm gelafjenen Ertragen der uns treffenden Unglüdsfälle befjer
befähigen, als bie Ueberzeugung, daß Alles was gejchieht, vom Größten
liß zun Keinften, nothwendig geichieht. Denn in das unvermeidlich
ALtthwendige weiß der Menſch ſich bald zu finden. Wer von der Er⸗
lantniß der Nothwendigkeit durchdrungen iſt, wird zuvörderſt willig thun
d er fan, dann aber willig leiden was er muß. (P. I, 504 fg.)
238 Geld — Gelehrſamkeit. Gelehrte
Geld.
1) Begriff des Geldes.
Geld iſt Fein Conſumtionsartikel; vielmehr iſt es ein bloßer 8
präſentant der wirklichen, brauchbaren Güter, nicht felbſt ein ſolche
Die Ducaten find im Grunde ſelbſt nur Rechenpfemnige; nicht fie Ha
Werth, fondern Das, was fie vertreten. (P. II, 222.)
2) Urſache der Geldliebe der Menſchen.
Daß die Wünfche der Menfchen Hauptfähli auf Geld gerich
find und fie dieſes über Alles Lieben, ift natürlich, wohl gar une
meiblih. Denn das Geld ift al8 ein unermüdlicher Proteus jet
Augenblid bereit, fi in den jebesmaligen Gegenftand unferer Wünfd
und mannigfaltigen Bebilrfniffe zu verwandeln. Jedes andere &
nämlih kann nur einem Wunſch, einem Bebürfnig genügen, i
folglid) nur ein relatives Gut; Geld allein ift da8 abſolute Su
weil es nicht blos einem Bedürfniß in concreto begegnet, jonder
dem Bebürfniß überhaupt, in abstracto. (P. I, 367.) Das Od
ift die menſchliche Olüdfäligfeit in abstracto; daher, wer nidyt meh
fähig ift, fie in concreto zu genießen, fein ganzes Herz an bafich
hängt. (P. I, 625. Vergl. auch Geiz.)
Selehrfamkeit. Gelehrte.
1) Untergeorbneter Werth der Gelehrſamkeit.
Der Geift bedarf zwar allerdings der Nahrung bes Stoffes ve
Außen. Aber wie nicht Alles, was wir efjen, dem Organismus fol
einverleibt wird, fondern nur fofern es verbaut worden, mobei nur =
Heiner Theil davon wirklich affimilirt wird, das Uebrige wieder abgch
weshalb mehr eſſen, als man affimiliren fann, unnütz, ja ſchädlich N
gerade jo verhält es ſich mit dem Vielwiffen der Gelehrten: nur form
das Gelefene und Gelernte Stoff zum Denken giebt, vermehrt d
unfere Einficht und eigentliches Wiſſen. Bloße Anſüllung des Cr
dächtniſſes Hingegen giebt feine Einfiht. Die Gelehrſamkeit ift mi
einem ſchweren Harnifch zu vergleichen, als welcher allerdings der
ftarfen Mann völlig unüberwindlidh macht, Hingegen dem Schwachen
eine Laft ift, unter der er vollends zufammenfinft. (8. II, 8615.‘
Die Kunde ift ein bloßes Mittel zur Einficht, hat aber an ſich
wenig, oder feinen Werth. Bei der impofanten Gelehrfamteit der
Bielwiffer drängt fi ung die Betrachtung auf: o, wie wenig mi
doch Einer zu denken gehabt Haben, daß er fo viel Hat Icfen ud
fiudiren können. (P. II, 513 fg.)
Wie gar unbedeutend ift e8 eigentlich, was gelehrt werben fan,
und wie wenig demnach ift damit gefagt, daß man Einen einen Or
(ehrten nennt. Am meiften fühlt man diefes in Fällen, wo e8 eigentlih
auf das Judicium anfommt, und wo daher „Geſcheut“ mehr am
Drte wäre, als „Gelehrt“. Offenbar ift im jedem Menſchen da)
Ungeborene, der Geift, das Genie, von größerem Gewicht, als de?
Ermworbene, zu welchem lettern die Gelehrſamkeit gehört. (W. 421.
GSelehrfamfeit. Gelehrte 239
Cart und wahre Weisheit hat ihre Duelle in der richtigen und
tiefen arſchaulichen Auffaflung der Welt, nicht im abftracten Wiſſen.
Daher ac Finnen Weife in jeder Zeit Ieben, und die ber Vorzeit
klin & für alle kommenden Geſchlechter. Gelehrjankeit hingegen ift
wir; die Gelehrten der Vorzeit find meiftens Kinder gegen uns und
beiten dr Nachſicht. (W. DI, 87.)
Zu mohlgewählte Symbol des reinen Gelehrten als ſolchen ift die
Ferüde. Sie ziert den Kopf mit einem reichlichen Maaße fremden
* Ermangelung bes eigenen; wie bie Gelehrſamkeit in ber
g des Kopfes mit einer großen Menge fremder Gedanken
ek, weiche dem freilich ihn nicht fo wohl unb natürlich Fleiden,
jo ſeſt wurzeln, noch, wenn verbraucht, fogleich durch Andere aus
klben Quelle erfett werben, wie die bem felbfteigenen Grund und
entiprofjenen. — Wirklich verhält auch die vollendetſte Gelehr-
it fi zum Genie, wie ein Herbarium zur ſtets fich neu erzeugenden,
I hülhen, jungen und wechjelnden Pflanzenwelt. (P. II, 515.)
FT Gelehrten find Die, welche in ben Büchern gelefen haben;
Denler, die Genies, die Welterleucdhter und Förderer des Menfchen-
hts find aber Die, welche unmittelbar im Buche der Welt
Pim haben. (P. II, 527.) |
Inf der intuitiven Erkenntniß beruht das unendliche Weberwiegen
u Genies über die Gelehrfamkeit; fie verhalten fich zu einander, wie
wet des alten Klaſſikers zu feinem Commentar. (W. DI, 79.
BU, 82. 515.) Ein Gelehrter iſt wer viel gelernt hat; ein Genie
Ds dem die Meenfchheit lernt, was er von Seinem gelernt hat.
‚I, 82)
2) Gegenfag zwifhen dem Fachgelehrten und Philo-
ſophen.
Ein erclufiver Fachgelehrter ift dem Fabrifarbeiter analog, der, fein
2 lang, nichts Anderes macht, als eine beftinnmte Schraube, oder
Palm, oder Hanbhabe zu einem beftimmten Werkzeuge oder Mafchine,
sm er dam freilich eine ımglaubliche Virtuofität erlangt. Auch
len man den Sachgelehrten mit einen Manne vergleichen, der in feinem
gemen Haufe wohnt, jedoch nie heraus fommt. Im dem Haufe kennt
“18 genau, jedes ZTreppchen, jeden Winkel und jeden Ballen; aber
Pe deſſelben ift ihm Alles fremd und unbekannt. — Wahre
og zur Öumanität hingegen erfordert durchaus Pielfeitigkeit und
ort, alle, fir einen Gelehrten im höhern Sinne, allerdings etwas
ri Wer aber vollends ein Philofoph fein will, muß in
kaum Ropfe die entfernteften Enden des menfchlichen Wiffens zu-
n enbringen, — Geifter erften Ranges nun gar werden niemals
Örägeehrte fein, Ihnen ift das Ganze des Dafeind zum Problem
A und über bafjelbe wird Geber von ihnen, im irgendeiner
* und Weiſe, der Menſchheit neue Aufſchlüſſe ertheilen. (P. II,
240 Gelehrſamkeit. Gelehrte
3) Gegenfaß zwifhen dem Gelehrten und dem Manı
von natürlihem Berftand.
Aus dem Borzug der intuitiven Erkenntniß vor der abflracte:
(vergl. Anſchauung und Begriff) erflärt fi, warum im wirkliche:
Leben der Gelehrte, deffen Vorzug im Reichthum abftracter Erfennmi
liegt, fo fehr zurüdfteht gegen den Weltmann, defien Vorzug in de
vollfommenen intuitiven Erfenntniß befteht, die ihm urſprüngliche I:
lage verliehen und reiche Erfahrung ausgebildet hat. (8. I, 82.)
Unter allen Ständen finden wir Menfchen von intellectueller lieh:
Iegenheit, und oft ohne alle Gelehrfamteit. Denn natürlicher Berimb
Tann faft jeden Grad von Bildung erjegen, aber feine Bildung ka
natürlichen Berftand. Der Gelehrte hat vor Solchen allerdings rim
Reichthum von Fällen und Thatfachen (Hiftorifche Kenntniß) und Cauſch
beftunmungen (Naturlehre) voraus; aber damit hat er doch noch ni
die richtigere und tiefere Einficht in das eigentliche Weſen aller ja
Fälle, Thatſachen und Caufalitäten. Der Ungelehrte von Scharjil
und Penetration weiß jenes Reichthums zu entrathen. Ihn lehrt Eis
Fall aus eigener Erfahrung mehr, als manchen Gelehrten taufend vük,
die er fennt, aber nicht verfteht; denn das wenige Willen je
Ungelehrten ift Tebendig, hingegen ift das viele Wiſſen ber gewohr
lihen Gelehrten todt. Daher, während manchem Ungelehrten de
richtige Auffaffung der anfchaulichen Welt den Stämpel der Einfiht w
Weisheit auf die Stimme gedrüdt hat, trägt da8 Geficht manches &
lehrten von feinen vielen Studien feine anderen Spuren, als die dr
Erſchöpfung und Abnugung durd) übermäßige, erzwungene Auftrengu
des Gedächtniſſes zu widernatürlicher Anhäufung tobter Beguk
(W. I, 84.)
4) Fehler der meiften Gelehrten.
Den meiften Gelehrten ift ihre Wiflenfchaft Mittel, nicht Zw
Darum werden fie nie etwas Großes darin leiften; weil hiezu erjordet
ift, daß fie ‘Dem, der fie treibt, Zwed fei und alles Andere, ja Ku
Dafein felbft, nur Mitiel. Die Gelehrten, wie fie in der Regel In
ftudiren zu dem Zweck, Iefen und fchreiben zu können. Dagher gleicht
ihr Kopf einem Magen und Gedärmen, daraus die Speifen unverdail
wieder abgehen. Eben deshalb wird auch ihr Lehren und Shmba
wenig nügen. Denn Andere nähren Tann man nicht mit unverdautts
Abgängen, fonbern nur mit ber Milch, die ans dem eigenen Blut fi
abgelondert Bat. (P. U, 514 fg.) .
Die überrafchende Unwiſſenheit vieler Gelehrten in Dingen Kt
Faches Hat zum legten Grunde ifren Mangel an objectivem 3 |
tereffe für die Gegenftände deffelben, daher die folche betreffendu
Wahrnehmungen, Bemerkungen, Einfihten u. f. w. feinen lebhaſin
Eindrud auf fie machen, folglich nicht haften; wie fie denn über
nicht con amore, fondern unter Selbftzwang ftudiren. (P. II, 56. Uche
den Vorzug des Dilettanten vor dem Gelehrten ſiehe: Dilettant)
Gemein 241
In der Gelehrten Republik ift es, wie in andern Republiken: man
best einen ſchlichten Mann, der ſtill vor ſich Hingeht und nicht klüger
jen will, ald die Andern. Gegen bie exrcentrifchen Köpfe, als welche
Gerahr drohen, vereinigt man ſich. Jeder jucht, unbekümmert um das
Gar, nur ſich geltend zu machen, um Unfehen zu gewinnen; das
Einige, worin fie alle übereinftimmen, ift, einen wirklich eminenten
Sopf, wenn er fich zeigen follte, nicht auflommen zu laffen. (P. I,
518) Zu allen Zeiten war man in der Gelehrten» Republif bemüht,
tee Mittelmäßige in jeder Gattung herauszuftreichen und das eigentlich
ae ja Große, als unbequem zu verkleinern, ja zu bejeitigen,
9. 467.)
Bas die Bücher ber meiften Gelehrten fo langweilig macht, ift nicht
re Trodenheit des Gegenftandes; fondern, wie das viele Leſen und
fernen dem eigenen Denfen Abbruch tfut, jo entwöhnt das viele
Schreiben und Lehren den Menſchen von der Deutlichkeit und eo
po Sründfichkeit des Wiffens und Verſtehens, weil es ihm nicht
Seit läßt, diefe zu erlangen. Da muß er dann in feinem Bortrage
We Lücken feines deutlichen Erfennens mit Worten und Phrafen aus-
ülen. (P. II, 514.)
Das unaufhörliche Leſen und Studiren verdirbt geradezu ben Kopf.
Lies trägt viel bei zum Mangel an Originalität ber Gelehrten.
dazu kommt aber noch, daß fie vermeinen, gleich andern Leuten ihre
Kit zwiſchen Genuß und Arbeit theilen zu müſſen. Nun halten fie
das Leſen für ihre Arbeit und eigentlichen Beruf, überfreffen fich alfo
deran bis zur Unverdaulichkeit. Da fpielt nun nicht mehr blos das
kein dem Denken das Prävenire, fondern nimmt deſſen Stelle ganz
cin; denn fie denken an die Sachen auch gerade nur fo lange, wie fic
tarüber leſen, alfo mit einem fremden Kopf, nicht dem eigenen. Iſt
aber das Buch weggelegt, fo nehmen ganz andere Dinge ihr Intereſſe
viel Tebhafter in Anſpruch, nämlich perfönliche Angelegenheiten, ſodann
<haufpiel, Kartenfpiel, Kegelfpiel, Tagesbegebenheiten und Geklatſch.
V. I, 85fg. P. O, 527.
(Üeber die fpeciellen Fehler der deutſchen Gelehrten fiehe: Deutſch.)
Lemein.
1) Warum „gemein“ ein Ausdruck der Verachtung iſt.
Gemein bedeutet urſprünglich das Allen, d. h. der ganzen Species
gene und Gemeinſame. Demnach iſt wer weiter Feine Eigenſchaften
eat, als die der Menfchenfpecies überhaupt, ein gemeiner Menſch.
Belhen Werth aber Tann ein Wefen haben, welches weiter nichts iſt,
ds Milionen feines Gleichen? Das Auszeichnende des Menfchen vor
dem Thiere iſt, daß, während dieſes nur Gattungscharakter hat, jenem
nindualharakter zukommt. Jedoch iſt in den Meiſten nur wenig
witllich Individuelles. Ihr Wollen und Denken, wie ihre Phyſiognomie
ad die der ganzen Species, allenfalls der Kaffe, der fie angehören,
id darım alltäglich), gemein. Der Fluch) der Gemeinheit ftellt den
kEqopenhauer⸗Lexikon. I. 16
242 Gemüth
Menfchen dem Thiere darin nahe, dag er ihm Wefen und Dafein ı
in der Species zugefteht. (PB. II, 633.)
2) Der Sit der Gemeinheit.
Was wir mit allen Menjchen, ja mit den Thieren gemein hal
worin wir alfo Jedem gleich find, ift der Wille. Dagegen it T
was Weſen über Weſen erhebt, die Erfenntnif. Der Bill
das durchaus Gemeinfame ift eben aud) da8 Gemeine. Demger
ift jedes heftige Hervortreten deflelben gemein, d. h. es jekt ı
herab zu einem bloßen Beifpiele (Exemplare) der Gattung. Gem
daher ift aller Zorn, unbändige Freude, Haß, Furt, kurz je
Affect, d. 5. jede Bewegung des Willens, wenn fie jo ftark wi
daß fie im Bewußtſein das Erfennen entfchieden überwiegt. Will m
nicht gemein werden, jo hat man feinen Willen zu verbergen, wie je
Genitalien, obgleich Beide die Wurzel unſers Wefens find, und f
blos die Erkenntniß fehen zu laſſen. (P. II, 634 fg.)
3) Der Sinn und da8 Treffende des Ausdruds „fi
gemein machen”.
Jeder mißt den Andern nur nad) Maßgabe feiner eigenen Intelligen
Für den geiftig Niedrigen, Bulgären, deffen Erkennen ganz nur i
Dienfte feines Willens, feiner perfönlichen Zwede und Angelegenheit:
aufgeht, ift daher der geiftig Hohe fo wenig vorhanden, ıwie die karl
für den Blinden. Alle Geifter find Dem unfidhtbar, der felbft fe
hat; jede Werthichägung ift ein Product aus dem Werthe des N
hätten mit der Erkenntnißſphäre des Schägers. Hieraus folgt, de
man fi mit Jedem, mit dem man ſpricht, nivellirt. Erwägt mal
nun, wie niedrig gefinnt und begabt, alfo gemein die meiften Menſch
find, und wie ſchwer daher es ift, mit ihnen zu verkehren, ohne «:
ſolche Zeit felbft gemein zu werben, jo wird man bem eigentlidt
Sinn und das Treffende des Ausdruds „ſich gemein machen
gründlich verftehen. (PB. I, 476.) Geſelligkeit mit Gemeinen, U:
eines ſubjectiven Intereſſes Fähigen, ift Degradation, recht eigentlich
Sid) gemein machen. (P. U, 74.)
Gemüth.
1) Gegenſatz zwiſchen Gemüth und Geiſt. |
Der Gegenfag zwifchen Gemith und Geift ift derjelbe, wie zwiſche
Herz und Kopf; es ift alfo der Gegenſatz zwiſchen Wille um
Intellect, dem Primären und Secundären. (©. Herz.) Ein Gefih
dieſes Berhältniffes ift auch im der Lateinischen Sprache ausgedrich
wo der Intellect mens, der Wille Hingegen animus heißt. Anime
ift das belebende Princip und zugleich der Wille, das Gubjet
Neigungen, Abfichten, Leidenſchaften und Affecte; es ift das griehil
dopoc, aljo Gemüth, nicht aber Kopf. Animi perturbatio iſt
Affeet, mentis perturbatio würde Verrücktheit bedeuten. B. B
268 fg.)
Generatio aequivoca 243
2) Oemüthserregung. (©. Affect.)
3) Macht der Außenwelt über das Gemüth.
Bas der Außenwelt und fidhtbaren Realität ihre große Gewalt über
das Gemüt ertheilt, ift die Nähe und Unmittelbarkeit derfelben. Wie
die Magnetnadel durch ein Meines ihr recht nahe gebrachtes Stückchen
Sen perturbirt und in heftige Schwankungen verjegt werden Tann;
19 kann bisweilen felbft ein ftarfer Geift durch geringfügige Begeben⸗
beten und Menjchen, wenn fie nur in großer Nähe auf ihn einwirken,
ad der Faſſung gebracht und perturbirt werden. Ein fehr Fleines,
aber jehr nahe liegendes ‘Motiv kann ein an fi) viel ftärferes, jedoch)
8 der Ferne wirkendes überwiegen. Die Beichaffenheit de8 Gemüthes
aber, vermöge deren es dieſem Geſetze gemäß fich beftimmen läßt und
richt Fraft der praftifchen Vernunft fich ihm entzieht, ift es, was bie
Alten dur) animi impotentia bezeichneten, welches eigentlich ratio
regendae voluntatis impotens bezeichnet. (W. II, 164.)
4) Ziefen und Dunktelheiten des Gemüths,
Tas menfchliche Gemüth hat Tiefen, Duntelyeiten und Berwidlungen,
weihe aufzuhellen und zu entfalten van der äußerften Schwierigkeit ift.
W. I, 476.)
5) Regeln zur Beförderung der Gemüthsruhe,
Bon Wichtigkeit für die Gemüthsruhe ift das richtige Verhältniß,
m welchem wir unfere Aufmerkfamfeit theils der Gegenwart, theils der
Anfunft widmen, damit nicht die eine uns die andere verderbe. Es
it durchaus thöricht, die Gegenwart fich zu trüben durch verdriegliche
Eeſichter über verfehlte Hoffnungen in der Vergangenheit, oder Beforg-
niſſe für die Zukunft. Der Sorge, ja felbft der Reue fei ihre beftimmte
Zeit gewidmet. Uns zu beunruhigen find blos folche Fünftige Uebel
terehigt, welche gewiß find und deren Eintrittszeit ebenfall8 gewiß ift.
Zies werden aber fehr wenige fein; denn die Mebel find entweder blos
möglich, allenfalls wahrfcheinlich,; oder fie find zwar gewiß, allein ihre
Cintrittszeit ift völlig ungewiß. Läßt man num auf diefe beiden Arten
ih em; fo hat man keinen ruhigen Augenblid mehr. Um alfo nicht der
Rufe unfers Lebens durch ungewiſſe oder unbeftimmte Uebel verluftig
werden, milffen wir uns gewöhnen, jene anzufehen, als fümen fie
nie; dieſe, als Tämen fie gewiß nicht fobald. (P. I, 441 fg.)
Don Wichtigkeit fr die Gemitthsruhe ift ferner die Beſchränkung
j. Beſchränkung), die Einſamkeit (f. Einſamkeit) und die Zügelung
der Bhantafie (f. Phantaſie).
beneratio aequivoca. |
1) Die generatio aequivoca als Sieg der höhern
über die niedern Ideen.
‚Denn von den Erfcheinungen des Willens auf den niebrigern Stufen
mer Objectivation, alfo im Unorganifchen, mehrere unter einander in
Sonflict gerathen, indem jede ſich der vorhandenen Materie bemächtigen
16*
944 Generatio aequivoca
will, fo geht aus biefem Streit die Erfcheinung einer höhern Ide:
hervor, welche bie vorhin bagewejenen unvollfonımenen alle überwältigt,
ieboh fo, daß fie das Weſen berjelben auf eine untergeordnete Wal:
beftehen läßt, indem fie ein Analogon davon in fid) aufnimmt; welde:
Borgang eben nur aus ber Identität des erfcheinenden Willens in allen
Ideen und aus feinem Streben zu immer höherer Objectivation be-
greiflich if. Die aus foldem Siege über mehrere niebere Ideen oder
Dbjectivationen des Willens bervorgehende vollfommenere gewinnt eber
dadurch, daß fie von jeder übermältigten ein höher potenzirtes Aualogor
in fi) aufnimmt, einen ganz neuen Charakter; der Wille objectivirt
ſich auf eine neue beutlichere Art; es entfteht, urfprünglich durch
generatio aequivoca, nadher durch Affimilation am dem vor
bandenen Keim, organifcher Saft, Pflanze, Thier, Menſch. Alſo aus
dem Streit niedrigerer Erfcheinungen geht die höhere, fie alle ver-
ichlingende, aber auch das Streben aller in höherm Grade verwirklichente
hervor. (W. I, 172 fg. NR. 56. 9. 348.)
2) Die Leugnung ber generatio aequivoca als Bor:
jpiel der Zeugnung der Lebenskraft.
Der in neuefter Zeit geführte Krieg gegen die generatio aequivucs
mit feinem voreiligen Siegesgefchrei war das Borfpiel zum Ableugner.
der Lebenskraft, und biefem verwandt. (W. II, 353.)
3) Ob noch jegt generatio aequivoca Statt findet.
Der zeitliche Urfprung der Yormen, der Geftalten, oder Specité
aus der Materie ift nicht zu bezweifeln. Ob aber noch jeßt, da J
Wege zur Perpetuirung der Geſtalten offen ſtehen und von der Natur
mit gränzenlofer Sorgfalt gefichert und erhalten werden, bie generat.
aequivoca Statt finde, ift allein durd) die Erfahrung zu emtjcheide:
zumal da das natura nihil facit frustra, mit Hinweifung auf di
Wege der regelmäßigen Fortpflanzung, als Argument dagegen gelten!
gemacht werden könnte. Doch ift die generatio acquivoca auf Ich
niedrigen Stufen, der neueften Einwendungen dagegen ungeachtet, fe:
wahrjcheinlih. Weberall wo Fäulniß entfteht, zeigen ſich Schimmil,
Pilze und, im Flüffigen, Infuforien. Die jet beliebte Annahme, daf
Sporen und Eier zu den zahllofen Species aller jener Gattungen
überall in der Luft ſchweben und Lange Jahre hindurch auf ein:
günftige ©elegenheit warten, ift paradorer, als die der generativ
aequivoca. Yäulniß ift die Zerfegung eines organifchen Körpers, zuerſt
in feine nähern chemifchen Beftandtheile.e Weil nun diefe in alla
lebenden Weſen mehr ober weniger gleichartig find; fo kann, in ſolchem
Augenblid, der allgegenmwärtige Wille zum Leben fid) ihrer bemächtigen.
um jegt, nad) Maßgabe der Umftände, neue Weſen darans zu er
zeugen. (W. UI, 352 fg. P. II, 160.)
4) Wie die generatio aequivoca auf den obern Stufen
bes Thierreich8 zu denken ift.
Die generatio aequivoca läßt fid) auf den oberu Stufen des Thie:
reichs nicht mehr fo denfen, wie fie auf den allerunterften fich uns
Generationsaet — Genie. Genialität 245
darſtellt; nimmermehr kann die Geftalt des Löwen, bes MWolfes, des
Elephanten, des Affen, ober gar des Menfchen nach Art der Infufions-
tbirchen, der Entozoen und Epizoen entftanden fein und etwa geradezu
ñch erhoben haben aus zufammengerinnendem, fonnebebrütetem Meeres⸗
'hlamm, oder Schleim, oder aus faulender organischer Maſſe; fondern
ihre Entftehung kann nur gebadjt werden als generatio in utero
beterogeneo, folglich fo, daß aus dem Uterus, oder vielmehr dem Ei
eines beſonders begünftigten thierifchen Paares beim Zufammentreffen
Der günftigen Einflüffe ausnahmsweiſe nicht mehr feines Gleichen,
‘ondern die ihm zuͤnächſt verwandte, jedoch eine Stufe höher ſtehende
Geſtalt Kervorgegangen wäre; fo daß dieſes Paar, diefes Mal, nicht
em bloßes Imdividuum, fondern eine Species erzeugt hätte. Vorgänge
dieſer Art konnten natürlich erft eintreten, nachdem bie allerunterften
Thiere ſich durch die gewöhnliche generatio aequivoca aus organifcher
Fäulniß, oder aus dem Zellengemwebe lebender Pflanzen ans Licht empor-
gearbeitet hatten als erſte Vorboten der kommenden Thiergefchlechter.
. IL, 163 fg.)
Ernerationsac, j. Zeugung, Zeugungsact.
Ernie. Genialitat.
1) Weſen des Genies im Allgemeinen.
Das Weſen des Genies befteht in der Fähigkeit zu jener ganz im
Object aufgehenden reinen Contemplation, durch welche die Ideen
der Dinge aufgefaßt werden. Da nun biefe ein gänzliches Vergeſſen
der eigenen Perſon und ihrer Beziehungen verlangt; fo ift ©enialität
aichts Anderes, al8 die vollfommenfte Objectivität, d. 5. objective
Richmng des Geiſtes, entgegengejetst der fubjectiven, auf die eigene
Berfon, d. i. den Willen, gehenden. Demnach ift Genialität die Fähig⸗
tet, fi) rein anſchauend zu verhalten, fi in die Anfchauung zu
verlieren und die Erkenntniß, welche urfprünglich nur zum Dienfte des
Willens da ift, diefem Dienfte zu entziehen, fonad) feiner Perſönlichkeit
fh auf eine Zeit völlig zu entäußern, um als vein erfennendes
Enbject, Mares Weltauge übrig zu bleiben; und biefes nicht auf
Augenblicke, fondern fo anhaltend und mit fo viel Beſonnenheit, als
aöthig ift, um das Aufgefaßte durch überlegte Kunſt zu wiederholen.
Tamit der Genius in einem Individuo hervortrete, muß diefem ein
Maaß der Erkenntnißkraft zugefallen fein, welches das zum “Dienfte
eines individuellen Willens erforderliche weit überfteigt, welcher frei
gewordene Ueberfchuß der Erkenntniß jetzt zum willensreinen Subject,
zum heilen Spiegel des Weſens der Welt wird. (W. I, 218g.
®. 1, 230. 428. 435 fg. N. 70. P. II, 72. 451.)
Im Genie erreicht der freie und daher abnorme Gebrauch des In⸗
tellect® ben Grad, mo das Erkennen zur Hauptfache, zum Zwed bes
ganzen Lebens wird, da8 eigene Dafein hingegen zur Nebenſache, zum
open Mittel herabfinkt, alfo das normale Verhältnig ſich gänzlich
umfehrt. Demnach lebt das Genie im Ganzen genommen mehr in
-
246 Genie. Genialität
der übrigen Welt mittelft dev erfennenden Auffaſſung derfelben, als u
feiner eigenen Perfon. Ihm benimmt die ganz abnorme Erhöhung der
Erkenntnißkräfte die Möglichkeit, feine Zeit dur das bloße Dajein
und deſſen Zwede auszufüllen; fein Geift bedarf beftändiger und ſtarker
Beichäftigung. (P. II, 74. W. II, 438.)
2) Die geniale Erfenntnißweife.
Die wefentliche Erkenntnißweiſe des Genies ift die anfchauende
und zwar nicht die, deren Gegenftand die einzelnen Dinge und derer.
Beziehungen find, fondern die in dieſen ſich ausfprechenden Platoniſcher
Ideen. (W. I, 432.) Da die geniale Erkennt, als Erkenntnit
der Idee, diejenige ift, welche dem Satz vom Grund nicht folg:,
hingegen die, welche ihm folgt, im Leben Klugheit und Vernünftiglen
ertheilt und bie Willenfchaften zu Stande bringt; fo werben geniale
Individuen mit ben ‘Mängeln behaftet fein, welche die Vernadjläffigung
ber letztern Erkenntuißweiſe nad) fich zieht. Die Abneigung geniale:
Imdividuen, die Aufmerkfamfeit auf den Inhalt des Sages vom Grund
zu richten, wird fich zuerft in Hinficht auf den Grund des Seins
(vergl. unter Grund: Grund bes Seins) zeigen ald Abneigung gegen
Mathematik. Auch Hat die Erfahrung beftätigt, daß große Genien
in ber Kunſt Feine Fähigkeit zur Mathematik Haben. Da ferner ſcharit
Auffaffung der Bezichungen der Dinge gemäß dem Geſetze der Gau:
falıtät und Motivation eigentlich die Klugheit ausmacht, bie gemual:
Erfenntniß aber nicht auf die Relationen, fondern auf das Wefen der
Dinge gerichtet ift; fo wird ein Genialer, fofern und während er c«
ift, nicht Hug fein. Endlich fteht überhaupt die anfhauliche Cr
fenntniß, in deren Gebiet die Idee Liegt, der vernünftigen oder abftracten,
welche der Sat vom Grund des Erkennen leitet (ſ. unter Grund:
Erfenntnißgrund) gerade entgegen. Daher ift große Oenialität nid:
mit borherrfchender Vernünftigfeit gepaart. (W. I, 222 fg.)
Die Derwandtichaft zwifchen Genialität und Wahnfinn beruft
auf der beiden mangelnden Erkenntniß der Relationen der ‘Dinge.
Wenn der Wahnfinnige das einzelne Gegenwärtige, auch manches cin:
zelne Vergangene richtig erkennt, aber den Zufammenhang, bie Relationen
verfennt und daher irreredet, fo ift cben dies der Punkt feiner Pe
rührung mit dem genialen Individuo; denn auch diefes, da es di
Erfenntniß der Relationen oder bie dem Sat des Grundes gemäft
Erkenntniß verläßt, um in den Dingen nur ihre Ideen zu fuchen, läßt
darüber die Erkenntniß des Zufammenhanges der Dinge aus den
Augen; das einzelne Object feiner Beſchauung, oder bie übermäßig
lebhaft von ihm aufgefaßte Gegenwart erjcheinen in fo hellem Lidt,
daß gleihjam die übrigen Glieder der Kette, zu der fie gehören, dadurd
in Dunkel zurüdtreten, und dies giebt eben Phänomene, die mit benen
des Wahnſinns eine längft erkannte Aehnlichkeit Haben. (WB. I, 228.
Bergl. auch Wahnfinn) Zwifchen dem Genie und dem Wahnftm
ift die Aehnlichkeit, daß fie in einer andern Welt Ieben, als bie für
Alle vorhandene. (5. 357.)
Genie. Genialität 247
3) Ein wefentlider Beftanätheil ber Genialität.
Ein weſentlicher Beftandtheil ber Genialität ift die Phantafie.
Ta die Objecte des Genius als folchen die ewigen „Ideen, die bes
karrenden wefentlichen Formen der Welt und aller ihrer Erfcheinungen
nd, die Erkenntniß der Idee aber nothwendig anſchaulich, nicht abftract
it; fo würde die Erfenntniß des Genius befchränft fein auf die Ideen
tr feiner Perſon wirflicd gegenwärtigen Objecte und abhängig von
ser Berfettung der Umftände, die ihm jene zuführen, wenn nicht die
Thantafie feinen Horizont weit iiber die Wirklichkeit feiner perfün«
lichen Erfahrung erweiterte und ihn in den Stand fette, aus dem
Wenigen, was in feine wirkliche Apperception gelommen, alles Uebrige
zu conftruiren und fo faft alle möglichen Lebensbilder an ſich vorüber-
gehen zu laſſen. Zudem find die wirflichen Objecte faft immer nur
ſehr mangelhafte Sremplare der in ihnen fich darftellenden Idee; daher
ter Genius ber Phantafie bedarf, um in den Dingen nicht Das zu
ichen, was die Natur wirklich gebildet hat, fondern was fie zu bilden
beitrebt war. Die Phantafte erweitert aljo den Gefichtsfreis des Genius
über die feiner Perfon ſich wirklich darbietenden Objecte ſowohl der
Dualität, als ber Quantität nad. Deshalb ift ungewöhnliche
Stärke der Bhantafie Begleiterin, ja Bedingung der Genialität. (W. J,
2199. W. I, 431.)
4) Inftinctartige Nothwendigleit des Wirkens des
Genies.
Daraus, daß die Erkenntnißweiſe des Genies wefentlich die von
allem Wollen und feinen Beziehungen gereinigte ift, folgt, baß die
Werke defjelben nicht aus Abficht oder Willfür hervorgehen, jondern
es dabei geleitet ift von einer inftinctartigen Nothwendigfeit. (W. II, 433.)
Das Unvorfäßliche, Unabfichtliche, ja zum Theil Unbewußte und In=.
tinctive, welches man von jeher an den Werfen des Genies bemerkt
bat, it die Folge davon, daß die Finftlerifche Urerfenntnig eine vom
Willen ganz gefonderte und unabhängige, eine willensreine, willensloſe
ML, Und eben weil der Wille der eigentliche Menſch ift, fchreibt man
jene einem von diefem verfchiedenen Weſen, einem Genius zu.
VP. UI, 451.)
Jedoch ift der Genius im Leben der genialen Individuen nicht in
jdem Augenblick thätig, da die große, wiewohl jpontane Anfpannung,
welhe zur willensfreien Auffaffung der Ideen erfordert wird, noth-
wendig wieder nachläßt und große Zwiſchenräume hat, in welchen das
geniale Individuum den gewöhnlichen Menfchen ziemlich gleich fteht.
Man Hat dieferhalb das Wirken des Genius von je her al® eine In—
Ipiration, ja, wie der Name felbft bezeichnet, als das Wirken eines
vom Individuo felbft verfchiedenen übermenfchlichen Weſens angejehen,
das nur periodisch jenes in Befig nimmt. (W. I, 222.)
5) Charakter der Productionen des Genies.
Daß da8 Genie im Wirken des freien, d. 5. vom Dienfte des
Bilens emancipirten Intellects befteht, — dies hat zur Folge, da
248 Genie. Genialität
die Productionen defielben keinen nüßlichen Zweden dienen. Es werbe
muficirt, oder philofophirt, gemalt oder gedichte; — ein Werk des
Genies ift Fein Ding zum Nugen. Unnüß zu fein, gehört zum Cha-
rafter der Werke des Genies; es ift ihre Adelsbrief. Während alle
übrigen Menjchenwerfe da find zur Erhaltung, oder Erleichterung um-
ferer Eriftenz; jo find die Werke bes Genies ihrer felbft wegen da,
find al8 die Blüthe, oder ber reine Ertrag des Daſeins anzufehen.
(W. II, 442.)
Daß die Werke des Genies bie aller Andern himmelweit übertreffen,
fommt blos daher, daß die Welt, die es fieht, und der es feine Aus—
fagen entnimmt, fo viel Härer, gleichſam tiefer herausgearbeitet ift, ale
die in den Köpfen der Andern, welche freilid) die felben Gegenftänte
enthält, aber zu jener fich verhält, wie ein chinefifches Bild, ohne
Schatten und Perfpective, zum vollendeten Ocigemäldte (W. I, 81.)
An dem ZTreffenden, Driginellen und der Sache ftetS genau Angepaften
des Ausdruds, an dem Naiven der Ausſagen, an der Neuheit der
Bilder und dem Schlagenden der Sleichniffe, welches Alles die Werke
großer Köpfe auszeichnet, denen ber Andern Hingegen ftet8 abgeht, er:
fennt man, daß jene ftet? in Gegenwart der Aufdhauung ge:
dacht und den Blick unverwandt auf fie geheftet bei ihrem Denken.
(W. II, 78.)
6) Anatomifhe und phyfiologifhe Bedingungen dee
Genies.
Von der ſomatiſchen Seite betrachtet, iſt das Genie durch mehrere
anatomiſche und phyſiologiſche Eigenſchaften bedingt, deren ſeltenes
Beiſammenſein die Seltenheit des Genies erklärt. Die Grundbedingung
ft ein abnormes Ueberwiegen ber Senſibilität über die Irrita—
bilität und Reproductionsfraft, und zwar, was die Sache
erfchwert, auf einem männlichen Körper. Inigleichen muß das Cerebral-
foftem vom Ganglienfgften durch volllommene Iſolation rein gefchieden
fein, fo daß das Gehirn ein möglihft unabhängiges Leben führt.
Freilich wird e8 durch fein erhöhtes Leben und raftlofe Thätigkeit Leicht
aufreibend auf den übrigen Organismus wirken, wenn nicht auch er
jelbft von energifcher Lebenskraft und guter Conftitution if. Darum
gehört auch dies Letztere zu den Bedingungen. Ja, jogar ein guter
Magen gehört dazu, wegen des fpeciellen und engen Conſenſus biefes
Theile® mit bem Gehirn. Hanptfächlich aber muß das Gehirn von
ungewöhnlicher Entwicklung und Größe, befonders breit und hoch fein;
hingegen wird die Tiefendimenfion zurüdftehen, und das große Gehirn
im Verhältniß gegen das Heine abnorm überwiegen. Die Tertur der
Gehirnmaffe muß von der äußerften Feinheit und Vollendung fein und
aus der erregbarften Nervenfubftanz beftehen; gewiß hat auch das
quantitative Verhältniß der weißen und grauen Subſtanz entfchiedenen
Einfluß. Im Gegenſatz zum überwiegenden Gehirn müffen Rüden
mark und Nerven ungewöhnlich dünn fein. Ein ſchön gewölbter, hoher
Genie. Genialität 249
umd breiter Schädel, von dünner Knochenmaſſe, muß das Gehirn
ihügen, ohne es einzuengen. Zu biefer Befchaffenheit bes Gehirns
end Rerdenſyſtems, welche als Erbtheil von der Mutter zu betrachten
a, muß, als Erbtheil vom Bater, hinzulommen ein lebhaftes, Teiden-
ihartliches Temperament, ſich ſomatiſch darftellend als ungewöhnliche
Energie des Herzend und folglid) bes Blutumlaufs, zumal nad) dem
Ropfe Hin. Denn hiedurch wird zunächſt jene dem Gehirn eigene
Turgeecenz vermehrt, vermöge beren es gegen feine Wände brüdt;
weitens erhält durch die gehörige Kraft bed Herzens das Gehirn die-
enige inmere, von feiner befländigen Hebung und Senkung bei jedem
Athemzuge noch verfchiedene Bewegung, weldye in einer Erfchütterung
einer ganzen Maſſe bei jedem Pulsfchlage der vier Cerebral- Arterien
eitcht und deren Energie feiner hier vermehrten Ouantität entfprechen
ng, wie denn dieſe Bewegung überhaupt eine unerläßliche Bedingung
aner Thätigfeit if. (W. IL, 447 fg.)
7) Kindlicher Charakter bes Genies.
Die Aehnlichkeit, welche zwiſchen dem Genie und dem Kindesalter
Statt findet, beruht auf dem Beiden eigenthümlichen Ueberſchuß ber
Srfenntnißfräfte über die Bedürfniffe des Willens und dem daraus
ntipringenden Vorwalten der blo8 erfennenden Thätigfeit. Wirklich
tt jedes Kind gewiſſermaßen ein Genie, und jebes Genie gewifjermaßen
m Kind. Die Verwandtſchaft Beider zeigt fi zunächſt in der
Raivetät und erhabenen Einfalt, welche ein Grundzug des ächten
Gmies ift; fie tritt außerdem in manchen Zügen an den Tag, jo daß
ine gewiffe Kindlichfeit allerdings zum Charakter bes Genies gehört.
Jedes Genie ift fchon darum ein großes Kind, weil e8 in die Welt
tineinſchaut als in ein Fremdes, ein Schaufpiel, daher mit objectivem
Jutereſſe. Jenes dem Stindesalter natürliche Ueberwiegen bes fenfibeln
Syſtems und der erfennenden Thätigfeit erhält fi beim Genie, ab»
normer Weiſe, das ganze Leben hindurch, wird aljo hier ein perenni-
rendes. (WB. II, 449—452.)
8) Das Genie in ethifder Hinfidt.
Im genialen Individuum bemeiftert während des Zuſtandes der
nen Contemplation gleichfam das Accidenz (der Intellect) die Sub-
Nanz (den Willen) und hebt fie auf, wenn gleich nur auf eine furze
Belle. Hier liegt die Analogie und fogar Berwandtfchaft der Genialität
ut der Heiligkeit, der Verneinung des Willens. (W. II, 420.)
Stiligleit und Genie Haben eine Verwandtſchaft. Sei ein Heiliger
auch noch fo einfältig, er wird doch einen genialen Zug haben; und
habe ein Genie noch fo viele Temperaments-, ja wirkliche Charakter
Ichler, fo wirb es doc) eine gewiffe Erhabenheit der Gefinnung zeigen,
wedurch e8 dem Heiligen verwandt ifl. (5. 399.) Im Genie tft der
«ein fantere und unfchuldige Theil des menfchlichen Weſens, ber
Intelleet, das Meberwiegende und PVorwaltende. Hierin liegt im
de die eigentliche Würde des Menfchen von Genie und Daß,
250 Genie. Genialität
was ihn über die Anbern erhebt, in denen nichts ift, als der fiindi
Wille mit fo viel Imtellect, als erfordert if, feine Schritte zu lenke
(5. 399.) Das Genie führt zum Heil und zur Erlöfung; denn
ift immer das Leiden, das angefchaute, oder das felbftempfundene, ro:
den Willen zum Leben bricht und dadurch von dieſer Welt, die feu
Sichtbarkeit ift, erlöft. "Nun it ſchon Das dem Genie als ſolche
eigene Leiden, feine Dede und Einfamleit in einer ihm Heterogen:
Melt, hinreichend, den Willen zum Leben zu brechen und ihn ab;:
wenden von biefer freubeleeren Welt. (H. 360.)
Geniale haben oft heftige Begierden, find der Wolluft und ve:
Zorn ergeben. Zu großen Verbrechen kommen fie jedody nicht, wei
wenn dieſe fich ihnen barbieten, fie die Idee derfelben lebhaft ui
tief erfennen und nun diefe Erfenntniß die Uebermacht über den Will:
gewinnt, ihn nunmehr (eben wie beim Heiligen) wendet, und die Deiii
that alfo unterbleibt. Immer alfo participirt das Genie etwas vo
der Heiligkeit, indem c8 die Bedingung zu diefer hat, fo wie der Heilig
etwas vom Genie. (M. 275. 9. 136.)
Kein Mann von Genie war je ein Böſewicht, weil die Boske
die Aeußerung eines fo heftigen Wollens ift, daß felbige8 den Intel
allein zu ſeinem Dienfte braucht und nicht zuläßt, daß er frei wer?
zu einer rein objectiven Betrachtung der Dinge. Ein Böſewicht fam
einen gewaltigen Intellect haben, aber er fann ihn nur auf Das richten
was irgend eine Beziehung auf feinen Willen bat. (5. 399.)
In dem entfchiedenen Ueberwiegen des Erkennen über das Woll:
ftegt bie Berwandtichaft zwifchen Tugend und Genie. Der Unterfei:
liegt aber darin, daß das Uebergewicht des Erfennens beim Genie jid
als folches, d. h. als vollfommene Erkenntniß äußert; im Tugendhaite—
aber feine Macht auf den Willen übt und durch die Penfung dielcd
fi äußert. Werner ift beim Genie die Intenfität der Geiftesfrät:
eine abfolute, ein fehr hoher Grad ſchlechthin. Hingegen ift zur
Tugend und Güte nur eine relative, d. 5. im Verhältniß zum inbirt-
duellen Willen große Intenfität der Erkenntnißkraft erfordert, die wohl
N durch die geringe natürliche Heftigfeit des Wollens unterftügt wird.
(9. 400.)
Der mit Genie Begabte opfert fich in feinen Werfen ganz für ba:
Ganze. Daher ift er frei von der Verbindlichkeit, fi im Einzelnen
fiir Einzelne zu opfern. Dieferwegen Tann er manche Anforderung,
abweifen, die Andere billig erfüllen müſſen. Er leidet und leiftet doch
mehr, als alle Andern. (M. 275.)
9) Segenfag zwifchen dem Genialen und dem gewöhn:
lichen Menſchen.
Der gewöhnliche Menſch, diefe Fabrikwaare der Natur, ift einer
völlig unintereffirten Betrachtung der Dinge, welches die eigentlick
Beſchaulichkeit ift, nicht, wenigftens nicht anhaltend fähig, Er rien
feine Aufmerkſamkeit auf die Dinge sur infofern, als fie irgendeine,
Genie. Genialität 251
wenn auch nur ſehr mittelbare Beziehung auf feinen Willen Haben.
Ter Geniale dagegen verweilt bei. ber Betrachtung bes Lebens jelbft,
strebt die Idee jedes Dinges zu erfaflen, nicht deſſen Relationen zu
sxdern Dingen und zum Willen. Während. bem gerwöhnlichen Menſchen
jein Erfenntnißvermögen die Laterne iſt, bie feinen Weg beleuchtet, ift
es dem Genialen die Sonne, welche die Welt offenbar macht. Diefe
se rerſchiedene Weife, in das Leben hineinzufehen, wird auch im Aeußern
Kider fihtbar. Der Blid des Genialen trägt den Charakter der
Beichaufichfeit; Hingegen wird im DBlid der Gewöhnlichen, wenn er
sicht ſtumpf oder nüchtern ift, leicht der wahre Gegenfat der Cou⸗
emplation, ba8 Spähen, fihtbar. (W. I, 221. P. U, 73—76.
. ID, 433—435.) Wenn der Normalmenfh aus %/, Wille und
Intellect befteht; jo Hat Hingegen da8 Genie 2/, Intellect und
1, Wille (W. OD, 429.) Im Einzelnen ftet® das Allgemeine zu
eben ift der Grundzug bed Genies, während der Normalmenfc im
Sinelnen auch nur das Einzelne al8 ſolches erkennt, da es nur als
olches der Wirklichkeit angehört, welche allein für ihn Intereſſe,
ꝛ. h. Beziehungen zu feinem Willen Bat. (W. II, 432.) Der ges
vöhnliche Menjch wird, wenn ihm hundert Wünfche fehlfchlagen, den
Olten anfrichten, unermüdlich im Hoffen und auf taufendfältige Art
a befriedigen. Dem Genie giebt fein beigefellter heftiger Wille ben
Anlaß zur Entzweiung nit der Welt, welche dem intereffelofen Con-
<empliren derſelben vorhergehen muß. (9. 355.) Der Normalmenfcd
it gänzlich auf da8 Sein verwiefen; da8 Genie hingegen lebt und
wor im Erkennen. Daraus folgt, da alle Dinge herrlich) zu fehen,
sber ſchrecklich zu fein, daß auf dem LXeben der gewöhnlichen Leute
iu dumpfer, trüber, einförmiger Ernft liegt, während auf der Stirn
das Genies eine Heiterfeit eigener Art glänzt, welche, obfchon feine
Schmerzen heftiger find, als die der Gewöhnlichen, doch immer noch
tuchbricht, wie die Sonne durch NRegenwolfen; welches am fidhtbarften
dird, wenn man das Genie mit ben Andern in gleicher Bedrängniß
ablidt; da erfennt man, daß es zu biefen fi) verhält, wie ber Menſch,
dem allein das Lachen zufteht, zu dem in bumpfem Ernft dahinlebenden
here. (9. 355. W. I, 433. 437.) Wie offenbar die Thiere
manche Verſtandesverrichtungen, wie 3. B. das BZurüdfinden eines
Weges, das Erkennen einer Perfon u. dgl. weit beffer, als der Menſch
rellziehen; — eben fo ift zu vielen Angelegenheiten des wirklichen Lebens
das Genie ungleich weniger fühig und tauglich, als der gemeine Kopf.
Und wie ferner die Thiere eigentlich nie auf Narrheiten gerathen; eben
ſo ift diefen ber gewöhnliche Menſch nicht in dem Grade unterworfen,
wie dad Genie. (9. 356. W. II, 441i fg. P. IL, 75. 617.)
10) Unterfchiedb zwifchen Genie und Talent.
Tas Talent ift ein Vorzug, der mehr in der größern Gemwanbtheit
ad Schärfe der discurſiven, als der intuitiven Erfenntniß liegt.
Der damit Begabte denkt rafcher umd richtiger al8 die Uebrigen; das
252 Genie. Genialität
Genie hingegen ſchaut eine andere Welt an, al8 fie Alle, wiewohl nur
indem es in die auch ihnen vorliegende tiefer hineinfchaut, weil fie r
feinem Kopfe fich objectiver, mithin reiner und deutlicher darftct.
(W. II, 428.) Die Werke des Genies entfpringen aus der Ar:
ſchauung, die des bloßen Talents hingegen aus Begriffen. (B.I,
431.) Die Unterfuhung der einzelnen Phänomene ift das Feld te
Talente in ben Realwiffenfchaften, deren Gegenftand eigentlich imzıe
nur bie Beziehungen der Dinge zu einander find. Der eigentlid:
Gegenftand des Genies hingegen ift das Wefen der Dinge überhaupt,
das Allgemeine in ihnen, da8 Ganze. (W. II, 432.) Das Zalent,
vermag zu leiften was bie Leiftungsfähigfeit, jedoch nicht die Appre
henfionsfähigkeit dev Uebrigen überjchreitet; daher findet es foglad
feine Schäger. Hingegen geht die Leiftung des Genies nicht na
über die Leiftungs-, fondern auch über die Apprehenfionsfähigfet dr
Andern hinaus; daher werden bieje feiner nicht unmittelbar inne. Tat
Talent gleicht dem Schüben, der ein Ziel trifft, welches bie Uebrigen
nicht erreichen können; das Genie Dem, der eines trifft, bis zu weldem
fie nicht einmal zu fehen verniögen. (W. II, 446.)
Das Talent arbeitet um Geld und Ruhm; Hingegen ift die Trie
feber, welche da8 Genie zur Ausarbeitung feiner Werke bewegt, em
Inftinft ganz eigener Art. Das Genie producirt aus berfelben Rot:
wendigfeit, mit welcher der Baum feine Früchte trägt. Näher betraditei,
ift e8, als ob in einem genialen Individunm der Wille zum Leben alt
Geift der Menfchengattung, fid) bewußt witrde, hier eine größere Klar
heit des Intellects durch einen feltenen Zufall auf eine kurze Spam
Zeit erlangt zu haben und nun wenigftens die Reſultate oder Produc:
jenes Haren Schauen und Denkens für die ganze Gattung zu erwerben
trachtete. (P. II, 91 fg.)
Die bloßen Talentmänner kommen ſtets zu rechter Zeit; denn, wit
fie vom Geiſte ihrer Zeit angeregt und von bem Beditrfniß derſelber
hervorgerufen werden; fo find fie auch gerade nur fähig, diefem zu
genügen. Sie greifen daher ein in dem fortfchreitenden Bildungsgang
ihrer Zeitgenoffen, oder in die fchrittweife Förderung einer ſpeciellen
Wiffenichaft; dafiir wird ihnen Lohn und Beifall. Der nächftn
Generation jedoch find ihre Werke nicht mehr geniebar. Das Genit
bingegen trifft in feine Zeit, mie ein Komet in die Planetenbahnen,
deren mohlgeregelter und überfehbarer Ordnung fein völlig erceutilät
Lauf fremd iſt. Demnach kann c8 nicht eingreifen in ben borgefundenen
regelmäßigen Bildungsgang der Zeit, fondern wirft feine Werke mei
hinans Ar die vorliegende Bahn, auf welcher die Zeit folche erft ein
zuholen hat. Daher ſteht das Genie in feinem Treiben und Leilen
meiftens mit feiner Zeit tm Widerfpruch und Kampf. (W. IL, 44515:
Das Mefen des Genies ift ein Maaß der Erfenntnißkraft, weht
da8 zum Dienft des Willens erforderliche weit überfleigt. Aber die
ift eine blos velative Beftimmung; fie wird erreicht ſowohl duch
Herabfiimmung des Willens, als durch Erhöhung der Erfemtutk.
Genie. Genialität 953
Es giebt Menſchen, bei denen das Erkennen über das Wollen über-
wiegenb iſt ohme eigentliches Genie. Ihre Erkenntnißfraft ift zwar
grͤßer, als die gewöhnliche, jeboch nicht in hohem Grade; ihr Wille
aber ift ſchwach; fie wollen nicht Heftig; daher bejchäftigt fie das Er⸗
tesa on und für fi) mehr, als ihre Zwecke; fie find Leute von
Zolent, verftändig und babei fehr genügfam und heiter. Ein foldyer
zır Fernow. (H. 354.) Phlegmatifches Talent ift möglich, aber
plegmatifches Genie ift unmöglih. (W. U, 449.)
11) Öegenfag zwifhen Genie und Gelehrſamkeit.
(S. Selehrjamteit.)
12) Gegenfag zwifhen dem Genie und bem prafti-
[hen Helden.
Das Genie fleht der Fähigkeit zum praktifchen Wirken gerabezu
entgegen, zumal auf dem höchften Tummelplatze derfelben, wo fie ſich
in politiichen Welttreiben hervorthut; weil eben die hohe Vollkommenheit
und feine Empfänglichkeit des Intellects die Energie des Willens
hemmt, diefe aber, als Kühnheit und Feftigfeit auftretend, wenn nur
wit einem tüchtigen, geraden Verftande, richtigem Urtheil und einiger
Shlaufeit auögeftattet, es gerade ift, die den Staatsmann, den Yelb-
‚und, wenn fie bis zur Verwegenheit und dem Starrfinn geht,
mter günftigen Umftänden aud den welthiftorifchen Charakter mad.
Yaderlich aber ift es, bei dergleichen Leuten von Genie reden zu
wollen. (B. IL, 75.) Der Huge, ja ber eminente Kopf, der zu großen
Liiftungen im Praktiſchen Geeignete, iſt es gerade dadurch, daß die
Shjecte feinen Willen lebhaft erregen und zum raftlofen Nachforfchen
ister Berhältniffe und Beziehungen anfpornen. Sein Intellect ift alfo
mit dem Willen feft verwachſen. Bor tem genialen Kopf Hingegen
ſchwebt, in feiner objectiven Auffaffung, die Erfcheinung der Welt als
en ihm Fremdes, ein Gegenftand der Contemplation, der fein Wollen
aus den Bewußtfein verdrängt. Um diefen Punkt breit fich der
Unterfchied zwifchen der Befähigung zu Thaten und zu Werten.
Tie fegtere verlangt Objectivität und Tiefe der Erkenntniß, welde
Hänzlihe Sonderung des Intellects vom Willen zur Boraus-
\ttung bat; bie erftere Hingegen verlangt Anwendung der Erkenntniß,
Geiſtesgegenwart und Entjchloffenheit, welche erfordert, daß der In«
tellect unausgefegt den Dienft des Willens beſorge. (W. II, 441 fg.
P. II, 450.)
13) Vortheile und Nachtheile der Genialität für das
geniale Individuum.
a) Vortheile. Das Genie iſt fein eigener Lohn; denn das
Veſie was Einer ift, muß er nothwendig für fi) felbft fein. Wenn
wit zu einem großen Manne der Borzeit hinaufbliden, denen wir
nicht: „Wie glüclich ift er, von uns allen nod) jegt bewundert zu
erden"; fondern: „Wie glüclich muß er gewefen fein im unmittelbaren
Gennß eines Geiftes, an deſſen zurückgelaſſenen Spuren Jahrhunderte
254 Genie. Genialität
fi erquiden.” Nicht im Rahme, fondern in Dem, wodurch man
ihn erlaugt, liegt der Werth, und in ber Zeugung unfterblider Kinder
ber Genuß. (W. U, 440.) |
Alle Bein geht aus dem Wollen hervor, das Erkennen Hingegen ift
an und für fich fchmerzlos und heiter. Da nun beim Genie das
Erkennen über das Wollen vorderrfcht, der Intellect vom Dienſte des
Willens Ioögefprochen ift, fo genießen die Genies jene gleichſam über:
irdifche Heiterkeit, die in ihren Phyfiognomien zum Ausdrud Tommi
und die fehr wohl mit ihrer fonftigen .Melandpolie zufammenbeficht.
(®. II, 433.)
Der Menih von überwiegenden Geifteskräften it ber lebhafteſten
Theilnahme auf den: Wege ber bloßen Erfenntniß, ohne alle Ein:
mifhung des Willens, fühig. Diefe Theilnahme aber verjegt ihn in
eine Region, welcher der Schnierz wefentlich fremd ift. Während da:
Leben ber Gewöhnlichen in Dumpfheit dahingeht, indem ihr Dichten
und Trachten gänzlich) auf die Heinlichen Intereſſen der perſönlichen
Wohlfahrt und dadurch auf Miferen aller Art gerichtet ift, weshalt
unerträglihe Langeweile fie befällt, fobald die Beſchäftigung mit
jenen Zweden ftodt und fie auf ſich felbft zurückgewieſen find; fo hat
dagegen ber mit übertviegenden Geiſteskräften Ausgeftattete ein gebante:
reiches, durchweg belebtes und bebeutfames Dafein, und in fich ſelbſt
trägt er eine Quelle der edelften Genüſſe. Er führt neben feinem
perfönlichen Leben noch ein zweites, intellectuelles, welches ihn üte:
jenes erhebt. Unfer praftifches, reales Leben ift, wenn nicht Die Peiden-
ihaften c8 bewegen, langweilig und fade; wenn fie aber e8 bewegen,
wird es bald ſchmerzlich; darum find Die allein beglüdt, dener
irgend ein Ueberſchuß des Intellects iiber das zum Dienfte des Willeus—
erforderte Maaß zu Theil geivorden, und nad) der Größe diefes Lieber:
ſchuſſes richtet fid) die Größe ihres Lebensglüdes. Ihr intellectuellee
Leben fchügt nicht nur gegen die Langeweile, fondern auch geger
die Folgen derjelben. (P. I, 356—358.)
b) Nachtheile. Das Genie ift ein feiner Beitimmung, dem Dienſit
bes Willens, untreu gewwordener Intellect und infofern naturwidrig.
Hierauf beruhen die demfelben beigegebenen Nachtheile:
Während der Intellect des Norimalmenfchen, ftreng an den Tienii
des Willens gebumden, blos mit der Aufnahme der Motive befcyüftigt
ift und felbft der Iutellect des überaus verfländigen und vermünftigen
Mannes eine praktiſche Richtung behält, auf die Wahl der beiten
Zwede und Mittel bedacht, alfo im Dienfte des Willens ſtets aui
feinem Poften und demnach naturgemäß befchäftigt ift; fo vermachlälfigt
dagegen ber emancipirte, entfeffelte, da8 Wollen aus dem Bewußtſein
verdrängende, auf die Auffaffung des objectiven Wefens der Dinge
gerichtete Intelleett des Genies den Dienft des Willens, ımd daran
entfpringen dann jene Ercentricitäten, perfönlidhen Fehltritte, ja Thor-
heiten, die das Genie charafterifiren. Die oft bemerkte Bertvandtjcaft
bes Genies mit dem Wahnfinn beruht eben anf jener dem Genie
Genie. Gentalität 255
nefentficher, dennoch aber naturwidrigen Sonderung des Intellects vom
illen.
Der Intellect des Genies wird überhaupt die Fehler zeigen, die bei
jedem Werkzeug, welches zu Dem, wozu es nicht gemacht ift, gebraucht
wird, micht auszubleiben pflegen. Zunächſt wird er gleichjam der Diener
zweier Herren fein, indent er bei jeder Gelegenheit ſich von dem feiner
Beſtimmung entprechenden Dienfte losmacht, um jeinen eigenen Zwecken
nachzugehen, wodurch er den Willen oft fehr zur Unzeit im Stich läßt,
und hienach das fo begabte Individuum für das Leben mehr oder
weniger unbrauchbar wird, ja, im feinem Betragen bisweilen an den
Bahnfinn erinnert. Sodann wird ed, vermöge feiner gefteigerten Er-
tenntnipkraft, in ben Dingen mehr das Allgemeine, als das Einzelne
iehen, während ber Dienft des Willens hauptfächlich die Erfenntniß des
Einzelnen erfordert. Aber wenn nun wieder gelegentlich jene ganze,
abnorm erhöhte Erkenntnißkraft ſich plötzlich mit aller Energie und
Goncentration auf die Angelegenheiten und Miferen des Willens richtet;
\o wird fie diefe Leicht zu lebhaft auffallen, Alles in zu grellen Farben,
in zu hellem Lichte, und ins Ungeheure vergrößert erbliden, wodurch
das Individuum auf lauter Ertreme verfällt. Hieraus erklärt ſich,
daß geniale Individuen bisweilen über Kleinigkeiten in heftige Affecte
gerathen. Kurz, es fehlt dem Genie die Nüchternheit, als welde
gerade darin befteht, daß man in den Dingen nichts weiter fieht, als
was ihnen, befonders in Hinficht anf unfere möglichen Zwecke, wirklich
zukommt. Zu den angegebenen Nachtheilen geſellt ſich nun uod) die
übergroße Senfibilität, melde ein abnorm erhöhtes Nerven« und
Cerebral= Leben mit fi) bringt, und zwar im Verein mit der das Genie
ebenfalls bedingenden Heftigkeit und Leidenjchaftlichleit des Wollens, die
ſich phyſiſch als Energie des Herzſchlags darftellt. Aus allem dieſem
entipringt jene Ueberfpanntheit der Stimmung, jene Heftigfeit der Affecte,
jener ſchnelle Wechfel der Laune, unter vorherrfchender Melancholie, die
Göthe im Zaffo uns vor Augen gebradit hat. (W. I, 224—228;
Il, 440—444. ®. I, 75.) Die dem Genie beigegebene Melancholie
beruht ins Ganzen und Allgemeinen darauf, daß der Wille zum Leben,
ven je hellerem Intellect er fich beleuchtet findet, deſto deutlicher das
md feines Zuftandes wahrnimmt. (W. IL, 437.)
Das Genie lebt weſentlich einfam. Es ift zu felten, um leicht auf
iemes Gleichen zu treffen, und zu verfcjieden von den Uebrigen, um
ihr Seele zu fein. Sie werden an ihn und feiner drückenden Ueber—
iegenheit fo wenig rende haben, wie er an ihnen. Sie werden baher
ih behaglicher mit ihres Gleichen fühlen, und ev wird die Unterhaltung
mit feines Gleichen, obwohl fie in der Pegel nur durch ihre nachge—
tafjenen Werke möglich ift, vorziehen. (WB. II, 445. N. 32.) Der
Menſch von Genie ift verdammt, in einer üben Welt zu Ieben, wo er
wicht auf feines Gleichen trifft, wie auf einer Inſel, die Leine andern
Vewohner Hat, als Affen und Papageien. (5. 359.)
3u den bereitd genannten, den Lebenslauf des Genies keineswegs
256 Genitalien
zu einem glücklichen machenden Eigenſchaften und Zuſtänden kommt
noch ein Mißverhältniß nad) Außen, indem das Genie in feinem
Treiben und Leiſten meiſtens mit ſeiner Zeit im Widerſpruch urd
Kampfe ſteht, weil es ber Entwicklungsſtufe ſeiner Zeit weit voraué
und von dieſer erſt einzuholen iſt. Die Werke des Genies finden dem⸗
gemäß in der Regel nicht bei der Mitwelt, ſondern erſt bei der
Nachwelt Anerkennung. (W. U, 4415 - 447. W. II, 439.)
GSenitalien.
1) Die Genitalien als entgegengeſetzter Pol des
Gehirns.
Die Genitalien ſind der eigentliche Brennpunkt des Willens urd
folglich der entgegengeſetzte Pol des Gehirns, des Repräſentanten der
Erkenntniß, d. i. der andern Seite der Welt, der Welt als Vorſtellung.
Jene ſind das lebenerhaltende, der Zeit endloſes Leben zuſichernde
Princip; in welcher Eigenſchaft ſie bei den Griechen im Phallus, bei
den Hindu im Lingam verehrt wurden, welche alſo das Symbol der
Bejahung des Willens find. Die Erfenntniß dagegen giebt bie
Möglichkeit der Aufhebung des Wollens, ber Erlöfung durch Frei—
beit, ber Ueberwindung und Bernichtung der Well. (W. I, 3:
I, 383.)
Innerlich oder pfychologifch angefehen, ift ber Wille die Wurzel, der
Intellect die Krone. Weuferlih aber, oder phyſiologiſch, find bie
Genitalien bie Wurzel, der Kopf die Krone. Denn durch die ©enitalien
hängt das Individuum mit der Gattung zufammen, in welcher es
wurzelt. In Uebereinftimmung mit diefem Verhältniß ift die größte
Vitalität, wie auch die Decrepität des Gehirns und der Genitalin
gleichzeitig und fteht in Verbindung. Ein Individuum caftriren haft
es vom Baum der Gattung, auf welchem es fproßt, abſchneiden mm!
fo gefondert verdorren laffen; daher die Degradation feiner Geijtet-
und Leibeskräfte. (W. II, 582 fg.)
2) Unabhängigfeit ber Genitalienbewegung von te:
Erfenntniß. |
Die Oenitalien find viel mehr als irgend ein anderes äußeres Glied
des Leibes blos dem Willen und gar nicht der Erkenntniß unterworfen;
ja, der Wille zeigt fich hier faft unabhängig von ber Erfenntniß, wi:
in den auf Anlaß bloßer Reize dem vegetativen Leben, der Reproduction,
bienenden heilen, in welchen der Wille blind wirkt, wie in der er:
kenntnißloſen Natur. (W. I, 389.) In der That wirken Bor:
ftellungen auf die Oenitalien nicht, wie fonft auf den Willen über],
al8 Motive, fondern, weil die Erection eine Reflexbewegung ift, bio?
al8 Reize. (P. U, 181.) Der Anlaß der Erection ift ein Motiv,
da er eine Vorſtellung ift; er wirkt jedoch mit der Nothiwendigke:
eines Reizes; d. 5. ihm kann nicht widerftanden werben, ſondem
man muß ihn entfernen, um ihn unwirkfam zu machen. (W. IL, 138)
Genrebild — Genus 257
3) Unterfhied zwifhen Pflanze, Thier und Menfd
in Hinſicht auf die Genitalien.
Bel die Pflanze erkenntnißlos ift, trägt fie ihre Gefchlechtstheife
sranfend zur Schau, in gänzliher Unfhuld; fie weiß nichts davon.
Sobald Hingegen, in der Wefenreihe, die Erfenntniß eintritt, verlegen
Sie Gefchlechtötheile fi) an eine verborgene Stelle. Der Menſch aber,
bei welchem dies wieder weniger der Ball ift, verhüllt fie abſichtlich;
er ſchämt fih ihrer. (W. II, 335.) Jene Unfchuld der Pflanze
beruht auf ihrer Erfenntnißlofigkeit; nicht im Wollen, fondern
im Wollen mit Erkenntniß Tiegt die Schuld. (W. I, 186.)
4) Was die Scham über die Senitalien beweift.
Die von dem Zeugungsgefchäft fich jogar auf die demfelben dienenden
Theile (die Genitalien) erftredende Scham ift ein fchlagender Beweis
davon, daß nicht blos bie Handlungen, fondern ſchon der Xeib des
Menſchen, die Erfcheinung, Objectivation feines Willens und als das
Bert deffelben zu betradjten if. Denn einer Sache, die ohne feinen
Willen da wäre, könnte er ſich nicht fhämen. (W. U, 652.)
5) Die fymbolifche Naturfpracde der Senitalien.
Da der Brennpunkt des Willens, d. 5. die Concentration und der
böchfte Ausdruck deſſelben, der Gefchlechtötrieb und feine Befriebigung
it; fo iſt e8 fehr bezeichnend und in der ſymboliſchen Sprache ber
Ratur naiv ausgedrüdt, daß der indivibualiftrte Wille, alfo der Menſch
und das Tier, feinen Eintritt in die Welt durch die Pforte der Ge:
ſchlechtstheile maht. (W. II, 663.) ,
Genrebild, ſ. Malerei.
Genus.
1) Segenfag zwiſchen genus und species.
Tie platonifche Idee, empirisch genommen und in der Zeit, ift
Species oder Art. Diefe ift alfo das empirifche Eorrelat der dee.
Die Idee ift eigentlich ewig, die Art aber von umnendlicher Dauer;
wenngleich die Erfcheinung derfelben auf einen Planeten erlöfchen Tann.
Tie Idee ift species, aber nicht genus; barum find die species
das Werk der Natur, die genera das Merk des Menfchen; fie find
aämlich bloße Begriffe. Es giebt species naturales, aber genera
iogiea allen. (W. I, 415 fg.)
2) Bildung des logifhen genus.
Die Bildung eines Begriffs gefchieht überhaupt dadurch, daß von
dem anfchaulich Gegebenen Vieles fallen gelaffen wird, um dann das
Üebrige für ſich allein denken zu können; derſelbe ift alfo ein Weniger-
denfen, als angefihaut wird. Hat man, verfchiedene anfchauliche Gegen⸗
Hände betrachtend, von jedem etwas Anderes fallen laſſen und doch bei
Am das Selbe übrig behalten; fo ift dies das genus jener Species.
Demnach ift der Begriff eines jeden genus ber Begriff einer jeden
terımter begriffenen Species, nad) Abzug alles Defien, was nid
E&openhauersZeriton. I. 17
258 Genuß
allen Speciebus zulommt. Nun fann aber jeder mögliche Begrin
als ein genus gedacht werben; daher ift er ſtets ein Allgemeines und
als ein folches ein nicht Anſchauliches. (G. 98 fg.)
In ihrem gejegmäßigen Gange bildet bie Vernunft einen höhern
Geſchlechtsbegriff (gemus) immer nur dadurch, daß fie mehrere Anı-
begriffe neben einander ftellt, nun vergleichend, discurſiv verfäßrt un)
duch Weglafien ihrer Unterſchiede und Beibehalten ihrer Ueberein-
ftimmungen den fie alle umfaffenden, aber weniger enthaltenden Ge
ſchlechtsbegriff erhält; woraus folgt, daß die Artbegriffe dem Geſchlechts—
begriff immer vorhergehen müſſen. (W. I, 582.)
Man ift nie zur Aufftellung eines genus befugt, welches uns nur
in einer einzigen Species gegeben ift, in deſſen Begriff man babe
ſchlechterdings nichts bringen könnte, als mas man dieſer einen
Species entnommen hätte, daher was man vom genus ausſagt, doch
immer nur von der einen Species zu verſtehen fein würde; währen,
indem man, um das genus zu bilden, unbefugt weggedacht hätte, was
biefer Species zulommt, man vielleicht gerabe die Bedingung der Mög:
lichkeit der übrig gelaffenen und als genus hypoſtaſirten Eigenfchaftn
aufgehoben Hatte. Wir find daher z. B. nicht befugt, ein gen
„Bernünftige Weſen“ aufzuftellen, welches von feiner uns allein
befannten Species „Menſch“ abftrahirt wäre. (E. 131.) Eben ſo
find wir nicht befugt, von dem Begriff der Materie den der Sub:
tanz als des Höheren genus zu abftrahiren, da die Materie die einzig
wahre Unterart des Begriffes Subftanz bleibt, das einzig Nachweisbare,
wodurch fein Inhalt vealifirt wird und einen Beleg erhält, immate-
rielle Subftanz hingegen nur eine erfchlichene Nebenart if. (Wil,
682 fg.)
Senuß.
1) Bedingung jedes Genuſſes.
Jeder Genuß beſteht nur darin, daß eine Entbehrung aufgehoben,
ein Schmerz geftillt wird, ift alfo negativer Natur, (Bergl. Befrie
digung.) Daher ift Bedürfniß und Wunſch die Bedingung jedes
Genuſſes. Il n’est de vrais plaisirs, qu’avec de vrais besoins, wie
Boltaire fagt. (E. 210.) In dem Maafe, als die Genüffe zumeh⸗
men, nimmt die Empfänglichleit für fie ab; das Gewohnte wird nid
mehr als Genuß empfunden. (W. II, 657.)
2) Drei Arten von Genitffen.
Die drei phyſiologiſchen Grundkräfte bilden die Duell
breier Arten möglicher Genüſſe. Es giebt demnach Genüffe der
Reproductionstraft, Genüffe der Srritabilität und Genilſſe der
Senfibilität. Je nach dem Borwalten der einen ober der andern
dieſer drei Kräfte, ſtrebt der Menſch überwiegend nad) der einen oder
ber andern dieſer Arten des Genuffes. Je edlerer Art die dem Genuf
zu Grunde Tiegende Kraft ift, deflo edlerer Art wird ber Genuß
fein. Der Borrang, den in biefer Hinſicht die Senfibilität, bern
Geometrie 259
ntfchtebenes Ueberwiegen das Auszeichnende des Menfchen vor ben
abrigen Thiergefchlechtern ift, vor den beiden andern phyſiologiſchen
Srondkraften hat, al8 welche in gleichem und fogar in höherem Grabe
den Thieren einwohnen, ift unlengbar. Der Genfibilität gehören
unfere Erkenntnißkräfte an; daher befähigt das Weberwiegen berfelben
zu den im Erkennen beftehenden, aljo den geiftigen Genüſſen, und
‚war zu um fo größeren, je entjchiebener jenes Meberwiegen ift. (P. I,
254 fg.) Der größte dem Menfchen mögliche Genuß ift bie intui-
tve Erfenntniß der Wahrheit. (M. 334. 9. 298.)
3) Werth der irdifhen Senüffe.
‚eben Borgang unſers Lebend gehört nur auf einen Augenblid
a8 Iſt; fodann für immer da8 War. Die Zeit ift bas, vermöge
efien Alles jeden Augenblid unter unfern Händen zu Nichts wird;
sodurch es allen wahren Werth verliert. Real ift allein die Gegen-
art, weshalb vor der bedeitendften Vergangenheit die unbebeutendfte
Segenmwart die Wirflichleit voraus bat. Auf Betrachtungen diefer
Art kann man nun allerdings die Lehre gründen, daß die Gegenwart
u genießen die größte Weisheit fei, weil ja jene allein real, alles
Andere nur Gebantenfpiel fei. Aber eben jo gut Könnte man es bie
jrößte Thorheit nennen; denn was im nächften Augenblide nicht
mehr ift, was verfchwindet wie ein Traum, ift nimmermehr eines ernſt⸗
schen Strebens werth. (P. II, 303 fg.) Wie thöricht, zu bedauern,
daß man in vergangener Zeit bie Gelegenheit zu biefem oder jenem
Genuß unbenutzt gelaften hat! — Was hätte man denn jet mehr
davon, als die dilrre Mumie einer Erinnerung? — Die Form ber
Zeit ift geradezu das Mittel und wie barauf berechnet, und die
Nichtigkeit aller irdifchen Genüffe beizubringen. (P. I, 309.)
Öcometrie.
1) Inhalt der Geometrie.
Auf dem Nerus der Lage der Theile des Raumes beruht die ganze
Geometrie. Sie ift demnach die Einfiht in jenen Nerus. (©. 133.)
Ber den Satz vom Grunde, wie er im bloßen rein angefchauten Raum
terriht, erfannt hat, der hat eben damit das ganze Weſen bes Raumes
eihöpft; da dieſer durch und durch nichts Anderes ift, ald die Mög⸗
heit der wechjelfeitigen Beftimmungen feiner Theile durch einander,
welche Lage heißt. Die ausführliche Betrachtung diefer und Nieder-
legung der fich daraus ergebenden Reſultate in abftracte Begriffe, zu
armer Anwendung, ift ber Inhalt der ganzen Geometrie. (W.I, 9.
. 28.)
2) Die Methobe der Geometrie,
Da die Einficht in den Nexus der Lage der Theile bes Raumes
nicht durch Begriffe möglich ift, fonbern nur duch Anſchauung;
lo it jeder geometrifche Say auf diefe zurückzuführen, unb der Beweis
beſeht blos darin, daß man den Merus, „auf deflen Anſchauung es
17?
260 Seräufh — Gerechtigkeit
ankommt, deutlich herans hebt; weiter kann man nichts thım. Daher
die Euflidifche Behandlungsart ber Geometrie verfehrt. (G. 133 — 131
Nachdem wir von Kant gelernt haben, daß die Anſchauungen d
Raumes und der Zeit von der empirifchen gänzlich verſchieden, vi
allem Eindrud auf die Sinne gänzlich unabhängig, diejen bedingen
nicht durch ihn bedingt, d. h. a priori find, erft jest köͤnnen wir ci
fehen, daß bes Euklides logiſche Behandlungsart der Mathematik c:
unnüte Borfiht, eine Krüde für gefunde Beine if. (W. I, 85 fl
Hd, 142 fg.) |
Gerüufch, |. Lärm.
Gerechtigkeit.
L Die Geredtigleit ald Tugend.
1) Wefen und Urfprung der Gerechtigkeit.
Die Geredtigfeit ift bie erfte und wichtigſte Carbinaltugen!
(E. 199. 226. W. II, 694.) Sie verhält fid) zur zweiten Carbinal
tugend, der Menfchenliebe, wie ba8 Negative zum Bofitiven
wie das Nichtverlegen zum Helfen. Das Mitleid, diefe ächte mm
natürliche moraliſche ZTriebfeder, hat nämlich zwei deutlich getrenzi
Grabe feiner Wirkſamkeit. Im erften Grabe wirkt e8 den egoiſtiſche
oder boshaften Motiven blos negativ entgegen, indem es abhält, b:
Andern ein Leiden zu verurfachen, ihn zu verlegen; im zweiten im
höhern Grabe dagegen treibt es, poſitiv wirfend, zu thätiger Hülfe an
Die Gerechtigkeit ift demnach, als bloße Negation des Böfen, ei
negative Zugend. Derjenige, welcher freiwillig, aus bloßen Mitleid
alfo auch da, wo fein Staat oder fonftige Gewalt das Unrecht bedrof,
ſich des Unrechts enthält, iſt gerecht. Ein folder verhängt nicht, ır
fein eigenes Wohlfein zu vermehren, Leiden über Andere, d. h. rı
begeht Fein Verbrechen, vefpectirt vielmehr die echte eines Jeder
Das Gemüth des Gerechten iſt bis zu dem Grade für das Mitleid
empfänglich, daß dieſes ihn zurüdhält, wo und wann er, um feine
Zwede zu erreichen, fremdes Leiden als Mittel gebrauchen möchte
gleichviel, ob biejes Leiden ein augenblidlich, oder fpäter eintretentet,
ein divected, oder indirectes, durch Zwifchenglieder vermitteltes fei. Ta
Gerechte wird folglich fo wenig das Eigenthum, als die Berjon
des Anbern angreifen, ihm jo wenig geiftige, als körperlicht
Leiden verurſachen, alfo nicht nur jeder phyfifchen Verlegung ſich ent:
halten, fonbern auch eben fo wenig auf geiftigem Wege dem Anden
Schmerz bereiten durch Kränkung, Aengſtigung, Aerger oder Ver—
läumdung. (W. I, 437. E. 212 ff.) |
Obwohl aber die Gerechtigkeit als üchte, freie Tugend ihren Ur
fprung im Mitleid Hat; fo ift doc; keineswegs erforderlih, daß in
jebem einzelnen Fall das Mitleid wirklich erregt werde; fondern une
der ein für alle Mal erlangten Kenntniß von dem Leiben, meld
jede ungerechte Handlung nothwendig über Andere bringt, geht im edlen
Gemüthern die Marime: . Berlege Niemand! (neminem laede!
Gerechtigkeit 261
ervor, und die vernünftige Ueberlegung erhebt ſie zu dem ein für
Ale Deal gefaßten feſten Vorſatz, die Rechte eines Jeden zu achten,
ich keinen Eingriff in diefelben zu erlauben. In den einzelnen Hand»
ungen des Gerechten wirkt demnach das Mitleid nur noch indirect,
nittellt des Grundfages, und nicht fowohl actu, als potentia.
E. 214fg.)
2) Seltenheit der ächten Geredtigfeit.
Das Moa der ächten, freiwilligen, uneigenuügigen und unge-
hminkten Gerechtigkeit ift gering. ‘Diefelbe kommt immer nur als
berrafchende Ausnahme vor und verhält fich zu ihrer Afterart, der
a5 bloßer Klugheit beruhenden und überall laut angekündigten Ge-
htigfeit, der Dualität und Duantität nach, wie Gold zu Kupfer.
.iefe letztere läßt ſich als ducauocuvn mavdnpog, bie erfte ald oupavıa
zeichnen. (E. 216.)
3) Grabe der Geredtigfeit.
So mie bei jeber ungerechten Handlung das Unrecht zwar der
-ualität nad dafjelbe ift, nämlich Verlegung eines Andern (fei es
n feiner Perſon, oder Freiheit, oder Eigenthum, oder Ehre), aber der
»uantität nad fehr verfchieben fein Yan; eben fo verhält es fich
üt der Gerechtigkeit der Handlungen. Der Reiche 3. B., welcher
nen Tagelöhner bezahlt, handelt gerecht; aber wie Hein ift dieſe Ge⸗
etigfeit gegen die eines Armen, ber eine gefundene Goldbörje dem
Reihen freiwillig zurüdbringt. Das Maaß der fo bedeutenden Ber-
Hiedenheit in der Quantität der Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit ift
em directes und abfolutes, wie das auf dem Maaßſtabe, fondern ein
aittelbares und relatives, wie das ber Sinus und Tangenten.' Es
ft ſich dafür folgende Formel aufftellen: die Größe der Ungerechtig-
at meiner Handlung ift gleid) der Größe des Uebels, welches ich einem
Anden dadurch zufüge, dividirt durch die Größe des Vortheils, den
ich felbft dadurch erlange; — und bie Größe der Gerechtigkeit meiner
Sanblung ift gleich der Größe des Vortheils, den mir die Verlegung
des Andern bringen würde, dividirt durch die Größe des Schadens, ben
er dadurch erleiden wirde. (E. 219.)
Der höchſte Grad der Gerechtigkeit der Gefinnung (deren Borfag
8 it, in der Bejahung bed eigenen Willens nicht fo weit zu gehen,
daß man bie fremden Willenserfcheinungen verneint, indem man fie
dem eigenen zu dienen zwingt), geht fo weit, daß man feine echte
auf ererbtes Eigenthum im Zweifel zieht, den Xeib nur durch die
eigenen Kräfte, geiftige oder Körperliche, erhalten will, jede fremde
Tetläftung, jeden Luxus als einen Vorwurf empfindet und zulegt
zur freiwilligen Armuth greift. Pascal z. B. wollte feine Bedienung
mehr leiden, obgleich) er Dienerfchaft genug Hatte. Manche Hinbu,
ſogar Radſchas, verwenden ihren Reichthum nur zum Unterhalt der
rigen, ihres Hofes umd ihrer Dienerfchaft, und befolgen mit ftrenger
Smpulofität die Marime, nichts zu eflen, als was fie ſelbſt eigenhändig
262 Gerechtigkeit
gefäet und geerndtet haben. Ein gewiſſes Mißverſtändniß Tiegt dabei
doch zum Grunde; denn der Einzelne Tann, gerabe weil er reich un
mächtig tft, dem Ganzen ber menfchlichen Geſellſchaft fo betrüchtliche
Dienfte leiften, daß fie dem ererbten Reichthum gleichwiegen, defſer
Sicherung er ber Gefellfchaft verdankt. Eigentlich ift jene übermäßige
Gerechtigkeit ſchon mehr als Gerechtigkeit, nämlich wirklich Entjagung.
Berneinung des Willens zum Leben, Astefe. (W. I, 438.)
4) Die Gerechtigkeit als Vorſtufe zur Refignation.
Die moralifhen Tugenden, Gerechtigkeit und Dtenfchenliebe, fint
ein Beförberungsmittel der Selbftverläugnung und demnach der Ber⸗
neinung bes Willens zum Leben. Denn die wahre Rectichaffenhen,
die unverbrüchliche Gerechtigkeit, diefe erfte und richtigfte Cardinaltugent,
ift eine fo fchwere Aufgabe, daß, wer fich unbedingt und aus Herzent
grunde zu ihr befennt, Opfer zu bringen Hat, die dem Leben bald bie
Süße, welche dad Genügen an ihm erfordert, benchmen und dadurd
den Willen von bemfelben abwenden, alfo zur Reſignation leiten.
(®. UI, 694.)
OD. Die vergeltende Gerechtigkeit.
Die zeitliche Gerechtigkeit, welche im Staate ihren Sit hat, d. i. die
vergeltende oder ftrafende Gerechtigkeit, wird allein durch die Rüdſicht
auf die Zukunft zur Gerechtigkeit; da ohne foldhe Rüdficht alle:
Strafen und Bergelten eines Frevels ohne Rechtfertigung bliebe, je,
ein bloßes Hinzufügen eines zweiten Uebels zum Gefchehenen wär,
ohne Sinn und Bedeutung. (W. I, 414.)
IH. Die ewige Gerechtigleit.
1) Gegenſatz zwiſchen ber ewigen und zeitlichen Ge—
rechtigfeit.
Die ewige, nicht ben Staat, fondern die Welt beherrfchende Gr-
vechtigfeit ift nicht von menſchlichen Einrichtungen abhängig, nicht dem
Zufall und der Täuſchung unterworfen, nicht unficher, ſchwankend unt
irrend, jondern unfehlber, feit und ficher. Da der Begriff der Bar:
geltung die Zeit in fi) fchlieht, jo Tann die ewige Gerechtigkeit fein:
vergeltenbe fein, Tann alfo nicht, wie diefe, Auffhub und Friſt geftatten
und, nur mittelft der Zeit die fchlimme That mit der fchlimmen Folge
ausgleichend, der Zeit bebürfen, um zu beftehen. Vielmehr muß hie
die Strafe mit dem Vergehen fo verbunden fein, daß beide Eines find.
(W. I, 414.) |
2) Worauf bie ewige Gerechtigkeit berupt.
Der Beichaffenheit des Willens muß feine Erſcheinung genaz
entſprechen; Hierauf berußt die ewige Gerechtigkeit. (W. II, 677.
Die Welt felbft ift da8 Weltgeriht. (W. I, 415.) |
Die Welt ift gerade eine folche (fo leiden» und übelvolle), weil der
Wille, deffen Erſcheinung fie ift, ein folcher ift, weil er fo will. Für
bie Leiden ift die Nechtfertigung die, daß der Wille auch auf biee
Gerechtigkeit 263
Erſcheinung fid felbft bejaht; und diefe Bejahung ift gerechtfertigt und
ausgeglichen dadurch, daß er die Leiden trägt. (W. I, 390.) Die
Zeit in aller Bielheit ihrer Theile und Geftalten ift die Erfcheinung
des einen Willens zum Leben. In jedem Dinge erfcheint der Wille
gerade jo, wie er fich felbft an ſich und außer der Zeit beftimmt. “Die
Welt ift nur der Spiegel diefes Wollens, und alle Endlichkeit, alle
Yaden, ale Dualen, welche fie enthält, gehören zum Ausdruck beffen,
mad er will, find fo, weil er fo wild. Mit dem ftrengften echte
trägt ſonach jebes Weſen das Dafein überhaupt, ſodann das Dafein
temer Art und feiner eigenthümlichen Individualität, ganz wie fie iſt
md unter Umgebungen, wie fie find, in einer Welt fo wie ſie ift,
com Zufall und vom Yrrthum beherrfcht, zeitlich, vergänglich, ſtets
leidend; und in Allem, was ihm woiderfährt, gejchieht ihm immer
Recht. Denn fein ift der Wille; und wie der Wille ift, fo ift die
Velt. Jammer und Schuld der Welt halten einander die Waage.
®. J, 415 fg. P. II, 233. M. 304 fg.)
3) Urfache des Verkennens der ewigen Geredtigfeit
und Bedingung des Erfennens derfelben.
Dem in der Erfenntniß, welche dem Sag von runde folgt, in
dem principio individuationis befangenen Blid des rohen Individuums,
d. 5. dem Blick, der ftatt in aller Erſcheinung das eine Wefen an fich
ber Dinge zu erfaffen, nur an den einzelnen, in Zeit und Raum (dem
principio individuationis) gefonderten, getrennten, unzählbaren, fehr
verichiedenen, ja entgegengefegten Erſcheinungen Mleben bleibt, — dieſem,
wir die Inder fagen, durch den Schleier der Maja getrübten Blick
entgeht die ewige Gerechtigkeit; er vermißt fie, wenn er fie nicht etwa
duch Fictionen rettet. Er fieht den Böfen nad) Unthaten und Grau-
ſamkeiten aller Art in Freuden leben und unangefochten aus der Welt
geben. Er fieht ben Unterdriicten ein Leben voll Leiden bis and Ende
ihleppen, ohne daß ſich ein Rächer, ein Bergelter zeige. ‘Diefer
Menſch erfcheint ihm als Peiniger und Mörder, jener als Dulder und
Opfer. Den Einen fieht er in Freuden, Ueberfluß und MWollüften
itben, den Andern vor defien Thüre durch Mangel und Kälte qualvoll
terden. Da frägt er: wo bleibt die Vergeltung. Er wilrde fo nicht
fragen, wenn er erfennte: die Perfon ift bloße Erfcheinung, und ihre
Berfhiedenheit von andern Individuen und das Freifein von den Leiden,
welche diefe tragen, beruht auf der Form der Erſcheinung, dem prin-
cipio individuationis; dem wahren Wefen der Dinge nad) hat Feder
ale Leiden der Welt als die feinigen zu betrachten. — Die ewige
Geredtigfeit wird nur Der begreifen und faflen, der über bie an bie
einzelnen Erfcheinungen gebundene Erfenntniß ſich erhebt und das
principium individuationis durchſchaut. Diefem wird es deutlich, daß,
wel der Wille das Anfid, aller Erfcheinumg ift, die über Andere ver-
hängte und die felbfterfahrene Dual, das Böſe umd das Uebel, immer
ur jenes Eine und felbe Wefen treffen, wenngleich die Erfcheinungen,
in welhen das Eine und das Andere fich darftellt, als ganz verſchiedene
264 Geruch — Geſchehen
Individuen daſtehen. Er ſieht ein, daß die Verſchiedenheit zwiſchen
Dem, der das Leiden verhängt, und Dem, welcher es dulden muß, nur
Bhänomen ift und nicht das Ding an ſich trifft, welches der im beiden
Tebende Wille ift, der Hier, durdy die an feinen Dienft gebundene Gr:
kenntniß getäufcht, ſich felbft verkennt, in einer feiner Erſcheinungen
gefteigertes Wohlfein fuchend, in der andern großes Leiden hervor⸗
bringt und fo die Zähne in fein eigenes Fleiſch ſchlägt. (W. 1,
416—419. 422 fg.)
IV. Die poetiſche Gerechtigkeit.
Die Forderung ber fogenannten poetifchen Gerechtigkeit beruht aui
gänzlichem Berkennen des Weſens des Trauerjpiels, ja felbt des Weſenẽ
der Welt. Nur die platte optimiftifche, proteftantifch- rationaliftiich:,
oder eigentlich jüdifche Weltanficht wird die Forderung der poetifchen
Gerechtigkeit machen und an deren Befriedigung ihre eigene finden.
Der wahre Sinn des Trauerfpield ift die tiefere Einficht, daß was
der Held abbüßt, nicht feine PBarticularfiinden find, fonbern die Ert-
fünbe, d. 8. die Schuld des Dafeins ſelbſt. (W.I, 299 fg. 9. 165 fg.)
Das Trauerfpiel ift der wahre Gegenſatz aller Philifterei; es ift der
Ausſpruch ˖ der Unzulänglichfeit aller praftifchen Vernunft. Philiſter
lieben daher nicht das Trauerfpiel, haben die poetifche Gerechtigkrit
erfunden. (SM. 315.)
Ale großen Tragiker, Sophokles, Shalelpeare, Calderon, Göthe,
baben dem Princip der poetifchen Gerechtigkeit Hohn geſprochen. Wat
bat die Desdemona, die Opbelia, die Cordelia verſchuldet? — was
der Egmont, der ftandhafte Prinz, der Debip? — ſelbſt Year? — ca
Irrthum aus Altersſchwäche. Sogar Schiller, der den Don Carle
und den Poſa elend enden ließ, dürfte daher ſich moquiren über das
proteftantifche, kategoriſche Imperativ» Princip der poetifchen Gerechtigkeit:
„Wenn fi das Lafter erbricht, fett fi die Zugend zu Tiſch.“
(M. 578.)
Mit Dreiftigkeit tritt die Forderung ber poetifchen Gerechtigkeit in
ihrer ganzen Plattheit auf in Dr. Samuel Johnſons zu den einzelnen
Stüden Shafefpeares gelieferten Kritilen. (W. I, 299.)
Geruch, |. Sinne.
Geſang, ſ. Mufil.
Geſchehen.
1) Nothwendigkeit alles Geſchehens.
Alles was geſchieht, vom Größten bis zum Kleinſten, geſchicht
nothwendig. (Quidquid fit necessario fit.) (E. 60 fg.) |
— Daß Alles, ohne Ausnahme, was gefchieht, mit firenger Roth
wendigkeit eintritt, ift eine a priori einzuſehende, folglich umumſtößliche
Wahrheit. (B. I, 217.) |
Geſchehen 265
2) Empirifhe Beſtätigung dieſer Wahrheit.
Dieſe Wahrheit wird empiriſch und a posteriori beſtätigt durch die
nicht mehr zweifelhafte Thatjache, dag magnetiſche Sonmambule, daß
aut dem zweiten Geſicht begabte Menſchen, ja, daß bisweilen die
'raume des gewöhnlichen Schlafs das Zukünftige geradezu und genau
orher verkiinden. (P. I, 217.) Wenn wir die firenge Nothwenbigkeit
les Gefchehenden vermöge einer alle Vorgänge ohne Unterjchied ver-
rüpfenden Saufalfette nicht annchmen, fondern diefe letztere an unzähligen
telen durch eine abfolute Freiheit unterbrochen werben laffen; jo wird
18 Borherfehen des Zulünftigen im Zraume, im hellfehenden
omnambulismus und im zweiten Gefiht (second sight), felbft ob-
ectid, folglich abjolut unmöglich, mithin undenfbar; weil es bann
w feine objectiv wirkliche Zukunft giebt, die auch nur möglicherweiſe
vrhergefehen werben könnte. (E. 61.)
3) Eingeit des in ber Nothwendigkeit alles Gefchehens
ſich darftellenden Weſens.
Die ſich uns vermittelſt der Kette der Urſachen und Wirkungen
acſtellende Nothwendigleit alles Geſchehenden, d. h. in der Zeit fucceffiv
Antretenden, iſt blos die Art, wie wir, unter der Form der Zeit, das
mheitlich und unverändert Eriftirende wahrnehmen; oder auch, fie iſt
it Unmöglichkeit, daß das Eriflivende, obgleich e8 von uns heute ala
Hünftig, morgen als gegenwärtig, übermorgen al8 vergangen erkaunt
sd, nicht dennoch mit fich felbft identifh, Eins und unveränderlich
a. Wie in der Zweckmäßigkeit des Organismus ſich die Einheit des
nihm ſich objectivirenden Willens barftellt, welche jedoch in unferer,
ın den Raum gebundenen Apprebenfion als eine Bielheit von Theilen
md deren Webereinftimmung zum Zweck aufgefaßt wird; eben fo ftellt
", durch die Cauſalkette herbeigeflihrte Nothwendigkeit alles Gefchehenden
« Einheit des darin ſich objectivivenden Wefens an ſich ber, welche
Koh in unferer an die Zeit gebundenen Apprehenfion als eine Suc⸗
ion von Zuſtänden, alfo als Vergangenes, Gegenwärtiges und
Infünftiges aufgefaßt wird; während das Weſen an fich felbft das
Ar nicht kennt, ſondern im Nunc stans exiſtirt. (P. II, 45.)
4) Folgerungen für die Tebensweisheit aus der Noth-
wendigfeit alles Geſchehens.
Bünfhen, daß irgend ein Vorfall nicht geſchehen wäre, ift eine
Hrihte Selbftguälerei; denn es Heißt etwas abfolut Unmögliches
winſchen. Weit eben alles Gefchehende, Großes wie Kleines, ftreng
nothiwendig, ift es durchaus eitel, darliber nachzudenken, wie geringfügig
ud zufällig die Urſachen waren, welche jenen Borfall herbeigeführt
haben, und wie fo fehr leicht fie Hätten anders fein Fönnen; denn Dies
iluſcriſch. (E. 61.) Bei einem unglücklichen Ereigniß, welches
bereits angetreten, aljo nicht mehr zu ändern ift, fol man fi nit
u Na den Gedanken, daß dem anders fein Könnte, nod) weniger den,
WWrh es hätte abgewendet werben Tüunen, erlauben; denn gerade ex
266 Geſchichte
ſteigert den Schmerz ins Unerträgliche, fo daß man damit zum Selbf:
quäler wird. Doch ift diefe Regel infofern einfeitig, als fie zwar ;u
unferer unmittelbaren Erleichterung und Beruhigung bei Unglücksfäller
dient, aber andererſeits doch die wieberholte und fchmerzliche Ueberlegung,
wie wir dem Geſchehenen durch Borfiht und Befonnenheit hätten vor
beugen können, zu unferer Witigung und Beſſerung für die Zukunft
beilfam ift. (PB. I, 460 fg.)
Seſchichte.
1) Vergleichung der Geſchichte mit der Wiſſenſchaft,
Philoſophie und Poeſie.
a) Geſchichte und Wiſſenſchaft.
Die Geſchichte iſt zwar ein Wiſſen, jedoch keine Wiſſenſchaft:
denn ihr fehlt der Grundcharakter der Wiſſenſchaft. Die Wifjenfchatt
bringt nämlich das unzählbar Biele, Mamigfaltige und Berfchiedene
unter Artbegriffe, und diefe wieber unter Gattungsbegriffe, wodurch fe
ben Weg zu einer Erkenntniß des Allgemeinen und Bejondern eröffue:,
welche auch das unzählbar Einzelne befaßt, indem fie von Allem gilt,
ohne daß man „egliches für fich zu betradjten habe. “Der Geſchichte
bingegen fehlt diefe Subordination des Gewußten, ftatt berem fie blofe
Coordination defielben aufzumweifen hat. Daher giebt es Fein Syſtem
der Geſchichte, wie doc jeder andern Wiſſenſchaft. Denn nirgende
ertennt fie das Einzelne mittelft des Allgemeinen, jondern muß des
Einzelne unmittelbar faſſen und fo gleichlam auf dem Boden der Er—
fahrung fortfriechen; während die wirklichen Wiſſenſchaften darüber
ſchweben. Die Wiffenfchaften, da fie Syſteme von Begriffen jin,
reden ftets von Gattungen; die Geſchichte von Individuen. Tie
Wiſſenſchaften reden fünmtlich von Dem, was immer if; die Geſchicht
Dingegen von Dem, was nur ein Mal und dann nicht mehr it,
Das Allgemeine in ber Gefchichte befteht blos in der Meberficht der
Hauptperioden, aus denen aber die befondern Begebenheiten fich nid:
ableiten laſſen und ihnen nur der Zeit nad) fubordinirt, dem Begrif
nach coorbinirt find. Zu den: Allgemeinen in der Geſchichte, den Zrit-
abfchnitten, ober Hauptbegebenheiten, verhält ſich das Beſondere, wi:
der Theil zum Ganzen, nicht aber wie der Fall zur Negel; wie die
Bingegen in allen eigentlichen Wiſſenſchaften Statt hat, weil fie Be
griffe, nicht bloße Thatfachen überliefern. (W.I, 75; IL, 500 g.
Die Gefchichte ift für die Zeit, was die Geographie für den Raum,
und ift daher fo wenig, wie biefe, eine eigentliche Wiſſenſchaft. (P. 1,
479.) Wie in der gefellfchaftlichen Converfation, wie fie in der Welt
gäng und gäbe ift, fo ſehen wir auch in der Gefdhichte den Geift mi:
dem ganz Einzelnen, als ſolchem, beſchäftigt. Wie in der Wiffenfcheft
erhebt er fich auch in jedem edlern Gefpräcd zum Allgemeinen. (P. TI, 479.
b) Geſchichte und Philoſophie.
Sofern bie Geſchichte eigentlich immer nur das Einzelne, bie in
dividuelle Thatfache zum Gegenftande hat und diefes als das ausſchließlich
Geſchichte 267
Reale anfieht, iſt fie das gerade Gegentheil und Widerſpiel der Philo-
ſophie, als welche die Dinge vom allgemeinften Gefichtspunft aus
betrachtet und ausdrücklich das Allgemeine, in allem Einzelnen identiſch
Dieibende zum Gegenftande hat. Während die Geſchichte uns ehrt,
SE zu jeder Zeit etwas Anderes geweſen, ift die Philofophie bemüht,
and zu der Einficht zu verhelfen, daß zu allen Zeiten ganz das Selbe
war, iſt und fein wird. Die Gefchichte Hofft die Tiefe, nad) welcher
bie Philofophie ftrebt, durch die Länge und Breite zu erfegen; ihr ift
jede Gegenwart nur ein der Ergänzung bedürftiges Bruchſtück, während
bie Philofophie in jeder Gegenwart das ganze Weſen des Lebens er-
foßt. Hierauf beruht das Widerfpiel zwifchen ben philofophifchen und
den hiſtoriſchen Köpfen. (W. U, 502f9. 5. 305 fg. M. 301.)
c) Geſchichte und Poefie.
In der Kunft gilt nur die innere Bedeutſamkeit ber Handlungen,
vie Tiefe der Einficht in bie Idee der Menfchheit; in der Gefchichte
hingegen die äußere, bie Wichtigkeit der Handlungen in Beziehung
auf die Folgen berfelben für und in der wirklichen Welt, aljo nad)
dem Sape vom Grund. (W. I, 272.) Die Gefhichte lehrt uns
wehr bie Menſchen, bie PBoefie Hingegen den Menſchen kennen. Die
Geſchichte verhält fi zur Poefie, wie Porträtmalerei zur Hiftorien-
malerei. Jene giebt das im Einzelnen, dieſe das im Allgemeinen
WVahre; jene hat die Wahrheit der Erfcheinung, diefe bie Wahrheit
vr Idee. Der Dichter ftellt mit Wahl und Wbficht bedeutende
Charaktere in bedeutenden Situationen dar; der Hiftorifer nimmt beibe
wie fie fommen. Da, er bat die Begebenheiten und Perſonen nicht
nach ihrer innern, ächten, die Idee ausdrlidenden Bedeutſamkeit anzu⸗
ichen und auszuwählen, fonbern nach der äußern, fcheinbaren, relativen,
in Beziehung anf die Verknüpfung, auf die Folgen wichtigen Bedeut⸗
ſamleit. Denn feine Betrachtung geht dem Sat vom Grund nad)
and ergreift die Erfcheinung, deren Form dieſer ift. Der Dichter aber
taßt die Adee auf, das Wefen der Menfchheit außer aller Relation.
In der Dichtung ift daher viel mehr Achte, innere Wahrheit zu finden,
eld im der Geſchichte. Der Hiftorifer ſoll die empirische Begebenheit
genau wiebergeben, was bei den mangelnden Datis oft unmöglich ift.
Te Eckenntniß bes Dichters Hingegen ift eine halb apriorifche; er
\höpft aus feinem eigenen Innern die Idee der Menſchheit von irgend
einer beftimmmten, eben barzuftellenden Seite. Wer aljo die Menſchheit
them innen, in allen Erfcheinungen und Entwidiungen ibentifchen
Veſen, ihrer Idee nach, erkennen will, dem werden bie Werke der
großen, unfterblichen Dichter ein viel treueres Bild vorhalten, als bie
Öiforifer je vermögen. (W. I, 288—291; II, 503.)
Über den Borzug der Biographie vor ber Gefchichte fiehe Bio-
graphie.)
268 Geſchichte
2) Die Philoſophie der Geſchichte.
a) Kritik der conſtruirenden Geſchichtsphiloſo phie.
Was das durch die Hegelſche Afterphiloſophie aufgekommene Be:
ſtreben, die Weltgeſchichte als ein planmäßiges Ganzes zu faſſen oder
fie „organisch zu conftruiren“ betrifft; fo liegt demſelben eigentlich ein
roher und platter, die Erfcheinung für das Wefen an ſich ber
Belt Haltende Realismus zum Grunde. Da nur das Inbdivibunm,
nicht aber das Menfchengefchlecht irre, unmittelbare Einheit des
Bewußtfeins Hat; fo ift die Einheit des Lebenslaufes diefes eine bloße
Fiction. Zudem, wie in der Natur nur die Species real, die geners
bloße Abſtractionen find, fo find im Menfchengefchlechte mr die In:
divibuen und ihr Lebenslauf real, die Böller unb ihr Leben blofe
Abftractionen. Endlich laufen die Eonftructionsgefchichten, von platten
Optimismus geleitet, auf Eudämonismus hinaus. Sie haben aljo
zweierlei nicht begriffen, erftens, daß die BVielfeit nur Erſcheinung
umd bie äußern Vorgänge bloße Konfigurationen der Erſcheinungswelt
find, die Feine unmittelbare Realität, noch Bedeutung haben, fondern
nur mittelbare, durch ihre Beziehung auf ben Willen der Einzelnen;
zweitens, daß das Moralifche, die Wendung des Willens, der Haupt:
zwed des Lebens ift, nicht aber das armfälige Erbenglüd. (MW. II,
504 fg. P. 1, 219.) Daß Manche die Geſchichte zur Philofopgi:
felbft machen wollen, indem fie wähnen, fie könne die Stelle derſelben
einnehmen, ift Tächerlich und abgeſchmadt. (P. II, 479. M. 301 fg.)
b) Die wahre Philoſophie ber Geſchichte.
Die wahre Philofophie der Geſchichte fol nicht das immer Wer:
Weſen und nie Seiende betradhten und jenes fir das eigentliche
dende der Dinge halten, fondern Das, was immer ift und nie wird,
noch vergeht. Sie foll nicht die zeitlichen Zwede der Menjchen zu
ewigen und abfoluten erheben und num ihren Yortfchritt durch all
Berwidlungen fünftlich und imaginär conftruiren, fonbern das Identiſche
in allen Borgängen, ber alten wie der neuen Zeit, ded Orients wic
bes Occidents, erkennen und trog aller Berfchiedenheit der fpeciellen
Umftände, der Koftümes und der Sitten, überall die felbe Menſchheit
erbliden. Dies Identiſche und unter allem Wechſel Beharrende beitcht
in den Orunbeigenfchaften des menſchlichen Herzens und Kopfes.
(®. U, 506.)
Die Geſchichte des Menſchengeſchlechts, das Gebränge der Begeben⸗
heiten, dev Wechfel der Zeiten, bie vielgeftalteten Formen des menfd;
lichen Lebens in verfchiedenen Ländern und Jahrhunderten, diefes Alles
ift nur die zufällige Form der Erjcheinung der Idee, ift der Nee
jelbft fo fremd, unweſentlich und gleichgültig, wie den Wollen die
Figuren, bie fie darftellen, dem Bad) die Geftalt feiner Strudel und
Schaumgebilde, dem Eiſe feine Bäume und Blumen. Wer diefes wohl
gefaßt hat und ben Willen von der Idee, und dicfe von ihrer Cr:
ſcheinung zu unterfcheiden weiß, bem werden die Weltbegebenheiten nur
Geſchichte 269
noch ſofern fie die Buchſtaben find, aus denen bie Idee des Menſchen
fi leſen läßt, Bebeutung haben, nicht aber an und für fi. Er wirb
nicht mit den Leuten glauben, daß bie Zeit etwas wirklich Neues und
Sedentſames hervorbringe, daß durch fie oder in ihr etwas fchlechthin
Reales zum Dafein gelange, oder gar fie ſelbſt als ein Ganzes Anfang
amd Ende, Plan und Entwidlung habe. (W. I, 215.)
3) Wahrer Werth der Gefhidhte.
Obgleich die Geſchichte Feine eigentliche Willenfchaft ift und in Hin-
ht auf die Erkenntniß des Weſens der Menjchheit der Philofophie
und Poefie nachfteht, fo ift fie doch nicht ganz werthlos. Es bleibt
ist vielmehr ein eigenthiimliches Gebiet, auf bem fie ehrenvoll dafteht.
Bas nämlich die Vernunft dem Indivibuo, das ift die Ge»
idihte dem menſchlichen Geſchlechte, erhebt bafjelbe nämlich
über die enge unmittelbare Gegenwart, auf die das Thier befchränft
bleibt, erweitert den Blid über die Gegenwart hinaus in Vergangenheit
md Zukunft und ermöglicht dadurd) ein bewußtes, beſonnenes, zu«
kunmenhängenbes Leben. Die Gefchichte ift hiernach anzufehen als die
Vernunft, oder das befonnene Bewußtjein des menſchlichen Geſchlechts
ud vertritt die Stelle eines dem ganzen Gefchlechte unmittelbar ge=
meinfamen Selbitbewußtfeins, fo daß erft vermöge ihrer daſſelbe wirklich
zu einem Ganzen, zu einer Menfchheit wird. Dies ift der wahre
Werth der Geſchichte. (W. II, 507 fg.)
4) Wefentlihe Unvollfonmenheiten ber Geſchichte.
a) Unvollſtändigkeit.
Man könnte die Gefchichte anfehen als eine Fortſetzung ber Zoologie;
wmofern bei den ſämmtlichen Thieren die Betrachtung der Species
ansreicht, beim Menſchen jedoch, weil er Individualcharakter bat, aud)
die Individuen, nebſt den individuellen Begebenheiten, als Bedingung
dezu, Sennen zu lernen find. Hieraus folgt fogleich eine wefentliche
Umolltommengeit der Gefchichte, da die Individuen und Begebenheiten
al: und endlos find. Beim Studium derfelben ift durch Alles, was
man davon erlernt hat, bie Summe des noch zu Erlernenden durchaus
ticht vermindert. Bei allen eigentlichen Wiflenfchaften ift eine Voll⸗
Nändigkeit des Wiſſeus doc) wenigftens abzuſehen. (P. II, 480.)
b) Lügenhaftigfeit und Unzuverläffigkeit.
_ Die Gefchichtsmufe Klio ift mit der Lüge fo durch und durch in
rat, wie eine Gaſſenhure mit der Syphilis. Die neue, kritiſche
Geſchichtaforſchung müht fid, zwar ab, fie zu curiren, bewältigt aber
mit ihren localen Mitteln blos einzelne, bie und da ansbrechende
Eymptene; wobei noch dazu manche Onadfalberei mit unterläuft, bie
da8 Uebel verſchlimmert. Die Begebenheiten und Perſonen in ber
Geſchihte mögen den wirklich dagewefenen ungefähr fo gleichen, wie
miſtens die Porträts der Schriftfieller auf dem Titelkupfer diefen felbft;
Up eben nur fo etwas im Ümriß, fo daß fie eine ſchwache, oft durch
270 Geſchichte
einen falſchen Zug ganz entſtellte Aehnlichleit, bisweilen aber gar
feine haben. (P. II, 480 fg.)
Die Geſchichte ift zwar um fo interefianter, je fpecieller fie ift, aber
auch um jo unzuverläffiger, und nähert fi alsdam in jeder Hinficht
dem Romane. — Was es übrigens mit dem gerühmten Pragma:
tismus der Gefchichte (b. h. dem Ableiten ber Begebenheiten nach dem
Gefege der Motivation) auf fich habe, wird Der am beiten ermeflen
fönnen, welcher ſich erinnert, daß er biöweilen bie Begebenheiten feines
eigenen Lebens ihrem wahren Zufammenhange nach erft zwanzig Jahre
hinterher verftanden hat, obwohl die Data dazu ihm vollfländig vor⸗
lagen; fo ſchwierig ift die Combination des Wirkens der Motive, unter
den beftändigen Eingriffen des Zufalls und dem Berhehlen der Ab⸗
fihten. (W. I, 217; II, 6502.)
Der Hiſtoriker joll der indiwiduellen Begebenheit genau nad) dem
Leben folgen, wie fie an den vielfach verfchlungenen Ketten der Gründe
und Folgen fi in der Zeit entwidelt; aber unmöglich kann er hiezu
alle Data befiten, Alles gefehen, oder Alles erkundet haben; er wird
jeden Augenblid vom Original feines Bildes verlaffen, oder ein faljches
fchiebt fi) ihm unter, und dies fo Häufig, dag man Urſach hat ann
nehmen, in aller Gefchichte fei des Faljchen mehr, als de Waren.
(W. 1, 289.)
Sontenelle nennt die Gejchichte eine fable convenue. (B.I, 206.1
5) Gegenſatz zwifchen der politifchen und der Titeratur:
geſchichte.
Es giebt zwei Geſchichten: die politiſche und die der Literatur
und Kunſt. Jene ift bie des Willens, biefe die bes Intel lectt.
Daher ift jene durchweg beüngfligend; die andere Hingegen ift überall
erfreulich und heiter, wie der ifolirte Intellect, jelbft wo fie Irrmege
fchildert. Ihr Hauptzweig ift die Gefchichte der Philofophie. Eigent-
lich ift diefe ihr Grundbaß, der fogar in bie andere Gefchichte hinüber⸗
tönt und auch dort and dem Fundament die Meinung leitet. Te
Meinung aber beherrſcht die Welt. (P. U, 598.) |
6) Segenfag zwifhen der Weltgefhihte und ker
Geſchichte der Heiligen.
Die Weltgefchichte fehweigt zwar von den Heiligen, den Helen
der Berneinung des Willens zum Leben; denn der Stoff der Welt:
geichichte ift ein ganz anderer, ja entgegengefetter, nämlich nicht das
Berneinen und Aufgeben des Willens zum Leben, fondern fein Bejahen
und Erſcheinen in unzähligen Individuen, in welchen feine Entzweiung
mit ſich felbft, auf dem höchſten Gipfel feiner Objectivation, mit
vollendeter Deutlichkeit Hervortritt und nun uns bald die Ueberlegenheit
des Einzelnen durch feine Klugheit, bald die Gewalt der Menge burd
ihre Mafle, bald die Macht des fich zum Scidfal perfonificirenten
Zufalls, immer die Vergeblichleit und Nichtigkeit ded ganzen Strebend
vor Augen bringt. Für den Philofophen aber, der die ethifche Bedeutung
Gefchlechtsliche 271
er Handlungen zum Manfftab nimmt, iſt die größte, wichtigſte und
xbeutfamufte Erſcheinung, welche die Welt aufzeigen Tann, nicht der
Belteroberer, fondern der Weltüberwinder. Für ihn find alfo
die Lebensbeſchreibungen Heiliger, ſich felbft verleuguender Menſchen, fo
ihieht fie auch meiſtens gefchrieben, ja mit Aberglauben und Unfinn
terniſcht vorgetragen find, doch durch die Bedeutſamkeit des Stoffes
ingleih) belehrender und wichtiger, als felbft Plutarhos und Livius,
®.1, 455fg. M. 301.)
deſchlechtsliebe.
1) Realität und Macht dieſer Leidenſchaft.
Die Geſchlechtsliebe ſpielt nicht blos in Schauſpielen und Romanen,
ondern, wie die Erfahrung beſtätigt, auch in der wirklichen Welt eine
o bedeutende Rolle, daß die bei einigen Schriftſtellern vorkommende
teangnung der Realität und Wichtigleit diefer Leidenfchaft ein großer
Ferthum if. Die Erfahrung zeigt, daß die Geſchlechtsliebe unter
Imfländen zu einer Leidenſchaft anwachfen kann, die an Heftigkeit jebe
mdere übertrifft und dann alle Rückſichten befeitigt, alle Hinderniſſe
zit unglaublicher Kraft ımb Ausdauer überwindet, jo daß für ihre
Vefriedigung unbedenklich das Leben gewagt, ja, wenn folche jchlechter-
dings verſagt bleibt, in den Kauf gegeben wird. ‘Die Gefchlechtsliebe
eweiſt fich, nüchſt der Liebe zum Leben, als die flärkfte und thätigfte
aller Triebfedern, nimmt die Hälfte der Kräfte und Gedanken bes
fingen Theiles der Menfchheit fortwährend in Anſpruch, ift das. legte
Ziel faft jedes menfchlichen Beftrebens, erlangt auf die wichtigften
Angelegenheiten nachtheiligen Einfluß, unterbricht die ernfthafteften Be⸗
ſchäftigungen zu jeder Stunde, fett bisweilen felbft die größten Köpfe
m eine Weile in Verwirrung, zettelt täglich die verworrenften und
hlimmften Händel an, löft die werthvollſten Berhältniffe auf, zerreißt
He fefteften Bande, nimmt bisweilen Leben, ober Gefundheit, bisweilen
Reichthum, Rang und Glück zu ihrem Opfer, ja macht den fonft
Redlichen getoiffenlos, den bisher Trenen zum Verräther, tritt demnach
m Ganzen auf als ein feindfeliger Dämon. (W. II, 606—609. 631 fg.)
Nicht allein die unbefriedigte verliebte Leidenſchaft hat bisweilen
anen tragischen Ausgang, fondern auch die befriedigte führt öfter zum
Unglück als zum Glück. Denn ihre Anforderungen collidiren oft fo
ehe mit der perfönlichen Wohlfahrt des Betheiligten, daß fie folche
imtergraben, indem fie mit feinen übrigen Berhältniffen unvereinbar
fnd und den darauf gebauten Lebensplan zerftöven. Ja, nicht allein
an den äußern Berhältniffen ift die Liebe oft im Widerſpruch, fondern
togar mit der eigenen Individualität, indem fte ſich auf Perfonen wirft,
welche, abgefchen vom Geſchlechtsverhältniß, dem Liebenden verhaßt, ja
zum Abſcheu ſein würden. Aber fo fehr viel mächtiger ift der Wille
der Gattung als der des Individuums, daß der Liebende in feiner
Lrrblendung alle jene ihm twiderlichen Cigenfchaften überfieht. — In
vr That führt der Genius der Gattung durchweg Krieg mit ben
272 Geſchlechtsliebe
ſchützenden Genien der Individnen, iſt ihr Verfolger und Feind, firts
bereit, das perſönliche Glück ſchonungslos zu zerftören, um feine Zwede
durchzuſetzen; ja, das Wohl ganzer Nationen iſt bisweilen das Opfer
ſeiner Laune geworden. Dies Alles beruht darauf, daß die Gattung,
als in welcher die Wurzel unſers Weſens liegt, ein näheres unb früheres
Recht auf uns hat, ald das Individuum; daher ihre Angelegenheiten
vorgehen. (WW. II, 634 - 638.)
2) Wurzel und Bedeutung derfelben.
Auf der metaphufifchen Identität des Willens, als bes Dinges an
fi, bei der zahlloſen Vielheit feiner Erfcheinungen, beruhen drei Phäne-
mene, welche man unter den gemeinfamen Begriff der Sympathie
bringen Tann: 1) das Mitleid (caritas), die Baſis der Gerechtigkeit
und Dienfchenliebe; 2) die Geſchlechtsliebe mit eigenfinniger Aus
wahl (amor), welche das Leben der Gattung ift, das feinen Borrang
vor bem der Imdivibuen geltend macht; 3) die Magie. (W.L, 689.)
Alle Berliebtheit, wie ütherifch fie ſich auch geberden mag, wurzelt
allein im Gefcjlechtstriebe, ja, ift durchaus nur ein näher beftimmte,
fpecialifirter, wohl gar im ftrengften Sinne indivibualifirter Geſchlechtä⸗
trieb. (W. II, 608.) Es ift keine Kleinigfeit, um die es fi hie
handelt. Der Endzweck aller Liebeshändel ift wirklich wichtiger, ale
alle andern Zmede im Menfchenleben und daher des tiefen Erufiet,
womit jeber ihn verfolgt, völlig wertf. ‘Das nänlid), was dadurd
entjchieben wird, ift nichts ©eringeres, als die Zufammenfjegung
der nädhften Generation. Wie das Sein, die Existentia unfer
Nachkommen durch unfern Gefchlechtstrieb iiberhaupt, fo ift das Weiter,
die Essentia berjelben durch die individuelle Auswahl bei feiner Be
friedigung, d. i. die Geſchlechtsliebe, durchweg bebingt unb wird dadurch
unmieberruflich feitgeftellt. Es handelt fich alfo in den Liebesangelegen-
heiten nicht, wie in allen übrigen Angelegenheiten, um inbividuellct
Wohl und Wehe, fondern um das Dafein und die fpecielle Beſchaffenhen
des Menfchengefchlechtd in Fünftigen Zeiten, und daher tritt Bier der
Wille des Einzelnen in erhöhter Potenz, als Wille der Gattung auf.
Die künftige Generation, in ihrer ganzen individuellen Beſtimmtheit,
ift e8, die fich, mittelft des ganzen Treibens und Mühens Berliebter
um Erlangung des geliebten Gegenftandes, ins Dafein drängt. Ja,
fie felbft vegt ſich ſchon in der fo umfichtigen, beftimmten und eigen
finnigen Auswahl zur Befriedigung des Gefchlechtstriebes, die man
Liebe nennt. (W. Il, 608—612. 627.)
3) Grabe derfelben.
Die Leidenfchaft der Tiebe hat unzählige Grade, deren beide Extrem
man als Appodırn ravdmpos und obpavea bezeichnen mag; dem
Weſen nach ift fie jeboch überall die felbe. Hingegen dem Grabe nat
wird fie um fo mächtiger fein, je individbualifirter fie iſt. Tie
höchften Grade entfpringen aus derjenigen Angemeſſenheit beider In⸗
dividnalitäten zu einander, vermöge welcher der Charakter des Water?
RX
Geſchlechtsliebe 273
umd ber Intellect der Mutter, in ihrer Verbindung, gerade dasjenige
Imbdividumm vollenden, nach welchem dev Wille zum Leben als Gattungs⸗
wille eine das Maaf eines fterblicdhen Herzens überfteigende Sehnfucht
upfindet. Je volllommener die gegenjeitige Angemeſſenheit zweier
IRdividuen zu einander in jeder der mannigfachen Rückſichten, die hier
weiten, ift, deſto ftärfer wird ihre gegenfeitige Leidenjchaft ausfallen.
(®. U, 612 fg. 628.)
Je mehr eilt, defto beftimmtere Individualität, daher defto be-
ſtimmtere Yorderungen an die biefer entfprechende Individualität des
andern Geſchlechts; woraus folgt, daß geiftreiche Individuen fich bes
fonder8 zu leidenfchaftlicher Liebe eignen. (H. 408.)
4) Die Rolle des Inftincts in der Geſchlechtsliebe.
Aller Geſchlechtsliebe Liegt ein durdaus auf das zu Erzeugenbe ge-
nichteter Inftinct zum Grunde. Die Natur pflanzt überhaupt den
Aſtinct da ein, wo das handelnde Individuum den Zwed zu verftehen
wnähig, ober ihn zu verfolgen unwillig fein würde. Daher pflanzt
fe ihn in dem bier betrachteten Fall auch dem Menfchen ein, als
wider den Zweck zwar verftehen könnte, ihn aber nicht mit dem
zöthigen Eifer, nämlich fogar auf Koften feines individuellen Wohle,
verfolgen würde. Alfo nimmt bier, wie bei allem Inftinct, die Wahr«
keit die Seftalt bes Wahnes an, um auf den Willen zu wirken.
Um das Individuum, welches vermöge des tief in ihm wurzelnden
Egeismus nur für egoiftifche Zwecke empfänglich ift, fiir den Beſtand
und die Befchaffenheit der Gattung in Thätigkeit zu ſetzen und fogar
der Opfer file den Gattungszweck fähig zu machen, mußte die Natur
dem Individuo einen gewifien Wahn einpflanzen, vermöge deſſen ihm
als ein Gut für fich ſelbſt erfcheint, was in Wahrheit blos eines für
die Gattırng ift, fo daß daffelbe diefer dient, während es fich felber zu
dienen wähnt. Diefer Wahn ift der Inſtinct. Derſelbe iſt in ben
weten Fällen anzufehen als der Sinn der Gattung, welcher aber
das ihr Frommende nur durd die Täufchung des Individuums, daß
8 individuellen Zwecken nachzugehen wähnt, während e8 in Wahr-
kit blos generelle verfolgt, erreichen Tann.
In Folge des Inſtincts wirft bei der gefchlechtlichen Auswahl vor
len Dingen die Rüdfiht auf Schönheit des andern Individuums,
a8 durch welche ber Typus ber Gattung möglichft rein und richtig
erhalten wird. Das ſchwindelnde Entzüden, welches den Mann beim
Aublick eines Weibes von ihm angemeflener Schönheit ergreift und ihm
de Bereinigung mit ihr als das höchſte Gut vorfpiegelt, ift eben der
Sinn der Gattung, welcher, den deutlich ausgedrlicdten Stämpel
derfelben erkennend, fie mit diefem perpetuiven möchte. Nächſt der
Schönfeit begehrt (in Folge des Inſtincts) Jeder beſonders heftig
diejenigen Bolllommenheiten am andern Individuo, welche ihm felbft
abgehen, ja ſogar die Unvollkommenheiten, welche das Gegentheil feiner
"um find, (WB. II, 614—618.)
ESopenpauersLerilon. 1. 18
274 Geſchlechtsliebe
Die inſtinctiv leitenden Rückſichten, welche bei dem geſchlechtlichen
Wohlgefallen und der geſchlechtlichen Auswahl walten, zerfallen in ſolche,
welche unmittelbar den Typus der Gattung, d. i. die Schönheit be:
treffen, in folche, welche auf pſychiſche Eigenjchaften gerichtet find, und
endlich in blos relative, welche aus der erforbderten Correction oder
Neutralifation der Einfeitigkeiten und Abnormitäten der beiden Indivi
duen durch einander hervorgehen. (W. II, 619—627. M. 390 fg.‘
5) Unabhängigkeit der Geſchlechtsliebe von der Freund—
ſchaft.
Weil die verliebte Leidenſchaft ſich eigentlich um das zu Erzengent:
und deſſen Eigenjchaften dreht, Tann zwifchen zwei jungen Leuten ver-
fchiedenen Gefchledhts, vermöge der Webereinftimmung ihrer Gefinnung,
ihres Charakters, ihrer Geiftesrichtung, Freundſchaft beftehen, ohne
daß Geſchlechtsliebe fich einmiſchte; ja fogar kann in diefer Hinficht
eine gewifie Abneigung zivifchen ihnen vorhanden fein. Der Grund
biervon ift, daß ein von ihmen erzeugtes Kind körperlich oder geiftig
bisharmonirende Eigenjhaften haben, kurz, feine Exiſtenz und De
fchaffenheit den Zweden des Willens zum Leben, wie er ſich im der
Gattung barftellt, nicht entfprechen würde. Im entgegengefeßten Tal
fan, bei Heterogeneität der Gefinnung, bes Charakters und der Geiſtes⸗
richtung, und bei der daraus hervorgehenden Abneigung, ja Beindfäligfe,
doch die Geſchlechtsliebe auflommen und beftehen; wo fie dann über
jenes Alles verblendet; verleitet fie hier zur Ehe, jo wird es eine ſeh:
unglüdlihe. (W. II, 613 fg.)
6) Das Erhabene und Komifche in der Geſchlechtsliebe
Das Berliebtfein eines Menſchen Liefert oft komiſche, mituntct
au tragifche Phänomene, Beides, weil er, vom Geifte der Gattung
in Beſitz genommen, jett von dieſem beherrjcht wird und nicht mehr
ſich felber angehört. Dadurch wird fein Handeln den: Individuo un
angemefien. Was, bei den höhern Graden bes BVerlichtfeins, feine
Gedanken einen fo poetifhen und erhabenen Anftrih, fogar eine
transfcendente und hyperphyſiſche Richtung giebt, vermöge welcher er
feinen eigentlichen, fehr phyfiichen Zwed ganz aus den Augen zu vcı-
tieren fcheint, ift im Grunde Diefes, daß er jet vom Geifte dr
Gattung, deffen Angelegenheiten unendlich wichtiger, als alle blos in-
dividuellen find, befeckt if. Das Gefühl, in Angelegenheiten von io
transfcendenter Wichtigkeit zu handeln, iſt es, was den Berliebten io
hoch über alles Irdiſche, ja über fich felbft emporhebt und feinen fehr
phyſiſchen Wünfchen eine fo hyperphyſiſche Einkleidung giebt, daß die
Liebe eine poetiſche Epifode fogar im Leben des profaifcheften Menſchen
wird; im welchen: legteren Falle die Sache bisweilen einen komischen
Anftrich gewinnt. — Der Verliebte ſucht im Grunde nicht fein:
Sache, fondern die eines Dritten, der erft entftehen foll; wiewohl ihn
der Wahn umfängt, al® wäre was er fucht feine Sache. Aber gerad:
dieſes Nichtefeine-Sacesfuchen, welches überall der Stämpel ber Größe
Geſchlechtstheile — Geſchlechtstrieb 275
ſt, giebt auch der leidenſchaftlichen Liebe den Anſtrich des Erhabenen
und macht fie zum würdigen Gegenſtande ber Dichtung. (W. II, 633 fg.)
Scihlechtstheile, ſ. Genitalien.
kiſchlechtstrieb.
1) Unterſchied zwiſchen Thier und Menſch in Hinſicht
auf den Geſchlechtstrieb.
Es iſt als ein Phänomen des den Menſchen von allen Thieren
mter[heidenden eigentlichen Individualdharafters anzufehen, daß
xi den Thieren ber Gefdjlechtstrieb feine Befriedigung ohne merfliche
Auswahl jucht, während diefe Auswahl beim Menſchen, und zwar auf
m don aller Reflexion unabhängige, inftinctmäßige Weife, fo hoch
gtrieben wird, daß fie bis zur gewaltigen Leidenjchaft ſteigt. (W. I,
156.) An die Stelle der blos thierifchen Brunft tritt beim Mienfchen
ie forgfältige und capriciöfe Auswahl des andern Individuums zur
Befriedigung des Geſchlechtstriebes, welche ſich bis zur Teidenfchaftlichen
kiebe fteigern kamm. (W. UI, 582.) Durch diefe Steigerung des
Srihlechtötriebes aber zur Liebe fleigern fi) beim Menſchen auch die
die Gefchlechtöbefriedigung fich knüpfenden Reiben, wie überhaupt
ke Steigerung der Affecte beim Menſchen eine Steigerung ber Leiden
mm folge hat. (P. II, 315 fg. H. 409.)
2) Bedeutung und Macht des Geſchlechtstriebes.
Der Gefchlechtötrieb ift anzufehen als der innere Zug des Baumes
der Sattung, auf welchem das Leben des Individuums fproßt, wie ein
datt, da8 von Baume genährt wird und ihn zu nähren beiträgt;
daher ift jener Trieb fo ſtark und aus der Tiefe unferer Natur.
®. II, 583. Bergl. auch Gattungsleben unter Gattung.)
Tie Befriebigung des Gefchlechtötriebes geht über die Bejahung der
agenen Eriftenz, die eine fo Furze Zeit füllt, hinaus, bejaht das Leben
ürr dem Tod des Individuums in eine unbeftimmte Zeit hinaus,
V. 1, 387. W. II, 649. P. IL 310.)
Die Begierde des Gefchlechts trägt einen don jeder andern fehr
xtihiedenen Charakter; fie ift nicht nur die ftärkfte, fondern fogar
heifiih von mächtigerer Art als alle andern. Sie ift nicht, wie
andere Wünfche, Sache des Geſchmacks und der Laune. Denn fie ift
kr dos Mefen des Menfchen ausmachende Wunſch. Im Conflict
gut ihr ift Fein Motiv fo ftark, daß es bes Sieges gewiß wäre. Sie
ft jo ſehr die Hauptſache, daß für die Entbehrung ihrer Befriedigung
keine andern Genüſſe eniſchüdigen; auch übernimmt Thier und Menſch
ihrewegen jede Gefahr, jeden Kampf. Dies flimmt damit überein,
daß der Geſchlechtstrieb der Kern des Willens zum Leben, mithin bie
Concenteation alles Wollens if. Der Wille zum Leben äußert fich
ar zunächft als Streben zur Erhaltung des Individuums; jedoch ift
diet m die Stufe zum Streben nad) Erhaltung der Gattung, welches
Itre in dem Grabe heftiger fein muß, als das Leben der Gattung
18 *
276 Gefchlechtstrieb
an Dauer, Ausdehnung und Werth das bes Individuums übertrifft
Daher ift der Geſchlechtstrieb die vollfommenfte Aeußerung des Willens
zum Leben, fein am deutlichften ausgebrüdter Typus; und hiermit ii
fowohl das Entftehen des Individuums aus ihm, als fein Primt
über alle andern Wünſche des natürlichen Menſchen in vollkommene
Uebereiftimmung. (W. II, 585—587. W. I, 389.)
3) Bhyfiologifhes Correlat der Concentration dei
Willens im Geſchlechtstriebe.
Wie der Geſchlechtstrieb die heftigfte ber Begierden, der Wunfd de
Wiünfche, die Concentration alles unfers Willens ift; — To finden mır,
als phyfiologifches Correlat hievon, im objectivirten Willen, alſo in
menjchlichen Organismus, das Sperma als die Secretion der Sen:
tionen, bie Quinteſſenz aller Säfte, das letzte Refultat aller organiihen
Buuctionen und haben hieran einen abermaligen Beleg dazu, daR dr
Leib nur die Objectität des Willens, d. 5. der Wille felbft unter
der Form der Borftellung if. (W. II, 587.)
4) Der Gefhlehtstrich, in Beziehung auf das Lebens:
glüd betradtet.
Wenn ber Wille zum Leben fich blos darftellte als Trieb zur Selbſt
erhaltung; fo würde dies nur eine Bejahung der imbivibnellen Cr
ſcheinung, auf die Spanne Zeit ihrer natürlichen Dauer fein. Ti
Mühen und Sorgen eines ſolchen Pebens würden nicht groß, mithe
das Dafein leicht und heiter ausfallen. Weil hingegen der Wille dei
Leben ſchlechthin und auf alle Zeit will, ftellt er ſich zugleich dar al
Gejchlechtstrieb, der es auf eine endlofe Reihe von Generationen cr
gefehen Hat. Diefer Tricb hebt jene Sorglofigkeit, Heiterkeit m
Unſchuld, die cin blos individuelles Dafein begleiten würden, as,
indem er in das Bewußtfein Unruhe und Melancholie, in ba
Lebenslauf Unfälle, Sorge und Noth bringt. (W. IL, 649.)
Mit Hecht ſchätzt Plato das Greifenalter glücklich, fofern es de
bis dahin uns unabläffig beunruhigenden Geſchlechtstrieb endlich los iſt
Sogar ließe fi) behaupten, daß der Menſch erft nach Exlöfchen tet
Geſchlechtstriebes ganz vernünftig wird. Gewiß aber ift, dab di
Melancholie ber Jugend mit von der dämonifchen Herrfchaft des Cr
ſchlechtstriebes herrührt, die Heiterkeit des Alters dagegen die Heiterkeil
Deffen ift, der eine Tange getragene Feſſel los ift und fid nun fa
bewegt. — Anbererfeits jedoch Tieße ſich fagen, daß nach erloſchenen
Geſchlechtstrieb der eigentliche Kern des Lebens verzehrt und nur nd
die Schaale beffelben vorhanden fei. (PB. I, 524.)
5) Freiwillige Entfagung der Befriedigung des Gr
ſchlechtstriebes.
Da in ber Geſchlechtsbefriedigung ſich die Bejahnng des Film
zum Leben ausdrüdt, fo ift freiwillige und durch fein Motiv be,
gründete Entfagung der Befriedigung des Geſchlechtstriebes ſchon
Geſchlechtsverhältniß 277
'terneinung des Willens zum Leben, iſt eine auf eingetretene, als
Inietiv wirkende Erkenntniß, freiwillige Selbftaufhebung deſſelben.
rmgemäß ftellt folche Berneinung bes eigenen Leibes fich fchon als
an Widerſpruch des Willens gegen feine eigene Erfcheinung dar. Denn
gleich auch Hier der Leib in den Genitalien den Willen zur Yort-
fanzung objectivirt, wird biefe dennoch nicht gewollt. Eben deshalb,
imlih weil fie Berneinung oder Aufhebung des Willens zum Leben
t, ift ſolche Entfagung eine ſchwere und fchmerzliche Selbftilberwindung.
B. 1, 394. W. II, 649.)
6) Widernatürlide Befriedigung des Geſchlechts—
triebes. (S. Päderaſtie.)
kfhlehtsverhältnifl.
1) Die Rolle, welde das Geſchlechtsverhältniß im
Menfchenleben fpielt,
Der Bedeutung und Macht des Gefchlechtötriebes entipricht die
nötige Rolle, welches das Gefchlechtöverhältniß in der Menſchenwelt
pelt, ald wo es eigentlich ber unfichtbare Mittelpunkt alles Thuns
md Treibens ift und troß allen ihm übergeworfenen Schleiern überall
mvorgudt. Es ift bie Urfache des Krieges und der Zweck des Frie⸗
ms, die Grundlage des Ernftes und das Ziel des Scherzes, bie
meihöpfliche Duelle des Wites, der Schlüffel zu allen Anfpielungen
md der Sinn aller geheimen Winke, aller unausgefprochenen Anträge
md aller verftohlenen Blicke, das tägliche Dichten und Trachten der
dungen und oft auch der Alten, der ftündliche Gedanke des Unkeufchen
md die gegen feinen Willen ftetS wiederfehrende Träumerei des Ken-
gen, ber allezeit bereite Stoff zum Scherz, eben nur, weil ihm der
keffte Ernft zum Grunde liegt. (W. II, 586.) Daß die Gefchlechts«
verhältmifje ben leichteften, jederzeit bereit liegenden und auch dem
ſcwächſten Wig erreichbaren Stoff zum Scherze abgeben, wie bie
dänfigleit der Zoten beweift, Könnte nicht fein, wenn nicht ber tieffte
Sruft gerade ihmen zum Grunde füge. (W. IL, 109.)
2) Die aus bem Geſchlechtsverhältniß hervorgehenden
Berbindlichkeiten.
US eine befondere Rubrik des Unrechts könnte man die Verlegung
ter ans den Serualverhältniffen hervorgehenden Verbindlichleiten
cuchen. Der Mann ift von ber Natur gegen das Weib körperlich
und geiftig bedeutend bevorzugt. Alſo ift offenbar, daß, wenn der
am die Vorzüge, welche die Natur fo parteiifch auf feine Geite
wart, nicht compenfiren wollte dadurch, daf er filr das Weib und bie
Kinder die Sorge auf ſich nimmt, er in der Befriedigung feines Ge-
tlechtetriebes feinen Willen zum Leben bejahte und dabei zugleidy ben
Cilen des weiblichen Individuums verneinte, alfo Unrecht ausübte, —
Die Gefäjlechtsbefriedigung ohme Uebernahme der Verbindlichkeit, für
ih und Kinder zu forgen, ift Unrecht, d. h. Bejahung des eigenen
278 Schmadt — Geſchwindigkeit
Willens vermittelft Berneinung des fremden, im weiblichen Individmm
erfcheinenden.
Aus diefer Verbindlichkeit des Mannes geht nothwendig die dei
Weibes hervor, ihm treu zu fein, fo wie wiederum aus ihrer Ber-
bindlichfeit zur Treue die feinige hervorgeht, ihr treu zu fein. Hieraus
ift jedoch nicht die Monogamie zu folgern. (9. 377—379. Ir
Betreff der Monogamie vergl. Ehegeſetze unter Ehe.)
Geſchmack.
1) Geſchmack in phyſiologiſcher Bedeutung. (S. Sinne)
2) Geſchmack in äſthetiſcher Bedeutung.
a) Was das Wort „Geſchmack“ beſagt.
Mit dem nicht geſchmackvoll gewählten Ausdruck, Geſchmack“ bezeichntt
man diejenige Auffindung, oder auch bloße Anerkennung des äfthetifh
Richtigen, welche ohne Anleitung einer Kegel geichieht, indem ur
weder Feine Regel ſich bis dahin erftredt; oder auch diefelbe dem
Ausübenden, rejpective blo8 Urtheilenden, nicht befannt war. — Etat
Gefhmad würde man äfthetifhes Gefühl fagen können, wen
Dies nicht eine Tautologie enthielte.e (P. II, 486.)
b) Berhältnif des receptiven Gefhmads zum pro
ductiven Talent oder Genie.
Der auffaffende, urtheilende Gefhmad ift gleichfam das Weiblide
zum Männlichen des probuctiven Talents, oder Genies. Nicht fähig
zu erzeugen, befteht ex in der Fähigleit zu empfangen, d. h. dat
Nechte, das Schöne, das Pafjende, als ſolches zu erkennen, — wie auf
defien Gegentheil; alfo das Gute vom Schlechten zu unterjcheiden,
Jenes herauszufinden und zu wilrdigen, Diefes zu verwerfen. (P. I,
486.) |
GSeſchwindigkeit.
Für die Quantität gegebener Materie iſt das alleinige Maaß die
Größe ihrer Bewegung. In bdiefer aber, wenn fie gegeben ifl,
tritt die Quantität der Materie noch mit dem andern factor bderfelben,
ber Geſchwindigkeit, verfegt und verfchmolzen auf; dieſer andere
Bactor aljo muß ausgefchieden werden, wenn man bie Ouantität der
Materie (die Maffe) erkennen will. Nun wird zwar die Geſchwin—
digfeit unmittelbar erkannt; denn fie ift m Allein der andere Factor,
ber durch Ausſcheidung dieſes übrig bleibt, aljo die Mafle, ift fiets
nur relativ erkennbar, nämlich im Vergleich mit andern Maſſen, die
aber jelbft wieder nur mittelft der Größe ihrer Bewegung, alſo
in ihrer Verfegung mit ber Geſchwindigkeit, erfennbar find. Man mut
alfo ein Quantum Bewegung mit dem andern vergleichen, dam
aus beiden die Gefchwindigkeit abrechnen, um zu erfehen wie viel jedes
derjelben feiner Maſſe verdankte. (W. II, 59 fg.)
Geſchwiſterehe — Geſellſchaft 279
beſchwiſterehe, ſ. Ehe.
beſchworene, ſ. Jury.
deſelligkeit.
1) Was die Menſchen geſellig macht.
Bas die Menſchen geſellig macht, iſt ihre Unfähigkeit, die Einſam⸗
eit, und in dieſer ſich ſelbſt, zu ertragen. Innere Leere und Ueberdruß
ind es, von denen ſie ſowohl in die Geſellſchaft, wie in die Fremde
ind auf Reiſen getrieben werden. Ihrem Geiſte mangelt es an Feder⸗
raft, ſich eigene Bewegung zu ertheilen. Daher bedürfen fie der ſteten
erregung von Außen und zwar der ſtärkſten, d. i. der durch Weſen
hres Gleichen. Imgleichen ließe fich fagen, daß Geber von ihnen nur
in Meiner Bruch der Idee der Meuſchheit fei, daher er vieler Er-
jinzung durch Andere bedarf, damit einigermaßen ein volles menschliches
bewußtſein herauskomme. Hingegen, wer ein ganzer Menſch ift, ein
Reid) par excellence, der ftellt eine Einheit und feinen Bruch dar,
yat daher an fich felbft genug. (P. I, 449 fg.)
Uebrigens kann man die Gefelligfeit auch betrachten als ein geiftiges
mwärmen der Menſchen an einander, gleich jenem förperlichen, welches
Re bei großer Kälte durd, Zuſammendrängen hervorbringen. Allein
s elf viel geiftige Wärme hat, bedarf folcher Gruppirung nid.
‚1, 451.)
2) Die Geſelligkeit als Maaßſtab des intellectuellen
Werthes.
Dem Geſagten zufolge ſteht die Geſelligkeit eines Jeden ungefähr
wm umgekehrten Verhältniſſe feines intellectuellen Werthes; und „er iſt
ſehr ungeſellig“ beſagt beinahe ſchon „er ift ein Dann von großen
Eigenfhaften”. (B. I, 451. Bergl. aud) unter Einſamkeit: Liebe
zur Einſamkeit als Maaßſtab des intellectuellen Werthes.)
3) Gefahren der Geſelligkeit.
Geſelligkeit gehört zu den gefährlichen, ja verderblichen Neigungen,
da fie und in Contact bringt mit Weſen, deren große Mehrzahl mo—
reliſch ſchlecht und intellectuell ſtumpf oder verkehrt if. An fich felber
jo viel zu haben, daß man ber Gefellfchaft nicht bedarf, ift fchon
dehalb ein großes Glück, weil faft alle unfere Leiden aus der Ge—
Klihaft entfpringen, und die Geiftesruhe, welche, nächft der Gefundheit,
das weientlichfte Element unferes Glüdes ausmacht, durch jede Ge-
rlideft gefährbet wird und baher ohne ein bedeutendes Maaß von
Eifomleit nicht beftehen fann. (P. I, Ad1fg. P. U, 325. Vergl.
and mer Einſamkeit: Vorzüge der Einfamtleit vor ber Gefellichaft.)
Geſellſchaft.
1) Gleißnerei und Fadheit der Geſellſchaft.
Ein Beiſpiel von der Gleißnerei der Welt geben unter andern viele
Kadene Güſte in Feierkleidern, unter feſtlichem Empfange; fie find das
280 Gejellſchaft
Aushangeſchild ber edelen, erhöhten Geſelligkeit. Aber ſiatt ihrer 4,
in ber Kegel, nur Zwang, Bein und Langeweile gekommen; denn ſhu
wo viele Gäfte find, ift viel Pad, — und hätten fie auch fänmtlid,
Sterne auf ber Bruſt. Die wirklich gute Geſellſchaft ift mämlid,
überall und nothwendig, ſehr Hein. (B. I, 436.) Dede Gefeliceit
erfordert nothwendig eine gegenfeitige Accomodation und Temperabr;
daher wird fie, je größer, deſio fader. (P. I, 446.)
2) Gegenfag zwiſchen der Ranglifte der Natur ma
der Ranglifte der Gefellfcaft.
Während die Natur zwifchen Menſchen die weitefte Berfchiebenhi,
im Moraliſchen und Imtellectuellen, gejegt hat, ſtelit die Gejelicei,
diefe file nichts achtend, fie alle gleich, oder vielmehr fie ſetzt an ihm
Stelle die fünftfihen Unterſchiede und Stufen des Standes und Range,
welche der Rangliſte der Natur fehr oft biametral entgegen laufe.
Was den großen Geiftern die Geſeliſchaft verleidet, ift die Gleichheit
der Rechte, folglich ber Anfprüche, bei der Ungleichheit ber dehix
keiten, folglich der (gefelfchaftlichen) Leiftungen der Andem. Te
fogenannte gu Societät läßt Vorzüge aller Art gelten, nur nicht de
geiftigen. Sie verpflichtet uns, gegen jede Thorheit, Narcheit, Tr
fehrtheit, Stumpfheit, grängenlofe Gebuld zu beweiſen; perjönlide
Vorzüge Hingegen follen ſich Verzeihung erbetteln, oder ſich verbergen;
denn die geiftige Ueberlegenheit verlett durch ihre bloße Exiftenz, of
alles Zuthun des Willens. (PB. I, 446 fg.)
3) Wichtigkeit der gleihen Stimmung für bie gt
fellige Gemeinfhaft und Beförderungsmittel der
felben.
Selbſt zwiſchen den Homogenften, harmonirendften Perfönlichtriea
entftehen durch die Verjchiedenheit ihrer gegenwärtigen Stimmurz
leicht Diffonanzen, zu deren Aufhebung ftets eine gleichſchwebende
Temperatur einführen zu fönnen eine Leiftung ber höchſten Bildung
wäre. Wie viel Gleichheit der Stimmung fir bie gefellige Gemein:
ft leiſte, laßt fi daran ermeffen, daß fogar eine zahlreiche &
Haft zu lebhafter geiftiger Mittbeilung und aufridztiger Tpeilnafıt,
r allgemeinenr Behagen, erregt wird, fobald irgend etwas Objective,
es eine Gefahr, oder eine Hoffnung, oder eine Nachricht, oder en
ner Anblid u. f. w. auf alle zugleich und gleichartig einmirt.
m Dergleichen, indem es alle Privatinterefien überwältigt, erzeug
verfelle Einheit der Stimmung. Im Ermangelung einer folden
ectiven Einwirkung wird in der Regel eine fubjective ergrifn
find demnach die Flaſchen, aud) Tee und Kaffee das gemöhnlidt
ei I bemiinſchafuiche Stimmung in bie Geſellſchaft zu bringen.
1, 475.
Geſetz 281
beſeh.
1) Berſchiedene Bedeutungen bes. Begriffs bes Ge—
ſetze s.
Die eigentliche und urſprüngliche Bedeutung deſſelben beſchränkt ſich
nf das bürgerliche Geſetz, lex, vopoc, eine menſchliche Einrichtung,
af menſchlicher Willfür beruhend. ine zweite, abgeleitete, tropifche,
ztaphorifche Bedeutung hat der Begriff Geſetz in feiner Anwendung
uf die Natur, deren theild a priori erkannte, theils ihr empirifch ab-
ewerkte, fich ftets gleichbleibende Verfahrungsweifen wir, metaphoriſch,
taturgefege nennen. Für den menfhlihen Willen als ſolchen
iebt es auch ein Geſetz, fofern der Menſch zur Natur gehört, und
war ein ausnahmsloſes, da8 Geſetz der Motivation, eine Yorm
es Cauſalitätsgeſetzes. Es befagt, daß jede Handlung nur in Folge
mes zureichenden Motivs eintreten kann. Es ift, wie das Canfalitäts-
reg überhaupt, ein Naturgeſetz. Hingegen moralifche Geſetze,
mobhängig von mienfchlicher Satzung, Staatseinrihtung oder Keligions-
Kite, dürfen ohne Beweis nicht als vorhanden angenommen werben.
dant begeht aljo durch bie Borausnahme des Moralgefeges eine petitio
nneipi. (E. 120—122.)
2) Urfprung des politifhen Geſetzes.
Die den menfchlichen Individuen gemeinfame, das Ganze überbenfende
Sernunft hat fie auf Mittel bedacht gemacht, das aus dem Egoismus
durch Unrechtthun für Alle entfpringende Leiden zu verringern, ober
wo möglich aufzuheben durch ein gemeinfchaftliches Opfer, welches jedoch
von dem gemeinfchaftlich baraus hervorgehenden Vortheil überwogen
Bird, Die Vernunft fah ein, daß ſowohl um das tiber Alle verbreitete
feiden zu mindern, als um es möglichft gleichförmig zu vertheilen,
das befte und einzige Meittel fei, Allen den Schmerz des Unrechtleidens
zu erſparen dadurch, daß aud Alle dem durch das Unrechtthun zır
langenden Genuß entfagten. Diefes alſo von dem, durch den Ge—
hand, der Vernunft methodiſch verfahrenden und feinen einfeitigen
Standpunkt verlaffenden Egoismus leicht erfonnene und allmälig ver⸗
velfonmmete Mittel ift der Staatsvertrag oder das Geſetz.
(8. 1, 404 fg.)
3) Zwed der Strafgefege und Boransfegung berfelben.
Die Strafgeſetze gehen aus von der richtigen Vorausfegung, daß
Bile nicht frei (unbeftimmbar durd) Motive) fei, in welchem Fall
mon ihn nicht ienken könnte; fondern daß er der Nöthigung durch
"ottbe unterworfen ſei. Demgemäß wollen fie allen etwaigen Mo—
hben zu Verbrechen ſtärkere Gegenmotive in ben angedrohten
ofen entgegenftellen, und ein Sriminalcoder ift nichts Anderes, als
m Verzeichniß don Gegenmotiven zu verbrecherifchen Handlungen,
8.9. V. I, 407
282 Geſetzgebung — Eeſicht
Geſeßgebung.
Aller poſitiven Geſetzgebung vorhergehend und folglich von ihr un
abhängig find die Begriffe Unrecht und Recht, als gleichbedeuten
mit Verlegung und Nichtverlegung. Es giebt folglid) ein rein ethiſchet
Recht, oder Naturrecht, und eine reine, d. 5. von aller pofitiven Satzung
unabhängige Rechtslehre. Die Rechtslehre ift ein Theil der Moral,
welcher die Handlungen feftftelt, die man nicht ausüben darf, wenn
man nicht Andere verlegen, d. h. Unrecht begehen will. Die More
bat alſo hiebei den activen Theil im Auge. Die Geſetzgebung abc
nimmt dieſes Capitel der Moral, um es in Rüdficht auf die paſſirt
Seite, alfo umgekehrt, zu gebrauchen und die felben Handlungen u
betrachten als ſolche, die Keiner, da ihm Fein Unrecht widerfahren fol,
zu leiden braucht. Gegen diefe Handlungen errichtet nun ber Staut
das Bollwerk der Gefee, als pofitives Hecht. Seine Abficht ift, daß
Keiner Unrecht leide; die Abficht der moralifchen Rechtslehre hingegen,
daß Keiner Unrecht tue, (E. 218 fg. W. I, 409) |
Geſicht.
1) Der Sinn des Geſichts. (S. Sinne.)
2) Das Geſicht in phyſiognomiſcher Hinſicht.
a) Phyſiognomiſche Einheit des Geſichts. |
Wenn man betrachtet, wie in jedem Menfchengeficht etwas fo gan
Urfprüngliches, fo durchaus Driginelles Tiegt und dafjelbe eine Ganz
beit zeigt, welche nur einer aus lauter nothwendigen Theilen beſtehenden
Einheit zufommen Tann; fo muß man bezweifeln, daß etwas von ft
wefentlicher Einheit und fo großer Urfprünglichfeit je aus einer andern
Duelle hervorgehen könne, als aus den geheimnißvollen Tiefen tr
Innern ber Natur. Daher auch muß man bei jedem von einem
Künftler blos erfonnenen Geficht zweifeln, ob es im der Zhat cu
mögliches fei. Denn wie follte er eine wirkliche phyſiognomiſche Eur
beit zufammenfegen, da ihm doch das PVrincip diefer Einheit eigentlich
unbelannt iſt? (W. II, 479.)
b) Erfennbarfeit des moralifhen und intelke
tuellen Wefens eines Menfhen aus den Gr
ſichtszügen.
Jedes Menſchengeſicht iſt eine Hieroglyphe, bie ſich allerdings ent:
ziffern läßt, ja deren Alphabet wir fertig in uns tragen. Das Geil
jagt mehr, ald der Mund; denn e8 ift das Kompendium alles Teiler,
was dieſer je fagen wird, indem es das Monogramm alles Deutent
und Trachtens eines Menjchen iſt. Alle gehen ftiljchweigend von dem
Grundſatz aus, daß Jeder ift, wie er ausfieht. Diefer Orundiat
ift auch richtig; aber die Schwierigkeit Tiegt in der Anwendung, Di
welcher auch der Geübtefte Irrthümer begeht. Dennoch lügt das Or
ſicht nicht. (P. II, 670 fg. 674.)
Sefihistreiis — Gefpräd 283
Dos intellectuelle Weſen eines Menfchen ift am beften aus
Ange und Stirn, das moralifche aus Mund und Kinn zu erkennen.
(M. 280.)
e) Seltenheit erfreuliher ©efihter und Grund
bievon.
Mit Ausnahme der fchönen, der gutmüthigen und ber geiftreichen
Befichter, — alfo höchſt weniger und feltener, — wird fein fühlenden
Ferjonen jedes nene Gefiht meiftens eine dem Schred verwandte
Empfindung erregen, indem es, in neuer und überraſchender Combination,
das Unerfreuliche darbiete. Metaphyſiſch läßt fi) dies daraus
eflären, daß die Individualität eines Jeden gerade Das ifl, wodon
a zurüdgebradht, corrigirt werden fol; pfychologiicd aber darans,
daß in dem Inneren ber Meiften ein langes Yeben hindurch Hödkt
klien etwas Anderes aufgeftiegen ift, als kleinliche, niedrige, miſerable
Ordanfen, und gemeine, eigennütige, neibifche, fchledhte und boshaite
Sünſche. Diefes Alles hat dem Gefichte feine Spuren eingernidı,
am diefe Spuren haben fich, durch viele Wiederholung, mit der Zeu
wi eingefurcht. (P. U, 672.)
beſichtskreis, geiftiger.
Bon einem vorzüglichen Intellect bis zu dem, ber ſich dem
zübert, find der Abftufungen unzählige. Diefem gemäß |
geiftige Gefichtsfreis eines eben fehr verfcdhieden aus,
von dem der bloßen Auffaſſung der Gegenwart, bie |
bat, zu dem, der doch aud) bie nächfte Stunde, zu dem, ber
umfaßt, felbft noch den miorgenden, die Woche, das Jahr, bes
die Jahrhunderte, Jahrtauſende, bis zu dem eines VBewukrians, wei:
*
11
lot
—
2
glg
—38
foft beſtändig den, wenn auch undeutlich dämmeruden Horizon
endlichleit gegenwärtig hat, deſſen Gedanlen daher einen dreien ==
meſſenen Charakter annehmen. (W. IL, 157.)
beſpenſter, ſ. Geifter.
beſpräch.
1) Was ſich im Geſpräche kundgiebt
2
—
8
— — -w-— . -
284 Geſpruch |
gewöhnlichen Kopfe der gemeinfchaftlichen Reiſe eines Mannes, der ai
einem muthigen Hoffe figt, mit einem Fußgänger. Auf eine kır
Strede Tann zwar der Reiter abfigen, um mit bem Andern zu gebe;
wiewohl auch dann ihm die Ungebuld feines Pferdes viel zu ſchaffen
machen wird. (W. II, 162.)
2) Gegenſatz zwifhen dem Gefpräd der Gewöhnliden
und dem der geiflig Beporzugten. |
Die meiften Menſchen find Teines andern, als fubjectiven Gr
brauchs ihres Intellects fühig, weil diefer bei ihnen blos ein Werke
zum Dienfte des Willens ift und in biefem Dienfte gänzlich aufgeht.
Daher ihre Trodenheit und Unfähigkeit zu jebem freien, objectiv
unterhaltenden Geſpräch. Dan fol mit ihnen in Gefchäften rem,
fonft nicht. Hingegen ift das Geſpräch zwifchen Leuten die nur irgend⸗
wie eines rein objectiven Gebrauchs ihres Intellects fähig find,
innmer ſchon ein freies Spiel geiftiger Kräfte, verhält fih alle
jenem der Andern, wie Tanzen zum Gehen. Ein foldhes Geſpräch ft
in der That, wie wenn Zwei ober Mehrere mit einander tan;
während jene andere einem bloßen Marſchiren neben ober hinter
einander, um anzufommen, gleicht. (P. IL, 73 fg. 87. 535. 9. 452.)
3) Meberlegenheit bes Alters über die Jugend im
Geſpräch.
Die geiſtige Ueberlegenheit, fogar die größte, wird im ber oner-
fation ihr entfchiebenes Webergewicht exft nach dem vierzigften Jahr
geltend machen. Denn die Reife ber Yahre und die Frucht der &
fahrung kann durch jene wohl vielfach übertroffen, jedoch mie erimt
werben; fie aber giebt auch dem gemwöhnlichften Menſchen ein gewiffet
Gegengewicht gegen die Kräfte des größten Geiſtes, fo lange diefe
jung if. (®. I, 514.)
4) Eine im Geſpräch zu beobadhtenbe Klugbeitsregel
Man enthalte fich aller, felbft noch fo mwohlgemeinter, correctionelr
Bemerkungen im Gefpräde; denn die Leute zu kränken iſt Teicht, fie zu
befiern ſchwer, wo nicht unmöglih. Wenn die Abfurbditäten cine
Geſprächs, welches wir anzuhören im Kalle find, anfangen und ju
ärgern, müſſen wir denken, e8 wäre eine Komödienſcene zwiſchen zw!
Narren. (P. I, 493.)
5) Dürftigfeit des durch das Geſpräch Mittheilbaren
Die Thiere in ihrem naiden und reflerionslofen Treiben find für
den bie Sprache der Natur Berftehenden und Liebenden bisweilen vi
unterhaltender, als die gewöhnlichen Menſchen. Denn, erftlih, wei
fann man ſich überhaupt fagen? Nur Begriffe find durch Wort
mittheilbar, alſo die trodenften Borftellungen, und was für Begriffe
hat denn wohl fo ein gewöhnlicher Menſch mitzutheilen; auch ift der
größte Heiz des Geſprächs nur das Mimiſche, der fich zeigende Che
rafter, fo wenig es auch fei. Sogar aber der vorzüglichite Med)
Sefalt — Geſten. Gefticulation 285
wie wenig kann er durch Begriffe, bie doch allein mittheiſtbar ſinb
fagen von dem, was in ihm vorgeht. Bei gewößmlicdden Weichen
ober lommt zu ihrer Dürftigleit noch Dies Hinzu, daß igre Bermmit
fe in den Stand fett, fi) zu verftellen, fo daß fie mid ammal
das Wenige, das in ihnen ifl, zeigen, fondern ſtatt deiicn cıme Weile.
(9. 450 fg.)
Bern Anfhauungen mittheilbar wären, da gäbe es cine ber Mühe
lehnende Mittheilnng; fo aber muß am Ende cher im femer Haut
bleiben und in feiner Hirnfchale, und Steiner Tamız dem Yinberm heffen
(®. II, 79 fg.)
(Meder den Dialog und feinen Werth fie: Tialog)
beſtalt.
Die beharrenden, unwandelbaren, von ber zeitſichen Eriuũenʒ ber
Sizelmefen unabhängigen Geſtalten, die pecies rerum söer Fis-
kilhen Ideen, machen das rein Objective ber Crideruungem zuB.
®. II, 414.)
len. Gefticulation.
1) Allgemeinheit der Sprade der Gekicaletion
Tee Öefticulation ift eine eigene Sprache und ziwer eine aüge-
ueinere, ald die ber Worte. Ihre Allgemeinheit if der der Logik und
Grammatif analog, da bie Gefticnlation blos das Kormelle und mich
das Materielle der jebesmaligen Rede ausdrüdt; fie umterfcheiset ſich
koch von jenen Andern dadurch, da fie nicht blos auf des Iutellec-
tale, fondern aud) auf das Moraliſche, db. 5. die Kegungen bes
Bilens ſich bezieht. Aus den beobachteten eines mit einem
Andern Redenden läßt fi), ohne daß man eim Wort vernimmt, der
allgemeine, d. i. blos formelle und typiſche Siam befielben fehr wohl
berftehen. Die Geften offenbaren den moraliſch ober intellectnell weient-
hen Gehalt der ganzen Rede, in abstracto, alfo die Duinteflenz, die
wahre Subftang derjelben, welche unter ben verſchiedenſten Auläfien
ud folglich auch beim verfehiebenften Stoff, ibentifch if und zu dieſen
R, beat, wie ber Begriff zu den ihm ſubſumirten Subipibuen.
v. I, 646 fg.)
2) Die Mobdificationen der Geften.
Obwohl die Sprache der Gefticulation bei allen Nationen biefelbe
tt, jo macht doc; eine jede nach Maaßgabe der Lebhaftigleit von ihr
Ocbrand, und bei einzelnen, 3. B. den Italienern, bat fie noch die
Zugabe einiger weniger, blos conventioneller Gefticulationen erhalten,
Die daher nur locale Gültigfeit haben. (P. II, 646.) Die Identität
Geſticulation ift bei verfchiedenartigen Perfonen nur ſolchen un⸗
wſenllichen Modificationen unterworfen, wie fie auch die Worte einer
Sprade durch eine Unterfchiede der Ausſprache oder auch der Er⸗
jtteng erleiden. (B. IL, 647.)
286 Sefunbheit
3) Natürlicher Urfprung der Geften.
Den ftehenden und allgemein befolgten Formen ber Gefticulation
liegt Teine Verabrebung zum runde, fondern fie find natürlich, un
nrfprünglid), eine wahre Naturfprache, wiewohl fie durch Nachahmung
und Gewohnheit befeftigt fein mögen. (PB. U, 647.)
4) Künftlerifche Darftellung der Geſten.
Ein genaueres Studium der Geſten liegt befanntlich dem Schu
fpieler und, in bejchränkterer Ausdehnung, dem öffentlichen Hedner ob
doch muß es hauptſüchlich in Beobachtung und Nachahmung beſtehen
Denn auf abſtracte Kegeln lüßt ſich die Sache nicht wohl zurückführen
mit Ausnahme einiger ganz allgemeiner leitender Grundfäge, wie 3.3
daß der Geftus nicht dem Worte nachfolgen, vielmehr demfelben dich
vorhergehen müſſe, es anfündigend und dadurch Aufmerkfamfeit erregen
(B. IL, 647)
(Ueber die Verachtung der Sefticulation bei den Englänbern fick:
Engländer.) !
Gefundheit.
1) Die Geſundheit ala Sieg des Organismus über
die phyfifchen und hemifchen Kräfte.
Kein Sieg ohne Kampf. . Indem jebe höhere Idee, ober Willen
objectivation, nur burch UWeberwältigung der niebrigeren herbortreten
kann, erleidet fie den Widerſtand diefer, welche, wenngleich zur Dienf:
barkeit gebracht, doc immer noch ftreben, zur unabhängigen m
vollftändigen Aeußerung ihres Weſens zu gelangen. Auch bie =
menfchlichen Organismus erfcheinende Idee unterhält einen bauer
Kampf gegen bie phyfifchen und chemifchen Kräfte, welche als niedrigen
Ideen ein frühere Anrecht auf die Materie Haben. Daher ift dei
behagliche Gefühl der Gefumdheit, welches den Sieg des Organitmub
über die phyſiſchen und hemifchen Kräfte ausdrückt, ſo oft unterbroden
ja eigentlich inımer begleitet von einer gewiffen größern oder Meine
Unbehaglichkeit, welche aus dem Widerftand jener Kräfte hervorgehl.
und wodurch fchon der vegetative Theil unfers Lebens mit einem leiſr
Leiden beftändig verfnüpft if. (W. I, 173 fg.)
2) Das Innewerden der Gefunbpeit.
Wegen der Negativität aller Befriedigung, alles Gent
(vergl. Befriedigung) im Gegenfag zu der Pofitivität des Schmeue
können nur Schmerz und Mangel pofitiv empfunden werben ım
fündigen ſich felbft an, das Wohlfein Hingegen ift blos negand.
Daher werben wir der drei größten Güter des Lebens, der Gefundkei,
Jugend und Freiheit, nicht als folcher inne, fo lange wir fie beſiten,
fondern erft, nachdem wir fie verloren haben; denn auch fie fm
Negationen. (W. I, 657.)
Geſundheit 287
3) Wichtigkeit der Geſundheit für das Lebensglück.
Daß für unſer Glück viel weſentlicher iſt was wir ſind, als was
wir haben, beſtätigt ſich in Allem. Beſonders überwiegt Geſundheit
alle äufern Güter fo ſehr, daß wahrlich ein geſunder Bettler glücklicher
it, als ein kranker König. (P. I, 336 fg.) Neun Zehntel unſers
Glüdes beruhen allein auf der Geſundheit. Mit ihr wird Alles eine
Quelle des Genuffes; Hingegen ift ohne fie fein äußeres Gut, welcher
Att es auch fei, geniekbar, und felbft die übrigen fubjectiven Güter,
de Gigenfchaften des Geiftes, Gemüthes, Temperaments werden burch
Kränflichkeit herabgeftimmt und fehr verfümmert. Demnach gejchieht
& nicht ohne Grund, daß man vor allen Dingen fich gegenfeitig nad)
dem Geſundheitszuſtand befrägt und einander ſich wohlzubefinden wünfcht;
dem wirflich ift diefes bei Weitem die Hauptſache zum menfchlichen
Mid. Hieraus aber folgt, daß die größte aller Thorheiten ift, feine
Geſundheit aufzuopfern für Erwerb, Beförderung, Gelehrfanikeit, Ruhm,
Blur, oder was es auch fei. Vielmehr joll man ihr Alles nach⸗
kt. (B. I, 344.)
4) Mittel zur Erhaltung und Befefigung der Ge-
fundheit.
Die Mittel hiezu find Vermeidung aller Exceſſe und Ausfchweifungen,
eler heftigen und unangenehmen Gemüthsbewegungen, aud) aller zu
zoßen ober zu anhaltenden Geiftesanftrengung, täglich zwei Stunden
niher Bewegung im freier Luft, viel kaltes Baden und ähnliche diäte-
tiche Maßregeln. (PB. I, 343.) Solange man gefund ift, härte man
DE dadurch ab, daß man ben Körper durch auferlegte Anftrengung
m) Beihwerbe gewöhne, wibrigen Einflüffen jeder Art zu wiberftehen.
Eebald Hingegen ein Trankhafter Zuftand ſich kund giebt, ift fogleich
MS entgegengeſetzte Berfahren zu ergreifen und der Franke Leib, ober
Lil defjelber zu fehonen und zu pflegen; denn das Leidende und
Geſchwächte ift Feiner Abhärtung fähig. (P. I, 470.)
Der Muskel wird durch ſtarken Gebraud) geftärkt; der Nerv hin-
gegen dadurch geſchwächt. Alſo übe man feine Muskeln durch jede
mgemeſſene Anftrengung, hüte hingegen bie Nerven vor jeder; aljo bie
Yugen vor zn hellem, befonders reflectirtem Licht, vor jeder Anftrengung
a der Dämmerung, wie auch vor anhaltendem Betrachten zu einer
Srmflände; eben fo die Ohren vor zu ſtarkem Geräufch; vorzüglich
der das Gehien vor gezwungener, zu anhaltender, ober ungeitiger
Änftrengung. (P. I, 470. Vergl. unter Gehirn: Verhaltungsregel
u Berg anf die Anftrengung des Gehirns.)
5) Einfluß der Monate auf die Geſundheit.
Ider Monat des Jahres hat einen eigenthümfichen und unmittels
baren, d. h. vom Wetter unabhängigen, Einfluß auf unfere Gefundheit,
en arperichen Zuftände überhaupt, ja, auch auf die geiftigen.
’ 12.)
288 Gewalt — Gewifien
Gewalt.
1) Die Gewalt als eine der beiden Arten der Ani:
übung des Unrechts.
Die Ausübung des Unrechts gefchieht entweder durch Gewalt, od
durch Lift, welches in Hinficht auf das moralifch Weſentliche einerle
ift. Gewalt ift Zwang des fremden Individuums durch phyfüch
Saufalität, Liſt aber Zwang mittelft der Motivation, d. h. der dure
das Erkennen burchgegangenen Caufalität. (W. I, 398.)
2) Urfprünglie Herrfhaft und Unausrottbarleit de
Gewalt.
Bon Natur, alfo urfprünglich, Herrfcht nit das Recht, fonden
die Gewalt auf Erden, welche vor dem Recht den Vorzug des prim
occupantis bat; weshalb fie fid) nie annulliren und wirklich aus de
Welt fchaffen läßt. (P. II, 265.)
3) Unentbehrlichkeit der Gewalt für die Bermirl:
lihung des Rechts.
Das Recht an fich ſelbſt iſt machtlos; von Natur herrfcht die Cr:
walt. Diefe num zum Rechte hinüber zu ziehn, fo daß mittelt de
Gewalt da8 Recht herrfche, dies ift das Problem der Staatsfunf, —
ein bei bem grenzenlofen Egoismus der Menſchen jchweres Problem. —
Unmittelbar kann immer nur die phyfiiche Gewalt wirken, da vor iht
allein die Menſchen, wie fie in der Regel find, Reſpect haben. Die
Machtloſigkeit blos moralifcher Gewalten, wie Vernunft, Recht, Bilig
eit, witrbe bei Aufgebung alles phufifchen Zwanges fofort augenfälg
werden. Nun ift aber die phyſiſche Gewalt urfpritnglich bei der Doft,
bei welcher Unwiſſenheit, Dummheit und Unrechtlichleit ihr Sejelligeft
feiften. Die Aufgabe der Staatsfunft ift demnach zunächſt, unter I
ſchwierigen Umftänden dennoch die phyſiſche Gewalt der Intelligen;
der geiftigen Weberlegenheit, zu unterwerfen und bienftbar zu madın.
(B. I, 266 fg.) |
4) Warum die Gewalt meiftens in ſchlechten Händen if.
Man kann überall in der Welt und in allen Verhältniffen nur durk
Macht und Gewalt etwas durchſetzen; die Gewalt aber befindet fi
meiftens in ſchlechten Händen, weil überall bie Schlechtigfeit in furcht
barer Majorität if. (5. 456.)
Gewiffen.
1) Öegenftand des Gewiffens. \
Die Vorwürfe des Gewiflens betreffen zwar zunächft und oftenfib!
Das, was wir gethan haben, eigentlich und im Grunde aber Tab
was wir find, als worüber unfere Thaten allein vollgitltiges Zeugs
ablegen, indem fie zu unferm Charakter ſich verhalten, wie die Symptom:
zur Krankheit. Unfer Esse (was wir find), worin allem unjert
Freiheit und Berantwortlichfeit liegt, bildet den eigentlichen Gegeaftan
Gewiſſen 289
unferer Zufriedenheit und Unzufriedenheit mit uns ſelbſt. Die immer
volftändiger werdende Belanntichaft mit uns ſelbſt, das immer
mehr ſich füllende Protokoll ber Thaten ift das Gewiſſen. Das
Thema de8 Gewiffens find zunächſt unfere Handlungen nad) ihrer
ethiſchen Bedeutſamkeit, ihrer Moralität oder Immoralität. Die immer
riher werdende Erinnerung der in diefer Hinficht bedeutfamen Hands
Imgen vollendet mehr und mehr das Bild unfers Charakters, die wahre
Vekanntſchaft mit uns felbft, und aus diefer erwächft Zufriedenheit
oter Unzufriedenheit mit und, mit dem was wir find, je nachdem
Egoismus oder Mitleid vorgewvaltet haben. Auch die Vorwürfe, die
wir Andern machen, oder das Lob, die Hochachtung, die wir ihnen
zen, find nur zunächſt auf die Thaten, eigentlich aber anf den
mperänderlichen Charakter derfelben gerichtet. (E. 256 fg. 95. 177 fg.)
2) Borausfegungen des Gewiſſens.
Tas Gewiſſen fett nicht blos Freiheit des Esse (des Charakters)
woaus, fondern auch Unveränderlichleit deffelben. Auf ber
Imeränberlichfeit des Charakters beruht die Möglichkeit des Gewiſſens,
ſeſern diefes oft nod) im fpäten Alter die Unthaten der Jugend uns
verhält, wie 3. B. dem 9. 9. Rouſſeau, nad) 40 Jahren, daß er die
Ragd Marion eines Diebftahls beſchuldigt hatte, den er felbft begangen.
Dies ft nur unter ber Vorausfegung möglich, daß der Charakter un-
verändert der felbe geblieben. (E. 51.) Nur weil der Wille nicht
der Zeit unterworfen ift, find die Wunden des Gewiſſens unheilbar,
werden nicht, wie andere Leiden, allmälig verjchmerzt; fondern die böfe
That drüdt das Gewiffen nach vielen Fahren mit eben ber Stärke,
als da fie frifch war. (H. 398.) Das Vergangene wäre gleichgültig,
als bloße Erſcheinung, und könnte nicht das Gewiſſen beängftigen,
fühlte fi nicht der Charakter frei von aller Zeit und durch fie
uveränderlich, fo lange er nicht fich jelbft verneint. (W.I, 433. 357.)
Durh Vernunft ift das Gewiſſen blos deshalb bedingt, weil nur
vermöge ihrer eine deutliche und zufammenhängende Rülckerinnerung
möglich if. (E. 257.)
3) Warum nur Thaten, nit Wünfhe und Gedanken
das Gewiſſen beſchweren.
Allein der Entſchluß, nicht aber der bloße Wunſch iſt eigent⸗
lches Zeugniß des Charakters. Der Entſchluß aber wird allein
bach die That gewiß. Der Wunſch ift blos nothwendige Folge bes
ggenwärtigen Eindrucks und ift daher fo unmittelbar nothwendig und
ohne Überlegung, wie das Thum der Thiere, drückt daher auch, mie
Nie, blos den Gattungscharakter, nicht den individuellen
aus. Bergl. Entſchluß.) Daher befchweren, bei gefunden Gemüthe,
zur Daten das Gepiſſen, nicht Wilnfche und Gedanken. Denn nur
uiere Thaten halten uns den Spiegel unſers Willend vor. ‘Die
Vilig mmüberlegt und im blinden Affect begangene That ift gewiſſer⸗
waren ein Mittelding zwifchen bloßen Wunſch und Entfchluß; daher
Iam fie durch wahre Rene, die ſich aber auch als That zeigt, aus
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290 Gewiſſen
gelbſcht werden aus dem Bilde unſers Willens, welches unfer Lebenslar
if. (W. I, 354. €. 169 fg.)
4) Warum das Gewiffen erft nach der That ſpricht.
Da das Gewiffen die nähere und immer intimer werdende Belannt
ſchaft mit der moralifchen Beſchaffenheit unſers Willens ift, wir diei
Beichaffenheit aber erft aus unferen Handlungen empirifc fee
lernen, fo liegt e8 in der Natur der Sache, daß das Gewiſſen dire
erft hinterher (nach der Handlung) fpricht, weshalb es aud da
rihtende Gewiſſen heißt. Vorher fprechen Tann es nur imdirec
indem bie Reflerion aus der Erinnerung ähnlicher Fälle auf die kin]
tige Mißbilligung einer erſt projectirten That fchließt. (E. 95. 257.
Hierauf ſcheint fogar die Etymologie des Wortes Gewiſſen zu bt
ruben, indem uur das bereitd Gefchehene gewiß if. (E. 169 fg.)
5) Urfprung der Gewifjenspein und ihres Gegentheild
Der Bosheit iſt eine befondere Pein beigefellt, welche bei je
böfen Handlung fühlbar wird und, nad) der Länge ihrer Tour,
Gewiſſensbiß, oder Gewiſſensangſt heißt. Dieſe Pein entjprizg
and einer zwiefachen Erkenntniß. Es regt fich nämlich troß der De
fangenheit des Böſen im principio individuationis, d. h. trogbem a
feine Berfon von jeder andern als abfolut verjchieden und durd ei
weite Kluft getrennt anfieht, doch im Innerften feines Bewußtſeins die
geheime Ahndung, daß, fo fehr auch Zeit und Raum ihm dom andere
Individuen und deren Qualen, bie fie Leiden, ja duch ihm laden,
trennen, dennoch diefe Ordnung ber Dinge nur Erſcheinung &
am fich Hingegen der Quäler mit dem Gegnälten identiſch if, da
der eine Wille zum Leben ift, der in Allen erfcheint und der hier nm,
ſich feloft verkennend, feine Waffen gegen fich felbft wendet und inden
er in einer feiner Erfcheinungen gefteigertes Wohlſein fucht, eben badurd
in der andern Qual leiden muß.
Außerdem entfpringt die Gewiffenspein noch aus einer zweiten, mil
jener erften genau verbundenen, unmittelbaren Erkenntniß, nämlid; da
der Stärke, mit welcher im böfen Individuo der Wille zum Leben ih
bejaht, welche weit über feine individuelle Erfcheinung Hinausgeht, Di
zur gänzlichen Verneinung bes felben, im fremben Indivibuo erſcheinerde
Willen. Das innere Entfeßen folglich des Böſewichts über Te
eigene That enthält neben jener Ahndung der bloßen Scheinbarkeit de
zwifchen ihm und Andern gefegten Unterjchiedes zugleich auch die m
kenntniß der Heftigleit feines eigenen Willens. Er erkennt ſich al
concentrirte Erfcheinung des Willens zum Leben, fühlt bis zu melde
Grade er dem Willen zum Leben und bamit auch den bem Let
wefentlichen zahliofen Leiden anheimgefallen ift. — Alfo neben der HR
gefühlten Erkenntniß der Scheinbarkeit und Nichligfeit der bie ud
duen abjondernden Formen der Borftelung (Raum und Zeit), it d
die Selbfterfenntnig des eigenen Willens und feines Grades, welche da
Gewiſſen den Stachel giebt. (W.I, 431434. M. 733. 9. 40
Gewiſſen 201
Das Gegentheil der Gewiſſenspein iſt das gute Gewiſſen, die
Befriedigung, welche wir nach jeder guten That verſpüren. Sie
entſpringt daraus, daß ſolche That, wie hervorgegangen aus dem
Biedererfennen unfers eigenen Weſens an ſich auch in ber fremden
Erſcheinung, fo uns aud) wiederum die Beglaubigung diefer Erfenntniß
giebt, und dadurch fi) das Herz erweitert fühlt, wie durch den Egois-
und zufammengezogen. Der Egoift fühlt fi) von fremden unb
feindlichen Erjcheinungen umgeben, und alle feine Hoffnung ruht auf
dm eigenen Wohl. Der Gute lebt in einer Welt befreundeter Er-
(heinungen; das Wohl einer jeben derfelben ift fein eigenes. “Daher
die Gleichmäßigkeit und Heiterkeit der Stinfnung des Guten. Denn
ker über unzählige Erfcheinungen verbreitete Antheil kann nicht fo bes
ängfligen, wie der auf eine concentrirte. (W. I, 441 fg.)
6) Das unähte Gewiſſen.
58 giebt ein unächtes Gewiſſen (conscientia spuria), da® oft mit
ken natürlichen Gewiſſen verwechfelt wird. Die Reue und Beängftigung,
nelhe Mancher über eine Thaten empfindet, ift oft im Grunde
nichts Anderes, als die Furcht vor Dem, was ihm gefchehen Kann.
Tie Verlegung äußerlicher, mwillfürlicher und fogar abgefchmadter
Eagungen quält Manchen mit innern Vorwürfen, ganz nad) Art bes
Gewiſſens. Mancher würde ſich wundern, wenn er fähe, woraus fein
Gewiſſen, das ihm ganz ſtattlich vorkommt, eigentlich zuſammengeſetzt
if, etwa aus Y, Menihenfurdt, %, Deifivämonie, Y, Borurtheil,
. Eitelkeit und 4/, Gewohnheit. — Religiöfe Leute, jedes Glaubens,
berftehen unter Gewiſſen fehr oft nichts Anderes, als die Dogmen
md Vorſchriften ihrer Religion und die in Beziehung auf diefe vor-
genommene Selbftprüfung. — Wie wenig der Begriff des Gewiſſens,
ga andern Begriffen, durch fein Object felbft feftgeftellt ift, wie
verſchieden er von Verfchiedenen gefaßt worden, wie ſchwankend und
anfiher er bei den Schriftftellern erfcheint, Tann man ans Stäudlins
„Geſchichte der Lehre vom Gewiſſen“ erſehen. (E. 192 fg.)
7) Das intellectuelle Gewiſſen.
Es giebt eine intellectuelle Schlechtigkeit, wie eine moraliſche,
ſotglich auch ein intellectuelles Gewiſſen, vermöge deſſen jeder
Sophiſt und Afterweiſe weiß, daß er ein folder iſt. (H. 399.)
8) Kritil der juridifhedramatifhen Form des Ge—
wiffens bei Kant.
Die ganze juridifch-dramatifche Form, in der Kant das Gewiffen
eilt (als einen vollftändigen Gerichtshof im Innern des Gemüthes
m Proceh, Richter, Ankläger, Vertheidiger, Urtheilsfpruch), ift dem
Oenifien völlig unweſentlich und Teineswegs eigenthümlich. Vielmehr
iſt fie eine viel allgemeinere Form, weldye die Ueberlegung jeder praf«
tichen Angelegenheit leicht annimmt und bie hauptſachlich entipringt
nd dem dabei meiſtens eintretenden Conflict entgegengejegter Motive,
ern Gewicht die Vernunft fucceffive prüft; wobei es gleichviel ift,
19*
292 Gewißheit
ob dieſe Motive moraliſcher, oder egoiſtiſcher Art find, und ob es eire
Deliberation des noch zu Thuenden, ober eine Rumination des ſchor
Vollzogenen betrifft. (E. 170 - 174.)
Gewißheit.
1) Unterſchied zwiſchen Gewißheit und Wiſſenſſchaft—
lichkeit der Erkenntniß.
Gewißheit kann die abgeriſſenſte einzelne Erkenntniß eben jo ſch
haben, als die wiſſenſchaftliche. Der Zweck der Wiſſenſchaft iſt nich
größere Gewißheit, ſondern Erleichterung des Wiſſens durch die Tor
deffelben und dadurch gegebene Möglichkeit der Vollſtändigkeit de
Wiſſens. Es ift deshalb eine zwar gangbare, aber verkehrte Me:
nung, daß Wiflenfchaftlichkeit der Erkenntniß in der größern Gewißhei
beftehe, und ebenſo falſch ift die hieraus hervorgegangene Behauptung
dag nur Mathematit und Logik Wiflenfchaften im eigentlichen Sim
wären, weil nım in ihnen, wegen ihrer gänzlichen Apriorität, umm
ftößliche Gewißheit der Erfenntniß if. Diefer letztere Vorzug felbf
ift ihmen nicht abzuftreiten; nur giebt er ihnen keinen befondern An
ſpruch auf Wiſſenſchaftlichkeit, als welche nit in der Sicherheit,
fondern in der durch das ſtufenweiſe Herabfteigen vom Allgemeinen
zum Befonderen begründeten fyftematifhen Form der Erkeuntniß
liegt. (W. I, 76.) |
2) Borzug der unmittelbaren (anfhanlichen) vor der
mittelbaren (erfchloffenen) Gewißheit.
Die wiflenfchaftliche Form bringt es mit ſich, daß die Wahrkel
vieler Süße nur Logifch begründet wird, nämlich durch ihre Ab—
hängigfeit von andern Sägen, alfo dur Schlüffe, die zugleid ol
Beweiſe auftreten. Man fol aber nie vergefien, daß dieſe gan!
Form mr ein Erleichterungsmittel der Erkenntniß iſt, nicht aber au
Mittel zu größerer Gewißheit. &8 ift leichter, bie Befchaffenheit eek,
Thieres aus der Species, zu der e8 gehört, "und fo aufwärts aus dm
genus, ber Familie, der Ordnung, der Claſſe zu erkennen, als det
jedesmal gegebene Thier für ſich zu unterfuchen; aber die Wahrhei
aller durch Schlüfje abgeleiteten Sätze ift immer nur bebingt und ji
fett abhängig von einer, bie nicht auf Schlüffen, fondern auf Ar
ſchauung beruht. Füge diefe letztere uns immer fo nahe, wie Di
Ableitung duch einen Schluß, fo wäre fie durchaus vorzuziehen.
Denn alle Ableitung aus Begriffen ift, wegen des mannigfaltigen
Smeinanbergreifens der Sphären und ber oft ſchwankenden Beftimmung
ihres Inhalts, vielen Täuſchungen ausgeſetzt. — Schlüffe find zw
der Form nad völlig gewiß; allein fie find fehr unſicher durch ir
Materie, bie Begriffe. Ueberall folglich ift unmittelbare Evidenz der
bewieſenen Wahrheit weit vorzuziehen, und biefe nur da anzunehmen,
wo jene zu weit herzuholen wäre, nicht aber, wo fie ebenfo nahe oT
gar näher Liegt, als diefe. (MW. I, 81 fg. Vergl. auch Beweis um
Eviden;.)
Gewohnheit — Glaube. Glaubenslehre 293
Gewohnheit.
1) Berwandtſchaft der Gewohnheit mit der Trägheit.
Die Macht der Gewohnheit beruht auf der Trägheit, und dies
iſt im eigentlichern Sinne zu verſtehen, als es ſcheint. Was nämlich
für die durch mechanische Urfachen bewegten Körper die Kraft der
Trägheit ıft, eben Dies ift für bie durch Motive bewegten Körper
te Macht der Gewohnheit. Die aus Gewohnheit gefchehenden
Handlungen gefchehen ohne individuelles, einzelnes, eigens für diefen
Fall wirfendes Motiv. Blos die erften Sremplare jeder zur Gewohn⸗
keit gewordenen Handlung haben ein Motiv gehabt, deſſen Nachwirkung
die jetzige Gewohnheit ift, gerade fo wie ein durch Stoß bewegter
Körper keines neuen Stoßes mehr bedarf, um feine Bewegung fort-
wiegen. Diefe Berwandtfchaft der Gewohnheit mit ber Trägheit ift
kan bloßes Gleichniß, fondern es ift Identität der Sache, nämlich des
Villens auf weit verjchiedenen Stufen feiner Objectivation, welchen
A fid) da8 felbe Bewegungsgeſetz fo verjchieden geftaltet. (PB. IL,
19 fg.)
2) Unterfchieb zwifchen ben gewohnheitsmäßigen und
den aus der Conftanz des Charakters hervorgehen»
den Handlungen.
Gar Manches, was der Macht der Gewohnheit zugefchrieben
wird, beruht vielmehr auf der Konftanz und linveränderlichleit bes
angeborenen Charakters, in Folge welder wir unter gleichen
Umftänden ftets das Selbe thun, welches daher mit gleicher Noth⸗
wendigleit das erfte, wie das hunbertfte Dal gefhah. (PB. II, 619.)
Elaube. Glaubenslehre.
1) Radicale Verſchiedenheit zwifhen Glauben und
Wiſſen.
Die Wiſſenſchaft hat es mit dem zu thun, was man wiffen kann;
ver Glaube Hingegen lehrt, was man nicht wiflen kann. Denn könnte
man es wiſſen, fo würde der Glaube als unnüt und lächerlich da-
feben, etwa wie wenn Hinfichtlich der Mathematik eine Glaubenslehre
aufgeftellt würde. Der Glaube Könnte num immerhin mehr lehren,
ds die Wiffenfchaft, ohne mit diefer in Conflict zu kommen, jedoch
schtE mit den Ergebnifien diefer Unvereinbares, weil nämlich das
Viſſen ans einem härtern Stoff ift, als der Glaube, fo daß, wenn fie
gegen einander ftoßen, diefer bricht. ebenfalls find beide vom Grund
aud verihiedene Dinge, die, zu ihrem beiderfeitigen Wohl, ftreng ge-
ſchieden bleiben müffen. (P. II, 386 fg.) Glauben und Wiffen ver-
tragen fi nicht wohl im felben Kopfe; fie find darin, wie Wolf und
Shaaf in Einem Käfig; und zwar ift das Wiffen der Wolf, ber ben
Rachbar aufzufrefien droht. (PB. II, 419.)
294 Glaube. Glaubenslehre
2) Abnahme des Glaubens mit der Zunahme de
Cultur.
Es giebt einen Siedepunkt auf der Scala der Cultur, wo ale
Glaube, alle Offenbarung, alle Auctoritäten fich verflichtigen, der
Menfc nad) eigener Einficht verlangt, belehrt, aber auch überzeugt
fein will. Dann wirb e8 Eruft mit dem Verlangen nach Philofophie;
denn das metaphufifche Bedürfniß ift fo unvertilgbar, als irgend ein
phyſiſches. Mit ber Unfähigkeit zum Glauben wähft das Bedikfnif
der Erkenntniß. (©. 122.)
Es ift augenfcheinlich, daß nachgerade die Bölfer fchon damit um:
geben, das „och bes Glaubens abzufchütteln; die Symptome davon
zeigen fich überall, wietwohl in jedem Lande anders modificirt. Die
Urfache ift das zu viele Wiffen, welches unter fie gekommen iſt. Tie
fi täglich vermehrenden und nad) allen Richtungen fich immer weiter
verbreitenden Kenntniſſe jeder Art erweitern ben Horizont eines ‚chen,
fo daß der Miythenglaube ſchwinden muß. Die Menfchheit wäh die
Religion aus, wie ein Kinderkleid. (PB. I, 419.)
3) Unerzwingbarleit bes Glaubens.
Der Glaube ift wie die Liebe; er läßt ſich nicht erzwingen. Daher
ift e8 ein mißliches Unternehmen, ihn durch Staatsmaßregeln einführen
oder befeftigen zu wollen. Denn wie der Verſuch, Liebe zu erzwingen,
Haß erzeugt; fo der, Glauben zu erzwingen, erft redht Unglauben
Nur ganz mittelbar und folglich durch lange zum Boraus getroffen
Anftalten, kann man den Glauben befördern, indem man nämlich ihn
ein gute® Erdreich, darauf er gedeiht, vorbereitet; ein ſolches ift die
Unwiſſenheit. (P. II, 420.) |
4) garbtige Wirkung früh eingeprägter Glaubens
ehren.
Zum Olauben ift die Fähigkeit am ſtärkſten in der Kindheit. Dh
Bemächtigung daher biefes zarten Alters viel mehr noch, als durch
Drohungen und Berichte von Wundern, fchlagen die Glaubenslehren
Wurzel. Wenn nämlich dem Menfchen in frither Kindheit gewifl
Grundanſichten und Lehren mit ungewohnter Feierlichkeit und mit br
Miene des höchſten, bis dahin von ihm noch mie gefehenen Craftes
wiederholt vorgetragen werben, dabei die Möglichkeit eines Zweiftls
daran ganz übergangen, oder darauf als auf einen Schritt zum ewigen
Berderben hingedeutet wird; da wird im der Regel der Menſch beinak
jo unfähig fein, an jenen Lehren, wie an feiner Eriftenz, zu zweifeln;
weshalb dann unter vielen Zaufenden kaum Einer die Stärke dei
Geiftes haben wird, nach der Wahrheit der überlieferten Glaubensicht
zu fragen. Paſſender, ald man dachte, hat man daher Die, welde ei
dennoch vermögen, ſtarke Geifter, esprits forts, benannt. Für de
Uebrigen aber giebt es nichts fo Abfurdes, ober Empörendes, dab
nicht, wenn auf jenem Wege eingeimpft, der feflefte Glaube daran m
ihnen Wurzel ſchlüge. (P. II, 349 fg.) |
Gleichheit 295
5) Zweck aller Glaubenslehren.
Der großen Menge, welche die Wahrheit rein und an ſich zu faſſen
nicht fähig iſt, ein Surrogat derfelben in Form des Mythos zu geben,
welches als Regulativ fiir das Handeln hinreichend ift, indem es bie
ehiiche Bedeutung befielben, in der dieſer jelbft ewig fremden Erfennt-
upweife gemäß dem Gate vom Grunde, doch durd) bildliche Dar⸗
fellung faßlich macht, — ift der Zweck aller Glaubenslehren, indem fie
jämmtlich mythiſche Einkleidungen ber dem rohen Menjchenfinn unzu⸗
sönglichen Wahrheit find. (W. I, 420.)
6) Was jeder Slaubenslehre ihre große Kraft giebt.
Was jeder pofitiven Glaubenslehre ihre große Kraft giebt, der An⸗
haltepunkt, durch welchen fie die Gemüther feſt in Beſitz nimmt, ift
vurhaus ihre ethifche Seite, wiewohl nicht unmittelbar als folche,
feondern indem fie mit bem übrigen, ber jedeömaligen Glaubenslehre
egentHümlichen mythifchen Dogma feft verfniipft und verwebt, als allein
ter daffelbe ertlärbar erfcheint, fo daß bie Gläubigen die ethifche
Oedentung bes Handelns und ihren Mythos für ganz unzertrennlich,
ja ichlechthin Eins halten und nun jeden Angriff auf den Mythos für
einen Angriff auf Recht und Tugend halten. (W. I, 427, Anmerf.)
Gleichheit.
1) Gleichheit des Erkennenden und Erkannten.
Inſofern als das Bedürfniß der Erkenntniß überhaupt aus der
Vielheit und Verſchiedenheit der Weſen entſpringt, wäre es richtiger zu
ſagen: „nur das Verſchiedene wird vom Verſchiedenen erkannt“, als,
wie Empedokles ſagte, „nur das Gleiche vom Gleichen“, welches
ein gar ſchwankender und vieldeutiger Satz war; obgleich ſich auch
Gefichtspunkte faſſen laffen, von welchen aus ex wahr iſt, wie z. B.
ber des Helvetius, wenn er ſagt: I n’y a que l'esprit qui sente
lesprit; c'est une corde qui ne frömit qu'à l’unisson, welches zu»
lonmentrifft mit dem Xenophanifchen copov elvar dsı Tov Ertyvwso-
kövov Tov Gopov (Sapientem esse oportet eum, qui sapientem
agniturus sit.) (W. II, 310.)
2) Gleichheit der Rechte.
Obgleih die Kräfte der Menfchen ungleich find, fo find doch ihre
Rechte gleich; weil diefe nicht auf den Kräften beruhen, fonbern, wegen
der moralifchen Natur des Rechts, darauf, daß in Jedem der felbe
Wille zum Leben, auf ber gleichen Stufe feiner Objectivation, ſich
vorkelt. Dies gilt jedoch nur vom urfprünglichen und abftracten
Recht, welches der Menfch als Menſch hat. Das Eigenthum, wie
euch die Ehre, welche Jeder mittelft feiner Kräfte fich erwirbt, richtet
N nach dem Maaße und der Art diefer Kräfte und giebt dann feinem
Rechte eine weitere Sphäre; hier hört alfo die Gleichheit auf. Der
herin beſſer Ausgeftattete, ober Thätigere, erweitert, durch größern
296 Gleichmuth — Gfüd
Erwerb, nicht fein Hecht, fondern nur die Zahl der Dinge, auf die
es fich erſtreckt. (P. II, 257.)
Sleichmuth, ſ. Stoicismuß.
Gleichniß.
1) Werth der Gleichniſſe für die Erkenntniß.
Gleichniſſe find von großem Werthe, ſofern fie ein unbekanntes
Verhältniß auf ein befanntes zurückführen. Sogar beruht alle Be—
griffebildung im Grunde auf Gleichniſſen, fofern fie aus dem Auffaſſer
des Aehnlihen und Wallenlafien des Unähnlichen in den Dingen rm
wählt. Ferner befteht jedes eigentliche Verſtehen zulett im einem
Auffafien von Berhältniffen; man wirb aber jedes Verhältniß um jo
deutlicher und tiefer auffaffen, ald man e8 in weit don einander ber
fchiedenen Fällen als daſſelbe wiedererkennt, alfo feine blos inbividucke,
anfhauliche Erkenutniß, fondern einen Begriff don der ganzen Art
defjelben hat. (P. UI, 580 fg.)
2) Wirkung der Öleihniffe in den redenden Künften
(S. unter Allegorie: Zuläſſigkeit der Wllegorie in de
Poefie.)
3) Sleichniffe als ein Zeihen von Berftand.
Weil Gleichniſſe ein fo mächtiger Hebel für die Erkenntniß find,
zeugt das Aufftellen überrafchender und daber treffender Gleichniſſe von
einem tiefen Berftande, wie fchon Ariftotele® erkannt hat. (PB. II, 581.
Glück.
1) Glück im Sinne von Befriedigung.
Alle Befriedigung, oder was man gemeinhin Glück nennt, if
wejentlich immer nur negativ. (W. II, 376. Bergl. Befriedigung.
Das einzige reine Glück, welchem weber Leiden, noch Bebürfnit
vorhergeht, noch auch Rene, Leiden, Leere, Ueberdruß nothwendig
folgt, ift da8 reine willensfreie Erkennen (die äſthetiſche Cor
templation); nur kann dieſes Glück nicht das ganze Leben füllen,
fondern blos Augenblide deijelben. (W. I, 378.)
2) Glück im Sinne von fortuna.
Bon den drei Weltmächten Klugheit, Stärke, Glüd verma
die zulegt genannte am meiften. Denn unfer Lebensweg ift dem
Lauf eines Schiffes zu vergleichen. Das Scidfal, die ruyn, die
secunda aut adversa fortuna, fpielt die Rolle des Windes, indem
fie und fchnell weit fördert, oder weit zurüdwirft; wogegen unle
eigenes Mühen und Treiben, welches dabei die Rolle der Kur
fpielt, nur wenig vermag. Diefe Macht des Glückes drüdt def
fpanifche Sprüchwort: „Gieb deinem Sohne Glück und wirf ihn m
Meer” treffend aus. (P. I, 497 fg.)
Glückſäligkeit 297
Glũd ſãligkeit.
1) Die Glückſäligkeit vom Standpunkt der höhern,
über die Erſcheinung ſich erhebenden Erkenntniß
angeſehen.
Alles zeitliche Glück ſteht auf untergrabenem Boden. Glück und
Kingheit ſchützen zwar die Perſon vor Unfällen und verfchaffen ihr
Genũſſe; aber die Perfon ift bloße Erfcheinung und ihre Verſchiedenheit
von andern Individuen und das Freiſein von den Leiden diefer beruht
a der Form der Erfcheinung, dem principio individuationis. Dem
wahren Weſen der Dinge nad) hat Jeder, fo Iange er das Leben be-
ht, alle Feiden der Welt als die feinigen zu betrachten. Für bie
kö prineipium individuationis durchſchauende Erkenntniß ift ein
güdliche® Leben in der Zeit, mitten unter den Leiden unzähliger
Arderen, — doch nur der Traum eines Bettlers, in welchem er ein
Sinig ift, aber aus dem er erwachen muß, um zu erfahren, daß nur
ie flüchtige Täuſchung ihn von dem Leiden feines Lebens getrennt
ke. (W. I, 417fg.)
2) Unmöglichkeit der Glückſäligkeit in einem Dafein,
wie das unfrige.
In einem Dafein, wie das unfrige, welches wefentlich die beftändige
dewegung zur Form hat, defien Typus alfo Unruhe ift, und in
ewer Welt, mie die unfrige, wo keine Stabilität irgend einer Art
möglich, ſondern Alles in vaftlofem Wirbel und MWechfel begriffen ift,
it Glüdfäligkeit fid) nicht einmal denken. Sie kann nicht wohnen,
wo Plato's „beftändiges Werden und nie Sein“ allein Statt findet.
deiner iſt glücklich, fondern Jeder ftrebt nur fein Leben Lang nad)
anm vermeintlichen Glück. (PB. II, 304 fg.) Friede, Ruhe und
Glidjähigeit wohnt allein da, wo es fein Wo und fein Wann giebt.
$.0, 47, Anmerf.)
Mes im Leben giebt Fund, daß das irdifche Glück beftimmt ift,
vtelt oder als eine Illuſion erkannt zu werden. Hiezu liegen tief
m Weſen der Dinge die Anlagen. Demgemäß füllt das Leben der
miſten Menfchen trübfälig und kurz aus. Die comparativ Glücklichen
And es meiftens nur ſcheinbar, oder aber fie find, wie die Lange
lbenden, feltene Ausnahmen. Das Leben ftellt fi) dar als ein fort-
Fehler Betrug, im Kleinen, wie im Großen. Das Leben mit feinen
fündlichen, täglichen, wöchentlichen und jährlichen, kleinen, größern und
open Widerwärtigkeiten, mit feinen getäufchten Hoffnungen und feinen
ale erehnung vereitelnden Unfällen trägt fo deutlich das Gepräge
von eimas, das ums verleidet werben fol, daß es ſchwer zu begreifen
", Be man dies hat verfennen können und fih überreden laſſen, es
ſi da, am dankbar genofjen zu werden, und der Menfch, um glücklich
"kin (W. II, 655 ff. Vergl. auch Befriedigung.)
Jitt nur, daß fein reines Glüd, fein Zuftand wirklicher und
der Befriedigung anzutreffen ift, vielmehr felbiges bloß als ein
298 Gluckſaligkeitslehre
ung vorſchwebendes und leitendes Ideal, oder eigentlich eine Chimin
von der Erfahrung bekundet wird; — jondern es kann und darf eu
ſolches nicht möglich fein; denn e8 wäre eine vollftändige Rechtfertigung
des Willens zum Leben, diefer behielte echt, und das Aufgebe
deffelben wäre Thorheit. (9. 422.)
3) Glückſäligkeit und Tugend.
Die ethifchen Syfteme, ſowohl philofophifche, als auf Glaubenslehre
geftüste, fuchen die Glüdfäligfeit mit der Tugend irgendwie in Be:
bindung zu feten, die erftern entweder durch den Sat des Widerfprudt,
oder auch durch den des rundes, Glüdfäligkeit alſo entweder zum
Sdentifchen, oder zur Folge der Tugend zu machen, immer fophifig;
die letttern aber dur) Behauptung anderer Welten, als die der Er
fahrung möglicherweife befannte.e Dem gegenüber fteht die wahr
Betradhtung, fiir die das innere Wefen der Tugend fich ergiebt all
ein Streben in ganz entgegengefegter Richtung, als das nad Glik
jäligfeit, d. i. Wohljein und Leben. (W. I, 427.) |
Die Alten, namentlich) die Stoiker, auch die Peripatetifer und Ur
bemifer, bemühten fich vergeblich, zu bemweien, daß die Tugend hiureich,
das Leben glücklich zu machen; die Erfahrung fchrie Laut dagegen
Mas dem Bemühen jener Philofophen, wenngleic) ihnen nicht deutlid
bewußt, eigentlich zum Grunde lag, war bie vorausgefegte Gereh:
tigkeit der Sache: wer ſchuldlos war, follte auch frei von Lee,
aljo glüclich fein. Aber nach der chriftlichen Lehre rechtfertigen de
Werke nicht; demnach ein Menſch, wenn er auch alle Gerechtigteit un
Menjchenliebe, mithin da8 a«yaSov, honestum ausgeübt hat, denne
nicht ſchuldlos ift, fondern (nad) Calderons Spruch) des Menjha
größte Schuld bleibt, daß er geboren ward. In Folge diefer Schuh
bleibt der Menfch mit Necht, auch wenn er alle jene Tugenden geübt
hat, den phyſiſchen und geiftigen Leiden preisgegeben, ift aljo md!
glücklich. (W. II, 690fg. Vergl. unter Gerechtigkeit: die emigt
Oeredtigfeit.)
Glürkfäligkeitslehre.
1) Boransfegung ber Glücſäligkeitslehre.
Die Glüdfäligkeitslehre (Eudämonologie) ift die Anleitung oder An
weifung zu einem möglichft angenehmen und glücklichen Leben. Ei:
fett folglich voraus, daß das Dafein dem Nichtfein entfchieden vor
zuziehen, und daß wir dafind, um glücklich zu fein. Sie beruht alio
auf einer optimiftifchen Vorausfegung, die verglichen mit der ganze
Befchaffenheit, dem wefentlichen Charakter des Lebens, und angeſehen
vom höhern metaphufifch » ethifchen Standpunkte aus, ſich als Irrtum
erweiſt. (P. I, 331. W. II, 726 ff.) |
2) Werth der Slüdfäligkeitslehre.
Bom peffimiftifchen Standpunft aus, welcher die Vorausſetzung Kt
Endämonologie ald einen Irrthum verwirft, kann die Aufſtellung
Gnade 299
einer ſolchen nur auf einer Accomodation an den gewöhnlichen Stand⸗
penft berufen. Demnach kann auch ihr Werth nur ein bedingter
kin, da felbſt das Wort Eudämonologie nur ein Euphemismus iſt.
P.1, 331.) |
3) Inhalt der Glückäligkeitslehre.
Da der Unterfchied im Loofe der Sterblihen auf folgenden brei
Grundbeſtimmungen beruht:
1) Was Einer ift: die phyſiſche, intellectuelle und moraliſche
Leihaffenheit der Perſon.
2) Mas Einer hat: Eigenthum und Befit.
3) Was Einer vorftellt: Ehre, Rang und Ruhm —
fo betrachtet die (Schopenhauerfche) Eubänonologie den Einfluß biefer
kbmögüter auf das Lebensglück und vergleicht fie in diefer Hinſicht mit
cinander. Das Ergebniß diefer Betrachtung und Vergleihung ift, daß der
Gaflug defien, was Einer ift oder an ſich felber hat, alfo der Einfluß
da eigenen Perſönlichkeit auf das Lebensglüd viel wefentlicher und
Iechgreifender ift, als der Einfluß deflen, was Einer hat und was
Ener vorftellt. Die Eudämonologie verfennt zwar nicht den Werth
Beier beiden letzten Arten von Lebensgütern fiir das Lebensglüd, be»
ſimmt ihm jedoch nur als einen relativen. (P. I, 333—429.)
Auer der Betrachtung und Vergleichung des Einfluffes der drei
Sanptarten dom Lebensgütern auf das Lebensglitd enthält die (Schopen-
hanerſche) Eubämonologie noch „Paräneſen und Marimen‘, Anfichten
mb Rathichläge, betreffend das glücliche Leben, welche zerfallen in a) all-
gemeine, b) im folche, welche unfer Verhalten gegen uns felbft, c) folche,
welche unfer Verhalten gegen Andere, A) folche, welche unfer Verhalten
gegen den Weltlauf und das Schidfal betreffen. (P. I, 431—507.)
Ende.
1) Gegenſatz zwifhen Natur und Gnade.
Rotgwendigfeit ift das Reich der Natur, Freiheit ift das
Keih der Gnade. Natur ift die Bejahung des Willens zum
Leben Gnade die Verneinung des Willens, die Erlöſung. (W. I,
118g. 483. Vergl. auch) unter Chriſtenthum: Kern der hriftlichen
Glanbenslehre.)
2) Önadenwirfung.
Beil die Selbſtaufhebung des Willens von der Erkenntniß ausgeht,
de Ekenntniß und Einſicht aber als folhe von der Willkür unab-
hängig if; fo iſt auch die Verneinung des Willens, der Eintritt in
de Freiheit, nicht durch Vorſatz zu erzwingen, ſondern geht aus dem
merflen Berhältniß des Erkennens zum Wollen im Menfchen hervor,
{ommt daher. plöglich und wie von Außen angeflogen. Daher eben
amute die Kirche fie Gnadenwirkung. Und weil in Folge folder
denwirkung das ganze Wefen bes Menſchen von Grund aus geändert
m) umgekehrt wird, fo daß er nichts mehr will von Allem, was er
300 Gnadenwahl — Gott. Gottesglaube. Gottesbewußtſein
bisher fo heftig wollte, alſo wirklich gleichſam ein neuer Menſch
die Stelle des alten tritt, nannte ſie dieſe Folge der Gnadenwi
die Wiedergeburt. (W. 1, 478 fg. Vergl. unter Charakter:
hebung des Charakters.) Die günzliche Sinnesänderung des Menſch
(Wiedergeburt) iſt nicht die Wirkung abſtracter Erkenntniß (Ethi
ſondern intuitiver Erkenntniß (Gnadenwirkung). (W. J, 625.)
Gnadenwahl.
1) Wahrheit der Lehre von der Gnadenwahl.
Der riftlichen LFehre von der Gnadenwahl gab die Einfiht N
Urfprung, daß der Hauptſache und dem Innern nad) die Tugend
wiffermaßen, wie der Genius, angeboren ift, und daß fo wenig
abftracte Aeſthetik Einem die Fähigkeit genialer Production beibrin
fann, eben fo wenig abftracte Ethik einen uneblen Charakter zu cin
tugenbhaften, edeln umzuſchaffen vermag. (W.I, 624 fg. P. I, 24
Das Dogma von der Prädeftination in Folge der Gnadenwahl
Ungnabenwahl (Röm. 9, 11— 24) ift offenbar aus der Einfidt
fprungen, daß der Menfch fih nicht ändert, fondern fein Leben
Wandel, d. ti. fein empirischer Charakter, nur die Entfaltung des i
telligibeln ift, die Entwidlung entfchiedener, fehon im Kinde erfenn
unveränderlicher Anlagen, daher gleichfam ſchon bei feiner Geburt le
Mandel feft beftinnmt ift und ſich bis ans Ende im MWefentlichen gi
bleibt. (W. I, 346.)
2) Die Conſequenzen aus der Verbindung dieſe
Einfiht mit jüdifhen Dogmen.
Die Confequenzen, welche aus der Bereinigung diefer ganz richti
Einfiht mit den in ber jüdifchen Glaubenslehre vorgefundenen Dogme
herborgiengen und num die allergrößte Schwierigkeit, den ewig ımanl
(d8lichen gordifchen Knoten gaben, um welchen ſich die allermeif
Streitigkeiten der Kirche drehen, kann die Philofophie nicht übernehm
und vertreten. (W. I, 346.) |
Ivadı Gœurov, |. Selbfterfenntniß.
Sothifche Baukunſt, |. Arditectur.
&ott. Gottesglaube. Gottesbewußtfein.
1) Urfprung des Wortes „Gott“.
Aus Ormuzd ift Jehova (fo wie aus Ahriman Satan) geworden.
Ormuzd felbft aber ſtammt aus dem Brahmanismus; er ift mämlıd
fein anderer, als Indra, jener untergeordnete, oft mit Menſhhen
rivalifirende Gott bed Firmamentd und der Atmofphäre. Tim
Indra: Ormuzd-Ichova mußte nachmals in das Chriftentfum, dat
in Judäa entftand, übergehen, deffen kosmopolitiſchem Charalter zufolt
er jedoch feine Eigennamen ablegte, um in der Lanbesiprade jeet
befehrten Nation durch das Wppellativum der durch ihn verdrängt
übermenschlichen Individuen bezeichnet zu werden, ale eg, Di
Gott. Gottesglaube. Gottesbewußtfein 301
welches vom Sanskrit Deva fommt (wovon aud) devil, Teufel), ober
ki den Gothiſch⸗ Germaniſchen Völkern durch das von Odin oder
‚ Suodan; Godan ftammende Wort God, Gott. Eben fo
nom er, in dem gleichfall® aus dem Yudenthum ftammenden Islam,
den in Arabien auch ſchon früher vorhandenen Namen Allah an.
(®. II, 714 fg.)
2) Eigentlicher und rihtiger Sinn des Wortes „GOott“.
In feinem eigentlichen und richtigen Sinn gebraucht das Wort
Gott die Synagoge, die Kirche und der Islam. (P. II, 108.)
Das Wort Gott, ehrlicherweife gebraucht, bezeichnet eine von der Welt
ierihiedene und getresmte Welturfache, mit Hinzufligung der Per-
ſanlichkeit. Ein unperfönlicher Gott hingegen ift eine contradictio
i adjecto. (G. 13.) Die Unmahme irgend einer von ber Welt
wrihiedenen Urſache berjelben ift allein noch fein Theismus. “Diefer
ielangt nicht nur eine von der Welt verſchiedene, fondern eine intelli-
pet, d. h. erkennende und wollende, alſo perfönliche, mithin auch
mirituelle Welturfache; eine folche ift e8 ganz allein, die das Wort
Bett bezeichnet. Ein unperfönlicher Gott ift gar kein Gott, fondern
Net ein mißbrauchtes Wort, ein Unbegriff, eine contradictio in ad-
peto. (P. I, 125.) Berfonalität und Caufalität find zwei
miertrennliche Qualitäten Gottes. (9. 435. 437.)
3) Anthropomorphismus des Gottesglaubens.
perſönlichkeit, d. h. die felbftbewußte Individualität, welche erſt
trieunt und dann dem Erfannten gemäß will, ift ein Phänomen,
welches und ganz allein aus der, auf unferm Meinen Planeten vor-
dandenen, animalifchen Natur befannt und mit diefer fo innig verknüpft
M, daß es don ihr getrennt und unabhängig zu denken wir nicht nur
ut befugt, fondern auch nicht ein Mal fähig find. Ein Weſen
Islher Art mın aber als den Urfprung der Natur felbft, ja, alles
Zojeins überhaupt anzunehmen, ift ein coloffaler und überaus fühner
tanle, über ben wir erftaunen würden, wenn wir ihn zum erften
Rel vernühmen und er nicht duch die frübzeitigfte Einprägung und
Mländige Wiederholung uns geläufig, ja zur firen Idee geworben
wir. P. I, 125.) Der Anthropomorphismus ift eine dem SCheis-
und durchaus wejentliche Eigenfchaft, und zwar befteht derfelbe nicht
ewan blos im der menſchlichen Geftalt, felbft nicht allein in den
menſchlichen Affecten und Leibenfchaften; fondern in den Grund-
Phänomen felbft, mänılich in dem eines, zu feiner Leitung mit einem
Jntelet ansgerüfteten Willens, welches Phänomen uns blos aus der
ammelihen Natur, am volllommenften aus der menfchlichen, befannt
MR amd ſich allein als Individualität, die, wenn fle eine vernünftige
, Perfönfichkeit Heißt, denfen läßt. Dies beftätigt auch der Ausbrud
„I wahr Gott lebt”; er ift ein Lebendes, d. 5. mit Erkenntniß
Hlendee. Sogar gehört eben deshalb zu einem Gotte auch ein
dinmel, darin er thront und regiert. (P. I, 126 fg.)
302 Gott. Gottesglaube. Gottesbewußtjein
Die Berfuche, den Theismus vom Anthropomorphisuus zu reinig
greifen, indem fie nur an der Schaale zu arbeiten wähnen, gerab
fein innerftes Wefen an; durch ihr Bemühen, feinen Gegenftanb abftr
zu fafien, fublimivren fie ihn zu einer undeutlichen Nebelgeftalt. D
Gott, der urfprünglich Jehova war, haben Philofophen und Theolo
eine Hülle nach der andern ausgezogen, bis am Ende Nichts, ale I
Wort übrig geblieben if. (PB. I, 127. 5. 435. 441.)
4) Egoiftifher Urfprung des Gottesglauben®.
Der Gottesglaube (Theismus) wurzelt im Egoismus. Er iſt!
Erzeugniß der Erkenntniß, fondern bes Willens. Wenn er
fprünglih theoretifch wäre, wie könnten denn alle feine Beweile
unhaltbar fein? Die Noth, das beftändige Fürchten und Hoff
bringt ben Dienfchen dahin, daß er die Hypoſtaſe perſönlicher Ze
macht, zu denen er beten fünne. Sind Anfangs der Götter mehr
fo werden fie fpäter durch das Bedürfniß, Confequenz, Ordnung a
Einheit in die Erkenntniß zu bringen, Einem unterworfen, oder 9
auf Einen reducirt. Das Wefentliche jedoch ift der Drang d
geängfteten Menſchen, fich niederzumerfen und Hülfe anzuflehen. Tun
alfo fein Herz (Wille) die Erleichterung des Betens und den Zr
bes Hoffens habe, muß fein Intellect ihm einen Gott ſchaffen; m
aber umgekehrt, weil fein Imtellect auf einen Gott Iogifch richtig
fchloffen hat, betet er. (P.I, 127—131. W. 1, 607.) Daß Mani
in ihrer Herzensnoth ſich überall Weſen erbacht haben, melde
Naturkräfte und ihren Lauf beherrfchen, um ſolche anrufen zu löme
ift ſehr natürlich. (PB. I, 117, Anmerk.)
Wie der Bolytheismus die Perfonification einzelner Theile
Kräfte der Natur ıft; fo ift der Monotheismus die der ganzen Natur,
mit einem Schlag. (P. O, 404.)
5) Widerlegung der Behauptung, daß es eim ang
borenes „Gottesbewußſein“ gebe.
Es ift eine Erfindung moderner PHilofophieprofefjoren, das Talk
Gottes fei zwar keines Beweiſes fähig, bedürfe aber auch deſſlbe—
nicht; denn es verftände ſich von jelbft, wäre unbezweifelbar, wir hät
ein unmittelbares „Gottesbewußtfein“, deifen Organ die Ber
nunft fe, — eine Behauptung, die durch den wahren Begrif de
Bernunft widerlegt wird. (Vergl. Vernunft) Wie es fid mil vn
Genefis des Gottesbewußtfeind eigentlich verhält, kann eine bild
Darftellung, ein Kupferftich Iehren, der uns eine Mutter zeigt, die ik
dreijähriges, mit gefalteten Händen auf dem Bette Inieendes Kind m
Beten abrichtet; gewiß ein häufiger Vorgang, der eben bie Geneſis da
Gottesbewußtſeins ausmacht; denn es iſt nicht zu bezweifeln, dt
nachdem im zarteften Alter das im erften Wachsſchum begriffen &*
bien fo zugerichtet worden, ihm das Gottesbewußtfein fo fe en
wachfen ift, ald wäre es wirflich angeboren. (P. I, 122. 1121
€. 150fg. W. I, 617 fg.)
Gott. Gottesglaube. Gottesbewußtfein 303
In der Bhilofophie zu lehren, ber theologijche Grundgedanke (das
deſein des perſönlichen Gottes) verftände ſich von felbft und bie Ver⸗
muft wäre eben nur bie Fähigkeit, denjelben unmittelbar zu fallen
md ald wahr zu erkennen, ift ein unverſchümtes Vorgeben. Nicht nur
erf in der Bhilofophie ein folcher Gedanke nicht ohne den vollgültigften
Bemeis angenommen werden, fondern fogar der Religion ift er
rurhaus nicht wejentlih, wie der atheiftifche Buddhaismus bezeugt.
$. 1, 125 fg. 200.)
6) Die Beweife für das Dafein Gottes,
a) Urfprung der Beweiſe.
Ta die Wirklichkeit des Daſeins Gottes nicht durch empirifche
Ieberführung gezeigt werden kann; fo wäre der nächſte Schritt eigent-
hi geweſen, die Möglichkeit deflelben auszumaden. Statt deſſen
wiernahm man, jogar die Nothwendigkeit befjelben zu beweijen,
% Sott als nothwendiges Wesen darzuthun. Nun ift Noth-
stadigkeit überall nichts Anderes, als Abhängigfeit einer Folge von
am Grunde, aljo das Eintreten oder Setzen der Folge, weil ber
Brand gegeben iſt. (Vergl. Nothwendigkeit.) Unter den vier Arten
ven Örlinden aber (vergl. Grund) fand man hiezu nur den Grund
dei Verdens (Urfache) und den Grund des Erfennens (Begriff)
fruhber. Demgemäß entftanden zwei Beweife des Daſeins Gottes,
ker fosmologifche und der ontologifche, der eine nad) dem Sag
dem Grund des Werdens (Urfache), der andere nad) dem vom Grund
w Erkennens (Begriff). Der erſte will nad dem Gefege ber
Lauſalität die Nothwendigkeit des Daſeins Gottes als eine phy⸗
ſiſche darthun, indem er die Welt als eine Wirkung auffaßt, die
am Urſache haben müſſe. Dieſem kosmologiſchen Beweiſe wird ſo⸗
km als Beiftand und Unterſtützung der phyſikotheologiſche bei—
egeben, welcher die Zweckmäßigkeit der Welt als eine Wirkung
mifaßt, die einen erfennenden und wollenden Welturheber zur Urſache
haten müſſe.
‚Der zweite Beweis des Dafeind Gottes, ber ontologiſche,
Dumm nicht das Gefe der Cauſalität, fondern den Sat vom Grunde
Kö Grfemmens zum Leitfaden, fucht alfo die Nothwendigkeit des Da⸗
Wins Gottes als eine logiſche darzutfun. Nämlich durch blos
malptifhes Urtheilen aus dem Begriff Gott fol ſich Hier fein
Tfein ergeben, jo da man dem Subject Gott das Prädicat Da-
fein nicht abfprechen könne, ohne einen Widerfpruch zu begehen. Dies
nat man mittelft des Begriffs „Bollfommenheit” oder auch „Ren-
\tät" 9 terminus medius zu erreihen. (P. I, 115 ff.)
b) Kritik der Beweiſe.
1. Der Tosmologifche Beweis, welcher am ftärkften in ber
Salfichen Faſſung fo ausgedrüdt wird: „wenn irgend etwas eritirt,
"fırt auch ein ſchlechthin nothwendiges Weſen“, — giebt zunächſt
304 Gott. Gottesglaube. Gottesbewußtjein
die Blöße, ein Schluß von der Folge auf den Grund zu fein, weihe
Schlußweiſe ſchon bie Logik alle Anfprüche auf Gewißheit abſpri
Sodann ignorirt er, daß wir etwas als nothwendig nur den
können, inſofern es Folge, nicht inſofern es Grund eines gegeb
Andern if. Ferner führt das Cauſalitätsgeſetz auf einen regres
in infinitum, fann daher nie bei einem Leßten, das einen fundamental
Erffärungsgrund abgäbe, anlangen. Auch erftredt ſich die Kraft un
Gültigkeit des Geſetzes der Caufalität allein auf die Form der Tim
nicht auf die Materie. Es ift Leitfaden des Wechſels der former
weiter nichts; die Materie bleibt von allem Entftehen und Birg:
derfelben unberüßrt. Endlich unterliegt der kosmologiſche Beweis t
transfcendentalen Argument, daß das Geſetz der Saufalität nadhmeis
fubjectiven Urſprungs, daher blos auf Erfcheinungen für mf
Intellect, nicht auf das Wefen der Dinge an fi ſelbſt anwend
ft. (PB. IL, 116. ©. 37—41.)
Der fubfidiarifch dem kosmologiſchen Beweis beigegebene phyfite
tbeologifche fann immer nur unter Vorausſetzung des erftern, dert
Erläuterung und Amplification er ift, auftreten, fällt aljo mit jene.
Auch kann das Verfahren, mittelft deffen er bie vorausgeſetzie
Urfache der Welt zu einem erfennenden und mwollenden Wefen fteiger
nämlich die Induction aus den vielen Folgen, die fich durch cm
folhen Grund erflären Tiefen, höchſtens Wahrſcheinlichkeit,
Gewißheit geben. Endlich ergiebt ſich die ganze Phyſikotheologie «4
die Ausführung einer falfchen Grundanficht der Natur, indem fi it
unmittelbare Erfcheinung, oder Objectivation des Willens zu cm
blo8 mittelbaren herabfegt, aljo ftatt in den Naturweſen das w
fprüngliche, urfräftige, erfenntnißlofe und eben deshalb unfehlbar fi
Wirken des Willens zu erfennen, es auslegt als ein blos fecundärk,
erft am Lichte der Erkenutniß und am Leitfaden der Motive vor fü
gegangenes, und fonad) das von Innen aus Getriebene auffaßt ald der
außen gezimmert, gemodelt und gefchnigt. (PB. I, 117 fg. N. 55-1.
®. I, 609.)
2. Der ontologifche Beweis ift zwar logifch richtig; denn nad
dem man mittelft der Handhabe des Begriffes „Vollkommenheit“ oda
auch „Realität“, den ınan als medius terminus gebraucht, das Fri
dicat des Dafeins in das Subject hineingelegt hat, Tann man e—
freilich aus demfelben durch ein analytiſches Urtheil wieder herausziehen.
Über die Berechtigung zur Aufftellung des ganzen Begriffs iſt dam
feineswegs nachgewiefen. Der kosmologiſche Beweis hat doch wenigiief
den Borzug, daß er Rechenfchaft giebt, wie er zum Begriff an
Gottes gekommen ift. Der ontologifche Hingegen Tann gar nicht nad
weifen, wie er zu feinem Begriff vom allerrealften Weſen gelonme
fei, giebt ihm alfo entweder fiir augeboren aus, oder borgt ihn vom
fosmologifhen Beweis. Wenn wirklich die Eriftenz irgend ein
Weſens aus feiner Effenz, feinem Begriff oder feiner Definition ſih
folgern ließe, dann freilich würde es als ein nothwendiges nd
2
Ei
Gott. Gottesglaube. Gottesbewußtfein 305
geben, ohne dabei an etwas Anderes, als an feinen eigenen Begriff
gebunden zu fein. Der Erkenntnißgrund würde ſich in einen Real:
grund verwandelt haben, und der ontologifche Beweis würde dadurch
dem regressus in infinitum, an welchem der kosmologiſche fcheiterte,
entgehen. Aber aus der Effenz läßt ſich die Eriftenz eben nicht
ableiten. Diefe Ableitung ift illuſoriſch, ift ein Taſchenſpielerſtreich.
$.1, 118-120. ©. 10fg. W. I, 606.)
(Üeber den moralifchen Beweis, ober bie aus ber Moral abgeleitete
Theologie, ſiehe Moraltheologie.)
c) Gegenbeweije gegen das Dafein Gottes,
Kant hat zwar behauptet, daß, wenngleich das Dafein Gottes un⸗
feeißbar ift, doch auch das Gegentheil fich nicht bemweifen laſſe. Aber
& lajlem fi allerdings Gegenbeweife aufftellen.
1. Die traurige Beichaffenheit der Welt läßt fi nicht damit
wenigen, daß fie das Werk vereinter Allgüte, Allweisheit und Al-
ſei.
2. Der Theismus iſt mit der Moral und mit unſerer Fortdauer
ac) dem Tode unvereinbar.
a) Mit der Moral ift er in zweierlei Hinficht im Wiberftreit,
imlid, erſtens im Hinficht auf die Borausfegung und zweitens in
Hufiht anf die Folgen der moralifchen Schuld und des moralifchen
Lerdienfted. Die Borausfegung der moralifchen Berantwortlichkeit
iſt Freiheit, Afeität (vergl. Sreiheit und Afeität), dieſe aber hebt
der Theismus auf; denn an einem MWefen, welches feiner existentia
um) essentia nad) da8 Werk eines Andern ift, läßt ſich weder Schuld,
a0 Berbienft denken. Was zweitens die Folgen unfers Handelns
ktrfit, fo tritt der Gott, der Anfangs Schöpfer war, zulegt als
Rider und Vergelter auf. Dies giebt zwar der Moral eine Stütze,
der eine von der roheſten Art, indem die Rüdficht auf Lohn und
Etrafe die reine Moralität aufhebt.
b) Mit der Fortdauer nad dem Tode ift der Theismus ebenfo
miereinbar, als mit der Willensfreiheit. Denn das bon einem
Indern ans Nichts Gefchaffene Hat einen Anfang feines Dajeins
Yabt, läßt fich alfo nicht als ewig denken. Unendlihe Dauer
ı parte post und Nichts a parte ante flimmt nicht zufammen.
Ru was ſelbſt urfprlinglich, ewig, ungefchaffen ift, kann ungerftörbar
im. Afeität if, wie die Bedingung der Zurechnungsfähigkeit, fo
cuch die der Unfterblichkeit. (P. I, 132—137.)
Öott, Freiheit und Unfterblichleit werden meiftens als Haupt-
jede der Metaphyſik angegeben; erfterer würde aber die beiden
leptern unmöglich machen. (H. 343.) Wenn unfere Theologen und
Religionsphifofophen beftändig „Gott und Unſterblichkeit“ zuſammen
möfprehen als zwei zufammengehörige Gedanken und zwei Dinge, bie
trefflihh mit einander vertrügen; fo ift Solches blos früherer Ge
wohrheit mb dem Mangel an Nachdenken zuzufchreiben; denn mit
Ghopenhauessteriton. I. 20
306 Grammatil — Grazie
jenem rohen, Traffen, abſcheulichen Juden⸗Dogma (des Gott-Schöpid
kann fo wenig Unſterblichkeit als Freiheit des Willens beſtehen. (6.43%
Grammatik. Ä
Zur Logik verhält fi) die Grammatik, wie das Kleid zum Yalı
oder wie die wefentlichen, die Grundbeftanbtheile jeder Sprache bildende
Sprachformen zu den allgemeinen allem Denken zu Grunde Tiegenie
Dentformen. Ulein bie Denkform und die grammatilde F
brauchen ſich nicht zu beden. Alles Denken befteht im Urtheilen
jedes Urtheil enthält Subject, Prädicat und Copula, letztere en
affirmativ oder negativ; aber nicht jedes von biejen drei Beftandtbei
des Urtheild braucht durch ein eigenes Wort oder eimen eigenen Kae
teil bezeichnet zu ſein. Oft bezeichnet ein Wort Präbdicat und Copak
wie: „Cajus altert”; bisweilen ein Wort alle Drei, wie: concurri
db. h. die Heere werden bandgemein. Hieraus erhellt, daß man
Formen ded Denkens doch nicht fo geradezu und ummittelbar in if
Worten, noch felbft in den Nebetheilen zu fuchen hat; da der ch
Urtheil in verfchiedenen, ja fogar in ber felben Sprache durh m
fchiedene Worte und felbft durch verfchiedene Redetheile aukgacts
werben kann, der Gedanke aber dennoch der felbe bleibt, folglich md
feine Form; denn der Gedanke könnte nicht der felbe fein bei veriäe
dener Form des Denkens felbf. Wohl aber Tann das Mortgehiit,
bei gleichem Gedanken und gleicher Form beffelben, ein verſchieden
fein; denn es ift bloß die äußere Einkleidung des Gedankens, I
hingegen von feiner Form unzertrennlich iſt. Alſo erläutert M
Srammatit nur die Einfleibung der Denkformen. Die Redetheile fe
fi) daher ableiten aus den urjprünglichen, von allen Spraden mb
bängigen Denkformen ſelbſt; dieſe mit allen ihren Modifcatum
auszudrüden ift ihre Beſtimmung. (W. I, 566—568.)
Graufamkeit, |. Böſe. Bosheit.
Gravität.
Der fefte, praftifche Rebensernft, welchen die Römer als grantss
bezeichneten, fest voraus, daß der JIniellect nicht dem Dimft de
Willens verlaffe, um hinauszuſchweifen zu Dem, was biefen nit
angeht; darum Täßt er nicht jenes Auseinandertreten des Jutrlecu
und des Willens zu, weldes Bedingung des Genies if. (W. I, 4!
Gravitation, ſ. Schwere. |
Grazie.
1) Unterſchied zwiſchen Grazie und Schönheit.
Schönheit iſt die entſprechende Darſtellung (adäquate Objectiveis
des Willens überhaupt durch feine blos räumliche Erſcheum
Grazie hingegen ift die entſprechende Darftellung des Willens dd
feine zeitliche Erfcheinung, d. h. der vollkommen richtige und a
meflene Ausdrud jedes Willendactes durch die ihm objeciimd
|
Grenze — Griechen 307
eweguug und Stellung. Da Bewegung und Stellung den Leib
on dorausſetzen, jo jagt Windelmann ridtig: „Die Orazie ift das
jenthilmliche Verhältnig der handelnden Perfon zur Handlung.” Die
razie befteht darin, daß jede Bewegung und Stellung auf die Teich-
te, angemeſſenſte und bequemfte Art ausgeführt werde und fonad)
r rein entfprechende Ausdrud ihrer Abficht, oder des Willensactes
‚ohne Ueberflüffiges, was als zweckwidriges, bedeutungslofes Handtieren
er verdrehte Stellung, ohne Ermangelndes, was ald hölzerne Steifheit
hdarftelt. (W. 1, 263 fg.)
2) Gegenfag ber Pflanze gegen Thier und Menfd in
Beziehung auf Grazie.
Da die Pflanze eine blos räumliche Erfcheinung des Willens ift, da
we Bewegung und folglich Feine Beziehung auf die Zeit (abgefehen
m ihrer Entwicklung) zum Ausdrud ihres Wefend gehört, die Örazie
gen in der Bewegung fich zeigt, jo folgt, daß Pflanzen zwar
it, aber feine Grazie beigelegt werden kann, es fei denn im
Kücden Sinn, Thieren und Menſchen aber Beides, Schönheit und
kai. (W. I, 264.)
3) Was die Örazie ald ihre Bedingung vorausfegt.
Die Grazie fett ein richtiges Ebenmaaß aller Glieder, einen regel-
ten, harmonifchen Körperbau als ihre Bedingung voraus; da nur
eilt diefer die vollfommene Leichtigkeit und augenfcheinliche Zweck⸗
Big in allen Stellungen und Bewegungen möglich if. Alfo ift
® Grazie nie ohne einen gewiflen Grad der Schönheit des Körpers.
Kit vollfommen umb im Verein find die deutlichfte Erfcheinung des
Bilens auf der oberften Stufe feiner Objectivation. (W. I, 264 fg.)
Brenge.
Rad der Ariſtoteliſchen VBeweisführung fitr die Allmäligkeit jeder
Beränderung heißt an einander grenzen die gegenfeitigen Außerften
kaden gemeinschaftlich Haben; folglich Können nur zwei Ausgebehnte,
uiht wei Untheilbare (da fie fonft Eins wären), an einander grenzen,
ich mr Linien, nicht bloße Punkte. Dies wird alsdann vom
Ram auf die Zeit Übertragen. Wie zwifchen zwei Punkten immer
a eine Linie, fo ift ziwifchen zwei Jetzt immer noch eine Zeit, und
tee if die Zeit der Veränderung. Der Sat des Ariftoteles oux
” Alnloy exopeva ta vuv findet fich bei Kant wiedergegeben
mt „milhen zwei Augenbliden ift immer eine Zeit”. Gegen diefen
8 lüßt ſich einwenden: „ſogar zwiſchen zwei Jahrhunderten iſt
me; weil es in der Zeit, wie im Raum, eine reine Grenze geben
me“ (9, 9496.
kriechen, . die Alten.
20*
308 Grobfeit
Grobheit.
1) Grobheit als Gegenſatz der Höflikeit.
Höflichkeit iſt mur eine grinzende Masle. Wenn aber Einer
wird, da iſt es, als hätte er die Kleider abgemsıfen umd ftänd
puris naturalibus da. Freilich nimmt ex ſich damm, wie bie me
Menſchen, in diefem Zuftande ſchlecht aus. (BP. I, 493.)
2) Srobheit ale inftinctiver Kunftgriff beim Dis
tiren und Gegenregel gegen denjelben.
Sophiften wenden dem iiberleguen Gegner gegenüber, ber ihnen
Sophiſtik nachweiſt, erſt Schlihe und Schilanen an und werden
fchließlih grob und beleidigend. Denn dies ift das Mittel, Mi
welches Jeder fich Jedem gleich fegen und felbft die größte intellech
Ungleichheit augenblidlih ausgleihen kann. Zu diefem Mitiel |
daher die niedrige Natur eine fogar inflinctive Aufforderung, joe
geiftige Weberlegenheit zu fpiiren anfängt. (P. I, 47.) Du 3
fönlichwerben, bei welchen man den Gegenfland bes Streit di
verläßt und feinen Augriff auf die Perfon des Gegners richtet, u
man kränkend, hämiſch, beleidigend, grob wird, ift ein fer
liebter eriftifcher Kunftgriff, weil Jeder zur Ausführung tage
if. (9. 34.)
Gelaſſenheit und Kaltblütigfeit ift gegen dieſen Kunſtgriff 9
ausreichend, ift auch nicht Jedem gegeben. Die einzig fichere Eq—
regel ift: Nicht mit dem Erften dem Beſten zu bisputiren, |
allein mit Solchen, die man als verfländig und als empfänglid
Gegengründe und file Wahrheit, auch wenn fie aus dem Munde
Gegners kommt, kennt. (5. 34 fg.)
3) Die ritterlide Empfindlichkeit gegen Grobheit
Das ritterlihe Chrenprincip fordert für Beleidigungen bi
Rache. Wahre Selbftihägung Hingegen verleiht, den Injurien 9
über, Gleichgültigkeit. Wenn man demnach) nur erft dem Abergkn
des ritterlichen Ehrenprincips 108 wäre, fo daß Niemand mehr
meinen dürfte, durch Schimpfen irgend etwas der Ehre eines Ari
nehmen oder der feinigen wiebergeben zu fünnen, aud) micht mehr
Rohheit oder Grobheit fogleich Iegitimirt werben könnte dur
Bereitwilligfeit, Satisfaction zu geben, d. 5. fich dafür zu jhleut
jo würde bald die Einficht allgemein werden, daß, wenn ed Mi
Schmähen und Schimpfen geht, der in biefem Kampfe Befiegte |
Sieger if. Ferner würde in der Gefellfchaft der wahre gute #
herbeigeführt werden; die phyſiſche Courage würbe nicht mehr
Primat über die geiftige Ueberlegenheit haben, und bie vorzügik®
Menschen nicht mehr von ber Gefellfchaft zurückgeſchredt web
(P. I, 406 fg. Bergl. auch Empfindlichkeit.)
—
Größe — Grund 309
söße (im geiſtigen Sinne).
1) Worin der Öegenfag zwifchen (geiftiger) Größe.und
| Kleinheit befteht.
Groß ift nur Der, welcher bei feinem Wirken, diefes fei nun ein
Hiiches, oder ein theoretijches, nicht feine Sache fucht; fondern
en einen objectiven Zweck verfolgt; er ift e8 aber felbft dann noch,
an, im Praktifchen, diefer Zwed ein mißverftandener, und;fogar, wenn
‚in Folge davon, ein Berbrechen fein ſollte. Daß er nicht fid
d feine Sache ſucht, dies macht ihn, unter allen Umſtänden,
95 Klein Hingegen ift alles auf perfünliche Zwede gerichtete
aben; weil der dadurch im Thätigleit Verſetzte ſich nur im feiner
men, verſchwindend einen Perfon erkennt und findet. Hingegen
groß if, erkennt fich in Allem und daher im Ganzen; er lebt
f, wie Iener, allein im Mikrolosmos, fondern noch mehr im
AUrlosmos. (W. II, 439.)
2) Wem das Prüdicat „groß“ gebührt.
Im Gefagten zufolge gebührt nur dem wahren Helden, in irgenb
m Sinn, und bem Genie, als welche, ber menfchlichen Natur
gen, nicht ihre eigene Sache gefucht, nicht für fi), fondern für
k gelebt haben, das erhabene Prädicat „groß”. (W. IL, 439.)
) Warum der Große nicht ſtets groß ift.
Bi offenbar die Allermeiften ftets Klein fein müſſen und nie-
all groß fein können; fo ift doch das Umgekehrte nicht möglich,
$ nimlih, Einer ſtets und jeden Augenblid groß fei. Denn jeder
KH Mann muß dennoch oft nur das Individuum fein, nur fi im
age haben, und das heißt Elein fein. Hierauf beruht die fehr
itige Bemerkung, daß fein Held es vor feinem Kammerdiener bleibt,
Mt aber darauf, daß der Kammerdiener den Helden nicht zu fehägen
hehe. (83. IL, 439.)
md. Say vom zureihenden Grunde.
1. Allgemeines über den Sat vom zureichenden Grunde,
l) Sinn und Formel deffelben.
de allgemeine Sinn des Sages vom Grunde läuft darauf zurüd,
5 mmer und überall Jegliches nur vermöge eines Andern ift,
8. 158) Die allgemeine Formel defjelben ift die Wolfifche: Nihil
X ane ratione cur potius sit quam non sit: Nichts ift ohne
d won es fei. (©. 5.)
2) Ipriorität defjelben.
„0 ag vom Grunde ift die Form, in der das ſiets durch das
Sthiet bedingte Object, weicher Art es auch fei, überall erfannt wird,
1 daB Subject ein erkennendes Individuum ift. (W. J, Borrebe XI.)
in der Ausbrud ber allgemeinften und burcdgängigften Form
310 Grund
unſers Intellects. An ihn und feine verfchiedenen Geftalten ift m
gefammtes Erkennen und Begreifen gebunden. (W. DI, 731%
Der Sag vom Grunde ift ein fynthetifcher a priori. (©. 158.) |
ift der gemeinfchaftliche Ausdrud für alle ung a priori bewuß
Formen des Objectd (Zeit, Raum und Caufalität), und daher iſt Al
was wir rein a priori wiſſen, nichts, al8 eben der Inhalt des Cat
dom Grunde und was aus diefem folgt. In ihm ift alfo eigen
unfere ganze a priori gewiffe Erfenntnig ausgeſprochen. (BB. I, 6,
3) Gebiet der Gültigkeit beffelben. |
Da der Sag vom Grunde in allen feinen Geftalten apriorif
ift, alfo in unferm Imtellect wurzelt; fo darf er nicht auf M
Ganze aller bafeienden Dinge, die Welt, mit Einfchluß diejes A
tellect8, in welchem fie bafteht, angewendet werden. Denn eine |
vermöge apriorifcher Formen fich darftellende Welt ift eben d
bloße Erfcheinung; was daher nur in Folge eben dieſer vorm
von ihr gilt, findet keine Anwendung auf fie felbft, d. h. auf des ä
ihr ſich darftellende Ding an ſich. Daher Tann man nidt ige
„Die Welt und alle Dinge in ihr eriftiren vermöge eines Area
welher Sag der Tosmologifche Beweis des Dafeins Gotid ’
(8. 158. W. I, Vorrede X. W.L 96. W.IL, 677. 734.) IM
Grund Tann nur innerhalb einer der den verfchiedenen Arten mM
Gründen entfprecdenden Klafien von Objecten unfers Borftellugs
vermögens, — die folglich, mit fammt diefem Vermögen, fein Gebru
ſchon als gegeben vorausſetzt und fich dieſſeits Kält, — gelten, ri
aber außerhalb derfelben, oder gar außerhalb aller Objecte. (©. 1]
Es kann nicht genug eingefchärft werden, daß zwifchen Subject m
Object gar kein VBerhäftnig nad) dem Sag vom Grunde Statt fiak
Object und Subject gehen als erfte Bedingung aller Erkenntniß
Sate vom Grunde überhaupt vorher, da dieſer nur bie Form om
Objects, die durchgängige Art und Weile feiner Erſcheinung ift, I
Object aber immer fon das Subject vorausſetzt; zwiſchen bude
alfo Tann kein Verhältniß von Grund und Folge fein. Beide Imer
folglich außerhalb des Gebietes der Gültigkeit des Sapes vom Gm |
(W. I, 16. 38 fg.) Der Sat vom Grunde hat nur innerhalb Id
Gebietes der Objecte Geltung. IJedes irgend mögliche Objet 4
demſelben unterworfen, d. h. ſieht im einer nothwendigen Bejichuxs
zu andern Objecten, einerſeits als beſtimmt, andererſeits als beftimmend;
bie geht fo weit, daß das ganze Dafein aller Objecte, ſofern r
Dbjecte, d. h. Borftellungen und nichts Anderes find, ganz und 9"
zurüdläuft auf jene ihre nothwendige Beziehung zu einander, mt
folcher befteht, alfo gänzlich relativ if. (W. 1, 7.)
4) Wichtigkeit deffelben.
Der Sag vom Grunde darf die Grundlage aller Wiffenidt!
genannt werden, da Wiffenfchaft kein bloßes Aggregat, fonden e
Syſtem von Erkenntniſſen ift. Das eben unterfcheibet jede Bietet
Grund 311
dem bloßen Aggregat, daß ihre Erkenntniſſe eine aus der andern,
ihrem Grunde folgen. Zudem enthalten faft alle Wiflenfchaften
fe von Urſachen, aus benen die Wirkungen fich beftimmen
en, und eben fo andere Erkenntniſſe von Folgen aus Gründen.
Barum, nad welchem bie Wiffenfchaften fragen, die Noth-
digkeit, nach ber fie forjchen, hat die apriorifche Gewißheit, daß
einen Grund habe, zur Borausfegung. Inſofern ift alfo ber
vom Grunde die Mutter aller Wiffenfchaften. (©. 4) Auch
t fih, daß in jeder Wiſſenſchaft Eine der Geftaltungen des Sages
runde vor den übrigen der Leitfaden ift, und daß nach biefem
eip fi die oberfte Eintheilung aller Wiflenfchaften ausführen läßt.
‚157. W. I, 97; IL, 139. — Bergl. Wiſſenſchaft.)
Der Sag vom Grunde ift das PBrincip aller Erklärung.
156. W. I, 88. — Bergl. Erflärung.)
5) Unbeweisbarkeit dbeffelben.
Einen Beweis für den Sa vom Grunde zu ſuchen ift eine von
gel an Befonnenheit zeugende Verkehrtheit. Denn jeder Beweis
B die Darlegung des Grundes zu einem auögefprochenen Urtheil,
eben dadurch das Prädicat wahr erhält. Eben von diefem
Afordernig eines Grundes für jedes Urtbeil ift der Sag von Grunde
Ausdrud. Wer nun einen Beweis, d. i. bie Darlegung eines
des für ihn forderte, fegt ihm eben dadurch ſchon als wahr vor-
Be, ja, ftütt feine Forderung eben auf diefe Borausjegung, geräth
in einen Cirkel. (©. 23 fg.) Das Gewiſſeſte und überall Un⸗
ärbare ift der Inhalt des Sates vom Grunde. Alle Erflärung ift
üdführung auf ihn. Er ift fonach das Princip aller Erklärung
daher nicht felbft einer Erklärung fähig, noch ihrer bebürftig,; da
ihn ſchon vorausfegt und nur durch ihn Bedeutung erhält. Nun
aber feine feiner ©eftalten einen Vorzug vor der andern; er ift
gewiß und unbeweisbar al8 Sat vom Grunde des Seins, ober
s Werdens, oder des Handelns, oder des Erkennens. (W. I, 88. 96.
. 156.)
6) Die vierfahe Wurzel deffelben und ihr gemein-
Ihaftliher Urfprung.
Der Sag vom zureichenden Grunde ift ein gemeinfchaftlicher Aus-
id fr vier ganz verfchiedene Verhältniffe (vier Arten von Gründen
md folgen), deren jedes auf einem befondern und (da der Sa vom
meidenden Grunde ein fonthetifcher a priori ift) a priori gegebenen
Oefeke berußt. Diefe vier Verhäliniſſe bilden die vierfache Wurzel
des Sees vom zureichenden Grunde. (©. 3. 27. 158.)
nämlid) den verjchiedenen Claffen, in melche die Objecte
jerfalln, erfcheint jene nothwendige Beziehung, welche der Sag vom
de im Allgemeinen ausdrüdt, in verichiedenen Geftalten. (W.I, 7.)
Son den vier, nach dem methodifchen Grundfag der Specification
Flundenen Geftalten muß nad dem Grundfag der Homogeneität
5
m
312 Grund
(fe Methode) angenommen werben, daß, fo wie fie in einem genen
ſchaftlichen Ausdrud zufammentreffen, fie aud) aus einer und berjelbe:
UÜrbefchaffenheit unjer8 ganzen Erfenntnißvermögens, als ihrer gemein
Schaftlichen Wurzel, entjpringen. (G. 158.) Diefe Urbefchaffenket
befteht darin, daß Nichts, d. h. Feine Borftellung, Fein Object des
erfennenden Subjects, ohne Zufammenhang mit Anderm ws
Bewußtſein treten kann. Unſer erfennendes Bewußtjein, als äufer
und innere Sinnlichkeit (Receptivität), Verftand und Vernunft auftretent,
zerfällt in Subject und Object. Object für ba8 Subject fein und
unfere Borftellung fein ift das Selbe. Nun aber findet fich, daf,
alle unſere Borftelungen unter einander in einer gejegmäßigen un
der Yorm nad) a priori beftimmbaren Verbindung ftehen, vermög
welcher nichts für fich Beftehendes und Unabhängiges, auch nichts
Einzelne® und Abgeriffenes, Object fir uns werden kann. Tick
Berbindung ift ed, welche ber Sat vom zureichenden Grunde, ı
feiner Allgemeinheit, ausdrüdt. (G. 27.) Der Sag vom zureidende.
Grunde ift Ausdrud der im Innerſten unfers Erfenntnigvermöged
liegenden Grundform einer nothwendigen Verbindung aller um
Dbjecte, d. 5. Vorftellungen. (©. 90.) Es kann Feine Borftdug
ohne allen Zufammenhang mit einer andern in unfer DBemuftien |
fommen; daß aber dies nicht gefchehen Tann, ift eben die (gemeinſchaft⸗
liche) Wurzel des Sages vom zureichenden Orunde. (©. 146)
II. Die vier Geftalten des Satzes vom zureichenden Grunde. "
1) Geſchichtliches. |
Die Alten brachten e8 noch nicht zur deutlichen Unterfcheibung |
zwifchen der Forderung eines Erfenntnißgrundes zur Begründung -
eines Urtheils und der einer Urſache zum Cintritt eines realen Bor-
ganges. (G. 9.) Leibnitz Hat zuerft den Sag vom Grunde all
einen Sauptgrundfag aller Erkenntniß und Wiffenfchaft förmlich anf
geftellt. Wolf ift der Erfte, welcher bie beiden Hauptbedentungen
befielben (Erkenntnißgrund und Urfache) ausbritdlich gefondert und ihre
Unterfchieb auseinander gefegt hat. (G. 17 fg) Im Ganzen ergiet
fih aus der gejchichtlichen Ueberficht des (vor Schopenhauer) über da
Sat vom Grunde Gelehrten, daß man, obwohl erft allmälig m
auffallend fpät, auch nicht ohne öfter von Neuen in Verwechſelunga
und Tehlgriffe zu gerathen, zwei Anwendungen des Satzes unter
jhieden hat: die eine auf Urtheile, die, um wahr zu fein, immer
einen Grund, die andere auf Veränderungen realer Objecte, dt
immer eine Urſache haben müſſen. Dan hat alfo noch nicht allı
Fälle erkannt und unterfchieden, in denen der Sag vom Grunde ji
Frage Warum berechtigt. Erſt Schopenhauer bat zu den beiden
genannten Arten des Grundes (Erkenntnißgrumd und Urfache) noch zer
hinzu entdedt, die von jenen verfchieden find, den Seinsgrund um
da8 Motiv. (©. 25.)
Grund 313
2) Darlegung der vier Geftalten.
Der Sa vom Grunde hat vier verjchiedene Geftalten, deren jebe
s einer andern Klaſſe von Vorftellungen (von Objecten für das Sub-
xt) herrſcht.
a) Sat vom Grunde des Werdend. (Gefeb ber
Cauſalität.)
In dieſer Geſtalt herrſcht der Sag vom Grunde in ber Klaſſe ber
sfhanlichen, vollftändigen, empirifhen Borftellungen,
d. im Gebiete der concreten Öegenftände der empirifch realen Welt.
be in dem Compler der erfahrungsmäßigen Realität fich darftellenden
biecte find, Hinfichtlich des Ein» und Austritts ihrer Zuftände,
Kin in der Richtung des Laufes der Zeit, durch das Geſetz der
ejalität mit einander verknüpft, d. h. jede Veränderung ift Wir-
ng einer andern, ihr vorhergegangenen Veränderung, welche in Be⸗
ag auf fie Urſache, in Beziehung auf eine dritte, ihr felbft wieder
Mendig vorhergegangene Veränderung aber Wirkung heißt. Dies
be anfangslofe Kette der Caufalität. Das Geſetz der Cauſalität
RM demnach in ausfchlieglicher Beziehung auf Veränderungen und
wes nur mit biefen zu thun; es iſt falfch, zu fagen, ein Object
Urſache eines andern, da immer nur ein Zuftand Urfache eines
dern it. (G. 28—36. W. II, 46—50.)
Von ber endlojen Kette der Urfachen und Wirkungen, welche alle
änderungen leitet, aber nimmer fic über diefe hinaus erftrect,
km, eben deshalb, zwei Wefen unberührt: die Materie und die
Apringlichen Naturkräfte, jene als der Träger aller Veränderungen
kr das, woran fie vorgehen; dieſe ald Das, vermöge beffen bie
ktänderungen ober Wirkungen überhaupt möglich find, Das, was den
liſachen die Fähigkeit zu wirken allererft ertheilt. (©. 45 fg. 93.)
Te Caufalität, diefer Lenfer aller und jeder Veränderung, tritt in
a Natur unter drei verfchiedenen Formen auf: als Urſach im
zen Sinn, als Reiz, und ale Motiv. Chen auf diefer Ver⸗
ihirdenheit beruht der wahre und mwefentliche Unterfchied zwifchen un«
manifhen Körper, ‚Pflanze und Thier. (G. 46. — Ueber ben
Unterſchied zwifchen Urfache, Reiz und Motiv vergl.: Urſache.)
b) Sag vom Grunde bes Erfennen®.
In diefer Geftalt herrfcht der Sag vom Grunde in ber Klaſſe der
abſtracten Borftellungen, alfo der Begriffe. Im Beziehung nämlich
"| die Begrifföverhältniffe oder Urtheile, in denen das Denken
befteht, macht fich der Sat vom Grunde geltend als Sat vom Grunde
des Etlennens. Als folder befagt er, daf wenn ein Urtheil eine
Erlenntniß ausdrücken ſoll, es einen zureichenden Grund haben muß,
den es ſodanm das Prädicat wahr erhält. (G. 105.)
Die Gründe, worauf ein Urtheil beruhen Tann, laſſen ſich in vier
abtheilen, nad) jeber von welchen dann auch die Wahrheit, bie
%uhält, eine verfchiedene iſt:
314 Grund
Erſtens: Ein Urtheil kann ein andres Urtheil zum Grunde habe
dann ift feine Wahrheit eine Logifche, ober formale.
Zweitens: Ein Urtheil kann eine durch die Stimme vermittd
Anfhauung, mithin Erfahrung, zum runde haben; bann hat
materiale Wahrheit, welche, fofern das Urtheil ſich ummittelki
auf die Erfahrung gründet, empirifche Wahrheit ift.
Drittens: Ein Urtheil kann die a priori von uns angefchaul
Formen ded Raumes und ber Zeit, oder das und a priori bewu
Geſetz der Eaufalität, alfo die im Verſtande und ber reinen Cu
lichkeit liegenden Formen der Erkenntniß, welche die Bedingungen !
Möglichkeit aller Erfahrung find, zum Grunde haben. Seine Wil
heit ift aldbann eine transfcendentale.. Solche Urtheile enthält!
reine Mathematik und die reine Naturwiffenfchaft.
Biertens: Ein Urtheil kann bie im der Vernunft gelegenen
malen Bedingungen alles Denkens (die Dentgefete) zum Grunde h
feine Wahrheit ift alddann eine metalogiſche. (G. 105—110)
c) Sat vom Grunde des Seins.
In diefer Geftalt herrfcht der Sat vom Grunde in derjeniga
der Vorftellungen, welche den formalen Theil der concreten Oi
der empirifch realen Welt bilden, d. h. in den apriorifchen Anſch
‚ der Formen des Raumes und der Zeit. In der Zeit bildet die dol
ihrer Momente und im Raume die Lage feiner fich in's Unend
wechſelſeitig beftimmenden Theile eine eigenthitmliche Klaſſe von %
hältniffen, die weder nad) dem Geſetze der Cauſalität (Grund
MWerdens), noch nad) dem Grande des Erkennens, fondern nad &
Seinsgrund verfnüpft find. Die Gleichheit der Winkel z. B.
Triangel ift nicht Urfache, noch auch bloßer Erkenntnißgrun |
Gleichheit der Seiten, fondern Grund de8 So⸗Seins. Ebenſo
die auf einander folgenden Zeitmomente weder nad) bem Werde
noch nach dem Erkenntnißgrunde verknüpft, fondern nach dem Seir
grunde; benn durch fein bloßes Dafein, deſſen Eintritt jedoch uni
bleibli) war, hat ber jetige Augenblid den vorhergehenden in
bodenfofen Abgrund der Vergangenheit geflürzt und ummiederbrigit
gemacht, um felbft wieber eben fo fchnell vertilgt zu werden. (.L!
©. 25 fg. 130 ff.)
d) Sag vom Grunde des Handelns. (Gefep de
Motivation.)
In diefer Geftalt Herrfcht der Sag vom Grunde im einer cms
Klaſſe von Gegenftänden des Subjects (Borftellungen), bie Jedem EM
mittelft des innern Sinnes, oder im Selbſtbewußtfein gegeben if. ©
find dies die Willensacte: Entfchlüffe und Handlungen. Hier Mt
der Sag vom Grund als Geſetz der Motivation auf. JM
MWillensact hat nämlich ein Motiv, das in einer bloßen Borftelmg
befteht, zur Urſache und ift ohne ein folches eben jo undenkbar, wie Bi
Bewegung eines leblofen Körpers ohne Stoß, oder Zug. Das Dot!
Grund 315
gehört im firengften Sinne zu den Urſachen, denn e8 ift eine der drei nnter
der erſten Geſtalt des Satzes vom Grunde aufgeführten Formen der
Saufalität. Aber, weil bie Erkenntnißart der Motivation eine von der
der Gaufalität verjchiedene ift, da die Einwirfung des Motivs von und
nicht blos, wie die der andern Arten von Urfachen, von außen und
daher nur mittelbar, fondern zugleich von innen, ganz unmittelbar er⸗
konnt wird, die Motivation aljo die Caufalität von innen gefehen
iß, jo ift diefelbe als eine befondere und eigenthiimliche Geftalt des
Satzes vom Grunde aufzuführen. (©. 144 fg.)
II. Vergleichungen und Folgerungen.
1) Die Folge (in ber einen Geftalt) als Grund (im
der andern).
Die Einfiht in einen Seinsgrund kann Erkenntnißgrund werden,
Gen wie auch die Einfiht in das Geſetz der Caufalität und feine
wendung auf einen beftimmten Yal Erkenntnißgrund der Wirkung
# Dadurch wird aber Teineswegs die gänzliche VBerfchiedenheit zwischen
und des Seins, des Werdens und des Erkennens aufgehoben. In
vielen Füllen ift Das, was nad) einer Geftaltung des Satzes vom
Bunde Folge ift, nach der andern Grund; fo ift fehr oft die
Birkung Erkenntnißgrund der Urſache. 3. B. das Steigen des Ther-
mwometer8 ift, nad) dem Geſetze der Caufalität, Folge ber vermehrten
Birme, nach dem Sage vom Grunde des Erkennens aber ift es
Orand, Erkenntnißgrund der vermehrten Wärme, wie auch des Ur«
teils, welches diefe ausfagt. (©. 131 fg.)
2) Wechfelfeitigfeit (Reciprocität) der Gründe.
De Seinsgrund im Raume bat, weil im Raume keine Suc-
eeffion if, das Eigenthümliche, daß bei demfelben ein Analogon der
ſegenennten Wechfelwirfung ftattfindet, da jede Linie in Hinficht
anf ihre Lage ſowohl beftimmt durch alle andern, als fie beftimmend
Mund es nur Willkür ift, wenn man irgend eine Linie blos als
die andern beftimmend und nicht als durch fie beftimmt betrachtet.
(8. 132. 152.)
Dingegen das Geſetz der Cauſalität läßt Feine Neciprocation zu,
“die Wirkung mie die Urfache ihrer Urfache fein kann, weshalb der
degiff der Wechſelwirkung, feinem eigentlichen Sinne nad, nicht
aläſſig iſ. (©. 42. 153. W. I, 544— 549.)
Time Reciprocation nach dem Say vom Grunde des Erkennen
lönnte nur bei MWechfelbegriffen ftattfinden, indem nur bie Sphären
ae gegenfeitig decken. Außerdem giebt fie den circulus vitiosus.
. 153)
‚I Reigen der Gründe und Folgen.
Die Reihe der Werdensgründe (Urſachen) geht, da hier jede
Yingumg immer wieber durch eine vorhergängige bedingt ift, rüd-
viits (a parte ante) in's Unendliche (in infinitum). — Die Reihe
316 Grund
der Seinsgründe im Raume iſt ebenfall® eine unendliche und zwi
nach allen Dimenfionen. In der Zeit hat bie Reihe der Seinsgrünk
ſowohl rüdwärts ald vorwärts (a parte ante und a parte post) cm
unendliche Ausdehnung, indem jeder YWugenblid durch einen frühen
bedingt ift umd ben folgenden nothwendig herbeifüihrt. — Die Reihe der
Erlenntnißgründe dagegen endigt immer irgendivo, nämlich entweter
in einer empirifchen, ober transfcendentalen, oder metalogifchen Wahr⸗
heit.” (S. Sat vom Grunde des Erkennens.) — Bon den Motiven
(Gründen des Handelns) giebt e8 zwar Reihen, indem der Entſchluß
zur Erreihung eines Zweckes Motiv wird des Entfchluffes zu eu
ganzen Reihe von Mitteln; boch endigt diefe Reihe immer vildwärs
(a parte priori) in einem letten Motiv, fei diefes nun eim reale,
anfchaulihes Object, oder ein bloßer Begriff, welches urfprüng
ih vermochte, diefen individuellen Willen in Bewegung zu ſtetza
(G. 155—157.)
4) Die vierfahe Nothwendigkeit.
"Das Verhültniß des Grundes zur Folge, in allen feinen Geftalte,
ift eim nothwendiges, ja es ift überhaupt der Urfprung, wie bie allg
Bedeutung des Begriffes der Nothwendigleit. Es giebt Feine ander
Nothwenbigkeit, als die der Folge, wenn der Grund gegeben ift, un
es giebt feinen Grund, der nicht Nothwendigfeit der Yolge Herbeiführt.
(W. I, 88. ©. 91. 153.)
Gemäß den vier Geftalten des Satzes vom Grunde giebt es denmad
eine vierfache Nothwendigkeit: 1) die Logifche, nach dem Sage vom
Erlenntnißgrunde, vermöge welcher aus den Prämiſſen die Concluſien
folgt; 2) die phyfifche, nad) dem Geſetze der Cauſalität, vermög
welcher aus der Urſache bie Wirkung hervorgeht; 3) die mathe
matifche, nad) dem Sag vom Grunde des Seins, vermöge welchet
jebes von einem wahren geometrifchen Lehrfage ausgefagte Berhältit
fo ift, mie er es befagt, und jede richtige Rechnung unwiderleglich
bleibt; 4) die moralifche, vermöge welcher jeder Menſch, and) jee!
Thier, nach eingetretenem Motiv, die Handlung vollziehn muß, weik
feinem angeborenen und unveränderlichen Charakter gemäß ift. (©. 1%.
5) Relativität der dem Sag vom Grunde unter
worfenen Objecte.
Da der Sag vom Grunde in allen feinen Geftaltungen das Princy
der Dependenz, Nelativität, Enblichkeit in allen Objecten fir da}
Subject ift, fo folgt, daß vermöge des Satzes vom Grunde, ald kt
allgemeinen Form aller Objecte des Subjects, diefe Objecte felbft durd
und durch nur in der Relation zu einander beftehen, nur ein relatibet,
bebingtes Dafein haben, nicht ein abfolutes, ein Beſtehen an und für
fi. Jene Inftabilität, die der Sag vom Grunde dem Objecten fr
theilt, ift am auffallendften und fichtbarften in feiner einfachiten Ge
ſtaltung, der Zeit. Im ihr ift jeder Augenblick nur, fofern er din
vorhergehenden vertilgt Hat, um felbft wieder eben fo ſchnell vertigt
Orundgefege — Grunbfäße 317:
in werben. Dieſelbe Nichtigkeit aber, die uns Hier augenfällig ent-
gegentritt, Täßt fi) auch in allen andern Geftalten des Satzes vom
Grunde wiedererfennen und es läßt ſtch einjehen, daß wie die Zeit,
Io auch der Raum, und wie diefer, jo auch Alles, was in ihm und
der Zeit zugleich iſt, Allee alſo, was aus Urſachen oder Motiven
hervorgeht, nur ein relatives Dafein bat, nur durch und für ein
Anderes, ihm gleichartiges, d. 5. wieder nur eben jo beftehendes iſt, —
ane Anfiht, deren Wejentliches alt ift und in den bedeutendften
Philoſophien und Religionen, wenn auch in verfchiedenen Ausdrücken,
wiederlehrt. (W. I, Sfg. H. 417—420. ©. 158.)
6) Unguläffigfeit des unbeftimmten Gebrauchs bes
Wortes Grund,
Es giebt fo wenig einen Grund überhaupt, wie einen Triangel
überhaupt, außer in einem abftracten, durch discurfives Denken ge=
wanenen Begriff, der als Vorſtellung aus Vorftellungen nichts weiter
R, als ein Mittel, Vieles durd) Eines zu denken. Wie jeder Triangel
fig>, ober recht« oder ſtumpf⸗ winklich, gleichjeitig, oder gleichſchenklich
Rer ungleichfeitig fein muß; fo muß auch jeder Grund zu einer der
dier möglichen Arten von Gründen gehören. An jeden Philofophen
daber, der bei jeinen Speculationen von einem Grunde fpridt,- ift
die Forderung zu ftellen, daß er beftimme, welche Art von Grund er
win. (G. 158—160.) Jeder, der auf den Sag vom Grund einen
Scqluß gründet, hat die Berbindlichfeit, genau zu beftimmen, auf welche
ver verichiebenen, dem Sage zum Grunde liegenden Nothwendigfeiten
er fih flüge und folche durch einen eigenen Namen zu bezeichnen.
(9. 3) Man darf nicht, an den abftracten Ausdrud „Grund“ fich
haltend, die verfchiedenen Klaſſen von Gründen confundiren. (W.I, 575.)
Örundgefebe, apriorifche, der Welt. (S. unter Apriori: Bedeutung
eines Berzeichniffeg fümmtlicher in unferer anfchauenden Erfenntnig
s priori wurrzelnden Grundwahrbeiten.)
Erundfäße,
1) Unentbehrlichkeit der Grundfäge zu einem morali-
[hen Lebenswandel.
Obwohl Grundſätze und abftracte Erkenntniß keineswegs die Ur⸗
guelle oder erfte Grundlage ber Moralität find; fo find fie doc) zu einem
moaliſchen Lebenswandel unentbehrlich, als das Behältniß, das Re—⸗
ſerdoir, in welchem die aus der Quelle aller Moralität (dem Mitleiden),
als meihe nicht im jedem Augenblide fließt, entjprungene Gefinnung
derart wird, um, wenn der Yall der Anwendung kommt, durd)
Ableitemgstanäle dahin zu fließen. Ohne feft gefaßte Grundfäße
nrden wir den antimoralifchen Triebfedern, wenn fle durch äußere
Emdrüde zu Affecten erregt find, untwiberftehlich Preis gegeben fein.
%s Feſthalten und Befolgen der Grundſütze, den ihnen entgegen wir⸗
Motiven zum Trotz, ift Selbftbeherrfhung. (E. 214 fg.)
- 318 But
2) Unfähigfeit des Thieres zu Grundfätzen nu
Shwäde der Weiber im Berftehen und Befolge
derſelben.
Da Grundſätze durch die abſtracte oder Vernunfterkenntniß bedi
find, dieſe aber dem Thiere gänzlich fehlt, fo iſt das Thier lei
Grundfäge und mithin feiner Selbſtbeherrſchung fähig, ſondern
Eindrud und Affeet wehrlos hingegeben. (E. 215.) Bei den Weiberg
überwiegt die intuitive Erkenntniß die abftracte. Das Anſchauli
Gegenwärtige, unmittelbar Reale ift ihnen faßlicher, als das nur mitt
ber Begriffe erkennbare Entfernte, Abweſende, Bergangene, Zukünfti
Wegen dieſer Schwäche ihrer Vernunft find fie weit weniger, als DW
Männer fähig, allgemeine Grundſätze zu verftehen, feitzuhalten u
zur Richtſchnur zu nehmen. (E. 215.)
3) Unbewußte Grundfäge. |
Nach abftracten Grundfägen handeln ift ſchwer und gelingt af
nad) vieler Uebung, und felbft da nicht jedes Mal; auch find fe gi
nicht ausreichend. Hingegen bat Jeder gewifie angeborene, ceae
crete Orunbfüte, die ihm in Blut und Saft fteden, indem fie WR,
Reſultat alles feines Denkens, Fühlens und Wollens find. Er if
fie*meiftens nicht in abstracto, fondern wirb erft beim Rückblick ad
fein Leben gewahr, daß er fie ftet befolgt Kat und vom ihnen, me
von einem unfichtbaren Faden ift gezogen worben. Je nachdem fr
find, werben fie ihn zu feinem Glück oder Unglüd leiten. (P. J, 500)
Gut.
1) Kritik der Behandlungsweife bes Begriffs „gut”
in der modernen Philoſophie.
Biele moderne Philoſophen halten fälſchlich die Begriffe gut um
böfe file einfade, d. h. feiner Erklärung bedürftige, moch fühg
Begriffe und reden dann meiften® fehr geheimnißvoll und andächtig von
einer „Idee des Guten‘, aus welder fie die Stüte ihrer Erhl,
oder wenigſtens einen Dedmantel ihrer Dürftigleit machen. (E. 26%
W. I, 425.) Eben fo machen fie e8 mit den Begriffen „ſchön“ ze
„wahr“, denen fie noch durch ein angehängtes „heit“ eine bejonder
Teierlichkeit geben, fo daß dann jeder zum Denken Unfähigfte nur
glaubt, mit feierlicher Miene jene drei Worte vorbringen zu bürfen,
unf große Weisheit geredet zu haben; während doch dieſelben in Wahr:
beit drei fehr weite und abftracte, folglich gar nicht inhaltreiche Begrifit
bezeichnen, welche fehr verfchiedenen Urjprung und Bedeutung haben.
