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Full text of "Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage"

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ID 





Uhlands Schriften 


y» 
zur. 


Gerichte der Dichtung und Sage. 


Siebenter Band. 


Stuttgart. 
Berlag der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung. 
1868. 





Tr 


Buchdruckerei der J. ©. Eotta’fgen Buchhandlung in Stuttgart. 


Borwort des Herausgebers. 


Im Winterhalbjahr 1831 auf 1832 und im darauffolgenden 
Sommer bat Uhland an der Univerfität Tübingen die Sagen: 
geſchichte vor einer ungewöhnlih zahlreichen Zuhörerſchaft vor: 
getragen. 

Die Veröffentlihung von Borlefungsheften nad) dem Tode 
des Verfaffers ift eine mijsliche Aufgabe, ähnlich wie der Abdrud 
von Privatbriefen, wenn die Schreibenden dazu nicht mehr weder Ja 
noch Nein jagen fönnen. Die volle Verantwortung für den Inhalt 
und inZbejondere für die Form kann nicht dem Verfafler, der da⸗ 
mit nicht vor die Leſewelt zu treten beabfichtigte, zugeſchoben wer: 
den, aber auch nicht dem Herausgeber, der eingreifend zu ändern 
ih nicht berechtigt fühlte. Doch beforge ih nicht, daß den in 
vorliegendem Bande veröffentlichten Vorlefungen, wie fie einft, aus 
dem Munde des Meifter8 vernommen, auf die Zuhörer eine zün- 
dende und heute nach Jahrzehenden noch unvergefjene Wirkung 
bervorgebradht haben, die warme Theilnahme auch weiterer Kreije 
entgehen werbe. | 

In einzelnen Capiteln fällt die Darftellung mit den früher, in 
den eriten Bänden unferer Sammlung abgedrudten Vorlefungen über 
die Gejhichte der altdeutſchen Poefie zufammen. Zuweilen ift das 
Thema neu überarbeitet; in andern häufigen Fällen meilt der Ver: 
faſſer ausdrücklich auf die früheren Hefte zurüd, in melden ſich da 
und dort die in unferem früheren Abdrude auch gewiflenhaft benützten 
Spuren der jpäteren Überarbeitung kund geben. Es lag in ber 
Natur der Sache, daß diefe wörtlich wiederholten Stellen, zumal 





IV 

jolde von größerem Umfang, in der jpäteren Borlefung nit 
abermals zum Aborud fommen konnten und daß der Herausgeber 
fih mit der Verweifung auf die früheren Bände begnügen mufte. 
Solche Stellen, wo der Zuſammenhang unterbroden ift und ver 
Lejer durch Zurückgehen auf einen frühern Band die Lüde zu er- 
gänzen bat, find immer durch Sternen (***) bemerklich gemacht. 
Das gleiche Zeichen ift da angewendet, wo Uhland aus fremben 
Merken mehr oder minder umfänglide Mittheilungen in feine Vor: 
träge einfügte. Größere Stellen diefer Art, zumal aus leicht zu- 
gängliden Werken, find bier, um Raum zu fparen, in der Regel 
nicht abgedrudt worden, ſondern einfadh durch ein Citat und das 
Zeichen *** erledigt. 

Uhland hat am Rande feines Manufcripts noch in fpäteren 
Sahren einzelne litterariiche Hinweifungen und Bemerkungen ver: 
ſchiedener Art nachgetragen. Ich habe dieſelben, jomweit fie mir von 
Intereſſe Schienen, in den Anmerkungen, in edige Klammern ge: 
faßt, mit aufgenommen. Was ich jelbit oder meine Freunde 
ergänzend oder berichtigend zuzufügen für nothwendig erachtet haben, 
ift gleichfalls in edige Klammern eingefchloffen, aber immer mit 
ber Namensfchiffer des Verfaſſers verjeben. 
| Für die Feititellung des Textes und die Anordnung der ein- 
zelnen Abfchnitte dienten bei der Herausgabe außer dem Driginal- 
manufcripte des Verfaſſers die von Hermann Kurz und von mir 
in der Borlefung nachgeſchriebenen Hefte. 

Zu ©. 234, der Stelle über Bölvis, trägt Liebrecht die Ver- 
weifung auf Bd. 3, ©. 132 ff. nad). 


Tübingen, 26 September 1868. 
| A. v. Reller. 


Sagengeſchichte 


germaniſchen und romaniſchen Völler. 


dland, Säriften. VI. 1 








Einleitung. 


Die Sagengefchichte der germanifchen und romanifchen Völker ift 
der Gegenftand der Borlefungen, bie ich für das bevorſtehende Semefter 
eröffne. Einleitende’Bemerkungen zur näheren Beftimmung der Auf: 
gabe,. welche hiedurch geftellt ift, jobann über den Weg und die Mittel 
der Löfung, follen uns in ber heutigen Stunde beichäftigen. 

Faſſen wir die Aufgabe zunächft nur äußerlich, jo beſteht fie in 
einer gefchichtlichen Darftellung der mündlichen Überlieferungen, die 
bei den genannten Vollsftämmen im Berfolge der Zeiten in Umlauf 
waren. Bon biefer äußern Bezeichnung aber werben wir jur innern 
Bedeutung gelangen, wenn wir und zu zweien der angegebenen Merk: 
male die Gegenſätze denken, zu der Sage, der mündlichen Überliefe: 
rung, bie Ritteratur, den Schriftverkehr, zu den Völkern in ihrer Ger 
ſammtheit die einzelnen Berfafler beftimmter Werke. Der litterarifchen 
Ausbildung und dem Herbortteten fchriftftellerifcher Perfönlichkeit gebt. 
überall ein Zeitalter volköthümlicher Überlieferung voran. Diefe vers 
ſchiedenen Zuftände find Erzeugnis und Ausdruck der innern Geſchichte 
des geiftigerr VBöllerlebend. So lang alle Kräfte und Richtungen des 
Geiſtes in der Poeſie gefammelt find, blüht das Reich der lebendigen 
Sage; fo bald die geiftigen Thätigkeiten ſich nach verſchiedenen Seiten 
der Erkenntnis zu ſondern beginnen, entfaltet fi) die Litteratur. Die 
Erfindung der Schrift an fidh ift es keineswegs, was eine jo weſent⸗ 
liche Veränderung berborbringt; dieſe Erfindung felbft ift nur das Wert 
des für fie erwachſenen geiftigen Bebürfnifjes. Allerdings aber wird 
die Schrift das Mittel, woburd der Antheil der Einzelnen an dem 
geiftigen Gejammtleben und den gejonberten Richtungen desſelben zur 
Erſcheinung Tommt und in immer fchärferen Individualitäten ſich 


4 


ausprägt. Und fo befteht auch umgelehrt die Sage nicht bloß in Ermang- 
lung des noch unerfundenen Buchſtabens, fondern weil für biefen noch 
gar kein Bedürfnis vorhanden ift, weil die Bilberfchrift poetifcher Ge: 
ftaltungen ihn gar nicht vermiflen läßt. Eben damit ergiebt ſich aber, 
daß die Sage im Großen und Ganzen aud wirklich nur eine poetifche 
fein kann; denn wo das Wort weder für abftraftes Denken zugebildet, 
no durch die Schrift feftgehalten ift, kann eine geiftige Mittheilung, 
eine dauernde Überlieferung nicht anders gebacht werden, als mittelft 
der Anfchauungen der Einbilbungsfraft. Selbſt gejchichtliche Thatfachen 
muüſten ald bloße Gedächtnisſache frühzeitig erlöfchen, wenn fie nicht 
durch poetifche Kräfte, durch Phantafie und Gemüth, gehoben und fort: 
währenn aufgefriſcht würden. “Die Sage der Völker ift hiernach weſent⸗ 
lich Volkspoeſie; alle Volkspoeſie aber ift ihrem Hauptbeftande nach 
fagenhaft, fofern wir unter Sage die Überlieferung durch Erzählen, 
das epiſche Element der Poeſie, zu verftehen pflegen. Denn wenn ſchon 

aud der Vollspoeſie Teine der poetiichen Grundbformen völlig fremd ift 
und fie in ihrem urfprünglichiten Zuftand die verſchiedenen Dichtformen 
ungetrennt in fich fchließt, jo kann fie doch immer nur durch Geftalt 
und Handlung, durch das epifch Anfchauliche, nachhaltigen Beftand 
geiminnen. 

. Das Weſen der Volls⸗ und Sagenpoefie ſoll uns zwar eben erſt 
durch die geſchichtliche Ausführung ſelbſt in volleres Licht treten; doch 
ſcheint es angemeſſen, uns über das bisher Aufeftellte durch einige 
weitere Andeutungen zu verſtändigen. 

Der Drang, der dem einzelnen Menſchen inwohnt, ein geiſtiges 
Bild ſeines Weſens und Lebens zu erzeugen, iſt auch in ganzen Völ⸗ 
kern, als ſolchen, ſchöpferiſch wirkſam und es iſt nicht bloße Redeform, 
daß die Völler dichten. Eben in dieſem gemeinſamen Hervorbringen 
haftet der Begriff der Volkspoeſie und aus ihrem Urſprung ergeben ſich 
ihre Eigenſchaften. 

Wohl kann auch ſie nur mittelſt Einzelner ſich äußern, aber die 
Perſönlichkeit der Einzelnen iſt nicht, wie in der Dichtkunſt litterariſch 
gebildeter Zeiten, vorwiegend, ſondern verſchwindet im- allgemeinen 
Volkscharalter. Auch aus den Zeiten der Volksdichtung haben fi} be 
rühmte Sängernamen erhalten und, wo biejelbe noch jest blüht, wer⸗ 
ben beliebte Sänger namhaft gemacht. Meift jedoch find bie Urheber 


5 


der Sagenlieter unbelannt oder beftritten, und die Genannten felbft, 
aud wo die Ramen nicht ins Mythiſche fi verlieren, erfcheinen überall - 
nur als Bertreter der Gattung, die Einzelnen ftören nicht die Gleich» 
artigfeit ber poetifhen Maſſe, fie pflanzen bas Überlieferte fort und 
reihen ihm das Ihrige nah Geift und Form übereinftimmend an, fie 
führen nicht abgejonderte Werke auf, fondern fchaffen am gemeinfamen 
Bau, der niemals beichloflen ift. Dichter von gänzlich hervorſtechender 
Eigenthümlichkeit können bier ſchon darum nicht als dauernde Erſchei⸗ 
nung gedacht werden, weil die mündliche Fortpflanzung der Poeſie das 
Eigenthümliche nach der allgemeinen Sinnesart zuſchleift und nur ein 
allmähliches Wachsthum geſtattet. Vornehmlich aber läßt cin innerer 
Grund die Überlegenheit der Einzelnen nicht aufkommen. Die allges 
meinfte Theilnahme eines Volles an Lieb und Eage, wie fie zur Ers 
zeugung einer blühenden Volkspoeſie erforverlich ift, findet nothwendig 
dann ſtatt, wenn die Poefie, wie zuvor bemerkt wurde, noch ausſchließ⸗ 
lich Bewahrerin und Ausfpenberin bes, gefammten geiftigen Beſitzthums 
ift. Eine bebeutende Abftufung und Ungleichheit ber Geiftesbilbung 
ift aber in diefem Jugendalter eines Volkes nicht wohl gedenlbar; fie 
kann erft mit der vorgerüdten Fünftlerifhen und wiſſenſchaftlichen Ent- 
widlung eintreten. Denn wenn auch zu allen Zeiten bie einzelnen 
Raturen mehr oder weniger begünftigt erfcheinen, die einen gebend, 
die andern empfangend, die gäiftigen Anregungen aber das Geſchäft 
der Edleren find, fe muß doch in jenem einfacheren Zuſtande bie poetifche 
Anſchauung bei Allen lebendiger, bei den Einzelnen mehr im Allge: 
meinen befangen gedacht werben. indem tie geiftigen Richtungen noch 
ungeſchieden find, haben ſich auch der Eigenthümlichkeit noch Teine bes 
fondern Bahnen eröffnet: das fünftlerifche Bemwuftfein fteht noch nicht. 
dem Stoffe gegenüber, darum auch Feine abfichtlihe Manigfaltigkeit 
der Geftaltung; der ‚Stoff felbft, im Geſammtleben des Volles fefts 
. begründet, durch lange Überlieferung gebeiligt, gibt feiner freieren Wil: 
führ Raum. Und fo bleibt zwar die Thätigkeit der Begabteren unver⸗ 
Ioren, aber fie mehrt und fördert nur unvermerkt das gemeinfame Ganze. 

Allerdings kann auf feiner Stufe der poetifchen Zitteratur, ſelbſt 
nicht bei dem jchärfften Gepräge dichterifcher Eigenthümlichleiten, der 
Zufammenhang des Einzelnen mit der Gefammtbilbung feines Bolles 
völlig verläugnet werben. Erſcheinungen, die in Nähe und Gegenwart 


6 


ſchroff auseinander ftehen, treten in ber Ferne ber Beit und bes Raumes 
in größere Gruppen zuſammen unb dieſe Gruppen felbft zeigen unter 
fih einen gemeinſchaftlichen Charakter. Stellt man fi fo dem ge 
jammten poetiichen Erzeugnis eines Volles gegenüber und vergleicht 
man e3 nad außen mit den Gefammtleiftungen andrer Völler, jo be 
trachtet man basjelbe als Nationalpoefie; für unfern Zweck war e8 um 
den innern Gegenſatz zu thun, um die Volkspoefie in ihrem Verhalt 
niſſe zur dichteriſchen Perſönlichkeit. 

Die Volkspoefie lebt, wie gezeigt worden, nur in mündlichem Bor. 
trage. Das nun, daß ihre Gebilde Iebiglich mittelft der Phantafie und 
des angeregten Gemüthes durch Jahrhunderte getragen werben, bewährt 
biefelben als probchaltig. Was nit Har mit dem innern Auge ger 
ihaut, mas nicht mit regem Herzen empfunden werden fann, woran 
follte das fein Dafein und feine Dauer Müpfen? Die Schrift, die 
auch das Entjeelte in Balfam aufbewahrt, die Kunftform, die auch 
dem Lebloſen den Echein des Lebens leiht, find nicht vorhanden. Auch 
nicht Wort und Tonweiſe, im Gedächtnis feitgehalten, können das 
Nichtige retten; denn das fchlichte Wort ift in jenen Beiten feine Schön⸗ 
beit für ſich, es lebt und ftirbt mit feinem Gegenftanbe; die einfache 
Tonmweife, wenn fie felbft Dauer haben foll, muß urfprünglidh einem 
Lebendigen gedient haben. Je fefter und Iebensvoller jene ächten Ge: 
bilde daftehn, um fo weniger fann das Scheinleben in ihrem Kreiſe 
auflommen und gebuldet werben. 

Worin liegt aber der Gehalt und die Kraft, vermöge deren fie 
durch viele Gefchlechter unvertilgbar fortbeftehen? Ohne Zweifel darin, 
dab fie die Grundzüge des Bollscharakters, ja die Urformen natur: 
‚träftiger Menfchheit, wahr und ausdrucksvoll vorzeichnen. Glaubens: 
anfichten, Naturanſchauungen, Charaktere, Leidenſchaften, menichliche 
Verhältniffe treten bier gleichſam in urweltlicher Größe und Nadiheit 
hervor; unverwitterte Bildwerke, gleich ber erhabenen Arbeit des Ur: 
gebirgs. Darum Tann aud gerade den Zeiten, welche durch gejellige, 
künſtleriſche und willenfchaftliche Verfeinerung foldhen urfprünglichern 
Buftänden am fernften und fremdeſten fteben, der Nüdblid auf dieſe 
lehrreich und erquidlich fein; fo ungefähr, wie ber gröfte der römiſchen 
Geſchichtſchreiber aus feinem welken Römerreih in die frifchen ger 
manifhen Wälder, auf die riefenhaften Geftalten, einfachen Sitten 


7 


und gefunden Charalterzüge ihrer Bewohner, vorhalten und weiſſagend 
binüberzeigte. 

Wenn wir uns bier die Vollöpoefie nach ihrem vollften Begriffe 
gedacht haben, fo ift doch leicht zu erachten, daß fie in ihrer" gefchicht» 
lichen Erſcheinung bei verichiedenen Völlern, nach Gehalt und Umfang, 
in fehr manigfachen Abftufungen und Übergängen ſich darftelle. Wie 
das Leben jedes Volkes wird au das Bild dieſes Lebens, die Poeſie, 
beichaffen fein. Ein Hirtenvoll, in deſſen einfame Gebirgthäler ber 
Kampf der Welt nur fernher in dumpfen Wiverhallen einbringt, wird 
in feinen Liedern und Ortsſagen bie beſchränkten Verhältniſſe ländlichen 
Zebens, die Mahnungen ver Naturgeifter, die einfachften Empfindungen 
und Gemüthsjuftände nieberlegen; fein Gejang wird idhylliſch⸗lyriſch 
austönen. Ein Volt dagegen, das feit unvorbenklicher Zeit in welt⸗ 
geichichtlihen Schwingungen fi bewegt, mit gewaltigen Schidjalen 
lämpft und große Erinnerungen bewahrt, wird auch eine reiche Dich 
tung, vol mächtiger Charaktere, Thaten und Leidenſchaften, aus ſich 
erſchaffen, und wie fein Leben meitere Kreife zieht und größere Zu: 
Tammenbänge bildet, wie fi) in ihm ein höheres Walten mit ftärleren 
Zügen offenbart, fo werden auch feine poetifchen Überlieferungen ſich 
zum Cyclus einer großartigen Götter: und Helbenfage verfnüpfen und 
ausvehnen. Bei demfelben Voll aber wird man bie eigentliche Volks: 
poefie in dem Maaße zurückweichen ſehen, in welchem die litterarijche 
Bildung und die mit ihr verbundene Herrfchaft dichteriſcher Perſönlich⸗ 
Zeit vorfchreiten. Gebeihen und Abfterben der Volkspoeſie hängt überall 
davon ab, ob die Grundbedingung derfelben, Theilnahme des gefamms 
"ten Volles, feft ftehe oder verfage; ziehen die ebleren Kräfte ſich von 
ihr zurüd, dem Schriftenthbum zugewandt, jo verfinkt fie nothwendig 
in Armuth und Gemeinbeit. 

Wir haben die Sage ber Völler als Volkspoeſie und zwar als 
eine in Geſtalt und Handlung darſtellende Poeſie bezeichnet. Hiedurch 
ergibt ſich uns für die Sagengeſchichte weſentlich der poetiſche Geſichts⸗ 
puntt und eben damit auch die Verſchiedenheit unſrer Aufgabe von 
derjenigen, welche ſich die Verfaſſer der befannteften mythologiſchen Ges 
ſchichtwerke gefett haben. Görres in feiner afiatiichen Mütbengefchichte, 
Creuzer und Baur in ihren Darftellungen der Symbolit und Mythos 
Iogie der alten Böller, Mone in der Gefchichte des Heidenthums im 





8 J 


nörbfißen Europa haben fi vorzugeweiſe die Blaubensforfäung, bie 
vorchriſtliche Religionsgefchichte, zum Gegenftande genommen. So wenig \ 
nun eine Aufgabe die andere aufbebt, jo ergibt fich doch mit dem ver- 
schiedenen Standpunkt und Zwecke, bier dem poetifchen, dort dem relis 
gionsgeſchichtlichen, auch eine bedeutende Verſchiedenheit in der Ab⸗ 
grenzung der zu bearbeitenden Bebiete und in der Geltung ber vor⸗ 
liegenden Stoffe. - Die Mythengeſchichte in der angegebenen Bebeu- 
tung bat nur. diejenigen Sagen in ihren Bereich zu ziehen, in benen 
eine Glaubensanficht entiveder unmittelbar zum Ausbrud kommt ober 
doch aus ihren Wirkungen zu erkennen ift; der Sagengefchichte in unfrem . 
Sinne fallen alle Überlieferungen anheim, melde das Leben ber Völfer, 
in göttlichen und menfchlichen Beziehungen, geiftig zurüdfpiegeln. Wenn 
ſomit die Sagengeſchichte allervings auch die religiöfe Mythenivelt in 
ſich aufnimmt und deshalb das Mythologifhe nur einen ergänzenden 
Theil ihres ausgedehnteren Gebietes auszumachen fcheint, fo kommt 
doch auf der andern Seite in Betracht, daß fie ſich gerade da zurüchzieht, 
wo die Mythenforfhung am lebbafteften andringt, da mo ‘ver nadte 
Glaubenzfag, das Philofophem, das in den Bildern liegt, das ent 
büllte Myſterium bervortreten will, vor der priefterlidhen Lehre, beren 
Geheimnis den Glaubensforfchern fo bedeutſam ijt, bie aber, au ohne. 
den Gebrauh der Echrift, zu der vollgmäßigen Sagenpoefie nicht 
weniger im Gegenfate fteht, als bie Fitterarifctwifienfchaftliche Beſonde⸗ 
zung fpäterer Zeiten. Strebt die Mythengeſchichte durch alle die bunten 
Entfaltungen der Dichterfabel nach philoſophiſcher Einheit, fo vergnügt 
fih die Sagengeſchichte, wie wir fie aufgefaßt, an ber reichſten poetiſchen 
Manigfaltigkeit; find nad der Anficht philoſophiſcher Mythenforſcher 
die Götterlehren der heidniſchen Völker nur Verbunklungen einftiger 
reiner Offenbarung, nur Trümmer eined gemeinfamen Urfyftems 
(Schelling, Gottheiten von Samothrace ©. 30. 87), und ſoll bie 
wiſſenſchaftliche Mythologie durch alle Trübung und Berftüdlung jene 
reine und ganze Erfenntnis erfchauen oder erahnen laflen, jo mag es 
fich doch auch in poetifcher Richtung der Mühe lohnen, jene Offenbarung - 
der göttlichen Schöpferfraft, Die im Geilt und Gemüthe der Menfchen 
unverſieglich fortwirkt, in ihre lebendigen Bilbungen, wie bie polls: 
mäßigen Sagentreife fie darbieten, zu verfolgen. Iſt es verdienſtlich, 
die Gedanken, vie In den Mythen verborgen find, zein zu ermitteln 


9 


und in ihren Zuſammenhängen darzulegen, fo dürfen dad aud bie 
poetifchen Geftaltungen als ſolche nicht vernachläffigt werben, d. h. 
ſofern fih in ihnen unmittelbar der innere Gehalt ausipricht, wie aus 
dem Auge die Seele blidt, fofern e8 eben auf Diefe-Ungetrenntheit ber 
Idee und ber Erfcheinung anlommt, ohne welde die Idee des Weſens 
und die Erfcheinung des Geiftes entbehren müſte. Während nun ber 
mythologifchen Anſicht, wo fie fi) allzu einfeitig ausgebildet hat, die 
Böttermelt ſelbſt, fobald fie fi aus dem Unbegrenzten und Unges 
beuren zu geftalten anhebt, fogleich verbädtig wird, die Heldenfage, 
das Epos aber nur für eine vermenſchlichte geſunkene Götterfage gilt‘, 
jo beginnt das poetische Intereſſe der Sagengeſchichte gerade da, wo 
aus dem Hintergrunde des Unendlichen die Geftalten bervorfpringen, 
und es fteigt in dem Maaße, als fich die Schöpfungen verbielfältigen, 
es findet fi) am volllommenften befriedigt, da mo Himmel und Erbe, 
Böttlidhes und Menſchliches, geftaltenreich und bewegt, zu einent vollen 
Leben in einander greifen. _ 

Soviel über Sage und Sagengeſchichte im Allgemeinen. Welche 
beſondre Arten der Überlieferung in ven Bereich ber- letztern fallen, 
werben wir gleich nachher berühren, wo bon ber Anorbnung des ges 
ſchichtlichen Vortrags zu Sprechen ift. 

° Zur Beftimmung unfrer Aufgabe gehört aber hauptſächlich noch, 
daß wir und über fie als eine Sagengefchichte ‚ver germanifchen und 
romaniſchen Bölfer erllären. 

Es ift die nationale Stellung, von der aus wir unfern Kreis be ' 
fchreiben. Das deutiche Boll hat eine reiche, zum umfaflenden epifchen 
Cyklus ausgebilvete Heldenfage und neben dieſer noch hat es manigfache 
andre Sagenbilbungen angefet. Aber das vorhandene felbft weiſt ung 
auf Vieles hin, was einft vorhanden mar und was dem auf und Ge 
Iommenen zur Erklärung dienen ſollte. Diefes gilt beſonders in Bes 
ziebung auf den mythiſchen Beitand der Sagen. Suchen wir Ergän- 
zung und Aufflärung, jo müflen wir unjern Geſichtskreis auf diejenigen 
Voller erweitern, die ſich uns durch Sprachverwandtfchaft als Glieder 
‚des großen germaniſchen Gefammtitammes bewähren. So nun zeigt 
fi uns vorzügli bei den Völkern des flanvinavilchen Nordens eine 


i Mone I, 327, 


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gemeinſame Götterlehre, dort noch ganz und klar, bei uns zertrümmert 
und verbleicht, eine gemeinfame Heldenſage und, aud) mo die Sagenäfte 
ſich ſcheiden, der gemeinſchaftliche Urſprung. Überhaupt aber wird 
uns jedes der politiſch untergegangenen oder noch blühenden germaniſchen 
Völker, ſofern von den erſtern überhaupt näbere-Sunde geblieben iſt, 
wechſelſeitige Beziehungen für die Kenntnis volksthümlicher Überliefe⸗ 
rung eröffnen. Damit erftredt fi unfre geſchichtliche Forſchung und 
Darftellung über die Gefammtbeit der Völker des germaniſchen Sprach⸗ 
und Bolfsitammes. 

Was aber die romanifhen Böller betrifft, d. h. diejenigen, deren 
Sprachen aus der Vermiſchung der altlateiniſchen mit andern, vorzüglich 
germaniſchen Idiomen hervorgegangen ſind, ſo hat bei ihnen, mit den 
Einflüſſen der germaniſchen Eroberungen überhaupt, auch die Sagenpoeſie 
der Eroberer, wenn gleich dieſe die Sprache der Beſiegten annahmen, 
ſich wirkſam und fruchtbar erwieſen, und ſoweit dieſes der Fall iſt, ſollen 
darum auch ſie in den Kreis unſrer Aufgabe gezogen werden. 

Von den nichtgermaniſchen Volksſtämmen, welche vor oder nach 
den Germanen ſich in europäiſchen Ländern angeſiedelt haben, ſind 
beſonders der keltiſche und der ſlaviſche durch reichere Sagendichtung 
ausgezeichnet; ihre Sagen bieten auch, wie es nicht bloß die Nachbar⸗ 
ſchaft, ſondern auch die weitere Verwandtſchaft aller europäiſchen Stämme 
mit ſich bringt, manche Beziehung zu der germaniſchen dar; aber die 
Aufgabe zu einer europäiſchen Sagengeſchichte auszudehnen, würde mir 
ſchon die Unbekanntſchaft mit den keltiſchen und ſlaviſchen Sprachen 

verbieten. Soweit jedoch in Frankreich und England die Mythen und 
Sagen der ältern keltiſchen Einwohner mit den germaniſchen ſich ver: 
bunden und vermengt haben, werben aud fie, nad Maßgabe der 
zugänglichen Mittel, in Betracht gezogen werben. 

Über den Weg zur Löfung der Aufgabe, wie fie im piöherigen 
geftellt wurbe, über die Anorbnung der geſchichtlichen Darftellung, füge 
ich Weniges bei, da ſich das Verfahren body nur am Gegenftane felbit 
erproben Tann. 

Vor Allem bringt e3 der entivicdelte Begriff der Sage mit fich, 
daß mwir fie von ver Litteratur völlig ablöjen. Nicht als ob unterlafien 
werben dürfte, überall die litterarifchen Quellen und Hülfsmittel anzus 
geben, aus denen und burdy welche die Kenntnis ber Sage zu Ichöpfen 


11 
if. Uber das Schriftwerk als foldhes, das einzelne Gebicht, als Kunſt⸗ 
ganzes, ver jeweilige Verfaſſer und Ordner find uns nicht von weſent⸗ 
lihem Intereſſe, fie gehen und nur in fo weit an, als ung bie nähere 
Belänntichaft mit ihnen Merkmale für vie kritiſche Würbigung der 
vollamäßigen Echtheit der in Schrift gefaßten Sage darbietet. Der 
poetische Stil, die Eprache, die äußere Kunftform find uns eben fo . 
wenig für fi) von Belang. Eine Aufzeichnung und Behandlung, 
welche das gröfte techniſche Ungeſchick verräth, kann uns: wichtiger fein, 
als die künſtleriſch lobenswertheſte Bearbeitung; jene läßt vielleicht, 
eben tvegen Unvermögens bes Verfaſſers, felbft etwas zur Sache zu 
thun, den urfprünglichen Sagenbeftand viel unverlegter, als die ge: 
ſchicktere Hand des felbftihätigen Bearbeiterd. Dichter, als Individuen 
von eigenthämlicher Perfönlichkeit, kommen nad dent, was über das 
Weſen der Volkspoeſie gejagt worden, bier nicht vor; handeln wir von 
den Stimmen, durch welche der poetifche Geift der Volker in Sang 
und Sage fih ausſprach, fo kann nur von ganzen Klaſſen der Sänger 
und Sagenerzäbler die Rede fein. Überall muß unfer Beftreben dahin 
gehen, die Sage aus allen Formen, in die fie eingefangen ift, wieder 
frei und flüffig zu maden, fie dem beweglichen Elemente, in dem fie 
geworden und gewachſen tft, zurüdzugeben. 
, Wo in den vorhandenen Schriftdenkmälern die Sage fchon in 
großen und echten Geftaltungen vorliegt, werden davon Auszüge und 
Umriffe gegeben werden, mit Weglaffung alles deſſen, was fih Un: 
wefentliches oder Fremdartiges beigemifcht bat. Am beften wird immer 
die Sage felbft fprechen. Freier muß gefondest und verfnüpft werben, 
100 Beitandtheile derfelben Sage in mehreren, oft nach Zeit und Sprache 
getrennten Denkmälern auseinander liegen. Endlich find oft nur ein 
zelne, faft verfuntene und erlofchene Überrefte und Andeutungen vor 
handen, melde doch, wenn jede leifere Spur verfolgt, wenn alled Ber: 
fireute emfig gefammelt wird, urwerhofft zu beveutenvern mythiſchen 
und fagenhaften Berbindungen anſchwellen. 
Den Auszügen und Sombinationen follen dann Erläuterungen und 
Betrachtungen über Gejchichte und Bebeutung der Sagen und Sagen: 
freife nachfolgen. 
Mit der Bötterfage, dem Mythus im engeren Sinne, wird da, 
wo eine ſolche in größern und erlennbaren Zügen vorliegt, der Anfang 


12 


gemacht werden. Daran reiht fich die Helvenfage, ber epiſche Cyklus. 
Ortsſagen, Geſchlechtsſagen, ſonſtige vereinzelte Sagen von mythiſchem 
oder geſchichtlichem Anſtrich werden ber Götter: und Heldenſage zur 
Ergänzung und Beſtätigung dienen können, oder von dort ihre Erklä⸗ 
rung erhalten. Balladen, epiſch⸗lyriſche Volkslieder, werben bald als 
bie einfachen Typen größerer Dichtungen, bald als rhapſodiſche Bruch 
ftüde vwerlorener Lieberkreife oder als halb unkenntlich gewordene Ums 
wanblungen älterer Mythen und Sagen, unfre Aufmerkſamkeit in An- 
fprud nehmen. An manden Orten werben wir aber auch in ben 
Volksballaden fich eigene und neue Sagenkreife geringeren Umfangs 
bilden ſehen. Manches endlih, was Mythus und Epos in fefter 
Geftaltung, beftimmter Bedeutung, georbnetem Zuſammenhang unter 
geſchichtlichen Namen und örtlicher Bezeihnung aufführen, wird uns 
das Märchen in kindlichem Spiel, in phantaſtiſcher Auſlöſung, ramens 
und heimatlos, wiedergeben. 

Aber nicht bei jedem Volke werden uns alle dieſe Arten ber Über: 
lieferung, Götterfage, Heldenfage, Orts⸗ und Geſchlechtsſage, Ballade, 
Märchen, in fo vollftändiger Folge zu Gebot ftehen. Ofters werben 
wir erft aus der Heldenfage auf die untergegangene Bötterwelt zurüd: 
ichließen müffen oder nur noch aus Lolalfagen, Volksliedern, Märchen 
den erfterbenden Nachhall vollerer Sagenklänge vernehmen. 

Das Ganze unſrer geſchichtlichen Darftellung orbnet fich in zwei 
Haupttheile, deren erſter die Sagengefchichte der germanifchen, der 
zweite bie der romanifchen Völker behandeln wird. Jeder der beiden 
Haupttheile zerfällt dann, nad den Völkern, die ihm angehören, in 
untergeorbnnete Abſchnitte. . 

Die Litteratur der Duellen und Hülfsmittel wird je bei ven bes 
fondern Abſchnitten, bei den Sagenkreiſen und einzelnen Sagen, ans 
gegeben werben. 

Allgemeinere Litterarnotizen am Cäluffe biefer Einleitung beis 
zufügen, bin ich darum nicht im ‚Stande, weil mir Feine umfafjendere 
Sagengefhichte in dem angezeigten Sinn befannt if. Am nächſten 
noch eignet ſich hieher die ſchon erwähnte Geichichte des Heidenthums 
im nörblichen Europa von F. 3. Mone, 2 Theile, Leipzig und Darm» 
ftabt 1822 (auch als ter und Gter Theil der creuzeriſchen Symbolik 
und Mythologie der alten Völker). Mones Standpunkt ift aber ganz 


13 


der religionsgeſchichtliche und erſtreckt ſich in dieſer ausfchließlichen 
Richtung auch auf die finnischen, ſlawiſchen und keltiſchen Völler⸗ 
ftämme. 

Eben der Umftand, daß bie von mir betretene Bahn erft verfucht 
werden muß, wirb auch zur folge haben, daß ich die große Mafle des. 
für eine ſolche Sagengefchichte nöthigen Materials auf das erfte Mal 
weder fo vollftändig noch fo burchgearbeitef werde geben können, als 
es bei längerer Bearbeitung nad) meinen eigenen Anforderungen ge: 
ſchehen follte. 


Erſter Eheil. 
Sagengeſchichte der germanischen Völker. 


Erfter Abſchnitt. 
Nordifche age. 


Die Völler des Hanbinabifchen Nordend, Norweger, länder, 
Schweden und Dänen hatten in der ältern Zeit eine gemeinichaftliche 
ESprache, die nordiſche, tunga norreena. Diefe lebt, nachdem fie ſich 
bei den übrigen in Mundarten geſpalten und ausgebildet, wozu aller⸗ 
dings ſchon ältere Verſchiedenheiten den Keim enthalten mochten, im 
heutigen Isländiſchen fort. Ebenſo hatten dieſe Völker gemeinſame 
Götter: und Heldenfage, an der wohl jebem fein befonbrer Antheil zu⸗ 
lommen mag, bie aber doch in ein großes Ganzes verfchmolzen ift und 
deren Denlmäler in jener altnordiſchen ober isländifchen Sprache vers 
faßt find; noch bei der ſpätern Trennung der Sprachen läßt ſich in 
Volksliedern und Bolksfagen die einftige Gemeinjchaft erkennen. 

Den Ssländern gebührt vorzugsweiſe das Verdienſt, die gemein 
fame Sage aufgefaßt, gefammelt, bewahrt und aufgezeichnet zu haben; 
und dieſe Bemühungen find wohl auch nicht ohne Einfluß auf die 
innere Geftaltung der Lieder und Sagen geblieben. Es wird darum 
nicht unpaflend fein, einiges über die befondern Berhältniffe, wodurch 
das Leine Inſelvolk in dieſe Wirkſamkeit verfeht wurbe, voranzuichiden. 

Die Inſel Island, von Schneegebirgen ſtarrend, baumlos ber 
Iharfen Winde wegen, von Heerben beweidet, bie des Schmudes der 
Hörner entbehren, von Treibeis umlagert, auf dem ber Bär von Grön⸗ 
land berunterihwimmt, nah Wintern und Nächten (tie ber Norden 


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überhaupt), ftatt Sommern und Tagen, die Zeit meflend, fcheint freilich 
nicht zum Garten der Poefie geichaffen zu fein. Aber wie bort oft die 
Eisrinde kracht und ber Hella Flammen wirft, wie aus den ftarren 
Sümpfen fievende Quellen hoch aufipringen, fo bat auch die Poefie 
dem Eife getroßt und begreiflih ift, daß ber gewaltige und ernfte 
Charakter der nordiſchen Natur fich der norbifchen Poeſie mittbeilen mujte. 

Gegen das Ende des neunten Jahrhunderts wurde Island von 
Norwegen aus bevölfert. Harald Schönhaar, ein Häuptling im füb- 
lichen Rormwegen, warb, wie die Sage melbet, um eine Jungfrau, die 
ihm ihre Hand nur um ben Preis zuficherte, wenn er das ganze For: 
wegen, welches damals unter eine große Zahl Heiner Könige vertheilt 
war, fi unterwerfen würde. Da gelobte Harald, fein Haar nicht 
eher zu fchlichten oder zu ſchneiden, bis er des ganzen Landes Meifter 
wäre. Er löſte fein Gelübde und ward. Gründer eines norwegiſchen 
Reiches. Die Stammbäupter aber und andere freie Männer, die des 
Eroberer Herrihaft nicht ertragen wollten, wanderten aus. Viele 
fuchten ihre Zufludt auf Island und fo entftanb bier ein Freiftaat, 
der fi bis über die Mitte des breizehnten Jahrhunderts unabhängig 
erhielt. Das Chriftentbum wurde um das, Jahr 1000 auf Island 
eingeführt, | 

Je weniger das neue Vaterland den Einwanderern barbot, um 
fo mebr waren fie zu reger Kraftanjtrengung aufgefordert und auf 
geiftigen Lebensgenuß bingetwiefen. Viehzucht und Fiſchfang genügten 
ihnen nicht ; fie durchſtrichen das Meer, erft ald Seeräuber, bald auch 
als Raufleute.- Wer nicht fremde Lande gefehen hatte, galt nichts in 
der Heimath. Es war ein Sprichwort: „albern ift das heimiſche Kind“. 
Hinwider Iub die Ruhe eines achtmonatlichen Winters ein, bad Er⸗ 
fabrene in der Erinnerung aufzufaflen, geiftig zu verarbeiten, erzählend 
mitzutbeilen. In der äußern Abgeichiebenheit warb das innere Leben 
zege und bie Lieder ertönten auf Island, eben wie dort nur in den 
lalten und finftern Winternächten der Schwäne lieblider Geſang ge: 
hört werben fol. Götter und Helden traten im Liebe leuchtend hervor; 
was dem einzelnen Mann, was einzelnen Geſchlechtern, was dem ganzen 
Bolle Dentwürbiges begegnete, was auf Island, was im ganzen 
Norden Erhebliches fich ereignete, warb in ber Sage aufbewahrt. Is⸗ 
Land war bem übrigen Norden als ein Spiegel gegenübergeftellt und auch 





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von manchem ferneren Lande fielen Bilder hinein. Bon Jſsland giengen 
die Skalden aus, die an ben Königshöfen der nordiſchen Reiche und 
der mweftlihen Inſeln fangen. 


! 


‚ I. Götterfage, 


Hauptquellen: Die beiden Eben. 

Die ältere oder Sämunds- Edda iſt eine Sammlung von @ötter- und 
Heldenliedern, muthmaßlich durch Sämund Sigfuffon, einen isländiichen Geiſt⸗ 
lichen, vor 1182 veranftaltet. Außer der großen Ausgabe, die zu Kopenhagen 
in 8 Ouartbänden, 1787 5i8 1828 (der Bte Band enthält zugleich das mytho⸗ 
logiſche Lericon) erfchienen, ift befondets die Handausgabe von Raſt und Afze⸗ 
iind, Stockholm 1818, 8, zu bemerfen. [Reue Ausgaben von Mund, Lilning, 
Möbius. K.] 

Dreutſche Überſetzung von Studach, Nürnberg 1829, 4. 1te Abth. (Mecenf. 
von Wachter in Ien. Fit. 3. Mai 1831. Nr. 89 bis 91), Legis, Bräter u. a. 

Die jüngere Edda des Snorre, Sturlefon, Lagmann auf Island, der 1241 

ermordet wurde, ift ein Lehr- und Handbuch der nordifchen Boefie, das in. 
proſaiſchen Auszügen zufammenftellt, was die ältern, noch vorhandene und 
verloren gegangene Lieder von den Göttern gefungen. 
Nah der Ausgabe von Nefenius, Kopenhagen 1665, 4, ift fie von Raſt, 
Stodholm 1818, 4, vollftändiger und kritiſcher herausgegeben. [Reu Kopen- 
hagen 1848 biß 1852. 8] Nach der dänifchen Überfegung von Nyerup ift fie 
ins Deutſche Übertragen von U. Rühs, Berlin 1812. 

[Beide Edden im Auszug überſetzt von Simrod. 8.] 


Umriß der Gdtterjage. 

-Am Anfang der Beit war nichts, nicht Sand noch See, nidt 
fühle Bogen, nicht grünes Gras, nirgenps Erbe, noch Himmel oben, 
nur der gähnenbe Abgrund (Ginnungasgap, Chaos). Aber lange vor 
der Erde war Niflheim gefchaffen, die-Nebelwelt; in ihrer Mitte fließt 
der Duell Hvergelmiv und aus ihm ftrömen zwölf Flüffe, die Elivagar 
beißen. Wenn biefe foweit von ihrem Uriprung kommen, daß das 
Gift, das mit ihnen floß, verhärtet, fo wird daraus Eis, und Schichte 
ſchiebt fi auf Schichte in Ginnungagap. So warb befien nörbliche 
Gegend voll von Eid und Froft, voll Sturmes und Unwetters, Südlich 


17 

aber ift eine andre Welt, Mufpell, Mufpelheim, hell und heiß, flammend 
und brennend; ihr Herricher Surtur, der Schwarze, der einft die ganze 
Melt mit Feuer verzehren wird. Bon den Feuerfunten nun, die aus 
Mufpelheim berüberflogen, war der füdliche Theil von: Ginnungagap 
warm, bel und milde, mie windftille Luft. Und als der Hauch ber 
Wärme das Eis traf, ſchmolz es und floß in ‚belebten Tropfen nieder 
und daraus warb eines Mannes Bild, der Riefe Ymer. Er war böfe, 
wie alle feine, Abkömmlinge. Zunächſt nach Ymer entitand aus dem 
aufgethauten Eife die Kuh Audumbla, die mit vier Milchſtrömen aus 
ihren Eutern den Riefen nährt. Diefer fchlief und fiel in Schweiß, 
da erwuchs unter feinem linken Arm ein Mann und eine Frau, und 
fein. einer Fuß zeugte mit dem andern einen Sohn. Daher ftammt 
das Gejchlecht der Hrimthurfen, Froftriefen. Die Kuh Audumbla aber 
beledte die mit Reif belegten Salzfteine und am erften Tag entftanden 
aus den Steinen Menjchenhaare, am zeiten ein Haupt und am 
dritten ein ganzer ſchöner und Träftiger Mann, Bur genannt. Sein 
Sohn war Bör, der mit Beltla, der Tochter des Joten Bölthor, drei 
Söhne zeugte, Odin, Bili und Ve, die Beberrfcher des Himmels und 
der. Erde. Börs Söhne erichlugen Ymern und in feinem Blut ertranf 
das ganze Geſchlecht der Hrimthurfen, einen ausgenommen, Bergelmer, 
ver mit feiner Yrau in einem Boot fich rettete, der Stammoater neuer 
Rieſengeſchlechter. Die drei Götter aber, Börs Söhne, brachten ben 
erilagenen Amer mitten in Ginnungagap; aus ſeinem Fleiſche ſchufen 
fle die Erde, aus den Knochen Berge, aus dem Haare Wald, aus dem 
Blute, das feinen Wunden entflofjen war, das Meer, ring® um die 
Erde, aus der Hirnſchaale den Himmel, aus dem Hirne bie ſchweren 
Wollen. Funken und Strahlen, die von Muſpelheim ausgeworfen 
waren, festen fie ala Geftirne an und unter den Himmel. Der Nacht 
und dem Tage, der Sonne und dem Monde beitimmten fie ihren Lauf. 
Die Nacht fährt heran mit dem Noffe, welches Hrimfari (Reifmähne) 
beißt und jeden Morgen mit dem Schaume ſeines Gebifjes die Erde 
betbaut. Das Roſs des Tages heißt Skinfaxi (Glanzmähne), denn 
Zuft und Erde leuchten von feiner Mähne. Als aber die Sonne 
ſüdlich auf die Fühlen Steine ſchien, da keimten aus dem Grunde grüne 
Gewächſe. | | Ä 

Unter bie vier Eden des Himmels jegten die Götter vier Zwerge: 

ubland, Schriften. VI. 2 





18 


Dft, Weit, Süd, Nord. Am nördlichen Ende desſelben fiht der Jötte 
Hräfvelg (Zeichenfchlinger) in Adlergeftalt. Wenn er mit feinen Flügeln 
weht, fo gebt der Wind aus über die Erde. Zu Außerft an den Ufern 
des erbumtfreifenden Meeres erhielten die Rieſen Land. Gegen fie tft 
von innen ringsumher eine Wehr errichtet aus den Augenbrauen Ymers. 
Dieß ift Midgard, außerhalb ift Utgard; erfteres die Welt der Götter 
und Menſchen, letzteres, beſonders gegen Norden, die ‘der Riejen- 
geichlechter. 

Die Schöpfung der Menjchen aber geſchah alſo. Da Börs Söhne 
am Ufer giengen, fanden fie zwei Höher, Aſt und Embla (Eiche und 
Eller) und ſchufen Menfchen daraus. Der erjte, Odin, gab ihnen Geift, 
der andre Verftand, der dritte Blut und Farbe. Bon Aſk und Embla 
ſtammt das Menfchengefchlecht, das feine Wohnung in Midgard erhielt. 

Mitten in der Welt aber bauten ſich die Götter eine Burg, die 
Asgard genannt ward. Denn das Göttergefchleht, dad von Odin 
ftammt, bat den Namen Aſen. Diejes Geſchlecht der Afen ift hell und 
ſchön. Der höchſte dei Aſen ift Odin felbft. Er herrſcht über alle 
Dinge. Allvater heißt er, weil er aller Götter und Menſchen Vater 
“it Die andern Götter, jeder wie er Macht bat, dienen ihm, mie 
Kinder einem Bater. . Wenn er auf feinem Hochſitze Hlidſtjalf thront, 
fo fieht er über die ganze Welt und fchaut jedes Menfchen Thun, Auf 
feinen Schultern fiten zivei Naben, Huginn und Muninn (Gebanfe 
und Gedächtnis), die ihm ins Ohr fagen Alles, was fie hören und 
jeben. Er läßt fie jeden Tag die Welt umfliegen und zur Mittagszeit 
fommen fie wieder zurüd, Er hat nur ein Auge, das andre liegt im 
Brunnen der Weisheit. Wenn er zum Kampfe zieht, trägt er den 
Golvhelm und führt den Speer Gungnir, der immer trifft. Seine 
. Gemahlin ift Frigg, die das Schickſal der Menſchen kennt, obgleich fie 
e3 Teinem offenbart. Thor, Odins Sohn, der erite nach dem Bater, 
ift der ftärkfte aller Götter und Menfchen. Er fährt in einem Wagen 
mit zwei Böden beipannt. Drei Kleinode hat er: den Hammer, vor 
dem bie Rieſen zittern und ber in feine Hand zurüdfliegt, wohin er 
ihn geiworfen bat; den Gürtel, durd den feine Kraft verboppelt wird, 
wenn er ihn um fich fpannt; die Eiſenhandſchuhe, womit er den Hammer 
faßt. Sein meiftes Geſchäft iſt der Kampf mit den Hrimthurfen. 
Odins ziveiter Sohn ift Balbur der Gute, der von Schönheit glänzt, 


19 


den Alle lieben und loben. Er ift der mildeſte, weiſeſte und berebtefte 
der Alen. Seine Urtbeile fann Niemand ändern. Nichts Unreines 
darf in feiner Wohnung fein. Sein Sohn ift. Forfeti, der -Schlichter 
alles Streites, von dem Alle, die fih in fehwierigen Sachen an ihn 
wenden, ausgejöhnt hinweg gehen. Njörd, der dritte Afe, herrſcht über 
den Gang des Windes und ftillt Meer und Feuer. Ihn ruft man auf 
der Eee und bei der Fiſcherei an. Er kann Reichthum und Überfluß 
verleihen. Seine Frau, Stabi, liebt dagegen das Gebirg, wo fie, auf 
Schrittſchuhen fahrend, mit ihrem Bogen die Thiere verfolgt. Njörds 
Kinder find Freyr und Freya. Sener, der Sohn, gebietet über Regen 
und Sonnenfchein und die Fruchtbarkeit der Erde. Ihn muß man 
anrufen um gutes. Jahr und Frieden. Er ift auch der Reihen Schutz⸗ 
gott. Seinen Wagen zieht ein Eber, Gullinburfti, der in der Luft 
und auf dem Meere, Tag und Nacht, dahinfahren Tann; mag es noch 
fo dunfel fein, des Eber3 goldene Borften geben Helle genug. Freya, 
Die Tochter, ift die verebrtefte der Afinnen, die vornehmite nad) Frigg. 
Sie wird um das Glück der Liebe angefleht. Sie tft eine Freundin 
der Lieder und erhört gerne, die fie anrufen. Mit ihrem goldnen 
Halsſchmucke, Brifing, fährt fie auf einem Wagen, der von zwei Haben 
gezogen wird. Ihr Gemahl, Odr, ift fern von ihr gezogen, ihn fucht 
fie und die Thränen, die fie um ihn weint, find roth wie Gold. Kühn 
und tapfer ift Tyr. Er mwaltet über den Sieg in der Schlacht, darum 
müſſen die Kriegsleute ihn anrufen. Zur Berföhnlichleit unter den 
Menſchen trägt er wenig bei. Einhändig ift er, feit er die Kühnheit 
hatte, feine Hand dem Wolfe Fenrir in den Rachen zu fteden. Bragi 
ift ein Meifter in der Dichtlunft, der Skalden erfter; nach ihm wird 
die Dichtlunft Bragur genannt. Seine Frau ift Idun. Sie verwahrt 
die Apfel, wovon die Götter fpeifen, wenn fie anfangen zu altern; 
davon werben fie alle wieder jung. Als Idun einft entführt mar, 
wurden die Götter alt und grauhaarig. Die Aſin Saga trinkt jeden 


Tag mit Odin aus goldnen Schaalen. Der Götter Bote ift Hermodr, 


Odins Sohn, ihr Wächter aber Heimball, von neun Jungfrauen ae: 
boren, mit Goldzähnen. Diefer wohnt am Ende des Himmels, um 
vor den Niefen die Brüde Bifröft zu wahren, die von der Erde zum 
Himmel gebt und die wir Regenbogen nennen. Er bebarf weniger 
Schlaf als ein Vogel, fieht bei Nacht fo gut als am Tage, hundert 


N 





20 

Meilen weit, und hört Gras und Wolle wachſen. Sein Horn, Gjallar: 
horn, wird in allen Welten gehört. Noch werben Andre den Aſen 
und Alinnen beigezählt, darunter Loki, der Riefenfohn, der Verleumder 
ber Aſen, eine Schande für Götter und Menichen. Er ift von fchönem 
Ausfehen, aber böfen und unbeftändigen Sinnes. Vor Andern ift er 
liftig und behend. Er gibt den Aſen ſtets verderblichen Rath und hat 
fie oft in ſchlimme Verlegenheit gebracht, oft aber half er ihnen wieder 
durch feine Schlauheit. Er hat Schuhe, womit er in ber Luft und im 
Meere fchreiten ann. Er hat mit der Niefin Angurbodi drei unge: 
beine Wejen erzeugt: den Wolf Fenrir, der einft Odin verfchlingen 
wird, die Erdfchlange, Jörmungand, die, mitten im Meere liegend, 
alle Länder umfpannt und fih in den Schweif beißt, ſodann Hel, die 
. Todesgöttin, von wildem und furchtbarem Ausjehen, halb blauer, halb . 
menjchlicher Farbe, zu deren unterirdiſcher, hochumhegter Wohnung 
die gefandt werden, die vor Alter und an Krankheiten geitorben find. 
Meineivige, Meuchelmörder, Ehebrecher kommen nad Naftrönd, ein 
abſcheuliches Gebäude, fern von der Sonne, aus Schlangen gewoben, 
melde Gift nach innen fpeien, fo baß die Bewohner in Giftftrömen 
waten. 

Im Himmel aber find viel herrliche Wohnungen. Jedes der bors 
nehmſten Afen hat feinen eigenen Saal. Valhall, Odins weiter, leuch- 
tender Saal, nimmt Diejenigen auf, die im Streit und auf dem Wahl: 
plate gefallen find. Sie heißen dann Einheriar. Valhalls Dach ift 
mit goldenen Schildern belegt. Die Balken blinfen von Gold. Auch 
die Wände find rundum mit Schildern, Statt mit Teppichen, geſchmückt 
und mit Speerjchäften getäfelt. Abends erhellen blanfe Schwerter den 
Saal, fo daß es feiner andern Erleuchtung bedarf. Dort fpeifen die 
Einberiar vom Fleifche des Ebers Sährimnir, der jeden Tag gekocht 
wird und am Abend wieder ganz if. Aus dem Euter der Biege 
Heidrun, die das Laub von den Bmeigen des Baumes Lärad frißt, 
fließt foviel Meth, daß alle Einheriar volauf davon zu trinken haben. 
Odin felbft bebarf Feiner Speife, da ihm Wein zum Trank und zur 
Speiſe dient. Das Effen, das auf feinen Tiſch kommt, gibt er feinen 
beiden Wölfen, Geri und Frefi. Jeden Morgen rüften fi) die Ein- 
heriar, geben hinaus in den Hof, lämpfen und tödten einander; aber 
um die Zeit des Mahles reiten fie wieder ale heim zum Saale, ſitzen 


1 


21 


einträchtig am Trinktiſch und trinken Bier mit den Aſen, das ihnen 
die Valkyrien bringen. Die Valkyrien find Jungftaun, die Odin zu 
jevem Kampf ausfendet. Sie reiten hin, um bie Schlacht zu lenken, 
über den Sieg zu gebieten und den Männern den Tod zu wählen. 
Sie mweben Gewebe der Schlacht mit Schwertern und bluttriefenden 
" Speeren. In Balball aber dienen fie und walten des Bechers. 

Der Götter heiligfte Stelle, wo fie täglich Gericht halten, iſt bei 
der Eiche Yggdraſill. Ihre Zweige breiten fich über die ganze Welt aus 
und reichen hinauf über den Himmel. Drei Würzeln bat fie, deren 
eine zu den Aſen und den Menfchen, die andre zu den Hrimthurfen, 
die dritte zu Niflheim und zum Brunnen Hvergelmir, der voll Schlangen 
ift, ſich erftredt. Bei der mittlern Wurzel iſt Mimird Brunnen, - worin 
Meisheit-und Verſtand verborgen find. Der Eigner des Brunnens ift. - 
vol Weisheit, weil er jeden Morgen daraus trinlt. Einmal kam 
Allvater dahin und verlangte einen Trunk, der ihm aber nicht eher 
gewährt ward, bis er ein Auge zum Pfande fette. Bei der Wurzel 
aber, die zu den Ajen geht, ift Urds Brunnen, ber fehr heilig ift. 
Zwei Schwäne ſchwimmen darin und an ihm wohnen” bie drei Normen - 
Urd, Verdandi und Sfuld (Vergangenheit, Gegenwart, Zufunft), meldje 
der Menichen Lebenszeit beitimmen und die Runen des Schickſals 
zeichnen. Täglich befprengen fie die Eſche mit dem Wafler des Brunneng, 
damit fie nicht verborre noch verfaule Mehr Drangjal duldet diefe 
Eiche, als Sterbliche wiſſen; vier Hirihe laufen in ihren Zweigen 
umber und beißen die Knofpen ab, an ber Seite modert fie, an ber 
Wurzel, die zu Niflheim geht, nagt der Drache Nidhöggr. Oben figt 
ein Aar, ber viele Dinge weiß, zwiſchen feinen Augen ber Habicht 
Beburfölnir: das Eichhorn Ratatöskr aber läuft am Baume auf und 
ab und trägt bes Adlers Worte der Schlange zu. 

Außer den Göttern (Ajen), den Riefen (Joten) und den Menfchen 
find noch andre Geſchlechter: die Vanen, die Alfen, die fich in Licht: 
alfen und Schwarzalfen theilen; letztere werden auch gleichbebeutend 
mit den Zivergen genommen, die zuerit als Würmer in bes Urriefen 
Diners Fleiſche zu leben anfiengen, nachher aber mit Willen der Götter 
Berftand und Menfchengeftalt erhielten. 

Der Kreis der Afen ſelbſt bat fih zum Theil durch Vermiſchung 
mit Vanen und Joten gebildet. Das Leben der Götter in Asgard 'ift 





\ 


22 


nicht von Anfang fo geweſen und wird auch im Laufe der Zeiten ver- 
gehen. Als Asgard noch auf Erden fland, war ein golbnes Alter des 
Friedens, bis jene Bermifchungen vorgiengen. Odin fchleuberte den. 
Speer unter das Bolt und das ward der erfte Krieg auf Erden. Wohl 
werden die Ungeheuer, von denen den Göttern Berberben droht, ge: 
bunden, aber fortwährend ertünen die Weiffagungen des Weltunter- 
gangs, der Gdtterdämmerung, Ragnarök. 

Noch ift zwar die Macht der Götter gefichert, jo lang Balbur der 
Gute lebt, Odins fchöner und milder Sohn. Doch Baldur felbit hat 
viele Träume, daß fein Leben in Gefahr fei. Als ex fie den Afen 
erzählt, halten fie Rath darüber und es wird beichloffen, ihm Sicher: 
beit gegen jede Gefahr zu verfchaffen. Frigg, feine Mutter, nimmt 
hiernach einen Eid von Feuer, Waſſer, Eifen und andern Metallen, 
Steinen, der Erbe, den Bäumen, Krankheiten, giftigen Schlangen, 
Bögeln und andern Thieren, daß fie Baldurn nicht ſchaden erben. 
Da dieſes feftgefeßt und Allen befannt gemacht ift, ergeßen ſich die 
Alen damit, daß fie ihn vorn in die Verfammlung ftellen, wo einige 


auf ihn hießen, andre nach ihm hauen, wieder andre mit Steinen 


nach ihm werfen; und mas fie auch thun, er hat feinen Schaben davon. 
Als Loki diefes fieht, verbrießt es ihn; in Geftalt eines Weibes begibt 


er fih gu Frigg und forfcht fie aus, ob denn alle mögliche Dinge ge- 


Ihmworen, Baldurs zu jchonen. Yrigg antwortet: „Es wächſt ein kleiner 
junger Baum weſtlich von Balball, Mifteltein genannt; er ſchien mir 
zu jung, um ihn in Eid zu nehmen.” Loki zieht nun den Mifteltein 
aus und geht dann damit zur Verfammlung. Der blinde Hödr, einer 
der Aſen, fteht zu äußerſt im Kreife. Ihn redet Loli an und fragt: 
Warum fcießeft du nicht auf Baldurn? Hödr antwortet: Ich fehe nicht 
und bab’ auch feine Wehr. Ich will dir zeigen, wo er fteht, und fchieße 
dann auf ihn mit biefer Gerte! Hödr nimmt Mifteltein und fchießt 
nad Lokis Anweiſung auf Baldurn. Der Schuß durchbohrt biefen 
und er fällt tobt zur Erde. Sprachlos ftehen die Aſen umher, dann 
brechen fie in Thränen aus. Als fie wieder mehr zur Befinnung ges 
fommen, fragt Frigg, wer von den Aſen ihre Gunft gewinnen und zu 
der Untermwelt reiten wolle, um zu verfuchen, ob er Baldurn finden 
könne, und dann Hel Löſegeld zu bieten, falls fie ihn zurüd nad 
Asgard kommen laffen wolle. Hermod der Schnelle, Odins Sohn, 


m 


23 u 


übernimmt dieſe Botfchaft. Auf Odins Roſſe Sleipnir reitet er bin. 
Die Afen nehmen Baldurs Leiche und bringen fie zur Eee. Sie foll 
auf einem Schiffe verbrannt werden. Baldurs Roſs wird mit allem Ge 
ſchirr zum Echeiterhaufen geführt. Nanna, Baldurs Frau, vergeht vor 
Gram und ihre Leiche wirb mit der feinigen verbrannt. Thor hat ben 
Sceiterhaufen mit feinem Hammer geweiht und Odin barauf feinen 
Goldring Draupniz gelegt, von dem fortan in jeber neunten Nacht acht 
gleich ſchöne Ringe tropfen. Hrimthurfen und Bergriejen felbft find 
bei diefer Leichenfeier in großer Anzahl gegenwärtig. Indeſs reift Her: 
mod neun Nächte durch dunkle und tiefe Thäler und erblidt Fein Licht, 
bis er zum Flufle Gjöll kommt und über die Gjallarbrüde reitet, die 
mit fchimmerndem Golde belegt if. Mobgubur, eine Jungfrau, melde 
die Brüde bewacht, fragt ihn nach Namen und Geſchlecht. Sie ſetzt 
binzu: Geftern, da fünf Schaaren todter Männer über die Brüde ritten, 
donnerte fie nicht jo fehr, als jeßt unter dir allein, auch haft du Feine 
Xobtenfarbe; warum reiteft du auf ber Bahn der Tobten? Hermod 
antwortet: Sch fuche Balburn; haft du etwas von ihm in diefen Ge 
genden geleben? Sie fagt ihm, daß Baldur über die Brücke geritten 
fei; nörblich hinunter gehe der Weg zu Hel. Da reitet Hermod meiter 
fort, bis er die Umzäunung erreicht, bie Hels Wohnung umgibt. Hier 
fteigt er vom Roſſe und fpannt den Gurt feſter, jet ſich wieder auf 
und gibt ihm die Sporen. Das Roſs jet über das Geheg. Hermod 
reitet darauf zum Saale, fteigt ab und gebt hinein, wo er Baldurn, 
feinen Bruder, auf der vornehmften Stelle figen fieht. Er bleibt die 
Naht über. Am Morgen verlangt er von Hel, daß fie Balburn mit 
ibm beim reiten lafje, ihr vorftellend, welche Trauer um ihn bei ven 
Ken fei. Hel antwortet, es würde jetzt fich zeigen, ob Baldur fo 
allgemein geliebt fei, ald man fage; denn wenn alle Dinge in ber 
Welt, lebendige und Ieblofe, ihn beweinen, foll er Erlaubnis erhalten, 
zu den Aſen gurüdzulehren; dagegen aber foll er bei Hel bleiben, - 
wenn Sjemand Einwendung mache oder nicht meinen wolle Hermod 
zeitet heim nach Asgard und verfündigt, was er gejeben und gehört. 
Die Aſen fenden jet Boten über die ganze Welt aus und forbern 
auf, Baldurn aus Held Gewalt zu weinen. Alle thun es, Menichen, 
Thiere, Erbe, Steine, Bäume und alle Metalle, wie noch diefe Dinge 
Weinen, wenn fie aus dem Froſt in die Wärme kommen. Als vie 





24 


Boten nad wohl verrichtetem Gefchäft zurüdtehren, finden fie in einer 
Höhle ein Rieſenweib, das Thök heipt. Sie bitten auch biefes, Bal- 
durn zu beweinen. Das Weib aber antwortet: Mit trodnen Augen 
weint Thök Über Baldurs Tod; weder im Leben, noch im Tode hatt’ 
ih Gutes von ihm; Hel behalte ihren Raub! Man glaubt, daß dieſe 
Thök Niemand anberd als Loki war, der den Afen fo vieles übel 
. zugefügt. Se bleibt Balbur in ber Unterwelt; Loki aber wird von 
, den Ajen gefangen und über 'drei Felſenſpitzen feitgebunven. Eine 
giftige Schlange wird über ihm aufgehängt, damit ihm das Gift ber: 
felben auf fein Angefidht nievertropfe. eine Frau Sigyn ſitzt neben 
ihm und hält ein Gefäß unter. Wenn diejes vol ift und fie es hin⸗ 
wegträgt, tropft ihm inbeflen das Gift ins Geficht, wobei er fich fo 
ſtark windet, daß bie ganze Erde bebt;. und dieß ift die Urſache des 
Erdbebens. Dort liegt er fo in Banden bis Ragnaröf. 

- Dem Weltbrande voran geht eine böfe Zeit. Brüber töbten Brüber, 
- Vertvandte kämpfen mit Verwandten. Dann kommt $imbulvetr (ber 
große Winter), der aus drei Wintern, ohne einen Sommer dazwiſchen, 
beſteht. Beilgeit und Schwertzeit, Sturmzeit und Wolfzeit, ehe bie 
Welt füllt. Bei den Joten kräht der feuerrothe Hahn, bei den Aſen 
der goldgelbe, in Hels unterirdiſchen Sälen der rußfarbige. Der ge 
feffelte Wolf Fenrir beult. Alle Bande bredden, Loki wird frei. Die 
Erbe bebt, die Zwerge jeufzen am Felſenthore, Yggdraſil ftöhnt und 
bebt. Das Meer ſchäumt über feine Ufer, denn die Midgardsſchlange 
wüthet und jucht das Land. Da erhebt fich Heimbal und bläft ing 
Ginllarhorn, daß es in allen Welten gehört wird, und ruft die Götter 
zum Kampfe. Odin fpricht vergebens mit Mimers Haupte. Der Adler 
fchreit und zerreißt Leichen, die Woge brauft und das Schiff Naglfar, 
das aus den Nägeln der todten Menſchen gemadt ift,- wird los und 
vom Riefen Hrymr. gefteuert. Der’ Himmel aber fpaltet ih, Muſpels 
‚Söhne kommen reitend heraus, von Surtur angeführt, dem Allver: 
brenner, der von Yeuerflammen umgeben ijt und defien Schwert heller 
als die Sonne leuchtet. Unter ihnen bricht die Himmelsbrücke Bifröft. 
Loli vereinigt fich mit Held Söhnen, Hrymr mit allen Riefen, um am 
allgemeinen Streite Theil zu nehmen. Alle Afen waffnen ſich. Alle 
Einherien in Valhall ziehen aus mit ihnen. Zuvörderſt reitet Odin 
mit Goldhelm, Harnifh und Speer. Auf der unermehlicden Ebene 


28 


Vigrid beginnt der letzte Kampf. Der Wolf-verichlingt Odin; aber 
Bidar, fein Sohn, der ſchweigende jtarte Afe, rächt den Vater. Heinball 
und Loki tödten einander. Freyr fällt duch Surtur. Thor töbtet die 
Erdichlange, aber er fällt, von ihrem Gift erſtickt. Zuletst ſchleudert 
Surtur Feuer über die Welt, die Sonne ſchwärzt fih, die Erbe fint 
ind Meer, vom Himmel fallen die Sterne, um ben Weltbaum raft bes 
Feuers Qualm, mit dem Himmel felbft fpielt die flammende Lohe. 

- Aber aus dem Meere fteigt von Neuem eine grüne, fchöne Erbe, 
‚die Wafler fallen, der Adler fängt Fiſche auf den Bergen. Korn wächſt, 
ohne gefät zu werden. Baldur, Höbr und andre ber Aſen erfcheinen. 
Sie feten fih zufammen und fprechen von voriger Zeit. Auch ein 
Menſchenpaar hat ſich geborgen, von Morgenthau genährt, Lif und 
Lifihrafin. Von ihnen ſtammen die neuen Geſchlechter. Die Sonne 
bat eine Tochter geboren, fchön wie die Mutter, deren Bahn fie manbelt. 


- 


In den allgemeinern Zufammenhang der norbijchen Götterlehre, 
welcher bier im Umrifje gegeben worden, fallen noch manche befondre 
Sagen, worin mehr die einzelnen Götter in ihrem eigenthümlichen 
Weſen und Wirken bervortreten. Diefe mweitern Sagen werden ir 
nachher bei der Erläuterung des Ganzen benüten. 

Als die Duellen, nad; denen bie obigen Auszüge gemadt und die 
noch weiter folgenden zu geben find, haben wir bereitö bie beiben 
Edden benannt. Bon der Beſchaffenheit dieſer Quellen iſt hier Einiges 
anzufügen. Die ältere, fämundifche Edda enthält 16 heidniſch⸗mytho⸗ 
logifche Lieder. Sie find in der in altnorbifcher Dichtkunft herkömm⸗ 
lichen Weile der Allitteration oder des Stabreims abgefaßt, noch nicht 
aber in den verwideltern Formen ber ausgebilbeten Skaldenkunſt. Die 
Berfafler find, wie bei aller älteften Poeſie, unbekannt, obgleich ſonſt 
ſchon vom neunten Jahrhundert an nicht leicht ein erheblicheres Stalben: 
lied gefunden wird, deſſen Verfaſſer nicht auch „dem Namen nad) be» 
kannt gewejen wäre (Geijer 192). Die einzelnen Eddalieder verbreiten 
fih bald mehr über den größern Zufammenhang ber Schöpfung und 
Götterwelt, fo befonders Völufpa, die Weiffagung der Wole; bald 
find fie mehr auf befondre Theile und Greigniffe der Göttergeichichte 


26 


gerichtet; faſt durchaus ift ſchon der Rahmen des Gedichtes ein mythi⸗ 
ſcher; Götter, Rieſen, Zwerge, Wolen treten jelbft, in Rede und Hand⸗ 
Yung, meiflagend, lehrend, in Streitgefpräch und Räthſelfrage auf, Alles 
‚in gebrängten Rebefägen, in raſchen und oft fchroffen Zuſammen⸗ 
ftellungen. Die jüngere, profaifche Edda, Enorros Edda, gibt in ihren 
beiden mythologiſchen Abjchnitten, gleichfalls in Form von Gefprächen 
mythiſcher Perfonen, ausführliche, mehr abſichtlich geordnete Berichte über 
diefe ganze Müthenwelt, auf die Grundlage der alten Sagen und Lieber, 
aus denen häufig Strophen eingeflocdhten find. An diefen mythologi⸗ 
ihen Haupttheil der jüngeren Edda ſchließt ſich noch die Skalda, eine 
Belehrung über: die bichterifchen Umfchreibungen und Benennungen, 
nebft einer Überficht der Versarten ber, isländiſchen Dichtlunft u. f. w., 
mobei dann zur Erklärung der aus Mythus und Sage entnommenen 
Bilder und Namen auch verſchiedene mythiſche und fagenhafte Erzäh⸗ 
lungen eingefügt find. Die gefammte jüngere Edda ift fomit eine 
iSländifche Poetik, fie gibt das Mythologiſche für den Gebrauch der 
Dichterfprache ; denn auch nach der Einführung bes Chriftenthums fuhr 
man im Norden fort, ſich für die Dichtlunft der heibnijch : mytbifchen 
Bilder und Namen zu bedienen. Der Zweck eines ſolchen Unterrichts 
brachte es mit ſich, daß auch wirklich aus der Duelle: der alten Sagen 
und Lieber gejchöpft wurde, aber in der Anorbnung, in Paraphrafe 
und Erläuterung konnte hier allerdings auch chriſtliche Anficht bin und 
wieder einwirken. 

Über die Echtheit der eddiſchen Götterlehre iſt Vieles verhandelt 
worden. Überecht, möchte man fagen, ift fie genommen von dem erften 
deutſchen Überfeber der jüngeren Edda, 3. Schimmelmann (Stettin 
1778. 4). Er fieht die Edda für die ältefte Überlieferung an, die dem 
ganzen „europäiſch⸗celtiſchen“ Volke bei deſſen erſtem Auszug aus Afien 
mitgegeben worden, für ein Gottesbuch, eine Weiffagung und bie ältefte 
göttliche Offenbarung, melde bie ganze Lehre von Gott, ver Dreieinig- 
feit, dem Meſſias, dem Antichrift u. f. w. enthalte. Hinwieder ift fie 
für etwas zum bloßen Spaß Gebichtetes erklärt von F. Adelung: Über 
norbifche Zitteratur, Geſchichte und Mythologie, in Beders Exrholungen, 
1797. II. Später trat vorzüglih Fr. Rühs als entfchievener Gegner 
ber Echtheit auf. Er bat feine Überfegung der jüngern Edda (Berlin 
1812) vorzüglih unternommen, um in einer ihr beigefügten Abhand⸗ 


27 


lung „von der norbiihen Mythologie” (S. 120 ff.) feine Anfichten 
hierüber auszuführen. Er behauptet darin, was unter dem Namen 
nordiſche Mythologie auf uns gefommen, fei niemals Glaube des Volks 
geweſen, ja nur einem äußerft unbeträchtlihen Theil nach in bemfelben 
begründet. Die Meinungen des Boll haben nur-den erften Keim 
bergegeben, der auf das freifte und manigfaltigjte ausgebildet morben. 
Der Bollsglaube ftehe fogar mit ben mythiſchen Vorftellungen im Wider⸗ 
ſpruch. Überall feien chriftliche Ideen hinzugekommen, auch rabbinifc 
‚cabbaliftiihe. Dann fei auch die griechiſch⸗römiſche Mythologie benüst 
worden, theild unmittelbar, theils durch Vermittlung der Angelfachien. 
Der Hauptſache nad feien die nordiſchen Mythen zur Lehre und zum 
Beifpiel für junge Dichter beftimmt und zum Scherz, zur Zeiwerkürzung 
erfunden, brauchbar als poetifcher Stoff, ale Verzierung der Gedichte, 
um fo mehr, als die isländiſchen Dichter es für einen Vorzug gehalten, 
dem großen Haufen dunkel, nur den Eingeweihten verftänblich zu fingen. 
Die Bermifchung des Chriftlichen mit dem Hetbnifchen laſſe fich in Sagen 
und Liedern nachweiſen. Schon vor der Verkündigung des Chriften: . 
thums im Norden habe zwifchen Ehriften und Heiden ein genauer Ber 
kehr Statt gefunden. Die Heiden haben die neue Religion zur Bes 
reicherung ihrer armen vaterländiſchen Götterlehre benübt. Die Belchrer 
feien ihrerjeitö geneigt getvejen, das Alte dem Neuen zu verknüpfen, 
fie baben in den alten Vorftellungen Punkte aufgefucht, um auf den: 
jelben ein neues Gebäude aufzuführen. Eben weil jene Mythen ſpãter 
entſtanden, weil ſie nie Glaube des Volks geweſen, ſondern nur er⸗ 
funden worden, um in der Dichtkunſt zur poetiſchen Farbengebung zu 
dienen, babe vie Geiſtlichkeit fie geduldet, ja, ſelbſt dichtend, ſich ihrer 
bedient, fie erweitert und vermehrt. Auch werben die alten Götter 
meift in einem komiſchen ober verächtlichen Lichte vargeftellt. Es komme 
demnach diefer Mythologie keine andre Bebeutung zu, als die jede 
einzelne Mythe in ſich trage, als Hervorbringung eines mehr ober 
minder glüdlihen Dichters. Vergeblich feien von jeher die Verſuche 
geweſen, fie mit den Mythen ver älteften und entfernteften Völler in 
Bufammenbang zu bringen, oder fie als Glieder eines Syſtems zu 
erflären. 

Gegen dieje Anficht erhob fi P. E. Müller, vorzüglich in fol⸗ 
gender Schrift: 





28 


üÜber die Üchtheit der Aſalehre und den Werth der Enorrcifchen Edda, 
von P. E. Müller. Aus. der dänifhen Handſchrift überfegt von 2. C. Sander. 
Kopenhagen 1811. 

Er macht darin vorzüglich geltend, die Kenningar (ein Stüd der 
Stalda) enthalten eine Sammlung poetifcher Umfchreibungen und Benen- 
nungen Odins, Thor, Balvers, Freyrs und der übrigen Aſen, fo wie 
auch Lokis, dann der Göttinnen Frigg, Sif, Idun, ferner der Welt, der 
Erbe, des Meers u. |. w., belegt durch ungefähr 500 Bruchftüde von 
etwa 80 namentlich aufgezählten Dichtern, welche gröftentheilg, ger 
ſchichtlichen Quellen zufolge, vom 9ten bis gegen das Ende des 1Bten 
Jahrhunderts gelebt haben. Diefe Bruchftüde, je aus 4 bis 8 Zeilen, 
etliche aus mehreren Strophen beitehend, jeien voll von mythiſchen 
Anfpielungen und deuten auf biefelben Mythen bin, welche ber erfte 
möthologische Theil der Edda proſaiſch darftelle. Hieraus folge, daß 
auch die lettern nicht millfürlich erbichtet feien, man müfte denn jene 
500 ald Mufter der poetifhen Sprache ausgehobenen Lieberftellen, in 
ihrer fragmentarifchen Geftalt, bei aller Verſchiedenheit des Inhalts, 
des Tones und Versbaus, und Hinmwieder bei der gröften Gleichheit 
derjenigen, welche unter demjelben Namen angeführt werben, ſämmtlich 
für unecht erflären, was ein höchſt unmahricheinliches Gewebe von 
Betrug und Lügen vorausjeßen würde. 

An diefer Streitfache haben beſonders nod die Brüder Grimm, 
als Verfechter der Echtheit, Theil genommen: 

W. C. Grimm, Recenſion der mlilleriſchen Schrift in den Heidelberger 
Jahrbüchern ber Litteratur, 1811. Nr. 49. 50. Auch ſchon in der Abhandlung: 
Über die Entſtehung der altdeutſchen Poeſie und ihr Verhältnis zu der nordi⸗ 
fen, in den Studien, 1808. 11. ©. 221 ff. 

3. Grimm, Recenfion von Rühs Edda in der Leipziger Fitteratur- Zeitung. 
1812. Nr. 287. 288. 


Mie könne, wird meiter angeführt, überhaupt von einer Erfindung 
ber Mythologie geredet werden, wo noch die Spuren: von dem Cultus 
ber alten Götter fichtbar feien, wo in fo vielen Sagen und Gefängen - 
fie uns entgegentreten? Niemals fei eine neue Mythologie erfunden 
worden, fo wenig als eine neue Sprache. Welche Geifter Tönnten aud) 
jo gedichtet haben, daß fie unbewuſt mit den erſt fpät nachher in 
Europa befannt gewordenen Mythen der älteften und entfernteiten 


29 


Völker überrajchend zufammentreffen! Der erjte und. wichtigfte Beweis 
der Echtheit fei der innere. An fich felbit, kraft bes ihnen inwoh⸗ 
nenben Geiftes, feien die Gefänge der ältern Edda und die Mythen 
der jüngern die ficherjten Quellen. | 

Neuerlich hat Geifer im erften Theil feiner Gefchichte von Schweden 
(S. 185 ff.) die Frage über bie Echtheit der nordifchen Mythologie fehr 
befriedigend abgehandelt. Er führt den Beweis ihrer Echtheit aus dem 
Zufammenhange der Götterfage mit dem Ganzen ber Litteratur und 
Bildung des alten Nordens. 

Die innere Lebenskraft dieſer Götterſage und der eben erwähnte 
weitere Zufammenhang find auch die entſcheidendſten Gründe der Echt⸗ 
beit. Unſer fernerer Gang durch die Sagenwelt der germanifchen Völker 
wird und aud die Mythen der Eoda in ihrer volfsthümlichen Geltung 
bewährt zeigen. | | 

Im Ganzen wird die Frage von ber Echtheit der norbifchen Götters 
fage von den neueren Litteratoren für abgemacht angejehen. Sie rebuciert 
fih nur noch auf die Kritif einzelner Stellen der Edden, bei benen 
man die Spur einer fpätern, hriftlihen Anſicht zu bemerken glaubt. 
Gleichwohl glaubte ich diefe Streitfrage nicht umgeben zu dürfen, Pa 
man leicht in ältern, ſonſt verbienftlichen Schriften auf Anfichten ftoßen 
kann, welche den, der mit den Momenten dieſes Streites nicht befannt 
wäre, irre machen Tünnten. Die Spaltung der Meinungen wäre wohl 
aud niemals in ſolchem Grade eingetreten, wenn zu ber Beit, da der 
Etreit fi) erhob, die mythiſchen Gefänge der ältern Edda ſchon in ber 
Vollſtändigkeit herausgegeben gemejen wären, in der fie jeßt vorliegen. 

Pas die neueren Forſcher ernftlicher befchäftigt, ift die Frage über . 
die Bedeutung diefer Mythologie; und diefe Frage wird man aud 
noch lange nicht für erledigt anſehen dürfen, bis in das Einzelnfte ber 
Bilder und Sagen wohl niemals, 

Se länger und näher man bie norbifchen Mythen betrachtet, um 
jo mehr maden fie den Eindrud eines großartigen und finnvollen 
Ganzen. Es iſt auch auf ihre Erklärung ſchon viel. Scharffinn und 
Gelehrjamleit verwendet worden. Eine bedeutende Schwierigfeit Liegt 
in der etymologiſchen Deutung der Namen. Denn bavon überzeugt 
man ſich bald, daß die Namen ber mythiſchen Perfonen und Gegen: 
ftände nicht biftorifche find, ſondern Bezeichnungen aus Weſen und 





30 


⸗ 


Eigenſchaft. Darum müſten wir auch über Letzteres durch eine richtige 
Etymologie vielfach verſtändigt werden. Einige Namen, deren Bedeu: 
tung völlig Har ift, find in obigem Auszuge als ſolche bemerklich ge: 
macht worden. Wenn .eö aber bei den meiften entſchieden tft, daß fie 
Sachbezeichnungen find, und man nur häufig zwiſchen verſchiedenen, für 
möglich angefehenen Bedeutungen ſchwankt, fo darf auch auf bie gleiche 
Bewandtnis bei den übrigen, noch nicht erklärten, geſchloſſen werben. 
Aber auch geborne Isländer, die fich eifrig mit Commentierung ber 
Enden beichäftigt, haben doch noch Vieles und darunter mandje ber 
erheblichften Namen unentziffert gelaffen oder doch nicht genügend auf 
gehellt. J. Grimm gibt in ver Vorrede zu den beutichen Rechtsalter⸗ 
thümern (S. XVII) Hoffnung, daß er auf ähnliche Weife wie dieſe 
(alfo ausgedehnt auf den ganzen germanifchen Völkerſtamm), auch bie 
Geichichte des heidniſchen Glaubens der Deutichen bearbeiten terbe. 
Durch einen foldden Sprachforſcher dürften wir allerdings erwarten, 
in jener etymologiſchen Erklärung beträchtlich weiter geführt zu werben. 

Aus der fehr "umfangreichen Litteratur der norbifchen Mythen: 
erflärung made ich folgende neuere Schriftfteller namhaft: 

Finn Magnuſen, aus einen islänbijchen G@ejchlechte, der vorzüglich in 
folgenden drei Werfen für die Erfärung der ſtandinaviſchen Mythologie mit 
großem Yleiße gearbeitet hat: in feiner däniſchen Überfegung und Erflärung 
ber ältern Edda, 4 Bände, Kopenhagen 1821 bis 1823; in feiner, gleichfalls 
däniſch gefchriebenen Eddalehre, 4 Bände, Kopenhagen 1824 bis 1826; ſodann 
in: Prisce veterum Borealium Mythologie Lexicon, auctore, Finno Mag- 
nusen. Havnie 1828, 4. 

Mone in der angeführten Geſchichte des Heidenthums im nördlichen Eu⸗ 
ropa. Theil 1. Leipzig 1822. ©. 309 ff. 

F. Miünter, Geſchichte der Einführung des ChriftenthHums in Dänemark 
und ‚Norwegen, Leipzig 1823. (Auch als Iter Theil feiner Kirchengejchichte 
von Dänemark und Norwegen.) 

E. ©. Geijer, Geſchichte von Schweben, Theil 1, ſchwediſch, Upfala 1825. 
Hievon eine deutſche Überfegung auch unter dem befondern Titel: Schwedene 
Urgeſchichte, Sulzbach 1826. 

Die verſchiedenen Richtungen dieſer Schriftſteller laſſen ſich kürzlich 
dahin bezeichnen, daß bei Finn Magnuſen die phyſiſche, bei Mone die 
philoſophiſche und bei Münter die hiſtoriſche Mythendeutung vorherrſcht. 

Görres macht in ſeiner Mythengeſchichte der aſiatiſchen Welt, aus 


31 


Anlaß der verfchiedenartigen Erklärungen der perfiichen Mythenlehre, 
die ſehr beachtenswertbe Bemerkung (S. 237): 

„Jede Erflärungsart hat ihre eigene wahre Seite, durch beren Hervorheben 
fie im ganzen Umfange wahrſcheinlich gemacht werden mag; jede aber muß 
vieles fallen laſſen, was fie nicht aufnehmen kann, und daraus läßt fi) dann 
jedesmal ihre Widerlegung führen. Die eigentliche Wahrheit ift, daß die Lehre 
jelb alle zufammen, und feine von allen ift; daß fe darſtellt bie ganze Natur- 
anficht, chronologiſch, aſtronomiſch, phyfiſch, geographiſch, hiſtoriſch und philo- 
ſophiſch, jo weit fie die damalige Welt erfannt; daß fie aber keineswegs ein 
einzelnes Moment felbft, bis zur höchften Sonderung und Schärfe getrieben, 
für fich ergreift, eine Scheidung, die nur fpäterer Beit eigenthümlich fein kann.“ 

In ähnlichem Sinne ftellt. Geijer (S. 284) feiner Erklärung den 
Sat voran, die Mythologie der Norbländer, mie bie andrer Vöffer, 
enthalte alte Vorftellungen über die Gefchichte der Natur, über bie 
Geihichte der Menſchen und Religionen, endlich über die Gefchichte des 
Volkes ſelbſt, und daß fie dieß alles in einander und auf einmal bar: 
ftelle, jet e8 gerade, was das mythiſche Zeitalter der Geſchichte bezeichne. 
Nach ven angegebenen drei Gefichtöpuntten gejondert, nimmt er dann die 
Erklärung vor. Beſonders aber ift noch anzurühmen, daß Geijer auch 
einen von manchen Mythenerklärern allzuſehr vernachläßigten Geſichts⸗ 
punkt gewürdigt hat, den poetiſchen. Nicht als ob er dieſem gleichfalls 
einen beſondern Abſchnitt gewidmet hätte, was auch nicht vonnöthen war, 
da die poetiſche Betrachtungsweiſe ſich beſſer durch das Ganze äußert. 
Nur beiläufig in einer Note ſteht, zunächſt in Beziehung auf die natur⸗ 
geſchichtlichen Deutungen Finn Magnuſens, folgende inhaltreiche Be⸗ 
merkung (S. 290): 

„Sicherlich findet ſich hier, wie in allen Mythologieen, eine phyſiſche Be⸗ 
Deutung. Nur muß man bebenfen, daß fie nicht die einzige ift, und daß unter 
andern auch deshalb alle Erklärung aus diefem oder einem andern bejondern ' 
Geſichtspuntt nicht glüden kann u. |. w. Überhaupt wird feine Mythologie durch 
die bloß allegorifche Erflärungsart erſchöpft, weil Leine bloß durch Allegorie ent« j 
flanden if. Die meifl dem Berftande angehörige Handlung, welde zu einem 
gegebenen Begriffe ein Bild fucht, ift eine ganz anbre, viel abftractere und un- 
fruchtbarere Tätigkeit, als diejenige, deren lebenbigem Schooße dieſe alten Bilder 
entquollen. Hier ift nicht das Bild zum Begriffe gelommen. Im Gegentheil 
hat der Begriff vom Anfang als Bild beftanden. Diefe unauflösliche Verſchmel⸗ 
zung bes Begriffes ımb Bildes in den Mythologieen mag immer den allegorifchen 


32 


Erffärer zur Verzweiflung bringen; bloß durch fie aber Haben diefe Bilder 
ihre Selbſtſtändigkeit erhalten, lebten, bewegten ſich, erzeugten in manig⸗ 
faltigen Combinationen andre Bilder aus ſich, nicht nach den Geſetzen des be⸗ 
rechnenden Verſtandes, ſondern nach dem Bedürfniſſe und Gefallen der unbe⸗ 
wuſt ſchaffenden Einbildungskraft. Daraus folgt nicht, daß dieſe Bilder nicht 
aus mehr als Einem Gefitspunft eine Bedeutung im Ganzen haben können; 
aber diefe verträgt ſich ganz gut mit der Selbſtſtändigkeit der Bilder, ja fie. 
fpricht ſich poetifch um fo kräftiger aus, je ungefuchter die Bebeutung erfcheint.“ 


Bei allen den gelehrten und geiftreichen Bemühungen, melde von 
den genannten und andern Forſchern des norbifhen Alterthums zur 
Erklärung der Götterfage vorgenommen morben find, kann es gleich 
wohl, fo wie die Sache jeßt noch fteht, Keinem, der von biefer My⸗ 
thologie zu handeln hat, erlafien fein, die Deutung auf feine eigene 
Weiſe, nach dem felbftempfangenen Eindruck zu verfuchen, mag er damit 
viel oder wenig zu leiften hoffen. Denn mie viel man aud den Bors 
gängern verbanlen mag, fo werben doch Über einen fo verwidelten und 
bielbeutigen Gegenftand nicht wohl zwei nad allen Theilen überein» 
ftimmen. Ein folder Verſuch fol nun auch im Folgenden gemadt 
werben, jeboch nur infoweit ald die Aufbellung des Ganzen durch eine 
überfichtliche Anorbnung desfelben nad feinen größern Gruppen und 
hervorſtechendern Geftalten zu erreichen ift. 

Eine alles Einzelne durchdringende Erforfhung und Erklärung biefer 
‚ Mythologie, welche überhaupt nur auf etymologifchem und eregetifchem 
Wege auszuführen wäre, würde füglich für fich allein einen Semeftral- 
curfus ausmachen. | 

Es ift die Sage der Sagen, mit der wir begonnen, die Sage vom 
AU, die bildliche Gefchichte vom Werben, Beftehen und fünftigen Unter: 
gange der Welt und aller Kräfte, die in ihr wirken. 

Das Erſte, mas aus dem Nichts auffteigt, zu beiden Seiten des 
leeren Abgrunds Ginnungagap, ift der Gegenfat von Niflheim (Nebel 
welt) und Mufpelheim (noch nicht etymologiſch erflärt), von Waſſer und 
Teuer, Kälte und Wärme, Dunkel und Licht, Nord und Süd, Aus 
dem Bufammentreffen biefer entgegengefeßten Elemente gehen erft vie 
unorganijchen, dann bie organiſchen Bildungen hervor. Stamm ber 
unorganifchen ift der Urriefe Ymer, aus deſſen Leib und Gliedern ber 
Weltbau geformt wird. Die organiſchen Bildungen werben von ber 


33 
Kuh Audumbla, felbft einem Urtppus des Drganifchen, aus den Salz: ’ 
fteinen hervorgeledt. Bur, dad erjte, vollkommnere organische Wefen, 
das auf diefe Weife entfteht, ift der Stammvater der Götter, welche 
den Weltbau aus dem Niefenleibe aufführen und barein aus Bäumen 
vie Menjchen  erfchaffen und begeiftigen. Ä 

Aber wie aus der gegenfeitigen Binbung jener beiden Elemente 
das AU erſchaffen ift, fo wird es durch die Wiederauflöjung diejes 
Bandes Fünftig zerftört; Niflheims und Mufpelheims entbundene Mächte 
bredhen 108 und zertrümmern den Weltbau; erſt der große Winter 
(Fimbulvetr), der Winter von drei Wintern, dann der berzehrenve 
MWeltbrand. Die Götter felbft, wie fie im Ganzen der Weltichöpfung 
geworden, find auch nur Mächte in der Zeit und mit ver Entbindung 
ber Gegenſätze, aus beren Vermittlung das Weltganze und fie felbft 
hervorgegangen, müſſen auch fie wieder untergehn. (Wie die Aſen regin, 
Mächte, genannt werben, fo heißt pas Weltende ragna-rök, der Mächte 
Dämmerung ober Berberben. Lex. myth. 382. 392. Vergl. Gramm. 1, 
473. 553.)- 

Dieß die materielle Seite des Weltgangen; aber durch Dasfelbe 
zieht auch ein. lebendiger Geift; woher aber der Geift ftamme, von wo 
er den Göttern, denen er 'inwohnt und die ihn jelbft wieder ben 
Menjchen einhauchen, zugelommen, darüber ift nichts ausgeſprochen. 

Run befagt zwar die jüngere Edda bei der Schöpfung des Urriefen 
aus dem tbauenden Eife!: 

Da wurden die Tropfen belebt durch die Kraft defien, der tie Hite tahin 
fandte, und war eines Mannes Geftalt, der Ymer genannt ward. 

Mone bemerkt (1, 316) zu diefer Stelle: 

Barum die Gegenſätze zur Bereinigung getäwfcht (eine der Etymologieen 
von ginnunga) werden, das ift ein Geheimnis, ar welches die nordiſche Reli⸗ 
gion den Ölauben an den einen, unbegreiflihen Gott anknüpfte. Durch feine 
Kraft wird die Hitze gefenbet, durch ihn die Gegenſätze getäufcht, durch ihn 
Helommen die Tropfen Leben, darum iſt er der Unbegreifliche, der über alle 
Belt erhaben iſt, der nie ſtirbt, weil ex nie geboren wurde. Es ift das eine 
große und herrliche Idee von Gott, welche der chriſtlichen völlig gleich kommt. 


1 Edda Resen. Dxemes. IV. D. 3: ba kviknudu Droparne aff krapte 
Pess er til sende hittann, og var Manns Lyknide, og er sä neffndur 
Ymer. [Ed. hafn. 1848. 1, 42. 8] 

nhland, Eäriftm. VI. 3 


34 


- Allein der Sa, auf welchem hiebei der Nachbrud liegt, „daß bie 
Tropfen jchöpferiich belebt worden, duch bie Kraft deſſen, der bie 
Hite gefandt“, findet ſich nur in ber profaifchen Edda, nicht in den 
älteren Eddaliedern von der Schöpfungsgeichichte. Iſt er aber aud 
nicht bloß eine fpätere Erläuterung, fo wird er doch am einfachſten 
auf Surtur bezogen, den Herricher von Mufpelbeim, ber auch einft von 
da ausfährt mit Muſpells Söhnen und die Welt mit Feuer zeritört. 
Zwar ift nun diefer Surtur.eben als der unfichtbare und unbegreifliche 
Gott ausgelegt worden, von dem der Demiurg Odin nur eine Ema⸗ 
nation fei (%. Magnufen, Lex. myth. ©. 452. Mone felbft nimmt es 
nicht fo; 1, 451); mit Necht bat aber Geijer (S. 280*) dagegen an⸗ 
geführt, daß Surtur, der Schwarze, beim legten Kampfe die böfen 
Weſen Loli, Fenrir u. |. w. zu Genofjen habe, alfo feine höhere Offen: 
barung ber Gottheit jelbft fein könne. Als Gebieter von Mufpelheim 
ift er augenscheinlich nur ver Elementargeift der Feuerwelt. 

Um das geiftige Element‘ diefer mythiſchen Weltſchöpfung und fein 
Verhältnis zum materiellen beftimmter zu erkennen, ift es nöthig, auf 
bie berjchiedenen Wefenklafien, die in ihr bedeutend herbortreten, näher 
einzugehen und fie in’ ihrer charalteriftifchen Erfheinung und Wirkſam⸗ 
feit "zu verfolgen. Es find ihrer fechferlei: SZoten, VBanen, Alen; 
‚Schwarzalfen, Lichtalfen, Menfchen; von biefen find wieder nach Mones 
paſſender GClaflification (1, 110) den Joten die Schwarzalfen oder 
Zwerge, den Banen die Lichtalfen, den Afen die Dienfchen zuzutbeilen; 
der Natur nach gleichartig, aber in verfchievenem Maaße der Macht 
and Höhe. 

In dieſen breierlei Hauptllaflen zeigen ſich wieder die bei der 
Weltihöpfung wirlſam geweſenen Gegenſätze und ihre verichiebenen 
Bindungen. Am nächſten gegen Niflheim, die Welt der Kälte und 
Finſternis, auf der Norbdfeite, ftehen die Joten, am nächſten gegen 
Mufpelheim, die Wärme und Lichtivelt, auf der Sübfeite, die Vanen, . 
von deren Entftehung die hier offenhar fragmentariſche Schöpfungsſage 
zwar nicht? meldet, deren ganze Erſcheinung aber ihnen jene Stellung 
anweift; in der Mitte zwiſchen Nord und Süd ftehen die Aſen. In 
ähnen liegt die volle Bindung aller entgegengefehten Kräfte. Sie wer: 
den auch wirklich Bönd (Bande) und Höpt (Hafte) genannt (Lex. myth. 
43.139). Doch lege ich auf folche wieldeutige Benennungen, aus denen 


35 


man nur allzu Berfchiebenartiges ſchon bewieſen hat, feinen Werth. 
‚Wir müflen uns in der Mythendeutung an die Marfte Erfcheinung, an 
Bild und Handlung, halten. Bei diefer Probe werden uns aber bie 
Afen wirklich in jener bindenden Mitte fih erweiſen. Zugleich wird 
fi) uns zeigen, daß, wie in Joten und Vanen das Materielle, die 
Naturfraft, fo in den Aſen das Ideelle, die Geiſtesmacht, vorherrſcht, 
alſo eben fie das geiftige Element des Weltganzen darftellen. 

Wir folgen nun diefen drei Wefenarten, deren Unterfchiede mir 
bisher nur im Allgemeinften angegeben, in ihr bejondres Leben und 
in ihre einzelnen bedeutentern Geftaltungen. Die Grunbverfchiebenheit 
der drei Arten werden wir im Ganzen unverrüdt finden; aber wie in 
der Natur felbft die manigfaltigften Miſchungen und Übergänge ftatt: 
finden, jo wird aud die in den mythiſchen Bildern ſchaffende Einbils 
dungskraft felbftändige Geftalten und Charaktere von manigfacher 
Zufammenfeßung der Eigenſchaften ind Leben rufen; und ſowie das 
geiftige Element fidh in Bild und Handlung verfinnlicht, jo werden mir 
eö binwieder die materiellen Beſtandtheile der erjchaffenen Welt geiftig 
belebend ergreifen fehen, und zwar in der Art, daß die phyſiſchen Ge 
walten und Gegenfäte zu ethifchen erhoben werben. 

Zuerft alſo vom Gelchledhte der Toten (Jötun, Pl. Jötnar)! Sie 
ftammen, wie wir wiffen, von dem Urriefen mer. So mie diejer im 
nördlihen Theile von Ginnungagap, bem leeren Abgrunde, in dem 
Theile, der, Niflheim zunächſt, voll von Eis und Froft, voll Sturmes 
und Unmetters ift, und wohin die belebenden Funken aus Mufpelheim 
den weiteſten Weg zu machen hatten, aus Eisichichten erwachſen iſt, 
fo find aud feine Ablümmlinge fortwährend Hrimthurfen, Eisriefen, 
Bewohner des rauhen, unfrucdtbaren Gebirgd, Bergriefen (bergrisar). 
Ihr Wohnfig, Jötunheim, iſt ihnen außerhalb der von Afen und 
Menſchen bewohnten Bezirke, in Utgard, angewiefen. Aber beftändig 
bedrohen fie, die Reiffalten (hrimkalldr, pruind frigidus, Beiwort 
der Joten), als feindlihe Wintermäcdte, die Mittelmelt und längſt 
würden in ihr Feine Menſchen mehr wohnen (Edd. II, 146), wenn nicht 
die Aſen, die Erhalter der Welt, einen Bändiger, eine Sommertraft, 
gegen fie ausjendeten, den Donnergott Thor, den ftärkiten der Götter, 
deflen Hammer Mijölnir (Zermalmer) der Riefen Schreden ift. Gegen 
Diefe materiellften Naturfräfte muß derjenige der Afen kämpfen, der 





[4 


36 





unter ihnen felbft ver unbeholfenfte, ungeiftigfte ift, aber ben Gürtel 
der Straft (Megingjardir) um die Lenden trägt. (Lex. myth. 623 f.) 
In diefer Eigenfhaft, ale Wintermädte, als die Gegner Thors, 
find ung die Toten in einer Reihe von Erzählungen bargejtellt, von 
benen ich Einiges aushebe, da fie und am beiten ven Blid in vie 
Rieſenwelt eröffnen 1. 
Küngere Edda ©. 206 ff. Gräters Nordifche Blumen S. 93 fi. *** 


In der jüngern Edda heißt es einmal (Rühs ©. 185): „Keiner ift 
fo kundig, daß er alle Großthaten Thors erzählen könnte; ich Tann 
deren fo viele berichten, daß der Tag nicht hinreihen würde, um Alles 
zu jagen, mas ich weiß.“ Die vielen Geſchichten, welche bier gemeint 
find, beziehen fich ohne Zweifel alle auf Thors Kämpfe mit dem Rieſen⸗ 
geichlechte. Außer den Abenteuern bei Utgardloki und Thrym find auch 
wirklich noch verſchiedene Abenteuer dieſer Art in den Edden erzählt: 
Thors Fiſchfang mit dem eisbartigen Niefen Hymir, wobei er die un: 
geheure Midgardsſchlange mit einem Ochſenkopf anfödert und aus dem 
Meer emporzieht, den Rieſen aber über Borb wirft; fein ftegreicher 
Zweikampf mit dem Riefen Hrungnir, der ein vierediges Herz von Stein 
bat, auch einen fteinernen Kopf, einen Steinſchild und- eine Steinfeule, 
die Thor geworfener Sammer in Stüde fchlägt, woher alle Schleif: 
fteine fommen u. |. w. 

Man ift darüber einverftanden, daß in dem gröften Theile diejer 
Fabeln der bald mehr, bald minder glüdlihe Kampf des Sommers mit 
dem Winter, die ſich beftändig die Wage halten, dargeftellt if. In 
den Abenteuern mit Utgarblofi ift Thor im Nachtbeil, einer feiner 
Böde wird hinkend, feine gemwaltigften Hammerſchläge auf des Rieſen 
Haupt dringen doch nicht durch, feine und feiner Gefährten Kraft: 
anftrengungen in den Wettkämpfen, fo ungeheuer fie find, erringen 
doch nicht den Sieg; es ift die Winterzeit, wo ber Donnergott nichts 
vermag, wo feine Schläge fruchtlos fallen, im fernen Utgarb, im 
äußerften Winterreiche richtet auch der ſtarke Thor nichts aus. Beſſer 
Steht feine Sache im Thrymsliede. Er erwacht aus dem Schlafe, wäh: 
rend tefien ihm die Winterriefen ben Hammer geftohlen; dieſe ver: 
langen die fchöne Freya, eine Sommergöttin, die fie flet3 den Aſen zu - 


1 (Ausführfichere Behandlung in den Sagenforfgungen Th. 1. 8.) 





37 


entreißen trachten. Da kommt Thor, als Freya verhüllt, ber Donner in 
der Frühlingstoolfe, feine Augen Flammen unter dem Schleier und. fein 
Hammer fährt zerichmetternd auf des Riefen Haupt. An der Grenze 
des Jotenreiches, bei den Steingehegen (Griötünagardar), an der Grenz 
ſcheide der Jahrszeiten, befteht ex auch ala Sieger den Zweikampf mit 
dem Eteinriefen, von deflen ſchwerem Fall er faft felbft erbrüdt wird. 

So Mar aber diefe Verhältniffe im Ganzen find, ſo ſchwierig ift 
die Erklärung ber einzelnen Umftände. | 

Hören wir 3. B., wie Mone den zuerft vorgetragenen Mythus von 
Thord Zuge zu Utgarblofi in das Einzelne deutet, 3. I, 407 FF. !*** 

Es ift nicht zu beftreiten. daß die Allegorie des Ganzen, der 
Gegenfaß und Kampf der Winter: und Sommermädte, auch in ben 
* Einzelheiten burchblide und daß die Mythendeutung fich anzuftrengen 
habe, die allegorifchen Beziehungen, foweit es ohne Zwang geichehen 
fann, zu verfolgen; wenn 3. B. Thialfi, der NReifegefährte des Donner: 
gottes, zugleich ein behender Wettläufer ift, fo forbert er allerdings zu 
der Forfhung auf, ob nicht fein Name ihn als Strahl, Windftoß, als 
irgend eine den Donner begleitende rafche Naturerfcheinung bezeichne 
und dann aud in feiner Schweſter Röſkva ein ähnliches Phänomen zu 
finden ſei. Ebenfo wenig ift zu misfennen, daß auch die Naturmythen 
im größern Zufammenhang der Eddalehre geiftigere Verbindungen an: 
knüpfen. Aber eine ſolche Menge und bunte -Mifhung phyſiſcher und 
philofophifcher Beziehungen in der einen Erzählung würde mir gerabe 
die Hauptlache, die Entftehung einer lebendigen und für fih anſchau⸗ 
lichen Sagenbichtung, völlig unerfläybar machen. Gewiſs Niemand, 
als der gelehrte Ausleger jelbit, hat jemals in der ergetlichen Rieſen⸗ 
geichichte all diefen Einn entveden künnen, und doch find dieſe Natur: 
mythen ohne Zweifel einft bei den Sahresfeften ver ſtandinaviſchen 
Böller gefagt und gefungen worben; namentlich der Mythus von dem 
als Freya verfleiveten Thor bewährt feine volksmäßige Berbreitung 
dadurch, daß er noch bis in neuere Zeit, wie wir fpäter ſehen werben, 
als nordiſches Vollslied fortgebauert hat. Wenn Mone in ver be: 
fprochenen Sage einen recht auffallenven Beweis findet, wie man alle 
Weſen im nordifchen Glauben als perfonificierte Ideen anfehen müſſe, 
fo unterliegt zwar die finnbilvliche Beichaffenheit dieſer Weſen über: 
haupt keinem Bweifel, aber dab Sommer und Winter fid) die Herr: 


38 


Ichaft ftreitig machen, ift noch feine bebeutfame Idee, es ift eine höchſt 
einfadhe Thatſache, und der Mythus wäre ein fehr gehaltlofer, wenn 
er Teinen Zweck bätte, als unter allerlei Berhüllungen jene Thatſache 
durchicheinen zu lafien. Sein Berbienft beruht vielmehr darin, daß er 
das naturgefchichtliche Faktum in einer Reihe belebter Geitalten, in einer 
epifch beivegten Handlung, darzuftellen weiß. Es ift der poetifhe Ge 
fihtspuntt, den ich früher mit Geijers Worten angedeutet habe, der 
und zum volleren Verſtändnis diefer Sagen leiten muß. Sie find ın 
ihren Grundzügen allegorifch, auch die Bilder haben bi auf einen ge: 
wiflen Grab dieſe Eigenichaft; aber ohne daß fich eine beſtimmte Grenz 
Scheide ziehen ließe, beginnen fie ibr felbftändiges Leben zu entwickeln 
und den allegorifchen Umriß mit freien Schöpfungen auszufüllen. Es 
ftehen fi) im fraglihen Mythus zwei Gewalten gegenüber, die eine 
riefenhaft, ſtarr und fteinern, die andre gedrungen, rafch und fchlagend. 
Anftrengung und Widerftand in ihrem Kampfe, auf beiden Seiten 
maaßlos, darzuftellen, war die Aufgabe der Poeſie. Sie that es mit 
Hülfe aller Bilder des Ungeheuren, die in dieſen Kreis fielen. Thor 
trinft das Meer zur Ebbe, er lüpft die Erbfchlange, er beugt dem 

" Alter kaum ein Knie, Alles Ausdruck feiner furditbaren Kraft, obne 
daß es irgend einer entferntern Beziehung bevürfte; Thialfi, fei er 
Wetterftrahl oder Geiwitterfturm, wird nur von Hugi, dem Gedanten, 
im Wettlauf überholt, wieder nur Ausbrud der äußerten Schnelligkeit, 
- ohne- daß man nöthig hätte, den in der materiellen Riefenmwelt fremd⸗ 
artig fcheinenden Gedanken für den Gedanken des Gemüths, nicht der 
. Vernunft, zu erllären. Erkennen wir in diefer ganzen Mythenwelt 
nicht die frei waltende Kraft der Phantafie, fo entgeht ung ihr Beſtes 
und Eigenthünmiichſtes, und übrig bleibt ung, ale Frudt alles auf 
gewendeten Scharflinnd, nichts, als der Bodenfag naturgejchichtlicher 
Binfenwahrbeiten und zweifelhafter Philofopheme, die für unfre Zeit 
durchaus feinen fpelulativen Werth haben Tünnen. 

Sch habe mich bei diefem Beiſpiel etwas länger vermweilt, weil es 
befonders tauglich fchien, einige früher nur im Allgemeinen geäußerte 
Anjichten über, die Auslegung der Mythen zu erläutern. 

Auf die Seite der Winterriefen, zum Jotengeſchlecht überhaupt, 
werden noch weiter gezählt: die Nacht (Nött); Ägir, der Herrfcher des 

— Meeres, und feine Gemahlin, Ran; Hräfvelgr, der Aolerriefe, der am 


39 


Ende des Himmels (am Nordpol) figt und durch ten Schwung feiner 
ungeheuren Flügel den Wind verurfadht, ber über bie MWafler fährt, 
.. Zeichenfchlinger, weil er die Menfchen im Seefturme verberbt; dann der 
Wolf Fenrir und die Midgarböfchlange, von denen nachher mehr; auch 
Hel, die Todesgättin in Niflheim, deren unterirdifher Saal Eloibnir 
(nimbos sive procellas late accipiens, Lex. myth. 150®)) heißt, ihre 
Schüffel Hungr, ihr Meſſer Sultr (Verſchmachten), ihr Knecht Ganglati, 
ihre Magd Ganglöt (die. Trägen, Säumiggehenden) u. f. w. 

Das Sotengefchlecht überhaupt ift nicht bloß ein winterliches, das 
jährlih dom Donnergotte befämpft wird, mie wir e8 bisher betrachtet; 
es ift auch ein der ganzen Weltordnung feindliche, das ſtets den großen 
Bau zu bredden droht, das von den Ajen mit Mühe gebändigt: wird 
und deſſen Sahrestämpfe nur das Vorſpiel des einftigen Welt: 
kampfes find. 

Insbeſondre kommen hiebei der Wolf Fenrir und die Midgard⸗ 
ſchlange in Betracht. Die Deutung Fenrirs iſt noch ſehr unſicher; 
“Bald nimmt man ihn für das unterirdiſche Feuer, bald für den Rachen 
der Finſternis. Ihn haben die Ajen mit dem Bande Gleipnir ge 
bunden, wobei er dem Fühnen Tyr, dem Schlachtengott, der ihm zum 
Pfande der Sicherheit die Hand in den Schlund geftedt, dieſe abge: 
biffen. Beim Weltlampfe fährt er mit aufgelperrtem Rachen hervor, 
fo daß der Unterliefer die Erde, der Oberkiefer den Himmel berührt. 
Wäre Raum, würd’ er ihn noch weiter auffperren. Bon ihm mirb 
Odin verfchlungen, der Aſe Vidar fegt ihm ven Fuß auf ben untern 
Kiefer, die Sand an ven obern und zerreißt ihn fo. 

Sörmungeandr, die Midgarbfchlange, welche die ganze Erde ums 
gürtet, wird für das Toben und Branden des Meeres angefehen, das 
ftet3 über bie Ufer bereinzubrechen ftrebt. Mit diefem Ungeheuer bat 
Thor Schon auf feinen Zügen in das Riefenland Manches zu ſchaffen 1. 

In Allem, was wir bisher erörtert, hat fi uns das Geſchlecht 
der Joten nur als das materielle Böfe dargeftellt. In Loli, der zulegt 
genannt wurde, wird es nun aud in das ethiſche Gebiet übertreten. 

Loki erjcheint in doppelter Eigenihaft, als Utgarda⸗Loki und als 
Aſa⸗Loki. In der erften Eigenichaft, als König in Utgard, dem Reiche 

1 (I fürze bier und verweiſe auf die fpätere Behandlung im Mythus 
von Thor ©. 168 fi. 8.] 





40 
oo | r 
der Winterriefen, haben wir ihn hinreichend kennen gelernt. Als Aſa⸗ 
Loki, Loki in der Gefellihaft der Aſen, wird er ber Vater ver Lüge, 
der Götter und Menfchen Schande genannt, Es darf und nicht irren, 
daß wir in Thors Abenteuern bei Utgarblofi einen andern Loh in 
Thors Begleitung fanden; Beide find doch im Grunde nur ein Wefen, 
das perfonificierte Böſe, dort in phyſiſcher, bier in fittlicher Beziehung. 
So beftimmt das Jotengeſchlecht auf einer Seite die Schwerkraft 
der Materie darftellt, jo wird ihm auf andrer Seite gleichwohl Weis: 
beit zuerfannt. Selbſt Mimir, in defjen Brunnen Weisheit verborgen‘ 
ift, wohnt unter derjenigen Wurzel der Weltejche, die zu den Eiöriefen 
gebt. Die Geheimniffe, die in den Tiefen der Natur verborgen liegen 
und deren Kenntnis ben Göttern ſelbſt nöthig ift, murben ben perſoni⸗ 
ficierten Naturweſen als Weisheit zugefchrieben, und da bie Riefen, als 
bie erfte Schöpfung, älter find, als bie Götter, fo mufte ihnen auch 
die Kunde von den älteften urweltlichen Dingen vorzugsweiſe zukommen. 
Die Wole, welche im Eddaliede vom Anfang und Ende der Welt fingt, 
ift von den Joten ber Urwelt auferzogen und unterrichtet. Anbre Lieder 
zeigen und die Ajen im Wettlampfe mit Riefen und Bivergen über 
kosmogoniſche und andre mythologiſche Fragen; foviel aber die Natur: 
weſen miflen, jo ziehen fie doch gegen bie Götter den Kürzern. Im 
Eddaliede Bafthrubnismal, eben einem ſolchen Wettgejpräche zwiſchen 
Odin und dem mweisheitberühmten Joten Bafthrubnir, weiß diefer langhin 
auf jede Stage Beſcheid; als er aber zulegt befragt wird, was Obin 
feinem Sohne Baldur, ehe diefer auf den Scheiterhaufen gelegt warb, 
ins Obr gefagt, fo muß er fich übertvunden geben. Die Spike liegt 
biebei wohl nicht bloß darin, daß Niemand das heimlich zugeraunte 
Wort vernommen haben fonnte, jondern im Inhalte des Wortes felbit. 
Diefer war, wie man fehr wahrjheinlih annimmt, die Zuficherung des 
Auferftebens in der mwiedergebornen Welt. Bon diefer Wiedergeburt 
bat -ziwar der Riefe felbit zu jagen gewuſt, aber das Wort der Be: 
lebung, die Loſung der Fortdauer, mujte ihm, als in der Materie‘ 
befangen, ein Geheimnis bleiben. Die Naturweisheit des Joten ver⸗ 
ftummt vor ber geiftigern des Aſen. 
Sowie aber den Naturweſen, als perſönlich belebten, Verſtand 
beigemeſſen wird, ſo werden fie, nach einer noch näheren Forderung 
der Einbildungskraft, auch mit Willen begabt. Die feindſeligen 


41 


Äußerungen der Naturfräfte werden zum abfichtlichen Werke der Bos⸗ 
beit und Tüde, Utgarblofi wird zum Afalofi, feine geijtigere Entfaltung 
bringt ihn in die Gemeinichaft der Aſen. Niemals aber verläugnet ſich 
jener urjprünglide Zujammenhang, die alte Jotennatur, und in dem, 
was von Loli gemeldet wird, durchkreuzen ſich immer die beiberlei Ge: 
ftaltungen des einen, bösartigen Wefens, 

Die etymologifche Bedeutung des Namens Loki ift nicht befriebis 
gend außgemittelt. Wir haben wenig gewonnen, wenn wir hören, daß 
Loti 1) eingens, eircundans, oocludens, 2) finiens, finem imponens, 
eoncludens bebeuten fünne Ihn, wie aud dem Wolfe Fenrxir ge- 
fcheben ift, für das unterirbifche, vulkaniſche euer zu erklären, weil, 
nad) der jüngern Edda, jeine Irampfhaften Windungen, als er gebunden ° 
ift, das Erdbeben verurfadhen, tft für feine ganze Erfcheinung unzu: 
reihend; in Utgard, feiner phyſiſchen Heimath, läßt er nichts von der 
Natur des Erdfeuers an fich bliden, bei den Ajen wirkt er mehr mit 
dem Geifte und überhaupt tritt er felbft nicht jo, wie feine Kinder, 
als einzelne zeritörende Naturgewalt hervor. 

Auf der Seite der Joten nemlich beurkundet er fich insbeſondre 
auch durch Abflammüng und Nachkommenſchaft. Sein Vater ift ber 
Niefe Zarbauti, feine Mutter wird Laufey, auch Nal, genannt. Bon 
feiner Frau, Sign, hat er zwei Söhne, Narfi und Nari; mit der 
Rieſin Angurbobi (Sorgen:, Unbeilverfünderin) hat er die drei Unges 
heuer, den Wolf Fenrir, die Midgardsſchlange und Hel erzeygt. 

Bei den Aſen ift er von ſchönem Ausfehen, er beweilt fich ihnen 
bienfttoillig, beſonders wo etwas durch Lilt ausgeführt werben foll, wie 
ersbenn, als Dienerin des zur Freya verkleideien Thor, die Joten ſelbſt 
betzügen hilft. Zum Theil aber leiftet er auch ſolche Dienfte nur ge: 
zwungen, wenn man ihn über verrätheriiches Einverftänpnis mit bem 
Jotengeſchlechte zur Verantwortung ziehen will.. Überhaupt ift er auch 
im Kreife der Afen ihr binterliftiger Feind und bringt fie, wo er kann, 
in Gefahr, in Schaden und Schmad. Mit den giftigiten Schmähreben 
überbäuft er fie bei einem Gaftmahl in ben Hallen Ägirs, bes Meers 
herrſchers, wovon ein beſondres Eddalied handelt; nur vor Thor 
Hammer zieht er ſich dort zurüd. Das gröfte Unheil aber, das er 
über vie Aſen bringt, ift der Tod Baldurs bes Guten. Wie er durch 
feine Ränfe diefen Tod veranlaßt, wie er, ala Rieſenweib, verhindert, 


_ - 42 

daß Baldur aus Hels Sälen zurückgeweint wird, und wie er dafür bis 
Ragnarök auf den Fellen gebunden liegt, ift früher erzählt worden. 
Die Erflärung des Mythus von Baldurs Tode wird ung nachher be 
ſonders befchäftigen. Hier fommt und nur das in Betracht, wie Loki, 
ver als Fürft der Winterriefen, ald Utgardlofi, den ftarfen Thor zum 
Gegner hatte, nun als Loki unter den Aſen, als Lügenvater und Trug: 
ftifter, fidh den veinften und beiten ber Götter, Baldurn, zum Wider 
fpiel genommen und mie, nachdem er durch deſſen Tob das geiftig- 
fittlihe Weltgefeg gelöft bat, nun auch alle die roben und wilden 
Naturkräfte unaufhaltſam bereinbrechen und er felbft, der vergeblich 
gefefjelt mar, mit ihnen zum Werke der Zerftörung heranzieht. 

Den Soten ftammverwandt find die Schwarzalfe oder Zwerge. ‚Sie 
erhielten ihr Leben zuerft im Fleifche des Urriefen Ymer, wo fie Würmer 
waren. Die Götter verliehen ihnen Verftand und menſchliche Geftalt. 
Aus Yiners Fleifh und Knochen find Erde und Berge geihaffen, darum 
wohnen auch die Zwerge fortiwährend in Felſen und unter der Erbe. 
Auch fie gehören fomit der Nachtſeite an und die jüngere Edda fagt, 
fie ſeien ſchwärzer als Veh. Das Licht der Eonne verjcheucht fie, denn, 
vom Aufgang derfelben erreicht, werden fie in Steine verwandelt. 
Niefen und Zwergen ift das Unheimliche und Dunkle ver unermefienen 
Naturgewalt gemeinfam; aber die Winterriefen wirken roh und zer: 
ftörend, die unterirdiſchen Zwerge geheim und Lunftreih, Alle die 
wunderbaren Erzeugniffe, die aus dem dunkeln Schooß der Erde, aus 
dem Innern der Berge bervorfommen, find das Werk der Zwerge. 
Daran zeigen fie den ihnen von den Göttern verliehenen Berftand. 
Häufig werben fie als kunſtreiche Schmiede bargeftellt und aus ihwer 
Eile find die beften Kleinode der Götter hervorgegangen. Doch dienen 
fie Göttern und Menfchen meift nur durch Gewalt oder Lift gezwungen 
und darum liegt auch in ihrem Wefen etwas Treulofes und Feind⸗ 
liches, das fie auf Die Seite der Joten ftellt. Ihr Treiben veranſchau⸗ 
licht fih in folgendem Mythus der jüngern Edda, bei Nühd Seite 
248 bis 251. *** _ 

Es würde zu weit führen, wenn wir verjuchen wollten, alle die 

Kleinode zu erflären, welche hier von den Zwergen verfertigt werben. 
Lesteres kann auch Überhaupt Schon für die Bezeichnung der kunſtreichen 
Arbeit gelten. Nur den Punkt, von welchem die ganze Erzählung 


⸗ 


43 


ausgeht, hebe ich hervor, weil ſich uns hier im Treiben der Zwerge ein 
Seitenftüd zu Thors Riefenlämpfen darbietet. Sif!, vie Göttin mit 
den jchönen Haaren, des Donnergotts Gemahlin, erflärt ſich leicht, 
wenn auch die etgmologifche Bebeutung nicht erhoben ift, al3 die ſommer⸗ 
liche Saatflur, das Erntefeld. Loli, vom. Gefchlechte der Winterriefen, 
hat ber Göttin alle Haare abgejchnitten, das Feld des Echmudes be- 
raubt. Aber der gewaltige Thor, die Sommerkraft des nächſten Jahrs, 
zwingt ihn, der beraubten Sif wieder goldene Haare herbeizuichaffen. 
Bon den Schwarzalfen muß L2oli diefe erlangen, von den dunkeln, 
unterirdifchen Mächten, welche die neue Saat keimen laflen und ber: 
vortreiben. Die Winterriefen hat Thor gebändigt und die Erdgeiſter 
müfjen Sifs goldene Haare weben. 

Wir lommen zu der zweiten bebeutendern Weſenklaſſe unfres My⸗ 
thenkreifes, den Banen (Vanir). Es iſt fchon bemerkt mworben, daß 
von ihrer Entjtehung die Schöpfungsgefcdhichte ſchweigt. Aber ihre 
ganze Erfcheinung tweift ihnen ihre Stelle deutlich genug an. In dent 
jenigen Theile des leeren Raumes, Ginnungagap, welcher ſüdlich gegen 
Wufpelheim, die Licht: und Feuerwelt, lag, mar ed von den Funken, 
‚welde dorther kamen, warm, bel und milde, mie mwinbftille Luft. 
Sowie nun auf der entgegengefehten, nörblichen Seite aus dem ſchwer 
aufthauenden Eiſe das Rieſengeſchlecht hervorgieng, fo iſt anzunehmen, 
daß auf der Südſeite die weiter herüberftrömende Thauung fich mit der 
Wärme aus Mufpelheim zu einer andern fonnigern Schöpfung band, 
zum Geſchlechte der Banen, für deren Urfprung uns fonft eine Züde 
bleibt und deren Erfcheinung überall warm und licht hervortritt. Aber 
auch fie find einfeitige Naturfräfte, nur daß leicht begreiflich die Rieſen, 
als Geburten der Kälte und Finfternis, für feindliche, die Banen, ale 
Kinder des Lichts und der Wärme, für freundliche Weſen angejehen 
wurden. Die bindende und erhaltende Kraft der Afen, die uns in ber 
Mitte ftebt, hat denn aud, mit jenen: weit mehr zu kämpfen, als mit 
dieſen. Doch tft allerdings die Spur eines frühen Kampfes, den die 
Ajen auch mit den Banen zu beftehen hatten, vorhanden, denn es wird 
gemeldet ?, welche Geifel fie einander gegenfeitig gegeben haben. “Die 


t (Bgl. Mythus von Thor ©. 75. 8] 
2 DHL. jüngere Edda ©. 238. 





44 


zerftörenden Feuergewalten brechen .erft am Ende der Tage mit Surtur 
aus Mufpelheim hervor. Auch von den Banen wird gejagt, daß fie 
weife feien, Bieles wiſſen, ohne daß fie darum zu den geiftigern Wefen 
zu rechnen find; wir haben unter der Weisheit, die ben Joten beige: 
meffen wird, die Kunde der Natur und der urmeltlichen Dinge ver- 
ftanden; auf ähnliche Art wird auch die Weisheit der Banen nur für 
das umfafjende Schauen, das ihnen als Lichtwefen zulommt, zu 

nehmen jein. j | 

Meine Auffaffung der Vanen weicht von ben auch unter fich bes 
deutend verjchiedenen Anfichten der neueren Erflärer ab. Finn Mag: 
nuſen hält fie für Mächte des Luftkreifes, der Erbatmofphäre, Mone 
erflärt fie für „den reinen Geiſt“ (1, 371 unten). Die nähere Be- 
trachtung aber wird uns zeigen, daß fie einerfeitd viel zu phyſiſch und 
äußerlich Wohlfahrt und Gedeihen gebend erfcheinen, um für reingeiftige 
Weſen gelten zu fünnen, und daß fie anberfeits fich zu jehr ins Ger 
fühlsleben fteigern, um nur als atmofphärifche Mächte bezeichnet werden 
zu bürfen. Geijer (S. 298) ſetzt die Banen, als Waflergötter, ben 
Aſen, als Yeuergöttern, entgegen; aber diefer Annahme widerſpricht bie 
lichte, fonnige Erfcheinung der Vanen. 

Zum Geſchlechte der Vanen, wenn gleih in die Gemeinſchaft der 
Aſen aufgenommen (wie von der andern Seite der Jore Toli), gehören 
vorzüglih: Njörd, deſſen Kinder Freyr und Freya, dann Heimball. 

Njörd (Njördur) herricht in Noatun, der Waflergegend. Er regiert 
den Lauf des Windes und ftillt Meer und Feuer. Ihn ruft man auf 
Seefahrten und beim Fiſchfang an. Er verleiht Reichthum. Seine Frau 
heißt Skadi, die. Tochter des Riefen Thiaſſi. Sie wollte wohnen, wo 
ihr Vater wohnte, auf ben Gebirgen in Thrymheim. Niörd hingegen 
wollte fih an der See aufhalten. Sie wurden daher einig, neun 
Nächte auf den Gebirgen und dann drei in Noatun zuzubringen. Aber 
da Niörd von Thrymheim nad Noatun zurüdlam, fang er: 


Mid bin ich der Berge, 
Nicht ange war ich dort, 
Nur neun Nächte. 
Der Wölfe Heulen 
Schien mir widrig 
Gegen der Schwäne Lied. 


45 


Da fang Skadi: 
| Nicht konnt’ ich fchlafen 
Am Strande der See 
Vor der Vögel Geſchrei; 
Mir ſcheuchte den Echlummer, 
Bom Meere kehrend, 
Allmorgen die Möve. 


Da z0g Skadi zurüd nad den Bergen und wohnt in Thrymheim. 
Eie läuft oft auf Schrittfehuhen mit ihrem Bogen nad) Thieren (jüngere 
Edda 185 f.). 

Zum Sotengefchlehte gezählt fanden wir ven Meerherrſcher Agir 
und den Riejenadler Hräfvelgr, den Leichenfchlinger, der über die Waſſer 
fährt. Diefe ftelen die furdhtbare und gewaltiame Natur des Meeres 
. dar. Niödrd dagegen ftillt das Ungeftüm der Winde und Wogen, er 
Ihüßt die friedlihen und fruchtbaren Beichäftigungen des Seelebens, 
die Schifffahrt und den Fiſchfang, darum ift er auch ein Geber des 
Reichthums. AU dieß ſegenreiche Wirken übt er als ein Herricher der 
milderen Natur und Jahreszeit. Sehr bezeichnend ift hiefür der Gegenſatz 
im Wechfelgefang mit feiner Gattin Stabi. Sie, die vom Riefengefchlecht 
entiprofien ift, -Tiebt das wilde Gebirg, wo die Wölfe heulen, wo fie 
auf Schrittſchuhen über ven Schnee bin jagt; ihm, dem freundlichen . 
Vanen, ift das Uferland, die bewohnte Gegend, angenehm. Die neun 
Nächte, welche die Ehegatten von fo verſchiedener Neigung in Thrym⸗ 
beim zubringen, hat man wohl mit Recht auf die neun minterlichern 
Monate des Norden, die drei Nächte, die fie in Noatun wohnen, auf 
bie drei fommerlichen, dem Seeverkehr günftigen, gebeutet. | 

Bon Nijdrd ift gefagt, daß er in Banaheim auferzogen und ben 
Aſen von den Banen verfühnungsweife zu Geifel gegeben worben fei, 
am Ende der Zeit aber werd' er zu. den Vanen zurüdfehren; und dieß 
Tcheint ihn eben auch ala bloße Naturfraft, den geiftigen Aſen gegen: 
über, zu bezeichnen. . 

Tree, Niürds Sohn, läßt noch heller und wärmer bie fchöne 
Jahreszeit aufgehn. Er fährt in der Luft und über Meer mit dem 
Eber, deſſen goldene Borften jedes Dunkel erhellen. Er wird der befte 
der Götter, der von Niemand Gehaßte, genannt. Er herrſcht über 
Hegen und Sonnenſchein und über die Früchte der Erbe, ihn ruft man 





46 


um gute Jahre und Frieden an, auch er waltet über den Reichthum 
der Menfhen. Aber während Nidrd durch Schifffahrt und Fifcherei 
Reichthum gibt, fo fegnet und bereichert Freyr durch die Fruchtbarkeit 
der Erbe. Ihn zeigt uns in ſeinem eigenthümlichſten Weſen folgendes 
Lied der ältern Edda „Skirners Fahrt” (Gräter ©. 234 ff.).*** 

Gerbur !, die fchöne Tochter des Winterriefen, von deren tveißen 
Armen Erd’ und Luft erglänzen, ift die befchneite, eisbebedte Erbe; 
die dunkle, fladernde Flamme um fie her, das Nordlicht; die tobenden 
- Hunde, die Winterftürme. Zu ihr kommt Freyrs Bote Stirnir (der 
Reiniger, Klärer), die helle Frühlingsluft, mit Freyrs fcharfem, ſchim⸗ 
merndem Schwerte, dem Früblingsftrahl. Der Bann, den Skirnir über 
fie auöfpricht, daß fie, wenn fie nicht der Werbung folge, ewig einfam, " 
finfter und unfrudtbar bei den Eisriefen mohnen müſſe, ift für fich 
Har. Sie bietet endlich ben Eiskelch voll des alten Meths, das Eis 
beginnt zu thauen; ſie verjpricht den Früblingsgott im lauen, knoſpen⸗ 
den Haine zu umarmen und er harrt ſehnſuchtsvoll dem verheißenen 
Tag entgegen. Der Nächte, die er harren muß, find wieber neun, auf 
die Wintermonate bezüglich. | 

Wir haben früher gejeben, wie Afathor, ver ftarle Donnergott, 
die Niefen zermalmt; bier fehen wir den Vanen Freyr feine mildere 
Gewalt anwenden. Die jüngere Edda jagt, im letten Streite werde 
Freyr mit Surtur kämpfen und die Urfache feines Todes werde dann 
"der Mangel des Schwertes fein, das er Skirnirn gegeben. Freyr, der 
milde Frühlingsgott, gebt freilich mwaffenlos auf in der Flamme bes 
Weltbrandes. 

Die ſommerliche Befruchtung der Erde iſt uns in Freyr als eine 
Brautwerbung, als der Sieg der Sehnſucht und Liebe, dargeſtellt. 
Waltet aber er über das Werben und Wachſen, fo kommt ung in feiner 
Schweſter Freya der Reiz des Frühlings zur Erfeheinung. Darum zeigt 
fih auch in ihr beſtimmter noch, als bei Freyr, und von der unorga⸗ 
niſchen Natur auf die organifche und in das fühlende Gemüth über: 
getragen, die Verbindung von Frühling, Sehnſucht und Liebe Wenn 
ich mich für dieſe Weſen aus dem Vanengeſchlecht vorzugsweiſe bes 


1 Gymir, Gerdurs Bater, wird gleichbedeutend mit dem Meeresgotte Agir 
genommen; vgl. Lex. myth. 1375. Herd. ©. Str. 40. 42. 


47 


Ed 
— — 





Wortes Frühling bediene, während die germaniſchen Völker für die 
ſchöne gedeihliche Jahreszeit überhaupt den Geſammtnamen Sommer 
gebrauchten (vgl. Grimm, Rechtsalt. 823. Lex. myth. 743), fo will 
ih damit nur das bezeichnen, daß uns Freyr und Freya diefe Sommer⸗ 
zeit ſo recht in ihrer belebendſten Anregung, in ihrem friſcheſten Glanze 
vor Augen ſtellen. Die Verbindung des Frühlings und ber ſehnſüch⸗ 
tigen Liebe, phyfiſch begründet und zum Seelenzuftande gehoben, zieht - 
fih durch die ganze ältere Poeſie und bat ihren reichiten Ausbrud im 
Minnejange des Mittelalter8 erlangt. Aber auch in der Sagenbichtung 
werden wir diefen Bug verfolgen können, ja es wird fi) uns ber 
Minneſang felbft nur als eine lyriſch entfaltete Frühlings: und Liebes: 
ſage ergeben. Freya nun, Frühlings: und Liebesgöttin zugleich, zeigt 
uns noch ganz diefen urſprünglichen Zuſammenhang; nad Urfprung 
und Verwandtſchaft, ald Banin, gehört fie entſchieden der Naturfeite 
an; das Phyſiſche, Gelchlechtliche, maltet in ihrer Erſcheinung fidhtbar 
vor, aber zugleich fcheinen die Farben der leuchtenden Schönheit, ber 
blühenden Sehnsucht hindurch und es dürfte biefes leicht noch in höhe: 
rem Grade der Fall fein, wenn uns, bei der Unvollftändigleit der 
mythiſchen Überlieferungen, nicht gerade von ihr einige der fchönften 
‚und bebeutungsvollften Büge nur angedeutet wären. | 
Freya, die fchöne Tochter Njörds, aus Vanaheim, aber im Kreife 
der Alinnen eine der angejebenften, fährt bald, gleich ihrem Bruder 
Freyr, mit einem glänzenden, golbborftigen Eber, Hilbijpint, den: die 
Zwerge verfertigt, bald mit einem Geſpann von Katzen, beren Bes 
deutung ungweifelhafter it, ale die des Eberd, Wie der Niefe Thrym 
fie ala Löfegeld für Thors Hammer verlangt, wie fie fi) darüber ent» 
rüftet, daß ihr der große Brifingichmud entzweibricht, wie dann Thor, 
ftatt ihrer verkleidet, nach Jötunheim fährt, ift früher erzählt und. babei 
Freya als Yrühlingsgöttin, welche die Eiöriefen ftetS den Bewohnern 
der Mittelwelt zu entreißen ſuchen, erllärt worden. Sp hat audy der 
Rieſe Hrungnir, als er einft nad Asgard kam, alle Götter zu töbten 
gebroht, ausgenommen Freya und Sif, die er mit-fich nehmen merbe, 
und Freya war die Einzige, bie ihm einſchenken durfte (jüngere Edda 
243). Nach einer weitern Sage von ähnlicher Bebeutung bat fi ein 
Sote zum Lohn eines Bauwerks, das er den Afen leiften foll, Freya 
und obenbrein die Sonne und den Mond ausbebungen; durch Lofis 





v 


48 


Liſt, den die Aſen als Anſtifter des Unheils hart bedrohen, und zuletzt 
durch Thors Hammerſchlag wird die Göttin vor dieſer Vergabung zu 
den Winterrieſen gerettet. Auch ihr berühmtes Halsgeſchmeide, Bri⸗ 


fingr, Briſingamen (fllammeum s. igneum monile, Lex. myth. 37) 


ift offenbar ber glänzende Edhmud des Frühlings, deilen voller Reiz 
in ihr zur Anfchauung kommt. Bon der Erwerbung biefes Gefchmeibes, 
das ihr auch einft Loki, der Sotenfohn, entwendet, aber Heimball, der 
Vane, zurüdholt, ift ein beſondrer Mythus, obgleich anthropomorphiſtiſch 
entſtellt, in der ſonſt hiſtoriſchen Saga von Olaf Tryggbafon aufbehalten. 
Freya ſieht einſt vier Zwerge in ihrer unterirdiſchen Wohnting einen 
wunderſchönen goldenen Halsſchmuck ſchmieden. Vol Verlangens dar⸗ 
nach, bietet ſie den Zwergen Gold, Silber und andre Koſtbarkeiten 
dafür, aber ſie bedürfen all deſſen nicht und wollen das Kleinod um 
keinen andern Preis ablaſſen, als um die äußerſte Gunſt der Göttin. 
Sie willigt ein und jeder der vier Zwerge bringt ihr den ihm gehörigen 
oder von ihm verfertigten vierten Theil des Schmuckes. Wir finden in 
dieſer Erzählung auffallende Ähnlichkeit mit derjenigen, wie Sifs goldene 
Haare von den Schwarzalfen bereitet werden. Bedeuten dieſe die gol⸗ 
dene Ernte, ſo ergibt ſich Freyas Geſchmeide, gleichfalls von den Mächten 
der Tiefe gefertigt, als der Frühlingsſchmuck der blühenden Erde. Die 


vier Stücke des Briſingamen ſcheinen ebenſo viele Abſchnitte der Früh⸗ 


lings⸗ und Sommerzeit, etwa Monate, zu bezeichnen. Da die ſchöne 
Zeit des Jahres vergänglich iſt, ſo muß auch ber Vanengöttin (Vana- 
dis, Vanagod, Lex. myth. 795) eine Zeit der Trauer und der Sehn⸗ 
fucht kommen; nicht bloß, daß fie ihres Geſchmeides beraubt wird, auch 
ihr Gemahl, Odr, zieht weite Wege von ihr, fie aber weint ihm nad) 
und ihre Thränen find rothes Gold. Ihn zu ſuchen, reift fie unter 


fremden Bölfern. Gerade von diefem ſchönen Mythus ift und nur bie 


kurze Meldung übrig. Über Odr können wir, im Geifte biefer Dich 
tungen, nur foviel erratben, daß er eine Sommerfraft fei, von ber. 
Freyas eigener Beltand abhängt; ob die Sehnfuchtsthränen, momit fie 
ihn wieder ber zu meinen jucht, der goldene Früblingsregen feien,; kann 


nur gemuthmaßt werden. Von diefem Goldweinen heißt fie die thränen- 


ſchöne Göttin (grätfagra god, Sn. Edd. 119. Dea laerymando 
pulchra, Lex. myth. 79°). Sie bat zwei Töchter, Hnoſs und Ger 
fimi, und wie an ihr felbit Alles ſchön und leuchtend ift, felbft die 


- 


49 _ 
Ihränen, fo follen auch die Namen diefer Töchter zur Bezeihnung j 
glänzender Kleinode gebraucht werden (Lex. myth. 78). 

Diefe Göttin des Frühlingsreizes und der Frühlingsſehnſucht ift 
nun auch diejenige, die von Verliebten angerufen wird und ber Liebes— 
gefänge (mansaungr, Sn. Edd. 29) mwohlgefällig find. 

Noch wird in einem der Eddalieder von ihr gejagt, daß ihr Saal 
Zollvangr heiße und fie jeden Tag die eine Hälfte der Todten (halfen 
val) erlieje, Odin die andre. Die jüngere Edda erweitert dieſes jo, 
Das, wo fie zur Schlacht reite, fie mit Odin fih in die Gefallenen 
bälftig teile. Es miberftreitet aber dem ganzen Weſen Freyas, fie 
für eine Schladtgöttin anzunehmen, und wir erben über die Stelle 
des Eddaliedes, welche zu vielfachen Auslegungen Anlaß gegeben hat, 
wohl erft aus den fpätern Volksſagen einigen Aufihluß erlangen. 

Zu den Banen findet man noch Heimdalln gezählt (Finn M. 
Edd. II, 110), den Wächter der Himmelsbrüde. Die lichte Erſcheinung 
diefer Götterbrüde mag es auch fein, was ihn dem Vanengeſchlecht 


eignet, und feine Geburt von neun Müttern fünnte fi) auf die manig: 


fachen Farben und Yarbenübergänge des Regenbogen beziehen. Im 
Übrigen ift das vieldeutige Wefen dieſes Gottes noch wenig aufgehellt 
und wir haben um fo mehr den Berluft eines ihm beſonders gewid⸗ 
meten Kieves, wovon nur wenige Zeilen noch übrig find, zu bedauern 
(Lex. myth. 1465). 

Den Banen untergeorbnet find bie Lichtalfe (Liösälfar). Denn 


von Freyr beſagt ein Eddalied (F. Magn. Etid. I, 169), daß ihm die 


Götter am Morgen der Tage Alfheim zum Babngelb (at tannfe) ge 
geben haben. Diefe Wohnung der Alfe kann aber in Verbindung mit 
Freyr nur bie der Lichtalfe fein. Sonft heißt es von letztern, daß fie 
lichter .ald die Sonne feien und in den höchſten, füblichen Himmeln 
twohnen (Lex. myth. 4). Diefe Lichtweſen im weiten, blauen Äther 
(Vidbläinn) find aber zu burchfichtig und ſchwebend, ala daß fie be⸗ 
teächtlih in die mythiſche Handlung eingreifen könnten. Wie die 
Schwarzalfe mit den Joten der dunkeln Erde, jo gehören die Lichtalfe 
mit den Banen dem Licht und der Luft an. Die Vanen find in Ger 
ftalt, Charakter und Handlung getreten, während die Lichtalfe ohne 
beftimmtere Perſönlichkeit elementarifch umherſchweben. 

Das dritte der mythiſchen Hauptgeſchlechter find die Aſen (As, 

Ahbland, Schriften. VII. 4 


50 


Msir). Ihr Stammvater war Bur. Burs Eohn Br erzeugte mit 
einer Riefentocdhter die drei Eöhne: Odin, Vili und Be, melde den 
Urriefen erfchlugen, deſſen Blut zum Meere ward; aus feinem Körper, 
den fte mitten in Ginungagap gebracht, bildeten fie die Erbe und das 
Himmelögewölb, in dieſes fehten fie als Geftirne bie Funken und 
Strahlen aus Mufpelheim, orbneten die Zeit, ſchufen Zwerge aus ben 
Mürmern in Ymers Fleifh und Menfchen aus den Baumhölzern, 
walteten dann über ein goldenes Alter, befämpften, als dieſes unter: 
gegangen, die feindlichen Naturkräfte, welche, nur zeitlich gebändigt, 
. einft zum Verberben der Ajen Iosbrechen werden. Der Wohnſitz diefer 
ift die Burg Adgard, in der Mitte der Welt, über das Irdiſche erhöht. 
Sao erſcheinen die Afen überall bildend, verbindend, orbnend, er- 
haltend inmitten der Echöpfung. Sie verbinden in ihrem Weltbau ven 
Eisftoff aus Niflheim mit den Feuerfunten aus Mufpelheim. Eie 
nüpfen felbft Vermandtichaft mit Joten und Vanen und nehmen Ab: 
kömmlinge dieſer Gefchlechter in ihre Gemeinfhaft auf; fie haben unab- 
läflig zu fämpfen mit dem harten Sotenftamm und veritehen fich leicht 
mit dem weichen Vanengeſchlechte. Vom Streite mit biefen erfahren 
wir faft nur durch die Friedensſchlüſſe. 

Der geichloffene Kreis der Afen ift in der Zwölfzahl gedacht, ebenjo 
die Afinnen. Aber bei dem Reichthum der mythiſchen Geftaltenbildung 
tritt Überzähligkeit ein, fo daß man aud die Zwölfzahl verfchieden 
bejegt findet. Es werden auch zwölf Säle, jeder die befondre Wohs 
‚nung einer Gottheit, aufgezählt, und man hat in dieſen Eälen die 
zwölf Zeichen des Thierkreifes, zwölf Sonnenhäufer, zu finden geglaubt, 
und darnach aud die Inhaber verfelben in ebenfo viele Monatögötter 
abgetheilt. So forgfältig und kunſtreich man aber alles viefes abge: 
mefjen hat, jo ift es doch nicht zu einer überzeugenden Anfchaulichkeit 
erhoben und mir müflen vorberhand bie Gdttergeftalten noch frei ihre 
Bahnen wandeln laffen. | | 

Der Götter heiligfte Stätte ift bei der Eiche Yggdraſill. Dortbin 
reiten fie jeven Tag über die Himmelsbrüde zu Nathöverfammlung und 
Gericht. Die Zeige diefer Eiche verbreiten fi über die ganze Erbe 
und reihen über den Himmel, ihre Wurzeln erftreden fi) nad ver⸗ 
ſchiedenen Weltreichen. An den Zweigen wirb fie von Hirfchen benagt, 
an ber tiefften Wurzel von Schlangen, an der Eeite fault fie. Aber 


51 


durch die Nornen mit dem Wafler aus Urds Brunnen täglich beiprengt, 
grünt fie fort und fort. Beim Einbrudhe des Weltendes erdröhnt und 
erbebt fie und Flammen fchlagen um fie ber. Es ſoll nicht verfucht 
werden, die manigfaltigen Bilder, die fich um dieſe heilige Eiche ber: 
drängen, im Einzelnen zu deuten. Aber in ben größeren Zügen, in 
ihrer Ausbreitung über das AU, in ihrer Stellung zwiſchen zehrende 
und nährende Gewalten, in der ‘Pflege der Beitgättinnen, ift fie ein’ 
wohl verftändliches Bild des Weltbeſtandes, des Alllebens in der Zeit. ” 
Sie wird auch die Alternährenve (vid aldurnara, Sem. 9 [Bölufp. 58]) 

genannt. -* - 
- Nicht umfonft ratben und richten nun die Ajen täglich unter diefem 
MWeltbaume, ift ihnen biefes die erfte und heiligfte Stätte; denn in 
diefem Gericht, in dem waltenden Geſetze, ruht das Beſtehen der Welt. 

Mad aber die Aſen fo in die Mitte des Weltlebens ftelt, was 
fie zu der Macht erhebt; welche die mwiberftreitenden Kräfte bindet und 
beherrſcht, das ift der Geiſt. Wir haben Soten und Banen ihrem 
urfprünglicden Weien nad als entgegengefeßte Naturkräfte dargeftellt. 
Soweit fih aber an ihnen eine Erhebung ins geiftige Leben kund gab, 
fanden wir fie in den Kreis der Aſen aufgenommen. Nunmehr aber 
ift von den Afagötiern zu handeln, fofern fie von Joten und Vanen 
verfchieben find, und bier werben fie fih und als mejentlich geiftige 
Mächte offenbaren, wenn gleich, ſowie die Naturkräfte fich ihnen an- 
näberten, fo aud fie an jene anknüpfen und eben in diefe Annäbe- 
rungen und Übergänge die Möglichkeit der Bindung und Vermittlung 
der phyſiſchen Kräfte durch die geiftigen gelegt zu fein fcheint. | 

Wir betrachten zu dem bemerlien Zwecke, mie bei den beiben 
andern Hauptftämmen, nun auch im Gefchlechte der reinen Aſen die 
bebeutendften Geftalten und Charaltere, einzeln oder nad} den Gruppen, 
in welche fie der Mythus zufammenftellt. 

Zuerft von Bragi, Idun und Saga. Der Afe Bragi ift der erite 
der Stalven. Nah ibm heißt die Skaldenkunſt Bragr und bie fih am 
beften auf gewandte Rebe verftehen, Bragurleute (bragr karla eda 
qvenne 1, Seem. Edda 29). Bei den Mahlen der Götter macht er den 
Sprecher und ein Theil der jüngeren Edda: Bragis Neben (Braga 

1 [Die richtigere — dieſer Worte wäre: die Krone der Männer oder 
rauen, Bol. Bigurdargv. 3 ‚15. Snorr. Ed. I, 98. u 


i 52 


roedur) bezeichnet ſich als auf die Erzählungen Bragis bei einem ſolchen 
Gelage gegründet. Er gibt dort dem Meergott Agir, ver bei den Afen 
zu Gaft ift, über die alten Göttergefchichten Aufſchluß. Es wird felbft 
einmal bemerkt, daß er beim Schmaufe vom Getränk erhitzt geweſen. 
Bragis Gemahlin ift Idun, die in einem Gefäße die Apfel bewahrt, 
von denen fie genießen, wenn fie zu altern anfangen; bann werden fie 
wieder verjüngt und dieſes dauert bis zur Götterbämmerung. Daß bie 
Genoſſin des Dichtergottes die Apfel der Verjüngung trägt, ift ein 
Mythus, deſſen geiftige Deutung ſich am nädjften legt: die Macht der 
Voefie, dem hinſchwindenden Leben in ihren Gefängen ewige Jugend 
zu erhalten. Allein eben diefe Bebeutung, melde fih am erften auf: 
drängt, ift nicht die urfprünglide, wir müflen Idun zunädft ben 
Naturmythen anreihen und erft dadurch, daß ihr ein Afe die Hand 
bietet, ift fie vergeiſtigt geworden. Idun ftammt auch aus dem Alfen: 
gejchlechte, fie wirb fogar zu den Kindern Ivalds, eines Zwerges, ges 
rechnet, und von ihr erzählt die jüngere Edda ©. 236 ff. Folgenbes:*** 

Diefen Mythus erllärt Zinn Magnujen, Lex. myth. 200 ff. 
folgendermaßen: 


Idun galt urfprünglich für die gelindere Zeit des Jahres, oder die heitere 
und warme Luft, welde Blumen und Früchte hervortreibt und durch welche 
die ganze Natur mit dem göttlichen Geiftern, ihren Negierern, jährlich wieder 
jung zu werden fcheint. Dieß gefchieht, wenn ihre Äpfel, worunter Sterne 
gemeint zu fein fcheinen, verzehrt, d. d. zur Frühlings⸗ und Sommerzeit ver⸗ 
ſchwunden find; in ber Sprache der Dichter hieß dieſes, daß bie Götter felbft 
von ihnen genoffen hätten. Daher ihre blühende Jugend im Frühling, ihre 
männliche Stärle im Sommer und Herbfl. Beim Herannahen des Winters 
aber erjcheinen die Sterne der Nacht wieder im nördlichen Klima. Xhiaffi, der 
riefenhafte Dämon des Winters, ergreift Lolin, den Genius des elementari« 
ihen und irdifchen Feuers, und zwingt ihn, Idun dur das Vorweiſen irdi- 
ſcher Früchte aus Asgard d. 5. in die winterliche Rieſenwelt zu verloden, 
und fo wird fie von Thiaffi mitfammt den himmliſchen Apfeln geraubt, von 
denen ſich jett die untern oder winterlichen Mächte nähren und flärten, während 
bie Götter, welche die beffern Naturkräfte regieren, zu altern und zu ergrauen 
beginnen. Diefer ihr Zuſtand dauert und verichlimmert fi) den Winter fiber, 
bis jener Winterriefe, auf dem beeiften Ocean feftgehalten, Idun gehörig zu 
bewachen vergißt. Dann macht fi Loli mit Hllfe Freyas, der Göttin der 
Fruchtbarkeit und Wärme, und in ihrem Falkengewand auf und entführt Idun 


. 
‘. 
. 
En 
— — — — — 


wieder, die in eine Schwalbe, das Symbol des Frühlings, verwandelt iſt. Der 
Tod Thiaſſis, der Idun oder die Frühlingsluft verfolgte, bezieht ſich auf den 
Untergang des Winters in den Flammen der Sonne.“ 

Auch Mone läßt hier durchaus die phyſiſche Deutung vorwalten, 
1, 394 bis 96. *** 

Trautvetter (Sterndeutige Aufſchlüſſe über die Edda und die deutſche 
Heldenſage, Iſis 1820. IX. S. 605) bemerkt: 

Die goldenen Äpfel [der Idnn] find die lichten Tage, tie im Herbſt ab⸗ 
gebiffen werben. 

Es zeigt fih hier abermald, wie bedenklich die Erklärung bis in 
die einzelnften Umftände der mythiſchen Erzählung ſei. Eo meit aber 
find wir mit der Bilderſprache der nordiſchen Mythologie bereitö be: 
fannt getworben, daß wir im Ganzen, mit Finn Magnufen und Mone, 
in der Entführung Iduns und ihrer Äpfel zu den Riefen leicht wieder 
eine der Naturmpthen von dem beitändigen Kampfe der Sommer: und 
Wintermächte ertennen. Daß der Jote Loki es ift, ber Idun dem 
Rieſen Thiaffi zuführt, daß fie in Geftalt einer Schwalbe zurückkehrt, 
daß der nacheilende Sturmriefe feine Adlerſchwingen verfengt, all diejes 
find Bilder, welche in den Kreis jener Naturmythen einjchlagen. Idun 
erhält jomit allerdings eine phyſiſche Debeutung, fie reiht fich den Nas 
turmädhten des Frühlings und Sommers an, fie ift die verjüngenbe 
Kraft des wieberlehrennen Lenzes. Somit würden durch den Genuß 
ihrer Gaben zunächſt diejenigen Götter verjüngt, die wir auch als 
Naturkräfte nachgewieſen haben, die vom Vanengeſchlecht. Aber fchon 
barin, daß gejagt wird, fo geh’ es mit der Verjüngung ber Götter fort 
bis zum Weltuntergang, erweiſt fich eine größere, welterhaltende Kraft, 
und ift auch hierin Idun noch phufifch zu nehmen, fo reicht fie nun 
einem Afen die Hand und zwar’ dem Gotte der Dichtlunft. Damit 
berechtigt fie allerdings, was erft Naturfymbol, Bild der ſich immerfort 
im Frühling erneuenden Welt war, nun auch als geiftiges Sinnbild 
aufzufaflen, ala Sinnbild des nie alternden Geifteslebens der göttlichen 
Afen, verwandt jener geiftigen Jugend, bie ewig im Geſange blüht. 

Saga wird zu den Afinnen gezählt und wäre nach Sinn Magnufens 
Bermuthung (Lex. myth. 200***. 4065) mit un identiſch oder doch 
nahe befreundet. Die Gründe für die Identität find nicht ſehr ein 
leuchtend, aber allerdings kann dieſe Göttin mit Bragi und Sun 





54 


füglich zuſammengeſtellt werden. Saga hieß im Norden jede Geſchichts⸗ 
erzählung, hiſtoriſche oder ſagenhafte, ein Unterſchied, der urſprünglich 
gar nicht beſtand. Die als Aſin perſonificierte Saga wohnt im Saale 
Söckvabeckt (Sinke- oder Senkebach), über den die kühlen Wellen her⸗ 
rauſchen; dort trinken Odin und Saga jeden Tag fröhlich zuſammen 
aus goldenen Scaalen. ! 


Ddin beißt Alvater 2, weil e er der Götter und Menfgen Vater it 
Auch der Altervater, der Vater ber Zeiten (aldufavpr), wird er ge- 
nannt. Er ift der oberfle der Afen, er waltet über alle Dinge und 
bie.andern Götter dienen ihm, nachdem Jeder Macht hat (Sn. Edd. 23). 
Einer feiner Namen ift Fiölnir, der Vielfache, Manigfaltige (mult:- 
formis, Lex. myth. 72); und in Wahrheit ift auch feine Erfcheinung 
and Wirkfamleit fo manigfaltig, daß man von ihm in den alten Lic- 
dern gegen 200 Ramen aufzählen Tann. (Ebenbaf. 269 **: Odini nostri 
apud veteres poötas occurrentia nomina ducenta fere enümerare 
possemus.) 

Soll dieſes vielgeftaltige und allumfaflende Weſen in feiner Ein: 
beit ergriffen werben, jo fcheint das NRäthlichfte, von dem Punkt aus: 
zugeben, auf ben uns ber bisherige Weg der Betrachtung geführt hat. 
Wir fteben im Streife der Afen, unter denen Ddin ber erfte if. Von 
ihm und feiner Gemahlin Frigg ftammt das Geichleht der Ajen, er 
führt in ihrer Verfammlung den Borfig und zieht an ihrer Epike zum 
Streite, fie dienen ihm, wie Kinder dem Vater (Sn. Edd. 23). 

Hat fih und nun bisher die geiftige Natur der Aſen dargethan, 
fo ıft zu erwarten, daß in diefem ihrem Überhaupte die geiftige Afen- 
kraft fi im vollſten Maße äußern werde. 

Odin fitt auf feinem Hochſitze Hlivfljalf, von mo er alle Heime 
(Weltreviere) überfhaut und die Töne aus ber unterften Tiefe Eört 
(Edd. rhythm. 899). Auf feinen Achſeln figen die beiden Raben Hugin 
und Munin, die ihm alles Neue ind Ohr fagen, was fie fehen und 


1 [Bier fehlen im Manufcript einige Blätter. Die Ietten Worte habe ich 
aus meinem nachgefchriebenen Hefte ergänzt. Ferner wurden abgehandelt: 
Baldr, Hödr, Nanna, Horfeti; Thör mit Möti und Magni, feinen Söhnen; 
Tyr, Bidar. 8.) 

2 Edd. rbyıhm. 466, 48. 154. Sn. Edd. fi. 


55 


hören: denn jeden Tag ſendet er ſie aus, die ganze Welt zu umfliegen, 
und dadurch erhält er Kunde von vielen Dingen. Die Namen dieſer 
Naben, Gedanke und Gedächtnis, zeigen ſchon, daß er mit dem Geiſte 
die Welt umlreift. Wenn die Midgarbsichlange ſich, als materielles 
Sotentvefen, um die Erbe fchließt, jo umſchwebt Odin [geiftig! mit ges 
flügelten Gedanken die Welt. Als Wanderer zieht er aus, um bie 
Weisheit des Niefen Vafthrudnir zu erforfchen, reitet in die E chatten: 
welt, um Hel wegen Baldurs zu befragen. Um einen Trunk aus dem 
Meisheitsbrunnen hat er fein Auge zum Pfand gegeben. WMimirs 
Brunne wird bier für das Meer, Odins darein gejenltes Auge für 
den nächtlichen Untergang der winterlichen Sonne, und Din felbjt für 
einen Sonnengott angejeben. Auch fein leuchtendes Auge ift die Sonne. 
Dafür Spricht fein Name Büleygr, das Flammenauge. Er ift einäugig, 
weil Die Sonne die eine iſt; aber er ift nicht felbit bie Sonne, fondern 
nur fein Auge, ald Symbol feines lichten göttlichen Geiſtes. Das 
andre bat er in die Tiefe hinabgeſenkt, in den Duell der Naturweis⸗ 
Brit; im Gegenfaß zur geiftigen ber Aſen ift fie Erbtheil des Rieſen⸗ 
geichlechts, zu dem auch Mimir gehört. 

Auch in menſchlichem Weſen wandelt Odin umber, um alle Heime 
zu kennen. Beſonders kommt ihm die Runenkunde zu. (Über die Runo⸗ 
Iogie vgl. W. Grimm, über deutfche Runen. Göttingen 1821. ©. 
Brynjulfefon, Periculum runologieum. Kopenhagen 1823. Geijers 
ſchwediſche Geſchichte Th. I, C. 4. Studach, Sämunds Edda 1, 32 ff.) 
Die von Studach hier erwähnte Sammlung von Schwurliedern und 
Bannſprüchen iſt ohne Zweifel dieſelbe, die ſich jetzt in den Händen von 
Studach befindet und worüber Studach ſich in einem Briefe an einen 
Wurttemberger äußert, daß er durch dieſe Magie die wahre Bedeutung 
der. Runen gefunden habe, wodurch alles Bisherige über den Haufen- 
falle, was über die Runen geichrieben worben, folglich audy über die 
Eddalieder. Wenn er diefen Brobierftein an die Edda lege, werde ihm 
auf einmal Alles klar. Studach mag fih in der. erften Freude über 
feine Erfindung etwas geteufcht haben. Ohne Rüdfiht darauf muß 
bie Erlläjeung mit den vorhandenen Mitteln verfucht werben und gemifs 
wird die Anfchauung der mythiſchen Bilder felbft die Grunblage ver 

1 [Die in Klammern geſetzte Stelle if aus meinen nachgefchriebenen ode 
ergänzt. 8.] 


56 


Erllärung bleiben müflen, wenn aud das Runenivefen ein größeres 
Gewicht für die Mythenbeutung erlangen wird, als ihm bisher zu ger 
bübren fehien. 

Sm Kreife der Aſen ſelbſt finden wir Odin in naher Berührung 
mit ſolchen Wefen, die wir bereits als die unverfennbarften Perſoni⸗ 
fifationen geiftiger Thätigleiten Iennen gelernt haben, Saga und Bragi. 
(Auf fein Verhältnis zu Idun bezieht fih das räthſelhafte Eddalied: 
Odins Nabenzauberlied, Hrafnsgaldur Odine) Mit Eaga trinlt er 
jeven Tag fröhlich aus golpnen Schaalen, und damit: ift wohl nichts 
Andres befagt, als daß er es fei, von dem Eaga geiftig erivedt und 
belebt wird. Auch der Skaldengott Bragi verdankt ihm den Tranl der 
Begeifterung. Bon der Erlangung dieſes Tranks gibt vie jüngere Edda 
eine jehr abenteuerliche Erzählung, auf deren Inhalt ſich aber aud ein 
Stüd des Eddaliedes Havamal bezieht, j. Edda ©. 239 bis 242. *** 

Es läßt ſich denken, wie fehr ein fo räthſelhafter Mythus die Bes 
mühungen der Ausleger in Anfpruch genommen hat. Sich verfuche auch 
bier nicht, das Einzelne zu entziffern, fondern beſchränke mich auf einige 
Grundzüge. Der erite Keim und Anſatz des wunderbaren Getränkes; 
der in Koafir 1 perfonificiert ift, bildet fih aus der zum Zeichen des 
Friedensſchluſſes gefchehenen Vermifchung des Speichelö der Aſen und 
der Vanen. Liegt in den Vanen die wohlthätige, erwärmende, frudhte 
treibende Naturfraft, in den Aſen aber die geiftige Belebung, jo muß 
ein Erzeugnis der Ausflüffe von Beiden ein ſolches fein, in dem die 
Kraft der Natur zum Geifte gefteigert erjcheint. Die Getränke, bie wir 
bildlich geiftige nennen, find Hervorbringungen der marmen, fonnigen, 
vanenhaften Natur und das Geiſterweckende, das fie in ſich tragen, 
mufte der mythenbildenden Phantafie auch wirklich für eine geiftige, 
“von den Alen kommende Beimifhung gelten. Finn Magnufen, der, 
wenn auch aus andern Prämiflen, eben die Anficht-hat: Si Qvaser, _ 
ut conjeeimus, oerevieiam ac alios inebriantes potus, vegetabilibus 
ortos, significet u. |. w. (Lex. myth. 271*; vgl. Edd. rh. 51, 35), beruft 
fih zu Unterflügung derſelben fehr paſſend auf eine Stelle der Halfs 
Eaga (Cap. 1. ©. 26), mo Din zur Bereitung des beften Bieres 

4 Über die ruffiihen Betränfe Mjöd und Kwas findet fih Nachricht in 


A. Ermans Reife um die Erbe, durch Rorvafien. Band 1.- Berlin 1888, nach 
ven Jahrbüchern für wiſſenſchaftliche Kritik, Januar 1834, Sp. 46. 


' 


57 J — 


ST 
[2 


feinen Epeichel als Gährmittel beigebe. Die Eagenftelle fpricht aber 
auch noch in den beſondern Umftänden für dasjenige, was ich über das 
Verhältnis der Aſen und Banen in biefer Sache bemerkt habe. Es 
wetteifern bort zwei Frauen, welche das befte Bier zu Stande bringe; 
Die eine thut ein Gelübde zu Freya, die andre zu Odin und biefer 
verhilft ihr durch das erwähnte Gährmittel zum Eiege. Freya, bie 
Banin, konnte nur für gejunde, nährende Stoffe haften, der Aſe Odin 
gab die geiftige Gährung. Wie nun Kvafır und fein Blut bei Zwergen 
und Rieſen umgetrieben werben, bis zulett ver herrliche Meth in Sut⸗ 
tungs Felshöhle verichlofien Tiegt, darüber läßt fi), nach der Analogie 
der uns ſchon bekannten Mythen, wenigſtens ſoviel errathen, daß damit 
die Schidfale des den unterirdiſchen und minterlihen Mächten über: 
gebenen Sleime gemeint feient. Aber nicht den Rieſen und Bivergen 
gehört diefer edle Schatz auf die Dauer an; die Afen, die dazu bas 
Beſte gethan, haben auch auf ihn das nächſte Anrecht und Odin felbit- - 
fährt hinab, ihn, tie er nun geworden, zurüdzubolen. Nicht Thors 
Hammer, noch Freyrs glänzendes Schwert, noch Freyas Hingebung, 
noch Lokis Kotenlift genügt dießmal dem Werke, ver Ajenvater felbit 
muß es mit Schlangenllugheit vollführen, meil es ſich nicht um eine 
Raturgabe, fondern um einen geiftigen Erwerb handelt. Auch der Name 
des Gefäfles, worin dieſes Getränke bewahrt wird, bezeichnet deſſen 
Eigenſchaft: Odrörir (Odroerir, ingenii motor aut exeitator, Lex. 
myth. 3795). Diefen Meth gab Odin den Aſen und den Dichtern, 
von ihm wohl trinkt er mit Saga; wenn Dbrdrir verſchloſſen tt, fo 
wird die Aunenweisheit der Afen irre (Finn M. Edd. II, 219. 231. 
Edd. rh. 88); ein Trunf des. koſtbaren Methes, aus ihm gefchöpft, 
macht in Weisheit blühen, wachlen und gebeihen, ein Wort zeugt dann 
Worte mit dem andern, ein Werk mit dem andern Werle. (Edd. rh. 
28°. Finn M. II, 139.) So ergibt fih denn, daß diefer Mythus 
nicht bloß phufifch von der Entftehung beraufchenver Getränke handelt, 
fonvern daß der bilblihe Trank den Duell der Begeifterung, ber in 
Wort und Werk fruchtbaren Erregung des geiftigen Lebens bedeutet; 
auch liegt der Gebanfe nicht fern, daß dieſer wunderbare Duell aus 
der Wechſelwirkung der vom Geifte durchdrungenen Natur und des bon 
ber Natur erfriichten Geiſtes entipringe. 
1 Bol, Finn Magnufen, Edda III, 158, 


36 


Mit der Erwerbung des Dichtertrankes iſt uns Odin aus der 
Weisheit des Wiſſens ſchon bedeutend in das Gebiet des ſchaffenden 
und wirkenden Geiſtes übergetreten. „Allvater wirkt“ (orkar), hebt 
eines der Epvalieter an (Hrafngald. O. Edd. rh. 88. Finn M. II, 
218), und im Gegenſatze damit beißt es Weiter: „Alfe unterjcheiben 
(ekilja), Vanen wiſſen (vita)“. Bon der Weisheit biefer Naturweſen 
war früher die Rebe. ° 

Nachdem wir bisher an Odin zunäcdft nur das geiftige Weſen 
darzutbun ſuchten, fo ift nun auch bad Wirken feines Geiſtes weiter 
zu verfolgen. 

Die drei Eöhne Börs, Odin, Vili und Ve, bauten aus dem Leibe 
des von ihnen erfchlagenen Urriefen und aus den Funken von Muſpel⸗ 
beim Himmel und Erde. Wieder gehen dann drei Ajen zufammen, 
Din, Hänir und Lodur, und tiefen bie Menſchen ins Leben (Völuſp. 
17. 18). 

Bis drei famen 
Aus der Berfammiung 
Mächtige, liebende 
Ajen zum Ufer; 
Tanden am Lante, 
Wenig vermögend, 
' Aft und Embla, 
Schickſalsleſe. 


Beift 1 (Avnd) nicht hatten fie, 
Hatten Berftand (Oth) nicht, 

Blut noch Geberte (La, Leti), 
Noch ſchöne Farbe (Lito). 

Geiſt gab Odin, 

Sinn gab Hänir, 
Blut gab Lodur 

Und ſchöne Farbe. 


Sonſt finden wir die Aſen auch in der Dreizahl durch die Welt 
reiſend und dann find es: ODdin, Loli und Hänir (Sn. Edd. 80. 135). 


1 Studach I, 12, 38: Oihin gab tie Seele, aund, das Unſterbliche tes 
Menfchen, in weldher Bedeutung das Wort ſich bis alıf heute in Skandinavien 
erhalten hat und die nicht erſt Später in basfelbe eingetragen worden if. 


59 


Nach einer Bemerkung Geijers (268, 10a) ſoll auch ftatt Lodur, welcher 
nur eben bei der Erſchaffung der Menfchen genannt wird, Loptr vor⸗ 
fommen, weldes ein Rame Lokis ift. In einem ber Eddalieder erinnert 
auch Loki den Odin daran, wie fie. am Morgen der Tage Blut zu 
fammen miſchten, Blutbrüberfchaft fchloffen. Sowie aber der Joten⸗ 
fohn LZefi unter die Aſen aufgenommen ift, jo war Hänir, der andre 
Gefährte Odins, einft den Vanen zum Geifel gegeben, und e3 könnte 
hiernach in jener Dreiheit, wieder bie durch den Aſen Odin feftgebaltene 
Bindung der Gegenfähe des Joten⸗ und Vanengeſchlechts vermuthet werben. 

Im Übrigen find die Namen und Weſen Bili und Be, wie Odins 
Genoſſen beim Weltbau beißen, Hänir und Lodur, wie fie bei der 
Menſchenſchöpfung genannt find, noch viel zu wenig ind Klare geſetzt, 
als daß über ihren beſondern Antheil eine unzmweifelhafte Anſicht geltend 
gemacht werben könnte; und eben damit ift auch eine fefte Beftimmung 
der dreierlei Göttergaben, womit Aft und Embla ausgeftattet wurden, 
noch fehr ſchwierig. 

Soviel aber leidet Teinen Zweifel, dag Din, defien Name auch 
unveränderlid durchläuft, als der erfte und oberfte unter den Dieien 
auftritt und daß aud feine Gabe, nennen wir fie Lebenshauch, Geiſt, 
Seele, ſich als die geiftig wefenhaftefte und lebendigſte bervorftellt. 

Was Odin feinen Söhnen gebe, fagt. und auch mehr im Einzelnen 
ein andre3 Eddalied (Hindlu-Ljod, Str. 3. Edd. rlı. 113): 

Sieg giebt er Söhnen, 
Etlichen Reichihum, 

Recde den Edeln, 
Witz den Männern, 
Fahrwind den Seglern, 
. Sang den Skalden, 

Aber Mannheit 
Manchem Recken. 


Wir ſehen, Odin, der den Aſen den Trank der Begeiſtigung ge⸗ 
holt, der den Menſchen lebendigen Geiſt gegeben, gibt auch Alles, was 
das Leben rüftig bewegt. Wie der Fahrwind die Segel ſchwellt und 
Wellen über die Meeresfläde treibt, fo haucht Ddin allaufregend in bie 
Welt der Götter und Menſchen und als der Geift bes lebenbigften 
Lebens iR er auch weſentlich ein Gott des Kampfes. 





60 


Der Beitand der Welt beruht auf einer Bindung miberftrebender 
Kräfte. Mit den Vanen haben ſich die Afen nur verglihen, mit den 
Soten find fie in fortwährendem Kampfe begriffen. Die furchtbarften 
Ungeheuer dieſes Geſchlechis muften durch Gewalt oder Lift gebunden 
werden und mit den Winterriefen dauert der jährliche Krieg. Bur 
Bändigung. und Belämpfung diefer feindlichen Mächte hat fih Odin 
mit einer Schaar ftarler Sprößlinge umgeben, welde, damit ihnen. 
Stärke gegen materielle Getwalten zum Erbtheil würde, mit ber Erbe 
und mit Riejenweibern erzeugt find. Tyr, der Kühne, bat die Hand 
in den Rachen bes Wolfes geftredt, Thor mit feinen Söhnen tft uner: 
müblich, die Rieſen niederzufchmettern. Wohl war einft ein Golbalter 
(gullaldr, Sn. Edd..15), wo die Aſen fröhlich auf golbnen Zafeln 
fpielten (Eidd. rh. 2, 8 f. 10, 61). Wohl ift in Baldur, einem andern 
Sohne Dbins, von anbrer Mutter, dem reinften, beiten ver Aſen, eine 
Herrichaft des Geſetzes und der Eitte aufgegangen, melde, fo lange fie 
jelbft befteht, auch das Weltganze im Beitand” erhält. Aber Baldur 
felbft bat. abnungsvolle Träume, daß fein Leben in Gefahr fei, und 
‚alle Weiffagungen beftätigen es. Umfonft wird die Natur in Eid ger 
nommen, ber Keim der Empörung bleibt doch in ihr haften. Je tiefer 
Odin in den Abgründen der Riefenweisheit forfcht, um fo fihrer nur 
erhält er die Kunde, daß die gefeflelten Mächte, die immerfort an 
ihren Banden rütteln, auch bieje wieder brechen werden. Baldurs 
geiftiges Reich, in der Zeit und in der materiellen Welt gegründet, ift 
gleich diefen vergänglid. Der Geiſt felbjt bat, um die Materie zu 
binden, fich vielfach mit dieſer vermiſchen müſſen. Echon Odin jelbft 
und feine Brüber, die Ordner der Welt und die Schöpfer der Menſchen, 
find aus der Verbindung Börs mit der Niefentochter Beltla herbor: 
gegangen. Das Goldalter währte nur, bis die Weiber aus Jötun⸗ 
heim kamen (Edd. rh. 2, 8. Sn. Edd. 15). Din felbft und andre 
Aſen verbanven fich mit Riefenweibern. Nicht bloß die freundlichen 
Vanen wurden in bie Gejellihaft ber Aſen aufgenommen. Auch der 
Jote Loki, mit dem Odin am Morgen der Tage fchon Blutbrüderihaft 
gefchloffen, war in ihren Kreiß eingetreten und muſte hier, als das 
fittliche Böfe, auch die böchfte Blüthe des Afenreiches, Baldurs Ruttice 
Herrſchaft, untergraben und zerftören. 

War ſonach dem Geifte in ber von ihm gebauten Welt keine 


61 

dauernde Stätte bereitet, fo mufte er ftet3 wehrhaft und kampfrüſtig 
fein, fein Werk in der Zeit zu fchirmen, ftet3 weg: und fchlachtfertig, 
den letzten, großen Streit zu beftehen und aus der zufanımenftürzenden 
Welt, in feinem Weſen unverlümmert und durch den Kampf felbft ge 
träftigt und geläutert, zu einem neuen, höheren Dafein durchzubrechen. 

Diefe raftlos jtrebende, Tampfgerüftete Kraft des Geiftes, die Bürg- 
ſchaft feiner Nichtgebundenheit in Zeit und Materie, ift in Odin zur 
Darftellung gelommen. Balhall (Valhavli, Valhöll), Odins leuchtende 
Halle, ift denn aud ein Waffen: und Heldenfaal. Das Dad ift mit 
goldenen Schilven belegt, die Wände find mit Schilden, ftatt mit 
Teppichen, geihmüdt, und Abends dienen blanke Echwerter zur Er: 
leuchtung. Der Name dieſes Saales befagt wörtlih: Halle ver Ge 
fallenen, Erichlagenen (valr, strages).. Denn die, welde im Kampfe 
gefallen find oder ſich freimillig den Tob gegeben haben, fahren zu 
Odin. Die auf dem Bette fterben, kommen zu Held dunkeln Sälen. 
Odin hat den Menſchen den Geiſt eingehaucht, er nimmt ihn zurück; 
aber ibm, dem kämpfenden Gotte, find nur die kräftigen Geiſter ge: 
recht, denen das irdiſche Leben eine Echule des Kampfes war. Diefe, 
in Balball aufgenommen, heißen Einherien (Einheriar). Sie fpeifen 
von dem Eber Sährimnir, der jeden Abend wieder ganz ift, und trinken 
den unverfieglichen Meth aus den Eutern der Ziege Heidrun. Odin 
felbft genießt nur Wein und gibt die Speife feinen Wölfen Geri (vorax) 
und $refi (ferox, avidus, Lex. myth. 775). Diefe find Einnbilber 
der Echlacht, wie dann wohl auch die Naben auf des Gottes Schul: 
tern. Die Cinherien reiten jeven Morgen gewaffnet auf den Hof, be: 
fämpfen und tödten einander; zur Zeit des Mahles aber kehren fie 
unverletzt zurüd und die Valkyrien reichen ihnen das Trinkhorn. 

Valkyrien (Valkyria, Plur. Valkyriur, von valr, strages, und 
kjöra, köra, eligere, Tobtenfürerinnen, Lex. myth. 528 4. 535), 
auch Odins Jungfraun (Odins meyar) genannt, find, ihrem Namen 
gemäß, die Weſen, welche Odin ausfendet, um die Todten zu wählen, 
um die Helden, welche für Valhall reif find, zum Tod in der Schlacht 
zu beftimmen. Sie werben bald in größerer, bald in Heinerer Zahl 
benannt und ihre Namen beziehen ſich, ſoweit fie erflärt find, faft 
durhaus auf Kampf und Kampflärm. Ihre Erfcheinung ift Triegerifch, 
fie reiten unter Schilden. Das Reiten der Valkyrien ift ein Zeichen 





62 


nahenden Kampfes, ſelbſt bei den Göttern; die Weiffagerin in ber 
Völuſpaͤ fingt, unmittelbar bevor fie auf Baldurs Tod kömmt, mit 
dem der Friebe der Welt zur Neige geht, Folgendes !: 

Sie ſah Valkyrien, 

Weither kommend, 

Bereit zu reiten 

Zum Göttervolfe. 

Skuld den Schild hielt, 

Den andern Sksögul, 

Gunnr, Hilde, Gavndul 

Und Geirffangul. 

Nun find gemeldet 

Herjans Yungfraun, 

Bereit zu reiten 

Aufs Feld, Balkyrien. 

Dice Kriegsjungfrauen walten über Sieg und Tod, in Valhall 
aber find fie die Echenfinnen. 

In jener Eigenfchaft, als Lenkerinnen des Schlachtgeſchicks, find 
fie vorzüglich in einem Liebe dargeftellt, das die Nialsfaga (Havn. 1809. 
Il, 4) aufbewahrt bat. Ich hebe dasſelbe aus, meil es als das aus— 
druckvollſte Gemälde dieſer mythiſchen Wejen angeführt zu werden pflegt. 
Gräter, Nord. Blum. 270 ff.** 

Mit Recht hat jedoch Finn Magnufen bemerkt (Lex. myth. 5325), 
daß in biefem, der chriftlihen Zeit angehörigen Liede die Balfyrien 
einfeitig und nicht mehr rein im Geiſte des heibnifchen Altertbums 
dargeſtellt feien: 

. Christianismo huc introducto Bellone ille, una cum reliquo Deorum 
cotu, malis tantum ac foedissimis deemoniis sunt adscripte. Bona nulla 
piis indulgere credebantur, at e contrario merus calamitates, infortunia, 
c#des ac sanguinolentas retinuerunt functiones. 

In andrem Lichte, in einer viel geiftigern Wirkfamfeit, werben 
und die Balkyrien in der norbifchen Heldenſage erfcheinen, wo ihr Weſen 
erſt zur vollen Entwidlung Tommt. 

Aber aud hier fchon, in der Götterſage, find fte nicht bloß blutige 
Schlachtgöttinnen. Sie haben den höhern Beruf, die Heldengeifter für 


1 Edd. rh. 4, 24 ftellt diefe Strophe in andern Zufammenhang. 


63 


Doing Halle zu füren. Ihn felbft werben wir in den Heldenfagen uns 
mittelbar über Kampf und Sieg gebieten und fogar in das irbilche 
Schlachtgewühl nieberfteigen fehen. Davon hat er auch in den mythi⸗ 
Ichen Liedern die Namen: Heerbater (auch Herjan), Balvater, Eiegvater. 
| Den Friegerifchen Völkern des Nordens war Kampf und Krieg 
die Blüthe des kräftigften Lebens. Darum konnte auch das Leben bei 

Odin unter feinem ausdrucksvolleren Bilde dargeftellt werden, als unter 
dem des irbifchen Heldenthums. Erwägen wir aber, was zuvor über 
Odins ganze geiftige Natur ausgeführt worden, jo fann uns nicht mehr 
zweifelhaft bleiben, daß das Mahl in feiner Halle jenem mythiſchen 
Tranke der Begeifterung verivandt, daß die Kampfſpiele der Einherien 
gleichfalls nur bildlicher Ausdruck ber fortwährenden geiftigen Kampf- 
übung ſeien. Wie zur Herbſtzeit die Strichvögel ſich zum Wegzuge 
fammeln, um in gejchlofiener Schaar den weiten Flug über Länder 
und Meere, durch Wolfen und Stürme, ausbauern zu können, fo 
fammelt Odin um fidh die Geifter, die er ausgeſandt und die fich Träftig 
erprobt haben, zum großen Heerzug aus der untergehenden Beittvelt. 
Noch in Valhall ftärkt und übt er fie unabläflig, und je größer bie 
Zahl ift, die zu ihm fährt, um fo befjer fteht die Sache des Geiſtes. 
Im Liede Grimniömal heißt es (Edd. rh. 43, 23): 

Fünfhundert Thüren 

Und vierzig drüber 

Glaub' ih in Valhall. 

Adthundert 1 Einherjen 

Gehn vor aus jeber, 

Wenn fie fahren dem Wolf entgegen. 

Die jüngere Edda fagt noch beſonders: 

Eine große Menge if da, und weit Mehrere werben ihrer noch werden, 
und doch mögen es nicht zu viele fein, wenn der Wolf Fenrir lommt. Jungere 
Edda 198 und Sn, Edd. 41 f. 

Sn einem fpätern Staldenliede auf den Tod Erichs Blutart freut | 
ſich Odins Herz, als die Helden von. der Erde zu ihm kommen, und 
in einem ähnlichen Gejange heißt e8: | 

1 Lex. myth. ©. 56°**: Numerus ille [432000] ad zodiaci ac anni 
divisiones et mundan® statis annorum seriem p. p., certum habuit re 
spectum, et variis igitur modis in Chaldeorum, Indorum, Sinensium et 
pl. vetustissimam mythölogiam est receptus. 


64 
Da ſprach Göndul, 
Auf ihren Speer gelehnt: 
Nun gedeiht der Götter Sache, 
Da ſie Hakon 
Mit großem Heere 
Heim zu ſich geladen1. 

Bricht nun wirklich die lang verfündete Zeit des Weltkampfes 
berein, dann wappnet fi Odin felbft; den Golbhelm auf dem Haupte, 
mit der fchönen Brünne angethan, den Speer Gungnir fchwingend, 
reitet er ben Afen und Einherien voran zu der weiten Ebene Vigrid, 
mo der Kampf ſich erhebt. Er felbit wird vom Wolfe verfchlungen 
und auch die andern’ ftreitbarften Götter gehen unter. Aber auch die 
Ungeheuer find erlegen, der Kampf der Götter, zu mweldem Odin 
alle geiftigen Kräfte mit ſich fortgeriffen, war nicht fruchtlos und 
aus den Trümmern bes Weltbaus fteigt eine neue, verjüngte Welt 
empor. 

Über Odin iſt noch zu bemerken, daß, wenn auch die etymologi⸗ 
ſchen Ableitungen feines Namens von édr, Subft. (ratio, intelleotus) 
oder von 6dr Adj. (insanus, furens, Lex. myth. 378%), was auf 
feine ftürmifhe Kampfnatur zu beziehen wäre, ſich nach feiner Seite 
ftihhaltig bewähren follten, doch auch Feine andre feftgeftellt ift, welche 
feinem geiftigen Wefen, wie wir es aus dem ganzen mythiſchen Zus 
fammenhang entwidelt, entgegen wäre. Zwar bat man ihn phufiich 
für den Gott des Himmelö oder der Luft angenommen, vorzüglich aus 
dem Grunde, weil Frigg, die Mutter Erde, feine Gemahlin fei. Allein 
eben dieſer Umſtand iſt nicht nur unerwieſen, ſondern Frigg wird jogar 
der Erde entgegengeſtellt, indem ſie, in den dichteriſchen Benennungen 
der Skalda, die Nebenbuhlerin Jörds, der Erde, heißt, mit welcher 
Odin auch Göhne erzeugt hat, die in die Reihe derjenigen gehören, 
welche wir als die Starken unter den Afen bezeichnet haben, wogegen 
aus der Ehe mit Frigg ein Sohn ganz andrer Art, Baldur ber Gute, 
hervorgegangen iſt. Yrigg ift nicht die Erde felbit, fondern bie Tochter 
der Erbe, Fjörghns. Im Übrigen tritt ihr Weſen fo wenig deutlich 
hervor, daß ich ihr unter den Geſtalten des Ajenkreifes Teine beſondre 
Darftelung widmen konnte. Die in ihrem Gefolge aufgezählten Afınnen, 


1 Sagabibl. II, 374. Münter 453. 


“ 


65 


‚die ich gleichfalls nicht beſonders aufgeführt habe, neigen fich theils 
mebr zur phufifchen, theils mehr zur ethifchen Bebeutung _ 

Wir haben, wie den Joten die Biverge oder Schwarzalfe und den 
Banen die Lichtalfe, fo den Afen die Menfchen’ zugeorbnet. Bon biefen 
fol jedoch bier nicht eigens noch gehandelt werben. Soweit fie in bie 
Götterwelt reichen, haben fie ſich uns bereitö in der geiftigen Verbin⸗ 
dung mit Odin berausgeftellt, ihr beſondrer Mythus aber ift die Helden⸗ 
fage, ber unfre nächte Abtheilung geiviomet fein wird. 

Der bisherige Durchgang durch die verichiedenen Weſenllaſſen der 
norbifchen Götterlehre war darauf berechnet, das Verhältnis des gei- 
ftigen Elements dieſer Mythologie zum phufifchen beftimmter erfennen 
zu lernen. Der Erfund war der, daß mitten zwiſchen bie. widerſtre⸗ 
benden Naturgewalten aus unbelannter Duelle eine geiftige Kraft bindend 
und orbnend eintrat, baß fie in der phyſiſchen Echöpfung, die aus dieſer 
Bindung herborgieng, zugleich ein geiftiges Reich gründete und biejes 
aud, nachdem es in der Beitihöpfung nicht mehr beſtehen konnte, durch 
den Untergang berjelben in. ein höheres Dafein zu retten fuchte. 

Die Götter in der Zeit find als ſolche von beſchränkter Macht. 
Am Brunnen unter der Weltefche wohnen die drei Nornen, durch ihre 
Namen Schon als Vergangenheit (Urd), Gegenwart (Verdandi) und 
Zulunft (Stulb) bezeichnet. Sie beftimmen Lebenszeit und Geſchick der 
Menſchen, aber. auch die Götter vermögen nichts über fie. „Allvater 
wirkt,“ fagt das Lied, „Nornen weiſen“ (visa nornir, Edd. rh. 88). 
Die Götter, in der Zeit wirlend, find den Beitgöttinnen verfangen. 

Räthſelhaft ift der Geift in die erfchaffene Welt berabgeftiegen; in 
eine lichtere, aber doch wieder räthfelhafte Ferne tritt er über nach dem 
Weltuntergange. Die mythiſchen Verkündungen von ber neuen ober 
verjüngten Welt ftimmen nicht in allen Punkten überein. , Hören wir 
darüber die jüngere Edda ©. 233 f.1 *** 

Daß in diefer neuen Welt, die wohl nur eine Verjüngung und 
Verklärung der alten ift (von der Weltefhe war auch nur gefagt, daß 
die Lohe um fie ber geichlagen), Feine der rohen Naturgewalten wieder 
auftaudt, daß felbft die Vanengötter verſchwunden find (Freyr war 
Schon beim Kampfe jchwertlos), daß Balbur der Gute und fein jchulb- 
Iojer Mörder verſöhnt erfcheinen, al diefes past wohl zu unſern 
früheren Erörterungen. Warum aber von ven Afen felbjt nur bie 

upland, Säriften. VII 5 





66 


‚genannten wieber auftreten, warum Odins felbjt nicht mehr gebacht wird, 
ob auch diefer, nachdem aller Kampf aufgehört, feine Bahn vollendet, 
oder ob er völlig geiftig ins Unfichtbare ſich erhoben hat, auf biefe 
und andre Fragen wird fi) nichts Enticheidendes antworten laffen. 
Eben darin liegt aber auch die- Möglichkeit, dieſe Götterlehre, je nach 
der individuellen Auffafiung, höher oder tiefer in der veligiöfen Geltung 
zu ftellen. Gerade die Strophe der Völufpa, die einer höhern Anficht 
die günftigfte wäre, wird, weil fie fih nur in den Papterhandichriften 
der ältern Edda findet,. von Einigen für unecht gehalten (%. Magnujens 
Edda I, 6911), Ä 
. Da kommt der Mächtige 
Zu der Götter Rath, 
. Etarf von oben, 
Der über Alles waltet. 
Urtbeile fpricht er, 
Streit befänftigt er, 
Stiftet heiligen Frieden, 
Gibt Heilige Sakung, 
Die dauern wird, 

Soviel jedoch bleibt unter allen Vorausfegungen gewiſs, daß durch 
diefe Mythenwelt eine mächtige Ahnung des Unenvlichen, des über 
die Zeitmächte erhabenen Göttlichen, ein lebendiger Hauch des unver⸗ 
gänglichen Geiſtes hindurchzieht. 

Wir haben im Bisherigen die Erklärung der nordiſchen Götterſage 
lediglich aus ihrem eigenen, innern Zufammenhange nad dem phyfi- 
ſchen und .geiftig-fittliden Gefichtspunkte verſucht. Es ift nun noch 
von ihrer hiftorifchen Beziehung zu fprechen. 

Die Meinungen in dieſer Hinfiht find auf Jahrbunderte hin durch 

Dasjenige beftiimmt morben, was Snorre Sturlefon, in der erjten 
Hälfte des 13ten Jahrhunderts, in feine norwegische Königsgefchichte, 
die Heimskringla, über die Einwanderung ber Aſen im Norden aufge 
nommen bat. 

Die Heimskringla (von den Worten, mit benen fie anhebt, kringla 
heimsins, orbis terrarum, jo genannt) iſt zu Stockholm 1697, 2 Bde Fol. 
und jpäter in 6 Yoliobänden, Kopenhagen 1777 bis 1826, herausgegeben. 


“ 


1 Edd. rh. 9; vgl. Hyndl. ©tr. 41. 


67 


Snorro jelbit fette diefed Wert aus ſchon vorhandenen ſchriftlichen 
Eagan der hiftorifchen Klaſſe zufammen. Der Eingang beöfelben, bie 
Inglingafaga, jedoch ift noch wirklich fagenhafter Natur und für unfre 
Zwecke find bier bie 13 erſten Capitel von Belang, deren Abfefjung 
Müller dem Snorro ſelbſt zufchreibt, wogegen Geijer (S. 323 ff.) ber 
Meinung ift, daß er auch fie ſchon in der vor ihm gelegenen Ynglinga⸗ 
jaga vorgefunden habe. hr Inhalt ift diefer: (Cap. 1.) Auf ber 
Norbfeite des ſchwarzen Meeres erftredt fi) das große ober kalte 
Schweden (Svibiöd). Der nörbliche Theil desfelben liegt ungebaut vor 
Froſt und Kälte In diefem Schweden find große Landftriche mit 
mandherlei Bölfern und Zungen. Da find Niefen und Zwerge, aud 
ſchwarze Leute und allerhand wunderliche Völker, fowie Thiere und 
Drachen von furdtbarer Größe. Bon den Nordgebirgen fließt durch 
Schweden der Strom, der mit Recht Tanais heißt, vorbem Tanagviel 
oder Banagvisl genannt, und ſich ins ſchwarze Meer ergeht. Das 
Land zwilchen feinen Armen hieß Banaland oder Vanaheim (Vana- 
beimur). Er trennt die Welttheile; der gegen Dften heißt Afin, der 
gegen Weften Europa. (Cap. 2.) Das. Land in Afien, öſtlich bes 
Tanagvisl, war Aſaland ober Ajaheim (Asa-heimur) genannt. Die 
Hauptflabt diefes Landes hieß Asgard; darin war em Häuptling (HÖf- 
Xinge), der Dbin (Odinn) genannt war; auch war bafelbft eine große 
Dpferftätte. Zwölf Hauptpriefter, Diar! oder Drottnar genannt (Divi 
s. Domini), follten dort über Opfer und Urtheil walten und ihnen 
follte alles Volt Dienft und Verehrung erbieten. Odin war ein großer 
Kriegamann (Hermadar), auch weit umber gefommen, und hatte fich 
viele Reiche untertoorfen. Er war fo fiegreih, daß er jede Schlacht 
gewann; und jo kam es, daß feine Leute glaubten, ihm allein gebübre 
überall der Sieg. Wenn er feine Männer in den Krieg oder auf andre 
Fahrten ausfandte, war fein Gebrauch, ihnen feine Hände auf das 
Haupt zu legen und den Gegen zu geben; dann glaubten fie glüdlich 
zu fahren. Auch pflegten feine Leute, wo fie zur See ober auf dem 
Lande in Nöthen tvaren, feinen Namen anzurufen und bavon glaubten 
fie fiets Abhülfe zu erlangen; darum fchien ihnen aller ihr Troft bei 
ihm zu fein. Er fuhr oft fo weit fort, daß er viele‘ Sabre ausblieb. 


1 Diar heißen die Afengötter Hrafnagald. Od. 18. Edd. rh. 91a. 


.68 — 


(Cap. 3.) Ddin hatte zwei Brüder, Ve und Vilir. Dieſe beherrſchten 
die Reiche, ſo lang er abweſend war. Einmal war er ſo lange aus⸗ 
geblieben, daß die Aſen nicht. mehr an feine Heimkehr glaubten; da 
tbeilten fid die Brüder in fein Erbe und eigneten fi} beibe feine Ges 
mahlin zu. Bald nachher kam Dbin zurüd und nahm feine Frau 
wieder zu fi. (Cap. 4.) Odin fuhr mit Heereömadht gegen die Banen, 
aber diefe waren wohl gerüftet und wehrten ihr Land. Der Gieg 
wechſelte und fie verbeerten einander gegenfeitig die Länder. Als das 
beiden emtleivet war, beitimmten fie eine Zuſammenkunft, machten 
Frieden und gaben einander Geifel, Die Banen gaben ihre trefflichiten 
Männer bin, Nijdrd den Reichen und jeinen Sohn Frey; die Aſen 
dagegen Einen, der Häner hieß, und von dem fie Ingten, baß er wohl 
zu einem Häuptling tauge. Er war ein fehr großer und ſchöner Mann. 
Mit ihm fanbten fie den, der Mimer hieß, einen fehr weiſen Mann. 
Die Banen aber gaben dagegen Denjenigen, der unter ihnen der Weifefte 
war und Koaſir bie. Als Häner nah Vanaheim kam, warb er 
fogleih zum Häuptlinge gemadt. Mimer gab ihm in Allem feinen 
Rath ein. Wenn aber Hänir fih in Gericht und andern Berfamms 
Iungen befand, wobei Mimer nicht zugegen war, und dann ſchwierige 
Sachen vor ihn gebracht wurden, antivortete er immer das Nemliche: 
Mögen Andre ratheni Da merlten bie Banen, daß fie beim Taufche 
von den Ajen bintergangen worden; darum enthaupteten fie Mimern 
und jandten fein Haupt den Aſen. Odin nahm es und falbte es mit 
Kräutern gegen bie Fäulnis, fang Beſchwörungen barüber und bewirkte 
dadurch, daß es mit ihm fprach und ihm viel geheime Dinge offen- 
barte. Njörd und Freyr wurden von Odin zu Opferprieſtern beftellt 
und waren nun Diar unter den Alien, Njords Tochter Freya war 
Opferpriefterin, fie lehrte zuerft bei ‚ven Aſen den Bauber, welcher 
Seid hieß und bei den Vanen üblih war, As Niörb noch bei dieſen 
war, hatte er feine Schwefter zur Grau, wie es dort geſetzlich war. 
Ihre Kinder waren Freyr und Freya. Bei den Aſen aber war es 
verboten, fo nah in bie Berwandtichaft zu heirathen. (Gap. 5.) Große 
Gebirgäletten erftreden fich von Norboft nad Südweſt und ſcheiden 
das große Schweden von andern Reichen. Nicht ferne ſüdlich von 
diefem Gebirg ift Türkland gelegen, wo Odin große Befigthümer hatte. 
Zu der Zeit zogen die römischen Häuptlinge weit durch die Welt umber 


69 


und brachten alle Völker unter fi. Viele Fürften flohen vor biefem 


Unfrieden von ihrem Eigenthbum. Din, als ein zulunftlundiger Mann, 
wufte voraus, daß feine Nachkommen auf der Norbfeite der Welt 
wohnen follten. Da fette er feine Brüder Be und Vilir über Asgarb; 

ex aber zog von bannen und mit ihm alle Diar und vieles Boll; 

zuerft fuhr er weitlih nad Garbareih, dann ſüdlich nad Sarland. 
Er batte viele Göhne, die er über die von. ihm eingenommenen Reiche 
in Sarland zu Beſchützern fehte. Dann zog er nordwärts zum Deere 
und nahm feinen Wohnſitz auf einer Inſel, jet Odinsey auf Fünen. 
Dann fandte er Gefion nörblich über den Sund, um Land aufzufuchen. 
Sie kam zu Gylfi, der ihr ein Pflugland gab. Drauf z0g fie nad 
Ibdtunheim und hatte dort vier Söhne von einem Joten. Dieje brachte 
fie in Ochſenhäute (bra beim i yxna liki), fpannte fie vor den Pflug 
und 309 fo das Land, das ihr Gylfi gegeben, hinaus auf das Meer, 
wweftwärts gegen Odinsey; das heißt nun Seelanb und da wohnte fie 
fortan. Shiölbur, Odins Sohn, nahm fie zur Frau und fie wohnten 
in Hledra. Dort aber, wo das Land herausgerifien worden, blieb ein 
See zurüd, ber Lögur (ber Mälarfee) heißt und in diefem See liegen 
die Buchten gerade fo, wie in Seeland bie Landfpigen. (Dafür wird 


eine Strophe Bragis des Alten angeführt.) Als nun Din erfahren, 


daß öftlidh bei Gylfi fruchtbare Länder jeien, zog er dahin und machte 
wit Gylfi einen Bergleih. Denn Gylfi ſah ein, baß er eine Kraft 


hätte, den Aſen zu widerſtehen. Odin und Gylfi verfuchten einander - 


in Klünften der Täuſchung, die Aſen batten aber ftetö vie Oberhand. 
Odin nahm feinen Wohnſitz am Lögur, an der Stätte, die jebt alt 
Sigtun (forno Sigtuner) heißt. Er richtete dort ein großes Heiligthum 
und Dpfer ein (hof oc blot), nad der Aſen Gewohnheit. Die Lände: 
zeien, deren er fidh dort bemädhtigte, ließ er Sigtun nennen. Auch den 


SPrieftern des Heiligthums (Hofgodonom) gab er Wohnftätten: Nird 


wohnte in Roatun, Freyr zu Upfala, Heimball zu Himinbjörg, Thor 


zu Thrudvangr, Baldur zu Breidablik. Ihnen allen gab er gute 


Mohnfite. (Cap. 6.) Als der Ale Odin in die Nordlande kam und 
mit ihm bie Diar, begannen und übten fie, wie man wahrhaft bes 
richtet, mandherlei Künfte, welche bie Menjchen lange nachher geübt 
haben. Dvin war ber gepriefenfte von Allen und von ihm, als dem 
Kundigften, empfiengen fie alle diefe Künfte. Die Urfachen diefer großen 


— 





70 


Verehrung waren folgende: er war von fo ſchöner und anjehnlicher 
Geftalt, daß, wenn er bei feinen Freunden ſaß, Allen bas Herz lachte. 
War er aber in Heere, fo erſchien er feinen Feinden fehr furchtbar. 
Denn er Ionnie Ausfehen und Geftalt wechſeln, wie er wollte. Eine 
andre Urſache war die: er ſprach fo fertig und gut, daß Allen, die es 
anbörten, das allein das Wahre däuchte. Alles ſprach er in Berfen 
(hendingom), glei dem, was man jetzt Skaldſchaft (Skaldscapur) 
heißt. Er und feine Priefter heißen Liederſchmiede (liodasmider), denn 
biefe Kunſt kam durch fie in Norblanden auf. Odin wuſte auch zu 
bewirken, daß in der Schlacht feine Feinde blind wurden, ober taub, 
oder verzagt, und daß ihre Waffen nicht ſchärfer, ald Gerten, fehnitten. - 
Seine Kriegsleute fuhren ohne Harnifh und waren rafend, wie Hunde 
oder Wölfe, biffen in ihre Schilde und waren ſtärker ald Bären oder 
Gtiere; fie erfchlugen die Leute und weder Feuer noch Eilen vermochte 
etwas über fi. Das nennt man Berjerlergang (Berserks gangur). 
(Cap. 7.) Ddin wechſelte die Beftalt, dann lag fein Körper wie fchla: 
fend ober tobt, er aber war Vogel over Thier, Fiſch oder Schlange, 
und fuhr in einem Augenblid in ferne Lanve, in feinen oder Undrer 
Angelegenheiten. Er konnte auch mit bloßen Worten euer löfchen, 

das Meer ftilen und den Wind nad Gefallen drehen. Auf feinem 
Schiffe, Skidbladner genannt, fuhr er über große Meere und man 
fonnte das zuſammenwickeln, wie Tuch. Doin hatte Mimers Haupt 
bei fih, das ihm viele Neuigkeiten aus andern Weltgegenden fagte. 
Manchmal erwedte er todte Menſchen aus der Erbe und feßte ſich unter 
Grabhügel; daher warb er Draugabrottinn (Herr der Geſpenſter) oder 
Haugabrottinn (Herr der Hügel) genannt. Er hatte zwei Raben, die 
er an Menſchenrede getvöhnt hatte. Sie flogen weit durch die Länder 
und fagten ihm viel Neues; dadurch wurde er überaus kundig. Alle 
dieſe Künfte lehrte er durch Runen und Zanberlieder, wovon die Afen 
Zauberſchmiede (galdrasmider) genannt find. Din werftand die Kunſt, 
welcher die meifte Kraft beiwohnt und bie er felbft übte, fie heißt Seit. 

Durch fie wuſte er dad Schickſal der Menfchen und anbre zufünftige 
Dinge, aud vermochte er damit, Menichen zu töbten, Unglüd ober 
Krankheit über fie zu bringen, ihnen Berftand und Kraft zu nehmen 
‚und Anbern zu geben. Mit diefem Zauber wollten fich, feiner entſetz⸗ 
lichen Folgen wegen, die Männer nicht abgeben, und nur die Göttinnen 


. 71 


lernten ihn. Odin wuſte von allen Schäen, wo fie verborgen lagen, 
und er Tonnte Lieber, welche vor ihm Erbe, Berge, Felfen und Grab» 
Hügel auffchloffen. Mit bloßen Worten band er Die, welche darin 
wohnten, gieng ein und nahm, was er wollte. Durch ſolche Zauber⸗ 
Iräfte ward er ſehr berühmt, feine Feinde fürchteten ihn und feine 
Freunde vertrauten auf ihn. Syn den meiften feiner Künfte unterrichtete 
er die Dpferborfteher und fo mwurben fie ihm die Nächften in allem 
Kiffen und Zauber. Biele Andre lernten wieder von Diefen und bas 
durch wurde die Bauberei weit verbreitet und blieb lang im Gebraudhe. 
Die Leute opferten Ddin und den zwölf Häuptlingen, nannten fie ihre 
Götter und glaubten lange Zeit an fie u. ſ. w. (Gap. 8.) Odin gab 
feinem Lande die Gefeke, welche zuvor bei den Aſen beftanden hatten. 
.Er feste feſt, daß alle Todten follten verbrannt und ihr Eigenthum 
mit ihnen auf den Scheiterhaufen. gelegt werden. Denn er fagte, jeder . 
würde mit foviel Habe nach Valhall (til Valhallar) kommen, als er 

auf dem Scheiterhaufen gehabt hätte; auch follte er befien genießen, 
mas er ſelbſt in die Erde gegraben. Die Aſche folle man in bie See 
tragen oder in bie Erde graben, und über angejebenen Männern Grab⸗ 
bügel zur Erinnerung aufwerfen, auch Allen, die eine männliche That 
verübt, Bautafteine errichten. Diefer Gebrauch wurde lange nachher 
beibehalten. Hierauf folgt die Anorbnung dreier Jahresopfer, dann 
(Cap. 11) Ddins Bermählung mit Stade, welde vorher Nidrbs Frau 
war und mit ber Dbin, nebft andern Söhnen, den Sämingur zeugte, 
den Stammvater norivegifcher Häuptlinge. Bon Odins Tode wird erzählt 
(Cap. 10): Din ftarb an Krankheit (vard sott daudur) in Schweden. 
Als er dem Tode nahe war, ließ er fih mit Speereöfpige zeichnen und 
eignete ſich alle waffentobte Männer zu; gr fagte, daß er nach Godheim 
fahren und bort feine Freunde wohl empfangen werde. Nun dachten die 
Schweden, ex wäre in das alte Asgard gelommen und lebe bort etwiglich. 
Da begann man von Reuem Odin zu Gerehren und anzurufen. Auch 
glaubten die Schweden, daß er fich zeige, wenn große Kriege beborftehen. 
Da gab er den Einen Sieg, die Andern lud er zu fich, und beides hielt 
‚mon für ein gutes 2008. ODdins Leichnam mwurbe fehr. ehrenvoll vers 
brannt. Sie hatten den Glauben, daß je höher der Rauch in die Luft 
aufitiege, um jo herrlicher ber, dem das Brennen gelte, fih im Himmel 
befinde, und um fo reicher, je mehr Habe mit ihm verbrannt würde. 


[4 


. Dieß die Gefchichte von Odins irdiſchem Reiche; auf ähnliche Weiſe 
wird dann noch von feinen Rachfolgern Njörd und Freyr erzählt, unter 
denen die Schweben Prieben und gute Sabre hatten und melde fie 
darum für die Geber dieſes Segens hielten; auch wie Freyr das große 
Opferhaus zu Upfala erbaut und ausgeftattet, auch dahin feinen Hauptfig 
verlegt, und wie von ihm, der mit einem andren Namen Yngwi hieß, 
die Ynglinger flammen, aus welchem Geſchlecht in der Folge der Zeit 
die norwegifchen Könige hervorgiengen. Endlich von Freya, die alle 
andre Götter überlebte, von ihrem Mann Dbur und ihren Töchtern 
Hnoſs und Gerfemi; auch wie Freyr nach feinem Tode als dehres 
und Friedensgott verehrt wurde. 

Der Inhalt dieſer dreizehn erſten Capitel der Inglinga⸗Saga, nebft 
einigen kürzern Stellen der däniſchen Gefchichte des Saro Grammaticus 
(aus der zweiten Hälfte des 12ten Jahrhunderts), worin Odin und die 
übrigen Aſen gleichfalls für Zauberer gelten, die fih den Götternamen 
angemaßt und ihren Sig bald in Byzanz (Asgard), bald in Upfala 
haben 1, machen die Grundlage zu der hiſtoriſchen Anficht der nordiſchen 
Mythen, die fich bei vielen Gelehrten feſtgeſetzt hat. 

Insbeſondre hat ber bänifche Gefchichtfehreiber Suhm biefer An- 
ſicht auf langehin neuen Anhalt gegeben. In feinem Buche: Om Odin 
og den hedniske Gudeleere og Gudstieneste udi Norden, Kopenhagen 
1771, 4, ift ein eigenes, ausführliches Capitel der Betrachtung Odins 
als Menfchen gewidmet (S. 69 ff). Er nimmt, nad dem Borgange 
des norwegiſchen Geſchichtforſchers Schöning, drei hiftorifche Odine an, 
welche nach einanber zu beftimmien Zeiten vor ober nach Chrifti Geburt 
als Religionsftifter oder Neformatoren in ven Norden eingeiwanbert. 
Denn da mit den in der Hauptfache für biftorifch angenommenen Bes 
richten Snorros und Saros. die Gefchlechtäregifter ver angeljächfifchen 
Könige, melde gleichfalls zu Odin auffteigen, und fo mande andre 
Geſchichtsdaten in Einklang gebracht werden muften, fo konnte man 
qhronologiſch mit Einem Dbin nicht ausreichen. 

Dieſe Annahme mehrerer ganz oder zum Theil gefchichtlicher Odine 
iſt denn auch den Gelehrten ſehr geläufig geworden. So jagt z. B. 
Friedrich Schlegel in feinen Borlefungen über die Gefchichte der alten und 


1B. J1, S. 18 6815. 8. 11,©.64f. 8. VI, ©. 166. 


73 


neuen Litteratur (gehalten 1812, in feinen ſanmtlichen Werlen Band I, 
Bien 1822, ©. 47): 

Wir müflen uns ben Odin denken als ein Fürften, Eroberer, Helden, 
der zugleich Dichter war, und als folder durch meiffagenbe Gelänge in ber 
@öttericehre manches veränderte und erneuerte, entweder allein oder zugleich mit 
andern zu demjelben Zwede mitwirlenden Prieftern, Sehern und Dichtern, und 
der als Stifter, zwar nicht einer neuen G@ötterlehre, aber doch einer neuen 


Epoche derjeiben, als Held und Seher, dem aud große Zauberkraft und Kunſt 


beigelegt ward, nachgehends jelbft vergöttert worden ift. 

Sodann (ebenvajelbft S. 249): Ä 

Den manigfaltigen Angaben und zum Theil verworrenen Sagen und 
Ah wiberftreitenden Meinungen von dem jüngern, unzweifelhaft Biftorifchen 
Odin ließe fi) wohl noch mit der meiften Wahrjcheinlichleit die Bermuthung 
unterlegen, daß bderfelbe. von den Gothen, deren Wohnſitze fih bis in die 
Grenzen von Afien erfiredten (aus Afien felbft wäre die Einwanderung des 
ältern Odin gefchehen), ausgegangen ſei; vielleicht zu der Zeit, als auch das 
Chriſtenthum ſchon Anhänger bei ihnen zu finden begann, womit doch wohl 
nicht alle zufrieden fein mochten, fo wenig als mit dem fleten Hindrängen in 
das römiſche Land und Leben, wodurch die väterliche Sitte nothwendig ver⸗ 
drängt werben muſte; daß mithin Odin, als Held und Fuürſt, als Sänger, 
Scher und Prieſter, Anhänger und Erneuerer der alten Götterfage und nordi- 
Then Myſterien, zuräd nach dem innern Norten und Germanien gezogeit fei, 


dort in Altjachien ein Weich geftiftet, endlich aber. in Schweden feine delben- 


laufbahn befhloflen habe. 

Ein Anhänger der mehreren Odine, Thore u. f. w. und ein er 
Härter Bertreter der hiſtoriſchen Anficht ift unter den Neueren vor 
züglig Münter in der angeführten Gefchichte des Chriſtenthums in 
Dänemart und Norwegen (Leipzig 1823. Auch Kirchengeichichte von 
Dänemart und Norivegen, Th. DD. Man findet in dieſem Werte, 
deſſen fonftige Verdienſte ich nicht zu ſchmälern gemeint bin, unter ber 
Aufſchrift „Charakteriſtik Odins“ eine ausführliche Porträtfchilderung 
des Lehten der Odine (S. 72 ff), deren Ergebnis nah den Worten 
des Berfaflers nichts andrea ift, als „das Bild eines feigen und liftigen 


Gauklers.“ Beionders wird (unter Beziehung auf eine Schrift von 


Abrahamſon: Thor und Din, Skandinav. Muf. 1802. Heft II) dem 
verſchmitzten Odin ber rebliche Charakter des wadern Thor gegenüber 
geftelt. Da heißt es u. A. (©. 79): 


% 


714 


Odins Charalter erſcheint im ungünftigen Lichte, wenn der Gharalter ' 
Thors mit den ſchönſten Yarben gemalt wird, Er hilft zwar allen in der Noth, 
aber ungerufen und bloß am fi) geltend zu machen. Gaufelei und leerer 
Schimmer begleiten ihn überall. Thor hingegen fieht allein aufs Nügliche, 
und hilft nur, wo er um Hülfe angerufen wird; dann aber auch edelmüthig 
und ohne Vergeltung zu begehren. 

Es verſteht ſich, daß der Verfaſſer hiemit nur die Anſichten der 
alten Skandinavier ausſprechen will, aber unvermerkt geräth er in eine 
wahrhaft biographiiche Darftellung. 

In diefe hiſtoriſche Sicherheit kam ein bedeutender Bruch, als 
P. E. Müller ſich der nordiſchen Sagengeſchichte bemächtigte. Von 
ſeinen Verdienſten um dieſe wird mehrfach zu ſprechen Gelegenheit 
fein. Hier zunächſt kommt und folgende Schrift in Betracht: Critisk 
Undersögelse af Danmarks og Norges Sagnhistorie eller om tro- 
veerdigheden af Saxos og Snorros Kilder. (Beſonders abgedrudt aus 
den Schriften der 8. däniſchen wiſſenſchaftlichen Geſellſchaft.) Kopen⸗ 
hagen 1823. 4. 

Müller geht allerdings auch vom geſchichtlichen Standpunkt aus, 
aber feine unbefangene und kenntnisreiche Kritik führt ihn zu dem, nach 
meiner Anficht, gefundeiten Urtheil über die ausgehobenen Gapitel der 
- Ynglingafaga, Es befteht wefentlih in Folgendem (S. 185 ff.): 

Was bier [in den dreizehn eriten Capiteln der Inglingafaga] von 
den Afen gejagt wird, können wir auf drei Claſſen zurüdführen: 1) Nach: 
richten, welche zugleich in. den Eben gefunden werben [Müller weiſt dieſe 
im Einzelnen nad]; 2) Nachrichten, die in den Edben übergangen find: 
von Odins Reife, Mimerd Haupt, Odins Heirat mit Skadi; 3) Be- 
merlungen, wodurch dieſe Nachrichten an Beit und Ort gebunden und da⸗ 
durch an die Geſchichte geknüpft find, daß Odin zuerft Öftlih vom Tanais 
wohnte, daß er aus Furcht vor den Römern nad dem. Norden zog. 
| Was die erfte Claſſe diefer Nachrichten betrifft, fo können wir über 
ihre Quellen over ihre biftorifche Bedeutung nicht ungewiſs fein; denn 
was wir bier ala Gefchichte lefen, finden wir in den Edden als Dichter: 
mythe!. Da nun bie alten Dichter, deren Bere wir übrig haben, 
gröftentheils vor Snorro lebten; dba die mythiſche Einkleidung dieſer 


1 Das Meifte hat uns auch fhon an bekannte Mythen erinnern Fönnen, 
Andres wird die Heldenjage deutlicher hervorftellen 3. ®. die BVerſerker. 


| 75 





Ereigniffe das unverkennbare Gepräge höheren Alters trägt, als bie 
biftorifche, umd es unzweifelhaft ift, daß die Afen im alten Norben als 
Götter verehrt wurden, fo müſſen wir bie Anfchauungsmeile der Edden 
vom Weſen der Afen für die urſprüngliche, Snorros für die abgeleitete 
annehmen. Durch die grünblichften Unterfuchungen ift hinreichend bes 
twiefen, daß die Ajen, gleichiwie die Götter der meiften andern Völker⸗ 
ftämme, ihrem Urfprung nach nicht ala hiſtoriſche Perjonen, fondern 
als perfonificierte Naturgötter, deren meifte Thaten nur fymbolifche 
Bebeutung haben, zu betrachten find. Diefe Betrachtungsweiſe, eine 
Folge der Forfhungen fpäterer Zeiten, konnte nicht diejenige Snorros 
fein. Er mufte (nach den Begriffen feiner Zeit) die alten Götter ent- 
weber für Teufel oder für Menfchen anjehen. Für böfe Geifter konnte 
er fie nicht anfeben wollen, da er als isländiſcher Dichter fie fo oft in 
feinen Berfen aufführte und von diefen Stammvätern das Geſchlechts⸗ 
zegifter ber norbifhen Könige ſowohl, als fein eigenes, herleitete. Be 
tradhtete er fie dagegen als Menfchen, fo erhielt feine Gefchichte ber 
norwegiſchen Könige die erwünfchtefte Vollftändigkeit; fie fonnte beginnen 
mit den älteften Stammpätern, von denen man gehört hatte, und mit 
ber Stiftung ber Verfaffung und Religion in den norbiihen Staaten. 
Bon dieſer hiſtoriſchen Auslegung der Mythen aber war es wieder eine 
Folge, dab Snorro Hier nicht Zeugnisftellen von Skalden anführen 
fonnte, die durchaus nicht auf diefe Weife ihrer Götter gedacht hatten; 
weshalb gerade in den 13 erften Capiteln, welche lauter Dichtermythen 
umfaffen, nur zwei Verfe vortommen (wovon der eine bie Fabel von 
der Entjtehung Seelands Betrifft, welche Snorro aus poetifcher Incon⸗ 
fequenz unter das Übrige, das hiſtoriſch ausſehen follte, gebracht 
hatte u. |. w.). Gewiſs hätte er mehrere Sfalvenverfe angeführt, wenn 
er in ihnen ausdrückliche Bekräftigung feiner Meinungen von der Aſen 
Niederlaſſung in den nordifchen Reichen gefunden hätte. Da alfo dieſe 
Nachrichten von des Nordens älteften Königen nur unrichtige Erklärungen 
norbifcher Mythen find, können fie nicht Quellen für die alte norbifche 
Gedichte fein, fondern lediglich Beiträge für die Behandlung ber 
nordifhen Mythologie. Gilt diefes von den Nachrichten über die Aſen, 
deren Quellen wir Tennen, fo haben wir Grund, dasſelbe hinfichtlich der 
wenigen andern Nachrichten anzunehmen, die ein ähnliches mythifches Ge 
präge haben, deren Quellen wir aber nicht mehr nachweifen können u. ſ. w. 





76 


Mas fodann bie Nachrichten über die Gegend, woher Dbin nut 
feinem Gefolge in den Norden einwanderte, und die Zeit, da Diefes 
geſchah, anbelangt, fo tragen fie fein mythiſches Gepräge und find von 
- dem Gefchichtfchreiber für völlig zuverläſſige Züge der älteften Geſchichte 
Standinaviens angejeben worden. Inzwiſchen fann Snorros Zeugnis 
über das, was ſich ungefähr 1300 Jahre vor feiner eigenen Lebenszeit 
zugetragen, an und für ſich ſelbſt feinen Werth haben. Er kann auch 
feinerlei beftimmte Außerung hierüber bei irgend einem alten Stalden 
gefunden haben; denn der Mann, der im Folgenden fich fo beflifien 
zeigt, Alles, was zweifelhaft jein konnte, mit Zeugniffen der Skalden 
zu belegen, würbe dieſes bei den wichtigften Stüden ver älteften Ge: 
Schichte nicht verfäumt haben. Wir find fogar befugt, anzunehmen, 
daß nach dem, mie wir die Befchaffenheit ver alten Sagen im Allges 
meinen und ber norbifchen im Befondern Innen, die Stalbengefänge, 
Welche zu Snorros Zeit noch im Gedächtnis des Volles waren, nicht 
einmal folche beftimmte hiſtoriſche Nachrichten enthalten Tonnten. Alle 
Sagengeſchichte lehrt uns nemlih, daß, wenn das Andenken an einen 
Kriegszug oder eine Wanderung fih durch eine lange Neihe von Ge 
ſchlechtern fortpflanzen foll, Diefes nicht in der Form eines kurzen 
biftorifchen. Berichtes gefchehen, fonbern fi an Begebenheiten knüpfen 
muß, die einen dauernden Eindrud hinterlafien. Sollten alſo zu Snorros 


Zeit alte Erinnerungen an die Reife der Afen vom Tanaid und beren 


- Beranlafjung vorhanden geweſen fein, jo bürften auch Mythen von ihren 
Kriegen mit den Römern und den Abenteuern der Reife nicht gefehlt 
haben. Wir können mit Sicherheit behaupten, baß weder zu Snorros 
Zeit, noch überhaupt. feit der Einführung des Chriftentbums folche 
Sagen in Umlauf waren, denn wir haben allzu viele Bruchftüde von 
Skaldenliedern aus dem 9, 10 und 11 Jahrhundert, um nicht von den 
Edden zu reden, übrig, als daß wir nicht in ſolchen eine Spur fo 
merfwürbiger Mythen gefunden haben follten. Die Gründe, aus welchen 
verſchiedene neuere Schriftfteller mit Fug bie orientaliiche Herkunft der 
Skandinavier behaupten, find aus der Vergleichung der Eprachen und 
der religidfen Meinungen geichöpft, melde Snorro nicht im Stande 
war anzuftellen. Es ſcheint baher nichts Andres übrig zu bleiben, ala 
daß wir annehmen, Snorro ſei durch den Geſichtspunkt, von welchem 
er bie alten Sagen betrachtet, auf diefe Augerungen gebracht worden, 


* 77 


und daß es nicht etwas war, was er von Andern gehört hatte, ſondern 
was er ſelbſt durch ſeine Forſchung herausgefunden zu haben glaubte. 
Wir können ſogar mit Wahrſcheinlichkeit angeben, was ibn in feiner 
Forſchung geleitet haben kann. Jornandes ſowohl ald Paulus Diaconus 
find ihn wahrfcheinlicher Weiſe belannt geweſen. Diefe beide Schrift. 
ſteller ſchicken geographiſche Bemerkungen voraus und beginnen darauf 
bie Gejchichte des Volkes, die fie beichreiben wollen, mit ber Erzählung 
feiner älteften Wanderungen. So macht ed auch Snorro. Aber jene 
Schriftſteller, die in den von nörblichen Volksſtämmen geftifteten Reichen 
lebten, Tonnten es dabei beruhen laſſen, daß fie die Stammväter vom 
Norden Iommen ließen. Snorro, der im Norben felbft lebte, mujte 
ein andre Vaterland für dieſes Stammvolk ſuchen. Zwar Tonnte bie 
» Neigung der Schriftfteller bes Mittelalters, die Herkunft. der Völker zu 
verherrlichen, indem man_fie von den Trojanern ober andern berühmten 
Nationen bed Alteribums berleitete, eine Neigung, die fi) auch zu ba 
Söländern verbreitet hat, nicht wohl dem Geſchmacke bes befonnenen 
Geſchichtſchreibers zufagen, aber fchon die Namen Aſen und Asgard 
muſten ihn darauf führen, an Afien als. ihr Baterland zu denken. 
Nun fchreibt Jornandes Cap. 5, daß ber Tanais, ber von ben riphäi⸗ 
chen Bergen, dem Ende ber belannten Welt, nieberfulle, die berühmte - 
Grenze zwiſchen Europa und Afien jet; in bem 1ften Sapitel ber Heims⸗ 
Eringla aber bemerkt Snorro nicht allein, daß der Tanaid den einen 
Drittbeil der Welt von dem andern trenne, fonbern außervem, daß 
Diefer Fluß von Bergen fomme, welche außerhalb ber bewohnten Länder 
liegen. Er fügt noch meiter hinzu, daß der Fluß mit Recht Tanais 
Heiße. Diefes mufte auf eine Beſchaffenheit des Fluſſes zielen, welche 
Den Namen rechtfertigte. Welche Beichaffenbeit es war, Tann ung nicht 
zieifelhaft fein; denn es wird beigefügt, er habe vorbem Tanagviel over 
Banagpisl geheiben; aber ber eine biefer Namen kommt eben jo wenig, 
als der andre, bei ixgend einem alten Schriftfteller vor. Das Ganze trägt 
Dagegen das Gepräge etymologiſcher Conjectur. Tanais konnte leicht zu 
Tanagvisl werden, Zanagvisl aber fchien ungefähr basfelbe wie Vana⸗ 
quisl zu fein; und da biefed Wort den Fluß der Banen begeichnen Tonnte !; 
1 Bidrn Haldorſens Lex. isl. II, 1845: Quisl, ramus arboris, fluminis 


m. f w; derum muß denn au Banaheim zwiſchen den Rn des Stromes, 
i Vanaquislom, dat. plur., legen. 





78 


fo war damit zugleich der Name des Flufies erflärt und die Stelle be 
flimmt, wo die Vanen wohnten und von deren Nachbarſchaft bie aſiati⸗ 
hen Männer ausgezogen waren, melde Odin anführte!. Die andre 
Äußerung Snorroß, daß Dbin durch die Eroberung der Römer auszu⸗ 
wandern veranlaßt morben fei, erläutert Müller ſodann noch aus theolo: - 
gifchen und genealogiſchen Combinationen dieſes Gefchichtfchreibers. 

Diefen mir in der Hauptfahe ganz einleuchtenden Ausführungen 
Müllers habe ich nur Folgendes beizufügen. Es handelt ſich hier nicht 
von der allgemeinen Frage über die Herkunft der germanischen Böller 
aus dem Dften und über die Bertvandtichaft der norbifchen Götterlehre 
mit den Mythologieen ber aftatifchen Volksſtämme, fonbern davon, ob 
in den mythiſchen Sagen des Nordens fich beftimmte Hinmweifungen auf 
biftorifche Perfonen und Ereigniffe, namentlih auf die Einwanderung 
einer aftatifchen Prieftercolonie und ihrer Lehre ermitteln lafſen. Nun 
kann aber foviel mit ziemlicher Sicherheit behauptet werben, daß Alles, 
was zum Behuf einer foldhen Annahme von den Darftellungen Saxos 
und Snorros an bis zu den gelehrten Ausführungen ber neueren 
Schriftiteller vorgebracht worden, gänzlich ungelchrieben iväre, wenn 
nicht in den norbifhen Mythen felbit die Götter Aſen genannt wären, 
und ihr Wohnfitz Asgard, die Burg ber Aſen. Allein eben das, daß 
diefer Anklang, ber zu fo weit greifenden Folgerungen geführt bat, auch 
wirklich auf etymologifcher Identität beruhe, daß die Afen (ds, BI. 
eesir) ſprachbegründet Afiaten (jolche nennt Hervar. ©. ©. 411, Asla- 
menn) feien, unterliegt erheblichen Zweifeln. Jornandes Histor. Goth. 
©. 86 f. fagt von den Gothen: 

Proceres suos, quorum fortuna vincebant, non puros homines, sed 
semideos, id est Anses vocavere. 

Diejed gotbifche ans nun fällt, wie in. der Bedeutung (numen, 
deus), fo auch fprachlih zufammen mit dem norbifchen As, wie 
Grimm (Grammatik I, 286) gezeigt bat. (Wie dieſes As, wsir, fo 
würde jene® ans, anzeis, althd. ans, enſi lauten) Grimm bringt 
mehrere analoge Fälle bei, wo das gothifhe und althochdeutſche an 
dem altnorbifchen & entfpriht (Gramm. II, 429: Gotbifh ans 

1 Einzufchieben wäre Hier noch, daß Snorros großes Schweben (Svibiod 
hin mikla) nichts anders ift, als das alte Scythia magne, wie auch Geijer 
326 näher nachgewieſen hat. 


79 
(trabe) masc. altn. As maec. trabs, &st (amor, gotb. anste), bäs 
(stabulum, goth. banst), gäs (anser, althd. fans) u. f. w.- Won dem 
althd. ans ftammen manche Eigennamen: Anje:gis, Ans-helm u. f. w. 
und in folden bleibt zuweilen auch das n hinweg: As⸗ulf, Aspirin, 
As:perin, fem. (Gramm. II, 447). Durch dieſen etymologiſch be⸗ 
gründeten Zufammenhang find wir auf einmal weit non den Afiaten 
entrüdt, die Afen find uns einfach Götter, unb wenn mir fie wieder 
an Alten anlnüpfen wollten, jo mülte zuvor erft Iprachlich nachgetviefen 
fein, daß das proſodiſch kurze as in Afia mit dem gothifchen ans und 
dem norbifchen gedehnten As zufammenfallen könne. Nicht befier ſteht 
es mit dem ebbifchen Idafelde, welches man gleichfalls zum phrugifchen 
Idaberge zu verfegen, Teinen Anftand genommen hat. Idavöllr ift in 
den Edden der Platz, wo die Aſen im Golvalter fich verſammelten unb 
wo fie auch nach dem Weltbrande fich wieder finden werden (Lex. myth. 
1% f.). Nah Biden Halborfens Lex. isl. S. 426 heißt aber Idevöllr, 
m. nichts anbres, als: viretum, ein grüner Plat (ebd. idier v. ifier, 
f. pl. viror prati, Wiefengrün, idie-greenn , viridis, floridus). Mehrere 
andre norbifch setyumologifche Ableitungen gibt Finn Magnufen a. a. D. 


Das menſchliche Dafein Odins und der übrigen Aſen, als biftorifher 


Verfonen, fällt und nach allem bisherigen gänzlich hinweg und bie 
afintifche Abſtammung der norbifchen Bötterlehre Tönnen wir wenigſtens 
nicht auf dem angegebenen Wege für erwieſen oder erweisbar halten. 
Es ſchien nöthig, von biefen nad unfrer Anficht verfehlten Be- 
firebungen ausführlicher zu fprechen, weil ihre täuſchenden Ergebnifle 
fih in der Litteratur der norbifchen Alterihumskunde fo fehr ausgebreitet 
und fo feft eingewurzelt haben, daß man auch da, wo bie Irrthümer, 
von denen früher ausgegangen wurde, erlannt find, doch noch ihre un⸗ 
vertilgbare Spur finden Tann. . 
Dieß Icheint mir ſelbſt in Geijers fonft fo gehaltreichen Unter: 
fuhungen der Fall zu fein. Er bekennt fi in der Hauptſache zu 
Müllers Anfiht, wonach die Erzählung der Anglingafaga nicht für 
ein biftorifches Zeugnis gelten Tann (S. 327), und am Ende bat doch 
auch er einen durch bie mithribatifchen Kriege veranlaßten Zug Odins 
im Jahrhundert vor Chriftus (S. 377. 365). Die Ausführung aber, 
die ihn dahin leitet, gebt von ber Behauptung aus (6. 328), betrachte 
man die Angaben der Ynglingaſaga an und für fi, fo müffe man 


' 





80 


zugeben, daß ſie bloß vollgültige Zeugen von der Vorſtellungsart ihres 
Verfafſers ſeien und durchaus nicht für die Sache ſelbſt zeugen können, 
fofern diefe ‚nicht auf andre Art Tönne betviefen werben; jollte jedoch 
ein ſolcher Beweis gegeben werben Tönnen, jo wäre es in ber That viel 
ſonderbarer, wenn ein bloßer glüdlicher Zufall dieſe Übereinftimmung 
zwifchen dem wahren Berhältnifie und ven isländiſchen Erzählungen 
bewerfjtelligt hätte, ald anzunehmen, daß in diefen eine wirkliche, wenn 
auch dunkle und misverſtandene Erinnerung von der Begebenheit ſich 
erhalten habe. 

Gegen biefe Borausfekung iſt einzuwenden, daß, wenn man ſich 
einmal von der Zuſammenſetzung des Berichtes der Ynglingaſaga aus 
menſchlich umgewandelten Göttermythen einerſeits und willkührlichen 
gelehrten Combinationen anderſeits überzeugt hat, dieſer Bericht auch 
durch keinen anderartigen Beweis haltbar werden könne. Der andre 
Beweis bliebe doch immer ein neuer, für ſich beſtehender, der von jener 
in ſich unhaltbaren Erzählung weder Beſtätigung erhalten, noch ſie be⸗ 
ſtätigen könnte. Über die neue Beweisführung Geijers ſoll nun zwar 
hier nicht abgeurtheilt werden, da wir ſie doch nicht füglich in ihrem 
ganzen Gange verfolgen können. Aber jedenfalls beweiſt fie nur Völker⸗ 
züge, bie biftorifche Vorftellung von Odin und den übrigen Aſen aber, 
als Briefterlönigen und Religiongitiftern oder Religionsneuerern, ift auch 
bier als gültig vorausgejegt und verdankt doch ihren Urſprung wieder 
nur der Anglingafaga und ben ähnlichen Anfichten Saros. 

Das echte Weſen Odins und ber Aſen kann nur aus ben unge 
trübten Mythen felbft entnommen werben und bier find fie Perſonifi⸗ 
fationen phyſiſcher und geiftiger Kräfte. So wenig ala Dbin ein ein: 
äugiger Menſch war, fo wenig was er ein Menjch überhaupt; er ift 
menfchlich zu nehmen in keinem andern Sinne, als fofern ex eine Idee, 
ein Erzeugnis des menjchlichen Geiftes und eine porengierte menſchliche 
Geiſteskraft iſt. 

Das Ganze der nordiſchen Götterlehre bildet einen Gedanlenkreis 
“und in dieſem ſelbſt, von innen heraus müſſen die nationalen und ge 
ſchichtlichen Einflüffe erlannt werden, denen man wirklich Glauben bei» 
meſſen fol. 

Ein Andres, als jene biftorische Verlörperung bes Mythus, iſt die 
Bildungsgeſchichte des mythiſchen Ideenkreiſes. Selbſt die hiſtoriſchen 


‚81 . 


Dvine haben ihre Bebentung nur als Urheber und Vertreter verfchiebener 
Entwidlungen der Blaubenslehre. 

Die norbifhe Mythologie macht nun allerbings ein fo durchge⸗ 
arbeitete3, umfang: und geftaltenreiches Ganzes aus, daß mir nur eine 
- allmäbhliche, ftufenmeife Ausbildung zu dieſem vollen Ganzen annehmen 
fönnen. Es ergeben ſich fomit für bie innere Bildungsgefchichte zwei 
Hauptfragen, die über den Urfprung und die über bie ſtufenweiſe Ent 
widlung diefer Mythologie. | 

Die Frage Über den Urfprung geht hauptfächli darauf hinaus, 
ob fie alö ein Ableger der uralten afiatifchen Religionsſyſteme anzu⸗ 
feben fei, welcher mit der Bevölkerung des Nordens von Dften ber 
zugleich dahin verpflanzt worden. 

Es Tann in einer Sagengefchichte, wie wir fie unternommen haben, 
am Wenigften davon die Rede fein, ben mweltgefchichtlichen Zuſammen⸗ 
bang zwiſchen den Mythenkreiſen der verſchiedenen Völkerſtämme ver» 
läugnen zu wollen, und es find auch wirklich fehon bedeutende Überein⸗ 
ftimmungen der nordischen Mythen mit den aftatifchen dargethan worden. 
Finn Magnufen bat befonders in feiner Eddalehre hierüber vieles Ein- 
zelne beigebracht, und mehr im Großen zeigt ſich die Verwandtſchaft in 
der Reihenfolge der Religionzfufteme, welche ˖ Görres in feiner Mythen: 
gefchichte der afiatifchen Welt aufgeführt und mit einem Umriß der 
nordiſchen Glaubenslehre befchloffen hat. Aber auch das tft nicht zu 
miölennen, baß bie norbifche Mythologie in fich felbftändig daſteht und 
daß es zu ihrem Verſtändnis Teines Suchens nad außen bedarf; und. 
dieß ift auch ber Grund, warum ich das Auffteigen zu den Religionen 
bes Drients und bie ganze Vergleihung nad außen nicht zum Bereich 
unſrer fonft ſchon ſehr umfangreichen Aufgabe rechne, wogegen wir in 
einem fpätern Falle, wo das Germanifche nicht aus ſich felbit genügend 
erflärt werben Tann, allerbings zum Ausblid i in die orientalifche Mythen: 
welt gendthigt fein werben. 

Bei jener Bolftänbigteit in fi hat aber auch die ſtandinaviſche 
Mythologie ein klimatiſches und nationales Gepräge, woburd fie fo 
alt und tief bei den nörblichen Völkern gewurzelt erfcheint, daß mir 
auch von diefer Seite nicht mehr im Stande find, das Erbtheil, das 
fie von der Wiege der Voölker mitgebracht, von der Ausbildung, bie fie 
im Norden felbft erlangt hat, zu unterfcheiden. Die Eiswelt Niflheim, 

Utland, Säriften. VII. 6 


82 


die einheimifchen Bilder des Ungeheuren, Wölfe, Erdſchlange, Rieſen⸗ 
abler und fo manches Andre, was wir beiläufig berührt haben, ver 
fett uns in die eigentbümliche Natur ber Norbwelt. Geijer bemerlt 
zwar (S. 333), es ſei nicht vecht begreiflich, wie in der Götterlehre ber, 
Nordbewohner die böfe Bebeutung des Nordens überhaupt die vor: 
herrſchende fein könnte, wenn bie Lehre felbft zuerft in den Umgebungen 
einer norbifchen Natur entitanden wäre. Allein hierauf wird ſich leicht 
entgegnen laſſen, daß auch im höchſten Norden doch wieder eine Nord- 
und eine Sübfeite fei, eine Sommer: und eine Winterhalde, ja daß 
gerade bier Sommer und Winter fih im ſchroffſten Wechſel gegenüber: 
ſtehen. Aber auch abgefehen von jenen Bildern bes ſchärfſten norbifchen 
Gepräges, auf die etwa darum weniger Gewicht gelegt werben möchte, 
weil der odinifche Glaube auch unter den beutfchen Völkern außerhalb 
Skandinaviens verbreitet war, weht durch dieſen Odinsglauben jener _ 
gewaltige Geift der Kühnheit und des Kampfes, der den germaniichen 
- Stämmen in fo beſondrem Maße eigenthümlich war. 

- Was fodann, nächft der Frage über den Urfprung, die ftufentveife 
Entwidlung des nordischen Mythenkreiſes betrifft, fo glaubte ich ſchon 
in ber früheren Darftelung den Gang dieſer Entmwidlung hauptſächlich 
darin nachweifen zu Fönnen, daß ſich auch die urjprünglich phyfiſchen 
Kräfte mehr und mehr in ben Bereich bes geiftigen Lebens fteigern, bie 
Banen in die Gemüthswelt, die Joten in das fittlih Böfe Weniger 
habe ich mich bis jet mit berjenigen Vorſtellungsweiſe befreunden 
fönnen, nach welcher je ein Beftanbtheil des jekigen Mythenganzen 
ſich in fchichtenartigen Anſätzen über den andern geichoben hat. Diele 
Anficht fteht im Zufammenhange mit ber von den mehreren Obinen 
oder Prieſtercolonieen; jede derjelben fol ein neues religiöſes Element 
binzugebracht und über bie früheren geltend gemacht haben. So rechnet 
Münter zu der Religion vor den Zeiten bes leiten Odins inäbefonbere 
den Naturdienft des riefenbaften Utgarbloli, bes gefürchteten Wolfes 
Fenrir, der Midgardsſchlange u. ſ. w. (& 35). Gelier läßt nad ein» 
ander dreierlei mythiſche Gefchlechter zus Herrſchaft Iommen, worunter, 
wenn ich ihn richtig aufgefaßt habe, das erfte die Soten find, das 
weite in Thor, dem Belämpfer ber Soten, und das britte in Odin 
vertreten ift. Er beruft fih dafür auf eine Stelle des Saro, ber bei 
Anlaß einer Riefengeichichte folgende Meinung äußert (B. I, ©. 9): 


. 
— — — — — 


Nosse opers pretium est, triplex quondam Mathematicorum genus 
inanditi generis miracula discretis exercuisse prestigiis. Horum primi 
fuere monstruosi generis viri, quos Gigantes antiquitas nominavit, hu- 
mane magnitudinis habitum eximia corporum granditate vincentes. Se- 
cundi post hos, primam physiculandi solertiam obtinentes, artem possedere 
Pythonicam. Qui quantum superioribus habitu cessere corpgreo, tantum- 
vivaci mentis ingenio prestiterunt. Hos inter gigantesque de rerum 
summa bellis certabatur assiduis, quoad Magi victores giganteum armis 
genus subigerent, sibique non solum’regnandi jus, verum etiam divini- 
tatis opinionem consciscerent. Horum utrique, per summam ludificandorum 
oculorum peritiam, proprios alienosque vultus variis rerum imaginibus ad- 
umbrare callebant, illicibusque formis veros obscurare conspectus. Tertii 
vero generis homines, ex alterna superiorum copula pullulantes, auctorum 
suorum natur® nec corporum magnitudine, nec artium exercitio respon- 
debant. His tamen apud delusas prestigiis mentes divinitatis accessit 
opinio. Nec mirandum, si prodigialibus eorum portentis adducta bar- 
baries in adulterin® religionis cultum concesserit; cum Latinorum quo- 
que prudentiam pellexerit talium quorundam divinis honoribus celebrata 
mortalitas. Heec ideirco tetigerim, ne, cum prestigia portentave per- 
scripeero, lectoris incredula refragetur opinio. 


Auf diefe Stelle irgend eine mythiſche Periodenabtheilung zu gründen, 
halte ich für fehr bedenklich. Saxo zeigt bier offenbar eine ſehr getrübte 
Einfiht in das Innere der ſtandinaviſchen Mythologie und es ift ihm 
vielmehr darum zu thun, fi vor der Anerkennung ber heidniſchen 
Böttertvefen zu verwahren und fie, wie Snorro, in der Eigenichaft von 
BZauberern und Betrügern in fein Geſchichtbuch aufnehmen zu können. 

Auch nach Vollsſtämmen theilt Geijer die Beſtandtheile bed nor 
diſchen Mythenkreiſes ab, fo daß die Soten ben finnifchen Ureinwohnern 
Skandinaviens und ihrem Glauben entiprechen, die Vanen den wendi⸗ 
ſchen Völlern an ber Oſtſee (S. 337, 7), bie Aſen ven eingewanberten 
Gothen. (Über bie Frage von der Stammeinheit der flanbinaviichen 
Gothen mit den Böllern der ofts und weitgoibifchen Reiche, woraus 
Beijer jo Manches debliciert, wird bei der gothifchen Heldenfage zu 
ſprechen fein.) 