(®. I, 425. ©. 114.)
2) Relativität des Begriffes „gut“.
Der Begriff „gut“ ift wefentlich relativ und bezeichnet die Ange
meffenheit eines Objects zu irgend einer beftimmten Be
firebung des Willens Alſo das BVerfchiedenfte, wofern es nut
dem Willen in irgend einer feiner Aeußerungen zujagt, feinen Zwed
Gut 319
fallt, erhält das Prädicat „gut“. Wie alle andern Wefen, die in
Kiehung zum Willen treten Können, hat man nun auch Menſchen,
it den gerade gemwollten Zwecken günftig, förderlich waren, gut ge⸗
annt, in derjelben Bedeutung und immer mit Beibehaltung des
telativen. Diejenigen aber, deren Charakter es mit ſich brachte,
berhaupt die fremden Willensbeftrebungen nicht zu hindern, vielmehr
8 befördern, aljo die Hitlfreichen, Wohlwollenden, Freundlichen, Wohl⸗
igen, find wegen dieſer Relation ihrer Hanblungsweife zum Willen
er überhanpt, gute Menſchen genannt worden. (W. I, 425 fg.
2265.) Wegen der Relativität jedes Guten ift „Abfolutes Gut“
a Biderfprud). Es giebt kein abfolutes, kein höchſtes Gut, Feine
sole Befriedigung des Willens; fondern ftet8 nur ein einftweiliges.
ber tropifch könnte man die günzliche Selbſtaufhebung und Verneinung
$ Willens das abfolute Gut nennen. (W. I, 427 fg.)
3) Zwei Unterarten des Begriffes „gut“.
Ter Begriff des Guten zerfällt in zwei Unterarten, nämlich bie
a unmittelbar gegenwärtigen und die der nur mittelbaren, auf die
Rlunft gehenden Befriedigung des jedesmaligen Willens, d. h. das
Ingenehme und das Nützliche. (W. I, 426.)
4) Wefen des guten Menfchen, an fich felbft betrachtet.
Erft nachdem der gut genannte Menſch dieſes Prädicat in Beziehung
wi den pajfiven Theil, ben fremden Willen, deſſen Beitrebungen
bard ihre gefördert werden, erhalten hatte, konnte fpäter die Betrachtung
vom paffiven auf den activen Theil übergehen und bie Handlungsweife
bet guten Menſchen nicht mehr in Bezug auf Andere, fondern auf
iga ſelbſt unterfuchen, nad) ihrer immern Quelle und nad dem Grunde
iſeer ethiſchen Billigung forſchend, woraus die ethischen Syſteme ent⸗
Banden. (W. I, 426.)
Unterfuchen wir nun ben Charakter eines guten Menfchen nicht
Hs in Hinficht auf Andere, fondern an ſich felbft; fo ergiebt fich,
deß die ganz ummittelbare Theilnahme am Wohl und Wehe Anderer,
a8 welcher die Tugenden der Gerechtigkeit und Menſchenliebe in ihm
feroorgehen, ihre Duelle darin bat, daß er weniger, als die
Übrigen, einen Unterſchied zwiſchen fidh und Andern madit,
%f er das principium individuationis durchſchaut, ſich in den Andern
vichererkennt. (E. 265. 271. W. I, 439fg. 447. W. U, 580.
vergl Boſe.)
5) Unterſchied zwiſchen dem Guten und dem ſcheinbar
Öutmüthigen.
Der gute Menſch ift keineswegs für eine urſprünglich fchwächere
Villenterſcheinung, als der böfe, zu halten; ſondern es iſt die Er⸗
Imtsiß, welche im ihm den blinden Wiliensdrang bemeiſtert. Es
Wit zwar Individuen, welche blos fcheinen gutmüthig zu fein, wegen
in Schwäche des im ihnen erfcheinenden Willens; iwas fie find, zeigt
320 Güter — Haare
fi) aber bald daran, daß fie Feiner beträchtlichen Selbftübermindun
fähig find, um eine gerechte ober gute That auszuführen. (W. J, 439.
Güter.
1) Eintheilung der menſchlichen Lebensgüter.
Die Güter des menſchlichen Lebens zerfallen in drei Claſſen:
1. Was Einer iſt: alſo die Perſönlichkeit, im weiteſten Cine.
Hierunter ift Gefundheit, Kraft, Schönheit, Temperament, moralifhtr
Charakter, Intelligenz und Ausbildung derfelben begriffen.
2. Was Einer dat: alfo Eigenthum und Beſitz in jeglichem Ein.
3. Was Einer vorftellt; d. 5. was er in ber Borftellung %:
derer ift, alfo eigentlich wie er von ihnen vorgeftellt wird. Cs
befteht demnad) in ihrer Meinung von ihm und zerfällt in Ehre, Kan;
und Ruhm. (P. I, 333.)
2) Einfluß derjfelben auf das menſchliche Lebent
glüd. (S. Glückſäligkeitslehre.)
GSEymnaſien.
Auf Gymnaſien ſollte Feine altdeutſche Litteratur, Nibelungen
und ſonſtige Poeten des Mittelalters gelehrt werben; dieſe Dingt
find zwar höchſt merkwürdig, auch leſenswerth, tragen aber nicht zu
Bildung des Geſchmacks bei und rauben die Zeit, welche der altaı,
wirklich Haffifchen Litteratur angehört. Die Nibelungen mit de
Ilias zu vergleichen ift eine rechte Blasphemie, mit welder di
Obren der Jugend vor Allem verfchont bleiben follen. (PB. IL, 607.-
Vergl. auch Klaſſiker, umd über die Wichtigkeit des Lateinifhea
fiehe: Latein.)
9.
Haare.
1) Analogie zwifhen Kopf und Genitalien in Hinfidt
des Behaartfeins.
Die Endurſache der Pubes, bei beiben Geſchlechtern, und dei
Mons Veneris beim weiblichen, ift, daß auch bei fehr magern Eu
jecten während der Copulation die Ossa pubis nicht fühlbar werde
follen, als welches Abfchen erregen konnte; bie wirkende Urſache
hingegen ift darin zu fuchen, daß überall, wo die Schleimhaut in die
äußere Haut übergeht, Haare in der Nähe wachfen, nächſtdem auf
darin, daß Kopf und Genitalien gewiffermaßen entgegengefette Fol
bon einander find, daher mancherlei Beziehungen und Analogien mi
einander Haben, zu welchen auch das Behaartfein gehört. Die jet
wirkende Urſache gilt auch vom Bart der Männer. (W. II, 382 fg. -
Bergl. Bart.)
Handlung. Handlungsweiſe 321
2) Ueber weiße Haare.
Das Weißwerden der Haare, welches mehr Folge der Geiftesan-
firengung, wie auch des Grams, als des Alters ift, pflegt von dem
Schläfen auszugehen; was zu der Vermuthung führt, daß ber unter
der Schläfengegend Tiegende Theil des Gehirns der beim Denken vor»
zugäweife thätige ſei. (P. II, 182.)
Das graue und weiße Haar if für den Denfchen, was für bie
Diume das rothe und gelbe Laub im October, und Beides nimmt
ih oft recht gut aus; nur darf Fein Ausfall hinzugekommen fein.
($. D, 182.)
Merkwürdig ift es, daß dem Menſchen ein gewiſſer Refpect vor
weißen Haaren angeboren und daher wirklich inftinctiv ift. Runzeln,
aan ungleich fichereres Kennzeichen des Alters, erregen diefen Reſpect
keineewegs; nie wird von ehrwürdigen Nunzeln, aber ftet3 vom chr-
würdigen weißen Saar geredet. (PB. I, 386.)
handlung. Handlungsweife.
1) Die Handlung als nothwendiges Product zweier
Bactoren.
Die jede Wirkung in ber unbelebten Natur ein nothwendiges Product
weier Factoren ift, nämlich der Hier fich äußernden allgemeinen
Naturfraft, und der diefe Aeußerung bier hervorrufenden einzelnen
Urfache; gerade fo ift jede Handlung eines Dienfchen das nothiwendige
Product feines Charakters uud des eingetretenen Motivs. Sind
diefe beiden gegeben, fo erfolgt fie unausbleiblich. Damit eine andere
entftände, müßte entweder ein anderes Motiv oder ein anderer Charakter
gelegt werben. Auch wiirde jede Handlung ſich mit Sicherheit vorher⸗
lagen, ja berechnen laſſen, wenn nicht theil® der Charakter fehr ſchwer
zu erforfchen, theils auch das Motiv oft verborgen und ſtets der
Gegenwirkung anderer Motive, die allein in der Gedankenſphäre des
Renſchen, Andern unzugänglich, liegen, blosgeftellt wäre. (E. 56.)
Je Ding wirft gemäß feiner Beichaffenheit, und fein auf Urfachen
erfolgendeg Wirken giebt die Befchaffenheit Fund. Jeder Menſch hans
delt nach dem wie er ift, und bie demgemäß jedes Mal nothwendige .
Handlung wird, im individuellen Fall, allein durd die Motive be
um. Aus dem Esse (Charakter) und den Motiven folgt das
Operari (Handeln) mit Rothwendigkeit. (E. 97. 176. P. IL, 247.)
Keine Handlung Tann ohne zureichendes Motiv gefchehen; fo wenig,
als ein Stein ohne zureichenden Stoß, oder Zug fich bewegen kann.
Chen fo werig kann eine Handlung, zu welcher ein für den Charafter
des Handelnden zureichendes Motiv vorhanden iſt, unterbleiben, wenn
a ſtärkeres Gegenmotiv ihre Unterlaffung notwendig macht.
. 205.)
2) Zufammenbeftehen der Freiheit und Berantwort«-
lihleit mit der Nothwendigkeit der Handlungen.
(S. unter Freiheit: Wo die moralifche Freiheit liegt.)
GöoprnpauersLezifon. I. 21
322 Handlung. Haublungsweife
3) Letzter Zwed jeder Handlung.
Was den Willen bewegt, ift allein Wohl und Wehe überhaupt un)
im weiteften Sinne bes Wortes genommen; wie auch umgekehrt Wohl
und Wehe bebeutet „einem Willen gemäß, oder entgegen”. Alſo muk
jedes Motiv eine Beziehung auf Wohl und Wehe Haben. Folglich
bezieht jede Handinug ſich auf ein für Wohl und Wehe empfängliäes
Weſen, als ihren legten Zweck. Diefes Weſen ift entweder der Ha
delnde felbft, ober ein Anderer, welcher alsdann bei der Handlung
paffio beteiligt ift, indem fie zu feinem Echaden oder zu jenem
Nutz und Frommen gejhicht. (E. 205 fg.)
4) Die drei Grundtriebfedern der menſchlichen Hand⸗
lungen.
Es giebt überhaupt nur. drei Grundtriebfedern der wmenfdlihen
Handlungen, und allein durch Erregung berfelben wirken alle irgend
möglichen Motive. Sie find:
a) Egoisſsmue, der das eigene Wohl will (ift gränzenloß).
b) Bosheit, die das fremde Wehe will (geht bis zur äuferfen
Grauſamlkeit).
ec) Mitleid, welches das fremde Wohl will (geht bis zum Eid
muth und zur Großmuth).
gebe menſchliche Handlung muß auf eine diefer Triebfedern zurüd je
führen fein; wiewohl auch zwei derfelben vereint wirfen können. (€. 210)
5) Beränderlichleit der Handlungsweife bei Under⸗
änderlidhleit des Charakters.
Aus der Unveränderlichleit des Charakters folgt zwar, daß en
Menfch, wie er in eimem Falle gehandelt hat, fo unter völlig gleihe
Umftänden ſtets wieder handeln wird, was auch Geber vorandiett,
indem er Dem, ben er ein Mal unreblich befunden, nie wieder trat.
Aber zu den Umpftänden gehört auch die Erfenntniß, die Anſicht des
Individuums von den Dingen, und biefe ift ber Veränderung nat
worfen, daher auch die Handlungsweiſe veränderlich ift. Das Je
dividuum kann zu der Einficht gelangen, daß dieſe oder jene Mittel, De
es früher anwandte, nicht zu feinem Ziele führen, ober mehr Nachtkeik,
als Gewinn bringen; dann ändert es die Mittel, wenngleich nicht die
Zwede. Trog der Unveränderlichleit des Charakters und trag de
Notwendigkeit, mit der bie Motive wirken, ift alfo doc, weil de
Motive durch die Erkenntniß, als welde das Medium ber Mori
ift, Hindurchzugehen haben, bie Erkenntniß aber ber mannigfaltigſtn
Erweiterung und ber immerwäßrenden Berichtigung fähig ift, — die
Handlungsweife fehr veränderlich. Unter gleichen äußern Um
ftänden ann doch die Lage eines Menfchen das zweite Mal in dr
That eine ganz andere fein, als das erſie, wenn er nämlich erfi in de
Zwischenzeit fähig geworden ift, jene Umftände richtig und vollfländis
Harmonie — Haſardſpiele 323
zu begreifen, wodurch jet Motive auf ihm wirken, denen er früßer
myugänglid) war. (E. 50-52.) ‘
6) Erfennbarkeit des Charakters aus den Handlungen.
(S. unter Charakter: Erkennbarkeit des Charakters.)
7) Die Handlung im Drama (S. Drama,)
8) Kriterium der Handlungen von Acht moraliſchem
Werth. (S. Moraliſch. Moralität.)
harmonie.
1) Harmonie in ber Natur. (S. Simmel.)
2) Harmonie in ber Mufil. (©. Muſik.)
3) Pythagoräifhe Harmonie ber Sphären. (S. Him⸗
nel.)
4) Leibnitz's präftabilirte Harmonie.
Leibnitz, der das Bedingtfein des Objects durch das Subject wohl
fühlte, jedoch fich von dem Gedanken eines Eeind an fich ber Objecte,
unabhängig von ihrer Beziehung auf das Subject, d. h. vom Bor⸗
getelltwerden, nicht frei machen konnte, nahm eine der Welt ber
Vorftellung genau gleiche und ihr parallel Laufende Welt der Objecte
on fi) an, die aber mit jener nicht direct, fondern nur äußerlich,
mittelft einer harmonia praestabilita, verbunden war; — augenfchein-
lich das Ueberflüiftgfte auf der Welt, da fie felbft nie in die Wahr-
nehmung fällt und die ihr ganz gleiche Welt in der Vorftellung auch
one fie ihren Gang geht. (G. 32 fg.) “Die harmonia praestabilita,
die ums zwei gänzlich verfchiebene, einander parallel laufende und auf
em Haar mit einander Tact haltende Welten liefert, jede unfähig, auf
die andere zu wirken, jede die völlig fiberflüffige Doublette dex andern,
ließe fid) vielleicht am beften durd) die Vergleichuug mit der Bühne
jaßlich machen, als wofelbft ſehr oft ber influxus physicus nur
ſcheinbar vorhanden ift, indem Urſach und Wirkung blos mittelft einer
vom Regiſſeur präftabilirten Harmonie zufammenhängen, 3. B. wann
der ine fchiet und der Andere a tempo fällt. (P. I, 7.)
Sartherzigkeit.
Bas die Menfchen hartherzig macht, ift Dieles, daß Jeder an
feinen eigenen Plagen genug zu tragen hat, oder doch es meint. Daher
macht ein ungewohnter glüdlicher Zuftand die Meiften theilnchmend
und wohlthätig. Aber ein anhaltender, ftet3 dageweſener, wirkt oft
umgekehrt, indem er fie dem Leiden fo ſehr entfrembet, daß fie nicht
mehr daran Theil nehmen können; daher kommt es, daß bisweilen bie
Armen ſich hüffreicher erweifen, als die Reichen. (P. IL, 627.)
haſardſpiele, |. Spiel.
21 *
392 Sandlung. Hanblungemweife
3) Letzter Zwed jeder Handlung.
Was den Willen bewegt, ift allein Wohl und Wehe überhaupt un
in weiteften Sinne des Wortes genommen; wie auch umgekehrt Wohl
und Wehe bedeutet „einem Willen gemäß, ober entgegen“. Alſo nuk
jebes Motiv eine Beziehung auf Wohl und Wehe Haben. Yolglid
bezieht jede Handlung fich auf ein für Wohl und Wehe empfänglickes
Weſen, als ihren legten Zweck. Diefes Weſen ift entweder der Hax
delnde felbft, ober ein Anderer, welcher alsbann bei ber Handlug
pafſiv berheiligt ift, indem fie zu feinem Schaden ober zu ſeinen
Nug und Frommen gefhicht. (E. 205 fg.)
4) Die drei Örundtriebfedern der menſchlichen Hand-
lungen.
Es giebt überhaupt nur drei Grundtriebfedern der merſchlichen
Handlungen, und allein durch Erregung derfelben wirken alle ine
möglichen Motive. Sie find:
a) Egoismue, der das eigene Wohl will (if grängenlos).
b) Boßheit, die das fremde Wehe will (geht bis zur äußerſen
GSraufanıkeit).
c) Mitleid, welches das fremde Wohl will (geht bie zum Eid.
muth und zur Großmuth).
Gebe menschliche Handlung muß auf eine diefer Triebfedern zurüd zı
führen fein; wiewohl auch zwei derfelben vereint wirken können. (E. 210)
5) Beränderlichleit der Hanblungsweife bei Unver:
änderlichleit des Charakters.
Aus der Unveränderlichkeit des Charakters folgt zwar, daß az
Menſch, wie er in einem Falle gehandelt hat, fo unter völlig gleichen
Umftänden fiet6 wieder handeln wird, mas aud) Jeder voraudiett,
indem er Dem, den er ein Mal unredlich befunden, nie wieder trakt.
Über zu den Umftänden gehört auch die Erfenntniß, die Anficht dr
Indivibuums von den Dingen, und diefe ift der Veränderung zakr
worfen, daher auch die Handlungsweife veränderlic if. Das Jr
dividnum kann zu der Einſicht gelangen, daß dieſe oder jene Mittel, die
es früher anwandte, nicht zu feinem Ziele führen, oder mehr Nachtheile,
als Gewinn bringen; bann ändert e8 die Mittel, wenngleich nidt die
Zwecke. Trotz der Unveränderlichleit des Charakters und trog dr
Notäwendigkeit, mit der bie Motive wirken, ift aljo doch, weil die
Motive durch die Erfenntniß, als welche das Medium der Moti
if, hindurchzugehen haben, die Erkenntniß aber der mannigfaltigfer
Erweiterung und der immerwährenden Berichtigung fähig ift, — dit
Handlungsmweife fehr veränderlich. Unter gleichen äußern Im
ftänden Yan doch die Lage eines Menfchen das zweite Mal in it
That eine ganz andere fein, als das erfte, wenn er nämlich erft in der
Zioifchenzeit fähig geworben ift, jene Umftände richtig und voländig
Harmonie — Haſardſpiele 323
zn begreifen, wodurch jet ‘Motive auf ihn wirken, denen er früßer
maugänglid; war. (E. 50-52.) j
6) Erkennbarkeit des Charakters aus ben Handlungen.
(S. unter Charakter: Erkennbarkeit des Charakters.)
7) Die Handlung im Drama (S. Drama.)
8) Kriterium der Handlungen von Acht moralifhen
Werth. (©. Moraliſch. Moralität.)
Sarmenie.
1) Harmonie in der Natur. (©. Himmel)
2) Harmonie in ber Mufil. (S. Muſik.)
3) Pythagoräifhe Harmonie der Sphären. (©. Him⸗
nel.)
4) Leibnitz's präftabilirte Harmonie.
Leibnitz, ber das Bedingtfein des Objects durch das Subject wohl
fühlte, jedoch fich von dem Gedanken eines Seins an ſich der Objecte,
mabhängig von ihrer Beziehung auf das Eubject, d. h. vom Bor⸗
getelltwerden, nicht frei machen Fonnte, nahm eine ber Welt der
Torftellung genau gleiche und ihr parallel laufende Welt der Objecte .
an fih an, die aber mit jener nicht direct, fondern nur äußerlich,
nittelft einer harmonia praestabilita, verbunden war; — augenfchein-
lich das Ueberflüffigfte auf der Welt, da fie felbjt nie in die Wahr»
nehmung fällt und die ihr ganz gleiche Welt in der Vorftellung auch
ohne fie ihren Gang geht. (©. 32 fg.) Die harmonia praestabilita,
die und zwei gänzlich verfchiebene, einander parallel laufende und auf
em Haar mit einander Tact haltende Welten Tiefert, jede unfähig, auf
die andere zu wirken, jede die völlig fiberflüffige Doublette der andern,
hße ſich vielleicht am beften durch die Bergleihung mit der Bühne
feßlih machen, als wofelbft fchr oft der influxus physicus nur
ſcheinbar vorhanden ift, indem Urfah und Wirkung blos mittelft einer
vom Regiſſeur präftabilirten Harmonie zufanınıenhängen, 3. B. wann
der Eine fchießt und der Andere a tempo fält. (P. I, 7.)
Sartherzigheit.
Bas die Dienfchen Hartherzig macht, ift Diefes, daß Jeder an
ſeinen eigenen Plagen genug zu tragen hat, oder dod) e8 meint. Daher
Mast ein ungewohnter glüdlicher Zuftand die Meiften theilnehmend
und wohlthätig. Aber ein anhaltender, ſtets dageweſener, wirft oft
umgekehrt, indem er fie dem Leiden fo fehr entfremdet, daß jie nicht
mehr daran Theil nehmen können; daher kommt es, daß bisweilen die
Armen ſich Hülfreicher erweiſen, als die Reichen. (P. II, 627.)
Safardfpiele, ſ. Spiel.
21 *
324 | Daß — Häßlide
Haf.
1) Der Haß als in der moralifhen Schlechtigkeit der
menfhlihen Natur wurzelnd.
Zum grängenlofen Egoismus unferer Natur geſellt ſich nod em,
mehr oder weniger in jeder Menfchenbruft vorhandener Borrath von
Haß, Zorn, Neid, Geifer und Bosheit, angefammelt, wie das Gift in
ber Blafe des Schlangenzahns, und nur auf Gelegenheit wartend, fid
Luft zu machen, um bann wie ein entfeffelter Dänon zu toben und
zu wüthen. (P. 1I, 228.)
2) Verhältniß des Haffes zum Zorn.
Der Haß verhält fih zum Zorn, wie die chronifche zur aculen
Krankheit. Beide, wenn fie nur auf feinen Wiberftand ftoßen, ge
währen füße Befriedigung. (P. U, 228 fg.)
3) Antagonismus zwifhen Haß und Beradtung.
Haß iſt Sache bes Herzens, Beratung bes Kopfes. Haß m
Beratung ftehen in entfchiedenem Antagoniemus und fchließen einander
aus. Sogar hat mancher Haß feine andere Duelle, als die Hohe
achtung, welche fremde Vorzüge erzwingen. (P. II, 626.)
4) Warum das Ih den Haß fo wenig, wie bie Ber
ahtung in feiner Gewalt hat.
Das IH hat fo wenig den Haß, wie die Verachtung im fen
Gewalt; denn fein Herz ift unveränderlih und wird durch Motide
bewegt, und fein Kopf urtheilt nad) unmanbelbaren Regeln und ob
jectiven Datid. Das Ich ift blos die Berfnüpfung biefes Herzens wit
diefem Kopfe. (P. II, 626.)
5) Der unverföhnlidfte Haß.
Kein Haß ift fo unverfößnlich, wie der Neid; daher wir nicht unab-
Läffig bemüht fein follten, ihn zu erregen, vielmehr beſſer thäten, diefen
Genuß, der gefährlichen Folgen wegen, uns zu verfagen. (P. J, 458 ft.)
6) Lebensregel in Bezug auf ben Haß.
Zorn oder Haß in Worten, oder Mienen bliden zu laſſen ift unnüß,
iſt gefährlich, ift unklug, ift Tächerlich, ift gemein. Man darf alſo
Zorn oder Haß nie ander& zeigen, als in Thaten. Letzteres wird man
am fo volllonmener können, als man Erfteres volllommener vermieden
Sat. (P. 1, 497.)
Hüfliche, das.
1) Warum uns manche Raturobjecte Häßlich erfcheinen.
(S. Shin. Schönpett.)
2) Das Häßlihe ala Gegenftand ber Kunfl. (S. unta
Malerei: Gegenfag zwijchen Malerei und Sculptur.)
Hansfreunde — Heiligkeit. Heilige 395
Sausfreunde.
Die Hausfreunde heißen meiftens mit Hecht fo, indem fie mehr
die Freunde des Hauſes, als des Herrn, alfo den Raten ähnlicher, als
den Hunden find. (P. I, 489.)
Sausichrer.
Die Hauslehrerftellen find als eine rechte Schule der Unterwitrfigfeit
und Fügſamkeit unter den Willen und die Anfichten des Brobherrn
eine fehr machtheilige Borfchule zur Profeſſur der Philoſophie. Denn
nn wirklichen Philofophiren ift Unabhängigkeit eine Hauptbedingung.
Sausthiere, ſ. Thier.
Hedonik.
1) Gegenfaß zwifhen Hedonik und Astetik.
Asketik ift Negation des zeitlichen Bewußtſeins, Hedonik feine
Afırmation. Der Brennpunkt diefer Affirmation ift Befriedigung
ve Geſchlechtstriebes; daher ift Keufchheit die erfte Stufe ber Asketil
(M. 729.)
2) Relative Wahrheit der Hedonil.
In der Rangorbnung der befondern Geſichtspunkte, welche bie vem
ihiebenen philoſophiſchen Syſteme repräfentiren, nimmt bie Hedonik
zwar die niedrigfte Stufe ein, hat aber body relative Wahrheit. ( H. 31&
131, Anmerk. — Bergl, auch unter Genuß: Werth der irdifchen
Genüſſe.)
heiden.
Bon den Belennern bes eigentlichen Theismus, der allein in ber
Yübifhen und den beiden aus ihr hervorgegangenen Religionen zu
finden ift, werden bie Anhänger aller andern Religionen auf Erden
unter dem Namen Heiden zufammengefaßt, — was ein höchſt einfäl-
tiger und roher Ausdrud ift, der wenigftens aus ben Schriften der
Gelehrten verbannt fein follte, weil ex Brahmaniften, Buddhaiſten,
Aegypter, Griechen, Römer, Germanen, Gallier, Jrokeſen, Patagonier,
Karaiben, Dtaheiter, Auftralier n. a. m. identificirt und in Einen Sad
fedt. Fur Pfaffen ift ſolcher Ausdruck pafjend; in ber gelehrten Welt
aber muß ihm fogleich die Thüre geiwiefen werden. (W. I, 577.)
Heiligkeit. Heilige.
1) Das innere Wefen ber Heiligfeit.
Das imere Weſen der Heiligkeit, abflract und rein von allem
Mythiſchen ausgefprochen, ift Berneinung des Willens zum Le=
ben, eintretend, nachdem ihm die vollendete (intuitive) Erkenntniß
eines eigenen Wefene zum Quietiv alles Wollens geworben.
(®. I, 462 fg.)
326 Heilkraft — Heilsordnung
2) Unabhängigkeit der Heiligkeit von Dogmen un
abftracten Syftemen.
Uuter ben verfchiedenften Glaubensgenoſſen finden ſich Heilige. So
ſehr verfchiedene Dogmen auch ihrer Vernunft eingeprägt waren, fprad
dennoch ſich die innere, unmittelbare, intuitive Erkenntniß, von welde
allein alle Tugend und Heiligkeit ausgehen kann, auf die gleiche und
nämliche Weile durch den Lebenswandel aus, (W. I, 452.) Bi
gleicher innerer Erlenntniß führten die Heiligen verfchiedener Nationen
eine fehr verſchiedene Spradye, gemäß den Dogmen, die fie cinmal in
ihre Vernunft aufgenommen hatten und welchen zufolge ein Indiige
Heiliger, ein Chriftlicher, ein Lamaiſcher, von feinem eigenen Thun,
jeder fehr verjchiedene Hechenfchaft geben muß, was aber fiir die Sad
ganz gleichgültig if. Kin Heiliger kann voll des abfurbeften Aber
glaubens fein, oder er kann umgelehrt ein Philofoph fein; beibes gilt
gleich. Sein Thun allein bekundet ihn als Heiligen; denn es geht, in
wmoralifcher Hinficht, nicht aus der abftracten, fondern aus der intuit
anfgefaßten unmittelbaren Erkenntnig der Welt und ihres Wein
hervor, und wird von ihm nur zur Befriedigung feiner Vernunft durch
irgend ein Dogma ausgelegt. Es ift daher fo wenig nöthig, daß der
Heilige ein Philofoph, als daß der Philoſoph ein Heiliger fei; fo wie
es nicht nöthig ift, daß ein volllommen fchöner Menſch ein Bildhauer,
oder daß ein großer Bildhauer auch felbft ein fchöner Menſch ſei.
(W. I, 453 fg. 466.)
3) Gegenſatz zwifhen ber Geſchichte ber Heiligen und
der Weltgeſchichte. (S. Geſchichte.)
4) Verwandtſchaft der Genialität mit der Heiligkeit
(S. unter Genie: Das Genie in ethicher Hinſicht.)
Meilkraft, der Natur. (S. Lebenskraft.)
Heilsordnung.
Der Zweck unſers Dafeins kann nicht, wie der Optimismus an
nimmt, der fein, glüclich zu fein, da ſich dem unbefangenen Blick dat
Leben darftelt wie ganz eigentlich darauf abgefehen, daß wir un
aicht glüdlich darin fühlen follen. Der Zwed bes Lebens kann auf
nicht ganz allein und unmittelbar in ben moralifchen Tugenden, aljo
in der Ausübung der Gerechtigkeit und Menſchenliebe Liegen. Vielmehr
iſt der Zwed des Lebens Läuterung, Wendung des Willens, Erlöfung
von dem fünbhaften, die traurige Befchaffenheit diefer Welt erde
führenden Wollen. Zu dieſem Zwed find Leiden und Tod wie berechnet.
Das Leben ift vom Leiden unzertrennlich; ein Anftrich von Abſicht⸗
Tichleit ift hierin nicht zu verkennen. Das Leiden ift der Läuterung
proceß, durch welchen allein in den meiften Fällen der Menſch geheiligt,
d. 5. von dem Irrweg bes Willens zum Leben zurildgeführt wir.
Su noch höherem Grade kommt dem mehr als alles Leiden gefitrchteten
Tode die heiligende Kraft zu. Bei dem naturgemäßen Verlauf lommi
Heiterkeit 327
Alter das Abſterben des Leibes dem Abſterben des Willens
entgegen. |
Ent man aljo den Zwed des Dafein® in die gänzliche Umkehrung
unfere® Weſens, fo ift damit der Verlauf des Lebens, das Leiden und
ihlieglih der Tod in Uebereinftunmung. Das Leben ftellt fich alsdann
dar als ein Länterungsproceß, deſſen reinigende Lauge der Schmerz
ft. IM der Proceß vollbracht, fo läßt er die ihm vorhergegangene
Immoralität und Schlechtigfeit als Schlade zurüd. (W.LL, 726— 733.)
Heiterkeit.
1) Das unmittelbar Beglüdende der Heiterkeit.
Unter den zum Lebensglüd nöthigen fubjectiven Gittern, melde
die Eudämonologie an die Spige ftelt (ſ. Glückſäligkeits—
lehre), d. 5. unter den Gütern die in Dem beftehen, was Einer ift,
in den perſönlichen Eigenfhaften, ift die Heiterfeit des Sinnes am
unmittelbarften beglüdend. Nichts kann fo fehr, wie diefe Eigen⸗
Ihaft, jedes andere Gut vollfommen erjegen; während fie felbft durch
richts zu erfegen iſt. Einer fei jung, ſchön, reich und geehrt, fo frägt
fih, wenn man fein Glück beurtheilen will, ob er dabei heiter fei; ıft
er hingegen heiter, fo ift e8 einerlei, ob er jung oder alt, gerade ober
pucklich, arm ober reich fei; er ift glüdlih. Die Heiterkeit allein ift
gleihfem die baare Münze des Glüds und nicht, wie alles Andere,
blos der Bamkzettel, weil nur fie unmittelbar in der Gegenwart bes
glückt; weshalb fie das höchſte Gut ift für Weſen, deren Wirklichkeit
die Form einer untheilbaren Gegenwart zwifchen zwei unendlichen
Zeiten hat. (P. I, 342.)
2) Grundbedingung der Heiterkeit.
Es iſt gewiß, daß zur Heiterkeit nichts weniger beiträgt, als Reich⸗
thum, und nichts mehr, ald Gefundheit. In den niedrigen, arbeitenden,
zumal das Land beftellenden Klaſſen find bie heitern und zufriebenen
Sefihter, in den reichen und vornehmen bie verbrießlichen zu Haufe,
Folglich follten wir vor Allem beftrebt fein, uns den hohen Grad
velllemmener Gefundheit zu erhalten, als deſſen Blüte bie Heiterkeit
fih einſtellt. (P. I, 343. Vergl. Geſundheit.)
3) Periodiſche Heiterkeit des Genies bei vorwaltender
Melancholie.
So viel auch zu der für unſer Glück fo weſentlichen Heiterkeit bie
Geſundheit beiträgt, fo hängt jene doch nicht von diefer allein ab;
auch bei vollfommener Gefundheit kann ein melancholiſches
Aemperament und eine vorherrſchend trübe Stimmung beftehen. Der
ledte Grand davon liegt ohne Zweifel in der urfprünglichen und daher
ungbänderlichen Befchaffenheit des Organismus, und zwar zumeift in
ı mehr oder minder normalen DVerhältnig der Eenfibilität zur Irri⸗
Weihtät und Reproductionokraft. Abnormes Uebergewicht der Senfibilität
wird Ungleichheit der Stimmmmig, periodijche übermäßige Heiterfeit und
328 Hellſehen — Herz
vorwaltende Melancholie herbeiführen. Werl nun auch das Genie
durch ein Uebermaaß der Nervenkraft, alfo der ‚Senfibilität, bedingt
ift; jo Hat Ariftoteled ganz richtig bemerkt, daß alle ausgezeichnete und
überlegene Menſchen melandoliich fein. (P. 1, 344 fg. — Vergl.
unter Genie: Nachtheile des Genies.)
4) Die Heiterkeit des blos individuellen Dafeind im
Gegenfaß zu der Melancholie der über die inbivie
duelle Erfcheinung hinausgehenden Bejahung det |
Lebens. | |
"Der Gefchlechtstrieb hebt jene Sorglofigfeit und Heiterkeit anf, die
ein blos individuelles Dafein begleiten würden, indem er in bag Be
mußtfein Unruhe und Melancholie bringt. Wird er Hingegen freiwillig
unterdritdt, indem der Wille ſich wendet, fo wird dem Bewußtſein je
GSorglofigfeit und Heiterkeit des blos individuellen Daſeins wiebergegebm,
und zwar auf einer erhöhten Potenz. (W. IL, 649.) |
Helfehen, |. Magie und Magnetismus,
Kermaphroditismus.
Mannpeit und Weiblichkeit laſſen unzäplige Grade zu, durch wide
jene 6i8 zum widerlichen Gynander und Hypoſpadäus ſinkt, diefe ii
zur anmuthigen Androgyne fteigt; von beiden Seiten aus fann br
vollkommene Hermaphroditismus erreicht werden, auf weldem u
bividuen ftehen, welche, bie gerade Mitte zwijchen beiden Gejchledtem
er feinem beizuzäßlen, folglich zur Sortpflanzung untauglic find. |
. II, 624.)
Heros.
Ein glüdliches Leben ift ummöglich, höchſtens kann der Maid
einen heroifchen Lebenslauf erlangen. Einen folchen führt Der,
welcher in irgend einer Art und Angelegenheit fiir das Allen irgendwie
zu Gute Kommende mit übergroßen Schwierigkeiten kämpft und au
Ende fiegt, dabei aber fchlecht oder gar nicht belohnt wird. Dam
bleibt er, am Schluß, wie der Prinz int Re corvo des Gozzi, der
fteinert, aber in edler Stellung und mit großmüthiger Gebärde flehen.
Sein Andenken bleibt und wird als Das eines Heros gefeiert; fein
Wille, durch Mühe und Urbeit, fchlechten Erfolg und Unbank der
Melt ein ganzes Leben hindurch mortificirt, erlifcht in der Nirmanc.
(®. U, 346.)
er).
1) Das Herz als das Centrum und primum mobile
bes Lebens.
Das erfte Product des Blutes, welches den Organismus urfprüng
ich Schafft und formt (ſ. Blut), find feine eigenen Gefüge und dann
die Musfeln, hiemit aber aud) das Herz, als welches zugleich Gefdß
und Muskel, und beshalb das wahre Centrum uud primum mobile
Herz 329
des ganzen Lebens iſt. (W. II, 289. 240.) Das Herz gehört ſowohl
den Muskel⸗ als dem Blut⸗ oder Gefaß⸗Syſtem an; woran erſicht⸗
{ih if, daß Beide nahe verwandt, ja ein Ganzes find, (W. I, 287.)
2) Die Bewegung des Herzens.
Die von der des Blutes unzertrennliche Bewegung des Herzens ift,
wenngleich durch das Bebürfnig Blut in bie Lunge zu fenden veran-
faft, doch eine urfprängliche, fofern fie vom Nervenſyſtem und der
Senſibilität unabhängig if. (W. I, 287.)
3) Gegenfag zwifhen Herz und Kopf.
Der Brimat des Willens über den Imtellect giebt ſich phyſiologiſch
darin zu erkennen, daß während bie Thätigleit des Kopfes (des Ge-
hirns) im tiefen Schlafe paufirt, das Herz dagegen unermüdlich ift;
weil jein Schlag und der Blutumlauf nicht unmittelbar durch Nerven
bedingt, fondern die urfprüngliche Aeußerung des Willens find. (8. II,
272) Dee Wille, der nicht, wie der Intellect, eine Funetion des
Leibes, ſondern deſſen Function ber Leib ift, theilt feine Unermüdlichkeit,
auf die Dauer bes Tebens, dem Herzen mit. (W. LI, 240.) Ferner,
während der Kopf altert, überhaupt in feiner Thätigfeit dem Werben,
Vechſel und Wandel unterworfen ift, bewahrt das Herz bis in’s
Ipätefte Alter umverändert feinen Charakter. ‘Die Güte des Herzens
macht den Greis noch verehrt und geliebt, wenn fein Kopf fchon bie
Schwächen zeigt, die ihn dem Kindesalter wieder zu nähern anfangen.
(®. II, 263— 267.)
Die allgemein gebrauchten und durchgängig fehr wohl verftanbenen
Anstrüde Herz und Kopf find aus einem richtigen Gefühl des
fundamentalen Unterfchiedes zwiſchen dem Willen als bem Primären
md dem Intellect als dem Secundären entfprungen. Mit vollem
Recht ift das Herz zum Symbol, ja Synonym des Willens, ale
des Urkerns unſerer Erſcheinung gewählt worden und bezeichnet diefen
im Gegenſatz des Intelleets, der mit dem Kopf geradezu identiſch
iſ. Alles was im weiteſten Sinne Sache des Willens iſt, wird dem
derzen beigelegt. Hingegen bezeichnet der Kopf Alles, was Sache
der Erkenntniß ift. Herz und Kopf bezeichnet den ganzen Men⸗
ſchen; aber der Kopf ift ftets das Zweite, das Wbgeleitete; dem er
ot das Centrum, fondern die höchfte Efflorescenz des Leibes.
Mi 267 | .)
‚Beun von einem Menſchen gejagt wird: „er bat ein gutes Herz,
wiewohl einen fchlechten Kopf’, von einem Undern aber: „er hat einen
fehr guten Kopf, jeboch ein fchlechtes Herz“; fo fühlt Jeder, daß beim
Crftern das Lob den Tadel weit überwiegt, beim Andern umgelehrt.
er Borzug, den man ber Herzensglite vor glänzenden Geiftegaben
gebt, fo wie da® Bemühen, Fehler des Herzens fir Fehler des Kopfes
anzugeben, bezeugt genugfan, daß der Wille allein das Wirkliche
md Veientliche, der Kern des Menfchen ift, der Intellect aber bios.
in Wertzeug. (W. II, 258-263.)
330 Hererei — Himmel
(Ueber das Auseinandertreten von Kopf und Herz in ben verfäie ·
denen Lebensaltern fiehe unter Lebensalter: Gegenſatz zwiſchen
Jugend und Alter.)
4) Worin die Herzensgiüte befteht.
Die Güte des Herzens beiteht in einem tief gefühlten, umiverfellen
Mitleid mit Allem, was Leben bat, zunächft aber mit dem Menſchen,
weil mit der Steigerung der Intelligenz die Empfänglichleit fir das
Leiden gleihen Schritt Hält; daher die unzähligen, geiftigen und Förper-
tichen Yeiden des Mienfchen das Mitleid viel ftärker in Anfprad
nehmen, als ber allein Körperliche und felbft da dumpfere Schwer; dei
Thieres. (€. 253.)
5) Warum die Liebesangelegenheiten vorzugsmeile
Derzensangelegenheiten genannt werben.
Das Weſen an fi des Menfchen liegt mehr im der Gattung,
als im Individuum Dem jenes Intereſſe an der fpeciellen De
ſchaffenheit der Gattung, welches die Wurzel aller Tiebeshänbel, von
der flüchtigſten Neigung bis zur ermftlichiten Leidenschaft ausmadt, it
Jedem eigentlich die höchſte Angelegenheit, nämlich die, deren Gelingen
ober Mißlingen ihn am empfindlichften berührt. ‘Daher wird fie vor
zugsweiſe die Herzensangelegenheit genannt. (W. II, 639.)
Hexerei, ſ. Magie und Magnetismus, |
Himmel.
1) Ob ber Himmel begränzt oder unbegrängt fei.
Die Frage, ob die Welt im Raume begrängt ober unbegrängt ſei,
iſt nicht ſchlechthin transfceudent, vielmehr an fich felbft empiriſch; da
die Sache immer noch im Bereiche möglicher Erfahrung liegt, welche
wirklich zu machen nur durch unfere eigene phyſiſche Beichaffenheit und
benommen bleibt. A priori giebt e8 hier Fein demonſtrabel ſicheres
Ürgument, weder fir die eine, noch für die andere Alternative; fo da
bie Sache wirklich einer Antinomie fehr ähnlich fieht, fofern bei der
einen wie bei der andern Annahme bedeutende Uebelftände ſich herdor⸗
thun. Nämlich eine begränzte Welt im unendlichen Raume ſchwindet,
fei fie auch noch fo groß, zu einer unendlich Meinen Größe, und man
frägt, wozu denn der übrige Raum da fei, welches Vorrecht benn der
erfüllte Theil des Naumes vor dem unendlichen, leer gebliebenen gehabt
habe? Anderer ſeits wieder kann man nicht faflen, daß kein Firſtern
bi äußerte im Raume fein follte. (B.I, 114. W. I, 588. 9. 345.
. 170.)
2) Die Harmonie bes Himmels.
Die Kante Laplace’jche Theorie der Entftehung des Planetenfyftemt,
deren Wahrfcheinlichkeit der Gewißheit fehr nahe fteht, zeigt und, wie
aus bem Spiele blinder, ihren unabänderlichen Geſetzen folgende
Naturkrafte zulegt dieſe wohlgeorbnete, bemunderungswürbige Planetenweit
hervorgehen mußte. Dies giebt zunächft zu der metaphyſiſchen Be
trachtung Anlaß, dag im Weſen aller Dinge eine Zufammen
Himmel 331
finmung begründet ift, vermöge welcher die uranfünglichfien,
blinden, rohen, niedrigften Naturkräfte, von der ftarrften Geſetzlichkeit
geleitet, durch ihren Conflict an der ihnen gemeinfchaftlich preisgegebenen
Materie und durch die folchen begleitenden accidentellen Folgen nichts
Geringered zu Stande bringen, als das Grundgerüſt einer Welt, mit
bewunderungswürdiger Zweckmäßigkeit zum Entftefungsort und Aufent⸗
halt Iebender Weſen eingerichtet, in der Vollkommenheit, wie es bie
bejonnenfte Ueberlegung unter Leitung des durchdringendſten Verftandes
und der fchärfften Berechnung nur irgend vermodt hätte Wir fehen
bier alfo im diberrafchendfter Weife die wirkende Urfache (causa
eficiens) mit der Zweckurſache (causa finalis) zujammentreffen. Dieſe
Harmonie ift nur aus der Einheit des Willens auf allen Stufen
ver Natur zu erflüren. Der Eine, allen Naturftufer zu Grunde
fiegende Wille ift e8, welcher bereits in den unterften Naturkräften, an
denen er feine erjte Aeußerung bat, feinem Ziel entgegenftrebt und
durch ihre Geſetze felbit auf feinen Endzweck hinarbeitet. Ihm muß
daher Alles, was nad blinden Naturgefetsen gejchieht, nothwendig dienen
md entſprechen. Alſo fchon die unterften Naturkräfte felbft find von
jenem felben Willen befeelt, der fich nachher in den mit Intelligenz
ausgeftatteten, individuellen Weſen tiber fein eigenes- Werf verwundert.
(8. I, 143—148. I, 228. ®. II, 868—370.)
In Rüdficht anf die Pythagordiſche Harmonie der Sphären follte
man doch einmal berechnen, welcher Accord herausfäme, wenn man
eine Folge von Tönen im Berhältnig der verfchiedenen Belocitäten der
Planeten zufanmtenftellte, fo daß Neptun den Ba, Merkur den Sopran
egäke. (P. II, 137.) Ä
3) Unvereinbarleit ber aftronomifhen Anfidt vom
Himmel mit dem Glauben an den perfönliden Gott.
(S. unter Aftronomie: Einfluß der Aftronomie auf ben
Glauben.)
4) Analogie der Bewegung der Himmelskörper mit
dem Handeln des Menſchen. "
Ein erlänterndes, großartiges Beifpiel fiir das Dafein und Wirken
des Willens in der unorganifchen Natur und die Identität des
Befentlicden in der Bewegung der Himmelöförper und in bem
des Menſchen liefert der Lauf des Mondes um bie Erde,
Durch die verfchiebenen Combinationen, welche der beftändige Wechfel
der Stellung von Sonne, Mond und Erde gegen einander herbeiführt,
wird der Gang des Mondes bald beſchleunigt, bald verlangjamt, und
tt er der Erbe bald näher, bald ferner; diefes nun aber wieder
anders im Perihelio, als im Aphelio der Erde; welches Alles zu⸗
ſanmen in ſeinen Lauf eine ſolche Unregelmäßigkeit bringt, daß derſelbe
an wirklich capricidfes Anſehen erhält, indem ſogar das dritte Kepple⸗
The Geſetz nicht mehr unmandelbar gültig bleibt, fondern er in
Jeiden Zeiten ungleiche Flächen umfchreibt. Die Betrachtung diejes
sanfe iſt ein Meines und abgefchloffenes Capitel der himmlifchen
332 Himmelreich — Hinrichtung
Mechanik, welche von ber irbifchen fich durch die Abweſenheit alle
Stoßes und Drudes und fogar des wirklich vollbradhten Falles af
erhabene Weife unterjcheidet, indem fie neben ber vis inertise lein
andere bewegende und Ienfende Kraft kennt, als blos die Grabitatien,
diefe aus dem eigenen Innern ber Körper bervortretende Sehnfudt
berjelben nad Bereinigung. Wenn man nun an diefem gegebenen Hal
fih ihr Wirken bi8 in's Einzelne veranfchaulidht; fo erkennt man
deutlich und unmittelbar in der hier bewegenden Kraft eben Das, mas
im Selbſtbewußtſein uns ale Wille gegeben if. Denn die Yu:
derungen im Laufe der Erde und des Mondes, je nachdem emes
derfelben durch feine Stellung dem Einfinß der Sonne bald mehr,
bald weniger ausgefegt ift, hat augenfällige Analogie mit dem Einfluß
nen eintretender Motive auf unfern Willen und mit den Mobificationen
unfers Handelns danach. (W. II, 339 fg.)
5) Erbabenheit des Himmels.
Wenn der nächtlihe Himmel uns zahllofe Welten vor Augen bringt
und fo die Unermeßlichkeit der Welt auf das Bewußtfein eindringt, fo
fühlen wir uns felbft zu Nichts verfeinert, fühlen uns als Individuum,
als vergängliche Willenserfcheinung, wie ein Zropfen im Ocean. Aber
zugleich erhebt fich gegen folches Geſpenſt unferer eigenen Richtiglet
das unmittelbare Bemwußtfein, daß alle diefe Welten ja nur in unſerer
Vorſtellung da find, nur als Modificationen des ewigen Subjects ed
reinen Erkennens, welches ber bedingende Träger aller (objectiven)
Welten if. ‘Die Größe ber Welt, die ums vorher beumruhigte, ruht
jet in uns; unfere Abhängigkeit von ihr wird aufgehoben durch ihre
Abhängigkeit von und. Dies, obwohl nicht deutlich ins Bewußtſein
tretend, fondern nur gefühlt, iſt das durch ben Anblid des Himmels
bewirkte Gefügl des Erhabenen. Es ift Erhebung über bas rigen
Individuum. (W. 1, 242 fg.)
Himmelreich, |. Säligkeit.
Hindu, |. Inder.
Hinrichtung.
1) Das Grauſen bei einer Hinrihtung als Ber
weis, daß der Wille zum Reben das Aller
realfte if.
Man fehe das ftarre Entfegen, mit welchem ein Todesurtheil ver⸗
nonmen wird, das tiefe Graufen, mit welchem wir bie Anftalten ze
deſſen Vollziehung erbliden, und das herzzerreißende Mitleid, melde
und bei diefer felbft ergreift. An folchen Erfcheinungen wird fihtber,
daß der Wille zum Leben das Allerrealfte, ja der Kern der Realität
elbft if. (W. II, 401.)
2) Die innere Ummälzung, die fi in dem Reden
der Berbreher vor der Hinrichtung kund giebt.
(S. Salgen.) " |
Hiftorienmaleri — Höflichkeit 333
Hiftorienmalerei, |. Malerei.
Hoffnung.
1) Wefen und Wirkung der Hoffnung.
Die Hoffnung iſt ein Affect, in ihr übt daher, wie in allen
Affecten, der Wille einen verfälfchenden Einfluß auf den Intellect.
Die Hoffnung läßt ung Das, was wir wünſchen, fo wie bie Furcht
Das, was wir beforgen, al8 wahrſcheinlich und nahe erbliden, und
beide vergrößern ihren Gegenftand. Plato hat fehr ſchön bie Hoffnung
den Traum des Wachenden genannt. Ihr Wefen liegt darin, daf ber
Ville feinen Diener, den Intellect, wenn dieſer nicht vermag, das
Gewünschte Herbeizufchaffen, nöthigt, e8 ihm wenigftend vorzumalen,
überhaupt die Holle des Tröfters zu Übernehmen, feinen Herrn, wie
die Amme das Kind, mit Mährchen zu befchwichtigen und diefe auf»
iuftugen, daß fie Schein gewinnen; wobei nun der Intellect feiner
eigenen Natur, die auf Wahrheit gerichtet ift, Gewalt anthun muß.
(®. I, 242 fg.) Hoffnung ift die Verwechslung des Wunfches einer
Begebenheit mit ihrer Wahrſcheinlichkeit. (P. IL, 622.)
2) Allgemeine Herrfchaft der Hoffnung.
Bielleiht ift fein Menfch frei von ber Narrheit des Herzens, welche
dem Intellect bie richtige Schägung der Probabilität fo ſehr verrückt,
daß er Eins gegen Tauſend für einen leicht möglichen Gall hält. Und
doch gleicht ein hoffnungsloſer Unglüdsfall einem rafchen Todesſtreich,
Gingegen bie ſtets vereitelte und immer wieder auflebende Hoffnung ber
langſam wmarternden Todesart. (P. DO, 622.)
3) Abhängigkeit des guten ober fchlimmen Standes
der Hoffnung von dem Berhältniß ihrer beiden
Factoren.
Die Hoffnung iſt ein Zuſtand, zu welchen unſer ganzes Weſen,
nämlich Wille und Intellect concurrirt; jener, indem er den Gegenſtand
derfelben wilnfcht, biefer, indem er ihn als wahrſcheinlich berechnet.
Je größer der Antheil des Iegtern Factors und je Heiner der bes
erſtein iſt, deſto beſſer fteht e8 um die Hoffnung; im umgebkehrten Fall
deſio ſchlimmer. (P. I, 622, Anmerf.)
Höfligkeit,
1) Urfprung ber Höflichkeit.
‚Den Egoismus als unfere partie honteuse zu verfteden haben wir
de Höflichleit erfunden. (E. 163.) Die Höflichkeit ift die con-
vertisnelle und fuftematifche Verleugnung des Egoismus in den Kleinig-
keiten des täglichen Verkehrs und ift freilid anerkannte Heuchelei;
dennoch wird fie gefordert und gelobt, weil, was fie verbirgt, ber
Egeiömns fo garftig ift, daß man es nicht fehen will, obſchon man
wiß, daß es da ift, wie man widerliche Gegenftände wenigftend durch
anen Vorhang bedeckt willen will. (E. 198.)
334 Hohngelachter — Hölle
Der andere Grund ber Höflichkeit Liegt in Folgendem. Sie if cm
ſtillſchweigende Uebereinfunft, gegenfeitig die moralifch und intellectuel
elende Beichaffenheit von einander zu ignoriren und fie fich nicht vor
zurüden; — wodurch diefe zu beiderfeitigem Vortheil etwas wenige
leicht zu Tage fommt. (P. I, 492.)
2) Berhältniß der Höflichkeit zur ächten Nächſtenliebe.
Zwifchen den Aeußerungen der Höflichkeit und der ächten Liebe des
Nächten, welche nicht, wie jene, zum Schein, fonbern wirflid a
Egoismus überwindet, ift ein analoge® Berhältnig, wie zwiſchen der
Gerechtigkeit, welche die Menfchen ausiiben (der Legalität) und der
ächten Redlichleit des Herzens. (E. 187.)
3) Ruten der Höflichkeit.
Wie das Wachs, von Natur Hart und fpröde, durch ein wenig
Wärme fo gefchmeidig wird, daß es jede beliebige Geftalt annimızt;
fo kann man felbft ſtörriſche und feindfälige Menſchen durch etwas
Höflichkeit und Freundlichkeit biegfam und gefällig machen. Sonah
ift die Höflichkeit dem Menfchen, was die Wärme dem Bad.
(B. 1, 492. M. 256 fg.)
4) Sränzen ber Höflichkeit.
Zwar ift Höflichkeit Klugheit; ſich durch Unhöflichkeit Feinde machen
ift dagegen Unverfland. Denn Höflichkeit ift, wie die Rechenpfennige
eine offenkundig falfche Münze, und mit einer ſolchen fparfam zu jan
beweift Unverftand, Freigebigleit mit ihr VBerftand. Doch darf die
Höflichkeit nicht bi8 zum Opfern realer Intereſſen getrieben werden,
denn das hieße ächte Goldftlide ftatt Rechenpfernige geben. (P.-I, 492.)
In der Fitteratur ift die Höflichkeit, als welche aus der Geſel⸗
Schaft ſtammt, ein fremdartiges, ſehr oft ſchädliches Element; weil fie
verlangt, daß man das Schlechte gut heife und dadurch ben Zweden
der Wiffenfchaft, wie der Kunft, gerade entgegenarbeite. (PB. II, 545 ig.
(Ueber das Gegentheil der Höflichkeit, die Grobheit, fiehe: Grob⸗
heit.)
Hohngelächter, |. unter Lachen: das befeidigende und das bittere
Laden.)
Hölle.
1) Die höllenartige Beſchaffenheit der Welt. |
Die Welt ift die Hölle, und bie Menfchen find einerfeits die gr
quälten Seelen, andererfeits die Teufel darın. (PB. II, 822.)
Gleich wie in der Hölle Alles nach Schwefel riecht, fo trägt Ad
was und umgieht, die Spur davon, daß unfer Zuftand Etwas ift, das
beffer nicht wäre. Die Hauptquelle der Uebel ift der Menſch da
Menfchen felbft: homo homini lupus. Wer dieß lettere recht me
Auge faßt, erblict die Welt als eine Hölle, welche die des Dante dadurch
übertrifft, daß Einer der Teufel des Andern fein muß. (W. II, 660.)
Homogeneität — Humor _ 335
Boher denn anders hat Dante den Stoff zu feiner Hölle genommen,
als ans dieſer unferer wirklichen Welt? Und doch ift e8 eine recht
ordentliche Höle geworden. Hingegen, als er an die Aufgabe fam,
den Himmel und feine Freuden zu fchildern, da Hatte er eine unüber-
windlihe Schwierigkeit vor fi; weil eben unfere Welt gar feine
Materialien zu fo etwas darbietet. Hieraus aber erhellt genugfam,
welher Art diefe Welt if. (W. 1, 383.)
2) Folgerung daraus für bie Lebensweisheit.
Es iſt wirklich die größte Verkehrtheit, diefen Schauplat des Jam⸗
mers in eimen Luſtort verwandeln zu wollen und, ſtatt der möglichiten
Shmerzlofigfeit, Genüffe und Freuden ſich zum Ziele zu fleden. Biel
weniger irrt, wer mit zu finfterm Blicke diefe Welt als eine Art Hölle
anfieht und demnach nur darauf bebadht ift, ſich in derfelben eine
jeuerfeſte Stube zu verfchaffen. Der Thor Täuft den Oenüffen nad)
und fieht fich betrogen, ber Weife vermeidet die Uebel. Die optimiftifche
Auffaffung der Welt ift die Duelle vielen Unglücks. (P. I, 432 fg.)
Komogencität, |. Methode.
honorar, |. Schriftftellerei.
Hören, |. Sinne. |
Serizont, |. Geſichtskreis.
Gumanismus. Yumanitätsfudien.
1) Gegenſatz zwifden Humanismus und Romantil.
Der Humanismus trägt ben Optimismus in fi und ift in
ſefern jalſch, einfeitig und oberflächlich. Darum eben erhob ſich gegen
ſtine Herrfchaft in der deutſchen ſchönen Pitteratur die Romantik,
men fie auf den Geift des peffimiftifchen Chriſtenthums hinwies.
Heut zu Tage erhebt fi) aus demſelben Grunde gegen den Humanis«
uns, defien Einfluß anı Ende Materialismus bervorzurufen droht,
die ortbobore und fromme Partei, Hält bie pefflmiftifche Seite feit,
macht daher Erbfünde und Welterlöfer geltend, kommt aber durch
Aufnahme und Berfechtung der ganzen chriftlichen Mythologie in ihren
suhftäblichen Sinne mit dem Zeitgeift in Conflict. (9. 434.)
2) Nugen der Humanitäteſtudien.
Sehr paſſend nennt man die Befchäftigung mit ben alten Klaſſikern
Dumanitätsftudien; deun durch fie wird der Schiller zuvörderſt
meder ein Menſch, indem er eintritt in die Welt, bie noch rein war
von allen Fratzen des rohen Mittelalters und der Romantik mit ihrem
jchandlichen Pfaffentrug und halb brutalem, halb gedenhaften Ritter⸗
weſen, weiche fo tief im die Europäifche Menſchheit eindrangen, daß
Jeder damit übertüncht zue Welt kommt und fie erft abzuftreifen hat,
wm nur zuvörderſt wieder ein Menſch zu werben. (28. II, 136.)
tumor, ſ. unter Lächerliches: das abſichtlich Lacherliche.
336 Sund
Yun.
1) Der Hund in intellectueller Hinficht.
Den Berftanb der obern Thiere wird Reiner, dem es nicht ſelbſ
daran gebricht, in Zweifel ziehen. Aber auch, daß ihre Erfenntnig de
Caufalität a priori und nicht blos aus der Gewohnheit, Dies au
Jenes folgen zu fehen, entfprungen ift, tritt bisweilen unleugbar hervor
Ein ganz junger Hund fpringt nicht vom Tiſch herab, weil er di
Wirkung anticipirt. (©. 76. W.I, 28.) Schopenhaugr hatte in feinen
Schlafzimmer große, bis zur Erde herabreihende Gardinen anbringe
laſſen, von der Art, bie in der Mitte auseinanderfägrt, wenn man cin
Schnur zieht. AS er num Dies zum erften Mal Morgens bein
Aufftehen ausführte, fand fein Pubel ganz verwundert ba und fah id
aufwärts und feitwärts nach der Urſache des Phänomens um, fudti
alfo die Veränderung, von der er a priori wußte, daß fie ala Urfah
vorbergegangen fein müfie. (©. 76.)
Das dlos auf das Anfhauliche beſchränkte Erinnerungsvermögu
der Thiere fleigert ſich bei den Mügften bis zu einem gewiffen Grat
von Fhantafie, welde ihm nachhilft und vermöge deren z. B. dem
Hunde das Bild des abwefenden Herin vorſchwebt und Verlangen nd
ihm erregt, daher er ihm bei längerm Ausbleiben überall ſucht. Auf
diejer Fhantafie beruhen auch feine Träume. (W. II, 64.)
Vei den Mügften Thieren ftellt ſich ſchon eine Spur von ohjertivr,
antbeillofer (vom Dienfte des Willens emancipirter) Auffaflung de
Umgebung ein. Hunde bringen es ſchon bis zum Gaffen. Cs madt
ſich in ihmen ſchon das Bedirfnig nad; Beſchäftigung und fomit de
Yangeweile fühlbar; daher fie gern fpielen, auch wohl ſich wit Gaffa
nach den Vorübergehenden unterhalten. (N. 74 fg. P. II, 71.)
Aus der Beichaffenheit des thieriſchen Intellecis, auf das Cegm
toärtige, Anfchaulide beichränft, Hingegen ber Abtraction uufähig p
fein, erflürt ſich das Unvorfägliche, Unberechnete, Unverſtelite ifret
Thuus und Treiben. Sie Haben nichts im Hinterhalt. Im dir
Hinficht verhält fid) der Hund zum Menfchen, wie ein gläferner je
einem metallenen Verher, und die trägt viel bei, ihn und fo werth 0
—- 2; denn 8 gewährt und ein großes Ergögen, alle unſere Neigungen
fiecte, die wir fo oft verhehfen, in ihm bloß und baar zu Togt
zu ſehen. (W. U, 65. M. 140.)
2) Der Hund in moralifher Hinfigt.
Hund ift mit Recht das Symbol der Treue. (P. II, 685)
uropa gilt es (mit Unrecht) für ein Gräuel, wenn ber trem
neben der Aubefätte feine® Herrn begraben wird, auf meldet
veilen aus einer Treue und Anhänglichteit, wie fie beim Melde
8 nicht gefunden wird, feinen eigenen Tod abgewartet hit
ı Thieren geht zwar bie Fuhigkeit der Sprache und des Lachen? h
hat des Denfgen einziger — ber Hund, einen analogen, ih
Hunger 337
allein eigenen und charakteriftifchen Act vor allen andern Thieren
voraus, nämlich das jo ausdrudsvolle, wohlwollende und grundehrliche
Bedeln. Wie vortheilhaft fticht doc) diefe ihm von der Natur gegebene
Begrüßung ab gegen die Büdlinge und grinzenden Höflichkeitsbezeugungen
der Menfchen, deren Berficherung inniger Freundſchaft und Ergebenpeit
es an Zuverläſſigkeit, wenigſtens für die Gegenwart, taufendınal über⸗
mit. (W. II, 108.)
Ver nie einen Hund gehalten hat, fagt der Spanifche Belletrift
Yarra, weiß nicht, was Tieben und geliebt fein if. (P. I, 79.)
Für das Bedürfniß aufheiternder Unterhaltung und um der Ein-
tamfeit die Debe zu benehmen, find die Hunde zu empfehlen, an deren
moraliſchen und intellectuellen Eigenſchaften man faft allemal Freude
und Befriedigung erleben wird. (P. U, 88.) Woran follte man fich
cu der endlofen Verſtellung, Falſchheit und Heimtüde der Menſchen
erholen, wenn die Hunde nicht wären,- in deren ehrliches Geficht man
one Mißtrauen fchauen Tann? (BP. II, 225.) Der Hund ift ber
aleinige wahre Gefährte und treuefte Freund des Menſchen, die Foft-
barfte Eroberung, wie Cuvier jagt, die. der Menſch gemacht Hat.
8.1, 403, Anmerk. 9. 349.) |
3) Graufamkeit des Menfchen gegen den Hund.
Es if empörende Grauſamkeit und follte polizeilich verboten fein,
cin fo höchſt intelligentes und fein fühlendes Weſen, wie der Hund,
gleich, einem Verbrecher an die Kette zu legen, wo er vom Morgen
bi8 zum Abend nichts, als die ſtets ernente und nie befriedigte Sehn-
fuht nad) Freiheit und Bewegung empfindet, fein Leben eine langſame
Marter ift, und er durch ſolche Grauſamkeit endlich enthundet wird,
Rd in ein wildes, liebloſes, untrenes Thier verwandelt. (PB. II, 403,
Anmerk. und 318.) Leider wird aud zu den Bivifectionen am hän-
falten das moraliſch edelfte aller Thiere genonmmen: der Hund, welchen
überdieß fein Fehr entwickeltes Nervenſyſtem für den Schmerz empfäng-
fiher macht. (P. IL, 403.)
Sunger,
Beftändige Bewegung, ohne Möglichkeit der von uns ſtets ange
rebten Ruhe, ift die weſentliche Form unſers Dafeins. Inzwiſchen
muß man fi) wundern, wie in der Menfchen- und Thierwelt jene fo
große, mannigfaltige und raſtloſe Bewegung hervorgebradht und im
Gange erhalten wird durch die zwei einfachen Triebfedern, Hunger
und Gefhlehtstrieb, denen allenfall® nur noch die Langeweile
em wwig nachhilft, und daß biefe e8 vermögen, dad primum mobile
einer jo complicirten, das bunte Pırppenfpiel beivegenden Mafchine ab⸗
zugeben. (P. IL, 306.)
Der Geſchlechtotrieb arbeitet ſtets (durch Vermehrung ber Bevöfferung)
unger in die Hände, fo wie diefer, warn er befriebigt ift, dem
Geſchlechtötrieb. (P. IL, 166.)
Shopenhauerskegifon. I. 22
338 Hungertod — Hypochondrie
Hungertod, ſ. Selbſtmord.
Hydraulik.
Während Mechanif und Aftronomie uns eigeutlich zeigen, wie der
den Kern der Natur bildende Wille fich benimmt, jo weit als er auf
ber niedrigften Stufe feiner Erfcheinung blos ald Schwere, Starck
und Trägheit auftritt, fo zeigt und die Hydraulik das Selbe da, we
die Starrheit wegfällt und num der flüffige Stoff feiner vorherrſchenden
Leidenfhaft, der Schwere, ungezügelt bingegeben if. Die Hydrauld
Tann in diefem Sinne als eine Charakterſchilderung des Waſſers ar:
gefaßt werden, indem fie ung die Willensäußerungen angiebt, zu welchen
daffelbe durch die Schwere bewogen wird. Diefe find, da bei alm
nicht individuellen Weſen Fein particularer Charakter neben dem gt
nerellen beftebt, den äußern Einflüffen ftetS genau angemeſſen, lafie:
fih alſo, durch Erfahrung dem Waſſer abgemerft, Leicht auf Gkirk:
zurüdführen, welde genau angeben, wie das Waffer, vermöge ſeiner
Schwere, bei unbebingter Berfchiebbarkeit feiner Theile und Mangel
der Elafticität, unter allen verfchiedenen Umftänden ſich benehmen min.
Wie e8 durch die Schwere zur Ruhe gebracht wird, Iehrt die Hydro⸗
ftatil, wie zur Bewegung die Hydrodynamik, die hiebei auch Hindernift,
welche die Abhäfton dem Willen des Waſſers entgegenfett, zu be
rüdfichtigen bat. Beide zufammen machen die Hydraulik an.
(®. IL, 337.)
Hypochondrie.
1) Ausbreitung der Hypochondrie über Bergangenhtit,
Gegenwart und Zukunft.
Hypochondrie quält nicht nur mit Verdruß und Aerger ohre
Anlaß über gegenwärtige Dinge; nicht nur mit grunblofer Angi
vor künſtlich ausftudirten Unglücsfällen der Zukunft; fondern auf
noch mit unverdienten Vorwürfen über unfere eigenen Handlungen in
der Vergangenheit. (P. II, 625.)
2) Urſache und Wirkung der Hypodondrie.
Die unmittelbare Wirkung ber Hypochondrie ift ein beftändige
Suchen und Grübeln, worüber man ſich wohl zu ärgern, ober zu
Öngftigen hätte Die Urſache ift ein innerer krankhafter Unmutt,
dazu oft eine aus dem Temperament herborgehende innere Unruhe:
BL 68: den höchſten Grad erreichen, führen fie zum Selbſtmord.
‚IL, 625.)
3) Die Hypodhondrie als Beftätigung der Lehre von
ber Identität des Willens und Leibes.
Gran, Sorge, Unruhe des Gemüths wirken hemmend und erſchwercad
auf den Lebenoͤproceß und die Getriebe des Organismus, fei es aul
den Blutumlauf, oder auf die Secretionen, ober auf die Verdauung.
Sind num umgelehrt diefe Getriebe, fei e8 im Herzen, ober in den
Hypotheſe — Ich 339
kbärmen, ober in ber vena portarum, ober in den Samenbläschen,
er wo noch fonft, durch phyſiſche Urfachen gehemmt, obftruirt oder
ıderweitig geftört; fo entſteht Gemüthsunruhe, Beſorgniß, Grillen-
ngerei und Gram ohne Gegenftand, alfo ber Zuftand, den man
ypochondrie nennt. Dies beftätigt die (Schopenhauerfche) Lehre
m der Einheit und Identität des Willens mit ben Leibe. (P. II,
18 fg.)
npothefe.
1) Was eine rihtige Hypotheſe ift.
Eme rihtige Hypothefe ift nichts weiter, als ber wahre und
Üfändige Ausdrud der vorliegenden Thatſache, welche der Urheber
jelden in ihrem eigentlichen Weſen und innern Zufammenhange in«
tiv aufgefaßt hatte Denn fie fagt und nur, was bier eigentlich
meeht. (W. II, 133.)
2) Das Leben ber Hypotheſe.
Eine Hypotheſe führt in dem Kopfe, in welchem fie einmal Plat
twonnen bat, ober gar geboren ift, ein Leben, welches infofern den
ms Organismus gleicht, als fie von ber Außenwelt nur das ihr
Kceihliche und Homogene aufnimmt, Hingegen dad ihr Heterogene und
Serderbliche entweder gar nicht an ſich kommen läßt, ober, wenn es
H unvermeidlich zugeführt wird, es ganz unverfehrt wieder ercernirt.
$. I, 543.)
Cine gefaßte Hypotheje giebt und Luchsaugen für alles fie Beſtätigende
md maht uns blind für alles Widerfprechende, — ein Beilpiel von
x Primat des Willens über den Intellect. (W. II, 244.)
Id. N
1) Begriff des Ich.
Das Wort „Ich“ bezeichnet die Identität des Subjects bes
Vollens mit dem erfennenden Subject und ſchließi beide ein.
9. 143.) Das Zufammenfallen beider ift da8 Wunder xar' sdoxnv.
6. 143. W. 1, 121. 296.) Gleichnißweiſe ausgedrückt, bildet ber
Die die Wurzel, der Inteliect die Krone, und der Inbifferenzpunft
beider, der Wutzeiſtock, wäre das Ich, weiches, als gemeinfchaftlicher
Endpunft, beiden angehört. Diefes Ich ift das pro tempore identiſche
biet des Erkennens und Wollens, deſſen Identität das Wunder
ar efoynv iſt. (W. II, 226.) Der Wille, der ſich felber Bor-
ſellung wird, ift die Einheit, die wir durch Ic ansbrüden (WB. I,
3) Ih iſt alfo feine einfache, untheilbare, unzerftörbare Subftanz,
22*
340 Ich
fondern es beſteht aus zwei heterogenen Beſtandtheilen, einem meta⸗
phyſiſchen (Willen), und einem phyſiſchen (Intellect), einem unge
ftörbaren und zerftörbaren. Der Imtellect wird, als bloße Yuncn
des Gehirns, von Untergang des Leibed wmitgetroffen; hingegen Teine:
wege der Wille, das Prius des Leibes. (N.20. W. II, 305 fg. 560.)
Das Subject des Erkennens, der Brennpunkt der Gehirnthätigfeit, iſt
als untheilbarer Punkt zivar einfach, deshalb aber doch Feine Subften;
(Seele), fondern ein bloßer Zuftaud. Das, deſſen Zuftaud er febk
ift, kann nur indirect, gleichfam durch Reflex von ihm erkannt werden;
aber das Aufhören des Zuftandes darf nicht angefehen werden als dı
Vernichtung deffen, von dem es ein Zuftand if. Das erkennen:
Ich verhält fi zum Willen, welcher die Bafis der ganzen Erjchenumg
ift, wie das Bild im Focus des Hohlipiegel® zu biefem ſelbſt, und hei,
wie jenes, nur eine bedingte Realität. Weit entfernt aljo, das jchlehe-
bin Erfte zu fein (wie 3. B. Fichte lehrte), iſt es im Grunde
tertiär, indem es ben Organismus vorausfegt, diefer aber den Wilen.
(W. II, 314.)
In dem ſubſtantiviſchen Gebrauch des Wortes Ich durch ben vor
geſetzten Artifel das Liegt eine von Yichte eingeführte und feittem
babilitirte Erſchleichung. Die Weisheit aller Spracden hat „Ich“
nicht als Subftantiv behandelt; daher Fichte der Sprache Gewalt an:
thun mußte, um feine Abficht durchzufegen. (PB. II, 40.)
Das „Logifche Ich“, oder gar die „transfcendentale fynthe
thbijche Einheit der Apperception“ find Ausdrücke, welche die
Einheit und den Zufammenhang des Bewußtſeins in dem bunter
Gemiſch der Borftellungen faßlich und begreiflich zu machen nicht ladı
dienen werden. Das, was dem Bewußtfein Einheit und Zuſammenhang
giebt, ift das Prius deffelben, der Wille Bon ihm ift im Grund
die Rede, fo oft „Ih“ im einem Urtheil vorkommt. Er tft der wahr
und leste Einheitspunft des Bewußtfeins und das Band aller Function
und Acte deffelben. (W. IL, 153.)
2) Wichtigkeit der Zerlegung bes Ih in feine de
‚ftandtheile.
Die Zerfegung des fo lange untheilbar geweſenen Ichs oder Seele in
zwei heterogene Beftandtheile (Wille und Intellect) ift für die Phil
fophie Das, was die Zerjegung des Waflers für die Chemie gemejen
ift, wenn dies auch erſt fpät erfaunt werden wird. (N. 20.) Die
Zerlegung des Ih in Willen und Erkenntniß mag jo
unerwartet fein, als die des Waſſers in Waflerftoff und Sauer
ftoff; fie ift der Wendepunkt der Philoſophie. Wie man in da
Phyſik Jahrtauſende hindurch das Waller unbedenklich für einfah ud
folglich für ein Urelement Hielt, fo bat man noch länger in der Mir
phiſik das Ich unbedenklich fir einfach und folglich für unzerſtörbar
gehalten. Schopenhauer aber hat gezeigt, daß es aus zwei heterogenen
Beitandiheilen zufammmengefegt ift, dem Willen, der metaphyſiſch und
Ideal, deas — deal und Real 341
Ding an ſich iſt, md dem erfennenden Subject, welches phyſiſch
iſt und zur bloßen Erfcheinung gehört. Damit hat bie wahre Dieta-
phyſik begonnen, welche fowohl dem Materialismns als dem Spiri-
tualismus ein Ende macht. (M. 367 fg.)
Idcal, dad. (©. unter Anticipation: Anticipation in der Kunft.)
Ideal und Real.
1) Bedeutung bed Gegenjages zwifhen dem Idealen
und Realen.
Der Gegenſatz zwifchen dem Idealen und Nealen ift gleichbe-
beutenb mit dem Gegenfage zwifchen Erſcheinung (Borftellung) und
Ting an ſich. Das Ideale ift Das, was unferer Erkenntniß allein
und als folder angehört, das Reale ift das unabhängig von ihr Vor⸗
handene. Die Frage nach dem Verhältniß des Idealen zum Realen
Mt alfo bie Frage nad) dem Verhältniß der Erſcheinung (Borftellung)
zum Ting an fh. (N. 91. PB. 1,3. W. II, 214.) Es iſt falſch,
Nee Trage auszudrüden als Frage nad) dem Berhältnig des Den-
fens zum Sein. (W. II, 215. P. I, 29fg. Vergl. unter An—
dapung: Verhältniß der Anſchauung zum Ding an ſich oder zum
Realen.)
2) Kluft zwiſchen dem Idealen und Realen.
Die Vorſtellung iſt ein ſehr complicirter phyſiologiſcher Vorgang im
Gehirne eines Thieres, deſſen Reſultat das Bewußtſein eines Bildes
cbendaſelbſt iſt. Offenbar kann die Beziehung eines folchen Bildes auf
etwas von dem Thiere, in deſſen Gehirn es daſteht, gänzlich Verſchie⸗
denes nur eine ſehr mittelbare fein. Dies iſt vieleicht die einfachſte
und faßlichſte Art, die tiefe Kluft zwiſchen dem Idealen und
Realen aufzudecken, deren man, wie der Bewegung ber Erde, nicht
unmittelbar inne wird. Nachdem Sant die völlige Diverfität des
Idealen und Realen am gründlichiten dargetfan, war es ein feder
Verſuch, durch auf angebliche intellectuale Anfchauung fich berufende
Machtſprüche die abfolute Identität beider behaupten zu wollen.
(V. D, 214. NR. 91. P. 1 104. W. U, 8.)
3) Durchſchnittslinie zwifchen dem Idealen und Realen.
Das Hauptbeftreben der neuern Philofophie feit Carteſius, das
Ideale (umferer Erkenntniß Angehörige) von dem Realen (an ſich
Seienden) rein zu ſondern, durch einen in der rechten Linie wohlge—
führten Schnitt, und fo feftzuftellen, was bem Idealen und was bem
Realen zugehört, hat zu mancherlei verfehiten Verſuchen geführt,
welche die Durchſchnittslinie zwifchen den Idealen und Realen am
wrehten Ort zogen, indem fie zum Realen rechneten, was nod) zum
ddealen (zur Vorſtellung) gehört. Erſt nachdem Kant die Idealität
der ganzen anfchaulichen Welt nachgewiefen und das Ding an fi) (das
Reale) als x von ihr gefchieben Hatte, that Schopenhauer den Tegten
342 Idealismus
Schritt durch Nachweiſung des Willens als Dinges an ſich ml
Sonderung deſſelben von der objectiven Welt, der Welt als Bar
ftellung. Demnach fällt munmehr die Durchſchnittslinie zwilchen den
Realen und Idealen fo aus, daß die ganze anſchauliche und objertt
fi darftellende Welt, mit Einfchluß de eigenen Leibes eines Jeden,
fammt Raum, Zeit und Caufalität, mithin fammt dem Ausgedehnten
des Spinoza und der Materie des Lode, als Borftellung dem
Idealen angehört, als das Reale aber allein der Wille übnz
bleibt. (P. I, 3—21.)
Idealismus.
1) Die idealiftifhe Grundanſicht im Gegenfag zur
realiftifchen.
Die Grundanfiht des Idealismus ift diefe, daß Alles, was für dr
Erkenntniß da ift, alfo die ganze anfchauliche, in Raum und Zeit ſich
ausbreitende und nad dem Sat vom Grunde verknüpfte Welt, nm
Dbject in Beziehung auf das Subject ift, Anfchauung des An
Shauenden, Borftellung, daß folglih ihr Dafein kein abjolute,
unbedingtes, fondern nur ein relatives, bedingtes, kurz, daß fie nicht
Ding an ſich, fondern blos Erſcheinung fe. Der Yealismt
hat, nachdem man Yahrtaufende lang bie angefchaute Welt für real,
d. h. für unabhängig vom vorftellenden Subject daftehend gehalten, zum
Bewußtſein gebracht, daß, fo unermeßlich und maſſiv fie aud) fen
mag, ihr Dafein dennoch an einem einzigen Füdchen hängt; dieſes ıf
das jedesmalige Bewußtfein, in weldem fie daſteht. Diefe Be
dingung, mit welcher das Dafein der Welt unwiderruflich behaftet il,
drüdt ihr, trog der empirifchen Realität, den Stempel ber Ideo:
lität und fomit ber bloßen Erſcheinung auf, wodurch fie gewiſſer—
maßen dem Traume verwandt if. (W. I, 3ff.; I, 3ff. © 3.
®. I, 514 fg. BI, 14. 90 fi; II, 39. M. 284 fg. 7591
9. 329 fg.)
Der Realismus, der fih dem vohen Berftande dadurch empfiehlt,
baß er ſich das Anfchen giebt, thatſächlich zu fein, geht gerade von
einer willfürlihen Annahme aus und ift mithin ein windiges Luft:
gebäude, inbem cr die allererfte Thatſache überfpringt oder verleugne,
diefe, daß Alles, was wir kennen, innerhalb des Bewußtſeins liegt.
(W. I, 5fg.) Der Realismus überficht, daß das fogenannte Erin
ber den Complex der realen Außenwelt bildenden Dinge doch durchaus
nichts Anderes ift, ald ein Vorgeftelltwerben. (©. 32.)
2) Unterſchied zwifhen dem empirifhen und tran®
fcendentalen Idealismus,
Es ift Mißverftand, zu meinen, der Idealismus Ieugne bie em
pirifche Realität der Außenwelt. Der wahre Idealismus ift nicht
dee empirifche, fondern der transfcendentale,. Diefer, indem ei
alles Object, alfo das empiriſch Reale, durch das Subject zweifad
bedingt fein Täßt, erftlich materiell, als Object iiberhaupt, zeiten?
Idealismus. 343
formell, indem die allgemeinen Grundformen der objectiven Welt
(Raum, Zeit und Cauſalität) dem Subject angehören, macht damit ber
vorliegenden Welt ihre empirifche Realität durhausmät fireitig,
jondern befagt nur, daß diefe Feine unbedingte fei, indem fie unfere
Gehirnfunctionen zur Bedingung bat; daß mithin diefe empirifche
1 jelbft nur die Realität einer Erſcheinung fi. (W. V, 8 fg.
.L 90.)
Bet aller transfcendentalen Idealität behält die objective Welt
empirifche Realität; das Object ift zwar nicht Ding an fi), aber
8 it al8 empirifches Object real. Zwar ift der Raum nur in
meinem Kopfe; aber empirifch ift mein Kopf im Raume. (W. II, 22.)
3) Der abfolute Idealismus.
Der abjolute, die objective Welt fiir ein bloßes Phantom, ein Hirn-
geſpinnſt haltende Idealismus ift ber theoretifihe Egoismus.
(®. I, 124. Bergl. unter Egoismus: der thcoretifche Egoismus.)
Wenngleich Feine, aus einer anfchanenden Auffafjung der Dinge ent-
ſprungene und folgerecht durchgeführte Anfidyt der Welt durchaus falfch
fin kann, fo ift doch jede nur von einem befchränften Standpunfte
aus gewonnene und über diefen fich nicht erhebende Anſicht einfeitig,
aljo nur relativ wahr. Dies gilt, wie vom abjoluten Materialismus,
jo auh vom abfoluten Idealismus. (P. U, 13.)
4) Der Gegenſatz des Idealismus und Realismus iſt
nicht zu verwechſeln mit dem des Spiritualigmus
und Materialismus,
Die Patien in der Bhilofophie, denen viele Doctoren derfelben und
vulgäre Literaten beizuzählen find, denken fich unter Idealismus bald
Spiritualismus, bald fo ungefähr das Gegentheil der Philiſterei.
Idealismus ift aber nicht mit Spiritualismus zu verwecjfeln; denn
der Spiritualismus gehört mit feinem ©egenfag, dem Materialismug,
zum Realismus, folglic; zum Gegentheil des Idealismus. Die
Borte „Idealismus und Realismus” find nicht herrenlos, fondern
haben ihre feftftehende philofophifche Bedeutung; folglich follte man fie
and mer in diefer gebrauchen. (P. I, 14, Anmerk. W. II, 15 fg.
R. Borrede VII, Anmerk. P. I, 311. H. 329.)
5) Populäre Form des Idealiemus.
Der Idealismus ift blos in Europa, in Folge der wefentlid und
unumgänglich realiftifchen jübifchen Grundanficht, parador. In Aſien
hingegen ift, fowohl im Brahmanismus al® im Buddhaismus, der
Jealiemus foger Lehre der BVolsreligion. (©. 32. P. II, 40.)
Während die idealiftiiche Anficht in Europa blos als faum ernſtlikh
zu denlendes Paradoxon gewiſſer abnormer Philoſophen gefannt ift,
gilt fie in Hindoſtan, ald Lehre von der Maja, allgemein, und in
Tibet, dem Hauptfige der Buddhaiſtiſchen Kirche, wird fie fogar äußerſt
vopulär vorgetragen. (N. 133. Bergl. au die Artilel Brah-
maniemus, Buddhaismus und Maja.)
344 Idee
Nee.
11Gegen den Mißbrauch des Wortes „Idee“.
Das Platoniſche Wort „Idee“, welches bei Platon die undergäng⸗
lichen ©eftalten bezeichnet, welche, durch Zeit und Raum vervielfältigt,
in ben unzähligen, individuellen, vergänglidgen Dingen unvollkommen
fihtbar werben, und welches man, da es ein durchaus Anſchauliches
bezeichnet, nur durch Anfchaulichkeiten oder Zichtbarfeiten entſprechend
überſetzen könnte, hat Kant fich zugeeignet, um Das zu bezeichnen,
was von aller Möglichkeit der Anſchauung fo fern liegt, daß fogar
das abftracte Denken nur Halb dazu gelangen kann. Das Wort Je,
welches Platon zuerft einführte, hat auch ſeitdem, zwei und zwanzig
Jahrhunderte hindurch, immer die Bedeutung behalten, in der es Platon
gebraucht; denn nicht nur bie Philoſophen des Alterthums, fondern
auch alle Scholaftifer und fogar die Kirchenväter und die Theologen
des Mittelalters gebrauchten e8 allein in jener Platonifchen YBedentung.
Daß fpäter Engländer und Nranzofen bie Armuth ihrer Sprachen zum
Mißbrauch jenes Wortes verleitet hat, ift fchlimm genug, aber nicht
von Gewicht. Kants Mißbrauch des Wortes Idee, dur Unter
ſchiebung einer neuen Bedeutung, welche am binnen Faden des Rıdt
Dbject der Erfahrung-Seind, die es mit Platond Ideen, aber audı
mit allen möglichen Chimären gemein hat, herbeigezogen wird, ift nid!
zu rechtfertigen. (W. I, 579. 154.)
Der Franzoſe und Engländer verbindet mit dem Wort idee, oter
idea, einen fehr alltäglichen, aber dod) ganz beftimmten und deutlichen
Sinn. Hingegen dem Deutfchen, wenn man ihm von Ideen redet,
fängt an der Kopf zu ſchwindeln, alle Befonnenheit verläßt ihn, ih
wird, als folle er mit dem Luftballon auffteigen. (G. 113. H. 386.
(Ueber die Annahme angeborener Ideen f. Augeboren.)
2) Wahre Bedeutung der Ideen.
Die Idee ıft ein Allgemeines, wie dev Begriff, aber ein Age
meine® ganz anderer Art, als dieſer. (Bergl. da8 Allgemeine)
Die Ideen (in der ädhten, urfprünglichen, von Platon eingeführten
Bedeutung des Wortes) find die verfchiedenen Stufen der Objectivation
des Willens (als des Dinges an fich), welche, in zahllofen Individuen
ausgedrückt, als die unerreichten Mufterbilder diefer, oder als bie ewigen
Formen ber Dinge daftchen, nicht felbft in Zeit und Raum, dat
Medium der Individuen, eintretend; fondern feftitehend, Yeinem Wedhſel
untertoorfen, immer feiend, nie geworden, während die Individuen ent
ftehen und vergehen, immer werben und nie find. — Unter Idee if
alfo jede beftimmte und fefte Stufe der Dbjectivation dei
Willens zu verftehen, fofern er Ding an ſich und daher der Bielkeit
fremd ift, welche Stufen zu den einzelnen Dingen fich verhalten, wit
ihre ewigen Formen, oder ihre Mufterbilder. (W. I, 154; I, 414
Idee 345
3) Unterſchied zwiſchen den Ideen und dem Dingan ſich.
Die Ideen offenbaren noch nicht das Wefen an fi), fondern nur
den objectiven Charakter der Dinge, alfo immer nur noch die Er-
ideinung, aber die vollfändige und vollfommene Erſcheinung oder
die adäquate Dbjectität des Willens. (W. II, 414 fg.; I, 191.
205 fg. 211.) Idee und Ding an fih find alfo nicht Eines und
daffelbe; vielmehr ift bie Idee nur die unmittelbare und daher adäquate
Objectität des Dinges an fic, welches felbft der Wille ift, der Wille,
ſofern er noch nicht objectivirt, d. h. noch nicht Object für ein ex»
lemendes Subject, noch nit Borftellung geworben if. Das Ding
an ſich ift als folches frei nicht blos von allen dent Erkennen als
tolhen anhängenden, bejondern Yormen, jondern auch von der erften
und allgemeinften Form aller Erſcheinung, d. i. Vorftellung, dem
Ihject-fürsein-Subject-jein. Die Platonifche Idee Hingegen ift noth⸗
wendig Dbject, ein Erfauntes, eine Borftellung und eben dadurch,
aber auch nur dadurch, vom Ding an fi verfcieden. Sie hat blos
die untergeordneten Formen der Erfcheinung, welche alle unter dem
Satz vom Grunde begriffen find, abgelegt, oder vielmehr ift noch nicht
in fie eingegangen; aber die erfte und allgemeinfte Form hat fie bei-
behalten, die der Borftellung überhaupt, des Objectfeins für ein Sub-
jet. (®. I, 205 fg.) '
4) Das empirifche Eorrelat der Idee. (S. Art.)
5) Die Ideen und die einzelnen Dinge.
Die der erften und allgemeinften Form der Borftelung überhaupt,
dem Objectfein für ein Subject, untergeordneten Formen (Raum, Zeit
md Cauſalität), deren allgemeiner Ausbrud der Sat vom Grunde ift,
find e8, welche die Idee zu einzelnen und vergänglichen Individuen
bervielfältigen, deren Zahl in Beziehung auf die Idee völlig gleichgültig
iſ. Die Idee geht in diefe Formen ein, indem fe in die Erkenntniß
des Subjectd als Individuums füllt. Das einzelne erjcheinende
Ting iſt alfo nur eine mittelbare Objectivation des Dinges an ſich
8 Willens), zwijchen welchem und ihm noch die Idee fteht, als die
aleinige unmittelbare Objectität des Willens, indem fie feine andere
dem Erkennen als folchen eigene Form angenommen hat, als die der
Vorſtellung itberhaupt, d. i. des Objectſeins für ein Subject. Während
daher die Idee allein die möglichſt adäquate Objectität des Willens
als Dinges an fi) oder das ganze Ding an fid), nur unter der Form
der Borftellung, ift; jo find die einzelnen Dinge feine ganz adäquate
Objectität des Willens, fondern dieſe ift hier ſchon getritbt durch bie
m Say vom Grund begriffenen Formen, welche Bedingung der dem
Individuum als folchem möglichen Erkenntniß find. (8. I, 206.)
Die einzelnen Dinge aller Zeiten und Räume find nichts, als bie
duch den Sag vom Grund (die Form der Erfenntniß der Individuen
als folder) vervielfältigten und dadurch im ihrer reinen Objectität ge
übten Ideen. (W. I, 212.)
346 Speer
Die Ideen find unvergänglid; bie Individuen Hingegen entſichen
und vergehen. Sehet das Nädhfte, jeht ewern Hund an. Biele Tau:
ſende von Hunden haben fterben müflen, ehe es an diefen fam, zu leben.
Aber der Untergang jener Laufende hat die Idee des Hundes nidt
angefochten; fie ift durch alles jenes Sterben nicht im mindeften ge⸗
trübt worden. (W. I, 551.) |
6) Die Erkenntniß der Ideen.
Wir würden nicht mehr einzelne Dinge, noch Begebenheiten, noch
Wechſel, noch Vielheit erkennen, fondern nur Ideen, nur bie Stufe:
leiter des einen, das wahre Ding an fich bildenden Willen® in reiner
ungetrübter Erkenntniß auffaffen, und folglich würde unfere Welt cn
Nunc stans fein, wenn wir nicht ald Subject des Erkennens zuglad
Individuen wären und als ſolche die Zeit und alle andern Formen
des Satzes vom Grunde zur Form unferes Erlennens hätten. (W.!,
207. P. I, 452.) Um alfo fih zur Erfenntnig der Ideen zu
erheben, muß im erfennenden Subject eine Veränderung vorgehen, ver⸗
möge welcher es nicht mehr Individuum ift, fondern entſprechend
der ganzen Art des Object (dev Idee), welche ebeufalls nicht einzelnes
Ding, nicht Individuum ift, zum reinen Subject des Erfennens mit,
welches die Dinge nicht mehr in ihrer Beziehung zum individuellen
Willen, fondern in ihrem felbfteigeren Weſen auffaßt. Hat der Ju
tellect Kraft genug, das Uebergewicht über den Willen zu erlangen
und die Beziehungen der Dinge auf den Willen ganz fahren zu lafien,
um ftatt ihrer das durch alle Relationen hindurch ſich ausſprechende,
rein objective Wefen einer Erſcheinung aufzufaflen; fo verläßt er mit
dem Dienfte des Willens zugleich auch die Auffafjung bloßer Relationen
und damit eigentlich auch die des einzelnen Dinges als folden. &
ſchwebt alsdann frei, keinem Willen mehr angehörig; im einzelne
Dinge erkennt er blos dag Wefentliche und daher die ganze Gattung
defielben, folglich hat er zu feinem Objecte jet die Ideen. (W.l,
200. 207 ff; U, 155. 414. 417 fg. 423 fg.)
Der Uebergang von der gemeinen Erkenntniß einzelner Dinge je:
Erkenntniß der dee gefchieht plötlich, indem die Erkenntniß fid vom
Dienfte des Willens losreißt, eben dadurch das Subject aufhört, ein
blos individuelles zu fein, und jegt reines, d. h. willenlofes Sub
ject der Erkenntniß ift, welches nicht mehr, dem Sag vom Grunde
gemäß, den Relationen nachgeht; fondern in fefter Contemplation de
dargebotenen Objects, außer feinem Zufammenhange mit irgenb andern,
ruht und darin aufgeht. (W. I, 209 ff.)
Was diefen Zuftand erfchwert und daher felten macht, ift, dei
darin gleichſam das Accidenz (der Imtellect) die Subſtanz (ben
Willen) bemeiftert und aufhebt, wenngleich nur auf eine kurze Weit.
(W. UI, 420.)
Was diefen Zuftand ausnahmsweiſe herbeiführt, müſſen inet
phufiologifche Vorgänge fein, welche die Thätigfeit des Gehirns reinigen
Fpeenaffociation — Identitätsphilofophie 347
und erhöhen, in dem Grabe, daß eine folche plögliche Springfluth
derfelben entſteht. Bon außen ift derſelbe dadurch bedingt, daß wir
der zu betrachtenden Scene völlig fremd und von ihr abgejondert
bleiben, und fchlechterdings nicht thätig darin verflochten find. (W. II,
424 fg.) |
Die Idee und das reine (vom Dienfie des Willens freie) Subject
des Erfennens treten als nothwendige Corelata immer zugleich ins
Bewußtfein, bei welchem Eintritt aud) aller Zeitunterfehied ſogleich
verfchwindet, da beide dem Sat vom Grunde in allen feinen Ge⸗
ftaltungen völlig fremd find und außerhalb der durch ihn gefeßten
Relationen Liegen, ben Regenbogen und der Sonne zu vergleichen, bie
an der fteten Bewegung und Succeffion der fallenden Tropfen feinen
Theil haben. Daher ift es z. B. bei Betrachtung eines Baumes für
die Erfenntniß feiner Idee ohne Bedeutung, ob es biefer Baum ober
jetn vor tauſend Jahren blühender Vorfahr ift, und ebenfo, ob ber
Betrachter dieſes, oder irgend ein anderes, irgendwann und irgenbivo
lebendes Individuum iſt. Und nicht allein der Zeit, fondern auch dem
Kaum ift die Idee enthoben; denn nicht die mir vorfchwebende räum⸗
liche Geftalt, fondern ihr innerftes Wefen ift eigentlich die Idee und
lann ganz das Selbe fein bei großem Unterfchiede der räumlichen
Berhältniffe der Geſtalt. (W. I, 247.)
7) Die Stufen der Ideen in der Natur. (S. unter
Natur: Die Stufen der Natur und: Continuität der
Naturftufen.)
8) Die Ideen als Gegenftand ber Kunft. (©. Kunſt.)
Neenaſſociation, ſ. Gedanfenaffociation.
Identität, Geſetz der, ſ. Denkgeſetze.
Identitätsphilofophie. |
Die Schelling’iche Identitätsphilofophie fcheint zwar den Fehler der
entweder vom Object, oder vom Subject ausgehenden Syfteme zu
bermeiben, fofern diefelbe weder Object, noch Subject zum eigentlichen
een Ausgangspunkte macht, fondern ein Drittes, das durch intellec-
male Anfhauung erfennbare Abjolutum, welches weder Object, noch
Subject, jondern die Einerleiheit beider ift. Dennoch ift die Identitäts⸗
philofophie von den erwähnten Fehler nicht frei zu ſprechen, da fle
dad entgegengefetste Ausgehen vom Object und Subject nur in fich
bereinigt, indem fie in zwei Tisciplinen zerfällt, nämlich den transfcen-
dentalen Fdealismus, der die Fichte'ſche Ich-Lehre ift und folglich das
Objert mittelft des Sates vom Grunde aus dem Subject ableitet,
und zweitens die Naturphilofophie, welche ebenfo aus dem Object das
Subject werben Täßt; während in Wahrheit das Verhältniß zwifchen
Object und Subject der Herrſchaft des Satzes vom Grunde zu ent:
neben und ihr blos das Dbject zu laffen if. (W. I, 30 fg.)
\
348 Idyl — Immanent
Durch die breifte Wegläugnung des Gegenfages zwiſchen dem
Realen und Idealen unter Nachahmung der Fehler Epinogws
warf die Schelling’f—he Ioentitätöphilofopgie wieder wilb durch einander,
was bie jenen Gegenſatz allmälig und fjehrittweife zum Bewußtſein
bringende befonnene Philofophie fo mühjam gefondert Hatte. (P. 1,
27—29. ®. I, 495; II, 214.)
Boy.
1) Warum das Idyll ale foldes ſich nicht Halten
tann.
Weil ein ächtes bleibendes Glück nicht möglich ift, kann es kin
Gegenſtand der Kunft fein. Zwar ift der Zweck des Foylle mohl
eigentlich die Schilderung eines folden; allein man fieht and, dei
das Idyll als folches ſich nicht Halten Tann. Immer wird es dem
‚Dichter unter den Händen entweder epifch, und ift dann nur eim ſehr
unbedeutendes Epos, aus Heinen Leiden, Meinen renden und Memen
Beftrebungen zufammengefeßt, — dies iR der häufigfte Ball; ober aber
es wird zur blos befchreibenden Poeſie, fehildert die Schönheit ber
Natur, d. h. eigentlich das reine willensfreie Erkennen. (W. J, 378.)
2) Das Idyll als Beweis, wie nothwendig Be
ſchränkung für das menſchliche Glüd jei.
Wie fehr die äußere Beſchränkung dem menfchlichen Glüde, fo weit
es gehen kann, förderlich, ja notwendig fei, ift daran exfichtlich, daf
die einzige Dichtungsart, welche glüdliche Menſchen zu ſchildern unter-
nimmt, das Idyll, fie ſtets und mefentlich in höchſt befchränkter Lage
und Umgebung darftellt. (P. I, 444.)
Aluminismus, f. unter Philofophie: Methode der Philoſophie.
Immanent.
1) Gegenfag ber immanenten und transfcendenten
Erlenntniß.
Transfcendente Erkenntniß ift die, welche über alle Möglichkeit
der Erfahrung Hinansgehend, das Wefen der Dinge, wie fie an fih
felbft find, zu beftimmen anftrebt; immanente Erfenntniß Hingegen
die, welche fid, innerhalb ber Schranken der Möglichkeit der Erfahrung
hält, daher aber auch nur von Erfcheinungen reden kann. „Zrande
feenbent” bebentet „alle Möglichkeit der Erfahrung überfliegend‘ und
“" m Öegenfag an „immanent“, welches bedeutet: in den Echranfen
döglichteit bleibend. (P. II, 296. W. IL, 201; I, 204.)
„transfcendent” ift „transfcendental” nicht zu der
‚ weldes den apriorifchen Theil der menſchlichen Erkeumtniß
fofern ihn das Bewußtfein feiner Apriorität, alfo feines ſub⸗
Urfprumg® begleitet. (W. II, 201; I, 204.)
Imperativ — Inder 349
2) Unübertragbarkeit des Zransfcendenten in bie
immanente Erlenntuiß.
Zransfcendente Fragen in der fiir innmanente Erfenntniß geichaffenen
Sprache beantworten zu wollen, führt auf Widerſprüche. Wenn bas
Trandfcendente in die immanente Erkenntniß gebracht werben fol, fo
geihieht diefer dabei eine Art Gewalt, indem fie mißbrancht wird zu
dem, wozn fie nicht geboren iſt. (P. II, 295 fg.)
3) Mißbrauch der Worte „immanent und transfcen-
dent” in der nachfantifchen Philofophie.
Die Ausdrüde „immanent und transfcendent‘, die in ber Kant’fchen
Bhilofophie fich auf den Gebrauch, nebft Gitttigfeit unferer Erfennt-
niß beziehen, werden von ben nachkant'ſchen Spaßphilofophen miß-
bräuhlih) auf den lieben Gott, der das Hauptthema ihrer Philofophie
bildet, angewendet, indem fie dariiber disputiren, ob er in der Melt
drinne ſtecke, oder aber draußen bleibe, db. bh. aljo in einem Raume, wo
fine Welt it, fi aufhalte; im erften Falle nun tituliven fie ihn
immanent, und im andern transfcendent, wobei fie höchft ernfthaft
und gelehrt tun. (P. I, 186; II, 295 fg.)
Imperativ, kategoriſcher. (S. unter Moral: Kritik ber imperativen
Torm der Moral.)
Improvifator.
Ein Improvifator ilt ein Dann, der omnibus horis sapit, inbem
er ein vollftändiges und wohlaſſortirtes Magazin von Gemeinplägen
jeder Art bei fich führt, fonach für jedes Begehren, nad) Befchaffenheit
des alles und der Gelegenheit, prompte Bedienung verjpricht, und
‚ducentos versus, stans pede in uno liefert. (P. U, 461.)
Inder. |
1) Indifhe Religion und Götterlehre.
Ueber die indifhe Religion im Allgemeinen fiehe die Artikel:
Prahmanismus, Buddhaismus und Chriſtenthum.
Die fo phantaftifche, ja mitunter barode indifche Götterlehre, wie
fie noch Heute, fo gut wie vor Yahrtaufenden, die Neligion des Bolfes
ausmacht, ift, wenn man den Sachen auf ben Grund geht, doch nur
die verbifdfichte, d. h. mit Rüdficht auf die Faſſungskraft des Volkes
in Bilder eingeffeidete und fo perfonificirte und mythifirte Lehre der
Upanifhaben, welche nun aus ihr jeder Hindu, nad) Maßgabe feiner
Kräfte und Bildung herausfpürt, oder fühlt, oder ahndet, oder fie
durchſchauend Mar dahinter erblidt. Hingegen war die Abficht des
Vuddha Schakya Duni, den Kern aus der Schale abzulöfen, die hohe
Lehre felbft von allem Bilder» und Götterweſen zu befreien und ihren
weinen Gehalt fogar dem Bolfe zugänglich und faßlich zu machen.
it ihm wundervoll gelungen, und daher ift feine Religion die
dertrefflichfte und durch die größte Anzahl von Öläubigen vertretene
af Erden. (P. DL, 241.)
350 Inder
2) Die indiſche Myſtik, verglichen mit der mohamm::
daniſchen und ber Kriftlichen.
In der Muftit der Hiudu tritt viel flärker, als in ber der Sufi,
das Aufgeben alles Wollens, ald woburd allein die Befreiung ven
ber individuellen Eriftenz und ihren Leiden möglich iſt, hervor, und in
der hriftlichen Myſtik ift dieſe Seite ganz vorberrfchend, fo daß jene
pantheiftifche Bewußtſein, welches aller Myſtik weſentlich ift, bier erf
fecundär, in Folge bed Anfgebens alles Wollens, als Bereinigung
mit Gott eintritt. Diefer Berfchiebenheit der Auffaffung entipreden
bat bie mohammebanifche Myſtik einen fehr Heitern Charakter, die
Hriftliche einen düftern und fchmerzlichen, die der Hindu, über beiden
ftebend, Hält auch in dieſer Hinficht die Mitte. (W. U, 71)
3) Die indifhe Sculptur, verglichen mit der grie:
chiſchen.
Die griechiſche Sculptur wendet ſich an die Anſchauung, darum it
fie äfthetifch; die Hindoftanifche wendet fid) an den Begriff, dakı
ift fie blos fymbolifh. (W. I, 282.)
4) Die indifhe PHilofophie und Weisheit. |
Die Berwandtfhaft der indifchen Bhilofophie und Weisheit mit
der Scopenhauerichen Lehre geht aus Mehrerem hervor; fie zeigt
ſich befonders in der Lehre vom unbemußten Wollen (Au), in der
Unfterblichleitslehre, indem fie ganz confequent zur Fortdauer nad
dem Tode ein Dafein vor der Geburt annimmt, deſſen Verſchuldung
abzubüßen diejes Leben da ift, und in der metaphyſiſchen Auslegung
des ethifchen Urphänomens, des Mitleidens mit allem Lebenden.
(N. 30fg. W. I, 556 fg. E. 274. P. I, 137; II, 237.)
Die Sankhya-BHilofophie ift intereffant und belehrend, fofern fie die
Hauptdogimen aller indifchen PBhilofophie, wie bie Nothwenbigfeit der
Erlöfung ans einem traurigen Dafein, die Transmigration nad Mob:
gabe der Handlungen, die Erfenntniß als Grundbedingung zur Erlöfung
u. dgl. m. uns in der Ausführlichfeit und mit dem hohen Ernſt vor
führt, womit fie in Indien, feit Jahrtauſenden, betrachtet werden.
Inzwiſchen fehen wir biefe ganze Philoſophie verdorben durch einen
falfchen Grundgedanken. - (P. II, 429 fg.) -
(Ueber Maja, Metempſychoſe und Veden ſiehe diefe Artikel)
5) Das indische Kaftenwefen.
Der Brahmanismus fteht durch fein Kaftenwefen Hinter dem Yubdhait-
mus, welcher Feine Kaften gelten läßt, zurüd. (W. I, 421.)
Daß die drei obern Kaften die mwiebergeborenen heißen, mag
immerhin, wie gewöhnlich, daraus erflärt werden, daß die Imoeftitu
mit der Heiligen Schnur, welche den Sünglingen derſelben die Mündig
keit verleiht, gleichlam eine zweite Geburt fei; der wahre Grund abtt
ift, daß man nur in folge bedeutender Verdienfte, im einem vorher
gegangenen Leben, zur Geburt in jenen Kaften gelangt, folglid in
Individnation. Individualität 351
folhem fchon ale Menſch eriftirt haben muß; während wer in ber
unterften Kafte, ober gar nod) niedriger, geboren wird, vorher auch
Thier gewejen fein Tann. (P. II, 430 fg.) -
(Meber die Berwandtihaft der alten Aegypter mit den Indern
fie: Aegypter.)
Individnation. Individualität.
I. Judividnation.
1) Brincip der Individuation.
Zeit und Raum find das Princip der Individuation. Denn
Zeit und Raum allein find es, mittelft welcher das dem Weſen nnd
Begriff nach Gleiche und Eine doch als verfchieden, ald Vielheit neben
und nad einander erſcheint. (W. I, 134) Worauf beruht alle
Bielfeit und numerische Berfchiedenheit der Wefen? — Auf Raum
und Zeit; durch diefe allein ift fie möglid, da das Viele fih nur
entweder als nebeneinander, oder als nacheinander denken und vorfiellen
läßt. Weil nun das gleichartige Biele die Individuen find; fo find
Kaum und Zeit in der Hinficht, daß fie die Vielheit möglich machen,
da8 principium individuationis. (E. 267. W. I, 152; I, 550.
9. 397 fg.)
2) Die im principio individuationis befangene Er-
tenniniß im Gegenfaß zu der ed durchſchauenden.
Ter Erkenntniß, wie fie, den Willen zu feinem Dienſt entjproffen,
den Indbividuo als folhem wird, ftellt fich die Welt nicht fo dar,
wie fie dem Forfcher ſich enthüllt, als die Objectität des einen und
alleinigen Willend zum Leben; fondern den Blid bes rohen Indivi⸗
duums trübt, wie die Inder fagen, ber Schleier der Maja; ihm zeigt
ch, fatt des Dinges an fich, nur die Erfcheinung, in Zeit und
Kaum, dem principio individuationis, und in ben übrigen Geftaltungen
des Sabes vom Grunde, und in diefer Form feiner befchränften Er⸗
kenntniß flieht er nicht das Weſen der Dinge, weldes Eines ift,
jondern deffen Erjcheinungen, als gefondert, getrennt, unzählbar, ſehr
berfchieden, ja entgegengefett. ‘Der im principio individuationis
Defangene, durch den Schleier der Maja Geblenbete erfennt nicht fein
eigened Weſen im den Andern wieder und fucht oft durch das Böſe,
d. h. durch Verurſachung des fremden Leidens, dem Uebel, dem Leiden
des eigenen Individuums, zu entgehen. (WW. I, 416 fg.) Die In-
disiduation erhält den Willen zum Leben über fein eigenes Weſen im
Yrthum. Der Tod ift eine Wiberlegung biefes Irrthums und hebt
ihn anf, Im YUugenblide des Sterbens werden wir inne, daß eine
u ufehung unfer Dafein auf unfere Perſon beſchränkt hatte.
‚U, 689.)
Die freiwillige Gerechtigkeit hat ihren innerften Urfprung in einem
gewifien Grade der Durchſchauung des principii individuationis;
während in diefem der Ungerechte ganz und gar befangen bleibt.
352 Individnarion. Jadividuslitẽt
Dieſe Durdicgeuung lan nicht nur im dem hiezu erforderlichen, fon-
dern auch in höherem Grade Statt haben, welcher zum poſitiven
Wohlwollen und Wohlthun, zur Menſchenliebe, treibt. Während der
Egoiſt und der Boshafte, um principio individuationis befangen,
einen mächtigen Unterfchied zwijchen ſich und den andern Individuen
machen, fo erfennt der es Durchſchauende, der Edle, daß der Unter-
ſchied zwifchen ihn und den Andern nur einer vergänglichen täufchenden
Erfcheinung angehört; er erkennt unmittelbar und ohne Schlüfle (alic
intuitiv), daß das Anſich feiner eigenen Erſcheinung auch das der
fremden ift, nämlich jener Wille zum Leben, welcher das Weſen jeglichen
Dinges ausmacht und in Allem lebt; ja, daß diefes ſich jogar auf dir
Thiere und die ganze Natur erftredt; daher wird er aud) fein Thier
quäfen. (W. I, 439 fg.; TI, 688.)
„Die Yudividuation ift real, das principium individuationis ift
die Ordnung der Dinge an fi” iſt die allen Egoismus und aller
Bosheit, fo wie der Berfennung der ewigen Gerechtigkeit zu Grunde
fiegende Erkenntniß. „Die Individuation ift bloße Erfcheinung
(Borſtellung)“ ift die Erfenutniß, auf weldyer alle ächte Tugend, je
wie da8 Begreifen der ewigen Gerechtigkeit beruht, und welche auf ihrem
Gipfel als Quietiv des Willens wirkend, bie Refignation herbeiführt, dat
Aufgeben nicht blos des Lebens, fondern des ganzen Willens zum Leben
felöft. (E. 270ff. W.L 416—419. P. II, 337. W. I, 299. 355.
3) Durdbrehung des principii individuationis im
animalifhen Magnetismus und in der Magie
(S. Magie und Magnetismus.)
4) Das Grauſen beim Irrewerden am principio in—
dividuationis.
So fehr auch das Bewußtſein befangen ift im principio indivi-
duationis und in Folge deſſen Jeder eine abſolute Scheidung zwijchen
feinem Selbft und den andern Individuen macht, jo lebt doch in der
innerften Tiefe eines Beben die ganz dunkle Ahndung, daß ihm die
Undern jo fremd nicht find, fondern er einen Zufammenhang mit ihnen
bat, vor welchem das principium individuationis ihn nicht ſchützen
kann. Aus diefer Ahndung ftammt jenes jo unvertilgbare und allen
Menfchen (ja vielleicht felbft den Fügern Thieren) gemeinjane Grau:
fen, das fie plötzlich ergreift, wenn fie, durch irgend einen Zufall, irre
werben am principio individuationis, indem der Sat vom Grunde,
in irgend einer feiner Geftaltungen, eine Ausnahme zu erleiden fcheint;
3. B. wenn es fcheint, daß irgend eine Beränderung ohne Urſache vor
fi) gienge, oder ein Geftorbener wieder da wäre, oder fonft irgenbiwie
da8 DBergangene oder das Zukünftige gegenwärtig, oder das Ferne nahe
wäre. Das ungeheure Eutfegen über fo etwas gründet fich daranf,
daß fie plößlidy irre werden au den Erfenntnißformen der Erfcheimmg,
welche allein ihr eigenes Imbividuun von der übrigen Welt gefondert
halten. (W. I, 417. 9. 340 fg.)
Individuation. Individualität 353
II. Iubisibnalität.
1) Die Individualität als im Ding an fich wurzelnde
Erſcheinung.
Individnalität gehört der bloſſen Erſcheinung an, indem ſie
als Vielheit des Gleichartigen durch die Formen der Erſcheinung, Zeit
und Raum bedingt iſt. (W. II, 370 fg.; I, 324. 327.) Die Vielheit
der Individnen ift durch Seit und Raum, das Entftehen und Ber-
gehen derfelben durch Cauſalität allein vorftellbar, in welchen Yormen
alen wir nur die verſchiedenen Geftaltungen des Satzes vom runde
ertennen, der das legte Princip aller Enplichkeit, aller Individuation
und die allgemeine Form der Vorftellung, wie fie in die Erfenntuiß
des Individuums als folchen fält, if. (W. I, 199.) Das Imdivi-
dumm als ſolches ift nicht frei; denn es iſt nicht Wille ald Ding an
ih, fondern ſchon Erfheinung des Willens und als folche jchon
determinirt und in die Form ber Erfcheinung, den Sat vom Grunde,
eingegangen. (W. I, 135.) Das Individuum, bei feinem ımverän-
derlichen angeborenen Charakter, in allen feinen Aeußerungen durch
das Geſetz der Sanfalität ftreng beftimmt, ift nur die Erfcheinung.
Dos diefer zum Grunde liegende Ding an fi, als außer Raum
und Zeit befindlich, frei von aller Sueceffion und Vielheit der Acte,
if Eines und unveränderli. (E.- 175.) Die Individualität beruht.
doch nicht allein auf dem principio individuationis und ift baher
at durch und durch bloße Erjcheinung, fondern wurzelt im
Dinge an ſich. Wie tief nun aber bier ihre Wurzeln gehen, gehört
zu den trandfcendenten, die Formen und Yunctionen unfers Intellects
überfleigenden ragen. (P. II, 243. H. 397fg) Cs ließe ſich
auf die Frage, wie tief im Weſen an fich der Welt die Wurzeln
der Individualität gehen, allenfalls nod) antworten: fie gehen fo tief,
wie die Bejahung des Willens zum Leben; wo die Berneinung ein»
tt, hören fie auf; denn mit ber Bejahung find fie entfprungen.
(®. II, 734.)
‚Die Individualität inhärirt zwar zunüchſt nur dem Intellect, ber,
die Erſcheinung abfpiegelnb, der Erfcheinung angehört, welche das
prmapium individuationis zur Form hat. Aber fie inhärirt aud)
dem Villen, fofern der Charakter individuell ift; diefer felbft jedoch
wird in der Verneinung des Willens aufgehoben. Die Individualität
mhöriet alfo dem Willen nur in feiner Bejahung, nicht aber in
ſeiner Berneinung. Bejahung des Willens zum Leben, Erfcheinungs-
weit, Diverfität aller Welen, Inbivibnalität, Egoismus, Haß, Bos-
heit entipringen aus einer Wurzel; umb ebenfo anbererjeits Welt
des Dinges an fi), Identität aller Wefen, Gerechtigfeit, Menfchen-
ee, Berneinung des Willens zum Leben. (W. II, 698.)
Egopenhanerskeriton. I. . 23
354 Individnation. Imbivibuafität
2) Die Individualität auf den verfchiedenen Stufen
ber Natur.
Auf den obern Stufen der Objectität bes Willens fehen wir die
Individualität bedeutend hervortreten, befonders beim Menſchen, als
die große Verfchiedenheit individueller Charaktere, d. 5. als vollfländige
Perjönlichkeit, Schon äußerlich ausgedrüdt durch ſtark gezeichnete in-
dividuelle Phyſiognomie, welche die geſammte Corporifation mitbegreift.
Diefe Individualität hat bet Weitem in folchen Grade fein hier;
fondern nur bie obern Thiere haben einen Anſtrich davon, über den
jedoch der Gattungscharakter noch ganz und gar vorherrſcht. Wäh⸗
rend nun alfo jeder Menſch als eine beſonders beftimmte und dharal-
terifirte Erfcheinung des Willens, fogar gewiffermaßen als eine eigene
Idee anzujehen ift, bei den Thieren aber diefer Individualcharalter
im Ganzen fehlt und feine Spur immer mehr verjchwindet, je weite
fie vom Menfchen abftehen, die Pflanzen endlich) gar feine andern
Eigenthlimlichkeiten des Individuums mehr haben, als ſolche, die ſich
aus äußern glnftigen oder ungünftigen Einflüffen des Bodens, bes
Klimas und andern Zufälligkeiten volllommen erklären lafjen; fo ver
fchwindet endlich im unorganifchen Reihe ber Natur gänzlich alle
Individualität. Blos der Kryſtall ift noch gewiffermaßen als Indivi⸗
duum anzuſehen. Die Individuen derſelben Gattung von Kryſtallen
können aber feinen andern Unterſchied haben, als den äußere Zufällig:
feiten herbeiführen. Das Individuum aber als folches, d. h. mit
Spuren eines individuellen Charakters, findet fi) durchaus nicht mehr
in der unorganifchen Natur. Alle ihre Erfcheinungen find Aeußerungen
allgemeiner Naturkräfte, d. 5. folder Stufen der Objectivation det
Willens, welche ſich durchaus nicht (mie in der organiſchen Natur)
durch die DVermittelung der Verſchiedenheit der Inbividualitäten, die
da8 Ganze der dee theilweife ausfprechen, objectiviren; fondern fid
allein in der Species und diefe in jeder einzelnen Erſcheinung ganz
und ohne alle Abweichung darftelen. (W. I, 155—157.)
Innerhalb der menſchlichen Gattung ift die Individualität am
ftärfften ausgeprägt bei den Genie's; denn ihre Originalität ift fo
groß, daß nicht nur ihre Berfchiedenheit von den übrigen Menſchen
augenfällig wird, fondern aud) zwifchen allen je da gewefenen Genies
jelbft ein gänzlicher Unterfchied des Charalterd und Geiſtes Statt
findet, vermöge beflen jedes derjelben an feinen Werken ber Welt ein
Geſchenk dargebracht Hat, welches fie außerdem von gar keinem Andern
in der gefammten Gattung jemals hätte erhalten fönnen. Darum
eben ift Arioſto's natura lo fece, e poi ruppe lo stampo ein jo
überaus treffendes Gleichniß. (P. U, 89.)
Zu bewundern ift e8, wie bie Individualität jebes Menſchen
(d. 5. diefer beftimmte Charakter mit diefem beftimmten Intellect)
gleich einem eindringenden Tärbeftoff, alle Handlungen und Gedauken
deffelben, bis auf die umbedentendften herab, genau beftimmt; in
Individuation. Individualität 355
Folge wovon der ganze Lebenslauf, d. 5. die äußere und innere Ge-
(dichte, des Einen fo grundperfchieden von ber des Andern ausfällt.
P. UI, 246.)
3) Die Sprade der Natur in Bezug auf die In—
bipiduen.
Die Form der Erfcheinung des Willens zum Leben ift Zeit, Raum
und Sanfalität, mittelft diefer aber die Individuation, die e8 mit fi)
bringt, daß das Individuum entftehen und vergehen muß, was aber
den Willen zum Leben, von deſſen &rfcheinung das Individuum
gleicham nur ein einzelnes Eremplar oder Specimen ift, fo wenig
anfiht, ald das Ganze der Natur gekränkt wird dur) den Tod eines
Individuums. Denn nicht diefes, fondern die Gattung allein ift
es, woran der Natur gelegen ift, und auf deren Erhaltung fie mit
allem Ernſt dringt, indem fie fiir Diefelbe fo verſchwenderiſch forgt,
durch die ungeheure Weberzahl der Keime und die große Macht des
Befruhtungstriebes. Hingegen hat das Individuum fiir fie feinen
Werth und Tann ihn nicht haben, ba unendliche Zeit, unendlicher
Raum und in diefen unendliche Zahl möglicher Individuen ihr Neich
find; daher fie ftets bereit ift, das Individuum fallen zu laſſen.
Ganz naiv fpricht hiedurch die Natur felbft die große Wahrheit aus,
daß mr die Ideen, nicht die Individuen eigentlich Nealität haben,
d. 6. volllommene Objectität des Willens find. (W. I, 325; II,
401 fg. — Bergl. über das Verhältniß der Individuen zur Idee und
m Gattung bie beiden Artilel Idee und Gattung.)
Die Natur wiberfpricht fi) geradezu, je nachdem fie vom Ein—
zelnen oder vom Allgemeinen aus, von ‚Innen ober von Außen,
vom Centrum ober von der Beripherie aus redet. Ihr Centrum
nömlih hat fie in jedem Individuo; denn jedes ift der ganze Wille "
zum Leben. Daher, fei daffelbe auch nur ein Imfect, oder ein Wurm,
die Natur ſelbſt alfo aus ihm redet: „Ich allein bin Alles in Allem,
an meiner Erhaltung ift Alles gelegen, das Webrige mag zu runde
gehen, es iſt eigentlich nichts.” Hingegen vom allgemeinen Stand»
yunft aus, alfo von außen, von der Peripherie aus, rebet die Natur
ſo: „Das Individuum ift nichts und weniger ald nichts. Millionen
Individuen zerftöre ich tagtäglich, Millionen neuer Individuen ſchaffe
ich jeden Tag, ohne alle -Berminderung meiner hervorbringenden Kraft.
Das Individuum ift nichts.“ Diefer offenbare Widerfpruch läßt ſich
jo erläutern: Jedes Imdividuum, indem es nad) Innen blickt, erfennt
in feinem Weſen, welches fein Wille ift, das Ding an fich, daher das
überall allein Reale. Denmach erfaßt es fi) als den Kern und
Mittelpunkt der Welt und findet fich unendlich wichtig. Blickt es
bingegem nach Außen; fo ift es auf dem Gebiete der Vorſtellung, der
bloßen Erfcheinung, wo es ſich fieht als ein Individuum unter unend-
lich vielen Judividuen, fonach als cin höchſt Unbedeutendes, ja gänzlich
Verihtwindenbes. Folglich ift jedes, auch da8 unbedeutendfte Individuum,
23*
356 Imbividuation. Individualität
jedes Ich, von Innen gefehen, Allee in Allem; von Außen gefchen
hingegen, ift e8 nichts, oder doch fo viel wie nichts. Hierauf beruft
der große Unterfchied zwifchen Dem, was nothwendig Jeder in feinen
eigenen Augen, und Dem, was er in den Augen aller Andern ifi,
mithin der Egoismus, den Jeder Jedem vorwirft. (W.IL, 687 fg.
P. O, 236. Bergl. auch unter Bewußtſein: Duplicität bes Be-
wußtſeins.)
4) Zerſetzung des Individuums durch den Tod.
Jeder bat einen väterlichen und einen mütterlichen Beſtandtheil
(vergl. Bererbung); und wie diefe durd) die Zeugung vereint werden,
fo werben fie durch den Tod zerſetzt, welcher aljo das Ende bes
Individuums if. Diefes Individuum ift es, defien Tod wir fo ſehr
betrauern, im Gefühl, daß es wirklich verloren gehe, da es eine bloße
Berbindbung war, die unwiederbringlicd aufhört. Es findet aber aud
eine Palingeneſie ftatt, indem der Wille beharrt und, die Geftalı
eines neuen Weſens annehmend, einen neuen „ntellet erhält. Das
Individuum zerfegt fich alfo wie ein Neutralfalz, defien Baſis fodann
mit einer andern Säure fi zu einem neuen Salz verbindet. (P. I,
293fg. W. UI, 574 fg.)
Die ftarre Unveränderlichfeit und wejentlihe Beſchränkung jeder
Individualität, als folcher, müßte, bei einer endlofen Fortdaner ber-
jelben, enblih, duch ihre Monotonie, einen fo großen Ueberdruß
erzeugen, daß man, um ihrer nur entledigt zu fein, lieber zu Nichts
würde, Unfterblichleit der Individualität verlangen, beißt eigentlid)
einen Irrthum ins Unendliche perpetuiren wollen. Denn im Grunde
ift doch jede Individualität nur ein fpecieller Irrthum, Yehltritt, etwas
da8 befjer nicht wäre, ja wovon uns zurüdzubringen der eigentliche
Zwed des Lebens if. (W. I, 561.) Die Individualität ift Teine
Vollkommenheit, fondern eine Beſchränkung; daher ift, fie los zu
werben, Fein Berluft, vielmehr Gewinn. (P. II, 299) Wenn man
ftirbt, follte man feine Individualität abwerfen, wie ein altes Kleid,
und fi) freuen über die neue und beffere, die man jett, nad) erhaltener
Belehrung, dagegen annehmen wird. (P. II, 301.)
Wenn wir unfer eigenes Wefen durch und durch, bis ing Innerſte,
ganz erkannt hätten, wilrden wir es lächerlich finden, die Unvergäng-
lichkeit des Individuums zu verlangen; weil dies hieße, jenes Wejen
jelbft gegen eine einzelne feiner zahllofen Weußerungen — Yulgurationen
aufgeben. (P. II,
Dem individuellen Dafein liegt ein ganz anderes, defien Aeußerung
ed ift, unter. Diefes kennt feine Zeit, alfo auch weber Fortdauer,
noch Untergang. (P. II, 301.)
5) Piychologifhe Bemerkung über den Schmerz beim
Tode eine® befreundeten Individuums.
Der tiefe Schmerz, beim Tode jedes befreundeten Weſens, entſteht
aus dem Gefühle, daß in jedem Individuo etwas Unausfprechliches,
Indnetion — Injurie 357
ihm allein Eigenes und daher durchaus Unwiederbringliches liegt.
Omne individuum ineffabile. Dies gilt ſelbſt vom thieriſchen In⸗
divibuo, wo es am lebhafteften Der empfinden wird, welcher zufällig
ein geliebtes Thier tödtlich verlegt hat und num feinen Scheibeblid
empfängt, welches einen herzzerreißenden Schmerz verurfadht. (P. II, 621.)
6) Pfychologiſche Bemerkung über die Urfahen irris
ger Beurtheilung fremder Individuen.
Daß wir uns fo oft in Andern irren ift micht immer geradezu
Schuld unferer Urtheilsfraft, fondern entjpringt meiſtens daraus, daß
unfer Intellect vom Willen und den Affecten beeinflußt ift, indem wir
nämlich, ohne es zu wiflen, gleich) Anfangs durch Kleinigkeiten für,
oder gegen fie eingenommen find. Sehr oft Liegt e8 auch daran, daß
wir von den an ihnen wahrgenommenen Eigenſchaften noch auf andere
ihliegen, die wir für ungertrennlic) von jenen, oder aber für mit ihnen
unvereinbar halten, 3. B. von wahrgenommener reigebigfeit auf Ges
rehtigkeit, von Frömmigleit auf Ehrlichkeit u. |. w., welches vielen
Irthümern die Thüre öffnet, in Folge theil® der Seltſamkeit der
wenſchlichen Charaktere, theils der Kinfeitigkeit unſers Standpunftes,
Zwar ift der Charakter durchweg confequent und zufammenhängend,
aber die Wurzel feiner ſämmtlichen Eigenſchaften Tiegt zu tief, als daf
man and vereinzelten Datis beftimmen könnte, welche, im gegebenen
Fall, zufammen beftehen können und welche nicht. (PB. II, 622 fg.)
Industion, |. Epagoge und Methode.
Inferiorität.
Geiſtige Ueberfegenheit zu zeigen ift fein Mittel fi in Gefellfchaft
befieht zu machen, erregt vielmehr Haß und Grol. Denn merkt und
empfindet Einer große geiftige Weberlegenheit an Dem, mit welchem er
redet, fo macht er im Stillen den Schluß, daß in gleihem Maße
der Andere feine Inferiorität merke. Diefes Enthymem erregt
ſeinen Haß. Hingegen gereicht in Gefellfchaft geiftige Inferiorität zur
wahren Empfehlung. Denn was für den Leib die Wärme, das if
für den Geift das wohlthuende "Gefühl der Ueberlegenheit; daher Jeder
nfinctmäßig fich Dem nähert, der e8 ihm verheift, d. h. dem ent-
ſchieden tiefer Stehenden an Eigenfchaften des Geiftes, bei Männern,
an Schönheit, bei Weibern. Demzufolge find unter Männern die
dummen und unwiſſenden, unter Weibern die häßlichen allgemein beliebt
und geſucht. (P. I, 489—491.)
Infurir.
1) Charakter der Injurie.
Die Injurie, das bloße Schimpfen, ift eine ſummariſche Verläum⸗
dung, ohne Angabe der Gründe. Durch biefelbe Iegt Der, der ſich
er bedient, an den Tag, daß er nichts Wirkliches und Wahres gegen
ka Andern vorzubringen hat; da er fonft Dieſes als bie Prümiffen
58 Imqmifktion — Snfecten
geben un bie Conelufirn getrof dem Döcer Aberlafen wirhe, Etat ”
effen giebt er die Eonchufion und bleibt die Brämiffen ſchuldig; allem
er verläßt ſich auf die Präfumtion, daß dies nur beliebter Kürze halber
geſchehe. CP. I, 384.)
2) Empfindlifeit des ritterlihen Ehremprincips
gegen Injurien.
S. unter Ehre: Eine Afterart der Ehre, und unter Grobpeit:
Die ritterlihe Empfindlichfeit gegen Grobkeit.)
Inquifition, ſ. Fanatismus.
Duſecitu.
D Wetamorphoſe der Infecten.
Die Nordivendigfeit der Metamorphofe der Infecten läßt fih
Iagentvrmaßen erflären. Die metaphufiiche Kraft, welche ber Cr
Ibetmung eies jolchen Thierchens zu Grunde liegt, ift fo gering, af
Ne die derſchtedenea Functionen des thierifchen Lebens nicht gleichzeitig
walten fur: daher muß fie diefelben vertheilen, um ſucceſſid zu
toten, wat der Den bößer ſtehenden Thieren gleichzeitig vor fich geht
Cara thetie fie das Inſectenleben in zwei Hälften: in der erften,
dem Yarvenzurande, ſtelt fie fich ausſchließlich dar als Reproductions
Rujt, Exruadrung. Vlaftci:az. Im der zweiten Hälfte ſtellt die an ſich
wetaphgüiche Ledenetraft fich dar als hunbertfach vermehrte Srritabili»
tat. — im umermrüblichen lage, — als hochgeſteigerte Senftbilität, —
in vollfommenen, oft ganz deuen Simen, — hauptſächlich aber ale
Oenitalfunetion. Tiefe gänzliche Beränderung und Sonberung ber
Lcbensfunctionen ftellt alio gewiffermaßen zwei fucceffiv lebende Thiere
dar, deren hochſt verſchiedene Geftalt dem Unterfchieb der Functionen
entfpridit. Die Natur vollbringt alfo bei diefen Thieren in zwei Ab:
fägen, was ihr anf Gin Mal zu viel wäre; fie theilt ihre Arbeit.
Temgemäß ift and, bie Metamorphofe dort am vollfommenften, mo
die Sonderung der Functionen fi) am entfchiedenften zeigt, 3. B. bei
den Lepibopteren. (®. UI, 186 fg.)
2) Inftinct der Iufecten. (S. Infinct.)
3) Das Leben abgeſchnittener Theile bei Infecten.
Drganismus Nervenfäden in ein Ganglion zufammen-
t gewiffermaßen ein eigenes Thier vorhanden und abge
(des mittelft des Ganglions eine Art von ſchwaqher
ıt, deren Sphäre jedoch befchränkt ift auf die Theile, aus
Rerven unmittelbar fommen, Hierauf beruft die vita
Teils, wie auch bei Inſecten, als melde, ftatt des
einen doppelten Nervenſtrang mit Ganglien in regel:
mungen haben, bie Sähigfeit jedes Theile, nad) Trenmmg
w übrigen Rumpf, noch tagelang zu leben. (W. D,
Infpiration — Inſtinct 359
4) Ueber das Fliegen Eleiner Infecten in die Licht—
flamme.
Auf den niedrigften Stufen des thierifchen Lebens ift das Motiv
noh dem Reize nahe verwandt; daher Liegt auf. diefen Stufen die
Wirkung des Motive und noch ganz fo deutlich, unmittelbar, ent⸗
[hieden und unzweibentig vor, wie die des Netzes. Kleine Inſecten
merben vom Scheine bes Lichtes bis in die Flamme gezogen. (E. 39.)
Bas die Frage betrifft, ob die Natur den Inſecten nicht wenig⸗
ſtens fo viel Verſtand hätte ertheilen follen, wie nöthig ift, um fich
nicht in die Lichtflamme zu ſtürzen; fo ift die. Antwort: freilich wohl;
am war ihr nicht bekannt, daß bie Meenfchen Lichter gießen und an⸗
zünden wilrben, unb natura nihil agit frustra. Wlfo blos zu einer
umatürlichen Umgebung reicht der Berftand der Inſecten nicht aus.
R. 50. M. 166 fg.)
Jufpiration.
1) Infpiration des Genies. (S. unter Genie: Inſtinct⸗
artige Noihwenbigfeit des Wirkens des Genies.)
2) Infpiration ber neuteftamentlihen Schriftfteller.
Ber den infpirirten Scriftftellern bes Neuen Teftaments
müflen wir bedauern, daß die Inſpiration ſich nicht aud) auf Sprache
md Stil erfizedt Bat. (5. 430.)
Inſtanz, |. Epagoge und Apagoge.
Inflinct. |
1) Der Inſtinct als ein zwedmäßiges Wirken ohn
Erlenntniß des Zwede. .
Daß der Wille auch da wirkt, wo Feine Erkenntniß ihn leitet,
jehen wir an dem Inſtinct und den Sunfttrieben der Thiere. Daß fie
Sorftellungen und Erkenntniß haben, kommt hier gar nicht in Betracht,
da der Zweck, zu dem fie (in den Inſtincthandlungen) gerade fo hin-
wirken, al8 wäre er ein erkanntes Motiv, von ihnen ganz unerkannt
bleibt. Der einjährige Vogel hat Feine Vorftellung von den Eiern,
für die er ein Net baut; die junge Spinne nicht von dem Raube,
zu dem fie ein Net wirkt; noch der Ameifenlöwe von der Ameife, der
er zum erften Male eine Grube gräbt, u. f. w. In foldem Thun
der Thiere ift doch offenbar wie in ihrem übrigen, der Wille thätig;
aber er ift in blinder Thätigfeit, die zwar von Erkenntniß begleitet,
aber nicht von ihr geleitet if. (W. I, 136. 180; II, 391.)
2) Berbältniß ber Inftinctleitung zur Leitung durch
Motivation. .
Der Gegenſatz zwifchen dem Bewegtwerben des Willens entiveder
durch Inftinet (von Innen), ober dur; Motivation (von Außen),
M fein fo fcharfer, wie es fcheint, fondern läuft im Grunde auf einen
360 Safinct
Unterfchieb bes Grades zuriüd. Denn bes Motiv wirkt ebenfalld nur
unter Borausfegung eines innern Zriebes, d. 5. einer beſtimmten Be⸗
fchaffenheit des Willens, welche man den Charakter befielben nemm,
und melden das jebeömalige Motiv nur für ben concreten Fall in-
dividnalifirt. Anbererfeits wirkt der Inſtinct, obwohl ein entſchiedener
Zrieb des Willens, nit durchaus nur von men, jondern auch eı
wartet auf einen dazu nothwendig erforderten äußern Umftand, welcher
wenigftens den Zeitpunkt feiner Aeußerung beflimmt. Hieraus folgt,
daß bei den Werken der Kuufttriebe zunächft der Yufliuct, untergeordnet
jedoch auch der Intellect thätig ift; der Inſtinct nämlich giebt das
Allgemeine, die Regel, der Intellect das Befondere, die Anwendung,
indem er dem Detail der Ausführung vorfteht, bei welchen daher bie
Inftinet- Arbeit offenbar fi) den jebesmaligen Umfländen anpaßt.
(W. II, 391fg. 395 fg. E. 34.) Demnach ift der Unterſchied des
Inftinets vom bloßen Charafter fo feft zu ftellen, daß jener ein
Charakter ift, der nur durch ein ganz fpeciell beftimmtes Motiv
in Bewegung gefebt wird; während der Charakter zwar ebenfall8 eine
bleibende Willensbefchaffenheit ift, jeboch eine durch fehr verfchiedene
Motive bewegbare und dieſen fi anpaſſende. Man fünnte demmach
den Inftinct erflären als einen über alle Maßen einfeitigen und
fireng beterminirten Charafter. (W. II, 392.)
3) Antagonismus zwifchen Inſtinct und Zeitung durch
Motivation.
Das Beftimmtwerben durch bloße Motivation fegt ſchon eine
gewiſſe Weite der Erfenntnißfphäre, mithin einen vollfommener ent-
widelten Intellect voraus; daher es den obern Thieren, vorzüglich aber
dem Menfchen eigen ift; während das Beftimmtwerden duch Inftinct
nur fo viel Intellect erfordert, wie nöthig ift, das ganz fpeciell be
ſtimmte eine Motiv, welches allein und ausſchließlich Aulaß zur
Aeußerung des Inſtincts wird, wahrzunehmen; weshalb es in ber
Regel nur bei den Thieren ber untern Claffen, namentlich den Inſecten,
Statt findet. Daher ift auch das Gehirn bei diefen Thieren nur
ſchwach entwidelt und ihre äußern Handlungen ftehen großentheils
unter ber felben Leitung mit den innern, auf bloße Reize vor ſich
gehenden Functionen, alfo dem Ganglienſyſtem, welches daher bei ihnen
überwiegend entwidelt iſt. Diefem Allen gemäß ftehen Inflinct umb
Leitung durch bloße Motivation in einem gewiſſen Antagonismus,
in deige beffen jener fein Maximum bei ben Inſecten, dieſe ihres
beim Menfchen Hat und zwifchen beiden die Actuirung der übrigen
Thiere liegt, mannigfaltig abgeftuft, je nachdem das Cerebral= oder
Sanglienfyftem überwiegend entwidelt if. (W. II, 392 fg.) Jedoch
ift. beim Menſchen die Gefchlechtsliebe und der Zeugungsact dem In⸗
ftinct unterworfen. (W. II, 585. 614-618. Bergl. unter Ge⸗
ſchlechtöliebe: Die Rolle des Inſtincts in der Geſchlechtsliebe.)
Intelleect 361
4) Berwandtſchaft des Inſtinets mit dem Somnam—
bulismus.
Daß das inftinctive Thun und die Kumftverrichtungen ber Injecten
hauptfählih vom Ganglienſyſtem ans geleitet werden, dies giebt diefem
Thun eine bedentfame Aehnlichleit mit dem der Somnambulen, als
welches ja ebenfalls daraus erflärt wird, daß, flatt des Gehirns, der
ſympathiſche Nerv die Leitung aud) der äußern Action übernommen
hat; die Inſecten find demnach gewiffermaßen natürliche Somnambule.
Bas bei Somnambulen vorfommt, daß ihnen ift, als müßten fie eine
beftimmte Handlung verrichten, ohne daß fie willen warum, das geht
auch in den Inſecten bei den Kunfttrieben vor; der jungen Spinne ifl,
als müßte file ihr Netz weben, obgleich fie den Zweck defielben nicht
lennt, noch verfteht. Auch werben wir dabei an das Dämonion des
Sofrates und an alle die merkwürdigen Fälle erinnert, wo Menſchen,
aus einer dunkeln Ahndung, aljo ohne Kenntniß des Grundes, gewiſſe
Handlungen zu unterlaffen fich getrieben fühlen. (W. II, 393 fg.)
5) Wechjelfeitige Erläuterung des Inflincts und bes
organifirenden Wirkens der Natur.
Es if, als hätte die Natur zu ihrem Wirken nad) Endurfachen
und der daburch Herbeigeführten bewunderungswürdigen Zweckmäßigleit
iter organifchen Productionen dem Forſcher einen erläuternden Com⸗
mentar an die Hand geben wollen im den Inſecten und Kunfttrieben
der Thiere. Denn fo, wie in bdiefen die Thiere auf einen Zwed hin⸗
arbeiten, ohne ihn zu erfenuen, gerabe fo wirft aud) die organifi-
ende Natur, weshalb fi) von der Endurſache (im organifirenden
Birken der Natur) die paradore Erklärung geben läßt, daB fie ein
Motiv fer, welches wirkt, ohne erkannt zu werden. Und wie im Wirken
aus dem Kunfitriebe das darin Thätige augenfcheinlich der Wille ift;
jo ift er e8 auch im organifirenden Wirken der Natur. (8. II, 391.)
Ganz umgezwungen kaun man im Ameifenhaufen oder im Bienenftod
das Abbild eines auseinander gelegten Organismus erbliden. Wie
m thieriſchen Organismus, fo in der Infectengefellfchaft ift die vita
propria jebes Theiles dem Leben des Ganzen untergeorbnet, und bie
Sorge file das Ganze geht der für die eigene Eriftenz vor. (W. I,
394 fg) Die Inflincte und die thierifche Organifation erläutern
einander wechfelfeitig, befonders auch durch die in beiden hervortretenbe
Anticipation des Zufünftigen. (W. IL, 397. N. 47fg. ©.
Anticipation.)
Iutelleet. -
L der reine Intellect.
Die Welt als Borflellung, die objective Welt; Bat gleichfam zwei
Lugel-Bole: nämlich das erfennende Subject fchlechthin, den reinen
Satelect ohne die Formen feines Erkennens, und dann bie reine
Raterie ohne Form und Onalität. Beide find die Grundbebingungen
362 Intelleet
aller empiriſchen Anſchauung. Beide find in keiner Erfahrung gegeben,
werben aber im jeder vorausgefeht. Wie das reine Subject bes Er-
kennens nicht in ber Zeit ift, da die Zeit erft die nähere Form alles
Borftellens ift, fo ift dem entfprecdend bie ihm als Correlat gegen-
überftehende reine Materie ewig unvergänglich, beharrt durch alle Zeit,
iſt eigentlich nicht ein Mal ausgedehnt, weil Ausdehnung Form giebt,
alfo nicht räumlid. Man kann die Beharrlichleit der Materie be
trachten als den Refler der Zeitlofigleit des reinen, ſchlechthin ale
‚Bedingung alles Objectd angenommenen Subjects. Beide gehören der
Erfheinung an, nidt den Ding an ſich; aber fie find das
Grundgerüft der Erfcheinung. Beide werden nur durch Abſtraction
‚berausgefunden, find nicht ummittelbar rein und- fir ſich gegeben.
- Beide find Eorrelata, d. 5. Eines iſt nur fir das Andere da; beibe
fteben und fallen mit einander. (W. II, 18.)
II. Der empiriſche Jutellect.
1) Secundäre Natur des Intellect®.
Der Ville ald Ding an fi macht das innere, wahre und umzer-
ftörbare Wefen des Menfchen aus; an fich felbft iſt er jedoch bewußtloe.
Denn das Bewußtfein ift bedingt durch den Intellect (Subject der
Erkenntniß) und diefer iſt blos Accidenz unſeres Weſens; denn er iſt
eine Function des Gehirns, welches, nebſt den ihm anhängenden Nerven
und Rückenmark, eine bloße Frucht, ein Product, ja inſofern ein
Paraſit des übrigen Organismus iſt, als es nicht direct eingreift in
deſſen inneres Getriebe, ſondern dem Zweck ber Selbſterhaltung bios
dadurch dient, daß es die Verhältniſſe deſſelben zur Außenwelt reguſirt
Der Organismus felbft hingegen iſt die Sichtbarkeit, Objectität, bes
individuellen Willens. Der Intellect ift alfo das fecundäre Phäno-
men, ber Organismus das primäre, nämlich bie unmittelbare Er-
ſcheinung des Willens; — der Wille ift metapbyfifch, der Intellect
phyſiſch; — der Untellect ift, wie feine Objecte, bloße Erſcheinung,
Ding an fi ift allein der Wille; ober, mehr bilblih, mithin gleich:
nißweiſe geredet: ber Wille ift die Subftanz des Menfchen, ber
Intellect da8 Accidenz; — ber Wille ift bie Materie, ber Intellect
die Form; — ber Wille ift die Wärme, der Intellect das Licht.
(W. I, 224 fg. 306. ©. 132. N. 50fg. PB. U, 47—-50.)
Die einfachfte, ımbefangene Selbftbeobahtung, zufammengehalten
mit dem anatomifchen Ergebniß, führt zu dem NRefultat, daß ber
Intellect, wie feine Objectivation, das Gehirn (j. Gehirn), nebft
diefem anhängenden Sinnenapparat, nichts Anderes fei, als eine fehr
gefteigerte Empfünglichleit fitr Einwirkungen von außen, nicht aber
unfer urfprüngliches und eigentliches inneres Weſen ausmache; alfo,
daß in uns der Intellect nicht Dasjenige fei, was in ber Pflanze bie
treibende Kraft, oder im Steine die Schwere, mebft chemiſchen Kräften,
ft; — als diefes ergiebt ſich allein der Wille. Sondern ber Yutellect
ift in uns Das, was in der Pflanze die Empfänglichleit fir äußere
Intellect 363
Einfläffe, für phyſilaliſche und chemiſche Einwirkungen; wur daß in
und diefe Eimpfänglichleit fo überaus hoch gefleigert ift, daß, vermöge
ifrer, die ganze objective Welt, die Welt als Vorſtellung fich darftellt.
(8. II, 49.) Die fecundäre Natur des Intelleet im Berhältniß
m Willen als dem Primüren geht bejonders aus Folgendem hervor:
Ben wir bie Stufenreihe der Thiere abwärts durchlaufen, fehen
wir den Intellect immer fchrächer und unvolllommener werben; aber
fineswegs bemerken wir eine entfprechende Degradation des Willens.
Bielmehr behält diefer überall fein ibentifches Weſen und zeigt ſich
als große Anhänglichkeit am Leben, Sorge für Imbivibuum und
Gattung, Egoismus und Rüdfichtslofigleit gegen alle Andern, nebft
den hieraus entfpringendben Affecten. Vermöge der Einfachheit, die
dem Willen als dem Ding an fi) zukommt, läßt fein Wejen feine
Grade zu, blos feine Erregung hat Grabe. Der Imtellect Hingegen
bat nicht blos Grabe der Erregung, fonbern aud) Grade feines
Befens ſelbſt. (W. II, 230—232.)
Der Imtellet ermüdet, der Wille iſt unermüdlich. Alles
Erfennen ift mit Anſtrengung verfnüpft. Wollen hingegen geht von
ſelbſt und ohne alle Mühe vor fi. Säuglinge, die kaum die erfte
ſchwache Spur von Intelligenz zeigen, find ſchon voller Eigenwillen.
Der Intellect hingegen entwidelt fich Tangfam, der Bollendung bes
Gehirns und ber Neife des ganzen Organismus folgend. Der In⸗
telleet iſt oft träge und umanfgelegt zur Thätigkeit; er bedarf der
Ruhe nach der Anftrengung und wird durch anhaltende Arbeit abge-
ſumpft. Der Wille Hingegen ift nie träge und ruht nie; denn im
tiefen Schlaf wirft er noch als Lebenskraft. - Der Intellect ift mannig-
fachen Schwächen und Unvollfommenheiten unterworfen; das Wollen
geht allemal volltommen von Statten. (W. I, 236—241.)
Der Intellect erfährt Störungen und Trübungen vom Willen;
er wird unfähig, richtig zur operiven, ſobald der Wille irgendwie in
Bewegung geräth. Entfprechende, unmittelbare Störungen des Willens
durch den Intellect Hingegen giebt. e8 nicht. Die einzige entfchiebene,
mmittelbare Hemmung und Störung bes Willens durch den Intellect
ft die ganz exceptionelle, daß das Genie der Energie des Charafters
und folglich der Thatkraft entfchieben hinderlich iſt. (W. IL, 241—247.)
Die Herrfchaft des Willens tiber den Intellect zeigt fich nicht blos
in den Störungen und Hemmungen, die biefer von jenem erfährt,
fondern auch in ben Förderungen nnd Steigerungen, die feine Funciio⸗
nen dur den Antrieb und Sporn des Willens erhalten; der Intellect
gehorcht den Willen. Hingegen gehorcht eigentlich nie der Wille dem
Sntellect, fondern biefer ift bloß ber Miniſterrath jenes Souverains.
Ueber die Grindrichtung bes Willens hat der Sutellect Leine Macht.
Zu glauben, daß die Erkenntniß wirklich und von Grund aus ben
Billen beftimme, ift wie glauben, daß die Laterne, die Einer bei
at trägt, das primum mobile feinee Schritte ſei. (W. II,
—252.)
364 Intelleet
Der Intellect iſt kalt, nimmt an Nichts Autheil ober Intereſfe, —
man ſagt: der kalte Verſtand; der Wille erſt giebt einer
ober Unterfuhung die Wärme. Das Intereſſe entſcheidet über
Anerfermung ober Berwerfung der Wahrheit, fo wie über die Wür-
digung der Leiftungen. (W. II, 253—255.) Dem erkennenden
Subject (Imtellect) für fich iſt an nichts gelegen. (WB. U, 570 fg.)
Vorzüge und Fehler des Imtellects werden dem Individuum
nicht als Verdienſt und Schuld zugerechnet, Hingegen Borzüge und
Fehler des Willens (Charakters). Die moraliſche Schägung Anderer
und unferer felbft bezieht fich nicht auf die intellectuelle Begabung,
die Geiftesgaben, die man allezeit als ein Geſchenk der Natur ange-
fehen bat, fondern auf die Befchaffenheit des Willens, die man
als den Kern, das Wefen, die Effenz des Dienfchen anfieht. Glänzende
Eigenfchaften des Geiftes erwerben Bewunderung, aber nicht Zuneigung,
biefe bleibt den moralifhen, ben Eigenfchaften des Charakters vorbe-
halten. (W. II, 258—263. Bergl. au unter Herz: Gegenfat
zwifchen Herz und Kopf.)
Der Intellect erleidet höchſt bedeutende Veränderungen durch bie
Zeit, während der Wille und Charafter von diefen unberührt bleibt.
Während der Imtellect eine lange Reihe allmäliger Entwidelungen zu
durchlaufen hat, dann aber, wie alles Phyſiſche, dem Verfall entgegen-
gebt, nimmt der Wille hieran feinen Theil, ald nur, fofern er Anfangs
mit der Unvollkommenheit feines Werkzeuge, bes Intellects, und zuletzt
wieber mit deſſen Abgenugtheit zu kämpfen Bat. (WB. II, 263—267.)
Der Intellect wird, als bloße Function des Gehirns, vom
Untergang bes Leibes mitgetroffen; Hingegen keineswegs der Wille
Aus diefer Heterogeneität Beider, nebſt der fecundären Natur des
Intellects, wird es begreiflich, daß der Menſch in der Tiefe feines
Gelbftbewußtfeins fich ewig und ungerflörbar fühlt, dennoch aber keine
Erinnerung über feine Lebensdauer hinaus haben kann. (W. II, 306.)
2) Zwed des Intellect®.
Zum Dienfte eines indivibuellen Willens hat ihn die Natur hervor⸗
gebracht; daher ift er allein beftimmt, die Dinge zu erkennen, ſofern
fie die Motive eines folhen Willens abgeben; nicht aber, fie zu
ergründen, oder ihr Wefen an ſich aufzufafien. (W.H, 156. 284.
322 fg. N. 69. P. DI, 103. 290. Bergl. auch unter Bewußtjein:
Urſprung und Zweck des Bewußtſeins.)
Wie mit jedem Organ und jeder Waffe, zur Offenſive oder Defen⸗
five, Hat ſich auch, im jeder Thiergeftalt, ver Wille mit einem In⸗
tellect ausgerüftet, als einem Mittel zur Erhaltung des Individuums
und der Urt; baber haben die Alten den Untellect das Hegemonikon,
d. 5. den Wegweifer und Führer genannt. Demzufolge ift ber In⸗
tellect allein zum Dienfte des Willens beftimmt und biefem überall
genau angemefien. Diejenigen Thiere, die im Berhältniß zu ihrer
Drganifation, ihrer Lebensweife, Lebensdauer und Prolification mehr
Intelleet 365
Iutellect branchten, haben defſen auch offenbar viel mehr. (Vergl.
Affe und Elephant) Im Menfchen fteht dee den Chieren fo ſehr
überlegene Iutellect boch eben nur im Berhältnig theild zu feinen
Bedirfniſſen, welche die der Thiere weit überfteigen, theils zu feinem
gänzlichen Mangel an natürlichen Waffen und Natlirlicher Bedeckung,
und feiner verhältnigmäßig ſchwächern Mugskelkraft, enbli auch zu
feiner Iangfamen Fortpflanzung, langen ‚Kindheit und langen Lebens
dauer, welche fichere Erhaltung des Individuums forderte. Alle biefe
großen Forderungen mußten durch intellectuelle Kräfte gedeckt werben;
daher find diefe Hier fo überwiegend. Ueberall aber finden wir den
‚Intellet als das Secundüre, Untergeordnete, blos den Sweden bes
Willens zu dienen Beſtimmte. (N. 48—51.)
3) Die Stufen des Imtellects in ber anuffleigenden
Thierreihe und im Menſchengeſchlecht.
In dem Maafe, als in der auffteigenden Thierreihe der Intellect
fh immer mehr entwidelt und volllommener auftritt, fondert fi
das Erkennen immer dentliher vom Wollen umb wird baburd)
mer. (W. II, 329. ©. unter Erkenntniß: Grabe ber Erkennt⸗
mg, und unter Bemwußtfein: Unterfchiede des Bewußtſeins.) Auf
dem Grabe diefer Sonderung beruht im tiefften Grunde der Unter
ſchied und die Stufenfolge der intellectuellen Fähigkeiten, fowohl zwiſchen
verichiebenen Thierarten, als auch zwifchen menfchlidhen Indivibuen;
er giebt alfo da8 Maaß für die intellectuelle Vollkommenheit dieſer
Bein. Das Thier nimmt die Dinge nur fo weit wahr, als fie
Motive für feinen Willen find. Hingegen faßt felbft der ftumpffte
Menſch die Dinge ſchon einigermaßen objectiv auf; jedoch bei den
Benigften erreicht dies den Grad, daß fie einer rein objectiven Prü-
fmg und VBenrtheilung der Sachen fühig wären. Die Objectivität
der Erfenntniß hat unzählige Grade, die auf der Energie des In⸗
tellect8 und feiner Sonderung vom Willen beruhen und deren hödhfter
dad Genie if. (S. Genie) Die Steigerung der Jutelligenz vom
dumpfften thierifchen Bewußtfein bis zu dem des Menfchen ift alfo
eine fortfchreitende Ablöfung des Intelleets vom Willen,
welche volllommen, voiewohl nur ansnahmsweiſe, im Genie emtritt.
(®. I, 330. N. 74—78.):
Auf der ft im Menfchen eintretenden deutlichen Sonberung des
Intellects vom Willen und folglich des Motive von der Handlung
beruht ber täüuſchende Schein einer Freiheit in dem einzelnen Handlungen.
MR. 77 fg. Vergl. unter Freiheit: Wo die moralifche Freiheit Liegt.)
4) Sparfamteit der Natur in Ertheilung des In—
tellects.
Dem Geſetze der Sparfamteit der Natur iſt es völlig gemäß, daß
fe die geiftige Eminenz überhaupt höchſt Wenigen, und das Genie
um als die feltenfte aller Ausnahmen ertheilt, den großen Daufen des
356 Inbividuation. Individualität
jedes Ich, von Innen gefehen, Alles in Allem; von Außen gefehen
Bingegen, ift e8 nichts, oder doc jo viel wie nichts. Hierauf beruft
der große Unterfchied zwifchen Dem, was nothmwendig Jeder in feinen
eigenen Augen, und Dem, was er in den Augen aller Andern ift,
mithin der Egoismus, den Jeder Jedem vorwirft. (WB. IL, 687 fg.
P. U, 236. Vergl. auch unter Bewußtfein: Duplicität des Be
wußtſeins.)
4) Zerſetzung des Individuums durch den Tod.
Jeder hat einen väterlichen und einen mütterlichen Beſtandtheil
(vergl. Bererbung); und wie diefe durch die Zeugung vereint werben,
jo werden fie durch den Tod zerjebt, welcher aljo das Ende bes
Individuums if. Diefes Individuum ift es, deflen Tod wir jo jehr
beteauern, im Gefühl, daß es wirklich verloren gehe, da es eine bloße
Berbindung war, die unwieberbringlid, aufhört. Es findet aber aud
eine Balingenefie ftatt, indem der Wille beharrt und, die Geſtalt
eines neuen Weſens annehmend, einen neuen Intellect erhält. Dat
Individuum zerſetzt fi alſo wie ein Neutralfalz, defien Baſis fodann
mit einer andern Säure fih zu einen neuen Salz verbindet. (P. II,
293 fg. W. U, 574 fg.)
Die ftarre Unveränderlichleit und wefentliche Bejchränfung jeber
Individualität, als foldher, müßte, bei einer enblofen Fortdaner ber-
felben, endlich, durch ihre Monotonie, einen fo großen Ueberdruß
erzeugen, daß man, um ihrer nur entledigt zu fein, lieber zu Nichts
würde. Unfterblicheit ber Individualität verlangen, beißt eigentlich
einen Irrthum ins Unendliche perpetuiren wollen. Denn im Grunde
ift doch jede Individualität nur ein fpecieller Irrthum, Fehltritt, etwas
das beifer nicht wäre, ja wovon uns zurüdzubringen der eigentliche
Zweck des Lebens if. (W. II, 561.) Die Inbivibualität ift feine
Bolllommenheit, fondern eine Beſchränkung; daher ift, fie los zu
werben, kein Berluft, vielmehr Gewum. (P. OD, 299.) Wenn man
ftirbt, follte man feine Individualität abwerfen, wie ein altes Seid,
und fich freuen über die neue und befjere, die man jett, nad) erhaltener
Belehrung, dagegen annehmen wird. (PB. I, 301.)
Wenn mir unfer eigenes Weſen durch und durch, bis ins Innerſte,
ganz erkannt hätten, würden wir e8 lächerlich finden, die Unvergäng-
lichkeit des Individuums zu verlangen; weil dies bieße, jenes Weſen
jelbft gegen eine einzelne feiner zahllofen Aeußerungen — Fulgurationen
aufgeben. (P. U, 301.)
Dem individuellen Dafein Liegt ein ganz anderes, deflen Aeußerung
ed ift, unter. Diefes kennt feine Zeit, alfo auch weder Fortbauer,
noch Untergang. (PB. II, 301.)
5) Piyhologifhe Bemerkung über den Schmerz beim
Tode eines befreundeten Individuums.
“Der tiefe Schmerz, beim Tode jedes befreundeten Wefens, entftcht
aus dem Gefühle, daß in jedem Inbivibuo etwas Unausfprechliches,
Indnetion — Injurie 357
"ihm allein Eigenes und daher durchaus Unwiederbringliches liegt.
Omne individuum imeflabile. Dies gilt felbft vom thieriſchen In⸗
bivibuo, wo es am Iebhafteften Der empfinden wird, welcher zufällig
ein geliebtes Thier töbtlich verlett hat und nun feinen Scheibeblid
empfängt, welches einen Herzzerreißenden Schmerz verurfacht. (P. II, 621.)
6) Piyhologifhe Bemerkung über die Urfahen irri-
ger Beurtheilung fremder Individuen.
Daß wir uns fo oft in Andern irren ift nicht immer geradezu
Schuld unferer Urtheilskraft, ſondern entipringt meiftens daraus, daß
unfer Intellect vom Willen und den Affecten beeinflußt ifl, indem wir
nämlich, ohne es zu wiflen, gleich Anfangs durch Kleinigkeiten für,
oder gegen fie eingenommen find. Sehr oft Liegt e8 aud daran, daß
bir von den am ihnen wahrgenommenen Eigenſchaften noch auf andere
ihliegen, die wir fir ungertrennlich von jenen, oder aber für mit ihnen
unvereinbar halten, 3. DB. von mwahrgenommener reigebigfeit auf Ge⸗
rehtigfeit, von Yrömmigfeit auf Ehrlichkeit u. |. w., welches vielen
Irrthümern die Thüre Öffnet, in Folge theils der Seltſamkeit der
menfchlichen Charaktere, theils der Einfeitigfeit unſers Stanbpunttes.
Zwar iſt der Charakter durchiveg confequent und zufammenhängend,
aber die Wurzel feiner ſämmtlichen Eigenfchaften Liegt zu tief, als daß
man ans vereinzelten Datis beftimmen könnte, welche, im gegebenen
Fall, zufammen beftehen Fönnen und welche nit. (PB. II, 622 fg.)
Industion, |. Epagoge und Methode.
Inferiorität.
Geiſtige Ueberlegenheit zu zeigen ift fein Mittel fi in Geſellſchaft
beliebt zu machen, erregt vielmehr Haß und Groll, Denn merkt und
empfindet Einer große geiftige Meberlegenheit an Dem, mit welchem ex
redet, jo macht er im Stillen den Schluß, daß in gleichen Maße
der Undere feine Inferiorität merke. Diefes Enthymen erregt
ſeinen Haß. Hingegen gereicht in Gefellfchaft geiftige Inferiorität zur
wahren Empfehlung. Denn was für den Leib die Wärme, das ift
fir den Geift das wohlthuende Gefühl der Ueberlegenheit; daher Geber
mfinctmäßig fi) Dem nähert, ber e8 ihm verheißt, b. 5. bem ent⸗
ſchieden tiefer Stehenden an Eigenfchaften des Geiftes, bei Dlännern,
an Schönheit, bei Weibern. Demzufolge find unter Männern die
dummen und unmifjenden, unter Weibern bie häßlichen allgemein beliebt
und gefucht. (P. I, 489491.)
Injurie.
1) CHaraltier ber Injurie.
Die Injurie, das bloße Schimpfen, ift eine fummarifche Verläum⸗
dung, ohne Angabe der Gründe. Durch diefelbe legt Der, der ſich
rer bedient, an den Tag, daß er nichts Wirfliches und Wahres gegen
ben Andern vorzubringen hat; da er fonft Diefes als die Prämiflen
58 Inquifttion — Inſecten
geben und die Concluſion getroſt dem Hörer überlafſen würde. Statt "
deſſen giebt er die Concluſion und bleibt die Prämiffen ſchuldig; allem
er verläßt fi) auf die Präfumtion, daß dies nur beliebter Kürze halber
geihehe. CP. I, 384.)
2) Empfinblifeit des ritterliden Ehrenprincips
gegen Injurien.
(S. unter Ehre: Eine Afterart ber Ehre, und unter Grobheit:
Die ritterlihe Empfindlichkeit gegen Grobpeit.)
Inguifition, |. Fanatismus.
Inferten.
1) Metamorphofe der Infecten.
Die Nothwendigkeit der Metamorphofe der Infecten läßt fih
folgendermaßen erklären. Die metaphufifche Kraft, welche der Er:
jcheinung eines ſolchen Thierchens zu Grunde Liegt, ift fo gering, bak
fie die verfchiedenen Functionen des thierifchen Lebens nicht gleichzeitig
vollziehen kann; daher muß fie diefelben vertheilen, um fucceffiv zu
feiften, was bei den Höher ftehenden Thieren gleichzeitig vor ſich geht.
Demnach theilt fie das Infectenleben in zwei Hälften: in ber erften,
dem Larvenzuftande, ftellt fie ſich ausfchlieglih dar als Reproductions⸗
fraft, Ernährung, Blafticität. Im der zweiten Hälfte ftellt die an fid
metaphyſiſche Lebenskraft fih bar als hundertfach vermehrte Irritabili⸗
tät, — im unermüdlichen Fluge, — als hochgefteigerte Seuftbilität, —
in bollfommenen, oft ganz neuen Simmen, — hauptfählid aber alt
Senitalfunction. Diefe gänzlide Veränderung und Sonderung ber
Lebensfunctionen ftellt alfo gewiffermaßen zwei fucceffiv lebende Thiere
dar, deren höchſt verfchiebene Geſtalt dem Unterſchied der Yunctionen
entfpriht. Die Ratur vollbringt alfo bei dieſen Thieren in zwei Ab-
fügen, was ihr auf Ein Mal zu viel wäre; fie theilt ihre Arbeit.
Demgemäß it aud die Metamorphofe dort am vollfonımenften, wo
die Sonderung der Yunctionen fi) am entfchiebenften zeigt, 3. B. bei
ben Lepidopteren. (P. II, 186 fg.)
2) Inftinct der Inſecten. (©. Inſtinet.)
3) Das Leben abgefchnittener Theile bei Infecten.
Wo im Organismus Nervenfäben in ein Ganglion zuſammen⸗
laufen, da ift gewiffermaßen ein eigenes Thier vorhanden und abge
fchloffen, welches mittelft de8 Ganglions eine Art vom ſchwacher
Erfenntniß Hat, deren Sphäre jeboch befchränft ift auf die Theile, ans
benen biefe Nerven unmittelbar kommen. Hierauf beruht die vita
propria jedes Theild, wie aud) bei Infecten, als welche, ftatt des
Nüdenmarls, einen doppelten Nervenftrang mit Ganglien in regel:
mäßigen Entfernungen haben, die Fähigkeit jedes Theile, nad) Trenmumg
vom Korf ns übrigen Rumpf, noch tagelang zu leben. (W. II,
291. N. 24.
Infpiration — Imflinet' 359
4) Ueber da8 Fliegen Kleiner Infecten in die Lidt-
flamme.
Auf den niedrigſten Stufen des thieriſchen Lebens iſt das Motiv
noch dem Reize nahe verwandt; daher liegt auf dieſen Stufen die
Wirkung des Motivs uns noch ganz fo deutlich, unmittelbar, ent-
ihieden und unzweidentig vor, mie die bed Reizes. Kleine Imfecten
werden bom Scheine des Lichtes bis in die Flamme gezogen. (E. 39.)
Bas die Trage betrifft, ob die Natur den Imfecten nicht wenig-
Rens fo viel Berftand hätte ertheilen follen, wie nöthig ift, um fich
nicht in die Lichtflamme zu ſtürzen; fo ift die. Antwort: freilich wohl;
mm war ihr nicht befannt, daß bie Menfchen Lichter gießen und an«
zünden würden, und natura nihil agit frustra. Alſo blos zu einer
umatitrlichen Umgebung reicht ber Berftand der Inſecten nicht aus.
(RR. 50. M. 166 fg.)
Jufpiration.
1) Infpiration des Genies. (S. unter Genie: Inſtinct⸗
artige Nothivendigfeit des Wirkens bes Genies.) Ä
2) Infpiration der neuteftamentlihen Schriftfteller.
Bei den infpirirten Scriftftellern bes Neuen Teftaments
müſſen wir bedauern, daß die Infpiration fi) nicht aud) auf Sprache
ud Stil erftvect hat. (5. 430.)
Inftanz, |. Epagoge und Apagoge.
Iuflinct.
I) Der Iuftinct als ein zwedmäßiges Wirken ohne
Ertenntniß des Zweck.
Daß der Wille auch da wirkt, wo feine Erkenntniß ibn leitet,
jehen wir an dem Inſtinct und den Kunfttrieben dev Thiere. Daß fie
Torftellungen und Erkenntniß haben, fommt bier gar nicht in Betracht,
da der Zweck, zu dem fie (in ben Inſtincthandlungen) gerade fo Hin-
wirten, als wäre er ein erfanntes Motiv, von ihnen ganz unerfannt
bleibt. Der einjährige Vogel hat Feine BVorftellung von den Eiern,
für die er eim Neft baut; die junge Spinne nicht von dem Raube,
zn dem fie ein Ne wirkt; noch der Ameifenlöwe von der Ameife, ber
er zum erften Male eine Grube gräbt, u. |. w. In ſolchem Thun
der Thiere ift doch offenbar wie in ihrem übrigen, der Wille thätig;
aber er ift in blinder Thätigkeit, die zivar von Erkenntniß begleitet,
aber nicht von ihr geleitet ift. (W. I, 136. 180; II, 391.)
2) Berhältniß der Inftinctleitung zur Leitung durch
Motivation. i
Der Gegenſatz zwifchen dem Bewegtwerben des Willens entweder
duch Inſtinet (von Innen), ober durch Motivation (von Außen),
M fein fo fcharfer, wie es feheint, fondern Läuft im Grunde auf einen
360 Juſtinet
Unterſchied des Grades zurüd. Denn das Motiv wirkt ebenfalls wur
unter Vorausfegung eines innern Triebes, d. 5. einer beftimmten Be-
fchaffenHeit des Willens, welche man den Charakter befielben nennt,
und welchen das jebesmalige Motiv nur fiir den concreten Yall in-
dividualiſirt. Andererſeits wirkt der Inſtinct, obwohl ein entſchiedener
Zrieb des Willens, nicht durchaus nur von Innen, fondern and) er
wartet auf einen bazu nothwendig erforderten äußern Umftand, welcher
wenigftens ben Zeitpunkt feiner Aeußerung beftimmt. Hieraus folgt,
daß bei ben Werken ber Kunfttriebe zunächft der Inſtinct, untergeordnet
jedoch auch der Intellect thätig tft; der Inſtinct nämlich giebt das
Allgemeine, die Regel, der Intellect das DBefondere, die Auwendung,
indem er dem Detail ber Ausführung vorfteht, bei welchem daher bie
Inſtinet⸗Arbeit offenbar fid) ben jebesmaligen Umfländen anpaft.
(W. II, 391 fg. 395 fg. E. 34.) Demnach iſt der Unterſchied des
Inftinets vom bloßen Charafter jo feſt zu ftellen, daß jener ein
Charakter ift, der nur durch ein ganz fpeciell beftimmtes Motiv
in Bewegung gefet wird; während ber Charakter zwar ebenfall® eine
bleibende Willensbefchaffenheit ift, jedoch eine durch ſehr verſchiedene
Motive beimegbare und diefen fich anpaſſende. Man könnte bemmad)
den Inſtinct erflären als einen über alle Maßen einfeitigen umd
fireng beterminirten Charafter. (W. TI, 392.)
3) Antagonismus zwifchen Inftincet und Leitung durch
Motivation.
Das Beitimmtwerden buch bloße Motivation fest ſchon eine
gewiffe Weite ber Erkenntnißfphäre, mithin einen volllommener ent-
widelten Intellect voraus; daher es den obern Thieren, vorzüglich aber
bem Menfchen eigen ift; während das Beſtimmtwerden durch Inftinct
nur fo viel Intellect erfordert, wie nöthig ift, das ganz fpeciell be
ſtimmte eine Motiv, weldes allein und ausſchließlich Anlaß zur
Aeußerung des Inſtincts wird, wahrzunehmen; weshalb es in ber
Regel nur bei ben Thieren der untern Claffen, namentlich den Inſecten,
Statt findet. Daher ift auch das Gehirn bei biefen Thieren nur
ſchwach entwidelt und ihre äußern Handlungen ftehen großentheils
unter der felben Leitung mit den innern, auf bloße Reize vor fid
gehenden Functionen, alfo dem Ganglienſyſtem, welches daher bei ihnen
überwiegend entwidelt if. Diefem Allen gemäß ftehen Inftinct und
Leitung durch bloße Motivation in einem gewiflen Antagonismus,
in Folge deſſen jener fein Marimun bei den mfecten, diefe ihres
beim Menfchen hat und zwiſchen beiden die Actuirung der übrigen
Thiere liegt, mannigfaltig abgeftuft, je nachdem das Gerebral- oder
Ganglienſyſtem überwiegend entwidelt if. (W. II, 392 fg.) Jedoch
ift. beim Menfchen die Gefchlechtsliebe und der Zeugungsact dem Ins
ftinct umterworfen. (W. II, 585. 614—618. Bergl. unter Ge⸗
ſchlechtsliebe: Die Rolle bes Inſtincts in der Geſchlechtsliebe.)
Intellect 361
4) Berwandtſchaft bes Inftincts mit dem Somnam⸗
bulismus.
Daß das inftinctive Thun und die Kumftverrichtungen der Inſecten
hauptfächlich vom Ganglienſyſtem aus geleitet werden, dies giebt diefem
Thun eine bedeutfame Aehnlichkeit mit dem der Somnambulen, ala
welches ja ebenfalls daraus erflärt wird, daß, flatt des Gehirns, der
inmpathifche Nero die Leitung auch der Aufßern Action übernommen
bat; die Inſecten find demnach gewiflermaßen natürliche Somnambule.
Bas bei Somnambulen vorkommt, daß ihnen ift, als müßten fie eine
beftimmmte Handlung verrichten, ohne daß fie wiffen warum, das geht
au; in den Inſecten bei den Kunfttrieben vor; ber jungen Spinne ift,
als müßte fie ihre Netz weben, obgleich fie den Zweck beffelben nicht
kennt, noch verfteht. Auch werden wir dabei an das Dämonion bes
Sokrates und an alle die merkwürdigen Fälle erinnert, wo Menfchen,
ans einer dunkeln Ahndung, alfo ohne Kenntniß des Grundes, gewilfe
Handlungen zu unterlaffen fich getrieben fühlen. (W. II, 393 fg.)
5) Wechfelfeitige Erläuterung bes Inſtincts und des
organifirenden Wirkens ber Natur.
Es iſt, al8 hätte die Natur zu ihrem Wirken nah Endurfachen
und der badurch herbeigeführten bewunderungswürdigen Zweckmäßigkeit
ihrer organiſchen Productionen dem Forſcher einen erläuternden Com⸗
mentar an die Hand geben wollen in den Inſecten und Kunſttrieben
der Thiere. Denn ſo, wie in dieſen die Thiere auf einen Zweck hin⸗
arbeiten, ohne ihn zu erfennen, gerade fo wirkt auch die organifi-
vende Ratur, weshalb fih von ber Endurſache (im organifirenden
Birken der Natur) die paradore Erklärung geben läßt, daß fie ein
Motiv fei, welches wirft, ohne erlannt zu werden. Und wie im Wirken
ans dem Kunfttriebe dad darin Thätige augenjcheinlich der Wille ift;
jo ift er e8 auch im organifirenden Wirken der Natur. (8. II, 391.)
Ganz ungezwingen kaun man im Ameifenhaufen oder im Bienenftod
das Abbild eines auseinander gelegten Organismus erbliden. Wie
im thierifchen Organismus, fo in ber Infectengefellfchaft ift die vita
propria jedes Theiles dem Leben des Ganzen untergeorbnet, und die
Sorge fir da8 Ganze geht ber für bie eigene Eriftenz vor. (W. II,
39 fg) Die Inſtincte und die tbierifhe Organiſation erläutern
einander wechjelfeitig, beſonders auch durch bie in beiden herbortretenbe
Anticipation des Zufünftigen. (W. U, 397. N. 47fg. ©.
Anticipation.)
Intellect.
L Der reine Jutellect.
Die Welt als Vorſtellung, die objective Welt, hat gleichſam zwei
Lugel⸗Pole: nämlich das erkennende Subject ſchlechthin, den reinen
Jntellect ohne bie Formen feines Erkennens, und dann die reine
Materie ohne Form und Dualität. Beide find die Grundbebingungen
362 Intellect
aller empiriſchen Anſchauung. Beide ſind in keiner Erfahrung gegeben,
werden aber in jeder vorausgeſetzt. Wie das reine Subject des Er⸗
kennens nicht in der Zeit iſt, da bie Zeit erſt die nähere Form alles
Borftellens ift, fo ift bem entfprechend bie ihm als Correlat gegen
überftehende reine Materie ewig unvergänglich, beharrt durch alle Zeit,
ift eigentlich nicht ein Dial ausgebehnt, weil Ausdehnung Form giebt,
alfo nicht räumlich. Dean kann die Beharrlichkeit der Materie be
trachten als den Reflex der Zeitlofigfeit des reinen, ſchlechthin als
Bedingung alles Objectö angenommenen Subjects. Beibe gehören ber
Erfheinung an, nidt den Ding an fich; aber fie find das
Grundgerüft der Erſcheinung. Beide werden nur durch Abftraction
. herausgefunden, find nicht unmittelbar rein und für ſich gegeben.
- Beide find Korrelata, d. 5. Eines ift nur file das Andere da; beide
ſtehen und fallen mit einander. (W. II, 18.)
DI. Ver empiriihe Jutellect. .
1) Secundäre Natur des Intellects.
Der Ville als Ding an ſich macht das innere, wahre und unzer⸗
ftörbare Wefen des Dienfchen aus; an fich felbft iſt er jedoch bewußtlos.
Denn das Bewußtſein ift bedingt durch den Intellect (Subject ber
Erkenntniß) und biefer ift blos Accidenz unferes Weſens; denn er iſt
eine Function des Gehirns, welches, nebft den ihm anhängenden Nerven
und Rückenmark, eine bloße Frucht, ein Probuct, ja infofern ein
Parafit des übrigen Organismus ift, als e8 nicht direct eingreift in
beffen inneres Getriebe, fondern dem Zweck ber Selbfterhaltung bios
dadurch dient, daß es bie Verhältniſſe defielben zur Außenwelt regufirt.
Der Organismus felbft Hingegen ift die Sichtbarkeit, Objectität, bes
individuellen Willens. Der Intellect ift alfo das fecundäre Phäne-
men, der Organismus das primäre, nämlich die unmittelbare Er
fcheinung des Willens; — der Wille ift metaphyſiſch, der Intellect
phyſiſch; — der Intellect ift, wie feine Objecte, bloße Erfcheinung,
Ding an fi) ift allein der Wille; ober, mehr bildlich, mithin gleich⸗
nißweife geredet: ber Wille ift die Subftanz bes Menfchen, ber
Intellect das Accidenz; — der Wille ift die Materie, der Intellect
die Form; — der Wille iſt die Wärme, der Intellect das Licht.
(®. II, 224 fo. 306. E. 132. N. 50fg. P. I, 47-50.)
Die einfachſte, unbefangene Selbftbeobadhtung, zufammengehalten
mit dem anatomifchen Ergebniß, führt zu dem Reſultat, daß ber
Intellect, wie feine Objectivation, das Gehirn (f. Gehirn), mehfl
diefem anhängenden Sinnenapparat, nichts Anderes fei, als eine fehr
gefteigerte Empfänglichfeit file ‚Einwirkungen von außen, nicht aber
unſer urfprüngliches und eigentliches inneres Weſen ausmache; alfo,
daß in und der Intellect nicht Dasijenige fei, was in ber Pflanze bie
treibende Kraft, ober im Steine die Schwere, nebſt chemifchen Kräften,
iſt; — als dieſes ergiebt fich allein der Wille. Sondern ber Intellect
ft in und Das, was in der Pflanze die Empfänglichkeit für äußere
Intelleet 363
Einfläffe, für phyſilaliſche umb chemiſche Einwirkungen; m daß in
uns diefe Empfänglichkeit fo überaus hoch gefteigert ift, daß, vermöge
ihrer, die ganze objective Welt, die Welt als Vorſtellung ſich darftellt.
($. I, 49.) Die fecundäre Natur des Intellect im Berhältniß
zum Willen als dem Primären geht befonders aus Folgendem hervor:
Wenn wir bie Stufenreihe ber Thiere abwärts durchlaufen, fehen
wir den Intellect immer fchwächer und unvollfommener werden; aber
keineswegs bemerken wir eine entfprechenbe Degradation des Willens.
Vielmehr behält diefer überall fein ibentifches Weſen und zeigt fich
als große Anhänglichkeit am Leben, Sorge fir Individuum und
Gattung, Egoismus und Rückſichtsloſigkeit gegen alle Andern, nebft
ben hieraus entipringenden Affecten. Bermöge ber Einfachheit, bie
bem Willen als dem Ding an fich zukommt, läßt fein Weſen feine
Grabe zu, blos feine Erregung hat Grabe. Der Intellect hingegen
bat nicht blos Grabe der Erregung, fondern auch Grade feines
Weſens ſelbſt. (W. I, 230-232.)
Der Intellect ermüdet, der Wille iſt unermüdlich. Alles
Erkennen iſt mit Anſtrengung verknüpft. Wollen hingegen geht von
ſelbſt und ohne alle Mühe vor ſich. Säuglinge, die kaum die erſte
ſchwache Spur von Intelligenz zeigen, ſind ſchon voller Eigenwillen.
Der Intellect hingegen entwickelt ſich langſam, der Vollendung des
Gehirns und der Meife des ganzen Organismus folgend. Der In⸗
telleet if} oft träge mb unaufgelegt zur Thätigleit; er bedarf ber
Ruhe nad) der Anftrengung und wird bush anhaltende Arbeit abge⸗
ff. Der Wille hingegen ift mie träge und ruht nie; denn im
tiefen Schlaf wirft er noch als Lebenskraft. - Der Intellect ift mannig-
fachen Schwächen und Unvollfommenheiten unterworfen; das Wollen
geht allemal vollfommen von Statten. (W. II, 236—241.)
Der Imtelleet erfährt Störungen mb Trübungen vom Willen;
er wird ımfähig, richtig zu operiren, ſobald der Wille irgendwie in
VBewegung geräth. Entſprechende, unmittelbare Störungen des Willens
durch den Intellect Hingegen giebt es nicht. Die einzige entfchiedene,
unmittelbare Hemmung und eörurg des Willens durch den Intellect
ft Die ganz erceptionelle, daß das Genie der Energie des Charakters
und folglich der Thatkraft entfchieben hinderlich if. (W. II, 241— 247.)
Die Herrfchaft des Willens über den Intellect zeigt ſich nicht blos
im den Störungen und Hemmungen, bie diefer von jenem erfährt,
fondern auch in den Förderungen und Steigerungen, die feine Functio⸗
nen durch den Antrieb und Sporn des Willens erhalten; der Intellect
gebordht dem Willen. Hingegen gehorcht eigentlich nie ber Wille bem
Imellect, fondern diefer ift bios der Minifterrath jenes Souverains.
Ueber die Ormndrichtung des Willens hat der Imtellect feine Macht.
Zu glauben, daß die Erkenntniß wirklich und von Grund aus ben
Billen beflimme, ift wie glauben, daß die Laterne, die Einer bei
ud trägt, dae primum mobile feiner Schritte fi. (W. II,
1—-252.)
364 Iutellect
Der Imtelleet ift Falt, nimmt an Nichts Autheil oder Intereffe, —
man fagt: der kalte Verſtand; der Wille erſt giebt einer Unterredung
oder Unterfuhung die Wärme Das Intereffe entjcheibet über
Anerlemmung oder Berwerfung der Wahrheit, fo wie über bie Wilr-
bigung der Leiftungen. (W. II, 253—255.) Dem erkennenden
Subject (Intellect) file fich iſt an nichts gelegen. (WB. U, 570 fg.)
Borzüge und Fehler bes Intellects werden dem Individunmm
nicht als Berdienft und Schuld zugerechnet, Hingegen Borzüge md
Fehler des Willens (Charakters). Die moraliihe Schätung Anderer
und unferer felbft bezieht fich nicht auf die intellectuelle Begabung,
die Geiftesgaben, die man allezeit als ein Geſchenk der Natur ange-
fehen bat, fondern auf die Beſchaffenheit des Willens, die man
als den Kern, das Weſen, die Eſſenz des Menſchen anfieht. Glänzende
Eigenfchaften des Geiftes erwerben Bewunderung, aber nicht Zuneigung,
diefe bleibt den moralifhen, ben Eigenfchaften des Charakters vorbe⸗
halten. (W. II, 258—263. Vergl. auch unter Herz: Gegenfat
zwifchen Herz und Kopf.)
Der Intellect erleidet höchft bebeutende Veränderungen durch bie
Zeit, während der Wille und Charakter von biefen unberührt bleibt.
Während der Imtellect eine lange Reihe allmäliger Entwidelungen zu
durchlaufen hat, dann aber, wie alles Phufifche, dem Berfall enigegen-
geht, nimmt der Wille hieran feinen Theil, als nur, fofern er Anfangs
mit der Unvolltommenheit feines Werkzeuge, des Intellects, und zulegt
wieder mit deſſen Abgenutztheit zu fämpfen hat. (W. II, 263—267.)
Der Intellect wird, als bloße Function des Gehirns, vom
Untergang bes Leibes mitgetroffen; Hingegen keineswegs der Wille
Aus diefer Heterogeneität Beider, nebft der fecunbären Natur des
Intellects, wird es begreiflih, daß der Menſch im ber Tiefe feines
Selbſtbewußtſeins ſich ewig und ungerftörbar fühlt, dennoch aber feine
Erinnerung über feine Lebensdauer hinaus haben kann. (W. II, 306.)
2) Zwed bes Intellects.
Zum Dienfte eines indtvibuellen Willens hat ihn die Natur hervor⸗
gebracht; daher ift er allein beftimmt, bie Dinge zu erkennen, fofern
fie die Motive eines ſolchen Willens abgeben; nicht aber, fie zu
ergründen, oder ihr Wefen an fich aufzufafien. (W. II, 156. 284.
322 fg. R. 69. P. I, 103. 290. Bergl. auch ımter Bewußtfein:
Urjprung und Zwed des Bewußtfeins.)
MWie mit jedem Organ und jeder Waffe, zur Offenſive oder Defen⸗
five, hat ſich auch, in jeber Thiergeftalt, der Wille mit einem In-
tellect ausgerüftet, ald einem Mittel zur Erhaltung bes Individnums
und ber Art; daher haben die Alten ben Intellect das Hegemonikon,
d. 5. den Wegweiſer und Führer genannt. Demzufolge ift der In⸗
tellect allein zum Dienfte des Willens beftimmt und diefem überall
genan angemefjen. Diejenigen Thiere, die im Verhältniß zu ihrer
Drganifation, ihrer Lebensweife, Lebensdauer und Prolification mehr
Sptellect 365
Iutellect branchten, haben defien auch offenbar viel mehr. (Vergl.
Afe und Elephant) Im Menfchen fteht ber den Thieren jo fehr
überfegene Intellect doch eben mur im Verhültniß theils zu feinen
Bedürfniſſen, welche die ber Thiere weit überfteigen, theils zu feinem
gänzlihen Mangel an natürlichen Waffen und natürlicher Bedeckung,
und feiner verhältnißmäßig jchwächern Muskelkraft, endlich auch zu
feiner langſamen Fortpflanzung, langen Kindheit und langen Lebene-
dauer, welche fichere Erhaltung des Individuums forderte. Alle biefe
großen Forderungen mußten durch intellectuelle Kräfte gedeckt werben;
daher find diefe Hier fo überwiegend. Ueberall aber finden wir den
Intellect als das Secunbäre, Untergeorvnete, blos den Zwecken bes
Billens zu dienen Beſtimmte. (N. 48—51.)
3) Die Stufen des Intellects in der auffleigenden
Thierreihe und im Menfchengefchledt.
‚In dem Maaße, als in der auffteigenden Thierreihe der Intellect
fh immer mehr entwidelt und volllommener auftritt, fondert fidh
das Erkennen immer deutliche vom Wollen umdb wirb dadurch
nme. (W. II, 329. ©. unter Erfenntniß: Grade der Erkennt⸗
up, und unter Bewußtfein: Unterfchiede des Bewußtſeins.) Auf
dem Grabe diefer Sonderung beruht im tiefften Grunde der Unter
ſchied und die Stufenfolge der intellectuellen Fähigkeiten, ſowohl zwifchen
verichiedenen Thierarten, als auch zwifchen menfchlichen Individuen;
er giebt alfo das Maaß für die intellectnelle Vollkommenheit diefer
Veſen. Das Thier nimmt die Dinge nur fo weit wahr, als fie
Motive fir feinen Willen find. Hingegen faßt felbft der ftumpfite
Menſch die Dinge ſchon einigermaßen objectiv auf; jedoch bei den
Benigften erreicht dies den Grad, daß fie einer rein objectiven Prü-
fmg und Beurtheilung der Sachen fähig wären. Die Objectivität
der Erkenntniß Hat unzählige Grade, bie auf der Energie des In⸗
tellect8 und feiner Sonderung vom Willen beruhen und deren höchfter
das Genie if. (S. Genie) Die Steigerung ber Intelligenz von
dumpfften thierifchen Bewußtſein bis zu dem des Menfchen ift alfo
une fortfchreitende Ablöfung des Intellects vom Willen,
welche volllommen, wiewohl nur ansnahmsweiſe, im Genie eintritt.
(8. I, 330. 9. 74—78.):
Auf der erft im Menfchen eintretenden deutlichen Sonderung des
Intellects vom Willen und folglich des Motivs von der Handlung
beruht der täuſchende Schein einer Freiheit in den einzelnen Handlungen.
G. 77 fg. Vergl. unter Freiheit: Wo bie moralifche Freiheit liegt.)
4) Sparfamkeit der Natur in Ertheilung des In-
tellect®.
Dem Geſetze ber Sporfamteit der Natur ift es völlig gemäß, daß
Ne die geiftige Eminenz überhaupt höchſt Wenigen, und das Genie
um alt die feltenfte aller Ausnahmen ertheilt, den großen Haufen des
366 Sutellect
Menfchengefchlechts aber mit nicht mehr Geiftesfräften außflattet, als
die Erhaltung des Einzelnen und ber Gattung erforbert. Dem die
großen und ſich befländig vermehrenden Bedürfniſſe des Dienfchen
geſchlechts machen es nothwendig, daß ber bei weitem größte Teil
defielben fein Leben mit grob Lörperlichen und ganz mechanifchen Ar⸗
beiten zubringt; wozu follte nun biefem ein lebhafter Geift, eine
glühende Phantaſie, ein fubtiler Verſtand, ein tief eindringender Schari-
finn? Dergleihen wiirde die Leute nur untauglidh und unglüdid
machen. Daher aljo ift die Natur mit dem koſtbarſten aller ihre
Erzengniſſe am wenigften verjchtwenderifch umgegangen. — Beadhtent
werth ift es, daß im Süden, wo die Noth des Lebens weniger ſchwer
auf dem Menſchengeſchlechte laftet und mehr Muße geftattet, and) die
geiftigen Fähigkeiten, felbft der Menge, fogleich vegjamer und feiner
werden. (W. II, 321.)
5) Befhränfung des Intellects auf Erſcheinungen.
Aus der Beftimmung des Intellects, das Medium der Motive,
die Leuchte unb der Lenker der Schritte des Willens zu fein, erflärt
es fi), warum er unzulänglich ift, das wahre Weſen der Dinge zu
erfaſſen. Er ift eben urfprüuglich nicht beſtimmt, uns über das Weſen
der Dinge zu belehren, fondern nur ihre Relationen in Bezug auf
unfern Willen uns zu zeigen. Er ift gleichſam cine bloße Flächenkraft,
wie die Elektricitäüt, und dringt nicht in das „Innere ber Weſen.
Schon die riftlicden Myſtiker erklären den Intellect, indem fie ihn
das Licht der Natur nennen, für unzulängli, das wahre Weſen
der Dinge zu erfallen. (W. II, 195.) Ein foldes ausſchließlich zu
praftifchen Zweden vorhandenes Erkeuntnißvermögen, wie der Intellect,
wird feiner Natur nach ftets nur die Relationen der Dinge zu
einander auffaflen, nicht aber das eigene Weſen derfelben, wie es an
fi ſelbſt iſt. (W. II, 322—327.) Da die Erkenntniß nur zum
Behuf der Erhaltung jedes thieriſchen Individui da ift; fo ift and
ihre ganze Beſchaffenheit, alle ihre Formen, wie Zeit, Raum u. |. w.
blos auf die Zwede eines ſolchen eingerichtet. Diefe nun erfordern
blos die Erkenntniß von Berhältniffen zwifchen einzelnen Er-
fcheinungen, keineswegs aber die vom Weſen ber Dinge und dem
Weltganzgen. (P. UI, 103. Bergl. auch unter Bewußtfein: Be
ſchränkung des Bewußtſeins auf Erſcheinungen, und unter Ding an
ſich: Warum unjere Erfenntnig des Dinges an fic feine adäquate ijt.)
6) Unvollfommenheiten bes Intellect®.
a) Weſentliche Unvollkommenheiten.
Die größte der weſentlichen Unvolllommenheiten unſers Intellectẽ
entſpringt aus dem Gebundenſein an die Form der Zeit, welches
macht, daß wir Alles nur ſucceſſive erkennen und nur Eines zur
Zeit und bewußt werden. Um das Kine zu ergreifen, muß der In⸗
tellect da8 Andere fahren Laffen, nichts, als die Spuren von ihm
- Smtellect 367
zuridbehaltend, welche immer ſchwächer werden. Auf dieſer Unvoll⸗
fommenheit des mtellects beruht das Rhapſodiſche und oft Frag⸗
mentarifhe unfers Gedankenlaufs, unb aus dieſem entſteht die
unermeiblihe Zerftrenuung unſers Denlens. In Folge des under-
meidlih Zerfirenten und Fragmentariſchen alles unfers Denkens und
des dadurch herbeigeführten Gemifches ber Heterogenften Vorftellungen
haben wir nur eine halbe Befinnung. Aus der Form der Zeit
tolgt, wie die Zerftreuung, fo auch die Bergeplichleit des Intellects.
Diefe innern und weſentlichen Unvolffommenheiten des Intellects
werden noch erhöht durch eine ihm gewiflermaßen Hußerliche, aber un⸗
ausbleibliche Störung, nämlich durch den Einfluß des Willens auf
jeine Operationen, d. i. den Einfluß der Interefjen, Neigungen, Affecte,
Leidenſchaften.
Zu allen dieſen Unvollkommenheiten des Intellects kommt endlich
noch die des Alterns mit dem Gehirn und folglich des Abnehmens
ſeiner Energie. (W. II, 150—156.)
b) Unweſentliche Unvollkommenheiten.
Die nachgewieſenen weſentlichen Unvollkommenheiten des In⸗
tellects werden im einzelnen Falle ſtets noch durch unwefentliche
erhöht. Nie iſt der Intellect in jeder Hinſicht, mas er möglicher⸗
weife fein öımte; die ihm möglichen Bollfommenheiten ftehen einander
fo entgegen, daß fie fich ausfchliefen. Daher Tann Feiner Plato und
Ariſtoteles, oder Shafefpeare und Newton, ober Sant und Goethe
zugleich fein. Die Unvollfommenheiten des Intellects Hingegen ver-
tragen fi) fehr wohl zufammen. Seine unctionen hängen von fo
vielen (anatomifchen und phyfiologifchen) Bedingungen ab, daß ein auch
nm in einer Richtung entſchieden excellirender Intellect zu den fel-
tenften Naturerſcheinungen gehört. (W. IL, 156—162.) |
7) Berunreinigungen des Intellects.
Was für die äußere Korperwelt das Licht, das ift für bie innere
Belt des Bewußtſeins der Intellect. Denn diefer verhält ſich zum
Willen, alfo aud) zum Organismns, der ja blo® der objectiv ange-
ſchaute Wille ift, ungefähr fo, wie das Licht zum brennenden Körper
und dem Orygen, bei deren Bereinigung es ausbricht. Und wie diefes
um fo veiner ift, je weniger es fich mit dem Rauche des brennenden
Körpers vermischt; fo auch iſt der Iutellect um fo reiner, je voll⸗
kemmener er vom Willen, dem er entfproffen, gefondert ift. (P. II, 47.)
Es Tann keinen Intellect geben, der nicht dem Wefentlichen und
wein Objectiven der Erkenntniß ein biefem fremdes Subjectives, aus
der den Omtellect tragenden und bedingenden Perfönlichkeit Entfpringen-
8, aljo etwas Smdivibnelles, beimifchte, woburch denn Jenes allemal
verumreimigt wird, Der Intellect, bei welchem dieſer Einfluß am
geringften ift, wird am reinften objectiv, mithin der volllommenfte fein.
dedoch ein abfolut objectiver, mithin vollkommen reiner Intellect ift
368 Intellectnalität — Intelligenzen
fo unmöglich, wie ein abfolnt reiner Ton. — Zu den Berunreinigungen
der Erfenntniß durch die ein für alle Mal gegebene Beſchaffenheit det
Subjects, die Imdipidualität, kommen noch die direct aus dem Willen
und feiner einftweiligen Stimmung, alfo aus dem Intereffe, den Leiden
ſchaften, den Affecten hervorgehenden. (P. II, 68—70.)
8) Die rihtige Proportion zwifhen Intellect und
Wille.
Jedes animaliſche Weien, zumal der Menſch, bedarf, um im -der
Melt beftehen und fortlommen zu können, einer gewifien Angemefjenheit
und Broportion zwifchen feinem Willen. und feinem Intellect. Je
genauer und richtiger nun die Natur dieſe getroffen Hat, defto leichter,
ſicherer und angenehmer wird er durch die Welt kommen. Inzwiſchen
veicht eine bloße Annäherung zu dem eigentlich richtigen Punkte ſchon
bin, ihn vor Verderben zu ſchützen. Es giebt demnach eine gewiſſe
Breite innerhalb der Grunzen der Richtigkeit und Angemefjenbeit dee
befagten Verhältniſſes. Die dabei geltende Norm ift muın folgende.
Da die Beftimmung des Intellects ift, die Leuchte und der Lenker dar
Schritte bes Willens zu fein; fo muß, je heftiger, ungeſtümer und
leidenfchaftlicher der innere Drang eines Willens ift, defto vollfonımener
und heller der ihm beigegebene Sntellect fein, damit die Heftigleit des
Wollens und Strebens den Menſchen nicht irre führe und ind Ber:
derben ftürze. Hingegen Tann ein phlegmatiſcher Charakter, alſo ein
ſchwacher, matter Wille, ſchon mit einem geringen Intellect ausfonmmen;
ein mäßiger bedarf eines mäßigen. Jedes von ber angegebenen
Norm abweichende Mißverhältniß zwifchen einem Willen umd feinem
Intellect ift geeignet, den Menſchen unglüdlich zu machen, folglid
auch, wenn das Mißverhältniß das umgekehrte ift, d. i. wenn der In-
tellect, wie beim Genie, den Willen ganz unverhältnigmäßig überwiegt.
(Bergl. Genie.) Solches Ueberwiegen iſt für die Bedürfniſſe und
Zwede des Lebens nicht bios überflüffig, ſondern denſelben geradezu
hinderlich. Das Genie wird nie in der gemeinen Außenwelt und dem
bürgerlichen Leben fi jo zu Haufe fühlen und fo richtig eingreifen,
wie ber Normallopf. Das Genie ift im Grunde cin monstrum per
excessum, Wie, umgekehrt, der leidenſchaftliche, heftige Menſch, ohne
Verſtand, der hirnloſe Wütherich, ein monstrum per defectum iſt.
@®. II, 616 fg.)
Intellectualität, der Anſchauung. (S. Anfhauung.)
Intelligenzen.
1) Scala der Hierar chie der Intelligenzen.
Die richtigſte Scala zur Abmeſſung der Hierarchie der Intelli⸗
genzen liefert ber Grad, in welchem fie die Dinge blos individuell,
ober aber mehr und mehr allgemein anffaflen. Das Thier ertenmt
nur da8 Einzelne als folches, bleibt alſo ganz in der Auffaffung des
Inbivibuellen befangen. Jeder Menfch aber faht das Inbivihnelle in
0 u A
Intelligibler Charakter — Intereſſante 369
Begriffe zuſammen, und dieſe werden immer allgemeiner, je höher ſeine
Intelligenz ſteht. Dringt nun die Auffaſſung des Allgemeinen auch
in die intuitive Erkenntniß und erfaßt das Angeſchaute unmittelbar
als ein Allgemeines; ſo entſteht die Erkenntniß der (Platoniſchen)
Ideen. Dieſe iſt äſthetiſch, wird, wenn ſelbſtthätig, genial und er⸗
reiht den höchſten Grad, wenn fie philoſophiſch wird, indem alsdann
das Ganze des Lebens und der Welt in feiner wahren Befchaffeneit
intuitiv aufgefaßt wird. Es ift ber höchſte Grab der Befonnenpeit.
Zwiſchen dieſem und der blos thierifchen Erfenntniß liegen unzählige
Grade, die ſich durch das immer allgemeiner Werden der Auffaflung
unterfcheiben. (P. II, 78.)
2) Unterfchied der Intelligenzen in ber Qualität und
Schnelligkeit des Denkens. (S. unter Denken: Quali⸗
tät und Schnelligkeit des Denlens.)
Intelligibler Charakter, ſ. Charakter.
Intereffante, das.
1) Gegenſatz zwiſchen bem Intereffanten und Schönen.
Das Wort „intereffant“ bedeutet überhaupt Das, was bem
individuellen Willen Antheil abgewinnt, quod nostra interest. Da«
durch fcheidet ſich das Unterefjante vom Schönen. Lebteres ift Sache
ver Erfenntniß und zwar der allerreinften. Erfteres wirkt auf den
Billen. Sodann befteht das Schöne im Auffafien der Ideen,
weile Erkenntniß den Sat vom Grunde verlaffen hat; Hingegen bas
Intereffante entfteht immer aus Verflechtungen, welche nur durd) den
Sag vom Grunde in feinen verfchiedenen Geftalten möglich find.
(9. 44. 50. W. I, 208.)
2) Bereinbarkeit des Intereffanten mit dem Schönen,
Obgleich das Intereſſante, als dem Schönen entgegengefett, nicht
Zwed der Kunſt ift, fo findet es ſich doch an den Werken der Dicht⸗
tmft, namentlich der epifchen und dramatifchen, und es muß alſo
doch mit dem Hauptzwed der Kunft vereinbar fein. Es ift nun aller-
dings mit dem Schönen vereinbar, aber nur in einem eingefchränften
Maaße. Bei dramatifchen und epifchen Werfen ift nümlich eine Bei⸗
miſchung des Imtereffanten nothwendig, wie flüchtige, blos gasartige
Subftanzen einer materiellen Baſis bedilrfen, um aufbewahrt und
mitgeteilt zu werben. Das Intereſſante fol als Bindemittel der
Aufmerffamfeit das Gemüth lenkſam machen, dem Dichter zu allen
Theilen feiner Darftellung zu folgen. Wenn das Intereſſante eben
binreicht, dieſes zu Teiften, fo ift ihm vollfommen Genüge gefchehen;
bean es foll zur Berbindung der Bilder, durch welche der Dichter
ung die Idee zur Erkenntniß bringen will, nur fo dienen, wie eine
hmm, auf welche Perlen gereiht find, fie zufammenpält und zum
Ganzen einer Perlenſchnur macht. Weberfchreitet hingegen das Intereflante
Schopenhauer⸗Lexikon. I. 24
370 Intereffie — Irritabilität
diefes Maaß, ſo wird es dem Schönen nachtheilig. Das Interefiante
ift der Leib des Gedichte, das Schöne die Seele. Das Intereflante
ift die Materie, deren da8 Schöne als die Form bedarf, um fidit-
bar zu werden. (9. 50 fg.)
Intereffe.
1) Das Intereffe als die Bebingung jeder Handlung.
Intereffe und Motiv find Wechfelbegriffe; Interefje heißt, woran
mir gelegen ift, unb bies ift überhaupt Alles, was meinen Willen
anregt und bewegt. Was ift folglich ein Intereſſe Anderes, als bie
Einwirkung eines Motivs auf den Willen? Wo alfo ein Motiv
den Willen bewegt, da bat er ein Intereffe; wo ihn aber fein
Motiv bewegt, da kann er fo wenig handeln, als ein Stein ohne
Stoß oder Zug von der Stelle fann. Hieraus aber folgt, daß jede
Handlung, da fie nothiwendig ein Motiv haben muß, auch nothwendig
ein Intereffe vorausſetzt, daß folglich Kants Aufftellung einer zwei-
ten, ganz neuen Art von Handlungen, nämlich von Handlungen ohne
alles Intereffe (indem der Wille fi) beim Wollen aus Pflicht von
allem Intereſſe losſage) falſch if. (E. 166.)
2) Einfluß des Intereffes auf den Intellect. (©. unter
Intellect: Secundäre Natur des Intellects; unter Ge-
dächtniß: Einfluß des Willens; unter Gedanfenafjo:
ctation: Der heimliche Lenker der Gebankenafjociation.)
Interjectionen, ſ. Sprade.
Interpunktion.
Der „jeßtzeitigen‘ Berhunzung ber Sprache ift auch die Inter⸗
punftion zur Beute geworden, als welche heut zu Tage faft allgemein
mit abfichtlicher, felbftgefälliger Xiederlichkeit gehandhabt wird. Nim
aber ftedt in der Interpunktion ein Theil der Logik jeder Periode,
fofern diefe dadurch markirt wird; daher ift eine folche abſichtliche
Tiederlichfeit geradezu frevelhaft. Es liegt am Tage, daß eine lar
Interpunftion, wie etwa die franzöfifche Sprache, wegen ihrer ftreng
logiſchen und daher kurz angebundenen Wortfolge, und die englifche,
wegen der großen Wermlichkeit ihrer Grammatif, fie zuläßt, nicht an⸗
wendbar tft auf relative Urſprachen, bie, als folde, eine compficirte
und gelehrte Grammatik haben, welche künſtlichere Perioden möglich
macht; dergleichen die griechiſche, lateiniſche und deutſche Sprache ſind.
(P. U, 573 fg.)
Intriguenflük, |. Drama.
Ironie, |. unter Lächerlich: Das abſichtlich Lächerliche.
Irritabilität.
1) Die Irritabilität als eine Form der Lebenskraft.
(S. Lebenskraft.)
Irrlehre 371
2) Die Irritabilität als Hauptcharakter des Thieres.
(S. Lebenskraft.)
3) Das metaphyſiſche Subſtrat der Irritabilität und
ihr Verhältniß zur Senſibilität.
Die Fähigkeit des Muskels zur Contraction heißt Irritabilität,
d. h. Reizbarkeit; fie iſt ausſchließliche Eigenſchaft des Muskels,
wie Senſibilität ausſchließliche Eigenſchaft des Nerven iſt. Dieſer
giebt zwar dem Muskel den Anlaß zu feiner Contraction; aber
keineswegs ift er es, welcher, irgendwie mechanifch, den Muskel zus
fammenzöge, fondern dies gefchieht ganz allein vermöge der Irrita-
bilität, melde des Muskels felbfteigene Kraft ifl. Das metaphufiiche
Subftrat der Irritabilität des Muskels, alfo der Möglichkeit der
Actuirung des Muskels durch Gehirn und Nerv, ift der Wille, der
augerhalb der Canſalkette liegt, und deſſen Erfcheinung baher, nicht
Wirkung, die Musfelaction iſt. In der Irritabilität objectivirt fich
der Wille unmittelbar, nicht in der Senfibilität.. (W. II, 282 fg.)
Der Wille ift in allen Muskelfaſern des ganzen Leibes als Irritabilität
mmittelbar gegenwärtig, als ein fortwährendes Streben zur Tchätigfeit
überhaupt. Soll nun aber diefes Streben fic) realifiren, alfo ſich als
Bewegung äußern; fo muß diefe Bewegung, eben als ſolche, irgend eine
Richtung haben; diefe Richtung aber muß durch irgend etwas beftimmt
werben, d. 5. fie bebarf eines Lenkers; diefer nun ift das Nervenſyſtem.
Denn der bloßen Srritabilität, wie fie in der Muskelfaſer liegt und
an fi) purer Wille ift, find alle Richtungen gleichgültig; aljo be-
ſtimmt fie fi) nach feiner, fondern verhält fich wie ein Körper, der
nah allen Richtungen gleihmäßig gezogen wird; er ruht. Indem
die Nerventhätigfeit als Motiv (bei Reflexbewegungen ald Reiz) hinzu=
tritt, erhält die firebende Kraft, d. i. die Irritabilität, eine beftimmte
Richtung und liefert jet die Bewegungen. (W. I, 285 fg.)
4) Zuſammenhang ber Irritabilität mit dem Blute.
Die Musteln find das Product und Verdichtungswerk des Blutes,
ja, gewiffermaßen nur feſtgewordenes, gleichjam gevonnene® oder
Iroftallifirtes Blut. Die Kraft aber, melde aus dem DBlute den
Muskel bildete, darf nicht als verfchieden angenommen werden von
der, die nachher als Yrritabilität auf Nervenreiz denfelben bemegt.
Zudem beweift den nahen Zuſammenhang zwifchen dem Blut und ber
Irritabilität auch diefes, daß wo, wegen Unvolllommenheit de8 Kleinen
Blutumlaufs, ein Theil des Blutes unorydirt zum Herzen zurüdtehrt,
die Irritabilität ſogleich ungemein ſchwach ift, wie bei den Batrachiern.
(8. II, 286.)
Irrlehre. |
Eine Irrlehre, fei fie aus falfcher Anficht gefaßt, oder aus fchlechter
Abficht entiprangen, ift ftets nur anf fpecielle Umftände, folglih auf
eine gewiſſe Zeit berechnet; die Wahrheit allein auf alle Zeit, wenn
24”
372 Irrthum
fie auch eine Weile verkannt, ober erſtickt werden kann. Denn jobalt
nur ein wenig Picht von innen, oder ein wenig Luft von außen kommt,
findet ſich Jemand ein, fie zu verfündigen, oder zu vertheidigen. Weil
fie nämlich nicht aus der Abficht irgend einer Partei entjprungen Mi:
fo wird, zu jeder Zeit, jeder vorzügliche Kopf ihr Verfechter.
(®. IL, 15.)
Irrthum.
1) Unterſchied zwiſchen Irrthum und Schein.
Das vom Verſtande richtig Erkannte iſt Realität, wänlid
richtiger Uebergang von der Wirkung im unmittelbaren Object (Leib),
auf deren Urſache; das von ber Vernunft ridtig Erkannte if
Wahrheit, d. i. ein Urtheil, welches zureichenden Grund Hat. Ter
Realität nun fteht der Schein (das fälſchlich Angefchaute) ale
Trug des Berftandes, der Wahrheit ficht der Irrthum (der
fälſchlich Gedachte) als Trug der Vernunft gegenüber. (W. I, 28.
G. 7ıfg. ©. 16.)
Schein tritt alddann ein, wenn eine und biefelbe Wirkung durch
zwei gänzlich) verfchiedene Urfachen herbeigeführt werden Tann, dern
eine jehr häufig, die andere felten wirft; der Verftand, der fein Datum
bat, zu unterſcheiden, welche Urſache Hier wirkt, da die Wirkung gan;
diefelbe ift, fest danıı allemal die gewöhnliche Urſache voraus, und
weil feine Thätigkeit nicht veflectiv und discurfiv ift, fondern intuitiv
(f. Anſchauung), fo fteht folche falfche Urſache als angefchauter
Dbject vor uns da, welches eben der falfche Schein iſt. Der Schein
entiteht entweder, wie beim Doppeltfehen und ‘Doppelttaften, dadurd,
daß die Sinneswerkzeuge in cine ungewöhnliche Tage gebracht find:
ober er entfteht dadurch, daß eine Wirkung, welche die Sinne fonit
täglich) und ſtündlich durch eine und diefelbe Urfache erhalten, einmal
durch eine ganz andere Urſache hervorgebracht wird; fo z. B. wenn
man eine Malerei fiir ein Relief anfieht, oder ein ind Wafler getauchter
Stab gebrochen erfcheint, u. ſ. w.
Irrthum Hingegen ift ein Urtheil der Bernunft, weldes
nicht zu etwas außer ihm im derjenigen Bezichung fteht, die der Sat
vom Grund (in der Geftalt des Erfenntnißgrundes) erfordert,
alfo eine grundlofe Annahme in abstracto, ein falfches Urtheil.
(Vergl. unter Grund: Satz vom Grunde des Erfennens.)
Schein kann Irrthum veranlaffen, wenn er Beranlaffung zu einem
falſchen, d. h. des zureichenden rundes 'ermangelnden Urtheil wird.
Der Irrthum läßt fi) durch ein wahres Urtheil tilgen, der
Schein aber nit. Denn alle täufchenden Scheine ftehen in un:
nittelbarer Anfhauung vor uns da, welche durd) fein Räfonnement
der Vernunft megzubringen ift; ein folches kann blos den Irrthum,
d. h. ein Urtheil ohne zureichenden Grund, verhüten durch ein ent
gegengejeßtes wahres, aber der Schein bfeibt jeder abftracten (ver⸗
Irrthum 373
nünftigen) Erkenntniß zum Trotz unverrüdbar ſtehen. Jedoch kann
der Schein allmälig verſchwinden, wenn ſeine Urſache bleibend iſt und
dadurch das Ungewohnte gewohnt wird. Wenn man z. B. die Augen
immer in der ſchielenden Lage läßt, ſo ſucht der Verſtand ſeine
Apprehenſion zu berichtigen und durch richtige Auffaſſung der äußern
Urſache Uebereinſtimmung zwiſchen den Wahrnehmungen auf verſchiedenen
Wegen, z. B. zwiſchen Sehen und Taſten hervorzubringen. (F. 16 fg.
®. 1, 28 fg. ©. 71.)
2) Analogie zwifhen Irrthum und Schein.
Die Möglichkeit des Irrthums ift ganz analog ber des Scheines.
Jeder Irrthum ift nämlih ein Schluß von der Folge auf den
Grund, melder zwar gilt, wo man weiß, daß die Folge jenen
und durchaus keinen andern Grund haben kann, außerdem aber nicht.
Der Irrende fett entweder ber Folge einen Grund, den fie gar nicht
haben kann; worin er dann wirklichen Mangel an Berftand, d. h.
an der Fähigkeit unmittelbarer Erkeuntniß der Verbindung zwifchen
Urſache und Wirkung, zeigt; oder aber, was der häufigere Yall ift,
er beſtimmt der Folge einen zwar möglichen Grund, fett jedoch zum
Oberſatz feines Schluffes von der Folge auf den Grund nod) Hinzu,
dat die befagte Folge allemal nur aus dem von ihm angegebenen
runde entftehe, wozu ihn nur eine vollftändige Inbuction berechtigen
tinnte. Daß der Irrende aber fo verführt, ift entweder Webereilung,
oder zu befchränkte Kenntniß der Möglichkeit, weshalb er die Noth-
wendigfeit der zu machenden Induction nicht weiß. Der Irrthum
it alfo dem Schein ganz analog. Beide find Schlüffe von der
Folge auf den Grund, der Schein ftet8 nach dein Geſetze der Cau—
alıtät und vom bloffen Berftande, alfo unmittelbar tn der Anfchauung
kcibft, vollzogen, der Irrthum von der Bernunft im Denken voll-
gen. (W. I, 94 fg.)
Die große Schwierigkeit des Urtheil® beruht in den meiften Yällen
darauf, daR wir von der Folge auf den Grund zu gehen haben,
at Weg ftets unſicher ift. Hier liegt die Quelle alles Irrthums.
8. I, 97.)
3) Unterfhied zwifhen Irrthum und Rechnungs—
fehler.
Auf einen Schluß aus einem, oft nur fälfchlic generalifirten hypo—
thettichen, aus der Annahme eined Grundes zur Folge entfprungenen
Dberfap muß jeder Irrthum zurüdzufiihren fein; nur nicht etwa
Rehnungsfehler, welche eben nicht eigentlid) Irrthümer find,
fondern Fehler; die Operation, welche die Begriffe der Zahlenangaben,
iſt mit in der reinen Anſchauung, dem Zählen, vollzogen worben,
Iondern eine andere ftatt ihrer. (W. I, 95.)
374 Irrthum
4) Unterſchied zwiſchen Thier und Menſch in Hinſidt
auf den Irrthum.
Das Thier Tann nie weit vom Wege der Natur abirren; ben
feine Motive liegen allein in der anfchaulicdhen Welt, wo nur dat
Mögliche, ja nur das Wirflihe Raum findet; Hingegen in bie ab-
ftracten Begriffe, in bie Gedanken und Worte, geht alles nur Erfinn-
fiche, mithin aud) das Falſche, das Unmögliche, das Abjurde, dus
Unfinnige. Daher fteht der Menſch, durd die Vernunft den Ge:
danken zugänglid) geworben, und weil zwar Vernunft (das Bermögen
der Gedanken) Allen, Urtheilsfraft aber nur Wenigen zu Theil geworden,
dem Wahne offen, indem er allen nur erdenklihen Chimären Preis
gegeben ift, die man ihm einredet unb die, als Motive feines Willens
wirfend, ihn zu Verfehrtheiten und Thorheiten jeder Art, zu den um
erhörteften Ertravaganzen, wie aud) zu den feiner thierifchen Natur
widerftrebendften Handlungen bewegen können, wovon befouders die
Religionen und ihre Eultushandlungen zahlreiche und craffe Beiſpiele
liefern. (W. I, 74 fg.)
5) Schäblicdhfeit des Irrthums.
Jeder Irrthum muß, früher oder fpäter, Schaden ftiften, und
defto größern, je größer er war. Den individuellen Irrthum muß.
wer ihn hegt, ein Mal büßen und oft theuer bezahlen; das Selk:
wird im Großen von gemeinſamen Irrthümern ganzer Völker gelten.
Daher kann nicht zu oft wiederholt werben, daß jeder Irrthum, wo
man ihn auch antreffe, als ein Feind der Menſchheit zu verfolgen
und außzurotten ift, und daß es Feine privilegirte, oder gar ſanctie—
nirte Yrrthilmer geben Tann. Der Denker foll fie angreifen, wenn
auch die Menſchheit, gleich einem Kranken, deſſen Geſchwür der Art
berührt, laut dabei aufſchriee. (W. I, 73fg) Wenn in ber am
ſchaulichen Vorſtellung der Schein auf Augenblide die Wirflichket
entftellt, fo fanıı in der abftracten ber Irrthum Sahrtaufende her:
hen, auf ganze Völker fein eifernes Zoch werfen, die edelften Regungen
der Menfchheit erftiden und felbft Den, welchen zu täufchen er wicht
vermag, durd feine Sclaven, feine Getäufchten, in Feſſeln legen
laſſen. Man foll daher beftrebt fein, jeden Irrthum aufzudeden um |
auszurotten, auch wo fein Schaden von ihm abzufehen ift, weil dieſer
fehr mittelbar fein und einft bervortreten Tann, wo man ihn nidt
erwartet; denn jeder Irrthum trägt ein Gift in feinem Innern. Es
giebt Feine unfchädlichen Yrrthiimer, noch weniger ehrwürdige, heilige
Irrthümer. (W. I, 42. H. 440.) Jeder Irrthum ftiftet unenblid
mehr Schaden, als Nuten. (E. 259.)
6) Die tragische und die fomifche Seite bes Irrthume.
Die tragifche Seite des Irrthums und Vorurtheils Tiegt im
maciigen die komiſche ift dem Sheoretifchen vorbehalten.
(W. I, 75.)
Slam — Italiener 375
7) Was zur PBerpetuirung der Irrthümer beiträgt.
Die Irrthümer werben durch Beifpiel, Gewohnheit und fehr früh-
zeitiges, feſtes Einprägen, ehe noch Erfahrung und Urtheiläfraft zu
ihrer Erfchütterung da waren, perpetuirt. (W. II, 74.) Auch das
den urtheilslofen Köpfen eigenthimliche Genügen an Worten trägt
mehr al® irgend etwas bei zur Perpetuirung der Irrthlimerr. (W. II,
160.) Auch ift e8 natürlich, daß wir gegen jede neue, unfere bis⸗
berige Ueberzeugung erjchütternde Anfiht uns abwehrend verhalten.
Sehn wir aljo ſchon das Individuum hartnädig im Feſthalten feiner
Irrthümer, jo ift ed die Maſſe noch viel mehr; an ihren ein Mal
gefaßten Meinungen können Erfahrung und Belehrung fih Yahr-
hunderte lang vergeblich abarbeiten. Daher giebt e8 denn auch ge-
wiſſe allgemein beliebte und feft accereditirte, folglih von Unzähligen
mit Selbfigenügen nachgefprochene Irrthümer, wie 3. B. „Selbftnord
it eine feige Handlung.“ „Wer Andern mißtraut, ift felbft unredlich.‘
„Berbienft und Genie find anfrichtig beicheiden.“ U.f.w. (P. II, 63 fg.)
Islam,
1) Charakter und Werth des Islam.
Der Islam, der ganz optimiftifch ift, ift, wie die neuefte, fo auch
die fchlechtefte aller Religionen. (W. II, 693.)
Daß mit dem metaphufifchen Bedürfniß, aus welchem die Re—⸗
Iigionen entfpringen und zu deffen Befriedigung fie dienen, die meta-
phyſiſche Fähigkeit nicht Hand in Hand geht, beweift unter andern
der Koran, dieſes fchlechte Buch, welches dennoch hinreichend war,
eine Weltreligion zu begründen, das metaphufifche Bedürfniß zahllofer
Millionen Dienfchen feit 1200 Jahren zu befriedigen, die Grundlage
ihrer Moral und einer bedeutenden Berachtung des Todes zu werden,
wie auch, fie zu blutigen Sriegen und ben ausgedehnteften Eroberungen
zu begeiftern.. Wir finden in ihm die traurigfie und ärmlichfte Geftalt
des Theismus. (W. II, 177 fg.)
2) Die dem Fatalitmus der Mohammedaner zu
Grunde liegende Wahrheit.
Bie die bei den Alten fo feftftehende Anficht vom Fatum, fo
beruht auch der Yatalismus der Mohammedaner auf der, wenn aud
nicht deutlich erfannten, boch gefühlten Weberzeugung von der ftrengen
Nothwendigkeit alles Gefchehenden. (E. 60.)
Jtaliener.
1) Charakter der Italiener.
Der Hauptzug im Nationaldharakter der Italiener ift voll»
lommene Unverfchämtheit. Diefe befteht darin, daß man eines
Theils fich für nichts zu ſchlecht hält, alfo anmaßend unb frech ift;
376 Jammer — Ielstzeit
andern Theils ſich für nichts zu gut Hält, alfo miederträdtig if.
Wer hingegen Scham bat, ift für einige Dinge zu blöde, für andere
zu ſtolz. Der Italiener ift weder das eine, noch das andere, ſondern
nad) Umftänden allenfalls furchtſam und hochfahrend. (MR. 349.)
2) Borzug der Italiener vor den Franzofen im ber
Kunſt.
Italiener und Deutſche ſtimmen, trotz großer Verſchiedenheit in
vielen Stücken, doch überein im Gefühl für das Innige, Ernſte
und Wahre in der Kunſt und treten dadurch in Gegenſatz zu den
Franzoſen, welchen jenes Gefühl ganz abgeht, was fich überall ver:
räth und befonders bei Vergleihung des Spiels der Rachel mit dem
der Riftori bemerflicd) machte. (P. II, 635.)
3) Die italienifhe Sprade.
In die italienische Sprache ift der Begriff des Wollens fo tief
eingedrungen, daß er zur Bezeichnung jedes Erforderniffes, jedes Noth⸗
wenbigfeind angemwenbet wird: vi vuol un contrapeso; — vi vuol
pazienza. (NR. 96.)
J.
Jammer, ſ. Schlechtigkeit, und unter Gerechtigkeit: Ewige Ge-
rechtigkeit.
Jehovah, ſ. Gott und Judenthum.
Jetztzeit.
1) Optimismus ber Jetztzeit.
In der gegenwärtigen, geiftig impotenten und ſich durch die Ber:
ehrung des Schlechten in jeder Gattung auszeichuenden Periode, —
welche ſich recht paflend mit dem felbftfabricirten, fo prätentiöfen, wie
kakophoniſchen Worte „Jetztzeit“ bezeichnet, als wäre ihr Jetzt das
Jetzt za edoxnv, das Jetzt, welches heranzubringen alle andern
Jetzt allein dagewefen, — entblöden die Pantheiften fich nicht, zu
jagen, das Leben fei, wie fie e8 nennen, „Selbftzwed“. — Wenn dieſes
unfer Dafein der legte Ziwed der Welt wäre; fo wire e8 der alberufte
Zwed, der je gefegt worden, möchten wir nun felbft, oder ein Anderer
ihn gefeßt haben. (P. II, 306.)
Die Demagogen der „Jetztzeit“ legen das dem menschlichen Dafein
jelbft unzertrennlich anhängende Elend auf freche und Lügenhafte Weiſe
den Regierungen zur Laſt. Sie find nämlich, als Feinde des Chriften-
thums, Optimiften; die Welt ift ihnen „Selbftzwed‘“ und daher an
Journaliten — Judenthum. JInden 377
ſich ſelbſt, d. h. ihrer natürlichen Befchaffenheit nach, ganz vortrefflich
angerichtet, ein rechter Wohnplatz der Glückſäligkeit. Die nun hie
gegen fehreienden koloſſalen Uebel der Welt fchreiben fie gänzlich den
Regierungen zu. (P. II, 276.) Ä
2) Charakter⸗ und Gefhmadlofigkfeit der Jetztzeit.
Die jegige Zeit trägt, dur) Mangel an Originalität, in Bauart,
‚ Möbeln, Kleidung u. ſ. w. den Stempel der Charafter-
loſigkei. Mit welcher Ehrfurcht wirb die Nachwelt unfere im elen-
veften Rokokoſtil aufgeführten Paläfte und Landhäufer betrachten! —
Aber [hwerlich wird fie willen, was fie auf Conterfeien und Daguerro-
typen aus den Schuhpugerphuyfiognomien mit Sokcatifchen Bärten und
ars den Stugern im Coftüme der Schaderjuden machen fol. Zur
durchgängigen Gefchmadlofigkeit dieſes Zeitalters gehört auch, daß auf
den Donumenten, welche man großen Männern errichtet, diefe im
modernen Coſtüme dargeftellt werden. (B. II, 482 fg. Vergl. Denk⸗
male.)
Ein Inculentes Beifpiel von Laſt ohne Stüße (dem äfthetifchen
jorderungen der Baukunſt zuwider) bieten die, an ben Eden mandıer,
im gefhmadvollen Stil der „Jetztzeit“ erbauten Häufer hinausges
Ihobenen Erker dem Ange dar. Man fteht nicht, was fie trägt; fie
ſcheinen zu ſchweben und beunruhigen das Gemüt. (W. II, 468.)
(Ueber die Berirrung der Muſik der Jetztzeit, |. unter Muſik:
Abweg, auf welchem ſich die Muſik heutigen Tages befindet.)
3) Sprad- und Stilverhungung ber Jetztzeit.
Rie fol man der Kürze des Ausdruds die Deutlichkeit, gefchweige
die Grammatik zum Opfer bringen. Den Ausdrud eines Gedankens
ſchwächen, ober gar den Sinn einer Periode verbunfeln, ober ver⸗
finmern, um einige Worte weniger binzufegen, ift beflagenswerther
Unverfland. Gerade Dies aber ift das Treiben jener faljchen Kürze,
die heut zu Tage im Schwange ift und darin befteht, daß man das
Zweddienliche, ja, das grammatifch, oder logiſch Nothwendige weg⸗
läßt. Im Deutfchland find die fchlechten Scribenten jegiger Zeit von
ihr, wie von einer Manie, ergriffen und üben fle mit unglaublichem
Unverftand. (PB. II, 559 ff. 5. 53ffl. W. H, 136 ff.)
Das Leben der „Jetztzeit“ ift eine große Gallopade; in ber
Sm giebt fie fich fund als äußerſte Flüchtigkeit und Liederlichkeit,
P. IL, 577.)
Journaliſten, ſ. Schriftfteller.
Iubel, ſ. Freude.
Indenthum. Juden.
1) Hiſtoriſcher Urſprung des Judenthums.
Das Judenthum ſtammt aus der Zendreligion. Eine ſchlagende
Beſtätigung, daß Jehovah Ormuzd fei, liefert das erſte Bud) Eſra
378 Indenthum. Juden
in der LXX (6, 24.) Anch das zweite Buch der Maltabäer, Cap. |
und 2, auch Cap. 13, 8 beweift, daß die Religion der Juden die
ber Perſer geweien if. Wie Jehovah eine Transformation des Cr:
muzd, fo ift bie entfprechende des Ahriman der Satan, d. h. da
Widerfacher, nämlich des Ormuzd. Die ausführliche Darlegung jenet
Ürfprungs hat geliefert I. G. Rhode in feinen Buche „die heilige
Sage bed Zendvolls”. (PB. I, 405—407. ®. II, 714.)
2) Charakter des Judenthums.
Das Judenthum bat zum Grundcharafter Realismus und Ipti-
mismus, al® welche nahe verwandt und die Bedingungen des eigent:
lichen Theismus find, da dieſer bie materielle Welt fir abfolut
real und das Leben für ein uns gemachtes, angenehmes Geſchenl
ausgiebt. Dadurch fteht da8 Judenthum im Gegenfag zum Brahma:
nismus und Bubdhaismus, deren Grundcharakter Idealismus un
Peffimismus iſt, da fie der Welt nur eine tranmartige Exiften
zugeftehen und das Leben als Folge unferer Schuld betrachten. (P. 1,
40. 405. 322.) In der Sendaveftalehre, welcher befanntlid das
Judenthum entjprofien ift, wird das peffimiftifche Element dod noch
dur) den Ahriman vertreten. Im Judenthum bat aber diefer mr
nod eine untergeordnete Stelle, ald Satan. Das Indenthum ver:
wendet ihn fogleich zur Nachbefferung feines optimiftifchen Grund—
irrthums, nämlich zum Sindenfall, der nun das peffimiftifche Element
-in jene Religion bringt und noch der richtigfte Grundgebanfe berieben
ift; obwohl er in den Verlauf des Dafeins verlegt, was als Grm
beflelden und ihm vorhergängig bargeftellt werden müßte. (P. IL, 405.
W. II, 714. Bergl. auch Bibel.)
Monotheismus und Judenthum find Wechfelbegriffe. (P. I, 4.
138; II, 280.) Das Judenthum, welche urfpriinglich die einzige
und alleinige rein wmonotheiftifche, einen wirklichen Gott -Schöpie
Himmels und der Erden Iehrende Religion ift, dat, mit volllommener
Conjeguenz, keine Unfterblichkeitslehre, alfo auch keine Bergeltung nah
dem Tode, fondern blos zeitliche Strafen und Belohnungen; modurd
es ſich ebenfalls von allen andern Religionen, wenn auch nicht zu
feinem Bortheil, unterfcheidet.. Die dem Judenthum entjprofienen
zwei Religionen find, indem fie, aus befferen, ihnen anderweitig be
kannt gewordenen Glaubendlehren, die Unfterblichkeit hinzunahmen und
doch den Gott-Schöpfer beibehielten, hierin eigentlich inconfequent g-
worden. (P. I, 137; IL, 323.)
Die eigentliche Judenreligion, wie fie in der Genefls und allen
biftorifchen Büchern, bis zum Ende der Chronika, dargeftellt wird, if
bie rohefte aller Religionen, weil file die einzige ift, die feine Sput
von Unfterblichleitslehre hat. Die Verachtung, in der die Juden fiel
bei allen ihren gleichzeitigen Volkern flanden, mag großen Teils
auf der armfäligen Beichaffenheit ihrer Weligion beruht haben
Diefelbe ift eine Religion ohne alle metaphuftfche Tendenz, beſtehend
Indenthum. Imben 379
m eimem abfurben und empörenden Theismus, der darauf binausläuft,
daß der Herr, der die Welt gefchaffen, verehrt fein will; daher er
vor allen Dingen eiferfüchtig ift auf die übrigen Götter. (P. I,
137 fg. Anmerk.)
3) Schädlicher Einfluß des Judenthums.
Es iſt als ein großes Unglück anzuſehen, daß das Volk, deſſen
geweſene Cultur der unſrigen hauptſüchlich zur Unterlage dienen
ſollite, nicht etwa die Inder, ober die Griechen, ober auch nur bie
Römer waren, fondern gerade biefe Juden — ein feines, abge
fondertes, eigenfinniges, hierarchifches, d. h. durch Wahn beherrfchtes,
von den gleichzeitigen großen Völkern des Orients und Deccidents
verachtete® Winkelvolk. (W. I, 274.)
Was den über das ganze Meenfchengeichlecht verbreiteten und ben
Beifen, wie dem Volle einleuchtenden Glauben an Metempſychoſe
entgegenfteht, ift das Judenthum, nebft ben aus diefem entiprofienen
mei Religionen, fofern fie eine Schöpfung des Menſchen aus Nichts
Ihren, an welde er dann den Glauben an eine enblofe Fortdauer
nad dem Tode zu knüpfen die harte Aufgabe hat. Ihnen freilich ift
es, mit Fener und Schwert, gelungen, aus Europa und einem Theile
Afiens jenen tröftlichen Urglauben der Menſchheit zu verdrängen; es
fteht noch dahin auf wie lange. (W. II, 578.)
Intoleranz ift nur dem Monotheismus weſentlich; ein alleiniger
Bott ift feiner Natur nad) ein eiferſüchtiger Gott, ber feinem andern
das Leben gönnt. Daher find es die monotheiftiichen Religionen
allein, alſo das Judenthum und feine Berzweigungen, Chriſten⸗
tum und Islam, welche uns das Schaufpiel der Religionsfriege,
Religionsverfolgungen und Seergerichte liefern, wie auch das der
Bilderſtirmerei und Bertilgung fremder Götterbilder u. ſ. w. (P. II,
382—384.)
Die vermeinte Rechtlofigkeit .der Thiere, der Wahn, daß unfer
Handeln gegen fie ohne moralifdhe Bedeutung fei, oder daß es gegen
Thiere feine Pflichten gebe, ift geradezu eine empörende Rohheit und
Barbarei des Dccidents, deren Quelle im Judenthum liegt. (E. 238 ff.
162. ®. I, 79; II, 397—399. 402. M. 467.)
Ale Zeiten und alle Länder haben ſehr wohl das Mitleid ale
die Quelle aller Moralität erkannt, nur Europa nicht; woran allein
der foetor judaicus Schuld ift, der hier Alles und Alles durchzieht.
Ta muß es dann fchlechterdings ein Pflichtgebot, ein Sittengefeg,
an Imperativ, Kurzum eine Ordre und Kommando fein, dem parirt
wird; davon gehen fie nicht ab, und wollen nicht einfehen, daß Der⸗
gie immer nur den Egoismus zur Grundlage hat. (E. 249.
. 467.)
380 Judenthum. Juden
4) Anthropologiſche und hiſtoriſche Bemerkungen über
die Juden.
Nie iſt ein weißer Menſch urſprünglich aus dem Schooße der
Natur hervorgegangen. Demnach muß der Adam unſerer Race
ſchwarz gedacht werden. Da ferner Jehovah ihn nach ſeinem Bilde
geſchaffen, ſo iſt auf Kunſtwerken auch dieſer ſchwarz darzuſtellen:
wobei man ihm jedoch den herkömmlichen weißen Bart lafſen kam;
da die Dünnbärtigkeit nicht ber ſchwarzen Yarbe, fonbern blos der
Hethiopifchen Race anhängt. Sind ja doc) auch die älteften Ma:
donnenbilder ſammt dem Chrifttinde von fchwarzer Gefichtsfarbe. In
der That ift das ganze auserwählte Volt Gottes ſchwarz, oder doch
dunkelbraun gewefen und iſt noch jeßt dunkler als wir, die wir von
früher eingewanderten heidniſchen Völferfchaften abftammıen. (P. IL, 169.
W. IL, 625.) |
Moſes (4. Buch, Cap. 13 ff., nebft Bud 5, Cap. 2) giebt une
ein Ichrreiches DBeifpiel des Hergangs bei der allmäligen Bevöl:
ferung der Erde, wie nämlih ausgewanderte mobile Horden
bereits angefeflene Völker zu verbrängen fuchten, die gutes Yand ume
hatten. Die Rolle der Juden, bei ihrer Nieberlaffung im gelobten
Lande, und die der Römer, bei ber ihrigen in Italien, ift im
Wefentlichen die felbe, nämlih die eines. eingewanderten Boltee,
welches feine früher dagewefenen Nachbarn fortwährend befriegt und
fie endlih unterjoht. Nur daß die Römer es ungleich weiter ge
bracht haben als die Juden. (PB. I, 279, Aumerf.)
5) Emancipation der Juden.
Der ewige Jude Ahasverus ift nichts Anderes, als die Yer:
fonification des ganzen jübifchen Volles. Weil er an dem Heiland
und Welterlöfer ſchwer gefrevelt bat, foll er von dem Erdenleben
und feiner Laft nie erlöft werden und dabei heimathslos in ber
rende umherirren. Dies ift ja eben das Bergehen und das Schid⸗
fal des Heinen jüdifchen Volkes, welches trotz feiner Heimatholofigkei
dennoch mit beifpiellofer Hartnäckigkeit feine Nationalität behaupte
und gern wieder zu einem Lande gelangen möchte. Bis dahin let
e8 parafitiih auf den andern Völkern, ift aber dabei nichtedefto:
weniger vom lebhafteften Patriotismus fir die eigene Nation beieelt,
den ed durch das feſteſte Zufanmenhalten an den Tag legt. Das
Baterland der Juden find die übrigen Juden. Daraus geht hervor,
wie abfurd es ift, ihnen einen Antheil an ber Regierung oder Ber:
waltung irgend eines Staates einräumen zu wollen. ‘Die Emancipation
der Juden darf nicht fo weit getrieben werden, daß fie Staatöredhtt,
alfo Theilnahme an der Verwaltung und Regierung chriftlicher Länder
erhalten. Denn aldbann werden fie erjt recht con amore Juden
fein und bleiben. Daß fie mit Andern gleiche bürgerliche Rechte
Jugend — Jury 381
genießen, heiſcht die Gerechtigkeit; aber ihnen Antheil am Staat
einzuräumen, iſt abſurd; ſie ſind und bleiben ein fremdes, orientali⸗
ſches Volk, müſſen daher ſtets nur als anſäſſige Fremde gelten.
P. IL, 278—281.)
6) Barum die Ehe zwifchen Juden und Chriften zu
geftatten if.
Doß die dem Nationalcharafter der Juden anhängenden befannten
Fehler, worunter eine wunderfame Abweſenheit alles Deffen, was
dad Wort verecundia ausdrüdt, der hervorftechendfte, wenn gleid) ein
Mangel ift, der in der Welt befjer weiter Hilft, als vielleicht irgend
eine pofitive Eigenfchaft, — daß diefe Fehler hauptſächlich dem langen
und ungerechten Drude, ben fie erlitten haben, zuzufchreiben find, ent⸗
ſchuldigt ſolche zwar, aber hebt fie nicht auf. ‘Der vernünftige Jude,
der alle Vorurtheile aufgebend, durch die Taufe aus einer Genofjen-
Ihaft austritt, die ihm weber Ehre noch (einzelne Fälle ausgenommen)
Bortheil bringt, ift durchaus zu loben, felbft wenn es ihm mit dem
Hriftlihen Glauben Fein großer Ernſt fein ſollte. Um ihm jedoch
auch dieſen Schritt zu erjparen und auf die fanftefte Art von der
Belt dem ganzen tragifomifchen Unmejen ein Ende zu machen, ift
gewiß das befte Mittel, daß man die Ehe zwifchen Juden und Chriften
geftatte, ja begünſtige. Dann wird es über Hundert Jahre nur nod)
ſehr wenige Juden geben. (P. II, 280.) |
Jugend, ſ. Tebensalter.
Juridiſch. Iurisprudenz, |. Recht. Rechtslehre.
Juriſt, ſ. Arzt.
Iurp.
Die Yury, aus dem roheſten engliſchen Mittelalter ftanımend,
it das fchlechtefte aller Criminalgerichte, da nämlich, ftatt gelehrter
und geübter Criminalvichter, welche unter täglicher Entwirrung
der von Dieben, Mördern und Gaunern verjuhten Schliche grau
geworden find und fo den Sachen auf die Spur zu kommen ge-
lernt haben, nunmehr Gevatter Schneider und Handſchuhmacher zu
Gerichte figen, um mit ihrem plumpen, rohen, ungeübten, ja nicht
emmal einer anhaltenden Aufmerkſamkeit gewohnten Verſtande die
Wahrheit aus dem täufchenden Gewebe de Truges und Scheines
herauszufinden, während fie noch obendrein dazwiſchen an ihr- Tuch
und ihr Leder denken und ſich nad Haufe fehnen, vollends aber
vom Unterfchiebe zwifchen Wahrfcheinlichkeit und Gewißheit durchaus
keinen. deutlichen Begriff haben. Auch ift Parteilichkeit zehn mal
382 Jury
mehr von den Standes- Gleichen des Beklagten zu befürchten, als
von ben ihm völlig fremden, in ganz andern Regionen lebenden,
unabfegbaren und ihrer Amtschre fi) bewußten Criminalridhtern.
Nun aber gar die Verbrechen gegen den Staat und fein Oberhaupt,
nebft Prefvergehen, von der Jury richten laffen, heißt recht eigentlich)
den Bod zum Gärtner machen. (P. II, 274 fg.)
Drud von F. A. Brodhaus in Leipzig.
Schopenhauer-Lerikon,
Ein philofophifches Woͤrterbuch,
nach
Arthur Schopenhauers
Mimtfichen Schriften und handſchriftlichem Nachlaß bearbeitet
Zulius Srauenſtädt.
Zweiter Band.
Kaltblätigleit bis Zweites Geſicht.
Leipjig:
F. A. Brodhaus.
1871.
Das UÜeberfeßungsreht ift vorbehalten.
K.
Kaltblütigkeit, ſ. Geiſtesgegenwart.
Kannibalismus, ſ. Unrecht.
Kardinaltugenden.
1) Die beiden Kardinaltugenden.
Die Tugend der Gerechtigkeit und die der Menſchenliebe ſind
die beiden Kardinaltugenden, weil aus ihnen alle übrigen praktiſch her⸗
vorgehen und theoretifch fich ableiten Lafien. Beide wurzeln in bem
natürlichen Mitleid. (E. 213. 230. Bergl, unter Moraliſch: Die
moralifche Triebfeder.)
2) Die Karbinaltugenden bei den alten Philofophen.
Die Gerechtigkeit Haben aud) die Philofophen des Alterthums als
Kardinaltugeud anerkannt, jeboch ihr drei andere unpaſſend gewählte
coordinirt. Hingegen haben fie bie Dienfchenliebe noch nicht als Tugend
aufgeſtellt. Selbit Plato gelangt nur bis zur frenvilligen uneigen-
nügigen Gerechtigkeit. (E. 226.) Bergleiht man mit den tiefgefaßten
orientalifchen Grundbegriffen der Ethik die fo berühmten und viele
taufend Mal wiederholten Platonifchen Karbinaltugenden, Gerechtigkeit,
Zapferleit, Mäßigkeit und Weisheit; jo findet man fie ohne einen
deutlichen, Teitenden Grundbegriff und daher oberflächlich gewählt, zum
Theil fogar offenbar falſch. Tugenden müffen Eigenfchaften des Willens
ſcin; Weisheit aber gehört zunächſt dem Intellect an. Die cu@po-
sun, Mäßigfeit, ift cin gar uubeftimmter und vielbeutiger Ausdruck.
Zapferfeit ift gar Feine Tugend, wiewohl bisweilen ein Diener oder
Werkzeug derfelben; aber fie ift auch eben fo bereit der größten Nichte-
würdigfeit zu dienen; eigentlich ift fie eine Temperamentseigenſchaft.
($. I, 217 fg.)
3) Die Karbinaltugenden des Chriſtenthums.
Das Chriſtenthum hat nicht Kardinal⸗, fondern Theologal- Tugenden:
Glaube, Liebe und Hoffnung. (P. II, 218.)
Sqopenhauer⸗Lexilon. II. 1
x
2 Kartenfpiel — Katalepſie
4) Die Kardinaltugenden der Buddhaiften und der
Chineſen.
Die Buddhaiſten gehen in Folge ihrer tiefern ethiſchen und meia⸗
phyſiſchen Einſichten nicht von Kardinaltugenden, ſondern von Lardinal-
laſtern aus, als deren Gegenſätze, oder Verneinungen, allererſt die
Kardinaltugenden auftreten, nämlich: Keuſchheit (als Gegenſatz der
Wolluſt), Freigebigkeit (als Gegenſatz des Geizes), Milde und Demuth
(als Gegenſatz des Zornes und Hochmuths). (P. II, 217.)
Die Chineſen nennen fünf Kardinaltugenden: Mitleid, Gerechtiglen,
Hoflichkeit, Weisheit und Aufrichtigleit, unter welchen das Mitleid
obenanſteht. (P. II, 218. €. 248.)
artenfpiel, |. Spiel.
Aaſten, |. Inder.
Kaftriren.
1) Was e8 heißt, ein Individuum Faftriren.
Ein Individuum Taftriren, heißt ed vom Baum ber Cattung,
auf welhem es fproßt, abjchneiden und gefondert verborren laſſen;
daher die Degradation der Geiftes- und Xeibesfräfte bes Taftrirten Jn-
dividnums. (W. II, 583. Bergl. auch Genitalien.)
3) Welhen Nuten bie Kaftration gewiffer Individuen
für das Menfchengefchleht Haben könnte,
Aus der Erblichkeit des Charakters vom Vater und des Sntellete
von der Mutter ergiebt fi, daß eine wirfliche und gründliche Beredlung
des Menfchengefchlechts nicht fowohl von Außen als von Innen, alfo
nicht ſowohl durch Lehre und Bildung, als vielmehr auf dem eg:
der Generation zu erlangen fein möchte. Könnte man daher alle
Schurken Faftriren und alle dummen Gänfe in's Klofter ſtecken, hin:
gegen die Männer von edlem Charakter mit den Mädchen von Geil
und Berftand paaren; fo würde bald eine Generation erftehen, die ein
mehr als Periffeifches Zeitalter darftellte. — Auch abgefehen won ſolchen
utopifchen Plänen, ließe fich in Erwägung nehnen, daß, wenn nädft
der Tobeöftrafe die Kaftration als die fchwerfte Strafe beflände,
ganze Stammbäume von Schurken ber Welt erlaffen fein wilden;
um fo gewiffer, als die meiften Verbrechen fchon in dem Alter zwiſchen
zwanzig und breißig Jahren begangen werden. (W. TI, 602.)
Aatalepſie.
In Folge der Beſchreibung der Aerzte erfcheint Katalepſie al)
gänzliche Lähmung der motorifchen Nerven, Sommambulismus hin
gegen als die der fenfibeln, für welcde ſodann das Traumorgan
vicarirt. (B. I, 264, Anmerk.)
Kategorien 3
ategorien.
1) Mißbranch bes Wortes bei den Hegelianern,
Die Hegelianer treiben Mißbrauch wit dem Worte ‚Kategorien‘,
indem fie damit allerlei weite, allgemeine Begriffe bezeichnen, unbe-
fümmert um Ariftoteles und Kant, in glüdlicher Unſchuld. (P. I, 186.)
2) Kritik der Kaut’fchen Kategorientafel.
Die Kant'ſche Kategorientafel fol der Leitfaden fein, nach welchem
jede metaphyfiſche, ja, jede wifjenjchaftliche Betrachtung anzuſtellen ift.
iBergl. Kants Prolegomena, $. 39.) In der That ift fie nicht nur
die Örundlage der ganzen Kantifchen Philofophie und der Typus, nad)
welchem deren Symmetrie überall durchgeführt wird; fondern fie ift
auch vecht eigentlich das Bett des Prokruſtes geworden, in welches
Kant jede mögliche Betrachtung gemwaltthätig hineinzwängt. (W. I,
557—559.) Ä
Das Cauſalitätsgeſetz ift die wirkliche, aber and) alleinige Form des
Berfandes, die übrigen elf Kategorien find nur blinde Fenſter. (W. J,
529. P. I, 100.) Bon den Kategorien find elf zum Tenfter hinaus-
zuwerfen und allein die der aufalität zu behalten. (W. I, 531.)
Tuch den glüdlichen Fund der Apriorität von Raum und Zeit er-
fent, wollte Kant die Aber deſſelben noch weiter verfolgen, und feine
Liebe zum architeltonifchen Symmetrie gab ihm den Leitfaden. Wie
er nämlich der empirifchen Anſchauung eine reine Anfchauung a priori
old Bedingung untergelegt gefunden hatte; ebenfo, meinte er, würden
auch wohl den empirifch erworbenen Begriffen gewiffe reine Be-
griffe ala Borausſetzung in unſerm Erkenntnißvermögen zum Grunde
liegen, und das empirifche wirkliche Denken allererft durch ein reines
Denen a priori möglich fein. Bon jest an war Kant nicht mehr
unbefangen, nicht mehr im Zuftande des reinen Forſchens und Beob-
ahtens des im Bewußtſein Borhandenen; fondern er war durch eine
Borausfegung geleitet, und verfolgte eine Abficht, nämlich die, zu finden,
was er vorausjegte, um auf die jo glüdlich entdedte transſcendentale
Aeſthetik eine ihr analoge, aljo ihr ſymmetriſch entjprechende trans⸗
ſcendentale Pogit als zweites Stockwerk aufzufegen. Hiezu nun verfiel
er auf die Tafel der Urtheile, aus welcher er, fo gut es gehen wollte,
die Kategorientafel bildete, als bie Lehre von zwölf reinen Be⸗
griffen a priori, welche die Bedingung unfere Dentens eben der
Dinge fein follten, deren Anſchauung durch die zwei Formen ber
Simlichkeit a priori bedingt ift; fymmetrifch entſprach alfo jett der
reinen Sinnlichkeit ein reiner Berftand. Danad) fuchte er
mittelft der Annahme des Schematismus der reinen Verſtandes⸗
begriffe die Plaufibilität der Sache noch zu erhöhen. Hütte er hingegen,
wie bei der Entdedung der Anſchauung a priori, auch hier fich unbe»
fangen und rein betrachtend verhalten; fo müßte er gefunden haben,
daß was zur reinen Anfchauung des Raumes und der Zeit hinzu⸗
kommt, wenn aus ihr eine empirische wird, einerſeits die Enipfindung
- ı*
4 Kategorifcher Imperatid — Katholicismus
und andererſeits die Erkenntniß der Gaufalität ift, welche die bofe
Empfindung in objective empirische Anfchauung verwandelt, eben deshalb
aber nicht erft aus diefer entlehnt und erlernt, fondern a priori ver:
handen und eben die Form und Function des reinen Berftandes it,
aber auch feine einzige, jedoch eine fo folgenreiche, daß alle empiriſche
Erkenntniß auf ihre beruht. (W. I, 532-535.) Tür die Begrifie
dürfen wir feine andere a priori beftinnmte Yorm annehmen, ale de
Fähigfeit zur Reflerion überhaupt, deren Weſen die Bildung der de
griffe, d. i. abftracter, nicht anfchauliher Vorſtellungen ift, melde die
einzige Yunction dev Bernunft ausmacht. (W.I, 531.) Die gan
reflective Erfenntniß, oder die Vernunft, bat nur eine Haupiforn,
und dieſe ift der abftracte Begriff. Die Vereinigung der Begriffe zu
Urtheilen hat aber gewifje beftimmte und gefetliche Formen, welche,
durch Induction gefunden, die Tafel der Urtheile ausmachen. Tiie
Formen find größtentheil® abzuleiten aus der reflectiven Erkenntnißart
felbft, aljo unmittelbar aus ber Bernunft. Andere von diefen Formen
haben aber ihren Grund in der anfchauenden Erkenntnißart, aljo in
Berftande, geben aber deshalb keineswegs Anweiſung auf eben jo
viele befondere Formen des Berftandes; fondern find ganz und gar
aus der einzigen Function deflelben, nämlich der unmittelbaren Er—
tenntniß von Urſach und Wirkung abzuleiten. Noch andere von jenen
Formen endlich find entftanden aus dem Zufammentreffen und dr
Berbindung der reflectiven und der intuitiven Erkenntnißan, oder
eigentlich aus der Aufnahme diefer in jene. ine Debuction von
Kategorien aus ben Urtheilsformen ift daher unftatthaft, und die
Annahme diefer ift eben fo grunblos, als ihre Darftellung verworn
und fich jelbft widerftreitend. (W. I, 589—557.)
Mategorifcher Imperativ, f. unter Moral: Kritik der imperativn
Form der Moral. |
Rathederphilofophie, j. Univerſitätsphiloſophie. |
Katholictsmus.
1) Der Ratholicismus in ethifher Hinſicht der
gliden mit dem Proteftantismus, Ä
Der Proteftantismus bat, indem er die Askeſe und deren Gentral:
Punkt, die Berbdienftlichkeit des Cölibats, eliminirte, eigentlich ſchou den
innerften Kern des Chriſtenthums aufgegeben und ift infofern als cm
Abfall von demfelben anzujehen. Luther mochte, vom praltiice
Standpunkte aus, d. h. in Beziehung auf die Stirdhengräuel je
Zeit, die er abflellen wollte, ganz Recht haben; nicht aber ebenjo vom
theoretifchen Standpunkte aus. Je erhabener eine Lehre ift, befto mer |
fteht fie, der im Ganzen niedrig und ſchlecht gefiunten Dienfchenmatut
gegenüber, dem Mißbrauch offen; darum find im Katholicismus det
Mißbräuche fo jehr viel mehr und größere, als im Proteftantismud.
So 3.8. ift da8 Mönchsthum, diefe methodische und, zu gegenfetiget
Kaufleute 5
Ermuthigung, gemeinfam betriebene Verneinung des Willens, eine An-
Rolt erhabener Art, die aber eben darım meiftens ihrem Geiſte untren
wird. Die empörenden Mifbräuche der Kirche riefen im redlichen
Geiſte Luthers eine hohe Indignation hervor. Aber in Folge derfelben
tom er dahin, vom Chriſtenthum felbft möglich viel abdingen zu wollen,
zu welchem Zweck er zunächſt e8 auf die Worte der Bibel befchränfte,
dann aber auch im wohlgemeinten Eifer zu weit ging, indem er, im
asletiſchen Princip, das Herz defjelben angrifl. Denn nad) dem Aus-
treten des asketiſchen Princips trat nothwendig bald das optimiftifche
an feine Stelle, — ein Grundirrthum, der in den Religionen, wie in
ber Philofophie, aller Wahrheit den Meg vertritt. Nach dem allen
iheint der Katholicismus ein ſchmählich mißbrauchtes, der Proteftan«
tiſmus aber ein ausgeartetes Chriftenthun zu fein, das Chriftenthun
überhaupt alfo das Schidfal gehabt zu haben, dent alles Edle, Erhabene
md Große anheim fällt, fobald es unter Menfchen beftehen fol.
W. Il, 716fg. P. II, 415.) Der Katholicismus ift eine Anweifung
ten Simmel zu erbetteln, welchen zu verdienen zu unbequem wäre.
Die Pfaffen find die Vermittler diefer Bettelei. (WM. 349.)
2) Der Katholicismus im intellectueller Hinficht
verglihen mit dem Proteftantismus.
In den proteftantifchen Kirchen ift der angenfälligfte Gegenftand die
Kanzel, in den Fatholifchen der Altar. Dies fyumbolifirt, daß der
Proteſtantismus ſich zunächft an das Verftändniß wendet, der Katho-
litamus an den Glauben. (9. 434.)
Ale Superftitionen haben den gar nicht zu verachtenden Gewinn,
daß fie durch die imaginäre Welt, die fie Schaffen, den Gläubigen in
Umgang mit Dämonen, Göttern und Heiligen bringen, — ein Umgang,
der beftändig die Hoffnung unterhält und, durch den Reiz der Täu—
ſchung, oft intereffanter wird, als der Umgang mit wirflichen Wefen.
Toraus erflärt es fich, warum der Katholicismus zauberifcher wirkt,
old der Proteftantismus. (W. I, 380 fg. 9. 426 fg.)
Die Yatholifche Kirche hat, richtig erfennend, daß der Theismus
in dem Maaße ſchwinden muß, als die phufifche Aftronomie popularifirt
wird, confeguenter Weiſe das Kopernikaniſche Syften verfolgt, worüber
daher fi fo fehr und mit Zetergefchrei über die Bebrängniß des
Galilei zu verwundern einfältig if. (P. I, 56. 127.)
Kaufleute.
Unfere civilifirte Welt ift nur eine große Maskerade, unter deren
Masten meiftens Lauter Imduftrielle, Handelsleute und Spekulanten
Neden. In diefer Hinfiht machen den einzigen ehrlichen Stand bie
Kaufleute aus; da fie allein fi, für Das geben, was fie find, fie
N alfo unmasfirt herum, ftehn daher aud niedrig im Rang.
P. I, 225 fg.)
Anf Kaufleute ift die eubämonologifche Regel in Betreff der
6 Ranfalität — Klar j
Erhaltung des Bermögens (vergl. Bermögen, wicht anwendbar; dem
ihnen ift das Geld felbft Mittel zum fernen Erwerb, gleichſam Hant-
werfögeräth; daher fie, auch wenn es ganz vom ihuen jelbfi erworben if,
es fich, durch Benutzung, zu erhalten und zu vermehren juchen. Demgemäk
ift in feinem Stande der Reichthum fo eigentlih zu Haufe, wie in
diefem. (P. I, 368.)
Maufalität, ſ. Urfade.
Kenner, |. unter Anticipation: Anticipation in der Kunfl.
Aenntnuiſſe.
Kenntniſſe und Nachdenken verhalten ſich zu der eigenen Erfahrung
wie der Kommentar zum Tert. Biel Nachdenken und Kenntniffe, bei
wenig Erfahrung, gleicht den Ausgaben, deren Seiten zwei Zeilen Tat
und vierzig Zeilen Commentar darbieten. Biel Erfahrung, bei wenig j
Nachdenken und geringen Kenntniffen, gleicht den bipontinifchen Ans: }.
gaben ohne Noten, welche Bieles unverftanden laſſen. (PB. I, 445.) H
Meufchheit, |. Askeſe.
Kind, Aindheit, |. Lebensalter.
Kirche.
1) Gegenwärtiger Zuftand der Kirche. |
Eine Tängft prophezeite «Epoche ift eingetreten: bie Kirche wanlt, |
wankt fo ſtark, daß es fich frägt, ob fie den Schwerpunkt wiederfinden
werde; denn der Glaube ift abhanden gelommen. Iſt es doch mit f
dem Lichte der Offenbarung wie mit andern Lichtern: einige Dimkel: 1
beit ift die Bebingung. Die Zahl Derer, welche ein gewifier Grat
und Umfang von Senntniffen zum Glauben unfähig macht, ift bedenl-
ih groß geworben. Da wird es Ernft mit dem Verlangen nad
PHilofophie, und es bebarf einer ernftlich gemeinten, d. 5. einer auf 1
Wahrheit gerichteten Philoſophie. (©. 122.)
2) Barum die Kirche zu allen Zeiten die Magie ver-
folgt Bat.
Der graufame Eifer, mit welchem, zu allen Zeiten, die Kirche bie
Magie verfolgt hat, und von welchem der päpftliche Malleus malehi-
carum ein furchtbares Zeugniß ablegt, fcheint nicht blos auf den oft
mit ihr verbundenen verbrecheriſchen Abfichten, noch auf der voraus⸗
geſetzten Holle des Teufel® dabei, zu beruben; fondern zum Theil
bervorzugehen aus einer dunkeln Ahndung und Beſorgniß, daß die
Magie die Urkraft an ihre richtige Duelle zurück verlege, während die
Kicche ihr eine Stelle außerhalb der Natur angewieſen hatte. (N. 127.)
(Ueber die Verfolgung des Kopernikaniſchen Syſtems durch die Kirche
ſiehe: Katholicismus.)
Alar, ſ. unter Begriff: Begriffelategorien.
Haffler — Kleidung 7
Alaſſiker.
1) lung ber Lectüre der alten Klaſſiker auf den
eift.
Es giebt Teine größere Erquidung für den Geift, als die Lectüre
der alten Klaſſiler; fobald man irgend einen von ihnen, unb wäre es
audh nur anf eine halbe Stunde, in die Hand genommen hat, fühlt
man alsbald ſich erfrifcht, erleichtert, gereinigt, gehoben und geftärkt,
nicht anders, als hätte man an ber frifchen yelfenquelle fich gelabt.
Liegt dieß an den alten Sprachen und ihrer Vollkommenheit, oder an
ber Größe der Geifter, deren Werke von den Sahrtaufenden unverfehrt
und ungeſchwächt bleiben? Bielleicht an Beiden zufammen. (P. II, 597.)
2) Barum von den alten Klaſſikern neben ihren guten
Schriften nit auch noch ſchlechte vorhanden find.
Daß wir aus dem Altertfume Klaſſiker haben, d. h. Geifter, deren
CS hriften im umvermindertem Jugendglanz durch die Jahrtauſende gehen,
Iommt großentheild daher, daß bei den Alten das Bitcherfchreiben Fein
Erwerbszweig geweſen ift; ganz allein hieraus aber ift e8 abzuleiten,
daß von diefen Klaſſikern neben ihren guten Schriften nicht aud) noch
Ihlehte vorhanden find; indem fie nicht, wie felbft die beften unter
den Neueren, nachdem der Spiritus verflogen war, noch das Phlegma
zu Markte trugen, Gelb dafür zu löfen. (P. II, 462.)
(Bergl. auch die Alten.)
Alaſſiſche Poeſte, f. unter Poeſie: Unterjchied zwiſchen klaſſiſcher
und romantiſcher Poeſie.
tleidung.
1) Die Kleidung als allegoriſcher Ausdruck des Fun-
bamentalunterjdiedes zwifchen Menſch und Thier.
Es giebt in ber Welt nur ein lilgenhaftes Wefen: es ift der
Menſch. Jedes andere ift wahr und aufrichtig, indem es fich unver-
holen giebt als Das, was es ift, und ſich Außert, wie es fich fühlt.
Gin emblematifcher, oder allegoriſcher Ausdrud diefes Yundamental-
unterfchtebes ift, daß alle Thiere in ihrer natitrlichen Geftalt umhergehen,
was viel beiträgt zu dem fo erfreulichen Eindrud ihres Anblide; wäh-
rend der Menſch durch Kleidung zu einem Fratz, einem Monſtrum
gemorden iſt, deffen Anblid ſchon dadurch widerwärtig if. — Die
Griechen befchränkten die Kleidung möglihft, weil fie es fühlten
($. U, 618. 171.) .
2) Gegenjfag zwifhen unjerer Kleidung und der
Kleidung der Alten.
‚ Saft auf alle unfere Stellungen und Gebärden hat unfere Kleidung
einen gewiflen Einfluß, nicht eben fo die der Alten, welche vielleicht
isrem äfthetifchen Sinne gemäß, durch das Vorgefühl eines ſolchen
8 Hein — Klofter. Kioflerleben
Uebelftandes mit bewogen wurden, ihre weite, nicht anfchließende Meidui
beizubehalten. Deshalb hat ein Schaufpieler, wann er antiles Koſtin
trägt, alle die Bewegungen und Stellungen zu vermeiden, welche irgat-
wie durch unfere Kleidung veranlagt und daun zur Gewohnheit gewerten
find; doch braucht er deshalb ſich nicht zu fpreigen und zu blähen,
wie cin franzöftfcher, feinen Racine tragirender Hanswurft in Zoge
und Tunika. (P. II, 438.)
Der edle Sinn und Geſchmack der Alten fuchte den aus ber Be—
Heidung entjpringenden Uebelftand (die Yragenhaftigfeit) dadurch zu
milderu, daß die Belleidung möglichft leicht war und fo geftaltet, dar
fie nit, eng anfchliegend, mit dem Leibe zu Eins verſchmolz, ſondern
als ein Fremdes aufliegend gefondert blieb und die menſchliche Geftalt
in allen Theilen möglich|t deutlich erfennen ließ. Durch den entgegen:
gefeßten Sinn ift die Kleidung des Mittelalters und der neuen Zei
gefchmadlos, barbariſch und widerwärtig. Aber das Wibertvärtigite
ift die Heutige Kleidung der, Damen genannten Weiber, welche, der
Geſchmackloſigkeit ihrer Urgroßmiütter nachgeahmt, die möglichft großt
Entftelung der Menfchengeftalt liefert. (P. II, 171.)
3) Die Belleidung in der Sculptur. (S. unter Sculy:
tur: "Die Bedeutung der Draperie in ber Sculptur.)
Mlein, |. Größe.
Aloſter. Mloflerleben:
1) Normalbegriff des Klofters.
Ein Klofter ift ein Zufammentreten von Menfchen, die Armutt,
Keufchheit, Gehorſam (d. i. Entfagung dem Eigenwillen) gelobt hab
und fich durch das Zuſammenleben theild die Eriftenz felbft, noch mehr
aber jenen Zuftand ſchwerer Entfagung zu erleichtern fuchen, indem de
Anblid Ähnlich Gefinnter und auf gleiche Weife Entfagender ihren
Entſchluß ftärkt und fie tröftet, ſodann die Gefelligfeit des Zufammen-
Ichens in gewiffen Schranken ber nıenfchlichen Natur angemeffen und
eine unſchuldige Erholung bei vielen ſchweren Entbehrungen ifl. Dies
ift der Normalbegriff der Klöfter. (PB. II, 340.)
2) Innerer Geiſt und Sinn des ächten Kloſterlebens.
Der innere Geift und Sinn des ächten SM lofterlebens, wie ber Ale
überhaupt, ift diefer, daß man fic eines beffern Dafeins, als unieres
ift, würdig und fähig erfannt Hat und diefe Ueberzeugung dadurch be
fräftigen und erhalten will, daR man, was dieſe Welt bietet, verachtet,
alle ihre Genüffe als werthlos von fi wirft und nun das Enke
diefes, feines eiteln Köders beraubten Lebens mit Ruhe und Zuverſicht
abwartet, um einft die Stunde des Todes, als die der Erlöfung, wil-
kommen zu heißen. (P. II, 340.)
King. Klugheit 9
3) Ausartung des Klofterleben®.
Der Urfprung des Mönchthums war an fi) rein und heilig, aber
eben darıım dem größten Theil der Menfchen ganz unangemefien, daher
das fi) daraus Entwidelnde nur Heuchelei und Abfcheulichfeit fein
fonnte; denn abusus optimi pessimus. (W.], 457; U, 716.) Bei
feiner Sache entſpricht die, Praxis fo felten der Theorie, wie |beim
Mönchsthum, eben weil der Grundgedanke deffelben fo erhaben ift.
Fin ächter Mönch iſt ein höchſt ehrwitrdiges Weſen; aber in den
allermeiften Fällen if die Kutte cin bloßer Maskenanzug, in welchem
jo wenig wie in dem auf der Maskerade ein wirklicher Mönch ſteckt.
(P. II, 341.)
Alug. Mlugheit.
1) Wefen der Klugheit.
Die Klugheit ift Schärfe des Verftandes im feiner praftifchen An-
wendung. Die Schärfe ded Berftandes im Auffaffen der caufalen
Beziehungen der mittelbar (d. h. mittelft de8 Leibes, des unmittel-
baren Objects) erkannten Objecte findet nämlich ihre Anwendung nicht
allein in der Naturwiſſenſchaft, beren ſäͤmmtliche Entdedungen ihr zu
verdanken find; fondern auch im praftifchen Xeben, wo fie Klugheit
heißt; da fie Hingegen im der erftern Anwendung beffer Scharffinn,
Penetration und Sagacität genannt wird. Genau genommen bezeichnet
Kingheit ausfchlieglich den im Dienfle des Willens fteheuden Ver⸗
Hand. (W. 1, 25fg. ©. 78. 5.8.) In der Vollkommenheit der
unmittelbaren Auffaffung der Cauſalitätsverhältniſſe beftcht alle
Ueberfegenheit des Berftandes, alle Klugheit, Sagacität, Penetration,
Scharffinn; denn jene Liegt aller Kenntniß de8 Zufammenhanges
der Dinge, im meiteften Sinne des Wortes, zum runde Ihre
Schärfe und Richtigkeit macht den Einen verftändiger, klüger, fchlauer
als den Andern. (E. 149.) Scharfe Auffaffung der Beziehungen
gemäß dem Gefete der Caufalität und Motivation macht die Klugheit
aus. (W. I, 223.)
2) Formen der Klugheit.
Die praktifche Anwendung des Verſtandes, welche das Weſen ber
Klugheit ausmacht, wird, wenn fie mit Weberliftung Anderer gefcieht,
-Schlauheit genannt; wenn feine Zwede fehr geringfiigig find,
Piffigkeit; wenn fie mit dem Machtheil Anderer verfnitpft find,
Verſchmitztheit. (©. 78.)
3) Unterſchied zwiſchen „klug“ und „vernünftig‘.
Die Schärfe des Berftandes in Auffaffung der caufalen Berhältnifie,
in deren praftiicher Anwendung die Klugheit befteht, kann nicht durch ab-
fracte Begriffe, welche das Werk der Bernunft find, beigebracht werden;
daher vernünftig fein und klug fein zwei fehr verfchiedene Eigenfchaften
find. (F. 8.) Vernunft hat jeder Tropf; giebt man ihm bie Prä-
10 Knabe — AMbvuigthum
miflen, fo vollzieht er den Schluß. Aber der Verſtand liefert die
primäre Erlkenntniß, folglich die intuitive, und da liegen die Unter:
fhiede. Die höchſt verfchiedenen Grade feiner Schärfe finb angeboren
und nicht zu erlernen. (G. 78.)
4) Segenfag zwifhen dem Klugen und Genialen.
Da ſcharfe Auffaffung ber Beziehungen gemäß den Geſetze der
Sanfalität und Motivation eigentlich die Klugheit ausmacht, bie geniale
Erlenntniß aber nicht auf die Relationen gerichtet ift (vergl. Genie);
fo wird ein Kinger, fofern und während er es ift, nicht genial, mb
ein Genialer, fofern und während er e& ift, nicht Hırg fein. (8.1, 223.)
Der Blick der Klugheit, felbft der feinſten, ift von dem der Genialität
dadurch verfchieden, daß er das Gepräge des Willensbienftes trägt, de
andere Hingegen davon frei if. (P. II, 676 fg.)
5) Gefährlichkeit der Klugheit.
Nicht wer grimmig, fondern wer Hug dreinichaut, fieht furchtbar
und gefährlich aus, — fo gewiß des Menſchen Gehirn eine furditbarer
Waffe ift, als die Klaue des Löwen. (P. J, 505.)
6) Die Klugheit, vom ethiſchen Staudpunkt aus be
trachtet.
Alles zeitliche Glück ſteht und alle Klugheit wandelt — auf unter⸗
grabenem Boden. Sie ſchützen zwar die Perſon dor Unfällen und
verſchaffen ihr Genüſſe; aber die Perſon iſt bloße Erſcheinung. Für
die das principium individuationis durchſchauende Erkenntniß iſt cin
glückliches Leben in der Zeit, vom Zufall geſchenkt, ober ihm durch
Klugheit abgewonnen, mitten unter den Leiden unzähliger Anderer —
doch nur der Traum eines Bettlers, in welchem er ein König ift, aber
aus dem er erwachen muß. (W. I, 417 fg.)
Mnabe, |. Lebensalter.
Aomödie, ſ. Luftipiel.