Aus dem Kampfe- der Religionen verſchiedener Vöolker, welche 
Religionen unter ſich felbft elementariſch verſchieden find, läßt Geijer 
den jesigen Gompler ber nordiſchen Mythologie hervorgehen. Das’ 


— 


se 


84 


Ergebnis ver hierauf gerichteten Forſchung hat er in folgendem (S. 296 
bis 300) niedergelegt. **- 

Sch laſſe hiebei das Einzelne beruhen, worin meine Auffaffung 
der mythifchen Geftalten eine andre ift, 3. B. in Begiehung auf bie 
Natur der Banen; ich gebe auch zu, daß einzelne, und nicht unerhebs 


- Tide Erfcheinungen, wie namentlich Thor als Afe, ſich fchwieriger in bie 
- Anlage des Ganzen einorbnen, und ich könnte mir ohne folde Rings 


zeichen mehrfacher Anſätze ein Gewächs, wie der nordiſche Mythencyklus, 


gar nicht denten, indem eine Mythologie niemald, wie ein ſpekulatives 


Syſtem, aus einem reinen und gleichartigen Gufle fertig hervorgehen 


Tann. Dennoch aber vermag ich ber völlers und veligionsgefchichtlichen 


Scheidung des mythiſchen Zufammenhanges in der Art, wie Geijer fie 
vornimmt, nicht beizutreten. Sie würde mir die nordiſche Mythologie 
nicht erklären, fondern aufföfen. Die Joten, Banen, Aſen haben mir 
überhaupt Teinen Beftand mehr, wenn fie von einander getrennt werben. 
Wenn in einem mythologifchen Ganzen euer: und Waflerfräfte gegen: 
einander fpielen, fo folgt daraus noch gar nicht, daß dieſes Ganze aus 
dem Kampfe einer Feuerreligion mit einer Waſſerreligion entſtanden 
ſei. Der Kampf der Elemente liegt ſo offen vor dem Auge, das in 
die Natur blickt, daß es ganz einfach iſt, ihn auch in jeder mythiſchen 
Weltanſchauung von vorn herein gegeben zu finden. Sowie in der 
Mythologie, bie wir dargeſtellt haben, der Weltbau aus ben durch ben 


Geiſt gebundenen phyſiſchen Gegenſätzen aufiteigt, jo kann ich mir aud) 


die Entftehung des nordifchen Mythenbaus nicht ohne das urfprüngliche 
Zufammenmirten der verjchievenen Elemente denken, und ſobald dieſe 
durch hiſtoriſche Sonderung aus einander geriffen werden, fo bricht: mir, 
wie in Ragnaröf, das ganze mythologiſche Weltgebäube zufammen. 
Der Betrachtung. der nordiſchen Mythen von phyſiſcher, elhiſcher 
und biftorifcher Seite könnte noch die vom poetiſchen Geſichtspunkt aus 
beigefügt werben.. Ich glaube jedoch, daß nach diefer Seite die mythi⸗ 


ſchen Bilber fi durch ihre eigene Erfcheinung, in der fie nad ben 


Quellen dargeftellt wurden, geltend machen müflen. Bergegenwärtigen 
wir und die verfchiebenartigen Geftalten, das ftarre milde Jotenge⸗ 
ſchlecht, die Winterriefen mit dem Eisbart, dem breiedigen Herzen von 
Stein und dem fteinernen Haupte, das Thors Hammer fpaltet, ven 
Sturmadler, deſſen Flügelichlag das Meer aufwühlt, den gähnenden 


85 | 


Wolf Fenrir und die erbumfpannende Riefenfchlange, den auf die 
Felſen gebundenen Loki, von defjen Krümmungen die Erbe bebt, dann 
die freundlichen Banen, Njörd, der bad Lieb der Schwäne am Meeres: 
. firande liebt, Freyr, der von Odins Hochſitze nad ber Riefenjung- 
frau fchaut, von deren weißen Armen Land und Luft erglänzen, Freya 
mit dem leuchtenden Halsihmud, goldene Sehnfuchtstbränen weinend, 
endlich den geiftigen Afenftamm, Odin mit dem Sonnenauge, den 
reinen, glänzenden Balbur mit den weißblumigen Brauen, Idun mit 
den Apfeln der Berjüngung, Bragi und Eaga, die vom Tranke ber 
Begeifterung getrunfen, das waffenleuchtende Balhall mit der ganzen 
Heldenſchaar ftreitbarer Ajen und Einherien, die Valkyrjen, die Schlacht: 
tobten wählend und ben Einherjen das Trinkhorn reichend, denken wir 
uns diefe manigfaltigen Geftalten nicht ala todte Standbilder aufgeftellt, 
fondern als lebendige Charaktere in rege Handlung gefett, diefe Hand» 
lung felbft ein großartiges Weltganzes von ber Entjtehung aller Dinge 
aus den Urelementen bis zum Untergange des Allg und dem Wieder⸗ 
aufgrünen des verfengten Weltbaumes, unter dem die Nornen einft der 
Zeit und des Geſchickes walteten, in biefe Haupthandlung aber episopifch 
wieder die charakteriftiichen Abenteuer der einzelnen Götterivefen ver 
flochten, Thors Befuche im Riefenland, Skirnirs Brautwerbung, Odin 
Fahrt nad dem Dichtertranle u. |. w., Abenteuer, in benen Thor, 
Loli und jo fort in der fefteiten individuellen Charakterzeihnung auf: 
treten, fühlen wir über biefem bewegten Leben immerfort die ſchwüle 

Ahnung des von dumpfen Stimmen aus ber Tiefe verlündeten Unter 
ganges jchweben und jehen wir doch, tie e8 zu jeder vollftändigen 
Beltdarftellung gehört, durch den Ernft des Ganzen auch ben Scherz 
unb die ergebliche Laune fpielen, bliden wir auf alles Diefes auch nur 
flüchtig zurüd, fo wird uns bie nordiſche Mythologie, in poetifcher Hin⸗ 
ficht, als ein mohlgegliebertes !, geftaltenreiches Epos der Götterwelt fich 


1 Die Anerlennung biefes poetiichen Ganzen auch bei Fr. Schlegel a. a. O. 
©. 254 bis 256. | 


86 
2. Helbenfage. 


Die Stelle, welche die Menſchen in ber mythiſchen Weltanſchauung 
des Nordens einnehmen, ift beveitö bei der Götterfage angezeigt worden. 
Sie find, vermöge ihrer geiftigen Natur, den Aſen zugeordnet, von benen 
fie Leben und Geift empfiengen. Odin, der Vater der Götter und 
Menſchen, fammelt in Valhall die rüftigen, kampferprobten Geifter, und 
eben diefe in ihrem irbifchen Kampfleben find die Helden. Diefem 
deutihen Worte entiprechen in den norbifchen Liedern und Sagen (vgl. 
So. Edd. 195) die Benennungen: Rede (reckr), Hilding (hildingr, 
Sohn der Hildur, des perjonificierten Krieges), Heermann (hermadr), 
Heerlönig (herkonüngr), auch einfach König (konüingr); denn eben bie 
Königsgefchlechter, die durch Tapferkeit berrichen, find bie Heldenftämme, 
welche ihre Abkunft von ben Göttern und zwar meift von Ddin felbft, 
ale ihrem gemeinfamen Stammvater, herleiten. (Die Stiftung der ver: 
ſchiedenen Stände wird Heimballn zugefchrieben, in ber Einleitung zum 
Rigsmal.) Dem Angeführten gemäß ift auch Dbin derjenige unter den 
. Göttern, der am bebeutendften entiveder unmittelbar, oder durd feine. 

Dienerinnen, die Valkyrien, in das Leben und vie Schidſale der Gelben 
bereingreift. 

Hat uns nemlid die Götterfage mit ben Verbältniffen der Mens 
ſchen vom Standpunkte ber Götterwelt aus bekannt gemacht, erfuhren 
wir bort, zu welchem Gott oder welcher Göttin um dieſe oder jene Gabe 
und Gegnung der Anruf und die Gelübbe der Menfchen emporfteigen, 
faben mir die von der Erde Abgerufenen in Odins Valhall, ober in 
Freyas Folkvang, oder in Hels bunfle Säle aufgenommen, die zu 
Einherien erhobenen aber fortan am himmlischen Leben und den Welt⸗ 
Yämpfen der Götter Theil nehmen, fo werden wir nun umgelehrt in 
der Heldenfage die Einwirkungen ber Götter und dieſe felbit in das 
irdiſche Menjchenleben hernieberfteigen fehen. So bildet die Helbenjage 
einen ergänzenden ‘Theil des mythiſchen Weltſyſtems, unb je höherem 
Alterthum die zu ihr gehörenden Lieder und Sagen entfprungen find, 
um fo barmonifcher verbinden fie fih mit den Göttermythen nach Gegen» 
ftand, Geift und äußerem Gepräge zum großen, bimmlijches und irdi⸗ 
fches Leben umfaflenden Weltganzen. 

Es bat fi) auch in Anwendung auf deutfche und norbifche Engen« 


87 


geichichte die Neigung geäußert, in der Heldenfage nur eine. vermenſch⸗ 
lichte, getrübte und geſunkene Götterfage zu erfennen. So behauptet 
Mone, Greugerd Symbolik und Mythologie im Auszuge von Moſer 
S. 897 f.: 

Helbenfagen waren im Heidenthum der Bollsglanben [bein eſoteriſchen, 
priefterlihen gegenüber] und ‚befanden in @öttergefchichten, aufgefaßt nach 
menſchlichen Berhältniſſen; Beburt, Thaten und Tod der überirdiſchen Weſen 
wurden darin erzählt und überliefert. (Bol Mone, Geſch. I, 327. II, 122.) 

Allerdings nun finden wir in der Geſchichte der Sagen häufig 
auch ben Sergang, daß bie Göttermythen menfchlich umgeftaltet wer⸗ 
ben, nicht etwa bloß in gelehrter Abficht, mie im obigen Beifpiele 
der Heimskringla, fonden im Wege vollsmäßiger Sagenentwidlung, 
wovon gleich nachher Fälle angeführt werben follen. Aber jener Her: 
gang tft keineswegs der allgemeine oder vorherrſchende. Wo überhaupt 
die Sage zu einer vollen Ausbildung gelangt ift, werben wir die höhere 
und bie irbilche Welt, Göttliches und Menfchliches, gleichzeitig befteben 
und manigfad in einander greifen fehen. Auch bie Helbenfage ift dann 
nicht ohne Götter, immer zeigt fie im Hintergrunde den Götterhimmel, 
und die einzelnen Göttergeftalten treten freundlich oder feindlich wirkend 
in die irdiſche Handlung ein; aber eben nur aus dem gleichzeitigen Bor: 
bandenfein zwei verichiedener Welten Tann dieſes Verhältnis hervorgehen. 
So bilden Bötterfage und Helbenfage zufammen ein Ganzes, aber fie 
find nicht identiſch. 

Sie für identiſch zu nehmen, verleitete vorzüglich bie Übereinftim: 
mung, bie zwifchen beiden beſteht. Man fanb in der Darftellung irdi⸗ 
ſcher Geſchichten milrolosmifch dieſelben Ideen und Geſetze waltend, bie 
im Makrokosmus der Götterwelt und des allgemeinen Weltlebens ſich 
offenbarten. Allein ein Widerſpruch, ein den Zufammenbang göttlicher 
und menfchlicher Dinge aufhebender Misklang wäre gar nicht gevent- 
bar, da ja bie jeweiligen Borftellungen von den Göttern in benfelben 
Geiftern lebendig waren, in denen bie Helbendichtungen ihre Pflege 
fanden. Die Heldenfagen find der geiftige Ausdrud des Vollkslebens, 
fie können fo wenig als das Vollksleben felbit, außer Berbältnis mit 
dem Glauben ber Völler gebacht werden. Wenn aber Done die weitere 
Überzeugung ausſpricht (I, 321), „wie fehr die großen Glaubensſätze 
den Charakter: der teutfchen ſgermaniſchen] Völker gebildet und deren 


88 


Geſchichte geſtaltet haben;“ fo wird dieß nur mit der Beſchränkung 
angenommen werben können, daß zwiſchen dem Glauben ber Völker 
und ihrem Charakter, ber zugleich ihre Geſchichte beſtimmt, eine Wechſel⸗ 
wirkung ſtatt finde, daß allerdings die odiniſche Glaubenslehre auf 
den Charalter und die Unternehmungen ber germaniſchen Volker ans 
regend eingewirkt, daß aber auch zum voraus ſchon der kampfrüſtige, 
thatkraͤftige Geiſt dieſer Voller dem Odinsglauben fein eigenthümliches 
Gepraͤge gegeben habe. Dieſelbe Wechſelwirkung aber, wie zwiſchen ber 
Glaubenslehre und dem Völkerleben, finden wir fehr natürlich auch 
zwiſchen ber poetifchen Geſtaltung beiber, zwiſchen ber Ötterjage und 
der Heldenſage. 

Die bedeutendſten Quellen und Hülfämittel für bie Kenntnis ber 

nordiſchen Helvenfage find folgende: 

1. Die beiven Eben, und zwar in ber ältern die auf die mythi⸗ 
ſchen Gefänge folgenden Heldenliever, nad ber jeßt gewöhnlichen Abs 
theilung 20 an der Zahl, aus den der beutichen Poefie mit ber. nor⸗ 
diſchen gemeinfamen Sagenkreiſen von Bölund, den Bölfungen und 
Niflungm. Aus der jüngern Edda ober vielmehr. der ihr angehängten 
Stalda gehören bieher einige Sagen und ein vollftänbiges Lieb, Grottas 
fang, bie zur Erllärung poetiſcher Aushrüde dee Stalvenfprache bei⸗ 
gebracht find. Die Litteratur der Edden iſt ſchon bei der Gotterſage 
angegeben worden. 

2. Die nichthiſtoriſchen isländiſchen Sagan. 

Wie in die Götterwelt Bragi und Saga aufgenommen ſind, ſo 

-wurbe im Norden und vorzugsweiſe wieder von den Isländern neben 

der Staldenkunft auch die Erzählung in ungebundener Rebe fleißig be: 
‚ trieben. Eine folde Erzählung größeren Umfangs hieß Saga (eine 
fürzere nannte man Thättr) 1; ein in Erzählungen wohl erfahrener Mann 
hieß Sagenmann (Sagnamadr, aud) Freedimadr; at freda, erudire). 
Der Charakter der Sagan war entweder vorwiegend ein gefchichtlicher, 
foweit in ihnen Begebenheiten aus der Beit der Bebauung Islands in 
ber zweiten Hälfte des Yten Jahrhunderts, ober der zunächft vorher 
gegangenen und der nachfolgenden Zeit, erzählt wurden, ober ein, im 
engern Sinne, fagenhafter, mythiſch-poetiſcher, fofern bie Erzählung 

\ Zug 


1 Sagabibl. 11, 493, 


9 


fich beſonders auf bie ältern, vorgeſchichtlichen Grinnerungen aus dem 
norwegiſchen Heimatbland und bem übrigen Norben erfixedte. Die Sagan 


wurden in der Vollsverfammlung und an Königshöfen vorgetragen, - 


fie waren an langen Winterabenden. die Unterhaltung ber in der ges 
meinfehaftlichen Stube vereinigten Hausgenoflenichaft, wie fie es auf 
Island noch jet find. Auch diefe Sagenerzählung hatte ſich gewiſſer⸗ 
maapen zur Kunſt ausgebildet, fie hatte in Stil und Form ein eigen- 
thümliches Gepräge erhalten. Waren die mythiſchen und heroifchen 
Slaldenlieder nicht felten von kurzen Einleitungen und Zwiſchenſätzen 
in Profa begleitet, ſo find beſonders bie älteren Sagan häufig mit 
Verſen durchwoben und hatten in den Liedern ihre Grundlage oder ihren 
Stũtzpunkt. Niebergefchrieben wurben bie Sagan feit dem 12ten Jahr⸗ 
hundert. Sie wurden nicht fchriftlich verfaßt, ſondern giengen ſchon 
vollkommen fertig in die Schrift über. Mündlich und namenlos, wie 
alle vollsmäßige Überlieferung, hatten fie ſich herangebildet und ihre 
Übertragung in Schrift glich, nach Geijers Ausbrud, dem Abpflüden 
einer reifen Frucht. 
- Über biefen Gegenftand geben Aufſchiuß und Nachweiſung: 

B. E. Müller, Über den Urſprung und Verfall der isländiſchen Hifterio- 
graphie u. |. w. ans dem Däniſchen überfeßt von 2. C. Sander. Kopenhagen 
1813. Derfelbe in ben Einleitungen ber Segabibtiothet. Geijer, a. a. O. 
Gap. 5, &. 175 ff. | 


Wenn nun gleich auch die hiftorifhen Sagan noch manche fagen- 


bafte Züge aufgenommen haben, fo gehen uns doch hauptſächlich die 


vorgefchichtlichen, mythiſch⸗poetiſchen an. Bon dieſen ift neuerlich fol- 
gende Sammlung veranftaltet worden, bie ich ftatt aller einzelnen 
Ausgaben anführe [ugl. Möbius Catalog. libr. island. ©. 33 ff. 8.]: 


Fornaldar Sögur. Nordrlanda eptir gömlum handritum ütgefnar af 
C. C. Rafo. 3 Bände. Kaupmannahöfn 1829 ff. . 

Eine dänische Überſetzung diefer Sagenflaffe: Nordiske Keempe- Historier 
efter islandske Haandskrifter fordanskede ved C. C. Rafn. 8 Bände. 
Kjöbenhavn 1821 bis 1826. 

Rene Ausgabe, mit der Sammlung ber isländifchen Originale parallel 
laufend, doch mit einzelnen Ausnahmen: Nordiske Fortids Sagser, efter den 
:udgivne islandske eller gamle nordiske Grundskrift oversatte af C. C. 
Rain. 8 Bände, Ropenhagen 1829 bis 1880. | 


9% 


Ins Deutiche find nur diejenigen Sagen vollftändig überſetzt, welche 
zu dem ben Deutfchen mit ‘dem Norben gemeinfamen Bölfungen« und 
Niflungenchklus gehören: 

Nordiſche Heldenromane, überſetzt durch F. 5. v. d. Hagen. 5 Bändchen. 
Breslau 1814 fi. 

Als Hülfsmittel ift beveutend: 

Sagabibliothek med Anmerkninger og indledende Afhandlinger, ef 
P. E. Müller. 3 Bände. Kjöbenhavn 1817 bis 1820. 

Diefes ſchätzbare Werk gibt Auszüge aus den isländifchen Sagan 
mit litterarifchen Notizen und fagengefchichtlichen Unterfuchungen. Yür 
- unfern Bed gehört vorzüglich der zweite Band, der das eigentlich Sagen: 
bafte umfaßt, während die beiden andern Bände mehr hiftorifchen In⸗ 
halts find. Ins Deutfche übertragen ift nur ber erfte Band: 

Sagaenbibfiothet des flandinavifhen Alterthums von P. E. Müller, ans 
der däniſchen Handſchrift überſetzt von K. Lachmann, Berlin 1816. [B. 2, bear- 
beitet von G. Lange. Frankfurt a. M. 1832. 8.) 

3. Saxos däniſche Gefchichte: 

Saxonis Gremmatici Historie Danic® Libri XVI, e recensione Ste- 
phanii n. f. w. ed. C. A. Klotz. Lipsie 1771. 40, 

. Über ihn und fein Werk: ' 

Die Prolegomena von Kloß,'mo befonbers auch das Biographifche zu finden. 
P. E. Miller Abhandlung fiber die Duellen der 9 erften Bilder Saros und 
ihre Glaubwärbigleit, in ber angeführten Critisk Undersögelse af Danm. og 
Norg. Sagnhist. Geijer, a. a. O. Gap. 5), ©. 205 fi. 

Alotz, Proleg. ©. 6: Apprime vero conveniebat Saxoni Grammalici 
‚ nomen, quo illa, quaın mediam vulgo appellant, stas virum literarum 
ingenusrum et liberalium scientio instructum ornabat, 
Sax, zugenannt Grommaticus, ein bänifcher Geiftliher, wahr: 
ſcheinlich Probft der Kirche zu Roeskild, fchrieb fein Geſchichtwerk in 
der zweiten Hälfte des 12ten Jahrhunderts, auf die Aufforderung des 
Erzbiſchoſs Abfalon zu Lund. Seine Aufgabe erftredte ſich auf dem 
ganzen Umfang des damaligen Dänenreichs, die Inſeln, Jütland, 
Schonen. Der Reichthum vorgefchichtlicher Überlieferungen, der ihm zu 
Gebote ftand, war fo groß, daß die Hälfte feines Werks, die neun. 
erften Bücher, die bis über den Anfang des 10ten Jahrhunderts reichen, 
noch faft durchaus der Sage anheimfällt. Dadurch ift feine Arbeit eine 


91 . 


reihe Fundgrube für die norbifche Sagengefchichte geworden. Eie ber 
rubt auch in biefer vorbern Hälfte großentheil® auf Liedern und Volls⸗ 
ſagen und die vielen verfificierten Stellen, die er überall eingeftreut hat, 
find offenbar Überfegungen alter, einheimifcher Gefänge, was auch noch 
für einzelne Fälle beftimmt nachgeiwiefen werden Tann. Ex braucht gerne 
zu feiner Gewähr Ausbrüde, wie: veteres tradunt, antiquitas per- 
hibet, vulgaris opinio, vulgdris sententia u. f. iv. (Geijer ©. 2085 f.) 
Die Leiftungen der Isländer waren ihm nicht unbelannt; da er aber 
auf eigenem, däniſchem Boden vie vollsmäßigen Überlieferungen aufe 
nahm und jammelte, fo mwirb burch ihn nicht nur Manches, was bie 
Isländer geben, beftätigt, ergänzt ober in anderer Ausbildung ber ein« 
zelnen Sagen bargeftellt, fondern es erhält auch der nordiſche Sagen- 
fchag überhaupt durch ihn einen bebeutenden Zuwachs merkwürdiger 
Kunden, welche nur in feiner Aufzeichnung noch vorhanden find. Zwei 
- Umftände thun jeinem Werte, in Bergleihung mit ben isländiſchen 
Dentmälern, Eintrag. Der eine ift, daß Saro lateiniſch fehrieb und 
zwar in einem rhetorifch gezierten und phrafeologifch gedehnten Stile. 
Wie anders aber, in eigenthlimlicher, einheimifcher Farbe, würde Alles 
vor uns fteben, wie fehr müften wir in der unmittelbaren Anfchauung 
altnorbifcher Poeſie und Sage bereichert fein, wenn Saro, gleich ben 
Söländern, die mündliche Überlieferung ohne den Zwiſchentritt einer 
fremden Sprache in Schrift gefaßt hätte? Dennoch liegt nicht bloß in 
dieſen Überlieferungen felbft eine fo unvertilgbare Kraft ihres urfprüng- 
lichen Weſens, fondern es fand fih auch glüdlicher Weile bei Saxo 
fo viel nationaler und poetifcher Sinn, daß wir auch durch die fremb- 
artige Scheidewand hindurch noch lebhaft von dem Geifte norbifcher 
Sagendichtung ergriffen werden. Der andere nachtheilige Umstand ift, 
dag Saro die Sagen vom Standpunlte der Gefchichtichreibung aus aufs 
faßte. Ste follten für biftorifche Berichte gelten, follten in paflende 
Zeitfolge und örtliche Stellung, in eine wohlgeordnete Reihe dänischer 
Könige zufammengefügt werben. Während nun in ben vorgefchichtlichen 
islänvifchen Sagan jede Sage, in gänzlich unbefangener Auffaflung, 
vollftändig zugleich und in fich abgeſchloſſen, gegeben ift, fo mufte Saro 
für feinen Zweck fihten und oronen, trennen und verbinden. Alles 
biefes geſchah zum Nachtheil der Sage, ohne darum der Geſchichte Vor- 
theil zu bringen. Gr verfuhr nicht ohne leitende Gründe, bie wir 


nur nicht für haltbare anerkennen werben, 3. B. wenn er die Riefen- 
geichichten voranftellt, nad der Anficht, daß Riefen in der Alteften Zeit 
den Norden betvohnt haben. Aber bei all Diefem verfälfcht er doch nie 
mals die Sage. Davor bewahrte ihn eine fromme Vorliebe für dieſe 
vaterländifchen Altertbümer und eben jener poetifche Sinn, den wir 
ſchon an ihm gerühmt haben und aus dem allein auch das Wer in 
folder Sagenfülle hervorgehen konnte (vgl. Undersög. 6). Allerdings aber 
find wir nun auch nicht durch Saxos hiftorifche Auffafjung und chrono⸗ 
logiſche Anordnung gebunden, fondern wir laſſen frei den Maapftab der 
Sage walten, wir fondern, was nur äußerlich zufammengeftellt ift, und 
wir verbinden wieder, was, nach Saxos Zeitrechnung weit auseinander 
gerüdt, vermöge innerer Verwanbtichaft zufammengehört. Durch feine 
reblihe Weile hat auch Saxo dieſes Verfahren felbft erleichtert. Er: 
icheinen manche feiner Erzählungen nicht mehr jo in echter mythiſcher 
Geſtalt, wie in den isländifchen Aufzeichnungen, fo ift diefes nicht einer 
Fälihung von feiner Seite beizumefien, fondern dem Umftanbe, daß 
in dem früher chriftlich gewmorbenen und allen äußern Einflüfjlen näher 
ausgeſetzten Dänemark, vielleicht auch bei weniger feften und geregelten 
Formen der Überlieferung, die Sagen im Volksmunde felbft, aus dem 
Saro fie aufnahm, ſchon manigfache Umwandlung erfahren hatten. 
Daß Saxo, wie früher erwähnt wurde, Odin und andre Aſen als 
hiſtoriſche Perfonen behandelt, mag auf denfelben Gründen beruhen, 
welche in Snorros Heimskringla diefelbe Behandlungsiveife veranlaft 
hatten. Aber aud die Erſcheinunz zeigt ſich bei Saro, daß in ber 
Bolköfage felbft ſchon der Göttermythus fich menfchlich umgeftaltet hatte. 
Sch gebe die Beifpiele bievon, bevor ich zur eigentlichen Heldenfage über» 
gehe, in welcher, nach den obigen allgemeinen Bemerkungen, dieſer Her 
gang keineswegs als der vorberrfchende zugeſtanden werben Tonnte. 

Ob Sara den Mythus fchon in der Volksſage vermenſchlicht vor 
fand over felbft erft ihn an Perſonen, die ihm für biftorifche galten, 
anlnüpfte, kann in dem zunächft folgenden Falle noch für zweifelhaft 
angefeben werben. | 

Wir haben in der Götterfage den Wechſelgeſang kennen gelernt, 
worin der Vane Niörb und feine Gemahlin Stadi, aus dem Joten⸗ 
geſchlecht, nach diefer Verfchievenheit ihrer Naturen auch ihre verfchiedene 
Neigung ausſprechen. Njbrd ift müde der Berge, wo ihm der Wölfe 


93 


Heulen widrig ſchien gegen der Schwäne Lied. Stabi konnte nicht 
Schlafen am Strande des. Meeres vor dem Gefchrei ber Seevögel, jeden 
Morgen wird fie von ber Möve geweckt (j. Edda 186). Bei Saro nun 
(B. 1, ©. 21) wird von dem achten Dänenlönige Habving, befien ganze 
Geſchichte übrigens höchft fagenhaft lautet, erzählt, er habe, nachdem er. 
mehrere Jahre unkriegerifch dem Feldbau obgelegen und dem Seeweſen 
entfrembet geblieben, fih zuletzt ſelbſt folgendermaßen angellagt: 

Quid moror in latebris opacis, 

Cellibus implicitus scruposis, 

Nec mare more sequor priori? 

Eripit ex oculis quietem 

Agminis increpitans lupini 

Stridor et usque polum levatas 

Questus inutilium ferarum > 

Impastiensque rigor leonum u. ſ. w. 

Officiunt scopuli rigentes u. |. w. 

Mentibus equor amare suetis. 

Nam freta remigiis probare 

Officii potioris esset, 

Mercibus ac spoliis ovare u. ſ. w. 

Arquoreis inhiare lucris, 

Quam salebras nemorumque flexus 

Et steriles habitare saltus. 

Seine. 1. Gemaslin aber, die das Leben in Feld und Wald geliebt und 

dem frühen Rufe der Seebögel abbold geivejen, babe ſich fo geaußert: 
Me canorus angit alis immorantem littori 
Et soporis indigentem garriendo ooncitat ı |. m. 
Nec sinit peusare noctu mergus alte garrulus 
Auribus fastidiosa delicatis inserens u. £.w. 
Tutius sylvis fruendum dulciusque censeo u. |. w. 

Wir haben bier eine offenbare Paraphraſe bes alten mythiſchen 
Liedes; wie aber Saro dazu gelommen, es dem dänischen Königspaare, 
fo misverftanden, in den Mund zu legen, ob ihm dazu ſchon in ber 
vollsmäßigen Überlieferung Anlaß gegeben war ober ob er durch eine 
gelehrte Sombination darauf geführt worden, ift ungewiſs. Ä 

Sichres dürfen wir in einem anbern Yalle annehmen, daß er den 
Gottermythus fchon in der Bollöfage epiſch zugebildet antraf. Wir 


$s 


94 ’ 
erinnern ung, wie bie j. Edda ben Tod des göttlichen Balburs durch den 
blinden Höbr, dieſe entſcheidende Kataſtrophe des Welt: und Götter 
lebens, und die dafür von Bali, Baldurs Bruder, genommene Rache 
barftelt. In Saxos Item Buche finden wir Höbern wieber als einen 
König über Dänemark und Schweben, Hotber, von bem Folgendes ge 
meldet wird (B. 3, ©. 53 ff.): Hother, Hodbrods Sohn, erwuchs 
in der Pflege bes norwegiſchen Königs Gevar. Er war nicht bloß in 
allen Leibezübungen kräftig und gewandt, auch in jeber Art des Saiten: 
fpield war er unübertroffen. Er verftand, damit jebe frohe oder ſchmerz⸗ 
liche Stimmung, jede milde oder heftige Bewegung der Seele hervor: 
zurufen. Nanna, Gevars Tochter, warf ihre Neigung auf ben viel: 
begabten Jüngling. Einft aber ſah Baldur, ein Sohn Odins, die 
Sunpfrau im Babe. Ihre glänzende Schönheit entflanımte in ihm bie 
heftigfte Leidenſchaft und er befhloß, ſich Hother3, ber feinen Wünfchen 
im Wege fand, mit bem Schwerte zu entlebigen. Um biefelbe Zeit 
verirrte Hotber auf der Jagd im Nebel und Fam in dad Gemad ge: 
wiſſer Walbjungfraun, bie ihn mit feinem Namen grüßten. Auf fein 
Befragen, wer fie jeien, erwiberten fie, durch ihre Lenkung werde bas 
Geſchick der Kriege beitimmt, oft feien fie, Niemand fihtbar, in ber 
Schlacht gegenwärtig und Ichaffen ihren Freunden heimliche Hülfe. Auch 
wuſten fie von Balders Leidenſchaft für Nanna und ermahnten Hothern, 
jenen, als einen Halbgott, nicht mit Waffen zu reizen. Nachdem 
Hother dieje vernommen, ſah er auf einmal, zu feinem Erftaunen, 
das Gemach mit den AYungfraun veriölounden und fi ſelbſu unter 
freiem Himmel daſtehend. 

Ignorabat enim, quæ circa se gesta fuerant, ludibrium tautum in- 
aneque prestigiosarum artium extitisse commentüm. 

indem man einmal die Zauberei anerlannte, hatte man überall 
für die gefchichtlihe Anficht getwonnene® Spiel. Hother begab ſich 
hierauf ſogleich zu Gevar und warb um befien Tochter. Der König 
äußerte, daß ex Hothern ſehr gerne begünftigenn würbe, wenn ex "nicht 
ben Zorn Balders fürchtete, der ſich zuvor ſchon mit der gleichen Bitte 
an ihn gewendet. Balder fei felbit vor Eifen- feit, doch geb' es ein 
engberwahrtes Schwert, mit dem allein Balder getöbtet werben könne. 
Sm Beſitze besfelben, fowie eines munberbare Stärke verleibenden 
Halsbands fei der Zwerg (sylvarum Satyrus) Mimring Mittelft 


,‚% 
\ 


9% 


— 


der Anweiſungen Gevars zwingt Hother dem Zwerge die beiden Kleinode 
ab. Balder kam nun gewaffnet zur Freiwerbung in Gevars Land. 
Diefer hieß ihn Nannas Gefinnung. ſelbſt erforſchen. Ihre Antwort 
fiel dahin aus, daß ihr eine Verbindung zwiſchen Göttern und Sterb⸗ 
lihen nicht paflend ſcheine. Es fand hierauf ein Seetreffen zwiſchen 
Hother und Balder ſtatt. Menfchen ftritten hier gegen Götter. Für 
Balder Tämpften Odin und Thor und die heiligen Götterfchanren. 
Hotber jedoch, mit einem eifenfeiten Schlachtgewand umgürtet, brach in 
die bichteften Schlachthaufen der Götter und müthete, fo viel ein Erden⸗ 
fohn gegen Überixdifche vermochte. Aber auch Thor zerfehmetterte mit 
dem Schwung feiner Keule unwiderſtehlich Schilder und Helme. Der - 
Sieg wäre den Göttern geworben, hätte nicht Hother, als ſchon fein 
Heer zu weichen begann, den Griff der Keule abgehauen. Dieſer Waffe 
beraubt, ergriffen die Götter plößlich vie Flucht: 

Inimicum opinioni esset, nisi fidem antiquitas faceret, deos ab homi- 
nibus superari. Deos autem potius Opinative, quam naturaliter dicimus. 
Talibas namgue non natura, sed gentium more, divinitatis vocabulum 
damus, 

Bon der Flucht Balders zeugt noch der Name des Hafens. (Testis 
belli portus Balderi fugam wocabulo refert.) Nanna wurde nun 
Hothern zu Theil, doch war bamit der Krieg nicht beendigt. In einer 
andern Schlacht war Balder. der Sieger; feinem bürftenden Heere ließ 
ex einen Duell aus der Erbe fpringen. Auch daran haftet noch fein Name: 

Novos.humi latices, terram altius rimatus, aperuit. Quorum erum- 
pentes scatebras sitibundum agmen hianti passim ore captebat. Eorundem 
vestigia, sempiterno firmata vocabulo, quanquam pristina admodum sca- 
turigo desierit, nondum prorsus exolevisse creduntur. 

Lex. myth. ©. 29: Fous Balderi ibi memoratus, danice Baldersbrönd 
(inter Havniam et Roskildiam situs), id nomen hodie retinet. 


Balder wurbe jeboch von Gefpenftern, welche Nannas Geftalt ans 
nahinen, zur Nachtzeit fo fehr gequält, daß er krank wurbe und nicht 
mehr zu Fuße geben Tonnte. Er mujte fich deshalb eined Wagens bes 
dienen. Gleichwohl ſchlug er Hothern noch einmal, Dieler floh nad 
Sütland, wo auch er einem Drte den Namen gab: 

Qui cam in Jutiam concessisset, vicum, in quo manendi usum habuit, 
nomine suo nuncupandum curavit. 


96 


Nachher begab er fi, feines Unglüds mübe, ganz allein in eine 
Wildnis in Schweden. Auf dem Gipfel eines hohen Berges pflegte er 
dort dem rathfragenden Volle Beſcheid zu geben. Im unwegſamen 
Walde fam er einft in-eine Höhle, welche von denfelben Yungfraun 
betvohnt wurde, die ihn einft mit dem unverlegbaren Kleide beſchenkt 
hatten. Er Hagge fie an, daß es ihm .nicht ergangen, wie fie ihm ver- 
ſprochen hätten. Die Jungfraun bemerkten, baß auf beiden Seiten 
gleich viele gefallen feien, und ficherten ihm den Sieg zu, wenn er eine 
köſtliche Speife, die zur Mehrung ber Kräfte Balders erdacht wäre, 
binwegzunehmen vermöchte. Hiedurch fand ſich Hotber von Neuem zum 
Kampf ermuthigt. Es ward abermals eine Schlacht geliefert, der, bei 
ziemlich gleichem Verluſt auf beiden Seiten, die Nacht ein Ende machte. 
Um die britte Nachtwache gieng Hother heimlich aus, um die Feinde 
auszukundſchaften. Da jah er aus Balders Lager brei Jungfraun kom⸗ 
men, welche bie geheimnisvolle Speife trugen. Er verfolgte fie eilig, 
denn bie Spuren im Thaue verrietben ihm ihren Weg, bis zu ihrer 
Wohnung. Auf ihre Frage, wer er fei, nannte er fih einen Harfner 
(eitharodum), und als fie ihm ein Saitenfpiel darboten, fchlug er es 
in den lieblichften Klängen an. Die Jungfraun (nympbe) hatten drei 
Schlangen, deren Eiter fie in Balbers Speife zu miſchen pflegten. 
Damit waren fie eben beichäftigt. Die Eine wollte ſchon Hothern von 
diefer Speife mittheilen, als die Altefte erflärte, Balder werde gefähr- 
bet, wenn man bie Kraft feines Feindes mehre. Der Gaſt gab jedoch 
vor, er ſei nicht Hother, fondern ein Begleiter Hothers. Hierauf 
ſchenkten ihm die Jungfraun hulbreich einen fchönen, ftregfräftigen Gürtel. 
Auf dem Rückwege begegnete er Baldern, verwundete diefen und ſtreckte 
ihn halbtodt nieder. Balder fühlte fein Ende nahe, aber, burch ben 
Schmerz der Wunde aufgereizt, erneuerte er am folgenden Tage bie 
Schlacht. Er ließ fih in diefelbe tragen, um nicht im Gezelt eine? 
unrühmlichen Todes zu fterben. In der folgenden Nacht ſah er im 
‚ Schlafe 1 Gel (Proserpine) vor fich ftehen, bie ihm verkündigte, baß 
fie ihn am kommenden Tag umarmen werde. Die Weiffagung bes 
Traumgefichts war nicht leer. Nach Verfluß von drei Tagen erlag 
Balder dem Schmerz ver Wunde. Sein Heer beftattete. den Leichnam 


1 Bgl. Hrolfs 8. Gap. 5. 


97 


königlich unb erhob barüber einen Grabhügel. Diefen wollten, wie 
Saro binzufegt, zu feiner Zeit (vigente veteris sepulture fama) 
einige Männer, in der Hoffnung, Schäge darin zu finden, zur Naht: 
zeit aufgraben, entfloben aber, von plöglihem Schred ergriffen; denn 
es fchien ihnen auf einmal vom Gipfel des fteilen Berges ein gewaltig 
zaufchender Strom herabzuftürzen und ſich über das Feld zu ergieken. 
Niemand wagte fortan fih an dem Hügel zu vergreifent. 

Saxo erzählt Hierauf noch weiter, wie Odin, nachdem er die Wahr« 
lager über die Rache für Baldern befragt, mit Rinda, ber Tochter bes 
Ruſſenkönigs, einen Sohn erzeugte, der hier Bous genannt wirb und 
welchem Hother in der Schlacht unterlag; eine Erzählung, welche mehr, 
als das Vorhergehende, den mythiſchen Charakter erhalten hat. | 

Die Gefchichte Balders und Hothers aber, wie Saro fie aufge: 
nommen bat und tvie ich fie, mit Weglaflung manches ganz Fremd⸗ 
artigen, mitgetheilt habe, ift allerbings ein verivanbelter Göttermythus 
in ber Art, wie Mone bie ganze Helvenfage betrachtet wiſſen will. Die 
Identität im Ganzen mit dem Inhalte der Edda ift vollkommen beuts 
lich und auch die einzelnen mythiſchen Züge fcheinen vielfach hindurch; 
fo Baldurs ſchwere Träume, Odins Zulunftfrage bei den Joten, Nor- 
‚nen und Valkyrien, obwohl bier vermengt, die Götterfpeife mit ben 
Schlangen, die an Suttungs Meth, den Odin als Schlange geholt, 
erinnert. Ja e3 mögen hier durch die Volksſage mande, in den Edden 
nicht überlieferte Züge des Mythus aufbehalten fein. Die epiſche Aus: 
malung, bie Anknüpfung an UÖrtlichleiten, fpricht überall dafür, daß 
Sarxo ˖ wirklich aus der Volksſage gejchöpft habe. Er verhält ſich faſt 
leidend gegen die Überlieferung und macht nur bie nöthigften Anmer- 
tungen, um fich gegen ben Glauben an die alten Götter zu verwahren. 
Zugleich aber fehen wir auch, mie ver Mythus feine urfprüngliche Be: 
deutung verlosen bat, bie durch Feine neue, ihm unterlegie Grunbibee 
erſetzt worden ift, und wie damit auch bas Eingelne, wenn auch nicht 
ohne poetiſche Anllänge, ohne Anhalt und Haren Zuſammenhang aus⸗ 
Ananbertäuft Eben darum habe ich dieſe Erzählung. nid in ben Kreis 


sv 


i Kim Maguufen. enwähnt, Lex. myth. ©. 29, daß man bei PR 
bügel Balbers in der Folge bei dem Dorfe Ballerup (oder Balderup) und einen 
andern zu Zune in Seeland zeigte. on oo 

Upland, Schriften. Vn. 7 


98 


der reinen Heldenfage eingereibt, fondern nur als einen der möglidden 
Übergänge des Göttermythus zur Heldenfage bemerklich gemacht. 

Saro berichtet in feiner Vorrede (S. 69) 1, in Bleding ziehe fich 
längs eines elsfteigs, der vom Sübmeer nad den Einöden Wärends 
führe, eine in den Fels gehauene, zwifchen zwei Linien über Höhen 
und Tiefen fortlaufende Runeninſchrift. König Waldemar, ver ihre 
Bedeutung zu wiſſen wünjchte, habe Leute dahin gefanbt, um biefe 
Buchſtaben auf Stäbe abzuzeichnen; dieß fei aber ohne Erfolg geblieben, 
- "weil das Ausgehauene theils verfchüttet, theils durch die Wandelnden 
abgetreten geweſen fei. So iſt auch in ber Sagenreihe, die ſich durch 
Saxros Werk binzieht, manches alte Zeichen am Pfabe der Jahr⸗ 
hunderte verwifcht und ausgetreten, Andres aber von biefer wunder: 
baren Bilderfchrift werden wir noch fcharf und verftändlih zu Tage 
treten ſehen. | 

Die Heldenfagen, deren bebeutenbere jet nach den angegebenen 
Quellen dargeftellt werben follen, theilen wir in zwei Klaſſen: 

X. ſolche, die dem flanbinnpifchen Norden eigenthümlich find; 

B. diejenigen, welche der norbifchen Sagenpoefie mit der deutſchen, 
wenn auch nad) verjchiebenen Geftaltungen, gemeinſam zugehören. 

Diefe Abtheilung mwirb uns fpäter zur Vergleichung der deutſchen 
Heldenfage mit der nordiſchen dienlich fein. Die norbifhe Sage felbft 
fest alle die verſchiedenen Kreiſe, bie fie in ſich aufnimmt, durch einen 
gemeinfamen Helbenvater in Verbindung. Diefer ift Halfdan der Alte. 
Bon ihm, ber felbft von Odin ftammt, melden Lieb und Sage (F. Magn. 
Edd. III, 12 f. Edd. So. 190. Fortids 8.1, 8 f.): er that im Mitt 
winter ein großes Dpfer, daß er 300 Jahre in feinem Königthum Leben 
möchte; die Anttvort der Götter aber Tautete bahin, er folle nicht mehr, 
als eines Mannes Alter leben, aber in 300 Jahren folle fein unbes 
rühmter Mann und fein Weib aus feinem Stamme hervorgeht. Seine 
erften 9 Söhne, die alle gleich alt waren, wurden fo berühmt, daß 
ihre Namen in allen Gefängen als Ehren: und Königsnamen gebraucht 
wurden; keiner bon ihnen hatte Rinder und fie fielen alle auf einmal 
im Kampfe. Neun andere Söhne, die er nach jenen hatte, waren alle 
Heerlönige und nach ihnen. und ihren Rachlommen find alle bie Helden» 


1 Bol. Saro 8. VI, 6, 218,2. 


99 





geſchlechter benannt, die in den Heldenſagen auftreten, z. B. von Nafil 
die Niflunger, von Budli die Budlunger u. ſ. w 
Wir folgen aber der vorbemerkten Eintheilung. 


A. Eigenthümlich nordiſche Heldenſagen. 
Frodi der Friedſame. 
Thiele, d. Fol. L 6. 21. W. Grimm, d. Runen, 2532 ob. 


"Die Skalda enthält unter den Kenningar (poetifchen Bezeichnungen) 
Holgendes (Sn. Edd. ©. 146 ff. [Edda Snorra Sturlusonar. Hafn. 
1848. I, 374. Simrods Edda ©. 347. 8.]): 


„Warum wird das Gold Frodis Mehl genannt? Davon ift die Sage 
die: Skjöld Hieß der Sohn Odins, von dem die Stöldunger ſtammen. Er 
hatte Sig und Herrichaft in den Landen, bie jet Dänemark genannt werben 
und damals Gotland hießen. Stkjölds Sohn hieß Fribleif, der nad ihm über 
die Lande herrfchte. Fridleifs Sohn hieß Frodi, er nahm das Königthum nady 
feinem Bater, zu ber Beit, da Kaifer Auguſtus Frieden in der ganzen Welt 
Riftete. Damals warb Chriſtus geboren. Weil num Frodi der mächtigfte aller 
Könige in Nordlanden war, jo warb ihm in der ganzem bänifchen Zunge biejer 
Zriede zugeſprochen und nennen die Norbmänner dieß robisfrieden 1. Kein 
Mann fligte da dem Andern Schaden zu, mochte er auch ben Mörder feines 
Baters oder Bruders?, los oder gebunden, vor ſich finden. Da war auch kein 
Dieb oder Räuber, fo daß ein Goldring lang auf Yalangursheibe3 lag. König 
Frodi fandte Einladung (heimbod) nad Schweden an König Fiölnir; da kaufte 
er zwei Mägde (ambättir, Scavinnen), welche Fenja und Menja hießen; fie 
waren groß und flarl. Bu der Zeit gab es in Dänemark zwei Mühlfteine 
von folder Größe, dag Niemand ſtark genug war, fie umgutreiben; auch 
hatten diefe Mühlen die Eigenihaft, daß auf ihnen gemahlen wurde, was 
der Mahlende vorſagte. Solche Mühle hieß Grotti«‘. Hengiljaptr if} ber 
genannt, der bem König Frodi die Mühlen gab. Frodi ließ bie Mägbe zu 
den Mühlen gehen und hieß fie da Gold und Frieden und Heil fir ihn 


1 Fröda-frid. 

2 Bgl. Srimm, Rechtsalt. 400. 

3 Geijer ©. 399, N. 8: Jalangr Tag in Sitlanb; vgl. Sarxo B. V. 
4 Grotta f. mola. 


I) V 100 , 


mablen!. Er geftattete ihnen nicht länger Ruhe noch Schlaf, als fo fang der 
Ruduf ſchwieg oder fie ein Lied fingen mochten (hljod mätti qveda). Es wird 
gefagt, daß fie da das Lied fangen, welches Grottaſang genannt wird; und che 
fie ausgefungen, mahlten fie Frodin ein Heer, fo daß in der Nacht der Seelönig 
Möfingrtam, Frobin erfhlug und große Beute nahın. Da war der Frodisfriede 
vorbei. Möfingr nahm Brotti mit fi), ſowie auch Fenja und Menja, und hieß fie 
nun Salz mahlen; um Mitternacht fragten fie, ob Möfingr nicht des Salzes 
fatt Habe (leiddiz); er aber hieß fie fortmahlen. Da mahlten fie noch kurze 
Frift, bis das Schiff unterfant; und im Meere blieb dort ein Strudel, wo die . 
See durch die Muhlſteinlöcher gefallen war , da ward die See falzig. 


Nun find gelommen 
Zu Königs Haufe 
Zwo Zulunftlundge, 
Fenja und Menja. 
Sie find bei Frodi, 
Fridleifs Sohne, 
Mächtge Mägde, 

Zu Dienft gebunden. 


Zur Mühle wurden 

Sie bingeleitet, 

Des grauen Steines 
Gang zu lenken. 

Nicht gönnt’ er Beiden 
Raſt noch Ruhe, 

Bevor er hörte 

Den Sang ber Mägde. 


Sie Tießen heulen 
Die laute Mühle, 
Mit Armen treibend 
Die raſchen Steine. 
Noch hieß er weiter 
Die Mägde mahlen. 


1 Niederd. Liederb. 105: 
fe vern in jennem Franckryken, 
dar licht ein Mole folt, - 
de malet alle Morgen. 
dat Süluer, dat rote Golbt. 


101 


Sie fangen und ſchwangen 
Rauſchende Steine, 
Bis Frodis Dienfivolt 
Zuiriſt entfchlafen. 
Da fang das Menja, 
Der Mühle waltend: 
„Reich mahlen wir Frodin, 
Mahlen ihn jelig 
In Gutes Fülle, 
Auf der Freudenmlihle. 

\ | 


Er fig’ auf Schatze, 

Er jlaf auf Daunen, 
Er wach' in Wohljein! 

- Wohl iſt's gemahlen, 
Da ſchuld' auch Keiner 
Dem andern Schaden, 
No bau’ ihm Böſes! 
Richt Fift er Todfchlag, 
Nicht hau’ er darum 
Mit ſcharfem Schwerte, 
Fänd' er gefeffelt 

Des Bruders Mörder!” 


Da ſprach nicht Frodi 
Ein Wort vor diefem: 
„Nicht Ichlafen ſollt ihr, 
Ihr und der Kudul, - 
Nicht länger, denn ich. 
Ein Lied mag fingen.” . 


„Nicht warft du, Frodi, 
Dir ſelbſt vorſchauend, 
Du Gerneredner, 

Da du uns kaufteſt. 

Dun ſahſt auf Kräfte, - 
Du ſahſt anf: Ansfehn,- 
Doch nach der Abkunft 
Hieltſt du nicht Frage.“ 


102 





Heart war Hrunguir ' 
Und, hart fein. Vater, 
Doch war Thiaſſi 
Stärker, als Beide. 

Idi und Aumir 
Sind uns befreundet, 
Sind unfres Vaters, 

Bergriefen, Brüder. 


Nie wär’ euch Grotti 
Bom Berg gelommen, 
Noch jener Harte | 
Stein aus der Erbe; 
Noch mahlte fo 
Bergrieſentochter, 

Wär' ihr Geſchlecht 
Nicht deſs mitwiſſend. 


Neun Winter waren 
Wir Zaubermägde 
Stark aufgewachſen 
Unter der Erde. 

Jung ſchickten wir uns 
Zu großem Werke, 
Wir rüdten ſelber 

Den Fels vom Qrte. 


Wir wälzten Steine 
Um’s Haus des Riefen, 
Daß rings die Erde 
Davon aufbebte 

So ſchwangen wir 

Den rollenden Fels, 
Der ſchweren Gtein, 
Daß Männer ihn griffen. 


Bir aber fürder 

Im Schwebenreide, 

Bir Bufunftsfundge,. 
Durch a Boll hinſchritten. 


103 


Sättigten Bären, 
Brachen Schilde, 
Giengen durch's Heer, 
Das graugepanzerte. 


Stürzten den Führer, 
Stärkten den Andern, 
Braten dem guten 
Guttorm Hilfsvolk. 
Naſt war keine 

Vor Feindes Falle. 


Fort trieben wir’s 

In jenen Jahren, 

Daß wir in Kämpfen 
Weitkundge wären. 

Da fchikrften wir 

Mit ſcharfen Speeren 
Blut aus Wunden 
Und rötheten Schwerter. 


Nun find wir kommen 
Bu Königs Hauke, 
Erbarsmugslos 

Zu Dienft gebunden. 
Kies ſchmerzt die Sohlen, 
Die Glieder Kälte. 

Dem Feinde mahlen wir, 
Trüb iſt's bei Frodi. 


Die Hand fol ruhen, 
Der Stein mag ftehen! 
Gemablen hab’ ich 
Mein. Zagewerl.” 
„Richt fei den Händen 
Haft vergöunst, 
Eh' vollgemahlen 

Es Frobin daäncht. 


Hände werden halten 
Harte Schwerter, ... 


·22 





104 


Bluttrifende Waffen. 
Wach’ auf, Frodi, 
Wach' auf, Frodi, 
Willt du lauſchen 
Unſern Sängen 

Und Zukunftſagen! 
Feur ſeh' ich brennen 
Der Burg im Oſten; 
Schlachtkündend wachet 
Die Barnungsflamme. 
Ein Heer wird kommen 
Hieher im Fluge, 

Dem König wird es 
Die Burg verbrennen. 


Nicht wird dir bleiben 
Der Stuhl von Ledra, 
Die goldnen Ringe, 
Die Königsſteine. 
Faſſen wir Mägde 

Die Mandel ſchaͤrfer! 
Bir find. geborgen 

Bor diefem Blutbad.“ 
„Mächtig mahlte 
Meines Vaters Tochter; 
Sah reif zum Tode 

: Der Männer Manchen. 
Es fprangen die großen 
Stüben der Mühle, 
Die eifernen, fernhin. 
Mahlen wir fürder!* 
„Mahlen wie fürder! 
Drjas Sohn, 
Abkömmling Halfbans,. 
Wird Frodin rähen, - 
Wird feiner Mutter . 
Sohn und Bruder 
Geheißen werben; 
Beide wiffen wir's.* 


105 


Die Nägde mahlten, 
Brauchten die Kraft, 
Die Jungfraun tobten 
Im Jotenmuthe, 
Da barft die Mandel, _ 
Fiel um die Schaale, 
Da fprang der ſchwere 
Stein in Stide. 


Bergriefin, die eine, 
Sprach dieß Wort: 
„Gemahlen if Frodin, 
Jetzt mögen wir enden, 
Genug nun ſtanden 

An der Mühle die Mägde,“ 1 


Diefes räthielhafte Lied ift doch ſchon ohne nähere Erklärung wohl 
geeignet, einen beftimmten poetifchen Eindrud herborzubringen. Es ver: 
fündigt in düſtrem, ahnungsvollem Gefange den nahen Umſchwung bes 
zum Übermaaße gefteigerten Glückes. König Frodi ift ein nordiſcher 
Polykrates. Solche unmittelbare Einvrüde konnten auch die ſchon früher 
borgetragenen Mythenlieder hinterlafien und es liegt eben barin das 
poetifche Wefen -diefer Mythenmwelt. Aber wie wir dort doch immer noch 
zu einer befondern Deutung der bichterifchen Bilder hingezogen wurden 
und dieſe Deutung den poetifchen Einbrud keineswegs aufhob, vielmehr 
die lebendige Einheit der Idee und des Bildes recht fühlbar machte, 
fo ift nun aud die befonbere Erflärung bes Mühlenlieveg zu verfuchen. 
Dasfelbe wird übrigens weſentlich vurch die ihm in der Skalda voran: 
geſchickte profaifche Erzählung ergänzt. Denn wenn auch diefe ſich als 
von einem chriftlichen Verfaſſer niebergeichrieben bezeichnet, fo gibt doch 
nur fie den Mythus im vollftänbigen Umriffe, mie 3. B. das Lieb nichts 
vom Mahlen des Goldes und nachher des Salzes befagt. Es ift häufig 
der Fall, daß bie -alten Lieder nur gewiſſe, beſonders anregende 


." 4 Befonders herausgegeben ift obiges Lied, Grotissaungr, in Thorlacij 
Antiquitatt. boreal. observatt. miscellan. Spec. V. Havn. 1794, mit Les- 
arten, lateinifcher und dänifcher Überfegung, aber ohne Commentar. Dentſch 
. Überfegt von Gräter in Idunna und Hermode u. f. w. 1812. N. 52. [Bgl. 
Möbius, Catalogus libr. isl. ©. 91. Lunings Edda ©. 484 ff. &]— 


106 


Momente der Sage hervorheben, und das Muͤhlenlied ſcheint ſogar ander: 
ſeits über den Kreis des ihm zu Grunde: Tiegenben Mythus, zum Nach⸗ 
theil des letztern, hinauszutreten. | 

Die Löfung des Näthfels bürfte einfach dieſe fein: die Mühle im 
Ganzen ift das Meer, die Mühlfteine find Felsufer, Klippen, Riffe, 
Scheeren, die Mühlmägbe find die Wellen; König Frodi hat diefe Mägbe 
in feinen Dienft gelauft, er bat fi) das Meer dur Schifffahrt dienft: 
bar gemadt; fie mablen ifm Gold, das Meer, die Seefahrt bereichert 
ihn; er läßt die Mägde nicht länger vaften, als von einem Kudulsruf 
zum andern, er feht die Seefahrt nicht aus, als den Winter über, von 
einem Sommer zum andern I; aber die ihm erft Glüd gemahlen, 
. mablen ihm nun feinblichen Überfall; bad Meer, das ihn veich ges 
macht, bringt auch den Seelönig her, ber Frodin erichlägt und feine 
gefammelten Schätze raubt; der Seekönig nimmt die Mühle und bie 
Mühlmägde mit ſich, ihm müfjen fie Salz mahlen, ex waltet nun frei 
auf dem Meere, wühlt die falzigen Wellen um; die Mägbe: fragen ihn 
um Mitternacht, ob er nicht Salzes genug habe, er aber heißt fie fort- 
mahlen, ber Tee Secheld? befährt aud noch im finftern, nordiſchen 
Winter dad Meer; da. mahlen die Mägbe, bis das Schiff unterfinkt 
und die Mühlfteine den Meeresftrubel bilden, er bußt ſeine Kedheit mit 
dem Untergang im ftürmifchen Meere. 

Diefe Deutung ift nun aber auch noch den Sauptzägen nad in 
den mythiſchen Borftellungen, der Naturanſchauung und den Sitten des 
Nordens nachzuweiſen. 

Daß die Mühle überhaupt das Meer bedeute, iſt von Finn Mag⸗ 
nufen (Lex. myth. 237 f. Edd. IV, 258 f.) ſehr einleuchtend darge⸗ 
than. Die Phantafie ber Norbländer betrachtete bie beivegte See als 
eine große Mühle, worin der Meerſand gemahlen werde. Der däniſche 
Konigsſohn Amleth, deſſen fagenhafte Geſchichte Saxo (B. IL, ©. 71 f.) 
erzählt, ſtellt ſich verrüdt und fpricht allerlei wunderliche Dinge, melche 
jedoch unter dieſem Scheine einen richtigen Sinn verbergen. 

Ita astutiam veriloquio permiscebat, ut nec dictis veracitas deesset, 
nec acnminis mödus- verorum judicio [indici6] proderetur. 


1 ®gl. Hrolfe 8. €. 12. Herr. 8. 6. 3. 
2 Was ein Seelänig fei, |. Ynglingaſaga Cap. 34. 


107 


Eine. ſolche Doppelrede ift nun auch, daß er ein], als er am See⸗ 
ſtrande vorbeiloaunt, dad Sand der. Dünen, bas man ihm für Dre 
- ausgibt, als von. ben Meeresſtürmen gemahlen bezeichnet: 

Arenaram. quodgue præteritis elivis, sabulum perinde ac farrs aspioere 
jassus, cadem zibicantibus maris prooellis permolite esse respondit. Lau- 
dsto a comisibus responso, idem a se prudenter.editum asseverabat. 

Daber heißt auch in bem Bruchftüde: eines Slalbenliedes, das die 
Skalda aufbewahrt hät (Bn. Ed. 126. [Hafa. 1848. 1, 324]),. das 
Meer die Mühle, in der einft neun Mühlmädchen Amlodin Uferfand 
gemahlen. Zum Beweiſe; daß noch im Anfang bed 18ten Jahrhunderts 
bei den dänischen Bauern foldhe Vorftellungen und Redeweiſen üblich 
waren, führt Finn Magnufen ‘aus einer lateiniſchen Handſchrift von 
Gorterup, der zu biefer Zeit ſchrieb, eine Stelle folgenden Inhalts an: 

Noch jetzt if der Bewegung des Meeres der Name einer Mühle nicht 
jo weit entzogen, daß er nicht noch Heutzutage von unjern Bauern gebraucht 
wöärde. Wenn diefe bei hellem und rubigem Himmel, Morgens oder Abends, 
die Wellen de Meeres lauter als gewöhnlich vaufehen hören, fo prophezeien 
fe nicht mit Unrecht einen baldigen, Sturn, mit den Worten: „Wir Triegen 
bald Unwetter, es mahlt fo. im Meere“. Und man muß geſtehen, daß biejes 
NRanfchen im Meere den Ton von Müpffteinen, befonbexs von Handmühlen, bie 
ſtark umgeſchwungen werben, fo teuſchend darftelle, daß man das Eine vom 
Andern ſchwer unterfcheiben würde. 


Das Wort Malſtrom, womit noch im Norben ein Meeresftrubel 
bezeichnet wird, ift gleichfall® hieher zu rechnen. Nach einem alten noch 
ungebrudten Beifage, der fich in einigen Hanbichriften der Skalda findet, 
fol das Schiff des Seelönigd in der Bucht von Petland (heutzutage 
Pentland⸗Frith, der Sund, ber Schottland von ben Orkaden ſcheidet), 
untergegangen fein, wo fobann ein gefährlicher Malſtrom entftanven. . . 

Sp überzeugend. mir nun Finn Magnufens Beweife für die Dew 
tung der Mühle als dad Meer überhaupt ericheinen, jo Tann ich doch 
feine weitere Anficht nicht: teilen, daß das Mehl, weldes Frodin ge 
mahlen worden, für. Goldſand zu nehmen ſei. Diejes konnte im Nors 
den und auch fonft beim Deere wenig in Betracht Iommen. Das Gold 
it mir im Allgemeinen ber Reichthum, den Schifffahrt und. Seemacht 
theils durch Handelsverkehr und Fiſchfang, theild durch den. nicht. für 
unrũuhmlich angefehenen Seeraub und die den .alten Skandinaviern 


n 


108 


herlommliche Brandſchatzung fremder Uferländer herbeiſchafften. Wir 
wiſſen, daß Njörd, der über ven Gang des Windes herrſcht und das Meer 
ftillt, den man auf der See und bei der Fiſcherei anruft, alfo derſelbe 
Gott, der über die Seefahrt und die gute Fahrzeit malte, aud der 
Geber des Reichthums und Überfluffes ift (J. Edda ©. 185. [Hafı. 
1848. 1, 92]). Und in der angeführten Lieberftele aus Saxo (8. I, 
©. 21 [Audg. von Müller 1, 54]) findet der König Habbing wegen 
‚ . bieler Vortheile,. die das Meer abwirft, für befier, zu ihm zurüchu⸗ 
kehren: 
Nam freta remigiis probare 

Om̃eii potioris esset, 

Mercibus ac spoliie orare, 

Kra aliena [fremdes Goſd] sequi locello, 

A&quoreis inhiare lucris, 

Quam salebras nemorumque flexus 

Et steriles habitare saltus. 


Die Mühle heißt Grotti, was Stein zu bebeuten fcheint (Lex. 
myth. 475«: Grottin-tanna, dentes saxeos gestans); fie heißt fo in 
Beziehung auf die zwei ungeheuren Mühlfteine. Wie Grotti vom Berge 
gewwälzt worden, ſchildert das Lieb in mächtigen Zügen. Es mag bie 
bei die Vorftellung zu Grunde liegen, daß die Uferfelfen, die Klippen 
und Scheeren, an denen bad Meer fi mahlend und raufchend bricht, 
vom Gebirge berabgerollt fein. Sie find Iosgerifiene Stüde der Ge 
birgamelt. In der Tiefe des Meeres verurfachen ihre Klüfte ben 
Malftrom. 

Endlich die riefenhaften Mühlmägde, Menja und Fenja, haben 
wir für die Wellen erflärt; in ihnen ift die Bewegung des Meeres gegen 
das Geftein perfonificiert, ihr Gefang, die raufhende Stimme bes 
- Meeres, ertönt erft fanfter, dann ſchwillt er ftürmifcher an. Sie find 
dienſtbar, wie der Menſch fi die Elemente dienftbar macht, fie mahlen 
Frodin, was er wünscht; aber fie find auch unbändig unb treufos, wie 
das Element, fie mahlen ihm Verberben. (Die Handmühle ift im nor 
diſchen Altertbum bie getvöhnliche SHavenarbeit.) Menja und Fenja 
ftammen vom Sotengefchlechte, denn dahin, wie und aus der Bötter 
fage befannt ift, gehören alle die wilden und rohen Naturgewalten. 
Hrungnirn, den’Steinriefen, den Thor zerfchmettert, Thiaffin, der Idun 


19 


geraubt, u. A. nennen fie ihre Verwandte. Ihr Vater, defien Namen 
fie nicht angeben, ift vermuthlich Agir, der Meereögott vom: Soten: 
ſtamme; die Wellen werben fonft Ägirs Töchter genannt. Die Niefen- 
töchter, die unter der Erbe genährt waren, vermögen allein, Grotti vom 
Haufe des Riefen herzuwälzen, daß die Erbe davon erbebt; fei es, daß 
fie ald Ströme des Gebirges die Felſen herabrollen oder fie als ftür: 
mifche Brandung vom Ufer losreißen. Sie ziehen nah Schweden, dem 
guten Guttorm zu Hülfe, durchbrechen das Feindesheer, ſpalten Schilde 
und röthen Schwerter; mit Unrecht hat man fie deshalb zu Valkyrien 
gemadt; der Kampf, an dem fie, die Meereswellen, Theil nehmen, 
ift eine Seeſchlacht, die zu, Guttorms- Gunften ausfällt. In Beziehung 
auf diefen Sagenhelden weiß ich nur das anzuführen, daß bei Saro 
(8. 1, ©. 8 f. Steph. 9 f. [Müller I, 34]) ein Guthorm, Haddings 
Sohn, vorlommt 1, der bei Riefen in Schweden erzogen und fpäter König 
in Dänemark pird. Wie Yenja und Menja dem Guttorm geholfen, 
fo mahlen und fingen fie auch den kühnen Seekönig Myfing zu Frodis 
- Berberben heran. Aber auch jenen ſelbſt verſenlen ſie zuletzt im Mal⸗ 
ſtrome. 

Die poetiſchen Silber, in ‚denen der norbifche Mythus fpricht, find 
in der Folge zu eigentlichen Kaͤthſeln geworden. Dieſe Eigenſchaft hat 
ein chriſtlicher Grottaſang, den ich hier zur Vergleichung aushebe. Hängt 
er auch nicht geſchichtlich mit dem heidniſchen zuſammen, ſo kann er 
doch unſrer Erklärungsweiſe zur Unterſtützung gereichen. *** 

Aretin, Beiträge zur Geſchichte und Litteratur m. j. w. B. IX. Munchen 
1807. S. 1163 bis 1166. Bgl. Mone, Duell u. ori. I, 114. Wolff, 
hiſtoriſche Volkslieder ©. 75 bis 78. Sem. Edd. 177, 57. [Les chants de 
8öl par Bergmann. Straßburg 1858, ©. 116.8]. ur 

So viel zur Erläuterung bes Müblenlieves für fi. Dasſelbe ſteht 
aber in genauer Verbindung mit Frodis Frieden, von welchem außer 
der Einleitung, die dem Grottaſang in der Skalda vorangeht, auch 
anderwärts Lied und Sage ſprechen. Die Götter hatten. ihr Goldalter 
und ſo hat auch den Menſchen einſt das ihrige geblüht. Bald in der 
Zukunft, bald in der Vergangenheit wird, wie im Mythus andrer 
Volker, fo auch im nordiſchen, die ſelige Zeit geſucht, die niemals in 


A BL. Seinichen, Nord. Folks Orertio: 3 18” 


110 


bie Gegenwart tritt. In ber Bölufpa. ($. Dagnufen, Bdd. ©. 38. Et 19) 
wird gejagt: - 
Den Mord weiß fie | 
In der Welt den erften, 
Da fie Gullveig 
Durchbohrten mit Speeren, 
In des Hohen Halle 
Sie dreimal brannten, 
. Die dreimal geborne, 
Doc lebt fie noch. 
Heibur hieß man fie, 
Wo fie zu Haus kam, 
Das trügriſche Weib, 
Zähmte fie Wölfe, 
Seibkünfte kannte fie. 
Stets verlogdte fie 
Übles Bolt u. |. w. 
Odin da auswarf 
Unters Boll den Speer. 
Das weiß fie den Kriegsmord 
In der Welt den erften. 
Geheg der Afaburg 
Ward da gebrochen, 
Krieg ahnten die Vanen, 
Über das Feld fie fuhren. 
Dieſe Stelle, deren Erklärung allerdings manches Sqhwierige hat 
und die von Einigen auf die Kriege der Götter ſelbſt bezogen wird, 
läßt wenigſtens ſo viel deutlich werden, wie aus dem Golde, aus dem 
Ubermaaße des Glückes ſelbſt, das Unheil hervorgeht. 
Sonſt berichten die Sagen! über bie irdiſche goldene Zeit noch 
Folgendes: u | 
Die Ynglingaſaga erzählt von ber Regierung bes für einen 
Schwedenkönig genommenen Njbrd (Cap. 11. Heimskringl. 1, 15 f.): 
In feinen Tagen war durchaus guter Friede und Zahresfegen jeder Art, 
fo reichlich, daß die Schweden deshalb glanbten, Ri walte fiber das Jahr 
umd über das Glück der Menſchen. 


1 ®gl. Helgaqvida Hundingsbana 1. Edd. Sem. 151, 13: Fröda frid. 
Saro ©. 184, 2 [Müller 1, 240). 


1 


Ebendaſelbfi (Cap. 12. I, 12 [15]) wirb von feinem Sohne und 
Nachfolger Freyr geſagt: 

Er war ſehr geliebt und ein Geber guter Jahre, wie fein Vater u. w w. 
In feinen Tagen begann Frodis Friede (Fröda fridur), da war auch gute 
Zeit in allen Landen. Die Schweben rechneten das Freyrn zu und er war 
um fp viel mehr verehrt als andre Götter, da in feinen Tagen das Bolt des 
Landes reicher als vorher durch Frieden und Jahresſegen warn. ſ. w. [S. 16.) 
Freyr ward frank und als feine Krankheit zunahm, wurden fie zu Rathe, 
wenige Leute zu ihm kommen zu laffen. Sie bauten einen großen Hügel und 
machten eine Thllre dran und drei Fenſter. Als num Freyr tobt war, trngen 
fie ihn heimlich in den Hügel und fagten den Schweden, er lebe noch, und ver- 
wahrten ihn dort drei Winter. Alle Schatung aber brachten fie in den Hligel; 
zum einen Fenſter hinein das Gold, zum andern das Silber und zum dritten 
die Kupfermlinzen; da war gutes Jahr und Friede. [Cap. 13.] Als aber nun 
alle Schweden wuften, daß Freyr todt war und gutes Yahr und Friede be- 
fand, glaubten fie, es würde fo bleiben, fo lange Freyr in Schweden wäre, 
und wollten ihn nicht verbrennen, nannten ihn dem Gott der Welt und opferten 
ihm alle Zeit herna um Jahrgewächs und Frieden. ' 


Ferner (Cap. 14. 1, 13 f. [E. 17)): 

Fiölner, der Sohn Yngpifreyrs, waltete hernach liber die Schweden und 
Upfala- Gut; er war rei und hatte Frieden und gute Jahre (arsell oc frid- 
sell). Damals war Friedfrodi (Fridfrödi) zu Lebra; zwiſchen ihnen fand 
gutes Vernehmen und gaſtfreundliche Einladung ftatt. Als nun Fiölner zu 
Frodin nad) Seeland fuhr, warb Bier ein großes Gaftmahl angerichtet und 
weit in den Landen umher dazu eingeladen. Frodi hatte ein großes Haus und 
darein war eine große Kufe gemacht, viele Ellen hoch unb aus großen Bimmer- 
Hölzern zufammengefligt. Dieje Kufe ftand im Untergefchoffe umd darüber war 
ein Boden, zwifhen den Dielen aber eine Offnung, wodurch man aus der 
Kufe, die voll Methes war, jchöpfen lonnte. Da ward jehr ſtark getrumfen u. ſ. w. 


Als hierauf Fjölner in der Nacht aufgeftanden war, fiel er, von 
Schlaf und Trunk betäubt, in die Meihlufe 1 und ertrant, „in winbftillem 
See,“ wie der beigefügte Vers eines Stalbenliedes jagt. 

Saxo bat ſechs Dänenkönige, die den Namen Frotho (Frodi) führen, 
und unter mehrere derſelben find Büge vextheilt, welche offenbar der 
einen Sage von Friedfrodi gehören. Bon Bo, Haddings Sohne, 


LEHE Neun 


112 


berichtet Saxo (B. I, ©. 25 f. [1, 61 Müller]) 1, ale Frotho ger 
funden, daß ber Schat feines Vaters durch Kriege aufgezehrt fei, und 
er nicht gewuft, wie er fein Kriegsvolk erhalten folle, fei er durch den 
Aufruf eines herzulommenden Mannes ermuthigt morden (tali subeuntis 
indigen carmine coneitatur). Diefer Aufruf in lateiniſchen Verfen, 
von denen man bei Saro immer annehmen darf, daß fie alten ein 
| hemiſchen Liedern oder Lieberftellen entſprechen, hebt jo an: 


Insula non longe est premollibus edita clivis, 

Collibus sera tegens et opime conseis presde. 

Hic tenet eximium, montis POssessor, acervum, 

Implicitus gyris serpens, crebrisque reflezus 

Orbibus, et caude sinuosa vefamina ducens, 
Multiplicesque agitans spiras virusque profundens u. f.w. 


Der Mann gibt hierauf auch Anweifung, wie biefer goldhütende 
Drache bezivungen werben könne. Frotho foll feinen Schild und ben 


ganzen Leib mit Stierhäuten beveden, dadurch werde er vor dem bren- . - 


nenden Eiter, den das Ungeheuer ausfpeie, und vor deſſen giftigem Bifje 
vermabrt fein. Die Schuppenhaut des Drachen troße zwar jeder Waffe, 
aber am Bauche fei eine Stelle, wo das Schwert einbringen könne. 
Frotho fährt nun ganz allein auf die Inſel über, greift den Drachen 
an, als diefer von ber Tränke nach feiner Höhle zurüdfehrt, und erlegt 
ihn.auf die angegebene Weife. Der gefundene Schak macht ben König 
ſehr veih. Don eben dieſem Frotho meldet Saro nachher noch (8. IL 
©. 87 [1, 79 Müller]): 

Nec pretereundum , Frothonem contasis commolitisque auri frag- 
minibus cibos respergere solitum, quibus adversum familiares venefioprum 
insidias uteretur. 

Unter diefen Golbfplittern, mit denen Frotho feine Epeife beſtrent, 
erkennt man leicht den misverſtandenen Dichterausdruck vom Golde, als 
Frodis Mehl, Menjas Reibwerk (Menio neit, intrimenta Meaie, Lex. 
myth. 2370). 

Ein nachfolgender Frotho IL wird (B. v, ©. 127 [1, 236 Püller]) 
als Bader geſchildert und unter feinen Sarurgen findet ſich die 


Ganz Ähnliches ai San ®. vi, ©. 158 von Bent, 8 andh 
8. VII, ©, 198. . 


113 . 
einer goldenen Friedenezeit wohl anſtehende, daß Niemand ſeine hab⸗ | 
feligleiten unter Schloß und Riegel vertvahren folle. 

Preterea senxit, ne quis rem familiarem seris mandare prssumeret, 
duplum ex fisco regis amissorum pretium recepturus. Quam si quis 
arcarım olsustris observandam duxisset, aure® libre regi debitor fieret. 

Noch weiteres hieher Einſchlagende wirb von eben dieſem britten 
Frotho an einer fpätern Stelle angeführt (B. V, ©. 138 [1, 247 
Müller]): \ | 

Victor Frotho, pacem per omnes gentes reficere cupiens, ut unius- 
cujusque rem familiarem a furum incursu tutam prestaret otiumque regnis 
post arma assereret, armillam unam in rupe, quam Frothonis petram - 
nominant, alteram apud Wig provinciem, habita cum Norvagiensibus 
concione, defixit, ediete a se innocentie experimentum daturas; subductis. 
iisdem, in omnes regionis presides animadvertendum minatus. Itaque 
summo cum prefectorum periculo aurum absque custodie, mediis affixum 
triviis, magnum avaritise irritamentum extabat, opportans rapine preda 


-  plena cupiditatis ingenia provocante. Statuit idem, ut navigantes repertis 


ubicumque remis licite fruerentur. Amnem vero transituris usum equi, 
quem vado proximum reperissent, liberum esse concessit. Eodem de- 
scendendum fore constituit, quum priores ejus pedes solam attingerent, 
postremos adhuc nnda sublueret. Talium siquidem commodorum bene- 
ficia potius humanitatis, quam injurie nomine censenda credebat. Ceterum 
reum capitis fieri, qui superato amne equi usum longius expetere pre- 
sumpsisset, instituit. Juseit etiam, ne quis sdem vel arcam seris obfir- 
matam haberet, aut rem ullam claustrorum custodia contineret, triplicem 
amissorum restitutionem promittens. Preterea tantum alieni cibi in com- 
meatus assumi fas esse, quantum uni can sufficeret, promulgabat, 
Quam si quis in capiendo mensuram excederet, furto obnoxius haberetur!, 

Dem Könige der Friedenzzeit werden bier jene milden Beſtim⸗ 
mungen zugefchrieben, die in den germanischen Rechtsalterthümern unter 
mancherlei Geitalt vorkommen, mwonah dem Wanderer überall das 
Nöthigſte zu feinem Fortlommen und feiner Erfrifchung geftattet wird 
und die Eigenthumsrechte durch die dringendſten Forderungen der Menſch⸗ 
lichkeit beſchränkt find 2. 


1 Andre Satzungen ©. 131 [246 Müller]. 
2 Bol. Grimm, Nechtsalt. 400 bis 402. 948. "249. 209, wo die Fälle 
Saros nicht angemerkt find. 
Upland, Schriften, VII. 8 


114 


Auf fieben “Jahre wird biefer erite Friebe bes dritten Frothos ans 
gegeben (ebenv. [1, 248 Müller]), es folgt aber fpäter noche ein B0jäheiger 
(8. V, S. 143 f. [1, 254 Müller]): 

Annisque tricenis ab omni bellorum negotio —— « est. Quo tem- 
pore cunctis pene terris eximis fortitudinis laude danicam nomen inclaruit. 

Auch bier wieder beißt e8 [1, 255 Müller]: 

Denique in Jutia, tanquam in capite regni sui, magni ponderis auream 
armillam triviis affigi curavit, edietee a se innooentie experimentum tam 
insignis preedee documento daturus u. |. w. Tanta siquidem Frothoniane 
majestatis auctoritas erat, ut etiam aurum, rapin® expositum, perinde 
ac firmioribus claustris obsitum tueretur. 

(In der Sage, wie die Skalda fie erzählt, ift es mehr ber un« 
ſchuldige Sinn der Menfchen dieſes Zeitalters, was ben Golbring weg⸗ 
zunehmen abbält.) 

Wie in der Stalba wird nun auch von Saro biefe Friedenszeit 
mit der Geburt des Heilands in Verbindung geſetzt: 

Per idem tempus public salntis auctor, mundum petendo, servan- 

dorum mortaliam gratia mortalitatis habitum amplecti sustinuit, cum jam 
terre, sopitis bellorum incendiis, serenissimo tranquillitatis otio fruerentur. 
Creditum est, tam profus® pacis amplitudinem ubique ®qualem nec ullis 
orbis partibus interruptam, non adeo terreno, principatui, quam divino 
ortui famulatam fuisse, calitusque gestum, ut inusitatum temporis bene- 
ficium presentem temporum testaretur autorem. | 

Nach dieſes Frothos Tode wurde fein Leichnam von den Großen 
bes Reichs noch drei Jahre aufbewahrt (mie bie Inglingafaga von Freyr 
erzählt) und auf einem Wagen geführt [1, 256 Müller]: 
DPDeportabatur itaque ab eis exanimum corpus, ut jam non funebri 
lecto, sed regali vehiculo gestari videretur, tanquam invalido seni nec 
satis virium compoti id muneris a militibus deberetur. Tantum magni- 
ficentie etiam extincto ab amicis tributum est. 

Zuletzt wird er bei einer Brüde in Seeland Töniglich beftattet: 

Secus Weram, Sialandie pontem, regio funere tumulavere corpus, 
affirmantes, Frothonem eo loci mortis ac busti copism exoptasse, ubi 
regni ejus prestantissima haberetur provincia, 

(Der Sinn diefes Begrabens bei ber Brüde ift mohl ein anderer; 
entweder bezieht es ſich auf den durch Frodis Frieden geſicherten Verlchr!, 1 


1 Bgl. die Satzungen vom Schiffer und Wanderer. 


115 


un} 


ober, was wahrſcheinlicher, auf den durch manche Spmichriften von 
Aunenfteinen beiviefenen Gebrauch, ſich zum Gedächtnis eine Brüde 
zu fiften, was man mit den religiösmytbifchen Vorftellungen von ber 
Sjallarbrüde in Verbindung bringt) Das Andenken an Frothos III 
fegenreiche Regierung wurde nad Saros weiterem Berichte (B. VI, 
©. 145 [1, 258 Müller]) noch beſonders dadurch geehrt, daß die Dänen 
denjenigen zu feinem Nachfolger beftimmten, ver ein würdiges Loblied 
auf den Hingegangenen dichten würde. Auch bier hatte Saxo wieder 
eine alte Lieberftelle vor fih. Er fagt: | 


Tune quidam Hiarnus, danice admodum poesis peritus, ut claritatem 
viri insigni” dietorum monumento prosequeretur, premii magnitudine con- 
citatus, more suo barbarum condidit metrum. Cujus intellectum quatuor 
versiculis editum in hec verba transcripsit [„transcripsi* Müller]: 

Frothonem Deni, quem longum vivere vellent, 
Per sua defunctum rura tulere diu, | 
Principis hoc summi tumulatum cespite corpus, 
Zithere sub liquido nuda recondit humus. | 
Quo carmine edito, auctorem Dani diademate munerati sunt. 


So geht Friedfrodi in den Gefang auf, tie fein golbenes Reich 
der Poefie entiprungen ift. Der Name dieſes Friedens: und Geſetze⸗ 
ftifterö felbft if nicht unbebeutiam: frödr heißt weife, vielwiſſend. Es 
ergibt fih aus den angeführten Berichten, daß von Frodi zum Theil 
das Nämliche erzählt wird, wie von Freyr, daß feine irbifche Herrſchaft 
mit dem göttlihen Walten Njörds und Freyrs zufanmengeftellt und 
verwechielt wird. Der normwegifche König Diaf Trygguafon, der am 
Ende des 10ten Jahrhunderts die Einführung des Chriſtenthums in 
feinem Reiche durchſetzte, fagt nach der von ihm handelnden hiftorifchen 
Saga (die auch der Hauptfache nach einen Theil der Heimdfringla aus: 
macht), in einer Anrebe an bie Thrander (Thronvheimer), morin er 
gegen den dem Freyr gewibmeten Dienft eifert und ber dreifachen 
Schatung zum Grabhügel erwähnt, u. A. auch das: den Jahresſegen 
und den Frieden, ben bie Schweden dem Freyr zugefchrieben, hätten 
die Dänen ihrem König Frodi dem Frievfamen zu Danke gerechnet 
(Lex. myth. 96°). Das Herumführen bes tobten Frothos auf dem 
Wagen (bei Saro) erinnert daran, daß nad verfelben Olaf⸗Tryggvaſons⸗ 
Saga das Bild Freyrs, deſſen Stelle zuweilen aud ein lebendiger 


116 


Menſch einnimmt, zu gewiſſer Zeit durch das Land geführt wird, um 
ihm Jahresſegen zu bringen, zu welcher Fahrt ohne Zweifel bie weißen 
Pferde gebraucht wurben, die man in feinem Heiligthum hegte. Daß 
der ſchwediſche Fiölnir mit Frodi in Verkehr gefeht wird, erllärt ſich 
leicht Schon aus dem Namen des Fjölnir, den Manche für den erften 
hiſtoriſchen Schwebenlönig annehmen. Yjölnir ift eine Ableitung von 
Nöl, viel; auch Odin wirb Fjölnir genannt, mas wir von feiner viel 
geftaltigen Erſcheinung verftanden; bei dem ſchwediſchen Fjolnir fcheint 
mehr die Fülle des irdiſchen Segens gemeint zu fein. In dieſer geht 
er auch unter, im windſtillen Methſee!. Menja und Fenja, wie fie 
Frodin Gold und Glüd gemahlen, fo mahlen fie auch ihm und. feinem 
Frieden den Untergang. Hiebei aber tritt in der Sage, wie die Skalda 
fie profaiich gibt, eine Geftalt nur dunkel im Hintergrunbe auf, bie im 
Liede vergeflen ift. Dort beißt e8: Hengiljaptr ift der genannt, ber 
dem König Frodi die Mühlen gab. Hengikjaptr oder Hengikjöptr ift 
aber einer von den Namen ODdins (ore sive barbitio pendulo aut de- 
misso preeditus; vgl. Siägrani, Stdskeggr. Lex. myth. 3695). Unb 
fein Anderer als Odin ift wohl auch jener subiens indigena, der nad 
Saros Erzählung Frothon zur Erwerbung des Drachenhortes aufruft. 
Diefes plögliche Hinzutreten Odins in unjcheinbarer Geftalt wird uns 
in ben folgenden Sagen noch öfters begegnen. Und fo erklärt ſich's 
auch, warum im Hyndluliede von Odin gefagt ift, er gebe ben Wür 
bigen Gold (Edd. F. Magn. III, 8 f. [Str. 2]). Er gibt aber das 
Gold nicht zum Segen, fondern zur Anftiftung des Streits (Frotho foH 
damit fein Kriegsvolk unterhalten), mie er einft den Speer zuerft aus⸗ 
geworfen und die Banen, bie Frucht» und Friedensgötter, über das 
Feld fuhren. So jteht felbft im Hintergrunde der Friedensſage ber 
kampfaufregende Gott, der uns ſchon im weiteren Berlauf ver Helden⸗ 
fage immer beutlicher hervortreten wird. 


2. Herbör und Heildrel. 
Fornaldar Sögur I, 409 ff. Nordiske Fortids Sagaer I, 377 ff. 


Spafrlami, ein Ablömmling Odins, König in Gardareich (Ruß⸗ 
land), ritt auf die Jagd aus und feßte einem Hirfche nach, den er nicht 


1 Sqriften 6, 422 ff. 8.) Vgl. Die Schweiz in ihren Ritterburgen I, 113. 


17 





eher, als am Abend bes nächften Tages erreichte. Er war barüber fo 
weit in ben Wald Hineingeritten, daß er nicht irrſte, mo er wäre. 
Bei Sonnenuntergang fah er einen großen Fels, bei dem zwei Zwerge 
ftanden. Dieſe zauberte er mit dem Manleifen 1 heraus und (dtwang 


das Schwert über fie. Da baten fie, ihr Leben löfen zu dürfen. Der 


eine nannte fi) Dyrin, der andere Dvalin 2. Da Svafrlami mufte, 
daß fie die tunftreichften aller Zwerge waren, legte er ihnen auf, ihm 
ein fo vortrefflihes Schwert zu fertigen, als fie irgend vermöchten. 


Griff und Mittelitüd follten von Gold fein, Scheide und Gehäng mit - 


Gold beichlagen. Dieſes Schwert follte niemals. brechen noch roften, 
Eifen und Stein wie Tuch fchneiden und in Schlacht und Einzellampf 
immer den Sieg haben. Damit follten fie ihr Leben löſen. Am bes 
fimmten Tage fam hierauf Svafrlami zum Felfen; die Zwerge gaben 


ibm das Schwert, das wunderſchön war. Aber ald Doalin am Eins ° 


gang des Felſen ftand, ſprach er: „Diefes Schwert, Spafurlami, fol 
eines Mannes Tod fein, jo oft es gezogen wird, und mit ihm follen bie 
drei gröften Nidingswerles verübt werben; es foll auch dein Tod 
werben.” Da bieb Spafurlami nach dem Zwerge, daß das Schwert 
in den Felſen fchnitt; der Zwerg aber lief in denſelben hinein. Spafur- 
Jami führte nun diefes Schwert und hieß es Tyrfing; er trug es in 
Schlacht und Einzellampf und hatte ſtets den Sieg. Einft aber fiel 
der Berſerker Arngrim auf den Seezug (viking) mit einem großen 
Heer in Svafrlamis Reich und fie trafen ſich im Zweilampf. Arngrim 
hatte einen Schild mit großen Eijenplatten; in biefen hieb Spafurlami 
und ſchnitt ihn ganz durch, jo daß das Schwert in ber Erbe feit ftand. 
Da ſchwang Arngrim fein Schwert und fchlug des Königs Hand ab, 
nahm hierauf Tyrfing und fpaltete damit Spafurlamin. Mit großer 
Beute und mit Eyvör, der Tochter des Erfchlagenen, zog er beim nad 
der Inſel Bolm und bielt Brautlauf (brüdkaup) mit Eyvör. Gie 


Hatten zwölf Söhne, deren ältefter Angantyr hieß, der eilfte und zmölfte 


1 [Forn. 8. 1, 414) med mälajärni, einem mit magifcher Inſchrift ver⸗ 
ſehenen Eifen; mäl Rebe, San. 


2 Doalin heißt auch einer ber vier Zwerge, welche Freyas Halsſchmuck 


geſchmiedet. Bgl. Völusp. 11. 14. Häyamäl 144. Fafnism. 13. Hrafna- 
gald. 24. 8] 
$ Nidings-verk, perricidium, immane et infame flegitium. 


m 


118 


hießen Hadding. Diefer beider Arbeit war gleich der Eines von ben 
andern, Angantyr abe; verriehtete zweier Männer That; er war einen 
Kopf höber, als die andern. Alle waren fie große Berjerker. In jungen 
Jahren fchon fuhren fie auf Kriegszüge aus. Es waren nur die zwölf 
Brüder auf einem Schiff, aber oft hatten fie mehrere Schiffe auf ber 
Kriegsfahrt. Ihr Vater hatte auf feinen Zügen die berühmteften Waffen 
erobert; Tyrfing gab er Angantyın. Wenn. fie allein mit ihren Leuten 
waren und der Berjerlergang über fie kam, giengen fie an das Land 
und bieben in Steine ober Bäume. Denn einmal war ihnen in biefem 
Zuftande das Unheil begegnet, daß fie ihre Mannen töbteten und ihre 
Schiffe zerftörten. In jedem Kampfe waren fie fiegreih und dadurch 
feit berühmt geworben. Auf Bolm begab es fich eines Julabends, 
dag man Gelübde zum Bragibecher that (at Bragar fulli). Auch Arn- 
grims Söhne thaten dieß. Hjörvard, der vierte ber Brüder, gelobte, 
die fohöne Ingiborg, Tochter des Schwedenkönigs Yngwi zu Upfala, zu 
erwerben; würde fie ihm nicht, fo wol’ er im Kampf um fie fallen. 
Im Frühling mahten nun alle zwölf Brüber die Fahrt nah Upſala 
und traten vor den Tifch des Königs Yngwi, neben dem feine Tochter 
ſaß. Hjoörvard trug feine Werbung vor, fand aber einen Mitbewerber 
an Hialmar, einem Kämpfer des Königs. Ingiborg entſchied für diejen, 
denn Arngrims Söhne wären übel berüchtigt. Hjörvard forderte nun 
Hialmarn zum Holmgang, füblih auf Samsd. Am beftimmten Tage 
erwartete Hjalmar mit feinem Rampfgenofien Orvarodd auf Samsd bie 
zwölf Berferfer, die mit blutigen Waffen und bloßen Schwertern ans 
Land ftiegen. Sie hatten bereits die ganze Mannſchaft auf ben beiben 
in der Bucht liegenden Schiffen ihrer Gegner erfehlagen. Hjalmar nahm 
ed mit Angantyın allein auf, weil diefer das Schwert Tyrfing führte, 
dad wie Sonnenftrablen leuchtete, Odd mit den eilf andern Brübern 
nach einander; dieß galt für das Geringere. Hialmar und Angantyr 
wieſen einander nach Valhall, fie kämpften fo heftig, daß fie bis zu 
den Knieen in den Boben traten; ihre Schwerter Ioderten wie $lammen 
und bon ihrem Kampf erbebte bie Erbe; aus Mund und Naſe gieng ihnen 
Raub. Auch Odd begann feinen Kampf mit den andern Brüdern. 
Zuerſt fiel Hjörvard von feinen Streichen. Als die andern es ſahen, 
bißen fie in die Schilvränder und der Schaum ftanb ihnen vor dem 
Munde Zunädft fiel Hervarb; bei feinem Yalle tobten bie Verſerker, 


119 


⁊ 


ſtreckten die Zungen, knirſchten die Zähne und brüllten wie raſende 
Stiere, daß es in den Felſen wiederhallte. Dem dritten, Seming, hieb 
Odd faſt alles Fleiſch von den Knochen. Als er mit den Eilfen fertig 
war, war auch Angantyr gefallen. Hjalmar aber ſaß auf einem Hügel, 
leichenblaß. Odd gieng zu ihm und ſang: 

Was iſt das, Hjialmar? 

Haſt Farbe gewechſelt, 

Dich ſeh' ich müde 

Von manchen Wunden. 

Dein Helm iſt zerhauen, 

Die Brlinne gebrochen; 

Nun geht's zur Neige 

Mit deinem Leben, 

Hjalmar: 

Sechszehn Wunden, 

Zerſchlitzte Brünne; 

Schwarz iſt mir's vor Augen, 

Nicht ſeh' ich zum Gange. 

Mich traf zum Herzen 

Vom Schwert Angantyrs 

Die ſcharfe Spitze, 

In Gift gehärtet. 


Fünf Höfe hatt’ id 
Umber im Lande; 

Doch mich verdroß es, 
Dort zu weilen. 

Nun werd’ ich Tiegen, 
Des Lebens Iebig, 

Vom Echwert zerhauen, 
Hier auf Samsö. 


Hansbiener trinlen 
Meth in der Halle. ” 
Bei meinem Bater. 
Manchen mitdet 
- Des Bieres Fülle; 
Mid quält des Eifens 
- Spur auf dem Eiland. 


120 


Ich ſchied von der weißen ’ 
Konigstochter 

Auf Agnafits 

Außerſtem Ende. 

Wahr iſt das Wort, 
Das ſie mir ſagte, 
Nimmer würd' ich 
Wiederkehren. 


Zeuch von der Hand mir 
Den rothen Goldring, 
Bring ihn der jungen 
Ingiborg! 
Trauern wird fie, 
Treuen Muthes, 
Daß ich nicht kehre 
Nach Upfala. 


Ich ſchied von der Schönen 
Süßen Sange, 

Freudig fuhr ich 

Oſtlich mit Soti. 

Die Fahrt beeilt' ich 

Und zog zum Streite, 
Zum letztenmal 

Bon lieben Freunden. 


Ein Rabe fleugt 
- Bom hoben Baume, 
Nach ihn von Often 
Zumal ein Adler. 
Den letzten Adler 
Werd’ ich nun fättgen, 
Ihn werd' ich tränten 
Mit meinem Blute. 


Nach diefem ftarb Hjalmar. Odd blieb die Nacht über bort. Am 
Morgen trug er die Berferker alle zufammen und begann dann einen 
Hügel aufzumwerfen. Die Bewohner des Eilands führten nad feiner 
Anweiſung große Bäume herbei und warfen Steine und Sand darauf. 
Es ward ein großes und feites Werk. Odd arbeitete daran einen halben 


121 


Monat. Dann legte er die Berſerker mit ihren Waffen darein und 
warf ven Hügel zu. Hjalmars Leiche trug er auf das Schiff und führte 
fie nad) Schweden. Die Konigstochter zerſprang alsbald vor Leid und 
beide wurden in einen Hügel gelegt. 

Angantyr hatte furz vor feinem lebten Kampfe den Jarl Bjartmar 
in Aldeigjaburg beſucht und befien Tochter Svafa geheirathet. Sie ge 
bar nach feinem Tode ein großes und ſchönes Mädchen. Manche rietben, 
man follte das Kind aus ber Welt fchaffen, denn es Tönne fein Weibes» 
finn in ihm fein, wenn es feines Vater Stamme nachfchlage. Bjart- 
mar aber fagte: „ES ziemt mir, Arngrims Söhnen nad Vermögen zu 
belfen; es wird ſich zeigen, wenn: diefes Kind zu feinen Jahren fommt, 
daß Amgrims Söhne nicht gänzlich tobt find; denn ich glaube, daß 
von ihm große Geichlechter und gewaltige Männer auögehen werben.” 
Das Kind wurde dann mit Wafler übergofien und Hervör genannt. 
Es erwuchs bei dem Jarl und war ftark, wie ein Sinabe. Herbör ge 
wöhnte fich mehr, Bogen, Schild und Schwert zu gebrauden, ala zu 
nähen und ftiden. Sie that auch öfter Böfes als Gutes, und als ber 
Jarl fie darüber zurechtwies, lief fie in die Wälver hinaus, machte ſich 
da eine Hütte und erfchlug Menichen, um fih ihrer Habe zu bemädh: 
tigen. Als der Jarl diefes hörte, zog er-mit feinem Heer in den Wald 
und nahm Hervör gefangen. Doch töbtete fie viele feiner Kriegäleute, 
eb’ er ihrer habhaft wurde. Sie hielt fih nun mieder eine Zeit lang 
bei ihm auf. Als ihr aber einft von Arbeitsleuten, denen fie Übles 
zugefügt, ihre verbächtige, ihr bisher verborgene Abkunft vorgeworfen 
worden war und fie hierauf von Bjartmar erfahren hatte, daß ihr. 
Vater Angantyr auf Samsö begraben liege, gelüftete fie's, ihre bin- 
gefahrenen Blutöfreunde zu beſuchen und deren Schäße zu heben. In 
Mannskleidern und Waffen zog fie fort, begab fich zu Vilingern ! und 
nannte fi Hjörvard, wie einer ihrer Vateräbrüber. ALS bald nachher 
der Häuptling der Schaar ftarb, übernahm fie die Führung derſelben. 
Diefer Hjörvard verheerte nun meitum die Lande und fteuerte zulegt 
nad Samsb. Hiörvard verlangte, and Land zu gehen, wo man im 
Hügel veichen Fund zu gewarten hätte. Seine Leute fprachen alle da⸗ 

i Vikingr, piratse, qui in sinubns pro tempore delitescit, ut pre- 
detur, a vik, geoeduus, Bugt. Viking, f. pirstica, Shöröveri. Biörn, 
Le. il. 11, 438. 


122 


gegen, denn dort giengen täglich fo große und böfe Geifter um (mein- 
veettir), daß es da fchlinmer am Tage fei, als anderwärts bei Nacht. 
Doch wirkte Hjörvard envlih aus, daß man Anker warf. Er ſelbſt 
nahm ein Boot und ruberte ans Land, eben zur Zeit bes Sonnen: 
untergangs. Am Lande traf er einen Mann, der bie Heerbe bütete. 
„Du biſt unbelannt bier auf der Inſel, fprah der Mann; geb beim 
mit mir! bier frommt es feinem Menschen, nach Sonnenuntergang außen 
zu fein.” Hjörvard fprad: „Sag mir, wo Hjörwarbs Hügel find!” 
Der Mann antwortete: „Du bift übel gefahren, daß du zur Nachtzeit 
um das fragit, wornach Wenige am Mittag fragen mögen; denn ein 
brennendes Teuer Tpielt darüber, fobald die Sonne niedergeht.“ Als 
Hjbrvard ſich dennoch entjchloffen zeigte, die Hügel zu bejuchen, fagte 
der Hirte: „ch ſehe, daß du ein mutbiger Mann bift, obgleih un- 
bedacht; ich will dir meine Halskette geben, wenn bu mir heimfolgft.“ 
„Rein, ſprach Hjörvard, und wenn du mir Alles gibit, was du haft, 
fo ſollſt du mich nicht aufhalten.” Aber als bie Sonne niebergegangen 
war, hörte man einen ftarfen Donner auf der Inſel und die Hügel- 
feuer flammten in die Luft. Da erjchrad der Hirte. Hiörvarb fang: 
| Nicht laß uns forgen 
Um foldd Getöfe, 
Und flammt’ auch euer 
Um all das Eiland! 
Laß nicht fo leicht 
Uns Furcht erfaflen 
Bor tobten Reden! 
. Neben wir weiter! 
Det Hirte: 
Thöricht däucht mir, 
Der dahin gebt, 
Einfamer Dann 
Im granfen Dunkel. 
Feuer fährt um, 
Hügel öffnen fh, 
Erd’ und Moor brennt; 
Laß ung enteilen! — 


Der Hirte lief nun beim zum Hofe und blidte nicht mehr um. 
Hervör aber fah, wie bie Hügelfeuer außen auf dem Eilanb brannten 


3 5 


und ſchritt furchtlos dahin, wie in einem bunfeln Nebel, bis fie zu 
den Berjerlerhügeln kam. Da wandte fie ſich zum grſten derſelben 


und dſang: 


Wach' auf, Angantyr! 
Dich wecket Hervoör, 
Einzige Tochter 

Bon dir und Spafa. 
@ib aus dem Hügel 
Die ſcharfe Waffe, 
Die Spafrlamin 
Bwerge fchmiebeten! 


Hidrward, Hervard, 
Hrani, Angantyr! 

Euch alle med’ id 

Unter Waldeswurzeln, 
Mit Helm und Harniſch 
Und ſcharfen Schwertern, 
Mit ſchmucken Scilden 


Und rothen Speeren. 


Wohl jeid ihr worden, 
Arngrims Söhne, 
Mächtge Kämpfer, 

Bu Staub verwandelt, 
Da keiner fommt 

Bon Eyvörs Söhnen, 
Mit mir zu reden 

In Munarvaag. 


Hiorvard, Hervard, 


Grani, Angantyr! 


So mög’s euch allen 

Da drinne wühlen, 

Als ob ihr fchliefet 

Im Ameishaufen, 

Gebt ihr das Schwert nicht, 
Das Schmiedwerk Doalins! 

Nicht ziemt Grabgeiſtern 
Solch theure Waffe. 





124 


Da fang Angantyr: 


Hervör, Tochter! 

Bas rufft du fo 

Mit Schredensworten? 
Fahr’ du zum Übel, 
Raſendgewordne, 
Sinnberaubte! 
Irredenlend 

Weckeſt du Todte. 


Nicht Vater begrub mich 
Noch andre Freunde; 

Mit nahmen Tyrfing 

Die Zween, bie lebten. 

Eines der Beiden 

Ward es zulekt. 

Hervör: 

Nicht ſagſt du Wahrheit; 

So laß ein Gott 1 dich 

Heil im Hügel, 

So wie du nicht haft 

Tyrfing drinne! 

Träge bift du, 

Erbe zu laſſen 

Dem einzgen Kinbe. 


* 


Da öffnete filh der Hügel und es war anzufehn, ala wäre Feuer 
und Flamme rings darum. Da fang Angantyr: 


Gefallen ift Helgrind, 2 
Dfien die Hügel, \ 

AU if in Feuer 

Der Strand zu ſchauen. 
Alles ift außen 

Dem Auge fihtbar; 

Eil du, wenn du kannft, 


Zu beinen Schiffen! 


1 Äss, Ä 
2 Heigrind, Pl. Helgrindur, 68 .Gatter, die Pforte der Unterwelt. 


n 


Angantyr: 


Hervör: 


125 


Nicht brennet ihr ſo, 
Nächtliche Feuer, 

Daß ich vor euren 
Flammen mich ſcheute. 
Nicht zittert des Mädchens 
Muthiges Herz, 
Sieht auch den Todten 


Sie in der Thüre ſtehn. 


Dir ſag' ich, Hervör 
Gorch' du darauf, 
Weile Tochter!), 
Was da werden foll. 
Zyrfing wird dir, 
Ob du mir glaubeft, 


All dein Gefchlecht 


Berberben, o Jungfrau! 


Einen Sohn wirft du haben, 
Der alsdann foll 

Tyrfing tragen, 

Der Kraft vertrauen. 
Heidrel wird ihn 

Heißen das Bolt, 

Den Bewaltigften 

Unter'm Strablenzelt. 


Euch bezaubr' ich, 
Grabesgeifter, 

Daß ihr alle 
Darnieberlieget, 

Todte bei Tobten, 

Im Schlafe modernd, 

Gibſt du, Angantyr, 

Nicht aus dem Hügel 

Den Feind der Schilde mir, 
Hjalmars Todter. 


Angantyr:. 


Herbör: 


Angantyr: 


Hervör: 


Angantyr: 


126 


Nicht Menſchen gleichſt du, 
Junges Mädchen, 

Die um Grabhügel 

Wankt zur Nachtzeit, 

Mit gelerbtem Speer 

Und gothſchem Schwerte, 
Mit Helm und Harniſch, 
Bor der Halle Thür. 


Ein Mann bedünft’ ich 

Die meiften Menden, 

Als eure Säle 

Bu ſuchen ich fuhr. 

Reich’ mir aus dem Hügel, 
Das Brünnen haſſet, 

Der Zwerge Schmiedwerk! 
Nicht frommt dir's zu hehlen. 


Mir liegt unter Schultern 
Hialmars Tödter, 

All ift e8 außen 

Umwallt von Feuer. 

Kein Mädchen kenn' ich 
Über der Erde, 
Das wagte, die Waffe 
Sn Hände zu nehmen. _ 


Ich will’s wahren, 
In Hände nehmen 


Das ſcharfe Schwert, 


Hab' ich's nur einmal. 
Nimmer flrcht' ich 
Brennendes Feuer; 
Die Lohe legt ſich, 


Neig' ich mich drüber. 


Thoricht, Hervor, 
Biſt du, bei Sinnen, 


127 


Offnen Auges 


In's Feur zu ſtürzen. 
Lieber geb’ ich 

Schwert aus dem Hügel 
Dir, junges Mädchen! 
Kann dir's nicht weigern. 


Da ward das Schwert aus dem Hügel geworfen in Herbörd Hand. 


Hierauf fang fie: 


Angantyr: 


Angantyr: 


Wohl thateſt bu, 

Sohn der Bilinger, 

Daß du mir gabeft 

Das Schwert aus dem Hügel. 
Beſſer, o Held, - 
Bedinkt mich dieſes, 

Als alles Norweg 

Eigen zu haben. 


Wenig weiſt du, 
Thörichtes Weib, 
Unglückſelges, 

Was dich freuen ſoll. 
Zyrfing wird dir, 

Ob du mir glaubeft, 
AU dein Geſchlecht 
Berderben, o Jungfrau! 


Sehen will id) 

Zu der Brandung Roſſen. 
Die Heldentochter 

Iſt guten Muthes. 
Wenig flirt’ ich, 

Du Sohn der TFürflen, 
Bas meinen Söhnen 
Kinftig zu Theil wird. 


Du wirft es haben 
Und lange begen; 
Halt im Hulfte 
Hjalmars Töbter! 


128 


Greif nit an die Eden! 
Gift iſt in beiden. 

Dieß Schwert ift übler, 
Als anbres Unheil. 


Fahr wohl, Tochter! 
Schnell noch geb’ ich dir 
Zwölf Männer Leben, 
Ob du es glaubeft, 
Stärke, Schwungkraft!, 
AU das Gute, 
Bas Arngrims Söhne 

Burlideließen. 

Herbör: 

Wohnt ihr Alle 
(Fort drängt es mich) 
Heil in Hügeln! 
Bon Hinnen fahr’ ich. 
Wohl bedünkt' ich mich x 
Am Biel-des Lebens, 
Als mich die Feuer 
Rings umloderten. 

Sie gieng hierauf zum Strande nieder und als es tagte, ſah fie, 
daß die Schiffe fort waren. Die Bilinger waren vor dem Gebonner 
und ben Feuern auf der Inſel erfchroden. Hervör blieb auf Samsö, 
bis ein andres Schiff fie aufnahm. 

Der nun folgende Theil der Saga erzählt die Erfüllung des auf 
dem Schwerte Tyrfing baftenden Fluches in Hervörs Gefchledhte. "Diele 
vermählt ſich mit Höfund, dem Sohne des Königs Godmund in Gläfis⸗ 
völl, einem fabelhaften Lande. Sie hat von ihm zwei Söhne, Angan 
tyr und Heibrel, wovon ber erjtere dem milden Vater, der lektere dem 
wilden, ftreitluftigen Sinne der Mutter nachſchlägt. Da Heidrek am 
Hofe feines Vaters blutigen Streit anftiftet, wird er verwieſen. Der 
Bater gibt ihm gute Näthe, die Mutter das Schwert Torfing auf den 
Meg, mit dem er in Berjerlerivuth den Bruber, ber ibm das Geleite gab, 
erihlägt. Bon den Lehren des Vaters thut er immer das Gegenteil, 


1 afl oc eljun. 


— 


129 


was, wenn er gleich ein mächtiger König in Neidgotlanb 1 twirb, 


doch zuleßt feinen Untergang herbeiführt. Die drei Nidingswerke, bie 
dem Schwerte angewünfcht find, gehen in Heidreks Schidfal in Er: 
füllung: das erfte berjelben ift der Brubermord an Angantyr, das 
zweite, daß Heidrek in Reidgotland Echwäher und Schwager mit Türe 
fing erichlägt, das dritte, daß er felbit von treulojen Knechten im 
Schlafe damit erſchlagen wird. Auch die Geſchichte von Heidreks Sohne, 
der wieder Angantyr heißt, wird beigefügt; aber immermehr verliert 
fih die Erzählung vom alten Sagengrund in willführlihe Erbichtung. 
Als reiner, urfprünglicher Sagenbeftand ift nah Müllers Annahme 
(Sagabibl. II, 566 f.) faft nur noch Dasjenige anzufehen, was oben 
ausführlicher mitgetbeilt worden, der Kampf auf Samsö und Herbörs 
Tobtenbefchtwörung. Hier hat fich die Überlieferung noch in den vielen 
Liederſtrophen einen feiten Anbalt bewahrt. Das eddiſche Hindluliod 
zählt bie Berſerker, Arngrims und Eyvörs Söhne, auf, die wie Flam⸗ 
men über das Land fuhren (Edd. rh. 116. %. Magn. Edd. III, 15 
[Str. 23]). Von den zwölf Söhnen Arngrims und Dfuras (Eyvör) 
und ihrem Streit auf Samsd mit Hinlmar und Orvarodd '(Hialmerus 
stque Arvaroddus) meldet au Saro (B. V, ©. 140 f. Bol. Müller, 


‚ Sagnhist. 70 bis 72), im Einzelnen bald übereinftimmend und fogar näher 


erflärend, bald abweichend, wie es überall die lebendige Volksſage mit 
fih bringt. Noch im 17ten Jahrhundert hatten fich bei den Samsöern - 
Iofale Erinnerungen von Orvaroddshügel und den Brübergräbern er⸗ 
halten (Müller a. a. D. 567). Ausführlicher, als ſelbſt in der Her 
vörsfaga, ift eben diefer Kampf in die befondere Saga von Ärvarodd 
(E. 14 in Fornald. 8. II, 210 ff. G. 28 in Fort. 8. II, 188 fj.) 
aufgenommen. 

. Die Hervörsfaga in ihren Alteiten Beftandtbeilen ift die großartigite 
Darftellung jener maaßloſen Lebenskraft, die dem rieſenhaften Helven- 
thume des Nordens eigenthümlih ift. Arngrims zwölf Söhne waren 
Berferker. Der Berferler und der fie plöglich ergreifenden Wuth, des 
Berjerlerganges (berserks-gängr, Biörns Lex. isl. I, 74), geſchieht 
in den norbiihen Sagen vielfah Meldung. Der Name bezeichnet 
wörtlich: bis aufs Hemd oder Unterfleid bloße, im Gegenſatz ber 


1 Das Skandinavien gegenüberliegende Feſtland in Pommern, Preußen. 
Upland, Sqhriften. VIL. 9 Ar 


⁊ 


130 


Gepanzerten (ber, baar, bloß; serkr, toga, tunica, it. indusium, ebb. II, 
238; berserkr, indusio tantum, non lorica indutus, ebb. I, 73). Beim 
Eintritt jenes Zuftands, den uns aud die Hervörsſaga befchreibt, 
nirichen die Berferfer mit ben Zähnen, beißen in die Schilde, ver 
ſchlingen glühende Kohlen, laufen durch loderndes Teuer, vennen ohne 

Panzer (woher eben der Name) in ven Streit, toben in ihrem Blut: 
durft gegen die eigenen Genofien, weshalb fie auch beim Ausbruch des 


| Anfalls in Bande gefchlagen werden. Für den Urheber des Berferfer: 


2— 


ganges wurde, wie wir aus der früher angeführten Stelle der Ynglinga⸗ 
ſaga wiſſen (C. 6), Odin angeſehen, der Beweger alles Kampflebens 1. 
Übrigens gedenken auch geſchichtliche Sagan der Berſerkerwuth, die als 
ein Unheil für den damit Befaßten betrachtet ward (Sagabibl. I, 149. 
Batnsdäl. S. Auch I, 38. Vgl. fonft Saro B. VII, ©. 189. 190. 


‚Paulus Diac. I, 20. Lex. myth. 477), und noch das isländiſche 


Chriftenrecht von 1123 (Jus ecclesiast. vetus ed. Thorkelin. Havn. 
et Lips. 1776. Cap. XVI. ©. 78 f.) erflärt da, wo es gegen bie ÜÜber: 
bleibfel des Heibenthums eifert, fowohl bie Berſerker felbft, als die 
jenigen, welche nicht den Wüthenden zu bänbigen fi} bemühen, für 
rechtlos. Es ift auch an fich nicht unglaublih, mas in einer neueren 
Schrift (Menzel, Geſch. d. Deutfchen I, 10) hierüber geäußert wirb, daß 
in Seiten vorwiegender Körperfraft das Übermaaß aufgeregter Lebens: 
fülle fih zu augenblidlicher Raferei fteigern konnte. 

Ein folches Berſerkergeſchlecht, zwölf Brüder, liegt nun, in wüthen: 
dem Kampf erichlagen, im Grabhügel auf Samsd. Aber die über: 
ſchäumende Kraft raftet auch unter dem Boden nicht, fie fchlägt zur 
Nachtzeit in Flammen aus, daß die ganze Inſel zu brennen fcheint, 
und läßt fih im Donnergetdje vernehmen; der Hirte flieht dem Hofe 


zu, ohne ſich umzufehn, und die Seefahrer ftoßen erſchreckt vom Strande. 


Nur eine Tochter jenes Gefchlechts, in der die angeftammte Natur alle 
Schranken der Meiblichfeit geiprengt hat, das Weib zum Dlanne ges 
fteigert ift, fchreitet in Helvenrüftung furchtlos durch jenes heimische 


‚Element und fingt das Beſchwörungslied, das die Grabgeifter aufweckt. 


Ihr wird das Bauberfchwert herausgeworfen, Werkzeug und Wahre 
zeichen jener ungebänbigten Kampfwuth, bie ihren Fluch in ſich trägt. 

1 Bel. Sn. Edd. ©. 66. 162 (die Strophe: Fullavflug u. |. w. vgl. Lex. 
myth, 635 *). iR 


131 


Kein Golb liegt in jenem Hügel begraben; aber Stärke, Schwung, 
Lebenskraft von zwölf Männern ließen Arngrims zwölf Söhne zurüd . 
unb vererben folches Gut zugleich mit dem Schwerte. Hervör will dieſes 
haben, wenn e8 auch ihrem ganzen Gefchlechte fichres Verberben droht. 
Die Erfüllung ſäumt nicht und auch die Nidingswerke, bie Schandthaten, 
können für das Werkzeug des blinden Zornes nicht ausbleiben. Heidrek, 
Herbörs jüngerer Sohn, erwächſt, vermöge feiner Berjerlematur, zum 
- Führer dieſes Schwertes. Die Mutter reicht es ihm zum Abſchied und 
fo kann er den befonnenen Ratbichlägen, die ihm ber mildere Vater 
mitgab, niemals Gehör leihen; das erfte Nidingswerk, das mit Tyrfing 
verübt wird, ift Heidreks Brudermord, das legte fein eigener Tod von 
Knechteshand. Die Grundidee der ganzen Sage liegt offenbar darin, 
wie die ungemeflene und ungezügelte Kraft fich felbft verzehrt. Der 
Mittelpunkt, in dem Vergangenes und Künftiges zufammenreichen, und 
der entiprechendfte, phantafiereichfte Ausbrud diefer tragifhen Anficht 
bes norbifchen Kampflebens ift das große Nachtgemälde der Beſchwörung 
auf Samsb. 

Aus den Geſchichten von Heidrek, Hervörs Sohn, tft noch Folgen» 
des auszuheben (€. 15): Als Heidrek in Reibgotland herrichte, war 
bort ein mächtiger Herſe (Unterhäuptling, satrapa), Namens Geft 1, 
zugenannt der Blinde. Er mar böfe und geivaltthätig Dem König 
Heidrek hatte er die Schagung vorenthalten und deshalb beitand große 
Feindfchaft zwilchen ihnen. Der König fandte ihm Botfchaft, er folle 
kommen und fi) dem Spruche bes Gerichtes unterwerfen; wo nicht, 
fo folle die Schlacht entſcheiden. Keines von beiden gefiel dem Herfen 
und er bef&hloß, dem Dbin zu opfern, daß biefer ihm helfen möchte. 
Eines Abends fpät ward nun an die Thüre geflopft; vor ihr ftand ein 
Mann, der fi gleichfalls Geft nannte. Es entfpann fi) ein Geſpräch, 
in welchem der Herfe Geft dem fremden feinen Kummer offenbarte. 
Der Fremdling erbot fih, ftatt feiner zum König zu ziehen. Sie 
wechſelten Ausfehn und Gewand und der Srembling Geft madte ſich 
auf ven Weg nad) Aarheim, dem Site des Königs. Hier trat er in 
die Halle und grüßte den König. Diefer ſchwieg und fah zornig auf 
den Anlömmling „Willſt du, ſprach er, di dem Urtbeile meiner 

1 Bei Saro 8. V, S. 135 kommt ein Gestiblindus, Gothorum rex, vor, 
doch ohne bemerkbare Beziehung zu der Erzählung der Heruörsfaga. 





132 


rechtskundigen Männer unterwerfen?“ Geſt fragte hierauf, ob es niht 
mehrere Weifen gebe, fih zu löjen. „Es gibt deren, antwortete ber 
König; du ſollſt Räthſel aufgeben, bie ich nicht errathen Tann, und dir 
bamit Frieden erkaufen.“ Geſt zog” dieſes dem Gerichtswege vor... Es 
wurden nun zwei Stühle herbeigebracht, auf die fie ſich nieberliehen, 
und die Leute waren in froher Erwartung, weile Worte zu bören. 
Geft legte hierauf dem König eine Reihe von Räthſeln vor, die Heibrel 
alle errieth. Die letzte biefer Fragen jedoch -mar bie uns ſchon belannte, 
was Odin Balburn ind Ohr gefagt, bevor dieſer auf den Scheiterhaufen 
getragen. ward. „Niemand Tann das willen, als bu felbft“, vief ber 
König zornentbrannt, entblößte das Schwert Tyrfing und wollte nad) 
Geſt hauen. Aber dieſer verwandelte fih plöglich in einen Falken und 
entflog durch's Fenſter. Nur die Schwanzfebern traf das Schwert und 
feitbem ift ber Falle hinten geftußt. 
-  Diefe Räthſel und ihre Löfung fammt dem Schluffe, wie Geſt als 
Falle davonfliegt, bilden ein, ver Saga einverlabtes Lied von 66 
" Strophen (Getspeki! Heidreks Kongs, Näthjelweisheit König Heidreks). 
Die Profaerzählung fügt noch hinzu, Einer vom Hofgefinde, der zu 
gegen gewefen, babe vom Schwerte fallen müfjen; Odin aber babe noch 
über den König ausgerufen, weil er den Frieden, ben er zwilchen ihnen 
geſetzt, jelbft gebrochen, jo follen die fchlechteften Knechte ihm den Tod 
geben. Müller, der die Hervörsfage in ihrer jegigen Zuſammenſetzung 
dem 13ten Jahrhundert zufchreibt, ohne jeboch einerfeitö den ältern 
Sagengrund, anderjeitö verfchtevene noch fpätere Zuſätze zu miskennen, 
bemerkt über das Nätbfellien insbefondere, daß bie poetifchen Auf 
löfungen, ba fie nur in einer einzigen Abfchrift gefunden werben, ein 
jpäteres Produkt zu fein fcheinen, die Räthſel felbft aber älter, als bie 
proſaiſche Erzählung; auch fie jedoch enthalten jo wenig Charakteriftifches 
und gleichen fo ſehr dem Witze fpäterer Zeiten, baß fie eher dem 13ten, 
ald dem 10ten Jahrhundert (der heidniſchen Zeit), angehören. Der 
Rahmen eines ſolchen Liebes ift nun allerbings geeignet, fortwährend 
Zufäge in fi) aufzunehmen, und fo mögen auch bie in Getſpeki zufam- 
mengereibten Räthſel verjchievenen Zeiten ihren Urfprung verdanken. 
1.Gestr, gedspeki |. Vafhr. m. Str. 19. Sem. Edd. ©. 38, Finn 
M. Edd. I, 88; speki f. sapientia, Lex. isl. II, 317a, heißt auch die Weis- 
heit, welche Sigurd von Prynhild lernen will; vgl. Grimm, Helbenf. 392 4. 


) 


133 


Aber nicht nur tragen mehrere einzelne das are Gepräge alterthüm⸗ 
licher Naturanſchauung ober enthalten beitimmte mythiſche Beziehungen, 
jondern es gibt fih au in ber Anlage des Ganzen ber mythiſche 
Zufammenhang zu ertennen. Einzelne der bemerkten Art find z. B. 


folgende. 


Str. 3: Geſt: 


Heibrel: 


Str. 5: Belt: 


Heidrek: 


Von Hauſe fuhr ich, 

Bon Haufe reiſt' ih, - 
Sah Weg auf Wege; 
Weg war unten, 

Weg war oben, 

Weg allermegen. 

Heidrek, König, 

Rath du das Räthſel! 


Gut ift dein Räte, 

Geh der Blindel ' 

Errathen ift es. 

Bogel flog oben, 

Fiſch ſchwamm unten, 

Du giengſt auf der Brüuicke. 


Was war das Trinken, 

Das ich geftern trank? 

Nicht Wein noch Waſſer, 

Meth noch Bier, 

Noch Mus irgend. 

Doc gieng ich durſtlos bannen. 
Heibrel, König, 


Rath du das Näthfel! 


Out ift dein Räthſel, 

Gef der Blinde! 
Errathen iſt es. 

Du giengſt in der Sonne, 
Bargſt dich im Schatten, 


. Zhau fiel im Thale, 


Da nahmſt du dir W 





134 


Des Nachtthaues, 
| Kühlteſt dir fo die Kehle, 
Str. 27: Geſt: | 
Wer ift der Einfame, 
Der fchläft in der Aſche, 
Bon Steinen gemacht? 
Baterlos, mutterlos, , 
Der Schabengierige, 
Friftet er dort fein Alter. 
. Heidrek, König, 
Nath du das Räthſel! 


Heibref: 
But if dein Räthfel, 
Geft der Blinde! 
Errathen ift es. 
Aſche nährt Teuer, 
Auf dem Heerde verborgen, 
. Erzeugt von Steinen. 
Str. 29: Geſt: | 
Wer ift der Dunkle, 
Der über den. Boden fährt, 
Waffer und Wald verjchlingt? 
Stürme ſcheut er, 
Männer niemals, 
Mit der Sonne redhtet er. 
Heidref, König, 
Rath du das Näthfell 


Heidrek: | 
But ift dein Räthſel, 
Geft der Blinde! 
Errathen ift es. 
Der Rebel hebt fich 
Bon Gymirs! Lager, 
Hüllet den Himmel ein, 
Zöbtet den Schein 

1 Gymir wird öfters mit Agir, dem Meeresgotte, gleich genommen, Lex. 
myth. 1376. | 





135 - 


Der Gefpielin Dvalins, 1 
j Flieht nur Fornjots? Sohn. 
Str. 39: Geſt: 
Wer find die Mädchen, 
Die viele zufammen gehn, 
Nach des Baters Beſtimmung? 
Haben bleiche Haare, 
Weißfaltige Schleier, 
Kein Mann hütet fie. 
Heidref, König, 
Hath dy das Räthſel! 
Heidrek: — 
Gut iſt dein Räthſel, 
Geſt der Blinde! 
Errathen iſt es. 
Gymir hat ſie, 
Die weiſen Töchter, 
Erzeuget mit Ran. 
Wogen und Wellen 
Sind fie geheißen; 
Kein Mann hütet fie. 
Str. 47: Gef: 
Wer find die Bräute, 
Auf Brandungsklippen 
Die Bucht Hin fahrend? 
Hart Bett fie haben, 
Die Weißgefchleierten, 
Nicht ſpielend bei ſtiller See. 
“ Heidrel, König, 
Rath du das Räthſel! 
Heibref: | 
Gut ift dein Räthſel, 
Geft der Blinde! 
Errathen iſt es. | ” 
Wogen und Wellen 


1 Dralins leika, vgl. Bibrus Lex. isl. IL, 21a. Finn Magnuſens Lex. 


rth, 49. 
2 Kar, ber Wind, ein Sohn bes Rieſenvaters Fornjotr. 


136 


Und alle Brandungen 
Lagern zulett fi 

Auf Scheeren und Klippen, 
Berlaffen bei ftiller See. 


Diefe zulegt angeführten und noch mehrere ähnliche Räthſel, deren 
Gegenfland bie Meereöwellen find, beftätigen uns noch mehr die Deutung 
der Mägde im Mühlenlied. Überall find die Naturkräfte in Perfon 
und Handlung gefeht. Ganz mythologiſch ift ein weiteres Räthſel, das 
vorletzte, Str. 61. Ä | 

Sf: / 

Wer find die Zwei, 

Die zu Thinge fahren? 

Drei Augen haben fie 

Beide zufammen, 

Beben Füße, ' 
Einn Schweif, 

So fahren fie über die Lande, 

Die Löfung iR: der eindäugige Odin, ber auf feinem achtfüßigen 
Roſſe Sleipnir durch die Luft fährt. 

Was am Schlufle vom abgeftugten Schwanze des Fallen erzaͤhlt 
wird, erinnert an einen ähnlichen Zug in der jüngern Edda (S. 226 
Rühs [S. 70 Rask]). Die Aſen wollen Lolin fangen, ale den Stifter 
des Morbes an Balbur; Loki bat fih aber, als Lachs verwandelt, in 
einen Wafferfall geflüchtet. Dort ergreift ihn enblih Thor, aber ber 
Fiſch gleitet ihm in der Hand, fo daß er ihn erft am Schwanze recht 
erfaßt. Aus biefer Urfache ift der Lachs hinten ſpig. Diefe Art, bie 
auffallende Geftalt der Naturweſen aus befonvern Ereigniffen zu er⸗ 
Hären, ift im Gebiete der Sagen berlömmlich (vgl. Bibrner S. 626, 
Schluß des ©. 6). 

Neben den einzelnen mythiſchen Beziehungen zeigt nun aber auch 
bie ganze Anlage des Räthfellieves unverkennbare Ähnlichkeit mit meh 
reren Mythenliedern der Edda. Im Vafthrudnismal insbeſondere bes 
ſucht Odin als Wanderer unter dem Namen Gangradr (gressum mo- 
derans s. dirigens, Lex. myth. 109) ven Rieſen Vafthrubdner, um 
deſſen Weisheit zu erfunden. Sie legen einander gegenfeitig Räthfeb 
fragen vor, bis zulet der Niefe den Gott an derfeiben Frage erfennt, 


137 


mit ber auch Getfpefi ſchließt. Grimnismal, in dem Dbin unter bem 


Namen Grimnir (personatus, ebb. 128) zu dem König Geirröb fommt, 


Vegtamdquiba, wo er als Vegtamr (viee adsuetus, ebd. 544) eine Völe 


in ber Unterwelt befragt, Alvismäl, ein Geſpräch zwiſchen Thör und 


dem Zwerg Alvis, tragen mehr ober weniger dasfelbe Gepräge Nur 
betreffen die Fragen ver Mythenliever die Götterwelt und die Welt: 
Midfale, während die Räthſel Gefts fi) mehr auf Naturbilder und 
menſchliche Dinge beziehen; bort erforicht Odin bie alten Urmächte, bier 
prüft er den einzelnen Menfchen; bie Löfung aber, wodurch er fi als 
der Inhaber der göttlichen Weisheit zu erfennen gibt, ift in beiden 
"Fällen dieſelbe. Die Räthfel, wie Getfpeli fie aufgibt, find getviffer- 
maaßen die Vorſchule zu jenem tiefern und umfafjendern Wiflen. Wie 
dort das Feuer, der Nebel, die Wellen u. ſ. w. perfonifictert und ber 
lebt werden, fo liegt hier die gefammte Glaubenslehre in einem großen 
_ Bufammenbange von Perfonifilationen und Handlungen verhüllt. An 
jenen einzelnen Bilbern wird ber Sinn eingeübt für diefe ganze Weife der 
Auffaffung, von ihnen empfängt er den Schlüflel zum innern Heiligthum. 
Sowie wir bad mythiſche Ganze durchaus als ein poetiſch geftaltetes 
und belebtes Tennen gelernt haben, fo find auch dieſe vereinzelten Rätbfel, 


wenigſtens die beflern und altertbümlichern unter ihnen, poetifche Bilder, 


die, auch wenn die Löſung gefunden ift, noch als lebendige Anfchauungen 
anziehend bleiben; eine Probe, bie wir auch jeht noch an das Räthſel, 
fofern man es zu den Dichtarten rechnen foll, anzulegen haben. 

Die einleitende Erzählung zu unftem Räthſelliede, von dem reits 
gotlänbifchen Herfen, der Get der Blinde geheißen haben fol, kann ich 
nicht für urfprünglich anfehen. Der Name Geft (Gaft) pafst nur auf 
den als Wandrer anlommenden Din (tie bie ähnlichen Gangrad, 
. Begtam), nicht auf den Herſen, der zu Haufe bleibt; und ber Beiname 
bes: Blinden (Gestr blindi), für den Herfen unerllärt, eignet fich gleich: 
falls. für den einäugigen Dvin. Der irdiſch umherivandelnde Gott prüft 
den: gewalttbätigen König Heidrek, ben Beſitzer des. Zornſchwertes, der 
Berſerlerwaffe, und überführt ihn, wie im Mythenliede ven Rieſen 
Baftrubniv, als in höheren Weisheit unerfahren. 

Rech Bhter wird uns auf dem Wege durch das. Sagenreich die Ers 
fheinung Odins, als forfchenden und viellunbigen Wanderers be⸗ 
gegnen. (Bol. Widfith, Grinms Heldenſ. 375.) 


/ 


138 


| 3. Hrolf Krali. 
Saga Hrolſs Konungs Kraka, Fornaldar Sögur 8.1, 1ff. Fort. S. J. 
1 fi. (Bodvar Biarkes 8. Sagabibl. Il, 524 f.) Skalda, Snorra Edda ©. 150 
bis 154 [Raffl. Yoglinga Saga 6. 32 bis 34. Saxo Gr. 8. II, ©. 37 
bis 58. 8. VII, ©. 184 ff. [Mob]. Müller, Sagabibl, II, 493 bie 525, 
Miller, Sagnhift. 25 bis 36. 193. 246. 


Hrolf Krakli wird von Saxo als der 13te Dänenlöntg aufgeführt 
und als Erbauer de3 dänischen Königsſitzes Lethra (S. 431), So 
wie fein Gebäctnis auf und gelommen, erfcheint er durchaus ala 
Sagenheld; doch ift darum fein einftiges geichichtliches Daſein nicht 
abzuftreiten; Müller jet dasjelbe in das Ende bed 6ten und den Am 
"fang des Tten Jahrhunderts (Sagabibl. II, 522). Er war einer ber 
fagenberühmteften Helden bed Nordens und von feinen Thaten, con- 
epicuis probitatis operibus, fagt Saxo (S. 38), quorum eximium 
fulgorem omnis vi memoria specioso laudum preeconio oelebrat. 

Die isländishe Saga von ihm und feinen Kämpen (köppum 
hans; kappi, heros, athleta, Biörns Lex. isl. I, 4423 4) ift eine ber 
ausgeführteften. Gleichwohl bietet Saro Mehreres zur Ergänzung dar 
und zeugt auch durch die Abweichungen, wie verbreitet‘ und vielfach 
behandelt diefe Sagen waren. Die Inglingafaga, welche Davon nur foviel 
berührt, al3 mit ihrem Gegenftande, den Gefchichten der alten Upſala⸗ 
könige, in Verbindung ftand, beruft fi dabei (C. 33) auf eine be 
fondere Sköldungafaga; Sköldunge hießen eben die von Skjold abge 
leiteten Dänenlönige. 

- Hrolfs Sage ift jo angelegt, wie wir in ber Foloe die meiſten größern 
Sagenbilvungen zugefehnitten finden werden. Ein junger Königshelb 
fammelt um fih einen Kreis ber trefflichiten Reden, gewöhnlich in ber 
Zwölfzahl, und vollführt dann mit ihnen gewaltige Thaten, bis fie in 
einem legten, großen Kampfe gemeinfam untergehen. In einem ſolchen 
Sagenganzen lafien ſich drei Haupttheile unterſcheiden: in ben erſten 
fallen die Erzählungen von der Abſtammung des Haupthelden, von 
den Geichiden, die auf ſeinem Stamme zuben, von feiner früheren 
Jugend, ſodann ähnliche Berichte von Finen Fangen Genoſſen, 


1 Leire, jetzt ein ſeeländiſches Dorf. 
" 


139 


w 


und mie fie zulegt Alle, oft durch heftige Kämpfe, zu ungertrennlicher , 
Genoſſenſchaft zufammengeführt werden; ber zweite Haupttheil umfaßt_ 
bie fiegreichen Büge ber jo verbundenen Heldenſchaar; der britte ben 
gemeinfamen Untergang. Je burchgebilveter die Sage iſt, um fo fühl: 
barer zieht ſich durch das Ganze ein innerer Zujammenbang, eine 
bewegende Grundidee. Die künftlihe Einheit bes Epos 1, vermöge 
welcher die Geſchichte gleich in der Mitte gefaßt, das Vorhergegangene 
aber mittelft episobifcher Erzählungen nachgeholt und eingereibt wird, 
. it dem einfadhern Altertbum fremd und war wohl auch nicht bie ur⸗ 
ſprüngliche Weife des bomerifchen Epos. 

Die Hrolfsſaga nad jenen brei Beftanbtheilen vollftändig darzu⸗ 
ftellen, würde ung zu weit führen. Die Vorgefchichten von Hrolfe 
Eltern und Ahnen, vom Urjprung und den früheren Schidfalen ſeiner 
Recken machen einen unverbältnismäßigen Theil des Ganzen aus und 
ed erſcheinen darunter in fi abgeichlofiene Sagen ohne nothwendigen 
Zufammenbang mit dem Folgenden. Ich werde daher nur bei dem 
verteilen, was fich näher auf und um den Haupthelden concentriert 
und babei zwar die isländiſche Saga zu Grunde legen, überall aber 
die erheblichern Ergänzungen aus Saxos Erzählung eintragen, bie 
gerade in biefen iwejentlichern Theilen ausführlich und lebendig ift. 

Die Saga beginnt mit ben Königebrübern Halfvdan, Hrolfe Groß» 
vater, und Frodi, bemfelben, von dem dad Mühlenlied handelt, unter 
Anbeutung biefer Verwandiſchaftsverhältniſſe, aber jonft mit abweichen: 
den Umftänden (Sn. Edd. 1502). Frodi überfällt feinen Bruder, dem 
er die Herrichaft über Dänemark misgönnt, verrätherifch und läßt ihn 
umbringen; aber Halfdans Söhne Helgi und Hroar, welche von treuen 
Freunden verborgen wurden, rächen, als fie herangewachſen, ben Tod 
ihre Vaters an Frodi. Diele Gefchichten erzählt Saxo, zum Theil 
mit andern Namen und Nebenumftänden, von feinem Frotho V, ben 
er erft lange nah Hrolf Krali ſetzt (B. VII, ©, 184 bis 186). Es 
pafien überhaupt ſolche Gewalttbaten nicht gut für den Frodi ber 
Friedenszeit. Helgi, der hierauf König in Dänemark wird, heiratet 
unwiſſend feine eigene Tochter Yrſa, die er einjt mit einer ſächſi⸗ 
ihen Königin erzeugt... Die Frucht diefer Ehe ift Hrolf, der Helb 

1 Soraz de arte poet. ®. 135 bis 150. | 

2 Bol. Sagabibl. 2, 496. 498, 





140 


der Saga. Yrſa, die ſich nach Entdeckung der wahren Verhältniſſe 
von Helgi getrennt, wird nachher, gegen ihre Neigung, - mit dem 
Schwedenkbnige Adils zu Upfala’vermählt. Als einft Helgi um Yrſas 
willen dorthin gelommen, läßt ihn Adils, nach fcheinbar freundlicher 
Aufnahme, auf dem Rückweg überfallen und Helgi erliegt der Über: 
madt. Ihm folgt im Dänenreiche fein und Yrſas Sohn Hrolf. Bevor 
aber die Saga ganz auf dieſen übergeht, gibt fie die befondern Ge 
fchichten des Kämpen Spipbag, der zuerft dem Könige Adils dient und 
dann, mit feinen Brüdern, von Hrolfs Ruhme gelodt, zu dieſem zieht, 
und noch ausführlicher die des ſtarken Bödvar Bjarki! und feiner 
Brüder, deſſen Fabrt gleichfalld am Ende nach dem Hofe zu Ledra geht. 

König Hrolf war durch Tapferkeit, Großmuth und Freigebigkeit 
vor allen Königen berühmt geworben. Darum fanmelten fi) um ihn 
die gröften Kämpfer bes Nordens (C. 22. 23. 31. Fort. Sag. I, 41. 
44.59 u.). Das Lob jet einer Freigebigkeit verkündigt beſonders auch 
„Saxo (©. 41): 

Ferunt autem, illum, qaiogakd preestare poscerelur, prime suppli- 
cationi prompta liberalitate tribuere solitum, nec unquam ad' seeundam 
petentis vocem distulisse rogatum. Siquidem precam iterationem muui- 
fioentie velocitrte precurrere, quam beneficium tarditate notare. maluit, 
Que res ei maximam athletarum freguentiam conciliavit. Plerumque enim 
virtus aut premiise pascitur, aut laudibus incitatur. 

Es findet fih auch in den lateinischen Verſen bei Saro, die wie 
immer Überfegung und Paraphraſe norbifcher Lieber find, eine Erzäh⸗ 
lung, ‘von ber in ber Saga nichts vorlommt, von dem Siege Hrolfs 
über den reichen und geizigen Rorif (S. 47_f.). Dieler, der Gold 
über Heldenruhm und Freunde fhäßte, ließ, als er von Hrolf gedrängt 
war und wegen feiner Kargheit feine Kriegsleute aufzuftellen hatte, 
al fein lang gelammeltes Gold vor bie Thore feiner Stadt ausſchütten, 
um bamit bie Feinde abzuhalten... Aber er verlor Gold und Leben 
zugleich; Hrolf vertheilte die ganze, reiche Beute feinen Kriegsgefährten: 

nee “ . . nec profuit hosti 
Census iners, quem longo svidus cumulaverat vo. 
Hunc pius invasit Rolvo, summasque peremti 
Cepit opes, inter dignos partitus amicos, 


1 Bgl. Lex. myth. €, 481. 


141 


Quiequid avara manus tantis congesserat annis; 
Irrpmpensque opulenta magis, quam fortia, castra, 
Prebuit eximiam sociis sine sanguine predam. ..- / 
Cai nil tam pulchrum fuit, ut non funderet illud, 

Aut charum, quod non sociis daret, wra favillis 
Assimilans, famaque anııos non fanore mensus. 


Zugleid aber wird von feiner Tapferkeit gefagt [S. 48]: 
Tam prseceps in bella fuit, quam concitus amnig 


In mare decurrit, pugnamgne capessere promptus, 
Ut cervus rapidum bifido pede tendere cursum. 


Aus dem erften Theile der Saga nun, den Vorgeſchichten, hebe 
ih aus, wie Bödvar Bjarki, nachher der ausgezeichnetfte von Hrolfs 
Reden, zu deſſen Hofe fommt (€. 33 bis 36). In diefen frühern Aben- 
teuern besticht noch die gute Laune vor; weiterhin wird Snbalt und 
Ton der Erzählung immer ernſter und tragifcher. 

Bödvars Vater Björn, ein norwegischer Königsſohn, war durch‘ 
böfen Zauber feiner Stiefmutter bei Tag in einen Bären verivandelt 
und erhielt nur bei Nacht wieder menſchliche Geftalt. Seine Shhne 
batten ũbernatürliche Stärke. 

Eines Tags war ſtarkes Unwetter uͤnd Böbvar ward auf ſeiner 
Fahrt nach Ledra ganz durchnäßt, ſein Roſs ſchritt müde unter ihm im 
böſen Wege. Schon war die Nacht eingebrochen, als es den Fuß an 
einen Abhang ſtieß. Bödvar ſtieg ab und fand ein Bauerhaus, wo 
er willig aufgenommen ward. Er fragt viel um Hrolfs und ſeiner 
Kämpen Heldenwerke, auch ob es noch weit zu dem König ſei. „Nein, 
ſagte der Bauer, dahin iſt nur ein kurzer Weg; willſt du zu ihm 
ziehen?“ Bödvar bejahte das. „Dort, fuhr der Bauer fort, wirſt du 
wohl aufgenommen werden; denn ich ſehe, daß du ein großer und 
ſtarker Mann biſt, und dort triffſt du auch anſehnliche Männer.“ 
Darüber begann das alte Bauerweib laut zu weinen. „Warum weinſt 
du, armes Weib?” fragte Böbvar. Gie antwortete: „Wir haben einen 
Sohn, der Hötte beißt. Der gieng eines Tags zur Burg, um fich zu 
vergnügen, aber des Könige Männer foppten ihn, wobei er fich fehr 
übel befand; nachher nahmen fie ihn und fehten ihn in einen Beiner- 
baufen, und das tft nun ihr Zeitvertreib während des Mahles, daß 
fie, fowie eim Bein nad dem anbern abgeeſſen ift, es nach ihm werfen. 





142 


Oft, wenn es ihn trifft, hat er davon großen Schaden, und ich weiß 
jegt nicht, ob er noch lebt oder tobt iſt; aber von meiner Gaftwillig- 
feit gegen dich Hoffe ich, du werdeſt mir damit vergelten, daß du lieber 
Heine als groſſe Beine nach ihm mwirfft, wenn er noch nicht todt ift.“ 
„Ich werde thun, mie du mid, bitteft, antwortete Böbvar, und bas 
— bebüntt mich nicht fo jehr mannlih, Leute mit Beinen zu werfen ober 
Kinder und Geringe zu quälen.” „Da thuſt bu wohl dran, fagte 
die Alte, denn deine Hand fcheint mir fo ftark, daß ich gewiſs meiß, 
er mwürbe deine Würfe nicht aushalten können, wenn bu ihn nicht 
ſchonen wollteſt.“ Bödvar zog hierauf meiter nach Zebra (til Hleidar- 
gards), wo der König feinen Sit hatte. Hier führte er fein Roſs in 
ben Stall neben bie beften Pferbe des Königs, ohne Jemand darum 
zu fragen. Darauf gieng er in die Halle, wo nur Wenige zugegen 
waren. Er ſetzte fih zu Außerft, und ala er eine Tleine Weile da ge 
jefien, hörte er etwas poltern in einer Ede der Halle. Er ſah dahin 
und warb gemahr, daß eine Hand aus einem großen Beinerhaufen 
hervorkam; die Hand war ganz ſchwarz. Bödvar gieng hin und fragte, . 
wer in dem Beinhaufen fi. Die Antwort Iautete mit ſchwacher 
Stimme: „Hött heiß’ ich, lieber Bökki!“ „Warum bift bu Bier? was 
machſt du?“ „Sch made mir eine Schilbburg1, Tieber Bökki!“ „Er 
bärmlich bift du in beiner Schilpburg,“ rief Böbvar, ergriff ihn und 
zog ihn aus dem Beinhaufen hervor. Hött fchrie laut auf: „Trachteſt 
du mir nach dem Leben? thu das nicht! du haft mir meirie Schildburg 
- zufammengebrochen; ich hatte fie eben fo hoch um mi aufgeführt, 
daß fie mich vor allen euern MWürfen beichirmt hätte, und doch mar 
fie noch nicht in dem Stand, in den ich fie bringen ivollte.” „Nicht 
ſollſt du, verfegte Bödvar, fernerhin Schildburgen zu bauen brauchen.” 
Hött meinte und ſprach: „Willft du mich denn tödten, lieber Bökki?“ 
Bödvar hieß ihn nicht fo laut ſchreien und trug ihn aus ber Halle 
nad einer nahen Waflerftätte; da wuſch er ihn vom Wirbel bis zur 
Zehe, gieng dann wieder zu feinem vorigen Site und fehte Hott neben 
fih; diefem mar aber fo bange, daß er am ganzen Leibe zitterte, ob⸗ 
gleich er merken konnte, daß diefer Mann ihm helfen wollte. Es marb 
nun Abend und die Leute Tamen in die Halle. -Hrolfs Kämpen ſahen 


1 Skjaldborg, scutorum testado. Lex. isl. 266. Shikdad). 


143 


nun, daß Hött auf einer Bank Pla genommen hatte, und der Mann, 
der ihn dahin gefegt, ſchien ihnen fehr breift zu fein. Hött warb übel 
zu Muth, als er feine alten Belannten ſah, und fo Iieb ihm fein 
Leben war, wollte. er wieder in den Beinhaufen fahren, um vor ihren 
Würfen befjer gefichert zu fein. Bödvar aber hielt ihn feft. Die Hof: 
leute trieben nun wieber ihren alten Brauch und warfen zuerft Heine 
Beiner nach Bödvar und Hött. Bödvar that, ala bemerkt’ er es nicht; 
Hött dagegen war fo bange, daß er weber Speife noch Trank anrührte, 
denn er fürchtete jeben Augenblid, tobtgeworfen zu merben. „Lieber 
Bokki, rief er, jetzt wird ein großer Knochen auf dich gezielt, der wird 
unfer Verderben werden.” Bödvar hieß ihn ftill fein, bielt feine hohle 
Hand entgegen, faßte jo den Knochen, dem ein ganzes Lendenbein 
mitfolgte, und ſandte ihn auf den, der geworfen hatte, mit folder 
Gewalt zurüd, daß e8 des Mannes Tod war. Nach Saxo, der aud 
diefe Geſchichte berührt (S. 41), drehte ihm der Wurf nur den 
Kopf um. 

Frontem ejus in occiput reflexit idemque loco frontis intorsit, trans- 
versum hominis animum vultus obliquitate mulctando. 

Großer Schreden kam über das Hofgefind und das Gerücht Tief 
binauf zu König Hrolf und feinen Kämpen, daß ein Mann, ber etivas 
Ungewohnlichem gleich fehe, in die Halle gelommen fei und einen 
feiner Hofleute getödtet habe und daß fie ihn nun mieber töbten laſſen 
wollen. Der König fragte, ob der Hofmann unſchuldig getöbtet wor⸗ 
den. „So gut ala unſchuldig“, antworteten fie; aber die Wahrheit 
fam nun doch an den Tag. Da fagte König Hrolf: „Weit davon, 
daß man diefen Mann töbten folltee Ihr habt wieder euer Unweſen 
getrieben, unfchuldige Leute mit Beinen zu werfen i, was mir zur 
Unehre gereicht und euch zu großer Schande. Ich habe davor früher 
oft gefprochen, ihr aber habt auf meine Worte nicht geachtet. Es muß 
fein geringer Mann fein, den ihr angegriffen habt; ruft ihn her zu 
mir!” Böbvar gieng nun vor den König und grüßte ihn anftändig. 
Der König fragte nach feinem Namen. „Hötts Frieden (Hattargrida ?) 
nennen eure Hofleute mich, fonft heiß’ ich Bödvar.“ „Welche Buße 
willſt du mir für meinen Hofmann geben?“ „Wie er that, fo geſchah 

18gl. Saro 8. V, S. 108 u. 8. VI, ©. 173. 

2 Höttr, pileus. Grid, n. pl. pax, securitas. 





144 . 

ihm.“ „Willft du mein Dann werben und feinen Pla einnehmen?“ 
„Nicht ſag' ich „Nein“ dazu, euer Mann zu fein; aber ich will mid 
darum keineswegs von Hött trennen, fondern wir Beide jollen näber 
bei dir fißen, als Jener faß; fonft ziehen wir Beide fort." Der König 
fagte: „Dbfchon ich an Hött wenig Ehre für mich fehe, fo will ich doch 
nicht die Speife an ihm fparen.” Bödvar gieng .nun mit Hött u dem 
Eite, der ihm gefiel. 

‚Ein weiteres Abenteuer ift, wie Bödvar feinen Schükling kraftigt 
Er hat ein Ungethüm (bei Saro iſt es ein Bär) erſchlagen, das des 
Königs Heerden verheert, und läßt nun ben: verzagten Hött, ben er mit 
fih genommen, vom Blute des Thieres trinten und von deſſen Her 
eſſen. Davon wird Hött ſtark und fühn. Der König gibt ihm fein 
Schwert Gullinhjalti (Golvdenheft) und beftimmt, daß er darnach fortan 
Hjalti beißen fol. 

So viel aus den Vorgefchichten; den mittlern, zweiten Theil der 
Saga bildet König Hrolfs und feiner nun vollzählig verfammelten 
Kämpfer Fahrt nah Schweden. Bon diefem Zuge gibt die Stalta 
(Sn. Edd. 150 bis 154) einen furzen Bericht, um zu erflären, ivarum 
man. in ber Dichterfpradhe das Gold Krakis Saat oder Saat von 
Fyrisvellir nenne. Vollftändiger ift die Hrolfsſaga (C. 38 bi 46). 

Eines Tags hielt König Hrolf ein herrliches Mahl und alle feine 
Kämpen jaßen bei ihm in feinem SKönigsfaale. Da blidte er nad 
beiven Seiten und ſprach: „Mächtige Stärke, ift bier gefammelt in - 
- eine Halle” Weiter fragte er Bödvarn, ob er, fold einen König 
fenne, ber ſolche Kämpen habe. Bödvar ſagte, er Senne keinen. „Aber 
ein Ding ift, fette er hinzu, das eure königliche Ehre mindert.“ König 
Hrolf fragte, was das ſei. „Das fehlt euch, Her, daß ihr nicht 
euer Batererbe in Upſala verlangt habt, das euch euer Schwager König 
Adils unrechtmäßig vorenthält.” König Hrolf antwortete: „Eine 
Schwierige Sache wird das fein, dieſes Erbe zu fuchen, denn Adils if 
ein zauberfundiger, ſchlauer und dabei graufamer Mann, ber ſchlimmſte, 
mit dem man zu fchaffen haben Tann. Uber du erinnerft mich, daß 
ih an biefem geizigen und verrätherifchen Könige meine? Vaters Tob 
zu rächen habe; darum wollen wir das gefährliche Unternehmen wagen.“ 
Darauf rüftete fih König Hrolf zu diefer Reife mit hundert Männern, 
außer feinen zwölf Kämpen. Sie kamen auf ihrer Fahrt zu einem 


145 . 
Bauer, der vor der Thüre ſtand und fie alle zu fich einludb. Der 
König fagte: „Haft du auch das Vermögen dazu? denn wir find nicht 
wenige, wenn fir beifammen find.” Der Bauer late: „Hab ich 
doch manchmal nicht mwenigere Männer dahin kommen ſehen, wo ich 
geweien bin! es foll euch nicht an Trank noch Andrem mangeln, was 
ihr die Nacht über braucht.” „Wir mollen’3 verjuchen, “ ſprach der König. 
Ihre Rofe wurden nun fogleidh in gute Pflege genommen. „Was it 
dein Name?” fragte der König. „Hrani! nennen Einige mid,“ war 
die Antwort. Sie wurden fo wohl aufgenommen, daß fie an feine 
gaftfreiere Stätte hätten kommen können. Der Bauer war jehr munter; 
fie mochten fragen, was fie wollten, jo antwortete er ſehr wohl auf 
Alles, und fie erlannten ihn für ben  weileften Mann, den fie jemals 
getroffen. Sie legten fi num fchlafen, konnten es aber nicht, indem 
es fie fo fehr fror, daß ihnen die Zähne Happerten. Da ſprangen fie - 
‚auf und zogen über ſich, mas fie befommen konnten, ausgenommen 
allein Hrolfs zwölf Känpen, welche bloß die Kleider anbehielten, vie 
fie zuvor angehabt; doch fror es fie alle die Nacht über. Am Morgen 
fragte ber Bauer, wie fie geichlafen. „Wohl,“ antwortete Bödvar; 


worauf der Bauer zum König fagte: „Ach weiß, daß es deinen Hof 


männern in der Schlaflammer etwas kühl vorgelommen ift; es war 
auch jo; aber nicht dürfen fie glauben, alle vie Fährlichleiten ausbalten 
zu können, womit euch König Abils in Upfala verfuchen wird, wenn 
Ihon das ihnen fo beſchwerlich ſchien. Wilft du darum, Her, mit 
dem Leben davon fommen, fo jende die Hälfte beiner Schaar wieder 
heim! denn es ift nicht die Menge, die den Ausſchlag zum Stege über 
König Adils geben wird.” Der König folgte dem Rathe und. ritt 
hierauf mit der andern Hälfte feines Weges meiter. Als es Abend 
ward, lag ein andrer Heiner Bauerhof vor ihnen und fie glaubten, 
Denfelben Bauer wieder zu erkennen, der fie die vorige Nacht beherbergt 
hatte, was ihmen fehr wunderlih vorlam. Der Bauer empfieng fie 
wieder fehr wohl und fragte nur, warum fie fo oft kommen. Sie 
Legten fich fchlafen, wachten jedoch abermals auf, inbem fie ein fo un- 
Leivliher Durit befallen Batte, daß fie kaum mehr die Zunge beivegen 
Tonnten. Sie ftanden daher auf und eilten zu einer großen Kanne 


1 Der Rame Rani bei Sapı DB. VII, ©. 222. 
Upland, Schriften. "VII. j 10 


146 

mit Wein, an ber fie fich erlabten. . Am Morgen fagte der Bauer 
Hrani: „Wenig Ausdauer fcheinen mir die Männer zu baben, die 
Nachts zu trinken brauchen; härtere Proben werdet ihr ausſtehen, 
wenn ihr zu König Adils fommt.“ Ein ftarles Unwetter fiel ein, fie 
blieben darum ben Tag über und nun ſtand bie britte Nacht bevor. 
Am Abend wurde Teuer vor ihnen aufgemacht und nun kam es benen, 
die am Feuer ſaßen, vor, ala würd’ es ihnen zu heiß um bie Hände, 
weshalb die Meiften von den Plägen auffprangen, die ihnen ber Bauer 
angewiefen, ausgenommen König Hrolf und feine Kämpen. Da fagte 
der Bauer: „Noch müßt ihr, Herr, eine Auswahl in eurer Schaar 
machen, und ift das mein Rath, daß Keiner die Fahrt fortfehe, als 
ihr und eure zwölf Kämpen; nur in biefem Sal iſt einige Hoffnung 
eurer Wiederkehr, im andern nicht.” „Sp großes Vertrauen, erwi⸗ 
berte Hrolf, hab’ ich zu dir gefaßt, Bauer, daß ich deinem Rathe folgen 
will.” Sie blieben drei Nächte dort, worauf der König mit feinen 

zwölf Kämpen weiterritt, die ganze übrige Schaar aber zurückſandte. 
Jene famen nad) Upfala und ritten zu Königs Adils Halle. Diefer 
ließ fie ſcheinbar wohl aufnehmen, befahl aber gleich, daß man ihren 
Nofien im Stalle Mähnen und Schweife abfchneiden folle. Die Helden 
zogen in die Halle ein; jeder hatte einen Habicht auf der Achſel figen, 
König Hrolf den feinigen, der Habrok (ber Hochgehoste) hieß. Hrolf 
gieng nicht vorn in ber Neibe, da fein Kämpe Svipdag, dem der ſchwe⸗ 
bifche Hof belannt war, gerathen hatte, nicht merken zu lafien, welches 
ber König fei. König Adils ſaß auf dem Hochſitz, aber es war ein 
folches Dunkel um ihn, daß man fein Angeficht nicht deutlich ſehen 
konnte. Gr ficherte den Gäſten fein Geleite zu, in ber Halle waren 
gleichwohl Fallgruben angebracht und Hinter den Wanhbehängen ftürzten 
Gewappnete hervor, wurden aber von Hrolf und feinen Kämpen haufen 
weiſe niebergeftredt. König Adils ſchwoll vor Zorn auf feinem Hochſih, 
ftellte fich nun aber, ald wäre ber Angriff gegen feinen Willen ge 
fchehen, und begrüßte fie als feine Freunde. Er ließ ein Langfeuer in 
der Halle anzlinnen. Auf beiben Seiten desſelben ftanden lange Bänke. 
Hrolf mit feinen Kämpen, beftändig bie Waffen in den Händen, ſaß 
auf der einen Seite, Adils mit feinen Hofleuten auf ber andern, und 
fo ſprachen fie mit einander, Adils ließ das Teuer immer ftärler ans 
ſchüren; er hatte gehört, daß Hrolf ein Gelübbe gethban, weder Feuer 


x 


’ 147 


noch Eifen zu fliehen, und wollte ihn nun dahin bringen, daß ex ent: 
weber verbrennen ober fein Gelübde brechen müfte. Die Bänte, worauf 
Adils und die Seinigen faßen, waren bereit weiter hinausgerückt 
worden. Als nun bie Flamme fchon die Kleider ber Gäfte angriff, 
riefen Bödvar und Spipbag : 
Mehren wir das euer 
In Adils Burg! 

Hrolfs Kämpen ergriffen nun jeder einen von denen, bie das 
Feuer anſchürten, und warfen fie darein, daß fie zu Aſche verbrannten. 
Dann warfen fie ihre Schilde auf das Feuer, liefen über die brennen⸗ 
den Schilde und König Hrolf ſprach: 

Nicht flieht das Feuer, 
| Der darüber läuft. | 

König Adils war durch Zauber entfloben. (So muß der Hergang 
aus Bergleihung der Eaga mit der Erzählung der Skalda bergeftellt 
werben; in jeber für ſich ift Einiges unklar.) 

Yıfa, Adils Gemahlin, Hrolfs Mutter und Schwefter, hatte in- 
deſs die Ankunft der Fremden erfahren; fie gieng zu Hrolf und begrüßte 
ihn freundlih. Auch beitellte fie einen Mann Namens Vöggr zum 
befondern Dienfte der Bäfte Als Vöggr vor König Hrolf kam, fagie 
er: „Diefer Mann ift mager und, etwas fchmal (krakil) von Angeſicht; 
ift das euer König?“ König Hrolf fagte darauf: „Einen Namen haft 
du mir nun gegeben, der feft an mir hängen wird; aber was gibft bu 
mir zur Namenfefte (at nafnfesti)?" Vöggr antiwortete: „Dazu habe 
ich gar nichts, ich bin ein armer Mann.“ „So muß ber geben, ber 
zu geben bat,“ ſprach der König, zog einen Golbring von feiner Hand 
und gab ihn dem Manne. Vöggr fagte: „Heil bir, König, für dieſe 
Loftbare Gabe!” Hrolf erwiderte: „Wöggr ift mit Wenigem vergnügt.“ 
Hierauf ſprach Voggr, indem er feinen einen Fuß auf die Bank fekte: 
„Das feierliche Gelübde thu' ich hier, daß ich dich rächen werde, wenn 
üch dich überlebe und wenn du von Menfchen übertvunden wirft.” Der 
König verfegte: „Das ift ſchön von bir; aber doch find Andre hier, 
auf die man nicht minder vertrauen darf.“ Das fahen fie nun, daß 
diefer Mann Hold und treu war in dem Wenigen, mas er vermochte; 
aber fie meinten, es ſei auch nur wenig, mas er ausrichten Fünnte. 

1Hrolfr kraki, Hrolfus tener. Lex. isl. 1, 473 b. 


148 . ' 


VDieſe Gefchichte mit Vöggr, die im Verlauf der Sage bedeutend wir, 
ift in der Skalda auf dieſelbe Weife erzählt. Saro, der fie auch mit 
befondrem Wohlgefallen aufgenommen bat, gibt eine etwas verfchiebene 
Erflärung des Namens und einen weitern, eigenthümlichen Zug (S. 42 f.): 

Hoc loci quiddam memoratu.jucundum operi inseratur. Adolesgens 
quidam, Woggo nomine, corpoream Rolvonis magnitudinem attentiori 
. contemplationse scrutatus, ingentique ejusdem admiratione captus, per- 
contari per Judibrium copit, quisnam esset iste Krage, quem tanto 
staturee fastigio prodiga rerum natura ditasset, faceto cavillationis genere 
inusitatum proceritatis habitum prosecutus. Dicitur enim lingua danica 
krage truncus, cujus semicesis ramis fastigia conscenduntur, ita ut pes 
precisorum stipitum obsequio, perinde ac scale beneficio nixus, sensim- 
que ad superiora provectus, petitee celsitudinis compendium asseguatur. 
Quem vocis jactum Rolvo perinde ac inclytum sibi cognomen amplexus, 
urbanitatem djcti ingentis armille dono prosequitur. Qua Woggo dex- 
teram excultam extollens, leva per pudoris simulationem post tergum 
reflexa [vgl. Saro B. VIII, S. 256 unten], ridieulum corporis incessum 
preebuit, prefatus exigno letari munere, quem sors diutin® tenuisset 
inopie. Rogatus, cur ita 86 gereret, inopem ornamenti manum nulloque 
cultus beneficio gloriantem, ad aspectum reliquse verecundo paupertatis . 
rabore perfundi dicebat. Cujus dicti calliditate consentaneum priori mu- 
nus obtinuit. Biquidem Rolvo manum, que ab ipso occultabatur, exemplo 
reliquee in medium accersendam curavit. .Nec Woggoni rependendi bene- 
ficii cura defuit. Siquidem arctissims voti nuncupatione pollicitus est, si 
'Rolvonem ferro perire contigerit, ultionem se ab ejus interfectoribus 
exacturum. Nec prestereundum, quod olim ingressuri curiam proceres 
famulatus sni principis alicujus magn® rei voto brincipibue obligare s0- 
lebant, virtute tiroeinium auspicantes. 

In der Naht Fam König Adils vor das Haus, wo bie Gäfte 
jchliefen, mit einem großen Heer und legte Feuer an. Die Helben 
‘wollten nicht fo elend umkommen und rannten fo gewaltig gegen bie 
Wand des feiten Haufes an, daß fie hindurchbrachen!. Draußen erhob 
fih nun ein harter Kampf. Während besjelben kam Hrolfs Habicht 
von der Burg hergeflogen und fette fi auf des Königs Achjel, fich 
fo gebervend, als ob er fich eines großen Sieged zu rühmen hätte. 
Auch fand man nachher, daß er alle Habichte des Königs Adils 


t Bl. Sage 8. IV, ©. 142. 


J 


149 


getöhtet hatte. Nicht minder ſiegreich kämpfte fein Herr; König Adils 
war verſchwunden und feine Zeute, bie noch aufrecht waren, baten um 
Frieden. Hrolf und feine Kämpen giengen hierauf wieber in die Halle; 
er ſetzte ſich auf den Hochſitz und die Kämpen auf die Königsbank. 
Als fie nad ihren Roſſen ſehen Tießen, zeigte fich, wie dieſe zugerichtet 
waren. Indeſs kam die Königin Yrſa in die Halle, beilagte, daß 
ihr Sohn nicht fo aufgenommen worden, wie fie es wünſchte, und 
rieth ihm, nicht länger bier zu verweilen, denn Adils ziehe aus ganz 
Schweden Kriegsvolk zufammen. „Hier, fuhr fie fort, iſt ein Silber⸗ 
horn, das ich dir geben will, darin alle die beiten Ringe des Königs 
verwahrt find, auch ber, welcher Sviagris! beißt und den er über alle 
andern ſchaͤtzt.“ Sie gab ihm damit fo viel Gold und Silber, daß es 
leine Schägung zuließ. Darauf ließ fie zwölf Roſſe vorführen, alle 
von rother Farbe, und ein fchneeweißes, das König Hrolf felbft reiten 
follte. Es waren bie beiten Pferde des Königs Adils. Auch Schilde, 
Helme und Kleider gab fie ihnen, da das Feuer ihre Kleider und 
Waffen verzehrt hatte. Hernach ftiegen fie zu Rofle und König Hrolf 
nahm liebreich Abſchied von feiner Mutter. Sie nahmen ihren Weg 
von Upſala nieder nad Fyrisvöll (Ebene bei Upfala). Da ſah König 
Hrolf vor fi auf dem Wege einen großen Golbring funteln und ber 
Ring erllang, als fie über ihn binritten. „Der tönt fo laut, meil er 
ungerne allein ift, “ rief der König und marf einen von feinen Golb- 
singen zu jenem auf den Weg mit den Worten: „Das foll man von 
mir jagen, daß ich das Gold nicht aufbebe, wenn es auch auf bem 
Wege liegt, und auch Feiner meiner Mannen fich erfühnen foll, es aufs 
zubeben; denn es ift hieher geworfen, um unfre Fahrt aufzuhalten.“ 
Gie gelobten ihm das und indem hörten fie Hörnerflang von allen 
Eden und wurden gewahr, daß eine zahllofe Schaar ihnen nachjagte. 
„Dieje reiten ſtark binter una her, fagte Bödvar, und es wäre mir 
lieb, wenn fie mit und zu fchaffen hätten!“ „Laflen wir das!" ant- 
wortete der König; „fie follen fchon felbft anhalten.“ Damit ſtreckte er 
feine Sand nad) dem Horn aus, worin das Gold war und das Beigabr 
auf dem Ritte trug. Er fäte nun Golb weithin auf dem Wege über 
ganz Fyrisvöll, jo daß der Weg wie Gold funkelte. Da fprangen die 


1 Lex. isl. II, 355: Sviar, m. pl. [®en. Svia] Sueci. Sviariki, n. 
Suecie. Gbendaf. I, 308: Gris, m. porcellus, porculus, Gris. 


150 


Rachſetzenden von ben Pferden, haſchten nad dem Golde und fchlugen 
fih darum. Als ’König Adils das fah, kam er faft von Sinnen und 
verwies feinen Leuten, daß fie das Geringere aufrafften und das 
Größere entwifchen ließen. „Diele Schmad wird in alle Lande aus 
geben, daß ihr zwölf Männer vor einer fo zahllofen Menge entlommen 
Tießet, die ich aus allen Gauen Schwedens zufammengezogen.” König 
Adils eilte nun Allen voran, denn er war ber Sornigfte, und bie 
Menge folgte ihm nad. Als König Hrolf ihn zunächft hinter ſich ſah, 
nahm er den Ring Spiagriß hervor und warf ihn auf ben Weg. -So: 
bald Abils den Ring erblidte, ſprach er: „Holber, als ih, war dem 
König Hrolf, wer ihm biefes Kleinod gab; jetzt aber fol es mein fein 
und nicht König Hrolfs.“ Hierauf ftredite er den Speerſchaft nad dam 
Ringe, aber indem er den Spieß in die Öffnung besfelben find, bog 
er ſich ſtark auf dem Pferde. Hrolf warb das geiwahr,; wandte fein 
Rofs ſchnell um und Sprach: „Schweingebogen 1 hab ih nun den, der 
der Schweden mädhtigfter iſt. Indem nun Adils den Speerkhaft und 
damit den Ring an fich ziehen wollte, bieb ihm Hrolf die ganze Hinter 
ſeite hinweg mit feinem Schwerte Stöfnung, bem beften aller Schwerter, 
die in Norblanden getragen worben. König Adils mufte in biefem 
Ichlimmen Zuflande heimkehren; Hrolf aber nahm wieder ben Ring 
Sviagris. So trennten fie fich für dieſes Mal und man bat Feine 
Sage davon, daß fie nachher wieder zufammentrafen. 

-  GSago, der überhaupt über ven ſchwediſchen Zug anbre Sagen vor . 
fih hatte, da er in vielen Umftänden abweicht, erzählt die Demüthi- 
gung bes Königs Adils fo (S. 41 [1, 86 Müller]): 

Videns igitur Atislus donatum Rolvoni torquem inter alia auri in- 
signia relictum, intimum avaritis sus pignus curiogius contemplatus, ut 
preedam exciperet, affixis humo genibus cupiditati majestatem inclinare 
sustinuit. quem Rolvo tollende pecuniz gratia pronum demissumgue con- 
spiciens, propriis prostratum muneribus risit, perinde ac cupide repeten- 
tem, quod callide tribuisset. 

König Hrolf und feine Kämpen ritten ihres Weges weiter. Als 
die Nacht einfiel, Tamen fie zu einem Hof; vor der Thüre ftand ber 


1 Gebogen, wie ein Schweinsrüden (svinbeygda ek nu Pann, sem 
Svianna er rikastr) [&. 93. 8]. Wortipiel des Nachbarhafſes; wohl and) 
Anfpielung auf Sviagris, nad, dem Schweine, dem Ferkel, gebogen. 


151 


Bauer Hrani, der ihnen alle Gaftfreibeit erbot und bemerfte, daß ihre 
Fahrt nicht viel anders ausgefallen fei, als er vorausgelagt. „Hier 
find Waffen, die ich bir geben will,” fagte Hrani weiter. „Furcht⸗ 
bare Waffen find das,“ fagte ber König. Es war Schild, Schwert 
und Brlnne. Hrolf wollte fie nicht annehmen; barüber warb Hrani 
zornig und es ſchien ihm bamit große Unehre gefchehen zu fein. „Nicht 
bift du immer fo weile, wie du bir bäudft”, Iprad er. An Nacht⸗ 
berberge war num nicht mehr zu benfen, fie ritten ohne Abſchied fürber, 
obgleich die Nacht jehr finfter war. Noch waren fie nicht weit gelommen, 
als Bödvar Bjarli anhielt und ſprach: „Zu Tpät befinnen ſich Unkluge; 
fo gebt es jett mir; es ahnt mir, daß wir nicht weislich gehandelt 
baben, indem wir uns. felbft den Sieg verſagten.“ König Hrolf fagte: 
„Dasſelbe ahnet mir; dieſer Mann mag Dbin ber Alte geweſen fein, 
und in Wahrheit er war einäugig.” „Laßt und ſchnell umlehren, 
fagte Svipdag, daß wir Gewiſsheit erhalten!" Sie ritten nun zurüd, 
aber da war Hof und Bauer verſchwunden. Run zogen fie ihres 
Weges und kamen wieder nah Dänemark. Den Rath gab Bödvar 
dem König, baß er von der Beit an nicht viel in Kampf ziehen follte, 
denn eö fei zu befürchten, daß er fortan nicht mehr fo fiegreich fein 
werde, wie zuvor. „Das Scidfal rathet über jeves Mannes Leben, - 
fagte der König, (und nicht jener böfe Geiſt).“ „Dich möchten wir zulegt 
verlieren, ertviverte Böbvar, wenn wir zu walten hätten; aber ich babe 
ſchwere Apnung, daß in Kurzem große Ereignifle über una alle ommn 
werben.” Bon diefer Fahrt nad) Schweden wurden fie jehr berühmt. 

Dieb der Hauptinhalt deilen, was wir nach ber obigen Eintheilung 
als den zweiten mittlern Theil der Saga zu ‚betrachten haben. Die 
bangen Abnungen am Schlufie beöjelben geben im dritten Theil im 
Erfüllung (©. 47. bis 52). 

Geraume Zeit ſaßen jeht König Hrolf und feine Kämpen. im . 
. Frieden in Dänemark. Niemand griff fie an; alle Könige, die Hrolf 
ſich ſchatzpflichtig gemacht, blieben in Gehorſam und bezahlten, mas 
ihnen auferlegt war. So that auch Hjörvard, Hrolfs Schwager. 
König Hrolf Hatte eine Halbichweiter, Stuld, die fein Vater Helgi mit 
einer Alfın (&lfkona, €. 15) erzeugt hatte. Sie war mit dem Unter: 
Lönig Hjiörvard vermählt (C. 33) und konnte nicht ertragen, daß ihr 
Gemahl ihrem Bruder Schatzung entrichten follte. Dieſes Joch abzu: 


152 


werfen, reizte fie ihren Gemahl auf und feinen Zweifeln bielt fie - 
entgegen, wie König Hrolf ſelbſt ahne, daß der Sieg von ihm getvichen 
ſei. Skuld war ſehr liftig und, vermöge ihres Urfprungs, eine große 
Bauberin. Unter dem Vorwand, dem Könige die Schagung zu brin⸗ 
gen, die er für drei Jahre hatte zufammen kommen laſſen, fuhren 
Stuld und Hidrvarb mit einem großen Heere nach Ledra. Syn ihrem 
Gefolge waren Alfe, Normen und unzählige andre böfe Weſen. Skulds 
Bauberfunft mufte den gangen Anfchlag zu verbüllen. Es war bie 
Zeit des Julfeſtes; der König hatte zur Feier desſelben große Anftalten 
getroffen und feine Männer tranten ftarl den Julabend, als Skuld 
und Hiörvard ihre Zelte vor Lebra aufichlugen. Viele Wagen waren, 
ftatt der Schagung, mit Waffen und Ruſtzeug angefüllt. Denſelben 
Abend war Hjalti vor die Burg gegangen, um feine Geliebte zu be 
ſuchen. Er ſah, dab das Feld rings um die Burg mit geiwaffneten 
Schaaren befeßt war, gieng darauf vor bie Halle, wo Aönig Hrolf 
und feine Kämpen faßen, und rief: „Wach auf, Koönig! Unfriebe iſt 
- vor ber Burg; Kampf ift nötbiger, als fchöne Frauen zu halfen; wenig 
wird das Golb in der Halle vermehrt: werben Durch deiner Schweſter 
Schatzung.“ Seinen Genoflen rief Hjalti zu: „Laßt und bes Königs 
Heer führen, der nie an uns geipart bat! laßt uns unſre Gelübde 
erfüllen, den berrlichften König, der in Rorblanven tft, zu vertheibigen! 
Sn allen Landen foll man hören, daß wir ihm Waffen und Heerkleider 
und fo viel andre Wohlthaten vergolten, wie wir fchulbig find. Große 
Vorzeichen find vorausgegangen und es Tann gefcheben, daß König 
Hrolf zum letztenmale mit feinen Kämpen und Hofmännern trinkt. 
Huf nun, ihr Kämpen alle, und waffnet euch!“ Auf fprangen bie 
Kämpen alle, auch König Hrolf fprang auf; doch ſprach er furchtlos: 
„Holt uns ben beften Trank! mir follen erſt trinken und fröhlich fein 
und dann zeigen, melde Männer Hrolfs Kämpen find; ftreben mir 
darnach, daß unſre Mannbeit im Gedächtnis feit Sagt Hiörvard 
und Skuld und ihren Mannen, daß wir uns fröhlich trinken, eb wir 
die Schagung empfangen!" Wie der König gebot, fo geſchah es. Als 
fie nun getrunfen, fprang König Hrolf vom Hochſitz auf und mit ihm 
zogen alle feine Kämpen aus, Bbödvar Bjurkin ausgenommen. Ihn 
fahen fie nirgends, was fie fehr wunderte, und fie befürchteten, ex fei 
gefangen ober erſchlagen. Draußen erhob fi num ein fchredlicher 


153 


Kampf und der Boden ward mit Leichen bebeit. Da ſprach Hfalti: 
„Brünnen find viele zerichlagen und Waffen entzweigebrochen, Helme 
zerhauen und manch Teder Reiter vom Roſſe geftoßen; aber unfer König 
iſt noch friſchen Muths, er tft fo Fröhlich, mie da er jaß und tranf; 
er fchwingt fein Schwert mit beiden Händen, zwölf Männer Stärke 
fcheint er zu haben, manch tapfern Mann hat er gefällt und nun foll 
Hjorvard fehen, daß das Schwert Sköfnung beißt und laut in ihre 
Hirnſchaalen fingt (gnestr))* Denn das war die Art Sköfnungs, 
daß es laut auffang (kvad vid hatt), wenn es auf Knochen traf. In 
biefem Kampfe faben Hjorvard und feine Mannen, daß ein großer 
und ftarler Bär bicht vor König Hrolf hergieng. Hieb⸗ uns Schuß⸗ 
waffen glitten ohne Wirkung an ihm ab, er ftärzte Männer und Roſſe 
nieder und zermalmte bie Leute mit Klauen unb Zähnen, fo daß fih 
ein Hägliches Geheul in Hjörvards Heer erhob. Hialti ſah fih um 
und vermiiöte noch immer feinen Freund Bödvar. Da lief er zurück 
zu der Rönigshalle und bier fah er Bödvarn ganz müßig fihen. „Auf, 
Böbvar Biarlil rief er, oder ich verbrenne dad Haus und dich mit; 
das iſt eine Hauptſchande für einen Kämpen, wie bu bift, daß ber 
König fih für ung in Gefahr fegen fol.“ Bödvar ſtand auf, er 
feufzte und ſprach: „Nicht darfft du mich ſchrecken, Hjaltil nicht zaghaft 
bin ich und bin bereit, mitzuziehen; ala ich jung war, floh ich weder 
Feuer no Eifen; Feuer hab ich nicht oft verfucht, aber Eifen hab’ ich 
manchmal ausgehbalten. Hier aber haben wir gegen größere Wunder 
zu ftreiten, als je zuvor. Du aber, Hialti, bift mit deinen Vornehmen 
bem König nicht zu fo großem Dienſte geweſen, wie bu glaubft; benn 
fo weit war es nun. faft gelommen, daß man nicht wufte, zu wem ber- 
Sieg fi wenden würde. Keiner, ald du oder der König, wär im 
Stande getvefen, mic) herauszurufen, jeden Anbern würd’ ich erichlagen 
‚baben. Set aber nahet, was erben fol, Fein Rath kann helfen, 
und ich fage bir, daß ich jebt dem König weniger frommen mag, als 
bevor du mich riefeſt.“ Bodvar gieng nun hinaus zum Kampfe; da 
verfchwand ber Bär und der Kampf warb ſchwieriger für Hrolfs 
Schaar. Denn die Königin Skuld, die in einem ſchwarzen Zelt auf 
ihrem Baubergerüfte (seidhjall) ſaß, hatte nicht mit ihren Künften 
berantommen Zönnen, fo lange des Bär in Bödvars Heere war. Jetzt 
kam aus Hjörvarbs Heer ein ungeheurer, wolfgrauer Eber, aus befjen 


0 





154 


Borften Pfeile flogen und Hrolfs Hofmänner haufenweiſe töbteten. 
Bodvar Bjarki Fämpfte wie rafend, feine Arme waren blutig bis zu 
ben Achſeln unb Leichen lagen rings um ihn aufgehäuft. ber fo 
viele Feinde er und andre Kämpen Hrolfs erfchlugen, jo wurde doch 
Hidrvarbs und Sktulds Heer niemals dünner. Da ſprach Böbvaer: 
Hier ftehen die Tobten wieber auf und fireiten gegen uns; ſchwer iſt's, 
gegen Tobte (vid drauga) zu kämpfen.“ Auch Hjalti ſprach: „Dunkt 
es mir glei, daß ich viel Volles erfchlage, vermag ich doch nicht alle 
bie Hiebe zu vergelten‘, die ich empfange; doch will ich mich nicht fparen, 
wenn wir heute Abend in Valhall follen zu Gafte- fein.” - Wicher 
ſagte Böbvar: „In zwölf großen Schlachten hab’ ich gelämpft, aber 

nicht fehwing’ ich jetzt mein Schwert freudig wie zubor. Dem König 
Hjorvard hieb ih Hand und Fuß weg, ein ziveiter Hieb Tpaltete feinen 
Rüden und er athmete nicht mehr; aber jegt flreitet er fo rüftig, als 
zuvor. Hier find fo viele und gewaltige Männer aus allen Eden ber 
Welt zufammengelommen, daß man ben Kampf nicht gegen fie aus 
halten Tann. Aber Odin Tann ich nicht unter ihnen erkennen, und 
boch zweifl ich nicht, daß ex bier unter uns ſchwebt, ber treulofe Sohn 
Herjans; könnte mir ihn Jemand zeigen, ich wollt’ ihn zermalmen, wie 
einen Andern, den Geringften und Elendeften.” Hjalti fagte: „ Richt 
ift das Schidfal leicht zu beugen.” König Hrolf wehrte ſich mannlic, 
man brang hart auf ihn ein und bie ausgefuchteften Männer bes feind⸗ 
lichen Heeres fchlugen einen Kreis um ihn. Skuld war nun felbft 
aud zum Kampfe gelommen und trieb ihre Ungeheuer gegen Hrolf an, 
denn fie ſah, daß feine Kämpen ihm nicht nahe waren. Das war 
eben, was Böbvarn und andre Kämpen fchmerzte, baß fie ihrem Herrn 
nicht Hülfe bieten konnten; benn fie waren jetzt ebenfo begierig, mit 
ihm zu fterben, tie jonft mit ihm zu leben, als fie in ihrer Jugend⸗ 
blüthe ftanden. Alle Hofmänner König Hrolfe waren nun gefallen und 
die meiften feiner Kämpen waren töbtlich vertvundet. Da erhob fich ein 
folches zauberhaftes Ungewitter, daß fie alle, Einer über ven Anbern, 
flürzten. Nun fiel auch König Hrolf. Aber auch König Hjborvard und fein 
ganzes Heer war gefallen; nur einige Böſewichte blieben mit Skuld übrig. 
Doc fand auch fie ihren Untergang durch ein Heer, das Bodvars Brüder 
mit Hülfe der Königin Drfa zufammengebracht hatten und deſſen Haupt 
anführer Voggr war. Über König Hrolf warb ein Hügel aufgeworfen 


155 


und fein Schwert Stöfnung an feine Seite gelegt; auch für jeden feiner 
Kämpen warb ein Grabhügel aufgeworfen und Waffen darein gelegt. 
Und endet hier die Saga vom König Hrolf Kraft und feinen Kämpen. 

Aber gerade diefer letzte und bedeutendſte Theil der Saga bebarf 
weſentlich der Ergänzung durch die Darftelung Saxos. 

Beei ihm feiert Hrolf die Ankunft Hiarthwars und Sculbas durch 
ein großes Gaſtmahl. Die Fremden (Sueones) halten ſich jehr nüchtern 
und in ber Nacht, als die Dänen im tiefen Schlafe liegen, holen fie 
die Waffen hervor, die fie verftohlener Weife, ftatt des Tributs, mit⸗ 
gebracht; fie dringen bann in bie Burg und überfallen die Schlaf. 
trunfenen. Den meilten Raum bei Saxo nehmen jedoch die wiederholten 
Aufrufe Hialtos an Biarco und des Lehtern Antworten ein, durchaus 
in lateiniſchen Hexametern. Daß dabei ein heimilches Lieb zu Grunde 
liege, wirb dießmal ausbrüdlic gelagt (S. 52): | 

Hanc maxime exhortationum seriem idcirco metrica ratione o0mpe- 
gerim, quod earundem sententiarum intelleetus, danici cujusdam carminis 
compendio digestus, a compluribus antiquitatis peritis memoriter usurpatur 1. 

Zuerſt ruft Hjalto vor Biarcos Gemach u. A. (S. 44): 

Disentiant Bomnum proceres, stupor improbus absit! u. ſ. m. 

Non ego virgineos jubeo cognoscere Iudos, 

‚Nec teneras tractare genas, aut dulcia nuptis 

Oscula conferre u. |. w. 

Non liquidum captare merum u. ſ. w. 

Evoco vos ad amara magis certamina Martis u. ſ. w. 

Quisguis amicitiam regis colit, arma capessat! 

Biarco, der an biefem Ruf erwacht, weckt feinen Diener (cubi 
ealariuom suum Scalcum, was für fi ſchon Knecht heißt, Grimm, 
Rechtsalterth. S. 302) und heißt ihn Feuer aufmaden: | 

Surge puer, crebroque ignem spiramine pasce! u. |. m. 

Proderit admota digitos extendere flamma, 

Quippe calere manu debet, qui curat amicum u, ſ. w. 

(Das Letztere ſcheint ein nordiſches Sprüchwort zu fein.) Wieber 
mahnt Hjalto, dem Könige feine. Wohlthaten zu vergelten: 

1 Müller (Sagnhiſt. 34) Hat übrigens ausgeführt, daß Saro zwei ver- 
ſchiedene Lieder ımmittelbar an einander gereiht habe, wovon eines ben Aufruf 
Hialtos au den zögernden Biarli, das andre ihre Wechſelreden in der Schlacht 
enthalten haben mäffe, entſprechend der Darftellung ber Saga. 


=> 


156 


Dulce est, nos domino percepta rependere dona u. f. w. 
Enses theutonici, galew armilleque nitentes, 
Loric® talo immisse, quas eontalit olim 
: Rolvo suis, memores acuant in prælia mentes n. |. w. 
. 0. . vultuque sub illo 
Ducamus trietes, quo dulces hausimus annos. 
Omnis, que poti temulento prompsimus ore, 
Fortibus edamus animis, et vota sequamur 
Per summum juräta Jovem superosque potentes u. |. w. 
- Nemo enses tergo excipiat: pugnacia Bemper 
ı  Pectora vulneribus ‚pateant. Certamina prima 
Fronte gerunt aquile et rapidis se rietibus urgent 
‘ Anteriore loeo; species vos alitis equet 
Adverso nullam metuentes corpore plagam. 

Nachdem Hjalto felbft eine große Nieverlage unter ben Feinden 
angerichtet, kommt er zum brittenmal vor Biarcos Schlafgemad und 
ruft ibm Vorwürfe und Drohungen zu [S. 47]: - 

Ut quid abes, Biarco? num te sopor occupat altus? 
Quid tibi, qu&so, more est? aut exi, aut igne premeris. 
Elige quod prestat, eia concurrite mecum! 

Igne ursos arcere licet, penetralia flammis 

Spargamus, primosque petant incendia postes! 

Die, welche dem König treuer ergeben feien, heißt Hjalto feft zu⸗ 
fammenftehn und erinnert fie, wie Rolf die Schätze Roriks unter feine 
Kriegsgefährten vertheilt, wie foldhes oben angeführt worden!. Er 
fchließt diefen Aufruf (S. 48): 

Quid clausis agitur foribus, quid pessula valvas 
Juncta sefis cohibent? etenim jam tertia te vox, 
Biarco, ciet, clausoque jubet prooedere tecto. 

Nun erhebt fih Biarco: 

Quid me Rolvonis generum ?, quid, bellice Hialto, 
Tanta voce cies? u. |. w. 


1 $n diefem dritten Aufeuf ift Rolf erft noch lebend, dann als ſchon gefallr — 
angenommen. 

2 Gener kann hier nur Schwager heiten; Biarki hatte nach Saros eigene 
Erzählung Rolfs Schweſter Ruta zur Gemahlin erhalten. Nach der Hrolfs- 
Saga aber (6. 37) war es des Königs Tochter Drifa 


157 


Er mahnt jetzt ſelbſt zum verzweifelten Rachekampf (was ſchon 
zum zweiten Liede zu gehören ſcheint): 
In tergum redeant clypei, pugnemus apertis 
Pectoribus, totosque auro densate laeertos, 
Armillas dextre excipiant, quo fortius ictus 
Collibrare queant et amarum figere vulnus! 


Die Goldringe, die fie von ber Freigebigkeit des Königs, wie 
namentlich Hialto, an Arm und Hand tragen, follen dazu dienen, bie 
Wucht der Hiebe zu verftärken, womit fie ihren nun gefallenen Herrn 
tächen. 

Nemo pedem referat, certatim quisque subire 

Hostiles studeat gladios hastasque minaces, . 
Ut charum uleiscamur herum. Super omnia felix, 

Qui tanto sceleri vindictam impendere poseit u. ſ. w. 


Es folgen weitere Wechſelreden Hialtos, Biarcos und feiner Ges 
mahlin Ruta, während des Kampfes, äbnlich denen in ber Saga. 
Hialto geftebt [S. 51 Klog. I, 106 Müller]: 


Et nunc, Biarco, viges, quanquam cunctatior seequo 

Extiteris, damnumque mor® probitate repensas. 
Biarco fragt Rutan: 

Et nunc ille abi sit, qui vulgo dieitur Othin, 

Armipotens, uno semper contentus ocello? 

. Dic mihi, Ruts, precor, usquam si conspicis illum! 
Hierauf Ruta: 


Adde oculum propius et nostras prospice chelas 1, 
Ante sacralurus victrici lumina signo, 
Si vis pressentem tuto cognoscere Martem. 


\ 


1 Chela, znAy, Ktebäicheere, auch Kane; bier Fingernägel, Finger? 
Yinm Wagnufen, Lex. myth. S. 805: Pro more superstitiosorum Islandorum 
et pl. qui spectra se videre posse opinantur, quum chelæ (Plinii auctoritate) 
brachia, hic autem proprie in latus reflexa denotent. Sic ingeniose: diffi- 
cilem hunc locum explicarunt Stephanius et Br. Svenonius n. |. w. [Miller 
sum Saro 1, 106: Accedens prospice sub alis meis, per aperturam inter 
brachia.mea et latera intemde oculos. Bgl. ebenda. 2, 99 bis 101. 8.] Auch die 
Stelle von Hrvar Odd wird angeführt. Das Beiden wird für Thors Sammer 
erflärt, der alle dämoniſche Augenblendung vertreibe. Vgl. Müllers Sagn⸗ 
hiſt. 35 u. 





158 


Odin wird Biarcon ext fichtbar, indem biefer unter Rutas Hand 
oder Arm bin fieht und über feine Augen ein Beichen macht. Daß 
man auf ſolche beiondere Weile zum Anblid fonft unfichtbarer Weſen 
gelangen Ionnte, zeigt auch eine Stelle in ber Saga von Orvarodd 
(©. 38). Diefer wird in einer Schlacht, wo Zauberivefen gegen ihn 
ſtreiten, dieſelben erft gewahr, als ihn ein Mann mit Namen Hali 
unter feine Sand fehen beißt; unter diefer Hand ſchießt er dann auch 
ſeine Pfeile dahin ab. 

Biarco erwidert: 

Si potero horrendum Frigge spectare maritum, 

Quantumcungque albo elypeo sit tectus et altum 

Flectat equum, Lethra nequaquam sospes abibit: 

Fas est belligerum bello prosternere divum. 

Endlich redet er noch einmal feinen Freund Hialto an: 

Ad caput extincti moriar ducis obrutus, ac tu 

Ejusdem pedibus moriendo allabere pronus, 

Ut videat, quisquis congesta cadavera lustrat, 

Qualiter acceptum domino pensavimus aurum. 

Preeda erimus corvis, aquilisque rapacibus esca, 

Vesceturque vorax nostri dape corporis ales, 

Sic belli intrepidos proceres occumbere par est, 

Illustrem socio complexos funere regem. 

Dur das bisherige gibt und Saxo Über den Inhalt der islän- 
diſchen Saga mehr nur einzelne lebendige Züge und läßt uns überhaupt 
das alte Lied, das als Grundlage beider Erzählungen zu betrachten 
ift, vollftändiger erfennen. Nothwendiger Schlußftein bes Ganzen ift 
dagegen, was Saro noch von Vöggrs Rache meldet. Hievon tft bie 
Erzählung der Saga eine ſehr verkümmerte: Hjördvar ift in ber 
Schlacht gefallen. und Vöggr ift der Anführer eines Heeres, das nad: 
ber gefammelt worden, um an Skuld Rache zu nehmen 1. Den echten 
Schluß bes tragiſchen Heldenſpiels hat aber offenbar nur Saxo in 
Folgendem : 

Bon Rolfs Heere war Niemand mehr übrig, als Woggo, der 
einft, als ihm Rolf zur Namenfeite den goldnen Armring gegeben, ben 
Tod des Königs zu rächen gelobt hatte. Hiartwar ſaß fröhlich beim 


1 Hrolfs ©. €. 52 bezieht fi) auf ein Fröda pattr. 


’ 159 


Siegesmahl und äußerte feine Verwunderung, daß von fo vielen 
Kriegen Rolfs fich keiner Durch Flucht oder Gefangenichaft gerettet babe. 
Er Hagte. dad Schichſal an, daß es ihm nicht einen Einzigen der treuen 
Männer übrig gelaflen, deren Dienft ihm felbft fo erwünſcht fein 
würde. Als man ihm nun Woggon vorführte, war er barüber, wie 
über ein werthes Geſchenk, erfreut und fragte, ob jener ihm bienen 
wolle. Dem Bejahenden bot er das bloße Schwert. Woggo wies bie 
Spite zurüd und verlangte das Heft. So fei es Rolfs Sitte geivefen, 
wenn er feinen Kämpen das Schwert gereicht. (Olim namque se re- 
gum clientelee daturi tacto gladii capulo obsequium polliceri sole- 
bant, fügt Saro erläuternb bei; über das Schwören auf den Schivert- 
knopf vgl. Grimm, Rechtsalt. 166.) Woggo faßte nun das Heft und 
ftieß die Spike durch Hiartwarn, die Rache erfüllend, die er bem 
König Rolf angelobt. Dann bot er freubig feine Bruft den auf ihm 
einſtürzenden Sriegäleuten Hiartivars dar. So ward das Siegesmahl 
zur Leichenfeier: 

Clarım ac semper memorabilem virum, qui, voto fortiter expleto, 
mortem sponte complexus suo ministerio mensas tyranni sanguine macn- 
lavit. Neque enim oceidentium manus vivax animi virtus expavit, ‚cum 
prius a se loca, quibus R Rolvo assueverat, interfectoris ejus cruore respersa 
oognosceret. 

Was die Sage von Hrolf Krali, von der get an, wo feine Käm- 
pen zuerſt ſich in feiner Halle fammeln, bis dahin, wo fie alle mit ihm 
untergehen, zur Einheit verbindet, ift die in Hrolfs Charakter voran 
fiehende Eigenschaft ver Milde, der Föniglichen Yreigebigleit. 

Ihm, der immer auf die erite Bitte gewährt, der nichts für ſich 
behält, find feine Gegner auch durch Charakterverichiedenheit entgegen: 
geſetzt: jener Rorik, deflen in ven Verſen bei Saxo gedacht wirb, ber 
keine Vertheidiger hatte, weil er allein über feinem Golde brütete, und 
der dann all dieß Golb vor die Thore der Stabt fchütten mufte, wo 
es Hrolf den Seinigen austheilte; dann ber geizige König Adils in 
Schweden, der vor dem Ringe Sviagris fchweingebogen wird, während 
Hrolf dem klingenden Ring auf dem Wege einen andern zur Geſell⸗ 
ſchaft binwirft und weithin über Fyrisvöll Gold ausfät, wie einft 
feines Ahns Bruder Frodi Gold gemahlen hatte. Die gewaltigften 
Kämpen der Rorblande hat des Ruf von Hrolfs Milde zu ihm geführt; 


160 


die Waffen, mit denen er fie ausftattet, brauchen fie in feinem Dienfte; 
bie Golbringe, bie er an ihren Arm geftreift, machen ihren Schwert 
ſchlag gewichtiger im Kampfe für ihn; der, den er zur Namenfelte be 
ſchenkt, ftatt von ihm befchenft zu werben, wird fein Räder; ben 
Wein, den er ibnen fo fröhlich zutrank, vergelten fie mit ihrem Blute, 
und tie fie mit ihm lebenöfrob in der gaftlichen Halle faßen, fo liegen 
fie draußen auf der Wahlftätte tobt zu Haupt und Füßen ihres erichla: 
genen Könige. oo. 

Mildingr ift in der Skaldenſprache eine bichteriihe Benennung 
für König. (Sn. Edd, 190. Mildfngf, largitor, auch audmildingr, 
femildingr; mildi, f. munificentia; mildr, largus, Lex. isl. 77 ff. 
audr, m. opes, divitie; f&, n. pecunia; jenes unbewegliche, dieſes 
fahrende Habe.) Durch alle germanifche Sagenkreiſe ericheint dieſe Milde, 
die unbegrenzte Freigebigkeit des Herrn gegen feine Reden, alö eine 
nothwendige Eigenſchaft jedes echten Heldenkbnigs. Das Berhältnis 
. wird aber dadurch keineswegs zu einem gemeinen Lohndienſte. Es iſt 
ein gegenjeitiges rüchhaltloſes Hingeben bes Belten, was jeder bat; ber 
König ſpart nicht feinen Reichthum, die Reden ſparen nicht ihre Kraft 
und ihr Leben; fo hörten wir e8 in den Aufrufen Hjaltis und Bjarkis 
und fo ergibt es die ganze Handlung der Hrolfsſage. Wenn aber in 
andern Sagen die königliche Sreigebigleit mehr nur als einzelner Be 
ftandtheil hervortritt, fo können mir bie Geſchichte von Hrolf und feinen 
Rämpen als die eigentlichfte Sage ver Königsmilde bezeichnen. Er if 
der Milding der Mildinge und feine ganze Heldenbahn funtelt vom 
auögeftreuten Golbe. 

So viel vom Grundgebanten des Ganzen. Im Bejondern erfordert 
das eingewobene Mythiſche einige erläuternde Bemerkungen. Auch in biefer 
Sage mwaltet Dbin. Ms der Bauer Hrani (rani, m. rostrum, Rüſſel, 
Lex, isl, 192« ) beherbergt er den König Hrolf und fein Gefolge auf 
dem Buge nad Upfale. Auf Hrolfs Zweifel, ob er jie Alle aufnehmen 
könne, entgegnet er lachend: „Nicht wenigere Männer hab ich mand« 
mal kommen fehen, da mo ich geweſen bin“ (C. 39). Damit ift un 
verlennbar fein Heldenfaal Valhall angedeutet, wohin bie Einberien 
in zahlloſer Menge zu ihm kommen. Wie fodann Hrani die Ausdauer 
der Gefährten Hrolfs mit Kälte, Durft und Feuer prüft, darin zeigt 
fih ganz der kampfwerbende Gott, der die Helden erzieht und Fräftigt; 


161 


s 


und von beihfelben Geifte zeugt ber Tühne Rath, "ven er dem Könige 
gibt, erſt die Hälfte feiner Schaar und dann Alle bis auf die zwölf 
erlefenen Kämpen zurüdzufenden, indem er von den wenigen Geprüften, 
nicht von den Bielen, bie in ber Prüfung nicht beftanben, fein Heil 
zu erwarten habe. Minder Har ericheint ſowohl in ver Saga, als bei 
Saxo, bad nachherige Verhältnis der Helden zu Odin. Dieſer wirb 
dadurch gegen fie aufgebracht, daß fie fein Waffengeichent nit an 
nehmen wollen, entzieht ihnen fortan ben Sieg und kämpft jelbft in 
der lebten Schlacht im Heer ihrer Feinde. Dabei läßt nun die Saga 
(5. 47) den König äußern: „Es Hilft nicht, nach ihm [dem — 
denen Hrani, in dem er ſelbſt Odin vermuthet hat] zu ſuchen, denn 
es iſt ein böfer Geiſt. “ ‚Und ferner: „Das Schickſal waltet über jedes 
Mannes Leben und nicht jener böfe Geiſt.“ Auch meldet die Saga 
weiterhin (6. 48): 

Davon hat man feine Nachrichten, daß abnig Srotf oder ſeine / Kämpen 


jemals den @öttern follten geopfert haben; vielmehr glaubten fie an ihre eigene - 


Macht und Stärle. Denn zu der Beit war der heilige Glaube noch nicht Bier 
in Nordlanden vertindigt und die, welche im nördlichen Theile ber Welt 
wohnten, Hatten nur wenig Erlenchtung tiber ihren Schöpfer. 

Im Rampfe ſelbſt (C. 51) ſchilt Bjarki auf den fchlechten und 
tseulofen Herjans⸗Sohn (Herjan, imperator, dux, devastator, Lex. 
myth. 155, ift aber ein Name Odins felbft) und droht, dieſes giftige 
Weſen wie eine junge Maus zu gerbrüden. Endlich (C. 52) rolgt 
noch die fromme Betrachtung: 

Und es ging nun, wie zu erwarten war, fagte Meifter Gualterns, daß 
Menfchenträfte ſolchen Tenfelsträften nicht widerfieben können ohne Gottes Bei- 
Rand; und das Cine verhinderte deinen Sieg, König Hrolf, daß bu keine Er- 
lenchtung über deinen Schöpfer hattefl.. 

er diefer Meifter Gualterus dder Walther mar, weiß man nie; 
Müller (II, 518 ff.) vermuthet in ihm einen fremden Geiftlichen, dem 
der Sagafchreiber einmal von Hrolfs Nieberlage erzählt haben mochte. 
Aus allem Bisherigen aber ergibt fih, daß bie isländiſche Saga, bie 
in ibrer jebigen Form und BZufammenfegung nah Müllers Annahme 
(ll, 522) nicht älter ift, ala aus dem 14ten Jahrhundert, die heibni- 
ſchen Vorftellungen mit chriftlihen vermengt hat. Saxo, der ein volles 
Jahrhundert älter ift, berichtet nichts vom Bauer Hrani, wohl aber 

Ublan», Schriften. VIT. 11. 


162 . 


die Drohung Biarlis gegen Odin. Soll nun bas Echte vom Tinechten 
geichieden werben, fo ift e8 allerdings der mythiſchen Borftellung ge 
mäß, ben Untergang ber bisher fiegreichen Helben als eine Folge beflen 
darzuftellen, daß Odin, der Siegvater, wie einer feiner Ramen lautet, 
. fi von ihnen abgewendet. Die bloße Nichtannahme des Waffen: 
geſchenks ſcheint zwar kein ganz genügenber Grund biefer Uingunft zu 
fein; wohl möglich. aber, daß biebei irgend ein fagenbafter Zug ver 
wiſcht worden. Als unechter Zuſatz ift zu betrachten, daß Hrolf Odin 
einen böſen Geiſt nennt und daß er und feine Kämpen niemals: ven 
‚Göttern geopfert, fondern auf eigene Kraft vertraut baben follen. 
Leute von biefer Gefinnung fommen zwar in mehrern andern Sagen 
vor und aus folchen ift wohl auch die Sache hieher Übertragen. Aber 
in unfrer Saga entfteht hiedurch ein offenbarer Wiberfpruch, denn 
Htolf und feine Helden glauben gar fehr an Obin; fobalb fie 
ahnen, daß Hrani kein Andrer, als der einäugige Dbin, getvefen, fuchen 
fie den Weg zu ihm zurüd, und als fie ihn nicht mehr finden, äußert 
Biarli die Beforgnis, daß nun der Sieg vom Könige getvichen; im 
letzten Kampf aber ruft Hjalti feinem Freunde zu, heut Abend wer 
den fie in Valhall zu Gafte fein. Dieſe Züge haben echt norbifches 
Geßräge, und was mit ihnen im Wiberfpruche fteht, muß zurückgewieſen 
werden. Dahin aber find Bjarkis Drohungen gegen Odin nicht zu 
rechnen, in denen fich ber Trotz der Verzweiflung ausfpricht; der Kampf 
der Helben gegen die Götter findet fih auch im Epos andrer Völler. 
Das endlich Odin felbft in ver Schlacht erfcheint und denen, die fonft 
ſeine Günftlinge waren, Berberben bringt, wird uns noch mehrmals 
in der nordiſchen Heldenfage vorlommen und kann uns nicht befrem- 
den, da wir aus ber Bötterfage willen, wie Odin nad den Seelen 
der Tapfern bürftet unb wie bie Helben, auf welcher Seite fie Fallen, 
doch bei ihm in Balball zuſammenkonimen. 

Erläuterung heiſcht ferner Bödvar Bjarkis Zögern beim Beginn 
des lebten Sampfes, wodurch bie Aufrufe Hjaltis an ihn veranlaft 
find. Weber Saro no die Saga ertlärt fich hierüber ausdrücklich, 
beide laſſen bier ein gewiſſes Geheimnis walten, aber bennoch ergibt 
ſich, beſonders aus ber letztern, folgender Bufammenhang. So Lange 
Bjarki unbeweglih zu Haufe bleibt, kämpft der mwüthende Bär vor 
dem König her und bringt Berftörung in bas feindliche Heer; fobalb 


163 


aber Bjarli, durch Hialtis wiederholte Mahnung gewedt, fih zum 
Kampf erhebt, ift der Bär verichwunben und die Kraft beö Helden 
vermag ihn nicht zu erfehen. Darum fagt Böbvar zu Hialtin: „Du 
bit dem König durch bein Vornehmen nicht zu fo großem Dienfte ger 
weien, wie bu glaubft; ich fage dir mit Wahrheit, daß ich jet dem 
König Hrolf weniger Hülfe fchaffen kann, als bevor bu mich abriefeft.“ 
Die Löfung liegt darin, daß Bödvar Bjarli, nad der Sprache bes 
Rorbens, hamramr war (hamr, ezuvie, cutis; ramr, fortis, robus- 
tus; hamremr, immani v. brutali robore pollens, Lex. isl. I, 126 5; 
eigentlich: ftard durch Annahme einer andern Haut, Geſtalt). Es be 
Rand nemlich der Glaube, daß bie Menfchenfeele in andre Geftalten 
übergehen und in ihnen mit vermebrter Kraft wirken könne. So lang 
nun die Seele außen war, lag ber Körper ſtill und burfte nicht 
aufgeftört werben. Mit wen foldyes vorgegangen war, ber hieß 
bemramr (Sagabibl. II, 516. Sagahist. 35). Wie wir bereits in 
der Bötterfage manche foldhe Verwandlungen in Thiergeftalt vorgefun⸗ 
ven haben, fo werden wir auch in ber Heldenfage noch auf viele 
ſtohen. Bijarlis Verwandlung in einen Bären hängt zufammen mit 
des angeführten Fabel, wonach fein Vater Björn in einen folden 
war vergaubert worden. Ob Biarlis Kampf in Bärengeftalt zu biefer 
Erbichtung vom Schickſal feines Vaters Anlaß gegeben habe, wie 
Müller annimmt, oder ob bie umgekehrte Entwidlung ber Sage ſtatt⸗ 
gefunden, wird ſich kaum enticheiven laſſen. So lang Biarki mit 
bämonüfchen Kräften Tämpft, find Stulvs Zauber unwirkſam; ſobald 
ex aber durch Hialtis Mahnungen in den rubenben Körper zurld- 
gerufen ift, brechen dieſe Zauber mit ihrer ganzen verberblicen Macht 
hervor. 


Skuld ſelbſt, von Hrolfs Vater mit einer Alfin cheugt ſcheint 
in den vorhandenen Übetlieferungen einige Verdunklung erfahren zu 
haben. Es befriedigt nicht ganz, wenn Müller (Sagabibl. II, 503) 
in der Erzählung von ihrem unbeimlichen Urfprung nur das Mittel 
findet, fich ihren bösartigen Charakter zu erllären. Wenn die Saga 
(6. 48) Alfe und Normen in Slulds Gefolge bringt, fo verräth dieß 
bereits ein ftarles Misverftehen der mythiſchen Weien. Stulb (futura) 
beißt die jüngfte der drei Nornen, aber auch eine der himmlischen 
Balkyrien wird fo genannt (Lex. myth. 4385). Da nun in ber Hrolfs⸗ 


164 


fage Odin auf der Seite Skulds im Kampf ericheint, fo mag wohl 
auch Hrolfs Halbichweiter, mit dem Ballyriennamen Skuld, urfprüng 
lich eine foldhe Tampfluftige Dienerin Odins geweſen fein. 
Daß dem Mythiſchen und Sagenbaften in den Überlieferungen 
bon Hrolf und feinen Kämpen ein Biftorifcher Beſtand unterliege, haben 
wir früher anerkannt. Da jedoch Teine reingefchichtliche Quelle vor: 
handen ift, fo kann auch hier Feine Vergleihung zwiſchen Gefchichte und 
Sage angeftellt werben. Die Berechnung Müllers (Sagabibl. IL, 522), 
wonach er die Lebenszeit Hrolf Kralis in das Enbe bes G6ten unb ben 
Anfang des 7ten Jahrhunderts ſetzt, beruht bauptfächlich auf der Kö⸗ 
nigäreihe des Ynglingatal, des alten Stalvenlieves vom ſchwediſchen 
Konigsſtamme, worauf die Inglingafaga gebaut ift und in Dem auch 
König Adils aufgezählt wird. | 
Viel höher hinauf, als die Hrolftfaga in ihres jehigen Geſtalt 
und ale Saros Erzählung, ziehen fih die Spuren ber fagenhaften 
Überlieferung von Hrolf Krali. Ein paar Menſchenalter nach Hrolfs 
Tode wurbe fein Gedächtnis von der ſchönen Tochter bes ſchwediſchen 
Königs Hiörvar getrunken (Anglingaf. C. 41: at Bolfs minni kraka; 
 Gagabibl. II, 520). Skalvenverfe aus dem 10ten Jahrhundert ent- 
balten fchon die poetifhe Benennung bed Goldes als Saat ober 
Frucht von Fyrisuäl und merben zum Beleg biefür in ber Slalda 
beigebracht (Sn. Edd. 153 f. Sagnhist. 30), Wie ein Isländer im 
10ten Jahrhundert Hrolfs Grabhligel aufbrach, deilen Schwert Stöf 
nung und Hjaltis Streitart herausnahm, aber Biarlis Schwert dem 
Arme des Tobten nicht entwinden Tonnte, wie dann Hrolfs Schwert 
durch mehrere Gefchlechter gieng und felbft eine Wallfahrt nad Rom 
mitmachte, erzählen die biftorifchen Sagan der Isländer (Sagabibl. IL, 
520 f.). Am lebendigften aber wurde das Gehädhtnis dieſes Sagen⸗ 
königs und feiner Kämpen im Jahre 1050, am Morgen vor ber 
Schlacht bei Stifleftan erneut, in welcher der norwegifche König Dlaf 
der Heilige feinen Tod fand. Damals wurde das alte Bjarlamal 
Giarkislied) gefungen, ohne Zweifel dasſelbe, welches dem lebten 
Theile der Hrolfefaga und der Erzählung Earos, den wir ausdrücklich 
auf ein altes einheimifches Lieb verweilen hörten, zu Grunde liegt. 
Die Saga König Dlafs des Heiligen, wie fie einen Theil von Snorros 
Heimskringla ausmacht, erzählt €. 220 (I, 770 ff.): 


I 


165 


Bei Tagesanbruch erwachte der König. Noch ſchien es ihm zu früh, das 
Heer zu weden. Da fragte er, wo ber Skalde Thormodr wäre. Sonſt Por- 
modr Kolbrunar skald.] Diefer war in der Nähe und fragte, was der König 
von ihm wolle Der König ſprach: „Sag uns ein Lied her!“ Thormod erhob 
ſich und fang fo laut, daß man es im ganzen Heere vernahm. Er fang das 
alte Biatlamal, das fo anhebt [folgen die 2 erfien Strophen]. Da erwachte 
das Heer, und als das Lieb gefungen war, danlten ihm die Männer da- 
für und nannten bas Lied „der Krieger Wedefang [huskarla hvöt; hvöt, 
n. pl. incitamenta, Lex. isl. I, 412]*. Der König dankte ihn gleichfalls und 
‚gab ihm einen Goldring von einer halben Marl. Thormod dankte für die Babe 
und ſprach: „Wir haben einen guten König, aber das kann Niemand willen, 
wie lang er leben wird. So if nun bas meine Bitte, daß wir ung nicht ſchei⸗ 
den, lebend oder tobt.” 

Man glaubt, in biefen Worten das Nachgefühl von Hrolfs und 
feines Kaͤmpen treuer Genofienichaft, wovon das Lieb fang, zu ver: 
fpüren. Thormod folgte auch feinem König im Tode. Merlwürdig 
iſt die Erzählung feines Todes C. 146.) 

Die Bruchſtücke, die uns vom Bjarkamal übrig find, beſtehen 
aus den beiden Anfangsſtrophen in ber Heimskringla und drei weitern 
Strophen nebft zivei Strophenfragmenten, welche die Slalda aufbe: 
wahrt bat, zufammengebrudt hinter der Hrolfsſaga in Rafns Ausgabe 
und Überſetzung. Sie lauten fo: 

Der Tag iſt erſtanden, 

Des Hahns Gefieder rauſcht, 

Zeit iſt, die Männer 

Zur Arbeit zu wecken. 
Wachet und wachet, 
Ihr trauten Freunde, 
All ihr gewaltigen 
Feinde Adils! 
Har, der hartgreifende, 
Hrolf, der Schütze, 
Stammedle Männer, 
Die Flucht nicht kennen, 
Nicht wed’ ich zu Wein euch, 
Noch zu Weiberlofjen, 
Wed’ euch zu hartem 
Hildursſpiele. 


hatt pen em 
D han Rotherd 
t det Mi 


Geneigi iſt Gro) 
u») rate 

(S9 ipielen pur ein ſolches Ried immer auch Die andern 
yindurch und erfriſhen ihr Andenlen.) 

ı Bez, gnieat | 

a Dos Gelb: 5 Hände. 

a as die Kiel zhraflt Idi Bond res Woterd & 
maoßen ii Go e inumer f einmal to viel nohmel: als gave! 





167 


b 


4. Rolf und feine Reden. 


Saga af Hälfi ok Hälfsrekkum in Fornald. Sög. II, 23 fj. Nord. Fort. 
Sag. II, 21 ff. Arwidsson, Sv. Fornsänger I, 10 bis 12. 


Dieſe norwegiſche Sage ift ein Seitenftüd zu ber dänischen von 
Hrolf und feinen Kämpen, doch von viel geringerem Umfang. Die 
8 eriten Capitel enthalten Borgeichichten, die wir bier übergehen unb 
mit dem Inhalt des 9ten beginnen. 

König Hiörleif von Rogaland in Norivegen hatte von feiner Ge- 
mablin Hilb zwei Söhne, wovon ber ältere Hiörolf, der jüngere Half 
bieß. Der Bater fiel auf der Vilingsfahrt, die Mutter aber beira- 
thete nachher den König Asmund, ber nun Hiörleife Söhne aufzog. 
As Hidrolf act Winter alt war, rüftete er ſich, auf Kriegefahrten 
auszuziehen. 

Er nahm alle Schiffe, die er bekommen konnte, kleine und große, 
neue und alte, auch was er von Leuten fand, Freie oder Unfreie. Sie 
hatten allerlei Dinge zu Waffen, Stangen und Stecken, Knüttel und 
Halen. Darum nennt man ſeitdem Alles, was unbequem iſt, Hiörolfs 
Zeug (Hjörölfsfeeri). Als er nun zum Kampfe mit Bilingern fam, ver- 
ließ er fih auf die Menge feiner Mannichaft. Aber da fie unerfahren 
und waffenlos waren, blieben ihrer Viele und Andre flohen. So fam er 
zur Herbitzeit zurüd und warb für einen geringen Dann geachtet. Im 
Frühling darauf war Half, der jüngere Bruder, zwölf Winter alt und 
fein Mann war fo groß ober Jo ftark, wie er. Auch er bereitete ſich nun 
auf Kriegsfahrt. Er hatte ein neues und wohl ausgerüftetes Schiff. 
Bon ven beiden Söhnen des Jarls Alf! in Hörbaland, welche beide Stein 
bießen, war der ältere, achtzehnjährige, des jungen Königs Rathgeber. 
Niemand follte mitfahren, der jünger oder unerfahrener, als er felbit, 
wäre. Im Hofe lag ein großer Stein; wer ben nicht aufzuheben ver- 
mochte, durfte nicht mitfahren; auch Seiner ſollte dabei fein, der fich 
jemals fürdhtete, oder bange Worte ſpräche, oder Wunden halber das 
Geficht verzöge. Man fuchte in eilf Landſchaften, bis man zwölf aus⸗ 
gewählte Männer fand. In Allem aber waren es breiundbreißig, bie 
an Bord giengen. Am erften Abend, da fie im Hafen anlegten, fiel 
flarler Regen. Da hieß Stein decken (tjalda, -tentorium figere). Der 


1 Bgl. Hyndl. 2. Str. 18 [12. 8]. Finn Magnuſens Edd. III, 12. 





168 


König erwiderte: „Willſt du noch Häufer decken, wie baheim?“ Bon 
ba an nannten fie Jenen Innſtein (inni n. domus; aber auch inn, in 
intro). Den Tag darauf ruderten fie bei fcharfem Unwetter an einer 
Landſpihze vorbei. Auf biefer ſtand ein Mann, ber mitzufabren ver 
langte. Der König hieß ihn an ber Steuerftange ftehen bis zum Abend. 
Jener fagte, das ſei wohl gefprocden, fo fei er dem König nahe ge 
ſtellt. (MWortfpiel: styri, n. olavus, gubernaculum; at stfra, guber- 
nare, regere.) Diefer Mann war Stein der jüingere; er warb bar 
nach Utftein genannt (Gt, foras)t. Sie hatten befondere Kämpfergeſetze 
gemacht. Eines war, daß Keiner ein Echwert, länger als eine Elle, 
baben follte; jo müſſe man nah auf den Mann gehn. Sie Tießen ſich 
Sage (kurze, breite und dicke Schwerter) machen, bamit bie Hiebe 
größer mwürben. Seiner von ihnen batte minder Stärke, ala zwölf 
“ mittlere Männer.. Ihre Wunden durften fie nicht eher verbinben, ala 
zur felben Stunde des folgenden Tags. Niemals nahmen fie Frauen , 
oder Kinder gefangen mit. Sie fuhren weit umher in ben Landen 
und hatten immer Sieg Achtzehn Sommer war König Half auf 
biefen fiegreichen Fahrten. Ihre Sitte war, ſtets vor den Lanbfiyen 
zu liegen; auch dediten fie nie ihre Schiffe und niemals ließen fie vor 
dem Sturme die Segel herab. Sie wurden Half Reden genannt 
(Älfsrekar) und niemals hatte er mehr, als 60, auf feinem Schiffe. 
König Half fuhr nach feinem Neiche vom Kriegszuge heim. Da 
hatten fie einen großen Sturm auf dem Meere; ihr Schiff Tonnte nicht 
mehr ausgefhöpft (durch Schöpfen erleichtert) werden. Da ward be 
ſchloſſen, zu looſen, wer über Borb fpringen follte. Doch beflen be 
durft' es nicht, denn Jeder brängte fich, vor feinen Genofien über Bord: 
“zu fpringen, Und wenn fie binausfprangen, fagten fie: „Strohlos iſts 


überm Schifferand“ (d. h. bobenlos; die Zimmerboben waren häufig mit - - 


‚Stroh beftreut). 

Als nun König Half nad Hörbaland kam, zog König Asmund 
(fein Stiefvater) ihm entgegen, untergab fih ihm und fchwur ihm den 
Eid; auch lub er Half und die Hälfte feiner Mannen zum Mable. 
Am nähten Morgen wollte Half fi dahin aufmahen und bie Hälfte, 
feiner Leute bei dem Schiffe zurüdlafien. Da widerrieth es Innſtein, 


1 Bgl. Jomsvit. S., Sagabibl. III, 63 f. 70 fe Sarı Bud VII 
©. 184. 


169 


vor Admunda Truge warnend; Half aber glaubte, feinem Berwanbten 
trauen zu bürfen. Ihre Wechfelreben find in Liebesform in bie Saga 
| Daraus Yolgendes: _ | 
Innſtein: 
Dir iſt worden 
Gram unn Odin, 
Daß du auf Agmund 
Feſt vertraueſt. 
Er wird uns Allen 
Trug anfiften, 
Wenn du nicht weife 
Borfiht brauche. 
Der König: 
Dich Lüftet ſtets 
Nach Worten der Angft, 
Nicht wird der König 


Half, mir träumte 
(Rath du Solches 2h, 
Daß Feur um unire 
Männer fpielte; 
Übel war’, 
Eid draus zu retten. 
Kanuſt du, König, 
Den Traum mir deuten? 
Der König: | 
Unm die Schultern klirren 
Den Schaarmeiſtern, 
Den Königamannen, 
Goldne Brünnen. 


i Ok gersimar. | - 
? Hygdu.at slikul Wie im Getipeli: hygg bü at gätul 





Innſtein: 


Innſtein: 


Der König: 


170 


Des mag auf Aqhſeln 


Der Edlingefrennde 


Licht aufleuchten, 


Als bränne Fener. 


Noch träumte mir 

Zum zweitenmale: 

Mir fchien auf Achſeln 
eur zu brennen. 

Nicht dünkt mir das 
Heil zu verheißen. 
Kaunſt du, König, 

Den Zraum mir beuten? 


Wohl geb’ ich Jedem 
Helm und Brünne 

Der kühnen Jünglinge, 
Die mir folgen. 

Das wird anfleuchten, 
Als bränne Yener 

Den Königsmannen 
Auf breiten Schultern. 


Das träumte mir 

Bum drittenmale, 

Wir jein gefunfen 

In Meerestiefe. 

Das mag gewaltgen 
Sammer künben. 

Kannft du, König, 

Den Traum mir deuten? 


Bu lange hör’ id 

Auf Thorenrede. 

Nichts liegt, das fag’ ich, 
Unter Solden. 

Laß du Niemand 

Fürder hören 

Deine Träume 

Bon Diem Tag an! 


171 


Innſtein: 
Folgt, ihr Hrokr!, 
Ihr Heerkönge, 
Meinen Worten! 
Folg' auch, Utfein! 
Gehn wir alle 
Auf vom Strande, 
Nicht gehorchend 
Dem König dießmal! 


Den König laffen wir 
Streng gebieten 
Über das Boff 
Und unire Fahrten! ' 
‘Wagen wir, Bruder, 
Wie ihm beblinket, 
Unfer Leben 
Mit kühnem Führer! 


Gefolgt Hat der König 
Auf Fahrten draußen 
Meinen Rüthen 
So manches mal. 
Nun feh’ ich: nichts mehr, . 
Was ich rede, 
Will er beachten, 
Seit heim wir kamen. 

König Half gieng nun mit der Hälfte feiner Wannſchaft zu König 
Asmunds Hofe. Sie trafen große Verfammlung und es warb ein 
prädtiges Mahl gehalten. In der Nacht aber legte Asmund Feuer 
an die Halle, wo Half und feine Reden fchliefen. Zwei berfelben er: 
machten nad einander von Rauch und Flamme, legten fich aber ruhig 
wieder hin. Auch König Half erwachte, weckte bie Seinigen und hieß 
fie fi wappnen. Sie liefen nun (wie Hrolfs Kämpen) gegen die Wand 
und durchbrachen fi. Draußen aber fielen fie vor der Übermadt, als 
ber König gefallen war, fang Innſtein: 


1 Bwei Brüder diefes Namens, Hrokr der Weiße und Hrokr der —2 
Söhne. des Herſen Somzuub, wann in arte Bealge. 


Utftein: 


Innſtein: 


172 


Hier ſah ich alle, . 
Gleich an Kühnbeit, 
Einem folgen, 
Dem Königsjohne. 
Treffen wir froh ums, 
- Die Hingefahrnen! 
Nicht iſt Leichter 
Leben, als Sterben. 
Auch die Reden Halfs, die beim Schiffe geblieben waren, kamen 
zum Kampf und ein großer Theil von ihnen fiel. Bis zur Nacht währte 
der Streit und bevor Innſtein fiel, fang er: 
| Odin wir haben 
Übles zu lohnen, 
Der ſolchen König 
Des Siegs beraubte. 


Draußen hab’ ic 
Achtzehn Sommer 
Gefolgt dem Küßnen, 
Den Speer zu färben. 
Nicht will ih andern 
Häuptling haben, 
Streitbegiergen, 
Will alt nicht werben. 
Hier muß Innſtein 
Zur Erde finten, 
Muthig zum Haupte 
Des Heerführers. 
Das ſollen Kämpen 
Sagbar machen, 
Daß Half, der König, 
Lachend ſtarb. 
Gunnlbd, die Mutter der beiden Steine, kam in der Nacht auf 
die Wahlſtatt und fuchte nach ihren Söhnen. Sie fand Innſtein tobt 
und Utftein ſchwer verwundet. Sie brachte diefen heim nach ihrem Hofe . 
unb beilte ibn heimlich. Nachher zog er nach Dänemark zu feinem Ber 
wandten, König Eyftein. Hrok der Schwarze hatte viele große Wunden. 
Er gieng in der Nacht und kam zu einem asınen Bauern, bei dem er 


173 


blieb, bis feine Wunden verbunden waren. Radmals tom er er ya Rönig 
Hali in Schoonen (& Skäney). 

Von dieſen beiben geretteten Halfsreden, Utſtein und vror dem 
Schwarzen, erzählt die Saga noch weiter. | 

Utflein hielt fi) bei König Eyftein in Dänemark auf. Der Rath: 
geber dieſes Konigs, Ulf der Rothe, hatte acht Söhne, treffliche Kämpen 
und ſehr neidiſch auf Utſtein. Beim Trinkgelag kam es mit ihnen zum 
Zanke. Der Anlaß waren Utſteins Geſänge von Halfs Falle und der 
Hoffnung auf Rache an Asmund. Utſtein gieng mit allen acht zum 
Kampfe. Er fang: | 
| us Söhne fahren 
Aus, zu impfen, 
Acht Jünglinge 
Gegen ein Haupt. 
Stein wird nicht fliehen, 
Ob ihm auch folge 
Biel geringre 
Schaar zum Kampfe. 
Half, tränmte mir, 
Trieb mich, zu freiten, 
Berhieß, der Kühne, 
Mir zu folgen. 
Mir war der König 
Gnt im Traume, 
Bo wir die Kämpfe 
Halten ſollten. 


Der Kampf begann und Utfen erſchlug ale Söhne vIfs. Dann 
gieng er ein vor ben König und fang: 


Run bin id fommen, - 
UN zu jagen, 

Daß feine Söhne 
Erſchlagen liegen. 

WINK du, Eyſtein, 
Laß ihrer mehr noch 
Im Ramıpfe prufen 

Der Speere Sohn! 


11m 


Eyftein: W 
Selbſt verbent ſich's 
Solchen zu prüfen. 
Halfs Reden find 
Meifter von Allen. 
Did weiß ich der Männer 
Allererfien, 
Einzig tapferften, 
Der du acht aufwogſt. 
Utftein: 
Alle wollt’ ich 
Eyſteins Mannen 
Des Schwertes fättgen / 
Sonder Mitbe, 
Wenn fol Wert mir 
Nöthig dünkte 
Oder zuvor wir 
Feinde wären. 


Kraft lüſtet Keinen 

Mit mir zu prüfen. 

Mir ward, dem Slingling, 

Alter beftimmt. 

Herz Hab’ ich | \ 
Hart. in der Bruſt, 

Wie mir's in der Jugend 

Odin bildete. 


Hrok der Schwarze, Hamunds Sohn, war bei König Hali im 
Schoonen. Hakis Tochter hieß Brynhild. Um fie hatte der König 
Spend (Sveinn) der fiegreiche getworben, König Hali aber fie ihm ver 
ſagt. Da gelobte Svend, des Mannes Tob zu werben, der Brunbilb 
‚ beirathete, und fo auch ihres Vaters. Hebinn hieß ein Jarl König 
Hakis und Vifill deſſen Sohn. Diefer warb auh um Brynhild und 
fie ward ihm unter dem Bebinge zugefagt, daß er das Land gegen 
Svend fchirmte. Hrok der ſchwarze bielt fich dort unbelannt auf und. 
war in keinem Anfehn. Er ſaß nur auf bem Gaſtſitz. Es geſchah nun 
eined Tags, baf die Hofleute auf die Jagd auszogen, die Frauen aber 


11 


in den Nußwald. Die Königstochter Vrynhild fah da einen Mann an 
einer Eiche ftehen. Sie hörte, wie er fang: 

Run will fagen 
Hamunds Sohn, 
Welchen Geſchlechts wir 
Brüder waren. 
Wohl war mein Bater 
Biel ein befferer, 
Küpnerer Habicht, 

” As Halis Kämpen. 
Mit Keinem dürfte 
Bifill fih meſſen, 
Der nur Hammnda 
Heerden hiltete. 
Keinen ſah ich dort 
Der Schweinehirten 
Muthloſern, 
Als Hedinns Erben. 
Mir war das Leben 
Viel ein beſſeres 
In Halfs Gefolge, 
Des herrlichen Könige. 
Alle waren wir 
Eines Rathes, 
uhren mit Heerfahrt 
In alle Lande. 
Half ſah ich hanen 

- Mit beiden Händen, 

Richt hatte der König 
Den Schild vor der Bruſt. 
Kein Mann findet, 
Fährt er au weitum, 
Höhere Herzen 
Und muthoollere. 
Den Tod nicht ſcheuen 
Hieß er die Junglinge, 
No Angfiworte 
Jemals ſprechen; 


176 - 


. Keiner follte , 
Dem Kühnen folgen, 
Der nicht des Königs 
Schichſal theilte. 
Nicht ſtöhnen follten, 
Wenn aud) im Angriff 
Hart verwundet, 
Des Köuigs Freunde, 
Noch ihre Wunden 
Binden lafſen 
Bor gleicher Tagszeit 
Des andern Tages. 
Nicht Bande Hieß ef 
Im Heere brauchen, 
Au keiner Ehfran 
Unbill üben, 
Jegliche Jungfrau 
Um Mitgift laufen, 
Mit fchönem Golde 
Rah Rath des Vaters. 
Nie waren fo viele 
Daß wir zur Flucht 
Uns wenden modten, 
\ Obhb wir auch minbre 
Mannichaft hatten, 
So daß Eilfe 
Auf Einen trafen. 
Er ‚ante hierauf die Halfsreden, namentlich ruhmend, auf unl 
ſchließt die Neihe mit ſich: 
Nimmer erſchien ich 
In ſolcher Schaar 
Ausgeartet 
Bon meinem Geſchlechte. 
Mich benannten fie 
Der Männer rafcheften, 
Denn Yeber fuchte 
Den Ruhın des Andern. 


12 


178 


4 


Wer da im Kampfe 
Sieger werde, 
Hamunds Sohn 
Oder Halis Kämpen. 


Das ſing' ich jetzt 
Der ſchmucken Jungfrau, 
Daß ih um Brynhild 
.. Werben mödte, 
Wiüft’ ich das Eine, 
Daß fie wollte 
Hrok lieben, 
Samunds Sohn. 


Rimmer fand id, 

So weit id) fuhr, 

Höldere Jungfrau, 

Als Halis Tochter ; 

Sie ift in Allen, 

Wie ich es wünſchen mag. 
- Hier din ih mir jetzt 

In Halis Reiche 

Verftoßen zu fein 

Bon allem Rolle, 

Allen gibt man 

Drinnen Site 

Halbmal lieber, 

Als Halfs Reden. 


Brynhild erzählte ihrem Bater, was fie gehört hatte, und ſagte, 
daß einer von Halfs Reden hieher gelommen fein müſſe. Als der König 
das erfahren, führte er Hrok zum Hochſitz und nahm ihn mit ber geöften 
Liebe auf. Hrok der ſchwarze erhielt nun die Königstochter Brynhild. 
Im näcften Frühling zog er mit feinem Heere gegen Svend den ſieg 
haften und es kam zwiſchen ihnen zur Schlacht. Svend fiel und Hrol 
kam fiegreich zu König Hali zurüd. Den Sommer darauf zogen König 
Haki und Hrok ber ſchwarze und mit ihnen König Eyftein und Utſtein 
mit Heeresmacht nach Norwegen und hielten © eine Schlacht gegen Konig 
Asmund, darin er umlam. 


179 


Das legte Capitel der Sapı (6. 17) berichtet noch tarzlich von 
Halfs Nachkommen. 

Dieſe Saga von Half und ſeinen Recken hat ein höchſt einfach 
alterthümliches Gepräge. Sie beſteht großentheils aus Liedern!, bie 
Proſaerzählung iſt ſehr gedrängt, in kürzen Sätzen. Sie tft faſt nur 
das Band, wodurch die Liederſtellen verknüpft werben, und ſagt zum 
Theil dasſelbe, was dieſe enthalten. Beſonders bildet das letzte, gröſte 
Lied Hroks des ſchwarzen den Kern des Ganzen. Müller nimmt an, 
daß fie im 11ten Jahrhundert aus den damals im Umlauf befindlichen 
Liedern zufammengefeht und im 13ten niebergefchrieben tworben. Den 
König Half felbft jeßt er in das Ste Jahrhundert (Sagabibl. 1I, 455 
bis 457). Die Berechnung wird dadurch begünftigt, daß dieſe Saga 
fih mehrfach an andre, mehr hiſtoriſche Sagan anlehnt. Iſt hiernach 
Half jünger ale Hrolf, fo zeigt ſich doch in ber jetigen Abfafjung ihrer 
Sagan das umgelehrte Verhältnis. Die von Hrolf ift neuer und vers 
widelter. Beide Helden mit ihrem Gefolge werben gerne zuſammen⸗ 
genannt, wie fie denn auch manche Ähnlichkeit darbieten. Auch von 
Half findet fi ein dichterifcher Ausdrud der Stalvenfprache: der Panzer 
bieß Halfs Kleider (ebend. II, 453). Während aber bei Hrolf die 
Königsmilde das Charakteriftifche ausmacht, fo ift es bei Half und 
feinen Reden mehr die Härte, die Kühnheit und Ausdauer, womit fie 
allen Gefahren und Beſchwerden des Strieges und ber Seefahrt troßen. 
Auch in Halfs Saga lünnen wir die drei epifchen Abtheilungen unters 
icheiben: die Vorgefchichten von feinen Ahnen und feinem ältern Bruber 
Hidrolf, deſſen Ungeſchick einen bervorhebenden Gegenfag zu dem tüch⸗ 
tigen Wefen des jüngern Bruders bildet; dann bie fiegreichen Fahrten 
mit den um ihn verfammelten zwölf Reden; endlich der gemeinſame 
Untergang dur Asmunds Verrat. Die Rache, die niemals aus: 
bleiben darf und in manchen Sagen einen weitern Haupttheil ausmacht, 
folgt auch bier nicht unmittelbar, wie in ber Hrolfs⸗Sage. Es geben 
noch zwei befondre Erzählungen von zwei übriggebliebenen Halfsrecken 
voran. Diefe Erzählungen ftehen aber in einem innern Zuſammenhang 
mit der Haupthandlung. Es gehört zu dem Schönften dieſer Saga, 

1 Kann der Stalde Bragi, der C. 17 vorkommt, nach dem, was fonft von 


ihm befannt ift, als derjegige angeſehen werben, der biefe Geſchichten im Lieder 
gebracht? | 


10. 


wie der Heldenlönig in der Sede feiner beiden umberirrenven Reden 
fortlebt. Durch einen Traum von ihm findet Utſtein fi) ermuthigt 
und geftärkt, ben Kampf mit acht Gegnern zu beſtehen. Hrok, im Wald 
an der Eiche ſtehend, fingt den ganzen Helbenlauf feines gefallenen 
Königs und die leten furdtbaren Gefchide, die ibm noch immer in der 
Nacht keinen Schlaf vergönnen. Kaum aber haben bie beiben die Gunft 
der Konige erivorben, bei benen fie Zuflucht gefunden, fo führen fie die 
Macht derjelben zum Rachezug und jänftigen fo ben Schmerz, den fie 
‚tief in der Seele getragen. 


b. —* 


Fridpjöfs 1 Saga ens frekna, Fornald. Sög. II, 61 fi. Nord. Fornt 
Sag. Il, 59 fi. Sagabibl. II, 468 fi. 


Über die Landſchaft Sögni (Syguafylki) in Norwegen herrſchte 
König Beli. Auf der Weftfeite der Bucht (jetzt Sognefjord, einer der 
tief ind Land einfchneivenden, ſchmalen Meeresarme im füblichen Nor⸗ 
wegen, oberhalb Bergen) lag ein großer Hof, Baldurshag genannt. 
Hier war Friedensftätte (gridastadr) und ein großes Opferhaus (hof), 
umgeben mit einer hohen Umzäunung (skidgardr). Biele Götter 
Waren dort, doch ward am meiften Balbur verehrt. Die Stelle ward 
fo heilig gehalten (af heidnaum mönnum), daß dort weder Menſchen 
noch Thiere beſchädigt werben burften; auch durften da nicht Männer 
mit Frauen zufammenlommen. Dieje Seite, wo König Beli waltete, 
hieß Syrſtrand (Syretrönd). Jenſeits der Bucht aber, dem Königäfike 
gegenüber, lag der Hof Framnes, mo der Herfe Thorftein Vikingsſon 
wohnte. Diefer hatte den dritten Theil bes Reichs zu verwalten und 
war des Königs ſtärkſter Beiftand. Jedes dritte Jahr bielt er bem 
König ein Toftbares Gaftmahl, die zwei andern Jahre hielt der König 
das Mahl für Thorftein. König Beli warb ſchwach von Alter und 
ftarb. Ihm folgte bald auch Thorftein. Diefer hatte befohlen, daß 


1 Fridpjöfr, Frieddieb; 6. 10, ©. 92: 
p4 het ek Fridpjöfr, 
er ek för med vikfngum n. ſ. w. 
Da hieß ich Frieddieb, 
As ih fuhr mit Bilingern.. 


181 
man feinen Grabhügel am Ufer der Bucht, dem des Königs gegenüber, 
aufwerfen folle, fo daß fie einander bevorftehende Ereigniſſe zurufen 
fönnten. Beide hatten fterbend ihren Söhnen empfohlen, das gute 
Vernehmen der Väter fortzufegen. Der König hinterließ zwei Söhne, 
Helgi und Halfdan, und eine Tochter Ingibjörg. Helgi wurde frübs 
zeitig ein großer Opferer (blötmadr), aber auf beide Brüder hielten 
die Leute wenig. Sngibjörg, die Schöne genannt (hin fagre), tar 
nad) dem Tode ihrer Mutter einem guten Bauer in Sogne, Namens 
Hilding, Übergeben worden, ber fie wohl und forgfältig aufzog. Bei 
ihm ward auch Fridthjof, Thorſteins Sohn, erzogen. Diefe beiden 
Pfleggeſchwiſter (fostreyzkin) übertrafen alle andern Kinder... Fridthjof, 
der Tapfre (hinn freekni) zugenannt, war durch Stärke und Geſchick⸗ 
lichkeit audgegeichnet und Jedermann wünſchte ihm Gutes. Sein Vater 
Thorkein hatte. ein Schiff, pas Ellivi hieß, mit hohem gebognem Kiel 
und eifenbeichlagnem Borbe, für fünfzehn Ruderer auf jedem Borb ein- 
gerichtet. Fridthjof aber war jo ſtark, daß er Ellidi im Vorbertheil mit 
zwei Rudern. von breigehn Ellen Länge ruberte, während für jebes 
andre Ruder zivei Männer nöthig waren. Diefes Schiff und ein Gold⸗ 
ring, beögleichen Teiner in. Rorivegen gefunden wurde, waren bie gröften 
Kofibarleiten, bie. Fridthjof von feinem Vater erbte Er war nun 
angejehener, ala die Königsföhne; bieje hatten nur bie Rönigsehre vor 
ihm voraus. Darüber faßten fie Haß und Misgunſt gegen ihn und 
adyteten nicht darauf, daß ihr Water fie ermahnt hatte, an pen ge⸗ 
prüften Freunden feſtzuhalten. Sie glaubten zu bemerken, daß ihre - 
Schweſter Ingibjörg und Fridthjof Neigung zu einander. hätten. Ws 
fie nun einft auf Framnes bei einem. überaus ftattlidden Gaſtmahl 
waren, ſprachen Ingibjbrg und Fridthjof vie zuſammen. Die Königs 
tochter ſagte zu ihm: „Bu. haft einen guten Goldring.“ „Wahr ift 
Das,“ antimorteie Seibibjof, Darnach zogen die. Brüber heim und ihre 
Misgunft wuchs. Bald darnach wurbe Fridthjof ſehr trübfinnig. Sein 
Pflegbruder Bid 1 fragte nach der Urſache. „Ich denke darauf, erwi⸗ 
derte Fridthjof, um Ingibjörg zu werben, und. wenn gleich von gerin« - 
gerer Würde, als ihre Brüber, bin ich doch nicht minder mächtig.“ 
„Thun wir fol” fagte Biden. Fridthjof fuhr nun mit einigen 


1 Bgl. Saxo 8. VIII, &. 228: Biorn e vico Soghni. 


182 


Männern zu den Brübern. Diefe ſaßen auf dem Hügel ihres Waters. 
Fridthjof brachte feine Werbung vor, die Könige aber antworteten: 
„Das ift nicht fehr verftändig geworben, daß wir unfre Schweſter 
einem Mann obne Würde geben follten; wir fchlagen das gänzlich ab.“ 
Fridthjof verfegte: „Da ift mein Geſchäft Bald abgetban, und zur 
Vergeltung werd' ich euch fortan niemals Hülfe leiften, wenn ihr auch 
beren bedürftet.“ Sie fagten, daß fte fi) darum wenig bekümmerten. 
Fridthjof aber fuhr heim und ward wieder heiter. 

ring, ein mädtiger aber ſchon bejahrter Fylkekbnig Über Hringe- 
reich, gleichfalls in Norwegen, batte gehört, daß Bells Söhne mit 
Fridthjof gebrochen. Da bielt er es nicht für ſchwierig, über fie zu 
fiegen, und ließ fie auffordern, ihm Schatung zu entrichten, ober er 
würde ein Heer in ihr Reich führen. Sie rüfteten ſich gegen ihn; als 
fie aber fanden, daß ihre Mannichaft nur gering war, fanbten fie ben 
Bauer Hilding zu feinem Pflegfohne Fridthjof um Hülfe Fribtbjof 
ſaß eben mit Björn beim Schachſpiel (at hnefatafli; hnefi, m. pugnus), 
Er ſchien nit auf Hilvings Rede gu achten unb gab nur verftedter 
Weiſe, indem er im Spiele fortfuhr, zu verfteben, daß er den rothen 
Stein (Ingibjörg) angreifen und den Brübern überlaſſen twürbe, fich 
an den: König (König Hring) zu machen: Die Konigsbrüder gogen nun 
aus, ließen aber zuvor Ingibjörg mit acht Frauen nad Baldurshag 
bringen und glaubten, daß Fridthjof nicht jo breift jein würde, ihre 
Schweſter dort aufgufuhen, da Niemand biefe Stätte zu entweihen 
wagte. Sobald fie aber fort waren, zog Fridthjof feine Feierkleider 
an, legte den Goldring am feine Hand und ließ das Schiff Eiibi vor 
zieben. Biöm fragte: „Wohin follen wir ſteuern?“ Frdthjof: „Nach 
Baldurshag, zur Kurzweil mit Ingibjörg,“ Biden: „Das ift nicht 
räthlich, Götter gegen ſich aufzubringen.“ Fridthzof? „Darauf will ich 
es wagen;. Ingibjörgs Huld acht' ich mehr, ala Baldurs Zorn.” Sie 
ruderten hierauf über die Bucht und giengen auf nach Baldurshag und in 
Ingibjorgs Wohngemach. Sie ſaß dort mit acht Jungfrauen unb der 
Bäfte waren auch acht. Alles war mit Seide und Loftbarem Gewebe 
behängt. Ingibjörg ſtand auf und ſprach: „Warum bift bu fo Tühn, 
Fridthijof, ohne Erlaubnis meiner Brüber hieher zu kommen und fo bie 
Götter gegen dich zu erzürnen?“ „Wie dem fei,“ antwortete Fribthiof, 
„beine Liebe acht ich mehr, ald der Götter Born.“ mgibjörg: „Du 


183 


ollſt bier willlommen fein und alle deine Gefährten!” Sie ließ ihn 
yierauf an ihrer Seite nieberfigen und trank ihm ben beften Wein zu; 
io ſaßen fie und vergnügten fih. Da fah Ingibidrg den Golbring an 
einer Hanb und. fragte, ob ex dieß Kleinod (gersemine) zu eigen habe. 
Fridthiof bejahte das und fie lobte den Ring ſehr. „Den Ring will 
ch bir geben,” ſprach Fridthiof, „wenn bu gelobft, ihn niemals weg⸗ 
jgeben, jondem mir ihn zu fenben, wenn. bu ibn nicht mehr 
yaben willſt, umb hiermit follen. wir einander Treue zuſichern.“ So 
yerlobten fie fih und wechielten die. Ringe. Fridthjof mar oft in 
Baldershag bei Nacht; täglich kam er dahin und vergnügte fi mit 
Ingibjör. 
Helgi und Halfdan hatten den König Hring verhöhnt, 

hnen eine Schande, ſich mit einem Manne zu ſchlagen, der * alt — 
aß ex. nicht ohne Beiſtand auf's Pferd kommen könne. Jetzt aber 
am er ihnen mit ſolcher Übermacht entgegen, daß fie fih ihm ohne 
Schwertſtreich unterwerfen und ihm ihre Schwefter, Ingibjörg die Schöne, 
ur Gemahlin verfprechen muften. Sie zogen hierauf mit ihrem Heere 
urüd und waren übel mit ihrer Fahrt zufrieden. ME Fridthjof ihre . 
Ankunft nabe glaubte, ſprach er zur Königstochter: „Wohl und Schön 
yabt ihr und aufgenommen und Baldur, unfer Wirth (bondi), bat 
nd nicht gezürnt; aber wenn ihr wißt, daß eure Brüder heimgelommen, 
o. breitet eure Leinwand über den Difarfaal (dis, Pl. disir, dea) 
ms! denn er ift ber höchſte im Hofe und wir können das von unfrem 
Dof aus fehen.“ Hierauf fuhr Fridthjof heim; am nächſten Morgen 
xber gieng er zeitlich hinaus, und als .er zurücklam, fang er: 

Berliinden will ih " 

Daß es aus iſt 

Mit Frendenfahrten; 

Nicht ſollen die Männer 

Zu Schiffe gehn, 

Nun find die Linnen 

Zur Bleiche tommen. 