Aompendienſchreiber, ſ. Schriftſteller.
Aompilatoren, ſ. Schriftſteller.
Aomponiſt, ſ. unter Muſik: Der Komponiſt.
Aonception, ſ. unter Kunſtwerk: Konception des Kunftwerfe.
Königthum.
1) Hiftorifher Urfprung bes Königthums. (©. unter
Fürſten: Was die Fürſten urfprünglicd waren und was
fie jpäter wurden.)
2) Grundidee und Werth des Königthums.
Der große Werth, ja bie Grundidee des Königthume liegt berin,
daß, weil Menſchen Menſchen bleiben, Einer fo hoch geſtellt, ihm fo
Konkrete — Konflitutionalismus 11
viel Macht, Reichthum, Sicherheit und abfolute Unverletzlichleit gegeben
werden muß, daß ihm für fich nichts zu wünſchen, zu hoffen und zu
fürchten bleibt; wodurch der ihm, wie Jedem, inmohnende Egoismus
gleichſam durch Neutrafifation vernichtet wird, und er nun, gleich als
wäre er fein Menſch, befähigt iſt, Gerechtigkeit zu tiben und nicht mehr
jein, fondern allein das öffentliche Wohl im Auge zu haben. Dies ift
der Urſprung des gleichfam übermenfchlichen Wefens, welches überall
bie Königswlirbe begleitet und fie fo himmelweit von der bloßen
Präfidentm nuterſcheidet. (W. II, 681 fg.)
3) Borzug des erbliden vor dem wählbaren König—
thum.
Aus der beſagten Grundidee geht hervor, daß die Köonigswürde
erblih, nicht wählbar fein muß; theils damit Seiner im König feines
Gleichen fehen könne, theild damit diefer fiir feine Nachkommen mır
dadurch forgen kann, daß er für das Wohl des Staates forgt, als
weldhes mit dem feiner Familie ganz Eines if. (W. II, 682.) Der
König kann der fefte, unerſchütterliche Pfeiler der ganzen gefeßlichen
Ordiung nıre werben vermöge feine angeborenen Borredhts, welches
ihm, und nur ihm, eine Auctorität giebt, der Feine gleich kommt, die
nicht bezweifelt und angefochten werben kann, ja, ber ein Jeder wie
inflinctiv gehorcht. (P. II, 265. M. 198.) Darauf, daß es eine
Familie giebt, deren Wohl von dem bes Landes ganz unzertrennlich
ft; fo daß fie, wenigftens in Hauptſachen, nie das Eine ohne das
Andere befördern Tann, beruft die Kraft und ber Vorzug ber erblichen
Monarchie. (W. I, 406. P. U, 272.)
Konkrete, das.
Die Verbindung der Form mit der Materie, ober der Essentia.
mit der Existentia, giebt da8 Konkrete, welches ſtets ein Einzelnes
iſt, alfo dag Ding (W. II, 49. P. U, 454)
(Ueber den Gegenfag zwifchen konkreten und abftracten Begriffen
fiehe unter Begriff: Begriffsfategorien.)
Konkubinat.
In Hinfiht auf die aus der monogamifchen Einrichtung entfpringenbe
übele Lage der Werber (f. Ehegeſetze unter Ehe) ift des Thomaſius
grundgelehrte Abhandlung de concubinatu Höchft Iefenswerth, indem
man darans erfieht, daR, unter allen gebildeten Bölfern und zu allen
Zeiten bis auf bie Lutherifche Reformation herab, das Konkubinat eine
erlaubte, ja, in gewiflen Grabe fogar gefeglich anerlannte und von
feiner Unehre begleitete Einrichtung gewefen ift, welche von biefer Stufe
blos durch die Lutherifche Reformation herabgeftoßen wurde, als welche
hierin ein Mittel mehr zur Rechtfertigung der Ehe der Geiftlichen er⸗
fannte. (®. IL, 659; I], 389.)
Konflitutiowalismns, f. unter Fürſten: Die konſtitutionellen Fürſten.
12 Konverfation — Kopf
Aonverfation, |. Geſpräch.
Konvertiten.
Nur die Kindheit, nicht das Mannesalter, ift die Zeit, die Saat
des Slaubens zu füen, zumal nicht, wo fehon ein früherer wurzelt; die
gewonnene Ueberzeugung aber, welche erwachſene Konvertiten vor:
geben, ift in der Regel nur die Maske irgend eines perſönlichen In-
tereſſes. Eben weil man fühlt, daß Dies faft nicht anders fein Fönne,
wird tiberall ein Menſch, der im reifen After feine Religion wechſelt,
von den Meiften verachtet; gleichwohl legen eben diefe dadurch an ben
Tag, daß fie die Religion nicht für Sache vernünftiger Weberzengung,
fondern blos des früh und vor aller Prüfung eingeimpften Glaubens
halten, (B. II, 351 fg.)
Kopf.
1) Berhältniß des Kopfes zum Rumpfe bei den Thieren
und beim Menſchen.
Während bei den Thieren die Dienftbarfeit der Erfenntniß unter dem
Willen nie aufzuheben ift, tritt bei den Menſchen folche Aufhebung
ausnahmsweiſe in der äfthetifchen Contemplation ein. Dieſer Unter-
fchied zwiſchen Menſch und Thier ift äußerlich ausgedrüdt durch bie
Berfchiedenheit des Verhältniffes des Kopfes zum Rumpf. Bei den
unteren Thieren find beide noch ganz verwachfen; bei allen ift ber Kopf
zur Erde gerichtet, wo die Objecte des Willens liegen; felbft bei ben
oberen find Kopf und Rumpf nod) viel mehr Eines, als beim Die
ſchen, deſſen Haupt den Leibe frei aufgefet exfcheint, nur von ıhm
getragen, nicht ihm dienend. Diefen menfchlichen Vorzug ftelt im
höchſten Grade der Apoll von Belvedere dar. (W. I, 209.)
2) Verhältniß des Kopfes zum Herzen. (©. unter Herz:
Gegenſatz zwifchen Herz und Kopf.) .
3) Berhältniß des Kopfes zu den Genitalien. (S. dr
nitalien.)
4) Unterfchied der Köpfe.
Machiavelli hat Recht, wenn er, — wie ſchon vor ihm Heſiodns
(soya, 293), — jagt: „es giebt breierlei Köpfe: erftlich folche, welche
aus eigenen Mitteln Einficht und Verſtand von den Sachen erlangen;
dann folche, die das Rechte erkennen, wenn Andere es ihnen darlegen;
. endlich folche, welche weder zum Einen, noch zum Andern fähig find.”
(Il principe, c. 22.) (©. 51.fg. H. 458 fg. M. 184 fg.)
5) Warum e8 fo fhwer ift, unter aufregenden Um:
ftänden den Kopf oben zu behalten.
Beil der Intellect ein bloßer Sclave und Leibeigener des Willen
ift und daher vom Willen leicht bei Seite gefchoben wird, während er
feinerfeit8 mit der äußerften Anftrengung kaum vermag, den Wilen
auch nur zu einer kurzen Paufe zu bringen, um zum Worte zu
Kopula — Körper. Körperwelt 13
lommen, — deshalb find bie Leute fo felten und werden faft nur unter
Spanien, Türken und allenfalls Engländern gefunden, welche and
unter den probocirendften Umftänden den Kopf oben behalten, die
Auffoffung und Unterſuchung der Sadjlage imperturbirt fortfegen;
welches etwas ganz Anderes ift, als die auf Phlegma und Stumpfheit
beruhende Gelafienheit vieler Deutfchen und Holländer. (W. II, 238.
Bergl. auch Affect.)
Kopula.
Die Beftimmung der Kopula „it — ift nicht“ iſt, das Bereint-
oder Getrenntjein zweier Begriffsfphären auszudrüden. Durch diefelbe
it jedes Verbum mittelft feines Particips ausdrüdbar. Daher befteht
alles UrtHeilen im Gebrauch eined Berbi, und umgekehrt. Demnach
it die Bedeutung der Kopula, daß im Subject das Prädicat mitzu-
denfen ſei — nichts weiter. (W. II, 114 fg.)
Koran, |. Islam.
Körper. Mörperwelt.
1) Die ideale Form und der reale Gehalt der Körper:
welt.
Die Körper legen durch die manmigfaltige Berfchiedenheit ihrer
Qualitäten und deren Wirfungen an den Tag, daß fie nicht blos
ideal find, fondern zugleich ein objectiv Reales, ein Ding an fih
jelbft, in ihnen fich offenbart, jo verfchieden ſolches auch von dieſer
jeiner Erfcheiuung fein möge. (P. II, 42.) Kein Körper Tann ohne
ihm inwohnende Kräfte fen, die eben feine Dualität ausmachen.
(®. I, 351). Kraft aber am’ fich felbft ift Wille (Dafelbft).
Bei der objectiven Auffafjung der Körperwelt giebt der Intellect
die jämmtlichen Formen derfelben aus eigenen Mitteln, nämlich Zeit,
Raum und Caufalität, und mit biefer auch den Begriff der abftract
gedachten, eigenfchafte- und formlofen Materie, die als ſolche in der
Erfahrung gar nit vorfommen kann. Sobald nun aber der Intellect,
mittelft diefer Formen, und in ihnen, einen (ſtets nur von der Sinnes⸗
empfindung ausgehenden) realen Gehalt, d. h. etwas von feinen eigenen
Erlenntnißformen Unabhängiges fpürt, welches nicht im Wirken
überhaupt, fondern in einer beftimmten Wirkungsart ſich kundgiebt;
jo ift e8 Dies, was er als Körper, d. h. als geformte und fpecifilch
beflimmte Materie feßt, welche alfo als ein von feinen Formen Unab- .
hängiges auftritt, d. 5. als ein durchaus Objectives. Hiebei hat man
ſich aber zu erinnern, daß die empirisch gegebene Materie ſich überall
nu durch die in ihr fich änßernden Kräfte manifeftirt; wie auch um⸗
gefehrt jede Kraft immer nur als einer Materie inhärirend erkannt
wird; Beide zufammen machen ben empiriſch realen Körper aus.
Alles empirisch Reale behält jedoch transfcendentale Idealität. “Das
in eimem folchen empirifch gegebenen Körper, alfo in jeder Erfcheinung,
ſich darftellende Ding an ſich ſelbſt it Wille. (P. I, 113 fg.)
14 Korporifatiin — Kosmogonie
Kants vwidtigfte und glänzendfte Grundlehre, die von ber Ibealität
bes Raumes und ber blos phänomenalen Eriftenz ber Körper:
welt findet ſich ſchon dreißig Jahre früher ausgelprocken bei Mar⸗
pertuis. (W. I, 57.)
2) Die Bewegung der Körper.
Der Blatonifche Gegenſatz zwifchen dem fich von innen Bewegenden
(Seele) und Dem, was bie Bewegung nur von aufen empfängt
(Körper) — ein Gegenſatz, der bis in die neuefle Zeit hereim vor:
fommt — ift falſch, da es nicht zwei grundverſchiedene Urfprünge der
Bewegung giebt, fondern Beides, die Bewegung von innen umd von
außen, unzertrenulich ift umd bei jeder Bewegung eines Körpers zugleid
Statt findet. (N. 84 fg. Vergl. Bewegung.)
3) Die Anſchauung der Körper.
Der Berftand iſt e8, der die Empfindung beim Sehen in Anſchanung
umarbeitet und aus den durcd die Empfindung gewonnenen bloßen
Flächen Körper conftruirt, alfo die dritte Dimenſion hinzufügt, indem
er die Ausdehnung der Körper in berfelben, in dem ihm a priori be⸗
wußten Raume, nad) Maßgabe der Art ihrer Einwirkung auf dad
Auge und der Örabationen des Lichtes und Schatten, caufal beurteilt.
Während nämlich die Objecte den Raum in allen dreien Dimenfionen
füllen, !önnen fie auf das Auge nur mit zweien wirken; die Empfindung
beim Sehen ift, in Folge der Natur des Drganes, bloe planimetrijd,,
nicht ftereometriih. Alles Stereometriiche ber Anfchauung wird vom
Berftande allererft Hinzugethan, feine alleinigen Data hiezu find die
Richtung, in der das Auge den Eindrüd erhält, die Gränzen deſſelben
und bie verjchiedenen Abftufungen des Hellen und Dunfeln, welde
unmittelbar auf ihre Urfachen deuten und wonach wir erfennen, ob
wir 3. B. eine Scheibe, ober eine Kugel, vor uns haben. (©. 64.)
Könnte Iemand, der vor einer fchönen weiten Ausficht fteht, auf einen
Augenblid alles Berftandes beraubt werben, fo würde ihm von ber
ganzen Ausficht nichts übrig bleiben, als die Empfindung einer jehr
mannigfaltigen Affection feiner Retina, den vielerlei Farbenfleden auf
einer Malerpalette ähnlich, — welche gleichfam der rohe Stoff ift, aus
welchem vorhin fein Berftand jene Anfchauung ſchuf. (5. 9.)
(Ueber bie als Kürpererfcheinung ſich darftellende Geiftererfcheinung
f. Geiſter.)
Morporifation, |. Leib.
KRosmogonie.
1) Vorläufer der Kant-Laplace'ſchen Kosmogonie.
Die Kant⸗Laplace'ſche Kosmogonie hat bereitS in der vorſokratiſchen
Philoſophie verfchiedene Vorläufer gehabt. (P. I, 40 fg.)
Kosmologifcher Beweis — Kraft : 15
2) Wahrheit der Kant-Laplace'ſchen Kosmogonie.
An der Richtigkeit der fo fcharffiimigen, zuerft von Kant und
Ipäter von Laplace aufgeftellten Theorie der Entftehung des Planeten-
ſyſtens zu zweifeln ift faum möglid. (8. II, 368.) Die Wahr-
ſcheinlichkeit dieſer Theorie fteht der Gewißheit fehr nahe: (P.I, 228.)
Die Wahrheit derfelben beruht nicht allein auf der von Laplace
urgirten Grundlage des räumlichen Verhältniſſes, daß nämlich 45
Veltförper ſümmtlich nach einer Richtung circuliren und zugleich nad)
eben derfelben rotiren; fondern fie hat eine noch feitere Stüge an dem
zeitlichen Verhältniß, welches durch das erfte und dritte Kepplerfche
Geſetz ausgebrüdt wird. (P. IL, 144 fg.)
3) Zwei metaphyfifhe Betradhtungen, zu denen die»
felbe Anlaß giebt.
Die Kant-Laplace'fche Kosmogonie giebt zu zwei metaphufiichen Be⸗
trahtungen Anlaß. Erſtlich zu ber, daß im Weſen aller Dinge eine
bewunderungswürdige Zufanmenflimmung der wirfenden mit den
Zwedurſachen begründet if. (P. IL, 148 fg. 154. W. II, 368 fg.);
jweiten® bie, daß eine noch fo weit reichende phyfifche Erflärung der
Entſtehung der Welt dennoch nie das Verlangen nach einer meta-
phyſiſchen aufheben, ober die Stelle derfelben einnehmen Tann, da,
ie weiter man der Erjcheinung auf die Spur gelommen ift, man
defto deutlicher merkt, daß man es nur mit einer ſolchen und nicht mit
dem Weſen der Dinge an ſich felbft zu tun Bat. (PB. I, 149—152.
®. II, 191 ff. Bergl. auch Antinomie.)
Assmologifcher Beweis, des Daſeins Gottes. (S. unter Gott:
die Beweiſe für das Dafein Gottes.) i
Kraft.
1) Unterfdied zwifhen Kraft und Urſache.
Ya Folge der zu weiten Faſſung des Begriffes Urfache hat man
mit demfelben den Begriff der Kraft verwechfelt; diefe, von der Ur-
ſache völlig verfchieden, ift jedod Das, was jeder Urfache ihre Cau⸗
jalität, d. 5. die Möglichkeit zu wirken ertheil. Es ift unmöglich,
mit feinem Denken im Klaren zu fein,: fo lange darin Kraft und
Urſache nicht als völlig verjchieden deutlich erfannt werden. (W. II,
1.) Die Kräfte find Das, vermöge deſſen die Veränderungen, oder
Birkangen, iiberhaupt möglich find, Das, was ben Urfachen die Can-
jalität, d. i. die Wähigfeit zu wirken, alleverft ertheilt, von welchem fie
aljo diefe bloß zur Lehn haben. Urfache und Wirkung find die zu
nothwendiger Succeffion in der Zeit verfnüpften Veränderungen;
die Raturkräfte hingegen, vermöge weldyer alle Urfachen wirken, ſind
von allem Wechfel ausgenommen, baher in diefem Sinne außer aller
Zeit, eben deshalb aber ftets und überall vorhanden, allgegenwärtig
und unerfchöpflich, immer bereit, ſich zu äußern, fobald nur, am
Leitfaden der Caufalität, die Gelegenheit dazu eintritt. Die Urſache
16 Kraft
ift allemal, wie auch ihre Wirkung, ein Einzelnes, eine einzelne Bars
änderung; die Naturfraft hingegen ift ein Allgemeines, Unveränderlice,
zu aller Zeit und überall Vorhandenes. (©. 45. W. I, 157-163)
Die Kraft ift die nothwendige Borausjegung aller ätiologiſchen Cr:
klärung. (W. I, 133. Vergl. auch Yetiologie.)
Urſach ſowohl als Wirkung ift Zuftand von Malerie. Kraft
ift Urfach, ſofern fie unbelannt ift, d. h. nicht weiter als Wirkum
einer andern Urfach erflärt werden kann. (9. 122.)
2) Ungertrennlihleit von Kraft und Stoff.
Weil die Materie die Sichtbarkeit des Willens, jebe Kraft aber ux
fich feldft Wille ift, Tann Feine Kraft ohne materielles Subſtrat au "
treten, und umgelehrt Tein Körper ohne ihm inwohnende Kräfte ſein.
die eben feine Dualität ausmachen. Kraft und Stoff find un
trennlich, weil fie im Grunde Eines find; ba, wie Kant dargethan bat,
die Materie felbft uns nur als der Berein zweier Kräfte, der &
panſions⸗ und Attractionsfraft gegeben if. (WW. II, 351fg) Da
jede Naturfraft Erſcheinung des Willens und die Materie die Sit:
barfeit des Willens ift; fo folgt, daß Feine Kraft ohne materielles
Subftrat auftreten, mithin auch feine Rraftäußerung ohne irgend ein
materielle Veränderung vor fich gehen kann. Dies ftimmt zu ba
Behauptung des Zoochemifers Tiebig, daß jede Musfelaction, ja jet :
Gedanke im Gehirn, von einer hemifchen Stoffumfetsung begleitet ſem
müfle. (P. I, 114.)
3) Bedeutung des Ansdruds „Tebendige Kraft".
Erft in der Bewegung wird die Kraft der Materie gleichſan
lebendig; daher der Ausdrud lebendige Kraft für bie Kraftäußerumg
der bewegten Materie. (W. II, 59.)
4) Zurüdführung der Kraft auf Wille
Der Wille ift es, der in der erfenntniflofen Natur jich darftelt
als Naturfraft, höher hinauf als Lebenskraft, in Thier mm
Menfch aber den Namen Willen erhält. (PB. II, 98.) Bisher ſub—
fumirte man den Begriff Wille unter den Begriff Kraft, es iſt ab
gerade umgefehrt jede Kraft als Wille zu denken. Die Zurildführug
der Kraft auf Wille ift von größter Wichtigfeit. Denn der Beqriff
Wille ift der einzige, welcher feinen Urfprung nicht im ber Cr
ſcheinung, nicht in bloßer anfchaulicher Borftellung hat, ſondern aus
dem Imnern kommt, aus dem unmittelbarften Bewußtſein eines ‚eben
hervorgeht. Führen wir daher den Begriff der Kraft auf ben de}
Willens zuritd, fo haben wir in ber That ein Unbelannteres auf ein
unendlich Bekannteres, ja auf das einzige und unmittelbar und gan
Bekannte zurüdgeführt und unfere Erkenntniß um ein Großes erweitert.
Subfumiren wir Hingegen, wie bisher geſchah, den Begriff Ville
unter den der Kraft; fo begeben wir uns der einzigen unmittelbaren
Erkenntniß, bie wir vom innern Weſen der Welt haben, indem wir It
u no.
Kraftgefühl — Krankheit 17
untergehen laſſen in einen aus der Erfcheinung abftrahirten Begriff,
mit welchem wir daher nie tiber die Erfcheinung hinauskönnen.
(®. I, 133.)
Araſtgefühl.
Es giebt eigentlich gar keinen Genuß anders, als im Gebrauch
und Gefühl der eigenen Kräfte, und der größte Schmerz iſt wahrge-
nommener Mangel an Kräften, wo man ihrer bedarf. (W. I, 360.)
Krampf.
Die Krämpfe und Convulſionen aller Art gehören zu den uumwill-
türlihen Bewegungen pathologifdher Art. (S. unter Bewegung:
Unterfchieb der unwillkürlichen und willkürlichen Bewegung) Alle
Krämpfe find eine Rebellion der Nerven der Glieder gegen die Sou-
veränität des Gehirns; Hingegen find bie normalen Heflerbewegungen
bie legitime Autofratie untergeordneter Beanıten. (W. II, 291.)
Sraniologie, ſ. Schädel und Schübellehre.
Krankheit.
1) Weſen der Krankheit.
Die in der neueſten Zeit endlich geltend gemachte phyſiatriſche
Anfiht, welcher zufolge die Krankheiten ein Heilproceß der Natur find,
den fie einleitet, um eine irgendwie im Organismus eingerifjene Un-
ordnung durch Weberwindung der Urſachen berfelben zu bejeitigen,
gewinnt ihre ganze Rationalität erſt von dem Standpunkt aus, welcher
in der Lebenskraft, die hier als vis naturae medicatrix auftritt, den
Billen erkennen läßt, der im gefunden Zuftand allen organifchen
Sunctionen zum Grunde liegt, jetst aber, bei eingetretenen, fein ganzes
Bert bedrohenden Unordnungen fid) mit dictatoriicher Gewalt befleidet,
um durch ganz auferordentlihe Maßregeln und völlig abnorme
Iperationen (die Krankheit) die rebellifchen Potenzen zu dämpfen und
As ins Gleis zurüdzuführen. Daß hingegen der Wille felbft
trank fei, wie Brandis fagt, ift ein grobes Mißverſtändniß. (W. II,
295.) Die Krankheiten find eigentlich nur das Mledicament der vis
taturae medicatrix. (P. II, 184 fg.) "
2) Die Heilarten. Borzug der Naturheilung vor den
Runftdeilungen.
Dem Krankheitsproceß arbeitet die Allopathie, oder Enantiopathie,
aus allen Kräften entgegen; die Homoiopathie ihrerſeits trachtet ihn zu
beihlennigen, ober zu verftärfen; wenn nicht etwa gar, durch Karifiren
defelben, ihr der Natur zu verleiden; jedenfalls, um bie überall auf
ed Uebermaß folgende Reaction zu befchleunigen. Beide demnach
wollen es beffer verftehen, als die Natur felbft, die doc) gewiß fowohl
dat Maaß, als die Richtung ihrer Heilmethode kennt. Daher ift viel»
ur die Phyſiatrik in allen den Füllen zu empfehlen, die nicht zu
Egopenhauer-Lerilon. II. 2
18 Kredit — Krieg
den Ausnahmen gehören. Nur die Heilungen, welche bie Natur jelbii
und aus eigenen Mitteln zu Stande bringt, find gründlid. Die
Heilmittel der Aerzte find meiftens blos gegen die Eymptome geridtet,
als welche fie fiir das Uebel ſelbſt Halten; daher wir nad) einer foldhen
Heilung uns unbehaglich fühlen. Läßt man hingegen der Natur nur
Zeit; fo vollbringt fie allmälig felbft die Heilung, nach welcher wir
alsdann und beffer befinden, al8 vor der Krankheit. Daß es Aus:
nahmen giebt, alfo Fälle, wo nur ber Arzt helfen kann, ift zuzugeben.
Uber bei Weiten die meiften Oenefungen find blos das Werk der
Natur, fiir welches der Arzt die Bezahlung einftreiht. (P. II. 185 fg.)
Aredit.
Weiland war die Hauptſtütze des Thrones der Glaube; heut zu
Tage ift es der Kredit. Kaum mag dem Papfte felbft das Zutrauen
feiner Gläubigen mehr am Herzen liegen, als das feiner Gläubiger.
Beklagte man ehemald die Schuld der Welt, fo fieht man jett mit
Grauſen auf die Schulden der Welt und, wie ehemals den jüngfien
Tag, fo prophezeit man jett den univerfellen Staatsbaufrott, jedod)
ebenfalls mit der zuverfichtlichen Hoffnung, ihm nicht felbft zu erleben.
P. I, 276.)
Kreis.
1) Der reis als Symbol der Natur. (S. unter Ra-
tur: Der Kreislauf der Natur.)
2) Der Kreis als Mittel zur Veranſchaulichung der
Begriffsfphären. (S. unter Begriff: Begriffsiphären.)
Kranz, ſ. Chriftentgum.
Arieg.
1) Urſprung des Krieges.
Zwiſchen dem Wirken der ſchaffenden Natur und dem der Menſchen
iſt eine eigenthümliche, aber nicht zufällige, ſondern auf ber Identität
des Willens in beiden berubende Analogie. Nachdem, in der gefammıten
tbierifchen Natur, die von der Pflanzenwelt zehrenden Thiere aufgetreten
waren, erfchienen in jeder Thierflaffe, nothwendig zulegt, die Raubthiere,
nm don jenen erfteren, ala ihrer Beute, zu leben. Ebenſo nun, nad)
dem die Menfchen, ehrlich und im Schweiße ihres Angeficdhts, dem
Boden abgewonnen haben, was zum Unterhalt eines Volkes nöthig ifl,
treten allemal, bei einigen derfelben, eine Anzahl Meufchen zufammen,
bie, ftatt den Boden urbar zu machen und von feinem Ertrag zu leben,
ed vorziehen, ihre Haut zu Markte zu tragen und Leben, Geſundheit
und Treiheit aufs Spiel zu ſetzen, um über bie, welche den redlich
erworbenen Beſitz innehaben, herzufallen und die Früchte ihrer Arbeit
fi anzueignen. Dieſe Raubthiere des menſchlichen Gefchlechts find
die erobernben Völker; daher hat Voltaire Recht zu jagen: Dans toutes
les guerres il ne s’agit que de voler. (P. I, 259.) Der Urfprung
Kriminalloder — Kritik 19
alles Krieges iſt Diebesgelüſt. ® N" 480.) Faſt alle Sriege find
im Grunde Raubzüge. (P. ],
2) Die im Kriege zur riseinung fommende Eris,
(S. Eri$.)
Ariminalkoder, f. unter Gefeg: Zweck ber Strafgejeße und Vor⸗
ausjegung berjelben.)
grilicismus.
1) Der Kriticismus im Allgemeinen.
Die Philofophie aller Zeiten ſchwingt, wie ein Pendel, Hin und her
zwiſchen Rationalismus und Illuminismus, d. h. zwiſchen dem
Gebrauch der objectiven und dem der fubjectiven Erfenntnißquelle.
Der Rationalismus nun, welcher den urſprünglich zum Dienfte
des Willens allein beftimmten und deshalb nach außen gerichteten
Intellect zum Drgan hat, tritt zuerft als Dogmatismus auf, als
welher er fi durchaus objectiv verhält. Dann wechſelt er ab mit
dem Skepticismus und wird in Folge hievon zuletzt Kriticismus,
welcher den Streit durch Berüdfihtigung des Subjects zu fchlichten
untemimmt. (P. II, 9.) (Ueber den Gegenfag zwifchen Kriticismus
und? Dogmatismns vergl. Dogmatismuß,)
2) Der Kant’fhe Kriticismus.
Die Kant'ſche kritiſche Philoſophie hat zu der Philoſophie ſeiner
Vorgänger eine dreifache Beziehung: erſtens, eine beſtätigende und er⸗
weiternde zu der Locke's; zweitens, eine berichtigende und benutzende
zu der Hume's; drittens, eine entſchieden polemiſche und zerſtörende
zur Leibnitz-Wolfiſchen Philoſophie. Der Grundzug und das Haupt»
verdienft des Kant’fchen Kriticismus ift die Unterfcheidung der Er«
Ideinung vom Dinge an fi, alfo die Lehre von der gänzlichen
Diverfität des „Idealen und Nealen. Die deutliche Erfenntniß und
ruhige, befonnene Darftellung der ſchon vor Kant von Platon und in
der indiſchen Lehre von der Maja mythiſch ausgeſprochenen, traum⸗
artigen Beſchaffenheit der Welt iſt eigentlich die Baſis ber ganzen
Kantiſchen Philoſophie, iſt ihre Seele und ihr allergrößtes Berbienft.
Cie zeigte, daß die Geſetze, weldhe im Daſein, d. h. in der Erfahrung
überhaupt, mit unverbrüchlicher Nothwendigfeit herrſchen, nicht anzu
wenden find, um das Dafein felbft abzuleiten und zu erklären, daß
alſo die Gültigkeit derfelben doch nur eine relative ift, diefelben
folglich nicht, wie alle frühere occidentalifche Bhitofopfie wähnte, ewige
Wahrheiten (neternae veritates) find. (W. I, 494—499.)
Aritik.
1) Bedingung ber Wirkſamkeit der Kritik.
Wie eine Arznei ihren Zweck nicht erwirkt, wenn die Doſis zu ftart
geweien; ebenfo ift es mit Strafreden und Kritiken, wenn fie das
Maaß der Gerechtigkeit überſchreiten. (P. II, 488.)
2%
20 Kryſtall
2) Seltenheit des kritiſchen Geiſtes und ber barans
entfpringende Uebelftand.
Der Unftern für geiftige Berbienfte ift die Seltenheit der Urtheile
fraft. Unterfcheidungsvermögen, esprit de discernerent, daran gebricht
ed. Die Meiften wifien nicht das echte vom Unächten, wicht den
Hafer von der Spreu, nicht das Gold von Kupfer zu unterſcheiden
und nehmen nicht den weiten Abftand wahr zwifchen dem gewöhnlichen
Kopf und dem feltenften. Das Refultat davon ift der Uebeſſtand der
fchweren und fpäten Erkennung und Anerkennung des Aechten und
Bortrefflihen. (P. IL, 488 ff.)
3) Dünkel der Kritiker. .
Kritiker giebt e8, deren Jeder vermeint, bei ihm fände es, was gut
und was fchlecht fein folle; indem er feine Sindertrompete für de
Pofaune der Fama hält. (P. II, 488.)
Aryſtall.
1) Einfachheit der Lebensäußerung des Kryſtalls.
Die verſchiedenen Ideen, welche die Objectität des Willens in der
Natur ausmachen, laſſen ſich als einzelne und an fich einfache Wilent
acte betrachten. Nun behält, auf den niebrigften Stufen der Objectität,
ein folcher Act (oder eine Idee) auch in der Erfcheinung feine Einheit
bei; während er auf den höhern Stufen, um zu erfcheinen, einer ganzen
Reihe von Zuftänden und Entwidlungen in der Zeit bedarf, welche
alle zufammengenommen erſt den Ausbrud feines Weſens vollenden.
So 3. B. hat die Idee, welche ſich in irgend einer allgemeinen Natur
fraft offenbart, immer nur eine einfache Aeußerung, wenngleich die
nah Maaßgabe der äußern Verbältniffe ſich verfchieden bdarftellt.
Ebenſo hat der Kryftal nur eine Lebensäußerung, fein Anfdiehen,
welche nachher an der erflarrten Form, dem Leichnam jenes momentaum
Lebens, ihren völlig Hinreichenden und erfchöpfenden Ansdrud hat.
Schon die Pflanze hingegen drückt die Idee, deren Erſcheinung fie ii
nit mit Einem Dale und durch eine einfache Aeußerung aus, jon
km |
in einer Succeffion von Entwidlungen ihrer Organe, in ber Zeit.
(W. I, 185.)
2) Die Erftarrung des Kryftalls im Momente dir
Bewegung.
Im Anſchießen des Kryftalls fehen wir gleidyfam noch einen Anjot,
einen Berfuch zum Leben, zu weldem es jedoch nicht kommt, weil die
Flüffigkeit, aus der er, gleich einem Lebendigen, im Augenblid jentt
Bewegung befteht, nicht, wie ftetS bei diefem, in ciner Haut einge
ſchloſſen ift, und er demnach weder Gefäße hat, im denen jene De
wegung fich fortjegen Tönnte, —E etwas ihn von ber Außenwelt
abfondert. Daher ergreift die
Bewegung, von der nur die Spur als Kruflall bleibt. (W. I, 336)
arrung alsbald jene augenblichiche |
Kunde — Kunfl 21
Der Kryſtall ift eine Einheit des Strebens nad) beftimmien Nich-
tungen, von der Erftarrung ergriffen, die deſſen Spur bleibend macht.
(®. I, 157.)
3) Individualität des Kryſtalls.
Im unorganiſchen Reiche ber Natur verfchtwindet alle Individualität;
blos der Kryſtall ift noch gewiffermaßen als Individuum anzufehen.
Die Individuen berfelben Gattung von Kryſtallen können aber keinen
andern Unterfchied haben, als den äußere Zufülligkeiten herbeiführen ;
mon fann fogar jede Gattung nach Belieben zu großen, oder Heinen
Kruftallen anfchiegen machen. (8. I, 157.)
Kunde, |. Einfidt.
Aunfl.
1) Urfprung und Zwed der Kunft.
Die Wiffenfchaften gehen den Sat vom Grunde in feinen ver-
(hiebenen Geftaltungen nad) und ihr Thema bleibt die Erſcheinung,
deren Geſetze, Zufammenhang und daraus entftehendes Verhältniß. Die
Kunft hingegen, das Werk des Genius, betrachtet das aufer und un-
abhängig von aller Relation beftehende, allein eigentlich Wefentliche ber
Belt, den wahren Gehalt ihrer Erfcheinungen, das keinem Wechſel
Unterworfene, die Ideen. Sie wiederholt die durch reine Contemplation
aufgefaßten ewigen Ideen. Ihr einziger Urfprung ift die Erfenntnig
dir Ideen; ihr einzige8 Ziel Mittheilung diefer Erkenntniß. Wir
funen fie geradezu bezeichnen als die Betrahtungsart der Dinge
unabhängig vom Sage bes Grundes, im Gegenfat der gerade
diefem nachgehenden Betrachtung, welche der Weg der Erfahrung und
Wiſſenſchaft if. (W. I, 217fg.; DO, 414. PB. UI, 449 fg. 9. 302.)
Zwed der Kunft ift die Erleichterung ber Erkenntniß der Ideen der
Belt (im platonifchen Sinne). (W. II, 464.)
Die Kunft ift, da die Idee ihr Gegenftand ift, nicht. Nachahmung
der Natur, des Wirklichen, fondern fie übertrifft die Natur, indem
der Künftler durch Anticipation deſſen, was die Natur darzuftellen
fh bemüht Hat, durch Erfenntniß der Idee im einzelnen Dinge, das
Schöne ſchaut, fo wie der Dichter das Charafteriftiiche. (WB. I,
261—263. 5. 364—368. — Bergl. Anticipation.)
2) Das Object ber Kunft, die Idee. (S. Idee.)
3) Das Subject der Kunft, das Genie. (S. Genie.)
4) Berwandtfchaft der Kunft mit der Philofophie und
Unterſchied beider.
Richt bios die Philofophie, fondern auch die ſchönen Künfte arbeiten
im Grunde darauf bin, das Problem des Dafeind zu löſen. Denn
das wahre Weſen der Dinge, des Lebens, bes Daſeins hat allein
Interefie fir den von den Zwedken des Willens frei gewordenen Intellect.
22 Kauft
Deshalb ift das Ergebniß jeber rein objectiven, alfo auch jeber Tünfi-
leriſchen Auffaffung der Dinge ein Ausdrud mehr vom Weſen bes
Lebens und Dafeins, eine Antwort mehr auf die Frage: „Was ifl
das Leben?” Aber die Küinfte reden nur die naive und kindliche
Sprache der Anfhauung, nicht die abftracte und ernfte der Re=
flerion; ihre Antwort ift daher ein flüchtiges Bild, nicht eine bleibende
allgemeine Erkenntniß. Sie gewähren immer nur ein Fragment, ein
Beifpiel, ftatt der Regel, nicht das Ganze, als welches nur im ber
Allgemeinheit des Begriffes gegeben werben Tann. Für diefen Daher,
alfo fir die Reflerion und in abstracto, eine eben deshalb bleibende
und auf immer genligende Beantwortung jener Trage zu geben, — ift
die Aufgabe der Philoſophie. (W. II, 461 fg.) Im den Werken der
darftellenden Kiünfte ift zwar alle Weisheit enthalten, jedoch nur vir-
tualiter oder implicite; hingegen biefelbe actualiter und explicite zu
liefern ift die Philofophie bemüht, welche in dieſem Sinne fidh zu jenen
verhält, wie der Wein zu den Trauben. (W. Il, 463.)
5) Gegenfaß zwifchen Kunft und Gefdidte.
Der Stoff der Kunft ift die Idee, der Stoff ber Wiſſenſchaft der
Begriff. Beide find alfo mit Dem befchäftigt, was immer da ift
und ftet3 auf gleiche Weife. Daher eben haben Beide es mit Dem
zu, thun, was Plato ausſchließlich als den Gegenftand wirklichen
Wiſſens aufftelt. Der Stoff der Geſchichte Hingegen ift das Einzelne
in feiner Cinzelnheit und Zufälligfeit, was Ein Mal ift und dann
auf immer nicht mehr ift, die vorübergehenden Berflechtungen einer
wie Wolken im Winde bewegfichen Menfchenwelt, welche oft durch den
geringfülgigften Zufall ganz umgeftaltet werden. (WW. II, 503.)
In der Kunft gilt nur die innere Bebeutfamleit; die Aufere gilt
in der Gefchichte. Beide find völlig unabhängig von einander, können
jufammen eintreten, aber auch jede allein erjcheinen. Kine für die
Geſchichte höchſt bedeutende, d. h. eine in Beziehung auf die Folgen
wichtige Handlung kann an innerer Bedeutfamfeit, d. h. in Beziehung
auf die Tiefe.der Einfiht in die Idee der Menfchheit, welde fie
eröffnet, eine jehr alltägliche und genteine fein, und umgekehrt ann
eine Scene aus dem alltäglichen Leben von großer innerer Bedeutſamleit
fein. (W. I, 272. 288 fg.)
6) Das Angeborene und das Ermorbene in der Kunft.
Der Künftler läßt und durch feine Augen in die Welt bfiden.
Daß er dieſe Augen bat, daß er das MWefentliche, außer allen Re⸗
lationen Liegende der Dinge erkennt, ift die Gabe bes Genius, das
Angeborene; daf er aber im Stande ift, aud) uns diefe Gabe zu leihen,
und feine Augen aufzufegen, dies ift da8 Ermorbene, das Techniſche
der Kunft. (W. I, 230.)
7) Die beiden Ertreme in der Reihe ber Künfte,
Die Quelle des äfthetifchen Genuffes Tiegt bald mehr in ber Auf
fafjung der erlannten Idee, bald mehr in ber Seeligkeit und Geiftesruße
Kuuſt 23
des von allem Wollen und ſeiner Pein befreiten reinen Erkennens, und
zwar hängt dies Vorherrſchen des einen oder des andern Beſtandtheils
des äſthetiſchen Genuſſes davon ab, ob die intuitiv aufgefaßte Idee
eine höhere oder niedere Stufe der Objectität des Willens iſt. Daher
it bei Betrachtung der Werke der fchönen Baukunſt der Genuß bes
reinen willenlofen Erkennens überwiegend, weil die bier aufgefaßten
Peen nur niedrige Stufen der Objectität des Willens, daher nicht
Erſcheinungen von tiefer Bebeutfamleit und vielfagendem Inhalt find.
Hingegen befteht, wenn Thiere und Menfchen der Gegenftand ber
äſthetiſchen Darftellung find, ber Genuß mehr in der objectiven Auf-
fafjung biefer Ideen, welde die bebeutfamften und bie beutlichften
Dfienbarungen des Willens find. (W. I, 250 fg.) In dieſer Hinſicht
biden Architectur und Drama bie beiden Extreme in ber Weihe
der fchönen Künfte. Dort überwiegt wegen geringer objectiver Bes
deutfamfeit der offenbarten Ibeen die ſubjective Seite, hier hingegen
wegen tiefer Bedeutſamleit der zur Erkenntniß gebrachten Ideen die
objective Seite des äfthetifchen Genuffes. (W. I, 255.)
8) Hoher Werth und Wichtigkeit der Kunft.
Tie gefammte fihtbare Welt ift nur die Objectivation, der Spiegel
bes Willens, zu feiner Selbfterfenntniß, ja zur Möglichkeit feiner Er⸗
löſung ihm begleitend, und zugleich ift fie, wenn man fic als Welt der
Borftellung abgefondert betrachtet, indem man vom Wollen losgeriffen,
nur fie allein das Bewußtfein einnehmen läßt, die erfreulichfte und die
allein unfchuldige Seite des Lebens. Der hohe Werth und bie Wid)
tigfeit der Kunft befteht nun darin, daß fie, als die höhere Steigerung,
die volllommmere Entwidlung von allem Dieſem weſentlich eben das
Selbe, nur concentrirter, vollendeter, mit Abficht und Befonnenbeit,
leiſtet, was die ſichtbare Welt felbft, und fie daher, im vollen Sinne
des Wortes, bie Blüthe bes Lebens genannt werben mag. (W. 1, 315.)
Die fünftlerifche Eontemplation hat ſchon Analogie und fogar Berwandt-
Ihaft mit der Verneinung des Willens zum Leben, weil in ihr das
Accidenz (dev Intellect) die Subftanz (den Willen) bemeiftert und auf-
hebt, wenngleich nur auf eine Furze Weile. (W. II, 420; I, 316.
5. 399. M. 275. — Bergl. aud) unter Genie: Das Genie in
ethiſcher Hinſicht.)
9 Gegenſatz zwiſchen den nützlichen und den ſchönen
Künſten.
Die Mutter der nützlichen Künſte iſt die Noth; die der ſchönen der
Ueberfluß. Zum Vater haben jene den Verſtand, dieſe das Genie,
welches ſelbſt eine Art Ueberfluß iſt, nümlich der der Erkenntnißkraft
über das zum Dienſte des Willens erforderliche Maß. (W. II, 466.)
Die Rolle der mannigfaltigen Blumen zwiſchen den Aehren tra⸗
genden Halmen im Kornfeld iſt die ſelbe, welche die Poeſie und die
ſchönen Künſte im ernſten, nützlichen und fruchtbringenden bürgerlichen
24 Kunſtproduet — Kunfwerf
Leben ſpielen; daher fie als Sinnbild dieſer betrachtet werben Tonnen,
(®. I, 684.)
(Ueber die einzelnen ſchönen Künfte: Baukunſt, Gartenkunf,
Sculptur, Malerei, Poefie und Mufit fiehe diefe Artikel.)
Aunfiproduct, |. Artefact.
Auufitriebe, |. Inftinct.
Aunſtwerk.
1) Tendenz des Kunſtwerks.
Jedes Kunſtwerk iſt eigentlich bemüht, uns das Leben und die
Dinge fo zu zeigen, wie fie in Wahrheit find, aber, durch ben Nebel
objectiver und fubjectiver Zufälligkeiten hindurch, nicht von Jedem
unmittelbar erfaßt werben Können. Diefen Nebel nimmt bie Kunfl
hinweg. (W. II, 462.)
2) Konception bes Kunſtwerks.
a) Berhältniß des Objects zum Subject in ber
Konception.
Der Ausdrud „KRonception“ flir das Entftehen des Grundgedantene
zu einem Kunſtwerke ift fehr treffend; denn fie ift, wie zum Entſtehen
des Menfchen die Zeugung, das Wefentlichfte. Das Object übt gleich
fam al8 Männliches einen beftändigen Zeugungsact auf das Eubiet
als Weibliches aus. Dieſer wird jedoch nur im einzelnen glücklichen
Augenbliden und bei begünftigten Subjecten fruchtbar. Und eben auf),
wie bei der phyſiſchen Zeugung, hängt bie Fruchtbarkeit viel mehr vom
weiblichen, ald vom männlichen Theile ab; ift jener (das Subject) in
der zum Empfangen geeigneten Stimmung, jo wird faft jedes jegt in
feine Apperception fallende Object anfangen, zu ihm zu reden, d.h.
einen lebhaften, einbringenden und originellen Gedanken in ihm zu
erzeugen. (PB. II, 460 fg.)
b) Berhältnig der Konception zur Ausführung dei
Kunſtwerks.
Eine rein objective, vom Willen und feinen Zwecken freie Auffaſſung
muß es allemal fein, welche der Konception, d. i. der erften, allemal
intuitiven Erkenntniß vorſteht, die nachmals den eigentlichen Stoff und
Kern, gleihfam die Seele eines ächten Kunſtwerks ausmacht. Hingegen
bei der Ausführung des Werkes, als wo die Mittheilung und Dar-
ftellumg des alfo Erkannten der Zwed ift, fann, ja muß, eben weil
ein Zwed vorhanden ift, der Wille wieder thätig fein; demnad
herrſcht hier auch wieder der Say vom Grunde, welchen gemäß Kunft:
mittel zu Kunftzweden gehörig angeordnet werben. So, wo den Male
die Richtigfeit der Zeichnung und die Behandlung der Farben, ben
Dichter die Anordnung des Plans, ſodann Ausdruck und Metrum
befhäftigen. (P. II, 450 fg.) Denken fol freilich der Künſtler bei
Kunftwert 25
der Anordnung feines Werkes; aber nur das Gedachte, was gefhaut
wurbe, ehe es gedacht war, bat nachmals, bei der Mittheilung, an⸗
regende Kraft und wird dadurch unvergänglih. (W. II, 465.)
3) Bermerflichkeit der vom Begriff ausgehenden
Kunſtwerke.
Da der Zweck der Kunſt Erleichterung der Erkenntniß der Ideen
der Welt iſt, die Ideen aber weſentlich ein Anſchauliches und daher
in feinen nähern Beſtimmungen Unerſchöpfliches find, fo kann die
Mittheilung eines foldhen nur auf den Wege der Anfchauung gefchehen.
Der bloße Begriff Hingegen ift ein vollfommen Beſtimmbares, daher zu
Erfhöpfendes, deutlich Gedachtes, feinen ganzen Inhalt nad) durch
Borte falt und nüchtern Mittheilbares. in Solches nun aber durch
en Kunſtwerk mittheilen zu wollen, ift ein fehr unniiger Umweg.
Ein Kunftwerk, deſſen Konception aus bloßen deutlichen Begriffen
hervorgegangen, ift allemal ein unächtes und erregt Efel und Unwillen.
Sanz befriedigt durd den Eindrud eines Kunſtwerls find wir nur
dann, wenn es etwas hinterläßt, das wir, bei allem Nachdenken darüber,
nicht biß zur Deutlichkeit eine® Begriffs Herabzichen können. (W. II,
464f9.) Daher ift e8 ein fo untmlirdiges, wie albernes Unternehmen,
die Dichtungen eines Shakeſpeare oder Göthe zurüdführen zu wollen
auf eine abftracte Wahrheit, deren Miittheilung ihr Zweck gewefen
wäre. (Dafelbft.) Der Begriff, fo nüßlich er für das Leben und fo
brauchbar, nothiwendig und ergiebig er flir die Wiflenfchaft iſt, ift für
die Kunft ewig unfrucdhtbar. Hingegen ift bie aufgefaßte Idee bie
wahre und einzige Quelle jedes ächten Kunſtwerks. (W. I, 277.
ö. 369.)
Will man den Vorzug, welchen die anfhauende Erkenntniß, als bie
primäre und fundamentale, vor der abftracten hat, unmittelbar empfinden
md daraus inne werden, wie die Kunft ung mehr offenbart, als alle
Bifienfhaft vermag; fo betrachte man, fer e8 in der Natur, oder unter
Sermittelung der Kunft, ein ſchönes und bewegtes menfchliches Antlig
voll Ausdruck. Welche tiefere Einficht in das Weſen des Menfchen, ja
der Natur iiberhaupt, giebt nicht diefes, als alle Worte, fammt den
Abſtractis, die fle bezeichnen. (P. II, 454 fg.)
Ein willfürliches Spielen mit den Mitteln der Kunft, ohne eigent«
lihe Kenntnig des Zwecks, ift, in jeder, der Grumbcharafter der
Vfuſcherei. (W. II, 464.) Die Darftellung eines abftracten, durch
Borte falt und nüchtern mittheilbaren Begriffs durch ein Kunft-
wert ift ein fehr unnüger Ummeg und gehört zu dem Spielen mit
den Mitteln der Kunft ohne Kenntniß des Zwecks. (Dafelbft.) Da
dad Ausgehen von Begriff in der Kunſt verwerflic ift, fo kann es
nicht gebilligt werden, wenn man ein Kunſtwerk abfichtlic und einge-
Nindlich zum Ausdrud eines Begriffes beftimmt, wie in der Allegorie
geſchieht. (Berg. Allegorie.)
26 Kunſtwerk
4) Warum aus dem Kunſtwerk die Idee uns leichter
entgegentritt, als aus der Natur.
Das äſthetiſche Wohlgefallen iſt zwar weſentlich Eines und daſſelbe,
es mag durch ein Werk der Kunſt, oder unmittelbar durch die An:
Shauung der Natur und des Lebens hervorgerufen fein. Aber das
Kunſtwerk ift ein Erleichterungsmittel derjenigen Erkenntniß, in melde
jenes Wohlgefallen befteht. Daß aus dem Kunſtwerl bie Idee uns
leichter entgegentritt, al8 unmittelbar aus der Natur und der Wirt.
(ichkeit, fommt daher, daß der Künftler, der nur die dee, nicht mehr
die Wirklichkeit erkannte, in feinem Wert auch nur die dee rein
wiederholt hat, fie ausgefondert bat aus der Wirflichfeit, mit Aus:
laffung aller ftörenden Zufälligfeiten. (W. I, 229fg.; II, 421.)
Es beruht aber aud) darauf, daß das zur rein objectiven Auffaſſung
des Weſens der Dinge erforderte gänzliche Schweigen ded Willen® am
ficherften dadurd, erreicht wird, daß das angefchaute Object felbft gar
nicht im Gebiete der Dinge Liegt, welche einer Beziehung zum Willen
fähig find, indem es Fein Wirkliches, fondern ein bloßes Bild if.
(®. I, 421.) Was maht, das ein Bild uns feichter zur Auf
faffung einer (Platonifchen) Idee bringt, als ein Wirkliches, alfo Das,
wonach das Bild der Idee mäher fteht, als die Wirklichkeit, iſt um
Allgemeinen Diefes, dag das Kunftwerf das ſchon durch ein Eubject
hindurchgegangene Object iſt. Näher aber betrachtet, beruht die Sacht
daranf, daß das Kunftwerk nicht, wie die Wirklichkeit, uns Das zeigt,
was nur Ein Mal da ift und nie wieder; fondern daß es uns die
Form allein zeigt. Das Bild leitet uns mithin ſogleich vom In—
dividuo weg auf die bloße Form. Schon diejes Abfondern der Form
von ber Materie bringt foldhe der Idee um Vieles näher. (P. I, 454.)
5) Die zum Genuß eines Kunſtwerks erforderte Mit:
wirkung des Befchauers.
Jeder, der ein Gedicht Tieft, ‘oder ein Kunſtwerk betrachtet, muß
aus eigenen Mitteln beitragen, die in jenem enthaltene Weisheit zu
Tage zu fördern; folglich faßt er nur fo viel davon, als feine Fähig-
feit und feine Bildung zuläßt; wie ins tiefe Meer jeder Schiffer fein
Senkblei fo tief hinabläßt, als deflen Ränge reiht. (W. II, 462.)
Eine Wiffenfhaft kann Feder erlernen, wenn auch der Eine mit
mehr, der Andere mit weniger Mühe. Aber von der Kunft erhält
Jeder nur fo viel, als er, nur unentwidelt, mitbringt. Was helfen
einem Unmufilalifchen Mozart’she Opern? Was fehen die Meiſten
an der Rafael'ſchen Madonna? Und wie Biele ſchätzen Göthe's Fauft
nicht blos auf Auctorität? — Denn die Kunft hat es nicht, wie die
Wiffenihaft, blos mit der Bernunft zu thun, fondern mit dem innerften
Weſen des Menfchen, und da gilt Jeder nur fo viel, ald er wirklich
ft. (9. 301.)
Kupferfliche 27
6) Warum das Kunftwert nicht Alles den Sinnen
geben darf.
Jedes Kunftwert Tann nur durch das Medium ber Phantafie wirken,
daher es diefe anregen muß und fie nie aus dem Spiel gelaſſen
werden und unthätig bleiben darf. Dies ift eine Bedingung der
äſthetiſchen Wirkung und daher ein Grundgefeß aller fchönen Künſte.
Aus demfelben aber folgt, daR durd) das Kunſtwerk nicht Alles geradezu
ben Sinnen gegeben werden darf, vielmehr nur fo viel, als erfordert
it, die Phantafie auf den rechten Weg zu leiten; ihr muß immer noch
etwas und zwar das Letzte zu thun übrig bleiben. Daher bringen
Vachsfiguren, obgleich gerade in ihnen die Nachahmung der Natur
ven höchſten Grad erreichen kann, nie eine äfthetifche Wirkung hervor
und find nicht eigentliche Werke der jchönen Kunſt. Denn fie laffen
der Phantafie nichts zu thun übrig. (W. II, 463 fg.)
Abfonderung der Form von der Materie gehört zum Charakter
des äfthetifchen Kunſtwerks, weil deſſen Zweck ift, uns zur Erkenntniß
einer (Platonifchen) Idee zu bringen. Es ift alfo dem Kunſtwerk
wejentlich, Die Form allein, ohne die Materie, zu geben, und zwar
Dies offenbar und angenfällig zu thun. Hier liegt num eigentlich der
Grund, warum Wahsfiguren keinen üfthetifchen Eindrud machen und
daher Feine Kunſtwerke (im üäfthetifchen Sinne) find. (P. II, 454.)
7) Borzug der in der Begeifterung ber erften Kon—
ception gefchaffenen Werke vor den Werfen von
langfamer und überlegter Ausführung.
Die in der Begeifterung ber erften SKonception vollendeten Werke,
die Werle aus einem Guß, die ohne alle Reflerion und völlig wie
durh Fingebung zu Stande kommen, wie die Skizze ber Maler, die
Melodie, das Inrifche Gedicht, - haben vor den größern Werken von
langfamer und überlegter Ausführung den großen Vorzug, das lantere
Bert der Begeifterung des Augenblicks ohne alle Einmifchung der
Abichtlichfeit und Neflerion zu fein. Ihre Wirkung ift viel unfehl-
barer, als die der größten Kunſtwerke, der großen Hiftorifchen Gemälde,
langen Epopöen, großen Opern u. ſ. w., weil an dieſen die Reflexion, die
Abſicht und durchdachte Wahl bedeutenden Antheil hat. Berftand, Technif
und Rontine müſſen hier die Lücken ausflillen, welche die geniale Konception
gelaffen Hat und allerlei nothwendiges Nebenwerk muß, ale Cäment der
eigentlich allein ächten Glanzpartien, diefe durchziehen. (WW. II, 465 fg.)
8) Gegenſatz zwifchen den Kunſtwerken und Artefacten,
ſ. Artefact.
aupferſtiche.
Schwarze Kupferſtiche und Tuſchbilder entſprechen einem edleren
und höhern Geſchmack, als colorirte” Kupfer und Aquarellbilder;
während hingegen dieſe dem weniger gebildeten Sinne mehr zuſagen.
Ties beruht offenbar darauf, daß die ſchwarzen Darftellungen bie
dorm allein, gleichſam in abstracto, geben, deren Apprehenfion
28 Kyniemne
intellectual, d. h. Sache des anſchauenden Berflandes iſt. Die Farbe
hingegen ift blos Sache bes Sinnedorgans und zwar einer ganz be
fondern Einrichtung in bemfelben. (Vergl. Farbe.) In diefer Hiufiht
kann man auch die bunten Supferftiche den gereimten Berfen, die
ſchwarzen ben blos metrifchen vergleichen. (P. II, 456.)
Annismus.
1) Geift und Grundgedanke des Kynismus.
Die Ethik der Kyniker und Stoiker ift nur ein Eubämonismus
befonderer Art. (E. 117.) Die Ethik der Kyniler fette fich den
Zweck des glüdlichften Lebens. Nur aber fchlugen die Kyniker zu
diefem Ziel einen ganz bejondern Weg ein, einen dem getwühnlichen
gerade entgegengefegten: den der möglichft weit getriebenen Eutbehrung.
Der Grundgedanke des Kynismus ift, daß das Leben in feiner em-
fachſten und nadteften Geftalt, mit den ihm von der Natur beigegebenen
Befchwerden, das erträglichfte, mithin zu erwählen fei; weil jede Hülfe,
Bequemlichkeit, Ergöglichfeit und Genuß, wodurch man es angenehmer
machen möchte, nur neue und größere Plagen berbeizöge, als bie dem⸗
felben urfprünglich eigenen. (W. II, 167—169.) Die Kyniler waren
tief ergriffen von der Erkenntniß der Negativität des Gemufles und
der Pofitivität des Schmerzes; daher fie, confeguent, Alles thaten für
die Vermeidung der Uebel, biezu aber die völlige und abfichtliche Ber:
werfung der Genüffe nöthig erachteten. (P. I, 434.) Um des Glüdet
der Geiſtesruhe theilhaft zu werben, entfagten die Kyniker jedem Befig.
(®. I, 452.)
2) Berwandtichaft der Lebensanficht ber Kyniker mit
der bes Roufjeau. -
Dem Geifte ber Sache nad trifft die Lebensanficht der Kyniker mit
der de8 9.9. Rouffeau im Discours sur l’origine de l’inggalite
zufanmen; da aud; er und zum rohen Naturzuftande zuridführen
möchte und das Herabfegen unferer Bebürfniffe auf. ihr Minimum
als den ficherften Weg zur Gtitdjäligkeit betrachtet. (28. IL, 170.)
3) Örundverfhiedenheit bes Kynismus von ber Askeſe.
Die Orundverfchiedenheit des Geiftes bes Kynismus von dem der
Askeſe tritt augenfällig Hervor an der Demuth, als welche der Askeſe
wefentlic, dem Kynismus aber fo fremd ift, daß er im Gegentheil ben
Stolz und die Beratung aller Uebrigen im Schilde führt. Wit ben
Mönchen treffen die Kyniker nur im Refultat zufammen; aber der
Grundgedanke Beider ift verfchieden; bei Jenen ift er ein über das
Leben hinausgeſtecktes Ziel, bei Diefen möglichfte Glüdfäligkeit in diefem
Leben. (W. II, 170.)
(Ueber das Berhältnig des Kynismus zu dem Stoicismus ſiehe:
Stoicismu$.)
Läden — Laden 29
L.
Lächeln.
Zuverläffig verdankt Mancher das Glück feines Lebens blos dem
Umftande, daß er ein angenehmes Lächeln befitt, womit er bie Herzen
gewinnt. Jedoch thäten die Herzen befler, fi in Acht zu nehmen
und aus Hamlets Gedächtnißtafel zu wiſſen, daß Einer lächeln und
lächeln Tann, und ein Schurke fein. (P. II, 637.)
sahen.
1) Das Lachen als phyfifche Bewegung.
Laden gehört, wie Weinen, zu den Reflerbewegungen, als entjchieden
unwillfürliche Bewegung. Daß Lachen und Weinen auf bloßen sti-
mulus mentalis eintreten, haben fie mit der Erection, welche ben
Keflerbewegungen beigezählt wird, gemein; überdies kann das Lachen”
and ganz phyſiſch, durch Kiteln erregt werden. Seine gewöhnliche,
alſo mentale Erregung, ift daraus zu erflären, daß die Gehirnfunction,
mittelft welcher wir ein Lächerliches erkennen, eine eigenthümliche Ein-
wirfung auf die Medulla oblongata, oder fonft einen dem ercitor-
motorischen Syſtem angehörigen Theil hat, von dem ſodann diefe jeltfame,
viele Theile zugleich erfchlitterhbe Reflerbewegung ausgeht. Das par
quintum und der nervus vagus fcheinen den meisten Antheil baran
zu haben. (P. II, 180.)
2) Das Laden als pfychiſcher Act.
Das Lachen entfteht jedesmal aus nichts Anderem, als aus ber
plöglih wahrgenommenen Incongruenz zwifchen einem Begriff und den
realen Objecten, die durch ihn im irgend einer Beziehung gebadht
worden waren, und es ift felbft eben nur der Ausdrud diefer Incon⸗
grumy. Sie tritt oft dadurch hervor, daß zwei oder mehrere reale
Dbjecte durch einen Begriff gedacht und feine Identität auf fie über⸗
fragen wird; daranf aber eine gänzliche Verfchiedenheit derfelben im
Uebrigen es auffallend macht, daß der Begriff nur in einer einfeitigen
Rüdficht auf fie paßte. Eben fo oft jedoch ift es ein einziges reales
Object, deffen Incongruenz zu dem Begriff, den es einerfeits mit
Recht fuhfumirt worden, plöglich fühlbar wird. Je richtiger nun
einerſeits die Subſumtion folcher Wirflichfeiten unter den Begriff ift,
md je größer und greller andererfeits ihre Unangemeſſenheit zu ihm,
defto ftärker ift die aus dieſem Gegenfat entjpringende Wirkung des
Lacherüchen. Jedes Lachen alfo entfteht auf Anlaß einer paraboren
und daher unerwarteten Subfumtion; gleichviel, ob diefe durch Worte
oder durch Thaten ſich ausfprict. (W. I, 70; I, 99 fg.)
Hure das Gegentheil des Lachens und Scherzes, den Ernft, vergl.
rofl.
30 Lachen
3) Das Laden als harakteriftifhes Merkmal des
Menſchen.
Wegen des Mangels an Vernunft, alſo an Allgemeinbegriffen, iſt das
Thier, wie der Sprache ſo auch des Lachens unfähig. Dieſes iſt daher
ein Vorrecht und charakteriſtiſches Merkmal des Menſchen. (WB. II, 108.)
4) Die Art und der Anlaß des Lahens als daral:
teriftifch für die Perfon.
Ge mehr ein Menſch des ganzen Exrnftes fähig ift, deſto herzlicher
kam er laden. Menfchen, deren Lachen ſtets affectirt und gezwungen
heraustommt, find intellectuell und moraliſch von leichtem Gehalt;
wie denn überhaupt die Art des Lachens, und andererfeitS der Anlaß
dazu, fehr harakteriftifch fr die Perfon if. (W. II, 109.) — Mader
und rohe Menfchen lachen bei den Heinften, fogar bei widrigen Zu:
fällen, wenn ſie ihnen unerwartet waren, aljo ihren vorgefaßten Begriff
des Irrthums überführen. (W. IT, 107.)
Die gewöhnlichen Menfchen haben Langeweile, wenn fie allein find;
fie können nicht allein lachen; fogar erfcheint ſolches ihnen närriſch.
Mangel an Phantafie und an Lebhaftigfeit des Geiſtes überhaupt ifi
es, was Ihnen, wenn fie allein find, das Lachen vermehrt. (PB. II, 645.)
5) Warum das Lachen Freude mad.
Der Grund davon, daß die Wahrnehmung der Incongruenz des
Gedachten zum Angeſchauten, alfo zur Wirklichkeit, und Freude macht
und wir uns gern ber frampfhaften Erfchütterung bingeben, welche
diefe Wahrnehmung erregt, liegt in Folgendem. Bei jeden plöglid
berportretenden Widerftreit zwifchen dem Angefchauten und dem Ge—
dachten behält Jenes allemal unzweifelhaftes Recht. Diefer Sieg ber
anfchauenden Erkenntniß über das Denken erfreut une ‘Dem das
Anſchauen ift die primäre Erkenntnißweiſe, ift da8 Medium der Gegen-
wart, des Genufles und der Fröhlichkeit, und ift mit Feiner Anftrengung
verfnäpft, während das Denken, die zweite Potenz des Erfennens, oft
Anftrengung erfordert und deren Begriffe, als das Medium der Ber:
gangenheit, der Zukunft und des Ernſtes, fich oft der Befriedigung
unferer unmittelbaren Wünſche entgegenftellen.“ Dieſe ftrenge, uner:
milbliche, überläſtige Hofmeifterin Bernunft einmal der Unzulänglichfeit
überführt zu fehen, muß uns daher ergößlicd) fein. (W. II, 107 fg.)
6) Die Miene des Ladens.
Weil da8 Lachen Freude macht, deshalb ift die Miene des Lachens
der der Freude fehr nahe verwandt. (8. II, 108.)
Was für eine ſchöne Gegend der ans den Wollen plöglich hervor-
brechende Sonnenblid, das ift für ein ſchönes Geſicht der Eintritt des
Lachens. Daher ridete puellae, ridete. (P. U, 454.)
7) Das beleidigendbe und das bittere Lachen. |
Daß das Lachen Anderer über Das, was wir thun ober enfllid
fagen, uns fo empfindlich beleidigt, beruht darauf, daß es ausſagt,
Lächerliche, das al
zwiſchen unfern Begriffen und der objectiven Realität fei eine gewaltige
Incongruenz. Aus demjelben Grunde ift das Prüdicat „Lücherlich“
beleidigend. (98. 1, 109.) |
Das eigentliche Hohngelächter ruft bem gefcheiterten Widerfacher
triumphirend zu, wie incongruent die Begriffe, welche er gehegt, zu
der fih jeßt ihm offenbarenden Wirklichkeit gewefen. Unſer eigenes
bittered Rachen bei der ſich uns ſchrecklich enthüllenden Wahrheit, durd)
welche feſt gehegte Erwartungen fid) als täufchend erweiſen, ift ber
Ichhafte Ausdrud der nunmehr gemachten Entdedung der Incongruenz
jmiihen den Gedanken, bie wir in thörichtem Vertrauen auf Menfchen
oder Schickſal gehegt, und der jest fich entfchleiernden Wirklichkeit.
(®. I, 109.)
fädherliche, das.
1) Weſen und Elemente bes Lächerlichen.
Das Lächerliche befteht in der paraboren unb daher unerwarteten
Subfumtion eines Gegenftandes unter einen ihm übrigens heterogenen
Begniff, alfo in der Incongruenz zwifchen dem Abflracten und An-
ſchaulichen. In allem Lächerlichen muß daher nachzumweifen fein ein
Degriff und ein Anfchauliches, welches zwar unter jenen Begriff ſich
ſubſumiren, mithin durch ihm denken läßt, jedoch in anderer und vor= "
waltender Beziehung gar nicht darımter gehört, fondern fi) von Allem,
was fonft durch jenen Begriff gedacht wird, auffallend unterfcheibet.
8.1, 70, 11, 99 fg.) |
2) Arten des Täherlichen.”
Tas Lächerliche zerfällt in zwei Arten. Entweder nämlich find in
der Erfenntnig zwei ober mehrere fehr verfchiedene reale Objecte, an⸗
ſchauliche Borftellungen vorhergegangen und man hat fie willkirlich
dh die Einheit eines beide faflenden Begriffs identificirt. Diefe
Art des Pächerlichen heißt Wit. Ober aber umgekehrt, der Begriff
ft in der Erkenntniß zuerft da, und man geht nun von ihm zur
Realität und zum Wirken auf diefelbe, zum Handeln über, behandelt
alſo grundverjchiedene Objecte, die alle in jenem Begriff gedacht find,
auf gleiche Weile. Diefe Art des Lächerlichen heißt Narrheit.
Demnach ift jedes Lächerliche entweder ein witziger Einfall, oder eine
nähe Handlung. Der Wis zeigt fi) immer in Worten, die
Narcheit aber meiftens in Handlungen, wiewohl and) in Worten, wenn
Ne ihr Vorhaben nur anspricht, ftatt e8 wirklich zu vollführen, oder
au in bloßen Urtheilen und Meinungen fih äußert. (W. I, 71;
II, 101—106.) .
a) Witz.
In allen Beifpielen des Wites findet man, daß einem Begriff, oder
iberhaupt einem abftracten Gedanken, ein Neales, entweder unmittelbar,
oder mittelft eines engen Begriffes, fubfumirt wird, welches zwar nad)
32 Lächerliche, das
der Strenge darunter gehört, jedoch himmelweit verfchieden ift von ber
eigentlichen und urfpritnglichen Abfiht und Richtung des Gebanfens.
Demgemäß befteht Wig, als Geiftesfähigfeit, ganz allein in der Leich
tigfeit, zu jedem vorkommenden Gegenftande einen Begriff zu finden,
unter welchem er allerdings mitgedacht werben kann, jedoch allen andern
darunter gehörigen Gegenſtünden fehr beterogen if. (W. II, 105.) —
Wis und Scharffinn find Aeußerungen der Urtheilökraft; in jenem ift
fie reflectirend, in diefem fubjumirend thätig. (W. II, 98.)
Eine Afterart des Witzes ift das Wortfpiel, calembourg, pun, zu
weichem aud) die Zweidentigfeit, l’&quivoque, deren Hauptgebraud der
objcöne (die Zote) ift, gezogen werden fann. Wie der Wit zwei fehr
verfchiedene reale Objecte unter einen Begriff zwingt, fo bringt das
MWortfpiel zwei verfchiedene Begriffe, durch Benutzung des Zufalls,
unter ein Wort; der felbe Contraft entfteht wieder, aber viel matter
und oberflächlicher, weil er nicht aus dem Wejen der Dinge, fondern
aus dem Zufall der Namengebung entiprungen if. Beim Witz ift
die Identität im Begriff, die Verfchiebenheit in der Wirklichkeit; beim
Wortſpiel aber ift die Verfchiedenheit in den Begriffen, die Identität
in der Wirklichkeit, als zu welcher der Wortlaut gehört. (W.I, 72 fg.)
b) NRarrbeit.
Die Narrheit geht vom abftracten Begriff zu dem durch diefen
gedachten Realen, oder Anfchaulichen, welches nun aber irgend eine
Incongruenz zu demfelben, die tberfehen worden, an den Tag legt,
wodurd) eine Ungereimtheit, mithin in praxi eine närrifche Handlung,
entſteht. Da das Schaufpiel Handlung erfordert, fo ift diefe Art des
Lächerlichen der Komödie mwefentlih. (W. II, 105.)
Witz als Narrheit zu maskiren ift die Kunft des Hofnarren und
des Hanswirft. Ein folder, der Diverfität der Objecte ſich wohl
bewußt, vereinigt diefelben mit heimlihem Wig unter einen Begriff,
von welchem jodanı ausgehend er von der nachher gefundenen Diverfität
der Objecte diejenige Ueberraſchung erhält, welche ex felbft fich vorbe:
reitet hatte. (W. I, 71.)
Zur Narrheit gehört aucd die Pedanterie. Dieſe, den Berftand
ganz unter die Vormundjchaft der Bernunft ftellend, geht immer von
allgemeinen Begriffen, Regeln, Marimen aus und will fich überall
genau an fie halten, Mebt daher an der Form, an der Manier, am
Ausdrud und Wort. Da zeigt ſich denn bald die Incongruenz des
Begriffs zur Realität, da jener in feiner ftarren Allgemeinheit nie
genau zu den feinen Nitancen der Wirklichkeit paßt. Der Pedant
fommt daher mit feinen allgemeinen Maximen im Leben faft immer
zu kurz, producirt in der Kunſt fteife manierirte Aftergeburten und
trifft auch in ethifcher Hinficht nicht da8 Rechte. (W. I, 71 fg;
II, 83.)
Lücherliche, das 33
3) Das abfihtlih Täherlihe: Ironie und Humor.
Das abfichtlich Xächerliche ift der Scherz; er ift das Beftreben,
zwiihen den Begriffen des Andern und der Realität, durch Verſchieben
des Einen diefer Beiden, eine Discrepanz zu Wege zu bringen; wäh⸗
rend fein Gegentheil, der Ernſt, in der wenigftens angeftrebten genauen
Angemeffenheit Beider zu einander befteht. Berftedt nun aber ber
Scherz fih Hinter den Ernft, fo entfteht die Ironie; 3. B. wenn
wir auf die Meinungen bes Andern, welche das Gegentheil der un-
ferigen find, mıit feheinbarem Exrnft eingehen unb fie mit ihm zu thetlen
fimufiren, bi8 endlich da Kefultat ihn an uns und ihnen irre mad.
Das Umgelehrte der Jronie, der Hinter den Scherz verftedte Ernſt, ift
dr Humor. Die Jronie ift objectiv, nümlich auf den Andern be=
rehnet; der Humor aber fubjectiv, nämlich zumähft nur für das
eigene Selbit da. Näher betrachtet, beruht der Humor auf einer
inbjectiven, aber ernten und erhabenen Stimmung, welche unwillkürlich
in Bonflict geräth mit einer ihr fehr heterogenen, gemeinen Außenwelt,
der fie weder ausweichen, noch ſich felbft aufgeben Tann; daher fie zur
Sermittelung verſucht, ihre eigene Anfiht und jene Außenwelt durd)
die felben Begriffe zu denken, welche hieburch eine doppelte, bald auf
diefer, bald auf der andern Seite liegende Incongruenz zu dem dadurch
gedachten Realen erhalten, wodurch der Eindrud des abfichtlich Lächer⸗
lichen, alfo des Scherzes eutfteht, hinter welchen jedoch der tieffte
Ernſt verftedt ift und durchſcheint. Fängt die Ironie mit ernfter
Diene an und endigt mit lächelnder, fo Hält der Humor es umgefchrt.
(W. II, 109—112. M. 241fg.) Es ıft Mißbrauch, das Wort
„humoriſtiſch“, in der Bedeutung von „komiſch“ überhaupt zu ge=
brauchen und jeden Spaß, jede Hanswurftiade mit „Humor“ zu
betiteln. (W. LI, 111 fg.)
Die Ironie ift platt und gemein, wenn mit plumper Abfichtlichkeit
ein Reales und Anſchauliches geradezu unter den Begriff feines Gegen⸗
teils gebracht wird; denn dann ift die Incongruenz zwifchen dem
Gedachten umd dem Angefchauten eine totale. Nur Kinder und Leute
ohne alle Bildung lachen bei folcher platten Ironie. (W. II, 104.) —
Diefer Gattung des Lächerlichen ift wegen der Uebertreibung und
deutlichen Abfichtlichkeit in etwas verwandt die Barodie. Uhr Ver⸗
fahren beftcht darin, daß fie den Vorgängen uud Worten eines ernſt⸗
haften Gebichtes oder Dramas unbebentende, niedrige Perfonen, oder
lleinliche Motive und Handlungen unterſchiebt. Sie ſubſumirt alſo
die von ihr dargeſtellten platten Realitäten unter die im Thema ger
gebenen hohen Begriffe, unter welche fie nun im gemifler Hinficht
pafien müſſen, während fie übrigens denfelben fehr incongruent ‚find;
wodurh dann der Widerftreit zwifchen dem Angeſchauten und dent
Gedachten fehr grell hervortritt. (W. II, 104 fg.)
Schopenhauer⸗Lexiton. II. 3
34 Lage — Langeweile
Kage.
Die wechfelfeitige Beftimmung der Theile des Raumes durch einander
ift die Tage. Sie ift für ben Raum daffelbe, was für die Zeit die
Folge (Succeſſion). (W. I, 9. ©. 131.)
Kandfchaft, |. unter Natur: Die üfthetifche Wirkung ber Ratur.
Kandfchaftsmalerei, ſ. Malerei.
Sangeweile.
1) Unterſchied zwiſchen Menſch und Thier in Hinfidt
auf die Langeweile. |
Der Menſch hat zwar vor dem Thiere die eigentlich intellectnellen
Genüſſe voraus, die gar viele Abftufungen zulaflen, von der einfäl:
tigften Spielerei oder auch Converfation bis zu ben höchften geiftigen
Leiftungen; aber als Gegengewicht dazu, auf der Seite ber Leiden,
tritt bei ihm Die Langeweile auf, welche das Thier, wenigſtens im
Naturzuftande, nicht kennt, fondern von der nur im gezähmten Zu:
ftande die allerflügften Thiere Leichte Anfälle fpitren; während fie beim
Menſchen zu einer wirklichen Geißel wird. (PB. I, 316.) Nur in
den allerflügften Thieren, wie Hunden und Affen, macht fich die Lange:
weile fühlbar. (P. I, 71.)
2) Noth und Langeweile als die beiden Bole des
Menſchenlebens.
Noth und Langeweile find die beiden Pole des Menſchenlebent.
($. I, 316.) Sobald Noth und Leiden dem Deenfchen eine Raſt
vergönnen, iſt gleich die Yangeweile fo nahe, daß er des Seitoertreibes
nothwendig bedarf. Was alle Lebenden befchäftigt und im Bewegung
erhält, iſt das Streben nad) Dafein. Mit dem Dafein aber, wen
ed ihnen gefichert ift, willen fle nicht anzufangen; daher ift das Zweite,
was fie in Bewegung fett, das Streben, die Laſt des Dafeins los zu
werben, es unfühlbar zu machen, „die Zeit zu tödten“, d. h. der
Langeweile zu entgehen. Demgemäß fehen wir, daß faft alle vor Not)
und Sorgen geborgene Menſchen, nachdem fle nun endlich alle audern
Taften abgemwälzt haben, jest fich felbft zur Laft find. Die Langeweile
aber ift nichts weniger, als ein gering zu achtendes Uebel; fie malt
zulegt wahre Verzweiflung auf das Gefiht. Der Kanıpf gegen bie
Langeweile ift eben fo quälend, wie der gegen bie Noth. (W. J, 868 fg.)
Noth und Schmerz erfüllen die Welt, und auf Die, welche dieſen
entronnen find, lauert in allen Winkeln die Langeweile. (P. I, 352.)
Wie die Noth bie beftändige Geißel des Volles ift, fo die Langeweile
bie der vornehmen Welt. Im bilrgerlichen Leben ift fie durch den
Sonntag, wie die Noth dur die ſechs Wochentage vepräfentitt.
(W. I, 370. P. 1, 347.)
Der allgemeinfte Veberblid zeigt uns, als die beiden Feinde des
menfhlichen Glüdes, den Schmerz und die Langeweile. In dem
Langeweile 35
Maaße, ale es uns glüdt von einem derſelben zu entfernen, nähern
wir und den andern und umgelehrt; fo daß unfer Leben wirklich eine
ſtärlere, oder ſchwächere Oscillation zwifchen ihnen barftellt. Dies
entfpringt daraus, daß Beide im einem doppelten Antagonismus zu
einander ftehen, einem äußern, oder objectiven, und einem innern, ober
fnbjectiven. (P. I, 347. 9. 447.)
3) Die Langeweile ald Beweis der Werth- und Be-
baltlofigkeit des Daſeins an ſich ſelbſt.
Die Langeweile beweift geradezu, daß das Dafein an ſich felbft
feinen Werth bat; denn fie ift eben nur die Empfindung der Leerheit
deſſelben. Wenn nämlich das Leben, in dem Verlangen nad) welchem
unfer Weſen und Daſein befteht, einen pofitiven Werth und realen
Gehalt in ſich felbft Hätte; fo könnte es gar feine Langeweile geben,
fondern das bloße Dafein an ſich felbft müßte und erfüllen und be⸗
friedigen. (P.1, 307.) Daß hinter der Noth ſogleich die Langeweile
liegt, welche jogar die klügeren Thiere befällt, ift eine Folge davem,
daß das Leben feinen wahren ächten Gehalt hat, jondern blos durch
Bedürfniß und Illuſion in Bewegung erhalten wird; fobalb aber
biefe flodt, tritt die gänzliche Kahlheit und Leere bes Daſeins ein
@$. I, 311.)
4) Wirkungen der Rangeweile.
Die Langeweile macht, daß Weſen, welche einander fo wenig lichen,
wie die Menſchen, doch fo fehr einander fuchen, und wird bedurd bie
Quelle der Geſelligkeit. (W. I, 369. P. I, 349. 449 fg) Und
werden überall gegen die Langeweile, wie gegen audere eligeme:m
Calamitãten, öffentliche Borkehrungen getroffen, ſchon aus Exastsfing-
keit; weil dieſes Uebel, fo gut als fein entgegengeſetztes (Extrem, Die
Hungereuoth, die Menfchen zu den größten 3 item treiben
lann. (8. I, 369.) Die Reiſeſucht ift eine Folge der Langewenr.
Das die Menſchen durch die Länder jagt, ift die ſelbe Yangewene,
welche zu Hauſe fie haufenweiſe zufammentreibt und —7
daß es ein Spaß iſt, es anzuſehen. (P. II, 645.) Ferner Kare⸗en⸗
ſpiel und andere Spiele. Der Langeweile zu begeguen, ſchecht mar
dem Willen Heine, blos eiuftweilige Motive vor, ihn zu errege us
dadurch auch den Intellect, der fie aufzufaflen Hat, u Thaugger 48
veriegen. Solche Motive nun find die Spiele, mit Rarien x | =_
welche zu befagtem Zweck erfunden worden find; fe: c# ver, u
hilft der befchränkte Menſch fi durch Slappern und Zromuru, me
Am, wos er in die Hand kriegt. Au Die Eigene ıp Am wu
willlammenes Sureogat der Gedanken. (B. I, 350. we. I, 51, ',,
And der innern Leerheit, welche die Duelle der Langemwerie de, up y1
die Sucht nach Geſellſchaft, Zerftreuung, Berguligen u runs yı
— welche Biele zur Verſchwendung und Damm zum Leu⸗ Malt,
. 1, 348.)
ze
36 Laofoon — Lärm
5) Gegenfag zwifchen ber Geiſtesſtumpfheit und Beiftes-
regfamfeit in Hinſicht auf die Langeweile.
Aus der Geifteöftumpfheit geht jene auf zahlfofen Geſichtern aus:
geprägte, wie auch durch die beftändig rege Aufmerkſamleit auf all,
jelbft die Mleinften Vorgänge in der Außenwelt ſich verrathende innere
Leerheit hervor, welche die wahre Duelle ber Langeweile ift und fiets
nach äußerer Anregung lechzt, um Geift und Gemilth durch irgend
etwad in Bewegung zu bringen. (P. I, 347.) Dagegen läßt ber
innere Reihthum, je mehr ex fi) der Eminenz nähert, der Yange-
weile immer weniger Raum. Die unerfchöpfliche Regſamleit der
Gedanlen aber, ihr an den mannigfaltigen Erfcheinungen der Imen⸗
nnd Außenwelt fich ftetS erneuerndes Spiel, die Kraft und ber Trieb
zu immer andern Sombinationen derfelben, fegen den eminenten Kopf,
die Augenblicke der Abſpannung abgerechnet, ganz anßer dem Bereid
der Langeweile. (P. I, 348.) Dem Manne von Genie fam bie
Langeweile, dieſer beftändige Haustenfel der Gewöhnlichen, fi md
nähern. (P. I, 84.)
Daß die beichränkten Köpfe der Langeweile fo fehr ausgefekt find,
fommt daher, daß ihr Intellect durchaus nichts weiter, als dat
Medium der Motive fir ihren Willen if. Sind nun vor ber
Hand feine Motive aufzufaflen ba, fo ruht der Wille und feiert der
Imtellect; diefer, weil er fo wenig, wie jener, auf eigene Hand in
Tätigkeit geräth. Das Refultat ift fchredliche Stagnation aller Kräfte
im ganzen Mienfchen, — Langeweile. (P. I, 350.)
6) Verhältniß der Tebensalter zur Langeweile.
Die Zeit unfers Lebens Hat in der fubjectiven Schäßung eine be
fhleunigte Bewegung, indem Jedem nach Maßgabe feiner Entfernung
vom Lebensanfange die Zeit fchnellee und immer fchneller verfließt.
Wir find daher der Langeweile durchweg im umgelehrten Verhältniß
unfers Alters unterworfen. Kinder bebirfen beftändig des Zeitwer⸗
treibes, fei e8 Spiel oder Arbeit; ſtockt er, fo ergreift fie augenblidiid
entfegliche Rangeweile. Auch Jünglinge find ihr noch ſehr unterworfen
und fehen mit Beforgnig auf unausgefüllte Stunden. Im männlichen
Alter ſchwindet die Sangeweile mehr und mehr; Greifen wird die Zeit
ftetS zu kurz und die Tage fliegen pfeilfchnell vorüber. Durch diefe Be
ſchleunigung des Laufes der Zeit fällt alſo in fpätern Fahren meiftene
die Rangeweile weg. (P. I, 519 fg.)
Kookoon, |. Sculptur.
Kürm.
1) Warum Lärm flörend auf den Geiſt wirtt.
Das Gehör ift ein paffiver Sinn. Daher wirken Töne ftörend
und feindlih auf unfern Geift, und zwar um fo mehr, je thätiger
und entwidelter biefer ift; fie zerreißen alle Gedanlen, jerrütten
Latein 37
momentan bie Denkkraft. Es iſt dies daraus exflärlich, daß das Hören
vermödge einer mechanischen Erfchütterung bes Gehörnervens vor ſich
gebt, die ſich fogleich bis tief ins Gehirn fortpflanzt, deſſen ganze
Maſſe die durch den Gehörnerven erregten Schwingungen dröhnend
mit empfindet. Denkende Köpfe und überhaupt Leute von vielem Geift
fönnen baher feinen Lärm vertragen. Bewunderungswürdig bagegen
iM die Unempfindlichleit gewöhnlicher Köpfe gegen den Lärm. Die
Duantität Yärm, die Jeder unbeichwert vertragen kann, fteht wirklich
in umgekehrtem Berhältniß zu feinen Geiftesfräften und kann als bas
ungefähre Maß bderfelben betrachtet werden. (W. I, 33 — 35.
?. II, 678 fg.)
2) Die Toleranz gegen Lärm als ein Zeichen geiftiger
Stumpfpeit.
Unmöglicd) könnte, wenn diefe Welt von eigentlich dentenden Wefen
bendtfert wäre, der Lürm jeder Art fo unbefchräntt erlaubt und frei-
gegeben fein, wie fogar der entfetlichfte und dabei zweckloſe es ift.
®. II, 535.)
Die allgemeine Toleranz gegen unnöthigen Lärm, z. B. gegen das
jo Höhft ungezogene und gemeine Thürenwerfen, ift geradezu ein
Zeichen der allgemeinen Stumpfheit und Gebantenleere der Köpfe.
($. U, 681.) Ganz civilifirt werden wir erft fein, wann auch bie
Ohren nicht mehr vogelfrei fein werden und nicht Jedem das Necht
zuftehen wird, das Bewußtſein jedes denkenden Weſens auf taufend
Schritte in die Runde zu burchfchneiden wmittelft Pfeifen, Helen,
Brüllen, Hämmern, Beitfchenflatfchen, Bellenlaſſen u. ſ. w. (W. IL, 35.)
Latein.
1) Segenfag zwifhen den Latein Verfiehenden und
den es Nichtverſtehenden.
Der Meuſch, welcher kein Latein verſteht, gleicht Einem, der ſich in
einer Schönen Gegend bei nebligem Wetter befindet; fein Horizont iſt
äußerft beſchränkt. Der Horizont des Lateinerd bagegen geht fehr
weit, durch die neuern Jahrhunderte, das Mittelalter, das Altertfum. —
Ber fein Latein verfteht, gehört zum Volle, auch wenn ex ein großer
Birtuofe auf der Elektriſirmaſchine wäre und das Radical der Fluß-
Ipathfäure im Ziegel hätte (P. II, 606.)
2) Wichtigkeit des Lateins als allgemeiner Gelehr-
tenfprade.
Die Abſchaffung des Lateinifchen als allgemeiner Gelehrtenfprache
und die dagegen eingeführte Kleinbürgerei der Nationallitteraturen ift
Nie die Wiflenfchaften in Europa ein wahres Unglüd geweſen. Zu⸗
nachſt, weil es nur mittelft der lateiniſchen Sprache ein allgemeines
emopäiiches Gelehrtenpublicum gab, an defien Geſammtheit jedes er-
ſcheinende Buch, fich direct wandte. Nun ift aber die Zahl ber eigentlich
38 Laune
denkenden und urtheilsfähigen Köpfe in ganz Europa ohnehin fen je
Mein, daß, wenn man ihr Forum noch durch Sprachgrängen zerſtückelt un
auseinander reißt, man ihre wohlthätige Wirkſamkeit unendlich ſchwächt
Hieran wird ſich balb ein zweiter, nod) größerer Nachtheil Inüpfen:
das Aufbören der Erlernung der alten Spradien. (P. II, 521. 576.)
Yateinifche Autoren mit deutſchen Noten herauszugeben, wie jet
gefchieht, ift eine Schweinerei und cine Infamie. (BP. II, 521. 606.
.3) Das Lateinfhreiben als befte Borfchule zum voll:
fommenen Ausdrud in der Mutterfprade.
Durch das Lateinfchreiben allein lernt man die Diction als an
Kunftwerk behandeln, deilen Stoff die Sprache ift, welche daher mit
größter Sorgfalt und Behutjamkeit behandelt werben muß. Demnach
richtet ſich jett eine gefchärfte Aufmerkjamfeit auf die Bedeutung und
den Werth der Worte, ihrer Zufammenftellung und ber grammatilaliſchen
Tormen; man lernt diefe genau abwägen und fo bas Toftbare Material
handhaben, welches geeignet ift, dem Ausdruck und der Erhaltung
wertbvoller Gedanken zu dienen; man lernt Reſpect baben vor der
Sprache, in der man fihreibt, fo dag man nicht nad Willlür und
Laune mit ihr umfpringt, um fie umzumodeln. Ohne diefe Borfäule
artet die Schreiberei leicht in bloßes Gewäſche aus. (P. IL, 60518.)
4) Gegen das Nachahmen des Stils der Alten beim
Lateinfhreiben.
Fremden Stil nahahmen heißt eine Maske tragen. Darum gleichen
denn auch die Lateinifch fehreibenden Schriftfteller, welche den Stil der
Alten nachahmen, doch eigentlich den Masten. Dean Hört nänılıd
wohl was fie fagen, fieht aber nicht dazu auch ihre Phyſiognomie, den
Stil. Wohl aber fieht man auch diefe in den lateiniſchen Schriften
der Selbſtdenker, als welche fich zu jener Nachahmung niht be
quemt haben, 3. B. Skotus Erigena, Petrarka, Bako, Kartefiut,
Spinoza, Hobbes u. a.m. (P. II, 550.)
5) händler Zauber gereimter lateiniſcher Or
dichte.
In keiner Sprache macht der Reim einen fo wohlgefälligen und
mächtigen Eindrud, wie in ber lateinifchen; die mittelalterliden ge
reimten Iateinifchen Gedichte haben einen eigenthümlichen Zauber, Man
muß e8 daraus erffären, daß die Iateinifche Sprache ohne allen Vergleid
volllommener, ſchöner und edler ift, als irgend eine der neueren, und
nun in dem, eben diefen angehörigen, von ihr felbft aber urſprünglich
verſchmähten Putz und Flitter fo anmuthig einhergeht. (W. UI, 487.
ſaune.
Durch den Begriff Laune (wahrſcheinlich von Luna) wird in allen
feinen Mobificationen ein entſchiedenes Ueberwiegen des Subjectiven über
das Objective bei der Auffaffung der Außenwelt gedacht. Der Humot
beruft auf einer bejondern Art der Laune. ®. IT, 111. Berg.
unter Lächerlich: Humor.)
Leben 39
Schen.
A. Das phufiihe Leben.
1) Wefen bes Lebens und Gegenſatz des Lebenden gegen
das Lebloſe.
Das Peben läßt ſich definiren als der Zuſtand eines Körpers, im
welchem er unter beftändigem Wechjel der Materie feine ihm wefent-
Ihe (fubftantielle) Form allezeit behält. (PB. I, 172.) Das We—
ſentliche alles Lebens ift allein ber beftändige Wechfel der Materie beim
Beharren der Form. (BP. II, 143. W. M, 335.)
Seit Anfang biefes Yahrhunderts bat man gar oft dem Unorga-
niihen ein Leben beilegen wollen; — jehr fälſchlich. Lebendig md
Organifch find Wechjelbegriffe; auch hört mit bem Tode da8 Organifche
auf, organifch zu fein. In der ganzen Natur aber ift feine Gränze
ſo ſcharf gezogen, wie die zwifchen Organifchem und Unorganifchen,
d.h. Dem, wo die Form das Wefentliche und Bleibende, die Materie
da8 Accidentelle und Wechfelnde ift, — und Dem, wo dies fich gerade
umgelehrt verhält. Die Gränze ſchwankt bier nicht, wie vielleicht
zwiihen Thier und Pflanze, feit nnd flüffig, Gas und Dampf; alfo
fie auffeben wollen Heißt abfichtlich Verwirrung in unfere Begriffe
bringen. Hingegen kommt dem Leblofen, Unorganifchen jo gut, wie
dem Lebendigen, Organifchen, Wille zu. (NR. 83 fg.) Das in unfern
Zagen fo beliebte Gerede vom Neben des Unorganiſchen, ja fogar des
Erdlörpers, und daß diefer, wie and das Planetenfyften, ein Orga-
niemus fer, ift durchaus unftatthaft. Nur dem Organifchen gebührt
dad Prädicat Leben. (W. II, 335 fg.)
Alle Lebensproceſſe erfordern, um gehörig vollzogen- zu werden, Be⸗
wegung ſowohl der Theile, worin fie vorgehen, als des Ganzen. Daher
ſagt Ariftoteles mit Recht: 5 Buog ev Tn xımosı sort. Das Leben
befteht in der Bewegung und hat fein Weſen in ihr. Daher ba
Schadliche der figenden Febensweife. Sogar die Bäume bedürfen, um
zu gedeihen, der Bewegung durch den Wind. (P.I, 343.-466.) Der
unorganifche Körper Hat feinen Beitand durch Ruhe und Abge-
ſchloſſenheit von äußern Einflüffen; hiebei allein erhäft ſich fein Dafein,
und, wenn diefer Zuftand volllommen ift, ift ein folder Körper von
endlofer Dauer. Der organifche hingegen hat feinen Beſtand gerabe
duch die fortwährende Bewegung und ſtetes Empfangen äußerer
Einfläfe; ſobald diefe wegfallen und die Bewegung in ihm flodt, ift
er todt und Hört damit auf organifch zu fein, wenn auch die Spur
des dageweſenen Organismus noch eine Weile beharrt. (W. IL, 335 fg.)
2) Die äußern Urſachen des Lebens.
Der erſte Anknüpfungspunft des Lebens an die Außenwelt ift der
Athmungsproceß; daher muß die Bewegung des Lebens als von ihm
autgehend und er als das erſte Glied der Kauſallette gedacht werben.
Demmach tritt als erſter Impuls, alſo als erſte äußere Urſache des
40 Leben
Lebens ein wenig Luft auf, welche eindriugend und oyydirend, fernen
Proceſſe einleitet und fo das Leben zur Folge bat. Die zweite
äußere Urfache des Lebens ift die Nahrung. Auch fie wirkt anfangs
don außen, ald Motiv, doc nicht fo dringend und ohne Aufſchub zu
geftatten, wie die Luft; erft im Magen fängt ihre phyſiologiſche
Taufale Wirkſamkeit an. (P. II, 178.)
3) Der Kampf des Lebens gegen die mechaniſchen un
hemifhen Kräfte.
Obgleich der Organismus fein zufälliges, durch das Wirken mede-
nifcher und chemifcher Kräfte hervorgebrachtes Phänomen ift, fondern
eine höhere “dee, welche fid) jene niedrigeren durch überwältigende
Affimilation unterworfen bat; fo ift doch kein Sieg ohne Kampf.
Indem die höhere bee nur durch UWeberwältigung der niebrigen
bervortreten kann, erleidet fie den Widerſtand diefer. So unterhält der
Organismus einen dauernden Kampf gegen bie vielen phufifchen und
chemischen Kräfte, welche, als niedrigere Ideen, ein früheres Recht auf
die Materie haben. Daher finft der Arm, den man eine Weile mit
Ueberwältigung der Schwere gehoben gehalten; daher ift das behaglicht
Gefühl der Gefundheit fo oft von Unbehaglichkeit unterbrocden. Taber
auch deprimirt die Verdauung alle animalifchen Yunctionen. Daher
überhaupt die Laſt des phyfifchen Lebens, die Nothwendigkeit des
Schlafes und zulegt des Todes. (W. I, 173 fg.)
4) Der Gegenſatz zwifchen dem organifchen und anı-
malifchen Xeben.
Bichat'é Gegenfag von organiſchem und animalifchem Leben
entfpricht dem Gegenfag von Wille und Intellect. Alles, was
die „Welt als Wille und Vorſtellung“ dem eigentlichen Willen zu:
jchreibt, Legt Bichat dem organifchen Xeben bei, und Alles, was fie
als Intellect faßt, ift bei ihm das animale Leben. Bichat's Be⸗
trachtungen und die der „Welt ala Wille und Vorſtellung“ umterftügen
ſich wechfelfeitig, wie phyfiologifcher und philofophifcher Kommentar.
Jener geht vom Objectiven, d. h. vom Bewußtjein anderer Dinge,
diefe vom Subjectiven, vom Selbftbemußtfein aus. (MW. II, 296— 304.)
B. Charakter, Werth und Zwei des Lebens im Ganzen.
1) Der Kebenswille als blinder Drang.
Wille zum Leben, weit entfernt, eine beliebige Hypoſtaſe, oder gar
ein leeres Wort zu fein, ift der allein wahre Yusdrud des innerften
Wefend der Welt, wie der univerfelle Lebensdrang und das verzweifelt:
Sträuben und Wehren gegen den Tod in ber Thier- und Menſchen⸗
welt beweift. Sehen wir uns nun aber den dikrftigen Ertrag dee
ganzen mühſäligen, auf Erhaltung des Lebens bedachten Treibens an,
fo müſſen wie zu ber Einficht gelangen, daß der überfchwänglich Narle
Hang aller Thiere und Menfchen, das Leben zu erhalten und mögkäft
Leben 41
lange fortzufegen, keineswegs das Kefultat irgend einer objectiven Er=-
fenntnig vom Werthe des Lebens, fonbern ein von aller Erkenntniß
unabhängiges Urfprüngliches und Unbedingtes, ein blinder Drang, ein
völlig grundlofer, unmotivirter Trieb ift, oder mit andern Worten,
daß jene Wefen nicht als don vorne gezogen, fondern als von Hinten
getrieben ſich darftellen. Nur aus der Urfprünglichkeit und Unbedingt-
beit des Willens zum Leben ift es erklärlich, daß der Menſch ein
Dafein voll Noth, Plage, Schmerz, Angft und bann wieder voll
Langeweile, welches, rein objectiv betrachtet und erwogen, von ihm vers
abſcheut werden müßte, über Alles Tiebt und deſſen Eude über Alles
fürchtet. Wie mit dem Ausharren im Leben, fo ift es auch mit dem
Zreiben und ber Bewegung beffelben.- Diefe ift nicht etwas irgend frei
Erwähltes; fondern, während eigentlich Jeder gern ruhen möchte, find
Noth und Langeweile die Peitjchen, welche bie Bewegung der Kreifel
unterhalten. Daher trägt das Ganze und jedes Einzelne das Gepräge
eines erzwungenen Zuftandes, und bier liegt, beiläufig gejagt, der Ur-
Iprung des Komifchen, des Burlesfen, Grottesken, der fragenhaften Seite
des Lebens. (W. II, Cap. 28.)
Die auf der ganzen Erde gebräucdjlihe Anwünſchung fangen Lebens
läßt fi nicht wohl aus der Kenntniß, was das Leben, hingegen aus
der, was der Menſch feinem Wejen nad) fei, nämlich Wille zum Leben,
eflären. (P. II, 620.)
2) Verwandtſchaft zwifchen Leben und Traum.
Die enge Berwandtfchaft zwifchen Leben und Traum ift von vielen
großen Geiftern anerkannt und ausgeſprochen worden. Sie läßt fidh
gleichnigweife fo ausdrücken: Das Leben und die Träume find Blätter
eines nnd des nämlichen Buches. Das Lefen im Zufammenhang heißt
wirfliches Leben. Warn aber die jebesmalige Lefeftunde (der Tag) zu
Ende und die Exrholungszeit gekommen ift, fo blättern wir oft noch
müßig und fchlagen, ohne Ordnung und Zuſammenhang, bald hier,
bald dort ein Blatt auf; oft ift es ein ſchon gelefenes, oft ein nod
unbefanntes, aber immer aus dem felben Buch. So ein einzeln ge
leſenes Blatt ift zwar außer Zufammenhang mit ber folgeredhten
Durchleſung; doc ſteht es hiedurch nicht jo gar fehr hinter dieſer
zurück, wenn man bedenkt, daß aud) das Ganze der folgerechten Lectüre
eben fo ans dem Stegereife anhebt und endigt unb ſonach nur als ein
größeres einzelnes Blatt anzufehen if. (W. I, 20 fg.)
Jedes Individuum und deffen Lebenslauf ift nur ein kurzer Traum
mehr des unendlichen Naturgeiftes, des beharrlichen Willens zum Leben,
iſt nur ein flüchtiges Gebilde mehr, das er fpielend Hinzeichnet auf
fein unendliches Blatt, Raum und Zeit, und eine gegen dieſe ver-
ſchwindend Meine Weile beftehen läßt, dann auslöfcht, neuen Platz zu
machen. (W. I, 379.)
42 Leben
3) Die tragifche und die Fomifche Seite bes Kebent.
Das Leben ift nie fchön, fondern nur die Wilder des Lebens find
es, nämlich im verflärenden Spiegel der Kunft oder der Poefle. (B. 11,
426.) Das Leben im Ganzen und Allgemeinen überfehen tft immer
ein Trauerfpiel, im Einzelnen durchgegangen bat es ben Charakter des
Luſtſpiels. (W. L, 380. H. 371. 447.) Wenn man von der Be
trachtung des Weltlaufs im Großen und zumal der reißend ſchnellen
Succeſſion der Menfchengefchlechter und ihres ephemeren Scheindafeins
ſich hinwendet auf das Detail des Menſchenlebens, wie etwa die
Komödie es barftellt; fo ift der Eindrud, den jetzt diefes macht, dem
Anblid zu vergleichen, den, mittelft des Sonnenmilcoflops, ein von
Infuſionsthierchen wimmelnder Tropfen, ober ein fonft unſichtbares
Häuflein Käfemilben gewährt, deren eifrige Thätigkeit und Streit und
zum Lachen bringt. ‘Denn wie bier im engften Raum, fo bort in ber
fürzeften Spanne Zeit, wirkt die große und ernftliche Wetivität lomiſch.
(®. II, 309.)
4) Die Unjeligleit des Lebens.
Alles Leben ift weientlich Leiden. In dem Maaße, als die Cr:
fheinungen des Willens vollkommener werben, wirb auch das Leiden
mehr und mehr offenbar. Mit der Steigerung des Bewußtſeins wählt
auch die Dual, welche folglich ihren höchſten Grab im Menſchen er
reicht und dort wieder um fo mehr, je intelligenter er if. (®. 1,
365 fg.) Das beftändige Streben ohne Ziel und Raſt, das uns [hen
in der erfenntnißlofen Natur ald deren inneres Weſen entgegentrat,
tritt uns bei der Betrachtung des Thieres und des Menſchen ned
deutlicher entgegen. Wollen und Streben ift fein ganzes Weſen, einem
unlöfhharen Durft vergleichbar. Die Bafis alles Wollens aber iR
Bedirftigkeit, Mangel, aljo Schmerz, dem er folglich ſchon urſprünglich
und durch fein Weſen anheimfällt. Fehlt es ihm hingegen an Ob-
jecten des Wollens, indem die zu leichte Befriedigung fie ihm fogleih
wieder wegnimmt; fo befällt ihn furchtbare Leere und Langemeike.
Sein Leben ſchwingt alfo, gleich einem Pendel, hin und her, zwiſchen
dem Schmerz und ber Langeweile, welche beide in der That deſſen
legte Beftandtheile find. (W. I, 367—371; II, 406. — Vergl. auch
Langeweile.)
Wovon und fehon die Unterfuchung der erften elementaren Grund⸗
züge bes Menſchenlebens a priori überzeugt, daß nämlich daſſelbe
Schon der ganzen Anlage nad; feiner wahren Glüdfäligfeit fähig, fon
dern weſentlich ein vielgeftaltetes Leiden und ein durchweg unfeliger
Zuftand ift, — davon ift bie Veftätigung a posteriori überall leid!
zu haben. (W. J, 382 fg.; II, Cap. 46. P. II, Cap. 12. 9. 42119. -
Bergl. auch Glückſäligkeit.)
5) Zwed des Lebens.
Die Bantheiften entblöden fich nicht, zu fagen, das Leben ja
„Selöftzwed”. Wenn dieſes unfer Dafein der legte Zwed der Belt
Lebensalter 43
wäre; fo wäre es der alberufte Zweck, ber je geſetzt worden, möchten
mn wir felbft, oder ein Anderer ihn gefeßt haben. (PB. II, 306.)
Wenn nicht der nächſte und unmittelbarfte Zweck unfers Pebens das
Leiden tft; fo iſt unſer Dafein das Zweckwidrigſte auf der Welt. Denn
es ift abfurd anzunehmen, daß der endlofe, aus ber bem Leben weſent⸗
lichen Noth entfpringende Schmerz, wovon die Welt überall voll if,
zwedios und rein zufällig fein ſollte. (P. IL, 312.) Wenn bie Welt
und das Leben Selbitzwed fein und demnach theoretifch Feiner Recht⸗
fetigung, praktiſch feiner Entfhädigung ober Gutmachung bedürfen
foßten; dann müßten nicht etwa die Leiden und Plagen des Lebens
duch die Genüffe und das Wohlfein in demfelben völlig ausgeglichen
werden, fondern es milßte ganz und gar feine Leiden geben und aud)
der Tod nicht fein, oder nichts Schredliches fiir uns haben. Nur fo
würde das Leben fiir fich felbft bezahlen. (W. II, 659 fg.) Alter
und Tod, zu denen jedes Leben nothwendig hineilt, find das aus den
Händen der Natur felbft erfolgende Berdbammungsurtheil über den Willen
zum Leben, welches ansjagt, daß dieſer Wille ein Streben ift, dag fich
ſelbſt vereiteln muß. „Was du gewollt Haft“, fpricht es, „endigt fo;
wolle etwas Beſſeres.“ — Alfo die Belehrung, welche eben fein
Leben giebt, befteht im Ganzen darin, daß die Gegenſtände feiner
Wünſche beftändig täufchen, wanfen und fallen, ſonach mehr Dual als
Frende bringen, bis endlich fogar der ganze Grund und Boden, auf
dem fie ſämmtlich fichen, einftürzt, indem fein Leben felbft vernichtet
wird und er fo bie letzte Bekräftigung erhält, daß aU fein Streben
und Wollen eine Verkehrtheit, ein Irrweg war. (W. II, 656 fg.)
Das menschliche Dafein, weit entfernt, den Charakter eines Geſchenks
zu tragen, hat ganz und gar den einer contrahirten Schuld. Die
Einforderung derſelben erfcheint in Geftalt der, durch jenes Dafein
gefeßten, dringenden Bebürfnifle, quälenden Wüuſche und endlofen Noth.
Auf Abzahlung diefer Schuld wird, in der Regel, die ganze Lebenszeit
verwendet; doch find damit erft die Zinfen getilgt. Die Capital-
abzahlung gefchieht durch den Tod. — Und wann wurde diefe Schulb
contrahirt? — Bei der Zeugung. Wenn man demgemäß ben Dienfchen
anficht als ein Weſen, deſſen Dafein eine Strafe und Buße if; —
jo erblikt man ihn im richtigen Lichte. (W. II, 663. 650.) Der
Bertö des Lebens befteht gerade darin, das es uns lehrt, es nicht zu
wollen. (P. II, 343.)
Bergl, auch: Heilsordnung und unter Dafein: Zwed bes
Dafeins,)
Schensalter.
1) Beharrlides und Beränderlidhes in den verfcie-
denen Lebensaltern.
Bei der Bergleichung unſerer Denktungsart in verfchiedenen Lebens-
altern bietet fich ums ein fonberbares Gemifch von Beharrlichkeit und
Verunderlichleit dar. Einerſeits ift die moralifche Tendenz des Mannes
44 Lebensalter
und Greifes noch die felbe, welche die des Knaben war; anbererfeitt
ift ihm Vieles fo entfremdet, daß er ſich nicht mehr kennt und fid
wundert, wie er einft Diefes und Jenes thun oder fagen gekonnt.
Bei näherer Unterfuhung wird man finden, daß das Beränderliche der
Intellect war, mit feinen Fuuctionen der Einfiht und Erlkenntniß.
Als das Unabänderliche im Bewußtſein hingegen weit fich gerade die
Baſis defielben aus, der Wille, aljo die Neigungen, Xeibenjchaften,
Affecte, der Charakter; wobei jebod die Modificationen in Rechnung
zu bringen find, welche von den Törperlichen Fühigleiten zum Genuſſe
und hiedurd) vom Alter abhängen. So z. B. wird die Gier nad)
finnlihen Genuß im Snabenalter als Nafchhaftigkeit auftreten, im
Jünglings⸗ und Mamesalter als Hang zur Woluft, und im Greiſen⸗
alter wieder als Naſchhaftigkeit. (W. II, 252. 263— 267)
Unfer ganzes Leben hindurch Haben wir immer nur die Gegen⸗
wart inne, und nie mehr. Was diefelbe unterfcheidet ift bios, daß
wir am Anfang eine lange Zukunft vor uns, gegen das Ende aber
eine lange Bergangenheit Hinter uns fehen; fobann, daß unfer Tem:
perament, wiewohl nicht unfer Charakter, einige befannte Veränderungen
durchgeht, wodurch jedes Mal eine andere Färbung der Gegenwart
entſteht. (P. I, 508.)
2) Charafter der Kindheit.
In der Kindheit verhalten wir und viel mehr erfennend, als
wollend. Gerade hierauf beruht jene Glückſäligkeit des erften Viertels
unfer Lebens, in Folge weldyer es nachher wie ein verlorenes Paradies
hinter uns liegt. Wir haben in ber Kindheit nur wenige Beziehungen
und geringe Bebürfniffe, alfo wenig Anregung bes Willens; der
größere Theil unſers Weſens geht demnad im Erkennen auf, und
zwar in dem Erkennen, das in Stillen an den individuellen Dingen
und Vorgängen die Grundtgpen, die Ideen, das Weſen des Lebens
felbft aufzufaflen beſchäftigt iſt. Hieraus entfpringt die Poefie und
Seligkeit der Kinderjahre. (P. I, 508-511. W. II, 449 fg.
$. II, 456.) Ä
Zum Glück der Kindheit trägt auch noch diefes bei, daß wir in
früher Kindheit alle einander ähnlich find, daher vortrefflicd harmoniren.
Aber mit der Pubertät füngt die Divergenz an und twird, wie bie der
Radien eines Cirkeld immer größer. (P. I, 511.)
Die Lernbegierde der Kinder ift ſtark, wenn fie das wahrhaft
Brauchbare und Notäwendige vor fich fieht, und erfcheint nur dann
fhwah, wenn wir den: Finde das ihm Unangemefjene aufbringen
wollen. (G. 100.) Knaben zeigen meiftens Wißbegier; Heine Mädchen
bloße Neugier, diefe aber in ftupendem Grade und oft mit wider
wärtiger Naivetät. Die dem weiblichen Gefchlechte eigenthümliche
Richtung auf das Einzelne, bei Uinempfänglichfeit flir das Allgemeine,
kündigt fi hierin fyon an. (P. II, 66.)
Lebensalter 45
3) Charakter des Ingendalters.
Was den Reſt der erften Hälfte, die fo viele Vorzüge vor ber
zweiten hat, alfo das jugendliche Alter tritbt, ja unglüdlich macht ift
das Tagen nad) Glüd, in der feften Vorausſetzung, es müſſe im
Leben anzutreffen fein. Daraus entipringt die fortwährend getäuſchte
Hoffnung und aus diefer die Unzufriedenheit. Wir find in unfern
Yinglingsjahren mit unferer Rage und Umgebung meiftens unzufrieden,
weil wir ihr zufchreiben, was der Leerheit und Armfeligfeit bes
menfchlichen Lebens überall zufommt, und mit der wir jegt die erfte
Bekanntſchaft machen, nachdem wir ganz andere Dinge erwartet hatten.
(P. J. 511. 433.) Der Yüngling erwartet feinen Lebenslauf in Form
eines intereffanten Romans. Dergleihen melancholifche Yitnglings-
ſchwärmerei verlangt eigentlich etwas fich geradezu Widerfprechendes,
Denn bie Schönheit, mit ber bie erfehnten, poetifchen Gegenſtände
und Situationen ſich darftellen, beruht gerade auf der reinen Objectivi⸗
tät, d. i. Sutereffelofigfeit ihrer Anfchauung und würde daher burd)
die Beziehung auf den eigenen Willen, welche der Jüngling ſchmerzlich
vermißt, fofort anfgehoben, mithin der ganze Zauber gar nicht vor-
handen fein. Verwirklicht werden heißt mit dem Wollen ausgefüllt
werden, welches Wollen unausweichbare Schmerzen herbeifithrt. (W. II,
426. 486. P. I, 512.) In der Jugend ift, beſonders auf Tebhafte
und phantaflereiche Köpfe, der Eindrud des Anfchaufichen, mithin aud)
der Außenſeite der Dinge, fo überwiegend, daß fie die Welt anfehen
als ein Bild; daher ihnen hauptfächlich angelegen ift, wie fie darauf
figuriren und fi) ausnehmen, — mehr al8 wie ihnen innerlich babei
zu Muthe fei. Dies zeigt fich fchon in der perfänlichen Eitelkeit und
Pugfucht der Jünglinge. (P. I, 521.)
4) Segenjag zwifchen Jugend und Alter.
Die Jugend ift die Zeit der Illuſionen; das Alter die der Ent:
täufäungen. In ber Kindheit fiellt das Leben ſich uns bar, wie eine
Thenterbecoration, von Weiten gefehen; im Alter, wie diefelbe in der
größten Nähe. (BP. I, 511.) Iſt der Charakter der erften Lebens⸗
hälfte umbefriedigte Sehnſucht nach Süd, fo ift der der zweiten Bes
forgnig vor Unglüd. (P. I, 512.) Die zweite Hälfte des Lebens
enthält, wie die zweite Hälfte einer mufilalifchen Periode, weniger
Strebfamfeit, aber mehr Beruhigung, als die erfte, welches darauf
beruht, dag man in der Jugend bemit, in der Welt fei Wunder was
fir Gluck und Genuß anzutreffen, nur ſchwer dazu zu gelangen;
während man im Alter weiß, daß da nichts zu holen ift, alfo voll«
tommen darüber beruhigt, eine erträgliche Gegenwart genicht. (P. 1,
512 fg. 523—526.) In der Jugend herrſcht die Anfchauung, im
Ater das Denken vor; daher ift jene die Zeit für Poefie, diefes mehr
für Philoſophie. (P. J, 521.) Die Dichtergabe blüht eigentlich nur
in der Yugend; auch die Empfänglichfeit für Poefle ift im der Jugend
oft feidenfchaftläch, der Tüngling hat Freude an Berfen als ſolchen
aus ſelbſtgeſchaffenen Grillen, überfommenen Borurtheilen und ſeltſamen
Phantafien, die wahre Welt bededt ober verzerrt. (P. I, 513.) Die
Heiterfeit und der Lebensunth der Iugend beruft zum Theil baranl,
daß wir, bergaufgehend, den Tod nicht fehen. Nach Ueberſchreitung
des Gipfels aber werden wir deu Tod anfidhtig, wodurch, da zu
gleicher Zeit die Lebenskraft zu ebben beginnt, andy ber Lebensmuth
fintt und ein trüber Ernſt den jugenblichen Uebermuth verdrängt.
(P. I, 514 fg.) Bom Standpunlte der Jugend ans gefehen ift ba}
Leben eine unendlich lange Zukunft, vom Standpunkt bes Alters aus,
eine fehr kurze Vergangenheit. (P. I, 515—517. 528.)
Durch das Wegfallen der Langeweile in fpätern Jahren und dat
Verſtummen der Leidenfchaften mit ihrer Qual wird, wenn nur die Ge⸗
fundheit fich erhält, im Ganzen genommen die Laſt bes Lebens geringer,
als fie in der Jugend ift; daher nennt man den dem Eintritt der
Altersichrwäche vorhergehenden Zeitraum „die beften Fahre”. In Hin
fiht auf unfer Wohlbehagen mögen fie es wirklich fein; Hingegen blatt
den Jugendjahren der Vorzug, die befruchtende Zeit fiir den Geiſt, der
Blüthen anjegende Frühling deffelben zu fein. Die größte Energie
und Spannung der Geiftesfräfte findet in der Jugend flatt, fpäteflens
bis ins 35te Jahr; von dem an nimmt fie ab. Jedoch find die
fpätern Yahre nicht ohne Compenfation dafür, indem die reichere Er-
fahrung und die Bielfeitigleit der Betrachtung die Dinge allererft jeht
im Zufammenhange verftehen lehrt. In der Jugend ift mehr Kon
ception, im Alter mehr Urtheil, Penetration und Gründlichkeit. ($. 1,
620—523. 527.)
Im Berlaufe des Lebens treten Kopf und Herz immer mehr au
einander; immer mehr fondert man feine fubjective Empfindung ven
feiner objectiven Erklenntniß. Im Kinde find beide noch ganz ver
ſchmolzen; es weiß fi von feiner Umgebung kaum zu nnterfcheiden,
es verſchwimmt mit ihr. Im Süngling wirkt alle Gmung
—* Empfindung und Stimmung, ja vermiſcht ſich mit dieſer.
ben daher haftet der Jüngling fo ſehr an der anſchaulichen Außenſeite
der Dinge; eben daher taugt er nur zur lyriſchen Poefie und erſt der
Mann zur dramatiſchen. Den Greis kann man fich höchſtens noch
als Epiler denken, wie Oſſian, Homer; denn Erzählen gehört zum
Charakter des Greiſes. (W. I, 296.)
5) Worauf die dem Alter erwieſene Achtung beruht.
Die Achtung vor dem Alter ſcheint darauf zu beruhen, daß die
Ehre junger Leute zwar als Vorausfeßung angenommen, aber noch
—— — — U
Lebensanſicht — Lebeusdauer 47
nicht erprobt iſt, daher eigentlich auf Credit beſteht. Bei den Aelteren
aber hat es ſich im Lanfe des Lebens ausweiſen müſſen, ob fie durch
ihren Wandel ihre Ehre behaupten konnten. Denn weder die Jahre
an ſich, als welche auch Thiere, und einige in viel höherer Zahl, er⸗
reichen, noch auch die Erfahrung, als bloße, nähere Kenntuiß vom
Laufe der Welt, find hinreichender Grumb file die Achtung der Jüngeren
gegen die Welteren, welche doch überall gefordert wird. Die bloße
Schwähe des höheren Alters würde mehr auf Schonung, als auf
Achtung Anſpruch geben. (P. I, 385 fg.)
6) Beziehung zwifchen Lebensalter und Charafter.
Der Charakter faft jedes Menſchen fcheint vorzugsweife Einem
Lebensalter angemeflen zu fein; fo daß er im dieſem fich vortheilhafter
ausnimmt. Kinige find liebenswürdige Jünglinge, und dann iſt's
vorbei; Andere Fräftige, thätige Männer, denen das Alter allen Werth
raubt; Manche ftellen fi) am vortheilhafteften im Alter dar, ald wo
fie milder, weil erfahrener und gelaflener find; dies ift oft bei Fran⸗
zien der Fall. Die Sache muß darauf beruhen, daß der Charalter
jelbft etwas Jugendliches, Münnliches oder Aeltliches an ſich hat,
womit das jebesmalige Lebensalter übereinftimmt, oder als Correctiv
entgegenwirkt. (P. I, 518.)
7) Berhältniß des Lebensaltere zur Lebenskraft.
(S. Lebenstraft.)
8) VBerhältniß des Lebensalters zur Langeweile (©.
Langeweile.)
9) Verhältniß des Lebensalters zur Einſamkeit.
(S. Eiufamtleit.)
sthensanficht.
Ye nachdem die Energie des Intellects angeſpannt, ober erjchlafft
iR, ericheint ihm das Leben fo kurz, fo Mein, jo flüchtig, daß nichts
darin Borfommendes werth fein Tönne, uns zu bewegen; — oder aber
umgelehrt, fo lang, fo wichtig, fo Alles in Allem, daß wir danad)
und mit ganzer Seele auf bafjelbe werfen, um feiner Güter theilhaft
zu werden. Dieſe erftere Lebensanficht ift die transfcendente, die
letztere bie immanente. Dort hat das Erkennen das Uebergemwicht,
bier das Wollen. Der Menfch ift groß, ober Hein, je nach dem
ſchen der einen oder ber audern Lebensanſicht. (P. II, 635 fg.)
Kchensdauer.
Das menfchliche Leben ift eigentlich weder lang, noch kurz zu
nennen, weil e3 im Grunde dad Maß ift, wonach wir alle andern
Jitläugen abſchätzen. — Mit Recht wird im Upaniſchad des Veda
De uatürliche Lebensdauer anf Hundert Jahre angegeben, weil nur
Die, welche das neunzigfte Jahr überfchritten haben, der Euthanafie
48 Lebensglüd — Lebenskraft
theilhaft werden, d. h. ohne alle Krankheit und Todeskampf, vor Alte
fterben oder vielmehr zu leben aufhören. In jebem frübern Alter
flirbt man blos an Krankheiten, alfo vorzeitig. (P.I, 528, Anmer.)
Schensglük, f. Glückſäligkeitslehre.
£ebensgüter, f. Güter.
Schbeuskraft.
1) Segen das Leugnen der Lebenskraft.
Das Leugnen der Lebenskraft ift abjurd. Wenn nicht eine eigen⸗
thumliche Naturfraft, der es fo weſentlich iſt, zweckmäßig zu verfahren,
wie der Schwere wejentlidh, bie Körper einander zu nähern, das ganze
complicirte Getriebe des Organismus bewegt, lenkt, ordnet; nun dam
ift das Leben ein falfcher Schein, eine Täufchung, und ift in Wahrheit
jedes Wefen ein bloßes Automat, d. h. ein Spiel mechaniſcher, phyfi⸗
falifcher und chemifcher Kräfte Wllerdings wirken im Organismus
phyſikaliſche und chemifche Kräfte; aber was diefe zufammenhält und
ientt, fo daß ein zwedmäßiger Organismus daraus wird und de-
fteht, — das ift die Lebenskraft. (PB. II, 172 fg. N. Borr. VI.)
Die Lebenskraft benutzt allerdings und gebraucht die Kräfte der un-
organischen Natur, befteht jedoch keineswegs aus ihnen; fo wenig wie
der Schmied aus dem Hammer und Ambos. Daher wirb nie auf)
nur das fo höchſt einfache Pflanzenleben aus ihnen, etwa aus der
Haarröhrchenkraft und der Endosmofe, erflärt werden können, gefchweig
das thieriſche Leben. (W. I, 169.)
2) Gegenfaß zwifchen der Lebenskraft und ben andern
Naturfräften.
Man Hat einen fundamentalen Unterfchieb der Lebenskraft von allen
andern Naturkräften barin finden wollen, daß fie den Körper, von dem
fie einmal gewichen ift, nicht wieder in VBefiß nimmt. Bon den
Kräften der unorganifchen Natur weichen einige, wie Magnetismus
und Cfeftricttät, nur ausnahmsweife von dem Körper, den fie einmal
beherrfchen; andere, wie bie Schwere und bie chemiſche Dualität,
weichen nie von einem Körper. Die Lebenskraft aber kann, nachdem
fie einen Körper verlafien hat, ihn nicht wieder in Befſitz nehmen.
Der Grund davon ift, daß fe nicht, wie die Kräfte der unorganiſchen
Natur an dem bloßen Stoff, fondern zunächft an der Form haftet.
Ihre Thätigkeit befteht ja eben im der Hervorbringung und Erhaltung
diefer Form; daher ift, fobald fie von einem Körper weicht, auch
ſchon feine Form zerftört. Nun aber hat bie Hervorbringung der
Form ihren regelmäßigen, planmäßigen Hergang in beftimmter Suc
ceſſion. Daher muß die Lebenskraft, wo immer fie von Neuem
eintritt, auch ihr Gewebe von vorn, ab ovo anfangen. (P. II, 173 9.)
Lebenskraft 49
8) Die Lebenstraftan fich und ihre drei Erfcheinungs-
formen.
An ſich ift die Lebenskraft der Wille. Sie ift geradezu identiſch
mit dem Willen, fo daß, mas im Selbftbewußtfen als Wille auftritt,
im bewußtlofen, organifchen Leben jenes primum mobile deſſelben ift,
welches fehr pafjend als Lebenskraft bezeichnet worden. (PB. II, 173 fg.
®. U, 335.) Die Zurüdführung ber Lebenskraft auf Willen fteht
der alten Eintheilung ihrer Functionen in Reproductionskraft, Irrita-
bilität und Senfibilität durchaus nicht entgegen. Dieſe bleibt eine
tiefgefaßte Unterfcheidtung. (N. 31. W. II, Cap, 20.) An fi ift
die Lebenskraft nur cine, welche, — ald Urkraft, ala metaphuftjch,
als Ting an fih, ale Wille, — unermüdlich, alfo Feiner Ruhe be=
bärftig iſt. Jedoch ihre Erfcheinungsformen, Irritabilität, Senfibifität
und Reprobuctivität, ermüben allerdings und bedürfen der Ruhe;
eigentlich wohl nur, weil fie allererft mittelft der Weberwindung ber
Billengerfcheinungen medrigerer Stufen, bie ein früheres Recht an bie
jelbe Materie haben, ben Organismus bervorbringen, erhalten und
beherrſchen. (PB. I, 174—177. W. I, 174.)
Die Lebenskraft Tann nicht gleichzeitig unter ihren drei Formen,
fondern immer nur nnter einer ganz und uugetheilt, daher mit voller
Macht wirken. (®. O, 175.)
4) Die brei Functionen ber Lebenskraft als Unter-
fheidungsmertmale zwifchen Pflanze, Thier und
Menſch.
Die Reproductionskraft, objeectivirt im Zellgewebe, iſt ber
Hanptcharakter der Pflanze und das Pflanzliche im Menſchen. Wenn
fie in ihm Überwiegend vorherrfcht, vermuthen wir Phlegma, Trägheit,
Stumpffinn (Böotier). — Die Irritabilität, objectivirt in ber
Mustelfafer, ift der Hauptcharalter des Thieres und ift das Thierifche
im Menihen. Wenn fie in ihm überwiegend vorherrjcht, findet fich
Behändigkeit, Stärke, Tapferkeit (Spartaner). — Die Senfibilität,
objectivirt im Nerven, ift der Hauptcharafter des Menſchen und ift
das eigentlich Dkenfchliche im Menſchen. Ueberwiegend vorherrjchend
giebt fie Genie (Athener). (N. 31 fg.)
5) Die Lebenskraft als Heilkraft.
Die Lebenskraft wirft während bes Schlafes, d. h. bes Einſtellens
aller animalifhen Wunctionen, fi gänzlich auf das organifche
leben, und ift dafelbft, unter einiger Verringerung des Athmens, des
Bulle, der Wärme, auch faft aller Secretionen, hauptſächlich mit der
langfamen Reproduction, der Herftellung alles Berbrauchten, der Heilung
alles Berletten und der Befeitigung aller eingerifjenen Unordnungen,
befhäftigt; daher der Schlaf die Zeit ift, während welcher die vis
naturae medicatrix in allen Srankheiten die heilfamen Krifen herbei⸗
jührt, im welchen fie alsdann bem entfcheibenden Sieg tiber das vor⸗
Sqhopenhauer⸗Lexiton. IL 4
5 Lebenslauf
bandene Uebel erfämpft, und wonach daher der Kranke, mit bem fihern
Gefühl der heranfommenden Genefung, erleichtert und freudig erwach.
Aber auch bei dem Gefunden wirkt fie das Selbe, nur in unglad
geringerem Grabe an allen Punkten, wo es nötbig if. (P. I, 249.
275; I, 175. 185. W. I, 240. 295. 396. — Bergl. auch
Krankheit.)
6) Die Lebenskraft in ber Iugend und im Alter.
Hinfictlich der Lebenskraft find wir bis zum 36ten Jahre Denn
zu vergleichen, welche von ihren Zinfen leben. Aber von jenem Zeit:
punkt an ift umfer Analogon der Rentenier, welcher anfängt, fein Kapital
anzugreifen. (®. I, 517 fg.)
Sebenslauf.
j 1) Der Lebenslauf als Product zweier Factoren.
Unfer Lebenslauf ift Teineswegs ſchlechthin unfer eigenes Berl,
fondern das Product zweier Factoren, nämlich) der Reihe der Begeben
beiten und ber Reihe unferer Entjchlüffe, welche ſtets in einander greifen
und ſich gegenfeitig modificiren. Bon beiden find und wegen ber Be-
ſchrunktheit umfer8 Horizonts eigentlich nur die gegenwärtigen tät
befannt. Deshalb Tönnen wir, fo lange unfer Ziel noch fern first
nicht ein Mal gerade darauf hinftenern; fondern nur approrimat
und nad Muthmaßungen unfere Richtung dahin lenken, müflen dir
oft lawiren. Alles nämlich, was wir vermögen, iſt unfere Entſchlüſe
allezeit nad) Maßgabe der gegenwärtigen Umſtände zu faflen, im der
Hoffnung, es fo zu treffen, daß es uns beit Hauptziel näher bring.
So find denn meiftens die Begebenheiten und unſere Grundabfiäte
zweien, nad verfchiedenen Seiten ziehenden Kräften zu vergleichen und
die daraus entftehende Diagonale ift unfer Lebenslauf. (P.I, 498 19.
2) Die unbewußte Weisheit im Lebenslauf des Ein-
zelnen.
Es giebt in unferm Lebenslauf etwas über unfer bewußtes mi
berechnete Thun Hinausfiegendes. Es giebt etwas Weiferes in und, .
als der Kopf if. Wir handeln nämlich, bei den großen Zügen, dm
Hauptfchritten unferes Lebenslaufes, nicht ſowohl mach deutlicher Er—
kenntniß des Rechten, als nad) einem innern Impuls, man möhlt
fagen Inftinet, der aus bem tiefften Grunde unferes Wefens kommt,
und bemäfeln nachher unfer Thun nad) deutlichen, aber auch dürftigen,
erworbenen, ja erborgten Begriffen; ba werden wir leicht ungereäl
gegen uns felbft. (P. I, 499 fg. Vergl. unter Schidfal: Diear
fcheinende Abfichtlichkeit im Scidfale des Einzelnen.)
8) Die fucceffive Herrfhaft der Planeten im Leben:
lauf des Menſchen.
Zwar ift nicht, wie die Aftrologie es wollte, der Lebenslauf dei
Einzelnen in den Planeten vorgezeichnet; wohl aber der Lebenslauf dei
Lebensweiſe — Lehren und Lernen 51
Menſchen überhaupt, fofern jedem Alter befielben ein Planet, ber
Reihenfolge nach, entipricht und fein Leben demnach fucceffive von
allen Planeten beherrſcht wird. (P. I, 529 fg.)
4) Der Lebenslauf als Folge eines früheren Dafeins,
(S. unter Präeriftenz: Die Präexiſtenz als moralifches
Poftulat.)
Schensweife, der ZThiere, f. unter Organiſch: Berhältniß der Or⸗
gantfation zur Lebensweife.
Kehensweisheit, |. Glückſſaligkeitslehre.
ſectüre, ſ. Leſen.
ſegalitãt, ſ. Moralität.
ſehren und Kernen.
1) Scheinbarer und wirklicher Zweck des Lehrens und
Lernens bei der Mehrzahl der Menſchen.
Wenn man die vielen und mannigfaltigen Anftalten zum Lehren
and Lernen und das fo große Gebränge von Schülern und Meiftern
fießt, Könnte man glauben, daß es dem Mienfchengefchlechte gar fehr
um Einfiht und Wahrheit zu thum ſei. Aber auch bier trügt der
Schein. Jene Ichren, um Geld zu verdienen, und fireben nicht nach
Veisheit, fondern nad) dem Schein und Credit berfelben; und dieſe
lernen nicht, um Kenntniß und Einſicht zu erlangen, fondern um
ſchwätzen zu Können und fi) ein Unfehen zu geben. (P. II, 513.)
2) Nachtheil des vielen Lehrens und Lernens.
Wie das viele Lefen und Lernen dem eigenen Denken Abbruch
tönt; fo entwöhnt das viele Schreiben und Lehren ben Menſchen von
der Deutlichleit und eo ipso Gründlichleit des Wiffens und Ver⸗
fehen®, weil es ihm nicht Zeit läßt, diefe zu erlangen. Da muß
er dann in feinem Bortrage bie Lücken feines deutlichen Erkennens mit
Borten und Bhrafen ausfüllen. (P. I, 514.)
3) Borzug der Dilettanten vor ben Lehrern von
Brofeffion.
Unftreitig befähigt den geiftreichen Menſchen fein rein intellectuelles
Leben vor allen Andern zum Lehren, weil er keinen andern Zweck als
die Erfemtniß um ihrer felbft willen hat. Weil er aus eigenem Triebe
ſtets denkt und lernt, wirb er accidentaliter zur Belehrung fähig.
Gewöhnliche Menſchen Hingegen, die den Vorſatz gefaßt haben,
tehrer zu werden, vereiteln ihn ſchon dadurch, daß bei allem ihrem
Lernen und erzwungenen Denken der Zweck des Lehrens ihnen vor⸗
ſchwebt und fie verhindert, tief einzugehen in bie Gegenftände ber Er⸗
lenntniß. (M. 424 fg.)
4*
52 Lehrſatz — Leib *
Die Gelehrten, wie fie in der Hegel find, ſtudiren zu dem Zwed,
Ichren und fchreiben zu können. Daher gleicht ihr Kopf einem Magen
und Gebärmen, daraus die Speifen unverdaut wieder abgehen. ben
deshalb wird auch ihr Lehren und Schreiben wenig nügen. (P. IL
515.) Schon Diderot hat es in Rameau’s Neffen gejagt, daß Die,
welche eine Wiſſenſchaft lehren, nicht Die find, welche fie beritchen
und ernftlic) treiben, al8 weldyen Feine Zeit zum Lehren berjelben bleibt.
Iene Andern leben blo8 von ber Wiflenfchaft; fie ift ihnen „em
tlichtige Kuh, die fie mit Butter verſorgt“. (P. U, 516. Vergl. ad
Dilettanten.)
Kchrfaß.
Ein Sat don mittelbarer Gewißheit ift ein Lehrſatz, und des
diefelbe Bermittelnde ift der Beweis. (W. II, 132.)
Keib.
1) Der Leib als Object unter Objecten.
Der Leib ift dem rein erfenmenden Subject, welches der bedingende
Träger der ganzen Welt als Borftellimg ift, eine Borftellung wie
jede andere, ein Object unter Objecten. Inſofern er der Ausgangt
punkt file die Anſchauung aller andern Objecte, alfo das diefe Ber '
mittelnde ift, laßt er ſich als das unmittelbare Object bezeichnen,
welcher Ausdrud jedoch nicht fo zu verftehen ift, daß er ummittelbur .
als Object fich darftelle. Denn objectiv, aljo als Object, wird auch
er, wie alle andern Objecte, allein mittelbar erfannt, indem er, gleich
allen andern Objecten, fich im Berftande, oder Gehirn, als erkantt:
Urfache fubjectiv gegebener Empfindung und eben dadurch objectib
barftellt; welches nur dadurch gejchehen kann, daß feine Theile aui
feine eigenen Sinne wirken, alfo das Auge den Leib fieht, die Hand
ihn betaftet u. f. f., als auf welche Data das Gehirn, oder Berftand
(welches Eins ift), auch ihn, gleich andern Objecten feiner Geftalt und
Sefgafienheit nad räumlich conftruirt. (©. 84. WI, 6. 13. 22-
4; II, 7.)
2) Identität des Leibes und Willens,
Dem Subject des Erfennens, welches durch feine Identität mit dem
Leibe ald Individuum auftritt, ift diefer Leib auf zwei ganz verſchiedent
Weifen gegeben: einmal als Borftellung in verftändiger Anfchaunng,
als Object unter Objecten, und den Gefegen dieſer unterworfen:
ſodann aber auch zugleich auf eine ganz andere Weife, nämlich al?
jenes Jedem ummittelbar Belaunte, welches das Wort Wille bejzeichnet
Jeder wirkliche Act feines Willens iſt fofort und unausbleiblich and
eine Bewegung feines Leibes. Der Willensact und die Action de
Leibes find nicht zwei objectiv erkannte verfchiedene Zuftände, bie dad
Band der Cauſalität verknüpft, ſtehen nicht im Verhältniß der Urſache
und Wirkung; fondern fie find Eines und das Selbe, nur auf zwei
Leib 58
gänzlich verſchiedene Weiſen gegeben: einmal ganz unmittelbar und
einmal in der Anſchauung für den Verſtand. Die Action des Leibes
iſt nichts Anderes, als der objectivirte, d. h. in die Anſchauung ge⸗
tretene Act des Willens. Dieſes gilt von jeder Bewegung des Leibes,
nicht blos von der willkürlichen, auf Motive, ſondern and) von ber
mwilllürlichen, auf bloße Reize erfolgenden; ja, der ganze Leib ift
nichts Anderes, als der objectivirte, d. 5. zur Vorftellung gewordene
Ville, oder die Objectität des Willens. (W. J, 119 fg. 126—
130; II, 277. 280-300. R. 34—54. P. I, 322. 9. 350.)
Die Identität des Leibes und Willens zeigt fich unter anderm auch
darin, daß jede heftige und libermäßige Bewegung des Willens, d. 5.
jeder Affect, ganz unmittelbar den Leib und beffen inneres Getriebe
erfhüttert und den Gang feiner vitalen Zunctionen ſtört. (W. 1, 121.
128. N. 28. P. U, 618 fg.)
Der Wille ift nicht, wie ber Intellect, eine Function bes Leibes;
jondern der Leib ift feine Function; daher ift er diefem ordine
rerum vorgängig, als defien metaphufifches Subftrat, als das Anſich
der Erſcheinung befjelben. (W. II, 240.)
3) Berhältniß der phyfiologifhen zu der metaphy-
fifhen Erklärung des Leibes.
Bon der Entftehung und von ber Entwidlung und Erhaltung bes
Leibes läßt fich zwar auch ätiologiſch eine Rechenſchaft geben, welche
eben die Phyſiologie ift; allein dieſe erflärt ihr Thema gerade nur fo,
wie die Motive das Handeln erklären. So wenig daher Die Begründung
ber einzelnen Handlung durch das Motiv und bie nothwendige Folge
derfelben aus diefem damit ftreitet, daß die Handlung überhaupt und
ihrem Wefen nad) mur Erfcheinung eines an ſich felbft grumdlofen
Willens ift; eben fo wenig thut bie phyſiologiſche Erklärung der
Functionen bes Leibes der philofophifchen Wahrheit Eintrag, daß das
ganze Dafein biefe® Leibes und die gefammte Reihe feiner Functionen
nur die Objectivirung eben jenes Willens ift, der in befielben Leibes
äußerfichen Actionen nad; Maßgabe ber Motive erfcheint. (W. J, 128 fg.
Vergl. au) Aetiologie.)
4) Worauf die Zwedmäßigleit des Leibes beruht.
Darauf, daß ber Leib nichts Anberes ift, als bie Erfcheinung bes
Willens, die Sichtbarwerdung, Objectität bes Willens, beruht bie
volllommene Angemefienheit des menfchlichen und tbierifchen Leibes zum
menſchlichen und thierifchen Willen iiberhaupt, derjenigen ähnlich, aber
fe weit übertreffend, die ein abfichtlich verfertigtes Werkzeug zum
Willen des DVerfertigers hat, und dieſerhalb erfcheinend als Zwed⸗
wagte, d. i. die teleologifche Erklärbarkeit bes Leibes. Die Theile
des Leibes müſſen deshalb ben Hauptbegehrungen, durch welche der
Bile ſich manifeftirt, vollkommen entfprechen, müfien der fichtbare
Aubdruck derfelben fein. Zähne, Schlund und Darmlanal find ber
„54 Leibeigenſchaft — Leichtfertigleit. Leichtfium
objectiviete Hunger; bie Genitalien ber objectivirte Geſchlechtetrich
bie greifenden Hände, die rafchen Füße entfprechen dem ſchon meh
mittelbaren Streben des Willens, welches fie darftellen. Wie bie dl
gemein menfchliche Form dem allgemein menfchlichen Willen, fo eutfpriht
dem inbividuell modificirten Willen, dem Charakter des Einzelnen, die
individuelle Korporifation, welche daher durchaus und in allen Theile
harakteriftifch und ausbrudsvoll if. (W. J, 129 fg. H. 350.)
5) Die Erkenntniß unfers eigenen Leibes als Schlüffel
zur Erfenntniß des Wefens ber Dinge.
Die doppelte, auf zwei one beterogene Weifen gegebene Exfenntuif,
welche wir vom Weſen und Wirken unfers eigenen Leibes haben, if
der Schlüffel zur Erkenntniß des Weſens jeder Erfcheimung in der
Natur, da alle Objecte, die nicht unfer eigener Leib, daher nicht auf
doppelte Weife, fondern allein als Borftellungen unferm Bewußtſein
gegeben find, eben nach Analogie jenes Leibes zu beurtheilen find und
daher anzunehmen ift, daß, wie fie einerfeitS, ganz fo wie er, Bor
ftellung und barin mit ihm gleichartig find, auch anbererjeits, iean
man fh Dafein als Borftellung des Subjects bei Seite ſetzt, dad
dann noch übrig Bleibende feinem ganzen Weſen nach das felbe ſein
muß, als was wir an uns Wille nennen. (W.I, 125. 130 fg. R. 9.)
6) Kritik des Gegenſatzes zwifchen Leib und Seele alt
zweier grunbperfchiedener Subſtanzen. (©. Seele)
Ceibeigenſchaſt.
Zwiſchen Leibeigenſchaft, wie in Rußland, und Grundbeſitz, wie in
England, und überhaupt zwiſchen dem Leibeigenen und dem Pächter,
Einſaſſen, Hypothekenſchuldner u. dgl. m., liegt ber Unterſchied mehr
in ber Form, als in der Sache. Ob mir ber Bauer gehört, oder das
Land, von welchem er fi) nähren muß, ift im Weſentlichen wenig
verjchieben. Der freie Bauer bat zwar Dies voraus, daß er baden
gehen kann in bie weite Welt; wogegen ber Leibeigene und glebee
adscriptus ben vielleicht größeren Vortheil hat, daß, wenn Mikwadt,
Kranfeit, Alter und Unfähigkeit ihm hilflos machen, fein Her fit
ihn forgen muß; baher fchläft er ruhig, während, bei Mißwache, de
Herr fich fehlaflo8 auf dem Lager wälzt, anf Mittel finnenb, feinen
Leibeigenen Brod zu fehaffen. (P. II, 260.)
Seichnam, f. Tob.
Ceichtſertigkeit. SKeichtfinn.
Während das Handeln nad) Begriffen in Pebanterie, fo Fam das
nach bem geſchann hen Eindruck in Leichtfertigkeit und Thorheit über
(W. U, 83.
Der Leichtſinn beſteht im Mangel ber Anwendung der Veruunft
auf das Praltifche, im Sichleitenlaſſen durch ben gegenwärtigen an
jchanlichen Eindrud, ofme Rüdfict anf die Zufmuft. Der Bernänfige,
Leiden — Leidenſchaft 55
d. i. Der, welcher die abſtracte ober Vernunft-Exlenntniß zur Richt⸗
ſchnur ſeines Thuns nimmt und demnach deſſen Folgen und die Zukunft
allezeit bedenkt, übt häufig das Sustine et abstine. Daher borgt bei
ihm ſtets bie Zukunft von der Gegenwart. Beim leichtfinnigen Thoren
borgt umgekehrt die Gegenwart von ber Zukunft, welde, dadurch
verarmt, nachher Bankrott wird. (W. II, 165.) Die Leichtfinnigen
Ieben zu ehr in ber Gegenwart. (P. I, 441.)
£eiden.
1) Allgemeinheit und Maßlofigleit bes Leidens.
Da das den Kern und das Anſich jedes Dinges ausmachende
Streben das Selbe ift, was in uns Wille beißt, Hemmung deſſelben
aber durch ein Hinderniß, welches fich zwifchen ihn und fein einft-
weiliges Biel ftellt, Leiden, Hingegen fein Erreichen bed Yield Be—
friedigiung, Wohlfen, Glück genannt wird; fo können wir biefe
Benennungen auch auf die bem Grabe nach fchwächeren, dem Weſen nad
mit und identischen Erfcheinungen ber erfenntnißlofen Welt übertragen.
Diefe fehen wir alsdann in ftetem Leiden begriffen unb ohne bleibenbes
Gluck. Denn alles Streben entjpringt ans Mangel, aus Unzufrieben-
heit mit feinem Zuſtande, ift alfo Leiden, fo lange es nicht befriedigt
ift; feine Befriedigung aber tft dauernd, vielmehr ift jede flets nur
ver Anfangspunft eines neuen Streben. Das Streben fehen wir
überall vielfach gehemmt, diberall kämpfend; fo Lange alfo immer als
Leben. Kein letztes Ziel bes Strebens, alfo Fein Maß und Ziel bes
Leidens. (WB. I, 365.)
2) Leiden bes Lebens. (S. Leben.)
3) Läuternde Kraft und Ehrwürdigkeit bes Leidens.
Ales Leiden bat, indem es eine Mortification und Aufforderung
zum Reſignation ift, ber Möglichkeit nach eine Heiligende Kraft. Hieraus
it es zu erflären, baf großes Unglüd, tiefe Schmerzen ſchon an ſich
eine gewiſſe Ehrfurcht einflößen. Ganz ehrwürdig wirb uns aber ber
Leidende erft dann, warn er, ben Lanf feines Lebens als eine Fette
von Leiden tiberblidend, oder einen großen und unbeilbaren Schmerz
betrauernd, feinen Blick vom Einzelnen zum Allgemeinen erhoben bat
md fein eigenes Leiden nur als Beiſpiel des Ganzen betrachtet und
dam das Ganze bed Lebens, als wejentliches Leiden aufgefaßt, ihn
zur Nefignation bringt. (W. I, 468. Bergl, au) Heilsordnung.)
feidenfchaft.
1) Definition der Leidenſchaft.
Leidenſchaft ift eine fo ſtarle Neigung, daß bie fie anregenben Motive
eine Gewalt über den Willen ausliben, welche ſtärker ift, als bie jedes
möglichen, ihnen entgegenwirkenden Motivs, wodurch ihre Herrichaft
über den Willen eine abfolute wird, diefer folglich gegen fie ſich paſſiv,
leidend verhält. Die Leidenfchaften erreichen jedoch felten den Grad,
2) Gegenſatz zwiſchen Leibenfhaft und Affect.
Der Affect ift im Gegenſatze zur Leidenſchaft eime mur vorüber:
ehbende Erregung des Willens, durch em Motiv, welches fein
Sewalt t eine tief wurzelnde Reigung, ſondern blos dabırd
erhält, dag es, plötzlich eintretend, die Gegenwirkung aller ander
Motive durch feine große Lebhaftigkeit und Nähe für den Augenblid
ausſchließt. (W. II, 678 fg.) Bei der Leibenfchaft bewegt das Motir
ben Willen durch feine Materie, Gehalt, beim Affect durch fen
Form, Unfchaulichleit in ber Gegenwart, unmittelbare Realität.
(d. 398.) Die That des Affects iſt zwar ein Zeichen bes empiriſchen
Charaktere, aber nicht fofort des intelligibeln. Hingegen die Leiten
Schaft bat ihren Sig ganz und gar im Willen. Sie ift beharrlider
Zuſtand; bie ihr entfprechenden Motive beberrfchen den Willen jederzeit,
fowohl wenn fie überlegt werden, als wenn fie fich plötzlich barbieter.
Die Thaten der Leidenfchaft find daher dem Willen beizumefien un)
find Symptome bes intelligibeln Charaktere. (H. 394.)
8) Unfähigkeit bes Thieres zur eigentlichen Leiden
haft.
Durch die in der menſchlichen Gattung auftretende Steigerung bei
Imtellects, wie auch duch die ald Träger eines fo erhöhten Imtellects
nothwendig borausgefette Vehemenz des Willens, ift beim Menſchen
eine Erhöhung aller Affecte eingetreten, ja die Möglichkeit der Leiden:
fhaften, welde das Thier eigentlich nicht kennt. (W. IL, 317.)
4) Die Sprache ber Reidenfchaft.
Der Wille zum Leben tritt im Menfchen, wo mit der Bermunft
die Beſonnenheit und mit dieſer die Fähigkeit zur Verſtellung einge
treten, nicht fo unverfchleiert auf, wie bei den Thieren. Beim Menſchen
tritt er nur noch in den Ausbrüchen der Affecte und Leidenſchaften
unverhüllt hervor. Eben deshalb aber findet allemal bie Leidenjcaft,
wann fie fpricht, Glauben, gleichviel weldye es fei, und mit Reit.
Aus dem felben Grunde find bie Leidenfchaften das Hauptthema ber
Dichter und das Paradepferd der Schaufpieler. (P. OL, 617 fg.)
Ceſen.
1) Nachtheile des vielen Leſens.
Da das fortwährende Einſtrömen fremder Gedanken bie eigenen
hemmt und erſtickt, ja, auf die Länge bie Denlkraft laähmt, fo verdirbt
das unanfhörliche Leſen und Studiren geradezu den Kepf. (WB. IL, 85.
®. I, 527. 529.) Es ift ſogar gefährlich, feüßer über einen
Lefen 57
Gegenftaub zu leſen, als man felbft barüber nachgedadht hat. “Denn
da fchleicht fi mit dem neuen Stoff zugleich bie fremde Anficht und
Behandlung deffelben in den Kopf. (W. LI, 85.) Während bes Leſens
it unfer Kopf doch eigentlich nur der Tummelplatz fremder Gebanlen.
Daher kommt es, daß wer fehr viel lieſt, dazwiſchen aber fich in
gebanfenlofem Zeitvertreibe erholt, die Fähigleit, felbft zu denken, all
mälig verliert, — wie Einer, der immer reitet, zulegt das Gehen
verfernt. (P. 11, 587 fg. 514.) Das viele Lefen nimmt den Geiſte
alle Clafticität, wie ein fortdauernd drückendes Gewicht fie einer
Springfeder nimmt. (P. II, 527.) Wie nicht Alles, was wir effen,
dem Organismus fofort einverleibt wird, fondern nur fofern e8 ver-
dant worden, wobei nur ein Meiner Theil davon wirklich affimilixt
wird, das Uebrige wieder abgeht, weshalb mehr efien, als man ajfi-
miliren Tann, unnüß, ja ſchädlich ift; geradefo verhält es fich mit dem,
was wir lefen: nur fofern es Stoff zum Denken giebt, vermehrt es
unjere Einficht und eigentliches Wiffen. (W. II, 86.)
2) Berfchiedenheit zwifchen der Wirkung bes Leſens
und der bes Selbftbenfens auf ben Geift.
Die Berfchiebenheit zwifchen ber Wirkung, welche das Selbſtdenken,
und der, welche das Leſen auf den Geift Hat, ift unglaublich groß;
daher fie die urfprüngliche Berfchiedenheit der Köpfe, vermöge welcher
man zum Einen, oder zum Andern getrieben wirb, noch immerfort
vergrößert. Beim Lefen erleidet der Geift totalen Zwang von aufen,
jegt Dies oder Jenes zu denken, wozu er fo eben gar feinen Trieb,
noch Stimmung hat. Hingegen beim Selbſtdenken folgt er feinem
ſelbſteigenen Triebe, wie diefen für den Augenblid entweder die äußere
Umgebung, oder irgenb eine Erinnerung näher beftimmt hat. Die
anfhanlihe Umgebung nämlich dringt dem Geifte nicht einen be—
fimmten Gedanken auf, wie das Leſen; fondern giebt ihm blos Stoff
und Anlaß zu denken, was feiner Natur und gegenwärtigen Stimmung
gemäß if. (P. I, 527.)
3) Was und wann man lefen ſoll.
‚Sa Hinficht auf umfere Lectüre iſt die Kunft, nicht zu lefen, höchſt
wichtig. Sie befteht darin, daß man die beim großen Publicnm be«
lebte und eben Lärm machende Tageslitteratur, wie etwa politifche
er kirchliche Pamphlete, Romane, Poeſien u. dgl. m. nicht deshalb
auch in die Hand nehme. Man wende vielmehr die ſtets knapp ge»
meſſene, dem Lefen beftimmte Zeit ausſchließlich den Werken der großen,
die übrige Menfchheit überragenden Geifter aller Zeiten und Bölfer zu;
u dieſe bilden und belehren wirflih. (PB. II, 590.)
Leſen fol man nur dann, wann bie Quelle ber eigenen Gedanken
odt; was auch beim beſten Kopfe oft genug der Fall fein wird.
gegen die eigenen, und kräftigen Gedanken verfcheuchen, um ein
ch zur Band zu nehmen, ift Sünde wider den heiligen Geiſt.
„ PR . a a 5, u I.
fr
Bm — MR on — — — nm
58 Liberum arbitrium indifierentae — dt
Man gleicht alsdann Dem, der ans ber freien Ratur flieht, um em
Herbarium zu befehen, ober um fchöne Gegenden im Kupferſtich zu
betrachten. (P. II, 528.)
Da man fi zwar willkürlich auf das Lefen appliciren fan, anf
ba8 Denen aber eigentlich nicht, zu diefem vielmehr bie gute Stunde
abgewartet fein will und fogar der größte Kopf wicht jederzeit zum
Gelbfidenten fähig ift, fo thut man wohl, die Zeit, wo man zum Selbſi⸗
denen nicht aufgelegt ift, zum Lefen zur benutzen, als welches bem
Geiſte Stoff zuführt. (P. IL, 526. 531.)
Liberum arbitrium indifferentiae, ſ. Freiheit.
cicht.
1) Unzuläſſigkeit mechaniſcher Erklärungsweiſe ber
Eigenſchaften des Lichts.
Die Eigenſchaften bes Lichts, der Wärme und Kfektricität laſſen
fi) nit mechaniſch erflären, fordern vielmehr eine dynamiſche Er-
klärung, d. 5. eine folde, weldje bie Erſcheinuug aus urſprünglichen
Kräften erflärt, bie von denen des Stoßes, Drudes, der Schwere u. ſ. w.
gänzlich verfchieden und daher höherer Urt, d. 5. beutlichere Objediv-
tionen jenes Willens find, der in allen Dingen zur Sichtbarkeit gelangt.
Das Licht ift weder eine Emanation, noch eine Bibration; beide dr
fihten find der verwandt, melde die Durchfichtigkeit dur; Porn
erflärt, und deren offenbare Faljchheit beweift, daß das Licht feinen
mechanischen Gefegen unterworfen if. Die von ben Franzoſen au%
gegangenen Conftructionen bes Lichts aus Molecülen umd Atomen
find eine empörende Abſurdität. (W. IT, 342fg. PB. OL, 123.) Die
Ableitung ber Wirkung und Färbung bes Lichts aus ben Bibrationen
eines völlig imaginären Wethers, — biefe mit unerhörter Dreiſtigleit
vorgetragene, koloſſale Auffchneiderei und Narrenspoffe wird befonder?
von den Unwiſſendſten der Gelehrtenrepublit mit einer fo kindlichen
Zuverſicht und Sicherheit nachgeſprochen, daß mau denken follte, fi
hätten ben Aether, feine Schwingungen, Atome und was fonft für
Boffen fein mögen, wirklich gejehen und in Händen gehabt. ($. D,
117. 122. 128.) Der Crfinder bes Aethers iſt Kartefint.
(P. II, 123.) Es giebt im Grunde nur eine mechaniſche Wirkung®
art, fie befteht im Eindringenwollen eines Körpers in den Kaum,
den ein anderer inne hat; darauf läuft Drud und Stoß zuräl.
Aber Fein Körper Yann durch Stoß wirken, der nicht zugleich ſchwer
ift; das Licht ift ein imponderabile, alfo kann e8 nicht medanikd,
d. 5. dur) Stoß wirken. (P. II, 122 fg. 127 fg.)
2) Berhältniß des Lichts zur Gravitation.
Mit der Gravitation ſteht das Licht ohne Zweifel im einem gewiſſn
Bufammenhang, jedoch indirect und im Sinne eines Widerfpield, al⸗
ihr abfolutes Gegentheil. Es ift eine wefentlich ausbreitende Kraft,
Licht 59
wie die Gravitation eine zufammenziehende. Beide wirken ſtets gerad:
linig. Bielleiht Tann man in einem tropiſchen Sinne das Licht den
Reflex der Gravitation nennen. (P. U, 123.)
3) Verhältniß des Lichts zur Wärme.
ht und Wärme find Metamorphofen von einander. Die Sonuen-
ſtrahlen find kalt, fo lange fie leuchten; erft warn fie, auf undurchfichtige
Körper treffend, zu leuchten aufhören, verwandelt ſich ihr Licht in
Wärme. Umgekehrt verwandelt fich die Wärme in Licht, beim Glühen
der Steine, des Glafes, der Metalle und des Flußſpaths fogar bei
geringer Erwärmung. (F. 77.)
Der nächte Verwandte bes Lichts, im runde aber feine bloße
DMetamorphofe, ift die Wärme, deren Natur daher am erften dienen
lönnte, die feinige zu erläutern. Das Latent» umb wieder frei⸗Werden
der Wärme beweift untwiderfprechlich ihre materielle Natur und, ba fie
eine Metamorphofe des Lichts ift, auch die bes Lichte, Doch nicht
ſo materiell, wie die Wärme, verhält ſich das Licht, als welches viel«
mehr nur eine Gefpenfternatur hat, indem es erfcheint und verfchwindet,
ohne Spur, wo es geblieben ſei. Blos warn das Licht, auf einen
opalen Körper treffend, fi nad) Maßgabe feiner Dunkelheit in Wärme
verwandelt und nun bie fubftantiellere Natur diefer angenommen bat,
fümen wir infofern Rechenschaft von ihm geben. Dagegen nun zeigt
es eine gewiſſe Materialität in ber Heflerion und Refraction.
(8. I, 123—127.) Die Metamorphofe des Lichts in Wärme und
umgelehrt erhält einen frappanten Beleg durch das Verhalten des
Olafes bei der Erwärmung. (P. I, 131.)
4) Berhältni des Lichts zur Farbe. (S. Farbe.)
5) Antagonismus zwifchen Licht und Schalt.
Die belannte Thatſache, daß Nachts alle Töne und Gerlufche
lauter fallen, als bei Tage, wird gewöhnlich aus der allgemeinen
Stille der Nacht erklärt. Bei dfterer Beobachtung jenes Phänomens
fühlt man ſich jedoch zu der Annahme der Hypotheſe geneigt, daß bie
Sache auf einem wirklichen Antagonismus zwifchen Schall und Licht
berube, welcher Antagonismus barans erffärt werben könnte, daß das
m abfolut geraden Linien ftrebende Welen des Lichts, indem es bie
Suft durchdringt, die Elaſticität derfelben vermindere. Würe nun dies
conftatirt, fo würde es ein Datum mehr zur Kenntniß der Natur bes
18 fein. Wäre der Aether und das Bibrationsfyften erwieſen; fo
wikde die Erklärung, daß feine Wellen bie des Schalles durchkreuzen
und hemmen, Alles für ſich Haben. Die Endurſache hingegen wäre
hier dieſe, daß die Abweſenheit des Kichts, während fie ben thierifchen
® 2 a nd bes Gefichts benimmt, den bes, Gehors erhöhte,
60 Liebe
6) Erklärung des Wohlgefallens am Lichte.
Das Licht ift das Erfreulichfte der Dinge, Symbol alles Guten
und Heilbringenden. Abweſenheit des Lichts macht und ummittelber
traurig; feine Wiederkehr beglüdt. Dies kommt daher, daß das Licht
das Correlat und die Bedingung der volllommenften anſchaulichen Cr-
Ienntnißweife ift, der einzigen, die unmittelbar durchaus nicht den
Willen afficirt. Die Freude über das Ficht ift in der That nur die
Freude über die objective Möglichkeit der reinften und vollkommenſten
anfchaulichen Erkenntnißweiſe und als ſolche daraus abzuleiten, dab
das reine, von allem Wollen befreite und entlebigte Erkennen hẽchft
erfreulich ift und ſchon als folches einen großen Antheil am äſthetiſchen
Genuſſe Hat. (W. I, 235 fg.; UI, 427.) Was fiir ben Willen bie
Wärme, ift für die Erfenntniß das Licht. Das Licht ift eben daher
der größte Demant in der Krone der Schönheit und hat auf die Er-
kenntniß jedes fchönen Gegenftandes den entfchiebenften Einfluß; jan
Anmefenheit überhaupt ift unerläßliche Bedingung, feine günſtige Stelung
erhöht auch die Schönheit des Schönften. (W. I, 239.)
7) Gegenfag zwifhen dem phyſiſchen und geifigen
Licht in Hinfiht auf die Schnelligkeit der dort—
pflanzung.
Das ftarre Feſthalten des großen Haufens an Vorurtheilen, Bahn
begriffen, Sitten, Gebräuchen und Trachten, das langſame Eindringen
erfannter Wahrheiten in’8 Boll beweilt, dag in Hinficht auf di
Schnelligfeit der Fortpflanzung dem phyſiſchen Fichte nichts unäpnlige
ift, al® das geiſtige. (P. DO, 66.)
Liebe.
1) Das Wort „Liebe“ in den alten und im den neuer
Spraden.
Armuth der Sprache kann eine dauernde Aequivocation und dadurth
Verwirrung ber Begriffe veranlaffen. So bedeutet „Liebe“ im Deu
fhen 1) caritas, ayarn, welche Mitleid ift, das im tiefften Grunde
auf Erkenntniß der metaphyſiſchen Identität mit den Andern bernht;
2) amor, epwg, welder der Wille ber Gattung als folder if.
Amour, love, amore find eben fo ägquivof wie „Liebe“; alfo eher
hierin alle neuern Sprachen den alten nad. (H. 403.)
2) Wefen aller wahren und reinen Liebe.
Da jede Befriedigung nur ein hinweggenommener Schmerz, fi
pofitives Gut ift, bie Freuden alfo nur negativer Natur find und nut
das Ende eines Uebels, fo ift, was auch Güte, Liebe und Chelmuth
für Andere tbun, immer nur Linderung ihrer Leiden, und folglich ii
was fie bewegen kann zu guten Thaten und Werfen ber Liebe, ti
nur bie Erfenntniß des fremden Leidens, aus bem eigen?
unmittelbar verftändlich und diefem gleichgefegt. Hieraus aber ergibt
Lied — Litteratur 61
fi, daß die reine Liebe (ayarın, caritas) ihrer Natur nad) Mitleid
if. Alle wahre und reine Liebe ift Mitleid, und jede Liebe, bie nicht
Mitleid ift, ift Selbſtſucht. Selbſtſucht ift der cpwg; Mitleid ift bie
ayaıı. Miſchungen von beiden finden Häufig Statt. (W.I, 443 fg.)
3) Semeinfhaftlide Wurzel von caritas und amor.
Carıtas und amor haben ganz in ber Tiefe eine gemteinfchaftliche
Burzel. In beiden nämlich handelt durch das Individuum fein jenfeits
der Erſcheinung und der Individualität liegendes metaphyſiſches Sub-
ftrat, dee Wille zum Leben, einmal als Geift der Gattung, indem er
fie zu perpetuiren und ihren Typus rein zu halten ftrebt (vgl. Ge⸗
ſchlechtsliebe), — im andern all, indem er ſich auch hier über die
Individualität erhebt und im verfchiebenen Individuen feine eigene
Jentität erfennend, eines file das andere forgen läßt. (H. 405.)
Lied, ſ. Lyrik.
Cinguiſtik, ſ. Sprade.
ſiſt, ſ. Lüge.
£itleratur.
1) Pofitive Schädlichfeit der ſchlechten Litteratur.
Es ift in der Fitteratur nicht anders, als im Leben; mohin aud)
man fi) wende, trifft man fogleich auf den incorrigibeln Pöbel ber
Menſchheit, welcher Alles erfüllt und Alles beſchmutzt, wie die Fliegen
im Sommer. Daher die Unzahl fchlechter Bücher, diefes wuchernde
Unkraut der Xitteratur, welches dem Weizen die Nahrung entzieht und
ifn erftidt. Sie reißen nämlich Zeit, Geld und Aufmerkſamkeit des
Publicums, welche von Rechtswegen den guten Büchern gehören, an
fh, während fte blos in der Abficht, Geld einzutragen, oder Aemter
zu verfchaffen, gejchrieben find. Sie find aljo nicht blos unnüg,
jondern pofitiv ſchädlich. (P. IL, 589 fg.)
2) Gegenfaß der wirklichen und fheinbaren Titteratur.
Es giebt zu allen Zeiten zwei Litteraturen, die ziemlich fremd neben
einander hergeben: eine wirkliche und eine bloß fcheinbare. Jene er⸗
wählt zur bleibenden Litteratur. Betrieben von Leuten, die für
die Wiflenfchaft, oder die Poefie, Leben, geht fie ihren Gang ernft und
Bill, aber Außerft langfam, producirt in Europa faum ein Dutzend
Berle im Jahrhundert, welche jedoch bleiben. ‘Die andere, betrieben
von Leuten, die von der Wiffenfchaft, ober Poefie, leben, gebt im
Galopp, unter großem Lärm und Gefchrei der Betheiligten, und bringt
jährlich viele Taufend Werke zu Markte. Aber nah wenig Jahren
frägt man: wo find fie? Man kann daher auch) diefe als die fließende,
jene als die ſtehende Litteratur bezeichnen. (P. U, 591.
Wie in der Kunft, fo ift auch in der Litteratur faft jeder Zeit irgend
eine faljche Grundanſicht, oder Weife, oder Manier, im Schwange und
ze a ILL DL
62 Litteraturgefchichte
wirb bewundert. Die gemeinen Köpfe find eifrig bemüht, folde fiä
anzueignen unb zu üben. Der Einfichtige erfennt umd verfchmäht fe;
er bleibt außer der Mode. Aber nad einigen Jahren Tommt aud)
das Publicum dahinter und erkennt die Yare für Das, was fie iſt,
verlacht fie jegt, und die bewunderte Schminke aller jener manierirten
Werke fällt ab, wie eine ſchlechte Gypsverzierung von der damit be—
fleideten Mauer, und wie diefe ftehen fie alddann da. (P. II, 544.)
3) Gegen die Toleranz und Höflichkeit in der Fitterotur.
Es iſt durchaus falſch, die Toleranz, welche man gegen fumpit,
hirnlofe Menſchen in der Geſellſchaft nothwendig haben muß, auch auj
die Literatur Übertragen zu wollen. Denn hier find fie unverſchämte
Eindringlinge, und hier das Schlechte Herabzufegen ift Pflicht gegen
das Gute. Ueberhaupt ift in der Literatur die Höflichkeit, old
welche aus der Gefellfchaft ftammt, ein frembartiges, ſehr oft fchäblices
Element; weil fie verlangt, daß man das Schlechte gut heißt un)
dadurch den Zweden der Wiflenfchaften, wie ber Kunſt, gerade eni-
gegenarbeitet. (P. II, 545 fg.)
4) Gegen die Anonymität in der Litteratur. (©. Aus—
nymität.)
Kitteraturgefchichte.
1) Der Kauf der Litteraturgeſchichte.
Während in der Weltgefchichte ein Halbes Jahrhundert immer für
die Entwicklung beträchtlich, ift, fo ift hingegen im der Gefchichte ber
Litteratur die felbe Zeit oft file gar Feine zu rechnen; man fleft noch,
wo man vor funfzig Jahren geweſen. Denn ftümperhafte Verſuche gehen
fie nicht an. Dies zu erläutern, denke man fich die Foriſchritte der Er⸗
kenntniß beim Menſchengeſchlechte unter dem Bilde einer Planetenbahn.
Dann laſſen ſich die Irrwege, auf welche es meiſtens bald nach jeden
bedeutenden Foriſchritte geräth, durch Ptolemäifche Epicyklen darſtellen,
nach der Durchlaufung eines jeden von welchen es wieder da iſt, wo
es vor dem Antritt derſelben war. Die großen Köpfe jedoch, welche
wirflich auf jener Planetenbahn das Geſchlecht weiterführen, machen
den jedesmaligen Epichklus nicht mit. Mit diefem Hergange der
Dinge hängt es zufammen, daß wir den wiflenfchaftlichen, Titteravifchen
und artiftifchen Zeitgeift ungefähr alle 30 Yahre deflarirten Bankrott
machen fehen. In folder Zeit nämlich haben alsdann die jedesmaligen
Irrtümer ſich fo gefteigert, daß fle unter ber Laſt ihrer Abfurbitäl
zufammenftürzen, und zugleich hat die Oppofition ftch an ihnen gefärkt
Nun alfo fehlägt e8 um; oft aber folgt jet eim Irrthum in ent
gegengefeßgter Richtung. Diefen Gang der Dinge im feiner periodiſcher
Wiederkehr zu zeigen, wäre der rechte pragmatifche Stoff der Fitterat
geſchichte (P. II, 591—593.)
Litteraturzeitungen 63
2) Die tragifge Seite ber Titteraturgefchichte.
Eine Darſtellung der tragifchen Seite der Ritteraturgefchichte würde
zeigen, wie die verjchiebenen Nationen, deren jebe ihren höchſten Stolz
in die großen Schriftfteller und Künſtler, welche fie aufzumeifen bat,
fegt, diefe während ihres Lebens behandelt haben. Sie brächte uns
alſo jenen endlojen Kampf vor die Angen, ben das Gute und echte
aller Zeiten und Länder gegen das jedes Mal herrichende Berfehrte
und Schlechte zu beftehen bat, das Märtyrerthum faft aller wahren
Erleuchter der Menfchheit, faft aller großen Meifter in jeder Art und
uf. (P. I, 594 fg.)
3) Gegenſatz zwiſchen der politifhen und ber Littera—
turgeſchichte. (S. Geſchichte.)
4) Gegen bie Monomanie, Litteraturgeſchichte zu leſen.
Gegen die heut zu Tage herrſchende Monomanie, Litteraturgeſchichte
zu leſen, um von Allem ſchwätzen zu können, ohne irgend etwas eigentlich
zu lennen, iſt eine höchſt leſenswerthe Stelle in Lichtenbergs Schriften
(®b. U, S. 302 der alten Ausgabe) zu empfehlen. (PB. II, 594.)
fitteraturzeitungen.
1) Aufgabe der Titteraturzeitungen.
Die Litteraturzeitimgen follten gegen die immer höher fteigenbe
Sündfluth unnliger und ſchlechter Bücher ber Damm fein, indem fie,
unbeftechbar, gerecht und ftrenge urtheilend, jedes Machwerk eines Un-
berufenen, jebe Schreiberei, mittelft welcher der Leere Kopf dem leeren
Beutel zu Hülfe kommen will, folglich wohl 9, aller Bücher, ſchonungs⸗
[08 geißelten und dadurch pflichtgemäß dem Schreibefigel und der
Prellerei entgegenarbeiteten, ftatt ſolche dadurch zu befördern, daß ihre
niederträchtige Toleranz im Bunde fteht mit Autor und Berleger, um
dem Publicum Zeit und Geld zu rauben. (P. II, 544.)
2) Bon Wem allein eine ihre Aufgabe erfüllende
Litteraturzeitung ausgehen kann.
Eine ihre Aufgabe erfüllende Titteraturzeitung könnte nur von Lenten
geſchrieben werben, in welchen unbeftechbare Redlichkeit mit feltenen
Lenntniſſen und noch feltenerer Urtheilskraft vereint wäre; demnach
Könnte ganz Deutſchlaud allerhöchſtens und kaum eine folche Litteratur-
zatung zu Stande bringen, die dann aber daftehen würde als ein
gerechter Areopag, und zu der jedes Mitglied von den fämmtlichen
andern gewählt fein müßte; ftatt daß jetzt die Titteraturzeitungen von
Univerfitätsgilden, oder Litteratenfliguen, im Stillen vielleicht gar von
Puhhändlern, zum Nutzen des Buchhandels betrieben werden und in
der Regel einige Koalitionen fchlechter Köpfe zum Nichtauftommenlaffen
des Onten enthalten. (P. II, 546.)
|
64 Logik
3) Berwerflichkeit der Anonymität in Litteratur:
zeitungen.
In Litteraturzeitungen hat zur Einführung der Anonymität der
Vorwand gedient, daß fie den redlichen Hecenfenten, den Warner dei
Publicums, fchüten-jollte gegen den Groll des Autors und fein
Gönner; allein gegen Einen Fall diefer Art werben hundert fein, wo
fie blos dient, Den, der das was er jagt nicht vertreten kann, aller
Berantwortlichleit zu entziehn, oder wohl gar die Schande Deflen zu
verhüllen, der feil und niederträchtig genug ift, für ein Zrinfgeld vom
Berleger ein fchlechtes Buch den Publicum anzupreifen. Alles aus
nyme NRecenfiren ift auf Zug und Trug abgefehen. Anonyme Litteratm:
zeitungen find ganz eigentlich der Ort, wo ungeftraft Unwiſſenheit über
Selehrfamteit, und Dummheit über Berfland zu Gericht fitt, umd wo
das Publicum ungeftraft belogen, auch um Geld und Zeit durch Lob
des Schlechten geprellt wird. (P. II, 546 fg. Vergl. auch Ano-
nymität.)
£ogik.
1) Definition der Logik.
Die Logik ift ein Theil der Erkenntnißlehre, alfo der philosophis
prima, Diefe zerfällt nämlich in bie Betrachtung ber primären,
d. i. anfchaulichen Borftellungen, welden Theil man Dianoiologie
ober Berftandeslehre nennen kann, und in die Betrachtung ber je
bären, b. i. abftracten Borftellungen, nebft der Geſetzmäßigkeit ifrer
Handhabung, alfo Logik oder Vernunftlehre. (P. II, 19.) In da
Logik ift der formelle Theil der abfiracten Erkenntniß niedergelegt
und dargeftellt, und deshalb ift fie von unfern Vätern ganz richtig |
Bernunftlehre benannt worden. (©. 115.) Die Logik iſt chen
nur das als ein Syſtem von Regeln ausgeſprochene natürliche Ber:
fahren der Vernunft ſelbſt. (G. 116.) Die Logik ift das allgemein,
durch, Selbftbeobachtung der Vernunft und Abftraction von allem Inhalt
erkannte und in der Form von Regeln auögebrüdte Wiſſen von der
Berfahrungsweife der Vernunft. Sie ift die ſpecielle Kenntniß de
Drganifation und Action der Vernunft. (W. I, 54 fg.) Sie bi
mit der Dialektik und Rhetorik zufammen das Ganze einer Tednil
der Bernunft. (W. I, 112.) Sie kann nur auf bie formalt
Wahrheit, nicht auf die materiale führen. Sie ſetzt bas Vorhandeunſtin
der Begriffe voraus und lehrt nur, wie man regelrecht damit zu operirtn
habe; fie bleibt dabei immer auf dem Gebiete der Begriffe. Ob €
aber in rerum natura Dinge gebe, die biefen Begriffen entfpreihen
ob die Begriffe fich auf wirkliche Dinge beziehen, oder blos willlürlich
erfonmen find, das geht fie nichts an. Darum Tann auch bei dem
ſchärfſten und regelvechteften Denken oft gar fein wahrhafter Gehalt
fein und es fi um lauter Chimären drehen. Urtheile aus Ur
theilen ableiten ift Alles was die Logik lehrt umb was di
Vernunft allein und abgefondert durch ſich felbft vermag. (9. 3618.
Logil 65
2) Werth der Logik.
Die Logik kann nie von praltiſchem Nuten, ſondern nur von theo⸗
retiſchem —* für die Philoſophie ſein. Denn obwohl ſich ſagen
ließe, daß ſie ſich zum vernünftigen Denken verhält, wie der General⸗
baß zur Muſik, die Ethil zur Tugend, oder die Aeſthetik zur Kunſt,
jo iſt doch zu bedenken, daß noch Fein Künſtler es duch Stubinm der
Aeſthetik geworden ift, noch ein edler Charakter dur Stubium der
Ethil, daß lange vor Rameau richtig und ſchön componirt wurde, und
euch, daß man nicht den Generalbaß inne zu haben braucht, um Dis-
harmonie zu bemerken. Ebenſo wenig nun braucht man Logik zu wiſſen,
um fi nicht durch Trugfchlüffe täufchen zu laſſen. Jedoch ifl ein-
zuräumen, daß, wenn auch nicht für die Beurtheilung, dennoch für die
Ausübung der mufifalifchen Compofition ber Generalbaß von großem
Ruten iſt; ſogar auch mögen, wenngleich in geringerm Grabe, Aeſthe⸗
tif und ſelbſt Ethik für die Ausübung einigen, wiewohl hauptſächlich
negativen Mugen haben, alfo auch ihnen nicht aller praftifche Werth ab-
zufprechen fein; aber von der Logik läßt fich nicht einmal fo viel
rühmen. Sie ift nämlich blos das Wiffen in abstracto deſſen, was
Jeder in concreto weiß. ‘Daher, fo wenig als man fie braucht, einem
falſchen Räſonnement nicht beizuftimmen, fo wenig ruft man ihre Regeln
zu Hülfe, um ein richtige8 zu machen, und felbft der gefchictefte Logiler
jet fie bei feinem wirflichen Denten ganz bei Seite. (W. I, 53 fg.)
Broftifchen Nuten wird die Logik, wenigftens für das eigene ‘Denken,
niht haben. Denn die Fehler unfers eigenen Räfonnements Tiegen
faft nie in den Schlüffen, noch fonft in der Form, fondern in dem
Urtheilen, alfo in der Materie des Denkens. Hingegen können wir bei
der Eontroverfe bisweilen einigen praktiſchen Nuten von der Logik
jehen, indem wir die, aus deutlich oder undeutlich bewußter Abficht
trügerifche Argumentation des Gegners auf bie firenge Form regel-
mäßiger Schlüffe zurüdführen und dann ihre Fehler gegen die Logik
nachweiſen. (W. U, 113; I, 55. 9. 36 — 38.)
Obgleich die Logik aber ohne praktifchen Nuten ift, fo ift fie doch
teoretifch intereffant und wichtig und muß als philoſophiſche Die-
aplin beibehalten werben, als fpecielle Kenntniß der Organifation umb
Action der Bernunft. (W. I, 5A4fg.; I, 113. 9. 36.)
3) Wie die Logik zu lehren ift.
Als abgefchloffene, für fich beftehende, in fich vollendete, abgerumbete
und volllommen fichere Disciplin ift die Logik berechtigt, ftir fich allein
und wmabhängig von allen andern wiſſenſchaftlich abgehandelt und
chenfo auf Univerfitäten gelehrt zu werden; aber ihren eigentlichen
Werth erhält fie erft im Zufammenhange der gefammten Philofophie,
bei Betrachtung des Erkennens, und zwar bes vernünftigen ober ab⸗
ſtracten Erlennens. Demgemäß follte ihr Vortrag nicht fo fehr die
vorm einer auf das Praftifche gerichteten Wiffenfchaft haben, als viel»
mehr darauf gerichtet fein, daß das Wefen der Vernunft und des Ber
Schopenhauer⸗Lexikon. IL b
66 Logos
griffs erfannt und ber Sat vom Grunde des Erkennens ausführkd
betrachtet werbe. (W. I, 55.)
4) Worauf die Sicherheit der Logik und die Ueberein:
ffimmung Aller im Logiſchen beruht.
Die volllommene Sicherheit der Wiffenfchaften a priori, alſo ie
Logik und Mathematil, beruht Hauptfächlich darauf, daß im ihnen uns
der Weg vom Grunde auf die Folge offen fteht, der allemal ficher if.
Dies verleiht ihnen den Charakter rein objectiver MWillenfchaften,
d. 5. folcher, über deren Wahrheiten Alle, welche diefelben verſtehen,
auch übereinſtimmend urtheilen müſſen; welches um fo auffallender if,
als gerade fie auf den fubjectiven Formen des Intellects beruhen, wäh⸗
rend die empirischen Wifjenfchaften allein e8 mit dem handgreiflicen
Objectiven zu thun haben. (W. II, 98.)
Die nothwendige Uebereinftimmung Aller im Logijchen und Mate:
matifchen rührt nicht von etwas Aeußerem ber, fondern von ber gleichen
Befchaffenheit der fubjectiven Erlenntnißformen in allen Individuen.
Beim Logifchen und Mlathentatifchen ift der Stoff ganz und gar um
Kopfe eines Jeden; und biefer Kopf ift entweber jo, daß er die Jun
tionen gar nicht (dev Blodſinnige), oder fo, daß er fie richtig vollzieht.
($. 331 fg.)
5) Gegen den falſchen Gebrauch bes Wortes „Fogil”.
Es ift unpafiend, wenn man Logik fagt, wo man gefunde Ber:
nunft meint. Man lieft bisweilen das Lob von Schriftftellen: „ee
ift viel Logik in dem Werk‘, ftatt: „es enthält richtige Urtheile und
Schlüffe”, oder man Hört: „er follte erft Logik ftubiren“, flatt: „a
follte feine Bernunft gebrauchen und benfen, ehe ex fchreibt”. (9. 37.
Die Ausdrüde vernünftig und logifch verhalten ſich zu einander,
wie Praris und Theorie. (©. 116.)
Cogos. |
1) Logos im Sinne von Bernunft. (S. Bernunft.)
2) Der logos im Eingang des Johannis- Evangeliums.
Wenn man lieft, was über die Zahlenphilofophie der Pythagorär
in den Scholien zum Xriftotele8 gefagt wird; fo kann man auf die
Bermuthung gerathen, daß der fo feltfame und geheimnißvolle, an dat
Abfurde freifende Gebrauch des Worte® Aoyos im Eingang bes deu
Johannes zugefchriebenen Evangeliums, wie auch die friiheren Analogı
beffelben beim Philo, von der Pythagorifchen Zahlenphilofophie ob
ftamme, nämlich) von der Bedeutung des Wortes Aoyog im arithmet
ſchen Sinne, als Zahlenverhältnig, ratio numerica, da ein ſolches Fer
hältniß nach den Pythagoräern bie innerfte unzerflörbare Eſſenz jede
Weſens ausmacht, alfo deſſen erftes und urfprüngliches Principim,
apyn, ift; wonach denn von jedem Dinge gälte: im Anfang war Kt
Logos. (P. I, 42 fg.)
ige 67
füge.
1) Urfprung und Zweck der Lüge.
Es giebt zwei Arten der Ausübung bes Unrechts, Gewalt und
vi. (Bergl. Gewalt.) Die Lüge gehört zur Letzteren. Bon ber
Ausübung des Unrechts durch Gewalt unterjcheidet nämlich die durch
Liſt fi dadurd, dag während jene ſich der phyfifchen Cauſalität
bedient, diefe die geiftige Caufalität, d. i. die Durch das Erfennen durd-
gegangene Eaufalität, die Motivation (vergl. über diefe unter Grund:
Cap vom Grund des Handelns) anwendet, indem fie dem fremden
Individuum, das fie zwingen will, Scheinmotive vorſchiebt, vermöge
welches es feinem Willen zu folgen glaubend, doch nur dem des An⸗
dern folgt. Da das Medium, in welhem die Motive liegen, die Er⸗
leuntniß ift, jo kann der Tiftige feinen Zwed nur durch Berfälfchung
der fremden Erkenntniß erreichen, und diefe eben ift die Lüge. (W. 1,
398, E. 222.)
Die Lüge bezwedt allemal Einwirtung auf ben fremden Willen,
nt auf feine Erkenntniß allein file fi und als ſolche, fonbern auf
diefe nur als Mittel, nämlich fofern fie feinen Willen beftimmt. Denn
das Lügen felbft, als vom Willen ausgehend, bedarf eines Motivg;
ein ſolches kann aber nur ber fremde Wille fein, nicht die fremde Er-
kenntniß an und für fih. Dies gilt nicht nur don allen aus offen-
barem Eigennutz entjprungenen Lügen, fondern aud). von ben aus
reiner Bosheit, die fid) an ben fchmerzlicden Folgen bes von ihr ver-
anlapten fremden Irrthums weiden will, bervorgegangenen. Sogar
die bloße Winbbeutelei bezwedt, mittelft dadurch erhöhter Achtung, oder
verbefierter Meinung von Seiten ber Andern, größern oder leichtern
Einfluß auf ihr Wollen und Thun. (W. I, 398. E. 222.)
Die Duelle der Lüge ift allemal die Abficht, die Herrjchaft feines
Vilens auszubehnen über fremde Individuen, den Willen diefer zu
verneinen, um feinen eigenen defto befier zu bejahen; folglich geht die
Yüge als ſolche aus von Ungerechtigkeit, Webelmwollen, Bosheit. (5. 402.)
2) Worauf die Unrechtmäßigleit der Rüge berußt.
Aus dem über Urfprung und Zwed der Lüge Gefagten ergiebt fich,
daß jede Lüge, wie jede Gewaltthätigkeit, als ſolche Unrecht ift, weil
fie fhon als folche zum Zwed hat, die Herrfchaft des Willens des
Yügenden auf fremde Individuen auszudehnen, alfo feinen Willen
durch Berneinung des ihrigen zu bejahen, fo gut wie die Gewalt.
'®. I, 399.) Die Unmrechtmäßigfeit der Lüge beruht darauf, daß fie
ein Werkzeug ber Pift, d. h. des Zwanges mittelft der Motivation ift.
Died aber ift fie in der Regel. (E. 222.)
3) Unterſchied zwifchen Lüge und bloßer Berweigerung
einer Ausfage.
Das bloße Berweigern einer Wahrheit, d. h. einer Ausfage über-
haupt, ift am fich Fein Unrecht, wohl aber jedes Aufheften einer Lüge.
5 *
68 Lüge
Mer dem verirrten Wanderer den rechten Weg zu zeigen fich weigert,
thut ihm Fein Unrecht, wohl aber der, welder ihn auf den falichen
hinweiſt. (W. I, 398.)
4) Inwieweit e8 ein Recht zur Lüge giebt.
Die Abwehrung fremden Unrechts ift nur bie VBerneinung einer Ber:
neinung, alfo Recht. Ich Tann ohne Unredt den meinen Bil
verneinenden fremden Willen zwingen, von diefer Verneinung ab
ftehen, d. 5. ich Habe fomit ein Zwangsrecht. In allen Fällen
daher, wo ich ein Zwangsrecht, ein vollfommenes Recht habe, St:
walt gegen Andere zu gebrauchen, Tann ich nach Maßgabe der Um:
ftänbe ebenfowohl der fremden Gewalt auch die Liſt entgegenftelen,
ohne Unredht zu thun, und babe folglich ein Recht zur Lüge, ge:
rade foweit, wie ich es zum Zwange habe, 3. B. gegen Räuber
und unberechtigte Gewaltiger jeder Art. (W. I, 401 fg. €. 222.)
Aber das Recht zur Lüge geht fogar noch weiter; es tritt ein bei
jeber völlig unbefugten Srage, deren Beantwortung nicht nur, fondern
Ihon deren bloße Zurlidweifung mich in Gefahr bringen würde. Hier
ift die Lüge bie Nothwehr gegen unbefugte Neugier, deren Motiv
meiftens Tein woblwollendes iſt. Aber auch uur für den Fall de
Notwehr geftattet die Moral ben Gebrauch ber Füge. Den Fall der
Nothwehr gegen Gewalt oder Liſt ausgenommen, ift jebe Liige ein Un
recht; daher die Gerechtigkeit Wahrhaftigkeit gegen Jedermann fordert
Aber gegen die völlig unbedingte, ausnahmslofe Verwerflichkeit der
Lüge fpricht fchon dies, daß es Fülle giebt, wo Lüge fogar Pflicht
ift, namentlich fiir Uerzte; ebenfalls, daß es edelmüthige Lüge
giebt. Die gangbare Lehre von der Nothlüge ift ein elender Fliden
anf dem Seide einer armfäligen Moral. Kants Polemik gegen die
Lüge ift nicht ftichhaltig. (E. 222 — 225.)
5) Warum die Rüge fchimpflicher ift und für ſchimpf⸗
licher gilt, als Gewalt.
Unrecht durch Gewalt ift für den Ausüber nicht fo ſchimpflich, wie
Unrecht durch Liſt, weil jenes von phyſiſcher Kraft zeugt, welche unter
allen Umftänden dem Menfchengefchlechte imponirt, biefes hingegen durch
Gebrauch des Umwegs Schwäche verräth ımd ihn alfo als phyfiſches
und moralifches Weſen zugleich herabſetzt; zudem, weil Lug und Be
trug nur dadurch gelingen kann, baß wer fie ausübt zu gleicher Zeit
ſelbſt Abſcheu und Verachtung dagegen äußern muß, um Zutrauen zu
gewinnen, und fein Sieg darauf beruft, daß man ihm die Redlichlei
zutraut, die er nicht hat. (W. I, 399.)
Daß nach dem Princip ber ritterlichen Ehre (vergl. unter Ehre:
eine Afterart der Ehre) der Vorwurf der Lüge als fo ſchwer und
eigentlich mit dem Blute bes Anſchuldigers abzumafchen genommen
wird, während bie Anfchuldigung eines durch Gewalt verlibten Un:
rechts nicht als fo drückend betrachtet wirb, liegt daran, daß nach dem
Lumpe — Luftfpiel 69
Princip der ritterlichen Ehre eigentlich die Gewalt das Hecht begriinde;
wer nun, um ein Unrecht auszuführen, zur Lüge greift, beweift, daß
ifm die Gewalt, ober der zur Anwendung diefer nöthige Muth abgeht.
Jede Lüge zeugt von Furcht; das bricht den Stab über ihn. (E. 226.)
Hiſtoriſch ſchreibt fich die Hohe Indignation des ritterlichen Ehrenprincips
über den Vortourf der Lüge aus dem Mittelalter ber. (P. I, 394.)
6) Bertragsbrud, Betrug und Verrath.
Die volllommenfte Lüge ift der gebrochene Vertrag, weil Bier
die das Weſen umd ben Zweck der Lüge ausmachenden Beftimmungen
volftändig und deutlich vorhanden find. Denn, indem ich einen Ver⸗
trag eingebe, ift die fremde verheißene Feiftung unmittelbar und eigent-
lich das Motiv zur meinigen nunmehr erfolgenden. Die Berfprechen
werden mit Bedacht und förmlich gewechjeli. Bricht der Anbere ben
Sertrag, fo bat er mich getäufcht und, durch Unterfchieben bloßer
Scheinmotive in meine Erkenntniß, meinen Willen nad) feiner Abficht
gelenft, die Herrichaft feines Willens über da8 fremde Individuum
ausgedehnt, aljo ein vollfommenes Unrecht begangen. Hierauf gründet
ih die moralifche Rechtmäßigkeit und Gültigkeit der Verträge, (W. I,
399. E. 222.) Das Berächtliche des Betruges lommt daher, daß
er durch Gleißnerei feinen Mann entwaffnet, ehe er ihn angreift. Der
Verrath ift fein Gipfel und wird, weil er in die Kategorie der dop⸗
pelten Ungerechtigfeit gehört, tief verabſcheut. (E. 222.)
Der tiefe Abſcheu, den Arglift, Zreulofigfeit und Verrath überall
eregen, beruht darauf, daß Treue und Redlichkeit das Band find,
welches den in die Vielheit der Individuen zerfplitterten Willen doc)
von Außen wieder zur Einheit verbindet und dadurch den Folgen des
aus jener Zerfplitterung bervorgegangenen Egoismus Schranken fekt.
Zreulofigfeit und Verrath zerreißen dieſes legte, äußere Band und
geben dadurch den Folgen des Egoismus gränzenlofen Spielraum.
(®. I, 399.)
7) Ein Mittel zur Entlarvung der Lüge.
Wenn man argwöhnt, daß Einer Lüge, ſtelle man fi gläubig; da
wird er dreift, lügt ſtärker und ift entlarvt. (P. I, 494.)
fumpe.
1) Befcheidenheit der Lumpe. (S. Beſcheidenheit.)
2) Gefelligfeit ber Lumpe. (S. Gefelligkeit, und unter
Einfamteit: Liebe zur Einfamkeit als Maßſtab intellec-
tualen Werthes.)
Suflbarkeiten, f. Freude,
Suftfpiel,
1) Gegenfat des Luftfpiels gegen das Trauerſpiel.
Während die Tendenz und legte Abficht des Trauerſpiels ein Hin-
enden zur Nefignation, zur Berneinung des Willens zum Leben ift;
70 Lufifpiel
fo ift in feinem Gegenfag, dem Luftfpiel, die Aufforderung zur fort-
geſetzten Bejahung des Willens Leicht erfenubar. Zwar muß and) das
Luftfpiel, wie unausweichbar jede Darftellung des Menſchenlebens, Lei:
den und Widermwärtigleiten vor die Augen bringen; allein es zeigt fir
uns vor als vorübergehend, fich in Freude auflöfend, überhaupt mit
Gelingen, Siegen und Hoffen gemifcht, welche am Ende doc, über:
wiegen; und babei hebt e8 ben unerjchöpflichen Stoff zum Laden ke-
vor, von dem das Leben, ja, defien Wiberwärtigfeiten felbft erfüll
find, und der und unter allen Umftänden bei guter Laune erhalten
follte. Es befagt alfo, im Refultat, daß das Leben im Ganzen rech
gut und befonders durchweg furzweilig fei. (W. II, 498 fg. 9. 371.)
2) Die Komödie ber Alten.
Die Alten haben in ihrer Komödie uns einen treuen und bleibenden
Abdrud ihres heitern Lebens und Treibens Hinterlafien, fo deutlich und
genau, daß es den Schein erhält, als hätten fie e8 im der Abſicht gr-
than, von der fchönen und edeln Eriftenz, deren Flüchtigkeit fie br
dauerten, wenigftens ein bleibendes Abbild auf die fpätefte Nadwli
zu vererben. Füllen wir nun diefe und überlieferten Hüllen und der-
men twieber mit Fleiſch und Bein aus, durch Darftcllung des Plant
und Terenz auf der Bühne; fo tritt jenes längſt vergangene, itgt
Leben wieder frisch und froh vor uns hin, — wie die antifen Dufal-
fußböden, wenn beneßt, wieder im Glanze ihrer alten Farben daſtehen
(P. O, 471 fg.)
3) Die deutfhe Komödie,
Die allein ächte deutfche Komödie, aus dem Weſen und Geifle ta
Nation hervorgegangen und ihn darftellend, ift, nach ber einzig de
ftehenden Minna von Barnhelm, das Iffland'ſche Schaufpiel. Di
Borzüge diefer Stücke find, eben wie die der Nation, die fie treu ab:
bilden, mehr moralifch, als intellectuell; wovon das Uuingefehrie von
der franzöfifchen und englifchen Komödie behauptet werden könnte.
($. II, 472.)
4) Ob e8 ſchwieriger fei, eine gute Komödie, als eint
gute Tragödie zu fchreiben.
In das Verzeichniß belichter und von Unzähligen mit Selbftgenügt
nachgefprochener Irrthümer gehört auch der Sag: Es ift leihter
eine gute Tragödie, als eine gute Komödie zu fehreiben. (P. II, 64.)
5) Warum Fürften fein geeigneter Öegenftand für dat
Luſtſpiel find.
Während zum Trauerſpiel nur folhe Handlungen taugen, die bat
Leben im Ganzen und Großen betreffen und nicht ins Einzelne gehen,
daher faft nur Fürften und Heerführer darin auftreten Können, bat
bürgerliche Zrauerfpiel hingegen nicht leicht gelingt, weil das Leben
en detail, auch wenn es noch fo verdrießlich iſt, immer ein Luftfpiel
Lurns 71
it; fo würde dagegen ein Luftfpiel von Fürſten nicht leicht gelingen,
weil ihr Thun in's Große geht, es fer denn, daß man fie nicht als
Sie im Stück anfieht, fondern nur als Glieder ihrer Familie.
(9. 372.)
ſuxus.
1) Gegen den Lurxus.
Der Luxus iſt die entferntere Urſache jenes Uebels, welches entweder
unter dem Namen der Sclaverei, oder unter dem des Proletariats,
jederzeit auf der großen Mehrzahl des Menſchengeſchlechts gelaſtet hat.
Damit nämlich einige Wenige das Entbehrliche, Ueberflüſſige und Raf⸗
finirte haben, ja, erfünftelte Bebitrfniffe befriedigen Tünnen, muß auf
Drrgleichen ein großes Maß der vorhandenen Menſchenkräfte verwendet
und baher dem Nothwendigen, der Hervorbringung des Uuentbehrlichen,
entzogen werden. So lange baher auf ber einen Seite der Luxus be=
ftcht, muß nothiwendig auf der andern übermäßige Arbeit und fchlech-
tes Leben beftchen, fet e8 unter dem Namen der Armuth oder bem
der Sclaverei. Der ganze unnatürliche Zuftand ber Gefellfchaft, der
allgemeine Kampf, um dem Elend zu entgehen, bie fo viel Leben
foftende Seefahrt, das verwidelte Hanbeldintereffe und endlich bie
Kriege, zu welchen das Alles Anlaß giebt, — alles Diejes Bat zur
alleinigen Wurzel den Luxus. Demnach würde zur Verminderung des
menfchlichen Elends das Wirkfamfte die Verminderung, ja, Aufhebung
des Luxus fein. (P. II, 261 fg.)
2) Für ben Luxus.
So viel Wahres auch die angegebenen Gegengründe gegen den Luxus
haben, fo läßt fi ihnen doch Folgendes entgegenftellen. Was durch
die dem Luxus fröhnenden Arbeiten das Dienfchengefchleht an Muskel⸗
fräften (Srritabilität) file feine nothwenbigften Zwecke verliert, wird
ihm reichlich erſetzt durch die gerade bei diefer Gelegenheit frei werben.
den Nervenkräfte (Senftbilität, Intelligenz). Künſte und Wiffen-
ihaften find Kinder des Lurus, und ihr Werk ift jene Vervolllommnung
der Technologie in allen ihren Zweigen, welche das Mafchinenwefen zu
einer früher nie geahndeten Höhe gebracht hat. Die Erzeugniffe der
Mafchinen aber lommen keineswegs den Reichen allein, fondern Allen
zu Gute. Auch das Leben der niebrigften Klaſſe bat daher gegen
frühere Zeiten viel an Bequemlichkeit gewonnen, unb durch Verminde⸗
rung ſchwerer Eörperlicher Arbeit ift die Geiftescultur allgemeiner ge-
worden. Weil ferner die Künfte die Sitten mildern, fo werben auch
die Kriege und Duelle immer feltener. Abgeſehen Hiervon aber ift
gegen die Übfchaffung des Lurus und gegen bie Einführung gleich
mäßiger Vertheilung aller Törperlichen Arbeit zu erwägen, daß die
große Heerde des Menfchengefchlechts der Führer und Leiter bebarf,
und daß dieſe fowohl von Förperlicher Arbeit, als von gemeinem
72 eyril
Mangel befreit zu bleiben, ja auch nach Maßgabe ihrer viel größern
Leiſtungen mehr zu beſitzen En Ir genießen berechtigt find, als ber
gemeine Dann. &.u ‚262 — 264.)
Cyrik.
1) Subjectivität der lyriſchen Gattung.
Der Inrifchen Poefie, dem eigentlichen Liebe, wo ber Dichtende nur
feinen eigenen Zuftand lebhaft anfhaut und beſchreibt, der Dargeſtellte
alſo auch der Darſtellende iſt, iſt eben deshalb eine gewiſſe Subjc-
tivität weſentlich. Die lyriſche Gattung iſt deshalb and die leichtefte,
und wenn bie Kunſt fonft nur dem jo feltenen, ächten Genius an-
gehört, fo Tann felbft der im Ganzen nicht fehr eminente Menſch,
wenn in der That durch ſtarke Anregung von Außen irgend eine Be:
geifterung feine Geiftesfräfte erhöht, ein ſchönes Lied zu Stande
bringen; denn e8 bedarf dazu nur einer lebhaften Anſchauung feine
eigenen Zuſtandes im aufgeregten Moment. Die Stimmung des
Augenblicks zu ergreifen und im Liede zu verkörpern ift die ganze
Leiftung diefer poetifchen Gattung. Dennod bildet, da der Dichter
überhaupt der allgemeine Menſch ift, in ber Iyrif hen Poefie ächter
Dichter fih das Innere der ganzen Menſchheit ab. (W. I, 293 fg.)
2) Wefen bes Liedes,
Das eigenthitmliche Weſen bed Liebes befteht in Folgendem. Es ıf
das Subject des Willens, b. 5. das eigene Wollen, was das Bewußt⸗
fein des Singenden füllt, oft als ein entbundenes, befriedigtes Wollen
(Freude), wohl noch öfter aber als ein gehemmtes (Trauer), immer
als Affect, Leidenſchaft, bewegter Gemüthszuſtand. Neben dielen
jedoh und zugleich damit wird durch den Anblick ber umgebenden
Natur der Singende ſich feiner bewußt als Subjects des veinen,
willenlofen Erkennens, deſſen unerſchütterliche, jelige Ruhe nunmehr in
Contraft tritt mit dem Drange ded immer befchränften, immer nod
bülrftigen Wollend. Die Empfindung biefes Contraftes, diefes Wechſel—
ſpiels iſt es eigentlich, wa8 fich im Ganzen des Liebes ausſpricht und
was überhaupt den Iprifchen Zuftand ausmadt. (W. I, 294 — 296.)
Machiavellismus — Magie und Magnetismus 73°
M.
Machiavellismus.
Machiavells Problem war die Auflöfung der Frage, wie ſich ber
Fir unbedingt auf dem Thron erhaften könne, trog innern und
äußern Feinden. Sein Problem war alfo Teineswegs das ethiſche, ob
ein Fürſt als Meuſch dergleichen wollen folle, oder nicht; fondern rein
dad politifche, wie er, wenn er e8 will, es ausführen könne. Hierzu
nun giebt er die Auflöfung, wie man eine Anweifung zum Schad-
ſpielen ſchreibt, bei der es doch thöricht wäre, bie Beantwortung ber
trage zu vermiſſen, ob es moralifch väthlich fei, überhaupt Schach zu
Ipielen. Dem Machiavell die Immoralität feiner Schrift voriverfen,
it eben fo angebracht, als es wäre, einem Fechtmeiſter vorzuwerfen,
daß er nicht feinen Unterricht mit einer moralifchen Vorleſung über
Mord und Todfchlag eröffnet. (W. I, 612.) Aus der Lehre bes
Madiavelli läßt fich entnehmen, daß zwar zwifchen Individuen, und
in der Moral und Rechtélehre für Diefe, der Grundſatz quod tibi
feri non vis, alteri ne feceris allerdings gilt; Hingegen zwifchen
len und in der Politik der umgefehrte: quod tibi fieri non vis,
d alteri tu feceris. WIR du nicht unterjocht werden, fo unterjoche
bei Zeiten den Nachbar, fobald nämlich feine Schwäche dir die Ge-
legenheit darbietet. (P. II, 259. 9. 6.) Machiavellis Buch ift blos
die auf die Theorie zurückgeführte und in biefer mit ſyſtematiſcher
Confeguenz bargeftellte, damals noch herrſchende Praxis, bie dann eben
in der ihr neuen, theoretifchen Form und Vollendung ein höchft pilan-
tes Anfehen erhält. — Im Machiavell findet übrigens Bieles auch
anf das Privatleben Anwendung. (PB. U, 265 fg.)
Magie und Klagnetismus.
1) Uebernatürlichleit des magiſchen und magnetifchen
Wirlens.
Animaliſcher Magnetismus, ſympathetiſche Kuren, Magie, zweites
Geficht, Wahrträumen, Geiſterſehen und Viſionen aller Art find ver-
wandte Erſcheinungen, Zweige Eines Stanımes, und geben ſichere,
unbweisbare Anzeige von einem Nerus ber Wefen, der auf einer ganz
andem Ordnung der Dinge beruht, als die Natur ift, als welche zu
ihrer Bafis die Gefete des Raumes, der Zeit und der Caufalität Hat;
während jene andere Ordnung eine tiefer liegende, urfprünglichere und
mmittelbarere ift, Daher vor ihr die erften umb allgemeinften, weil rein
formalen Geſetze der Natur ungültig find, demnad; Zeit und Raum
die Individuen nicht mehr trennen und die eben auf jenen Formen be⸗
74 Magie und Magnetismus
ruhende Bereinzelung und Iſolation berfelben nicht mehr der Mitthei⸗
fung der Gedanken und dem unmittelbaren Einfluß des Willens un
überfteigbare Gränzen fett. (PB. I, 282.) Demgemäß ift der eigen:
thitmliche Charakter fänmtliher hier in Rebe ftehender animaler
Phänomene visio in distans et actio in distans, fowohl ber Zat,
als den Raume nad. (BP. I, 282.) Eine magnetifche oder übe:
haupt magifche Einwirkung ift von jeder andern, durch den influxw |
physicus geſchehenden, toto genere verfchieden, indem fie eine eigent-
liche actio in distans ift, welche der zwar vom Einzelnen ausgehen
Wille dennoch in feiner metaphyſiſchen Eigenſchaft, als das allgegen:
wärtige Subftrat der ganzen Natur, vollbringt. Don der urjprüng
lichen Allmacht des Willens, welche in ber Darftellung und Exhal:
tung der Organismen ihr Werk vollbringt, wird im magiſchen Win
gleihfam ein Ueberſchuß ausnahmsweiſe thätig. (WB. IL, 372.) Im
magifchen Wirken giebt fich die Allmacht des Willens, im fomnem:
bulen Hellſehen die Allwiſſenheit fund. (M. 201 fg. 456. P.1,
281; U, 44 fg.) |
Im animalifchen Magnetismus verrichtet der Wille, das Ding an
fih, das allein Reale in allem Dafein, der Kern ber Natur, vom
menſchlichen Individuum aus und darüber hinaus Dinge, welde md
der Caufalverbindung, b. h. dem Geſetz des Naturlaufs, nicht zum
klären find, ja, dieſes Geſetz gewiſſermaßen aufheben; er übt wirllicht
actio in distans and und legt mithin eine übernatürliche, d. i. nmel
phyſiſche Herrichaft über die Natur au den Tag. Der animalide
Magnetismus tritt demnach geradezu als die praftifche Metaphyſil
anf; er ift die empirifche oder Experimental-Metaphufit. — Weil fern
im animalifchen Magnetismus der Wille ald Ding an fich hervortnitt,
fehen wir das ber bloßen Erfcheinung angehörige principium indin-
duationis (Raum unb Zeit) al8bald vereitelt; feine die Individuen
fondernden Schranken werben durchbrochen; zwifchen Magnetiſenr und
Somnambule find Räume keine Trennung, Gemeinfchaft der Gedanken
und Willensbewegungen tritt ein; der Zuftand des Hellfehens fegt übe
die der bloßen Erſcheinung angehörenden, durch Raum und Zeit be:
dingten Verhältniffe, Nühe und Ferne, Gegenwart und Zukunft hinaus.
(N. 104 fg. W. I, 372. 689. P. I, 285.) Das Hellfehen ift ein
Beftätigung der Kantifchen Lehre von der Idealität des Raumes, der
Zeit und der Cauſalität, die Magie aber überdies auch eine Beftätigung
der Schopenhauer’fchen Lehre von der alleinigen Realität des Willene,
als des Kerns aller Dinge; hiedurch num wieder wird auch nod der
Balonifche Ausſpruch, dag die Magie die praftifche Metaphyfil ie,
beftätigt. (P. I, 320 fg. 283.) Auf der metaphufiichen Identität bei
Willens, als des Dinges an ſich, bei der zahllofen Vielheit feiner Cr-
fcheinungen, beruhen überhaupt drei Phänomene, welche man unter bei
gemeinfanen Begriff dee Sympathie bringen kann: 1) das Mit:
leid; 2) die Geſchlechtsliebe; 3) die Magie, zu welder auf
der animalifche Magnetismus und die jympathetifchen Kuren gehören.
Magie und Magnetismus 75
(®. I, 689.) Den Dingen mit Umgehung des principü indivi-
duationis geradezu von innen, ftatt auf dem gewöhnlichen Wege von
außen, beizumwohnen, und fo uns berfelben, im Hellſehen erfennend, in
der Magie wirkend, zu bemächtigen, — eine Leiftung diefer Art ift
nur metaphufifch begreiflich, phyſiſch ift fie eine Unmöglichkeit. (P. I,
320 fg.)
2) Gegenſatz zwifhen dem magifchen und. pbyfiichen
Wirken.
Die Magie ift ein von den caufalen Bedingungen des phuyfifchen
Wirkens, alfo des Contacts, im weiteften Sinne des Worts, befreites
unmittelbares Wirken des Willens ſelbſt. Das magifche verhält. fich
daher zum phyfifchen Wirken, wie die Mantif zur vernünftigen Con⸗
jectur; es ift wirkliche und gänzliche actio in distans, wie die ächte
Mantil, 3.3. das ſomnambule Hellfehen, passio a distante iſt. Wie
in diefem die individuelle Iſolation der Erkenntniß, fo ift in jener bie
individuelle Iſolation des Willens aufgehoben. (P..I, 281 fg.)
Der wahre Begriff der actio in distans ift diefer, daß der Raum
zwischen dem Wirfenden und dem Bewirkten, ex fei voll oder leer,
durchaus feinerlei Einfluß auf die Wirkung habe, — fondern es völlig
einerlei fei, ob er einen Zoll, oder eine Billion Uranusbahnen beträgt.
Denn, wenn die Wirfung durd) die Entfernung irgend gefchwächt wird;
fo it e8, entweder weil eine den Kaum bereits fülllende Materie die-
ſelbe fortzupflanzgen bat und daher vermöge ihrer fteten Gegenwirkung
fie nach Maßgabe der Entfernung ſchwächt; oder auch, weil die Urſache
ſelbſt blos in einer materiellen Ausftrömnng befteht, die fih im Raum
verbreitet und alſo defto mehr verdünnt, je größer diefer ift. Hingegen
lann der leere Raum felbft auf feine Weife widerftehen und die Cau⸗
ſalität ſchwächen. Wo alfo die Wirkung nad) Maßgabe ihrer Ent⸗
femung vom Ausgangspunfte der Urfache abnimmt, wie die des Lichtes,
der Gravitation, de8 Magneten u. ſ. w., da ift feine actio in distans,
und eben jo wenig ba, two fie durd) die Entfernung auch nur verjpätet
wird. Hingegen haben die Magie und das Hellfehen gerade die actio
ın distans und passio a distante zum fpecififchen Kennzeichen.
($. I, 281— 283.)
3) Der animalifde Magnetismus und die Magie als
Widerlegung des Moaterialismus und Natura»
lismus.
Der animaliſche Magnetismus und die Magie geben eine factiſche
und vollkommen fichere Wiberlegung nicht nur des Materialismus,
Imdern andy des Naturalismus oder der auf den Thron der Meta—
pönfit gefeßten Phyſik, indem fie die Ordnung ber Natur, welche bie
beiden genannten Anfichten als die abfolute und einzige geltend machen
wollen, nachweifen als eine rein phänomenale und demnach blos ober-
fuchliche, weicher das von ihren Geſetzen unabhängige Wefen der Dinge
on ſich felbft zum Grunde liegt. (P. I, 284.)
76 Magie und Magnetiemus
4) Das magnetifhe Agens im Unterfchiede von ber
magnetifhen Manipulation.
Jenes tief eingreifende Agens, welches, vom Magnetifeur ausgehend,
Wirkungen hervorruft, die dem geſetzmäßigen Naturlauf fo ganz ent
gegen find, ift nichts anderes, als der Wille des Magnetiſirenden.
Die magnetiiche Manipulation hingegen iſt nur ein Mittel, den Willens:
act des Magnetifeurs und feine Richtung zu firtren und gleichſam zu
verkörpern, eben weil äußere Acte ohne allen Willen gar nicht möglid
find, indem ja der Leib und feine Organe nichts, al8 die Sichtbarkeit
des Willens felbft find. Hieraus erklärt es fih, daß Magnetiſeurs
bisweilen ohne bewußte Anftrengung ihres Willens und beinahe ge
danfenlo8 magnetifiren, aber doch wirken. Weberhaupt ift es nicht das
Bewußtſein des Wollens, die Reflexion über daſſelbe, fonbern das rein,
von aller Borftellung möglichſt gefonderte Wollen felbft, welches magne⸗
tifch wirkt. Der Grund davon ift, daß hier der Wille in feiner Ur⸗
fprünglichkeit, als Ding an fi, wirkſam ift, welches erfordert, daß die
Borftelung, als ein von ihm verfchiedenes Gebiet, ein Secundäres,
möglichft ausgefchloffen werde. Wactifche Belege der Wahrheit, dab
das eigentlich Wirkende beim Magnetifiren der Wille iſt umd jeder
äußere Act nur fein Vehikel, findet man in allen neuern und befien
Schriften über den Magnetismus. (N. 99—104.)
5) Sympathetifhe Kuren und Hererei.
Das Bolt hat nie aufgehört, an Magie zu glauben. Ein Zweig
der alten Magie hat fi unter bem Volle fogar offenkundig in täg—
licher Ausübung erhalten, nämlich die fympathetifchen Kuren, am deren
Realität wohl kaum zu zweifeln ift. Bei diefen ift, wie beim Magne—
tifiren, das eigentliche Agens nicht bie finnlofen Worte und Ceremo⸗
nien, fondern der Wille des Heilenden. (N. 105 fg.)
Der animalifche Magnetismus und die ſympathetiſchen Kuren, meld:
empirifch die Möglichkeit einer der phufifchen entgegengefeßten magiſchen
Wirkung beglaubigen, Liefern nur wohlthätige, Heilung bezwedende Ein:
wirfungen; die alte Magie Hingegen wurde viel öfter im verderblicher
Abficht angewandt. Nach der Analogie ift e8 jedoch mehr ald wahr:
Scheinlich, daß bie inwohnende Kraft, welche, auf das fremde Individuum
unmittelbar wirkend, einen heilfamen Einfluß auszuüben vermag, wenig:
ftens ebenfo mächtig fein wird, nachtheilig und zerftörend auf es zu
wirken. Wenn daher irgend ein Theil der alten Magie außer dem,
der ſich auf animalifchen Magnetismus und ſympathetiſche Kuren zu⸗
rüdführen läßt, Realität hatte, fo war es gewiß Dasjenige, was ald
Maleficium unb Fascinatio bezeichnet wird und gerade zu ben meiften
Herenprocefien Anlaß gab. Wenngleich die Verfolgung der Hexerei in
den allermeiften Fällen auf Irrtum und Mißbrauch beruht hat; fo
dürfen wir doch nicht unfere Vorfahren fir fo ganz verblendet halten,
daf fie jo viele Jahrhunderte hindurch mit fo graufamer Strenge ein
Berbrechen verfolgt hätten, welches ganz und gar nicht möglich gewejen
IE [
Magie und Magnetismus 71
wäre. Dennoch ift nirgends mehr, als bier, Behutſamleit nöthig, um
ons einem Wuſt von Lug, Trug und Unfinn, dergleichen wir in ben
auf die Magie bezüglichen Schriften finden, die vereinzelten Wahrheiten
beranszufifchen. Denn Lüge und Betrug, überall in der Welt häufig,
haben nirgends einen fo freien Spielraum, als da, wo bie Gefege ber
Natur eingeftäublich verlafien, ja für aufgehoben erklärt werden.
(N. 107 fg.) Es fehlte viel, daß der Grundgedanke, aus dem eigent-
ih die Magie entiprungen, fofort ins deutliche Bewußtſein über:
gegangen und in abstracto erfannt worden wäre, und bie Magie fo»
gleich fich ſelbſt verftanden hätte. Es verband ſich vielmehr bei den
Meiften mit ihre der Dämonen⸗ und Teufelsglaube, die Magie nahm
die Geftalt der Theurgie und Dämonomagie an, und dieſe bloßen
Auslegungen und Einkleidungen ber Sache wurben file das Wefentliche
derfelben genommen. Da aber Dämonen und Götter jeder Art doch
immer Hypotheſen find, mittelft welcher die Gläubigen jeder Farbe und
Secte fi) das Metaphyſiſche, das hinter der Natur Liegende, ihr
Dofein und Beſtand Ertheilende und daher fie Beherrfchende faßlich
maden, fo ift, wenn gefagt wird, die Magie wirkte durch Hilfe der
Dämonen, der dieſem Öehanten zum runde liegende Sinn doch ber,
daß fie ein Wirken nicht auf phyſiſchem, fondern auf metaphyſiſchem
Wege, nicht natürliches, fondern übernatürliches Wirken fei. (N. 113
—115.)
Die Magie wurbe beswegen als dem böfen Princip verwandt und
aller Zugend unb Heiligkeit entgegengeſetzt betrachtet, weil fie gerade,
wie die Tugend und reine Xiebe, auf der metaphufifchen Einheit des
Willens beruht, aber ftatt, wie jene, da8 Weſen des eigenen Indivi⸗
dunms im fremden wieberzuerkennen, diefe Einheit benugt, um den
eigenen individuellen Willen weit über feine natürlichen Schranken
hinaus wirffam zu maden. (9. 340.)
6) Allgemeinheit und Unvertilgbarfeit des Glaubens
an Magie und Urfprung diefes Glaubens.
Zu allen Zeiten und in allen Ländern hat man bie Meimung ge-
begt, daß außer der regelrechten Art, Veränderungen in ber Welt
bervorzubringen, wmittelft des Caufalnerus der Körper, es noch eine
andere, von jener ganz verfchiebene Art geben müſſe, die gar nicht auf
dem Saufalnerus beruhe; daher auch ihre Mittel offenbar abfurd er-
Idienen, wenn man fie im Sinne jener erften Art auffafite. Allein bie
dabei gemachte Vorausſetzung war, daß es außer ber äußern, bau
nexum physicum begründenden Verbindung zwifchen den Erfcheinungen
diefer Welt noch eine andere, durch das Weſen an ſich aller Dinge
gehende geben müffe, gleichjam eine unterirdifhe Verbindung, vermöge
welcher von einem Punkte der Erſcheinung aus unmittelbar auf jeben
andern gewirkt werben lönne burch einen nexum metaphysicum ; daß,
wie wir caufal als natura naturata wirfen, wir aud) wohl eines Wir-
tens als natura naturans fähig fein amd für den Augenblick deu
78 Magnetismus — Mala
Mikrokosmos ale Makrokosmos geltend machen könnten; daß, wie e
im fonmambulen Hellfehen eine Aufhebung der individuellen Iſolation
ber Erkenntniß giebt, e8 auch eine Aufhebung der individuellen Ifo-
fation de8 Willens geben könne. Ein ſolcher Gedanke kann nicht
empirifch entftanden, noch Tann die Beftätigung durch Erfahrung et
fein, die ihn, alle Zeiten hindurch, in allen Ländern erhalten bat; dem
in den allermeiften Fällen nınfte die Erfahrung ihm geradezu entgegen
andfallen. Der Ursprung diefes, in ber ganzen Menſchheit fo allge:
meinen, ja unvertilgbaren Gedankens ift vielmehr fehr tief zu ſuchen,
nömlih in bem immern Gefühl der Allmacht des Willens an fid,
jenes das innere Wefen des Menſchen und der ganzen Natur bildenden
Willens, und in ber fi daran Inlipfenden Borausjegung, daß je
Allmacht wohl ein Dial auf irgend eine Weife and) vom Yadividunm
aus geltend gemacht werden könnte. (N. 111 fg.)
7) Worauf der Unglaube an Magnetismns und Magie
beruht.
Der entfchiebene Unglaube, mit welchem von jebem denkenden De-
ſchen einerjeits die Thatſachen des Hellſehens, andererjeits des magiihen
Einflufjes zuerft vernommen werden, beruht auf einem und demſelben
Grunde, nämlich darauf, daß alle beide den und a priori bemußten
Gefegen des Raumes, der Zeit und. der Caufalität, wie fie in ihrem
Complex den Hergang möglicher Erfahrung beftimmen, zuwiderlaufen,
— das Hellfehen mit feinem Erkennen in distans, die Magie mit
igrem Wirlen in distans. (PB. I, 320. 9. 342.)
8) Die Verdoppelung bes Bewußtfeins im magneti-
hen Somnambulismus,
Im magnetifhen Somnambulismus verdoppelt fi) das Bewußtfein;
zwei, jebe in ſich felbft zufammenhängende, von einander aber völig
gefchiedene Erfenntnigreihen entfiehen; das wachende Bewußtfein weiß
nichts vom fomnambulen. Aber der Wille behält in beiden denjelben
Charakter und bleibt durchaus identifch, er äußert im beiden diefelben
Neigungen und Abneigungen. Denn die Function läßt fich verboppeln,
sicht das Weſen an fi. (W. DO, 276.)
(Ueber das Nahtwandeln im urfprünglichen und eigentlichen Einnt
ſ. Nachtwandeln.)
Magnetismus, animaliſcher. (S. den vorigen Artikel.)
Maja. |
Die Relativität des Dafeind der den Sa vom Grunde unter: |
worfenen Welt als Vorftellung fpricht die uralte Weisheit der Inder
fo aus: „es ift die Maja, der Schleier des Truges, welcher di
Augen der Sterblihen umhüllt und fie eine Welt fehen läßt, von der
man weder fagen kaun, daß fie fei, noch auch, daß fie nicht ſei; dem |
fie gleiht dem Traume, gleicht dem Sommenglanz auf dem Saudt,
Makroloemos — Malerei 719
weichen der Wanderer von ferne für ein Wafler hält, ober auch dem
bingeworfenen Strid, den er für eine Schlange anfieht.“ (W. I, 9.)
Die Beden und Puranas wiſſen für die ganze Erkenntmiß der wirklichen
Belt, welche fie das Gewebe der Maja nennen, feinen beſſern Ber-
glei) und brauchen Feinen häufiger, als den Traum. (W. I, 20.)
Die Individuation ift e8, welche ben Willen zum eben itber fein
eigenes Weſen im Irrthum erhält; fie ift die Maja des Brahma⸗
asumd. (W. II, 689. 366. E. 270.) In der Lehre von der Maja
mitt der dem Hinduismus wefentliche, entſchiedene JIdealismus als
Vollöglaube auf. (N. 133.)
Die Maja der Imber, deren Werk und Gewebe die ganze Schein-
welt ift, wird durd; amor paraphrafitt. (W. I, 389.)
Der Selbftmord, die willfitrliche Zerſtörung einer einzelnen Erſchei⸗
nung, bei der das Ding an fich ungeftört ftehen bleibt, ift eine ganz
vergebliche und thörichte Handlung, ift überdies aber auch das Meifter-
füd der Maja, als der fchreiendfte Ausdrud bes Widerſpruchs des
Billens zum Leben mit fich ſelbſt. (W. I, 472.)
Makrokosmos, |. Mikrokosmos.
Malerei.
1) Gegenſatz zwiſchen Malerei und Sculptur.
In der Sculptur bleiben Schönheit und Grazie die Hauptſache.
Der eigentliche Charakter des Geiftes hingegen, hervortretend in Affect,
Leidenſchaft, Wechjeljpiel des Erkennens und Wollens, durch den Aus⸗
drud des Geſichts und der Gebärde allein darftellbar, ift vorzüglich
Eigenthum der Malerei. Denn obwohl Augen und Farbe, welche außer
dem Gebiet der Sculptur liegen, viel zur Schönheit beitragen; fo find
fie do file den Charakter noch weit wefentlicher. Werner entfaltet fich
die Schönheit vollftändiger der Betrachtung aus mehreren Standpuntten;
hingegen kann ber Ausdrud, der Charakter, aud) aus einem Stand-
punft vollkommen aufgefaßt werden. (W. I, 266.)
Beil in der Malerei nicht, wie in der Sculptur, Schönheit und
Grazie die Hauptfache find, fondern Ausdrud, Leidenſchaft, Charakter
dad Uebergewicht erhalten, muß in ihr von der Forderung ber Schön.
heit ebenfo viel nachgelaffen werben. Denn eine durchgängige Schön-
keit aller Geftalten, wie die Sculptur fie fordert, wilrde dem Charaf-
teriftifchen Abbruch thun, auch durch die Monotonie ermüden. Dem⸗
nad) darf die Malerei auch häßliche Gefichter und abgezehrte Geftalten
darftellen. Die Sculptur hingegen verlangt Schönheit, wenn auch nicht
Rets volllommene, durchaus aber Kraft und Fülle der Geftalten.
Folglich ift ein magerer Chriftus am Kreuz, ein von Alter und Krank⸗
beit abgezehrter, fterbender Heiliger Hieronymus, wie das Meifterftüd
Domenihino’s, ein fir die Malerei paffender Gegenftand. — Bon
diefem Geſichtspunkt aus ſcheint die Sculptur der Bejahung, die Ma-
80 Malerei
lerei ber Berneinung bes Willens zum Leben angemefien, und hieraus
tieße fich erflären, warum die Sculptur die Kunft der Alten, die Ma⸗
lerei die ber chriftlichen Zeiten gewefen if. (W. IL, 476.)
2) Ueberwiegen der fubjectiven oder objectiven Seit:
des Afthetifhen Wohlgefallend je nad der Ber:
Ihiedenheit des Dargeftellten in dem Gemälde.
Beim Stillleben und gemalter bloffer Architectur, Ruinen, Kirche von
Innen u. dgl. ift die fubjective Seite bes äſthetiſchen Genuſſes die
überwiegende; d. 5. unfere Freude daran liegt nicht hauptjählih u
der Auffaflung der dargeftellten Ideen unmittelbar, fondern mehr m
fubjectiven Correlat diefer Auffaffung, in dem reinen willenlofen Er—
fennen; da, indem der Maler uns die Dinge durch feine Augen ſehen
läßt, wir bier zugleich eine Mitempfindung und das Nachgefühl der
tiefen Geiftesruhe und des gänzlichen Schweigens des Willens erhalten,
welche nöthig waren, um die Erfenntniß fo ganz in jene lebloſen Gegen:
fände zu verfenken und fie mit folcher Liebe, d. 5. bier mit foldem
Grade der Objectivität, aufzufaffen. — Die Wirkung der eigentlichen
Landfchaftsmalerei ift mın zwar im Ganzen auch noch vom biefer Art;
allein, weil die dargeftellten Ideen, als höhere Stufen der Objetität
bes Willens, ſchon bebeutfamer und vielfagenber find, fo tritt die ob-
. jective Seite des äfthetifchen Wohlgefallens ſchon mehr hervor und hät
der fubjectiven das Gleichgewicht. Das reine Erkennen als foldes ii
nicht mehr ganz die Hauptſache, fondern mit gleicher Macht wirkt di
erfannte Idee, die Welt als Vorftellung auf einer bedeutenden Stuhe
der Objectivation des Willens. Aber eine noch viel höhere Stift
offenbart bie Thiermalerei und Thierbilbhauerei, bei deren Darſtellungen
bie objective Seite bes Afthetifchen Wohlgefallens ein entſchiedenes Ueber:
gewicht über bie fubjective erhält. (W. I, 258.) Bei der Hiflorien
maleret ift die objective Seite der Freude am Schönen durchaus übe:
wiegend und die fubjective in den Hintergrund getreten. (W. I, 260.)
3) Wirkung der nebenfählihen Schönheit in der
Malerei.
Obgleich der eigentliche Zweck der Malerei, wie ber Kunſt überhaupt
iſt, und die Auffaflung der (Blatonifchen) Ideen der Wefen diefer Welt
zu erleichtern; fo kommt ihr außerdem noch eine davon unabhängig
und für fi) gehende Schönheit zu, welche hervorgebracht wird burd
bie bloße Harmonie der Farben, das Wohlgefällige der Gruppitung
die günftige Bertheilung des Lichts und Schattens und ben Ton des
ganzen Bildes. Diefe ihr beigegebene, untergeorbnete Art der Schiw
heit befördert den Zuftend des reinen Erfennens und ift in ber Me
ferei Das, was in der Poefle die Diction, das Metrum umd ber Rem
ift; beide nämlich find nicht das Wefentliche, aber das zuerft und ur
mittelbar Wirkende. (W. IL, 480.)
Molerei 81
4) Wodurch die Technik des Malers den Schein ber
Wirklichkeit Hervorbringt.
Die Kunft bes Malers, blos betrachtet fofern fie den Schein der
Wirllichkeit Hervorzubringen bezwedt, ift im legten Grunde darauf zu⸗
rädzuführen, daß er Das, was beim Sehen bie bloße Empfindung. ift,
alfo die Affection der Retina, d. i. die allein unmittelbar gegebene
Birkung, rein zu fondern verfteht von ihrer Urſache, d. i. den
Objecten der Außenwelt, deren Anfchauung im Verſtande allererft daraus
entſteht; wodurch er, wenn die Technik hinzukommt, im Stande ift,
biefelbe Wirkung im Auge durch eine ganz andere Urſache, nämlich
aufgetragene Farbenflecke, Hervorzubringen, woraus dann im Berftanbe
des Betrachter durch die unausbleiblihe Zurüdführung auf die ge⸗
ie Urſache die nämliche Anjchauung wieder entfteht. (28. II, 479.
. 65.)
5) Worauf die große Verſchiedenheit der Fähigkeit
zum Nachbilden der ſchönen Natur in der Malerei
beruht.
Da der Anblid einer fchönen Ausfiht ein Gehirnphänomen ift,
die Reinheit und Vollkommenheit defjelben daher nicht blog vom Ob⸗
ject, fondern auch von der Befchaffenheit des Gehirns und der Be
lebung feiner Thätigkeit abhängt, fo füllt das Bild derfelben Ausſicht
in verfchiedenen Köpfen fehr verfchieden aus, und hierauf beruht bie
große Berfchiebenheit der Fähigkeit zum Genuffe der jchönen Natur
und folglich auch zum Nachbilden derfelben in der Malerei. (8. II, 29.)
Darum ftellt ein gewöhnlicher Maler, trog aller Mühe, die Landſchaft
jo ſchlecht dar? Weil er fie nicht fchöner fieht. Und warum fieht er
fie nicht ſchöner? Weil fein Intellect nicht genugfam von feinem Willen
geſondert if. (N. 75.)
6) Die Hiftorienmalerei.
Die Hiftorienmalerei hat, wie das Drama, bie Idee des vom vollen
Erlennen beleuchteten Willens zum Object. (W. I, 251.) Die ee,
in welcher der Wille ben höchſten Grad feiner Objectivation erreicht,
unmittelbar anfchaulich darzuftellen, ift die große Aufgabe der Hiftorien-
malerei und der Sculptur. (W. I, 260.) Die Hiftorienmalerei hat
neben der Schönheit und Grazie noch den Charakter zum Haupt«
gegenftand. Die Entfaltung der Bieljeitigleit der Idee der Menſch⸗
heit in bebeutungsvollen Individuen vor die Augen zu bringen und
diefe in ihrer Bedeutſamkeit durch mannigfaltige Scenen, Vorgänge
ad Handlungen fichtbar zu machen, ift ihre Aufgabe, welde fie da-
durch löſt, daß fie Lebensfcenen jeder Art, von großer und geringer
Bedeutfomfeit, vor die Augen bringt. Da weder irgend ein Individuum,
noch irgend eine Handlung ohne Bedeutung fein kann, fondern in allen
und durch alle ſich mehr und mehr die Idee der Menſchheit entfaltet;
ſo if durchaus fein Vorgang des Menfchenlebens von der Malerei
SchopenbauersKertton, II. 6
82 Malerijſch
auszuſchließen. Man thut folglich den vortrefflichen Malern ber Nieder⸗
fändifhen Schule Unrecht, wenn man blos ihre techniſche Fertiglen
fchätt, im Uebrigen aber veradhtend auf fie herabfieht, weil fie meiftens
Gegenftände aus dem gemeinen Leben barftellen, man Hingegen nur die
Borfälle aus der Weltgefchichte oder bibliſchen Hiftorte für bedentfom
hält. Dan follte bedenken, daß die innere Bedeutſamkeit einer Hand«
Img von ber äußern ganz verfchieben ift und in ber Kunft nur di
innere Bedeutſamkeit gilt. Außerdem find die Scenen und Borgäng,
welche das Leben jo vieler Millionen von Menfchen ausmachen, ſchon
beshalb wichtig genug, um Gegenſtand der Kunft zu fein, und müren
durch ihre veihe Mannigfaltigkeit Stoff genug geben zur Entfaltung
der vielfeitigen dee der Menſchheit. Sogar erregt die Flücdtigkit
des Augenblids, welchen die Kunft in einem ©enrebild firitt, eine
eigenthümliche Rührung; denn die flüchtige Welt feftzuhalten im dauern:
‚ den Bilde ift eine Leiftung der Malerkunft, durch welche fie die Zeit
felbft zum Stillftande zu bringen ſcheint, indem fie dad Einzelne zur
Idee feiner Gattung erhebt. Endlich haben die gefchichtlichen und ınd
Außen bedeutenden Vorwürfe ber Malerei oft den Nachtheil, daß gerade
das Bedentfame derfelben nicht anſchaulich darftellbar ift, ſondern Huyır
gebacht werden muß. (W. I, 271— 273.) Aus der Geſchichte ge
uommene Vorwürfe haben vor den aus ber bloßen Möglichkeit genom:
menen und daher nicht individuell, fondern nur generell zu bemennenden,
nichts voraus; denn das eigentlich Bedeutſame in jenen ift doch uidt |
das Individuelle, die einzelne Begebenheit als foldhe, fondern das Al-
gemeine in ihr, die Seite ber Idee der. Menfchheit, die fich durch fü
ausſpricht. Andererfeits find aber auch beftimmte Hiftorifche Gegen:
flände deshalb keineswegs zu vermerfen; nur geht die eigentlich fünf
lerifche Abſicht derfelben nie auf das eigentlich) Hiftorifche im ihnen, for
dern auf das Allgemeine, die Idee. (W. I, 273 fg.)
Daraus, daß kein Künftler fähig ift, die urfprüngfiche Eigenthüm⸗
lichkeit eines Mienfchengefichts, die nur aus den geheimnißvollen Tiefe
der Natur hervorgehen kann, zu erfinnen, ergiebt ſich, daß auf hilte-
riſchen Bildern immer nur Portraits figuriren dürften, welde dam
freilich mit der größten Sorgfalt auszuwählen und in etwas zu ideali—
firen wären. Bekanntlich haben große Künftler immer nach lebenden
Modellen gemalt und viele Portraits angebracht. (W. II, 479 fg.)
7) Unzuläffigfeit der Allegorie in ber Malerei. (©.
Allegorie.)
Maleriſch.
Die antheilsloſe, willenloſe und dadurch rein objective Auffaffung
iſt es, welche einen angeſchauten Gegenſtand malerifch, einen Bar
gang des wirklichen Lebens poetiſch erſcheinen läßt; indem mar fi
über die Gegenſtände der Wirklichkeit jenen zauberiſchen Schimmer der⸗
breitet, welchen man bei finnlich angefchauten Objecten das Maleriſche,
bei den nur in ber Phantafle gefchauten - das Poetifche nennt. —
Manier. Manieriſten — Mantik 83
Daraus, daß die Neuheit und das völlige Fremdſein der Gegenſtünde
einer ſolchen antheilsloſen, rein objectiven Auffaſſung derſelben günſtig
iſt, erllärt es ſich, daß der Fremde, oder blos Durchreiſende die Wir⸗
tung des Maleriſchen, oder Poetiſchen, von Gegenſtänden erhält,
welche dieſelbe auf den Einheimiſchen nicht hervorzubringen vermögen.
(®. I, 421 fg.)
„Maleriſch“ bebentet im Grunde baffelbe, wie „schön; denn es
wird Den beigelegt, was fi fo darftellt, daß es die Idee feiner
Gattung deutlich an den Tag legt; daher es zur Darftellung des
Malers taugt. (PB. II, 457.)
Manier. Manieriſten.
Während der üchte Kitnfiler der Abficht und des Zieles feines Wer⸗
tes fi nicht im abstracto bewußt ift, da nicht ein Begriff, fondern
eine Idee ihm vorſchwebt; fo gehen dagegen die Nachahmer, Manieriſten,
mitatores, servum pecus, in der Kunſt vom Begriff aus; fie merfen
fd, was an ächten Werken gefällt und wirkt, faflen es im Begriff
auf und ahmen es nun mit Fluger Abfichtlichkeit nah. Begriffe aber
Emmen einem Werke nie inneres Leben ertheilen. Das Zeitalter, d. h.
die jebesmalige an Begriffen Flebende ftumpfe Menge nimmt zwar
wanierirte Werke mit fchnellem und lautem Beifall auf; diefelben find
aber nach wenigen Jahren fchon veraltet und ungeniegbar. — Zu jeder
Zeit und in jeder Kunft vertritt Manier die Stelle bes Geiftes, ber
fetd nur das Eigenthum Einzelner ift; die Manier aber ift das alte,
abgelegte Kleid der zuletzt dageweſenen und erlannten Erjcheinung bes
Geiſtes. (W. I, 278 fg.)
Hann.
1) Segenfag zwifhen Mann und Weib. (©. Weiber.)
2) Gegenfag zwifhen Mann und Süngling. (S. Tebens-
alter.)
Mantik.
Yede Mantik, ſei es im Traum, im ſomnambulen Vorherſehen, im
zweiten Geficht, oder wie noch ſonſt, beſteht nur im Auffinden des
Weges zur Befreiung der Erkenntniß von der Bedingung ber Zeit.
(P. 1, 281.) Die ächte Dantif, z. B. das fomnambule Hellfehen, ift
passio a distante, gleichwie die Magie actio in distans if. (P. 1,
281 fg. — Bol. Magie und Magnetismus.) In die tief verborgene
Rothwendigkeit, von welcher alle Zufälle im Lauf der Dinge umfaßt
werden und deren bloßes Werkzeug der Zufall felbft ift, einen Blick
zu thun, ift von jeher das Beitreben aller Mantik gewejen. Aus der
thatſichlichen Manti aber folgt eigentlich nicht blos, daß alle Begeben⸗
beiten mit vollftändiger Notwendigkeit eintreten; fondern auch, daß fie
irgendwie fchon zum Voraus beſtimmt und objectiv feflgeitellt find,
indem fie ja dem Seherauge als ein Gegenwärtiges ſich barftellen,
®. I, 218.)
6*
82 Maleriſch
auszuſchließen. Wan thut folglich ben vortrefflichen Malern der Niede⸗
ländiſchen Schule Unrecht, wenn man blos ihre techniſche Fertigkeit
ſchätzt, im Uebrigen aber verachtend auf fie herabfieht, weil fie meiſtens
Gegenftände aus dem gemeinen Leben darftellen, man Hingegen mm die
Borfälle aus der Weltgeſchichte oder biblifhen Hiftorie für bedeutfom
hält. Dan follte bedenken, daß die innere Bedeutſamkeit einer Hand
Img von der äußern ganz verfchieben ift und in ber Kunft nur die
innere Bedeutſamkeit gilt. Außerdem find die Scenen und Borgäng,
welche das Leben fo vieler Millionen von Menſchen ausmachen, hen
deshalb wichtig genug, um Gegenftand der Kunft zu fein, und müle
durch ihre reihe Mamnigfaltigfeit Stoff genug geben zur Entfaltung
der vielfeitigen dee der Menfchheit. Sogar erregt bie Ylüctigkit
des Augenblidd, welchen die Kunft in einem Genrebild firitt, ein
eigenthümliche Rührung; denn die flüchtige Welt feftzuhalten im dauern-
‚ den Bilde ift eine Leiftung der Malerkunſt, durch welche fie dir Jet
felbft zum Stillftande zu bringen fcheint, indem fie das Einzelne zu
Idee feiner Gattung erhebt. Endlich Haben die gefchichtlichen und ınd
Außen bedeutenden Vorwürfe der Malerei oft den Nachtheil, dag gerad
das Bedeutſame derfelben nicht anſchaulich barftellbar ift, fordern hinzu
gedacht werden muß. (W. I, 271— 273.) Aus der Geſchichte ge⸗
nommene Vorwürfe haben vor den aus der bloßen Möglichkeit genom⸗
menen und daher nicht individuell, fondern nur generell zu bemennenben,
nicht3 vorans; denn das eigentlich Bedeutſame in jenen ift dod, mat
das Individuelle, die einzelne Begebenheit als folche, fondern das Al
gemeine in ihr, die Seite der Idee der Menfchheit, die ſich durch fe
ausfpricht. Andererſeits find aber auch beftimmte Hiftorifche Gegen:
ftände deshalb keineswegs zu vermerfen; nur geht bie eigentlich fünf:
Lerifche Abſicht derfelben nie auf das eigentlich Hiftorifche im ihnen, jur
dern auf das Allgemeine, die Idee. (W. I, 273 fg.)
Daraus, daß kein Künftler fähig ift, die urfprüngfiche Eigenthüm—
lichkeit eines Mienfchengefichts, die nur aus den geheimmißvollen Tief
der Natur hervorgehen Tamm, zu erfinnen, ergiebt fi), dag auf hiſt⸗
rifhen Bildern immer nur Portraits figuriren dürften, welche dam
freilich mit der größten Sorgfalt auszuwählen und in etwas zu ideali—
firen wären. Bekanntlich haben große Künftler immer nach lebenden
Modellen gemalt und viele Portraits angebracht. (W. UI, 479 ig.
7) Unzuläffigfeit der Allegorie in ber Malerei. (©.
Allegorie.)
Maleriſch.
Die antheilsloſe, willenloſe und dadurch rein objective Auffaſſung
iſt es, welche einen angeſchauten Gegenſtand maleriſch, einen Bor
gang des wirklichen Lebens poetiſch erſcheinen läßt; indem nur ft
über die Gegenſtände der Wirklichkeit jenen zauberiſchen Schimmer ver
breitet, welchen man bei finnlich angefchauten Objecten das Maleriſche
bei den nur in ber Phantaſie gefchauten - das Poetifche nennt.
Manier, Manieriſten — Mentil 83
Daraus, daß die Neuheit und das völlige Fremdſein der Gegenftänbe
einer ſolchen antheilsloſen, rein objectiven Auffafſung derſelben günſtig
iſt, erllärt es ſich, daß der Fremde, oder blos Durchreiſende die Wir⸗
tung des Maleriſchen, oder Poetiſchen, von Gegenſtänden erhält,
welche dieſelbe anf den Einheimiſchen nicht hervorzubringen vermögen.
(®. DI, 421 fg.)
„Maleriſch“ bebentet im Grunde dafielbe, wie „schön; denn es
wird Den beigelegt, was fich fo darftellt, daß es die Idee feiner
Gattung bdeutlih an den Tag legt; daher es zur Darftellung bes
Maler tangt. (P. I, 457.)
Manier. Mlanieriften.
Während der üchte Künftler der Abficht und des Zieles feines Wer⸗
les ſich nicht in abstracto bewußt ift, da nicht ein Begriff, fondern
eine Ydee ihm vorſchwebt; fo gehen dagegen bie Nachahmer, Dlanieriften,
imitatores, servum pecus, in ber Kunſt vom Begriff aus; fie merken
fh, was an üchten Werfen gefällt und wirkt, faflen es im Begriff
auf und ahmen es nun mit kluger Wbfichtlichleit nach. Begriffe aber
Knnen einem Werke nie inneres Leben ertheilen. Das Zeitalter, d. h.
bie jedesmalige an Begriffen Flebende ftumpfe Menge nimmt zwar
manierivte Werke mit fchnellem und lautem Beifall auf; dieſelben find
aber nach wenigen Jahren ſchon veraltet und ungenießbar. — Zu jeber
Zeit und in jeder Kunft vertritt Manier die Stelle des Geiftes, der
ſtetz nur das Eigenthum Einzelner ift; die Manier aber ift das alte,
abgelegte Seid der zuletzt dageweſenen und erlannten Erfcheinung bes
Geiſtes. (W. I, 278 fg.)
Henn.
1) Gegenſatz zwifhen Mann und Weib. (S. Weiber.)
2) Gegenſatz zwifhen Mann und Yüngling. (S. Tebens-
alter.)
antik.
dede Mantik, fei e8 im Traum, im fomnambulen Vorherſehen, im
weiten Geficht, oder wie noch fonft, befteht nur im Auffinden des
Beges zur Befreiung ber Erkenntniß von der Bedingung der Zeit.
P. 1, 281.) Die ächte Mantik, z. B. das fomnambule Hellfehen, ift
passio a distante, gleichwie die Magie actio in distans iſt. (P. I,
281 fg. — Bol. Magie und Magnetismus.) In die tief verborgene
Nothwendigkeit, von welcher alle Zufülle im Lauf ber Dinge umfaßt
werden und deren bloßes Werkzeug der Zufall felbft ift, einen Blick
zu thun, ift von jeher das Beſtreben aller Mantik geweſen. Aus ber
hatjählichen Mantik aber folgt eigentlich nicht blos, daß alle Begeben«
beiten mit volftändiger Nothwendigkeit eintreten; fonbern auch, daß fie
irgendwie fchon zum Boraus beſtimmt und objectiv feftgeftellt find,
indem fie ja dem Seherauge als ein Gegenmwürtiges ſich darſtellen.
®. I, 218.)
6*
84 Mäßiglet — Materialiſsmus
Mäßigkeit, ſ. Kardinaltugenden. *
Materialismus.
1) Fehler des Materialismus.
Der Materialismus gehört zu den vom Object ausgehenden Er
ftemen. (W. I, 31.) Er fegt die Materie, und Zeit und Kaum mit
ihr, als fchlechthin beftehend, und überfpringt die Beziehung auf det
Subject, in welcher dies Alles doch allein da iſt. Er ergreift femer
das Gejeg der Caufalität zum Leitfaden, an dem er fortjchreiten wil,
es als an fich beftehende Ordnung der Dinge nehmend, folglich dm
Berftand überjpringend, in welchem und für welchen allein Cauſalität
ft. Nun ſucht er den erften einfachiten Zuftand der Materie zu finden,
und dann aus ihm alle andern zu entwideln, vom bloßen Medhanisumt
auffteigend bis zum animalifhen Erfennen, welches folglich jest alß
eine bloße Modification der Materie, ein durch Caufalität Herbeige
führter Zuftand derfelben auftritt. Da jedoch bies Letzte, fo mähjem
herbeigeführte Nefultat, das Erkennen, ſchon beim allererften Ausgangs
punkt, der bloßen Materie, ald unumgängliche Bedingung vorausgeſcht
war, fo enthüllt ſich hier die enorme petitio principii des Materialit
mus, Die Grundabfurdität des Materialismus befteht demnach derm
daß er vom Objectiven ausgeht, ein Objectives zum legten ir
Märungsgrumde nimmt, fei biefes num die Materie in abstracto, oder
die empiriſch gegebene, alfo der Stoff, etwa die chemifchen Cru
ftoffe. Dergleichen nimmt er als an ſich und abfolut eriftivend, m
daraus die organische Natur und zulekt das erfenmende Subjet jı |
erklären; — während in Wahrheit alle8 Objective, ſchon als folde,
durch das erfennende Subject mit ben Formen feines Erfennens be |
dingt ifl. Der Materialismus ift aljo der Verſuch, das uns unmitttl-
bar ©egebene aus dem mittelbar Gegebenen zu erflären. (®. |,
32 fg. 35; II, 357.) Der Materialisnus ift die Philofophie dei
bei feiner Rechnung ſich ſelbſt vergefienden Subjects. (W. II, 15.
Nächſtdem, daß der Materialismus der Materie eine abjolutt,
d. 5. vom mwahrnehmenden Subject unabhängige Exiftenz beilegt, —
worin fein Grundfehler beſteht — muß er, wenn er vedlic zu Werk
gehen will, die den gegebenen Materien, d. h. den Stoffen, inhärirenden
Omalitäten, fammt den in diefen ſich äußernden Naturkräften, und end
lich auch die Lebenskraft, als unergründliche qualitates oceultas Kr
Materie unerklärt daftehen laffen und von ihnen ausgehen. Aber ge
rade, um dieſes zu vermeiden, verfährt der Materialismus, wenigiten?
wie er bisher aufgetreten, nicht redlich; er leugnet nämlich alle jen
urfprünglichen Kräfte weg, indem er fie alle, und am Ende and die
Lebenskraft, vorgeblich und fcheinbar zurückführt auf die bios mehr
niſche Wirkfamkeit der Materie. Sein Vorhaben ift, alles Dualitetit
auf ein blos Quantitatives zurüczuführen, indem er jenes zur bloßen
Form, im Gegenfag der eigentlichen Materie, zählt. Diefer Weg
führt ihn nothwendig auf die Tiction der Atome. Dabei hat er es
Materialismus 85
aber eigentlich gar nicht mehr mit der empiriſch gegebenen, ſondern
mit einer Materie zu thun, die in rerum natura nicht anzutreffen,
vielmehr ein bloßes Abſtractum jener wirklichen Materie if. (W. II,
357 fg.)
Man köonnte ſagen, der Materialismus, wie er bisher aufgetreten,
wäre blos dadurch mißlungen, daß er bie Materie, aus der er bie
Welt zu conftruiren gedachte, nicht genugfam gefannt, und daher,
flatt ihrer, e8 mit einem eigenfchaftsfofen Wechjelbalg derſelben zu thun
gehabt Hätte; wenn er Hingegen, ftatt deffen, bie wirfliche und empi-
rifh gegebene Materie (d. 5. die Stoffe) genommen hätte, ausge⸗
Rattet, wie fie ift, mit allen phnfifalifchen, chemiſchen, eleftrifchen und
auch mit den aus ihr felbft das Leben fpontan hervortreibenden Eigen-
ihaften; fo Hätte aus diefer, d. 5. aus der vollitändig gefaßten und
eihöpfend gelannten Materie, ſich fchon eine Welt conftruiren laffen,
deren der Materialismus fich nicht zu ſchämen brauchte. Ganz recht;
nur hätte das Kunſtſtück dann darin beftanden, daß man die Quaesita
in die Data verlegte, indem man angeblich die bloße Materie, wirklich
aber alle bie geheimnißvollen Kräfte der Natur, welche an derfelben
haften, oder richtiger, mittelft ihrer und fichtbar werden, als das Ge⸗
ghene nähme und zum Ausgangspunkt der Ableitungen machte; —
ungefähr wie wenn man unter dem Namen ber Schüfjel das Darauf-
liegende verfteht. (W. II, 360 fg.)
Zu ben matertaliftifchen Syftemen, welche aus ber mit blos mecha⸗
niſchen Eigenſchaften audgeftatteten Materie, und gemäß den Geſetzen
derielben, die Welt entftehen laffen, ſtimmt nicht die durchgängige be-
wunderungswürdige Zwedmäßigkeit ber Natur, noch das Daſein der
aß, in welcher doch fogar jene Materie allererft fich darftellt.
8, I, 73.) | |
2) Relative Berehtigung des Materialismns.
Der Materialismus hat auch feine Berechtigung. Es ift eben fo
wahr, daß das Erkennende ein Product der Materie fei, als daß die
Materie eine bloße Borftellung des Erfennenden ſei; aber es ift auch
then fo einfeitig. Denn der Materialismus ift die Philoſophie des bei
feiner Rechnung ſich felbft vergefienden Subjects. Darum eben muß
ver Behauptung, daß ich eine bloße Modification der Materie fei,
gegenüber diefe geltend gemacht werben, daß alle Materie blos in
mäner Borftellung exiftire; und fie hat nicht minder Recht. (W. I,
15. 538; I, 383. P. O, 13.)_
3) Der Gegenfag zwifhen Materialisnus und Spiri-
tnalismus im Unterfhied von dem Gegenfag zwi-
Ihen Realismus und Idealismus. |
Der Gegenfag zwifchen Materialismus und Spiritualismus ift nicht
su derwechfein mit bem zwiſchen Realismus und Idealismus. Jener
Khifft das Erkennende, das Subject, biefer Hingegen das Er-
lannte, das Object. (P. I, 14 Anmert, Bergl. Idealismus.)
86 Materie
4) Das falfhe und das wahre Rettungsmittel gegen
den Materialiömns.
Mit dem Realismus fällt der Materialismus, als defien Gegen⸗
gewicht man ben Spiritualismus erfonnen hatte, von felbft weg, indem
alsdann die Materie, nebft dem Naturlauf, zur bloßen Erſcheinnng
wird, welde —F den Intellect bedingt iſt, indem fie im deſſen Bor:
ftellung allein ihr Dafein bat. Sonach ift gegen den Materinlismt
das fcheinbare und falfche Rettungsmittel der Spiritualismus, das
wirklihe und wahre aber der Idealismus, der dadurch, daß er die
objective Welt in Abhängigkeit von uns fest, das nöthige Gegen⸗
gewicht giebt zu der Abhängigleit, in welde ber Naturlauf uns von
ihr ſetzt. (W. IL, 16.)
5) Ungültigkeit bes Dilemma zwiſchen Materialimnt
und Theismus. (S. Atheismus.)
Materie.
1) Die reine Materie und ihre apriorifchen Beftim:
mungen.
Die Materie ift durch und durch Caufalität. Da nun ber Verſtand
das fubjective Correlat der Caufalität ift, fo ift die Materie wur für
den Berftand da, er ift ihre Bedingung, ihr Träger, als ihr noth⸗
wenbiges Correlat. (W. I, 13. 160. Bergl. aud) über das Correkt
der Materie unter Intellect: der reine Intellect.) Die Materie, bio:
nad) ihrer Beziehung zu ben Formen des Intellects, nicht aber zum
Dinge an fich betrachtet, ift die objective, jeboch ohne nähere Beltm-
mung aufgefaßte Wirkffamleit überhaupt. Denn das Materielle
ift das Wirkende (Wirkliche) überhaupt und abgefehen von br
fpecififchen - Urt feines Wirkens. Daher ift die reine Materie nicht
Gegenftand der Anſchauung, fondern allein bes Denkens, folglich
eine Abftraction; in der Anſchauung hingegen kommt fie nur in Ber
bindung mit der Form und Oualität vor, als Körper, d. h. als ei
ganz beftimmte Urt des Wirkens. Die reine Materie, welche allein
den wirklichen umb berechtigten Inhalt des Begriffs Subftanz and
macht, ift die objectivirte Canfalität felhft, den Raum erfüllend und
in ber Zeit beharreud. Als folche gehört fie dem formellen Ziel
unferer Erkenniniß an. Imfofern aber ift die Materie eigentlich. aud
nicht ©egenftand, fondern Bedingung der Erfahrung. Sie if
da8 durch die Formen unfers Intellects nothwendig herbeigeführt
bleibende Subftrat aller vorübergehenden Erſcheinungen, das unter
allem Wechſel fchlechthin Beharrende, alfo das zeitlich Anfangs» und
Endlofe. Bon den eigentlichen Anfhauungen a priori unterſcheide
fie als ein a priori Gedachtes fich zwar dadurch, da wir fie auf
ganz wegdenfen können, Raum und Zeit hingegen nimmermehr. Aber
die ein Mal in fie hineingefegte und demnach al8 vorhanden gedechte
Materie Finnen wir ſchlechterdings nicht mehr wegdenken; infofern all
Materie 87
ift fie mit unferm Erkenntnißvermögen eben fo unzertrennlich verknüpft,
wie Raum und Zeit ſelbſt. Jedoch ber Unterſchied, daß fie dabei zu⸗
eat beliebig als vorhanden gefegt fein muß, deutet fchon an, daf fie
nicht fo gänzlich dem formalen Theil unferer Erkenntniß angehört,
wie Raum und Zeit, fondern zugleich ein nur a ponteriori gegebenes
Element enthält. Sie ift in der That der Anknüpfungspunkt des
empirifchen Theils umferer Erkenntniß an ben reinen apriorifchen, mit
bin der eigenthümliche Grundſtein ber Erfahrungswelt. (W. II,
346—348; I, 10. 582; II, 52. ©. 82 fg. — Ueber das Zufammen-
fallen der Eſſenz und Eriftenz bei der reinen Materie vergl. Eissentia
tia.
wmbd Existen
Da die Saufalität ben Raum mit der Zeit vereinigt und im Wir«
ten, alfo in ber Kaufalität, das ganze Weſen ber Materie befteht; fo
mäffen auch in diefer Raum und Zeit vereinigt fein, d. h. ſie muß
die Eigenſchaften der Zeit umb die des Raumes, fo ſehr ſich beide
wibderfireiten, zugleich an fi) tragen, und was in jebem von jenen
beiden für fich unmöglich ift, muß fie in fich vereinigen, alfo bie be=
ſtandloſe Flucht der Zeit mit dem ſtarren unverünberlichen Beharren
des Raumes; bie unendliche Theilbarkeit hat fie von beiden. Erſt
durch die Bereinigung von Zeit und Raum erwächft bie Materie, d. i.
die Möglichkeit des Yugleichjeins und dadurch der Dauer, durch dieſe
wieder des Beharrens der Subftanz bei ber Veränderung ber Zuſtände.
Im Berein von Zeit ımd Raum ihr Weſen babend, trägt die Materie
durchweg das Gepräge von beiden. Sie beurkundet ihren Urſprung
and dem Raum, theils durch die Form, die von ihr unzertrennlich ift,
beſonders aber durch ihr Beharren (Subftanz); ihren Urfprung aus
der Zeit aber offenbart fie an der Qualität (Accidenz), ohne die fie
nie erfcheint, und welche fchlechthin immer Caufalität, Wirken auf an-
dere Materie, alfo Veränderung (ein Zeitbegriff), ift. Die Geſetz⸗
mäßigkeit diefes Wirkens aber bezieht fi) immer auf Raum und Zeit
zugleich. Was für ein Zufland zu diefer Zeit an diefem Ort
iintreten muß, ift die Beſtimmung, auf welche ganz allein die Geſetz⸗
gebung der Cauſalität fich eritredt. Auf diefer Ableitung der Grund⸗
Kimmmgen der Materie aus den uns a priori bewußten Formen
unferer Erkenntniß beruht e8, daß wir ihr gewiſſe Eigenfchaften a priori
zuekennen, nämlich Raumerfüllung, d. i. Undurchdringlichleit, d. i.
Wirkſamkeit, fobann Ausdehnung, unendliche Theilbarkeit, Beharrlichkeit,
d. h. Ungerftörbarkeit, und endlich Beweglichkeit. Hingegen ift bie
Schwere, ihrer Ausnahmsloſigkeit ungeachtet, doch wohl der Erkenntniß
a posteriori beizuzählen. (W. I, 10—13. 561; 1I, 350 und II, 55,
Zafel der Praedicabilia a priori der Materie. ©. 43 fg.)
2) Die Materie im Berhältniß zum Ding an id.
Die Materie ift Dasjenige, wodurch der Wille, der das innere
Velen der Dinge ausmacht, in die Wahrnehmbarkeit tritt, anſchaulich,
lidtbar wird. Im diefem Simme ift alfo die Materie die bloße
88. Materie
Sichtbarkeit des Willens, oder das Band ber Welt als Wille mi:
der Welt als Borftellung. Diefer gehört fie an, fofern fie das Pr»
duct der Yunctionen des Intellects ift, jener, ſofern das in alkı
materiellen Weſen, d. i. Erfcheinungen fid) Manifeſtirende der Wille
if. Daher ift jedes Object ald Ding an fi Wille, und als Erſchei⸗
nung Materie. Könnten wir eine gegebene Materie von allen ik
a priori zufommenben Eigenſchaften, d. 5. von allen Formen uufem
Anfhauung und Apprebenfion entkleiden; fo wlrben wir das Ding an
fi übrig behalten, nämlich Dasjenige, was, mittelft jener Formen,
als das rein Empirifche an der Materie auftritt, welche felbft aber
alsdam nicht mehr als ein Ausgebehntes und Wirkendes erſcheinen
würde; d. h. wir würden Teine Materie mehr vor uns haben, fondern
den Willen, das Ding am fi. Eben biefes tritt, indem es zur Kr
fheinung wirb, d. h. in bie Formen unferes Intellects eingeht, als dx
Materie auf, d. 5. als ber felbft unfichtbare, uber nothwendig vor
ausgeſetzte Träger nur durch ihn fichtbarer Eigenfchaften; im biefem
Sinn alfo ift die Materie die Sichtbarkeit des Willens. Alle be
fiimmte Eigenfchaft, alfo alles Empirifche an der Materie, beruft auf
Dem, was nur mittelft ber Materie fichtbar wird, auf dem Dig
an fi, dem Willen. Die Materie ift demzufolge der Wille jehf,
aber nicht mehr an fi, fondern fofern er angeſchaut wird, d. I.
bie Form der objectiven Borftellung annimmt. Alfo mas objed
Materie ift, ift fubjectio Wille. Die Materie giebt alle Beziehungen
and Eigenſchaften bes Willens im zeitlichen Bilde wieder. Sie ift det
Stoff ber anfhaulicdhen Welt, wie ber Wille das Weſen an fi aller
Dinge iſt. Die Geftalten find unzählig, die Materie ift Eine, eben
wie ber Wille Einer ift in allen feinen Objectivationen. Wie der
Wille fi nie als Allgemeines, d. 5. als Wille fchlechthin, fondern
ſtets als Beſonderes, d. h. unter fpeciellen Beſtimmungen und ge
gebenem Charakter, objectivirt; fo erfcheint die Materie nie als foldk,
fondern ftet8 in Verbindung mit irgend einer Form und Dualität,
Wie der Wille ber innerſte Kern aller erjcheinenden Wefen ift; fo if
fie die Subftanz, welche nach Aufhebung aller Accidenzien übrig bleibt.
Wie der Wille das ſchlechthin Unzerftörbare in allem Daſeienden if;
fo ift die Materie das in der Zeit Unvergängliche, welches unter allen
Beränderungen beharrt. (W. II, 349—-351.)
3) Verhältniß der Materie zur Form. (S. Form)
4) Berhältniß der Materie zur Idee und ihrer Er
ſcheinung.
Die Materie als ſolche Tann nicht Darſtellung einer See fein.
Denn fie ift durch und durch Cauſalität, Caufalität aber ift Geftal-
tung des Satzes vom Grunde; Erkenntniß der Idee Hingegen ſchließt
weientlich den Inhalt jenes Satzes aus, Auch ift die Materie dei
gemeinfame Subftrat aller einzelnen Erſcheinungen der Seen, folglich
das Verbindungsglied zwifchen der Idee und der Erfcheinung ober dem
Mathematil 39
einzelnen Ding. Alfo aus dem einen ſowohl, ald ans bem anderen
Grunde kann die Materie fiir fich Feine Idee barftellen, Dagegen mnß
andererfeitö jede Erfcheinung einer Idee, da fie als folche eingegangen
it in bie Form des Satzes vom Grunde, oder in das principium
individuationis, an ber Materie, als Qualität derfelben, fich dar⸗
ſtellen. Inſofern ift alſo die Materie das Bindungsglied zwifchen der
Idee und dem principio individuationss. Platon bat daher ganz
richtig neben ber Idee und ihrer Erſcheinung, dem einzelnen Dinge,
mir noch die Materie ald ein Drittes, von beiden Berfchiedenes auf:
geftellt. (8. I, 251 fg.)
5) Gegen die Berwehslung von Materie und Stoff.
Unfere heutigen unwifjenden Daterialiften verwechjeln den Stoff mit
der Materie. Stoff ift die empirisch gegebene, ſchon in die Hülle der
Formen eingegangene Materie. (W. II, 33. 52. 352.) Der Stoff
ft die ſchon qgualificirte Materie, d. h. die Verbindung ber Materie
mit ber Form, welche fi) auch wieder trennen fünnten. Das Be⸗
harrende ift allein die Dlaterie, nicht der Stoff, ald welcher möglicher-
weife immer noch ein anderer werden Tann. Es iſt daher falfch, von
Unfterblichkeit des Stoffs, wie Büchner thut, ftatt von Beharrlichkeit
de Materie, zu reden und einen empirifchen Beweis für dieſelbe
ju geben, während fie doch eine apriorifche Wahrheit if. (P. IL, 61.)
6) Berhältniß des Begriffs „Materie” zu dem Be-
griff „Subftanz”. |
Bon dem abftracten Begriff der Materie ift Subftanz wieber eine
Abftraction, Folglich ein höheres Genus, dadurch entitanden, daf man
von dem Begriff der Materie nur das Prädicat ber Beharrlichkeit
ſtehen Tieß, alle ihre übrigen, wefentlicden Eigenfchaften, Ausdehnung,
Undurchdringlichkeit, Theilbarkeit u. |. w. aber wegdachte. Wie jedes
höhere Genus enthält alfo der Begriff Subftanz weniger in fi,
als der Begriff Materie; aber er enthält nicht dafür, wie fonft immer
dad höhere Genus, mehr unter ſich, indem er nicht mehrere niedere
genera neben ber Materie umfaßt; fonbern diefe bleibt die einzige
wahre Unterart des Begriffes Subftanz, das einzige Nacjweisbare, wo⸗
durch fein Inhalt realifirt wird und einen Beleg erhält. (W. I, 582;
U, 347. ®. I, 76. ©. 44.)
7) Kritil des Gegenfages zwiſchen Geift und Materie.
(S. Geift.)
Mathematik.
1) Wiſſenſchaftlichkeit der Mathematik,
Die ſyſtematiſche Form iſt ein weſentliches und charakteriſtiſches
Merkmal der Wiſſenſchaft. Obzwar nun in der Mathematik, da die
Eukleidiſche Behandlung ihr nicht weſentlich iſt, jeder Lehrſatz eine neue
tänmliche Conſtruction anhebt, die an ſich von. den vorherigen unab⸗
9 Mothematik
hängig iſt und eigentlich auch völlig nnabhängig von ihnen erlamt
werden kann, aus ſich ſelbſt, in der reinen Anſchauung des Raumes,
in welcher auch bie verwickeltſte Conftruction eigentlich fo umittelbar
evibent ift, wie das Artom; fo bleibt doch immer jeder mathematiſche
Sat eine allgemeine Wahrheit, welche für unzählige einzelne Fälle gilt,
auch ift ein flufenweifer Gang von deu einfachen Sützen zu ben cm
plicirten, welche auf jene zurüdzuflihren find, ihr weſentlich. Folglich
iſt die Mathematik in jeber Hinficht Wiſſenſchaft. (W. I, 74 18.)
(Ueber Arithmetik und Geometrie fiehe diefe Artikel.)
2) Woranf die Unfehlbarkeit und Klarheit ber Mathe»
matik beruht.
Auf der von Kant entdeckten VBeichaffenheit der allgemeinen Formen
der Anſchauung (Raum und Zeit), daß fie nämlich file fih und m
abhängig von der Erfahrung anſchaulich und ihrer ganzen Gefegmähig:
feit nad) erkennbar find, beruht die Unfehlbarkeit der Mathematil
(8. I, 8.) Apodictiſche Gewißheit ift allein durch Erkenntniß a prion
möglich, bleibt alfo das Eigenthum der Logik und Mathematik. Diele
Willenfchaften lehren aber auch, eigentlich nur Das, was Jeder ſchon
von felbft, nur nicht deutlich weiß. (W. IE, 201 fg.)
Die volllommene Sicherheit der Wiffenfchaften a priori, allo ee
Logit und Mathematik, beruht hauptſächlich darauf, daß in ifmen me |
ber Des vom Grunde auf die Folge offen fteht, der allemal ſicher it.
(W. U, 98.)
Nur in den auf apriorifcher Erfenntniß beruhenden Wiſſenſchaften,
alfo in der gefammten reinen Mathematik und reinen Naturmiflenihaft
a priori ift feine Dunkelheit; fie ftoßen nicht auf das Unergründlid
(Srunblofe, d. i. Wille), weil fie es blos mit den uns a prior!
bewußten Formen aller Erfcheinung, die ſich gemeinfchaftlich alt
Say vom Grunde ausfpredhen laſſen, zu thun Haben. Andererſeiti
aber zeigen uns dieſe Erkenniniſſe weiter nichts, als bloße BVerhältnifit,
Relationen einer Borftellung zur andern, Form, ohne allen ‚ohalt
(W. I, 143 fg.)
In der Mathematik fchlägt der Kopf fich mit feinen eigenen Er
fenntnißformen, Zeit und Raum, herum, — gleicht daher ber Kat,
die mit ihrem eigenen Schwanze fpielt. (H. 329.)
3) Gegenfag der mathematifhen und genialen Er
kenntnißweiſe.
Die geniale Erkenntniß, ober Erkenntniß ber Idee, iſt diejenigt
weiche dem Satz vom Grunde nicht folgt. (Bergl. unter Genie: die
geniale Erkenntnißweiſe.) Hingegen ift die mathematifche Erkennmiß
mweife die dem Say vom Grunde in ber Geftalt des Seinsgrundes
nachgehende. (Bergl. unter Grund: Grund des Seins) Hiermi
erklärt fich einerfeitd die Abneigung genialer Individuen gegen die
Mathematik im Allgemeinen und gegen bie Logifche, die eigentliche Em ⸗
Mathematit 91
fiht verfchliegende Behanblungsart berfelben im Befonbern, andererfeits
die geringe Empingiäteit ausgezeichneter Mathematiker fiir die Werke
der fchönen Kunſt. (W. I, 222 fg.)
4) Methode ber Mathematil.
Um die Methode der Mathematik zu verbeflern, wird vorzüglich er⸗
fordert, daß man das Vorurtheil aufgebe, die bewiefene Wahrheit habe
irgend einen Borzug vor der anfchaulich erfannten, ober die logifche,
auf dem Say vom Widerfpruch beruhende, vor der metaphyſiſchen,
welche unmittelbar evident ift und zu ber auch die reine Anfchauung
des Raumes gehört. (W. I, 87.)
(Ueber die Verkehrtheit der Eukleidifchen Methode fiehe: Geometrie.)
5) Unterfdieb der mathematifhen von ber logiſchen
Unmöglichkeit.
„Ein rechtwinklicher gleichſeitiger Triangel“ enthält keinen logiſchen
Widerſpruch; denn die Prädicate heben einzeln keineswegs das Subject
auf, noch find fle mit einander unvereinbar. Erſt bei der Conftruction
ihres Gegenftandes in ber reinen Anfchauung tritt ihre Unpereinbarkeit
an ihm hervor. Wollte man diefe aber deshalb für einen Widerfpruch
halten; jo wäre auch jebe phyſiſche und erft nad; Jahrhunderten ent
deckte Unmöglichkeit ein folder. Allein blos die Logifche Unmöglichkeit
if ein Widerſpruch, nicht aber die phuftfche, und ebenfo wenig die
mathematifche. leichfeitig und rechtwinflich widerſprechen einander
nit (im Quadrat find fie beifammen), noch wiberjpricht jedes von
ihnen dem Dreieck. Daher kann die Unvereinbarfeit obiger Begriffe
me durch bloße Denken erkannt werben, fondern ergiebt fich erft aus
der Anfchauung, welche num aber eine ſolche ift, zu ber es Feiner
abrung, keines realen Gegenflandes bedarf, eine blos mentale.
6) Werth der Mathematik,
AUS Unterfuchung des Einfluffes der Mathematik auf unfere Geiftes-
fräfte und ihres Nutzens für wiffenfchaftliche Bildung überhaupt ift
Hamilton's fehr gründliche und Tenntnißreiche Abhandlung „Weber
den Werth und Unwerth der Mathematik“ zu empfehlen. Das Ergeb-
mp derſelben ift, daß der Werth der Mathematif nur ein mittelbarer
fi, nämlich in der Anwendung zu Zweden, welche allein durch fie
meihbar find, liege; am fich aber laſſe die Mathematif den Geift da,
wo fie ihn gefunden hat, und fei der allgemeinen Ausbildung und Ent-
widlung befielben Teineswegs förberfich, ja fogar entfchieben hinderlich.
Der einzige unmittelbare Nutzen, welcher ber Mathematit gelafien wird,
ft, daß fie unftäte und flatterhafte Köpfe gewöhnen Tann, ihre Auf
merhſamkeit zu fixiren. — Sogar Cartefins, ber doch felbft ala
Mathematiker berühmt war, uriheilte eben fo über die Mathematik.