ME König Helgi erfahren, mas vorgegangen war, hprach er: „Wun⸗ 
derſam wär’ es, wenn Baldur jeden Sohn von Fridthjof dulden ſollte; 
er ſoll uns Vergleich bieten oder aus dem Lande gewieſen werden.“ 


— 


184 


Da fie ihn nicht anzugreifen wagten und zur Mitgift ihrer Schweſter 
Mittel nöthig hatten, fo verlangten fie von Fridthjof zum Vergleich, 
daß er von ben Orkneyen (ben orladiſchen Inſeln) die Schatzung ein 
forbre, die ihnen: feis ihres Vaters Tode nicht bezahlt worden fei. 
Fridthjof gieng den Vergleich ein, aus Achtung für die bingegangenen 
Väter, doch unter dem Bebing, daß all fein Eigentbum indef3 m Frie⸗ 
den gelafien werbe. Dieß wurde mit Eiden angelobt. Er bereitete ſich 
nun zur Fahrt und wählte ſich tapfre Männer zu feinem Geleite. Es 
waren ihrer achtzehn, die an Bord des Schiffes Ellidi giengen. Als 
fie aber abgefahren waren, ließ König Helgi den Hof Framnes ver« 
brennen unb berief zwei Bauberweiber, Heidi und Samglöm, bie einen 
folden Sturm über Fridthjof und feine Gefährten jenven follten, daß 
‚fie alle im Dleer umlämen. Die Weiber beftiegen ven Zauberftuhl (hjall) 
mit ihren Zaubern und Beſchwörungen. 

Fridthjof war ſchon außerhalb der Bucht von Sogni, als fid 
ſcharfes Wetter und großer Sturm erhob, die See gieng fehr hoch und 
das Schiff ſchoß gewaltig fort. Da fang Fridthjof: 


Schwimmen Tieß ih von Eogni 
Das dunfle Wellenzofs; 

Die Braut faß forguoll 

Mitten in Baldurshag. 

Hoch anf ſchäumet das Meer, 
Heil doch. fei den Bräuten, 
Die uns Liebes gönnen, 

Ob auch Ellidi finfel 


Björn ſagte: „Gut wär's, wenn bu jekt aufs Andres dachtet, als 
von den Mädchen in Baldurshag zu ſingen.“ Als ein neuer Stoß 
kam, fang Fridthjof: 

Das war vormals 

Auf Framnes, 

Daß ich hinruderte 

Zu Ingibjörg. 

Jetzt ſoll ich ſegeln 
Im kalten Sturme 

Und vorwärts laſſen 

Das Langthier laufen. 


185 


Als nachher das Schneegeftbber fo ftark wurde, daß man nicht von 
einem Ende des Schiffes zum andern fehen Tonnte und bie Ser über 
Bord Ihlug, fang Fridthjof: - 

Helgi läßt Nie Wogen, 

Die ſchaumgemähnten, wachen. 

Nicht its, wie da wir füfsten 

Die Braut in Balburshag. 

Unglei find mir gnftig 

Ingibjörg und der, König. 

Lieber wollt’ ich der Lichten 

Glück der Liebe danlen. N 

„Das mag ſein,“ fagte Björn, „daß fie dir Beßres gönnt, als 
dir jet zu Zheil wird.“ Nun jchlugen große Wogen über fie und fie 
mußten alle in Schöpfraum ftehen. Fridthjof fang: 

Stark trinkt mir zu die Woge; 
Wohl feufzt Sie, wenn ich ſinke 
Am Schwänemeer, im OÖften, 

. Bo Lein lag aufi der Bleiche. 

„Glaubſt du,“ fagte Björn, „daß die Mädchen in Sopni viele 
Thränen um dich werben fallen laſſen?“ „Das den!’ ich gewiſs,“ 
antwortete Fridthjof. Auf Neue wuchs das Unwetter an, fo baß bie 
Meereswogen, die gegen das Schiff anraufchten, mehr Gebirgen, als 
Wellen, ähnlich ſchienen. Da fang Fridthjof: 

Ich ſaß auf Polftern 
In Baldurshag, 
Sang, was ich wuſte, 
Der Königstoditer. 
Nun ſoll ich fiher 
Rans Bett betreten, 
Ein Andrer aber 
Angibjörgs. 

Da kam eine große Woge und warf vier Männer über Borb, bie 
alle in den Abgrund fanfen. „Nun ift zu erwarten,“ ſprach Fribtbjof, 
„daß Einige unfrer Männer zu Ran fahren werben; unb wir werden _ 
nicht als rechte Abgeſandte erſcheinen, wenn wir bahin kommen, wir 
begeiten und benn raſch; mir ſcheint räthlich, daß jeder Mann etivas 
Gold bei fih babe.” Da zerbieb er ben Ring von Ingibjörg 





186 


(hringinn Ingibjargar-naut), vertheilte die Stüde unter ſeine Gefãhrten 
und ſang: 

Der Ring jei zerhauen, 

Den Halfdans reicher Vater, 

Den goldrothen, hatte, 

Bevor uns Ägir aufnimmt! 

Gold ſoll man fehn an Bäften, 

Wenn wir Herberge ſuchen 

In Rans Sälen mitten; 

So ziemt es ſchmucken Reden. 


Mitten durch die Dunkelheit des Sturmmetters ſah Fridthjof, daß 
ſich ein großer Wallfiſch ringe um das Schiff gelegt hatte, auf deſſen 
Rüden zipei Zauberweiber faßen. Er vermuthete fogleih, baß ihnen 
König Helgi dur diefe Weiber den Sturm. angerichtet habe und daß 
fie jet einem Lande nahe gelommen fein müfjen, durch den Wallfiſch 
aber an der Landung verhindert werben follen. Wörn trat hierauf 
an’? Steuer, Fridthjof aber ergriff eine Gabelftange (fork), jprang auf 
das Vorbertbeil und fang dem Schiffe Ellidi zu, denn dieſes hatte die 
Eigenſchaft, daß es Menſchenrede verſtand: | 


Heil dir, Etlidi! 

Lauf du auf Wogen! 
Den Zauberinnen 
Brich Zähn' und: Stimme, 
Kinnbacken und ‚Kiefer 
Dem böfen Weihe! 
Brich beide Füße, 

Diefer Here! 


Darauf ſchoß er bie Gabel nad ber einen Samläuferin (hamhley- 
punni, Läuferin in fremder Geftalt), aber Ellidis Spige traf den Rüden 
der andern‘, und fo marb Beiden der Rüden gebrochen; der Wallfiſch 
tauchte unter und warb nicht mehr geſehen. Da begann das Wetter 
ſich zu fänftigen, das Echiff aber mar nah’ am Sinten. Fribtbjof rief 
feine Männer auf und hieß fie Ihöpfen. ‚Björn Ingte: „Das ift ver 
gebliche Arbeit.” Yyribthjof aber fang: | 

Nicht dürft ihr, Freunde, 

Den Tod fürchten. 


187 


Zeigt euch freubig, 
Raſche Recken! 

Das ja wiſſen 
Meine Träume: 
Noch ſoll mir werden 
Ingibijörg. 

Da ſchöpften ſie das Schiff und waren nun dem Lande nahe ge⸗ 
kommen. Doch abermals warf ſich Unwetter ihnen entgegen. Fridthjof 
ergriff noch zwei Ruder am Vordertheil des Schiffes und ruderte auf's 
Stärkſte. Da klärte ſich's auf und ſie ſahen, daß ſie vor Effiaſund an⸗ 
gekommen waren, wo ſie nun landeten. Das Schiffsvolk war ſehr 
ermattet. Fridthjof aber war noch fo rüſtig, daß er acht Männer ans 
Ufer trug, Björn trug zwei und Asmund einen. Da fang Fribthjof: 


Seh tag auf . 
Baur Yeuerfätte 
Mäde Männer ⸗ 
Bom Schneeſturm matte. 
Nun hab' id) das Segel 
Auf Sand geſetzt. 
Schwer iſt's, zu ringen 
Mit Meeresſtärke. 


Der Jarl Angantyr auf Effin, wo Fridthjof an's Land gieng, hatte 
die Gewohnheit, daß er, wenn er trank, einen Mann vor das Fenſter 
ſeiner Trinkſtube ſitzen ließ, der gegen den Wind ausſchauen und Wache 
halten muſte. Dieſer Wächter trank aus einem Thierhorn, und wenn 
es leer war, bot er's zum Fenſter herein und’ es warb ihm ein andres 
gefüllt. Hallvard hieß ber Mann, der Wade hielt, ala Fridthjof Ian: 
bete. Gr fah diefen heranfahren und fang: 


Männer ſeh' ich ſchöpfen, 
Im flarfen Sturme, 
"Sechs auf Eivi, 

Und fieben rudern. 

Wohl gleicht der Kiihne 

Am Vorderliele 

Fridthiof dem tapfern, 

Die Auder zwingt er. 


188 





Und als nun Hallvarb fein Hom ausgetrunken, warf er e8 zum 
denſter herein und ſagte der Schenkin, die zu trinken brachte: 
Nimm du vom Eſtrich, 
Schoͤnwandelnde Schenkin, 
Hallvards Trinkhorn, 
Das umgeſtürzte! 
Sturmmüde Männer 
Seh' ich im Meere, 
Hillfbedurftig 
Zum Hafen ſtrebend. 

Der Jarl hieß Hallvard hinausgehn und die Fremden gaftlih 
empfangen, wenn es Fridthjof, feines Freundes Thorftein Sohn, fei. 
Da ſprach ein Mann, Namens Atli, ein großer Biking: „Run follen 
wir erproben, was gejagt ift, daß Fridthjof das Gelübbe getban, Keinen 
zuerft um Frieden zu bitten“. Es waren ihrer zehn, Iauter böfe und 
babgierige Männer, die auch oft Berferkergang giengen. Als dieſe auf 
Fridthjof trafen, fagte Ali: „Wende dich nun gegen uns, Fridthjof! 
Adler, die auf und ftoßen, follen ſich mit uns krallen; jet kannſt bu 
bein Wort erfüllen und nicht um Frieden reden.” Fridthjof wandte 
ſich gegen ihn und fang: 

Nimmer ſollt ihr 

Gebengt uns ſehen 

Oder angſtvoll, 

Ihr Juſelbärte! 2 

Ch’ ich um Frieden 

Bitte, ſchreit' ich 

Allein zum Kampfe 
Mit euch zehen. 

Da kam Hallvard hinzu und fagte: „Das will der Jarl, daß ihr alle 
willflommen ſeid und Niemand Streit an euch fuchen fol.“ Der Jarl 


1 [Fornald. 8.2, 82:] Bvi öndrverdir skulu ernir klöast med okkr; jo 
Hialto, bei Saro 8. II, ©. 46: 
Certamina prima 
Fronte gerunt aquile et rapidis se rictibus. urgent 
Anteriore loco: species vos alitis æquet u. |, w. 
. 8. V, &. 105: Anterius alites certant. Müller, Sagnhiſt. 57, Rote. 
2 Eyarskeggjar. 


t 


189 


nahm Fribtbjof und feine Gefährten wohl auf, fie blieben bei ihm den 
Winter über und waren fehr von ihm geehrt. „ch weiß,“ fagte Ans 
gantyr zu Fridihjof, daß du hieher geſandt bift, um Schatzung zu holen, 
und darauf kann ich dir gleich die Antwort geben, daß König Helgi 
feine Schagung von mir erhalten wird; aber du follft von mir zur 
Gabe fo viel empfangen, als du wünſcheſt, und magft bu das Schattung 
heißen, wenn du willſt, ober anders, wenn dir's lieber iſt!“ Fribthjof 
nahm e3 an und im Frühling fuhr er ab von den Orkneyen, nad 
berzlihem Abichied von Angantyr. Hallvard fuhr mit ihm. 

Indeſs hatte fih daheim in Norwegen mancherlei begeben. Fram⸗ 
ned war abgebrannt. Die Schweftern, die ben Sturm erregt, waren 
beibe mitten in der Beſchwörung vom Banberftuble geftürzt und hatten _ 
beide den Nüden gebrochen. Im Herbft kam König Hring nach Sogn, 
um Hochzeit zu halten. Es warb ein Gaſtmahl angeftellt, bei dem er 
Vermählung mit Ingibjörg tranl, „Woher haft bu biefen Toftbaren 
Ring,“ ſprach er zu ihr, „den du an beiner Hand trägft?" Sie fagte, 
ihrem Vater hab’ er gehört. „Der ift von Fridthjof (Fridbjöfs nautr), “ 
verjehte König Hring; „nimm ihn alsbald von ber Hand! denn nicht 
ſoll dir's an Gold fehlen, wenn du nad Alfbeim kommſt.“ Da gab 
ſie den Ring Helgis Frau und bat fie, ihn Fridthjof zu geben, wenn 
dieſer zurüdläme. König Hring zog nun beim mit feiner rau und 
war.ihr mit großer Liebe zugethan. Ä 

Als Fridthjof nah Framnes zurückkam, ſprach er: „Dieb Haus 
iſt ſchwarz geworden und bier haben nicht Freunde gewaltet“. Weiter 
ſang er: 

Vormals tranken wir 
Auf Framnes, 
Nüfge Junglinge, 
Mit meinem Vater. 
Berbramnt nun eh’ ich 
AU die. Wohumg; 
Königen hab’ ich 
Übles zu, lohnen. 
Fridthjof erklärte nun, baß er zuerft die Schatzung abliefern wolle. 


Sie ruberten über die Bucht nad Syrftrand. Hier erfuhren fie, daß 
die Könige in Baldurshag beim Opfer (at disablöti) fein. Dahin 





10 


giengen nun Fridthjof und Björn, die Anbern aber hießen fie inbef 
alle Schiffe, die in der Nähe waren, zerhauen. Fridthjof trat allein 
in die Thüren von Baldurshag; Björn mufte außen Wade, halten. 
Im Difatfaale fand Fribthjof nur menige Leute; die Könige waren 
dort beim Opfer und faßen beim Trinten. euer brannte auf dem 
Eſtrich, dabei ſaßen ihre Frauen und wärmten die Götter, einige 
falbten fie und trockneten fie mit einem Tuche. Fridthjof trat vor 
König Helgi und ſprach: „Willft du jegt die Schagung empfangen?” 
Damit ſchwang er ben Beutel, worin das Silber war, Helgin auf bie 
Naſe, fo daß ihm zwei Zähne ausfuhren und er auf dem Hocfik in 
Unmadt fan. Halfvan ergriff ihn, fo daß er nicht ir ins Feuer fiel. 
See jang: 

Nimm du die Schatzung, 

Boltsgebieter, | 

Mit den Vorderzähnen, 

Wenn's dir genug ift! 

Silber findft du 

Im Grunde des Beutels, 

Das Björn und id 

Dir eingetrieben. ° 


Wenige Leute waren im Saale, denn die Meiften tranken an einer 
andern Stätte. Als nun Fridthjof hinausgehen wollte, fah er ben 
foitbaren Ring an der Hand von Helgis Frau, ' die eben Baldurn am 
Feuer wärmte. Fridthjof griff nach dem Ringe, biefer aber war feit - 
an der Hand und jo zog er fie bas Eſtrich entlang nach der Thür. 
Darüber fiel Baldur ins Feuer. Halfdans Frau griff eilig nach Jener, 
ba fiel auch der Gott, den fie gewärmt hatte, ins Feuer. Die Lohe 
ſchlug nun in beide Götter, die zum voraus gefalbt waren, und von 
da. auf in das Dad, fo daß das Haus in Flammen fand. Fridthjof 
aber erhielt den Ring, eh’ er hinausgieng. Dann kehrte er mit Bjorn 
zur Bucht zurück. SHelgi, nachdem er fich erholt, und Halfvan eilten 
mit ihrem Gefolge nach. Fridthjof und die Seinigen waren: aber fchon 
an Bord und ließen ihr Schiff wiegen. Die Schiffe Helgis fand man 
zerhauen. Dieſer warb ganz raſend; er ſpannte feinen Bogen, legte 
einen Pfeil auf die Sehne und wollte nad Fridthjof mit ſolcher Kraft 
ſchießen, daß beide Bogenenden zufammenbraden. Als Fridthjof biefes 


191 


ſah, ergriff er zwei Ruber auf Ellive und zog fie fo ſtark an, daß 
beide in Stüde gingen. Dazu fang ex: 
Ich Nifste die junge 

Ingibjörg, 

Belis Tochter, 
In Baldurshag. 
Sp follen Ruder 
Auf Ellidi 
Beide brechen, 

Wie Helgis Bogen! 
Der Wind ftrich vom Lande, fie ſpannten die Segel und fuhren raſch 
von dannen. Fridthjof beſchloß nun, nicht mehr in Nortvegen zu bleiben, 
fondern auf Bilingsfahrt auszuziehen. Nach feiner Abfahrt hielten die 
Könige Thing, erflärten ihn Ianbeövertviefen und zogen all fein Eigen- 
thum an fih. Halfdan nahm feinen Sit auf Framnes, mo er wieber 
einen Hof aufbaute. Auch Baldurshag ftellten fie wieder ber. Das 

war Helgin das Schlimmfte, daß die Götter verbrannt waren. 
Fridthjof erwarb fih auf feinen Fahrten Reichtfum unb Ruhm. 
Er vertilgte Übelthäter und graufame Bilinger, aber. Bauern und 
Kaufleute Tieß er in Frieden. Nach wei Jahren legte er gegen ben 
Winter oftwärts in einer Bucht an und fagte feinen Kriegsleuten, daß 
er bier and Land gehen and den. König Hring und Ingibjörg befuchen 
toglle, um ihre Liebe mit anzufehen; am Anfang des Sommers follen 
fie ihn bien wieder abholen; auf den erften Sommertag werd' er ein; 
treffen. Als ein alter Salzbrenner 1 verkleidet und verlarbt gieng er 
allein an Hrings Hof. Der König fand Gefallen an ihm und behielt 
ign ben Winter über, bemerkte jedoch, daß er für den Ring, den er 
ap ber Hand. trage, lange Salz gebrannt haben müſſe. Die Königin 
ſprach wenig mit ihm. Einſt als der König und Ingibjörg über einen 
zugefsorenen See fuhren, brach das Eis unter ihnen; Fridthjof aber 
lief hinzu und riß den Wagen mit ven Pferben heraus. Als der Yrüb: 
ling kam und ber Wald ergrünte, zog ber König eines Tags mit feinen 
Hofleuten aus, um ſich am ſchönen Ausfehen des Landes Zu vergnügen. 
Er kam mit Fridthijof im Walde fern ab von andern Menfchen. Hier 
wollte er ſich ein wenig fchlafen legen. Fridthjof rieth ihm, lieber 


1 Bgl. Saxo 8. VI, ©. 149, 1. 


* 


192 


nach Haufe zu Tehren. Der König aber legte fich nieber und fchlief 
feft ein. Fridthjof faß neben ihm, zog fein Schwert aus ber Scheibe 
und warf es weit von fi. Bald darauf erhob fich der König und 
ſprach: „War das nicht fo, Fridthjof, daß dir Manches in den Sinn 
am, bem bu doch wohl wiberftanbeft? bu follft darum bei ung hoch 
angefehen fein. Ich erkannte dich am erften Abend, da du in bie 
Halle tratft, und nicht ſobald follft bu von uns fheiden. Etwas Großes 
mag bir beworftehn.“ Als nun Fridthjof forkreifen wollte, gab es 
König Hring nicht zu: er fühle fein Ende nahe; Fridthjof ſoll nad 
feinem Tode SIngibjörg haben und, bis feine Söhne erwachſen wären, 
das Reich verwalten. So geſchah e8 auch. Helgi und Halfvan führten 
ein: Heer gegen Fridthjof, aber Jener ward getöbtet und Diefer mujte 
fih unterwerfen. Nachdem Fridthjof den Söhnen Hrings das eich 
ihres Vaters übergeben, war er felbft Fylkekönig! über Sogni und 
Halfdan war fein fchakpflichtiger Herfe. 

Diefe Saga, deren jetige Abfaſſung Müller (Sagabibl. II, 461) 
dem Stile nach in das Ende des 18ten ober den Anfang bed 14ten 
Jahrhunderts fekt, hat einen von den bisher abgehanbelten verfchiebenen 
Charakter. Sie ift idyllenhaft in der Darftellung des einfachen, häuss 
lichen Lebens an ben Höfen der norbiichen Fylkekönige, Herſen, Jarle; 
fie ift romanartig in ber flätigen Durchführung ber Liebesgefchichte 
zwiſchen Fridthijof und Ingibjörg. Das Mythiſche dagegen greift viel 
weniger bebeutfam ein, ala in den biäherigen Sagen. Zwar iſt uns 
ein Blid eröffnet in Ägirs und Rans tiefe Säle, wohin vie Helden 
nur goldgefchmüdt eingehen wollen. Diefe Weſen treten aber nicht 
felbft in die Handlung ein, wie etwa im Mühlenlieve die Wellen, fonft 
auch Ägirs ober Rans Töchter genannt, als riefenhafte Mühlmägbe 
bervortreten. Ferner ift zwar diefer Saga die befonbre Verehrung 
Baldurs eigenthbümlih, aber auch biejer greift nicht, wie bisher fein 
Bater Odin, lebendig in bad Ganze; nur fein todtes Bild wirb gefalbt 


. 1 In Norwegen gab es eine große Anzahl unabhängiger Gebieter von be- 
ſchränkter Macht, Yyllelönige genannt, fylki, n. provincie, tractus terre, 
bis in der 2ten Hälfte des Item Jahrhunderts Harald Schönhaar fi) nad und 
nach alle Übrige Stämme unterwarf und Gründer eines normwegifchen Reiches 
wurde, das auf einem Lehensverhaltnis berubte. Rühs, Handb. d. Geſch. d 
Mittelalters 768 f. 


193 


und gewärmt und gebt zulegt im Feuer auf. Diefer Mangel an 
mythiſcher Belebung wird auch nicht durch die Wärme der Empfindung 
im Liebeöverhältniffe Fridthjofs und Ingibjörg vergütet. Es herrſcht 
bierin, nach unfrer Gefühlsweife, einige Trodenbeit. In der ftarten. 
Natur der altnordiſchen Poeſie liegt ed, daß fie der Empfindung nur 
in großartigen und gewaltjamen Verhältnifien Luft geben kann. Der 
Treuebund Hrolfs und Halfs mit ihren Kämpen, wie er fich im lebten, 
gemeinſamen Kampf und über dieſen hinaus bewährt, bietet meit mehr 
kräftig Rührendes dar, als Fridthjofs und Ingibjörgs unglüdliche Liebe, 
Das eigenthümlichſt Schöne der Fribthjofsfaga beruht vielmehr in ber 
unerfchütterlichen Yreudigleit des Helden. Als den Kern des Ganzen 
betrachte ich die trefflich durchgeführte Sturmjcene (C. 6). Sie ift am 
reichiten mit Liederſtrophen ausgeftattet, worauf auch diefe Saga haupt: 
ſächlich ſich zu gründen ſcheint (Sagabibl. II, 461). Das Liebesleben in 
Balduröhag war mit wenig Klang und Farbe vargeftellt, vielleicht war 
auch davon urfprünglid) wenig Andres erzählt, ala was Fridthjof auf dem - 
Meere fingt. Erſt im Gebraus der einftürzenden Wogen wird die Gens 
yfindung wach und das echt norbifche Liebeslied ift ein Gefang im Sturme. 

Den mythiſchen Gehalt der Fridthjofsſaga ftellt Mone weit höber, 
als mir es möglich ift. Vgl. I, 298 bis 290.*** (Beli heißt in ber 
Bölufpa ein Riefe, den Freyr töbtet, ber aljo mit Balbur nicht 
einerlei fein Tann. Alfheim, worauf Mone mythiſche Beveutung legt, 
bieß auch eine Gegend des alten Norwegens zwiichen den Strömen 


Gotelv und Romelv. Lex. myth. 8a. Sögubr. C. 6; vgl. €.10.) Dad. . . 


Ergebnis diefer ganzen Ausführung Mones, daß die Fridthjofsſaga 
eine Glaubensfehde zwiſchen Licht: und Waflerbienern enthalte, fällt 
zulammen, wenn man erwägt, daß Fridthjof keineswegs als ein be 
ſondrer Verehrer der Meeresgötter Ägir und Ran erſcheint. Er bat 
mit den ungeftümen Meereögewwalten lediglich zu kämpfen. Björn fagt 
einmal im Verſe (C. 7, ©. 83), wie fie achtzehn Tage lang am Schiff 
ausfchöpfen multen, ale Rans Kinder (die Wellen) den Meertreter 
(das Schiff) ermüdeten. Ägir und Ran, allerdings vom Jotengeſchlechte, 
ftellen aud) eben Darum, mie bei der Bötterfage gezeigt worden, die wilde 
Natur des Elementes dar. Um günftige Schifffahrt wird Njörd, der 
Bane, angerufen. Die Sage bietet überhaupt fein inneres Verhältnis, 
einen irgend eingreifenden Gegenſatz zwiſchen Baldur und ben Meeres 
uUpland, Schriften. VII. 13 





19 


göttern bar; Erfterer hätte den Letztern dafür nur verbunden fein können, 
daß fie dem Zerftörer feines Heiligthums fo viel Drangfal anthun. Auch 
der ſchöne, nachbarliche Freundesverfehr zwiſchen den Vätern, die ſich 
gegenfeitig zum Mahle laden und noch von den Grabhügeln aus über 
den Sund fich befprechen wollen, zeugt von feinem Glaubensftreite. Bei 
diefer Befchaffenheit der mythologifchen Hypotheſe in ihren Grundlagen 
wird es Feiner nähern Erörterung der einzelnen Umftände bebürfen. 
Für unwahrſcheinlich halte ich zwar keineswegs, daß Balbur in 
diefer Sage urfprünglich mehr innere Bedeutung gehabt, jedoch feine 
elementarifche, fondern eine ethiſche. Wir haben in Baldur, dem 
ſchönſten, Tichteften der Aſen, den Gott der fittlihen Güte und Rein 
beit Tennen gelernt; feine Gattin Nanna ift nach Mones eigener Er⸗ 
-Härung (I, 430) die jungfräuliche Unfchuld; in Baldurs himmliſcher 
Wohnung Breidablik (late fulgens), dem glänzendften der Götter 
fäle, kann nichts Unreines beftehen, und fo ift auch das irbifche Bal⸗ 
durshag der Saga vor aller Gewaltthat und Unreinheit gefreit. Aber 
dieſe ſagenhafte Freiftätte jelbft könnte urfprünglih bloß mythiſche 
Symbolif gemwefen, oder, wenn auch im Norden wirklich einft ein folches 
Heiligthum beftand, dieſes nur als die äußere Darftellung einer Idee, 
eines ſittlichen Baldurstempels zu betrachten fein. Eine ſolche ivenle 
Deutung wird felbft durch den Wortjinn einiger erheblicherer Namen 
begünftigt. Baldurshagi (hagi m. pascuum, Lex. isl. I, 319, sep- 
tum; vgl. Grimm, Gramm. II, 457) ift das Gehege der reinen Sitte, 
wie auch das Heiligthum der Saga mit einem hohen Zaune (skidgardr) 
umbegt ift. In diefe ſchützende Freiftätte ift die Jungfrau gebracht, 
deren Name Ingibjörg wenigſtens nach feiner zweiten, deutlichen Silbe 
. (björg, f. tegmen, refugium, Gramm. II, 486) wohl hieher pafet; ift 
aber in der erften, zmweifelhaftern Silbe ein uriprünglidhes y (u) mit 
einem ftärlern i verwechjelt, eine Verwechölung, die überhaupt in ber 
isländiſchen Ausfprache herkömmlich ift (Gramm. 1, 284, mit Bezug 
auf Raſk), fo dürfte fi als Sinn des ganzen Worts ergeben: Jugend⸗ 
hu, geborgene Jugend (Jngi, n. juventus, obsol. nisi in com- 
positis, hier $ngis-? Biden Il, 489; yngia, juvenescere, Lex. myth. 
©. 6065, yngi, 'm. juvenis; ynge, f. virgo). Fridthjof endlich, der 
Frieddieb, wäre Derjenige, ber die Friedensſtätte (dort var gridastadr, 
grid, n. pax, securitas, fridr, m, pax), das Seiligthum der Unſchuld 


⸗ 


195 


und Sitte, beſtiehlt. Allein, ſo wie die isländiſche Saga jetzt be⸗ 


ſchaffen iſt, weiſt auch ihr älteſter Beſtandtheil, die Liederſtrophen, 


nirgends beſtimmter auf ein lebendiges Eingreifen des Mythus von 
Baldur hin. 

Manche der bisher erörterten Mythen und Sagen ſind von andern, 
beſonders däniſchen Dichtern, Ohlenſchläger u. A., poetiſch bearbeitet 
worden. Beſonders aber hat neuerlich die ſchwediſche Bearbeitung der 
Fridthjofsſaga durch Ef. Tegner verdienten Beifall gefunden und durch 
dreifache Überfegung ins Deutfche 1 auch unter uns große Verbreitung 
erlangt. Wenn nun gleich felbftänvige poetifche Behandlungen ber 
alten Sage nit in den Kreis unfrer Aufgabe fallen, fondern ber Ge: 
Ihichte der neuern Poeſie angehören, jo ſoll ihnen doch da, wo fie 
etwas zur Erläuterung unfred Gegenftandes beitragen können, nicht 
abfichtlich aus dem Wege gegangen werben. Tegner hat in der alten 
Saga offenbar dasfelbe vermiſst, was auch wir auszuftellen fanden, 
indem wir eineötheild den Mangel an Wärme bes Empfindung und 
bes Eolorits in der Darftellung von Fridthjofs und Ingibjörgs Liebe 
und anderntheil3 den Abgang der mythiſchen Belebung bemerflich machten, 


- 


Erfteres jedoch bezeichneten wir mehr nur als einen Mangel nach der 


Gefühlsweiſe unferer Zeit. Eben darum aber mufte der neuere Dichter, 
wenn er auch im Ganzen dem Gange der Saga ziemlich getreu folgt, 
bier feinen Stoff mit erhöhter Empfindung burchbringen und bemgemäß 
auch mit reicherem Farbenglanze ſchmücken. Die mythiſche Begeiftigung 
durfte amar nur mittelft einer Idee herbeigeführt werben, welcher eine 
allgemeinere, auch für unfere Zeit gültige Wahrheit und Bebeutung zus 
fommt; biebei fam aber allerdings zu Statten, daß der Mythus von 


Mythologie der chriſtlichen Anficht am meiften zufagt. Auf diefe beiden 
Punkte hat fih nun auch weſentlich Tegners poetifche Thätigkeit ger 
richtet. In Beziehung auf den erftern Punkt, die Steigerung des Ge- 
fühls, fcheint mir die Löfung der Aufgabe minder volllommen gelungen, 


1 [U v. Helmig 1826, 1844, 1853, Mohnife 1826, 1842, 1854, 1862, 
Schley 1826, Mayerhoff 1835, Janſen 1841, Minding 1842, 1846, Berger 
1843, 1854, 1859, 1866, Wollheim 1845, Heinemann 1846, 1862, Hart» 
mann 1846, v. Leinburg 1855, 1865, U. Niendorf 1856, Lobedanz 1862, 
Simrod 1868, Biehoff 1865, 2. Freytag 1867. Kurz] 


‘ 


Baldur gerade derjenige ift, der vor allen andern Theilen ber norbifchen _ 


1% 


nicht ſowohl darum, meil ber Held zuweilen doch allzu ſentimental 
wird (3. B. im 4Aten Gef. Überf. von Amal. v. Helwig ©. 34: 
Grin fleiget die Erd’ aus der Hülle von Schnee, 
Und die Dradden ſchwimmen auf blauer See, 
Der junge Degen 
Schaut träumend zum Mond nur, anf Waldes Degen. 
' ober im 7ten Gef. ©. 50: 
| &o lang die Sonn’ in warmer Feier 
Mit Purpurglanz das Thal erfüllt, 
Wie rofig der Geliebten Schleier 
Des Bufens Blumenwelt umbüllt, 
So lang irr’ einfam ich am Strande, 
Bon reger Sehnſucht Bein verzehrt, 
' Und fihreibe jeufzend dort im Sande 
Den theuern Namen mit dem Schwert, 
jondern hauptſächlich darin fcheint mir ein Misftand zu liegen, daß 
Tegner neben dieſer mobernen Gefühlsweife doch auch von der altnor 
diſchen Heldenkraft nichts aufopfern wollte und fogar hierin noch Einiges, 
was die Saga nicht enthielt, beifügtee Im 16ten Gef. (S. 144) droht 
Biden, dem. König Hring, wenn Fribthjof nicht wieder von deſſen Hofe 
zurückkomme, den Blutadler zu fchneiden, eine barbarifche Sitte, dem 
‚lebenden Gefangenen den Rüden in ber Form von Molerflügeln auf: 
zuſchneiden, die wohl jonft in nordiſchen Sagen vorkommt, aber nicht 
in der Fridthjofsſaga. Dann, im 17ten Gef. vom Gelag an König 
Hrings Hofe (S. 149): 
Und tüchtgen Julrauſch nahm ih - 
Ein Feder mit vom Schmaus; 
wovon gleichfalls. die Saga nichts enthält. Der 15te Gefang, Bilinger 
Net, jo manches Schöne auch er enthält, zeigt doch vielleicht am 
deutlichften die ungleichartige Bufantmenfegung. Vgl. ©. 136 bis 140.*** 
Ein großer Theil der Bilingerfagungen, welche ben vorbern Theil 
dieſes Osfangs ausmachen, find der Fridthjofsſaga fremd, vielmehr ber 
Saga von Half und feinen Reden entnommen und tragen ganz den 
kräftigen Charakter diefer Saga. Daran reiht fi dann aber in ber 
zweiten Hälfte ein ſchwärmeriſcher Xiebestraum, wie ihn Half Reden 
niemals träumten, benen nur ihr gefallener Helvenlönig kampfmahnend 
im Traume erjchien. Die Bufammenftellungen bed Nordens und 


4197 


Südens, in ber malerifchen Poefie der Neuern fo beliebt, find überhaupt 
der innern Haltung und dem gleihmäßigen Charakter der Dichtungen, 
dem Arbeiten aus einem Stüde, nicht fehr günftig. 

Die Idee, wodurch Tegner dad, was wir die mythiſche Belebung 
nannten, zu erjeßen fucht, ift hauptfächlich im Schlußgefang, in folgenden 
‚ Worten des Priefterö an Fridthjof, in dem von ihm zur Sühnung feiner 
That neu aufgebauten Balburstemipel, ſchön ausgefprochen. ©. 185 f.: . 
Ein jedes Herz hat feinen Baldur u. |. w.*** Dann nod) die Antnüpfung 
an das Chriftlihe S. 188 f.: Was war die Meinung u. f. w. *** Aud 
bon dieſer idealen Hebung des Ganzen ftechen bie vorangeführten Züge 
norbifchen Ungeſtüms und finnlicher Kraftäußerung zu merklich ab. 

Dieſe Bemerkungen follten dazu dienen, die bedeutenden Schwierig: 

leiten ber poetifchen Erneuerung der alten Eagenwelt zu veranfchau« 
lichen, keineswegs aber die dichteriſchen Schönheiten des tegnerifchen 
Werkes zu verkümmern. 

Mit der Fridthjofsſaga ſteht in Verbindung die Saga porsteins 
Vikingssonar (Fornald. Sög. II, 381 f., Fortids S. U, 310 ff.). 
Diefelbe handelt vom Vater und Großvater Fridthjofs und wäre darum 
vor der Saga von ihm anzuführen geweſen, wenn fie überhaupt als 
eine echt alterthümliche und nicht vielmehr als ein erft im 14ten Jahr⸗ 
hundert zur Fridthjofsſaga gedichtetes Seitenftüd zu betrachten wäre 
(Sagabibl. II, 594 f.), weshalb wir uns auch nicht bei ihr verteilen. 
Der Fall iſt nicht felten in der Sagengeichichte, daß die Väter ber 
Helden eigentlich ihre Söhne, d. h. die Erzählungen von den Vätern 
neuer, als die von den Söhnen, und erft durch diefe veranlaßt find. 


6. 


Sm genealogifchen Verhältnis der Abftammung ftehen folgende 
vier norwegiſche Sagenhelven: Ketil Häng, Grim Lodinkinn, Orvarodd 
und An, der Bogenfpanner. Von jedem derſelben ift eine isländifche 
. Saga vorhanden: Saga Ketils Hæengs, Saga Grims Lodinkinna, 
Örvar-Odds Saga, Äns Saga Bogsveigis 1, ſämmtlich im 2ten Band 
der rafnifhen Fornaldar Sögur und bemjelben ber bänifchen Über: 
ſetzung. Sagabibl. II, 525 ff. 


1 At sveigia, fieciere, curvare. 





1%8 


Da jedoch in dieſen fämmtlihen Sagan nicht fowohl organifche 
Sagenbildungen, als willkührlich zufammengereihte Abenteuer enthalten 
find, wenn auch neben den neuern Erbichtungen mandjes Altfagenhafte 
hervortritt und bie norbifche Farbe im Ganzen vorhanden ift, fo mag 
es, bei der Menge des noch zu verarbeitenden Stoffes, genügen, dies 
felben litterarifch angegeben zu haben. 

Nur eine Situation, die und noch in andern Sagenfreifen mehr⸗ 
fach begegnen wird, der Kampf bes Vaters mit dem Sohne, ohne daß 
Einer den Andern kennt, hebe ich aus der legten derfelben, von An, 
dem Bogenfpanner, hervor (C.7, S. 251 ff. [Schriften I, 165 ff. K. P. 

Weitere, bier nicht benannte, minder erhebliche und noch weniger 
auf alterthümliche Überlieferung gegründete Sagan, größern und ge 
ringern Umfangs, find in Müllers Sagabibliothet, befonders ben Iehten - 
Abtheilungen des 2ten Bandes, verzeichnet. | 

Die bisher dargeftellten Heldenſagen berubten zunächſt auf t#län« 
bifchen Quellen, auf einigen Erzählungen der jüngern Edda, zumeift 
aber auf den altnorbifhen Sagan; bei einigen wurden Saxos Berichte 
zur Ergänzung oder Vergleichung benüßt. Die nun weiter folgenden 
Sagen finden ſich entweder bei Saro allein oder doch bei ihm am voll: 
ftändigften und lebendigften erzählt, jo daß umgelehrt isländiſche Nach⸗ 
richten bier nur auf ähnliche Weife angewendet werben, wie früher 
Saxo für die Sagan. 


7. Habbding. 
Saxo 8. I, S. 9 fi. Müller, Sagnhift. 20 bis 24. Lex. myth. 296 f. 


Die Erzählungen von Hadding (Hadingus), dem Sohne Grams, 
dem 8ten in Saros bänifcher Königsreihe, nehmen ben größern The 
ſeines erften Buches ein. Die Urfache, warum er diefen Helden unter 
die älteften Dänenkönige verfegt, ift, nad Müllers Bemerkung (S. 24), 
ohne Zweifel in der und fchon befannten Anficht Saros zu fuchen, 
wonach er für die eriten Bewohner des Nordens die NRiefen und für 
die nächſten nad diefen die für Götter gehaltenen Zauberer erflärt. 
‚Beide Klafjen aber, Niefen und Götter, Spielen in Haddings Gefchichten. 
Er wird bei Riefen erzogen und von Odin geſchützt, beleidigt die Götter 
und ftiftet zur Sühne dem Gotte Fro (Freyr) ein Opfer, befucht die 
Unterwelt u. |. mw. Der mythiſche Charakter dieſer Erzählungen und 


1% 


die vielen .eingeftreuten Verſe weiſen auf hohes Altertum Bin und bie 
Manigfaltigleit der Abenteuer läßt auf eine ziemlich umfafiende Hab: 
dingsfaga fchließen. Aber mehreres Näthjeihafte im Einzelnen und 
der unflare Zuſammenhang des Ganzen gibt zu erfennen, daß bie 
Überlieferungen, wie Saro fie vorfand, fchon fehr an Verbunflung 
und Berrifienheit litten. ch ‚gebe darum auch nur einige Züge, die und 
inbefondre Odins irdiſches Walten noch weiter vergegenmwärtigen können. 

(S. 12 5) Des Jünglings Habding, der verlafien umberirrte, 

"auf Rache für. feinen erfchlagenen Vater finnend, nahm fich ein alter, 
einäugiger Mann an und verband ihn auf feierliche Weile mit dem 
Vilinger (pirata) Lifer: 

Siquidem icturi foedus veteres vestigia sus mutui sanguinis asper- 
sione perfundere consueverant, amicitiarum pignus alterni cruoris com- 
mercio firmaturi. 

Dieb war, was man im Norden föstbreedra-lag 1, Pilegbrüberbund, 
nannte. Der Name hat feinen Urfprung von dem fchon früher er: 
wähnten genauen Verhältnis zwiſchen denjenigen, welche bei demſelben 
Dflegvater erzogen waren. in ähnliches, ja noch engeres Band Inüpf- 
ten auch Solde, bie ſich nicht auf diefe Art ſchon nahe landen, mit: 
telft der von Sazo angebeuteten finnbilvlichen Handlung. Man fchnitt 
nemlich lange Rafenftüde auf, befejtigte fie an den Enden in der Erbe, 
sichtete fie auf und ſtützte fie mit einem Epieße; dann traten diejenigen, 
welche den Bund eingehen wollten, darunter, verwundeten ſich, ließen 
ihr Blut zufammenfließen und vermifchten es mit Erde, fielen jofort 
auf die Kniee und ſchwuren bei den Göttern, Einer des Andern Tod 
zu räden, wie Brüder (nad) dem Geſetze ber eigentlichen Blutsver⸗ 
wandtſchaft), worauf ſie ſich die Hände reichten und fortan Pflegbrüder 
hießen. Durch ein ſolches Bündnis mit dem Bilinger Liſer ſucht ber 
einäugige Greis den Jüngling Hadding zu ftüßen. 

Lifer und Habbing befriegten nun zufammen Lokern?, den Häupt: 
Ling der Kurländer (Curetum tyrannum), wurden aber von ihm über: 
wunden. Den fliehennen Habding brachte der vorerwähnte Greis auf 
feinem Roſſe nad feiner Wohnung, erquidte ihn durch ein köſtliches 

1 Föstra, nutrire; föstr, n. educatio, nutricatus, Brodra, gen. pl. 
von brödir, frater. Lag, n. lex, jus, societas, fadus. [Schr. I, 139. 259 fi. 8.] 

2 Seiler S. 208, R. 10 will in diefem Lofer Lokin finden. 


RE 


X % 


200 


Getränk und verhieß ihm davon einen Zuwachs feiner Körperkraft. 
Dabei verkündete er dem Süngling Folgendes im mahnenden Liebe 
(cujus augurii monitum hujusmodi carmine probavit);: Hadding 
werde vom verfolgenden Feind ergriffen werden, um ihn gefeſſelt zu 
halten und den wilben Thieren vorzuwerfen; dann, foll er feine Wächter 
mit mandherlei Erzählungen überhäufen und, wenn fie eingefchlafen, 
feine Bande fprengen. Hierauf fol er mit ganzer Kraft einen 
Löwen angreifen, ber die Gefangenen zu zerfleiichen pflege. Wenn er 
diefen mit dem Schwerte durchbohrt, foll er das warme Herzblut bes’ 
felben trinfen und das Herz verzehren, davon werd' ihm neue, gewal⸗ 
tige Stärke zukommen. Er, der Berather, werde felbft die Wächter 
in Schlaf ſenken und darin fefthalten. Nach Diefem brachte der Alte 
den Süngling auf dem Pferde zur vorigen Stelle zurüd. Habding, - 
der durch die Öffnung des Gewandes, mit dem er bebedt war, ſchüch⸗ 
tern binausblidte, fah, mie das Roſs über dem Meere hineilte; auf 
des Alten Warnung aber manbte er die erftaunten Augen von dem . 
ſchauderhaften Wege. Er murbe nachher wirklich von Lokern gefangen 
und Alles ergieng, wie ihm voraus verkündigt war. 

(S. 20.) Als ſpäterhin Habding einem gewiſſen Thuning, der ihn 
mit einer Hülfsfchaar von Biarmiern (Biarmeland, Permien, die Gegend 
am weißen Meer unb der Divina, deren Bewohner für fehr zauberkundig 
galten) befriegen wollte, entgegenzog und mit feirier Flotte Norivegen 
vorüberfuhr, ſah er am Ufer einen Greis, der eifrig mit dem Gewand 
wintte, daß man an ber Küfte anfahren folle. Hadding nahm ihn an 
Bord, obgleich feine Gefährten nicht wollten, daß man fich damit ver- 
weile. Er empfieng nun von dieſem Frembling die Anweifung zu einer 
neuen, keilförmigen Schlachtorbnung. Im Kampfe felbft ftellte der 
Greis fi hinter bie Reihen, zog aus der Tafche, die ihm vom Naden 
bieng, einen Bogen, ber anfangs Mein erfchien, bald aber fich meiter 
ausbehnte, und legte an die Sehne zehn Pfeile zugleich, die, mit kräf⸗ 
tigem Schuß auf die Feinde gefchnellt, eben fo viel Wunden bohbrten. 
Die Biarmier führten. durch Zauberliever ungeheure Regengüſſe berbei, 
aber der Greis vertrieb durch Sturmgewölk den Regen. Habding fiegte 
und der Alte ſchied, indem er ihn ermahnte, glänzende Kriegszüge den 
rubmlofen, ferne den nahen vorzuziehen, und ihm ben Tod, nicht 
durch Feindesgewalt, fondern durch eigene Hand, weiſſagte. 


201 


Auch in diefer Sage erfcheint Ddin als Ermweder unb Kräftiger 
junger Helden. Denn daß ber einäugige Greis Odin fei, wenn er auch 
nirgend® genannt wird, kann uns nach feinem ähnlichen Auftritt in 
andern Sagen nicht zweifelhaft fein. Er ftiftet die Blutbrüderfchaft 
zwifchen Habbing und Liſer, diefen Bund zu Heldenwerf und Blut: 
rade. Der Jüngling, der auf Vaterrache ſann, war ihm beſonders 
genehm. Auf ſeinem Roſſe, dem achtfüßigen Sleipnir, bringt er den 
Jüngling aus der Schlacht nach ſeiner Wohnung, nach Walhall, und 
erfriſcht ihn dort mit einem köſtlichen Tranke (suavissime cujusdam 
potionis beneficio), mworunter wir den begeifternden Suttungsmeth, 
den Ddin den Zwergen abgeivonnen, zu verftehen haben. Der Löwe, 
bon befien Herzen und Hergblut Hadding nah Odins Rathe genießen 
fol, ift hier etwas frembartig; in ber Hrolfsfage wird Ähnliches mehr 
nordiſch von einem Bär erzählt. Überhaupt will die doppelte Stärkung 
durch den Göttertran? und durch Thierblut nicht recht fo nahe zuſammen⸗ 
paflen, beides mag in der urfprünglichen Geftalt der Sage meiter aus 
einander gelegen fein. Schön ift, wie der Jüngling unter dem Mantel 
bervorlaufcht und auf die fchauderhafte Bahn des Roſſes herabficht; 
hier erweift fi) völlig der burch bie Luft hinſchwebende Sleipnir. Als 
Erfinder und Lehrer der Teilfürmigen Schlacdhtorbnung, die man wegen 
ihrer Ähnlichkeit mit der Form eines Schweinskopfes Svinfylking (fyl- 
king, F. acies) nannte, wird und Dbin noch ferner begegnen. Als 
Theilnehmer an ber Schlacht fanden wir ihn auch in der Hrolfsfage. 
Daß endlich ter Günftling Odins eines gewaltfamen Todes fterbe, 
iſt nicht anders zu erwarten, ba er ohne eine folde Tobesart nicht . 
nah Walhall kommen Tönnte. 


8. Regner. 
Say 8. II, ©. 29 bis 32. 38. Müller, Sagnhiſt. ©. 25. 


Diele Erzählung reiht ſich infofern an die vorige von Habbing an, 
als in ihr eine Tochter diefes Helden auftritt; auch Hat fie gleichfalls 
mythiſches Gepräge und ift mit Verſen durchwoben. Vielleicht war jie 
der größern Habbingsfaga, deren einftiges Vorhandenſein wir vermuthet 
haben, angehängt. 

Thorild, Me Wittwe des Schwebenlänige Hunding, haßte ihre 


202 


jungen Stiefföhne, Regner und Thorald, auf das Außerſte, würdigte 
fie zum Hirtendienft herab und Juchte, fie in mancdherlei Gefahren zu 
verwideln. Da machte fi Svanhvit (Suanhuite, Schwanweiß), die 
Tochter Haddings, mit ihren Schweftern, bie fie ſich gum Gefolge 
nahm, nach Schweben auf, um den Untergang jener edeln Sprößlinge 
abzuwenden. Sie fand die beiven Jünglinge, welche zur Nachtzeit bie 
Heerben hüten muften, von mancherlei geipenfterhaften Weſen um 
ſchwärmt; ihren Schweitern, die von den Pferben fteigen wollten, . ver: 
bot fie diefes, indem fie den Beipenfterjput folgenbermaaßen (tali poe- 
matis sono) ſchilderte: 


Monstra quidem video, celerem captantis saltum, 
Corpora nocturnis preeipitare locis. 

Bella gerit daemon, et inigue dedita rize 
Militat in mediis turba nefanda viis. 

‘ Effigie specianda truci portente feruntur, 

Hscque hominum nulli rura patere ainunt. 

Agmina, precipiti per inane ruentia cursu, 
Hac uos progressum sistere sede jubent. 

Flectere lora monent, sacrisque absistere campis, 
Arvaque nos prohibent ulteriora sequi. 

Trux lemurum chorus advehitur, precepsque per auras 
Cursitat et vastos edit ad astra sonos. 

Accedunt Fauni Satyris, Panumque caterva 
Manibus admixta militat ore fero, 

Silvanis coeunt Aquili, Jarveeque nocentes 
Cum Lamiis callem participare student. 

Saltu librantur Furie, glomerantur eisdem 
Larve, quas Simis Fantua juncta premit, 

Calcandus pediti trames terrore redundat, 
Tutius excelsi terga premantur equi. 


Zu wünfchen wäre, daß ung ftatt der römischen Namen dieſer Spul: 
‚geifter die entſprechenden nordiſchen Benennungen ber Theilnehmer an 
biefem nächtlichen Reigen erhalten wären, wiewohl wir einige berjelben, 
Alfer, Veettir u. |. w., vermuthen können. 

Regner, ber ältere der Königsſöhne, tritt berzu und bemerkt, daß 
man fie nicht auch für Gefpenfter halten folle, fie feiern Hutknechte über 
bie Fönigliche Heerde und weil fich diefe verlaufen, während fie ihre Spiele 


203 
getrieben, haben fie auß Furcht vor der Züchtigung nicht zu ihrem Herrn 
heimzukehren gewagt. Als jedoch Svanhyvit den fchönen Jüngling ſchär⸗ 
fer betrachtete, ſprach ſie: „Von Königen, nicht von Knechten, ſtammſt 
du, das verräth mir der leuchtende Glanz deiner Augen.“ Sie rieth 
den Yünglingen, eiligft von’ diefem unbeimlichen Wege zu weichen, da⸗ 
mit fie nicht dem nächtlichen Spule zur Beute würden. Negner, feines 
ſchlechten Aufzugs fich ſchämend, erwiberte, nicht immer fei Knechtes⸗ 
ftand von Mannheit entblößt und oft fei vom grauen Kleid (atra veste) 
eine ſtarke Hand umfchloffen. Er ſelbſt fürchte feine gefpenftiiche Macht, 
mit einziger Ausnahme bes Gottes Thor, mit deſſen Stärke nichts 
Menichliches noch Böttliches verglichen werben könne. Vergebens juche 
die Jungfrau, feinen Muth wankend zu machen. Spanhvit bewunderte 
die Entſchloſſenheit des Jünglings und indem von ihrer. jungfräulichen 
Geftalt das Dunkel wid und ein wunderbarer Lichtglanz fich über fie 
verbreitete, bot fie Regnern als Brautgefchent ein herrliches Schwert 
dar, mit dem er die Nachtgefpenfter belämpfen Iönne und das er auch 
in Zufunft als Held würdig gebrauchen ſolle. Diefe Ermahnungen 
fand Saxo gleichfalls in Liedesform vor (coaptato rhythmorum canore) 
und gibt fie wieber in lateiniſchen Diftihen. Regner kämpft nun die 
ganze Nacht hindurch mit diefem Schwerte gegen die Ungethüme; denn 
nicht paflend erfcheint ed, nach dem Vorigen, wenn Saro auch biefen 
Kampf der Jungfrau zufchreibt, die ja dem Königsſohne eben bazu 
das Schwert gegeben: Ä 
In gladio, quo monstra tibi ferienda patebunt, 
Suscipe, rex, sponss munera prima tue! 

Am Morgen fand man das Feld mit mandherlei Larven bebedit 
und barunter aud; Thorilds, der böfen Stiefmütter, Geftalt,. mit vielen 
Wunden; fie wurden alle auf einem großen Scheiterhaufen verbrannt. 
Regner ward nun König von Schweden und die Retterin Spanbpit 


ſeine Gemaßlin. 


Noch wird weiter, zum Theil weniger Har, erzählt, wie der Dann 
fonig Frotho, Svanhvits Bruder, darüber aufgebracht, daß fie ohne 
feine Zuftimmung ſich vermählt, ihr in Schweden eine große Schlacht 
geliefert babe, wie er, nad) dem ungünftigen Ausgang berjelben, bei 
Nacht ein Boot beftiegen, um Gelegenheit zu finden, die feindlichen 
Schiffe zu durchbohren, mie aber Svanhyvit, die gleichfalls nächtlicher 


204 


Weile allein umbergefchifft, ihn darüber ergriffen und zum Frieden 
beivogen. Als in der Folge Negner geftorben, fei ihn feine Gemahlin 
in Kurzem aus Kummer um ihn nachgefolgt (S. 38). 

Auch die Eage von Regner und Svanhyit fällt ganz in den odi⸗ 
nifchen Mythenkreis. Evanhvit ift eine irbifhe Valkyrie. Wir finden 
auch in einem der heroifchen Eddalieder (dem von Völund) eine Vals 
fyrie Svanhvit zugenannt und biefed mar überhaupt darum ein ge: 
eigneter Valkyrienname, weil diefe Wejen Öfters in Echwangeftalt er 
icheinen. Ihr Beruf, als Dienerinnen Odins, ift befonbers auch ber, 
die noch ſchlummernde Kraft jugendlicher Heldenſöhne zu meden. Wir 
werden noch fernere Beifpiele finden,. wie die leuchtende Erſcheinung 
ber Balfyrie den bindämmernden Jüngling aufruft, mwie er von ihr 
das wunderbare Helvenfchwert empfängt und mit ihr durch unzertrenn- 
liche Liebe verbunden wird. Die Ballyrien reiten durch die Luft, im⸗ 
mer in der Mehrzahl, daher heißt es, daß Spanhvit ihre Schweftern 
zum Gefolge genommen habe (sororibus in famulitium sumtis); fie 
verbietet ihnen, abzufteigen; auf ihren Luftroſſen ſchwebend, erweiſen 
die Balkyrien auch fonft ihre fchügende Gegenwart gegen bämonifche 
Weſen, bie ihren Günftlingen zu fchaben drohen. Das nächtliche Umber 
ſchweifen Svanhvits, auf dem fie ihrem Bruder Frotho begegnet, der 
die Schiffe durchbohren will, mag gleichfalls urſprünglich eine ſolche 
Valkyrienfahrt geweſen fein. Da von den Valkyrien ſpäterhin aus: 
führlih zu handeln ift, fo habe ich hier nur fo viel angedeutet, als zur 
Erflärung der Heinen Sage zunächſt nöthig war. Die böfe, durch 
[häblichen Zauber wirkende Stiefmutter ift in Sagen und Märchen 
berfömmlih. Die Auszeichnung ber von ben Göttern ftammenben 
Königsgefchlechter durch den Augenglanz werden wir anderwärts noch 
in auffallendern Zügen wiederfinden 1. 

Die Sage von Regner und Svanhyvit ift auch in der Darftellung 
Saxos noch von unverlennbarer poetifher Schönheit. Aus ber un« 
heimlichen Gefpenfternadht leuchten erft ahnungsvoll die Augen bes 
Königsfohns und fteigt dann die lichtglängende Geftalt der jungfräu- 
lichen Valkyrie auf; und fo durchdringt auch der inwohnende Glanz 
ber Sage noch immer die verbunlelte Überlieferung. 


1 [Schriften I, 224. 8.) 


i 


205 


9. Amleth. 
Saro 8. III, S. 68. 8. IV, S. 87. Müller, Sagnhift. 42 bis 44. 


Korik, König von Dänemark, übertrug nach dem Tode Gervendills 
befien Söhnen, Hoyenbil und Fengo, die Nachfolge in ber Statt: 
balterichaft über Jütland. Horvenbill vollführte als Seeheld fo gewals 
tige Thaten und ließ davon dem König fo reiche Beute zufommen, daß 
er deſſen Tochter Geruth zur Gemahlin erhielt, mit der er einen Sohn, 
Amleth, erzeugte. Solch hohes Glüd feines Bruders entzündete Neid 
und Haß in Fengos Bruft. Er ſann auf Nachftellungen, und als fi 
Gelegenheit ergab, vollbrachte er mit blutiger Hand den Brudermord. 
Zu dieſer Gewalttbat gejellte er noch die ehebrecheriſche Verbindung 
mit der Wittwe des Getöbteten.. Den Morb bejchönigte er bamit, daß 
herjelbe zur Rettung Geruths vor dem Hab und Jähzorn ihres Ge 
mahls gefchehen ſei. Amleth, des Ermorbeten Sohn, der diefem Treiben 
zuſah und feinem Oheim verbächtig zu werben fürchtete, fuchte, ſich 
buch den Schein des Blödſinns zu fihern. Schmugig und entftellt 
gieng er umher; mas er ſprach und that, hatte das Gepräge bes Aber: 
wiges. Manchmal ſaß er am Herde, Fehrte bie Kohlen mit ben Hän- 
den zufammen und jchnigte krumme Stäbchen von Holz, die er dann 
am euer härtete und mit Widehraken verſah; dieje Stäbchen jammelte 
und verwahrte er ſorgfältig. Wenn man ihn fragte, mas er damit 
wolle, gab er zur Antwort, er jorge für fcharfe Geſchoſſe zur Vater 
race. So viel darüber gelacht wurbe, jo erregte doch die Geſchicklich⸗ 
feit, die er bei dieſer Handarbeit zeigte, den Verdacht ber klügern Be 
obachter. Diefe glaubten nun, bie entfcheivendfte Probe werde bie fein, 
wenn fie ihn an einfamer Stelle mit einem Mädchen von ausgezeich⸗ 
neter Schönheit zufammenführten; dem Feuer der Liebe werbe die Ber 
ftellung meichen. Bu dieſem Bmede jollten Einige vom Hofe mit bem 
Sjüngling abwegs in den Wald reiten. Unter den Begleitern war aber 
zufällig ein Milchbruder (collacteus) Amleths, ber ihn warnte. Am⸗ 
leth wufte jelbft fchon, woran er war. Gleich ald man ihn zu Pferbe 
fteigen hieß, feßte er fich verlehrt auf dasſelbe und zäumte es beim 
Schweif auf. Bei diefem fonderbasen Nitte ftießen fie im Gefträud 
auf einen Wolf; ala die Begleiter dieſen für ein Yüllen ausgaben, 
bemerkte Amleth, allzu wenig ſolche laufen (militare, ohne Zweifel das 


206 


boppelfinnige herja, heerfahrten und verheeren) in Fengos Heerbe, 
womit er verftedt genug ben Befigthümern feines Oheims Übles an- 
wünſchte. Sie famen am Meeresufer vorbei, wo das Gteuerruber 
eines geftranbeten Schiffes lag; Amleths Gefährten verficherten, fie 
bätten ein Mefler von ausnehmenver Größe gefunden. „Man muß 
auch einen großen Schinken damit ſchneiden“, bemerkte Amletb, wor: 
unter er das Meer veritand. Als fie nachher auf Dünen trafen unb 
man ihm das Sand ald Mehl zeigte, gab er zur Antwort, die Stürme 
des Meeres haben es weiß gemahlen. Die Begleiter lobten. feine Ant: 
wort und er verficherte, daß fie mit Berftand gegeben fei. Nicht min 
ber fchlau ‚und behutſam benahm ſich Amleth in der Zufammenkunft 
mit dem Mäbchen, in dem er eine Pflegſchweſter wieberfand. 

Da auch diefer Verfuch der Ausforfchung fehlgeichlagen war, fo 
rieth einer der Freunde Fengos ein andres Mittel an; Fengo folle ſich 
unter dem Vorwand eines bringenden Gelchäfts entfernen, Amleth 
aber unterveilen allein mit feiner Mutter in ein Gemach eingefchlofien 
werben, nachdem man zuvor für einen Mann geforgt, der ohne Beiber 
Willen an einer verborgenen Stelle dad Geſpräch derſelben belaufche. 
Dem Obre der Mutter werde ber Sohn, wenn er etwas zu jagen habe, 
Diefes unbedenklich eröffnen, ihrer Treue ſich ungelcheut anvertrauen. 
Der Rathgeber felbft erbot fi zum Dienfte des Horchers. Fengo gab 
dem Vorſchlage feinen Beifall und. entfernte fi) unter dem Vorgeben 
- einer weiten Reife. Der aber, der den Rath ertbeilt, Hatte fih in 
dem Gemace, worin Amletb mit feiner Mutter verjchloifen wurde, 
unter Stroh (stramento) verftedt.. Amleth wuſte ſich auch gegen dieſe 
Nachſtellung zu helfen. Einen Lauſcher argwohnend, lief er zuerft nach 
feiner angenommenen, tbörihten Weife umber, krähte wie ein Hahn, 
flug die Arme, wie Flügel, auf und nieder und ſchwang fih in 
wiederholten Sprüngen auf dem Stroh, um zu erforfchen, ob Jemand 
barunter verborgen fei. Als er num etwas unter feinen Füßen fpürte, 
ſtach er mit dem Schwert hinein und durchbohrte jo den Horcher. Den 
Leichnam brachte er hinaus, zerhieb ihn in Stüde und marf ihn fo 
den Schweinen vor. Dann Tehrte er in das Gemach zurüd. Als nun 
die Mutter den Wahnwitz des Sohnes beftig zu bejammern begann, 
bub er an, ihre Strenge Vorwürfe darüber zu machen, daß fie mit dem 
Mörder ihres Gemahls in fchamlofer Verbindung lebe, fagte ihr, daß 


207 
— — 


er nicht ohne Grund den Schein der Thorheit angenommen, } ba Ders 
jenige, der feinen Bruder gemorbet, unzweifelhaft auch gegen feine 
Verwandte müthen würde, daß er den Entichluß der Vaterrache un: 
verrüdt in der Seele trage und nur ben gelegenen. Zeitpunkt erwarte; 
gegen ein finftres und hartes Gemüth bebürfe es tieferer Anfchläge. 
Ihr aber ſei es überflüflig, des Sohnes Unverftand zu beklagen, ba 
fie mit mehr Recht ihre eigene Schande beweinen follte; übrigens werde 
fie au fchweigen wiſſen. Durch den: Stachel folcher Reben erwedite er 
in’der Mutter das Gefühl ver Pflicht und das Andenken ber fruheren 
Liebe. 

Fengo konnte bei ſeiner Zurückkunft nichts über feinen aundſchafter 
erfragen, denn die Auskunft, welche Amleth gab, daß er von den 
Schweinen verzehrt worden ſei, wurde nur belacht. Da er gleichwohl 
ſeinen Stiefſohn immer mehr des Truges verdächtig hielt, aber aus 
Scheue vor dem Großvater des Jünglings, dem König Rorik, und vor 
der Mutter ihn nicht ſelbft aus dem Wege zu räumen wagte, beſchloß 
er, ſich zu dieſem Zwecke des Königs von Britannien zu bedienen. 
Amleth wurde dahin gejandt; vor feiner Abreife aber gab er feiner 
Mutter auf, die Halle mit einem negartigen Gewebe zu bekleiden 
(textilibus aulam nodis instruat) und nad Jahresfriſt ſcheinbar fein 
Begängnid zu feiern; auf biefelbe Zeit werd’ er zurückkommen. Mit 
ihm reisten Zwei vom Hofgefinde Fengos, die auf Holz gefchnittene 
Aunen mit fich führten, mwoburd dem König der. Briten die Ermor⸗ 
dung des ihm zugefchietten Jünglings aufgetragen wurde. Diefe Runen 
las Amleth; als feine Begleiter fchliefen, fchabte fie ab und ſetzte an 
ihre Stelle andre, worin ber Auftrag der Tödtung gegen die beiden 
Gefährten umgewandt und der König zugleich erfucht mwurbe, jene 
Tochter dem Mugen Sünglinge, der ihm gefanbt werbe, zur Ehe zu 
geben. z 

Sm Britannien angelommen überreichten die Befandten ihre Rus 
nenbotfchaft. Der König ließ ſich nichts merken und nahm fie gaft: 
freundlich auf. Beim Mable verjchmähte Amleth, zum Erftaunen Aller, 
Trank und Speife des königlichen Tiſches. Um die Urſache davon zu 
erkunden, ließ der König in der Nacht die Geſpräche ver Gäfte belaus 
fchen. Auf Befragen feiner Begleiter äußerte Amleth, das Brot habe 
nad Blut geſchmeckt und das Getränt nah Eiſen. Er fügte Hinzu, 


der König babe Inechtifche Augen und bie Königin babe in ihrem Be 
‚nehmen Einiges von den Sitten einer Magd gezeigt. Der König, dem 


Diefes hinterbracht wurde, ftellte Nachforſchung an und es fand fid, 
daß das Getraide zu bem Brot auf einem Schlachtfeld gewachſen, das 


mit Gerfte (farre) vermifchte Wafler aber aus einer Duelle geihöpft - 


war, in ber verroftete Schwerter ausgegraben wurden. Nach der Er: 
zählung Andrer (alii referunt) fol das Getränf, der Meth, einen 


Todtengeruch gehabt haben, weil die Bienen vom fyett eine? Leichnams | 


genofien hatten. Weiter. erfuhr der König durch das Geſtändnis giner 
Mutter, daB er der Sohn eines Leibeigenen ſei, ſowie ſich auch ergab, 
daß ſeine Gemahlin. von einer Gefangenen geboren war. Indem er 
nun in den fcharffinnigen Beobachtungen Amleths (vgl. die Sagen von 
Merlin) einen übermenjchlihen Geift verehrte, nahm er feinen Anftand 
mehr, feine Tochter ihm zur Ehe zu geben. Die beiden Begleiter aber 
ließ er, nach dem vermeintlichen Begehren feines Freundes, am folgen: 
den Tage auffnüpfen. Amleth, ver fich hiedurch beleibigt anftellte, 
erhielt noch vom König Gold zur Sühne, welches ex nachher ſchmelzen 
und in hohle Stöde gießen ließ. 

Nachdem er ein Jahr dort geblieben, nahm er Urlaub zur Rück⸗ 
Ichr in fein Vaterland; ven allem Reichthum des Föniglichen Schatzes 
aber führte er nichts mit fi, als die mit Gold gefüllten Stäbe. So- 
wie er Zütland erreichte, nahm er wieder die alte lächerlide Weite 
an. Mit Schmug bebedt trat er in das Haus, mo eben feine Leichen» 
feier gehalten murbe, zum gröften Erftaunen Aller, indem ſich das 
Gerücht von feinem Tode verbreitet hatte. Zuletzt Löste ſich der Schredien 
in Gelächter auf. Als man ihn nun auch nad) feinen Begleitern fragte, 
wies er feine Stäbe vor und fagte: „Hier ift der Eine und hier der 
Andre.“ Statt der Getöbteten zeigte er die für fie empfangene- Buße. 
Hierauf gefellte er ſich, um die Heiterkeit der. Bäfte zu vermehren, den 
Schenken zu und verrichtete fein Amt mit vielem Eifer. Damit fein 
weites Gewand ihn nicht im Gehen hindern möchte, umgürtete er bie 
Hüfte mit einem Schwerte, das er abfichtlich öfters entblößte und ſich 
bamit die Yingerfpigen verwundete. Die Umſtehenden ließen deshalb 
durch Schwert und Scheide einen eifernen Nagel ſchlagen. Nachdem 
er nun den edeln Gälten fo lange mit Trinten zugeſetzt, bis fie Alle 
ſchlafend in der Halle umberlagen, ſchien ihm die Zeit zur Ausführung 


- 


209 


feines Borhabens gelommen zu fein. Die von feiner Mutter geivobene, 
nebartige Wandbebedung ließ er herabfallen, fchlug fie über bie Schla- 
fenden ber und ſchürzte fie mittelft der krummen Stäbchen, die er einft 
gefertigt, fo wnauflöslih zufammen, daß Keiner von Denen, die dar 
unter lagen, mit aller Anftrengung wieder aufzuftehen vermochte. Dann 
warf er euer in das Haus, die Flamme griff weit um und verzebrte 
bie Koönigshalle mit Allen, die darin noch im tiefen Schlafe Ingen ober. 
vergeblich fich za erheben ftrebten. Hlerauf gieng er in das Schlaf: 
gemach, wohin Fengo früher gebracht worden mar, und vertaufchte bad 
Schwert, das an deſſen Lager hieng, mit dem einigen. Nun weckte 
er den Oheim mit dem Rufe, feine Hofleute geben im Feuer unter, 
Amleth fei hier, mit feinen Krummftäbchen bewaffnet und begierig, für . 
den Tod feines Vaters die Strafe zu vollgiehen. Fengo fprang auf; 
indem er aber vergeblich das vernagelte Schwert zu ziehen ſich abmühte, 
fiel er unter Amleths Streichen. 
Auch hier iſt Saxo voll vom Lobe des Rachers (S. 78): 


Fortem virum eternoque nomine dignum, qui stultitiee commento pru- 
denter instructus, augustiorem mortali ingenio sapientiam adwirabili 
ineptiarum simulatione suppressit, nec solum propri® salutis obtentum 
ab astutia mutuatns, ad paterne quoque ultionis copiam eadem ductum 
prwebente pervenit. Itaque et se solerter tutatus, et parentem strenue ul- 
tus, fortior an sapientior existimaeri debeat, incertum reliquit. 

Ein zweiter Theil der Sage erzählt nun (B. IV) die weitern 
Shidfale Amleths, der durch allgemeinen. Zuruf an die Stelle feines 
Oheims erhoben wird. Auf einem Schilde läßt er feine ganze Ge 
ſchichte bis zum Vollzug der Baterrache abbilden. Bon feinem Schwäher, 
der einft mit Fengo bie Verpflichtung eingegangen, je Einer bed Ans 
dern Tod zu räden, wird er hinterliftiger Weife auf eine gefährliche 
Werbung um die fchottifche Königin Hermutrud ausgeſchickt, die alle 
ihre Freier umbringen läßt. Nach manden Abenteuern und Kriege: 
thaten fällt er endlich in Jütland in einer Schlacht mit dem Dänen: 
Zönige Viglet. Saro bemerkt am Schlufie (S. 87): Insignis ejus sepul- 
tura ac nomine campus apud Jutiam extat. 

Die Sage von Amleth, in der Geftalt, wie fie von Saro gegeben 
wird, verkündet ſich durch ihre breite Ausführlichkeit, romanhafte Aus: 
ſchmückung und geſuchte Spitzfindigkeit als eine foldhe, die nicht 

Ublan», Schriften. VII, 14 

r a 


210 


unmittelbar aus dem frifhen Duell vollsmäßiger Überlieferung gefchöpft 
if. Es find ihr auch keine Verſe, das gewöhnliche Zeichen altertbüm- 
licher . Grundlage, einverleibt. Sobann find zwar zwei isländiſche 
Sagan von Amleth vorhanden, allein beibe find nus mehr ober ve 
niger frei: nach Saxo bearbeitet (Sagnbift. S. 42 ob. Sagabibl. LI, 
4805). Unter foldden Umſtänden möchte der norbifche Urfprung dieſer 
Erzählung um fo zweifelhafter erſcheinen, als fie wirklich auffallende 
Apnlichleit mit griechifcher und römifcher Sage zeigt. Diefe Sagen 
verwandtſchaft ift namentlich in folgender Schrift nachgewieſen: 

Bibliothek ver Novellen, Märchen und Sagen, berandg. von Echtermener, 
Henſchel und Simrod; auch mit dem bejondern Titel: Quellen des Shalſpear, 
in Novellen, Märchen uud Sagen. 8 Thle. Berlin 1881. 

Th. I, ©. 69 ff. ift der vordere Theil der Sage, foweit fie nemlich 
mit Shalefpenres Hamlet in Beziehung fteht, aus Caro überjegt. Im 
Th. III, der zugleich K. Simrocks Anmerkungen und Erläuterungen 
zu den in fämmtlichen drei Theilen enthaltenen Erzählungen enthält, 
wird von der Sage von Amleth (S. 162 bie 170) u. a. Folgendes aus» 
geführt: ©. 164 fi. *** 

Diefer Ähnlichkeiten, beſonders mit der Sage von Brutus 1, und 
der jetigen, nichtalterthämlichen Bejchaffenheit der Amlethſage uner: 
achtet fehlt e8 ihr dennoch nicht an Anzeigen einer einheimischen Wurzel, 
Don Dänemark, mo fie felbft ihre Heimath annimmt, auögegangen, 
mag fie von isländiſchen Sagenmännern, die fich bei fremden Stoffen 
immer größere Willführlichleit erlaubten, frei behandelt worden und fo 
wieder Saron zugelommen fein. Müller vermutbet (Sagnhift. 44), 
daß Saro fie von dem länder Arnold, den er fonft als einen Ge 
währsmann anführt, erhalten haben könne. Vorzüglich aber beweiſt 
das Brucftüd eines alten Staldenliebes, in der Stalda (Sn. Edd, 126) 
aufbewahrt, die frübe Belanntichaft des Nordens mit der Amletbiage; 


1 Livii Histor. 8. L &. 56: Comes his additnus L. Junius Bratus, Tar- 
quinia soröre regis natus, juvenis longe alius ingenio, quam cnjus simu- 
lationem irduerat u. |. w. Ergo ex industria factus ad imitstionem stultitize, 
quum se suaque preedee esse regi sineret, Bruti quogue haud abnuit cogno- 
men: ut sub ejus obtentu cognominis liberator ille populi Romani animus, 
latens opperiretur tempora aua. Is tum ab Tarquiniis ductus Delphos, ludi- 
brium verius, quam comes, aureum baculum, inclusum corneo cavato ad id 
baculo, tulisse donum Apollini dieitur, per ambages effigiem ingenii sui. 

{ 


211 


dort wird, wie fchon zum Grottafang angemerkt morben, das Meer 
die Mühle genannt, in der einft neun Mühlmädchen Amlodin ! Ufer 
fand gemahlen, bezüglich auf die Antwort Amleths, ald man ihm ben 
Meerfand für Mehl ausgab. Auf örtliche Volksſage deutet Saxro ſelbſt, 
wenn er ſagt, daß noch ein Feld in Jütland durch Amleths Begräbnis 
und Namen ausgezeichnet ſei, und noch in neuerer Zeit gibt es eine 
Amlethsheide bei Viborg in Jutland (Sagnhiſt. 43). Das Triebrad 
im Haupttheil der Sage iſt auch ein echt nordiſches, die Vaterrache; 
und die goldgefüllten Stäbe find, meines Erachtens, nicht weniger 
finnzeich und eigenthümlich angebracht, als in der Sage von Brutug; 
Amleth trug in denfelben das Wergeld für die beiden getöbteten Ge- 
führten (nad) germanischen Begriffen gab es nur Erfah, nicht Strafe, 
für die Tödtung) und er fonnte darum, die Stäbe vorzeigend, mohl 
fügen: Hic et unus et alius est. An ein eigentlihes Entlehnen der 
einen Sage au? der andern ift ſonach kaum zu denken und die Frage 
fällt mehr jener allgemeinen, tuunberbaren Sagenverwanbtichaft zwiſchen 
den verſchiedenſten Völkern anheim. 

Shakeſpeare, der den Stoff zu ſeinem Hamlet zunächſt aus einem 
ältern Trauerſpiel gleichen Inhalts und einer engliſchen Novelle, welche 
den tragiſchen Erzählungen des Franzoſen Belleforeſt entnommen war, 
geſchöpft zu haben ſcheint (Quell. d. Shakeſp. III, 162), wobei jedoch 
immer Saros Erzählung zu Grunde lag, hat auch aus dieſer mehrere 
bedeutende Situationen feines Werkes hervorgebilvet: Amleths Pfleg: 
ſchweſter, burch die er verjucht werden fol, ift Ophelia; der Laufcher, 
der erftochen wird, PBolonius, und die Strafrede, die Amleth an feine 
Mutter richtet, hat auch der große Dichter nicht verfchmäht. Aber bei 
al der, von Simrod bezeichneten Verjchiedenheit in der Anwendung 
des Wahnwitzes, atmet doch ſchon durch das Innerſte der alten Am⸗ 
lethſage eine Ahnung von dem büfterhumoriftifchen Geifte des Shafes 
fpeariichen Trauerfpield. Jene Proben des Scharfſinns, bie Amleth 

1 Amblodi, m., qv. lodandi vid ambl, vir inaniter satagens, Pfufcher. 
ambl, n. labor assiduus, vagus, ideligt Arbejde uden synderlig Ferdig- 
hed og Fremgang, Fusken. At loda, herere, heenge ved. Bgl. Bagnh. 
44 f. Angel. emelli. Es kann fi auf die krummen Stäbchen beziehen, die 
Amleth für Geſchoſſe verfertigt. Eine ber isländiſchen Sagan heißt Amballes 


Saga. Vgl. Hamballe, Säneller II, 197. Haimpel, hempeln, Pfufcharbeit 
maden u. f. w. ebend. 


L 


212 


vr 


bei dem beittifchen König ablegt, find doch fehon nicht mehr, wie Simroc 
annimmt, bloße Beweiſe der Sinnenſchärfe. Es zeigt fih darin 
jene unfelige Gabe, ber Gewinn bitterer Erfahrungen, in allen Gegen 


ftänden das Faule, Schlechte, Hinfällige zu wittern und aufzufpüren, " 


im Getränke den Roft, in der Speife den Todtengeruch, im Honig den 
Moder, in den Augen des Königs und den Gebärden der Königin bie 
knechtiſche Natur. Damit iſt auch Shalefpenres Hamlet gequält (©. 155): 

Wie elel, ſchaal und flach und unerſprießlich 

Scheint mir das ganze Treiben dieſer Welt! 

Pfui! pfui darüber! 'S iſt ein mwüfter Garten, 

Der auf in Samen ſchießt; verworfnes Unkraut 

Erfüllt ihn gänzlich. 

Ein andermal (S. 211): 

Es ſteht in der That ſo übel um meine Gemüthslage, daß die Erde, 
dieſer treffliche Bau, mir nur 'ein kahles Vorgebirge ſcheint; ſeht ihr, dieſer 
herrliche Baldachin, die Luft, dieß wackre umwölbende Firmament, dieß maje- 
ſtätiſche Dach, mit goldnem Feuer ausgelegt, kommt es mir doch nicht anders 
vor, als ein verpeſteter Hauch von Dunſten! Welch ein Meiſterwerk iſt der 
Menſch! wie edel durch Vernunft! wie unbegränzt an Fähigkeiten! in Geſtalt 
und Bewegung wie bedeutend und wunderwürdig! im Handeln wie ähnlich einem 
Engel! im Begreifen wie ähnlich einem Gott! die Zierde der Welt! das Bor- 
bild der Lebenvigen! Und doch, was ift mir diefe Quinteffenz von Staube? 

Endlich (S. 288): 

Wir mäften alle andre Kreaturen, um uns zu mäften; und uns felbft 
mäften wir flr Maden. Der fette König und der magre Bettler find nur ver- 
ſchiedene Gerichte; zwey Schüffeln, aber für eine Tafel. Das ift das Ende 
vom Liede. Jemand könnte mit dem Wurm fifchen, der von einem König 
gegeffen bat, und von dem Fiſch effen, der den Wurm verzehrte. 

Diefer Hamlet hat recht den bittern Honig der Sage eingejogen; 
die alte Sage ift da erfaßt, mo fie den tiefiten Anklang gab. Diefe 
Durhdringung und Vergeiftigung des innerften Kerns, dieſe Erneuerung 
von innen heraus iſt das bichterifche Verfahren beim Gebrauch alter 
Sagenftoffe. Bei einem ſolchen können dann auch alle bloß zufälligen 
Außerlichleiten wegfallen und in Shafefpenres Hamlet finden wir ganz 
bas Coftüm und die Eitten eines Hofes aus der Zeit des Dichters, 
ganz den Stand der geiftigen Bildung zu diefer Zeit. So gibt aud 
Herder (in dem Aufjag Iduna in den Horen, 1796, B. V, Heft ı, 


f 


— —— .5- 


213 
bem beften wohl, was über bie Anwendbarkeit der norbifchen Mythologie 
im der deutſchen Dichtlunft gefagt worden) den Gebrauch .diefer Mythen 
zu, wenn erft Idunas Apfel fie verfünge.. 
Gothe hatte gleichfalls die Abficht, die Sage von Amleth nad 
Saxo frei zu behandeln (Quellen u. |. w. IH, 173). 


10. U.1 - Ä 
Saro B. IV, ©. 98 bis 96. 87. Svenonis Aggonis filii (Svend Aageſens, 
ang dem 12ten Jahrhundert; er war gleichzeitig mit Saro, den er C. V, ©. 56 
feinen contubernalis nennt, unb ſchrieb um oder nach 1186. Langeb. I, 48) 
compendioss regum Danie historia, in Tangebef, Scriptor. rer. danic. T:L 
Hafn. 1772. Fol. Gap. J. IL &. 45 bis 47. Müller, Sagnhiſt. 46 bis 50, 


Der-Dänenkönig Wermund war alt geworben und hatte das Augen- 
licht verloren. Ihm: war erft in vorgerüdtem Alter ein Sohn geboren 
worden, ver zwar alle Zünglinge von gleihen Jahren an Körpergröße 
überragte, aber von ftumpfem Geifte zu fein fchien. Er verhielt fich 
ftumm, lachte niemals und nahm an Teinem Spiele Theil (S. 87). 
So hatte Wermund an ihm keine Stüge und auch feines Volles An- 
fehn war fehr gefunfen. Denn es hatte fich ereignet, daB zwei bäs 
niſche Sünglinge, die Söhne des Jarls von Schleswig (Sleswicensium 
preefecti, ©. 87), mit dem ſchwediſchen Könige, der ihren Vater ge 
töbtet hatte, Zwei gegen Einen fämpften, zwar nur fo, baß ber eine 
Bruder, ald dem andern der Tobesftreich drohte, fich nicht mehr halten 
fonnte und berzueilend den König erſchlug (S. 92): 

Quo facto plus opprobrü, quam laudis contraxit, quod in juvando 
fratre statutas duelli leges solvisset, eidemgue utilius quam honestius 
opem tulisse videretur. 

Diefer Stand der Dinge veranlaßte den König von Sachen ?, 
Geſandte an Wermund abzuorbnen, die ihn auffordern follten, das 


4 [Bgl. zu diefem Abfchnitte Schriften I, ©. 294. 295. 416. K. Simrod, » 
Beowulf, das ältefle deutſche Epos, überſetzt und erläutert. Stuttgart unb 
Augsburg 1859. 8. ©. 167. 168. Saros Erzählung ift die Quelle von 
Uhlands im Jahre 1804 eutflandener, im Jahre 1814 umgearbeiteter Ballade 
„Der blinde König“ in: Gebichte, zweiunbflinfzigfte Auflage. Stuttgart 1868. 
8 ©. 201 bis 203. 9.) 

2 Bei Sven. Agg. ift es Alamannorum Rex, auch Imperator. 


\ 


_ 21a 


Neich, das er wegen Alters und Blinvheit nicht mehr verwalten könne, 
ihrem Herrn abzutreten. Hab’ er aber einen Sohn, der mit dem bes 
Sachſenkönigs zu kämpfen wage, fo fol. das Reich dem Steger zufallen. 
Wermund feufzte tief auf und fagte, mit Unrecht werd’ ihm fein Alter 
vorgeworfen, denn nicht dadurch fei er gu feinem Unglüd fo alt ge 
worden, daß er in feiner Jugend den Kampf gefürchtet. Selbft jebt 
noch fei er bereit, den angetragenen Zweikampf mit eigener Hand aus 
zufechten. Die Gefandten erklärten, daß ihr König fich nicht der Schmad) 
ausſetzen werde, mit einem Blinden zu fämpfen. Beſſer werbe die Sache 
durch die Söhne ausgemadt. Da ſprach auf einmal, zum Erftaunen 
der Dänen, Wermunds ftummer Sohn Uffo ? und verlangte von feinem 
Bater die Erlaubnis, den Gejandten zu antworten. Wermund fragte, 
wer biefe Erlaubnis von ihm begehre, und ala man ihm eriwiberte, 
fein Sohn Uffo, beflagte er, daß nicht bloß die Fremden, ſondern auch 
feine eigenen Diener feines Unglüd3 fpotten. Als aber Jene auf ihrem 
Worte beharten, ſprach er, es ſteh' ihm frei, wer e8 auch fei, feine 
Meinung vorzubringen. Da ſprach Uffo zu den Gefandten, es fehle 
weder dem König an einem Sohne, nod dem Reih an Beſchützern; 
er fei entfchloffen, nicht bloß den Sohn ihres Königs, fondern auch 
einen weiten Kämpfer, den er fih aus ben Tapferften des Sachſen⸗ 
volles mählen möge, zu beftehen. Die Gejandten lachten der eiteln Ruhm 
rede. Drt und Beit des Kampfes wurden jeboch ſogleich verabrebet. 
Nah dem Abgang der Gejandten lobte Wermund den Kühnen, 
der die Antwort gegeben, und verficherte, daß er lieber Dieſem, wer 
er auch ſei, als dem übermüthigen Feinde, fein Reich abtreten werde. 
Als aber Alle betheuerten, daß es fein Sohn jet, hieß er ihn näber treten, 
um mit den Händen zu prüfen, was ihm die Augen verfagten. Als 
er dann an der Größe der Gliedmaaßen und den Zügen des Gefichts 
feinen Sohn erfannte, fragt’ er diefen, warum er fo lange ſtumm ge 
blieben?. Uffo antwortete, bisher fei er mit Denen, die feinen Bater 
»beſchützt, zufrieden geweſen; jebt erft, mo fie von den Drohungen ber 
Fremden bebrängt geſchienen, hab’ er zu fprechen für nöthig gehalten. 


1 Bei Sven. Agg. zuerſt Uffi (hie flium genuit Uffl nomine), dann 
immer Uffo; er ift fpradhlos bis im fein Oftes Jahr. 

2 Bei Sven. Agg. ©. 46 fagt Wermund, nachdem er den Sohn betaflet: 
Talem me memini in flore extitisse juventutis, 





215 


Auf die weitere Frage, warum er lieber Zwei, als Einen, zum Kampfe 
geforbert,. gab er den Grund an, bamit bie Beftegung bes Schweden⸗ 
königs durch Zwei, welche den Dänen zur Schmach gereichte, burch bie 
That eines Einzigen aufgetvogen und fo ber Bollerukm bergeitellt 
würde, Wermund hieß nun feinen Sohn vorerit den Gebraud der 
Waffen erlernen, deren er noch ungewohnt je. Man brachte Waffen 
herbei, aber Uffos breite Bruft zeriprengte die Ringpanzer und man 
Ionnte Teinen finden, der ihm weit genug war. Zuletzt, ala er aud) 
den feines Baters zerriß, ließ Wermund denſelben auf ber linken Seite, 


die der Schilb bedie, auffchneiben und mit einer Spange beiten. Auch 


mehrere Schwerter wurben gebracht, aber, fo wie Uffo fie ſchwang, 
brachen fie in Stüde. Der König hatte ein Schwert von ungewöhn⸗ 
licher Schärfe, das Skrep genannt war (skreipr, lubricus, glatt, Lex. 
iel. 11, 279); nichts galt für jo hart, daß es nicht vom erften Streiche 
desfelben geipalten würde. Weil er der Kraft feines Sohnes nicht ver- 
traute und es Feinem Andern gönnte, hatte Wermund dieſes Schwert 
längft in die Erde vergraben 1. Er ließ ſich auf das Feld zu ber von 
ihm bezeicgneten Stelle führen, 309 das Schwert heraus und reichte es 
feinem Sohne. Diefer fand es von Alter gebrechlih und zerfrefien; 
er fragte deshalb, ob er es auch, wie die vorigen, prüfen bürfe. Wer⸗ 
mund erwiderte, wenn dieſes Schwert auch von ihm durch Schwingen 
zertrümmert würbe, jo wäre feines mehr übrig, das der Kraft feines 
Armes entſpräche. Bei fo zweifelhaften Erfolg fol er lieber von der - 
Probe abſtehen. \ 

Dan zog nun zum verabredeten Kampfplatz. Dieſer war auf 
einem von den Armen des Eiderſtromes gebildeten Eiland, ſo daß man 
nur zu Schiffe dahin kommen konnte. Uffo fand ſich allein dort ein, 
der Sohn des Sachſenkönigs in Begleitung eines durch Stärke ausge⸗ 
zeichneten Kämpen. Die beiderſeitigen Ufer waren mit Schauluſtigen 
angefült. Wermund hatte ſich auf den äußerſten Rand der Brüde 
(iu extreme pontis parte) geftellt, um, wenn jein Sohn befiegt würde, 


- 1 Bven. Agg. C. II, S. 46: Ad tumunlum itague ducatum postulavit, 
in qa0 prius mucronem experientissimum oceuliaverat. Et mox inter- 
signiis per petrarum notas edoctus, gladium jussit eflodi prestantissimum. 
Qoem illico dextra corripiens, hic est, ait, fill, quo numerose träumphavi 
et qui mihi infallibile semper tutamen extitit. 


216 


im Strome unterzugehen 1, Uffo, von gweien angegriffen und ſeinem 


Schwerte mistrauend, wehrte die Schläge Beider mit dem Schild ab, 
um erſt zu beobachten, welcher ver gefährlichere fei, und dann dieſen 
menigftens mit einem Streiche zu treffen. Wermund, welcher glaubte, 
fen Sohn laſſe fih aus Schwäche bie Schläge der Gegner fo gebulbig 
gefallen, neigte fi mehr und mehr über den Rand ber Brüde, um, 
wenn fein Sohn verloren wäre, fich in die Tiefe zu ftürzen. Uffo reizte 
feine Gegner noch durch Zurufen auf. Als ihm nun der Kämpe näher 
kam, paltete er ihn mit dem erften Schwertftreiche mitten durd. Da 
rief Wermund erfreut: „Ich höre den Klang meines Schwertes.“ Man 
fagte ihm, was gefchehen, und er zog fich wieder vom Nande zurüd. 
Auf gleiche Weife traf Uffo den Königsſohn mit der andern Schneide 
bed Schwerte. „Sch höre zum zmweitenmal den Alang des Schivertes 


Skrep“, rief Wermund aus. Als man ibm nun den Doppelfieg feines 


— 


Sohnes verkündigte, liefen ihm die Freubenthrämen ans den blinden 
Augen. Die Sachſen zogen befhämt mit ihren Leichnamen zurüd und 
bie Dänen empfiengen jauchzend Uffon, der ihre Ehre hergeftellt. 

Das geichichtliche Dafein Wermunds und Uffos wird durch ander; 
wärtige Anzeigen beglaubigt, ohne daß jeboch die Zeit besfelben genau 
beftunmt werden könnte (Müller ©. 49). Wie es aber mit dem hiſto⸗ 
riſchen Gehalt der Überlieferung befchaffen fein möge, in poetiſcher 
Hinfiht bat fich diefelbe zu einem ver anziehenditen Bilder unter denen, 
die von Saro aufbewahrt find, abgerundet. Ohne mytbifche Beimifchung 
ift das Ganze innerlih, vom Gemüthe, belebt und in einfachen, aus 
drudsvollen Situationen anſchaulich gemadt. Es kommt in vielen 
Sagen vor, daß der Held in feiner Jugend bumpf und träg erjcheint, 
bis auf einmal der rechte Augenblid der That den ftillgenährten Helden. 
geift zur Flamme medt. Aber die Zufammenftellung des ftummen 
Sohns mit dem blinden Bater ift unfrer Sage eigenthümlich; Jenem 
geht die Sprache auf, nachdem Diefem das Augenlicht verbuntelt it. 
Schön und ſicher ift bie Haltung des blinden Greiſes durchgeführt ; ben 
Verlauf des Kampfes, dem er nicht mit den Augen folgen kann, 


1 Ebd. S. 47: Teutonicis ergo ultra fluminis ripam in Holsatia con- 
sidentibus, Danis vero citra amnem dispositis, Rex pontis in medio sedem 
elegit, gustenus, si unigenitus occumberet, in fluminis se gurgitem pre- 
eipitaret n. f. w. 


217 


exiennt er an dem altvertrauten Klange feines Schwertes Steey. Auch 
daB, daß ein Heldenfchwert feinen eigenen lang hat, wie ber Menſch 
feine Stimme, findet fich fonft in ben Sagen; aber bier, auf ven alten 
blinden König angewanbt, wird diefer Zug eindrsinglicher und bedeut⸗ 

Saxo bedauert, daß er von den weitern Thaten Uffes, der nad 
feinen Vater König geworden und ben auch Mehrere Olavus, Man- 
sueti oognomire (in einer nordiſchen Königsreihe Ole hin Litillati 1, 
Müller 47) benennen, nichts zu fagen wiſſe (S. 96): 

Cujus sequentes actus vetustatis vitio aolennem fefellere notitiam. 
Sed credi potest, gloriosos- eorum processus extitisse, quorum tam plena 
landis principia fuerint. 

Den Grund dieler Bergefienkeit ſucht er in Folgenden: 

Tam brevi faclorum ejus proseeutione animadverto, quod illustrium 
gentis nostree virorum splendorem scriptorum penuria landi memorieque 
subtraxerit. Quod si patriam hanc fortuna latino quondam sermone 
donasset, innumera danicorum operum volumina tererentur. 

Hätte Dänemark früher gelehrte Gefchichtichreiber in Tateinifcher 
Sprache haben lünnen, dann möchten wir allerbings von Uffos Thaten 
und Scidjalen wahrer .und vollitändiger unterrichtet fein, dann aber 
hätten wir auch nicht die poetifche Twlfsfage, die Saron ſelbſt Mehreres 

zu twiflen begierig macht. Diefe Sage ift mit den Freudenthränen 
Wermunds über den Sieg feines Sohnes und feines Schwertes in ſich 
Seſchloſſen und bebarf Feiner weitern Geſchichtfolge. 


11. Asmund. 
Saro 8. V, S. 136 f. Sagnhist. 68 f. Sagabibl II, 610. 617. 


Asmund, der Sohn des Königs Alf von. Hedemarken (Hetmarchia, 
Un Norwegen), 'verivrte fi einft auf der Jagd von feinem Gefolge. 
Cr kam fo tief in die Wildnis, daß er endlich fein Roſs verlor und _ 
Um feine Kleider abrifien; feine Nahrung waren Waldſchwämme. So 
. Selangte er zulegt zu der Wohnung des Königs Biorn (Biorno) von 
Big (in Wik provincia). Mit dieſes Könige Sohne Asvit lebte er 
einige Zeit zufammen und fie ſchloſſen den Bund ber Freundicaft mit 


1 Litillatr, humilis, demilthig, beſcheiden, herablafiend, Lex. is). II, 36. 





218 


bem Schwure, baß ber, welcher ven Andern überlebte, fich mit dem 
Geftorbenen begraben laſſen ſollte. Asvit ftarb an einer Krankheit 
und wurde mit Roſs und Hund in einen Grabhügel ! beftattet (terreno 
mendatur antro). Asmund, dem Schwure getreu, ließ fich lebendig - 
mitbegraben; etwas Speife gab man ihm mit. Damals fam der Schwes 
dentönig Erik auf einem Kriegszug in jene Gegend. Als die Schweden 
den Grabhügel ſahen, vermutheten fie Schäge darin und erbraden 
ihn mit Kärſten. Es öffnete fich vor ihnen eine Höhle (specus) von 
größerer Tiefe, als fie erwartet hatten. Um tiefe zu durchforſchen, 
war es nöthig, daß fi Einer am Seile hinabliefe. Das Loos traf 
einen der rüftigften SJünglinge. Kaum mar biefer in einem Slorbe, ber 
am Seile hieng, binabgelafien, fo warf Asmund ihn heraus und ſtieg 
felbft in den Korb. Den Obenſtehenden gab er forann das Zeichen 
zum Aufzieben. In der Hoffnung auf einen großen Schaß zogen Jene 
den Korb zurüd; als fie nun aber die unbelannte Geſtalt vor fi er 
blidten, glaubten fie, der Tobte fei wiebergelehrt, warfen das Seil 
binweg und entfloben voll Schredens; denn Asmund fah leichenblaß 
und blutig aus. Er bemühte fih, vie Fliehenden zurüdzurufen, fie 
fürchten fi) vor einem Lebenden. König Erik Tam felbft hinzu und 
war beſonders über das blutige Angeficht des Eritandenen verwundert. 
Der Beicheid, ven Asmund gibt, ijt von Saro in Iateinifche Berfe ge . 
bracht, in denen ver ſchauerliche Refrain wiederkehrt: 
Quid stupetis, qui relictum me colore cernitis? 
Obsolescit nempe vivus omnis inter mortuos. 

Der Inhalt feines Berichtes ift, daß Asvit in jeder Nacht wieder aufs 
gelebt ſei, zuerft das Roſs, dann den Hund verzehrt, zuleht aber 


1 (Vgl. Kunftblatt Nr. 77, 25 Sept. 1834. ©. 308: „Alterthümer. Im 
Kirchſpiel Norop, an der Nordſeite von Fyen, in Dänemark, hat man einen 
Niefenhilgel aufgegraben und darin ein Riefenzimmer (Jetteſtue) oder eine Grab⸗ 
fammer gefunden, deren Boden und Seitenwände aus jchweren gehauenen Feld⸗ 
fteinen beftanden, und die fo geräumig war, daß vier Perfonen aufredht darin 
figen Tonnten. Der einzige Aſchenkrug, der darin war, beftand aus Thon, und 
ev fiel zufammen, als er an die Luft kam. Als etwas Ungewöhnliches bemerfte 
man dabei, daß er rechts vom Eingange, und aljo nicht gegen Often, fonbern 
gegen Süden fland. In der Nähe jenes Brabhügels befinden fi) noch mehrere, 
die wahrjcheinlich gleichen Alters mit ihm find und die man nächftens ebenfalls 
unterjuchen wird. “] 


219 


Asmund jelbft angegriffen und ihm das linke Ohr abgerifien habe. Er 
jedoch babe dem Unhold das Haupt mit dem Schwerte abgeſchlagen 
und den Leib mit einem Pfahle durchbohrt. Von ſolchem Furchtbaren 
Ringen ſei er blutig. 

Es gibt von dieſem Asmund eine isländiſche Saga: Egils und 
Asmunds Saga, die zu Upſala 1693 im Drud erjchienen tft und in 
den Zten Band ber rafnifhen Sammlung altnorbifher Sagan aufge: 
nommen werden foll!. Einen Auszug daraus enthält die Sagabibl. 
II, 610 ff. Das Mitbegraben wird bier auf ähnliche Weile, wie bei 
Saro, erzählt, im Übrigen aber ift diefe Saga fo höchſt abenteuerlich 
(4. B. der Pflegbruber, mit dem fih Asmund begraben läßt, ift bier 
Aron, ein Sohn des Könige Rodgan in der Tartarei), daß man bie 
turze Erzählung bei Saro leicht für die ältere und echtere erkennt. 
Ihr liegt ohne Zweifel ein von ihm übertragenes Lieb zu Grunde. 

Daß dev Pflegbrüderbund ſich bie zu der Verbindlichkeit des Über: 
lebenden erfttedte, ſich mit dem früher Verftorbenen begraben zu laffen, 
kommt zwar fonft in feiner Sage vor, aber es liegt barin doch nur 
eine folgerichtige Durchführung und Steigerung der Begriffe von den 
Verpflichtungen jenes Bundes (vgl. Sagnbift. 69). Die Pflegbrüder 
ſchwuren, Einer bes Andern Tod zu rächen; davon nun liefern felbft 
Die mehr biftorifchen Sagan Beifpiele, daß, wenn der Überlebende nicht 
am Stande mar, die Rache zu vollführen, er fih auf die Nachricht vom 
Tode des Freundes jelbit entleibte; Asvit war aber nicht von Feindes⸗ 

Wand gefallen, ſondern an Krankheit geitorben, darum mochte bier auch 
—micht ein gewaltſamer Tod Asmunds pafjend fcheinen, denn fonft wäre 
Mer eine der Brüder zu Hel, der andre nach Valhall zu Odin gefahren. 
—Das nun, daß der fiechtobte Asvit eine Beute Hels geworben, beren 
vohnungen im dunkeln, feinpfeligen Niflheim find, macht ihn auch 
am bösartigen Gejpenfte, mit dem ber Lebende blutig ringen. muß. 
3 heißt davon im Liebe bei Saro: 

Nescio quo stygii numinis ausu 

Missus ab inferis spiritus Asvit 

Seevis alipedem dentibus edit, 

Infandoque canem prebuit ori. 


3 [IR daſelbſt S. 365 bis 407 abgebrudt. Der Bte Band der Fornaldar 
wögur Nordrlanda trägt die Jahrszahl 1830. 8.] 


220 


Nec contentus equi vel canis esu, 
Mox in me rapidos transtulit ungues 

ea Discissaque gena sustulit aurem. 
| Daß man ſolche Grabgefpenfter, um fie unſchädlich zu machen, noch⸗ 
mals tödtete, indem man bie Leichname zu Aſche verbrannte, ihnen dad 
Haupt abhieb oder einen Pfahl durch die Bruft ſchlug, findet fich auch 
fonft in den nordiſchen Eagan. Bei dem in den Vollsfagen ber ſlavi⸗ 
ſchen Völfer fo häufig vorlommenven Vampyrismus, an ben überhaupt 
Asvits biutgierige Erfeheinung erinnert, wird berfelbe Gebrauch an- 
gewandt. | . 


„ 12. $ridlev. 


Saro 8. VI, ©. 146 bis 154. Bgl. 8. IV, S. 38 f. Müller, Sagn⸗ 
hiſt. 75 f. 

Was und von biefem einft fagenberühmten Dänenkönige allein 
noch bei Saro aufbewahrt ift, können wir nur als Bruchftüde eines 
ehemals vorhandenen größeren Sagenverbanves, einer umfaflendemn . 
Fridleifsſaga, betrachten. Saro unterfcheivet zwar zivei bänifche Könige 
mit dem Namen Fridlev, aber das Wenige, was er von bem ältern 
derfelben, am Schluffe des Aten Buchs, berichtet, wird, wie Müller 
S. 76 bemerkt, ber Hauptfache nach vemfelben angeeignet werben dünnen, 
von dem das 6te Buch umftänblicher handelt. 

Bon diefen Sagenbruchftüden heben wir Folgendes aus: 

In Norwegen lebten zwölf Brüder, kampfrüftige Jünglinge, auf 
einer Felsburg mitten in einem reißenden Strome. Bon ihren Ramen 
verzeichnet Saro folgende (nam ceetera vetustas abstulit):. Gerbiorn, 
Gunbiorn, Armbiorn (Arnbiorn?), Stenbiorn, Esbiorn (Asbiorn), 
Thorbiorn und Biorn. Der Strom fiel vom hohen Gebirg herab, 
brach ſich rauſchend und ſchäumend Bahn durch bie Felſen und ba, wo 
er aus den Klüften breiter hervorſtrömte, bildete er das ſchroffe Fels⸗ 
eiland, auf welchem die Veſte ſtand. Eine Zugbrücke verband ſie mit 
dem Ufer. Der Lauf des Stromes war ſo gewaltig, daß ihn kein 
Roſs durchſchwimmen konnte außer einem, welches Biorn beſaß und 
das allein die Kraft hatte, ſich durch den Strudel zu ringen. Biorn 
batte auch einen Hund von furchtbarer Wilbheit, der es öfters mit zwölf 
Männern aufgenommen battt. Saro bemerkt dabei: 


21 = 
4 
— — — — 


Sed quoniam tradita magis quam cognite referuntur, fidem arbiter 
penset. Hec siquidem, ut accepi, delieiarum quondam loco habita. 

Der Hund hütete fonft die Heerben bes Rieſen Dffot. (Unter den 
Riefenbenennungen, welche die Slalda aufführt, kommt auch der Name 
Oföte, al. Ofote, vor, Sn. Edd. 21la und in einem Anhang zur Diaf 
Truggvafons Saga, dän. Über]. II, 195, wird gleichfalls des Rieſen 
Dfotan erwähnt, Sagnbift. a. a. D.) Die zwölf Brüder hatten ſich 
durch Bezwingung von Riefen und andre Siege berühmt gemacht und 
durch große Beute bereichert. Sie hatten, als fie von ihren fonftigen 
Rampfgenofien verlafien worden, jenes Stromeiland befeftigt-und fich 
von da aus durch Raub und andere Gewaltthat mweitum furchtbar ge 
macht. Haldan, der Sohn und Nachfolger Erils, des dänifchen Statt: 
'halters in Schweden, hatte fih nicht vor ihnen in feinem Lande halten 
lönnen und rief daher den dänischen Königsſohn Fridlev, der noch felbft 
von feinem wäterlichen Erbe verbrängt war, zu Hülfe Fridley kam 
wit kriegeriſchem Gefolge nach Norwegen und trieb die Brüder in ihre 
Veſte. Bei dieſem eiligen Rückzuge multen fie ein treffliches Roſs 
(Biorns) über der Bugbrüde dahintenlaſſen. Nun ließ Fridlev verfün. 
digen, Daß dem, ber einen ber Brüber erlege, deſſen Leichnam mit 
Gold aufgemogen werben folle. Einige feiner Kämpen gelobten ibm, 
Darnach zu firchen, und fehten ihr eigenes Leben zum Pfande, wenn 

ie nicht die abhefchlagenen Häupter der Räuber zurückbrächten. Fridlev 
Hieß fie ſich noch gedulden und begab ſich in der Nacht mit einem ein⸗ 
gigen Begleiter zum Strome: . 

Ne enim alienis, quam propriis viribus, instructior videretur, auxi- 
A ium virtnte preeurrere atatuit. 

Sein Begleiter kam um (vermuthlich weil fein Pferd dem Strome 
"rweichen mufte, nach Saxos Erzählung hätte ihn Fridlev felbft mit 
< Steinen umgebradt); Fridley aber taufchte mit bem Getödteien bie 
ZBleider, damit, wer den Leichnam fähe, den König verunglüdt glaus 
Ben möchte. Das Pferd: des Begleiters befprengte er mit Blut; fo 
Voollte es, ind Lager zurückkehrend, feinen Tod beftätigen. Hierauf gab 
©x dem erbeuteten Roſſe die Sporen und trieb es mitten durch bie 

Wirbel. Auf dem Eiland angelangt, erftieg er den Wall und gieng 
Teifen Trittes nach dem Gebäude, wo die Brüder fröhlich beim Schmaufe 
Tagen, durch den reikenden Strom fich völlig gefichert glaubend. Er 





blieb unter dem Thürgewölbe fteben und hörte, wie Biorn erzählte, 
er hab’ im Traum ein Thies aus den Wellen fteigen geſehen, das, 
düftre Flammen fpeiend, die ganze Burg in Brand geftedi habe. Es 
ſei daher räthlicher, die Inſel zu durchſuchen, als fich fo völlig forglos 
zu verhalten. Sie-erhoben fi nun, fuchten umher und fanden das 
Roſs, auf dem Fridlev übergefeht hatte; indem fie nicht zweifelten, daß 
diefes- feinen Retter abgeworfen, freuten fie ſich über den Untergang 
ihres Feindes. Inzwiſchen war auch das Pferd, welches Fridlev mit 
Blut befprügt batte, im Lager feiner Kämpen angejprengt. Sie eilten 
nad) dem Strome, fanden ben Leichnam und hielten ihn, in dem gläns 
zenben Gewande, für die von ben Fluten hergeſchwemmte Leiche bes 
Königs. ntrüftet hierüber drängten fi die, welche den Räubern ben 
Tod geſchworen hatten, an das abſchüſſige Ufer, und ihnen folgten die 
Andern, von gleicher Begierde bejeelt, den König zu rächen ober zu 
ſterben. Ms Fridlev diefes fah, ließ er plöglich die Fallbrücke herab, 
nahm feine. Streiter auf und die fämmtlichen Brüber wurben mit dem 
Schwert aufgerieben, Biorn allein ausgenommen. Ihn ließ Fridlev 
von feinen Wunden heilen und nahm ibn zu feinem Genofien an (sub 
sacre obtestationis pignore collegam adseivit).: 

Nachdem Frivlev fich des väterlichen Reiches in Dänemark bemäch⸗ 
tigt hatte, jchidte er, auf den Rath der Seinigen, Geſandte nach Nor 
wegen, die für ihn um die Tochter des dortigen Königs Amund werben 
follten. Einer derfelben, Namens Froco, wurde auf ber Überfahrt 
von den Fluten verichlungen, wobei ſich ein wunderbares Zeichen ergab. 
An der Stelle, wo er verſunken war, drang mitten aus dem Strubel 
Blut hervor und färbte das ganze Meer purpurroth. König Amund, 
der von Fridlevs Vater Frotho Manches zu leiven hatte, wies darum 
die Gefandten ſchnöde von fi. Frogerth aber, bie Königstochter, die 
durch Fridlevs Thatenruhm für ibn eingenommen war, machte ihren 
Bater darauf aufmerlfam, daß das wunderbare Ausfehen des Meeres, 
deſſen Wellen fich plöglih in Blut vertvanbelt, Rorwegen eine große 
Niederlage bedeuten müfle. Bergeblich jedoch ſandte Fridley zum zwei⸗ 
tenmal feine Boten. Amund ließ dieſe hinrichten. Nun führte Fridlen, 
in Begleitung Haldans und Biorns, feine Flotte nach Norwegen. 
Amund Fam mit der feinigen entgegen. Frocaſund (auf ben ertrunke⸗ 
nen Froco bezüglich) hieß die Bucht, in die beibe Geſchwader einliefen. 


223 
In der Nacht gieng Fridlev auf Kundſchaft aus. Da hörte er in ver 
Luft ein ungewohntes Raufchen, und als er emporfah, vernahm er 
aus der Höhe ben Geſang dreier Schwäne: 

Dum mare verrit Hythin rabidosque intersecat wstus, 
Auro verne bibit et lactea poela ligurit. 

Optima conditio servi, oni rege creatus 

Obsequitur, temere mutatis sortibus, heeree. 

Dann fiel ein Gürtel aus der Luft, auf dem fi Runen befanden, 
bie dem Liebe zur Erflärung dienten. Ein Rieſe Hythin nemlich hatte 
ven „Sohn des Königs von Telemarlen (Thielamarchise) über dem 
Knabenfpiele weggeraubt und, indem er ſich deöfelben als feines Rus 
derers bediente, fuhr er eben auf einem Boote bei Fridlev vorbei. Diefer 
reiste nun durch einen Schmähgefang den Riefen zum Kampfe, worin 
er demſelben Hand und Fuß abhieb und den gefangenen Königsfohn 
befreite. Nachdem er ſich in der Höhle des Riefen mit Schägen be 
laden, ließ er fi) damit von dem Jüngling noch in der Nacht zu feinen 
Schiffen zurüdtudern. Auf. diefer Fahrt fang er ein Lieb über die 
vollbrachte That, welches in Saros Überſetzung damit fchließt: 

Ergo leves totoque manus conamine nisi 

Rimemur mare, castra prius classemque petentes, 

Quam roseum liquidis Titan caput exserat undies: 

Ut cum rem rumor vulgaverit, atque Frogertha 

Noverit egregio partam conamine predam, 

Blandior in nostrum moveat preecordia votum. 

Am folgenden Tage wurde zwilchen ihm und Amunb eine große 

Sglacht, theils zu Lande, theils zur See geliefert. Biorn half feiner ſchon 

Awankenden Schaar wieder auf, indem ex feinen ungeheuren Hund los ließ. 

mund kam in der Schlacht um. Einer feiner Kampfgenoffen war An der 

EZ ogenfchüße (Auo ſd. h. Ano], cognomento segittarius). Gegen biefen 

LEzgte Biorn eben einen Pfeil auf die Sehne, als ihm An mit feinem 

SEX feile die Sehne entzweilchoß. Ein zweiter Pfeil fuhr zwiſchen Biorns 

iven Fingern durch und ein britter traf Biorns Pfeil. Damit wollte 

Der treffliche Bogenſchütze nur zeigen, daß er gegen den Dann jelbit 

Ausohl vermödte, was er gegen deſſen Geſchoß vermodt. Aber unge: 
Ichredt dadurch ſchritt Biorn dennoch dem Kampfe mit An entgegen, 
Weide giengen verwundet daraus hervor. Nachher aber wurben fie bie 





2 224 


beften Freunde. Frogerth wurbe, nad dem Tod ihres Vaterd, dem 
Sieger zu Theil. 

Aus einer andern Verbindung hatte Fridlen einen Sohn Dlav. 
Er wünſchte defien künftiges Schidfal zu erfahren: 

Mos erat antiquis, super futurie liberorum eventibus Percarum ore- 
cula consultare. Quo ritu Fridlevus Olavi filii fortunam exploraturus, 
nuncupatis solenniter votis, deorum zdes precabandus accedit, ubi intro- 
specto sacello ternas sedes tolidem nyınphis Occupari cognoscit. 

Die eine diefer Schickſalsgöttinnen verlieh dem Knaben ſchöne Geftalt 
und bie Gunſt ber Denjchen, bie zweite die Tugend ber Yreigebigfeit, 
bie britte aber, die von midgünftigerem Sinne war, fuchte ven Ge: 
Schenten ihrer Schwefter entgegen zu wirken und fügte die Eigenfchaft 
der Sparjamfeit hinzu. So geihahb es, daß Dlan, zwiſchen biefen 
widerſtrebenden Gaben getbeilt, zuletzt von ber Kargheit ſeinen Beinamen 
davontrug. 

In dem erſten dieſer Sagenbruchſtücke, von ben zwölf Brüdern 
auf dem Felseiland, haben wir eine von den epiſchen Vorgefchichten, 
wie der Hauptheld der Enge fich feine Kampfgenofjen durch den Kampf 
felbft gewinnt. Fridlev Inüpft hier den einzigen überlebenden aus der 
Zahl jener Brüder, Biorn, unzertrennlich an fi und verbindet fi 
den Schweden Halban, für den er diefes Abenteuer unternommen. Die 
Felsburg mitten im reikenden Strome, der vom Gebirge fällt und aus 
den tiefen Schluchten ſchäumend herborbricht, ift, in wenigen Zügen, 
ein gutes Lanbichaftbild aus der milden norwegifchen Natur. Aus 
dem Felſenneſt und durch die Waflerftrubel muß fich Fridlev den beiten: 
feiner Waffenbrüber herausholon. Biorn und Haldan kämpfen nachher, 
in der großen Schlacht gegen Amund, getreulich auf feiner Seite. Das 
Borzeichen dieſer Schlacht, mie fih vom Blute des verfunlenen Froco 
das ganze Meer röthet, finden wir, nach jener wunderbaren Sagen: 
verwandtfchaft zwiſchen den entfernteften Völkern, von ber wir auch in 
der Amlethsſage ein Beifpiel hatten, wenn gleich auf verjchievene Weife 
angewandt, in einem neugriechiſchen Vollslieve bei Fauriel (B. II) 
wieber. Es lautet nah W. Müllers Überjegung (II, 11) fo: 

Ein Mägdlein will auf Reiſen gehn u. ſ. w. e⸗ 

Die Färbung des ganzen Meeres durch das Blut eines Menſchen 

ift der Sage mit bem Liebe gemeinfam. Aber finnreicher erfcheint fie 


225 


allerdings in legterem, wo fie nicht als Vorbedeutung eintritt, fondern 
wo bie, gefrändte Unfchuln durch die ganze entrüftete Natur um Rache 
suft und ber verübte Frevel ſich jo unverlöfchlich verkündet. Die brei 
Schwäne, die Nachts aus der Luft herabfingen, find Vallyrien, bie 
dem von dem Niefen Hythin in Dienitbarteit herabgezogenen Könige: 
finde ben Retter erwecken. 