(8. II, 144 fg.) Lichtenberg macht fi) über den „mathematifchen
Tieffinn“ luſtig (P. I, 52.)
92 Mechanil
Sie hören nicht auf, die Zuverlüſſigkeit und Gewißheit der Mathe⸗
matik zu rühmen. Aber was hilft es mir, noch ſo gewiß und zu⸗
verläffig etwas zu wiſſen, daran mir gar nichts gelegen iſt — das
rooov. (9. 329. — Del. auch unter Arithmetik: Lintergeordneter
- Rang ber arithinetifchen Geiftesthätigfeit.)
7) Der mathematifhe Unterriht auf Gymnafien.f .
Beil die Anlage zur Mathematik eine ganz fpeciele und eigene if,
die mit den übrigen Fähigkeiten eines Kopfes gar nicht parallel geht,
ja, nichts mit ihnen gemein Bat; fo follte fiir den mathematiſchen
Unterricht auf ben Gymnaſien eine ganz gefonderte Claſſification ber
Schüler gelten; fo daf wer im Webrigen in Selecta füße hier un
Tertia figen könnte, feiner Ehre umbejchadet, und eben fo vice versa.
Nur jo kann Jeder, nad) Maßgabe feiner Kräfte diefer befonbern Art,
etwas davon fernen. (P. II, 525.)
Mechanik.
1) Was die Mechanik zeigt. md
Die Mechanik zeigt, wie der in allen Dingen zur Sichtbarkeit ge
fangende Wille fich benimmt, fo weit als er, auf der niebrigfen
Stufe feiner Erſcheinung, blos al8 Schwere, Starrheit umd Trägkeit
auftritt. (W. DI, 337.) Die Orundbeftrebung des Willens, die
Selbfterhaltung, deren Yeußerungen fich ſtets auf ein Suchen oder
Berfolgen, und ein Meiden oder Fliehen, je nad) dem Anlaß, zurüd-
führen laſſen, ift fchon auf ber niebrigften Stufe der Natur, wo die
Körper Gegenftände der Mechanik find und blos nach den Acıfe
rungen der Undurchdringlichkeit, Cohäfion, Starrheit, Clafticität und
Schwere in Betracht kommen, nachweisbar. Hier zeigt ſich dab
Suden als Gravitation, das Fliehen aber als Empfangen von
Bewegung, und bie Beweglichfeit der Körper durch Druck oder Stoß,
welche die Bafis der Mechanik ausmacht, ift im Grunde eine Aeufe
rung des auch ihnen einwohnenden Strebens nad Selbfterhaltung.
Diefelbe nämlich ift, da fie ald Körper undurchdringlich find, das ein⸗
zige Mittel, ihre Cohäſion, alſo ihren jebesmaligen Beſtand, zu retten.
Der geftoßene oder gedrüdte Körper würde von bem ftoßenden oder
drüdenden zermalmt werden, wenn er nicht, um feine Cohäfion zu retten,
der Gewalt defielben fich ducch die Flucht entzöge, und wo dieſe ihm
benommen ift, gefchieht es wirklich. Ya, man kann die elaſtiſchen
Körper ald die muthigeren betrachten, welche deu Feind zurückzutreiben
fuchen, ober wenigften® ihm bie weitere Verfolgung benehmen. Co
jehen wir denn in dem einzigen Geheimniß, welches (neben der Schwere)
bie fo Hare Mechanik übrig läßt, nämlich in der Mittheilbarkeit der
Bewegung, eine Aeußerung der Grundbeftrebung des Willens in allen
feinen Erſcheinungen, alſo des Triebes zur Selbfterhaltung, ber ale
das MWejentliche fich auch noch auf der unterften Stufe erkennen lät.
(®. II, 338.) |
Mebicin 93
2) Unzuläffigfeit mehanifher Erflärungsbypothefen
über das nachweisbar Mechaniſche hinaus.
Die Anwendung mechanifcher Erflärungshypothefen über das nach⸗
weisbar Mechaniſche, wohin z. B. noch die Akuftit gehört, hinaus ift
durchaus umberechtigt, und nimmermehr wirb fih auch nur die ein-
fachſte chemische Verbindung, oder auch bie Berjchiedenheit der brei
Aggregatzuftände mechaniſch erklären laſſen, viel weniger die Eigen⸗
ihaften des Lichts, der Wärme und der Elektricität. Dieſe werden
ſtets nur eime dynamische Erflärung zulafien, d. h. eine folche, welche
die Erfcheinung aus urfprünglichen Kräften erflärt, die von denen des
Stoßes, Drudes, der Schwere u. f. w. gänzlich verjchieden und daher
höherer Art find, (W. II, 342. P. II, 121.)
Es giebt im Grunde nur eine mehanifhe Wirkungsart, fie befteht
im Eindringenwollen eines Körpers in den Raum, den ein anderer inne
hat; darauf läuft Drud, wie Stoß zurüd, als welche fid) blos durch
das Allmälige oder Plögliche unterfcheiden, wiewohl durch Letzteres bie
Kraft „lebendig“ wird. Auf diefen alſo beruht Alles, was bie Mecha⸗
nit leiſte. Der Zug ift blos fcheinbar; z. B. der Strid, mit wel-
dem man einen Körper zieht, jchiebt ihn, d. i. drüdt ihn, von Hinten.
P. UI, 122.)
3) Wider den Hang, jede Naturerfcheinung mechaniſch
zu erflären.
Bir haben einen natürlichen Hang, jede Naturerfcheinung wo mög⸗
ih mehanifch zu erflären; ohne Zweifel weil die Mechanik bie
wenigften urſprünglichen und daher unerflärlihen Kräfte zu Hilfe
nimmt, hingegen viel a priori Erfennbare® und daher auf den Formen
unferd eigenen Intellects Beruhendes enthält, welches, eben als ſolches,
den höchſten Grad von Berftändlichleit und Klarheit mit fich führt.
(®. II, 342.) Das wirklich rein und durch und durd), bis auf das
Letzte, Berftändliche in ber Mechanif geht aber nicht weiter, ale
des rein Mathematiſche in jeder Erklärung, ift alfo bejchränft auf
Beftimmungen bed Raumes und der Zeit, die fammt ihrer ganzen
Gefeglichfeit und a priori bewußt, daher im runde unferer Vor⸗
fellung angehörig, alfo fubjectiv find und nicht da8 von unferer Er⸗
kımmnig Unabhängige, das Ding an fich betreffen. Sobald wir aber,
ſelbſt in der Mechanik, weiter gehen, al® das rein Mathematiſche, fo
bald wir zur Undurchdringlichleit, zur Schwere, zur Starrheit, oder
Fluidität, oder Gafeität, kommen, ftehen wir fchon bei Aeußerungen,
die und eben fo geheimnißvoll find, wie da8 Denken und Wollen des
Menſchen, alfo beim direct Unergründlichen; denn ein folches ift jebe
Naturkraft. (PB. UI, 111 fg.)
(Ueber den Hang des Materialismus, Alles mechanifch zu erflären,
„J. Materialismus,)
Aedicin, |. Krankheit.
94 Meditation — Meinung
Meditation.
1) Berhältniß der Meditation zum Gefipräd. (6.
Dialog.)
2) Warum man werthvolle Meditationen bald nieder:
ſchreiben ſoll.
Daß man werthvolle eigene Meditationen möglichſt bald nieder
ſchreiben ſoll, verſteht fi) von ſelbſt; vergeſſen wir doch bisweilen,
was wir erlebt, wie viel mehr was wir gedacht haben. Gedanken
aber kommen nicht, wann wir, fondern wann fie wollen. (P. IL 54.)
leer.
1) Das Meerwaſſer.
Segen den Mißbraud) der äußern Zwedmäßigfeit, welche ftets
zweideutig bleibt, zu phyſikotheologiſchen Demonftrationen, wie fie bei
den Engländern üblich find, giebt es Beiſpiele in contrarium, alſo
Üteleologien, genug. ine der ftärkften bietet uns die Untrinkbarteit
bes Meerwafiers, in Folge welcher ber Menſch der Gefahr zu wr-
durften nirgends mehr ausgefegt if, als gerade in ber Mitte der
großen Wafjermaffe feines Planeten, „Wozu brand)t denn das Mer
falzig zu jein?" frage man feinen Engländer. (W. II, 384.)
2) Das Leuchten bes Meeres.
Das faft allen gallertartigen Radiarien eigene phosphorescirende
Leuchten im Meere entipringt vielleicht, eben wie das Leuchten bei
Phosphors felbft, aus einem Tangfamen Verbrennungsproceß, wie je
auch das Athmen ber Wirbelthiere ein ſolcher ift, deſſen Stelle es ver-
tritt, als eine Rejpiration mit der ganzen Oberfläche und bemmad em
Außerliches langſames Verbrennen, wie jenes ein innerliches iſt; ode
vielmehr fände auch bier eim innerliches Verbrennen Statt, deilen
Lichtentwidelung blos vermöge ber völligen Durchfichtigleit aller bier
gallertartigeu Thiere äußerlich ſichtbar würde. (P. II, 187.)
Meinung.
1) Das Geſetz, welches die Meinung befolgt.
Die Meinung befolgt das Geſetz der Pendelſchwingung; ift fie anf
einer Seite über ben Schwerpunkt Hinausgewichen, fo muß fie es be:
nach eben fo weit auf der andern. Erſt mit der Zeit findet fie da
rechten Ruhepunkt und fteht feft. (P. IL, 640.)
2) Die Allgemeinheit einer Meinung ift Fein Beweis
ihrer Richtigkeit,
Die Allgemeinheit einer Meinung ift kein Beweis, ja nicht einmal
ein Wahrfcheinlichkeitsgrund ihrer Richtigkeit. Die, weldye das Gegen⸗
theil behaupten, müſſen annehmen: 1) daß die Entfernung in der Zeit
jener Allgemeinheit ihre Beweisfraft raubt; fonft müßten fie alle altın |
Meinung 95
Irrthümer zurückrufen, bie einmal allgemein für Wahrheit galten,
3. B. das Ptolemdiſche Syſtem, ober müßten in allen proteftantifchen
Rändern den Katholicismus herftellen; 2) daß die Entfernung im Raum
bafielbe Leiftet; fonft wird fie die Allgemeinheit der Meinung in ben
Belennern des Bubbhaismus, des Chriftentfums und bes Islam in
Berlegenheit ſetzen. (9. 28 fg.)
3) Entftehbungsart der fogenannten allgemeinen
Meinung.
Bas man fo die allgemeine Meinung nennt, ift, beim Lichte
betrachtet, die Meinung zweier oder dreier Perfonen, wovon wir und
überzeugen würden, wenn wir ber Entftehungsart fo einer allgemein
gültigen Meinung zufehen lönnten. Wir wirben bann finden, daß
zwei oder brei Xente es find, bie folche zuerft aufftellten, und benen
man fo gütig war, die gründliche Prüfung derfelben zuzutrauen. Auf
das Borurtheil ber binlänglichen Fähigkeit Diefer nahmen zuerft einige
Andere die Meinung ebenfalld an. Dieſen wieder folgten aus Träg⸗
heit Andere. So wuchs von Tag zu Tag bie Zahl folder trägen
und leichtglänbigen Unhänger, und die noch Uebrigen waren, um nicht
fir unruhige Köpfe zu gelten, genöthigt, die angenommene Meinung
gelten zu laſſen. Jetzt wurde die Beiſtimmung Pflicht. Nunmehr
mußten die wenigen Urtheilsfähigen ſchweigen. (H. 29.)
4) Werth der Meinung Underer von uns für unfer
Lebensglüd.
Der übertriebene Werth, den wir in Folge einer befondern Schwäche
unferer Ratur auf die Meinung Anderer von und ober auf unſer Da-
fin in der fremden Meinung legen, wirft auf unfer eigenes Glück,
zunächſt auf die diefem fo weſentliche Gemüthsruhe und Unabhängig-
kit, mehr ftörend und nachtheilig, als förderlich ein. Biel wejentlicher
für das Lebensglück ift, was man in und für fi ſelbſt ift, als
Das, was man blos in den Augen Anderer if. Zum Erfteren ge-
gehßrt die ganze Ausfüllung der Zeit unfers eigenen Dafeins, ber
umere Gehalt deffelben, mithin alle die Güter, welche die Eudämonologie
unter den Titeln „mas Einer iſt“ und „mas Einer hat“ betrachtet.
(S. SlüdfäligleitsIcehre.) Denn der Ort, in weldem alles
Dieſes feine Wirkungsiphäre hat, ift das eigene Bewußtſein. Hin
gegen iſt der Ort deſſen, was wir für Andere find, das frembe
ußtfein. Dies nım ift nur von mittelbarem Werth, fofern das
Venagen der Andern gegen uns dadurch beftimmt wird. Zunäcft und
wilich lebt doch Jeder im feiner eigenen Haut, nicht aber in der
eng Anderer; demnach ift unfer realer und perfönlicher Zuftand,
we or durch Geſundheit, Temperament, Fähigkeiten, Einkommen, Weib,
Kid, Freunde, Wohnort u. f. w. beftumnmt wird, fir unfer Glüd
hundert mal wichtiger, ald was es Andern beliebt aus uns zu machen,
Der ertgegengefetste Wahn macht unglücklich. Viel zu viel Werth auf
96 Melancholie — Renſch. Menſchengeſchlecht
die Meinung Anderer zu legen iſt ein allgemein herrſchender Irrwahn,
dem entgegenzuwirken ift. (PB. I, 373—376. — Bergl. auch Eitel:
feit ımd Ehre.)
5) Wie man fih gegen die Meinungen ber Menfden
verhalten foll.
Man beftreite feines Menſchen Meinung; fondern bedenke, daß wen
man alle Abjurbitäten, die er glaubt, ihm ausreben wollte, man
Methufalems Alter erreichen könnte, ohne damit fertig zu werben.
(P. I, 493.)
Melancholie.
1) Unterfhied zwifhen Melandolie und Berdrieß—⸗
lichkeit.
BVerbrießlichkeit und Melancholie liegen weit auseinander; von be
Luftigfeit zur Melancholie ift der Weg viel näher, als von der Be:
drießlichkeit. — Melancholie zieht an, Verbrießlichleit ſtößt ab. (P.
II, 625.)
2) Melanholie als Eigenſchaft des Genies und dei
edelen Charakters.
Ueber die dem Genie beigegebene Melancholie fiehe unter Genie:
Bortheile und Nachtheile der Genialität fiir das geniale Individuum.
Einen fehr edelen Charakter denken wir ums immer mit einem gr"
wiſſen Anftrich ſtiller Trauer, die nichts weniger ift als beſtändige
Berdrieplichleit über die täglichen Wiberwärtigfeiten; fonbern ein au
der Erfenntniß Den egegangene® Bewußtſein der Nichtigkeit aller Güte
und bes Leidens alles Lebens, nicht des eigenen allein. (W. I, 468)
Melodie, ſ. Mufil.
Mens, im G©egenfage zu Animus. (©. Gemitth.)
Menſch. Menſchengeſchlecht.
1) Zuſammenhang des Menſchen mit der übrigen
N
atur.
Es darf nicht angenommen werben, der Menſch ſei von, den ilbrigen
Weſen und Dingen der Natur ſpecifiſch, toto gemere und von Grm
aus verfchieben, vielmehr nur dem Grade nach. (W. I, 192.)
Obgleich im Menfchen, als (Platoniſcher) Idee, der Wille fan
deutlichfte und vollfommenfte Objectivation findet; fo konnte dumd |
diefe allein fein Weſen nicht ausbrüden. Die Idee des Marika
durfte, um im der gehörigen Bebentung zu erfcheinen, nicht allem m
abgeriffen fich darftellen, fondern mußte begleitet fein von der Gtufer
folge abwärts durch alle Geftaltungen ber Thiere, durch das Pflanzen⸗
reich, bis zum Unorganifchen; ſie alle erſt ergänzen ſich zur vollſ Andigen
DObjectivation des Willens; fie werben von ber Idee des Menſchen ſo
Menſch. Menſchengeſchlecht | 97
vorandgefett, wie bie Blüthen bes Baumes Blätter, Aeſte, Stamm
und Wurzel voransjegen; fie bilden eine Pyramide, beren Spige der
Menſch iſt. (W. I, 182.) Diefe innere, von ber adäquaten Ob-
jetität bes Willens unzertrennliche Nothwendigkeit der Stufenfolge
feiner Erfcheinungen finden wir aber auch durch eine äußere Noth-
wendigfeit ausgedrüdt, durch diejenige nämlich, vermöge welcher der
Menſch zu feiner Erhaltung der Thiere bebarf, dieſe ftufenmweile eines
des andern, bann aud) der Pflanzen, welche wieber des Bodens be-
dürfen, des Waſſers, der chemifchen Elemente, des Planeten, ber
Sonne u. ſ. f. (W. I, 183.)
Der Menfch, als die vollfonmenfte Objectivation des Willens zum
Leben, iſt demgemäß auch das bebürftigfte unter allen Wefen. (W.
8.)
)
2) Identität des Wefentlichen in Thier und Menfd.
Auf die Erkenntniß der Identität des Wefentlichen in der Erſchei⸗
nung des Thiers und des Menſchen leitet nichts entichiebener bin, als
de Beihäftigung mit Zoologie und Anatomie. Man muß wahrlid)
an allen Sinnen blind fein, um nicht zu erkennen, daß das Wefent-
liche und Hanptfählihe im Thiere und im Menfchen das Selbe ift,
und daB mas Beide unterfcheidet nicht im Primären, im Principe, im
innen Weſen und im Kern beider Erfcheinungen liegt, als welder in
der einen wie in der andern der Wille ift, fonbern allein im Secun⸗
därn, im Intellect, im Grade ber Erfenntnißfraft. Des Gleichartigen
wiſchen Thier und Menfch, ſowohl pfychiſch als fomatifch, ift ohne allen
ergleich mehr, als des Unterfcheidenden. (E. 240 fg.)
Auch in ethifcher Hinſicht findet weſentliche Gleichartigkeit Beider
Statt. Die Maxime ber Ungerechtigkeit, das Herrſchen ber Gewalt
Natt des Rechts, ift das wirklich und factifch in der Natur herrichende
Geſetz, nicht etwa nur in der Thierwelt, fonbern auch in der Men-
ſchenwelt. Seinen nachtheiligen Folgen hat man bei ben civilifirten
Billern durch die Staatseinrichtung vorzubeugen gefucht; fobald aber
diefe, wo und wie es fei, aufgehoben ober elubirt wird, tritt jenes
Vanrgeſetz gleich wieber ein. fortwährend aber herrſcht e8 zwiſchen
Bolt und Bolt; der zwifchen biefen übliche Gerechtigfeits-Jargon iſt
belanntlich ein bloßer Kanzleiftil der Diplomatif; die rohe Gewalt ent-
fhridet. E. 159.) Auf der Identität des Willens in der Thier- und
Denihenwelt berußt der Krieg. (©. Krieg) Der Menſch ift im
nde ein wildes, entfegliches Thier. Wir kennen es blos im Zu:
Rande der Bändi ung und Zähmung, welcher Civilifation heißt; daher
läreden uns die gelegentlichen Ausbrüche feiner Natur. Aber wo
md wann ein Mal Schloß und Kette der gefetlichen Ordnung ab⸗
‚ Salem nud Anarchie eintritt, da zeigt fi was er if. — Wer in-
wiſchen auch ohme folche Gelegenheit ſich darliber aufflären möchte,
der faın die Ueberzeugung, daß der Menſch an Graufamleit und Un-
rbittlichfeit Teinem Tiger und Feiner Hyäne nachſteht, aus hundert
| S&epenpauerskeriton. I. 7
98 Menſch. Menſchengeſchlecht
alten und nenen Berichten ſchöpfen. (P. II, 226 — 228.) Gobintan
bat ben Menſchen mit Recht Fanimal möchant par excellence gmamt;
dem der Menſch iſt das einzige Thier, welches andern Schmerz ver⸗
urfacht ohne weitern Zwed, als eben diefn. Die andern Thiere thun
e8 nur, um ihren Hunger zu befriedigen, oder im Zorn des Kampfes.
Kein Thier jemals quält, blod um zu quälen; aber dies thut der
Menſch, und dies macht den teuflifchen Charakter aus, der weit
ärger ift, als ber bloß thierijche. (P. II, 229 fg.)
Der durd die ganze Ratur gehende Streit der Erſcheinungen, we:
her die Offenbarung der dem Willen wefentlichen Entzweinng mit ſich
fet6R if, fommt zuletst im Menfchengefchlecht, welches alle andern äh
wältigt und die Natur fir ein Yabricat zu feinen Gebrauch anficht,
zur furchtbarſten Deutlichkeit. (W. I, 175.)
3) Unterfchied zwifchen Thier und Menſch.
Die Reproductionskraft, objectivirt im Zellgewebe, ift der Gay:
haralter der Pflanze und bes Pflanzlichen im Menſchen. Die Ir:
tabiliät, objectivirt in der Muslkelfaſer, ift ber Hanptcharafter ie
Thieres und ift das Thierifche im Menſchen. Die Senfibilität,
objectivirt im Nerven, ift der Hauptcharakter des Menſchen und ift det
eigentlich Menſchliche im Menfchen. Kein Thier kann ſich hierin mit
ihm auch nur entfernt vergleichen. (N. 31.)
Der Menſch allein unter allen Bewohnern der Erde befigt auf '
dem Bermögen der Anſchauung, welches audz das Thier hat, nd
eine andere Erkenntnißkraft, die man trefiend Reflerion genannt bi.
Diefes höher potenzirte Bewußtfein, diefer abftracte Reflex alles Je:
tuitiven im nicht anfhaulihen Begriff der Vernunft ift es allein, ir
denn Menſchen jene Befonnenheit verleiht, welche fein Bewußtſein um
feinen ganzen Wandel auf Erden fo fehr von den der Thiere unter |
ſcheidet. Sie leben in der Gegenwart allein; er dabei zuglah u
Zukunft und Vergangenheit. Sie find dem Eindruck des Augenblidt, |
nn Ei Em
. .
der Wirkung des anſchaulichen Motive gänzlich anheimgefallen; im
beftimmen abftracte Begriffe unabhängig von der Gegenwart. Daher
das planmäßige Handeln des Menſchen, das Handeln nad) Marimen,
bie Fähigkeit der Wahl zwifchen mehrern Motiven, oder :Deliberation*
fähigkeit, die Fähigkeit der Verftellung, während das Thier durd den
gegenwärtigen Eindrud beftiimmt wird. Das Thier empfindet wm
haut an, der Menſch denkt überdies und weiß; Beide wollen
Das Thier theilt feine Empfindung und Stimmung durch Geberde
und Laut mit; der Menſch theilt Gedanken mit durch Sprache, — det
Erzeugniß und nothwendige Werkzeug feiner Vernunft. Alle die mar
nihfachen unb weitreichenden Leiftungen, durch die der Menſch dm
Thiere überlegen ift, entjpringen aus einem gemeinjchaftlichen Prix),
aus jener befondern Geifteskraft, die der Menſch vor dem Thiert
voraus hat, der Bernunft. (W. I, 43—45. 100—102. 33.
478; II, 62—66. 663 fg. E. 33— 35. 148 fg. N. 22fg. 18.
En on LEE SEE EEE EEE
Menſch. Menichengefchlecht 99
G. 48. 97fg. 110. P. N, 617 fg. H. 849. — Bergl. auch
Beſonnenheit.)
Den Menſchen ansgenommen, wundert ſich fein Weſen über fein
eigened Dafein; fondern ihnen Allen verfteht dafjelbe fich fo fehr von
jelbft, daß fie es nicht bemerlen. Aus der Ruhe des Blicks der
Thiere Spricht noch die Weisheit der Natur; weil in ihnen der Wille
und der Intellect noch nicht weit genug auseinandergetreten find, um
bei ihrem Wieberbegegnen fich über einander verwundern zu können.
Erſt beim Eintritt der Vernunft, alfo im Menfchen, gelangt das
innere Weſen ber Natur (dev Wille zum Leben) zur Befinnung; dann
wundert es ſich über feine eigenen Werke und fragt fich, was es felbft
fi. Mit diefer Beſinnung und Verwunderung entfteht daher das dem
Menſchen allein eigene Bebürfnig einer Metaphyſik. Der Menſch
it fonad) ein animal metaphysicum. (W. U, 175 ff. 653.)
Erft bein Menſchen auch tritt jene vollfommene Sonberung des In-
tellect® vom Willen, des Erlennens vom Wollen, ein, auf welder bie
Objectivität, folglich die Afthetifche Auffaſſung und Darftellung
der Dinge, die Kunſt, beruht. (S. unter Intellect: die Stufen des
Intellects.) Die Dienftbarkeit der Erkenntniß unter dem Willen, die
bei den Thieren eine unaufhebliche ift, wird beim Menſchen (in ber
Kunft) aufgehoben. Diefer Unterfchied zwifchen Menſch und Thier ift
äußerlich ausgedrückt durch die Berjchiedenheit des Verhältnifſes bes
Kopfes zum Rumpf. (W. I, 209. — Bergl. Kopf.)
Endlih auch tritt erft beim Menfchen die fonft nur dem Ding an
fh zulommende Freiheit in die Erſcheinung ein. (S. unter Frei-
heit: Eintritt der Freiheit in die Erſcheinung beim Menſchen.)
Die Menfchenfpecies unterfcheidet fi) von allen andern durch das
bedeutende Hervortreten des Individualcharalters in ihr. (S. unter
Individuation, Individualität: Die Individualität auf den ver-
ſchiedenen Stufen der Natur.) Wahrſcheinlich Hängt es mit dieſem
Unterfchiede der Menfchengattung zufammen, daß die Furchen und
Bindungen des Gehirns, welche bei den Vögeln noch ganz fehlen und
bei den Nagethieren noch fehr fchwarh find, felbft bei den obern Thie-
ven weit ſymmetriſcher an beiden Seiten und conftanter bei jedem In⸗
dividımm die felben find, als beim Menſchen. Ferner ift es als ein
Phänomen jenes den Menfchen von allen Thieren unterfcheidenden
eigentlichen Imdividualdharakters anzufehen, daß bei den Thieren ber
Geſchlechtstrieb feine Befriedigung ohne merfliche Auswahl fucht, wäh.
vend diefe Auswahl beim Menſchen bis zur gewaltigen Leidenſchaft
eig. (W. I, 156. — Bergl. auch Geſchlechtstrieb und Ge⸗
ſchlechtsliebe.)
Eine wohl noch nicht bemerkte phyſiſche Verſchiedenheit des Menſchen
vom Thiere iſt, daß das Weiße der Sclerotica beſtändig ſichtbar bleibt.
P. U, 171, Anmerk.)
‚ Die Erhöhung des menfchlichen Imtellects über den thierifchen fteht
m Verhältniß zu den in der menſchlichen Gattung gefteigerten Be⸗
7%
100 Menſch. Menſchengeſchlecht
dürfniſſen. (W. II, 316. N. 51. — Vergl. auch unter Intellect:
Zweck des Intellects.) Durch dieſe Erhöhung iſt aber nicht mr de
Auffaffung der Motive, die Mannigfaltigkeit derfelben und liberhaupt
der Horizont der Zwecke imendlich vermehrt, fondern auch die Deut⸗
lichkeit, mit welcher der Wille fi feiner felbft bewußt wird, aufe
höchfte gefteigert. Dadurch aber, wie auch durch die als Träger eines
fo erhöhten Intellects nothwendig voransgejegte Vehemenz bes Willens,
ift eine Erhöhung aller Affecte eingetreten, ja bie Möglichkeit der
Reidenfchaft, welche das Thier eigentlich nicht kenut. (W. UI, 317.)
Der Menſch ift viel größerer Leiden fähig, als das Thier, aber and
größerer Freudigkeit, in den befriedigten und frohen Affecten. ben ie
macht der erhöhte Untellect ihm bie Langeweile fithlbarer, ala dem
Thier, wird aber auch, wenn er individuell ſehr vollfommen ift, zu
einer unerfchöpflichen Duelle der Kurzweil. (W. II, 318.)
Die durch die Bernunft beim Menfchen eingetretene Deliberationt:
fägigfeit oder Fähigkeit, fi) durch abftracte Motive beftinmen zu
Lafien, gehört zu. den Dingen, die fein Dafein fo fehr viel qualvolkr
machen, als das bes Thieres; wie denn überhaupt unfere größten
Schmerzen nicht in der Gegenwart, als anfchauliche Vorftellungen od
unmittelbares Gefühl Liegen; ſondern in der Vernunft, als abftrat
Begriffe, quälende Gedanken, von denen das allein in der Gegenwart
und daher im beneibenswerther Sorglofigfeit lebende Thier völlig fri
fl. (W. I, 351g.) |
4) Transfcendente Einheit des Menſchengeſchlechts.
Man kann fi das Menfchengefchledht bildlich. als ein animal com-
positum vorftellen, eine Lebensforn, von welcher viele Bolypen, br:
fonder8 die fchwimmenden, wie Veretillum, Funiculina und ander,
Beifpiele darbieten. Wie bei biefen der Stopftheil jedes einzelne Zhier
ifolirt, der untere Theil hingegen, nüt dem gemeinfchaftlichen Magen,
fie alle zur Einheit eines Lebensprocefied verbindet; fo tfolirt das Ge
birn mit feinem Bewußtſein die menfchlicheir Individuen; hingegen der
unbewußte Theil, das vegetative Leben, mit feinem Ganglienfuften, if
ein genteinfames Leben Aller, mittelft defien fie fogar ausnahmemile
communiciren fönnen, twie der animalifche Magnetismus und die Magie
beweift. (W. II, 371 fg.)
5) Der Menſch als Wendepunkt des Willens zum
Leben und als Erlöfer der Natur.
Da im Menfchen der Wille zur Befiunung und folglich auf
den Punkt Fonımt, wo er beim Lichte deutlicher Erkenntniß ſich zu
Bejahung oder Berneinung des Willens zum Leben entjcheidet; ſo
haben wir feinen Grund anzunehmen, daß es irgendwo noch zu hör
gefteigerten Objectivationen des Willens Fomme, da er bier fchon an
feinen Wendepunfte angefommen iſt. (W. II, 654. 698 fg. P. II,
154.) |
Menſch. Menſchengeſchlecht 101
Würde die asketiſche Verneinung des Willens zum Leben durch frei⸗
willige Kenſchheit eine allgemeine im Menſchengeſchlecht, fo ſtürbe
dieſes aus, und da alle Willenserſcheinungen in der Natur zuſammen⸗
hängen, fo läßt ſich annehmen, daß mit der höchſten Willenserſchei⸗
nung auch der ſchwächere Widerfchein derjelben, die Thierheit wegfallen
würde. Mit gänzlicher Aufhebung der Erkenutniß ſchwände dann auch
von felbft die übrige Welt in Nichts, da one Subject fein Object.
Die übrige Natur hat aljo ihre Erlöfung vom Menſchen zu erwarten,
welcher Priefter und Opfer zugleich if. (W. I, 449 ff.)
Zwar kündigt mehr als Alles die Menfchenwelt, als in welcher
moralisch Schlechtigkeit und Nieberträchtigkeit, intellectuell Unfähigkeit
und Dummheit in erjchredendem Maaße vorherrſchen, das Sanfara
an. Dennoch treten in ihr, wiewohl fehr ſporadiſch, aber doch ſtets
und von Neuen überraſchend, Exfcheinungen der Redlichkeit, der Sitte,
ia des Edelmuthes, und eben fo auch des großen Berftandes, des ben-
fenden Geiftes, ja bes Genies auf. Nie gehen bdiefe ganz ans, Wir
müflen fie als ein Unterpfand nehmen, daß ein gutes und erlöfendes
Princip in dieſemn Sanfara ftedt, welches zum Durchbruch kommen
und das Ganze erfüllen und befreien kann. (P. II, 233.fg.)
6) Die Entftehung des Menſchengeſchlechts, feine ur—
fprüngliche Farbe und Nahrung.
Das Menſchengeſchlecht ift höchſt wahrſcheinlich nur an drei Stellen
eutftanden; weil wir nur drei beftimmit gefouderte Typen, die auf ur-
ſprüngliche Racen deuten, haben: den faufafifchen, den mongolifchen
und den äthiopifhen Typus. Und zwar hat dieſe Entftehung nur in
der alten Welt Statt finden können. Denn in Auftralien hat bie
Natur es zu gar feinen Affen, in Amerika aber nur zu lang⸗
geihwänzten Meerkatzen, nicht aber zu den kurzgeſchwänzten, geſchweige
zu den oberften, den ungefchwänzten Affengejchlechtern bringen können,
welhe die letzte Stufe vor dem Menſchen einnehmen. (Bergl. Affe.)
Ferner hat die Entftehung des Menjchen nur zwifchen den Wende
treifen eintreten können; weil in den andern Zonen der neu entftandene
Menſch im erften Winter umgelommen wäre. In dem heißen Zonen
mm aber ift der Menſch ſchwarz, oder wenigſtens dunkelbraun. Dies
alfo iſt, ohne Unterfchich der Race, die wahre, natürliche und eigen»
thümliche Farbe des Meenfchengefchleht und nie Hat es eine von
Natur weite Race gegeben. Erſt nachdem der Menſch außerhalb der
ihm allein natürlichen, zwiſchen den Wendekreiſen gelegenen Heimath
lange Zeit hindurch ſich fortgepflanzt hat, und in folge diefer Ber
mehrung fein Geſchlecht ſich in die kältern Zonen verbreitet, wirb er
el und endlich weiß. (P. II, 167—170. W. U, 625.)
Wie die dunkle Farbe, fo auch ift dem Menſchen bie vegetabilifche
Nahrung Die natürliche. Aber wie jener, fo. bleibt er auch biefer nur
m tropischen Klima getreu. Als er ſich in bie kältern Zonen ver⸗
breitete, mußte er dem ihm unnatitrlichen Klima durch eine ihm un«
102 Menſch. Menſchengeſchlecht
natürliche Nahrung entgegenwirken. Der Menſch iſt alſo zugleich weiß
und carnivor geworben. Eben dadurch aber, wie auch durch die für
tere Bekleidung hat er eine gewiſſe unreine und ekelhafte Beſchaffenheit
angenommen. (P. II, 170 fg.)
7) Allmälige Degradation des Menſchengeſchlechts.
Es fcheint, daß Die, weldhe der Entſtehung des Menſchengeſchlecht
und dem Urquell der organischen Natur bedeutend näher ftanden, als
wir, aud noch theils größere Energie ber intuitiven Erkenntnißkräft,
theils eine richtigere Stimmung bes Geiftes hatten, wodurch fie einer
reineru, unmittelbaren Auffaffung bes Wefend der Natur fähig un
dadburh im Stande waren, bem metapbufifchen Bedürfniß auf cin
wilrbigere Weife zu genügen; fo entftanden in den Urvätern ber Vrah
manen, den Riſchis, die faft Übermenfchlihen Conceptionen, welche
fpäter in den Upaniſchaden der Beden niebergelegt wurden. (B.
, 178.)
Die allmälige Degrabation der Sprachen ift ein bedenkliches Arge-
ment gegen bie beliebten Theorien unferer Optimiften vom „fätige
Fortjchritt der Menfchheit zum Beſſern“, wozu fie die beplorable Or
fchichte des bipedifchen Geſchlechts verdrehen möchten; überbies aber ii
fie ein fchwer zu Löfendes Problem. Wir Mönnen doch nicht umhin,
das erfte aus dem Schoofe der Natur irgendwie herborgegangem
Menfchengefchleht uns im Zuſtande gänzlicher und Findifcher Untunk
und folglich roh und unbeholfen zu denken; wie fol num ein folde
Geſchlecht diefe höchſt kunſtvollen Sprachgebäude erdacht haben? —
Das Plauſibelſte ſcheint die Annahme, daß der Menſch die Sprahe
inſtinctiv erfunden hat, indem urſprünglich in ihm ein Yun
liege, vermöge beffen er das zum Gebraud feiner Vernunft unent-
behrliche Werkzeug und Organ bderfelben ohne Reflerion und bemaftt
Abſicht Hervorbringt, welcher Inſtinct fi nachher, wenn bie Sprache
einmal da ift uud er nicht mehr zur Anwendung. kommt, verlien.
Wie nun alle Werke bes Inſtincts eime ihmen eigenthümliche, bemu:
derungswürdige Bolllommenheit haben, — eben fo ift es mit der
erften und urfprlnglichen Sprache; fie hatte die hohe Wollkommenkeit
aller Werke bes Inſtincts. (P. II, 599 fg.)
Ob wohl gar die Menfchheit in dem Maaße, als fie an Quantität
zunimmt, an Qualität verliert? wie (nad) Schnurrers Gefchihte der
Seuchen), als nad dem ſchwarzen Tob im 14. Jahrhunderi eine fo
ungewöhnliche Fruchtbarkeit der Weiber eintrat, daß Zwillingägeburten
alltäglich wurden, dieſen fämmtlichen Kindern zwei Zähne fehlten
Wenn man Griechen und Römer mit dem jebigen Geſchlecht wer
gleicht, die Urzeit denkt, in der bie Vedas verfaßt wurden, und dit
Erhärmlichleit des gegenwärtigen Geſchlechts betrachtet, das fid wit
Unfrant vermehrt, auch erwägt, daß unter einer größern Zahl nf
mehr große Männer arithmetiſch möglich find und keine kommen; —
fo kann man auf eine foldje Hypotheſe kommen. (5. 387 fg.)
Menſchenkenntniß 103
Menſchenkenntniß.
1) Grundlage und Propädeutik zu aller Menſchen—
kenntniß.
Die Grundlage und die Propädeutik zu aller Menſchenkenntniß iſt
die Ueberzeugung, daß das Handeln des Menſchen, im Ganzen und
Weſentlichen, nicht von feiner Vernunft und deren Vorſätzen geleitet
wird; daher Keiner Diejes oder Jenes dadurch wird, daß er es, wenn
ad) noch ſo gern, fein möchte; fondern aus feinem angeborenen und
unveränderlichen Charakter geht fein Thun hervor, wird näher und im
Befondern beftimmt durch die Motive, ift folglich das nothwendige
Product diefer beiden Factoren. (P. II, 247.)
2) Erkennbarkeit des Charakters aus Einzelzligen.
(S. Charalter.)
3) Worauf ber Irrthum bei Beurtheilung fremder
Charaktere berußt.
Jede menschliche Vollkommenheit ift einem Fehler verwandt, in wel⸗
den überzugehen fie droht; jedoch auch umgekehrt, jeder Fehler einer
Bolllommenheit. Daher beruht der Irrthum, in welchen wir hHine
fihtlih) eines Menſchen gerathen, oft darauf, daß wir, im Anfang ber
Befanntichaft, feine Fehler mit den ihnen verwandten Bolllommenheiten
verwechjeln, oder andy umgelehrt. Da ſcheint uns dann der Vorſich⸗
tige feige, der Sparfame geizig; oder auch ber Verſchwender liberal,
ber Grobian gerade und aufrihtig, der Dummbreifte als mit edlem
Selbſtvertrauen auftretend, u. dgl. u. (P. II, 224.)
(Ueber andere Duellen des Irrthums bei Benrtheilung fremder
Charaktere f. unter Individuation, Individualität: Pfycho-
logiſche Bemerkung über die Urfachen irriger Beurtheilung frember
‚ndividien.) Ä
4) Einfluß des Studiums der Dichter auf die Men»
ſchenkenntniß.
Durch das Studium der Dichter gewinnen wir an Menſchen⸗
fumntniß für das wirkliche Leben, oder richtiger, wir werden dadurch
fähiger zur Erwerbung von Menſchenkenntniß im wirklichen Leben;
denn es ift nicht fo, dag wir auf Perfonen fließen, die das Original
und befannter poetifcher Charaktere wären und deren Thun wir da⸗
durch beurtheilen Tönnten, fondern nur fo, daß wir durch das Stubium
poetiicher Charaktere fühiger werden, die und vorkommenden Indivi⸗
dualitäten ſchnell und ficher aufzufafien und das Charafteriftifche in
Ihrem Betragen vom Zufälligen zu unterfcheiden. Unſer Blick für bie
Auffaffung des Charakteriftifchen der Menfchen wird dadurch eben fo
geſchärft, wie durch Zeichnen der Blick für die Auffaſſung der räum⸗
lihen Berhältniffe gefchärft wird. (5. 368.)
104 Denigenichen — Meukienfiche
Aenſchenleben.
1) Drei Weiſen des Menſchenlebens.
Man Tann drei Ertreme des Merſchenlebens thesretiſch ammehmen
und fie als Elemente des wirllichen Menſchenlebens betrachten. Eril-
ih, das gewaltige Wollen, die grofen Leidenjchaften (Radſcha⸗Guno).
Es tritt hervor in ben großen hiſtoriſchen Charafteren; es iſt geihil-
dert im Epos uud Drama; es kann ſich aber audy in ber kleinen
Sphäre zeigen. Sobann zweitens das reine Erkennen, das Auffaſſen
der Ideen, bedingt durch Befreiung der Crfamtnig vom Dienfte bee
Willens: dae Leben des Genins (Satwe-Gma). Endlich dritte,
die größte Lethargie des Willens und damit ber an ihm gebundenen
Erfenntmiß, leeres Sehnen, lebenerfiarrende Langeweile (Tama- Guns).
(®. I, 379.) Tama⸗-Guna, Stumpfheit, Dummheit, entfpricht der
Reproductionskraft; — Radſcha⸗Gunag, Leideufchaftlichkeit, der Irri⸗
tzpiient ; — Satwa⸗Guna, Weisheit und Tugend, der Seufibilität.
(R. 32.)
2) Charakter und Beflimmung des Menfchenlebens.
(S. Leben und Heilsorbnuug,)
Menſchenliebe.
1) Die Menſchenliebe als Kardinaltugend. (S. Kar:
dinaltugenden.)
2) Verhältniß der Menſchenliebe zu ber Gerechtigkeit.
(S. Gerechtigkeit.)
3) Quelle der Menſchenliebe.
In der unmittelbaren, auf keine Argumentation geſtützten, noch deren
bebürfenden Theilnahme liegt der allein lautere Urſprung der Menſchen⸗
liebe, der caritas, ayanın, alſo derjenigen Tugend, deren Marime if:
omnes, quantum potes, juva, unb aus welcher alles Das fließt, wa‘
bie Ethik unter dem Namen Tugendpflichten, Liebespflichten, unvol:
kommene Pflichten vorfchreibt. Diefe ganz unmittelbare, ja, inftind-
artige Theilnahme am fremden Leiden, alfo das Mitleid, if di
alleinige Quelle folder Handlungen, wenn fie moraliſchen Werth
haben, d. 5. von allen egoiftifchen Motiven rein fein follen. (E. 227
— 229. — Bergl. auch Liebe) Diefe unmittelbare Theilnahme fehl
voraus, daß ich mich mit dem Andern gewiffermaßen ibeutificirt habe,
und folglich die Schranke zwifchen Ic und Nicht-Ich fiir deu Augen
blid nufgehoben fei. Diefer Borgang ift myſteriös. (E. 229.) Ber
don der Tugend der Menfchenliebe bejeelt ift, hat fein eigenes Weſen
in jebem Anderen wiebererfannt. Er durchſchaut das principium ın-
dividuationis. (W. II, 694. — Vergl. auch unter Gut: Wefen de
guten Menſchen, an ſich felbft betrachtet, und unter Individuation:
bie im principio individuationis befangene Erkenntniß im Gegenjaht
zu der es durchſchauenden.)
Meßbar — Metalle 105
4) Gefchichtliches.
Die Tugend der Meenfchenliebe ‚fehlt bei Ariftoteles, wie bei allen
Alten. (E. 251.) Die Philojophen des Alterthums haben zwar die
Gerechtigkeit als Kardinaltugend anerkannt; hingegen haben fie bie
Menfchenlicbe noch nicht als Tugend anfgeftelt. Selbft der in der
Moral fi am höchſten erhebende Plato gelangt doc nur bis zur
freiwilligen, uneigennüßigen Gerechtigkeit. Erſt das Chriſtenthum Hat
die Menfchenliebe förmlich al8 Tugend, und zwar als die größte von
allen, aufgeftellt, fogar aud auf die Feinde ausgedehnt. Hierin Be-
ſteht das geößte Verdienſt des Chriſtenthums, wiewohl nur hinfichtlich
auf Europa; da in Aſien ſchon taufend Jahre früher die unbegrängte
Liebe des Nächften gelehrt und geübt worden. — Epuren der Aus
erfennung der Menjchenliebe Lafjen ſich übrigens aud) bei den Alten
finden. (E. 226.) | |
Meßbar.
Meßbar iſt die Zeit nicht direct, durch fich ſelbſt, ſondern nur in-
direct, durch die Bewegung, als welche im Ranm und in ber Zeit
zugleich iſt; ſo mißt die Bewegung der Sonne und der Uhr die Zeit.
Meßbar iſt der Raum direct durch ſich ſelbſt, und indirect durch
die Bewegung, als welche in Zeit und Raum zugleich iſt; daher z. B.
eine Stunde Weges, und die Eutfernung der Firſterne, ausgedrückt
durch ſo viel Jahre Lauf des Lichtes.
Meßbar, d. h. ihrer Quantität nach beſtimmbar, iſt die Materie
als ſolche (die Maſſe) nur indirect, nämlich allein durch die Größe
der Bewegung, welche ſie empfängt und giebt, indem ſie fortgeſtoßen
oder angezogen wird. (W. II, Tafel der Praedicabilia a priori zu
5. 55, Nr. 18.)
Meſſe, bie gefungene.
Einen viel reineren muftlalifchen Genuß, als die Oper, gewährt die
gelungene Meſſe, deren meiſtens unvernommene Worte, oder endloß
wiederholte Hallelujah, Gloria, Eleifon, Amen u. |. w. zu einem
bloßen Solfeggio werben, in welchem die Mufif, nur den allgemeinen
Lirchencharakter bewahrend, ſich frei ergeht mud nicht, wie beim Opern⸗
gefange, in ihrem eigenen Gebiete von Miferen aller Art beeinträdh-
tigt wird; fo daß fie bier ungehindert alle ihre Kräfte entwidelt.
Meſſe und Symphonie allein geben ungetrübten, vollen mufikalifchen
Genuß; während in der Oper die Muſik fi mit den ſchalen Stüd
und feiner Afterpoefie elend herumquält und mit ber ihr aufgelegten
fremden Laſt durchzukommen fucht, jo gut fie kann. (P. II, 467 fg.)
Metalle.
1) Die Metalle als Beſtandtheile des leuchtenden Ur—
nebels.
In dem leuchtenden Urnebel, aus welchem nad) Laplaceſcher Kos—
106 Metamorphoſe — Meiaphyſil
mogonie bie bis zum Neptun reichende Sonne beſtand, kounten di
hemifchen Urxftoffe noch nicht actu, fondern blos potentia vorhanden
fein, aber das erſte und urſprüngliche Anseinandertreten der Mater
in Öydrogen und Orygen, Schwefel und Kohle, Azot, Chlor u. |. w.
wie auch in die verfchiedenen, einander jo ähnlichen und doch ſcharf
gefonderten Metalle, — war das erfte Anfchlagen des Grundaccorde
ber Welt. (PB. IL, 110.)
2) Muthmaßung Über die Zufammenfegung ber Re
talle.
Alle Metalle find wahrfcheinlich die Verbindung zweier uns nod
unbefaunter, abfoluter Urftoffe und unterfcheiden fich blos durch das
verhältuigmäßige Quantum beider, worauf auch ihr efektrifcher Gegen:
fats beruht, nad) einem Geſetze, demjenigen analog, im Folge deſſer
das Orygen der Bafis eines Salzes zu feinem Radical in umgefehrten
Berhältniffe desjenigen fteht, welches Beide in der Säure deſſelben
Salzes zu einander haben. Wenn man die Metalle in jene Beſtand⸗
theile zu zerfegen vermöchte; fo würde man wahrjcheinlich fie au
machen können. Da aber ift der Riegel vorgejchoben. (P. I, 110,
Aletamorphofe, der Pflanzen und der Infecten. (S. Pflanze un
Inf ecten.) |
Metapher.
Metapher, Gleichniß, Parabel und Allegorie unterſcheiden ſich nur
durch die Länge und Ausführlichkeit ihrer Darſtellung. Sie find un
den redenden Künften, wo es oft gilt, einen Begriff oder abfiracten
Gedanken durch ein Beifpiel zu veranfchaulihen, von trefflicher Wir
fung. (W. I, 284.)
Metaphyſik.
1) Urſprung der Metaphyſik.
Die Metaphyſik hat ihren Urſprung in dem metaphyſiſchen Bedürj⸗
niß des Menſchen. Der Menfch allein ift ein animal metaphysicun
und unterſcheidet ſich durch das ihm eigene Bedürfniß einer Detaphfil,
das aus der bei ihm in Wolge der Sonberung bes Intellects vom
Willen eingetretenen Befinnung nnd Verwunderung über das Daſein
entipringt, vom Thiere. (S. unter Menfch: Lnterfchied zwiſchen
Thier und Menfh.) Nur dem gebantenlofen Thiere fcheint fi die
Welt und das Daſein von felbft zu verftehen; dem Menſchen hingegen
ift fie ein Problem, beffen fogar der Roheſte und Bejchränftefte in
einzelnen helleren Augenblicken lebhaft inne wird, das aber „Jedem um
fo deutlicher und anhaltender in’s Bewußtſein tritt, je Heller und br
fonnener dieſes ift und je mehr Stoff zum Deufen er durch Bildung
fich angeeignet bat, welches Alles endlih in den zum Philofophiren
geeigneten Köpfen ſich zu derjenigen Berwunderung fleigert, die da?
Metaphufit 107
Problem bes Dafeins in feiner ganzen Größe erfaßt. In der That
ift die Unruhe, welche die nie ablaufende Uhr der Metaphyſik in Be-
wegung erhält, das Bewußtſein, daß das Nichtfein diefer Welt eben fo
möglich fei, wie ihr Dafein. (W. I, 175—177. 189 fe. 9. 334.)
Das metaphufifche Bebürfniß, welches fo unvertilgbar ift, wie irgend
ein phufiiches, macht ſich der Menfchheit zu allen Zeiten innig und
lebhaft fühlbar, am ftärkften aber, wenn das Anfehen der Glaubens:
iehre mehr und mehr gefunfen if. (©. 122. P. I, 160, — Bergl.
Glaube. Glaubenslehre.)
2) Definition der Metaphyſitk.
Unter Metaphyſik ift jede angebliche Erfenntniß zu verftehen, welche
über die Möglichkeit der Erfahrung, alfo über die Natur, oder bie
gegebene Erjcheinung der Dinge, hinausgeht, um Auffchluß zu ertheilen
über Das, wodurd; jene, in einem oder bem andern Sinne, bedingt
wäre, oder, populär zu reden, tiber Das, was hinter der Natur ſteckt
und fie möglich macht. (W. II, 180.) Die Metaphufil begnügt fi
nit damit, nur das Vorhandene, die Natur, Tennen zu lehren, zu
ordnen und in feinem Zuſammenhange zu betrachten ; jondern fie faßt
es auf als eine gegebene, aber irgendwie bedingte Erfcheinung, in
welder ein von ihre felbt verfchiedenes Weſen, welches das Ding an
fich iſt, ſich darſtellt. Diefes nun fucht fie näher kennen zu lernen.
$. I, 19.) Die Metaphyſik geht über die Erfcheinung, d. i. bie
Natur Hinans, zum dem in oder hinter ihr Verborgenen (To pero To
quoucov), es jedoch immer nur als das in ihr Erfcheinende, nicht aber
mabhängig von aller Erfcheinung betrachtend; fie bleibt daher imma»
nent und wird nicht transfcendent. Denn fie reißt fid) von der Er-
fahrung nie ganz 108, fondern bleibt die bloße Deutung und Aus-
legung derfelben, da fie vom Dinge an fid) nie anders, als in feiner
Beziehung zur Erfcheinung redet. (W. II, 203.) Der Grund und
Boden, auf dem alle unfere Erkenntniſſe und Wiſſenſchaften ruhen, ift
das Unerklärliche. Auf diefes führt daher jede Erklärung, mittelfl
mehr ober weniger Mittelglieder, zurüd. Dieſes Unerklärliche fällt der
Metaphyſik anheim. (PB. II, 3. W. I, 97. P. II, 151.)
3) Eintheilung der Metaphyſik.
Die Metaphufil zerfällt in drei Theile:
1) Metaphyſik der Natur,
2) Metaphufil des Schönen,
3) Metaphyſik der Sitten.
Die Metaphyſik der Natur betrachtet das Ding an fich, das innere
und fette Weſen der Erfcheinung, ben Willen, wie er in ber äußern
Natur ih darftelt. Die Metapkufit des Schönen nimmt die voll«
fommenfte und reinſte Auffaffung feiner äußern ober objectiven Er⸗
ſcheinung in Betracht. Die Metaphyſik der Sitten unterfucht feine
unmittelbare Danifeftation in unſerm Innern. (P. II, 20.)
108 Metaphyfit
4) Die Erlenntnißguellen der Metaphyſilk.
Die Mittel zur Löſung des Problems der Metaphufil find theils
das Zufammenbringen der äußern mit ber innern Erfahrung; theils
die Erlangung eines Berftändnifies der gefammten Erfcheinung, mittelf
Auffindung ihres Sinnes und Zufammenhanges, — zu vergleichen der
Ableſung bis dahin räthielhafter Charaktere einer unbelannten Schrift.
(PB. HI, 19.) Die Metaphufil ift weder eine Wiflenfchaft aus bloßen
Begriffen, noch ift fie ein Syftem von Folgerungen aus Sätzen a prion;
fondern fie ift ein Wiffen, gefchöpft aus ber Anfchauung der äußer,
wirfiihen Welt und dem Auffchluß, welchen über diefe die intimf:
Thatfache des Selbftbewußtfeind Tiefert, niedergelegt in deutliche Be—
griff. Sie ift deinnady Erfahrungswiſſenſchaft; aber nicht einzelie
Erfahrungen, fondern das Ganze und Allgemeine aller Erfahrung it
ihr Gegenſtand und ihre Duelle. (W. II, 199— 204.)
5) Unterfchied zweier Arten von Metaphufil.
Die große urfprüngliche Berfchiedenheit der Verftandesfräfte, wozu
noch die der Ausbildung derjelben kommt, jetzt einen fo großen Unter:
ſchied zwiſchen Menſchen, dag nicht wohl eine Metaphyſik für Ale
ausreichen kann; daher wir bei den civilifirten Völkern durchgängig
zwei verfchiedene Arten derfelben antreffen, deren eine ihre Beglaubigung
in ſich, die andere außer fich hat. Jene ift die philofophifde,
biefe die religiöfe Metaphyſik, die man auch als Volksmetaphyfil
bezeichnen fanıı. Jene erfordert Nachdenken, Bildung, Muße und Ur
teil, kann daher nur äußerſt Wenigen zugänglich fein. Diefe ftütt
fi auf Offenbarung, documentirt durch Zeichen und Wunder, und il
daher für die große Anzahl der Menfchen, als welche nicht zu denken,
fondern nur zu glauben befähigt und nicht für Gründe, fondern nur
für Autorität empfänglih ift. Beide Arten ber Metaphyſik, deren
Unterfchied ſich Kurz durd) Ueberzeugungslehre und Glaubenslehre be:
zeichnen läßt, haben Dies gemein, daß jedes einzelne Syſtem derjelben
in einen feindlichen Verhältniß zu allen übrigen feiner Art fteht.
(W. UI, 180 fg.)
Ein Syſtem der erften Art, alfo eine Philofophie, macht den An
ſpruch und hat daher die Verpflichtung, in Allen, was fie jagt, sensu
stricto et proprio wahr zu fein; denn fie wendet fid) an das Denfen
und die Ueberzeugung. Cine Religion hingegen, fiir die Unzähligen
beftinnmt, welche die tiefften und fehwierigften Wahrheiten sensu proprio
zu faffen unfähig find, hat aud) nur die Verpflichtung sensu allegorio
wahr zu fein. ft fie diefes, fo erfüllt fie ihre Beftimmung für de
große Menge und kann unangefochten neben der philofophifchen Mete-
phyſik beftchen. Ihre allegorifche Natur entzieht die Religionen
den der Philofophie obliegenden Beweiſen und überhaupt der Prüfung.
Dadurch aber, daß bie Religionen ihre allegorifche Natur nie einge
ftehen dürfen, fondern fi als sensu proprio wahr zu behauplen
haben, thun fie einen Eingriff in das Gebiet der eigentlichen (phil
Metaphufit 109
jophifchen) Metaphyſik und rufen den Antagonismus diefer hervor, ber
daher zu allen Zeiten, an denen fie nicht an die Kette gelegt worden,
fi) äußert. (W. II, 183 fg.)
6) Zwei Elaffen von Menſchen, die von der Meta-
phyſik leben.
Niemals Hat es an Leuten gefehlt, welche auf das metaphufifche
Bedürfniß des Menfchen ihren Unterhalt zu gründen und bafjelbe mög⸗
lichſt auszubeuten bemüht waren. Die eine und zahlreichfte Claſſe der-
jelben find die Priefter, die Monopoliſten und Generalpächter deſſelben,
denen jedoch ihr Gewerbe überall dadurch gefichert werden mußte, daß
fie da8 Hecht erhielten, ihre metaphyſiſchen Dogmen den Menſchen
Ihon in der erften Kindheit, ehe noch die Urtheilsfraft erwacht ift,
beizubringen. Eine zweite, wiewohl nicht zahlreiche Claſſe machen Die
aus, die von ber. Philoſophie leben; bei den Griechen hießen fie
Sophiften, bei Neuern Profefforen der Philoſophie. (W. II, 178 fg.)
7) Berhältniß der Metaphyſik zur Phyſik.
In der Natur der Erklärungen, welche die Phyſik (im weiteften
Sinne des Wort) von den Erfcheinungen giebt, Liegt ſchon, daß fie
nicht genügen können. Die Phyfit vermag nicht anf eigenen Yüßen
zu fliehen, fondern bedarf einer Metaphyſik; fich darauf zu ftüßen;
denn fie erflärt die Erfcheinungen durch ein noch Unbelannteres, als
diefe ſelbſt find: durch Naturgefege, beruhend auf Naturfräften. Aller-
dinge muß der ganze gegenwärtige Zuftend aller Dinge nothtvendig
ans rein phyſiſchen Urfachen erflärbar fein. Allein eben fo nothmwendig
müßte eine folche Erflärung ftets mit zwei wefentlichen Unvolllommen⸗
heiten behaftet fein, verniöge welcher alles fo Erklärte doch wieder
eigentlich unerklärt bliebe. Erftlih nämlich mit diefer, daß der An=
fang der Alles erflärenden Kette von Urfachen und Wirkungen unauf-
börlich ins Unendliche zurückweicht, und zweitens mit diefer, daß ſämmt⸗
lihe wirkende Urſachen, aus’ denen man Alles erklärt, ſtets auf einem
völlig Unerflärbaren beruhen, nämlicd; auf den urfprünglichen Ouali-
täten der Dinge und den in diefen fich hervortfuenden Natur
träften. (Vergl. Uetiologie.) Diefe beiden Mängel zeigen an, daß
die phyfifche Erflärung als ſolche ungenügend ift und noch einer
metaphyfifchen bedarf, welche den Schlüffel zu allen ihren Boraus-
ſetzungen Liefert, eben deshalb aber aud) einen ganz andern Weg ein-
Ihlagen muß. (W. II, 191—196.) Wie große Yortfchritte auch die
Phyſik je machen möge; fo wird damit noch nicht der Heinfte Schritt
zum Metaphyſik gefchehen fein. Denn folche Bortfchritte werden
immer nur die Erkenntuiß der Erſcheinung vervollftändigen; während
die Metaphyſik über die Erſcheinung felbft hinausſtrebt zum Erſchei—
nenden. (W. II, 197. P. II, 98. 9. 337.) Iedoch ift anderer-
ſeits anzuerkennen, daß die möglichft vollftändige Naturerkenntniß die
berihtigte Darlegung des Problems der Metaphyſik ift; daher
is ime zmjanımenhängenbe
Kcantsıi air Aweige ber Ararmcitenider: je erwerben zu haben
⸗ sr Sfr vechneßen (B. II, 198)
Zu Masyi:t! swndche Yez Geurg der Fu mie, fondern nimmt
nur den :ı:den ba au, we ice Are Bergen Gügt, mämlich bei den m:
Feen zIe Jautalerflärung ihre Sränze hat.
Dier er hebt die metasigiidge Srfkürumg ans dem Villen ala Ding
an fih au. WB. I, 339, Wei jegüches Weſen im ber Natur zı-
gleih Eriheinung und Tirg am jidh, ober amd natura naturata
und natura natarans ifi; ie If es bemgemäß einer zwiefachen Sci:
rung fähig, einer phyſiſchen umb eımer metephyjiidhen. Die pi
file if allemal aus der Urjache, die merspimfijdge allemal aus dem
Ting an fi, dem Willen P. II, 98
8) Möglichkeit einer Metaphyfik, welcher Gewißpeit
und Unwanbelbarleit zukommt. |
Der nicht abzulengnende Urfprung der Meiaphyſik aus empiriſchen
Erfenntnißguellen benimmt ihr freilich die Art apodictifcher Gewißheit,
weldye allein durch Erkenntniß a priori möglich ift; dieſe bleibt dat
Eigenthum der Logik und Mathematit. Höchſtens lafſen noch die aller⸗
erftien Elemente der Naturlehre ſich ans der Erkenntniß a priori ab⸗
leiten. Durch dieſes Eingeftändnig giebt die Metaphyſik nur cinen
alten Anſpruch auf, welcher auf Mißverſtändniß beruhte umd gegen
weichen die große Verſchiedenheit und Wandelbarkeit der metaphyſiſchen
Syſteme jederzeit gezeugt hat. Gegen ihre Möglichkeit überhaupt fan
jedoch diefe Wandelbarkeit nicht geltend gemacht werden; da dielelbe
eben fo fehr alle Zweige der Naturwiſſenſchaft und fogar die Geſchicht
trifft. Wenn aber einmal ein, fomweit die Schranken des menſchlichen
Intellect® es zulaffen, richtiges Syftem der Metaphyſik gefunden je
wird; fo wird ihm die Unmwandelbarkeit einer a priori erfannten Wiſſen
Schaft doch zulommen, weil fein Yundament nur die Erfahrung
überhaupt fein kann, nicht aber die einzelnen und befondern Erfah
rungen, durch welche Bingegen die Naturwiſſeuſchaften und bie Ge—
ſchichte mobiflcirt werden. Denn die Erfahrung im Ganzen und Al:
gemeinen wird nie ihren Charakter gegen einen neuen vertauſchen.
(W. II, 201 fg.) Die Unmöglichkeit einer Metaphyſik auf dem Wege
der vorfantifchen Dogmatik, welde nach gewiſſen und a priori be
wußten Gefepen vom Gegebenen auf das Nichtgegebene, von ber dolge
auf den Grund, alfo von der Erfahrung auf das über ihr Seiende
fliegen wollte, that Kant dar. Allein es giebt noch andere Wege
zur Metaphyſik. Das Ganze der Erfahrung gleicht einer Gehe:
Schrift, deren Gntzifferung ſich durch den überall hervortretenden Bu
fammenbang bewährt. Wenn diefes Ganze nur tief genng gefaßt und
an die änfere die innere Erfahrung gefnüpft wird, fo muß e8 ans ſich
jelbft gedentet, ausgelegt werden können. (W. U, 202 fg; I,
505 — 507.)
Metaphufif 111
9) Kennzeichen der wahren Metaphyſik.
Eine folche Entzifferung der Welt in Beziehung auf das in ihr
Erſcheinende, wie die Metaphyſik ıft, muß ihre Bewährung aus fich
felbit erhalten, durch die Webereinftimmung, in welche fie die fo ver-
ihiebenartigen Erfcheinungen der Welt zu einander fett. Wenn man
eine Schrift findet, deren Alphabet unbekannt ift; fo verſucht man die
Anslegung folange, bis man auf eine Annahme der Bedeutung der
Buchſtaben geräth, unter welcher fie verftändliche Worte und zufammen-
bängende Perioden bilden. ‘Dann aber bleibt Fein Zweifel an der
Richtigfeit der Entzifferung; weil e8 nicht möglich ift, daß die Ueber⸗
einftimmung und ber Zujammenhang blos zufällig wäre. Auf ähn-
liche Art muß die Entzifferung der Welt fih aus ſich felbft vollfom-
men bewähren. Sie muß ein gleichmäßiges Licht über alle Erfchei-
nungen ber Welt verbreiten und auch die Heterogenften in Ueberein⸗
ſtimmung bringen, fo daß auch zwiſchen ben contraftirendften der
Widerſpruch gelöft wird. Diefe Bewährung aus fich felbft ift das
Kennzeichen ihrer Acchtheit. Denn jede falſche Entzifferung wird, wenn
fie auch zu einigen Erfcheinungen paßt, den übrigen defto greller wider:
ſprechen, wie ſich denn aud) thatfächlich ein unabfehbares Regiſter der
Widerſprüche dogmatifcher Aunahmen mit der gegebenen Wirklichkeit
der Dinge zufammenftellen läßt. Hingegen erweift ſich das gefundene
ort eines Räthſels als das rechte dadurch, daß alle Ausfagen deffelben
zu ihm paſſen. (W. II, 204— 206.)
10) Urfache der geringen Fortſchritte ber Metaphyſik.
Wenn man der Metaphyſik vorwirft, im Laufe ber Jahrhunderte
fo geringe Fortfchritte gemacht zu Haben; fo follte man auch berüd-
fihtigen, daß feine andere Wiffenfchaft gleich ihr unter fortwährendem
Drud erwadhfen, feine von Außen jo gehemmt und gehindert worden
it, wie fie allezeit dur die Religion jedes Landes. Nicht allein auf
die Mittheilung der Gedanken, fondern auf das Denken felbft erftrcdt
fid) der von der privilegirten Metaphyſik, der Landesreligion, ausge⸗
übte Zwang, dadurch, daß ihre Dogmen dem zarten, bildfanten, ver⸗
trauenspollen und gebdanfenlojen Kindesalter fo feit und feierlich einge-
prägt werben, daß fie von dem an mit bem Gehirn verwachſen und
foft die Natur angeborener Gedanken annehmen. (W. II, 207 fg.
?. U, 14.) .
(Ueber den Borzug der Alten vor den Neuen in Hinſicht auf die
für Fortfchritte in der Metaphyſik nöthige Denkfreiheit |. d. Alten.)
11) Dienft, den die Metaphyfif der Menfhheit ge-
leiftet bat.
Bei dem Vorwurf der geringen Fortichritte der Metaphyſik und
ihres noch immer nicht erreichten Zieles follte man erwägen, daß fie
unterweilen immerfort den unfchätbaren Dienft geleiftet hat, ben un⸗
112 Metaphyſik
endlichen Anſprüchen der privilegirten Metaphyſik (der Landesreligionen)
Gränzen zu fetzen und dabei zugleich doch dem, gerade durch dieſe ale
unausbleibliche Reaction Herborgerufenen, eigentlichen Naturalismus und
Materialismus entgegen zu arbeiten. Man bedenke, wohin e8 mit den
Aumaßungen der Jueſteſhet jeder Religion kommen witrde, wenn der
Glaube an ihre Lehren fo feft und blind wäre, wie jeme eigentlich
wünfdt. (W. IL, 208 fg.) Das Stubinm der Metaphyſik fiellt ſich
dem Betruge tiber die Gegenftände derſelben, db. h. den pofitiven
Religionen, als Schutwehr entgegen. (H. 334.)
12) Verpflichtung der Metaphyſik.
Die Metaphyſik hat nur eine einzige Verpflichtung; denn es if
eine, bie Feine andere neben fich duldet: die Verpflichtung wahr zu
fein. Wollte man neben bdiefer ihr noch andere auflegen, wie etwa die,
fpiritualiftifch, optiuiſtiſch, ja auch nur die, moralifch zu fein; fo lam
man nicht zum voraus wiſſen, ob diefe nicht der Erfüllung jener erſten
entgegenfländen, ohne welche alle ihre fonftigen Leiftungen offenbar werth
108 fein müßten. (W. IL, 209.)
13) Schranken der Metaphyſik.
Obwohl Metaphyſik als widerfpruchlofe Entzifferung der Welt mög.
lich ift, fo ift fie e8 doch nicht in dem Sinne, daß fie fein Problem
zu löfen übrig, feine mögliche Frage unbeantwortet Tieße. Dergleihen
zu behaupten, wäre eine vermefiene Ablengnung der Schranfen mid:
licher Erkenntuiß überhaupt. Die legte Loſung des Häthfels der Welt
müßte nothwendig blos von den Dingen an ſich, nicht mehr von Er:
fcheinungen reden. Aber gerade auf diefe allein find alle unfere Er⸗—
fenntnißformen angelegt; daher müſſen wir uns Alles durch ein Neben:
einander, Nacheinander und Caufalitätsverhältniffe faßlich machen. Aber
die Dinge an fich felbft und ihre möglichen Verhältniſſe laſſen fid
durch jene Formen nicht erfaffen. (Bergl. Ding an fich.) Daher
muß die wirkliche pofitive Löfung des Räthſels der Welt etwas fen,
das ber menfchliche Intellect zu faſſen und zu denken unfähig if.
(W. II, 206.) Die Löfung des Räthſels der Welt ift mr innerhalb
gewiffer Schraufen, die von unferer endlichen Natur unzertrennlic find,
möglih, mithin fo, daß wir zum richtigen Verſtändniß ber Welt ge:
langen, ohne jedoch eine abgefchloffene und alle ferneren Probleme auf:
hebende Erflärung ihres Dafeins zu erreichen. (W. I, 507.) Kant
bat nachgewiefen, daß die Probleme der Metaphyſik keiner birecten,
überhaupt Feiner genügenden Löſung fähig feien. Dies num aber be⸗
ruht im legten Grunde darauf, daß fie ihren Urfprung in den Formen
unfers Intellects, Zeit, Raum und Caufalität haben, während bieler
Jutellect blos die Beftimmung hat, dem individuellen Willen die Gegen⸗
ftände feines Wollens nebft den Mitteln zu ihrer Erreichung zu zeigen.
Wird jedoch diefer Intellect abusive auf das Wefen an fich der Dinge
gerichtet, fo gebären bie befagten, ihm anhängenben Formen ihm bie
Metempfgchofe 113
metapbufifchen Probleme. Denken wir uns nun aber einmal jene
Formen aufgehoben, fo witrden diefe Probleme ganz wegfallen. (P. II,
103; I, 90.)
14) Die praltifde Metaphyſik. (S. Magie und Magne-
tiſsmus.)
Metempſychoſe.
1) Inhalt und hoher Werth des Mythos von der
Metempfychofe.
Die Erkenntniß der ewigen Gerechtigkeit (f. unter Öeredtig-
feit:. die ewige Gerechtigkeit), welche gänzlihe Erhebung tiber die
Individualität und das Princip ihrer Möglichleit erfordert, wird der
Mehrzahl der Menſchen ftets nur in Yorm des Mythos zugänglich
bleiben. Das Bolt empfing daher ein Surrogat jener großen Wahr-
keit, welches als Regulativ flir das Handeln hinreichend war, in dem
Mythos von der Seelenmanderung. Derſelbe lehrt, dag alle Leiden,
welhe man im Leben über andere Weſen verhängt, in einem folgenden
Leben auf eben diefer Welt, genau durch die felben Leiden wieder ab»
gebüßt werben müſſen. Er lehrt, daß böfer Wandel ein künftiges
Leben, auf diefer Welt, in leidenden und verachteten Wefen nad) ſich
zieht. Alle Qualen, die der Mythos droht, belegt er mit Anfchauungen
aus der wirklichen Welt, durch leidende Wefen, welche auch nicht wiflen,
wie fie ihre Dual verfchulbet Haben, und er braucht feine andere Hölle
zu Hilfe zu nehmen. Als Belohnung aber verheißt er dagegen Wieder:
geburt in befleren, edleren Geftalten. Die höchſte Belohnung, welde
der edelften Thaten und der völligen Refignation wartet, fann ber
Mythos in der Sprache diefer Welt nur negativ ausbritden, durch die
Verheißung, gar nicht mehr wiebergeboren zu werden. — Nie hat ein
Mythos und nie wird einer fich der fo Wenigen zugänglichen philo-
ſophiſchen Wahrheit enger anfchließen, als diefe uralte Lehre bes älteften
und ebelften Volles. Jenes non plus ultra mythiſcher Darftellung
haben daher ſchon Pythagoras und Platon mit Bernunderung aufge.
faßt, von Imdien oder Aegypten herübergenommen, verehrt, angewandt
und, wir wiſſen nicht wie weit, felbft geglaubt. (W. I, 419-421.)
Die Lehre von der Metempfychofe entfernt fi) von der Wahrheit blos
dadurch, daß fie in bie Zukunft verlegt, was ſchon jest ift. Sie läßt
nämlich mein inneres Weſen an ſich exft nad) meinem Tode in Andern
bafein, während der Wahrheit nach es fchon jegt auch in ihnen lebt,
und der Tob blos die Täufchung, vermöge deren ich deſſen nicht inne
werde, aufhebt. (W. IL, 688 fg.)
2) Allgemeine Berbreitung der Lehre von der Metem-
pſychofe.
Die Lehre von der Metempſychoſe, aus den urälteſten und edelften
Zeiten des Menfchengefchlechts ftammend, war ſtets auf ber Erde ver-
Sqhopenhauer⸗Lexiton. II. 8
114 Metempſychoſe
breitet als der Glaube der großen Majorität des Menſchengeſchlechu,
ja, eigentlich als Lehre aller Religionen, mit Ausnahme der jildiſchen
und der zwei don dieſer ausgegangenen; am fubtilften jedod) und der
Wahrheit am nächſten kommend im Buddhaismus. (Vergl. Buddhait-
uns.) Während demgemäß die Chriften ſich tröften mit dem Wieder:
fehen in einer andern Welt, ift in jenen übrigen Religionen das Wieter-
fehen jchon jegt im Gange, jedoch incognito; nümlich im Kreislauf der
Geburten und Traft der Metempfychofe, oder Palingenefie, werden die
Perfonen, welche jett in naher Verbindung oder Berlihrung mit und
ftehen, auch bei der nächften Geburt zugleich mit uns geboren. —
Was dem ber das ganze Menfchengefchleht verbreiteten und ta
MWeifen, wie dem Volle einleuchtenden Glauben an Metempfocofe nt:
gegenfteht ift das Judenthum, nebft den aus dieſem entfprofjenen zwei
Religionen mit ihrer Lehre von der Schöpfung bes Menſchen aus
Nichts. Wie fchwer es ihnen jedoch geworden, jenen tröſtlichen Ur-
glauben der Menſchheit zu verdrängen, bezeugt die ältefte Kirden-
gefchichte. Die Tuben felbft find zum Theil hineingerathen. In
Chriftentyum ift übrigens an die Stelle der Seelenwanderung und de
Abbüßung aller in einem frühern Leben begangenen Sünden durch die
felbe die Lehre von der Erbſünde getreten, d. h. von der Buße für die
Sünde eines andern Individuums. Beide nämlich ibentificiren, und
zwar mit moralifcher Tendenz, ben vorhandenen Menſchen mit eimm
früher dageweſenen, die Seelenwanderung unmittelbar, die Exbjink
mittelbar. (W, II, 575-579.)
3) na anfigemäßgeit des Glaubens an Metempiy:
ofe.
Der Glaube an Metempfychoſe ftellt fi, wenn mau auf feine al-
gemeine DBerbreitung fieht, dar als die natürliche Leberzeugung de
Menfchen, ſobald er, unbefangen, irgend nachdenkt. Er wäre beumad
wirfih Das, was Kant fälfchlich vor feinen drei vorgeblichen Ideen
der Vernunft behauptet, nämlich ein ber menſchlichen Vernunft natür
liches, aus ihren eigenen Formen bervorgebendes Philofophen; und wo
er fi nicht findet, wäre er durch pofitive, anderweitige Religions
lehren erft verdrängt. Auch leuchtet er Jedem, ber zum erften Mol
davon hört, fogleich ein. (W. IL, 578.) Der Mythos von der Seen
wanberung Eöunte, in Kants Sprache, ein Poftulat der praftifcen
Bernunft genannt werden; als ein ſolches betrachtet aber hat er den
Vorzug, gar keine Elemente zu enthalten, als die im Neiche der Wir
fichfeit vor unfern Augen liegen, und daher alle feine Begriffe mit
Anſchauungen belegen zu können. (W. I, 420.)
4) Der moralifhe Sinn der Metempfucofe
Der moralifche Sinn der Metempſychoſe in allen inbifchen Religionen
ift nicht blos, daß wir jebes Unrecht, welches wir verüben, in ein
folgenden Wiedergeburt abzubüßen haben; fondern auch, daß wir jet
Methode. Methodologie 115
Unrecht, welches uns wiberfährt, anfehen müſſen als wohlverbient, durch
unfere Miffethaten in einem frühern Daſein. (P. II, 430.)
5) Unterfchied zwifhen Metempfyhofe und Palin»
genefie,
Sehr wohl könnte man unterfcheiten Metempfycofe, als Weber-
gang der gefammten fogenannten Seele in einen andern Leib, — und
Palingenefie, als Zerfegung und Neubildung des Individui, in⸗
dem allein fein Wille beharrt und, die Geftalt eines neuen Weſens
annchmenb, einen neuen Intellect erhält. (PB. II, 293 fg. W. I,
574 fg. — Bergl. unter Individuation; Individualität: Zer-
jegung des Individuums durch den Tod.) Mit diefer Anficht ftimmt .
auch die eigentliche, fo zu fagen ejoterifche Fehre des Buddhaismus
überein, indem fie nicht Metempfychofe, fonbern eine eigenthümliche,
auf moralifcher Baſis ruhende Balingenefie lehrt. (W. U, 574.
®. II, 293. — Bergl. Buddhaismus.)
Acthode. Methodologie.
1) Allgemeine Regel zur Methode alles Philofophi-
rens, ja alles Wiffens überhaupt.
Bie ſchon Plato und Kant anempfohlen, foll man zweien Geſetzen,
dem der Homogeneität und dem der Specification auf gleiche
Beife, nicht aber dem einen zum Nachtheil des andern, Genlige leiften.
Das Geſetz der Homogeneität heißt ung die Arten der Dinge er-
fafien, diefe eben fo zu Gattungen, und dieſe zu Geſchlechtern ver-
einigen, bi® wir zum oberften Alles umfafjenden Begriff gelangen.
Diefes unferer Bernumft weſentliche Geſetz fegt Uebereinſtimmung ber
Natur mit ſich voraus, welche Borausfegung ausgedrückt ift in ber
alten Regel: entia praeter necessitatem non esse multiplicanda. —
Das Geſetz der Specification, von Kant fo ausgebrüdt: entium
varietates non temere esse minuendas, heiſcht, daß wir die unter
emem vielumfafienden &efchlechtsbegriff vereinigten Gattungen und
wiederum die unter biefen begrifjenen, höhern und niedern Arten wohl
mterfcheiden, uns hütend, irgend einen Sprung zu machen und wohl
gar die niebern Arten, ober vollends Individuen, unntittelbar unter den
Geſchlechtsbegriff zu ſubſumiren. (©. 1 fg. W. I, 98. 132. — Ueber
die wahre Methode der PBhilofophie vergl. unter Philofophie: Me-
Ihode der Philofophie.)
2) Gegenſatz der analytifhen und fynthetifchen Me-
thode.
. Die analytiſche Methode beſteht im Zurückführen des Gegebenen auf
ein zugeſtandenes Priucip, die ſynthetiſche hingegen in dem Ableiten
aus einem folhen. Sie haben daher Analogie mit der Epagoge und
Apagoge (f. Epagoge und Apagoge), nur daß Iegtere nicht auf
das Begründen, fondern ftets auf das Umftoßen von Sägen gerichtet
8*
116 Merum — Mitkrokosmos und Makrofosmos
ft. Die analytiſche Methode geht von den Thatſachen, dem Beſon⸗
bern, zu den Lehrfäten, dem Allgemeinen, oder von den Folgen zu deu
Gründen; die andere umgekehrt. Daher wäre e8 viel richtiger, fie al
bie inductive und die deductive Methode zu bezeichnen; denn die
hergebrachten Namen find unpafiend und drücken die Sache ſchlecht
aus. (W. II, 133.)
Die inductive Methode giebt nie ſolche Gewißheit, wie die bebuctixe.
Alle empirische Anfchauung und der größte Theil aller Erfahrung geht
von der Yolge zum Grunde, beruft alfo auf Inbuction. Da um
aber diefe Erfenntnißart nicht unfehlbar ift, weil Nothwendigfeit allem
ber Folge zulommt, fofern der Grund gegeben ift, nicht aber ber Er⸗
fenntniß des rundes aus ber Folge, da diefelbe Folge aus verfcie:
denen Gründen entfpringen kann; fo ift die Wahrheit Hier auch nie
fo gewiß, wie bei den die Folge ans dem Grunde erfennenden be-
ductiven Willenfchaften. (W. I, 91 fg.)
3) Die ſokratiſche Methode.
Der Bortheil ber fokratifchen Methode, wie wir fie aus dem Plato
fennen lernen, befteht darin, daß man ſich die Gründe der Sätze,
welche man zu beweiſen beabfichtigt, vom Collocutor oder Gegner cin
zeln zugeben läßt, ehe er die Folgen bderfelben überfehen bat; da cr
bingegen aus einem bibaktifchen Vortrage in fortlaufender Rede Folgen
und Gründe gleich als ſolche zu erkennen Gelegenheit haben und
daher diefe angreifen würde, wenn ihm jeme nicht gefielen. (P. I, 46.,
4) Untergeorbneter Werth der Methodologie.
Wollte ein PHilofoph damit anfangen, die Methode, nad der er
pbilofopgiren will, fich auszudenfen; jo gliche er einem Dichter, der ı
zuerft fich eine Aeſthetik fchriebe, um fodann nad) diefer zu bichten;
Beide aber glichen einem Menſchen, der zuerft fich ein Lieb fänge und
hinterher danach tanzte. Der denkende Geift muß feinen Weg aus
urfprünglihem Triebe finden, Regel und Anwendung, Methode und
Leiftung müffen, wie Materie und Form, uuzertrennlich auftreten.
Aber nachdem man angelangt ift, mag man den zurückgelegten Weg
betrachten. Aeſthetik und Methodologie find, ihrer Natur nad), jünger
als Poeſie und Philofophie; wie die Grammatik jünger ift als bie
Sprache, der Generalbaß jünger als die Mufil, die Logik jünger als
das Denken. (W. U, 133 fg.)
Metrum, ſ. unter Boefie: Hülfsmittel der Poefle.
Mikrokosmos und Alakrokosmos.
1) Identität des Wefens des Mikrokosmos und Me
frofo8smos.
Das Weſen an ſich des Menfchen kann nur im Berein mit dem
Weſen an fich aller Dinge, alfo der Welt, verftanden werben. Mir
Mifanthropie 117
losmos und Makrokosmos erläutern ſich nämlich gegenfeitig, wobei fie
ale im Wefentlichen da8 Selbe fich ergeben. (PB. I, 20.) In jedem
Einzelnen erjcheint der ganze ungetheilte Wille zum Leben, das Werfen
an fi, umd dev Mikrokosmos ift dem Makrokosmos gleich. (W. II, 676.)
Jeder findet fich ſelbſt als diefen Willen, in welchem das innere Wefen
ber Welt befteht, fo wie er fich auch als das erfennende Subject findet,
deſſen Borftellung die ganze Welt ift, welche infofern nur in Bezug
auf fein Bewußtſein, als ihren nothwendigen Träger, ein Dafein hat.
Jeder ift alfo in diefem doppelten Betracht die ganze Welt felbft, ber
Mikrokosmos findet beide Seiten berfelben ganz und vollftändig in fidh
felbft. Und mas er fo als fein eigenes Weſen erfennt, bafjelbe er»
ſchöpft auch das Wehen ber ganzen Welt, des Makrokosmos; auch fie
alſo iſt, wie er ſelbſt, durch und durch Wille, und durch und durch
Vorſtellung, und nichts bleibt weiter übrig. (W. I, 193.)
2) Darſtellungen des Zuſammenhanges des Mikro—
kosmos und Makrokosſsmos in der Mythologie.
Der Zufammenhang, ja die Einheit der menſchlichen mit der thie-
riſchen und ganzen übrigen Natur, mithin des Mikrokosmos mit dem
Makrokosmos, fpricht auß der geheimnißvollen, räthſelſchwangern Sphinz,
ans den Kentauren, aus der Ephefifchen Artemis mit den, unter ihren
zahlloſen Brüften angebrachten, mannigfaltigen Thiergeftalten, eben wie
aus den Aegyptiſchen Menfchenförpern mit Thierföpfen und dem indi-
Ihen Sanefa, endlich aud) aus ben Ninivitifchen Stieren und Löwen
mit Menſchenköpfen, die und an den Avatar als Menſchlöwe erinnern.
($. II, 442.)
Aifanthropie.
1) Entſtehung der Mifanthropie.
Bei ber objectiven Erregung des Uebelwollens durch den Anblid ber
Lafter, Fehler, Schwächen, Thorheiten, Mängel und Unvollkommenheiten
aller Art, welchen mehr oder weniger Jeder den Andern darbietet, kann
es fo weit kommen, daß vieleiht Manchem, zumal in Augenbliden
hypochondriſcher Berftimmung die Welt, von der äfthetifchen Seite be-
tradıtet, als ein Karikaturenkabinet, von der intellectuellen als ein
Rorrenhaus, und von der moralifhen als eine Gaunerherberge erfcheint.
Bird folche Verſtimmung bleibend; fo entfteht Miſanthropie. (E. 199.)
2) Einfluß des Lebensalters auf bie Mifanthropie.
Jeder irgend vorzügliche Menſch wird nad) dem vierzigften Jahre
bon einem gewifien Anfluge von Miſanthropie fchwerlich frei bleiben.
Denn er hatte, wie es natürlich ift, von fi auf Andere gefchlofien
und ift allmälig enttäufcht worden, hat eingefchen, daß fie entweder
von der Seite des Kopfes, oder des Herzens, meiftens fogar Beider,
ihm in Rüdftand bleiben; weshalb er ſich mit ihnen einzulafjen ver⸗
meidet, wie denn überhaupt Jeder nach Maßgabe feines innern Wer⸗
118 Miffionäre. Miffionswefen
thes die Einſamkeit lieben oder haflen wird. (P. I, 514.) Min :
tbropie und Liebe zur Einſamkeit find Wechſelbegriffe. (9. 452.)
3) Unterfhied zwiſchen Miſanthropie und der gemöhn:
lichen Feindfeligteit der Böfen.
Der Menſchenhaß eines Timon von Athen ift etwas ganz Andere,
al8 die gewöhnliche Feindſeligkeit der Böfen. Teuer entſteht aus cine
“ objectiven Erfenntnig ber Bosheit und Thorheit der Menſchen im A:
gemeinen und ift eine Art eblen Unwiſlens. Diefe hingegen ift ewat
ganz Subjectives, nicht aus der Erkenntniß, fonderu aus ben Biln
entftanden und auf Einzelne ſich beziehend. Der Miſanthrop verhält
fi zum gewöhnlichen Yeindfeligen, wie der Asket zum Selbftmörber.
Die Teindfeligfeit und der Selbftmord gehen nur auf einen einzeln
Tal, Mifarityropie und Refignation auf das Ganze. Feindſeligkeit
und Selbftmord wären mit Aufhebung des einzelnen Falls verrdwm:
den; Miſanthropie und Reſignation aber ftehen feft und werden von
nicht8 Zeitlihem bewegt. (M. 278 fg.)
Aiffionäre. Miffionswefen. |
1) Ueber das Miffionswefen im Allgemeinen.
|
Wenn wir erwägen, daß es fiir dad Gelingen ber Glanbenkeis- |
impfung wefentlich ift, daß fle im zarten Kindesalter gefchehe; fo wirt |
und das Miffionswefen nicht mehr blos als der Gipfel menihlige }
Zudringlichfeit, Arroganz und Impertinenz, fondern auch als abjut |
ericheinen, fo meit nämlich, als es fich nicht auf Böller beichräntt, |
die noch im Zuſtande der Kindheit find, wie etwa Sottentotien,
Kaffern, Stdfeeinfulaner und dergleichen, wo es demgemäß auch wil:
ich Erfolg gehabt hat; während Hingegen in Indien die Brahmanen
die Vorträge der Miffionarien mit herablaffendem beifälligem Lächeln,
oder mit Adhfelzuden erwidern und überhaupt unter diefem Volle, der
bequemſten Gelegenheit ungeachtet, bie Bekehrungsverſuche der Mifie-
narien durchgängig gefcheitert find. (BP. II, 351.)
2) Warum die Bemühungen der Miffionäre in Ajien
ſcheitern müſſen.
Vergleicht man den Geiſt der Hindoſtaniſchen Glaubenslehren wit
dem der Europäifchen und erkennt den Vorzug jener vor dieſen, ſo
wird man ſich nicht mehr wundern, daß die Anglikaniſchen Miſſionarien
am Ganges fo erbärmlich fchlechte Gefchäfte machen nnd mit ihren
Borträgen über ihren „maker‘ (Gott) bei den Brahmanen feinen Eur
gang finden. Wie dem in der Lehre des heiligen Veda erzogen
Brahmanen und dem ihm nacheifernden Vaiſia, ja, wie bem gefammten,
von dem Glauben an die Metempfuchofe und die Vergeltung durch fi
durchdrungenen und bei jebem Borgange im Leben ihrer eingebenfen
Indiſchen Volle zu Muthe werden muß, wenn ınan ihm die jübifd-
Hriftlichen Begriffe aufbringen will, ift leicht zu ermeſſen. Bon um
Miftranen — Mitfrende 119
ewigen Brahm, welches in Allem und Jedem da ift, leidet, lebt und
Erlöfung Hofft, überzugehen zu jenem maker aus Nichts ift für bie
Leute eine fchwere Zumuthung. Ihnen wirb nie beizubringen fein, daß
die Welt und der Menfch ein Machwerk aus Nichts je. (P. II,
237—240. W. I, 421.)
5) Befugniß der afiatifden Monarden gegenüber den
hriftliden Miffionären.
Wenn der Kaifer von China oder der König von Siam und andere
afiatiihe Monarchen Europäiſchen Mächten die Erlaubniß, Miffionäre
in ihre Länder zu fenden, ertheilen, fo find fie ganz und gar befugt,
es nur unter der Bedingung zu thun, daß fie eben fo viele buddhaiſtiſche
Priefter, mit gleichen Rechten, in das betreffende Europäifche Land
Ihiden dürfen; wozu fie natürlich folche wählen würden, die in der
jedesmaligen Europäifchen Sprache vorher wohlunterrihtet find. Da
wärden wir einen intereffanten Wettftreit vor Augen haben uud fehen,
wer am meiften ausrichtet. (P. II, 240.)
Mißtrauen.
1) Gegen die Verdächtigung der Mißtrauiſchen.
Es gehört zu den allgemein beliebten und feſt accreditirten, täglich
von Unzähligen mit Selbftgenügen nachgefprorhenen Irrthümern,
daß, wer Andern mißtraut, felbft unredlich ſei. (P. II, 64.)
2) Anempfehlung des Mißtrauens bei neuen Belannt-
ſchaften.
Man ſoll ſich ſorgfältig hüten, von irgend einem Menfchen neuer
Velanntſchaft eine ſehr günſtige Meinung zu fallen; ſonſt wird man,
in den allermeiften Fällen, zu eigener Beſchämung, oder gar Schaden,
enttäufcht werden. (P. I, 481 fg.)
Mitfreude.
Die Mitfreude iſt keine unmittelbare Theilnahme am Andern, wie
das Mitleid, ſondern ſecundär. Die unmittelbare Theilnahme am
Andern iſt auf ſein Leiden beſchränkt und wird nicht, wenigſtens nicht
direct, auch durch ſein Wohlſein erregt; ſondern dieſes an und für
ſich läßzt uns gleichgültig. Der Grund hievon iſt, daß der Schmerz,
das Leiden, das Poſitive, das unmittelbar Empfundene, die
Befriedigung, der Genuß, das Glüd Hingegen negativer Natur iſt.
(Bergl. Befriedigung.) Der Glückliche, Zufriedene als folder
läßt und daher gleichgüultig. Wir können zwar über das Glüd, das
Bohlfein, den Genuß Anderer uns freuen; dies ift dann aber fecun-
där und dadurch vermittelt, daß vorher ihr Leiden und Entbehren uns
betrübt Hatte; oder aber auch wir nehmen Theil an dem Beglückten
und Genießenden, uicht als ſolchem, fondern fofern er unfer Kind,
Bater, Freund, Verwandter, Diener, Unterthan u. dgl. if. Aber nicht
120 Mitleid — Mittelfiraße
ber Beglücte und Genießende rein als ſolcher erregt unſere m-
mittelbare Theilnahme, wie es der Leidende, Entbehrende, Unglückliche
rein als ſolcher thut. Sogar kann der Anblid des Glüdfichen und
Genießenden rein als ſolchen fehr Leicht unjern Neid erregen.
(E. 210 fg. 237.)
Mitleid, |. unter Moraliſch: die moralifche Triebfeder.
Mittel, |. Zwed.
Mittelalter.
Bergleiht man das Altertfum mit dem „darauf folgenden Mittel:
alter, etwa das Zeitalter des Perikles mit dem 14. Jahrhundert, jo
glaubt man kaum in beiden die felbe Art von Weſen vor fid zu
haben. Dort die fehönfte Entfaltung der Humanität, vortreffliche
Staatseinrichtungen, weife Gefete, Hug vertheilte Magiftraturen, ver:
nünftig geregelte Freiheit, Jämmtliche Künfte, nebft Poefie und Phile
fophie, auf ihrem Gipfel, und dabei das Peben durch die ebelfte Gefellig:
feit verfchönert; hier hingegen die Zeit, da bie Kirche bie Geifter un
die Gewalt die Leiber gefeflelt Hatte, damit Ritter und Pfaffen ihrem
gemeinfamen Laftthiere, dem dritten Stande, die ganze Bürde de}
Lebens auflegen konnten. Da findet man Tauftrecht, Feudaliswus
und Fanatismus im engen Bunde, und in ihrem Gefolge gräuclid
Unwiffenheit und Geiftesfinfterniß, ihr entfprechende Intoleranz, Olau
benszwifte, Religionsfriege, Kreuzzüge, Keterverfolgungen, Inquifitionen;
als Form der Gejelligfeit aber das aus Rohheit und Geckerei zu
fammengeflidte Ritterweſen mit feinen pedantiſch ausgebildeten und in
ein Syſtem gebrachten Fragen, mit degradirendem Aberglauben und
affenwürdiger Weiberveneration. (P. I, 373 fg.)
Das ritterlihe Ehrenprincip, keineswegs ein urfprüngliches, in de
menſchlichen Natur gegründetes, ift ein Kind jener Zeit, wo die Fünf
geübter waren, als die Köpfe, und die Pfaffen die Vernunft in Ketten
hielten, des belobten Mittelalters und feines Ritterthums. Damald
ließ man fir fi den lieben Gott nicht nur forgen, fondern auch w:
theifen. Demnach wurden fchwierige KRechtsfälle durch Drdalien oder
GottesurtHeile entfchieden, die, mit wenigen Ausnahmen, in Zwei⸗
fümpfen beftanden. Und hieraus ging das Duellweſen hervor. (P.
, 402.)
Im Mittelalter, diefem Millennium der Rohheit und Unmiſſenheit,
florirten die Bärte, ein Zeichen der Barbarei. (PB. I, 190. Berl.
Bart.) Die Kleidung des Mittelalters, gegen die der Alten gehalten,
ift geſchmacklos, barbarifch und widerwärtig. (P. U, 171.)
Mittelſtraße.
Des Ariſtoteles Grundſatz, in allen Dingen die Mittelſtraße zu
halten, paßt ſchlecht zum Moralprincip; aber er möchte leicht die beſte
allgemeine Klugheitsregel ſein, die beſte Anweiſung zum glücklichen Leben.
un Br —
Mnemonik — Möglichkeit 121
Denn Alles ift im Leben jo mißlich, auf allen Seiten liegen fo viele
Unbequemlichkeiten, Laften, Leiden, Gefahren, daß man nur wie mitten
duch Klippen glüdlich und ficher führt. Das pndev ayav und nil
admirari find daher treffliche Regeln zur Lebengweisheit. (H. 445.)
Mnemonik, ſ. Gedächtnißkunſt.
Modalitãt.
Daß bie Kategorien der Mobalität, alſo die Begriffe bes Möglichen,
Wirklichen und Nothwendigen es find, melche die problematifche, affer-
torifche und apodictifche Form des Urtheil® veranlaffen, ift wahr. Daß
aber jene Begriffe befondere, urfprüngliche und nicht weiter abzuleitende
Erfenntnißgformen des Berftandes wären, ift nicht wahr. Bielmehr
ſtammen fie aus der einzigen urfprünglichen und daher a priori un
bewußten Formen alles Erfennens ber, aus dem Sabe vom Grunde,
und zwar unmittelbar aus diefem die Exrfenntniß der Nothwendigfeit;
hingegen erſt indem auf diefe die Neflerion angewandt wird, entftchen
die Begriffe von Zufälligkeit, Möglichkeit, Unmöglichkeit, Wirklichkeit.
Ale diefe urftänden daher. feineswegs aus eimer Geiftesfraft, dem
Verftande, ſondern entftehen durch den Konflict des abftracten Er⸗
kennens mit dem intuitiven. (W. I, 549—556.)
Mode.
In Europa wird die Weltgeſchichte von einem ganz eigenthümlichen
chronologiſchen Tagesanzeiger begleitet, welcher, bei anſchaulichen Dar⸗
ſtellungen der Begebenheiten, jedes Decennium auf den erſten Blick
erfennen läßt; derſelbe ſteht unter der Leitung ber Schneider. (3. B.
en in Frankfurt 1856 ansgeſtelltes angebliches Portrait Mozarts in
fanem Yünglingsalter war ſogleich daran als undicht zu erkennen, daß
die Kleidung einer zwanzig Jahre früheren Zeit angehörte) Blos im
gegenwärtigen Decennium ift jener Tagesanzeiger in Unorbnung ge-
rathen; weil ſolches nicht ein Mal Originalität genug befigt, um, wie
jedes andere, eine ihm eigene Kleidermode zu erfinden, fonbern nur
eine Maskerade darftellt, auf ber man in allerlei Tängft abgelegten
Trahten aus vergangener Zeit herumläuft, als ein lebendiger Ana»
Hronismus. Selbft die ihm vorhergegangene Periode hatte doch noch
jo viel eigenen Geift, wie nöthig ift, ben Brad zu erfinden. (P. II,
481 fg. — Bergl. auch Yegtzeit.)
Modell, in der Architectur. (S. Arditectur.)
Möglichkeit.
1) Unterſchied der Möglichkeit überhanpt von der em-
pirifhen Möglichkeit.
‚ Möglichkeit überhaupt ift, wie Kant zur Genüge gezeigt hat, Ueber»
enfimmung mit den und a priori bewußten Bedingungen aller Er-
fahruug. (©. 18.) Alles den unferem Intellect angehörenden Gefeten
a priori Gemäße ift überhaupt möglich. Das ben empirifchen Natur-
122 Mohammebdaner
gefetzen Entſprechende Hingegen ift das in biefer Welt Möglide.
(W. I, 554.)
2) Urfprung der Kategorie der Möglichkeit aus der
Neflerion.
Berlafien wir die anfchauliche Natur und gehen ütber zum abflracten
Denken; fo können wir, in ber Reflexion, alle Naturgefete, bie ums
theils a priori, theils erft a posteriori belannt find, ums vorftelen,
und diefe abftracte Borftelung enthält Alles, was in der Natur zu
irgend einer Zeit, an irgend einem Orte ift, aber mit Abftraction
von jedem beftimmten Ort und Zeit; und damit eben, durch folde
Reflerion, find wir ins weite Reich der Möglichkeit getreten. Was
aber fogar auch hier feine Stelle findet, ift das Unmögliche. Es if
offenbar, daß Möglichkeit und Unmöglichkeit nur file die Reflerion,
für die abftracte Erkenntniß der Vernunft, nicht für bie anſchauliche
Erkenntniß da find; obgleich die reinen Formen diefer es find, melde
der Vernunft die Beftimmung des Möglichen und Unmöglichen an bie
Hand geben. Je nachdem die Naturgefege, von denen wir beim Den-
fen des Möglichen und Unmöglichen ausgehen, a priori oder a posterior
erfannt find, ift die Möglichkeit oder Unmöglichkeit eine metaphyfiſche,
oder nur phyſiſche. (W. I, 551.)
3) Zufammenfallen und Auseinandertreten des Mög:
lichen, Wirklichen und Nothwendigen.
Der Unterfchieb zwifchen nothwendig, wirklich und möglich iſt nur
in abstracto und dem Begriffe nach vorhanden; in der realen Welt
hingegen fallen alle Drei in Eins zufammen. Denn Alles, was ge
ſchieht, geſchieht nothwendig, weil es aus Urſachen gefchieht. Dem
gemäß iſt alles Wirkliche zugleich ein Nothwendiges, und in der
Realität zwiſchen Wirklichkeit und Nothwendigkeit kein Unterſchied; und
ebenſo feiner zwiſchen Wirklichkeit und Möglichkeit; denn was nicht
gefhehen, d. h. nicht wirklich geworden ift, war aud nicht möglid,
weil die Urfachen, ohne welche es nimmermehr eintreten konnte, ſelbſt
nicht eingetreten find, noch eintreten konnten in der großen Verlettung
der Urſachen, e8 war alfo ein Unmögliches. Jeder Vorgang ift den
nach entweder nothwendig, oder unmöglich. Dieſes Alles gilt aber
blos von der empirifch realen Welt, alfo vom ganz Einzelnen ald
ſolchem. Betrachten wir hingegen mittelft der Vernunft die Dinge im
Allgemeinen, fie in abstracto auffaffend; fo treten Nothwendigkeit,
Wirklichkeit und Möglichkeit wieder auseinander; wir erfennen dann
alles den unſerm Intellect angehörenden Gefegen a priöri Gemäß
als überhaupt möglich, das den empirischen Naturgefegen Entjprechende
als in diefer Welt möglich, auch wenn e8 nie wirklich geworden, unter
—8 alſo deutlich das Mögliche von dem Wirklichen. (W. I,
554 fg.)
Mohammedaner, ſ. Islam.
Mol — Monardie , ‚123
Koll, f. unter Muſik: Die phyſiſche und arithmetifche Grundlage der
Muſik in ihrer Beziehung zur metaphufifchen Bedeutung.
Monadologie.
Die Leibnitz'ſche Monadologie verwirft die Atome und bie rein
nehanifche Phyſik, um eine dynamiſche an ihre Stelle zu fegen,
worin fie Kanten vorarbeitete. Leibnig gelangte zu ber Einficht, daß
jelbft die blos mechanischen Krüfte der Materie etwas Geiftiges zur
Unterfage haben mußten. Diefes nun aber wußte er fi nicht an-
ders deutlich zu machen, al8 durch die höchſt unbeholfene Yiction, daR
die Materie aus lauter Seelchen beftände, welche zugleich formale
Atome wären und meiftens im Zuſtande ber Betäubung fich befänden,
jedoch ein Analogon der perceptio und des appetitus hätten. Hiebei
führte ihn Dies irre, daß er, wie alle Andern, zur Grundlage und
conditio sine qua non alles Geiſtigen die Erkenntniß machte, ftatt
des Willens. Indeffen verdient Leibnigens Beftreben, dem Geifte und
der Materie ein und baffelbe Princip zum runde zu legen, Aner⸗
fennung. Sogar könnte man darin eine Vorahndung ſowohl der
Kant'ſchen al8 auch der Schopenhauer’fchen Lehre finden, die er jedoch
mm wie durch einen Nebel ſah. ‘Denn feiner Mionadologie liegt ſchon
der Gedanke zu Grunde, daß die Materie kein Ding an fi), fondern
bloße Erſcheinung iſt; daher man den legten Grund ihres, felbft nur
mechaniſchen Wirkens nicht in bem rein Geometrifchen ſuchen muß,
db. h. in Dem, was blos zur Erſcheinung gehört, wie Ausdehnung,
Bewegung, Geftalt; daher ſchon die Undurchdringlichleit nicht eine blos
negative Eigenſchaft ift, fondern die Aeußerung einer pofitiven Kraft.
(B. I, 80 fg.)
Monarchie.
1) Nothwendigkeit und Natürlichkeit der Monarchie.
Eine Staatsverfaſſung, in welcher blos das abſtracte Recht, ohne
allen Zuſatz von Willkür und Gewalt, ſich verkörpert, paßt nicht für
Weſen, wie die Menſchen find. Weil nämlich die große Mehrzahl
derfelben höchſt egoiftifch, ungerecht, rüdfichtslos, lügenhaft, mitunter
jogar boshaft und dabei mit fehr dlrftiger Intelligenz ausgeftattet ift,
jo erwüchſt hieraus die Notwendigkeit einer in Einem Menſchen con«
centrirten, felbft über dem Geſetz und dem Recht ftehenben, völlig un»
verantwortlichen Gewalt, vor der fi Alles beugt, und die betrachtet
wird als ein Wefen höherer Art, ein Herrfcher von Gottes Gnaden.
Nur fo läßt fi anf die Länge die Menfchheit zügeln und regieren.
($. II, 269.)
Ueberhanpt ift die monarcifche Regierungsform die dem Menſchen
natürliche, faft jo wie fie e8 den Bienen und Ameifen, ben reifenden
Rranichen, den wandernden Elephanten, den zu Raubzügen vereinigten
Wolfen und andern Thieren mehr ift, weiche alle Einen an die Spige
ihrer Unternehmung fielen. Auch muß jede menfchliche, mit Gefahr
124 Monate — Mond
verfnüpfte Unternehmung, jeder Heereszug, jedes Schiff, Einem Ober
befehlshaber gehorchen; überall muß Ein Wille der leitende fen. So⸗
gar der thierifche Organismus ift monarchiſch conftruirt; das Gehim
allein ift ber Lenker und Regierer, das Hegemonikon. Selbſt das
Planetenfyftem ift monardifh. (PB. II, 271 fg. — Vergl. uud
Königthum.)
2) Wohin die Monarchien tendiren.
Die Republiken tendiren zur Anarchie, die Monarchien zur Dee
potie, der deshalb erfonnene Mittelweg der conftitutionellen Monarchie
tendirt zur Herrfchaft der Factionen. (W. I, 406.)
3) Ein großer Borzug der Monardie vor der Re—
publik.
In Republiten wird e8 den überlegenen Köpfen ſchwerer, zu hoben
Stellen und dadurch zu unmittelbarem politifchen Einfluß zu gelangen,
ald in Monarchien. Denn gegen folche Köpfe find num einmal überall
und immer fänmtliche bornirte, ſchwache und gewöhnliche Köpfe in-
ftinctmäßig verblindet. Ihrer ſtets zahlreichen Schaar nun wird c#
bei einer republifanifchen Verfaſſung leicht gelingen, die überlegenen zu
unterdrücken ımd auszufchließen, um ja nicht von ihnen überflügelt zu
werden, In der Monarchie dagegen ift diefe überall natürliche Ligue
der bornirten gegen die bevorzugten Köpfe doc nur einfeitig vorhan-
den, nämlich blo8 von unten; von oben Hingegen haben hier Berftand
und Talent natürliche Fürſprache und Beſchützer. In Monarchien hat
der Berftand immer noch viel befiere Chancen gegen feinen unverföhn-
lichen und allgegenwärtigen Feind, die Dummheit, als in Republiken.
Dieſer Borzug aber ift ein großer. (P. II, 270 fg.)
Monate. |
Ueber den Einfluß der Monate auf die Geſundheit ſ. Gefundpeit.
Mönchthum, |. Katholicismus und Klofter.
Mond.
1) Eine Hypothefe über die Mondoberfläcde.
Das Wafler des Mondes — dies ift jedoch nur als eine gewagte
Hypotheſe zu betrachten — ift nicht abweſend, fondern gefroren, indem
der Mangel einer Utmofphäre eine faft abfolute Kälte herbeiführt,
welche fogar die, außerdem durch denfelben begünftigte Verdunftuug dei
Eiſes nicht zuläßt. Nämlich bei ber Kleinheit des Mondes müſſen
wir feine innere Wärmequelle als erſchöpft, oder mwenigftens als nicht
mehr auf bie Oberfläche wirkend betrachten. Bon der Sonne erhält
er nicht mehr Wärme, als die Erde. Wir haben alſo keinen ſtärkern
erwärmenben Einfluß der Sonne auf den Mond anzımehmen, als der
ift, den fie auf die Erde hat; ja fogar einen ſchwächern, da derſelbe
für jede Seite zwar 14 Tage dauert, dann aber durch eine eben ſo
e
Monogamie — Monumente 125
lange Nacht unterbrochen wird, welche die Auhäufung feiner Wirkung
verhindert. — Nun aber ift jede Erwärmung durch dad Sonnenlidt
von der Gegenwart einer Atmojphäre abhängig. Da diefe nun dent
Monde fehlt, fo hätten wir uns alles Waſſer auf bemfelben als in
Eis verwandelt und namentlich den ganzen, fo räthjelhaften, grauern
Theil feiner Oberfläche, den man allezeit al8 maria bezeichnet hat, als
gefrorenes Waſſer anzufehen. (PB. II, 140—143.)
2) Der Lauf des Mondes als Beifpiel für die Iden—
tität bes Wefjentlihen in der Bewegung der Him-
melskörper und im Handeln des Menfchen. (S. unter
Himmel: Analogie der Bewegung ber Himmelekörper mit
dem Handeln des Menſchen.)
3) Db Leben auf dem Monde möglich ift.
Der Schluß vom Mangel der Atmojphäre und des MWaflers auf
Abweſenheit alles Lebens ift nicht ganz ſicher; ſogar könnte man ihn
Heinftädtifch nennen, fofern er auf der Borausjegung partout comme
chez nous beruht. Das Phänomen des thierifchen Lebens könnte wohl
noch auf andere Weiſe vermittelt werben, als durch Refpiration und
Blutumlauf, da das Wefentliche alles Lebens allein der beftündige
Wechſel der Materie beim Beharren der Form if. Wir freilich können
uns died nur unter Bermittelung des Flüffigen und Dunftförmigen
denten. (P. II, 143.)
4) Aeſthetiſche Wirkung des Mondes.
Barum wirft der Anblid des Vollmondes fo wohlthätig und er-
bebend? Weil der Mond ein Gegenftand der Anfchauung, aber nie
des Wollens ift. Werner ift er erhaben, d. h. ftimmt uns erhaben,
weil er, ohne alle Beziehung auf uns, dem irdifchen Treiben ewig
fremd dahinzieht und Alles fieht, aber an nichts Antheil nimmt. Bei
feinem Anblid fchwindet daher der Wille mit feiner fteten Noth aus
dem Bewußtfein und läßt es als ein rein erfennendes zurüd. Vielleicht
wird der Eindrud des Erhabenen noch erhöht durch das fich beimifchenbe
Gefüühl, daR wir diefen Anblid mit Millionen theilen, deren individuelle
Berichiedenheit darin erlifcht, fo daß fle in diefem Anfchauen Eins
find. Endlich wird der Eindrud des Erhabenen aud) dadurch befür-
dert, daß ber Mond leuchtet, ohne zu wärmen, worin gewiß der Grund
biegt, daß man ihn Feufch genannt hat. (W. II, 426 fg.)
Aonogamie, |. unter Ehe: Chegefeke. ’
Monotheismus, |. Judenthum und Gott.
Monumente, ſ. Dentmale.
126 Moral
Moral.
1) Gegenſtand der Moral.
In der Moral iſt der Wille, die Geſinnung, der Gegenſtand der
Betrachtung und das allein Reale. Dadurch unterfcheidet fie fi vom
Staat, den Wille und Geſinnung, blos als folche, ganz und gar nic!
fümmern, jonbern allein die That. (W. I, 406.)
Es kommt der Ethik blo8 auf Das an, was gewollt wird, nid
auf Das was geſchieht; mit dem Erfolg der That mögen nachher
Zufall und Irrthum fpielen, in deren Reich bie bloße Begebenheit als
folche Liegt, — das ändert nichts am ethifchen Werth ber That. Für
die Ethik hat die Außenwelt und ihre Begebenheiten blos inſofem
Realität, als fie Zeichen des Willens find, der durch fie beftinmt
wurde; außerdem find fle ihr nichtig. (H. 389.)
Aus dem ernenerten Spinozismus unferer Tage ift die hegeliſch⸗
pantheiftifche, auf dem platteften Realismus beruhende Anſicht ent-
ftanden, die Ethik folle nicht da8 Thun der Einzelnen, fondern das der
Volksmaſſen zum Stoffe haben. Nichts kann verfehrter fein, als dieſe
Anfiht. Denn in jedem Einzelnen erfcheint der ganze ungetheilte
Wille zum Leben, das Weſen an fih, und der Mikrokosmos ift dem
Makrokosmos gleih, Die Maffen haben nicht mehr Inhalt, als jeder
Einzelne. Nicht vom Thun und Erfolg, fondern vom Wollen haw
belt es fich in der Ethik, und das Wollen felbft geht ſtets nur im
Individuum vor. Nicht das Schiefal der Völker, welches nur in der
Erjcheinung da ift, fondern das des Einzelnen entfcheidet ſich mora-
liſch. Die Völker find eigentlich bloße Abftractionen, die Individuen
allein eriftiren wirflih. (W. II, 675 fg.)
2) Aufgabe der Moral.
Der Zweck der Moral als Wiffenfchaft ift nicht anzugeben, wie bie
Menfchen handeln ſollen. (S. unter Kritik der imperativen Form der
Moral.) Vielmehr hat fie es mit dem wirklichen Handeln der Mer
hen zu thun und hat ben Zweck, die in moralifcher Hinficht höchſt
verfchiedene Handlungsweiſe ber Menſchen zu deuten, zu erflären, uud
auf ihren legten Grund zurüdzuführen. Daher bleibt zur Auffindung
des Fundament der Moral fein anderer Weg, als der empiriſche,
nämlich zu unterfuchen, ob es überhaupt Handlungen giebt, denen wir
ächten moralifchen Werth zuerkennen müſſen, — welches die Hand:
lungen freiwilliger Gerechtigkeit, reiner Meenfchenliebe und wirklichen
Edelmuth8 fein werden. Diefe find fodann al8 ein gegebenes Ph
nomen zu betrachten, welches wir vichtig zu erklären, d. b. auf feine
wahren Gründe zurücdzuführen, mithin die jedenfalls eigenthümliche
Zriebfeder nachgumeifen haben, welche den Menſchen zu Handlungen
diefer, von jeder andern fpecififch verfchiedenen Art bewegt. Dielt
Triebfeder, nebft der Empfänglichkeit für fie, wird der legte Grund
der Moralität und die Kenntniß derfelben das Fundament der Moral
Moral 127
fein. Hingegen eine Eonfiruction a priori, eine abſolute Gefeßgebung
fir alle vernänftige Wefen in abstracto enthaltend, zu liefern, Tann
nicht Aufgabe der Ethik fein. (E. 195.) Die Moral hat e8 mit bem
wirtlihen Handeln des Menjchen und nicht mit apriorifchem Karten⸗
häuferban zu thun, an deſſen Ergebniffe fih im Ernft und Drange
des Lebens kein Menſch Tehren würde, beren Wirkung daher, bem
Sturm der Leidenfchaften gegenüber, fo viel fein würde, wie die einer
Kinftierfprige bei einer Feuersbrunſt. (E. 143.)
3) Wichtigkeit ber moralifhen Unterfuhungen.
Daß moralifche Unterfuchungen ungleich wichtiger find, als pby-
ſilaliſche, und überhaupt al8 alle andern, folgt darans, daß fie faft
unmittelbar das Ding an ſich betreffen, näntlich diejenige Erſcheinung
befielben, an der e8, vom Nichte der Erkeuntniß unmittelbar getroffen,
fin Weſen offenbart als Wille. Phyſikaliſche Wahrheiten hingegen
bleiben ganz auf dem Gebiete der Borftellung, d. i. ber Erfcheinung,
uns zeigen blos, wie die niedrigften Erſcheinungen des Willens fich in
der Borftellung gejegmäßig darftellen. — Ferner bleibt die Betrachtung
ver Welt von der phyſiſchen Seite in ihren Refultaten für uns
troftlo8; auf der moraliſchen Seite allein ift Troſt zu finden.
(®. I, 674.) Phyſikaliſche Wahrheiten können viel äußere Bedeut⸗
jamfeit haben; aber die innere fehlt ihnen. Dieſe iſt das VBorrecht
der intellectmellen und moralifchen Wahrheiten, ald welche die höchften
Stufen der Objectivation bed Willens zum Thema haben; twührend
jene die niebrigften. (P. II, 215.)
4) Gegen die fleptifhe Anfiht von der Moral.
Nach der ffeptifchen Anficht giebt es gar Feine natürliche, von menſch⸗
licher Sagung unabhängige Moral, fondern dieſe ift durch und durch
an Artefact, ein Deittel erfunden zur beſſern Bändigung des eigen-
fühtigen und boshaften Menfchengejchledhts. Nun wäre es allerdings
ein großer Irrthum, wenn man glaubte, daß alle gerechte und legale
Handlungen der Menfchen rein moralifhen Urfprungs wären. Die
allermeifte Ehrlichkeit im menfchlichen Verkehr Täßt ſich vielmehr auf
egoiftifche Motive zurüdführen. Wir haben alfo nicht fogleich in hei-
ligem Eifer aufzufahren, wenn ein Moralift einmal das Problem auf-
wirft, ob nicht vielleicht alle Meblichkeit und Gerechtigkeit im Grunde
bloß comventionell wäre, und er bemmächft, diefes Princip weiter ver⸗
folgend, auch die ganze übrige Moral auf entferntere, mittelbare, zuletzt
aber doch egoiftifche Gründe zurüdzuführen ſich bemüht, wie Holbadı,
delvetins, d’Alembert und Andere ihrer Zeit es verfucht haben. Bon
dem größten Theil der gerechten Handlungen ift dies fogar wirklich
wahr. Daß es auch von einem beträchtlichen Theil ber Handlungen
der Dienfchenliebe wahr fei, leidet Teimen Zweifel, da fie oft aus
tation, ſehr oft aus dem Glauben an eine bereinftige Retribution
oder aus fonftigen egoiftiichen Gründen hervorgehen. Allein eben fo
128 Moral
gewiß ift e8, baß es Handlungen ganz uneigennügiger Menfchenlie
und ganz freiwilliger Gerechtigkeit giebt, wenngleich fie zu ben feltenn
Ausnahmen gehören. Die jämmtlichen fleptifchen Bedenllichkeiten find
alfo zwar geeignet, unfere Erwartungen von der mioralifchen Anlage im
Menſchen umd mithin vom naürlichen Fundament der Ethik zu mäßigen,
reichen aber Teineswegs hin, das Dafein aller ächten Moralität abzu
leugnen. (E. 186 —195.)
5) Unterfchiedb zwifchen Princip und Fundament der
Moral,
Princip und Fundament der Ethik find zwei ganz verfchiebene Dinge,
obwohl fie meiftens uud bisweilen wohl abſichtlich vermiſcht werden.
Das Princip oder der oberfte Grundſatz einer Ethik if der für
zefte und bündigſte Ausdrud für bie Handlungsweife, die fie vorſchreibt,
oder, wenn fie feine imperative Yorm hat, die Handlungsweile, welcher
fie eigentlichen moralifchen Werth zuerfennt. Es ift mithin ihre, durch
einen Satz ausgedrückte Anweiſung zur Tugend überhaupt, das o⁊
der Tugend. — Das Fundament einer Ethil hingegen iſt das
drorr der Tugend, der Grund ‚jener Verpflichtung oder Anempfehlus
oder Belobung, er mag num in der Natur des Menſchen, ober in
äußern Weltverhältuifien, oder worin fonft gefucht werden. Das 5,1
ift leicht, das drör Hingegen ſehr ſchwer anzugeben. Ueber den In⸗
halt des Ö,tt, des Principe oder Grundſatzes find eigentlich alt
Ethifer einig, in fo verſchiedene Formen fie ihn auch Heiden. De
gegen wird das eigentlihe Fundament der Ethik, wie der Stein der
Weiſen, feit Jahrtauſenden geſucht. (E. 136 fg.)
6) Formel des Moralprincipe,
Der einfachfte und reinſie Ausdruck, auf ben fi das Princip, der
Grundjag der Moral zurüdführen (äft, ift: Neminem laede; imo
omnes, quantum potes, juva. Dies ift eigentlid) der Sat, welden
zu beg ründen alle Sittenlchrex fid) abmühen, das Datum, zu wel
chem das Quaesitum das Problem jeber Ethik ift, die Folge, zu der
man ben Grund verlangt. Jedes andere Moralprincip ift ale eine
Umfchreibung, ein indirecter oder verblümter Ausbrud jenes einfachen
Sages anzufehen. (E. 137 fg.)
7) Kritik der imperativen Form der Moral.
Die imperative Form der Moral oder die Moral in Form di
Geſetzes, Gebotes, Sollens, hat ihren Urfprung in der theolo⸗
gifchen Moral. Im den riftlichen Jahrhunderten bat die philoſophiſche
Ethik ihre Form ‚unbemußt von ber theologifchen genommen. Da mm
diefe wefentlich eine gebietende ift; fo iſt auch bie phitofophile . |
Form von Vorſchrift und Pflichtenlehre aufgetreten, vermeihtend,
fei ihre eigene und natürliche Geſtalt. So unleugbar nun ae
auch die metaphufifche, d. 5. itber diefes erjcheinende Dafein hinaue
Moral 129
fih erſtrekende und die Ewigkeit berührende ethifche Bedeutſamkeit des
menfhlichen Handelns ift; fo wenig ift es biefer wefentlih, in der
Form des Gebietend und Gehorchens, des Geſetzes und der Pflicht
aufgefaßt zu werden. Die Faſſung der Ethik in einer imperativen
vorm, als Pflichtenlehre, und das Denken des moralifchen Werthes
oder Unmwerthes menjchlicher Handlungen als Erfüllung oder Verlegung
von Pflichten, ftanımt, mit fammt dem Sollen, unlengbar nur
aus der theologifchen Moral und demnüchſt aus dem Dekalog. Dem⸗
gemäß beruht fie weſentlich auf der VBorausfegung der Abhängigkeit
des Menfchen von einem andern, ihm gebictenden und Belohnung oder
Strafe verfüindigenden Willen und ift davon nicht zu trennen. So
ausgemacht die Borausfegung eines folchen in ber Theologie ift; fo
wenig darf fie ftilljchtweigend und ohne Weiteres in bie philgfophifche
Moral gezogen werden. Dann darf man aber auch nicht vorweg an-
nehmen, dag im diefer die imperative Form, das Aufftellen von
Geboten, Geſetzen und Pflichten, ſich von felbft verftehe und ihe wefent-
lich ſei; wobei e8 ein fchlechter Nothbehelf ift, die folchen Begriffen
ihrer Natur nach mefentlich anhängende üußere Bedingung durch das
Wort „abfolut” oder „kategoriſch“ zu erjegen, als wodurch eine
Contradictio in adjecto entfteht. (E. 120—126. W. I, 620.)
8) Bebürfniß der metaphyſiſchen Orundlage für die
Moral.
Wie am Ende jeder Forſchung und jeder Realwiſſenſchaft; fo fteht
auch in der Moral der menfchliche Geift vor einem Urphänomen, wel-
ches zwar alles unter ihm Begriffene und aus ihm Folgende erflärt,
felbft aber unerflärt bleibt und als ein Räthſel vorliegt. Auch hier
alfo ſtellt ſich die Forderung einer Metaphyſik ein, d. h. einer letz⸗
tn Erklärung der Urphänomene. Dieſe Forderung erhebt auch bier
die Frage, warum das Vorhandene und Berftandene fi fo und nicht
anders verhalte, und wie aus dem Wefen an ſich ber ‘Dinge der bar-
gelegte Charakter der Erſcheinung hervorgehe. Ja, bei der Moral ift
dad Bedürfniß einer metaphufifchen Grundlage um fo dringender, ale
die philofophifchen, wie die religiöfen Syſteme darüber cinig find, daß
die ethifche Bedeutfamkeit der Handlungen zugleich eine metaphyſiſche,
d. h. über die bloße Erjcheinung der Dinge und fomit auch über alle
Möglichkeit der Erfahrung hinausreichende, demnach mit dem ganzen
Dafein ber Welt und dem Loofe des Menjchen in engfter Beziehung
ftehende fein müſſe. (E. 260—263. 109.)
9) Kritil der populären Begründung der Moral durd
die Theologie.
Dem Bolle wird die Moral durch die Theologie begründet, als
außgefprochener Wille Gottes. Gewiß läßt fich keine wirffamere Be-
gründung der Moral denken, als die theologifche; denn wer würde fo
vermefien fein, fich dem Willen des Allmächtigen und Allwiſſenden zu
Eqchopenhauer⸗Lexikon. II, 9
130 Moraliſch. Moralität
wibderfegen? Gewiß Niemand; wenn nur derfelbe auf eine gan
anthentifche, umnbezweifelbare, fo zu fagen officielle Weiſe verkündigt
wäre. Uber diefe Bedingung ift es, die fich nicht erfüllen läßt. Hierzu
kommt noch die Erkenntniß, daß ein blos durch angedrohte Strafe
und verheißene Belohnung bewirktes moralifches Handeln im runde
anf Egoismus beruht, alfo Fein morafifches wäre. Vollends aber ſeit
Kants zerftörender Kritik der fpeculativen Theologie ift weniger als je
an eine Begründung der Ethik durch Theologie zu denken. (E. 1119)
SoÜ nun aber einmal die Moral durch ein mythiſches Dogma ge
ftügt werden, wie hoch fteht da da8 der Metempfuchofe tiber jchem
anderen! (5. 428. — Bergl. Metempfycofe.)
10) Unvereinbarkeit der Moral mit dem Theismus,
Pantheismus und Naturalismus. (S. unter Gott:
Gegenbeweiſe gegen das ‘Dafein Gottes; ferner f. Par:
theismus und Naturalismus.)
11) Die Moral der Alten. (©. d. Alten.)
12) Die Moral des Chriſtenthums. (S. Chriftenthum.)
(Heber die zur Moral gehörigen Begriffe: Tugend, Pflicht, Gut,
Freiheit, Gewiſſen fiehe dieſe Artikel.)
Moxaliſch. Moralität.
1) Kriterium der Handlungen von ächt moraliſchen
Werth.
Legale Handlungen können aus egoiſtiſchen Triebfedern hervorgehen,
aber nicht ächt moraliſche. Dogmen find zwar geeignet, Legalität
zu erzeugen, aber nicht Moralität. Angenommen, daß der Glaube an
Götter, deren Wille und Gebot die fittliche Handlungsweife wäre, und
welche diefem Gebot durch Strafen und Belohnungen, entweder in
diefer, oder in ber andern Welt, Nachdruck ertheilten, allgemein Wurzel
faßte und die beabfichtigte Wirkung hervorbrächte; ſo würde dadurch °
zwar Xegalität der Handlungen, felbft über die Gränze hinaus, bie
zu welcher Juſtiz und Polizei reichen Fünnen, zu Wege gebracht fein;
aber Jeder fühlt, daß es keineswegs Dasjenige wäre, was wir eigent-
ih unter Moralität der Geſinnung verfiehen. Denn offenbar würden
alle durch Motive folder Art hervorgerufene Handlungen immer mır
im bloßen Egoismus wurzeln. Dagegen ift das Kriterium ber Hand-
lungen don ächt moralifchem Werth bie Ausfchliegung derjenigen
At von Motiven, durch welche fonft alle menjchlichen Handlungen
hervorgerufen werden, nämlich der eigennützigen im weiteften Sinne
des Wortes. Abmefenheit aller egoiftifchen Motivation ift alfo das
Kriterium einer Handlung von moraliſchem Werth. (E. 202— 204.
206. 207.)
Moraliſch. Morafität 131
2) Antimoralifche Triebfedern.
Die erfle und hauptfächlichfte, wierwohl nicht bie einzige Macht,
welche die moralifche Zriebfeder zu befämpfen Hat, ift der Egoismus,
(S. Egoismus.) Er ift die vorzüglich der Tugend der Geredtig-
teit ſich entgegenftellende antimoraliihe Zriebfeder. Die zweite, mehr
der Tugend ber Menfchenliebe gegenübertretende antimoralifche Trieb-
jeder ift das Webelmollen oder die Gehäſſigkeit. Aus dem
Egoismus entfpringen Gier, Völlerei, Wolluſt, Eigennug, Habſucht,
Ungerechtigkeit, Hartherzigfeit, Stolz, Hoffarth u. f. w.; aus der Ge⸗
häffigkeit aber Mißgunſt, Neid, Bosheit, Schadenfreube, fpähende
Neugier, Berläumdung, Inſolenz, Petulanz, Haß, Zorn, Berrath,
Tide, Rachſucht, Grauſamkeit u. f. w. — Die erfte Wurzel (der
Egoismus) ift mehr thierifch, die zweite (die Gehäffigkeit) mehr teuf-
liſch. (E. 196—201.)
3) Die moraliſche Triebfeder.
Die moraliſche Triebfeder muß ſchlechterdings, wie jedes den Willen
bewegende Motiv, eine ſich von ſelbſt ankündigende, deshalb poſitiv
wirkende, folglich reale ſein; und da für den Menſchen nur das Em⸗
piriſche, oder doch als möglicherweiſe empiriſch vorhanden Boraus-
geſetzte Realität hat; ſo muß die moraliſche Triebfeder in der That
eine empiriſche fein- und als ſolche ungerufen ſich ankündigen, an
und lommen, ohne auf unſer Fragen danach zu warten, von ſelbſt auf
und eindringen, unb dies mit folder Gewalt, daß fie die entgegen«
ftehenden, rieſenſtarken, egoiftifchen Motive wenigftens möglicherweiſe
Anerwinben kann. (E. 143.) Diefer Forderung entfpricht allein das
ditleid.
Die Quelle aller freien Gerechtigkeit und aller ächten Menſchen⸗
liebe, dieſer beiden Kardinaltugenden, iſt das Mitleid, d. h. die ganz
unmittelbare, von allen anderweitigen Rückſichten unabhängige Theil-
nahme zunähft am Leiden des Andern und dadurch an der Ver⸗
hinderung oder Aufhebung dieſes Leidens, als worin zulegt alle Be⸗
friedigung und alles Wohlfein und Glüd befteht. (E. 208. — Bergl.
Gerehtigfeit und Menfchenliebe) Das Mitleid befteht in ber
Jomtification des eigenen Selbſt mit dem des Andern und entjpringt
aus der Durchſchauung des principii individuationis, alſo aus jener
intuitiven Erkenntniß, welche die gänzliche Unterfcheidbung zwifchen mir
und dem Andern, auf welcher gerade der Egoismus beruht, aufhebt.
(Bergl. unter Individuation: ‘Die im principio individuationis be-
fangene Erfenntniß im Gegenfate zu der es durchſchauenden.) Es ift
ein Irrthum, zu meinen, das Mitleid entftehe durch eine augenblicliche
Tänſchung der Phantafie, indem wir felbft uns an die Stelle des
Leidenden verſetzten und num in der Einbildung feine Schmerzen an
unferer Perfon zu leiden wähnten. So ift e8 Teineswegs; fondern
es bleibt uns gerade jeden Augenblid Mar und gegenwärtig, daß Er
der Leidende ift, nicht wir, und geradezu in feiner Perfon, nit in
9%
132 Moraliſch. Moralität
unferer, fühlen wir das Leider, zu unferer Betrübniß. Wir feitm
mit ihm, alfo in ihm; wir filhlen feinen Schmerz als ben feinen
nnd haben nicht die Einbildung, daß e8 der unferige fei. Die Cr-
Märung der Möglichfeit diefes höchſt wichtigen Phänomens Tann nur
metaphufifch ausfallen. (E. 208—212. 264 — 274.)
Daß das Mitleid, ald die einzige nicht egoiftifche, auch die alleinige
ächt moralifche Triebfeder fei, wird durch die Erfahrung und die And:
fprüche des allgemeinen Dienfchengefiihls beftätigt. (E. 231— 249.)
4) Gegenfag der moralifhden Orundgefinnung.
Der Punkt, an welchem die moralifhen Tugenden und Lafter des |
Menfchen zuerft auseinandergeben, ift ber Gegenſatz der Grundgeſinnung
gegen Andere, welche nämlich entweder den Charakter bed Neides, oder
aber den bes Mitleids annimmt. ‘Denn diefe zwei diametral ent:
gegengefeßten Eigenfchaften trägt jeber Menſch in fich, indem fie ent:
fpringen aus der ihm unvermeidlichen Bergleichung feines eigenem
Zuftandes mit dem der Andern. Ye nahdem nun das Refultat dieſer
auf feinen individuellen Charakter wirft, wird die eine oder bie ander
Eigenfhaft feine Grundgefinnung und die Quelle feines Handelns.
Der Neid nämlich baut die Mauer zwifchen Du und Ich fefter au;
dem Mitleid wird fie dünn und durchfichtig; ja. bisweilen reift e& je
ganz ein, wo dann ber Unterfchieb zwifchen Ich und Nicht⸗Ich vr:
ſchwindet. (P. I, 218.)
5) Gleichheit der moralifhen Bedeutung der Hanl:
lungen bei Berfchiedenheit der äußern Erfcheinung.
An fi find alle Handlungen (opera operata) blos leere Bilder
und allein die Gefinnung, welche zu ihnen Teitet, giebt ihnen moraliſche
Bedeutſamkeit. Dieſe aber kann wirklich ganz die felbe fein bei jet
verfchiebener äußerer Erfcheinung. Bei gleichem Grabe von Boehei
kann ber Eine auf dem ade, der Andere ruhig im Schoofe ber Eri-
nigen fterben. Es Tann derjelbe Grad von Bosheit fein, ber ſich bi
einem Volke in groben Zügen, in Mord und Kannibalismns, beim
andern hingegen in Hofintriguen, Unterdrüdungen und feinen Ränlen
aller Art fein und leife en miniature ausſpricht; das Wejen bleibt
das felbe. (W. I, 436.) Es ift unmefentlih, ob man um Nüſf
oder Kronen fpielt; ob man aber beim Spiel betrügt, oder ehrlich zu
Werke geht, das ift das Weſentliche. (W. I, 189.)
6) Der moralifche Unterfchied der Charaltere.
Das Vorwalten der einen oder der andern der beiden antimoraliſchen
Triebfedern (Egoismus und Gehäffigkeit), oder aber der moralifchen
ZTriebfeder (Mitleid), giebt bie Hauptlinie in der ethifchen Elaffificaton
der Charaftere. (E. 201.) Der fo große Unterfchied im moraliſchen
Berhalten der Menfchen beruht auf dem angeborenen und unvertilgbaren
Unterfchied der Charaktere. (S. Charakter.) Die drei ethiſchen
NMoraliſch. Moralität 133
Grundtriebfedern de8 Menfchen, Egoismus, Bosheit, Mitleid, find in
Jedem in einem andern und unglaublich verjchiedenen Verhältniffe vor-
handen. Dieſer unglaublich großen, angeborenen und urfprünglichen
Berfhiedenheit gemäß regen eben nur diejenigen Motive vorwaltend
on, für welche er itberiviegende Empfänglichfeit hat, fo wie der eine
Körper nur auf Säuren, der andere nur auf Alfalien veagirt; und wie
Diefes, fo iſt auch Jenes nicht zu ändern. Das Grundmefentliche,
das Eitfchiedene, ift im Moralifchen, wie im Sntellectuellen und Phy⸗
fihen, da8 Angeborene. (E. 249—256. P. DO, 245.) Die
moralifche Verſchiedenheit der Charaktere ift fo groß, wie bie intellec-
tuelle der Köpfe; womit gewiß viel gefagt if. (E. 194.)
Unmöglich können wir annehmen, daß folche Unterſchiede, die das
ganze Weſen des Menfchen umgeftalten und durch nichts aufzuheben
find, welche ferner im Conflict mit den Umftänden feinen Lebenslauf
beftimmen, ohne Schuld oder Verbienft der damit Behafteten vorhanden
ein Fönnten und da8 bloße Werk bes Zufall wären. Schon hieraus
it evident, baß der Menſch in gewiffen Sinne fein eigenes Werk fein
muß, jo fehr auch fein empirischer Urfprung ein zufälliger zu fein
ſcheint. (W. II, 685 fo. P. II, 242 fg.)
(Üeber den Einfluß der Erziehung, Belehrung und des Beifpiel® auf
nt des Charakters |. Befferung, Beifpiel, Er-
ziehung.)
7) Was bei der moraliſchen Beurtheilung der Hand—
lungen der eigentliche Gegenſtand des Lobes oder
Tadelo iſt.
Auf der Erkenntniß der Unveränderlichkeit bes Charakters be-
ruht es, dag wenn wir den moraliſchen Werth einer Handlung beur-
tbeilen wollen, wir vor Allem über ihr Motiv Gewißheit zu erlangen
fahen, dann aber unfer Rob oder Tadel nicht das Motiv trifft, fon-
dern den Charakter, der fich durch ein ſolches Motiv beſtimmen ließ,
ald den zweiten und allein dem Menſchen inhärirenden Factor biefer-
That. — Auf der felben Erkenntniß beruht e8, daß die wahre Ehre,
ein Mal verloren, nie wieder herzuftellen ift, fondern der Makel einer
einzigen nichtswürdigen Handlung dem Dienfchen auf immer anklebt,
Ihn, wie man fagt, brandmarft. (E. 50 fg.)
8) Die über die Natur hinausgehende Quelle und
Wirkung der Moralität.
Die Moralität hat eine Quelle, welche über die Natur hinaus liegt,
daher fie mit den Ausjagen berfelben in Widerſpruch flieht. Darum
aber tritt fie dem natürlichen Willen, als weldyer an fich ſchlechthin
egoiſtiſch ift, geradezu entgegen, ja, bie Fortfegung ihres Weges führt
zur Aufhebung deſſelben. (W. II, 241.)
Die moraliſchen Tugenden, Gerechtigkeit und Menfchenliebe, da fie,
wenn lauter, daraus entfpringen, daß der Wille zum Leben, dad prin-
134 Moraliſch. Moralität
cipium individuationis durchſchauend, fich felbft in allen feinen Er: |.
fcheinungen wiedererfenut, find demzufolge zubörberft ein Anzeichen, en |
Symptom, daß ber erfcheinende Wille in jenem Wahn nicht mehr gem |
feſt befangen ift, fondern die Enttäuſchung fchon eintritt; fo daß man
gleichnigweife fagen Tönnte, er ſchlage bereit8 mit den Flügeln, um
davonzufliegen. Umpgelehrt, find Ungerechtigkeit, Bosheit, Graulam- |
feit, Auzeichen des Gegentheils, alfo der tiefiten Befangenheit in jmm
Wahn. Nächſtdem aber find jene moralifchen Tugenden ein Ber .
derungsmittel der Selbftverleugnung und demnach der Berneinung bee !
Willens zum Leben. (W. II, 693 fg.)
Das Moralifche liegt zwifchen der Bejahung des Willens zum Lehen
(Erbfüinde) uud der Berneinung deſſelben (Erlöfung); es begleitet tu
Menfchen als eine Leuchte auf feinem Wege von ber Bejahung zum "
Berneinung bes Willens. (W. II, 696.) Schon die Heiligkeit, weh: .
jeder rein moralifchen Handlung anhängt, beruht darauf, daß eine fold:
im leßten Grunde aus der unmittelbaren Erkenntniß der mumerihe
Identität des inneren Weſens alles Lebenden entfpringt. Diele Iden⸗
tität ift aber eigentlich nur im Zuftande ber Verneinung des Bilm
(Nirwana) vorhanden, da feine Bejahung (Sanfara) die Erfdhenm
deſſelben in der DVielheit zur Yorm hat. Bejahung des Willens zum
Leben, Erfcheinungswelt, Diverfität aller Weſen, Individualität, gez
mus, Haß, Bosheit entfpringen aus einer Wurzel; und eben fo a !
|
i
dererſeits Welt des Dinges an ſich, Identität aller Weſen, Gerechtg
keit, Menſchenliebe, Verneinung des Willens zum Leben. Wem nu
ſchon die moralifhen Tugenden aus dem Innewerden jener Identiu
aller Wefen entftehen, diefe aber nicht in der Erfcheinung, fondern ım
Dinge an fi, in der Wurzel aller Wefen liegt, fo ift bie tugendhalt :
Handlung ein momentaner Durchgang durch den Punkt, zu meld |
die bleibende Rücklehr die Verneinung des Willens zum Leben fi
(W. O, 698.)
(Ueber die Unfähigfeit der Thiere zur eigentlichen DMoralität |
Thier.)
9) Moralifche Bedeutung der Welt.
Daß die Welt blos eine phyſiſche, Keine moralifche Bedeutung habt,
ift der größte, verderblichfte Irrthum, die eigentliche Perverfität kr
Gefinnung. (P. II, 205.) In der Schrift „Weber den Willen in der
Natur“ iſt bewiefen, daß die in der Natur treibende umd wirken:
Kraft identifch ift mit dem Willen in und. Dadurch tritt die mo—
ralifhe Weltordnung in unmittelbaren Zufammenhang mit ber dei
Phänomen ber Welt hervorbringenden Kraft. Denn der Befchaffenki
des Willens muß feine Erfcheinung genau entfprechen. Hieranl
beruht die ewige Gerechtigkeit (f. unter Gerechtigkeit: die ewige
Gerechtigkeit), und die Welt, obgleich aus eigener Kraft beftehend, erhält
durchweg eine moralische Tendenz. Sonach ift jetzt allererft das jet
Sokrates angeregte Problem wirklich gelöft und die Forderung der
Moraltheologie — Morphologie 1835
denkenden, auf das Moraliſche gerichteten Vernunft befriedigt. (W. DI,
676 fg.) Eine bloße Moralppilofophie ohne Erklärung der Natur,
wie fie Sokrates einführen wollte, ift einer Melodie ohne Harmonie,
weiche Rouſſeau ausſchließlich wollte, ganz analog, und im Gegenſatz
hievon wird eine bloße Phyſik und Metaphyſik ohne Ethik einer bloßen
Harmonie ohne Melodie entfprechen. (W. I, 313.)
Aoraltheologie.
Die von Kant aus der Moral entiwidelte Theologie, die befannte
blos auf Moral geftütste Theologie ift nur fcheinbar aus feiner Moral
hervorgegangen, da diefe in ihrer imperativen Form vielmehr die Theo⸗
logie fchon zur Borausfegung hatte. In der Form hat die Sache
Analogie mit der Ueberraſchung, die ein Künftler in ber natürlichen
Magie un bereitet, indem er eine Sache uns ba finden läßt, wohin
er fie zuvor weislich practicirt hatte. (E. 125 fg.)
Kants Darftellung, wenn wohl verftanden, beſagt nichts Anderes,
als daß die Annahme eines nad) dem Tode vergeltenden, gerechten
Gottes ein brauchbares und außreichendes regulatives Schema fei,
zum Behuf der Auslegung der gefühlten ernften, ethifchen Bedeutſam⸗
leit unfers Handelns, wie auch der Leitung diefes Handelns felbft, alfo
gewiſſermaßen eine Allegorie der Wahrheit, analog dem noch wahrern
und werthoollern Dogma von der vergeltenden Metempfychofe.. (S.
Metempfychofe) Im diefem Sinne hat man Kants Moraltheologie
zu nehmen, obgleich er felbft nicht fo unummunden, wie bier gefchießt,
ſich über das eigentliche Sachverhältniß ausdrüden durfte, Die theo-
logiſchen und philofophifchen Schriftfteller der nachlant’fchen Zeit haben
meiften® gefucht, der Kant'ſchen Moraltheologie da8 Anſehen eines
wirflichen bogmatifchen Theismus, eines neuen Beweiſes bes Daſeins
Gottes zu geben. Das ift fie aber durchaus nicht; fondern fie gilt
ganz allein inmerhalb der Moral, blos zum Behuf der Moral und
fin Strohbreit weiter. (PB. I, 120 fg.)
Mord, |. Unredt.
Aorganatifche Ehe, ſ. Türften.
Morgen, |. Tag.
Morphologie.
Bon den zwei Hauptabtheilungen der Naturwiſſenſchaft, Aetiologie
und Morphologie (vergl. Aetiologie), hat es die leßtere mit der De-
ſchreibung der Geftalten, der bleibenden Formen, zu thun. Sie ift das,
was man, wenngleich nneigentlich, Naturgefchichte nennt, in feinem
ganzen Umfange. Beſonders als Botanit und Zoologie lehrt fie uns
die verfchiedenen, beim unaufhörlichen Wechfel der Individuen bleibenden,
organifchen und dadurch feft beftimmten Geftalten kennen, welche einen
großen Theil des Inhalts der anfchaulichen Vorſtellung ausmachen;
136 Motiv. Motivation
fie werden von ihr claffificirt, gefondert, vereinigt, nach natürlichen uni
fünftlichen Syſtemen georbnet, unter Begriffe gebracht, melde ein
Ueberfiht und Kenntniß aller möglich machen. Es wird ferner auch
eine durch alle gehende, unendlich nitancirte Analogie derfelben im
Ganzen und in den Theilen nachgewieſen (unit de plan), vermöge
welcher fie fehr mannigfaltigen Variationen auf ein nicht mitgegebeus
Thema gleichen. Der Uebergang der Materie in jene Oeftalten, d.h
die Entftehung der Individuen, ift fein Haupttheil der Betrachtung, da
jedes Individuum aus den ihm gleichen durch Zengung hervorgelt,
welche, überall gleich geheimnißvoll, ſich bisjetzt der deutlichen Extent-
niß entzieht; das Wenige aber, was mau davon weiß, findet jem
Stelle in der Phnfiologie, die ſchon der ätiologifchen Naturwiſſenſchaft
angehört. Zu diefer neigt ſich auch fchon die der Hauptſache ned
zur Morphologie gehörende Mineralogie hin, befonberd da, wo fi
Geologie wird. (W. I, 114 fg. 167 fg.)
Motiv. Hlotivation.
1) Gefeß der Motivation. (S. unter Grund: Sap vom
Grunde des Handelns.)
2) Was durch die Motive beſtimmt wird.
Die Motive beftimmen nie mehr, als das, was ich zu diefer Zeit,
an dieſem Ort, unter diefen Umftänden will; nicht aber daß ich
überhaupt will, noch was ich überhaupt will, b. 5. die Warm,
welche mein geſammtes Wollen charakterifirt. Daher iſt mein Wollen
nicht feinem ganzen Wefen nad) aus den Motiven zu erklären; je
bern dieſe beflimmen blos feine Aeußerung im gegebenen Zeitpunkt,
find blos der Anlaß, bei dem ſich mein Wille zeigt, diefer ſelbſt hi-
gegen liegt außerhalb bes Gebietes bes Geſetzes ber Motivation
Lediglich unter Boransfegung meined empirischen Charakters iſt das
Motiv Hinreichender Erklärungsgrund meines Handelns ; abftrafire id
aber von meinem Charakter und frage, warum ich überhaupt diefes
und nicht jenes will; fo ift Feine Antwort darauf möglich, weil eben
nur die Erſcheinung des Willens dem Sage vom Grunde unter:
worfen ift, nicht aber er felbft, der infofern grunblos zu nennen iſt
(W. I, 127. 194.) Wie jede Aeußerung einer Naturkraft eine Urſacht
bat, die Naturkraft felbft aber Keine; fo Hat jeder einzelne Willendacl
ein Motiv, der Wille überhaupt aber keines; ja, im Grunde ift dies
Beides Eins und das Selbe. (W. II, 407 fg.)
Die Motive beftimmen eigentlich die ganze individuelle Beichaffenkeit
der Handlungen, während ihr Allgemeines und Wefentliches, nämlich
ihr moraliſcher Grundcharakter, vom Subject ausgeht. (E. 92.)
3) Was dem Motiv die Kraft zu wirken ertheilt.
Das Motiv wirft nur unter der Borausfegung, daß es überhaupt
ein Beflimmungsgrund des zu erregenden Willens fei, fo wie auf di
Motiv, Motivation 137
phyſikaliſchen und chemifchen Urſachen, deögleichen die Heize ebenfalls
nur wirken, fofern der zu afficirende Körper für fie empfänglich iſt.
Der Bille ift Das, was eigentlich dem Motiv die Kraft zu wirken
ertheilt, die geheime Sprungfeder ber durch daffelbe hervorgerufenen
Bewegung. (E. 33.) Das Motiv wirkt nur unter Vorausfegung
eines innern Triebes, d. h. einer beftimmten Beſchaffenheit des Wil⸗
Ins, welche man den Charakter befjelben nennt; biefem giebt das
jedesmalige Motiv nur eine entfchiedene Richtung, — individualifirt
ihn für den concreten Fall. (W. U, 391.)
4) Intellectuelle Bedingung der Wirkſamkeit der
Motive.
Zur Wirkſamkeit ber Motive iſt nicht blos ihre Vorhandenſein, ſon⸗
dern auch ihr Erkanntwerden erfordert; denn, nad einem fehr guten
Ausdrud der Scholaftifer, causa finalis movet non secundum suum
esse reale, sed secundum esse cognitum. Damit 3. B. das Ver⸗
hältniß, welches in einem gegebenen Menfchen Egoismus und Mitleid
zu einander haben, bervortrete, ift es micht hinreichend, daß derſelbe
etwa Reichthum befige und fremdes Elend ſehe; fondern er muß aud
wiften, was fich mit dem Reichthum machen läßt, fowohl für fich, ale
für Andere; und nicht nur muß fremdes Leiden fich ihm darftellen,
ſondern er muß auch wiflen, was Leiden, aber-aud), was Genuß fei.
Bielleiht weiß er bei einem erften Anlaß dieſes Alles nicht fo gut,
wie bei einem zweiten; und wenn er nun bei gleichem Anlaß verjchieden
handelt, fo Tiegt die nur daran, daß die Umftände eigentlich andere
waren, nämlich dem Theil nach, der von feinem Erkennen derfelben
abhängt, wenn fie gleich biefelben zu fein fcheinen. — Wie das Nicht-
fennen wirklich vorhandener Umftände ihnen die Wirkfamfeit nimmt,
ſo können andererfeitd ganz imaginäre Umſtände wie reale wirken, nicht
um bei einer einzelnen Täufchung, fondern auch im Ganzen und auf
die Dauer. (W. I, 348 fg.)
5) Analogie der Wirfung der Motive mit ber Wir-
fung der Centripetalkraft.
Man kann das Handeln des Menfchen ale das nothiwendige Product
des Charakters und der Motive ſich veranfchaulichen an dem Lauf
eines Planeten, als welcher das Refultat der biefem beigegebenen
Zangential- und der von feiner Sonne aus wirkenden Centripetalkraft
ft, wobei die erftere Kraft den Charakter, die lettere den Einfluß der
Motive darftelt.e Das ift faft mehr als ein bloßes Gleichniß, fofern
nämfih die Tangentialfraft, von welcher eigentlich bie Bewegung aus-
geht, während fie von der Gravitation beſchränkt wird, metaphyſiſch
Ka, der in eimem folchen Körper ſich darftellende Wille ift.
(P. I, 247.)
138 Motiv. Motivation
6) Einfluß der Nähe des Motive anf bie Stärke jei-
ner Wirkung.
Den überlegteften Entſchluß Tann ein unbebeutendes, aber unmittelbar
gegenwärtiges Gegenmotiv in momentanes Wanfen verfegen. Denn ber
relative Einfluß der Motive fteht unter einen Gefeg, welches bem, nad
welchem bie Gewichte auf den Wagebalfen wirken, gerade entgegengeieht
ift, und in folge deſſen ein fehr Heines, aber fehr nahe liegendes Me:
tiv ein an fich viel ftärferes, jedoch aus ber Ferne wirkendes über:
wiegen kann. (W. II, 164. — Bergl. Affect.)
7) Das ftärfer wirkende Motiv als ein Zeichen bes
Sharalters.
Wenn zwei entgegengefegte, und beide fehr flarfe Motive, A und B,
auf einen Menſchen wirken, mir nun aber fehr daran Liegt, daß er A
wähle, noch mehr aber daran, daß er feiner Wahl nicht wieder unge
treu werde; fo muß ich nicht etwa den vollen Eindrud des Motivs B
auf ihn verhindern und ihm nur immer A vorhalten; vielmehr muf
ih ein Mal beide Motive ihm Höchft Tebhaft und deutlich vorhalten,
fo daß fie mit ihrer ganzen Stärfe auf ihn wirken. Was er nun
erwählt, ift die Entſcheidung feines innerften Weſens und fteht daher
feft. Ic Habe nun feinen Willen erkannt und kann auf befien Wirte
fo feft bauen, wie auf das einer Naturkraft. So gewiß das jene
zündet und das Wafler näßt; fo gewiß handelt er nach dem Motive,
das fi) als das ftärkere für ihn erwiefen. (9. 394.)
8 Nothwendige Beziehung jedes Motivs auf Wohl
und Wehe.
Da Das, was den Willen bewegt, allein Wohl und Wehe über:
haupt und im weiteften Sinne des Wortes ift; fo muß jedes Motiv
eine Beziehung auf Wohl und Wehe haben. (E. 205.)
9) Einfluß der Motive auf den Intellect.
Ein ſtark wirkendes Motiv, wieder fehnjüchtige Wunſch, die drin-
gende Noth, fteigert bisweilen ben Intellect zu einem Grade, deſſen
wir ihn vorher nie fähig geglaubt hatten. Schwierige Umſtände, welde
und die Nothivendigfeit gewiffer Leiftungen auflegen, entwideln gan
neue Talente in uns, deren Keime uns berborgen geblieben waren.
(W. II, 248 fg.)
10) Segenfaß zwifhen Motivation und Inflinct. E.
Inſtinct.)
11) Einſluß der Motive auf die Moralität.
Durch Motive läßt ſich Legalität erzwingen, nicht Moralität;
man kann das Handeln umgeſtalten, nicht aber das eigentliche Wol⸗
len, welchem allein moralifcher Werth zuſteht. (E. 255.)
12) Das Medium der Motive f. Intellect und Gehirn.
Muſik 139
Muſik.
21) Unterſchied der Muſik von den andern Künſten.
Die Muſik ſteht ganz abgeſondert von den andern ſchönen Künſten.
Sie iſt nicht die Nachbildung, Wiederholung irgend einer Idee der
Weſen in der Welt; dennoch muß ſie ſich, analog den übrigen Künſten,
zur Welt in irgend einem Sinne wie Darſtellung zum Dargeſtellten,
wie Nachbild zum Vorbilde verhalten. Auch muß ihre nachbildliche
Beziehung zur Welt eine ſehr innige, unendlich wahre und richtig
treffende ſein, weil ſie von Jedem augenblicklich verſtanden wird und
eine gewiſſe Unfehlbarkeit dadurch zu erkennen giebt, daß ihre Form
ſich auf ganz beſtimmte, in Zahlen auszudrückende Regeln zurückführen
läßt. Worin beſteht num dieſe eigenthümliche nachbildliche Beziehung
der Muſik zur Welt, durch die ſie ſich von den andern Künſten unter⸗
ſcheidet? In Folgendem. Zweck aller andern Künſte iſt, die Erkenntniß
der Ideen durch Darſtellung einzelner Dinge anzuregen. Sie alle ob-
jectiviven alfo den Willen nur mittelbar, nämlich mittelft der Ideen.
Die Mufif hingegen, die Ideen übergehend, ift eine fo unmittelbare
Objectivation und Abbild des ganzen Willens, wie die Welt felbft
es ift, ja wie bie Ideen es find. Die Muſik ift alfo keineswegs, gleich
den andern Künften, das Abbild der Ideen; fonbern Abbild des
Billens felbft, deſſen Objectität auch die Ideen find. Deshalb eben
ft die Wirkung dev Muſik fo fehr viel mächtiger, als die der andern
Künfte; denn diefe reden nur vom Schatten, fie aber vom Weſen. Da
es inzwifchen der felbe Wille ift, ber ſich fowohl in den Ideen, als in
der Mufil, nur in jedem von beiden auf verfchiedene Weife, objectivirt;
jo muß ein Parallelismus, eine Analogie fein zwifchen der Muſik und
den Ideen. (W. I, 302—-304.)
Die Muſik ift darin von allen andern Künften verfchieden, daß fie
nicht Abbild der Erfcheinung ober, richtiger, der adäquaten Objectität
des Willens, fondern unmittelbar Abbild des Willens felbft ift und
aljo zu allem Phyſiſchen der Welt das Metaphyſiſche, zu aller Er⸗
ſcheinung das Ding an ſich darftelt. Man könnte demnach die Welt
ebenfo wohl verkörperte Muſik, als verförperten Willen nennen. (W.
I, 310.) Gefeßt daher, es gelänge eine volllommen richtige, vollftän-
dige und ins Einzelne gehende Erklärung der Muſik, alfo eine aus-
führlihe Wiederholung defjen, was fie ausdrückt, in Begriffen zu geben,
jo würde diefe fofort auch eine genligende Wiederholung und Erklärung
der Welt in Begriffen, oder einer folchen ganz gleichlautend, alfo bie
wahre Philofophie fein. (W. I, 312 fg.) Aügemein und zugleich
populär vedend kann man fagen: die Muſik überhaupt ift die Melodie,
zu der die Welt der Tert if. (P. II,-463.)
(Üeber ben Gegenfag zwiſchen Muſik und Architectur und die Ana-
logie beider f. unter Architectur: Vergleichung der Banfunft mit
den übrigen Künſten.)
140 Mufit
2) Analogie zwifchen der Muſik und der erfcheinenden
Welt
In den tiefften Tönen ber Harmonie, im Grundbaß, find bie niedrig.
ften Stufen der Objectivation des Willens wiederzuerfennen, die un:
organifche Natur, die Maſſe des Planeten, auf der Alles ruht und
aus der ſich Alles erhebt und entwidelt. Im den gefammten die Har-
monie bervorbringenden Ripienftimmen, ziwifchen dem Bafle und ber
leitenden, die Melodie fingenden Stimme, ift die gefammte Stufenfolge
ber Ideen wieberzuertennen, in denen der Wille fich objectivirt. Die
dem Baß näher ftehenden find die niedrigern jener Stufen, bie nod
unorganifchen, aber fchon mehrſach fi äußernden Körper; bie höher
liegenden repräfentien die Pflanzen- und Thierwelt. — In der Me
Lodie, in der hohen, fingenden, das Ganze leitenden und in bedeutungd-
vollem Zufammenhange eines Gedankens von Anfang bie zum Ende
fortfchreitenden, ein Ganzes darftellenden Hauptflimme ift bie höchſte
Stufe der Objectivation des Willens wieberzuerfennen, das befonnene
Leben und Streben des Menfchen. Die Dtelodie dritdt in ihrem Ab—
weichen, Abirren vom Grundton, auf taufend Wegen, das vielgeftaltete
* Streben bes Willens aus, aber immer aud, durch das endliche Wieder⸗
finden einer barmonifchen Stufe, und noch mehr des Grundtones, die
Befriedigung. — Wie ſchneller Uchergang vom Wunſch zur Befriedi⸗
gung und von diefer zum neuen Wunſch Glück und Wohlfein iſt, jo
find raſche Melodien, ohne große Abirrungen, fröhlich; Tangfame, auf
ſchmerzliche Diffonanzen gerathende und erſt durch viele Tacte ſich
wieder zum Grundton zurückwindende ſind, als analog der verzögerten,
erſchwerten Befriedigung, traurig. Die Unerſchöpflichkeit mögliche
Melodien entfpricht der Unerfchöpflichfeit der Natur an Verſchiedenheit
der Individuen, Phyfiognomien und Lebensläufe. (W. I, 304—308.
183. 378; II, 509 fg. 515. P. I, 42.)
So wie die höchſte Stufe der Objectivation des Willens, der Menld,
nicht allein und abgeriffen in der Natur erfcheinen konnte, ſondern die
unter ihm ftehenden Stufen und diefe immer wieder die tiefern voraus⸗
festen; ebenfo num ift die Muſik erft vollkommen in der vollftändigen
Harmonie. Die hohe leitende Stimme der Melodie bebarf, um ihren
ganzen Eindrud zu machen, der Begleitung aller andern Stimmen, bie
zum tiefften Baß, welcher als der Urfprung aller anzufehen ift; die
Melodie greift felbft als integrivender Theil in die Harmonie ein, wie
auch diefe in jene; und wie nur fo, im vollſtimmigen Ganzen, die
Muſik ausfpriht, was fie auszufprechen bezweckt, fo findet der ein
und außerzeitlihe Wille feine vollfommene Objectivation nur in ber
vollftändigen Vereinigung aller der Stufen, welche in unzähligen Oraden
gefteigerter Deutlichkeit fein Weſen offenbaren. (W. I, 313 fg.)
Eine fernere ſehr merkwürdige Analogie ift folgende. In der Natur
bleibt, ungeachtet des Sichanpafjens aller Willenserfcheinungen zu ein⸗
ander in Hinficht auf die Arten, dennoch ein nicht aufzuhebender Wider⸗
ſtreit zwifchen jenen Exfcheinungen als Individuen, ift auf allen Stufen
Mufit 141
derfelben fichtbar und macht bie Welt zu einem beftändigen Kampf-
plab aller jener Erjcheinungen des einen und felben Willens, deflen
innerer Widerfpruch mit ſich felbft dadurd) fichtbar wird. Diefen ent-
Iprechend ift in der Muſik ein vollfonmen reines harmonifches Syftem
der Zöne nicht nur phyſiſch, fondern fogar ſchon arithmetiſch unmög⸗
lid. Daher läßt eine volllommen richtige Muſik fih nicht einmal
denfen, gejchweige ausführen, und deshalb weicht jede mögliche Mufit
von der vollkommenen Reinheit ab. (W. I, 314.)
3) Allgemeinheit der Spradhe der Muſik bei durd-
gängiger Beftimmtheit.
Da die Mufil nie die Erfcheinung, fondern allein das innere Wefen,
dad Anſich aller Erfcheinung, den Willen felbft anspricht, fo ift ihre
Sprache eine im höchften Grad allgemeine. Sie drückt nicht dieſe
oder jene einzelne und beftimmte freude, diefe oder jene DBetrübniß,
oder Schmerz, oder Entfegen, oder Gemüthsruhe aus; fondern bie
Freude, die Betrübniß, den Schmerz, das. Entfegen, die Gemüths⸗
ruhe ſelbſt, gewiffermaßen in abstracto, das Wefentliche derfelben,
ohne alle8 Beiwerf, alfo aud) ohne die Motive dazu. ‘Dennoch ver«
ftehen wir fie in diefer abgezogenen Quinteſſenz vollkommen. Ueberall
drüdt die Muſik nur die Duintefjenz des Lebens und feiner Vorgänge
aus, nie diefe felbft, deren Unterſchiede daher auf jene nicht allemal
einfließen. Gerade diefe ihr ausſchließlich eigene Allgemeinheit, bei ge-
nauefter Beftimmtheit, giebt ihr den hohen Werth, welchen fie als
Panafeion aller unferer Leiden hat. Die im höchſten Grad allgemeine
Spradhe der Mufif verhält fi fogar zur Allgemeinheit der Begriffe
ungefähr, wie diefe zu den einzelnen Dingen. Dennoch ift ihre Al-
gemeinheit keineswegs jene leere der Abftraction, fondern ganz anderer
Art und ift verbunden mit durchgängiger deutlicher Beftimmtheit. Sie
gleicht Hierin den genmetrifchen Figuren und den Zahlen, welche ala
die allgemeinen Formen aller möglichen Dbjecte der Erfahrung und
auf alle a priori anwendbar, doch nicht abftract, fondern anſchaulich
und durdgängig beftimmt find. (W. I, 3802. 309 fg. P. II, 462.)
4) Die phyfifhe und arithmetifhe Grundlage ber
Mufit in ihrer Beziehung zur metapdyfifchen Be-
- deutung.
Die Muſik ift ein Mittel, rationale und ivrationale Zahlenverhält-
niffe nicht etwa, wie bie Arithmetik, durch Hülfe des Begriffs faßlich
zu machen, fondern diefelben zu einer ganz unmittelbaren und fimul-
tanen finnlichen Erkenntniß zu bringen. Die Verbindung der meta-
phyſiſchen Bedeutung der Muſik mit diefer ihrer phufifchen und arith-
metiichen Grundlage beruht nun barauf, daß das unferer Apprehen-
lion Wiberftrebende, das Irrationale, oder die Diffonanz, zum natlir-
lihen Bilde des unferm Willen Widerftrebenden wird; und umgelehrt
wird die Confonanz, oder das Nationale, indem fie unferer Auffaffung
ſich Leicht fügt, zum Bilde der Befriedigung de Willens. Da nım
142 Muſik
ferner jenes Rationale und Irrationale in den Zahlenverhältnifſen ver
Bihrationen unzählige Grade, Niancen, Folgen und Abwechfelungen
zuläßt; fo wird, mittelft feiner, die Muſik der Stoff, in welchem alle
Bewegungen des menfchlichen Herzens, d. i. des Willens, deren Weſent⸗
liches immer auf Befriedigung und Unzufriedenheit, wiewohl in ım>
zähligen Graden hinausläuft, ſich in allen ihren feinften Schattirungen
und Mobdificationen getren abbilden und wiedergeben laflen, welches
mittelft Erfindung der Melodie gefchieht. Wir fehen alfo hier die
MWillensbewegungen auf das Gebiet der bloßen Borftellung hinüber:
gejpielt, als welche der ausſchließliche Schauplag der Leiftungen aller
Schönen Künfte if. Die Muſik erregt in ihrem Stoffe nicht den
Willen felbft, fondern giebt nur ein Bild der Befriedigung des
Willens, fo wie feiner Hemmung und feines Leidens. (WB. II,
513—515. P. 1, 42)
Die Melodie befteht aus zwei Elementen, einem rhythmiſchen und
harmonifchen, und ift mejentlich eine abwechfelnde Entzweiung und
Verſöhnung derjelben. Dieſe beftändige Entzweiung und Verföhnung
ihrer beiden Elemente ift, metaphyſiſch betrachtet, das Abbild ber Ent-
ftehung nener Wünſche und fodann ihrer Befriebigung. Näher be
trachtet, ſehen wir in dieſem Hergang der Melodie eine gewiſſermaßen
innere Bedingung (bie barmonifche) mit einer äußern (der rhyth⸗
mifchen) wie durch einen Zufall zufanmentreffen, — welchen freilich
der Komponiſt herbeiführt und der inſofern dem Reim in der Poeſie
zu vergleichen iſt. Dies aber eben iſt das Abbild des Zujammıen-
treffend unferer Wünſche mit den von ihnen unabhängigen günftigen,
äußern Umftänden, alfo das Bild des Glücks. — Durchgängig beftcht
die Muſik in einem fteten Wechfel von mehr oder minder beunruhigen:
den, d. i. Berlangen erregenden Accorden mit mehr oder minder be:
ruhigenden und befriedigenden; eben wie das Leben des Herzens (der
Wille) ein fteter Wechjel von größerer oder geringerer Beunruhigung,
durch Wunſch oder Furcht, mit cben fo verſchieden gemefjener Beruhiz
gung iſt. Demgemäß beiteht die barmonifche Fortichreitung in der
funftgerechten Abwechſelung der Diffonanz und Confonanz. Ja, es
giebt eigentlich in der ganzen Muſik nur zwei rundaccorde: ben
diffonanten Septinenaccord und den harmonischen Dreiklang, als auf
welche alle vorfommenden Accorde zurüdzuführen find. Dies ift chen
Dem entfprechend, daß es fir den Willen im Grunde nur Unzufrieden⸗
heit und Befriedigung giebt. Und wie es zwei allgemeine Grund»
ftiimmungen bes Gemüths giebt, Heiterkeit und Betritbniß; fo hat die
Mufit zwei allgemeine Zonarten, Dur und Moll, weiche jenen ent-
ſprechen. (W. I, 516—521.)
5) Beziehung der Muſik zu untergelegten einzelnen
Scenen und Bildern des Lebens.
Auf der Allgemeinheit der Sprache der Muſik beruht es, dag man
ein Gedicht als Gefang, oder eine anfchauliche Darftellung als Panto-
Mufit 143
mime, oder beides als Dper der Muſik unterlegen kann. Solche ein-
zelne Bilder des Menſchenlebens, der allgemeinen Sprache der Muſik
untergelegt, find nie mit durchgängiger Nothwendigkeit ihr verbunden,
oder entfprechend; fondern fie ftehen zu ihr nur im Berhältniß eines be-
liebigen Beiſpiels zu einem allgemeinen Begriff. Dem allgemeinen
Sinn der einer Dichtung beigegebenen Melodie könnten noch andere,
eben fo beliebig gewählte Beifpiele des in ihr ausgebrildten Allgemeinen
in gleichen Grade entfprechen; daher paßt bie ſelbe Kompofition zu
vielen Strophen, daher aud; das Vaudeville.. Daß aber überhaupt
eine Beziehung zwifchen einer Kommpofition und einer anſchaulichen
Darftelung möglich ift, beruht darauf, daß beide nur ganz verfchiebene
Ausdrücke des felben innern Weſens der Welt find. Wenn nun im
einzelnen Yal eine ſolche Beziehung wirklich vorhanden ift, alfo der
Komponift die Willensregungen, welche den Kern einer Begebenheit aus⸗
machen, in der allgemeinen Sprache der Mufil auszusprechen gewußt
hat; dann ift die Melodie des Liedes, die Muſik der Oper ausdruds-
vol. Die vom Komponiften aufgefundene Analogie zwiſchen jenen bei«
den muß aber aus der unmittelbaren Erkenntniß des Weſens der Welt,
feiner Bernunft unbewußt,. hervorgegangen, darf alfo nicht bewußte,
abfichtliche Nachahmung fein; fonft ſpricht die Muſik nicht das innere
Befen, den Willen felbft, aus, fondern ahmt nur feine Erfcheinung
na, wie dies alle eigentlich nachbildende Muſik, 3. B. „die Jahres⸗
zeiten“, auch „bie Schöpfung” von Haydn in vielen Stellen thut.
Solche malende Muſik ift gänzlich zu verwerfen. (W. I, 310—312;
II, 510 fg. P. II, 462.)
Wenn die Mufit zu fehr fich den Worten anzufchliegen und nad)
den Begebenheiten zu modeln fucht, fo ift fie bemüht, eine Sprache zu
reden, welche nicht die ihrige if. Von diefem Fehler bat Seiner ſich
fo rein gehalten, wie Roffini; daher fpricht feine Muſik fo deutlich
und rein ihre eigene Sprache, daß fie der Worte gar nicht bedarf
mb daher auch mit bloßen Inftrumenten ausgeführt ihre volle Wir⸗
hung thut. (W. I, 309.)
Die Muſik fteht in analoger, wiewohl nicht ebenfo undermeiblicher
Dienfibarkeit zum Text, oder ben fonftigen ihr aufgelegten Realitäten,
wie die Architectur als blos Schöne Kunft zu den wirklichen Bauwerken
mit ihren nützlichen Zwecken. Sie muß eine gewilfe Homogeneität
mit dem Terte annehmen und eben fo auch den Charakter der übrigen,
ihr etwa geſetzten, willfürlichen Zwecke tragen und demnach Kirchen⸗,
Opern⸗, Militär⸗, Tanz⸗Muſik u. dgl. m. fein. Das Alles aber iſt
istem Weſen fo fremd, wie der rein äfthetifchen Baukunſt die menfch-
lichen Nützlichkeitszwecke, denen alfo Beide ſich zu bequemen und ihre
jelbfteigenen den ihnen fremden Zweden unterzuorbnen haben. Der
Bantunft ift Dies faft immer unvermeidlich, dee Mufif nicht alfo; fie
bewegt fich frei im oncerte, in der Sonate und vor Allem in ber
Symphonie, ihrem fchönften Tummelplag, auf welchem fie ihre Satur-
nalien feiert. (PB, I, 463 fg.) Daß übrigens die Zugabe der Dich⸗
144 Mifit
tung zur Muſik uns fo willlommen ift, und ein Geſang mit verfländ-
lihen Worten uns fo innig erfreut, berußt darauf, daß dabei unſere
nnmittelbarfte und unfere mittelbarfte Erkenntnißweiſe zugleid und m
Berein angeregt werden. Bei der Sprache der Empfindung mag die
Bernunft nicht gern ganz müßig fiten. Die Muſik vermag zwar ans
eigenen Mitteln jede Bewegung des Willens, jede Empfindung, auszu⸗
drüden; aber durch die Zugabe der Worte erhalten wir nun überdis
auch noch die Gegenftänbe diefer, die Motive, welche jene veranlafen.
(W. DO, 511. P. II, 465.)
6) Wirkung der Mufit.
Weil die Muſik nicht, gleidy allen andern Kiünften, bie Ideen, oder
Stufen der Objectivation des Willens, jondern unmittelbar den Bil:
len jelbft darftelt; jo ift hieraus erlärlih, daß fie auf ben Bilen,
d. i. bie Gefühle, Leidenfchaften und Affecte des Hörers, unmittelbar
einwirkt, jo daß fie diefelben fchnell erhöht, oder auch umftimnt. (V.
1, 510.) — Aus der Allgemeinheit der Sprache der Mufik entipring
es, daß unfere Phantafie fo leicht durch fie erregt wird und nun wr-
fucht, jene ganz unmittelbar zu uns redende, unfichtbare und doch ſo
lebhaft bewegte Geifterwelt zu geftalten und fie mit Fleiſch und Bau
zu befleiden, alfo diefelbe in einem analogen Beiſpiel zu verlürpen.
Dies ift der Urfprung des Gefanges mit Worten und endlich der Oper.
(®. I, 309.) Ä |
Aus dem innigen Verhältniß, welches die Muſik zum wahren Beier
aller Dinge hat, ift es zu erflären, daß wenn zu irgend einer Scew,
Handlung, Borgang, Umgebung, eine paflende Muſik ertönt, diefe um
den geheimften Sinn derfelben aufzufchließen ſcheint und als der rid-
tigfte und beutlichfte Commentar dazu auftritt; imgleichen, daß es Dem,
der fi dem Eindrud ciner Symphonie ganz hingiebt, ift, als fähe er
alle möglihen Vorgänge bes Lebens und der Welt an fid vorüber
ziehen; dennoch kann er, wenn er fich befinnt, keine Wehnlichleit an
geben zwifchen jenem Tonſpiel und ben Dingen, die ihm vorſchweben.
(®. 1, 310; II, 512 fg.)
Das unausſprechlich Innige aller Muſik, vermöge defien fie als ein
fo ganz vertrautes und boch ewig fernes Paradies an und vorliberzieht,
jo ganz verftändlich und doch fo unerflärlich ift, beruht darauf, daß fir
alle Regungen unfers innerften Weſens wiebergiebt, aber ganz ohne
die MWirffichleit und fern von ihrer Dual, Imgleichen ift der ihr
wejentliche Ernft, welcher das Lücherliche aus ihrem unmittelbar eigenen
Gebiet ganz ausfchließt, daraus zu erflären, daß ihr Object nicht die
Borftellung if, in Hinficht auf welche Täufhung und Lächerliäfeit
allein möglich find; fondern ihr Object unmittelbar der Wille ift und
diefer wefentlich das Allerernfteite, ala wovon Alles abhängt. (W. 1,312.
Da die Muſik in ihren Tönen und Zahlenverhäftniffen nicht den
Willen felbft, den fie abbildet, erregt, fondern eben nur ein Bild ſei⸗
nes Strebens, feines Schmerzes und feiner Befriedigung giebt, alſo,
Mufit 145
wie alle fchöuen Künfte, nur auf die Borftellung wirkt; fo bleibt fie
auch in ihren fchmerzlichften Accorden noch erfreulich, und wir ver-
nehmen gern in ihrer Sprache die geheime Geſchichte unfers Willens,
felbt no in ben wehmitthigften Melodien. Wo Hingegen in der
Birfikeit und ihren Schreden unfer Wille felbft das jo Erregte
und Gequälte ift, da haben wir e8 nicht mit Tönen und ihren Zahlen-
verhältniffen zu thun, fondern find viehnehr jett felbft die gefpannte,
gehuiffene und zitternde Saite (W. II, 514.) Die Muſik ift ein
Kathartilon des Gemüthes, wie eine ſchöne Ausficht ein Kathartikon
des Geiftes iſt. (W. II, 460.)
Keme Kunſt wirkt auf den Menfchen fo unmittelbar, fo. tief ein, als
die Mufit, weil feine und das wahre Wefen der Welt fo tief und
unmittelbar ertennen läßt, als diefe. Das Anhören einer großen, voll⸗
Rimmigen und ſchönen Mufit ift gleichjam ein Bad des Geiftes; es
jpült alles Unreine, alles Kleinliche, alles Schlechte weg, ftimmt Jeden
hinanf auf die höchſte geiftige Stufe, die feine Natur zuläßt, und
während des Anhörens einer großen Muſik fühlt Jeder deutlich, was
er im Ganzen wert ift, oder vielmehr, was er werth fein könnte.
($. 373.)
Ans der paffiven Natur des Gehörs erklärt fi die jo eindrin-
gende, fo unmittelbare, fo unfehlbare Wirkung der Mufit auf ben
Geiſt, nebft der ihr bisweilen Tolgenben, in einer befondern Erhaben-
hät der Stimmung beftehenden Nachwirkung. Die in combinirten,
rtionalen Zahlenverhältnifien erfolgenden Schwingungen ber Töne
nike nämlih bie Gehirnfibern felbft in gleiche Schwingungen.
(®. II, 36.)
7) Wie die Mufil percipirt wird.
Die Mufit wird einzig und allein in und durd) die Zeit percipirt,
mit gänzlicher Ausichliegung des Raumes, aud ohne Einfluß der Er«
kenntniß der Caufalität, alfo des Berftandes; denn die Töne machen
ſchon al8 Wirkung und ohne daß wir auf ihre Urfache, wie bei der
Anſchauung zurüdgiengen, den äfthetifchen Eindrud. (W. I, 314.)
8) Der Komponift.
Die Erfindumg der Melodie, die Aufdeckung aller tiefften Geheim-
niſſe des menschlichen Wollens und Empfindens in ihr, ift das Werl
de8 Genius, deſſen Wirken bier augenjcheinlicher, als irgendwo, fern
von aller Reflerion und bewußter Abfichtlichkeit liegt und eine In⸗
Ipiration heißen könnte. Der Begriff ift hier, wie überall in der
Lunſt, unfruchtbar. Der Komponift offenbart das innerfte Weſen der
Belt und fpricht die tieffte Weisheit aus, in einer Sprache, die feine
Bernunft nicht verfteht; wie eine magnetifhe Somnambule Auffchlüffe
giebt über Dinge, von denen fie wachend keinen Begriff hat. Daher
ft in einem Komponiften, mehr als in irgend einem andern Künftler,
der Menſch vom Künftler ganz getrennt und unterfchieden. (8. 1,307.)
SchopenbauersZerilon. II. 10
146 Must — Muße
9) Gegenſatz zwifhen Muſik und Schanfpiel in Hin-
fiht auf die Yusführung.
In der Muſik überwiegt ber Werth der Kompoſition den der Ant-
führung; Hingegen beim Schaufpiel verhält es ſich gerade umgeleht. .
Nämlich eine vortreffliche Kompofltion, fehr mittelmäßig, mur eben rem
und richtig ausgeführt, giebt viel mehr Genuß, als die vortrefflichſe
Ausführung einer fchlechten Kompofition. Hingegen leiſtet eim ſchlechtes
Theaterftüd, von ausgezeichneten Schaufpielern gegeben, viel mehr, als
das vortrefflichite, von Stümpern gejpielt. (P. II, 469.)
10) Abweg, auf welchem fich die Muſik Heutigen Tages
befindet.
Der Abweg, auf welchem fich unfere Muſik befindet, ift dem analog,
auf welchen die römiſche Architectur unter den fpätern Kaifern gerathen
war, wo nämlich die Ueberladung mit Verzierungen die wefentliden,
einfachen Verhältniſſe theils verftedte, theils fogar verrüdte; fie biete
nämlich vielen Lärnt, viele Inftrumenie, viel Kunft, aber gar weg
deutliche, eindringende und ergreifende Grundgedanken. Zudem find
“|
man in ben fchaalen, nichtsfagenden, wmelodielofen Kompoſitionen de |
heutigen Tages denfelben Zeitgeſchmack wieder, welcher die undeutlichee
ſchwankende, nebelhafte, räthfelhafte, ja finnleere Schreibart ſich gefalla |
läßt, deren Urfprung haupifächlich in der miferabeln Hegelei und ihrem |
Charlatanismus zu fuchen if. — In ben Kompofitionen jegiger Jat ;
ift es mehr anf die Harmonie, al8 die Melodie abgefehen. Die Mr
|
‘
lodie ift jedoch der Kerın ber Mufik, zu welchem die Harmonie ſich vr
hält, wie zum Braten die Sauce. (P. U, 464.)
(Ueber die große Dper vergl. Oper.)
Muskel, |. Irritabilität.
Hufe.
1) Die Muße als der Ertrag des ganzen Daſeins.
Dem entfprechend, daß das Gehirn als der Barafit, oder Penfionair
des ganzen Organismus auftritt, ift die errungene freie Muße eim:
Jeden, indem fie ihm den freien Genuß feines Bewußtſeins uud fen
Individualität giebt, die Frucht und der Ertrag feines gefammten Ta
feins, welches im Uebrigen nur Miihe und Arbeit if. (PB. I, 349.
2) Berfchiedener Werth der Muße für den gewöhnlichen
Menſchen und für den geiftig Hervorragenden.
Den meiſten Menſchen wirft die freie Muße nichts ab als Lange
weile und Dumpfheit, fo oft nicht finnliche Genüſſe, oder Albernheiten
da find, fie auszufüllen. Wie völlig wertlos fie ift, zeigt die Art,
wie fie folche zubringen. Die gewöhnlichen Leute find blos darauf be
dacht, die Zeit zuzubringen; wer dagegen ein Talent hat, — fie zu
benugen. (P. I, 349 fg) Die großen Geiften aller Zeit fehen mit
Muth 147
auf freie Muße den allerhöchften Werth legen. Denn die freie Muße
eines Jeden ift fo viel werth, wie ex felbft werth ift. — Freie Muße
zu befigen ift nicht nur dem gewöhnlichen Schidfal, fondern auch der
gewöhnlichen Natur des Menfchen fremd; denn feine natürliche Be⸗
fimmung ift, daß er feine Zeit mit Herbeifhaffung des zu feiner und
feiner Familie Eriftenz Nothwendigen zubringe. Er ift ein Sohn ber
Noth, nicht der freien Intelligenz. Dem entfprechend wird freie Muße
dem gervöhnlichen Menſchen bald zur Laft, ja, endlich zur Dual, wenn
er fie nicht mittelft allerlei erlünſtelter und fingirter Zwecke, durch
Spiel, Zeitvertreib und Stedenpferde auszufüllen vermag; aud) bringt
fe im aus dem felben Grunde Gefahr. Dagegen bebarf der mit
einem außergewöhnlichen Intellect Begabte für fein Glück eben jener,
dem Andern bald läftigen, bald verderblichen freien Muße; da er ohne
diefe ein Pegafus im Joch, mithin’ unglücklich fein wird. (P. I,
360 fg.)
Auth.
1) Berſchiedene Geltung des Muthes als Tugend bei
den Alten und bei den Neuern.
Die Alten zählten den Muth den Tugenden, die Feigheit den Laſtern
bei; dem chriſtlichen Sinne, der auf Wohlwollen und Dulden gerichtet
if, und deſſen Lehre alle Feindſäligkeit, eigentlich ſogar den Widerſtand
derbietet, entſpricht Dies nicht, daher es bei den Neuern weggefallen
iſt Dennoch müſſen wir zugeben, daß Feigheit uns mit einem edelen
Charakter nicht wohl verträglich ſcheint; ſchon wegen der übergroßen
Veſorglichkeit um die eigene Perſon, welche ſich darin verräth. (P. I,
219.) Bei der verfchiedenen Geltung bes Muthes als Tugend bei ben
Üten und den Neuern ift jedoch in Erwägung zu ziehen, ba bie
Alten unter Tugend jede Trefflichkeit, fie mochte moralifch, intellectuell
oder blos phyſiſch fein, verftanden, im Chriftenthum hingegen, deſſen
Zendenz eine moraliſche ift, unter dem Begriff der Tugend nur noch
die moralifchen Vorzüge gedacht wurden. (P. II, 220.)
2) Worauf der ethifhe Werth des Muthes und die
Hochfchätzung deſſelben beruht.
Der Muth läßt ſich darauf zurückführen, daß man den im ſgegen⸗
wärtigen Augenblide drohenden Uebeln willig entgegengeht, um dadurch
größern, in der Zufunft liegenden vorzubengen; während die Feigheit
es umgefehrt hält. Nun ift jenes Erftere der Charakter der Gebulb,
old weiche eben in dem deutlichen Bewußtſein befteht, daß es noch
größere Uebel, als die eben gegenwärtigen, giebt und man durch heftiges
Sliehen, oder Abwehren diefer jene berbeiziehen könnte. Demnach wäre
denn der Muth eine Art Geduld, und weil eben diefe es ift, die und
zu Entbehrungen und Selbftüberwindungen jeder Art befähigt; fo ift,
mttelft ihrer, auch ber Muth wenigftend ber Tugend verwandt. D
reiht eine folche ganz immanente, alfo rein empirifche Erflärung, die
10*
148 Mutterliede — Mutterwit
nur auf der Nützlichkeit des Muthes fußt, nicht aus, um zu erllürn,
weshalb Feigheit verächtlih, perfünlicher Muth Hingegen edel und cr:
haben erfcheint. Vielmehr ift hierzu noch eine höhere Betrachtungé—
weife zu Grunde zu legen. Man könnte nämlich) alle Todesfurch
zurüdfithren auf einen Mangel an derjenigen natürlichen, daher ad
blos gefühlten Metaphyſik, vermöge welcher der Menſch die Gewißhei
in fi) trägt, daß er in Allen, ja in Allen, eben jo wohl eriftirt, m:
in feiner eigenen Perſon, deren Tod ihm daher wenig anhaben Im.
Eben aus diefer Gewißheit Hingegen entjpränge demnad) der heroiik
Muth, folglih aus derjelben Duelle, wie die Tugenden der Geredtigke:
und der Menfchenliebe. (PB. I, 219 fg. 9. 403 fg.)
3) Berwerflichfeit des rohen, aus dem ritterliden
Ehrenprincip entfpringenden Muthes. .
Nach dem ritterlichen Ehrenprincip und feinem Duellweſen behaupte
der perſönliche Muth ſich zu raufen und zu ſchlagen den Borrang vn |
jeder andern Eigenfchaft; während er doch eigentlich eine fehr unter: |
geordnete, eine bloße Unterofficierötugend ift, ja, eine, im welcher joga
Thiere und übertreffen. (PB. I, 405. — Bergl. unter Ehre: an
Afterart der Ehre.)
4) Nothwendigfeit des Muthes für unfer Glüd.
Nächſt der Klugheit ift Muth eine für unfer Glück fehr wefentlid:
Eigenfchaft. Freilich kann man weder die eine, noch die andere ſich
geben, fondern ererbt jene von der Mutter und diefen vom Batır;
jedoch läßt fi) durch Borfag und Uebung dem davon Vorhandenen
nachhelfen. — So lange ber Ausgang einer gefährlichen Sache nur
noch zweifelhaft ift, fo lange nur noch die Möglichkeit, daß er ein
gliteflicher werde, vorhanden ift, darf an fein Sagen gedacht werben,
fondern blos an Widerftand. Und doch ift auch Hier ein Exceß mög:
lich; dem der Muth kann in Verwegenheit ausarten. (P. I, 505 fg.
Alutterlicbe.
Die an den Gefchlechtstrieb ſich knüpfende inftinctive Elternliebe
wird beim Menfchen durch die Vernunft, d. h. Weberlegung geleitet,
bisweilen aber auch gehemmt, welches bei fchlechten Charakteren bit
zur völligen Berleugnung bderfelben gehen kann. Daher Fönnen mir
ihre Wirkungen am reinften bei den Thieren beobachten. Bei biefe,
da fie feiner Ueberlegung fähig find, zeigt die inftinctive Mutterliebe
(dag Männchen ift ſich feiner Baterfchaft meiftens nicht bewußt) 1%
unbermittelt und unverfälfcht, daher mit voller Deutlichkert und in igrer
ganzen Stärke. (W. II, 587—589.)
Mutterwitz, |. Vererbung.
Myſterien — Myſtik. Moftiler 149
Apfterien.
1) Die Myfterien als ein wefentliches Ingredienz der
Religion.
Ein Symptom der allegorifhen Natur der Religionen find’ die
vielleicht bei jeder auzntreffenden Deyfterien, nämlich gewiſſe Dogmen,
die fi nicht ein Mal deutlich denken Tafjen, gefchweige wörtlich wahr
fein können. Ya, vielleicht Tiefe ſich behaupten, daß einige völlige
Üiderfinnigfeiten, einige wirfliche Abfurbitäten, ein wmefentliches In—
gredienz einer vollfommenen Religion feien; denn diefe find eben der
Stämpel ihrer allegorifchen Natur und die allein paffende Art, dem
gemeinen Stun und vohen Berftande fühlbar zu machen, daß die
Religion von einer ganz andern Ordnung der Dinge redet, als ber
eiheinungsmäßigen. (W. U, 183. P. II, 358.)
2) Die Myſterien der Alten.
Den Myſterien der Alten fcheint die Abficht zum Grunde zu liegen,
dem aus der Verſchiedenheit der geiftigen Anlagen und der Bildung
entipringenden Webelftande, der nicht eine Metaphufil für Alle zuläßt,
obzuhelfen. Ihr Plan dabei war, aus dem großen Haufen der Men⸗
ſchen, welchem die unverfchleierte Wahrheit durchaus unzugänglich ift,
Einige auszufondern, denen man ſolche bis auf einen gewiffen Grad
enthüllen durfte, aus diefen aber wieder Einige, denen man noch mehr
offenbarte, da fie mehr zu faflen vermochten; und fo aufwärts bis zu
dem Epopten. So gab es denn puxpa a perkova xar EyLoTe,
kuostmora. Eine richtige Erkenntniß der intellectuellen Ungleichheit der.
Menfchen lag der Sache zum Grunde. (P. II, 364.)
3) Der jeltfame Charalter der Hriftlicden Myfterien.
(S. Chriftenthum.) '
4) Sreimaurerei. Sufismus Myfterien der Römer.
Bon den Myſterien der Griechen ift das einzige Ueberbleibfel ober
vielmehr Analogon die Freimaurerei. Die Aufnahme in biefelbe ift
das nude und die ekerar; was man ba lernt find die nuormpıa
und die verfchtedenen Grade find die purpa, peikova xaL peyLora
wormpe. Solche Analogie ift nicht zufällig, noch vererbt, fondern
Iommt daher, daß die Sache aus der menſchlichen Natur entipringt.
Dei den Mohammebanern ift ein Analogon der Myfterien der Sufis-
m, Werl die Römer keine eigenen Myſterien hatten, wurde man in
bie der fremden Götter eingeweiht, befonders der His, deren Cultus
m Rom in frühe Zeit hinaufreicht. (P. II, 488.)
Apftik, Ayſtiker.
1) Unzugänglichleit des Gebietes der Myftil für die
Erkenntniß. |
In Uebereinftimmung damit, daß das letzte, höchſte Werk der In⸗
150 Myftit. Myfiter
telligenz die Aufhebung des Wollen ift und demnach ſelbſt bie vol:
tommenfte mögliche Intelligenz nur eine Uebergangsſtufe fein lann zu
Dem, wohin gar keine Erkenntniß je veichen Tann, fehen wir all
Religionen auf ihrem Gipfelpunfte in Diyftit und Myſterien, d. h.
in Dunkel und Verhüllung auslaufen, welche eigentlich blos einen für
die Erfenntniß leeren Fleck, nämlid) den Punkt andeuten, wo alle Gr :
fenntniß nothwendig aufhört; daher derfelbe für das Denken m
durch Negationen ausgedrüdt werben Tan, für die finnliche Anſchaum—
aber durch fymbolifche Zeichen, in den Tempeln durch Dunkelheit ın
Schweigen bezeichnet wird, im Brahmanismus fogar durch die geor-
derte Einftelung alles Denkens und Anfchauene, zum Behuf der ti:
ftien Einkehr in den Grund des eigenen Selbft, unter mentale Ant
ſprechung bes myfteriöfen Dum. (W. II, 699.)
Myſtik im weiteften Sinne ift jede Anleitung zum unmittelbaren
Innewerden Deffen, wohin weder Unfchauung, noch Begriff, ale über:
baupt feine Erkenntniß reiht. (8. II, 699.)
2) Gegenſatz zwiſchen Myftil und Philoſophie.
Der Myſtiker fteht zum Philofophen dadurch im Gegenfag, daß er
von Innen anhebt, diefer aber von Außen. Der Myſtiker nänlıd
geht aus von feiner innern, pofitiven, individuellen Erfahrung, i
welcher er fich findet als das ewige, alleinige Weſen u. f. f. Ahr
mittheilbar ift Hievon nichts, al8 eben Behauptungen, die man auf fin
Mort zu glauben bat; folglich kann er nicht Überzeugen. “Der Phle:
foph Hingegen geht aus von dem Allen Gemeinfamen, von ber obie:
tiven, Allen vorliegenden Erfcheinung und von den in Jedem fid dor
findenden Thatfachen des Selbftbemußtfeind. Seine Methode ift daher
die Reflexion über alles Diefes und die Combination der darin ge
gebenen Data; deswegen kann er überzeugen. (W. IL, 699 fg.; P.
II, 10fg. 9. 431.) |
3) Empfeplenswerthe myftifche Litteratur.
Wer zu ber negativen Erfenntniß, bis zu welcher allein die Phile
fophie ihn Leiten kann, die Art von Ergänzung, welche die Myſtik lie
fert, wünfcht, der findet fie am ſchönſten und reichlichften im Oupnelhat,
fodann in ben Enneaden des Plotinos, im Scotus Erigenn,
ftellenweife im Jakob Böhm, befonderd aber in dem wundervollen
Merle ber Guion Les torrens, und im Angelus Silejius, ad
lich noch in den Gedichten der Sufi und in den Schriften der driit
Iihen Myſtiker, befonders des Meifter Eckhard. (W. I, 701;
I, 457 fg. ®. II, 497.)
4) Gegenſatz zwifchen Myftif und Theismus.
Der Theismus, auf die Capacität der Menge berechnet, fegt den
Urquell des Dafeins außer uns, als ein Object; alle Myftik zieht ihn
auf den verjchiedenen Stufen der Weihe allmälig wieder ein, im un,
ale das Subject, und ber Abept erkennt zulegt mit Bermanderung und
Muftil. Myitiker 151
Freude, daß er es felbft iſt. Diefen aller Myſtik gemeinfanen Her⸗
gang finden wir von Meifter Eckhard, dem Vater der deutfchen
Myſtik höchſt naiv dargeftelt. ben dieſem Geifte gemäß äußert fich
durchgängig auch die Myſtik der Sufi sg als ein Schwelgen
in dem Bewußtſein, daß man felbft der Kern ber Welt und die Quelle
alles Dafeins ift, zu der Alles zurückkehrt. (W. II, 701.)
5) Unterfchied zwifchen der mohammedaniſchen, chriſt—
lihen und indifhen Myftil. (S. Inder.)
6) Berwandtfchaft des Myfticismus, Duietismus und
ber Askeſe untereinander. (S. Askeſe.)
7) Berhältniß der KHriftliden Myftifer zum Neuen
Teſtament.
Die chriſtlichen Myſtiker predigen neben der reinften Liebe auch völ«
lige Refignation, freiwillige günzliche Armuth, wahre Gelaffenheit, voll-
tommene Gleichgültigkeit gegen alle weltliche Dinge, Wbfterben dem
eigenen Willen und Wiedergeburt in Gott, gänzliches Vergeſſen der
eignen Perfon und Verſenken in die Anfchauung Gottes. Nirgends
iſt dieſer Geiſt des Chriſtenthums fo vollfommen und Träftig ausge—
ſprochen, wie in den Schriften der beutfchen Myſtiker, alfo des Meeifter
Echard nnd in dem mit Recht berühmten Buche „Die Deutſche
Theologie”. Im demfelben vortrefflichen Geiſte gejchrieben, obwohl
nicht ganz gleich zu ſchätzen iſt Taulers „Nacfolgung des armen
Leben Chriſti“ nebſt deſſen „Medulla apimae“. Die Lehren dieſer
ächten chriſtlichen Myſtiker verhalten ſich zu denen des Neuen Teſta⸗
ments, wie zum Wein der Weingeiſt. Oder: was im Neuen Teſtament
und wie durch Schleier und Nebel fichtbar wird, tritt in den Werfen
ber Myſtiker ohne Hülle, in voller Klarheit und Deutlichleit und ent-
gegen. Endlich) aud) könnte man das Neue Teftament als die erfte,
die Myſtiker als die zweite Weihe betrachten — puxpa xaı pEyaro
kuotmpa. (W. I, 457 fg.)
8) Webereinftimmung ber Hriftlichen Myftifer mit der
Kritik der reinen Bernunft.
Weil der UIntellect ein Product der Natur und daher nur auf ihre
Zwede berechnet ift, Haben die chriftlichen Myſtiker ihn recht artig das
„Licht der Natur” benannt und in feine Schranken zuridgewiefen ;
denn die Natur ift das Object, zu welchen allein er das Subject ift.
Jenem Ausdrucd Liegt eigentlich fchon der Gedanke zum Grunde, aus
v die Kritik der reinen Vernunft entfprungen if. (W. IL, 326 fg.
. U, 37.)
9) Die praftifhe Myſtik.
Jede ganz lantere Wohlthat, jede völlig und wahrhaft nneigennüigige
Hülfe ft, wenn wir bis auf den letzten Grund forfchen, eigentlich eine
myſterisſe Handlung, eine praktiſche Myſtik, fofern fie zufegt aus der⸗
152 Mythen. Mythologie
felden Erkenntniß, die das Weſen aller eigentlichen Myſtik ausmadt,
entfpringt und auf Feine andere Weife mit Wahrheit erflärber if.
E. 272 fg.)
Mythen. Mythologie.
1) Natur der Mythen.
Zufolge der allegoriſchen Natur der Mythen giebt die Mythologit
reihen Stoff zu allegorifchen Deutungen. (Bergl. Allegorie.) dFür
jedes fosmologifche und feldft jedes metaphufifche Syſtem wird ſich ein
in der Mythologie vorhandene Allegorie finden laſſen. Uecberhaupt
baben wir die meiften Mythen ald den Ausdrud mehr blos geahmdete
als deutlich gedachter Wahrheiten anzufehen. Hingegen das von Erer-
zer ausgeführte, ernfte und penible Auslegen der Mythologie als des
Depofitoriums abjichtlich darin niedergelegter phyſiſcher und mete-
phyſiſcher Wahrheiten ift zu verwerfen. (P. II, 439 fg.)
2) Die Mythologie der Griechen.
Die Urgriechen waren, wie Göthe in feiner Jugend; fie vermodhten
gar nicht, ihre Gedanken anders, al8 in Bildern und Gleichuiffen ans
zubrüden. Daher der reiche Stoff, den die Mythologie der Griechen
zu allegorifchen Auslegungen von jeher gegeben. Sie ladet dazu cin,
indem fie Schemata zur Veranſchaulichung faft jedes Grundgebanfen:
liefert, ja, gewiflermaßen die Urtypen aller Dinge und Berbältnifk
enthält, welche, eben als foldjye, immer und überall durchfcheinen. JR
fie ja doch eigentlich aus dem fpielenden Triebe der Griechen, Ale ,
zu perfonificiren, entftanden. Daher wurden fchon in bem älteften '
Zeiten, ja, ſchon vom Heſiodus felbft, jene Mythen allegorifd auf:
gefaßt. (PB. II, 439 — 445.)
3) Die indifhe Mythologie.
Die indifche Meythologie ift überall durchſichtig. (P. I, 67.)
(Ueber die indifche Götterlehre f. Inder, und über den Mythoe
von ber Metempſychoſe ſ. Metempfycofe.)
Nachahmer. Nachahmung — Nachficht 153
N.
Nachahmer. Nachahmung.
1) Die Nachahmer in der Kunſt. (S. Manier.)
2) Nachahmung fremder Eigenſchaften. (S. Affec—
tation.)
3) Nachahmung im Praktiſchen. (S. Originalität.)
Nachdruck.
1) Der Nahdrud, vom Standpunft bes Rechts aus
betradtet.
Das Gedankenwerlk eines Autors ift, wenn irgend etwas auf der
Welt, fein Eigenthum. Er will e8 benugen durch Mittheilung; bie
Art ind Weife diefer fteht ihm frei. Das Geſetz foll fein Eigenthum,
wie jedes fchügen. Da dieſes Eigenthum jedoch ein immaterielles
ft und nur die Mittel feiner Mittheilung materieller Art find, fo
wird der Charalter der das Eigenthumsrecht des Autors ſchützenden
Geſetze ein ganz eigenthilmlicher und fpecieller fein; daher bie Gefege
gegen den Nachdruck ganz ungerecht ausfehen müflen, wenn man, ben
immateriellen Gegenftand derſelben ignorirend, fie betrachtet als auf das
moterielle Drittel, wovon fie zunächſt reden, felbft gerichtet. (H. 380 fg.)
2) Schäbdlihfeit des Verbots des Nakhdruds für die
Litteratur.
Honorar und Verbot des Nachdrucks ſind im Grunde der Verderb
der Litteratur. Schreibenswerthes ſchreibt nur wer ganz allein der
Sache wegen ſchreibt. (P. II, 536.)
Nachruhm, ſ. Ruhm.
Nachſicht.
1) Nutzen der Nachſicht.
Um durch die Welf zu kommen, iſt es zwedmäßig, einen großen
Borrath von Borfiht umd Nachſicht mitzunehmen; durch erftere
wird man vor Schaden und Berluft, durch letztere vor Streit und
Händel gefchügt. (PB. I, 472fg. Bergl. auch Geduld.)
2) Welche Weltanfhauung die Nachſicht befördert.
Uns mit Nachficht gegen einander zu erfilllen, ift nichts geeigneter,
als die Ueberzeugung, daß die Welt, alfo auch der Menſch, etwas ift,
154 Nacht
das eigentlich nicht fein ſollte; dem was kann man von Weſen unter
folhem Prüdicament erwarten? — Ya, von dieſem Gefihtäpunkt aus
fönnte man auf ben Gedanken kommen, daß die eigentlich paffende
Anrede zwiſchen Menſch und Menſch, ftatt Monsieur, Sir u. |. m.
fein möchte „Leidendgefährte”, Soci malorum u. f. w.' So jeltlam
dies klingen mag; fo entjpricht es doc) ber Sache, wirft auf den An
dern das richtigfte Licht und erinnert an das Nöthigſte, am die
Toleranz, Geduld, Schonung und Nächftenliebe, deren Jeder bedari
und daher auch Jeder fchuldig if. (P. II, 325.)
Nacht.
1) Warum in der Nacht alle Töne und Geränfge
lauter fchallen. (S. unter Licht: Antagonismus zwi⸗
chen Licht und Schall.)
2) Erhabenpheit der Nadt.
Schon die eintretende Stille jebes fchönen Abends, wo das Gemin
und ©etreibe bes Tages ſchweigt, die Geſtirne allmilig bervortreten,
der Mond aufgeht, — flimmt erhaben, weil es uns ablenft von der
Thätigfeit, die unferm Willen dient und zur Einſamkeit und Betrach
tung einladet. Die Nacht ift an ſich erhaben. (5. 361.)
3) Die Naht als bie Zeit der Schredbilder und Gei—
ftererfcheinungen.
Die Einbildungsfraft ift um fo thätiger, je weniger äußere An:
ſchauung uns durch bie Einne zugeführt wird. Daher find Stille,
Dämmerung, Dunkelheit ihrer Thätigkeit förderlih. (PB. IL, 639 fg.)
Daher follte die Tebensregel, in Hinficht auf die unfer Wohl und Wehe
betreffenden Dinge die Phantafie im Zügel zu haften, am ftrengften
Abends beobachtet werben.
Des Abends, warn die Abfpannung Berftand und Urtheilsfraft mit
einer fubjectiven Dunkelheit überzogen hat, nehmen die Gegenftände un-
jerer Meditation, wenn fie unfere perfönlichen Berhältniffe betreffen,
leicht ein geführliches Anfehen an und werben zu Schredbildern. An
meiften ift dies der Fall Nachts, im Bette, als wo der Geift völlig
abgejpannt und daher die Urtheilsfraft ihrem Geſchäfte gar nicht mehr
gewachjen, die Phantafie aber noch rege if. Da giebt die Nadt
Allem und Jedem ihren ſchwarzen Anſtrich. (P. I, 462.)
Die Nacht ift blos barum die Geifterzeit, weil Finſterniß, Stile
und Einfamfeit, die äußeren Einbrilde aufhebend, jener von innen
ausgehenden Thätigleit des Gehirns, welche bie Bedingung der Biflonen
ft, Spielraum geftatten; fo daß man, in biefer Hinficht, biefelbe dem
Phänomen der Phosphorescenz vergleichen kann, als welches auch durch
Dunkelheit bedingt ift. (P. I, 291 fg.)
Nachtwandeln — Naiv. Naivetät 155
Nachtwandeln.
Beim Somnambulismus im urſprünglichen und eigentlichen Sinne,
alſo dem krankhaften Nachtwandeln, findet, wie im magnetiſchen Schlaf,
an Wahrträumen ftatt (vergl. Traum), jedoch ein blos auf bie nächſte
Umgebung ſich erftredienbes, weil fchon hiermit der Zwed der Natur in
diefem Fall erreicht wird. In ſolchem Zuftande nämlich hat nicht, wie
im magnetifchen Schlaf, im fpontanen Somnambulismus und in ber
Ratalepfie, die Lebenskraft als vis medicatrix das animale Xeben ein⸗
geftellt, um auf das organifche ihre ganze Macht verwenden und die
darin eingeriffenen Unordnungen aufheben zu Tönnen; fondern fie tritt
hier vermöge einer krankhaften Verftiimmung, ber am meiften das Alter
der Pubertät unterworfen ift, als ein abnormes Uebermaß von Irri⸗
tabilität auf, deflen nun die Natur fich zu entladen ftrebt, welches
duch Wandeln und Klettern im Schlaf geſchieht. Da ruft denn die
Natur zugleich als den Wächter diefer fo gefährlichen Schritte jenes
Bahrträumen hervor, welches fi) hier aber nur auf bie nächte Um—
gebung erſtreckt, da diefes bier hinreicht, den Unfällen vorzubengen.
Das Wahrträumen hat alfo hier nur ben negativen Zweck, Schaden
zu verhüten, während e8 beim Hellſehen ben pofitiven bat, Hülfe von
außen aufzufinden; daher ber große Unterjchieb im Umfange des Ge-
ſichtskreiſes. (P. I, 277.) |
Nacht. Wacktheit.
1) Warum die Sculptur das Nadte liebt. (S. Sculp-
ter.) '
2) Warum die Schönheit ſich am liebften nadt zeigt.
Die ſchöne Körperform ift bei der Teichteften oder bei gar feiner
Bekleidung am vortheilhafteften fichtbar, und ein fehr ſchöner Menſch
würde daher, wenn er zugleich Gejhmad hätte und auch demfelben
folgen bitrfte, am Tiebften beinahe nadt, nur nad) Weife der Antifen
beffeidet gehen. Eben fo zeigt fich eim fchöner Geift nadt, d. h. indem
er fi immer auf die natürlichfte, einfachfte Weiſe ausdrüdt, am Tieb-
ften. (W. I, 270 fg.)
Rein. Naivetät.
1) Naivetät der Natur.
Die Natur kann nimmer lügen und ift naiv, wie das Genie. Aber
man verfteht bie Sprache der Natur nicht, weil fie zu einfach if.
(N. 58. W. I, 325. 332. 387. 449; II, 653. P. II, 101. 308.)
Das Thier ift um eben fo viel naiver, als der Menſch, wie die
Pflanze naiver ift, ald das Thier. Im Thiere fehen wir den Willen
zum Leben gleichfam nadter, als im Menſchen, wo er mit vieler Er⸗
lemutniß überffeidet und zudem durch die Fähigkeit der Verftellung
derhüllt if. Ganz nadt zeigt er ſich in der Pflanze. (W. I, 188,
$. I, 618. 9. 451.)
156 Narrheit. Narrheiten
2) Naivetät in den redenden Künften.
Die Wahrheit iſt nadt am fchönften, und der Eindrud, den fie
macht, um fo tiefer, als ihr Ausdrud einfacher war; theils, weil fie
dann das ganze, durch Feinen Nebengedanken zerfiveute Gemüth des
Hörer ungehindert einnimmt; theils, weil er fühlt, daß er hier nicht
durch rhetorifche Künfte beftochen, oder getäufcht ift, fondern die ganze
Wirkung von der Sadje jelbft quögeht. Daher fteht die naive Porfie
Göthe's fo unvergänglidy höher, als die rhetoriſche Schillers. Daher
auch die ftarfe Wirkung mancher Bolfslieder. Deshalb Hat man, wie
in der Baufunft vor der Weberladung mit Zierrathen, im beu redenden
Künften fih vor allem Weberflüffigen im Ausdrud zu hüten. Das
Geſetz der Einfachheit und Naivetät, da diefe fi) auch mit dem Er-
habenjten verträgt, gilt für alle ſchönen Künfte (P. II, 559.)
"Das Naive zieht an, die Unnatur hingegen jchredt überall zurid.
(®. I, 553.)
3) Segenfag des Genies gegen die gewöhnlichen Köpfe
in Hinfiht auf die Naivetät.
Alle Formen nimmt die Geiftlofigfeit an, um fich dahinter zu ver⸗
fieden ; fie verhüllt fih in Schwulft, in Bombaft, in den Zon ber
Ueberlegenheit und Bornehmigfeit; nur an die Naivetät macht fie fid
nicht, weit fie hier fogleih bloß ftehen und bloße Kinfältigleit zu
Markte bringen würde. Selbft der gute Kopf darf noch nicht naiv
fein; da er troden und mager erfcheinen würde. Daher bleibt die
Naivetät das Ehrenkleid des Genies, wie Nadtheit das der Schönheit.
(B. II, 583.)
An dem Naiven der Ausfagen der Genies ertennt man, daß fie
ftet8 in Gegenwart der Anfchauung gedacht und den Blick unver: .:
wanbt auf fie geheftet haben. Den gewöhnlichen Schriftftellern de-
gegen ftehen nur banale Redensarten und abgenutzte Bilder zu Gebote
und nie dürfen fie ſich erlauben, naiv zu fein, bei Strafe, ihre Gr
meinheit in ihrer traurigen Blöße zu zeigen; ftatt deſſen find fie
preziss. (W. I, 78. Vergl. auch unter Genie: Kindlicher Cha
rafter des Genies.)
Jeder Mediokre fucht feinen ihm eigenen und natürlichen Stil zu
maöfiren. Dies nöthigt ihn zunächft, auf alle Naivetät zu verzichten,
wodurd) diefe da8 Vorrecht der überlegenen und fich ſelbſt fühlenden,
daher mit Sicherheit auftretenden Geifter bleibt. (P. II, 551.)
Narrheit. Narcheiten.
1) Narrheit als eine Art des Lächerlichen. (S. unter
Lächerlich: Arten bes Lächerlichen.)
2) Narrheit als eine Art des Wahnfinns. (S. Wahn⸗
finn.)
Nationalcharakter — Rationen 157
.3) Rarrbeiten.
Wie die Thiere eigentlich nie auf Narrheiten gerathen, eben fo ift
diefen der gewöhnliche Menſch nicht in dem Grade unterivorfen, wie
da8 Genie. ( H. 356. W. UI, 441fg. Bergl. Genie.)
Nationalcharakter.
1) Der Nationalharakter im Allgemeinen, verglichen
mit dem Individualdarakter, -
Die Individualität überwiegt bei Weiten die Nationalität, und in
einem gegebenen Menſchen verdient jene taufend Mal mehr Beritdfidh-
tigung, als diefe. ‘Dem Nationaldyaralter wird, da ex von der Menge
redet, nie viel Gutes ehrlicherweije nadjzurüihmen fein. Vielmehr er-
Iheint nur die menſchliche Beſchränktheit, Verkehrtheit und Schlechtig-
feit in jedem Lande in einer andern Form und diefe nennt man ben
Nationalcharakter. Bon einem berfelben degoutirt loben wir den an⸗
dern, bis e8 uns mit ihm eben fo ergangen if. Jede Nation fpottet
über bie andere, und alle haben Recht. (P. I, 381 fg. M. 348 fg.)
2) Der Nationalcharakter einzelner Nationen. (©. bie
Ürtilel: Deutſche, Engländer, Sranzofen, Italiener,
Amerilaner.)
Notionslehre, ſ. Ehre.
Nationalflol3.
Die mohlfeilfte Art des Stolzes ift ber Nationalſtolz. Denn er
verräth in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen
Eigenschaften, auf die er ftolz fein könnte, indem er fonft nicht zu
Dem greifen würde, was er mit fo vielen Millionen theilt. Wer be=
deutende perfönliche Vorzüge befigt, wird vielmehr die Fehler feiner
eigenen Nation, ba er fie befländig vor Augen bat, am deutlichiten
ertennen. (PB. I, 381.)
Nationen.
1) Barum die hödfte Kivilifation und Eultur fid
ausfchlieglich bei den weißen Nationen findet.
Daß die höchfte Eivilifation und Eultur fi, — abgefehen von ben
alten Hindu und Aegyptern, — ausfchließlich bei den weißen Nationen
findet und fogar bei manchen dunkeln Böllern die herrſchende Kafte,
oder Stamm, von hellerer Farbe, al8 die Mebrigen, daher augenfchein-
lid) eingewanbert ift, 3. B. bie Brahmanen, die Inlas, die Herricher
auf den Südſeeinſeln, — dies beruht darauf, daß die Noth die
Mutter der Künſte if; weil nämlich die früh nad Norden ausge
wanderten und bort allmälig weiß gebleichten Stämme dafelbft im
Rampfe mit der durch das Klima herbeigeführten, vielgeftalteten Noth
alle ihre intelectuellen Kräfte haben entwideln und alle Künfte erfinden
158 Nationen
und ausbilden müflen, um bie Kargheit ber Natur zu compenfiren.
Daraus ift ihre hohe Kivilifation hervorgegangen. (P. II, 170.)
2) Unabhängigfeit der Geiſtescultur und moralijcen
Güte der Nationen bon einander.
Dem Dünen Baftbolm in feinem Buche: „Hiftorifche Pie
zur Keuntniß des Menfchen im rohen Zuftande” fällt auf, daß Ga
ftescultur und moralifche Güte der Nationen fid) als ganz unabhängig
von einander erweiſen, indem die eine oft ohne die andere ſich vorfindet.
Dies ift daraus zu erflären, daß die moralifche Güte keineswegs aus
ber Reflerion entfpringt, deren Ausbildung von der Geiftescultur ab-
hängt; fondern geradezu aus dem Willen felbft, deſſen Befchaffenheit
angeboren ift und ber an fich felbft Feiner Berbefferung durch Bildung
fühig if. (P. II, 245.)
3) Erflärung der Güte einzelner Nationen.
Baſtholm ſchildert die meiften Nationen als fehr Lafterhaft und
ſchlecht; hingegen hat er von einzelnen wilden Völlern bie vortrefflid-
ften allgemeinen. Charakterzüge mitzutbeilen. ‘Da verfucht er, das
Problem zu löfen, woher es komme, daß einzelne Böllerſchaften jo
ausgezeichnet gut find, unter lauter böfen Nachbarn. Dies ann jedoch
daraus erklärt werden, daß, da die moralijchen Eigenfchaften vom Ba-
ter erblic, find (f. Vererbung), in den erwähnten Fällen eine ſolche
ifolirte Völkerfchaft aus Einer Familie entftanden, mithin dem felben
Ahnherrn, der gerade ein guter Mann war, entfproffen ift und fid
undermifcht erhalten hat. (P. II, 245.)
4) Gegenfag zwifchen den nörbliden und füblicen
Nationen.
Die nördlichen, Taltblütigen und phlegmatifchen Bölfer ftehen im
Allgemeinen den ſüdlichen, Tebhaften und leidenfchaftlichen an Geil
merklich nach; obgleich, wie Bako überaus treffend bemerkt hat, wenn
ein Mal ein Nordländer von ber Natur hochbegabt wird, bie al#
dann einen Grad erreichen kam, bis zu welchem fein Sübländer je
gelangt. Demnach ift e8 fo verkehrt, als gewöhnlich, zum Mafftab
der Vergleichung der Geiftesfräfte verfchiedener Nationen bie großen
Geiſter derfelben zu nehmen; denn das heißt die Regel durch bie Aut
nahmen begründen wollen. Bielmehr ift es die große Pluralität jeder
Nation, die man zu betrachten hat; denn eine Schwalbe macht feinen
Sommer. (W. II, 319 fg.)
Daß nad) Bako's richtiger Bemerkung, wenn unter den viel flum-
pferen nordifchen Nationen eimmal ein eminenter Kopf entftcht,
diefer alsdann auch die eminenteften unter den fitblichen Nationen
übertrifft, fommt vielleicht daher, daß er, als Nordländer, eine lang:
famere Reife hat, alſo bie Periode, wo er urjpränglicher Auffafiung
fühig ift (mach Helvetins überhaupt bis zum 3Oten oder Zöten Jahre)
Kar 159
fänger anhält, die Zeit feiner vollen Ale alſo länger iſt und folglich
mehrern fucceffiven Eindrüden ven Außen offen fteht, um darauf, als
Anläflen, zu veagiren; zweitens befißt er ala Genie große Lebhaftigkeit,
wie der Siübländer, und bat doch, als Rorbländer, vor jenem die Stä-
tigkeit, Solidität und Feſtigkeit, aljo größere Befonnenheit voraus.
(9. 385.)
Natur.
1) Was „Natur“ bedeutet.
Natur bedeutet das ohne DBermittelung des Intellects Wirkende,
Treibende, Schaffende. (W. II, 304.)
2) Gegenſatz zwifchen den Werfen der Natur und den
Werken der nad Abfiht wirkenden Kunfl.
Schon Hume machte darauf aufmerkfam, wie doch im Grunde gar
feine Achnlichkeit fer zwifchen den Werken der Natur und denen einer
nach Abficht wirkenden Kunſt. Ein noch größeres Berdienſt hat fi
in diefer Beziehung Kant durch feine Kritik des phyſikotheologiſchen
Beweiſes erworben. Denn nichts fteht der richtigen Einſicht in bie
Ratur und in das Weſen ber Dinge mehr entgegen, als bie Auf-
faffung derſelben als nad) kluger Berechnung gemachter Werke.
(N. 38.)
Statt, wie die Engländer, an den Werfen ber Natur bie Veisheit
Gottes zu bemonftriren, follte man daraus verftehen lernen, daß Alles,
was durd; das Medium der Borftellung, alfo des Intellects, zu
Stande kommt, alle bewußten und beabfidhtigten Leiftungen und Werte,
bloße Stümperei ift gegen das vom Willen unmittelbar Ausgehende
und durch Keine Vorftellung Vermittelte, dergleichen die Werle der Na-
tur find. (P. II, 109. W. I, 304. 366 fg.) Wenn wir uns der
Betrachtung des fo unausſprechlich Tünftlichen Baues irgend eines
Thieres hingeben, uns in Bewunderung befielben verſenkend, jegt aber
uns einfällt, daß die Natur eben diefen, fo überaus künſtlichen und
höchſt complicirten Organismus täglich zu Tanfenden ber Zerflörung
Preis giebt; fo fegt diefe raſende Berfchwendung uns in Erſtaunen.
Allein daffelbe beruht auf einer Amphibolie der Begriffe, indein wir
dabei das menfchliche Kunftwerk im Sinne haben, welches unter Ber-
mittelung des Intellects und durch Ueberwältigung eines fremden
Stoffes zu Stande gebracht wird, folglich allerdings viel Mühe Loftet.
Der Natur hingegen Toflen ihre Werte, fo künſtlich fie auch find, gar
feine Mühe; weil hier der Wille zum Werke fchon felbft das Wert ift.
(®. IL, 375. R. 55 fg.)
3) Das innere Weſen der Natur.
Das innerfle Wefen der gefammten Natur ift Wille.
160 | Ratur
Nicht allein im Menſchen und Thiere ift das innerfte Weſen Wille;
fondern die fortgefetste Reflexion leitet dahin, auch bie Kraft, welde in
der Pflanze treibt und vegetirt, ja, die Kraft, durch welche ber Kruftall
anfchießt, die, welche den Magnet zum Nordpole wendet, die, deren
Schlag uns aus der Berührung hHeterogener Metalle entgegenfährt, die,
welche in den Wahlverwandtichaften der Stoffe als Fliehen und Cu-
hen, Trennen und Vereinen erfcheint, ja, zulett ſogar die Schwere, —
diefe Alle nur in der Erfcheinung für verfchieden, ihrem innern Velen
nad) aber als das Selbe zu erkennen, was in uns, mo ed am deut⸗
lichten hervortritt und uns intimer befannt iſt, als alles Anden,
Wille heit. Wille ift das Innerfte, der Kern jedes Einzelnen und
ebenfo des Ganzen; er erfcheint in jeder blindwirkenden Naturkraft, er
auch erfcheint im überlegten Handeln des Menſchen, welcher Beider
große Verſchiedenheit doch nur den Grab des Erfcheinens, nicht das
Weſen des Erjcheinenden trifft. (W. I, 130fg. 136. 140g; I,
332 fg. 339. Vergl. auch Ding an fid).)
Die Natur ift der Wille, fofern er fich felbft außer ſich erblidt;
wozu fein Standpunkt ein individueller Intellect fein muß. Diefer iſt
ebenfalls fein Product. (PB. II, 109.)
4) Erhabenheit der Urkraft der Natur über die dor
men der Erſcheinung: Raum, Zeit und Bielheit.
Betrachten wir bie nie genug bewunderte Vollendung in ben Berten
der Natur, die felbft in den legten und Heinften Organismen und in
jedem einzelnen der zahllofen Individuen mit derfelben Sorgfalt durd»
geführt ift; verfolgen wir die Zufammenfegung der Theile jedes Or
ganismus und fioßen dabei doch nie auf ein ganz Einfaches um
Letztes, gejchweige auf ein Unorganifches; verlieren wir uns endlich in
Betradhtung der Zweckmäßigkeit aller jener Theile deffelben zum Be—
ftande des Ganzen; erwägen wir dabei, daß jedes diefer Meiſterwerlt
ſchon unzählige Male von Neuem hervorgebracht wurde und doch das
letzte Eremplar jeder Art auch eben fo forgfältig ausgenrbeitet erfcheint,
wie das erfte, die Natur alfo Feineswegs ermüdet und zu pfujchen an
fängt; dann werben wir zuvörderft inne, daß alle menfchliche Kunſt
nicht blos dem Grade, fondern der Art nad) vom Schaffen der Natur
völlig verfchieden iſt: nächft dem aber, daß die wirkende Urkraft, die
natura naturans, in jedem ihrer zahllofen Werke ganz und unge
theilt unmittelbar gegenwärtig ift, woraus folgt, daß fie, als ſolche
und an fi, von Raum und Zeit nichts weiß. Bedenken wir ferner,
daß die Hervorbringung jener vollendeten Gebilde der Natur fo gan;
und gar nichts Foftet, daß fie mit unbegreiflicher Verſchwendung Mil:
lionen Organismen fchafft, die dem Zufall preisgegeben, nie zur Reife
gelangen, andererfeit8 aber auch, durch Zufall begünftigt, Millionen
Eremplare einer Art Liefert, wo fie bisher mur eines gab, folglich
Milionen ihr nichts mehr Foften, als Eines, fo leitet auch dieſes zu
der Anficht Hin, daß der Urkraft der Natur, dem Dinge an fi, die
Ratır | 161
Bielheit fremd ift, mithin Raum und Zeit, anf welchen die Möglich⸗
feit aller Bielheit beruht, bloße Formen unferer Anfchauung find. (W.
Il, 366 fg. 375. P. U, 8. 67.)
5) Der Kreislauf der Natur.
Durchgüngig und überall ift das ächte Symbol der Natur der
Kreis, weil er das Schema der Wiederkehr ift; dieſe ift in der That
die allgemeinfte Form in der Natur, welche fie in Allem durchführt,
vom Laufe” der Geftirue an bis zum Tod und ber Entftehung organi-
iher Weſen, und wodurch allein in dem raftlofen Strom der Zeit umd
ihre Inhalts doch ein beftehendes Dafein, d. i. eine Natur, möglich
wird, (W. II, 543.)
6) Die Stufen der Natur.
Auf der unterjten Stufe der Natur fehen wir den Willen fi) dar⸗
Rellen ald einen blinden Drang, ein finfteres, dumpfes. Treiben, fern
von aller unmittelbaren Erkennbarkeit. Es ift die einfachfte und
ſchwächſte Art feiner Objectivation. Als folder blinder ‘Drang er-
ideint er aber noch in der ganzen unorganifchen Natur, in allen ben
urjpränglichen Sräften, welche aufzufuchen und ihre Geſetze Tennen zu
lernen Phyſik und Chemie befchäftigt find, und jede von weldyen fich
ung m Millionen ganz gleichartiger und gefegmäßiger, Teine Spur von
individuellem Charakter anfündigender Erſcheinungen darftelt. Bon
Etufe zu Stufe ſich deutlicher objectivirend, wirkt dennoch auch im
Blonzenreih, wo nicht mehr eigentliche Urfachen, ‚fondern Reize das
Band feiner Exrfcheinungen find, der Wille doch noch völlig erfenntniß-
los, als finftere treibende Kraft, und fo endlich auch noch im vegeta=
tiven Theil der thierifhen Erfcheinung, in der Herborbringung und
Ausbildung jedes Thieres und in ber Unterhaltung der innern Delo-
nomie defjelben, mo immer nur noch bloße Reize feine Erſcheinung
nothwendig beftimmen. Die immer höher ftehenden Stufen der Ob⸗
jectitzt des Willens führen endlich zur dem Punft, wo das die dee
darftellende Individuum nicht mehr durch bloße Bewegung auf Reize
feine zu affimilivende Nahrung erhalten konnte, fondern diefe aufgefucht
ud ausgewählt werben mußte; wodurch die Bewegung auf Motive
und wegen diefer die Erkenntniß nothwendig wurde. (Bergl. Erfennt-
niß.) Mit diefer hört aber auch die bisherige unfehlbare Sicherheit
und Gejegmäßigfeit auf, mit welcher ber Wille in der unorganiſchen
und blos vegetativen Natur wirkte und weldye darauf beruhte, daß er
alein in feinem urfprünglichen Wefen als blinder Drang thätig war,
ohne Beihülfe, aber auch ohne Störung von einer zweiten, ganz andern
Belt, der Welt als Vorſtellung. (W. I, 178—181.)
Dir können die verfchiedenen den Willen objectivivenden Ideen,
welche die Naturftufen bilden, als einzelne und an fich einfache Willens-
acte betrachten, in denen fein Wefen ſich mehr oder weniger ausdrückt.
Run behält Auf der niebrigften Stufe der Objectität ein ſolcher Act
EhopenhauersLegilon. I. 11
162 ‚Ratur
(oder eine Idee) auch in der Erſcheinung feine Einheit bei; währen
er auf den böhern Stufen, um zu erfcheinen, einer ganzen Reihe von
Zuftänden und Entwidelungen in ber Zeit bebarf, melde alle zu
fammengenommen erft den Ausbrud feines Wefens vollenden. (B. |,
184 — 186.) -
7) Eontinuität der Naturftufen.
Natura non facit saltus; fo lautet da8 Geſetz der Continmitdt alle
Beräinderungen, vermöge defien in der Natur Fein Uebergang, ja er
im Raum, oder in der Zeit, ober im Grade irgend einer Eigenfcaft,
ganz abrupt eintritt. (F. 57. P. U, 205.)
Die Natur fängt nicht bei jedem Erzeugniffe von vorme an, au
nichts fchaffend, fondern, gleichſam im felben Stile fortfchreitend, früpft
fie an das Vorhandene an, benutt die frühern Geftaltungen, entwidel
und potenzirt fie höher, ihr Werk weiter zu führen, ganz nad ber
Regel: natura.non facit saltus, et quod commodissimum in om-
nibus suis operationibus sequitur. Als Beleg hiefür Tann die jr :
genannte Metamorphoje der Pflanzen dienen, eben jo die Steigerung '
der Thierreihe, auch bie Steigerung in Hinfiht auf den Intellech
wenngleich der Schritt vom thierifchen zum menfchlichen Intellect vol
ber meitefte ift, den die Natur gethan hat. (WW. II, 380. 66. P. I,
167. M. 169. 192.) Auch jedem Wbfterben geht bem Grumdjate
natura non facit saltus zufolge eine allmälige Deterioration vorber.
(W. IL, 645.)
— U}
Die am fhärfften gezogene Gränze in der’ ganzen Natur und viel |
leicht die einzige, welche Feine Webergänge zuläßt, ift die Gränze jr -
chen dem Organifchen und dem Unorganifchen; fo daß das natur
non facit saltus hier eine Ausnahme zu erleiden fcheint. (W. I
335. N. 83.)
mm.
(Ueber den Zufammenhang des Menfchen mit der übrigen Natur '
ſ. Menſch, und über die intellectuelle Ariftofratie der Natur f. Ar .
ftofratte.)
8) Die Verftändlichfeit der Naturerfcheinungen.
Die Berftändlichfeit der Naturerfcheinungen nimmt in dem Maf:
ab, als in ihnen der Wille fi) immer deutlicher manifeftirt, d. h. alt
fie immer Höher auf der Stufenleiter ftehen; hingegen ift ihre Ber:
ftändlichfeit um fo größer, je geringer ihr empirischer Gehalt it, weil
fie um fo mehr auf dem Gebiete der bloßen Borftellung bieiben,
deren und a priori bewußte Formen das Princip der Verſtändlichken
find. (N. 86—90. P. I], 100.)
9) Der Streit und Kampf in der Natur.
In der Natur fehen wir überall Streit, Kampf und Wechfel dei
Sieges, und erkennen hierin die dem Willen wefentliche Entzweiung
Natur 163
mit fih ſelbſt. Jede Stufe der Objectivation des Willens macht der
andern die Materie, den Raum, die Zeit flreitig. Beftändig muß bie
beharrende Materie die Form wechjeln, indem am Leitfaden der Caufalität -
mechanifche, phyſiſche, chemifche, organifche Erfcheinungen, fich gierig zum
Hervortreten drängend, einander die Materie entreißen, da jede ihre Idee
offenbaren will. Durch die gefammte Natur läßt fich diefer Streit
verfolgen, ja fie befteht nur durch ihn. (W. I, 174 fg. 192.)
10) Die Zwedmäßigfeit in der Natur. (S. Teleologie.)
11) Entgegengejegtes Berhalten der Natur zu den
Gattungen und zu den Individuen,
Die Natur ift fo forgfam für die Erhaltung der Gattung, wie
gleichgültig gegen den Untergang der Individuen; biefe find ihr ftets
nur Deittel, jene ift ihe Zweck. Daher tritt ein grellee Contraft her-
vor zwifchen ihrem Geiz bei Ausftattung der Individuen und ihrer
derihwendung, wo es bie Gattung gilt. Hier nämlich werden oft
von einem Individuo jährlich hunderttaufend Keime und darliber ge-
women, 3. B. von Bäumen, Fifchen, Srebfen, Thermiten u, a. m.
Tort Hingegen iſt Jedem an Kräften und Organen nur Inapp jo viel
gegeben, daR es bei unausgefegter Anftrengung fein Reben friften kann.
Und wo eine gelegentliche Erſparniß möglich) war, dadurch daß ein
Theil zur Noth entbehrt werden konnte, ift er, felbjt außer der Ord⸗
nung, zurüdbehalten worden; daher fehlen z. B. vielen Raupen bie
Augen. Allein dies gefchieht in Folge der lex parsimoniae- naturse,
zu deren Ausdruck natura nihil facit supervacaneum man nod) fügen
lm et nihil largitur. — Die felbe Richtung der Natur zeigt ſich
auch darin, daß je tauglicher das Individuum vermöge feines Alters
zur Fortpflanzung ift, defto Fräftiger in ihm die vis naturae medica-
tru fi) Außert. Diefes nimmt ab mit der Zeugungsfähigkeit und
iaft tief, nachdem fie erlofchen ift; denn jetzt ift im ben Augen der
Ratur das Individuum werthlos geworden. (W. II, 552 fg.; I, 325.
89, 401; II, 315 fg. 389. 668. N. 41. 50. P. I, 276;
II, 95. 261.)
Sieht man, wie die Natur, während fie um die Individuen wenig
beſorgt ift, mit fo übertriebeuer Sorgfalt über die Erhaltung der
Gattungen wacht, mittelft der Allgewalt bes Gefchlechtstriebes und
vermöge des umberechenbaren Ueberſchuſſes der Keime; jo kommt man
af die Vermuthung, daß, wie der Natur die Hervorbringung des
Jndivibui ein Leichtes ift, fo bie urfprüngliche Hervorbringung einer
Gattung ihr äußerft fehwer werde. (P. II, 109 fg.)
12) Die äfthetifhe Wirkung der Natur,
Die üfthetifche, rein objective Gemüthsftimmung wird von Wußen
dur die zu ihrem Anfchauen einladende, ja ſich aufdringende Fulle
11"
164 Ratur
der fchönen Natur erleichtert und befördert. Ihr gelingt es, fo oft fie
mit Einen Male unferm Blide fi aufthut, faft immer, uns, wen
auch nur auf Augenblide, der Subjectivität, dem Sclavendienfte des
Willens zu entreißen und in den Zuſtand des reinen Erkennen zu
verfegen. Darum wird aud; der von Leibdenfchaften, oder Noth un
Sorge Gequälte durch einen einzigen freien Blick in die Ratur jo
plöglich erquidt, erheitert und aufgerichtet. (W. I, 232.)
Den Anblid einer ſchönen Landſchaft fo überaus erfreulich zu machen,
trägt unter Anderm auch die durchgängige Wahrheit und Conſe—
quenz der Natur bei. (W. II, 459. Vergl. Ausjicht, fchöne.)
Daß der ſich plöglih vor und aufthuende Anblid der Gebirg,
uns fo leiht in eine ernfte, auch wohl erhabene Stimmung verjegte
mag zum Theil darauf beruhen, daß die Form der Berge und de
daraus entftehende Umriß bes Gebirges die einzige ſtets bleibenke
Linie der Landfchaft ift, da die Berge allein dem Verfall trogen, der
alles Webrige fchnell hinmwegrafft, zumal unfere eigene ephemere Ber
. Nicht, daß beim Unblid bes Gebirges alles Diefes in unfer
deutliches Bewußtſein träte, fondern ein dunkles Gefithl davon wird
ber Grundbaß unferer Stimmung. (W. IL, 460.)
Wie üfthetifch ift doch die Natur! Jedes ganz unangebaute und
verwilberte, d. h. ihr felber frei tiberlaffene Fleckchen decorirt fie ale:
bald auf die gefchmadvollite Weife, bekleidet e8 mit Pflanzen, Blumen
und Geſträuchen, deren ungezwungenes Wefen, natürliche Grazie und
anmuthige Oruppirung davon zeugt, daß fie nicht unter der Zuchtruthe
des großen Egoiften aufgewachſen find, fondern hier die Natur fra
gewaltet hat. Jedes vernachläffigte Plätschen wird alsbald ſchön.
(®. II, 460. P. U, 459.)
Die unorganifche Natur, fofern fie nicht etwa aus Wafler befteht, |
macht, wenn fie ohne alles Organiſche ſich barftellt, cinen ſehr trau-
rigen, ja, beflemmenden Eindrud auf uns, was zunächſt daraus eut-
ſpringt, daß die unorganifhe Maſſe ausfchlieglich dem Gefege der
Schwere gehorcht, nad) deren Richtung baher hier Alles gelagert if. —
Dagegen nun erfreut und der Anblick der Vegetation unmittelbar und |
in hohem Grade. Der nädjfte Grund Hiervon liegt darin, daß in der
Begetation das Geſetz der Schwere als überwunden erfcheint; hierdurch
fündigt fi) unmittelbar das Phänomen des Lebens an als eine nen:
und höhere Ordnung der Dinge. Wir felbft gehören diefer; fie if
das und Verwandte. Dabei geht uns das Herz auf. Außerdem if,
was den Unbli der vegetabilifchen Natur uns fo erfreulic, macht, der
Ausdrud von Ruhe, Frieden und Genügen, den fie trägt; währen
bie animalifche fi) uns meiftens im Zuftande der Unruhe, der Noth,
ja des Kampfes barftellt; daher gelingt e8 jener fo leicht, uns in den
Zuftand des reinen Erkennens zu verfegen, der und von uns felbft be-
freit. — Das Waſſer hebt die traurige Wirkung feiner amorganifchen
Natur 165
Weſenheit durch feine große Beweglichkeit, die einen Schein des Lebens
giebt, und durch fein beftändiges Spiel mit dem Lichte großentheil® auf;
zudem ift es die Urbedingung alles Lebens. (P. II, 458 fg.)
In Hinfiht auf die Charaktere macht e8 die Natur nicht, wie
die ſchlechten Poeten, welche, wann fie Schurlen oder Narren bar»
Rellen, fo plump und abfichtsvoll dabei zu Werke gehen, daß man
gleihfam Hinter jeder ſolcher Perfon den Dichter ſtehen fieht, der ihre
Gefinnung und Rede fortwährend desavouirt und mit warnender
Stimme ruft: „Dies ift ein Schurke, dies ift ein Narr.” Die Na-
tur macht es vielmehr, wie Shalefpeare und Göthe, in deren Werfen
ide Perfon und wäre fie der Teufel felbft, während fie dafteht und
redet, Recht behält; weil fie fo nbjectiv aufgefaßt ift, daß wir in ihr
Intereffe gezogen und zur Theilnahme an ihr gezwungen werben; denn
fie it, eben wie Werke der Natur, aus einem imern ®rincip ent-
midelt, vermöge beffen ihr Sagen und Thun al® natürlich, mithin als
nothwendig auftritt. (P. I, 481.)
(Meber die Naivetät der Natur f. Naiv, Naivetät.)
13) Die moraliſche Bejchaffenheit der Natur und die
Erlöfung berfelben.
Die Natur kennt nur das Phnfifche, nicht das Moraliſche; fogar
iſt zwiſchen ihr und ber Moral entfchiedener Antagonismus. Erhal⸗
tung des Individui, beſonders aber der Species, in möglichſter Voll⸗
lommenheit, iſt ihr alleiniger Zweck. (W. II, 645.)
Wer den Charakter der Natur ins Auge faßt, der wird dem Ari⸗
ſtoteles Recht geben, wenn er fagt: 7 Yvaıg darmowa, ou Yera
est. (natura daemonia est, non divina). (W. II, 399. 405.) Biel
rihtiger, al die Natur auf pantheiftifche Weife mit Gott zu ibentifi-
ciren, wäre es, fie mit dem Teufel zu identificiren, wie ber ehrivlirdige
Berfaffer der deutfchen Theologie gethan, indem er fagt: „Darum ift der
böfe Geift und die Natur Eins, und wo die Natur nicht überwunden
if, da ift auch der böfe Feind nicht überwunden.” (P. II, 107.)
Das wirklich und factifch in der Natur Herrfchende Geſetz ift das
Serrfchen der Gewalt ftatt des Rechts, nicht etwa nur in der Thier-
welt, fondern auch in der Menſchenwelt. (E. 159.)
Da der Wille durch nichts aufgehoben werben Tann, als durch Er-
fenntniß, fo ift der einzige Weg des Heils diefer, daß ber Wille
ungehindert erfcheine, um in dieſer Erfcheinung fein eigenes Wefen
eriennen zu Können. Nur in Folge diefer Erkenntniß kann der Wille
ich felbft aufheben und damit aud das Leiben, welches von feiner
Erſcheinung unzertrennlich ift, embigen; nicht aber ift des durch phy⸗
fide Gewalt, wie Zerflörung des Keims, oder Tödtung bes Neu-
geborenen, oder Selbſtmord möglih. Die Natur führt eben den
Billen zum Lichte, weil er nur am Lichte feine Erlöfung finden kann.
Daher find die Zwecke der Natur auf alle Weife zu befördern, ſobald
der Wille zum geben, der ihr inneres Wefen ift, ſich entſchieden hat.
166 Raturalisınus
(8. I, 474. Vergl. auch unter Menſch: Der Menſch als Wende—
punkt des Willens zum Leben und als Erlbſer der Nam)
Naturglismus.
1) Wefen des Naturalismus.
Der Naturalismus ift die auf den Thron der Metaphyſil geiekte
Phyſik, ober die abjolute Phyſik, d. h. eine Phyſik, welche behaupte,
daß ihre Erklärungen der Dinge, — im Einzelnen aus Urfahen un
im Allgemeinen aus Kräften, — wirklich ausreichend fei und aljo dei |
Weſen ber Welt erfchöpfe. (W. II, 193. P. II, 36fg.) Der %
turalismus macht die Natura naturata zur Natura naturan. (Ü.
I, 194.) |
2) Der Naturalismus in der Geſchichte der Phile⸗
fopbie. |
Das Ausgehen vom Objectiven, welchem bie fo beutliche und jap
liche äußere Anſchauung zum Grunde liegt, ift ein dem Menſchen
fo natürlicher und ſich don felbft barbietender Weg, daß der Raturdlıie
mus und der Materialismus Syfteme find, auf welche die ſpecunlirende
Bernunft nothwendig, ja, zu allererft gerathen muß; daher wir ged
anı Anfang der Geſchichte der Philofophie den Naturalismus, in ke
Syſtemen der Joniſchen Philofophie, und darauf den Materialiimt
in ber Lehre des Leufippos und Demokritos auftreten, ja, aud fin
von Zeit zu Zeit fid) immer wieder erneuern fehen. (W. II, 361.
Bon Leufippos, Demokritos und Epikuros an, bis herab zum Syatin
de la nature, dann zu Delamark, Cabanis unb zu bem im ben Ikie,
Jahren wieder aufgewärmten Diaterialismus können wir ben fortgeit
ten Berfuch verfolgen, eine Phyſik ohne Metap hyſik aufzuftele,
d. h. eine Lehre, welche die Erfcheinung zum Dinge an fih madt
(®. U, 193 fg.)
3) Unzulänglichleit des Naturalismus,
Mit dem Naturalismus ober der rein phyſikaliſchen Betrachten
wirb man nie ausreichen; fie gleicht einem Rechnungsexempel, welder
nimmermehr aufgeht. End- und anfangslofe Caufalreien, unerforit
liche Grundkräfte, unendlicher Raum, anfangslofe Zeit, endlofe The
barkeit der Materie, und biefes Alles nocd bedingt durd) ein erkenne:
des Gehirn, in welchem allein es dafteht, fo gut wie der Traum, un
ohne welches es verjchwindet, — machen das Labyrinth aus, in wi
chem fie uns unaufhörlich herumführt. (W. II, 195—197. 361.
Fe auch unter Metaphyſik: Verhältnig der Metaphyſil zu
pt.)
4) Unvereinbarkeit des Naturalismus mit der Eihil.
(S. unter Atheismus: Was dem Bormwurf des Arhertumt
Kraft ertheilt.) |
Naturforſcher — Naturgefek 167
Naturſorſcher.
Der einzelne, ſimple Naturforſcher in einem abgeſonderten Zweige
der Phyſik, der. einſeitige Empiriker, wird bes Bedürfniſſes der meta⸗
phyſiſchen Erklärung des Ganzen und Allgemeinen nicht ſofort deutlich
inne. Daher ſehen wir heut zu Tage die Schale der Natur auf
das Genaueſte durchforſcht, die Inteſtina der Unteftinalwürmer und
ba8 Ungeziefer be Ungezieferd Hanrklein gekannt. Kommt aber ein
Metaphyſiker und redet vom Kern der Natur, fo Hören fie nicht
bin, fondern Hauben an ihren Schalen weiter. Jene überaus mikro⸗
ffopifchen und mikrologiſchen Naturforjcher findet man fich verfucht, die
Topftuder der Natur zu nennen. Die Leute aber, welche vermeinen,
Tiegel und Netorte feien die wahre und einzige Duelle aller Weisheit,
find in ihrer Art eben fo verkehrt, wie es weiland ihre Antipoden, bie
Scholaftifer, waren. Wie nämlich, dieſe, ganz und gar in ihre abftracten
Begriffe verftridt, mit dieſen fich Herumfchlugen, nichts außer ihnen
kennend, noch unterfuchend; fo find Jene ganz in ihre Empirie ver-
fridt, Iaffen nichts gelten, al8 was ihre Augen fehen, und vermeinen,
bamit bis auf den letzten Grund der Dinge zu reichen, nichts ahnend
von ber tiefen Kluft zwifchen ber Erfcheinung und dem Ding an fid).
(®. II, 197 fg.)
Auf einer höhern Stufe ftehen diejenigen Naturforfcher, welche ſich
zur Bhilofophie ihrer befondern Wiſſenſchaft erheben, wie 3.8. Gdthe,
Rielmayer, Delamark, Geoffroy St. Hilaire, Cuvier u. a. m.
zur Philoſophie der Zoologie. (W. II, 141.)
naturgeſchichte, ſ. Morphologie.
Naturgeſetz.
1) Definition des Naturgeſetzes.
Die Norm, welche eine Naturkraft hinſichtlich ihre Erſcheinung
an der Kette der Urſachen und Wirkungen befolgt, alſo das Band,
welches ſie mit dieſer verknüpft, iſt das Naturgeſetz. (G. 46.)
Die unwanbelbare Conſtanz bes Eintritts ber Aeußerung einer Natur⸗
haft, jo oft die Bedingungen dazu da find, heißt in der Aetiologie
Naturgeſetz. (W. I, 116.)
Da Seit, Raum, Bielheit und Bedingtfein durch Urſache nicht dem
Bilen, noch ber Idee (dev Stufe der Objectivation des Willens),
fondern nur den einzelnen Erfcheinungen diefer angehören; fo muß in
alen Millionen Erfcheinungen einer allgemeinen Naturkraft, 3. B. ber
Schwere, oder der Elektricität, fie als folche fh ganz genau auf
gleiche Weife darftellen, und blos die äußern Umftände können die Ex-
ſcheinung modificiren. Diefe Einheit ihres Weſens in allen ihren
Erſcheinungen, dieſe unwandelbare Conſianz des Cintritte derſelben,
ſobald, am Leitfaden der Cauſalität, die Bedingungen dazu vorhanden
md, heißt ein Naturgeſetz. Iſt ein ſolches duch Erfahrung einmal
belamt, fo läßt ſich die Erſcheinung der Naturkraft, deren Charakter
168 Naturkraft
in ihm ausgeſprochen und niedergelegt iſt, genau vorherbeſtimmen und
berechnen. (W. I, 157 fg.) Das Naturgeſetz iſt die Beziehung der
Idee auf die Form ihrer Erſcheinung. Dieſe Form iſt Zeit, Rum
und GCaufalität, welche nothwendigen und ungertrennlichen Zufammen-
bang und Beziehung auf einander haben. Durch Zeit und Raum
vervielfältigt fich die Idee in unzählige Erfcheinungen; die Ordnung
aber, nad) welcher biefe in jene Formen ber Mannigfaltigfeit zin
treten, ift feſt beftinumt durch das Gele ber Caufalität; dieſes it
gleihfam die Norın der Gränzpunkte jener Ericheinungen verſchiedentt
Ideen, nad welder Raum, Zeit und Materie an fie vertheilt find.
(W. I, 159—162.)
Ein Naturgefeß ift bloß die ber Natur abgemerkte Hegel, nad) der
fie unter beftimmten Uniſtänden, fobald biefe eintreten, jedes Del
verfährt; daher kann mau allerdings das Naturgefeß definiren ale cm
allgemein ausgeſprochene Thatfache, un fait gensralise, wonach dann
eine vollftändige Darlegung aller Naturgefege doch nur ein complets
Zhatfachenregifter wäre. (W. I, 167.)
2) Ungültigfeit der Naturgefege im Gebiete des mu-
gifhen und magnetifhen Wirkens. (S. Magie m
Magnetismus.)
Naturkraft.
1) Unerflärlichfeit der Naturfräfte.
Jede Achte, alfo wirklich nrfprüngliche Naturkraft, wozu auch jet
djemifche Srunbeigenfchaft gehört, ift wefentlid; qualitas occulta, d.h.
feiner phyſiſchen Erklärung weiter fähig, fondern nur noch einer meta
phnfifchen, d. h. über die Erfcheinung hinausgehenden. (G. 46. E.
I, 116 fg. 166; II, 191 fg)
In jedem Dinge in der Natur ift etwas, davon Fein Grund i
angegeben werben fann, feine Erklärung möglich, Feine Urſache weiter
zu fuchen ift; es ift die fpecififche Art feines Wirkens, d. h. eben die
Art feines Dafeins, fein Weſen. Was dem Menſchen fein unergründ⸗
licher, bei aller Erklärung feiner Thaten aus Motiven vorausgeſetzier
Charakter ift; eben das ift jeden unorganifchen Körper feine weſentliche
Dualität, die Art feines Wirkens, die im ihm ſich hervorthuende
Naturkraft, deren Weußerungen hervorgerufen werben durch Cu:
wirkung von Außen, während hingegen fie felbft durch nichts auktt
ihr beftimmt, alfo auch nicht erflärlich ift; ihre einzelnen Erfcheinungen,
durch welche allein fie fichtbar wird, find dem Sag vom Grunde
unterworfen, fie felbft ift grundlos. (W. I, 148. 155.)
Die Naturfraft ift Erfcheinung des Willens und als folde nid!
den Geftaltungen des Satzes vom Grunde unterworfen, d. h. grund:
106. Sie liegt außer aller Zeit, ift allgegenwärtig. Alle Zeit iſt
Raturkraft .169
nur für ihre Erfcheinung, ihr felbft ohne Bedeutung. Jahrtauſende
ſchlummern die chemifchen Kräfte in einer Materie, bis die Berührung
der Reagenzien fie frei macht; dann erfcheinen fie; aber die Zeit ift
ame filr diefe Erfcheinung, nicht für die Kräfte felbft ba.
Die urfprünglidyen Naturkräfte Tiegen als unmittelbare Objectiva-
tionen de Willens, der ald Ding an fi dem Sat vom Grunde nidt
unterworfen ift, außerhalb der Formen ihrer Erfcheinungen (Raum,
Zeit und Cauſalität). Zwifchen der Naturfraft und allen ihren Er-
ſcheinungen ift der Unterfchied, daß jene der Wille felbft auf diefer
beftimmten Stufe feiner Objectivation ift, den Erfcheinungen allein aber
durch Zeit und Raum Bielheit zukommt, und das Gefeß der Caufalität
nichts Anderes, als die Beſtimmung der Stelle in jenen filr die ein-
zelnen Erſcheinungen ift. (W. I, 161— 163.) Wir erkennen felbft
den unterften Naturkräften eine Aeternität und Übiquität zu, an welcher
ung die Bergänglichleit ihrer flüchtigen Erfeheinungen feinen Augenblid
ie macht. (W. U, 536.)
2) Gegenſatz zwifchen Naturfraft und Urfade.
Bon der enblofen Kette der Urſachen und Wirkungen, welche alle
Veränderungen leitet, aber nimmer über biefe Binaus fid) erftredt,
bleiben einerfeits die Materie und andererſeits die urfprünglichen
Naturfräfte unberührt, jene als der Träger aller Veränderungen,
oder Das, woran fie vorgehen, diefe ald Das, vermöge deſſen die
Veränderungen, ober Wirkungen überhaupt möglich find, Das, mas
den Urfachen die Gaufalität, d. i. die Fähigkeit zu wirken, alleverft
ertheilt. Urfache und Wirkung find die zu nothwendiger Succeffion
in der Zeit verfnüpften Veränderungen; die Naturkräfte hingegen,
vermöge welcher alle Urfachen wirken, find von allem Wechfel aus:
genommen, daher in diefen Sinne außer aller Zeit, eben deshalb aber
ftet8 und überall vorhanden, allgegenwärtig und unerfchöpflidh, immer
bereit fi) zu äußern, fobald nur, am Leitfaden der Caufalität, die
Gelegenheit dazu eintritt. Die Urfache ift allemal, wie auch ihre
Wirkung, ein Einzelnes, eine einzelne Veränderung; die Naturkraft
hingegen ift ein Allgemeines, Unveränderliches, zu aller Zeit und überall
Borhandenes. Die Verwechslung der Naturkraft mit der Urſache ift
je häufig, wie für die Klarheit des Denkens verberblih. Nicht nur
werden die Naturkräfte felbft zu Urfachen gemacht, indem man jagt:
die Eleftricität, die Schwere u. f. f. ift Urfache; fondern fogar zu
Birkungen machen fie Manche, indem fie nach einer Urſache der
Glektrictät, der Schwere u. f. w. fragen, welches abſurd iſt. Etwas
ganz Anderes ift es jeboch, wenn man die Zahl der Naturkräfte
dadurch vermindert, daß man eine derfelben auf eine andere zurück⸗
führt. (G. Abfg. 93. W. U, 131fg.; I, 161—163. P. U, 98.
€. 46 fg.)
170 Naturkraft
3) Idealiſtiſche Erklärung der unfehlbaren Geſetz⸗
mäßigkeit und Pünktlichkeit bes Wirkens der Ra»
turträfte
Die Unfehlbarkeit der Naturgefege hat, wenn man von der Erkennt:
niß des Einzelnen, nicht von ber Idee ausgeht, etwas Ueberraſchendes.
Dean Fönnte fi wundern, daß die Natur ihre Gefeße auch nicht ein
einziged Mal vergißt. Am Iehhafteften empfinden wir diefes Wunder:
bare bei feltenen, nur unter jehr combinirten Umftänden erfolgenden,
unter diefen aber und vorher verfüindeten Erſcheinungen. Es iſt bie
geiftermäßige Ullgegenwart der Naturkräfte, die uns aledann überrafdt.
Hingegen, wenn wir in die philofophifche Erkenntniß eingedrungen
find, daß eine Naturkraft eine beftimmte Stufe der Objectivation de}
Willens ift, und daß biefer Wille an ſich felbft und unterfchieden von
feiner Erſcheinung und deren Formen, außer ber Zeit und dem Raume
liegt, und die daher durch diefe bedingte Vielheit nicht ihm, nod un
mittelbar der Idee, fondern erft den Erſcheinungen dieſer zufommt,
das Geſetz der Kaufalität aber nur in Beziehung auf Zeit und Raum
Bedeutung hat; — wenn uns in biefer Erkenntniß der innere Sim
der Sant’fchen Lehre von der Ydealität des Raumes, der Zeit md
der Caufalität aufgegangen ift; dann werden wir einfehen, daß jene
Erftaunen über die Geſetzmäßigkeit und Pünktlichfeit des Wirkens einer
Naturfraft, über die vollkommene Gleichheit aller ihrer Millionen Er
fcheinungen, über die Unfehlbarkeit des Eintritt derfelben, im ber That
dem Erftaunen eines Kindes, oder eines Wilden zu vergleichen if, da
zum erflen Mal durch ein Glas mit vielen Facetten etwa eine Blume
betrachtend, fich wundert über die volllommene Gleichheit der unzähligen
Blumen, die er fieht, und einzeln die Blätter einer jeden berfelben
zählt, (W. I, 158 fg.)
4) Die Stufen der Naturkräfte als Stufen der Ob-
jectivation des Willens.
Jede urfprüngliche Naturkraft ift eine beftinmmte Stufe der Obje:
tivation des Willens oder der Idee im Platonifchen Sinne. Als bie
niedrigfte Stufe der Objectivation des Willens ftellen fich die allge
meinten Kräfte der Natur bar, melde theils in jeder Materie ohne
Ausnahme erjcheinen, wie Schwere, Undurchdringfichkeit, theils fid
unter einander in die überhaupt vorhandene Materie getheilt haben,
fo daß einige über diefe, andere über jene, eben dadurch ſpecifiſch ver-
fchiebene Materie herrſchen, wie Starrheit, Flüſſigkeit, Clafticität,
Magnetismus, chemifche Eigenfchaften und Qualitäten jeder Art. (©.
I, 154. 159.) Auf ben obern Stufen der Objectität des Willens
fehen wir die Individualität bedeutend herbortreten. (W. I, 155. —
Bergl. unter Individuation, Individualität: Die Individuaktät
auf ben verfchiedeuen Stufen der Natur.)
Wir können die verfchiedenen in ben Naturfräften ſich offenbarenden
Naturkraft 171
Feen ober Objectivationsſtufen bes Willens als einzelne und an ſich
einfache Willensacte betradhten, indem fein Weſen ſich mehr ober
weniger ausbrüdt. Nun behält auf den niedrigften Stufen ber Ob-
jetität ein ſolcher Act (oder eine Idee) auch in der Erfcheinung feine
Einheit bei; mwührend er auf den höhern Stufen, um zu erfcheinen,
einer ganzen Reihe von Zuftänden und Entwidlungen in deren Zeit
bebarf,, welche alle zufammengenominen erft den Ausbrud feines We⸗
jens vollenden. So 3. B. hat die Idee, welche fih in irgend einer
allgemeinen Naturkraft offenbart, immer eine einfache Weuferung,
wenngleich diefe nach Maßgabe der äußern Verhältniſſe fich verfchieden
darſtellt. Ebenſo hat der Kryftall nur eine Lebensäußerung. - Schon
die Pflanze aber dritdt die Idee, deren Erſcheinung fie ift, in einer
Succeffion von Entwicklungen ihrer Organe aus. Beim Thier ſtellt
fi) die Idee nicht blos in der Entwidlung des Organismus, fondern
auch durch die Handlungen bar, in denen fein empirifcher Charakter
ſich ausfpricht, der in ber ganzen Species berfelbe if. Beim Menſchen
it Schon in jedem Individuo der empirifche Charakter ein eigenthüm⸗
licher. (W. I, 184 fg.)
5) Identität der unterften Naturfräfte mit bem Willen
in uns.
Die Naturkräfte find am gründlichſten in der Schrift „Ueber den
Willen in der Natur als identiſch mit dem Willen in und nachge⸗
wieſen. (W. II, 52.) Ä
In den dumpfen und blinden Urfräften der Natur, aus deren
Wechſelſpiel das Planetenfyfter hervorgeht, ift fchon eben ber Wille
zum Leben, welcher nachher in den vollendetiten Erfcheinungen ber
Welt auftritt, das innerlich Wirkende und Leitende und bereitet ſchon
dort, mittelft firenger Naturgefege auf feinen Zwed hinarbeitend, die
Grundfefte zum Ban der Welt und ihrer Ordnung vor. (P. U,
229 fg.)
Schon die unterften Naturfräfte find von jenem ſelben Willen be»
jeelt, der fich nachher in dem mit Intelligenz ausgeftatteten, individuellen
Velen über fein eigenes Werk (die zweckmäßige Einrichtung der Welt)
verwundert, wie der Nachtiwanbler am Morgen über Das, was er im
Schlafe vollbracht; oder richtiger, ber über feine eigene Geftalt, die er
um Spiegel erblidt, erftaunt. (W. II, 369 fg.)
6) Verhältniß der Naturfräfte zur Materie.
Die eine identifche Materie ift das gemeinfame Subftrat der Er«
Iheinungen verfchiedener Ideen oder Naturfräfte. Das Gefeg der Cau⸗
jalität befiimmt die Gränzen, welchen gemäß die Erfcheinungen ber
Naturkräfte fich in den Befig der Materie theilen. Ins Unendliche ließe
NH die nämliche beharrende Materie verfolgen und zufehen, wie bald
diefe, bald jene Naturkraft ein Hecht auf fie gewinnt und es unaus⸗
172 Naturkraft
bleiblich ergreift, um hervorzutreten und ihr Weſen zu offenbaren.
(W. I, 160—162.) Der Unterfchied zwiſchen der Materie und der
temporär fie in Beflg nehmenden ſtets metaphufiichen Kraft Täpt ſich
3. B. augenfällig nachweifen am Bogelei, deſſen fo homogene, geftalt-
Iofe Slüffigfeit, fobald nur die gehörige Temperatur binzutritt, die fo
compficirte und genau beftimmte Geftalt der Gattung und Art feines
Bogeld annimmt. Gewiſſermaßen tft Dies doch eine Art generatio
aequivoca, und höchſt wahrſcheinlich ift dadurd), daß fie einft in der
Urzeit und zur glüdlichen Stunde vom Typus des Thieres, welchem
das Ei angehörte, zu einem höheren überjprang, die auffteigende Reihe
der Thierformen entflanden. Jedenfalls tritt hier am augenſcheinlichſien
ein von der Materie Berjchiedenes hervor, zumal dba e8 beim geringiten
ungünftigen Umftande ausbleibt. Dadurd) wird fühlbar, daß es nad
vollbrachtem, oder fpäter behinderten Wirken, auch eben jo unverjehrt
von ihr weichen fann; welches dann auf eine ganz anberartige Per-
manenz hindeutet, al® das Beharren der Materie in ber Zeit il.
(P. U, 285 fg.)
7) Fehler, welche bei der Aufftellung von Natur:
fräften zu vermeiden find.
Trägheit und Unwifjenheit machen geneigt, fih zu früh auf ur-
fprüngliche Kräfte zu berufen; dies zeigt fich mit einer der „Ironie
gleichen Uebertreibung in ben Entitäten und Duibditäten der Schole-
ftifer. Die Phyfit hat zu unterjcheiden, ob eine Verſchiedenheit der
Erſcheinung von einer Berjchiedenheit der Kraft, ober nur von Ber:
chiebenheit ber Umſtände, unter denen die Kraft ſich äußert, herrührt,
und gleich fehr fich zu hüten, für Erfcheinung verjchiedener Kräfte zu
haften, was Aeußerung einer und derfelben Kraft, blos unter ver⸗
fchiedenen Umftänden, ift, als nmgelehrt, für Acußerungen Ciner
Kraft zu Halten, was urfprünglich verjchiedenen Kräften angehört.
(W. I, 166.)
Es iſt eine Verirrung der Naturwiſſenſchaft, wenn fie die höheren
Stufen der Objectität des Willens zurückführen will auf niedere; da
das Berfennen und Leugnen urfprünglicher und fir fich beftehender
Naturkräfte chen fo fehlerhaft ift, wie dic grundfofe Annahme eigen:
thitmlicher Kräfte, wo blos eine befondere Erfcheinungsart ſchon be:
fannter Statt findet. Mit Recht fagt daher Kant, es fei ungereimt,
auf einen Newton des Grashalms zu hoffen. Andererſeits aber il
nicht zu überfehen, daß in allen Ideen, d. 5. in allen Kräften ber
unorganiſchen und allen ©eftalten der organifchen Natur, einer und
berfelbe Wille es ift, der fich offenbart. Seine Einheit muß fid
daher aud) durch eine innere Verwandtſchaft zwiſchen allen feinen Er-
jcheinungen zu erkennen geben. (WW. I, 169 fg. 632 fg. Bergl. aud
unter Lebenskraft: Gegen das Peugnen der Lebenskraft.)
Ratlirliche, das 173
8) Die Anſchauung bes Wirlens der Naturfräfte im
Großen.
Wenn wir ganz einfache Wirkungen, die wir im Kleinen täglich vor
Augen haben, ein Mal in coloſſaler Größe zu ſehen Gelegenheit finden;
ſo iſt uns der Anblick neu, intereſſant und belehrend, weil wir erſt
jest von den in ihnen ſich äußernden Naturkräften eine angemeſſene
Borflellung erhalten. Beifpiele diefer Art find Mondfinfterniffe, Feuers⸗
brünfte, große Wafferfälle u. f. w. Was würde es erft fein, wenn
wir das Wirken ber Gravitation, welches wir nur aus einem fo höchſt
ainfeitigen Verhältniſſe, wie die irdifche Schwere tft, anfchaulich kennen,
ein Mal in feiner Thätigfeit im Großen zwifchen ben Weltkörpern un«
mittelbar anfchaulich überfehen könnten. (PB. U, 114 fg.)
Natürliche, das.
1) Einheit und Harmonie des Natürlichen.
Jede Thiergeftalt bietet uns eine Ganzheit, Einheit, Vollkommenheit
und ſtreng durchgeführte Harmonie aller Theile dar, die fo ganz auf
Einem Grundgedanken beruht, daß beim Anblid felbft der abenteuer»
lichſten Thiergeftalt e8 Dem, ber fich darin vertieft, zulegt vorkommt,
als wäre fie die einzig richtige, ja mögliche, und fünne es gar Feine
andere Form des Lebens, als eben diefe, geben. Hierauf beruft im
tiefften Grunde der Ausdrud „natürlich“, wenn wir damit bezeichnen,
daß etwas fih von felbft verfteht und nicht anders fein Tann,
(N. 55.)
2) Bedeutung bes Gegenfages zwifchen dem Natür«
lichen und Uebernatürlichen.
Das Volk unterfcheidet Natürliches und Uebernatürliches als zwei
guumdverfchiedene Drdnungen der Dinge. Dem Uebernatürlichen fchreibt
es Wunder, Weiffagungen, Gefpenfter und Zauberei zu, läßt aber
überdies die Natur felbft auf eimem Webernatitrlichen beruhen. ‘Diefe
populäre Unterfcheidung fällt im Wefentlichen zufammen mit ber
Kant'ſchen zwifchen Erjcheinung und Ding an fi; nur daß dieſe bie
Sache genauer und richtiger beſtimmt, nämlich dahin, daß Natitrliches
und Uebernatürliche® nicht zwei verfchiedene und getrennte Arten von
Weſen find, fondern Eines und Daffelbe, welches an ſich genomimen
übernatitrlich ift, weil erft indem es erfcheint, d. h. in die Wahr«
nehmung unſers Intellects tritt, die Natur fich darſtellt, deren phä-
nomenale Geſetzmäßigkeit es eben ift, die man unter dem Natürlichen
verſteht. (P. II, 284 fg.)
Die Entgegenfegung eines Natürlichen und Uebernatürlichen fpricht
ſchon die dunkle Erkenntniß aus, daß die Erfahrung mit ihrer Gefep-
mößigfeit bloße Erſcheinung fei, hinter welcher ein Ding an fich ftedt.
(6. 337 fg.)
174 Naturphiloſophie — Nalurſchöonheit
3) Das Natürliche vom ethiſchen Standpunkte aus
betrachtet.
Die bisweilen fiir manche Lafter gehörte Entfchuldigung: „und doch
ift e8 dem Menſchen natürlich“, reicht keineswegs aus; fondern man
fol darauf erwibdern: „eben mweil es ſchlecht ift, ift es natürlich, und
eben weil es natürlich iſt, ift e8 ſchlecht.“ Dies recht zu verftchen,
muß man den Sinn der Lehre von der Erbfünde erkannt haben.
(B. II, 326.)
Naturphilofophie, die Schelling’fche.
1) Charakter der Naturphilofophie.
Die Schelling’fhe Naturphilofophie läßt aus dem Object allmälig
da8 Subject werden durch Anwendung einer Methode, welche Con:
firuction genannt wird, von der fo viel Har ift, daß fie ein Fort:
fhreiten gemäß dem Sag vom Grunde in mancdherlei Geftalten iii.
(W. I, 31. H. 195 fg. Vergl. Ibentitätsphilofophie.)
Die Naturphilofophen, vol Erftaunen und Bewunderung über die
nenern Fortſchritte und die Auffchlüffe der Naturwiffenfchaft, geriethen
in den Jerthum, ihre Erkenntniß fei bie des Abfoluten und nicht bed
Bedingten. Wie die Pythagoräer Mathematilnarren waren, fo waren
die Naturphilofophen Naturnarren. (M. 396.) Die von Schelling
zuerft angeftimmte Naturphilofophie ift bloß ein Auffuchen von Wehr:
lichkeiten und Gegenſätzen in der Natur, welche Betrachtung an fih
intereffant ift und hie und da nüglich werden kann, nie aber eine
Philofophie ausmacht. Daher mußte auch Schelling mit mehrern von
jener Betrachtung der Natur unabhängigen dogmatifchen Verſuchen auf
treten, denen er Fein anderes Tundament gab, als intellectuelle An-
fhauung, und deren Mährchenhaftes in die Augen fiel. (M. 397.)
2) Bleibender Gewinn aus ber Naturpbilofopbie.
- Das einzige Brauchbare und Bleibende, was aus der Schelling’jchen
Naturphilofophie hervorgehen wird, wird fein eine Philofophie der
Naturwiſſenſchaft, d. h. eine Anwendung philofophifcher Wahr:
heiten auf Naturwiffenfchaft, eben wie man auch Philofophie der Ge
fhihte u. dgl. m. hat. (M. 397.)
Naturproduct. (S. Artefact und unter Natur: Gegenfag zwi:
hen den Werfen der Natur und ben Werfen der nach Abjict
wirkenden Kunft.)
Naturrecht. (S. unter Recht: Unabhängigkeit des Rechts vom
Staate.)
Naturſchönheit. (S. unter Natur: Die Afthetifche Wirfung der
Natur.)
Raturwiffenfhaft — Neid 175
Naturwiffenfchaft.
1) Die zwei Hauptabtheilungen der Naturwiſſenſchaft.
Das weite, in viele Felder getheilte Gebiet der Naturwiſſenſchaft
zerfällt in zwei Dauptabtheilungen: Morphologie und Netiologie.
(®. 1, 114. ©. die Artilel Morphologie und Aetiologie.)
2) Die zwei naturwiffenfhaftliden Antinomien. (©.
Antinomien.)
3) Verhältniß der Naturwiffenfhaft zur Metaphyfik.
—— Metaphyſik: Verhältniß der Metaphyſik zur
hyſil.)
4) Die Wichtigkeit der naturwiſſenſchaftlichen Unter-
juhungen, verglihen mit der Wichtigkeit der mo-
ralifhen. (S. unter Moral: Wichtigkeit der moralifchen
Unterfuchungen.)
Neger, ſ. Ragen.
Neid,
1) Weſen bes Neides.
Der Neid gehört zu den antimoralifchen Zriebfedern. Er ift eine
Hanptquelle des Uebelwollens, oder ift vielmehr felbft Uebelwollen, er-
gt durch fremdes Glück, Beſitz oder Vorzüge. Der Neid ift dem
Mitleiden entgegengefegt, fofern er nämlich) durch ben entgegengefeß-
ten Anlaß hervorgerufen wird; fein Gegenſatz zum Mitleid beruht alfo
zunächſt anf dem Anlaß, und erft in Folge Biervon zeigt er ſich auch
in der Empfindung felbft. (P. II, 230. — In gewilfen Betracht ift
da8 Gegentheil des Neides die Schabenfreube. Jedoch ift Neid zu
fühlen, menfchlih, Schadenfreude zu genießen, teufliſch. Neid und
Schadenfreude find an ſich blos theoretiſch; praktifch werben fie Bos⸗
beit und Grauſamkeit. (E. 199 fg. PB. II, 230 fg.)
2) Allgemeinheit und Natürlichkeit des Neides.
Kein Menſch ift ganz frei von Neid und ſchon Herobot (III, 80)
bat anf ben der menfchlichen Natur eingepflanzten Neib hingewieſen.
(E. 200.) Kein Menſch dürfte ganz frei von Neid befunden werben;
denn daß der Menſch beim Anblic fremden Genuffes und Befiges den
eigenen Mangel bitterer fühle, ift natürlich, ja unvermeidlich. (P. II,
231.) Neid ift dem Menfchen natürlich. (P. I, 458.)
3) Der Neid als indirecter Beweis, daß die Menſchen
unglüdlich find. .
Einen indivecten, aber fiheren Beweis davon, daß die Menjchen ſich
wglüdiich fühlen, folglich es find, liefert zum Ueberfluß nod) ber
Allen innewohnende, grimmige Neid, der in allen Lebensverhältniſſen
auf Anlaß jedes Vorzugs, welcher Art er auch ſei, rege wird und fein
176 Reid
Gift nicht zu Halten vermag. Weil fie fi) unglücklich fühlen, lunnen
die Menfchen den Anblid eines vermeinten Glücklichen nicht ertragen.
(W. II, 661. P. I, 458 Anmerk.) Neid ift das fichere Zeichen des
Mangels, alfo, wenn auf Berdienfte gerichtet, de8 Mangels an Ber-
bienften. (P. II, 496.)
4) Grade des Neides,
Die Grabe des Neides find fehr verfchieden. Am unverföhnlichfin
und giftigften ift er, wenn auf perfönliche Eigenfchaften gerichtet, weil
bier dem Neiber Feine Hoffnung bleibt, und zugleich am niederträdtig-
ften, weil er haßt, was er lieben unb verehren folte. (E. 200.) Wenn
der Neid blos durch Reihthum, Hang, ober Macht erregt wird, wir
er nod) oft durd) den Egoismus gedämpft, indem biefer abfieht, daß
von dem Beneideten vorkommenden Balls Hülfe, Gem, Beiſtand,
Schuß, Beförderung u. |. w. zu hoffen fteht, oder daß man wenig.
ſtens im Umgange mit ihm Ehre genießen kann; auch bleibt hier bie
-Hoffnnng übrig, alle jene Güter einft noch felbft zu erlangen. Hin-
gegen fir den auf Naturgaben und perjönliche Borziige geridjteten
Neid giebt e8 Keinen Troſt der einen und Feine Hoffnung der andern
Art. Daher fein bitterer und unverföhnlicher, auf Rache in aleria
Weife bedadjter Haß gegen die durch Naturgaben Benorzugten. (P. I,
231 fg.; I, 341.)
5) Uebele Folgen des Neides,
Der Neid trägt zur Schlechtigleit des Laufe der Welt ein Große
bei. Er ift nämlich die Seele des überall florirenden, ſtillſchweigend
und ohne Berabredung zufammenfonmenden Bundes aller Mitte:
mäßigen gegen ben einzelnen Wusgezeichneten in jeder Gattung. Zur
Seltenheit des Vortrefflihen und zur Schwierigkeit, die es findet, ver
ftanden und erfannt zu werden, kommt alfo noch jenes übereinftinmende
Wirken des Neides Unzähliger, e8 zu unterdrüden, ja, wo möglich, es
ganz zu erftiden. ( P. II, 494—497. 232.)
(Ueber den Zufammenhang des Lobes der Beſcheidenheit mit dem
Neide |. Befcheidenheit.)
6) Berhaltungsregeln gegen den Neid.
Neid ift ein Lafter und ein Unglück zugleih. Wir follen daher ihn
ald den Feind unfers Glückes betrachten und als einen böfen Dämon
zu erftiden fuchen. Hiezu ift bienlich, öfter Die zu betrachten, meld).
ſchlimmer daran find, al® wir, denn Die, welche beffer daran zu fein
ſcheinen. Sogar wird bei eingetretenen wirklichen Uebeln uns den
wirffamften, wiewohl aus der felben Duelle mit dem Meide fließenden
Zroft die Betrachtung größerer Leiden, als die unfrigen find, gemwäh
ren, und nächftdem der Umgang mit Solden, die mit uns im felben
alle fich befinden, mit den sociis malorum.
Neigung — Nerven 177
Soviel von der activen Seite bes Neides. Bon ber paffiven ift
zu erwägen, daß kein Haß jo unverföhnlich ift, wie der Neid; daher
wir nicht unabläffig und eifrig bemüht fein follten, ihn zu erregen,
vielmehr beffer thäten, biefen Genuß der gefährlichen Folgen wegen
und zu verfagen. (P. I, 458 fg.)
Für unſer Selbftgefühl freilich und unfern Stolz kann es nichts
Schmeichelhafteres geben, als den Anblick des in feinem Verſtecke
lauernden und feine Madjinationen betreibenden Neides; jedoch vergefle
man nic, daß, two Neid ıft, Haß ihn begleitet und Hüte fih, aus dem
Reider einen falfchen Freund werben zu laflen. Deshalb eben ift die
Entdedung deſſelben für unfere Sicherheit von Wichtigkeit. ‘Daher foll
man ihn flubiren, um ihm auf bie Schliche zu kommen; da er, überall
ju finden, allemal incognito einhergeht, aber auch, ber giftigen Fröte
gleich, im finftern Loche lauert. Hingegen verdient er weder Schonung,
noh Mitleid. (PB. IL, 232 fg.)
7) Was den Neid verjühnt.
Der Tod verföhnt den Neid ganz, das Alter jchon halb. (H. 457.)
8) Veberzahl der Beklagens- über die Beneidens-
werthen.
Sehr zu beneiden ift Niemand, fehr zu beflagen Unzählige.
(P. I, 321.)
Neigung.
1) Definition der Neigung.
Neigung ift jede ftärkere Empfänglichkeit des Willens fiir Motive
einer gewilfen Art. (W. II, 678.)
2) Stürlegrad ber leidenfhaftliden Neigung (©.
Leidenſchaft.)
Nerven.
1) Bedeutung des Nervenipftems,.
Im Nervenfyftem objectivirt der Wille fid) nur mittelbar und fecun-
där; ſofern nämlich daſſelbe als ein bloßes Hülfsorgan auftritt, als eine
Veranſtaltung, mittelſt welcher die theils innern, theils äußern Ber-
anlafjungen, auf welche der Wille ſich ſeinen Zwecken gemäß zu äußern
hat, zu feiner Kunde gelangen; die innern empfängt das plaftifche
Rervenjyftem, alſo der fympathifche Nero, diefes cerebrum abdominale,
ale bloße Reize, und der Wille reagirt daranf an Ort und Etelle,
ohne Bewußtfein des Gehirns; die äußern empfängt das Gehirn
als Motive, und der Wille reagirt durch bewußte, nad) Außen ge»
richtete Handlungen. Mithin macht das ganze Nervenſyſtem gleichjan
die Fühlhörner des Willens aus, die er nad) innen und nad) aufen ſtreckl.
Die Gehirn- und Rückenmarls · Nerven zerfallen an ihren Wurzeln in
ienfible und motorische. Die fenfibeln empfangen die Kunde von aufs,
SchopenhauersLerilon. IL 12
178 Nervenſchwäͤche — Neugier
welche nun fich im Heerde bes Gehirns fammtelt und daſelbſt verar-
beitet wird. Die motorifchen Nerven aber hinterbringen, wie Couriere,
das Refultat der Gehirnfunction dem Muskel, auf welchen daſſelbe
als Reiz wirft. Vermuthlich zerfallen die plaftifchen Nerven ebenfalls
in fenfible und motorifche, wiewohl auf einer untergeordneten Scala
(W. IL, 289— 292. Ueber die Rolle ber Ganglien ſ. Ganglien)
2) Bergleihung de8 Nervenapparats zum Empfangen
niit dem zum Berarbeiten der Eindrüde (€. un
Anſchauung: Verhältniß des Antheils der Sinne zu den
bes Gehirns in ber Anfchaunng.)
83) Die Sinnesnerven. (S. Sinne.)
4) Die Nervenenden als die Öränzen des unmittelbar
Demußten.
Das Subjective und das Objective bilden Fein Continuum; de
unmittelbar Bewußte ift abgegränzt dur die Haut, oder vielmehr
durch die äußerften Enden der vom Cerebralfyſtem ausgehenden Nero. "
Darüber hinaus Liegt eine Welt, von der wir feine andere Kunde :
haben, al8 durch Bilder in unferm Kopfe. (W. II, 12.) r
Nervenſchwäche. |
Nervenſchwäche Aufert fih darin, daß die Eindrücke, welche blos ka
Grad von Stärke haben follten, der hinreidht fie zu Datis fir be
Berftand zu machen, den höher Grad erreichen, auf welchem fie dan |
Willen bewegen, d. h. Schmerz oder Wohlgefühl erregen, wiewehl
öfter Schmerz, der aber zum Xheil dumpf und undeutlich ift, daht
nicht nur einzelne Töne und ſtarkes Licht fchmerzlih empfinden lüht, J
fondern auch im Ullgemeinen krankhafte bypochondrifche Stimmunz
veranlaßt, ohne deutlich erkannt zu werden. (W. I, 121.)
Neuern, die, ſ. die Alten.
Neues Teflament, |. Bibel.
Neugier.
1) Öegenfat zwifhen Neugier und Wißbegier.
Das Begehren nad Kenntniffen, wenn anf das Allgemeine gerichtet.
heißt Wißbegier; wenn auf das Einzelne, Neugier. — Knaber
zeigen meiſtens Wißbegier; Heine Mädchen bloße Neugier. Die dem
weiblichen Geſchlechte eigenthiimliche Richtung auf das Einzelne, bi
Unempfänglichkeit für das Allgemeine, kündigt ſich hierin ſchon an.
(P. U, 65.)
2) Was die Menfchen fo jehr neugierig mad.
Was die Menfchen fo fehr neugierig macht, wie wir an ihren
Kuden und Epioniren nad) dem Treiben Anderer fehen, ift der dem
Leiden entgegengejegte Pol des Lebens, die Langeweile; — wiewohl
Niaiſerie — Nichte 179
auch oft der Neid dabei mitwirkt. (P. II, 627.) So unempfänglid)
und gleichgültig die Peute gegen allgemeine Wahrheiten find, fo er⸗
piht find fie auf individuelle. (P. I, 496.)
Niaiferie.
Für das Wort Niaiferie giebt es ein deutfches Aequivalent. Dies
muß doch wohl baher kommen, baß der Begriff davon in Deutichland
nicht vorhanden ift; wovon ber Grund dem ähnlich fein mag, au
welchem wir die Harmonie der Sphüren nicht vernehmen. (H. 387.)
Nichtigkeit, des Dafeins, ſ. Dafein.
Nichts.
1) Relativität des Begriffs des Nichte.
Der Begriff bes Nichts ift wefentlich relativ und bezicht fid) immer
ur anf ein beſtimmtes Etwas, welches er negirt. Man bat diefe
Eigenfhaft nur dem nihil privativum, welches das im Gegenſatz
eines + mit — Bezeichnete ift, zugejchrieben, weldjes —, bei um⸗
gelehrtem Gefichtspunfte, zu 4- werden fünnte, und hat im Gegenfat zu
diefem nihil privativum das nihil negativum aufgeftellt, welches in
jeder Beziehung Nichts wäre, wozu man als Beifpiel den Logifchen,
ih felbft aufhebenden Widerſpruch gebraucht. Näher betrachtet aber
it Tein abfolntes Nichts auch nur denkbar. Selbſt ein logijcher
Widerſpruch ift nur ein relatived Nichts. Cr ift Fein Gedanke der
Beruunft; aber er iſt darum fein abjolutes Nichts. (W. I, 484.)
Tas Nichts vor ber Geburt und nad) dem Tode, dieſes emipirifche
Nichts, ift keineswegs ein abfolutes, d. h. ein folches, welches in jedem
Sinne nichts wäre (W. II, 548. Bergl. Entftehen und Ber-
gehen uud Tod.)
2) Das nad Berneinung der Welt übrig bleibende
Nichte,
Auch nach Negation des allgemein als pofitiv Angenommienen, wel
ches wir das Seiende nennen, bleibt Fein abfolutes Nichts übrig,
jondern nur ein velatives. Ein Wechſel des Standpunkts würde die
Zeichen vertanfchen laffen und das für uns Seiende (die Welt der
Vorſtellung, d. i. die Objectitüt des Willens) als das Nichts und
das Nichts derfelben als das Seiende zeigen. Was nad; gänzlicher Auf-
hebung des Willens übrig bleibt, iſt für alle Die, welche noch des
Willens voll find, allerdings Nichts. Aber auch umgelehrt ift Denen,
in welchen der Wille fi) gewendet und verneint hat, dieſe unfere fo
ſehr reale Welt mit allen ihrer Sonnen und Milhftraßen — Nichte.
So lange wir der Wille zum Leben find, kann freilich das nad) Ver-
neinung der Welt Uebrigbleibende von ums nur negativ erkannt und
bezeichnet werden. (WW. I, 485-487.)
12*
180 Nirwana — Nominalismug und Realismus
3) Grund des Abſcheus vor dem Nichts und Gegen:
mittel gegen denfelben.
Dos, was fi) gegen die VBerneinung der Welt als ein Zerflicken
ins Nichts ſträubt, unfere Natur, ift ja eben nur der Wille zum
Leben, der wir felbft find, wie er unfere Welt if. Daß wir So jehr
das Nichts verabſcheuen, ift nichts weiter, als ein anderer Ausdrud
davon, daß wir fo fehr das Leben wollen, und nichts find, als dieſer
Wille, und nichts kennen, als eben ihn. Durch Betrachtung des Pebens
und Wandels der Heiligen haben wir den finftern Eindrud jenes Nichts
zu verfcheuchen. (W. I, 486 fg.)
Nirwana, f. Buddhaismus.
Nomadenleben.
Das Nomadenfeben, welches bie unterfte Stufe der Civiliſation be
zeichnet, findet fich auf der höchſten im allgemein gewordenen Zomifte:
Icben wieder ein. Das erfte ward von der Noth, das zweite von
der Langeweile herbeigeführt. (PB. I, 347.)
Nominalismus und Realismus.
1) Segenftand und Urfprung des Streites zwifden
den Nominaliften und Realiſten.
Die Begriffe find jene Universalia, um deren Daſeinsweiſe fih
im Mittelalter der lange Streit der Nominaliften und Realiſten drehte.
(G. 102. 142.) Gewiß ift der Realismus der Scholaftifer entitanden
aus ber Verwechslung der Platoniſchen Ideen, al8 welchen, ba fie zu:
gleich die Gattungen find, allerdings ein objectives, veales Sein bei:
gelegt werden fann, mit den bloßen Begriffen, welchen num die Kealıften
ein folche® beilegen wollten, und dadurd die fiegreiche Dppofition des
Nominalismus Hervorriefen. (W. IL, 417.)
2) Öegenjeitige Berehtigung des Nominalismus und
Realismus,
Die gegenfeitige Beredjtigung des Realismus und Nominalismus
läßt fid) folgendermaßen faßlich machen. Die verfdjiedenartigften Dinge
nenne ich roth. Offenbar iſt roth ein bloßer Name zur Bezeichnung
diefer beftimmten Farbe, wo fie auch vorkomme. Eben fo nun find
alle Gemeinbegriffe bloße Namen, Eigenfchaften zu bezeichnen, bie an
verfchiedenen Dingen vorkommen; diefe Dinge hingegen find das Reale.
So hat der Nominaliemus offenbar Recht. Hingegen, wenn wir
beachten, daR alle jene wirklichen Dinge, welchen allein die Kealität
jo eben zugeſprochen wurde, zeitlich find, folglich bald untergehen, wäh:
rend die Eigenfchaften, wie roth, hart, weich, lebendig, Pflanze, Pferd,
Menſch, davon unangefochten fortbeftehen und demzufolge allezeit dar
find; jo finden wir, daß diefe durch Gemeinbegriffe gedachten Eigen
ſchaften Fraft ihrer unvertilgbaren Eriftenz viel mehr Realität haben,
dag mithin diefe den Begriffen, nicht den Einzelweſen beizulegen fc;
Nooypevov und garvonerov — Roth 181
demnach bat der Realismus Recht. Der Nominalismus gehört
eigentlich zum Materialismus; denn nach Aufhebung fämmtlidher Eigen-
ichaften bleibt am Ende nur die Materie übrig.
Genau genommen nun aber kommt die dargelegte Berechtigung des
Realismus eigentlich nicht ihm, fondern der Platontfchen Ideenlehre
zu, deren Erweiterung er if. ‘Die Ideen find das unter allem Wechfel
der Individuen Fortbeftehende, haben daher eine höhere Realität, als
dieſe. Hingegen den bloßen Abſtractis (den Begriffen) ift Dies nicht
nachzurühmen. (P. I, 7Ofg. Bergl. Idee und das Allgemeine.)
3) Bolares Auseinandertreten ber menfhlihen Denk—
weise im Realismus und Nominalismus,
Eine gewiſſe Verwandtſchaft, oder wenigſtens ein Parallelismus der
Gegenſätze wird augenfällig, wenn man den Platon dem Wriftoteleg,
den Auguftinus dem Pelagius, die Realiften den Nominaliften gegenitber-
ſtellt. Man könnte behaupten, daß gewiſſermaßen ein polares Aus-
einandertreten der menfchlichen Denkweiſe hierin ſich kund gäbe. (P. 1,
11. ®. I, 566.)
Noovpevov und Darvopevov.
Die Eleaten zuerft hatten den Unterfchied, ja öftern Widerftreit ent-
dedt zwifchen dem Angefchauten, Yarvopevov, und dem Gedachten,
woynevov, und hatten ihn zu ihren Philoſophemen, auch zu Sophismen,
mannigfaltig benugt. (W. I, 84 fg. PB. I, 36 fg.) Der von Sant
ganz überſehene Unterfchied zwiſchen abftracter und anſchaulicher Er-
fantnig war es, welchen die alten Philofophen durch Qarvoneva und
vooupevar bezeichneten und deren Gegenfat und Incommenfurabilität
ihnen fo viel zu fchaffen machte, in den Philofophemen der Eleaten, in
Maton® Lehre von den Ideen, in der Dialektif der Megariter, und
Ipäter den Schofaftifern, im Streit zwifchen Nominalismus und Realis-
mus. Kant aber, der auf eine unverantwortlihe Weije die Sache
gänzlich vernachläffigte, zu deren Bezeichnung jene Worte Yarvopeva
und vooupeva bereitd angenommen waren, bemächtigte ſich nun der
Borte, um feine Dinge an ſich und feine Erjcheinungen damit zu be-
zeihnen. (W. I, 566.)
Noth.
1) Noth und Langeweile als die beiden entgegengefeg-
ten Pole des Menjchenlebens. (S. Langeweile.)
2) Nüglidhleit ber Noth.
Vie unfer Leib auseinanderplagen müßte, wenn der Drud der At-
mofphäre von ihm genommen wäre; fo würde, wenn ber Drud der
Roth, Mühfäligleit, Widerwärtigfeit vom Leben der Menſchen meg-
genommen wäre, ihr Uebermuth ſich fteigern bis zur zligellofen Narr-
beit, ja Raſerei. Sogar bedarf Jeder allezeit eines gewiſſen Quantums
Sorge, oder Noth, wie da8 Schiff des Ballaſts, um feft und gerade
182 Notälüge — Notwendig. Nothwendigkeit
zu gehen. — Wenn alle Wünfche, kaum entftanden, auch ſchon erfült
wären, womit follte dann das menfchliche Leben ausgefüllt, womit bie
Zeit zugebradht werden? In einem Schlaraffeuland würden die
Menihen zum Teil vor langer Weile fterben, ober fich aufhängen,
zum Theil aber einander befriegen und fo ſich mehr Leiden verurſachen,
als jet die Natur ihnen auflegt. Alfo filr ein folches Geſchlecht yafı
fein anderes Dafein. (PB. II, 314.) — Im Schlaraffenlaud würde
durch das ftete finnliche Wohlfein jede Neigung des beflern Bewußtſeins
unmöglich; e8 gäbe Feine Zugend und fein Xrauerfpiel. (M. 736.)
(Ueber die Noth als die Mutter der Künfte ſ. Nationen.)
3) Eigenthümlichkeit der aus ber Noth in den Wohl:
ftand Gelangten.
Man wird in der Regel finden, daß Diejenigen, welche ſchon mıt
ber eigentlichen Noth und dem Mangel bandgemein geweſen find, dieie
ungleich weniger fürdhten und daher zur Verſchwendung geneigter find,
als Die, welche folche nur vom Hörenfagen kennen. Zu ben Erſtiern
gehören Alle, die durch Glücksfälle irgend einer Art, oder durch be
fonbere Talente ziemlich) fchnell aus der Armuth in ben Wohlſtand
gelangt find; die Andern hingegen find Die, welche im Wohlſtand ge
boren und geblieben find. (P. I, 868. Bergl. Armuth.)
Nothlüge, |. Lüge.
Nothwendig. Nothwendigkeit.
1) Ursprung und alleinige Bedeutung bes Begriffs
der Nothwendigfeit. (S. unter Grund: Die vierfad:
Nothwendigkeit.)
2) Die vier Arten der Nothwendigkeit. (S. unter Grund:
Die vierfache Nothwendigkeit.) .
3) Die Nothwendigfeit alles Gefhehens. (S. Ge
ſchehen.)
4) Verhältniß des Nothwendigen zum Wirklichen und
Möglihen (S. unter Möglichkeit: Zufammenfalln
und Auseinandertreten des Dlöglichen, Wirklichen und Roth
wendigen.)
5) Segenfag zwifhen dem Nothwendigen und Zu
fälligen. (S. Zufall.)
6) Gegenſatz zwifhen Freiheit und Nothwendigkeit
und Verbindung ber Freiheit mit der Nothwendig
keit. (S. Freiheit und Determinismus.)
7) ritit des Begriffs der abſoluten Nothwendig—
eit.
Da Nothwendigkeit keinen andern wahren und deutlichen Sinn
bat, als den ber Unausbleiblichfeit der Folge, wenn ber Grund gefekt
Nov — Nunc stans 1883
ift, fo ift jede Nothwenbigfeit bebingt, abfolute, d. 5. unbebingte Noth-
wendigfeit alfo eine contradictio in adjecto. Will man das abfolut
Nothwendige definiren ald Das, „was nicht nicht fein kann“; fo giebt
man eine bloße Worterflärung und flüchtet fi, um bie Sacherflärung
zu vermeiden, hinter einen höchft abftracten Begriff, von wo man je
doch jogleich herauszutreiben ift durch die Frage, wie es denn möglich,
oder nur denkbar fei, daß irgend etwas nicht nicht fein könne, da ja doch
alles Sein blos empirisch gegeben ift? Da ergiebt ſich denn, daß es
nur infofern möglich fei, als irgend ein Grund gefeßt oder vorhanden
it, aus dem es folgt. Der bei ben Philofophaftern beliebte Begriff
vom „abjolut nothwendigen Weſen“ enthält alfo einen Widerſpruch:
dur) da8 Prädicat „abſolut“ (d. 8. „von nichts Anderm abhängig”)
hebt er die Beftimmung auf, durch welche allein dag „Nothwendige“
denkbar ift und einen Sinn Hat. (G. 153 fg. B. I, 199. €. 7.)
Der vorkantifche Dogmatismus überfah die Nelativität aller Noth-
wendigleit und machte dadurch die ganz undenfbare Fiction von einem
abfolut Nothwendigen, d. 5. von einen Etwas, defien Dafein fo
unansbleiblich wäre, wie die Folge aus dem Grunde, das aber doch
nicht Folge aus einem Grunde wäre und daher von nichts abhienge;
weicher Beiſatz aber eine abfurbe Petition ift, weil fie dem Sat vom
Grunde widerftreitet. Bon diefer Fiction nun ausgehend erklärte man,
der Wahrheit. diametral entgegen, gerade Alles, was durch einen Grund
gejegt ift, für das Zufällige, indem man nämlich auf das Relative
jeiner Nothwendigkeit fah und biefe verglich) mit jener ganz aus ber
Luft gegriffenen, in ihrem Begriff ſich wiberfprechenden Nothwendigfeit.
(B. I, 552. Bergl. unter Gott: Die Beweife für das Dafein
otte®.)
Now.
1) Unterfchied zwifchen vous und buyn.
Nous (mens) ift der Intellect im Gegenfage zum Willen (anımus);
Yıyn (anima) ift das Xeben felbft, der Athem. Die Griechen fcheinen
unter buy urfprünglich die Lebenskraft verftanden zu haben, das be=
lebende Princip; wobei ſogleich die Ahndung aufftieg, daß «8 ein
Metappufiiches fein müſſe. (W. II, 269.)
2) Der vouc des Anaragoras.
Anaragoras ift, da er zum Erſten und Urfprünglichen, wovon Alles
ausgeht, einen vous, eine Untelligenz, ein Borftellendes annahm und
als der Erfte gilt, der eine ſolche Anficht aufgeftellt hat, ber directe
Antipobe Schopenhauers, bei dem der erfenntnißlofe Wille e8 ift, ber
die Realität der Dinge begründet, deren Entwicklung ſchon fehr weit
gediehen fein muß, ehe es zur Intelligenz kommt, fo daß bei Scopen-
bauer da8 Denken als das Allerlegte auftritt. (W. IL, 305.)
Nune stans, f. Ewigkeit und Gegenwart. -
184 Object
O.
Obiect.
1) Bedingtheit des Objects durch das Subject.
Alles Object ift mit dem Bedingtfein durch das Eubject behaftet
und iſt nur für das Subject da, iſt Borftellung des Subjecte. Ca
ift daher falfc), von einen Dbject zu reden, welches der Borftellung
zum Grunde läge; denn Object und Borftellung find nicht unter-
ſchieden; ſondern find Eines und das Selbe, da alle8 Object immer
und ewig ein Subject vorausfegt und daher doc Borftellung bleibt.
Das Objectfein gehört zur allgemeinften Form der Vorſtellung, welde
eben das Zerfallen im Object und Subject if. Die Welt als Bor:
ftellung hat zwei wefentliche, notwendige und untrennbare Hülften,
Dpject und Subject. Jede diefer beiden Hälften hat nur hurd
und für die andere Bedeutung und Dafein, ift mit ihr da und ver-
ſchwindet mit ihr. Sie begränzen 1“ unmittelbar; wo das Objet
anfängt, hört das Subject auf. (W. I, 3—6. 16 fg. 114; II, 6—t.
12. ©. 27. 32 fg.)
Es ift eine philofophifche Grundwahrheit, daß alles Object, ſowohl
materiell, ſeinem objectiven Daſein überhaupt, als formell, der
Art und Weiſe dieſes Daſeins nach, durch das erkennende Subject
durchweg bedingt, mithin bloße Erſcheinung, nicht Ding an ſich iſt.
(W. U, 9. 196.) Wie mit dem Subject ſofort auch das Object geſetzt
ift (da fogar das Wort fonft ohne Bedeutung tft) und auf gleidı:
Weife mit dem Object da8 Subject, und alfo Subjectfein gerade jo
viel bebeutet, als ein Object haben, und Dbjectfein fo viel, als vom
Subject erfannt werden; genau eben fo ift auch mit einem auf
irgend eine Weife beftimmten Object fofort aud) das Subjat
als auf eben ſolche Weife erfennend gefekt. Inſofern ift es
einerlei, ob ich fage: Die Objecte haben ſolche und ſolche ihnen an-
hängende und eigenthiimliche Beftimmungen; oder: Das Subject er
kennt auf ſolche und foldde Weife; einerlei, ob ich fage: Die Object
find in ſolche Klaſſen zu theilen; oder: Dem Subject find ſolche unte:
ſchiedene Erlenntnißkräfte eigen. (G. 142.) Berauben wir das Sub-
jeet aller nähern Beftinnmungen und Yormen feines Erkennens; fo
verſchwinden auch am Dbject alle Eigenfchaften, und nichts bleibt
übrig, al8 die Materie ohne Form und Qualität, welde in
der Erfahrung fo wenig vorkommen kann, wie das Subject ohne For-
men feines Erkennens. (W. II, 17.)
2) Eintheilung ber Objecte.
Die gefanımte Welt der Objecte oder Welt als Vorftellung zerfällt
in zwei Hauptklaſſen:
Objeetivation 185
1. Die dem Sag vom Grunde unterworfenen Objecte, die Objecte
der Erfahrung und Wiſſenſchaft. (W. 1ftes Buch.)
2. Die dem Sat vom Grunde nicht unterworfenen Objecte, die
Platoniſchen Ideen, das Object der Kunſt. (W. 3tes Buch.)
Die erſte Klaſſe zerfällt wieder in vier untergeordnete Klaſſen.
Ueber diefe vier Klaffen der den Sat von Grunde unterworfenen
Objecte |. unter Grund: Die vier Geftalten des Satzes von zu=
reihenden Grunde. — Ueber die vom Sag vom Grunde unabhängigen
Chjecte, die Ideen, |. Idee und Kunſt.
3) Realität der objectiven Welt. (S. Außenwelt.)
4) Falſche Stellung des Dogmatismus und Skepti—
cismus zum Object.
Der realiftifche Dogmatismus, die Borftellung als Wirkung des
Objecis betrachtend, trennt diefe beiden, Borftellung und Object, dic
eben Eines find und nimmt eine von der Vorftelung ganz verfchiedene
Urſache an, ein Object an fi, unabhängig vom Subject, etwas völlig
Undenkbares. Ihm ftellt der Skepticismus, unter der felben falfchen
Vorausſetzung, entgegen, daß man in der Vorftelung immer nur die
Wirlung habe, nie die Urfache, alſo nie da8 Sein, immer nur das
Birken der Objecte kenne, dieſes aber mit jenem vielleicht gar Teine
Achnlichleit haben möchte, ja wohl gar itberhanpt ganz fälſchlich au-
genommen würde, da das Gefeß der Baufalitüt erft aus der Erfahrung
angenommen ſei, deren Realität nun wieder darauf beruhen fol. —
Hierauf nun gehört Beiden die Belehrung, erſtlich, dag Object und
Vorſtellung das Selbe find, dann daß da8 Sein der anfchaulichen
Ihjecte eben ihr Wirken if. Die Forderung eines Seins des wirf:
lihen Dinges (angefchauten Objects) verjchieden von feinem Wirken
hat gar keinen Sinn und ift ein Widerfprudh. Die Erfenntniß der
Birlungsart eines angefchauten Objects erfchöpft daher es felbft, fofern
8 Object, d. h. Vorftellung if, da außerdem für die Erkeuntniß nichts
an ihm übrig bleibt. (W. I, 16.)
5) Das unmittelbare Object. (S. Leib.)
Objectivation.
1) Was unter Objectivation zu verſtehen iſt.
Unter Objectivation iſt das Sichdarſtellen des Dinges an ſich, d. i.
des Willens, in der realen Körperwelt, d. h. als Object, als an—
ſchanliche Vorſtellung, zw verſtehen. (W. II, 277.) Der Wille ob-
jectivirt ſich im Organismus, d. h. was im Selbſtbewußtſein, alſo
ſubjectiv, der Wille ift, das ſtellt ſich im Bewußtſein anderer Dinge
aſo objectiv, als ber gefanmte Organismus dar. (MW. II, 277.)
Die Action des Leibes ift nichts Anderes, als der objectivirte, d. h
in die Anſchauung getretene Act bes Willens. Der ganze Leib iſt nichts
186 Objectivität
Anderes, als ber objectivirte, d. 5. zur Borftellung gewordene Will,
oder die Dbjectität des Willens. (W. I, 119 fg.)
2) Unterſchied zwifchen der unmittelbaren und mittel:
baren Öbjectivation. (S. unter Erſcheinung: Unter:
fchied zwifchen der unmittelbaren und mittelbaren Erfcheinung.\
3) Die Grade der Objectivation.
Die Objectivation ober Sichtbarkeit des Willens hat, obwohl er an
ſich felbft einer und untheilbar ift, Grade. Ein höherer Grad iſt
in der Pflanze, als im Steine; im Thiere ein höherer, als in der
Pflanze; ja, fein Hervortreten in die Sichtbarkeit, feine Objectivation,
hat fo unendliche Abftufungen, wie zwiſchen der ſchwächſten Dämme:
rung und dem hellften Sonnenlicht, dem ftärkiten Ton und dem leiſeſten
Nachklange find. (W. I, 152. Ueber die Ideen als feſte Object:
vationdftufen ſ. Idee.)
Objerctivität.
1) DObjectivität des Genie’. (©. Genie.)
2) Grade der Objectivität in den verfchiedenen Did:
tungsarten. (S. Drama, Epos, Lyrik.)
3) Ausgezeichnete Objectivität Homere und Göthes.
Daß beim Homer die Dinge immer folche Prädicate erhalten, die
ihnen überhaupt und ſchlechthin zukommen, nicht aber ſolche, die *
Dem, was eben vorgeht, in Beziehung oder Analogie ſtehen, daß z. B
die Achäer immer bie wohlbefchienten, die Erbe immer bie Tebennäh-
rende, ber Himmel der weite, das Meer das weindunkle heißt, dies ıft
ein Zug der im Homer fi) fo einzig außfprechenden DObjectivität.
Er läßt, eben wie die Natur felbft, die Gegenftände unangetaftet von
den menfchlichen Vorgängen und Stimmungen.
Unter den Dichtern unferer Zeit ift Göthe der objectivfte, Byron
der fubjectivfte. Dieſer redet immer nur von fich felbft, und fogar in
den objectioften Dichtungsarten, dem Drama und Epos, fchildert er
im Helden fi. (P. I, 477.) Göthes Trieb war, Alles rein ob»
jectiv aufzufaffen und wiederzugeben. Aber gerade die erftaunlide
Objectivität feines Geiftes, welche feinen Dichtungen überall den Stem-
pel des Genies aufdriidt, ftand ihm in der Farbenlehre im Wege, mo
es galt, auf das Subject, hier das fehende Auge felbft, zurüdze:
gehen. (P. I, 193.)
4) Schwäche der Weiber im Punkte der Objectipität.
(S. Weiber.)
5) Objectivität als Bedingung ber Selbſterkenntniß—
(S. Selbſterkenntniß.)
Obfenrantiemus — Offenbarung 187
Obfrurantismus.
1) Unverzeiplichleit bes Obſcurantismus.
Obſcurantismus ift eine Sünde, vielleicht nicht gegen ben Heiligen,
doch gegen ben menſchlichen Geiſt, die man daher nie verzeihen, fon»
dern Dem, ber ſich ihrer fchuldig gemacht, Dies unverföhnlich, ftets
und überall nachtragen und bei jeder Gelegenheit ihm Verachtung be=
zeugen fol, fo lange er Iebt, ja, nod) nach dem Tode. (W. II, 600.)
2) Göthes Aeußerung über den Obſcurantismus.
„Der eigentliche Obſcurantismus“, fagt Göthe, „ft nicht, daß man
die Ausbreitung des Wahren, Klaren, Nützlichen Hindert, fondern daß
man das Falſche in Cours bringt“, womit Voltaires Wort ütberein-
fimmt: „La faveur prodigude aux mauvais ouvrages est aussi
contraire aux progres de l’esprit que le dechainement contre les
bons.“ (E. Borr. XXXII
Offenbarung.
1) Kritik des Glaubens an übernatürlihe DOffen-
barung.
Der iſt nur noch ein großes Kind, welcher im Ernſt denken kann,
deß jemals Weſen, die feine Menfchen waren, unferm Gefchleht Auf-
Ihlüffe über fein und der Welt Dafein und Zweck gegeben hätten. Es
giebt feine andere Offenbarung, als bie Gedanken der Weifen. In⸗
fofern ift e8 alfo einerlei, ob Einer im Berlaß auf eigene, oder auf
fremde Gedanken, lebt und ftirbt; denn immer find es nur menfchliche
Gedanken, denen er vertraut und menfchliches Bedünken. Jedoch haben
die Menſchen in ber Regel die Schwäche, lieber Andern, welche über-
natürliche Duellen vorgeben, als ihrem eigenen Kopfe zu trauen. Faſſen
wir nun aber die fo überaus große intellectuelle Ungleichheit zwifchen
Menſch und Menſch ins Auge; fo könnten allenfalls wohl die Ge-
daufen des Einen dem Anbern gewiffermaßen als Offenbarungen gelten.
(P. II, 387.) .
2) Weber den Gegenfat zwiſchen Bernunft und Offen—
barung.
Bei den hrifllichen Philofophen erhielt der Begriff der Bernunft
eine ganz fremdartige Nebenbedeutung durch den Gegenſatz zur Dffen-
barung, ımb hievon ausgehend behaupten dann Biele mit Recht, daß
die Erfenntniß der Verpflichtung zur Zugend auch aus bloßer Ber«
numft, d. 5. auch ohne Offenbarung, möglich fe. Sogar auf Kants
Darftellung und Wortgebrauch hat biefe Rückſicht Einfluß gehabt.
Allein jener Gegenfag ift eigentlich von pofitiver, hiftorifcher Bedeutung
und daher ein der Philoſophie fremdes Element, von welchem fie frei
gehalten werben muß. (W. I, 618.)
188 Ohnmacht — Ontologie
3) Das Erbitternde des Vorgebens der Offenbarung.
Unter dem vielen Harten und Beklagenswerthen des Menſchenloojes
ift Feines der geringften diefes, daß wir da find, ohne zu willen, we:
her, wohin und wozu. Wer aber vom Gefühl diefes Uebels ergriffen
und durchdrungen ift, wird kaum umhin Fönnen, einige Erbitterung zu
verfpüren gegen Diejenigen, welche vorgeben, Specialnachrichten darüber
zu haben, die fie unter dem Namen von Dffenbarungen uns mittheilm
wollen. (P. II, 423.)
Ohnmadıt.
Was das Schwinden des Bewußtſeins fei, kann Jeder einigermaken
aus dem Einſchlafen beurtheilen; noch beffer aber kennt es, wer je cine
wahre Ohnmacht gehabt Hat, als bei welcher der Uebergang nicht io
allmälig, noch durch Träume vermittelt ift, fondern zuerft die Schfraft
noch bei vollem Bewußtſein fchwindet, und dann unmittelbar die tieffic
Bewußtloſigkeit eintritt; die Empfindung dabei, fo weit fie gebt, it
nichts weniger als unangenehm, und ohne Zweifel ift, wie der Scdlei
der Bruder, fo die Ohnmacht der Zwillingsbruder des Todes. (W.
II, 533 fg.)
Omina. (S. unter Aberglaube: Aberglaube, dem wahrer Glaube
zum Grunde liegt.)
Onanie.
1) Schwächende Wirkung der Onanie.
Onanie und überhaupt jede, ohne Einwirkung des naturgemäßtr
Reizes von außen, durch bloße Phantafie entftehende Aufreizung der
Genitalien ift viel [chwächender, als die wirkliche natürliche Befriedigung
des Geſchlechtstriebes. (F. 64.)
2) Die Bekämpfung der Onanie gehört nicht ſowohl
in die Moral, als in die Diätetif.
Die Onanie iſt hauptſächlich ein Laſter der Kindheit, und fie zu
befänpfen ift vielmehr Sache der Diätetif, als der Ethik; daher eben
aud) die Bücher gegen fie von Medicinern (wie Tiffot u. A.) verfaft
find, nidt von Moraliften. Wen, nachdem Diätetif und Hygieint
das Ihrige in diefer Sache gethan und mit unabweisbaren Gründen
fie niedergefchmettert haben, jet noch die Moral fie in die Hand neh
men will, findet fie jo fehr fchon gethane Arbeit, daß ihr wenig übrig
bleibt. (E. 128.)
Oneiromantik, ſ. Traumdeutung.
Ontologie.
Die philosophia prima, d. i. die Unterfuchung des Erkenntnißver⸗
mögens, welche in die Betrachtung der primären, d. ı. anſchaulichen
Borftellungen (Dianoiologie) und in die Betrachtung der ſecnndären,
d. i. abftracten Vorſtellungen (Logik) zerfällt, — diefer allgemeine
Theil der Philoſophie, mit welchem jede Philofophie anzuheben hat, br:
Ontologifcher Beweis — per 189
greift ober vielmehr vertritt Dae, was man früher Ontologie nannte
und als die Lehre von den allgemeinften und wejentlichen Cigenjchaften
der Dinge überhaupt und als ſolcher aufftellte, indem man für Eigen»
ihaften der Dinge an fich felbft hielt, was nur in Folge der Form und
Natur unſers Borftelungsvermögens ihnen zukommt, indem diejer gemäß.
alle durch daffelbe aufzufafjende Wefen fich darftellen müſſen, demzufolge
jie alddann gewiſſe, ihnen allen gemeinfame Eigenjchaften an ſich tra»
gen. Dies ift dem zu vergleichen, daß man die Farbe eines Glaſes
den dadurch gefehenen Gegenftänden beilegt. (B. II, 19.)
Die Kritif der reinen Vernunft hat die Ontologie in Dianoiologie
verwandelt. (P. I, 89.)
Entologifcher Beweis, des Dafeins Gottes. (S. unter Gott: Die
Beweife für das Bafein Gottes.)
Oper.
1) Berhältniß der Muſik in der Oper zum Tert.
Die Tonfunft zeigt am Operntert ihre Macht und höhere Befähi-
gung, indem fie tiber die in den Worten ausgedritdte Empfindung oder
hie in der Oper bargeftellte Handlung die tiefiten, legten, geheimften
Auffhlüfie giebt, das eigentliche umd wahre Weſen derfelben ausſpricht
und und die innerfte Seele der Borgänge und Begebenheiten Tennen
lehrt, deren bloße Hülle umd Leib die Bühne darbietet. Hinfichtlich
dieſes Uebergewichts der Mufif, wie and fofern fie zum Tert und zur
Handlung im Berhältnig des Allgemeinen zum Cinzelnen, der Regel
um Beifpiele fteht, möchte es vielleicht pafjender fcheinen, daß der
Tert zur Mufik gedichtet würde, als daß man die Mufif zum Texte
Iomponirt. Inzwiſchen leiten, bei der üblichen Methode, die Worte
und Handlungen des Textes den Komponiften auf die ihnen zum Grunde
liegenden Affectionen des Willens und rufen in ihm felbft die aus—
wudrüdenden Empfindungen hervor, wirken mithin als Anregungsmittel
einer mufitalifchen Phantaſie. (W. II, 511.)
Die Mufif einer Oper, wie die Partitur fie darſtellt, hat eine völlig
abhängige, gejonderte, gleichfam abftracte Exiſtenz fiir fi), welcher
die Hergänge und Perfonen des Stüds fremd find, und bie ihre
eigenen unwandelbaren Regeln befolgt; daher fie auch ohne den Fest
vollfommen wirkfam if. Diefe Muſik aber, da fie mit Rüdjiht auf
dad Drama fomponirt wurde, ift gleichfam die Seele deſſelben, indem
fe, in ihrer Verbindung mit den Vorgängen, Perfonen und Hart,
zum Ausdruck der innern Bedeutung und der auf dieſer beruhe‘a,
legten und geheimen Nothwendigkeit aller jener Borgänge wird 3,7%
jedoch zeigt in der Oper die Muſik ihre heterogene Natur und Autors
Befenheit durch ihre gänzliche Imdifferenz gegen alles Materril> wer
orgänge, in Folge welcher fie den Sturm der Yeidenichaiten unn nıR
Pathos der Empfindungen überall auf gleiche Weife auadrückt und mit
tm felben Bomp ihrer Töne begleitet, mag Agamenmon und Adıll,
oder der Zwift einer Bürgerfantilie, das Materielle dee Ztücka Tiefen.
190 Opfer
Denn für fie find blos die Leidenfchaften, bie Willensbewegungen var-
handen; fie affimilirt fich nie dem Stoffe. (8. II, 512.)
2) Kritik der großen Oper.
Die große Oper ift eigentlich fein Erzeugniß bes reinen Kunfı
"finnes, vielmehr des etwas barbarifchen Begriffs von Erhöhung det
äftgetifchen Genuſſes mittelft Anhäufung ber Mittel, Gleichzeitiglen
ganz verfchiedenartiger Eindrüde und Berftärtung der Wirkung duch
Vermehrung der wirkenden Maffe und Kräfte; während doch bie Mufl,
als die mächtigfte aller Künſte, für ſich allein den fitr fie empfänglige
Seift vollfommen auszufüllen vermag; ja, ihre höchften Production,
um gehörig aufgefaßt und genofjen zu werben, den ganzen, ungetheilten
und unzerftreuten Geift verlangen, damit er fich ihnen hingebe md id
in fie verfenfe, um ihre fo unglaublich innige Sprache ganz zu veriiche.
Durch das bunte Gepränge der grofien Oper wird dem Erreichen det
mufttalifchen Hauptzweckes gerade entgegengearbeitet. (P. II, 465 fg.)
Streng genommen könnte man die Oper eine unmuſibaliſche Erin
dung zu Ounften unmmfilalifcher Geifter nennen. Ja, man kann fage,
die Oper fei zu einem Verderb der Muſik geworden. (P. II, 46613.
3) Vorzug der Meffe vor der Oper. (S. Meile)
4) Die Ouvertüre ber Oper.
Die Ouvertüre fol zur Oper vorbereiten, indem fie den Charafıı
ber Mufit und aud) den Verlauf der Vorgänge ankündigt; jedoch dar
Dies nicht zu erplicit und deutlich gefchehen; fondern nur fo, wie mar |
im Traume das Kommende vorberfieht. (P. II, 468 fg.)
5) Dauer der Oper.
Die große Oper ift, indem fie fchon durch ihre breiftiindige Dan I
unfere mufifalifche Empfänglichleit immer mehr abftumpft, währen F
dabei der Schnedengang einer meiſtens fehr faden Handlung unler J
Geduld auf die Probe teilt, an ſich felbft, wefentlich und efientiel, |
langweiliger Natur. Dan follte daher fuchen, die Dper mehr zu co: |
centriren und zu contrahiren, um fie, wo möglich, auf Einen Act m
Eine Stunde zu befchränfen. Die längfte ‘Dauer einer Oper fol:
zwei Stunden fein, die eines Dramas hingegen drei Stunden, weil di
zu dieſem erforderte Aufmerkfamfeit und Oeiftesanfpannung lünger an &
hält, indem fie und viel weniger angreift, als die unausgeſetzte Mufl.
welche am Ende zu einer Nervenqual wird. (P. TI, 468.)
Opfer.
Mit dem Urfprung alles Theismus aus dem Willen, dem Herzen
(vergl. unter Gott: Egoiftifcher Urfprung des Gottesglaubens) genan
verwandt und ebenfo aus der Natur des Dicnfchen hervorgehend ilt der
Drang, feinen Göttern Opfer zu bringen, um ihre Gunſt zu &
kaufen, oder, wenn fie ſolche ſchon bewiefen haben, die Fortdauer Kr
felben zu fichern, oder um Uebel ihnen abzufaufen. Dies ift der Sim
Optimismus 191
jedes Opfers und eben dadurd der Urfprung und die Stüte bes
Daſeins aller Götter; fo dag man mit Wahrheit fagen Tann, bie
Götter lebten vom Opfer. Denn eben weil der Drang, den Beiftand
übernatürlicher Wefen anzurufen und zu erfaufen, dem Menfchen
natürlich und feine Befriedigung ein Bedürfniß ift, fchafft er ſich
Götter. Daher die Allgemeinheit des Opfers, in allen Zeitaltern und
bei den allerverjchiedenften Völkern, und die Identität der Sache, beim
größten Unterfchiede der Verhältniſſe und Bildungsſtufe. Blos im
Chriſtenthum ift das eigentliche Opfer weggefallen, wiewohl es in Geſtalt
von Seelenmeflen, Klofter«, Kirchen und Kapellen-Bauten noch da ift.
Im Uebrigen aber, und zumal bei ben Proteftanten, muß als Surrogat
des Opfers Lob, Preis und Dank dienen. (P.I, 129—131.)
Optimismus.
1) Urfprung bes Optimismus.
Die Erflärung der Welt aus einem Anaragorifchen voug, d. h. aus
emem von Erkenntniß geleiteten Willen, verlangt zu ihrer Be—
ihönigung notwendig den Optimismus, der alddann, dem laut
Ihreienden Zeugniß einer ganzen Welt voll Elend zum Trotz, aufge
ſtellt und verfochten wird. (W. IL, 663.)
Den eigentlichen, aber verheimlichten Urfprung des Optimismus,
nämlich heuchelnde Schmeichelei gegen Gott, mit beleidigendem Ber:
trauen auf ihren Erfolg, hat jchonungslos, aber mit fiegender Wahrheit
David Hume aufgededt in feiner Natural history of religion.
(®. II, 665. 667.)
2) Unvereinbarkeit des Optimismus mit der Be-
ſchaffenheit ber Welt.
Es iſt eine fchreiende Abfurdität, dieſer Welt, diefem Tummelplatz
gequälter und geängftigter Weſen, welche nur dadurch beftehen, daß
eined das andere verzehrt, und in welcher mit der Erfenntniß die
Fähigkeit Schmerz zu empfinden wächſt, welche daher im Menfchen
ihren höchften Grad erreicht, — das Syſtem bes Optimismus an-
yoffen und diefe Welt al8 die befte unter den möglichen demonftriren
zu wollen. (28. II, 664 fg. 205.) Wie fon Voltaire im Gans
dide durch den Namen feines Helden andentet, bedarf e8 nur ber
Anfrichtigkeit, um das Gegentheil des Optimismus zu erfenuen.
Wirllich macht auf diefem Schauplag der Sünde, des Leidens und
des Todes der Optimismus eine fo feltfame Figur, daß man ihn für
Jronie halten müßte, hätte man nicht an der von Hume aufgebedten
geheimen Duelle defielben eine Hinlängliche Erflärung feines Urfprungs.
(®. U, 667. P. II, 326 fg. 599.)
8) Widerlegung der aus ber Schönheit und Zwed»
mäßigfeit der Welt gefhöpften Beweife für den
Optimismus.
Ein Optimiſt heißt uns die Augen öffnen und hineinſehen in die
Belt, wie fie fo ſchön fei im Sonnenſchein mit ihren Bergen, Thalern,
1% Opfer
Denn für fie find blos die Leibenfchaften, die Willenebewegungen dor:
handen; fie affimilirt fid) nie dem Stoffe. (8. II, 512.)
2) Kritik der großen Oper.
Die große Oper ift eigentlich Fein Erzeugniß des reinen Kunfj⸗
ſinnes, vielmehr des etwas barbarifchen Begriffs von Erhöhung des
äftgetifchen Genuſſes mittelſt Anhäufung der Mittel, Gtleichzeitiglei
ganz verfchiedenartiger Eindrüde und Berftärfung ber Wirkung durd
Berntehrung der wirkenden Maſſe und Kräfte, während dod) die Mufl,
als die mächtigfte aller Künfte, für fich allein den für fie empfänglichen
Geiſt volllommen auszufüllen vermag; ja, ihre höchſten Production, |
um gehörig aufgefaßt und genoffen zu werden, dem. ganzen, umgetheilten
und unzerſtreuten Geift verlangen, damit er fich ihnen hingebe und fd
in fie verfenfe, um ihre fo unglaublich innige Sprache ganz zu verfichen.
Durch das bunte Gepränge der großen Oper wird dem Erreichen ve
mufttalifchen Hauptzweckes gerade entgegengearbeitet. (P. II, 465 ig.)
Streng genommen könnte man die Oper eine unmuſilaliſche Erin
dung zu Öunften unmuſikaliſcher Geifter nennen. Ya, man kann jagen
die Oper fei zu einem Verderb der Muſik geworden. (P. I, 46615
3) Vorzug der Meffe vor ber Oper. (S. Mejie)
4) Die Ouvertüre der Oper.
Die Ouvertüre foll zur Oper vorbereiten, indem fie den Charakter
der Mufit und auch den Verlauf der Vorgänge anfündigt; jedoch dar‘
Dies nicht zu erplicit und deutlich gefchehen; jondern nur fo, wie mar
im Traume das Kommende vorherfieht. (P. II, 468 fg.)
5) Dauer der Oper.
Die große Oper ift, indem fie ſchon durd; ihre dreiftündige Daut
unfere mufifalifhe Empfänglichkeit immer mehr abſtumpft, währen
dabei der Schnedengang ciner meiſtens fehr faden Handlung une
Geduld anf die Probe ſtellt, am ſich felbft, weſentlich und eflentiel,
fangweiliger Natur. Dan follte daher fuchen, die Dper mehr zu com
centriven und zu contrahiren, um fie, wo möglich, auf Einen Act mi
Eine Stunde zu beichränfen. Die längfte Dauer einer Oper folt
zwei Stunden fein, die eines Dramas Hingegen drei Stunden, weil di
zu dieſem erforderte Aufmerffanifeit und Geiftesanfpannung länger am
hält, indem fie und viel weniger angreift, als die unausgeſetzte Mufil.
welche am Ende zu einer Nervenqual wird. (P. II, 468.)
Opfer.
Mit dem Urfprung alles Theismus aus dem Willen, dem Herzen
(vergl. unter Gott: Egoiftifcher Urfprung des Gottesglaubens) genat
verwandt und ebenfo aus der Natur bes Menfchen hervorgehend ift dr
Drang, feinen Göttern Opfer zu bringen, um ihre Gunſt zu ü
kaufen, ober, wenn fie ſolche ſchon bewiefen haben, die Fortdauer dr
felben zu fichern, ober um Uebel ihnen abzulaufen. Dies ift der Sinn
Optimismus 191
jedes Opfer und eben dadurch der Urfprung und bie Stüße bes
Daſeins aller Götter; fo dag man mit Wahrheit jagen kann, bie
Götter lebten vom Opfer. Denn eben weil der Drang, den Beiftand
übernatürlicher Wefen anzurufen und zu erfaufen, dem Menfchen
natürlich umd feine Befriedigung ein Bedürfniß ift, fchafft er fid)
Götter. Daher die Allgemeinheit des Opfers, in allen Zeitaltern und.
bei den allerverfchiedenften Völkern, und die Identität der Sache, beim
größten Unterfchiede der Berhältnifie und Bildungsſtufe. Blos im
Chriſtenthum iſt das eigentliche Opfer weggefallen, wiewohl e8 in Geſtalt
von Seelenmeffen, Klofter-, Kirchen: und Kapellen⸗Bauten nod da ift.
Im Uebrigen aber, und zumal bei den Proteftanten, muß als Surrogat
bes Opfers Rob, Preis und Dank dienen. (P. I, 129—131.)
Optimismus.
1) Urfprung bes Optimismus. -
Die Erflärung ber Welt aus einem Anaragorijchen voug, d. h. aus
emem von Erfenntuiß geleiteten Willen, verlangt zu ihrer Be-
Ihönigung nothwendig den Optimismus, ber alsdann, bem laut
Ihreienden Zeugniß einer ganzen Welt voll Elend zum Trotz, aufge
ftellt und verfochten wird. (W. II, 663.)
Den eigentlichen, aber verheimlichten Urfprung des Optimismus,
nämlich heuchelnde Schmeichelei gegen Gott, mit beleidigendem Ver⸗
timen auf ihren Erfolg, hat ſchonungslos, aber mit fiegender Wahrheit
David Hume aufgededt in feiner Natural history of religion.
®. II, 665. 667.)
2) Unvereinbarleit des Optimismus mit der Be—
Ichaffenheit der Welt.
Es ift eine fchreiende Abfurdität, diefer Welt, diefem QTummelplag
gequälter und geängftigter Weſen, welche nur dadurch beftehen, daß
eines das andere verzehrt, und in welcher mit der Erfenntniß die
Fähigkeit Schmerz zu empfinden wächſt, welche daher im Menſchen
ihren höchſten Grad erreiht, — das Syſtem des Optimismus an«
yofien und diefe Welt als die befte unter den möglichen demonftriren
zu wollen. (W. II, 664 fg. 205.) Wie ſchon Boltaire im Can⸗
dide duch den Namen feines Helden andeutet, bedarf e8 nur der
Aufrictigkeit, um das Gegentheil des Optimismus zu erkennen.
Wirklich macht auf diefen Scauplag der Sünde, des Leidens und
des Todes der Optimismus eine fo feltfame Figur, daß man ihn für
Jronie halten müßte, hätte man nicht an der von Hume aufgebedten
geheimen Duelle deſſelben eine hinlängliche Erklärung feines Urfprungs.
(®. II, 667. p. II, 326 fg. 599.)
3) Widerlegung der aus der Schönheit und Zweck—
mäßigfeit der Welt gefhöpften Beweife für den
Optimismus.
Ein Optimiſt heißt uns die Augen öffnen und hineinſehen in die
Welt, wie ſie ſo ſchön ſei im Sonnenſchein mit ihren Bergen, Thälern,
192 Optimismus
Strömen, Pflanzen, Thieren u. f. w. — Uber ift denn die Welt ein
Guckkaſten? Zu fehen find diefe Dinge freilich ſchön; aber fie zu
fein ift ganz etwas Anderes. — Dann kommt ein Zeleolog und preift
uns bie weife Einrichtung der Welt. Aber wenn man zu den Re»
fultaten des gepriefenen Werkes fortfchreitet und die ſündhaften und
unglüdlichen, von Gier und Leiden gepeinigten Spieler betrachtet,
die auf der fo dauerhaft gezimmerten Weltbühne agiren, — dba wirt,
wer nicht heuchelt, fchwerli zu Hallelujah's geftimmt fein. (W. U,
665. 676.)
4) Beweis des dem Optimismus entgegengefesten
Satzes.
Den handgreiflich ſophiſtiſchen Beweiſen Leibnitzens, daß dieſe
Welt die beſte unter den möglichen ſei, läßt ſich ernſtlich und ehrlich
der Beweis entgegenſtellen, daß ſie die ſchlechteſte unter den möglichen
ſei. Denn möglich heißt nicht, was Einer etwa ſich vorphantaſiren
mag, fondern was wirklich eriftiren und beftehen kann. Nun iſt dieſe
Melt fo eingerichtet, wie fie fein mußte, um mit genauer Noth beftehen
zu fönnen; wäre fie aber noch ein wenig ſchlechter, fo könnte fie ſchon
nicht mehr beftehen. Folglich ift eine fchlechtere, da fie nicht beftchen
könnte, gar nicht möglich, fie ſelbſt alfo unter den möglichen bie
ſchlechteſte. — Die Berfteinerungen der unjeren Planeten ehemals be:
wohitenden, ganz anderartigen Thiergefchlechter liefern un die Documente
von Welten, deren Beftand nicht mehr möglicd war, die mithin nod
etwas fchlechter waren, ale die fchlechtefte unter den möglichen.
(W. II, 667 fg.)
5) Schädlidhleit des Optimismus.
Der Optimismus ift in den Religionen, wie in den Philofophien,
ein Grundirrthum, der aller Wahrheit den Weg vertritt. (W. IL, 717.)
Der Optimismus ift im Grunde das unberedhtigte Selbftlob des
eigentlichen Urheber der Welt, des MWillend zum Leben, der fid
wohlgefällig in feinem Werke fpiegelt, und demgemäß ift er nicht nur
eine falfche, fondern aud) eine verberbliche Lehre. Denn er ſtellt ung
das Leben als cinen winfchenswerthen Zuftand, und als Zived defjelben
das Glück des Menfchen dar. Davon ausgehend, glaubt dann Jeder
den gerechten Anfprucd auf Glüd und Genuß zu haben; werden nun
biefe, wie es zu gefchehen pflegt, ihm nicht zu Theil, fo glaubt cr,
ihm gefchehe Unrecht, ja cr verfehle den Zweck feines Dafeins; —
während es viel richtiger ift, Arbeit, Entbehrung, Noth und Leiden,
gekrönt durch den Tod, als den Zweck unſers Lebens zu betrachten,
weil diefe es find, die zur Verneinung des Willens zum Leben leiten.
(®. IL, 669.)
Der Optimismus, wo er nicht etwa das gedanfenlofe Reden Solcher
ift, unter deren platten Stirnen nichts als Worte herbergen, ift wid;
blo8 cine abjurde, fondern auch eine wahrhaft ruchloſe Denkungs:
Orakel — Orden 193
art, ein bitterer Hohn über die namenloſen Leiden der Menſchheit.
(®. I, 385.)
6) Eine Frage, welde ber Optimismus ungeldft Täßt.
Nachdem bie optimiftifchen Syſteme ihre Demonftrationen vollendet
und ihr Lied von ber beften Welt gefungen haben, kommt zulett, hinten
im Enftem, als ein fpäter Rächer des Unbilds, wie ein Geift ans ben
Gräbern, wie der fteinerne Gaft zum Don Yuan, die Frage nad) dem
Urfprung bes Uebel, des ungeheuern, nantenlofen Uebels, bes ent⸗
feglichen, herzzerreißenden Jammers in der Welt; — und fie verflummen,
oder haben nichts als Worte, leere, tönende Worte, um eine fo ſchwere
Rechnung abzuzahlen. Hingegen, wenn fchon in der Grundlage eines
Enftems das Dafein des Uebel mit dem der Welt vermwebt ift, ba
hat es jenes Gefpenft nicht zu fürchten, wie ein inokulirtes Kind nicht
die Boden. (N. 143.)
7) Die antioptimiftifhe Weltanfhauung der bedeu—
tendften Religionen, der großen Geifter aller
Zeiten unb des allgemein menfhliden Gefühle.
(S. Peſſimismus.) '
Orakel.
Die Ausſprüche der alten griechiſchen Drafel geben, wie die alle⸗
goriſchen fatidiken Träume (vergl. unter Traum: bie prophetifchen
Zräume), fehr felten ihre Ausfage direct und sensu proprio, ſondern
hüllen fie in eine Allegorie, die der Auslegung bedarf, ja, oft erft,
nachdem das Drafel in Erfilllung gegangen, verftanden wird, eben wie
auch die allegorifchen Träume. ‘Die vielen Beifpiele diefer Art deuten
entihieden baranf Hin, daß den Ausſprüchen des Delphiſchen Orakels
künſtlich herbeigeführte fatidite Träume zum Grunde lagen, unb daß
diefe bisweilen bis zum beutlichften Helljehen gefteigert werden konnten,
worauf dann ein birecter, sensu proprio redender Ausiprud) erfolgte,
bezeugt bie Gefchichte von Kröfus (Herobot I, 47. 48.) — Der an⸗
gegebenen Duelle der Orakelſprüche der Pythia entfpricht es, daß man
fie and mebicinifch, wegen Förperlicher Leiden confultirte. (P. I, 272 fg.)
Erden.
Orden find Mechfelbriefe, gezogen auf bie Öffentliche Meinung; ige
Werth beruht auf dem Credit des Ausſtellers. Inzwiſchen find fie,
auch ganz abgefehen von dem vielen Gelde, das fie, als Subftitut
peruntärer Belohnungen, bem Staat erfparen, eine ganz zwedmäßige
Eimichtung, vorausgefett, daß ihre Vertheilung mit Einfiht und Ge-
rechtigkeit geſchehe. Sie rufen nämlich dem großen Haufen, der blut
Benig Urtheilsfraft und felbft wenig Gedächtniß hat, durch Kreuz oder
Eiern zu: „Der Mann ift nicht eures Gleichen; er hat Verdienſte.“
Duch ungerechte, oder urtheilsloſe, ober übermäßige Bertheilung ver
lieren aber die Orden diefen Werth. (P. I, 382.)
Shopenhauerskeriton. 11. 13
194 Ordnung — Orxganiſch. Organismus. Organiſation
Der Berdienftorden und das Berbienft treffen nicht leicht zufemmen,
(M. 557 fg.)
Ordnung, ber Dinge.
Der Naturalismus oder bie abfolute Phyſik macht die Drbaumg
der Natur zur einzigen und abfoluten Ordnung der Dinge. In
gegenüber num ift Metaphyſik die Erkenntniß, daß die Ordaung dr
Natur nicht die einzige und abfolute Ordnung ber Dinge fei. (BI,
194. Bergl. Metaphyfil.) Jenes fchlechtgin Unerllärliche, welchet
alle Erfheinungen durchzieht, bei den höchften, 3. B. bei der Zeugum,
am auffallendften, jedoch auch bei den niebrigften, z. B. den med
ſchen, eben jo wohl vorhanden ift, giebt Anweiſung auf eine der
phufifchen Ordnung der Dinge zum Grunde liegenbe ganz anberartigt,
welche eben Das ift, was Kant bie Ordnung der Dinge an fid nem
und was den Zielpunft der Metaphyſik ausmacht. (W. II, 196.)
Organifh. Organismus. Organiſation.
1) Segenfag des Organiſchen und Unorganiſcher.
(S. Leben.)
2) Weſen des Organismus.
Der Organismus ift bie bloße Erſcheinung, Sichtbarkeit, Objetitit
des Willens, ja eigentlich nur der im Gehim als Vorſtellung ang:
fchante Wille. Was im Selbfibewußtjein, alfo ſubjectiv, ber Bil
ift, das ftellt im Bewußtſein anderer Dinge, alfo objectiv, ſich als de
gefammte Organismus dar. (W. II, 277. 375. N. 101.) Rd
blos in allen innern unbewußten Functionen des Drganidmus if dır
Wille das Agens; fondern ber organifche Leib felbft ift nichts Andere.
als der in die Vorftellung getretene Wille, ber in der Erfemtuißfem
des Raumes angefchaute Wille felbft. (N. 34. 54. Vergl. anch Leit!
3) Berhältuiß der Organifation zur Lebensweiſe.
Bei näherer Betrachtung der Ungemeffenheit der Organijation jtd
Thieres zu feiner Lebensweife und den Mitteln, fich feine Eriflen #
erhalten, entfteht bie Frage, ob bie Lebensweiſe fich nad) der Organ
fation gerichtet habe, oder dieſe nach jener. Auf den exften Bid
ſcheint das Erſtere das Nichtigere, da der Zeit nad) die Organifatien
der Lebensweife vorhergeht und man meint, das Thier habe bie Lebent
weise ergriffen, zu der fein Bau ſich am beften eignete. Allein un
diefer Annahme bleibt unerflärt, wie die ganz verſchiedenen Theile dei
Drganiemus eines Thieres fämmtlich feiner Lebensweife genau at:
fprecden, Tein Organ das andere ftürt, vielmehr jedes das ande
unterftügt, auch Feines unbenugt bleibt und kein untergeorbnetes Inge
gu einer anberu Lebensweife beffer taugen würbe, während allein ji
Hauptorgane biejenige beftimmt hätten, die das Thier wirklich fühl:
vielmehr jeder Theil des Thieres ſowohl jedem andern, als jet
Lebensweife auf das genauefte entfpricht. Diefes, daß einerfeits, gemäh
Originalität 196
der lex parsimonise naturse, fein Thier ein überflüfſtges Organ bat,
andererfeit3 keinem Thier je ein Organ abgeht, welches feine Lebens⸗
weife erfordert, ſondern alle, auch die verfchiebenartigften, übereinftimmen
und wie berechnet find auf eine ganz fpeciell beflimmte Lebensweife,
beweift, daß die Lebensweife, die das Thier, um feinen Unterhalt zu
finden, führen wollte, e8 war, die feinen Bau beftinmte, — nicht aber
umgekehrt. Das Erfte und Urfprüngliche ift das Streben, auf biefe
beftimmte Weife zu leben, auf ſolche Art zu kümpfen, welches Streben
fi darftellt nicht nur im Gebrauch, fondern fchon in Dafein der
Waffe, To ſehr, daß jemer oft dieſem vorhergeht, wie das Stoßen
junger Böde, Widder, Kälber mit dem bloßen Kopf, ehe fie noch
Hörner haben, beweift, — ein Zeichen, daß weil das Streben ba ift,
bie Waffe ſich einftellt, nicht umgekehrt, und fo mit jedem Theil
überhaupt. (N. 40—52.)
4) Erflärung der Zwedmäßigkeit des Organigmne.
Sowohl die am Knochengerüſte ſich barftellende genaue Angemeffen⸗
heit de8 Baues zu den Sweden und äußern Lebensverhältniffen des
Thieres, als auch die fo bewundernswürdige Zweckmäßigkeit und
Harmonie im Getriebe feines Imern, wird burd) keine andere Er⸗
Märung oder Annahme auch nur entfernterweife jo begreiflich, als durch
die Wahrheit, daß der Leib des Thieres eben nur fein Wille felbft ift,
augeſchaut als Vorſtellung. Denn unter biefer Vorausfegung muß
Alles in und an ihm confpiriren zum legten Zweck, dem Leben biejes
Zhiered. - Alles Nöthige muß da fein, genau fo weit es nöthig ift,
nit weiter. Denn hier ift der Meifter, das Werft und ber Stoff
Eines und daſſelbe. Hier war Wollen, Thun und Erreichen Eines
md daffelbe. Daher ift jeder Organismus ein überfhwänglich vollen-
detes Meiſterſtück, fteht als ein Wunder da und ift feinem Menſchen⸗
wert, das beim Lampenſchein der Erfenntnißg erfünftelt wurde, zu
vergleichen. (N. 54—57.)
Eriginalität.
1) Driginalität der Genies.
Die Genies leiften, was den Uebrigen fchlechthin verfagt ift. Dem-
gemäß ift denn auch ihre Originalität fo groß, daß nit nur ihre
Verſchiedenheit von den übrigen Menſchen augenfälig wird, fondern
ſelbſt die Individualität eines Jeden von ihnen fo ſtark ausgeprägt
if, daß zwiſchen allen je dagemwefenen Genies ein gänzlicher Unterfchieb
des Charakters und Geiftes Statt finde. (P. II, 89.)
2) Quelle origineller Gedanken.
Tas mit Hülfe anfhaulicher Vorſtellungen operivende Deufen ift
der Erzeuger aller wahrhaft originellen Gedanken, aller urfprünglichen
Grundanſichten. (G. 103 fg.)
13*
196 Dum — Pideraſtie
3) Wichtigfeit der Originalität im Praktiſchen.
Für fein Thun und Laffen darf man feinen Andern zum Muſter
nehmen; weil Lage, Unftände, Verhältniſſe nie die gleichen ſind, md
"weil die Verfchiebenheit des Charakters auch ber Handlung einen der⸗
ſchiedenen Anſtrich giebt, daher duo cum faciunt idem, non est idem.
Man muß, nach) reifficher Ueberlegung und fcharfem Nachdenken, feinen
eigenen Charakter gemäß handeln. Alſo aud im Praktiſchen if
Driginalität unerläßlih; fonft paßt, was man thut, nicht zu bem,
was man iſt. (P. I, 493.)
Oum, ſ. Myſtik.
"Oupnekhat, ſ. Myſtik.
Ouvertüre, ſ. Oper.
Päderaflic.
1) Das Problem ber Päderaftie.
An fich felbft betrachtet ftellt die Päderaftie fi dar als eine nicht
blos widernatürliche, ſondern auch im höchſten Grade wibermwärtige und
Abſcheu erregende Monſtroſität, eine Handlung, auf welche allein eine
völlig perverſe, verſchrobene und entartete Menſchennatur irgend einmal
hätte gerathen können, und die ſich höchſtens in ganz vereinzelten Fällen
wiederholt hätte. Wenden wir num aber uns an die Erfahrung; ſo
finden wir das Gegentheil bievon. Wir fehen nämlich dieſes Lafter,
troß feiner Abfcheulichkeit, zu allen Zeiten und in allen Ländern der
Welt, völlig im Schwange und in häufiger Ausübung. Diefe gänzlice
Allgemeinheit und beharrliche Unausrottbarfeit des zuerft nur als irre⸗
geleiteter Unftinet erfcheinenben Laſters beweift, daß daffelbe irgendwie |
aus der menschlichen Natur felbft hervorgeht, da es nur aus biefem
Grunde jederzeit und überall unausbleiblid auftreten fann. Daß nun
aber etwas fo von Grund aus Naturwidriges aus ber Natur felbft
hervorgehen follte, ift eim Problem, das der Löfung bedarf. (W. I,
642—644.) |
2) Löſung des Problems.
Die Zeugung im Alter der abfterbenden Manneskraft würde ſchwache,
ftumpfe, fieche, elende und kurz lebende Menſchen in bie Welt ſetzen.
Nun liegt aber der Natur nichts fo fehr am Herzen, tie die Cr:
baltung ber Species und ihres ächten Typus, wozu wohlbefchaffen:,
tüchtige, kräftige Individuen das Mittel find. Da fle doch aber, ihrem
Grundſatze natura non facit saltus zufolge, die Sanmenabfonderung
Balingeneffie — Paniſcher Schred 197
des Mannes nicht plötlich einftellen Tonnte, fondern auch hier, wie.
bei jedem Abfterben, allmälige Deterioration vorbergehen mußte; fo ſah
fie fi, um ihren Zwed zu erreichen, gendthigt, ihr beliebtes Werkzeug,
den Inſtinct, in ihr Intereſſe zu ziehen, welches nun aber hier nur
dadurch gefchehen Fonnte, daß fie ihn irre leitete. Die päberaftifche
Neigung führt Gleichgültigkeit gegen die Weiber mit fi, welche mehr
und mehr zunimmt, zur Abneigung wird und endlich bis zum Wider-
willen anwächſt. Die Natur erreicht alfo dadurch, daß, je mehr. im.
Manne die Zeugungskraft abnimmt, defto entjchiebener jene wider⸗
natürliche Richtung derfelben wird, ihren eigentlichen Zwed. Den
entiprechend finden wir bie Päberaftie durchgängig als ein Laſter alter
Männer. Während alfo die Päderaftie den Zwecken der Natur gerade
entgegenzumwirken fcheint, muß fie vielmehr eben diefen Zwecken, wiewohl
mr mittelbar, dienen, ald Abwendung größerer Uebel. Die in Folge
ihrer eigenen Geſetze in die Enge getriebene Natur griff mittelft
Berfehrung des Inſtincts zu einem Notbbehelf, einem Stratagem, um
von zweien Uebeln bem größeren zu entgehen. Sie hat nänlid) ten
richtigen Zwed im Auge, unglüdlichen Zeugungen vorzubeugen, welche
almälig die ganze Specied depraviren Fönnten, und da fie bas
eigentlich Moraliſche bei ihrem reiben nicht in Anſchlag bringt, fo ift
fie nicht ferupulds in der Wahl der Mittel. (W. II, 618. 644— 648.)
3) Der wahre und legte Grund der Verwerflichkeit
der Päderaſtie. |
Der wahre, letzte, tief metaphufifche Grund ber Verwerflichleit der
Päderaftie ift diefer, daß, während der Wille zum Leben ſich darin
bejaht, die Folge folder Bejahung, welche den Weg zur Erlöfung
offen Hält, alfo die Erneuerung des Lebens gänzlich abgefchnitten ift.
(®. I, 648 fg.) Alle widernatürlichen Gefchledhtsbefriedigungen find
verdammlich, weil durch fie dein Triebe mwillfahren, alfo der Wille zum
Leben bejaht wird, die Propagation aber wegfällt, welche doch allein
die Möglichleit der Berneinung des Willens offen erhält. (P. I, 340.)
4) Berlegung der Gerechtigkeit burd) die Päderaſtie.
Während die Dnanie mehr Gegenftanb der Diätetik, al8 der Ethik
if (vergl. Onanie), fo fällt dagegen die Päderaftie ber Ethif anheim,
wo fie bei Abhandlung der Gerechtigkeit ihre Stelle findet. Dieſe
nämlich wird durch fie verlegt, und kann Hingegen das volenti non
it injuria nicht geltend gemacht werden; denn das Unrecht befteht in
der Verführung des jüngern und unerfahrenen Teils, welcher phufifch
und moralifch dadurch verdorben wird. (E. 128 fg.) |
Palingenefie, |. unter Metempfychofe: Unterfchied zwifchen Me- -
tempiychofe und Balingenefie.
Danifcher Schreck.
Daß ein gewiſſes Maß von Furchtfamfeit zu unferm Beſtande in
der Welt nothwendig, die Weigheit blos das Ueberſchreiten beffelben
198 Bantheismus .
ift, — dies Hat Bako von Verulam treffend ausgedrückt in feiner
etymologifchen Erklärung bes terror Panicus (de sapientia veterum VI..
Uebrigens ift das Charakteriſtiſche bes Panifchen Schredens, daß er
feiner Gründe fich nicht deutlich bewußt ift, fonbern fie mehr voran
fett, als kennt, ja, zur Noth, geradezu bie Furcht felbft als Grund
ber Furcht geltend macht. (P. I, 506 fg.)
Pantheismus.
1) Ursprung des Pantheismus.
Der Pantheismus fett ben Theismus, als ihm vorhergegangen,
borand; denn nur fofern man von einem Gotte ausgeht, aljo in
fhon vorweg bat und mit ihm vertraut ift, kann man zuletzt dahin
kommen, ihn mit der Welt zus identificiren, eigentlich um ihn auf em
anftändige Weife zu befeitigen. Man ift nämlich nicht umbefangen
don ber Welt, als dem zu Erflärenden, ausgegangen, fondern von Colt
als dem Gegebenen; nachdem man aber bald mit biefem nicht mehr
wußte wohin, ba hat die Welt feine Rolle übernehmen follen. Die
ift der Urfprung des Pantheismus. Denn von vorme herein un
unbefangenerweife diefe Welt für einen Gott anzufegen, wird Keinen
einfallen. (P. II, 106.)
2) Bantdeismus ift nur ein höflicher Atheismus.
Das Wort Pantheismus enthält eigentlich einen Widerſpruch, Dr
zeichnet einen fich felbft aufhebenben Begriff, der baher von Denen,
welche Ernſt verfichen, nie anders genommen worden ift, denn ald ein
böfliche Wendung; weshalb es auch den geiftreichen und fcharfſinnigen
Philofophen des vorigen Jahrhunderts nie eingefallen ift, den Spinnza
beöwegen, weil er die Welt Deus nennt, . für feinen Atheiſten zu
halten. (N. 132.) Spinoza hatte befondere Gründe, feine alleinige
Subftanz Gott zu benennen, um nämlich wenigftens das Wort, wen
andy nicht die Sache, zu retten. Giordano Bruno's und Baninit
Sceiterhaufen waren noch in frischem Andenken. Wenn daher Spinoje
die Welt Gott benennt; fo ift es gerade nur fo, wie wenn Kouffeau
im Contrat social ftet3 und durchgängig mit bem Wort le souverai
das Boff bezeichnet; auch Könnte man es damit vergleichen, daß ein
ein Fürft, welcher beabftdhtigte, in feinen Lande ben Adel abzuſchaffen,
anf den Gedanken fan, um Keinem das Seine zu nehmen, alle ſeint
Unterthanen zu adeln. (W. II, 399. H. 320.)
„Gott und die Welt ift Eins” — ift bloß eine Höfliche Wendung,
dem Herrgott den Abfchied zu geben. (5. 441.) Der Pantheismus
ift nur ein höflicher Atheismus. (5. 320.)
Pantheismus iſt ein fich felbft aufhebender Begriff; weil der Begriff
eines Gottes eine von ihm verſchiedene Welt, al wejentliches Cord
defielben, vorausſetzt. Sol Hingegen die Welt felbft feine Rolle über-
nehmen; fo bleibt eben eine abjolute Welt, ohne Gott; daher Par
theismus nur eine Euphemie für Atheismus if. (P. L, 124.)
Pantheismus⸗ 199
3) Die Wahrheit des Pantheismus.
Die Wahrheit des Pantheismus befteht in der All⸗eins⸗Lehre,
dem dv zur rav (vergl. Allseins-Lebre), in der Aufhebung des
duafiftifchen Gegenfatzes zwiſchen Gott und Welt, in der Erkenntniß,
daß die Welt aus ihrer innern Kraft und durch ſich felbft da ift.
(®. H, 736—739.)
4) Die Fehler des Pantheismus.
a) Der Pantheismus läßt die Welt unerflärt.
Gegen den Pantheismus ift Bauptfächlich Diefes einzuwenden, daß
er nichts befagt. Die Welt Gott nennen, heißt nicht fie erklären,
fondern nur die Sprache mit einem überflüffigen Synonym des Wortes
Belt bereichern. Ob man fagt „die Welt ift Gott” oder „die Welt
it die Melt“ Läuft auf Eins hinaus. Zwar wenn man babei vom
Gott, ald wäre er da8 Gegebene und zu Erffärende, ausgeht, alfo
ſagt: „Gott ift die Welt”; da giebt e8 gewiſſermaßen eine Erklärung,
jofern e8 doch ignotum auf notius zurüdführt; doc ift es nur eine
Borterflärung. Allein wenn man von dem wirflich Gegebenen, alfo
der Welt ausgeht, und nun fagt: „die Welt ift Gott”, da liegt am
Tage, daß damit nichts gefagt, oder wenigſtens ignotum per ignotius
erklärt iſt. (P. II, 106.)
Der Gott des Pantheismus iſt ein x, eine unbefannte Größe.
Statt von der Erfahrung und dem matürlichen, Jedem gegebenen
Selöftbewußtfein anszugehen und von ihm aus auf das Metaphufifche
finzuleiten, alfo ben auffteigenden, analytifchen Gang zu nehmen, gehen
die Bantheiften, umgefehrt, den herabfteigenden, den fynthetifchen; von
ihrem Seos, den fie, wenn auch bisweilen unter dent Namen substantia
oder Abfolutum, erbitten ober ertrogen, gehen fie ans, und diefes völlig
Unbefannte ſoll danır alles Belanntere erflären, während doch überall
d08 Unbefannte aus dem Bekannteren zu erflären if. (W. II, 737 fg.)
Die Welt Gott nennen heißt nicht fle erflären; fie bleibt ein Räthſel
unter diefem Namen, wie unter jenem. (W. II, 740.)
Den Pantheiften ift die anſchauliche Welt, alfo die Welt als
dorftellung, eine abfichtliche Manifeftation des ihr innewohnenben
Goltes, weiches keine eigentliche Erklärung ihres Hernortretens enthält,
vielmehr felbft einer bedarf. (W. II, 738.)
b) Der Bantheismug ftimmt nicht zur Berwunderung
über bie Welt.
Im Spinozifhen, in unfern Tagen unter modernen Formen und
Derftellungen als Bantheismus fo oft wieder vorgebrachten Sinn ift
die Welt eine „abfolute Subftanz“, mithin ein ſchlechthin noth-
wendiges Weſen, d. h. Etwas, das nicht nur alles wirkliche, fondern
and alles irgend mögliche Dafein in fich begreift, aljo Etwas, beffen
tfein oder Andersfein völlig undenkbar iſt. Wäre dies nun wahr,
10 milßte unfer und der Welt Dafein nebft der Befchaffenheit defielben,
200 Vantheiemus
weit entfernt, ſich und als auffallend, problematiſch, ja, als das
unergrünbliche, uns ftet3 beunruhigende Rätsel barzuftellen, fi, im
Segentheil, noch viel mehr von felbft veritehen, als daß 2 Mal 2 via
if. Denn wir müßten gar nicht anders irgenb zu benfen fähig fen,
als daß die Welt fei und fo fer, wie fie ift; mithin müßten wir ihres
Dafeind als ſolchen, d. h. als eines Problemes zum Nachdenken, fo
wenig ung bewußt werden, als wir bie unglaublich ſchnelle Bewegung
unfers Planeten empfinden. Diefem Allen ift nun aber ganz umd gar
nicht fo. (W. II, 188 fg.)
c) Der Bantheismus ftimmt nicht zur Beſchaffen—
heit ber Welt.
Der vermeinte große Fortfchritt vom Theismus zum Pantheimus
ift ein Uebergang von Unerwiefenen und ſchwer Denkbaren zum geradezu
Abfurden. Denn fo undeutlich, ſchwankend und verworren der Begriff
auch fein mag, den man mit dem Worte Gott verbindet; fo find doch
zwei Prädicate davon ungertrennlich: die höchſte Macht und die hödfte
Weisheit. Daß nun ein mit diefen ausgerüftetes Weſen ſich ſelbſt u
eine Welt, tie die vorliegende, eine Welt hungriger und gequält
Weſen, verwandelt Haben follte, ift geradezu ein abfurder Gebank.
Der Theismus ift blos unerwiefen, und wenn es auch ſchwer denkbar
ift, daß die Welt Werk eines perfönlichen Wefens fei, fo ift es doh
nicht geradezu abfurd. Denn daß ein allmächtiges und allweifes Weſen
eine gequälte Welt fchaffe, läßt fich immer noch denken, wenngleich wir
das Warum nicht kennen. Wber bei der Annahme des Pantheismus
ift der fchaffende Gott felbft der endlos Gequälte, und zwar aus freim
Stüden; das ift abſurd. (PB. II, 107. 8. I, 144.) Dem Par-
theismus ift die Welt cine Theophaniee Mean fehe fie doc; aber nur
einmal darauf au, diefe Welt beftänbig bedilrftiger Weſen, die bios
dadurch, daß fie einander auffreffen, eine Zeit Tang beftegen, ft
Dafein unter Angft und Noth durchbringen und oft entjegliche Qualen
erdulben, bis fie endlich ben Tode in die Arme ftürzen. Wer die
deutlich ins Auge faßt, wird geftehen müſſen, daß einen Gott, ber ſich
hätte beigehen lafen, ſich in eine ſolche Welt zu verwandeln, doch
wahrlich der Teufel geplagt Haben müßte. (W. II, 399. 737.) Die
Uebel und die Qual der Welt ſtimmten ſchon nicht zum Theigmus;
daher biefer durd) allerlei Ausreden, Theodiceen ſich zu helfen ſuchte.
Der Bantheismus nun aber ift jenen fchlimmen Seiten der Belt
gegenitber vollends unhaltbar. (W. II, 676. 737. P. I, 67. 73.)
d) Der Pantheismus ift mit der Moral unvereinbar.
. Die Pantheiften können feine ernftlich gemeinte Moral haben; de
bei ihnen Alles göttlich und vortrefflich if. (PB. I, 144.) Spinoze
verfucht zwar ftellenweife, fie durch Sophismen zu retten, meine
aber giebt er fie geradezu auf. Aller Pantheismus muß an den
unabweisbaren Forderungen der Moral, unb nächfidem am Uebel und
Leiden der Welt, zulegt fcheitern. Iſt die Welt eine Theophanie; ſo
Paradoxie — Bartileln 901
ift Alles, was der Menſch, ja aud) das Thier thut, gleich göttlich unb
vortrefflich; nichts Tann zu tadeln und nichts vor dem Andern zu
loben fein; alfo keine Ethit. (W. II, 675.) Nach dem Pantheismus
if die Welt ein Gott, ens perfectissimum, d. b. es fanı nichts
Befiereß geben, noch gedacht werben, Alſo bedarf es feiner Erlöſung
daraus; folglich giebt es feine. (W. II, 406. 738.)
Paradoxie.
In allen Zahrhunderten hat bie arme Wahrheit darüber etröthen
müffen, daß fie parabor war, und es ift doch nicht ihre Schuld.
Sie kann nicht die Geftalt des thronenden allgemeinen Irrthums an«
nehmen. (E. 274.)
Wem Paradorie eines Werkes ein ungünftiges Vorurtheil giebt,
der ift offenbar der Meinung, e8 fei fchon eine bedeutende Maſſe von
Weisheit in Umlauf, man fei überhaupt weit gelommen und habe
höhftene das Einzelne correcter zu machen. Wer aber mit Platon
die gangbare Meinung nur ganz beiläufig mit einem Torg moAkorg
zeit doxet abfertigt, oder gar mit Göthe die Ueberzeugung hat,
daß das Abfurde recht eigentlich die Welt erfülle, dem ift Paradorie
an einem Werke immer ein günftiges, wenngleich keineswegs ent⸗
ſcheidendes Symptom. (M. 296.)
Parodie, f. unter Lächerlich: das abſichtlich Tächerliche.
Partikeln.
1) Logiſche Bedeutung der Partikeln.
„Denn, weil, warum, darum, alfo, da, obgleich, zwar, dennoch,
fondern, wem — fo, entweder — oder“, und ähnliche mehr, find
eigentlich Togifche Bartifeln; da ihr alleiniger Zweck ift, das For-
melle der Denkprocefie auszudrüden. Sie find daher ein koſtbares
Eigenthum einer Sprache und nicht allen in gleicher Anzahl eigen.
.IDI, 115.)
2) Die moderne Spradverhungung in Betreff der
Partikeln.
Die eingeriſſene Sprachverhunzung zeigt ſich in mehrern charak⸗
teriſtiſchen Phänomenen, unter andern auch darin, daß die Sprad)-
verderber, um ein paar logifche Partikeln zu Iufriren, fo verflochtene
Perioden machen, dag man fie vier Mal lefen muß, um hinter den
Sim zu kommen. (W. II, 138.) Insbeſondere find die Partikeln
Benn und So bei ihnen proferibirt und müfjen überall durch Vor⸗
ſekung des Verbi erfegt werden, ohne die nöthige, für Köpfe ihres
Schlages freilich auch zu fubtile Discrimination, wo dieſe Wendung
paſſend ſei, und wo nicht; woraus denn oft nicht nur geſchmackloſe
Harte und Affectation, ſondern auch Unverſtändlichkeit erwchſt. (PB. II,
560.) „Wenn“ und „ſo“ find geächtet im Intereſſe der Buchſtaben
sählerei; ftatt „wen er es gewußt hätte, fo würde ex nicht gekommen
202 Batriotisunus — Perpetuum mobile
fein’, fchreiben fie mit einem Gallicismus: „hätte er es gewußt, er
wäre nicht gefonmen.” Allein die Logifchen Partikeln „wenn — fo“
find der ganz eigentliche Ausbrud bes hypothetiſchen Urtheils, alſo einer
Berftandesform, und biefer ummittelbar angepaßt. Wenn eine Spree
ſolche Formen befigt, fo ift e8 große Thorheit, fie wegzuwerfen, um
ein Paar Silben zu erfparen. (9. 77.)
Patriotismus,
Der Patriotismus, wenn er im Reiche der Wiſſenſchaften ſich geltend
machen will, ift ein ſchmutziger Befelle, ben man hinauswerfen fod.
Denn was kann impertinenter fein, al8 da, wo das rein nnd allgemein
Menfchliche betrieben wird und wo Wahrheit, Klarheit und Schönkeit
allein gelten follen, feine Vorliebe für die Nation, welcher bie eigene
werthe Berfon gerade angehört, in die Wagfchale legen zu wollen un
nun, aus folcher Rüdficht, bald der Wahrheit Gewalt anzuthun, bald
gegen bie großen Geifter fremder Nationen ungerecht zu fein, um die
geringen ber eigenen berauszuftveichen. (P. II, 523. M. 1778.)
Pedanterie, f. unter Lächerlich: Narrbeit.
Pelagianismus.
Während Auguftinus und felbft Luther die Myſterien des Chriften-
thums feftgehalten haben, fo zieht dagegen der Pelagianismus Ales
zur platten Berftändlichkeit herab. (W. DI, 183. 716; I, 480, E. 66.
P. I, 71. — Bergl. auch Rationalismus.) Das jeltfame, dem ge
. meinen Berftande widerſtrebende Anfehen der chriftlichen Myſterier,
welches den Proſelytismus erfchwert, ift Schuld, daß der Pelagianismus,
ober heutige Nationalismus, fich gegen fie auflehnt und fie weggn-
exegifiren fucht, dadurch aber das Chriftentgum zum Iudenthum zurüd-
führt. (W. II, 692.)
Pellucidität.
Ueber das Weſen ber Pellucidität können uns vielleicht ben beiten
Auffchluß diejenigen Körper geben, welche blos im flüffigen Zuſtande
durchſichtig, im feften Hingegen opaf find; dergleichen find Wache,
Wallrath, Talg, Butter, Del u. a. m. Man kann vorläufig fi die
Sade jo auslegen, daß das bdiefen, wie allen feften Körpern, eigene
Streben nad dem flüffigen Zuftande ſich zeigt im einer ſtarken Ber-
wandtſchaft, d. i. Liebe zur Wärme, als dem alleinigen Mittel daza.
Deshalb verwandeln fie im feften Zuftande alles ihnen zufallende Licht
fofort in Wärme, bleiben alfo opal, bis fie flüffig geworben find;
dann aber find fie mit Wärme gefüttigt, lafien alſo das Licht als
foldhe durch. (®. II, 130 fg.)
Perpetuum mobile.
Guͤbe ed wahre Wechſelwirkung, dann wäre auch das perpetuum
mobile möglid) und fogar a priori gewiß; vielmehr aber liegt der
Berfon — Belfimismus. 203
Behauptung, daß es unmöglich fer, die Weberzeugung a priori zum
Grunde, daß es Feine wahre Wechfelwirtung und keine Verftandesform
fie eine folche giebt. (X. I, 548.)
Perfon. |
Unbewußt treffend ift der in allen europäifchen Sprachen üblich
Gebrauch des Wortes Berfon zur Bezeichnung des menfchlichen In⸗
dividuums; benn persona bedeutet eigentlich eine Schaufpielermaste,
und allerdings zeigt Keiner fi) wie er ift, fondern Jeder trägt eine
Maske und fpielt eine Rolle. (P. IL, 623.)
Perfönlichkeit.
1) Bhänomenalität der Perſönlichkeit.
Die Perfon ift bloße Erfheinung und ihre Derfchiedenheit von
andern Individuen beruht auf der Form ber Erfcheinung, dem prin-
cipio individuations. (W. 1, 417. — Bergl. Individuation,
Individualität.)
2) Gegen die Uebertragung der Perſönlichkeit auf den
Welturheber.
Die Perſönlichkeit iſt ein Phänomen, das und nur aus unſerer
animaliſchen Natur bekannt und daher, von dieſer geſondert, nicht mehr
deutlich denkbar iſt; ein ſolches nun zum Urſprung und Princip der
Welt zu machen, iſt ein Satz, der nicht ſogleich Jedem in den Kopf
will, geſchweige daß er ſchon von Hauſe aus darin wurzelte und
lebte. (P. I, 204.)
3) Die Beſchaffenheit der Perſönlichkeit als erſte und
weſentlichſte Bedingung des Lebensglücks.
Für unſer Lebensglüd iſt Das, was wir find, die Perfönlichkeit,
durhans das Erſte und Weſentlichſte. Ihr Werth kann ein abfoluter
beißen, im Gegenſatz des blos relativen ber objectiven Güter. (P. I,
337. Berge. Glüdfäligkeitslehre und Gitter.)
Peſſimismus.
1) Beweisbarkeit des Peſſimismus. (S. unter Op⸗
timismus: Beweis des dem Optimismus entgegengeſetzten
Satzes.)
2) Peſſimismus und Optimismus als Grundunter—⸗
ſchied der Religionen.
Der Fundamentalunterſchied aller Religionen iſt nicht darein
zu fegen, ob fie monotheiſtiſch, polytheiſtiſch, pantheiftifch, oder atheiſtiſch
find; fondern nur barein, ob fie optimiftifh, ober peffimiftifch find,
d. h. ob fie das Dafein diefer Welt als durch fich felbft gerechtfertigt
darftellen, mithin es Toben und preifen, ober aber es betrachten ale
etwas, das nur als Folge unſerer Schuld begriffen werden kann und
904 . Petitio princoipü
daher eigentlich nicht fein follte, indem fie erkennen, daß Schmerz un
Tod nicht Liegen können in ber ewigen, —— * unabänderlichen
Drdnung der Dinge, in Dem, was in jebem acht fein ſollte.
(W. II, 187 fg.)
3) Peffimismus ber bedeutendften Religionen.
Der Brahmanismus und Buddhaismus find peffimiftifch. (Vergl
Brahmanismus und Budbhaismus) Die chriftliche Glaubens:
Iehre iſt peffimiftifch, da in ben Evangelien Welt und Uebel beinahe
als ſynonhme Ausbrüde gebraucht werden. (W. I, 385. Berl.
Chriſtenthum). Die alten Samanäifchen Religionen fallen das
Dafein als eine DVerirrung auf, von welcher zurückzukommen Erlbſung
ft. Das Judenthum enthält wenigftend un Sündenfall den Keim zu
folder Anſicht. Blos das Griechiſche Heidenthum und der Islam
find ganz optimiftifch; daher im Erftern die entgegengefetste Tendenz
ſich wenigftens im ZTrauerfpiel Luft machen mußte; im Islam aber
trat fie als Sufismus auf, dieſe fehr fchöne Erfcheinung, welche
durchaus Indiſchen Geiftes und Urfprungs ıft. (W. II, 69%)
4) Beffimismus der großen Geifter aller Zeiten.
Die großen Geifter aller Zeiten baben ſich peſſimiſtiſch geäußert;
faft jeder derfelben hat feine Erfenntnig des Jammers dieſer Welt in
ftarfen Worten ausgefprochen. (W. 1I, 670—-673.)
5) PBeffimismus des allgemein menſchlichen Gefühle
Wie fehr dem Leibnigifchen Begriff der möglichft beften Welt das
allgemeine menfchliche Gefühl entgegen fei, zeigt unter anberm dies,
daß in Profa und Berfen, in Büchern nnd im allgemeinen Leben, fo
oft die Rede ift von einer „beſſern Welt“, wobei bie ftillfchweigend:
Borausfeguig ift, Fein vernünftiger Menſch werde bie gegenmärtige
Melt fiir die möglichft befte halten. (H. 421.)
Petitio prineipii.
1) Definition der petitio principii.
Wird einem Sag, der feine unmittelbare Gewißheit hat, eine folde
beigelegt, fo ift er eine petitio principi. (W. U, 132.)
2) Ein moderner befchönigender Ausdrud für petitio
principii.
Fichte nennt den kategoriſchen Imperativ Kants ein abfolutes
Poftulat. Dies ift der moderne, befchönigende Ausdrud für petitio
principii. (E. 142.)
3) Die petitio principii als eriſtiſcher Kunſtgriff.
Einer der eriſtiſchen Kunſtgriffe (vergl. Eriſtik) beſteht darin, daß
man Das, was man erſt darthun will, zum Voraus in's Wort, in
die Benennung legt, aus welcher es dann durch ein blos analytifed
Urtheil Heruorgeht. Hat z. B. der Gegner irgend eine Beränberung
Pfaffen — Bierd 200
vorgefchlagen, fo nennt man fie „Neuerung“, beim bies Wort iſt
gehäffig. Was ein ganz Abfichtelofer und Unpartheitfcher etwa „Eulius“
oder „öffentliche Slaubenslehre” nennen wilde, das nennt Einer, ber
für fie fprechen will, „Frömmigleit“, „Gottfeligfeit“, und ein Gegner
deſſelben, Bigotterie“, „Superftition“. Im Grunde ift dies eine feine
petitio prinapii, (9. 21.)
Pfaffen.
1) Die Urlift aller Pfaffen.
Das Grundgeheimnig unb die Urlift aller Pfaffen auf ber ganzen
Erde und zu allen Zeiten, mögen fie brahmantfche, ober mohamme-
danifche, bubdhaiftifche, oder chriftliche fein, ift Wolgendes., Sie haben
die große Stärke nnd Unvertifgbarkeit des metaphyſiſchen Bebitrfniffes
des Menfchen richtig erlannt und wohl gefaßt; nun geben fie vor, die
Befriedigung befjelben zu befigen, indem das Wort des großen Räthſels
ihnen auf außerorbentlichem Wege direct zugelonmen wäre. ‘Dies nun
dert Menfchen einmal eingeredet, können fie folche leiten und beherrſchen
nach Herzensluſt. Bon den Regenten gehen daher bie klügeren eine
Allianz mit ihnen ein; die andern werben felbft von ihnen beherricht.
($. II, 387 fg.)
2) Berberblider Einfluß der Pfaffen (S. Fanatis—
mus und unter Glaube: Schäblihe Wirkung früh ein-
geprägter Glaubenslehren. — Ueber den verberbliden Einfluß
der englifchen Pfaffen ſ. Engländer.)
3) Haß der Pfaffen gegen gewiffe Wahrheiten.
Der Haß der Pfaffen gegen die Magie geht aus einer dunkeln
Ahnung und Beſorgniß hervor, daß die Magie die Urfraft an ihre
rihtige Duelle zurück verlege, während die Kirche ihr eine Stelle
außerhalb der Natur angewiefen hatte. (NR. 127.)
Die Pfaffen und ihre Gefellen wollen nicht leiden, daß im Syftem
der Zoologie der Menfch zu ben Thieren gerechnet werbe; bie Elenden!
welhe den ewigen Geift verfennen, ber in allen Wefen lebt, Einer und
derfelde, und in ihrem kindiſchen Wahn fi) an ihnen verfilndigen.
(M. 467. P. U, 402.)
Pferd.
1) Die Intelligenz des Pferdes.
Daß der Intellect allein zum Dienfte des Willens beftimmt und
diefem überall genau angemeſſen ift, zeigt fich, wie beim Elephanten
(vergl, Elephant), auch beim Pferde. Auch das Pferd Hat längere
Lebenedaner und fpärlichere Fortpflanzung, als die Wiederfäuer ; zudem
ohne Hörner, Hanzähne, Rüffel, mit feiner Waffe, als allenfalls feinem
Hufe, verfehen, brauchte e8 mehr Intelligenz und größere Schnelligkeit,
NE dem Verfolger zu entziehen. (N. 48.)
206 Pfiffigleit — Pflanze
2) Wohlthat der Eifenbahnen für bie Pferde.
Die größte Wohlthat der Eifenbahnen ift, daß fie Millionen Pferden
ihr jammervolles Dafein erfparen. (PB. II, 402.)
Pfiffigkeit.
1) Die Bfiffigkeit als eine Form ber Klugheit
(S. Klugheit.)
2) Wodurh fih die Pfiffigkeit das Anfehen der
Superiorität giebt.
In Folge feiner Individualität und Lage lebt Jeder of
Ausnahme in einer gewiſſen Beſchränkung ber Begriffe un .
Anſichten. Ein Anderer hat eine andere, aber nicht gerade dieſe
Beſchränkung; hat er fie alfo herausgefunden, fo Tann er, durch Hill
barmadjen derfelben, jenen Erftern verwirren, verdutzen, faſt befchämen;
felbft wenn Jener ihm weit und hoch überlegen ift. Die Pfiffigke:
benutst oft diefen Umftand, um dadurch eine falſche und momentan
Superiorität zu erlangen. (9. 454.)
Pflanze.
1) Hauptcharakter ber Pflanze.
Der Haupteharalter der Pflanze ift die Meprobuctionstraft |
(N. 31.) Die Pflanze hat weder Irritabilität, noch Eenfibiltät,
Sondern in ihr objectivirt ſich der Wille allein als Plafticität ode |
Reproductiondkraft. Daher hat fie weder Muskel, noch Nerv. (W.D,
329.) Die Pflanze ift duch und durch nur die Wiederholung dei
felben Triebes, ihrer einfachften Faſer, die fi zu Blatt umd Zweig
gruppirt; fie ift cin foftematifches Aggregat gleichartiger, einander
tragender Pflanzen, deren beftändige Wiebererzeugung ihr einziger Trieb
if. Zur vollftändigen Befriedigung defjelben fteigert fie fich, mitteli
der Stufenleiter der Metamorphofe, enblid) bis zur Blüthe und Frucht,
jenem Kompendium ihres Dafeins und Strebens, in welchem fie mm
auf einem Fürzern Wege Das erlangt, was ihr einziges Ziel iſt, und
nunmehr mit Einem Schlage tauſendfach vollbringt, was fie bis dahin
im Ginzelnen wirkte: Wicderholung ihrer felbfl. (W. I, 326.)
2) Das Wefen an fich der Pflanze.
Die Anerkennung einer Begierde, d. h. eines Willens, als Bafı?
bes Pflanzenlebens, finden wir zu allen Beiten, mit mehr ober weniger
Deutlichkeit des Begriffs, ausgefprochen. (W. II, 335.) Was für
die Vorſtellung als Pflanze, als bloße Vegetation, blind treibende Kraft
erfcheint, ift feinem Weſen an fi nah Wille. (W. I, 140.)
Die Wahrheit, daß Wille auch ohne Erkenntniß beftehen könne, if
am Pflanzenleben augenfcheintich, man möchte fagen handgreiflich e-
fennbar. Denn hier fehen wir ein entjchiedenes Streben, burd Be
dürfniſſe beftimmt, mannigfaltig modificirt und ber Verſchiedenheit der
Umftände fi) anpaſſend, — dennody offenbar ohne Erkenntniß. —
LE U UT “177
. 2. =
us.
Pflanze 207
Und eben weil die Pflanze erkenntnißlos iſt, trägt fie ihre Geſchlechts⸗
theile prunlend zur Schau, in gänzlicher Unſchuld; fie weiß nichts
davon. (W. II, 333 — 335.)
Die empirifchen Deftätigungen davon, daß Wille in den Pflanzen
eier, rühren hauprfählich von Franzoſen ber. (N. 59—66.)
Bon ber Erfeuntniß, oder Vorftellung, Haben die Pflanzen blos ein
Analogon, ein Surrogat; aber ben Willen haben fie wirklich und ganz
unmittelbar felbit; denn er, als Ding an fi, ift das Subftrat ihrer
Erfdeinung, wie jeder. (M. 67.) Die Pflanze bedarf, da fie fo ſehr
viel weniger Bebürfniffe hat, als das Thier, keiner Erkenntniß. Auf
der niedrigen Stufe des Pflanzenlebens, wie auch des vegetativen Lebens
im thieriſchen Organismus vertritt, als Beſtimmungsmittel der ein⸗
zeluen Aeußerungen des Willens und als das Bermittelnde zwiſchen
der Außenwelt und den Veränderungen eines ſolchen Weſens, Reiz die
Stelle der Erkennmiß und ſtellt ſich als ein Surrogat ber Erkenntniß,
mithin als ein ihr blos Analoges dar. Wir können nicht ſagen, daß
die Pflanzen Licht und Sonne eigentlich wahrnehmen; allein wir fehen,
daß fie die Gegenwart oder Abweſenheit derjelben verfchiedentlich fpit-
ren, daß fie fich nach ihnen neigen und wenden. Weil alſo bie Pflanze
doc) überhaupt Bedürfniffe hat, wenngleich nicht ſolche, die den Auf-
wanb eines Senforiums und Intellects erfordern, fo muß etwas Ana-
Iges an die Stelle treten, um den Willen in den Staub zu ſetzen,
wenigftens die fich ihm darbietende Befriedigung zu ergreifen, wenn
auch nicht fie luulacgen Diefes nun ift die Empfänglichkeit für
Reiz. (N. 69 fg.)
3) Grundunterſchied zwifhen Pflanze und Thier.
Wenn es nicht objectiv cinen ganz beftimmten Unterfchied zwiſchen
Pflanze und Thier gäbe; fo wilrde die Trage, worin er eigeutlich be⸗
Rebe, keinen Sinn haben; denn fie verlangt nur diefen, mit Sicherheit,
aber undeutlich von jedem verftandenen Unterfchied auf deutliche Begriffe
zurückgeführt zu jehen. (P. II, 188.)
Diefer Unterfchied befteht nun in Folgendem. Während das Thier
als folches fih auf Motive bewegt, folglich Erfenntnig als das
Medium der Motive befist, das Charakteriftilon des Thieres aljo
das Erkennen, das Borftellen ift, jo bewegt die Pflanze dagegen, fo
wie auch das Pflanzliche im Thiere, ſich auf bloße Reize, die Em-
plönglichteit für welche ein bloßes Analogon der Erkenntniß if. (©.
7. R. 69. Ueber den Unterfchied zwifhen Motiv und Keiz |.
mie ache.) Alle Veränderungen und Entwidlungen der Pflanzen, und
elle blos organifche und vegetative Veränderungen oder Functionen
thieriſcher Leiber gehen auf Reize vor fi. In diefer Art wirkt anf
fie das Licht, die Wärme, die Luft, die Nahrung, jedes Bharmalon,
jede Berührung, jede Befruchtung u. |. m. — Während dabei das
Leben der Thiere noch eine ganz andere Sphäre hat — bie der Er-
lenniniß — fo geht Hingegen das ganze Leben der Pflanzen aus⸗
208 Pflanze
fchließfich nad Reizen vor fi. Alle ihre Affimilation, Wachtthum,
Hinftreben mit der Krone nad) dem Licht, mit den Wurzeln nah
befierm Boden, ihre Befruchtung, Keimung u. f. w. ift Verändermg
anf Reize. Das Beſtimmtwerden ausfchließlich und ohne Ausnahme
durch Reize ift ber Charakter der Pflanze Mitbin iR Pflanze
jeder Körper, befien eigenthlimfiche, feiner Natur angemeflene Bee
gungen und Beränderungen alle Mal und ausſchließlich auf Reis:
erfolgen. Das Thier hingegen ift zu befiniren „was erkennt“. Keim
andere Definition trifft das Wefentlihe. (E. 31. G. 47. W. 1, 4.
138 fg. $. 18.)
Das fubjective Dafein ber Pflanze müſſen wir uns benten als en
ſchwaches Analogon, einen bloßen Schatten von Behagen und Unbe
bagen; und felbit in dieſem Außerft ſchwachen Grabe weiß die Pflanze
allein von fi, nicht von irgend etwas außer ihr. Hingegen ſchon
das ihr am nächften ftehenbe, unterſte Thier ift durch gefteigerte und
genauer fpecificirte Bedürfniſſe veranlaßt, die Sphäre feines Daſeint
über die Gränze feines Leibes hinaus zu erweitern. Dies gejchieht
duch die Erkenntniß. (W. II, 815. P. I, 276; II, 71.)
Nicht nur das Unorganifche, fondern auch die Pflanze ift Tem
Schmerzes fühig; fo viele Hemmungen aud der Wille in Beiden er
leiden mag. Hingegen jedes Thier, felbft ein Infuſorium, leide
Schmerz, weil der Schmerz durch Erkenntniß bedingt ift und Erkennt:
niß, fei fie noch fo unvollfommen, der wahre Charakter der Thierheit
if. (P. IL, 319 fg.)
4) Die Form und Phyfiognomie ber Pflanzen.
Jede Pflanze ſpricht mit Naivetät ihren ganzen Charakter durch die
bloße Seftalt aus und legt ihn offen dar, ihr ganzes Sein und Wollen
offenbarend; wodurch die Phyfiognomien ber Pflanzen fo interefiont
find. Die Pflanze ift um fo viel naiver, als das Thier, wie da}
Thier naiver ift, als der Menſch. Im Thiere fehen wir den Willen
zum Leben gleichſam nadter, als im Menfchen, wo er durch die Fähig
feit der Verftellung verhilft ift. Ganz nadt, aber auch viel ſchwächer,
zeigt er fich im der Pflanze, ala bloßer, blinder Drang zum Daſein,
ohne Zweck und Ziel. Denn diefe offenbart ihr ganzes Wefen bem
erften Blick und mit vollkommener Unfchuld, die nicht darunter leidet
daß fie die Genitalien, welche bei allen Thieren den verſtedteſten Plot
erhalten Haben, auf ihrem Gipfel zur Schau trägt. Diefe Unfhul
ber Pflanze beruft auf ihrer Erfenntniflofigfeit. Jede Pflanze erzäflt
num zunächſt von ihrer Heimath, ben Klima derfelben und ber Natur
des Bodens, dem fie entfprofien ift. Außerdem aber fpricht jet
Pflanze noch den fpeciellen Willen ihrer Gattung aus und fagt etwa®,
das ſich in Feiner andern Sprache ausbrüden Täßt. (W. I, 186.)
Die Verſchiedenheit der Thiergeftalten ift abzuleiten aus ber der⸗
fhiebenen Lebensweiſe jeder Species und der aus diefer entfpringenden
Berfchiedenheit der Zwede. (Bergl. unter Organifch: Berhältnig der
Pflanze 209
Drgenifation zur Tebensweife.) Bon ben Berfchiedenheiten ber Pflanzen»
formen bingegen Können wir im Einzelnen die Gründe lange nicht fo
beftimmt angeben; fondern nur im Allgemeinen andenten. Ciniges an
den Pflanzen läßt ſich teleologifch erflären, wie 3. B. bie abmärts ge-
febrten niederhängenden Blüten der Fuchsia daraus, daf ihr Piftill fehr
viel länger ift, al8 die Stamina; daher dieſe Tage das Berabfallen
und Auffangen des Pollens begünftigt, u. dgl. m. Im Ganzen jedoch
läßt fih jagen, daß fi in der Erſcheinung nichts bdarftellen Tann,
was nicht in dem derfelben zum Grunde liegenden Willen ein genau
dem entfprechend modificirtes Streben hätte. Die endloje Mannig⸗
faltigleit der Formen und fogar der Fürbungen ber Pflanzen muß doch
überall der Aushrud eines eben fo mobdifichrten fubjectiven Weſens
fein; d. h. der Wille ald ‘Ding an fi, der fi darin darftellt, muß
durch fie genau abgebildet fein. (P. II, 188 fg.)
5) Die Metamorphofe der Pflanzen.
Die fogenannte Metamorphofe der Pflanzen, ein von Kaspar Wolf
leicht hingeworfener Gedanke, den, unter diefer hyperboliſchen Benen⸗
nung, Göthe als eigenes Erzeugniß pomphaft und in ſchwierigem
Vortrage darſtellt, gehört zu den Erklärungen des Organiſchen aus
der wirkenden Urſache; wiewohl er im Grunde blos beſagt, daß die
Natur nicht bei jedem Erzeugniffe von vorne anfängt und aus nichts
Ihafft, fondern, gleihfam im felben Stile fortjchreibend, an das Vor⸗
bandene anknüpft, die frühern Geftaltungen benugt, entwidelt und
höher potenzixt, ihr Werk weiter zu flihren. Ya, die Blüte dadurch
efläcen, dag man in allen ihren Theilen die Form des Blattes nad)»
weift, ift faft, twie die Structur eines Haufes dadurch erflären, daß
man zeigt, alle feine Theile, Stocdwerke, Erker und Dadjfammern jeien
nm aus Badfteinen zufanmengejegt und bloße Wiederholung der Ur⸗
einheit des Backſteins. Dagegen giebt die von einem Staliener her⸗
rührende Erklärung des Wefens der Blume aus ihrer Endurfade
einen viel befriedigendern Auffchluß. Nach derſelben ift ber Zweck ber
Corolla: 1) Schu des Piſtills und der Stamina; 2) werden mittelft
ihrer die verfeinerten Säfte bereitet, welche im pollen und germen
concentrirt find; 8) fondert fi) aus den Drüfen ihres Bodens das
ätherifche Del ab, welches, als meiftens mohlriechenber Dunft, Antheren
und Piſtill umgebend, fie vor dem Einfluß der feuchten Luft einiger-
maßen ſchützt. (W. II, 380 fg.)
6) Die äfthetifhe Beſchaffenheit und Wirkung der
Pflanzenwelt.
54 iſt fo auffallend, wie in ber fchönen Natur befonders die Pflanzen-
welt zur äfthetifchen Betrachtung auffordert und ſich gleichfam derfelben
ufdringt, da man fagen möchte, dieſes Entgegenfommen ftände damit
m Verbindung, daß diefe organifchen Wefen nicht felbft, wie die thie-
then Leiber, unmittelbares Object ber Erkenntniß find (vergl. Leib),
Schopenhauer⸗Lexikon. II. ' 14
210 Pflicht
daher fie des fremden verſtändigen Individuums bedürfen, um and der
Welt des blinden Wollens in die der Borſtellung einzutreten, weshalb
fie gleihfam nad diefem Eintritt füch fehnten, um wenigftens mitte.
bar zu erlangen, was ihnen unmittelbar verfagt iſt. (W. I, 237.
Bergl. auch unter Natur: Die äfthetifche Wirkung der Natur.)
Da Schönheit die entfprechende Darftellung des Willens durch feine
blos räumliche Erſcheinung, Grazie hingegen durch feine zeitlich:
Erſcheinung ift (vergl. Grazie); fo ergiebt fi, daß Pflanzen zwer
Schönheit, aber feine Grazie beigelegt werben am, es fei dem
im figürlihen Sim; Thieren und Menfchen aber Beides, Schönheit
und Grazie. (W. I, 264.)
Pflicht.
1) Definition der Pflicht.
Es giebt Handlungen, deren bloße Unterlaſſung ein Unrecht if; |
ſolche Handlungen heißen Pflichten. ‘Diefes ift die wahre philoſo—
phifche Definition des Begriffs der Pflicht, welcher Hingegen all
Eigenthümlichkeit einbüßt und dadurch verloren geht, werm man, wi
in ber bisherigen Moral, jede lobenswerthe Handlungeweiſe Pflicht
nennen will, wobei man vergißt, daß was Pflicht ift, auch Schul⸗
digfeit fein muß. Pflicht, To deov, le devoir, duty, ift alio
eine Handlung, durch deren bloße Unterlaffung man einen
Undern verlegt, d. 5. Unredt begeht. (E. 220.)
2) Worauf alle Pflichten beruhen.
Die bloße Unterlaffung einer Handlung Tann nur dadurch Be:
legung eines Audern, d. 5. "Unrecht fein, daß der Unterlaffer fih zu
einer ſolchen Handlung anheiſchig gemacht, d. 5. verpflichtet hat.
Demnad berufen alle Pflichten auf eingegangener Verpflichtung. Tide
ift in der Regel eine ausbritdliche, gegenfeitige Uebereinkunft, we
3. B. zwiſchen Fürft und Boll, Regierung und Beamten, Herm md
Diener, Advofat und Klienten, Arzt und Kranken, überhaupt zwiſchen
Jedem, der eine Leiftung irgend einer Art itbernommen bat, und feinen
Befteller, im tmeiteften Sinne des Worte. Darum giebt jede Pflicht
ein Recht; weit keiner fi) ohne ein Motiv, d. 5. ohne irgend einen
Bortheil für fi, verpflichten fanıı. Nur eine Verpflichtung läßt fid
anführen, die nicht mittelft einer Webereinkunft, fondern unmittelbar
durch eine bloße Handlung übernommen wird, weil Der, gegen den
man fie bat, noch nit da war, als man fie übernahm; es ift ber
ber Eltern gegen ihre Rinder. (Bergl. Eltern.) Allenfalls Fönnte
man als unmittelbar durch eine Handlung entftehende Verpflichtung
den Erſatz für angerichteten Schaden geltenb machen. Jeboch if
biefer, als Aufhebung ber Folgen einer ungerechten Handlung, cine
bloße Bemühung fie auszulöfchen, etwas rein Negatives, das darauf
beruht, daß die Handlung felbft Hätte unterbleiben follen. (E.
220 fg. 124.)
pflicht 211
(Barum Dankbarkeit nicht Pflicht zu nennen iſt, ſ. Dantbar-
feit.)
3) Verwandtſchaft und Unterfchied zwifhen Pflicht
und Sollen.
Die Begriffe Pflicht und Sollen find weſentlich relativ. Abfolutes
Sollen und unbedingte Pflicht find daher cine contradictio in ad-
jeeto. Wie alles Sollen fchlechterdings an eine Bebingung gebunden
ft, fo auch alle Pflicht. Denn beide Begriffe find ſich ſehr nahe
verwandt und beinahe ibentifch. Der einzige Unterfchied zwifchen ihnen
möchte fein, daß Sollen überhaupt auch auf bloßem Zwange be⸗
ruhen Tann, Pflicht Hingegen Verpflichtung, d. h. Uebernahme ber
Pfliht vorausfegt. Eben weil Keiner eine Pflicht unentgeltlich über⸗
nimmt, giebt jede Pflicht ein Recht. Der Sclave hat Feine Pflicht,
weil er fein Recht hat; aber es giebt ein Soll für ihn, weldes auf
bloßem Zwange beruft. (E. 123 fg.)
4) Kritik des Gegenſatzes zwiſchen Rechts- und Tugend»
pflichten.
Es giebt in dem ethifchen Urphänomen, dem Mitleid, zwei deutlich
getrennte Grade, in weldyen das Leiden eines Andern unmittelbar mein
Motiv werden, d. 5. nich zum Thun oder Laffen beftimmen kam;
nämlich zuerft nur in dem Grade, daß es egoiftifchen ober boshaften
Motiven entgegenwirkend, mid) abhält, dem Andern ein Leiden zu ver-
wfahen; ſodann aber in dem höhern Grade, wo das Mitleid, pofitiv
wirfend, mich zu thätiger Hülfe antreibt. Die Trennung zwifchen
fogenannten Rechts⸗ und Tugend» Pflichten, richtiger zwifchen Gerech⸗
tigfeit und Menfchenliebe, ergiebt fi) hier von felbft; es ift die
natürliche, unverfennbare und fcharfe Gränze zwifchen dem Negativen
und Bofitiven, zwiſchen Nichtverlegen und Helfen. Die bißherige Be⸗
nennung „Rechts⸗ und Tugendpflichten“, Tegtere auch Xiebespflichten,
unvollfommene Pflichten genannt, hat zuvördeft den Fehler, daR fie das
Genus der Species coordinirt; denn die Gerechtigkeit ift auch eine
Tugend. Sodann Liegt berjelben die viel zu weite Ausdehnung des
Begriffes Pflicht zum Grunde. (Vergl. Definition der Pflidt.)
Die Stelle der Rechts- und Tugendpflichten nehmen daher (in ber
Schopenhauerfchen Ethif) zwei Tugenden ein, die der Gerechtigkeit und
die der Menſchenliebe. (E. 212.)
5) Kritik der Pflihten gegen uns jelbft.
Pflichten gegen uns felbft müſſen, wie alle Pflichten, entweder
Rechts⸗ oder Liebespflichten fein. Rehtspflichten gegen uns felbft
find unmöglich, wegen des volenti non fit injuria; da nämlich Das,
was ich thue, alle Mal Das ift, was ich will, fo gejchieht mir von
mir ſelbſt auch ftetd nur was ich will, folglich nie Unrecht. Was
aber die Tiebespflichten gegen uns felbft betrifft, fo findet hier bie
14*
212 Pfuſcher. Pfuſcherei — Phantaſie
Moral ihre Arbeit bereits gethan und kommt zu fpät, da Jeder ſchon
von felbft fich liebt und was Jeder ſchon von felbft thut, nicht unter
den Begriff der Pflicht gehört. Was man gewöhnlid als Pflichten
gegen und jelbft aufftellt, iſt zuvörderſt eim feichtes Raifomement gegen
den Selbfimord. Doc die wirklich üchten moraliſchen Motive
gegen ben Selbftmord gehören einer höheren, über die gewöhnliche
Ethik Hinausgehenden Vetrachtungsweife an (vergl. Selbftmort).
Was mun noch auferden unter ber Rubrik von Selbftpflichten ver
getragen zu werben pflegt, find theild Klugheitsregeln, theils diätetijche
Borfchriften, welche alle beide nicht in bie Moral gehören. (E.
126 — 128.) .
Pfufcher. Pfufcherei.
Alle Pfuſcher find es im legten Grunde dadurch, daß ihr Iniellett,
dem Willen noch zu feft verbunden, nur unter deſſen Anſpornung in
Thätigfeit geräth unb daher eben ganz in deſſen Dienfte bleibt. Cie
find demzufolge feiner andern, als perfönlicher Zwede fähig. Tiefen
gemäß fchaffen fie fehlechte Gemälde, geiftlofe Gedichte, feichte, abſurde,
ſehr oft auch unrebliche Philoſopheme. AU ihr Thun und Dichten
it alſo perfünlid. Daher gelingt e8 ihnen höchſtens, ſich das Aeußert,
Zufällige und Beliebige fremder, ächter Werke als Manier anzueignen,
wo fie dann, ftatt des Kerns, die Schale fallen, jedoch vereinen,
Alles erreicht, ja, jene übertroffen zu haben. (W. IL, 437; I, 278.)
Ein willtürliches Spielen mit den Mitteln der Kunft, ohne eigentliche
Kenntniß des Zwecks, ift in jeder der Grundcharakter der Pfuſcherei.
Ein ſolches zeigt ſich im den nichts tragenden Stügen, den zwedioien
Boluten, Baufchungen und Vorſprüngen fchlechter Architectur, in den
nichtsfagenden Läufen und Yiguren, nebft dem zwedlofen Lärm fchlechter
Mufit, im Klingklang der Keime finnarmer Gedichte u. ſ. w. (W. I,
464. 472. — Bergl. auch Manier.)
Dhanomena.
Die Eleatiſchen Philofopgen find wohl die erſten, welche bes Gegen-
fages inne geworben find zwifchen dem Ungefchauten und Gebadhten,
Yarvoneva und vooupeva. (PB. I, 36. W. I, 84.) Das Leptere
allein war ihnen das wahrhaft Seiende, das ovrag ov. Sie unter
ſchieden alfo eigentlich ſchon zwifchen Erfheinung, Yarvopevov, unb
Ding an fi, ovrug ov. Letzteres konnte nicht finnlich angeichaut,
— nur denkend erfaßt werden, war demnach vooupsvov. (F
I, 36 fg.) |
Phantafie.
1) Wer mit viel Bhantafie begabt ifl.
Biel Phantafie bat der, deſſen anfhauenbe Gehirnthätigfeit
ſtark genug ift, nicht jedes Mal ber Erregung der Sinne zu bedürfen,
um in Activität zu gerathen. (P. IL, 639.)
Phantafle 213
2) Wann bie Bhantafie am thätigften if.
Die Phantafie iſt um fo thätiger, je weniger äußere Anfchauung
und durd die Sinne zugeführt wird. Lange Einfamleit, im Gefäng-
ni, oder in ber Kranfenftube, Stile, Dämmerung, Dunkelheit find
isrer Thätigkeit fürderlih; unter dem Einfluß derfelben beginnt fie
aufgefordert ihr Spiel. Umgefehrt, wann der Anſchauung viel realer
Stoff von außen gegeben wird, wie auf Keijen, im Weltgetiimmel, am
hellen Mittage, dann feiert die Phantaſie. (P. II, 639 fg.)
3) Die Nahrung der Phantafie.
Obgleich die Phantafie gerade dann feiert, wann der Anſchauun
viel realer Stoff von außen geboten wird; fo muß fie doch, um fie
fruchtbar zu erweiſen, vielen Stoff von der Außenwelt empfangen
haben; denn biefe allein füllt ihre Vorrathskammer. Aber es ift mit
der Nahrung der Phantafle, wie mit der des Leibes. Wann diefem
fo eben von außen viel Nahrung zugeführt worden, bie er zu verdauen
hat, dann ift er gerade am untüchtigften zu jeder Leiftung und feiert
gen; und doch ift es eben biefe Nahrung, der er alle Kräfte ver-
dankt, welche er nachher zur rechten Zeit äußert. (P. II, 640.)
4) Die Bhantafie als Werkzeug bed Denkens.
Alles Urdenken gefchieht in Bildern; darum ift die Phantafle ein
ſo notäwendiges Werkzeug deffelben, nnd werden phantafielofe Köpfe
nie etwas Großes leiften, — es fei denn in der Mathematil.
(®. II, 77.)
5) Die Phantaſie als Hülfsmittel des Gedächtniſſes.
(S. unter Gedähtnig: Einfluß der Anjchaulichfeit der
Borftellungen.)
6) Die Phantafie als wefentliher Beftandtheil der
Genialität. (S. Genie Genialität.)
7) Unterſchied zwifhen Bhantafiebildern und Träu—
men. (©. Traum.) Ä
8) Die Zügelung der Phantafie als eine Bedingung
bes Lebensglücks. 0
In Allen, was unfer Wohl und Wehe betrifft, follen wir bie
Bhantafie im Zügel halten; alfo zuvörberft keine Luftſchlöſſer bauen,
weil diefe zu koſtſpielig find, indem wir, gleich darauf, fie unter Seufs
zen wieder einzureißen haben. Aber noc mehr follen wir uns hüten,
durch das Ausmalen blos möglicher Unglücksfälle unfer Herz zu äng⸗
figen. Wir follen die Dinge, welche unfer Wohl und Wehe betreffen,
blos mit dem Auge der Vernunft und der Urtheilsfraft betrachten, die
Bhantafie ſoll dabei aus dem Spiele bleiben; denn nrtheilen kann fie
nicht, fondern bringt bloße Bilder vor die Augen, welche das Gemüth
214 Phantasma — Bhilifter
unnützer und oft ſehr peinlicher Weiſe bewegen. Zur anempfohlenen
Zügelung der Phantaſie gehört auch, ihr nicht die Wiedervergegen-
wärtigung und Ausmalung ehemals erlittener Berlufte, Beleidigungen,
Kränkungen u. ſ. w. zu geftatten, weil mir dadurch den längſt ſchlum—
mernden Unmwillen, Zorn und alle da8 Gemüth verunreinigenden Lei—
denfchaften wieder aufregen. (P. I, 461— 464. 468.)
Dhantasma.
1) Unterfchied zwiſchen Phantasma und Begriff. (E.
unter Begriff: Repräfentanten der Begriffe.)
2) Bandelbarkeit der Phantasmen im Gebädtnik.
Eine Erinnerung ift Teineswegs, wie die gewöhnliche Darftellung +4
annimmt, immer bie felbe Borftellung, die gleihfam aus ihrem Be-
haltniß wieder berborgeholt wird, fondern jedesmal entfteht wirkicd
eine neue, nur mit befonderer Leichtigkeit durch die Uebung; daher
fommt es, daß Phantasmen, welche wir im Gebächtniß aufzubewahren
glauben, eigentlich aber nur durch Öftere Wiederholung üben, under
merkt fich ändern, was wir inne werden, wenn wir einen alten be
kannten Gegenftand nad) langer Zeit wiederfehen und er bem Bil,
das wir von ihm mitbringen, nicht vollfommen entſpricht. (©. 147.)
3) Das Phantasma als ein Hülfsmittel bei Bekän—
pfung des Affects. (S. unter Affect: Gegemmitkl
gegen den Affect.)
Phantaſt.
Wie man ein wirkliches Object auf: zweierlei entgegengefetzte Weit
betrachten kann: rein objectiv, genial, die Idee deſſelben erfaſſend; oder
gemein, blos in feinen dem Sat vom Grunde gemäßen Relationen zu
andern Objecten und zum eigenen Willen; fo kann man aud; ebene
ein Phantasma auf beide Werfen anfchauen. In ber erften Art be
teachtet, ift e8 ein Mittel zur Erfenntniß der Idee, im zweiten dal
wird das Phantasma verwendet, Tuftfchlöffer zu bauen, die der Selb:
fucht und der eigenen Laune zufagen. Der diefes Spiel Treibende it
ein Phantaft,; er wird leicht die Bilder, mit denen er ſich einjam er
gögt, in die Wirklichkeit mifchen, und dadurch für fie untauglid wer
ben; er wird die Gaufeleien feiner Phantafie vielleicht nicderfchreiben,
wo fie die gewöhnlichen ontane aller Gattungen geben, die feine
Gleichen und das große Publicum unterhalten, indem die Lefer fid an
die Stelle des Helden träumen und dann die Darftellung fehr „ge
müthlich“ finden. (W. I, 220.)
Philiſter.
1) Definition des Philiſters.
Nach der höhern transſcendentalen Definition ſind die Philiſter Leute,
die immerfort auf das Ernſtlichſte beſchäftigt find mit einer Realität,
Philoſoph 215
die feine iſt. (P. I, 362.) Vom populären Standpunkt aus betrachtet,
bilbet der Philifter den Gegenfag zum Muſenſohn, ift der amousog
avnp, der Menfch, der in Folge des fireng und knapp normalen
Maßes feiner intellectuellen Kräfte Keine geiftige Bedürfniffe hat.
8. 1, 362 fg.)
2) Folgen aus der Grundeigenfhaft des Philiſters.
Aus der Grundeigenſchaft des Philiftere, daß er ohne geiftige
Bedürfniffe ift, folgt erftlih in Hinfiht auf ihn jelbft, daß
er ohne geiftige Genüffe bleibt. Wirfliche Genüffe für ihn find
allein die finnlihen. Dieſe aber find bald erſchöpft, und der Philiſter
fällt, befonders wenn er im Wohlftand lebt, unausbleiblich der Lange»
weile anheim. Allenfalls bleiben ihm noch die Genüffe der Eitelkeit.
Zweitens in Hinfiht auf Andere folgt aus der Grundeigenfchaft des
philiſters, daß, ba er keine geiftige Bedürfniffe hat, er nicht den fuchen
wird, der diefe zu befriedigen im Stande ift. Ueberwiegend geiftige
Fähigkeiten an Anderen erregen vielmehr feinen Wiberwillen, ja feinen
Haß, weil er dabei nur ein Läftiges Gefühl von Inferiorität und dazu
einen heimlichen Neid verfpürt. Seine Werthſchätzung fällt demnach
nicht geiftiger Größe, fondern ausſchließlich dem Range und Reichthum,
der Macht und dem Einfluß zu. — Das große Leiden aller Bhitifter
ft, daß Idealitäten ihnen Feine Unterhaltung gewähren, ſondern fie,
am der Rangeweile zu entgehen, ftetS der Realitäten bedürfen. Diefe
aber find theils bald exfchöpft, theils führen fic Unheil herbei. (P. I,
363 fg. M. 313 fg.)
Philofoph.
1) Anlage, Eigenfhaften und Erforderniffe des Phi—
lofopben.
Die, welche dur das Studium der Geſchichte der Philofophie
Philofophen zus werden hoffen, follten aus berjelben vielmehr entnchmen,
daß Bhilofophen, eben fo jehr wie Dichter, nur geboren werben, und
jwar viel feltener. (P. U, 8.)
Die eigentliche pbilofophifche Anlage befteht zumächft darin, dag man
über das Gewöhnliche und Alltägliche fi zu verwundern fähig ift,
wodurch mar eben veranlaßt wird, da8 Allgemeine der Erfcheinung
zu feinem Problem zu machen. Der Intellect des gewöhnlichen Men⸗
ſchen, feiner urſprünglichen Beftimmung, als Medium der Motive dem
Villen dienftbar zu fein, noch ganz treu geblieben, ift weit davon ent⸗
ferat, fi) vom Ganzen der Dinge gleichfam ablöfend, demſelben gegen
über zu treten, und fo einftweilen als fir fich beftehend, die Welt rein
objectiv aufzufafien. Hingegen ift die hieraus entipringende philofo-
phiſche Verwunderung im Cinzelnen durch höhere Entwidefung der
Intelligenz bedingt. (W. II, 176. N. 75. M. 748.)
Mit der Steigerung "der Dentlichleit des Bewußtſeins tritt mehr
und mehr die Vefonnenheit ein und dadurch kommt es allınälig dahin
216 Philoſoph
daß bisweilen es wie ein Blitz durch den Kopf führt mit „mas if
das Alles?“ oder aud mit „wie ift es eigentlich beſchaffen?“ Bir
erftere Frage wird, wenn fie große Deutlichkeit und anhaltende Gegen
wart erlangt, den Philofophen, und die andere eben fo den Künfiler
oder Dichter machen. Dieferhalb alfo hat der hohe Beruf dieler Be:
ben feine Wurzel in der Beſonnenheit. (W. U, 435 fg. Bergl. Br:
fonnenpeit.)
Die gewöhnlichen Menfchen fehen in den Dingen ftets nur das
Einzelne und Individuelle derfelben, der Philofoph dagegen das Al
gemeine. Jene find ſich nur bewußt, ber und der Menſch zu ſein
daß fie aber liberbaupt ein Menſch find und welche Corollarien hieraus
folgen, das fällt ihnen kaum ein, ift aber gerade Das, was den Phe
fofophen beihäftigt. (PB. I, 3 fg.)
Zu wirfliden und ächten Leiftungen im der Philojophie if,
wie in der Poefie und den fchönen Künften, die erſte Bedingung cu
ganz abnormer Hang, der, gegen bie Regel der menfchlichen Natur,
an bie Etelle des fnbjectiven Streben nach dem Wohl der eigmm
Perfon, ein völlig objectives, auf eine der Perfon fremde Leiftun
gerichtetes Streben fett und eben deshalb fehr treffend ercentriid
genannt, mitunter wohl auch als donquichotiſch verfpottet wird. (P.
I, 164.)
Zum Philofophiren find die zwei erſten Erforderniſſe diefe: erflıd,
dag man den Muth Habe, feine Frage auf dem Herzen zu behalte,
und zweitens, dag man alles Das, was ſich von ſelbſt verſteht,
ſich zum deutlichen Bewußtſein bringe, um es als Problem aufn
faflen. Endlich au muß, um eigentlich zu philofophiren, der Geif
wahrhaft müßig fein; er muß feine Zwecke verfolgen und alſo mid
vom Willen gelenkt werden, fonbern fich ungetheilt der Belehrung hin⸗
geben, welche die anfchauliche Welt und das eigene Bewußtſein ifm
ertheilt. (P. II, 4.)
Auf Offenbarungen wird in der Philoſophie nichts gegeben, dab
ein Philofoph vor allen Dingen ein Ungläubiger fein muß. (N. Bor
rede X, Anmerk.)
Die Fähigkeit zur Philofophie befteht in Dem, worein Blato fir
fette, im Erkennen des Einen in Vielen und des Bielen im Eina.
(®W. I, 98.) |
Wem nicht zu Zeiten die Menſchen und alle Dinge wie bloft
Phantome oder Schattenbilder vorkommen, der hat feine Anlage
zur Philoſophie; denn Jenes entfteht aus dem Contraft ber einzelnen
Dinge mit ber Idee, deren Erfcheinung fie find, und die Idee il
nur für das höher gefteigerte Bewußtfeiu zugänglich. (H. 295.) Platon
jagt öfter, daß die Menſchen nur im Traume leben, der Philoſoph
allein fich zu wachen beſtrebe. (W. I, 20.)
Beim Philofophiren darf es, fo ſehr auch der Kopf oben zu bleiben
bat, doch nicht jo Faltblütig hergeben, daß uicht am Ende der gan
Menſch, mit Herz und Kopf, zur Action küme und durch und durch
Philofoph 217
erfhüttert würde. Philoſophie iſt lein Algebra⸗Exempel. Bielmehr
hat Bauvenargue Recht, indem er fagt: les grandes pensées
viennent du coeur. (®. II, 9.)
Dem Philoſophen muß bei aller Lebhaftigfeit der Anfchauung die
Reflerion immer ganz nahe liegen; ja, er muß einen gleichfam inftinct«
artigen Trieb haben, Alles, was er anfchaulich erkannt, fogleich in
Begriffen auszudrüden, wie geborene Maler bei Allem, was fie fehen
and bewundern, fogleich zum Griffel greifen. (M. 719. 5. 298 fg.)
Mehr, als jeder Andere, fol der Philofoph aus der Urquelle alles
unferd Erkennens, der Anfhauung, fchüpfen und daher ftets bie
Dinge felbft, die Natur, bie Welt, das Leben ins Auge fallen, fie,
und nicht die Bücher, zum Texte feiner Gebanfen machen, auch ftets
an ihnen alle fertig überkommenen Begriffe pritfen und controliren, die
Bücher Hingegen nur als Beihülfe benugen. Un der Natur, ber
Wirklichkeit, die nie Lügt, hat der Philofoph fein Studium zu machen,
und zwar an ihren großen, deutlichen Zügen, ihrem Haupt» unb
Grundcharakter. Demnach bat er die wejentlichen unb allgemeinen
Erfheinungen zum Gegenftande feiner Betrachtung zu machen, hin⸗
gegen bie feltenen , vorliberfliegenden , fpeciellen,, mitroflopifchen den
Fachgelehrten zu überlaffen. (P. II, 8. 51.)
Der Philoſoph muß alle Felder überfehen, ja, in gewiffen Grade
darauf zu Haufe fein, wobei diejenige Bolllommenheit, welche man nur
duch das Detail erlangt, nothwendig andgefchlofjen bleibt. Die mit
dem Detail der Specialwifienfchaften befchäftigten Gelehrten find den
Genfer Arbeitern zu vergleichen, deren Einer lauter Räder, der Andere
lauter Federn, der Dritte lauter Ketten macht; der Philofoph Bingegen
dem Uhrmacher, der aus dem Allen erſt ein Ganzes herborbringt, wel
ches Bewegung und Bedeutung hat. Auch kann man fie den Muſicis
im Orcheſter vergleichen, von welchen jeder Meifter auf feinem Inſtru⸗
ment ift, den Philoſophen Hingegen dem KRapellmeifter, der die Natır
und Behandlungsweife jedes Inſtruments kennen muß, ohne jedoch fie
alle, oder nur eines, in großer Vollkommenheit zu ſpielen. (W. II,
141 fg.)
2) Unterfhied zwifchen dem Philofophen und Gelehr-
ten. (5. Denker und Gelehrſamkeit.)
3) Unterfhied zwijchen dem Philofophen und Dichter.
Der Dichter bringt Bilder des Lebens, menfchliche Charaktere und
Situationen vor die Phantafie, ſetzt das Alles in Bewegung und über-
läßt nun Jedem, bei diefen Bildern fo weit‘ zu benfen, wie feine
Geiſteskraft reicht. Deshalb kann er Dienfchen von den verſchiedenſten
Fahigkeiten genügen. Der Philoſoph Hingegen bringt nicht in jener
Beife das Leben felbft, fondern die fertigen, von ihm daraus abſtra⸗
hirten Gedanken, und fordert nun, daß ſein Leſer eben ſo und eben ſo
gFe N rie er ſelbſt. Dadurch wird ſein Publicum ſehr klein.
.I, 5 fg.
218 Philoſoph
In Folge der weſentlich polemiſchen Natur der philoſophiſchen Ey
fteme iſt es unendlich ſchwerer, als Philofoph Geltung zu erlangen,
denn als Dichter. Berlangt doc des Dichters Werk vom Leer nichu
weiter, als einzutreten in die Reihe ber ihn unterhaltenden ober erhebenden
Schriften, und eine Hingebung auf wenige Stunden. Das Werk ie
Philoſophen Hingegen will feine Denkungsart ummälzen. Die Größe
des philofophifchen Publicums verhält ſich zu der des bichterticen,
wie die Zahl der Leute, die belehrt, zu der, die unterhalten fein wole.
(P. I, 6.)
Den ſchönen Künften, felbft der Poefie, ſchadet es wenig, daß fie
aud) zum Erwerb bienen; denu jedes ihrer Werke hat eine gefondete
Eriftenz für fih und das Schlechte kann das Gute fo wenig ver⸗
drängen, wie verdunfeln. Uber die Philofophie ift ein Ganzes, alle
eine Einheit, und ift auf Wahrheit, nicht auf Schönheit gerichtet; et
giebt vielerlei Schönheit, aber nur eine Wahrheit, wie viele Muſen,
aber nur eine Minerva. ben deshalb darf der Dichter getroft ver
fhmähen, das Schlechte zu geißeln; aber der Philofoph kann in ben
Sal kommen, dies thun zu müflen. (PB. I, 168.)
Der Dichter kann, um nicht von feinen poetifchen Gaben leben und
fie durch ſchnöden Erwerb profaniren zu müffen, neben der Poeſie cu
Gewerbe treiben. Wenn jene dann auch fich etwas beengt und behin
bert fühlen follten; fo können fie babei doch gedeihen, weil ja de
Dichter nicht große Kenntniſſe und Wiffenfchaft zu erwerben brand,
wie dies der Hall des Philoſophen if. Der Philoſoph Hingegen Tanz
aus dem angeführten Grunde nicht wohl ein Gewerbe neben der Phi:
fofophie treiben. Da nun aber das Geldverdienen mit der Philoſophie
feine anberweitigen umd großen Nachtheile hat, fo ift der Philoſoph
glücklich zu ſchätzen, der fich eines Erbguts erfreut. (P. II, 46119.)
Ein Dichter ift man nicht ohne einen gewiſſen Hang zur Verſtellung
und Balfchheit; Hingegen ein Philofoph nicht ohne einen gerade at-
gegengefeßten Hang. Dies ift wohl eine Fundamentaldifferenz beider
Seiftesrichtungen, die den Philofophen höher ftellt, wie er dem and
wirklich höher ſteht und feltener ift. (9. 295.)
4) Unterfchied zwifchen dem Philofophen und Sophiſter.
Das Geldverdienen mit der Philofophie war und blieb bei den
Alten das Merkmal, welches den Sophiften vom Philofophen unter
ſchied. Das Verhältniß der Sophiften zu den Philoſophen war dem
nach ganz analog dem zwifchen den Mädchen, die ſich aus Liebe hi
gegeben haben, und -den bezahlten Freudenmädchen. Diefe uralte
Anfiht hat ihren guten Grund und beruht darauf, daß die Philoſophie
gar viele Berlihrungspunkte mit dem Leben, dem öffentlichen, wie dem
der Einzelnen hat; weshalb, wenn Erwerb damit getrieben wird, al&
bald die Abficht das Uebergewicht über die Einficht erhält und aus
angeblichen Philofophen blos Barafiten der Philofophie werden; foldk
aber werden dem Wirken der ächten Philofophen hemmend und feindlich
Bhilofophenverfammiungen — Bhilofophie 219
entgegentreten, ja fich gegen fie verſchwören, um nur was ihre Sadıe
fördert zur Geltung zu bringen. (PB. I, 166—169; II, 462. W.
I, 178 fg.)
Philofophenverfammlungen.
Philofophenverfammlungen find eine contradictio in adjecto, da
Philoſophen felten im Dual und faft nie im Plural zugleih auf der
Belt find. (PB. I, 195.)
Philofophie.
1) Urfprung der Bhilofophie.
Die Philoſophie entfpringt aus einer Verwunderung über bie
Belt und unfer eigenes Dafein, indem diefe fi dem Intellect als ein
Näthfel aufbringen, deſſen Löſung fodann die Menfchheit ohne Unter:
laß beſchäftigt. (W. II, 175— 177. 188. Bergl. auch unter Meta⸗
phyſik: Urfprung ber Metaphyſik.)
Unfere flets an Individualität gebundene und eben hierin ihre Be⸗
Ihränfung habende Erfenntnig bringt ed nothwendig mit fih, daß
Jeder nur Eines fein, hingegen alle8 Andere erfennen kann, welche
Beſchränkung eben eigentlich) das Bedürfniß der Philofophie erzeugt.
(®. I, 125. 9. 300.)
Der Trieb zu philofophiren, der fehr allgemein in der Menfchheit
it, ber felbft des Roheſten fi bemädhtigt, kommt nicht etwa daher,
daß der Menfch fich erhaben über die Natur fühlt, daß jein Geift
ihn in Sphären höherer Art, aus der Endlichkeit in die Unendlichkeit
zieht, dag Irdiſche ihm nicht genügt u. dgl. m. Der Fall ift felten.
Sondern e8 kommt daher, daß der Menſch mittelft der Befonnenheit,
die ihm die Vernunft giebt, das Mißliche feiner Tage einfieht, und es
ihm ſchlecht gefällt, fein Daſein als ganz precair und ſowohl in Hin-
fit auf defien Anfang, als auf deſſen Ende, ganz dem Zufall unter-
worfen zu fehen, noch dazu es auf jeden Tall als äußerſt kurz zwifchen
zwei unendlichen Zeiten zu finden, ferner feine Perfon als verfchwin-
dend Hein im unendlichen Raume und unter zahllofen Weſen. Dies
jelbe Bernunft, die ihn treibt, für die Zukunft in feinem Leben zu
forgen, treibt ihn auch, über die Zukunft nach feinem Leben ſich Sorge
zu machen. Er wünfcht das AU zu begreifen, hauptſächlich, um fein
Verhältniß zu diefem AU zu erfennen. Sein Motiv iſt hier, wie
meiſtens, egoiftifch. (M. 739 fg.)
2) Aufgabe der Philofopbie.
‚Der Sag vom Grunde erklärt Verbindungen ber Erfcheinungen,
nicht biefe jelbft; daher kann Philofophie nicht darauf ausgehen, eine
causa efficiens oder eine causa finalis der ganzen Welt zu fuchen.
Die wahre Philofophie fucht keineswegs, woher oder wozu die Welt
da fei; fondern blos was die Welt if. Zwar Könnte man fagen,
das Was der Welt erkenne ein Geber ohme weitere Hllfe, da er das
220 Philoſophie
Subject des Erkennens, deſſen Vorſtellung ſie iſt, ſelbſt iſt. Allein
dieſe Erkenntniß iſt eine anſchauliche, iſt in concreto; dieſelbe in
abstracto wiederzugeben, das ſucceſſive, wandelbare Anſchauen un)
überhaupt alles Das, was ber weite Begriff Gefühl umfaßt, zu
einem abftracten, deutlichen, bleibenden Wiffen zu erheben, ift bie
Aufgabe der Philoſophie. Sie muß demnach eine Ausſage in ab-
stracto vom Weſen ber gejammten Welt fein, vom Ganzen, wie ver
allen Theilen. Um aber dennod nicht in eine endlofe Menge vom
einzelnen Urtheilen fich zu verlieren, muß fle fi) der Abftraction ke
dienen und alles Einzelne im Allgemeinen denken, feine Berfchiedenheiten
aber auch wieder im Allgemeinen; daher wird fie theilg trennen, theils
vereinigen, um alles Mannigfaltige der Welt überhaupt, feinem Ben
nah, in wenige abftracte Begriffe zufammengefaßt, dem Willen ze
überliefern. Die Philofophie wird demnach eine Summe fehr allge
meiner Urtheile jein, deren Erfenntnifgrund unmittelbar die Welt ſelbſt
in ihrer Geſammtheit ift, ohne irgend etwas anszufchließen; fie wird
fein eine vollftändige Wiederholung, gleichſam Abfpiegelung
ber Welt in abftracten Begriffen, welde allein möglich ii
durch Bereinigung des wefentlich Identiſchen in einen Begriff mi
Ausfonderung des Berfchiedenen zu einem andern. (W. I, 98h.
453. 320.)
Jeder ift noch himmelweit von einer philoſophiſchen Erkenntniß der
Welt entfernt, der vermeint, das Weſen derfelben irgendwie hiftorifh
faffen zu können; welches aber der Fall ift, ſobald in feiner Anuſich
bes Weſens an fich der Welt irgend ein Werden, oder Geworbeuein,
oder Werdenwerben ſich vorfindet. Solches hiſtoriſches Philofophirn
ftefert in den meiften Yällen eine Kosmogonie. Es laborirt an m
Fehler, die Zeit für eine Beſtimmung der Dinge an fid) zu nehmen
und daher bei der Erſcheinung ftehen zu bleiben. Die ächte phil
fophifche Betrachtungsweiſe dev Welt, d. 5. diejenige, welche und ih
inneres Weſen erkennen lehrt und jo über die Erfcheinung hinausführ,
ift gerade bie, welche nicht nach dem Woher und Wohin und Warum,
fondern immer und überall nur nach dem Was der Welt frägt, d.h |
welche die Dinge nicht nad) irgend einer Relation, nicht nad) eine
der Geftalten des Satzes vom Grunde betrachtet; fondern umgelehrl
gerade Das, was nach Ausfonderung diefer ganzen Betrachtungsart
noch übrig bleibt, da8 in allen Relationen erfcheinende, felbft aber ihnen
nicht unterworfene, immer fich gleiche Wefen der Welt, die Ideen
derfelben, zum Gegenſtand bat. (W. I, 32219.) -
Die Philofophie fol immanent fein und nicht fich verfteigen zu
überweltlichen” Dingen, fondern ſich darauf befchränten, die gegeben
Welt von Grund aus zu verftehen; diefe giebt Etojf genug. (P. I, 94.)
Philoſophie ift eigentlich da8 Beſtreben, durch die Vorftellung hin
durch Das zu erkennen, was nicht Vorftellung ift und doch aud in
ne felbft zu finden fein muß, fonft wir bloße Vorftellungen wären.
G. 338.) Ä
Philoſophie 221
Die Philoſophie iſt ſo lange vergeblich verſucht worden, weil man
ſie auf dem Wege der Wiſſenſchaft, ſtatt auf dem der Kunſt ſuchte.
Man ſuchte das Warum, ſtatt das Was zu betrachten; man ſtrebte
nach der Ferne, ſtatt das überall Nahe zu ergreifen; man ging nach
Außen in allen Richtungen, ſtatt in ſich zu gehen, wo jedes Räüthſel
zu löſen iſt. (M. 718—720. H. 299. 302 fg.) Die wahre Weis-
heit iſt nicht dadurch zu erlangen, daß man die gränzenloſe Welt
ausmißt, oder, was noch zweckmäßiger wäre, den endloſen Raum
perſönlich durchflöge; ſondern vielmehr dadurch, daß man irgend
en Einzelnes ganz erforſcht, indem man das wahre ımd eigentliche
Sen deſſelben volllommen erkennen und verſtehen zu lernen ſucht.
(W. I, 153.)
3) Unterfchied der Bhilofophie von ben Wiffen-
faften.
Die Philofophie oder Metaphyſik, als Lehre vom Bewußtfein und
deſſen Inhalt überhaupt, oder vom Ganzen der Erfahrung als folcher,
tritt nicht ein in die Wiffenfchaften; weil fie nicht ohne Weiteres der
Betrachtung, die der Sag vom Grunde heifcht, nachgeht, fondern zu-
vörderſt dieſen felbft zum Gegenftande hat. Eie ift als der Grundbaß
aller Wiffenichaften anzufehen, ift aber höherer Art, als diefe, und ber
Kunft faſt fo fehr, als der Wiffenjchaft, verwandt. (W. II, 140.)
Die Philoſophie hat zwar zu ihrem Gegenftande die Erfahrung,
aber nicht, gleich den übrigen Wifjenfchaften, diefe oder jene beſtimmte
Erfahrung; fondern die Erfahrung felbft, überhaupt und als ſolche,
ihrer Möglichkeit, ihrem Gebiete, ihrem wefentlichen Inhalte, ihren
mer und äußern Elementen, ihrer Form und Materie nad. (P.
‚ 18.)
Da, wo die Naturtiflenfchaft, ja jede Wiſſenſchaft, die Dinge ftehen
läßt, indem nicht nur ihre Erklärung derfelben, fondern fogar das
Brincip diefer Erklärung, der Sag vom Grunde, nicht über biefen
Punkt hinausführt, da nimmt eigentlich die Philofophte die Dinge auf
und betrachtet fie nad) ihrer, don jener ganz verjchiedenen Weile. —
Die Philoſopie hat das Eigene, daß fie gar nichts als bekannt vor-
ausfegt, fondern Alles ihr in gleichem Maße fremd und ein Problem
it, nicht nur die Verhältniſſe der Erfcheinungen, fondern auch diefe
fbft, ja, der Say vom runde felbft, auf welchen Alles zurüdzu-
führen die andern Wiffenichaften zufrieden find, durch welche Zurüd-
führung bei ihr aber nichts gewonnen wäre, da ein Glied der Neihe
iht fo fremd ift, wie das andere, ferner auch jene Art des Zufammen-
hanges felbft ihr eben fo gut Problem ift, als das durch ihn Ver⸗
tnüpfte, und biefes wieder nach aufgezeigter Verknüpfung fo gut, als
vor derfelben. Denn eben Jenes, was die Wiflenfchaften vorausfegen
md ihren Erflärungen zum Grunde Iegen und zur Gränze jegen, ift
gerade das eigentliche Problem der Philofophie, die folglich inſofern
222 Philoſophie
da anfängt, wo die Wiſſenſchaften aufhören. (W. I, 86 fg.
auch unter Metaphyſik: Verhältnig ber Metophufit ; zur —5*
Der Philoſoph bleibt nicht bei der Maſchinerie der Welt ſiehen,
wie der Aftronom, fondern ſucht den Sinn derfelben zu entruthſeln.
(PB. II, 685; I, 136.)
4) Öegenjag zwifchen PHilofophie und Theologie.
Das Reden von einer chriftlichen Philofophie fommt ungefähr fo
heraus, wie wenn man von eimer chriftlichen Arithmetik reden welt,
die fünf gerade fein ließe. Dergleichen von Gfaubenslehren entnom-
mene CEpitheta find zudem ber Philofophie offenbar umanftändig, da
fie fi) für den Verſuch der Vernunft giebt, aus eigenen Mitteln und
unabhängig von aller Auctorität da8 Problem des Dafeins zu löſen
As Wiffenjchaft hat fie durchaus nicht damit zu thun, was geglaubt
werben darf, oder foll, oder muß; fondern blos damit, was fid
wiffen läßt. Sollte diefes nun aud als etwas ganz Anderes ſich
ergeben, als was man zu glauben Hat; jo würde ſelbſt dadurch der
Glaube nicht beeinträchtigt fin; denn baflir iſt er Glaube, baß er
enthält, was man nicht wiſſen kann. (P. I, 155.)
Die Philoſophie ift wefentlich Weltweißheit; ir Problem ift di
Welt, mit diefer allein hat fie es zu thun und läßt die Götter m
Ruhe, erwartet aber dafür, auch von ihnen in Ruhe gelaffen zu wer-
den. (W. II, 209.) Die Bhilofophie muß Kosmologie bleiben und
kann nicht Theologie werden. (W. II, 700.
Die, welche die Philofophie als jpeculative Theologie betrachten und
behandeln, willen nichts davon, dag man frei und unbefangen an det
Broblem des Dafeind gehen und die Welt nebft den Bewußtfein, darın
fie fich darſtellt, als das allein Gegebene, das Problem, das Räthiel
der alten Sphinz, vor die man bier kühn getreten ift, betrachten ſoll.
Sie ignoriren klüglich, daß Theologie, wenn ſie Eingang in die Phi⸗
lofophie verlangt, gleich allen andern Lehren, erſt ihr Creditiv vorzu⸗
weiſen hat. Die — iſt feine Kirche und Feine Re
ligion. Sie ift das Heine Fleckchen auf ber Welt, wo die ſtets und
überall gehaßte und verfolgte Wahrheit ein Mal alles Drudes und
Zwanges ledig fein, ja fogar die Prärogative und das große Wort
baben, abjolut allein herrſchen unb Fein Anderes neben fich gelten laffen
fol. (®. I, 205 fg.)
Die Boilofopgie —* ben Anſpruch und Hat daher die Verpflid-
tung, in Allem, was fie fagt, sensu strieto et proprio wahr ji
fein; denn fie wendet ſich an das Denken und die Ueberzeugung. Die
Religion hingegen, für die Unzähligen beſtimmt, welche, der Prüfung
und des Denkens unfähig, die tiefſten und ſchwierigſten Wahrheiten
sensu proprio nimmermehr faffen würden, hat aud) nur die Verpflid«
tung, sensu allegorico wahr zu fein. Nadt Tann die Wahrheit vor
dem Bolfe nicht erfcheinen. (W. II, 183. 721. H. 296. Bergl. auf)
unter Metaphyſik: Unterfchied zweier Arten von Metaphyſil.)
Philoſophie 223
5) Berhältniß ber Philofophie zur Kunſt. (S. unter
Kunft: Verwandtſchaft der Kunft mit der Philoſophie und
Unterfchieb beiber.)
6) Berhältniß der PHilofophie zur Geſchichte. (S. Ge⸗
ſchichte.)
7) Methode der Philoſophie.
Der gegebene Stoff jeder Philoſophie iſt kein anderer, als das em⸗
piriſche Bewußtſein, welches in das Bewußtſein des eigenen Selbſt
Selbſtbewußtſein) und in das Bewußtſein anderer Dinge (äußere An⸗
ſchauung) zerfält. Denn dies allein iſt das Unmittelbare, das wirklich
Gegebene. Jede Philoſophie, die ſtatt hiervon auszugehen, beliebig
gewählte abſtracte Begriffe, wie z. B. Abſolutum, abſolute Subftanz,
Gott, Unendliches, Endliches, abſolute Identität, Sein, Weſen u. ſ. w.
zum Ausgangspunkte nimmt, ſchwebt ohne Anhalt in der Luft, kann
daher nie zu einem wirklichen Ergebniß führen. Eine Philoſophie aus
bloßen Begriffen würde eigentlich unternehmen, aus bloßen Theil⸗
vorſtellungen (denn das ſind die Abſtractionen) herauszubringen, was
in den vollſtändigen Vorſtellungen (den Anſchauungen), daraus jene
durch Weglafſen abgezogen ſind, nicht zu finden iſt. Die Möglichkeit
der Schlüſſe verleitet hiezu, weil hier die Zuſammenfügung der Ur⸗
theile ein nenes Reſultat giebt; wiewohl mehr ſcheinbar, als wirklich,
indem der Schluß nur heraushebt, was in den gegebenen Urtheilen
ſchon lag; da ja die Concluſion nicht mehr enthalten kann, als die
Prämiſſen. Begriffe find freilich das Mlaterial der Philofopbie, aber
num fo, wie der Marmor das Material des Bildhauers ift; fie foll
niht aus ihnen, ſondern in fie arbeiten, d. 5. ihre Reſultate in
ifnen niederlegen, nicht aber von ihnen, als dem Gegebenen, ausgehen.
W. M, 89 fg.)
Allgemeine Begriffe ſollen zwar der Stoff fein, in welden bie
Philofophie ihre Erkenntniß abfegt und niederlegt; jedoch nicht die
Duelle, aus der fie ſolche jchöpft, aljo ber terminus ad quem, nidjt
a quo. Sie ift nicht, wie Kant fie definirt, eine Wiſſenſchaft aus
Begriffen, fondern in Begriffen, aus der anſchaulichen Erkenntniß, der
alleinigen Duelle aller Evidenz, geſchöpft. (W. II, 48; 1, 537.)
It doc das ganze Eigenthum der Begriffe nichts Anderes, als was
darin niedergelegt worben, nachdem man es der anjchaulichen Erkennt»
niß abgeborgt und abgebettelt hatte, dieſer wirklichen und unerfchöpf-
fihen Duelle aller Einſicht. Daher läßt eine wahre Bhilofophie fich
nicht herausfpinnen aus bloßen abftracten Begriffen, jondern muß ge»
gründet fein auf Beobachtung ımd Erfahrung, fowohl innere als
äußere. Auch nicht durch Combinationsverfuhe mit Begriffen in der
Deife Fichtes Schellings, Hegels wird je etwas Rechtes in der Phi⸗
loſophie geleiftet werden. (P. U, 9.) Wenn alle Lehren einer Philo⸗
ſophie bloß eine aus der andern und zulegt wohl gar aus einem erften
Sage abgeleitet find; fo muß fie arm und mager, mithin aud) lang⸗
224 Bhilofophie
weilig ausfallen; ba aus keinem Sage mehr folgen kann, als was er
eigentlich ſchon jelbft befagt; zudem hängt dann Alles von ber Rich⸗
tigkeit eine® Satzes ab, und durch einen einzigen Fehler im der Ab
feitung wäre die Wahrheit bes Ganzen gefährdet. (W. II, 207. p.
I, 142fg. — Bergl. au unter Abftract: Gegen das Ausgehen
von abftracten Begriffen in der Philofophie; ferner unter Metaphyſil:
Erfenntnigquellen der Metaphyſik; und unter Methode: Allgemein
Hegel zur Methode alles Philofophirens.)
Der philofophifche Schriftfteller ift der Führer und fein Leer de
nberer. Sollen fie zufammen anlommen, fo müſſen fie vor allm
Dingen zufammen ausgehen. Daher ift nur das und Allen gemem-
fame empirifche Bewußtfein ber richtige Ausgangspunkt. Verkehrt hin⸗
gegen ift es, ben Ausgang nehmen zu wollen vom Stanbpunfte einer
angeblich intelectuellen Auſchauung hyperphyſiſcher Verhältniſſe, oter
auch einer das Weberfinnlicdye vernehmenden Vernunft, u. ſ. w.; dem
das Alles Heißt vom Standpunkte nicht ummittelbar mittheilbarer Er⸗
fenntniffe ausgehen. (P. HI, 6 fg.)
Im Großen und Ganzen betrachtet, ftehen ſich in der Philoſophit
als zwei grundverſchiedene Weifen Rationalismus und Illumi⸗
nismus, d. 5. der Gebrauch der objectiven und der fubjectiven Cr-
tenntnißquelle gegenüber. Der Illuminismus, wejentlich nad innen
gerichtet, hat innere Erleuchtung, intellectuelle Anfchauung, u. |. w.
zum Organon und ſchützt den Rationalismus ald das „Licht der Natır“
gering. Sein Grundgebrechen ift, daß feine Erkenntniß eine nidt
mittheilbare if. Als nicht mittheilbar ift eine dergleichen Erfenntnif
auch unerweislich. Allein die Philofophie fol mittheilbare Er
Ienntniß, muß daher Rationaligmus fein und darf daher nicht unter
nehmen, die legten Aufjchlüffe iiber das Dafein ber Welt zu geben,
fondern nur fo weit gehen, als es auf dem objectiven, rationaliftiichen
Wege möglich if. Das Iante Berufen auf intellectuelle Anfchauung
und die breifte Erzählung ihres Inhalts, wit dem Anſpruch auf or
jective Gültigkeit berfelben, wie bei Fichte und Scelling, ift unver
fhämt und verwerflih. Die Syſteme, welche von einer intellectueln |
Anſchauung, d. ı. einer Art Ekſtaſe oder Helljehen, ausgehen, geben
keine Gewährleiftung ; jebe fo getvonnene Erkenntniß muß als fubjectid,
individuell und folglich problematiſch, abgewiefen werden. (P. I,
9—11. W. II, 207.)
An ſich felbft iſt zwar der Illuminismus ein natürlicher und injo-
fern zu rechtfertigender Berfuch zur Ergründung der Wahrheit. Dem
ber nah Außen gerichtete Intellect, als bloßes Organ für die Zwede
bes Willens und folglich als blos Secundäres, ift doch nur ein
Theil unſers gefammten menfchlichen Weſens. Was kann alfo natür-
licher fein, als, wenn es mit dem objectiv erlennenden Intellect miß⸗
lungen ift, nunmehr unfer ganzes übriges Weſen, welches doch and
Ding an ſich fein muß, mit ind Spiel zu bringen, um durch ſelbiges
Hülfe zu fuchen. Aber bie allein richtige und objectiv gültige Art,
Philoſophie 295
ſolches auszuführen, ift, daß man die empirifche Thatjache eines in
unferm Innern fi Eundgebenden, ja befien alleiniges Weſen aus-
machenden Willens auffaffe und fie zur Erklärung ber objectiven, äußern
Erfemtniß anwende. Hingegen führt der Weg des Illuminisnius aus
den dargelegten Gründen nicht zum Zwecke. (P. II, 11fg. Bergl.
auch unter Myftil: Gegenfag zwischen Myſtik und Philofophie.)
Jedes angeblide vorausjegungslofe Verfahren in der Philo-
fophie ift Windbeutelei; denn immer muß man irgend etwas als ge-
geben anfehen, un davon auszugehen. Ein folder Ausgangspunkt des
Philoſophirens, ein ſolches einftweilen al® gegeben Genommenes, muß
aber nachınald wieder compenfirt und gerechtfertigt werden. Daſſelbe
wird nämlich entweder ein Subjectives fein, alfo etwa das Selbft-
bewußtfein, die Vorſtellung; oder aber ein Dbjectives, etiva die
reale Welt, die Natur, die Materie u. f.w. Um nun alfo die Bierin
begangene Willkitrlichleit wieder auszugleichen und die Borausjegung
zu rectificiren, muß man nachher den Standpunkt wechſeln und auf
den entgeyengejegten treten, von welchem aus man nun das Anfangs
als gegeben Genommene in einen ergänzenden Philofophem wieder ab-
leitet. (P. DO, 35.) Jede unvollftändige und einfeitige Auffaffung der
Welt bat nur relative Wahrheit und bedarf einer Ergänzung; denn
nur der höchfte, Alles überfehende und in Rechnung bringende Stand-
punft Tann abfolute Wahrheit liefern. (P. II, 13 fg.)
8) Eintheilung der Philofophie.
Die Eintheilung der Philofophie in theoretifche und praltiſche iſt
zu verwerfen. Alle Philoſophie ift immer theoretifch, indem es ihr
meientlich ift, fich, was auch immer der nächfte Gegenftand der Unter-
fuhung fei, ſtets rein betrachtend zu verhalten und zu forfchen, nicht
vorzufchreiben. Hingegen praftifch zu werben, das Handeln zu leiten,
den Charakter umzuſchaffen, find alte Anſprüche, die fie, bei gereifter
Einfiht endlich aufgeben follte. (W. I, 319 fg.)
Da die BPhilofophie die Erfahrung, nicht diefe oder jene be-
ftimmte, fondern die Erfahrung überhaupt, zu ihrem Gegenftande
bat, jo hat fie zuerft das Medium zu betrachten, in welchem bie Er-
fahrung überhaupt fich barftellt, die VBorftellung. Deshalb hat jede
Philoſophie mit der Unterfuchung des Erlenntnißvermögens an«
zufangen. Diefe zerfällt in die Betrachtung der primären, d. i. an⸗
ſchaulichen Borftellungen (Dianoiologie oder Berftandeslehre), und
in die Betrachtung der fecundären, db. ti. abftracten Borftellungen
(Logik oder Bernunftlehre).
Die auf diefe Unterfuchungen folgende Philofophie im engern Sinne
ft fodaın Metaphyſik. (PB. Il, 18 —20. Weber die Metayphyſik
und ihre Eintheilung ſ. Metaphyſik.)
Schopenhauer⸗Lexilon. II. 15
236 Philoſophie
9) Geſchichte der Philoſophie.
a) Quelle für das Studium der Geſchichte der Phi—
loſophie.
Statt der ſelbſteigenen Werke der Philoſophen allerlei Darlegungen
ihrer Lehren, oder überhaupt Geſchichte der Philoſophie zu leſen, iſt wie
wenn man fi fein Eſſen von einem Andern kauen laſſen wollte.
Würde man wohl Weltgefchichte lejen, wenn es Jedem freiftünde, die
ihn intereffirenden Begebenheiten der Vorzeit mit eigenen Augen zu
ſchauen? Hinſichtlich der Gejchichte der Philofophie num aber iſt eine
ſolche Autopfie ihres Gegenftandes wirklich zugänglich im den fett:
eigenen Schriften der Philofophen. Aus diefen alfo ift das Wejentlide
ihrer Lehren authentiſch und unverfälfcht Tennen zu Ternen. — Exhr
zwedmäßig wiirde eine mit Sorgfalt und Sachkenntniß verfertigte
große und allgemeine Chreftomathie aus den Werten fänımtlicher Hanpt-
philofophen, in chronologijch- pragmatijcher Ordnung zufammengeftellt,
fein. (®. I, 35 fg.)
b) Weberfiht über den Zufammenbang und Ent:
widlungsgang in der Geſchichte der Philofophie
Es ift ein Zufammenhang in der Gefchichte der Philofophie und
auch ein Fortſchritt, fo gut als in der Geſchichte anderer Wiſſer⸗
haften. Wenn in der Philofophie, wie die Feinde derfelben behaup
ten, noch nie etwas geleiftet worden, noch fein Wortfchritt gemadt
worden und eine Philojophie fo viel werth wäre, als die andere; ſo
wären nicht nur Blato, Ariftoteles und Kant Norren, fondern diele
unnigen Zräumereien hätten auch nie die übrigen Wiffenfchafte weiter:
fördern Tünnen. Davon ift aber das Gegentheil aus dem thatfächlichen
Einfluß der Philoſophie auf alle Wiflenfchaften zu erfehen. Aud
nimmt man, wenn man die Gefchichte der Philofophie im Ganzen
überblicdt, ſehr deutlich, einen Zufammenhang und einen Fortſchrit
wahr, dem ähnlich, den unfer eigener Gedanfengang hat, wenn wir kei
einer Unterfuchung eine Vermuthung nach der andern verwerfen, eben
dadurch der Gegenftand immer mehr aufgehellt wird, und wir zulett
erkennen, entweder wie ſich die Sache verhält, oder doch wie weit fid
etwa® davon wiſſen läßt. Nehmen wir nun eine gewifje nothiwendige
Entwidelung und Fortfchreitung in der Gefchichte der Philoſophie an,
jo müſſen wir aud die Irrthümer und Fehler als im gewiſſen Sim:
nothwendige erfennen, müſſen fie anfehen, wie im Leben des einzelnen
vorzüglichen Menſchen die Berirrungen feiner Jugend, die nicht ver:
hindert werden durften, damit er eben vom Leben felbft diejenige Art
der Belehrung und Selbſtkenntniß erhielte, die eben nur durch Erfah⸗
rung erlangt wird. Demnach Fonnte die Geſchichte ber Philofophie
nicht mit Kant, ftatt mit Thales, anfangen. Iſt aber eine ſolche mehr
oder minder genau beftimmte Nothwendigkeit in der Geſchichte der
Philofophie, jo wird nıan, um Kant vollftändig zu verftehen, auch feine
Philofophie 227
Vorgänger kennen müſſen, zuerft die nächften, ben Chr. Wolf, den
Hnme, den Lode, danıı aufwärts bis auf Thales. (M. 741-745.)
Im Geifte des Einzelnen ift die Anlage und der Hang, denfelben
Gang zu gehen, den die Erkenntniß des ganzen Menſchengeſchlechts
gegangen iſt. Diefer Gang fängt an mit dem Nachdenten über die
Außenwelt, aber er endigt mit dem Nachdenfen über ſich ſelbſt. Dan
fängt damit an, über das Object, über die Dinge der Welt beftimmte
Ausfprüche zu thun, wie fie an fich find und fein müſſen; dies Ver-
führen heißt Dogmatismus. Dann erheben ſich Zweifler, Leugner,
daß man irgend etwas davon wiſſen fünne, d. i. der Skepticismus.
Spät erfchien, nämlich mit Kant, der Kriticismus, der als Richter
Beide hört, ihre Anſprüche abwägt, durch eine Unterfuchung nicht der
Dinge, fondern des Ertenntnißvermögens überhaupt. In der
occidentalifchen PBhilofophie, welche wir von der orientalifchen in Hin-
doftan, die gleich Anfangs einen viel kühnern Flug nahm, günzlid)
unterfcheiden müflen, finden wir diefen natürlichen Gang vom Dog—
matismus dur den Skepticismus Hindurd zum Kriticismus. (M.
T5ı1fg. P. I, 9. 9. 297.)
c) Hinderniß des Fortfhritts der Bhilofophie. (©.
unter Metaphyſik: Urfache der geringen Fortſchritte der
Metaphyſik.)
10) Gegenſatz zwiſchen vulgärer und höherer Phi—
loſophie.
Degen der großen intellectuellen Verſchiedenheit der Menſchen paßt
nicht Eine Philofophie für Alle, fondern eine jede zieht, nad) Gefegen
der Wahlverwandtichaft, dasjenige Publicum an ſich, deffen Bildung
und Geiftesfräften fie angemefjen iſt. Daher giebt es allezeit eine
niedrige Schulmetaphyſik, für den gelehrten Plebs, und eine höhere,
für die Elite. Mußte doch 3. B. aud Kants hohe Lehre erft für die
Schulen herabgezogen, und verdorben werden durd) Fries, Kung, Salat
und ähnliche —* (P. II, 363 fg. H. 303 fg.)
Daß diefelbe Philojophie fir Narren und Weife taugen folle, ift
eine unbillige Forderung, angefehen, daß die intellectuelle Verſchieden⸗
heit der Menfchen fo groß ift, wie die moralifche, und das will viel
jagen. (9. 304 fg.)
11) Einfluß und Macht der Bhilofophie.
Die Bhilofophie begründet die Denfungsart des Zeitalter. (PB. 1,
168.) Sie leitet aus dem Fundament die Meinung; diefe aber be-
herrfcht die Welt. Daher ift die Philoſophie eigentlid) und wohlver-
itanden auch die gewaltigfte materielle Macht, jedoch fehr langſam
wirfend. Die jedesinalige Philofophie ift der Grundbaß der Geſchichte
jeder Zeit. (P. II, 598.) Wir fehen durchgängig, daß zu jeder Zeit
der Stand aller übrigen Wiffenfchaften, ja auch der Geift der Zeit
und dadurch die Gefchichte der Zeit ein ganz genaues Verhältniß zur
Bin.
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2928 Bhilofophieprofefforen — Phyfiatrik
jedesmaligen Bhilofophie hat. Wie die PHilofophie eines Zeitalters
befchaffen ift, fo ift auch jedesmal alles Treiben in den übrigen Wiſſen⸗
haften, in den Küuften und im Leben. (M. 742 fg.) Die Philofophie
wird nicht durch den Zeitgeift beftimmt, fondern umgekehrt. Wäre im
Mittelalter die Philofophie eine andere gewefen, fo hätte fein Gregor VIL.
und feine Kreuzzüge beftehen Können. Uber der Zeitgeift wirft negativ
auf die Philofophie, indem er die zu ihr fähigen Geifter nicht zw
Ausbildung und nicht zue Sprache gelangen läßt. (M. 744.)
12) Stänze der PhHilofophie.
Eine Philoſophie aufftellen zu wollen, die keine Tragen mehr übrig
ließe, wäre Vermeſſenheit. In diefem Sinne ift Philofophie wirtid
unmöglich; fie wäre Allwifjenheitölehre. Wber est quadam prodire te
nus, si non datur ultra; es giebt eine Gränze, bis zu welcher das -
Nachdenken vordringen und jo weit die Nacht erhellen kann, wenngleich
der Horizont ſtets dunkel bleibt. (W. II, 677. 327. Bergl and i
unter Metaphyſik: Schranken der Metaphyſik und unter Ding an
fi: Warum unfere Erfenntniß des Dinges an fic Keine erſchöpfende,
adäquate: ift.)
Philofophieprofefforen, f. Univerjitätsphilofoppie.
Phlegma. Phlegmatiker.
1) Das Phlegma ale Folge des Vorherrfdene ber
Neproductionskraft.
Wenn die im Zellgewebe objectivirte Reproductionskraft, die
den Hauptcharafter der Pflanze und bes Pflanzlichen bildet, im Ma:
hen vorherricht, fo vermuthen wir Phlegma, Langſamkeit, Trägkeit,
Stumpffinn; wiewohl diefe Vermuthung nicht immer ganz beftätigt
wird. (N. 31.)
2) Öegenfag zwifhen dem Phlegmatiler und dem
Genie.
Genie ift durch ein leidenſchaftliches Temperament bedingt, und ein
phlegmatifches Genie ift umbenkbar. (W. II, 319. 449. Bergl. Gr
nie.) Andererſeits find die Phlegmatici in der Regel von fehr mittel:
mäßigen Geiftesfräften, und ebenfo ftehen die nördlichen, faltblütigen
und phlegmatifchen Völker im Allgemeinen den füblichen, lebhaften und
leidenfchaftlichen an Geiſt merflih nad. (W. II, 319.)
3) Die angeborene Tugend der Phlegmatifer. (S. Ge:
duld.)
Phrenologie, |. Schädellehre.
Phofiatrik, f. Krankheit.
Phyſit — Phnfitotheologie 229
Phofik.
1) Gegenftand der Phyfik.
Die Phyfik, im weiteften Sinne genommen, bat zu ihrem Gegen-
Rande die Erfcheinung, d. i. die Oberfläche der Welt. Die genaue
Kenntniß diefer ift die Phyſik. (P. IL, 98.) Mit der Erflärung der
Erſcheinungen in ber Welt finden wir die Phyſik (im woeiteften
Einne des Worts) befchäftigt. (W. II, 190.)
2) Gränze der Phyſik.
Die Phyſik (dies Wort im weiten Sinne ber Alten genommen),
alfo Naturwiffenfchaft überhaupt, muß, indem fie ihre eigenen Wege
verfolgt, in allen ihren Zweigen zulegt auf einen Punkt kommen, bei
dem ihre Erflärungen zu Ende find; diefer ift das Metaphyſiſche,
welches fie nur als ihre Gränze, darüber fie nicht hinauskann, wahr-
mmmt, dabei ftehen bleibt und nunmehr ihren Gegenftand ber Meta-
phyſik überläßzt. Dieſes der Phyfit Unzugängfiche und Unbelannte, bei
dem ihre Forſchungen enden und welches nachher ihre Erklärungen als
dad Gegebene vorausfegen, pflegt fie zu bezeichnen mit Ausdrücken wie
Naturkraft, Lebenskraft, Bildungstrieb u. dgl, welche nicht mehr fagen
als X. Y. 3. (N. 4.)
3) Das Ungenügende der Phyſik. (S. unter Metaphyſik:
Verhältniß der Metaphyſik zur Phyſik, und unter Natura-
ralismns: Unzulänglichkeit des Naturalismus.)
4) Die abfolute Phyſik. (S. Naturalismus.) .
5) Phyſikaliſche Unterfuhungen und Wahrheiten ver-
gliden mit ethiſchen. (S. unter Moral: Wichtigkeit
der moraliſchen Unterfuchungen.)
6) Ueber die mechaniſche und atomiftifche Phyfil. (©.
Mehanit nd Atom, Atomiftik.)
Phpfiker, ſ. Naturforfcher.
Phofikotheologie. ”
Alle Phyſikotheologie ift eine Ausfilhrung des der Wahrheit (von
der fecundären Natur des Intellects) entgegenftehenden Irrthums, daß
die volllommenſte Art der Entftehung der Dinge die durch Vermittelung
eines Intellects fei. Daher eben ſchiebt diefelbe aller tiefem Er⸗
gründung der Natur einen Riegel vor. (W. U, 305.) Die Phyfiko-
theofogie ergiebt ſich als die Ausführung einer falfchen Grundanficht
der Natur, welche die unmittelbare Erfcheinung oder Objectivation
des Willens zu einer blos mittelbaren herabſetzt, alfo ftatt in den
Naturwefen das urfprüngliche, urkräftige, erfenutnißlofe und eben des⸗
bald unfehlbare fichere Wirken des Willens zu erfennen, es auslegt als
ein blos ſecundäres, erft am Lichte der Erkenntniß und am Leitfaden
der Motive vor fich gegangenes, und fonad) das von innen aus Ge.
20 Phyſioguomie. Phyfiognömit.
triebene auffaßt als von außen gezinmmert, gemodelt und gefcgmigt.
(B. I, 117 fg. N. 37.) Diefe falſche Grundanſicht iſt die Bafıs,
auf welcher der phyfitotheologifche Beweis für das Dafein Gottes be:
ruht. (N. 37. Bergl. iiber den phyſikotheologiſchen Beweis unte
Gott: Beweife fiir das Dafein Gottes.)
Phofiognomie. Phpfiognomik.
1) Bedeutfamteit der Bhyfiognomie.
Wie aus einer richtigen Metaphyfit folgt, dap im Angeborenen,
nicht im Ermworbenen das eigentliche Wefen eines Menſchen Liegt, Ic
bezengt dies auch das große Gewicht, welches Alle auf die Phyfiogno-
mie und das Aeußere, alfo das Angeborene jedes irgendiwie ausgezrich
neten Menfchen legen und daher fo begierig find, ihm zu fehen. ($.
II, 244.) Das Gewicht, welches allgemein auf bie Phyfiognomie ge:
legt wird, und bie allgenreine Begier, einen irgendwie Auegezeichneten
zu fehen, wäre unerklärlich, wenn, wie einige Thoren wähnen, tat
Ausfehen eines Menfchen nichts zu bedenten hätte, indem ja die Seele
eines und der Leib das Undere wäre, zu jener ſich verhaltend, wie zu
ihm jelbft fein Rod. (PB. II, 670.)
2) Schwierigkeit der Entzifferung der Phyfiognomie.
Der Grundſatz, von dem Alle ftilfchweigend ausgehen, dag Jean
ift wie er ausſieht, ift richtig; aber die Schwierigkeit liegt in da
Anwendung. Die Entzifferung des Geſichts ift eine große und ſchweit
Kunft. Ihre Principien find nie in abstracto zu erfernen. ($. 1.
670 fg.)
3) Warum das Berftänduiß der Phyfiogmomie ein
Sade der Intuition, nicht ber Reflerion iſt.
Wie bei allen jenen Berrichtungen, bei denen der Verſtand, die au
Ihauliche Erkenntniß, die Thätigfeit unmittelbar leiten muß, die Yu
wendung der Bernunft, die Reflerion ftörend wird, fo auch bei tar
Ti wie m &
u
Berftändniß der Phyfiognomie; auch diefe muß unmittelbar duch de ,
Berftand gefchehen, der Ausdrud, die Bedeutung der Züge läßt jih
nur fithlen, fagt man, d. h. geht nicht in die abftracten Begriffe cin.
Feder Menſch Hat feine unmittelbare intuitive Phyſiognomik und Pate
gnomik. Aber eine Phnfiognomif in abstracto zum Lehren m
Lernen ift nicht zu Stande zu bringen, weil die Nitancen hier fo fer
find, daß ber Begriff nicht zu ihnen herab Tann. Die Begriffe mit
ihrer Starrheit und fcharfen Begränzung find, fo fein man fie and
dureh nähere Beſtimmung fpalten möchte, ſtets unfähig, die feinen
Modificationen des Anfchaulichen zu erreichen, auf weldye es bei da
Phyſiognomik gerade ankommt. (W. I, 67.)
4) Bedingungen zur richtigen Deutung der Phy-
fiognomie.
Die erfte Bedingung zur richtigen Deutung der Phyfiognomie if,
dag man feinen Dann mit vein objectivem Blick auffafle So—
Phyſioguomie. Phyfiognomit 231
bald die leiſeſte Spur von Abneigung, oder Zuneigung, ober Furcht,
oder Hoffnung, kurz irgend etwas Subjectives ſich einmifcht, verwirrt
und verfälfcht fich die Dierogigphe. Die Bhyfiognomie eines Menfchen
fieht rein objectiv nur Der, welcher ihm noch fremd if. Demgemäß
hat man den rein objectiven Eindrud eines Geſichts, und dadurd) die
Möglichkeit feiner Entzifferung, fireng genommen, nur beim erften Aus
blid. (P. U, 671. 673.)
Um die wahre PBhyfiognomie eines Menſchen rein und tief zu er»
faffen, muß man ihn beobachten, wann er allein und fich felbft über-
laffen dafigt. Schon jede Geſellſchaft und fein Gejpräh mit einem
Andern wirft einen fremden Reflex auf ihn. Hingegen allein und ſich
felber überlaffen, — nur ba ift er ganz und gar er ſelbſt. Da kann
aan tief eindringender phyftognomifcher Blick fein ganzes Weſen im Al-
gemeinen auf Ein Mal erfajlen. (B. II, 674 fg.)
5) Warum es leichter ift, die intellectuellen, als die
moraliiden Eigenfchaften aus der Phyfiognomie
zu erfennen.
Es iſt auf phyſiognomiſchem Wege viel leichter, die intellectuellen
Fähigkeiten eines Menfchen, als feinen moralifchen Charakter, zu ent⸗
deden. Bene nämlich fchlagen viel mehr nad) außen. Sie haben ihren
Ausdrud nicht nur am Geſicht und Dienenfpiel, fondern auch am
Gange, ja, an jeder Bewegung, fo Hein fie auch fei. Der moralische
Charakter dagegen, als ein Metaphyſiſches, Liegt ungleich tiefer und
hängt zwar auch mit der Korporifation, dem Organismus, zufammen,
jboh nit fo unmittelbar und ift nicht an einen beftunmten Theil
und Syſtem defielben geknüpft, wie der Intellect. Dazu kommt, daß
während Jeder feinen Verſtand offen zur Schau trägt, das Moraliſche
jelten ganz frei an den Tag gelegt, ja meiſtens abſichtlich verſteckt
wird. Inzwiſchen drüden die fchlechten Gedanken und nichtswürdigen
Beftrebungen allmälig dem Geficht ihre Spuren ein, zumal dem Auge.
(B. U, 675— 677.)
6) Phyſiognomiſche Einheit des Geſichts. (S. Geſicht.)
7) Seltenheit erfreulidher Gefichter und Grund hier-
von. (S. Geſicht.)
8) Warum die Phyfiognomif ein Hauptmittel zur
Kenntniß der Menſchen ift.
Die Bhyfiognomit ift fchon deshalb ein Hanptmittel zur Kenntniß der
Menſchen, weil die Phyfiognomie im engern Sinne das Einzige ift,
wohin ihre Berftellungskünfte nicht reichen, da im Bereiche biefer das
Pathognomifche, das Mimiſche liegt. (P. U, 675.)
9) Wie weit die begriffliche Phyfiognomil mit Sicher:
heit gehen Tann.
Die begriffliche Phyſiognomik kann mit Sicherheit nicht weiter gehen,
als zur Aufjtellung einiger ganz allgemeiner Regeln, z. B. folder: In
232 Phyſiologie — Plagiat
Stirn und Auge ift das Intellectuale, im Munde und der uniern
Geſichtshälfte das Ethifche, die Willensäußerungen zu leſen; — Stim
und Auge erläutern ſich gegenfeitig, jedes von Beiden, ohne das An:
dere gefehen, ift nur halb verftändlih, — Genie ift mie ohne hohe,
breite, ſchön gewölbte Stirn, diefe aber oft ohne jenes; — von einem
geiftreichen Ausfehen ift auf Geift um fo ficherer zu ſchließen, je haß—
licher das Geſicht ift, und von einem dummen Ausſehen auf “Dumm:
beit deſto ficherer, je fchöner das Geſicht iſt, u. ſ. w. (W. I, 67.
M. 280. 283.)
DPhnfiologie.
1) Zu welder Klaffe der Naturwiffenfchaften die Phy:
fiologie gehört.
Die Phyſiologie gehört, wie die Mechanik, Phyſik, Chemie, de
ätiologifhen Naturwiffenfchaft an. (W. I, 115. Bergl. Natur:
wiſſenſchaft und Wetiologie.) Sie gehört unter den mad, de
Grunde des Werdens, d. i. dem Geſetz der Caufalität, und zwar
nach deſſen drei Modis (Urfache, Reiz, Motiv) eingetheilten Wiſſen⸗
ſchaſten zu der Lehre von den Reizen. (W. UI, 140.)
2) Was die Phyfiologie eigentlich zu erfennen gicht
Anatomie und Phyftologie laſſen uns fehen, wie fi der Wile k-
nimmt, um das Phänomen des Lebens zu Stande zu bringen und
eine Weile zu unterhalten. (W. Il, 337.)
3) Fortſchritte der Bhyfiologie feit Carteſius.
Es iſt ein hübſches Stud Weges, welches binnen 200 Jahren
Philoſophie und Phyſiologie zuritdgelegt haben von des artefins
glandula pinealis und den fie beivegeuden, oder auch von ihr bewegten
spiritibus animalibus zu den motorifhen und fenfiblen Rüde:
mart3- Nerven des Charles Bell und den Reflerbewegungen bei
Marfhall Hal. (P. U, 178 fg.)
4) Berhältniß der Phyfiologie zur Pſychologie.
Die wahre Phyfiologie, auf ihrer Höhe, weift das Geiſtige im
Menfchen (die Erkenntniß) als Product feines Phyfifhen nad; und
das hat, wie Fein Anderer, Cabanis geleiftet. (N. 20.)
5) Die drei phyfiologifhen Grundkräfte. (S. unter
Tebenstraft: Die Lebenskraft an ſich und ihre drei Er⸗
ſcheinungsformen.)
Plagiat.
Daß die Gelehrten nicht immer blind, unempfindlich, verſtockt gegen
das Wahre und Treffliche find, daß fie vielmehr oft dem richtigfien
Sinn für daffelbe und den feinften Tact für fremde Verdienſte haben,
wird offenbar, fobald fie fi zum Plagiat entfchließen. Das Plagiet
— — ee
— 4
Blanetenfyftem , Pðbel 233
zeigt, wie ſcharfſichtig man für fremde Verdienſte iſt, wenn es darauf
amommt, fie ſich zuzueignen. (H. 468 fg. W. II, 255.)
Es muß uns höchlich betrüben, wenn wir Köpfe erſten Ranges der
Unredlichkeit des Plagiats verdächtig finden, die ſelbſt denen bes letzten
zur Schande gereicht; indem wir fühlen, daß einem reichen Mann Dieb-
Rahf noch weniger zu verzeihen wäre, als cinen armen. (W. II, 57 fg.)
Planetenfpftem, |. Kosmogonie.
Planetoiden.
Die Planetoiden find, als bloße Fragmente eined auseinander-
gefprengten Planeten, eine ganz zufällige Abnormität, die bei der
teleologiſchen Betrachtung des Planetenſyſtems nicht in Betracht kommt.
Bohl aber ift dieſes Accidens an und für fich ein bedenklich anti-
teleologifches. Wir wollen Hoffen, daß die Kataftrophe Statt gefunden
hat, ehe der Planet bewohnt geweſen. „Jedoch läßt fid) bei ber Rück⸗
ſichtsloſigkeit der Natur für nichts ftehen. Daß aber diefe von Olbbers
anfgeftellte und durchaus wahrfcheinliche Hypotheſe jetst wieder be⸗
fritten wird, — hat vielleicht eben jo viel theologifche, als aftrono-
miihe Gründe. (P. I, 139.)
Pobel,
1) Der Pöbel als die Mehrzapl der Menſchen bil-
dend.
Der große Haufe ift bloßer Pöbel, mob, rabble, la Canaille. (W.
II, 161.) Machiavelli bemerkt richtig: Nel mondo non & se
non volgo (e8 giebt nichts Anderes auf der Welt, als Bulgus), und
Thilo (über den Ruhm) bemerkt, daß zum großen Haufen gewöhnlich
Ciner mehr gehört, als Jeder glaubt. (W. II, 446 fg.) Einige Ge-
nie haben die übrigen Menfchen, mit ihren eintönigen Phyſiognomien
und dem durchgängigen Gepräge der Alltäglichkeit, nicht für Dienfchen
anerfennen wollen; denn fie fanden in ihnen nicht ihres Gleichen und
gerietben in den natitrlichen Irrthum, daß ihre eigene Befchaffenheit
die normale wäre. In diefem Sinne fuchte Diogenes mit der Laterne
nah Menſchen; — der geniale Koheleth jagt: „unter Taufend habe
ih einen Menſchen gefunden, aber kein Weib unter allen dieſen“; —
Oracian bezeichnet fie fehr treffend als hombres que no lo son
(Menfchen, die feine find), und der Rural jagt: „Das gemeine Volt
feht aus wie Menfchen: Etwas dieſen Gleiches habe ich nie gefehen.“
(R. 32. P. DI, 87. 363. Vergl. auch unter Ariftofratie: In
tellectuelle Ariftofratie der Natur.)
2) Abrichtung des Pöbels. (S. Abrichtung.)
3) Zähigleit des Pöbels im Feſthalten an Borur—⸗
theilen und Gebräuden.
Das zähe Feſthalten an gewiſſen BVorurtheilen, Wahnbegriffen,
Eitten, Gebrauchen und Kleidungen kommt daher, daß der große Haufe
234 Poenitentiarfgftem — Poeſie
gar wenig denkt, weil ihm Zeit und Uebung hiezu mangelt. So aber
bewahrt er zwar feine Irrthümer ſehr lange, iſt dagegen aber and
nicht, wie die gelehrte Welt, eine Wetterfahne der gefammten Wind:
rofe täglich wechjelnder Meinungen. Und dies ift fehr glücklich; denn
die große ſchwere Maffe ſich in jo raſcher Bewegung vorzuftellen, if
ein jchredlicher Gedanke, zumal wenn man dabei erwägt, was Alles fie
bei ihren Wendungen fortreißen und umftoßen würde. (PB. II, 65.)
4) Geſelligkeit des Pöbels. (S. Einſamkeit und Ge-
felligfeit.)
(Meber den Böbel in der Litteratur f. Fitteratur.)
Docnitentiarfpftem.
1) Abficht des Poenitentiarſyſtems.
Wie manche gute Handlungen im Grunde auf falfchen Motiven,
auf wohlgemeinten Borfpiegelungen eines dadurch in diefer oder jme
Welt zu erlangenden eigenen Bortheils beruhen; fo beruhen auch mande
Miffethaten blos auf faljcher Erkenntniß der menſchlichen Lebenswer:
hältniffe. Hierauf gründet fi) das Umerilanifche Poenitentiariyfien;
es beabfichtigt nicht, da8 Herz des DVerbrechers zu beffern, fondern
blos, ihm den Kopf zurechtzufegen, damit er zu der Einficht gelang,
daß Arbeit und Ehrlichkeit ein fichererer, ja leichterer Weg zum eigenen
Wohle find, als Spitzbüberei. (E. 254 fg.)
2) Sehler des Poenitentiarfyfteme,.
Zuwider dem wahren Princip des Strafrechts, eigentlich nicht den
Menfchen, fondern nur die That zu ftrafen, damit fie nicht wieder:
kehre, will das Poenitentiarfgften nicht fowohl die That, als den
Menſchen trafen, damit cr nämlich fich beflere. Dadurch ſetzt es den
eigentlichen Zwed der Strafe, Abfchredung von der That, zurüd, um
den fehr problematifchen der Beſſerung zu erreichen. Ueberall aber it
es eine mißliche Sache, durch ein Mittel zwei verfchiebene Zwecke cr-
reichen zu wollen; wie viel mehr, wenn beide in irgend einem Zins
entgegengefegt find. Erziehung ift eine Wohlthat, Strafe foll au
Ucbel fein; das Poenitentiargefängniß fol Beides zugleich leiſten. (B.
IT, 683.)
3) Strafmittel des ftrengen Philadelphifchen Poeni:
tentiarfyften®.
Das ftrenge Bhiladelphifche Poenitentiarfyften macht mittelft Eur
fanıfeit und Unthätigleit blos die Kangeweile zum Strafwerkzeug
und es ift cin fo fürchterliches, daß es ſchon die Züchtlinge zum Selbf:
mord geführt hat. (W. I, 369 fg.)
Poeſie.
1) Weſen der Poeſie.
Als die einfachſte und richtigſte Definition der Poeſie läßt ſich dieſe
aufſtellen, daß fie die Kunſt iſt, durch Worte die Einbildungskraft nd
Poeſie 235
Spiel zu verſetzen. (W. II, 482.) Die Abſicht aber, in welcher die
Poeſie unfere Phantaſie in Bewegung ſetzt, iſt, und die Ideen zu offen-
baren, d. h. an einem Beiſpiel zu zeigen, was das Leben, was die
Belt ſei. (W. II, 484.) Wenngleich der Dichter, wie jeder Künſtler,
uns immer nur das Einzelne, Individuelle vorführt; jo ift was er
erfannte und und dadurch erkennen laſſen will, doch die (Platonifche)
‚dee, die ganze Gattung; daher wird in feinen Bildern gleichjam der
Typus der menfchlichen Charaktere und Situationen ausgeprägt fein.
(®. II, 485.)
Wie der Botaniker aus dem unendlichen Reichthun der Pflanzenwelt
eine einzige Blume pflüdt, fie dann zerlegt, um uns die Natur der
Pflanze überhaupt daran zu demonftriven; jo nimmt der Dichter aus
dem enblofen Gewirre des überall in unaufhörlicer Bewegung dahin-
eilenden Menfchenlebens eine einzige Scene, ja, oft nur eine Stinumung
und Empfindung heraus, um uns daran zu zeigen, was das eben
und Weſen des Menfchen fei. (P. U, 453.)
2) Umfang des Gebietes der PBoefie und Hauptgegen-
ftand derfelben.
Vermöge der Allgemeinheit des Stoffes, deſſen fich die Pocfie, um
die Ideen meitzutheilen, bedient, nänlich der Begriffe, ift der Umfang
ihres Gebietes fehr groß. Die ganze Natur, die Ideen aller Stufen
find durch fie darftellbar, indem fie, nad) Maßgabe der mitzutheilenden
Idee, bald befchreibenb, bald erzählend, bald unmittelbar dramatifc
darftellend verführt. Wenn aber in der Darftellung der nicdrigern
Stufen der Objectität des Willens die bildende Kunft fie meiftene
übertrifft, weil die erkenntnißloſe und aud) die blos thierifche Natur in
einem einzigen wohlgefaßten Moment faft ihr ganzes Wefen offenbart;
ſo ift dagegen der Menſch, fo weit cr fich nicht durch feine bloße
Geſtalt und Ausdruck der Miene, fondern durch eine Kette von Hand-
lungen und fie begleitender Gedanken und Affecte ausſpricht, der
Hauptgegenftand der Poeſie, der es hierin Feine andere Kunft gleich»
tut, weil ihr dabei die Yortfchreitung zu Statten fommt, welde den
bildenden Künften abgeht. Dffenbarung derjenigen Idee, welche die
höchſte Stufe der Objectität des Willens ift, Darftellung des Men-
ſchen in der zufammenhängenden Reihe feiner Beltrebungen und
Sandlungen ift alfo der große Vorwurf der Poeſie. (W. I, 287 fg.)
Der Poet zeigt uns, wie fi) der Wille unter dem Einfluß der
Motive und der Reflerion beninmt. Ex ftellt ihn daher meiſtens
in der vollkommenſten feiner Erfcheinungen dar, in vernünftigen Weſen,
deren Charakter individuell ift und deren Handeln und Leiden gegen-
einander er uns als Drama, Epos, Nonan u. ſ. w. vorführt. (W. _
II, 337.)
3) Verhältniß der Poeſie zur Wirklichkeit.
Der Dichter ſoll feine Perfonen fo ſchaffen, wie die Natur jelbft,
fie denken und veden Laffen, jedes feinem Charakter gemäß, wie wirkliche
N
236 Boefie
Menfchen dies thun. Dies ift jedoch nicht fo zu verſtehen, daß die
ftrengfte Natitrlichkeit aller Aeußerungen zu fuchen fei; denn fonft wird
die Natürlichkeit Leicht platte. Sondern bei aller Wahrheit in ver
Darftellung der Charaktere follen diefe doch idealifch gehalten fein.
In der Wirklichkeit fällt durch vorübergehende Stimmumgen oder Ein-
flüffe Jeder bisweilen aus feinem Charakter; aber im der Poeſie darf
dies nie fein, bier muß vielmehr die Perfon in ihrem Thun und Reden
ihren Charakter deutlich, rein und fireng confequent offenbaren. Dirt
eben heit, der Charakter muß idealifch dargeftellt werden; mr das
Wefentliche deflelben und diefes ganz muß dargeftellt werben, alle
Zufällige und Störende muß ausgefchloffen bleiben. (H. 364—-366.)
4) Die Gattungen der Poeſie.
Die Darftellung der Idee der Menſchheit, welche dem Dichter ob⸗
liegt, kann er entweder fo ausführen, daß der Dargeftellte zugleich aud
der Darftellende iſt; — dies gefchieft in der Inrifchen Poeſie; —
oder aber der Darzuftellende ift vom Darfteller ganz verfchieden, wie
in allen andern Gattungen, wo mehr ober weniger der Darſtellende
hinter dem ‘Dargeftellten ſich verbirgt und zulegt ganz verſchwindet.
(W. I, 293. Bergl. Lyrik, Epos, Drama.)
5) Das Material der Boefie.
Ideen find weſentlich anjchaulih; wenn daher in ber Poefie dat
unmittelbar durch Worte Dlitgetheilte nur abftracte Begriffe find; ſo
ift doch offenbar die Abficht, in den Repräfentanten diefer Begriffe
den Hörer die Ideen des Lebens anfchauen zu laffen, welches nur durd
Beihilfe feiner eigenen Phantafie gefchehen fann. Um aber dieſe dem
Zwed entjpredhend in Bewegung zu fegen, müſſen bie abftracten
Begriffe, welche das unmittelbare Material der Boefle find, fo je
fantmengeftelt werden, daß ihre Sphären (vergl. unter Begriff:
Begriffsſphären) fich dergeftalt ſchneiden, daß feiner in feiner abftracten
Allgemeinheit beharren kann; fondern ftatt feiner ein anfchaulicher Ke
präfentaut vor die Phantafie tritt, den nun die Worte des Dichters
immer weiter modificiren. Dieſem Zweck dienen die vielen Epithela
in der Poefie, durch welche die Allgemeinheit jedes Begriffs einge
fchränft wird, mehr und mehr, bis zur Anfdjaulichkeit. (W. I, 286 19.
H. 369 fg.)
(Ueber die Zuläffigfeit und Zweddienlichleit der Allegorie in de
Poefie ſ. Allegorie.)
6) Hülfsmittel der Boefie.
Ein ganz befonderes Hülfsmittel der Poeſie find Rhythmus um
Keim. Ihre unglaublid) mächtige Wirkung ift daraus erflärbar, dab
unfere an die Zeit wefentlic gebundenen Vorſtellungskräfte hieburd
eine Eigenthümlichkeit erhalten haben, vermöge weldyer wir jebem
regelmäßig wiederfehrenden Geräuſch innerlich folgen und gleichſam mi
Poeſie 237
einſtimmen. Dadurch werden nun Rhythmus und Reim ein Binde-
mittel unferer Aufmerkſamkeit, indem wir williger dem Vortrag folgen,
theil8 entfteht durch fie in ‚uns ein blindes, allem Urtheil vorher-
gängiges Einftimmen in das Vorgetragene, wodurd) diejes eine gewiſſe
emphatifche, von allen Gründen unabhängige Ueberzeugungsfraft erhält.
(®. I, 287; II, 487— 489.) |
Metrum und Reim find eine Feſſel, aber auch eine Hülle, die der
Poet um ſich wirft, und unter welcher es ihm vergönnt ift zu reden,
wie er fonft nicht dürfte; und das ift ed, was und freut. — Das
Metrum, oder Zeitmaß, hat, als bloßer Rhythmus, fein Weſen allein
in der Zeit, gehört aljo, mit Kant zu reden, der reinen Sinnlich—
feit an; hingegen ift der Reim Sache der Empfindung int Gehör-
organ, alfo der empirifchen Sinnlichkeit. Daher ift der Rhythmus
ein viel edlere8 und würdigeres Hilfsmittel, al der Keim. (W. UI,
486 fg.)
7) Die Wirkung der Poefie vergliden mit der Wir-
fung ber bildenden Künſte.
Dadurch, daß die Phantafle des Leſers der Stoff ift, in welchem
die Dichtkunſt ihre Bilder darftellt, hat diefe den Vortheil, daß die
nähere Ausführung und bie feineren Züge in der Phantafte eines
Jeden fo ausfallen, wie es jeiner Individualität, feiner Erfenntniß-
Iphäre und feiner Taune gerade am angemefjenften ift und ihn daher
am lebhafteften anregt; ftatt daß die bildenden Künfte ſich nicht fo
anbequemen können, jonbern bier ein Bild, eine Geftalt Allen ge-
nügen fol. Schon hieraus ift e8 zum Theil erflärlich, daß die Werte
der Dichtkunſt eine viel ftärkere, tiefere und allgemeinere Wirkung aus-
üben, als Bilder und- Statuen. Dieſe nämlich laffen das Volk meiftens
ganz kalt, und überhaupt find die bildenden die am ſchwächſten wirkenden
Künſte. Die Werke der letzteren haben wenig birecte und unvermittelte
Wirkung und ihre Schägung bedarf weit mehr, al& die aller andern,
der Bildung und Kenntniß. (W. UL, 483 fg.)
8) Berhältniß der Poeſie zur Geſchichte. (S. Ge—
[hide
9) Verhältniß der Poefie zur PBhilofophie.
Zur Philofophie verhält ſich die Poeſie, wie die Erfahrung fi zur
empiriſchen Wifienfchaft verhält. Die Erfahrung nämlich macht uns
mit der Erfcheinung im Einzelnen und beifpielsweife bekannt; die
Biffenfchaft umfaßt das Ganze derfelben mittelft allgemeiner Begriffe.
So will die Poeſie uns mit den (PBlatonifchen) Ideen der Wefen mit-
teift des Einzelnen und beifpielöweife befannt machen; die Philofophie
will das darin ſich ausfprechende innere Weſen der Dinge im Ganzen
ud Allgemeinen erkennen laſſen. (W. U, 486.) Platon hat in der
Geringſchätzung und Verwerfung der Poefie dem Irrthum dem Tribut
gezahlt, den jeder Sterbliche zollen muß. Poeſie und Philofophie ver-
238 Poefie
tragen ſich beide ganz vortrefflich. Sogar iſt die Poeſie eine Stitze
und Hülfe der Philoſophie, eine Fundgrube von Beiſpielen, ein Gr:
regungsmittel der Meditation und ein Probierftein moraliſcher und
piychologifcher Lehrſätze. (H. 305.)
10) Alter der Poefie.
Daß die Poefie älter ift, als die Proſa, indem Pherefydes der erfic
geweien, der Philofophie, und Hekatäos von Milet der erfte, welde
Geſchichte in Profa geſchrieben, und daß diefes von den Alten al
eine Denkwürdigkeit angemerkt worden, ift folgendermaßen zu erflären
Ehe man überhaupt ſchrieb, fuchte mar anfbehaltenswerthe Thatſachen
und Gedanken dadurd) unverfälicht zu perpetuiren, daß man fie in
Verſe brachte. Als man nun anfieng zu fchreiben, war es natürlich,
dag man Alles in Berjen ſchrieb. Davon giengen als von einer
überflüffig gewordenen Sache jene erften Profaifer ab. (PB. II, 437.)
11) Unterfhied zwiſchen klafſiſcher und romantiſcher
Poefie.
Der Unterfchied zwiſchen Haffifcher und romantiſcher Poefte beruht
im Grunde darauf, daß jene feine anderen, als die vein menſchlichen,
wirklichen und natürlichen Motive kennt, diefe Hingegen auch erkünftelte,
conventionelle und imaginäre Motive als wirkfam geltend macht; de:
bin gehören die aus dem chriftlichen Mythos ftammmenden, fodann die
des ritterlichen, überfpannten und phantaftifchen Ehrenprincips, ferner
die der abgejchinadten und Lächerlichen chriftlichgerwmanifchen Weiber:
verehrung, endlich die der faſelnden und mondfüchtigen hyperphyſiſchen
Berliebtheit. Die klaſſiſche Poefie Hat eine unbedingte, die romantiſche
nur eine bedingte Wahrheit und Nichtigkeit, analog der griechifchen uud
der gothifchen Baukunſt. (W. UI, 490 fg.)
(Ueber die Poeſie der Alten vergl. die Alten.)
12) Nachtheil der aus dem Alterthum gefchöpften
Stoffe für die Poefie,
Alle dramatifchen oder erzählenden Dichtungen, welche den Schau:
plag nad) dem alten Griechenland oder Rom verfegen, geraten dadurd)
in Nadıtheil, daß unfere Kenntniß des Alterthums, bejonders was dar
Detail des Lebens betrifft, unzureichend, fragmentarifch und nicht aus
der Anſchauung gefhöpft if. Dies nämlich nöthigt dem Dichter,
Vieles zu umgehen und fi) mit Allgemeinheiten zu behelfen, wodurch
er ins Abftracte gerät) und fein Werk jene Anfchaulichkeit und Im
dividualifation einbüßt, welche der Poeſie durchaus wefentlich ift. Died
iſt es, was allen folhen Werken den eigenthümlichen Anſtrich von
Teerheit und Langweiligkeit giebt. (W. II, 491.) |
13) Einfluß des Studiums der Werke der Poefie anf
die Menſchenkenntniß. (S. Menſchenkenntniß.)
Poet 239
poet.
1) Die Quelle, aus welcher der Dichter ſchöpft.
Wie der bildende Kiünftler nicht der Natur die Schönheit ablernt,
fondern eine Art von Erfenntniß a priori davon hat, eine Anticipation
deffen, was die Natur hervorbringen will, vermöge deren er fie auf
halbem Worte verfteht und volllommen darftelt, was ihr meiftens
miglingt (vergl. Anticipation); eben fo ift aud) die Kenntniß des
Dichters von den Charakteren und deni aus diefen hervorgehenden Be-
uehmen keineswegs rein empirifch, fondern auch anticipirend und ge=
wifermaßen a priori. Der Dichter ift felbjt ein ganzer und voll-
ſtändiger Menſch, er trägt die ganze Mienfchheit in fid) und hat die
Beſonnenheit, ſich deſſen Har bewußt zu werden. Dadurch hat er eine
Lenntniß des Menſchen überhaupt und weiß Das, was vom
Denfchen überhaupt gilt, zu fondern von Dem, was nur feiner eigenen
Individualität angehört. Daher kann er in feiner Bhantafie fein
eigenes Weſen, fofern es das Weſen der Menſchheit überhaupt ift,
modificiren zu den verjchiedenften Individualitäten, diefe alfo auf folche
Beife a priori conſtruiren und fie dann den Umftänden gemäß han⸗
deln laffen, in die er fie verſetzt. Deshalb kann er darftellen, was er
nie gefehen bat. Dennoch trägt eigene reiche Erfahrung viel bei zur
Bildung des Dichters. Sie wirkt wenigften® als Anregung der innern
Erfenntnig und Liefert Schemata zu beftimmten Charafterzeichnungen.
(. 366— 368.)
2) Grade der bichterifchen Begabung.
Um uns die Ideen zu offenbaren und an einem Beiſpiel zu zeigen,
was das Leben, was die Welt fer, dazır ift die erfte Bedingung, daß
der Dichter es felbft erfannt habe; je nachdem dies tief oder flach ge-
ſchehen ift, wird feine Dichtung ausfallen. Demgemäß giebt es un-
zählige Abftufungen, wie ber Tiefe und Klarheit in der Auffafjung der
Natur der Dinge, fo der Dichter. Der beite erkennt fich als ſolcher
daran, daß er fieht, wie flach der Blick der andern war, wie Vieles
noch dahinter lag, das fie nicht wiedergeben konnten, weil fie e8 nicht
Ian, und wie viel weiter fein Blick und fein Bild reiht. (W.
‚ 484.)
3) Kennzeichen des großen und ächten Dichters.
Alle großen Dichter haben die Gabe der Anſchaulichkeit, weil ſie
von Anſchauungen ihrer Phantaſie ausgehen, nicht von Begriffen, wie
die Nachahmer. Aber am wunderbarſten wird jene Gabe da, wo ſie
und Dinge anſchauen läßt, die wir nicht aus der Wirklichkeit kennen,
weil fie in der Natur nicht vorkommen, und alfo auch der Dichter
telbft fie nicht im der Wirklichkeit gefehen hat, er fie aber dennoch fo
IHildert, daß wir fühlen, wenn Dergleichen möglid) wäre, fo müßte
J und nicht anders ausſehen. Hierin iſt einzig Dante. (H.
8.)
240 Poetiſch — Bolerität
Sobald man vom Begriff ausgeht und räſonnirt und von ihm
geleitet etiva Antithefen und Contrafte fucht, ift man unreblid un
unwahr (fofett ftatt begeiſtert). Aber allein, wenn man ftetd von der
Auſchauung ausgeht, ift man durchgängig wahr und redlich mm
darum unſterblich; derm nur dann ift man reines willenlofes Subjed
des Erkennens. So machte es Shakeſpeare. Die Beilpiele von
der erftern Sorte heißen Legio. (H. 369.)
Ein Zeichen, woran man am unmittelbarften den ächten Dichter cn:
fennt, ift die Ungezwungenheit feiner Reime; fie haben fi, wie dark
göttliche Schidung, von felbft eingefunden; feine Gedanken fonmen
ihm fchon in Heimen. Der heimliche Proſaiker Hingegen ſucht zum
Gedanken den Reim; der Pfufcher zum Reim den ö
(®. II, 489.)
4) Schädliche Wirkung der mediocren Poeten.
Es ift erufter Berückſichtigung werth, welche Menge eigener wm
fremder Zeit und Papiers von den Schaaren der mediocren Porn: |
verdorben wird und wie fehädlich ihr Einfluß ift, indem das Publıam
theil8 immer nach dem Neuen greift, theils auch fogar zum Berfehrr:
und Platten, als welches ihm homogener ift, von Natur mehr Reigus;
bat; daher jene Werte der Mediocren e8 von ächten Meiſterwerken mm
feiner Bildung. durch diefelben abziehen und zurüdhalten, folglih den 1:
günftigen Einfluß der Genien gerade entgegenarbeitend, den Gefdusi
immer mehr verderben und fo die Fortſchritte des Zeitalters hemmen.
(W. I, 290.)
5) Unterfchied zwifhen dem Dichter und Philoſophen |
(S. unter Philoſoph: Unterfchteb zwifchen dem Philoſophen |
und Dichter.)
Poctifch, |. Maleriſch.
Poetiſche Serechtigheit, |. Gerechtigkeit.
Point d’honneur. (S. unter Ehre: Eine Afterart der Ehre.)
Polarität.
Die Polarität, d. h. das Auseinandertreten einer Kraft iu zw
qualitativ verfchiebene, entgegengefeßte und zur Wiedervereinigung fr
bende Thätigkeiten, welches ſich meiſtens auch räumlich durch em
Auseinandergehen in entgegengeſetzte Richtungen offenbart, iſt ein Grm
typus faft aller Exfcheinungen der Natur, vom Magnet und Kryſtel
bi8 zum Menfchen. Hierauf beſonders aufmerkfan gemacht zu haben,
ift ein Berdienft der Schelling’jchen Naturphiloſophie; doch ift der ®r
griff der Polarität in der Periode der Schelling’schen Naturphilofopht
bäufig mißbraucht worden. In China ift die Erfenntniß der Polantät
edanfen. Sehr |
oft Tann man aus einem gereimten Berfepaar herausfinden, melde
von beiden den Gedanken, und welcher den Reim zum Bater hat. '
Poliit — Präeriftenz 241
feit den äfteften Zeiten gangbar, in ber Lehre vom Gegenfaß des Yin
ud Nang. (W. I, 171. F. 35 fg.)
Die Polarität des Auges (vergl. unter Farbe: Weſen der Yarbe)
fünnte als die zumächft Tiegende uns über das innere Wefen aller Po-
larität in mancher Hinficht Auffchlüffe geben. (5. 36. 74.)
politik, |. Geſetz, Recht, Staat, Staatsverfaffung, Re—
gierung.
dolygamie, ſ. unter Ehe: Chegejeße,
Polptheismus, ſ. unter Gott: Egoiftifcher Urjprung des Gottes⸗
glaubens.
porträt.
Da die Künſte, deren Zweck bie Darſtellung der Idee der Menfch-
heit ift, neben ber Schönheit, als dem Charakter der Gattung, nod)
den Charakter des Individuums und zwar ibealifch, d. h. mit
Hervorhebung feiner Bebentfamfeit in Hinfiht auf die Idee der Menjch-
heit überhaupt, darzuſtellen haben; fo ſoll ſelbſt auch da8 Porträt,
ni Windelmann fagt, das Ideal des Individuums fein. (W
‚ 265.)
polpourri.
Der Potpourri, eine aus Fetzen, die man honetten Leuten vom
Rode abgeſchnitten, zuſammengeflickte Harlekinsjade, iſt eine wahre
Bee Schändlichfeit, die von der Polizei verboten fein follte,
($. I, 469.)
Pracht.
Die Pracht und Herrlichkeit der Großen, in ihrem Prunf und ihren
Feſten, ift doch im Grunde nichts, als ein vergebliches Bemühen, über
die weſentliche Armfäligkeit unfers Dafeins hinauszulommen. ‘Denn
was find, beim Lichte betrachtet, Ebelfteine, Perlen, Federn, rother
Sammt bei vielen Kerzen, Tänzer und Springer, Masken» An« und
Aufziige u. dgl. m.? (P. I, 307 fg.) |
Praedeftination.
1) Die Wahrheit des Dogma’s von ber Braedeftination.
(S. Önadenwahl)
2) Unterfchied zwifhen Praebeftination und Fatalis-
mus. (S. Fatum. Yatalismus.)
Präexiſtenz.
1) Präexiſtenz und Unſterblichkeit als einander be—
dingend.
Schon Ariſtoteles Hat gezeigt, daß nur das Unentſtandene unver—
gänglich fein kann und daß beide Begriffe einander bedingen. So
Shopenhauerskeriton. IL 16
242 Praeftabilirte Harmonie — Praktiſche Vernunft
haben e8 auch unter ben alten Philoſophen alle Die, welche eine Un-
fterblichfeit der Seele lehrten, verſtanden, und keinem iſt es im der
Sinn gekommen, einem irgendwie entſtandenen Weſen endloſe Dauer
beilegen zu wollen. Bon der Verlegenheit, zu der die entgegengefeite
Annahme führt, zeugt in der Kirche die Controverſe ber Prärrifer
tianer, Kreatianer und Zraducianer. (N. 142 fg.)
Alle Beweiſe für die Fortdauer nad) dem Tode laſſen fi eben io
gut in partem ante wenden, wo fie dann das Dafein vor dem Leben
demonftriren, in deffen Annahme Hindu und Subbpaiften fi) daher
ſehr conjequent beweifen. (W. II, 532.)
2) Die Präeriftenz als ein moralifches Poſtulat.
Da einerſeits durch die Unveränderlichlkeit des Charakters, und an .
dererſeits durch die ftrenge Nothwendigfeit, mit ber alle Unmftände, in
die er fucceffive verſetzt wird, eintreten, ber Lebenslauf eines Rden
durchgängig von A bis 3 genau beftimmt ift, dennoch aber ber eim
‚Lebenslauf in allen, fowohl fubjectiven wie objectiven Beſtimmungen
ungleich. glüclicher, edeler und würbiger ausfällt, als der andere; fo
führt dies, wenn man nicht alle Gerechtigkeit eliminiren will, zu ber
im Brahmanismus und Buddhaisſsmus feftftehenden Annahme, daß je
wohl die jubjectiven Bedingungen, mit welden, als bie objectiven,
unter welchen Jeder geboren wird, bie moraliſche wolge eines früßeren
Daſeins find. (PB. I, 251.)
Praeſtabilirte Harmonie, . Harmonie.
Pragmatismus, ber Gefchichte, |. unter of hichte: Weſentliche
| Unvollkommenheiten der Geſchichte. |
Proktifche Tüchtigket.
Wie das eigentliche Genie auf ber abf ofuten Stärke des Intellecit
beruht, welche durch eine ihr entſprechende, übermäßige SHeftigfeit bed
Gemuihs erkauft werden muß (vergl. Genie); ſo beruht hingegen die
große Ueberlegenheit im praktiſchen Leben, welche Feldherrn und Staatt
männer macht, auf der relativen Stärke des Intellects, nämlich auf
bem: höchften . Grab beffelben, der ohne eine zu große Erregbarkeit ber
Affecte, nebft zu großer Heftigkeit des Charakters erreidht werben fan
und daher auch im Sturm noch Stand hält. Biel Feſtigkeit des
Willens nnd Unerfchittterlichleit des Gemüths, bei einem tüichtigen und
feinen Berftande, reicht hier aus; und was barüber hinausgeht, wirkt
ſchädlich; denn die zu große Entwidelung ber Intelligenz ſteht der
Veftigfeit des Charakters und Entfchloffenheit des Willens geradezu im
Wege. (W. II, 320. Bergl. auch unter Genie: Gegenſatz zwiſchen
dem Genie und dem praftifchen Helden.) _ |
Draktifche Decnunft, ſ. Vernunft.
Preßfreiheit — Prioritätsfireitigleiten 243
Preßſreiheit. Br 0
1) Nugen und Schaden ber Preffreiheit. 2
Für die Staatsmaſchine ift die Preffreiheit da8, was für bie Dampf-
maſchine die Sicherheitsvalve; denn mittelft bderfelben macht jede Un⸗
zufriedenheit ſich alsbald durch Worte Luft, ja wird fi, wenn fie
nicht jehr viel Stoff hat, an ihnen erſchöpfen. Hat fie jeboch diefen,
fo ift e8 gut, daß man ihn bei Zeiten erkenne, um abzuhelfen. So
geht es fehr viel beffer, ald wenn bie Unzufriedenheit eingezwängt
bleibt, brütet, gährt, Tocht und anwächſt, bis fie endlich zur Erploflon
gelangt. — Undererfeits jedoch ift die Preffreiheit anzufehen als die
Erlaubniß, Gift zu verlaufen, Gift für Geift und Gemüth. Es if
daher zu befürchten, daß die Gefahren ber Preßfreiheit ihren Ruten
überwiegen. (P. II, 268.) Ä
" 2) Wodurch Preßfreiheit bedingt fein follte,
Jedenfalls follte Preßfreiheit durch das firengfte Verbot aller und
jeder Anonymität bedingt fein. (P. II, 268. 547. Bergl. Anony⸗
mität.)
Priefter. |
1) Die Priefter als eine don der Metaphyſik Lebende
Slaffe (S. unter Metaphyſik: Zwei Claſſen von Dien-
- ſcchhn, bie von der Metaphyſik Ichen.)
2) Schädlicher Einfluß der Priefter. (©. Bfaffen und
Sanatismuß.) \
Primat, des Willens, f. unter Intellect: Secundäre Natur des
Intellects.
Prineipiam individuationis, ſ. Individuation.
brioritãts ſtreitigkeiten. |
In Betreff der Prioritätsftreitigfeiten ift im Allgemeinen zu fagen,
daß von jeder großen Wahrheit fich, ehe fie gefunden worden, ein Vor⸗
gefühl fund giebt, eine Ahndung, ein undeutliches Bild, wie im Nebel,
und ein vergebliches Hafchen, fie zu ergreifen, weil eben die Fortſchritte
der Zeit fie vorbereitet haben. Demgemäß präludiren dann vereinzelte
Ansiprüde. Allein nur, wer eine Wahrheit aus ihren Gründen er
lannt und in ihren Folgen durchdacht, ihren ganzen Inhalt entwidelt,
den Umfang ihres Bereichs überfehen und fie fonach mit vollem Be
wußtfein ihres Werthes und ihrer Wichtigkeit deutlich und zufanımen-
Yängend dargelegt hat, der ift ihr Urheber. Daß ſie hingegen in alter
Oder neuer Zeit irgend ein Mal mit halbem Bewußtſein und faft wie
ein Reden im Schlaf ausgeſprochen worden und demnach ſich daſelbſt
füden läßt, bedeutet, wenn fie auch totidem verbis bafteht, nicht viel
mehr, ald wäre es totidem literis; gleichwie der Finder einer Sache
nur Der iſt, welcher fie, ihren Werth erkennend, aufpob und bewahrte,
16*
*
244 Broblem — Brofefforen
nicht aber Der, welcher fie zufällig einmal in die Hand nahm mh
wieber fallen Tieß; oder, wie Kolumbus der Entdeder Amerilas if,
nicht aber der erfte Schiffbrüdjige, den die Wellen ein Mal dort ab«
warfen. Dies aber ift der Sinn des Donatifchen pereant qui ante
nos nostra dixerunt. (PB. I, 145.)
Problem.
1) Warum es für das Thier und für ben gemeinen
Menſchenſchlag Fein Problem giebt.
Das Thier Iebt ohne alle Befonnenheit. Bewußtſein hat ei,
b. 5. es erfennt fi und fein Wohl und Wehe, dazır auch die Gegen⸗
ftände, welche jolche veranlaften. Über jeine Erkenntniß bleibt fett
fubjectiv, wirb nie objectiv; alles darin Vorkommende ſcheint ſich ihm
von felbft zu verftehen und Tann ihm daher nie weder zum Borumf
(Object der Darftellung), noch zum Problem (Object der Meditation;
werben. Sein Bewußtſein ift alfo ganz immanent. Bon vn
wandter Beichaffenheit ift das Bewußtfein des gemeinen Menſchen⸗
ſchlages. (W. I, 435.)
2) Das eigentHümliche Problem der Philofophie. E.
unter Bhilofophie: Unterſchied der Philofophie von den
Wiſſenſchaften.)
3) Die zwei tiefſten und bedenklichſten Probleme der
neuern Philoſophie.
Die zwei tiefſten und bedenklichſten Probleme ber neuern Philoſophie
find die Frage nad) ber Freiheit des Willens und die nach der Re
lität der Außenwelt, oder dem Berhältnig des Idealen zum Realen.
(E. 64.) In Hinfiht auf dieſe beiden Probleme ift der gefumbe, aber
rohe Verſtand nicht nur incompetent, fondern hat jogar einen entidir
denen natürlichen Hang zum Irrthum, von weichem ihn zuritdzubringen,
e8 einer ſchon weit gebiehenen Philofophie bedarf. (E. 92.)
4) Warum die Bhilofophie die Probleme nur bis zu
einer gewiffen Gränze Iöfen fann. (S. unter Ju:
tellect: Beſchränkung des Intellects auf Erfcheinungen, und
unter Metaphyſik: Schranken der Metaphufif.)
Proceß, dev gerichtliche.
Jeder gerichtliche Proceß liefert den fürmlichften und grofartigfie
Syllogismus, und zwar in ber erften Figur. Die Civil» oder Ir
minalellebertretung, wegen welcher geflagt wird, ift die Minor; fi
wird dom Kläger feftgeftellt. Das Geſetz für foldyen Fall ift de
Major. Das Urtheil ift die Konklufion, welche daher, als ein Noth:
wendiges, vom Richter blos „erlannt” wird. (MW. II, 120.)
Profefforen, der Philofophie, |. Univerfitätsphilofophie.
Profetariat — Proteſtantismus 245
Proletariat.
1) Urfade des Proletariats. (S. Luxus.)
2) Das Leben bes Proletariers.
Das Dafein des befinnungslos dahinfebenden Proletariers, oder Scla-
pen, fieht dem bes Thieres, welches ganz auf die Gegenwart befchränft
it, fchon bedeutend näher, als das des befonnen Lebenden, iſt aber
eben darum auch Weniger qualvol. Ja, weil aller Genuß feiner
Natur nach negativ iſt, d. h. in Befreiung von einer Noth oder
Fein beſteht; fo ift die unabläffige und fchnelle Abwechslung gegen«
wärtiger Beſchwerde mit ihrer Erledigung, welche die Arbeit bes Pro-
letariers beftändig begleitet und dann verftärkt eintritt beim endlichen
Umtauſch ber Arbeit gegen die Ruhe und die Befriedigung feiner Be⸗
dürfniffe, eine ftete Duelle bes Genufjes, von deren Ergiebigfeit die
jo ſehr viel häufigere Heiterkeit auf den Gefichtern der Armen, als der
Rechen, ſicheres Zeugniß ablegt. (P. II, 630 fg.)
Promotionen.
Die Promotionen follten durchaus unentgeltlich gefchehen, damit bie
durch die Gewinnſucht ber Profefloren biscreditirte Doctorwitrde wieder
zu Ehren käme. Dafür follten die nachherigen Staatseramina bei
Doctoren wegfallen. (P. U, 525.)
Prophetifche Träume, f. Traum.
Proſa.
1) Die Proſa iſt jünger als die Poeſie. (S. unter
Poeſie: Alter der Poeſie.)
2) Unterſchied der Wirkung des proſaiſchen und des
poetifchen Ausdrucks eines Gedankens.
Ein glücklich gereimter Vers erregt durch ſeine unbeſchreiblich em⸗
phatiſche Wirkung die Empfindung, als ob der darin ausgedrückte
Gedanke ſchon in der Sprache pradeſtinirt, ja präformirt gelegen und
vr Dichter ihn nur herauszufinden gehabt hätte. Selbſt triviale
Einfälle erhalten durch Rhythmus und Heim einen Anſtrich von Be-
deutſamleit. Ya, felbft fchiefe und falfche Gedanken gewinnen durch
te Berfification einen Schein von Wahrheit. Andererſeits wieder
chrumpfen fogar berühmte Stellen aus berühmten Dichtern zufammen
nd werden ımfcheinbar, wenn getreu in Profe wiedergegeben. Iſt nur
‚a8 Wahre ſchön und ift der liebſte Schmuck der Wahrheit die Nadt«
jeit, jo wird ein Gedanke, der in Profa groß und fchön auftritt, mehr
*7 Werth haben, als einer, ber in Verſen fo wirkt. (W. II,
18.)
Protehantismus, f. Katholicismus.
246 Prügelfirafe — PBublicum
Prügelftrafe.
Es iſt zu mißbilligen, daß Regierungen und geſetzgebende Körper
bem dummen Borurtheile des ritterlihen Ehrenprincips gegen Schläge
dadurd) Vorſchub leiften, dag fie mit Eifer auf Abftellung aller Prugel⸗
firafen beim Civil und Militär dringen. Sie glauben babe m
Sntereffe der Humanität zu handeln; während gerade das Gegeutkeil
der Ball ift, indem fie dadurch am der Befeftigung jenes widernelür-
lichen und heilloſen Wahnes arbeiten. Bei allen Bergehungen, mit
Ausnahme der fehwerften,. find Prügel bie dem Menſchen zuerft ein⸗
fallende, daher bie natürliche Beftrafung. Wer fir Gründe nicht m-
pfänglid war, wirb es für Prügel fein; und daß Der, welder am
Eigentdum, weil er Feines Bat, nicht geftraft werden Tann, und den
man an der freiheit, weil man feiner Dienfte bebarf, nicht ohnt
eigenen: Nachtheil firafen Tann, durch mäßige Prügel geftraft merke,
ift fo billig, wie natürlid. (P. I, 408 fg.)
Pſychologie.
Die rationale Pſychologie oder Seelenlehre, welcher zufolge de
Menſch aus zwei heterogenen Subftanzen zufammengefegt ift, dem m
teriellen Leibe und der immateriellen Seele, ift unhaltbar; weil, we
Kant bewiefen hat, die Seele eine transfcendente, als folche aber cin
unerwiefene und unberechtigte Hypotheſe if. (P. II, 20; I, 4.
107—111. E. 152fg. Bergl. Seele.) Die empirische Piyholsgt
Hingegen, d. i. die aus ber Beobachtung geſchöpfte Kenntnig ber more
liſchen und intellectuellen Aeußerungen und Eigenthümlichleiten des
Menſchengeſchlechts, wie auch ber Verſchiedenheit der Iudivibualitäter
in dieſer Hinficht, ift ein Theil der Authropologie. (Bergl. An
thropologie.)
Dublicnm.
1) Wodurch das Bublicum in der ähten Bildung zu:
ritdbleibt. a
Das Publicum wendet feine Theilnahme fehr viel mehr dem Stofi
der Bücher zu, al® der Form, und bleibt eben dadurd in feine
höhern Bildung zurück. Am lächerlichften legt es dieſen Hang Bi
Dichterwerken an den Tag, indem es jorgfältig den realen Begeben
beiten, oder ben perfönlichen Umftänden des Dichters, welche ihnen zum
Anlaß gedient haben, nachſpürt; ja, diefe werden ihm zulegt intereflar
ter, als die Werfe felbft, und es Tieft mehr über, als don Göthe,
und fludirt fleißiger die Yauftfage, ald den Fauſt. (P. II, 541.)
Das Publicum ift fo einfältig, lieber das Neue, als das Gute ju
leſen. (P. I, 545.) Die Litteraten, Brodfchreiber und Vielſchreiber
Haben es dahin gebracht, die geſammte Elegante Welt am Leitſeile
zu führen, in der Art, daß fie abgerichtet werden, a tempo zu leſen,
nämlih Alle ftets das Selbe, nämlich das Neuefte, um in ifrm
Buntt 247
Cirkeln einen Stoff zur Converfation daran zu haben. Was aber
kann eleuber fein, ald das Schidjal eines folchen belletriſtiſchen Publi«
cums, welches ſich verpflichtet hält, allezeit das neueſte Gefchreibe
böhft gewöhnlicher Köpfe zu lefen und daflir bie Werke der feltenern
und überlegenern Geifter aller Zeiten und Länder blos dem Namen
nach zu kennen! — Befonders ift die belletriftifche Zagesprejfe ein
ſchlau erfonnenes Mittel, dem äfthetifchen Publico die Zeit, bie e8 den
ähten Probuctionen der Art, zum Heil feiner Bildung, zuwenden follte,
zu rauben, bamit fie den täglichen Stümpereien der Alltagsköpfe zu-
falle. (B. I, 590. 598.) | on
2) Wodurch die ächte Bildung des Publicums geför-
dert werben könnte. |
Das Publicum könnte durch nichts fo fehr gefördert werden, ale
durch die Erlenntuiß der intellectuellen Ariftofratie der Natur.
Es würde dann nicht mehr bie ihm zu feiner Bildung kärglich zuge-
meffene Zeit vergeuden an den Productionen gewöhnlicher Köpfe; es
wiirde nicht mehr, im kindiſchen Wahn, daß Bücher, glei Eiern,
friſch genoſſen werben müffen, ftetS nach dem Neueſten greifen; ſon⸗
dern würde ſich an die Leiflungen der wenigen Auserlefenen und Be
rufenen aller Zeiten und Völker halten, würde fuchen, fie kennen und
verftehen zu lernen, und könnte jo allmälig zu ächter Bildung ge⸗
fangen. Dann würden aud) bald jene Tauſende unberufener Produc-
tionen ausbleiben, die wie Unfraut dem guten Weizen dad Aufkommen
erihweren. (W. II, 162.) —
3) Werth der Meinung bes Publicnms. —
Degen der Urtheilsloftgkeit des Publicums ift zwar die Meinung
und der Beifall deffelben gering zu achten. (Bergl. Beifall und
Meinung.) Andererſeits jedoch ift der Verachtung der Meinung des
Fublicums gegenüber an das Wort des Ariftoteled zu erinnern, daß,
obwohl die Einzelnen, die das Publicum ausmachen, in ber Regel
leines richtigen Urtheils fähig find, dennoch diefes Publicum im Verein
meiftens richtig und treffend urtheilt. (M. 410. 9. 468.) Man
lann mitunter Züge von Geiſt, oder Urtheil, wie durch Inſpiration,
bei Solchen finden, die librigen® zum großen Haufen gehören, ja, bis—
weilen fogar bei diefem felbft, wenn er, wie meiflens, fobald nur fein
Chorus groß und volfländig geworden, fehr richtig urtheilt; wie der
Zufammenflang auch ungefchulter Stimmen, wenn nur ihrer fehr viele
find, ſtets harmonisch ausfällt. (P. IL, 88 fg.)
Punkt, |
1) Ausdehnungslofigleit des Punktes. _
Es gehört zu den Prädicabilien a priori des Raumes, daß der
Punft ohne Ausdehnung iſt. (W. II, zu Seite 55, Tafel ber Prae-
cabilia a priori.) .
248 Burgatorium — Dualität
2) Unbeweglichleit des Punktes.
Die Materie allererft ift das Bemwegliche im Raume. Der mar
thematifche Punkt läßt ſich nämlich nicht einmal als beweglich denfen,
nie ſchon Ariftoteles bargethan hat, Phys. VI, 10. (W. U, 54.
. 95.)
3) Zwei Punkte können nit aneinander gränzen.
Aneinandergrängen heißt die gegenfeitigen äußerften Enden gemein
ſchaftlich haben; folglich Tönnen nur zwei Ausgedehnte, nicht zwei Un
theilbare (da fie jonft Eins wären), an einander gränzen, folglid mr
Linien, nicht bloße Punkte. (©. 94.)
Purgatorium, f. Wiederbringung aller Dinge.
Purismus, ſ. unter Deutſch: Die deutſche Sprade.
Pyramiden. .
1) Erhabenheit ber Pyramiden.
Manche Gegenftände. unferer Anfchauung erregen ben Eindrud bee
Erbabenen dadurch, daß ſowohl vermöge ihrer räumlichen Größe, alt
ihres hoben Alters, alfo ihrer zeitlichen Dauer, wir ihnen gegenüber
ung zu Nichts verkleinert fühlen und dennoch im Genuſſe ihres An
blicks ſchwelgen. Der Art find ſehr hohe Berge, Aegyptifche Pyra-
miben, Ffoloffale Ruinen von Hohen Altertfume. (W. I, 24319.
H. 362 fg.)
2) Die Pyramiden als Hiftorifhe Denfmale (S.
Dentmale.)
Q.
Qual, ſ. Schmerz.
Qualitüt.
1) Die Qualität als eine Denkform. (S. Denk—
formen.)
2) Die Qualität als Beftimmung ber Materie (©.
Form.)
3) Die Naturkräfte als geheimnißvolle Qualitäten
(qualitates occultas). (©. Naturfraft.)
4) Die Zurüdführung aller Qualität auf Quan-
tität.
Die Phyſik führt dem Unterſchied der Töne, der in Hinſicht af
Höhe und Tiefe für das Gehör ein qualitativer ift, anf einen bios
Quartet — Quid pro quo 249
quantitativen zuräd, nämlich auf ben der ſchnelleren, ober lang⸗
fomeren Bibration; wobei fich demnach Alles aus blos mechanifcher
Wirfjamkeit erkllärt. Daher eben Läuft in ber Muſik nicht nur das
rhythmiſche Element, der Tact, fondern auch das harmonifche, die Höhe
und Tiefe der Töne, auf Bewegung, folglich auf bloßes Zeitmaß und
demnach auf Zahlen zurüd. Hier ergiebt nun die Analogie eine ftarfe
Präfumtion für die Lode’fche Naturanfiht, dag nämlich Alles, was
wir, mittelit der Sinne, an den Körpern als Qualität wahrnehmen
(Rode'8 fecundäre Qualitäten), an fich nichts weiter fei, als Ber-
ſchiedenheit des Quantitativen, nämlich bloßes Reſultat der Une
durhdringlichkeit, der Größe, der Form, der Ruhe oder Bewegung und
Zahl der kleinſten Theile; welche Eigenfchaften Rode als die allein
objectiv wirklichen beftehen läßt und denmach primäre, d. i. ur⸗
ſprüngliche Oualitäten nennt. Diefe Anficht, aus welcher von ben
Phyſikern Folgerungen zu Gunſten der Atomiſtik gezogen werden, tie
fie beſonders in frankreich herrſcht, aber auch in Deutichland um ſich
greift, ift jedoch eine fehr rohe. (P. II, 116—122. Vergl. auch
Atom, Atomiftif; Materialismus; Mechanik.)
Quartett.
Die große Anhäufung vocaler und inſtrumentaler Stimmen in der
Oper wirkt zwar auf muſikaliſche Weiſe; jedoch ſteht die Erhöhung
der Wirkung, vom bloßen Quartett bis zu jenen hundertſtimmigen
Orcheſtern, durchaus nicht im Verhältniß mit der Vermehrung der
Mittel, weil eben der Accord doch nicht mehr, als drei, nur in Einem
Fall vier Töne haben und der Geiſt nie mehr zugleich auffafſſen kann,
von wie vielen Stimmen verſchiedener Octaven auf Ein Mal jene drei
oder vier Töne auch angegeben werben mögen. — Aus dem Allen iſt
erflärfih, wie eine ſchöne, nur vierftimmig aufgeführte Muſik bisweilen
und tiefer ergreifen kann, als die ganze opera seria, deren Auszug
fie fiefert; — eben wie bie Zeichnung bisweilen mehr wirft, als das
Delgemälde. Was dennod) die Wirkung des Quartetts hauptſächlich
niederhält, ift, daß ihm die Weite der Harmonie, d. h. die Entfernung
zweier oder mehrerer Dctaven zwifchen dem Baß und ber tiefften ber
drei oberen Stimmen abgeht, wie fie von der Tiefe des Kontrabaſſes
aus dem Drchefter zu Gebote fteht. (P. II, 466.)
Qnid pro quo.
Der Mißverfland des Wortes oder das quid pro quo ift ber un⸗
willkürliche Calembourg und verhält ſich zu dieſem gerade fo, wie bie
Rarrheit zum Wig; daher aud muß oft der Harthörige, fo gut wie
der Narr, Stoff zum Lachen geben, und fchlechte Komödienjchreiber
brauchen jenen ftatt diefen, um Lachen zu erregen. (W. I, 73. Bergl.
unter Rächerlich: Arten des Lächerlichen.)
250 Quietiomuſs. Quietiſten — Quietiv
Quietismus. Quietiſten.
1) Verwandtſchaft des Duietismus mit der Ackeſe
und dem Myfticismus. (S. Askeſe.)
93) Mebereinftimmung der Lehren der Quietiſten ver—
fhiedener Zeitalter, Lünder und Religionen. E.
Askeſe.)
3) Empfehlenswerthe quietiſtiſche Schriftfteller.
Zur Bekanntſchaft mit dem Quietismus find beſonders zu empfehlen:
Meifter Edhard, die Deutfche Theologie, Tauler, die Guion, die An-
toinette Bourignon, Bunyan, Molinos, Gichtel. (W. II, 704.)
4) Stellung der Bhilofophie zum Quietismus.
Das Thema des Duietismus und Aslketismus dahingeſtellt fen
laſſen darf Feine Philofophie, wenn man ihr bie Frage vorlegt; weil
daſſelbe mit dem aller Metaphyſik und Ethik dem Stoffe nad ibentiid
ift. (W. IL, 704.) | |
Jede Philofophie, welche confequentermweife bie quietiftifche Denlart
verwverfen muß, was nur gefchehen Tann, indem fie die Repräfentanten
derfelben für Betrüger ober Verrückte erklärt, muß ſchon dieſerhalb
nothwendig faljch fein. In diefem alle nun aber befinden fi alk
europäifchen Syfteme mit Ausnahme des Schopenhauerfchen. (W. II, 704.)
Quietiv.
1) Gegenfatz zwiſchen Quietiv und Motiv.
Der Wille iſt zwar in allen feinen Erſcheinungen der Not.
wendigfeit unterworfen, aber an fich felbft ift er frei, ja allınäditig.
(Bergl. unter Freiheit: Die Freiheit als metaphyſiſche Cigenfchaft.)
Diefe Freiheit, dieſe Almadht nun, als deren Aeußerung und Abbib
die ganze fichtbare Welt, ihre Erſcheinung, dafteht und den Gejepen
gemäß, welche die Form ber Erkenntniß mit fi) bringt, fi fort
jchreitend entwidelt, — kann auch, und zwar ba, wo ihr in ih
vollendetfter Erjcheinung (im Menſchen) die volllommen adäquate Kennt«
niß ihres eigenen Weſens aufgegangen ift, von Neuem ſich äußern,
indem fle nämlich entweder auch bier, auf dem Gipfel der Befinnung
umd des Selbftbewußtfeine, das Selbe will, was fie blind und fid
felbft nicht Tennend wollte, wo dann die Erfenntniß, wie im Einzelnen,
fo im Ganzen, für fie ſtets Motiv bleibt; oder aber auch umgelehrt,
diefe Erkenntniß wird ihr ein Quietiv, welches alles Wollen be
[hwichtigt und aufhebt. Dies ift der Gegenſatz der Bejahung um
Berneinung des Willens zum Leben. (W. I, 363.) Der Bile
bejaht fich felbft, befagt: indem im feiner Objectität, d. i. der Welt
und dem Leben, fein eigenes Wefen ihm als Vorſtellung volftändig
und deutlich gegeben wird, hemmt dieſe Erfenntniß fein Wollen kei⸗
neswegs; fondern eben dieſes fo erfannte Leben wird auch als foldes
von ihm gewollt, wie bi8 dahin ohne Erkenntniß, als blinder Drang,
Quietiv 251
ſo jetzt mit Erkenntniß, bewußt und beſonnen. — Das Gegentheil
hiervon, die Berneinung des Willens zum Leben zeigt fi, wenn
auf jene Erkenntniß das MWollen endet, indem fodann nicht mehr bie
erfannten einzelnen Erfcheinungen ald Motive des Wollens wirken,
fondern bie ganze durch Auffaffung der Ideen erwachfene Erfenntniß
des Weſens ber Welt, die ben Willen fpiegelt, zum Quietiv des
Willens wird und fo der Wille frei fich felbft aufgeht. (W. I, 336.)
2) Beſchaffenheit ber als Quietiv wirkenden Erfenntniß.
Die ald Duietiv wirkende Erkenntniß ift Feine abftracte, fonbern
eine intuitive, im der lebendigen Durchſchauung bes principii in-
dividuationis beftehende. Während Der, weldjer noch im principio
individuationis, folglic, im Egoismus, befangen iſt, nur einzelne Dinge
und ihre Verhältniß zu feiner Perfon erkennt, und jene dann zu immer
erneuerten Motiven feines Wollens werden; jo faßt Hingegen die zum
Quietiv alles und jedes Wollens werdende Erfenntniß das Ganze,
das Wefen der Dinge an ſich intuitiv auf. (W. I, 336. 448. 299.
Bergl. auch) unter Individuation: ‘Die im principio individuationis
befangene Erkenutniß im Gegenſatze zu der es durchichauenden.)
3) Darftellung der als Quietiv wirfeuden Erkenntniß
durch die Kunft.
In den höchften und beivundernewürdigften Leiftungen der Malerkunſt,
den Bildern, welche ben eigentlichen, d. 5. ben ethifchen Geift des
Chriſtenthums für die Anfchauung offenbaren, durch Darftellung von
Menſchen, welche diefes Geiftes vol find, alfo in ben Heiligenbilbern,
beſonders in den Augen der Heiligen, fehen wir den Auedrud, den
BWiederfchein ber volllommenften Erkenntniß, derjenigen nämlich, welche
nicht auf einzelne Dinge gerichtet ift, fondern bie Ideen, aljo da® ganze
Weſen der Welt und des Lebens, vollfommen aufgefaßt hat, welche
Erkenntniß in ihnen. auf den Willen zurüdwirfend, nicht, wie jene
andere, Motive für diefelben Tiefert, fondern in Gegentheil ein Quie⸗
tiv alles Wollens geworben ift. (W. I, 274 fg.)
Auch das ächte Trauerfpiel führt ımd Individuen vor, deren Er-
kenntniß, geläutert und gefteigert durch das Leiden, den Punft erreicht,
wo die Erſcheinung, der Schleier der Maja, fie nicht mehr täufcht,
die Form der Erfcheinung, das principium individuatienis, von ihr
durchſchaut wird, der anf diefem beruhende Egoismus eben damit er⸗
ſtirbt, wodurch nunmehr die vorhin fo gewaltigen Motive ihre Macht
verlieren, und ftatt ihrer die vollfommene Erkenntniß des Weſens der
Belt, als Duietiv des Willens wirkend, die Nefignation berbeiführt.
(®. I, 298 fg.; II, 494 fg.)
252 Racen — Rache. Rachſucht
R.
Racen, des Menſchengeſchlechts.
1) Die drei urſprünglichen Racen.
Es giebt nur drei beſtimmt geſonderte Typen, die auf urſprüngliche
Racen deuten: den kaukaſiſchen, den mongoliſchen und den äthiopiſchen
Typus. (P. O, 167.)
2) Unwefentlichleit der Farbe für die Hacenein-
theilung.
Nah Büffons Vorgang reden die Ethnographen noch immer gan;
getroft bon der weißen, der gelben, der rothen und ber ſchwarzen
ace, indem fie ihren Eintheilungen hbauptfählih die Farbe zum
Grunde legen, während in Wahrheit dieſe gar nichts Wefentliches if
und ihr Unterfchied Feinen andern Urfprung bat, als die größere ober
geringere, und frühere oder fpätere Entfernung eines Stammes ton
der heißen Zone, als in welcher allein das Menſchengeſchlecht indigen
ift und daher auferhalb ihrer nur unter Fünftlicher Pflege, indem et,
wie die erotifchen Pflanzen, im Treibhauſe überwintert, beftehen kam,
dabei aber allmälig, und zwar zunächſt in ber Farbe, ausartet. Tas,
nach der Abbleihung, die Farbe der mongolifchen Race etwas gelblicher
ausfällt, als die der kaukaſiſchen, Tann allerdings in einem Racen⸗
unterjchiede begründet fein. (P. U, 170.)
3) Niedrige Stufe der Neger.
Es ift nicht zu bezweifelnde Thatfache, daß bie Neger mehr Körper
kraft haben, als die Menfchen ber andern Racen, da fie folglich, was
ihnen an Senfibilität abgeht, an Yrritabilität mehr haben. Dadurch
aber ftehen fie den Thieren näher, als welche alle, im Verhältniß ihrer
Größe, mehr Muskelkraft haben, als der Menſch. (P. IL, 177. Ueber
die Irritabilität als den Hauptcharafter des Thieres vergl unter
Lebenskraft: Die drei Functionen der Lebenskraft.) Daß die Neger
vorzugsweife und im Großen in Sclaverei gerathen find, ift offenbar
eine Folge davon, daß fie, gegen die andern Menfchenracen, an I
telligenz zurüdftehen, welches jedoch der Sache keine Berechtigung giedt.
(N. 50.) Die intellectuell niebrige Stufe der Neger zeigt ſich auf
an ihrem Schäbel (P. LI, 182) und an ihrer Gefelligkeit. (P. I, 349.)
Rache. Kachſucht.
1) Gegenſatz zwiſchen Rache und Strafe.
Das Geſetz und bie Vollziehung deſſelben, die Strafe, find weſent⸗
Ich auf die Zukunft gerichtet (wollen abfchreden von Beeinträchtigung
Rache. Rachſucht 263
fremder Rechte), nicht auf die Vergangenheit. Dies unterſcheidet
Strafe von Rache, welche letztere lediglich durch das Geſchehene,
alſo das Vergangene als ſolches, motivirt iſt. Alle Vergeltung des
Unrechts durch Zufügung eines Schmerzes, ohne Ziwed für die Zukunft,
it Rache und kann feinen andern Zweck haben, als durd den Anblid
des fremden Leidens, welches man felbft verurfacdht hat, fich- über das
jelbft exrlittene zu tröften. Solche iſt Bosheit und Grauſamkeit, und
ethifch nicht zuc rechtfertigen. Unrecht, das mir Jemand zugefügt, be=
fugt mid) keineswegs, ihm Unrecht zuzufügen. Vergeltung des Böſen
mit Böſem, ohne weitere Abficht, ift weder moralifch, noch fonft, durch
gend einen vernünftigen Grund zu rechtfertigen. — Zwed fir die
Zukunft unterjcheibet Strafe von Rache, und biefen hat die Strafe
nur dann, warn fie zur. Erfüllung eines Geſetzes vollzogen wird.
(®. I, 411 fg.)
2) Verwandtſchaft der Rachſucht mit der Bosheit.
Mit der Bosheit verwandt ift die Rachſucht, die das Böſe mit
Böſem vergilt nicht aus Rückſicht auf bie Zukunft, welches der Cha-
ralter ber Strafe ift, jondern blos wegen bes Gefchehenen, Bergangenen,
als ſolchen, alfo uneigennügig, nicht als Mittel, fondern ale Zweck,
um an der Dual des Beleidigers, die man felbft verurfacht, ſich zu
weiden. (Vergl. Böſe. Bosheit) Was die Rache von der reinen
Bosheit unterjcheibet und in etwas entfchuldigt, ift ein Schein des
Rechts; fofern nämlich der felbe Act, der jetzt Rache ift, wenn er
gejeglich, d. h. nach einer vorher beftimmten und befannten Regel und
in einem Berein, ber fie fanctionirt bat, verfügt würde, Strafe, alfo
Recht fein würde. (W. I, 430 fg.)
3) Ein mit ber gemeinen Rache nicht zu verwechfelnder
Zug in ber menfhlidden Natur.
Wir fehen bisweilen einen Menſchen über ein großes Unbild, das
er erfahren, ja vielleiht nur al® Zeuge erlebt Hat, fo tief empört
werden, daß er fein eigenes Leben mit Ueberfegung und ohne Rettung
daran feßt, um Rache an dem Ausüber jenes Frevels zu nehmen.
Bir fehen ihn etwa einen mächtigen Unterbrüder Jahre lang auffuchen,
endlich ihn morden und dann felbft auf dem Schaffot fterben, wic er
borhergefehen, ja oft gar nicht zu vermeiden fuchte, indem fein Leben
nur noch als Mittel zur Rache Werth für ihn behalten Hatte. “Diefe
Art der Vergeltungsfucht ift ſehr verfchieden von der gemeinen Mache,
die das erlittene Leid durch den Anblid des verurfachten mildern will;
1a, fie bezweckt nicht ſowohl Rache, als Strafe; denn in ihr Liegt
eigentlich die Abficht einer Wirkung anf die Zukunft. Der Wille zum
Leben bejaht fi zwar in einem foldhen aus Unmillen über ein em⸗
pörendes Unbild die Rache bis zur Selbftopferung treibenden Menfchen
uch, hängt aber nicht mehr an ber einzelnen Crfcheinung, dem In⸗
dividuo, fondern umfaßt bie Idee bes Menfchen und will ihre Erſcheinung
254 Rang — Rankeungewüchſe
rein erhalten von ſolchem ungeheuern Unbild. Es iſt ein ſeltener,
erhabener Charakterzug, durch welchen der Einzelne ſich opfert, inden
er ſich zum Arm ber ewigen Gerechtigkeit zu machen ſtrebt, deren
eigentliches Weſen er noch verlennt. (W. I, 423 fg. Bergl. auf
unter Gerechtigkeit: Die ewige Gercchtigkeit.)
4) Pſychologiſche Erklärung der Süßigkeit der Racht
Alles von der Natur, oder dem Zufall, oder Schidjal auf und ger
worfene Leiden ift, ceteris paribus, nicht fo ſchmerzlich, wie das,
weiches fremde Willfür über ung verhängt. Denn in dem aus Natır
und Zufall entfpringenden Leiden erkennen und bejammern wir meh
das gemeinfame Loos der Menſchheit, als unfer eigenes; hingegen hat
das Leiden durch fremde Willlür eine ganz eigenthilmliche, bitte
Zugabe zu dem Schmerz, oder Schaden felbft, nämlich bas Bewußtſein
fremder MWeberlegenheit, bei eigener Ohnmacht dagegen. Jene bitten
Zugabe ift blos durch Rache zu neutralifiren. Indem wir nänlid
dem Beeinträchtiger wieder Schaden zufligen, zeigen wir unfere Uebe-
legenheit über ihn und annulliren dadurch den Beweis ber feinigen.
Dies giebt dem Gemüthe die Befriedigung, nad) ber es bühflek.
Demgemäß wird, mo viel Stolz, oder Eitelkeit ift, auch viel Rachfucht
fein. (P. I, 623 fg.)
5) Wodurch der Genuß der Rache vergällt wird.
Wie jeder erfiillte Wunsch fi), mehr ober weniger, als ZTänfhuy
entfchleiert; fo auch der nacı Rache. Meiſtens wird der von berieben
gehoffte Genuß uns vergällt durch das Mitleid; ja, oft wird bie gr
nommene Rache nachher das Herz zerreißen und das Gewiſſen qulla;
das Motiv zu berfelben wirkt nicht mehr, und der Beweis unfere
Bosheit bleibt vor uns ſtehen. (P. DI, 624.)
Rang. _
1) Werth und Wirkung bes Ranges,
Was wir in ber Welt vorftellen, d. 5. in ben Augen Andere
find, Täßt ſich eintHeilen in Ehre, Rang und Ruhm.
Der Rang, fo wichtig er in den Augen des großen Haufens und
der Philifter, und fo groß fein Nuten im Getriebe der Staatsmaſchine
fein mag, ift ein conventioneller, d. h. eigentlich ein fimulirter Werth;
feine Wirkung ift eine fimulirte Hochachtung, und das Ganze ein
Komödie für den großen Haufen. (P. I, 382.)
2) Gegenfag zwifchen der Ranglifte der Natur und
der Ranglifte ber Geſellſchaft. (©. Gefeltfdaft)
Rankengewächſe.
Einen deutlichen Beleg der Willensäußerung in Pflanzen geben bir
Ranfengewächfe, welche, wenn feine Stüge zum Anllammern in bt
Raſerei — Rationaliemus 255
Nähe iſt, eine ſolche ſuchend, ihr Wachethum immer nach dem ſchat⸗
tigſten Ort hin richten, ſogar nach einem Stück dunkel gefärbten
Papiers, wohin man es auch legen mag; hingegen fliehen ſie Glas,
weil es glänzt. (N. 63.)
Raferei, |. Wahnſinn.
Kath. Bathgeber.
In jedem Andern ein mögliches Mittel zu unfern- Zweden, alfo ein
Berkzeug zu fuchen, diefe aus dem Egoismus entfpringende Sinnes-
art Tiegt beinahe fchon in der Natur des menſchlichen Blicks. ‘Daß
wir diefe Sinnesart bei Andern voransfegen, zeigt fi unter andern
auch. daran, daß wenn wir von Jemanden Auskunft oder Rath ver-
fangen, wir alles Vertrauen zu feinen Ausfagen verlieren, fobald wir
entdeden, daß er irgend ein, wenn auch nur kleines, ober entferntes
Intereffe bei der Sache haben könnte. Denn da fegen wir jogleich
boraus, er werde und zum Mittel feiner Zwede machen, und feinen
Roth daher nicht feiner Einficht, fondern feiner Abſicht gemäß
ertheilen. Andererfeit wird in ſolchem alle bei unferer Frage:
„Was fol ich thun?“ dem Andern oft gar nichts Anderes einfallen,
old was wir feinen Zweden gemäß zu thun hätten. ‘Dies alfo wird
‚er. fogleih und wie mechanisch antworten, ehe nur die Frage zum
Forum feines wirklichen Urtheil® gelangen konnte. So überwiegend
M der Einfluß des Willens über den ber Erfenntniß. (E. 163 fg.)
Die erfahrenen Menfchen wifien, daß zwifchen Leuten, die in irgend
einem Berhältniffe zu einander ftehen, eine aufrichtige, unbefangene
Sefinnung beinahe unmöglich ift, fondern flets eine gewifie Spannung
durh Aufmerken auf unfern nahen oder entfernten Bortheil Statt
hat; fie bedauern, aber fie wiſſen, daß es fo ift und gehen num mit
Freuden und Bertrauen aus der Mitte der ihrigen dem Wildfremden
entgegen, um fich ihm aufzufchließen; daher find Mönche, die bem
Leben entſagt haben und alle ſolche ühnliche Menſchen, fo gute Rath⸗
geber und Bertraute. (9. 453 fg.)
Rationalismus. .
1. Der philsſophiſche Nationalismus.
In der Bhilofophie befteht ein Gegenſatz zwifchen Rationalismus
ud Illuminismus. (S. unter Philofophie: Methode ber
Bhilofophie.)
II. Der theslogiſche Rationalismus.
1) Der Streit zwifhen Supranaturalismus und Ra»
tionalismus, Ä
Auf dem Verkennen der allegorifhen Natur jeder Religion beruft
der in unfern Tagen fo anhaltend geführte Streit zwifchen Supra«
256 Rationalismus
naturaliſten und Rationaliſten. Beide nämlich wollen das Chriſtenthum
sensu proprio wahr haben; in dieſem Sinne wollen die erſtern es
ohne Abzug, gleichfam mit Hant und Haar, behaupten, wobei fie dm
Kenntniffen und ber allgemeinen Bildung des Zeitalter gegenüber einen
ſchweren Stand haben. Die Andern Hingegen fuchen alles eigenthümlich
Chriftliche Hinauszueregefiren, wonad) fie etwas übrig behalten, das
weder sensu proprio, nod) sensu allegorico wahr ift, vielmehr eim
bloße Platitüide, beinahe nur Judenthum, ober höchſtens Pelagianismus,
und, was das "Schlimmfte, nieberträdhtiger Optimismus, der bem
eigentlichen Chriſtenthum durchaus fremd if. (W. II, 184. 692.
G. 122.)
Die Rationaliften find ehrliche Leute, jedoch platte Geſellen, bie vom
tiefen Sinne des nenteftamentlihen Mythos (von der Erbfiinde un
der Verſöhnung durch den Erldfer) Feine Ahndung haben und md
iiber den jüdifchen Optimismus hinaus können. Sie wollen die nadte,
trodene Wahrheit im Hiftorifchen, wie im Dogmatifchen. Man Fam
fie dem Euhemerismus des Altertfums vergleichen. Freilich ift, wat
die Supranaturaliften bringen, im Grunde eine Mythologie; aber
diefelbe ift das Vehikel wichtiger, tiefer Wahrheiten, welche dem Ber:
ſtändniß des großen Haufend nahe zu bringen auf anderen Wege nicht
möglich wäre. Der gemeinfame Irrthum beider Parteien ift, daß fc
in ber Religion bie unverfchleierte, trodene, buchftäbliche Wahrheit
fuchen, während fie doc nur eine Wahrheit hat, wie fie dem Volle
angemeffen ift, eine indirecte, fymbolifche, allegoriſche. Die Supre
naturalifien wollen die Allegorie des Chriftentbums als an fich wahr
behaupten; die Rationaliften wollen fie umbeuteln und modeln, bi6 fie,
fo nad ihrem Mafftabe, an ſich wahr fein fünne. Die Kattonaliften
fagen zu den Supranaturaliften: „eure Lehre ift nicht wahr.” Dieſe
hingegen zu jenen: „eure Lehre ift Fein Chriftenthum.” Beide haben
Net. Während aber doch ber Supranaturalismus allegorifche Wahr:
beit bat, Tann man dem Rationalismus gar Teine zuerfennen. Wer
ein Rationalift fein will, muß ein Philoſoph fen und als folcher fid
von aller Auctorität emancipiren. Will man aber ein Theolog fein;
jo fei man confequent und verlaffe nicht das Fundament der Auctorität.
Entweder glauben, oder philofophiren! was man ermwäßlt, ſei man
ganz. Über glauben, bis auf einen gewiffen Punkt und nicht weiter,
und eben jo päilofophiren bis auf einen gewiſſen Punkt und nidt
weiter, — Dies ift die Halbheit, welche ben Grundcharakter des
Rationalismus ausmacht. Hingegen find die Rationaliften moraliſch
gerechtfertigt, fofern fie ganz ehrlich zu Werke gehen und nur fich felbft
-täufchen; während die Supranaturaliften doch wohl mit ihrem Ansgeben
einer bloßen Allegorie für baare Wahrheit meiftens abfichtlich Andere
zu täufchen fuchen. Während die Nationaliften flache Geſellen ohne
Sinn fir den Geift des Chriftenthums find, fo find die Supra
naturaliften bisweilen etwas viel Schlinnmeres, nämlich Pfaffen im
ärgften Sinne des Wortes. (P. U, 415—418. 689.)
Raum . 297
2) Gefährlichkeit des Rationalismus fir die Re—
ligion.
Der Verſuch, eine Religion ans der Vernunft zu begründen, verfett
fie in die andere Klaſſe der Metaphyſik, in bie, welche ihre Beglaubigung
in fi felbft hat (vergl. unter Metaphyſik: Unterfchied zweier
Arten von Metaphyſik), alfo auf einen fremden Boden, auf den ber
philofophifchen Syfteme, und ſonach in den Kampf, den diefe, auf
ihrer eigenen Arena, gegen einander führen, folglich, unter das Gewehr-
feuer des Skepticismus und das ſchwere Geſchütz der Kritik der reinen
Vernunft; fi) aber dahin zu begeben, wäre für fie offenbare Ver⸗
meſſenheit. (W. II, 185.) |
In der chriſtlichen Religion ift das Dafein Gottes eine ausgemachte
Cade und über alle Unterfuhung erhaben. So ift e8 Recht; denn
dahin gehört es und ift dafelbft durch Offenbarung begründet. Es iſt
daher ein Mißgriff der Hationaliften, wenn fie, in ihren Dogmatiken,
dad Dafein Gottes anders, als aus der Schrift, zu beweifen verfuchen;
1 wilfen in ihrer Unſchuld nicht, wie gefährlich diefe Kurzweil ift.
P. I, 115.)
3) Widerfpruch des Rationalismus mit der Bibel.
Die Verſuche, den Theismus vom Anthropomorphismus zu reinigen,
greifen, indem fie nur an ber Schafe zu arbeiten wähnen, geradezu
jein innerfted Weſen an; durch ihr Bemühen, feinen Gegenftanb abftract
zu faſſen, ſublimiren fie ihn zu einer umdeutlichen Nebelgeftalt, deren
Umriß unter dem Streben, bie menfchliche Figur zu vermeiden, allnıälig
ganz verfließt; wodurch denn ber Findliche Grundgedanke ſelbſt endlich
zu nichts verflüchtigt wird. Den rationaliſtiſchen Theologen, denen
dergleichen DBerfuche eigenthümlich find, kaun man überdies voriwerfen,
daß fie geradezu mit der heiligen Urkunde in Widerfpruch treten,
welche fagt: „Gott ſchuf den Menfchen ihm zum Bilde; zum Bilde
Gottes ſchuf er ihn.” (P. 1, 127.)
Baum.
1) Das eigenthiimliche Gefeg, nad welchem bie Theile
des Raumes einander beflimmen.
Das eigenthüimliche Gefeß, nad) welchen: die Theile des Raumes
(und der Zeit) einander beflimmen, ift eine bejondere Geftalt des Satzes
vom zureichenden Grunde: der Scinsgrund. (©. 131. Vergl. unter
Orund: Grund des Seins, und unter Geometrie: Inhalt ber
Geometrie.)
2) Ydcalität des Raumes.
Der einleuchtendfte und zugleich einfachfte Beweis ber Idealität
des Raumes ift, daß wir den Raum nicht, wie alles Andere, in Ge-
danfen aufheben können. Blos ansleeren können wir ihn. Aber ihn
Schopenhauer⸗Lexikon. UI. 17
298 Kaum
jelbft Tönnen wir auf keine Weife los werden. Was wir auch thun,
wohin wir uns aud) ftellen mögen, er ift da und bat nirgends ein
Ende; denn er liegt allem unſerm Borftellen zu Grunde und iſt bie
erfte Bedingung defielben. Dies beweift ganz ſicher, daß er unjerm
Intellect felbft angehört, ein integrirender Theil deſſelben if
und zwar ber, welcher den erften Grundfaben zum Gewebe beflelben,
auf welches danad) die bunte Objecten- Welt aufgetragen wird, liefert.
Iſt nun aber der Raum offenbar eine Function, ja eine "Ormb-
function unſers Intellects felbft; fo erſtreckt ſich die hieraus folgente
Idealität auch auf alles Räumliche, fofern es räumlich if, alſo fo-
fern es Geftalt, Größe und Bewegung hat. Auch bie jo genauen und
richtig zutreffenden aftronomifchen Berechnungen find nur dadurch
möglich, daß der Raum eigentlich in unferm Sopfe if. Daß der
Kopf im Raume fei, hält ihn nicht ab, einzufehen, daß der Kaum
doch nur im Kopfe if. (P. II, 46fg.; I, 18fg. ©. 82. W. I,
37—40 und 55, Tafel ber Praedicabilia a priori de8 Raumes.
Borrede S. XIH—XVI. 9.329. Ueber das Hellfehen als eine Ir
ftätigung der Idealität des Raumes f. Magie und Magnetismus)
3) Gegenſatz zwifhen Raum und Zeit in Hinſicht ani
die abftracte Erfenntniß.
Eine Eigenthlimlichkeit unſers Erfenntnißvermögens, die mar mid;
bemerken Tonnte, fo lange ber Unterfchied zwiſchen anfchaulider und
abftracter Erkenntniß nicht vollfonmen deutlich gemacht war, ift die,
‚daß die Berbältniffe des Raumes nicht unmittelbar und als ſolche m
die abftracte Erlenntniß übertragen werben können, fondern hiezu allein
die zeitlichen Größen, die Zahlen geeignet find. Die Zahlen allein
können in ihnen genau entfprechenden abftracten Begriffen ausgebrüdt
werden, nicht die räumlichen Größen. Will man alfo von den väum-
lichen Berbältniffen abftracte Erkenntniß haben, fo müſſen fie erſt u
zeitliche Berhältniffe, d. b. in Zahlen, übertragen werden; deswegen f
nur die Arithmetif, nicht bie Geometrie, allgemeine Größenlehre, um
die Geometrie muß in Arithmetik überjeßt werden, wenn fie Mittbeil-
barkeit, genaue Beſtimmtheit und Anwendbarkeit auf das Braftifce
haben fol. Die Nothwendigfeit, daß ber Raum mit feinen drei
Dimenfionen in die Zeit, welde nur eine Dimenfion bat, überſetzt
werden muß, wenn man eine abftracte Exfenutniß feiner Berhältnifie
haben will, dieſe Nothwendigkeit ift es, welde die Mathematik jo
ſchwierig macht. — Während der Raum ſich ſehr für die Anſchauung
eignet und mittelſt feiner drei Dimenſionen ſelbſt complicirte Verhält⸗
a leicht überfehen läßt, dagegen der abftracten Erfenntniß fich entzieht;
fo geht umgekehrt die Zeit zwar leicht in die abftracten Begriffe cın,
giebt dagegen ber Anſchauung fehr wenig. LUnfere Anſchauung ber
Zahlen in ihrem eigenthiimlichen Element, der bloßen Zeit, ohne Hin-
zuziehung des Raumes, geht kaum bis Zehn, darüber hinaus haben
wir nur noch abftracte Begriffe, nicht mehr auſchauliche Erkenntniß
Raum 259
der Zahlen; Hingegen verbinden wir mit jedem Zablwort und allen
algebraifchen Zeichen genau beftimmte abftracte Begriffe. (W. J, 64 fg.)
4) Die Bereinigung don Raum und Zeit al! Be-
dingung der Borftellung der Dauer. (S. Dauer.)
5) Die Bereinigung von Raum und Zeit als Be-
dingung der Borftellung der Materie,
Raum und Zeit, jedes fiir fi, find auch ohne die Materie an-
ſchaulich vorſtellbar; die Materie aber nicht ohne jene. Schon bie
Form, weldye von ihr unzertrennlich ift, fegt den Raum voraus, und
ige Wirken, in weldjem ihr ganzes Dafein befteht, betrifft immer eine
Beränderung, alfo eine Beltinnmung der Zeit. (W. I, 10—13.
Bergl. unter Materie: Die reine Materie und ihre apriorifcher
Beftimmungen.)
6) Raum und Zeit als das Princip der Individua-
tion. (©. Indivibuation.)
T) Raum und Zeit als das Grundgerüft und ber
Grundtypus der erfcheinenden Welt.