Die Erzählung von dem Bogenihügen An erinnert an das, was 
wir aus deſſen eigener Saga, von dem Wettſchießen zwiſchen ihm und 
ſeinem Sohne, beigebracht. | 

Die drei Parcen, welche Frivlev über das Schidfal feines Sohnes 
Diav befragt, find die Normen des nordifchen Mythus, von deren Ein 
wirten auf menſchliche Verhältniſſe bei einer ver folgenden Sagen aus 
führlicher zu handeln fein wird. 


·K. 


Im Tten Buche Saxos ift eine Reihe kurzer Liebesgeſchichten zu: 
fammengeftellt, von derjenigen Art, welche nachher den Gegenitand 
vollamäßiger Balfaden ausmachte. Die meiften derſelben grünbeten fich 
auch, wie die eingemifchten Verfe anzeigen, auf ältere Lieber. 

Müller (Sagnhift. 106; vgl. 120) bemerft, daß Saro dieſe im 
Bollögefang überlieferten Erinnerungen aus alten Zeiten, melde boch 

“Jelbit Feine Zeitbeftimmung enthielten, nicht unabfichtlich gegen das Ende 
Des mythiſchen Zeitraums nad} einander einrüden mochte, wo es ihm 
eben an andrem Stoffe zur Ausfüllung des Übergangs fehlte. 

Diefe Sagen find folgende: 


13. Other und Syrith. | 
Gars 8. VII, ©. 192 bis 194. Müller, Sagnhiſt. 98 f. 


Syrith, die Tochter des‘ däniſchen Königs Syvalb, wurde ihrer 
Schonheit wegen von vielen Freien geſucht, fchlug aber niemals gegen 
Eünen die Augen auf. Sie erbat fi auch von ihrem Vater, nur Dem 
Folgen zu dürfen, der fie bewegen Zönnte, ihn anzubliden. Othar, ver 
XHatenberühmte Sohn des Vilings Ebbo, war einer ber eifrigften Ber 

wWerber; allein auch er mufte abziehn, ohne der gefenkten Augen Meifter 
au werden. Auch ein Niefe verſuchte fich an ihnen, unb da es ihm 
Uhland, Schriften. VII. 15 


226 & 
eben fo wenig gelang, jo raubte er die Jungfrau mitfammt den nieder⸗ 
geſchlagenen Augliebern und führte fie in bie tiefen Gebirgsſchluchten. 
Als’ Othar dieſes erfuhr, durchftseifte er nach ihr das Innerſte des 
Gebirgs, fand fie, erihlug ben Niefen und zog mit ihr von bannen. 
Der Rieſe hatte mit großer Sorgfalt die ſchönen Haare ber Jungfrau 
fo feft und manigfach in einander geflochten, daß ſie kaum mehr an⸗ 
ders, ald mit dem Schwerte, entwirrt werben zu können fchienen. 
Bergeblich bemühte ſich Othar aud jest, den Blid Syriths auf ſich zu 
lenken. Sie wandte fi von ihrem Retter ab und irrte längere Zeit 
in der Einöbe umher, bis fie zu. der Hütte eines riefenhaftn Wald⸗ 
weibes fam. Diefem mujte fie die Ziegen hüten und erft wieber durch 
Othars ‚Hülfe wurbe fie von folder Dienftbarkeit befreit. Saro gibt 
bier ein Lieb in ſapphiſchen Strophen, worin Othar die Schöne auf 
fordert, lieber ihm zu folgen und ſich freundlich zu erweifen, ala die 
Ziegenheerde ihrer troßigen Gebieterin zu weiben. Das Lied fchließt fo: 

Ad lares hinc te statuam paternos 

Et pie letam sociabo 'matri, 

Si semel blandis agitata votis 

Lumina pandas. 

Quam tuli claustris toties gigantum, 

Confer antiquo meritum labori, 

Et, graves rerum miserate nisus, 


Pr 


Parce rigoril 
Aber unbeweglich blieben Syriths Wimpern verfchlofien und Saro 
kann fih nicht enthalten, auszurufen: on 


. Quantee porro pudicitiee seculi illius foaminas extitisse putemus, que 
ne ad levem guidem oculorum motum maximis amatorum irritamentis 
adduci potuerunt! 

Nachdem auch dieſe zweite Rettung die Schöne nicht zu rühren ver. 
mocht, kehrte Othar beihämt und gekränkt zu feinen Schiffen zurüd. 
Syrith irrte wieber weit in den Felſen umber und fam endlich durch 
Zufall in das Haus Ebbos. Sie gab ſich, entblößt wie fie mar, für bie 
Tochter armer Leute aus. Dthars Mutter jedoch bemerkte, des Arm: 
lichen Anzugs unerachtet, das edle Wefen ber Fremden, räumte ihr 
den Ehrenfig ein und behielt fie gaftfreunblich bei fih. Othar ſelbſt 
fam hinzu und fragte, warum bie Jungfrau ihr Geficht mit dem 


— 227 

Schleier bedecke. Er hatte fie aber wohl erkannt und beſchloß, fie ge: 
nauer zu erforſchen. Darum ftellte er fih an, als wollte er fich mit 
einer Andern vermählen, und Syrith mufte zum Brautgemad leuchten. 
Als nun dad Licht, das fie trug, faſt abgebrannt war, fo daß bie 
Flamme ihr immer näher auf die Finger kam, hielt fie doch die Hand 
unbeweglich und fchien nicht? von der Hite zu empfinden. (Bol. Far. 
Dv. 300). Erſt als Dthar fie ermahnte, für ihre Hand zu forgen, 
ſchlug fie auf einmal die Augen mit einem zärtlichen Blicke gegen ihn 
auf. Da hielt fogleich der erbichtete Brautgang inne und Syrith ftanb 
al Braut an Dibars Seite. 

Müller charakterifiert diefe Sage fo: 

„Sie hat viel poetifche Haltung. Eine Idee liegt der ganzen romantifchen 
Einkleidung zu Grunde; bie weibliche Verſchümtheit wird auf eine fehr einfache 
Weiſe Igmbolifiert und der Kuoten mit Feinheit gelöft, indem das Mäbchenherz, 
welches der Dankbarkeit, der Furcht und dem Bwange wiberftanden, ſich zuletzt 
von der weiblichen Eiferfucht Hinreißen läßt.” | 

Als Eiferfucht fcheint mir aber Die Beivegung, bie in Syriths Herzen 
vorgeht, nicht ganz richtig bezeichnet zu werden; es ift mehr das fchmerz« 
Iihe Gefühl, daß fie den mohlbegründeten Anfprücden Othars auf ihre 
Liebe und ber eigenen geheimen Reigung für ihn allgu lange fein Gehör 

gegeben und daß dadurch für Beide ein fchönes Glück verfäumt fei; in 
diefes quälende Gefühl verſunken kommt ihr noch einmal Dihars freund 
lich warnende Stimme zu, ba ift der Bann gelöft, in dem ihre jungfräu- 
liche Scheu fie feftgehalten hatte, und ob es auch-zu Tpät ſei, ſchlägt fie 
Die lange gefchloffenen Augen auf und Bffnet rüdhaltlos den Blick in 
ihr Innerſtes. 

Die fchöne Sage, über die Saro ein altes Lieb vor ſich hätte, 
tft nicht ganz unverfümmert auf uns gelommen. Die Entführung durch 
Den Riefen wurde auf verfchiebene Weife erzählt (opinantur alii u. f. w.) 
und es ift hierin, wie bei den Abenteuern in ber Wildnis, nicht Alles 
klar und vollftändig. Die Hauptzüge jedoch, foweit fie zur Darlegung 
und Entwicklung der innern Buftänbe nothwendis waren, find uns 
unverivifcht erhalten. 

Eine, wenn auch verbunlelte Spur ber Berbreitung diefer Sage 
findet fih in ber früher ermähnten isländiſchen Saga von Egil und 
Aamund; dort nennt fi Asmund, der ſich mit feinem Freunde 


228 ‘ 
— — —— 


begraben ließ, einen Sohn Ottars, Königs in Halogaland, und Sigrids, 
einer Tochter des Jarls Ditar in Jütland (SagabibL II, 611). 


ri . 


14. Alf nub Alvilb. 
Saro B. VII, S. 195 f. Müller, Sagnhiſt. 100 f. 


Sigar, König in Dänemark (Syvalds Sohn und Syriths Bruden), 


hatte drei Söhne, Sywalr, Mf und Aiger und eine Tochter, Gygne. 


Unter den drei Brüdern war Alf der auögezeichneifte an Muth und . 


Geftalt. Er trieb fih auf Vilimgsfahrten um. Seine Locken waren 
von ſolchem Lichtglanz, daß man meinte, er habe Haare von Silber. 
Zu bderfelben Zeit hatte Syvard, König in Getland, eine Tochter, 
mit Namen Alvild, welche ſtets verfchleiert gieng. Ihr Bater, der fie 
eng verſchloſſen hielt, hatte zwei Schlangen (viperam anguemque) 
von ihr aufziehen laſſen, welche, mit ihr großgewachſen, fie bewachen 
ſollten. So konnte nicht leicht Jemand zu ihrem Frauengemache durch⸗ 
bringen. Wer e8 aber verſuchte und nicht ausfährte, dem ließ ber 
König das Haupt abſchlagen und auf einen Pfahl ſtecken. Alf, Sigars 
Sohn, wagte den Verſuch, der ihm um fo ruhmvoller fchien, je ge 
fährlicher er war. Um die Wuth der Thiere noch mehr gegen fidh zu 
zeizen, umglirtete er fich mit einem blutigen Felle; dem einen ftieß er 
einen glühenden Stahl in den Rachen und das andre erlegte er mit 
einem Speerwurf. Als er aber den bedungenen Siegespreis, Alvilds 
Hand, verlangte, erwiderte der König, nur der könne fein Eidam wer: 
den, für den fich feine Tochter aus freier Wahl entfchiede. Alvild, vie 
den tapfern Freier rühmte, erfuhr von ihrer Mutter heftige Vorwürfe 
über diefe weibliche Schwäche. Da vertaufchte fie die Frauentracht mit 
männlicher und wandte ſich dem kriegeriſchen Seeleben zu. Mit einem 
Gefolge von Jungfraun, die denfelben Entſchluß ergriffen, kam fie zu 
eıner Schaar von Bilingern, die eben ihren Führer im Kriege verloren 
hatte. Ihrer jchönen Geftalt megen wurde fie von dieſen (wie Herbör) 


1 
«4 


zum Haupt erloren und führte nun viele Helbentbaten aus. Einſt am — 


Alf auf feinen Seefahrten in eine fchmale Bucht an der finnifchen Kuſte — 


— — 


wo eben auch Alvild mit ihren Schiffen eingelaufen war. Sie ließ — 
ungeſäumt das herankommende Geſchwader angreifen. Die Dänen be— 
wunderten die ſchöne Geſtalt und Haltung ihrer Gegner. Die Seeſchlah Se 


— 


begann. Alf ſprang vorn auf Aloilds Schiff und ſtreckte von einem 
Ende zum andern Alle nieder, bie. ihm Wiberftand leifteten. Da fchlug 
Borkar, Alfs Kampfgenofje, Alvilben den Helm vom Saupte und nun 
zeigte fih, daß bier nicht mit Waffen zu lämpfen fei (osculis, non 
armis, agendum esse). So hatte nun Alf unverhofft Die. getroffen, 
die er zu Land und Meer, unter taufend Gefahren, unermüdlich gejucht 
hatte. Alvild kehrte zur Frauentracht zurüd und warb Alte Gemaßlin: 
Auch Borkar erwählte fich eine ihrer Gefährtinnen. 
Obſchon es auch dieſer Sage nit an Schönen Bügen fehlt, ſo ift 
fie doch weniger innerlich) und gleichmäßig burchgebildet, als die vor 
bergebende von Othar und Syrith. Beſonders ift. fie vornherein etwas 
verwirrt. Verſe bat Saro- bier nicht angebracht und ſcheint alſo auch 
fein. Lieb. benügt zu haben. 


15. Hagbarth nud Sygue. 

Saro B. VU, ©. 197 bis 206. Ynglinga 8. C. 25. 27. Müller, 
Sagnhifl. 101 bis 104 Svenska Folkvis. I, 187 bis 147. Udv.. Danske 
Vis, II, 2 bis 18. 402 fi. Grimm, Altdän. Heldenl. 98 fl. 509 bis 517. 
[Grundtvig, Danmarks gamle Folkev. 1, 258 ff. 2, 256. 8, 791 ff. Liebredht.) 
Geier, Schwed. Urgeſch. 222 f. D. 415. (Landnäma 256,) Kormaks 8. 
12. 16: Hagbards Bi. Bgl. Hoffmanns Fundgr. I, 375: hagebart, larva? 


Am Anfang des Frühlings trafen Alf und fein Bruder Alger auf 
der Bilingsfahrt mit den Söhnen des norwegiſchen Königs Hamund, 
Helwin, Hagbarth und Hamund, zufammen. Es warb eine Seeſchlacht 
geliefert, in ber ſich beide Theile fo fehr erfchöpften, daß fie Frieden 
zu. ſchließen genöthigt waren. Hagbarth z0g mit Sigars Söhnen nad 
Dänemart, ſprach bort ohne Wiſſen berfelben ihre fchöne Schweſier 
Sygne und gewann ihre Liebe. Zwar hatte Hilbigifl, ein vornehmer 
Deutfcher, um fie geworben. Aber fie fand an ihm nichts, als ſchöne 
Geftalt und glänzende Haare; an Hagbarth, ber von rauherem 
Ausſehen war, rühmte fie bie Tapferkeit. Ihre Außerungen hier 
über hat. Sazo in. Verſe gebracht (tali concentu usa perhibetur). 
König Sogar, Sygnes Vater, hatte zwei alte Männer zu Rathgebern, 
die Brüder Bölvis und Bilois!. Diefe waren von fo verichiebener 


1 Lex. isl.: Böl, n. calamitas, erumns. Bil, n. momentum, interstitium 
temporis v. loci. Vis, sapiens, pradens. Edd. Hafı. Gl. T. I, ©. 432: 


230 


Sinnedart, daß ber eine, Bilvis, Feinde zu verfühnen pflegte, ber 

andere, Bölvis, Freunde zu entzweien bedacht war. An ben letztern 
wandte ſich Hilbigifl, der es nicht verfchmerzen Tonnte, daß ibm Hag⸗ 
barth vorgezogen wurde. Er verlodte ven blinden Greis (luminibus ca- 
ptum) durch Gefchente, zwiſchen Sigaxd und Hamunds Söhnen Feind⸗ 
ſchaft zu ſtiften. Böolvis verläumdete die Iehtern bei Sygnes Brüdern 
und verſicherte, dieſelben haben niemals treues Bündnis gehalten und 
. Yönnen nur durch Krieg gebändigt werden. So wurde der Friebe ge 
brodden, Helwin und Hamund wurden in Abweſenheit ihres Brubers 
Hagbarth von Alf und Alger bei dem Hafen Hamundsfjord (apud 
portum, qui sinus Hamundi dieitur) angegriffen und famen um. Hag⸗ 
barih, der. fpäter mit ganzer Kraft binzulam, rächte feine Brüder mit 
dem Untergang von Sigars Söhnen. Hilvigifl entlam mit einer Wunde 
auf der Hinterfeite. Ob nun gleih Hagbarth Sygnes Brübern ben 
Tod gebracht, fo wagte er doch, allein, in Weibertracht, fie aufzufuchen, 
ihrer Treue feft verſichert. Ex gab fih für eine ftreitbare Dienerin! 
feines Bruders Halon, eines berühmten Seehelden, aus, welche von 
diefem mit Botfchaft an König Sigar gefandt fe. Man nahm ihn 
in das Frauengemah ber Königätochter auf; bie Mägde aber, die 
ihn beim Fußbad bedienten, äußerten. fi über die Rauhheit feiner 
Hände und Füße befrembet. Da erwiberte er, in Hakons Dienſte geh 
es nicht beſſer, wo man über Steine und Dome weite Reifen machen, 


„Bavlviss, in fem. -vis, adj. dirus, infaustus, prodigiosus, certum malum 
portentans vel adferens. Barl-visir draümar. Veg. I. 8. var. c. conf. 
Harb. XXII. 3.“ Bgl. Grimm, Edda ©. 90: Blindr inn baulvisi. Hröm. 
Greips. 8. 6. 1: Bildr, Volt. 6, 4 init. C. 5. 6. 7. C. 8: Blindr hion 
il, Hagall. 6. 9. 6. 10: Karllinn Blindr er het Bavis. Bgl. Schmeller 
ıv, 15 u. 187 f. IV, 278 6. v. Zapſen. I, 168. J. Grimm, d. Mythol. 
265 [b 441]. 672: blinde belien (Schmeller IV, 187). Cromek, Remains 
212 f.: Billie Blin. 330. (®gf. Motherwell LXIX, 21. Minstrelsy, 5 ed. II], 
62. Nyerup IV, 158 ff. Sv. Folkv. II, 56. 59. 219 f.) Bmeifache Fylgien 
im einer isl. Saga. Leo, Altſächſ. und angel. Spracdhproben, Halle 1888, 
©. 13: „Vö villad böon bilevite n. f. w.“ S. 110: „bilevit, adj. billig, 
eiufach, gutmüthig; bilevitnis, Billigkeit.“ Neues Jahrbuch der berlinifchen 
Geſellſch. f. d. Sprache u. Alterthumskunde II, 64 f. [Wadernagels Leſebuch 
1861. I, 1286. Faſtnachtſpiele ©. 256. 1468. 8.) 
1 Bol. Helg. qv. Hund. II, Str. 8, ‚Ed. Sem. ©. 158. 


si 


Waffen und Ruder unabläffig führen müſſe. Auch dieſe Rede ift in 
Verſen, . B.: ' 


Quid miri, tenerum nobis durescere subtel n. |. w. 
Cui plantas toties subjecta relisit arena, 
.Et vepres medium corripuere gradum? 
Nunc saltu nemus experior, nunc tequora cursu, 
Nune mare, nunc telluse, nunc iter unda mibi u. f. w. 
Neo colus aut oalathi, sed cwde madentia tela 
Officium nostree composuere manus. 


Es folgen nun, gleichfalls in Berfen, die Geſpräche ber Liebenden 
in der Nacht. Hagbarth fragt, wozu Sygne entjchlofien fei, wenn ihr 
Bater ihn, der ihre Brüber getöbtet, ergreifen und binrichten laſſen 
würde. Sygne verfichert, daß, welchen Todes aud ihr Beliebter ſter⸗ 
ben follte, fie fich dem nemlichen weiben werde. Hagbarth wurde von 
den Mägben verratben und nach tapfrer Gegenwehr von den Dienern 
bes Königs gefangen. Man hielt Gericht über ihn, wobei Bilvis an 
riet, lieber von den Dienften bes Helden Gebrauch zu maden, als 
graufam gegen ihn zu verfahren. Da kam Bölvid hinzu und erklärte 
ben Rath für ungehörig, durch ben bie gerechte Ahndung des Königs 
für den Tob feiner Söhne und die Schmach feiner Tochter gehemmt 
werben follte. Diefer Anficht fiimmte die Mehrheit bei, Hagbarth wurde 
zum Tode verurtheilt und der Pfahl, an den er gehängt werben follte, 
aufgerichtet. Die Königin reichte dem BVerurtheilten ein Trinkhorn, 
aus dem fie ihn mit bittern Worten zur Lege trinken hieß: | 


Nune, insolens Hagbarthe, 

Quem morte digrum concio 
Adjudieavit omnis, 

Sitis fugande gratia 
Ori dabis bibendum 

Scypho liquorem corneo u. ſ. w. 
Audacibus labellis 

Lethale liba poculum, 
Quo potus inferorrum 

Mox applicere sedibus,' 
Itarus in reclusem 

Ditis severi regiam, 


232 


‚Patibuloque. corpus, 
Orco daturus spiritum! 
Der junge Held ergriff das Trinkgefäß und vergalt bie herbe Rede 
ber Königin, indem er ſich des Todes ihrer Söhne rühmte. 

Hac gustum capiam mana supremum u. |. w. 
Qua natos tibi sustuli gemellos. 

Jam non elysios inultus axes, 

Non impune, truces adibo manes, 

Nam nostro prius hos persota nisu 

Clades tartareis reclusit antris. 

Hæœc vestro maduit cruore dextra, 

Hec proli teneros ademit annos u. |. w. 
Inſelix genitrix et orba natis 

Sublatum tibi nulla reddet tas, 

Nec .tempus redimet diesve quevis 

Demptum lethifero rigore pignus. 

Damit warf er bas Zrinfhorn auf bie Königin und begoß ſien mit 
dem Todestranke. 

Indeſs fragte Sygne ihre weinenden Dienerinnen, ob ſie ihr in 
dem, was fie vorhabe, Geſellſchaft zu leiſten wagen. Jene gelobten, 
jedes Loos mit ihr zu theilen. Hierauf erklärte Sygne den Entſchluß, 
dem Geliebten im Tode zu folgen und, ſowie das Zeichen gegeben ſei, 
das Frauengemach in Flammen zu ſtecken und ſich mit den Schleiern zu 
erhängen. Alle ſtimmten ein und fie trank ihnen den Becher zu. Hag—⸗ 
barth wurde, um gehängt zu werden, nach einem Berge geführt, der 
nachmals von ihm ben Namen erhielt (qui postmodum ab ipso voca- 
bulum traxit). Er wollte die Treue feiner Geliebten erproben und hieß 
die Schergen erft nur feinen Mantel aufhängen, indem es ihn vergnüge, 
feinen nahen Tod vorerft im Bilde zu fehen. Man mwillfahrte ihm; bie 
aufgeftellte Wächterin aber glaubte, Hagbarth fei ‘gerichtet, und verkün⸗ 
digte dieß den Jungfraun. Diefe ftedten ſogleich das Gemad in Brand, 
ftießen die Schemel unter den Füßen binweg und ließen. fi) von ben 
Schleiern erwürgen. Als Hagbarth das Frauengemach der Königsburg 
in Ylammen fah, äußerte er mehr Freude über die Treue feiner Ge: 
liebten, ala Trauer über feinen nahen Tod. Er forberte bie Umftehen- 
den auf, feinen Tob zu beichleunigen.. Aus dieß in einem Liebe (hu- 
jusmodi carmine), woraus folgenbes.: 


233 


Oeyus, 0 juvenes, 'correptus in sera tollar, 
Dulce mihi, nupta, est post tua fata mori. 
Aspicio crepitus et tecta rubentia flammis, 
Pollicitusque diu pacta revelat amor u. j. w. 
Felix, qui tanto[-ta?] merui consorte juvari, 
Nec male tartareos solus adire deos u. ſ. w. 
Axis uterque juvat, gemino celebrabitur orbe, 
Una animi requies, par in amore fides, 

Alöbald wurde bad Urtheil vollſtreckt. Zur Beglaubigung ber 
Sage aber beruft fih Saro auf örtliche Anzeigen: 

Et ne cuignam entiquitatis vestigia prorsus exolevisse credantur, 
preedictee rei fides presentibus locorum indiciis exhibetur, quum et Hag- 
barthus pago vocabulum extinctus intulerit, nec longe a Sigari oppido 1 
locus pateat, ubi plano paululum agger elatior veteris fundi instar pro- 


tuberantis humi specie demonstrat. Sed et quidam Absaloni 2 trabem se‘ 


‘eo loei repertam vidisse narravit, qham agrestis vomere glebam rimatus 
offendit, 

Das Weitere, wie Halo, Gagbartie Bruber, Rache himmt 3 
u, 1 w., können wir bier übergeben. 

Was Hagbarth fterbend geweifjagt, daß feine und Sygnes treue 
Liebe im Gedächtnis der Menfchen leben werde, ift reichlich in Erfül⸗ 
lung gegangen. Seine der alten Sagen hat ſich in fo andauernber und 
mweitverbreiteter Erinnerung erhalten, als biefe. Die ältern Lieber, aus 
denen Saro fchöpfte, find zu einer Volksballade geworden, die noch bis 
in bie letzte Zeit in bänifcher und ſchwediſcher Spracde auf fliegenden 
Blättern umgeht. Wie fhon Saro Örtlichleiten anführt, um ben 
Schauplag der Ereigniffe feftzuftellen, fo machten fih Jahrhunderte hin⸗ 
dur und noch jetzt die drei norbifchen Reiche, Dänemark, Schweden 
und Norwegen, und in biefen. wieber. bie einzelnen Landſchaften, jenen 
Schauplatz ſtreitig. Überall findet man Drtfchaften, Höfe, Hügel, 
Quellen, Eidien, Steine nad den Perfonen der Erzählung benannt 
und das Volk weiß bie Bebeutung der Namen aus Lied und Cage zu 


1 Sigarßed in Seeland. 

2 Dem Probſt in Roeskild und nachherigen Biſchof in Lund, auf deſſen 
Aufforderung Says ſein Werl verfaßte. 

3 Darunter die Sage vom wandeluden Walde 2. vu, S. 208. 


m 


234 
erflären. Davon Mehreres feiner Seit bei den Balladen und Dris 
jagen bes Nordens. 

Hier mag nur noch angebeutet werden, was von ben Erwäh—⸗ 

nungen biefer Sage der früheren Zeit, felbft noch weit über Saxo 
hinauf, angehört. In Thiodolfs Ynglingatal, diefem im 9ten Jahr 
hundert verfaßten Stalbenlieve, der Grundlage der Ynglingaſaga, heißt 
bereit ber Galgen das Roſs von Sygnes Manne, auch Sigard Roſs; 
‚und: ähnliche Ausprüde finden ſich bei den fpäteren Skalden. Abwärts 
aber deuten zunädft nah Saxo dad isländiſche Landnamabok, vom 
Anfang des 13ten Jahrhunderts, und bie Stalba auf den Inhalt 
der Sage. - 
Diefe hat aud wirklich fo ergreifende Situationen, daß man ſich 
. ihre lebensträftige Fortdauer wohl erklären. lann. Veränderungen hat. 
fie allerdings erfahren, dem nordiſch Altertbümlichen bat fich in ber 
Ballade das Ritterliche beigemifcht und jene geiwaltige Wechſelrede zwi⸗ 
ſchen Hagbarth und ber Königin, bie ibm ben Todesbecher reicht, iſt 
nur bei: Saro noch vorhanden. 

Unter dem baberftiftenven Bölvis, der blind bezeichnet wird, würde 
ich den einäugigen Odin zu finden glauben (der ſich einſt auch Bölverl 
nennt), wenn nicht die Deutung des andern Waihgeheri, Bilsis, 
Sqhwierigkeit machte. 


16. dalfdan. 


[Diefer Abſchnitt der Votleſungen wird hier unterdrüct, weil Uhlaud bie 
Sage von Halfdan nen in den Sagenforfhungek 1, 192 (Schriften 6, 110) fi. 


abgehandelt hat, zum Theil mit wörtlicder Benützung feines Heftes für bie 
Borlefungen. K.] 


% 


17. Haralb Syldetand. 


Sapp B. VI, S. 212. 8. VIII, ©. 227. Sagnhist. 106 bis 119. 
Sögubrot, Fornald. Sög. I, 361 ff. Fort. Sag. I, 33 ff. (befonders C. 1 am Ende. 
4. 7 bis 9.) Das Sagabruchſtück von alten Königen in Dänemark und Schweden 
if in feiner gegenwärtigen Geftalt nicht älter, al8 aus dem l4ten Jahrhundert. 
Sagabibl. Il, 484 ff. Geijer, Schwed. Geſch. I, Cap. 10. ©. 444 bis 52. 


Nah Saro ift Harald Hyldetand der Sohn Halbaus und Guriths. 
Das isländiihe Sagabruchſtuck dagegen gibt ihm ganz andre Eltern, 


235 


Hrärel und Auda. Die Iektere Angabe flimmt auch mit andern nor» 
diſchen Zeugnifien überein und ift daher unbevenklich der Angabe Saxos 
vorzuziehen, der, um feinen Königsreihen Zufammenhang yu geben, fich 
manche genenlogifhe Willkühr erlaubt, während er mit bem 'innern 
Beftande der Sagen getwiffenhaft verfährt. - 

Den Beinamen Hyldetand erflärt Saro (&. 212) davon, daß ihm 
‚zwei außgeftoßene Zähne unerwartet durch andre erfeht, dadurch aber 
feine Zahnreihe hervorſtehend geworden. 

Quorum jacturam postmodum insperata molarium eruptio sarciebat. 
Hic eventes Hyldetand ei cognotnen imposuit: quod eum quidem < ob emi- 
neniem. dentium.ordinem assecutum affirmant. 

Sögabrot €. 1 bemerkt von: ihm das befondere, daß ſeine Vorder⸗ 
zähne groß und goldfarbig geweſen ſeien. | 

Sonſt wird der Name auch Hildetand (Hilditavan, Bad. Sem. 
1179) geſchrieben und in dieſer Form leitet ihn-Geijer (444,7) von 
Hillde, Krieg, ab; man habe Haralbs hervorſtehende Zähne auf feine 
kriegeriſchen Eigenfchaften gedeutet. 

Harald war von ausgezeichnet ſchöner und hoher Geſtalt, auch 
allen feinen Altersgenoſſen an Stärke überlegen; dazu mar ihm von 
Dvin, defien Ausſpruch er das Leben verdankte, die Gunft geworben, 
daß Fein Eijen ihn verlegen konnte. Dafür hatte er die Seelen der 
von ihm Erfchlagenen Odin verheißen. In einer Schlacht in Nortvegen 
ſchritt er ohne Harniſch, mit einem Purpurrock befleivet und mit einer 
golddurchwobenen Binde um bie Haare, mehr feftlich als kriegeriſch an- 
getban, vor feinen Schaaren ber dem Feind entgegen. Alle Geſchoſſe, 
die auf ihn gerichtet waren, fielen machtlos von ibm ab._ So gieng er 
aus dem Kampfgewühl unverlegt als Sieger hervor. 

Bor einem Kriege gegen die Schweden erfchien ihm ein großer, 
einäugiger Greis, mit haarigem Mantel. Derfelbe nannte fi) Dpin, . 
behauptete, fehr kriegskundig zu fein, und lehrte ihn die keilförmige 
Schlachtordnung (svinfylking, f.), fowie auch die Anordnung eines 
Seetreffens. Mittelft diefer Belehrungen trug Harald den Sieg davon. 
Auf feinen vielen Heerfahrten gewann er ſich unter den Beſiegten ſelbſt 
trefflihe Kämpen, andre 309 ber Ruf feiner Thaten an. Wer beim 
Fechten mit der Wimper zudte, wenn auch ber Hieb fchon die Augen: 
brauen berührte, warb fogleich aus feiner Umgebung verwielen. Da 


236 


— — — — — . 


feine Macht weder zu Lande noch zu Wafler mehr fich gegen Harald 
und feine Krieger wagte, fo trat ein vieljähriger Friebe ein,. in welchem 
der König alterte. Er hatte feinem Schweiterfohne Ringo (Sigurd 
Hring) deſſen väterliches Neich Schweden übertragen. Gin geivifier 
Bruno 1, Haralds innigfter Vertrauter, trug alle geheimen Botſchaften 
zwiſchen ven beiden Königen bin und ber. Dieſer wurbe auf einer 
ſolchen Botfchaftsreife vom Strome verſchlungen. Da nahm Odin 
defjen Namen und Geftalt an und wuſte durch trügerifche Ausrichtungen 
die. Bande der Freundfchaft und Verwandtſchaft zwiſchen den Beiden zu 
löſen. Der von ihm im Stillen gefchürte Haß fchien endlich nicht mehr 
ohne öffentlichen Ausbruch befriedigt werben zu lönnen. Sie künbigten 
einander Krieg an und fieben Jahre follen mit den Rüftungen zu dem 
großen Kampfe Hingegangen fein. 

Es gibt Welche, bemerkt Saro, die behaupten, Harald babe nicht aus 
Misgunft oder Eiferfucht um bie Herrſchaft den Krieg unternommen, ſondern 
freiwillig und abfichtlich den Anlaß zu feinem eigenen Untergange gejucht. 

Denn da er wegen feines Alterö und feiner Strenge auch dem 
Volke läftig geworden, babe er, um feinem vergangenen Leben gemäß 
zu endigen, den Tod in der Schlacht dem auf dem Krantenbette vor: 
gezogen. Um aber feinen Tod mehr zu verberrlichen und mit größerem 
Beleite zur Unterwelt zu geben, babe er die großen Nüftungen auf 
beiden Seiten veranftaltet, übrigens felbft gewünfdht, daß Ring Sieger 
bleibe. | 

Die Geſchichte biefes Kriegs bat, nad Saxos weiterer Angabe 
[S. 220], Starlather, der felbit eine vorzüglide Säule der Schladht 
war, in heimiſcher Weife (db. 5. im Liebe) verfaßt: 

Historiam .belli suetici Stercatherus, qui et ejusdem prelii preci- 
puum columen erat, primus danicp digeseit eloquio,. memorie magis, 
quam literis traditam. Cujus seriem, ab ipso pro more patrio vulgariter 
editam digestamque, latialiter comıplecti statuens, inprimis prestantissi- 
mos utriusque partis proceres recensebo. Neqne enim mihi multitudinem 
complectendi cupido incessit, quam ne precise quidem numerus capit. 

E3 werden nun wirklich die ausgezeichnetften Streiter auf beiden 
Seiten in langer Reihe aufgezählt. Sie fammeln fi, in verfchiebenen 


i’Lex. is. I, 1166: Bruni, m. ustio, urigo, it. incendium, For⸗ 
brändelfe; it. Brand, brändende Ild; it. Ildsvaade. 


237 


Boaffengattungen geübt, nicht nur aus allen ſtandinaviſchen Reichen, 
fondern auch aus andern Ländern, befonders beutichen und flavifchen. 
Stalden und Schilbjungfrauen befinden ſich darunter, auch Helden, die 
fonft in der Sage befannt find. Bon mehreren Kämpfern Harald 
wirb bemerkt, daß er fie (wie wir früher von Hrolf Kraki gehört) durch 
golbgefchmüdte Schwerter und reichen Kriegslohn ſich einſt verbunden 
habe (S. 222): 

Horum omnium clientelam rex liberali familiaritate coluerat. Nam 
primis apud ipsum honoribus habiti, cultos auro gladios opimaque bellorum, 
preemia perceperunt. ’ 

Der Kampfplak war zum voraus verabredet, auf dem Yelbe Bra- 
valla (& Bravelli)i am Meerbufen Bravik in Dftgotland. (Saro ©. 
227 nennt dieſen Krieg bellum bravicum; aud ift 3. VIII, ©. 235 
die Rede von bravellinis tropheis, fonft aber walten bei ihm Mis⸗ 
verftännifle über die Ortlichleit vor, Geijer 448.) Haralds Flotte war 
jo zahlreih, daß man von Seeland nad Schoonen auf den Schiffen 
wie über eine Brüde geben konnte. Aber auch feines Gegners Schiffe: 
rüftung war jo bebeutend, daß die Segel den Blid auf das Meer 
verbauten (prospectumque pelagi explicata malis carbasa præ- 
struebant). 

König Ring war zuerft mit Lands und Seemacht am verabrebeten 
Plate angelommen und hatte feine Schaaren georbnet. Als das dänifche 
Heer beranzog, hieß er die Seinigen fi ruhig verhalten, bis fie 
fehen, daß König Harald feinen Schlachtwagen beftiegen habe; leicht 
werde ein Heer, von einem Blinden geführt, zufammenfallen. An: 
defien ordnete Bruno, an Haralds Statt, die Schlachtreihen in Keil: 
form. Der alterblinde König ftand auf dem Wagen und erhob feine 
Stimme, fo laut er konnte, feine Schaaren anzufeuern. Die ungeheure 
Schlaht begann nun. Saxos Darftellung wird bier ſehr emphatifch- 
(S. 225): 

Deinde canentibus lituis summa utringue vi conseritur x bellum. Cre- 
deres, repente terris ingruere calum, sylvas camposque subsidere, mi- 
sceri omnia, antiquum rediisse chaos, divina pariter et humana tumul- 


1 Brävellir, jett Bräwalle, %. Magnufens Edda, he Reg. IV, 802. 
Bgl. III, 286. 


“ 
238 
tuosa tempestate confundi, cunctaque simul in perniciem trabi. Nam ubi 
ad teli jactum perventum, intolerabilis armorum stridor incredibili cunei 
fregore complevit. Vapor vulnerum repentinam c@lo nebulam intendebat, 
dies effusa telorum grandine tegebatur. 


Die Thaten einzelner Kämpen und Schildjungfraun werden · nam⸗ 
"haft gemacht. An der Spitze ber däniſchen Keilordnung focht der Frieſe 
Ubbo, den einſt Harald, da er ihn, als ſeinen Gegner, nicht mit 
Waffen bezwingen konnte, von ſeinen Kriegsleuten mit Händen fangen 
ließ und ihm dann, um ihn für ſeinen Dienſt zu gewinnen, ſeine 
Schweſter zur Ehe gab (B. VII, S. 214). Ubbo erſchlug zwanzig 
erleſene Kämpfer des ſchwediſchen Heeres, eilfe wurden von ihm ver⸗ 
wundet. Zuletzt erlag er ſelbſt, da Niemand mehr ſich mit ihm ins 
Handgemeng wagte, den wetteifernden Pfeilſchüſſen dreier Bogenſchützen 
aus Telemarken. Hundert und vier und vierzig Pfeile hafteten in der 
Bruſt des Kämpfenden, bevor er entkräftet ſein Knie zur Erde neigte. Da 
erſt brach das Verderben über die Dänen ein, hauptſächlich durch den 
Andrang der norwegiſchen Bogenſchützen. 

Der blinde Harald entnahm aus dem traurigen Gemurmel der 
Seinigen, daß ſich das Glück auf die Seite des Feindes gewandt habe. 
Er hieß Brunon, der aus Hinterliſt den Dienft des Wagenleiters ver: 
jah, beobachten, wie Ring fein Heer georbnet habe. Halblachend ant- 
wortete Bruno, der Feind kämpfe in Keilordnung (corniculata acie, 
Doppelkeil auf eine Grundlage geſtützt). Beſtürzt und erſtaunt hierüber 
fragte der König, von wem Ring biefe Weife der Heerſchaarung erlernt 
habe, ba body Din, der Erfinder und Meifter verfelben ſei (discipline 
hujus traditor atque repertor) und von ihm Niemand, als Harald 
jelbft, in dieſer neuen Kriegskunſt unterrichtet worden. Als Bruno 
‘ hierauf fchwieg, gemahnte ed den König, derfelbe jei Obin, und ber 
ihm einft befreundete Gott habe, um ihm jeßt zu helfen ober die Hülfe 
zu entziehen, ſolche Geftalt angenommen. Da begann er denfelben an- 
zufleben, baß er den Dänen, denen er fonft gnädig fich erzeigt, auch 
dießmal den Sieg verleihen möge; auch verfprad er, die Seelen ber 
Gefallenen dem Gotte zu weihen. Bruno aber, unbewegt durch dieſe 
Bitten, warf plöglic den König aus dem Wagen, ftieß ihn zu Bo— 
ben, entriß dem Fallenden die Keule und zerfchmetterte ihm damit bad 
Haupt. 


239 


Um den Wagen bes Königs lagen unzählige Leichname, fo daß fie 
ber die Räder und bis zur Deichfel ragten. Denn im Heere Rings 
aren gegen 12000 erleſene Kämpen (proceres) erlegt worden, auf 
aralds Seite aber außer dem übrigen Kriegsvolk (preeter popularium 
ragem) gegen 30000. 

Sobald Ring den Tod Haralds erfahren hatte, ließ ex das Zeichen 
w Aufbör der Schlacht geben. Ex fchloß Frieden mit den Feinden, 
ie ihren Führer verloren hatten. Hierauf hieß ex die Schweben unter 
m Haufen ber Erichlagenen Haralbs Leichnam aufſuchen. Ein balber 
ag mujte darauf verwandt werden. Als man enblich den Leichnam 
mmt ber Keule gefunden, veranftaltete Ring eine königliche Leichen: 
ier. Er ließ das Pferb, morauf er felbft faß, an den Wagen bes 
Öntgs fpannen, fchmüdte eö mit goldenen Deden und weihte «3 fo 
mm Todten. Unter feierlichen Gelübden flehte er, daß Harald mit 
efem Pferde feinen Tobeögenofien zur Schatientvelt voranziehen und 
ei dem Gotie derfelben Freunden und Feinden frieblide Sitze bereis 
m möge. | | 

Inde vots nuncnpat adjicitgque precem, uti Haraldus, eo veetore usus, 
ti consortes ad tartara antecederet atque apud prestitem Orci Plutonem 
iis hostibusque placidas expeteret sedes. S. 227. 8.] 

Sodann ließ er eimen Scheiterhaufen errichten und befahl den Dä⸗ 
en, das vergolbete Schiff ihres Königs in die Flammen zu merfen. 
lls nun das Feuer den barauf gelegten Leichnam verzehrte, gieng Ring 
nter ben Irauernden Kämpen umber unb forberte fie alle dringend 
uf, Waffen, Gold und mas fie Beftes hätten, zur Ehre eines fo hoch⸗ 
erbienten Königs dem Scheiterhaufen zu übergeben. Die Aſche des 
erbrannten Leichnams hieß er nach Lethra bringen und dort mit Roſs 
nd Waffen Zöniglich beftatten. Indem er durch ein fo ehrenvolles 
ſegängnis feinem Oheim das lebte Recht mwiderfahren ließ, gewann er 
ch die Gunft der Dänen, bie nun unter feine Herrichaft gebracht waren. 
Et hie quidem belli bravici. finis.) 

Das isländiihe Sagabruchftüd, welches nicht nur in der Haupt 
he, fondern felbft in ber Aufzählung der einzelnen Streiter mit Saxo 
sjammentrifft, ergibt gleichivohl beſondre ober. abweichende Büge, von 
enen wir Einiges ausheben. 

Harald Hildetand hatte anberthalbhundert Jahre zurüdgelegt und 


y-. 


re 


fonnte nicht mehr gehen. Bilinger fielen überall in fein Reich ein. Da 


fchien e8 feinen Freunden, daß es dem Lande bei fo geichwächter Herr⸗ 
Schaft übel gebe, und Manche meinten auch, er wäre nun alt genug. _ 


Einige Große des Reichs wollten, als der König im Badgefäfle ſaß, 
Zweige darüber legen und darauf Steine werfen, um ihn im Babe zu 
ertränfen. Er wuſte ihnen aber noch zuborzulommen und beſchloß, eines 


königlichen Todes zu fterben. Nun veranftaltete ex den Krieg mit ſei⸗ 


nem Verwandten, dem Schwedenkönig Ring. 

Das Muthifche ift hier verwifcht. Bruni ift ein Häuptling Haralds, 
den Diefer dad Heer ordnen läßt.. Doch verwundert ift der König auch 
bier, daß die Keilordnung, von der er glaubte, daß Niemand, als er 
und Odin, fie kenne, von feinem Gegner angewandt worben. Ex wird 
von Brimi mit der Keule erfchlagen, ohne daß man den Grund biefer 
That erführe. Beim Leichenbegängnis läßt Ring den König Harald 
in bemfelben Wagen und mit vemfelben Pferde fahren, die er in ber 
Schlacht hatte, und führt ihn fo in den aufgeivorfenen Grabhügel; 
das Pferd wird nachher getöbtet. Auch gibt König Ring den Sattel, 
worauf er felbft geritten, feinem Freunde Harald und beit ihn nun, 
wie er am liebften wolle, nach Valhall reiten over fahren. Ringe und 
Waffen merben nicht ın die Flamme, fondern in den Hügel getvorfen. 
Die Schlachtordnung, wie der Rüffel in der Bruft ſteckt, lernt man aus 
dem Sagabruchſtück deutlicher Tennen, als bei Saxo. 

jenes bat auch eine Erzählung eigen von dem ſchwediſchen Käm⸗ 
pen Solnar-Soti, der von der Schildjungfrau Bebjörg einen Hieb über 
die Wange erhält, wodurch ibm ber Stiefer entzweigefchnitten und das 
Kinn abgefchlagen wirb; er weiß ſich aber zu belfen, er nimmt ben 
Bart zwifchen die Zähne und hält fo fein Kinn feft. 

Das Bruchftüd bemerkt (& 9), diefe Schlacht fei fo heftig und 
bartnädig geweien, daß in allen alten Sagan erzählt werde, wie keine 


— 


— 


I 
! 
| 


Schlacht in Norblanden eine fo große und herrliche Auswahl gewaltiger"! 


Kämpen aufweifen könne !. Auf ähnliche Weile äußert fich bie Here 


vördfaga bei kurzer Erwähnung der Bravallaſchlacht. 
Nach Müllers Unterfuchungen (Sagnbift. 119) würbe biefe Schlahl 
nad) den Andeutungen, welche bie hiſtoriſchen Sagan der Zelänbel 


i Bgl. Ragn. Lodbr. 8. C. 2 zu Anfang. ] 


21, 


enthalten, geichichtlich in die erfte Hälfte des achten Jahrhunderts, um 
730, zu ſetzen fein. 

Daß Earos Erzählung auf einem alten Liebe berube, ift nicht nur 
von ihm felbft bezeugt, fondern ergibt fih auch aus der noch durch⸗ 
aus in den zufammengereibten Kämpfernamen beftehenden Allitteration, 


fowie aus dem poetifchen Schwunge, der beſonders in der angeführten 
Stelle vom Beginne der Schlacht bericht. Was aber die beitimmtere 


Angabe Saros betrifft, ala wäre der heldenhafte Skalde Starlather 


fein Gewährsmann, fo wird hiervon bei der nachfolgenden Starkadrs⸗ 
fage befonders die Rebe fein. Der Bericht in Sögubrot gebt ohne 
Zweifel von derjelben Duelle aus, aber nur mittelbar, nicht mehr aus 
der näheren Belanntfchaft mit dem alten Liebe jelbit. 

Für unſre Zwede ift die Sage von Harald Hyldetand befonbers 
durch ihren mythiſchen Beftandtheil bedeutend." Wenn in manchen der 
bisherigen Sagen nur der Schatten Odins an und vorüberftreift, fo 
eriheint in jener Odin leibhaftig in voller Geftalt und Thätigfeit; ja 
es erwädlt hieraus auch Demjenigen Beglaubigung, was wir dort oft 


N 


aur vermutbend und anbeutend bemerken Tonnten. Odin, ber nach den - 


Seelen der Tapfern dürftet, weiht fich den jungen Helden Harald 
Durch wunderbare Gabe, läßt ſich aber dafür die Seelen ver von ihm 
- Erfchlagenen geloben. Er ftiftet, als Bruni, Zwietracht unter ben 
Verwandten, um den großen Kampf herbeizuführen. Er will nicht, 
Daß fein gealterter Bünftling ruhmlos zu Hel fahre; mit großem Ge: 
Folge von beiden Heeren foll er in Balhall eingehn (denn jo hat Sö⸗ 
gubrot richtig, was Saro ad inferos überſetzt). Odin felbjt gibt dem 
‚ blinden Könige den Keulenfchlag, durch den er zu Valhalls Ehre er- 
| boben wird. Warum aber Ddin all den irdiſchen Kampf errege und 


ſage befannt. Und die Schilderung der Bravallafchlacht felbft, in ber 


| fo gierig auf bie Seelen ber Helden fahnde, ift und aus ber Götter: 


nah Saxos Worten Göttliche und Menfchliches in wildem Sturme 
fh zu vermengen, Beides zufammen ind Berberben gezogen zu 
werden und das alte Chaos wiederzukehren fcheint, bieje wahrſchein⸗ 


ih aus entiprechenden Stellen des alten Liebes entnommene Schil⸗ 


Einherien führen wird und für ben ihm der Erprobten niemals 
genug find. 


| Uhland, Säriften. VI. | . | 16 


| derung erinnert und an jenen legten Kampf, in den Odin Aſen und 


242 


18. Starladr. 

Saxo 8. VI, ©. 154 bis 183. VII, ©. 194. 208. 219. VII, ©. 220. 
225. 227 f. 230 bis 236. (Olo 8. VI, ©. 215 bis 219. 8. VIIL, ©. 228. 227 f.) 
Sagnhift. 76 bis 95. 111. 118. 115. (Ofo 110 f.) Edda Semund. 161. 1646 
(Starkadr). Sögubrot €. 9. (Fornald. $.I, 383: Starkadr und Störkudr.) 
Nornagest. 8. €. 7. 8 im Anf. (Starkadr Störverksson). Hervar. S. 6. 1. 
(Starkadr). Halfe 8. &. 1 bis 4. (Vikerr). Gautrels und Hrolfs ©. €. 8 bis 7. 
Sagabibl. II, 580 f. 584 bis 587. Wal. Suhm, om Odin &, 52 his 54. Lex. 
myth. 315 f. Egils und Asmunds S. Sagabibl. II, 614. 616. Ynglinga 8. 
C. 25 (Starkadur hinn gamle), €. 29 (Ali hinn frokni), Sn. Edde 301 
(Starkadr gamli). 268 (Starkadar lag). 208 (Ali), 108, vgl. Lex. myth. 
©. 636 Note. &. 649-Note. Fornmanna 8. III, 200 f. Gtarkadr in der Hölle.) 
Diejes Helden wird in Sagen und Liedern des Nordens häufig ge: 
dacht. Bon ben zahlreichen und manigfachen Überlieferungen, vie über 
ihn im Umlauf geweſen fein müflen, findet fich jedoch nur noch bei Saro 
ein größerer Vorrath erhalten. Allein wenn glei Saxos Berichte Ge 
burt und Tod des Helden umfaflen und überhaupt fehr reichhaltig find, 
ſo fommen doch nicht bloß bei ihm felbft Andeutungen nun verfchollener 
Abenteuer vor, fondern e8 zeigt auch feine ganze Behandlungsweiſe, daß 
er nicht eine zufammenhängende Starfabrsfaga vor ſich hatte, ſondern 
aus zerftreuten Liedern und Volksſagen ſchöpfte. (Vgl. Sagnhift. 84.) 
€3 liegt dieß auch, wie fich weiterhin ergeben wird, gewiſſermaßen in 
der Eigenthümlichkeit des Sagenhelvden. Außerdem kann wirklich Einiges, 
was Saro unvollftändig oder unbeutlich gibt, von andrer Seite ergänzt 
und befier-aufgehellt werden. Die Sagen von Starlather, welche Saro 
aufgenommen bat, ziehen ſich theils in ausführlichern Darftellungen, 
‚teils in kürzern beiläufigen Meldungen, von andern Geſchichten unter: 
brochen, durch das 6te, 7te und Ste Buch. Wir werden, indem wir 
fie durch Ausſcheidung des dazwiſchengetretenen Fremdartigen zuſammen⸗ 
rücken, uns an die von Saro beobachtete Folge derſelben halten, da fie 
im Ganzen als die richtige erfcheint. Die gefammte Reihe zerfällt aber 
von felbft in einzelne Rhapſodieen, bie wir auch als ſolche unterfcheiden 
und was je in einer Abtheilung aus andern Quellen ergänzt werben 
fann, fogleih beifügen. Bon dem Zufammenhang und der Bebeu- 

tung des Ganzen joll dann zum Schluſſe gehanbelt werben. 


1 [Bgl. die Sagenforfhungen I, 176. Schriften 6, 101 fi. 8.) 





243 


1. Starkadrs Urfprung und vorbefimmtes Schidfal. 


Bei Saro im 6ten Buche wird Starkadr, Storverks Sohn, zuerft 
eingeführt, indem er, von einem Schiffbruch allein gerettet, zu bem 
dänischen Könige Frotho, Fridlevs Sohne, kommt und von dieſem gaft- 
frei aufgenommen wird. Er vermeilt bier einige Zeit ald Hausgenofle 
des Königs, wird von Tag zu Tag ehrenvoller ausgezeichnet, zuletzt 
mit einem fchönen Fahrzeuge beichentt und auf Bilingefahrt aus⸗ 
gefandt. 

Hiezu fügt nun Saro einige allgemeinere Bemerkungen über die 
Perſon Starlavers; derjelbe habe an Körper und Geift gewöhnliche 
Sterbliche überragt, jein Ruhm fei fo weit verbreitet geweſen, daß noch 
jegt das ehrenvollſte Gedächtnis feiner Thaten und feines Namens fort⸗ 
beſtehe. Denn nicht bloß in Dänemark (apud nostros) hab’ er durch 
feine Heldenwerke ſich verherrlicht, ſondern auch in allen Landſchaften 
der Schweden und Sachſen ſich leuchtende Denkmäler geſtiftet. Er ſoll 
in derjenigen Gegend entſproſſen ſein, welche an Schweden im Oſten 
grenze und in der jetzt Eſthen und andere barbariſche Völker ihre weiten 
Wohnſitze haben. Ein fabelhafter Volksglaube aber (ſabulosa et vul- 
garis opinio) babe über ſeinen Urſprung ungereimte Dinge erdichtet. 
Denn Einige erzählen, er ſei von Rieſen entſproſſen und dieſe Abſtam⸗ 
mung habe ſich durch eine ungewöhnliche Anzahl von Händen kund ge⸗ 
geben. Der Gott Thor habe ihn von dieſem Überfluſſe befreit und 
ihm ‚vier derſelben ausgeriſſen, jo daß mit den zwei noch übrigen ber 
vorher riefenhafte Körper auf menjchlihes Maaß zurüdgeführt wor⸗ 
den jet [S. 155]: | - 

Tredunt enim quidam, quod, a gigantibus editus, monstraosi ge- 
neris habitum inusitata manuum numerositate prodiderit, asseruntque, 
Thor deum quatuor ex his affluentis nature vitio procreatas elisis ner- 
vorum compagibus avulsisse atque ab integritate corporis prodigiales di- 
gitorum eruisge complexus, ita ut, duabus tantum relictis, corpus, quod 
ante in gigantes granditatis statum effluxerat ejusque formam informi 
wembrorum multitudine repr&sentabat, postmodum meliore castigatum 
simulacro brevitatis human» modulo caperetur. 


(Der Gott Thor dürfte in dieſem, wie in andern Fallen, dem 
Stile Saros, unbeſchadet der Deutlichkeit, wohl auch einige überzäh—⸗ 
lige Schreibfinger ausreißen.) 


244 — —— 

Im Eingang der Hervörsſaga (C. 1) geſchieht eines Starkadrs 
Erwähnung (fein Vater wird Störkvidr, nach anderer Lesart Stowirkr, 
Fornald. 8. I, 412, genannt), der don den Thuſſen abſtammt und 
ihnen an Stärle und Weſen gleicht; er bat acht Hände und haut mit 
vier Schwertern zugleih. Bon Thor wird er getöbtet. Es ift dieß 
offenbar der Nemliche, deilen Abfunft von ben Rieſen Earo meldet; 
nur zeigen fi in der Saga andere, verbunfelte Überlieferungen 
von ihm. 

Bebeutender ift, was eine andere isländiſche Saga, bie von Gau⸗ 
trek und Hrolf, hieher Bezügliches enthält. Diefe Saga, die ih nur 
in Müllers Auszügen (Sagabibl. U, 614. 616. Sagnbift. 80 f.) kenne 
(die Ausgabe Upfala 1664 ift felten und unvollftändig, ber 3te Band 
der rafniichen Sammlung, darin fie fteben fol, noch nicht zugänglich), 
gehört ihrem fonftigen Inhalt nach zu den fpätern, aber gerabe was 
fie von Starkadr meldet, beruht, wenn auch nicht mehr in urjprüng- 
liher Form erhalten, doch auf altem Sagengrunde. 

Odin hatte, unter bem Ramen Hrosharsgrani, Starlabın erzogen. 
Einft träumte Lehterem (diefe Einkleivung gibt ſich als eine fpätere 
zu erlennen), daß ihn fein Pflegvater an eine abgelegene Stelle im 
Walde führte, wo eilf Aſen faßen, die Hroshbarsgrani als bin 
grüßten. Sie follten Starkadrs Schidfal beftimmen. Thor, ber ihm 
als einem Niefenfohne ungünftig war, vertweigerte ihm Nadylommen: 
ſchaft; Odin gab ihm drei Menfchenalter; Thor fagte, er jolle in jedem 
ein NRidingewerk 1 vollführen. Odin beftimmte ihm die beften Waffen, 
Thor verfagte ihm Lanbbefik; Odin ſchenkte ihm Reichthum anderer 
Art, Thor legte hinzu, daß er doch niemals? genug haben folle. Odin 
gab ihm Sieg in jebem Streit, Thor fügte bei, daß er in jedem eine 
tiefe Wunde davon tragen folle; Odin gab ihm Skaldenkunſt, Thor 
ließ ihn feine eigenen Lieder vergeſſen; Dbin machte ihn beliebt bei den 
Mächtigen, Thor verhaßt beim Volle. Die Aſen beftätigten beiberlei 
Beftimmungen und dieſe bewähren fich benn auch in den nachſolgenden 
Schickſalen des Helden. 


1 Drei Ridingswerle haften auh auf dem Schwerte Tyrfing. Herd. 
S. C. 2. | 


245 


2. Starkadrs erſtes Nidingswerk. 


Die Alten erzählen (tradunt veteres), fagt Saro, daß Starladr 
in der Erwürgung bes norwegiſchen Könige Vikar der Gunft ber 
Götter die Erftlinge feiner Frevelthaten bargebradt (in Wicari Nor- 
vagiensium regis jugulo deorum favori facinorum suorum principia. 
dedicasse). DObin wollte, daß biefer Bilar durch Hägliche Hinrichtung 
untergehen folle, und da er dieß nicht offen ausführen wollte, verherr⸗ 
lichte er Starkadrn, der zubor ſchon durch ungewöhnliche Körper: 
größe ausgezeichnet war, buch tapfern Geift und Lieberlunft, damit 
berfelbe zum Dante bafür fich feiner Abficht gegen Vikar um fo be 
reittoilliger eriwiefe. Er hatte Starkadrn auch darum mit drei Mens’ 
Ihenaltern begabt, damit diefer in ſolchen Urheber eben jo vieler Nis 
dingswerte (totidem execrabilium operum auctor) würde. Starlabr 
begab fich zu Bilar und barg ven Verrath unter dem Scheine des Ge 
horſams. Sie zogen zufammen auf Vilingöfahrt. Als ihnen nun einft 
ber Wind lange fo fehr entgegen war, daß fie den größern Theil bes 
Jahres ftille liegen muften, beichlofien fie, die Götter mit Menfchen- 
blut zu fühnen. Das. Todesloos wurde geivorfen und fiel auf ben 
König. Da ſchlang Starkadr ein Weinenband um den Hals Bilars, 
als follte er nur auf einen Augenblid zum Scheine die Strafe erleiden. 
Aber der Knoten übte fein Hecht und erbrofjelte den Hängenden. Statt 
zu helfen, entriß Starkadr dem noch Zudenden mit dem Schwerte den 
Reſt des Athems. Denn, ſetzt Saro hinzu, die Meinung fcheint mir 
nicht der Erwähnung werth, wonach die weichen Weiden fich plötlich 
zum Eifenbanbe härteten. 

Auch die Bautrels: und Hrolfs-Saga Mnüpft den Verrath gegen - 
Bilar unmittelbar an die Beftimmung der Schickſale Starladrs. Diefer 
bat fein Traumgeficht eben in der Nacht, als das 2008 den König ges 
troffen. Nachdem die Berfammlung der Aſen ſich getrennt, forbert 
Odin zur Vergeltung feiner Gaben von Starkadrn, daß dieſer ihm 
Vilarn fende, und gibt demſelben einen Spieß, ber nur ein Rohr 
ftengel zu fein Scheint. Am nächften Morgen läßt Vikars Schiffsvolk 
ſich an, als fol! er Odin geopfert werben; aber durch Zauber wird das 
Spiel zum Ernfte und das Rohr, womit Starkadr ihn berührt, wird 
zum Speere, der des Königs Herz durchbohrt. 


! 


246 


Müller bemerkt, daß der Schidſalsrath der Aſen in der urſprüng⸗ 
lichen Sage gleich bei der Geburt Starkadrs werde ſtattgefunden haben. 
Da jedoch Saxo und die Saga in ber Anknüpfung dieſes Götterrathes 
an das erfte Nibingswerk übereinftimmen, fo kann auch wohl die Auf 
fafjung der Sage angenommen werden, daß Odin ſich bes riefenhaften 
Starkadrs erft bemächtigt, nachdem Diefer fchon fo gewaltig berange: 
wachjen. Im Nidingswerke an Bilar muß der von Ddin Begabte dem 
Gotte fein erftes Opfer bringen. 

Über Vikar felbft. aber müſſen wir noch eine andere isländiſche 
Duelle beiziehen, die früher dargeftellte Saga von Half und Halfe 
Reden. In den Vorgeichichten derſelben, welche wir bamals bei Seite 
ließen, wird Folgendes erzählt: 

Alfrel, König in Hörbaland, deffen Gemahlin Signy hieß, hatte einen 
Hofmann, mit Namen Kol. Diefer folgte dem König nordwärts nach Sogn 
und fagte ihm viel von der Schönheit Geirhilds, ber Tochter Drifs. Denn er 
hatte fie beim Brauen geſehen und äußerte nun, daß er fie dem Könige zur 
Ehe wünfchte. Höttr 1, der eigentlih Odin war, kam nun zu Geirhild, da fie 
mit der Leinwand beichäftigt war. Er nahm mit ihr die Abrebe, daß König 
Alfrek fie zur Ehe haben, fie aber ihn ſelbſt in Allem anrufen follte. Der 
König fah fie, zog mit ihr heim und hielt denfelben Herbſt mit ihr Hochzeit. 
Allein er Tonnte nicht beide Frauen behalten, ihrer Uneinigleit wegen. Da 
fagte er, daß er die behalten wolle, welche das befte Bier gebrant haben würde, 
wenn er von der Fahrt zurüdtäme Sie wetteiferten nun im Bramen. Gigny 
rief Freya an und Geirhild Hött. . Diefer gab flatt der Gähre feinen Epeichel 
bei und fagte, daß er für feine Hilfe haben wolle, was zwifchen Geirhild und 
der Kufe ſei; und ihr Bier beſtand die Probe. Da ſprach Alfrek: 

Mert auf, Geirhild! 

Gut iſt dieß Bier, 

Wenn ihm nicht folgen 

Andre Gebrechen. 

Hangen ſeh' ich 

An hohem Galgen 

Deinen Gebornen, 
Verlauft an Odin. . 
Sn demjelben Halbjahr‘ ward Bilar geboren, Sohn Alfreks und Geirhi. 
G. 1.) 

1 Höttr, Hut, von dem tief ins Geficht gehenden Hute, mit dem Odin 
gewöhnlich in feiner irdiſchen Erſcheinung auftritt. . 


? 


247 


Was Alfrek in der Lievesftrophe feinem Sohne weiſſagt, über - 
befien Tod die Halfefaga nichts enthält, bringt nachher Dbin, indem 
er fein Anrecht auf Bilar geltend madt, durch Starkadrs erſtes Ni⸗ 
dingswerk in Erfüllung. 


3. Starladrs Kriegsfahrten. 


Starladr nahm Bilars Schiff und verband fi mit Bemo, dem 
tapferften der dänifchen Bilinger. Dieſe beiven Yahrtgenofien hielten jo 
auf Maäßigkeit, als eine Hauptftüge der Tapferkeit, daß fie fich niemals 
den Gelagen der Trunfenen hingaben. Sie bezwangen weit umher bie 
Länder. Bei einem Einfall in Rußland hatten die Einwohner, um fie 
aufzuhalten, ihnen Fußeiſen gelegt. Die Dänen aber befeftigten Hölzer 
unter die Sohlen und fchritten fo über das Hemmnis hinweg. Sie 
verfolgten den ruffiihen Fürften in die Wälder und erlangten bier fo 
große Beute, daß feiner anders, ala mit Gold. und Silber beladen, 
zu den Schiffen zurückkam. Nach Bemos Tod wurbe der tapfere Star: 
kadr von biarmiſchen Kämpen in Genofjenfchaft aufgenommen, bei 
denen er viele denkwürdige Thaten verrichtete. Dann begab er fidh 
nad) Schweden, wo er bei den Söhnen Freyrs (cum filiis Fro, den 
Ünglingern, dem ſchwediſchen Königsgejchlechte, das jeinen Urſprung 
von Freyr herleitete!) fieben Jahre feierte. Zur Zeit der Opfer in 
Upfala aber wurden ihm die weibifchen Tänze, die Spiele der Gaukler 
und das Gellingel der Schellen zum Ekel. 

Quod apud Upsalam sacrificiorum tempore constitutus, effoeminatos 
corporum motus, scenicosque mimorum plausus ac mollia nolarum cre- 
Pitacula ? fastidiret. 

Er verfügte ſich deshalb zu dem bänifchen Häuptling Halo (ad 
Haconem, Danie tyrannum). Mit diefem machte er eine Fahrt nad) 
Irland, wo damals Huglet König war. Obgleich im Beſitz eines reis 
hen Schages war Huglet doch fo geizig, daß er, als er einft Schuhe 
verichenkte, bie Riemen zurüdbehielt. Bei dieſer Kargheit gegen Ehren: 
leute war ex nur gegen Epielleute und Gaufler (mimos ac jocula- 
tores) freigehig. In der Schlacht zwiſchen Huglet und Hako nun verließ 


1 Bel. Saxo B. VII, ©. 223. 
2 ®gL. Bvensk. Folkwis. I, XLVI. 





248 


r. 


all dieſes nichtswürdige Volk zitternd die Reihen und vergalt bie 
Wohlthaten des Königs mit ſchändlicher Flucht. Nur zwei tapfere 
Kämpen, Gegath und Svibdav, vertheidigten die Schätze ihres Herrn, 
warfen fi allein der feinplihen Menge entgegen und fochten für ein 
ganzes Heer. Gegath ſchlug Hafon, ter auf ihn eindrang, eine ſolche 
Wunde in die Bruft, daß die Leber geftreift wurde. Auch Starkadr 
erhielt von Gegath eine tiefe Kopfwunde. Er verficherte nachher im 
Liede (in quodam carmine), daß er nie eine ſchwerere empfangen, 
weil fie niemals fich ſchloß, wenn glei äußerlich die Haut das geſpal⸗ 
tene Haupt zufammenhielt. Nachdem Huglet -befiegt und gefallen 
war, ließ Starkadr, jo viel der Gaukler gefangen wurden, mit Ruthen 
. ftreihen. Der Tönigliche Schatz zu Dublin (apud urbem Dufflinam) 
wurde dem Kriegövolfe preisgegeben. Er war fo groß, daß man an 
feine forgfältige Theilung dachte. 

Nach diefem wurde Starfabr mit dem flavifhen Fürften Win ab⸗ 
geſchickt, um dem Abfall der öftlihen Völker Einhalt zu thun. Sie 
fänipften gegen die Heere der Kuren, Eemgallen und zuletzt aller Völ⸗ 
fer im Oſten und erfocdhten rubmvolle Siege. In Rußland war ber 
Kämpe Wifinn, der ven Felfen Anafial bewohnte, die Geifel naher‘ 
und ferner Landfchaften. Er raubte die Frauen ber angefehenften 
" Männer. Denn er hatte nichts zu fürchten, weil fein bloßer Blick alle 
Waffen ftumpf machte. Starfabr, der hievon gebört, machte fich auf, 
den Frevler zu beftrafen. Im Kampfe mit Wifinn bebedite er fen 
Schwert mit einem dünnen elle, machte jo ven Zauber unwirkſam und 
erlegte den Gegner. Nachher Überwann er bei Byzanz ben Rieſen 
Tanna im Ringkampf und zwang ihn, fremde Länder aufzuſuchen. 
Auch nach Polen drang er und befiegte im Zweikampf einen Kämpen, 
den die Dänen (nostri) Waſon!, die Deutſchen aber Wilga nennen. 
Inzwiſchen fannen die Sachſen, die fi) der Dänenkönig Frotho zins⸗ 
bar gemadt hatte (Saro ©. 154), auf. Abfall. Da fie Feine Schladt 
gegen ihn wagten, fo ſchlugen fie einen Zweikampf vor. Sie wählten 
bazu bie Zeit, ba fie den gefürchteten Starkadr auf Kriegsfahrten ab- 
weſend wuſten. Diefer kam jedoch eben‘ recht zurüd, um den Kampf 
-für ben König zu beftehen, der ihn einft als Schiffbrüdigen auf 


1 ©. 285: inde dedi letho Wazam u. |. w. 


249 


genommen. Die Sachſen hatten dem Kämpen Hama (Heime?), der bei 
ihnen für den fiegberühmteften galt, veriprochen, wenn er fi) dem 
Streit unterzöge, ihn mit Gold aufzuwägen. Die erforenen Streiter 
wurben von beiden Seiten mit Zriegeriihem Gefolge auf die Kampf: 
fätte geführt. Hama veradhtete feinen greifen Gegner und wählte den 
Ringlampf. Auch führte er. einen folden Fauftichlag auf Starkadrn, 
daß Diefer, auf bie Knie geftügt, den Boden mit dem Kinn berührte. 
Sein Schidjal ließ ihn aber nicht befiegt werben, er erhob fich, ent: 
blößte das Schwert und hieb Haman mitten durch. (Complures agri 
[dieß würde nicht zu Thors VBorbeftimmung paſſen] sexagenaque 
mancipia victoriee pretium extitere.) Den Sachſen wurde noch firen- 
gerer Zins auferlegt. 

Die Thaten Starkadrs, die wir in dieſer Abtheilung zuſammen⸗ 
gefaßt haben, find in Saxos 6tem Buche faft ebenſo ſummariſch, ohne 
belebtere Darftelung, nad einander aufgezählt, wie fie hier wiederge⸗ 
geben worden. Es läßt fich hieraus fchließen, daß Sazgo felbft ent: 
weber feine ausführlichen‘ Sagen darüber vor ſich gehabt, ober fo aben⸗ 
teuerliche, daß es fie feinem Werke nicht. einverleiben mochte. Da er 
jedoch in letzterem Punkte fonft nicht fo ſtreng verfährt, fo ift die erftere 
Annahme um jo wahrfcheinlicher, ala er uns auch wirklich die Beichaf: 
fenheit feiner. Quelle errathen läßt. Im Sten Buche (S. 234 f.) läßt. 
er Starkadrn in lateinifchen Verſen die bedeutendern Thaten, die er in 
feinem langen Leben vollbracht, der Reihe nad namhaft maden. Alle 
find nur kurz berührt und es findet fich Einiges darunter, was nicht 
ſchon im 6ten Buche.erzählt. war. Auch bier hatte er, wie gewöhnlich, 
ein altes Lieb zu Handen. Lieber biefer Art, in welden ein Held am 
Ziele feines Lebens auf bie ausgezeichnetften Begegniſſe desſelben zurüd: 
blickt, kommen in der norbifchen Porfie mehrere vor. Aus demjenigen 
nun, welches Starkadrn beigelegt war, nahm Saro die beutlidheren 
Momente in die Erzählung bes 6ten Buches, der wir gefolgt find, auf, . 
bie übrigen begnügte ex ſich, zugleich mit jenen, in ben lateinifchen 
Berfen des Sten Buches raſch vorüberzuführen. Für Einiges jedoch 
mochten ihm noch anbermärtige Überlieferungen zu Gebot ftehen; jo 
namentlich über Starkadrs Genofienihaft mit Halo. Es erhellt nicht 
recht, wie Saro ſich das Verhältnis dieſes Halo, den er (5. 157) 
Daniee tyrannum nennt, zu dem für gleichzeitig angenommenen Dänen . 


2% 


Zönige Frotho gebacht habe. Mehrere Generationen nachher, im 7ten 
Buche (S. 203), finden wir au Starkadrn bei Halo, dem Sohne 
des norwegiichen Königs Hamund, dem Bruder Hagbarthe, den König 
Sigar aufhängen ließ. Als Halo den Tod feines Bruders rächen 
will, verläßt ihn Starfabr, weil er früher von dem alten Sigar Gaft 
freundſchaft genoflen hatte. Daß aber dieſer Hako, Hamunds Sohn und 
Hagbarths Bruder, identiſch fei mit dem Hako bes Tten Buches, in 
befien Gefolge Starkadr den Zug gegen den König Huglet in Irland 
mitmacht, gibt Saxo felbft zu erkennen, jndem er jo anknüpft: 

Hako, Hamundi filius, quum in ultionem fratrum arma ab Hyber- 
niensibus in Danos translaturus videretur, ab u. ſ. w. Starkathero u. ſ. w. 
deseritur. 

Saro bat ſich hier, mie öfters, in feine Königsreihen verwickelt, 
den Beftand der Sage jedoch ungelränft gelafien. Dieß zeigt uns bie 
Vergleichung deſſen, was die Inglingafaga von ber Verbindung Star: 
kadrs mit Hako, nordiſch Haki, berichtet. Im 2öften Cap. derſelben 
wird der Zug des Seeldnigs Haki mit feinem Bruder Hagbardr und 
dem alten Starkadr (Starkadur hinn gamle) gegen König Hugleik 
(Soros Hugletus), der nur gegen Gaukler und Spielleute freigebig 
war und bei dem allein die Kämpen Spipdagr und Geigabr (Gegathus 
et Suibdavus) ftanden, in der Hauptfache mit benjelben Zügen erzählt, 
wie bei Saro. Nur ift Hugleil nicht König im entlegenen Irland, 
fondern im näheren Schweden!, was wir auch für das Urfprünglicde 
anfehen bürfen. Hali fiegt und wird König in Schweden. Er mar, 
nach all diefem, ein fagenberühmter Seelönig, Anführer von Bilingern, 
von dem auch Sazro, außer bem Angeführten, noch Mebreres zu fagen 
weiß. In feinem Dienft, als Schildjungfrau, gab der verfleidete Hag⸗ 
barth vor, die rauhen Hände und Sohlen erhalten zu haben. Er 
hatte (Anglingafaga Cap. 25), wie jeder Sagenkönig, zwölf Kämpen bei 
fih und darunter war Starladr?, In Schtveden fahte er zwar auf einige 

1 Bol. Geijer S. 414 f. Saxo ©. IV, ©. 97, 2. 

2 Diejer jagt fpäter S. 178: 

Undeeim quondam proceres eramus 
Regis Haconis studium secut!. 
Hic prior Helgo Gegathus resedit 
Ordine cone, 
Bol. ©. VII, ©. 19. 


251 


Zeit auch als König eines Feftlandes Fuß, aber am Ende feines Lebens 
lehrte er in fein voriges Element zurüd, wie diefelbe Saga (Cap. 27) 
erzählt. Zwei Söhne des alten Königsgeſchlechts Tieferten ihm auf 
Fyrisvöll eine Schlacht. Er blieb Sieger, hatte aber fo große Wun- 
ben empfangen, daß er ſah, fein Leben neige fich zum Ende. Da ließ 
er ein Schiff mit Leichen der Erfchlagenen und mit Waffen belaben, 
das Steuer zu recht legen und die Segel aufziehen, dann auf dem 
Schiffe einen großen Scheiterhaufen errichten und anzünden. Der fter 
bende Haft wurde auf den Scheiterhaufen gelegt. Der Wind blies 
vom Lande und das brennende Schiff fuhr mit vollen Segeln in bie 
offene See. Das war lange nachher allfunbig 1. 


4. Starkadrs erfte Hofreife. 


König Frotho in Dänemark, bei bem einft Starladr als Schiff: 
brüchiger ebrenvolle Aufnahme gefunden und dem er burd den fieg- 
reichen Zweikampf mit dem jächfiihen Kämpen Hama gelohnt hatte, 
gieng in Abweſenheit des Helden auf klägliche Weiſe unter. Die Sachſen⸗ 
könige (reguñ) Sverting und Hanev ſannen darauf, die ihnen auferlegte 
Dienſtbarkeit abzuſchutteln. Hanev griff offen zu ben Waffen. Aber 
Frotho führte fein Heer über die Elbe und Hanev fiel bet Hanover, 
das nach ihm benannt ift (apud vicum Hanofra, taliter ab eo nun- 
cupatum). Sperting dagegen verhehlte feinen Groll und war auf Ber: 
rath bedacht. Saro hält ihn durd den rühmlichen Zweck nicht für 
entichulbigt. | 

Nam etsi patrie libertatem quærere perutile videbatur, ad hanc tamen 
dolo ac proditione contendere non licebat. 


Sperting wollte den König Frotho, den er zum Gaftmahl em- 
pfangen, durch angelegtes Feuer verberben, wurde aber ſelbſt noch 
von Frotho erreicht und fo fielen fie Einer von des Andern Schwerte, 

Frothon folgte fein Sohn Ingell (Angjald) im Reiche nad. Dieſer 
überließ fich gänzlich der Trägheit und Schwelgerei; die Waffen lich 
er ruhen und bachte nicht darauf, feinen Vater zu rächen. Er ließ 


1 Allfreegt; alfregan = clarescere; vgl. Lex. isl. I, 24a. 2525: fregia 
== celebrare, laudare. 





252 


. 
— — — — 


ſich ſogar von den Söhnen Svertings, welche dadurch die Rache von 
ſich abwenden wollten, die Schweſter derſelben zur Ehe geben. Seine 
eigene Schweſter, Helga, wuſte ein Goldſchmied, von unedler Herkunft, 
durch Schmeicheleien und kleine Geſchenke für ſich zu gewinnen. Denn 
ſeit dem Tode des Vaters war ſie ohne Aufſicht und Vormund. Star⸗ 
kadr, der ſich damals bei dem ſchwediſchen Könige Haldan befand, hatte 
durh Erzählung der Wanderer hievon Kunde erhalten und befchloß 
fogleih, den Übermuth des Goldſchmieds zu beftrafen ünd ber ver: 
waisten Tochter Frothos deifen Verbienfte um ihn zu vergelten. Eilig 
burchaog er Schweden, . trat in das. Haus des Goldſchmieds und ſetzte 
ſich zunächſt der Thüre, indem er mit einem tief hereingehenven Hute 
fein Geficht verbarg. Der Goldſchmied hieß ihn gleich Hinauögehn und 
mit den Bettlern die übrigen Broden verzehren. Der Greis aber blieb 
mit verhaltenem Grimme fiten und wollte den Muthwill des Golk- 
ſchmieds näher Fennen lernen. Diefer trug koſtbare Gewande, mit 
Biberfellen gejäumt und mit Gold verbrämt, auf feinen Schuhen 
Hlänzten Edelfteine und um feine Haare wanden fich leuchtende Bänder. 
Starkadr fah nun mit an, tie Jener fein Haupt in ben Schooß der 
Königstochter nieberlegte und fie ihm mit ihren zarten Händen bie 
Locken ſchlichten mufte. Bald jedoch warnte fie den Zubringliden vor 
bem Greis an ber Thüre, der mit forfchendem Auge umberblide und 
in dem fie Starkadrn vermuthe. Der Goldſchmied aber. erwiberte, nie 
werde der Held, den fie fürchte, in jo bettelhaftem Aufzug ericheinen. 
Da warf Starladr zornentbrannt die Verhüllung ab und griff ans 
Schwert. Der erfchrodene Goldſchmied wuſte ſich nicht zu rathen; bie 
Thüre zu juchen, an der fein Feind ſaß, war jo gefährlih, als ihn 
innerhalb des Haufes zu erwarten. Endlich zog er die Flucht vor; als 
ex aber über die Schwelle eilte, bieb ihm ber Alte, zu ſchmählicher 
Strafe, die Sitztheile auf. Als fich ſofort die Hausgenofienfchaft 
ftaunend und klagend um den Vertvundeten fammelte, ließ fi) Star: 
fabr in bittrer Hohnrede aus. Saro bat hier ein altes Lieb in eine 
lange Reihe Iateinifcher Herameter Übertragen. Darin erzählt Starkadr 
den ganzen Hergang, rügt den Übermuth des Goldſchmieds und ermahnt 
die Königstochter, ihrer Ahnen eingedent zu fein. Unter den Schmieben 
jelbft macht ex einen Unterſchied; Funftreich zwar, aber von weicherer 
und zaghafter Sinnesart feien die Goldſchmiede; tüchtiger und hand 


253 


fefter feien, wie er felbit einft erfahren, Diejenigen, welche Schwerter 
und andre Waffen ſchmieden: 

... me jndice præstant, 

Qui gladios et tela viris ad prelia cudunt 

Ingenioque animos produnt et corda rigore 

Officii signant ausymgue labore fatentur. 

Die Erfahrung, auf die er fich bier nur beiläufig bezieht (ietus. 
ab his quondam), wirb etwas näher in dem jchon erwähnten jpätern 
Liede bezeichnet, worin er bie bebeutenderen Ereignifie feines Lebens 
zufammenfaßt. Dort ergibt fich, jedoch ohne Angabe des eigentlichen 
Anlafles, daß er einft von den Schmieden in Telemarken wohl ger: 
hämmert worden (B. VIII, S. 234): 

nen Post hec Thelemarchos 
Aggressus, caput inde tuli livore cruentum, ' 
Quassum malleolis ermisque fabrilibus ictum. 
Hic primum didici, quid ferramenta valerent 
Incudis, guantumve animi popularibus esset. 

Nah der Hohn⸗ und Strafrede Tehrte Starkadr nad Schweden 

zurüd und lag in König Haldans Dienfte unabläflig den Waffen ob. 


5. Starkadrs zweite Hofreife. 


Helga, Frothos Tochter, lebte, nach den Lehren, die fie von 
Starlabr empfangen !, in ftrenger, jungfräulicher Sitte. Um fie wollte 
der Norweger Helgo werben. Er beftieg ein Schiff, deſſen Segel mit 
Gold gekhmüdt und an einem vergofdeten Mafte mit purpurfarbigen 
Tauen befeftigt waren. "König Ingell mwilligte in das Begehren des 
Freiers, wenn er dafür einen Kampf wagen wolle. Helgo erklärte ſich 
dazu bereit. Es waren nemlich damals auf Seeland neun Söhne eines 
Herzogs (ducis oujusdam) von großer Stärke und Kühnheit. Der 
ältefte besfelben, Anganter, war gleichfalls Bewerber um des Königs 
Schweſter und als fie nun belgon zugeſagt war, forderte er dieſen 
zum Kampfe. = 

Die Zeit des Kampfes wurde auf den Tag nach der Hochzeit 
feſtgeſetzt. Helgo war jedoch in großer Beſorgnis, denn er follte, mie 
es ſchien, gegen alle neun Brüder Tämpfen: Da er fich jedoch hiezu 


1 Diefe waren ſehr handgreiflich. 


254 


nicht beftimmt verbindlich gemacht hatte, jo rieth ihm feine Braut, 


Stoarkadrn herbeizubolen, der ftet3 den Hülfsbebürftigen gewärtig zu 


fein und durch feine Zwiſchenkunft fchlimmen Fällen eine glüdliche 
Wendung zu geben pflege. Helgo machte ſich mit weniger Begleitung 
nad Schweden auf. Als er vor Upfala angelommen, ſchickte er Einen 
in bie Stabt voraus, der Starkadrn mit höflichem Gruße auf bie 
Hochzeit der Tochter Frothos laden ſollte. Starkadr fah den Boten 
zornig an und erwiberte, eine fo thörichte Einladung würde nicht un 
geitraft bleiben, wenn nicht feines tbeuern Frotho in der Botichaft 
gedacht worden wäre; denn man jcheine ihn für einen Poflenreißer 
oder Schmarpzer zu halten, der dem Geruche fremder Küchen nachlaufe. 
Auf diefe Antwort begab fich Helgo felbft in die Königsburg, grüßte 
den Alten im Namen der Tochter Frothos und erbat ſich ihn zum 
Genoſſen des verabreveten Kampfes. Da wurde Starkadr freundlich, 
fagte ‚feine Hülfe zu und hieß Helgon mit feinen Begleitern nad) 
Dänemark zurüdreifen. Er felbft machte fi) erſt Ipäter auf ven Weg 
und lief (si famee credi fas est) fo geſchwind, daß er in einem Tage 
fo weit fam, als Jene in zwölfen gelommen waren, und gleichzeitig 
mit ihnen vor der Halle Ingells eintraf. Die Tiiche waren ſchon mit 
Hochzeitgäften beſetzt, unter denen fi auch die neun Tampfluftigen 
Brüber befanden. Sie verhöhnten den Frembling, merkten aber bald, 
daß er Derjenige jei, der zum Beiftand Helgos aus der Ferne Tommen 
follte. In der Hochzeitnacht hielt Starkadr vor der Brautlammer Wache, 
indem er jein Schwert ftatt des Riegelö ber Thüre vorſchob. Als aber 
ber Tag graute und der Bräutigam fich verfpätete, wollte Starlabr 
ihn nicht aufweden, fondern machte fich fill von dannen, um allein 
ben Kampf für ihn zu beftehen. Er gieng nach dem Felde Roliung 
- und feßte fih an einen Bergabhang, dem Wind und Schneegeftöber 
entgegen. Aber als ob Frühlingsluft webe, zog ex fein Kleid aus 
(tunc ac si verna cceli temperies aspiraret, deposita veste, demen- 
dis operam pulicibus dabet). Den Purpurmantel, den ihm Helge 
geichenkt hatte, warf er in die Dorne. Die neun Kämpen zogen auch 
beran, lagerten ſich aber auf die entgegengefehte, windftille Seite des 
Berges und machten ein Feuer auf. Als fie Starkadrn nicht jahen, 
Ihidten fie Einen auf den Berg, um von dort nach befjen Ankunft 
auszuſchauen. Der Kundſchafter erftieg die Höhe und fab nun am 





259 


Abhange den alten Mann, der bis zu den Schultern eingejchneit war. 
Auf die Frage, ob er ver fei, der den berabreveten Kampf ausfechten 
wolle, antwortete Starfabr bejahend. Seht Tamen auch die Andern 
und fragten, ob er fie alle zugleich ober einzeln zu befämpfen gefonnen 
ſei. Er wählte den Kampf mit Allen auf einmal und diejer begann 
nun. Sechs derjelben ftredte Starkadr nieber,. ohne jelbft verwundet 
zu werben; auch die drei Übrigen gejellte er ihren Brüdern bei, aber 
von ihnen wurde er mit fiebenzehn Wunden jo zugerichtet, daß ihm 
die Gedärme aus dem Leibe biengen. Ermattet und von Durft gequält 
kroch er auf den Knieen nach dem nabe riefelnden Bache. Aber in das 
Bett diejed Baches war Anganter niebergeftredt worben und das ftrd: 
menbe Blut desfelben röthete weithin das Waſſer. Starkadr wollte 
lieber verſchmachten, ald aus dieſem Bade trinken. Als feine Kraft 
faft verzehrt war, lehnte er fich hinſinkend auf einen Felsftein und 
noch zu Saros Zeit ſah man die Oberfläche dieſes Steines ausgehöhlt, 
wie wenn fich ein Liegenber darin abgebrüdt hätte: 

Ego autem hanc imaginem humana arte elaboratam reor, cum veri 
fidem excedere videator, insecabilem petre duritiam ita cere mollitiem 
imitari potuisse, ut solo innitentis contactu human sessionis speciem 
representaret habitumque perpetue concavitatis indueret. 1 


Ein Mann, der zu Wagen vorbeilam, ſah Starkadrn am ganzen 
Leibe voll Wunden und fuhr mit Staunen und Grauen näher hinzu. 
Er fragte, was ihm zum Lohne würde, wenn er diefe Wunden heilte. 
Starkadr aber ffagte erft nach Beruf und Ablunft des Mannes, und 
als er hörte, daß es ein Büttel ſei (preeconis partibus fungi), wies 
er ihn nicht bloß mit Verachtung von fich, fondern überhäufte ihn noch 
mit Schmähworten, daß er den Schaden der Armen fi zum Gewinn 
sechne, im Auskundſchaften und Anklagen fein Geſchäft fuche und jede 
Unschuld anſchwärze. Nachdem Dieſer fih entfernt hatte, kam ein 
Andrer, der gleichfalls feinen Dienft anbot und auf die Frage über 
feinen Stand erklärte, daß er eine Leibeigene zur Ehe habe und, um 
fie frei zu macen, ihrem Herrn Feldarbeit ‚verrichten müſſe. Auch 


1 Anders erzählt e8 Starladr ©. 285: 
Teste loco, qui, me stomacho linquente, peresus, 
Non parit arenti redivivum cespite gramen. 


[5 


256 


diefen würdigte Starfabr nicht, Hülfe von ihm anzunehmen. Nach 
ihm fam ein Weib dahergegangen, das ſich auf die gewöhnliche Frage 
als eine Magd zu erfennen gab, die an ber Handmühle arbeite. Star 
kadr fragte fie weiter, ob fie ein Kind habe, und als fie es bejahte, 
hieß er fie nach Haufe gehen und, ftatt feine Wunden zu heilen, ihrem 
weinenden ZTüchterlein die Bruft geben. Endlich fuhr ein Jüngling 
heran, ber auch, als er ben Greis erblidte, hinzutrat, um ihm zu 
helfen. Auf Befragen, wer er-fei, nannte er fi den Sohn eines 
(freien) Bauern, welcher jelbft auch den Landbau treibe. Starfabr 
Iobte die Ablunft des Jünglings und erfannte feinen Beruf für den 
ehriwürbigften, da derſelbe keinen andern Erwerb kenne, als ben er 
fih im Schweiße des Angefichts verjchafft. Das Leben des Landbauers 
fer dem gröften Reichthum vorzuziehen, da e8 zwilchen glänzendem und 
niedrigem Looſe die glüdlihe Mitte halte. Zum Lohne für den Liebes: 
dient beftimmte er dem Sünglinge den zwiſchen die Dorne geworfenen 
Mantel. Der Bauernfohn gieng nun and Werk, brachte die ausge⸗ 
tretenen Eingeweide wieder an ihren Drt und band fie mit Weiben 
ein. Hierauf nahm er ‚ben Greiß auf feinen Wagen und führte ihn 
voll Ehrerbietung nach der Königsburg. | 

‚  Unterbefien war Helga in großer Sorge um ihren jungen Gemahl. 
Sie wuſte, daß Starkabr, fobald er nach Befiegung der Kämpen zurüd: 
fomme, Helgon, der ſich aus Meichlichleit verfäumt, zur Strafe ziehen 
werde. Sie rieth nun dem Gemahl, ſich tapfer zu wehren, da Star: 
kadr die Mannhaften zu ſchonen, die Feigen zu baflen pflege. Kaum 
war Starkadr vor der Königsburg angelangt, fo fprang er, den Schmerz 
feiner Wunden ‚nicht achtend, wie ein Gefunber vom Wagen und erbrach 
mit einem Fauftfchlag die Thüre des Brautgemachs. Auch Helge fprang 
auf, ſchwang fein Schwert und traf Starkadrs Stirne Als er aber 
zum zweitenmal bauen wollte, lief Helga mit vorgehaltenem Schilde 
bazwifchen. Der Schild wurde von Helgos Schwertftreich bis zur Mitte 
durchgehauen. Starkadr lobte diefe Probe von Helgos Tapferkeit und 
ließ ihn nun ungefährbet. So hatte Helga zugleich ihren Gemahl ge 
rettet und ihren Woblthäter gejchirmt. Bevor noch Starkadrs Wunden 
auögebeilt waren, eilte er nach Schweben zurüd, um dort, nachbem 
König Haldan von Empörern ermordet worden, deſſen Sohn Syvard 
in die väterliche Herrichaft einzufegen. 


257 


6. Starfadrs dritte Hofreiſe. 


Noch immer war für den Tod Frothos keine Rache genommen. 
Sein entarteter Sohn Ingell hatte ſich vielmehr mit den Mördern des 
Vaters enge befreundet. Der Unwille hierüber veranlaßte Starkadrn 
zum dritten Gange nach Dänemark. Er nahm eine große Laſt Kohlen 
auf den Rücken und wenn die Leute, die ihm begegneten, ihn fragten, 
was er damit wolle, antwortete er, er wolle dem froſtigen König In⸗ 
gell einheizen (Ingelli regis hebetudinem ad acuminis habitum car- 
bonibus se perducturum astruxit). Den ganzen Weg legte er raſchen 
Zaufes, wie in einem Athem, zurüd. In der Halle Ingelld nahm er 
den Ehrenfih ein, den ihm die Könige des vorigen Jahrhunderts überall 
eingeräumt hatten. Als die Königin ſah, daß ein Mann in ſchmutzigen 
und zerlumpten Kleidern fi obenan auf die Foftbaren Polſter zu jegen 
erkühnt babe, fchmälte fie auf ihn als einen Unverfchämten und hieß 
ihn diefen Pla verlaffen. Er gehorcdhte zwar ſchweigend, konnte aber 
doch feinen Ingrimm nicht ganz verhehlen. Im Aufftehen drüdte er 
fo Stark gegen die Wand, daß das Gebälf erzitterte und den Einfturz 
drohte. Er ließ fih nun im äußerften Theil der Halle niever. König 
Ingell Tam von der Jagd zurüd und betrachtete aufmerkſam den Alten, 
der nicht vor ihm aufftand. An der finftern Stirne, den fcharfen 
Augen, den rauhen Händen und den Narben auf der Vorberfeite des 
"Körpers erkannte er Starkadrn. Seiner Gemahlin verwies er ihr 
Benehmen und hieß fie diefen Mann, den ihm einft fein Vater zum 
" Pfleger gegeben, auf das Freundlichſte bewirthen. Abends beim Mahle, 
dad der König mit Spertings Söhnen, feinen Schwägern, einnahm, 
wurden die ausgefuchteften Speifen aufgetragen. Ingell lud Starkadrn 
dringend ein, fich nicht früher dem Mahle zu entziehen. Der Greis 
aber verſchmähte den ſchwelgeriſchen Überfluß und verlangte einfache 
Bauerntoft. Auf die Frage, warum er fo finfter die Gaftfreiheit des 
Königs von fich mweife, eriwiberte er, um den Sohn Frothos, nicht um 
einen Schlemmer zu finden, fei er nach Dänemark gelommen (S. 174). 
Saro äußert ſich hiebei ſehr erbittert über den verberblichen Einfluß 
ber deutfchen Üppigfeit auf den Norden [S. 172]: 

Postquam se enim [Ingellus] Teutonie moribus permisit, effoeeminate 
ejus lascivie succumbere non erubuit, Ex cujus sentina in patrie nostre 

Uhland, Schriften. VII. 17 
DI 


238 


fauces haud parva luxurie nutrimenta fluxerunt. Inde enim splendi- 
diores mense, lautiores culine, sordida coquorum ministeris, varieque 
farciminum sordes manavere. Inde licentioris culius usurpatio a ritu 
patrio peregrinata est, Itaque regio nostra, quæ continentiam in se 
tanquam naturalem aluit, luxum a finitimis depoposcit, Cujus Ingellus 
illecebra cnptus, injurias beneficiis rependere erubescendum non duxit. 
Neque illi misera parentis clades cum aliquo amaritudinis suspirio obver- 
sata est. 


Die Königin, die nun Alles anwenden wollte, den Zorn des 
Alten zu befchwichtigen, zog von ihrem eigenen Haupte eine Binde 
von mwunderboller Arbeit und legte fie auf Starkadrs Schooß. Er aber 
‚warf ihr die Binde in’s Gefiht, indem er es für fchmählich anfah, 
daß fein mit Narben bebedtes, des Helms gewohntes Haupt old 
weibiſchen Schmud tragen follte. Durch eine Schmeichelei ließ er das 
blutige Bild der Nieverlage feines Freundes Frotbo aus feiner Seele 
verdrängen. Noch einen weitern Verfuch machte gleichwohl die Königin, 
den finftern Gaft aufzubeitern. Ein kunſtreicher Flötenfpieler follte 
mit feinen weichen Tönen den Zurnenden befänftigen. Aber bald be 
merkte Jener, daß er mehr einer Bilpfäule, als einem Menfchen, vor« 
fpiele. Zulegt warf Starkadr ein abgenagted Bein dem Pfeifer in's 
Geficht, jo daß ihm aller Blas aus den vollen Baden fuhr (muneris 

das Vorfpiel größerer Niederlagen (cujus leesio futuras coene clades 
ominata est, wie im Nibelungenlied). Starkadrs zornige Augen ver: 
riethen längft den innern Sturm (occultam animi procellam aperta 
luminum sevitia testatus), er fonnte nicht ertragen, daß Frothos 
Mörder die Tifchgenoffen feines Sohnes waren, und er ftimmte nun 
jelbft, ftatt des Flötenfpielerd, mit ftarler Stimme ein Lied aus andrem 
Ton an. (Deinde in ampliorem histrionis sugillationem mox citen- 
dum carmen subtexuit.) Dieſes Lieb gibt Saro, nur einmal durch 
wenige Zeilen profatfcher Erzählung unterbrochen, in 70 fappbifchen 
Strophen. 

Starkadr verlangt in demſelben, daß die unfriegerifhe Jugend - 
dem tapfern Alten feine Ehre gebe. Bei Yrotbo fei er ſtets obenan 
geſeſſen, jetzt weiſe man ihn in den Winkel und er gleiche dem Fiſch 
‚unterm Wafler. | 


259 


Cedat imbellis vetulo juventus 

Et senis crebros veneretur annos! 

In viro forti numerosa nemo 
Tempora culpet u. ſ. w. 


Quando Frothonis comes annotabar , 

Militum semper medius resedi, 

Æde sublimis, procerumque primus 
Prandia duxi. 

Sorte nunc versa melioris evi, 

Angulo claudor simuloque piscem , 

Qui vago captat latebram recursu 
Abditus undis,. 


Er erinnert ſich feiner „trüben Ahnungen, als er zulekt von 
Frotho ſchied [S. 175 f.]: 
Proxime quando, Frotho, te reliqui, 
Mente presaga didici, quod armis 
Hostium certe peritarus esses, 
Maxime regum. | 
Cumque rus longum tererem viator, 
Prescius mentem gemitus subibat, 
Qui, quod hinc esses mibi non videndus, 
Omine finxit, 


Wär’ er zugegen geweſen, als der treulofe Gaftfreund dem König 
nach dem Leben getrachtet, fo würd' er entiveber feinem Herrn im Tode 
gefolgt oder deflen Rächer geworben fein. Er rügt hierauf die Schwel- 
gerei und Feigheit Ingells, in dem er vergeblich den Sohn Frothos 
geſucht. Aber wenn auch der Sohn entartet fei, jo werde doch er nicht 
dulden, daß des Königs Erbe den Fremden zum Raube werde. Da 
erzittert die Königin und reicht dem zürnenden Greife, was fchon früher 
erzählt war, ihre Hauptbinde hin, die er ihr mit Unwillen zurüdwirft 
und im lauten Gefange fortfährt (clara rursum voce recinuit). Er 
heißt fie den weibiſchen Schmud ihrem Gemahle ſchenken und wirft ihr 
vor, daß fie demfelben die üppigen beutfchen Bräuche zugebracht. Sie 
kredenze demſelben den Wein in Schaalen und laffe das gefottene Fleiſch 
noch an zweitem Feuer braten. Damit vergleicht er die rauhe Mäßigfeit 
der Könige und Helden voriger Zeit [S. 178]: 


+ x 


260 


Fortium crudus cibus est virorum, 
Nec reor lautis opus esse mensis, 
Mens quibus belli meditatur usum 
Pectore forti. 
In Frothos und Halos Tagen haben fie nichts Gelochtes gefpeift. 
Trocknes Widder- und Eberfleiih und harte Rinden haben ihren Hunger 
geftillt. Kein Meth, fondern Bier fei getrunken worden, nicht aus zier- 
lichen Krügen, fondern aus dem Faſſe. Damals Habe man auch nicht 
für den erichlagenen Bater Geldbuße angenommen. Seht muß er beim 
Skaldenſange für den Sohn feines königlichen Freundes erröthen [S. 179]: 
Unde cum regum tituli canuntur 
Et ducum vates memorant triumphos, 
Pallio vultum pudibundus abdo 
Pectore tristi. 
Cum tuis nil eniteat tropheis, 
Quod stylo digne queat annotari; 
Nemo Frothonis recitatur hæres 
Inter honestos. 
immer fchärfer werben des Greifes Stachelreben. Den, der feinen 
Bater nicht zu rächen wage, werbe man leicht hinſchlachten, wie ein 
Bidlein oder ein Lamm. Ein Sohn Spertings werde Dänemark erben. 
Der Anblid diefer Königin, der Tochter Svertings, im Glanz des 
Goldes und der Ebelfteine, daran Ingell fich mweibe, fei den Getreuen, 
die der vorigen Zeit gebenfen, ein brennenver Bortvurf; nur die Rache 
an Frothos Mördern fünne noch Starfabrs Herz erfreuen: 
Dum gravem gemmis nitidamque cultu 
Aureo gaudes celebrare nuptam, 
Nos dolor probro sociatus urit 
Turpia questos u. |. w. 


Nam secus, quam tu, scelus eestimamus 
Hostium, quos nunc veneraris; unde 
Prisca noscenti facies molesta est 
Temporis hujus. 
Re magis nulla cuperem beari, 
Si tui, Frotho, juguli nocentes - 
Debitas tanti sceleris viderem | 
Pendere ponas. 


261 


König Ingell lieb anfangs dem Strafliede Etarfabrd nur ein 
balbes Ohr, aber immermehr ergriff ihn die gewaltige Mahnung, bis 
er zulekt, von Schaam und Zorn erglübend, vom Site ſprang unb 
das Schwert gegen die Söhne Svertings entblößte. Gegen fie und 
ihr Gefolge erhob er den Kampf der Rache und erichlug die Mörber 
feine® Vaters (erubesoendumque convivium egregia crudelitate mu- 
tavit u. |. iv., aliquanto speciosius cruore, quam mero, calices im- 
buens). Nach vollbrachter That hob Starkadr, ber tapfer mitgeholfen, 
abermals ein Lied an, worin er vom König Abichied nimmt, ihm zu 
biefer Bewährung feines erwachten Helbengeiftes glückwünſcht und ſich 
der vollen Rache um Frothon erfreut. Zuletzt hält er fein eigenes 
Kampfleben ber verweichlichten Zeit zum Spiegel vor und wünſcht ſich, 
ſolchem gemäß, auch den Waffentob [S. 183]: 

Ast ego, qui totum concussi cladibus orbem, 
Leni morte fruar? placidoque sub astra levandus 
Funere, vi morbi defungar vulneris expers? 

Müller (Sagnbift. 85) meint, daß Starfabr in ver urfprünglichen 
Sage alle die Gefchäfte, die ihm Saxo für die drei Gänge nach Düne: 
„mark anmweift, auf einmal verrichtet haben werde, bie Beftrafung bes 
Goldſchmieds, den Kampf für Helgo und die Erwedung Ingells. Es 
ift dieß möglich, obgleih Saxo ſchon drei abgejonderte Darftellungen 
- vor fih gehabt haben mag. Aber anders müften wir, bei Müllers 
Annahme, die Ereigniffe orbnen. Zum zweiten Gang wird Starkadr 
durch Helge, der ihn in Schweden auffucht, eingelaben, und da feine 
Antwort, wonach er nicht als Hochzeitgaft, wohl aber zum Kampf 
eriheinen will, ſich als ein echt jagenhafter Zug zu erlehnen gibt, jo 
müjte dieſe Einlabung vorangeftellt werden. Die Züchtigung des Gold: 
ſchmieds und die Bewerbung Helgos können aber auch nicht wohl gleich 
zeitig gebacht werben, und da nun Saro noch einer Schweſter Helgas, 
Ala, erwähnt, von der er fonft nichts zu erzählen weiß, fo mochten 
wohl die beiden Abenteuer, welche jetzt Helgan allein zugetviejen find, 
früher unter die zwei Schiweftern vertheilt geweſen fein. 


7. Starladrs zweites Nidingswerl. 


Für jedes der drei Menfchenglter, welche Odin Starkadrn verliehen, 
ift ihm von Thor ein Nidingswerk beſchieden. Da er an Ingells Hofe 


262 


ala ein Greis erfcheint, der von den Königen und Helden bes ver: 
gangenen Jahrhunderts fpricht, jo haben wir ihn wenigftens am Schluffe 
des zweiten Alter befinblih und fomit auch bas zweite Nibingswerf - 
uns vollbracht zu denken. Worin ſolches beftanden, ift nirgends aus: 
drülcklich befagt; aber aus einer, obgleich erft fpäteren Meldung Saros 
läßt fich mit Wahrjcheinlichkeit entnehmen, daß eine ſchmähliche Feld⸗ 
Flucht für diejes zweite Schanbmal gegolten babe. Im Tien Bude 
(S. 194) erzählt Saxo, zwiſchen dem Dänenkönige Syvald (dem. 
Vater jener Syrith mit den niebergeichlagenen Augen), den Saro erft 
als den fünften nach Ingell aufführt, und dem Schweden Negnald 
babe eine Schlacht in Seeland ftattgefunden. Beide haben die erlejenften 
Kämpen um ſich verfammelt gehabt. Nachdem man fich aber drei Tage 
hindurch geichlagen und die Tapferkeit der Kämpfenven auf beiden Seiten 
den Sieg noch immer ſchwankend erhalten, fo fei endlich Othar (Syriths 
Gemahl) mit gröfter Todesverachtung in die dichteften Reiben der Feinde 
eingebrungen, habe den Führer derfelben, Regnald, mitten unter feinen 
Tapferften erfchlagen und fo plöglich den Sieg für die Dänen entichieden. 
Diefe Schlacht fei durch die Feigheit der gröften Helden ausgezeichnet 
gewejen; vierzig besfelben auf ſchwediſcher Seite haben die Flucht er 
griffen, unter dieſen vorzüglich ber ſonſt unerſchütterliche Starkadr: 
Insigne hoc prelium maximorum procerum ignavia fnit. Adeo si- 
quidem rei summa perhorruit, ut fortissimi Sueonum quadraginta terga 
fuge dedisse dicantur. Quorum precipuus Starcatherus, nulla sevitia 
rerum aut periculorum magnitudine quati solitus, nescio que nunc obre- 
pente formidine sociorum fugam sequi, quam spernere, preoptavit. Cre- 
diderim hunc metum ei divinis viribus injectum, ne supra humanam for- . 
titudinem virtute sibi preditus videretur. Adeo nihil perfecti mortalium 
felicitas habere consuevit. 


Kann diefer panifche Schreden, ber plotzlich über den Helden ge⸗ 
kommen, wirklich nicht anders erklärt werden, als daß er durch gött⸗ 
liche Einwirkung erregt worden, ſo läßt ſich leicht hierin eines der von 
Thor über Starkadrn verhängten Nidingswerke errathen. Saro ſetzt 
noch hinzu, die feldflüchtigen Kämpen haben ſich in die Kriegsgenoſſen⸗ 
ſchaft des Vikings Hako begeben. 

Tunc hi omnes maximi piratarum Haconis, quasi quædam belli reli- 
quie ad eum delape®, commilitium amplectuntur. 


263 


Hiedurch beftätigt fi zugleich, daß dieſes zweite Nidingswerk viel 
höher hinauf in der Zeit zu rücken ſei. Denn ſchon viel früher fanden 
wir bei Saxon ſelbſt Starkadrn mit Hakon verbunden und im Straf: 
liede an Ingelln iſt ihm diefe Verbindung eine Erinnerung aus alten 
Zeiten. Die genealogifche Anordnung der Sagen hat bier Saron aber» 
mals in MWiberfprüche verwickelt. Ob Othar, vor dem er Starkadrn 
fliehen läßt, in der urfprünglichen Sage als foldher genannt geweſen 
fei, ericheint fehr zweifelhaft. Othars fagenhaftes Dafein ift mit der 
Erwerbung Syriths wohl abgejchloffen. War einmal Starkadrs wunder: 
bare Flut fagenfunbig, fo fonnte, ohne daß der Hauptzug verloren 
gieng, bald der, bald jener Held als der fiegreihe Gegner benannt 
werten. | | 

Müller (Sagnhift. 90) bemerkt, es fei nur eine rhetorifche Bezeich- 
nung der Tapferkeit eines Helden geivefen, daß jelbft Starkadr vor 
ihm geflohen. Immer müften wir jedoch biebei die Begründung in 
der Sage von Starkadr felbft annehmen. Daß Übrigens der Ruhm, 
Starkadrn in die Flucht getrieben zu haben, nicht auf einen Helden 
namen beſchränkt blieb, zeigt, die Nornageſtsſaga, aus dem 14ten Jahr⸗ 
hundert. Hier wird jener Ruhm dem Helden Sigurb beigemeflen. Es 
erzählt nemlich der fabelhafte Wandrer Nornageft (C. 7. Fort. ©. 1. 
306. Fornald. S. F, 330 f.): In einer Schladt der Gjukunge, der 
Schwäger Sigurbs, mit Gandalfs Söhnen ſah man im Heere der 
letztern einen großen und ftarfen Mann, der Männer und Rofle nieber: 
ſchlug und mehr einem Soten, ala einem Menfchen, glih. Sigurd 
gieng ihm mit einigen Andern entgegen, doch waren die Meiften nicht 
ſehr aufgelegt dazu. Auf Sigurds Befragen nannte fih der Mann 
Starkadr, Storverlsfohn, aus Fenhring in Norwegen. Sigurd er: 
widerte, ex habe von Starkadrn gehört, aber meift nur Böfes; folche 
Männer dürfe man nicht für weitere Übelthaten auffparen. Nachdem 
nun aud Sigurd ſich genannt, ſuchte Starfadr zu entkommen, 'aber 
Sigurd eilte ihm nad, ſchwang dag Schwert Gram in die Luft und 
ftieß ihn mit dem Heft auf's Gebiß, daß ihm zwei Stodyähne aus: 
fuhren; das war ein jchmählicher Hieb. Sigurd bieß da das Ungethüm 
(mannhundinn) abziehen; „ich aber, fett der Erzähler Nornageft hinzu, 
nahm den einen der Stodzähne mit, ber wiegt fieben Ore (aura) und 
hängt jet an einem Glodenfeil zu Lund in Dänemark, fürwitzigen 


264 


Leuten zur Schau.” Nach Starkadrs Flucht flohen auch Gandalfs 
Söhne. | 

Sado' wechſeln in der Erzählung diefer Flucht Namen und Neben 
umftände, aber der gemeinfame Typus war ohne Zweifel Starkadrs 
zweites Nidingswerk. 


8 Starfahr in der Bravallafhladt. 


In diefer berühmten Nordlandsſchlacht focht Starkadr auf ſchwe⸗ 

difcher Seite unter ben Vorderſten (prior in acie), Es werben bei 
Sarxo (3. VIII, ©. 225) und in Sögubrot (Kap. 9. Fort. S. 1, 854 
bis 3656), nicht ganz übereinſtimmend, bie Kämpen des bänifchen Heeres, 
. darunter auch eine Schilpjungfrau, namhaft gemacht, welche von Stars 
kadrs Hand fielen oder verwundet wurden. Der legte, ben er erichlug, 
war der Düne Hali. Aber Yon dieſem hatte er felbft ſchwere Wunden 
empfangen; die Zunge bieng ihm zum Harnifch heraus, der Naden 
war ihm halb durchgehauen, jo daß man in bie Höhlung fab, und ein 
Singer abgefchlagen. In folddem Zuftand verließ er das Schlachtfeld 
und die klaffende Halswunde ſchien nicht mehr vernarben zu wollen. 
Diefe und andere Einzellämpfe ſowohl, als die Gejchichte des ganzen 
Krieges, hat, nach Saros Berfiherung (S. 220), Starfabr in vater 
ländiſcher Sprache berichtet [vgl. oben ©. 236. 8.]: 

Historiam belli suetici Starcatherus, qui et ejusdem prelii preeeipaum 
columen erat, primus danico digessit eloquio, memorie magis, quam 
litteris traditam. Cujus seriem, ab ipso pro more patrio vulgariter edi- 
tam digestamque, latialiter complecti statuens, inprimis prestantissimos 
utriusque partis proceres recensebo u. f. w. 

(S. 225) Starcaiberus, qui belli hujus seriem sermöne patrio primus 
edidit u. f. w. commemorat u. |. mw. declarat u. f. w. testatur u. f. w. 
Auch Sögubrot nennt einmal Starkadrn als Zeugen (Fornald. 
S. I, 384: sem Störkuär inn gamli segir). 

Daß Saxon unmittelbar, dem Sagabruchftüde menigftens mittelbar, 
ein nordiſches Lieb zu Grunde liege, in welchem Starladr als in eigener 
Perſon fprechend eingeführt war, und daß namentlich bei Saro in ben 
allitterierenden Namen der Kämpfer ſowohl, als im poetiſchen Schwunge 
der Beichreibung das Skaldenlied durchblicke, wenn er gleich bier nicht 
ausbrüdlich ber Worte carmen, cecinit u. dgl. fich bebient, ift bei 


266 


N 


der Sage von Harald Hylbetand dargethan worden. Daß Saro Star: 
ladrn als Skalden anerfannte, erhellt aber nicht bloß aus der Erzählung 
im sten Bude, daß Din ihn ala Dichter verherrlit habe (S. 156: 
oondendorum carminum peritia illustravit, womit die Gautreks⸗ und 
Hrolfs⸗Saga übereinftimmt), ſondern auch aus einer Stelle des Sten 
Buchs (S. 233), wo Saro Starkadrn jo anreben läßt: 
Unde venis, patrias solitus scriptare poeses u. f. w. 
Quove ruis, danice vates promptissime Mus&? 
Bon feiner Theilnahme an der Bravallafchladht jagt Starkadr eben 
dort 8 235), in der Aufzählung feiner Thaten: 
FE EEE semperque manebit, 
Nostra bravellinis virtus conspecta tropheeis. 


9. Starkadrs drittes Nidingswerk. 


Dieſes iſt der Mord an König Olo, wie ihn Saxo nennt und 
ibm ben Beinamen Vegetus gibt (S. 219); in ben isländiſchen Sagan: 
Äli hinn freeknii (Sögubr. €. 8. Fornald. S. I, 381. Nornag. 8. C. 
8. Fornald. £. I, 331. Yngling. 8. €. 29. I, 31). Bon ibm fcheint 
eine eigene Saga vorhanden geweſen zu fein (Sagnhist. 111); Saro 
mwenigftend weiß von ihm mancherlei Sagenhafte3? zu erzählen. Sein 
Olo ift ein Sohn Sivards und Schwefterfohn Harald Hyldetands. Er 
bringt feine Jugend in Norivegen zu, bezwingt frübgeitig zwei gefähr: 
liche Räuber in Telemarken, erkämpft fi) eine Braut und erlegt die 
Feinde feines Vaters. Bon al Diefem, was Saxo im 7ten Buche 
(S. 215 bis 19), zum Theil mit eingeftreuten Verſen, ausführlicher be⸗ 
richtet, hebe ich nur das aus, was nähere Beziehung zur Sage v von 
Starkadr darbietet, 

Olo hatte jo bligende Augen, daß er bie Tapferften mit dem 
bloßen Blide ſchreckte (adeo visu efferus erat, ut quod alii ermis, _ 
ipse oculis in hostem ageret ac fortissimum quemque vibrante lu- 
minum acritäte terreret). Nun gab es damals zwei übermüthige 


i Frekion, frekn, strenuus, fortis. Lex. isl. I, 252b. So auch 
Frotho, cognomento Vegetus, ®. IV, ©. 97. Hyndlul. St. 1: Äli var 
Abr öfigastr manna. 

2 8. VII, ©. 213: Que de ejus operibus memortes sunt prodita 
u. J. w. 


266 


Sungfraunräuber, die Brüder Scati und Hialli (Scatus et Hiallus), 
Sie hatten auch Efa, die Tochter des wermeländiſchen Königs Dlav 
zum Raube beftimmt und ließen dem Vater jagen, wenn er fie davor 
bewahren wolle, fo müſſe er fich jelbft oder einen Andern zum Kampfe 
mit ihnen ftellen. Als Dlo dieß erfuhr, freute er ſich der Gelegenheit 
zum Etreite. In Bauerntradht trat er in König Olavs Halle. Er 
ſetzte fih unter die Lebten, fah das ganze Haus in Trauer, rief ven 
Sohn des Königs näher zu fih und befragte ihn um die Urſache. Als 
ihm nun Diefer die Bedrängnis feiner Schmwefter fund gab, fragte Olo 
weiter, was Dem zum Lohne beftimmt fei, der fich für die Jungfrau 
wage. Der König,. hierüber von feinem Sohne befragt, antwortete, 
feine Tochter fei er ihrem Beichirmer zu geben bereit. Diefe Worte 
madten Dlon noch begieriger auf den Kampf. Die Königstochter aber 
hatte die Gewohnheit, die Geſichter der angekommenen Gäſte, mit vor⸗ 
gehaltener Leuchte hinzutretend, aufmerkſam zu betrachten, um aus 
ihren Zügen den Charakter und die Herkunft der Fremden zu errathen, 
worin ihr eine große Fertigkeit zuerkannt wurde. Als ſie nun mit 
forſchendem Blicke vor Olon getreten war, wurde ſie von der Schärfe 
feiner Augen jo getroffen, daß fie faſt leblos nieberfant. Zweimal 
wieberholte fie den Verſuch mit gleichem Erfolge. Der König fragte 
um den Grund diefer Erfcheinung, morauf Eſa erllärte, der ſcharfe 
Blick des Gaftes babe fie niedergetworfen, fie erfenne daran, daß er 
von Königen ftamme und, wenn er den Sieg davon trage, ihrer Um⸗ 
armung würbig fei. Der Gaft, defien Geficht vom Hute bedeckt war, 
wurde nun von Allen gebeten, die Verhüllung abzumerfen. Er ent 
blößte die Stirne und Alle bewunderten feine Schönheit. Licht er 
glänzten feine Zoden, aber die ſchreckenden Augfterne dedite er mit ben 
Bimpern. Hoffnung und Freude berrichten nun auf einmal an bem 
vorher fo trüben Gelage. Indeſs kamen Hialli und Scati mit geben 
Dienern heran und riefen ftürmifch den König zum Kampfe, wenn er 
nicht fogleich ſtine Tochter herausgebe. Alsbald nahm Olo ihre Aus 
forderung an, gieng mit ihnen zum Streite und ftredte allein, mit 
feinem Schwerte LZogthit, alle Zmölfe nieder. Der Kampfplag mar 
eine Inſel mitten im See, unweit eines Fleckens, der noch jekt nad 


1 Sn. Edd. 2i4a unten unter den sverba-heiti: JavgPir. Heimskr. 
8. I, ©. 99: lögdis wid, der Schild, nad S. af Niäli ©. 66, Note. 


267 


den beiden erichlagenen Brüdern benannt ift (unde non longe vicus 
abest, qui cladis hujuscemodi monimentum, Hialli et Scati fratrum 
vocabula conjunctim referens, preebet).. Olo erhielt die Königstochter 
zum Siegespreiſe. 

Nachmals erfuhr er, daß fein Vater Sivard von dem Fylfefönige 
Thoro (a Thorone regulo) durch deſſen Häuptlinge Tofto und Leotar 
hart bevrängt werde. Da machte er fich mit einem einzigen Diener, 
der Weiberfleiver trug, nach Thoros Königsburg auf. Sie hatten ihre 
Schwerter in bohle Stäbe verborgen und DIo felbft trat, als ein alter 
Mann verftellt, in die Halle. Hier gab er vor, er jei bei Sivarb 
Bettlerfönig (egentium regem !) gemwejen und durch den Haß des 
Königsſohnes Die vertrieben worden. Alsbald begrüßten ihn bie Hof: 
leute als König, beugten ihm die Aniee und ftredten ihm ſpottweiſe 
die Hände (zur Huldigung) dar. Er hieß fie diefer Verpflichtung nad): 
fommen, zog das Schwert aus dem Stabe und gieng auf ben König 
108. "Ein Theil half nun Dfon, an der einmal gelobten Treue feft- 
baltend, Andre Tehrten fich hieran nicht und ftanden zu Thoron. So 
erhob fi ein Haugfrieg, in welchem ber König umkam. Sein Häupt: 
ling Leotar gab, tödlich verwundet, dem Sieger DIo den Beinamen 
des Tapfern (Leotarus, lethaliter saucius, vietorem Olonem tam 
ingenio vividum, quam acrem operibus judicans, vegeti cognomine 


1 Saxonis Grammatici Historie danice libri XVI. Stephanus Johannis 
Stepbanius recognovit notieque uberioribus illustravit. Sore, 1644. Fol. 
Nott. in J. VII, ©. 166 (zu ©. 142, ®. 16): Se Egentium Regem fuisse] 
Nescio an alijs nationibus in usu sit tam anguste (si dis placet) majestatis . 
dignitas. Nobis Egentium Rex dieitur Staader Konge, qui fere omnibus 
in urbibus regnum apud nos possidet. Is homo plerumque esse solet 
proveste wtatis, albicante barba et capillo, qui longum secum ducens 
mendicorum agmen, ad fores divitum excubat, tandemque opimä ciborum, 
vel interdum pecuni®, predä receptä, eam inter sublilos ex quo distri- 
buit. Sceptri loco ingentem baculum sive contum gestst, quo murmur 
tumultuantig plebeculee compescit.* Die Zueignung des Stephanus Johannis 
Stephanins ift datiert: Sore,. prid. Non. Januar. Anno Messie 1645. 
Ritson, anc. engl. metr. romanc. III, 313: 

Of beggers mo than sexti, 
Horn seyd, Maister am y 
And aske tlıe the mete u. |. w. 
W. Scootts Sir Tristrem 346, Note. The fratern. of vagab. 3. 