Weil alle Dinge der Welt die Objectität des einen und felben
Willens, folglih dem innern Weſen nad) identisch find; fo muß nicht
nur jene (bejonderd von der Schelling'ſchen Naturphiloſophie nachge⸗
wiefene) unverlennbare Analogie zwifchen ihnen fein und in jedem
Unvolltonmneren ſich ſchon. die Spur, Anbentung, Anlage des zunächft
liegenden Vollkommneren zeigen; fondern auch, weil alle jene Formen
doch nur der Welt als VBorftellung angehören, fo läßt ſich fogar
annehmen, daß ſchon in den allgemeinften Formen der Borftellung, in
diefem eigentlichen Grundgerüſt der erjcheinenden Welt, alfo in Raum
und Zeit, der Grundtypus, die Andentung, Anlage alles Deflen, was
die Formen füllt, aufzufinden und nachzuweiſen ſei. Es feheint eine
dunfele Erkenntniß hievon gewwefen zu fein, weldje der Kabbala und
aller mathematifchen Philofophie der Pythagoräer, auch der Chineſen
im Peking, den Urjprung gab; und aud) in der Schelling’jchen Schule
finden wir bei ihren mannigfaltigen Beftrebungen, die Analogie zwifchen
allen Erfcheinungen der Natur an das Ficht zu ziehen, auch manche,
wiewohl unglüdliche Berfuche, aus ben bloßen Geſetzen des Rauınes
und der Zeit Naturgeſetze abzuleiten. Indeſſen kann man nicht wiſſen,
wie weit einmal ein genialer Kopf beide Beftrebungen realifiren wird,
(W. I, 171.)
Es ift ſehr bemerfenswertä, wie die Örundformen der Ob—
jectipation bes Willens, nänlid Zeit, Raum und Caufalität,
auch gerade die Quelle aller Leiden des Lebens, ihrer ganzen
Möglichkeit nad find. Co ift vermöge der Zeit das Hinfchwinden,
Berlieren, Sterben, das Nichtige und BVergängliche aller Dinge; ver⸗
möge des Raumes die beftändigen Durchkreuzungen und gegenfeitigen
17*
260 Kauf — Realismus
Hemmungen aller Willenserfcheinungen und ihres Strebens; endlich
vermöge der Cauſalität alles Xeiden iiberhaupt, da es durch Eimwirkung
ber Körper auf einander allein entſteht. Man fieht, daß das Grund⸗
gerüft zur Offenbarung des Weſens des Willens auch ſogleich den
innern Widerſpruch, die Nichtigkeit und Unfäligfeit, die diefem Weſen
anffeben und das Ganze feiner Erfcheinung begleiten, unmittelbar fund
thun mußte. Da alles Leiden feiner Natur nach empirifch ift, muß
es freilich die form der Erfahrung zur Grundlage haben. (9. 421.)
8) Ob die Welt im Raume begränzt ift.
Das Geje der Kaufalität giebt blos in Hinfiht auf die Zait,
nicht auf den Kaum, notbwendige Beftimmungen an die Hand und
ertheilt und zwar a priori die Gewißheit, daß feine erfiillte Zeit je
an eine ihr vorhergegangene leere gränzen und feine Veränderung bie
erfte fein Konnte, nicht aber darüber, daß ein erfüllter Raum feinen
leeren neben ſich haben kann. Infofern wäre iiber Letzteres feine Ent-
ſcheidung a priori möglich, Jedoch liegt die Schwierigfeit, die Welt
im Raume als begränzt zu beufen, darin, daß der Raum felbft noth⸗
wendig unendlich ift, und daher eine begränzte endliche Welt im ihm,
fo groß fie auch fei, zu einer unendlich Meinen Größe wird, fo daß
die Frage entfteht, wozu dern ber übrige Raum da fei, welches Bor-
recht denn der erflilite Theil de8 Raumes vor dem unendlichen, leer
gebliebenen, gehabt Hätte. Andererſeits wieder kann man nicht fallen,
daß fein Firftern der äußerfte im Raume fein ſollte. Die Sache ficht
alſo wirklich einer Antinomie fehr ähnlich, fofern bei der eimen, wie
bei der andern Annahme, bedeutende Webelftände fich hervorthun
(®. I, 587 fg. P. I, 114. H. 345)
Raufd,
1) Berminderung ber intellectuellen Freiheit burd
den Rauſch.
Der Rauſch ift ein Zuftand, der zu Affecten disponirt, indem er
bie Xebhaftigfeit der anſchaulichen Vorftellungen erhöht, das Denken
in abstracto dagegen ſchwächt und dabei noch die Energie des Willens
fleigert. Durch ihn wird die intellectuelle Freiheit (vergl. unter
Freiheit: intheilung der praftifchen Yreiheit) vermindert oder partiell
aufgehoben. An die Stelle ber Berantwortlichkeit filr die Thaten tritt
daher bier die für den Rauſch felbft; daher er juridifch nicht entjchul-
bigt, obgleich bier die intellectuelle Freiheit zum Theil aufgehoben iſt.
(€. 100 fg.)
2) Einfluß des Raufhes auf das Gedächtniß. (S. unter
Gedächtniß: Die auf das Gedächtniß wirkenden Einflüffe.)
Real, ſ. Ideal.
Realismus, |. Idealismus.
= u Ihufhn mAh: Eee | ie
Realität — Recht 261
Kealität. |
1) Unterfchied zwifchen Realität und Wahrheit. (S.
Irrthum.) |
2) Öegenjag zwiſchen Realität und Schein. (©. Irre
tbum.)
3) Die Gegenwart als alleinige Forn der Realität.
(S. Gegenwart.)
4) Realität der Außenwelt. (©. Außenwelt.)
5) Bedingung der empirifchen Realität.
Die empirifchen, zum gefegmäßigen Compler der Realität gehörigen
Vorſtellungen erfcheinen in ben Yormen des Raumes und der Zeit
wgleih, und fogar ift eine innige Bereinigung beider die Ber
dingung der Realität, welche aus ihnen gewillermaßen wie ein Product
aus feinen Factoren erwächſt. Was biefe Vereinigung fhafft, ift
der Berfland, der mittelft feiner ihm eigenthiimlichen Yunction jene
heterogenen Formen der Sinnlichfeit verbindet, fo daß aus ihrer
mechielfeitigen Durchdringung, wiewohl eben auch nur für ihn felbft,
bie empirifche Realität hervorgeht, als eine Geſammtvorſtellung,
welhe einen durch die Formen bes Gates vom Grunde zufammen-
gehaltenen Complex bildet. (G. 29 fg.)
Kecenſton. Becenfenten, f. Titteraturzeitungen.
kechnen, ſ. Arithmetilk.
Recht.
1) Negativität des Begriffs des Rechts.
Der Begriff Unrecht ift der urfprüngliche und pofitive; der ihm
entgegengeſetzte des Rechts ift der abgeleitete und negative. Der
Begriff Recht enthält nämlich blos die Negation des Unrechts, und
ihm wird jede Handlung fubjumirt, welche nicht Unrecht, d. h. nicht
Berneinung des fremden Willens zur ftärkern Bejahung des eigenen
iſt. (W. I, 400.) Die Ungerechtigkeit oder das Unrecht befteht alle-
mal in der Verlegung eined Andern. Daher ift der Begriff bes
Unrehts ein pofitiver und dem bes Rechts vorhergängig, als welcher
der negative ift und blos die Hanblungen bezeichnet, welche man
ausüben kann, ohne Andere zu verlegen, d. h. ohne Unrecht zu thun.
(€. 216 fg.) Ein Recht zu etwas, oder auf etwas haben, heißt
nichts weiter, als es thun, ober aber es nehmen, oder benutzen können,
ohne dadurch irgend einen andern zum verlegen. Hieraus erhellt auch
die Siunlofigfeit mancher Fragen, 3. B. ob wir das Recht haben, uns
das Leben zu nehmen. (P. I, 257.) Die Berlegung, in welcher
da8 Un recht befteht, kann entweder die Perfon, oder das Eigenthum,
oder bie Ehre betreffen. Hienach find denn die Menfchenrechte leicht
262 Recht
zu beflimmen: cher hat das Recht, alles Das zu thun, wodurqh er
einen verlegt. (P. II, 257.)
Der Begriff des Rechts, als der Negation des Unrechts, hat feine
hanptfächliche Anwendung und ohme Zweifel auch feine erfte Entitehung
gefunden in ben Fällen, wo verfuchtes Unrecht durch Gewalt abgemeht
wird, welche Abwehrung nicht felbft wieder Unrecht fein Tann, aljo
Recht iſt; obgleich die dabei ausgeübte Gewaltthätigkeit, blos ax ſich
md abgeriſſen betrachtet, Unrecht wäre und hier nur durch ihr Motiv
gerechtfertigt, d. 5. zum Necht wird. (W. I, 400 fg.)
Weil die Forderung der Gerechtigkeit blos negativ iſt, läßt fie ſich
erzwingen; denn das neminem laede kann von Allen zugleich geübt
werden. Die Zmwangsanftalt hiezu ift der Staat. (E. 217. p. II,
258. W. I, 406 fg.)
2) Unabhängigfeit des Nehts vom Staate.
Unrecht und Recht find blos moralifche Beſtimmungen, d. h. ſolche,
welche Hinfichtlic, der Betrachtung des menſchlichen Handelns als folden
und in Beziehung auf die innere Bedeutung diefes Handelne
an fi Gitltigleit haben. Diefe rein moralifche Bebentung ift die
einzige, welche Recht und Unrecht fir den Menſchen ale Menicen,
nicht als Staatsbürger, haben, die folglid) aud) im Naturzuftend,
ohne alles pofitive Gefeß, bliebe und welche die Grundlage und den
Gehalt alles deffen ausmacht, was man deshalb Naturredjt.genaun
hat, beffer aber moralifches Recht hieße, da feine Gültigkeit nicht an)
das Leiden, auf die äußere Wirklichkeit, fondern auf das Thun und
die aus diefem dem Menfchen erwachſende Selbſterkenntniß feines in
Seibel Willens, welche Gewiſſen heißt, fi erſtreckt. (®.],
402 fg.) |
Die, melde mit Spinoza leugnen, daß es aufer dem Staat mn
Recht gebe, verwechſeln die Mittel, das Recht geltend zu machen, mit
dem Rechte. Des Schutzes ift das Recht freili nur im Staat
verfichert, aber es felbft ift von diefem unabhängig vorhanden. Denn
durd) Gewalt kann es blos unterdrückt, nie aufgehoben werden. (W.I,
680. Bergl. Geſetzgebung.) IJedoch ift zwifchen Eigenthumsrcedt
und Strafrecht zu unterfcheiden. Jenes giebt es and, im Naturzuftandt,
diefes aber nur im Staate. (Vergl. weiter unten Strafredt.)
3) Das positive Recht.
Die Gefetgebung borgt von der Moral jenes Kapitel, welches di
Rechtslehre ift und welches neben der innern Bedeutung des Meditt
und des Unrechts die genaue Gränze zwifchen beiden beftimmt, einzig
und allein, um deſſen Sehrfeite zu benuten und alle die Gränzen,
melde die Moral als unüberfchreitbar, wenn man nit Unrecht thun
will, angiebt, von der andern Seite zu betrachten, al8 die Gränzen,
deren Ueberfchrittemiverden von Andern man nicht dulden darf, wenn
man nicht Unrecht Leiden will, und von denen man alfo Andere
Recht. | 263
zurüdzutreiben ein Recht hat. Daher diefe Gränzen nun, von der
möglicherweife paſſiven Seite aus, durch Geſetze verbollwerft werden.
Es ergiebt fidh, daß, wie man, recht witig, den Geſchichtſchreiber einen
umgewanbten Propheten genannt hat, der Hechtölehrer der umgewandte
Moralift iſt, und daher auch die Rechtslehre im eigentlichen Sinne,
d.h. die Lehre von den Rechten, melde man behaupten darf, die
ungewandte Moral ift, in dem Kapitel, wo bicje die echte fehrt,
pelhe man nicht verlegen darf. Der Begriff des Unrechts und feiner
Regation, des Rechts, der urfprünglich moralifch ift, wird juridiſch
uch die Verlegung des Ausgangspunftes von der activen auf bie
paffive Seite, aljo durch Unmendung. (W. I, 407. €. 218 fg.)
Die Gefeßgebung entlehnt bie reine Rechtslehre, oder die Lehre vom
Weſen und den Gränzen des Rechts und des Unrechts, von der
Moral, um biefelbe nun zu ihren der Moral fremden Zwecken von
der Kehrfeite anzumenden und danach pofitive Geſetzgebung und die
Mittel zur Aufrechthaltung derfelben, d. h. ben Staat, zu errichten.
Die pofitive Gefeggebung ift alfo die von der Kehrfeite angewandte
rein moralifche Rechtslehre. (Bergl. Geſetzgebung) Diefe Uns
wendung kann mit Rückſicht auf eigenthiimliche Verhältniffe und Um⸗
fände eines beftunmten Volkes gefchehen. Aber mr wenn die pofitive
Geſetzgebung im Wefentlichen durchgängig nad, Anleitung der reinen
Rechtslehre beſtimmt ift und für jede ihrer Satungen ein Grund in
der reinen Rechtslehre ſich nachweiſen läßt, ift die entftandene Gefeh-
gebung eigentlich ein pofitives Recht, und ber Staat ein recht⸗
liher Verein. Widrigenfalls ift hingegen die pofitive Geſetzgebung
Begründung eines pofitiven Unredts, ift felbft ein öffentlich zu—
geftandenes erzwungenes Unrecht. “Dergleichen ift jede ‘Despotie, die
Verfaffung der meiſten Mohammedaniſchen Reiche, dahin gehören fogar
mande Theile vieler Berfaffungen, 3. B. Leibeigenjchaft, Frohn u. dgl. m.
(®. I, 409.)
4) Gleichheit der Rechte. (S. Gleichheit.)
5) Eigenthumsrecht. (S. Eigenthum.)
6) Geburtsrecht. (S. Abel.)
7) Strafredt.
a) Princip bes Strafredts.
Dem Strafrecht follte da8 Princip zum Grunde liegen, daß eigeut⸗
ih nit der Menfch, fondern nur die That geftraft wird, damit fie
nicht wieberfehre; der Verbrecher ift blos der Stoff, an dem bie That
geftraft wird, damit dem Gefege, welchem zufolge die Strafe eintritt,
die Kraft abzuſchrecken bleibe. Nach Kants Darftellung, die auf ein
jus talionis hinausläuft, ift es nicht Die That, fondern der Menſch,
weldher geftraft wird. (W. IL, 683; I, 411. E. 101. Pergl. unter
Geſetz: Zweck der Strafgefeke.)
964 Rechtfertigung
b) Bedingung des Strafrechts. |
Außer den Staate (im Naturzuftande) giebt e8 zwar Eigenthumd-
recht (vergl. Eigenthum), aber fein Strafrecht. Alles Redt zu
ſtrafen ift allein durch das pofitive Geſetz begründet, welches vor dem
Bergehen diefem eine Strafe beftimmt Hat, deram Androhung, als
Gegenmotiv, alle etwaigen Motive zu jenem Vergehen überwiegen
follte. Diefes pofitive Geſetz ift anzufehen al8 von allen Bilrgem des
Staates fanctionirt und anerkannt. (W. I, 410.)
8 Völkerrecht.
Inden die Völker den Grundfag, ſtets nur befenfio, nie aggreffi
gegen einander fid) verhalten zu wollen, mit Worten, wenn anch nicht
mit der That, aufftellen, erkennen fie da8 Völkerrecht. Diefes ik
im Grunde nichts Anderes, ald das Naturrecht, auf dem ihm allen
gebliebenen Gebiet feiner praftifchen Wirkſanikeit, nämlich zwiſchen Bolt
und Boll, ald wo es allein walten muß, weil fein färferer Sohn,
das pofitive echt, da es eines Richters und Vollſtreckers bedarf, nicht
ſich geltend machen kann. Dengemäß befteht dafjelbe im einem gewillen
Grad von Moralität im Verkehr der Völker mit einander, deſſen
Aufrechthaltung Ehrenfache der MenfchHeit if. Der Richterſtuhl der
Procefje auf Grund deffelben ift die Öffentliche Meinung. (W. II, 681.)
9) Bedingung der Durdführung des Rechts.
Im Allgemeinen ließe ſich die Hypotheſe aufftellen, daß das Recht
bon einer analogen Beſchaffenheit fei, wie gewifle chemiſche Subflanjen,
die fi nicht rein und ifolirt, fondern höchſtens nur mit einer geringen
Beimifhung, die ihnen zum Träger dient, oder die nöthige Confiften;
ertheilt, darftellen laffen, daß demnach auch das Recht, wenn es in der
wirklichen Welt Fuß fallen und fogar herrfchen fol, eines geringen
Zufages von Willkür und Gewalt nothwendig bebürfe, um, feiner
eigentlichen nur idealen und daher ätherifchen Natur ungeachtet, in
biefer realen und materialen Welt wirken und beftehen zu können, ohne
fid) zu cvaporiren und davon zu fliegen, in den Himmiel, wie dies beim
Heflodus gefchieht. ALS eine ſolche nothwendige chemifche Baſis, oder
Legirung, mag wohl anzufehen fein alles Geburtsredjt, alle erblichen
Privilegien, jede Staatsreligion und manches Andere, indem erſt auf
einer wirklich feftgeftellten Grundlage diefer Art das Recht ſich geltend
machen und confequent durchführen ließe. (PB. II, 268 fg. Vergl. and
unter Gewalt: Unentbehrlichkeit der Gewalt für die Verwirklichung
des Rechte.)
10) Verhältniß des Rchts zur Pflidt. (S. Pflicht.)
Rechtfertigung, durd den Glauben, f. unter Chriftenthum: Kern
der chriſtlichen Glaubenslehre.
Rechtlichkeit — Rechtslehre 265
Kechtlichkeit.
.1) Unächtheit der zur Schau getragenen Rechtlichkeit.
Man würde ſich in einem großen und ſehr jugendlichen Irrthum
befinden, wenn man glaubte, daß alle gerechte und legale Handlungen
der Menfchen moralifchen Urfprungs wären. Bielmehr ift zwiſchen
der Gerechtigkeit, welche die Menſchen ausüben, und der ächten Red⸗
fihkeit des Herzens meiflens ein analoges Verhältniß, wie zwifchen ben
Aeußerungen ber Höflichkeit und ber ächten Liebe des Nächſten, welche
nicht, wie jene, zum Schein, fondern wirflich den Egoismus überwindet.
Die überall zur Schau getragene Rechtlichkeit der Gefinnung, welche
über jeden Zweifel erhaben fein will, nebft der hohen Indignation,
welche durch die Leifefte Andeutung eines Verdachtes in diefer Hinficht
rege wird und bereit tft, im den feurigften Zorn überzugehen, — dies
Alles wird nur der Unerfahrene und Einfältige fofort fiir baare Münze
und Wirkung eines zarten moralifchen Gefühle oder Gewiſſens nehmen.
(€. 187. Bergl. Ehrlichkeit.)
2) Worauf die im Berfehr ausgeübte Rechtlichkeit
beruht.
In Wahrheit beruht die allgemeine, im menſchlichen Verkehr ause
geübte und als felfenfefte Maxime behauptete Rechtlichkeit hauptjächlich
auf zwei äußern Nothwendigfeiten: erftlich auf der gejeglichen Ordnung,
mittelft welcher die öffentliche Gewalt die Rechte eines Jeden jchütt,
und zweiten® auf der erfannten Nothwendigleit bed guten Namens, oder
der bürgerlichen Ehre, zum Fortlomnen in der Welt. (E. 187—190.)
3) Die wahrhaft rehtlihen Leute. (S. unter Ehrlid-
keit: Wefen der wahrhaft ehrlichen Leute.)
Kechtslehre.
1) Die reine Rechtslehre.
Die reine Rechtslehre iſt ein Kapitel der Moral und bezieht
fi) direct bIo8 auf das Thun, nicht auf das Leiden. Denn nur
jenes ift Aeußeruug des Willens, und dieſen allein betrachtet bie Moral.
Leiden ift blos Begebenheit; blos indirect Tann die Moral auch das
Leiden beritdfichtigen, nämlich allein um nachzumweifen, daß, was blos
gefhieht, um kein Unrecht zu leiden, Fein Unrechtthun if. — Die
Ausführung jenes Kapiteld der Moral würde zum Inhalt haben die
genaue Beitimmung der Gränze, bis zu welcher ein Individuum in
der Bejahung des ſchon in feinen Leibe objectivirten Willens gehen
lann, ohne daß dieſes zur Verneinung eben jenes Willens, fofern ex
in einem andern Individuo erfcheint, werde, und fobann auch ber
Handlungen, welche diefe Gränze überjchreiten, folglich Unrecht find und
daher auch wieder ohne Unrecht abgewehrt werden können. Immer alfo
bliebe daS eigene Thun das Augenmerk der Betrachtung. (W. J, 404.)
266 Reden — Neflerion
2) Berhältniß der reinen Rechtslehre zur pofitiven
Geſetzgebung.
Die reine Rechtélehre, oder das Naturrecht, beſſer moraliſches Recht,
liegt jeder rechtlichen poſitiven Geſetzgebung ſo zum Grunde, wie die
reine Mathematik jedem Zweige der angewandten. Die wichtigſten
Punkte der reinen Rechtslehre, wie die Philoſophie fie der Geſetzgebung
zu überliefern bat, find folgende: 1) Erklärung der innern und eigen
lichen Bedeutung und bes Urfprungs der Begriffe Unrecht und Reit,
und ihrer Anwendung und Etelle in der Moral. 2) Die Ableitung
de8 Eigenthumsrechts. 3) Die Ableitung der moralifhen Gilltigkeit
der Verträge, da diefe die moralifche Grundlage des Staatsvertrages
ft. 4) Die Erflärung der Entftefung und des Zwedes bed Staates,
des Verhältniſſes dieſes Zweckes zur Moral und der in Folge dieſes
Verhältniſſes zweckmäßigen Uebertragung der moraliſchen Rechtslehre,
durch Umkehrung, auf die Geſetzgebung. (Vergl. Geſetzgebung.) 5) Die
Ableitung des Strafrechtes. (W. I, 409 fg.) |
Becken, ber Glieder, ſ. Gähnen.
Revekunft, ſ. Rhetorik und Beredſamkeit.
Kedetheile, ſ. Orammatil.
Reflexbewegungen.
Ueber die Reflexbewegungen im Allgemeinen ſiehe unter Bewegung:
Unterſchied der unwillkürlichen und willkürlichen Bewegung. Ueber
beſondere Reflexbewegungen ſiehe: Gähnen, Genitalien, Lachen
und Weinen.
Reflerion.
1) Was dur das Wort „Reflerion” bezeichnet wird.
Das Denken im engern Sinn (f. Denken), alfo die Befchäftigung
des Intellects mit Begriffen, ift es, was durch das Wort „Re⸗
flerion‘ bezeichnet wird, welches, als ein optifcher Tropus, zugleich
das Abgeleitete und Secundäre diefer Erfenntnifart ausdrüdt. (G. 101.)
ZTreffend und mit ahndungsvoller Richtigkeit hat man bie im Menſchen
allein unter allen Bewohnern der Erde eingetretene, aus der Anfchauung
Begriffe abftrahirende Erfenntnißfraft Reflerion genannt. Denn
da8 neue Bewußtſein, welches damit aufgegangen, ift in ber That
en sen, ein Abgeleitetes von der anſchaulichen Erkenntniß.
(®. I, 48.
2) Wirkungen der Reflerion.
Die Reflexion ertheilt dem Menſchen jene Befonnenheit, die dem
Thiere abgeht. (G. 101fg. Bergl. Befonnenheit) ‘Durch ben
abftracten Reflex alles Intuitiven im nichtanfchaufichen Begriff der
us. gm
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J
1
Regierung. Negierungsform — Reichthum. Reiche. 267
Vernunft übertrifft ber Menſch die Thiere gleich fehr an Macht und
an Leiden. (W. I, 43 fg. Bergl. auch unter Begriff: Wichtigkeit
des Begriffs, und unter Menſch: Unterjchied zwifchen Thier und
Menſch.)
Durch die Reflexion wird im Menſchen die Empfindung jedes Ge⸗
nuſſes, aber auch die jedes Schmerzes geſteigert. Dem Thiere fehlt
mit der Reflexion der Condenfator der Freuden und Leiden, welche
daher ſich nicht anhänfen können, wie dies bein Menfchen nuittelft
Srinnerung und Vorherſehung gefchieht. Mittelſt der Reflexion und
Deffen, was an ihr hängt, entwidelt fi in Menſchen aus den näms
lihen Elementen des Genuſſes und Leidens, die das Thier mit ihm
gemein hat, eine Steigerung der Empfindung feines Glücks und Un-
glüds, die bi8 zum augenblidlichen, bisweilen fogar tödtlichen Entzilden,
oder auch zum verzweifelten Scelbftmord führen kann. (PB. II, 315 fg.)
3) Berhältnif der Reflerion zur anſchaulichen Er—
fenntniß.
Die anfhauliche Erkenntniß erleidet bei ihrer Aufnahme in die Re—
ferion beinahe fo viel Veränderung, wie die Nahrungsmittel bei ihrer
Aufnahme in den thierifchen Organismus, deſſen Formen und Diifchungen
dur ihn felbft beſſimmt werden und aus deren Zujammenfegung gar
nicht mehr die Beschaffenheit der Nahrungsmittel zu erfennen ift; —
oder (weil diefed ein wenig zu viel gefagt ift) die Reflexion verhält
id zur anſchaulichen Erkenntniß Feineswegs, wie der Spiegel im
Bafler zu den abgefpiegelten Gegenftänden, fondern faum nur noch fo,
wie der Schatten diefer Gegenſtände zu ihnen felbft, welcher Schatten
sur einige änßere Umriſſe wiedergiebt, aber auch das Mannigfaltigſte
un diefelbe Geftalt vereinigt und das Verfchiedenfte durch den nämlichen
Umriß darſtellt; fo daß keineswegs von ihm ausgehend fid) die Ge—
Halten ber Dinge vollſtändig und ficher conſtruiren ließen. (W. J, 538 fg.)
Kegierung. Begierungsform.
1) Die dem Menſchen natürliche Regierungsform.
Die dem Dienfchen natitrliche Regierungsform ift die monarchiſche.
(2. II, 271. Bergl. Monardie.)
2) Die falfhen Borfpiegelungen der Demagogen in
Betreff der Regierungen. (S. Demagogen.)
hei, Der Natur und Reid der Gnade, |. Gnade,
Keichthum. Reiche.
1) Werth des Reichthums für das Lebensglüd,
Daraus, daß für das Lebensglüd Das, was man ift, viel wichtiger
iſt, als was man hat und was man vorftellt (f. Glückſäligkeits—
lehre), geht hervor, daß es weifer it, auf Erhaltung feiner Gefundheit
268 Reichthum. Reiche
und auf Ausbilbung feiner Fähigkeiten, als auf Erwerbung von Reid:
tum hinzuarbeiten; was jedoch nicht dahin mißdeutet werben darf,
daß man ben Erwerb des Nöthigen und Angemeſſenen vernadjläffigen
follte. Aber eigentliher Reichthum, d. h. großer Ueberfluß, vermag
wenig zu unferm Glück; daher viele Reiche ſich unglücklich fühle,
weil fie ohne eigentliche Geiftesbilbung, ohne Kenntuiffe und ohne irgend
ein objective8 Intereſſe, welches fie zu geiftiger Beichäftigung befähigen
önnte, find. Denn was der Reichthum über bie Befriedigung der
wirflihen und natürlichen Bedürfniſſe hinaus noch leiften kann, iſt von
geringem Einfluß auf unfer eigentliches Wohlbehagen; vielmehr wird
diefes geftört durch die vielen und unvermeiblichen Sorgen, welde die
Erhaltung eines großen Beſitzes herbeiführt. (P. I, 339.)
2) Wirkungen des Reichthums.
Wie die Noth die Geißel der Armen ift, fo die Langeweile die der
Reichen. GVergl. Rangeweile) . Die Quelle ber heilloſen Ber
ſchwendung, mittelft welder jo mander, reich ins Leben tretende
Tamilienfohn fein großes Erbtheil in oft unglaublich kurzer Zeit durd-
bringt, ift wirklich Teine andere, als nur die Langeweile. So em
Jüngling war äußerlich reich, aber innerlich arm in die Welt geſchidt
unb ftrebte nun vergeblidh, durch den äußeren Reichthum den innern
zu erfegen, indem er Alles von außen empfangen wollte, — den
Greifen analog, welche fi durch die Ausbünftung junger Mädchen zu
ftärten fuchen. Dadurch führte denn am Ende die innere Armuth anf
noch die äußere herbei. (P. I, 340.)
3) Die Sudt nad Reichthum.
Unter einem fo bedilrftigen und aus Bebürfniffen beftchenden Cr-
ſchlecht, wie das menfchliche, ift e8 nicht zu verwundern, daß Reichthum
mehr und aufrichtiger, als alles Andere, geachtet, ja verehrt wird, mm
felbft die Macht nur als Mittel zum Neichthum; wie aud) nicht, da}
zum Zwecke des Erwerbs alles Andere bei Seite gejchoben, ober übe
den Haufen geworfen wird. (PB. I, 366fg. Vergl. unter Gel:
Urfache der Geldliebe der Dienfchen.)
Der Reichthum gleicht dem Seewafler; je mehr man davon fun,
befto durftiger wird man. (P. I, 366.)
4) Warum ber im Keihthum Geborene weniger zur
Berfchwendung geneigt ift, als ber reich gemorbent
Arme. (S. unter Armuth: Die Armuth im ethilde
Hinficht.)
5) Die Rechtlichkeit der Reichen.
Der Reiche ift oft wirffich von einer underbrüchlichen Rechllichlei,
weil er don ganzen Herzen einer Regel zugethan ift und eine Doyim
aufrecht erhält, auf deren Befolgung fein ganzer Beſitz ‚mit dem Bud,
was er dadurch dor Andern voraus bat, beruht; daher ex zum Grundiagt
Reife 269
suum cuique ſich in vollem Eruft bekennt und nicht davon abweicht.
Es giebt in der That eine ſolche objective Anhänglichkeit an Treue
und Olauben, mit dem Entfchluß, fie. heilig zu halten, die blos darauf
beruht, daß Treue und Glauben die Grundlage alles freien Verkehrs
unter Menfchen, der guten Drbnung und des fichern Beſitzes find,
daher fie uns ſelbſt gar oft zu Gute kommen und in diefer Hinficht
fogar mit Opfern aufredjt gehalten werden müfjen, wie man ja an
einen guten Ader aud) etwas wendet. Doch wird man die fo be=
gründete Neblichkeit in der Negel nur bei Wohlhabenden, oder wenigſtens
einem einträglichen Erwerb obliegenden Leuten finden. Anders hingegen
verhält es fich mit dem Armen (E. 189. Bergl. unter Armuth:
Die Armuth in ethifcher Hinficht.)
6) Zweierlei Gebraud des Reichthums zum eigenen
Wohl.
Unfer Leben ift fo arm, daß feine Schäge der Welt es reich zu
mahen im Stande find; denn die Quellen des Genuſſes werden alle
bald jeicht befunden und vergeblich gräbt man nad) den: fons perennis.
Daher giebt es nur zweierlei Gebrauch des Reichthums zum eigenen
Wohl: entweder man verwendet ihm auf Prunk und Pracht, um fid)
an der feilen Verehrung imaginärer Herrlichfeit, dargebracht von einem
bethörten Haufen, zu weiden; oder man läßt ihn, durch Vermeidung
alles doch pergeblichen Aufwandes, noch immer mehr anwachſen, um
eine immer ftärfere und vielfadyere Schutzwehr gegen das Unglüd und
den Mangel zu haben, angejehen, daß das Leben fo reich an Uebeln,
als arm an Genüſſen iſt. (H. 446 fg.)
Beife, bie,
1) Reife der Jahre.
Die volllommene Reife tritt erjt mit dem vierzigften Jahre, dem
Schwabenalter ein. (W. DI, 264. Bergl. unter Gehirn: Einfluß
der Entwicklung und der Wandlumgen des Gehirns auf die Intelligenz
in den verfchiedenen Lebensaltern.) Die Reife der Jahre und bie
Frucht der Erfahrung kann durch geiftige Ueberlegenheit wohl vielfach
übertroffen, doch nie erſetzt werben; fte aber giebt auch dem gewöhn⸗
ichften Dienfchen ein gewiſſes Gegengewicht gegen die Sräfte des größten
Beiftes, fo Lange diefer jung if. (PB. I, 514. Vergl. auch unter
!ebensalter: Gegenfag zwiſchen Jugend und Alter.)
2) Reife der Erkenntniß. (S. unter Erkenntniß: Worin
die Reife der Erkenntniß beſteht und wodurch ſie bedingt iſt.)
3) Reife der Gedanken und Entſchlüſſe.
‚Die Gedanken find unabhängig von unferer Willfir, man fann
nicht nach Belieben fie rufen, fondern muß abwarten, daß fie kommen.
Dergl. unter Gedanken: Unabhüngigfeit ber Gedanken von ber
270 Reim — Reifen.
Willlür) Das Denken über einen Gegenfland muß fi) von felhk
einftelen durch ein glückliches Harmonirendes Zufammentreffen bei
äußern Anlaſſes mit der innern Stimmung und Spannung Die
findet feine Erläuterung fogar an den unfer perfönliches Intereſſ
betreffenden Gedanken. Wenn wir in einer perfönlichen Angelegenfeit
einen Entfhluß zu faflen haben, können wir nicht wohl zu beliebig
gewählter Zeit uns dazu Binfegen, die Gründe überlegen und nun
befchließen; denn oft will gerade dann unfer Nachdenken darüber nicht
Stand halten. Da follen wir e8 nicht erzwingen wollen, enden
abwarten, daß auch dazu die Stimmung ſich von felbft einftele; fie
wird es oft unvermuthet und wiederholt, und jede zu verfcieener
Zeit verſchiedene Stimmung wirft ein anderes Licht auf die Eadı.
Diefer langſame Hergang ift es, den man unter dem Reifen ber Ent
ſchlüſſe verſteht. (P. II, 531.)
Reim, f. unter Poeſie: Hülfsmittel der Poefle.
Reifen,
1) Aeſthetiſche Wirkung des Reifen.
Der Genuß des Reifens beruht zum Theil darauf, daß die Neuheit ud
das völlige Fremdſein ber Gegenftände der antheilsloſen äſthetiſchen, ven
objectiven Auffaffung derfelben günftig ift. Der Neifende empfängt die .
Wirkung des Dialerifchen, oder Poetifchen, von Gegenfländen, wide '
diefelbe auf den Einheimischen nicht hervorzubringen vermögen. So; ®.
macht auf Ienen der Anblid einer ganz fremden Stadt oft einen fonderbt
angenehmen Eindrud, den er keineswegs im Bewohner berjelben herier-
bringt; denn er entjpringt daraus, daß Jener außer aller Beziehung
zu diefer Stadt und ihren Bewohnern ftehend, fie rein objectiv ar
ſchaut. (W. II, 421 fg.)
2) Flüchtigkeit der Reiſe-Eindrücke und Troſt bie |
gegen.
Auf Reifen, wo das Merkwürdige jeder Art ſich drängt, iſt die
Geiſtesnahrung von Außen allerdings oft fo ſtark, daß Zeit zur Ber
danung fehlt. Dan bedauert, daß die ſchnell vorübergehenden Eindräd: |
feine dauernde Spur hHinterlaffen fönnen. Im runde aber ie |
damit, wie mit dem Leſen. Wie oft bedauert man nicht, von dem,
was man lieft, kaum ein Taufendftel im Gedächtniß aufbehalten zu
können; aber das Zröftliche in beiden Tällen ift, daß das Geſehene,
wie das Gelefene, feinen Eindrud auf den Geiſt macht, che es ve:
geffen wird, fo den Geift bildet und ihm zur Nahrung wird, währen
das nur im, Gedächtniß Aufbehaltene ihn blos ausftopft und bläft,
jein Wefen hingegen leer läßt. (M. 347.)
3) Was den Ueberdruß am Reiſen ſchafft.
Auf Reifen ſieht man das Menſchenleben in vielerlei merllich der
fhiedenen Seftalten, und dies macht das Reifen fo unterhaltend. At
Reiz — Reigzende 271
dabei ſieht man immer nur die Auſſenſeite des Menſchenlebens,
nämlich nicht mehr davon, als überall auch dem Fremden zugänglich
iſt und öffentlich fichtbar wird. Hingegen das Menſchenleben im
Innern, das Herz und Centrum deſſelben, wo die eigentliche Action
vorgeht und bie Charaktere ſich äußern, befommt man nicht zu fehen.
Darum fieht man auf Reiſen die Welt, wie eine gemalte Landſchaft,
mit weitem viel umfafjendem Horizont, aber ohne allen Vordergrund.
Dies Thafft den Ueberbruß des Reiſens. (M. 348.)
4) Eine befondere Beobadtung, die man auf Reifen
machen kann.
Auf Reifen Tann man befonders beobachten, wie hart und erflarrt
die Denkungsart des großen Haufens und wie fchwer ihr beizukommen
fi. Man braucht nur einen Zag auf der Eifenbahn weiter gefahren
zu fein, um zu bemerken, daß da, wo man jegt fich befindet, gewiſſe
Borurtheile, Wahnbegriffe, Sitten, Gebräuche und Kleidungen berrichen,
ja, feit Jahrhunderten ſich erhalten, welche dort, wo man geftern ge⸗
weien, unbefannt find. Iſt es doch mit den Provinzialdialeften nicht
andere. Hieraus kann man abnehmen, wie weit die Kluft ift zwifchen
dem Bolt und ben Büchern, und wie langfam, wenn auch ſicher, die
erfannten Wahrheiten zum Volke gelangen, weshalb in Hinficht auf
die Schnelligkeit der Yortpflanzung dem phyſiſchen Xichte nichts un- -
ähnlicher ift, als das geiftige. (P. II, 65. M. 347.)
5) Urfade der Reifefudt.
Die Menſchen bedürfen ber Thätigfeit nad) außen, weil fie feine
nad; innen haben. Hieraus iſt die Raftlofigfeit und zweckloſe Reife
fucht der Unbefchäftigten zu erflüren. Was fie fo durch die Länder
jagt, ift die Langeweile. (P. II, 645. Berge. Nomadenleben.)
Beiz, f. unter Urſache: Die drei Formen ber Urſächlichkeit.
Reizende, das.
1) Segenfag zwifhen dem Reizenden und Erhabenen.
Das eigentliche Gegentheil des Erhabenen ift das Reizende, d. i.
Dasjenige, was den Willen dadurch, daß es ihm die Gewährung, die
Erfüllung unmittelbar vorhält, aufregt. Entfteht das Gefühl des
Erhabenen dadurch, daß ein dem Willen geradezu ungünftiger Gegen-
Hand Object der reinen Contemplation wird, die dann nur durch eine
flete Abwendung vom Willen und Erhebung über fein Intereſſe er-
balten wird, welches eben die Erhabenheit der Stimmung ausmacht;
jo zieht dagegen das Reizende den Beſchauer aus der reinen Con-
templation, die zu jeber Auffafjung de8 Schönen erfordert ift, herab,
indem es feinen Willen durch demjelben unmittelbar zufagende Gegen-
fände nothwendig aufreizt, woburd der Betrachter nicht mehr reines
Subject des Erkennens bleibt, fondern zum Bedürftigen, abhängigen
Subject des Wollens wird. (W. I, 244 fg.)
272 Relation
2) Berwerflichleit bes Reizenden in ber Kunfl.
Das Reizende, ald dem Zwed der Kunft entgegenwirkend, iſt ihrer
unmwürdig und ift überall in ihr zu vermeiben, weil es ben Willen
aufregt und dadurch jeder äfthetifchen Contemplation des Gegenftandes
ein Ende macht. (W. I, 245 fg. Bergl. Aeſthetiſch und Kunſt)
3) Zwei Arten des Reizenden.
Die eine, recht niedrige Art bes Reizenden ift im Stillfeben ber
Niederländer zu finden, wenn es ſich dahin verirrt, Daß bie bargefteliten
Gegenftände Eßwaaren find, die durch ihre täufchende Darftellung den
Appetit erregen. Die zweite, in der Hiftorienmalerei und Bildhauer
vorkommende Art befteht in nadten Geftalten, deren Stellung, halbe
Bekleidung und ganze Behandlungsart darauf Binzielt, im Beſchauer
Lüfternheit zu erregen. (W. I, 245.)
4) Sreiheit der Antifen vom Reizenden. (©. die Alten.)
5) Das negativ Keizende. (©. das Efelhafte.)
6) Segen bie zu weite Faffung des Begriffs des
Neizenben.
Daß man gewöhnlich jedes Schöne von ber heitern Art reijend
nennt, ift ein durch Mangel an richtiger Unterfcheidung zu weit ge
faßter Begriff, der gemißbilligt werden muß. (W. I, 245.)
Relation.
1) Gebiet der Relation.
Die nad) dem Sat vom Grunde verknüpfte Objectenmwelt ift das
Gebiet der Relation. Die vier verfchiedenen Geftalten des Sapel
vom Grunde find der Ausdruck don vier verfchiebenen Arten der
Relation. (S. Grund.)
2) Die Relation als Dentform.
Kant bat unter den fehr weiten Begriff der Helation brei gan
verfchiebene Beichaffenheiten der Urtheile zuſammengebracht. (W. |],
541—549,) Die Relation tritt blos ein, wenn über fertige Urtheile
geurtBeilt wird. (S. unter Denkformen: Relation.)
3) Die auf Relationen gerichtete Erfenntniß.
Die dem Willen dienende Erfenntniß erfennt von den Objecten
eigentlich nichts weiter, als ihre Relationen, erkennt die Objecte nur,
fofern fie zu dieſer Zeit, an diefem Ort, unter biefen Umftänben, ans
biefen Urfachen, mit diefen Wirkungen da find, mit Einem Wort als
einzelne Dinge; und höbe man alle diefe Relationen auf, fo wären
ihr auch die Objecte verfchwunden, eben weil fie übrigens nichts an
ihnen erfannte. — Auch was die Wiffenfchaften an ben Dingen be
trachten, ift im Wefentlichen nichts Anderes, ald ihre Nelationen, die
Religion 273
Berhältniffe der Zeit, des Raumes, die Urfachen natürlicher Ver⸗
änderungen, bie Bergleichung ber Geftalten, Motive ber Begebenheiten,
aljo lauter Relationen, (W. I, 208. — Ueber bie der Auffafiung ber
Relationen entgegengefette Erfenntnifweife f. unter Adee: Die Er»
fenntniß der Ideen.)
Religion.
1) Bedeutung der Religion.
Die Religion ift das einzige Mittel, dem rohen Sinn und ungee
lenlen Berftande der in niedriges Treiben und materielle Arbeit tief
eingefenkten Menge die Hohe Bedeutung des Lebens anzukündigen und
fühlbar zu machen. Die Religion ift die Metaphyſik des Volkes, bie
man ihm fchlechterdings laſſen und daher fie Aufßerlich achten muß.
Wie es eine Volkspoefie giebt und in den Sprichwörtern eine Volks⸗
weisheit; fo muß es auch eine Bollsmetaphufit geben; denn bie
Menſchen bedürfen fchlechterbings einer Auslegung bes Lebens,
und fie muß ihrer Faſſungskraft angemefjen fein. Daher ift fie allemal
eine allegorifche Einfleidung der Wahrheit, und fie leiftet in praftifcher
und gemüthlicher Hinficht, d. h. als Richtſchnur fir das Handeln und
old Beruhigung und Troft im Leiden und im Zobe vielleicht eben fo
viel, wie bie Wahrheit, wenn wir fie befäßen, felbft Ieiften könnte.
Die verfchiedenen Religionen find eben nur verfchtedene Schemata, in
welhen das Volk die ihm an ſich felbft unfaßbare Wahrheit ergreift
und fi vergegenwärtigt, mit welchen fie ihm jedoch unzertrennlic)
verwächft. (WB. II, 183 fg. P. II, 347 fg. 354. 356 fg. 362 fg.
9. 428. Vergl. unter Metaphyſik: Unterfchied zweier Arten von
Metaphyſil.)
2) Worauf Kraft und Beſtand der Religionen beruht.
Zwei Punkte find es, bie nicht nur jeden denkenden Menſchen be»
[häftigen, fondern auch den Anhängern jeder Neligion zumeift amt
Herzen liegen, daher Kraft und Beſtand ber Religionen auf ihnen
beruht: erftlich bie transſcendente moralifche Bedeutſamkeit unfers
Handelns, und zweitens unfere Fortdauer nach dem Tode. Wenn eine
Religion für dieſe beiden Punkte gut geforgt hat, fo ift alles Uebrige
Nebenfache. (PB. I, 132.) Wegen der unlengbaren ethifch-metaphnfifchen
Zendenz des Lebens könnte ohne eine in diefem Sinne gegebene Aus-
legung defjelben keine Religion in der Welt Fuß fallen; denn mittelft
er ethiſchen Seite hat jede ihren Anhaltpunkt in den Gemüthern.
. 262.) Ä Ä
3) Wovon ber Werth einer Religion abhängt.
Religionen können, als auf die Faffungsfraft der großen Menge
berechnet, nur eine mittelbare, nicht eine unmittelbare Wahrheit haben.
Der Werth einer Religion wirb demnad abhängen von dem größern
oder geringern Gehalt an Wahrheit, den fie unter dem Schleier der
Schopenhauer⸗Lexikon. LI. 18
274 Religion
Allegorie in fi trägt, ſodann von der größern ober geringem Dexi-
tichleit, mit welcher derfelbe durch diefen Schleier fihtber wird, allı
von ber Durchfichtigleit des letztern. Faſt fcheint &8, bag, wie die
älteften Sprachen die volllommenften find, fo auch die ätteften Ke
ligionen. (W. II, 186.) |
4) Bundamentalunterfchieb aller Religionen.
Der Fundamentalunterfchieb aller Religionen ift nicht, wie bard-
gängig gefchieht, darein zu fegen, ob fie monotheiſtiſch, polptekid,
yantheiftifch, oder atheiſtiſch find; fondern barein, ob fie optimiftiid,
ober peffimiftifch find. (W. II, 187 fg.)
Atheismus iſt nicht gleichbedeutend mit Religionslofigkit. (©.
Atheismus.)
5) Ein wefentlihes Ingredienz einer volllommenen
Religion. (S. Myfterien.)
6) Unabhängigkeit der Moralität von der Religion.
Man darf nicht der Religion zufchreiben, was Folge der angeborem
Güte des Charakters if. Das Mitleid, diefes ächte moraliſche Moto
dev Gerechtigleit und Menfchenliebe (vergl. Moralifch, Mortalität)
ift von aller Neligion unabhängig. (P. II, 377.) Wir find über be
wahren Motive unferd eigenen Thuns bisweilen eben fo ſehr im Jn-
tbum, wie über die des fremden; daher zuverläffig Mancher, indem er
von feinen edelſten Handlungen nur durch religidfe Motive ſich Rechen
haft zu geben weiß, dennoch aus viel ebleren und reineren, aber and
viel ſchwerer deutlich zu -machenden Triebfedern handelt und wiclih
ans unmittelbarer Liebe des Nächften thut, was er blos durch jenes
Gottes Geheiß zu erklären verſteht. (E. 202. H. 427. Bergl. ad
Dogmen.) |
7) Unabhängigkeit der gefeglihen Ordnung von der
Religion. Ä | Ä
Es ift falſch, daß Staat, Recht und Gefet nicht ohne Beihülfe der
Religion und ihrer Glaubensartifel aufrecht erhalten werben fümm,
und daß Yuftiz und Polizei, um die gefegliche Orbnung durdhzufehen,
der Religion als ihres notbwendigen Complements bedürfen. Ei
gactifche und ſchlagende instantia in contrarium Tiefern und die Alte,
zumal die Griechen, welche feine heilige Urkunden und fein Dogmm
batten, da8 gelehrt, defien Annahme von Jedem gefordert umd das ber
Jugend früßzeitig eingeprägt worben wäre. Alſo ift die hentzutege
allgemein beliebte Annahme, baß die Religion die unentbehrliche Oruns
fage aller geſetzlichen Ordnung fei, unhaltbar. (P. II, 355 fg. 369.
. Der Eid läßt fid) allerdings als ımleugbares Beifpiel praktiſcha
Wirkfamkeit der Religion anführen. Daß jedoch; dieſe auch außerden
weit reicht, ift zu bezweifeln. Dan ftelle fich vor, es wurden plöglid
burch Bffentliche Proclamation alle Kriminalgeſetze aufgehoben erflktt,
Religion | 275
fo würde wohl kaum Einer den Muth haben, unter dem bloßen Schuß
der religiöfen Motive auch nur allein über die Straße zu gehen.
Würde hingegen auf gleiche Weife alle Religion für unmwahr erflärt,
fo wirde man, unter dem Schu der Gefege allein, ohne fonderliche
Bermehrung der Beforgniffe und Vorſichtsmaßregeln, nad) wie vor
leben. (B. UI, 378 fg.)
Nicht nur von den philoſophiſchen, anf bloße Theorie berechneten,
fondern auch von ben ganz zum praftifchen Behuf aufgeftellten, re⸗—
ligiöfen Moralprincipien Täßt ſich felten cine entfchiedene Wirkfamfeit
nachweiſen. Dies fehen wir zupörderft daran, daß trot der großen
Religionsverfchiedenheit auf Erben dee Grad ber Moralität, oder viel-
mehr Immoralität, durchaus Teine jener entiprechende Berfchiedenheit
aufweilt, fondern im Wejentlichen fo ziemlich überall der felbe ift. Nur
muß man nicht Rohheit und Verfeinerung mit Moralität und Im⸗
moralität verwechfeln. (E. 233 fg.) Wen weber der Gedanke an
Juſtiz und Polizei, noch bie Rückſicht auf feine Ehre von einem
meditirten Verbrechen zurüdhält, über den wird gewiß noch weniger
irgend ein Religionsdogma Macht genug haben, um ihn zurüdzuhalten.
Denn wen nahe und gewiſſe Gefahren nicht abfchreden, den werden
die entfernten und blos auf ©lauben beruhenden jchwerlid im Zaum
halten. (E. 235.) on
8) Demoralifirender Einfluß der Religionen.
Die Religionen haben ſehr häufig einen entfchieden bemorafifirenden
Einfluß. Im Allgemeinen ließe fich behaupten, daß was den Pflichten
gegen Gott beigelegt wird, den Pflichten gegen die Menſchen entzogen
wird, indem es ſehr bequem ift, den Mangel des Wohlverhaltens gegen
diefe durch Adulation gegen jenen zu erfegen. Demgemäß ſehen wir
in alen Zeiten und Ländern bie große Mehrzahl der. Menfchen es viel
fichter finden, den Himmel durch Gebete zu erbetteln, als durch
Handlungen zu verdienen. In jeder Religion kommt es bald dahin,
dag für die nächſten Gegenftände des göttlichen Willens nicht ſowohl
moralifche Handlungen, als Glaube, Zcmpelceremonien und Yatreia
mancherlei Art anegegeben werden; ja, allmälig werden die leßteren,
zumal wenn fie mit Emolumenten der Priefter verfnüpft find, aud) als
Surrogate der erfteren betrachte. Nimmt man nod) dazu die Gräuel
des Fanatismus, der Derfolgungen, Religionskriege, fo erjcheint der
demoralifirende Einfluß der Religionen weniger problematifch, als der
moralifirende, (PB. II, 379 fg.) Die Religionen feheinen nicht ſowohl
die Befriedigung, als der Mißbrauch des metaphyſiſchen Bedürfnifſes
zu fein. Wenigftens ift in Hinficht auf Beförderung der Moralität
ihr Nuten großentheild problematiſch, ihre Nachteile Hingegen. und
zumal die Gräuelthaten, welche in ihrem Gefolge fich eingeftellt haben,
liegen am Tage. (P. II, 384.)
Jede Keligion Iegt ihr Dogma der jedem Menſchen fühlbaren, aber
deehalb noch nicht verftändlichen, moraliſchen Zriebfeder zum. Grunde
18 *
276 Religion
und verfnüpft es fo eng mit berfelben, daß beibe als unzertremlih
erfheinen; ja, bie Priefter find bemüht, Unglauben und Immoralität
fir Eins und Daſſelbe auszugeben. Hierauf beruht es, daß dem
Slänbigen der Ungläubige fiir ibentifh mit dem moraliſch Schlehten
gilt, wie wir ſchon baran fehen, daß Ausdrücke, wie Gottlos, Atheiſtiſch,
Unchriſtlich, Ketzer u. dgl. als fynonym mit moraliſch Schlecht gebraudt
werben. (E. 262 fg. Bergl. Fanatismus.)
9) Eonflict der Religion mit der Bildung und
Wiffenfhaft.
Die Allegorie, in welche die Religion die Wahrheit einkleidet, darl,
um ihre Wirkfamfeit nicht zu verlieren, ſich nicht eingeftänblid, als
Allegorie geben, fondern muß ſich als sensu proprio wahr geltend
machen und behaupten, während fie doch höchftens sensu allegorio
wahr ift. Hier liegt der unheilbare Schaben, der bleibende Uebelſtand,
welcher Urfache ift, daß die Religion mit dem unbefangenen, dla
Streben nad reiner Wahrheit ftets in Conflict gerathen ift md e
immer von Neuem wird. (P. II, 357 fg.) |
Die Religion bat, da fie in ihrer mythifchen Form die Wahrkit |
nicht anders, als mit der Lüge verfegt giebt, zwei Gefichter, eines der
Wahrheit und eines des Truges. Je nachdem man das eine, ober
das andere ind Auge faßt, wirb man fie lieben oder anfeinden. Daher
muß man fie al8 ein nothwendiges Uebel betrachten, deſſen Roth
wendigkeit auf der erbärmlichen Geiſtesſchwäche der großen Mehrzahl
ber Menfchen beruht, welche die Wahrheit zu faflen unfähig ift und
daher eine® Surrogatö berfelben bedarf. ( P. I, 361.) Die Religien
tritt mit den Anfprud) auf, nicht blos allegoriſch, ſondern im bud
ftäblichen Sinne wahr zu fein; barin Liegt ber Trug, und bier iſt ei,
wo der Freund der Wahrheit fich ihr feindlich entgegenftellen muß
(®. O, 366.) Die Religion bat, wie der Janus, oder befier wi
der Brahmaniſche Todesgott Yama, zwei Gefihter und eben and
wie dieſer, ein ſehr freundliches und ein fehr finfteres. Daher fid
Entgegengefetstes von ihr ausſagen läßt, je nad) den man das ein
oder das anbere ins Auge faßt. (P. II, 386.)
Die Religion wird durch fortfchreitende Verſtandesbildung zurüd⸗
gebrängt, wird abftracter, und da ihr Wefen VBildlichkeit ift, muß fir
fobald ein gewiſſer Grad von Berftandesbilbung allgemein geworben,
ganz fallen. (9. 429. Bergl. unter Glaube, Glaubenslehte:
Abnahme des Glaubens mit der Zunahme der Eultur.) Die Religionen
find wie die Leuchtwürmer; fie beditrfen ber Dunkelheit, um zu leuchten
Ein gewiffee Grab allgemeiner Unwiffenheit ift die Bedingung alla
Religionen, ift das Element, in welchem allein fie leben Lünnen. Se
bald Hingegen Aftronomie, Naturwifienfchaft, Geologie, Geihiäts
Länder» und Völferfunde ihr Licht allgemein verbreiten und endlich gar
bie Philofophie zum Worte kommen darf, da muf jeder anf Wunder
Religionsphilofophie 277
und Offenbarung geftügte Glaube untergehen, worauf dann die Philo-
fophie feinen Plag einnimmt. (P. II, 369—371.)
Daß die Eivilifation unter den chriftlihen Völkern am höchſten
fteht, Tiegt nicht daran, daß das Chriftenthum ihr günftig, fondern
daran, daß es abgeftorben ift und wenig Einfluß mehr hat; fo lange
ed ihn hatte, war bie Eivilifation weit zurück, im Mittelalter. Vergl.
Mittelalter.) Hingegen haben Islam, Brahmanismus und Buddhais⸗
mus noch durchgreifenden Einfluß aufs Leben; in China noch am
wenigften, daher die Eivilifation der europäifchen Aa fommt.
Me Religion fteht im Antagonismus mit der Cultur. (P. II, 428 fg.)
Religionen find dem Volke nothiwendig, und find ihm eine unſchätz⸗
bare Wohlthat. Wenn fle jedoch den Fortſchritten der Mienfchheit im
der Erklenntniß der Wahrheit fich entgegenftellen wollen; fo müſſen fie
mit möglichfter Schonung bei Seite gefchoben werden. Und zu ver
langen, daß fogar ein großer Geiſt — ein Shalefpenre, ein Göthe —
die Dogmen irgend einer Religion bona fide et sensu proprio zu
feiner Ueberzeugung mache, ift wie verlangen, daß ein Rieſe den Schuß
eines Zwerges anziehe. (W. II, 185.)
10) Die Euthanafie der Religion.
Wenn, wie zu hoffen ift, die Menſchheit dereinft auf den Punkt der
Reife und Bildung gelangen wird, wo fie die wahre Philofophie einer
ſeits hervorzubringen und andererfeit® aufzunehmen vermag, dann wird
die Wahrheit in einfacher und faßlicher Geftalt die Religion von dem
Page herunterftoßen, den fie jo lange vilarirend eingenommen, aber
eben dadurch jener offen gehalten hatte. Dann wirb bie Religion ihren
Beruf erfüllt und ihre Bahn durchlaufen haben; fie Tann dann das
di8 zur Mündigkeit geleitete Gefchlecht entlaſſen, felbft aber in Frieden
bahinscheiden. Das wird die Euthanafie der Religion fein. (PB. IL, 361.)
11) Charakter der bedeutendften gefhidhtlihen Re—
Iigionen. (©. die Artikel: Brahmanismus, Bud—
dhaismus, Judenthum, Chriftenthbum und Islam.)
12) Die von der Religion Xebenden. (©. Priefter und
Pfaffen.)
13) Natürliche Kefigion.
Natitrliche Religion, oder, wie e8 die heutige Mode nennt, Religions-
hhiloſophie, bedeutet ein philofophifches Syſtem, welches in feinen
Refultaten mit irgend einer pofitiven Religion übereinftimmt, fo daß
eide, in den Augen der Belenner irgend eines von beiden, eben dadurch
eglaubigt werden. (9. 429.)
teligionsphilofophie.
Den beiden Arten ber Metaphyſik, Religion und PBhilofophie (vergl.
inter Metaphyſik: Unterſchied zweier Arten der Metaphufil), wäre
278 Religionsunterriht — Republik.
es am zuträglichiten, baß jebe von der andern rein gefondert bliebe und
fi) auf ihrem eigenen Gebiete hielte, um bafelbft ihr Weſen volllom⸗
men entwideln zu können. Statt beffen ift man ſchon das ganıe
Hriftliche Zeitalter hindurch bemüht, vielmehr bie Fufion beider zu be⸗
werfftelligen, indem man bie Dogmen und Begriffe ber einen in die
andere itberträgt, wodurch man beide verdirbt. Am unverhohlenftn if
‘dies in unfern Tagen gefchehen in jenem feltfamen Zwitter ober Ler⸗
tauren, der fogenannten Religionsphilofophie, melde als eine Art
Gnoſis bemüht ift, die gegebene Religion zu deuten und das
allegorico Wahre durch ein sensu proprio Wahres audzufegen. Ale
dazu müßte man die Wahrheit sensu proprio fchon kennen und be
figen; alsdann aber wäre jene Deutung überflüffig. Denn bios ont
der Religion die Metaphufif, d. h. die Wahrheit sensu proprio, hmf
Auslegung und Umdeutung erft finden zu wollen, wire ein mißliche
und gefährliches Unternehmen, zu welchen man fich nur dam em⸗
Schließen Tönnte, wenn e8 ausgemacht wäre, baß bie Wahrheit, gied
dem Eifen und andern unebeln Metallen, nur im vererzten, nicht m
gebiegenen Zuftande vorkommen könne, daher man fie mur burd Re
duction aus ber Vererzung gewinnen könnte. (WW. II, 185. Berl
unter Philofophie: Gegenſatz zwifchen Philofophie und Theologie.)
Religionsunterricht.
Wenn die Welt erft ehrlich genug geworben fein wird, um Kir
dern vor dem 1dten Jahre feinen Religiondunterricht zu ertheilen
dann wird etwas don ihr zu hoffen fein. (H. 428 fg. P. IL, 349%.
352 fg. Vergl. unter Glaube, Slaubenslehre: Schädlide Bir
fung früh eingeprägter Glaubenslchren.)
Keliquiendienſt, |. Verehrung.
Reproductionskraſt.
1) Die Reproductionskraft als eine Form der Leben
kraft. (S. unter Lebenskraft: Die Lebenskraft an ſih
und ihre drei Erſcheinungsformen.)
2) Die Reproductionskraft als Hauptcharakter der
Pflanze (S. Pflanze)
3) Die Genüffe der Reproductionskraft. (S. Genuß)
Republik.
1) Sehler des republilanifhen Syſtems.
Das republifanifche Syſtem ift dem Menfchen.fo widernatürlich, we
es dem höhern Geiftesleben, aljo Künften und Wiſſenſchaften, ungünftg
iſt. Republiken find Fünftlih gemacht und aus der Reflerion mt
fprungen, kommen daher auch nur als feltene Ausnahmen in der gar
Repulfionsroft — Reue
zen Beltgefdhichte vor. Republiken find leicht a richten
färer zu erhalten, (P. II, 271—273. Bergl. unter M
Ein großer Vorzug der Monardjie vor ber Republik.)
tendiven zur Anarchie. (W. I, 406.) In Republiten fe
Staate an der nöthigen Concentration und Kraft. (P. IL,
2) Die norbamerifanifhen Republiken.
Amerika: Eharakter und Berfaflung der Norda
Bepulfiouskraft, |. Attractionokraft.
,Reſignation. (S. unter Wille: Berneinung bes Willens, |
fefe, und unter Stoicismus: Gegenfag zwifchen bei
Gleichmuth und ber Kriftlichen Refignation,)
Befpiration, f. Athmen.
Retina, |. Farbe.
Reue.
1) Urſache und Gegenftand ber Reue.
Reue entfteht nimmermeht daraus, daß (mas unmöglich)
fondern daraus, daß die Erkenntniß fich geändert hat. W
daher nie, was wir gemollt, wohl aber was wir gethan hi
wir, durch falſche Begriffe geleitet, etiuas Anderes thaten, c
Bilen gemäß war. Die Einſicht Hierin, bei richtigerer Erk
die Reue. Immer ift die Menue berichtigte Erkenutniß de
niſſes der That zur eigentlichen Abſicht. W. I, 349 fg.)
Die Reue ift dadurch bedingt, daß vor ber That die N
dieſer dem Intelleet nicht freien Spielraum ließ, indem fie
gellattete, die ihr entgegenftehenden Motive deutlich und vol
Auge zu faffen, vielmehr ihn immer wieder auf die zu ihr ı
den hinlenkte. Diefe nun aber find, nad; vollbrachter Ti
diefe ſelbſt neutraliſirt, mithin unwirkſam geworben. Seht
Wirllichteit die entgegenfiehenden Motive, als bereits eingeh
gen der That, vor den Intellect, der minmehr ertennt, d
Rärteren geweſen wären, wenn er fie nur gehörig ins ı
und erwogen hätte. Der Menjch wird alfo inne, daß er g
was feinem Willen nicht gemäß war; bieje Exkenntniß ift
Alle dergleichen Handlungen entfpringen bemnad) im Grunde
tlativen Schwäche des Intellects, fofern nämlich biefer fi v
da übermeiftern läßt, wo er, ohne ſich von ihm ftören zu le
Function des Vorhaltens ber Motive hätte unerbiitlich vollzie
Die Behemenz des Willens ift dabei mır mittelbar bie U
fen fie nämlich den Imtellect Hemmt und dadurch ſich Rer
(®. I, 679 fg.)
280 Rhetoril
2) Unterſchied zwiſchen Reue und Gewiſſensaugſt.
Gewiſſensangſt über das Begangene iſt nichts weniger als Heu,
ſondern Schmerz über die Erkenntniß feiner ſelbſt an fi, d. h. als
Wille. Sie beruht gerade auf der Gewißheit, daß man denſelben
Willen no immer hat. Wäre er geändert und daher die Gewifiene
angft bloße Neue, jo höbe diefe ſich ſelbſt auf; denn das Bergangene
könnte dann weiter feine Augft erweden, da es bie Aeußerungen eines
Willens darftellt, welcher nicht mehr der des Reuigen wäre, (®. 1,
350. Bergl. unter Gewiſſen: Urfprung der Gewiffenspein.)
3) Die Bein der Neue, verglichen mit der des uner⸗
füllten Wunſches.
Die Pein des unerfüllten Wunfches ift Hein gegen die der Reut;
denn jene fteht vor der ftet3 offenen, unabjehbaren Zufunft; diefe vor
der unmiberruflich abgefchloffenen Vergangenheit. (P. II, 625.)
Rhetorik.
1) Berhältniß der Rhetorik zur Logik und Dialektil.
Die Rhetorik ift ein Theil der Technik der Bernunft md jolk
mit den beiden andern Theilen derfelben, Logik und Dialektik, zuſam⸗
men gelehrt werden, Logik als Technik des eigenen Denkens, Dialekt
des Disputivens mit Anderen, und Rhetorik des Redens zu Vielen
(concionatio); aljo entfprechend dem Cingular, Dual und Plural, wie
auch dem Monolog, Dialog und Panegyrifus. (W. IL, 112.) — X
ber Rhetorik find die rhetorifchen Figuren ungefähr was im der Loßgil
die fyllogiftifchen, jeden Falls aber der Betrachtung würdig. (V.
I, 113.)
2) Definition, Duelle und Regeln der Beredſankeit.
(S. Beredſamkeit.)
3) Die Ueberredungskunſt.
Die Ueberredungskunſt beruht darauf, daß man die Verhälwiſſe der
Begriffsfphären (j. unter Begriff: Begriffsſphären) nur einer ober
flächlichen Betrachtung unterwirft und fie dann feinen -Abfichten gemäß
einfeitig beftimmt, hauptſächlich dadurch, daß, wenn die Sphäre ein
betrachteten Begriffs num zum Theil in einer andern liegt, zum Theil
aber auch in einer ganz verfchiedenen, man fie als ganz in der erften
liegend angiebt, ober ganz in ber zweiten, nad) der Abficht bes Re
ners. 3. B. wenn von Leidenſchaft geredet wird, kann man bit
beliebig unter den Begriff der größten Kraft, des mächtigſten Agens
in der Welt fubfumiren, oder unter ben Begriff der Unvernunft und
diefen unter den der Ohnmacht, der Schwäche. Dafielbe Verfahren
kann man nun fortfegen und bei jedem Begriff, auf den bie Ket
führt, von Neuem antwenden. Auf diefem Kunftgriff beruhen eigentlid
alle Ueberrebungefünfte, alle feiern Sophismen. (W. I, 58.)
Rhythmus — Roman 281
Khythmus.
1) Rhythmus in der Poeſie. (S. unter Poeſie: Hülfe⸗
mittel der Poeſie.)
2) Rhythmus in der Muſik. (S. unter Architectur: Ver⸗
gleichnng der Baukunſt mit den übrigen Künften.)
Richtig.
Ueber den Unterſchied des Präbicat® „richtig“ von den Prädicaten
„wahr“, „real“, „evident“ |. Evidenz.
Bitterlicdhe Ehre. (S. unter Ehre: Eine Afterart ber Ehre.)
Koman.
1) Kennzeichen bes guten Romane,
Ein Roman wird defto höherer und eblerer Art fein, je mehr inneres
und je weniger äußeres Leben er darftellt; und dies Verhältniß wirb,
als harakteriftifches Zeichen, alle Aftufungen bes Romans begleiten,
vom Triftram Shandy an, der fo gut wie gar feine Handlung hat, bis
zum voheften und thatenreichften Hitter- und Ränberroman herab. —
Die Kunft befteht darin, dag man mit dem möglichft geringften Auf⸗
wand don ünßerem Leben das immere in die ftärffte Bewegung bringe;
denn das innere ift der eigentliche Gegenſtand unſers Interefſes. —
Die Aufgabe des Romanfchreibers ift nicht, große 5 oefäle zu erzäblen,
fondern Heine interefjant zu machen. (PB. II, 473 fg.)
So wie gute Maler zu ihren hiſtoriſchen Eier wirflihe Men⸗
hen Modell ftehen Taffen und zu ihren Köpfen wirkliche, aus dem
Leben gegriffene Gefichter nehmen, die fie ſodann ibealifiren ; eben fo
‚machen e8 gute Romanfchreiber ; fie legen den Berfonen ihrer Fictionen
wirflihe Menſchen aus ihrer Belanntichaft fchematifch unter, welche
fe nun, ihren Abfichten gemäß, ibealifiren und completiren. (P.
‚473. )
Br gewöhnlichen, das große Bublicum unterhaltenden und feinen
Beifall findenden Romane aller Gattungen find phantaftifcher Art.
(Bergl. Bhantafl.)
2) Der Roman als Spiegel des Herzene.
Beil der Schmerz, nicht der Genuß das Pofitive ift, deſſen Gegen⸗
wart fich fühlbar macht, und große lebhafte Freude fich fchlechterdings
nur denken läßt als Folge großer vorhergegangener Roth, darım find
ale Dichter genöthigt, ihre Helden in ängftliche und peinlihe Tagen
zu bringen, um fie daraus wieder befreien zu Können. Drama und
Epos ſchildern demnad) durchgängig nur kämpfende, Teibende, gequälte
Menfchen, und jeder Roman ift ein Gucklaſten, darin man bie Spas⸗
PN und Convulfionen des geängftigten menfchlichen Herzens betrachtet.
(®. II, 668.)
282 | Roman
Jeder Roman ift ein bloßes Kapitel aus ber Pathologie des Geiſtes.
(8. 371.) |
va bedeutende Rolle, welche die Gefchlechtsliebe in den Romanen
fpielt, entfpricht der Realität und Macht diefer Leidenfchaft im Leben,
Die Werther und Jacopo Ortis eriftiren nicht blos im, Romane, fon-
- dern jedes Jahr hat deren in Europa wenigftens ein halbes Dutzend
aufzuweifen. (W. II, 606 fg. Bergl unter Geſchlechtsliebe:
Realität und Macht biefer Leidenſchaft.)
8) Die vier unfterblihen Romane.
Es giebt vier unfterblihe Romane, weldye bie Krone der ganzen
Gattung bilden: Don Ouirote, Triftram Shandy, die neue Heloile
und der Wilhelm Meifter. (P. II, 474. 9. 49. M. 187.)
4) Schädlicher Einfluß der gewöhnlichen Romane auf
die Jugend.
Der Rnabe und Yüngling bat in der für das praftifche Leben fo
wichtigen Erkenntniß, wie es eigentlich in der Welt hergeht, als
Neuling die erften und fchwerften Lectionen zu lernen. Dieſe ſchon an
fid) bedeutende Schwierigkeit ber Sache wird nun noch verdoppelt durch
die Romane, als welche einen Hergang der Dinge unb bes Verhal⸗
tens der Menſchen darftellen, wie er in der Wirklichkeit eigentlich, nid
Statt findet. Diefer nun aber wird mit der Leichtgläubigfeit der
Jugend aufgenommen und dem Geiſte einverleibt, wodurch jegt an die
Stelle blos negativer Unkunde ein ganzes Gewebe faljcher. Vorans⸗
ſetzungen als pofitiver Irrthum tritt, welcher nachher fogar die Schule
der Erfahrung felbft verwirrt und ihre Lehren in falfchem Lichte er-
fcheinen läßt. Durd die Romane werben in der Jugend Erwartungen
erregt, die nie erfillit werben können. Dies bat meiften® den nad-
theiligften Einfluß auf das ganze Leben. (Berge. and Phantaft.)
Entſchieden im Vortheil ftehen bier die Menſchen, weldye in ihrer
Tugend zum Romanlefen Feine Zeit ober Gelegenheit gehabt Haben.
Wenige Romane find von obigem Vorwurf auszunehnen, ja, wir
eher in entgegengefeßtem Sinne, 5. B. Gil Blas, ferner auch Vicar
of Wakefield und zum Xheil die Romane Walter Scott’s. Der
Don Quirote kann als eine ſatyriſche Darftellung jenes Irrweges ſelbſt
angefehen werben. (PB. IL, 669.)
Die richtige Erziehungsmethobe erfordert, daß man feine Romane
zu lefen erlaube, fondern fie burch angemefiene Biographien erſetze, wie
1 2. die Sranllin’s, den Anton Reifer von Morig u. bel. (P.
, 518.)
5) Einfluß des Romanlefens auf das Gedächtniß.
Menſchen, die unabläffig Romane leſen, verlieren dadurch ihr Ge⸗
bächtniß, weil bei ihnen die Menge von Borftellungen, die hier aber
nicht eigene Gedanken und Combinationen, fondern fremde, raſch vor⸗
Romantik — Ruhm. Nachruhm | 283
überziehende Zuſammenſtellungen find, zur Wiederholung und Uebumg
feine Zeit, noch Geduld laßt. (©. 148.)
Romantik.
1) Segenfag zwiſchen Romantik und Humaniemus.
(S: Humanismus.)
2) Unt d zw 4 d t
) Per — aſſiſcher und romantiſcher
Rückenmark. (©. unter Bewegung: Unterſchied der unten
und willkürlichen Bewegung.)
Kuhm. Nachruhm.
1).3u welchen Gütern der Ruhm gehört,
Der Ruhm gehört zu demjenigen Gütern des menſchlichen Lebens,
die in dem beftehen, was wir in dev Welt vorftellen, d. h. in ben
Augen Anderer find. Diefes läßt fich nämlich eintheilen in Ehre,
Rang und Ruhm. (P. I, 382. Bergl. Güter.)
2) Segenfag zwifhen Ehre und Ruhm. (©. Ehre.)
3) Zwei Wege zum Ruhm.
Nur durch außerordentliche Leiftungen wird Suhm erlangt. Dieſe
nun ſind entweder Thaten, oder Werke. Demnach ſtehen zum Ruhme
zwei Wege offen. Zum Wege der Thaten befähigt vorzüglich das
große Herz, zu dem der Werke der große Kopf. Jeder der beiden
Wege hat feine eigenen Vortheile und Nachteile. Der Hauptunter-
ſchied ift, daß bie Thaten vorübergehen, bie Werke bleiben. P.
I, 416 ff.)
4) Scäwierigfeit der Erlangung des Ruhms. (©. unter
Beifall: Warum die Werfe des Genie's fo ſchwer Beifall
finden, und unter Genie: Nachtheile der Genialität.)
5) Werth bes Ruhms.
Der Ruhm beruht eigentlich auf Dem, mas Einer im Vergleich mit
den Uebrigen iſt. Demnach ift er weſentlich ein Relatives, kann da»
ber auch nur relativen Werth haben, Er fiele ganz weg, wenn die
Ucbrigen würden, was der Gerühmte iſt. Abfoluten Werth kann nur
Das haben, was ihn ımter allen Umftänden behält, alſo hier, was
Einer unmittelbar und fiir fich felbft ift; folglich muß hierin ber
Üerth und das Glück des großen Herzens und des großen Kopfes
liegen. Alfo nicht der Ruhm, fondern Das, wodurch man ihn ver-
dient, iſt das Wertvolle. Denn es ift — * — die Subſtanz und
der Rufen nur das Accidens der Sadıe. (BP. I, 422.) Im eudämo⸗
ogifiher Hinficht ift der Ruhm nichts weiter, als ber feltenfte und
Köflichfte Biſſen fitr unſern Stolz und unfere Eitelfeit. (P. I, 423.)
284 Ruhm. Nachruhm.
Da unſtreitig der Ruhm nur das Secundare iſt, das bloße Ehe, Ab⸗
bild, Schatten, Symptom bes Verbienftes, und da jedenfalls das Ve⸗
wunderte mehr Werth haben muß, als bie Bewunderung; fo kann das
eigentlich Beglücdende nicht im Ruhme liegen, fondern in Dem, wodurch
man ihn erlangt, aljo im Verdienſte felbit, ober, genauer zu reden, in
der Sefinnung und den Fähigkeiten, ans benen es bervorgieng. ($. 1,
424. W. I, 440.)
6) Unverlierbarkleit des ähten Ruhms.
So ſchwer es ift, ben Ruhm zu erlangen, fo leicht ift es, ihn zu
behalten. Der Ruhm Tanır eigentlich nie verloren gehen; denn hie
That, oder da8 Werk, durch bie er erlangt worben, ftehen für immer
feft, und der Ruhm derfelben bleibt ihrem Urheber, auch wenn er
feinen neuen hinzufügt. Wenn jedoch ber Ruhm wirklich verflingt,
wenn er überlebt wird; fo war er unädt, d. h. unverdient, dur
augenblickliche Ueberſchätzung entftanden, wo nicht gar durch abſichtliches
Auspojaunen. (B. I, 421fg.; II, 498.)
7) Der unverbiente, ſchnelle und falfhe Ruhm.
Beim falfchen, d. i. unverdienten Ruhm, ift das Bewunderte der
Bewunderung nicht werth. Sein Befiger muß an ihm zehren, ohne
Das, wovon berfelbe das Symptom, der bloße Abglanz fein folle, wirl-
ch zu haben. Diefer Ruhm muß ihm oft verleidet werben, wenn
bisweilen trotz aller aus der Cigenliebe entſpringenden Selbfttäujchung
ibm auf der Höhe, für die er nicht geeignet ift, doch ſchwindelt, oder
ihm zu Muthe wird, als wäre er ein knpferner Ducaten; wo dam
die Angft vor Enthüllung und verbienter Demüthigung ihn ergreit,
zumal wenn er auf ben Stirnen ber Mitmenſchen das Urtheil der
Nachwelt lieſt. Er gleicht fonach dem Befiger durch ein falfches Teſta⸗
ment. (P. I, 425.)
Es ift leicht begreiflih, bag ein Ruhm, ber fchnell erfolgt, and
früh erliſcht, und auch hier es heit quod cito fit, cito perit; indem
Reiftungen, deren Werth der gewöhnliche Menfchenfchlag fo leicht er:
fennen und die Mitbewerber fo willig gelten laſſen Tonmten, aud nid
fehr Boch über dem Herborbringungsvermögen Beider ftehen werben.
Zudem ift fehon wegen des Geſetzes der Gomogeneität (f. unter Bei⸗
fall: Duelle bes Beifall8) ein ſchnell eintretender Ruhm ein verbäd-
tiges Zeichen; er ift nämlid) der birecte Beifall der Menge. Aus
umgelehrten Öründen wird ein Ruhm, der don langem Beſtand ſein
fol, jehr ſpät xeifen, und die Jahrhunderte feiner Dauer müſſen mei»
tens mit dem Beifall der Zeitgenofjen erfauft werden. Denn was
fo anhaltend in Geltung bleiben fol, muß eine ſchwer zu erlangende
Trefflichfeit habe, welche auch nur zu erkennen fchon Köpfe erfordert,
bie nicht jeberzeit da find, am wenigften in hinreichender Anzahl, um
fi vernehmbar machen zu können. Mäßige Verdienſte Hingegen, bie
bald anerkannt werben, laufen dafiir Gefahr, daß ihr Befiger fie und
Ruhm. Nachruhm 285
fich überkebt, fo daß fir den Ruhm in ber Jugend ihm Obſeurität
im Alter zu Theil wird; während, bei großen Berbdienften, man um⸗
gelehrt lange obſcur bleiben, dafiir aber im Alter glänzenden Ruhm
erlangen wird. (PB. IL, 499.)
In der Regel wird der Ruhm, je Tänger ex zu dauern hat, befto
ipäter eintreten, wie ja alles Vorzügliche langſam heranreift. Der
Ruhm, welcher zum Nachruhm werden will, gleicht einer Eiche, bie
aus ihrem Saamen fehr langſam emporwächſt; der leichte, ephemere
Ruhm den einjährigen, ſchnell wachſenden Pflanzen und der faljche
Ruhm gar dem fchnell hervorſchießenden Unkraute, das fchleunigft aus⸗
gerottet wird. (PB. I, 418.)
Der falfche, nämlich der Fimftliche, durch ungerechtes Rob, gute
Freunde, beftochene Kritiker, Winke von oben und Berabrebungen von
unten, bei richtig vorausgeſetzter Urtheilglofigfeit der Menge, auf bie
Beine gebrachte Ruhm eines Werkes gleicht den Ochjenblofen, durch
die man einen fehweren Körper zum Schwimmen bringt. Sie tragen
ihn längere oder kürzere Zeit, je nachdem fie aufgebläht und feit zu-
geihnürt find; aber die Luft transfudirt allmälig doch, und er fint.
Dies iſt das unvermeidliche Loos der Werke, welche die Duelle ihres
Ruhmes nicht in ſich haben. Das faljche Lob verballt, die Ber
abredungen fterben aus, der Kenner findet den Ruhm nicht beftätigt,
diefer erlifcht, und eine- befto größere Geringſchätzung tritt an feine
Stelle. Hingegen die Achten Werke, welche die Duelle ihres Ruhmes
in fi) haben, und daher zu jeder Zeit bie Bewunderung von Neuem
zu entziinden vermögen, gleichen ben fpecififch leichteren Körpern, die
aus eigenen Mitteln fich ftets oben erhalten, und fo gehen fie ben
Strom der Zeit hinab. (PB. II, 501.)
8 Warum der Ruhm vor Denen flieht, die ihn
fuden.
Wer das Gute und Rechte hervorbringen und das Schlechte ver
meiden fol, muß dem Urtheile dev Menge und ihrer Wortführer Trog
bieten, mithin fie verachten. Hierauf beruht die Richtigkeit der Be⸗
merfung, daß ber Ruhm vor Denen flieht, die ihn fuchen, und Denen
folgt, die ihm vernachläffigen; denn Jene bequemen fich dem Gefchmad
der Zeitgenofien an. Dieje trogen ihm. (P. I, 421. H. 464.)
9) Gegenſatz zwifchen dem Ruhm bei den Beitgenoffen
und bem Ruhm bei der Nadhmelt. '
Wenn man da8 Rob der Zeitgenoffen aller Zeiten überhaupt
nd Auge faßt, wird man finden, daß dafjelbe eigentlich immer eine
Hure ift, proftituirt und befudelt durch tauſend Unwürdige, denen es
zu Theil geworden. Hingegen ift der Ruhm bei der Nachwelt eine
folge, fpröde Schöne, die ſich nur dem Würdigen, dem Sieger, dem
Ieltenen Helden hingiebt. (P. U, 503 fg.)
286 Ruhm. Nachruhm
Die Urt, wie der Beifall der Zeitgenofien entſteht (vergl. unter
Beifall: Geringer Werth des Beifalls der Zeitgenoſſen), macht ce
erflärlich, warum der Ruhm ber Zeitgenofien fo felten die Metamor
phofe in Nachruhm erlebt. (P. I, 426.) .
10) Incompatibilität des Ruhmes mit ber räumlichen
und zeitlihen Nähe ber Berfon.
Für den Berühmten läuft der Unterfchieb zwifchen bem Ruhme bei
der Mitwelt und dem bei der Nachwelt am Ende blos darauf Kinans,
daß beim erften feine Verehrer von ihm durch den Raum, beim andern
durch die Zeit getrennt find. Denn unter den Augen bat er fie, and
beim Ruhme der Mitwelt, in der Regel nit. Die Verehrung ver:
trägt nämlich nicht die Nähe, fondern Hält fich faft immer im der
Terne auf, weil fie, bei perfönlicher Gegenwart bes Verehrten, wie
Butter an der Sonne ſchmilzt. Ueber diefe Incompatibilität der Be:
ehrung mit ber perjänlichen Anwefenheit und bes Ruhmes mit dem
Leben haben wir einen fchönen lateinifchen Brief des Petrarka.
PU, 56090) |
11) Der Wunſch und die Anticipation bes Nah
ruhms. |
. Der Wunſch, den Jeder hat, daß man nach feinem Tode feiner
gedenten möge, und ber fid) bei den Hochſtrebenden zu dem
Wunſche des Rahrubme fteigert, ſcheint aus der Anhänglidket
am Leben zu entfpringen, die, wenn fie fi von jeder Meöglichkeit
des realen Daſeins abgefchnitten fieht, jest nach bem allein ned
vorhandenen, wenngleich nur ibealen, aljo nad) einem Schatten greift.
(P. II, 620.) |
Das ächte, große Verdienſt ift im Stande, feinen Ruhm bei ber
Nachwelt mit Sicherheit zu anticipiren. Ya, wer einen wirklich großen
Gedanken erzeugt, wird ſchon im WUugenblid der Conception bdeffelben
feines Zufanmenhanges mit den kommenden Geſchlechtern inne; jo daß
er dabei .die Ausdehnung feines Dafeins durch Jahrhunderte fühlt um
auf dieſe Weife, wie für die Nachkommen, jo aud) mit ihnen lebt.
(P. U, 510.)
12) Werth des Nachruhms.
. Da nit im Ruhme, fondern in Dem, wodurd man ihn erlangt,
der Werth Liegt und in der Zeugung unfterblicher Kinder der Genuß,
fo find Die, welche die Nichtigkeit des Nachruhmes daraus zu beweifen
ſuchen, daß, wer ihn erlangt, nichts davon erfährt, dem Klügling zu
vergleichen, der einem Manne, welcher auf einen Haufen Aufterfhalen
im Hofe feines Nachbars neidifche Biicke wirft, ſehr weile die gänzliche
Unbrauchbarleit berfelben demonftriren wollte. (W. I, 440.)
Ruinen — Runzelu 287
Den ächteften Ruhm, ben Nachruhm, vernimmt fein Segenftanb nie,
und doch ſchätzt man ihn glücklich. Alſo beftand fein Glück in den
großen Eigenfchaften felbft, die ihm ben Ruhm erwarben, und barin,
daß er Gelegenheit fand, fie zu entwideln, aljo daß ihm vergönnt wurde,
zu handeln, wie e8 ihm angemefjen war, oder zu treiben, was er mit
Luſt und Liebe trieb; denn nur die aus dieſer entſprungenen Werke
erlangen Nachruhm. Sein Glüd beſtand alſo im feinem großen Her⸗
zen, ober auch im Reichthum eines Geiftes, deſſen Abbrud in feinen
Berlen die Bewimberung kommender Yahrhunberte erhält. Der Werth
des Nachruhms Tiegt alfo im Verdienen befjelben, und dieſes iſt ſein
eigener Lohn. (P. I, 425.)
Ruinen.
1) Erhabenheit der Ruinen.
Die noch daftehenden Ruinen bes Alterthums rühren und unbe
ſchreiblich, die Tempel zu Päftum, das Koliſeum, das Pantheon, Mi-
cenas Haus mit dem Waflerfall im Saal; denn wir empfinden die
Kürze des menfchlichen Lebens gegen bie Dauer biefer Werke, bie Hin»
fäligkeit menschlicher Größe und Pracht; das Individuum ſchrumpft
ein, ſieht fich als ſehr Hein, aber die reine Erkenntniß hebt ung bar»
über hinaus, wir find das ewige Weltauge, das diejes Alles fieht, das
reine Subject des Erkennens. Es ift das Gefühl des Erhabenen.
(6. 363. W. I, 243 fg.)
2) Analogie der Ruine mit ber Kadenz in ber Muſik.
Als Amplification der Analogie dee Muſik mit der Baukunſt (f.
mter Architectur: Vergleichung ber Baukunſt mit den übrigen Kün⸗
ften) könnte man noch hinzuſetzen, daß, wenn die Muſik, gleichfam in
einem Aufall von Unabhängigfeitsdrang, die Gelegenheit einer Fermate
ergreift, zum fi, vom Zwang bes Rhythmus losgeriſſen, in der freien
Phantafie einer figurirten Kadenz zu ergehen, ein folches vom Rhyth⸗
mus entblößtes Tonſtück der von der Symmetrie entblößten Ruine
analog ſei, welche man demnach, in ber kühnen ‚Sprache des bes
fanuıten Witzworles (daß Architectur gefrorene Muſit ſei) eine ge⸗
frorene Kadenz nennen mag. (W. II, 518.)
Runzeln. (S. unter Haare: Ueber weiße Haare.)
288 Suligkeit — Sanſara
S.
Säligkeit
1) Unmöglichfeit der Säligkeit, fo lange der Bille
zum Leben bejaht wirb. -
Es liegt ein vollfommener Widerſpruch darin, leben zu wollen, ohne
zu leiden, welchen daher aud) das oft gebrauchte Wort „fäliges Leber“
in ſich trägt. (W. I, 108.)
Sp lange unfer Wille berfelbe ift, Tann unfere Welt Teine andere
fein. Zwar wünſchen Alle erlöft zu werben aus bem Zuſtande dei
Leidens und bes Todes; fie möchten, wie man fagt, zur ewigen Sälig
feit gelangen, ins Himmelreich kommen; aber nur nicht auf eigenen
üßen; ſondern Bingetragen möchten fie werben durch ben Lauf be
atur. Wein das ift unmöglih. Daher wird fie zwar uns mu
fallen und zu nichts werben laſſen; aber fie kann uns nirgends hin
bringen, als immer wieder in die Natur. Wie mißlich es jedoch fa,
als ein Theil ber Natur zu eriftiren, erfährt Jeder an feinem eigenen
Leben und Sterben. (W. I, 692 fg. Vergl. auch unter Xeben:
Charakter, Werth und Zwed des Lebens im Ganzen.)
2) Säligkeit ber den Willen zum Leben verneinenden
Heiligen. _
Mir willen, daß die Augenblide der üfthetifchen Contemplation, in
denen wir allenı Wollen, d. 5. allem Wünſchen und Sorgen, enthoben,
gleichfam uns felbft los werden, nicht mehr das zum Behufe feine?
beftändigen Wollens erfenuende Individuum, fondern das willensreime,
ewige Subject des Erkennens find (vergl. Aeſthetiſch), — daß diele
Augenblide, wo wir, vom grimmen Willensdrange erlöft, gleichjam
aus dem ſchweren Erdenäther auftauchen, die jäligften find, welche wir
fennen. Hieraus können wir abnehmen, wie fülig das Leben eines
Menſchen fein muß, deffen Wille nicht auf Uugenblide, wie beim Ge⸗
nuß des Schönen, fondern auf immer, wie bei der Reſignation der
Heiligen, beſchwichtigt ift. Doc, finden wir felbft im Leben beiliger
Menfchen jene Ruhe und Süligkeit, die und von ihnen gefchildert wird,
nur als die Blüthe, welche hervorgeht aus der fteten Ueberwindung
des Willens, und fehen als den Boden, welchem fie entfprießt, ben
beftänbigen Kampf mit dem Willen zum Leben; denn bauernde Ruhe
fann auf Erben Keiner haben. (W, I, A61— 463.)
Sanfara, ſ. Buddhaismus.
Sanskritlitteratur — Säugling 289
Sanskritlitteratur.
Während bie religiöfen und philofophifchen Werke der Sanskrit⸗
litteratur höchſt verehrungswerth find, fo erfcheinen dagegen die poe-
tiichen jo geſchmacklos und monftrös, wie bie Sculptur ber felben
Völler. Selbft ihre dramatifchen Werke find hauptfählih nur wegen
der fehr belehrenden Erläuterungen und Belege des religiöfen Glaubens
und der Sitten, bie fie enthalten, ſchätzenswerth. ‘Die Ueberfeger aus
dem Sanskrit follten ihre Mühe viel weniger der Poefle und viel
mehr den Beben, Upanifchaden und philofophifchen Werken zumenden.
(P. II, 425 fg.) | |
Satan, f. Teufel.
Satire. "
Die Satire fol, gleich der Algebra, blos mit abftracten und unbe-
ſtimmten, nicht mit concreten Werthen, ober benannten Größen ope-
riren; und an lebendigen Menfchen darf man fie jo wenig, wiebie
Anatomie, ausüben, bei Strafe, feiner Haut und feines Lebens nicht
ficher zu fein. (P. II, 543.)
ap, vom ausgefchloffenen Dritten, ſ. Denkgeſetze.
Sap, vom zureihenden Grunde, ſ. Dentgefege und Grund.
Gap, vom Widerfprud, |. Denkgeſetze.
Sangling. |
1) Geiftiger Stupor der Säuglinge in ben erften
Wochen nach der Öeburt.
Obgleich der rein formale Theil der empirischen Anſchauung, alfo
‚a8 Gefeß der Kanfalität, nebft Raum und Zeit, a priori im Intellect
iegt; jo iſt ihm doch nicht die Anwendung defielben auf empirifche
Data zugleich mitgegeben, fondern diefe erlangt er erſt durch Uebung
md Erfahrumg. Daher kommt e8, daß nengeborene Kinder zwar ben
ücht- und Farbeneindrud empfangen, allein nod nicht die Objeete
pprebendiren und eigentlich fehen, fondern fie find, die erften Wochen
indurch, in einem Stupor befangen, der fi alsdann verliert, wann
hr Berftand anflingt, feine Function an den Datis ber Sinne, zumal
es Getafts und Gefihts, zu üben, wodurch bie objective Welt all-
rälig in ihr Bewußtſein tritt. Diefer Eintritt iſt am Intelligent⸗
erden ihres Blicks und einiger AÜbfichtlichkeit in ihren Bewegungen
eutlich zu erkennen, befonder8 wenn fie zum erften Mal durch freund-
ches Anlächeln an den Tag legen, daß fie ihre Pfleger erkennen.
G. 72. 8. 10. — Vergl. Anſchauung: Intellectualität der An⸗
Hauung.)
2) Energie des Willens in den Säuglingen.
Während ber Intellect im Kinde fi) langſam entwidelt, ift dagegen
er Wille, gemäß feinem Primat, von Haufe aus fehr thätig. Süug-
Schopenhauer⸗Lexikon. MI. 19
290 Sänle — Schabenfreube
linge, die kaum die erfte ſchwache Spur von Intelligenz zeigen, find
fhon voller Eigenwillen; duch unbändiges, zweckloſes Toben und
Schreien zeigen fie den Willensdrang, von bem fie ftrogen, währen
ihr Wollen noch fein Object bat, d. h. fie wollen, ohne zu willen,
was fie wollen. (W. II, 236 fg.)
Säule, |. Arditectur.
Schädel.
1) Die Erklärung des Schädels aus Wirbelbeinen
Wie bie jogenannte Metamorphofe der Pflanzen zu den Erklaͤrunger
des Organifchen aus der wirkenden Urfache gehört (vergl. une
Pflanze: Metamorphofe der Pflanzen), fo aud) die Erflärung de
Schädels aus Wirbelbeinen. Diefe ift nicht viel beffer, jedoch vie
problematifcher, als die der Dlitthe aus dem Blatt; wiewohl es chen
auch Hier fich von felbft verftcht, daß das Futteral des Gehims dem
Tutigral des Rückenmarks, deffen Yortfegung und Endlauf es if,
nicht abfolut Heterogen unb ganz disparat, vielmehr in derſelben Ar
fortgeführt fein wird. Diefe ganze Betrachtungsart gehört der How
logie R. Owen’ an. (W. LI, 380 fg.)
2) Eine Bermuthung, zu welder der Schädel dr
Idioten und der Neger Anlaß giebt. (S. unter Or:
bien: Vereinzelte Bemerkungen.)
3) Was bei der Durdhſichtigkeit des Schädels jı
ſehen wäre.
Wenn die Hirnfchale nebft Integumenten durchſichtig wäre, welche
Unterfchiede wärde man da gewahren an Größe, Geftalt, Beicafte-
beit und Bewegung bes Gehirns! welche Abftufungen! Der gr
Seift würde auf den erften Blick fo viel Reſpect einflößen, wie kt
drei Sterne auf der Bruft, und wie erbärmlich würde Maucher, dr
diefe trägt, figuriren! (9. 458.)
Schädellehre.
Die Beichaffenheit des Willens ift von feinem Organ abhängig un
aus feinem zu prognofticiren. ‘Der größte Irrtum in Gall's Schädt
lehre ift daher, daß er auch für moralifche Eigenfchaften Organ
des Gehirns aufftellt. (W. II, 278. 302.) Vielleicht wird man cin
eine wahre Kraniologie aufftellen fünnen, die aber dann ganz ander:
lauten wird, als die Gal’fche mit ihrer fo plumpen, wie abjurds
piychologifchen Grundlage und ihrer Annahme von Gehirnorganen fir
moralifche Eigenfchaften. (PB. II, 182.)
Schadenfreude.
Die Schabenfreude gehört zu den antimoralifchen Triebfebern (vergl
unter Moraliſch: Antimoralifhe Triebfedern) und ift in gewiflen
Betracht das Gegentheil des Neides. (S. Neid.) Es giebt fen m
Shall — Schanfpieler 291
fehlbareres Zeichen eines ganz fchlechten Herzens und tiefer moralifcher
Nichtswürdigkeit, als einen Zug reiner, herzlicher Schadenfreude. Man
jol Den, an welchen man ihn wahrgenommen, auf immer meiden.
(€. 200.) Die Schadenfreube ift das eigentlich teuflifche Lafter. Denn
ſie ift da8 gerade Gegenteil des Mitleids und ift nichts Anderes, als
die ohnmächtige Grauſamkeit, welche die Leiden, in denen fie Andere
jo gern erblicdt, felbft herbeizuführen unfähig, dem Zufall dankt, der
es ftatt ihrer that. (E. 225. P. II, 230 fg.)
Schalt. =
Ueber den Antagonismms zwifchen Licht und Schall f. Licht.
Scham, f. Senitalien und Zeugung, Zeugungsact.
Scharffinn, ſ. unter Lächerlich: Wik.
Scharlatanerie.
Das Große und Schöne auf der Welt, welches nur feiner felbft
wegen da fein follte, wird gar bald mißbraucht vom Bedürfniß, wel-
dies von allen Seiten herankommt, um daran fich zu lehnen, fich zu
fügen, und damit e8 verdedt und verdirbt. Dies zeigt fich befonders
bei den Anftalten, die in irgend einem Zeitalter und Lande zur Er-
haltung und Förderung des menfchlichen Wilfend und überhaupt der
intellectuellen Beftrebungen, welche unfer Gefchleht adeln, gegründet
find. Ueberall dauert es nicht lange, fo kommt das rohe, thierifche
Vedürfniß herangefchlichen, um fid), unter dem Schein, jenen Zweden
dienen zu wollen, der dazu ausgeſetzten Emolumente zu bemädjtigen.
Dies ift der Urfprung der Scharlatanerie, wie fie in allen Fächern
täglich zu finden iſt, und fo verfchieden auch ihre Geftalten find, ihr
Weſen darin hat, daß man, unbeliimmert um die Sade felbit, blos
nach dem Schein derfelben trachtet, zum Behuf feiner eigenen perjün-
lichen, egoiftifchen, materiellen Zwede. (P. II, 688.)
Schaufpiel, ſ. Drama und Theater.
Scyaufpieler.
1) Aufgabe und Erforderniffe des Schaujfpielers.
Die Aufgabe des Schaufpielers ift, die menfchliche Natur darzuftellen
nad) ihren verjchiedenften Seiten, in taufend höchſt verfchiedenen Cha⸗
rafteren, diefe alle jedoch auf der gemeinfamen Grundlage feiner ein
für alle Mal gegebenen und nie ganz auszulöfchenden Individualität.
Deshalb muß er felbft ein tüchtige® und completes Exemplar ber
menjhlichen Natur fein. Zu einem guten Schaufpieler gehört 1) daß
er die Gabe habe, fein Inneres nad) außen fehren zu können; 2) daß er
hinreichende Phantafie habe, um fingirte Umftände und Begebenheiten
ſo lebhaft zu imaginiren, daß fie fein Inneres erregen; 3) daß er
Berſtand, Erfahrung und Bildung in dem Maße habe, um menſch⸗
19*
292 Shen — Schichſal
liche Charaktere und Verhältniſſe gehörig verſtehen zu können. (5.
II, 469.)
2) Welchen Charakter der Schauſpieler am beſten dar—
ſtellt.
Wegen der Unveräußerlichkeit der eigenen Individualität wird m
Schaufpieler jeden Charakter um fo trefflicder darftellen, je näher der:
felbe feiner eigenen Individualität fteht, und am beften den, der mit
diefer zufammmentrifft; daher auch der fchlechtefte Schaufpieler eine Rolle
bat, die er vortrefflich fpielt; denn ba ift er, wie ein lebenbiges ®r
ftht unter Maöfen. (P. II, 469.)
3) Einige Regeln für Schaufpieler.
a) Regel in Bezug auf die Geften. (S. Geften.)
b) Regel in Bezug auf die Kleidung. (S. Kleidung.
4) Erflärung der Häufigkeit des Wahnſinns bei
Schaufpielern.
Die Erfahrung lehrt, dag Wahnſinn verhältnigmäßig am häufigfte
bei Schaufpielern eintritt. Welchen Mißbrauch treiben aber auch bier
Leute mit ihrem Gedächtniß! Täglich Haben fie eine neue Wolle an
zulernen, oder eine alte aufzufrifchen; diefe Rollen find aber fünmtld
ohne Zuſammenhang, ja, im Widerſpruch und Contraft mit einankı,
und jeden Abend ift der Schaufpieler bemüht, fich felbft ganz zu ver
gefien, um ein völlig Anderer zu fein. Dergleichen bahnt geraden
deu Weg zum Wahnflım. (W. II, 455.)
Schein, |. Irrthum.
Sceintodte.
Die Wahrnehmung, welche gewiffe Scheintodte von Allem, mas un
ſie vorgeht, haben, während fie ftarr und unfähig, fich zu rühren, de
liegen, ift ohne Zweifel von derjelben Art, wie die Wahrnehmung dr
Nachtwandler von ihrer nächjften Umgebung. Es ift Wahrnehmung
durch das Traumorgan, ein Wahrträumen. (P. I, 256.)
Scherz, |. unter Lächerlich: Das abfichtlich Lächerliche.
Schichfal.
1) Schidfal im Allgemeinen. (S. Fatum, Fatalie
|
muß,
2) Die anfheinende Abfichtlichkeit im Schidfale dei
Einzelnen.
a) Allgemeinheit des Glaubens an fpecielle Bor:
ſehung.
Der Glaube an eine ſpecielle Vorſehung, ober ſonſt eine übernatür⸗
liche Lenkung der Begebenheiten -im individuellen Lebenslauf, iſt zu
Schicſal 293
allen Zeiten allgemein beliebt geweſen, und ſogar in denkenden, aller
Superſtition abgeneigten Köpfen findet er ſich bisweilen unerſchütterlich
feſt, ja, wohl gar außer allem Zuſammenhange mit irgendwelchen be-
fimmten Dogmen. (P. I, 215 fg.)
b) Schwierigkeit, bie biefem Glauben entgegen-
ftebt.
Dem bloßen, reinen, offenbaren Zufall, der die Welt und das. Leben
des Einzelnen beherrfcht, eine Abſicht unterzulegen, ift ein Gebante,
ver an Verwegenheit feines Gleichen fucht. Gegen die Beifpiele, wo⸗
duch man ihm belegen möchte, bleibt, fo frappant fie auch bisweilen
fein mögen, die ftehende Einrede biefe, daß es das größte Wunber
wäre, wenn niemal® ein Zufall unfere Angelegenheiten gut, ja felbft
beffer bejorgte, als unfer Verſtand und unfere Einficht es vermocht
hätte. P. I, 216.)
c) Löfung der Aufgabe, den LXebenslauf bes Ein-
zelnen als unter [pecieller Borfehung ſtehend zu
denken.
Der höhere, transfcendente Fatalismus (vergl. unter Fatum,
Fatalismus: Unterfchied zwifchen dem gewöhnlichen und dem höheren
Fatalismus) treibt zu der Annahme einer aus der Einheit ber tief-
liegenden Wurzel der Nothwendigkeit und Zufälligfeit entfpringenben
und unergründlichen Macht, welche alle Wendungen und Windungen
unfer8 Lebenslaufes, zwar fehr oft gegen unfere einftweilige Abficht,
jedoch fo, wie e8 ber objectiven Ganzheit und fubjectiven Zweckmäßig⸗
feit deffelben angemefjen, mithin unferm eigentlichen wahren Beften
förderlich ift, leitet. (PB. I, 224 fg.) Diefe verborgene unb fogar die
äußern Einflüſſe leitende Macht Tann jedoch ihre Wurzel zulegt mur in
unferm eigenen geheimnißvollen Innern haben, da ja das A und SD alles
Daſeins zulegt in uns felbft Liegt. Sie fich denkbar zu machen, giebt
ed zwei Analogien. Die nächte Analogie mit dem Walten jener
Macht zeigt und die Teleologie der Natur. Wie in jenen bum-
pfen und blinden Urkräften der Natur, aus deren Wechjelfpiel bas
Blanetenfyftem hervorgeht, ſchon eben ber Wille zum Leben, welcher
nachher in den vollendetften Erfcheinungen der Welt auftritt, das im
Innern Wirkende und Leitende ift und er ſchon dort, mittelft ftrenger
Raturgefege auf feine Zwede Hinarbeitend, die Grundfefte zum Bau
der Welt und ihrer Ordnung vorbereitet; ebenjo nun find alle, die
Handlungen eines Menfchen beftimmenden Begebenheiten, nebft der fie
berbeiführenden Canfalverfnüpfung, doch auch nur die Objectivation
befielben Willens, der auch in diefen Menſchen felbft fich barftellt;
woraus ſich, wenn auch nur wie im Nebel, abjehen läßt, daß fie fogar
zu den fpeciellften Zweden jenes Menfchen ſtimmen und paffen müſſen,
in welden Sinne fie alsdann jene geheime Macht bilden, die daß.
Schidſal des Einzelnen leitet und als fein Genius, ober feine Bor-
ſehung allegorifirt wird. P. I, 227—231.)
294 Shimpfen — Schlaf
Eine zweite Analogie, weldye zum Berſtändniß bes erwähnten tut
feendenten Fatalismus beitragen faun, giebt der Zraum. Wuf ang
Weiſe, wie Deber der heimliche Thenterbirector feiner Tränme ift, af
auch jenes Schichſal, weldes unſern Lebenslauf beherrſcht, irgenn:
zulegt von jenem Willen aus, ber unfer eigener it, welcher ja
hier, wo er als Schickſal auftritt, bon einer Region aus wich, de
weit über unfer vorftellendes, individnelles Bewußtſein Ginandieg
(®. 1, 231— 237.)
d) Endabficht der providentiellen Lenkung bei u:
bividuellen Lebenslaufs.
Worauf die geheimnißvolle Lenfung des individuellen Lebenslanit ı
eigentlich abgefehen habe, läßt fi nur ſehr im Allgemeinen angela.
Bleiben wir bei den einzelnen Fällen fiehen, jo ſcheint es oft, daft
nur unfer zeitigeö, einftweiliges Wohl im Auge habe. Diefes id
fann, wegen feiner Geringfügigfeit, wicht im Ernſt ihr Ziel fein; air
haben wir dieſes in umferm ewigen, über das individuelle Leben hinu::
gehenden Dafein zu fuchen. Und da läßt fi dann nur gan; i
Allgemeinen fagen, unfer Lebenslauf werbe mittelft jener Lenkung i
regulirt, daß von dem Ganzen der durch denjelben uns aufgeherde
Erfenntniß der metaphyſiſch zweddienlichfte Eindrud auf den Bill:
entſtehe. Da nun das Abwenden des Willend vom Leben das Ir:
Ziel des zeitlichen Dafeins ift (vergl. Heilsordnung); jo min
wir annehmen, daß dahin ein Jeder auf die ihm yanz individu
angemefiene Art, alfo auch oft auf weiten Umwegen, allmälig geict
werde. (P. I, 237 fg.)
3) Das Shidfal im vulgären Sinne.
Was die Leute gemeiniglich das Schidfal nennen, find meiſtens ı7
ihre eigenen dummen Streiche. (PB. I, 505.)
4) Das Shidjal im Trauerjpiel. (©. Tranerfpitl
Scimpfen, |. Grobheit und Injurie.
Schlaf.
1) Die Nothwendigfeit des Schlafes.
Daß Bewußtloſigkeit der urſprüngliche und natürliche Zuftand ale
Dinge, mithin auch die Baſis if, aus welcher, in einzelnen Arten dc
Weſen, das Bewußtfein hervorgeht, und fie auch im Menſchen bla:
ft zu fpüren in der Nothwendigkeit des Schlafes. (W. IL, 158.
Der Embryo, welcher erft den Leib noch zu bilden hat, fchlaft fer
während und das Neugeborene den größten Theil feiner Zeit. ot
biefem Sinne erflärt auh Burdach ganz richtig den Schlaf für de
.urfprüngliden Zuftand. (W. I, 273.)
Das Phänomen des Schlafes beftätigt ganz vorzüglich, daß Bewuß
fein, Wahrnehmen, Erkennen, Denken nichts Urſprüngliches in uns 1,
Schlaf 295
fondern ein bedingter, fecundärer Zuſtand. Es ift ein Aufwand ber
Natur, und zwar ihr höchfter, ben fie daher, je höher ex getrieben
wird, defto weniger ohne Unterbrechung fortführen fann. (W. IL, 276.)
Weil der Intellect fecundär, phyſiſch und ein bloßes Werkzeug ift,
deshalb bedarf er auf faſt ein Drittel feiner Tebenszeit ber gänzlichen
Suspenfion feiner Thätigkeit im Schlafe, d. 5. der Ruhe des Gehirns,
deffen bloße Function er ifl. (WB. II, 240.) Nichts beweift deutlicher
die fecundäre, abhängige, bedingte Natur des Intellects, als feine
periodifche Intermittenz. Im tiefen Schlaf Hört alles Erkennen und
Borftellen gänzlich auf. Dagegen paufirt der Kern unfers Wefens,
das Metaphufifche deſſelben, welches die organifchen Functionen al8 ihr
primum mobile nothwendig borausfegen, nie. Unermüdlich ift das
De OB: D, 272. Bergl. unter Herz: Gegenfag zwifchen Herz
und Kopf.)
2) Wirken der Lebenskraft im Schlafe.
Im Schlafe, wo blos das vegetative Neben fortgefegt wird, wirkt
ver Wille allein nach feiner urfprünglichen und wefentlichen Natur,
ungeftört von außen ohne Abzug feiner Kraft durch die Thätigkeit des
Gehirns und Anftrengung des Erkennens, welches bie ſchwerſte orga-
niſche Function, für den Organismus aber blos Mittel, nicht Zweck
it; daher iſt im Schlafe die ganze Kraft des Willens auf Erhaltung
und, wo es nöthig ift, Ausbeflerung des Organismus gerichtet. (W.
‚ 273.)
Die Senfibilität ruht im Schlafe. Während zugleih mit ihr
Nachts auch die Irritabilität ruht, nimmt die Lebenskraft, als welche
um unter einer ihrer drei Yormen ganz und ungetheilt, daher mit
voller Macht wirken kann (vergl. Lebenskraft), durchweg die Ge—
Ralt der Reproductionstraft an. Darum geht die Bildung und
Ernährung der Theile, namentlich die Nutrition des Gehirns, aber
auch jedes Wachsthum, jeder Erſatz, jede Heilung, alſo die Wirkung
der vis natura medicatrix in allen ihren Geftalten (vergl, unter Yebens-
fraft: Die Lebenskraft als Heilkraft), beſonders aber in wohlthätigen
Krankheitskriſen, Hauptfählih im Schlafe vor fi. Diefermegen ift
zur anhaltenden Geſundheit, folglich auch zur langen Lebensdauer eine
Hauptbedingung, daß man ununterbrochenen feften Schlafes conftant
genieße. Jedoch ift es nicht wohlgethan, ihn fo viel wie möglich zu
verlängern; denn was er an Extenfion gewinnt, verliert er an In
tenfion, d. i. am Tiefe, gerade aber der tiefe Schlaf ift e8, in welchem
die angeführten organifchen Rebensproceffe am vollfommenften vollbracht
werden. (PB. U, 175 fg. W. II, 276. P. I, 471.)
Die wohlthätige Wirkung des tiefen Schlafes erreicht ihren höchſten
Grad im magnetifchen, als welcher blos der alfertieffte ift, daher er
ald das Panakeion vieler Krankheiten auftritt. (P. II, 176.)
296 Schlaf
3) Poſitiver Charakter des Schlafes.
Die Nutrition des Gehirns, alſo bie Erneuerung feiner Subſin
ans dem Blute, Tann während bes Wachens nicht vor fich gehen, in:
dem bie fo höchſt eminente, organische Function bes Erkennend m)
Denkens von der fo niedrigen unb materiellen der Nutrition geftän
ober aufgehoben werben würde. Dieraus erklärt ſich, daß der Shki
nicht ein rein negativer Zuſtand, bloßes Pauſiren ber Gehirnthätigkr
ift, fondern zugleich einen pofitiven Charakter zeigt. Dieſer gieht ſich
ſchon dadurch fund, daß zwifchen Schlaf und Wachen kein har
Unterfchied des Grabes, fondern eime feſte Gränze iſt, welche, for
der Schlaf eintritt, fi dur Traumbilder ankündigt, die unfern dich
vorbergegangenen Gedanken völlig heterogen find. in fernerer Bez
beffelben ift, daß wann wir beängftigenbe Träume haben, wir vergl:
lich bemüht find, zu fchreien, oder Angriffe abzuwehren, ober de
Schlaf abzufchütteln,; fo daß es ift, als ob das WBindeglied zwilden
dem großen und Meinen Gehirn (als dem Hegulator ber Berweguugn:
ausgehoben wäre; denn das Gehirn bleibt in feiner Iſolation, un de
Schlaf Hält uns wie mit ebernen Klauen feſt. Endlich ift der pofitt:
Charakter bes Schlafes daran erfihtlih, bag ein gewiſſer Grad wi
Kraft zum Schlafen erfordert iſt; weshalb zu große Ermüdung, m.
auch natürliche Schwäche, und verhindern ihm zu erfafien, capın |
somnum. (W. II, 273 fg.)
4) Berhältniß bes Bebürfniffes des Schlafes zur Jr
tenfität des Gehirnlebens.
Das Beduürfniß bes Schlafes fteht in geradem Berhältniß zur Ye
tenfität des Gehirnlebens, alfo zur Klarheit des Bewußtfeine. Talk
Thiere, deren Gehirnleben ſchwach und dumpf ift, ſchlafen wenig un
leicht, 3. B. Reptilien und Fiſche; wobei zu erinnern ift, daß da
Winterfchlaf faft nur dem Namen nad ein Schlef ift, nämlich md
eine Inaction des Gehirns allein, fondern des ganzen Organiämef,
alfo eine Art Scheintod. Thiere von bedeutender Intelligenz ſchlae
tief und lange. Auch Menſchen bedürfen um fo mehr Schlaf, je em⸗
widelter der Ouantität und Dualität nach und je thätiger ihr Gehin
ft. Daß auch fortgefegte Muskelanſtrengung ſchläfrig macht, i
daraus zu erflären, daß bei dieſer das Gehirn fortdauernd, mittel
der medulla oblongata, des Rückenmarks und der. motoriſchen Nerve,
den Musleln den Reiz ertheilt, der auf ihre Irritabilität wirft, de
jelbe alfo dadurch feine Kraft erſchöpft; die Ermüdung, welche mir a
Armen und Beinen ſpüren, bat demnach ihren eigentlichen Sig m
Gehirn. (W. DI, 275g. P. I, 470fg.)
5) Wohlthätige Wirkung des Schlafes nad) der Wall:
zeit.
Wie alle Functionen des organifchen Lebens, jo geht auch bie Ber
dauung im Schlafe, wegen des Pauſirens der Gehirnthätigfeit, leichte
Schlafwachen — Schlauheit 297
umd ſchneller vor ſich; daher ein kurzer Schlaf, von 10—15 DMimuten,
eine halbe Stunde nach der Mahlzeit wohlthätig wirkt. Hingegen ift
ein längerer Schlaf nachtheilig und Tann fogar gefährlich werden.
($. I, 176 fg.)
6) Abnahme der Kefpiration im Schlafe. (©. Athmen.)
7) Unterſchied und Berwandtfchaft zwifhen Schlaf
und Tod.
Der Schlaf ift die Einftellung ber animalifchen Yunctionen, der
Zob bie der organifhen. (9. 352.)
Das an den individuellen Leib gebundene individuelle Bewußtſein
wird täglich durc den Schlaf gänzlich unterbrochen. Der tiefe Schlaf
it vom Tode, in welchen er oft, 3. B. beim Crfrieren, ‚ganz ftetig
itbergebt, für die Gegenwart feiner Dauer, gar nicht verfchieben, ſon⸗
dem nur für die Zufunft, nämlih in Hinfiht auf das Erwachen.
Der Tod ift ein Schlaf, in welchem die Individualität. vergeffen wird;
les Andere erwacht wieder, ober vielmehr ift wach geblieben. (W.
Il, 327.)
Der Schlaf ift ein Stüd Tod, weldes wir anticipando borgen
und dafür das durch einen Tag erfchöpfte Leben wieder erhalten und
emeuern. Der Schlaf borgt vom Tode zur Anfredithaltung des
Lebens. Oder: er iſt der einſtweilige Zins bes Todes, welcher
jelbft die Kapitalabzahlung ift. (B. I, 471.) Unfer Leben ift anzu
jehen als ein vom Tode erhaltenes Darlehen; ber Schlaf ift der täg-
Iihe Zins diefes Darlehens. (P. II, 292.)
Zwiſchen Schlaf und Tod ift fein radicaler Unterfchied, fondern der
eine jo wenig, wie der andere gefährbet das Dafein. Die Sorgfalt,
mit der das Inſect eine Zelle, oder Grube, oder Neft bereitet, fein
Ei Hineinlegt, nebft Butter für die im kommenden Frühling daraus
bervorgehende Larve, und dann ruhig ftirbt, — gleiht ganz ber
Sorgfalt, mit der ein Menfh am Abend fein Kleid und fein Früh—
ftüd file den kommenden Morgen bereit legt und dann ruhig fchlafen
geht, und könnte im Grunde gar nicht Statt haben, wenn nicht, an
fih und feinem wahren Wefen nach, das im Herbfte fterbende Inſect
mit dem im Frühling ausfriechenden eben fo wohl ibentifch wäre, wie
der ſich Schlafen legende Menſch mit dem aufftehenden. Die Gattung
ft e8, bie allezeit lebt; der Tod ift für fie, was der Schlaf für das
Individuum. (W. Il, 544 — 546.)
Schlafwachen, f. unter Traum: Das Wahrträumen.
Schlaraffenland, ſ. Noth.
Schlauheit.
1) Die Schlauheit als eine Form der Klugheit. (©.
Klugheit.)
298 Schlecht. Schlechtigkeit — Schließen. Schluß
2) Die Schlauheit der Dummen. (S. Dummheit)
3) Die Schlauheit in Beziehung zur Philoſophie.
Bloße Schlauheit befähigt wohl zum Skeptikus, aber nicht zum
Philofopken. (P. I, 12.)
Schlecht. Schlechtigkeit.
1) Bedeutung des Wortes. (S. unter Böfe: Bedeutung
des Wortes „böſe“.)
2) Zufammenhang der Dummheit mit der. Schledtig:
feit. (S. Dummbeit.)
3) Gegenfag zwifhen Dummheit und Schledtigfeit
in Hinfiht auf die Zurehnung (S. Dummheit)
4) Schlechtigkeit, Jammer und intellectnuelle Un
fühigfeit.
Wenn man die menfchliche Schlechtigfeit ins Auge gefaßt hat und
ſich darüber entfegen möchte; fo muß man alsbald den Blick auf den
Sammer des menfchlicden Dafeins werfen; und wieder ebenjo, wem
man vor diefem erfchroden ift, auf jene. Da wird man finden, daß
fie einander das Gleichgewicht halten, und wird der ewigen Geredtiglet
inne werden, indem ınan merkt, daß bie Welt jelbft das Weltgerich
if. (Vergl. unter Gerechtigkeit: Die ewige Gerechtigkeit.) Von
jelben Standpunkt aus verliert fi) auch bie Indignation über die
intellectuelle Unfähigkeit der Allermeiften, die uns im Leben antwidert.
Alfo miseria humana, nequitia humana unb stultitia humana mt:
iprechen einander vollkommen in diefem Sanfara und find von gleide
Größe. (P. II, 233.)
Schließen. Schluß.
1) Wefen des Schluffes und bes Scließen®.
Die Logifche Begründung eines Urtheil® durch ein anderes entficht
immer durch eine Vergleihung mit ihm; dieſe gejchieht num entweder
unntittelbar, in der bloßen Konverfion, oder SKontrapofition deſſelben;
oder aber durch Dinzuziehung eines dritten Urteils, wo benn aus dem
Berhältniffe der beiden letteren zu einander die Wahrheit des zu be
gründenden Urtheils erhellt. Diefe Operation ift der vollftändig
Schluß. Er kommt jowohl durch Oppofition, als Subfumtion da
Begriffe zu Stande. (©. 106.) Der Schluß ift die Operation
unferer Bernunft, vermöge welcher aus zwei Urtheilen, durch Bergleijun
berfelben, ein drittes entfteht, ohne daß babei irgend anderweitige Er
kenntniß zu Hülfe genommen würde. Die Bedingung hiezu if, daß
folche zwei Urtheile einen Begriff gemein haben; denn fonft find fi
fi fremd und ohne alle Gemeinfchaft. Unter diefer Bedingung aber
Schließen. Schluß 299
werden fie Bater und Mutter eines Kindes, welches von Beiden etwas
an fi dat. (W. UI, 118.)
Das Urtheilen, diefer elementare und wichtigfte Proceß des Den-
tens, befteht im Bergleichen zweier Begriffe; das Schließen Hingegen
im Vergleiche zweier Urtheile. (W. II, 120.) |
Wir operiren beim Schließen nicht mit bloßen Begriffen, fondern
mit ganzen Urtheilen. Die gewöhnliche Darftellung des Schluffes
als eines Berhältnifies dreier Begriffe ift fehlerhafte Aus drei
gegebenen Begriffen läßt fi noch Fein Schluß ziehen. Da fagt
man freilich: Das Verhältniß zweier derfelben zum britten muß dabei
gegeben fein. Der Ausdrud jenes Berhältniffes find ja aber gerade
die jene Begriffe verbindenden Urtheile; alfo find Urtheile, nicht
bloße Begriffe der Stoff des Schluſſes. Demnach ift Schließen
weientlich ein Vergleichen zweier Urtheile. (W. Il, 120—122. 128.)
Da der Schluß als Begründung eines Urtheils durch ein anderes
mittelft eines dritten es immer nur mit Urtheilen zu thun hat und
diefe nur Verknüpfungen der Begriffe find, welche lestere der aus-
ſchließliche Gegenſtand der Bernunft find; fo ift das Schließen mit
Recht für das eigenthümliche Gefchäft der Vernunft erflärt worden.
(©. 106.) Das" Schließen ift fein Act der Willlür, jondern der
Bernunft, den fie vom felbft nach ihren eigenen Geſetzen vollzieht; in-
fofern ift er objectiv, nicht fubjectiv, und daher den ftrengften Kegeln
unterworfen. (W. II, 118.)
2) Die Schlußfiguren. \
Die Urtheile, die beim Schließen mit einander verglichen werben,
fonn man ſich unter dem Bilde von Stäben denken, die zum Behuf
der Vergleichung bald mit dem einen, bald mit dem andern Ende
aneinander gehalten werden; bie verfchiedenen Weifen aber, nad) denen
dies gefchehen kann, geben die drei Yiguren. Da nun jede Prämiffe
ihr Subject und Prädicat enthält, fo find diefe zwei Begriffe ald an
den beiden Enden jedes Stabes befindlich vorzuftellen. Verglichen
werden jet bie beiden Urtheile hinfichtlich der in ihnen beiden ver-
ſchiedenen Begriffe; denn der dritte, in beiden identifche ift feiner
Bergleihung unterworfen, fondern ift das, woran bie beiden andern
verglichen werden: der Medius. Iſt nun diefer im beiden Sätzen
identifche Begriff, alfo der Medius, in einer Prämiffe das Subject
derfelben; jo muß der zu vergleichende Begriff ihr PBrädicat fein, und
umgekehrt. Sogleich ftellt ſich hier a, priori die Möglichkeit dreier
Fälle heraus: entweder nämlich wird das Subject der einen Prämiffe
mit dem Prädicat der andern verglichen, oder aber da8 Subject der
einen mit den Subject der andern, oder endlich das Prädicat ber
einen mit dem Präbicat der andern. Hieraus entftehen die drei ſyllo⸗
giftifchen Figuren des Ariftoteles; die vierte, welche etwas naſeweis
hinzugefügt worden, ift unächt und eine Afterart. Jede der drei Figuren
300 Schließen. Schluß
ftellt einen ganz verfchiebenen, richtigen und natürlichen Gedanlengang
der Vernunft beim Schließen dar. (W. II, 132—128.)
3) Ein Sinnbild des Schluffes.
Als ein Sinnbild des Schluffes kann man bie Voltaiſche Säule
betrachten; ihr Imdifferenzpunft in ber Mitte ftellt den Medins ver,
der das Zuſammenhaltende der beiden Prämiffen ift, vermöge deſſen
fie Schlußkraft haben; die beiden disparaten Begriffe hingegen, welde
eigentlich das zu Vergleichende find, werden burch bie beiden heterogenen
Pole der Säule Dar gee erft indem diefe, mittefft der beiden Leitungs
dräbte, welche die Kopula der beiden Urtheile verfinnlichen, zufammen:
gebracht werben, fpringt bei ihrer Berührung ber Funke, — das nen
Licht der Konflufion hervor. (W. II, 129.)
4) Berhältnig des Gedankenganges im Schluß zu
feinem Ausdrud durch Worte und Süße.
Der Schluß (Syllogismus) befteht im Gedanlengange felbft, die
Worte und Süge aber, durch welche man ihn ausdrüdt, bezeichnen
blos die nachgebliebene Spur beffelben; fie verhalten fich zu ihm, me
die langfiguren aus Sand zu ben Tönen, dern Bibrationen fie
barftellen. (W. II, 120.)
5) Die Fähigkeit des Schließens, verglichen mit ber
des Urtheilen®.
Schließen ift leicht, urtheilen ſchwer. Falſche Schlüffe find eim
Seltenheit, falfche Urtheile flets. an der Tagesordnung. (8. II, 97.)
Bu fließen find Alle, zu urtheilen Wenige fähig. (E. 114.)
Die Urtheilskraft gehört zu ben Borzügen der überlegenen Köpfe;
während bie Fähigkeit, aus gegebenen Prämiſſen die richtige Konkluſion
zu ziehen, feinem gefunden Bopfe abgeht. (P. II, 24.)
6) Wirkung des Schluſſes.
Durh den Schluß erfährt der Schließende nicht etwas fchlechthin
Neues, ihm vorher gänzlich Unbefanntes, fondern was er erfährt, lag
fhon in ben was er wußte, alfo wußte er es ſchon mit. Er wußtt
blos nicht, daß er e8 wußte; er wußte e8 nur implicite, nicht explicite
Das Wefen des Schluffes befteht folglich darin, daß wir uns zum
deutlichen Bewußtfein bringen, die Ausfage der Konklufion fon in
den Pränriffen mitgedacht zu haben; er tft demnach ein Mittel, ſich
feiner eigenen Erkenntniß deutlicher bewußt zu werden, inne zu werden
was man weiß. Die Erfenntniß, melde ber Schlußjag Liefert, war
latent, wirkte daher fo wenig, wie latente Wärme aufs The:
mometer wirft. Dur den Schluß ans fchon bekannten Prämifien
wird Ai border gebundene oder latente Erkenntniß frei. (W. I,
118 fg.)
Schmerz 301
7) Werth dee Schluffes.
Aus einem Sage kann nicht mehr folgen, als ſchon barin Liegt,
d.h. als er felbjt für das erfchöpfende Berftändniß feines Sinnes
befagt; aber aus zwei Sägen kann, wenn fie fyllogiftifch verbunden
werben, mehr folgen, als in jedem derſelben, einzeln genommen, Liegt; —
wie ein chemiſch zufammengefegter Körper igenfchaften zeigt, die
feinem feiner Betandtheile für fich zufommen. Hierauf beruht ber
Werth der Schlüſſe. (P. U, 23.)
8) Die Wahrheit der dur Schlüffe abgeleiteten Säge.
Die Wahrheit aller durch Schlüffe abgeleiteten Säge ift immer nur
bedingt und zuletzt abhängig von irgend einer, die nicht auf Schlüffen,
jondern auf Anſchauung beruht. Läge diefe Iegtere ung immer fo
nahe, wie die Ableitung dur einen Schluß, fo wäre fie durchaus
vorzuziehen. Schlüffe find zwar der Form nad) völlig gewiß, aber fie
find fehr unficher durch ihre Materie, die Begriffe. (W. I, 81 fg.
Bergl. Beweis, Evibenz und Gewißheit.)
9) Die Syllogiftit.
Die ganze Syllogiftit ift nichts weiter, als der Inbegriff der Regeln
zur Anwendung des Satzes vom Grunde auf Urtheile unter einander,
alfo der Kanon der logifhen Wahrheit. (G. 106.)
Schmerz.
1) Bedingung des Schmerzes.
Die Hemmung des Willens muß, um als Schmerz empfunden zu
werden, von der Erfenntniß, welcher doc; an ſich ſelbſt aller Schmerz
fremd ift, begleitet fein. Daher ift fchon der phyſiſche Schmerz
durh Nerven und deren Verbindung mit dem Gehirn bebingt, weshalb
die Verlegung eines Gliedes nicht gefühlt wird, wenn defjen zum Ge-
hirn gehende Nerven durchfchnitten find, oder das Gehirn felbft durch
Chloroform depotenzirt if. Cbendeswegen auch halten wir, jobald im
Sterben das Bewußtſein erloſchen ift, alle noch folgende Zuckungen für
jchmerzlos. Daß der geiftige Schmerz durch Erfenntniß bedingt fei,
verfteht ſich von felbft. — Das ganze Verhältniß läßt ſich alfo bildlich
jo ausdrüden: der Wille ift die Saite, feine Durchkreuzung oder
Hinderung deren Vibration, die Erkenntniß der Refonanzboden, der
Schmerz ift der Ton. (P. O, 319.)
2) Pofitivität des Schmerzes im Gegenjage zur Ne-
gativität der Befriedigung. (S. Befriedigung und
Genuß.)
3) Steigerung des Schmerzes in ber Natur.
In der ganzen Natur fteigert fi mit dem Grade der Intelligenz
die Fähigket zum Schmerze, erreicht aljo im Menfchen und zwar in
302 Scholaſtik
dem von hoher Intelligenz ihre höchſte Stufe, obgleich das Erkennen
an fich felbft fchmerzlos iſt und im Reiche der Intelligenz kein Schmer;
waltet. (P. I, 319 fg. 355 fg. Bergl. unter Erkenntniß: Einfluf
der Erfenntniß auf den Grab der Empfindung und des Leidens.)
Die Fähigkeit zum Schmerz durfte auch ihren Höhepunkt erit de
erreichen, wo verinöge der Vernunft und ihrer Befonnenheit aud bie
Möglichkeit zur Verneinung des Willens vorhanden if. Denn oh
diefe wäre fie eine zwedlofe Graufamkeit gewefen. (P. I, 320.)
4) Unterfhied zwifhen Menſch und Thier in Hinfik:
auf den Schmer;. ,
Die Urfache des Schmerzes, wie ber Freude Liegt beim Menſchen,
weil er im Unterfchied vom Thier meiſtens durch abftracte, gedadt:
Motive, nicht durch gegenwärtige Eindritde beftimmt wird, meiftentheile
nicht in ber realen Gegenwart, fondern blos in abftracten Gedanten.
Diefe Schaffen und Qualen, gegen welche alle Leiden der Thierheit fehr
Mein find, da über diefelben auch umfer eigener phufifcher Schmerz oft
gar nicht empfunden wird, ja wir bei heftigen geiftigen Leiden un
phyſiſche verurfachen, blo8 um dadurd) die Aufmerkſamkeit von jene
abzulenken auf diefe. Daher rauft man, im größten geiftigen Schmerz,
fi) die Haare aus, ſchlägt die Bruft, zerfleifcht das Antlitz, wälzt fid
auf dem Boden, welches Alles eigentlich nur gewaltſame Zerftrenunge:
mittel von einem unerträglichen Gedanken find. (W. I, 35278.
Bergl. auch unter Menſch: Unterfchieb zwifchen Thier und Menſch
5) Quelle des übermäßigen Schmerzes und Mitte
dagegen. (S. unter Freude: Gegen das liebermaf br
Frende.)
6) Teleologie des Schmerzes.
Wenn nicht der nüchſte und unmittelbare Zweck des Lebens das
Leiden ift; fo ift unfer Dafein das Zwedwidrigfte auf der Welt. Tem
es ift abfurd anzunehmen, daß ber endlofe, aus der dem Peben weient
lichen Noth entjpringende Schmerz, davon die Welt überall voll if,
zwedlos und rein zufällig fein folltee (P. II, 312.)
Wie es eine Zeleologie der Natur giebt, jo giebt e8 eine mod; viel
geheimnißvollere der Moral; d. 5. gewiffe Einrichtungen der Natur
in Beziehung auf den Menfchen erfcheinen als Beförderung fein
Moralität zum Zwed habend. Diefen Charakter trägt nämlich das
ganze Verhältniß der Natur zu den Bebirfniffen des Menfchen, wohn
auch bie Notwendigkeit der Kolifion der Menſchen unter einander
gehört. (M. 735 fg. Bergl. Heilsordnung und unter Reiben:
Läuternde Kraft des Leidens.)
Scholaftik.
1) Charakter der Scholaftif.
Der eigentlich bezeichnende Charakter der Scholaftif ift der, daß ihr
das oberfte Kriterium der Wahrheit die heilige Schrift iſt, an meld
Schön. Schönheit 303
man demnach von jedem Bernunftjchluß immer noch appelliren Tann. —
Zu ihren Eigenthümlichfeiten gehört, daß ihr Bortrag durchgängig
polemischen Charakter Hat; jede Unterſuchung wird bald in eine Kon⸗
troverfe verwandelt, deren pro et contra neues pro et contra erzeugt.
Die verborgene, (ee Wurzel diefer Eigenthilmlichkeit Tiegt in dem
Widerftreit zwifchen Vernunft und Offenbarung. (P.I, 70. 9. 325.)
Die Scholaftiker, in ihren Klöftern eingefperrt, ohne beutliche Kunde
von der Welt, von der Natur, vom Altertum, allein mit ihrem
Glauben und ihrem Ariftoteles, conftruirten eine chriftlich-ariftotelifche
Metaphyſik. Ihr einziges Bauzeug waren höchſt abftracte Begriffe,
wie ens, substantia, forma u. ſ. w. Dagegen an Realfenntniß fehlt
es ganz; der FKirchenglauhe vertrat die Stelle ber wirklichen Welt.
Ueber ihn philo] ophirten fie, erklärten ihn, nicht die Welt. (5.312 fg.
325. W. I, 500.)
Aus den Schofaftifern ſtrahlt bisweilen theilweife die völlige Wahr-
heit hervor, nur immer wieder verunftaltet und verdunkelt durch die
chriſtlich tHeiftifchen Dogmen, denen fie durchaus angepaßt werden follte.
So fümpft in den Scholaftifern philoſophiſches Genie mit tiefgewurzeltem
Borurtheil. (5. 319. 313.)
2) Der fcholaftifche Streit zwifchen Nominalismus.
und Realismus. (S. Nominalismus und Realis-
mu$.)
3) Die modernen Antipodender Scholaftifer. (S.Natur-
forſcher.)
4) Berwandtſchaft des Schellingianismus mit der
Scholaſtik.
Durch das Operiren mit ſehr weiten, abſtracten Begriffen, durch
die ſehr vielerlei gedacht werden kann, in denen aber ſehr wenig zu
denken liegt, Hat der Schellingianismus große Aehnlichkeit mit der
Scholaſtik. (9. 325 fg.)
5) Zu welder Klaſſe von Syftemen bie jcholaftifche
PHilofophie gehört. (S. unter Syfteme: Kintheilung
der vom Object ausgehenden Syfteme.)
Schon. Schönheit.
1) Bedeutung des Wortes „ſchön“.
„Schön“ ift ohne Zweifel verwandt mit dem Englifchen to shew
und wäre demnach shewy, ſchaulich, what shews well, was fi) gut
zeigt, fich gut ausnimmt, alſo das deutlich) herbortretende Anfchau-
Euer: mitgin der deutliche Ausdrud bedeutfamer (Blatonifcher) Ideen.
\
304 Schön. Schönpeit
2) Die beiden Elemente des Schönen.
Inden wir einen Gegenftand ſchön nennen, ſprechen wir baburd
aus, daß er Object unferer äfthetifchen Betrachtung ift, welches zweierlei
in fich fchließt, einerfeits nümlich, daß fein Anblid und objectiv
. madt, d. 5. daß wir in Betrachtung deffelben nicht mehr unferer als
Individuen, fondern als reinen willenlofen Subjects des Erkennen
uns bewußt find; und anbererfeits, daß wir im Gegenſtande nicht das
einzelne Ding, fondern nur eine Idee erkennen. (W. I, 47.
Bergl. Aeſthetiſch.)
3) Urfprung des Wohlgefallens am Schönen.
Im Schönen faflen wir allemal die wefentlichen und urſprünglichen
Geftalten der belchten und unbelebten Natur, aljo Plato's been der⸗
felben auf, und diefe Auffaffung hat zu ihrer Bedingung ihr wefentlices
Correlat, da8 willensreine Subject des Erlennens, d.h. m
reine Intelligenz ohne Abfichten und Zwecke. Dadurch verjchwinte
beim Eintritt eimer äfthetifchen Auffaffung der Wille ganz aus dem
Bewußtfein. Er allein aber ift die Duelle aller unferer VBetrübniiie
und Leiden. Dies ift der Urfprung jenes Wohlgefallens und jener
Freude, welche die Auffafjung des Schönen begleitet. Sie beruft auf
der Wegnahme der ganzen Möglichkeit des Leidens, (P. DI, 44719)
4) Warum jedes Naturobject fhön ift und dennod
mande uns häßlich erſcheinen.
Da einerjeitd jedes vorhandene ‘Ding rein objectiv und aufer aller
Relation betrachtet werden kann; da ferner auch andererfeits in jedem
Dinge der Wille auf irgend einer Stufe feiner Objectität erfcheint,
und daſſelbe ſonach Ausdrud einer Idee ift; fo ift auch jebes Din
ihön. (W. I, 247. P. U, 457.)
Es hat jedes Ding feine eigenthümliche Schönheit, nicht nur jedef
Organiſche und in der Einheit einer Individualität fi) Darſtellende,
fondern auch jedes Unorganijche, ja jedes Artefact. (W. I, 248.)
Wenn uns die Schönheit jedes Dinges bei einigen Thieren nicht
einleuchten will; fo liegt e8 daran, daß wir nicht im Stande fin,
fie rein objectiv zu betrachten und dadurch ihre Idee aufzufallen,
jonbern hievon abgezogen werben durch irgend eine unvermeidlice Or:
dankenafjoctation, meiftens in Yolge einer fi und aufdringende
Aehnlichkeit, z. B. der des Affen mit dem Menſchen, ober ber Krött
mit Koth und Schlamm. Indeſſen reicht dies doch nicht aus, de
Abſcheu vor folchen Thieren, wie Kröten und Spinnen, zu erkläre;
diefer ſcheint vielmehr in einer viel tieferen, metaphyſiſchen und ge
heimnißvollen Beziehung feinen Grund zu haben. (PB. IL, 457.)
5) Warum Eines fhöner ift, als das Andere.
Schöner ift Eines als das Andere dadurch, daß es die rein objective
Betrachtung erleichtert, ihr entgegenfommt, ja gleichjam bazu zwingt,
Schönbeitsfinn 305
wo wir e8 dann ſehr ſchön nennen. Dies ift der Fall theils dadurch,
doß es als einzelnes Ding durch das fehr deutliche, rein beftimmte,
durchaus bedeutſame Verhältniß feiner Theile die Idee feiner Gattung
rein ausfpricht und durch in ihm vereinigte VBolftändigfeit aller feiner
Gattung möglichen Aeußerungen die Idee berfelben volllommen offen-
bart, fo daß es dem Betrachter den Uebergang vom einzelnen ‘Ding
jur bee fehr erleichtert; theil® liegt jener Borzug befonderer Schönheit
eined Objects darin, daß die Idee felbft, die uns aus ihm anjpricht,
eine hohe Stufe der Objectität des Willens und daher durchaus be«
deutend und vielfagend fei. Darum ift der Menſch vor allem Andern
ſchön. (W.I, 248. 260.) Schönheit und Grazie der Menfchengeftalt
im Berein find die deutlichfte Sichtbarkeit des Willens auf der oberften
Stufe feiner Objectivation, und eben deshalb die höchſte Leiſtung ber
bildenden Kunft. (P. II, 457.)
6) Unterfhieb zwifhen Schönheit und Orazie (©.
Örazie.)
7) Unterfchied zwifchen dem Schönen und Erhabenen.
(S. Erhaben.) '
8) Das Schöne in der Natur. (©. unter Natur: Die
üfthetifche Wirkung der Natur.) |
9) Das Schöne in der Kunf. (S. Kunft, Kunftwert
und die einzelnen Kitnfte) Ä |
10) Die Schönfeit, in eudbämonologijher Hinſicht
betragtet. | |
Der Gefundheit zum Theil verwandt tft die Schönheit. Wenngleich
tefer fubjective Vorzug nicht eigentlich unmittelbar zu unferm Glücke
kiträgt, fondern blos mittelbar, durch den Eindrud auf Andere; fo
ſt er doch von großer Wichtigkeit, auch im Manne. Schönheit iſt
in großer Empfehlungsbrief, der die Herzen zum Voraus für uns
ewinnt. (P. I, 347.)
shönheitsfinn.
Der jo beiwunderungswürdige Schönheitsfinn der Griechen, welcher
ie allein unter allen Völkern der Erde befühigte, den wahren Normal-
ypus der menfchlichen Geftalt herauszufinden und demnach bie Mufter-
ider der Schönheit und Grazie für alle Zeiten zur Nachahmung
ufzuftellen, läßt eine tiefere Erflärung zu. Daſſelbe nämlich), was,
venn es vom Willen unzertrennt bleibt, Gefchlechtstrieb mit fein
htender Auswahl, d. i. Geſchlechtsliebe, giebt; eben Diefes wird,
un es durch das Vorhandenſein eine abnorm überwiegenden In-
Mect3 ſich vom Willen ablöft und doch thätig bleibt, zum objectiven
5chönheitsſinn für menfchliche Geftalt, welcher nun zunächſt ſich
ägt als urtheilender Kunſtſinn, fich aber fteigern kann bis zur Auf-
Säopenhauerskerilon. I. 20
306 Schöpfung — Schrift
findung und Darſtellung der Norm aller Theile und Proportionen,
wie dies der Fall war im Phidias, Prariteles, Stopas u. |. m.
(W. II, 478.)
Schöpfung.
1) Schöpfung im biblifhen Sinne.
Mit dem Juden-Dogma des Gott-Schöpfere und der Schäpfung
(aus Nichts) läßt ſich weder die Beſchaffenheit der Welt, nod de
Freiheit und Unfterblichfeit zufammenreimen. (S. unter Gott: Eegen⸗
beweife gegen das Daſein Gottes.)
2) Schöpfung im naturmwiffenfhaftliden Sinne.
Das allgegenwärtige Subftrat der Natur, ber Wille, zeigt bon
feiner urfpringlichen Schöpferfraft, welche in den vorhandenen Geſtalten
der Natur bereits ihr Wert gethan hat und darin erlofchen iſt, demod
bisweilen und ausnahmsweiſe einen ſchwachen Ueberreſt in der generatie
sequivoca. (W. II, 372. Bergl. Generatio aequivoca.)
Schreck.
Ein Beleg dafür, daß der Wille das Reale und Eſſentiale m
Menschen, der Intellect das Secunbäre ift, und deshalb jede merflik
Erregung des Willens die Funktion bes Intellects ftört, ift mtr
andern auch der Schred. Ein großer Schred benimmt ıms oft di
Befinnung dermaßen, daß wir verfteinern, oder aber das Berkehrtrit
tbun, 3. B. bei ausgebrochenem Feuer gerade in die Flammen lauf.
(W. I, 241.)
(Meber den panifchen Schred |. Paniſcher Schred.)
Schreibfehler.
Sehler beim Schreiben oder Leſen durch Auslaffen, Hinzufügen ode
Berwechjeln von Buchftaben find, wie Taſſoni bezeugt, Anzeichen et
vorzüglichen Verſtandes. Dan braucht ſich aljo ihrer nicht zu fhäne.
(M. 640.)
Schrift.
1) Die Aufgabe aller Schrift.
Die Aufgabe aller Schrift ift, im ber Bermmft des Andern durd
ſichtbare Zeichen Begriffe zu erweden. (P. II, 607.)
2) Werth der Schrift für die Geſchichte der Menſcheit
(S. unter Dentmale: Werth der Hiftorifchen Denkmale.)
3) Borzug der Schrift vor der mündlichen Tradition.
Das Organ, womit man zur Menſchheit redet, ift allein bi
Schrift; mündlich redet man blos zu einer Anzahl Individuen; dahen.
was fo gejagt wird, im Verhältnig zum Menſchengeſchlechte Privatſache
Schrift 307
bleibt. » Die Tradition wirb bei jedem Schritte verfälfcht; die Schrift
allein ift bie treue Aufbewahrerin der Gedanken. Auch kommen bie
Gedanken zu möglichfter Deutlichleit und Beftimmtheit erſt durch die
Shrift; denn der fchriftliche Vortrag ifl ein wefentlich anderer, als
der mündliche, indem er allein die höchſte Präcifion, Koncifion und
prägnante Kürze zuläßt. Jeder tiefdenkende Geiſt hat daher das Be-
dürfniß, feine Gedanken durch die Schrift feſtzuhalten. Es wäre in
einem Denker ein wunderlicher Uebermuth, die wichtigfte Erfindung des
Menſchengeſchlechts unbenugt Laffen zu wollen. Sonach wird es ſchwer,
an den eigentlich großen Geift Derer zu glauben, die nicht gefchrieben
haben. (P. I, 45.)
4) Bergleihung der Schrift der Chinefen mit der
Buchſtabenſchrift.
Wir verachten die Wortſchrift der Chineſen. Aber, da die
Aufgabe aller Schrift iſt, in der Vernunft des Andern duch ſicht⸗
bare Zeichen Begriffe zu erweden; fo ift e8 offenbar ein großer
Umweg, dem Auge zunächſt nur ein Zeichen des hörbaren Zeichens
derfelben vorzulegen und allererft diefes zum Träger des Begriffs felbft
zu machen, wodurch unfere Buchitabenfchrift nur ein Zeichen des
Zeichens iſt. Es frägt fi demnad), welchen Borzug denn das hörbare
Zeichen vor dem fihtbaren Habe, um uns zu vermögen, den geraden
Beg vom Ange zur Vernunft Liegen zu laſſen und einen fo großen
Umweg einzuſchlagen, wie der ift, das fichtbare Zeichen erft durch
Bermittelung bes hörbaren zum fremden Geifte reden zu laſſen, während
es offenbar einfacher wäre, nad) Weife der Chinefen das fichtbare
Zeichen unmittelbar zum Träger des Begriffes zu machen und nicht
zum bloßen Zeichen des Lautes. Die Hier nachgefragten Gründe num
würden folgende fein: 1) Wir greifen von Natur zuerft zum hörbaren
Zeichen und gelangen fo zu einer Sprache fiir das Ohr, ehe wir nur
daran gedacht haben, eine für da8 Geficht zu erfinden. Nachmals
aber ift e8 kürzer, diefe letztere auf jene andere zurüdzuführen, als
eine ganz neme, ja anberartige Sprache für da8 Auge zu erfinden.
2) Das Geficht kann zwar mannigfaltigere Modificationen faffen, als
das Ohr; aber folche für das Auge hervorzubringen, vermögen
wir nicht wohl ohne Werkzeuge, wie doch für das Ohr. Auch würden
wir bie fihtbaren Zeichen nimmer mit der Schnelligkeit hervorbringen
und wechfeln Taflen fünnen, wie, vermöge der Bolubilität der Zunge,
die hörbaren. Diefes alfo macht von Haufe aus das Gehör zum
weientlihen Sinne der Sprache und dadurch der Vernunft. Doch,
die Sache abftract, rein theoretiſch und a priori betrachtet, bleibt das
Verfahren der Chinefen das eigentlich richtige. Auch Hat die Erfahrung
einen überaus großen Vorzug der chineſiſchen Schrift zu Tage gebracht.
Man braucht nämlich nicht Chineſiſch zu können, um fi darin aus⸗
zudrücken; ſondern jeder Tieft fie in feiner eigenen Sprache ab, gerade
j0, wie unfere Zahlzeihen, welche überhaupt für die Zahlenbegriffe
20*
308 Schriftſteller. Schriftftellerei
Das find, was bie hinefifchen Schriftzeichen für alle Begriffe; md
die algebraifchen Zeichen find es ſogar filr abftracte Größenbegrifk.
(PB. II, 607—-609.)
Schriftfieller. Schriftflellerei.
1) Eintheilung der Schriftfteller.
Zuvdrberft giebt es zweierlei Schriftfteller: ſolche, die der Care
wegen, und folche, die des Geldverbienens wegen fehreiben. Jene haben
Gedanken gehabt, oder Erfahrungen gemacht, die ihnen writtheilenswerth
fcheinen; diefe denfen nur zum Behuf des Schreibens und ſchreiben,
um Papier zu füllen. Sie beteiligen den Leſer. Schreibenswertkes
fchreibt mer wer ganz allein ber Sache wegen jchreibt. Jeder Schrift:
fteller wird fchledht, fobalb er irgend bes Gewinnes wegen ſchriibt.
Honorar und Verbot des Nahdruds find im Grunde der Berderb de
Litteratur. (P. II, 536 fg. 582.)
Miederum kann man fagen, e8 gebe breierlei Autoren, erſtlich folde,
welche fchreiben, ohne zu denken. Sie ſchreiben aus dem Gerähtuf,
aus Reminiscenzen, oder gar unmittelbar aus Büchern. Dieſe Kafi
ift die zahlreichite. — Zweitens folche, die während des Schreibens
denfen; fie denken, um zu fchreiben. Sind fehr häufig. — Dritte:
Solche, die gedacht haben, ehe fie and Schreiben gingen. Sie fehreibe
blos, weil fie gedacht haben. Sind felten. (P. II, 537.) Unte
biefer legten Meinen Anzahl find aber wieder nur Wenige, melde übe
bie Dinge felbit denken; die übrigen benfen blos tiber Büder,
über das von Andern Geſagte. (P. II, 537 fg.)
Die Schriftfteller Tann man ferner eintheilen in Sternſchmyppen,
Planeten und Firfterne. Die erflern liefern die momentanen Sud:
effecte; man ſchaut auf, ruft „ſiehe da!” und amf immer find fe
verſchwunden. — Die zweiten haben viel mehr Beſtand. Doc miſſer
auch fie ihren Pla bald räumen, haben zudem nur geborgtes Lich
und eine auf ihre Bahngenofien (Zeitgenofien) befchränfte Wirkung
fphäre. Sie wandeln und wechſeln; ein Umlauf von einigen Jahr
Dauer ift ihre Sache. — Die Dritten allein find unwandelbar, habe
eigenes Licht, wirken zu einer Zeit, wie zur andern. Sie gehöre:
nicht, wie jene Andern, einem Syfteme (Nation) allein an, ſonden
ber Welt. Über wegen ber Höhe ihrer Stelle braucht ihr Licht meiſter
viele Jahre, ehe es dem Erdenbewohner ſichtbar wird. (PB. II, 487.
2) Woran man den Werth fohriftftellerifher Product:
| zunächſt erfennen Fann. -
Um über den Werth der Geiftesproducte eines Schriftftellers cr
vorläufige Schägung anzuftellen, ift es nicht gerade nothiwendig, ji
willen, worüber, oder was cr gebacht habe; dazu wäre erfordert, dit
man alle feine Werke durchläfe; — fondern zunächſt ift es hinreihen.
zu wiſſen, wie er gedacht habe. Bon dieſem Wie des Denkens nun
von dieſer wejentlichen Beichaffenheit und durchgängigen Qualitaͤt
Schriftſteller. Schriftftellerei 309
deffelben ift ein genauer Abdrud fein Sit. (®. I, 550. Bergl.
Stil und Bücher.)
3) Erflärung ber Geiftlofigfeit und Langweiligkeit
der Schriften der Alltagskspfe.
Man könnte die Geiſtloſigkeit und Langweiligkeit der Schriften der
Alltagsköpfe daraus ableiten, daß fie immer nur mit halbem Bewußt-
fein reden, nämlich ben Sinn ihrer eigenen Worte nicht felbft eigentlich
verftehen, da foldhe bei ihnen ein Erlerntes und fertig Aufgenommenes
find. Statt deutlich ausgeprägter Gedanken findet man bei ihnen ein
unbeſtimmtes dunkles Wortgewebe, gangbare Redensarten, abgentgte
Wendungen und Modeausdride. Leute von Geift hingegen reden in
ihren Schriften wirflih zu und, und baher vermögen fie uns zu
beleben und zu unterhalten. (PB. I, 565. 582. — Bergl. unter
Büher: Was die meiften Bücher mittelmäßig und langweilig
macht.) |
4) Zweifache Langweiligkeit der Schriften.
Es giebt zwei Arten von Langweiligkeit der Schriften, eine objective
und eine ſubjective. Die objective entfpringt daraus, daß der Antor
gar feine vollfommen deutlichen Gedanken oder Ertenntniffe mitzuteilen
hat. Die jubjective ‚Yangweiligfeit Bingegen ift eine blos relative;
fie hat ihren Grund im Mangel an Intereffe fir den Gegenftand
beim Leſer. Subjectiv langweilig kann baher auch das Bortrefflichite
jein, nämlich Diefem oder Jenem; wie umgefehrt auch das Schlechtefte
Diefem oder Jenem fubjectiv-fuxzweilig fein fann, weil der Gegenftand,
oder der Schreiber ihn intereffirt. (B. II, 555 fg.)
5) Erforderniffe zur Unfterblichfeit der Schriften.
Um unfterblich zu fein, muß ein Werk fo viel Trefflichkeit haben,
daß nicht Leicht ſich Einer findet, der fie alle faßt und fchägt, jedoch
allezeit diefe Zrefflichkeit von Diefem, jene von Jenem erfaunt und
verehrt wird, woburd der Kredit des Werkes fich durd) die Jahrhun⸗
derte hindurch erhält, indem es bald in dieſem, bald in jenem Sinne
verehrt und nie erfchöpft wird, Der Urheber eines ſolchen Werkes
fann aber nur Einer fein, der nicht blos unter feinen Zeitgenofien,
ſondern auch unter den folgenden Generationen feines Gleichen ver-
geblich fucht, furz Einer, von dem das Arioftifcde lo fece natura, e
poi ruppe lo stampo wirklich gilt. (P. II, 543 fg.)
Zu eigentlichen Geifteswerken, zu Gedanten, die als ſolche und
an fi) dauernden Werth haben, iſt der gewöhnliche Menſch nie, und
dad Genie nur im feltenen Augenbliden fähig. Daher ift jedes fein-
jollende Geiſteswerk mißlungen und dem Untergange beftimmt, wenn
der Autor nur die normalen Geiftesfräfte Hatte und auch, wenn er es
als fortlaufende Arbeit fchrieb, an die ev gieng, wie er jedes Mal
war, ſich Hinfegend mit dein Gedanken: „nun will ich fchreiben“.
810 Säriftfieller. Schriftftellerei
Denn da fchreibt er blos aus ber Erinnerung und zwar ans eine
ganz allgemeinen, von vielen verfchiedenartigen Aufchauumgen abfıe-
birten Erinnerung; bloße Begriffe find ihm gegenwärtig. Hingegen
im begeifterten Moment fchreibt er aus einer gegenwärtigen Anfchauung,
einem neuen frifchen Appercii, vor welchem ihm die itbrige Welt ver—
fhwindet. (9. 470.)
Wer bie weite Reife zur Nachwelt vorhat, darf keine mung
Bagage mitfchleppen; denn er muß leicht fein, um den langen Eirm
der Zeit hinab zu ſchwimmen. Wer fir alle Zeiten fchreiben wil,
fei furz, blindig, auf das Wefentliche beſchränkt; er fei bis zur Karg-
beit bei jeber Phraſe und jedem Worte bedacht, ob es nicht auf zu
entbebren fei; wie, wer ben Koffer zur weiten Reiſe padt, bei jeder
Kleinigkeit, die er hineinlegt, überlegt, ob er nicht auch fie mweglafie
könne. Das bat Ieber, der für alle Zeiten fchrieb, gefühlt und ge
than. (9. 471 fg.)
6) In welchem Lebensalter die großen Schriftſteller
ihre Meiſterwerke liefern.
Den Stoff feiner felbfteigenen Erkenntniſſe, feiner originalen Ormt-
anfichten, aljo Das, was ein bevorzugter Geift der Welt zu fchenten
beſtimmt iſt, fammelt er ſchon im der Jugend ein; aber feines Etoffe
Meifter wirb er erſt in fpäten Jahren. Demgemäß wird man meiſten
teils finden, daß die großen Schriftfteller ihre Meiſterwerke um dei
funfzigfte Jahr herum geliefert haben. (P. I, 522.)
7) Die Fournaliften.
Eine große Menge ſchlechter Schriftfteller lebt allein von der Kar
heit des Bublicums, nichts Iefen zu wollen, ale was heute gebrult
iſt: — die Journaliſten. Treffend benannt! Verdeutſcht wilde &
beißen: „Tagelöhner“. (P. IL, 537.)
8) Die Kompendienfhreiber und Rompilatoren.
Büchermacher, Kompenbienfchreiber, Kompilatoren, empfangen di
Stoff unmittelbar aus Büchern. Sie denken gar nicht. Das Bat,
aus dem fie abfchreiben, ift bisweilen eben fo verfaßt. Alſo ift +
mit biefer Schriftftellerei, wie mit Gypsabdrüden von Abdrücken u.\.!.
Daher fol man Kompilatoren möglich felten leſen; denn es ganz a
vermeiden ift fchwer, indem fogar bie Sompendien, welche dad im
Laufe vieler Jahrhunderte zufammengebrachte Wiffen im engen Kaum
enthalten, zu den Sompilationen gehören. (P. II, 538.)
9) Enthymematifche Schriftfteller.
Schriftfteller, welche Prämifien, Angaben ihrer Gründe, allerlei m |
bebrliche Erklärungen und Zwiſchenſätze weglaſſen, heißen enthymematiſche
Schriftſteller; ihre Säge find geiſtreich, weil fie mit Wenigem Biel ſager,
3 B. Tacitus, Rochefoucauld, Dante, Perfins, Yuvendl.
Schuld — Schwangerſchaft 311
Man ſoll dem Leſer etwas zu denken übrig laſſen, damit er wach
bleibe. Run aber giebt es ein anderes Ertrem, oder vielmehr einen
Mißbrauch. Windbeutel affectiren Enthymemata, wo fie feine haben,
ſchreiben unzuſammenhängendes, unverftänbliches Zeug, dunkele Bücher.
Der Leſer fol glauben, der Autor habe nur ihm zu viel zugetrant,
es wären Enthymemata bei ber Sache, die nur er nicht erhajchen
fönne, wohl aber Andere. So ein Schriftteller mißbraucht den Kre⸗
dit, den ihm ber Lefer ſchenkt. (H. 472— 474.)
10) Auslegung der Shhriftfteller.
Dan fol jeden Schriftfteller auf die ihm günftigfte Weiſe auslegen ;
es iſt in Hinfiht auf ihm billig, in Hinficht auf unfere Belehrung
nützlich. (H. 475.)
11) Anonymität der Schriftſteller. (S. Anonymität.)
12) Citate der Schriftſteller. (S. Citate.)
Schuld.
1) Wo die Schuld urſprünglich liegt.
Die Schuld liegt urſprünglich nicht im Handeln (Operari), ſon⸗
dern im Char akter (Esse), aus welchem die Handlungen mit Noth-
wendigfeit hervorgehen. Da aber, wo bie Schuld liegt, muß aud)
die Berantwortlichkeit Liegen, und da dieſe das alleinige Datum
if, welches auf mioralifche Freiheit zu ſchließen berechtigt, fo muß auch
die Freiheit eben daſelbſt Liegen, alfo im Charakter des Menichen.
(E. 94. Bergl. unter Gewiffen: Gegenfland des Gewiſſens.)
2) Die Urſchuld. (S. Erbfünde,)
Schwäche.
1) Nervenfhwäde. (S. Nervenfhwäde,)
2) Shwäde des Willens (©. unter Gut: Unterfchieb
zwifchen dem Guten und dem ſcheinbar Gutmüthigen.)
Shwangerfchaft.
1) Der capricidfe Appetit ber Schwangeren.
° As ein befondercs Beifpiel vom Inſtinct im Menſchen läßt fich
der caprieisfe Appetit der Schwangeren anführen; er fcheint daraus
zu entfpringen, daß die Ernährung des Embryo bisweilen eine bejon-
dere ober beſtimmte Mobification des ihm zufließenden Blutes verlangt;
woranf die ſolche bewirkende Speife ſich fofort der Schwangeren ale
Gegenſtand Heißer Sehnſucht darftellt, alfo auch hier ein Wahn ent-
ſteht. Demnach hat das Weib einen Inſtinect mehr, als der Maun;
aud) ift das Ganglienſyſtem beim Weibe viel entwidelter. (W. II, 618.
Vergl. unter Geſchlechtsliebe: Die Role des Inſtinets in ber
Geſchlechtsliebe.)
312 Schweigſamkeit _ Schwere
2) Barum fi das Weib der Schwangerfähaft nid!
fhämt (©. Zeugung, Zeugungsact.)
Schweigfamkeit, |. Verſchwiegenheit.
Schwere.
1) Die Schwere als Willensäußerung und folglich als
empirifche Eigenſchaft der Materie.
Alle beftimmte Eigenfchaft, alfo alles Empiriſche an der Maxrie,
felbft Schon die Schwere, beruht auf Dem, was nur mittel de
Materie fihtbar wird, auf dem Dinge an fi), dem Willen. Die
Schwere ift jedoch bie allerniebrigfte Stufe der Objectivation is
Willens; daher fie fi) an jeder Materie ohne Ausnahme zeigt, alle
von der Materie überhaupt unzertrennlich iſt. Doch gehört fie, wei
fie ſchon Willensmanifeftation ift, der Erkenntniß a posteriori, nich
der a priori an. Daher lönnen wir eine Materie ohne Schwere m}
noch allenfalls vorftellen, nicht aber eine ohne Ausdehnung, Repulfions:
kraft und Beharrlichkeit. (W. U, 349 fg. W. I, 13. ©. 90. 44.)
Die niedrigfte und deshalb allgemeinfte Willensäußerung ber Meterr
ift die Schwere; daher hat man fie eine der Materie mefentliche Grant
Traft genannt. (N. 84.) -
Die flüffige Materie macht durch die vollfonmene Berfchiebbarknt
allee ihrer Theile die unmittelbare Yeußerung der Schwere in jeem
derfelben augenfälliger, als die feſte es kann. Daher, um die Schwere
als Willensäußerung zu erkennen, betrachte man aufmerkfam den ge
waltfamen Fall eines Stroms über Felſenmaſſen und frage fid, ob
dieſes fo entichiedene Streben, dieſes Toben, ohne eine Kraftanftrengung
vor fi gehen kann, und ob eine Kraftanftrengung ohne Willen fid
denken fäßt. (N. 83.)
2) Warum die Schwere weder als Urfade, nod alt
Wirkung aufzufaffen if. (S. unter Naturfraft:
Gegenfag zwifchen Naturkraft und Urſache.)
3) Unzulänglichleit der mechaniſchen Erklärung der
Schwere.
Die Schwerkraft iſt fo wenig, wie das Licht, mechaniſch zu m
Hören. Auch die Schwerkraft Hat man Anfangs durch den Stoß eine
Aethers zu erklären verfuht; ja, Newton felbft hat Dies ale Hype
thefe aufgeftellt, die ex jedoch bald fallen ließ. (P. II, 123.)
4) Zufammenhang der Undurchdringlichkeit und |
Schwere (S. Attractions- und Repulfionstraft
5) Verhältniß des Lichts zur Schwere (S. Tidt.)
6) Werth des Gravitationsfyftems,.
Um den Werth des zwar nicht von Newton, fondern von Hoc
entdedten, aber dod; von Newton zur Vollendung und Gewißheit m
Schwerfälliglit — Sculptur 313
hobenen Gtavitationsfuftens in feiner Größe zu fchägen, muß man
fih zuritdrufen, in welcher Verlegenheit Hinfichtlich des Urfprunges ber
Bewegung der Weltkörper bie Denker fich feit Yahrtaufenden befanden.
Wie kindiſch und plump find doc die Erflärungen bes Ariftoteles, der
Schofaftifer, bes Carteſins gegen das Grapitationsfyftem! — Demnach
ift der Grundgedanke, die und unmittelbar nur als Schwere befannte
Gravitation zum Zuſammenhaltenden des Planetenfuftems zu machen,
ein durch die Wichtigkeit der fi daran knüpfenden Folgen fo höchſt
bedeutender, daß die Nachforſchung nach feinem Urfprunge nicht als
irrelevant befeitigt zu werben verdient. (P. U, 154—159. 135.
W. I, 25; II, 58.)
7) Die Schwere als Offenbarung der Ziel- und End—
Lofigfeit des Strebens des Willens.
Daß Abwefenheit alles Zieles, aller Gränzen, zum Weſen des Willens
an fich gehört, der ein enblofes Streben ift, dies offenbart ſich am
einfachften auf der allerniedrigften Stufe der Objectität des Willens,
nämlid in der Schwere, deren beftändiges Streben, bei offenbarer
Unmöglichkeit eines legten Zieles, vor Augen liegt. Denn wäre aud),
nad) ihrem Willen, alle eriftirende Materie in einen Klumpen vereinigt,
fo wiirde im Innern deffelben die Schwere, zum Mittelpunkte fire-
bend, noch immer mit der Undurchdringlichkeit, als Starrheit ‚oder
Elafticität, Tämpfen. (W. I, 195. 178. 364.)
Scwerfälligkeit, |. unter Bewegung: Beweglichkeit der Glieder.
Schwurgericht, |. Jury.
Sclaverei.
1) Die Sclaverei als Unrecht. (S. Unrecht.)
2) Verwandtſchaft und Unterſchied zwiſchen Armuth
und Sclaverei, (S. Armuth.)
3) Warum der Selave keine Pflicht Hat. (S. unter
Pflicht: Verwandtſchaft und Unterſchied zwiſchen Pflicht
und Sollen.)
Sculptur.
1) Gegenſatz zwiſchen Sculptur und Malerei. (S. Ma-
lerei.)
2) Warum die Werke der Sculptur keine ſo tiefe und
allgemeine Wirkung ausüben, als die der Poeſie.
(S. unter Poeſie: Die Wirkung der Poeſie, verglichen mit
der Wirkung der bildenden Künſte.)
3) Die Bedeutung ber Draperie in der Sculptur.
Weil Schönheit nebft Grazie ber Hanptgegenftand der Sculptur ift,
liebt fie das Nadte und leidet Bekleidung nur, fofern diefe die Formen
314 Sculptur
nicht verbirgt. Sie bedient fih der Draperie wicht als "einer Ver⸗
hüllung; fondern als einer mittelbaren Darflellung der Form, welde
Darftellungsweife den Berfland jehr befchäftigt, indem er zur Anfchaummg
der Urfade, nämlich der Form bes Körpers, nur durch die allen
unmittelbar gegebene Wirkung, den Faltenwurf, gelangt. Sonach if
. in ber-Sculptur die Draperie gewiffermaßen Das, was in ber Malere
die Verkürzung if. (W. I, 270.)
4) Barum Laoloon in ber berühmten Gruppe nid
ſchreit.
Weil Schönheit offenbar der Hauptzweck ber Sculptur iſt, hat
Leffing die Thatſache, daß der Laokoon in der berühmten Gruppe
nicht fchreit, daraus zu erklären gefucht, daß das Schreien mit de
Schönheit nicht zu vereinigen fei. Andere haben andere Erklärungen
teils pfychologifcher, theils phyſiologiſcher Art verfucht. Der wahre
Grund aber, warum das Schreien in der Gruppe nicht dargeſeellt
werben durfte, ift ber, daß die Darftellung defjelben gänzlich außer
dem Gebiete der Sculptur liegt; denn das Weſen und folglic and
die Wirfung des Schreiens auf ben Zuſchauer liegt ganz allein m
Laut, nicht im Mundaufſperren. Dieſes letztere, das Schreien nolh—
wendig begleitende Phänomen muß erſt durch den dadurch hewor⸗
gebrachten Laut motivirt und gerechtfertigt werben. In der Dichtfunfl
hingegen, welche zur anfchaulichen Darftellung die Phantafie des Leſere
in Anſpruch nimmt, ift die Darftellung des Schreiens, als der Wahr
heit, d. 5. der volljländigen Darftelung der „bee dienend, zuläffig
Alſo Tediglich wegen der Gränzen der Kunft durfte der Schmerz des
Laofoon nicht durd Schreien ausgebrüdt werden. (W. I, 267—270;
, 481.)
5) Die antile Sculptur.
Obwohl das Herausfinden, Erkennen und Feſtſtellen des Typus ber
menſchlichen Schönheit auf einer gewifjen Auticipation berfelben beruft
und daher zum Theil a priori begründet ift, bebarf diefe Anticipation
dennoch der Erfahrung, um durch fie angeregt zu werben. (Bergl.
Anticipation.) Deshalb leiſtete es dem griechifchen Bildhauern
allerdings großen Vorſchub, daß Klima und Sitte des Landes ihnen
den ganzen Tag Gelegenheit gaben, halb nadte Geftalten, und in den
Gymnaſien auch ganz nadte zu fehen. Dabei forderte jedes Glied
ihren plaftifchen Sinn auf zur Beurtheilung und zur Bergleichung
deffelben mit dem deal, welches unentwidelt in ihrem Bewußtſeir
lag. (W. TI, 477. — Meber die befondern Borzüge der antiken
Sculptur vergl. die Alten.)
Die griehifche Sculptur wendet fi an die Anſchauung, darum if
fie äſthetiſch; bie Hindoftanifche wendet ſich an den Begriff, daher
ift fie blos ſymboliſch. (MW. I, 282.)
Seele 315
6) Die moderne Sculptur.
Die moderne Sculptur ift, was immer fie auch leiften mag, doch
ver modernen lateinifchen Poefie analog und, wie dieje, ein Kind der
Nachahmung, aus Reminiscenzen entjprungen. Läßt fie ſich beigehen,
originell fein zu wollen; fo geräth fie alsbald anf Abwege, namentlich
auf den fchlimmen, nach ber vorgefundenen Natur, ftatt nach den
Proportionen der Alten zu formen. (WW. II, 478.)
Seele.
1) Geſchichtliches. |
Der rationalen Pfychologie zufolge ift der Menſch aus zwei völlig
heterogenen Subftanzen zujammengefebt, aus dem wmateriellen Leibe
und der immateriellen Seele. Die Seele ift ihr zufolge ein urfprüng-
ich und weſentlich erfennendes und erſt in Folge davon auch ein
wollendes Weſen. Je nachdem fie nun in biefen ihren Grundthätig-
keiten rein fitr ſich und unvermifcht mit dem Leibe, oder aber in Ber-
bindung mit biefem zu Werke geht, hat fie ein höheres und nieberes
Erkenntniß⸗ und ebenjo ein dergleichen Willens» Vermögen. ‘Diefe ganze
ft von Carteſins recht ſyſtematiſch dargeftellte Anficht ift fchon bei
Ariftoteles zu finden (de anıma I, 1). Vorbereitet und angedeutet hat
fie fogar fchon Plato im Phädon. Hingegen in Folge der Cartefi-
ſchen Syftematifirung und Confolidation derfelben finden wir fie hun⸗
dert Yahre fpäter ganz breift geworben, auf bie Spige geftellt und
gerade dadurch der Enttäufchung. entgegengeführt. (E. 152 — 154.
$. 1, 47f9. W. II, 312 fg.)
Seit Sokrates Zeit und bis auf die unfrige bildet die Seele, biefes
ens rationis, einen Hauptgegenftand des unanfhörlichen Disputirens
der Philoſophen. Die Seele wurde von Allen und vor Allem als
Ihlehthin einfach genoinmen; denn gerade hieraus wurde ihr meta-
phyſiſches Wefen, ihre Immaterialität und Unfterblichfeit bewiefen; ob»
gleich diefe gar nicht ein Mal nothiwendig daraus folgt. Dieſe vor-
ausgeſetzte Einfachheit nun unfers fubjectiv bewußten Weſens, oder des
Ichſs, hebt Schopenhauer’s „Welt als Wille und Vorſtellung“ auf,
indem fie nachweift, daß die Aeußerungen, aus welchen man dieſelbe
fofgerte, zwei fehr verfchiedene Quellen haben, und daß allerdings der
Intellect phnfifch bedingt, die Function eines materiellen Organs,
daher von diefem abhängig fei und das Schickſal deffelben theile, —
daß hingegen der Wille an fein fpecielles Organ gebunden, fondern
da8 eigentlich Bewegende und Bildende, mithin das Bedingende des
ganzen Organismus fei, alfo das metaphufliche Subftrat der ganzen
Heinung ausmache. (W. II, 305 fg. Vergl. Id.)
Die (dem Schopenhauerfchen Syſtem eigenthümliche) Zerfeßung des
ſo Tange untheilbar geweſenen Ichs oder Seele in zwei heterogene Be-
ſtandtheile (Imtellect und Wille) ift für die Philofophie Das, was
die Zerſetzung des Waſſers für die Chemie geweſen if. Das Ewige
und Ungerftörbare im Menfchen, welches daher auch das Lebensprincip
316 Serle
in ihm ausmacht, iſt dieſem Syſten zufolge nicht bie Seele, ſondern,
um es mit einem chemiſchen Ausdruck zu bezeichnen, das Radical der
Seede, der Wille. Die fogenannte Seele iſt ſchon zufammengefekt,
fie ift die Berbindung des Willens mit dem voug, Jntellect. Dieſer
ift das Secunbäre, das posterius des Organiamus, der Wille hin⸗
gegen das Primäre, das prius defidben. (R. 20.)
2) Kritik des Gegenfages zwifhen Leib und Earl
al® zweier grundverfhiedener Subflanzen.
Der Gegenfag, welcher Anlaß zur Annahme zweier grunbberidir
dener Subflanzen, Leib umd Seele, gegeben hat, iſt in Wahrkeit der
des Objectiven und Subjectiven. Haft der Menjch fich in der Aufn
Anfhauung objectiv auf, fo findet er ein räumlich andgedehnted un
iiberhaupt durchaus Törperliches Wefen; faßt er hingegen ſich im bloßen
Selbftbewußtfein, alfo rein fubjectiv anf, fo findet er ein blos Wole-
des und Borftellendes, frei von allen Formen der Anſchauung, alſo
auch ohne irgendeine der ben Körpern zulommenden Eigenfchaften. Jet!
bildet er den Begriff der Seele dadurch, daß er den. Sat vom Grunde.
die Form alles Objects, auf Das anwendet, was nicht Object iſt, un
zwar hier auf das Subject des Erkennens und Wollens. Er betragt
nämlich Erkennen, Denken und Wollen als Wirkungen, und mil nt
als deren Urſache den Leib nicht annehmen kann, fegt er cine dom
Leibe gänzlich verfchiedene Urſache derfelben, die Seele, die er form
hypoſtaſirt. Auf diefe Weife beweift der erfte und letzte Dogmattker
das Dafein der Seele. Erſt nachdem auf diefe Weiſe der Begriff de
Seele als eines immateriellen, einfachen, unzerſtörbaren Weſens et:
ftanden war, entwidelte und demonftrirte diefen die Schule aus dem
Begriff Subftanz, aber durch eine Erfchleihung. (W. I, 58158.
®. I, 82. 110) |
Phyſiſch ift freilich Alles, aber aud) nichts erklärbar. Wie für di
Bervegung der geftoßenen Kugel, muß auch zulegt für das Denken ii
Gehirns eine phufifche Erflärung an ſich möglich jein, die dieſes ebenio
begreiflich machte, als jene es ift. Aber eben jene, die wir volllommen
zu verfiehen wähnen, ift uns im Grunde fo dunkel, wie Lebtees;
denn was das innere Wefen der Erpanfion im Raum, der Undurd:
dringlichfeit, Härte, Elafticität, Schwere fei, bleibt nach allen phyſila
liſchen Exrflärungen ein Deyfterium, fo gut wie das Denken. Beil
aber bei Diejem das Unerflärbare am unmittelbarften hervortritt, machte
man hier fogleich einen Sprung aus ber Phyſik in die Meiaphyfil
und hypoſtaſirte eine Subftanz ganz anderer Art, als alles Körperlick,
verſetzte ins Gehirn eine Seele. Wäre man jedoch nicht fo flump
gewefen, nur durch die auffallendfte Erſcheinung frappirt werde zu
tönnen; fo hätte man die Verdauung durdy eine Seele im Magen, dit
Vegetation durch eine Seele in ber Pflanze, die Wahlveruandtiheft
durch eine Seele in den Reagenzien, ja, das allen des Steines durch
eine Seele in diefem erklären müſſen. Denn überall ftößt die phyfiſche
Seele 317
Erflürung auf ein Metaphufifches. (W. II, 193. 309. Bergl. Leib
und Geift.) '
3) In welder Bedeutung das Wort Seele gebraudt
werden follte.
Der Begriff „Seele“ ift, weil er Erkennen und Wollen in unger-
trennliher Verbindung und dabei doch unabhängig vom animalifchen
Organismus hypoſtaſirt, nicht zu rechtfertigen, alfo nicht zu gebrauchen.
Das Wort follte daher nie anders, als in tropifcher Bedeutung an⸗
gewendet werden; denn es ift Teineswegs fo unverfänglich, wie buy
oder anima, als welche Athem bedeuten. (W. II, 399.)
4) Ein Motiv, weldes zur Annahme der Seele ge-
führt hat.
Das auffallende Phänomen, daß alle Philofophen (vor Schopen-
hauer) im Punkte der Seele geirrt, ja, die Wahrheit auf ben Kopf
geftellt haben, möchte, zumal bei denen der chriftlichen Jahrhunderte,
zum Theil daraus zu erklären fein, daß fie ſämmtlich die Wbficht
hatten, den Menfchen al8 vom Thiere möglichſt weit verfchieden dar⸗
zuftellen, babei jedoch dunfel fühlten, daß die Verſchiedenheit Beider
im Intellect Liegt, nicht im Willen; woraus ihnen unbewußt bie Nei-
gung bervorgieng, den Intellect zum Wefentlidden und zur Hauptſache
zu maden, ja, das Wollen als eine bloße Funktion des Intellects
darzuftellen. (W. II, 223.)
5) Theoretifche und praftifche Kolgen des, Wahne von
einer einfachen, immateriellen Seele.
Der tiefern Einfiht in die Natur waren die drei von Kant kriti⸗
firten "Ideen ber Vernunft Hinderlih. Die fogenannte Vernunft⸗Idee
der Seele, dieſes metaphufifchen Weſens, in deſſen abjoluter Einfachheit
Erkennen und Wollen ewig unzertrennlich Eins, verbunden und ver-
ſchmolzen waren, Tieß feine philofophifche Phyſiologie zu Stande
kommen; um fo weniger, als mit ihr zugleich aud ihr Correlat, bie
reale und rein paffive Materie, ale Stoff des Leibes, nothwendig ge-
feßt werden mußte. Jene Bernunft- Idee der Seele war Schuld, daf
am Anfange des vorigen Jahrhunderts ber berühmte Chemifer und
aonfiofage G. E. Stahl die Wahrheit verfehlen mußte. (N. 18 fg.
. IL, 301.)
Der uralte und ausnahmslofe Grundirrthum, daß das Ich oder deſſen
tranefcendente Hypoſtaſe, genannt Seele, zunähft und wefentlid er-
fennend, ja dentend, und erft in Folge hiervon, fecundärer und
abgeleiteten Weife, wollend fei, diefes enorme borspov rpotspov, ift
ans der Philofophie, um zur wahren Anficht zu gelangen, vor allen
Dingen zu befeitigen. Der Begriff der Seele ift nicht nur, wie
durch die Kritik der reinen Vernunft feflfteht, als transfcendente Hypo⸗
ſtaſe unftatthaft; fondern er wird zur Duelle unheilbarer Irrthümer
dadurch, daß er in feiner „einfachen Subftanz“ eine untheilbare Einheit
316 Seele
in ihm ausmacht, ift diefem Syſtem zufolge nicht die Seele, ſondern,
um es mit einem chemifchen Ausdrud zu bezeichnen, das Rabical der
Seele, der Wille. Die fogenannte Seele ift ſchon zujammengefegt,
fie ift die Verbindung des Willens mit dem voug, Intellect. Dieſer
ift das Secundäre, das posterius des Organismus, der Wille hin
- gegen das Primäre, das prius befielben. (R. 20.)
2) Kritik des Gegenfages zwifchen Leib und Serle
als zweier grundverfchiedener Subftanzen.
Der Gegenſatz, welcher Anlaß zur Aunahme zweier grunddverjſchit
dener Subftanzen, Leib und Seele, gegeben hat, ift in Wahrheit der
des Objectiven und Subjectiven. Faßt der Menſch fich in der äufen
Anſchauung objectiv auf, fo findet er ein räumlich ausgedehnte un
überhaupt durchaus Förperliches Weſen; faßt er hingegen ſich im bloken
Selbſtbewußtſein, alfo rein fubjectiv auf, fo findet er ein blos Wollen:
des und Vorftellendes, frei von allen Formen ber Anfchauung, alle
auch ohne irgendeine der den Körpern zukommenden Eigenfchaften. Jest
bildet er den Begriff der Seele dadurch, daß er den Satz vom Grunde
die Form alles Objects, auf Das anwendet, was nicht Object ift, un
zwar hier auf das Subject des Erfennens und Wollens. Er betrachte
nämlich Erkennen, Denten und Wollen als Wirkungen, und weil m
als deren Urfache den Leib nicht annehmen kann, feßt er eine vom
Leibe gänzlich verfchiedene Urſache derfelben, die Seele, bie er ſodam
hypoſtaſirt. Auf diefe Weife beweift der erfte und letzte Dogmatiin
das Dafein der Seele. Erft nachdem auf diefe Weife der Begriff der
Seele als eines immateriellen, einfachen, unzerftörbaren Weſens ent
ftanden war, entwidelte und demonftrirte diefen die Schule aus tem
Begriff Subftanz, aber durch eine Erjchleihung. (W. I, 581589.
®. I, 82. 110.) |
Phyſiſch ift freilich Alles, aber auch nichts erkläͤrbar. Wie für de
Bewegung der geftoßenen Kugel, muß auch zuleßt für das Denken dei
Gehirns eine phyſiſche Erflärung an ſich möglich fein, die diefes ebene
begreiflich machte, als jene es ift. Aber eben jene, die wir volllommen
zu verftehen wähnen, ift uns im Grunde fo dunfel, wie Letzteres
denn was das innere Wefen der Exrpanfton im Raum, der Undurd;
dringlicheit, Härte, Elafticität, Schwere fei, bleibt nach allen phyfila—
liſchen Erklärungen ein Myſterium, fo gut wie das Denken. Beil
aber bei Diefem das Unerflärbare am unmittelbarften Hervortritt, machte
man bier fogleich einen Sprung aus der Phyſik in die Metaphyfil
und Hhpoftafirte eine Subftanz ganz anderer Art, als alles Körperliht,
verjegte ins Gehirn eine Seele. Wäre man jedod nicht fo flump
gewejen, nur durch bie auffallendfte Erſcheinung frappirt werden zu
fönnen; fo hätte man die Verdauung durch eine Seele im Magen, de
Vegetation durch eine Seele in der Pflanze, die Wahlverwandtidelt
durch eine Seele in ben Reagenzien, ja, das allen des Steines durch
eine Seele in dieſem erflären müſſen. Denn überall ſtößt die phyſiſche
Seele 317
und Geift.
3) In welder Bedeutung das Wort Seele gebraudt
werden follte.
Der Begriff „Seele“ ift, weil er Erkennen und Wollen in unzer-
trennlicher Verbindung und dabei doch unabhängig vom animalifchen
Organismus hypoſtaſirt, nicht zu rechtfertigen, aljo nicht zu gebrauchen.
Das Wort follte daher nie anders, als in tropifcher Bedeutung an-
gewendet werden; denn es ift keineswegs fo unverfänglich, wie buy
oder anima, als welche Athem bedeuten. (W. II, 399.)
4) Ein Motiv, weldhes zur Annahme ber Seele ge-
führt hat.
Das auffallende Phänomen, daß alle Philofophen (vor Schopen-
hauer) im Punkte der Seele geirrt, ja, die Wahrheit auf den Kopf
geftellt haben, möchte, zumal bei benen ber chriftlichen Jahrhunderte,
zum Theil daraus zu crflären fein, daß fie fümmtlid die Wbficht
hatten, den Menfchen als von Thiere möglichft weit verfchieden dar-
zuftellen, dabei jedod; dunkel fühlten, daß die DVerfchiedenheit Beider
im Intellect Liegt, nicht im Willen; woraus ihnen unbewußt die Nei-
gung hervorgieng, den Intellect zum Wefentlichen und zur Hauptſache
zu machen, ja, das Wollen als eine bloße Funktion bes Intellects
darzuftellen. (8. II, 223.)
5) Theoretifhe und praftifche Folgen bes Wahns von
einer einfahen, immateriellen Seele.
Der tiefern Einfiht in die Natur waren die drei von Kant kriti⸗
firten Ideen der Vernunft binderlih. Die fogenannte Bernunfte Idee
der Seele, diefes metaphufifchen Weſens, in deſſen abfoluter Einfachheit
Erkennen und Wollen ewig unzertrennlich Eins, verbunden und ver-
ſchmolzen waren, Tieß Teine philofophifche Phyfiologie zu Stande
fommen; um fo weniger, als mit ihr zugleich aud) ihr Correlat, die
reale und vein paffive Materie, ale Stoff bes Leibes, nothwendig ge.
jet werden mußte. Jene Vernunft⸗Idee der Seele war Schuld, daß
am Anfange des vorigen Jahrhunderts der berühmte Chemiler und
Phyſiologe G. E. Stahl die Wahrheit verfehlen mußte (N. 18 fg.
®. II, 301.)
Der uralte und ausnahmsloſe Grundirrthum, daß das Ich oder deſſen
transfcendente Hypoſtaſe, genannt Seele, zunähft und weſentlich er-
fennend, ja denkend, und erft in Folge hiervon, fecundärer und
abgeleiteter Weiſe, wollend fei, diefes enorme botspov rpotspov, ift
ans der Philofophie, um zur wahren Anſicht zu gelangen, vor allen
Dingen zu befeitigen. Der Begriff der Seele ift nicht nur, wie
durch bie Kritik der reinen Vernunft feftfteht, ald transfcendente Hypo⸗
ſtaſe unftatthaft; fondern ex wird zur Duelle umbeilbarer Irrthlimer
dadurch, daß er in feiner „einfachen Subftanz” eine untheilbare Einheit
Erffärung auf ein Metaphyfiſches. (W. II, 193. 309. Bergl. Leib
) .
318 Serlmwanderung — ' Sein
der Erfenntniß und des Willens vorweg feftftellt, deren Trennung ge
rade der Weg zur Wahrheit if. Die nächfte, ſehr unbequeme Folge
jenes Grundirrthums ift fiir die noch in ihm befangenen Philoſophen
diefe: da im Tode das erkennende Berwußtfein augenfällig untergeft;
jo müſſen fie entweder den Tod als Vernichtung des Menſchen gelten
laſſen, wogegen unfer Inneres ſich auflehnt; oder fie müflen zu de
Annahme einer Fortdauer des erfennenden Bewußtſeins greifen, zu
welcher ein ſtarker Glaube gehört, ba Jedem feine eigene Erfahr
die durchgängige und günzliche Abhängigkeit des erfennenden Bewußt⸗
feines vom Gehirn fattfam beiviefen hat. Aus diefem Dilemma führt
allein bie das eigentliche Weſen des Menſchen nicht in das Bewußt⸗
fein, fondern in den Willen fegende Philofophie. (W. IL, 222 fg.)
Der Wahn von einer immateriellen, einfachen, wefentlich und immer
benfenden, folglich unermüblichen Seele, die da im Gehirn blos logirt
und nichts auf der Welt bebürfte, hat gewiß Manchen zu unſinnigen
Verfahren und Abftumpfung feiner Geiftesfräfte verleitet; wie dem
Friebrih der Große ein Mal verfucht bat, fid) das Schlafen gan
abzugewöhnen. (P. I, 471. Bergl. unter Gehirn: Berhaltungsrege
in Bezug auf die Anftrengung des Gehirns.)
Seelenwanderung, |. Metempſychoſe.
Schen. |
1) Das Sehen als Wert des Berftandes. (©. unter
Anſchauung: SImtellectualität der Anfchauung, und unte
Körper: Die Anfchauung der Körper.)
2) Erfreulichfeit bes Sehens im Öegenfat zur Schred—⸗
lidhleit des Seins. (©. Sein.)
Sehnſucht.
1) Sehnſucht der Jugend. (S. unter Lebensalter: Che
rakter des Jugendalters und: Gegenſatz zwiſchen Jugend und
Alter.)
2) Verwandtſchaft der unbeſtimmten Sehnſucht mit
der Langenweile.
Die ER Sehnſucht und die Langeweile find einander ver-
wandt. (9. 447.
Hein. ‘
1) Das Sein als der allgemeinfte Begriff.
ge mehr unter einem Begriff, deſto weniger wird im ihm gedacht.
Der allgemeinfte Begriff, da8 Sein (d. i. der Infinitiv der Kopula)
ift beinahe nichts ald ein Wort, (W. II, 68.)
2) Das Sein in der Brofefjorenphilofophie.
Dan erwäge, worauf der Inhalt des Infinitivs der Kopula, Sein,
hinauslduft. Diefer nun aber ift ein Hauptthema der Profeſſoren⸗
Seinsgund? — Selretion. Sefretionsorgane 319
philofophie gegenwärtiger Zeit. Indeſſen muß man es mit ihnen nicht
fo genau nehmen; die meiften nümlich wollen damit nichts Anderes,
als die materiellen ‘Dinge, die Körperwelt, bezeichnen, welcher fie, als
vollfommen unſchuldige Kealiften, im Grunde ihres Herzens die hödhfte
Realität beilegen. Nun aber fo geradezu von den Körpern zu rveben
jdeint ihnen zu vulgär; baher fagen fie „das Sein“, als welches vor-
nehmer klingt — und denken ſich dabei die vor ihnen ftehenden Tiſche
md Stühle. (W. II, 115.)
3) Wahrer Inhalt des Begriffs „Sein“.
Der wahre und ganze Inhalt des Begriffs Sein ift bas Aus—
füllen ber Öegenwart. Da nun bdiefe der Berührungspunkt des
Object? mit dem Subject ift (f. Gegenwart), fo kommt Beiden
dad Sein zu, d. h. was ift, erkennt entweber oder wird erfannt.
Offenbar ift diefer Begriff empirischen Urfprungs, obwohl der allge-
meinfte, welchen man aus der Erfahrung abitrahirt hat. (5. 330.)
Sein, vom Object gebraucht, heißt nichts weiter als Erfcheinen,
borgeftellt werden. (H. 197 fg.)
4) Berhältniß des Dentens zum Sein. (©. unter An-
fhaunng: Verhältniß der Anfhauung zum Ding an fidh
oder zum Realen.) '
5) Das aus den Schranfen des individuellen Seins
entfpringende Bedürfniß.
Iever kam nur Eins fein, hingegen alles Andere erkennen,
welhe Befchräntung eigentlich das Bedürfniß der Philoſophie erzeugt.
®. I, 125. 9. 300.)
6) Schredlichfeit de8 Seins im Gegenfate zur Er-
freulichfeit des Sehens.
Zu fehen find die Dinge freilich ſchön; aber fie zu fein ift ganz
etwas Anderes. (W. II, 665.)
In der Kindheit find die Dinge uns viel mehr von der Seite des
Sehens, alſo ber Borftellung, als von der des Seins, welche bie
des Willens ift, bekannt. Weil nun jene die erfreuliche Seite der
Dinge ift, die ſchredliche aber (die fubjective des Seins) und noch un⸗
bekannt bleibt, daher die Täuſchung des jungen Intellecis über die
Wirklichleit. (P. I, 510 fg.)
Der Normalmenſch ift gänzlich auf das Sein verwiefen; das Genie
hingegen Iebt und webt im Erkennen. ‘Daher, da alle Dinge herrlich
zu ſehen, aber fchredlih zu fein, der trübe Ernft der gewöhnlichen
Leute und dagegen die Heiterfeit auf ber Stirn des Genie's. (9. 356.)
Seinsgrund, f. unter Grund: Sag vom Grunde des Seins,
Schretion. Sekretionsorgane.
Bei den Sekretionen ift eine gewifie Auswahl bes gu jeber Taug⸗
lichen, folglich eine gewiffe Willkür der fie vollziehenden Organe
320 Selbfibeherrihung — Selbſterkenntniß
nicht zu verkennen, bie ſogar bon einer gewiſſen dumpfen Sinnet⸗
empfindung unterſtützt ſein muß und vermöge welcher aus dem ſelben
Blute jedes Sekretionsorgan blos das ihm angemeſſene Sekret und
nichts Anderes entnimmt, aljo aus dem zuftrömenden Blute die Leber
nur Galle faugt, das übrige Blut weiterfchidend, eben fo die Speichel
drüſe und das Pankreas nur Speichel, die Nieren nur Urim, be
Hoden nur Sperma u. f. w. Wan kann demnad bie Sekretion
organe vergleichen mit verfchiedenartigem Vieh, auf derfelben Wick
weidend und Jedes nur das feinem Appetit anfprechende Kraut al-
rupfend. (N. 25.)
Selbfibeherrfchung, ſ. Grundſätze.
Selbſtbewußtſein, ſ. Bewußtfein.
Selbſtbiographie, ſ. Biographie.
Selbfidenker, |. Denker.
Helbflerhaltung.
1) Selbfterhaftung als Örundbeftrebung des Willens.
(S. Medanil.) .
2) Gegen die Auffaffung der Seibfterhaltung als einer
Bfliht gegen uns felbft.
Der Begriff von Pflichten gegen uns ſelbſt hat ſich trot feiner Ir
haltbarkeit (vergl. unter Pflicht: Kritik der Pflichten gegen uns fehl)
noch immer in Anſehen erhalten und fteht allgemein im befondere
Gunſt; worüber man ſich nicht zu wundern hat. Aber eine beluſtigende
Wirkung thut er in Fällen, wo die Leute anfangen, um ihre Perjon
beforgt zu werden und nun ganz ernfthaft von der Pflicht der Selbſt—
erhaltung reden; während man genugjam merkt, daß die Furcht ihnen
ſchon Beine machen wird und es keines Pflichtgebots bedarf, um nad;
zuſchieben. (E. 127.)
Selbſterkenntniß.
1) Selbſterkenntniß im philoſophiſchen Sinne.
Der letzte Zweck und das Ziel aller Speculation iſt nicht, wie die
philoſophiſchen Narren heut zu Tage glauben, Erkenntniß Gottes, ſon⸗
dern Erkenntniß des eigenen Selbſt, wie ſchon am Tempel zu Delphi
zu leſen, oder von Kant zu lernen war. (H. 295 fg.) Die Self
erlenntniß ift der Schlüffel zur Erkenntniß des innern Weſens der
Dinge, d. h. der Dinge an fich ſelbſt. (S. unter Ding an fid:
Auf welchem Wege ollein zur Erkenntniß des Dinges an ſich zu ge
langen ift, und: Milrolosm 08.)
2) Individuelle Selbfterfenntniß.
a) Schwierigfeit der individuellen Selbfterlenntniß.
Die Hauptſchwierigkeit, welche der Selbftertenntniß (dem ywsı
sayrov) entgegenfteht, ift der Egoismus, die Cigenliebe, die und
Selbſtgefühl 321
hindert, den Blick der Entfremdung auf uns zu werfen, welcher
die Bedingung der objectiven Auffaſſung unſerer ſelbſt iſt. (P.
II, 629.)
Aus der primären Natur des Willens und der ſecundären des In—⸗
tellect8 läßt es fich erklären, daß wir oft nicht willen, was wir
wilnfchen, oder was wir fürdten, und daß wir fogar oft über das
eigentliche Motiv, aus dem wir etwas thun ober unterlaffen, ganz im
Irrthum find, bis etwa ein Zufall uns das Geheimniß aufdedt.
Hieran haben wir eine Beftätigung und Erläuterung der Regel des
Parochefoucauld: l’amour propre est plus habile que le plus habile
homme du monde, ja fogar einen Commentar zum Sofratiiden yvalı
saurov und deſſen Schwierigkeit. (W. II, 235.)
b) Bedingtheit der individuellen Selbfterfenntniß
durch die Erfahrung.
Dan lernt feinen eigenen Charakter, wie ben anderer Individuen
nme duch Erfahrung kennen. (Vergl. unter Charakter: Wefentliche
Prädicate des menſchlichen Charakters.)
Welche Kräfte zum Leiden und Thun Jeder in ſich trägt, weiß er
nicht, bis ein Anlaß fie in Tätigkeit fegt; — wie man dem im
Zeihe ruhenden Waſſer mit glattem Spiegel nicht anfleht, mit welchem
Toben und Braufen es vom Felfen unverjehrt herabzuftürzen, oder wie
hoch es als Springbrunnen ſich zu erheben fähig iſt; — oder auch,
ni man die im eiskalten Wafler latente Wärme nicht ahndet. (BP.
‚ 630.)
e) Wichtigkeit ber individuellen Selbfterfenntniß.
Erft die genaue Kenntniß feines eigenen empirifchen Charakters giebt
dem Menfchen Das, was man erworbenen Charakter nennt und lobt.
(S. unter Charakter: Der erworbene Cyarafter.)
Wie der Urbeiter, welcher ein Gebäude aufführen hilft, den Plan
des Ganzen entweder nicht fennt, oder doc) nicht immer gegenwärtig
bat; fo verhält der Menſch, indem er die einzelnen Tage und Stunden
ſeines Lebens abipinut, fi) zum Ganzen feines Lebenslaufes und des
Charakters deffelben. Je würdiger, bedeutender, planvoller und indivi-
dueller diefer iſt, deſto mehr ift es nöthig und wohlthätig, daß der
berfleinerte Grundriß deffelben, der Plan ihm bismeilen vor die Augen
lomme. freilich) gehört auch dazu, daß er einen Meinen Anfang in
dem pyu Di saurov gemacht habe, alfo wiffe, was er eigentlich, haupt⸗
lächlid und vor allem Andern will, was alfo fir fein Glück das
Wefentlichſte iſt, ſodann was die zweite und dritte Stelle nad) diefem
eumimmt, wie auch daß er erkenne, welches im Ganzen fein Beruf,
line Rolle und fein Verhälmiß zur Welt ſei. (PB. I, 439 fg.)
vw aut Kenntniß lebt man planlos, — ein Schiffer ohne Kompaß.
. .)
delbſtgeſũhl, ſ. Kraftgefühl und Selbſtſchätzung.
Sqopenhauer⸗Lexikon. IL 21
322 Selbſtlob — Selbſtmord
Selbſtlob.
1) Gegen das Selbſtlob.
Auch beim beſten Rechte dazu, laſſe man ſich nicht zum Selbſilobe
verführen. Denn die Eitelkeit iſt eine fo gewöhnliche, das Berdienft
- aber eine fo ungewöhnliche Sache, daß, fo oft wir, wenn and nır
indirect, und felbft zu loben fcheinen, Jeder Hundert gegen Eins wette,
daR was aus uns vedet, die Eitelkeit fei, der e8 am Berftande ge
bricht, das Lücherliche der Sache einzufehen. (P. I, 494.)
2) Für das mäßige Selbftlob.
Bei allem Dem mag jedoch Bako von Verulam nicht ganz Umeht
baben, wenn er fagt, daß das semper aliquid haeret, wie von ber
Berläumbung, fo auch vom Selbfilobe gelte, und daher diefes in
mäßigen Dofen empfiehlt. (P. I, 494.)
Helbfimord.
1) Der Selbſtmord als ein Vorrecht des Menden vor
dem Thiere.
Dem Menſchen allein, der nicht, wie das Thier, blos den Förper:
lichen, auf die Gegenwart beſchränkten, fondern auch den unglad
rößeren, bon Zukunft und Vergangenheit borgenden geiftigen Leida
reis gegeben ift, hat die Natur ale Kompenfation das Vorrecht ver:
liehen, fein Leben, aud) ehe fie felbft ihm ein Ziel fett, beliebig ender
zu können und demnach nicht, wie das Thier, nothwendig jo lange e:
fann, fondern auch nur fo lange er will zu leben. (E. 127.)
2) Empfänglichkeit und Anlaß zum Selbftmorb.
Das Ausharren und Treiben im Leben ift nicht etwas irgend fit
Erwähltes, durch ein objectives Urtheil über den Werth des Leben
Motivirtes, fondern es ift der blinde Wille, auftretend als Lebenätrie,
Tebensluft, Lebensmuth, was das Puppenfpiel der Menſchenwelt ir
Bewegung fett und erhält.
Das Schwachwerden biefer Lebensluft zeigt fich als Hypochondric,
spleen, Melancholie, ihr gänzliches Verſiegen als Hang zum Selbſt—
mord, der al&dann bei dem geringfügigften, ja, einen bloß eingebildeica
Anlaß eintritt, indem jest dev Menſch gleichſam Händel mit ſich jelki
ſucht, um ſich tobt zu ſchießen; fogar wird zur Noth ohne allen be
jondern Anlaß zum Selbftmord gegriffen. (W. II, 409.)
Wenn eine Tranfhafte Affection des Nervenſyſtems, oder der Fer:
dauungswerkzeuge, der angeborenen Dyskolie in die Hände arbeite:
dann kann diefe den hohen Grad erreichen, wo dauerndes Mißbehage
Lebensüberbruß erzeugt und demnach Hang zum Selbftmord entfteht.
Diefen vermögen alsdann felbft die geringften Unannehmlichleiten zu
veranlaffen; ja, bei den höchften Graden des Uebels bedarf es berfelben
nit ein Mal, fondern blos das anhaltende Mißbehagen führt zum
Selbftmord. (PB. I, 346.)
Selbftmord 323
Allerdings kann nach Umftänden auch der geſundeſte und vielleicht
jelbft der heiterſte Menſch fich zum Selbſtmord entjchließen, wenn
nämlich die Größe der Leiden oder des unausweichbar herannahenden
Unglüds die Schreden des Todes überwältigt. Der Unterfchieb liegt
allein ih der verjchiedenen Größe des dazu erforderlichen Anlaſſes, als
welche mit der Dyskolie in umgelehrtem Verhältniß fteht. Je größer
diefe ift, defto geringer Tann jener fein, ja am Ende auf Null herab»
ſinken; je größer hingegen die Eufolie und die fie unterftügende Ge-
jundheit, defto mehr muß im Anlaß liegen. Danach giebt e8 unzählige
Ahltufungen der Fälle zwifchen den beiden Ertremen des Selbftmords,
nämlich dem des vein aus franfhafter Steigerung der angeborenen
Dyskolie entfpringenden und dem des Gefunden und Heitern ganz aus
objectiven Gründen. (P. I, 346. 9. 449 fg.)
Die Erblichfeit der Anlage zum Selbftmord beweift, daß ber fub-
jectibe Theil der Beftimmung bazu wohl der ftürfere if. (©. 450.)
Daß im Gefühl des Leidens oder Wohlfeins ein fehr großer Theil
jubjectiv und a priori beftimmt ift, dafiir kann auch Dies: als Beleg
angeführt werben, daß die Motive, auf welche der Selbfimorb erfolgt,
jo Höchft verfchieden find; indem wir Fein Unglüd angeben können, das
groß genug wäre, um ihn nur mit vieler Wahrfcheinlichkeit bei jedem
Charakter herbeizuführen, und wenige, die fo Hein wären, daß nicht
ipnen gleichwiegende ihn ſchon veranlaßt hätten. (W. I, 373.)
Im Ganzen wird man finden, daß, fobald es dahin gelommen ift,
daß die Schreckniſſe des Lebens die des Todes überwinden, der Menſch
kinem Leben ein Ende madt. Der Widerſtand der letztern ift jedoch
bedeutend ; fie ftehen gleihfam als Wächter an der Ausgangspforte.
Inzwischen ift der Kampf mit diefen Wächtern in der Regel nicht fo
ſchwer, wie e8 und von Weitem fcheinen mag, und zwar in Folge des
Antagonismus zwifchen geiftigen und Törperlichen Leiden. Starke gei«
fige Leiden machen uns gegen Förperliche unempfindlih. Dies ift es,
was den Selbftmord erleichtert. Beſonders fichtbar wird Dies an
Denen, welche durd) rein Trankhafte tiefe Mipftimmung zum Selbſt
mord getrieben werden. Dieſen koſtet er gar keine Selbſtüberwindung.
P. II, 332 fg. H. 450.)
3) Worauf fih die Bewunderung des Selbftmordes
gründet.
Das Febenwollen, die Anhänglichleit am Xeben, ift keine Folge der
Ucberlegung und feine Sadje der Wahl, fondern das prius des ne
tellects. Wir felbft find der Wille zum Leben, und daraus erflärt fich
die allem Lebenden innewohnende Todesfurcht. Auf biefen unausſprech⸗
lichen horror mortis gründet ſich auch der Lieblingsſatz aller gewöhn«
lihen Köpfe, daß wer fi) das Leben nimmt, verrüdt fein müſſe, nicht
weniger jedoc das mit einer gewiſſen Bewunderung verfnüpfte Er⸗
ſtaunen, welches dieſe Handlung ſelbſt in denkenden Köpfen jedes Mal
hervorruft, weil dieſelbe der Natur alles Lebenden ſo ſehr entgegen⸗
P2
nat
324 Selbftmorb
läuft, daß wir ‘Den, welcher fie zu vollbringen vermochte, in gewiſſem
Sinne bewundern müfjen. (W. II, 271.)
4) Falſchheit der Behauptung, daß der Selbſtword
eine feige Handlung fei.
Es giebt gewiſſe allgemein beliebte und feft accrebitirte, täglich von
Unzäpligen mit Selbfigenügen nachgeſprochene Irrthümer. Zu dien
gehört auch der Sag: Selbftmord ift eine feige Handlung. (P. II,
64. 328.)
5) Der Eifer der Geiftlichkeit gegen den Selbſtword.
Die Gründe gegen den Selbftmord, welche von den Geiftlihen da
monotheiftifchen, d. i. jüdifchen Religionen und den ihnen fid anbe—
quemenden Philofophen aufgeftellt worden, find ſchwache, leicht zu
widerlegende Sophismen. (P. II, 328— 331. Weber die gegen bu
Selbſtuord geltend gemachte Pflicht der Selbfterhaltung |. Self:
erhaltung.)
Der außerordentlich lebhafte und doch weber durch die Bibel, nad
durch triftige Gründe unterftügte Eifer der Geiftlichleit monotheiſtiſchet
Religionen gegen den Selbftmord fcheint auf einem verhehlten Grurde
zu beruhen. Sollte es nicht diefer fein, daß das freiwillige Antgee
des Lebens ein fchlechtes Kompliment ift file Den, weldyer gefagt hat:
„Tavıa xara Arav'? — So wäre es denn abermals der obligat
Optimismus diefer Religionen, welcher die Selbſttödtung anklagt, um
nicht von ihr angeklagt zu werden. (P. U, 332.)
6) Das Recht zum Selbfimord.
Da ein Recht zu etwas, oder auf etwas haben, nichts wer
heißt, als e8 thun, oder aber nehmen, ober benugen können, ohne te
durch irgend einen Andern zu verlegen; fo erhellt die Siunloſigleit da
Frage, ob wir dad Recht haben, und das Leben zu nehmen. Bi
aber die Anſprüche, die etwa Andere auf uns perfünlich haben Füns,
betrifft, fo ftehen fie unter der Bedingung, daß wir leben, fallen al
mit diefer weg. Daß Der, welcher für ſich felbft nicht mehr Ich
mag, nun noc als bloße Mafchine zum Nuten Anderer fortfeben jolt,
ift eine überjpannte Forderung. (P. II, 257.)
Offenbar hat doch Jeder auf Nichts in der Welt ein fo unbeſtrei
bares Recht, wie auf feine eigene Berfon und eben. (PB. IL, 328.
Wenn die Kriminaljuftiz den Selbftmord verpönt, fo ift Dies nr
fhieden lächerlich; den welche Strafe fann Den abſchrecken, der iu
Tod fuht? — Beftraft man den Verſuch zum Selbftmord, fo fi
es bie Ungefchiclichkeit, durch welche er mißlang, die man beftreft.
(P. U, 329.)
7) Bergeblichleit des Selbſtmords.
Bon dem Willen zum Leben ift das Leben unzertrennlich um
deſſen Form allein das Jetzt. Anfang und Ende trifft nur das Je
Selbſtmord 325
dividuum, mittelſt der Zeit, der Form dieſer Erſcheinung für die
Vorſtellung. Außer der Zeit liegt allein der Wille, Kant's Ding an
ſich, und deſſen adäquate Objectität, Platon's Idee. Daher giebt
Selbſtmord keine Rettung; was Jeder im Innerſten will, das muß
er fein, und was Jeder iſt, das will er eben. (W. J, 433.) Weil
dem Willen zum Leben das Leben immer gewiß unb biefem das fei-
ben weſentlich ift, fo ift der Selbftmord, die willkürliche Zerſtörung
einer einzelnen Erjcheinung, bei der das Ding an fich ungeftört ftehen
bleibt, wie der Regenbogen feftfteht, fo ſchnell auch die Tropfen, welche
auf Augenblide feine Träger find, wechſeln, eine ganz vergebliche und
thörihte Handlung. Über er ift auch überdies das Meiſterſtück der
Maja, als der fehreiendfte Ausdrud des Widerſpruchs des Willens
zum Leben mit fich jelbft. (W. I, 472— 474.) .
8) Der allein triftige moralifhe Grund gegen ben
Selbſtmord.
Wenn es ächte moraliſche Motive gegen den Selbſtmord giebt, ſo
liegen dieſe jedenfalls ſehr tief und ſind nicht mit dem Senkblei der
gewöhnlichen Ethik zu erreichen. (E. 128. P. U, 332.)
Der allein triftige moralifche Grund gegen den Selbftmorb Tiegt
darin, daß der Selbftmord der Erreihung bes höchſten moralifchen
Zieles (der Berneinung des Willens zum Xeben) entgegenfteht, indem
er der wirklichen Erlöfung aus diefer Welt des Jammers eine blos
ſcheinbare unterfchiebt. (P. I, 331.) Bon der DVerneinung des
Willens zum Leben unterfcheidet nichts ſich mehr, als die Aufhebung
feiner einzelnen Erfcheinung, der Selbftmord. Weit entfernt, Ver⸗
neinung des Willens zu fein, ift biefer ein Phänomen ftarker Bejahung
des Willens. Der Selbftmörder will da8 Leben und ift blos mit ben
Bedingungen unzufrieden, unter denen es ihm geworben. (W. I,
111—473.) Wie das einzelne Ding zur Idee, fo verhält fich der
Selbſtmord zur Berneinung des Willens; der Selbflmörber verneint
blo8 das Individunm, nicht die Species. (W. I, 472.) Der Selbft-
mörber gleicht einem Kranken, der eine fchmerzhafte Operation, die ihn
von Grund aus heilen könnte, nachdem fie angefangen, nicht vollenden
läßt, fondern lieber die Krankheit behält; er weift das Leiden, flatt es
zum Quietiv des Willend werden zu laffen, bon fich, indem er bie
Erſcheimug des Willens, ben Leib, zerftört, damit der Wille unge-
broden bleibe. Dies iſt der Grund, warum beinahe alle Ethiken, jo-
wohl philofophifche, als religiöfe, den Selbftmord verbammen, obgleid)
fie ſelbſt hiezu feine andern, als feltfame, fophiftiiche Gründe angeben
Innen. (W. I, 473.) -
Der wahre Grund gegen den Selbitmord, aus welchem auch bas
Chriſtenthum denſelben verwirft (vergl. ChriftentHum), ift ein as⸗
fetifcher, gilt alfo nur von einem viel höhern ethifchen Standpunfte
aus, als der, den europäiſche Moralphiloſophen jemald eingenommen
haben. Steigen wir aber von jenem fehr hohen Standpunkte herab;
326 Selbſtſchätzung — Gelbfiverlängnung
fo giebt es feinen. baltbaren moralifchen Grund mehr, den Selbfimor
zu verdammen. (PB. II, 332.)
9) Der freiwillige Hungertob als eine von dem ge
wöhnlihen Selbftmorde zu unterfcdeidende Hand:
lung.
Bon dem gewöhnlichen Selbftmorbe gänzlich verfchieden fcheint eine
befondere Art befjelben zu fein, der aus dem höchften Grabe der %:
tefe freiwillig gewählte Hungertod. Es fcheint, daß die gänzlich
Berneinung des Willens den Grad erreichen fünne, wo felbft der zum
Erhaltung der Vegetation des Leibes durch Aufnahme von Nahrum
nöthige Wille wegfällt. Weit entfernt, daß diefe Art des Selbſtwordes
aus dem Willen zum Leben entftände, hört ein folcher völlig vefignirter
Asfet blos darum auf zu leben, weil er ganz und gar aufgehört hat
gu wollen. (W. 1, 474—-476.)
Selbfifdyäpung.
Eigentlich ift nicht blo8 der größte, fondern ber einzig wahre gr:
flige Schmerz Gefühl feines Unwerthes; alle andern geiftigen Leiden
fünnen nicht nur geheilt, fondern auf der Stelle gänzlich aufgehehe
werden durch ba8 höhere Bewußtſein feines Werthes. Wer difl
recht gewiß ift, kann ganz gelaffen figen unter Leiden, kam ob
Freude und ohne Freunde auf fi) ruhen. So ein allmädhtiger Tıek
ift lebhafte Erkenntuiß des eigenen Wertes. Umgekehrt kann übe
Erkenntniß bes eigenen Unwerthes nichts auf der Welt je tröften; bo!
verdeden läßt fie fi) dur) Trug und Gaufeleien, oder betäuben durd
Getümmel, aber beides nicht auf die Dauer. (M. 346.)
Einen Punkt giebt es für jeden Menſchen von ausgezeichnetem innen
Werth, zu weldyem gelangt er geborgen ift; dieſer Punkt ift der, m
er innig und völlig Mar feinen eigenen Werth erfennt. Und de
MWerth immer relativ ift, indem dem Begriff die Bedeutung des Te
gleichs weſentlich ıft; fo ift dies zugleich der Punkt, wo er ben Um
werth der Uebrigen erkennt. Nun ift er geborgen; denn die Under:
können ihn nie mehr irreführen; ihr Thun und ihr Meinen wiegt ihr
jest leicht; er iſt Über alle Autorität erhaben, erkennt die Beften für
feine ©eiftesbrüber und die Menge für beftand- und mwejenlofe Schatten.
(M. 277.)
Selbſtſucht, |. Egoismus.
Selbfiverläugnung.
1) Bedeutung der Selbftverläugnung.
Wenn wir den Willen zum Beben im Ganzen und objectid betrad-
ten; fo haben wir ihn uns als in einem Wahn begriffen zu benten,
von welchem zurüdzulommen, alſo fein ganzes vorhandenes Streben zu
verneinen ift. Diefe Verneinung ift es, was die Religionen als Selhft
Selbſtzwang — Senſtbilitat 327
verläugnung, abnegatio sui ipsius, bezeichnen; denn das eigentliche
Selbft ift der Wille zum Leben. (W. IL, 693.)
2) Die Selbfiverläugnung als Kundgebung der Frei«-
heit in der Erſcheinung. (S. unter Freiheit: Eintritt
der Freiheit in die Erfcheinung beim Menſchen.)
Selbflzwang.
Zur richtigen Lenkung unferer felbft in unfern Angelegenheiten ift
Selbſtzwang erforderlich; zu dieſem aber follte uns die Ueberlegung
färfen, daß jeder Menſch gar vielen und großen Zwang von außen
zu erbulben hat, ohne welchen es in feinem Leben abgeht, daß jedoch
ein Heiner, an der rechten Stelle angebrachter Selbftzwang nachmals
vielem Zwange von außen borbeugt. (PB. I, 465 fg.)
Selbflzweck, |. Zwed.
Senfibilität.
1) Die Senfibilität als eine ber brei Erſcheinungs—
formen der Lebenskraft. (S. unter Lebenskraft: Die
Lebenskraft an fi) und ihre drei Erfcheinungsformen.)
2) Die Senfibilität al8 Hauptcharakter des Menfchen.
(S. unter Menſch: Unterfchied zwifchen Thier und Menſch.)
3) Berhältniß der Senfibiliät zur Irritabilität. (©.
Irritabilität.)
4) Autagonismus zwifchen Irritabilität und Sen—
ſibilität.
Fritabilität und Senſibilität ſtehen ſtets und überall, im Allge⸗
meinen wie im Einzelnen, im Antagonismus, weil die eine und ſelbe
Lebenskraft beiden zum Grunde liegt und dieſe immer nur unter einer
ihrer drei Formen ganz und ungetheilt, daher mit voller Macht wirken
kann. (P. II, 174 fg. 262 fg.) Der ſtärkſten Anſtrengung der Sen⸗
ſibilität, dem Denken, find die ruhenden Lagen günſtig, weil die Lebens⸗
kraft ſich dann ungetheilt dieſer Funktion zuwenden kann. (P. II, 174.)
5) Warum die Senſibilität überall von Verſtand be«
gleitet ift.
Ueberall, wo Senfibilität ift, begleitet fie fchon ein Verftand, d. 5.
da8 Bermögen, bie empfundene Wirkung auf eine üußere Urfache zu
beziehen; ohne dieſes wäre die Senfibilität überflüffig und nur eine
Onelle zwedlofer Schmerzen. (N. 74. Bergl. auch unter Empfin-
dung: Nutlofigleit der Empfindung ohne Berftand.)
6) Die Genüffe der Senfibilität. (©. Genuß.)
7) Uebergewicht der Senfibilität über die Irritabili—
tät und Reproductionstraft beim Genie. (S. unter
Genie: Anatomifche und phyfiologifche Bedingungen des
Genies.)
328 Senſualiemus — Sinne. Sinnesempfinbung
8) Fortfchritte der Menſchheit durch das Freiwerden
der Senfibilität. (S. unter Luxus: File den Lurns.)
Senfualismus, ſ. unter Franzofen: Philofophie der Franzoſen.
Sentenz, ſ. Sprihwort.
‚Sentimentalität, |. Empfindfamtleit.
Schen.
Mit dem Worte „Seten” bat Fichte unverfhämten Mikbrand,
getrieben. Setzen, ponere, wovon propositio, iſt von Alters her cin
rein logifcher Ausdruck, welcher befagt, daß man im logifchen Zu:
fammenhang einer Disputation oder fonftigen Erörterung etwas vor
der Hand annehme, vorausjege, bejahe, ihm alfo logifche Gültigkat
und formale Wahrheit einftweilen ertheile, — wobei feine Xealität,
materielle Wahrheit und Wirklichfeit durchaus unberührt und unaus:
gemacht bleibt und dahinſteht. Fichte aber erſchlich ſich allmälig für
dies Setzen eine reale Bedeutung, welche die Sophiſten benutzen.
Seitdem nämlich das Ich erſt ſich ſelbſt und nachher das Nicht⸗Ich
gejegt hat, heißt Sekten fo viel wie Schaffen, Gervorbringen, und
Alles, was man ohne Gründe ald dafeiend annehmen und Andern
aufbinden möchte, wird eben gefegt. (P. II, 40 fg.)
Serualehre, f. unter Ehre: Arten ber Ehre.
Simultaneität, |. Dauer.
Sinne Sinnesempfindung.
1) Function der Sinne im Allgemeinen.
Die Sinne find blos die Ausläufe bes Gehirns, durch welche ee
von außen den Stoff empfängt (in Geftalt der Empfindung), de
es zur anfchaulichen Vorftellung verarbeitet. (W. II, 30.) Die An
ſchauung, die Erkenntniß von Objecten, von einer objectiven Welt, iſt
das Werk des Berftandes, Die Sinne find blos die Sige einer ge
fteigerten Senfibilität, find Stellen des Leibes, welche fir bie Ein:
wirkung anderer Körper in höherem Grade empfänglich find, und zwar
fteht jeder Sinn einer befonderen Art von Einwirkung offen, für welde
5 übrigen entweder wenig oder gar Feine Empfänglichfeit haben.
(5. 8.)
Man muß von allen Göttern verlaffen fein, um zu wähnen, bie
objective Welt fei ohne unfer Zuthun vorhanden, gelange dann aber
durd die bloße Sinnesempfindung in unfern Kopf, wofelbft fie nun,
wie da draußen, nocd einmal daftände Denn was für ein ärmlidie
Ding ift doch die bloße Sinnesempfindung. Sie ift und bleibt fub:
jeetiv. Etwas Dbjectives liegt in feiner Empfindung Die Cm
pfindung in den Cinnesorganen ift eine durch den Zuſammenfluß der
Nervenenden erhöhte, wegen der Ausbreitung und der dilnnen Bebedung
derfelben leicht von außen erregbare und zudem irgenb einem ſpeciellen
Sinne. Sinnesempfindung 329
Einfluß — Licht, Schall, Duft — befonders offen ftehende; aber fie
bfeibt bloße Empftudung, mithin etwas weſentlich Subjectives, deſſen
Veränderungen unmittelbar blo8 in ber Form bes innern Sinnes,
alfo der Zeit allein, d. 5. fuccejfiv, zum Bewußtſein gelangen. (©. 52.
Bergl. Empfindung und Anfhauung.)
2) Grund der fpecififhen Verſchiedenheit der Sinnes-
empfindungen.
Die fpecififche BVerfchtedenheit der Empfindung jedes der filnf Sinne
hat ihren Grund nicht im Nervenſyſtem felbft, fondern nur in der
Art, wie es afficirt wird. Danach kann man jede Sinnesempfindung
anfehen als eine Modification des Zaftfinnes, oder der über den ganzen
Leib verbreiteten Fähigkeit zu fühlen. Denn die Subftanz des Nerven
(abgefehen von ſympathiſchen Syftem) ift im ganzen Leibe Eine und
diefelbe. Wenn fie nun durch. die verfchiedenen Sinnesorgane jo
ſpecifiſch verſchiedene Empfindungen erhält; fo kann dies nicht an ihr
jelbft Liegen, fondern nur an der Art, wie fie afficirt wird. Dieſe
aber hängt ab theil8 von dem fremden Agens, von dem fie afficirt
wird (Licht, Schall, Duft), theils von der Vorrichtung, durch welche
fie dem Eindruck dieſes Agens ausgeſetzt ift, d. i. von dem Sinnes⸗
organ. (F. 9.)
3) Klaffification der Sinne.
Indem der äußere Sinn, d. h. die Empfänglichfeit für äußere
Eindrüde ald reine Data für den Verftand, ſich in fünf Sinne fpal-
tete, richteten diefe fi) nad) den vier Klementen, db. 5. den vier
Aggregationszuftänden, nebft dem der Imponderabilität. So ift der
Einn fir das Feſte (Erde) das Getaft, für das Flüſſige (Waſſer) der
Geſchmack, für das’ Dampfförmige, d. h. Verflüchtigte (Dunft, Duft)
der Geruch, fir da8 permanent Elaſtiſche (Luft) das Gehör, für das
Imponderabile (Teuer, Licht) das Gefiht. Das zweite Imponderabile,
Wärme, ift eigentlic, fein Gegenftand der Sinne, fondern des Geniein-
gefühls, wirft daher auch ftet8 direct auf den Willen, als angenehn,
oder unangenehm. (WW. II, 31.)
4) Dignität der Sinne.
Aus der angegebenen Klaffification der Sinne ergiebt fi ihre rela-
tive Dignität. Das Gefiht hat den erften Rang, fofern feine Sphäre
die am weiteften reichende, und feine Empfänglichfeit die feinfte ift,
was darauf beruht, daß fein Anregendes cin Imponderabile, cin quasi
Geiftiges if. Den zweiten Rang hat das Gehör, entſprechend der
Luft. Das Getaft zeichnet ſich durch feine Gründlichkeit und Piel-
jeitigleit aus. Denn während die andern Sinne und jeder nur eine
ganz einfeitige Beziehung des Dbjectd angeben, liefert das mit dem
Gemeingefühl und der Muskelkraft feſt verwachſene Getaft dem Ber-
Nande die Data zugleich für die Form, Größe, Härte, Glätte, Tertur,
deftigfeit, Temperatur und Schwere der Körper, und dies Alles mit
330 Sinne. Sinnesempfinbung
der geringfien Moglichkeit des Scheines und ber Täuſchung, benen alle
andern Sinne weit mehr unterliegen. Die beiden niebrigften Sime,
Geruch und Gefhmad, find ſchon nicht mehr frei von einer unmittel-
baren Erregung des Willens, d. 5. fie werden ſtets angenehm oder
unangenehm afficirt, find daher mehr fubjectiv, ald objectiv. (8.
II, 32; I, 235 fg. ©. 55.)
Der objectiven Anſchauung dienen eigentlid) nur zwei Sinne: das
Getaſt und das Geſicht. Sie allein liefern die Data, auf deren Grund⸗
lage der Berftand die objective Welt conftruirt. Die andern brei Sim
bleiben in der Hauptſache fubjectiv; denn ihre Empfindungen deuten
zwar auf eine äußere Urfache, enthalten aber Feine Data zur Beſtim⸗
mung räumlicher Verhältniffe berfelben. (G. 54.)
5) Was hauptfählich die Empfindungen des Gejidts
und Gehörs zum Stoff der objectiven Anfchauung
eignet.
Diejenigen Sinnesempfindungen, welche hHauptfächlich zur objectiven
Auffaffung der Außenwelt dienen follten, mußten an ſich felbft weder
angenehm noch unangenehm fein, d. 5. den Willen ganz unberührt
laffen, da fie fonft die Aufmerkfamleit feffeln und wir bei der Bir:
tung ftchen bleiben würden, ftatt zur Urfache überzugehen. Den
gemäß find Karben und Töne an fich felbft und fo lange ihr Eindrud
das normale Maß nicht überfchreitet, weder jchmerzlich noch angenehu,
fondern treten mit derjenigen ©leichgültigkeit auf, die fie zum Stof
rein objectiver Anfchauungen eignet, was phyfiologifh darauf beruht,
daß in den Drganen des Gefihts und Gehörs die dem fpecifiichen
äußern Eindrud aufnehmenden Nerven gar feiner Empfindung ven
Schmerz fähig find, fondern feine andere Empfindung, als bie ihnen
fpecififch eigenthüimliche, der bloßen Wahrnehmung dienende kennen.
Nur vermöge diefer ihnen eigenen Gleichgültigkeit in Bezug auf den
Willen werden die Empfindungen des Auges gejchidt, dem Berftande
die fo mannigfaltigen und fein nilancirten Data für die Anſchauung
der objectiven Welt zu liefern. Eben dieſe Gleichgültigleit in Bezug
auf den Willen eigne auch die Laute, den Stoff ber Bezeichnung
für die endlofe Mannigfaltigkeit der Begriffe der Bernunft abzugeben.
(W. II, 30 fg.)
6) Gegenſatz zwifhen Gefiht und Gehör.
Die Wahrnehmungen des Gehörs find ausſchließlich in der Zeit,
die Wahrnehmungen des Geſichts Hingegen find zunächft und vor
waltend im Raume; fecundär, mittelft ihrer Dauer, aber aud in
der Zeit. — Das Gefiht ift der Sinn des Berftandes, welder
anfchaut, das Gehör der Sinn der Vernunft, welche denkt ımd ver-
nimmt. — Das Gefiht ift ein activer, bad Gehör ein paſſiver
Sinn. Daher die ftörende und feindliche Einwirkung des Geräuſches
und Lärms auf ben Geift. (W. II, 32—35. ©. 54. Bergl. Lärm.)
Sinnenfhein — Sinnlichkeit 331
Aus der paffiven Natur des Gehörs erklärt fi auch die ein-
dringende Wirkung der Muſik. (Bergl. unter Mufil: Wirkung der
Mufil.) Hingegen wird aus der activen Natur des Sehens begreif-
ih, warum e8 fein Analogon der Muſik für das Auge geben Tann
und das Farbenklavier ein lächerlicher Mißgriff war. — Wegen feiner
activen Natur ift der Geſichtsſinn bei den Raubthieren ſehr jcharf,
wie umgelehrt der paſſive Sinn, das Gehör, bei den verfolgten,
fliehenden, furchtfamen Thieren.
Während das Geficht der Sinn des Berftandes, das Gehör der der
Bernunft ift, könnte man den Geruch den Sinn des Gedächtnifſes
nennen. (W. II, 36. Bergl. unter Gedächtniß: Einfluß des Ge
ruchs auf das Gedächtniß.)
7) Zwiefade Quelle ber Erregung der Sinnesem⸗
pfindungen.
Ale Sinnesnerven können fowohl von innen, al® von außen, zu
ihren eigenthümlichen Empfindungen erregt werden. Das Auge kann
dur; mechanifche Erfchütterung, oder durch innere Nervenconpulfion,
Empfindungen von Helle und Leuchten erhalten, die den durch äußerce
Licht verurfachten völlig glei find; das Ohr kann in Folge abnormer
Borgänge in feinem Innern Töne jeber Art hören, ebenfo der Geruchs⸗
nerv ohne alle äußere Urſache ganz ſpecifiſch beftimmte Gerüche em⸗
pfinden, auch der Geſchmacksnerv auf analoge Weife afficirt werden.
Im Traume findet die Erregung von innen ftatt. (P. II, 251.)
8) Öegen die Beratung der Sinne.
Der alte Gegenfag zwifchen Leib und Seele, demzufolge die Seele
unbegreiflicher Weife in den Leib gerathen, wofelbft fie in ihrem reinen
Denten nur Störungen erleide, ſchon dur die Sinneseindrüde und
Anfhanıngen, noch mehr durch die von diefen erregten Gelüfte, Affecte
und Leidenjchaften (vergl. unter Seele: Geſchichtliches), hat zu ber
Beratung geführt, mit welcher noch jettt von den Philofophieprofefforen
die „Sinnlichfeit” und das „Sinnliche“ erwähnt, ja zur Hauptquelle
der Immoralität gemacht werben; während gerade die Sinne, da fie
im Berein mit den apriorifchen FFunctionen des Intellects die An⸗
ſchauung hervorbringen, die lautere und unfchuldige Quelle aller
unferer Exfenntniffe find, von welcher alles Denken feinen Gehalt erft
erborgt. (W. II, 313.)
een, ſ. unter Irrthum: Unterfchied zwifchen Irrtum und
ein.
Sinnlichkeit.
Bon der für äußere Eindrücke empfänglichen, in fünf Sinne fid
paltenden Sinnlichkeit (vergl. den borigen Artikel) ift zu unterfcheiden
die von Kant fogenannte reine Sinnlichfeit. Das fubjective Cor-
telat nämlich von Zeit und Raum für fi, als leere Formen, alfo
332 Sitten und Gebräuge — Sittlich. Sitilichkeit
detjenigen Kaffe von Vorftellungen, welde den formalen Theil der
concreten Objecte der empirisch realen Welt bilden (vergl. unter Grund:
Sag vom Grunde des Seins) hat Kant reine Sinnlichkeit ge
nannt, welcher Ausdruck, weil Kant bier die Bahn brach, beibehalten
werben mag; obgleich er nicht recht paßt, da Sinnlichkeit ſchon Mao:
terie vorausfeßt. (W. I, 13.) Der geſammten äußern Sinnlid-
feit fteht die innere gegenüber. Dieſe bildet das fubjective Correlat
derjenigen Klaſſe von Borftellungen, welche nicht die Außenwelt, for:
‚bern die Innenwelt, die Regungen und Acte des eigenen Willens, zum
Gegenftand haben. (G. 143. Bergl. unter Bewußtfein: Gegenſatz
des Selbſtbewußtſeins und des Bewußtſeins anderer Dinge, umd unter
Grund: Sat vom Grunde bes Hanbelns.)
Sitten und Gebräuche, |. unter Reifen: Eine befondere Beobach⸗
tung, die man auf Reiſen machen Tann.
Sittengefeß.
Kant's kategorifcher Imperativ wird in unfern Tagen meiſtens umter
dem weniger prunkenden, aber glatteren und furrenteren Titel „Das
Gittengefeg‘ eingeführt. Die täglichen Kompendienfchreiber vermeinen
mit der gelaffenen Zuverficht bes Unverftandes, die Ethik begründet zu
haben, wenn fie nur ſich auf jenes unferer Bernunft angeblich, ein
wohnende „Sittengefeg” berufen, und dann getroft jenes weitſchwei⸗
fige und confufe Phrafengewebe darauf fegen, mit den fie die Härften
und einfachſten Verhältniffe des Lebens unverftändlic, zu machen ver
ftehen; — ohne bei ſolchem Unternehmen jemals fid) ernftlich gefrag:
zu haben, ob denn auch wirklich jo ein „Sittengeſetz“ als bequemer
Coder der Moral in unſerm Kopf, Bruft, oder Herzen gefchrieben
ſtehe. Diefes breite Ruhepolfter wird der Moral weggezogen burd)
den (von Schopenhauer gelieferten) Nachweis, dag Kant's Fategorijcher
‚Imperativ der praftifchen Bernunft eine völlig unberechtigte grumdlofe
und erdichtete Annahme if. (E. 115fg. ©. 120fg. Vergl. unter
Geſetz: Berfchiedene Bedeutungen des Begriffs des Geſetzes, und
unter Moral: Kritil der imperativen Form der Moral.)
Fichte hat die imperative Form der Kant’fchen Ethik, das Sittn-
gejeg und das abfolute Soll, weiter geführt, bis ein Syſtem bee
moralifhen Fatalismus daraus geworden, deifen Ausführung bie-
weilen in das Komifche übergeht. Der kategoriſche Imperativ iſt
bei Fichte herangewachfen zu einem despotifchen Imperativ. (E.
180 fg.)
Sittlich. Hittlichkeit.
1) Ucber das Wort „fittli”.
Das jet in Mode gefommene „ſtttlich und unſittlich“ iſt ein ſchlechtes
Subftitut für „moralifc und unworaliſch“, erftli, weil „moraliſch“
ein wiſſenſchaftlicher Begriff iſt, dem als ſolchem eine griechiſche oder
Stepfis. Skepticismus — Goldatenehre 333
. “
lateiniſche Bezeichnung gebührt, und zweitens, weil „fittlich” ein ſchwacher
und zahmer Ausdrud ift, ſchwer zu unterfcheiden von „ſittſam“, deſſen
populäre Benennung „zimperlich” if. Der Deutfchthümelet muß man
feine Conceffionen machen. (E. 196, Anmerk. — Bergl. unter Deutſch:
Die deutſche Sprade.)
2) Weſen des Sittlihen und der Sittlidleit. (S. Mo—
raliſch. Moralität.)
Shepfis. Skepticismus.
1) Nothwendigkeit und Nützlichkeit der Stepfis.
Schlauheit befähigt wohl zum Steptifus, aber nicht zum Philoſophen.
Inzwiſchen ift die Skepſis in der Philofophie was die Oppofition im
Parlament, ift auch ebenfo wohlthätig, ja nothwendig. Sie beruht
überall darauf, daß die Philofophie einer mathematifhen Evidenz nicht
ſähig ift. Daher wird gegen jedes Syſtem die Skepſis ſich immer
noch in die andere Wagfchale legen können; aber ihr Gewicht wird
zulegt fo gering werden gegen das andere, daß e8 ihm nicht mehr
ſchadet, als der arithmetifchen Quadratur des Zirkels, daß fie doch nur
approrimativ iſt. (P. II, 12.)
2) Berhältnig des Stepticismus zum Dogmatismus,
(S. unter Dogmatismus: Warum alle Bhilofophie zuerft
Dogmatismus ift.)
3) Falſche Stellung des Skepticismus zum Object.
(S. unter Object: Falſche Stellung des Dogmatismus und
Stepticismus zum Object.)
Skizzen.
In der Kunft iſt das Ullerbefte zu geiftig, um geradezu den Sinnen
gegeben zu werben; e8 muß in der Phantafie des Beſchauers geboren,
wiewohl durch das Kunſtwerk erzeugt werden. Hierauf beruht es, daß
die Skizzen großer Meifter oft mehr wirken, als ihre ansgemalten
Bilder; wozu freilich noch der andere Vortheil beiträgt, daß fie, aus
einem Guß, im Augenblide der Konception vollendet find, während
da8 ausgeführte Gemälde, da die Vegeifterung doch nicht bis zu feiner
Vollendung anhalten kann, nur unter fortgefegter Bemühung, mittelft
Muger Ueberlegung und beharrlicher Abfichtlichkeit zu Stande kommt.
(W. U, 463, Bergl. unter Kunſtwerk: Warum das Kunſtwerk nicht
Alles den Sinnen geben darf.)
Sokratifche Alethode, ſ. Methode.
Soldatenehre.
Die wahre Soldatenehre, eine Unterordnung der Amtschre (vergl.
unter Ehre: Arten der Ehre), befteht darin, daß wer ſich zur Ver⸗
theidigung des gemeinfamen Vaterlandes anheifchig gemacht hat, die
dazu möthigen Eigenfchaften, alfo vor Allem Muth, Tapferkeit und
334 Sollen — Sophiſtikation
Kraft wirklich befige und ernftlich bereit fei, fein Vaterland bis in den
Tod zu vertheidigen und überhaupt die Fahne, zu der er einmal ge-
ſchworen, um nichts in der Welt zu verlaflen. (PB. I, 387.)
Sollen.
1) Bedingtheit des Sollen.
Im Begriff Sollen liegt durchaus und weſentlich die Rüdficht auf
angedrohte Strafe, oder verſprochene Belohnung, als nothmendige Be:
dingung, und ift nicht von ihm zu trennen, ohne ihn felbft aufzuheben
und ihm alle Bedeutung zu nehmen; daher ift ein unbedingtes Soli
(Kant's Tategorifcher Imperativ) eine contradictio in adjecto, tin
Scepter aus hölzernem Eiſen. (W. I, 620. 320. M. 341.) Iedes
Sollen ift nothwendig durch Strafe, oder Belohnung bedingt, mithin,
in Rant’8 Sprache zu reden, wejentlich und unausweichbar, hypothe⸗
tifch und niemals, wie er behauptet, Tategorifch. (E. 123. Vergl.
unter Moral: Kritik der imperativen Form der Moral.)
2) Berwandtfhaft und Unterfchied zwifchen Pflicht
und Sollen. (©. Pflicht.)
Somnambulismus.
1) Somnambulismus im urfprüngliden und eigent:
lihen Sinne (©. Nadtwandeln.)
2) Der magnetifhe Somnambulismus. (S. Magie
nnd Magnetismus.)
3) Unterfchied zwifhen Somnambuliemus und Kato-
lepfie. (S. Katalepfie.)
4) Berwandtfchaft des Somnambulismus mit dem In:
ſtinet. (S. unter Inftinct: Verwandtſchaft bes Inſtinci
nit den Somnambulisnus.)
Sonderlinge.
- Seltjame Naturen, Sonberlinge, fünnen nur durch ſeltſame Verhält⸗
niffe glitdlich werben, die gerade zu ihrer Natur fo paffen, mie bie
gewöhnlichen zu den gewöhnlichen Menſchen, und dieſe Verhältniſſe
wieder können nur entftehen durch ein ganz eigenthümliches Zuſammen⸗
treffen mit feltfamen Naturen ganz anderer Art, die aber gerade zu
jenen pafjen. Darum find feltene und feltfame Menſchen felten glüd:
lich. (9. 444.)
Sonntag, |. Feiertage.
Sophift, ſ. unter Philoſoph: Unterfchied zwiſchen dem Philofophen
und Soppiften.
Sophiftikation.
1) Worauf alle Sophiftilation beruht. (S. unter Rhe⸗
torit: Die Ueberredungskunſt.) .
Speise — Spiel. Spiele 335
2) Berwandtſchaft des Sophifticirens mit dem Ber-
nünfteln.
Das von Kant getabelte Vernünfteln befteht in einem Subjumiren
von Begriffen unter Begriffe, ohne Rückſicht auf den Urfprung der-
ielben und ohne Prüfung der Richtigkeit und Ausſchließlichkeit einer
ſolchen Subfumtion, wodurd man dann, anf längeren oder Fürzeren
Umwegen zu faft jedem beliebigen Reſultat, das man fid) als Ziel
vorgeftect Hatte, gelangen kann. Bon dieſem Bernünfteln ift das
Sophifticiren nur dem Grabe nach verfchieden. (W. II, 93 fg.)
3) Berwandtichaft des Sophifticirend mit dem Schi—
faniren,
Im Theoretifchen iſt Sophifticiren das, was im Praktiſchen Schi-
faniven if. (W. II, 94. P. DO, 32.)
Species.
1) Berhältniß der Species zur Idee. (©. Art.)
2) Gegenſatz zwiſchen Species und Genus. (©. Urt.)
3) Unabhängigkeit der Einheit der Species von ber
einheitlihen Abftanımung.
Auf verfchiebenen Theilen der Erde ift unter gleichen oder analogen
fimatifchen, topographifchen und atmofphärifchen Bedingungen das
gleiche, oder analoge Pflanzen« und Thiergefchlecht entjtanden. Daher
find einige Species einander fehr ähnlich, ohne jedoch identifch zu fein,
md zerfallen manche in Racen und Varietäten, die nicht aus einander
entitanden fein können, wiewohl die Species bie jelbe bleibt. Denn
Einheit der Species implicirt keineswegs Einheit des Urjprungs und
Abſtammung von Einem Paar. Dieſe ift überhaupt eine abfurde
Annahme. Wer wird glauben, daß alle Eichen von einer einzigen
eriten Eiche, alle Müufe von einem erſten Mäufepaar u. |. w. ab»
ſtammen? Sondern die Natur wiederholt unter gleichen Umſtänden,
aber an verfchiedenen Orten, bdenfelben Proceß und ift viel zu vor=
fihtig, al8 daß fie bie Eriftenz einer Species auf eine einzige Karte
ftellte und dadurch ganz prekär machte. (P. II, 166 fg.)
Specifikation, |. Methode,
Spiegel.
Körper, welche unter Einwirkung des Lichts auf fie ganz, wie das
Licht felbft, anf das Auge zurüdwirken, find glänzend, oder Spie-
gel. (F. 23.)
Spiel. Spiele.
1) Urfprung bes Spiels.
Nad) der fehr richtigen Bemerkung des Ariftoteles ſetzt jeglicher
Genuß irgend eine Activität, alfo bie Anwendung irgend einer —*
336 Spiel. Spiele
voraus und Fann ohne folche nicht beftehen. Nun iſt die urſprüngliche
Beltimmung der Kräfte, mit welchen die Natur den Menjchen ansge:
rüftet bat, der Kampf gegen die Noth, die ihn von allen Seiten
bedrängt. Wenn aber dieſer Kanıpf ein Mal raftet, da werden ihm
die unbefchäftigten Kräfte zur Laft; er muß daher jegt mit ihnen
. fptelen, d. 5. fie zwecklos gebrauchen; denn fonft fällt er der andern
Quelle des menſchlichen Leidens, der Langeweile, ſogleich anheim.
(P. I, 353. DBergl. unter Langeweile: Wirkungen der Lange
weile.)
2) Die Wahl der Spiele.
Jedes unbeſchäftigte Individuum wird, je nach der Art der in ihm
vorwaltenden Kräfte, ſich ein Spiel zu ihrer Beſchäftigung wählen,
etwa Kegel, oder Schach; Zagd, oder Malerei; Wettrennen, oder Buff,
Kartenfpiel, oder Poeſie; Heraldik, oder PhHilofophie u. f. w. Die Sue
läßt fich fogar methodiſch unterfuchen, indem wir auf die Wurzel aller
menschlichen Kraftäußerungen zurüdgehen, alfo auf bie brei phyſio—
Logifhen Grundfräfte (vergl. unter Lebenskraft: Die Lebenstraft
an fi und ihre drei Erfcheinungsformen), welche wir demnach hie
in ihrem zweckloſen Spiel zu betrachten haben, in welchem fie ald di
Duelle dreier Arten möglicher Genüfle auftreten (vergl. Genuß), aus
denen jeber Menſch, je nachden bie eine ober die andere jener Kräfte
in ihm vorwaltet, die ihm angemefjenen erwählen wird. (P. I, 354 fg.
3) Ueber Karten- und Hafarbfpiel.
Dem normalen, gewöhnlichen Menfchen Tann eine Sache allen da⸗
durd, lebhafte Theilnahme abgewinnen, daß fie feinen Willen anregt,
alfo ein perfönliches Interefje fiir ihn hat. Ein abfichtliches Erregungt:
mittel deffelben, und zwar mittelft fo Heiner Intereſſen, daß fie nur
momentane und leichte, nicht bleibende und ernftliche Schmerzen ver:
urſachen können, ſonach al8 ein bloßes Kitzeln des Willens zu betradjta
find, ift das Kartenfpiel, diefe durchgängige Beſchäftigung dr
„guten Geſellſchaft“ aller Orten. (P. I, 356. W. I, 371. 8.
II, 74
' ° ‘
Das Kartenfpiel ift aus befagtem Grunde in allen Landen die
Hauptbefchäftigung aller Gejellichaft geworden; es ift der Diafflet
des Werthes derfelben und der declarirte Bankerott an allen Gedanlen.
Weil fie nämlich keine Gedanken auszutaufchen haben, tauſchen ft
Karten aus und fuchen einander Gulden abzunehmen. Indeſſen lieh
ſich zur Entſchuldigung des Startenfpield allenfalls anführen, daß eẽ
eine Borübung zum Welt- und Gefchäftsleben fei, fofern man de
durch lernt, die von Zufall unabänderlidy gegebenen Unıftände (Karten
flug zu benugen, um daraus was immer angeht zu machen, zu weldem
Zwede man fid) denn auch gewöhnt, Contenance zu halten, indem man
zum fchlechten Spiel cine heitere Miene auffetzt. Aber eben deehalb
hat andererfeitd das Kartenfpiel einen demoralifivenden Einfluß. Tr
Spingiemne — Spiritualismus 337
gewinnfüchtige Geiſt des Spiels greift über in das praktiſche Leben.
P. I, 360 fg.)
Bon ber Langeweile find vor Allen gemartert die Großen und
Reden. Bei biefen muß in der Jugend die Muskelfraft und bie
Zeugungöfraft herhalten. Uber fpäterhin .bleiben nur bie Geiftesfräfte;
fehlt e8 dann an diefen, oder an ihrer Ausbildung und dem ange⸗
fammelten Stoffe zu ihrer Thätigfeit, fo ift der Yamımer groß. Weil
nun der Wille die einzige unerfhöpfliche Kraft ift, fo wird er jegt
angereist durch Erregung der Leidenſchaften, 3. B. durch hohe Hafard-
Ipiele, diefed wahrhaft degradirende Lafter. &. I, 353 fg.)
Spinszismus, |. Bantheismus und All⸗-eins⸗Lehre.
Spiritualismus.
1) Kritik des Gegenſatzes zwifhen Spiritualismus
und Materialismus,
Der Realismus (vergl. Idealismus) fiihrt nothwendig zum
Materialismus. Denn liefert die empirifche Anfchauung die Dinge
an fi, wie fie unabhängig von unferm Erkennen da find; fo liefert
au die Erfahrung die Drdnung ber Dinge an fich, d. h. die wahre
und alleinige Weltordnung. Diefer Weg aber führt zu der Annahme,
daß es nur ein Ding an fidp gebe, die Materie, deren Mobdification
alles Uebrige fei; da Hier der Naturlauf die abjolute und alleinige
Veltordnung iſt. Um dieſen Conſequenzen auszumeihen, wurde, fo
lange der Realismus in unangefocdhtener Geltung war, ber Spiri-
tualismus aufgeftellt, alfo die Annahme einer zweiten Subftanz,
anfer und neben ber Materie, einer immateriellen Subftanz.
Diefer von Erfahrung, Beweiſen und Begreiflichleit gleich fehr ver-
laſſene Dualismns und Spiritualimus wurde von Spinoza ge
leugnet und von Kant als falfch nachgewiefen, der den Idealismus
in feine Rechte einſetzte, durch welchen ſowohl der Materialismus, als
der gegen ihn erfonnene Spiritualismus, da fie Beide realiſtiſch find,
geftürzt wird, (W. II, 15 fg.)
Geht man vom Realismus aus, aljo von der VBorausfegung,
daß wir die Dinge fo erfennen, wie fie an ſich find, fo erſtehen als⸗
bad Spiritualismus und Materialismus, um einander zu be=
fümpfen; wobei aber zuletzt der Materialiemus im Vortheil bleibt,
weil er viel folibere empiriiche Data hat, als fein Gegner. — Hin-
gegen fommen Beide nicht zum Wort gegenüber dem transfcendentalen
Idealismus; denn nach diefem giebt es weder Geift, noch Materie
an ſich felbft; fondern jeder Erfcheinung, der intellectuellen, wie ber
mehanifchen, Tiegt ein von ihr toto genere verſchiedenes Ding an ſich
jelbft zum Grunde. (H. 329. Bergl. auch unter Geift: Der Gegen-
fat zwifchen Geift und Materie.) -
Sonad) ift das wahre Rettungsmittel gegen ben Materialisuus
nit der Spiritualismus, fondern der Idealismus. (Bergl. unter
Schopenhauer⸗Lexikon. IE. 2
338 Spontaneitäit — Sprade
Materialismus: Das faljhe und das wahre Rettungsmitiel gegen
den Materialismus.)
2) Segen die Berwehslung des Wortes „Spiritua
lismus“ mit dem Worte „Idealismus. (©. Idea—
lismus.)
Spontaneitãt.
Was wir durch den Begriff der Spontaneität denken, läuft, nähe
unterfucht, allemal hinaus auf Willensäußerung, von welcher jene dem⸗
nad) nur ein Synonym wäre. Der einzige Unterjchted dabei ift, daß
der Begriff ber Spontaneität aus der äußern Anfchaunng, der de
MWillensäußerung aus unferm eigenen Bewußtfein gefchöpft iſt. (R.
60 fg.)
Das Selbftbeftinmen, die Spontaneität, läßt fidy nicht verflchen,
wenn man nicht weiß, was Wollen ift; denn Beides ift im Grande
das felbe. Man kann fagen, alle wahre Spontaneität ift Wille, und
umgekehrt. (5. 161.)
Sprachbereicherung, |. unter Sprache: Gegen die moberne Art de
Sprachbereicherung.
Sprache.
1) Die Sprache als Erzeugniß und Werkzeug der Ver—
nunft.
Es iſt die Vernunft, die zur Vernunft ſpricht, und mas fie mit:
theilt und empfängt, find abftracte Begriffe, nichtanſchauliche Bar:
ftellungen. Hieraus allein iſt es erflärlich, daß nie ein Thier fpreden
und vernehmen kann, obgleich es die Werkzeuge der Sprache und audı
die anfchaulichen Vorſtellungen mit uns gemein hat; aber eben wei
die Worte jene ganz eigenthümliche Klaffe von Borftellungen bezeichuer.
deren jubjectives Correlat die Beruunft ift, find fie für das vernunf
loſe Thier ohne Sinn und Bebeutung. (W. J, 47.)
Das Thier theilt feine Empfindung und Stimmung durch Gebärb:
und Laute mit, der Menſch theilt dem andern Gedanken durch Spradk
mit, oder verbirgt Gedanken durch Sprache. Sprade ift das eiie
Erzeugniß und das nothwendige Werkzeug feiner Vernunft; daher wird
im Griechiſchen und Italienischen Sprache und Vernunft durch dafielke
Mort bezeichnet: 6 Aoyog, il discorso, Durch Hülfe der Eprad:
allein bringt bie Bernunft ihre wichtigften Leiflungen zu Stan,
nämlich) das itbereinftimmende Handeln, das planvolle Zufanmer
wirfen Bieler, die Civilifation, den Staat, ferner die Wiffenfchaft, de}
Aufbewahren früherer Erfahrung, das Zuſammenfaſſen des Gemen:
famen in einen Begriff, das Mittheilen der Wahrheit, das Verbreiten
des Irrthums, das Denken und Dichten, die Dogmen und Enper:
ftitionen. (W. 1, 44.)
Sprade 339
Da die zu abftracten Begriffen fublimirten Vorſtellungen alle An-
Ihaulichkeit eingebüßt Haben, fo würden fie dem Bewußtſein ganz
entf hlüpfen und ihm zu den damit beabfichtigten Denfoperationen gar
nicht Stand halten, wenn fte nicht durch Zeichen ſinnlich firirt und
feftgehalten würden; dies find die Worte. Daher bezeichnen dieſe, ſo⸗
weit_fie den Inhalt des Lericone, alfo die Sprache ausmachen, ſtets
allgemeine Borftellungen, Begriffe, nie anfchauliche Dinge; ein
Lericon, welches Hingegen Einzeldinge aufzählt, enthält lauter Eigen-
namen. Blos weil die Thiere auf anfchauliche Vorftellungen befchränft
und feiner Abſtraction, mithin feines Begriffes fähig find, haben fie
feine Sprache, felbft wenn fie Worte auszufprechen vermögen; Hingegen
verftehen fie Eigennamen. (©. 99.)
2) Worauf bie enge Berbindung des Begriffs mit
dem Wort, aljo der Spradye mit der Vernunft be-
ruht. (©. unter Begriff: Begriff und Wort.)
3) Bedingtheit der Spradfähigleit durch die Gedan—
fenaffociation.
Unfer unmittelbares, d. 5. nicht durch mnemoniſche Künfte vermittel-
tes Wortgedächtniß und mit dieſem unfere ganze Sprachfähigfeit be«
rubt anf der unmittelbaren Gedankenafjociation. (W. II, 146. Bergl.
Gedankenaffociation.)
4) Die urfprünglie Sprade.
Die thierifche Stimme dient allein dem Ausdrude des Willens in
feinen Erregungen und Bewegungen, die menſchliche aber auch dem ber
Erfenntniß. Doch find beim Entfiehen der menfchlichen Spracde
ganz gewiß das Erfte die Interjectionen gewefen, als welche nicht
Begriffe, fondern, gleid, den Lauten der Chiere, Gefühle, — Willens-
bewegungen, — ausdrücken. (P. II, 599.)
Der Menſch hat die Sprache inftinctiv erfunden. Nachdem bie
Sprache einmal da war, verlor fich biefer Inſtinct. Die erfte und
urfprüngliche Sprache Hatte daher die hohe Vollkommenheit aller Werke
des Inſtincts. (P. DO, 599 fg. Vergl. unter Menſch, Menſchen—
gefhleht: Allmälige Degradation des Menſchengeſchlechts.)
5) Die Erlernung der Sprache als eine logiſche Schule.
Mit der Erlernung der Sprache wird der ganze Mechanismus der
Vernunft, alſo das Wefentliche der Logik, zum Bewußtſein gebracht.
Bei Erlernung der Sprache ſammt allen ihren Wendungen und Fein=
beiten, forwohl mittelft Zuhören der Reden Erwachjener, als mittelft
Selbftreden, vollbringt das Kind jene Entwidlung feiner Vernunft und
erwirbt ſich jene wahrhaft konkrete Logik, welche nicht in ben logifchen
Regeln, fondern unmittelbar in der richtigen Anwendung derſelben be-
ſteht. (G. 100.)
Wie ſehr der Gebrauch der Vernunft an die Sprache gebunden iſt,
ſehen wir bei den Taubſtummen, welche, wenn fie keine Art von
22*
340 Sprache
Sprache erlernt haben, kaum mehr Intelligenz zeigen, als die Qrang⸗
utane und Elephanten; benn fie haben ftet8 nur potentia, nicht actu
Vernunft. (W. I, 71.) Die logifche Schule, die Jeder mittelft Er⸗
lernung der Sprache durchmacht, macht nur der Zaubfinmme nidt
durch; deshalb ift er faft jo unvernünftig, wie das Thier, wem a
nicht die ihm angemeſſene fehr künſtliche Ausbildung. durch Leſenlernen
erhält, die ihm das Surrogat jener naturgemäßen Schule ber Vernunit
wird. (©. 100.)
_ 6) Der Nachtheil der Sprade, und wodurch er zum
Theil befeitigt wird.
Wort und Spradhe find zwar das unentbehrliche Mittel zum deut:
lichen Denten. Wie aber jedes Mittel, jede Maſchine zugleich, beſchwert
und hindert, fo auch die Sprache, weil fie den unendlich nüancirten,
beweglichen und modifilabeln Gedanken in gewiſſe fefte, ftehende dor,
men zwängt und indem fie ihn firirt, ihn zugleich feſſelt. Dieies
Hinderniß wird durch die Erlernung mehrerer Sprachen zum Theil be:
ſeitigt. Denn indem bei diefer der Gedanfe aus einer Form in die
andere gegofien wird, er aber in jeder feine Geftalt etwas verändert,
töft er fih mehr und mehr von jeglicher Form und Hille ab, woburd
fein felbfteigenes Weſen deutlicher ins Bewußtfein tritt und er md)
feine urfprüngliche Modificabilität wieder erhält. (W. II, 71.)
7) Barum die Erlernung mehrerer Spraden ein mid:
tige8 geiftiges Bilbungsmittel ift.
Die Erlernung mehrerer Sprachen iſt nicht allein ein mittelbare,
fondern auch ein unmittelbares, tief eingreifendes geiftiges Bildunge⸗
mittel. Denn nicht für jedes Wort einer Sprache findet fich in jeder
andern das genaue Yequivalent. Alfo find nicht ſämmtliche Begriffe,
welche durch die Worte der einen Sprache bezeichnet find, genaı bie
felben, welche die der andern ausdrüden; fondern oft find es ähnlide
und veriwandte, jedoch durch irgend eine Mobification verfchiebene Be
griff. Demgemäß liegt bei Erlernung einer Sprade die Schwierigkeit
vorzüglich) darin, jeden Begriff, für den fie ein Wort Hat, auch danu
fennen zu lernen, wann die eigene Sprache fein diefem genau ent—⸗
fprechendes Wort befittt, welches oft der Ball if. Daher aljo muf
man bei Erlernung einer fremden Sprache mehrere ganz neue Sphären
von Begriffen in feinem Geiſte abfteden; mithin entftehen Begriffe
. fpbären, wo nod) feine waren. Man erlernt aljo nicht- blos Work,
fondern erwirbt Begriffe. Bei Erlernung jeder fremden Sprache bien
fid) neue Begriffe, um neuen Zeichen Bedeutung zu geben; Begriffe
treten auseinander, bie fonft nur gemeinfchaftlich einen weiteren, aljo
unbeftimmteren ausmachten, weil eben nur Ein Wort für fie da war;
Beziehungen, die man bis dahin nicht gefannt hatte, werden entdedt,
weil die fremde Sprache ben Begriff durch einen ihr eigenthümlichen
Tropus, ober Metapher bezeichnet; unendlich viele Nitancen, Aehnlich
Sprade 341
feiten, Berfchiebenheiten, Beziehungen der Dinge treten mittelft ber
nen erlernten Sprache ins Bewußtjein; man erhält alfo eine viel-
feitigere Unficht von den Dingen. Das Denken erhält alfo durch bie
Erlernung einer jeden Sprache eine neue Modification oder Färbung,
der Polyglottismus ift demnach, neben feinem vielen mittelbaren
Nugen, auch ein directes Bildungsmittel des Geiftes. (P. II, 601
—605. ®. I, 71.)
8) Borzügliher Nugen der Erlernung der alten Spra—
hen.
Der Nuten, den die Erlernung fremder Sprachen bringt, ift, daß
man nicht blos Worte erlernt, fondern Begriffe erwirbt. Dies ift
vorzüglich bei Erlernung der alten Sprachen der Fall, weil die Aus«
drudsweife der Alten von der unfrigen viel verfchiedener ift, als bie
der modernen Sprachen von einander, welches fich daran zeigt, daß
man beim Weberjegen ind Lateinifche zu ganz andern Wendungen, ale
die da8 Original hat, greifen muß. Ja, man muß meiftens den
fteinifch wiederzugebenden Gedanken ganz umſchmelzen und umgießen,
wobei er in feine legten Beftandtheile zerlegt und wieder recomponirt
wird. Gerade hierauf beruht die große Förderung, die der Geift von
der Erlernung der alten Sprachen erhält. (B. I, 603. 605. W. II,
71. Bergl. auch Tatein.)
9) Erfordernig zum Erfaffen bes Geiftes einer frem-
den Sprade.
Erft nachdem man alle Begriffe, welche die zu erlernende Sprache
durch einzelne Worte bezeichnet, richtig gefaßt hat und bei jebem
Worte derfelben genau den ihm entfprechenden Begriff unmittelbar
benkt, nicht aber erit das Wort in eines der Mutterfprache überſetzt
und dann den durch diefes bezeichneten Begriff denkt, und ebenfo Hin-
fihtlich ganzer Phraſen, — erft dann hat man den Geift der zu
erlernenden Sprache gefaßt und damit einen großen Schritt zur Kennt⸗
niß dee fie fprechenden Nation gethan. Vollkommen inne aber hat
man eine Sprache erft, wenn man fähig ift, nicht etwa Bücher, ſon⸗
dern fich felbft in fie zu Überfegen, jo daß man ohne einen Verkuft
an feiner Individualität zu erleiden fich unmittelbar in ihr mitzutheilen
vermag. (P. II, 603.)
10) Die Weisheit der Sprade.
Lichtenberg fagt mit Net: „Wenn man viel felbft denkt, fo findet
man viele Weisheit in die Sprache eingetragen. Es iſt wohl nicht
wahricheinlich, daß man Alles ſelbſt Hineinträgt, fondern es liegt twirk-
Ich viel Weisheit darin.” Kin vorzligliches und der den Willen fir
das Primäre, den Imntellect fiir das Secundäre erklärenden (Schopen«
hauerfchen) Philofophie zur Beſtätigung dienendes Beiſpiel diefer Weis.
beit ift, daß in fehr vielen, vielleicht in allen Sprachen das Wirken
342 Sprachverhunzung — Staat
auch der erfenntnißlofen, ja der Leblofen Körper durch Wollen aus:
gedrüdt, ihnen aljo ein Wille vorweg beigelegt wird, Hingegen nie
mals ein Ertennen, Vorftellen, Wahrnehmen, Denten. (N. 95—97.)
11) Gegen die moderne Art der Sprachbereicherung.
Daß gleichen Schritte mit ber Vermehrung der Begriffe ber Wort:
borrath einer Sprache vermehrt werde, ift recht und fogar notwendig.
Wenn hingegen Legteres ohne Erſteres geſchieht, fo iſt es blos cin
Zeichen der Geiſtesarmuth, die doch etwas zu Markte bringen möchte
und, da fie keine neuen Gedanken hat, mit nenen Worten kommt.
Diefe Art der Sprachbereicherung ift jegt fehr ar der Tagesordnung
und ein Zeichen der Zeit. Uber neue Worte fir alte Begriffe find
wie eine neue Farbe auf ein altes Kleid gebracht. (P. II, 607.)
12) Gegen die moderne Sprachverhunzung. (©. unter
Jetztzeit: Sprach- und Stilverhunzung der Jetztzeit.)
13) Weshalb in der Etymologie mehr die Konfonan-
ten, als die Bocale zu berüdfichtigen find.
Die Confonanten find das Skelett und die Vocale das Fleiſch der
Worter. Jenes ift (im Individuo) ummandelbar, diefes fehr veränder
lih an Farbe, Beichaffenheit und Quantität. Darum konſerviren die
Wörter, indem fie durch die Jahrhunderte, oder gar aus einer Spradk
in die andere wandern, im Ganzen fehr wohl ihre Conſonanten, aber
verändern leicht ihre Vocale; weshalb in der Etymologie viel mehr
jene, als dieſe zu berüdfichtigen find. (PB. IL, 609— 611.)
Sprachverhunzung, |. unter Jetztzeit: Sprach⸗ und Stilverhunzung
der Jetztzeit. il
Spridwort.
Jede allgemeine Wahrheit verhält fich zu ber fpeciellen, wie Gold
zu Silber, fofern man fie in eine beträchtliche Menge fpecieller Wahr:
heiten, die aus ihr folgen, umfegen kann, wie eine Goldmünze in
Feines Geld. Wie werthvoll find doch die allgemeinen Wahrbeiten,
nicht blos im Gebiete der Phyſik und Phyfiologie, jondern -aud in
dem der Moral und Piychologie; wie golden ift doch auch hier jede
allgemeine Regel, jede Sentenz der Art, jedes Sprichwort. Denn fie
find die Ouinteffenz taufender von Borgängen, bie fich jeden Tag
wieberholen und durch fie exemplificirt, illufteirt werden. (P. II, 22.)
Staat.
1) Urfprung und Zmed des Staates,
Da der Egoismus, wo ihm nicht entweder äußere Gewalt, welcher
auch die Furcht beizuzäblen ift, oder aber die Achte moralifche Zrieb-
feder entgegenwirkt, feine Zwecke unbedingt verfolgt; jo würde, bei der
zabllofen Menge egoiftiicher Individuen, das bellum omnium contra
Staat 343
omnes an der ZTagedorbnung fein, zum Unheil Aller. Daher bie
‚reflectirende Bernunft fehr bald die Staatseinrihtung erfindet, welche,
aus gegenfeitiger Furcht vor gegenfeitiger Gewalt entipringend, ben
nachtheiligen Yolgen des allgemeinen Egoismus jo weit vorbeugt, als
es auf dem negativen Wege gefchehen kann. (E. 198.) Die Ber-
numft erkannte, daß, fowohl um das itber Alle verbreitete Leiden zu
mindern, als um e8 möglichft gleichförmig zu vertheilen, das befte und
einzige Mittel fei, Allen den Schmerz des Unrechtleidens zu erfparen,
dadurch, daß auch Alle dem duch das Unrechtthun zu erlangenden
Genuß entfagten. Diejes von dem vernünftig verfahtenden Egoismus
erfonnene und allmälig vervolllommnete Mittel ift der Staatsver—
trag. Diefer Urſprung defjelben ift der wefentlich einzige und durch
die Natur der Sache geſetzte. Der Staat fann in feinem Lande je
einen andern gehabt Haben, weil eben erft diefe Entfteyungsart, diefer
Zweck ihn zum Staat macht; mobei e& aber gleichviel ift, ob der in
jedem beftimmten Volke ihm vorhergegangene Zuftand der eines Han -
fens von einander nnabhängiger Wilden (Anarchie), oder eines Haufens
Sklaven war, die der Stärfere nad) Willkür beherrfcht (‘Despotie).
In beiden Fällen war nod; fein Staat da; erſt durch jene gemeinjame
Uebereinkunft entfteht er, umb je nachdem biefe Uebereinkunft mehr oder
weniger undermifcht ift mit Anarchie oder Despotie ift auch der Staat
vollfommener oder unvollfommener. (W. I, 405.)
Während in ber Moral der Wille, die Gefinnung, für bie Haupt-
ſache und das allein Neelle gilt, kümmern den Staat Wille und Ge-
finnung, blos als ſolche, ganz und gar nicht, fondern allein die That.
Ter Staat wirb daher Niemanden verbieten, Morb und Gift gegen
anen Andern beftändig in Gedanken zu tragen, ſobald er nur gewiß
weiß, daß die Furcht vor Schwert und Rad die Wirkungen jenes
Willens beftändig hemmen werde. Der Staat hat auch keineswegs
den thörichten Plan, die Neigung zum Unrechtthun, die böſe Gefinnung
zu vertilgen, fondern blos jedem möglichen Motiv zur Ausübung eines
Unrehts immer ein überwiegendes Motiv zur Unterlaffung deſſelben
in der unausbfeiblihen Strafe an die Seite zu ftellen. Es ift ein
Irrthem, der Staat fei eine Anftalt zur Beförderung der Moralität
und fei demnach gegen den Egoismus gerichtet. Der Staat ift fo
wenig gegen den Egoismus überhaupt und als folchen gerichtet, daß
er umgefehrt gerade aus dem fich erſt verftehenden, methodifch verfah-
tenden gemeinjchaftlichen Egoismus Aller entjprungen und biefem zu
dienen allein da ift. Keineswegs alfo gegen den Egoismus, fondern
allein gegen die nachtheiligen Bolgen des Egoismus ift ber Staat ge-
richtet. (W. I, 406—408. 413. €. 194. 9. 389.)
Der Staat ift nichts weiter als eine Schuganftalt, nothwendig
geworden durch die mannigfaltigen Angriffe, welchen der Menſch aus-
gefegt ift und die er nicht einzeln, fondern nur im Verein mit Anbern
abzuwehren vermag. (W. II, 680— 682.) Hieraus, daß der Staat
weſentlich eine bloße Schutzanſtalt ift gegen äußere Angriffe des Ganzen
344 Staatskunſt — Staatsmann
und immere der Einzelnen unter einander, folgt, daß die Nothwendiglei
bes Staates im lebten Grunde auf der anerlannten Ungerechtigkeit
bes Menjchengefchlechts beruht; ohne biefe wiirde an feinen Staat ge
dacht werden. Bon diefem Geſichtspunkte aus fieht man deutlich die
Bornirtheit und Plattheit der Philojophafter, welche den Staat ald den
böchften Zweck und bie Blüthe des menfchlichen Daſeins darſtellen
und damit eine Apotheoſe der Philifterei liefern. ( P. IL, 258; 1,159.
E. 217. M. 302 fg.)
2) Gränze der Wirkſamkeit des Staates.
Wenn ber Staat feinen Zwed volllommen erreicht, wird er bie ſelbe
Erſcheinung hervorbringen, als wenn volllommene Gerechtigkeit der Et—
finnung allgemein herrſchte. Das innere Wefen und ber Urfprug
beider Erfcheinungen wirb aber der umgelehrte fein. Nämlich im Ic
tern Gall wäre e8 diefer, daß Niemand Unrecht thun wollte, im
erftern aber diefer, dag Niemand Unrecht Leiden wollte und bie ge:
börigen Mittel zu diefem Zweck vollfommen angewandt wären. So
läßt ſich die felbe Linie aus entgegengefeßten Richtungen bejchreiber
md ein Raubthier mit einen Maulkorb ift fo unſchädlich, wie ein
grasfreſſendes Thier. — Weiter aber als bis zu dieſem Punkte far
es der Staat nicht bringen; er kann alfo nicht eine Erjcheinung zeigen,
gleich der, welche aus allgemeinem wechfelfeitigen Wohlwollen und Licht
entfpringen wilrde. (W. I, 408.) Es ließe ſich denken, daß ein vol:
fommener Staat jedes Verbrechen Hinberte; politifch wäre baburd vl,
moralifch nicht8 gewonnen, vielmehr nur die Abbildung des Wilmi
durch das Leben gehemmt. (W. I, 436 fg. M. 303 fg.)
Erreichte der Staat feinen Zwed volltommen, jo könnte gewiſſer
maßen, da er durch die in ihm vereinigten Menſchenkräfte aud di
übrige Ratur fi) mehr und mehr bienfibar zu machen weiß, zulet!
durch Fortſchaffung aller Urten von Uebel etwas dem Schlaraffeniand
fih Annäherndes zu Stande kommen. Allein theils iſt er nod imma
jehr weit von diefem Ziel entfernt geblieben, theils würden aud neh
immer unzählige, dem Leben durchans wefentliche Uebel es nad wit
por im Leiden erhalten; theils ift auch fogar der Zwift ber Individnen
nie dur den Staat völlig aufzuheben, ba er im Kleinen nedt, wo a
im Großen verpönt ift, und endlich wendet fich die aus dem ‚muern
glüdlich vertriebene Eris zulegt nah Außen. (W. I, 413 fg.)
3) Unabhängigleit des Rechts vom Staate (©. Recht,
Stantskunft, ſ. unter Gewalt: Unentbehrlichleit der Gewalt für di
Derwirflihung des Rechts.
Stanismann.
1) Gegenſatz zwiſchen dem Staatsmann und dem Ge⸗
nie (S. unter Genie: Gegenſatz zwiſchen dem Genie und
dem praftifchen Helden.)
Stantsrefigioen — Gterblichfeit 345
2) Worauf bie praftifche Ueberlegenheit des Stants-
mannes bernbt. (S. Praktiſche Tüchtigkeit.)
Staatsreligion, ſ. unter Recht: Bedingung der Durchführung des
Rechts.
SſStaatsſchulden, |. Kredit.
Staatsverfaffung.
1) Nothwendigfeit einer Lünftlihen und arbiträren
Grundlage ber Stantsverfaffung.
Die künftliche und arbiträre Grundlage, deren die Staatsverfaſſung
zur Durchführung des Rechts bedarf (vergl. unter Recht: Bedingung
ber Durchführung des Rechts) kann nicht erjegt werden durch eine
rein natürliche Grundlage, welche an bie Stelle ber Borrechte ber
Geburt die des perfönlichen Werthes, an bie Stelle ber Tandesreligion
die Refultate der VBernunftforfchung u. ſ. w. ſetzen wollte, weil eben,
jo fehr auch dieſes Alles der Vernunft angemefjen wäre, es demfelben
doch am derjenigen Sicherheit und Feſtigkeit der Beftinimungen fehlt,
welche allein die Stabilität des gemeinen Weſens fihern. Eine Staats⸗
verfaffung, in welcher blos das abftracte Recht fich verkörperte, wäre
eine vortrefflihe Sache für andere Weſen, als die Menfchen find.
(P. II, 269. Bergl. aud) Monardie.)
2) Die befte Staatsverfaffung.
Will man utopifche Pläne, Jo wäre die einzige Löſung des Pro⸗
blems die Despotie der Werfen und Edeln einer ächten Ariftofratie,
eines ächten Adels, erzielt auf dem Wege der Generation, durd)
Bermählung der ebelmüthigften Männer mit den klügſten und geift-
reichften Weibern. (P. I, 273. W. O, 602.)
Stammbaum, |. Abel.
Statik.
Die Größe der Bewegung iſt das Product der Maſſe in die Ge⸗
ſchwindigkeit. Dieſes Geſetz begründet nicht nur in der Mechanik
die Lehre vom Stoß, ſondern auch in ber Statik die Lehre vom
Gleichgewicht. (W. II, 58 fg.)
Sterben, |. Tod.
Sterblichkeit.
Durch Schnurrers „Chronik der Seuchen“ und Caspars Bud
„Ueber die wahrfcheinliche Xebensdauer des Menſchen“ ift es beftätigt,
daß ein Zufammenhang zwifchen der Zahl der Geburten und Gterbe-
fälle ftattfindet. Die Sterbefälle und die Geburten vermehren und
vermindern ſich allemal und allerorts in gleichem Berbältnig. Und
doch kann hier unmöglich ein phyſiſcher Cauſalnexus fein. Hier tritt
alfo unlengbar und auf eine ftupende Weife das Metaphyfifche als
346 Steme — til
ummittelbarer Erffärungsgrund des Phyſiſchen auf. (WB. II, 574 fg.
P. H, 162.)
Sterne, |. Aftronomie und Himmel.
Stil.
1) Der Stil als die Phyfiognomie des Geiſtes.
Dear Stil ift die Phyfiognomie des Geiſtes. Sie ift untrüglicer,
als die des Leibes. (PB. II, 550. W. I, 529.) Bon bem Wie de
Denkens, von der wefentlichen Beichaffenheit und durcdhgängigen Ono«
lität deffelben ift ein genauer Abdrud der Stil. Diefer zeigt nämlid
bie formelle Beſchaffenheit aller Gedanken eines Menſchen, welde ſich
ftet8 gleich bleiben muß, was und woritber er auch denken möge.
Man hat daran gleichſam den Teig, aus dem er alle feine Geftalten
Inetet, fo verfchieden fie aud fein mögen. (P. II, 550.) An dem
Stil erkennt man fofort den Unterfchied der großen Köpfe von den
gewöhnlichen. Darum fagte Büffon: le style est I’homme meme.
(W. II, 78. P. II, 551— 555.) Der Stil ift der bloße Schattenrif
des Gebanfens; undeutlich, oder fehlecht fehreiben Heißt dumpf, oder
confus denken. (PB. I, 553.)
2) Gegenfaß zwifchen dem Stil ber Alltagslöpfe und
bem der überlegenen Geifter.
Im ſtillen Bewußtfein davon, daß ber Stil ein genauer Abbrud
der Qualität des Denkens ift, ſucht jeder Mediofre feinen ihm eigenen
und natürlichen Stil zu maskiren. Dies nöthigt ihn zunächſt, auf
alle Naivetät zu verzichten; wodurch diefe das Borrecht ber über
legenen und fich felbft fühlenden, daher mit Sicherheit auftretenden
Seifter bleibt. Jene Alltagslöpfe ftreben nad) dem Schein, viel mehr
und tiefer gedacht zu haben, als der Fall ift. Sie bringen demnad,
was fie zu jagen haben, in gezwungenen, fchwierigen Wendungen, nen
gefchaffenen Wörtern und weitläuftigen, um ben Gedanken herumgehen⸗
den und ihn verhüillenden Perioden vor. Sie ſchwanken zwifchen dem
Beftreben, denſelben mitzutheilen, und bem, ihn zu verfteden. Hingegen
fehen wir jeden wirklichen Denker bemüht, feine Gedanken fo rein,
deutlich, ficher und kurz, wie nur möglich, auszufprechen. Demgemäß
ift Simplicität ſtets ein Merkmal nicht allein der Wahrheit, fondern
audy des Genies geweſen. Der Stil erhält die Schönheit vom Ge-
danken, ftatt daß bei jenen Scheindenfern die Gedanken durch den Etil
ſchön werden follen. (P. II, 551— 553. Bergl. au unter Schrift:
fteller: Erklärung der Geiftlofigleit und Langweiligkeit dee Schriften
der Alltagsföpfe.) |
3) Befonders zu tadelnde Stilfehler.
a) Nahahmung und Affectation.
Fremden Stil nahahmen Heißt eine Masle tragen. Wäre dieſe
auch noch fo ſchön, fo wird ſie durch das Lebloſe bald infipid und
Stit 347
unerträgfich, fo daß felbft das häßlichſte Lebendige Geſicht beſſer if. —
Affectation im Stil ift dem efichterfchneiden zu vergleihen. (P.
Il, 550.)
b) Schwerfälligfeit und Preziofität.
Der fchwerfällige Etil, style empese (fiir ben man im Deutſchen
feinen genau entiprechenden Ausdrud, defto häufiger aber die Sade
felbft findet) tr, wenn mit Preziofttät verbunden, in Büchern das, mas
im Umgange die affectirte Gravität, Vornehmigkeit und Preziofität,
und ebenfo unerträglid. Die Geiftesarmuth leidet fi) gern darein;
wie im Peben die Dummheit in die Gravität und Bormalität. (B. IT,
557. 578.)
Wer preziös fchreibt, gleicht Dem, ber fich herauspugt, um nicht
mit dem Pöbel verwechjelt und vermengt zu werben, eine Gefahr,
welhe der Gentleman aud) im fchlechteften Anzuge nicht läuft. Wie
man daher an einer gewiſſen Kleiderpracht und dem tir6 à quatre
epingles den Plebejer erkennt, fo am preziöfen Stil den Alltagslopf.
®. I, 557.) u
e) Nadläffigkeit.
Wer nachläſſig fchreibt, legt dadurch zunächſt das Bekenntniß ab,
daß er felbft feinen Gedanken feinen großen Werth beilegt. Sodann
aber auch, wie Vernachläſſigung des Anzuges Geringihägung der Ge
ſellſchaft, in die man tritt, verräth, fo bezeugt flüchtiger, nadjläffiger,
ſchlechter Stil eine beleidigende Geringichägung des Leſers. (BP.
il, 576.)
d) Subjectipvität.
Die Subjectivität des Stils, ein Fehler, der heut zu Tage bei
dem gefunfenen Zuſtande der Litteratur und der Bernadjläffigung der
alten Sprachen immer häufiger wird, jedoch nur in Deutfchland ein-
heimisch ift, befteht darin, daß es dem Schreiber genügt, ſelbſt zu
wiſſen, was er meint und will. Unbefümmert um den Xejer fchreibt
er eben, als ob er einen Monolog hielte, während es denn doch ein
Dialog fein follte und zwar einer, in welchem man fi) um fo deut⸗
licher auszudriiden hat, als man bie Fragen des Andern nicht vers
mumt. Eben deshalb nun alſo fol der Stil nicht fubjectiv, fondern
objectiv fein; wozu es nöthig ift, die Worte fo zu ftellen, daß fie den
Leſer geradezu zwingen, genau das Selbe zu denken, was der Autor
gedacht hat. (PB. II, 575.)
4) Regeln des guten Stile,
Die erſte, ja ſchon für fich allein beinahe ausreichende Regel des
guten Stils ift diefe, Daß man etwas zu jagen habe; damit kommt
man weit. (P. II, 553.) .
_ Am prezidfen Stift erfennt man den Alltagskopf. Nichtödeftoweniger
iſt es ein faljches Beſtreben, geradezu fo fchreiben zu wollen, wie man
348 Stil
redet. Bielmehr fol jeder Schriftftellee eine gewiſſe Spur der Ber-
wandtfchaft mit dem Lapidarftil tragen, der ja ihrer Aller Ahnherr if.
Jenes ift daher fo verwerffih, wie das Umgekehrte, nämlich, reden zu
wollen, wie man fchreibt. (P. II, 557.)
Man fol ſich nit räthſelhaft ausdrüden, fondern willen, ob
“man eine Sade fagen will oder nit. Die Unentſchiedenheit des
Ausdruds macht deutſche Schriftfteller fo ungeniegbar. Eine Ans:
nahme geftatten allein die Fälle, wo man etwas im irgend einer Hir-
ſicht Unerlaubtes mitzutheilen bat. (P. IL, 558.)
Wie jedes Uebermaß einer Einwirkung meiſtens das Gegentheil des
Bezwedten herbeiführt; fo dienen zwar Worte, Gedanken faßlich zu
machen, jedoch auch nur bis zu einem gemwiffen Punkte, Ueber dielen
binaus angehäuft, machen fie die mitgetheilten Gedanken wieder dunller
und immer dunkler. Jenen PBunft zu treffen ift Aufgabe des Stile
und Sache der Urtheilskraft; denn jedes tiberfläffige Wort wirkt feinen
Zwede gerade entgegen. (P. II, 558.)
Demgemäß vermeide man alle Weitfchweifigfeit und alles Einflechten
unbedeutender, der Mühe des Lefens nicht lohnender Bemerkungen.
Immer nod) beſſer, etwas Gutes wegzulafien, als etwas Nichtsſagen⸗
des Hinzufegen. Ueberhaupt nicht Alles fagen! Alſo, wo möglid,
lauter Quinteſſenzen, lauter Hauptſachen, nichts, was das Leer and
allein denken würde. (B. II, 558.)
Man befleißige ſich eines keuſchen Stils, hüte ſich alſo vor allen
unnützen Amplificationen, allem nicht nothwendigen rhetoriſchen Schmud.
Alles Entbehrliche wirkt nachtheilig. (P. II, 559. Vergl. unter Naidt⸗
tät: Naivetät in den redenden Künſten.)
Die ächte Kürze des Ausdrucks beſteht darin, da man überall nur
jagt, was fagenswerth it, Hingegen alle weitfchweifigen Auseinander
fegungen Deffen, was Jeder felbft hinzudenlen kann, vermeidet, mit
richtiger Unterfcheidung des Nöthigen und Weberflüffigen. Hingegen
foll man nie der Kürze die Deutlichleit, gefchweige die Grammatl
zum Opfer bringen. Den Ausdrud eines Gedankens ſchwächen, oder
gar den Sinn einer Periode verbunfeln, ober verlünmern, um einige
Worte weniger hinzufegen, tft beffagenswerther Unverftand. (P. LU,
559-— 575.)
Der leitende Grundſatz der Stiliſtik follte fein, daß der Maid
nur einen Gedanken zur Zeit beutlich denken kann, daher ihm nicht
zugemuthet werden darf, daß er deren zwei, oder gar mehrere au
einmal denke. Dies aber muthet ihm Der zu, welcher ſolche alt
Zwifchenfäge in die Lücken einer zu diefem Zweck zerftüdelten Haupt
periode ſchiebt. Durch lange, mit in einander gefchachtelten Zwiſchen⸗
fügen bereicherte Perioden wird eigentlich zunädft das Gedächtniß
in Anſpruch genommen; während vielmehr Verſtand und Urtheilskraſt
aufgerufen werben ſollten, beren Xhätigleit nun aber gerabe burch jene
Perioden erſchwert und geſchwächt wird, (P. U, 577-580.)
-
Stiäleben — Stimmung 349
Analytifche Urtheile follen im guten Bortrage nicht vorlommen,
weil fie fi einfältig ausnehmen. Sie find nur da zu gebrauchen, wo
eine Erklärung, oder Definition gegeben werben foll. (P. II, 580.)
Gleichniſſe find von großem Werthe, fofern fie ein unbefanntes
Berhältni auf ein befanntes zurüdführen. (P. II, 580. Bergl. and)
Gleichniß.)
Stillleben, f. unter Malerei: Ueberwiegen ber fubjectiven oder ob⸗
jectiven Seite des äfthetifchen Wohlgefallens.
Stimme.
Die thierifche Stimme dient allein dem Ausbrude des Willens in
feinen Erregungen und Bewegungen; die menſchliche aber auch dem
ver Erfenntniß. Damit hängt zufammen, daß jene faft immer
einen unangenehmen Eindrud auf uns macht; blos einige Bogelftimmen
niht. (P. II, 599.)
Slimmung.
1) Nutzen des Wechfels der Stimmung.
Wie das beftändige TFortfchreiten der Erkenntniß und Einficht der
Ponotonie und Schaalheit des Lebens vorbeugt, ſo leiftet uns zu allen
Zeiten denfelben Dienft der vielfache Wechſel unjerer Stimmung und
Panne, vermdge deffen wir die Dinge täglich in einem andern Lichte
erbliden; auch er verringert die Meonotonie unſers Bewußtſeins umd
Denkens, indem er auf daſſelbe wirkt, wie auf eine fchöne Gegend bie
ſtets ſich ändernde Beleuchtung mit ihren unerſchöpflich mannigfaltigen
Fihteffecten, in Folge welcher die Hundert Mal gejehene Landfchaft
und aufs Neue entzüdt. So erfcheint einer veränderten Stimmung
Das Belannte neu und erwedt neue Gedanken und Anfichten. (P.
I, 60.)
2) Lebensregel in Bezug auf die Stimmung.
Sefundheitszuftand, Schlaf, Nahrung, Temperatur, Wetter, Um-
gebung und noch viel anderes Heußerliches hat auf unfere Stimmung,
und diefe auf unfere Gedanken einen mächtigen Eindrud. Daher ift,
wie unfere Anficht einer Angelegenheit, jo auch unfere Fähigleit zu
einer Leiftung fo fehr der Zeit und ſelbſt den Orte unterworfen.
Darum alfo nehme man die gute Stimmung wahr, benn fie fommt fo
ſelten. P. I, 463.)
3) Die Stimmung in der lyriſchen Poeſie. (S. Lyrik.)
4) Warum dem Menfchen eine gedrädte Stimmung
angemeſſen ift.
‚ Die dem Menfchen angemefiene Stimmung ift eine gedrildte, wie
die Pietiften fie zeigen. Denn er befindet fi in einer Welt voll
Jammer, aus ber Fein anderer Ausweg führt, als die unendlich ſchwere
Verläugnung feines ganzen Wefens, die Weltübertvindung. (H. 422.)
350 Stirn — Gtoicismus
Stirn, |. Bhyfiognomil.
Stoff.
1) Was „Stoff“ beißt.
Die Bereinigung von Materie und Form heißt Stoff. Stoff it
alſo nicht mit Materie zu verwechſeln. (W. II, 352. Bergf. unter
Form: Verbindung der Form mit der Materie, und unter Materie:
Gegen die Verwechslung von Materie und Stoff.)
2) Untrennbarfeit von Kraft und Stoff. (S. Kraft.
Stoicismus.
1) Urfprung und Zwed bes Stoicismus.
Die Stoifche Ethik ift urfprünglich und wefentlih gar nit Tugend⸗
Ichre, fondern blos Anmweifung zum vernünftigen Leben, deflen Ziel
und Zweck Glück durch Geiftesiuhe if. Der tugendhafte Wandel
findet fich dabei gleichſam nur per accidens, als Mittel, nicht als
Zwed ein. Der Stoicismus ift alfo nur ein befonderer Endämonit:
mus und ift daher feinem ganzen Weſen und Gefihtspunfte nach
grundverjchieden von ten unmittelbar auf Tugend dringenden ethiſchen
Syſtemen, al8 da find die Lehre der Veden, des Platon, des Chriſten⸗
thums und Kants. — Die vollflommenfte Entwidelung der praftifchen
Bernunft, der höchſte Gipfel, zu dem der Menſch durch bem bloßen
Gebrauch feiner Vernunft gelangen kann, und auf welchem fein Unter:
ichied vom Thiere fi) am bdeutlichften zeigt, ift als Ideal dargefiell
im Stoifden Weifen. Der Urfprung der Stoifchen Ethik Liegt in
deu Gedanken, ob das große Vorrecht des Menſchen, die Vernunft,
welche ihm mittelbar, durch planmäßiges Handeln und was aus biejem
hervorgeht, fo fehr das Leben und deſſen Laften erleichtert, nicht and
fähig wäre, unmittelbar, d. h. durch bloße Erkenntniß, ihn den Leiden
und Dualen aller Urt, welche fein Leben füllen, auf ein Mal zu
entziehen.
Die Stoifche Ethik, im Ganzen genommen, ift in ber That eim fett
ſchätzbarer und achtungswerther Verſuch, das große Vorrecht des Mer-
ſchen, die Vernunft, zu einem wichtigen und Heilbringenden Zwed zu
benugen, nämlich um ihn über die Leiden und Schmerzen, welcher
jedes Leben anheimgefallen ift, Hinauszuheben, ihn eben dadurch im
böchften Grabe der Würde theilhaft zu machen, welche ihm als ver:
nünftigen Wefen im Gegenſatz zum Thiere zufteht. (W. II, 103—
108. 375.)
Wenn wir das Ziel des Stoicismus, jenen unerfchütterlichen Gleich
muth (arapadıa) in der Nähe betrachten; fo finden wir darim eine
bloße Abhärtung und Unempfindlichkeit gegen die Streiche des Schid⸗
ſals, dadurd) erlangt, daß man die Kürze des Lebens, die Leerheit der
Genüffe, den Unbeftand des Glückes fich ſtets gegenwärtig erhält, andı
eingefehen bat, daß zwijchen Glück und Unglüd der Unterfchied ſehr
Stoicismug 351
viel Meiner ift, als unfere Wuticipation Beider ihn uns vorfpiegeln
läßt. Dies ift aber noch Fein glüdlicher Zuftand, fondern nur das
gelafjene Ertragen der Leiden, die man als unvermeidlich vorhergefchen
hat. Doc, liegt Geifteögröße und Würde darin, daß man fchweigend
und gelaffen das Unvermeidliche trägt. — Dean kann demnach den
Stoicismus auch auffaflen als eine geiftige Diätetif, welcher gemäß,
wie man den Leib gegen Einflüffe des Windes und Wetters, gegen
Ungemach und Anftrengungen abhärtet, man auch fein Gemüth abzu=
härten hat gegen Unglüd, Gefahr, Berluft, Ungeredhtigfeit, Tücke, Ber-
rath, Hochmuth und Narcheit des Menſchen. (W. II, 174 fg.)
2) Widerfprüde und Sophismen des Stoicismn®,
So fehr auch der Zweck der Stoifchen Ethik in gewiffen Grabe
erreihbar iſt; fo fehlt dennoch fehr viel, daß etwas Vollkommenes in
diefer Art zur Stande kommen und wirklich die richtig gebrauchte Ver-
nunft uns aller Laft und allen Leiden des Lebens entziehen und zur
Stüdjäligkeit führen könnte. Es liegt vielmehr ein vollflommener
Widerfpruch darin, leben zu wollen ohne zu leiden. Diefer Wibder-
ſpruch offenbart ſich ſchon dadurch, daß der Stoifer genöthigt ift, feiner
Anweifung zum glüdfäligen Leben eine Empfehlung des Selbſtmordes
einzuflechten, fir den Fall nämlich, wo die Leiden des Körpers, die
ji durch keine Säte und Sclüffe wegphilofophiren laſſen, überwie⸗
gend und unheilbar find, fein alleiniger Zwed, Glückſäligkeit, alfo doc)
vereitelt ift, und nichts bleibt, um dem Leiden zu entgehen, als ber
Tod. Der innere Widerfpruch, mit welchem die Stoiſche Ethik in
ihrem Grundgedanken behaftet ift, zeigt ſich ferner and, darin, daß ihr
Ideal, der Stoifche Weiſe, in ihrer Darftellung felbft, nie Leben oder
innere poetifche Wahrheit gewinnen Fonnte, fondern ein hölzeruer, fteifer
Hliedermann bleibt, mit dem man nichts anfangen kann, der felbft
nicht weiß, wohin mit feiner Weisheit, deſſen vollfonmene Ruhe, Zu⸗
friedenheit, Glückſäligkeit dem Weſen der Menfchheit geradezu wider:
fpriht und uns zu feiner anjchaulichen Vorſtellung davon kommen
läßt. (W. I, 108 fg.)
Die Kynifer waren ausſchließlich praktiſche Philofophen und mach⸗
ten Ernſt mit dem Entbehren. Aus ihnen gingen bie Stoiler dadurd)
hervor, daß fie das Praktiſche in ein Theoretiſches verwandelten. Sie
meinten, das wirkliche Entbehren alles irgend Entbehrlichen fei nicht
erfordert, fondern es reiche Hin, daß man Befig und Genuß beftändig
als entbehrlich und als in der Hand des Zufalls ftehend betrachte;
da würde denn die wirfliche Entbehrung, wenn fie etwa eintrete, weber
unerwartet, noch fchwer fallen. Man könne immerhin Alles haben
und genießen; nur müſſe man die Ueberzeugung von der Werthlofigfeit
und Entbehrlichkeit folder Güter einerfeits, und von ihrer Unficherheit
und Hinfäligfeit andererfeits ftetS gegenwärtig erhalten, mithin fie alle
ganz gering ſchätzen, und allezeit bereit fein, fie aufzugeben. So ver-
volllommneten die Stoiker die Theorie bes Gleichmuths und der Un-
352 | Stolz
abhängigfeit auf Koften ber Praris, indem fie Alles auf einen men⸗
talen Proceß zurüdflihrten und durdy Argumente, wie fie das erfte
Capitel des Epiktet darbietet, ſich alle Bequemlichkeiten des Lebens
beranfophifticirten. Sie hatten aber dabei außer Acht gelaffen, daß
alles Gewohnte zum Bebürfnig wird und daher nur mit Scham
entbehrt werden Tann; daß der Wille nicht mit ſich fpielen läßt, nicht
genießen Tann, ohne die Genüſſe zu lieben; daß ein Hund nicht gleid-
gültig bleibt, indem man ihm ein Stüd Braten durchs Maul zieht,
und ein Weiſer, wenn er hungrig ift, auch nicht; und daß es zwiſchen
Begehren und Entfagen kein Mittleres giebt. Die Stoifer waren bloße
Maulhelden, und zu den Kynikern verhalten fie fid) ungefähr, wie
wohlgemäftete Benebiktiner und Auguftiner zu Franziskanern und Ka—
pucinern. Je mehr fie die Praris vernachläffigten, defto feiner fpigten
fie bie Theorie zu. (W. II, 167—173.)
3) Öegenfag zwifchen dem Stoifhen Gleihmuth und
der hriftliden Refignation.
Der Stoifche Gleihmuth unterfcheibet ſich von der djriftlichen Re:
fignation von Grund aus dadurch, daß er nur gelaffenes Crtragen
und gefaßtes Erwarten der unabänderlich nothwendigen Uebel Icht,
das —52*8 — aber Entſagung, Aufgeben des Wollens. (W. I,
494; I, 109.)
4) Warum der Stoicismus dem wahren Heil ent
gegenfteht.
Der Stoicismus der Gefinnung, welcher dem Schickſale Trotz bietet,
ift zwar ein guter Panzer gegen die Leiden des Lebens und bienlid),
die Gegenwart befjer zu ertragen; aber dem wahren Seile fieht er
entgegen; denn er verfiodt da8 Herz. Wie follte doch dieſes durch
Leiden gebefjert werden, wenn es, von einer fleinernen Rinde umgeben,
fie nicht empfindet? (P. II, 342.)
5) Welches Temperament dem Stoicismus befonder!
günftig ift.
Ein gewiffer Grad des Stoicismus ift nicht fehr felten. Oft mag
Rer affectirt fein und auf bonne mine au mauvais jeu zurücklaufen;
wo er jedoch unverftellt ift, entipringt er meiftens aus bloßer Gefühl:
loſigkeit, aus Mangel ar der Energie, Lebhaftigkeit, Empfindung und
Phantaſie, die fogar zu einem großen Herzeleid erfordert find. Dieſer
Art des Stoicidmus ift das Phlegma und die Echwerfälligfeit der
Deutfchen beſonders günftig. (P. UI, 342.)
Stolz.
1) Brgenfat zwifchen Stolz und Eitelfeit. (©. Eitel-
eit. R
Stoß — Strafe 353
2) Warum der Stolz nidt in unferer Willkür fteht.
Stolz ift nicht, wer will, fondern höchſtens kann, wer will, Stolz
affeftiren, wird aber aus diefer, wie aus jeder angenommenen Rolle
bald herausfallen. Denn nur die fefte, unerfchütterliche Ueberzeugung
von überwiegenden Borzüigen und befonderem Werthe macht wirklich
ſtolz. Dieſe Ueberzeugung mag nun irrig fein, oder auch auf blos
äußerlichen und fonventionellen Vorzügen beruhen; — da8 fchadet dem
Stolz nicht, wenn fie nur wirklich und ernftlich vorhanden if. Weil
alfo der Stolz feine Wurzel in ber Ueberzeugung hat, fteht er, wie
alle Erkenntniß, nidht in unferer Willfür. (P. I, 380.)
3) Dad größte Hinderniß des Stolzes.
Das größte Hinderniß des Stolzes und folglich fein fchlimmfter
Feind ift die Eitelkeit, al8 welche um den Beifall Anderer buhlt, um
die eigene hohe Dieinung von fich felbft darauf zu gründen, in welcher
bereit8 ganz feit zu fein bie Vorausſetzung des Stolzes if. (P.
I, 380.)
4) Bo Stolz nöthig und beredtigt ift.
Der Unverfchämtheit und Dummdreiſtigkeit der meiften Menfchen
gegenüber thut Jeder, der irgend welche Vorzüge hat, ganz wohl, fie
jelbft im Auge zu behalten, um nicht fle gänzlih in Vergeſſenheit
gerathen zu laſſen; denn wer, folche gutmüthig ignorivend, mit Jenen
fi) gerirt, al8 wäre er ganz ihres ©leichen, den werden fie treuherzig
jofort dafiir Halten. Am meiften aber ift ſolches Denen anzuempfehlen,
deren Vorzüge von der höchften Art, d. 5. reale und aljo rein per-
fönliche find, da diefe nicht, wie Orden und Zitel, jeden Augenblick
durch finnliche Einwirkung in Erinnerung gebracht werden; denn fonft
werden fie oft genug das Sus Minervam eremplificirt fehen. (P. I,
380 fg. H. 456.)
5) Bon Dem hauptfähli der Tadel des Stolzes
ausgeht.
So fehr auch durchgängig der Stolz getadelt und verfchrieen wird,
jo ift doch zu vermuthen, daß dies hauptſächlich von Solchen aus»
gegangen ift, die nichts haben, worauf fie ftolz fein Fünnen. “Die
Tugend der Befcheidenheit ift eine erfledliche Erfindung fiir die Lumpe.
P. I, 380 fg. Vergl. Beſcheidenheit.)
6) Die wohlfeilfte Art des Stolzee.
Die wohlfeilſte Art des Stolzes ift der Nationalftolz. (S. National-
013.)
Stoß, ſ. Mechanik.
Strafe.
1) Öegenfag zwifhen Strafe und Rache. (S. Rache.)
Schopenhauer⸗Lexikon. I. 23
354 Strafrecht — Subject
2) Zwed der Strafe.
Der unmittelbare Zwed der Strafe ift Erfüllung des Geſetzes
als eines Vertrages. Der einzige Zweck bes Geſetzes aber if
Abſchreckung von Beeinträchtigung fremder Rechte. Denmach ift der
Zweck der Strafe Abfchredung vom Verbrechen. Kants Theorie der
Steafe als bloßer Vergeltung um der Vergeltung willen ift eine völlig
grundlofe und verkehrte Anfiht. (W. I, 410-412.)
Der eigentliche Zwed der Strafe ift Abfchredung von der Xhat,
nicht aber moralifche Beflerung, welche wegen ber Unveränderlichleit
des Charakters gar nicht möglich ift. Das Poenitentiarfgftem ift zu
verwerfen. (W. II, 683 fg. Vergl. Poenitentiarfyftem.)
3) Maß der Strafe.
Daß, wie Beccaria gelehrt hat, die Strafe ein richtiges Berbält-
niß zum Verbrechen haben foll, beruht nicht darauf, daß fie eine Buße
für daffelbe wäre; fondern darauf, daß das Pfand dem Werthe Deſſen,
woflir es haftet, angemeffen fein muß. ‘Daher ift Jeder berechtigt,
als Garantie der Sicherheit feines Lebens fremdes Leben zum Pfante
zu fordern, nicht aber eben fo für die Sicherheit feines Eigenthums,
„ als für welches fremde freiheit u. f. w. Pfand genug if. Zur
Sicherftellung des Lebens der Bürger ift daher die Todesſtrafe ſchlech⸗
terdings nothwendig. Weberhaupt giebt der zu verhütende Schaden den
richtigen Mafftab für die anzudrohende Strafe, nicht aber giebt ihn
der moralifche Unwerth der verbotenen Handlung. Neben der Größe
des zu verhütenden Schadens fommt bei Beitimmung des Maßes der
Strafe die Stärke der zur verbotenen Handlung antreibenden Motive
in Betracht. (W. II, 684 fg. 9. 376 fg.)
Strafrecht, |. Recht.
Studenten.
Zur Berbeflerung der Qualität der Studierenden auf Koſten ihrer
ſchon fehr überzählign Quantität follte gejeglich beftimmt fein:
1) daß Keiner vor feinem zwanzigften Jahre die Univerfität beziehen
dürfte, bafelbft aber erft ein examen rigorosum in beiden alten
Sprachen zu überftehen hätte, ehe ihm die Matrikel ertheilt würde.
Durch diefe jedoch müßte er vom Militärdienfte befreit fein; 2) follte
gefetzlich beftimmt fein, daß Jeder auf der Univerfität in erften Jahre
ausschließlich Collegia der philofophifchen Tacultät hören müßte und
vor dem zweiten Jahre zu denen der drei oberen Tacultäten gar nicht
zugelafjen würde, diefen aber alddanı die Theologen zwei, die Juriften
drei, die Mediciner vier Jahre widmen müßten. (®. II, 524 fg.)
Stufen, der Natur, |. Natur.
Subject.
Das Subject zerfällt in das Subject des Wollens und im bas
Subject de Erkennens, deren Identität im Ich das Wunder xar
sgoynv iſt. (©. Ich.)
Subject 355
1) Das Subject bes Wollen®.
Das Subject des Wollens ift nur dem innern Sinn gegeben, daher
es allein in der Zeit, nicht im Raum cerfcheint. (©. 140.) Es ift
Gegenſtand des Selbſtbewußtſeins und wird in demſelben nicht ale
beharrende Subſtanz angefchaut, fondern nur in feinen fucceifiven
Regungen erfannt. (©. unter Bewußtfein: Gegenfat des Selbft-
bewußtſeins und des Bewußtſeins anderer Dinge.)
2) Das Subject des Erkennen.
a) Das reine Subject des Erkennens. (S. unter In-
tellect: Der veine Intellect.)
b) Bedingtheit des Objeets durch das Subject des
Erfennend (5. Object.)
c) Unerfennbarfeit des Subjects des Erkennens.
Dasjenige, was Alles erkennt und von Keinem erkannt wird, ift
das Subject. (W. I, 5fg. P. I, 111.) Das Subject de Er-
kennens kann nie erkannt, nie Object, Borftellung werden. Da wir
dennody nicht nur cine äußere (in der Sinnesanfchauung), fondern
aud) eine innere Selbfterfenntniß haben, jede Erkenntniß aber, ihrem
Weſen zufolge, ein Erfanntes und Erfennendes vorausfegt; fo ift
das Erfannte in uns, als folches, nicht das Erkennende, fondern das
Wollende, da8 Subject des Wollens, der Will. (G. 141—143.
E. 11. Bergl. unter Erkenntniß: Warum es fein Erkennen des
Erkennens giebt.)
d) Ungetheilte- Öegenwart des Subjects bes Er-
kennens in jedem vorftellenden Wefen.
Das Subject, das Erkennende, nie Erkannte, liegt nicht, wie alles
Dbjeet, in den Formen des Erkennens, in Zeit und Raum, durd)
weiche die Bielheit if. Ihm kommt aljo weder Vielheit, noch deren
Gegenſatz, Einheit zu. Es ift ganz und ungetheilt in jedem vor«
jtellenden Wefen; daher ein einziges von diefen eben jo vollftändig, ale
die vorhandenen Millionen, mit bem Object die Welt als Vorſtellung
ergänzt; verſchwände aber aud) jenes einzige, fo wäre die Welt ale
Borftelung nit mehr. (W. I, 6; II, 18.) -
e) Bhänomenalität des Subjects bes Erkennens.
Das Subject des Erkennens ift, wie ber Leib, als deſſen Gehirn⸗
function e8 ſich objectiv darſtellt, Erſcheinung des Willens, der, als
das alleinige Ding an fidh, das Subftrat des Korrelats aller Erfchei-
nungen, d. i. bed Subject der Erkenntniß, ift. (P. I, 111.) Das
Subject des Erkennens ift nichts Selbftftändiges, Fein Ding on id,
hat fein unabhängiges, urfprüngliches, fubftantielles Dafein; jondern
es ift eine bloße Erfcheinung, ein Secundäres, ein Accidenz, zunächft
durd) den Organismus bedingt, der die Erfcheinung des Willens ift;
es ift, mit Einem Wort, nicht® Anderes, als der Fokus, in welchen
23*
356 Subjectivität
fümmtlihe Gehirnkräfte zufammenlaufen. (P. II, 48. Bergl. Ic,
Seele und Intellect.)
f) Widerlegung bes Schluffes von der Beharrlid:
feit auf die Subftantialität des erfennenden.
Subject8,
Der Lauf ber Zeit mit Allem in ihr könnte nicht wahrgenommen
werben, wenn nicht etwas würe, das an bemfelben feinen Theil hat,
und mit deſſen Ruhe wir die Bewegung jenes verglichen. Dieſes un
verrückt Feitftehenbe, weldyes die Wahrnehmung des Fortrückens der
Zeit erft möglich macht, an welchen die Zeit mit ihrem „Inhalt vor-
überfließt, kann num allerdings nichts Anderes fein, als das erkennende
Subject felbft, al8 welches dem Laufe der Zeit und bem Wechfel ihres
Inhalts unerfchüttert und unverändert zufchäut. Bor feinem Blide
läuft das Leben, wie ein Schaufpiel, zu Ende. (P. I, 108 fg.)
Aber aus diefer Beharrlichkeit des erfennenden Subjects folgt nicht,
daß es eine unzerſtörbare Subſtanz ſei. Denn es iſt doch an
das Leben und fogar an das Wachen gebunden, ſeine Beharrlichleit
während Beider beweift alfo keineswegs, daß fie auch außerdem beftchen
könne. Denn diefe factifche Beharrlichfeit für die Dauer des bewußten
Zuſtandes ift noch weit entfernt, ja toto genere verſchieden von ker
Beharrlichkeit der Materie, von welcher lettern wir nicht blos ihre
factifche Dauer, fondern ihre notwendige Unzerſtörbarleit und bie Un-
möglichkeit ihrer Vernichtung a priori einfehen. (PB. I, 109 fg. Vergl
auch Ich und Seele.)
g) Das reine, willenlofe Subject des Erkennens.
Ce. Wefthetifch, und unter Idee: Die Erfenntniß der
Ideen.)
h). Identität bes Subjects des Wollens mit dem
erfennenden Subject. (©. Id.)
Subjectivität,
1) Subjectivität der meiften Menſchen.
Die meiften Menſchen find fo fubjectiv, daß im Grunde nichts
Interefie für fie hat, als ganz allein fie felbft. Daher kommt es, daß
fie bet Allem, was gejagt wird, fogleich an fich denken und jede zu
fällige, nod) fo entfernte Beziehung auf irgend etwas ihnen Perfünlicdes
ihre ganze Aufmerffamkeit an fich reißt und in Befig nimmt; fo der
fie für den objectiven Gegenftand der Rede keine Yaffungsfraft übrig
behalten, wie aud), daß feine Gründe bei ihnen etwas gelten, fobald
ihr Intereſſe ober ihre Eitelkeit denfelben entgegenftcht. (PB. I, 47719.
M. 256 fg. Ueber die Aftrologie als einen befonderen Beweis der
Subjectivität ber Menfchen ſ. Aftrologie.)
2) Subjectivität der Weiber. (S. Weiber.)
3) Subjectivität des Stils. (S, Stil.)
Subflanz 357
Subflanz.
1) Urfprung und wahrer Inhalt des Begriffs ber
Subftan;.
Bon dem abftracten Begriff der Materie als dem Beharrenden im
Wechſel der Zuftünde (vergl. Materie) ift Subftanz wieder eine
Abftraction, folglich ein höheres Genus, und ift dadurch entftanden,
daß man von dem Begriff ber Materie nur das Prädicat der Beharr⸗
lichkeit ftehen ließ, alle ihre Übrigen wefentlichen Eigenſchaften, Aus⸗
dehnung, Undurchdringlichkeit, Theilbarkeit u. ſ. w. aber wegdachte.
Wie jedes höhere Genus enthält alfo der Begriff Subftanz weniger
in fi, als ber Begriff Materie; aber er enthält nicht dafür, wie
fonft immer das höhere Genus, mehr unter fi, indem er nicht
mehrere niebere genera neben der Materie umfaßt; fondern dieſe bleibt
die einzige Wahre Unterart des Begriffs Subftanz, das einzige Nach⸗
weisbare, wodurch fein Inhalt realifirt wird und einen Beleg erhält.
Der Zweck alfo, zu welchem fonft die Vernunft durch Abftraction einen
höhern Begriff Hervorbringt, nämlich um in ihm mehrere, durch Neben-
beftimmungen verfchiebene Unterarten zugleich zu denken, hat hier gar
nit Statt; folglich ift jene Abftraction entweder ganz zwedlos und
müßig vorgenommen, ober fie hat eine heimliche Nebenabficht. Dieſe
tritt num ans Licht, indem unter dem Begriff Subftanz feiner ächten
Unterart Materie eine zweite (undchte) coorbinirt wird, nämlich die
immaterielle, einfache, unzerftörbare Subftanz, Seele. (W. I, 581 —583.
P. 1,76. 82. Bergl. auch Genus und Seele.)
Subftanz ift ein bloßes Synonym von Materie. (©. 44.)
2) Der Grundſatz der Beharrlichleit der Subftanz.
Der Grundfag der Beharrlichfeit der Subftanz, d. i. der Sempi⸗
ternität der Materie, ift ein transfcendentaler, a priori gewifler. Er
it ein Gorollarium des Cauſalitätsgeſetzes. Er folgt daraus, daf
dad Geſetz der Cauſalität ſich nur auf die Zuftände der Körper, aljo
auf ihre Ruhe, Bewegung, Form und Qualität bezieht, indem es dem
zeitlichen Entftehen und Vergehen berjelben vorjteht, Teineswege aber
auf das Dafein des Trägers biefer Zuftände, ald welchem man, eben
um feine Eremtion von allen Entftehen und Vergehen auszubrüden,
ben Namen Subftanz ertheilt hat. Die Subftanz beharrt, db. 5.
fie kann nicht entftehen, noch vergehen, mithin das in der Welt vor-
handene Quantum derjelben nie vermehrt, noch vermindert werden. Die
Gewißheit, mit der wir died a priori wiffen, entfpringt daraus, daß
es unferm Verſtande an einer Form, das ntftehen ober Bergehen
der Materie zu benfen, durchaus fehlt, indem das Geſetz der Eaufalität,
weiche die alleinige Form ift, unter der wir überhaupt Veränderungen
denfen Können, doch immer nur auf die Zuftände ber Körper geht,
feineswegs auf das Dafein des Trägers aller Zuftände, die Ma-
terie. (©. 42—45. W. I, 560fg. Vergl. auch unter Materie:
Die reine Materie und ihre apriorifchen Beftimmungen.)
358 Succeffion — Superftition
3) Der Gegenſatz von Subftanz und Accidenz.
Da Subftanz identiſch ift mit Materie und Materie mit Cauſa—
Ittät überhaupt (vergl. Materie); fo kann man fagen: Subftan;
ift da8 Wirken in abstracto aufgefaßt, Accidenz die befondere Arı
des Wirkens, das Wirken in concreto. (©. 83.)
Die Materie, als in der Bereinigung von Zeit und Raum beftehen),
muß die miderftreitenden Eigenfchaften diefer beiden Factoren an jih
tragen. Es vereinigt ſich alfo in ihr der beftandlofe Fluß ber Zeit,
als Wechfel der Accidenzien auftretend, mit der ftarren Unbeweglichlkeit
des Raumes, die fi, darftellt ale das Beharren der Subftanz, (8.
I, 561 und 8. 4.)
4) Warum der Begriff der Subftanz nit zum Aus—
gangspunkt der PBhilofophie taugt.
Abgefehen davon, daß der Begriff der Subftanz ein höheres, aber
unberechtigtes Abftractum des Begriffs der Materie ift, weldjes näm—
lic) neben diefer auch das untergefchobene Kind immaterielle Sub-
ftauz befallen follte, taugt der. Begriff der Subftauz ſchon danım
nicht zum Ausgangspunkte der Philofophie, weil er jedenfalls ein ob-
jectiver if. Alles Objective nämlich ift für uns ftets nur mittel:
bar; das Subjective allein ift das Ummittelbare; dieſes darf dak:
nicht üÜbergangen, fondern von ihm muß fehlechterdingd ausgegangen
werden. (P. I, 82.)
(Ueber Spinoza’s Auffaffung dev Welt als „abjoluter Subftan;”
ſ. Bantheismus.)
Succeffion, ſ. Folge.
Sündenfall, |. Bibel, Chriſtenthum und Erbſünde.
Superiorität.
1) Die wahre Superiorität.
Es giebt Feine wahre Superiorität, al8 die des Geiftes und Che
rakters; alle andern find falſch, unächt, erfünftelt, und es ift gut, «
ihnen fithlbar zu machen, wenn fie e8 verfuchen, ſich der wahres
gegenüber geltend zu machen. (9. 454.)
2) Warum Superiorität zeigen verhaßt madt. (E.
Inferiorität.)
3) Wodurd ſich die Pfiffigfeit das Anfehen der Sa—
periorität giebt. (©. Pfiffigfeit.)
Superflition.
1) Duelle der Superftition. (S. Aberglaube und
Opfer.)
2) Schaden und Gewinn der Superftitionen.
Der fuperftitiöfe Umgang mit Göttern, Dämonen, Heiligen, die fid
ber Menſch nach feinem Bilde fhafft, und denen er Gebete, Opfer,
Supranaturaliosmus — Sympathetiſche Kuren- 359
Gelübde u. ſ. w. darbringt, ift der Ausbrud und das Symptom ber
doppelten Bebürftigleit des Menfchen, theils nad Hilfe und Beiſtand,
und theils nad) Beſchüftigung und Kurzweil; und wenn er auch dem
erftern Bedürfniß oft gerade entgegenarbeitet, indem bei vorkommenden
Unfällen und Gefahren Toftbare Zeit und Kräfte, ftatt auf deren Ab⸗
wendung, auf Gebete und Opfer unnüg verwendet werden; fo dient
er dem zweiten Bedürfniß dafür defto befier burch jene phantaftifche
Unterhaltung mit einer erträumten Geifterwelt; und dies ift ber gar
nicht zu verachtende Gewinn aller Superftitionen. (W. I, 381.)
Supranaturalismus, |. Rationalismus,.
Spllogismus. Spllogiftik, |. Schließen. Schluß.
Spmbol.
1) Das Symbol als eine Abart der Allegorie.
Das Symbol ift eine Abart der Allegorie. (Vergl. Allegorie.)
Wenn nämlich zwifchen dem anfchaulich Dargeftellten und dem dadurch
angebeuteten Begriff durchaus Feine auf Subfumtion unter jenen Be-
griff, ober auf Ideenaſſociation gegriindete Verbindung ift; fondern
Zeichen und Bezeichnetes ganz conventionell, durch pofitive, zufällig
veranlaßte Sagung zufammenhängen, dann heißt diefe Abart der Alle
gorie Symbol. So ift die Roſe Symbol der BVerfchwiegenheit, der
Lorbeer Symbol des Ruhmes, die Palme Symbol des Sieged, das
Kreuz Symbol des Chriftentfums. Dahin gehören auch alle Anden»
tungen duch bloße Farben unmittelbar, wie Gelb als Yarbe ber
Falſchheit, Blau als Farbe der Treue. (W. I, 282.)
2) Wertblofigleit der Symbole für die Kunft.
Die Symbole mögen im Leben oft von Nuten fein, aber ber Kunft
ft ihr Werth fremd; fie find ganz wie Hieroglyphen anzufehen und
ftehen in einer Klaffe mit den Wappen u. f. w. (W. I, 282.)
3) Das Emblem als eine befondere Art von Symbol.
Wenn gewiſſe Hiftorifche oder mythifche Perfonen, oder perfonificirte
Begriffe durch ein für allemal feſtgeſetzte Symbole kenntlich gemacht
werden; jo wären wohl biefe eigentlih Embleme zu nennen; ber=
gleichen find die Thiere der Evangeliften, die Eule der Minerva u. f. w.
Inzwilchen verfteht man unter Emblemen meiftens bie eine moralifche
Wahrheit veranfhaulichenden finnbilblichen, einfachen und durch ein
Motto erläuterten Darftellungen, die ben Uebergang zur poetifchen
Allegorie machen. (W. I, 282.)
4) Der fyumbolifche Charakter der hindoftanifhen Sculp-
tur im Gegenſatz zum äfthetifchen der griechiſchen.
(S. unter Sculptur: Die antife Sculptur.)
Spmmetrie, f. Arhitectur.
Spmpathetifche Auren, |. Magie und Magnetismus.
360 Sympathie — Syſteme
Sympathie.
1) Definition der Sympathie.
Sympathie iſt zu definiren: das empiriſche Hervortreien der meta⸗
phyſiſchen Identität des Willens durch bie phyſiſche Bielheit feiner
Erſcheinungen hindurch, wodurch fi ein Zuſammenhang Fund giekt,
der gänzlich verfchieden ift von dem durch die Tormen der Erſcheinung
vermittelten, den wir unter bem Sate vom Grunde begreifen. (W. Il,
689 fg.)
23) Drei unter den Begriff der Sympathie zu brin-
gende Phänomene.
Das Mitleid, die Gefchlehtsliebe und die Magie find, al
empirifche Kundgebungen der metaphufifchen Identität des Willens durd
die Vielheit der Erfcheinungen hindurch, drei Phänomene, die unter den
gemeinfamen Begriff der Sympathie zu bringen find. (W. II, 689.
Bergl. Mitleid, Geſchlechtsliebe und Magie.)
Spmphonie, j. Meffe, und unter Muſik: Wirkung dev Muft.
Synthetifhe Einheit der Apperception, ſ. Id.
Spnthetifche Alethode, |. Methode.
Synthetiſche Urtheile, |. Urtheil.
ar ſLuſtemauiſch, ſ. unter Wiſſenſchaft: Form der Wien:
aft.
Spfleme.
1) Gegenſatz zwifchen den philoſophiſchen und religiö-
fen Syſtemen. (S. unter Metaphyſik: Unterfäieh
zweier Arten von Metaphyſik.)
2) Worauf das Intereffe an den Syftemen berußt.
Wenn unfer Leben endlos und jchmerzlos wäre, würde es vielleicht doch
Keinem einfallen zu fragen, warum die Welt da fei und gerade dieje Be⸗
Ichaffenheit habe, fondern eben ſich aud) Alles von felbit verftehen. Dem
entjprechend finden wir, daß das Intereffe, welches philofophifche, oder
auch religiöfe Spfleme einflößen, feinen allerſtärkſten Anhaltspunkt
durchaus an den Dogma irgend einer Fortdauer nad) dem ode hat.
Auf demselben Grunde beruht e8, daß die eigentlich materialiſtiſchen
Syſteme, wie aud) die abfolut ffeptifchen, niemals einen allgemeinen,
oder dauernden Einfluß haben können. (W. II, 177.)
3) Die ungefellige Natur ber philoſophiſchen Syſteme.
Während alle Dichterwerfe, ohne ſich zu hindern, neben einander
beftehen, ja, fogar die heterogenften unter ihnen von einem und dem:
felben Geifte genoffen und gefchättt werben Können; fo ift dagegen jede?
philofophifche Syftem, kaum zur Welt gekommen, ſchon auf den Unter:
gang aller feiner Brüder bedacht, gleich einem Aftatifchen Sultan
Syſteme 361
bei feinem Regierungsantritt. Denn, wie im Bienenſtocke nur eine
Königin fein Tann, fo nur eine Philofophie an der Tagesordnung.
Die Syfteme find nämlich fo ungefelliger Natur, wie bie Spinnen,
deren jede allein in ihrem Netze figt und nun zufieht, wie viele liegen
fi) darin werden fangen laffen, aber einer andern Spinne nur, um
mit ihr zu Tämpfen, ſich nähert. Infolge diefer weſentlich polemifchen
Natur, dieſes bellum omnium contra omnes ber philofophifchen Sy-
fteme iſt es unendlich ſchwerer als Philoſoph Geltung zu erlangen,
denn al8 Dichter. (P. II, 5fg.; I, 168.)
4) Segenjag zwifhen dem Schopenhauer’fhen Syftem
und den andern philofophifhen Syftemen.
Die vor Schopenhauer verfuchten Syfteme gingen alle entweder vom
Object, oder vom Subject aus und fuchten das eine aus dem an⸗
dern zu erflären, und zwar nad) dem Sage vom Grunde; während
das Schopenhaner’jche Syftem weder vom Object, noch vom Subject,
jondern von der beide fchon enthaltenden VBorftellung ausgeht und
das Verhältniß zwifchen Object und Subject der Herrichaft des Satzes
vom Grunde entzieht, ihr blos das Dbject laſſend. (W. I, 30.)
Der Orundfehler aller Syfteme ift das Verkennen der Wahrheit,
daß der Intellect und die Materie Correlata find, d. h. Eines
nur für das Andere da ift, Beide mit einander ftehen und fallen,
Eined nur der Reflex des Andern ift, ja, daß fie eigentlich Eines und
dafielbe find, von zwei entgegengefehten Seiten betrachtet, welches Eine
die Erfcheinung des Willens oder Dinges an ſich ift; daß mithin Beide
feeundär find; baher der Urfprung ber Welt in feinem von beiden zu
ſuchen iſt. Im Folge jenes Verkennens fuchten ale Syſteme (ber
Spinozismus etwa ausgenommen) den Urfprung aller Dinge in einem
jener Beiden, indem fie entweber einen xntellect, voug, oder die Ma⸗
terie als ſchlechthin Erftes fetten; während bei Schopenhauer Intellect
und Materie unzertrennliche Correlata find und zufammen die Welt
als Borftellung ausmachen, aljo ein Secundäred find, der Erfchei-
nung zugehören. (W. II, 18 fg.)
In Hinfiht auf die Methode befteht ebenfalls ein Gegenfaß zwi⸗
Iden dem Schopenhauer’fchen und den andern Syſtemen. In andern
philofophifchen Syſtemen ift die Conſequenz dadurch zu Wege gebracht,
daß Say aus Sa gefolgert wird. Hiezu aber muß nothiwendiger
Weiſe der eigentliche Gehalt ſchon in den alleroberften Sägen vorhanden
ſein; wodurch dann das Webrige, al8 barans abgeleitet, fehwerlich an-
ders als monoton, arm, Teer und langweilig ausfallen Tann, weil es
eben nur entwidelt und wiederholt, was in den Grunbfäßen ſchon
ausgefagt war. Dieſe traurige Folge zeigt fich befonders bei Chr.
Wolf .und fogar bei Spinoza. Schopenhauer's Süße hingegen be=
ruhen meiftens nicht auf Schlußfetten, fondern unmittelbar auf ber
anſchaulichen Welt felbft, und die in feinem Syftem vorhandene Con⸗
ſequenz ift in der Regel nicht eine auf blos logifchem Wege getvonnene,
362 Sufteme
vielmehr beruht fie auf der Webereinftimmung der realen, anſchauliche
Melt mit fi felbf. Dem entſprechend bat das Schopenhaner’ik:
Syſtem cinen breiten Boden, auf welchem Alles unmittelbar und ſicher
fteht; mährend die andern Syſteme hoch aufgeführten Thürmen gie:
hen; bricht hier eine Stüte, fo ftürzt Alles ein. Das macht, die
andern Syfteme find auf dem fynthetifchen, das Schopenhauer'ſche af
dem ee Wege entftanden und bargeftellt. (PB. I, 14219. 2.
IL, 206 fg.) °
5) Eintheilung der vom Object ausgehenden philojo-
phifchen Syfteme.
Die vom Object ausgehenden Syiteme haben ziwar immer die gan
anfchauliche Welt und ihre Ordnung zum Problem; doch ift bas Ob⸗
ject, welches fie zum Ausgangspunkte nehmen, nicht immer diefe, oder
deren Grundelement, bie Materie; vielmehr läßt ſich in Gemäßheit der
vier Klaffen möglicher Objecte (f. Object) eine Cintheilung je
Syſteme machen. Don der erften jener Klaſſen oder der realen Welt
find ausgegangen: Thales und die Jonier, Demokritos, Epikuros, Jor-
dan Bruno und die franzöfifchen Mlaterialiften. Bon ber zmeiten, oder
dem ‘abftracten Begriff: Spinoza und früher die Eleaten. Bon da
dritten Klaſſe, nämlich der Zeit, folglich den Zahlen: die Pythagorder
und bie chinefifche Philofophie im Y⸗king. Endlich von der vierten
Klaſſe, nämlich dem dur Erkenntniß motivirten Willensact: die Ede
laftiter, welche eine Schöpfung aus Nichte durch den Willendact eins
außeriweltlichen,. perfönlichen Weſens Ichren. (W. I, 31 fg. H. 31715
6) Irrthum der das Wefen ber Welt Hiftorifd fei:
fenden Syfteme.
Diejenigen Syfteme find noch himmelweit von einer philoſophiſchen
Erfenntniß der Welt entfernt, die das Weſen berjelben irgendwie Hifte:
rifch faffen zu können vermeinen, indem fie einen Anfangs» um
Endpunkt der Welt, nebft dem Wege zwilchen Beiden fuchen. Soldes
biftorifches Philofophiren Liefert in den meiften Fällen eine Xo%
. mogonie, die viele Varietäten zuläßt, fonft aber auch ein Emanationt
ſyſtem, Abfallsiehre u. f. w. Alle folche Hiftorifche Philoſophie im
darin, daß fie die Zeit filr eine Beſtimmung der Dinge an fid) nimm!
und daher bei Dem ftehen bleibt, was zur Erſcheinung gehört.
(®. I, 322.)
T) Kennzeichen ber Wahrheit eines Syſtems.
Wenn die durchgängige Confeguenz und Zufammenftimmung allı
Säge eines Syſtems bei jevem Schritte begleitet ift von einer eben je
durchgängigen Uebereinſtimmung mit der Erfahrungswelt, ohne def
zwifchen beiben ein Mißflang je hörbar würde; — fo ift Dies dat
Kriterium der Wahrheit deſſelben, das verlangte Anfgehen des Reth—
nungserempels. (P. I, 73.)
Syſteme 363
Die Entzifferung der Welt muß ſich aus ſich ſelbſt vollkommen be-
währen. Sie muß ein gleihmäßiges Licht über alle Erfcheinungen
der Welt verbreiten und auch die heterogenften in Ucbereinftimmung
bringen, jo daR aud) zwifchen den contraftirendften der Widerfpruch
gelöft wird. Diefe Bewährung aus fich felbft ift das Kennzeichen
ihrer Aechtheit. Denn jede falfche Entzifferung wird, wenn fie aud)
zu einigen Erfcheinungen paßt, den übrigen deſto greller widersprechen.
So 3. B. widerſpricht der Leibnitifche Optimismus dem augenfälligen
Elend bes Dafeins; die Lehre des Spinoza, daß die Welt die allein
mögliche und abfolut nothwendige Subftanz fei, ift unvereinbar mit
unſerer Verwunderung über ihr Sein und Wefen; der Wolfifchen Lehre,
dag der Menfh von einem ihm fremden Willen feine Eriftenz und
Eſſenz habe, wiberftreitet unferer moralifchen Berantwortlichfeit, u. |. w.
So ließe fi ein unabfehbares Regifter der Widerfpriiche dogmatifcher
Annahmen mit der gegebenen Wirklichkeit der Dinge zufanmenftellen,
Nur das Schopenhauer'ſche Syftem läßt Webereinftimmung und Zu⸗
ſammenhang in dem contraftirenden Gewirre der Erfcheinungen diefer
Welt erbliden und löſt die unzähligen Widerfpriiche, welche daſſelbe,
von jeden andern Standpunkt aus gefehen, barbietet; fie gleicht daher
infofern einem Nechenerempel, welches aufgeht. (W. II, 205 fg.)
Sänmtliche Syfteme, mit Ausnahme de8 Schopenhauer’ichen, finb
Rechnungen, die nicht aufgehen; fie laflen einen Heft, oder auch, wenn
man ein chemiſches Gleichniß vorzieht, einen unauflöslichen Nieber-
ſchlag. Diefer befteht darin, daß, wenn man aus ihren Säten folge
vcht weiter fchließt, die Ergebniffe nicht zur vorliegenden realen Welt
paſſen, nicht mit ihr ftimmen, vielmehr manche Seiten derjelben ganz
unerflärt bleiben. So 3.8. ſtimmt zu den materialiftifchen Syſtemen
nicht die direchgängige bewunderungswürbige Zwedmäßigfeit der Natur,
noh das Dafein der Erkenntniß, in welcher doc fogar die Materie
allererft fich darftellt. Dies alſo ift ihr Reſt. — Mit den theiftiichen
Syſtemen wiederum, nicht minder jedoch mit den pantheiftifchen find
die phyſiſchen Uebel und die moralifche Verderbniß der Welt nicht in
Uebereinſtimmung zu bringen; diefe aljo bleiben als Reſt ftehen, ober
als unauflöslicher Niederichlag liegen. (PB. I, 73.)
Daß alle Syfteme wahr feien und uur befondere Gefichtspunkte
der Wahrheit, Tann nur unter ſtarken Einfchränfungen gelten, weil
fonft in der Philofophie gar Fein totales Irren möglich wäre. Go»
dann aber, wenn wir auch zugeben, daß fehr verſchiedene Syſteme, ja
entgegengefegste, zugleich wahr find, indem fie verſchiedene Gefichtspunfte
des Weſens der Welt find; fo find dieſe Gcfichtspunfte doch einander
untergeordnet und übergeordnet ; der Höhere Geſichtspunkt Hebt die
Wahrheit des niedrigern anf, ‚die alfo nur relativ war, und ein Ge.
fihtöpunft, von dem aus man die relative Wahrheit aller andern erkennt
und fie alle itberfieht, muß der höchſte fein; er ift das wahre Syſtem
Der miebrigfte Gefihtspuntt ift wohl ber des Mriftipp und bo
relativ wahr. (H. 318. Vergl. Hedonif.)
364 Tadeln — Tag
T.
Tadeln.
Seine eigenen Fehler und Laſter bemerkt man nicht, fonden um
die der Andern, weil es bie Natur des Auges mit fich bringt, daß u
nah Außen und nicht fi) felbft fieht. Daher ift zum Imewerden
der eigenen fehler das Vemerken und Tadeln berjelben an Anden cn
jehr geeignetes Mitte. Leder bat am Andern einen Spiegel, u
welchem er feine eigenen Lafter, Fehler, Unarten und Widerlichfeten
jeder Aıt erblidt. Allein meiftens verhält er ſich dabei, wie der Ham,
welcher gegen den Spiegel bellt, weil er nicht weiß, daß er ſich ſelbi
fieht, jonbern meint, e8 fei ein anderer Hund. Wer Andere befriticlt,
arbeitet an feiner Selbftbefferung. Alfo Die, welche die Neigung und
Gewohnheit haben, das Thun und Laflen der Andern im Stillen, be:
fi) felbft, einer aufmerffamen und fcharfen Kritit zu unterwerfen, ar
beiten dadurch an ihrer eigenen Beſſerung und Bervolllommmung;
denn fie werbem entweder Gerechtigkeit, ober doch Stolz und Eitelleit
genug befigen, jelbft zu vermeiden, was fie fo oft firenge tadeln
(P. I, 486 fg.)
Tag.
1) Der Tag als ein kleines Leben.
Der Morgen iſt die Jugend des Tages; Alles iſt heiter, friſch und
leicht; wir fühlen uns kräftig und haben alle unfere Fähigkeiten zu
Dispofition. Man fol ihn nicht durch ſpätes Aufftehen verkürzen,
nod) auch an unwürdige Beſchäftigungen oder Geſpräche verſchwenden
fondern ihn als die Quinteſſenz des Lebens betrachten und gewiller:
maßen heilig halten. Hingegen ift der Abend das Alter des Tages
wir find Abends matt, geſchwätzig und Teichtfinnig. Jeder Tag ii
ein Kleines Leben, — jedes Erwachen und Aufftehen eine Meine Ge—
burt, jeder frifche Morgen eine Heine Jugend, und jedes zu Bette Gehen
und Einfchlafen ein Heiner Tod. (P. I, 462 fg.)
2) Werth jebes Tages für das Lebensglüd.
Um die Gegenwart und fomit das ganze Leben recht zu gemiehen
follten wir ſteis eingedenk fein, daß der heutige Tag nur Ein Mal
fommt und nimmer wieder. Uber wir wähnen, er komme morgen
wieber; morgen ift jeboch ein anderer Tag, der auch nur Ein Mal
kommt. Wir aber vergeffen, daf jeder Tag ein integrivender und daher
unerfeglicher Theil des Lebens ift und betrachten ihn vielmehr alt
unter bemfelben fo enthalten, wie die Individuen unter dem Gemein
Tagebücher — Teleologie 365
begriff. (B. I, 442. (Bergl. auch unter Gegenwart: Genuß ber
Gegenwart als ein wichtiger Punkt der Lebensweisheit.)
Tagebücher.
Nach längerer Zeit und nachdem die Berhältniffe und Umgebungen,
welche auf uns einmwirften, vorübergegangen find, vermögen wir ‚nicht,
unfere damals durch fie erregte Stimmung und Empfindung uns zurüd-
zuufen und zu erneuern; wohl aber können wir unferer eigenen, damals
von ihnen Hervorgerufenen Aeußerungen uns erinnern. Diefe nun
find das Refultat, der Ausorud und der Maßftab jener. Daher follte
das Gedüchtniß, oder das Papier bergleichen aus denkwürdigen Zeit
punkten forgfältig aufbewahren. Hiezu find Tagebücher fehr nützlich.
.], 445.)
Tageszeiten, |. Tag und Nacht.
Talent, f. unter Genie: Unterfchieb zwifchen Genie und Talent.
Tanz.
Das Thier wird ſich ſeines Daſeins am lebhafteſten in der Irri⸗
tabilität bewußt; daher es in den Aeußerungen derſelben exultirt. Von
ale Erultation zeigt fich beim Menfchen nocd eine Spur als Tanz.
(R. 31.)
Tnpferkeit, f. Kardinaltugenden.
Tortüffianismus, f. Zeitdienerei.
Taſtſinn, f. Sinne.
Caubfiumme, f. unter Sprade: Die Erlernung der Sprache als
eine logifche Schule.
Teleologie.
1) Worauf die Bewunderung der Zwedmäßigleit der
Organismen beruft.
Die flaunende Bewunderung, welche und bei ber Betrachtung der
unendlichen Zwedmäßigfeit in dem Bau der organischen Weſen zu er-
greifen pflegt, beruht auf der zwar natürlichen, aber falfchen Voraus-
ſetzung, daß jene Uebereinftinnmung ber Theile zu einander, zum Ganzen
ded Organismus und zu feinen Sweden in der Außenwelt, wie wir
diefelbe mittelft der Erkenntniß, alfo auf dem Wege ber Vor—
tellung, auffaffen und beurteilen, auch auf bemfelben Wege hinein⸗
jefommen fei; daß alfo, wie fle für den Intellect exiftirt, auch durch
ven Intellect zu Stande gelommen wäre. Unfer Intellect ift es,
velcher, indem er den an fid) metaphyſiſchen und untheilbaren Willens-
ıct, ber fi) in der Erfcheinung eines Thieres barftellt, mittelft feiner
genen Formen, Raum, Zeit und Cauſalität, als Object auffaft, die
366 Zeleologie
Bielheit und Verſchiedenheit der Theile und Functionen erft hervorbringt
und dann über die aus der urfprünglichen Einheit hervorgehende vol:
tommene Uebereinſtimmung und Confpiration derfelben in Crftauncı
geräth; wobei er alſo in gewiſſem Sinne fein eigenes Werk bewundert.
Dies ift auch der Sinn der großen Lehre Kants, daß die Zwed—
‚mäßigfeit erſt vom Berftande in die Natur gebracht wird. (W. I,
373—375; I, 186—188. N. 56—58. P. U, 45.)
2) Erklärung ber doppelten Zwedmäßigfeit der Or
ganismen.
Wie die Erkenntniß der Einheit des Willens, als Dinges an ſich,
in der unendlichen Verfchiedenheit und Mannigfaltigkeit der Erfcheinungen
allein den wahren Aufjchluß giebt über jene wunderfame, unverkennbar:
Analogie aller Productionen der Natur, jene Familienähnlichkeit, dir
fie als Bariationen des felben Themas betrachten läßt; fo eröffee
fi gleichermaßen durch die deutlich und tief gefaßte Erkenutniß der
Harmonie, des wefentlihen Zufammenhanges aller Theile der Welt
und der Nothwendigfeit ihrer Abftufung eine wahre und gemügente
Einfiht in das innere Wefen und die Bedeutung der unleugbaren
Zwedmäßigfeit aller organischen Naturproducte. Diefe Zwed⸗
mäßigfeit ift doppelter Art, theil® eine innere, d. h. eine fo geordnex
Uebereinflimmung aller Theile eines einzelnen Organismus, daß die
Erhaltung deffelben und feiner Gattung daraus hervorgeht, und baber
als Zwed jener Anordnung ſich darftellt. Theils aber ift die Zwed⸗
müßigfeit eine äußere, nämlich ein Berhältnig der unorganijder
Natur zu der organifchen überhaupt, oder auch einzelner Theile der
organifchen Natur zu einander, weldes die Erhaltung der gefammte
organischen Natur, oder auch einzelner Thiergattungen, möglich mad!
und daher als Mittel zu biefem Zweck unferer Beurteilung emtgegen-
tritt. Was nun die innere Zweckmäßigkeit der Organismen beit,
jo erflärt fie fi daraus, daß jeder Organismus Erfcheinung eu
einheitlichen Idee, die wir als intelligibeln und an fid) einfachen
Willendact betradjten können, ift, folglich das Nebeneinander der Theile
und Naceinander der Entwicklung doc, nicht die Einheit der erſchei—
nenden Idee, des ſich äußernden Willensactes aufhebt; vielmehr finde:
diefe Einheit nunmehr ihren Ausdrud an der nothwendigen Beziehurg
und Berfettung jener Theile und Entwidlungen mit einander, nad
dem Gefege der Cauſalität. Da es der einzige und untheilbare un!
eben dadurch ganz mit fich felbft übereinſtimmende Wille ift, der ſich
in der ganzen dee, als wie in einem Act offenbart; fo muß fein
Erſcheinung, obwohl in eine Verſchiedenheit von Theilen und Zuſtänder
auseinandertretend, dod) in ciner burchgängigen Uebereinſtimmung ka
jelben jene Einheit wieder zeigen; dies gefchieht durch eine nothwendige
Beziehung und Abhängigkeit aller Theile von einander, wodurch audı
in der Erſcheinung die Einheit der Idee wicderhergeftellt wird. Tem
zufolge erkennen wir nun jene verfchiebenen Theile und Functionen
Teleologie 367
des Organismus wecjelfeitig als Mittel und Zweck von einander, den
Organismus felbft aber ale den letzten Zweck Aller.
Mit der äußern Zweckmäßigkeit verhält es fich ebenfo. Auch fie
findet isre Erflürung in der Einheit des untheilbaren Willens, deſſen
Objeetität (Erfeheinung) die ganze Welt iſt. Jene Einheit des Willens
muß fih in der -Uebereinftimmung aller Erfcheinungen defielben zu
einander zeigen. — In der äußern, wie in der innern Zeleologie der
Natur alfo ift, was wir als Mittel und Zweck denfen müſſen, itberall
um die fir unfere Erfenntnißweife in Raum und Zeit auseinander-
getretene Erfcheinung der Einheit des mit ſich felbft fo weit
übereinftimmenden einen Willens. (W. I, 183—192.)
3) Gegenſatz zwiſchen der organifchen und unorgani-
ihen Natur in Hinfidht auf die Erflärung durd)
Endurfaden.
Bei Betrachtung der gefanmten organischen Natur ift die Zelcologie,
als Vorausſetzung der Zweckmäßigkeit jedes Theile, ein vollfommen
fiherer Leitfaden, und felbft die einzelnen wirklichen Ausnahmen zu den
durhgängigen Gefege der Zweckmäßigkeit heben. die Regel nicht auf,
da fie ſich erflären lafien aus dem innern Zufammenhange der ver-
Ihiedenartigen Erfcheinungen der Natur unter einander vermöge ber
Einheit des in ihnen Erfcheinenden, in Folge deſſen fie bei der Einen
ein Organ andeuten muß, blos weil eine Andere, mit derfelben zu⸗
ſammenhäugende es wirflich hat. Alſo findet hier das exceptio firmat
regulam Anwendung. Jedoch bei Betrachtung der unorganifhen
Natur wird die Endurjache allemal zweidentig und läßt ung, zumal
wenn die wirkende gefunden ift, in Zweifel, ob fie nicht eine blos
Inbjective Anfiht, ein buch unfern Geſichtspunkt bedingter Schein
ji. — Daß in der unorganifchen Natur die Endurſachen gänzlich,
zurücktreten, ſo daß eine aus ihnen allein gegebene Erklärung bier nicht
mehr gültig ift, vielmehr die wirkenden Urſachen fchlechterdings ver-
langt werden, beruht darauf, daß der auch in der unorganifchen Natur
ſich objectivirende Wille hier nicht mehr in Individuen, die ein Ganzes
für ſich ausmachen, erfcheint, fondern in Naturfräften und deren
Birken, wodurd) Zwed und Mittel zu weit auseinander gerathen, als
daß ihre Beziehung Mar fein und man eine Willensäußerung darin
eriennen Könnte. Dies tritt fogar in gewiſſem Grabe jchon bei ber
organifchen Natur ein, nämlih ba, wo die Swedmäßigfeit eine
äußere ift, d. 5. der Zwed im einen, das Mittel im andern
Individuo liegt. Dennoch bleibt fie auch hier noch unzweifelhaft, fo-
lange beide der felben Species angehören, ja, fie wird dann um fo
anffallender. Wo hingegen das Individuum, welches einem andern
weientliche Hülfe leiftet, ganz verfchiedener Art, fogar einem andern
Naturreich angehörig ift, werden wir diefe äußere Zwecmäßigfeit,
ebenſo wie bei der unorganifchen Natur, bezweifeln; es fei denn, daß
augenfällig die Erhaltung der Gattungen auf ihr beruhe, wie z. B. bei
368 Teleologie
vielen Pflanzen, deren Befruchtung nur mittelft der Inſecten vor ſih
geht. (W. II, 375886.)
4) Das Zufammentreffen der wirkenden mit ben End—
urfaden.
Die wirkende Urfache (causa efficiens) ift die, wodurd etwa
ift, die Endurſache (causa finalis) die, weshalb es ift; die zu er
klärende Erfcheinung hat, in der Zeit, jene Hinter ſich, diefe vor fid.
Blos bei den willfürlichen Handlungen thierifcher Weſen fallen beit:
unmittelbar zufammen, indem bier die Endurſache, der Zweck, als
Motiv auftritt; eim folches aber ift ſtets die wahre und eigentlide
Urſache der Handlung, ift ganz und gar die fie bewirkende Urfade.
Dies Zufammenfallen der causa finalis mit der wirkenden Urſache ir
der einzigen uns intim befannten Erſcheinung, welche beshalb durd-
gungig unfer Urphänomen bleibt, führt darauf Hin, daß, wenigſtens m
der organifchen Natur, deren Kenntniß durchaus die Endurjachen zum
Leitfaden hat, ein Wille das Geftaltende if. In der That Tonnen
wir eine Endurfache und nicht anders deutlich denken, denn als einen
beabfichtigten Zwed, d. i. ein Motiv. Ya, wenn wir die Endurjaden
in der Natur genau betrachten, jo müſſen wir, um ihr transfcendentes
Weſen auszudrücden, fo wiberfprechend es auch klingt, kühn herans
fagen: die Endurſache iſt ein Motiv, welches auf ein Weſen wirhi,
von welchem es nicht erkannt wird. Denn allerdings find bie Ta—
mitennefter das Motiv, welches den zahnlofen Kiefer des Ameifenbän,
nebft der langen, fadenförmigen und Mebrigen Zunge hervorgerufen
hat, u. f. w. Der felbe Wille, welcher den Elephantenrüffel nad; einem
Gegenftande ausftredt, ift e8 auch, der ihm Hervorgetrieben und geſtaltet
bat, die Gegenftände anticipirend. — Hiermit ift e8 übereinſtimmend,
daß wir bei Unterfuhung der organifchen Natur ganz und gar an
bie Endurfachen verwiefen find, überall diefe fuchen und Alles art
ihnen erklären, die wirfenden Urfachen hier nur noch eine gan
untergeorbnete Stelle, als bloße Werkzeuge jener einnehmen. Ti
Endurfahe ift überall bei Erklärung des Organifchen, ſowohl ke
Erflärung der Entflehung der Theile, als auch bei der Erklärun
der bloßen Functionen, bei Weitem wichtiger und mehr zur Sacht,
al8 die wirkende. — Zu den Borziigen der Endurſachen gehört and,
daß jede wirkende Urſache zulett immer auf einem Unerforſchlichen,
nämlich einer Naturkraft, d. i. einer qualitas occulta beruht, babe
fie nur eine relative Erklärung geben kann; während die Endurſache
in ihrem Bereich eine genügende und volftändige Erklärung liefen
Ganz zufrieden geftellt find wir freilich erft dann, wann wir beit
zugleich und doch gefondert erfennen, al8 wo uns ihr Zufammentreite,
die wunderfame Conſpiration derſelben überrafcht; denn da entfteht in
uns die Ahndung, daß beide Urfachen, fo verfchieden auch ihr Urfprung
fei, doch in der Wurzel, im Wefen der Dinge an fid, zufammen
büngen. Die vielen unleugbaren Beifpiele des Zuſammentreffens det
Temperamente — Teufel 369
völlig blinden Wirkens der Natur mit dem aufcheinend abſichtsvollen,
oder (nad) Kant'ſchem Ausdruck) des Mechanismus der Natur mit ihrer
Zechnif, weifen darauf hin, daß Beide ihren gemeinfchaftlichen Urfprung
jenfeitö diefer Differenz haben, im Willen als Ding an fi. (W. II,
‚378—383. — Ueber da8 Zuſammentreffen ber wirkenden mit ben
Endurfachen im Bau des Himmel! und im Lebenslauf des Einzelnen
f. unter Himmel: Die Harmonie des Himmels, und unter Schick—
fal: Anfcheinende Abfichtlichkeit im Schiefal ded Einzelnen, fo wie auch
unter Aberglaube: Aberglaube, dem wahrer Glaube zu Grunde liegt.)
5) Die wahre Zeleologie ift von PBhyfilotheologie
und Anthropoteleologie zu unterfdheiden.
Jeder gute und regelrechte Kopf muß bei Betradhtung der organijchen
Natur auf Teleologie gerathen, jedoch feineswege, wenn ihn nicht
vorgefaßte Meinungen beftinnmen, weder auf Phyfifotheologie, noch auf
die von Spinoza getadelte Anthropoteleologie. (W. II, 390. Bergl.
Phnfilotheologie.)
6) Geſchichtliches.
Drei große Männer: Lucretins, Baco von Berulem und
Spinoza Haben die Teleologie, oder die Erflärung aus Endurſachen,
gänzlich verworfen. Allein bei allen dreien erfennt man deutlich genug
die Quelle dieſer Abneigung, daß fie nämlid) die Zeleoingte für um-
zertrennlich von der fpecufativen Theologie hielten, vor dieſer aber eine
fo große Schen (welche Baco zwar Elüglidy zu verbergen ſucht) Gegiem,
daß fie ihr fchon von Weiten aus dem Wege gehen wollten. Schr
vortheilhaft fticht gegen fie Ariftoteles ab, der gerade Bier ſich von
der glänzenden Seite zeigt. Er ftellt die Endurſachen als daS wahre
Princip der Naturbetrachtung auf, ohne daß ihm dabei P i
in den Sinn kommt. (W. U, 386—390.)
Tcmperamente.
Eine richtige Beſtimmung ber vier Temperamente nach dem Grab
und der Leichtigkeit ber Erregbarkeit ſteht ſchon in Blumeubachs
Phyſiologie, 8. 79. (9. 351. — Ueber Melandolie und Phlegma
vergl. diefe Artikel.)
Termini techniei, f. unter Deutfch: die deutfhe Sprache
Teſtament, altes und neues, ſ. Bibel.
Teuſel.
1) Unentbehrlichkeit des Teufels im Theismus und
Chriſtenthum.
Die Annahme, daß Uebel und Böſes ihren Keim im prung
oder im Kern der Welt felbft Haben (eine Annahnıe, deren Aare
Ausdruck Ormnzd und Apriman ift), wird begreiflicermeife dem Theis
mus am allerſchwerſten. Daher entflanden die Berfuche, das Böfe
und das Uebel auf die Freiheit des Willens und auf die Materie zu
SäopenhauersLerilon. IL. 2
|
370 Teufliſch — That
fchieben, um Gott davon zu entlaften; mobei man ungern den Teufel
zur Seite liegen ließ, der eigentlich das rechte Expediens ad hoc ifl.
(W. I, 190.)
Der Teufel ift im Chriftenthum eine höchſt nöthige Perfon, ale
Gegengewicht zur Allgüte, Allweisheit und Allmacht Gottes, als bei
welcher gar nicht abzufehen ift, woher denn die überwiegenden, zahl:
fofen und grängenlofen Uebel der Welt kommen follten, wenn nicht der
Teufel da ift, fie auf feine Rechnung zu nehmen. ‘Daher ift, feitdem
die Rationaliften ihn abgefchafft haben, der Hieraus auf der andern
Seite erwachfende Nachtyeil mehr und mehr fühlbar geworben; mic
das vorherzufehen war und von den Orthodoren vorhergejehen wurde
Denn man kann von einem Gebäude nicht einen Pfeiler wegziehen,
ohne das Uebrige zu gefährden. — Hierin beftätigt fi auch, daß
Jehovah eine Ummandlung de8 Drmuzd und Satan der von ihm
unzertrennliche Ahriman if. (P. IL, 395.)
Im Mittelalter und bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts
hielt man ben Glauben an Gott unzertrennlich von dem an dem Teufel
und wer an legtern nicht glaubte, wurde fchon deshalb Atheift genannt.
Das war fo abfurd nicht. (H. 340.)
2) Wo ber eigentliche Teufel zu finden tft.
Der Pantheismus ift abſurd. Biel richtiger wäre es die Welt mi
dem Teufel zu ibentificiren. (PB. IL, 107.) Sie ift ſchlimm genng,
fie ift Hölle, und an Teufeln fehlt e8 nicht darin. Man betradte
nur, was gelegentlich Menſchen itber Menfchen verhängen, mit melden
ausgegritbelten Martern einer den andern langſam zu Tode quält, und
—7 ſich, ob Teufel mehr leiſten könnten. (P. II, 395. Vergl. and
ölle.)
3) Wahrer Sinn der Verbindung des Teufelsglaubens
mit der Magie. (©. unter Magie und Magnetie—
mus: Spympathetifche Kuren und Bererei.)
4) Die Sagen von Teufelsverfhreibungen.
Nichts ift abgefchinadter, als die Mährchen zu verlachen vom Fauf
und Undern, die fi dem Teufel verjchrieben haben. Das einig
Falſche an der Sache ift nämlich, nur dies, daß es don (Einzelnen
erzählt wird, wir aber Alle in dem all find und das Pactum ge:
ichloflen Haben. (M. 730.) j
Teuflifh, |. Schadenfreude, ferner unter Moraliſch: Anti
moralifche Triebfedern, und unter Menſch: Identität des Wefent-
lichen in Thier und Menſch.
That.
1) Die That im Berhältniß zum Wunfh und Ent-
ſchluß. (S. Entſchluß.)
Thatigkeit — Theodiceen 371
2) Unterſchied zwiſchen der Befähigung zu Thaten
und zu Werken. (S. unter Genie: Gegenſatz zwiſchen
dem Genie und dem praktiſchen Helden.)
Thãtigkeit.
Unſer Daſein iſt ein weſentlich raſtloſes; daher wird die gänzliche
Unthätigkeit uns bald unerträglich, indem ſie die entſetzlichſte Lange⸗
weile herbeiführt. Thätigkeit, etwas treiben, wo möglich etwas machen,
wenigſtens aber etwas lernen, iſt zum Glück des Menſchen unerläßlich;
feine Kräfte verlangen nach ihrem Gebrauch und er möchte den Erfolg
deffelben irgendwie wahrnehmen. (P. I, 466 fg.)
Theater.
Ber das Schaufpiel nicht befucht, gleicht Dem, der feine Toilette
ohne Spiegel macht. (P. II, 646.) Das Theater ift der Spiegel
des Lebens. (P. II, 330 fg.)
Theilbarkeit, ins Unendliche.
Die Theilbarfeit ins Unendliche gehört zu den Prädicabilien a priori
der Zeit, des Raumes und der Materie. (W. I, 13; II, 55, Tafel
der Praedicabilia a priori. — Vergl. über die unendliche Theilbarkeit
dr Materie: Atom. Atomiſtik.)
Theismus, f. die Artikel Gott; Judentum; Teufel; Aftro-
nomie; Atheismus; Pantheismus.
Theodiceen.
1) Urſprung der Theodiceen.
Die Uebel und bie Dual der Welt ſtimmen nicht zum Theismus;
daher diefer durch allerlei Ausreden, Theodiceen, fich zu helfen fuchte,
welhe jedoch den Argumenten Hume’s und Voltaire's unvettbar
unterlagen. (W. II, 676. Bergl. Optimismus.)
2) Kritik der Leibnigifchen Theodicee.
Denn auch die Leibnitifche Demonftration, daß unter den mög-
lihen Welten diefe immer noch die befte fei, richtig wäre; fo gäbe
fie doch noch feine Theobicee. Denn der Schöpfer hat ja nicht blog
die Welt, fondern auch die Möglichkeit felbft gefchaffen; er hätte
demnach diefe darauf einrichten follen, daß fie eine beffere zuließe.
($. I, 323.)
Der Leibnigifchen Theodicee, diefer methodifchen und breiten Ent-
faltung des Optimismus, ift fein anderes Verdienſt zuzugeftehen, als
diefes, daß fie fpäter Anlaß gegeben hat zum unfterblihen Candide
des großen Voltaire; wodurch freilich Leibnitzens fo oft wieberhofte,
lahme Erküſe file die Uebel der Welt, daß nämlich das Schlechte bis⸗
weilen das Gute herbeiführt, einen ihm unerwarteten Beleg erhalten
bat. (W. TI, 667.)
24 *
312 Theslogie — Wier
Theslogie
Wie jede andere Wiſſenſchaft durch Einmiſchumg von Theologie
verdorben wird, fo auch die Philoſophie md zwar am allermeiſien,
wie Soldes die Geſchichte derfelben bezeugt; daß dies foger and den
‚der Moral gelte, in im der (Schopeuhauerfchen) Abhandinug über des
umdament der Moral dargeiban. Wie Theologie dedt mit ihrem
Schleier alle Probleme der Philoſophie zu und macht daher nicht mır
die Föfung, fondern fogar bie Anffafiung derjelben ummöglih. (F.1,
202. Bergl. unter Bhilofophie: Gegeifag zwifcen Philofopfi
uud Theologie.)
Tpesretische Philefophie, |. unter Bpilofophie: Cintfrilung de
Fäilofophie
Theoretifige Weisheit, |. Weisheit.
Tpeargie, |. unter Magie: Sympethetiſche Kuren uud Hei
Thier.
1) Der eigentliche Charakter der Thierheit.
Tas Erkennen, mit dem durch daſſelbe bedingten Bewegen uf
Motive, iſt der eigentliche Charalter der Thierheit, wie die Be
wegung auf Reize der Charakter der Pflanze. Das Erkennen aber
erfordert durdgaus Berfiand. Der Berftand alfo unterſcheidet Thier
von Pflanzen, wie die Vernunft Menfchen von Thieren. (Bergl. unter
Pflanze: Grundunterfchieb zwifchen Pflanze und Thier.) Alle There
baben Berftand, felbfi die uwollkommenſten; benn fie alle erkennen
Dbjecte, und dieſe Erkenntniß beſtimmt ald Motiv ihre Bewegungen.
(®. 1, 24. ©. 47. F. 17. €. 31fg. N. 69. P. I, 276.)
Dean bat auf vielerlei Weiſe verfudt, ein Unterſcheidungszeichen
zwifchen Thieren und Pflanzen feflzufegen, und nie etwas ganz Ge
nügende8 gefunden. Das Treffendfte blieb noch immer motus spor-
taneus in victu sumendo. Aber bies ift nur ein durch das Erkennen
begriindetes Phänomen, alfo diefem umterzuorbuen. Denn eine wahr
haft willfürfiche, nicht aus mechaniſchen, chemifchen oder phyfiologifcen
Urfachen erfolgende Bewegung gefchieht durchaus nad) einem er-
kannten Object, welches das Motiv jener Bewegung wird. —
Daß in mauchem Betracht das Thier zugleich Pflanze, ja auch umor-
ganifcher Körper ift, verfteht fich von ſelbſt. Aber der eigentliche
Charakter der Thierheit im Thiere ift das Erkennen. (F. 181g)
Die Thiere haben Berftand, ohne Vernunft zu haben, mithin
anfhaulidhe, aber feine abftracte Erfenniniß; fie apprehendiren
richtig, faffen auch den unmittelbaren Cauſalzuſammenhang auf, die
oberen Thiere felbft durch miehrere Glieder feiner Kette; jedoch denken
fie eigentlich nicht. Denn ihnen mangeln die Begriffe, d. h. die
abftracten Vorſtellungen. Hiervon ift die nächſte Folge der angel
Thier 373
eines eigentlichen Gebächtniffes, welchem felbft die klügſten Thiere noch
unterliegen, und diefer eben begründet hauptfächlich dem Unterfchied
zwifchen ihrem Bewußtfein und dem menſchlichen. (W. II, 62—66.
E. 33 fg.)
2) Die Thierarten.
Die verfchiebenen Thiergeftalten, in denen der Wille zum Leben ſich
darftellt, verhalten fich zu einauber, wie der felbe Gedanke, in ver⸗
fhiedenen Sprachen und dem Geiſte einer jeden derfelben gemäß
ausgedritdt, und bie verfchiedenen Species eines Genus laſſen ſich
anfehen wie eine Anzahl Variationen auf das felbe Thema, Näher
betrachtet jedoch ift jene Berfchiebenheit der Thiergeftalten abzuleiten
aus der verfchiedenen Lebensweife jeder Species und der ans biefer
entfpringenden Berfchiedenheit der Zwecke. (P. II, 188.)
Ueber den Urfprung der Arten f. Generatio aequivoca umd
Species.
3) Identität des. Wefentlihen in Thier und Menſch.
(S. Menfd.)
4) Unterfchied zwifchen Thier und Menſch. (S.Menfd,
und in Betreff einzelner Unterfchiede ſ. Lachen, Weinen,
Leidenfhaft, Naivetät, Narrheit, Sprade, Selbft-
mord, Tod.)
5) Geftalt und Lebensweife der Thiere. (©. Orga—
nifh, Anatomie und Urtbier.)
6) Intellect ber Thiere. (S. Intellect.)
7) Inftinct der Thiere. (©. Inftinct,)
8) Dreffur der Thiere. (S. Abrichtung.)
9) Die Thiere in moralifher Hinſicht betradtet.
Die Freiheit des Willens tritt erſt dann ein, wenn der Wille, zur
Erkenntniß feines Wefens an ſich gelangt, aus diefer ein Quietiv
erhält und eben dadurch der Wirkung der Motive entzogen wirb,
welche im Gebiet einer andern Erfenntnißweife liegt, beren Objecte
nur Erfcheinungen find. — Die Möglichkeit der aljo ſich äußernden
Freiheit ift der größte Vorzug des Menfchen, der dem Thiere ewig
abgeht, weil die Beſonnenheit der Vernunft, welche, unabhängig vom
Eindrud der Gegenwart, da8 Ganze des Lebens überfchen Täßt,
Bedingung berfelben if. Das Thier ift ohne alle Möglichkeit der
Freiheit, wie es fogar ohne Möglichkeit einer eigentlichen, alfo be
fonnmen Wahlentſcheidung, nad; vorhergegangenem volllommenen Con⸗
flict der Motive, die hiezu abftracte Vorftellungen fein müßten, ift.
Mit eben der Nothwendigkeit daher, mit welcher der Stein zur Erde
fällt, fchlägt der hungerige Wolf feine Zähne in das Fleiſch des
374 Thier
Wildes, ohne Möglichkeit der Erlenninig, daß er ber Zerſleiſchte
fowohl als der Zerfleifchende if. (WB. I, 478.)
Das Thier if, da ihm die abflracte oder Beraunft- Erfenutnif
gänzlich fehlt, durdaus keiner Borfäge, gefchweige Grunbfäge, ml
mithin keiner Selbſtbeherrſchung fähig, fondern dem Eindrud zub
Affect wehrlos Hingegeben. Daher eben hat es feine bewufste Mo-
ralität; wiewohl die Species große Unterſchiede der Bosfeit zub
Güte des Charakters zeigen, und in den oberflen Geſchlechtern felbfl
die Individuen. (E 215. W. I, 65. NR. 78.)
Ein Analogon von Moralität läßt fi den Thieren wicht abſprechen,
wenn man den verjchiebenen empiriſchen Charakter der Thiere be
tradhtet, den Hund, den Slephanten vergleicht mit der Kate, ber Hwene,
dem Krolobill; welcher empirifche Sharalter wohl die Aeußerung eine
. intelligibeln fein mödte. (M. 314 fg.)
10) Die Thiere in äfthetifder Hinſicht betragtet.
(S. unter Schön: Barum jedes Raturobject ſchön ifl, und
unter Malerei: Ueberwiegen ber fnbjectiven oder objec⸗
tiven Seite bes äfthetifchen Wohlgefallene.)
11) Das Thierleben als die dentlihfle Eremplifi-
cation ber Richtigkeit nnd des Leidens des Lebens.
Die Thierwelt ift beſonders geeignet, zum deutlichen Bewuftiein
zu bringen, daß zwifchen den Mühen und Plagen des Lebens und
dem Ertrag ober Gewinn defielben kein Berhältuiß if. Beſonders iſt
in diefer Hinfiht die Betrachtung der fich felber überlaffenen Thier⸗
welt in menfchenleeren Ländern belehrend. Um einfachen, leicht über:
fehbaren Leben der Thiere wirb die Nichtigkeit und Bergeblichleit des
ganzen Strebens des Willens zum Leben leichter faßlich. Die
Mannigfaltigleit der Organifationen, die Kinftlichleit der Mittel,
wodurch jebe ihrem &lemente und ihrem Haube angepaßt ift, con-
teaftirt bier deutlich mit dem Mangel irgend eines haltbaren End-
zwedes; ſtatt defien fich nur augenblidliches Behagen, flüchtiger, durch
Mangel bedingter Genuß, vieled und langes Leiden, befländiger Kampf,
bellum omnium, Jedes ein Jäger und Jedes gejagt, Gebrünge,
Mangel, Noth und Angſt, Gefchrei und Geheul darftellt. (W. I,
403—-405.)
12) Die Hanstbiere.
Manche unferer Hausthiere find erſt durch Zähmung und Huma-
nifirang Das geworben, was fie find; fo 3. B. des Menfchen trenefter
Freund, der Hund, den Euvier als feine koſtbarſte Eroberung bezeichnet.
($. 349. M. 170.) |
Das den Thieren eigene, gänzliche Aufgehen in der Gegen:
wart trägt viel bei zu der Freude, die wir an unfern Hausthieren
haben; fie find die perfonificirte Gegenwart und machen uns gewifler:
maßen den Werth jeder unbefchwerten und ungetrübten Stunde fühl:
Thierkreis — Thierfhug 375
bar, während wir mit unfern Gedanken meiftens über dieſe hinausgehen
und fie unbeadhtet laffen. Aber die angeführte Eigenfchaft der Thiere,
mehr, als wir, durch das bloße Dafein befriedigt zu fein, wird vom
egoiftifchen und herzlofen Menfchen mißbraucht und oft dermaßen aus-
gebeutet, daß er ihnen außer dem bloßen kahlen ‘Dafein nichts, gar
nicht8 gönnt. Den Vogel, der organifirt ift, die halbe Welt zu durch⸗
fireifen, fperrt er in einen Kubiffuß Raum, und feinen treueften Freund»
den fo intelligenten Hund, legt er an die Kette! (PB. II, 318. 403,
Bergl. auch den Artikel Hund.)
Thierkreis.
Die Zeichen des Thierfreifes find das Bamilienwappen der Menjch-
beit; denn fie finden ſich als die felben Bilder und in der felben Ordnung
bei Hindu, Chinefen, Perfern, Aegyptern, Griechen, Römern u. f. w.,
und über ihren Urfprung wird geftritten. (P. II, 136 fg.)
Thierſchutz.
Ein Grundfehler des Iuden- und Chriſtenthums iſt, daß es wider⸗
natürlicher Weiſe den Menſchen losgeriſſen hat von der Thierwelt,
welcher er doch weſentlich angehört, und ihn nun ganz allein gelten
laſſen will, die Thiere geradezu als Sachen betrachtend. Der beſagte
Grupdfehler iſt eine Folge der Weltanſchauung des Judenthums.
(Vergl. Judenthum.) Der bibliſche Spruch: „Der Gerechte erbarmt
ſich feines Viehes“ iſt unzulänglich. Nicht Erbarmen, ſondern Get
rechtigkeit iſt man dem Thiere ſchuldig. Der Schutz der Thiere fäl.
in Europa, welches vom foetor judaicus fo durchzogen iſt, daß die
augenfällige Wahrheit: „das Thier ift im Wefentlichen das Selbe wie
der Menſch“ ein anftößiges Paradoron ift, den ihn bezwedenden Ge-
ſellſchaften und der Polizei anheim, die aber Beide gar wenig vermögen
gegen die Rohheit des Pöbels. Die graufamfte Thierquälerei find bie
Bivifectionen, welche jeder Medikafter ſich befugt hält, vorzunehmen,
um angebliche Probleme zu entjcheiden. Dffenbar ift e8 an der Zeit,
daß der jüdifchen Naturauffaffung in Europa, wenigftens hinſichtlich
der Thiere, ein Ende werde und das ewige Wefen, welches, wie
in uns, aud in allen Thieren lebt, als folches erfannt, geſchont
und geachtet werde. Es ift leider wahr, daß der nach Norden ge-
drängte Menfch des Fleifches der Thiere bedarf; man follte aber den
Tod folder Thiere ihnen ganz unfühlbar machen durch Chloroform
und durch raſches Treffen der letalen Stelle. Erſt, wenn jene einfache
und über allen Zweifel erhabene Wahrheit, daß die Thiere im
Wefentliden das Selbe find, was wir, ins Voll gedrungen
fein wird, werden die Thiere nicht mehr als vechtlofe Weſen daftehen
und der böfen Laune und raufanıfeit jedes rohen Buben preisgegeben
fein; und wird es nicht jeden Medikaſter frei ftehen, jede abenteuerliche
Grille feiner Unwiſſenheit durch die gräßlichfte Dual einer Unzahl von
Thieren auf die Probe zu ftellen.
376 Thorheit — Tod
Die Thierſchutzgeſellſchaften brauchen in ihren Ermahnungen nod
immer das fchlechte Argument, daß Graufanıfeit gegen Zhiere zur
Grauſamkeit gegen Menfchen führe; — als ob bios der Menſch em
unmittelbarer Gegenſtand der moralifchen Pflicht wäre, das Thier bies
ein mittelbarer, an fidh eine bloße Sache! (P. II, 396 — 404. ©.
‚161 fg. 238 — 245. Bergl. aud) unter Anatomie: Ethiſcher Raten
des Studiums der Anatomie.)
Daß Übrigens das Mitleid mit Thieren nicht fo weit führen muR,
daß wir, wie die Brahmanen, und der thieriichen Nahrung zu eut-
halten hätten, beruht darauf, daß in der Natur die Fähigleit zum
Leiden gleichen Schritt hält mit der Intelligenz; weshalb der Meunſch
durch Entbehrung der thierifchen Nahrung, zumal im Norden, mehr
leiden würde, als das Thier durch einen ſchnellen nnd fletS unvorker:
gefehenen Tod. Ohne thierifche Nahrung würde das Menſchengeſchledu
im Norden nicht einmal beftehen können. Nach dem felben Mafitck
läßt der Menſch das Thier au für fi) arbeiten, und nur das
Uebermaß der aufgelegten Anftrengung wird zur Graufamteit. (E. 245.
W. I, 440 Anmerk.)
Thorheit.
Mangel an Anwendung der Vernunft auf das Prabtiſche if
Thorheit. (W. I, 28.) In fat allen Menſchen Hat die Bernunft
eine beinahe ausſchließlich praftifche Richtung; wird nun aber and
diefe verlaflen, verliert da8 Denken die Herrfchaft über das Handeln,
wo es bann heißt: scio meliora proboque, deteriora sequor, ober
„le matin je fais des projets, et le soir je fais des sottises“,
läßt alfo der Menſch fein Handeln nicht durch fein Denken geleitet
werden, fondern durch den Eindrud ber Gegenwart, faft nad; Weile
des Thieres, fo ift er wegen dieſer Unvernunft, weldye nicht in einem
eigentlichen Mangel an Vernunft, fondern nur an Anwendung ber:
jelben auf das Handeln befteht, ein Thor. (W. I, 614 fg.)
Titel, der Bücher, ſ. Büchertitel.
Tod.
1) Unterfchied zwifchen Thier und Menſch in Hinfidt
auf den Tod.
Das Thier lebt ohne eigentliche Kenntniß des Todes; daher genießt
das thierifche Individuum unmittelbar die ganze Unvergänglichkeit der
Gattung, indem es fi feiner nur als endlos bewußt if. Beim
Menſchen fand fi) mit der Vernunft nothwendig die erſchreckende
Gewißheit des Todes ein. Wie aber durchgängig in der Natur jedem
Uebel ein Heilmittel, oder wenigftens ein Erſatz beigegeben ift; fo ver-
hilft die felbe Reflerion, welche die Erkemitniß des Todes herbeiführte,
auch zu metaphyſiſchen Anfichten, die dariiber tröften, und deren
das Thier weder bedürftig, noch fähig ift. Hauptſächlich auf biefen
Zwei find alle Keligionen und philofophifchen Syfteme gerichtet, find
Tod 377
alfo zunähft das von der reflectirenden Vernunft aus eigenen Mitteln
bervorgebrachte Gegengift der Gewißheit des Todes. (W. II, 527.)
So oft ein Menſch ftirbt, geht eine Welt unter, nämlich die, welche
er in feinem Kopfe trägt; je intelligenter der Kopf, defto beutlicher,
flarer, bedeutender, umfaflender diefe Welt, deflo jchredlicher ihr Unter⸗
gang. Mit dem Thiere geht nur eine ärmliche Rhapſodie oder Skizze
einer Welt unter. (9. 413.)
2) Berwandtfhaft zwifhen Schlaf und Tod. (©,
Schlaf) -
3) Zeugung und Tod als wefentlihe Momente bes
Lebens der Gattung.
Zeugung und Tod find als etwas zum Leben Gehöriges und dieſer
Erſcheinung des Willens Wefentliches zu betrachten. Dieſes geht aud)
daraus hervor, daß beide ſich uns als die nur höher potenzirten Aus⸗
drücke deflen, woraus auch das ganze übrige Xeben beftcht, barftellen.
Diefed nämlich ift durch und durch nichts Anderes, als ein fteter
Wechſel der Materie, unter dem feften Beharren der Form; und eben
das if die Bergänglichkeit der Individuen, bei der Unvergänglichkeit
der Gattung. Die beftändige Ernährung und Reproduction ift nur
dem Grabe nad) von der Zeugung, und die beftändige Excretion nur
dem Grade nad vom Tode verfchieden. (W. I, 326 fg.)
Der Ernäfrungsproceß ift ein ftete8 Zeugen, der Zeugungsprocek
ein höher potenzirtes Ernähren. Andererſeits ift die Ereretion, das
ftete Aushauchen und Abwerfen von Dlaterie, da8 Selbe, was in er-
böhter Potenz der Tod, dev Gegenfat der Zeugung if. Wie wir nun
hiebei allezeit zufrieden find, die Form zu erhalten, ohne die abgewor⸗
fene Materie zu betrauern; fo haben wir uns auf gleihe Weife zu
verhalten, wenn im Tode das Selbe in erhöhter Potenz und in Gan⸗
zen gefchieht, was täglich und ſtündlich im Einzelnen bei der Eyrcretion
vor ſich geht. Wie wir beim erftern gleichgültig find, follten wir
beim andern nicht zurüdbeben. Bon biefem Standpunkt aus crjcheint
es daher eben fo verkehrt, die Fortdauer feiner Individualität zu ver-
langen, welche durch andere Individuen erfeßt wird, als den Beſtand
der Materie feines Leibes, die ftetS durch neue erſetzt wird; es erfcheint
eben fo thöricht, Leichen einzubalfamiren, als es wäre, feine Auswürfe
forgfältig zu bewahren. (W. I, 326 fg.)
Einem Auge, welches mit einem Blick das Menfchengefhlecht in
feiner ganzen Dauer umfaßte, würde ber ftete Wechfel von Geburt
und Tod fi) nur darftellen, wie eine anhaltende Vibration, und deme
nach ihm gar nicht einfallen, darin ein ftet8 neues Werden aus Nichts
zu Nichts zu fehen; fondern ihm witrde, gleich wie unferm Blick der
Schnell gedrehte Funke als bleibender Kreis, die ſchnell vibrivende Weder
als beharrendes Dreieck, die ſchwingende Saite ald Spindel erfcheint,
die Gattung als das Seiende und Bleibende erfcheinen, Tod und Ge-
burt als Vibrationen, (W. II, 548— 551.) Das Wedjfelfpiel des
378 Tod
Todes und ber Zeugung ift gleihfam der Pulsichlag der durch af
Zeit beharrenden Idee (species). (W. II, 584.)
Der Grund des Alternd und Sterbens ift fein phyfifcher, fondem
em metaphyſiſcher. (H. 410. P. II, 308.)
4) Unzerſtörbarkeit unfers Wefens an fi burd ker
Tod.
Ans dem Aufhören des organifchen Lebens in einem JIndividum
ift nicht zu jchließen, daß auch die daſſelbe bisher actuirende Kraft zu
Nichts geworben ſei; — fo wenig, al8 vom ftillfiehenden Spinmtade
auf den Zob der Spimerin zu ſchließen if. Selbſt den muterfir
Naturkräften erkennen wir unmittelbar eine Aeternität und Ubiqunät
zu, an welcher uns die Bergänglidjleit ihrer flüchtigen Erfcheinunge
feinen Augenblid irre madt. Um fo weniger aljo darf es uns u
den Sinn fommen, das Aufhören des Lebens für die Bernichtung dei
belebenden Brincipes, mithin den Tod für den gänzlichen Untergang
des Menfchen zu halten. Nur das ift vergänglich, was in der Cauſal⸗
fette begriffen iſt; Dies aber find blos die Zuftäude umd Form.
Unberührt hingegen von dem durch Urſachen herbeigeführten Wedid
diefer bleibt einerfeits die Materie und andererſeits die Raturkrait;
denn beide find die Borausfegung aller jener Veränderungen. Tee
und belebende Princip aber müſſen wir zunächft wenigftens als em
KRaturkraft denken. Alſo ſchon als Naturkraft genommen, bleibt die
Lebenskraft ganz unberührt von dem Wechfel der Formen und Zuftänk.
So weit alfo ließe fi) ſchon die Unvergänglichfeit unſers eigentlichen
Weſens ficher beweifen. Aber aud) da8 Zweite, welches, eben mie bie
Naturfräfte, von dem am Leitfaden der Saufalität fortlaufenden Wedel
der Zuftände unberührt bleibt, alfo die Materie, fihert uns duch
feine abfolute Beharrlichkeit eine Unzerſtörbarkeit zu. Selbſt diefe Be⸗
barrlichleit der Materie legt von der Unzerftörbarfeit unfers wahre
Weſens Zeugniß ab. (W. I, 536 — 538. 542 — 546.)
Wenn ich eine Fliege Mappe, fo tft doch wohl Har, daß ich mdt
dag Ding an ſich todt geichlagen habe, fondern blos feine Erſchei—
nung. (H. 411.) Wie fann man nur beim Anblid des Todes ein
Menfchen vermeinen, hier werde ein Ding an fich jelbft zu nichts?
Daß vielmehr nur eine Erſcheinung in der Zeit ihr Ende finde, ohm
dak dad Ting an fich ſelbſt dadurd) angefochten werde, iſt eine un:
mittelbare intuitive Erkenntniß jedes Menſchen; daher man es zu all
Heiten in den verſchiedenſten Formen und Ausdrüden auszuſprechen
bemüht geweſen ft. ($. U, 287.)
Der Tod giebt fi unverhohlen fund als das Ende des Indiri—
duums (vergl. unter Judividuation, Yudivibualität: Serfekun
des Yudividuums durch den Tod), aber in diefem Individnum liegt
der Keim zu einem neuen Weſen. Demnach nun aljo flirbt nicht
von Allem, was ba jtirbt, für immer; aber and) Keines, das geboren
wird, empfängt ein von rund aus neues Dajein. (P. Il, 292.
Zob 379
Wie aud immer, dur Zeugung und Tod, das Phyſiſche wunderlich
und bedenklich walten mag; fo ift doch das ihm zu Grunde liegende
Metaphyſiſche fo ganz Heterogener Wefenheit, daß es davon nicht an-
gefohten wird und wir getroft fein dürfen. (P. II, 295. W. IL,
540 fg. 563— 568. Vergl. auch Entftehen und Bergehen.)
5) Barum uns der Tod als Vernichtung erſcheint.
Dasjenige Dafein, welches beim Tode des Individuums unbetheiligt
bleibt, Hat nicht Zeit und Raum zur Yorm, alles fiir und Reale er-
jdeint aber in dieſen; daher alſo ftellt der Tod fih uns als Ver⸗
nihtung dar. (P. I, 301.)
dur und ift und bleibt der Tod ein Negatives, — das Aufhören
des Lebens; allein er muß auch eine pofitive Seite haben, bie jedoch
ung verdeckt bleibt, weil unfer Intellect durchaus unfähig ift, fie zu
faſſen. Daher erfennen wir wohl, was wir durch den Tod verlieren,
aber nicht, was wir durch ihn gewinnen. (PB. U, 301.)
6) Zurüdverfegung in den Urzuftand durch den Tod.
Wer auf intuitive Weife inne wird, daß die Gegenwart, welde
die alleinige Form aller Realität ift (vergl. Gegenwart), ihre Quelle
in uns bat, alfo von innen, nicht von außen quillt, der kann an der
Unzerftörbarkeit feines eigenen Weſens nicht zweifeln. Vielmehr wird
er begreifen, daß bei feinen: Tode zwar bie objective Welt, mit den
Medio ihrer Darftellung, dem Intellect, für ihn untergeht, Dies aber
ein Dafein nicht anficht; denn e8 war eben fo viel Realität inner-
halb, wie außerhalb. Das Leben Tann angefehen werden als ein
Traum und der Tod ald das Erwachen. Dann aber gehört die Per-
ſönlichkeit, das Individuum, dem träumenden und nicht dem wachen
Dewußtfein an; weshalb denn jenem der Tod fi als Vernichtung
darſtellt. Jedenfalls jedoch ift ex, von diefem Gefichtspunft aus, nicht
ju betrachten als der Uebergang zu einem uns ganz neuen und frem⸗
den Zuftande, vielmehr nur als der Rücktritt zu dem uns urfprünglic)
eigenen, als von welchem das Leben nur eine kurze Epifode var.
Im Tode geht allerdings unſer Bewußtfein, als durch den Intellect
und mithin durd) den Organismus bedingt (vergl. Intellect und
Bewußtſein), unter; Hingegen feineswegs Das, was bis dahin daf-
ſelbe hervorgebraht hatte. Und was für ein Bewußtfein ift denn
dieſes? — ein cerebrales, aniniales, ein etwas höher potenzirtes thie⸗
riſches. Der Zuftand Hingegen, in welchen uns der Tod zurüdverfegt,
iſt unfer urfprüinglicher, d. h. ift der felbfteigene Zuftand des Wefens,
defien Urkraft in der Hervorbringung und Unterhaltung des jet auf-
hörenden Lebens ſich darftellt. Es ift nämlich der Zuftand des Dinges
an fih, im Gegenfag der Erſcheinung. Im diefem Uxzuftande nun ift
ohne Zweifel ein ſolcher Nothbehelf, wie das cerebrale, höchſt mittel»
bare und eben deshalb bloße Erfcheinungen Liefernde Erkennen durchaus
überflüffig; daher wir es eben verlieren. Aber, wenn wir nun durch
380 Zob
ben Tod ben Iutellect mit feiner Grundform (Zerfelen in Subject m
Dbiect, in ein Erlennendes und Erlanntes) einbüßen; fo werben mı
daburch nur in den erfenntniglofen Urzuftand verjegt, der ededh
deshalb nicht eim ſchlechthin bewußtloſer, vielmehr ein über ja:
erha
ben ſelbſt wirklich und unmittelbar Eins fein würde, alfo die Gum
—— „yies Erkenuens (eben jener Gegenfag) fehlt. ($. 1,
7) Beweis, daß der Tod fein Uebel if.
Bas uns den Tod fo furchtbar macht, ift nicht fowehl das Erde
des Lebens, als vielmehr die Zerflörung des Organismns; eiganlik,
nt diefer der als Leib fi darftellende Wille ſelbſt Mi "Diee der:
, förung fane wir aber wirklich mir in den Uebeln der Sranfken,
oder des Alters; hingegen der Tod felbft befteht, fiir das Subject,
blos in dem Angendiid, da das Bewußtſein ſchwindet, indem die
Thätigkeit des Gehirns ſtockt. Die hierauf folgende Verbreitung der
Srodung auf alle übrigen Theile des Organismus ift eigentlich für
e Begebenheit nad dem Tode. Der Tod, in fubjectiver Hinſich
betrifft alfo allein das Bewußtſein. Was nun das Schwinden dirk:
fei, if uns ans dem Einfchlafen und der Ohmmacht befannt. Ce üi
keineswegs ſchmerzlich. Auch der gewaltiame Tod Taun nicht ſchmery
lich ſein, da ſelbſt ſchwere Berwundungen in der Regel gar nicht g
fühlt, fonbern erft eine Weile nachher bemerkt werden. Sind fie jherl
tödtlih, fo wird das Bewußtſein vor dieſer Entdeckung ſchwinden
tödten fie jpäter, fo ift es, wie bei andern Krankheiten. Auch ok
Die, weldge im Waſſer, oder durch Kohlendampf, oder durch Hängen
das Benuftfein verloren haben, jagen befanntlid aus, daß es ohr
Bein geicheben fe. Und nun eundlich gar der eigentlich ——
Tod, der durch das Alter, die Euthanafie, iſt ein allmäliges Ver
ſchwinden und Berfchiweben aus dem Dafen, auf unmerkliche Bei
Was bleibt da dem Zode noch zu ?
Ferner daraus, daß die Unterhaltung des Lebensproceſſes nicht ode
Widerſtand, folglich nicht ohne Auftrengung vor fich geht, welde «
aud) ift, der der Organismus jeden Abend unterliegt, iſt zu ſchließen
daft das gänzliche Aufbören des Lebensprocefieg für die treibenk
Kraft deſſelben eine wunderfame Erleichterung fein muß; viele
bat diefe Antheil an dem Ausdrud füßer Zufriedenheit auf dem Ee
ſichte der meiften Todten. Ueberhaupt mag der Angenblid des Eier
bens dem des Erwachens ans einem ſchweren, alpgedrüdten Traumt
ähnlich fein.
Hieraus ergiebt fi, daß der Tod, fo fehr er auch gefürchtet wir,
doch eigentlich Fein Uebel fein Fönme. Oft aber erſcheint er foger als
ein Gut, ein Erwünfdhtes, al® Freund Hain. Alles, was auf me
überwindliche Hinderniſſe feines Daſeins, oder feiner Beftrebungen ge
Tod 381
ftoßen ift, bat zur lebten Zuflucht die Rückkehr in den Schooß ber
Natur. (W. II, 633 — 535.)
Was fir bag Individuum der Schlaf, das ift fiir den Willen als
Ding an fi) der Tod. Er würde e8 nicht aushalten, eine Unendlid)-
feit hindurch das felbe Treiben und Leiden ohne wahren Gewinn fort
zujegen, wenn ihm Erinnerung und Individualität bliebe. Er wirft
fie ab, dies ift der Lethe, und tritt, durch dieſen Todesſchlaf erfriſcht
und mit einem andern Intellect ausgeftattet, als ein neues Weſen
wieder auf. (W. II, 572. Ueber die Berwandtfchaft zwifchen Schlaf
und Tod vergl. Schlaf.)
Ber könnte auch nur den Gedanken des Todes ertragen, wenn das
Leben eine Freude wäre. So aber hat jener immer noch das Gute,
das Ende des Lebens zu fein, und wir tröften uns über die Leiden
des Lebens mit dem Tode, und über den Tod mit den Leiden des
Lebens. Die Wahrheit ift, daß Beide unzertrennlich zufammengehören,
indem fie ein Irrſal ausmachen, von welchem zurüdzulommen fo
Schwer, wie wünſchenswerth ift. (W. II, 662.)
Die Imdividualität ift feine Vollkommenheit, fondern eine Beſchrän⸗
ni Daher 9 ſie los zu werden, kein Verluſt, vielmehr Gewinn.
G. U, 299.
Ein zu her Zeit und für Jeden faßlicher Troſt ift: Der Tod
it fo natürlich, wie das Leben; und dann wollen wir weiter fehen.
(9. 410.)
8) Moralifche Bedeutung des Todes,
Die Individualität der meiften Menfchen ift eine fo elende und
nichtowürdige, daß fie wahrlich nichts daran verlieren, und daß, was
an ihnen noch einigen Werth haben mag, das allgemein Meenfchliche
iſt; diefem aber kann man die Unvergänglichkeit verjprechen. Ja, ſchon
die ftarre Unveränderlichkeit und wefentliche Beſchränkung jeder Indivi⸗
dualität, als folder, müßte, bei einer endlofen Fortdauer berfelben
endlich durch ihre Monotonie einen fo großen Ueberdruß erzeugen, daß
man, um ihrer entledigt zu fein, lieber zu Nichts würde. Unſterblich⸗
fit der Individualität verlangen Heißt eigentlich einen Irrthum ing
Unmdliche perpetuiven zu wollen. Denn im runde ift doch jede
Indivibualität nur ein fpecieller Irrthum, Fehltritt, etwas das befler
nit wäre, ja, wovon uns zurüdzubringen der eigentliche Zwed des
ebens iſt. (W. IL, 560 fa.)
Tod und Geburt find die ſtete Auffrischung des Bewußtſeins des
an fi) end- und anfangslofen Willens, jede ſolche Auffrifhung aber
bringt eine neue Möglichkeit der Berneinung des Willens zum Leben.
(®. I, 571.)
Der Tod ift die große Zurechtweifung, welche der Wille zum Leben
und näher der diefem wejentliche Egoismus durch den Kauf der Natur
erhält, und er Tann aufgefaßt werden als eine Strafe für unfer Da⸗
jen. Er ift die fehmerzliche Löfung des Knotens, den die Zeugung
ei
jelben zu denlen iſt; die wahre, uriprünglicdhe Freiheit tritt wieder em
in biefem Augenbfid, welcher al® eine restitutio in integrum betradiiet
werden fanı. Der Triebe und bie Beruhigung auf dem Gefichte der
meiften Zodten fcheint daher zu ſtarmen. Ruhig und fanft iſt in der
Kegel der Tod jedes guten Menſchen; aber willig und freubig ſterben
ift das Borrecht des Refignirten, Deſſen, der den Willen zum Yeben
aufgiebt ımd verneint. Denn mar er will wirklich umb richt bios
fheinbar ſterben. (W. II, 580.)
Der Tod fagt: Du bift das Prodnct eines Actes, der nicht hätte
fein follen,; barım mußt du, ihm auszulöfchen, ſterben. — Beim Zox
erfährt der Egoismus durch die Aufhebung der eigenen Perfou die
gänzlihe Durchkreuzung und Zermalmung. Daher die Zodesfurdt.
Der Tod ift demnad) die Belehrung, welche dem Egoismus durch den
Lauf der Natur wird. (9. 410 fg.)
Wenn man ftirbt, follte man feine Individnalität abwerfen, wie an
altes Kleid, und fich freuen über die nene und beffere, die man jegt,
nach erhaltener Belehrung, dagegen annehmen wird. (P. II, 301.)
In nod) höherem Grabe, als das Reiben, hat der Tod eine heiligenbe
Straft. Dem entfprechend wirb eine der Ehrfurcht, welche großes Lei⸗
den und abnöthigt, verwandte vor jedem Geftorbenen gefliblt, ja, jeder
Todesfall ftellt fich gemwiffermaßen als eine Art Apotheofe oder Heilig
ſprechung dar; daher wir den Leichnam auch des unbedeutendſter
Menfchen nicht ohne Ehrfurcht betrachten. (WB. IL, 729.)
Das Sterben ift als ber eigentliche Zweck bes Lebens anzuſehen:
im Augenblick befjelben wird alles Das entfchieden, was durch de
anzen Verlauf des Lebens nur vorbereitet umd eingeleitet war. Ber
Hot ift das Ergebniß, das Resume des Lebens, oder die zufammen:
gezogene Summe, welche bie gefammte Belchrung, die das Leben
vereinzelt und ftüchweife gab, mit Einem Male ausſpricht, nämlich
diefe, daf das ganze Streben, befjen Erfcheinung das Leben iſt, cin
vergebliches, eiteles, fich wibderfprechendes war, von welchem zurüd-
gefommen zu fein eine Erlöſung if. — Der vollbradhte Lebenslani,
auf welchen man fterbend zurüdblidt, hat auf den ganzen, in bier:
untergehenden Individualität ſich objectivirenden Willen eine Wirkumg,
welche der analog ift, die ein Motiv auf das Handeln des Menſchen
ausübt; er giebt nämlich demfelben eine neue Richtung, welche fonch
das mioralifche und wefentliche Refultat des Lebens if. Eben weil
Tod 383
ein plöglicher Tod diefen Rückblick unmöglich macht, fieht die Kirche
einen ſolchen als ein Unglüd an, um deſſen Abwendung gebetet wird.
(®. II, 729 fg.)
In der Todesftunde drängen alle die geheimnißvollen (wenngleich in
ung felbft wurzelnden) Mächte, die das ewige Schidfal des Menfchen
beftimmen, fi) zufammen und treten in Action. Aus ihrem Conflict
ırgiebt fid) der Weg, den er jeßt zu wandern Hat, bereitet nämlich)
jeine Balingenefie fid) vor, nebft allem Wohl und Wehe, welches in
ihr begriffen und von Dem an unwiderruflich beftimmt iſt. Hierauf be—
ruht der hochernſte, wichtige, feierliche und furchtbare Charakter der
Todesſtunde. Sie ift eine Krifis im flärfften Sinne de Wortes, —
ein Weltgeriht. (PB. I, 238.)
Daß die legte Spike, in melde die Bedeutung des Daſeins über-
haupt auslänft, das Ethiſche fei, das bewährt ſich durch die unleugbare
Thatfahe, daß bei Annäherung des Todes der Gedankengang des
Menſchen, gleihviel, ob er religiöfen Dogmen angehangen habe ober
nit, eine moralifche Richtung nimmt und er die Rechnung über
einen vollbrachten Lebenslauf durchaus in moralifcher Rückſicht ab»
fließen bemüht ift. (E. 261 fg.)
Nah dem Abfterben des Willens Tann der Tod des Leibes (der ja
mr die Erſcheinung des Willens ift, mit deſſen Aufhebung. er daher
ale Bedeutung verliert) nun nichts Bitteres mehr haben, fondern ift
ſehr willtommen. (W. I, 462. 9. 413.) Auch zeigt fid) uns von
bier aus wieder die ewige Serechtigfeit. Was der Böfe von allen
Dingen am meiften fürchtet, das iſt ihm gewiß; es ift der Tod,
Diefer ift dem Beſten zwar eben fo gewiß; aber er ift ihm willkom⸗
mer. Da alle Bosheit im heftigen und unbedingten Wollen des
vebens befteht, fo ift Jedem, nad dem Maße feiner Bosheit oder
Güte, der Tod bitter, oder leicht, oder erwünjdt. Die Endlichkeit
des individuellen Lebens ift ein Uebel oder eine Wohlthat, je nachdem
der Menſch böſe oder gut ifl. (9. 413.)
9) Die in dem verfchiedenen Verhalten gegen den Tod
ſich kundgebende Duplicität des Bewußtſeins.
An unſerer in verſchiedenen Zeiten verſchiedenen Geflnnung gegen
den Tod zeigt fich deutlich die Duplicität des Bewußtjeine Es
giebt Augenblide, two uns der Tod in fürchterlicher Geftalt erfcheint.
Zu andern Zeiten denken wir mit ruhiger Freude, ja mit Sehnfucht
an den Tod. In der erften Stimmung find wir ganz vom zeitlichen
Bewußtſein erfüllt, find nichts als Erfcheinungen in der Zeit; als
folchen ift uns der Tod Vernichtung und als das größte Uebel mit
Recht zu fürchten. Im der andern Stimmung ift das beffere Bewußt⸗
fein lebendig und es freut fi mit Recht auf die Löfung des geheim-
nißvollen Bandes, durch welches e8 mit dem empirifchen Bewußtfein
in die Identität Eines Ichs verfnitpft ift. Dem mit dem empirifchen
3834 Tobeofurcht
Bewußtſein iſt nicht nur Sünbhaftigleit, ſendern auch alle Uebel m
endlich der Tod nothwendig geſezt. (MR. 728 fg.)
10) Unterfdied der Syſtene in Hinſicht auf die Arf-
faffung des Todes.
Obwohl alle Religionen und philoſophiſchen Syſteme haupiſachlich
darauf gerichtet find, über den Tod zu tröſten, fo iſt doch der Gral,
in welchem fie diefen Zwed erreichen, fehr verſchieden, umd alleding:
wird eine Religion oder Bhilofophie viel mehr, als die amdere, da
Menſchen befähigen, ruhigen Blides dem Tod ind Angefſicht zu fe.
Brahmanismus und Budbhatsmne, die den Menſchen Iehren, fid ei
das Urwefen felbft, da8 Brahm, zu betrachten, welchem alles Entitche
und Vergehen wefentlich fremd ift, werben darin viel mehr leiften, di:
folche, weldye ihn aus nichts gemacht fein und feine, von einem Anden
empfangene Exiſtenz wirflich mit der Geburt anfangen laſſen. Te:
entfprechend finden wir in Indien eine Zuverſicht und eine Beradtm;
des Todes, von der man in Europa feinen Begriff hat. In Cm
ſchwankt nad) Allem, was über den Tob gelehrt worden, bie Mei
häufig Hin und Her zwifchen der Auffafjung bes Todes als abielete
Bernihtung und der Annahme, daß wir gleihjam mit Haut und Gar
unfterblich feien. Beides ift gleich falſch. (W. IL, 527 fg.)
Todesfurdt.
1) Urfprung ber Zobesfurdt.
Die Furcht vor dem Tode entfpringt keineswegs aus der Er:
fenntniß, in welchem Fall fie das Reſultat des erfannten Wert
des Lebens fein würde, fondern fie hat ihre Wurzel unmittelbar in
Willen, aus deffen urfprünglichem Wefen, welches blinder Wille ja
Leben ift, fie hervorgeht. Die Todesfurdht ift von aller Erkennmi
unabhängig; denn das Thier hat fie, obwohl e8 den Tod nicht fan
Alles, was geboren wird, bringt fie ſchon mit auf die Welt. Did
Todesfurdht a priori ift aber eben nur die Kehrfeite des Willend zum
Leben, welcher wir Alle ja find. Daher ift jedem Thiere, mit
die Sorge für feine Erhaltung, fo die Furcht vor feiner Zerlörun
angeboren. Das Thier flieht, zittert und fucht ſich zu verbergen, wit
ed lauter Wille zum Leben, als folcher aber dem Tode verfallen if
und Zeit gewinnen möchte. ben fo iſt von Natur der Menſch
Das größte der Uebel, das Schlimmifte, was überall gedroht werder
kann, ift der Tod, die größte Angſt Todesangſt. Die hierin hervor
tretende grängenlofe Anhänglichkeit an das Leben kann nun aber nich
aus Erkenntniß und Ueberlegung entfprungen fein, vor ber fie vielmekt
thöricht erfcheint, da es um dem objectiven Werth des Lebens fe!
mißlich fteht, Uberdies ja das Leben jedenfalls bald enden muß. Ja:
mächtige Anhänglichkeit an das Leben ift mithin eine undernünftiz
und blinde, nur daraus erflärlih, daß unſer ganzes Weſen an nd
Todesfurcht 385
ſchon Wille zum Leben iſt, und daß dieſer Wille an fi) und ur-
ſprünglich erkenntnißlos und blind if. Die Erfenntniß hingegen, weit
entfernt, der Urfprung jener Unhänglichfeit an das Leben zu fein,
wirft ihr fogar entgegen, inden fie bie Werthlofigfeit deflelben aufdedt
and hiedurch die Zodesfurcht bekämpft. (W. II, 529 fg) Dem
Willen ift die Todesfurcht wefentlich, weil er Wille zum Leben ift,
Deffen ganzes Wefen im Drange nad) Xeben und Dafein befteht, dem
die Erkenntniß nicht urfprünglich, fondern erft in Folge feiner Ob-
jectivation in animalifchen Individuen beimohnt. Wenn er nun mittelft
ihrer den Tod als das Ende der Erfcheinung, mit der er fich iden-
tificirt hat und alſo auf fie fich befchränft fieht, anfichtig wird, firäubt
fi fein ganzes Wefen mit aller Gewalt dagegen. (W. II, 533.)
Im Individuum allein liegt das unmittelbare Bewußtſein; deshalb
wähnt es fid) von der Gattung verfchieden, und darum fürchtet es den
Tod. Der Wille zum Leben manifeftirt fi) in Beziehung auf das
Individuum als Hunger und Todesfurcht, in Beziehung anf die
Species als Geſchlechtstrieb und Leidenfchaftliche Sorge fir die Brut.
(W. U, 552. 568 fg. 572.)
Deiläufig gefagt, mag die Todesfurcht zum Theil auch darauf be-
ruhen, daß der individuelle Wille fo ungern fid) von feinem durch den
Naturlauf ihm zugefallenen Intellect trennt, von feinem Führer und
Wächter, ohne den er fich Hülflos und blind weiß, (W. IL 571.)
Die Sichtbarkeit der Dinge, diefe allein unfchuldige Seite der.
Welt, die reine Borftellung, in welcher die gejonderten und mannig-
faltigen Formen, in denen der Wille ſich manifeftirt, fo deutlich und
bedeutungsvoll daftehen, dies alles ift ſo ſchön, daß es uns an's Dafein
als an den Ort der Helle und Deutlichkeit fefjeln muß; und wir
fchaudern vor dem Zode vielleicht hauptfächlich, weil ex dafteht als die
Vinfterniß, aus der wir einft hervorgetreten, und in die wir nun zu«
rüdfallen. Aber, wann der Tod unfere Augen fchließt, werben wir
wahrſcheinlich in einem Lichte ftehen, von welchen unſer Sonnenlicht
nur der Schatten if. (9. 413.)
2) Der höhere, die Todesfurcht überwindende Stand-
punft.
Die das principium individuationis durchſchauende Erkenntniß jeßt
uns in Stand, die Todesfurcht zu überwinden. (E. 273. W. J,
324— 326. — Vergl. über die Durchſchauung des principü indivi-
duationis: Individuation) Wo das Gefühl uns hilflos preis
giebt, kann die Vernunft eintreten und die widrigen Eindrüde defjelben
großentheil® überwinden, indem fie uns auf einen höhern Standpunft
ftellt, wo wir ftatt des Einzelnen nunmehr das Ganze im Auge haben.
Darum könnte die philofophifche Erkenntniß, daß Jeder nur ale Er-
fcheinung vergänglich, hingegen als Ding an fid) zeitlos, alſo aud)
endlos ift, daß er nur als Erfcheinung von deu Übrigen Dingen der
Welt verſchieden, als Ding an fi) aber der Wille ift, der in Allem
Schopenhauerskerifon. 11. 25
386 Todesftrafe
erfcheint und der vom Tode des Einzelnen wicht berührt wird, die
Screden des Todes überwinden, in dem Maße, als im gegebenn
Individuum die Neflerion Macht hätte ilber das unmittelbare Gefühl.
(®. I, 333 fg.)
Seber, deſſen Geift nicht von ber ganz gemeinen, ſchlechterdings mr
‚auf Erkenntniß des Einzelnen befchränften Art ift, jeder, der durch eim
nur etwas höher potenzirte Fähigkeit auch blos anfängt, in den Ein:
weſen ihr Allgemeines, ihre Ideen, zu erbliden, wird auch der lieber:
zeugung, daß durch den Tod das innere Weſen des Yudividuums nicht
mitgetroffen wird, daß überhaupt Entfiehen und Bergehen nur em
oberflächliches Phänomen ift unb keineswegs an die Wurzel der Ding
greift, in gewifiem Grade theilhaft werden. In der That find es and
nur die Meinen, befchränften Köpfe, welche ganz ernftlich den Tod als
ihre Vernichtung fürchten; aber vollends von den entfchieden Ver:
zugten bleiben ſolche Schreden günzlid fern. (W. II, 541 fg.)
3) Berädhtlicgleit der Tobesfurdt und Erhabenpei:
des Todesmuthes.
Wenn die Erkenntniß in der Belämpfung der Tobesfurcht über der
Willen zum Leben fiegt und demnach der Menſch dem Tode nuuthig
und gelaflen entgegengeht; fo wird dies als groß und edel geehrt; wir
feiern alfo dann den Triumph der Erkenntniß über den blinden Wilen
zum Leben, ber doch der Kern unferd eigenen Weſens ift. Imgleichen
verachten wir Den, in welchem die Erfenntniß in jenem Kampfe ımter
liegt, der daher dem Leben unbedingt anhängt. Wie könnte, läkt fi
bier beiläufig fragen, die gränzenlofe Liebe zum Leben und das Be
ftreben, es auf alle Weife fo lange als möglich zu erhalten, als niebrig md
verächtlich betrachtet werden, wenn baffelbe das mit Dank zu erfennend
Geſchenk gütiger Götter wäre? Und wie könnte ſodann die Gering
ſchätzung befielben groß und edel erfcheinen? (W. U, 530 fg.)
Man könnte alle Zobesfurcht zurüdführen auf einen Mangel an
derjenigen natürlichen, daher auch blos gefühlten Metaphyſik, vermög
welcher der Menfch die Gewißheit in fich trägt, daß er in Allen, ia
in Allem, eben fo wohl eriftirt, wie in feiner eigenen Berfon, dere
Zod ihm daher wenig anhaben kann. Eben aus diefer Gewißhei
bingegen entfpränge demnach der heroiſche Muth, folglich aus der
jelben Duelle mit den Tugenden ber Gerechtigkeit und der Menden:
liebe. Nur von biefem höherern Standpunkt aus läßt es fich erflären,
weshalb Feigheit verächtlich, perfünlicher Muth Hingegern edel und er⸗
haben erfcheint; da von feinem niedrigern Standpunkt aus fich abſehen
läßt, weshalb ein endliches Individuum, welches fich felber Alles, je
fi jelber die Orundbedingung zum Dafein der übrigen Welt if,
nicht der Erhaltung dieſes Selbft alles Undere nachſetzen follk.
(®. II, 219 fg.)
Todesftrafe, |. unter Strafe: Maß der Strafe.
Toleranz — Ton 387
Tolerans.
1) Mittel zur Beförderung der Toleranz gegen frembe
Individualität. (S. Geduld und Nachſicht.)
2) Mittel zur Beförderung der Toleranz gegen fremde
Anſichten.
Um uns gegen fremde, der unfrigen entgegengeſetzte Anſichten tolerant
und beim Widerfprud) geduldig zu machen, ift vielleicht nichts wirt.
jamer, al8 die Erinnerung, wie häufig wir felbft über den felben
Gegenſtand fucceffiv ganz eutgegengefetste Meinungen gehegt und folche
bisweilen fogar in fehr kurzer Zeit wiederholt gewechſelt Haben.
(B- 11, 14 fg.)
3) Berwerflichleit ber Toleranz in ber Ritteratur.
(S. Yitteratur.)
Ton.
I. Der yhyſiſche Ton.
1) Analogie der fieben Töne der Tonleiter mit den
jeh8 Hauptfarben. (S. unter Farbe: Die Haupt-
farben und ihr Schema.)
2) Was die Töne zum Stoff objectiver Anfhauung
und zur Bezeichnung der Begriffe eignet. (©. unter
Sinne: Was hauptjählih die Empfindungen des Geſichts
und Gehörs zum Stoff der objectiven Anſchauung eignet.)
3) Störende Einwirkung ber Töne auf den Geift.
(S. Lärm.)
4) Wirkung der Töne in der Muſik. (S. Muſik.)
5) Warum ein Ton, um börbar zu fein, fehözehn
Schwingungen in der Sekunde madhen muß.
Daß ein Ton, um hörbar zu fein, wenigftens 16 Schwingungen
in der Sekunde machen muß, fcheint daran zu liegen, daß feine
Schwingungen dem Gehörnerven mechanisch mitgetheilt werden müſſen;
indem bie Empfindung des Hörens nicht, wie die des Sehens, eine
durch bloßen Eindrud auf den Nerven hervorgerufene Erregung ift,
fondern erforbert, daß der Nerv felbft Hin und her geriffen werde.
Diefed muß daher mit einer beſtimmten Schnelle uud Kürze gefchehen,
welche ihn nöthigt, Kurz umzulehren, im fcharfen Zidzad, nicht in ges
rundeter Biegung. Zudem muß Dies in Innern des Labyrinths und
der Schnede vor ſich gehen, weil überall die Knochen der Refonanz-
boden der Nerven find; die Lymphe jedoch, welche dafelbft den Gehör-
nerven umgiebt, mildert, als unelaftifch, die Gegenwirkung des Knochens.
P. II, 181 fg.)
25 *
388 Touriſten — Trägbeit
6) Warum alle Töne des Nachts lauter ſchallen, ale
bei Tage. (S. unter Licht: Antagonismus zwiſchen Lich
und Schall.)
II. Der geſellſchaftliche Ton.
1) Der ſogenannte gute Ton.
Die Geſellſchaft hat, um die üchte, d. i. geiſtige Ueberlegenheit,
welche fie nicht verträgt und die auch ſchwer zu finden iſt, zu erfeten,
eine falfche, conventioncle, auf willkürlichen Sagungen beruhende und
traditionell unter den höhern Ständen fich fortpflanzende, aud, wie
die Parole, veränderliche UWeberlegenheit beliebig angenommen. Dick
iſt es, was der gute Ton, bon ton, fashionableness genannt wir.
Wenn fie jedoch ein Mal mit der ächten in Colliſion geräth, zeigt
ſich ihre Schwäche. Zudem, quand le bon ton arrıve, le bu
sens se retire. (P. I, 447 fg.)
2) Der wahrhaft gute Ton.
Wenn man in ber Gefellihaft nur erft den Aberglauben bes ritter-
lihen Ehrenprincips los wäre (vergl. unter Ehre: eine Afterart ber
Ehre) und an Stelle der nad diefem geltenden Ueberlegenheit vie
geiftige Weberlegenheit das ihr gebithrende Primat erlangte; fo würde
dies den wahren guten Ton herbeiführen und der wirklich guten &-
fellichaft den Weg bahnen, wie fie ohne Zweifel in Athen, Kormtt
und Rom beftanden hat. Wer von diefer eine Probe wünſcht, dem
ift die Lectütre des Gaſtmahls des Kenophon zu empfehlen. (P. J, 407.
Touriften, |. Nomadenleben.
Tradition, ſ. Schrift.
Trögbheit.
1) Das Geſetz der Trägheit.
Das Gefe der Trägheit, welches befagt, daß jeder Zuftand, mitken
ſowohl die Ruhe eines Körpers, als auch feine Bewegung jeder Ar:
unverändert, unvermindert, undermehrt, fortdauern und felbft die enbloir
Zeit anhalten müfje, wenn nicht eine Urſache Hinzutritt, welche fie
verändert ober aufhebt, ift ein Korollarium dee Geſetzes der Cauſalitat,
gehört eben darum zu den Erkenntniſſen a priori und iſt über allen
Zweifel erhaben. (©. 42fg.) Das Geſetz der Trägheit fließt un-
mittelbar aus dem der Caufalität, ja, ift eigentlich nur defien Kehrfeite.
„Jede Veränderung wird durch eine Urſache herbeigeführt” fagt dar
Geſetz der Caufalirät; „wo feine Urfache hinzufonmt, tritt feine Ber:
änderung ein‘ fagt das Geſetz der Trägheit. Daher würde eine
Thatſache, die dem Geſetz der Trägheit widerſpräche, geradezu audı
denn der Caufalität, d. h. dem a priori Gewiſſen, wiberjprechen und
uns eine Wirkung ohne Urfache zeigen. (E. Vorrede XXIV fg.)
⸗
Tragödie — Trauerſpiel 389
Die von Kant entvedte Idealität der Zeit ift eigentlich ſchon
in dem, der Mechanik angehörenden Geſetze der Trägheit enthalten.
Denn was dieſes befagt, ift im Grunde, daß die bloße Zeit Feine
phyfiſche Wirkung Hervorzubringen vermag; daher fie, fiir ſich und
allein, an der Ruhe oder Bewegung eines Körpers nichts ändert. Die
abjolute Unwirkſamkeit der Zeit ift es, die im Mechanifchen als Geſetz
der Trägheit auftritt. (P. II, 41 fg.)
2) Berwandtfchaft der Gewohnheit mit der Trägheit.
(S. Gewohnheit.)
Tragödie, |. Trauerfpiel.
Eransfcendent, |. Immanent.
Transfeendental.
1) Transſcendentale Erfenntniß.
Transfcendentale Erkenntniß ift diejenige Erkenntniß, welche das in
aler Erfahrung irgend Mögliche vor aller Erfahrung beftimmt und
feftftellt, eben dadurch aber die Erfahrungswelt überhaupt zu einem
bloßen Gehirnphänomen herabfegt. (G. 44. P. I, 88.) Sie bildet
alfo den apriorifchen Theil der menjchlichen Erkenntniß und ift mit
transfcendenter Erfenntnig nicht zu verwechſeln. (Bergl. Im⸗
manent.)
2) Transſcendentalphiloſophie.
Traneſcendentalphiloſophie iſt die Lehre von dem in unferm er-
kennenden Bewußtſein enthaltenen Formalen, als einem ſolchen, und
von der dadurch herbeigeführten Beſchränkung, vermöge welcher die
Erkenntniß der Dinge an ſich uns unmöglich iſt, indem die Erfahrung
nichts, als bloße Erſcheinungen liefern kann. Transſcendental iſt die
Philoſophie, welche ſich zum Bewußtſein bringt, daß die erſten und
weſentlichſten Geſetze dieſer ſich uns darſtellenden Welt in unſerm
Gehirn wurzeln und dieſerhalb a priori erkannt werden. (P. J, 88. fg.
W. 1, 204.) Transfcendentalphilofophie ift jede Philoſophie, welche
davon ausgeht, daß ihr nächſter und unmittelbarer Gegenſtand nicht
die Dinge ſeien, ſondern allein das menſchliche Bewußtſein von den
Dingen, welches daher nirgends außer Acht und Rechnung gelaſſen
werden bitrfe. (P. II, 9 fg.)
Trauerſpiel. |
1) Das Trauerfpiel als der Gipfel der Dichtkunft.
Das Trauerfpiel ift, fowohl in Hinficht auf die Größe der Wirkung,
ald auf die Schwierigkeit der Leiftung, als der Gipfel der Dichtlunft
anzufehen und ift dafiir anerfannt. (W. I, 298. Bergl. unter Drama:
Drei Stufen des Dramas.)
390 Traueriviel
Es gehört zu ben gangbaren Irrthümern, daß es leichter fe, ci
gate Tragödie, als eine gute Komödie zu fchreiben. (PB. II, 64.)
I Tendenz und Wirkung des Trauerfpiels.
Tür eigenthümliche Tendenz und Birkung des Trauerfpiels ift, durch
Derttung der ſchrecklichen Seite des Lebens, im Zuſchauer den Grill
Ye Rräcmetion, das Abwenden des Willens von Leben herorzurufe.
EI IB) Im Trauerfpiel wird ums der namenloſe Schmer;,
wer Junmener der Menfchheit, der Triumph der Bosheit, die hoöhnerde
Serrdur des Sufalld und der rettungslofe Fall der Gerechten ur
Irwuiinger wergeführt. Hierin liegt ein bebeutfamer Wink über be
Ar 2 8 Dafeind und die Aufforderung zur Abwendung vi
Ymjaber Es & der Widerftreit des Willens mit fidh felbft, weh:
Year. auf der item Stufe feiner Objeclität, am vollftändigften cıt:
faiter, Fundichur dervortritt. (W. I, 298 fg.; II, 493.) Darſtellur
amed großen Unglideæ iſt dem Trauerfpiel allein wefentlid. (8. |,
AV. Singegen berußt die Forderung der fogenamaten poetiſcer
Geredeizferr and gün;lichem Berlennen des Weſens des Trauerſpiel
S. uuter Gerechtigkeit: Die poetiſche Gerechtigkeit.)
Fur uud Mirlerd, im deren Erregung Ariftotele® den letzten Zwes
des Truneripieit ſetzt, Fünmen wicht Zweck, fondern nur Mittel im.
Aufforderung zur Abwentung des Willend vom Leben bleibt die wahr
Tendenz des Traueripiel®, der leiste Zweck der abfichtlichen Darftelum
der Leiden der Menjchheit, umb iR es mithin auch da, wo biee t:
figuirte Erhebung des Geiftes micht am Helden felbft gezeigt, fondem
blos im Zuſchauer angeregt wird. W. II, 495 fg.)
3) Behandlungsart des Trauerſpiels.
Die vielen verſchiedenen Wege, auf welchen vom Dichter das in dr
Zrogddie darzuftellende große Unglück herbeigeführt wird, laſſen ſit
unter drei Artbegriffe bringen. Es kam nämlich geichehen durch aufer-
ordentliche, an die äufßerften Gränzen der Möglichkeit ftreifende Boske:
eines Charakters, welcher der Urheber des Unglüds wird, wie ;.?.
Richard III, Yago im „Othello“, Franz Moor u. ſ. w. Es fan
ferner gefchehen durch blindes Schidfal, d. i. Zufall und Grrtgum, wi
im König Dedipus des Sophoffes, in den Tradjinerinnen, überhauf:
in den meiften Tragödien der Alten, unter deu Neuern in „Nom
und Julie”, „Tankred“, „Braut von Meffina“. Das Unglüd Tas
aber endlich aud) Herbeigeführt werben durch die bloße Stellung m
Perfonen gegen einander, durch die Verhältniffe. Charaktere, mie fi
in moraliſcher Hinſicht gewöhnlich find, unter Umftänden, wie fie härft
eintreten, find nämlid) fo gegen einander geftellt, daß ihre Lage fie zwingt,
ſich gegenfeitig, wiſſend und fehend, das größte Unheil zu bereite,
ohne daß dabei das Unrecht auf einer Seite ganz allein fei. Di
legtere Art ift den beiden andern weit vorzuziehen. Die Ansführen
Trauerfpiel 391
in dieſer legteren Art hat aber auch die größte Schwierigleit. Ein
vollfommenes Mufter diefer Art ift „Clavigo“. (W. I, 300 fg.)
4) Worauf dag Gefallen am Trauerſpiel beruht.
Unfer Gefallen am Trauerſpiel gehört nicht dem Gefühl des
Schönen, fondern dem des Erhabenen an; ja, es ift der höchſte Grab
diefes Gefühle. Denn, wie wir beim Anblid des Erhabenen in der
Natır uns vom Intereſſe des Willens abwenden, um uns rein an«
ſchauend zu verhalten; fo wenden wir bei ber tragifchen Kataftrophe
uns vom Willen zum Leben felbft ab. Gerade dadurch aber werden
wir inne, daß alsdann noch etwas Anderes an ums übrig bleibt, mas
wir durchaus nicht pofitiv erkennen können, fondern blos negativ, als
Das, was nicht das Leben will. Im Angenblid der tragifchen
Kataftrophe wird und deutlicher, als jemals, bie Weberzeugung, daß
das Leben ein ſchwerer Traum fei, aus dem wir zu erwachen haben.
Infofern ift die Wirkung des Trauerſpiels analog der des dynamiſch
Erhabenen, indem es, wie diefes, uns tiber den Willen und fein In-
tereffe hinaushebt und uns fo umftimmt, daß wir am Anblid des ihm
geradezu Wiberftrebenden Gefallen finden. Was allen Tragiſchen, in
welcher Geftalt e8 auch auftritt, den eigenthlimlichen Schwung zur
Erhebung giebt, ift das Aufgeben ber Erfenntniß, daß die Welt, das
Leben fein wahres Genügen gewähren fünne, mithin unjerer Anhäng-
lichkeit nicht wertd fei. Darin befteht der tragifche Geift; er leitet
demnad zur Refignation hin. (W. II, 493 fg. 722.)
5) Borzug des in hoher Sphäre fpielenden Trauer»
fpiel8 vor dem bürgerliden Trauerfpiel.
Die Griehen nahmen zu Helden des Trauerfpield durchgängig
föniglihe Perfonen, die Neuern meiftentheil® auch. Nun ift zwar das
in niedrigerer Sphäre fpielende bürgerliche Trauerſpiel feineswegs un-
bedingt zu verwerfen. Perfonen von großer Macht und Anfehen find
jedoch bestiegen zum Trauerſpiel die geeignetften, weil das Unglüd, an
welhem wir das Schickſal des Menfchenlebens erkennen jollen, eine
hinreichende Größe haben muß, um dem Zufchauer, wer er auch fei,
als furchtbar zu erjcheinen. Den bürgerlichen Perfonen fehlt es an
Fallhöhe. (W. II, 498. 5. 372.)
6) Bergleihung des Tranerfpiels der Alten mit dem
ber Neuern. (©. die Alten.)
7) Zwed des Chors im Trauerfpiel.
Der üfthetifche Zwed des Chors im Trauerſpiel ift erftlich, daß
neben ber Anficht, welche die vom Sturme ber Leibenfchaften er-
fchütterten Hauptperfonen von ben Sachen haben, auch die der ruhigen,
antheilsfofen Beformenheit zur Sprache fomme, und zweitens, daß die
wefentliche Moral des Stücks, welche in concreto die Handlung deſſelben
fucceffive darlegt, zugleich auch als Reflexion über diefe, in abstracto,
folglich kurz, ansgejproden werde. (P. 471.)
32 Traum
8 Widerlegung einer modernen Anſicht vom Traner—
ſpiel.
Der „Kampf des Menſichen mit dem Schickſal“, weichen unfer
faden, hohlen, jũſßlichen, modernen Aeſthetiler als das allgemeine Thema
des Troneripield aufitellen, hat zu feiner Borausfegung die Freilei
des Willens, dieie Marotte aller Ignoranten, und dazu wohl cudı
noch den fategorijchen Imperativ, deilen moralifche Zwecke, oder ®:
fehle, dem Schidiale zum Trotz, num durchgeſetzt werden follen. Jenes
vorgeblicdhe Thema des Tranerfpield ift ſchon darum ein lächerlicher
Begriff, weil e8 der Kampf mit einem wmfichtbaren Gegner, einem
Kämpen in ber Rebeilappe wäre, gegen den daher jeder Schlag m!
Leere geführt würde und dem man fich in die Arme würfe, indem
man ihm ausweichen wollte. Tazu kommt, daß das Schidfal allge
waltig ift, daher mit ihm zu fämpfen die lächerlichſte aller Ber:
mefjeuheiten wäre. (P. II, 470.)
9) Gegenjap zwifhen Trauerfpiel und Luſtſpiel
(S. Puftfpiel)
Taum.
1) Kriterium zur Unterfheidung des Traumes vor
der Wirklichkeit.
Nach Kant unterfcheibet der Zuſammenhang der Vorftellungen unter
ſich nad dem Geſetze der Saufalität das Leben vom Traum. Dies
iſt nicht richtig; denn auch im Traume hängt alles Einzelne eben je
nad) dem Eat vom Grunde im allen feinen Geſtalten zufammen, un
diefer Zufammenhang bricht blos ab zwiſchen dem Leben und dem Traume
und zwiſchen den einzelnen Träumen. (8. 1, 19.) Auch im Traum,
jo lange er nicht abbricht, behauptet das Geſetz der Caufalität fein Recht,
nur daß ihm oft ein unmöglicher Stoff untergejhoben wird. (G. 8%.
Das allein fihere Kriterium zur Unterfcheidung bes Traumes von
der Wirklichfeit ift fein anderes, als das ganz empirtfche des Erwachens,
durch welches der Cauſalzuſammenhang zwiſchen den geträumten Be
gebenheiten und benen des wachen Lebens ausdrüdlich und fühlbar
abgebrohen wird. (W. I, 19 fg.)
Dbwohl aber die einzelnen Träume vom wirklichen Leben baburd)
gefchieden find, daß fie in den Zuſammenhang der Erfahrung, welder
durch dafjelbe ftetig geht, nicht mit eingreifen, und das Erwachen dieſen
Unterfchieb bezeichnet; fo gehört ja doch eben jener Zufammtenbang ber
Erfahrung (nad) dem Sat vom Grunde) ſchon bem wirklichen Leben
als feine Form an, und der Traum bat eben fo auch im fich einen
Aufammenhang (nad; dem Sat vom Grunde) aufzuweifen. Nimmt
man nun den Standpunkt der Beurtheilung außerhalb beider an, fo
findet fih im ihrem Weſen kein beftimmter Unterfchied, und man iſt
genöthigt, ben Dichtern zuzugeben, daß das Leben ein langer Traum
fi. (W. I, 21. Vergl. unter Leben: Verwandtſchaft zwifchen Leben
und Traum.)
Traum 393
2) Urfacdhe des Eintritts der Träume.
Den Sag vom Grunde ald dem ausnahmsloſen Princip der Ab⸗
hängigfeit und Bedingtheit aller irgend für uns vorhandenen Gegenftänbe.
müſſen auch die Träume Hinfichtlich ihres Eintritt® unterworfen fein.
Es frägt fi daher, auf welche Weife. Das Charafteriftifche des
Zranmes ift die ihm wefentliche Bedingung bes Schlafs. ‘Demnach
wird der Eintritt, mithin auch der Stoff des Traumes zuvörderſt nicht
dur) äußere Eindrüde auf die Sinne herbeigeführt, von einzelnen
Hälen abgefehen, wo bei leichtem Schlummer äußere Sinneseindritde
Einfluß auf den Traum erlangt haben. Aber auch nicht durch bie
Öebankenaffociation werden die Träume herbeigeführt. Denn ſchon die
erſten Zraumbilder des Einfdjlafenden find ftetS ohne irgend einen
Zufammenhang mit den Gedanken, unter denen er eingefchlafen ift, ja,
fie find diefen auffallend Heterogen. Da nun alfo bei der Entftehung
der Träume dem Gehirne fowohl die Erregung von außen, durch bie
Sinne, als die von innen, durch die Gedanken, abgefchnitten ift; fo
bleibt nur die Annahme übrig, daß daſſelbe irgend eine rein phyſiolo—
gifhe Erregung dazu, aus dem Innern des Organismus, erhalte.
Veim Einfchlafen nämlich, als wo die äußern Eindritde zu wirken
aufhören und auch bie Regſamlkeit der Gedanken im Innern bes Sen-
ſorinms allmälig erftirbt, da werben jene ſchwachen, im wachen Zuftande
nicht wahrgenommenen Einbrüde, die aus dem innern Nervenheerde
des organifchen Lebens heraufdringen, imgleichen jede geringe Modifi-
cation des Blutumlaufs, da fie fich den Gefäßen des Gehirns mittheilt,
fühlbar. Hier alfo muß die Urfache der Entftehung und aud) die
durchgängige nähere Beftimmung jener beim Einſchlafen auffteigenden
Zraumgeftalten liegen, und nicht weniger die der im tiefen Schlaf ſich
erhebenben, dramatischen Zufammenhang Habenden Träume, -Wie alle
Sinnesnerven fowohl von innen, als von außen zu ihren eigenthlim-
lihen Empfindungen erregt werden können, auf gleiche Weife kann auch
das Gehirn durch Reize, die and dem Innern des Organismus fommen,
beftimmt werden, feine Function der Anfchauung raumerfilllender Ge⸗
Ralten zu vollziehen; wo dann die fo entftandenen Erfcheinungen gar
nicht zu unterfcheiden fein werden von den durch Empfindungen in ben
Sinnesorganen veranlaßten, welche durch äußere Urfachen hervorgerufen
wurden. (PB. I, 250 fg. 321.)
3) Der phyfiologifhe Vorgang im Gehirn beim
räumen.
Die Art der Verwandtſchaft, welche zwifchen der Urfache oder
Veranlaffung des Traumes (jenen ſchwachen Nachhällen gewiffer Vor⸗
gänge im Innern des Organismus, welche bis zum Gehirn hinauf
bringen) und feinem davon beeinflußten Inhalt ftattfindet, bleibt ung
ein Geheimniß. Noch räthjelhafter aber ift der phyſiologiſche Vorgang
m Gehirn felbft, worin eigentlich dba8 Träumen beſteht. Der Schlaf
nämlich iſt die Ruhe bes Gehirns, der Traum dennoch eine gewiffe
224 Traum
täir zz Weelben; femadh mülflen wir, damit fein Widerſpruch ent-
Keie, ce Tr mE BET * tive und dieſe für eine irgendwie limitirte
sehe erklären. In welchem Sinne nun fie dieſes fe, os
Theiles des Gehirns, ober dem Grad feiner Erregung, ober der
Urt kızer ummers Bewegung nad, und wodurch eigentlich fie fich vom
: wecken Zuſtande umterfcheibe, willen wir nicht. (P. I, 252 fg.)
r bat große Wahrjcheinlichket. Da das Geh
— des Schlafs feine Anregung zur Anfchauung räumlicher Ge—
von umen, jlatt, wie beim Wachen, von außen erhält; jo muf
tete Cimmwertung daſſelbe in einer, der gewöhnlichen, von ben Ense
tseumenben, euigegengeiehten Richtung treffen. In Folge hievon mimen
uuu auch ſeine ganze Thätigfeit, alfo die innere Bibration ober Wallung
feiner Fibern, eine der gewöhnlichen entgegengefegte Richtung, gerätt
der oberen, aber v Dec die * —E — der A
Kortitaljubftanz, und vice versa fungiren muß. Das Gehirn arbeite
alfo jeßt wie umgelehrt. Durch biefe Hypotheſe läßt fich die jo me
würdige Lebendigkeit und Leibhaftigleit der Traumanſchauung begreiflich
machen, nämlich daraus, daß die aus dem Inneru kommende unb von
Sentro andgehende Anregung der Gehirnthätigkeit, welche eine ber ge
wöhnlichen Richtung entgegengefeßte befolgt, endlich ganz durchdringt,
alſo zulegt fi bis auf die Nerven der Sinnedorgane erftredt, welche
nunmehr von innen, wie fonft von aufen erregt, in wirkliche Zhätig:
feit geraten. (PB. I, 265 fg.)
Weil bei dieſem Sergang. hie Sirmesnerven das Letzte find, mas in
Thätigfeit geräth; fo kann es Tommen, daß diefe erſt angefangen hat
und noch im ange ift, wenn das Gehirn bereits aufwacht, d. h. dr
Traumanſchauung mit der gewöhnlichen vertaufht. Alsdaun werde:
wir, fo eben erwacht, etwa Töne, 3. B. Stimmen, Klopfen an be
Thür u. ſ. w. mit einer Deutlichleit und Objectivität, die es de
Wirklichkeit volllommen und ohne Abzug gleichtäut, vernehmen.
(®. I, 267.)
4) Das Traumorgan.
Für das ben Träumen zu Grunde liegende Vermögen zur anfchen-
lichen Vorſtellung raumerfüllender Gegenftände und zum Bernefmen
und Berftehen von Stimmen jeder Art, Beibes ohne die Aufere Un
regung ber Sinnesempfindungen, ware bie bezeichnendfte Benennung ber
von den Schotten für eine befondere Art feiner Aeußerung gewählt
Ausbrucd second sight, das ‚zweite Geſicht. Denn bie Gälxgfeit
zu teäumen ift in der That ein zweites, nänlich nicht, wie das erfle,
arch die äußern Sinne vermittelte® Anſchauungsvermögen. Da jedoch
Traum 395
ber Ansdruck zweites Geſicht bereitö eine befondere Art der Aeuße⸗
rung ded genannten Vermögens bezeichnet, fo bleibt für die Bezeichnung
der ganzen Gattung Feine paffendere Benennung übrig, als die des
Tranmorgaus, als welche die ganze in Rede ftehende Anſchauungs⸗
weife Durch diejenige Aeußerung derfelben bezeichnet, die Jedem befannt
und geläufig iſt. (B. 1, 253 fg.)
Das Traumorgan ift das felbe mit dem Organ des wachen Be
wußtfeind und Anſchauens der Außenwelt, nur gleichfan vom andern
Ende angefaßt und in umgefehrter Ordnung gebraudt. (PB. I, 266.
Bergl.: Der phyſiologiſche Vorgang im Gehirn beim Träu—
men.) Das Traumorgan ift ed, wodurd die ſomnanibule Anſchauung,
das Hellfehen, das zweite Geſicht nnd bie Vifionen jeder Art vollzogen
werden. (P. I, 267.)
Die Erfahrung lehrt, daß die Yunction des Traumorgans, welche
in der Hegel ben leichteren, gewöhnlichen, oder aber den tiefern, magne-
tiſchen Schlaf zur Bedingung ihrer Thätigfeit hat, ausnahmsweiſe auch
bet wachen Gehirn zur Ausübung gelangen kann. Alsdann ftehen
Öeftalten vor uns, die denen, welche durch die Einne ins Gehirn
fommen, fo täufchend gleichen, daß fie mit diefen verwechjelt und daflir
gehalten werben, bis ſich ergiebt, daß fie nicht Glieder des Zuſammen⸗
bangs der Erfahrung find. Einer fo fid) darftellenden Geftalt nun
wird, je nach Dem, worin fie ihre entferntere Urfache Hat, ber Name
einer Hallucination, einer Viſion, eines zweiten Geſichts, oder einer
Seiftererfcheinung zufommen. Denn ihre nächfte Urfache muß allemal
im Innern des Organisnıns liegen. (PB. I, 290 fg.)
5) Unterfhieb zwifhen Träumen und Phautafie-
bildern.
Die Träume file bloße Phantafiebilder ausgeben zu wollen, zeugt
von Mangel an Befinnung; denn offenbar find fie von dieſen ver-
Ihieden. Phantaflebilder find ſchwach, matt, unvollftändig, einfeitig
und fo flüchtig, daß man das Bild eines Abweſenden kaum einige
Sekunden gegenwärtig zu erhalten vermag, und fogar das lebhafteſte
Spiel der Phantaſie hält keinen Vergleich aus mit jener handgreiflichen
Wirklichkeit, die der Traum uns vorführt. Unſere Darſtellungsfähigkeit
im Traum übertrifft die unſerer Einbildungskraft himmelweit; jeder
anſchauliche Gegenſtand hat im Traum eine Wahrheit, Bollendung,
confequente Allfeitigfeit bis zu den zufälligften Eigenſchaften herab, wie
bie Wirklichkeit felbft, von der bie Phantafte himmelweit entfernt bleibt.
Es iſt ganz falfch, dies daraus erflären zu wollen, daß bie Bilder der
Phantaſie durch den gleichzeitigen Eindrud der realen Außenwelt ge-
ſtört umd gefchwächt würden; denn auch in der tiefften Stille ber
Nacht vermag die Phantaſie nichts der objectiven Anſchaulichkeit und
Teibhaftigfeit des Traumes irgend nahe Kommendes hervorzubringen.
Zudem find die Phantaflebilder ſtets durch die Gebanfenaflociation ober
durch Motive herbeigeführt und vom Bewußtfein ihrer Willkürlichkeit
Az Traum
begleitet. Ter Traum haingegen Richt da als ein völlig Fremdes, ſich
wie die Außenwelt, ohne umfer Iutkun, ja wiber unfern Willen Auf:
dringen!e®. Dies Allee beweift, daß der Traum eine ganz eigenthiim:
lie Function umjers Gehirns und durchaus verfchieden ift von de
bloßen Embildungefraft und ihrer Rumination. (B. I, 244 — 246.)
Ta wir im Traume felbft noch uns abweſende Dinge durch dit
Phantafie vorftellen, die PBhantafie aljo während des Traumes neh
dıspowibel ft, fo Tann fie nicht felbft Tas Medium oder Organ ie
Traumes fen. (B. I, 246.)
Tas Phantafiebild (im Wachen) ifi immer blos im Gehim; dem
es ift nur die, wenn auch mobificirte Reminiscenz einer früheren, m
teriellen, durdy die Einne gefchehenen Erregung der anfchauenden Gr
birnttätigfeit.. Tas Trammgeſicht Hingegen iſt nicht blos im Gehim,
fondern aud; in den Simesnerven und ift entflanden in Folge ame
materiellen, gegemoärtig wirffamen, aus dem Innern kommenden un
das Gehirn durddringenden Erregung derfelben. (P. I, 266.)
6) Achnlichkeit des Traumes mit dem Wahnfinn.
Was das träumende Bewußtſein vom wachen hauptſächlich unter:
fcheidet, ift der Mangel an Gedächtniß, oder vielmehr an zuſammen
bängender, befonnener Rüderinnerung. Wir träumen uns in wine:
liche, ja unmögliche Lagen und Berhältnifie, ohne daß es ume einfitlt.
nad; den Relationen derfelben zum Abweſenden und den Urſachen ihre
Eintritts zu forjchen; wir vollziehen ungereimte Handlungen, weil wı
bes ihnen ntgegenftehenden nicht eingedent find. Wir träumen mi
in vergangene Zeiten zurüd, weil alle feitdem eingetretenen Beränk
rungen und Umgeftaltungen vergefien find. Auf diefem Mangel ar
Gedüchtniß beruht eben die Aehnlichfeit des Traumes mit dem Wahr:
finn, welcher im Wefentlichen auf eine gewifie Zerrüttung bee Er
innerungsvermögens zuritdzuführen if. (Vergl. Wahnſinn.) Be
diefem Gefichtspunfte aus Täßt fi daher der Traum als ein fm
Wahnfinn, der Wahnfinn als ein langer Traum bezeichnen. (F.
I, 246.)
Es giebt keine Geiftesfraft, die fi im Traume nie thätig erwic:
dennoch zeigt der Verlauf deffelben, wie auch unfer eigenes Benchme:
darin, oft aufßerorbentlihen Mangel an Urtheilskraft, imgleichen on
Gedächtniß. (PB. I, 253.)
7) Das Wahrträumen,
Nicht immer find die Gegenftände des Traumes illuſoriſch; dem
e8 giebt aud) einen Zuftand, in welchem wir zwar fchlafen und tr
men, jedod eben nur die uns umgebende Wirklichkeit felbft träume
Diefer Zuftand ift vom Wachen viel weniger zu unterfcheiden, als da
gewöhnliche Traum. Beim Erwachen aus einem Traum biefer Art
geht blos eine fubjective Beränberung mit und vor, welde dar
befteht, daß wir plöglich eine Umwandlung des Organs unferer Wehr
Traum 397
nehmung fpüren. Diefe Art des Träumens ift Das, was man
Schlafwachen genannt hat; nicht etwa, weil ed ein Mittelzuftand
zwifchen Schlafen und Wachen ift, fondern weil e8 als ein Wachwerden
im Schlafe felbjt bezeichnet werden kann. Es wäre beſſer ein Wahr-
träumen zu nennen.
Diefe Urt des Träumens, deren Eigenthümlichkeit darın befteht, daß
man die nächte gegenwärtige Wirklichkeit träumt, erhält bisweilen eine
Steigerung dadurch, daß der Gefichtökreis des Träumenden ſich über
die nächte Umgebung Hinaus erweitert. Belege des Wahrträumens
find die Wahrnehmungen der Nachtwandler und der Somuantbulen
jeder Art. (P. I, 254— 265.)
Das Wahrträumen, welches ſchon im gewöhnlichen nächtlichen Schlaf
eintreten Tann, erſtreckt fich in feltenern Fällen ſchon über die gegen-
wärtige nächte Umgebung hinaus, nämlich bis jenfeits der nächften
Scheidemände. Diefe Erweiterung des Gefichtöfreifes kann nun aber
auch fehr viel weiter gehen und zwar nicht nur dem Raum, fondern
jogar der Zeit nad. Den Beweis davon geben uns die hellfehenden
Sonmambulen, welche, in der Periode der höchften Steigerung ihres
Zuftandes, jeden beliebigen Ort, auf den man fie hinlenkt, fofort in
ihre anfchauende Zraummahrnehmung bringen und die Vorgänge da-
jelbft richtig angeben können, bisweilen aber jogar vermögen, das noch
gar nicht Vorhandene, jondern noch im Schooße der Zukunft Yiegende
rorher zu verfündigen. Denn alles Hellfehen ift durchaus nichts An-
dere, als ein Wahrträumen. (PB. I, 267 fg.)
8) Die prophetifchen Träume.
Das anhaltende und zufammenhängende Wahrträumen, welches durd)
den ſomnambulen Schlaf möglich wird, weil diejer ein ungleich tieferer,
vollfonmnerer, als der gewöhnliche ift, und deshalb das Traumorgan
zur Entwidlung jeiner ganzen Fähigkeit gelangen läßt, findet wahr»
fcheinlich bisweilen auch im gewöhnlichen Schlafe Statt, aber gerade
nur dann, wann er jo tief ift, dag wir nicht unmittelbar aus ihm
erwaden. Die Träume, aus denen wir erwachen, find Hingegen bie
des leichtern Schlafes; fie find aus blos fomatijchen, dem eigenen
Organismus augehörigen Urfachen eutfprungen, daher ohne Beziehung
zur Außenwelt. Daß es jedoch hievon Ausnahmen giebt, beweifen die
Träume, welche die unmittelbare Umgebung bes Schlafenden darftellen.
Jedoch aud) von Träumen, die das in der Werne Gefchehende, ja das
Zukünftige verfüindigen, giebt e8 ausnahmsweife eine Erinnerung, und
zwar hängt dieſe davon ab, daß wir unmittelbar aus einem folchen
Traum erwadhen. Am öfterften bewähren fid) al8 prophetiſch ſolche
Träume, welde fi) auf den Gefundheitszuftand des Träumenden be=
ziehen. Nächſtdem werden auch äußere Unfälle, wie euersbrünfte,
Pulvererploftonen, Schiffbrüche, beſonders aber Todesfälle, bisweilen
duch Träume angefündigt. Zur Zuridführung der prophetifchen
Träume auf ihre nächſte Urfache bietet fi uns der Unftand dar, daR
398 Traum
ſowohl vom natürlichen, als auch vom magnetiſchen Somnanbeiisun
und feinen Vorgängen befanntlich feine Erinnerung im wachen Bewnft-
fein Statt findet, mohl aber bißweilen eine folde in die Träume det
natürlichen, gewöhnlichen Schlafes, deren man ſich nachher wahat
erinmert, übergeht; fo daß aldbann der Traum das Berbindungeglid,
Ne Vrüde wird zwiſchen dem fomnambulen und dem wachen Bewuft:
kun Diefem aljo gemäß wühen wir die prophetiſchen Tränme zu
wire Dem zuſchreiben, dei im tiefen Schlafe das Träumen fd
ya vum jemmambulen Deilichen frigert. Da nun aber aus Träumm
Nekr Art im der Regel kein ummittelberes Erwachen und eben bethall
Rune Friemeruug Start findet; fo find die, eime Ausnahme him
muhenien une lie dad Kommende unmittelbar unb sensu propr«
weetitenäen Träwme, weiche von Artemidoros im Oneivokritifon) de
:Ieeremetiichem gemmmmt meche, die allerfeltenften. Singegen wirt
Fr wow einem Trammer fulcher Art, men je Inhalt dem Träume:
u tr amgelrgen ift, deer ſich eime Grimmerumg dadurch zu erhalım
x Tomte dene, dab er fin im den Drau des leichtern Shlafet
wet Ye ih memitiefher ermachen Lüge, Bimibernimmt; jedoch far
In aeume ziche mmeizeiber, jonderı mar mmittelft Ueberſetzung bet
8 we me Allegeri geichchen. im deren Sewand gehüllt nunmcht
x srermgune. ueswherfche Ira ind machende Bewußtſein gr
2 we x fwupiich dam mach der Mudtegung, Deutung bederj.
ae ne zadere amd biufigger Mr der fatidifen Träume, de
au F. I, 268— 271.
: Znserfhied zwiſchen Tem Irauım mnd den ihm
verwandten Erfdeinunper
Tram, fomnambules Wahrnehenen, Teilchen, Bifion, Zweit:
Seht und Geifterfehen flub nahe wermmme Ericeimungen. Dit
Vemeinfame berfelben ift, daß wir, üßmen werinflen, eime fich object
darftellende Anſchauung durch ein ganz atmet Uxgam, als im g
wöhnlihen wachen Zuftande, erhalten; mämd micht durch bie äufen
Sinne, dennoch aber ganz genau und chem ie, mie mittelft dien.
Bas fie Hingegen von einander unterjdeidet, ik dee Berjdjiebenhet
igrer Beziehung zu der durch die Sinne waßnsehmebaren, empiriid:
realen Außenwelt. Diefe nänfich ift beim Zramm im der Regel gar
feine und fogar bei ben feltenen fatibifen Trämmen doch meiftens nm
re und entfernte, fehr felten eime Directe. Singegen it |
8 bei der fomnambulen Wahrnehmung und dem Hellichn,
n Nachtwandeln, eine unmittelbare und ganz richtige, Ki
ıd bem Geifterfehen eine problematifche. P. I, 289 fg.)
gewöhnlichen, nächtlichen Traun vom Hellfehen, oder dem
überhaupt, unterſcheidet, iſt erſtlich die Abweſenheit dei
eigenthündichen, als Wahrträumen ſich kundgebenden
zur Außenwelt, alfo zur Realität (vergl. Wahrträumen):
» daß fehr oft eine Erinnerung von ihm ins Wade
Trammdentung — Tugend. Tugendhaft 399
übergeht, während aus dem jomnambulen Schlaf eine folche nicht ſtatt⸗
findet. (B. I, 268.)
Traumdeutung.
Der keineswegs zufällige, oder angefünftelte, fondern dem Menfchen
Fee Hang, über die Bedeutung gehabter Träume zu grübeln, Hat
feinen Grund in dem Glauben, daß es prophetiiche, fatidike Träume
giebt, und daß die in das Gewand der Allegorie gehüllten Träume
von diefer Art feien. (Bergl. unter Traum: Die prophetifchen
Träume) Aus diefem Hange entfteht nun, wenn er gepflegt und
methodifch ausgebildet wird, die Oneiromantik. Allein diefe fügt
die Vorausſetzung hinzu, daß bie Vorgänge im Traume eine feſt⸗
jtehende, ein für alle Mal geltende Bedeutung hätten, tiber welche ſich
daher ein Lerifon machen Tiefe. Solches ift aber nicht der Fall.
Vielmehr ift die Allegorie dem jedesmaligen Object und Subject be®
dem allegorifchen Traume zum Grunde liegenden theorematifchen Trau⸗
mes eigend und individuell angepaßt. Daher eben ift die Auslegung
der allegorifchen fatidifen Träume größtentheild fo ſchwer, daß wir fie
meiflens erft, nachdem ihre Verkündigung eingetroffen ift, verftehen,
dann aber die ganz eigenthümliche, dem Träumenden fonft völlig frembe,
dämonifche Schalthaftigkeit des Witzes, mit welchem die Allegorie an-
gelegt und ausgeführt worden, bewundern müſſen. (®. I, 271 fg.)
Treue. Treulofigkeit, ſ. unter Züge: Vertragsbruch, Betrug und
Berrath.
Triebfedern.
1) Die drei Örundtriebfedern der menſchlichen Hand-
lungen. (©. Handlung.)
2) Antimoralifche Triebfedern. (S. Moralifd. Mo-
ralität.)
3) Die allein ähte moralifche Zriebfeder. (S, Mit:
leid, und: Moraliſch. Moralität.)
Tropen.
Daß nicht nur alle Evidenz, fondern auch alles wahre und ächte
Berftändniß der Dinge aufchaulih ift, dies bezeugen ſchon bie un—
zähligen tropifchen Ausdrüde in allen Sprachen, als welche ſämmtlich
Beftrebimgen find, alles Abftracte auf ein Unfchauliches zuriidzuführen.
(P. II, 50.)
Tugend. Tugendhaft.
1) Berfchiedenheit des antiten und bes dhriftlichen Be—
griffe® der Tugend.
Die Alten verftanden unter Tugend, virtus, apern, jede Treff⸗
lichkeit, jede an ſich felbft Tobenswerthe Eigenfchaft, fie mochte moralifch,
400 Zugend. Tugendhaft
oder intellectuell, ja, allenfalls blos Förperlich fein. Nachdem aber das
Chriftentyum die Grundtendenz des Lebens als eine moralifche nad;
gewicjen hatte, wurden unter dem Begriff der Tugend nur nod die
moralifhen Borzüge gedaht. Inzwiſchen findet man den frühen
Sprachgebrauch noch bei den älteren LZatiniften, wie auch im SDtalie:
nifhen, wo ihn zudem ber befannte Sinn bes Wortes virtuoso be
zeugt. — Hieraus erklärt es fi, warum in der Ethik der Alten von
Zugenden und Xaftern geredet wird, welche in der unjerigen feine Stele
fiuden. (P. I, 220 fg.)
2) Duelle der ächten Tugend.
Durch begrifflide Moral und abftracte Erfenntnig überhaupt fanı
feine ächte Zugend bewirkt werden; fondern diefe muß aus der in
tiven Erkenntniß entjpriugen, welche im fremden Individuo das fell:
Weſen erfennt, wie im eigenen. (W. I, 434. Bergl. unter Indivi—
duation: Die im principio individuationis befangene Erkenntniß im
Gegenſatz zu der es durchfchauenden.)
Die ächte Güte der Geſinnung, die uneigennügige Tugend und da
reine Edelmuth gehen zwar von Erkenntniß aus, aber nicht von ab
ftracter Erkenntniß, fjondern von unmittelbarer, intuitiver, die nidı
wegzuräfonniren umd nicht anzuräjonniren ift, von einer Crfeuntug,
die, eben meil fie nicht abftract ift, fih auch nicht mittheilen län,
fondern Jedem jelbft aufgehen muß, die daher ihren eigentfide
adäquaten Ausdruck nicht in Worten findet, fondern ganz allen m
Thaten, im Handeln, im Lebenslauf des Menſchen. (W. I, 437:
II, 83. — Bergl. unter Anſchauung: Bedeutung der Anjchamun;
für die Erfenutniß u. ſ. w.) |
Mit der Forderung Kant’, daß jede tugendhafte Handlung au:
reiner: überlegter Achtung vor dem Gefet und nad) deſſen abftracter
Marien, kalt und ohne, ja gegen alle Neigung geſchehen ſolle, iſt «
gerade fo, wie wenn behauptet würde, jedes ächte Kunſtwerk mün:
durch) wohl überlegte Anwendung äfthetifcher Regeln entfichen. inc:
ift fo verfehrt, wie das Andere Man wird fi endlich entſchließen
müſſen einzufehen, was auch ber chriftlichen Xehre von der Gnaden
- wahl den Urfprung gab (vergl. Gnadenwahl), daß, der Hauptſach
und dem Innern nad, die Tugend gewiffermaßen, wie der Genius
angeboren ift. (W. I, 624. €. 250 fg.)
3) Unlehrbarkeit der Tugend.
Gienge die Tugend aus der abftracten, durch Worte mittheilbaren
Erkenntniß hervor, fo ließe fie fich lehren und es ließe ſich Jeder, de
diefe Lehre faßt, ethiſch beſſern. So ift e8 aber keineswegs. Bir-
nıehr kann man fo wenig durch ethifche Vorträge ober Predigten einer
Tugendhaften zu Stande bringen, als alle Aeſthetiken je einen Did:
gemacht haben. Denn für das eigentliche und innere Wefen der Zr
gend ift der Begriff unfruchtbar, wie er es für die Kunft ijt, und fa
Tugendpflichten 401
nur völlig untergeordnet als Werkzeng Dienſte bei der Ausführung
und Aufbewahrung des anderweitig Erkannten und Beſchloſſenen leiſten.
Velle non discitur. (W. I, 434 fg. 624 fg. E. 249 fg.)
4) Werth der Grundfäge für die Tugend. (S. Grund-
füge) _ '
5) Verhältniß der Glüdfüligfeit zu der Tugend. (©.
Glückſäligkeit.)
6) Unterſchied zwiſchen Tugendhaft und Vernünftig.
Vernünftig hat man zu allen Zeiten den Menſchen genannt, der
ſich nicht durch die anſchaulichen Eindrücke, ſondern durch Gedanken
und Begriffe leiten läßt, und der daher ſtets überlegt, conſequent
und beſonnen zu Werke geht. Ein ſolches Handeln heißt überall ein
vernünftiges Handeln. Keineswegs aber implicirt dieſes Recht⸗
ſchaffenheit und Menſchenliebe. Vielmehr kann man höchſt vernünftig,
alſo überlegt, beſonnen, conſequent, planvoll und methodiſch zu Werke
gehen, dabei aber doch die eigennützigſten, ungerechteſten, ſogar ruch⸗
Iofeften Maximen befolgen. Bernünftig und lafterhaft laſſen fich fehr
wohl vereinigen, ja, erft durch ihre Vereinigung find große, weitgrei⸗
fende Verbrechen möglich. Ebenſo befteht Unvernünftig und Edelmüthig
fehr wohl zufammten, 3. B. wem ich Heute dem Ditrftigen gebe, was
ich felbft morgen noch dringender, als ex, bedürfen werde. (E. 149 fg.
W. I, 612.)
Bor Kant ift es feinem Menſchen je eingefallen, das gerechte,
tugendhafte und edle Handeln mit dem vernünftigen Handeln zu
identificiren, fondern man hat beide vollfommen unterjchieden und aus⸗
einander gehalten. Das Eine beruht auf der Art der Motivation,
da8 Andere auf der Berfchiedengeit der Grundmarimen. Blos
nad Kant, da die Tugend aus reiner Vernunft entfpringen follte,
hat man Tugeribhaft und Vernünftig ibentificirt. (E. 150.)
7) Die Kardinaltugenden. (©. Rardinaltugenden.)
8) Uebergang von der Tugend zur Asleje. (©. As⸗
tee.) .
Tugendpflichten, ſ. unter Pflicht: Kritik des Gegenſatzes zwifchen
Nechts- und Tugendpflichten.
Schopenhauerskerilon. I. 26
402 Uebel — Meberredungsfunft
U.
Mebel.
1) Bedeutung des Wortes. (©. Böfe.)
2) Pofitivität des Uebels.
Es giebt feine größere Abfurbität,. ald die ber meiften metapsniläe
Syfteme, welche da8 Uebel für etwas Negatives erflären, während di
gerade das Poſitive, das ſich jelbft fühlbar Machende ift. Beſonders
ſtark ift hierin Leibnig, welcher in feiner Theodicee die Sache burd
ein handgreifliches und erbärmliches Sophisma zu erhärten beftrebt if.
(®. H, 312 fg.)
3) Uebel und Schuld. (S. unter Gerechtigkeit: Die aue
Gerechtigkeit.)
4) Wibderftreit des Uebels gegen den Optimismus,
Theismus und Pantheismus. (©. Optimismus,
Theismus und Pantheismus.)
5) Das Uebel, das Böfe und der Tod als das pun-
ctum pruriens der Metaphyſik.
Das Böfe, das Uebel und der Tod find es, welche das philoſophijche
Erftaunen qualificiren umb erhöhen; nicht blos, daß die Welt vorhae-
ben, fondern noch mehr, daß fle eine fo trübfälige jet, ift da8 puncum
pruriens ber Metaphyfil, das Problem, weldes die Menſchheit u
eine Unruhe verjeßt, die fich Meder durch Skepticismus, noch dark
Kritieismus beſchwichtigen läßt. (W. UI, 190.)
Mebelwollen, ſ. unter Moralifch: Antimoralifche Triebfedern.
Meberlegenheit, ſ. Superiorität.
Meberlegung.
Was die Leute gemeiniglich das Schidfal nennen, find meiftene ma
ihre eigenen dummen Steeihe. Dan kann daher nicht genugſam di
Ihöne Stelle im Homer (91. XXIU, 313 ff.) beberzigen wo er ix
pnris, d. 1. bie Enge Ueberlegung, empfiehft. (P. I, 505.)
Hebernatürlich, |. Natürlid.
Meberredungskunft, ſ. Rhetorik.
Ueberfegungen — Webervöfferung 403
Heberfehungen.
1) Worauf das Mangelbafte aller Ueberfegungen be=
ruht.
Nicht für jedes Wort einer Sprache findet fi in jeber andern das
genaue Aequivalent, alfo find nicht ſämmtliche Begriffe, welche durd)
die Worte einer Sprache bezeichnet werden, genau bdiefelben, welche die
der andern ausdrüden; jondern oft find es blos ühnliche und ver-
wandte, jeboch durch irgend eine Mobification verjchiedene Begriffe.
Bisweilen fehlt in einer Sprache das Wort für einen VBegriff, wäh.
rend es ſich in den meiften andern findet. Bisweilen auch drüdt eine
fremde Sprache einen Begriff mit einer Nüance aus, welche unfere eigene
ihm nicht giebt. Auf diefer Berfchiedenheit der Sprachen beruht das
nothwendig Mangelhafte aller Ueberfegungen. Faſt nie fann man
irgend eine charakteriftifche, prägnante, bebeutiame Periode aus einer
Sprache in die andere fo übertragen, daß fie genau und vollfommen
diefelbe Wirkung thäte Sogar in bloßer Proſa wird die allerbefte
Ueberfeßung fi zum Original höchſtens fo verhalten, wie zu einem
gegebenen Muſikſtück deffen Transpofition in eine andere Tonart. Da⸗
bet bleibt jede Weberfegung todt und ihr Stil gezwungen, fleif, un⸗
natürlich; oder aber fie wird frei, d. h. begnügt fi mit einem & peu
prös, ift alfo falfch. Eine Bibliothek von Weberfegungen gleicht einer
Gemäldegallerie von Kopien. (P. II, 601.)
2) Unüberfegbarteit ber Gedichte,
Poeſie ift ihrer Natur nad) unüberfegbar. (P. II, 425.) Gedichte
kann man nicht überfeßen, fondern blos umdichten, welches allezeit
mißlih ift. (P. IL, 608.)
3) Werth ber deutfhen Weberfegungen ber Schrift-
fteller des Alterthums.
Für griechifche und lateiniſche Autoren find deutſche Ueberfegungen
gerade fo ein Surrogat, wie Cichorien für Kaffee, und zudem darf man
auf ihre Nichtigkeit ſich durchaus nicht verlaflen. (P. I, 522. 602.)
4) Gegen bie ihren Autor berichtigenden unb bearbei-
tenden Ueberſetzungen.
Zu den Männern in ber Fitteratur, denen es mit nichts Ernſt if,
ale mit ihrer werthen Perſon, die fie allein geltenb machen wollen,
gehören auch die Ueberſetzer, welche ihren Autor zugleich berichtigen
und bearbeiten, welches impertinent if. Schreibe du felbft Bücher,
Fe des Ueberſetzens werth find und laß Anderer Werke wie fie find.
‚, 639.)
Uebervölkerung, der Erde.
Das Geſetz der Sterblichkeit (vergl. Sterblichkeit) bürgt dafür,
daß die Zunahme der Bevölkerung nicht bis zu einer eigentlichen
26 *
404 Ueberwältigung — Umgang
Uebernöfterung der Erbe gehen könne, einem Uebel, befjen Entſetzlichlen
bie lebhaftefte Phantafte fi Taum auszumalen vermag. Nämlich dem
erwähnten Geſetze zufolge würde, nachdem die Erde fo viel Menjchen
erhalten hätte, als fie zu ernähren höchftens fähig ift, die Fruchtbarleit
des Gefchlechts unterdeften bis zu dem Grabe abgenommen haben, da}
fie fnapp ausreichte, die Sterbefälle zu erjegen, wonach alsdann jede
zufällige Vermehrung diefer die Bevölkerung wieder unter das Mari:
mum zurüdbringen wiirde. (PB. DI, 162 und 166.)
Meberwältigung, des Niedrigeren in ber Natur durch das Höhen,
f. Generatio aequivoca.
Umgang.
1) Verſchiedenes Verhalten des ſich feines Werthes
Bewußten und des Philiſters im Umgang.
Nichts macht im Umgang ſo zuvorkommend gegen Andere,
als das Bewußtſein eigenen Werthes; mit dieſem fürchten wir nid!
zurückgeſtoßen zu werben; denn, wenn es geſchieht, fo empfinden wir
dadurch feine Kränkung, in der beruhigenden Gewißheit, daß nur ie
Eingefchränftheit des urüldftoßenben daran Schuld ift.
Der Bhilifter hingegen, ber ſich eigenes. Werthes nicht bewußt a
ift, wie aus dem Geſagten von felbft folgt, circumfpect und poltiid
in feinen Avancen. (9. 453.)
2) Mittel zum Ertragen der Menfhen im Umgang.
(S. unter Geduld: Mittel zur Erlangung der Gebulb,)
3) Woraus Ueberlegenheit im Umgang erwächſt.
Die Menſchen gleichen darin den Kindern, daß fie unartig werden
wenn man fie verzieht, daher man gegen feinen zu madhgiebig und
liebreih fein darf. Beſonders den Gedanken, da man ihrer bemöthig:
fei, können bie Menſchen ſchlechterdings nicht vertragen; Webernut
und Anmaßung wird fein unzertrennliches Gefolge. Bei Einige eu:
fteht er in gewiffen Grabe ſchon dadurch, dag man ſich mit ihem
abgiebt, etwa oft, ober auf eine vertrauliche Weife mit ihnen ſprich
Daher taugen fo Wenige zum irgend vertrauteren Umgang, und fe!
man ſich befonders hüten, ſich nicht mit niedrigen Naturen gemein y
machen. Faßt nun aber gar Einer den Gedanken, er fei mir vie
nöthiger, als ich ihm; da ift es ihm fogleich, als hätte ich ihm etwa!
geftohlen. Weberlegenheit im Umgang erwächſt allein daraus, daf mar
den Andern in feiner Art und Weife bedarf und dies fehen läft
Wer nicht achtet, wird geachtet, ſagt ein feines italieniſches Sprich
wort. (P. I, 479 fg.)
4) Berhaltungsregel gegen Die, welde uns im Um
gang Unangenehmes oder Aergerliches erweifen.
Hat Einer, mit dem wir in Umgang ftehen, uns etwas Unange
nehmes, oder Aergerliches erzeigt; fo haben wir uns mar zu fragen,
N
v» Unbefangenheit — Unbewußte 405
ob ev und fo viel wert fei, daß wir das Nämliche, aud) noch etwas
verſtärkt, uns nochmals und öfter wollen gefallen laffen, ober nicht.
(Vergeben und Bergeffen heißt gemachte Toftbare Erfahrungen zum
Fenſter hinaus werfen.) Im bejahenden Fall wird nicht viel darüber
zu jagen fein, weil da8 Reden wenig hilft; wir müſſen alfo die Sache,
mit oder ohne Ermahnung, hingehen laffen. Im verneinenden Yalle
hingegen haben wir fogleih und auf immer mit ihm zu brechen.
Denn, da der Charakter incorrigibel ift, fo wird er, vorfommenden
Tales, ganz das Selbe, oder das völlig Analoge, wieder thun. Daher
auch ift, fich mit einem Freunde, mit dem man gebrochen hatte, wieder
auszuföhnen, eine Schwäche, die man zu büßen hat. (P. I, 482 fg.)
5) Nugen der Höflichkeit und der Verſchwiegenheit
im Umgang. (S. Höflichkeit und Verſchwiegenheit.)
Unbefangenheit, f. unter Lebensalter: Gegenfag zwifchen Jugend
und Alter.
Unbegreiflichkeit. |
Die Begreiflichleiten Liegen alle im Gebiete der Borftellung; fie
find die Verknüpfung einer Borftellung mit ber andern. ‘Die Unbe-
greiflichkeiten treten ein, fobald man an das Gebiet des Willens
ſtößt, d. h. fobald der Wille unmittelbar in die Vorftellung eintritt.
Organismus, Begetation, Kryftallifation, jede Naturkraft, — fie bleiben
unbegreiflich, weil ber Wille fich Hier unmittelbar fund macht. (H. 336.
Vergl. Naturfraft.)
Unbeſtand, der Dinge.
Dan follte .beftändig die Wirkung der Zeit und die Wanbdelbarkeit
der Dinge vor Augen haben und daher bei Allem, was jegt ftatt-
findet, fofort da8 Gegentheil davon imaginiren, aljo im Glücke das
Unglüd, in der Freundfchaft die Feindichaft, im ſchönen Wetter das
ihlechte, in der Xiebe den Haß, und fo auch umgelehrt, fich lebhaft
vergegenwärtigen. Das würde eine bleibende Duelle wahrer Welt-
Mugheit abgeben. Uber vielleicht ift zu Teiner Erfenntniß die Erfahrung
jo unerläßlich, wie zur richtigen Schägung des Unbeftandes und Wechjels
der Dinge. Daß die Menfchen den einftweiligen Zuftand der Dinge,
oder die Richtung ihres Laufes, in der Regel für bleibend halten,
tommt daher, daß fie die Wirkungen vor Augen haben, aber die Ur-
ſachen nicht verftehen, diefe es jedoch find, welche den Keim ber künftigen
Veränderungen in fih tragen. (P. I, 500 fg.)
Mnbewußte, daß.
1) Segenfaß des Bewußten und Unbemwußten. (©. unter
Bewußtfein: Das Bewußte im Gegenfage zum Unbe—
mußten.) u
398 Traum
ſowohl vom natürlichen, ald auch vom magnetischen Somnambafiuss
und feinen Vorgängen befanntlich feine Erinnerung im wacen Bewuft
fein Statt findet, wohl aber bisweilen eine folche in bie Tränme dei
natürlichen, gewöhnlichen Schlafes, deren man ſich nachher wachend
erinnert, übergeht; fo daß alddann ber Traum das Berbindungegken,
die Brüde wird zwifchen dem fomnambulen und bem wachen Bewuft-
fein. Diefem alfo gemäß müſſen wir die prophetifchen Träume zu⸗
vörberft Dem zufchreiben, daß im tiefen Schlafe das Träumen fi
zu einem ſomnambulen Hellfehen fteigert. Da nun aber aus Zräume
diefer Art in der Regel fein unmittelbares Erwachen und eben beahalb
feine Erinnerung Statt findet; fo find die, eine Ausnahme bicen
machenden und aljo das Kommende unmittelbar und sensu propri
vorbildenden Träume, welche (von Artemiboros im Oneirokritilon) die
theorematifchen genannt werden, die allerfeltenften. Hingegen wıt
öfter von einem Traume ſolcher Art, wenn fein Inhalt dem Träume
den ſehr angelegen ift, dieſer fi, eine Erinnerung dadurch zu erhaltm
im Stande fein, daß er fie in ben Traum des leichtern Schlare.
aus dem fid) unmittelbar erwachen läßt, binlibernimmt; jedoch tar
diefes alsdann nicht unmittelbar, fondern nur mittelft Ueberſetzung de
Inhalts in eine Allegorie gefchehen, in deren Gewand gehüllt nunnch
der urjpriingliche, prophetifhe Traum ins wachende Bewußtſein gr
langt, wo er folglich dann noch der Auslegung, Deutung bebarl.
Dies alfo ift die andere und häufigere Art der fatidifen Träume, die
allegorifche. (P. I, 268— 271.)
9) Unterſchied zwifhen dem Traum und ben ihm
verwandten Erjcheinungen.
Traum, fomnambules Wahrnehmen, Helfehen, Bifion, Zweitet
Gefiht und Geifterfehen find nahe verwandte Erfcheinungen. Di
Semeinfame berfelben ift, daß wir, ihnen verfallen, eine fich object
darftellende Anſchauung durch ein ganz anderes Organ, als im gr
wöhnlichen wachen Zuftande, erhalten; nämlich nicht durch bie äußen
Sinne, dennoch aber ganz genau und eben fo, wie mittelft bien.
Was fie hingegen von einander unterfcheidet, iſt bie Verſchiedenhei
ihrer Beziehung zu der durch die Sinne wahrnehmbaren, empiriſch
realen Außenwelt. Diefe nämlich ift beim Traum in der Regel gar
feine und fogar bei ben feltenen fatidifen Träumen doch meiſtens nm
eine mittelbare und entfernte, ſehr felten eine direct. Hingegen M
jene Beziehung bei der jomnambulen Wahrnehmung und dem Hellichen,
wie auch beim Nachtwandeln, eine ummittelbare und ganz richtige, Mi
der Viſion und dem Geifterfehen eine problematifche. (P. I, 289 18-
Was den gewöhnlichen, nächtlichen Traum vom Hellfehen, oder der
Schlafwachen überhaupt, unterfcheibet, ift erſtlich die Abweſeuheit dei
bem legtern eigenthümlichen, ald Wahrträumen fich kundgebenden
Berhältniffes zur Außenwelt, alfo zur Realität (vergl. Wahrträumen);
und zweitens, baß fehr oft eine Erinnerung von ihm ins Waden
Traumdentung — Tugend. Tugenbhaft 399
übergeht, während aus dem fomnambulen Schlaf eine foldye nicht ftatt-
findet. (P. I, 268.)
Traumdeutung.
Der keineswegs zufällige, oder angefünftelte, jondern dem Menſchen
natiiclice Dang, über die Bedeutung gehabter Träume zu grübeln, hat
feinen rund in dem ©lauben, daß es prophetifche, fatidife Träunıe
giebt, und daß die in das Gewand der Allegorie gehüllten Träume
von biefer Urt feien. (Bergl. unter Traum: Die prophetifchen
Träume) Aus diefem Hange entfteht nun, wenn ex gepflegt und
methodifch ausgebildet wird, die Oneiromautik. Allein dieſe fügt
‚die Borausfegung Hinzu, daß die Vorgänge im Traume eine feſt⸗
ftehende, ein für alle Mal geltende Bedeutung hätten, iiber welche ſich
daher ein Lerifon machen ließe. Solches ift aber nicht der Ball.
Bielmehr ift die Allegorie dem jedeömaligen Object und Subject des
dein allegorifchen Traume zum Grunde liegenden theorematifchen Trau⸗
mes eigens und indivibuell angepaßt. Daher eben ift die Auslegung
der allegorifchen fatidifen Träume größtentheil® fo fchwer, daß wir fie
meiſtens erft, nachdem ihre Verkündigung eingetroffen ift, verftehen,
dann aber die ganz eigenthlimliche, dem Träumenden fonft völlig fremde,
dämoniſche SchalfHaftigfeit des Wiges, mit welchem die Allegorie ans
gelegt und ausgeführt worden, bewundern müſſen. (P. I, 271 fg.)
Treue. Treulofigkeit, |. unter Lüge: Vertragsbruch, Betrug und
Derrath.
Triebfedern.
1) Die drei Grundtriebſedern ber menſchlichen Hand—
lungen. (S. Handlung.)
2) Antimoralifche Triebfedern. (S. Moraliid. Mo-
ralität.)
3) Die allein ähte moralifhe Triebfeder. (S. Mit-
leid, md: Moraliſch. Moralität.)
Tropen.
Daß nit nur alle Evidenz, ſondern auch alles wahre und ächte
Berftändniß ber Dinge anschaulich ift, dies bezeugen ſchon die un«
zähligen tropifchen Ausdrüde in allen Sprachen, als welche ſämmtlich
Beftrebumgen find, alles Abftracte auf ein Anfchauliches zuritdzuführen.
(®. U, 50.)
Tugend. Tugendhaft.
1) Berfchiedenheit des antifen und bes Kriftlichen Be—
griffes der Tugend.
Die Alten verftanden unter Tugend, virtus, apern, jede Treff⸗
lichkeit, jebe an fich felbft lobenswerthe Eigenfchaft, fie mochte moralifch,
400 Tugend. Tugendhaft
oder intellectuell, ja, allenfalls bios Förperlich fein. Nachdem aber dei
Chriſteuthum die Grundtendenz des Lebens als eine moraliſche nad-
gewiefen hatte, wurden unter dem Begriff der Tugend nur noch br
moralifhen Vorzüge gedaht. Inzwiſchen findet man den früher
Sprachgebraudy noch bei den älteren Latiniften, wie auch im JYtalie:
nifhen, wo ihn zudem ber befannte Sinn des Wortes virtuoso ke
zeugt. — Hieraus erklärt es fi, warum in der Ethik der Alten von
Zugenden und Laftern geredet wird, welche in der unferigen feine Stel:
finden. (P. U, 220 fg.)
2) Duelle der ädhten Tugend.
Durch begriffliche Moral und abftracte Erkenntniß überhaupt kann
feine ädjte Tugend bewirkt werden; fondern diefe muß aus der intu:
tiven Erfenntniß entjpringen, welche im fremden Individuo das jrik:
Weſen erkennt, wie im eigenen. (W. I, 434. Bergl. unter Indidi
duation: Die im principio individuationis befangene Erkenntniß ım
Segenfag zu der es durchfchauenden.)
Die ächte Güte der Gefinnung, die uneigennügige Tugend und dr
reine Edelmuth gehen zwar von Erfenntnig aus, aber nicht von al
ftracter Erkenntniß, fondern von unmittelbarer, intuitiver, die ud!
wegzuräfonniven und nicht anzuräjonniren ift, von einer Crieummil,
die, eben weil fie nicht abftract ift, fi) auch nicht mittheilen läk,
fondern Jedem felbft aufgehen muß, die daher ihren eigentlichen
adäquaten Ausdrud nicht in Worten findet, fondern ganz allen in
Thaten, im Handeln, im Lebenslauf des Menfchen. (W. I, #37;
I, 83. — Vergl. unter Anfhauung: Bedeutung der Anfchanung
für die Erkenntniß u. ſ. w.)
Mit der Borderung Kant's, daß jede tugendhafte Handlung ur:
reiner: überlegter Achtung vor den Geſetz und nad) deſſen abftrade
Marimen, Talt und ohne, ja gegen alle Neigung geſchehen folle, iſi «
gerade fo, wie wenn behauptet würde, jedes ächte Kunſtwerl mü:
durch wohl überlegte Anwendung äfthetifcher Negeln entftehen. Mine
ift fo verkehrt, wie das Andere. Man wird ſich endlich entichlieke
müffen einzufehen, was auch der chriftlichen Lehre von der Gnade
- wahl den Urfprung gab (vergl. Gnadenwahl), daß, der Hauptiadt
und dem Innern nad, die Tugend gewiffermaßen, wie der Genus,
angeboren ift. (W. I, 624. E. 250 fg.)
3) Unlehrbarkeit ber Tugend.
. Bienge die Tugend aus der abftracten, durch Worte mittheilbane
Erkenntniß hervor, fo Tiefe fie fich lehren und es ließe fich Jeder, der
diefe Lehre faßt, ethiſch beſſern. So ift es aber keineswegs. Bid:
nıehr kann man fo wenig durd) ethifche Vorträge oder Predigten eiren
Tugendhaften zu Stande bringen, als alle Aeſthetiken je einen Dicht
gemacht haben. Denn für daS eigentliche und innere Weſen der ZW
gend ift der Begriff unfruchtbar, wie ex es für die Kunft ift, und lau
Tugenbpflichten 401
nur völlig untergeordnet als Werkzeug Dienfte bei der Ausführung
und Aufbewahrung des anderweitig Erkannten und Beſchloſſenen leiften.
Velle non diseitur. (W. I, 434 fg. 624 fg. E. 249 fg.)
4) Werth der Örundfäge für die Tugend. (S. Grund—
jäße.)
5) Verhältniß der Glückſäligkeit zu der Tugend. (©.
Glückſäligkeit.) |
6) Unterſchied zwifchen Tugendhaſt und Bernünftig.
Bernünftig hat man zu allen Zeiten den Menſchen genannt, der
fich nicht durch die anſchaulichen Eindrüde, fondern durch Gedanken
und Begriffe leiten läßt,. und der daher ſtets überlegt, conſequent
und befonnen zu Werke geht. Ein folches Handeln heißt überall ein
dernünftiges Handeln. Keineswegs aber implicirt dieſes Recht⸗
Schaffenheit und Menfchenliebe. Vielmehr kann man höchſt vernünftig,
alfo überlegt, befonnen, confequent, planvoll und methodifch zu Werke
gehen, dabei aber doch die eigennügigften, ungeredhteften, fogar rud)-
fofeften Marimen befolgen. Bernünftig und fafterhaft laſſen fich fehr
wohl vereinigen, ja, erſt durch ihre Bereinigung find große, mweitgrei-
fende Verbrechen möglih. Ebenſo befteht Unvernünftig und Edelmiüthig
fehr wohl zufammen, 3. B. wenn ich heute denn Dürftigen gebe, was
ich jelbft morgen noch dringender, al® er, bedürfen werde. (E. 149 fg.
W. I, 612.)
Bor Kant ift es feinem Menfchen je eingefallen, das gerechte,
tngendhafte und edle Handeln mit dem vernünftigen Handeln zu
identificiren, fondern man hat beide vollfommen unterfdjieden und aus-
einander gehalten. Das Eine beruht auf der Art der Motivation,
das Andere auf der Berfihiedenheit der GOrundmarimen. Blos
nad) Kant, da die Tugend aus reiner Bernunft entfpringen follte,
hat man Tugendhaft und Vernünftig identificirt. (E. 150.)
7) Die Kardinaltugenden. (S. Kardinaltugenden.)
8) Uebergang von der Tugend zur Askeſe. (S. As—
keſe.)
Tugendpflichten, ſ. unter Pflicht: Kritik des Gegenſatzes zwiſchen
Rechts⸗ und Tugendpflichten.
Schopeuhauer⸗Lexikon. IL. 26
402 Uebel — Ueberredangsfunft
u.
Hebel.
1) Bedeutung des Wortes. (S. Bife)
2) Poſitivität des Uebels.
Es giebt feine größere Abfurdität, als bie ber meiften metapfufiicher
Spfteme, weldye das Uebel für etwas Negatives erklären, während «
gerade das Pofitive, das fich felbft fühlbar Machende iſt. Befondert
ftart ift Hierin Leibnig, welcher in feiner Theodicee die Sache burd)
ein bandgreifliches und erbärmliches Sophisma zu erhärten beftrebt if.
(®. I, 312 fg.)
3) Uebel und Schuld. (S. unter Gerechtigkeit: Die ewige
Gerechtigkeit.)
4) Widerſtreit des Uebels gegen den Optimismus,
Theismus und Pantheismus. (S. Optimismus,
Theismus und Pantheismus.)
5) Das Uebel, das Böſe und der Tod als das pun-
ctum pruriens ber Metaphyſik.
Das Böfe, das Uebel und der Tod find es, welche das philoſophiſche
Erftaunen qualificiren und erhöhen; nicht blos, daß die Welt vorhan-
ben, fondern noch mehr, daß fie eine fo tritbfälige fet, ift das punctum
pruriens ber Metaphyſik, das Problem, welches die Menſchheit in
eine Unrube verfetst, die fich weder durch Skepticismus, noch durd
Kriticismus beſchwichtigen läßt. (W. II, 190.)
Mebelwollen, f. unter Moraliſch: Antimoralifche Triebfebern.
Heberlegenheit, j. Superiorität.
Heberlegung.
Was die Leute gemeiniglic das Schidfal nennen, find meiftens mu
ihre eigenen dummen Streiche. Man Tann daher nicht genugfam die
ſchöne Stelle im Homer (31. XXIII, 313 ff.) beherzigen, wo er bit
poyris, d. i. bie kluge Meberlegung, empfiehlt. (P. I, 605.)
Hebernatürlic, f. Natürlich.
Heberredungskunft, ſ. Rhetorik.
Meberfegungen — Uebervöollerung 403
Aeberſeßungen.
1) Worauf das Mangelhafte aller Ueberſetzungen be—
ruht.
Nicht für jedes Wort einer Sprache findet ſich in jeder andern das
genaue Aequivalent, alſo ſind nicht ſämmtliche Begriffe, welche durch
die Worte einer Sprache bezeichnet werden, genau dieſelben, welche die
der andern ausdrücken; ſondern oft find ed blos ähnliche und ver-
wandte, jedoch durch irgend eine Modification verfchiebene Begriffe.
Bisweilen fehlt in einer Sprache das Wort für einen Begriff, wah⸗
rend es ſich in den meiften andern findet. Bisweilen andy drüdt eine
fremde Sprache einen Begriff mit einer Nüance aus, welche unfere eigene
ihm nit giebt. Auf diefer Verfchiebenheit der Sprachen beruht das
nothwendig Mangelhafte aller Weberfegungen. Faſt nie kann man
irgend eine charafteriftifche, prägnante, bebeutiame Periode aus einer
Sprade in die andere fo fibertragen, daß fie genau und vollkommen
biefelbe Wirkung thäte. Sogar in bloßer Profa wird die allerbefte
Meberfegung ſich zum Original höchſtens fo verhalten, wie zu einem
gegebenen Muſikſtück deffen Transpofition in eine andere Tonart. Das»
het bleibt jede Heberfegung tobt und ihr Stil gezwungen, fteif, un⸗
natürlich; oder aber fie wird frei, d. h. begnügt fi mit einem & peu
pres, ift alfo falſch. Eine Bibliothek von Ueberfegungen gleicht einer
SGemäldegallerie von Kopien. (P. II, 601.)
2) Unüberfegbarteit ber Gedichte.
Poefie ift ihrer Natur nad) unüberfegbar. (B. II, 425.) Gedichte
fann man nit überfegen, fondern blos umbdichten, welches allezeit
mißlich ift. (P. II, 603.) |
3) Werth der deutfchen Ueberfegungen der Schrift-
fteller des Alterthums.
Tür griechifche und lateinifche Autoren find deutfche Ueberſetzungen
gerade fo ein Surrogat, wie Cichorien für Kaffee, und zudem darf man
auf ihre Richtigkeit ſich durchaus nicht verlafien. (PB. II, 522. 602.)
4) Segen die ihren Antor berichtigenden und bearbei-
tenden Ueberfegungen.
Zu den Männern in der Litteratur, denen e8 mit nichts Ernft ift,
als mit ihrer werthen Berfon, die fie allein geltend machen wollen,
gehören auch die Weberjeger, welche ihren Autor zugleich berichtigen
und bearbeiten, welches impertinent iſt. Schreibe du felbft Bücher,
welche des Ueberſetzens werth find und laß Anderer Werke wie fie find.
(W. I, 539.)
Webervölkerung, ber Erbe.
Das Gefe der Sterblichkeit (vergl, Sterblichkeit) birgt dafür,
daß die Zunahme der Bevölkerung nicht bis zu einer eigentlichen
26 *
404 Ueberwältigung — Umgang
Uebervöllerung der Erde gehen könne, einem Uebel, deften Entieklichlen
die lebhafteſte Phantafte ſich kaum auszumalen vermag. Nämlich, den
erwähnten Geſetze zufolge würbe, nachdem die Erde fo viel Menſcher
erhalten Hätte, als fie zu ernähren böchftens fähig ift, bie Frudtbeadei
des Gefchlechts unterbeffen bi® zu dem Grabe abgenommen haben, daf
fie knapp ausreichte, die Sterbefälle zu erjegen, wonach aledamı jtde
zufällige Bermehrung diefer die Bevölkerung wieder unter das May:
mum zurüdbringen würde. (P. II, 162 und 166.)
Meberwältigung, des Niebrigeren in der Natur durch das Höhe,
f. Generatio aequivoca.
Umgang.
1) Berfchiedenes Verhalten des ſich feines Werthet
Bewußten und des Philiſters im Umgang.
Nichts macht im Umgang fo zuvorlommend gegen Anderr,
als das Bewußtfein eigenen Werthes; mit biefem fürchten wir nid
zurüdgeftoßen zu werden; denn, wenn es gejchieht, fo empfinden wi
dadurch Feine Kränkung, in der beruhigenden Gewißheit, daß nur de
Eingeſchränktheit des Sriidftoßenben daran Schulb ift. '
Der Philifter Hingegen, der fich eigenes Werthes nicht bewußt ı,
ift, wie aus dem Geſagten von felbft folgt, cireumfpect und poltiid
in feinen Avancen. (5. 453.) |
2) Mittel zum Ertragen der Menfhen im Umgang
(S. unter Gebuld: Mittel zur Erlangung der Geduld.
3) Woraus Ueberlegenheit im Umgang erwädfl.
Die Menſchen gleichen darin den Kindern, daß fie unartig werden,
werm man fie verzieht; daher man gegen feinen zu nadhgiebig un
fiebreich fein darf. Beſonders den Gedanken, daß man ihrer benöthig
fei, können die Menſchen fchlechterdings. nicht vertragen; Uebermuth
und Anmafung wird fein unzertrennliches Gefolge. Bei Einigen ent:
fteht er im gewiffen Grade fchon dadurch, daß man ſich mit ihm
abgiebt, etwa oft, ober auf eine vertrauliche Weife mit ihnen fpridt
Daher taugen fo Wenige zum irgend vertrauteren Umgang, und fol
man fich beſonders hüten, fich nicht mit niedrigen Naturen gemein zu
machen. Faßt nun aber gar Einer den Gedanken, er fei mir did
nöthiger, als ich ihm; da ift es ihm fogleich, als hätte ich ihm etmat
geftohlen. Weberlegenheit im Umgang erwächſt allein darans, daß mu
den Andern in feiner Art und Weife bedarf und dies fehen TER
Wer nicht achtet, wird geachtet, fagt ein feines italienifches Sprich
wort. (P. 1, 479 fg.) Ä
4) Berhaltungsregel gegen Die, weldhe und im lim
gang Unangenehmes oder Aergerliches ermeifen.
Hat Einer, mit dem wir in Umgang ftehen, uns etwas Unange
nehmes, oder Aergerliches erzeigt; fo haben wir uns nur zu fragen,
N
v» Unbefangenheit — Unbewußte 405
ob er uns ſo viel werth ſei, daß wir das Nämliche, auch noch etwas
verſtärkt, und nochmals und öfter wollen gefallen laſſen, ober nicht.
(Bergeben und Bergeffen heißt gemachte Foftbare Erfahrungen zum
Tenfter hinaus werfen.) un bejahenden Ball wird nicht viel darüber
zu ſagen fein, weil das Reden wenig hilft; wir müſſen alfo die Sache,
mit oder ohne Ermahnung, bingehen laſſen. Im verneinenden alle
hingegen haben wir fogleih und auf immer mit ihm zu brechen.
Denn, da der Charakter incorrigibel ift, fo wird er, vorkommenden
Falles, ganz das Selbe, oder das völlig Analoge, wieder thun. Daher
auch ift, fi mit einem Freunde, mit dem man gebrochen hatte, wieder
auszuföhnen, eine Schwäche, die man zu büßen hat. (P. I, 482 fg.)
5) Nugen der Höflichkeit und der Berfchwiegenpeit
im Umgang. (S. Höflichkeit und Verſchwiegenheit.)
Unbefangenpeit, f. unter Lebensalter: Gegenſatz zwifchen Jugend
und Alter...
Mnbegreiflichkeit.
Die Begreiflichleiten Liegen alle im Gebiete der Borftellung; fie
find die ‚Verknüpfung einer Vorftelung mit der andern. Die Unbe-
greiflichkeiten treten ein, fobald man an das Gebiet bed Willens
ſtößt, d. h. fobald der Wille unmittelbar in die Vorſtellung eintritt,
Drganiemus, Vegetation, Kryftallifation, jede Naturkraft, — fie bleiben
unbegreiflich, weil ber Wille fich bier unmittelbar fund macht. (H. 336.
Bergl. Naturkraft.)
Unbeftand, der Dinge.
Man follte .beftändig die Wirkung der Zeit und die Wanbdelbarfeit
ber Dinge vor Augen haben und daher bei Allem, was jetzt ſtatt⸗
findet, fofort das Gegentheil davon imaginiren, aljo im Glide das
Unglüd, in der Freundfchaft die Feindſchaft, im ſchönen Wetter das
Schlechte, in der Xiebe den Haß, und fo auch umgekehrt, fich lebhaft
vergegenwärtigen. Das würde eine bleibende Duelle wahrer Welt-
Mugheit abgeben. Aber vielleicht ift zu feiner Erfenntniß die Erfahrung
fo unerläßlich, wie zur richtigen Schägung des Unbeftandes und Wechfels
der Dinge. Daß die Menſchen den einftweiligen Zuftand ber Dinge,
oder bie Richtung ihres Laufes, in der Regel für bleibend Halten,
tommt daher, daß fie die Wirkungen vor Augen haben, aber die Ur-
ſachen nicht verftehen, biefe e8 jedoch find, welche den Keim der künftigen
Beränderungen in fi tragen. (P. I, 500 fg.)
Unbewußte, das.
1) Segenfag des Bewußten und Unbewußten. (S. unter
Bewußtfein: Das Bewußte im Gegenfage zum Unbe-
wußten.
406 Undank — Undurchdringlichkeit
2) Das Unbewußte des Inſtincts. (S. Iuftinct)
3) Das Unbewußte des Genie. (S. unter Genie:
Inftinctartige Nothiwendigfeit des Wirkens des Genies.)
4) Das Unbewußte im Handeln. (S. mier Grund:
füge: Unbewußte Grundfäße.)
5) Das Unbewußte im Wiffen. (S. unter Schließen,
Schluß: Wirkung des Schluſſes.)
6) Unbewußtes Wirken alles Aechten und Urfprüng:
liden. (©. Aecht.)
7) Die unbewußte Weisheit im Lebenslauf bes Ein
zelnen. (S. Lebenslauf.)
Mudank.
Der böfe Charakter vertraut in der Noth nicht auf den Beiſtar
Anderer; ruft er ihn an, fo gefchieht es ohne Zuverſicht; erlangt a
ihn, fo empfängt er ihn ohne wahre Dankbarkeit, weil er ihn kam
anders, denn al Wirkung ber Thorheit Anderer begreifen Tann. Tem
fein eigenes Weſen im fremden wieder zu erlennen, ift er ſelbſt dam
noch unfühig, nachdem es von dort auß ſich durch unzweidennge
Zeichen kund gegeben hat. Hierauf beruht eigentlich das —
alles Undanks. Dieſe moraliſche Iſolation, in der er ſich wefentliä
und unausweichbar befindet, läßt ihn auch leicht in Verzweiflung ge
rathen. (E. 272.)
Undeutlichkeit.
1) Undeutlichkeit des geſammten Denkens ber ſchleq—
ten Köpfe. (S. unter Denken: Qualität und Schuellig
keit des Denkens.)
2) Undeutlichkeit der Darftellung.
Undentlichleit der Darſtellung entfpringt immer ans Unbentlihket
des eigenen Berftehen® und Durchdenkens. (P. I, 11.)
Undurchdringlichkeit.
1) Die Undurchdringlichkeit als aprioriſche Eigen
{haft der Materie (S. unter Materie: Die um
Materie und ihre apriorifchen Beftimmungen.)
2) Gegenfag zwifhen der Undurchdringlichkeit un
den andern Wirlungsarten der Körper.
Was man die Raumerfüllung ober die Undurchdringlichleit nennt
und als das wefentliche Merkmal des Körpers (d. ı. des Ma
angiebt, ift blos diejenige Wirfungsart, welche allen Körpern ohne
Unendlide — lUnergrünbliche 407
Ausnahme zulommt, nänilich die mechaniſche. Diefe Allgemeinheit,
vermöge deren fie zum Begriff eines Körpers gehört und aus biefem
Begriff a priori folgt, daher auch nicht weggedacht werben kann, ohne
ihn felbft aufzuheben, ift e8 allein, bie fie vor andern Wirkungsarten,
wie die eleftrifche, die chemifche, die leuchtende, die wärmende, aus⸗
zeichnet. (W. II, 55 fg.)
3) Zufammenhbang der Undurchdringlichkeit und
Schwere. (S. Attractions- und Repulfionstraft.)
4) Die Undurddringlichleit als Aeußerung einer
pofitiven Kraft.
Die Undurchdringlichkeit ift nicht eine blos negative Kigenfchaft,
fondern die Aeußerung einer pofitiven Kraft. (P. I, 81.)
Unendliche, das.
1) Bedeutung bes Gegenfaßes zwifchen dem Endlidhen
und Unenbliden. (S. Endlid.)
2) Was im richtig gefaßten Begriff des Unendlichen
liegt.
Es iſt ſchon Lehre des Ariftoteles, daß ein Unendliches nie actu,
d. h. wirklich und gegeben fein könne, fondern blos potentia. Das
Unendliche, ſowohl der Welt im Raum, als in ber Zeit und in der
Theilung, ift nah ihm nie dor dem Regreſſus, oder Progreſſus,
fondern in demfelben. Diefe Wahrheit fiegt ſchon im richtig gefaßten
Begriff des Unendlihen. Dan mißverfteht ſich alfo felbft, wenn man
das Unenbliche, welcher Art es auch fei, als ein objectiv Vorhandenes
und Tertiged, und unabhängig vom Regreſſus zu denken vermeint.
(W. I, 593.)
Unergründliche, das.
Wenn wir irgend ein Naturmefen, z. B. ein Thier, in feinem Da⸗
fein, Leben und Wirken anfchauen und betrachten; fo fteht es trog
Allem, was Zoologie und Zootomie darüber lehren, als ein uner⸗
grünbdliches Geheimnig vor uns. Aber follte denn die Natur aus
bloßer BerftodtHeit ewig dor unjerer Trage verftummen? Dt fie nicht,
wie alles Große, offen, mittheilend und fogar naiv? Kann daher ihre
Antwort je aus einem andern Grunde fehlen, als weil die Frage ver⸗
fehlt war, von falfchen Vorausjegungen ausgieng, ober gar einen
Widerjpruch beherbergte? Denn, läßt es fich wohl denken, daß es
einen Zufammenhang von Gründen und Folgen da geben Tann, wo er
ewig und wefentlich unentdect bleiben muß? — Gewiß, das Allee
nit. Sondern das Unergründliche ift e8 darum, weil wir nad)
Gründen und Folgen forfchen auf einem Gebiete, dem diefe Form
fremd ift, und wir alfo der Kette der Gründe und Folgen auf einer
ganz falfchen Fährte nachgehen. Wir fuchen nämlich das innere Weſen
408 Unfähiglet — Miglück. Unglückefälle
ber Natur, welches aus jeder Erfcheinung uns entgegentritt, am keit:
faden des Satzes vom Grunde zu erreichen; — während doch bieler
die bloße Form ift, mit der unfer Intellect die Erfcheimung, d. i. die
Oberfläche der Dinge, auffaßt; wir aber wollen damit über die Er-
fheinung hinaus, innerhalb deren er doch allein brauchbar und au
reichend iſt. (PB. II, 100fg. Bergl. unter Ding an Sid: Auf
welchen Wege allein zur Erkenntniß des Dinges an ſich zu ge
langen ift.)
Unfähigkeit, intellectuelle, |. Schlechtigkeit.
Ungemein, |. Gemein.
Ungleichheit, der Menfchen, |. Verſchiedenheit.
Unglük. Unglücksſälle.
1) Allgemeinheit bes Unglüd®.
Jedes einzelne Unglitd erfcheint zwar ald eine Ausnahme; aber da:
Unglüd überhaupt ift die Kegel. (P. II, 312.)
2) Berfchiedenes Verhalten des Eukolos und Dyr
tolos bei Unglüdsfällen (S. Eukolos und Dy⸗
tolo8.)
3) Berfhiedene Wirkung der Unglüdsfälle auf ben
. Borbereiteten und auf ben Unvorbereiteten.
Daß ein Unglüdsfall uns meniger fchwer zu tragen fällt, wen
twir zum Voraus ihn als möglich betradhtet und uns darauf ge
faßt gemacht haben, mag hauptfächlich daher kommen, daß wenn wir
den Fall vorher als eine bloße Möglichkeit überdenken, wir bie Aus
dehnung des Unglücks deutlich überfehen und fo es menigftens als en
endliches und überfchaubares erkennen, in Folge wovon es bei feinem
wirklichen Eintritt doch mit nicht mehr als feiner wahren Schwert
wirken kann. Werden wir hingegen unvorbereitet getroffen, fo lan
der erfchrodene Geift im erften Augenblid die Größe des Unglüds
nicht genau ermefjen und er ftellt es fich daher leicht viel größer dar,
als e8 wirklich ift. Auf gleiche Art läßt Dunkelheit und Ungewißheit
jede Gefahr größer erfcheinen. Dazu kommt noch, daß wir fir de?
ale möglich anticipirte Unglüc zugleich auch die Troftgründe und Ab
hillfen überdacht, ober wenigftend uns an die Borftellung beffelben ge
wöhnt haben. (P. I, 504.)
4) Was zum gelaffenen Ertragen der Unglüdfälle
am beften befähigt.
Nichts wird und zum gelaffenen Extragen der und treffenden In
glücksfülle beffer befähigen, als die Ueberzeugung von der Wahrhei
daß Alles, was gefchieht, vom Größten bis zum Kleinften, noth⸗
Univerfitätsphifofopbie 409
wen dig gefchieht. Denn in’ das unvermeidlich Nothwendige weiß der
Menſch fid bald zu finden. (P. I, 504 fg. W. J, 361. E. 61fg.)
5) Erprobung der Freunde im Unglüd. (©. unter
Freundſchaft: Erprobung des Freundes.)
6) Berföhnung des Neides durch das Unglüd.
Das beim Umſchlag des Glückes mehr, als das Unglüd felbft, ge
fürchtete Frohlocken der Neiber, das Hohngelächter der Schadenfreude,
bleibt meiſtens aus; der Neib ift verfühnt, er ift mit feiner Urfache
verjchiwunden, und das jegt an feine Stelle tretende Mitleid gebiert
die Menſchenliebe. Oft haben die Neider und Feinde eines Glüclichen
bei jeinem Sturz fi in fchonende, tröftende und helfende Freunde
verwandelt. (E. 237 fg.)
7) Das Ehrfurdt Einflößende großen Unglücks. (©.
unter Leiden: Lünternde Kraft und Ehrwürdigkeit des
Leidens.)
8) Regel zur Vermeidung des Unglitde.
Um nicht ſehr unglüdlid zu werben, ift das ficherfte Mittel, daß
man nicht verlange fehr glüdlich zu fein. Demnach ift e8 gerathen,
feine Anſprüche auf Genuß, Befig, Rang, Ehre u. ſ. w. auf ein ganz
Meäßiges herabzufegen; weil gerade da8 Streben und Ringen nad _
Süd, Glanz und Genuß es ift, was die großen Unglüdsfälle herbei—
sicht. (P. I, 434 fg.)
Univerfitätsphilofophie.
1) Uebergewicht des Nachtheils über den Nußen der
Kathederphiloſophie.
Zwar iſt das Lehren der Philoſophie auf Univerſitäten ihr auf
mancherlei Weiſe erſprießlich. Sie erhält damit eine öffentliche Eriftenz
und ihre, Standarte ift aufgepflanzt vor den Augen der Menfchen.
Ferner wird mander junge und fühige Kopf mit ihr befaunt gemacht
und zu ihrem Studium auferwedt. Aber diefer Nuten der Katheder⸗
philofophie wird don dem Nacdhtheil überwogen, den die Philofophie
als Profeifion der Philoſophie als freier Wahrheitsforſchung, oder die
Philoſophie im Auftrage der Regierung ber Philofophie im Auftrage
der Natur und Menfchheit bringt. (PB. I, 152 ff.)
Mit der Univerfitätsphilofophie ift e8 in der Regel blos Spiegel.
fechterei; der wirkliche Zweck derfelben ift, den Studenten im tiefften
Grunde ihres Denkens diejenige Geiftesrichtung zu geben, welche das
die Profefluren befegende Minifterium feinen Abfichten angemefjen hält.
Daran mag biejes im ſtaatsmänniſchen Sinn aud ganz Recht haben;
nur folgt daraus, daß ſolche Kathederphilofophie ein nervis alienis
mobile lignum ift und nicht für ernftliche, fondern nur fir Spaaß-
philofophie gelten Tann. (W. II, 180. P. I, 151 ff. 209.)
410 Univerfitätsphifofophie
2) Gegenſatz zwiſchen ben Bhilofophieprofejforen un
den wirfliden Philoſophen.
Der eigentlihe Ernft der Philofophieprofefforen liegt darin, mi
Ehren ein redliches Auslommen fir ſich nebft Weib und Kind zu m-
werben, auch ein gewifies Anfehen vor den Leuten zu genießen; hingegen
‘wird das tiefbewegte Gemüth eines wirklichen Philofophen, deſſen ganze
und großer Ernft im Aufſuchen eines Schlüffel® zu unferm fo räthid-
haften, wie mißlichen Dafein Iiegt, von ihnen zu den nıythologiicen
Weſen gezählt. Denn daß es mit der Philofophie fo recht eigen:
den bitterer Ernft fein könne, Läßt wohl in ber Regel kein Merjch
fi) weniger träumen, als ein Docent derſelben. Daber gehört 7
den feltenften Fällen, daß ein u Kr zugleich ein Docer
der Philofopbie gewefen wäre. (P. I, 153 fg.)
Die Leute, die don ber Bhilofopfie [eben wollen, werden Hödä
felten eben Die fein, welche eigentlich für fie (eben, bisweilen abe
fogar Die, welche verftedterweife gegen fie madjiniren. (P. I, 195.
Die Philoſophie kann nur gedeihen, wenn fie aufhört, ein Gewerbe p
fein; die Erhabenheit ihres Strebens verträgt fi nicht damit. (F.|,
169. 210. ®. I, Borrede XIX; I, 179. NR. Borrede X fg.)
Um eigentlich zu philofophiren, muß der Geift feine Zwecke verfolgen
und alſo nicht vom Willen gelenft werben, fondern fid) ungetheilt der
Belehrung hingeben, welche die anfchauliche Welt und das eigene Pr
wußtfein ihm ertheilt. Philofophieprofefforen Hingegen find anf ihren
perlönlichen Nugen und was dahin führt bedacht; da Liegt ihr Ernſt
Darum fehen fie fo viele deutliche Dinge gar nicht, ja kommen nich
ein einziged Mal auch nur über die Probleme der Philofophie zer
Befinmmg. (B. II, 4 fg.)
Man nehme irgend einen wirflichen Philoſophen zur Hand, gleich
viel aus welcher Zeit, aus welchem Lande, fei es Plato oder Ariftoteler,
Gartefins oder Hume, Malebranche oder Lode, Spinoza oder Kant, —
immer begegnet man einem jchönen und gebanfenreichen Geifte, der
Erkenntniß hat und Erkenntniß wirft, beſonders aber ſtets redlich be
müht ift, ſich mitzutheilen; daher er dem eınpfänglichen Leſer bei jede
Zeile die Mühe bes Leſens unmittelbar vergilt. Was dagegen de
Schreiberei unferer PHilofophafter fo gebanfenarm und dadurch martem:
langweilig macht, ift zwar im legten Grunde die Armuth ihres Geifter,
zunächft aber Diefes, daß ihr Vortrag fi) durdigängig in höchſt ab-
ftracten, allgemeinen und überaus weiten Begriffen bewegt, daher auch
meiftend nur in unbeftimmten, ſchwankenden, verblajenen Ausbrüden
einherſchreitet. (P. I, 176 fg.)
3) Gegen die Anmaßung ber Univerfitäten, in Saden
ber Philofophie das große Wort zu führen.
Die Uniperfitäten find offenbar der Heerd alles jenes Spiels,
welches die Abſicht mit ber Philofophie treibt. Nur mittelft ihre
Unorganifche 411
konnten Kants Epoche machende Leiftungen verbrängt werden durch bie
Windbeuteleien eines Fichte und ihm Aehnlicher. Dies hätte nimmer-
mehr gefchegen Türmen vor einem eigentlich philofophifchen Publikum,
db. 5. einem die Philofophie ihrer felbft wegen fuchenden, aus wirklich
denfenden Köpfen beftehenden Publikum. Nur mittelft ber Univerfitäten,
vor einem aus gläubigen Studenten beftehenden Publikum, ift der ganze
philoſophiſche Skandal der letzten 50 Jahre möglich geweſen. Der
Grundirrthum hiebei liegt nämlich darin, daß die Univerſitäten auch
in Sachen der Philoſophie das große Wort und die entſcheidende
Stimme ſich anmaßen, welche allenfalls den drei obern Facultäten zu⸗
kommt. Daß jedoch in der Philoſophie, als einer Wiſſenſchaft, die
erſt gefunden werden ſoll, die Sache ſich anders verhält, wird über⸗
ſehen; wie auch, daß bei Befegung philoſophiſcher Lehrſtühle nicht, wie
bei andern, allein die Fäühigkeiten, ſondern noch mehr die Geſinnungen
des Kandidaten in Betracht kommen.
Oeffentliche Lehrſtühle gebühren allein den bereits geſchaffenen,
wirklich vorhandenen Wiſſenſchaften, welche man daher eben nur gelernt
zu haben braucht, um fie lehren zu können. Aber eine Wiſſenſchaft,
die noch gar nicht eriftirt, bie ihr Ziel noch nicht erreicht Hat, nicht
einmal ihren Weg ficher kennt, ja deren Möglichkeit noch beftritten
wird, eine folhe Wiſſenſchaft durch Profefforen lehren zu laſſen ift
eigentlih abfurd. (P. I, 193—195.)
4) Empfehlung der Einſchränkung bes philoſophiſchen
Unterrihts auf Univerfitäten.
Sieht man von den Staatszweden ab und faßt blos das Intereſſe
der Philoſophie in's Ange, fo muß man wünſchen, daß aller Unter-
riht in berfelben auf Univerfitäten fireng befchräntt werde auf ben
Bortrag ber Logik, als einer abgejchloffenen und ftreng beweisbaren
Wiffenfehaft, und auf eine ganz succincte vorzutragende und durchaus
in Einem Semefter von Thales bis Kant zu abfolvirende Geſchichte
der Philofophie, damit fie in Folge ihrer Kürze und Ueberfichtlichkeit
den eigenen Anfichten des Herrn Profeffors möglichft wenig Spielraum
geftatte und blos als Leitfaden zum künftigen eigenen Studium auf-
trete. (PB. I, 210 fg.)
Unorganifcdhe, das.
1) Gegenfatz zwifhen dem Unorganifhen und dem
Organiſchen. (S. unter Leben: Weſen des Lebens und
Gegenfat des Lebenden gegen das Leblofe.)
. 2) Art der Urfahen, welde die Verändernngen der
unorganifchen Körper bewirken. (S. unter Urfade:
Die drei Formen der Urſächlichkeit.)
412 Unredt
3) Warum in ber unorganifhen Natur bie Endur—
fadhen zurüdtreten. (S. unter Teleologie: Gegenfag
zwifchen der organifchen und umorganifchen Natur in Huwfid:
auf die Erflärung durch Endurfadhen.)
4) Aeſthetiſche Wirkung der unorganifchen Natur.
S. unter Natur: Mefthetifche Wirkung der Natur.)
Unrecht.
1) Begriff des Unrechts im Gegenſatze zu dem Be—
griff des Rechts. (S. unter Recht: Negativität des
Begriffs des Rechts.)
2: Beſondere Rubriken des Unrechts.
Das Urrecht drückt ſich in concreto am vollendetſten und har!
greiflichſen aus im Kanuibalismus. Nächſt dieſem im Morde
As dem Weſen nach mit dem Morde gleichartig und mur im Crake
von ihm verfchieden ift die abfihtlide VBerflümmelung, oe
bloße Berlegung des fremden Leibes anzufehen, ja jeder Schlag. —
Ferner ſtellt das Unrecht fich bar in der Unterjodhung des andem
Individuums, im Zwange defjelben zur Stlaverei; endlich im Au—
griff des fremden Eigenthums, welder, fofern dieſes als Frech
feiner Arbeit betrachtet wird, mit jener im Wejentlichen gleichartig fi
und ſich zu ihr verhält, wie die bloße Verlegung zum Mord. (EL
395 fg. H. 377.)
Unter eine dieſer fünf Rubriken wird ſich wohl jedes Unrecht bringen
laflen; doch kann es oft gemifchter Art fein und unter mehrere Ku:
brifen zugleich gehören. Die zulegt genannte Rubrik, Angriff dei
Eigenthums, begreift die mannigfaltigften Fälle: Betrug, Bertragt:
bruch u. |. w.
Als eine befondere, ſechſte Rubrik des Unrechts könnte man ti
Verlegung der aus den Serualverhältniffen bervorgehenden Fa:
bindfichleiten anfehen. (9. 377. Berg. Geſchlechtsverhältniß.
3) Arten der Ausübung des Unrechts.
. Die Ausübung des Unrechts gefchieht entweder durch Gewalt, oder
dur Lift. (W. I, 398. Bergl. Gewalt und fift.)
4) Grabe des Unrechts.
Bei jeber ungerechten Handlung ift das Unrecht der Qualität
nad) da8 felbe, nämlich Verlegung eines Andern, es fei an fena
Perfon, feiner Freiheit, feinem Eigenthum, feiner Ehre. Aber dr
Dnantität nad kann e8 fehr verjchieden fein. Diefe Verſchiedenheit
der Größe des Unrehts ſcheint von den Moraliften noch midi
gehörig unterfucht zu fein, wird jedoch im wirklichen Leben übenall
anerfannt, indem die Größe des Tadels, den man darüber crgehen
läßt, ihr entfpriht. Wer 3. B. bem Bungertode nahe ein Brot ſtiehlt,
Unrechtlichket — Unfhuld 413
begeht ein Unrecht; aber. wie Fein ift feine Ungerechtigkeit gegen bie
eines Reichen, der anf irgenb eine Weife einen Armen um fein Eigen-
thum bringt. (E. 219 fg. — Ueber ben Maßſtab für die Größe des
Unrechts ſ. unter Gerechtigkeit: Grade der Gerechtigkeit.)
5) Die Schuganftalt gegen das Unrecht, der Staat.
(S. Staat und Staatstunft.)
Unrechtlichkeit.
Die Unrechtlichkeit liegt tief im menſchlichen Weſen. ‘Daher wird
es der Staatskunſt nicht gelingen, das Unrecht gänzlich aus dem
Gemeinweſen zu verbannen; ſondern es wird immer ſchon viel ſein,
wenn ſie ihre Aufgabe ſo weit löſt, daß möglichſt wenig Unrecht
im Gemeinweſen übrig bleibt. (P. II, 267.)
Unfcylüffigkeit, |
Die Unjchlüffigkeit, als bei welcher durch den Widerftreit der Motive,
die der Intellect dem Willen vorhält, diefer in Stillftand geräth, alfo
gehemmt ift, fcheint eine Störung des Willens durch den Intellect
und folglich ein Gegenbeweis gegen den Primat des Willens über den
Intellect zu fein. Wllein bei näherer Betrachtung wird es jehr deut⸗
lich, daß die Urfache diefer Hemmung nicht in der Thätigkeit bes
Intellects als ſolcher Tiegt, fondern ganz allein in den durch diejelbe
vermittelten äußern. Gegenftänden, als welche biefes Mal zu dem
bier betheiligten Willen gerade in dem Verhältniß ftehen, daß fie ihn
nach verfchiedenen Richtungen mit ziemlich gleicher Stärke ziehen;
diefe eigentliche ‚Urfache wirft blos durch den Intellect, als das
Mediun der Motive, hindurch. Unentjchloffenheit als Charakterzug ift
eben fo ſehr durch Eigenjchaften des Willens, als des Intellects be-
dinge. Aeußerſt befchränkten . Köpfen ift fie freilich nicht eigen.
(W. II, 246 fg.)
Unſchuld.
1) Die Unſchuld der Pflanze.
Die Unſchuld der Pflanze beruht auf ihrer Erkenntnißloſigkeit; nicht
im Wollen, ſondern im Wollen mit Erkenntniß liegt die Schuld.
(W. 1, 186.
2) Der Stand der Unſchuld im goldenen Zeitalter.
Die Unſchuld iſt weſentlich duumm. Dies daher, weil der Zweck
des Lebens der iſt, daß wir unſern eigenen böſen Willen erkennen, daß
er Object für uns werde und wir demnach im Innerſten und bekehren.
Unfer Leib ift ſchon der Dbject gewordene Wille, und die Thaten, die
wir feinettwegen vollbringen, zeigen und das Böfe diefes Willens. Im
Stande der Unfhuld, wo aus Mangel an Berfuhung das Böfe
unterbleibt, ift daher der Menſch gleichfam nur der Apparat zum
414 Unfterbligfeit — Unzerflörbarfeit
Leben, und Das, wozu diefer Apparat da ift, bleibt noch aus. Te
Charakter diefes Teeren Dafeins ift Nitchternheit, Dummheit. Eis
.goldene® Zeitalter der Unſchuld, im Schlaraffenland, ift daher ja
und auch eben nicht ehrwürdig. Der erfte Berbrecher, der erſte Mörker,
Kain, der die Schuld und durch fie erſt in der Reue die Tugend un
jomit die Bedentung des Lebens erlannt Kat, iſt eine tragifche Fige,
geutnder und ehrwürdiger, als alle die unſchuldigen Schlarafirn.
(M. 736.)
3) Die Unfhuld des Alterthumo.
Daß das Altertfum mit fo viel Unſchnld beffeibet vor und Recht,
ift doch blos, weil es das Chriftenthfum nicht Tannte. (9. 3%.
Vergl. die Alten.)
Unfterblichkeit, f. Unzerftörbarkeit.
Unvernünftig, f. Vernunft. Bernünftig.
Unverfhämtpheit.
Zum Symbol der Unverfhämtheit und Dummdreiſtigkeit follte ma
die Tyliege nehmen. Denn während alle Thiere den Menſchen üke
Alles ſcheuen und ſchon von ferne vor ihm fliehen, fett fie ſich ie
auf die Nafe. (P. II, 684.)
Unverfland.
1) Wefen des Unverftanbes.
Unverftand ift Mangel an Einfiht gemäß dem Gefe ber Sanfalität.
(W. I, 613. Bergl. Berftant.)
2) Bereinbarkfeit des Unverftandes mit Vernunft.
Bernunft kann fich fehr wohl mit Unverftand vereinigen. Dies il
der Fall, wenn eine dumme Marime gewählt, aber mit Confegue;
durchgeführt wird. Hieher gehören alle Gelübde, deren Urſpruz
Mangel an Einficht gemäß dem Gejeg der ECaufalität, d. h. Unver
ftand ift; nichts defto weniger ift e8 vernünftig fie zu erfüllen, wem
man einmal von fo beſchränktem Verſtande ift, fie zu geloben. (W.!,
612 fg.)
Unzerftörbarkeit, unfers Weſens an ſich durch den Tod.
1) Berhältniß des Todes zu unferm Wefen an fie
(S. Tob.)
2) Orundbedingung der Unzerftörbarkeit unfers Br
fens an fi durd den Tod.
Unzerfiörbarkeit uufers wahren Weſens durch ben Tod kann ohu
Afeität deffelben nicht ernftlich gedacht werden, wie auch ſchwerlich
ohne fundamentale Sonderung bes Willens vom Intellect. (R. 142.)
|
Ä
Ungerftörbarfeit 415
lſeitdit ift die Bedingung, wie der Zurechnungsfähigkeit, fo auch der
Infterblichkeit. (PB. I, 137. Bergl. Afeität.) Der Theismus ift
aber mit dem Unfterblichleitsglauben unvereinbar. (Vergl. unter
Hott: egenbeweife gegen das Dafein Gottes.)
3) Ein Hinderniß der Erkenntniß ber Ungerftörbarteit
unfers Weſens burd den Tod.
Bon der Unzerſtörbarkeit unſers wahren Wefens durch den Tod
verden wir fo lange faljche Begriffe haben, als wir uns nicht ent-
hließen, fie zupörderft an den Thieren zu ftudiren, fondern eine aparte
Art bexjelben, unter dem prahlerifchen Namen der Unfterblichfeit, uns
ein anmaßen. Diefe Anmaßung aber und bie Beſchränktheit der
Anficht, aus der fie hervorgeht, iſt es ganz allein, weswegen die
meiſten Menſchen fi jo Hartnädig dagegen fträuben, die am Tage
liegende Wahrheit anzuerkennen, daß wir, dem Wefentlichen nach und
in der Hauptſache, das Gelbe find wie die Thiere; ja, daß fle dor
jeder Andentung unferer Berwandtichaft mit diefen zurückbeben. Diefe
BVerleugnung ber Wahrheit aber ift es, welche mehr als alles Andere
ihnen den Weg verfperrt zur wirklichen Erfenntniß der Unzerftörbarkeit
unfers Weſens. (W. II, 549 fg.)
4) Zufammenfallen des Berftändniffes der Unzer»
ftörbarfeit unfers Wefens dur ben Tod mit dem
der Identität bes Makrokosmos und Mikrokosmos.
Im Grunde find wir mit der Welt viel mehr Eins, als wir ge
wöhnlich denfen; ihr inneres Wefen ift unfer Wille, ihre Erſcheinung
{ft unfere Borftellung. Wer biefes Einsfein fich zum deutlichen Be⸗
wußtfein bringen könnte, dem würde der Unterſchied zwifchen der
Fortdauer ber Außenwelt, nachdem er geftorben, und feiner eigenen
Fortdauer nach dem Tode verfchwinden; Beides würde ſich ihm als
Eines und Daffelbe barftellen, ja, er wiirde über den Wahn lachen,
der fie trennen könnte. Denn das Berftändnig der Unzerſtörbarleit
unſers Wejens fällt mit dem ber Identität des Makrokosmos und
Mikrolosmos zuſammen. (W. U, 554.)
5) Die gründlifte Antwort auf die Frage nad) der
Yortdauer.
Die gründlichfte Antwort auf die Frage nad) der Fortdauer des
Individuums nach dem Tode Liegt in Kants großer Lehre von der
Idealität der Zeit. Anfangen, Enden und Fortdauern find Be-
griffe, welche ihre Bedeutung einzig und allein von der Zeit entlehnen
und folglich nur unter VBorausfegung biefer gelten. Allein die Zeit
hat Fein abfolute® Dafein, ift nicht die Art und Weife des Seins an
fi der Dinge, fondern blos die Form unferer Erfenntniß von
unferm und aller Dinge Daſein und Weſen, welche eben dadurch fehr
unvollfommen und auf bloße Erfcheinungen beſchränkt ift. In Hinſicht
416 Unzufriedenheit — Urſache. Urfädlichkeit
auf dieſe allein aljo finden die Begriffe von Aufhören und Fortdauen
Anwendung, nicht in Hinfiht auf das im ihnen ſich Darftellende, ver
Wefen an ſich der Dinge, auf welches angewandt jene Begriffe deher
feinen Sinn mehr haben. (W. I, 562fg. P. U, 286.)
Da nun dem Wefen an fih des Menfchen wegen ber bemielben
anhängeuden Elimination der Zeitbegriffe feine Fortdauer beizuleger
ift, dafjelbe aber doch unzerftörbar ift, fo werben wir bier auf ken
Begriff einer Ungerftörbarkeit, die jeboch feine Fortdauer iſt, geleitet.
Diefer Begriff nun ift ein foldher, ber auf dem Wege ber Abftracim
gewonnen, fi) auch allenfall$ in abstracto benfen läßt, jedoch durdı
feine Anſchauung belegt, mithin nicht eigentlich deutlich werden ları.
(®. I, 563. ®. II, 286. 296.)
Unzufriedenheit.
Unfere beftändige Unzufriedenheit hat ‚großen Theils ihren Grm
darin, daß ſchon der Selbfterhaltungstrieb, übergehend in Selbitlud.
uns die Marxime zur Pflicht macht, ftets Acht zu haben auf Te,
was und abgeht, um danach für deſſen Herbeifchaffung zu jene:
Daher find wir ſtets bedacht aufzufinden, was uns fehlt; was w:
aber befiten, läßt jene Marine ung überfehen. Diefelbe zerftört daher
unfere Zufriedenheit. (G. 446.)
Die Gränze unferer vernünftigen Wünſche Hinfichtlich bes Bei
zu beftimmen ift ſchwierig, wo nicht unmöglich. Denn die Zufneie
heit eines „eben in diefer Hinficht beruht nicht auf einer abjolmen,
fondern auf einer blos relativen Größe, nämlich auf dem Berhälmk
zwifchen feinen Anſprüchen und feinem Beſitz. Die Quelle mia
Unzufriebenheit liegt in unfern ſtets erneuerten Berfuchen, den ya
der Anfprüce in die Höhe zu fchieben, bei der Unbeweglichleit de
andern Factors, der es verhindert. (P. I, 365 fg.)
Urſache. Urſächlichkeit. |
1) Das Geſetz der Urfählichkeit und das Gebiet feine
Gültigkeit. (S. unter Grund: Satz vom Grunde |
Werdens.)
2) Apriorität des Cauſalitätsgeſetzes.
Die Bedingtheit der Anfchauung durch die Anwendung des Caufal-
tatsgeſetzes (vergl. unter Anfchauung: Intellectualität der Anfhauung
beweift, daß Zeit, Raum und Caufalität weder durch das Grid:
noch durch das Getaft, fondern überhaupt nicht von aufen in mi |
kommen, vielmehr einen innern, daher nicht empirifchen, ſondern d:
tellectuellen Urfprung haben. (©. $. 21.) Wirklich liegt in du
Nothwendigkeit eines von der, empirifc allein gegebener Simt
empfindung zur Urfache derfelben zu machenden Ueberganges, daut
es zur Anfchauung der Außenwelt komme, der einzige ächte Bemi*
grund davon, daß das Geſetz ber Gaufalität vor aller Erfahrung
uns bewußt if. (W. II, 42 fg.)
Urſache. Urfächlichkeit 417
Die Apriorität des Caufalitätögefeges wird jeden Augenblid durch
die umerjchütterliche Gewißheit beftätigt, mit der Jeder in allen Fällen
von der Erfahrung erwartet, daß fie diefem Gefege gemäß ausfalle,
d. 5. durch die Apodikticität, die wir felbigem beilegen, die fich von
jeder andern auf Inductien gegründeten Gewißheit, 3. B. der empirifd)
erfannter Naturgejege, dadurch unterfcheidet, daß es uns fogar zu
denken unmöglich ift, daß diefes Geſetz irgendwo in der Erfahrungs-
welt eine Ausnahme leide. Wir können uns z. B. denken, daß das
Sefeg der Gravitation ein Mal aufhörte zu wirken, nicht aber, daß
diefe® ohne eine Urſache gejchähe. (G. 89 fg.)
3) Zwei Corollarien des Kaufalitätsgefeges.
Aus dem Geſetze der Kaufalität ergeben fid) zwei wichtige Corol⸗
larien, nämlich das Gejet der Trägheit und das der Beharr-
lichfeit der Subftanz. (Bergl. Trügheit und Subftan;.)
4) Unterfchied zwifchen Urfahe und Kraft. (S. Kraft.)
5) Unterfhied zwifchen der ganzen Urfahe und ben
einzelnen urfählihen Momenten.
Daß, wenn ein Zuftand, um Bedingung zum Eintritt eine® neuen
zu fein, alle Beflimmungen bis auf eine enthält, man biefe eine,
wenn fie zuletzt noch hinzutritt, die Urfache ar e&oynv nennt, ift
zwar infofern richtig, ald man ſich dabei an die legte, hier allerdings
entjcheidende Veränderung hält; davon abgefehen aber bat, für Die
Feſtſtellung der urfüchlichen Berbindung der Dinge im Allgemeinen,
eine Beitimmung des caufalen Zuſtandes dadurch, daß fie die lette
ift, die hinzutritt, vor den übrigen nichts voraus. Nur ber ganze,
den Eintritt des folgenden herbeiführende Zuftand ift als die Urſache
anzufehen. Die verfchiedenen einzelnen Beftimmungen aber, welche erft
zufammengenommen die Urſache completiren und ausmadjen, Tann man
die urfählihen Momente, oder auch die Bedingungen nennen und
demnach die Urfache in folche zerlegen. (©. 35.)
6) Zeitverhältnif zwifhen Urfadhe und Wirkung.
Zum wefentlihen Charakter der Urfache gehört es, daß fie allemal
der Wirkung der Zeit nad) vorhergehe, und nur daran wird urfprüng-
fich erkannt, welcher von zwei durch den Caufalnerus verbundenen Zu⸗
ftänden Urfache und welcher Wirkung fei. Umgefchrt giebt es Fälle,
wo und aus früherer Erfahrung der Cauſalnexus befaunt ift, die
Suceeffion der Zuftände aber fo ſchnell erfolgt, daß fie fich unferer
Wahrnehmung entzieht; dann Schließen wir mit völliger Sicherheit von
der Caufalität auf die Succeffion, 3. B. daß die Entzündung des
Pulvers der Erploflon vorhergeht. (G. 42. 151 fg. W. U, 44 fg.)
7) Die drei Formen der Urſächlichkeit.
Die Caufalität tritt in der Natur unter drei verjchiebenen Formen
auf: als Urfade im engſten Sinne, als Reiz, und ale Motiv.
Schopenhauerskerilon, 1. 27
418 Urfache. Urſächlichkeit
Auf diefer Berfchiedenheit beruht der wahre und wejentliche Unterfdie
zwifchen unorganifchem Körper, Pflanze und Thier.
Die Urfache im engften Sinne ift die, nach welcher ausſchließſich
die Veränderungen im unorganifchen Reiche erfolgen, alſo diejmige:
Wirkungen, welde das Thema ber Mechanik, ber Phyſik und der
Chemie find. Bon ihr allein gilt das dritte Newtoniſche Grumdgeier:
„Wirfung und Gegenwirkung find einander glei.” Ferner iſt mr
bei dieſer Form der Caufalität der Grab der Wirkung dem Grade
ber Urſache ſtets genau angemefien, fo daß aus diefer jene fid be:
rechnen läßt und umgelehrt.
Die zmeite Form der Gaufalität ift der Reiz; fie beherrſcht dar
prganifche Leben als folches, aljo das der Pflanzen, und den vegeis:
tiven, daher bewußtlofen Theil des thierifchen Lebens. (Ueber da
Gegenſatz zwifchen dem organifchen und animalifchen Leben weil.
Leben.) „Sie harakterifirt fi) durch Abweſenheit der Merkmale t::
erſten Form. Alfo find hier Wirkung und Gegenwirkung einank
nicht gleich, und feineswegs folgt bie Intenfität der Wirkung durt
alle Grade der Intenfität der Urſache.
Die dritte Form der Caufalitüt ift das Motiv, fie leitet dur
eigentlich animalifche Leben, alſo das Thun, d. 5. die äußeren, m:
Berwußtjein gefchehenden Actionen aller thierifchen Wejen. (Ueber ii
Medium der Motive |. unter Bewußtjein: Urjprung und Ziel der
Bewußtfeind,) Die Wirkung eines Motivs ift dom der eines Kir
augenfällig verfchieden; die Einwirkung defjelben nämlich kann Ki
kurz, ja fie braucht nur momentan zu fein; denn ihre Wirkſamleit kt
nicht, wie die des Reizes, irgend ein Berhältnig zu ihrer Dauer, zu
Nähe des Gegenftandes u. dgl. m., fondern das Motiv braudt ar
wahrgenommen zu fein, um zu wirken, während der Heiz fies de
Contact8, oft gar der Intusfusception, allemal aber einer gemiil:
Dauer bedarf. (G. 46 — 48. E. 29— 36. F.18fg. W. 1, 137%
Ueber Motiv im Befonderen |. Motiv.)
8) Die Faßlichkeit des Zufammenhanges zwijde |
Urſache und Wirkung.
. Meberbliden wir die drei Formen der Caufalität in der Ratur, I)
bemerfen wir,. bie Reihe der Wefen in Hinficht auf diefelben von untea
nach oben durchgehend, daß die Urfache und ihre Wirkung mehr u
wehr auseinander treten, fich deutlicher fondern umd heterogener werde,
wobei die Urfache immer weniger materiell und palpabel wird, takt
denn immer weniger in der Urſache und immer mehr in der Wirlerz
zu liegen fcheint, durch welches Alles zufanımengenommen der Zulas-
menhang zwifchen Urjache und Wirkung an unmittelbarer Yaplıd
und Berftändlichleit verliert. Aber bei diefer mehr und mehr eintreten
den SHeterogeneität, Vncommenfnrabilität und Unverſtändlichkeit de
Berhältniffes zwifchen Urſache und Wirkung nimmt keineswegs and?"
durch daſſelbe gefette Nothwendigfeit ab, fondern die auf Motirt
Urſache. Urfächfichfeit 419
erfalgenden Handlungen, bei welchen die Incommenfirabilität des Ver⸗
hältniſſes zwifchen Urſache und Wirkung ihren höchſten Grad erreicht,
find ebenfo fireng nothwendig, wie die auf mechanische Urfachen ex
folgenden Bewegungen unorganifcher Körper. (E. 36— 41. N. 87— 90.
Ueber den täufchenden Schein der freiheit in den Handlungen f. unter
Sreiheit: Wo die moralifche Freiheit liegt.)
Zwifchen Urfache und Wirkung ift der Zufammenhang eigentlich fo
geheiminißvoll, wie der, welchen man dichtet zwifchen einer Zauberformel
und dem Geift, der durch fie berbeigerufen nothwendig erſcheint. (MW.
1, 158.) ‘Die Zeugung, auf welcher man das Daſein eines gegebenen
Thieres erflärt, ift im Grunde nicht geheimnißvoller, als der Erfolg
jeder anderen, fogar der einfachften Wirfung aus ihrer Urfache, indem
audy bei einem ſolchen die Erklärung zulegt anf das Unbegreifliche
ſtößt. (P. II, 101.) Jede Erklärung aus Urſachen ftößt zulegt auf
ein Unbegreifliches, Unerklärliches. (Bergl. Aetiologie und Er—
Märung.)
9) Wahrheit der Lehre von den gelegentlichen Ur-
ſachen.
Malebranche hat mit ſeiner Lehre von den gelegeutlichen Urſachen
(causes occasionelles) Recht. Jede natürliche Urſache iſt mr Ge⸗
legenheitsurſache, giebt nur Gelegenheit, Anlaß zur Erſcheinung jenes
einen und untheilbaren Willens, der das Anſich aller Dinge iſt und
deſſen ſtufenweiſe Objectivirung dieſe ganze ſichtbare Welt iſt. Nur
das Hervortreten, das Sichtbarwerden an dieſem Ort, zu dieſer Zeit,
wird durch die Urſache herbeigeführt, und iſt inſofern von ihr ab»
hängig, nicht aber das Ganze der Erſcheinung, nicht ihr inneres
Weſen. Alſo alle Urſache iſt Gelegenheitsurſache. (W. I, 163 fg.)
10) Falſchheit des Satzes: „Die Wirkung kann nicht
mehr enthalten, als die Urſache.“
Der Satz: „Die Wirkung kann nicht mehr enthalten, als die Ur-
ſache, alfo nichts, was nicht auch im Diefer wäre“, ift falſch, da bie
Heinfte Urfacdhe oft die größte Wirkung hervorruft. Statt jenes fal-
fhen Sates follte man fagen: Die Einwirkung eines Körpers auf
einen andern Kann aus Diefem nur die Aeußerungen der in bemijelben
als feine Qualitäten Tiegenden Kräfte hervorrufen, und diefe Aeuße⸗
rungen treten jegt ald Wirkung auf. Diefe fann reich und mannig-
faltig fein, während der als Urjache auftretende Körper nur einer ein
feitigen und ärmlichen Aeußerung fähig if. (W. II, 48. 9. 347 fg.)
11) Undenkbarkeit einer erfien Urſache und einer Ur-
ſache ihrer jelbft.
Eine erfte Urſache ift fo unmöglich zu denken, wie ein Unfang der
Beit, oder eine Gränze des Raumes. Denn jebe Urfache ift eine
Beränderung, bei der man nad) der ihr vorhergegangenen Verände⸗
vung, durch die fie herbeigeführt worden, nothwendig fragen muß, und
27*
412 Unrecht
3) Warum in der unorganiſchen Natur bie Endur—
fahen zurüdtreten. (S. unter Teleologie: Gegeuiok
zwifchen der organifchen und unorganifchen Natur in Hinfidt
auf die Erflärung durch Endurfadhen.)
4) Aeſthetiſche Wirkung der unorganifchen Katar.
(S. unter Natur: MWefthetifche Wirkung der Natur.)
Unrecht.
1) Begriff bes Unrechts im Gegenſatze zu dem Be:
griff des Rechts. (S. unter Redt: ivitt dei
Begriffs des Hecht.)
2) Befondere Rubriken des Unredts.
Das Unrecht britdt ſich in concreto amt vollendetften und han
greiflichften aus im Kannibaliomus. Näcft diefem im Mork
Als dem Weſen nach mit bem Morde gleichartig umb nur im Orak
von ihm verfchieden ift die abſichtliche Verſtümmelung, oe
bloße Verlegung bes fremden Leibes anzufehen, ja jeder Schlag. —
Ferner ftellt das Unrecht fi) dar in der Unterjoch ung des anten
Individuums, im Zwange deflelben zur Sflaverei; endlich im An-
griff des fremden Eigentums, welder, fofern diefes als Ind:
feiner Arbeit betrachtet wird, mit jener im Wefentlichen gleichartig #
und fi zu ihr verhält, wie die bloße Verlegung zum Mord. (2
395 fg. 9. 377.)
Unter eine diefer fünf Rubriken wird fich wohl jedes Unrecht briugn
laſſen; doch kann es oft gemifchter Art fein und unter mehrere Ru—
brifen zugleich gehören. Die zulegt genannte Rubrik, Angriff is
Eigenthums, begreift die mannigfaltigften Fälle: Betrug, Bertragt:
bruch u. ſ. w.
As eine befondere, fechfte Rubrik des Unvechts Tönnte man du
Verlegung der aus den Serualverhältniffen hervorgehenden Fer:
bindlichkeiten anfehen. (9. 377. Vergl. Geſchlechtsaverhältniß)
3) Arten der Ausübung des Unrechts.
Die Ausübung des Unrechts gefchieht entweder durch Gewalt, oder
durch Lift. (W. I, 398. Bergl. Gewalt md Liſt.)
4) Grade bes Unrechts.
Bei jeder ungerechten Handlung ift das Unrecht der Dualıtät
nad) das felbe, nämlich Verlegung eines Andern, es fei an fer
Perſon, feiner Freiheit, feinem Eigentum, feiner Ehre. Aber da
Duantität nad) kann es fehr verfchieden fein. Diefe Berfchiedeniel
der Größe des Unrechts feheint von den Morafiften mod midi
gehörig unterfucht zu fein, wird jedoch im wirklichen Leben ibeel
anerfannt, indem die Größe des Tadels, den mian barüber crgehe
läßt, ihr entſpricht. Wer z. B. dem Hungertode nahe ein Brot fl,
Unrechtlichkeit — Unfhuld 413
begeht ein Unrecht; aber. wie Hein ift feine Ungerechtigfeit gegen bie
eines Reichen, der anf irgend eine Weiſe einen Armen um fein Eigen-
thum bringt. (E. 219 fg. — Ueber den Maßſtab für die Größe des
Unrechts f. unter Gerechtigkeit: Grade der Gerechtigkeit.)
5) Die Schuganftalt gegen das Unrecht, der Staat.
(S. Staat und Staatslunft.) .
Unrechtlichkeit.
Die Unrechtlichkeit liegt tief im menſchlichen Weſen. ‘Daher wird
ed der Staatskunſt nicht gelingen, das Unrecht gänzlich) aus dem
Gemeinwefen zu verbannen; fondern ed wird immer ſchon viel fein,
wenn fie ihre Aufgabe fo weit Töft, dag möglihft wenig Unredit _
im Gemeinweſen übrig bleibt. (®. II, 267.)
Unfclüffigkeit.
Die Unſchlüſſigkeit, als bei welcher durch den Wibderftreit der Motive,
die der Intellect dem Willen vorhält, diejer in Stillftand geräth, alfo
gehemmt ift, fcheint eine Störung des Willens durch den Intellect
und folglich ein Gegenbeweis gegen den Primat des Willens über den
Intellect zu fein. Allein bei näherer Betrachtung wird es fehr deut⸗
lich, dag die Urfache dieſer Hemmung nicht in der Ihätigfeit des
Intellects als folder Liegt, fondern ganz allein in den durch diefelbe
vermittelten äußern. Öegenftänden, als welche dieſes Mal zu dem
bier betheiligten Willen gerade in dem Verhältniß ftehen, daß fie ihn
nach verſchiedenen Richtungen mit ziemlich gleicher Stärke ziehen;
diefe eigentliche ‚Urfahe wirkt blos burch den Intellect, als das
Medium der Motive, hindurch. Unentſchloſſenheit als Charakterzug ift
eben fo fehr durch Eigenfchaften des Willens, als des Intellects be-
dinge. Aeußerſt beſchränkten Köpfen ift fie freilich nicht eigen.
(W. I, 246fg)
Unſchuld.
1) Die Unſchuld der Pflanze. |
Die Unſchuld der Pflanze beruht auf ihrer Erfenntnißlofigfeit; nicht
im Wollen, fondern im Wollen mit Erkenntniß liegt die Schuld,
(8. I, 186.) - | |
2) Der Stand der Unfhuld im goldenen Zeitalter.
Die Unschuld ift wefentlich dumm. . Dies daher, weil der Zweck
des Lebens der ift, daß wir unfern eigenen böjen Willen erkennen, daß
er Object für uns werde und wir demnach im Innerften uns belehren.
Unfer Leib iſt ſchon der Object gewordene Wille, und bie Thaten, die
wir feinetwegen vollbringen, zeigen ums das Böfe biefes Willens. Im
Stande der Unschuld, wo aus Mangel an Berfuhung das Böfe
unterbleibt, ift daher der Menfch gleichfam nur der Apparat zum
414 Unfterbligfeit — Unzerſtörbarkeit
Leben, und Das, wozu dieſer Apparat da iſt, bleibt noch aus. De
Charakter dieſes leeren Dafeind ift Nüchternheit, Dummheit. Ein
. goldenes Zeitalter der Unfhuld, im Sclaraffenland, iſt daher jade
und auch eben nicht ehrwürdig. Der erfte Verbrecher, der erfte Mörder,
Kain, der die Schuld und durch fie erft in ber Neue die Tugend und
fomit die Bedeutung des Lebens erfannt hat, ift eine tragifche Figur,
Behrutenber und ehrwürbiger, ala alle die unfchuldigen Schlaraffen.
(M. 736.)
3) Die Unſchuld des Alterthums.
Daß das Altertum mit fo viel Unfchulb befleidbet vor uns ſieht,
ift doch blos, weil es das Chriſtenthum nicht famıte. (9. 3%.
Bergl. die Alten.) |
Unfterblichkeit, |. Ungerftörbarkeit.
Unvernünftig, f. Vernunft. PBernünftig.
Unverfhämtheit.
Zum Symbol der Unverfhämtheit und Dummdreiſtigleit follte man
die Fliege nehmen. Denn während alle Thiere den Menſchen übe
Alles fcheuen und ſchon von ferne vor ihm fliehen, ſetzt fie ſich iha
auf bie Nafe. (P. II, 684.)
Unverfland.
1) Wefen bes Unverftandes,.
Unverftand ift Mangel an Einficht gemäß dem Geſetz der Sanfalität.
(W. I, 613. Bergl. Berftand.)
2) Bereinbarfeit des Unverftandes mit Bernunft.
Vernunft kann fi) fehr wohl mit Unverftand vereinigen. Dies fl
ber Fall, wenn eine dumme Marime gewählt, aber mit Conſequen;
durchgeführt wird. Hieher gehören alle Gelübde, deren Lrfprum
Mangel an Einficht gemäß dem Geſetz der Caufalität, d. h. Uaver:
ftand ift; nichts defto weniger ift e8 vernünftig fie zu erfüllen, wem
man einmal von fo befchränktem Verſtande ift, fie zu geloben. (B. |,
612 fg.)
Unzerfiörbarkeit, unſers Weſens an fih durch den Tod.
1) Berpältniß des Todes zu unferm Wefen an fid.
(S. Tob.)
2) Srundbedingung der Unzerftörbarfeit unfers Br
fens an ſich durch den Tod,
Ungerftörbarkeit unſers wahren Weſens durch den Tod Tan ofee
Afeität deffelben nicht ernftlich gebacht werben, wie auch ſchwerlich
ohne fundamentale Sonderung des Willens vom Imtellet. (M. 142)
Unzerftörbarfeit 415
Aſeität ift die Bedingung, wie der Zurechnungsfähigfeit, fo auch ber
Unfterblichkeit. (PB. I, 137. Bergl. Aſeität) Der Theismus ift
daher mit dem Unfterblichkeitsglauben unvereinbar. (Bergl. unter
Gott: Gegenbeweife gegen das ‘Dafein Gottes.)
3) Ein Hinderniß der Erkenntniß ber Unzerſtörbarkeit
unfers Wefens dur den Tod.
Bon der Unzerftörbarkeit unſers wahren Wefens durd, den Tod
werben wir fo lange faljche Begriffe haben, als wir uns nicht ent-
ihließen, fie zuvörderſt an ben Thieren zu ftudiren, fondern eine aparte
Art derfelben, unter dem prahlerifchen Namen ber Unfterblichfeit, uns
allein anmaßen. Diefe Anmaßung aber und die Befchränftheit der
Anfiht, aus der fie hervorgeht, ift es ganz allein, weswegen die
meiften Menſchen fi jo hartnädig dagegen fträuben, die am Tage
liegende Wahrheit anzuerkennen, daß wir, dem Wefentlichen nach und
in der Hauptſache, das Gelbe find wie die Thiere; ja, daß fie vor
jeder Andeutung unferer Berwandtichaft mit diefen zurückbeben. Diefe
Berleugnung der Wahrheit aber ift e8, welche mehr als alles Andere
ihnen den Weg verfperrt zur wirklichen Erfenntniß der Ungerftörbarkeit
unfere Weſens. (W. II, 549 fg.)
4) Zufammenfallen des Berftändniffes der Unzer-
förbarkeit unjers Wefens durch den Tod mit dem
der Identität des Malrolosmos und Mikrokosmos.
Im Grunde find wir mit der Welt viel mehr Eins, als wir ge-
wöhnlich denken; ihr inneres Weſen ift unfer Wille, ihre Erjcheinung
it unfere Vorſtellung. Wer diefes Einsfein fich zum deutlichen Be-
wußtfein bringen fünnte, dem würde der Unterfchied zwiſchen ber
Fortdauer der Außenwelt, nachdem er geftorben, und feiner eigenen
Fortdauer nach dem Tode verſchwinden; Beides würde fih ihm als
Eines und Daffelbe barftellen, ja, er würde über ben Wahn lachen,
der fie trennen könnte. Denn das Verſtändniß der Unzerftörbarkeit
unfers Wefens fällt mit dem ber Identität des Makrokosmos und
Mikrokosmos zufammen. (W. I, 554.)
5) Die gründlihfte Antwort auf bie Frage nad der
Fortdauer.
Die gründlichſte Antwort auf die Frage nach der Fortdauer des
Individuums nach dem Tode liegt in Kants großer Lehre von der
Idealität der Zeit. Anfangen, Enden und Fortdauern find Be⸗
griffe, welche ihre Bebentung einzig und allein von ber Zeit entlehnen
und folglich) nur unter Borausfegung diefer gelten. Allein die Zeit
bat Fein abjolutes Dafein, ift nicht die Art und Weife des Seins an
fih der Dinge, fondern blos bie Form unferer Erfenntniß von
unferm nnd aller Dinge Dafein und Weſen, welche eben dadurch fehr
unvolffommen und auf bloße Exfcheimingen beſchränkt ift. In Hinſicht
416 Unzufriedenheit — Urſache. Urfäclichkeit
auf diefe allein aljo finden die Begriffe von Aufbören und Fortdanr:
Anwendung, nicht in Hinfiht auf das in ihnen fich Darftellende, de:
Weſen an fi der Dinge, auf welches angewandt jene Begriffe daher
feinen Sinn mehr haben. (W. U, 562 fg. P. IL, 286.)
Da nun dem Weſen an ſich des Menſchen wegen der demſelben
anhängenden Elimination der Zeitbegriffe feine Fortdauer beizulegen
ift, daffelbe aber doch unzerftörbar ift, jo werden wir bier auf ken
Begriff einer Unzerftörbarfeit, die jedoch feine Fortdauer tft, geleitet
Diefer Begriff nun ift ein foldder, der auf dem Wege der Abftraım
gewonnen, ſich auch allenfalls in abstracto denfen läßt, jebod burg
feine Anfchauung belegt, mithin nicht eigentlich deutlich werben lam.
(®. DO, 563. ®. II, 286. 296.)
Unzufriedenheit.
Unfere beftändige Unzufriedenheit hat ‚großen Theils ihren On)
darin, daß ſchon der Selbfterhaltungstrieb, übergehend in Selbftiudk,
und die Marime zur Pflicht macht, ſtets Acht zu Haben auf Tai,
wad und abgeht, um danach für deſſen Herbeifchaffung zu jore
Daher find wir ſtets bedacht aufzufinden, was uns fehlt; was w-
aber befigen, läßt jene Marine uns überſehen. Dieſelbe zerftört dakı
unfere Zufriedenheit. (9. 446.)