268 


donavit.) Zugleich aber weiſſagte er, Olo werbe, nach dem Beifpiel 
bes Trugd, den er an Thoro geübt, durch Verrath ber Seinigen um: 
fommen. Mit dieſen Unglüdsworten verfhieb er. Dlo brachte nun 
feinem Bater den Frieden, erhielt von ihm die Meeresherrichaft und 
rieb fiebenzig Eeelönige (maritimos reges) auf. Sein Ruhm ‚führte 
ihm viele tapfre Kämpen zu. Unter biefen war auch Starkadr, den 
er höchſt ehrenvoll aufnahm, deſſen Dienft ihm aber zum Unheil ward. 

Meiterhin wird Dlo, ſowohl bei Saro (B. VIII, ©. 223 ff.), 
als ın Sögubrot (a. a. D.), als Hülfggenofle Sigurb Hrings in der Bra⸗ 
vallaſchlacht genannt. Er hatte fieben Könige in feinem Gefolge, ſowie 
auch den Helden Starkadr. Saro macht ihn, nad Harald Hyldetands 
Untergang in diefer Schlacht, zum Nachfolger desſelben auf dem Königs: 
fite von Lethra. Durch Graufamfeit wurde er aber fo verbaßt, daß 
zwölf Häuptlinge fich gegen fein Leben verſchworen. Da fie aber ber 
eigenen Kraft mistrauten, fo dungen fie bazu Starlaben. Dieſer be 
ſchloß, den König im Babe zu erfchlagen. Als er aber eintrat, fielen 
Olos funkelnde Blide fo ſcharf auf ihn, daß er, von Schrecken gelähmt, 
den Fuß anhielt. 

Itaque qui tot ducum, tot pugilum arma protriverat, unius inermis 
viri aciem ferre non potuit. 

Olo jedoch, feines Blickes ſich bewuſt, bebedte fein Geſicht, hieß 
Starkadrn näher kommen und ſagen, mas er bringe. Denn bie lange, 
vertraute Genoſſenſchaft ließ feinen Verdacht in ihm auflommen. Star: 
. fadr aber fprang mit bloßem Schwerte hinzu, durchbohrte den König 
und traf ihm noch den Hals, ald er fich aufraffen wollte. Hundert 
und zwanzig Pfund Goldes waren Starfabrs Sold. Nachmals aber 
war er fo von Schaam und Neue über dieſe That ergriffen, daß er, 
wenn derſelben gedacht wurde, ſich der Thränen nicht enthalten Tonnte. 
Einige von benen, bie ihn aufgeftiftet hatten, erſchlug er zur Rache für 
ſein eigenes Verbrechen. 

MB eine Nidingsthat Starkadrs bezeichnet auch die Nornageſtſaga 
(C. 8), daß er den König Ali (al. Armöd!) im Bad erfchlug, und 
zwar als eine folche, die feiner ſchmählichen Flucht nachgefolgt. Dielen 
Todihlag für das dritte und letzte der ihm vorbeftimmten Nidingswerke 


1 Bol. Sagnhift. 83. Fornald. 8. III, 406. [Echriften I, 224 ff. K.) 


> 


269 


anzunehmen, begründet ſich auch dadurch, daß berfelbe in naher Ver 
bindung mit feinem eigenen Tode ftebt, wie die folgende Abtbeilung 
ergeben wird. 

Die Inglingafaga (C. 29) erwähnt gleichfalls, als einer befannten 
Sade, dag Starlabr Alin getöbtet. Aber die perfünlichen Verhältnifie 
Alta find bier andre, als bei Saro. Ali der Tapfere (Ali hinn frokni), 
bes däniſchen Fridleifs Sohn, kommt mit feinem Heere nach Schweben, 
befiegt den dortigen König Aun in mehrern Schladhten, nöthigt ihn 
aus feinem Reiche zu fliehen und ift dann felbft fünf und zwanzig 
Jahre lang König in Upfala, bis Starfadr der Alte ihn tobtichlägt. 
Saro fcheint nicht bloß andern Überlieferungen gefolgt zu fein, fondern 
aud feinen DIo abfihtlih in andre Verwandtſchaftsverhältniſſe verſetzt 
zu haben, um mit ihm feine däniſche Königsreihe auszufüllen. ' 


10. Starkadrs Tod. 


Diefer letzte Theil der Sage ift einzig dur Saxos Erzählung im 
Sten Buche (S. 230 unten bis 236) auf ung gelommen. 

Starfadr war von Alter müde und an den Augen jchwach ge: 
worden. Das Leben war ihm entleidet, aber er wollte nach einer fo 
friegerifchen Laufbahn nicht eines unblutigen Todes fterben. Er wünſchte 
fih, von irgend einem freigebornen Manne erichlagen zu erben. 
(Adeo quondam rei, bellice deditis morbo oppetere probrosum 
existimatum est.) Um fih nun Einen zu erfaufen, der ihn tobtfchlüge, 
trug er das Golb, das er für den Mord an Olo empfangen hatte, an 
feinen Hals gehängt. Er glaubte von diefem Blutgelve den beiten Ge: 
. brauch zu machen, wenn er dadurch gegen fich felbft einen Rächer Olos 
ermedte. Mit zwei Schwertern umgürtet und auf zwei Krüdenftäbe 
ſich ftügend, mankte er umber. Ein Mann vom Volke meinte, zwei 
Schwerter feien einem Greife überflüflig, und bat Starkadrn zum 
Spotte, ihm eines derfelben zu ſchenken. Starkadr hieß ihn näher 
kommen und zeigte, daß er noch des Schwertes Meifter fei, indem er 
Jenen mitten burchhieb. Dieß fah ein gewiſſer Hather, deffen Vater 
Lenno einer von denen war, melde Starfadr einft (olim), weil fie ihn 
zur Ermordung Olos aufgeftiftet, in feiner Reue erfchlagen hatte. 
Hather war eben mit Rofien und Hunden in der agb begriffen, er 
bielt an und bieß zwei feiner Gefährten, um dem Alten Furcht ein 


270 


zujagen, ſpornſtreichs auf ihn anfprengen!. Sie thaten es. Als fie 
aber dicht an ihm wieder umwandten und enteilen wollten, traf er fie 
jo mit feinen Stäben, daß fie ihren Muthwillen mit dem Tode büßten. 
Erichroden über diefen Anblid flog Hather zu Pferde herbei, jah nun, 
daß es Starkadr war, und fragte ihn, ob er nicht ſein Schwert um 
einen Wagen vertaufchen wolle. Der Greis erfannte wegen feiner 
blöden Augen den Jüngling nicht und fprach feinen Unmillen über den 
Spott desfelben in einem Liebe aus. (Itaque carmen, quod indi- 
gnationis suee magnitudinem patefaceret, in hunc subtexuit modum.) 
Es folgt nun ‚ausführliche Wechſelrede zwiſchen Starkadr und Hather 
‚in lateiniſchen Hexametern. Zuerſt beklagt Starkadr die Hinfälligkeit 
des Alters: 


Ut sine regressu pronas agit alveus undss, 

‘ Sic etas hominum, cursim labentibus annis, 
Irreditura fluit; preceps ruit orbita fati, 
Quam generat, finem. rerum factura, senectus, 
Illa oculos hominum pariter gressusque relidit, 
Eripit 08 animumque viris, fameque nitorem 
Paulatim premit et claros oblitterat actus u. |. w. 


Seinen eigenen Zuftand ſchildert er fo: { 


Ipse ego, quam noceat, didici, damnosa vetustas, 
Visu eeger, vocis modulis et pectore raucus u. |. w. 
Jamque minus vegetum corpus fulcimine tutor, 
Flaccida subjectis innixus membra bacillis. 

Lucis inops, moderor vestigia fuste gemello 

Et virga monstrante sequor compendia callis, 
Stipitis auspicio potius, quam lumine, fisus. 

Nemo mei curam celebrat, nec in agmine quisquam 
Solamen veterano adhibet, niei forsan Hatherus 
Assit et infracti rebus succurrat amici. 


Zum Lobe diefes Hathers, deſſen Gegenwart er noch nicht ahnt, 
läßt er nun Mehreres folgen, rühmt deflen Freigebigfeit und Tapferkeit 
und fchließt hieran die Erinnerung an fein eigenes Triegerijches Leben. 

Hierauf hebt Hather an (hujusmodi carmen habuit): 


1 Bol. Dietrich, Ruſſiſche Volksmährchen S. 66 t. 


271 


Unde venis, patrias solitus scriptare poeses, 
Infrmo dubium suspendens stipite gressum ? 
Quove ruis, danic® vates promptissime Muse? 
Roboris eximii cassus decor excidit omnis, 
Exulat ore color, animnque amota voluptas, 
Destituit fauces vox et raucedine torpet. 

Ut ratis assidno fluctu quassata fatiscit, 

Sic longo annorum eursn generata senectus 
Triste parit furus u. ſ. w. 

Quis vetuit te, note senex, juvenilibus uti 
Rite jocis, agitare pilam, morsa nuce vesci? 1 

Hather räth nun dem Greife, wie zuvor ſchon angebeutet war, 
fein Schwert zu verlaufen und fi dafür Wagen und Pferd anzu 
ſchaffen, da ihn feine alten Beine nicht mehr tragen wollen. Er laufe 
ja doch Gefahr, daß man ihm bad unnüße Schwert entreiße und gegen 
ihn ſelbſt wende: 
| At si forte caves cassum venundare ferrum, 

Ereptus tibi te perimet, ni veneat, ensis. 

Starlabr ereifert fich beftig gegen den Unbelannten, ber, ftatt 
bem lichtberaubten Wanderer ſich zum Führer anzubieten, ihn verhöhne. 
Lieber wol’ er zu Fuße gehn, als jein Schwert einem Unwürdigen 
abtreten: 

Nempe pedes gratliar, nec turpiter ense relicto 
Externam mercabor opem u. |. w. 

Qua probitate petis indignum viribus ensem ? 
Haud latus hic imbelle decet dextramque bubulci 
Agrestem soliti calamo deducere Musam u. ſ. w. 

Damals, fo fährt ex fort, würdeſt du mich nicht des Schwertes 
zu berauben verfucht haben, als in ber Schlacht von ver Wucht meiner 
Streiche entweder die Klinge mir in ber Hand zerbrach oder meine 
Feinde nieberftredte: 

Aut gladium fregit manus, aut obstantis fudit, 
Hec gravitas ferientis erat u. ſ. w. 

Und nun folgt jene, ſchon früher erwähnte Aufzählung feiner bes 

deutenbften Thaten. 


1Bgl. Halfs 8. &. 16 zu Anf. 


272 


Endlich erfährt er, daß Hather, Lennos Sohn, ber fei, mit dem 
er ſpreche. Diejen, als einen Süngling von edler Abfunft, fordert er 
auf, ihn, den Mörder feines Vaters, zu erichlagen und bietet Hathern 
bafür das Gold, das er einft von Lenno empfangen: 

Preterea, Hathere, privavi te patre Lenno, 

Hanc mihi, qu&so, vicem referas, et obire volentem 

Sterne senem jugulumque meum pete vindice ferro, 

Quippe operam elari mens percussoris adoptat, 

Horret ab ignava fatum deposcere dextra. 

Sponte pia legem fati prcurrere fas est; 

Quod nequeas fugere, hoc etiam enticipare licebit. 

Arbor alenda recens, vetus excidenda; minister 

Nature est, quisquis fato confinia fundit 

Et sternit, quod stare nequit. _Mors optima’ tunc est, 
“ Quum petitur, viteeque piget, quum ?unus amatur, 

Ne miseros casus incommoda proroget ætas. 

Hather milligte ein, durch das Gold und die DBegierbe, feinen 
Vater zu rächen, angereist. Nun bot ihm Starlabr haftig fein Schwert 
dar und bog feinen Naden bin. Auch ermahnte er Hatbern, mannhaft 
das Merk zu vollbringen, und verficherte ihn, wenn er gleich nach dem 
Streiche zwilchen Haupt und Rumpf fpringe, werd' er feft vor allen 
Waffen werben. Hather ſchwang Fräftig das Schwert und Starkadrs 
abgefchlagenes Haupt biß noch in die Erbe. 

Quod corpori avulsum impactumque terre, glebam\ morsu carpsisse 
fertur, ferocitatem animi moribundi oris atrocitate declarans. 

Den Sprung zwifchen Haupt und Rumpf hatte Hather unterlaffen, 
aus Furcht, von dem ftürzenden Rieſenkörper erbrüdt zu werben, wie 
es ihm auch zugebacht fein mochte. Er ließ Starkadrn auf dem Selbe 
Raaliung begraben (in campo, qui vulgo Raaliung dieitur). €3 ift 
dieß dasſelbe, auf dem ber Held im Kampfe für ben neuvermählten 
Helgo die neun Brüder erfchlagen hatte (port Roliung, ©. 167). 

So war Alles in Erfüllung gegangen, was Odin und Thor, 
jener günftig und Diefer feindlich, Starkadrn vorbeftimmt hatten: er 
hatte mehrere Menfchenalter burchlebt und in jebem ein Nidingswerk 
volführt; Landbeſitz konnte er nicht behaupten, denn er zog unſtät 


1 Bl. Grimm, Edda ©. 103, Str. 20. [Helg. Hund. 2, 25. 2.] 


273 


umber; an guten Waffen und reicher Beute fehlte es ihm nicht, aber 
er hatte doch nicht gemug und darum nahm er das Gold für den Mord 
an DIo; ftegreich war er im Kampfe, aber jebesmal trug er eine un: 
beilbare Wunde davon; als Skalde war. er berühmt und im Straf 
gefang an Ingell beivährte er bie Macht feines-Liedes; davon jedoch, 
daß er feine eigenen Lieber vergefien, kommt nicht? weiter in ben vor⸗ 
bandenen Überlieferungen vor;-bei den Mächtigen war er beliebt, denn 
immer finden wir ihn in der Genoſſenſchaft berühmter Land: und Sees 
könige; daß er dem Volle verhaßt fein follte, wenn er gleich den freien 
Bauernftand für den ehrwürdigſten erflärt, darauf Tann fein Abenteuer 

mit den Schmieden in Telemarken, wovon er fagt: 
Hice primum didici, quid ferramenta valerent 
. Incudis, quantumve animi popularibus esset; 

dann ber Spott, den er im Alter erfuhr, bezogen werben. Inwiefern 
nun aber dieſe Vorbeftimmungen erit aus dem Charakter und den 
Schickſalen des Helden, wie fie in der Vollksſage hervortraten!, ab⸗ 
ſtrahiert worden feien over umgekehrt die Sage fi aus jenen Borbe 
flimmungen weiter entwidelt babe, läßt ſich nicht mehr mit Sicherheit 
enticheiden. Wahrfcheinlich hat -beiverlei Wirkung ftattgefunden, fo daß 
bie Ichon vorhandenen Sagen von Starladın auf jene Formeln zurüds 
geführt, dann aber dieſe wieder zur Abrundung und Vollendung bes 
Sagentreifes fruchtbar gemacht wurden. 

Was den geihihtlichen Grund anbetrifft, jo geichieht zwar auch 
in mehr biftoriichen Sagan ber Isländer Starkadrs kurze Erwähnung, 
namenilih im Landnamabok wird Starlabr der Alte ald Skalde bei 
König Frodi und feinem Sohne Ingjald genannt (Sagnhift. 90 ff.). 
Aber von einer eigentlichen Vergleihung urkunblicher Berichte mit ben 
fagenbaften Tann auch bier nicht die Rebe fein. Auch die Lieber, welche 
Sado in lateinische Verfe übertrug und worin Starladr als in eigener 
Berfon fprechend eingeführt war, fowie die ihm zugefchriebenen Strophen 
in der Gautreks⸗ und Hrolfe-Saga und in der Slkalda, bie eine be 
ſondere Bersart nah ihm Starladarlag nennt, Tünnen ihm nicht als 
urkundlicher Nachlaß vindiciert werden; dieſes Skaldenthum gehört mit 
zu ber Sage und ift nicht mehr oder weniger hiſtoriſch, als dieſe über 


1 Bol. Sagnhiſt. 84. . 
„Uhland, Säriften. VII. 18 


274 


haupt: Bgl. Sagnhifl. 88. 91. 93 f. 116. Da fih Starkadrs Leben 

durch mehrere Menfchenalter zieht, fo bat man, um die biftorifche Mög: - 
lichkeit zu retten, Mehrere desſelben Namens aus verfchiedenen Zeiten 

angenommen, eine vielgebrauchte Auskunft, die für die gejchichtliche 

Zurechtſetzung der Sagen allerdings hie Leichtefte, aber in der Negel 

auch bie unftattbafteite ift. (Vgl. Sagnbift. 91 f.) 

Fehlt es aber auch dieſer Sage nicht an einem gefchichtlichen An⸗ 
balt, fo war fie doch, ſoweit wir ihre Spur verfolgen können, längft 
der poetifchen Sagenbilbung anheimgefallen. Davon zeugt das Mythiſche, 
bas ſich ihr eng vertwoben hat. Was Saro angibt, daß Starkadr in 
ber Gegend entiprofien fein folle, welche an Schweden im Dften gränze 
und jett von Eftben und andern barbarifchen Volkern weithin bewohnt 
werde, ift von Müller (S. 77 f.) überzeugend dahin erklärt worden, 
"daß unter diefer Gegend urjprünglicy nichts Andres, als Jötunheim, 
die Heimath der Rieſen, zu verftehen fei, welche man, nachdem über 
baupt ber Mytbus mehr hiſtoriſch⸗geographiſch aufgefaßt wurde, in jene 
norböftlihen Landſtriche verlegte. Damit ftimmt dann auch vollkommen 
überein, was Saro und die Sagan fonft von Starlabrs riefenhafter 
Ablunft und Geftalt melden? Storverkr, der Name feines Vaters, 
wird in der Skalda (Sn. Edd. 2095) unter ben poetifchen Benennungen 
für Zote aufgeführt und in der Saga von Gautrek und Hrolf wird 
es als der erfte Anlaß zu Thors Feindichaft gegen Starlabr bargeftellt, 
daß die Mutter des letztern einen fchlechten Rieſen dem Aſathor vor- 
- gezogen babe (Sagnbift. 77 f.). Soll übrigens, auch unter ber Vers 
dunflung, welche der Mythus bier, wie in andern Fällen, erlitten 
baben mag, bie urfprängliche Bebeutung biefes Zuſammenwirkens der 
jotifchen Abkunft mit den Einflüffen Odins und Thors ermittelt werben, 
fo fcheint es diefe zu fein: ein norbilcher Heros follte geichaffen werben 
aus der verbundenen Natur des Rieſen⸗ und des Ajengefchlechtes. Die 
jotiſche Abftammung gab Starkadrn das Übermaaß Zörperlicher Fülle - 
und Kraft, von den Aſen empfieng er den Helbengeift, aber diefen in 
. zweifacher Eigenfchaft und Richtung. Din, ber Heldenvater, gab den 
" Schwung, bie höhere Belebung jener Niefenkraft, Thor, ber, zwar 

1 Vgl. noch Sagnhift. 89: Rotho. Diefer Name Tommt aud bei Saro 
©. 207 unten vor. 

2 [Bgl. Sagenforfhungen I, 185 fi. Schriften 6, 106 fi. 8.] 


275 


Bekämpfer der Joten, doch felbft zwifchen ihnen und den Aſen halb» 
riefenhaft inne fteht?, gab ihren Misbrauch und Auswuchs, die rühm- 
lichen Thaten ftammen von Din, die Nidingöwerle von Thor. Aus 
diefer Miſchung wird allerdings kein Tugenbfpiegel, aber die Sagen: 
dichtung gibt uns ein wahrhaftiges Bilb des nordiſchen Heldenthums 
im Guten und im Böfen. Allein auch in Beziehung auf die Nidings⸗ 
were muß hier, einer fpäteren Ausführung vorgreifend, bemerkt werben, 
daß in altnorbifcher Anſchauungsweiſe ſolche Frevel weniger für felbft« 
verſchuldet, als für ein von höherer Macht verhängtes Unheil galten 
(wie bei ber Tödtung Bilars ſich beſonders hervorſtellt) und daß fie 
daher nicht ſowohl den Eindrud des Abſcheus, ala den tragifchen bes 
Mitleids mit der fo zum Schmäblichen getriebenen Helventraft, hervor: 
brachten. | 

Se ift uns denn Starladr im Edeln, wie im Gewaltfamen, der 
Typus des norbifchen Helben und die Sage von ihm hat fich folgeredht 
‘in dieſem Sinne ausgebilbet. Seine riejenhafte Natur ift langlebig 
durch Jahrhunderte; wie ein Eiöriefe fißt er eingefchneit bis an bie 
Schultern, die tiefften Wunden werden ihm geichlagen, das Eingeweibe 


hängt ihm aus dem Leibe, dennoch bleibt er unvertilgt, und wenn er 


tobesmatt barnieberfinlt, drückt er noc feine ganze Geftalt in ben 
barten Felsftein. Als blinder, abgelebter Greis ftredt er die Beleiviger 
mit den Krüden nieder. Sein abgefchlagened Haupt beißt in die Erbe, 
und wenn in einem ber beroifchen Eddalieder (F. Magn. Edd. III, 302; 
vgl. 297), als des grimmigften der Helden, eined Königs Starkadr 
gebacht wird, deſſen Rumpf ſich nod ſchlug, als das Haupt fort war, 
fo ift dieß ſagenhaft derfelbe Riefenfohn. 

Aber auch dem Geifte nach wandelt er ungebeugt burd viele 
Zeiten. Er ift immer alt und. hat davon bei Snorro den Beinamen 
hinn gamli (Sagnhift. 92), wie Halfvan, aber in andrer Bedeutung, 
als diefer, wenn auch beide fih in Einzelnem nahe fommen. Halfdan 
ift der Alte, alö der gemeinfame Stammpvater aller Königsgeichlechter; 
Starkadr ftellt das Urbild eines höhern, ftrengern Heldentbums dar, 
wie es ſtets nur in ber Vergangenheit gedacht murbe. Ernft und 
mäßig, ein abgefagter Feind ber Gaufler und ber Schlemmer, ben 


1 Bgl. Rechtsalterth. 349, 1. 


— ⸗ 


u 276 

Nuf zum Feſte verfchmäbenn, dem zum Kampfe willig, ift er ein 
Schreden ber gejunfenen, verweichlichten Gegenwart. So fikt er, eine 
furchtbare Erfcheinung aus verfchwundenen Tagen, an ber Thlre bes 
üppigen Goldſchmieds und an Angels fehwelgerifhem Nönigsmahle. 
Hier fingt er, wie anders man zu Hakos Zeiten gelebt, und facht den 
verglimmenden Funken de3 Helbengeiftes von Neuem an. Aber auch - 
eine Warnung ift ex jedem neuen Menfchenalter durch ein Nidingswerk, 
daß auch die Fräftigfte Natur nicht vor dem Falle ficher ſei, fowie die 
unheilbaren Wunden, die er aus jebem fiegreichen Kampfe babonträgt, 
den Übermuth des Sieges dämpfen. Immer wieder bei andern fagen- 
berühmten Helden kehrt ex auf feinem weitfchreitenden Gang durch bie 
Jahrhunderte ein, denn wo der alte Helvengeift lebt, da iſt Starkadr. 
So liegt es im Weſen feiner Sage, daß fie andre Sagen an ſich 
knüpft und in fich aufrollt. Es gibt in ihr Feine Anachronismen, weil 
fie der ganzen Heldenzeit angehört, und was von ihr ausgeſondert 
werben Tann, jofern es nicht urfprünglich mit ihr, verbunden war, ge 
bührt ihr dennoch vermöge ihrer- natürlichen Entwicklung. Zu diejen 
Ipätern Aneignungen mag allerdings bie Bravallaſchlacht zu rechnen 
fein, welche fchon in die Morgenvämmerung der Gejchichte fällt. Aber 
wie hätte in dieſer berühmteften Schlacht des Norbens Starfabr fehlen 
dürfen? Syn ihr hat ſich noch einmal alle Heldenkraft der Norblande 
gefammelt; jchiverer verwundet, als jemals, geht Starkadr aus ihr, 
feine Bahn neigt fich jet zum Enbe, ba faßt er noch zum Leuten im 
großen Skaldenliede das Bild der verſinkenden Heldenwelt auf und beut 
es den kommenden Altern hinüber. 

So erſchien auch die Sage von Starkadr als die paſſendſte, die 

Reihe der dem Norden eigenthümlichen Heldenſagen zu beſchließen. 


B. Deutſch-nordiſche Heldenſagen. 


Die Stammverwandtichaft der Völker des ſtandinaviſchen Nordens 
mit ben beutfchen im engern Sinne verläugnet fi auch in ber Gage 
nicht. Diefed Verhältnis Tann zwar erſt erörtert werben, wenn auch 
. die entfprechende deutfche Sage dargeftellt fein wird. Um aber bie Ver⸗ 
gleihung zum voraus anzubahnen, ſchien es räthlich, von den Helden: 
fagen bes Nordens zuerft diejenigen aufzuführen, bei benen eine 


277 


Gemeinſchaft mit deutfcher Sage entweder überhaupt nicht beſtanden hat 
oder doch nicht mehr in beiberjeitigen Dentmälern nachgewieſen werben 
kann, wenn auch ſchon noch, mie in der Sage von Starladr, die Spuren 
eined früheren Sagenverfehrs fich bemerllich machen; ſodann aber, in 
ber nun folgenden Klaſſe, die weitern zufammenzuftellen, melde ber 
nordiſchen Sagenpoefie mit der deutfchen gemeinfchaftlihh angehören 
und noch jet in ihren beiberjeitigen Geftaltungen verglichen werben 
fönnen. Das urfprüngliche Anrecht wird fich bald mehr auf beutfche, 
bald mehr auf norbifche Seite zu neigen fcheinen. Aber auch da, wo 
man für beutfchen Urſprung entſcheiden muß und bie norbifchen Übers 
lieferungen jelbft auf deutiche Quelle hinweiſen, wird man doch meift 
die norbifche Darftellung, in Vergleihung mit ber jetzigen beutfchen, 
für die ältere und echtere anerkennen und auf die erftere zur Erklärung 
ber letzteren zurüdgehen müſſen. Gerade dieſe Sagen waren auch im 
Norden fo völlig eingebürgert, fo früh verarbeitet und allbefannt, fo 
genau in bie ältefte Skaldenſprache verwoben und, was noch wichtiger 
ift, fie hängen jo innerlich mit dem odiniſchen Mythus und dem Geifte 
der ganzen nordiſchen Sagenpoefie zufammen, daß wir fie. durchaus 
nit von biefer ausfcheiden können, vielmehr den allgemeinern Erfund 
ber Betrachtung norbifcher Heldenjagen erft dann zwedmäßig erheben 
werben, wenn auch biefe zweite Klaſſe berjelben abgehandelt fein wird. 
Laͤßt fich Übrigens, jenes innern Zuſammenhangs uneraditet, in ben 
deutfchnorbilchen Heldenſagen theilweife eine geiftigere Durchbildung be- 
merken, als in bemen ber erften Klaſſe, jo werden wir dieß eben ala 
die Folge der unvorbenklichen und vielfeitigen Beichäftigung ber ger 
manifchen Völker mit diefen Sagenkreiſen zu betrachten haben. 

An die eigentlich deutfhenorbifhen Sagen haben fi) aber im . 
Norden mehrere andre, in ihm jelbft erwachſene angeichlofien, durch 
die er jenen gemeinfamen Befig ſich näher zu verbinden und anzueige 
nen getrachtet bat. Auch foldhe werben wir, dieſes Zufammenhangs 
wegen, ber zweiten Klafle einteihen. Auf ber andern Seite fcheiden 
wir nicht bloß bier, ſondern von der Darftellung ber norbifchen Helden⸗ 
fage überhaupt, Dasjenige aus, was erit von der eigentbümlich beuts 
schen Geftaltung der gemeinfamen Sage fpäter in den Norden herüber 
gefommen ift. Diejes gilt außer Einigem bei Saro, hauptſächlich von 
der umfangreihen Billinafaga ober Dietrichsſage, welche, wenn gleich 


% 


278 


iSlänbifch verfaßt, doch nach ihren eigenen Angaben auf beutfchen Über: 
lieferungen beruht und in der Hauptfache ganz auf Die Seite der deutſchen 
Ausbildung des gemeinfchaftlichen Sagenkreiſes fällt. Ihr Inhalt bient- 
weſentlich zur Ergänzung der beutichen Helvenfage, für die nordiſche 

werben wir nur Einzelnes daraus beizuziehen haben. 
Nach diefen Erläuterungen beginnen wir die angegebene zweite 

Reihe nordiſcher Heldenſagen. 


1. Hildur. 


Skalda, Sn. Edd. ©. 163 bis 165. Sörla hattr (Saga af Hedni ok 
Högna), Fornald. 8. I, 389 ff. Fort. 8. I, 361 fi. Sagabibl. II, 570 ff. 
Saxo 8. V, ©. 132 bis 135. Sagnhiſt. 67 f. Lex. myth. ©. 157 bis 60. 


Die Stalda fagt bei den Dichterausprüden Für Schlacht: Die 
Schlacht wird genannt der Hjabninge Starm oder Schlagregen und fo 
heißen vie Waffen der Hjabninge Feuer oder Wehzeug. Davon lautet 
die Sage! alfo: König Högni hatte eine Tochter mit Namen Hilbur. 
Diefe nahm der König Hebin, Hjarrandis Sohn, zur Beute, als ihr 
Bater auf einer Berfammlung abweiend war. Sobald Högni börte, 
daß man in fein Reich eingefallen und feine Tochter weggeführt, fuhr 
er mit feinem Heergefolge Hebin nach, der, wie er erfahren, nordwärts 
die Küften entlang gefegelt war. Als er aber nad Norwegen kam, 
börte er weiter, Hedin ſei nach dem meftlichen Meere geſegelt. Högni 
verfolgte denjelben bis zu ben Orkneyen, und als er bei der Inſel 
Haey (jett Hoy) ankam, war dort faum zuvor Hebin mit feinem Kriegs 
voll angelangt. Hilbur begab: fih zu ihrem Vater und bot ihm von 
Seiten Hebins einen Halsichmud zur Söhnung, zugleich aber fagte fie 
ihm, daß Hebin zum Streite bereit fei und Högnt von ihm Feine Scho: 
nung zu erwarten babe. Högni antiwortete feiner Tochter unfreunplich, 
und als fie nun zu Hebin zurückkam, fagte fie Diefem, Högni molle 
keine Söhnung, und hieß ihn ſich zur Schlacht rüften. Sp thaten fie 
auch Beide, fliegen ans Land und fchanrten ihre Kriegsleute. Da 
rief Hebin noch feinen Schwäher um Frieden an unb bot ihm vieles - 
Gold zur Buße. Högni erwiderte: „Zu ſpät bieteft du das, wenn bu 


- 1 [gl Schriften B. I, S. 88. 8] 


4 





279 


Frieden wünfcheft, denn jetzt hab’ ich mein Schwert Dainsleif 1 gezogen, 
das von Zwergen geichmiebet und, fo oft es entblößt ift, eined Man 
nes Tob wird; nimmer hört es dann zu bauen auf und feine Wunde 
heilt, die es geſchlagen.“ Da antwortete Hebin: „Das Schwert haft 
du in ber Hand, aber nicht den Sieg; gut ift das Schwert, das feinem 
Herren Heil bringt." Nun erhoben fie die Schlacht, die der Hjadninge 
Kampf (Hjadninga-vig 2) genannt wirb, und ſchlugen fi ben ganzen 
Tag, am Abend aber giengen die Könige auf ihre Schiffe. Hilbur aber 


gieng in der Nacht auf die Walftatt und wedte durch Zauber alle bie 


Erſchlagenen auf. Den folgenden Tag giengen die Könige wieder auf 


- den Rampfplag und erneuerten bie Schlacht zugleich mit allen Denen, 


die den Tag zuvor gefallen waren. Diefer Kampf währte Tag für 
Tag in der Weile fort, daß alle Gefallene, fowie alle Waffen und 
Schilde, die auf der Walftätte Ingen, (Nachts) zu Steinen wurden; 
wenn e3 aber tagte, ftunden alle Tobte wieder auf und fämpften, und 
alle Waffen waren mwieber brauchbar. In Liebern ift gejagt, baß bie 
Hjabninge jo fortfahren werben bis Ragnazöt ?. 

Es folgen hierauf in der Skalda einige Strophen, welche ber 
Skalde Bragi der Alte in feinem Liebe auf den Dänenkbnig Ragnar 
Lodbrok nad diefer Sage gebichtet habe. Darin wirb gejagt, daß bie 
Schlacht der Hjadninge, mit Andrem, auf einem Schilde dargeftellt _ 
geivejen.fei, den der König dem Skalden gegeben; aud wie die trug: 
finnende Hildur den Halsſchmuck Högnin vergeblich angeboten und ber 
Anfang der. Schlacht wird befungen. 


1 Lex. myth. 158: i. e. res (vel artificium) a Daino relicta. 

2 Lex. myth. 158: Nomen gentilitium Hiadningar, ab illo virili Hédin 
elioquin derivandum. Bgl. Kräkumsl ©. 13: fyrir Hedninge vägi. 

3 Kunſtblatt 1834. Jul. Nr. 59. ©. 235: Kunſwerein in München. Die 
Geiſterſchlacht, Carton, von Wild. Kaulbach. „Attila, König der Hunnen, 
liefert, nach einer alten Sage aus den Fragmenten des Damascius, den Rö- 
mern vor ben Thoren Roms eine breitägige, blutige Schlacht. Es wird von 
beiden Seiten mit folder Erbitterung gefochten, daß am Ende bes dritten Tags 
fein Hunne und Römer mehr lebt. Mit Anbruch der Nacht erwachen fie vom 
turzen Todesichlafe, heben ſich von der Erde und beginnen in der Luft den 
Kampf von Neuem.” Dieß war das vom Geh. Math v. Klenze dem Künftler 
übergebene Programm, nach welchem er ihm ein Bild ausführen folle; die 
vollendete Zeichnung ift die oben genannte @eifterfchlacht.] 


⸗⸗ 


Viele von diefer Sage ausgehende Benennungen bes Kriegs und 
der Kriegswerkzeuge kommen aud jonft in der Skaldenſprache vor; 
außer den Eingangs erwähnten: die Waffen Hilburs Steine, bas 
Schwert Hildurs Flamme, der Panzer Hildurs Rinde, Kriegsleute 
Högnis Voll. Beim Anbrucde der Schlacht von Stifleftab fingt ber 
Stalde Bizur: Bald wird Hedins Weib kommen (Lex. myth. 159% Saga⸗ 
bibl. I, 574 f.). 

Ausführlicher, als die kurze Erzählung der Skalda, ift bie islän- 
biihe Saga von Hedin und Högni;, aber die alte mythiſche Sage bat 
in dieſer fpätern Behandlung ihr uriprüngliches Gepräge verloren 
und ift mehr in der Art ritterlich mährchenhafter Abentener umgewan⸗ 
belt und ausgeſponnen. Hedin ift bier ein Fürft aus Serkland (dem 
Lande ber Saracenen), der aber doch feine Fahrten bis Dänemark 
erftredt. Die Anftifterin des Streites ift nicht Hilbur, fondern ein 
räthſelhaftes weibliches Weſen, Göndul (ein Valkyrienname), das Hedin 
wiederholt im Walde, auf einem Stuhle ſitzend, antrifft. Bei der an⸗ 
gegebenen Beſchaffenheit dieſer Saga kommt uns dieſelbe nicht umſtänd⸗ 
licher in Betracht. Nur der Schluß iſt für die Sagengeſchichte merk⸗ 
würdig. 

(C. 9) Dlaf Tryggvaſon [der bekannte König in Norwegen, der gegen 
das Ende des 10ten Jahrhunderts die Einführung des Chriftentbums nicht 
ohne Liſt und Gewalt durchſetzte]) kam im erften Jahre feiner Regierung zur 
Infel Ha und legte dort eines Abends an. Auf diefer Inſel pflegien ſonſt 
jedesmal in der Naht die Wachtmänner zu verjcehwinden, fo daß Niemand 
mwufte, was aus ihnen geworden. Ivar Fjomi ſollte num diefe Nacht Wache 
halten. Als alle auf den Schiffen eingefchlafen waren, zog er all fein Waffen- 
gewand an und nahm fein Schwert, das früher Jarnſtjöld gehabt und deſſen 
Sohn Thorftein Ivarn gegeben ‚hatte, und gieng auf die Inſel. Da jah 
er einen Dann gegen fich kommen, hochgewachſen, ganz blutig und von trau« 
rigem Ausfehn. Ivar fragte den Mann um feinen Namen. Derſelbe nannte 
fich Hebin, Hiarandis Sohn, aus Serfland. „Ich muß dir fagen,“ ſetzte er 
hinzu, „das Berſchwinden der Wachtmänner ift mir und Högnin, Halfpans 
Sohne, zuzurechnen, denn wir und unfre Leute find fo unheilvollem Schidjal 


unterworfen, daß wir Nacht und Tag kämpfen müffen und dieß fchon viele 


Menſchen alter währt, Hilbur, Högnis Tochter, fit da und fieht zu, Odin 


1 Liömi, m. splendor. 


281 


aber bat uns dieß auferlegt und daß uns nichts Andres erlöfen könne, als 
wenn irgend ein Shriftenmann mit uns lämpft; dann foll der, ben er erfchlägt, 
nicht wieber aufftehn und fo Jeder feines Unheils ledig werden. Nun will ich 
dich bitten, daß du mit uns zum Kampfe geheft, deun ich weiß, daß du ein 
guter Chrift biſt, ſowie au, daß dem Könige, dem du dieneft, viel Glückes 
folgt; mir fagt mein Sinn, daß uns von ihm und feinen Mannen etwas Gutes 
widerfahren wird.“ Ivar willigte ein, mit ihm zu gehen. Darüber wurde 
Hebin froh und ſprach: „Du folft dich hüten, gegen Högni vorzugehn, und 
ebenſo, mid) vor Högni zu erlegen, denn es fteht in keines Menfchen Macht, 
Högnin zu erfchlagen, bevor ih tobt bin, da er Zauber in-den Augen hat 
(egishjälm ſ augum) und Niemands ſchont. Darum ift das einzige Mittel, 
daß ich ihn von vorn befämpfe ımb du ihm von Hinten die Todeswunde gibft, 
denn leicht iſt dir's, mich zu tödten, wenn ich auch am längften von ung Allen 
lebe.” Sie giengen hierauf zum Kanıpfe und Svar fah, daß Alles ſich fo ver- 
bielt, wie Hedin ihm gejagt hatte. Er trat hinter Högnin, hieb ihn ins Haupt 
. und fpaltete ihn bis in die Schultern herab. Da fiel Högni tobt nieder und 
Rand ſeitdem nie wieder auf. Hernach erſchlug Ivar alle die Männer, die im 
Kampfe waren, und zulett Hein, und e8 war ihm eine leichte Sade. Dann 
gieng er zu den Schiffen zurüd und da war es taghell. Der König, dem er 
Alles erzählte, war zufrieden mit feiner. That und fagte, er habe viel Glück 
gehabt. Beim Tage giengen fie nun ans Land und dahin, wo der Kampf 
flattgefunden hatte, fahen aber keine Spar von dem, was vorgegangen war; 
das Blut jedoch jah man an Ivars Schwerte zum Wahrzeichen, und niemals 
mehr verſchwanden die Wachtmänner. Der König fuhr nach Diefem heim in: 
fein Reich. | 

Auch Saro bat die Sage von Hildur gefannt. Bei ihm follte fie, 
foweit es thunlich war, mehr eine hiftorifche Haltung annehmen. Er 
bat fie (B. V, ©. 132 bis 135) unter feinen dritten Frotho eingereiht. 
Hithin ift ihm ein norwegiſcher Fylkekönig (rex aliquante Norvagien- 
sium gentis), der ſich mit 150 Schiffen der Flotte Frothos anſchließt. 
Nachher hat er ein Liebeöverftändnis mit Hilda, der Tochter des jüt- 
länbifchen Königs Hogin (Hogini Jutorum reguli), einer ſehr geprie: 


jenen Jungfrau. Beide waren, auf das bloße Gerücht, für einander 


entbrannt. Als fie fih aber das erftemal zu fehen befamen, konnte 

Kleines den Blid vom Andern abwenden. Hithin und Hogin zogen 
zufammen auf Vikingsfahrt; biefer mufte noch nicht, daß jener feine 
Tochter liebe. Hithin war viel Heiner als Hogin, aber fehr fchön. 
Bald aber verlobte ihm Hogin feine Tochter, und fie ſchwuren fich, 


Diele von biefer Sage ausgehende Benennungen bes Kriegs und 
der Kriegswerlzeuge kommen auch fonft in der Skaldenſprache vor; 
außer den Eingangs erwähnten: die Waffen Hilburs Steine, bas 
Schwert Hildurs Flamme, der Panzer Hildurs Rinde, Kriegsleute 
Högnis Boll. Beim Anbruche der Schlacht von Stilleftad fingt der 
Stalde Gizur: Bald wird Hebins Weib Iommen (Lex. myth. 159% Saga: 
bibl. DO, 574 f.). | 

Ausführlicher, als die furze Erzählung der Skalda, ift die islän- 
bifhe Saga von Hebin und Högni; aber die alte mythiſche Sage bat 
in biefer fpätern Behandlung ihr urfprüngliches Gepräge verloren 
und ift mehr in ber Art ritterlich mährchenhafter Abentener umgewan⸗ 
belt unb ausgeſponnen. Hebin ift bier ein Fürft: aus Serllaub (dem 
Lande der Saracenen), der aber doch feine Fahrten bis Dänemark 
erftredt. Die Anftifterin des Streites ift nicht Hilbur, ſondern ein 
räthſelhaftes mweibliches Wefen, Göndul (ein Balkyrienname), das Hebin 
wiederholt im Walde, auf einem Stuhle fitend, antrifft. Bei ver an- 
gegebenen Beichaffenheit biefer Saga kommt uns diefelbe nicht umftänb» 
licher in Betracht. Nur der Schluß ift für die Sagengejchichte merk⸗ 
würdig. 

(C. 9) Dlaf Tryggvafon [der befannte König in Norwegen, ber gegen 
das Ende des 10ten Jahrhunderts die Einführung des Chriftenthums nicht 
ohne Liſt und Gewalt durchſetzte]) kam im erſten Jahre feiner Regierung zur 
Infel Ha und legte bort eines Abends an. Auf diefer Inſel pflegten ſonſt 
jevesmal in ber Nacht die Wachtmänner zu verſchwinden, jo daß Niemand 
wufte, was aus ihnen geworden. Spar Ljomi follte nun diefe Nacht Wache 
halten. Als alle auf den Schiffen eingefchlafen waren, zog er all fein Waffen⸗ 
gewand an und nahm fein Schwert, das früher Jarnſtjöld gehabt und deſſen 
Sohn Thorſtein Ivarn gegeben ‚hatte, und .gieng auf die Inſel. Da ſah 
er einen Mann gegen fi) kommen, hochgewachſen, ganz blutig und von trau- 
rigen Ausfehn. var fragte den Dann um feinen Namen. Derfelbe nannte 
fich Hedin, Hiarandis Sohn, aus Serfland. „Ach muß bir fagen,* fehte er 
Hinzu, „das Verſchwinden der Wachtmänner ift mir und Högnin, Halfpans 
Sohne, zuzurechnen, denn wir und unfre Leute find fo unheilvollem Schidfal 


unterworfen, daß wir Nacht und Tag kämpfen müffen und dieß ſchon viele 


Menihenalter währt. Hilbur, Högnis Tochter, fit da und fieht zu, Odin 


1 Liömi, m. splendor. 


281 


aber bat uns bieß auferlegt und daß uns nichts Andres erlöjen lönne, als 
wenn irgend ein Chriſtenmann mit uns lämpft; dann foll der, den er erichlägt, 
nicht wieder aufftehn und fo Jeder feines Unheils ledig werden. Nun will ich 
dich bitten, daß du mit ung zum Kampfe geheft, denn ich weiß, daß du ein 
guter Chrift Hift, fowie auch, daß dem Könige, dem du dieneft, viel Glückes 
folgt; mir fagt mein Sinn, daß ung von ihm und feinen Mannen etwas Gutes 
widerfahren wird.“ Ivar milligte ein, mit ihm zu gehen. Darüber wurde 
Hedin froh und fprad: „Du fol dich hüten, gegen Högni vorzugehn, und 
ebenfo, mid) vor Högni zum erlegen, denn es fteht in feines Menſchen Macht, 
Högnin zu erfchlagen, bevor ih tobt bin, da er Zauber in den Augen hat 
(eegishjäilm { augum) und Niemands font. Darum ift das einzige Mittel, 
daß ich ihn von vorn befämpfe und du ihm von Hinten die Todeawunde gibſt, 
deunn leicht ift dir's, mich gu töbten, wenn ich auch am längften von ung Allen 
lebe.” Sie giengen hierauf zum Kampfe und Ivar fah, daß Alles ſich fo ver- 
hielt, wie Hebin ihm gefagt hatte. Er trat hinter Högnin, hieb ihn ins Haupt 
. und fpaltete ihn bis in die Schultern herab. Da fiel Högni todt nieder und 
Hand feitdem nie wieder auf. Hernach erfhlug Ivar alfe die Männer, die im 
Kampfe waren, und zulett Hebin, und es war ihm eine leichte Sade. Dann 
gieng er zu den Schiffen zurüd und da war es taghell. Der König, dem er 
Alles erzählte, war zufrieden mit feiner. That und fagte, er habe viel Glück 
gehabt. Beim Tage giengen fie nun ans Sand und dahin, wo der Kampf 
Rattgefunden hatte, jahen aber feine Spur von dem, was vorgegangen war; 
das Blut jedoch jah man an Ivars Schwerte zum Wahrzeichen, und niemals 
mehr verfchwanden die Wachtmänner. Der König fuhr nach Diefem heim in 
fein Reich, | 
Auch Saxo hat die Sage von Hildur gelannt. Bei ihm follte fie, 
joweit es thunlich war, mehr eine hiftorifche Haltung annehmen. Er 
hat fie (B. V, ©. 132 bis 135) unter feinen dritten Frotho eingereiht. 
Hithin ift ihm ein normwegifcher yylfelönig (rex aliquante Norvagien- 
sium gentie), der fih mit 150 Schiffen der Flotte Frothos anſchließt. 
Nachher hat er ein Liebeöverftändnis mit Hilda, der Tochter des jüt- 
ländiſchen Königs Hogin (Hogini Jutorum reguli), einer jehr gebrie- 
fenen Jungfrau. Beide waren, auf das bloße Gerücht, für einander 
entbrannt. Als fie ſich aber das erftemal zu fehen befamen, konnte 
Kleines ben Blid vom Andern abmwenben. Hitbin und Hogin zogen 
zufammen auf Vikingsfahrt; diefer wuſte noch nicht, daß jener feine 
Tochter liebe. Hithin war viel Heiner als Hogin, aber ſehr ſchön. 
Bald aber verlobte ihm Hogin feine Tochter, und fie ſchwuren ſich, 


Einer des Andern Tob zu rächen. Sie eroberten zufammen für Fro⸗ 
tho die orfadifchen Sinfeln (Hithino quoque et Hogino Orcadum tro- 
phea cessere). In ber Folge wurde Hithin bei Hogin angeſchwärzt, 
daß er mit deflen Tochter vor der Verlobung verbotenen Umgang ge: 
habt habe, quod tunc immane cunctis gentibus facinus habebatur. 
Hogin glaubte der falſchen Anklage und griff mit ber Flotte feinen 
Eidam an, wurde aber von ihm gefchlagen. Frotho, defien Friede Durch 
biefen Streit gebrochen war!, fuchte die Beiden auszuſöhnen; als 
aber Hogin beharrlich feine Tochter zurückverlangte, orbnete er einen 
Zweikampf, als das einzige Mittel der Enticheivung, an. In biefem 
wurde Hithin ſchwer verwundet; Hogin aber, der ihn hätte töbten 
können, hatte Mitleid mit feiner Jugend und Schönheit. Sieben Jahre 
nachher erhoben fie bei der Inſel Hithinö 2 wieder einen Kampf und 
fielen von den Wunden, bie ſie fich gegenfeitig beibrachten. Hilda fol, 
aus Sehnſucht nad ihrem Gemahl, bei Nacht die Geifter der Erſchla⸗ 
genen zu erneutem Kampfe durch Bauberliever erwedt haben. 

Ferunt, Hildam tantu mariti cupiditate flagrasse, ut noctu inter- 
fectorum manes, redintegrandi belli gratia, carminibus excitasse credatur. 

In diefem Letzten ift allerdings der weſentliche Beftanbtheil ker 
Sage erhalten, obgleich die Angabe, daß Hilba aus Liebe zu Hithin 
die Todten zum Kampf erwedt babe, auf offenbarem Misverſtändnis 
berubt , ſowie auch ber Grund des Zwiftes, daß Hogin bie Verführung 
feiner Tochter, nachdem fie bereis mit feinem Willen an Hithin ver» 
mäblt war, an diefem habe rächen wollen, nicht einleuchten Tann. 

Bon der mährchenhaften Auffaflung in der isländiſchen Saga und 
der verfuchten biftorifhen bei Saro finden wir und auf die mythiſche 
der Stalda, als die echtere, zurückgewieſen. | 

Die Wurzel hild in der Bedeutung von Kampf, Schlacht (pugne) 

18.V, ©. 134: Itaque statam a Frothone pacem internum labefacta- 
verat bellum. Bgl. Helg. Qv. H. B. I. Str. 18. Edd. Sem. ©. 151: 
eleit Fröda frid fjanda & milli. Edd. Havn. 8. II, ©. 62. 29 bemerkt zu 
diefer Stelle: Pax frothoniana pleonasmo poetico pro pace hic ponitur. ‘ 
.Ein ähnlicher Ausbrud mochte Saron veranlaffen, die Sage von Hilda unter 
feinen Frotho III einzureihen. Frute auch im deutihen Gudrunliede. 

2 Hibdinsee ift der heutige Name einer im balfifchen Meere, bei Rügen, 
gelegenen Inſel; Hebinsei kommt auch im erſten Lied von Helgi Hundingsb. 
vor. Edd. Harn. II, 67, 45. 877. 


ift der altnordiſchen Sprache mit der angelfächfifhen und ber alt- 
bochbeutfchen gemein. Doch findet fie fi) meift nur in Zuſammen⸗ 
fegungen, befonderö der Eigennamen. Wo dad Wort für fich fteht, 
nordiſch Hildr, angelſächſiſch Hilde, bezeichnet es den weiblich perfoni- 
ficierten Kampf, die Bellona des germanifhen Nordens; und biejer 
Begriff liegt dann wieder ven vielen weiblichen Namen mit ber Endung 
auf bild, bilt zu Grunde (Grimm, d. Gramm. II, 461 f. 499. Lex. 
iel. I, 359): Brynhildr loricata Bellona; Geirhildr, Vilar Mutter, 
hastata B.; Grimhildr larvata B. Auf folde Perfonification gründen 
fih die poetifchen Ausprüde der Eddalieder: Hildurs Spiel für Kampf, 
Hildur weden für den Kampf erheben. Hildur erfcheint aber, ihrem 
Weſen gemäß, auch als eine von den Valfyrien der Bötterwelt, deren 
Namen, wie ſchon erwähnt worden, ſich meift auf Kampf oder Kampf: . 
lärm beziehen. In der Bölufpa (Edd. Seem. 49. Str. 24)- reitet fie 
in ber Schaar diefer Dienerinnen Odins kampfverkündend daher und 
im Grimnismal (ebend. 45°, Str. 36) reicht fie mit den andern das 
Trinkhorn den Einberien. Den Balkyrien der Götterwelt aber ent- 
iprechen irbifche, die, gleichfall8 in Odins Dienfte, Kampf erregen unb 
des Kampfes walten, ober diefe letztern find eben die der Götterwelt, 
nur in menſchlicher Bermandlung, mie auch Odin ſelbſt zur Erbe herab: 
fteigt.” So ift die Valkyrie Hildur, ald Tochter Högnis und Gemahlin 
Hedins, die Stifterin des Streites zwiſchen dieſen Beiden, gerabe mie 
in der Sage von Harald Hyldetand Odin jelbft ald Bruni zwiſchen 
den Blutövermandbten zwiſterregende Trugbotjchaft trägt 1. Selbft die 
Todten noch eriwedt Hildur zu immer erneuter Schlacht. Aber wie 
meift das Dämonifche, ift diefer Kampf ein nächtlider und bei Tage 
werden Streiter und Waffen zu Stein; denn fo wird es nach Anbeu- 
tung der isländischen Saga und Saxos richtiger gefaßt werben, wenn 
gleich die Stalda den Streit bei Tage dauern und die Verfteinerung _ 
bei Nacht eintreten läßt. Auch ſonſt werden im norbiichen Volksglau⸗ 
ben Zwerge und andre unheimliche Wefen, wenn fie fih vom Stral 
- der Sonne überraſchen laſſen, in Steine verwandelt  Srgend eine 

1 Auch Göndul, wie die Streitflifterin in der isländifchen Saga heißt, ift 
ein Balkgrienname Bol. Sagnbift. 68. 

2 Alvismdl Str. 86. Sinn Magnuſen, Edda 2, 36. Helg. Qv. Hat. 
Sk. Str. 29. U. Völs. Qv. h. forn. Str. 88, 


— 


‘ 
| 284 | 
— — 


auffallende Örtlichleit, ein Selb mit ſeltſam umhergeſtreuten Stein: 
maſſen, mochte ber Phantaſie das Bild einer ſolchen beriteinerten Wahl: 
ftätte barbieten. 

Finn Magnufen fucht der Sage von Hilbur, wie überall, eine phy⸗ 
fifche Bedentung zu unterlegen. | 

Lex. myth. ©. 158: Mihi elucescit, totam hanc fabulam physico- 
ullegorice (uti plerasqve alias eddicas) esse originis, qvum de diei cum 
noete, vel lucis cum tenebris qvotidianu cerlamine revera sermo sit. Tunc 
astra coelestia (Einberorum modo) statis qvotidie horis dimicant, evanes- 
eunt vel disparent et iterum denuo resuscitari videntur etc. qv& singula 


enodare mira relationis hic exhibite et sine dubio depravate confusio _ 


vetat, qyum prius de heroum nocturno sed mox postea de diurno certamine 
serio logvatur. 
Durch etymologifche Deutung der Namen fucht zwar Finn Magnus 
fen diefe Anficht näher zu begründen; es wird ſich aber nicht leicht Ses 
mand überzeugt finden, der nicht in das ganze Syſtem der phufifchen 
Mythenauslegung dieſes Schriftiteller8 eingeht. Hildur, die Hauptper: 
fon der Sage, gehört, nach obiger Ausführung, allzu deutlih dem 
Kampfleben der odiniſchen Glaubenslehre an, als daß uns bier bie 
phyſiſche Erklärung Plab greifen könnte. Näher jcheint mir ed Müller 
(Sagnhift. 68) zu treffen, der in jenem fortwährenden Kampfe ein Bild 
der unverjöhnlichiten Feindſchaft erkennt. Nur glaube ich, daß dieſes 
nicht auf den befondern Fall der Feindfchaft zwiſchen den Königen Högni 
und Hedin zu beſchränken ift, fondern daß die Sage in allgemeinerer 
Bedeutung ein Bild des nimmer raftenden, irbifchen Kampfes gibt, 
der, durch Odins Dienerin Hildur immer neu angefacht, fortvauert bis 
Ragnaröf, wo der Hjabningen Streit im großen, allverzehrenden Belt: 
fampfe aufgeht. 

Die fpäter hinzugekommene Erzählung; wie bei Olaf Tryggvaſons 
Ankunft auf Haey, noch vor dem Ende der Welt, der gefpenftifche 
Kampf geftillt wird, bat für unfre Auffaffung gleichfalls ihren guten 
Sinn: der Botfchaft des Chriftentbums, der Lehre des Friedens und 
der Verſöhnung, weicht der odiniſche Kampfſturm!. Wenn aber Ivar 
auch nur mit dem Schwerte die kämpfenden Geſpenſter zur Ruhe bringt, 


1 Odin hat dieß uns auferlegt (Odinn hefir hetta lagit & oss), läßt die 
Saga S. 406 den nachtwandelnden Hedin jprechen. 


285 " 
ſo iſt dieß ganz in der Weile feines Königs und Meifters, der gud) 
mit gewaltiamen Mitteln der Religion des Friedens die Bahn bradı. 
Auf deuticher Seite entfpricht der Sage von Hilbur ein Theil bes 
Heldengebichte Gudrun. [Schriften I, 451 f. 8.] 


2. Bölunbr. 


Völundar-gvida, Edd. Sem. 133 ff. Vilkina Saga €. 19 bis 30 (edit. 
Peringskiold. Holm. 1715. Fol. ©. 37 618 77). Sagabibl. II, 154 fi. Lex. 
myth. ©. 578 bis 88, Art.: Völundr. [Veland le forgeron. Dissertation 
sur une tradition du moyen äge, avec les textes islandais, anglo- saxons, 
anglais, allemands et frangais- - romans qui la concernent. Par G. B. 
Depping et Francisque Michel. Paris, Didot, 1833.) lSimrode Edda, 
1864, ©. 141. 8] 


Der Inhalt des Eddaliedes von Bölund und der proſaiſchen Ein⸗ 
leitung desjelben ift folgender: 

Br. Grimm, Lieder d. alt. Edda, Über]. S. 3 ff. *** 

(Zu ©. 7.: „Lachend bob er fi auf in die Luft u. f. w.“ Hier 
ift aus der Bilfinenfage Cap. 30 zu erläutern, daß Völundr dur 
feinen Bruder Egill, der ein treffliher Bogenſchütze war, fich große 
und Heine Federn von Vögeln allerlei Art verichafft und daraus eine 
Flieghaut verfertigt hatte, in der er wie ein Geier ausjah.) 

Völundr, angellähfiih Veland, ſchwediſch und däniſch Delent, 
engliſch Wayland, deutſch Wieland, iſt der Dädalus der nördlichen 
Völker. Seine Sage bat auch unverkennbare Ahnlichleit mit der von 
Dädalus, welcher gleichfalls mittelft Tünftlicher Flügel der Gefangen⸗ 
Schaft entflieht. Wie der Name des Däbalus im griechiſchen Altertbum 
zur Bezeichnung der Minftlichiten Arbeiten gebraucht wurde, jo hieß jenen 
Böllern jedes Funftreiche Waffenftüc oder Prunfgeräthe Wielands Werk, 
Noch jebt wird in Island ein ausgezeichneter Schmied Völundr ges 
nannt (Lex. myth. ©. 587. Lex. isl. ©. 464: Völundr, m. Deedalus, 
en Tufindlonftner). 

Schon die angegebenen Formen des Namens in verichiebenen 
Sprachen beuten darauf, wie verbreitet derjelbe war. Nicht bloß im 
ſtandinaviſchen Norden, auch bei den Angeljachien, ven jpätern Eng _ 
ländern und Schottländern, in Deutichland und Norbfranfreih war er 


286 





wohlbefannt. Wir werben daher diefem fagenhaften Schmiebe noch 
mehrfach auf dem Gange durch die Sagengefchidhte begegnen und fein 
Gedächtnis da und dort örtlich angelnüpft finden. Was den Norden 
betrifft, fo heftet die Vollsſage dasſelbe noch jet an verſchiedene 
Stellen in Schweden und Jütland, mie fpäter bei den Ortsſagen 
gezeigt werben fol. Im Eddaliede wird Nidud, bei dem Bölundr 
feitgehalten tft, alö Herr der Niaren (Niära-drottin, wie man glaubt, 
im beutigen Nerife in Schweben) bezeichnet. Die Profaeinleitung nennt 
Bölunden und feine Brüder Söhne des Yinnenlönigs; das Lied jelbft 
befagt nichts bievon und es ift darum nicht unmwahrjcheinlih, daß die 
innen an die Etelle der Alfe getreten find, zu deren Genoflenfchaft 
Völundr im Liebe felbft gezählt wird. Er heißt: Älfe liödi (Alforum 
popularis), visi Älfa (dux, rex Alforum). Diefe mythiſche Verwandt⸗ 
ſchaft aber erflärt fich leicht, da wir aus der Götterſage willen, daß 
die Schwarzalfe tunftreihe Schmiede find, von benen alle Gbtterklei⸗ 
node berrühren. Schwieriger ift es, den mythiſchen Grund ber Ber: 
bindung des alfifchen Volundr und feiner Brüder mit den drei Valky⸗ 
rien überzeugend anzugeben. Da jedoch Odin insbejondre auch als 
der Geber treffliher Waffen erfcheint, wie das Hyndluͤljod Str. 2 von 

ihm jagt: > | 
Hermodurn gab er 

Helm und Brünne, 

Sigmundurn aber 

Ein Schwert zu nehmen; 


und wie er auch Starkadrn bei der Schickſalsbeſtimmung die beſten 
Waffen zutheilt, ſo kann es nicht auffallen, ſeine Dienerinnen, die 
Valkyrien, mit den Waffenſchmieden in Verkehr treten zu ſehen. Dieſe 
nehmen überhaupt in der Heldenſage eine bedeutende Stelle ein und 
wir haben gehört, wie Starkadr fie rühmt, unerachtet er von ihren 
Hämmern übel zugerichtet worden if. Wo bie Waffen fo vieles galten 
und ihnen fo wunderbare Eigenschaften beigelegt wurden, muſte auch 
der Waffenfchmieb ein angefehenes Glied der Gefelichaft fein. Von 
Völundr heißt es ausdrücklich im Liede, daß, er felbft das Schwert, 
das ihm Nidud nahm, Fünftlich gefchärft und gehärtet habe, und 
auch fonft nennt ihn die Sage als den Meifter ber vorzäglichiten 
Waffen. 


2007387 





Außer dem, was die Villinenſaga ausführlich erzählt, find auf 
deutfher Seite nur einzelne kürzere Meldungen von Wieland vorbans 
den; doch laflen diefe nicht zweifelhaft, daß einft mehr von ihm gejagt 
und gefungen wurde. Am meilten wird er als Bater bes Helden 
Wittich genannt, der in ben: beutfchen Gebichten eine beveutenbe 
Rolle fpielt. 


3. Die Bölfunge. 


Die Heroifchen Lieder der Edda, mit Ausnahme bes Bölnundglieds, 19 nad 
der Eintheilung der rasfifchen Ausgabe. Völsünga Sega, Fornald. 8. I, 118 ff. 
Fort. 8.1,107 fi. Überf. Sur v. d. Hagen. Breslau 1815. Nordiſche Helden- 
romane, Ates Bdochen. Gagabibl. II, 36 fi. 


‘ 


1. Sigurbs Ahnen. 


Sigi war ein Sohn Odins. Er tödtete einen fremden Knecht, im 
Zorne darüber, daß diefer es ihm in der Thierjagb zuvorgetban. 
Darum bieß man ihn Wolf im Frieben (varg i veum?) und er mochte 
nun nicht länger im Lande bleiben. Sein Bater Odin geleitete ihn - 
eine weite Strede, bis er ihn zu Heerfchiffen gebracht hatte. Sigi zog 
nun auf Kriegsfahrten mit der Mannſchaft, die ihm fein Vater beim 
Abſchied gegeben hatte. Er war fiegreih im Kampfe und gewann fidh 
endlich Land und Reid. Er fchloß eine anjehnliche Heirath und wurde 
ein mächtiger König über Hunaland (ftatt deſſen heißt in den proſai⸗ 
ſchen Zwifchenjäen der Eddalieder das Neich der Völfunge Frakland, 
Franken, Grimms Heldenjage ©. 34). In feinem Alter wurde er von 
ben Brüdern feiner Frau überfallen und erfchlagen; aber fein Sohn 
Rerir nahm blutige Race. Rerirs Ehe war lange kinderlos; er und 
feine Gemahlin baten die Götter um einen Erben. Da fanbte Odin 
einen befruchtenden Apfel; ſechs Winter hindurch gieng die Königin mit 
einem Sohne, der zulegt von ihr gejchnitten und Völſungr genannt . 
wurde. Völſungr folgte feinem Vater im Reiche über Hunaland und 


ı Völs. 8. C. 1 fe. Hyndl. Li, Ste. 2 235. [Schriften B. I, 
©. 141f. 8.) u 

2 Lex. isl. II, 411b: vargr i veum, qui effusione innocui sanguinis 
pacem vel fidem asylorum violat. Vargr, m. lupus. Ebd. 4156: ve, n.pl. 
jura asyli, sanetitas juridica. 


288 


war fieghaft in allen Schlachten. Er hatte zehn Söhne und eine 
Tochter. Der ältefte Sohn hieß Sigmundr, die Tochter, Sigmunbs 
Zwillingsſchweſter, Signy. König Bölfung ließ eine ftattlihe Halle 
bauen; mitten darin ftand ein großer Apfelbaum, deſſen Zweige über 
das Dach hinausragten und dasfelbe beichatteten, während der Stamm! 
in. der Halle wurzelte. 

Als nun Signy, gegen ihre Neigung, mit Giggeir, König von 
Gotland, nermählt wurde und die Gäfte Abends an den Feuern um- 
berjaßen, trat en Mann in die Halle, ter von Ausfeben Allen unbe: 
kannt war. Er war groß, alt und einäugig, gieng baarfuß, batte 
einen niedrigen Hut auf dem Haupt, einen gefledten Mantel über fidh 
und Leinhofen um die Beine gebunden. In der Hand trug er ein 
Schwert, das er entblößte und bis an das Heft in den Baumftamm 
ftieß. Alle fcheuten fich, ihn zu begrüßen; er aber ſprach: „Wer dieſes 
Schwert aus dem Stamme zieht, der foll e8 von mir zur Gabe haben; 
er wird felbft erproben, daß er nie ein böffer Schwert in ber Hand 
trug.” Hierauf gieng der alte Mann aus ber Halle und Niemand 
wuſte, wer er war ober wohin er gegangen. Die Männer ftanden 
nun auf und beeiferten fi, das Schwert hberauszuziehen; aber feinem 
rüdte das Eifen von der Stelle. Zuletzt trat Sigmundr, Völſungs 
Sohn, hinzu und zog das Schwert aus dem Stamme, als wär es 
los vor ihm gelegen. Siggeir, fein Schwager, wollte es ihm dreifach 
mit Gold aufwägen. Sigmundr aber fagte: „Du Fonnteft es nicht 
minder nehmen, denn ich, wenn es dir zu tragen ziemte.” Daraus 
erwuchſen Zwietracht und Verrath unter den Verwandten; König Völ: 
fung fiel in blutiger Schladht gegen feinen Eidam Siggeir, feine Söhne 
wurden umgebradht und einzig Sigmundr mit Hülfe feiner Schwefter 
Signy gerettet. Mit diejer ſelbſt erzeugte er, ohne fie zu fennen, einen 
Sohn Sinfjötli; nur ein Ablömmling des Völfungenftammes ‘von 
Bater: und Mutterfeite war dem Werk der Rache gewachſen. Bevor 
es aber dazu kam, hatten Sigmundr und Sinfjötli mandherlei Drangfal 


1 &r wurde Brandfiod (Branstokk) genannt; Rafn glaubt, deshalb, weil 
un ihr das Feuer aufgemacht wurde; eine andre Lesart ift: Barnstokk, Kinder- 
famm; Brandr, m. ‚bat doppelte Bedeutung: torris, Brand, und ensis, 
Schwert, Klinge; Schwertflamm aber wärde zu der nachfolgenden Erzählung 
gut paffen. 


289 , “ 


— — 





zu beſtehen. Sie liefen lange, zu Wölfen verzaubert, im Walde 
umher, fie wurden in einen Hügel eingemauert und mitten zwiſchen 
ihnen war ein großer Felsſtein eingejekt, jo daß fie einander nur 
bören könnten. Aber Signy hatte ein Schwert mit binabgeworfen; 
die Spike desfelben ftieß Sinfiötli über dem Felſen hindurch) und Sig: 
munbr zog fie an fi; fo burdfägten fie den Felſen zwilchen ihnen, 
wie gefungen wird: 

Sie fägten mit Macht 

Den mächtigen Fels, 

Sigmundr mit dem Schwerte 

Und Sinfiötli. 


As fie befreit waren, legten fie Feuer an Siggeits Halle und 


wehrten ihm den Ausgang. Signy, die ihnen bisher geholfen und ſelbſt 


ihre Kinder von Siggeir ihnen geopfert hatte, folgte nicht ihrem Ruf, aus 
der Halle zu geben, ſondern ließ ſich freudig mit ihrem Gemahl verbrennen. 
Diefe grauenhaften Gelchichten, melde die Saga ausführlih er 
zählt, habe ich hier nur kurz berührt; fie beruhten, wie der angeführte 
Vers zeigt, auf nun verlorenen Liedern und ftehen nun in der nadten 
Profa roher da, als fie urfprünglich beichaffen fein mochten. Über 
Sigmundr hebe ich jedoch noch Dasjenige aus, was fein Verhältnis zu 
- Din ergänzt. 
. As Sigmundr fon alt war, hielt ex eine Schlacht mit König 
Singvi; Träftig hieb er noch durch bad Heer ber Feinde, die Arme 


- blutig bis zur Achſel. Da trat ihm ein Mann entgegen, mit niedrem _ 


Hut und blauem Rod, einäugig, einen Speer auf ihn jchwingend. 
Sigmundr hieb mächtig dagegen, fein Schwert traf auf ben ‚Speer 
und zerfprang in zwei Stüde. Sein Glüd war gewichen und er fiel 
mit dem meiften Theile feines Heeres. Hjoͤrdis, feine Frau, gieng in 
der Nacht auf die Walftatt, fand ihn bort liegend und fragte, ob er 
noch zu beilen fei. Der Helb wollte nicht geheilt fein; Odin wolle, 
daß er fürber fein Schwert ziehe, feit biefes hier gerbrochen ; die Schwert: 
ftüde ſollen für den Sohn bewahrt werben, den Hjördis unter dem 
Herzen trage; er felbjt werde jet die Blutsfreunde ſehen, die voran⸗ 
gegangen. 

Sigmundrs berühmtefte Söhne (außer Sinfidtlin, ber noch vor 


des Vaters Tode umlam) find Helgi, mit Borghildr, Sigurd, mit 


Ubland, Schriften. VII. 19 


a 





Hiördis erzeugt. | Mit diefen Beiden fpaltet fi der Sagenflamm, ver 
im Bölfungenhaufe wurzelt, in zwei große Äſte. 


2. Helgi. 

Helgsa-qvida Hatinga-Skade. Helga-gvida Hundings-bana 1. II. 
Völsünga-gvida hin forna. Sinfjötla-lok. Edd. Sem, 140 bis 171. [Simrods 
Edda, 1864, ©. 148 ff. 8.] Völs. Saga C. 8 f. (v. d. Hagen C. 15 bis 17). 
Saga af Hromundi Greipssyni, Fornaldar Sögur Il, 363 ff. Fort. 8. II, 
291 fi. Sagabibl. II, 49 bis 53. 545 fl. Saro 8. II, S. 37 f. Sagnhiſt. 26. 
[Schriften I, 148. K.] 


Helgi erfcheint in breimaligem Leben. Zuerſt als Sohn Hiör- 
vards, Königs in Norwegen, und Sigurlinns, der Tochter des Königs 
von Svavaland. Stumm und namenlos fit der Jüngling am Hügel. 
Neun Valkyrien reiten daher und die berrlichfte darunter, Svava, des 
Königs Eylimi Tochter, ruft ihn mit dem Namen Helgi aus feinem 
dumpfen Schweigen auf. Zur Namenfefte entbedt fie ihm ein muns 
berbares Schwert. Er vollführt damit manch Heldenwerf und rächt 
an Hrodmarn den Tob feines Muttervaters. Svava ſchirmt ihn oft 
in Schlachten. Helgi erichlägt au den Joten Hati, ben Räuber 
vieler Bräute, ala er auf einem Felſen faß. Hrimgerbr, Hatis Tochter, 
wollte dafür in der Nacht Helgis Schiffe verberben. Aber leuchtend 
unterm Helme ritt Svava vor ihren Gefährtinnen ber, die Wollen: 
roſſe fehüttelten fih, und aus ihren Mähnen tropfte Thau in die 
Thäler und Hagel auf die. hohen Bäume. So blieb die Flotte ges 
ſchützt. In der folgenden Nacht Fam Hrimgerdr wieder und verlangte 
Helgin ſich zum Buhlen, zur Buße für Hatis Tod. Aber fie warb 
mit Rede bingehalten, bis der Tag aufleuchtete und fie zum Stein 

‚bild verwandelte. Sie ftand nun ein Havenzeichen (hafnar-merk) in 
Hatisbucht (Hata-Ardi). (Hievon erllärt fi) der Beiname Helgis: 
Hatinga - skadi, Schade, Berberben der Hatinge, des Geſchlechts 
Hatis.) Helgi und Spava verlobten ſich und liebten einander jehr. 
Während aber Helgi auf Kriegsfahrten umberzog, war Hebin, fein 
Bruder von andrer Mutter, daheim in Norwegen. Als diefer am Jule 
abend allein aus dem Walde heimgieng, begegnete ihm ein Zauber⸗ 
weib, das auf einem Wolfe ritt und Schlangen ftatt der Zügel hatte. 
Sie bot ihm ihre Begleitung an, er aber fagte nein dazu. Da ſprach 


291 


fie: „Das folft du entgelten bei Bragis Becher (at Bragar-fulli)”1. 
Denfelben Abend wurden Gelübde getban. Die Männer legten ihre 
Hände auf den Sühneber und gelobten zum Becher Bragis. Hebin 
gelobte, Svava, Eylimis Tochter, die Geliebte feines Bruders, heim⸗ 
zuführen. ‘Darüber befiel ihn aber ſolche Reue, daß er auf wilben 
Wegen binauslief in die Südlande, wo er auf feinen Bruder Helgi 
traf. Diefem erzählte er, ſchuldbewuſt, was geichehen; Helgi aber 
tröftete ihn und verfiherte, die Trinkgelübde werben wahr werben, 
denn Helgi ahnte feinen nahen Tod in dem ibm bevorſtehenden Kampfe. 
Wirklich fiel er in der Schlacht mit Alfe, dem Rächer feines Vaters 
Hrodmar. Todeswund beichied Helgi jeine Braut auf die Walftatt 
und bat fie, nicht zu meinen, ſondern feinem Bruber Hedin fich zu 
vermäblen. Aber Spava hatte gelobt, nimmermehr einen andern zu 
umfangen, und Hebin gieng hinweg, den ebeln Bruder zu rächen. 
Helgi und Svava follen wiedergeboren fein (Helgi ok Svava er 
sagt at veri endrborin). ( 

MWiebergeboren wird Helgi im Stamme der PBölfunge, als ein 
. Sohn Sigmundrs von Borghild. Nacht war's in der Burg bei feiner 
Geburt, die Nornen kamen, wohen und befeftigten die goldnen Schickſals⸗ 
fäden unterm Mondesſaale; er jollte der berühmtefte der Könige werben. 
Eine Nacht alt, Stand er ſchon in der Brünne und die Raben auf dem 
Baume riefen fich freubig zu von Tünftiger Beute. Wie ein Ulmbaum 
wuchs er auf unter den Freunden. Kurz ließ fein Vater ihn auf Kampf 
warten. Fünfzehn Jahre war er alt, ala zwiſchen den Königen Sig. 
mund und Hunding Unfrieve ausbrach. Hunding fchidie Männer aus, 
um Helgin bei feinem Pflegvater Hagall aufzugreifen. Helgi konnte 
fih nicht anders retten, al3 daß er die Slleiver einer Magd anzog und 
an die Handmühle trat. Sie ſuchten, aber fanden ihn nit. Da 
ſprach Blindr, der Unheilvolle (Blindr inn baul-visi): „Scharf find die 


1 bättr of Ragnars son. Fornald. 8. I, 345: at Bragar-fulli. Solche 
Gelübde auf den Bragisbecher am Julabend kamen uns ſchon in der Hervörs⸗ 
ſaga &. 4 vor, wo Hjörvard auch gelobte, ſich eine Königstochter zu erwerben. 
Der Sühneber war Freyrn geweiht und noch jetzt ftellen die ſchwediſchen Bauern 
am erften Weihnachtabend einen aus Mehl gemachten Eber, der Julegalt ge 
nannt wird, auf den Tiſch. Edd. Havn. 8. II. Gloss. ©. 793. Lex. myth. 
449. Herv. 8. 6. 14. 


Augen von Hagalls Magd; nicht ift geringer Art, die an der Mühle 
ftebt, die Steine brechen, die Mühle zeripringt; Bart ift des Königs⸗ 
ſohns Schidfal, der Gerfte mahlt. Beſſer ziemte diefer Hand Schwer: 
tesgriff, als Mühlenwalze.“ Dennoch entlam Helgi durch die Klugheit 
Hagalls. Er zog dann in die Schlacht und erſchlug den König Hun- 
bing, wovon er Helgi Hundingstödter (Hundings-bani) genannt wurde. 
Auch Alf und Eyolf, Hundings rachefuchende Söhne, erlagen ibm. Nach 
ber Schlacht ſaß er unter dem Adlerſteine niever. Da brach ein Licht 
hervor, daraus Blige fuhren, bebelmte Vallyrien erichienen, blutbe⸗ 
fprüßt, Flammen auf ben Spießen. Vom Roſſe ſprach Sigrun, Hög⸗ 
nis Tochter, die twiedergeborne Svava, ben Höbbrodb hab’ ihr Vater 
- fie verheißen, dem möüfle fie Helgi ablämpfen. Helgi fuhr nun aus 
gegen Hödbrodd, ein Seefturm überfiel ihn und er hieß die Segel nur 
noch höher aufziehn, Blitze fchlugen in die Schiffe; da kam Sigrun 
mit ihren Gefährtinnen dur die Lüfte und dad Unmetter legte fi. 
In ber Schlacht, die darauf beginnt, ſchwebt fie ſchützend hernieber 
und wünſcht ihm Heil, als Höbbrobb gefallen. Mber in berfelben 
Schlacht bleibt auch Sigruns Vater mit dem einen feiner Söhne 
. (Das Übrige nach der grimmifchen Überfegung ©. 28 bis 32 ***,) 

Bon diefen Karaliedern (käru-ljöodom) ift nichts auf uns gekom⸗ 
men. Aber aus der unter den Quellen angeführten Saga von Hro- 
mund Greipfon E. 7 können wir, durch die Verwirrung und Entftel: 
Tung hindurch, welche bier die alten Überlieferungen erfahren haben, 
ungefähr jo viel vom Inhalt der verlorenen Lieder erratben Vergl. 
Schriften I, 144. 154. 8]: | 

Sn der neuen Wiedergeburt ſchwebt die Valkyrie als Kara 1, 
Halfdans Tochter, in Schwansgeftalt, fchirmenb über Helgin (Helgi 
hinn freekni)‘, der in einer Schlacht, die auf dem Eife des- Vänerjees 
gehalten wird, auf der Seite der Halbinge (al. Hadding, ©. 373) - 
fiht. Sn der Hitze des Kampfes ſchwingt Helgi das Schwert fo hoch, 
daß er Karan töbtlich trifft. Die Valkyrie finft herab, Helgis Heil ift 
gewichen und das Haupt wird ihm gejpalten. ? 


ı Lara, al. Cara, ©. 372. 
2 [Die folgenden Abſchnitte wurden nad der früheren Darftellung der 
deutfchen Heldenfage vorgetragen. Schriften I, 82 fi. 8.) 


L 


293 


8. Sigurd. 


Er m der andre bebeutenbe Aft des Völfungenftammes, Sigmundrs 
Sohn von Hiördis. In Dänemark lebte ihr junger Sohn Sigurd, 
den fie nad Sigmunds Falle geboren. Die Sage von ihm holt aber 
weiter aus. WVergl. Schriften I, 82, 8.) 


4 Atlis Gaſtmahl. | 
(8. 1,8. 8) 
5. Svanhild und ihre Brüder. 
[8. 1,86. 2] 


6. Aslaug. 
[B. I, 87. 8.) 


Die Sage von den Völfungen ift diejenige, in welcher ſich die 
alte Sagengemeinihaft der ſkandinaviſchen und deutſchen Völker auf 
norbifcher Seite im gröften Umfange darlegt. Was wir nun bier, 
im Gebiete der nordifchen Heldenfage, über dieſes gemeinfchaftliche 
Sagengut zu erörtern haben, bezieht fi auf zwei Fragpunkte, 

1) .was die nordiſchen Quellen ſelbſt über die Heimath dieſer Sage 
ausſprechen oder andeuten, 

2) in welchem Zuſammenhang dieſelbe ihrer innern Bedeutung 
nach mit dem Ganzen der altnordiſchen Sagenpoeſie ſtehe. 

In erſterer Beziehung ergibt ſich zuvörderſt, daß eine Sage von 
. jo manigfacher Verzweigung, von jo vielen genealogiſchen Ketten 
gliedern nach gefonderten Hauptpartieen betrachtet werben müffe, mie 
wir folde jhon in der Darftellung des-Inhalts bemerklich gemacht 
baben. Die Borgeihichten von den Ahnen bes Völſungengeſchlechts, 
von Sigmund und feinem Sohne Sinfjötli, haben fi zwar nicht in 
deutichem Helbenlieb erhalten, wohl aber werden mir bei den Angel: 
ſachſen ihre Spur! finden. Hier ift auch Sigmund nicht Völfungs 
"Sohn, fondern er beißt richtiger ſelbſt Wälfing, der Sohn Wälfes, 
denn die Endungen auf -Ung, -ing, bezeichnen bie Abftammung und 
an ber Spike des Bölfunge muß alfo ein Ahnherr Völfi geftanden fein 
(Grimm, Helbenf. 16. Finn Magnufen, Edd. IV, 325). Sigi, der in der 


1 (Bel. J. Grimm in Haupts Zeitſchrift für deutſches Alterthum I, 2. 
4 f. 8.) . . 


294 

Völfungenfage als Sohn Odins obenan geſtellt wird, ſollte ohne gZweifel 
dazu dienen, ben berühmten Namen in dieſem Geſchlechte, welche mit 
der Hauptſilbe Sig: beginnen (Sigmund Signy, Sigurd), eine Wurzel 
zu geben. Sigis urfprüngliche Heimath, aus der fein Vater Din 
ihn zu den Heerjchiffen führt, ift nicht benannt; aber das Land, morin 
er feine Herrihaft und feinen Stamm begründet, nennt die Saga 
Hunaland.’ Hiemit ift jedenfalls ein nichtffandinavifches Land bezeichnet. 
Sn demfelben Reiche folgt in dritter Generation Sigmund nad und 
von dieſem fagt die ältere Edda, in der kurzen Profaerzäblung von 
Sinfjötlis Ende: „Sigmund, Volſungs Sohn, war König in Franl: 
land (& Fraklandi)“. Damit übereinftimmend befagt die, wenn gleich 
erſt fpäter binzugelommene Vorrede zur jüngern Edda: „Der britte Sohn 
Odins ift genannt Siggi (al. Sigi), fein Sohn Berir (al. Rerir, 
derer) 1. Ihre Vorväter herrſchten über das Land, das jebt Frank⸗ 
‚lanb (Frakland) genannt wird, und von ba iſt das Geſchlecht ge⸗ 
fommen, da8 man Bölfunge nennt“ 2. Die ältefte norbifche Duelle 
alfo, die ſämundiſche Edda, gibt dem PVölfungenftamme fräntifche 
Abkunft. 

Im Norden erſt auf dieſen Stamm gepfropft erſcheinen die Sagen 
von Helgi. Sie ſtehen mit der Völſungenſage in keiner nothwendigen 
Verbindung und können leicht von ihr abgelöſt werden. Daß ſie aber 
dem Urſprunge nach dem Norden eigenthümlich waren, kann darum 
nicht behauptet werden. Wir werden auch im deutſchen Liede Nach: 
Hänge davon aufweifen können. Die Ortlichleiten find meift unbe: 
ftimmte, allgemein gehaltene; nur theilweife ift wirklich ſtandinaviſche 
Anfnüpfung verjucht worden. Beſonders aber zeigt das breimalige 
Erjcheinen Helgis unter verſchiedenen äußern Verhältnifien, während 
ſich doch der innere Beitand der Sage immer als berfelbe erfennen 
läßt und felbft einzelne Namen und Nebenumftände von einer Ver: 
. wandlung in die andre übergegangen find, daß dieſe Sage längft eine 
beimath: und berrenloje war, bie darum leicht auch an anbre anges 


ı Vols, 8. &. 116: Rerir (al. Reri, Berir, Beirir). Raſt äußert zur 
Eddavorrede (&. 14, 7) die Vermathung, daß am richtigften Velsi oder Völsi 
gelefen werden möchte, und bie vielerlei Lesarten deuten allerdings auf Kor- 
ruption. 

2 Sn. Edd. 14. 


295 


Schoben werben Tonnte 1; und fo wurde Helgi auch in einer feiner 
Ericheinunger dem fagenberühmten Völfungengefchlechte angereiht. Seine 
und feiner Balkyrie mebhrmalige Wiederkehr hörten wir zwar ala Wieder⸗ 
geburt bezeichnen, aber dieß wird nicht in ben Liedern ſelbſt, ſondern 
nur in der ihnen angehängten Proja gefagt und ift nur ein Verſuch, 
bis verfchievenen und doch fämmtlich in der Überlieferung befeftigten 
Darftellungen der Sage zu erllären. Die Wiedergeburt ift nur eine 
poetiſche derjelben Sage in mehrfacher äußerer Geftaltung. Eine eigent- 
liche Wiedergeburt, ein wiederholtes Erdenleben hingegangener Menfchen 
finden wir in feiner andern nordiſchen Sage; ein ganz Andres ift bie 
Emeuung ber Welt und das Aufleben der Götter und Menſchen nad) 
bem Weltbrande (vgl. Mone I, 465). 

Im weitern Berlauf der Völſungenſage wird zwar Sigurb nad 
Dänemark gezogen, wo feine Mutter fi; mit dem König Alf in zweiter 
Ehe vermählt und er nun feine Erziehung erhält. Aber doch wird er, 
von feiner Herkunft, der fübliche (hinn sudreni, ‚Helden. ©. 5) 
genannt und bald drängt die Sage wieder ihrer Heimath zu. Sigurd 
zieht grüne Wege hinaus fühlich nad Frankland (sudr til Fracland, 
Edd. Seem. 1915. 193) und an den Rhein zu König Gjuki, wo er 
auch feinen Tod findet. Fern außerhalb des Norbens ift dann aud 
ber Sit des Königs Ali gebacht, auch wenn man für biefen bie Be 
ziebung auf den Hunnenlönig Attila nicht als uriprünglich gelten läßt. 
Yürber wenbet ſich die Sage in das Gothenreich des Königs Jörmunrek 
(Ermanarich), und wenn fie zulegt mit Aslög fich wieder im Norben 
anbeftet, jo gehörte dieß jo wenig zu ihrem echten Beſtande, daß es 
vielmehr dem ausbrüdlichen Zeugnis der Eddalieder widerſpricht, nach 
welchen zwifchen Sigurd und Brynhild das Schwert lag. Wenn ihnen 
nun doch am Schluſſe ver Bölfungafaga eine Tochter, Aslog, zuge: 
ſchrieben wird, jo geſchah dieß bloß um ein nordiſches Konigsgeſchlecht 
zu verherrlidhen, indem man es an bie Helbenfage anknupfte, wie nach⸗ 
ber bei ber Sage von Ragnar Lodbrok näher erhellen wird. 

Das hohe Alter der Ebbaliever diefes Kreifes, welche in der Ge: 
ftalt, in welcher fie vor und liegen, großentheild dem Sten Jahrhundert 
angehören, aber ſich wieder auf ältere Geſänge berufen, bie man mit 


„1 Müllers Sagabiblioth, II, 49 bis 58. Grimm, Heldeuf. 846. 


Wahricheinlichleit ins Gte Jahrhundert verſetzen kann (Heldenſ. ©. 4), 
fodann das mythiſche Gepräge dieſer altnordiſchen Darftelung Tonnte 
früher leicht auf die Anficht führen, daß dieſer Sagenkreis, von. welchem 
weder jo alte noch fo altertbümlich ausgeprägte deutſche Denkmäler 
übrig find, nicht von Deutſchland aus, ſondern eher aus einer ben 
germanischen Volleftämmen gemeinfamen Sagenquelle dem Rorben zu 
gekommen ſei. 

Die neuern Forſchungen, vorzüglich bie von W. Grimm, in seines 
Merk über die deutſche Helbenfage, führen gleichwohl barauf, daß. die 
Bölfungenfage ihrem Hauptbeftande nach eine fränkische fei, allmählich 
aber burch gothifche und burgunbilche, ſowie durch einheimifch nordiſche 
Sagen erweitert. Hinweifungen, die für biefe Anficht aus den nordiſchen 
Quellen felbft fich ergeben !, habe ich im Bisherigen ausgehoben; bie 
weitere Ausführung aber muß auf bie Betrachtung der deutſchen delben, 

age ausgeſetzt werben. 
" Ein zweiter Fragepunkt ıft uns nun der, in weichen Zufammen 
hang die dem Norden nicht urſprünglich angebörige Böljungenjage 
dennoch ihrer innern Bebeutung nad) mit dem Ganzen der nordiſchen 
Sagenpoeſie getreten ſei. | 

Das Beftteben, dieſe Sage dem Norden brilich und genealogiſch 
anzueignen, bat ſich uns ſchon im Obigen herausgeſtellt. Erhebkicher 
aber ift die innere Aneignung, bermdge welcher dieſer ganze Sagenkreis 
auf den odinifchen Glauben begründet, von ihm durchdrungen und um: 
fponnen wurde. Selbft in Feiner. eigenthümlich nordiſchen Sagenreihe 
iſt Odin fo vom Anfang bis zum Ende thätig, wie in biefer. ' Er ift 
felbft der Stammsnter der Bölfungen. Dem göttlichen Urfprung vers 
dankt ohne Zweifel dieſes Gefchlecht die Unverlegbarkeit durch Gift und 
- das Icharfe leuchtende Auge, das durch jeve Verwandlung hindurch⸗ 
fcheint, vor dem der Mörder Sigurbs zurkdfchridt und felbft die Roſſe 
fcheuen, die Svanhild zerireten jollen. Odin geleitet feinen Sohn Sigi 
in bie Welt hinaus und verhilft ihm zu Heerfchiffen; Rerin ſendet er 
den befruchtenden Apfel; in den Baumftamm in Volſungs Halle ftößt 
er das. herrliche Schwert, das nur Sigmund herauszuziehen vermag; 
biefes Schwert wirb die Urfache des blutigen Zwiftes unter den Bluts⸗ 


1 Bgl. no Eagabibl. II, 120. 


291 


verwandten, mie wir Toldden auch fonft von biefem Kampfgotte erregt 
fanden. Immer wieder erfheint Odin in feiner belannten irbifchen 
Berhüllung als einäugiger, Iangbärtiger Greis mit herabhängendem 
Hut und umgelchlagenem Mantel. So tritt er auch dem alten Sig: 
mund in ber letzten Schlacht entgegen und fchwingt auf ihn den Speer, 
an dem das treffliche Schwert, einft feine Gabe, zerſpringt. Ex holt 
den. alten Helven aus dem Schlachtgewühle zu fi), wie in andrer Sage 
ben greifen Haralb Hyldetand. Auch in den dem Böllungenftamme 
angefügten Helgiöfagen waltet Odin, tbeild durch feine Dienerinnen, 


die Valkyrien, die bier in leuchtenber Erscheinung auftreten, theils 


unmitselbar, indem er Dagın, der ihm für Baterrache opfert, feinen 
Speer zur Rache an Helgi leibt. Dagr ermwibert feiner Schwefter, die 
ihn deshalb verwänfdt: „Odin allein iſt Schuld an allem Unbeil, er 
warf Zwiſt unter Verwandte.” Aus den Sälen Odins kehrt Helgi 
Nachts zurüd in den Grabhügel; aber wenn der Hahn das Siegerboll, 
bie Einherjen, wedt, reitet er zurüd über bie Regenbogenbrüde Bifröft. 


Wieder ericheint Ddin an der Spitze von Sigurds Gefchichten. Mit _ 


ben Men, Hänir und Loki, denfelben, mit denen er bie erften Menſchen 
geichaffen (wenn Lodr mit Lofi gleichbedeutend genommen wird), manbelt 
ex durch die Welt und auf diefem Gange werben die Geichide langer 
Geſchlechtsreihen beftimmt. Odin Iegt bei der Sühne für Ditur zu dem 
übrigen Golbe den Ring, auf dem der Fluch haftet, daß er den Be: 
figern des Schatzes Berberben bringt !. Din hilft dann dem jungen 
Sigurd das Roſs Grani wählen, das von Sleipmir ftammt. Aus ben 
Stüden des Schwertes, das Odin einft in ven Baum ſtieß, wirb Si⸗ 
gurds treffliches Schwert Gramr gefchmiebet, womit er feinen Bater 
vicht und ben Lindwurm erichlägt. Auf Sigurds Fahrt zur Vaterrache 
laͤßt ſich Odin in das Schiff aufnehmen, ſtillt das Ungewitter und 
gibt ihm Kampflehren, namentlich von der keilförmigen Schlachtordnung, 


1. Die Buße für getodtete Menſchen und Thiere durch Beſchuttung derſelben, 
zwar nicht. mit Gold, aber mit rothem Weizen, kommt auch ſonſt in den deut⸗ 
ſchen und nordiſchen Rechtsalterthümern vor, z. B. noch im Wendhager Bauern⸗ 
recht in Schaumburg (a. 1731): „Den getödteten Hund ſoll man bei dem 
Schwanz aufhangen, daß ihm die Naſe auf die Erbe ftehet und ſoll mit rothem 
Weizen begoffen werden, bis er bebedt ift, das fol fein Beflerung fein.“ Grimm, 


> Reftsalterti. 668. [Edriften I, 218. 2) 


. 


28 - 


- die au Harald Hulbetand von ihm erlernt. As Sigurb auf der 
Heide den Linpwurm erwartet, kommt wieder Odin und räth ihm, 
mehrere Gruben zu machen, damit das Blut ablaufen könne !. Dbin 
bat die Ballyrie Brynhild, weil fie einem Andern, als feinem Günft: 
Iinge, den Sieg verlieh, in ben Bauberfchlaf gefentt und beftimmt, baß 
der ihren Schlaf breche, den nichts erfchreden könne. Diefer ift Sigurd, 
ven fie Weisheit lehrt und zwiſchen Ruhm und Vergeſſenheit wählen 
beißt. Sigurds Frübzeitiger Tod wird in langer Reihe blutiger Thaten 
burch den völligen Untergang des Gjukungengeſchlechtes gerächt, und 
als bie legten diejes Stammes, Hamdir und Sörli, nicht mit Waffen 
zu verlegen find, kommt nochmals der einäugige Greis und räth, fie 
mit Steinwürfen zu töbten. 

Inwiefern auch die beutfche Darftellung ver Sage, hauptſachlich 
im Nibelungenliede, noch die einſtige Begründung im Odinsglauben 
durchblicken laſſe, wird erſt dort zu erörtern ſein. Aber ſo viel ergibt 
ſich aus den angeführten Zügen, daß die Volſungenſage, wenn auch 
von Deutſchland eingewandert, boch mit ber gefammten mythifchen. und 
ethiſchen Anficht bes Nordens, wie dieſe fich fonft in der ſtandinaviſchen 
Götter: und Helbenjage ausbrüdt, in volle Übereinftimmung ge 
treten iſt. | 

s Die frühe und fefte Ginbürgerung der Bölfungenjage im Norben 

erweiſt ſich auch in der geoßen Anzahl bichterifcher Ausbrüde, die von 
den älteften .Stalden an ihr entnommen find. Die jüngere Edda gibt 
einen gebrängten Umriß der Sage, um zu erflären, warum dad Golb 
Dtterbuße (otrgjöld), der Aſen Löfegeld, Granis Bürbe u. dgl. ge 
nannt wird. In den Bruchſtücken des alten Bjarkamal fanden wir 
gleichfalls mehrere daher ftammenve Bezeichnungen des Goldes: Faf⸗ 
nirs Lager, Rheinerz u. |. w. So hießen aud die Steine Hambirs 
und Sörlis Verderben, der Banzer Hambird Hemd u. |. w. (Sagabibl. 
II, 376 bis 78). 

Den bisher vargeftellten deutſch⸗ nordiſchen Sagen reihen wir nun - 
noch zwei weitere an, melde zwar im Norden jelbft ertwachfen, aber 
mit der Völfungenfage nahe verbunden und zu den weitern Aneignungen 
derjelben zu rechnen find. 


1 Bol. Saro B. U, s.26. 8. VI, ©. 188, 1. 


2% 


4. Raguar Lodbrol. 


’ Baga af Ragnari konüngi Lodbrök ok sonum hans, Fornald. S. I, 
284 fi. Fort. 8.1, 219 ff. (v. d. Hagen, nord. Heſdenromane, bies Bündchen). 
Kräkumsl, Hinter obiger Saga an beiden Orten; auch bejonders von Rafn 
herausgegeben unter dem Zitel: Krakumäl u. |. w. efter en gammel hidtil 
ubenyttet Skindbog og flere Haandskrifter med dansk. letinsk og fransk 
Overssettelse, Varienter og tilhörende Undersögelser samt kritiske og phi- 
lologiske Anmerkinger udgivet af C. C. Rafn. Kopenhagen 1826. pattr 
af Ragnars sonum, Fornald. 8. I, 343 fl. Fort. 8. I, 317 fi. Völs. Saga 
6. 43. Saro B. IX, ©. 259 bis 274. Sagabibl. II, 464 ff. 94 bis 97. Sagnhift. 
150 bis 167. Geijer I, 452 bis 502. 


Herrubr, ein mächtiger Jarl in Gotland, hatte eine Tochter mit 
Namen Thora, zugenannt Borgarbiärtr (Burghirſch, Hirſch in der Burg), 
weil fie alle Frauen fo fehr an Schanheit übertraf, als ber Hirſch 
andre Waldthiere. Der Jarl liebte diefe Tochter fehr, er ließ ihr in 
ber Nähe der Königshalle ein Frauengemad bauen und mit einer Ver⸗ 
zäunung umbegen. Seven Tag fchidte er ihr etwas zum Ergeken und 
jo ließ er ihr einmal auch eine Kleine Schlange (yngorm) von befonbrer 
Schönheit bringen. Thora fand daran Gefallen, fette diefelbe in ihre 
Lade und legte ihr Gold unter. Bald aber wuchs ber Lindwurm fehr, 
zufammt dem Golde unter ihm; er hatte nicht mehr Raum in ber Lade 
und lag nun im Ring um diejelbe ber; endlich hatte er auch in ber 
Stube nicht mehr Raum und immer mebrte ſich zugleich das Gold; da 
legte er fich außen um bie Srauenftube, fo daß Kopf und Schweif zu 
famınenzeichten. Niemand wagte jet mehr, dahin zu kommen, ala ber 
Mann, der ihm Futter brachte, wozu jedesmal ein Ochſe nöthig war. 
Dem Jarl ſchien das ein großer Übelftand und er gelobte (beim Bragis⸗ 
becher, nach pättr af Ragn. son. ©, 345), feine Tochter dem Manne, 
wer er auch wäre, zu geben, der den Wurm erlegte; das Gold unter 
dieſem jollte die Mitgift fein. Diefe Nachricht gieng weit umber, aber 
Niemand wagte fi "an den großen Wurm. Damals herrſchte über 
Dänemark Sigurd Hring, berühmt durch ben Sieg in der Bravalla- 
ſchlacht. Sein Sohn Ragnar, in früher Jugend fihon ein großer 
Kriegamann, hörte von bem Gelübbe des Jarls. Er ließ ſich einen 
wunderlihen Anzug machen, Hojen und Mantel von zottigem Yelle 


' . 
300 " 
— — —— — 


(bat eru lodbreekari og lodk4pa), in Pech gefotten und dann ger 
bärtet. Im Sommer fteuerte ex nach Gotland und legte in einer heim⸗ 
lihen Bucht an, nicht weit vom Site des Jarls. Frühmorgens gieng‘ 
er in der erwähnten Kleidung, mit der er fich noch im Sande wälzte, 
und einen großen Spieß in der Hand, allein von den Schiffen. Vom 
Speereiſen hatte er zuvor die Nägel ausgezogen. Als er bei der Burg 
des Jarls ankam, lag noch Alles im tiefen Schlafe. Er gieng fogleich 
auf den Lindwurm los, flach nach ihm mit dem Speere und zog diefen 
wieber an fih. Zum zweitenmal ftach er den Linbwurm in den Rüden; 
verfelbe krümmte ſich fo gewaltig, daß das Speereifen vom Schafte 
losgieng und das ganze Srauengemach von feinem Todeskampf erzitterte, 
Ragnar wandte fich zum Weitergehn ; da traf ihn ein Blutftrahl zwiſchen 
bie Schultern, aber feine Kleidung beichügte ihn vor Schaden. Die 
rauen erwadten von dem Lärm und famen heraus, Thora ſah da 
einen großen Mann hinweg gehn und fragte um feinen Namen. Rage 
nar antwortete mit einer Liebesftrophe, worin er fich freute, nur fünf 
zehn Winter alt, den Erdſiſch, den Haidelachs, getroffen zu haben. 
Er gieng nun fort, indem er das Eifen in der Wunde ließ, den Schaft 
aber mit fi nahm. Thora wuſte nicht, ob dieſer hochgewachſene 
Süngling von Menfchenftamm fei oder nicht, Der Jarl ließ hierauf 
nach Thoras Rath eine Bollöverfammlung berufen und zugleich vers 
fünbigen, daß derjenige, welcher bebauptete,. dem Wurme bie Todes⸗ 
wunbe gegeben zu haben, feinen Schaft mit ſich bringen folle. Auch 
Ragnar und feine Kriegöleute kamen von den Schiffen zu biefer zahl⸗ 
reichen Berfammlung, lagerten fi) aber etwas abjeit3 von den Andern. 
Da erhob fih der Jarl, gebot Stille und forderte den, der den Schaft 
zum Speereijen hätte, das in ber. Wunde geblieben war, auf, folchen 
vorzumweifen und ben verheißenen Lohn zu empfangen. Das Speer 
eifen wurde nun in ber Berfammlung umbergetragen, aber Niemand 
batte den rechten Schaft dazu. Endlich fam man aud zu Ragnarn 
und bei ihm pafjste Eifen auf Schaf. Man ſah nun, daß er den 
Lindwurm erlegt, und von diefer That wurde er berühmt über den 
ganzen Norden. Er warb hierauf um Thora und ber Jarl nahm 


u 


1 [Fornald. 8. I, 288. 8.] Lod n. villositas, hirsuties; lodinn hirtus, 
-.  wüllosus. Brok f. femorsle, broskur f. pl. bracce. 


' 301 


fein Begehren wohl auf. Mit einem großen Gaſimahl wurde die Hochzeit 
gefeiert 3. 

Bon Thora hatte Ragnar zwei Söhne, Erik und Agnar; da fiel 
fie in Krankheit und farb. Ragnarn gieng ibe Tod fo zu Herzen, dab 
er nicht in feinem Reiche bleiben wollte, ſondern wieder auf. Kriege 
fahrten auszog. 

Eines Sommers ſteuerte er mit ſeinen Schiffen nach Norwegen, 
um dort Freunde zu beſuchen. Am Abend legten ſie in einem kleinen 
Haven an, in der Nähe eines Hofes, der Spangarheidi hieß. Den 
Morgen darauf giengen die Speisknechte (matsveinar) nach dem kleinen 
Hofe, um Brot zu baden. Gie baten die alte Hausmutter, bie fich 
Grima nannte, ihnen behülflich zu fein. Sie entgegnete, ihre Hände 
feien zu fteif dazu, aber ihre Tochter Kraka (kräka Krähe) werde bald 
nach Haufe kommen. Krala war am Morgen braußen, um Schafe 
zu hüten, und als fie ſah, daß viele große Schiffe angefahren, wuſch 
fie fiih, obgleich das alte Weib ihr das verboten hatte, um zu ber 
bindern, daß man ihre Schönheit nicht wahrnehme, denn fie war das 
ſchönfte aller Weiber und ihr Haar fo lang, baß es bis auf bie Erbe 
berabfiel, glänzend wie die fchönfte Seide. ME die Knechte Feuer aufs 
gemacht hatten, kam Kraka heim. Sie erftaunten über der Schönheit 
bes Mäbchene und wollten nicht glauben, daß es die Tochter der häß⸗ 
lichen Alten ſei. Kraka Inetete nun den Teig und bie Knechte fingen 
an, das Brot zu baden; aber ihre Augen waren immer auf Rrafa ge 
richtet, jo daß fie darüber das Brot verbrannten. Nach vollbrachtem 
Geſchäfte Tehrten fie zu den Schiffen zurüd, geftanden aber, daß fie 
niemals fo fchlecht gebaden und dafür Strafe verbienen. Der König 
fragte um die Urſache und fie ſprachen nun von Krakas unübertreff- 
licher Schönheit. Ragnar bemerkte, fie fei Doch gewiſs nicht fo ſchön, 
als Thora, geweſen. Jene verficherten, baß Re Thoran’nichtö nachgebe. 
Der König beihloß nun, nah Kraka zu fenden, und wenn dieſelbe 
nicht fo ſchön gefunden werde, wie die Knechte behaupten, follen fie - 


1 Zur Erffärung des Beinamens fagt Saxo B. IX, ©. 262: Cujus cul- 
tum rex [Herothus] curiosius contemplatus, quum hirtum atque hispidum 
animadvertisset, precipue tamen occidus vestis horrorem, maximeque 
incomptam braccarum speciem eludens, Lodbrogh eum per ludibrium 
sagnominavit. 


302 


geftraft werben. Den Boten gab er auf, wenn ihnen Krala wirklich 
jo ſchön erfcheine, fie mitzubringen, aber fie joll meber befleivet noch 
unbefleibet, weder geſpeiſt noch ungefpeift fein, weder allein kommen 
noch einen Menichen bei fich baben!. Die Abgejanbten zogen nun nach 
bem Hofe, fanden die Ausfage der Knechte wahrhaft und richteten ihre 
Botichaft aus. Kraka verſprach, am folgenden Tage zu kommen. Sie 
gieng dann auch wirklich zu den Schiffen und zwar fo, wie ber König 
verlangt hatte. Statt der Kleider hatte fie ein Fiſchernetz um fich 
gewidelt und über biejes ließ fie ihre langen, golbglängenden Haare 
fallen, ftatt der Speife hatte fie an einem Lauch geichmedt und keinen 
Menſchen ließ fie fih folgen, aber Grimas Hund. Der König fand 
großes Gefallen an ihr und bat fie, mit ihm zu ziehen. Sie wollte 
nur dann einwilligen, wenn er ‚bei ber Zurüdkunft von feiner Fahrt 
noch beöfelben Sinnes wäre. Er bot ihr Thoras golbgenähtes Gewand, 
fie weigerte ſich aber, es anzunehmen: 

Sie nennen mid nur Krafa 

Und in kohlſchwarzen Kleidern 

Zreib’ ich auf fleingem Boden 

Die Geißen längft der See bin. 

Ragnar holte fie, auf der Nüdfahrt ab. Bon dem Bauer und 
feinem Weibe nahm fie unfreunblihen Abſchied, da fie wuſte, daß 
jene ihren Pflegvater Heimir umgebracht hatten. Nach ver Ankunft in 
Ragnars Reiche wurde bei einem feftlihen Gaftmahl Willlomm und 
Hochzeit zugleich getrunken. \ 

Der erfte Sohn diefer Ehe erhielt, ald man ihn mit Wafler begoß, 
den Namen var. Er war beinlos; wo Knochen fein follten, waren 
nur Knorpel. Doch ragte er an Wuchs über alle feines Alters, er 
war der Schönfte von Ausfehen und von ungemeinem Berftanbe. 

Ihm folgten drei Brüder: Björn, Hvitſerk und Rögnvald. Wohin 
die Yünglinge giengen, ließ der beinloje Ivar, ver nicht gehen konnte, 
ſich auf Stangen tragen; ihn wollten fie in allem ihrem Bornehmen 
zum Rathgeber haben. Er rieth ihnen, ihren Vater um Schiffe und . 
Kriegsmannſchaft zu bitten. Ihrem Wunfch mwurbe entfprocdhen, fie 
fuhren aus und hatten überall Sieg. Da rieth Jvar, zu befrer Prüfung 


1 Bol. Geijer ©. 454 u. 


303 


ihrer Tapferkeit dahin zu ziehen, two fie die Übermacht gegen fich 
hätten. Sie zogen nun gegen $oitabär (in Schleswig), eine große, 
ſtarkbevölkerte Dpferftätte. Ivar ließ ſich auf einem Schilbe in bie 
Schlacht tragen und fihoß gewaltig mit dem Bogen. Rögnvald, ber 
bei den Schiffen bleiben jollte, gönnte feinen Brüdern den Kampfruhm 
nicht allein, zog ihnen nad), fiel aber im Streite. jene eroberten den 
feften Ort und machten reiche Beute. 

Ragnar felbit ließ fidh auf einem Beſuche bei dem ſchwediſchen 
König Eyſtein zu Upfala bereven, daß ihn deſſen ſchöne Tochter, die 
ihn am erften Abend geichentt (d. h. Trebenzt) hatte, befier anftände, 
als die Tochter des Bauern. Er verlobte fich mit jener, aber bie Ver⸗ 
mäblung follte verfchoben werben. Allen. feinen Begleitern verbot er, 
bei der Zurüdlunft nah Dänemark, bei. Tobeöftrafe, von dem Ber: 
lobnis zu fprechen. Als ihn aber Kraka fragte, was er Neues bringe, 
und er nichts Solches zu willen vorgab, fagte fie ihm die Neuigfeit 
von feiner Verlobung. „Wer bat dir das erzählt?“ ſprach Ragnar. 
„Behalten follen deine Mannen Leib und Gliever, fuhr fie fort, denn 
feiner von ihnen bat mir das gefagt; aber du wirft gefehen haben, 
daß damals drei Vögel auf dem Baume neben bir faßen; bieje fagten 
mir die Nachricht. Aber das bitte ih, daß du nicht ausreifeft, dieſe 
Heirath zu vollgiehen, denn ich will bir nun erzählen, baß ich eines 
Königs, nicht eines armen Bauerd Tochter bin; mein Vater war ein 
fo berühmter Mann, daß nicht feinesgleichen gefunden ward, meine 
Mutter aber die jchönfte und weiſeſte der Frauen, deren Name in 
dauerndem Gedächtnis leben wird, fo lange die Welt ſteht.“ Sie er 
öffnete ihm nun, daß fie eine Tochter von Sigurd dem Fafnirstöbter 
und Brynhild, Budlis Tochter, ſei. Ragnar fand unwahrjcheinlich, 
daß die Tochter diefer beiden Kraka beißen und in ſolcher Armuth, mie 
dort auf Spangarbeibi, aufgewachſen fein follte. 

„Davon zeugt die Saga (saga er til bess)“, erwiderte fie und 
erzählte nun Alles, wie Sigurd und Brynhild auf dem Gebirg zu⸗ 
fammengetroffen, wie ihr rechter Name Aslög fer und wie fie zu dem 
Bauer gelommen. Sie ſetzte hinzu: „Das Kind, das ich unterm Herzen 
trage, wirb ein Knabe fein und an ihm wird man das Beichen finden, 
dab es fcheint, ala ob eine Schlange um fein Auge liege; gebt dieß 
in Erfüllung, jo bitte ih dich, nicht nach Schweden zu ziehen, um 


304 


bich mit König Eyſteins Tochter zu vermählen; ſchlägt es aber fehl, 
ſo geuch, wohin bu willft! Sch wünfche, daß dieſer Anabe nach meinem 
Bater genannt werde, wenn, mie ich hoffe, dieſes Ehrenmal in feinem 
Auge gefunden wird.” "Bald hernach wurde der neugeborne Sohn in 
die Halle getragen und in Ragnars Mantelichoß (ok lagdr 1 skikkju- 
skaut Ragnars), gelegt. Als ver König das Kind betrachtete, fragte 
man ihn, wie es heißen follte. Da fang er: 

Sigurd fol man ihn heißen, ° 

So wirb er Schlachten kämpfen u. ſ. w. 

Bon Odins Stanım der erſte 

. Soll diefer Sohn genannt fein; 

Den Wurm bat er im Auge, 

Den jener Sigurd aufrieb. 

Darauf 30g er einen Goldring von der Hand, gab ihn dem Knaben 
zur Namenfefte und fang dann Weiter: 

Mau fieht an keinem Knaben, 
Als einzig nur an Sigurd, 
Im Augenfteine mitten 

Die Schlang’ in Ringen liegen; 
Drum foll vom Augenwurme 
Der Sohn das Beiwort haben. 

(Sigurd bieß davon: Schlang im Auge, ormr f auge.) Ragnar 
aber ftand von der Fahrt nad Schweden ab. 

Anders erzählt Saro (B. IX, ©. 263 f.) ten Anlaß bes Bei: 
namend. Syvard, ein Sohn Regner Lobbrogs (wie es fcheint von 
Thora, ©. 262) hatte in der Schlacht eine große Wunde erhalten und 
die. Ärzte verzweifelten an feiner Heilung. Da trat ein alter Mann 
von erftaunlicder Größe an das Lager des Kranken und verfprach, ihn 
fogleich zu heilen, wenn er die Seelen Derjenigen, die von feinen 
Waffen fallen würden, feinem Retter weihen wolle (ei sibi illorum, 
„ quos armis Oppressurus foret, animas dedicasset), Auch verſchwieg 
der Mann ſeinen Namen nicht und ſagte, er werde Roſtar geheißen 
(Rostarum ! se dici subjunxit). Syvard willigte ein. Der Greis 

1 Aud) B. UI, ©. 62 nennt fich Odin Rosterum. Lex. isl,: Rosta, f. 
tumultus. Lex. myth. &. 309: Nomen Röstarr sive Rostar pugnacem 


eive belligerum significat, ah eddico-poätico vocabulo rosta (pugna) deri- 
vandum. Rosta insuper (et originitus quidem) significavit procellam, 


305 


betaftete nun bie Wunde und machte fie alsbald vernarben. Zuletzt warf 
er Staub in Syvards Nugfterne, wovon plötzlich Flecken entitanden, 
welche die gedfte Ähnlichkeit mit Würmern hatten. Eine alte Iran, 
welche das Getränk beforgte, fiel bei dieſem ſchrecklichen Anblick leblos 
nieber. Syvard erhielt Davon den Beinamen Schlangenauge. 
Postremo pupillas ejus pulvere perfündens [senex] ablit. Qui macnlis 
repente coortis eximiam vermiculorum similitudinem obetupescentibns oculis 
ingeneravit: Crediderim, hujus miraculi auctorem futuram juvenis swevi- 
tiam evidentiori laminum testimonio prodere voluisse, ne perspicacior | 
corporis pars- sequentis vile presagio vacua manerei, (Juem anus, qu® 
potionibus ejus preerat, vermiculatss ore notas preferre conspicieng, in- 
usitato juvenis horrore permota subito lapsu decidens, linqui animo coepit. 
Quo evenit, ut Syvardo serpentini oculi vulgatum Inte cognomen accederet. 


Der Schwebenlönig Enftein, deſſen Tochter Regnar verichmähte, 
wurde nun fein Feind. Regnars Söhne erfter Ehe, Erik und Agnar, 
zogen mit Heerfchild nach Schweden, wurben aber überwältigt. Agnar 
fiel im Kampfe, Erik wurbe gefangen. Eyſtein bot ihm Frieden und 
feine Tochter an, aber Erik wollte feine Buße für feinen Bruber nehmen 
und bat nur für feine Begleiter um Frieden und für ſich um eine bes 
fondre Todesart. | | 

Er ließ Spieße in die Erbe fteden und fich auf die Spiten der⸗ 
felben legen 1. So enbete er, nachdem er zubor gefungen: 


Nie farb, jo weit ich denke, 

Der Sprößling eines Königs 

Auf gleich Toftbarem Bette 

Zum Yrühmahl für die Raben u. ſ. mw. 


Weiſt du, wenn aus dem Haupte 
Sie mir die Augen hadın, 

So lohnen fie mir übel, 

Wie ich fie fonft gefüttert. 


| 1 Es ſcheint dies eine eminente Weife zu fein, fi mit Speeresipige zu 
zeichnen; oder liegt der Nachdruck darin, daß Erik (Eirikr) über alle andre 
Gefallene erhaben fterben wollte? Hierauf deutet Pättr ©. 848 f.: Hefi hann 
svä upp ylir allan valinn u. ſ. w. Mun ek efstr 4 val deyja u. |. w. 
Ok d6 hann sv& uppi yfir valnum. Doch aud: upp & spjöts oddu- 
num ı. ſ. w. . 


Uplend, Säriften VI. 20 


Seinen Mannen hatte er einen Ring von ferner Hand zugeworfen, 
den fie feiner Gtiefmutter Aslög bringen ſollten. Diefe war allein 
daheim, als die Boten anfamen. Sie zögerten brei Tage, vor fie zu - 
treten. Als fie enblich vor ihren Hocdfik kamen, hatte fie ein Leintuch 
auf den Knieen und bie Haare gelöft, um. fie zu fchlichten. Die Männer 
brachten ihre Botſchaft vor und einer fang das Lied, das Erik gefungen 

hatte, als er ihr den Sing fanbte. Da fahen fie, daß fie Thränen 

fallen ließ, aber dieſe waren wie Blut anzufehen und hart, wie Hagel⸗ 
körner; das war das erfte und lebtemal, baß man fie meinen fab. 
Als hierauf ihre eignen Söhne, Ivar und feine Brüder, heimgekommen 
waren, trat fie zu ihnen in die Halle. Sie erzählten ihr den Fall ihres 
Sohnes Rögnvald, aber gefaßt ſprach fie: 

Rögnvald im Männerbiute 

Hat Schildesrand geröthet. 

Furchtlos fuhr er zn Odin, 

Der erfie meiner Söhne. 

Nun erzäblte fie ihnen den Tod der Stiefbrüber und forberte fie 
zur Rache auf. Ivar aber äußerte Scheue, nicht vor den Menſchen, 
ſondern vor den Bauber 1, der dem König Eyftein zur Hülfe fei. Ber 
geblich erwiederte Aslög, wenn ihre Söhne gefallen wären, würden 
Erik und Agnar nicht ein Halbjahr mit der Rache gewartet haben. 
Schon wollte fie ohne Hoffnung weggehen, als der dreijährige Sigurb, 
der mit ihr gelommen war, zu fingen anbob, daß über drei Nächte die 
Fahrt zur Race ausgerüftet fein folle. Da änderten bie Brüder ihren 
Sinn und ließen ihre Schiffe ind Meer, wenn fie gleih aus dem Eife 
gebauen werden mujten. Aslög jelbft zog unter dem Namen Ranbalin 
(die Schilvtragende, vgl. Geijer 457, 4) an der Spite des Heeres, das 
den Landiveg nahm. König Ehyſtein fiel in der Schlacht. 

Spar und feine Brüder, denen nun auch Sigurd Schlangrim-Xuge 
fih anſchloß, richteten fortan ihre Kriegsfahrten nach dem Süben. Sie 
kamen bis zur Burg Luna (in Etrurien) und beichloflen, nicht abzu⸗ 
laſſen, bis fie die berühmte Romaburg (til Romabörgar) erreicht hätten. 
Sie wuften aber nicht, wie weit ber Weg dahin no war. Da kam 
ein alter, graubaariger Mann zu ihnen, der auf'ihr Befragen fagte, 

1 Eine zauberhafte Kuh, Sibilja, deren Gebrüll kein Heer aushalten lonnte, 
dergleichen auch früher zu doiteby. 


⸗ 


307 


er ſei ein Bettler (stafkarl) und babe fein ganzes Leben bie Länder 
durchwandert. Bon biefem verlangten fie, daß er ihnen fage, wie weit 
noch der Weg von bier nad) Romaborg ſei. Der Wandrer antwortete: 
„Ih Tann euch etwas zum Zeichen jagen; ihr könnt bier dieſe Giſen⸗ 
ſchuhe anfehen!, die ich an den Füßen habe; fie find jetzt alt und bie 
andern, die ich auf dem Rüden trage, find durdigelaufen; als ich aber 
von Romaborg meggieng, band ich diefe purchgelaufenen, bie ich jetzt 
auf dem Rüden habe, an meine Füße, und auf dem Wege von dort 
bin ich feither geweien.“ Da fanden bie Brüber, baß fie die Fahrt 
nad) Rom (til Röms at fara) aufgeben mäflen, und fuhren mit ihrem 
Heere zurüd. 