Die Gränze unferer vernlnftigen Wünfche Hinfichtlich des Beligei
zu beftimmen ift fchiwierig, wo nicht unmöglih. Denn die Zufrieden
heit eines Jeden in biefer Hinficht beruht nicht auf einer abjolum,
fondern auf einer blos relativen Größe, nämlich auf dem Barhältit
zwoifchen feinen Unfprüchen und feinem Beſitz. Die Duelle mar
Unzufriedenheit liegt in unfern ſtets erueuerten Verſuchen, den dad
der Anfprüce in die Höhe zu fchieben, bei der Unbeweglichkeil dei
andern Factors, der e8 verhindert. (PB. I, 365 fg.)
Urſache. Urſächlichkeit. |
1) Das Geſetz der Urfädlichleit und das Gebiet feine:
Gültigkeit. (S. unter Grund: Sag vom Grunde de
MWerdens.)
2) Apriorität bes Kaufalitätögefeges.
Die Bedingtheit der Anfhauung durch die Anwendung bes Caufal-
tätögefees (vergl. unter Anſchauung: Intellectualität der Anſchauung
beweift, daß Zeit, Kaum und Caufalität weder durch das Gefidt,
noch durch das Getaft, fondern überhaupt nicht von aufen in m
fommen, vielmehr einen innern, daher nicht empirifchen, fondern m
tellectuellen Urfprung haben. (©. $. 21.) Wirklich Tiegt in br
Nothwendigkeit eines von der, empirifch allein gegebene Sinner
empfindung zur Urſache berfelben zu machenden Ueberganges, das:
es zur Anſchauung der Außenwelt komme, der einzige ächte Beni
grund davon, baf das Geſetz der Caufalität vor aller Erfahrung
uns bewußt iſt. (W. II, 42 fg.)
Urfache. Urfächlichkeit 417
Die Apriorität des Caufalitätsgefeges wirb jeden Augenblick durch
die unerjchütterliche Gewißheit betätigt, mit ber Jeder in allen Fällen
von der Erfahrung erwartet, daß fie dieſem Gefege gemäß ausfalle,
d. 5. durch die Mpobikticität, die wir felbigem beilegen, die fi) von
jeder andern auf Inductien gegründeten Gewißheit, 3. B. der empiriſch
erfannter Naturgefege, dadurch unterfcheidet, daß es uns fogar zu
denfen unmöglich ift, daß dieſes Gefeg irgendwo in der Erfahrungs-
welt eine Ausnahme leide. Wir können uns z. B. denken, daß das
Geſetz der Gravitation ein Mal aufhörte zu wirken, nicht aber, daß
dieſes ohne eine Urfache gefchähe. (©. 89 fg.)
3) Zwei Corollarien des Cauſalitätsgeſetzes.
Aus dem Geſetze der Kaufalität ergeben ſich zwei wichtige Corol⸗
larien, nämlid dad Gefet der Trägheit und das der Beharr-
lichfeit der Subftanz. (Bergl. Trägheit und Subftan;z.)
4) Unterfchied zwifchen Urfadhe und Kraft. (S. Kraft.)
5) Unterfhiedb zwifchen der ganzen Urſache und ben
einzelnen urfählihen Momenten.
Daß, wenn ein Zuftand, um Bedingung zum Eintritt eines neuen
zu fein, alle Beftimmungen bis auf eine enthält, man diefe eine,
wern fie zulegt noch hinzutritt, die Urſache xar e&oymv nennt, ift
zwar infofern ridtig, als man fich dabei au bie legte, hier allerdings
enticheidende Veränderung Hält; davon abgefehen aber hat, für die
Teftftelung der urfüchlichen Verbindung der Dinge im Allgemeinen,
eine Beftimmung des caufalen Zuftandes dadurch, daß fie die lebte
ift, die hinzutritt, vor den übrigen nichts voraus. Nur der ganze,
den Eintritt des folgenden herbeiführende Zuſtand ift als die Urſache
anzufehen. Die verfchiedenen einzelnen Beitimmungen aber, welche erft
zufammengenommen die Urfache completiren und ausmachen, kann man
die urſächlichen Momente, oder auch die Bedingungen nennen und
demnach die Urfache in folche zerlegen. (G. 35.) |
6) Zeitverhältniß zwifchen Urfadhe und Wirkung.
Zum wejentlihen Charakter der Urjache gehört es, daß fic allemal
der Wirkung der Zeit nad) vorhergehe, und nur daran wird urfprüng-
lic) erkannt, welcher von zwei durd) den Caufalnern® verbundenen Zu⸗
ftänden Urfache und welcher Wirkung fei. Umgekehrt giebt es Fülle,
wo uns aus früherer Erfahrung der Cauſalnerus befannt ift, Die
Suceeffion der Zuftände aber fo ſchnell erfolgt, daß fie ſich unferer
Wahrnehmung entzieht; dann fchliegen wir mit völliger Sicherheit von
der Cauſalität auf die Succeffion, 3. B. daß die Entzündung bes
Pulvers der Exrploflon vorbergeht. (©. 42. 151 fg. W. U, 44 fg.)
7) Die drei Formen der Urfädhlichkeit.
Die Cauſalität tritt in der Natur unter drei verfchiedenen Formen
auf: als Urfache im engften Sinne, als Reiz, und ald Motiv.
Schopenhauer⸗Lexikon. II. 27
418 Urſache. Urfächlichleit
Auf diefer Berfchiedenheit beruft der wahre und wejentliche Unterſchie
zwifchen nnorganifchem Körper, Pflanze und Zhier.
Die Urſache im engfien Sinne ifi die, nach welcher ansjchliekfid
die Veränderungen im unorganiſchen Reiche erfolgen, aljo diejenigen
Birfungen, welche das Thema der Mechanik, der Phyfil und ie
Chemie find. Bon ihr allein gilt das dritte Newtonifche Grumbderier:
„Wirkung und Gegenwirktung find einander gleich.“ Kemer ift mr
bei diefer Form der Gaufalität der Grad der Wirkung dem Grak
der Urfache ſtets genau angemefien, jo daß aus biefer jene fid be
rechnen läßt und umgelehrt.
Die zweite Form der Gaufalität ift der Reiz; fie beherrjcht dei
erganife Leben als ſolches, aljo das der Pflanzen, und dem vegeia-
‚ daher bewußtlofen Theil des thierifchen Lebens. (Ueber ten
—— zwiſchen dem organiſchen und animaliſchen Leben ver.
Leben.) Sie charakteriſirt ſich durch Abweſenheit der Merkmale te:
erſten Form. Alfo find hier Wirkung und Gegenwirkung einaude:
wo Freie und feineswegs folgt die Iutenfität der Wirkung bus
der Iutenfität der Urſache.
ie —— Form der Cauſfalität iſt das Motiv; fie leitet ke
eigentlich auimalifche Leben, aljo das Thun, d. h. die änferen, m:
Bewußtſein geſchehenden Actionen aller thieriſchen Weſen. (Ueber dei
Medium der Motive ſ. unter Bewußtſein: Urſprung und Zwei x:
Bewußtſeins) Die Wirfung eines Motivs iſt von der eimes Aut
augenfällig verſchieden; die Einwirkung deſſelben nämlich fann ich
kurz, ja fie braucht nur momentan zu fein; dem ihre Wirkſamleit kt
nicht, wie die des Reizes, irgend ein Berhäftuif zu ihrer Dauer, ;m
Nähe des Gegenftandes u. dgl. m., fondern das Motiv braucht zu
wahrgenommen zu fein, um zu wirlen, während der Reiz fiets de
Contacts, oft gar der Iutufusception, allemal aber ciner * |
Dautr bebarf. (8. 46—48. E. 29 — 36. 5.1818. ©. 1, 137%.
Ueber Motiv im Befonderen ſ. Motiv.)
8) Die Faplihleit des Zuſammenhanges zwiide:
Urſache uud Wirkung.
Ueberblicken wir die drei Formen der Canſalität in der Natur, j
bemerten wir, bie Reihe der Weſen in Hinficht auf diefelben von untrı
nach oben durdigehend, daß die Urſache und ee Wirkung mer ur
wehr auseinander treten, ſich deutlicher ſondern und heterogener werder
wobei die Urſache immer weniger materiell und palpabel wird, dak:
denn immer weniger in der Urfadhe und immer mehr in der Wirfers
zu liegen fcheint, durch welches Alles zujanımengenonunen der Zur:
menbaug zwiſchen Urſache und Wirkung an unmittelbarer Faßlichtte
uud Derfländlichfeit verliert. Aber bei diefer mehr und mehr eintrete-
den Heterogeneität, Iucommenfurabilität und Lnverftändfichket ie
Verhältniffes zwifchen Urſache md Wirkung nimmt keineswegs and dit
durch Daffelbe geſetzte Nothwendigkeit ab, fondern die auf Motive
Urſache. Urfächlichfeit | 419
erfolgenden Handlungen, bei welchen die Incommenfurabilität des Ver⸗
hältniſſes zwifchen Urſache und Wirkung ihren höchſten Grad erreicht,
find ebenjo ftreng nothwendig, wie die auf mechanische Urfachen er
folgenden Bewegungen unorganijcher Körper. (E. 36— 41. N. 87— 90.
lieber den täufchenden Schein der Freiheit in den Handlungen f. unter
Freiheit: Wo die moralifche Freiheit liegt.)
Zwifchen Urſache und Wirkung ift der Zufammenhang eigentlich fo
geheinmißvoll, wie der, welchen man dichtet zwifchen einer Zauberformel
und den Geift, der durch fie herbeigerufen nothwendig erfcheint. (W.
I, 158.) Die Zengung, auf welcher man das Dafein eines gegebenen
Thieres erklärt, iſt im Grunde nicht geheimnißvoller, als der Erfolg
jeder anderen, fogar der einfadjften Wirkung aus ihrer Urfache, indem
auch bei einem folchen die Erklärung zulegt auf das Lnbegreifliche
ſtößt. (P. I, 101.) Jede Erflürung aus Urſachen ſtößt zuleßt auf
ein Unbegreifliches, Unerflärliches. (Berge. Aetiologie und Er-
Märung.)
9) Wahrheit der Lehre von den gelegentlihen Ur-
ſachen.
Malebranche hat mit feiner Lehre von den gelegentlichen Urſachen
(causes occasionelles) Recht. Jede natürliche Urſache ift nur Ge-
legenheitsurfache, giebt nur Gelegenheit, Anlaß zur Erfcheinung jenes
einen und untheilbaren Willens, der das Anfid) aller Dinge ift und
deffen ftufemweife Objectivirung diefe ganze fihtbare Welt if. Nur
das Hervortreten, das Sichtbanverden an diefem Drt, zu diefer Zeit,
wird durch die Urfache herbeigeführt, und ift infofern von ihr ab⸗
hängig, nicht aber das Ganze der Erfcheinung, nicht ihr inneres
Weſen. Alio alle Urfache ift Gelegenheitsurfade. (W. I, 163 fg.)
10) Falſchheit des Sages: „Die Wirkung kann nit
mehr enthalten, als die Urſache.“
Der Sag: „Die Wirkung kann nicht mehr enthalten, als die Ur-
ſache, alfo nichts, was nicht aud) in diefer wäre”, ift falſch, da bie
kleinſte Urſache oft die größte Wirkung hervorruft. Statt jenes fal-
Shen Satzes follte man jagen: Die Einwirkung eines Körpers auf
einen andern Tann aus biefem nur die Aeußerungen der in demjelben
als feine Qualitäten Tiegenden Kräfte hervorrufen, und dieſe Aeuße⸗
rungen treten jest ald Wirkung auf. Dieſe kann rei und mannig-
faltig fein, während der als Urfache auftretende Körper nur einer eins
feitigen und ärmlichen Aeußerung fühig if. (W. II, 48. 9. 347 fg.)
11) Undentbarleit einer erften Urſache und einer Ur-
ſache ihrer felbft.
Eine erfte Urfache ift fo unmöglich zu denken, wie ein Anfang der
Zeit, oder eine Gränze ded Raumes. Denn jede Uxfache ift eine
Veränderung, bei der man nach ber ihr vorhergegangenen Verände⸗
rung, durch die fie herbeigeführt worden, nothwendig fragen muß, und
27*
480 Urſprünglichkeit — Urteil. Urtheifen
fo in infinitum. (©. 37fg. ®. II, 48. P. I, 112. E. 27.
Causa prima ift eben fo gut, wie causa sui, eine contradictio in
adjecto. (G. 37.) Die Kette der Cauſalität ift nothwendig anfange-
108. (©. 34.) Das Geſetz der Caufalität kann baher nicht dazu
dienen, das Dafein Gottes zu beweifen. (©. unter Gott: Die Be
mweife für das Dafein Gottes und Kritik derfelben.)
Causs sui ift eine contradictio in adjecto, ein Borher, was nad»
ber ift, ein freches Machtwort, die unendliche Cauſallette abzmjchmeiben.
Das rechte Emblem der causa sui ift Mündhaufen, fein im Waſſer
finfendes Pferd mit den Beinen umflammerud und an feinem über den
Kopf nad, vorn gefchlagenen Zopfe fi mit ſammt dem Pferde im die
Höhe ziehend; und darumter gejegt: Causa sul. (©. 15.)
12) Unzuläffigleit des Begriffes der Wechfelwirtung.
(S. unter Grund: Wechjelfeitigleit der Gründe.)
13) Die Beziehung des Geſetzes der Kaufalität zum
Erfenntnißgrund. (©. unter Grund: Die Folge is
der einen Geftalt als Grund in der andern.)
14) Die dem Geſetze der Caufalität entſprechende Art
der Nothwendigfeit. (S. unter Grund: Die vierfarhe
Nothwendigkeit.)
15) Gegenſatz der wirkenden und der Endurſachen
(S. Zeleologie.)
16) regel zur Beflimmung der Urfadhe einer Bir-
ung.
Um regelrecht und überlegt zu Werke zu gehen, muß man, ehe mar
zu einer gegebenen Wirkung die Urfache zu entdeden unternimmt, vor:
ber diefe Wirkung felbft vollftändig kennen lernen, weil man allen
aus ihr Data zur Auffindung der Urfache fchöpfen famı und nur fie
die Richtung und den Leitfaden zu dieſer giebt. (5. 21.)
Um eine in ihren Wirkungen gegebene Erfcheinung zu erflären, muß
man, um bie Beichaffenheit der Urfache gründlich zu beſtimmen, erſt
diefe Wirkung felbft genau kennen. (W. I, 629.)
Mrfprünglidkeit, |. Ajeität.
Mrtheil. Mrtheilen.
1) Was Urtheil ift und worin das Urtheilen beftebt.
Das Denken im engeren Sinne befteht nicht in ber bloßen Gegen-
wart abftracter Begriffe im Bewußtfein, fondern in einem Verbinden,
oder Trennen zweier, oder mehrerer derfelben unter mancherlei Reſtric⸗
tionen und Modificationen, welche die Logik in der Lehre von dar
Urteilen angiebt. Ein ſolches deutlich gedachte und ansgefprochenet
Begriffsverhältnig heißt ein Urtheil. (©. 105.) Das Urtbheilen,
Urtheil. Urtbeilen 421
biefer elementare und wichtigfte Proceß des Denkens, befteht im Ver⸗
gleichen zweier Begriffe (W. IL, 120; I, 50.)
2) Worauf ſich alle Arten von Urtheilen zuriüdführen
lafjen.
Auf die vier möglichen und durd) räumliche Figuren barftellbaren
Berhältniffe der Begriffsfphären (f. unter Begriff: Begriffsfphären)
möchten alle Verbindungen von Begriffen zurüdzuführen fein und die
ganze Lehre von den Urtheilen, deren Converfion, Eontrapofition, Reci⸗
procation, Disjunction läßt fi) daraus ableiten. (W. I, 52.)
3) Beftimmung ber Kopula im Urtheil. (S. Kopula.)
4) Unterfchied zwifhen Urtheil und Schluß. (©.
Schließen. Schluß.)
5) Unterfchied zwifhen Denkbarkeit und Wahrheit der
Urtheile.
Führt man die Denfgefege auf nur zwei zurüd, nämlich das vom
ausgejchloffenen Dritten und das vom zureichenden Grunde (vergl.
Dentgefege), fo ergiebt fih, daß ein Urtheil, fofern es dem erften
Dentgefege genügt, denkbar, fofern es dem zweiten genügt, wahr
ft. (W. U, 114. Vergl. unter Grund: Sag vom Grunde bes Er-
fennen®.)
6) Die Urtheilsformen.
Die Bereinigung der Begriffe zu Urtheilen hat gewilfe beftimmte
und gejegliche Yormen, weldye, durch Imduction gefunden, die Tafel
der Urtheile ausmachen. Dieje Formen find größtenteils abzuleiten
aus der reflectiven Erlenntniß felbft, alfo unmittelbar aus der Ver⸗
nunft. Andere von diefen Formen haben ihren Grund in der an-
ichauenden Erkenntnißart, alfo im Berftande. Noch andere endlich find
entftanden aus dem AZufammentreffen und der Verbindung ber reflec-
tiven und ber intuitiven Erfenntnißart, oder eigentlih aus der Auf⸗
nahme diefer in jene. (W. I, 539—557; II, 115 fg. Vergl. auch
Denktformen und Kategorien.)
7) Segenfag der analytifhen und fynthetifhe- Ur-
theile. Unterſchied der fynthetifchen Urtheile a
priori und a posteriori.
Ein analytifches Urtheil ift blos ein außeinandergezogener Begriff,
ein fynthetifches Hingegen ift Bildung eines neuen Begriffs aus
zweien, im Intellect fchon anderweitig vorhandenen. Die Berbinbung
diefer muß aber alsdann durch irgend eine Anfchauung vermittelt
und begründet werden. Je nachdem nun diefe eine empirifche, oder
aber eine reine a priori ift, wird auch das dadurch entftehende Urtheil
ein ſynthetiſches a posteriori, ober a priori fein.
422 Urteil. Urtheilen
Sedes analytifche Urtheil enthält eine Tautologie, und jedes Ur⸗
tbeil ohne alle Tautologie ift ſynthetiſch. Hieraus folgt, daß im
Bortrage analytifche Urtheile nur unter der Borausfegung anzuwenden
find, daß Der, zu dem geredet wird, den Subjectbegriff nicht fo vol:
ftändig kennt, ober gegenwärtig hat, wie Der, welcher redet. (P. II,
22 fg. 580.) .
Db ein gegebenes Urtheil analytifch, oder fynthetifch fer, wird m
einzelnen Falle erft beſtimmt werben können, je nachdem im Kopfe det
Urtheilenden der Begriff des Subjects mehr oder weniger Vollſtändig⸗
feit bat. Der Begriff „Katze“ enthält im Kopfe Ciwiers hundert Mal
mebr, als in dem feines Bedienten; daher die ſelben Urtheile barübir
für Diefen fontbetifch, fiir Jenen blos analgtifch fein werden. Nimmt
man aber die Begriffe objectiv und will nun entjheiden, ob em gt:
ebenes Urtheil analytifch, oder fynthetifch fei; fo verwandle man dei
Früdicat deffelben in fein contradictorifches Gegentheil und lege die
ohne Kopula dem Subject bei; giebt nun dies eine contradictio ir
adjecto, jo war das Urtheil aualytifh, auferden aber fynthetijk.
(®. IL, 39.)
Ans bloßen Begriffen können nie andere, als analytifche Car
hervorgehen. Sollen Begriffe ſynthetiſch und doch a priori verbunden
werden; jo muß nothwendig diefe Verbindung durch ein Drittes ver
mittelt fein, durch eine reine Anſchauung der formellen Möglichkeit der
Erfahrung, fo wie die fynthetifchen Urtheile a posteriori durch die
empirifche Anſchauung vermittelt find. (W. I, 570.)
8) Wirkung der Zeit auf Berihtigung bes Urteile,
Die. unausbleiblihe Wirkung der Zeit auf die Berichtigung it
Urtheils jollte man im Auge behalten, un: fi) damit zu bewubigen, je
oft ſtarke Irrthümer auftreten und um ſich greifen. (P. UI, 511.)
Dei jeder Verkehrtheit in der Geſellſchaft oder in der Litteratur fol
man nidjt verzweifeln und meinen, daß es nun babei fein Bewender
haben werde; ſondern wiſſen und fich getröften, daß die Sache hinter-
ber und allmälig beleuchtet, erwogen, beſprochen und meiften® zuler
richtig beurtheilt wird; fo dag nad einer der Schwierigfeit derjelbe
angemefjenen Friſt endlich faft Alle begreifen, was ber Mare Kopf je
gleich fah. (P. I, 479.)
9) Wie man fein Urtheil ausfprechen foll, um Glan:
ben zu finden.
Wer da will, daß fein Urtheil Glanben finde, ſpreche es kalt mi
ohne Zeidenfchaftlichfeit ans. Denn alle Heftigfeit eutfpringt aus dem
Willen; daher wird man diefem und nicht der Erkenntniß, die ihrer
Natur nad kalt ift, das Urtheil zufchreiben. Man wird, weil da:
Radicale im Menfchen ber Wille, die Erkenntniß aber bios fecundär
ift (vergl. unter Intellect: Secundäre Natur des Intellects), cher
glauben, daß das Urtheil aus dem erregtn Willen, al® daß die Er
Urtheilsfraft 428
regung des Willens blo8 aus bem Urtheil entfprungen fei. (P. I,
493 fg.) —
Urtheilskraft. |
1) Weſen der Urtheilskraft. ’
Die Urtheilsfraft befteht in dem Vermögen, das anſchaulich Erkannte
richtig und genau ins abftracte Bewußtfein zu übertragen; fie ift dem-
nach die Bermittlerin zwifchen Berftand und Vernunft. Das anfchau-
lich Erkannte in angemeffene Begriffe fir die Reflexion abjegen und
firiren, fo daß einerfeits das Gemeinfame vieler realen Objecte durch
einen Begriff, andererfeits ihr Berfchiedenes durch eben fo viele Be⸗
griffe gedacht wird, und aljo das Verfchiebene troß einer theilweifen
Uebereinſtimmung doch als verſchieden, dann aber wieder bad Identiſche
trog einer theilweifen Verſchiedenheit doch als identifch erkannt und
gedacht wird, — dies Alles thut die Urtheilsfraft. (W. I, 77.680.
G. 103.)
Die Urtheilsfraft ift zwar auch auf dem Gebiete des abftracten Er⸗
kennens thätig, wo fie Begriffe nur mit Begriffen vergleicht; daher {fl
jedes Urtheil, im logifchen Sinne diefes Worts, allerdings ein Wert
der Urtheilsfraft, indem dabei allemal ein engerer Begriff einem weiteren
fubfumirt wird. Jedoch ift diefe Thätigkeit der Urtheilskraft, wo fie
bloße Begriffe mit einander vergleicht, eine geringere und leichtere, als
wo fie den Webergang vom ganz Einzelnen, dem Anfchaulichen, zum
wefentlih Allgemeinen, dem Begriff, macht. Ihre Thätigkeit im
engeren Sinne tritt erft da ein, wo das anfhaulih Erkannte, alfo
das Reale, die Erfahrung, in das deutliche, abftracte Erkennen über-
tragen, unter genau entfprechende Begriffe ſubſumirt und fo in bad
reflectirte Wiſſen abgeſetzt werden fol. (W. II, 96 fg. 9. 38.)
2) Eintheilung der Urtheilstraft.
Die Urtheilsfraft zerfällt in die reflectirende und fubfumirende,
je nachdem fie nämlich von den anfchaulichen Dbjecten zum Begriff,
oder don dieſem zu jenen übergeht, in beiden Fällen immer vermittelnd
zwifchen der anfchaulichen Erkenniniß des Verftandes und ber veflectiven
der Vernunft. (W. I, 77.) Die Urtheilsfraft fucht entweder zum
gegebenen anfchaulichen Fall den Begriff, ober bie Hegel, unter bie er
gehört; oder aber zum gegebenen Begriff, oder Regel, den Fall, der
fie belegt. Im erftern Falle ift fie reflectirende, im andern jub-
fumirende. (©. 103.)
3) Zwei befondere Aeußerungen der Urtheilstraft.
Befondere Aeußerungen der Urtheilskraft find Witz und Scharf»
finn; in jenem ift fle reflectivend, in diefem fybjumirend thätig. (W.
U, 98 S. wter Lächerlich: Witz.)
424 Urtheilefraft
4) Wichtigkeit der Urtheilskraft.
Die Urtheilstraft iit das Vermögen, welches die fellen Grundlagen
aler Wiſſenſchaften aufzuftellen hat. Nicht weniger hat die Urtheile:
kraft im praftifhen Leben, bei allen Grundbeſchlüſſen und Haupt:
entfcheibungen, den Ausichlag zu geben; wie denn der ridjteriide
Ausſpruch in der Hauptjadhe ihr Werk ift. (W. I, 97.)
5) Seltenheit der Urtheilstraft.
Bei den meiften Menſchen ift die Urtheilskraft nur rubimentarid,
oft fogar nur nominell vorhanden; fie find beſtimmt, von Andern ge⸗
leitet zu werden. Man joll mit ihnen nidjt mehr reden, als nötig
if. (G. 103.) Es ift eine Art Yronie, daß man die Urtheilskraft
ben uormalen Geiftesfräften beizählt, ftatt fie allein ben monstris per
excessum zuzufchreiben. Die gewöhnlichen Köpfe zeigen felbft in den
Meiuften Angelegenheiten Mangel an Zutrauen zu ihren: eigenen Ur—
theil; eben weil fie aus Erfahrung wiſſen, daß es feines verbient.
Seine Stelle nimmt bei ihnen Vorurtheil und Nachurtheil ein, woburd
fie in einem Zuftand fortdauernder Unmiindigfeit erhalten werben. (®.
I, 98. P. II, 24. 486. 488. 9. 37 fg. Bergl. unter Schließen:
Die Fähigkeit des Schließens, verglichen mit der des Urtheilen®.)
Der beflagenswerthe Mangel an lirtheilöfraft zeigt ſich aud) in ke
Wiflenihaften, nämlich am zähen Leben falfcher und widerlegter Theo:
rien. (®. II, 490 fg.) Ferner zeigt er fi darin, daß in je
Jahrhundert zwar das Vortreffliche der frühern Zeit verehrt, das tu
eigenen aber verlaunt und die diefem gebührende Aufmerkſamkeit ſchlech
teu Machmerlen geſchenkt wird. (P. II, 491.)
(Warum jedoch das einftimmige Urtheil bes Publicums nicht zu ver:
achten ift, darüber f. unter Bublicum: Werth der Meinung des
Publicums.)
6) Mangel der Urtheilstraft.
Mangel der Urtheilskraft ift Einfalt.e Der Einfältige verlemt
bald die theilweife ober relative Berfchiedenheit des in einer Ridfict
Identifchen, bald die Identität des relativ ober theilweife Berfchiedenen.
(®. I, 28. 77.)
Borübergehender Mangel der Urtheilöfraft tritt ein in der Abſpan⸗
nung des Geiftes, befonders im Traume. — Des Nachts im Beme
ift der Geift völlig abgefpannt und daher die UrtHeilsfraft ihrem Ge⸗
ſchüfte nicht mehr gewachſen. (PB. I, 462.) Der Traum und unfer
Benehmen in demfelben zeigt aufßerordentlihen Mangel an Urtheils
kraft. (P. I, 253. Bergl. unter Traum: Aehnlichleit des Trauma
mit dem Wahnfinn.)
7) Der innere Feind der Urtheilskraft.
Die Urtheilskraft Hat einen pofitiven Feind im Innern, am eigenen
Willen des Menfhen, an der Neigung. Immer ift der Wille der
heimliche Gegner des Intellects; daher heißt reiner Verſtand, rein
Urthier — Utopien 425
Bernunft, ein folcher, der frei ift von allem Einfluß des Willens, d. i.
der Neigung, und daher blos feinen eigenen Geſetzen folgt. (H. LO fg.)
Liebe und Haß verfälfchen unfer Urtheil gänzlich. ine ähnliche
geheime Macht übt unfer Vortheil über unfer Urtheil aus. Daher
fo viele Vorurtheile des Standes, des Gewerbes, der Nation, der
Secte, der Religion. (W. II, 244. Bergl. unter Intellect: Secuns
däre Natur des Intellects.)
8) Vorzüge des mit feiner Urtheilsfraft ausgeftatte-
ten Kopfes.
Ein glücklich organifirter, folglidy nut feiner Urtheilsfraft ausge:
ftatteter Kopf hat zwei Vorzüge. Erftlich diefen, daß von Allem, was
er fieht, erfährt und lieft, das Wichtige und Bedeutfame bei ihm an—⸗
jegt und von felbft ſich feinem Gedächtniſſe einprägt, um einft hervor⸗
zufommen, wenn c8 gebraucht wird; währenb die übrige Maſſe wieder
abfließt. Der zweite, dem erfteren verwandte Vorzug eines ſolchen
Seiftes ift, daß ihm jedes Mal das zu einer Sache Gehörige, ihr
Analoge, oder fonft Verwandte, läge es auch noch fo fern, zur rechten
Zeit einfällt. Died beruft darauf, daß er an den Dingen das eigeit«
lich Wejentlihe auffaßt, wodurd) er, aud) in den fonft verfchiedenften,
das Hdentifche und Zufammengehörige fogleich erfennt. (P. II, 66.)
Urthier.
Lamarck konnte die Geſtalten der Thiere nicht anders denken, als
allmälig im Laufe der Zeit und durch die fortgeſetzte Generation ent-
ftanden. Er konnte nimmer auf den Gedanken fommen, daß ber Wille
des Thieres, als Ding an ſich, außer ber Zeit Liegen, und in diefem
Sinne urfprünglicher fein könne, als das Thier felbft. Er fett daher
zuerst das Thier ohme entfchiedene Organe, aber auch ohne entfchiebene
Beitrebungen, blos mit Wahrnehmung ausgerüftet; diefe lehrt es bie
Umftände kennen, unter welchen es zu leben hat, und aus diefer Er-
fenntniß entftehen feine Beftrebungen, d. i. fein Wille, aus biefem
enblich feine Organe, oder beftimmte Corporifation, und zwar mit
Hülfe der ©eneration und daher in ungemeffener Zeit. Hätte er den
Muth gehabt, es durchzuführen, fo hätte er ein Urthier annehmen
müſſen, welches confequent ohne alle Geftalt und Organe hätte fein
müſſen und nun, nad) Mimatifchen und lokalen Umftänden und deren
Erkenntniß, fid) zu den Myriaden von Thiergeftalten jeder Art um-
gewandelt Hätte. — In Wahrheit aber ift das Urthier der Wille
zum Leben; jedoch ift er als folcher ein Metaphyſiſches, fein Phy—
fiſches. (N. 43—45. 52.)
Kiopien, |. Staatsverfafjung.
436 Vater — Boden
V.
Dater.
1) Was fih vom Bater vererbt. (5. Vererbung.)
2) Baterliebe,
Darauf, daß der Erzeuger im Erzeugten ſich felbft wiedererlennt,
beruht die Vaterliebe, vermöge welcher ber Bater bereit iſt, filt ſein
Kind mehr zu thun, zu leiden und zu wagen, als für fich felbft, und
zugleich dies als feine Schuldigfeit erfennt. (W. IL, 650. — Vergl
Eltern.)
Yaterlandsliebe.
Wer für fein Baterland in den Tod geht, ift von der Zäufchung
frei geworden, welche das Dafein auf die eigene Perſon befchränt::
er dehnt fein eigene® Wefen auf feine Landsleute aus, in Denen cr
fortlebt, ja, auf die kommenden Gefchlechter derfelben, für welche er
wirft; — wobei er den Tod betradgtet, wie das Winfen ber Augen,
welches das Sehen nicht unterbricht. (E. 273.)
(Ueber die Verwerflichfeit des Patriotisnus im Reiche der Wille
Ichaften |. Patriotismus.)
Yaudeville.
Ein Baudeville ift einem Menſchen zu vergleichen, der in Kleidern
paradirt, die er auf dem Trödel zufanmengelauft hat; jedes Stüd hat
Ion ein Anderer getragen, für ben es gemacht und dem es ange:
mefjen worden war; and merkt man, daß fie nicht zufanumengehören.
(P. II, 469.)
Deden.
1) Die Weisheit der Beben.
In den Beden, der Frucht der höchften menfchlichen Eikenntniß und
Weisheit, finden wir die lebendige Erkenntniß der ewigen Gerechtigfeit,
wie auch die ihr verwandte reine und deutliche Erkenntniß des Weiens
aller Tugend, direct, fo weit nämlidy Begriff und Sprade es faſſen
und ihre immer noch bildliche, auch rhapſodiſche Darftellungsweife et
zuläßt, ausgeſprochen. (W. I, 419 fg. P. II, 429.)
(Ueber die Lehre der Veden von dr Maja und Metempfychoſe
ſ. Maja und Detenipfychofe.)
Begetation — Beränderung 427
2) Aus weldher Quelle eine wirklide Kenniniß der
efoterifhen Dogmatik der Beden zu erlangen ift.
Eine wirkliche Kenntniß der wahren und cefoterifchen Dogmatik der
Beden ift bis jet allein burd) den Oupnekhat zu erlangen; die
übrigen Ueberſetzungen kann man durchgelefen haben und hat keine
Ahndung von der Sache. (P. I, 428.)
Vegetation, f. Natur und Pflanze.
Denerifche Krankheit.
Zwei Dinge find es hauptſächlich, welche den gefellfchaftlichen Zu—
ftand der neuen Zeit von dem bes Altertbums zum Nachtheil des
erſteren unterfcheiden, indem fie demfelben einen ernften, finftern, finiftern
Anſtrich gegeben haben, von welchen frei das Altertum heiter und
unbefangen, wie der Morgen des Lebens dafteht. Sie find das ritter-
lihe Ehrenprincip (vergl. unter Ehre: eine Afterart der Ehre) und
die veneriſche Krankheit. Sie zufammen haben veurog ar puhra des
Lebens vergiftet. Die venerifche Krankheit erſtreckt ihren Einfluß viel
weiter, ald es auf den erften Blick fcheinen möchte, indem derſelbe
Tee ein blos phyfifcher, fondern auch ein moralifcher ift.
I, 413 fg.)
Dentriloguismus.
Bei Läufen auf ber Flöte, die im fehneller und ſtarker Abwechslung
von der untern zu den beiden obern Octaven herauf- und herabjpringen,
icheinen dem Zuhörer unverkennbar die tiefen Töne von einem an=
dern Drt, al® die Hohen, auszugehen. Sollte hierin nicht ein
Schlüffel zum Bentriloquismus liegen? (H. 353.)
derachtung.
1) Antagonismus zwiſchen Haß und Verachtung.
(S. Haß.)
2) Unwillkürlichkeit der Beradhtung. (©. Haß.)
3) Charakter ber ächten Berachtung.
Die wahre, ächte Verachtung, welche die Kehrſeite des wahren,
ächten Stolzes ift, bleibt ganz Heimlich und läßt nichts von ſich
merken. Denn wer bie Verachtung merken läßt, giebt ſchon dadurch
ein Beichen einiger Achtung, fofern er den Andern wiſſen laſſen will,
wie wenig er ihn ſchätze. Die ächte Verachtung iſt reine Ueberzeugung
vom Unwerth des Andern und mit Nachficht und Schonung vereinbar.
(P. II, 626.)
Deränderung.
1) Wefen der Veränderung.
Das Geſetz der Sanfalität erhält feine Bedeutung und Nothwendigkeit
allein dadurch, daß das Weſen der Veränderung nicht im bloßen
498 Berantwortfichkeit
Wechfel der Zuftände an fi), jondern vielmehr darin befteht, daß an
demfelben Drt im Raum jest ein Zuftand iſt und darauf em
anderer, und zu einer und berfelben beftimmten Zeit hier dieſer
Zuftand und dort jener; nur diefe gegenfeitige Beſchränkung ber Zeit
und des Raumes durch einander giebt einer Regel, nach der die Ber:
änderung vorgehen muß, Bedeutung und zugleich Nothwendigleit. Was
durdy das Geſetz der Canſalität beftimmt wird, ift alfo nicht die
Succeſſion der Zuftände in der bloßen Zeit, fonbern diefe Eucceffioa
in Hinſicht auf einen beftimmten Kaum, und nicht das Daſein der
Zuftände an einem beftimmten Ort, fondern an diefem Ort zu eimer
beftimmten Zeit. Die Veränderung, d. b. der nad) dem Cauſalgeſetz
eintretende Wedel, betrifft alfo jedesmal einen beftimmten Theil des
Raumes und einen beftimmten Theil der Zeit zugleich und im Berein.
(W. I, 11.) Nur mittelft des Dauernden im Wechſel erhält dieſer
den Charakter der Beränberung, d. h. des Wandeld der Oualitär
und Sorn beim Beharren dr Subftanz, d. i. der Matene.
(W. I, 12.)
2) Bedingtheit jeder Veränderung durd eine Urfade
(S. unter Grund: Sag vom Grunde des Werdens.)
3) Die Zeit der Veränderung.
Zwifchen zwei fuccejfiven Zuftänden, deren Berfchiedenheit im umfere
Sinne fällt, liegen immer noch mehrere, deren Verfchiedenheit uns mid
wahrnehmbar ift; weil der neu eintretende Zuſtand einen gewiſſen
Grab, oder Größe, erlangt haben muß, um finnlih wahrnehmbar zu
fein. Daher gehen demfelben ſchwächere Grade vorher, welche durch⸗
laufend er allmälig erwächſt. Diefe zufammengenommen begreift man
unter dem Namen der Veränderung, und die Zeit, welche fie ausfüllen,
ift die Zeit der Veränderung. (G. 93—96.)
Derantwortlichkeit.
1) Worauf das Gefühl der Berantwortlidhleit bernuht.
Das völlig deutliche und ſichere Gefühl der Berantwortlichkeit für
Das, was wir thun, der Zurechnungsfähigfeit für unfere Handlungen,
beruht auf der unerfchütterlichen Gewißheit, daß wir felbft die Thäter
unferer Thaten find. (E. 93.)
2) Wofür wir uns im Grunde verantwortlich fühlen.
Die Berantwortlichfeit, deren wir uns bewußt find, trifft blos zu-
nächſt und oftenfibel die That, im Grunde aber den Charafter;
fiir diefen fühlen wir uns verantwortlich. Und fir diefen machen audı
die Andern uns verantwortlih. Da, wo die Schuld liegt, muß audı
die Verantwortlichleit liegen, und da diefe das alleinige Datum dt,
welches auf moralifche Freiheit zu fchließen berechtigt, jo muß auch
die Freiheit eben dafelbft Liegen, alfo im Charakter bes Menſchen.
Berbindungen — Verbrechen 429
(€. 93 fg. 97. Vergl. unter Freiheit: Wo die moralifche Freiheit
liegt.)
3) Unvereinbarfeit der Verantwortlichkeit mit dem
Theismus. (©. Aſeität ımd unter Freiheit: Unver-
einbarfeit der Freiheit mit dem Theismus.)
4) Berminderung der DBerantwortlichleit dur den
Affect. (S. Affect.)
5) Gegenfap zwifhen Dummheit und Schlechtigkeit
in Hinfidht auf die Zurehnung (S. Dummheit.)
Verbindungen, zwifchen Menfchen.
1) Segenfag zweier Arten von Berbindungen.
Verbindung, Gemeinschaft, Umgang zwiſchen Menfchen gründet fich
u der Regel auf Berhältniffe, die den Willen, felten auf folche, die
den Intellect betreffen; die erftere Art der Gemeinfchaft fann man
die materiale, die andere die formale nennen. Jener Art find die
Bande der Familie und der Berwandtfchaft, ferner alle anf einem
gemeinfchaftlichen Zweck, oder Interefje, wie da8 des Gewerbes, Standes,
oder der Corporation, Partei, Faction u. f. mw. beruhenden Verbindungen.
Bei diefen nämlich kommt es blos auf die Gefinnung, die Abficht an,
wobei die größte Verjchiedenheit der intellectuellen Fähigkeiten und ihrer
Ausbildung beftehen kann. Anders verhält e8 fi) mit der bloß for-
malen Gemeinfchaft, als welche nur Gedanfenaustaufd) bezweckt; biefe
verlangt eine gewiffe Gleichheit der intellectuellen Fähigkeiten und
Bildung. (W. II, 260 fg.)
2) Glaube und Erfahrung des edleru Menfchen über
die Natur der Berbindungen.
Der Menſch edlerer Art glaubt im feiner Yugend, die wefentlicdhen
und entfcheidenden Verhältniſſe und daraus entftehenden Verbindungen
zwischen Menfchen feien die ideellen, d.h. die auf Aehnlichkeit der
Geſinnung, der Denfungsart, des Geſchmacks, der Geiftesfräfte u. f. w.
beruhenden; allein er wird fpäter inne, daß es die reellen find,
d. 5. die, welche fid) auf irgend ein materielles Interefje ftügen. Dieſe
biegen faft allen Verbindungen zu Grunde; fogar hat die Mehrzahl
ber Menfchen feinen Begriff von andern BVerhältnifien. (P. I, 487.)
Derbrechen.
1) Haupturfache der Berbreden.
So groß auch der AntHeil fein mag, den Rohheit und Unwiſſenheit,
im Berein mit der äußern Bedrängniß, an vielen Verbrechen habeı;
jo darf man jene doch nicht als die Haupturfache derfelben betrachten;
indem Unzählige in berjelben Rohheit und unter ganz ähnlichen Um
430 Verbreitung‘ — Verdrießlichkeit
ſtänden lebend, keine Verbrechen begehen. Die Hauptſache fällt alio
auf den perfönlichen, moralifchen Charakter zurüd. (W. II, 683 fg.
- 2) Berhältnig der Strafe und der Strafgefege zum
Verbrechen. (S. Strafe und unter Gefeg: Zweck ka
Strafgefee und Borausfegung berfelben.)
Derbreitung, der Wahrheiten, f. unter Reifen: Eine befonder
Beobadhtung, die man auf Keifen machen kann. j
Derdammniß, ewige.
Sensu proprio genommen, wird das Dogma von der ewigen Tu:
dammnig empörend. Dem nicht nur läßt es, vermöge feiner ewigen
Höllenftrafen, die Yehltritte, oder fogar den Unglauben eines oft faum
zwanzigjährigen Lebens durch endlofe Qualen büßen; fondern es font
hinzu, daß diefe faft allgemeine Verdammniß eigentlid) Wirkung der
Erbfünde und alſo nothwendige Yolge des erften Sündenſalles ik.
Diefen num aber hätte jedenfall Der vorherjehen müſſen, welcher dx
Menſchen erftlich nicht beſſer, al8 fie find, gefchaffen, dann aber ihn
eine Falle geftellt hatte, in die cr willen nınfte, daß fie gehen würden,
da Alles mit einander fein Werk war und ihm nichts verborgen bleibL
Denmad) hätte er ein ſchwaches, der Sünde unterworfened Geſchlech
aus dem Nichtd ind Dafein gerufen, um es dann endlofer Dual zu
übergeben. Endlich kommt noch hinzu, daß der Gott, welcher Nadfät
und Vergebung jeder Schuld, bis zur Yeindesliebe, vorfchreibt, fein
übt, fondern vielmehr in das ©egentheil verfällt. — So geht es mit
den Dogmen, wenn man fie sensu proprio nimmt; Hingegen sensu
allegorico verftanden, ift alles Diefes noch einer genügenden Auslegung
fähig. Zunächſt aber ift das Abfurde, ja Empbrende diefer Lehre bias
eine Folge des jüdischen Theismus mit feiner Schöpfung aus Nichte
und ber damit zufammenbängenden Berleugnung der Lehre von der
Dietempfychofe.. (P. I, 390— 392. M. 176. — Bergl. We:
tempfychoſe.)
Derdienft.
Die Individualität eines Jeden ift auzufehen als feine freie That,
fie wurzelt im Ding an fi. Ale ächten Berbienfte, die moralifchen,
wie die intellectuellen, haben baher nicht blos einen phyſiſchen, oder
fonft ‚empirifchen, fondern einen metaphyſiſchen Urfprung, find demnad;
a priori und nicht a posteriori gegeben, d. h. angeboren und mic
erworben, wurzeln folglich nicht in der bloßen Erjcheinung, fondern
im Ding an fi. Daher leiftet Yeder im Grunde nur Das, was
fhon in feiner Natur, d. 5. in feinem Angeborenen, unwiderruflich
feſtſteht. (P. II, 242—244.)
Derdrieflichkeit, ſ. Melandolie.
Veredelung — Vererbung 431
Deredelung, des Menfcjengefchlechts.
Die Meberzeugung von der Erblichkeit des Charakters vom Vater
und bed Intellects von der Mutter (vergl. Vererbung) leitet zu der
Anficht Hin, dag eine wirffiche und gründliche Veredelung des Menfchen:
geſchlechts nicht fowohl von Außen, als von Innen, alfo nicht ſowohl
durch Lehre und Bildung, als vielmehr auf dem Wege der Generation
zu erlangen fein mödte (W. II, 602.)
Derehrung.
1) Der Trieb zur Berehrung.
Im Menſchen ift eine verehrende Über. Er verehrt gern Etwas,
Nur hält die Verehrung meiſtens vor der unrechten Thür, wofelbft fie
ftehen bleibt, biß die Nachwelt fommt, fie zurechtzuweifen. Nachdem
dies gefchehen ift, artet die Verehrung, welche der gebildete große Haufe
dem Genie zollt, gerade fo wie die, welche die Gläubigen ihren Hei-
figen widmen, gar leicht in läppifchen Reliquiendienſt aus. (PB. II,
89 fg. 9. 454.)
2) Gegenſatz zwifchen Berehrung und Liebe.
Rochefoncauld Hat treffend bemerkt, daß es ſchwer ift, Jemanden
zugleich hoch zu verchren und fehr zu lieben. Demnad) hätten wir
die Wahl, ob wir und um die Liebe, oder um die Verehrung der
Menſchen bewerben wollen. Ihre Liebe iſt ſtets eigennüßig; zudem
ift Das, wodurch man fie erwirbt, nicht immer geeignet, uns darauf
ftolz zu machen. — Hingegen mit der Verehrung der Menfchen fteht
es umgelehrt; fie wird ihnen nur wider ihren Willen abgezwungen,
auch eben deshalb meiftens verhehlt. Daher giebt fie und, im Innern,
eine viel größere Befriedigung; fie hängt mit unferm Werthe zu-
fammen, welches von ber Liebe der Menfchen nicht unmittelbar gilt;
denn diefe ift fubjectiv, die Verehrung objectiv. Nütlich ift uns bie
Liebe freilid) mehr. (P. I, 477.)
Dererbung.
1) Das. Problem der Bererbung.
Die Erfahrung lehrt Hinfichtlich der Teiblichen Eigenschaften, daß bei
der Zengung die von den Eltern zufammengebrachten Keime nicht nur
die Eigenthiimlichleiten der Gattung, fondern auch die der Individuen
fortpflangen. Ob dies num ebenfalld von den geiftigen Eigenjchaften
gelte, jo daß auch diefe fi von den Eltern auf die Kinder vererbten,
ift eine ſchon dfter aufgeworfene und faft allgemein bejahte Trage.
Schwieriger aber ift das Problem, ob ſich dabei fondern laffe, was
dem Bater, und was ber Mutter angehört, welches alfo das geiftige
Erbtheil fei, da8 wir von jedem der Eitern iiberfommen. (W. II, 590.)
432 Vererbung
2) Zöfung des Problems vor Befragung der Er:
fabrung.
Bon der Grunberfenntnig aus, daß der Ville das Weſen an ſich
der Kern, das Radicale im Menſchen, der Intellect hingegen tat
Secundäre, dad Accidenz jener Subftanz fei, werden wir vor &
fragung der Erfahrung es wenigſtens als wahrfcheinfich annehmen,
daß bei der Zeugung der Bater, als sexus potior und zeugender
Princip, die Bafis, da8 Hadicale des neuen Lebens, alfo den Willen
verleihe, die Mutter aber, als sexus sequior und blos empfang
Princip, das Secundäre, den Intellect, daß alfo der Menſch ie
Moralifches, feinen Charakter, feine Neigungen, fein Herz, vom Farc
erbe, hingegen den Grad, die Beichaffenheit und Richtung feiner In
telligen; von der Mutter. (W. II, 590.)
3) Beftätigung diefer Löſung durd die Erfahrung.
Die gegebene Löfung findet wirklich ihre Beftätigung in der Er—
fahrung, nur daß diefe Hier nicht durch ein phyſikaliſches Experimm:
auf dem Tiſch entfchieden werben faun, fondern theil® aus vieljähriger,
forgfältiger und feiner Beobachtung und theils aus der Geſchicht
hervorgeht. Bei Prüfung der behaupteten Bererbung des Charaftat
vom Bater an der Erfahrung find jedoch zwei unvermeidliche Ve—
ichränfungen zu berüdfichtigen. Nämlich erftlih: pater semper u-
certus. Nur eine entjchiedene Törperliche Aehnlichleit mit dem Yale
befeitigt diefe Beſchränkung; hingegen ift eine oberflächliche hiezu nid
hinreichend; denn es giebt eine Nachwirkung früherer Befruchtung,
vermöge welcher bisweilen die Kinder zweiter Che noch eine leicht
Aehnlichkeit mit dem erften Gatten Haben, und die im Ehebruch c-
zeugten mit dem legitimen Vater. Die zweite Beſchränkung ift, det
im Sohn zwar der moralijche Charakter des Vaters auftritt, jetod
unter der Modification, die er durch einen andern, oft fehr verſchiedenn
Intellect (da8 Erbtheil von der Mutter) erhalten bat, wodurch ein
Correction der Beobachtung nöthig wird. — Unter Berüdfichtigu; |
der angegebenen zwei Beichränfungen wird man die Vererbung det
Charakters vom Vater durch die eigene und durd die geidichti
Erfahrung beftätigt finden. (W. II, 590—595.)
Was die Vererbung des Intellects von der Mutter betrifft, fo ie
zeugt fehon der alte und populäre Ausbrud „Mutterwig“ die frühe
Anerkennung diefer zweiten Wahrheit, und die Zahl der Belege fir
diefelbe würde viel größer fein, als fie vorliegt, wenn nicht der Chr
rafter und die Beſtimmung des weiblichen Gefchlechts es mit Id
brächte, daß die Frauen von ihren Geiftesfähigkeiten felten öffentl
Proben ablegen, daher ſolche nicht gefchichtlich werden und zur Lurde
der Nachwelt gelangen, Ueberdies können wegen ber durchweg ſchwächem
Befchaffengeit des weiblichen Geſchlechts diefe Fühigkeiten felbft nie be
ihnen den Grad erreichen, bis zu welchem fie urfter günftigen Um
Bergangenheit. Bergangenes 433
ftänden nachmals im Sohne gehen. Wenn einzelne Fälle fich finden
jollten, wo ein hochbegabter Sohn feine geiftig ausgezeichnete Mutter
gehabt hätte; fo Liege Dies ſich darans erflären, daß dieſe Mutter
jelbft einen phlegmatifchen Vater gehabt hätte, weshalb ihr ungewöhnlich
entwideltes Gehirn nicht durch die entfprechende Energie des Blut-
umlaufs gehörig ercitirt gewefen wäre, — ein Erforderniß der Genialität.
(Bergl. unter Genie: Anatomifche und phyſiologiſche Bedingungen
des Genies.) Nichtödeftoweniger hätte ihr höchſt vollkommenes Nerven-
und Gerebralfuftem fi) auf den Sohn vererbt, bei welchem nun aber
ein lebhafter und leidenfchaftlicher Vater, von energifchem Herzichlag,
hinzugefommen wäre, wodurd dann erft hier die andere fomatifche
Bedingung großer Geifteöfraft eingetreten fi. (W.I, 595—601.)
4) Erklärung des Disharmonifhen und Harmoni-
hen im Charafter aus der dargelegten Theorie.
(S. Charafter.)
5) Erflärung der Verabſcheuung der Gefchwifterene
aus derfelben. (S. unter Ehe: Grund ber Verabfcheuung
der Gefchmwifterehe.)
6) Erklärung der Güte einzelner Nationen aus der—
jelben. (©. Nationen.)
7) Rechtfertigung der Berufung auf den Stammbaum,
(S. Abel.)
8) Folgerung aus ber dargelegten Theorie für die
Veredelung des Menſchengeſchlechts. (S. Kaftriren
und unter Staatsverfaffung: Die befte Staatsverfaflung.)
9) Berhältniß des Todes zu dem burd die Zeugung
vereinigten väterliden und mütterliden Beftand>
theil des Individuums (S. unter Individuation,
Individualität: Zerſetzung des Individuums durch den
Tob.)
Dergangenheit. Vergangenes.
1) Berhältniß der Bergangenheit zur ©egenwart.
(S. Gegenmart.)
2) Worauf der Zauber ber Bergangenheit beruht.
(S. Aeſthetiſch.)
3) Aehnlichkeit der Wirkung der Vergangenheit mit
der Wirkung der Entfernung im Raume.
Wie im Raume die Entfernung Alles verkleinert, indem fie es zu⸗
ſammenzieht, wodurch deffen Fehler und Uebelftände verjchwinden;
ebenfo wirkt in ber Zeit die Vergangenheit; die weit zurüdliegenden
Schopenhauer⸗Lexikon. 11. 28
434 Bergänglileit — Berlettung
Scenen und Vorgänge uebft agirenden Perfonen nehmen fidh in der
Erinnerung, als welche alles Unwejentlihe und Störende fallen läfı
allerliebft aus. — Und wie im Raume Feine Gegenſtände fich in be
Nähe groß barftellen, aber fobald wir uns etwas entfernt haben, New
und unfcheinbar werben; eben fo, in ber Zeit, erſcheinen uns bie im
unferem täglichen Leben und Wandel ſich ereignenden kleinen Berfälk,
fo lange fie als gegenwärtig dicht vor uns liegen, groß, bedeutend,
wichtig; aber fobald der Strom der Zeit fie nur etwas ö entferat bat,
find fie unbedeutend, Feiner Beachtung werth und bald vergeſſen
(P. II, 640 fg.)
4) Was fih für das Vergangene aus der Ybealität
ber Zeit ergiebt.
Ans der Idealitut der Zeit, der zufolge die Zeit dem Weſen an fid
der Dinge nicht zukommt, ergiebt ſich, daß in irgend einem Cimme
das Vergangene nicht vergangen fei, fondern Alles, was jemals wirklich
und wahrhaft geweien, im Grunde auch noch fein müſſe, indem ja dx
Zeit nur einem Theaterwaſſerfall gleicht, der herabzuſtrömen fdheim,
währen er, als ein bloßes Rad nicht von der Stelle lommt. (P. L 92.
W. I, 328.)
Dergänglidkeit.
Der Grundcharakter aller Dinge ift Bergänglichkeit; wir ſehen m
der Natur Alles, vom Metall bis zum Organismus, theils durch fein
Dafein felbft, tHeild durch den Conflict mit Anderem, fich aufreiben
und verzehren. Wie könnte dabei die Natur das Erhalten der Formen
und Erneuern ber Individuen, die zahlloſe Wiederholung des Yebent-
proceffes, eine unendliche Zeit bindurh aushalten, ohne zu er-
müden, wenn nicht ihr eigener Kern ein Zeitlofes und dadurch völlig
Unverwütliches wäre, ein Ding an fih, ganz anderer Art, als
el Erſcheinungen, ein allem Phyſiſchen heterogenes Metaphufiicer:
( 101 fg.)
Dergeben, ſ. unter Umgang: Berhaltungsregel gegen Die, meld:
uns Unangenehmes oder Aergerliche® im Umgang erweifen.
Vergeltung, — Rache und unter Gerechtigkeit: Die vergeltende
Gerechtigkeit.
dergeßlichkeit, ſ. unter Gedächtniß: Das Gedächtniß als Function
des Intellects, und unter Intellect: Unvollkommenheiten des
Intellects.
Veritates aeternae, ſ. Dogmatismus und Kriticismus.
Derkettung der Wahrheiten, ſ. unter Wahrheit: Uebereinftimmmig
der Wahrheit und Zuſammenhang aller Wahrheiten.
Verldumdung — VBerneinung 435
Derläumdung.
Die Negativität der Ehre (vergl. unter Ehre: Gegenſatz zwifchen
Ehre und Ruhm) darf nit mit Pajfivität verwechfelt werden; viel
mehr bat die Ehre einen ganz activen Charakter. Sie geht nämlich
allein vom Subject derfelben aus, beruht auf feinem Thun und
Yaflen,. nicht aber auf Dem, was Andere thun und was ihm wider«
fährt. Blos durch Berläumdung ift ein Angriff von außen auf bie
Ehre möglih; das einzige Gegenmittel ift Widerlegung berfelben, mit
ihr angemeffener Deffentlichfeit und Entlarvung des Berläumders,
(PB. 1, 385. — Ueber die Injurie als fummarifche Verläumdung
ſ. Injurie)
Dermuögen.
1) Erhaltung des Bermögens ale eine Bedingung
des Lebensglücks.
Borhandenes Bermögen fol man betrachten als eine Schußmaner
gegen die vielen möglichen Uebel und Unfälle, nicht als eine Erlaubniß
oder gar Berpflihtumg, die Pläfirs der Welt heranzuichaffen. (P. 1, .
367.) Erhaltung des erworbenen und des ererbten Vermögens ift eine
Bedingung des Lebensglüds. (PB. I, 369 fg. — Warum auf Kaufleute
die Vorſchrift zur Erhaltung des Vermögens nit anmwendbar ift
f. Kaufleute.)
2) Warum die im angeftammten Reichthum Geborenen
auf Erhaltung bed Bermögens mehr bedadt find,
als die durch Glücksfälle zu Reichthum Selangten.
(S. Armuth.)
3) Warum es für den nach Beförderung im Staats—
dienft Strebenden beffer ift, vermögenslos, als
vermögend zu fein.
Für den, ber es im Staatsdienfte hoch bringen will, ber demnach
Gunft, Freunde, Verbindungen erwerben muß, un durd) fie von Stufe
zu Stufe zu fteigen, ift e8 beffer, ohne alles Vermögen in die Welt
geftoßen zu fein, als von Haufe aus vermögend zu fein. Denn nur
der arme Teufel wird den über ihn Geftellten gegenüber die nöthige,
beliebt machende Inferiorität zeigen. Hingegen Der, welcher von Haufe
aus zu Ieben hat, wird ſich meiftend ungebärdig ftellen; er ift gewohnt,
tete levee zu gehen; damit poufjirt man ſich aber nicht in der Welt.
(B. I, 371.)
Dernehmen.
Bernehmen ift nicht ſynonym mit Hören, fondern bebeutet bag Inne⸗
werden der durch Worte mitgetheilten Gedanken. (W. I, 44.)
Derneinung, bed Willens, |. Wille.
28*
436 Bernunft
Dernunft.
1) Geſchichtliches.
Alles Das, was zu allen Zeiten und von allen Völkern ausdrüdlic
als Aeußerung oder Leiftung der Vernunft, bed Aoyog, Aoyıstum,
ratio, la ragione, la razon, la raison, reason, betrachtet worter,
fäuft augenfällig zurüd auf das nur der abftracten, biscurfiven, re:
flectiven, an Worte gebundenen und mittelbaren Erfenntniß, nicht akı
der blos intuitiven, unmittelbaren, finnlichen, deren auch die Thierr
theilhaft find, Mögliche. Ratio et oratio ftellt Cicero ganz richtig
zufammen. In diefem Sinne aber haben alle Philojophen überel
und jederzeit von ber Vernunft geredet, bis auf Kant, welder übrige:
felbft fie noch als das Bermögen der Principien unb bes Gchlicken
beftimmt; wiewohl nicht zu leugnen ift, daß er Anlaß gegeben hat zr
ben nachherigen Verdrehungen. (©. 110fg. W. I, Adfg. 615:
QD, 73.) ,
In ben legten fünfzig Jahren haben ſämmtliche Philofophafter z
Deutſchland mit dem Begriffe der Bernunft Poflen getrieben, un
fie, mit unverſchümter Dreiftigkeit, unter dieſem Namen ein völlig er:
fogenes Vermögen unmittelbarer, metaphyſiſcher, fogenannter überſin⸗
ficher Erkenntniffe einſchwärzen wollten, die wirkliche Vernunft bingeser
Berftand benannten, ben eigentlichen Berftand aber, als ihm rk
fremd, ganz überfahen und feine intuitiven Yunctionen ber Sinnlihfe:
zufchrieben. (W. II, 73; 1, 617g. ©. 111. E. 14619.)
2) Urfprung bes Wortes „Bernunft“.
Bernunft fommt von Vernehmen, aber nur, weil fie dm
Menſchen ben Vorzug vor dem Xhiere giebt, nicht blos zu hören,
fondern auch zu vernehmen, jeboch nicht, wie bie Philofophafter
vorgeben, das fogenannte „„Ueberfinnliche” (Wolfenkufulsheim) zu ve:
nehmen, fondern was ein vernünftiger Menſch. dem Andern lat
(E. 147 fg. W. JI, 44. ©. 112fg. P. JI, 122. — Ueber das Gehör
als den Sinn der Bermunft ſ. unter Sinne: Gegenſatz zwilhe
Geſicht und Gehör.)
3) Die Bunction der Vernunft.
Die Vernunft hat nur eine Function: Bildung des Begriffs, mb
aus diefer einzigen erflären ſich alle Erfcheinungen, die das Leben kt
Menfchen von dem des Thieres unterfcheiden, und auf bie Anwenduss
oder Nicht- Anwendung jener Yunction deutet ſchlechthin Alles, wat
man überall und jederzeit vernünftig oder unvernünftig genannt ha
(W. I, 46. 614. ©. 97. €. 148 fg.)
4) Der Stoff der Vernunft.
Alles Materielle in unferer Erkenntniß, d. 5. Alles, wos fü
nicht auf fubjective Form, felbfteigene Thätigfeitsweife, Function di
Bernunft 437
Intellects zurückführen Täßt, mithin ber gefammte Stoff berfelben,
fommt don außen, nämlich zulegt aus der, von der Sinnedempfindung
ausgehenden, objectiven Anfchauung der Körperwelt. Diefe anfchauliche
und dem Stoffe nad empirische Erkenntniß ift es, welche fodann bie
Bernunft zu Begriffen verarbeitet, die fie durch Worte ſinnlich firitt
und dann an ihnen den Etoff hat zu ihren endlofen Combinationen,
mittelft Urtheilen und Schlüſſen, weldye das Gewebe unferer Gedanken⸗
welt ausmachen. Die Bernunft bat alfo durchaus keinen materiellen,
fondern blos einen formellen Inhalt. Stoff aus eigenen Mit-
teln liefern fann fie nimmermehr. Sie hat nichts als Yormen; fie
ift weiblich, fie empfängt blos, erzeugt nicht. (©. 115 fg. Vergl.
Angeboren.)
5) Erfenntniffe aus reiner Vernunft.
Erfenntniffe aus reiner Vernunft find foldhe, deren Urfprung im
formellen Theil unſers Erfenntnißvermögens, fei es bes denfenden,
oder anichauenden, liegt, bie wir alfo a priori, d. 5. ohne Hilfe der
Erfahrung, uns zum Bewußtfein bringen fünnen; fie beruhen allemal
auf Sägen von transfcendentaler, ober auch von metalogifcher Wahr:
heit. (©. 117. — Ueber die transfcendentale und metalogifche Wahr-
heit vergl. unter Grund: Sag vom runde des Erlkennens.)
6) Die im Gebiete der Bernunft herrfhende Geftalt
des Satzes vom Brunde (S. unter Grund: Sag
vom Grunde des Erfennens.)
7) Gegenſatz dertheoretifchen und praftifchen Vernunft.
Theoretifch ift die Vernunft nur, fofern die Gegenftände, mit
denen fie ſich befchäftigt, auf das Handeln bes Denkenden feine Be⸗
ztehung, fondern lediglich ein theoretifches Interefie haben. Praktiſch
hingegen ift fie in allen Beziehungen auf das Handeln. Was in
diefem Sinne praktiſche Vernunft heißt, wird fo ziemlich durdy das
lateinifche Wort prudentia, welches das zujammengezogene providentia
ift, bezeichnet, da Hingegen ratio meiſtens bie eigentlich theoretifche
Bernunft bedeutet. (W. I, 614.)
Als praktisch zeigt fi) die Vernunft in ben vernünftigen Charak⸗
teren und ber vernünftigen Handlungsweiſe. Die reht vernünftigen
ShHaraftere, die man deswegen im gemeinen Leben praftifche Philo-
fophen nennt, zeichnen ſich durch ungemeinen Gleichmuth und feftes
Beharren bei gefaßten Entfchlüffen aus. (WB. I, 615 fg. Bergl.
Stoicismus.) Die ber Leidenfchaftlichkeit entgegengeſetzte Vernünf⸗
tigfeit des Charakters befteht eigentlich darin, daß der Wille nie den
Sntellect dermaßen überwältigt, daß er ihn verhindere, feine Function
der deutlichen, vollftändigen und Maren Darlegung der Motive richtig
auszuüben. (W. II, 680.) — 4
Unter einer vernünftigen bandtuzcc Tan eine
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438 Bernunft
ganz conſequente, aljo von allgemeinen Begriffen ausgehende und ver
abfiracten Gedanken, als Vorfägen, geleitete, nicht aber durch der
flüchtigen Eindrud der Gegenwart beftimmte. (G. 116.) In alle
erdenklichen Fällen läuft der Unterichieh zwifchen vernünftigen und m-
dernünftigem Handeln darauf zurüd, ob die Motive abftracte Begriffe,
ober anfchauliche Borftellungen fd. (W. I, 616. 102; I, 163.
&. 35. 149 fg.)
Mangel an Anwendung der Vernunft auf das Praftifche ift Thor:
heit. (W. I, 28.)
8) Borzug des Menfhen vor dem Thiere burd die
Bernunft. (S. unter Menſch: Unterfchied zwifchen Thier
und Menſch.)
9) Berhältniß der Sprade zur Bernuuft. (S. Sprade.
10) Bortheile und Nachtheile der Vernunft. (S. mtr
Fa Wichtigkeit des Begriffe und: Nachtheile dei
Begriffs.)
11) Bereinbarleit der Bernunft mit Unverftand. (S.
Unverftand.)
12) Bereinbarleit ber Bernunft mit moralifder
Schlechtigkeit. (©. unter Zugend: Unterſchied zwi:
[hen tugendhaft und vernünftig.)
13) In weldem Sinne bie Vernunft ein Prophet zu
heißen verbient.
Die Vernunft verdient auch ein Prophet zu heißen; Hält fie une
body das Zukünftige vor, nämlich als dereinftige Folge und Wirkung
unferd gegenwärtigen Thuns. Dadurch eben ift fie geeignet, uns ım
Zaum zu halten, wann Begierben der Wolluft, oder Aufwallungen dei
Zorns, oder Gelüfte der Habfucht uns verleiten wollen zu Dem, was
künftig bereut werden müßte. (P. II, 628.)
14) Barum gewiffe Säge für Ausfprüde der Ber-
nunft gehalten werden.
Ausfprüde der Vernunft nennt Jeder gewviffe Süße, bie er
ohne Unterfuhung fir wahr Hält umd bie in feflen Krebit bei ihm
dadurch gefommen, daß, als er anfteng zu veden und zu denken, fr
ihn anhaltend vorgefagt und dadurch eingeimpft wurden; daher dem
feine Gewohnheit fie zu denken ebenfo alt ift, wie die Gewohnhei
ar zu denken; fie find mit feinem Gehirn verwachſen. (B. U,
12 fg.)
15) Kritik des Gegenfages zwifhen Bernunft uud
Offenbarung (S. Offenbarung.)
16) Kants Kritik der reinen Bernunft. (S. Dogme-
tismus und Kriticiſsmus.)
Bernlinftelu .— Verſchiedenheit 439
Dernünfteln, |. Sophiſtikation.
Dernünftig.
1) Unterfhied zwifhen „vernünftig“ und „logiſch“.
(S. unter Logik: Gegen ben falfchen Gebrauch des Wortes
„Logik“.)
2) Unterſchied zwiſchen vernünftig und klug. (©.
Klugheit.)
3) Unterſchied zwiſchen vernünftig und tugendhaft.
(S. Tugend.) - — J
4) Der vernünftige Charakter und die vernünftige
Handlungsweiſe. (S. unter Vernunft: Gegenſatz der
theoretiſchen und praktiſchen Vernunft.)
-5) Barum der Vernünftige es nicht immer if.
Wie die Begeifterung des Genies nur in ben lucidis intervallis
thätig ift, fo aud wirkt fogar die Vernunft des Vernünftigen in lucidis
intervallis ; denn er ift e8 auch nicht immer. Nemo omnibus horis
sapit. Wlles dies deutet auf eine gewiffe Fluth und Ebbe der Säfte
des Gehirns, oder Spannung und Abfpannung der Fibern deffelben.
P. I, 53 fg.)
Deenunftichre, f. Rogif.
Derpflichtung, f. Pflicht.
Derrath, f. unter Lüge: Vertragsbruch, Betrug und Bertath.
Derrücktheit, |. Wahnfinn.
Derfchiedenheit, der Menfchen.
1) Intellectuelle Verſchiedenheit. (S. Intelligenzen,
und unter Kopf: Unterfchieb der. Köpfe.)
2) Moralifhe Berfihiedengeit. (S. unter Moraliſch:
Der moralifche Unterjchieb der Charaftere.) |
3) Metaphyfifhe Erklärung der individuellen Ber-
fchiedenpeit.
Die große urfprüngliche Verſchiedenheit der empirischen Charaktere
beruht zulett auf bem Verhältniß des Willen! zur Erkenntnißkraft im
Individuo. Diefes beruht zulegt anf dem Grade des MWollens im
Bater und dem Grade des Erkennens in der Mutter. (Bergl. Ver⸗
erbung.) Das Zufammentreffen der Eltern ift größtentHeild Zufall.
Hieraus nun ergäbe ſich eine empörenbe Ungeredjtigfeit im Wefen der
Welt, wenn nicht im Grunde bie Berfchiebenheit zwifchen den Eitern
und dem Sohne blos der Erſcheinung angehörte und aller Zufall im
440 Verſchmitztheit — Berfchwiegenheit
Grunde Nothwendigkeit wäre. Die individuellen, das ganze Weſtr
des Menfchen durchbringenden und feinen Lebenslauf beſtimmenden
Unterfchiede können nicht als ohne Schuld und BVerbienft des danit
Behafteten vorhanden und als bloßes Werk des Zufalld betragtr:
werden; fondern der Menſch ift in gewiffen Sinne als fein eigene?
Werk anzufehen. (W.II, 685 fg. H. 395. — Bergl. aud) Berdienit.,
4) Folgerung auß der individuellen Berfchiedenpeit.
Alle allgemeinen Regeln und Vorſchriften find deswegen
nicht ausreichend, weil fie von der falfchen Vorausſetzung einer gan;
oder ziemlich gleichen Befchaffenheit der Menſchen ausgehen, welche dir
PhHilofophie des Helvetius ſogar ausdrücklich aufftellt; während die
ursprüngliche Berfchiedenheit der Individuen im „mtellectuellen und
Moralifchen unermeßlich if. (9. 395.)
Derfchmiptheit, f. unter KLugheit: Formen der Klugheit.
Derfchwendung.
1) Voraus die Berfhwendung entjpringt.
Die Verſchwendung entfpringt aus einer thieriſchen Bejchränftken
auf die Gegenwart, gegen welche alsdann die noch in bloßen Gedanten
beftehende Zukunft keine Macht erlangen kann, und beruht auf dem
Wahn eines pofitiven und realen Wertdes der finnlichen Gemifie.
(P. I, 221.)
2) Bolgen der Berfhwendung.
Die Verſchwendung führt nicht blos zur Verarmung, fondere durch
biefe zum Berbrechen. Die Verbrecher aus den bemittelten Ständen
find es faft alle in Folge der Verfeäwendung geworden. (B. II, 221 fg.,
3) Hang ber Weiber zur Berfhwendung. (S. Weiber.
4) Hang der zu Wohlſtand gelangten Armen zur Ber-
ihwendung (©. Armuth.)
(Ueber das Gegentheil der Berjchwendung, den Geiz, f. Geiz.)
Derfchwiegenheit.
1) Empfehlung der Berfchwiegenpeit.
Unjere fünmtlichen perfönlichen Angelegenheiten haben wir den An
bern gegenüber ald Geheimniß zu betrachten und uns zu hüten, das
Geringfte davon zu verrathen; denn ihr Wiſſen um die unfchuldigftea
Dinge kann, durch Zeit und Umftände, uns NachtHeil bringen. Ueber
baupt ift es gerathener, feinen Berftand durch Das, was man verſchweigt,
an den Tag zu legen, als durch Das, was man fagt. Krfteres iſt
Safe der Klugheit, letzteres der Eitelfeit. (P. I, 495 fg.)
Berje. Berfification — Berftand 441
2) Wo und die Berfchwiegenheit nicht verläßt.
Es widerfährt und wohl, daß wir ausplaudern, was und auf irgend
eine Weife gefährlich werden Könnte; nicht aber verläßt uns unfere
Verſchwiegenheit bei Dem, was und lächerlich machen könnte, weil hier
der Urfache die Wirkung auf dem Fuße folgt. (P. II, 623.)
Derfe. Derfification, ſ. unter Poeſie: Hülfsmittel der Poeſie,
und vergl. Proſa.
Verſprechungen.
Auf die Verſprechungen der Menſchen iſt, weil ihre Geſinnung und
Betragen ſich eben ſo ſchnell ändert, wie ihr Intereſſe, nicht zu bauen,
fondern allein aus der Erwägung der Umſtände, in die Einer zu treten
bat, und des Conflictes derfelben mit feinem Charakter, haben wir fein
Handeln zu beredjinen. (P. I, 483.)
derſtand.
1) Function des Verſtandes.
Cauſalität erkennen iſt die einzige Function des Verſtandes, ſeine
alleinige Kraft, und es iſt eine große, Vieles umfaſſende, von mannigfaltiger
Anwendung, doch unverfennbarer Identität aller ihrer Aeußerungen.
(W. I, 13. ©. 52fg. E. 27. 149.) Die erfte, einfachfte und
twichtigfte ihrer Aeußerungen ift die Anfchauung der wirklichen Welt.
Die empirifchen, zum gefegmäßigen Complex der Realität gehörigen
Borftelungen erfcheinen in Raum und Zeit zugleich, und fogar ift eine
innige Bereinigung beider die Bedingung der Realität, welche aus
ihnen gewifjermaßen wie ein Product aus feinen Factoren erwächſt.
Was nn diefe Bereinigung fchafft ift der Verſtand, der, mittelſt
feiner, ihm efgenthilmlichen Function jene heterogenen Formen der
Sinnlichkeit verbindet, jo daß aus ihrer wechjeljeitigen Durchdringung,
wiewohl eben auch nur für ihn felbft, die empirifche Realität
hervorgeht, ald eine Geſammtvorſtellung. (G. 29 fg.)
2) Identität des Weſens des Berftandes bei Ver—
fhiedenheit der Örade deffelben.
Der Berftand ift in allen Thieren und allen Menjchen der nämliche,
hat überall diefelbe einfahe Form: Erkenntniß der Caufalität, Ueber⸗
gang von Wirfung anf Urſache und von Urfache auf Wirkung, und
nichts außerdem. Uber die Grade feiner Schärfe und die Ausdehnung
feiner Erkenntnißſphäre find höchſt verfchieden, mannigfaltig und viel-
fady abgeſtuft. (W. I, 24 fg. N. 74.) Wie bei den Menfchen
die Grade der Schärfe des Verſtandes fehr verfchieden find, fo find
fie zwifchen den verſchiedenen Thiergattungen e8 wohl noch mehr. An
den allerflügften Thieren können wir ziemlich genau abmefjen, wie viel
der Berftand ohne Beihillfe ber Vernunft vermag; an uns felbft können
wir Diefes nicht jo erkennen, weil Verſtand und Vernunft fich da
442 Berfland
immer wechfelfeitig unterftügen. Wir müſſen indeffen bei Beurtheilung
bes Berftandes der Thiere ums Bitten, nicht ihm zuzuſchreiben, was
Aeußerung des Inſtincts iſt. (W. I, 27 fg.)
3) Warum die Senjibilität überall von Berftand be» '
gleitet if. (S. Senfibilität.)
4) Unabhängigkeit bes Berftandes von der Bernunft.
Alle Thiere Haben Verſtand, felbft die unvollfommenften; denn fie
alle erkennen Objecte, und diefe Erkenntniß beflimmt ale Motiv ihre
Bewegungen. (W. I, 24.) Sie haben Berftand, ohne Bermunft zu
haben; fie apprehendiren richtig, faflen aud) den unmittelbaren Cauſel⸗
zufammenhang auf, die oberen Thiere jelbft durch mehrere Glieder
feiner Kette; jedoch denken fie eigentlich nit. (W. II, 62. E. 34.
E. 17 fg. — Bergl. Thier.)
Der Berftand ift von der Vernunft, als einem beim Menſchen allen
hinzugelommenen Erkenntnigvermögen, völlig und fcharf gefchieden, und
allerdings an ſich aud im Menſchen unvernünftig. “Die }
fann immer nur wiffen; dem Berftand allein und frei von ihrem
Einfluß bleibt das Anſchauen. (W. I, 29 fg.) Das dur VBermnft
richtig Erkannte ift Wahrheit, das durch den Verſtand richtig Er⸗
fannte ift Realität. Der Wahrheit fteht der Irrthum als Ziuug
ber Bernunft, der Realität der Schein als Trug be Berftandes
gegenüber. Wegen diefer gänzlichen Verſchiedenheit der Operation ber
Bernunft und ber bes Berftandes find alle täufchenden Scheine durch
fein Raifonnement der Vernunft wegzubringen. (W. I, 28 fg. F. 15 jg.
Bergl. Irrthum.)
5) Gegen den Mißbraud des Wortes „Verſtand“.
Jederzeit und überall hat man als Berftand, intellectus, acumen.
perspicacia, sagacitas u. |. w. das im Erkennen der Caufalıtät be-
ftehende unmittelbare, intuitive Vermögen bezeichnet nnd die aus ihm
entfpringenden, von den vernünftigen ſpecifiſch verfchiedenen Leiftungen
verftändig, Hug, fein u. f. w. genannt, demnach verftändig und ver-
nünftig ſtets vollkommen unterfchieden als Aeußerungen zweier gänzlich
und weit verfchiedener Geiftesfähigfeiten. Allein die PBhilofophie-
preofefforen haben fich Hieran nicht gelehrt; fie haben es gerathen
gefunden, dem Vermögen der Begriffe feinen bisherigen Namen „Ber
nunft” zu entzichen und es wiber allen Sprachgebrauch umb allın
gefunden Tact Berftand, und ebenfo alles aus demfelben Fließende
verftändig, ftatt vernünftig, zu nemen, welches dann allemal
quer und ungeſchickt, ja wie ein falfcher Ton herausfonmen mußte
(8. 111. 40. ®. II, 73.)
Es ift nicht zufällig, daß die Vernunft ſowohl in den Lateinifchen,
wie in den germanifchen Sprachen als weiblich auftritt, der Berfland
hingegen als männlid. (G. 116. Bergl. Bernunft.)
Verſtändlichkeit — Berftänbniß 443
6) Das Gefiht als der Sinn des Berftandes. (©. un-
ter Sinne: Gegenfaß zwifchen Geſicht und Gehör.)
7) Verhältniß des VBerftandes zur Materie. (S. unter
Materie: Die reine Materie und ihre apriorifchen Be—
ftunmungen.)
h
8) Die Berftandeserfenntniß, ihre Mängel und ihre
Vorzüge (S. Anfhauung.)
9) Weberlegendeit und Schärfe des Berftandes. (©.
Klugpeit.)
10) Mangel an Berftand. (©. Dummheit.)
11) Gegenſatz zwifchen dbem Gelehrten und dem Mann
von natürlihem Berftand. (S. Selehrfamtleit.)
12) Der fogenannte gefunde Berftand.
Der fogenannte gefunde, d. 5. rohe Berftand, ift in philofophifchen
Fragen nicht nur incompetent, jondern hat fogar einen entfchiedenen
Hang zum Irrthum, von welchem ihn zuriidzubringen es der “Philo-
fophie bedarf.” An ihn darf daher in 2 Philofophie nicht appellirt
werben. (P. I, 28. W. I, 17. E. 92.
13) Die Quantität des Brandes
Der Berftand ift feine extenfive, fondern eine intenfive Größe; da⸗
her kann hierin Einer es getroft gegen Zehntaufend aufnehmen, und
giebt eine Verſammlung von taufend Dummlöpfen nocd feinen ges
fcheuten Dann. (P. I, 66.)
Derfländlichkeit.
Alles Berftehen ift ein Act des Vorftellens, bleibt daher wefent-
lich auf dem Gebiete der Borftellung. Da nun dieſe nur Erfcei-
nungen liefert, ift es auf die Erfcheinung beſchränkt. Wo das Ding
an ſich anfängt, hört die Erfcheinung auf, folglich aud) die Vor-
ftellung und mit diefer das Berftehen. — Je deutlicher die Verfländ-
lichkeit eines PVorganges, oder Berhältniffes ift, defto mehr Liegt dieſes
in der bloßen Erjcheinung und betrifft nicht das Weſen an fi. (P.
II, 99 fg. N. 86— 90. Bergl. unter Natur: Die Berftändlichkeit
der Noturerfcheinungen.)
Derftändnif.
Blos abftracte Begriffe von einer Sache geben fein wirkliches Ver⸗
ftändniß derfelben. Um etwas wirklich und wahrhaft zu verftehen, ift
erforderlich), daß man e8 anſchaulich erfafle, ein deutliches Bild da⸗
von empfange, wo möglich aus ber Realität felbft, außerdem aber
mittelft der Phantaſie. (PB. II, 50 fg.)
——— _ — — __ — —
444 Berſteinerung — Berzweiflung
Derfieinerung.
1) Was eine volllommene Berfteinerung ifl. -
Eine volllommene Berfteinerung ift eine totale chemiſche Veränderung,
ohne alle mechaniſche. (PB. HI, 160.)
2) Die Verfteinerungen als Beweismittel gegen den
Optimismus. (©. Optimismus.)
verſtellung, |. unter Menſch: Unterfcieb zwifchen Thier und Menſch.
dertragsbruch, f. unter Rüge: Vertragsbruch, Betrug und Berrath.
Dertrauen.
1) Was an unferm Vertrauen oft den größten Antheil
bat.
An unferm Zutrauen zu Anderen haben fehr oft Trägheit, Selbf-
ſucht und Eitelleit den größten Antheil: Trägheit, wenn wir, um nid
felbft zu unterfuchen, zu wachen, zu thun, lieber einem Andern
trauem; Selbſtſucht, wenn das Bedürfniß von unfern Angelegenheiten
zu reben uns verleitet, ihm etwas anzuvertrauen; Citelfeit, wenn es
zu Dem gehört, worauf wir uns etwas zu Gute thun. Nichtsdeſto
weniger verlangen wir, daß man unfer Zutrauen ehre. (P. I, 491.)
2) Warum dem intereffirten Rathgeber kein Ber-
trauen gefchenkt wird. (S. Rath, Rathgeber.)
Derwunderung.
1) Die Berwunderung als ein unterfcheidendes Merk:
mal des Menfhen vom Thiere. (S. ıntr Menid:
Unterfchied zwifchen Thier und Menſch.)
2) Die Berwunberung als Quelle der Bhilofophie
(S. unter Bhilofophie: Urfprung der Philofophie.)
Derzweiflung.
1) Der Zuftend der Verzweiflung.
Wen die Hoffnung, den bat auch die Furcht verlaffen; dies ift der
Sinn des Ausdruds „desperat”. Es ift nämlid dem Menfchen natür-
ih, zu glauben, was er wünſcht, und e8 zu glauben, weil er ee
wünſcht. Wenn nun diefe wohlthätige, lindernde Eigenthümlichkeit
feiner Natur durch wiederholte, fehr harte Schläge des Schickſals aus-
gerottet und er fogar, umgelehrt, dahin gebracht worden ift, zu glau⸗
ben, es müfle gefchehen, was er nicht wünſcht, und könne nimmer ge
fchehen, was er wünfcht, eben weil er es wünſcht; fo ift dies eigentlich
der Zufland, den man Berzweiflung genannt hat. (P. I, 622.)
Bibration — Bollsfouderänetät 445
2) Barum der böfe Charakter leicht in Berzweiflung
geräth. (S. Undank.)
Dibration, j. unter Dualität: Die Zurüdführung aller Qualität
auf Quantität, und unter Licht: Unzuläffigfeit mechaniſcher Er-
Märungsweife der Eigenſchaften des Lichts.)
Dielheit.
1) Bedingtheit der Vielheit durch Zeit und Raum.
(S. unter Individuation: Princip der Individuation.)
2) Warum Vielheit Feine Eigenfhaft bes Dinges an
ſich iſt.
Da die Vielheit nothwendig durch Zeit und Raum bedingt und nur
in ihnen denkbar iſt, Zeit und Raum aber aprioriſche Erkenntnißformen
find und als folche nur der Erkennbarkeit der Dinge, nicht ihnen felbit
zufommen, fo ift Bielheit feine Eigenfchaft des Dinges an fih. (W.
I, 151—153; II, 366 — 368.)
3) Gegenfeitige Bedingtheit der Erfenntniß und ber
Bielpeit durch einander.
Erkenntniß und Vielheit, oder Individuation, ftehen und fallen mit
einander, indem fie fich gegenfeitig bedingen. (W. II, 310 fg.)
Dielweiberei, f. unter Ehe: Ehegeſetze.
Difion, |. unter Traum: Unterfchied zwifchen dem Traum und ben
ihm verwandten Erfcheinungen.
Dolk, da8 gemeine, ſ. Böbel.
Völker.
1) Segen die pantheiftifche Auffaffung der Völker als
des eigentlihen Gegenſtandes ber Gefhidte und
der Moral. (S. unter Geſchichte: Philoſophie ber Ge⸗
Ihidhte, und unter Moral: Gegenftand der Moral.)
2) Segenjag zwifhen den nördlichen und füdliden
Böllern. (©. Nationen.)
3) Cultur und moralifhe Güte der Völker. (©. Na»
tionen.)
4) Charakteriftif einzelner Völker. (©. Deutfde,
Engländer, Sranzofen, Italiener, Amerilaner.)
Dölkerrecht, ſ. Recht.
Dolksfouveränetät. -
Die Trage nah ber Souverünetät des Volkes läuft im runde
darauf hinaus, ob irgend Jemand urfprünglich das Hecht haben Fünne,
446 Bolllommenheit — Borberfehen
- ein Bolt wider feinen Willen zu beherrſchen. Wie fich dad vernin⸗
tigerweife behaupten laffe, ift nicht abzufehen. Allerdings ift das Ball
fouverän, jedoch ift e8 ein ewig unmiündiger Souverän, welder daher
unter bleibender Vormundſchaft ftehen muß und nie feine Rechte ſelbſ
verwalten kann, ohne gränzenlofe Gefahren herbeizuführen; zumal e,
wie alle Unmündigen, gar leicht das Spiel hinterliftiger Gauner wirt,
welche deshalb Demagogen heißen. (PB. II, 264.)
Bollkommenpeit.
Der Begriff der Vollkommenheit ift an und für fid) ganz leer md
inhaltslos, da er eine bloße Relation bezeichnet, die erft von den
Dingen, auf melde fie angewandt wird, Bedeutung erhält, indem
„vollkommen fein‘ nichts weiter heißt, als „irgend einem dabei voran
gejeten und gegebenen Begriff entfprechen”, der alfo vorher anfgeftellt
fein muß, und ohne weldyen die Bolllommenheit eine unbenannte Zeil
ift und folglich aBein ausgeſprochen gar nichts fagt. (W. I, 50218.)
Doreiligkeit.
Bon der Unermitblichfeit des Willens (vergl. unter Intellect: Se
cundäre Natur des Intellects) zeugt der Fehler, welcher mehr oder
weniger wohl. allen Menſchen von Natur eigen ift und nur durqh
Bildung bezwungen wird: die Voreiligkeit. Sie befleht darin, daß
der Wille vor der Zeit an fein Geſchäft eilt und zu raſthen Work
oder Thaten treibt, ehe der Intellect mit feinem Geſchäft des Auf⸗
faſſens der Umftände, Weberlegens ihres Zufammenhanges und Be
fchließens des Rathſamen auch nur halb Hat zu Ende kommen Fünmen.
(®. II, 237 fg.) y
Dorgefühl.
An die theorematifchen fatidifen Träume, die der höchſte umd It
tenfte Grad des Vorherſehens im natitrlihen Schlafe find, und die
allegorifchen, bie der zweite, geringere find (vergl unter Traum: Ti
prophetifchen Träume), fchließt fich als der legte und ſchwächſte Aut
fluß derfelben Duelle die bloße Ahndung, das Vorgefühl. Daſſelbe
ift öfter trauriger, als heiterer Art, weil eben des Trübſals im Yeben
mehr ift, ald der Freunde. Eine finftere Stimmung, eime ängftlicde
Erwartung des Kommenden bat ſich nad) dem Schlafe unjerer bemäch⸗
tigt, ohne daß eine Urſache dazu vorläge. Dies ift daraus za a:
Hären, daß das Ueberſetzen des im tiefiten Schlafe dagemefenen theo⸗
rematifchen, wahren, Unheil verkündenden Traumes im einen allegorifhen
des leichteren Schlafes nicht gelungen und daher von jenem midts
im Bewußtfein zurücgeblieben ift, als fein Eindrud auf des Gemüth
Diefer Eindruf Mingt nun nad) als weiſſagendes Borgefühl, als hr
ftere Ahndung. (P. I, 273 fg.)
Dorherfehen, des Zufünftigen, |. Zukunft.
Vorſehung — Borftellung 447
Dorfehung.
1) Unterfchied zwifchen Borfehung und Fatalismus.
(S. Fatum, Satalismus.) |
2) Die fpecielle Borfehung (S. unter Schidfal: Die
anfcheinende Abfichtlichkeit im Schidfale des Einzelnen.)
Vorſicht, |. Nachſicht.
Dorftellung.
1) Was Borftellung ift.
Was ift Borftellung? — Ein jehr complicirter phyſiologiſcher
Borgang im Gehirne eines Thiered, defjen Reſultat das Bewußtfein
eines Bildes eben dafelbft if. (W. II, 214. — Ueber das Gehirn
als den Ort der Borftellungen f. Gehirn.)
2) Die gemeinfame Form aller Klaſſen von Bor-
ftellungen. |
Das Zerfallen in Object und Subject ift die gemeinfame Form
aller Klaſſen von Borftellungen, ift diejenige Form, unter welcher ‚allein
irgend eine Borftellimg, welcher Art fie auch fei, abftract oder intuitiv,
rein oder empirifch, nur überhaupt möglich und denkbar if. (MW.
I, 3.)
3) Die Grundform der nothwendigen Berbindung aller
unferer Borftellungen. (©. unter Grund: Die vier-
face Wurzel de8 Satzes vom zureichenden Grunde und ihr
gemeinfchaftlicher Urjprung.)
4) Identität des Objects mit ber Borftellung (©.
Object.)
5) Hauptunterfhied zwifchen allen unfern Vor—
ftellungen.
Der Hauptunterfchied zwiſchen allen unfern Borftellungen ift der
des Intuitiven und Abftracten. Letzteres macht nur eine Klaſſe von
Borftelungen aus, die Begriffe. Die intuitive Vorftellung Bingegen
befaßt die ganze fichtbare Welt, oder die gefammte Erfahrung, nebft
den Bedingungen der Möglichkeit derfelben (Zeit, Raum und Caufali-
tät), (W. I, 7. — Vergl. Anfhauung und Begriff.)
6) Eintheilung der Borftellungen. (S. unter Object:
Eintheilung ber Objecte.)
7) Die fubjectiven Eorrelate der verfchiedenen Klaffen
der Borftellungen.
Wie das Object überhaupt nur fiir das Subject da ift, als deſſen
Vorſtellung; fo ift jede befondere Klaſſe von Vorſtelluugen nur für
448 Vorurtheil — Bulgarität
eine ebenſo beſondere Beſtimmung im Subject da, die man ein Er—
fenntnißvermögen nennt. Das fubjective Correlat von Zeit und Raum
für fich, al& leere Formen, ift die von Kant fo genannte reine Sinn-
fichleit. Das fubjective Correlat der Materie oder Saufalitüt, welche
beide Eins find, ift der Berftand. (Bergl. Materie und Berftand.i
Das fuhjective Correlat des Begriffs ift die Vernunft. (Bergl Be:
griff und Vernunft.) (®. I, 13. ©. 141fg.) Ueber das jab-
jective Correlat ber Idee, das reine Subject des Erfenmens, f. unter
Idee: Die Erkenntniß der Ideen.)
8) Verhältniß der Borftellung zum Realen. (©. Ideal
und Idealismus.)
9) Die Welt ale Borftellung (S. Welt.)
Dorurtheil.
1) Herrfhaft des Vorurtheils in ben gewöhnlider
Köpfen (S. unter Urtheilskraft: Seltengeit der Ur:
theilstraft.)
2) Das Borurtheil als ein Hauptbhindernig der Auf—
findung ber Wahrheit.
Was der Auffindung der Wahrheit am meiften entgegenftcht, if
nicht der aus den Dingen bervorgehende und zum Irrthum verleitende
falſche Schein, noch aud unmittelbar die Schwäche bed BBerftandet;
fondern es ift die vorgefaßte Meinung, das Borurtheil, welches als
ein After-a priori der Wahrheit ſich entgegenftelt. (P. U, 15.)
Dulgarität.
Der Ausdrud von Bulgarität, welcher den allermeiften Gefichten
aufgedrüdt ift, befteht eigentlich darin, daß die firenge Unterordnung
ihres Erfennens unter ihr Wollen und die darans folgende Unmöglid-
feit, die Dinge anders als in Beziehung auf den Willen und fein
Zwece aufzufaſſen, darin ſichtbar iſt. Hingegen liegt der Ausbrud
des Genies darin, daß man das Losgeſprochenſein des Intellects vom
Dienſte des Willens, das Vorherrſchen des Erkennens über das Wollen,
deutlich darauf üefi (W. OD, 433. P. I, 356; U, 73.)
Wachsfiguren — Wahl. Wahlenticheidung 449
W.
Wachsſiguren, ſ. unter Kunſtwerk: Warum das Kunſtwerk nicht
Alles den Sinnen geben darf.
Wägen.
Es giebt zwei Arten des Wügens: nämlich entweder ertheilt man
den beiden zu vergleichenden Maſſen gleiche Gefchwindigfeit, um zu
erjehen, welche von beiben der andern jegt noch Bewegung mittheilt,
alfo felbft ein größeres Quantum derfelben hat, welches, da die Ge-
ihwindigleit auf beiden Seiten glei ift, dem andern Factor der
Größe der Bewegung, alſo der Maſſe, zuzufchreiben ift (Hand⸗
wage); oder aber man wägt dadurch, daß man unterfucht, wie viel
Geſchwindigkeit die eine Maſſe mehr erhalten muß, als bie andere
bat, um diefer an Größe der Bewegung gleich zu fommen, mithin
fih feine mehr von ihr mittheilen zu laflen; da dann in dem
Berhältniß , wie ihre Geſchwindigkeit die der andern “übertreffen
muß, ihre Maſſe, d. i. die Quantität ihrer Materie, geringer ift, ala
die der anderen (Schnellwage). (W. II, 60.)
Wahl. Wahlentfcheidung.
1) Borzug des Menfhen vor dem Thiere in Hinficht
auf die Sphäre der Wahl.
Die Motive, durch die der Wille der Thiere bewegt wird, milſſen,
weil den Thieren Bernunft, das Vermögen nichtanfchaulicher, ab-
ftracter Vorſtellungen (Begriffe) abgeht, alle Mal anſchaulich und
gegenwärtig fein. Hiervon aber ift die Folge, daß ihnen Hußerft wenig
Wahl geftattet ift, nämlich blos zwifchen dem ihrem bejchränkten
Geſichtskreiſe anfchaulic; Vorliegenden. Der Menſch Hingegen hat
vermöge feiner Fähigkeit nichtanfchaulicher Vorftellumgen einen un-
endlich weiteren Geſichtskreis, welcher das Abwefende, Vergangene, Zu-
künftige begreift; dadurch hat er eine viel größere Sphäre der Ein-
wirtung von Motiven und folglich auch der Wahl, ald das auf die
Gegenwart befchräntte Thier. (E. 34 fg. ©. 97. W. I, 355. —
Berg. auch unter Menſch: Unterfchied zwifchen Thier und Menſch.)
2) Die Wahlentfcheidung ift nicht als Freiheit des
einzelnen Wollend anzufeben.
Die Wahlentfcheidung, die ber Menſch vermöge ber Vernunft vor
dem Thiere voraus hat, macht ihn nur zum Kampfplatz des Conflicts
der Motive, entzieht ihn aber nicht ihrer Herrfchaft und ift daher
Scopenhauers2eriton. IT. 29
450 | Bahn — Wahnſiun
feineswegs als Freiheit des einzelnen Wollens, d. h. Unabhängiglen
vom Gefeße der Cauſalität anzufehen, deſſen Nothwendigfeit fidy über
den Denfchen, wie über jede andere Erfcheinung erfiredt. (W. I, 355.
Bergl. unter Freiheit: Kritik der Inbifferenz des Willens.)
3) Bortheil des anfhanlichen über das abfiracte Mo-
tiv bei der Wahlentfcheibung.
Wenn bei einer Wahlentfcheidung ein Conflict zwifchen einem am-
fhaulihen und einem abftracten Motiv eintritt, fo iſt erftere® durch
feine Form (Anſchaulichkeit) gar ſehr im Bortheil, dem dem Willen
ift die anfchauliche Erkenntniß urfprünglicher beigegeben, al® das Ten-
fen, und das Angefchaute wirkt energifcher, als das blos Gedachte
Wenn jedoch aus diefem Grunde ein anfchaulihes Motiv über das
abftracte fliegt, fo ift, was fo geſchieht, Wirkung des Affects unb
giebt daher fein vollgültiges Zeugniß über die Beichaffenheit des Che-
raftere. (9. 392 fg. Vergl. unter Affect: Warum der Affect die
Zurehnung vermindert.)
Wahn, firer, |. Wahnfinn.
Wahnglaube, ſ. Aberglaube.
Wahnfinn.
1) Weſen des Wahnſinns.
Weder Vernunft, noch Verftand Tann den Wahnſinnigen abgefprocen
werden; denn fie reden und vernehmen, fie fchließen oft fehr richtig,
auch ſchauen fie in der Regel das Gegenwärtige ganz richtig an und
fehen den Zuſammenhang zwifchen Urſache und Wirkung ein. Bifionen,
gleich Fieberphantaſien, find fein gemwöhnliches Symptom des Wahn-
ſinns; das Delirium verfülicht die Anſchauung, der Wahnſinn die
Gedanken. Meiſtens nämlich irren die Wahnfinnigen durchaus wicht
in der Kenntniß des unmittelbar Gegenwärtigen, fondern ihr Irre
reden bezieht fi) immer auf das Abwefende und Vergangene, md
nur dadurch auf deflen Verbindung mit dem Oegenwärtigen. Daher
nun ſcheint ihre Krankheit befonders das Gedächtnif zu treffen, in⸗
dem ber Faden des Gebächtuiffes zerriffen, der fortlaufende Zufammen-
bang befielben aufgehoben iſt. Einzelne Scenen der Bergangenpeit
ftehen richtig da; aber in ihrer Rüderinnerung find Lücken, welche fie
dann mit Fictionen ausfüllen, bie entweder, ftetS die felben, zu firen
Ideen werben (firer Wahn, Melandyolie), oder jedesmal andere find,
augenblickliche Einfälle (Narrheit, fatuitas), Erreicht der Wahn
einen hohen Grad, fo entfteht völlige Gebädjtnißlofigkeit. (WW. I, 28.
226 fg.; UI, 454 fg.)
2) Aehnlichkeit des Traumes mit dem Wahnfinn. (S.
Traum.)
Wahnſinn 451
3) Kriterium zwiſchen Geiſtſesgeſundheit und Ver—
rücktheit.
Die eigentliche Geſundheit des Geiſtes beſteht in der volllommenen
Rückerinnerung. Das Gedächtniß eines Geſunden gewährt über einen
Vorgang, deſſen Zenge er geweſen, eine Gewißheit, welche als eben ſo
feſt und ſicher angeſehen wird, wie ſeine gegenwärtige Wahrnehmung
einer Sache; daher derſelbe, wenn von ihm beſchworen, vor Gericht
dadurch feſtgeſtellt wird. Hingegen wird der bloße Verdacht des Wahn⸗
ſims die Ansſage eines Zeugen ſofort entkräften. Hier alſo liegt
das Si zwiſchen Geiftesgefundheit und Verrücktheit. (W. II,
454 19.) -
4) Berwandtihaft und Unterfchied zwifhen der Er-
fenntniß des Wahnfinnigen und der des Thieres.
Die Erkenntniß des Wahnfinnigen hat mit der des Thieres dies
gemein, daß beide auf das Gegenmwärtige befchränft find; aber mas fie
unterſcheidet ift diefes: das Thier hat eigentlich gar Feine Vorſtellung
von der Bergangenheit als ſolcher; der Wahnfinnige dagegen trägt in
feiner Vernunft auch immer eine Vergangenheit in abstracto herum,
aber eine faljche, deren Einfluß nun auch den Gebrauch der richtig
erfannten Gegenwart verhindert, den doch das Thier macht. (W. I,
227.) Wegen Mangels der Vernunft werden Tiere nicht wahnfinnig,
wiewohl die Tzleifchfrefler der Wuth, die Grasfrefier einer Art Raferei
ausgefegt find. (W. II, 75.)
5) Verwandtſchaft zwifchen Genialität und Wahnſinn.
(S. unter Genie: Die geniale Erkenntnißweiſe.)
6) Erflärung der Häufigkeit des Wahnfinns bei
Schaufpielern. (S. Scaufpieler.)
7) Urfprung bes Wahnfinne.
Daß heftiges geiſtiges Leiden, unerwartete entfegliche Begebenheiten
häufig Wahnfinn veranlaffen, ift fo zu erflüren: Jedes ſolches Leiden
ift immer als wirkliche Begebenheit auf die Gegenwart beſchränkt, alfo
nur vorübergehend und infofern nicht übermäßig ſchwer; überſchwäng⸗
lich groß wird es erft, fofern es bleibender Schmerz iſt; aber ale
folcher ift es wieder allein ein Gedanke und liegt daher im Gedädt-
niß. Wird nun ein folder Kummer, ein ſolches fchmerzliches An-
denen fo qualvoll, daß es ſchlechterdings unerträglich fällt, dann greift
die geängftigte Natur zum Wahnfinn als zum legten Rettungsmittel
des Lebens. (W. I, 227 fg.) Im dem Widerftreben des Willens, das
ihm Widrige in die Beleuchtung des Intellects kommen zu laſſen, liegt
die Stelle, an welcher der Wahnſinn auf den Geift einbrechen Tann.
Man kann alfo den Urfprung des Wahnfinns anfehen als ein gemwalt-
james „Sid; aus dem Sinn fchlagen irgend einer Sache, welches
jeboc nur möglich ift mittelft des „Sich in den Kopf ſetzen“ einer
29*
452 Wahrhaftigkeit
andern. Seltener findet der umgefehrte Hergang flat. (B. I,
455 — 457.) °
Defter jedoch, als den angegebenen pfychifchen, hat der Wahnſim eine
rein jomatifchen Urfprung, beruft auf Mißbildungen, oder partielen
Desorganifationen des Gehirns, oder auf dem Einfluß, dem ander
frankhaft afficirte Theile auf da8 Gehirn haben. Jedoch werden beik
Urfahen des Wahnſinns meiftens von einander participiren, zumal die
piychifchen von ber fomatifchen. (W. II, 457 fg.)
8) Ein Analogon des Ueberganges vom Schmer; jun
Wahnſinn.
Ein ſchwaches Analogon des Uebergangs vom qualvollen Schmen
zum Wahnſinn ift dieſes, daß wir Alle oft ein peinigendes Andenken,
das uns plöglich einfällt, wie mechanisch, durch eine Laute Wenferumg
oder Bewegung zu verfchenchen, uns felbft davon abzulenken, mit &-
walt uns zu zerftreuen fuchen. (W. I, 228.)
9) Die Raferei.
Der Zuftand der Raferei ohne Verrücktheit (mania sine delirio) ff
daraus zu erklären, daß bier der Wille ſich der Herrfchaft und Leitung
des Intellects und mithin der Motive periodifch ganz entzieht, weine
er dann als blinde, ungeſtüme, zerftörende Naturkraft auftrit sm)
demnach ſich äußert als die Sudht, Alles, was ihm in den 24
fonınıt, zu vernichten. Jedoch wird blos die Vernunft, ale de
veflective Erkenntniß, von jener Suspenfton getroffen, nicht aud de
intuitive; vielmehr nimmt der Raſende die Objecte wahr, da m uf
fie losbricht. Aber er ift ohne alle Leitung durch die Vermuft. (.
II, 458.)
10) Aufhebung der intellectuellen Freiheit durd den
Wahnſinn und Unftrafbarkeit des Wahnfinniger
Die intellectuelle Freiheit ift dur den Wahnfinn aufgehoben. (©.
unter Freiheit: Die intelectuelle Freiheit.) Die im Wahnfinn be—
gangenen Berbredyen find daher auch nicht gefeglich ftrafbar. (E. 9.
Es frägt fih: Wenn ein Definquent nad der Unterfuchung wahn
finnig wird, ift er dann für den Mord, den er im gefunden Zuſtande
begangen Hat, binzurichten? — Gewiß nidt. (9. 377.)
11) Ob die Wahnfinnigen unglüdlid find.
Es gehört zu ben von Unzähligen nachgefprocdyenen Srrthihnern, Mi
die Wahnfinnigen überans unglüdlich feien. (P. II, 64.)
Wahrhaftigkeit.
1) Die bem Menſchen natürlihe Neigung zur Bahr
heit.
Es Tiegt in jedem Menfchen auch eine Neigung zur Wahrheit, ir
bei jeder Lilge erft überwältigt werden muß. (W. I, 292.)
Wahrheit 453
2) Warum Wahrbaftigfeit befonbers gelobt und ge-
ſchätzt wird.
Die Quelle der Lüge ift Ungerechtigkeit, Uebelwollen, Bosheit.
(Bergl. Lüge) Daher nun kommt es, daß Wahrhaftigfeit, Aufrid-
tigkeit, Offenheit, Gerabheit unmittelbar als lobenswerthe und edle
Semüthseigenfchaften erfannt und gefchätt werben, weil wir voraus-
fegen, daß derjenige, welcher diefe Eigenfchaften offenbart, feine Un-
gerechtigkeit, keine Bosheit der Gefinnung hege und eben daher feiner
Berftellung bedarf. (5. 402.)
Wahrheit.
1) Gebiet ber Wahrheit und Bedeutung bes Prädicats
„wahr” (S. unter Grund: Sag vom Grunde des Er—⸗
kennens.)
2) Die vier Arten der Wahrheit. (Dafelbft.)
3) Unterſchied zwifhen Realität und Wahrheit. (©.
Irrthum.)
4) Gegenſatz zwiſchen Wahrheit und Irrthum. (©.
Irrthum.)
5) Unterfchied zwiſchen Denkbarkeit und Wahrheit.
(S. unter Urtheil: Unterfchied zwifchen Denkbarkeit und
Wahrheit der Urtheile.) |
6) Unterfhied zwifhen „rihtig”, „wahr“, „real“,
„evident“. (S. Evidenz.)
7) Verhältniß des Beweiſes zur Wahrheit. (S. Be⸗
weis.)
8) Vorzug der unmittelbar begründeten Wahrheit vor
der durch Beweis begründeten. (S. Beweis und
Gewißheit.)
9) Verhältniß der allgemeinen zu den ſpeciellen Wahr-
heiten.
Jede allgemeine Wahrheit verhält ſich zu bei fpeciellen, wie Gold
zu Silber, fofern man fie in eine beträchtliche Menge fpecieller Wahr-
beiten, die aus ihr folgen, umfegen fann, wie eine Goldmünze in
Meines Geld. Hierauf beruht der Werth der allgemeinen Wahrheiten im
Phyfitalifchen, wie im Moralifhen und Pſychologiſchen. (PB. II, 22.)
10) Unterfhied zwiſchen einfeitiger und allfeitiger
Wahrheit.
Keine aus objectiver, anjchauender Auffaffung der Dinge entjprungene
und folgerecht durchgeführte Anficht kann durchaus falfch fein, fondern
fie ift im fchlimmften Fall nur einfeitig. Jede folhe Auffaſſung ift
nänlid) nur von einem beftimmten Standpunkte aus wahr. Erhebt
man fid) aber über den Standpunkt, fo erfennt man bie Relativität
454 Wahrheit
ihrer Wahrheit, d. h. ihre Einfeitigkeit. Nur der höchſte, Alles übe:
fehende und in Rechnung dringende Standpunkt Tann abjolute Vahr
beit liefern. (PB. II, 13 fg.)
11) Uebereinftimmung der Wahrheit mit fi und wit
der Natur und Zufammenhang aller Wahrheiten.
Nur die Wahrheit kann durchgängig mit fi und mit ber Natır
übereinftimmen; Hingegen ftreiten alle falfhen Grumdanfichten imerlic
mit ſich felbft und nad) Außen mit der Erfahrung, welche bei jedem
Schritte ihren ftillen Proteft einlegt. (E. 258.) Eine Wahrheit kam
nie die andere umftoßen, fondern alle müffen zuletst in Uebereiftinuuung
fein, weil im Anfchaulichen, ihrer gemeinfamen Grundlage, kein Wider
ſpruch möglich ift. Daher bat Feine Wahrheit die andere zu fürdten.
Trug und Irrthum hingegen haben jede Wahrheit zu fürchten. ®.
U, 114.) |
Die Wahrheiten hängen alle zufammen, forbern fich, ergänzen fid,
während der Irrthum an allen Eden auftößt. (P. II, 253; I, 136.
12) Emige Wahrheiten. (S. Dogmatismns umd Kri—
ticismus.)
13) Gegenſatz zwiſchen phyſikaliſchen und moralifde
Wahrheiten. (S. unter Moral: Wichtigkeit der more
liſchen Unterfuchungen.) |
14) Haupthinderniffe der Erfenntniß und Anerkennung
der Wahrheit.
Das ift der Fluch diefer Welt der Noth umd des Bediürfniffes, def
diefen Alles dienen und fröhnen muß; daher eben ift fie nicht le
beichaffen, daß in ihr irgend ein edles und erhabenes Streben, wit
das nad) Licht und Wahrheit ift, ungehindert gedeihen und feiner jet
wegen da fein dürfte. Sondern felbft wenn ein Mal ein ſolches fh
bat geltend machen können und dadurch der Begriff davon eingeführt
ift; fo werden alsbald die matericllen Intereſſen, die perfönlihen
Zwede, aud; feiner fih bemächtigen, um ihr Werkzeug oder ihre Makle
daraus zu machen. (W. I, Vorrede XVII.) |
Ein Haupthindernig det Wahrheit ift auh das Borurtheil |
(Bergl. Borurtheil.) |
Es ift ganz natürlich, daß wir uns gegen jede neue, unfer bißherigee
Syſtem umftopende Wahrheit abwehrend und verneinend verhalten. Em
ung von Irrthümern zurüdbringende Wahrheit iſt einer Arzmi m
vergleichen, fowohl durch ihren bitteren und widerlichen Gefchmad, alt
auch dadurch, dag fie nicht im Augenblid des Einnehmens, fondern
erft nach einiger Zeit ihre Wirkung äußert. (B. II, 63.)
15) Yangfame Verbreitung ber Wahrheit. (©. une
Reifen: Eine befondere Beobachtung, die man auf Reiſen
maden kann.)
Wahrheit 455
16) Die Gewalt der Wahrheit.
Die Gewalt der Wahrheit iſt unglaublich groß und von unſäglicher
Ausdauer. Wir finden ihre häufigen Spuren wieder in allen, ſelbſt
den bizarrſten, ja abſurdeſten Dogmen verſchiedener Zeiten und Ränder,
zwar oft in fonderbarer Gefellfhaft, in wunderlicher Vermiſchung, aber
doch zu erkennen. (W. I, 163 fg.)
Wann eine neue und baher parabore Grundwahrheit in die Welt
fommt, fo wird man zwar allgemein, hartnädig und möglichft fange
fi) ihr wiberfegen. Inzwiſchen wirkt fie im Stillen fort und frißt,
wie eine Säure, um ſich, bis Alles unterminirt if. (P. II, 507. 511.
15. €. 111. ®. I, 286.)
Zwar fo lange, als die Wahrheit noch nicht daſteht, kann der Irr⸗
tum fein Spiel treiben, wie Eulen und Flebermäufe in der Nacht;
aber eher mag man erwarten, daß Eulen und Fledermäuſe die Sonne
zurüd in ben Often fcheuchen werden, als daß die erfannte und beut-
Ih und vollftändig ausgefprochene Wahrheit wieder durch den alten
Irrthum verdrängt werbe. Das ift die Kraft der Wahrheit, beren
Sieg ſchwer und mühfam, dafiir aber, wenn einmal errungen, ihr
nicht mehr zum entreißen ift. (W. I, 42. N. 8. Bergl. auch Irr-
lehre.)
17) Das Schickſal der Wahrheit.
Der Wahrheit iſt allezeit nur ein kurzes Siegesfeft beſchieden zwi⸗
ſchen den beiden langen Zeiträumen, wo fie als parador verdammt
und als trivial geringgefchägt wird. (W. I, Vorrede XV.)
(Ueber bie Paraborie der Wahrheit vergl. Paraborie.)
18) Unvereinbarfeit bes Strebens nad) Wahrheit mit
dem Berfolgen perfünliher Zwecke.
Die, deren Triebfeder perfönliche, amtliche, kirchliche, ftaatliche, Kurz
reale, nicht ideale Zwecke find, werben troß bes Scheines von Streben
nad) Wahrheit, den fie ſich geben, doch nimmer die Wahrheit fördern.
Denn die Wahrheit ift feine Hure, die fi) Denen an den Hals wirft,
welche ihrer nicht begehren; vielmehr ift fie eine fo fpröde Schöne, baf
felbft wer ihr Alles opfert noch nicht ihrer Gunft gewiß fein darf.
(8. I, Borrede XVIII.)
Wie follte der, welcher für fi, nebft Weib umd Kind, ein Aus-
kommen fucht, zugleich fi der Wahrheit weihen? der Wahrheit, bie
zu allen Zeiten ein gefährlicher Begleiter, ein unmwilllommener Gaſt
gewefen if, — die vermuthlich auch deshalb nackt dargeftellt wird,
weil fie nichts mitbringt, nichts auszutheilen bat, fondern nur ihrer
feloft wegen gefucht fein will. Zweien fo verfchiedenen Herren, wie der
Welt und der Wahrheit, läßt ſich nicht zugleich dienen. Das Unter-
nehmen führt zur Heuchelei. (P. I, 165.)
Wer mit der Wahrheit, mit diefer nadten Schönheit, diefer lodenden
Sirene, biefer Braut ohne Ausſteuer buhlt, der muß bem Glück ent-
456 Wahrträumen — Warten
fagen, ein Staats- und Katheder-Philofoph zu fein. Er wird, wem
er es hoch bringt, ein Dachlanımerphilofopg. Allein dagegen wird er,
ftatt eines PBublicums von erwerbäluftigen Brodftudenten, eines haben,
das aus den feltenen, auserlefenen, denlenden Weſen befteht. Und aus
der Ferne winkt eine dankbare Nachwelt. (N. 146.)
19) Der Genuß der Wahrheit.
Der größte Genuß ift ohne Zweifel die intuitive Erkenntniß der
Wahrheit. (M. 334.) Diejenigen müflen gar feine Ahndung bdaven
baben, wie fchön, wie liebenswerth die Wahrheit fei, welche Frende mm
Berfolgen ihrer Spur, welche Wonne in ihrem Genuffe liege, dir ſich
einbilden können, daß mer ihr Antlig gejchaut bat, fie verlaflen, ver
leugnen, fle verunftaften könnte, um bes Beifall, ober der Yemte,
ober des Geldes wegen. (N. 146.)
20) Borzug der durch eigenes Denken erworbenen
vor der blos erlernten Wahrheit.
Die blos erlernte Wahrheit Hebt uns nur an, wie ein angejegtel
Glied, ein falfcher Zahır, eine wächſerne Nafe, die durch eigenes De-
ten erworbene aber gleicht dem natürlichen Gliede; fie allein gehört
ung wirklich) an. Darauf beruht ber Unterfchieb zwifchen dem Denke
und dem bloßen Gelehrten. (P. IL, 529.)
21) Der ſchönſte Ausdrud der Wahrheit. (©. Kair,
Naivetät.)
22) Die Surrogate der Wahrheit.
Das Wahre kann auf die Ränge nur im feiner Lauterkeit befichen;
mit Irrthlimern verfeßt, wird es ihrer Hinfälligkeit theilhaft. Cs ſich
aljo ſchlimm um die Surrogate der Wahrheit. (®. II, 285.)
23) Die Zeit ala die Bundesgenoffin der Wahrheit
Wenn die Wahrheit aus dem Thatbeftande der Dinge fpricht, brand!
man nicht ihr mit Worten gleich zu Hülfe zu kommen; die Zeit wir
ihr zu taufend Zungen verhelfen. (B. II, 511. Vergl. auch water
Urtheil: Wirkung der Zeit auf Berichtigung des Urtheils.)
Wahrträumen, |. Traum.
Wandelbarkeit, der Dinge, |. Unbeftand.
Wärme, f: unter Licht: Verhältniß des Lichts zur Wurme.
Warten.
Nur theoretiſch, durch Vorherſehen ihrer Wirkung, foll man die
Zeit anticipiren, nicht praftifch, nämlich nidyt fo, daß man ihr
vorgreife, indem man bor der Zeit verlangt, was erft die Zeit bringen
fann. Denn dies bringt Verberben. Dean kann 3. B. durch ung:
löſchten Kalk und Hige einen Baum dermaßen treiben, daß er binnen
Barum — Weiber 457
wenigen Tagen Blätter, Blüthen und Früchte trägt; dann aber ftirbt
er ab. Opfer des Wuchers der Zeit werden Alle, die niht warten
fönnen. Den Gang der gemefjen ablaufenden Zeit befchleunigen zu
wollen, ift das Foftfpieligfte Unternehmen. (®. I, 501 fg.)
Warum, f. unter Grund: Wichtigkeit des Satzes vom zureichenden
Grunde.
Waſſer, ſ. unter Natur: Die äſthetiſche Wirkung der Natur.
Waſſerleitungskunſt.
Was die Baukunſt für die Idee der Schwere, wo dieſe mit der
Starrheit verbunden ericheint, leiftet (vergl. Architectur), daflelbe
Leiftet die jchöne Waſſerleitungskunſt für diefelbe Idee da, wo ihr bie
Titffigkeit,, leichteſte Verſchiebbarkeit, Durchſichtigkeit, beigefellt ift.
Schäumend und braufend über Felſen ftitrzende Waflerfälle, ſtill zer-
ftäubende Katarafte, als Hohe Waflerfüulen emporftrebende Spring-
brunnen und Mar fpiegelnde Seen offenbaren die Iheen der flüffigen
fhweren Materie gerabe fo, wie die Werke der Baukunſt die Ideen
der ftarren Materie entfalten. An der nüglihen Wafferleitungstunft
findet die ſchöne feine Stüge, da die Zwecke diefer ſich mit den ihrigen
in der Regel nicht vereinigen laflen, dahingegen bie ſchöne Banfunft
an den Forderungen der Nothwenbigleit und Nüglichkeit eine kräftige
Stüte hat. (W. I, 256 fg.)
Wechfel.
1) Wechſel der Materie beim Beharren der Form. (©.
unter Leben: Wefen des Lebens und Gegenjag des Leben-
den gegen das Leblofe.)
2) Wechfel der Dinge (©. Unbeftand.)
Wechfelbegriffe, ſ. unter Begriff: Begriffsſphären.
Wechfelwickung, ſ. unter Grund: Wechfelfeitigleit der Gründe;
vergl. aud) Perpetuum mobile.)
Weiber.
1) Gegen den Gebrauch des Wortes „Frau“ ſtatt
„Weib“.
Der immer allgemeiner werdende verkehrte Gebrauch des Wortes
Frauen ſtatt Weiber gehört zu jenem Sprachverderb, durch den die
Sprache verarmt; denn Frau heißt uxor und Weib mulier; die
deutſche Sprache hat, wie die lateiniſche, den Vorzug, für genus und
species (mulier und uxor), zwei entjprechende Wörter zu haben und
darf ihn nicht aufgeben. Die Weiber wollen nicht mehr Weiber heißen,
aus demfelben Grunde, aus welchem die Juden Israeliten und bie
Schneider Kleidermacher genannt werben wollen, u. f. w., weil nämlich
458 Beiber
dem Worte beigemeflen wird, was nicht ihm, fondern der So: a:
hängt. (9. 90 fg.)
2) Die Beftimmung bes Weibes.
Das Weib ift, wie fchon der Anblid feiner Geftalt lehrt, weder x
großen geiftigen, noch förperlichen Arbeiten beftimmt. Es trägt die
Schuld des ebene nicht durch Thun, fondern durch Leiden ab, durh
die Wehen der Geburt, die Sorgfalt für das Kind, die Unterwürigket
unter den Mann, dem es eine geduldige und aufheiternde Gefährtin
fein fol. Die Heftigften Leiden, Freuden und Sraftäufßerungen fa
ihm nicht befhieden; fondern fein Leben foll ftiller, uubebeutjame mi
gelinder dahinfließen, als das des Mannes, ohne weſentlich glüdlice,
oder unglüdlicher zu fein. (P. II, 649.)
Weil im Grunde die Weiber ganz allein zur Propagation des Kr
ſchlechts da find und ihre Beftimmung hierin aufgeht; fo leben f
durchweg mehr in der Gattung, al® in den Individuen, nehmen et u
ihren Herzen ernftlicher mit ben Angelegenheiten der Gattung, als mi
den individuellen. (P. II, 653 fg.)
Daß das Weib feiner Natur .nad zum Gehorchen beftimmt Ir,
giebt fi) daran zu erfennen, daß eine Jede, weldye im bie ihr natar-
widrige Rage gänzlicher Unabhängigkeit verſetzt wird, alsbald ſich irgen
einem Manne anſchließt, von dem fie ſich lenken und beherrſchen If,
weil fie eines Herrn bedarf. (PB. UI, 662.)
3) Die Ausflattung des Weibes von ber Natur.
Mit den Mädchen hat es die Natur auf das, was man im brans
turgifchen Sinne einen Knalleffect nennt, abgefehen, indem fie biefelbe
auf wenige Jahre mit überreichlicher Schönheit, Reiz und Fülle un
ftattete, auf Koften ihrer ganzen übrigen Lebenszeit, damit fie nänlıd
während jener Jahre auf die Männer den Zauber üben, ber fie fi
reißt, die Sorge für fie auf Zeit Lebens zu übernehmen. Sonad ki
die Natur das Weib, eben wie jedes andere ihrer Gefchöpfe, mit da
Waffen und Werkzeugen ausgerüftet, deren es zur Sicherung fen
Dafeins bedarf, und auf die Zeit, da es ihrer bedarf, wobei fie dem
aud mit ihrer gewöhnlichen Sparfamfeit verfahren ift. (PB. IL, 650.)
Wie den Löwen mit Klauen und Gebiß, den Elephanten mit Stoß
zähnen, ben Stier mit Hörmern u. f. w., fo bat die Natur bes a
Kraft dem Manne nachftehende Weib dafite mit Lift und Berftellungk
kunſt ausgerüftet, zu feinem Schus und Wehr. (PB. II, 652.)
4) Geiftiger und moralifher Öegenfag zwifchen Mass
und Weib.
ge edler und vollfommener eine Sache ift, befto fpäter und lm:
famer gelangt fie zur Reife. Demgemäß ıft auch die Vernunft dei
früher reifenden Weibes eine gar Tnapp gemeſſene. Durch bie der
nunft unterfcheidet fi ber Menſch von dem blos in der Gegenmert
Weiber 459
lebenden Thiere, indem er Vergangenheit und Zukunft überfieht und
bedenkt, woraus dann feine Vorficht, Sorge und häufige Bellommen-
heit entfpringt. (Bergl. Bernunft, und unter Menſch: Unterfchied
zwifchen hier und Menſch.) Der Bortheile, wie der Nachtheile, die
Dies bringt, ift das Weib in Folge feiner ſchwächern Vernunft weniger
theilhaft. Die Weiber Heben an der Gegenwart, ſehen immer nur das
Nächfle, nehmen den Schein der Dinge für die Sache, fehen mit. ihrem
Berftande in der Nähe fcharf, Haben dagegen einen engen Geſichts⸗
freis, in welchen das Entfernte nicht fällt; daher der bei ihnen fo
häufige Hang zur Verſchwendung. — Die angegebene geiftige Be-
Ichränktheit der Weiber bat aber das Gute, daß fie mehr in der
Gegenwart aufgehen, als die Münner, und bdiejelbe daher befler ge-
nießen; woraus ihre eigenthilmliche Heiterkeit hervorgeht, bie fie zur
Erholung und zum Trofte des forgenbelafteten Mannes eignet. Der
intuitive Berftand, durch den die Weiber ercelliven, und ihre größere
Nüchternheit eignet fie auch zu Rathgeberinnen in fchwierigen Ange⸗
legenheiten. Ferner ift es aus der einenthiimlichen, von der männlichen
verfchiedenen Geiftesbegabung der Weiber abzuleiten, daß fie mehr
Mitleid und daher mehr Menfchenliebe und Theilnahme an Unglück⸗
lichen zeigen, al8 die Männer, hingegen im Punkte der Gerechtigkeit,
Kedlichkeit und Gewiflenhaftigkeit diefen nachſtehen. Demgemäh wird
man als Grundfehler des weiblihen Charafter8 Ungerechtigkeit
finden. Er entfteht zumächft aus dem dargelegten Mangel an Ber-
nünftigfeit, wird zudem aber noch dadurch unterftügt, daß fie, als die
fhwäderen, von der Natur nicht auf die Kraft, fondern auf die Liſt
angewiejen find; daher ihre inftinctartige Verfchlagenheit und ihr Hang
zum Lügen. — Aus dem aufgeftellten Grundfehler und feinen Bei⸗
gaben entjpringt die Falſchheit, Zreulofigkeit, Verrath, Undank u. ſ. w.
Der gerichtlichen Meineide machen Weiber ſich viel öfter ſchuldig, als
Männer. &8 ließe fi) überhaupt in Yrage ftellen, ob fie zum Eide
zuzulafien find. (P. U, 650— 653. E. 215. — Ueber die Schwäde
der Weiber im Verſtehen und Befolgen von Grundfägen ſ. Grund»
äße.)
Die Weiber find fi), wenn auch nicht in abstracto, bewußt, daß
die Gattungsintereffen in ihre Hände gelegt find und daß dieſe weit
berechtigter find, als die individuellen. Sie machen ſich daher Fein
Gewiſſen daraus, im Intereſſe der Propagation der Species individuelle
Pflichten zu verlegen. Dies aber giebt ihrem ganzen Weſen und
Treiben einen gewiflen Leichtfinn und überhaupt eine von ber des
Mannes grundverfchiedene Richtung, aus welcher die fo häufige Un⸗
einigfeit in der Ehe erwächſt. (P. II, 653 fg.)
Zwiſchen Männern ift von Natur blos Gleichgilltigkeit; aber zwi⸗
ſchen Weibern ift ſchon von Natım Feindſchaft. Werner, während ber
Mann, felbft zu dem tief unter ihm Stehenden, in der Regel nod)
immer mit einer gewiſſen Sumanität vebet, gebärbet ein vornehmes
Weib fi) meiftens ſtolz und jchnöde gegen ein nieberes. (P. II, 654.)
460 Beiber
Den Weibern fehlt e8 an aller Objectivität des Geifies, fie ſtedca
überall im Subjectiven. Daher haben fie weder für Muſil, neh
Poeſie, noch bildende Künfte wirklich und wahrhaftig Sim und En:
pfänglidhkeit; foudern bloß Wefferei zum Behuf ihrer Gefalliuht fi
es, wenn fie folche affectiren. Mit mehr Zug daher, als des ſchoͤre,
könnte man fie das unäfthetifche Gefchleht nennen. Ihr Mangd
an rein objectivem Antheil rührt daher, daß, während der Mu
in Allem eine directe Herrfchaft über die Dinge, fei es durch Ber:
fiehen, oder Bezwingen anftrebt, fie immer und überall auf cine Hin
indirecte, nämlich mittelft de8 Mannes, verwieſen find. ($. IL
654— 656.) — Weiber künmen bedeutendes Talent, aber fein Gen:
haben; dem fie bleiben ſtets fubjectiv. (W. II, 447. — Ueber ie
dem weiblichen Geſchlechte eigenthümliche Neugier f. Neugier.)
5) Barum fih die Weiber zu PBflegerinnen der erkaa
Kindheit eignen.
Zu Pflegerinnen und Erzieherinnen unferer erften Kindheit eigen
die Weiber ſich gerade dadurch, daß fie felbft kindiſch, läppiſch m
turzfichtig, mit Einem Worte, Zeit Lebens große Kinder find, em
Art Mittelftufe zwifchen dem Kinde und dem Manne, ale welder kı
eigentliche Menſch if. (P. II, 650.)
6) Die Stellung des Weibes in der Gefellfdaft
Die Weiber find und bleiben im Ganzen bie gründlichſten und ur
heildarſten Philifter; deshafb find fie, bei der höchſt abſurden Eimid
tung, daß fie Staud und Titel des Mannes theilen, die befländigen
Anfporner jeines uneblen Ührgeizes, uud feruer ift wegen derjelher
Eigenſchaft ihr Borherrſchen und Tonangeben der Berberb der modernen
Geſellſchaft. Sie find sexus sequior, das in jeden Betracht zurid:
fiehende zweite Gefchlecht, deffen Schwäche man demnach ſchonen jel,
aber welchem Ehrfurcht zu bezeugen lächerlich if. Als die Natm dei
Menſchengeſchlecht im zwei Hälften fpaltete, hat fie den Schmitt nid!
gerade durch die Mitte geführt. Bei aller Polarität ift der Unter
ſchied des pofitiven und negativen Pols fein blos qualitativer, fonden
auch ein quantitativer. So haben auch die Alten und die orintal:
ſchen Völker die Weiber angefehen und dadurch die ihnen amgemefie
Stellung viel richtiger erlanut, als wir mit unferer altfranzöfide
Galanteric und abgejchmadten Weiberveneration. Das Weib im ir
cibent, namentlich die „Uame”, befindet fi in einer falfchen Etellum,
deren übele Folgen in geſellſchaftlicher, bürgerlicher und politiſcher Hit
fiht nur dadurch, daß dem Damen-Unweien ein Ende gemadt un
dem weiblichen Gefchlecht feine naturgemäße Rolle wieder angemet
würde, bejeitigt werden könnten. Gerade, weil e8 Damen giebt a
Europa, find die Weiber niedern Standes, aljo die große Dehrah
des Geſchlechts, viel unglüdlicher, ale im Orient. (P. 1, 656-660
662. 405. Bergl. unter Ehe: Chegefeke.)
Weinen 461
Wegen bes Hanges der Weiber zur Berfchwendung follte das weib⸗
Lihe Erbrecht beſchränkt werden. Weiber follten niemals über ererbtes,
eigentliches Vermögen, alfo Capitalien, Häufer und Landgüter, freie
Dispofition haben. Sie bedürfen ftets eines Bormundes, daher fie in
keinem möglichen Ball die Vormundſchaft ihrer Kinder erhalten follten.
(B. U, 661 fg. 277.)
Ferner follte, wegen der Lügenhaftigkeit und Verſtellungskunſt der
Weiber, vor Gericht das Zeugniß eines Weibes, caeteris paribus,
weniger Gewicht haben, als das eines Mannes. (B. II, 277 fg.)
7) Geſchlechtliche Beziehung zwifhen Mann und Weib,
(S. bie Artikel Gefhlehtsliebe, Geſchlechtstrieb,
Gefchlehtsverhältnig, Vererbung und Zeugung.)
Weinen.
1) Das Weinen als Reflerbewegung.
Das Weinen gehört, wie das Lachen, zu den Reflerbewegungen.
(S. Laden.)
2) Das Weinen als unterfheidbendes Merkmal des
Menfhen vom Thiere.
Das Weinen gehört, wie dad Lachen, zu den Aeußerungen, die den
Menſchen vom Thiere unterfcheiden. (W. I, 444.)
3) Pfyhifcher Urfprung des Weinens.
Das Weinen entfpringt aus dem Mitleid, deflen Gegenftand man
felbft iſt. Es iſt keineswegs geradezu Aeußerung des Schmerzes; denn
bei den wenigſten Schmerzen wird geweint. Mau weint fogar nie
unmittelbar itber den empfundenen Schmerz, fondern immer nur über
befien Wiederholung in der Reflerion. Das unmittelbar gefühlte Leid
wird nämlich in der Neflerion als fremdes vorgeftellt, als folches mit-
gefühlt und dann plöglich wieder als unmittelbar eigenes wahrgenom⸗
men. Im diefer fonderbaren Stimmung fchafft fi) die Natur durch
jenen förperlihen Krampf Erleichterung. Das Weinen ift demmad)
Mitleid mit fich ſelbſt, oder das auf feinen Ausgangspunkt zurück⸗
geworfene Mitleid. Wenn wir nicht durch eigene, ſondern durch freinde
Leiden zum Weinen bewegt werben, fo geſchieht dies dadurch, daß wir
uns in der Phantafie lebhaft an die Stelle bes Leidenden verfegen,
oder auch in feinem Scidjal das Loos der ganzen Menjchheit und
mus vor Allem unfer eigenes exbliden. (W. I, 445 fg.; II, 677 fg.
t. 351.) .
4) Wodurch das Weinen bedingt iſt.
Das Weinen ift durch Fähigkeit zur Liebe und zum Mitleid und
durch PHantafie bedingt; daher weder hartherzige, noch phantafielofe
Menfchen leicht weinen, und das Weinen fogar immer al® Zeichen
eined gewiflen Grades von Güte des Charakters angefehen wird und
den Zorn entwaffnet. (X. I, 445.)
462 Beisheit. Weiſe — Welt
Weisheit. Weife.
1) Begriffsbeftimmung der Weisheit.
Weisheit iſt nicht blos theoretifche, fondern andy praftifche Bellen:
menheit. Sie ift die vollendete, richtige Erkenntniß der Dinge im
Ganzen und Allgemeinen, die den Menfchen fo völlig durchdrunges
bat, daß fie nm auch in feinem Handeln hervortritt, indem fie fen
Thum überall leitet. (B. II, 637.) Die Weisheit, welche in einem
Menfchen bios theoretifch da ift, ohne praktiſch zu werden, gleicht der
gefüllten Rofe, welche durch Farbe und Geruch Andere ergötzt, abe
abfällt, ohne Frucht angefett zu haben. (P. II, 685.)
Die Weisheit wurzelt, wie da8 Genie, nicht im abftracten, disan:
fiven, jondern im anſchauenden Bermögen. Sie ift etwas \atuities,
nicht etwas Abſtractes. Sie befleht nicht in Sätzen und Gedanke,
die Einer als Refultate der Forfchung im Kopfe fertig hermmträgt,
fondern fie ift die ganze Art, wie ſich die Welt in feinem Kopfe bar-
ſtellt. Diefe ift fo höchſt verfchieden, daß dadurch der WBeife in cm
andern Welt lebt, als der Thor. (W. II, 80. 83.)
2) Uebereinftimmung der Weiſen aller Zeiten.
Im Allgemeinen haben die Weifen aller Zeiten immer das Selbe
gefagt, und die Thoren, d. 5. die unermehliche Majorität aller Zeiten,
haben immer das Selbe, nämlich das Gegentheil, gethan, und fo mu
es denn aud) ferner bleiben. (PB. I, 332.)
3) Die Weisheit als Karbinaltugend. (S. Kardinil-
tugenden.)
4) Der Stoifche Weiſe. (S. Stoicismus.)
5) Die Weisheit des Alters.
Im Alter it man die Chimären, Ilufionen und Vorurtheile der
Ingend losgeworden, fo da man jett Alles richtiger und Härr m
fennt. Dies iſt es, was faft jedem Alten einen gewiflen Auftrid von
Weisheit giebt, der ihn vor den Züngeren auszeichnet. (B. I, 525.
Bergl. unter Lebensalter: Gegenfag zwifchen Yugend und Alter.)
6) Zufanmentreffen der praftifhen mit der theoreti-
fhen Weisheit im Refultat.
Die praltifche Weisheit, das Rechtthun und Wohlthun, trifft m
Refultat genau zufammen mit der tiefften Lehre der am weiteften ge
langten theoretifchen Weisheit, der Lehre nämlich, daß Bielheit um
Sejchiedenheit allein der blogen Erfcheinung angehört, und dd
ein und das felbe Wefen ift, welches in allem Lebenden ſich darftdı
(E. 270.)
Welt.
Die Welt zerfällt in die Welt als Vorſtellung (Erfcheimmgemtit!
und in die Welt als Wille (Ding an fi). Bon ber erſten handel
Weltanfichten 463
das erfte und dritte Buch ber „Welt ale Wille und Vorſtellung“, von
der legtern das zweite und vierte Bud).
A. Die Welt ald Borftellung.
1) Idealität der Welt als Borftellung (S. Object
und Außenwelt.)
2) Örundform der Welt als Borftellung. (S. Object,
und unter Erfheinung: Das Grundgerüft der Erfchei-
nung.)
3) Phyſiologiſche Bedingung der Welt als Borftellung.
(S. Bewußtfein und Gehirn.)
4) Einteilung der Welt als VBorftellung.
Die Welt ald Borftelung zerfällt in die dem Sa vom Grunde
unterworfene (Welt der einzelnen Dinge) und in die vom Sat vom
Grunde unabhängige (Welt der Ideen). (Bergl. unter Object: Ein-
theilung der Dbjecte, unter Erſcheinung: Unterfchied zmwifchen der
unmittelbaren und mittelbaren Erſcheinung, und unter Erkenntniß:
Arten der Erkenntniß.)
Die dem Sat vom Grunde unterworfene Vorſtellungswelt zerfällt
wieder in bie anfchauliche und in die begriffliche, oder in bie
Berftandes- und in die Bernunftwelt. (Bergl. Anfhauung
und Begriff, Berftand und Vernunft.) — Ueber bie Ideenwelt
ſ. Idee.
B. Die Welt als Wille (Ding au ſich).
1) Erkennbarkeit des Dinges an fich oder des innern
Wefens der Welt. (S. Ding an fid)
2) Berhältnif bes Dinges an fih zur Erfcheinungs-
welt. (S. unter Ding an fi: Gegenfag zwifchen Ding
an fih und Erfheinung, und unter Erfcheinung: Die Er⸗
ſcheinung als Dlanifeftation bed Dinges an ſich.)
3) Eintheilung der Welt als Wille. |
Die Welt als Wille zerfällt in die phufifche und in die ethifche.
Bon ber erftern handelt das zweite Buch der „Welt ald Wille und
Borftellung‘‘ nebft der Schrift „Ueber den Willen in der Natur‘, von
der legtern das vierte Buch der „Welt als Wille und Vorſtellung“ und
„Die beiden Grundprobleme der Ethik“. Weber die erſtere ſ. Natur und
über die legtere Moralifch, Moralität. Ueber die befondern Gebiete
der phufifchen und fittlichen Welt f. die betreffenden einzelnen Artikel.
4) Aufhebung der Willenswelt. (S. Weltaufhebung.)
Weltanſichten.
Ueber die Weltanſichten des Theismus, Pantheismus, Mate—
rialismus und Naturalismus ſ. die Artikel Theismus, Pan⸗
theismus, Materialismus und Naturalismus.
464 Weltaufhebung — Weltknoten
Ueber den Gegenſatz der optimiſtiſchen md peſſimiſtifſcher
Weltanficht f. Optimismus und Peffimisnus,
Weltaufhebung.
1) Möglichkeit der Weltaufhebung.
Gewiflermaßen ift es a priori einzufehen, daß das, was jet des
Phänomen der Welt hervorbringt, auch fähig fein müffe, dieſes nicht
zu thun, mithin in Ruhe zu verbleiben, — oder, mit andern Worten,
daß es zur gegenwärtigen dtaotoAn auch eine ouctoArn geben müfk.
M nun die erftere die Erfcheinung des Wolleus des Lebens; fo wirt
die andere die Erjcheinung des Nichtwollen® befielben fein. (P. H, 335..
2) Der Meufd als Bermittler der Weltaufhebung.
(S. unter Menſch: Der Menſch als Wendepunkt des Bil;
zum Leben und als Erlöfer der Natur.)
3) Das nad) der Weltaufpebung übrig bleibende Nice.
(S. Nidts.)
Weltgeiſt, |. Weltjeele.
Weltgericht, |. unter Gerchtigkeit: Die ewige Geredhtigfeit.
Weltgeſchichte, |. Geſchichte.
Weltgränze, ſ. Himmel.
Weltkataſtrophe.
Wenn auch keine phyſikaliſchen Gründe den Nichteintritt einer aber⸗
maligen Weltkataſtrophe, wie deren ſchon mehrere ſtattgefunden, ver:
bürgen; fo ſteht einer ſolchen doch ein moraliſcher Grund entgegen,
nämlic, diefer, daß fie jetst, nachdem mit dem Menfchen ats der höd-
ften Objectivationsflufe der Natur die Möglichkeit der Berneinung ie
Willens eingetreten ift, zwedlos fein würde, inden das innere Ben
der Welt jegt keiner höhern Objectivation zur Möglichkeit feiner Cr»
löfung daraus bedarf. (P. Il, 154. Bergl. unter Menſch: Tx
Menſch ald Wendepunkt des Willens zum Leben und als Erlöfer k:
Natır.)
Weltklugheit.
1) Die zwei Hauptflüde der Weltklugheit.
„Weder lieben, noch haſſen“ enthält die Hälfte aller Weliklugheit:
„nichts jagen und nichts glauben‘ die andere Hälfte. (P. I, 496.)
2) Warum e8 den edleren Naturen an Weltklughen
fehlt. (S. Edel)
Weltknoten.
Die Identität des Subjects des Wollend mit dem erlennenden Sab-
ject, vermöge weldyer (und zwar nothiwendig) das Wort „Ich“ beide
Weltmächte — Welturfprung 465
einfchließt und bezeichnet, ift der Weltknoten und daher unerklärlich.
(©. 143. Bergl. Id.)
Weltmädte, f. unter Glüd: Glüd im Sinne von fortuna.
Weltmann.
1) Gegenſatz zwiſchen dem Weltmann und dem Ge—
lehrten. (S. Gelehrſamkeit, Gelehrte.)
2) Der vollkommene Weltmann.
Der vollkommene Weltmann wäre ber, welcher nie in Unſchlüſſigkeit
ftodte und nie in Uebereilung geriethe. ( P. I, 505.)
Weltordnung.
1) Zufammenhang der phyfifchen mit ber moralifchen
MWeltordnung. (S. unter Moraliſch: Moralifche Be-
deutung der Welt.)
2) Gegenſatz zwifhen Metaphyfil und Naturalismus
in Hinfiht auf die Auffaffung der Weltordnung.
Metaphyfit überhaupt ift die Erfenntniß, daß die Ordnung der Na⸗
tur nicht die einzige und abfolute Ordnung der Dinge fei. Dagegen
macht der Naturalismus und Materialismus die phyſiſche Weltordnung
zur abfoluten. (W. II, 194 fg. Vergl. Raturalismus und Ma-
terialismus.)
Weltſeele.
1) Kritik des Begriffes „Weltſeele“.
Das imere Weſen ber Welt iſt Wille, etwas durchaus Wirkliches
und empiriſch Gegebenes. Hingegen die Benennung „Weltſeele“ für
das innere Weſen der Welt giebt ſtatt deſſelben ein bloßes ens rationis;
denn „Seele“ beſagt eine individuelle Einheit des Bewußtſeins, die
offenbar jenem Weſen nicht zukommt, und überhaupt iſt der Begriff
„Seele“, weil er Erlennen und Wollen in unzertrennlicher Verbindung
und dabei doch unabhängig vom animaliſchen Organismus hypoſtaſirt,
nicht zu rechtfertigen, alſo nicht zu gebrauchen. (W. II, 398 fg.
Vergl. Seele.)
2) Unterſchied zwiſchen „Weltſeele“ und „Weltgeiſt“.
Weltſeele ift der Wille, Weltgeiſt das reine Subject bed Er⸗
kennens. (H. 338. — Ueber das reine Subject bes Erkennens ſ. unter
Intellect: Der reine Jutellect.)
Welturſprung.
Der Grundfehler aller Syſteme iſt das Verkennen der Wahrheit,
daß der Intellect und die Materie Correlata find, d. h. Eines
nur für das Andere da ift, Beide mit einander ftehen und fallen,
Schopenhauer⸗Lexikon. II. 30
466 Weltweisheit — Werie
Eines nur ber Reflex des Andern iſt, ja daß fie eigentlich Eines und
daffelbe find, von zwei entgegengefehten Seiten betrachtet, welches Cine
die Erfcheinung des Willens oder Dinges an fi ift; daß mithia
Beide fecundär find; daher der Urfprung der Welt in feinem von beiden
zu fuchen ift. Aber in Folge jenes Berfennens fuchten alle Chr:
(den Spinozismus etwa ausgenommen) den Urfprung aller Dinge in
einem jener Beiden. Gie fegeu nämlich entweder einen Intellect,
vous, als ſchlechthin Erftes, oder machen die Materie zum abjolt
Erften. Beide gerathen in Berlegenheitn. Das Primäre iR wer
der Intelleet, noch die Materie, welche beide zufanınıen die Welt alt
Borftellung ausmachen, alfo fecnndär find. Das Primäre ift vi.
mehr das in beiben Exfcheinende, das Ding an fich, der Wille (®.
D, 18 fg. Bergl. auch Intellect und Materie.)
Weltweisheit, f. unter Philofopgie: Gegenſatz zwiſchen Philoſophie
und Theologie.
Weltzweck.
1) Zransfcendenz ber Anwendung bes Zmedbegrifft
auf die Welt als Ganze.
Es ift eine Folge der Befchaffenheit unſeres, dem Willen entiproffme
Intellects, daß wir nicht umhin können, die Welt entweder als Zwed,
oder ald Mittel aufzufafen. Erſteres nun würde bejagen, daß ih:
Dofein durch ihr Weſen gerechtfertigt, mithin ihrem Nichtfein mt
fchieden vorzuziehen wäre. Allein die Erfenntuiß, daß fie nur ein
Zummtelplag leidender und fterbender Wefen ift, läßt biefen Gedanlın
nicht beftehen. Nun aber wiederum, fie ald Mittel aufzufaffen, läft
die Unendlichkeit der bereits verfloffenen Zeit nicht zu, vermöge welder
jeder zu erreichende Zweck ſchon längſt hätte erreicht fein müſſen. —
Hieraus folgt, daß jene Anwendung der unſerm Intellect natürlicher
Borausfegung auf das Ganze der Dinge, oder die Welt, eine trand-
fcendente if. P. II, 16 fg.)
2) Kritik der Auffafjung der Welt als „Selbftzwed“.
Der heut zu Tage oft gehörte Ausdrud „die Welt ift Selbſtzwed
läßt unentſchieden, ob man fte durch Pantheismus oder durch bloke
Fatalismus erkläre, geftattet aber jedenfall® nur eine phnfüfche, feine
moralifche Bedeutung derfelben, indem, bei Annahme diefer Ießtern, dir
Welt allemal fid) als Mittel darftellt zu einen höhern Zwed. (F.
I, 108. Ueber die morafifche Bedeutung der Welt |. unter Mor:
liſch: Moralifche Bedeutung der Welt.)
Werden, f. unter Grund: Sat vom Grunde des Werdens.)
Werke.
1) Gegenſatz zwifchen der Befähigung zu Werken nad
der Befähigung zu Thaten. (©. unter Genie: Gegen⸗
fa zwifchen dem Genie und dem praftifchen Helden.)
Werth — Weſen 467
2) Gegenſatz zwiſchen dem Ruhm durch Werke und
dem Ruhm durch Thaten. (S. unter Ruhm: Zwei
Wege zum Ruhm.)
3) Kunſtwerke. (S. Kunſtwerk.)
4) Schriftſteller-Werke. (S. Schriftſteller, Schrift-⸗
ſtellerei.)
5) Der chriſtliche Gegenſatz zwiſchen Glauben und
Werken. (S. unter Chriſtenthum: Kern der chriſtlichen
Glaubenslehre.)
Werth.
1) Relativität des Begriffes „Werth“.
Jeder Werth iſt cine Vergleichungsgröße, und fogar fteht er noth-
wendig in doppelter Relation; beun erftlich ift ex relativ, indem er
für Semanden ift, und zweitens ift er comparatid, indem er iu
Bergleih mit etwas Anderem, wonach er gefhätt wird, if. Aus
diefen zwei Relationen hinanagefegt, verliert der Begriff Werth allen
Sinn und Bedeutung. (E. 161. 166.)
2) Undenkbarkeit eines unbebingten, abfoluten Wer-
thes.
Aus der Relativität, die das Weſen jedes Werthes ausmacht, folgt,
daß abſoluter Werth eine contradictio in adjecto if. Ein un-
vergleichbarer, unbebingter, abfoluter Werth, dergleichen bie
Würde (nad) Kant) fein fol, ift die mit Worten geftellte Aufgabe zu
einem Gedanken, der fi) gar nicht denken läßt. (E. 161. 166 fg.)
3) Bewußtfein be& eigenen Werthes. (S. Selbft-
ſchätzung und Umgang.)
4) Werth des Lebens. (S. unter Leben: Charakter, Werth
und Zwed des Lebens im Ganzen.)
Wefen.
1) Gegenſatz zwifhen Wefen und Eriftenz (©. Es-
sentia uıd Existentia.)
2) Gegenfag zwifhen Wefen und Erfdeinung (©,
Ding an ſich und Erfheinung.)
3) Doppeffeitigfeit jedes Weſens.
Jegliches Wefen in der Natur ift zugleich Erfheinung und
Ding an fid), oder auch natura naturata und natura naturans,
ift demgemäß einer zweifachen Erklärung fähig, einer phyſiſchen und
einer metaphyfifchen. (P. II, 98.)
4) Stufenleiter der Naturwefen. (S. unter Natur:
Die Stufen der Natur.)
30 *
468 Widerſpruch — Wilde
5) Ob es irgendwo noch höhere Wefen, ale der Menſé.
giebt. (S. unter Menſch: Der Menſch als Wendepurh
des Willens zum Leben und als Erlöfer der Ratar.)
6) Das höchſte Wefen, Gott. (©. Gott.)
widerſpruch.
1) Satz des Widerſpruchs. (S. Dentgefege.)
2) Widerſpruchloſigkeit der Natur.
Die Natur, d. i. das Anſchauliche, lügt nie, noch widerſpricht fie
ſich, da ihr Weſen dergleichen ausſchließt. Wo daher Widerſpruch m)
Lüge iſt, da ſind Gedanken, die nicht aus objectiver Auffaffung | eat:
fprungen find. Die aus objectiver Auffaffung entfprungenen Sig
ftimmen mit fid) überein. (P. DI, 13 fg.; I, 142fg. W. IL, 114
Berg. auch unter Wahrheit: Uebereinftimmmung ber Wahrheit wi
fi, u. ſ. w.)
3) Mittel zur Beförderung ber Geduld bei fremder
Widerſpruch. (S. Toleranz.)
wiederbringung, aller Dinge.
Um das Empdrende des Dogma's von der ewigen Berbaummf
(vergl. Berdammmiß) zu mildern, hat Papft Gregor I., fer
weislich, die Lehre von Purgatorio, welche im Wefentlichen fi ſcho⸗
beim Origenes findet, ausgebildet und dem Kirchenglauben förmlich ein
verleibt, wodurch die Sache ſehr gemildert und die Metempfydeie
einigermaßen erfeßt wird, da da8 Eine, wie das Andere einen Länte
rungsproceß giebt. (Bergl. Metempfycdofe) In derfelben Abſicht
ift auch die Lehre von der Wiederbringung aller Dinge aufgeftelt
worden, durch welche, im letzten Acte der Weltlomöbdie, fogar bie Eis
der fammt und fonber8 in integrum reftituirt werden. (B. II, 392;
I, 312.)
Wiedererkennen, feiner felbft im Anbern, f. unter Individuation:
Die im principio individuationis befangene Erfenntmiß im Ge
genfa zu der es durchſchauenden.
Wiedergeburt, ſ. Gnade.
wilde.
1) Die Wilden als verwilderte Menſchen.
Die Wilden find nicht Urmenſchen, fo wenig als die wilden Hunde
in Sübdamerifa Urhunde; fondern biefe find verwilderte Hunde, um
jene verwilderte Menjchen, Abkömmlinge verirrter ober verfchlagene
Menjchen, aus einem cultivirten Stamm, deſſen Cultur unter fi zu
erhalten fie unfähig waren. (P. II, 168.)
Wille. Wollen 469
2) Das Rechtsgefühl ber Wilden.
Den bie Unabhängigkeit der Begriffe Unrecht und Recht von aller
ofitiven Gefeßgebung leugnenden Empirifer darf man nur auf bie
Bilden hinweiſen, die alle ganz richtig, oft aud) fein und genau, Un⸗
echt und Recht unterfcheiden,, welches jehr in die Augen fällt bei
rem Zaufhhandel und andern Webereinfünften mit der Mannſchaft
uropäiſcher Schiffe Sie find dreift und zuverſichtlich, wo fie Recht
aben, hingegen ängſtlich, wenn das Recht nicht auf ihrer. Seite ift.
Bei Streitigkeiten laſſen fie fi) eine rechtliche Ausgleichung gefallen,
ingegen reizt ungerechtes Verfahren fie zum Kriege. (E. 218.)
Dille. Wollen.
IL Wollen.
1) Das Subject des Wollens. (S. Subject.)
2) Identität des Subjects des Wollens mit dem Sub—
ject des Erfennend (S. Id.)
3) Undefinirbarkeit des Wollens.
Weil das Subject des Wollend dem Selbftbewußtfein unmittelbar
gegeben ift, Täßt fich nicht weiter befiniren, ober befchreiben, was
Wollen jei; vielmehr ift es die unmittelbarfte allee unferer Erkennt⸗
niffe, ja die, deren Unmittelbarfeit auf alle übrigen, als welche fehr
mittelbar find, zulegt Licht werfen muß. (©. 144. 9. 161. W.
II, 219.)
4) Weisheit der Sprache in ber Anwendung des Wor-
tes „Wollen“. (S. unter Sprade: Die Weisheit ber
Sprade.)
D. Wille.
A. Der Wille ald Ding an fid.
1) In weldem Sinne der Wille als Ding an fi zu
betrachten if. (S. Ding an fid.)
2) Segenfaß zwifhen dem Willen und feiner Er-
cheinung.
Der Wille als Ding an ſich iſt von ſeiner Erſcheinung gänzlich
verſchieden und völlig frei von allen Formen derſelben, in welche er
eben erft eingeht, indem er erfcheint, die daher nur feine Objecti-
tät betreffen, ihm ſelbſt fremb find. Schon die allgemeinfte Form
aller Vorftellung, die des Objects für ein Subject, trifft ihn nicht,
noch weniger bie biefer untergeorbneten, die der Sag vom Grunde
ausdrückt. Er liegt als Ding an fi) außerhalb des Gebietes des
Sages vom Grunde in allen feinen ©eftaltungen nnd ift folglich
ſchlechthin grundlos, obwohl jede feiner Erfcheinungen durchaus dem
Sat vom Grunde unterworfen ift; er ift ferner frei von aller Viel⸗
heit, obwohl feine Erfcheinungen in Zeit und Raum unzäflig find;
470 Bille. Wollen
ex felbft if Einer, jedoch nicht wie ein Object Eines it, im Gegerich
dur möglichen Bielheit, noch auch wie ein Begriff Eines if, der m
durch Abſtraction von ber Bielßeit entflanden iſt; fondern er if Ein
al® das, was außer Zeit und Raum, dem Princip der Yubivibnetim,
- ‚der Möglichkeit ber Vielheit (vergl. Individnation) Ki. (®. |,
134. 152.)
Der Wille ald Ding an fi if ferner, ungeachtet der Viclhein da
Dinge in Zeit und Raum, welche fünmtlid, feine Objectität fa)
untheilber. Nicht ift etwa ein Fleinerer Theil von ihm im Et,
ein größerer im Menfchen, da das Berhältniß von Theil und Ganya
ausfchlieglich den Raume angehört; fondern auch das Mehr mi
Minder trifft nur die Erfcheinung, die Sichtbarkeit, bie Objectivetim
bes Willens. (Bergl. Objectivation.) Noch weniger aber, als de
Abftufungen feiner Objectivation ihn felbft unmittelbar treffen, tr
ihn bie Bielheit der Erfcheinungen auf dieſen verjchiedenen Etufer
(8. I, 152 fg.)
Die jenfeit der Erfcheinumg Tiegende, in dem Schaffen ber Kar
fi offenbarende Einheit des Willens ift eine metapkufifche, mithin de
Erkenntniß derfelben transfcendent, d. h. nicht auf den yunciom
unfers Intellects beruhend und baher ein Abgrund ber Betradtu.
(8. U, 366 — 368.)
Als geundlos ift der Wille an ſich ferner frei (f. unter Frei⸗
heit: Die Freiheit als metaphyſiſche Eigenfchaft), und ſein EStreber
iſt ein endloſes, hat kein Ziel. Die Frage: Was will dem zul
ober wonach firebt der das Weſen au ſich ber Welt ausmacherde
Wille? — diefe Frage beruht auf Verwechslung des Dinges an fih
mit der Erfcheinung. Auf diefe allein, nicht auf jenes erſtredt ſich der
Satz vom Grunde, deſſen Geftaltung auch das Geſetz der Motivat
if. (Bergl. unter Grund: Sag vom Grunde des Handelns.) lrkrel
läßt fid) nur von Erfcheinungen als folden, von einzelnen Dinger,
ein Grund angeben, nie vom Willen felbft, noch von ber Idee, in de
er fi adäquat objectivirt. So hat denn auch jeder einzelne Willert⸗
act eines erkennenden Individuums ein Motiv, ein Ziel, aber du
Wollen überhaupt und die beflimmte Art des Wollens hat fein
In der That gehört Abweſenheit alles Zieles, aller — jun
Weſen des Willens an ſich, der ein enblofes Streben iſt. ile
weiß, wo ihn Erkenntniß beleuchtet, ſtets was er jetzt, Br er he
will; nie aber was er überhaupt will. Seber einzelne Act hat emm
Zwech, das geſammte Wollen keinen. (W. I, 194—196.)
3) Gegenſatz zwiſchen dem magiſchen und päyfiige:
Wirken des Willens. (S. Magie und Maguetid
mug.)
B. Objectivation des Willens in der Natur,
1) Objectivation im Allgemeinen. (S. Objectivation.
Wile, Wollen an
2) Befondere Objectivationsfiufen. (S. Ratur und
Naturkraft, fo wie alle auf die befondern Naturkräfte
und Naturſtufen bezüglichen Artikel.)
C. Darftelung der Stufen deö Willens in der Kuuſt.
1) Die Kunft als Darftellung der Ideen oder Stufen
bes Willens überhaupt. (S. Idee, Kunft, Kunft-
wert, Genie.)
2) Die befondern Künfte als Darftellung befonberer
‚been. (S. Arditectur, Garten- und Waffer-
leitungstunft, Sculptur, Malerei, Boefie.)
3) Gegenſatz zwiſchen ber Muſik und den übrigen
Künften. (S. Muſik.)
D. Die ethiſchen Willensbeſtimmungen und Willensänßernugen.
Ueber bie ethiſchen Willendbeftimmungen und Aeußerungen ſ. Mo-
ral, Moraliſch, und alle befondern in das ethifche Gebiet einfchla-
genden Artikel, wie Freiheit, Charakter, Gewiffen, Gut, Böfe,
Pflicht, Tugend u. f. w.
E. Bejahung und Verueinung des Willens,
1) Bedeutung diefes Gegenſatzes. (©. unter Quietiv:
Gegenfatz zwifchen Quietiv und Motiv.)
2) Identität diefes Gegenfages mit den chriſtlichen
Gegenfage zwifchen Natur und GOnade. (S. Gnade.)
3) Gegenfag zwifhen Menfh und Thier in Hinfiht
auf die Möglichkeit der Entfheidung zur Bejahung
oder Berneinung des Willens.
Die Bejahung des Willens zum Leben ift beim Thiere unausbleiblich.
Denn allererfi im Menſchen kommt der Wille, welcher die natura
naturans ift, zur Befinnung. (Bergl. Befonnenheit.) Nachdem
er nun im Menfchen zur Befinuung gelommen ift, drängt fi ihm
die Frage auf, woher und wozu das Alles fei, ob die Mühe und
Noth feines Lebens und Strebend wohl durch den Gewinn belohnt
werde? — Demnach ift bier der Punkt, wo er, beim Lichte deutlicher
Erkenntuiß, fih zur Bejahung oder Verneinung des Willen! zum
Leben enticheidet. (W. IL, 653 fg.)
Im Thiere bleibt die Erkenntniß dem Willen dienftbar. Im Dien-
Tchen kann fie ſich dieſer Dienſtbarkeit entziehen und frei von allen
Zweden des Wollens rein für fi, als bloßer klarer Spiegel der
Welt, beftchen. Durch diefe Art der Erfenntniß, aus welcher die
Kunſt Hervorgeht (vergl. Kunft), kann, wenn fie auf den Willen zu.
rückwirkt, die Selbftaufhebung defielben eintreten, d. i. die Reſigna⸗
tion, welche das legte Ziel, ja das innerfte Wefen aller Tugend und
472 Wille. Wollen
Heiligkeit umd die Erlsſung von der Welt if. (W. I, 181 18. Bed.
ımter Freiheit: Eintritt der Freiheit in die Crieinung beim Mer⸗
fchen, und unter Menſch: Der Menſch als Wendepunkt des Willme
zum Leben und als Erlöſer der Natur.)
4) Phänomene der Bejahung.
Die Bejahung des Willens ift das von Feiner Erlenntniß ge
ftörte beftändige Wollen felbft, wie es das Leben der Menſchen m
Allgemeinen ausfüllt. Statt Bejahung des Willens fünnen wir, ta
ſchon der Leib des Menſchen die Objectität des Willens iſt, aud Be⸗
jahung des Leibes fagen. (W. I, 385.) Der Wille entzündet fih in
Folge des Jedem weſentlichen Egoismus oft zu einem bie Bejahunz
des eigenen Leibes weit überfteigenden Grade, welchen dann heftige
Affeete und gewaltige Leidenfchaften zeigen, in welchen das Yabiv:-
duum nicht blos fein eigenes Dafein bejaht, fondern das der übrigen
verneint und aufzuheben fucht, wo es ihm im Wege fteht. (W. 1,
387. 391—396. Bergl. Unredht, Egoismus, Böfe.)
- Die Erhaltung des Leibes durch defjen eigene Kräfte ıft ein fo gr
ringer Grad der Bejahung des Willens, daß, wenu es freiwillig ba
ihm bliebe, wir annehmen Tönnten, mit dem Tode dieſes Leibes je
auch der Wille erlofchen, der in ihm erfchien. Allein ſchon die Be—
friedigung des Geſchlechtstriebes geht über die Vejahung der eigenen
Eriftenz hinaus, bejaht das Leben über den Tod des Individuums in
eine unbeftimmie Zeit hinaus. Der Zeugungsact iſt die entfchiedeufie
Bejahung des Willens zum Leben. Mit der Bejafung über ben
eigenen Leib hinaus und bis zur Darftellung eines nemen iſt aud
Leiden und Tod, als zur Erfcheinung des Lebens gehörig, aufs Nrme
mitbejaht. (W. I, 387—390.)
5) Phänomene der Berneinung.
Phänomene der VBerneinung bes Willens zum Leben find Askeſe
und Heiligkeit. (Bergl. Askeſe und Heiligkeit.) Der Selbft-
mord, weit entfernt, Berneinung des Willens zu fein, ift ein Phi
nomen ftarfer Bejahung. (Bergl. Selbſtmord.)
6) Die zwei Wege zur Berneinung.
Die Verneinung des Willens zum Reben, welche Dasjenige iſt, war
man gänzliche Refignation oder SHeiligfeit nennt, geht zwar immır
aus dem Duietiv des Willens hervor, welches die Erkenntniß ſeints
innern Widerſtreites und feiner wefentlichen Nichtigkeit ift, die ſich im
Leiden alles Lebenden ausſprechen. Tod macht es einen Unterfchier,
ob ba8 blos rein erkannte Leiden, durch freie Aneignung defjelben
mittelft Durchſchauung des principii individuationis (vergl. Iubdivi«
duation), oder ob das unmittelbar ſelbſt em pfundene Leiden jene
Erkenntniß hervorruſt. Es find dies die zwei Wege zur Berneinung
des Willene. (W. I, 470.) Ter zweite Weg (devregog ioug) iſt
Willensat — Wirklichkeit 413
e3, auf dem die Meiften zur Berneinung des Willens gelangen, da
das vom Schidfal verhängte, felbftempfundene, nicht das blos erkannte
Leiden es ift, was am häufigften die völlige Reſignation berbeiführt,
oft erft bei der Nühe des Todes. (W. I, 463 fg.)
7) Berhältniß des Moralifhen zur Bejahung und
Berneinung. (S. unter Moralifch: Die über die Na«
tur hinausgehende Duelle und Wirkung der Moralität.)
8) Das nah VBerneinung des Willens übrig bleibende
Nichts. (S. Nichts.)
Willensact, ſ. unter Grund: Satz vom Grunde des Handelns.
Willkühr.
1) Gebiet der Willkühr.
Man muß Wille von Willkühr unterſcheiden. Jener kann auch
ohne dieſe beſtehen. Willkühr heißt der Wille da, wo ihn Erkenntniß
beleuchtet und daher Motive, alſo Vorſtellungen die ihn bewegenden
Urſachen ſind; dies heißt, wo die Einwirkung von Außen, welche den
Willensact verurſacht, durch ein Gehirn vermittelt iſt. (N. 21.)
2) Unterſchied zwiſchen der unwillkührlichen und will
kührlichen Bewegung (S. Bewegung.)
Windbeutelei, |. Lüge.
Wirkende, das, ſ. ımter Materie: Die reine Materie und ihre
apriorifchen Beitimmungen.
Wirklich, ſ. unter Möglichleit: Zufammenfallen und Uuseinander-
treten des Möglichen, Wirklichen und Nothwendigen.
Wirklichkeit.
1) Das Wort „Wirklichkeit“.
Da das Sein ber Materie ihre Wirken ift (vergl. Materie), jo
ift Höchft treffend im Deutfchen der Inbegriff alles Materiellen Wirk⸗
lichkeit genannt, welches Wort viel bezeichnenber ift, als Realität.
(W. I, 10. 561; II, 55. F. 20. 9. 328.)
2) Das Organ für die Anfhauung der Wirklichkeit.
Alle Saufalität, alſo alle Materie, mithin die ganze Wirflichfeit, ift
nur für den Berftand, durch den Verftand, im Verſtande. (W. I, 13.
Bergl. Berftand und Anſchaunng.)
3) Die Wirflichleit als alle Wahrheit und Weisheit
“ enthaltend.
Denn wir auf den Grund gehen, fo ift in jedem Wirklichen alle
Wahrheit und Weisheit, ja das legte Geheinmiß der Dinge enthalten,
freilih nur in conereto, und fo wie das Gold im Erze ſteckt; es
fommt barauf an, es herauszuziehen. (W. II, 77.)
474 Wirkung — Wiſſen
4) a oene Debeutung ber gegenwärtigen Birl:
ichkeit.
Jede Wirffichleit, d. h. jede erfüllte Gegenwart, beftcht ans mei
Hälften, dem Subject und dem Object. Daher die verſchiedene Be
deutung der gegenwärtigen Wirklichleit für verfchiebene Individnen.
(B. I, 334 fg. Bergl. Gegenwart.)
Wirkung, ſ. Urſache.
Wißbegier, ſ. Neugier.
Wiffen.
1) Begriff des Wiffens überhaupt.
Wiſſen überhaupt Heißt: foldhe Urtheile in ber Gewalt ſeines Gei⸗
fies zu willkührlicher Reproduction haben, welche im irgend eine
außer ihnen ihren zureichenden Grund haben, d. 5. wahr find. Dr
abftracte (begriffliche) Erkenntniß allein ift alfo ein Wiſſen; dieſet ii
daher durch die Vernunft bedingt, und von den Thieren fünnen wir,
weil ihnen die Vernunft fehlt, genau genommen, nicht fagen, daß fü
irgend etwas wiſſen, wiewohl ſie auſchauliche Erkenntniß habe.
Wiffen verhält fih zum Anſchauen, wie Bernunfterfenutniß zu
Berftandeserkenntnig. Wiſſen ift das abftracte Bewußtſein, das Ay
haben in Begriffen ber Vernunft des auf andere Weife überhanpt Er⸗
fannten. (W. I, 60. 73 fg.)
2) Berhältniß der Wiffenfhaft zum Wiffen. (E. Ei
ſenſchaft.)
3) te zwifhen Wiſſen und Fühlen. (©. Ge⸗
4) Gegenſatz zwifhen Wiſſen und Glauben (E.
Glaube.)
5) Das actuelle Wiſſen im Gegenſatze zum poten⸗
tiellen.
Zufolge des Fragmentariſchen des Bewußtſeins (vergl. unter Be⸗
wußtſein: Das Fragmentariſche des Bewußtſeins) und der Nam
des Gedächtniſſes, kein Behältniß, ſondern eine bloße Uebungefächigkeit
im Hervorbringen von Vorſtellungen zu fein (vergl. Gedächtniß) if
das Wiflen aud) des gelehrteften Kopfes doc nur virtualiter vorhan
den, actualiter hingegen ift auch er auf eine einzige Borftellung be⸗
ſchränkt und nur biefer einen fi) zur Zeit bewußt. Hierans entfich
ein feltfanter Contraft zwifchen dem, was cr potentia und dem, wa
er actu weiß. Erſteres ift eine unüberfehbare, ſtets etwas chaotiſche
Maſſe, Letzteres ein einziger deutlicher Gedanke. (W. IL, 154.)
6) Unterſchied zwifchen Qualität uud Quantität dei
Wiſſens.
Die Qualität des Wiſſens iſt wichtiger, als die Quantitaͤt
deſſelben; jene iſt eine intenſive, dieſe cine blos extenſive Gröft.
Wiſſenſchaft. Wiſſenſchaften. Wiffenfchaftlichfeit 475
Dene beſteht in ber Deutlichkeit und Vollkommenheit ber Begriffe, nebft
Der Reinkeit und Richtigkeit der ihnen zum Grunde liegenden anfchau«
Ichen Erkenntniſſe. (W. II, 154 fg.) .
7) Werth des Wiffens,
Das Wiflen, als in der abftracten oder Vernuufterfenntniß beftehend,
erweitert, ba bie Vernunft immer nur dad anderweitig (durch die An⸗
fchauumg) Empfangene wieder vor die Erkenntniß bringt, nicht eigent⸗
ih unſer Erkennen, ſondern giebt ihm blos eine andere Yyorm. (W.
1, 63.) Das Wiffen, die abftracte Erkenntniß, hat ihren größten
Werth in ber Mittheilbarleit und in der Möglichkeit, firirt aufbewahrt
zu werden; erft hiedurch wird fie für das Praktiſche fo unſchätzbar
wichtig. (W. I, 66. Bergl. unter Begriff: Wichtigfeit des Be⸗
griffe.)
Wiffenfchaft. Wiffenfchaften. Wiffenfchaftlidjkeit.
1) Unfähigkeit ber Thiere zur Wiffenfchaft.
Da ben Thieren die Beruunft fehlt, fo find fie unfähig zur Wiſſen⸗
Schaft. Neben Spradye und befonnenem Handeln ift Wiſſenſchaft der
dritte Borzug, den die Vernunft dem Menfchen giebt. (W. 1, 73.)
2) Die Mutter aller Wiſſenſchaften.
Der Sak vom Grunde ift die Mutter aller Wiflenfchaften. (©.
unter Grund: Wichtigkeit des Satzes vom zureichenden Grunde.)
3) Die zwei Haupt-Data jeder Wiſſenſchaft.
Jede Wiſſenſchaft geht immer von zwei Haupt» Datid aus. Deren
eines ift allemal der Sag vom Grunde in irgend einer Geftalt, als
Drganon; das andere ihr befonberes Object, als Problem. So hat
3. D. die Oeometrie den Raum als Problem, den Grund des Seins
in ihm als Organon; die Arithmetik hat die Zeit al8 Problem, und
den Grund bes Seins in ihr als Organon; bie Logik hat die Ber-
bindungen der Begriffe als folche zum Problem, den Grund des Er⸗
kennens zum Organon; die Geſchichte hat die gefchehenen Thaten der
Menfchen im Großen und in Maſſe zum Problem, das Geſetz ber
Motivation als Drganon; die Naturwifjenfchaft hat die ‘Materie ale
Problem und das Geſetz der Caufalität als Organon. (W. I, 34.)
4) Form der Wiffenfchaft.
a) Die fpftematifhe Form als wefentlides Merk—
mal der Wiffenfhaft und als Borzug derfelben
vor bem bloßen Wiffen.
Alles Wiffen, d. h. zum Bewußtſein in abstracto erhobene Er⸗
kenntniß (vergl. Wiffen), verhält fich zur eigentlichen Wiſſenſchaft,
wie ein Brucftüd zum Ganzen. Jeder Menſch hat durch Erfahrung,
durch Betrachtung des ſich darbietenden Einzelnen, ein Willen um
476 Wiſſenſchaft. Wiffenfchaften. Wiſſenſchaftlichkeit
mancherlei Dinge erlangt; aber nur wer ſich die Aufgabe macht, übe
irgend eine Art von Gegenftänden vollfländige Erkenntniß in abstracto
zu erlangen, ftrebt nad Wiſſenſchaft. Durch den Begriff allein kam
er jene Art ausfondern; daher fteht an ber Spige jeder Wiſſenſchaft
ein Begriff, durch welchen der Theil aus bem Ganzen aller Dinge
gedacht wird, von welchem fie eine vollftändige Erfenntniß in abstracto
verfpriht. Der Weg, den die Wiffenfchaft zur Erkenntniß geft, vom
Allgemeinen zum Beſonderen, unterfcheidet fie vom gemeinen Wiſſen;
daher ift die ſyſtematiſche Form ein weſentliches und charakteriſtiſches
Merkmal der Wiffenfchaft. (W. I, 74. 208 fg. 537.)
Jede Wiſſenſchaft ift ein Syftem von Erkenntniſſen, d. h. ein Gar-
zes von verknüpften Erkenntniffen, im Gegenſatz des bloßen Aggregats
derfelben. Das eben zeichnet jede Wifjenfchaft vor dem bloken Aggre-
gat aus, daß ihre Erkenntniſſe eine aus der andern, als ihrem Grunde,
folgen. Der Sat vom zureichenden Grunde ift das Verbindende ber
Slieder eines Syſtems. (©. 4.)
Jede Wiffenfchaft befteht aus einem Syſtem allgemeiner, folglich
abftracter Wahrheiten, Gefege und Regeln in Bezug auf irgend ein
Art von Gegenftänden.. Der unter diefen nachher vorkommende ein:
zelne Fall wird num jedesmal nach jenem allgemeinen Wiſſen, weldes
ein für alle Dal gilt, beftimmt; weil folde Aumwendung des Alge:
meinen unendlich leichter ift, al8 den vorfommenbden einzelnen Fall für
ſich von Borne zu unterfuchen. (W. I, 53. 74.)
b) Werth ber ſyſtematiſchen Form.
Die ſyſtematiſche Form, nämlich Unterorbnung alles Beſondern
unter ein Allgemeines und fo immerfort aufwärts, bringt es mit fid,
daß die Wahrheit vieler Säge nur logiſch begründet wird, nämlih
durch ihre Abhängigkeit von andern Sägen, alſo durch Schlüffe, bie
zugleid) als Beweiſe auftreten. Man foll aber nie vergefien, daß
diefe ganze Form nur ein Erleichterungsmittel ber Erkenntmniß if,
nicht aber ein Mittel zu größerer Gewißheit. Es iſt leichter, bie
Beichaffenheit eines Thieres aus der Species, zu der es gehört, und
fo aufwärts aus dem genus, der Familie, ber Ordnung, ber Klaſſe
zu erfennen, als das jedesmal gegebene Thier fir fi) zu unterſuchen;
aber die Wahrheit aller durch Schlüffe abgeleiteten Säte ift immer
nur bedingt und zulegt abhängig von irgend einer, die nicht anf
Sclüffen, fondern auf Anfchauung beruht. (W. IL, 76. 81. Vergl.
auch Gewißheit.)
c) Worin die Vollkommenheit einer Wiſſenſchaft
der Form nad) beftebt.
Die Bollfonımenheit einer Wiſſenſchaft als folder, d. 5. der Fom
nach, befteht darin, daß fo viel wie möglich Suborbination und wenig
Coorbination der Säge fei. (W. I, 76.)
Wiſſenſchaft. Wiſſenſchaften. Wifjenichaftlichkeit 477
5) Schalt ber Wiſſenfchaft.
Der Fonds oder Grundgehalt jeder Wiſſenſchaft beſteht nicht in den
Beweiſen, noch in dem Bewieſenen, ſondern in dem Unbewieſenen, auf
welches die Beweiſe ſich ſtützen und welches zuletzt nur anſchaulich
erfaßt wird. (W. II, 83. 97. Vergl. Beweis.)
Anſchauung, theils reine a priori, wie fie bie Mathematik, theils
enıpirifche a posteriori, wie fie alle anderen Wiſſenſchaften begriindet,
ift die Quelle aller Wahrheit und die Grundlage aller Wifjenfchaft.
(Auszunehmen ift allein die auf nichtanfchaulicdhe, aber doch unmittel⸗
bare Kenntnig der Vernunft von ihren eigenen Geſetzen gegrlinbete
Logik.) Nicht die bewieſenen Urtheile, noch ihre Beweiſe, jondern die
aus der Anſchauung unmittelbar gejchöpften und auf fie, ftatt alles
Beweiſes, gegründeten Urtheile find in der Wiſſenſchaft Das, mas die
Some im Weltgebäude. Unmittelbar aus ber Anſchauung die Wahr-
heit folcher erften Urtheile zu begründen, ſolche Grundveſten der Wiflen-
fhaft aus der unüberjehbaren Menge realer Dinge herauszuheben, das
ift da8 Werk der Urtheilsfraft. (Berge. Urtheilstraft) Nur
ausgezeichnete und das gewöhnliche Maß überjchreitende Stärle der-
felben Tann die Wiffenfchaften wirklich weiter fürden. (W. I, 77;
od, 96 fg.)
6) Zwed der Wiſſenſchaft.
Zwed der Wiſſenſchaft ift nicht größere Gewißheit, ſondern Erleich⸗
terung des Wiſſens durch die Form defjelben und daburd gegebene
Möglichkeit der VBollftändigkeit des Wiſſens. (W. I, 76. Vergl. Ge⸗
wißheit.)
7) Das Ungenügende ber Wiffenfdhaft.
Ale Wiffenfchaft im eigentlichen Sinne, worunter bie fyftematifche
Erkenntniß am Leitfaden des Satzes vom runde zu verftehen ift,
kann nie ein letztes Ziel erreichen, nod) eine völlig genügende Erflä-
rung geben, weil fie das innerfte Wefen der Welt nie trifft, nie Über
die Borftellung hinaus kann, vielmehr im Grunde nichts weiter, als
das Verhältnig einer Vorftellung zur andern kennen lehrt. Jede Wiſſen⸗
fchaft läßt immer etwas unerflärt, welches fie ſchon vorausjegt. (W.
I, 33 fg. 217. 9. 299. Bergl. auch Erklärung.)
8) Unterfhied der Wiffenfhaften in Hinfiht auf
Subordination und Coordimtion.
Die Zahl der obern Säge, welchen bie übrigen alle untergeordnet
find, ift in den verfchiedenen Wiflenfchaften fehr verſchieden, fo daß in
einigen mehr Subordination, in andern mehr Coordination iſt; in.
welcher Hinfiht jene mehr die Urtheilsfraft, biefe das Gedächtniß
in Unfpruch nehmen. Die eigentlich claffificirenden Wiffenfchaften:
Zoologie, Botanik, auch Phyſik und Chemie haben die meifte Sub⸗
ordination; hingegen hat Geſchichte eigentlich) gar feine und ift daher,
478 Biffenfchaft. Wiffenfcheften. Wilfenichaftiichfeit
genon genommen, zwar ein Willen, aber feine Wiſſenſchaft. Tie Mo⸗
thematif hingegen ift in jeder Hinficht Wiſſenſchaft. (W. I, 75. Berl.
Geſchichte und Mathematil.)
9) Unterfhied der Wiſſenſchaften in Hinfiht anf Be—
greiflichkeit.
Je mehr es die Wiſſenſchaften mit dem Aprioriſchen zu ihra
haben, d. h. mit dem ben Formen der Vorſtellung Angehörigen, welche
das Princip der Verftändlichkeit find, defto mehr Begreifliches fi u
ihnen; je mehr empirifchen, apofteriorifgen Gehalt fie hingegen haben,
defto mehr Unbegreifliches. Demgemäß Hat man völlige, durchgängige
Begreiflichkeit nur fo lange, als man fid) ganz auf dem aprivriichea
Gebiete hält, alfo in der reinen Mathematif und Logik. Die ange
wandte Mathematik hingegen, alſo Mechanik, Hydraulif u. ſ. w., welch:
die niedrigften Etufen der Objectivation des Willens betrachten, kat
fhon ein empirifches Element, an welchem die Faßlichkeit fi trübt
und das Unerflärlicdhe eintritt. Höher hinauf in der Wefenleiter fällt
die mathematische Behandlung ganz weg, weil der Gehalt der Erſchei⸗
nuhg die Form überwiegt. Tiefer Gehalt ift der Wille, das Apo-
fteriori, das Ding an fich, das Freie, das Grundlofe. (NR. 86. Vergl.
unter Erkenntniß: Ibjectiver Gehalt der Erkenntniß, und unter
Mathematif: Worauf die Unfehlbarkeit und Klarheit der Mathematif
berußt.)
10) Eintheilung der Wiffenfchaften.
Da in jeder Wilfenfhaft Eine der Geflaltungen des Satzes vom
Grunde (vergl. unter Grund: Die vier Geftalten) vor den übrigen
der Leitfaden ift; fo läßt fich die oberfte Eintheilung der Wiffenfchaften
anı Treffenditen nach dieſem Priucip ausführen. (&. 157. 8.1, 97.)
Ein Verſuch diefer Eintheilung, der jedoch mancher Berbefferung und
Vervollſtändigung fühig fein wird, ift folgender (W. II, 139):
I. Reine Wiſſenſchaften a priori.
1) Die Lehre vom Grunde des Seins.
a) im Raum: Geometrie;
b) in der Zeit: Arithmetik und Algebra.
2) Die Lehre vom Örunde des Erfennens: Logik.
II. Empirifde oder Wiſſenſchaften a posteriori.
Sämmtlid) nad) dem Grunde des Werdens, d. i. dem Geſetz der
Caufalität und zwar nad) deffen drei Formen: Urfahe, Weiz und
Motiv.
1) Die Lehre von den Urfadhen.
a) Allgemeine: Mechanik, Hydrodynamil, Phyſik,
Chemie.
Wiſſenſchaft. Wiſſenſchaften. Wiffenfchaftlichkeit 479
b) Beſondere: Aſtronomie, Mineralogie, Gedlogie,
Technologie, Pharmacie.
2) Die Lehre von den Reizen.
a) Allgemeine: Phyſiologie der Pflanzen und
Thiere, nebſt deren Hülfswiſſenſchaft Anatomie.
b) Beſondere: Botanik, Zoologie, Zootomie, ver—
gleichende Phyſiologie, Pathologie, Therapie.
3) Die Lehre von den Motiven.
a) Allgemeine: Ethik, Pſychologie.
b) Beſondere: Rechtslehre, Geſchichte.
11) Worin das wiſſenſchaftliche Talent beſteht.
Das allgemein wiſſenſchaftliche Talent iſt die Fähigkeit, die Be⸗
griffsſphären (vergl. unter Begriff: die Begriffsſphären) nach ihren
verſchiedenen Beſtimmungen zu ſubordiniren, damit, wie Platon wieder⸗
holentlich anempfiehlt, nicht blos ein Allgemeines und unmittelbar
unter dieſem eine unüberſehbare Mannigfaltigkeit neben einander ge=
ftelit die Wiſſenſchaft ausmache, fondern vom Allgemeinften zum Be-
fondern die Kenntniß allmälig herabfchreite, durch Mittelbegriffe und
nad immer näheren Beltimmungen gemachte Kintheilungen. Nach
Kant's Ausdrücken beißt dies, dem Geſetze ber Homogeneität und dem
ber Specification gleichmäßig Genüge leiften. (W. I, 76. Vergl.
Methode.)
12) Unumgänglide Bedingung der Erlernung einer
Wiſſenſchaft.
Die Verbindung der allgemeinſten Begriffsſphären jeder Wiſſenſchaft,
d. h. die Kenntniß ihrer oberſten Sätze, iſt unumgängliche Bedingung
ihrer Erlernung; wie weit man von dieſen auf die mehr beſondern
Sätze gehen will, iſt beliebig und vermehrt nicht die Gründlichkeit,
fondern den Umfang ber Gelehrſamkeit. (W. I, 75.)
13) Schädliher Einfluß der Neuerer auf den Gang
ber Wiffenfhaften.
In den Wiffenfchaften will Jeder, um fich geltend zu machen, etwas
Neues zu Markte bringen; dies befteht oft blos darin, daß er das
bisher geltende Richtige umftößt. Den Neuerern ift c8 mit Nichts
in ber Welt Ernft, al8 mit ihrer werthen Perfon, bie fie geltend
machen wollen. So werden längft erfannte Wahrheiten geleugnet,
3. B. die Lebensfraft, die generatio aequivoca, es wird zum frafjen
Atomismus zurücgelehrt u. ſ. w. Daher ift der Gang der Wiflen-
fchaften oft ein retrograder. (P. II, 539.)
14) Unterſchied der Kunft von der Wiffenfhaft. (©.
Kunft.)
480 Bi — Woluf
15) Berhältniß der Philofophie zu den Billenigei-
ten. (S. Bhilofophie.)
Wip, f. d. Lächerliche.
Woche, ſ. Feiertage.
Wohl und Wehe.
1) Beziehung jedes Motivs auf Wohl und Wehe E.
Motiv.)
2) Unterfchied der Theilnahme am Wohl und am Reh:
Anderer. (S. Mitfreude)
3) Berfhiedene Empfänglihleit des Kufolos un
Dystolos für Wohl und Wehe. (S. Eukolos un
Dyskolos.)
4) Einfluß der Lebensgüter auf Wohl und Wehe. (E.
Güter und Glückfäligkeitslehre.)
Wohlthat, f. unter Myſtik: Die praftifche Myſtik.
Wolken. "
1) Contractilität der Wolfen.
Jede Wolfe hat eine Contractilität; fie muß durch irgend eine innen
Kraft zufammengehalten werben, damit fle ſich nicht ganz auflöfe und
zerftreue in die Atinofphäre; mag nun biefe Kraft eine eleltriſche, ode
bloße Eohäfion, oder Gravitation, oder fonft etwas fein. Se thätiger
und wirffamer aber biefe Kraft ift, defto feſter fchnilrt fie, von inner,
die Wolfe zufammen, und diefe erhält dadurch einen fchärfern Content
und überhaupt ein maffiveres Anfehen; fo im Cumulus. Ein folder
wird nicht leicht regnen, während die Regenwolfen verwifchte Conteen
haben. (P. U, 133.)
2) Die Wollen als erläuterndes Beifpiel des Gegen—
fages zwifchen Idee und Erfcheinung.
Zur Unterfcheidung der Idee von der Art und Weife, mie ihn
Erſcheinung in die Beobachtung des Individuums fält, und zur Er:
kenntniß der Wefentlichkeit jener und der Unweſentlichkeit diefer Fönn
die Wollen als Beifpiel dienen. Wann die Wollen ziehen, find de
Figuren, welche fie bilden, ihnen nicht wefentlich, find fitr fie glei
gültig; aber daß fie als elaftifcher Dunft, vom Stoß des Wnides pu
fammengepreft, mweggetrieben, ausgebehnt, zerriffen werben, dies ift ihn
Natur, ift das Wefen ber Kräfte, die ſich in ihnen objectiviven, iſt de
Idee; mur für den individuellen Beobachter find die jedesmaligen di
guren. (W. I, 214.)
Wollen, f. Wille.
Wolluft, f. Zeugung, Zeugungsact.
Wort — Wunder 481
Wort.
1) Berbältniß der Konfonanten zu ben Bocalen in
ben Wörtern. (S. unter Spradhe: Weshalb in der
Etymologie mehr die Confonanten, als die Bocale zu berück⸗
fihtigen find.)
2) Berhältniß des Worts zum Begriff. (S. unter Be-
griff: Begriff und Wort.)
3) Was mit dem Erlernen ber Wörter fremder Spra=
den erworben wird. (©. Sprade.)
4) Segen die Spradhbereiherung burd Erfindung
neuer Worte. (S. unter Sprache: Gegen bie moderne
Art der Sprachbereicherung.)
5) Segen bie Spradverhunzung durch Wortverkür—
zung. (5. unter Jeßtzeit: Sprach⸗ und Stilverhunzung
der Jetztzeit.) .
6) Weisheit der Spradhe im Gebrauch der Worte,
(S. unter Sprade: Die Weisheit der Sprache.)
7) Dag Genügen an. Worten als harakteriftifches
Merkmal der jhlchten Köpfe.
Das unfägliche Genügen an Worten, wo deutliche Begriffe fehlen,
namentlih an fehr unbeftimmten, fehr abftracten, ift für die fchlechten
Ktöpfe durchaus charakteriftiich. (W. II, 159.)
Wortfpiel, |. unter Lächerlich: Witz.
Wunder.
1) Hang bes Menſchen nad) dem Wunbderbaren.
Der natürlihe Hang des Menfchen nad) dem Wunderbaren ent«
Ipringt aus der Rangeweile. Das und inwohnende und unvertifgbare,
begierige Hafchen nad) dem Wunberbaren zeigt an, wie gern wir bie
jo langweilige, natürliche Drdnung des Berlaufs der Dinge unterbrochen
jähen. (®. II, 307.)
2) Die religiöfen Wunder.
a) Die Wunder als ber Capacität des großen Hau—
fen® angemeffene Argumente.
Für den großen Haufen find Wunder die einzig faßlichen Argu-
mente; daher alle KReligionsftifter deren verrichten. (P. IL, 422.)
b) Die Wunder Jeſu.
Es Tieße fich denken, daß Jeſus bei der Stärke und Reinheit feines
Willens und vermöge der Allmacht, die überhaupt dem Willen als
Ding an fi zukommt, und die im animalifchen Magnetismus und
Schopenhauer⸗Lexikon. II. 31
482 Bunderlindeer — Wunſch. Bünfde
in den magischen Wirkungen zur Erfcheinung kommt (vergl Magie
und Magnetismus), vermocht hätte, fogenannte Wunder zu tkm,
d. 5. mittelft des metaphufifchen Einfluſſes des Willens zu wirker.
Diefe Wunder hätte” dann nachher die Sage vergrößert unb vermeht.
Denn ein eigentliches Wunder wäre überall ein dementi, weldes die
Natur fich felber gäbe. (P. II, 411.)
co) Berhalten ber Theologen zu ben biblifchen Bur-
deru.
Die Theologen ſuchen die Wunder der Bibel bald zu allegorifm,
bald zu naturalifiren, um fie irgendwie los zu werden; dem fir füh
Ien, daß miraculum sigillum mendacii. (P. II, 422.)
d) Unterminirung des Glaubens durch die Wunden.
Religionsurkunden enthalten Wunder, zur Beglaubigung ihres d
halts; aber es fommt die Zeit heran, wo fie das Gegentheil beide:
(B. II, 423.) Die Evangelien wollten ihre Glaubwürdigkeit dad
den Bericht von Wundern unterflügen, haben fie aber gerade daturd
unterminirt. (P. U, 411.)
8) Das pbilofophifhe Wunder. (S. Id.)
4) Die Wunder der Magie und des Magnetisunt.
(S. Magie und Magnetismus.)
Wunderkinder.
Der Wille ift unveränderfich, der Intellect dagegen dem Wedel un
Mandel unterworfen. (Bergl. unter Iutellect: Secundäre Natur dei
Intellects.) Daher läßt fi) zwar aus den Charakterzügen dei Sue
ben, die Hauptrichtung ſeines Willens im ganzen fpätern Leben yre
gnofticiren, keineswegs aber laſſen fi eben fo aus den im Knaben fd
zeigenden intellectuellen Fähigkeiten die künftigen prognofticiren; vieluch
werden bie ingenia praecocia, die Wunderfinder, in der Kegel
köpfe. (W. II, 2656.)
Die Jugendkräfte fol man fchonen, weil fie durch frühe Ueber:
anftrengung erjchöpft werden. Dies gilt, wie von der Muslkellraft, \
nod) mehr von der Nervenkraft, deren Aeußerung alle intelledule
Leiftungen find; daher werden die ingenia praecocia, die Wunde:
finder, die Früchte der Treibhauserziehung, welche als Knaben &
flaunen erregen, nachmals fehr gewöhnliche Köpfe. (P. I, 518.)
Wunſch. Wünfche.
1) Berhältniß des Wunſches zum Entfchluß und u
That, (S. Entſchluß.)
2) Mäßigung unferer Wünſche als Bedingung de
Lebensglüde.
Unfern Wünfchen ein Ziel ſtecken, unfere Begierben im Zaume hal
ten, ftetS eingeben, daß dem Einzelnen nur ein unendlich Meiner Thal
Würde — Wurzel 483
alles Wünfchenswerthen erreichbar ift, Hingegen viele Uebel eben
treffen müffen, — ift eine Hegel, ohne beren Beobachtung weder
Reichthum, noch Macht verhindern können, dag wir une armfülig
fühlen. (P. I, 466. Vergl. Befchränfung.)
Würde.
1) Kritik der Kant'ſchen Begriffsbeſtimmung der
Würde. (S. Werth.)
2) Kritik der „Würde des Menſchen“ als Moral—
princips.
Wenn man die, das Kant'ſche Moralprincip unter der beliebten
Form der „Würde des Menſchen“ Vertretenden früge, worauf denn
dieſe angebliche Würde des Menſchen beruhe; fo würde die Antwort
bald dahin gehen, daß es auf feiner Moralität ſei. Alſo die Mora⸗
lität auf der Würde, und die Würde auf der Moralität. — Aber
bievon auch abgeſehen, ift ber Begriff der Würde auf ein am Willen
fo fündliches, am Geifte fo beichräuftes, am Körper fo verlegbares
und hinfälliges Wefen, wie der Menſch ift, nur ironiſch anwendbar.
(®. II, 216.)
Nicht die Abſchätzung der Menfchen nad Werth und Würde, fon«
dern der Standpunkt des Mitleids ift der allein geeignete, um feinen
Haß, Feine Verachtung gegen fie auffommen zu laſſen. (P. II,
216 fg.)
(Ueber das aus der „Würde des Menfchen” gejchöpfte Argument
„gegen die Prügelftrafe ſ. Prügelſtrafe.) |
3) In weldhem Sinne allein von „Würde des Men-
hen‘ die Rede fein darf.
In der Beftegung des auf das Gemüth eindringenden und es leicht
überwältigenden Eindrucks der vorliegenden nädjften Außenwelt mit
ihrer anfchaulihen Realität, in der Bernichtung feines Gaukelſpiels
durch die Herrſchaft der Vernunft zeigt der Menfchengeift feine Würde
und Größe (W. II, 163 fg.) Diefe Herrſchaft der Bernunft, auf
welche die ftoifche Ethik hinzielte (vergl. Stoicismus), madt den
Menſchen der Würde theilhaft, welche ihm, als vernünftigem Wefen,
im Gegenfag des Thieres zufteht, und in biefem Sinne allerdings
Darf die Nede fein von der Würde des Menſchen, nicht in einem an⸗
dern. (W. 1, 107. M. 263.)
Wurzel.
1) Die vierfahe Wurzel bes Satzes vom zureiden-
den Grunde (©. unter Grund: Die vierfahe Wurzel
beffelben, und ihr gemeinfchaftlicher Urfprung.)
2) Wurzeln der Individualität im Dinge an fid. (©.
unter Individualität: Die Individualität als im Dinge
an fi wurzelnde Erjcheinung.)
31*
481 Zahl. Zählen — Zeit
Zahl. Zählen.
1) Worauf die Zahl und das Zählen berubt. ©.
Arithmetik.)
2) Anſchaulichkeit der Zahlen. (S. Arithmetik.)
3) Unterſchied zwiſchen Zahlen und räumlichen Größen
in Hinſicht auf die Uebertragung in die abſtracte
Erkenntniß. (S. Raum.)
4) Untergeorbneter Rang der Beſchäftigung mit Zah-
len. (S. Arithmetik.)
5) Beziehung ber Mufil zu den rationalen unb ir-
rationalen Zahlenverhältniffen. (S. unter Muſik:
Die phyſiſche und arithmetifche Grundlage der Muſik in
ihrer Beziehung zur metaphyfifchen Bedeutung.)
Zahlenphilofophie, |. Logos.
Zauberei, |. Magie.
Zauberflöte.
Die Zauberflöte ift ein ſymboliſches Stüd: Bald wird ber Tod
mich abforbern; es ift ber unbefannte Führer, der mich in dieſes Leben
gebracht; ich zaudere nicht auf feinen Ruf, nichts heißt mich weilm;
er iſt mir unbelannt, doch folge ich mit Zutrauen; er ift gemeint ın
der Zauberflöte, als der Priefter, der die Augendede bringt, die er den
Helden und Duldern liberhängt, ehe er fie weiter fihrt. (5. 412.)
Zeit,
1) Weſen und Bedeutung der Zeit.
Succeffion ift ba8 ganze Wefen ber Zeit. (W. I, 9.) Die Zeit
ift nichts Anderes, ald der Grund des Seins in ihr, d. h. Suc⸗
er (W. L, 41. Vergl. unter Grund: Sat vom Grunde bes
eins.
Die Zeit ift die allgemeinfte Form aller Objecte der im Dienfte
des Willens ftehenden Erkenntniß und ber Urtypus der übrigen For-
men derfelben. (%.I, 209.) Sie ift bie erfte uud weſentlichſte Form
alles Erkennens. (W. II, 314.) Sie macht das unterfie Grund⸗
gerüft der Schaubühne diefer objectiven Welt aus. (P. II, 44.) Sie
ift das einfache, nur das Wefentliche enthaltende Schema aller übrigen
r Zeit ® 485
Geſtaltungen des Satzes vom zureichenden Grunde, ja, der Urtypus
aller Endlichkeit. (©. 150. 158.)
Die Zeit ift die Form des innern Sinnes. Der alleinige Gegen-
ſtand des innern Sinnes ift der eigene Wille des Erkennenden. Die
Zeit iſt daher die Form, mitteljt welcher dem urſprünglich und an ſich
erfenntnißlofen individuellen Willen die Selbſterkenntniß möglich wird.
In ihr nämlich erfcheint fein an fid) einfaches und identifches Wefen
audeinandergezogen zu einen Lebenslauf. (W. II, 41. 314. Vergl.
aud unter Bewußtfein: Gegenſatz des Selbftbewuftjeins und des
Bewußtſeins anderer Dinge.)
2) Idealität der Zeit.
Die von Kant entdeckte Idealität der Zeit hat jchon einen genügen⸗
den Beweis an der gänzlichen Unmöglichkeit, fie hinwegzudenken, wäh»
rend man Alles, was in ihr ſich darftelt, fehr Leicht hinwegdenkt.
(38. I, 37.) Die Idealität der Zeit ift eigentlich fchon in dem, der
Mechanik angehörenden Geſetze ber Trägheit enthalten, welches im
Grunde befagt, daß die bloße Zeit feine phyſiſche Wirkung hervorzu⸗
bringen vermag, daher fie, für fid) allein, an der Ruhe oder Bewe-
gung eines Körpers nichts ändert. Schon hieraus ergiebt fich, daß fie
fein phyſiſch Reales, fondern ein transfcendental Ideales fei, d. h. nicht
in den Dingen, fondern im erfennenden Subject ihren Urfprung habe.
(. II, 41 fg.)
Daß die Zeit überall und in allen Köpfen vollfommen gleichmäßig
fortläuft, Tieße fid) fehr wohl begreifen, wenn dieſelbe etwas rein
Aeußerliches, Objectives, durch die Sinne Wahrnehmbares wäre, wie
die Körper. Aber das ift fie nicht. Auch ift fie keineswegs die bloße
Bewegung oder fonftige Veränderung der Körper; diefe vielmehr ift in
der Zeit, welche alfo von ihr fchon als Bedingung vorausgefegt wird;
denn die Uhr geht zu fchnell, oder zu langfam, aber nicht mit ihr die
Zeit, fondern das Gleichmäßige und Normale, worauf jenes Schnell
und Langfam fich bezieht, ift der wirkliche Lauf der Zeit. Die Uhr
mißt die Zeit, aber fie macht fie nicht. Wenn alle Uhren ftehen
blieben, wenn die Sonne felbft ftillftände, wenn alle und jede Bewe⸗
gung oder Veränderung ftodte; jo würde bies doch den Lauf der Zeit
feinen Augenblid hemmen, fondern fie würde ihren gleihmäßigen Gang
fortfegen und nun, ohne von DBeränderungen begleitet zu fein, ver»
fließen. Dabei ift fie dennoch nichts Wahrnehmbares, nichts äußerlich,
objectiv Gegebenes. Da bleibt Feine andere Annahme übrig, als daß
fie in uns liege, unfer eigener, ungeftört fortichreitender mentaler
Proceß, die Form unfers Vorſtellens ſei. (P. II, 43 fg.; I, 108.
W. II, 40.)
3) Praedicabilia a priori der Zeit.
Ueber die Einheit, unendliche Theilbarkeit, Continuität, Anfangs
und Endlofigkeit, Beftandlofigkeit und fonftige Praedicabilia a priori
486 Zeit
der Er „’ die Tafel der Praedicabilia a prior ®.I,
55.)
u ©
4) Die drei Abſchnitte der Zeit.
Die Zeit hat drei Abfchnitte: Bergangenheit, Gegerwert Z
kauft, weldye zwei Richtungen mit einem „udifferenzpunft bilken. (©.
ID, zu ©. 55, Tafel der Praedicabilia a priori No. 4. — Teer
die drei Beitabfehnitte im Befondern vergl bie Artikel: Gegenwart,
Bergangenpeit, Zulunft.)
5) Die zeitliche Yolge.
a) Die zeitliche Folge als allein vermöge der Un
fhauung a priori verftändlides Berhältzik.
(S. Folge.)
b) Geſetz ber zeitliden Folge (S. Folge.)
c) Unabhängigkeit der zeitlihen Folge von ber
Saufalität. (©. Folge.)
6) Bedingung der Wahrnehmbarkeit des Laufes ber
Zeit.
Da alle Bewegung erft wahrnehmbar wird durch den Vergleich mit
etwas Ruhendem, fo könnte auch ber Lauf der Zeit mit Allem in ik
nicht wahrgenommen werben, wenn nicht etwas wäre, das an dem
felben Feinen Teil hat, und mit deffen Ruhe wir die Bewegung jenes
vergleichen. Dieſes Feftftehende, an welchem die Zeit mit ihrem In,
Salt vorüberfließt, Tann nichts anderes fein, als das erkennende Sub⸗
ject jelbft, als welches dem Laufe der Zeit und dem Wechſel ihres
Inhalts unerfchüttert und unverändert zuſchaut. Daraus folgt aber
nit, daß dae erfennende Subject eine beharrende unzerftörbare Eub-
ftanz, eine endlo8 fortdauernde Seele fei. (P. I, 107—111. Bergl.
Seele und Perſönlichkeit.)
7) Meßbarkeit der Zeit.
Die Zeit ift nicht direct, durch ſich jelbft meßbar, fonbern nur ür
direct, durd die Berwegung, als welche in Raum unb Zeit zugleid
ift; fo mißt die Bewegung ber Sonne und ber Uhr bie Zeit. (WB. II,
zu Seite 55, Tafel der Praedicabilia a priori, No. 18.)
8) Bereinigung von Zeit und Raum in der Dauer
und Beränderung (S. Dauer und Veränderung.)
9) Gegenſatz zwifhen Zeit und Raum " Hinſicht auf
bie abftracte Erfenntnif. (S. Raum.
10) Der Sinn, beifen Wahrnehmungen nefälicktia
in der Zeit find,
Das Gehör ift der Sinn, beffen Wahrnehmungen ausſchließlich in
der Zeit find; daher das ganze Weſen der Muſik im Zeitmaß befleht.
Zeitalter 487
Die Wahrnehmungen des Geſichts Hingegen find zunächft und aus⸗
ſchließlich im Raume, ſecundär, mittelft ihrer Dauer, aber auch in
der Zeit, (W. II, 32.)
11) Berhältniß der Zeit zur Ewigleit. (S. Ewigleit.)
12) Aufhebung der Schranfen der Zeit im fomnam-
bulen Hellfeben.
Die Trennungen mittelft des Raumes werben im fomnambulen
Hellfehen jehr viel öfter, mithin. leichter aufgehoben, als die mittelft
der Zeit, indem das blos Abwefende und Entfernte viel öfter zur
Anfchauung gebracht wird, als das wirklich noch AZufünftige In
Kant's Sprache wäre dies baraus erflärlich, daß der Raum blos die
Form des AÄußern, die Zeit die des innern Sinnes if. — Daß Zeit
und Raum ihrer Form nad) a priori angeſchaut werden, hat Kant
gelehrt; daß es aber au ihrem Inhalt nad geichehen Tann, lehrt
der hellſehende Somnambulismus. (P. II, 45.)
13) Nichtigkeit des Zeitlichen.
Alles Sein in der Zeit ift auch wieder ein Nichtfein; benn bie
Zeit ift eben nur dasjenige, wodurd dem felben Dinge entgegengefegte
Beftimmungen zukommen können. Daher ift jede Erfcheinung in ber
Zeit eben auch wieder nicht; denn was ihren Anfang von ihrem Ende
trennt, ift eben nur die Zeit, ein weſentlich Hinfchwindendes, Beſtand⸗
loſes und Relatives, hier Dauer genannt. (W. I, 209. Vergl. unter
Dafein: Nichtigkeit des Dafeins.)
14) Unabhängigkeit unfers Weſens an fih vom Laufe
der Zeit.
Unfer Wefen an fi ift, unberührt vom Laufe ber Zeit und dem
Hinfterben der Gefchlechter, in immerwährender Gegenwart da. (W.
I, 547. Bergl. Tod und Unzerftörbarkeit.)
15) Die aus dem Gebundenfein an die Form der Zeit
entfpringenden Unvolllommenheiten des Intel—
leets. (S. unter Intellect: Unvolllommenheiten des
Intellects.)
16) Einfluß des Lebensalters auf die ſubjective
Schätzung der Zeitlänge. (S. unter Langeweile:
Verhältniß der Lebensalter zur Langeweile.)
Zeitalter.
1) Jedes Zeitalter Hat eine harakteriftifhe Phy—
fiognomie.
Wie jeder Menſch eine Phyfiognomie bat, nad) der man ihn be»
urtheilen Tann; fo bat aud jedes Zeitalter eine, die nicht minder
charakteriftifch ift. “Denn der jedesmalige Zeitgeift gleicht einem jchar«
fen Oftwinde, der durch Alles hindurchbläſt. Daher findet man feine
488 Zeitbienerei — Zeitlichkeit
Spur in allem Thun, Denten, Schreiben, in Mufit und Malerei, im
Floriren diefer oder jener Kımfl. Allem und jedem drüdt er feinen |
Stämpel auf; daher 3. B. das Zeitalter der Phraſen ohne Sum and |
das der Muſiken ohne Melodie und der Formen ohne Zwed und Ut-
fit fein mußte. (P. I, 482.)
2) Charakter des Alterthums, Mittelalters und der
Neuzeit. (©. d. Alten, Mittelalter und Jetztzeit
3) Verſchiedenes Berhältniß der Werke der Manieriften
und der Werke der Genies zu ihrem Zeitalter.
Die manierirten Werke finden zwar bei ihrem Zeitalter Ianten Be:
fall, find aber nach wenigen Jahren fchon veraltet. (Bergl. Manier,
Manieriften) Nur die ächten Werke, die Werle der Genies, bleibe
wie die Natur, aus ber fie gefchäpft find, ewig jung und ſtets m-
kräftig. Denn fie gehören keinem Zeitalter, fondern der Menfhien
an; und wie fie eben deshalb von ihrem eigenen eitalter, twelden
fih anzufchmiegen fie verfchmäßten, lau aufgenommen und, weil fie di
jedesmalige Verirrung defjelben mittelbar und negativ aufdedten, fpä
und ungern anerfannt wurden; fo fünuen fie dafiir auch nicht veralte.
(W. I, 278 fg.)
Zeitdienerei.
Zeitdienerei und Zartüfflanismus läßt fih zur Noth im jeer
Kleide entfchuldigen, in der Kutte und dem Hermelin, mir nicht in
Tribonion, dem Phuofophenmantel; benn wer biefen anlegt, bat zur
Sahne der Wahrheit gefhworen, und nun ift, wo es ihren Dienft
gilt, jede andere Rückſicht ſchmählicher Berrath. (NR. 17fg. Berl.
Philoſoph.)
Zeitgeiſt, ſ. Zeitalter.
Zeitgenoſſen.
1) Verſchiedenes Schickſal der Talentmänner und der
Genies bei den Zeitgenoſſen. (S. unter Genie: Unter:
ſchied zwifchen Genie und Talent, und Nachtheile ber Senialitöt
2) Seringer Werth des Beifalls der Zeitgenofier.
(S. Beifall.)
3) Gegenfag zwiſchen dem Ruhm bei den Zeitgenojien
und dem Ruhm bei ber Nachwelt. (S. Ruhm.)
Zeitlichkeit.
Das Chriftentfum nennt diefe Welt jehr treffend die Zeitlichkeit
nad) der einfachiten Geftaltung des Satzes vom Grunde, dem Urtypus
allec andern, der Zeit, und redet im Gegenfag Hiezu von der Ewig
feit. (©. 158. H. 419.)
Zeitungen. Zeitungsfhreiber — Zeugung. Zeugungsact 489
Zeitungen. Zeitungsfchreiber.
1) Die Zeitungen.
Die Zeitungen find der Secundenzeiger der Gedichte. Derſelbe
aber ift meiftend nicht nur von unedlerem Metalle, als die beiden an⸗
dern, fondern geht auch felten richtig, — Die fogenannten „leitenden
Artikel” darin find der Chorus zu dem Drama ber jeweiligen Be—
gebenbeiten. (P. II, 481.)
2) Die Zeitungsfchreiber.
Uebertreibung jeder Art ift der Zeitungsſchreiberei ebenfo weſentlich,
wie der dbramatifchen Kunft; denn es gilt, aus jedem Vorfall möglichft
viel zu machen. Daher aud) find alle Zeitungsfchreiber von Hand—
werks wegen Allarmiften; dies ift ihre Urt, ſich intereffant zu machen.
(P. II, 481.)
Zerfireuung, f. unter Intellect: Unvolllommenheiten bed In⸗
tellecte. Ä
Zeugung. Zeugungsart.
1) Zeugung und Tod als wefentlide Momente bes
Lebens der Gattung. (S. Tod.)
2) Das Inſtinctive des Zeugungsacts.
In der Brunſt und im Acte der Zeugung weiß das Thier nicht,
daß es ſterben muß und daß durch fein gegenwärtiges Geſchäft ein
neues Individuum entfliehen wird, um an feine Stelle zu treten. Es
fennt alfo den Zwed der Zeugung nit, forgt aber doch filr die
Bortdauer feiner Gattung in der Zeit, als ob es ihn kennte. Sein
Thun wird nicht von Erkenntniß geleitet, fondern ift ein inftinctives.
Beim Menſchen ift zwar der Zeugungeact von der Erkenntniß feiner
Endurfache begleitet, ift aber doch nicht von ihr geleitet, fondern geht
unmittelbar aus dem Willen zum Leben hervor, als defjen Concen:
tration. Der Zeugungsact ift demnach den inftinctiven Handlungen
beizuzählen; denn fo wenig bei der Zeugung das Thier durch die Er⸗
kenntniß des Zwecks geleitet ift, fo wenig ift e8 dieſes bei den Kunſt⸗
trieben. (Bergl. Inftinet.) Die Zeugung ift gewiffermaßen der be=
wunderungswirdigfte der Kunfttriebe und fein Werk das erſtaunlichſte.
(®. I, 584 fg.)
3) Der Zeugungsact von der fubjectiven und don der
objectiven Seite angejehen,
Die Zeugung, diefer mit dem Tode gleich geheimnißvolle Vorgang,
ftellt uns den fundamentalen Gegenſatz zwijchen Erfcheinung und Weſen
an fich dev Dinge, d. i. zwifchen der Welt al8 Vorftellung uud der
Welt als Wille, wie auch die gänzliche Heterogeneität der Geſetze
Beider, am unmittelbarften vor Augen. Der Zeugungsact nämlich
4% _ Beugung. Zengungsact
ftellt fi uns auf zwiefache Weiſe dar: erftlich fiir das Selbſtbewußt⸗
fein, deſſen alleiniger Gegenftand der Wille mit allen feinen Affectionen
if, und fodann fir das Bewußtfein anderer Dinge, d. i. der Welt
der Vorfiellung. (Ueber den Gegenfag des Selbftbewußtieine und des
Bewußtfeins anderer Dinge vergl. Bewußtſein.) Bon ber Billene-
feite nun, alfo innerlich, fubjectid, für das Selbftbewußtfein ftellt jener
Act fi dar ald die unmittelbarfte Befriedigung des Willens, d. i
als Wolluft. Bon der Vorftellungsfeite hingegen, aljo äußerlich, ob⸗
jectiv, für das Bewußtſein von andern Dingen, ift eben biefer Act
die Grundlage des unausſprechlich complicirten animalifchen, als bas
planvolle Wert ber ticfften Weberlegung erf heinenden Organismus,
(®. II, 567.)
4) Innere Bedeutung des Zeugungsact®.
Die Natur, immer wahr und confequent, in Angelegenheiten des
Geſchlechtstriebes fogar naib, legt ganz offen die innere Bebentung des
Zeugungsactd dor und dar. Das eigene Bewußtſein, die Heftigleit
des Triebes, Iehrt und, daß in diefem Acte fich die entſchiedenſte Be⸗
iahung bes Willens zum Leben, rein und ohne weitern Zuſat
ausfpriht, und nun in der Zeit und Cauſalreihe erſcheint als Folge
des Acts ein neues Xeben, vor ben Erzeuger ſtellt fid) der Erzeugte,
in der Erjcheinung von jenem verfchieben, aber an ſich, ober der tee
sach, mit ihm identifch. ‘Daher ift es diefer Act, dur den die Ge
ſchlechter der Lebenden fich jedes zu einem Ganzen verbinden und als
folches perpetuiren. Die Zeugung ift in Beziehung auf dem Erzeuger
nur der Ausdrud, das Symptom feiner‘ entfchiedenen Bejahung des
Willens zum Leben, in Beziehung auf den Erzeugten ift fie nicht
etwa der Grund bes in ihm erfcheinenden Willens, fondern nur
fegenheitöurfache der Erſcheinung diefes Willens zu biefer Zeit und am
diefem Ort. (W. I, 387.)
Der Zeugungsact verhält fi zur Welt, wie da8 Wort zum Räth-
fe. Nämlich die Welt ift weit im Raume und alt in der Zeit mb
von unerfchöpfliher Mannigfaltigfeit der Geſtalten. Jedoch ift dies
Alles nur die Erfcheinung des Willens zum Leben, und die Concen-
tration, der Brennpunkt dieſes Willens, ift der Oenerationsact. In
diefem Act alfo fpricht das innere Weſen der Welt fi am beutlid-
ften aus. Als der deutlichfte Ausdruck des Willens aljo ift jener Ad
der Kern, das Compendium, die Quinteffenz der Welt. Daher geft
und durch ihm ein Licht auf über ihr Weſen und Treiben. (W. II,
652. ®. I, 338.)
5) Wefensidentität des Erzeugten mit dem Erzenger.
An die Befriedigung des Gefchlechtötriebes Inlipft ſich der Urfprung
eines neuen Dafeins, alfo die Durchführung des Lebens mit allen
feinen Laften, Sorgen und Schmerzen von Neuem, in einem andern
Individuo. Der Erzeuger bat die Wolluft genofjen, und dafür muß
nun der Erzeugte leben, leiden und fterben. Wo bliebe da, wenn
Zeugung. Zengungsact 491
Beide, wie fie in der Erſcheinung verfchieden find, es auch ſchlechthin
and an fid) wären, die ewige Gerechtigkeit? — Diefe ift nur unter
Ber Annahme zu retten, daß der Erzeugte von dem Erzeuger nur in
der Erfcheinung verfchieden, an fi) aber mit ihm ibentifch ift. (W. II,
650; I, 387. 9. 407. Bergl. aud) unter Gerechtigkeit: Die
ewige Gerechtigkeit.)
6) Srund der Scham über da8 Zeugungsgefhäft.
Mit der Bejahung des Willens zum Leben tiber den eigenen Leib
Hinaus und bis zur Darftellung eine® neuen durch den Zeugungsact
ft aud Leiden und Tod, als zur Erfcheinung des Lebens gehörig, -
aufs Neue mitbejaht und die durch die volllommenſte Erkenntnißfähigkeit
Herbeigefitgrte Deöglichfeit der Erlöfung diesmal für fruchtlos erflärt.
Dier liegt der tiefe Grund der Scham über das Zengungsgefchäft.
CD. I, 387 fg. — Ueber die zur Erlöfung führende vollfommenfte
Erkenntniß vergl. Quietiv, und unter Wille: Bejahung und Ver⸗
meinung des Willens zum eben.) ”
(Was die Scham tiber die Öenitalien beweift, darüber ſ. Ge-
nitalien.)
7) Das Dafein als Baraphrafe des Zeugungsacts,
Das Leben eines Menfchen mit feiner enblofen Mühe, Noth und
Leiden ift anzufehen als die Erflärung und Baraphrafe des Zeugungs«
actes, d. i. der entfchiebenen Bejahung des Willens zum Leben; zu
derjelben gehört auch noch, daß er der Natur einen Tod ſchuldig ift,
und er denkt mit Beklemmung an dieſe Schuld. — Zeugt dies nicht
Davon, daß unfer Dafein eine Verſchuldung enthält. (W. II, 650.)
Der Act, durch welchen der Wille fich bejaht und der Menſch ent-
ſteht, ift eine Handlung, deren Alle fih im Innerſten fchämen, die fie
Daher forgfältig verbergen. Es ift eine Handlung, deren man bei
Zalter Ueberlegung meiftens ‚mit Widerwillen, in erhöhter Stimmung
mit Abſcheu gedenft. Eine eigenthiümliche Betrübniß und Reue folgen
ihr auf dem Fuße. Sie ift der Stoff zur Zotenreißerei. Aber einzig
und allein mittelft der Ausübung einer fo beichaffenen Handlung bes
fteht das Menfchengefhleht. — Hätte nun der Optimisnus Recht,
wäre unfer Dafein das dankbar zu erfennende Gefchent höchfter Weis—
heit und Güte, da müßte doc) wahrlich der Act, welcher es perpetuirt,
eine ganz andere Phyflognomie tragen. Iſt Hingegen dieſes Dafein
eine Art Fehltritt, ein Irrweg, fo muß der e& perpetuirende Act ge=
rade jo ausjchen, wie er ausfieht. (W. II, 651 fg. P. II, 338.)
8) Unterfcieb zwifchen dem Antheil des Mannes und
bem des Weibes an der Zeugung.
Der Untheil des Weibed an der Zeugung ift in gewiſſem Sinne
‚ Tchuldlofer, al® der bes Mannes; fofern nämlich biefer dem zu Er»
zeugenden ben Willen giebt, welcher die erfte Sünde und daher die
Duelle alles Böfen und Uebels ift, das Weib Hingegen die Erfennt«
492 Zeugung. Zeugungsact
niß, welche den Weg zur Erlöfung eröffnet. (Bergl. Bererbung.:
Der Generationsact ift der Weltnoten, indem er befagt: „ber Wil⸗
zum Leben hat ſich aufs Neue bejaht”. Die Conceptiou und Echwanger-
Schaft Hingegen beingt: „dem Willen ift auch wieder das Licht der
Erkenntniß beigegeben“, mit weldyer die Möglichkeit der Erlöfen;
- aufs Neue eingetreten ift. Hieraus erflärt fi die beadhtenswert.:
Erjcheinung, daß, während jedes Weib, wenn beim eneratiorsar
überrafcht, vor Scham vergehen möchte, fie hingegen ihre Schwanger:
Schaft ohne cine Spur von Scham, ja, mit einer Art Stolz, zur Ede:
trägt. Jedes andere Zeichen des vollzogenen Coitus bejchämt ta:
Weib im höchſten Grade, nur allein die Schwangerfchaft nicht. Ti:
ift eben daraus zu erklären, daß bie Schwangerichaft im gewitiar
Sinne eine Tilgung der Schuld, welche der Coitus contraßirt, wi:
fi) bringt oder wenigftens in Ausficht ſtellt. Der Coitus ift haup
fählih die Sache des Mannes, die Schwangerfhaft ganz allein ti
bes Weibes. Vom Vater erhält das Kind den fiindlichen Willen, ve
der Mutter den Intellect, das erlöfende Princip. Daher trägt de
Coitus alle Scham und Schande der Sadıe, hingegen die ihm fo nat:
verfchwifterte Schwangerfchaft bleibt rein und unſchuldig, ja wird g:-
wiffermaßen ehrwürdig. (PB. IL, 338 fg.)
9) Veredelung des Menfhengefhlehts auf dem Wege
ber Zeugung. (©. Beredelung.)
10) Abnahme ber Naturheilfraft mit der Zengungs:
fühigfeit. (S. unter Natur: Entgegengefegtes Berhalten
der Natur zu den Gattungen und zu den Individuen.)
11) Steigerung der Zeugungstraft durch antagoniftiid:
Urfaden.
Es iſt ein Naturgefeg, daß die profifile Kraft des Menſchen⸗
geichlecht, welche nur eine bejondere Geftalt der Zeugungskraft ker
atur überhaupt ift, dur eine ihr antagoniftifche Urſache erhöt
wird, aljo mit dem Widerftande wächſt. Nehmen wir an, jene, der
profififen Kraft antagoniftiiche Urfache träte einmal durch Berheerungen,
mittelit Seuchen, Naturrevolutionen u. ſ. w. in einer noch nie dage⸗
weſenen Größe und Wirkfamkeit auf; fo müßte nachher auch wiekr
die prolifite Kraft auf eine bis jegt ganz unerhörte Höhe fteiger.
Gehen wir endlich in jener Verſtärkung der antagoniſtiſchen Urfad:
bi8 zum äußerſten Punkt, alfo der gänzlichen Ausrottung des Mer
fcheugefchlechts; fo wird auch die fo eingezwängte prolifife Kraft eis
dem ‘Drud angemeffene Gewalt erlangen, mithin zu einer Anftrengar;
gebracht werden, die das jett unmöglich Scheinende leiſtet, nämlid.
da ihr die generatio univoca, d. h. bie Geburt des Gleichen ven
Gleichen verjperrt wäre, fi) dann auf die generatio aequivoca werfe..
(P. II, 162 fg.)
Zoologie — Zorn 493
Soologie.
1) Was die Zoologie lehrt. (S. Morphologie.)
2) Ein befonderer Nugen der Befchäftigung mit 300»
logie.
Auf die Erkenntniß der Identität des MWefentlichen in der Erſchei⸗
nung des Thieres und des Menjchen leitet nichts entfchiedener hin, als
die Belhäftigung mit Zoologie und Anatomie. Dadurch befördert fie
ben Thierſchutz. (E. 240. Vergl. Thierfchug und unter Menſch:
Fdentität des MWefentlihen in Thier und Menfd).)
Zorn.
1) Der Zorn ald Beweis des Primats des Willens,
Der Zorn beweift die Blindheit des Willens und den Primat bef-
felben über den Intellect. Denn entjpränge das Wollen blos aus ber
Crfenntniß; ſo müßte unfer Zorn feinem jedesmaligen Anlaß genau
angemeſſen fein. So fült e8 aber fehr felten ans; vielmehr geht der
Zorn meiftend weit über den Anlaß hinaus. (W. U, 253.)
2) Wirkungen des Zornes.
a) Phyfislogifhe Wirkung des Zornes.
Anftrengungen der Irritabilität, imgleichen die rüftigen Affecte, wie
Freude, Zorn u. dgl. befchleunigen mit dem Blutumlauf aud) die Re⸗
fpiration; daher der Zorn keineswegs unbedingt ſchädlich ift und ſo⸗
gar, menn er nur fid) gehörig auslaffen kann, auf manche Naturen,
die eben deshalb inftinctmäßig nach ihm ftreben, wohlthätig wirkt, zu=
mal er zugleid) den Erguß der Galle befördert. (P. IL, 177.)
Der Zorn macht fchreien, ſtark auftreten und heftig gefticuliren ;
eben diefe körperlichen Aeußerungen aber vermehren ihrerfeitS den Zorn
oder fachen ihn an, — ein Beweis von der Identität des Willens
mit dem Leibe. (P. II, 619. Bergl. Leib.)
b) Pfyhologifhe Wirkung des Zornes.
Wie alle Affecte (vergl. Affecte), fo wirkt auch der. Zorn ftörend
und verfälfchend auf den Intellet. Der Zorn läßt uns nicht mehr
wiflen, was wir thun, noch weniger, was wir fagen. (W. II, 241.)
Der Heinfte Anlaß genügt dem Zorn, indem er ihn in der Phan⸗
tafte vergrößert. Der Zorn fchafft nämlich ſogleich ein Blendwerk,
welches in einer monftrofen Vergrößerung und Berzerrung feines An⸗
laſſes befteht. Dieſes Blendwerk erhöht nun felbft wieder den Yorn
und wird darauf durch diefen erhöhten Zorn felbft abermals vergrößert.
So fteigert fi) fortwährend dieſe gegenfeitige Wirkung, bis der furor
brevis da ift. (PB. U, 626.)
3) Gegenmittel gegen den Zorn.
Unfern Zorn, felbft wenn er gerecht ift, befänftigt nichts fo ſchnell,
wie Binfichtlich des Gegenftandes deſſelben die Erregung des Mitleids
494 Bote — Zufall. Zufälligleit
durch die Rede: „es ift ein Unglücklicher“. Denn was für bes Fent:
der Regen, das ift für den Zorn das Mitleid. (E. 238.)
Der vergrößernden Wirfung des Zornes vorzubeugen, fellten leb⸗
hafte Perſonen, ſobald ſie anfangen, ſich zu ärgern, es über ng au
gewinnen fuchen, daß fie die Sache für jetzt ſich aus Km Sime
ſchlügen; denn dieſelbe wird, wenn fie nach einer Stunde darauf ze:
rüdfommen, ſchon lange nicht fo arg und bald vielleiht unbebeuten:
erfcheinen. (PB. II, 626.)
4) u nbtiaft und Unterfhieb zwifden Zorn un!
af.
Der Haß verhält ſich zum Zorn, wie die chronifche zur accie
Krankheit. (P. I, 229.) Beide haben dies gemein, daß ihre Befrie-
digung für ift und das Subject nad) ihrer Auslafjung, wenn fie um:
auf feinen Widerftand geftoßen, ſich entjchieden wohler befindet. 8.
II, 228.)
5) Tebensregel in Bezug auf den Zorn und Haf. |<
Haß.)
Zote.
1) Zu welder Art des Wites die Zote gehört. (E. unter
Lächerlich: Witz.)
2) Warum das Geſchlechtsverhältniß häufigen Anlet
zu Zoten giebt. (S. Geſchlechts verhältniß.)
Zufall. Zuſälligkeit.
1) Begrifſsbeſtimmung des Zufallo.
Das Zuſammentreffen in der Zeit von Begebenheiten, die wiht iu
Gaufalverbindung ftehen, ift wa® man Zufall nennt, welde Bor
vom Zufammentreffen, Zufammenfallen bes nicht Berfnitpften herfonmt.
Id trete z. B. vor die Hausthür, und es fällt ein Ziegel vom Dad,
der mich trifft; fo ift zwifchen meinem SDeraustreten und bem Yalleı
de8 Ziegels keine Gaufalverbindung. (©. 88.) „Zufälig‘ bedente:
das Zufammentreffen in der Zeit des cauſal nicht Verbundenen. ($.
1, 229.)
Der Inhalt des Begriffs der Zufälligfeit ift alfo negativ, nämlid
weiter nichts als diefes: Mangel der durch den Satz dom Grundt
ausgedrücten Berbindung. Da num aber alle Objecte dem Satz von
Grunde unterworfen find, fo ift aud die Verneinung der Nothwendiz—
Teit, welche die Zufälligfeit austrüdt, nur relativ. Das Zufällige
ift nämlid) immer nur in Bezug auf etwas, das nicht fein Iran
ift, ein ſolches. Jedes Object, von welcher Art es auch ſei, ift ak
mal nothiwendig und zufällig zugleich; eine Begebenheit 3. B. ift motd-
wendig in Peziehung auf das Cine, das ihre Urſache if, zufällig
in Beziehung auf alles Uebrige. Denn ihre Berührung in Zeit und
Raum mit allem Uebrigen ift ein bloßes Zufammentreffen, ohne not}
Zufriedenheit — Zukunft. Zulünftiges 495
suendige Verbindung. Ein abfolut Zufälliges ift alfo undenkbar;
Denn diefes Leßtere wäre ein Object, welches zu keinem andern im
Verhältniß ber Folge zum Grunde flände, — was, weil e8 gegen ben
Sag vom Grunde ftreitet, unvorftelbar if. (W. I, 550. €. 46.
P. I, 229)
2) Mißbraud des Wortes „zufällig“ in dem vor-
fantifhen Dogmatismuns. (S. unter Nothwendig,
Nothwendigfeit: Kritik des Begriffs der abfoluten Noth-
wendigfeit.)
3) Planmäßigkeit des Zufälligen im Schidfal des
Einzelnen. (©. unter Schidfal: Die anſcheinende Ab⸗
fihtlichkeit im Schidjale des Einzelnen, und unter Fatum,
Fatalismus: Unterfchied zwifchen dem gewöhnlichen und
dem höheren Fatalismus.)
4) Sleihgültigkeit des Zufalls gegen Berdienft, und
die daraus zu fchöpfende Hoffnung. Ä
Wohl ift der Zufall eine böfe Macht, der man fo wenig wie mög-
lich auheimftellen fol. Doc, da er feine Gaben nicht nach Berdienft
und Witrdigfeit austheilt, jo dürfen wir hieraus auch die freudige
Hoffnung fchöpfen, noch mand)e gute Gabe unverdient zu empfangen.
Der Zufall maht uns einleuchtend, daß gegen feine Gunſt und Gnade
alles Berdienft ohnmächtig ift und nichts gilt. (P. I, 498. M. 360.)
5) Empfehlung der Berüdfihtigung ber Macht bes
Zufalls bei unſern Vorkehrungen für die Zukunft.
Der Zufall bat bei allen menſchlichen Dingen fo großen Spiel-
raum, daß wenn wir einer vom ferne drohenden Gefahr gleich durch
Aufopferungen vorzubeugen ſuchen, diefe Gefahr oft durd) einen un⸗
vorhergefehenen Stand, den die Dinge annehmen, verjchwindet, und
jet nicht nur die gebrachten Opfer verloren find, fondern die durch
ſie herbeigeflihrte Veränderung nunmehr, beim veränderten Stande ber
Dinge, gerade ein Nachtheil if. Wir müſſen daher in unfern Vor⸗
fehrungen nicht zu weit in die Zukunft greifen, jondern and) auf den
Zufall rechnen. (®. I, 501.)
Aufriedenheit, |. Unzufriedenheit.
ug, f. Mechanik.
Zugleichfein, |. Dauer.
Zukunft. Zukünftiges.
1) Zufunft und Bergangenheit im Berhältiniß zur
Gegenwart. (S. Gegenwart.)
496 Zurechnung. Zurechnungsfähigfet — BZwed
2) Die aus dem Intellect entjpringende Täufchung
in Betreff des Zufünftigen.
Die Zeit ift diejenige Einrichtung unſers Intellecte, vermöge welcher
das, was wir als das Zukünftige auffaflen, jetzt gar nicht zu eriftiren
fcheint, welche Täuſchung jedoch verfchwindet, wann die Zukunft zur
Gegenwart geworden if. (B. II, 44. W. II, 547. Bergl. Ent-
fteden und Vergehen.) Daß die wefentliche Form unfers Intellecte
eine folhe Täuſchung Herbeiführt, erflärt und rechtfertigt ſich darauf,
daß der Intellect feineswegs zum Auffaffen bes Weſens der Ding,
fondern blos zu dem der Motive, alfo zum Dienfte einer individuelle
und zeitlichen Willenserfcheinung aus den Händen der Natur hervor⸗
gegangen ift. (W. II, 547.)
3) Empfehlung der Beobadtung des rihtigen Maßes
im Sorgen für die Zufunft. (©. unter Gegenwart:
Genuß der Gegenwart als wichtiger Punft der Lebensweisheit)
4) Zukunft nah dem Tode (©. Tod.)
5) Borherfehen des Zufünftigen. (S. unter Traum:
Das Wahrträumen und bie prophetifchen Träume.)
6) Bedingung der ridtigen Prognofe des Zukünf—
tigen.
Ein richtiges Prognoftifon über kommende Dinge können wir nur
danıı haben, wann fie uns gar nicht angehen, alfo unfer Intereffe
durchaus unberührt laſſen; denn außerdem find wir nicht unbeſtochen,
vielmehr ift unfer Intellect vom Willen inficirt und ingquinirt, ohne
da wir es merfen. (P. II, 70.)
7) Unfähigkeit des Thieres, von der Zufunft zu willen.
(S. unter Menſch: Unterſchied zwifchen Thier und Menid.)
Zurechnung. Zurechnungsfähigkeit, |. Verantwortlichkeit.
Zurückſührung.
1) Zurückführung aller Qualität auf Quantität. (S.
Qualität.) '
2) Zurüdführung der Lebenskraft auf die blos meda-
niſche Wirkſamkeit der Materie (S. unter Ma:
terialismus: Fehler des Materialismus, und vergl
Lebenskraft.)
Zutrauen, ſ. Vertrauen.
Zuvorkommenheit, ſ. Umgang.
Zweck.
1) Relativität des Begriffe „Zwed”.
Zweck fein bedeutet gewollt werben. Jeder Zweck iſt es nur in
Beziehung auf einen Willen, befien Zweck, d. 5. deſſen directes Motiv
Zweckmäßigkeit — Zweites Geficht ‚ 497
er if. Nur im diefer Relation bat der Begriff Zwed einen Sim
und verliert diefen, jobald er aus ihr herausgerijien wird. Dieſe ihm
wejentlihe Relation fchließt aber nothwendig alles „Au ſich“ ans.
Der Kant'ſche Say: „Der Menſch und Überhaupt jedes veriiünftige
Weſen exiftirt als Zweck an ſich felbſt“ iſt daher cin Ungedanke,
eine contradictio in adjecto. „Zweck an ſich“ oder Selbſtzweck
ift gerade wie „Freund an ſich“, „Feind an ſich“ u. ſ. w. (€. 161.)
2) Bedeutung des Gegenfatzes zwifhen Zweck und
Mittel.
Zweck ift das directe Motiv eines Willensactes, Mittel das in-
directe. (E. 160.)
Zwechmäfiigkeit, f. Teleologie und Organifd), Organismus.
Zwecurfache, |. Teleologie.
Zweideutigkeit, ſ. unter Lächerlich: Witz.
Zweites Geſicht, |. Magie und Magnetismus, ferner unter
Traum: Das Traumorgan, und: Unterſchied zwiſchen bem
Traum und den ihn verwandten Erſcheinungen.
Schopenhauer⸗Lexikon. I. 32
4.
Aberglaube. Er
rat, 3
Abfolut as Abſolute. 4.
Abſtract. Abſtraete Vor⸗
ſtellung. zöftracte Er⸗
kenntniß. 5
Abſurde, das. 8.
Acciden;. 8.
Actio in distans. 8.
Adel. 8.
Aecht. 9.
Hegypter. 9.
Kerger. 10.
Aefthetifch. 10.
Aether. 11.
Hetiologie. 12,
Affe. 13.
Affect. 14.
Affectation. 16.
Agape. 16.
Agilität. 16.
Atademien. 16.
Allegorie. 17.
Allseins-Tehre. 19.
Allgegenmart. 20.
Allgemeine, dat. Er
fenntniß des Allgermei-
nen. Allgemeine Wahr:
heiten. 20.
Allmadt. 21.
Altwiffenbeit. 21.
Alte Welt. 21.
Alten, die. 21.
Alter. 25.
Regifler.
Altes Teſtament. 25.
Amerila. Amerilaner. 25.
Amor. 26.
Amtsehre. 26.
Analytiſch. 26.
Anatomie. 26.
Angeboren. 28.
Animaliſger Magnetis⸗
mus.
ar 29.
Anſchauung. Anſchauende
Erkenntniß. Das An⸗
ſchauliche. 29.
AInthrepelogie. 34.
Antichrift
Anticipation. 35.
Antil. 36.
Antinomien. 36.
Apagogc. 38.
Apperception. 38.
Apriori. 38.
Architectur. 39.
Ariftotratie. 48.
Arithmetik. 44.
Armuth. 46,
Art. 47.
Artefact. 47.
Arzt. 47.
Afeität. 48
Askeſe. 48
Affertion. 50.
Affociation. 50.
Aftrologie. 50.
Aftronomie. 50.
Atheismus. 53.
Athmen. 53.
Atom. Atomiftit. 55.
Attractions- und Repul-
fionsfraft. 57.
Auctoritäten. 57.
Auflöjung. 57.
Auge. 57.
Augenblid. 60.
Ausdehnung. GO.
Außenwelt. 60.
Außerzeitlich. 61.
Ausfiht. Gl.
Autobiographie. 62.
Ariom. 62.
B.
Bart. 62.
Baß. 62.
Baukunſt. 62.
Bedingen. 62.
Bedürfniſſe. 63.
Befriedigung. 63.
Begierde. 64.
Begriſſ. 64.
Beharrlichkeit. 7
Beifall. 71.
Beiſpiel. 1
Bejahung. 7
Beleidigung. 3 .
Beredſamkeit. 73.
Bergpredigt. 74.
Beihäftigung. 74.
Beicheidenheit. 74.
Beſchränkung. 75.
Belinnen. 75.
Befitsredjt. 75.
32 *
500
Beionnenheit. 75.
Beilerung. 77.
Beftimmung. 78.
Betrahhtungsart. 78.
Betrug. 78.
Bettelmönde. 78.
Bewegung. 78,
Beweis. 81.
Bemwußtfein. 83.
Bibel. 88.
Bibliotheken. 91.
Bild. 91.
Bilddauerfunft. 91.
Bildung. 91.
Billigfeit. 92,
Biographie. 92.
Dlid. 93.
Blut. 93.
Böſe.
Brunſt. 96.
Bücher. 96.
Büchertitel. 98.
Buddhaiemus. 98.
C.
Calembourg. 100.
Caricatur. 100.
Caritas. 100.
Charalter. 100.
Chemie. 106.
Chriſtenthum. 107.
Citate. 109.
Coelibat. 110.
Coitus. 110.
D.
Da capo. 110.
Daguerrotyp. 110.
Damen. 110.
Dämmerung. 111.
Dämon. 111.
Dämonion. 111.
Dankbarkeit. 111.
Dafein. 111.
Dauer. 112.
Deduction. 113.
Delirium, 113.
Demagogen. 113.
Demutb. 113.
Denten. 11%.
Denler. 115.
Denfformen. 116.
Denfgefeße. 116.
Bosheit. 93.
Brahmanismus. 95.
Regiſter.
Denkmale. 117.
Desperation. 118.
Despotismus. 118.
Determinismus. 118.
Deus. 119.
Acurepog sciovus. 119.
Deutlichkeit. 119.
Deutſch. 119.
Dialektik. 121.
Dialog. 122.
Dianotologie. 122.
Didten, Dichter und
Dichtkunft. 123.
Dilettanten. 123.
Ding an fi. 123.
Disputiren. 128.
Dogmatismus. 129:
Dogmen. 130.
Ton Qutjote. 131.
Drama. 131.
Draperie. 134.
Dreffur. 134.
Drud. 134.
Duell. 134.
Dummheit. 134.
Durdhfichtigleit. 136.
Dystolos. 1836.
E.
Edel. 136.
Egoismus. 137.
Ehe. 139.
Ehre. 142.
Ehrlichkeit. 146.
Eid. 147.
Eiferſucht. 148.
Eigennutz. 148.
Eigenſinn. 148.
Eigenthum. 148.
Eiuapuevn. 149.
Einbifdungstraft. 149.
Einfalt. 149.
Einſamkeit. 150.
Einſicht. 153.
Eitelkeit. 153.
Ekelhafte, das 154.
Elafticität. 154.
Elephant. 154.
Eltern. 159.
Emanationsiyftem. 155.
Emblen. 155.
Empfindlichleit. 156.
Empfindfamtleit. 156.
Empfindung. 156.
Empirie. 157.
"Ev xaru now. 157.
Endlich und unendlich
157.
Endurſachen. 158.
Eugländer. 158.
Ens realissimum. 150,
Entdedung. 159.
Enthymemata. 10.
Entſchluß. 160.
Ensiehen und Bergehen.
Spagoge und Apagoge.
161.
Epitheta. 162.
Epos. 162.
Equiroque. 162.
Erblichkeit. 162.
Erbfünde. 162.
Erection. 163.
Erfahrung. 163.
Erhaben. 164.
Erinnerung. 165.
Eris. 165.
Eriſtik. 165.
Erkenntniß. 166.
Ertenntnißgrund. 170.
Erflärung. 170.
Erlöjung. 171.
Ernährung. 171.
Ernft. 171.
Erſcheinung. 172.
Erftaunen. 174.
Erziehung. 174.
Esprits forts. 113.
Eſſen. 175.
Essentia und existentia.
Erhif und Ethiſch. 177.
Etymologie. 177.
Gudämonofogie. 111.
Eufolos und Dyelolor.
177.
Euthanafle. 178.
Evidenz. 178.
Ewige Gerechtigkeit. 178.
Ewigkeit. 178.
Experiment. 179.
F.
—8* 181.
achgelehrte. 181.
Fanatiemus. 181.
Farbe. 181.
Fatum. Fatalismus. 1&.
Feiertage. 187.
Feigheit. 187.
T5 elle, geftligkeiten, 187.
Flußfiſche. 187.
Folge. Yes
Form. 188.
nn 1%.
Fortuna. 190.
ranzofen. 19,
rauen. 192.
Freiheit. 192.
reimaurerei.
Freude. 201.
Freundſchaft. Fey
geöhlicteit, 204
Fühlen. 204.
Furcht. 204.
Furchtſamkeit. 204.
Fürſten. 204
®.
Gähnen. 206.
Galgen. 206.
Gang. 206.
®anglien. 206.
Gartenkunſt. 207.
Gattung. 208,
Gebärbe. 209.
Gebäude. 209.
Gebet. 209.
©ebirge. 209.
Geburtsrecht. 209.
Gedächtniß. 209.
Seädtnigfunft. 215.
Gedanken. 215.
Sedantenaffociation. 217.
Gedankenfreiheit. 218,
Geduld. 219.
Gefühl. 219.
Gegebene, das. 220.
Gegenſäatzlichkeit. 220.
Gegenftand. 220.
Gegenwart. 220.
Gehäifigteit 222.
Gehirn. 222.
Gehör. 229.
Geiſt. 229.
Geiſter. 230.
Geiftesgegenwart. 236.
Geiz. 236.
Selaffenbit. 237.
Geld. 2
Sefchrfemteit Gelehrte.
238.
Gemein. 241.
Gemüth. 242,
201.
Regifter.
Generatio
243.
Generationdact. 245.
Genie. Genialität.
©enitalien. 256.
Senrebild. 257.
Genus. 257.
Genuß. 258.
Geometrie. 259.
Geräuſch. 260.
Örreihtigteit 260.
Gerud). A
Geſang.
Geſche *
Geſchichte. 266.
Geſchlechtsliebe. 271.
Geſchlechtstheile. 275.
Geſchlechtstrieb. 275.
of nichteverhäftniß.
—*28 278.
Geſchwindigkeit. 278.
Geſchwiſterehe. 279.
Geſchworene. 279.
Geſelligkeit. 279.
Geſellſchaft. 279.
Geſetz. 281.
Geſetzgebung. 282.
Geſicht. 282.
Geſichtskreis. 283.
Geſpenſter. 283.
Geſpräch. 283.
Geſtalt. 285.
—
Sefunöheit 286.
Gewalt. 288.
Gewiſſen. 288.
Gewißheit. 292
Gewohnheit. 293.
Olauke. Olaubenslehre.
Gleichheit. 295.
Sleihmuth. 296.
Gleichniß. 296.
Süd. 296.
Stüdfäligkeit. 297.
Srndjätigteitölchee. 298.
Gnade. 2
nadenvahl. 300.
TvwSı oaurov. 300.
Gothifche Baukunſt. 300.
Gott. Gottesglaube.
Gottesbewußtſein. 300.
Grammatik. 306.
Grauſamkeit. 306.
aequivoca.
245.
Geſticulation.
Gravität. 306.
Gravitation. 306.
Grazie. 306.
Grenze. 307.
Griechen. 307.
Grobheit. 308.
Größe. 309.
Grund. 309.
Grundgeſetze. 317.
Grundfäge. 317.
Gut. 318.
Güter. 320.
Gymnaſien. 320.
9.
Haare. 320.
vanbiung,
weife. 321.
Harmonie. "358.
Hartherzigkeit. 323.
Dafartfpirte. 323.
gap. 3
Se das 324.
Hausfreunde. 325.
Hauslehrer. 325.
Dausthiere. 325.
Hedonik. 325.
Heiden. 325.
Heiligkeit. Heilige. 325.
Heilkraft. 326.
Heilsordnung. 326.
Heiterkeit. 327.
Hellſehen. 328.
Hermaphrtoditismus. 328.
Heros. 328.
Herz. 328.
Hererei. 330.
Himmel. 330.
Himmelreich. 332,
Hindu. 332.
Hinrichtung. 332.
Hiftorienmalerei. 333.
Hoffnung. 333.
Höflichkeit. 333.
Yohngelächter. 334.
Hölle.
dene 335.
Honorar. 335.
Hören. 335. *
Horizont. 335.
Humanismus. Humani-
tätsftudien. 335.
Humor. 335.
Hund. 3836.
Hunger. 837,
. Yondlunge-
902
Yungertod. 388.
Hydraulit. 338.
Hypochondrie. 338.
Hypotheſe. 339.
J.
Ich. 339.
Ideal, das. 341.
Ideal und Real. 341.
Idealismus. 342.
Idee. 344.
Ideenaſſociation.
Identität. 347.
Sentitätsphilofophie.
347.
Idyll. 348.
Illuminismus. 348.
Immanent. 348.
Iınperativ. 349,
347,
Improvifator. 349.
Inder. 349.
Individnation. Judivi⸗
dualität. 351.
Auduction. -357.
Inferiorität. 897.
Injurie. i
Inquifition. 368.
Infecten. 358.
Infpiration. 359.
Ynftanz. 359.
Iuftinct. 359.
Sntellect. 361.
Jutellectualität. 368.
Intelligenzen. 368.
Intelligibler Charakter.
369.
Intereffante, das. 369.
Juterefle. 370.
Interjection. 370.
Interpunktion. 370.
Intriguenſtück. 370.
Ironie. 370.
Irritabilität. 370.
Irrlehre. 371.
Irrthum. 372.
Islam. 375.
Italiener. 375.
Rod.
Jammer. 370.
Jehovah. 376.
Jetstzeit. 376. °
Sournaliften. 377.
Jubel. 377.
Regiſter.
Judenthum. 377.
Jugend. 381.
Juridiſch. Jurisprudenz.
Sur, 381.
Fury. 381.
8.
Kaltblütigkeit. 1.
Kannibalismus. 1.
Kardinaltugenden. 1.
Kartenfpiel. 2.
Kaften. 2.
Kaftriren. 2.
Ratalepfle. 2.
Kategorien. 3.
Kategorifcher
tiv. 4.
PAR 4.
Katholiciemne. 4
Kaufleute. 5.
Kaufalität. 6.
Kenner. 6.
Kenntniffe. 6.
Keufchheit. 6.
Kind. 6.
Klaffiter. 7 .
Klaffifche Poefic. 7.
Kleidung. 7.
Klein. 8.
Klofter. 8.
Klug. 9.
Knabe. 10.
Komödie. 10.
Kompendienfchreiber. 10.
Kompilatoren. 10.
Komponift. 10.
Konception. 10.
Königthum. 10.
Konkrete, das. 11.
Konkubinat. 11.
Konftitutionalisinus. 11.
Konverfation. 12.
Konvertiten. 12.
Kopf. 12.
Kopula, 13.
Koran. 13.
Körper. 13.
Korporifation. 14.
Koemogonie. 14.
Kosmologifher Beweis.
15.
Kraft. 15.
Impera-
Kraftgefühl. 17.
Krampf. 17.
Kranrologie. 17.
Krankheit. 17.
Kredit. 18.
Kreis. 18.
Krenz. 18.
Krieg. 18.
Kriminalloder. 1
Kriticiemus. 0
Kritik. 19.
Zunſiproduct. 24.
Kunſttriebe. 24.
Kunſtwerk. 24.
Kupferſtiche. 27.
Kynismus. 28.
L.
vrächelu. —
laden.
—2 das. 31.
Lage. 34
Sandfcaft. 4.
Yandidaftemalerei. 3.
Langeweile. 34
Laokoon. 36.
Lärm. 36.
Yatein. 37.
Tanne. 38.
Leben. 39.
Lebensalter. 43.
Lebensanficht. 47.
Lebensdauer. 47.
Lebensglüd. 48.
Lebeusgüter. 48.
Lebenskraft. 48.
Lebenslauf. 50.
Febensweife. 51.
Lebensweisbeit. 51.
Lectüre. 51.
Legalität. 51.
Lehren und Lernen. bl.
Lehrſatz. 5
Leib. 52.
Leibeigenſchaft. >.
Leichnam. 54.
Leichtfertigfeit. 54.
Leiden. 55.
Leidenſchaft. 58.
Leſen. 56
Liberum arbitrium in-
differentiae. 58.
Licht. 58.
Liebe. 60.
Lied. 61.
Linguiftil. 61.
Liſt. 61.
Litteratur. 61.
Litteraturgeſchichte. 62.
Fitteraturzeitungen. 63.
Logil. 64
Logos. 66.
Tüge. 67.
Lumpe. 69.
Luftbarleiten. 69.
Luftfpiel. 69.
Yırus. 71.
vyrik. 72.
M.
Machiavellismus. 73.
Mogie und Magnetis-
mus. 73.
Maja. 78.
Matrolosmos. 79.
Malerei. 79.
Maleriih. 82.
Manier. Manicriften. 83.
Mann. 83
Mantil. 83.
Mäßigkeit. 84.
Materialismus. 84.
Materie. 86.
Mathematik. 89.
Mechanitk. 92.
Medicin. 93.
Meditation. 94.
Meer. 94.
Meinung. 94.
Melancholie. 96.
Melodie. 96.
Mens. 96.
Meuſchenge⸗
96.
Menſch.
ſchlecht.
Menſchenkenntniß. 103.
Menſchenleben. 104.
Menſchenliebe. 104.
Meßbar. 105.
Meſſe. 105.
Metalle. 105.
Metamorphoſe. 106.
Metapher. 106
Metaphyſik. 106.
Metempfychofe. 113.
Methode.
— * 116.
Mo
Methodologie.
Regiſter.
Mikrokosmos. 116.
Miſanthropie. 117.
Miſſionäre.
weſen. 118.
Mißtrauen. 119.
Mitfreude. 119.
Mitleid. 120.
Mittel. 120.
Mittelalter. 120.
Mittelſtraße. 120.
Mnemonik. 121.
Modalität. 121.
Mode. 121.
Modell. 121.
Möglichkeit. 121.
—— 122.
Moll. 123.
Monadologie. 123.
Monarchie. 123.
Monate. 124.
Mönchthum. 124.
Mond. 124.
Monogamie. 125.
Monotheismus. 125.
Monumente. 125.
Moral. 126.
Doralild Moralität.
Moraftheologie. 139.
Mord,
135.
Morganatifche Che. 135.
Morgen. 135.
Morphologie. 135.
Motiv. Motivation. 136.
Muſik. 139.
Muskel. 146.
Muße. 146.
Muth. 147.
Mutterliebe. 148.
Mutterwit. 148.
Myſterien. 149.
Myſtik. Myftiler. 149.
Möthen. Mythologie.
1! &
N.
Nachahmer. Nachahmun
153. g
Nachdruck. 153.
Nachſicht. 153.
Nacht. 154.
Nachtwandeln. 155.
Nackt. Nacktheit. 155.
Naiv. Naivetät. 155.
503
Natzheit.
156
Narrheiten.
Miſſions⸗ Nationalcharakter. 157.
Nationalehre. 157.
Nationalſtolz. 157.
Nationen. 157.
Natur. 159.
Naturalismus. 166.
Naturforſcher. 167.
Naturgeſchichte. 167.
Naturgeſetz. 167.
Naturkraft. 168.
Natürliche, das. 173.
Naturphiloſophie. 174.
Naturproduect. 174.
Naturrecht. 174.
Naturſchönheit. 174.
Naturwiſſenſchaft. 175.
Neger. 175.
Neid. 175.
Neigung. 177.
Nerven. 177.
Nervenſchwäche. 178.
Neuern, die. 178.
Neues Teſtament. 178.
Neugier. 178.
Niaiferie. 179.
Richtigkeit. 179.
Nichts. 179.
Nirwana. 180.
Nomadenleben. 180.
Nominalismus und Rea-
lismus. 180.
Noounevov und QParvone-
VOV-
Noth. 181.
Nothlüge. 182.
Nothwndig. Nothwen⸗
digkeit.
Nouc. 183.
Nune stans. 183.
O.
Objeet. 184.
Objectivation. 185.
Objectivität. 186.
Saleurantiömug. 1817.
Offenbarung. 187.
Ofumadit. 188,
Omina. 188.
Dnanie. 188.
Dneiromantif. 188.
Ontologie. 188,
Ontologüicher Beweis.
504
Oper. 189.
Opfer. 190.
Optimismus. 191.
Orakel. 1%.
Drden. 195.
Ordnung,
194.
Organiſch. Organismus.
Organifation. 194.
Originalität. 195.
Oum. 1%.
Oupnelhat. 1%.
Ouvertüre. 1%.
P.
Bäderaftie. 196.
Palingeneſie. 197.
Paniſcher Schred. 197.
Pantheismus. 198.
Paradorie. 201.
Parodie. 201.
Partiteln. 201.
Patriotismus. 202.
Pedanterie. 202.
Belagianisuus. 2U2.
Bellucidität. 202.
Perpetuum mobile. 202.
Perſon. 203.
Berfönlichleit. 203.
Beifimismus. 203.
Petitio prineipii. 204.
Pfaffen. 205.
Pferd. 206.
Pfiffigleit. 206.
Pflanze. 206.
Pflicht. 210.
Pfuſcher. Pfuſcherei. 212.
Bhänomena. 212.
Bhantafle. 212.
Phantaſsma. 214.
Phantaſt. 214.
Philiſter. 214.
Philoſoph. 215.
Philoſophenverſammilun⸗
en. 219.
Philoſophie. 219.
Philoſophieprofeſſoren.
228
Pilegma Phlegmatiker.
298.
der Dinge.
Regiſter.
Phyſiognomit. Phyfio-
gnomit. 230.
Bhyfiologie. 232.
Plagiat. 232.
Planetenſyſtem. 233.
Blanetoiden. 233.
Pöbel. 233.
Boenitentiarjuften. 234.
Poeſie. 234.
Boet. 239.
Poetiſch. 240.
Poetiſche Gerechtigleit.
240
Point d'honneur. 210.
Bolarität. 240.
Politik. 241.
Polygamie. 241.
Bolytheismus. 241.
Borträt. 241.
Botpourri. 241.
Pracht. 241.
Brädeftination. 241.
Präexiſtenz. 241.
Braeftabilirte Harmonie.
Bragmatisınus. 242.
BraftifcheTüichtigfeit. 212.
Praltiſche Bernunft. 242.
Breßfreiheit. 243.
Briefter. 243.
Brimat, des Willens. 243.
Principium individuatio-
nis. 243.
Brioritätsfireitigleiten.
243.
Problem. 244.
Broceß. 244.
Brofefforen. 244.
Broletariat. 245.
Bromotionen. 245.
Brophetifche Träume. 245.
Broja. 245.
Broteftant®mus. 245.
Brügelftrafe. 246.
Biychologie. 246.
Bublicum. 246.
Punkt. 247.
PBurgatorium. 248.
Bursmus. 248.
Byramiden. 248.
D.
Dual. 248.
Qualität. 248.
Quartett. 249.
Quid pro quo. 249.
Duietismus. Onietiten.
250.
Dutetiv. 250.
N.
Racen. 252.
Rache. Rachſucht. 52.
Rang. 254.
Raniengewächſe. 2.
Raſerei. 255.
Rath. Rathgeber. X
Rationaliemus. 256.
Raum. 257.
Real. 260.
Realismus. 260.
Realität. 261.
Recenfion, Xecenjeuten.
261.
Rechnen. 261.
Recht. 261.
Rechtfertigung. 261.
Rechtlichkeit. 265.
Rechtslehre. 265.
Reden. 266.
Redelunft. 266.
Nedetheile. 266.
Reflerbemegungen. 266.
Reflerion. 266.
Regierung. Regierung:
form. 267.
Reich der Ratur und
Reich der Gnade. Bi.
Reichthum. Reicht. Bi.
Reife. 269.
Reim. 270.
Reifen. 270.
Reiz. 271.
Reisende, das. 271.
Relation. 272.
Religion. 273. .
Religionsphilofophie 271.
Religionsunterricht. 21°
Reliquiendienft. 278.
Reproductionsfraft. 7
Republik. 278.
Repulfionskraft. 279.
Refiguation. 279.
Refpiration. 279.
Retina. 279.
Rene. 279.
Rhetorik. 380.
Rhythmus. 281.
Richtig. 281.
Ritterliche Ehre. 281.
Roman. 281.
Romantil. 283,
Rückenmark. 283.
Ruhm. Rogruhm. 283.
Ruinen.
Runzeln. 287.
©.
Säligfeit. 288.
Sanjara. 288.
Sanskritlitteratur. 289.
Satan. 289.
Satire. 289.
Sag, vom ausgeſchloſſe⸗
nen Dritten. 289.
Sat, vom zureichenden
Grunde. 2
Sb, vom Widerſpruch.
Säugling. 289.
Säule. 20.
Schädel. 2%.
Scäbellehre. 2%.
Schabenfreude. 2%.
Schall. 291.
Scham. 291.
Scharffinn. 291.
Scharlatanerie. 291.
dauer 291.
Schauſpieler. 291.
Schein. 292.
Scheintodte. 292.
er. .
Schichal. 292.
impfen. 294.
chlaf. 294.
lafwachen. 297.
laraffenland. 297.
faubeit. 297.
ei. Schlechtigkeit.
Blicken, Schluß. 298.
merz. 301.
oral. 302.
Schönheit. 303.
önheite nn 3085.
öpfung. 306.
red. 306. |
ed zereibfehter. 306.
rift,
Shultteler. Sdyrrift
ftellerei.
Schuld. 311.
Schopenhauer⸗Lexilon. IL
©
©
©
S
S
S
S
S
S
Scho
S
S
Aa
Regiſter.
Schwuche. 311.
—— 311.
weiglamteit 312.
chwere.
————— 313.
Schwurgericht. 313.
Sclaverei. 313.
Seulptur. 313.
Seele. 315.
Seelenwanderung. 318.
Selen 318.
S
Seinogrund. 319.
Sekretion. 319.
Selbſtbeherrſchung. 320.
Selbſtbewußtſein 320.
Selbſtbiographie. 320.
Selbſtdenker. 320.
Selbſterhaltung. 320.
Selbſterkenntniß. 320.
Selbſtgefühl. 321.
Selbſtlob. 322.
Selbſtmord. 322.
Selbſiſchätzung. 326.
Selbſtſucht. 3 6.
Selbfiverläugnung. 326.
Selbſtzwang. 327.
Selbftzwed. 327.
Senfibilität. 327.
Senjualigmus. 328.
Sentenz. 328.
Sentimentalität. 328.
Sehen. 328.
Serualehre. 328.
Simuftaneität. 328.
Sinne. Ginnesempfin-
dung. 328.
Sinnenfdein. 331.
Sinnlichkeit. 331.
Sitten und Gebräude.
882.
Sittengefeß. 332.
Sittlich. Sittlichleit. 332.
Stenfe. Slepticiemus.
Slizzen. 333.
Sokratiſche Methode. 338.
Soldatenehre. 333.
Sollen. 334.
Somnambulismus. 334.
Sonberlinge. 334.
Sonntag. 834.
Sophif 334.
gopdififation, 33.
Species. 335.
Synthetiſche
505
Specifikation. 335.
Spiegel. 385.
Spiel. Spiele. 335.
Spinozismus. 337.
Spiritualismus. 887.
Spontaneität. 338.
Sprachbereicherung. 888.
Sprache. 338.
Sprahverhungung. 342.
Spridwort. 842
Staat. 342.
Staatskunſt. 344
Staatsmann. 344.
Staatsreligion. 345.
Staatsſchulden. 345.
Staatsverfaffung. 345.
Stammbaum. 345.
Statik. 345.
Sterben. 345.
Sterblichkeit. 345.
Sterne.
Stil. 346.
Stillieben. 349.
Stimme. 349.
Stimmung. 349.
Stirn. 350.
Stoff. 350.
Stoicismus. 350.
Stolz. 352.
Stoß. 353.
Strafe. na
Strafreht 354
S ubenten. 364.
Stufen, ber Natur. 354.
Subject.
—2 356.
Subſtanz. 357.
Succeſſion. 358.
Sundenfall. 358.
Superiorität. 358.
Superſtition. 358.
Supranaturalismus. 869.
Sylogiemne. Syllogi-
Symbol. 359.
Symmetrie. 359.
Sympathetiiche
Sympathie 360.
Symphonie. 360.
Synthetiſche Einheit ber
Apperception. 360.
Methode.
360.
Synthetiſche Urtheile.
360.
Keuren.
33
506
Syftem. 360
Syiteme. 360
T.
Tadeln. 364.
Tag. 364.
Zegeblücher. 365
Tageszeiten. 365...
Talent. 365.
Tan. 365.
Tapferleit. 365.
Tartüffianismus. 865.
—
an me
Zeleologie. 365.
Temperamente. 869.
Termini technici. 369.
Teftament. 369.
Teufel. 369.
Teufliſch. 370.
That. 370.
Thätigleit. 871.
Theater. 371.
arte, 371.
Theismus. 371.
en 371.
Theologie. 372.
Thenreti Böifofophie.
Theoretif Weisheit.
Shearaie. 372.
Thier. 372.
Thierlreis. 375.
ierſchutz. 375.
orbeit. 376.
Titel, ber Bücher. 376,
Tod. 376
Todesfurdt. ze
Todesftrafe. 386
Toleranz. 387.
Ton. 387.
Touriften. 388.
Tradition. 388.
Trägheit. 388.
Tragödie. 389.
Zransicendent. 389.
Transicenbental. 389.
Trauerſpiel. 389.
Traum. 392.
Traumdeutung. 399.
Treue. 399.
Zriebfedern. 399.
Zropen. 399.
Regifter.
Zugend. Tugendhaft. 39.
Tugendpflichten. 401.
N.
Uebel. 402.
Uebelmwollen. a
Veberlegenheit. 402
Ueberlegung. 402.
Uebernatürlih. 402.
Ueberredungstunft. 402.
Ueberfegungen. 403.
Uebervöfterung. 403,
Uebermältigung. 404.
Umgang.
Unbefangen eit. 408.
Unbegreiflichkeit. 405.
Unbeftand.
Unbewußte, dae. 405.
Undant. 406.
Undentlichleit. 406.
Undurchdringlichleit. 406.
Uneudliche, das. 407.
Unergrünbfiche, das. 407.
Unfähigkeit. 408.
Ungemein. 408.
Ungleichheit. 408.
Ungiid. Unglüdefäle.
Unioerfitätephilofophie.
Unorganige, bas. 411.
Unredt. 412.
Unrechtlichkeit. 413.
Unſchluſfigkeit. 413.
Unſchuld. 418,
Unfterblichleit. 414.
Unvernünftig. 414.
Unverfchämthdeit. 414.
Unverftaud. 414,
Unzerſtörbarkeit. 414.
Unzufriedenheit. 416.
Urfadıe. Urſuchlichkeit.
Uefprängticteit we
Urtheil. Urtheilen. 420
Urtheilsfraft. 423.
Urtgier. 425.
Ütopien. 425.
Bater. 426.
Baterlandsliebe. 426.
Baubeville. 426.
Beden. 426,
Begetation. 427.
Beneriſche Krankheit. 427.
Bentrilogquiemus. 427.
Berodtung. 427.
Beränderung. 427.
Berantwortlichleit. 428.
Berbinpongen zwijches
Menſchen. 429.
Verbrechen. 429.
Berbreitung, ‚der Bahı-
Bertrichfihteit. 480
Beredelung, des Men—⸗
ſchengeſchlechts. 431.
Bergänglicteit. 434.
B en.
h 434.
Berläumdung. 485.
Bermögen.
Bernehmen. 435.
Berneinung, des Willens.
Bernuuft. 436.
Bernünfteln. 439.
Bernlinftig. 439.
Bernunftlehre. 439.
439,
ckthei
Berfäienenbeit, der Men⸗
ſche
Berſchmitztheit. 440,
Verſchwendung. 440.
Berſchwiegenheit. 440.
Berfe. Berſification. 441.
Berfprehungen. 441.
Berftaud
—2 wre 443,
ann urn
einerumg.
Berftellung. 444.
Bertragsbrudy. 444.
Bertranen. 444.
Bermunberung. 444.
Berzweiflung. 444.
Bibration. 445.
Regifter. 507
Bielheit. 445. Deltaufbebung. 464. Wolluſt. 480
Bielmweiberei. 445. Beltgeift. 464. Wort. 481.
Bifion. 445. Beltgericht. 464. Wortſpiel. 481.
Bolt. 445. Weltgeichichte. 464. Wunder. 481.
Bölfer. 445. Weltgrünze. 464. Wunderlinder. 482.
Bölterreht. 445. Weltkataſtrophe. 464. Wunſch. Wünfche. 482.
Bollsfouderänetät. 445. Weltklugheit. 464. Würde. 488.
Bolllommenpheit. 446. Weltknoten. 464. Wurzel. 488.
Boreiligfeit. 446. Weltmächte. 465.
Borgefühl. 446. Weltmann. 465. 3
— bes Zufünf- .465. ° 8 hi. Zuhi 44.
tigen. Weltſeele a en.
Borfehung. 447. Welturſprung. a alopbir. 434,
Borfidt. 447. Weltweisheit. 466 auberei. 484
Borftellung. 447. Weltzweck. 466. auberflöte. 484.
Borurtheil. 448. Werden. 466. eit. 484.
Bulgarität. 448. Fe dee. eitalter. He Ting
ertb. . eitbienerei .
W Weſen. 467. eitgeiſt. 488.
Widerſpruch. 468. Beitg enoffen. 488.
Wachsfiguren. 449. Wiederbringung, aller zei ichfeit. 488.
Wägen. 449. Dinge. 468. eitungen. Zeitungs-
Beh. Wahlentfcheibung. Wiedererfennen, feiner _ fchreiber. 489.
PR rd im Andern. 468. Zerſtreuung. 489.
Bahn, firer. 450. dergeburt. 468, Zeugung. Zeugumgsact.
Wahnglaube. 450. Wilde. 68, 489. zung
FR nn. 850. . Wille Wollen. 469. Zoologie. 493.
Wahrhaftigkeit. 452. Billensact. 473. Zorn. 493.
Wahrheit. 453. Billführ. 473. ote. 494.
Wahrträumen. 456. Windbeutelei. 473. ufall. Sufalligteit, 494,
Wandelbarkeit, der Dinge. Wirkenbe, das. 473. Ft
456. Wirklich. 473.
Wärme. 456. Birkiichteit. 478. an Her 495.
Warten. 456. Wirkung. 474. unft Zufünftiges.
Barum. 467. Wißbegier. 474.
Waſſer. 457. Biffen. 474. Zuregimung. Zurech⸗
8 ET Aal 457. Biffenjhaft. Wifſſenſchaf⸗ nungefä igteit. 496.
un Biffenichaftlichkeit. —— 4 496.
Er 457. trauen. 496.
felwirhing. 457. Wit. 480. ubortommenbeit 496.
ln Woche. 480.
Meinen. 381. Wohl und che. 480. —— — 497.
Weisheit. Weife. 462. Wohlihat. 480 weckurſache. 497.
Welt. 462. Wollen. 480. Zweideutigkeit. 497.
Weltanfichten. 463. Wollen. 480. Zweites Geficht. 497.
Drud von F. 8. Brodbans in Leipzig.
Seite 35, Zeile
»
69,
126,
197,
208,
258,
330,
482,
*
2 v. u., ſt.: Philoſophiſch, l.:
120
100
160.n.
9 v. u
11 v. u.
17 v. o.
12 v. u.
18 v. u.
Berichtigungen.
Im erften Bande:
Seite 63, Zeile 22 von unten, flatt: vorherrſchende, ließ: vorhergehende
6 und 7 v. u., ift Beflnnen vor Befigrecht zu jegen
Im zweiten Bande:
. ſt.: uns glüdt, L.: glückt uns
.: begründe, I.: begründet
.: unter, l.: unten
ihnen, I.: ihm
ſt
ſt
ſt.: hingegen, l.: hiegegen
R.:
v
or Borrede fette N.
ft. eigne, 1.: eignet
or die, flreiche das Komma.
Poyfiologiih J
4 v. u., fl.: erft, l.: oft
1 v. u., fl.: Den, I.: Dem
4 v. o., ft.: Carteſaniſchen, I.: Carteſtaniſchen
19 v. o., ft.: des Genitalienwillens, I.: ber Genitalien
bewegung
13 v. u., fi.: valis, [.: vallis
1v. u, fl.: W. (in der Barentdefe), I.: M
14 v. o., fl.: ausfagt, I.: ausfagte
19 v. o., fl.: hatte, I.: hätte
12 v. o., ſt.: richtigſte, I.: wichtigfte
20 v. u., fl.: Weſen, F dende
19 v. u., fl.: dende, I.: Weſen
10 v. o., ſt.: Willens, l.: Wollens
19 v. u., ſt. des Bunttes vor Das, fee ein Komma
2 v. u., ſt.: abtheilen, l.: eintheilen.
ce
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