Als Ragnar von den Thaten feiner Söhne hörte, wollte er auch 
nicht ruhig fiten, ſondern beichloß, einen Angriff auf England zu 
machen. Er ließ dazu, gegen Aslögs Rath, nur zwei, aber ungewöhn⸗ 
lich große Schiffe bemanıren, damit man fagen fünne, er habe England 
mit zwei Schiffen erobert; follte ihm aber der Sieg nicht zufallen, fo 
fei es für feinen Ruhm befier, je weniger Schiffe er mitgebracht, As⸗ 
lög begleitete ihn zu den Schiffen, und ehe fie fich trennten, reichte fie 
ihm, zur Vergeltung für das Gewand, das er ihr einft gegeben, ein 
Obertleid und fang dazu: 

Dir gönn’ ich diefes tiefe 

Gewand, das nicht genäht ift; 

Es if mit Heileswünſchen 

Gewirkt aus feinen Fäden. 

Nicht wird dich Schneide beißen, 

Nicht wird dir Wunde bluten 

In diefem beilgen Hemde; 

Den Göttern ward's geweihet. . 

Ragnar fteuerte nun nah England, aber feine beiden Schiffe 
wurden vom Sturme gegen das Land geworfen und zerichmettert. Doc) 
fam das Heer unbeſchädigt an den Strand. Ragnar jchritt in bie 
Schlacht gegen den engliihen König Ella, in der Hand ben Speer, 
mit dem er. den Lindwurm vor Thoras Saal erftochen, ftatt der Brünne _ 
das Kleid von Aslög, fonft keine Schirmwaffe, als den Helm auf dem 
Gaupte. Dennoch fchadete ihm weder Pfeilſchuß noch Schwerthieb. 
1-Lex. isl. skösmidr, caloearius, Sfomager, 


308 \ \ 

Riemand hielt vor ibm Stand; dennoch fiel fein ganze Heer vor ber 
Übermacht der Feinde, er felhft wurbe zwiſchen Schilbe eingeichloflen 
und gefangen. Auf die Srage, wer er fei, antwortete er nit. Da 
Tagte König Ella: „Diefer Mann muß auf härtere Probe gefeht werben, . 
wenn er und nicht jagen will, wer er if. Man foll ihn in einen 
Schlangenhof (ormgard) werfen und ba eine Beit lang fiten laſſen. 
Sagt ex aber feinen Namen und können wir und überzeugen, daß er 
Ragnar fei, fo fol er auf's beveitefte aufgenommen werden.” Man 
führte nun Ragnarn dahin, aber er faß lange und feine Schlange 
bängte fih an ihn. Da hieß ed: „Das ift ein tüchtiger Mann, Waffen 
bafteten heute nicht auf ihm und nun können ihm die Schlangen nicht 
Schaden.“ Als König Ella Diefes hörte, befahl ex, ihm das Oberkleid 
abzuziehen. So geſchah ed und nun hängten fich ihm die Schlangen 
auf allen Seiten an. Da fang Ragnar: 

Ein und fünfzig Schlachten 

Schlug id, vielberühmte; 

Manchem Manne fügt’ ich 

Leids auf meinen Fahrten. 

Nimmer dacht' ih, Würme 

Wuürden zum Tod mir werben. 

Bieles aber ergebet, 

Was man am mindſten glaubte. 


Srunzen ! würden die Ferkel (Friſchlinge), 
Wiüften fie Noth des Ebers. 

Mich bewältigt der Schlangen 

Bi, die mich umzifchen, 

Nagen mit ihrem Stachel, 

Haben mich ausgefogen. 

Bleich lieg’ ih bei Würmen, 

Bald wird enden mein Leben. 


So verfhied er. König Ella wufte nun, daß es Ragnar var, 
und fanbte nun Boten aus, um beflen Söhnen die Nachricht von ihres 


1 Grydja mundu grisir, 
ef galtar hag vissi. 
Al. Grina mundi grisir, 
ef galta böl vissua u. ſ. w. 


U 
e 


309 


Vaters Tode zu bringen und auszukundſchaften, sie fie ſolche aufs 
nehmen würden und mad er von ihnen zu befahren hätte Als bie 
Boten zur däniſchen Königeburg Tamen und in die Trinfhalle traten, 
lag Ivar auf dem Hodfige, Sigurd Schlang⸗im⸗Auge und Hoitſert der 
vaſche Chvati) faßen beim Brettipiel (at hneftafli) und Björn Gijenfeite 
(järnsida) fchiftete einen Speerſchaft auf dem Beben ber Halle. Die 
Abgefandten kamen vor Ivar und fagten, daß fie engliiche Männer 
feien, melde König Ella geichidt, um ihnen ben Tod ihres Vaters 
Nagnar zu verfünden. Sigurb und Hpitferl ließen nun das VBrett 
fallen und gaben genau auf die Erzählung Acht. Björn ſtand auf 
dem Boben der Halle und ſtützte ſich auf feinen Speerfchaft . Jetzt 
fragte Ivar genauer nad) den Umftänden bed Todes und bie Boten 
erzählten nun Alles, wie es zugegangen, von der Zeit an, da Ragnar 
nach England fam, bis da er fein Leben ließ. Als aber bie Erzählung 
darauf kam, wie er gelagt: „Grunzen werben bie Ferlel,“ griff Björn 
mit feiner Hanb fo feit um ben Speerfchaft, daß fih die Spur ein» 
drüdte, wo die Hand gefaßt hatte, und als fie ihren Beriet Ichlofien, 
ſchwang er den Speer jo beftig?, daß biefer in zwei Stüde ſprang; 
Hoitſerk hielt einen Brettftein, den er geichlagen, in der Hand und 
brüdtte ihn fo feft, daß ihm das Blut aus allen Nägeln ſprang: Sigurb 
Schlangeim⸗Auge fchabte fih den Nagel mit einem Mefler und. horchte 
fo geipannt auf, daß er nicht auf fich achtete, bis ihm das Meſſer im 
Beine fand. Ivar aber fragte auf das Genauefte nah Allem, und 
fein Geficht wurde bald roth, bald bleich, feine Haut ſchwoll ganz auf 
von dem Grimm in feiner Bruft. Hvitſerk äußerte zuerft, bie Rache 
könne nun fogleich beginnen an König Ellad Boten. Ivar fagte, das 
fol nicht gefcheben, fie follen im Frieden fahren und, wenn fie etwas 
bebürfen, werd’ er es ihnen verfchaffen. Die Boten fuhren nun zurüd 
und König Ella meinte, als er ihre Meldung angehört, vor Ivar babe 
ex fich zu fürdhten ober vor Keinem. Der Erfolg bewährte dieß. Gegen 
feinen Rat; beeilten, fi die Wrüber, den Bater an Ella zu rächen, 
wurden aber von Diefem geichlagen. Ivar felbft ließ fih unterwürfig 
an und erbat fih von Ella fo viel Land, als er mit einer Ochſenhaut 
1Saro 8. IX, &. 278: Syvardus vero, eodem nuntio accepto n. |. w. 

hastile, quod forte in manu habebat, altius pedi stupefactus immersit. 
. 3 Färbiste Onäber 300. Saro ©. 194. - 


s 


310 


umfpannen Lönnte, die er bann in dünne Riemen ſchnitt und auf der 
damit umzogenen Stelle die Stabt London (Lundänaborg; im pättr 
S. 853 Jorvil, York) erbaute. Nachdem er fih da feftgefeht und Ellas 
Anhänger von ihm abwendig gemacht, ließ er dieß feine Brüder wiſſen, 
welche nun mit einem großen Heere Tamen, Elan befiegten und ges 
fangen nahmen. Nach Ivars Rath wurde ihm ber Adler gefchnitten. 
Spar herrſchte nun in England; er befahl auf feinem Tobtenbette, daß 
man ihn da beftatten folle, wo fein Neich feinblihem Überfall am 
meiften ausgeſetzt fei, denn er hoffte, daß dann die Landenden nicht 
fliegen würden. 

Hvitſerk kam auf einer Kriegsfahrt im Dften in Gefangenihaft 


‚und wählte fi den Tod, daß er auf einem Haufen von Köpfen er 


fchlagener Männer verbrannt werden follte. Aslög befang feinen Tod. 
Sonft ift von ihr nur noch gefagt, daß fte eine alte Frau wurde. Bon 
Sigurd Schlangeim:Auge aber ftammte ein großes Geſchlecht. Seine 
Tochter hieß Aalög, die Mutter von Sigurd Hidrtr. Diefer war Bater 
der Ragnhild, der Mutter Haralb Haͤrfagrs, des erften Königs über 
ganz Norivegen. 
Dieſe Sage ift durch den zu ihr gehörenden Tobesgefang Ragnars 
eine der berühmteſten geworden und muß daher in dieſer Verbindung 
ausführlicher erörtert werben. 
‚Die Saga legt dem. ſterbenden Ragnar im Schlangenhofe nur zwei 
Liedesſtrophen bei, in deren erſterer er feiner 51 Schlachten kurz er 
mwähnt. Saro dagegen (B. IX, ©. 272) gedenkt einer umfafjendern 
Aufzäblung aller: ſeiner Thaten, die auch mit der Stelle von den vrih⸗ 
lingen ſchloß: 
Cojus adeso jecinore, cam cor . ipsum fanesti carnificis loco coluber 
obsideret, omnem' operüm suorum cursum animosa voce recensuit, eu- 
periori rerum contextui hano adjiciens clausulam, si suculee verris suppli- 
eium scirent, haud dubio, irruptis haris, afflietam absolvere properarent. 
Quo dicto Hella adhuc nounullos filiorum ejus vivere interpfetatus, qui- 
esoere carnifices amoverique viperas jubet, Cumque satellite peragende 
jussionis gratis accurrissent, Regnerus imperium regis funere suo pre- 
cesserat. 


Wir haben nun auch noch einen altnordiſchen Zedergelang unter 
dem Namen Krakumal (Krakas Rede), „das auch Einige Lodbrokslied 


311 


nennen (er sumir kalla Lodbrökarkvidu),“ in 29 Strophen, welcher 
mebrfältig herausgegeben und in viele Sprachen überjeßt 1 ift. 

In diefem Liebe führt der ſterbende Ragnar die ganze Reihe feiner 
Helbentbaten vorüber. Sämmtliche Strophen, mit Ausnahme ber letzten, 
beginnen refrainartig: - 


Wir bieben mit dem Schwerte. ? 


Der Kampf mit dem Lindwurm ift auch hier das erfte Heldenwerk: 


1. 


Wir bieben mit den Schwerte, 
Es war nidht allzu lange, 

Daß wir nach Gotland giengen, 
Zum Mord des Grubenkundgen; 
Dort ward zur Braut mir Thora. 
Da ich den Aal der Haide 
Durchbohrt, ward ich gebeißen 
Loddrof fortan von Kämpen. _ 
Ich flach den flarlen Erdwurm 
Mit lichter Stahleszunge. 


. Bir hieben mit dem Schwerte. . 


Yung war ich, da wir gaben 
Oſtlich im Orefunde (i Eyrasundi) 
Ein Mahl dem giergen Wolfe. - 
Dort, wo die harten Eiſen 

Auf bobe Helme fangen, 

Da ward gelbfüßgen Bügeln 


‚Der Azung viel bereitet. Ä 


Agir war angeichwollen, 
Ran water im Walbinte u. |. w. 


Wir bieben mit dem Schwerte. 
Erfreut ward Hebins Gattin, 

Da wir Helfinger ſandten 

Heim nad den Sälen Herjans u. |. w. 


In ähnlichen Bildern der Staldenfprache, aber ohne charakteriſtiſche 
Büge, werben bie weitern Kämpfe befungen. Dann gegen den Schluß: 


1 [BgL. Möbius, Catalogus librorum islandioorum ©. 128 t — 
2 ’ Hjuggu ver med hjörvi. 


- 


312 


24. Wir bieben mit bem Schwerte. 
Das bat Ach mir erwieſen, 
Daß wir dem Schichſal folgen; 
Niemand entweicht der Norue. 
Wohl dacht' ich nicht, daß Ella 
Des Alters Ziel mir ſetze, 
Da ih Blutfalken (Raben) äzte, 
Den Bord zum Strande treibenb. 
Wohl gaben wir den Wölfen 
Ihr Theil in Scotland Buchten. 


25. Wir hieben mit dem Schwerte, 
Das ſchafft mir Immer Freude, 
Daß Baldurs Baterd Bänke 
Bereit ich weiß zum Trinkmahl. 
Bald werden Bier wir trinten 
Aus krummen Schäpelbäumen 1. 
Nicht fehmerzt der Tod den Helden 
In dibinirs hehrem Haufe; 

Nicht tret’ ich mit dem Worte 
Der Angft zu Vidrirs? Tifche. 


26. Bir bieben mit dem Schwerte. ' 
Set würden Aslögs Söhne 
Ä Hier alle mit den fcharfen 
- Schwertllingen Hildur weden, 
Wenn fie nur Kunde hätten 
Bon aller meiner Drangfal, 
Die eine Schaar von Schlangen, 
Giftvollen, mich verzebre. 
Die Mutter gab ich ihnen, 
Die Muthige geboren. 


1 Diefe Stelle ift früher fo misverftanden worben, 3. B. in Gräters Über- 
ſetzung, Nord. Bl. ©. 19, als tränfen die Helden in Valhall ans den Schä- 
dein ihrer gefallenen Feinde. Sie trinken aber nur aus Thierhörnern, aus 
Krummbäumen der Hirnſchaalen, aus den gebogenen Gewächſen ber Thierlöpfe, 
or bjügvidum hauss (Sagabibl. II, 479). Bidgr, curvus; vidr m. arbor; 
haus m, cranium. 

2 Lex. myth. 554: Vidrir, Vibrir, tempestatis dator, moderator vel 
eflector. 


313 


27. Wir hieben mit dem Schwerte. 
Es heigt ih Rark zum Ende, 
Grimm bdränget mid) bie Natter 
Im Saal des Herzens niftend; 
Das Hoff’ ih, bald wird Ella 
Bon Vidrirs Reis 1 durchbohrt fein. 
Die Söhne werden ſchwellen? 
Ob folhem Tod des Baters; 
Nicht werten diefe Rafchen 
Sn träger Ruhe zögern. 


28. Wir hieben 'mit dem Schwerte. 
Zu ein und fünfzig Schlachten 
Hab’ ich daS Heer geführet, 
Zum Bfeilgeding® entbietend. - 
Jung röthet” ich die Spike 
Und nie fam mir zu Sinnen, 
Mich würd' ein audrer König 
In Kampfesruhm bewältgen; 
' Jetzt laden mich die Aſen 
Und nicht erſchreckt ber Tod mid. 


29. So wünfd’ ich denn, zu enden, 
Heim laden mid die Difent, 
Die mir von Herjans Hallen 
Herabgeſandt hat Din. 
Froh werd' ih Bier mit Aſen 
Dort auf dem Hochſitz trinken. 
Ab find des Lebens Stunden 
Und lachend werb’ ich fterben 8. 


Die Anlage biefes Liebes, daß ein Helb unmittelbar vor dem Tode 
feine Thaten und Erlebnifje aufzählt, ift in nordischen Sagen herlümm. 
li. Wir fanden den Nachklang eines ſolchen Liedes, das Starlabın 
zugeſchrieben war, in ben Inteinifchen Verſen Saxos (B. VIII, ©. 284 f.); 


1 Der. Speer. 

2 Wie die Saga von Ivarn meldet. 

3 Fleinbings bodi; fleinn, m. spiculum. 

4 Gottinnen; bier wohl Balkyrien, r 
5 Lejandi skal ek deyja. 


314 


andre ähnlicher Art find-unter den. Namen von Owarodd und Asbjörn 
Prubi aufbehalten, meld leyterer Das ſeinige fingt, während ihm bie 
Därme aus dem Leibe getvunden werben. (Örvar-Odds Sags, Fornald. 
S. U, 301 ff. Fortids Sag. II, 236 ff. Yortäl, om Drm Storolfsſ., 
bei Dlaf Tryggy. S., Oldnord. Sag. II, 192 ff. Vgl. hiezu Grimm, 
Rechtsalth. 519 f. 690, 4.) „Lachend fterben“ ift ebenfalls eine wieder 
Ichrende Bezeichnung des ungebrochenen Heldenmuthes. So hörten wir 
bei Saxo von Hrolf Kraki rühmen: 
- , Ridendo excepit lethum mortemque cschinno 
Sprevit et elysium gaudens successit in orbem u. |. w. 
(Sag 8. I, 49 f. Vgl. 42.) Auch Högni lacht, als man ihm 
das Herz ausſchneibet (Völs. 8. C. 37). | 
Die Benennung des Liebes Krakumal Tann fo gedeutet werben, 
daß angenommen wurde, Kraka (Aslög) habe dasfelbe auf den Tob 
ihres Gemahls dichten laſſen, wie z. B. noch ein Skaldengeſang . vor 
handen iſt, den die norwegiſche Königin Gunhild, um die Mitte des 
10ten Sahrhunderts, zu Ehren ihres auf der Bilingsfahrt nah Eng⸗ 
land gefallenen Gemahls, Erich Blutart, abfafien ließ (Sagabibl. IL, 
373 ff). Es werden aber aud in ben islänbifchen Sagan Aslög felbft 
manche Lieberftrophen in den Mund gelegt, namentlih (Ragn. LS. 
€. 19) die auf den Tob ihred Sohnes Hvitſerk, und es wäre daher 
auch möglich, dag ein Trauergefang Aslögs (ähnlich den Ebbaliedern 
Godrünar-Harmr, Gudruns Trauer, und Oddränar-Grätr ,. Oddruns 
Weinen) unter dem Namen Krakumal vorhanden mar und dieſer Name 
auf Ragnars Tobesfang Übergieng, welch letztern man fogar in eimer 
Handſchrift ald Bjarkamal bezeichnet findet (Fornald. S. 1, 282, 3. 800, 1). 
Als Grundlage ober Anhalt ber Sagen von Ragnar, wie es fonft mit 
Liedern der Fall ift, kann diefer Gefang nicht betrachtet werben, denn 
‚er zählt die einzelnen Ereignifie nur fummarifch auf und ſtimmt weder 
mit den isländiſchen Sagan, noch mit den Erzählungen Saxos genau 
überein. Auch bat man darin nicht bloß. die Spur. eines chriſtlichen 
Berfafierd bemerkt (der Kampf heißt Str. 11 Odda! messa, Mefle ber 
Speerjpiken, was jedoch Rafn, Fort. S. 1, 281, 4 für einen vers 
ächtlichen Seitenblid auf das Chriftenthum, Geijer ©. 459, N. 


-4 Oddr, cuspis, mucro, telum. 


315 


möglichertweife für eine fpätere Anderung ftatt des Str. 17 vorlommenben 
Odda senna 1, Hader der Speere, erflärt), fondern man hat auch 
Sprache und Stil bed Liebes neuer gefanben, fo daß Müller (Saga 
bibf. II, 480) vasfelbe dem I1ten: oder: 13ten Jahrhundert zufchreiben 
zu Tönnen glaubt. Diefes würde jedoch frühere Gefänge-von Ragnar 
und feinen Söhnen und felbft einen Tobesgefang in älterer Form 
feineswegs ausichließen. Wir haben auch wirklich, als das ältefie 
Denkmal, in der Skalda noch ein Vruchſtück eines Chrenliedes auf 
Ragnar übrig, das der Skalde :Bragi det Alte im 9ten Jahrhundert 
verfaßt bat (Sagabibl. II, 478. 75. 77. Vgl. Fort. S. 1, 327). 

Es würde und zu meit führen, -Die unter ſich manigfach abwei⸗ 
chenden, aber doch in Hauptzligen zufammentreffenden Sapgequellen, 
bie größere und die Türzere Saga, Kralumal und Saxo, im Einzelnen 
gegeneinander zu halten ober auf-bie hier mögliche Wergleichung mit 
ben nordiſchen Geſchlechtsregiftern und :namelitlid auch mit ben au 
wärtigen Berichten der alten Annalöften Englands, Irlands, Frankreichs 
u. f. w. einzugeben; in der leßtern, bifterifchen Beziehung find von 
Müller und Geijer ausführlihe und forgfältige Erörterungen angeftellt 
worden. Wir bejchränfen uns auf Dasjenige, was vom Standpunkt 
der Sagengeichichte aus für die Charakteriſtik der Überlieferungen von 
Ragnar Lobbrof und feinen Söhnen mwefentlich: erfcheint. 

Die Anläffe diefer Überlieferungen, fo fagenhaft auch Iektere noch 
geftaltet find, ftehen doch nur ein Jahrhundert vor dem Beginn ber 
 Wländifchen Gefchichtfchreibung und mittelft jener möglidgen Vergleichung 
auswärtiger Berichte fallen ſchon merklich die Lichter ter Geſchichte 
herein (Sagabibl. II, 476. Sagnh. 166. Geier 502). Die nörbifchen 
Genealogieen ſetzen Ragnars Lebenzzeit gegen das Ende bes Sten Jahr: 
bundertö und fie verdienen Glauben, da bier die Erinnerung von 
der hellen geichichtlichen Zeit aus nur um wenige Glieder zurüdzugeben 
brauchte umd auf folde Stammtiften große Aufmerkſamkeit verwendet 
wurbe,. auch bier beren mehrere, von einander unabhängige in ber 
Hauptfache übereinftimmen (Sagabibl. 474 f. Sagnh. 160 ff. Geijer 
500 u.). Die Namen mehrerer feiner Söhne, wie fie in der Sage an: 
. gepeben find, findet man bei ben fremden Annaliften als diejenigen 


i Senna, f. lis, altercatio. 


316 


furchtbarer normännifcher Seefahrer, bie an ben Küften ber weſtlichen 
Länver Berheerungen anrickteten und Groberungen machten, auch zum 
Theil mit der ausbrüdlichen Bezeichnung als Söhne Lobbrols und mit 
fonftigen der Sage entiprechenden Umftänden. Aber eine Schwierig: 
keit, welche den Geſchichtsforſchern viel zu ſchaffen macht, liegt barin, 
baß diefe Lobbrofsjöhne nach den chronologifchen Angaben der Annas 
liften faft ein Jahrhundert fpäter auftreten, als der durch bie isländi⸗ 
ſchen Stammtafeln conftatierte Ragnar Zobbrof, dem bie nordiſche Sage 
gleichnamige Söhne zuſchreibt. Man hat dieſen hiſtoriſchen Widerſpruch 
mehrfach zu Löfen geiucht, indem man zwei Könige des Namens und Bei 
namens Ragnar Lobbrof, ben einen im Sten, ben andern im dten Jahrhun⸗ 
dert, annahm, oder in den angeblichen Söhnen Lobbrofs Enkel deöfelben 
vermuthete (Sagabibl. IL, 476. Sagnbift. 165), oder in der norbilchen Sage 
felbft den Einfluß ber auswärtigen Duellen gewahrte (Geijer 499). Der 
letztgenannte Echriftfteller findet gleichwohl am Ende doch nyr im Weſen 
ber Sage bie Löſung diefer Verwicklungen. Er bemerlt u. A. (S. 498): 


Werm auch die Sonjectur von zwei Königen Ragnar Lodbrof, wie fie 
gewöhnlich aufgeftellt worden ift, verworfen werden muß, fo ift doch unftreitig 
wahr, daß die Thaten mehrerer Helden auf den einzigen Ragnar Pobbrof über 
getragen worden find, und die Ähnlichkeit der Ramen hat dazu beigetragen, daß 
man von ihm zu fin] fo verſchiedenen Zeiten redete, daß fie ein Menichenleben 
nicht faflen kounte. 

(©. 500 f.) Die Berwircung in der Geſchichte einer blutigen Beit und 
ber. Umſtand, daß ber Schauplak der Thaten außerhalb des Nordens lag, 
umjte nothwendig WVerſchiedenheiten in den Berichten erzengen; und wir baden 
ſchon bemerkt, daß im Norden ſelbſt verichiedene Behandlungen der Ragnars- 
faga eriftierten. Nur in dem poetiſchen Hauptzügen ſtimmen alle überein: eine 
kriegeriſchen Königs und Helden Tod auf fremder Küſte und die für ihn geübte 
Rache. Dieſer poetiſche Ragnar Lodbrok des Nordens iſt ohne Zweifel auch 
der wirkliche und nimmt in der Zeit wahrſcheinlich den Platz ein, den die alten 
Geſchlechtsregiſter ihm gegen daB Ende des achten Jahrhunderts‘ anweifen. 
Gage und Gefang aber haben ſich feiner Geſtalt bemächtigt und ihn einerfeits 
in Berbindimg mit den älteren Helden der Vorzeit gebracht, andrerfeits feinen 
Namen in vergleichmmgaweiſe neuere Leiten durch einer Nachekrieg herunter 
gelebt, der während ber mehr aid bunbertjäßrigen Pliimberzääge der Bikinge⸗ 
fhaaren auf allen Küften Europas leicht immer von Neuem erzählt werben 
fonnte. Auf ihnen wurde der Scheiterhaufen angezundet, in welchem bas 


317 


nordiſche Heibenthum mit bintiger Naſerei feine leisten Kräfte opferte, indem es, 
wie vormals Dben, bie Ehre nach dem Tode nach der Höhe ber Flamme ber 
rechnete; und in Rärleren Bildern Tonnte Liefer, and in feinem Untergange 
noch gefährliche Geiſt nit dargeſtellt werben, als in dieſenn Ragnar, ber feine 
Thaten befingt, während. Schlangen ihm am Herzen magen, als in feinen 
Söhnen, von denen der eine ſcharfe Spieße zu feinem Tobtenbette wählt, ein 
anderer fi auf einem Scheiterhaufen aus den Köpfen erfchlagener Feinde ver 
brennen läßt, ein dritter befiehlt, feinen Grabhügel an der Küſte feines Reiches 
zu errichten, die dem Angriff am meiſten ausgeſetzt ſei. 


| Diefe Auffafiung der Nagnausfage ift ſchön und richtig zugleich, 
fofern wir letztere wirtlih an den Schluß der heidniſchen Sagenperiobe 
zu ftellen haben; aber in ber Sage für ſich betrachtet Liegt die Bedeu⸗ 
tung des untergehenben Heidenthums auf feine andre Weile, als in 
andern, früheren Sagen, worin nicht: minder, bem Geiſt des odiniſchen 
Glaubens gemäß, die ungebänbigte Ru ſich ſelbſt verzehrt und ber 
Held mit Lachen ſtirbt. 
Was die Sage von Ragnar und feinen Söhnen als auf dem 
Übergange der Sagenzeit in die geſchichtliche befindlich charalteriſiert, 
ift mehr ihre formelle Beichaffenheit, als ihre innere Bedeutung. Die 
Ereigniſſe, aus denen fie zufammengefegt ift, Ragnars Heirathen, feine 
und feiner Söhne Kriegsthaten und letzte Schidfale, find nicht ſowohl 
zu einem poetifchen Ganzen abgerundet, als in einer biftorifchen Folge 
an 'einanber gereibt; die geichichtlichen Thatſachen, wie fie nun auch 
durch äußere Beugnifle beftätigt werden, find nicht mehr völlig in 
Boefie aufgegangen, fondern haben ſich nur in bie poetifche Darſtellung 
gefteigert. So kann jener höchft lebendigen Scene, wie Ragnars Söhne 
die Botichaft feines Todes aufnehmen, die wahrhafte Thatfache zu 
Grunde liegen, daß Ragnars Tod feine Söhne zum Rachezug aufregte. 
Auf der andern Seite hängen biefe Überlieferungen, außer durch 

die. eben erwähnte Steigerung und poetiſche Belebung des Wirklichen, 
noch Durch andre Beziehungen mit der Sageniwelt zufammen. Sagen 
haft #ft das Zufammenrüden biftorifch von einander entfernter Perſonen, 
und jene Anficht, daß unter Lodbroks Söhnen Lodbrokiden überhaupt, 
Abldmmlinge Lodbroks, zu veriteben feien, bat in der Sage jelbft ben 
Umftend für fi, daß fie ihm eine fo große Anzahl von Söhnen 
zuſchreibt, welche gleichzeitig mit dem Vater auf Kriegsfahrten aufs 


— 


318 _ 

ziehen (von Thora: Erik, Agnar; von Aslög: Ivar, Björn, Hoitſerk, 
Nögnvald, Sigurd, und bei Saxo noch aus einer dritten Verbindung: 
Ubbo). Mehrere Theile der Ragnarsfage find aber auch noch ganz in 
den älteren Mythus getaudt. Dahin gehören: Ragnars Drachenkampf, 
Aslögs und ihres Sohnes Sigurb Anknüpfung an die Völfungenfage, 
endlih Ragnars Tod im Schlangenhofe. ' Zu den beiden erftern Dich: 
tungen fcheinen zunächſt die Beinamen der Helden, unter denen fie be: 
rühmt waren, ohne daß man einen die Phantafie befriebigenden Grund 
dafür anzugeben mwufte, den Anlaß gegeben zu haben. Ragnars Bei⸗ 
name Xobbrof (braceis hirsutis indutus) follte nicht etwa bloß aus 
einer bejondern Liebhaberei beöfelben in feiner Kleivung, fonbern auf 
eine beö Helden würdigere Weife erflärt werben und dafür ftanden 
aus dem alten Sagenfchate die Erzählungen zu Gebot, wie ein Held, 
der zum Kampfe mit einem Dracen ‚gebt, ſich vor deſſen Gift und - 
Flamme durch einen Anzug von Fellen ſchützt, was Saxo ſchon vor 
Ragnar Lodbrok zweimal, zuerſt von feinem Frotho J(B. II, ©. 25), 
dann von Friblev (B. VI, ©. 153, 1), zu melden mwufte. Gigurb, 
Ragnars Sohn, war unter dem Beinamen Schlang-im-Auge (ormr 
auga) befannt. Daß man über die Bebeutung diefes Beinamen zweifel⸗ 
haft war, ergibt ſich aus dem doppelten Berfuche, denfelben zu erklären. 
Saxo (B. IX, ©. 263 f.) erzählt, daß Roftar (Odin), der den wunden 
Helden geheilt und fi dafür die Seelen der von ihm Erjchlagenen 
verbeißen lafien, die Augiterne desſelben mit Staub beftreut babe und 
daraus wurmähnliche Flecken entitanden jeien. Die islänbifche Saga 
dagegen läßt (C. 8) dadurch, daß um oder in Sigurbs Auge eine Schlange 
zu liegen fcheint, bie Ausfage feiner Mutter, daß fie eine Tochter Si⸗ 
gurds des Schlangentöbterd von Brynhild fei, beglaubigen. Es ift 
bereits bemerkt worden, daß auch lediglich auf dem Gebiet der Sage 
eine Tochter Sigurds von Brynhild nicht angenommen werden könne. 
Müller (Sagabibl. II, 477 f.) fucht dieſen fremdartigen Zuſatz auf 
hiſtoriſchem Wege zu erklären; die kluge Kraka, welche fi) auf ben 
Grund ihrer niebrigen Herkunft vom Volke geringgefchägt geſehen und 
nabe daran geweſen, verftaßen zu werben, babe, vielleicht ſogar mit 
Ragnars Wiſſen, durch jene Angabe, die in dem zufälligen Umftand 
mit bed Sohnes Augen ihren Anlaß gefunden, fi) zu behaupten ger 
ſucht. Die Schwierigkeit, daß doch ſchon damals bie allgemeine 


x 


319 


Meinung den Bölfungen Bigurb viel höher hinaufgeſetzt haben müffe, um 


ein ſolches VBorgeben zu glauben, fucht Müller zu befeitigen, indem er 
annimmt, daß bie Sage fpäterhin aus dem Stammsater einen wirt: 
lichen Bater gemacht haben könne. Einfacher jcheint mir, der phan⸗ 
taſtiſchen Namendeutung, die bier doch einmal eingetreten ift, freies 
Spiel zu laflen. Sie Tonnte fi bald mehr auf den Namen Sigurd 
werfen, ben Ragnars Sohn mit dem Völfungenhelden gemeinfam batte 
und wodurch er fich diefem in der Abftammung anzureihen fchien, bald 
mehr auf ben Beinamen, ber bann wieber verichievene Beziehungen 
darbot; einmal bie befondre auf ben Schlangentöbter Sigurd, mie fie 
in einer Liederſtrophe der Saga angegeben iſt (C. 8): 
Den Wurm bat er im Auge, 
Den jener Sigurd aufrieb 1; 

fobann bie allgemeinere auf den feharfen, ſchneidenden Blid überhaupt, 
wie fie der Erzählung Saros zu Grunde zu liegen fcheint, mo die alte 
Frau vor Schreden über den Anblid zu Boden ftürzt. Sazo felbft 
bemerkt dabei: | 

Crediderim, hujus miraculi auctorem futuram juvenig sevitiam evi- 
dentiori luminum testimonio prodere voluisse n. f. w. 

Der Urheber des Wunbers aber ift Dbin, dem, ald dem Gotte 
ber Helden, die Begabung mit dem Schrediendauge ? wohl beigemeffen 
wird; unb mieber eignete ſich hieburch der junge Sigurd in das Völ- 
fungengefchleht, dad, von Din flammend, die ſcharfen Augen zum 
Abzeichen hatte. Diefe allgemeinere Beziehung, wonach der Beiname 
ormr ? auga nichts Andres hieß, als „ber mit dem fcharfen, ftechenven 
Auge”, halte ich für die urfprüngliche; die Verbindung begjelben mit 
dem Namen Sigurd, den Ragnars Sohn von dem Großvater Sigurd 
Hring (Geijer 452) ererbt Hatte, führten dann zu der Anknüpfung an 
die Bölfungenfage. Beftätigt wird diefe Anficht noch dadurch, daß es 
in den Eddaliedern von Helgi auch von einem fcharfen furditbaren 
Schwerte heißt, ihm liege der Schreden in der Spike, und eine blutige 


1 beim er ormr 1 auga, 
“ er annan l&t svelta. 
2 Helg. Qv. HB. II, Etr. 2. Edd. Sem, 158 f.: Hvass ero augo 1 
Hagais BYjo u. f. w. Völs, 8. C. 80: augu Sigurdar voru svä snör u. |. w. 
(snar, celer, acer). - 


“ 320 

Schlange längſt ber Schneide, ſowie das. Schwert ſelbſt Blutichlange 
(blödormr) genannt wirb (Helg. Qv. Hat. Sk. Str. 9. Helg. Qv. HB. 
- I, Str. 8. Grimm, Edda 34). Die ftechende Schredenäfchlange ſteckt im 
icharfen Schwerte; wie im fcharfen Heldenauge 1. 

Bon Kraka⸗Aslog, als einer Tochter Sigurds und Brynhilds, er: 
wähnt Saro nichts ausdrücklich. Spuren diefer Sage fcheint jedoch auch 
er vor fih gehabt zu haben. Die zweite Gemahlin Ragnars heißt ihm 
Suanlogha. (Doc ift ihm Syvard, serpentini oculi cognomine, nicht 
ihr, fondern Thoras Sohn, 8. IX, ©. 288. 271. Bel. 262 u.) 
Geijer (S. 454, 7) vermuthet in Spanloga einen Schreibfehler für As: 
loga, Aslaug. Mir fcheinen darin die Namen zweier Töchter, bie 
man dem Bölfungen Sigurd zuſchrieb, Svanhild von Gudrun und 
Aslaug von Brynhild, verihmolen zu fein. Im Übrigen hat Saro 
die eigentbümliche Sigurbsfage, obgleich fie ibm ſchwerlich unbelannt 
war, von jeinem Werke ausgeſchloſſen, mahrfcheinlich weil er fie für 
eine bentiche anſah. ' 

Entſchieden fagenhaft ift endlich Ragnars Tod im Schlangenhofe. 
Daß Ragnar Lobbrof in England eines gewaltſamen Todes geftorben, 
mag immerhin als biftorifche Thatfache beftehen und man findet davon 
auch in den engliichen Chroniken Erwähnung, obſchon gleichfalls mit 
ſagenhaftem Anſtrich (Geijer 474 f.); aber baß er den Schlangen vor⸗ 
getoorfen worden und bier fterbend feine Thaten gefungen habe, ift 
ein Exbtheil alter Fabel. Die Bölfungenfage, auf die fchon einmal 
der Blid gerichtet war, bot auch hiefür ein Vorbild im Tode Guns 
nars, der, ebenfalld von Schlangen verzehrt, die Harfe, weil ibm bie 
Hände gebunden find, mit den Füßen fchlägt. Nach der Nornageftö- 
faga (C. 2) gab es ein beſondres Lied: Gunnars-slagr (Gunnars 
Harfenfchlag; vgl. Olafsen om Nordens gamle Digtekonst ©, 252. $ 26: 
Siegr, en Vise som synges efter Siag og Tact), welches jet verloren 
ft. Zwar kam im vorigen Jahrhundert ein Lieb dieſes Namens in 
altnordiſcher Dichtweiſe, ein Todesgeſang des von den Schlangen 
bevrängten Gunnars, auf Island zum Borfchein und wurde von 
Mehreren für alt und echt angejeben; die darüber angeftellten Nach 


i Edd. Havn. II, 34, 21: Sic de Skeggil nobilis Islandi gladio, ma- | 
gieis item viribus insigni legimus, quod genius angviculum referens, 
yrmlingr, et in capulo latens quandoque sese conspiciendum stiterit. 


321 


forfhungen aber laſſen feinen gegründeten Bieifel übrig, daß dasſelbe 
von Gunnar Baulfen, einem isländiſchen Geiftlichen, ber im dahr 
1785 ſtarb, gedichtet ſei!. u 

Es iſt zwar allerdings eine gelungene Nachahmung des Stils der 
Geroifchen Eddalieder, aber die Unechtheit verräth ſich ſchon dadurch, 
daß es gar nichts Neues gibt, ſondern alle ſeine Anſpielungen auf 
Mythus und Sage fi in ben vorhandenen Quellen nachweiſen laſſen, 
in denen der Dichter ſich wohl beiwanbert zeigt. (Anreden, wie bie in 
Str. 33 an die Harfe, kommen wohl aud nicht in alten Liedern vor.) 
Der Inhalt des alten Gunnarsflagr fonnte nun im Weſentlichen nicht 
wohl ein andrer fein, als der bes Krakumal, Aufzählung der Thaten 
und Geſchicke des mit ungebrocdhenem Muthe fterbenven Helden. Wo⸗ 
bin aber biejer Tod im Schlangenhofe mit dem Geſange des Sterbenden 
urfprünglich gehört habe, in die Völjungen: oder in die Ragnartsſage, 
kann nicht zweifelhaft ericheinen, wenn man erwägt, daß derſelbe bier 
mit Überlieferungen verbunden ift, die ſchon an der Grenze der Ge 
Ichichte liegen, dort aber mit einer uralten Sage, der das Wunderbare 
noch durchaus natürlich ift, in harmoniſchem Zufammenbange fteht. 

Als Seitenjtüd der Tobesgefänge künnen hier die zwar nur noch 
aus chriftlicher Zeit vorhandenen, aber ohne Zweifel einem älteren Typus 
entiprechenden Skalbenliever von der Aufnahme der Helden in Valhall 
(Sagabibl. II, 373 ff. Heimsfringla I, 163 fi. Häkonar Saga Adal- 
steinsföstra C. 33. Münter ©. 436 ff. 451 bis 455; ygl. 441) beige: 
bracht werben. 


5. Nornageſt. 

Sögupättr af Norna-Gesti, Fornald. S. I, 311 ff. Fort. S. I, 289 fi. 
(Anfang des 14ten Jahrh. Sagabibl. II, 120, Sagabibl. II, 108 fi. Olaf 
Tryggvasons Saga C. 70. (Heimskringla I, 288 f.) Sagnhiſt. 227. Kong 
Dlaf Troggvafons Saga u. |. w. overf. af Rafn. II, 137 ff. €. 201 ff.: Von 
Spend und feinen Söhnen. (Auch mit dem Titel: Oldnordiske Sagaer u. |. w. 
overſ. af C. C. Rafn. B. II. Kiöbend. 1827. Der erfie 8. 1826). Gagabibt. 
III, 222 bis 227. 


Als König Dlaf Tryggvaſon fich einft zu Trondheim aufhielt, kam 
eined Nuchmittags ein; Mann zu ihm und grüßte ihn anftändig. Der 


1 Edd. Hafn. II, prefat. XXIV bis XXVII. Edd. Sem. 274, 1. 
Upland, Säriften. VII. | 21 


‚32 


König nahm denfelben wohl auf und, fragte, wer er fei. Jener nannte 
ſich Geftr !. „Saft ſollſt du bier fein, jo wie du heißeſt,“ ſagte ber 
König. Geftr erwiderte: „Wahrhaft jage ich dir meinen Nomen, Herr! 
aber gerne möcht' ich dein Gaft fein, wenn es geftattet iſt.“ Der König 
fagte, das ſtehe ihm frei. Da aber ſchon der Tag fich neigte, wollte 
er nicht weiter mit Geft fprechen, fonbern eilte zum Abendſang (Beiner), 
gieng nachher zu Tiich und dann zur Ruhe. In diefer Nacht wachte 
der König auf und las im Bett feine Gebete, während bie anbern 
Männer in derfelben Halle (i pyi berbergi) fchliefen. Da bebäudhte 
ihn, als käme ein Alf ober ein andres Weſen in das Haus, obſchon 
alle Thüren verſchloſſen waren; berjelbe trat vor jedes Mannes Lager 
‚und zulegt zum "Bette beilen, ver zu äußerſt ſchlief. Da hielt er an 
und ſprach: „Erſtaunlich ftarte Schlöffer find hier vor leerem Haufe; 
auch ift der König nicht jo weile, wie die Leute glauben, die ihn für 
den Weiſeſten halten, da er jetzt fo feft ſchläft.“ Darnach verſchwand 
der Alf durch die verichlofjenen Thüren. Frühmorgens ſandte der König: 
feinen Diener (skösvein), um zu erfunden, wer die Nacht in jenem 
Bette gelegen. Es zeigte fich, daß es der Gaft war. Der König ließ 
ihn vor fih rufen und fragte nach feiner Herkunft. Jener antwortete: 
„Thordr hieß mein Vater, zugenannt Thingbitr (Pingbitr; bitr, acer, 
acerbus, acutus), ein Däne von Geſchlecht; er wohnte auf dem Hofe 
Gräningr in Dänemark." „Ein wadrer Mann bift du“, fagte der König. 
Geſtr war fühn in Worten, größer, als die meiften andern Männer, 
ftarf und doch ziemlich bei Jahren. Er bat den König, länger an 
feinem Hofe bleiben zu dürfen. Der König fragte, ob er getauft fei. 
Geftr erwiberte, er fei primfignet ? (mit dem Kreuzeszeichen vorerft bes 
zeichnet), aber nicht getauft. Hierauf fagte der König, Geſtr könne wohl 
"bei feinen Hofleuten bleiben; doch fol’ er nicht lange bier verteilen, 
ohne ſich taufen zu laflen. Der Alfaber hatte vom Schlofle geiprochen, 
weil Geftr fi) Abends wie andre Chriften bekreuzte (signdi sik), aber 
doch noch ein Heide war. „Übft du irgend eine Kunft aus?” fragte 
der König weiter. Geftr fagte, er fpiele bie Harfe und erzähle Sagan 
(leika hörpu edr segja sögur) den Leuten zur Kurzweil Hierauf 
ber König: „Übel thut König Svend (Sveinn), daß er ungetaufte 

1 Gestr, m. hospes, advena. | 

2 at primsigna, prima signatione crucis christianum initiare. 


923 


Männer aus feinem Reiche durch die Lande fahren läßt.” „Nicht iſt 
da3 dem Dänenlönige aufzurechnen“, verfehte Geſtr, „denn ich zog 
lange Beit vorher aus Dänemark fort, ehe Kaiſer Dito Danavirk 1 
verbrennen ließ und ben König Harald Gormsſon und Halon Blotjarl 
zwang, bas Chriſtenthum anzunehmen.” 

Über viele Dinge wurde Geſtr vom Könige befragt: und wuſte 
wehl und weislich Beſcheid zu geben. Es war, wie man jagt, im 
dritten Jahre der Regierung König Dlaf3 (alfo im Jahr 998), daß 
diefer Geftr zu ibm kam. (Geſchenle aus Gläfisusll 2.) Kurz vor ber 
Julzeit kam Ulfs der Rothe, ver den Sommer über in bes Königs 
Geſchäften ausgeweſen war, um nun bei ihm, mie gewöhnlich, ben 
Hochwinter zuzubringen. Unter andern Koftbarleiten, welche Ulf dem 
König mitbrachte, war ein kunſtreich gearbeiteter Goldring, ber Hni⸗ 
tudr hieß. Er hatte vormals dem Könige Halfe gehört, von dem die 
Halfsreden benannt find. Am achten Tage des Juls gab Ulf dem 
König diefen Ring. Der König dankte für die Gabe und alle bie 
treuen Dienfte, die ihm Ulfr ftet3 erwiefen. Der Ring gieng weit um 
im Saale, two die Männer tranten. Einer zeigte bem Andern ben 
King und Keiner glaubte noch fo gutes Gold gefehen zu haben, als 
das an Hnitud war. Zuletzt kam er an die Gäftebant und an ben 
neuangelommenen Geftr. Dieſer ſah ven Ring an und gab ihn dann 
quer über die Hand, womit er das Trinfhorn hielt, zurüd. Er machte 
wenig daraus, ſprach nicht von dem Kleinod und fuhr im kurzweiligen 
Geſpräche mit feinen Nachbarn fort. Ein Schenke an der Gäftebant 
fragte nun: „Bedünkt euch wohl um ben Ring?“ „Sehr wohl“, er 
toiderten fie, „nur bem neuangelommenen Gafte nicht, er findet nichts 
daran und ſcheint fih nicht auf ſolche Dinge zu verſtehen.“ Der 
Schente gieng nun vor den König und fagte ihm bie Reben der Bäfte. 
Der König aber ſprach: „Geſtr mag mehr wiſſen, als ihr meint; er 
fol morgen zu mir kommen und mir irgend eine Saga erzählen.“ Die 
Gäfte fragten nun weiter, ob' Geſtr ſchon irgendwo fo gutes, ober 
befires Gold gejehen babe. Er beiabte das. Darüber lachten bie Hof: 
leute fehr. „Du muft mit und wetten”, fagten fie, „daß du gleich 
gutes Gold geſehen, jo daß bu es beweiſen kannſt; darauf follen wir 

1 Virki, n. vallam, munitio. 

2 (5. H. v. d. Hagen, nordifche Helbenzomane 6, 120. 8.] 


324 


vier Mark Silbers fegen, du aber bein Mefier und beinen Gürtel; und 
ber König ſoll entfcheiven.” Geftr gieng die Wette ein und damit endigte 
fi) ihr Geſpräch. Dann nahm er die Harfe und ſchlug fie wohl und lange 
ben Abend über, fo daß Alle mit Luft zubörten. Am beften ſchlug ex 
Gunnarsflag und zulegt das alte Lieb von Gubrund Trug (Guärd- 
narbrögd 1 hinu fornu), das bie Leute nicht zuvor. gehört hatten;? nach 
diefem giengen fie fchlafen. Um andern Tage, nad Meſſe und Früh—⸗ 
mahl, follte der König über bie. Wette richten. Er ſprach zu Geſtr: 
„Jetzt bift du fchuldig, etwas ‚Gold vorzumeifen, wenn bu welches 
haft.“ Geſtr griff nun nach einem Beutel, den er bei fich hatte, knüpfte 
ihn auf und machte etwas daraus los, was er dem König reichte, 
Dieſer jah, daß es ein Stüd von einer Sattelipange (af södulhringju) 
und fehr gutes Gold war. Ex hieß nun aud den Ring Hnitud ver 
bolen, hielt die Spange mit dem Ringe zufammen und ſprach: „Sn 
Wahrheit fcheint mir dasjenige beßres Gold, was Geſtr vorgemwiefen 
bat, und fo wirb es noch Mehrern vordommen, wenn fie es anjehn.“ 
Viele beftätigten den Ausſpruch des Königs, worauf er dem Gaſte das 
Wettgeld zuerlannte. Geſtr aber ſprach: „Behaltet euer Geld! ich bedarf 
beflen nicht; aber wettet nicht mehr mit unbelannten Männern, denn 
ihr wißt nieht, ob ihr nicht Einen vor euch habt, der mehr gehört und 
geſehen, als ihr! und euch, Herr, dank' ich für den Spruch.“ Der 
König erwideste: „Nun will ich, daß du fageft, woher du diefes Gold 
erhalten.” Hierauf Gefte: „Wenn ich eu erzähle, wie e3 mit bem 
Golde gegangen, fo vermuthe «bh, daß ihr noch andre Sagan zugleich 
bören wollet.” „Das mag fein,“ fagte ber König, „daß bu vecht ver⸗ 
mutheſt.“ 

Geſtr begann nun ſeine Erzählung damit, wie.er ſüdwärts nad 
Frankland (i Frakkland) 308, um Königäfitte Innen zu lernen. Dort 
erwuchs bei König Halfrek der junge Sigurd, Sigmunds Sohn. Geftr 
begab fi in deſſen Dienfte und war dabei, wie Reginn ibn zur 
Töbtung Fafnirs auf Gnitaheide aufreizte. Er war auch mit auf 
Sigurds Zuge gegen Hundings Söhne und wurde damals Rornageftz 
genannt. Ebenjo nahm er fpäter an der Kriegfahrt Sigurds und feiner 
Schwäger, ver Gjulungen, gegen Gandalfs Söhne Thel, wobei jene 

1 Brögd, n. pl. dolus, impostura. 

2 Bol. Yürdiste Ovider, Indledn. 41 f. 


325 
ichmähliche Flucht Starkadrs vorfiel, von ber wir in befien Sage er⸗ 
zählt. Geſtr nahm einen der beiden Badenzähne mit fi, bie Sigurb 
Starkadrn ausgeſtoßen, denſelben, der jet im Glodenjeile zu Lund 
hängt. Bald nachher hörten fie von Starladrs Nidingswerk, wie er 
den König Ali im Bad erfihlagen. Eine Tags begab es fi, daß 
Sigurd auf dem Wege zu einer Zufammenkunft in einen Sumpf ritt 
und das Roſs Grani fo ſtark ſich binaufarbeitete, daß ber Bruftgurt 
entzweigieng und bie Spange nieberfiel. Als Geftr ſah, wo fie im 
Schlamme herborglühte, hob er fie auf und reichte fie Sigurd, biefer 
aber fchenkte fie ihm, und bas war bie Golbfpange, die Geſtr bier vor 
gewiefen. Sigurd fprang vom Roſſe, Geſtr aber ftxeichelte und wuſch 
ed, wobei er einen Lock aus beflen Schweife nahm, zum Zeichen feiner 
Länge. Geftr wies nun dem Könige Diaf auch dieſes Pierbshaar vor 
und es war 7 Ellen lang. „Bergnüglich”, ſprach der König, „bebünten 
mich deine Sagan.“ Alle lobten Geftrs Erzählungen und feine Tüchtigleit. 
Der König wollte, daß er noch viel mehr von ben Begebniffen feiner 
Freunde melde, und Geſtr erzählte nun viel Rurzweiliges bis zum 
Ahend. Am folgenden Morgen ließ der König ihn wieder rufen und 
ſprach zu ihm: „Nicht kann ich fo recht aus deinem Alter fommen, wie 
bu fo alt fein könneſt, um bei biefen Exeigniffen gegenwärtig geweſen 
zu fein; darum erzähle nun eine andere Saga, damit wir über bieje 
Dinge befier aufgellärt werben!" „Das wuſte ich voraus,“ verſetzte 
Geſtr, „daß ihr noch andre Sagan von mir würbet hören wollen, wenn 
ich euch von dem Golde gejagt." Geftr erzählte nun weiter, wie er 
wieder norbwärts nad Dänemark gezogen und ſich da, nach eines 
Bater Tode, auf feinem Erbe niebergelafien. Bald nachher hab" ex 
Sigurb3 und der Gjulungen Tob erfahren. Auf des Königs Frage, 
wie Sigurd geftorben, erzählt er nun auch davon und willfahrt auch 
noch der Bitte der Hofleute,. ihnen zu fingen, mas Brynhild nad 
ihrem Tode gefungen. Es ift dieß das Lied von Brynhilds Tobesfahrt, 
Das weniger volllänbig auch in der VBölfungenfaga fteht und fih dem 
Kreiſe der Eddalieder von Sigurd anſchließt. Geſtrs Erzählung gibt 
überhaupt einen Abriß ber Sigurbsfage, mit eingeftreuten Lieberitropben, 
im Ganzen mit der Völfungenfaga übereinftimmend, aber body auch 
‘ mit mebresem @igenthümlichen. 

Noch immer mebr wollen die Hofleute von biefen Geſchichten 





1) 


hören. Der König aber meint, daß es nun babon genug fei, fragt 
jedoch weiter: „Warſt bu bei Lobbrod3 Söhnen?“ „Kurze Beit war 
ih bei ihnen,” fagte Geſtr; „ich kam zu ihnen, als fie nach Roma: 
borg zu ziehen gedachten.“ Es folgt nun bie Gedichte von dem 
Wanderer mit den burdlaufenen Eiſenſchuhen, der fie zur Umkehr 
veranlaßt. König Dlaf bemerlt darüber, das müfle ein Seift, von 
Gott gefandt, geweſen fein, ber fie fo ſchnell ihren Entfchluß zu ändern 
bewogen babe, um nicht bie heiligfte Stabt Rom ihren Verheerungen 


auszuſetzen. 


Noch fragte der König den Fremdling: „Vei welchem ber Könige, 
zu benen bu gelommen, bat es dir am beiten gefallen?“ Geftr ants 
wortete: „Am meijten Freude fand ih bei Sigurd und: ben Giukungen; 
bei Lodbroks Söhnen aber konnte man am wmeilten leben, wie man 
wollte; bei Erik in Upfala war am meiften Glüd; aber von allen- 
vorgenannten Königen wandte Harald Schönhaar den gröſten Eifer 
auf Hoffitten. Ich war auch bei König :Hlöbver: (Bubwig?) in Sar: 
land und da wurde ich primfignet, denn ich konnte anders nicht bort 
fein, weil ſehr auf bas Chriſtenthum erhalten wurde, und da bedankte 
michs am allerbeften.” Ä 

Nachdem Geſir dem Könige auf feine Fragen noch Vieles erzählt, 
ſprach er zulebt: „Ich muß euch nun auch melden, warum ih Rornas 
geftr genannt bin. Ich wurde bei meinem Vater an dem Drte, ber 
Gräningr beißt, aufgezogen. Er war zeich an Gelb und bielt ftattlüche 
Wohnung. Da fuhren im Lande weiſſagende Weiber, die man Wölen 
nannte, umber und fagten ven Leuten. ihr Alter voraus; darum lud 
man fie zu fi, fiellte ihnen Gaftmähler an umb befchentte fie beim 
Abſchied. Mein Bater that auch fo, fie damen zu ihm mit großer Be: 
gleitung und jollten mein Schidfal weifiagen. Ich Tag in der Wiege 
unb über mir brannten zwei Kerzenlichter. Eie ſprachen da zu mir, 
es jolle mir großes Gluck zu’ Theil werben, weit mehr, al3 meinen 
Eltern und Berwandten oder andern Häuptlingsföhnen im Lande. Diefer 
Weiber waren drei. Die jüngfte Norne glaubte ſich von ben beiden 
andern zurüdgefegt, weil fie bei einer fo wichtigen Weiflagung nicht 
von ihnen befragt worden war. Es war au eine Schaar unruhiger 
Leute da, die fie von ihrem Site ftießen, fo daß fie zur Erde fiel. 
Darüber wurde fie fehr aufgebracht und rief ben andern laut und 


3297 


zornig zu, fie möchten mit biefen guten Weiffagungen einhalten. „Sch 
"will ihm das zutheilen“, vief fie, „daß er nicht länger leben foll, als 
bie Kerge brennt, die neben dem Knaben angezünbet iſt.“ Da nahm 
bie ältefte Vole bie Kerze, Löfchte fie aus und hieß meine Mutter fie 
verwahren und nicht eher anzünden, als an meinem letzten Lebenstage. 
Darnach zogen die Weiflagerinnen fort, banden die junge Norne und 
führten fie jo mit fih; mein Vater aber gab ihnen beim Abfchieb reiche 
Geſchenke. Als ich erwachſen war, gab mir meine Mutter diefe Kerze zu 
verwahren und ich habe ſie noch bei mir.“ Der König fragte hierauf: 
„Warum fuhreft du jett bieher zu uns?” Geftr antwortete: „ch er: 
wartete von euch irgend ein Glüd, da ihr vor mir von guten und 
weiſen Männern ſehr gerühmt worden feid.” Der König fagte: „Willſt 
du jeht die heilige Taufe empfangen?“ Geſtr erwiberte: „Das will - 
ich thun nad eurem Rathe.“ So geſchah au, der König nahm ihn 
in feine Gunſt auf und madte ihn zu jenem Hofmann. Geftr war 
fehr gottesfürdhtig und folgte wohl ven Königsfitten, auch fonft war 
er bei den Leuten beliebt. Eines Tags fragte ber König ihn: „Wie 
large willſt du noch leben, wenn es auf dich ankommt?“ Geftr ant: 
mortete: „Kurze Zeit fortan, wenn Gott fo will,“ Weiter ſprach der 
König: „Wie wird ed nun gehen, wenn du beine Kerze vorholſt?“ 
Geſtr nahm die Kerze aus feinem Harfengeftel. Der König bieß fie 
anzünden, und da bieß geicheben, brannte fie raſch. „Wie alt bift du 
jeßt?" fragte der König, „Dreihundert Winter,“ mar die Antwort. 
„Alt bift vu,” fagte der König. Gefir legte fih nun nieber und bat 
um die Olung. Der König lieh fie ihm geben, und als es geichehen, 
war wenig von ber Kerze noch unaufgehrannt. Man fand nun, daB 
ber Tod ibm nahte und im Augenblide, da die Kerze verbrannt var, 
farb auch Geſtr. Allen ſchien fein Tod merkwürdig; ber König 
bielt auch viel auf feine Sagan und hielt für wahr, was Geſtr won 
feinem Altes erzählt hatte. Hiemit fließt die Erzählung von Nor: 
nageftr. 

Fragen wir nun, wer ber räthfelhafte Alte war, der Jahrhunderte 
hindurch bei und mit den heidniſchen Sagenlönigen umberzog, dann fich 
‚primfignen, taufen und am Enbe mit ber letzten Olung verſehen ließ, 
fo muß noch einmal der alte Odin genaunt werden. Den Beweis 
geben und andre Sagan nahe zur Hand. Snorros Heimalringla 


N 328 . 
— — — — 


(I, 288 £) enthält im Cap. 70. ber Dlaf- Lapggbafondfage folgende 
Erzählung: 

Es ift gejagt, daß, als König Def beim Bofgebot auf Augvaldsnäs war, 
eines Abends ein alter Mann zu ihm kam, der einen herabhängenden Hut auf 
hatte und einäugig war; er ſprach fehr verftänbig und wuſte von allen Landen 
zu fagen. Der König hatte großes Gefallen an feinen Reden und fragte ihn 
nad) vielen Dingen, der Gaſt aber (gesturinn) wuſte auf alle Fragen zu ant⸗ 
worten und der König ſaß lange den Abend fiber bei ihm. Gr fragte den 
Mann, ob er wiffe, wer der Augwalb gewejen, von bem die Landjpige und 
der Ort den Namen habe. Der Gaft wufte hierliber wohl Beſcheid zu geben 
und bezeichnete auch den Grabhligel diefes alten Königshelden. Solches und 
viel Andres berichtete er dem König Dlaf von den Königen voriger Zeit und 
andern alten Geſchichten. ALS fie nun weit in die Nacht beifammen gefeffen 
waren, erinnerte der Bischof den König, daß es Beit wäre, fchlafen zu geben, 
was and der König that. Sobald er aber entlleidet war und ſich niedergelegt 
hatte, fette fi der Gaſt anf den Schemel vor feinem Bette und ſprach noch 
lange mit ihm und ein Wort flug das andre. Da fagte ber Biichof zum 
König, nun wär es Zeit, zu fchlafen. Der König that dem gemäß unb ber 
Gaſt gieng hinaus. Bald hernach erwachte ver König, fragte nach dem Gafte 
und befahl, ihn wieder berzurufen. Den’ Gaft aber fand man nirgends. Am 
Morgen darauf ließ der König den Koch und den Schenlen rufen und fragte 
fie, ob irgend ein unbelannter Mann zu ihnen gelommen fei. Sie antworteten, 
als fie die Speife zubereiten follten, fei eimDann zu ihnen gekommen und 
babe gejagt, fie richten ſchlechtes Fleiſch für den Tiſch des Königs zu; dann 
hab’ er ihnen zwei feifte Ochienfeiten gegeben und diefe haben fie mit dem an⸗ 
dern Fleiſche gefotten. Der König hieß Alles zufammen wegwerfen, diefer Gaſt 
fei fein Denfch geweſen; es müſſe Odin gemejen fein, an den bie Heiden lange 
geglaubt. Auch fügte er Hinzu, Odin folle nie mehr fowert fommen, ihn zu 
betrligen. 

Dennoch ift es dem wunberlichen Gafte gelungen, noch dem Nach⸗ 
folger dieſes Königs, Olaf dem Heiligen (bis 1030) nahe zu kommen, 
Im Leben des lektern finden fich davon zwei Erzählungen GSagabibl. 
II, 116 ff): | 

Eines Abends, als König Olaf auf Sarpsborg faß, kam ein unhefannter, 
wohlgewachſener Mann zu ihm umb nannte fi) Toke⸗Tokeſen, einen Sohn von 
Tolefen dem Alten. Dieſer Toke war ftilfe, trank nicht viel! und wurde wohl 
gelitten; er war fehr verfiändig und der König fand Unterhaltung. daran, ihm 
zugahören, Eines Tags fragte der König ihn, wie alt er fei. Der Daun 


329 
antwortete, ea ſei ihm befimmt, zwei: Menfchenalter zu Ieben, und die Beit ſei 
- um bald vorbei. Diaf fagte, da werd’ er fi wohl der Könige Half und 
Hrolf Kraki erinnern können, Jener erwiberte, er fei bei beiden gewejen; und 
der König fragte weiter, welcher von Beiden der Tühnfte geweſen. Zole er⸗ 
zählte nun, als er weit umber gereift, die gröften Häuptlinge zu beſuchen, 
fei er auch zu König Hrolf gelommen und Habe fi den Winteraufenthalt bei 
ihm erbeten. Der König habe geantwortet, ex Karge nicht mit feiner Speife, 
und habe ihm feinen Pla da angewiefen, wo er Einen vom Sige wegbringen 
könne; doch babe der König den Andern verboten, nicht mit dem renden zu 
ringen. Toke fei num zuerft zu Bödvar Bjarfi gegangen, hab’ ihn an ben 
Händen genommen, feine Füße gegen ten Bankſchemel geftemmt und mit aller 
Macht gezogen. Bjarki ſei roth und bleich geworden, aber nicht von der Stelle 
gerüdt. Hjaltin den Hochgemuthen (hugprudi) babe er bis an das Ende 
ber Bank gebracht, aber nicht weiter; Hvitſärk den Scharfen aber und die 
Übrigen hab’ er vom Plage aufgezogen und fich über fie gejett. Dort habe er 
nun den Winter zugebradht und fih aufs Allerbefte befunden. Im Eommer 
reifte er weiter und kam zum König Half, der ihm auf dieſelbe Weife, wie 
Hrolf, feinen Sitz anwies. Er rüdte nun zuerft an Utflein Zarl, dann an 
Inſtein, Hrod dem Schwarzen, ‘Björn, Bard und allen ben Übrigen, ohne 
einen Einzigen von der Stelle zu bringen, und mufte fich zu unterft ſetzen. 
‚König Dlaf fragte, ob er getauft jei. Toke antwortete, er fei primfignet, «aber 
nicht getanft, weil er beftändig zwiſchen Ghriften und Heiden umber gereift, 
doch glaube er an den weißen Chriſt und fei zu König Diaf gelommen, um 
etwas mehr von demjelben zu hören. Toke wurde barauf getauft und flarb in 
weißen Meiben. | 
Die andere Erzählung , denjelben König betreffend, ift biefe: 

Kurz, nachdem Dlaf der Heilige Aftrib, die Tochter des Schwedenlönigs, 
geheirathet hatte, z0g er ‚zum Gaſtgebot nad) ber. Landichaft Vigen. Da kam 
eines Abends ein unbelannter Mann zu ihm, den Hut auf dem Kopf, bärtig 
und haäßlich; er nannte fi Gef. Als der König zu Bette gieng, rief er den 
Mann zu fi) und fragte ihn, ob er irgend etwas zur Kurzweil wiffe Geſt 
mar weiſe und von kühner Rede, er erzählte viel von den alten Königen. Dann 
fragte er den König Dlaf: „Welcher von den Königen der alten Zeit möchteſt 
du Am liebſten geweſen fein, wenn die Wahl bei dir flände?“ „ch möchte 
fein Heide geweſen fein,“ antwortete Dlaf, „weder ein König, noch ein andrer 
Mann.” . „Das ift richtig,” fagte Ge, „du hätte nicht Urfache, zu wünfchen, 
daß du em Andrer 'wäreft, als bu bit, aber ich frage mır, weichen vom den 
alten Königen bu am liebſten gleichen möchte.“ Dlaf antwortete: „Dem 
König Hrolf Krali, doch fo, daß ich dabei ein Chriſt bliebe.“ „Warum,“ 


330 

fragte Gef, „möchteft du nicht lieber dem Könige gleichen, der in jedem Streite 
den Sieg hatte, der in allen Tyertigleiten fo erfahren war, daß Keiner ihm 
gleihlam, ber Andern Sieg verleihen konnte upb zu fingen verſtand, wie Anbre 
zu reben 197" Da erhob fi) Dlaf im Bette, nahm das Gebetbuch, das neben 
ihm lag, und wollte e8 Geſt an den Stopf fchlagen. „Du ſelbſt,“ rief er, „möchte 
ich zuletzt fein, du fchlimmer Odin!“ Es wird gejagt, daß Geft verſchwand; 
König Dlaf aber lobte Gott. 


Es fällt in die Augen, daß biefe vier Erzählungen, die ſich auf 
zwei verſchiedene Könige vertheilen, nur viererlei. Darftellungen und 
Ausbildungen derjelben Sage find. Wirklich können wir auch ihre 
gemeinfame Grundlage in der ältern, heibnifchen Sägenbichtung, worauf 
fhon der Name Odin bindeutet, nachweiſen. ’ 

Die Hervörsſaga erzählt, wie wir, früher. (Nr. 2) beigebracht, im 
15ten Capitel Folgendes: 


Als Heidrel, Hervßrs Sohn, in Heidgotland Gerrfchte, war dort ein mäch⸗ 
tiger Herfe, mit Namen Geſtr, zugenannt der Blinde. Er Hatte dem König 
Heidret die Schatzung vorenthalten und Diefer ließ ihm deshalb entbieten, er 
folle kommen und fi dem Spruche des Berichtes unterwerfen; wo nicht, To 
ſolle die Schlacht enticheiden. Keine von beiden geflel dent Herjen und er be 
fhloß, dem Ddin zu opfern, damit der ihm helfe. Eines Abends fpät wurde 
nun an die Thure geflopft; vor ihr fand ein Mann, der ſich gleichfalls Geſtr 
nannte. Sie fragten einander um die gangbaren Neuigkeiten und der Herfe 
Geſt eröffnete dem Fremden fee Roth. Dieſer erbot fi, ftatt fener zum 
König zu ziehen. Sie wechjelten Ausjehen und Gewand und ber Fremdling Geſt 
machte fi) auf den Weg nad) Aarheim, dem Site des Königs, Hier trat er 
in die Halle und grüßte Yen König. „WIR du,“ ſprach Lebterer züxrnend, 
„di dem Uriheile meiner vechtälundigen Männer unterwerfen?“ Get fragte 
hierauf, ob e8 nicht mehrere Weiſen gebe, fih zu Iöfen „ES gibt deren,“ 
‚erwiberte der König; „du ſollſt Räthſel ayfgeben, bie ich nicht errathen Tann, 
und dir damit Frieden erfaufen.“ Geſt zog diefes dem Gerichtswege vor. Es 
wurden nun zwei Stühle herbeigebradht, auf bie fie fich niederließen, und bie 
Leuterwaren in froher Erwartung, weile Worte zu hören. 

Geſt legte hierauf dem König eine Reihe von Räthieln vor, bie Heidrel 
alle errieth. Die legte diefer Fragen jedoch war die, was Odin Baldurn ins 
Ohr gejagt, bevor Diefer auf den Scheiterhaufen getragen ward, „Niemand 
kann das wiflen, als vu ſelbſt,“ rief der König zomentbrgnnt, entblößte Das 


1 8gl. Gramm, Altdänifhe Heidenl. S. XVII. 


331 


ſchwert Tyrfing und wollte nad Get hamen. Aber Diefer, der eben Odin 
war, verwandelte ſich plöpfich in einen Hallen und entflog durch's Fenſter. 
Die Rätbfel und ihre Löfung enthält das der Herbörsfaga einverleibte 
Lieb: Getspeki Heidreks konungs, Räthſelweisheit König Heidreks. 
Mehrere dieſer Räthjel tragen, wie damals (S. 132 ff.) gezeigt wurde, 
das Gepräge altertbümlicher Naturanfchauung oder beziehen ſich auf 
beftimmte mythologiſche Gegenſtände. Es hat uns aber aud bie. 
ganze Anlage des Räthſelliedes unverfennbare Ähnlichkeit mit mehreren 
Mythenliedern der Edda gezeigt, in melden Odin als Wandrer unter 
den Namen Gangradr (gressum moderans s. dirigens), Grimnir 
(personatus), Begtamr (viee adsuetus), bald einen König, bald einen 
‚Riefen, bald eine Völe in der Unterwelt auffucht, um Räthſelfragen 
vorzulegen, Weisheit zu prüfen und zu erfunden; nur baf die Fragen 
der Mythenlieder die Götterwelt und die Weltſchickſale betreffen, die 
Näthfel Geft3 aber mehr mit Naturbildern und menschlichen Dingen 
fih beihäftigen. Zugleich ift bemerkt worden, daß ter Name Geftr 
nur auf den, als Wandrer ankommenden Din (mie die ähnlichen 
Gangradr, Begtamr), nicht auf den Herfen, ber zu Haufe bleibt, 
paſſen unb ber Beiname bes Blinden (Gestr blindi), für den Herjen 
unertlärt, fich gleichfalla für ben einäugigen Odin eigne. [Schr. 6, 305. 8.] 
Auf dieſer alten, tief: in den Mythus bineinzeichenden Grundlage 
beruhen nun die Erzählungen von. bemjenigen Geſtr, ber zu ben Kö: 
nigen Dlaf fam und in denen der munderbare Gaſt als Odin entweder 
ausbrüdfich. genannt oder doch nach dem bargelegten Zufammenhange 
leicht zu erkennen tft. Geſts Erzählungen betreffen zwar meift nur die 
Helbenfagen ber heidniſchen Zeit; allein über feinen nächtlichen Ge⸗ 
fprächen mit dem Könige kiegt ein gewiſſes Geheimnis und dem from- 
men Biſchof ericheinen diefe Unterhaltungen feines Herrn bedenklich. 
Der alte Odin verfucht fidh mit feinem beibnifchen Wifien nun au 
noch an den chriftlihen Königen und die Bebeutung der mythiſchen Sage 
has. fih nun dahin gewendet, daß Erinnerungen und Anwanblungen 
des Heidenthums, in der Perfon Odins, ſich an jenen Belehrern bes 
Nordens felbft verſuchen. Dan muß dabei vor Augen baben, daß bie 
alten. Götter, von denen man fich ablebrte, darum doch nicht für. bloße 
Geſchöpfe der Einbildungskraft erflärt wurden, fondern für böfe Geifter, 
welche fich bie Herrfchaft über die Menichen angemaßt hatten und. fort 


332 
während darnach trachteten. Dieß lag nicht nur ver Denlweiſe der Be 
kehrten am nächſten, fondern es war auch die Anficht der Kirche. Der 


Pabſt Nicolaus I ſchrieb im Jahre 858 an Eric), König von Däne- 


mart: Desine ergo idola colere et desmonibus jam servire desiste! 
Omnes enim dii-gentium, dicente Psalmista, deemonia (Münter | 
©. 579). [Schriften 1, 1885. 8] 

‚Die einfachfte und damit ber-alten Anlage am nächften kommende 
unter den viererlei Erzählungen ift offenbar vie zulegt vorgetragene, 
wenn fie glei auf den fpätern König, Diaf den Heiligen, bezogen ift. 
Hier fragt Geſt, der, wie Dbin immer, mit Hut und langem Bart 
erfchienen, den König am Ende, warum er nicht am liebiten dem Kö- 


nige gleichen möchte, der ſtets den Sieg jelbft hatte und Anbern ſchenken 


konnte, der in Feiner Fertigleit erreicht war, ber fprad), wie Anbre 
fangen. Damit nähert fih die Sage am meiften jenen alten Weit⸗ 
geiprächen über Glaubensſachen. Der Schluß aber ift ganz entſprechend 


dem von Getipeli, nur daß ber König nad Obin, ben. er beim Namen 


nennt, nicht mit dem Schwerte, fonbern dhriftlicher mit dem Gebetbuche 
lädt. . 
Diefer Darftellung zunächſt ſteht bie ber Olaf⸗Tryggbaſonsſaga. 
Hier weiſt das Bedenken des Bilhofs über die Unterrenungen be 
Königs mit dem unheimlichen, einäugigen Gafte, wenn aud gleich fie 
Anfangs nur von den alten Königen handelten, noch auf bie rechte 
Bedeutung bin. Der König merkt auch am Ende felbft, daß es Odin 
geweſen, ver ihn betrügen wollen. Nur daß Odin Fleiſch Bus Küche 
liefert, erſcheint als ein frembartiger Zuſatz. 

Dagegen hat in der Nornageſtsſaga und in ber erſten Erzählung 
von Diaf dem Heiligen die Sage eine ganz andre Richtung erhalten, 
indem fie zu einer Bekehrungsgeſchichte geworben ift. In beiden Dar 
ftellungen wird ber primfignete Gaft bei dem frommen Könige getauft, 
bleibt dann am dem chriftlichen Hofe und ftirbt den Tod des Ghriften. 
Die Berichte aus der Heibenzeit aber find mehr nur ein Gegenftanb 
der gefelligen Unterhaltung, als daß fi in ihnen eim beftimmter 
Gegenſatz zu dem neuen Glauben äußerte. Die Erzählung von Dilaf 
dem Heiligen ift übrigens auch in. der veränderten Sichtung, bei . ber 
Ddin, fonft die Hauptperfon, ausfällt, noch kurz und einfad. Die 
Rornageftfaga hingegen verbreitet ſich ausfährlid in. biefer, bem 


333 


Ss 


urfprünglichen Einne entfrembeten Richtung und fügt noch w weitere Sagen⸗ 
beſtandtheile hinzu. 

Drahin gehört beſonders Dasjenige, was den Gaſt zum Nornageft 
macht, die Beſtimmung feines Alters und Geſchicks durch die drei an 
feiner Wiege erfcheinenden Weiflagerinnen und die Abhängigkeit feiner 
Lebensdauer von ver verhängnispollen Kerze. Auffallend ift hiebei 
die Ahnlichkeit mit der ‚griechiichen Sage von Meleager. Diefer war... 
noch werige Tage alt, als die drei Parcen (Moiten) zu dem Bette 
feiner. Butter traten. Die eine berlündigte, er. werde tapfer, die 
andre, er: werde grofmütbig fein; bie britte, er werbe jo lange leben, 
als ver eben jeit auf dem Herbe liegende Brand vom Feuer nicht ver: 
zehrt fei. Seine Butter bob biefen Brand forgfältig auf. Als fie 
aber in ber Folge erfuhr, daß Meleager ihre Brüber erfchlagen habe, 
eilte fie im Drang der Rache mit dem Brande nah dem Feuermind 
Heß ihn von demjelben verzehren. Meleager ftarb nun jchnell hinweg !. 
Ob diefe Sage etwa auf gelehrtem Wege nad) dem Norben gelommen, 
oder ob Rornageftö Kerze der natürlichen Vergleihung zwiſchen dem 
fterbenden Menfchen und einer erlöfchenden Flamme die Entftehung 
verdankt (Sagabibl. II, 115), mag babingeftellt bleiben. Iſt aber 
diefer Beſtandtheil der Sage auch von außenher gelommen, jo bat er 
doch in den’ altnorbiihen Borfteflungen einen Anhalt gefunden. Den 
griechifchen Moiren entiprechen die. ſkandinaviſchen Nornen. Diefer 
Name, die jüngfte Nome (hin yngeta nornin), wird in ber Saga 
mwenigftens einer der weiffagenden Frauen gegeben. Wir willen aus 
ber Götterlehre, daß die drei großen Nornen bie Zeit: und Schichſals⸗ 
göttinnen des Nordens find, die, am Urbarbrunnen. wohnend, jeden 
Tag die Weltefche begießen. Wenn von ihnen diejenigen unterfchieden 
werben, welche ſich bei eines Kindes Geburt einfinden und ihm Leben: 
zeit und Geſchick zutbeilen, fo find die im Grunde nur verichiedene 
Äußerungen berfelben Macht, die bald das Schichſal der Welt, bald 
das der einzelnen Menichen beftimmt. So hörten wir, wie bei des 
Bölfungen Helgi nächtlicher Geburt die Normen erichienen, ihn begabten, 
der kühnſte und befte der Könige zu werben, goldne Schickſalsfäden 
woben und fie mitten unterm Mondesſaale feitigten. Daß nun dieſe 


1 Nitſch, Mytholog. Wörterbuch 1331 f. nach Apollodor und Hygin. 


334 


Gedankenweſen in der Art in die Wirklichkeit traten, daß man irdiſchen 
Weiffagerinnen im norbifchen Altertbum den Namen Rornen beilegte, 
dafür weiß ich außer ver Nornageftäfaga feinen Beleg anzuführen. In 
biefer jedoch mwirb den drei Frauen an Geſts Wiege noch ein andrer 
Name, Bölen (völvur), gegeben, unter dem auch nach anderwärtigen 
Beugniflen weiflagende Weiber im Norden zu finden waren. Zwar 
‚bat auch der Göttermythus feine Völen, Balan, wie jeine Nomen; 
wenn dieſe die Zeit und das Schickſal weben, fo verfünbigen es bie 
Balan; fie mweiflagen von den Weltſchickſalen und deuten die Träume, 
von denen die Himmlifchen geängftigt werden. Aber auch irbilcher 
Meife, noch in chriftlicher Zeit, ziehen Bölen umber und werben über 
die Zufunft des Landes oder der Einzelnen befragt. Eine der hiſto⸗ 
riſchen Sagan, die von Erik dem Rothen, gibt eine genaue Beſchrei⸗ 
bung einer ſolchen irdiichen Böla 1 (Finn Magn. Edd. I, 6 bis 102). 
Thortild, Häuptling der normwegifch:isländifchen Anfiebler auf Grön- 
land, juchte bei einer ſolchen Beſcheid. Da heißt es denn: 

„Die Weiffagerin Thorbjörg, genannt die Meine Vala, pflegte zur Winter- 
zeit auf Gaſtgeboten umberzuziehn, wozu fie von benen eingeladen war, welche 
Luft Hatten, fi über ihr künftiges Schickſal zu unterrichten. Da Thorkild 
einer der Bornehmften im Lande war, fo fchien ihm obzuliegen, Kunde darüber 
zu fuchen, wann die damals berrichende Theuerung aufhören werde Er lub 
alfo die Weiffagerin ein, nachdem er Alles aufs Prächtigfte zugerüftet, wie man 
einen folhen Gaft zu empfangen pflegte. Ein Sig wurde für fie auf einer 
Erhöhung zugerichtet und darauf lag ein Polfter, mit Hühnerfedern gefüllt. 
Inzwiſchen wurde ein Dann ausgefchicdt, um ihr entgegenzugeben, und mit 
ihm kam fie am Abend in folgendem Aufzug an: fie trug einen blauen Mantel, 
von oben bis unten mit Steinen bejegt, ein Band von Glasperlen um ben 
Hals, eine Miüte von ſchwarzem Lämmerfell, mit weißem Katzenfell geflittert. 
In der Hand hatte fie einen Stab mit Meffingbeihläg und einem mit Steinen 
befegten Knopf. Um den Leib trug fie einen hunnishen Gürtel, wovon eine 
große Taſche niederbieng, in ber ihr Zaubergeräth verwahrt war. Sie hatte 
Schuhe von rauchen Kalbleder, mit langen Riemen und Kupferknöpfen feftge- 
madt. Ihre Handſchuhe waren außen von jchwarzem Pelze, inmendig von 


1 Wie fie Walter Scott nicht forgfältiger geben könnte, der auch felbft im 
Piraten eine fhetländifhe Norna aufführt. Bgl. Lex. myth. 269. 

2 Bol. Sagabibl. I, 298 f. 353. II, 494. 531. 610. Niflunga Saga 
6. 328, ©. 26. 


335 - 
weißem Katzenfell. Cie wurde von Allen ehrerbietig begrüßt, beantwortete aber 
diefe Grüße fo, wie es, nach ihrem Dafürkalten, Jedem der Anweienben bes 
ſonders gebührte. Thorkild ftellte ſich auf ihre rechte Seite und führte fie. zu 
dem erhöhten Site; aud bat er fie, bas Haus umb die Leute des Haufes in 
Augenfchhein zu nehmen. Sie fprad nur wenig. Am Abend wurden bie Tiſche 
gebedt und folgende Speifen ihr vorgejett: ſüßer Brei von Geißmilh und ein 
Gericht von den Herzen verjchiedener Thiere. Sie bediente fi eines Meſſing⸗ 
Iöffels und eines Meffers, deſſen Schaft von Wallſiſchzahn, mit Kupfer beichla- 
gen war; die Spike aber war abgebrochen. Nachdem die Tifche fortgenommen 
waren, trat Thorfilb vor und fragte fie, was fie um das Haus und die hier 
verſammelten Leute bedünke, fowie auch, wie bald fie ihn fiber die Dinge be» 
lehren könne, worilber fie befragt und was fie Alle gerne. zu willen wünſchten. 
Sie antwortete, das könne nicht vor dem nächften Tage gefchehen, nachdem fie 
erfi eine Nacht im Haufe zugebradht. Frühmorgens (nach Andern: gegen den 
Abend des folgenden Tags) wurde Alles ſo zubereitet, wie die magischen, Bor- 
richtungen e8 erbeiichten. Sie begehrte, daß einige Frauensperfonen dabei einen 
Geſang fingen follten, der Vardiokur (Wachtkreis oder Kreisgefang) genannt 
werde, aber e8 fand fi Niemand, der ihn Tonnte. Als man nun auzfandte, 
um eine folche Frauensperſon aufzufuchen, ſagte Gubrid, ein anweſendes junges 
Mädchen: „Ich Hin weder eine MHuge Frau, noch eine WVeiffagerin; aber meine 
Amme Halldis lehrte mi doch in Island einen Gang, der denfelben Namen . 
bat.” Thortild antwortete: „Da kannſt du mehr, als wir glaubten.” Gie 
fagte: „Diefer Sang und die dazu gehörenden Geberben find von der Art, daß 
ih fie nicht ausführen kann, da ich eine Ehriftin bin.” Xhorbjörg erwiberte: 
„Hierin kannſt du uns unbeforgt dienen, ohne daß dein Glaube Gefahr Läuft.“ 
Inmittelſt ließ Thorkild Alles in Stand feen, was zu der Feierlichkeit erfor- 
deriih war, und bat Gudrid inftändig, dem Begehren zu entfpreden, fo daß 
fie fich auch endlich bewegen ließ. Thorbjörg feste fih da auf den Zauberſtuhl, 
umgeben von einem Kreife von Frauen; Gubrid aber trug den Sang mit fo 
flarfer und Harer Stimme vor, daß die Anweſenden zugeftanden, fie hätten nie 
zuvor einen fo ſchönen Gefang gehört. Die Wahrfagerin war auch fehr wohl 
damit zufrieden, dankte ihr und gab zu verftehen, daß fie jeßt viel erfahren 
babe fiber den Gang der Krankheit und der Witterung. „Jetzt,“ fagte fie, „iſt 
mir Bieles geoffenbart, wovon weder ich, noch Andre zuvor muften. Die 
gegenwärtige Bungersnoth wird nicht lange dauern, Überfluß an Allem mird 
mit dem Frühjahre zurückkehren; ſelbſt die Krankheiten, welche diefe Gegend ge- 
plagt haben, werben bald ganz verfchwinven. Dir, Gubrid, will ich den Dienft 
vergelten, den bu uns erwiefen haft, denn dein Schidfal, das ich jett ſehr 
genau kenne, ift herrlicher, als irgend Jemand jet glauben möchte. Hier in 
’ 


336 


“; 


Grönland wirft dur mit einem ſehr anjehnlihen Manne verheirathet werben; 
diefe Ehe wird jeboch nicht lange dauern, da es beftimmt ift, daß du nad Js⸗ 
land zurücklehreſt und die Stammmutter eines zahlreihen und blühenden Ge⸗ 
fchlechtes werbeft, welches von herrlichem Glanz umftrahlt werden foll. Jetzt 
wiinfch’ ich dir, meine Tochter, alles Gute ‚und fage dir Lebewohl.“ Hierauf 
giengen Alle, der Eine nad) dem Andern, In zu der Wahrfagerin und fragten 
über das, was Jeder beſonders von zukünftigen Dingen zu wiſſen wünſchte, 
worauf fie deutliche Antwort abgab. Bald wurde fie nach einem andern Hofe 
in derſelben Abſicht eingeladen. Da kam (ber hriftliche) Thorbjörn zurlid, denn 
er hatte fich wegbegeben, weil er bei der. Ausübung eines ſolchen heibnifchen 
Aberglaubens nicht zugegen fein wollte. Die Witterung befferte fih volllommen 
mit dem herannahenden Frühjahr, wie Thorbjörg vorausgefagt hatte. 

Die wichtigfte Veränderung aber, melde die Sage von Geftr in 
der Nornageſtsſaga und der ihr verwandten Erzählung von Dlaf dem 

Heiligen erfahren bat, bleibt immer die, daß fie, mie ſchon bemerkt, 
zu einer Belehrungsgeichichte geworben if. Daß Geſtr mit den alten 
beibnifchen Königen befannt war, kommt auch in den beiden andern 
Darftellungen vor; aber daß er nun den chriftlichften König des Nordens 
aufſucht, um bei ihm getauft zu werben und ehriftlich zu fterben, bamit 
geht die Sage in eine neue Bedeutung über, welche gleichwohl in ihre 
nicht fo tief aufgefaßt ift, als in folgender, der ältern (vorfnorroifchen) 
Saga von Dlaf Tryggvaſon angehöriger Erzählung (8. Olaf Tryggvaſ. 
Saga, overf. af Rafn I, 137 ff., C. 201: Om Svend og hans Sön 
Find): 

Es findet fi in Büchern gefchrieben, daß in des Jarls Hakon Sigurds⸗ 
ſohns Tagen nördlich oben in Throndpheim ein Mann mit Namen Svend Iebte. 
Er war rei und von vornehmen Geſchlecht, Mil und ſanftmüthig daheim, 
aber ſtreitig und ſiolz gegen ſeine Obern, wenn ihm Etwas misbehagte. Er 
opferte den heidniſchen Göttern, nach ſeiner Eltern und Verwandten Gebrauch, 
wie alle Leute damals in Norwegen thaten. Er hatte auf ſeinem Hofe ein 
großes und anſehnliches Götterhaus; darin waren viele Götterbilder, aber doch 
verehrte Svend am meiſten Thor; er ſtand auch in Freundſchaft mit Hakon 
Jarl, wie andre Opferer. Seine Söhne hießen Svend und Find. Svend 
glich ſeinem Vater in Sinnesart, Find aber war fehr eigenſinnig und zänkiſch, 
miſchte ſich oft in Andrer Zwiſtigkeiten und ſprach hoch herab, manchmal aber 
jo ſchweigſam, daß man nicht ein Wort aus ihm herausbringen konnte, über- 
haupt in feiner Dentweife ſehr wunderlih. Man traute ihm darum nicht viel 
Verſtand zu. Er hielt auch wenig auf ihren Glauben, denn wenn er, was 


337 


feiten geihah, in jeines Vaters Bötterhaus fam, pries er die Götter nicht, 
fondern fpottete ihrer bei jevem Wort, nannte fie fehieläugig und beftäubt und. 
fagte, fie können Andern nicht helfen, da fie nicht jo viel Kraft hätten, ſich ſelbſt 
den Staub abzuwiſchen. Oft ergriff er fie und warf fie von ihren Pläßen; 
fein Bater aber fagte ihm, daR werbe feinem Glück im Wege ftiehen, daß er. fi 
fo fchlecht gegen fie henehnte, da doch Thor ſo viele und preiswerthe Thaten 
verrichtet, durch Berge gefahren, Felſen entzwei gebrochen, Odin aber über dem 
Siege der Männer gewaltet. Find antwortete: „Da gehört geringe Kraft dazu, 
Steine und Felsſtücke zu zerbrechen und derlei Arbeit auszuführen, oder Sieg 
zu geben, wie Odin, durch Trug und nicht durch Kraft; mich aber bedünkt, daß 
der mächtig ift, der im Anfang die Berge hergeſetzt hat, die ganze Welt und 
das Meer; was wiſſet ihr von dem zu ſagen?“ Davon wuſte der Vater nicht 
viel zu erzählen. Eines Winters un YJulzeit, da die Leute zum Trinktiſch ge- 
kommen waren, fagte ind: „Weit umber werden nun diefen Abend Gelübde ge- 
than, an Orten, wo nicht beffer zu fein ift, als bier; nun thu' ich das Gelübde, 
Daß ich dem. Könige dienen werde, der der Höchſte und in jeder Hinficht Andern 
vorzuzichen ift.” Das denteten die Leute verjchieden. Einige fagten, Halon Jarl 
ſei der vornehmfte Häuptling in nordifchen Landen und dem werde Find dienen 
wollen. Find fagte, er wiffe wohl zu unterjcheiden zwijchen einem König und einem 
Zarl. , Andre, die übler gegen ihn gefinnt waren, fagten, er zeige feinen Un- 
verftand in diefer Antwort, wie im Gelübde ſelbſt. Nach den Zul rüſtete fich 
- Find zur Abreiſe. Sein Vater fragte ihn, wohin er gedente. Find fagte: „Das 
weiß ich nimmermebr, wohin ich fahren werde; aber auffuchen will ich einen 
König, dem ich zu dienen gedenfe und doch allein auf die Weiſe, daß ich mein 
Gelübde nach jeder Hinficht erfülle.“ Er fragte dann, ob fein Bruder Spend: 
mit ihm ziehen wolle. Diejer wollte nicht. „Das ift auch gut,“ fagte Find, 
„daß du dem Bater behülflich fein wilift, über unfrer Habe zu wachen, bis ich 
zurüdtomme.“ Der Vater fagte: „Wünfcheft du, daß ich dir einige Männer 
zum Gefolge und Gelb mit auf- die Reife gebe?" „Nein, gar nicht,“ antwortete 
Find, „denn nicht würde ih Berftand haben, fir mehrere Männer zu ſorgen, 
da ih nicht Verſtand babe, für mich felbft zu forgen, wie Manche jagen und 
ih nicht läugne, daß es wirkli der Fall ſei.“ Darnach zog Find ſüdwärts 
den obern Weg durch die Uplande und fam nach Wigen, von wo er mit einem 
Schiffe nad) Dänemark reiſte. Sobald er den Fuß an's Land geſetzt, gieng er 
allein vom Schiffe fort nach den Wäldern, in denen er lang umherirrte. End⸗ 
lich fam er heraus zu einer Stelle, wo er einen Hirten traf. : Sie fetten fich 
nieder und ſprachen mit eimander. Find fragte, ob bewohnte Gegend in der 
Nähe fei. Der Hirte bejahte das. Darauf fragte Find, ob der Hirte mit 
ihm die Kleider wechfeln wolle. Diejer war gerne bereit und fie thaten num .fo. 
Uhland, Schriften. VII. 22 


338 


„Was ift hier in die Kleider gebunden ?” fagte Find. „Das nennen wir Chriſten 
ein Krenz,“ war die Antwort. „BAR bu ein Chriſt?“ fragte Find, „und was 
ift e8 damit, wenn man ein Ehrift iſt?“ Der Hirte erzählte ihm davon, was 
er wufte; aber Find erzählte ihm dagegen von Thor und Obin und ihren 
Thaten. Der Hirte fagte: „Bald glaube ich, du willſt mich in der Rede irre 
maden; aber beſſer ift, du gebeft zu unfrem Biſchof, der nicht weit von hier 
it, denn bei ihm wirft du nicht mit Geſchwätz allein zurecht fommen und er 
wird dich über den Glanben deutlicher befcheiden können, als ich.“ Find fagte: 
„Was ift das, fo ihr Bifchof nenne? ift es ein Menfch, oder ein andres Thier?“ 
Der Hirt antwortete: „Noch wird deine Rede nicht klüger; entweder bift du ein 
großer Thor oder ein läppifcher Menſch, oder du bift nicht fo einfältig, als du 
dich anläßſt; Biſchof nennen wir den Leiter und Vorfieher des’ heiligen Chriſten⸗ 
thums.“ Find fagte, zu diefem wolle er vor Allem gehen. Er kam demmächſt 
zum Bifchof und grüßte ihn. Der Biſchof fragte, wer er fei. Er fagte, er fei 
ein Norweger. „An wen glaubft du?" fragte der Biſchof. Find antwortete: 
„An Thor und Oun, wie andre Norweger.” „Das ift ein fchlechter Glaͤube,“ 
ſagte der Biſchof, „und ich werde dich einen andern, beſſern Glauben lehren 
laſſen.“ Find verſetzte: „Das weiß ich erſt, wenn ich ihn höre, ob dieſer Glaube 
mir beffer vorkommt; und warum willſt du dieſen Glauben mich lehren laſſen 
und mir ihn nicht ſelbſt weiſen?“ Der Biſchof übergab ihn einem Prieſter, der 
ihn den Glauben ehren follte. Aber Find verwickelte Alles vor dem Priefter, 
fo daß diefer nichts ausrichten fonnte und dem Biſchof fagte, diefer Mann jei 
fo einfältig und ihm fo ſchwer etwas beizubringen, daß man "Auf feine Weiſe 
mit ihm voranlommen könne. „Mir fcheint diefer Mann nicht ſowohl einfältig, 
als wounderlich,“ fagte der Biſchof und begann, ihn num felbft zu unterweilen und 
ihm von den Wunderwerken des allmächtigen Gottes zu erzählen. Endlich jagte 
Find: „Das ift ganz anders, als ich zuvor hörte, daß feine Götter fo mächtig 
. feien, als Thor und Odin; aber jett entnehme ich das bejonders aus beinen 
Worten von diefem Ehrift, den bu verkündeft, daß jeder Menſch, fo viel er 
wollte, ihm entgegen thun mochte, fo lange er auf der Welt war; aber nad 
jenem Tode murbe er fo berlihmt, daß er in die Hölle einfiel und der heid⸗ 
nifchen @ötter Häuptling Thor band, und nachher konnte fein böfer Geift (Vätte) 
vor ihm Stand halten; darum fcheint mir, daß er der König if, dem ich zu 
dienen gelobt habe, höher und heiliger, größer und mächtiger, als alle andre 
Könige, und darum werd’ ich Binfort an ihn glauben und ihm dienen, wie 
ihr mich lehret.“ Der Biſchof fagte: „Das iſt ganz richtig, nach dem Begriffe, 
den du von Gott gefaßt Haft, und nun zeigt es fid), wie ich fagte, daß du viel 
verftändiger biſt, als du dich auläßſt.“ Find wurde da getanft und hielt feinen 
Glauben wohl und blieb einige Beit in Dänemarl. 


339 


Nachher (C. 208) zog er au zum König Olaf Tryggvaſon und flarb hei 
biefem. Der König ließ ihn zum Tode bereiten und flaud ibm felbft mit Sorg- 
falt bei. 0 
Diefe Erzählung, in ihrer gegenwärtigen Form ſchwerlich älter, - 
als aus dem 14ten Jahrhundert, fcheint auf gefchichtlichem Grunde zu 
beruben (Sagabibl. III, 226), wenn gleich die Darftellung ins Sagen⸗ 
bafte fpielt und die heibnifche Götterverehrung nach fpätern, chriſt⸗ 
lihen Begriffen allzu roh aufgefaßt fein mag. Daß nun eben bieje 
oder eine Ähnliche Erzählung, wenn auch nur mittelbar, der Sage von 
Geſtr die veränderte Richtung gegeben babe, woburd fie zur Bekehrungs⸗ 
geichichte geworden tft, Tann nicht geradezu behauptet werben. Aber 
jo viel ift gewiſs, daß die chriftliche Richtung erft hier ihr rechtes und 
Hares Ziel erreicht. Odin, der ſich nod in der zweiten Erzählung von 


Olaf dem Heiligen als den gröften der Könige rühmt, muß meiden 


und es tritt ein höherer, heiligerer König hervor, defien Dienfte jet 
der Sohn des Nordens zuzieht. 

Die Sage von Nornageft war die geeignetfte, die Reihe ver bisher 
dargeitellten nordiſchen Helvenfagen zu befchließen. In ihr und den zu 
ihr gehörigen Erzählungen gehen noch einmal die berühmteften ver alten 
Helden, Hrolf Kraki mit feinen Kämpen, Half und feine Reden, Star 
kadr, die Völfungen, Ragnars Söhne, im Zauberfpiegel vorüber und 
ber Heldenvater Odin verſchwindet als ein unheimlicher Nachtgeift. 


Wir laflen nun im Rückblick auf diefe Sagenreibe einige allge 
meinere Bemerkungen folgen: 

1) über das Verhältnis der Heldenſage zur Götterſage; 

2) über den gemeinfchaftliden Charakter beider; 

3) über die Organe diefer ſkandinaviſchen Sagendichtung. 


— 


1. Über das Berhältnis der Heldenſage zur Götterſage. 


Wir haben die Heldenſage vom Anfang als einen ergänzenden 
Theil des mythiſchenWeltganzen bezeichnet. Die Götterſage belehrt 
uns über die Schöpfung der Menſchen und über ihren Zuſtand nach 
dem Tode, die Heldenſage zeigt uns das Verhaͤltnis zwiſchen Göttern 


340 


und Menfchen während des irdiſchen Daſeins. Wir find ber Bedeutung 
ber höhern Mächte nur halb verfichert, fo lang wir diefe nicht in 
ihrer Einwirkung auf die menſchlichen Dinge erfennen, und umgefehrt 
wird uns bie irdifche Erfcheinung jener höhern Weſen ein Räthſel 
bleiben, wenn uns nicht der Bli nach dem Götterhimmel geöffnet if. 
Vergegenwärtigen wir und bie mythiſchen Beſtandtheile der bisher 

dargeftellten Helbenfagen, fo erweiſt fich weit vorherrſchend die Wirk: 
ſamkeit Odins. Die Menfchen find, wie früher bargethan wurde, ver: 
möge ihrer geiftigen Natur den Aſen zugeorbnet. Der oberſte und 
geiftig lebenbigfte der Afen aber, der gemeinfame Vater der Götter 
und Menfchen, ift Odin und mit ihm ftehen darum auch die erregteften, 
rüſtigſten Menfchengeifter, die Helden, im manigfachſten Verkehr. 

Es ift jedoch angemeflen, etwa näher auf die Erjcheinung der 
verfchiedenen mythiſchen MWefenarten in ber Heldenfage einzugehen. 

Die Banen mit den ihnen zugeorbneten Lichtalfen, die freund: 
lichen, ſonnigen Naturfräfte des Lichtes, der Wärme, der Fruchtbar⸗ 
feit, können im gewaltig bewegten Helbenleben feine bedeutende Stel: 
lung einnehmen. Sie walten über die ruhigern Zuftände des Felt: 
baus, des Fiſchfangs, der frieblihen Schifffahrt, des ehelichen Lebens. 
Sie werden mehr durch feftliche Jahresopfer verehrt, als im Helben- 
fange gefeiert. Njörds und Freyrs Tonnten wir faft nur in der Sage 
bon Frodis Frieden erwähnen, deſſen goldene Zeit, nach der Ynglinga⸗ 
faga, in Schweden ihrem Einfluffe verdankt wurde. Njörd, der im 
Frühling das Meer öffnet, ift wohl auch den feefahrenden Helden nütz⸗ 
lich; aber fie hauen auch, wenn's brauf anfommt, bie eingefrornen 
Kiele aus dem Eis, wie Ragnars Söhne, und fpannen mitten im 
Sturme die Segel noch höher auf, wie Helgi und Sigurd. Starkadr 
will nicht länger bei den Söhnen Freyrs (cum filiis Fro, Saro 157; 
vgl. 223), den Ynglingen, ruhig liegen, weil ihn die weibiſchen Tänze 
der Gaufler und das Gellingel der Schellen bei den Opferfeiten zu 
Upfala anwidern. (gl. noch Saxo 18 f.) Wenn Sigurd in einem 
Eddaliede (Bryah. Qv. I, Str. 24; Edd. Sem. ©. 219) Freyrs 
Freund (Freys vinr1) genannt wird, fo mag dieß eine Bezeichnung 

1 Edd. Havn. II, 222, 25: Freys vinar Freyi amici i. e. diis dilecti. 
Edd. F. Magn. IV, 68: Freyrs Yndlings. E. O. Vens. Bgl. Grimm, 
Edda 252. (Simrods Edda ©. 216. K.] 


341 | . 





feiner leuchtenden Schönheit fein. Freyja wird zugleich mit Frigg 
einer rau von der andern in Sindeswehen zur Hülfe gewünſcht 
(Oddr. Gr. Str. 8; Edd. Sem. 240). Als Liebesgdttin erjcheint fie 
gar nicht; der Helden Liebe find die Balkyrien. - 

Beträchtlicher greifen in. die Heldenſage bie Joten ein und bie ihnen 
verwandten Schwarzalfe. Wie bie Afen mit ven Joten und Hrimthurjen 
in beftänbigem Kriege begriffen find, jo liegt auch den Helben durch 
fo viele Sagen Hindurdh‘ die Bekämpfung der Niefen ob. Wie die 
Winterriefen Freyan und Idun aus Asgard entführen, jo finb auch 
die Riefen der Heldenſage ftet3 darauf aus, fchöne Erdentöchter, könig⸗ 
Ihe Jungfraun, zu rauben: und nad ihren Felshöhlen im Gebirge 
wegzufchleppen. Die Helden aber find unermüblich, ihnen die Toftbare 
Beute abzufämpfen; fie befreien die Sprößlinge edler Gejchlechter, bie 
in die Dienftbarleit der Niefen gefallen find; jo Fridlev den telemar- 
kiſchen Königsſohn, der dem Riejen Hythin ala Ruderknabe dient, fo 
Othar bie ſpröde Syrith, die dem riefenbaften Waldweibe vie Ziegen 
hüten muß. Hier ift e8 nun nicht ein Kampf der Sommerkräfte gegen 
die Wintermächte, wohl aber der ebleren Heldenkraft gegen die rohe, 
fittenlofe Gewalt, und immerhin ftehen auch fchon in biefem irbifchen 
Streite bie Helden, die Götterſöhne, auf der Seite der welterhaltenden 
Alen. Dasfelbe zeigt ih im Kampfe ver Helden mit Lindwürmern und 
andern Ungeheuern. Aber wie der Götter VBerberben anhebt, als brei 
gewaltige Thurfenmäbchen aus Jotunheim kommen (Bölufpa Str. 8), 
fo fuchen auch auf der Erde Riefenmweiber die Helden zu verloden (in 
den Sagen von Habbing und Helgi). Die Niefen, überhaupt die Ges 
waltthätigen, bie von den Helden befämpft werden, find häufig als 
Berſerler dargeſtellt. Vom Riefenftamme kommt jenes rafende Ber 
fertergeichlecht der hiefür bebeutfamften Hervörsſage, Arngrim und 
feine zwölf Söhne, die auf Samsd fielen, die Befitter und Vererber 
des Wuthſchwertes Tyrfing, an dem brei Nidingswerke haften; und fo 
ſtammt auch Starkadr, felbft das Werkzeug breier Nidingsthaten, von 
Rieſen ber. Zwar bezeichnet die Ynglingaſaga (C. 6 fin.) das 
Kriegsvolk Odins als Berſerker, und der odiniſche Kampfgeift bietet 
allerdings Beziehungen zum Berjerfergange dar; aber da bie, An- 
deutung diejer Saga, in welder Odin burdaus menſchlich und ges 
Ihictlih genommen iſt, durch fein anderweites mythiſches Zeugnis 


. 342 


_ beftätigt wird, vermöge beffen Odin als Urheber der Berierferwuth zu 
betrachten wäre, fo werben wir biefe richtiger, nad Anweifung ber 
Heldenfagen, auf die Seite der maßlofen, ungebändigten Rieſenkraft 
ſetzen. Selbft eined der mythiſchen Eddalieder (Harbarz-1j6d Str. 36. 
dd. Sesm. 785. F. Magn. Edd. II, 149. 161 }.) nennt Die Rieſen⸗ 
und Bauberweiber Berferterbräute (brüdir berserkja), nimmt tomit 
Berſerker mit Yoten gleichbebeutend. 

Zum Sotengeichlechte gehören, nach der Götterfage, no Die wil⸗ 
den Meeresgewalten. Ägir, der Meeresgott, und feine Gemahlin Ran 
werden öfter in den Sagenlievern genannt: Fridthjof ſchlägt im 
Seefturme feinen Ring in Stüde und vertbeilt diefe unter feine Ges 
fährten, damit man Gold an ihnen fehe, wenn Ägir fie aufnehme und 
fie in Rans Sälen Herberge ſuchen (Fornald. 8. II, 78). Auch von 
KRans Kindern (Ränar jéd, ebenvaf. 83, 1; j6d, n. proles, ſœtus), 
den Wellen, die den Meertreter, das Schiff, ermüben, fingt Fridthjof. 
Helgis Schiffe will gleichfalls Agirs Tochter umſtürzen und die fchligende 
Ballyrie entwinbet das Königsſchiff Rans Händen (Helg. Qv. HB. I, 
Str. 29. 80. Edd. Seem. 153). Noch perfönlicher aber treten in der 
Sage von Frodi diefe Gewalten in Handlung. Die Mühlmägve Menja 
und Yenja, die bald Gold und Glück, bald Sand und Verderben 
mablen, find, tie gezeigt worden, ebenfall® die Wellen, Agirs Töchter. 
Zwar wird ihr Vater nicht genannt, aber fie ftammen vom Rieſen⸗ 
geichledhte, nennen Hrugnirn, den Steinriefen, den Thor zerſchmettert, 
und Thiafiin, der Idun geraubt, ihre Verwandte und mablen tobend 
in Sotenmuth (f jötun-mödi, Sm Edd. 1508). 

Hel, die Beherricherin des Talten, unterirdiſchen Todtenreiches, 
gehört ſchon als Tochter Lokis zum Jotenſtamme. Wen ihr gefanbt iſt 
jenes blutgierige Grabgeſpenſt des fiechtodten Asvit 

(Nescio quo stygli numinis ausu 

Missus ab inferis epiritus Asvitu. |. w.D, 
mit welchem Asmund, ber ſich freiwillig mttbegraben ließ, ringen muß. 
(Vgl. no Gudrünarhv. Str. 19. Seem. Edd. 2685 und Helreid 
Brynh.) Loki ſelbſt erſcheint als Utgarbslofi, ala König der Rieſen⸗ 
welt, in verſchiedenen Sagen, die wir jeboch erft nachher, bei den 


I Sap ®. V, ©. 137. 


Mährchen, anführen werden; als Afalofi aber, als das aus ber phyſi⸗ 
ſchen Beziehung in die ethiſche gefteigerte Böfe, wandert er mit ben 
Alen Dvin und Hänir über Me Erbe und bringt zum Löfegelb für den 
von ibm tobtgeworfenen Ottux den Fluchring, ber zwei Brübern zum 
Tob und acht Königen zum verberblichen Zwiſte werben joll (Sigurd. 
-Qr. U, Str. 5, Edd. Sem. 181), ein Fluch, der ſich im tragilchen 
Geſchicke ver Völfungen und Niflungen erfüllt. 

- Die den Joten verwandten Schtparzalfe ober Zwerge finb in ber 
Götterfage beſchäftigt, herrliche Kunſtwerke, Thor Hammer, Odins 
Speer, Freyas Hnlsihmud, Sifs goldne Haare u, dgl. zu ſchmieden. 
Wenn aber dieſe von ben Unterirdiſchen verfertigten Gegenftände ſich 
vorzüglich auf Naturerſcheinungen beziehen, fo finden wir in der Helden⸗ 
fage die, Schmarzalfe im Beſitze ſolcher Schäße, die auf bag bewegte 
Menſchenleben Einfluß haben. Sie find die Inhaber der in der Erbe 
verborgenen Erze, des Eifens, aus dem fie Schwerter von wunder: 
baren Eigenſchaften fchmieden, des Goldes, das den Menichen fo er- 
wünscht als gefährlich ift. Diefe Werke und Befigthümer geben fie aber 
nur gezwungen heraus und rächen fich für den erlittenen Zwang durch 
Auflegung des Fluches auf das ihnen Entrifiene. So beften in ber 
Hervörsſage die Zwerge Dyrin und Dvalin an das Schwert Tyrfing 
drei Nidingswerle. Sp verwünſcht in ber Bölfungenjage ber Zwerg 
Andvari das Bold, das ihm abgebrungen wird, daß es ven Befitern 
zum Verderben werde. Auch bie tüdifchen Schmiede Reigin und Völund 
find alfiſcher Natur. Ä 

Bon den Wien, im Gegenſatze der vanifchen und jotifchen Götter, 
berührt Hänig nur in der vorbemerkten Erdenwanderung mit Odin 
und Loli die Heldenfage, Bragi nur infofern, als bei feinem Becher 
am Stulabend von ben Helden folgenreiche Gelübde abgelegt werben. Die 
Bedeutung jcheint die zu fein, daß die Thaten angelobt werben, die einft 
in den Gejang übergehen, in den Runen verzeichnet werden jollen, bie, 
wie Brynhild den Sigurd lehrt, auf Bragiö Bunge ftehen (Brynh. 
@r. I, Str, 17. Edd. Seem. 196). Balburs Geſchichte ift zwar bei 
Sago (B. III) und wohl auch fen in ben Überlieferungen, die er 
vor fih hatte, anthropomorphiſtiſch ale Heldenſage behandelt; wir 
muſten aber diejelbe gänzlich in die Götterfage zurückweiſen. Ob Balbur 
mit Sigurd identisch zu nehmen fei, mie mehrfach behauptet worden, 


344 


und auf diefe Art doch der Gott ſich zum Helden umgewanbelt babe, 
wird bei ber deutfchen Sage zu ertvägen fein. (Bgl. Lachmann, Krit. 
d. Sage v. d. Nib. 22 [Schriften I, 172. 209 f. 8.) Daß aber 
diefer Gott in der Fridthjofsſage, mo er jekt nur no im befriebeten 
Baldurshag als hölzernes Standbild aufgeftellt iR, eimft mehr innere 
Bedeutung gehabt, als Wächter heiliger Sitte und Reinheit, fanden 
wir bei ber Erörterung jener Sage nicht unwahrſcheinlich. 
Unzweifelbafter tritt Thor heraus. Er maltet in der Sage vom 
Halfdan, dem Ahn der Konigsgeſchlechter. Diefer wird Thors Sohn 
genannt und ihm hilft Thor bie Felöftüde vom Berge wälzen, wodurch 
das Heer feiner Feinde zerfchmettert wird. Der Beiname Bierggram!, 
den Halfdan von biefem Ereignis erhielt, dem er es, nad Saro, auch 
verbanten fol, für Thor Sohn gehalten worden zu fein, war auch 
ein Name des Donnergottes ſelbſt. Wie diefer mit dem furchtbaren 
Hammer Miölnir die Eis- und Steinriefen zermalmt, fo ſchlägt auch 
Halfdan bald mit einer ausgeriſſenen @iche, die er ſich ald Keule zu 
richtet, bald ſelbſt auch mit einem ungeheuern Hammer (mire granditatis 
malleo, Saro ©. 190) Rieſen und Berferfer nieder; usb: wie Thor 
durch den Schlag feines Hammers Freyan aus dev Gewalt der Joten 
rettet und nach Asgard zurüdführt, jo befreit der kämpfende Halfbtan 
bie gefährbeten Königstöchter und wahrt bie königlichen Heldenflämme, 
die unter feiner Obhut ſtehen, vor der Bermifchung mit dem rohen 
Niefengefchlechte. Nach andrer Seite offenbart ſich Thor in der Enge 
von Starkadr, bei befien Schickſalsbeſtimmung er im Gegenjaße zu 
Odin fteht. Odin theilt dem Helden das Helbringende und Rühm⸗ 
liche zu, Thor das Unheil und die Nidingswerke. Als Veweggrund 
diefer Ungunft wird in einer der hieher begüglichen Sagan angegeben, 
daß die Mutter Starkadrs einen Rieſen dem Aſathor vorgegogen, unb 
Ihon die Abftammung diefes Helden vom Jotengeſchlecht überhaupt 
ftellt ihn auf die Seite der von Thor Gehaßten. Allein der Gegenjak 
zwiſchen Odin und Thor ift ein allgemeinerer; ‘er mwirb una gleich 
nachher in einer andern Sage begegnen und felbft eines ber mythiſchen 
Eddalieder, Harbarzljod, ift ein Streitgefang der beiden Afen.: Man. 
bat hierin bie Spur verfchievener Götterverehrungen, die zum Ganzen 


I [Sagenforfäungen I, 196 f. Eäriften 6, 112 f 8.) 


der norbifchen Mythologie ſich geichichtlich, zum Theil widerſtrebend, 
verbunden, ober den Streit zweier Sebten zu bemerken geglaubt, wie 
man benn auch ethnographiſch bie Berehrung Thors vorzugsweiſe den 
Norwegern, Freyrs den Schweden, Odins den Dänen zugefchieven bat. 
Gleichwohl Tann der fragliche Gegenfak auch ohne eine foldhe, mehr 
äußesliche Sonderung ertlärt werden. Sind einmal die Aſen unter fi 
als Berfonifieationen mehrfacher Kräfte und. Ideen unterfchieden, fo 
find eben damit auch Abftufungen und Gegenfähe im Innern des 
AHientreifes gegeben. Wenn wir in den Aſen überhaupt ven wirkenden 
Geiſt erfannten, fo erſchien uns doch in dieſer Wirkſamkeit Odin ala 
der geiftigfte, Thor als. der, welcher der Materie am nädften fteht. 


Er kämpft gegen die materiellften Naturmächte und hat darum auch 


zu ihnen bie .meifte Beziehung, ift felbft ber Thurfenbafte unter ben 
Alen und feine Mutter iſt die Erbe. Diefe Verſchiedenheit zwiſchen 
Thor und Odin äußert fi denn auch darin, daß fie Starkadrn auf 
fo entgegengeiebte Weite begaben; von. Dvin empfängt ber Held bie 
geiftige Belebung, von Thor wird er nur in ber ihm als Rieſenſohne 
angebornen wilden Natur beſtärkt. | 
Bon allen Afen aber und von allen Weſen ver Götterwelt über: 
haupt äußert Dbin meit bie mächtigſte und allgemeinfte Wirkung in 
ber Helbenfage. Wir haben Türzlih erſt nachgewiefen, wie er in ber 


. Bölfungenfage vom Anfang bis zum Ende durchſchreitet. Auf ähnliche 


/ 


Weiſe könnten wir durch den gröften Theil ver Übrigen Sagenreibe 


feine Spur verfolgen, die auch immer an Dirt und Stelle angezeigt 
worben ift. Für ben Überblid ift es jedoch zweckgemäß, fein Auftreten 
und Wirken unter allgemeineren Geſichtspunkten aufzufaflen. 

Seine Erkheinung ift von ber Art, daß mir ihn leicht erkannt 
haben, aud wo er gar nicht ober nicht mit bem Namen Dbin genannt 
wari, Cinäugig, alt und bärtig, in Hut und Mantel gehüllt, tritt 
er unerivartet und ungelannt in bie Königsballe, ober fteht plögli an 
der Seite des einfamen Helbenfohnes, ober verlangt vom Borgebirge 
aus in das vorüberfegelnde Schiff aufgenommen zu werben. Auch 


biefe irdiſche Erſcheinung fteht in Übereinftimmung mit feinem gött: 
lihen Weſen; einäugig ift er, weil er fein andres Auge um einen 


1 [Bgl. die zum Theil gleichlantende Ausführung B. I, S. 188, 8.] 


X 


Trunk aus Mimirs Weisheitsbrunnen zum Pfande geſetzt; alt erſcheint 
er als der Vater der Götter und Menſchen; verhüllt und unter andern 
Namen geht er. auch in der Gotterwelt aus, die Weisheit ber Rieſen 
und der unterirbifchen Velen zu erfunden. Auf feine Berbülung, wie 
auf feine Banderungen überhaupt, beziehen fich auch verfrhiebene feiner 
Namen, wie bie im Eddaliede Grimnismal aufgezäblten. (Sir. 42. 48. 
Edd. Seem. 465): Eihhötte (mit dem tief hereingehenden Qute, wit 
dem auch bie Helden, Olo, Starkadr u. |. m. ihr Geſicht verbergen), 
Sidſteggr! (mit dem tief berabhängenden Barte), Gmmr, Grimnir? 
(der Berlarbte). Auf längere Zeit nimmt er auch die Geſtalt irgend 
eines beſtimmten Menfchen an, fo diejenige des im Strome verun⸗ 
glädten Bruni, des Rathgebers Harald Hyeldetands. Als ein Bauer, 
SHrani ®, bewirthet er den König Hrolf Kraki und au als Geſtr in 
ber Hervörsſaga wird er ein Bauer (bondi) genannt. 

So wie wir Ddin in ber Götterſage bon zweierlei Seiten betrachtet, 
als den Forfchenden und Kundigen und ala den Wirlenden und Rämpfen- 
den, fo ftellt er ſich auch in feiner irdiſchen Thätigkeit nach beiberlei 
Beziehungen dar. In der erftern tritt er als Gefur auf, legt dem 
Könige Heidrek Räthfel vor, oder verſucht noch als Nornageſt wie chrift: 
lichen Könige, fingt und jagt bie Kunden aus der alten Heldenzeit. 
Er, der in Asgard mit Saga aus goldnen Schanlen trinkt, ift auf 
Erden jelb ein Sagenerzähler und wie er Bragin den Dichtertwant 
verfchafft und ſelbſt zu fingen verfteht, wie Andre zu reden, ie berleißt 
er au Starlabın die Gabe der Skaldenkunſt. 

Noch viel manigfacher aber ift feine irdiſche Birkfomteit in ver 
andern Beziehung, ald Kampf« und Helbengott. Ex wird ſelbſt Stamm 
vater Triegeriicher Gefchlechter, und unermühlich gebt er darauf aus, 
Helden zu erweden unb auszurüften, Zwietracht und Kampf anzuftiften. 
Er ftößt das herrliche, aber ſtreiterregende Schwert in den Baumſtamm 
bed Nölfungenhaufes, .theilt Starladrn gute Waffen zu, bilft dem 


1 Lex. isl. sidr, laxus, demissus, lang, ſid; höttr, m, pileus; skegg, 
n. barba. [Simrods Edda ©. 21. 292. 8.) 

2 Lex. mytlı. 128: Grfmnir (personatus vel galeatus). Ebd. Grimarr, 
Grimar, personatus a r6 grima, persona, gales. ©. 130: Grimr, grimur, 
personatus, velatus. 

3 Rani, m. rostrum, in spec, suis. 


347 


— — 


Sigurd das beſte Roſs auswählen, beräth ihn und Frothon oder Fridlev 
beim Drachenkampfe, bringt den flüchtigen Hadding auf dem Roſſe 
Sleipnir hoch über dem Meere nach Valhall und ftärkt ihn mit Götter 
fpeife, lehrt Habbing !, Sigurd, Harald Hyldetand und befien Gegner 
Hring die Teilfürmige Schlachtordnung, prüft ald Bauer Hrani die 
Kämpen Hrolfs, vie auf feinem Hofe eingelehrt, buch Froft, Feuer 
und Durft, er bat Halfe Neden Utftein in ber Jugend das barte Herz 
in ber Bruft gebilbet (Fornald. 8. II, 51). Die Balkyrien ?, feine 
Dienerinnen, jenbet er den Sünglingen zu, um ben Helbengeift in 
ihnen anzufachen. Er felbft trägt ald Bruni zwiſchen verwandten Kö⸗ 
nigen zwifterregende Botichaft hin und wider. Er waltet aber auch 
über die Blutracdhe, die der Duell fo vieler, von Geſchlecht zu Gefchlecht 
fortwuchernder Gewaltthaten ift; ihm opfert Dagr für VBaterrache und 
Odin leiht dann ſelbſt dem Jünglinge den Speer zum Tode feines 
Schwagers Helgi; in die Buße für Ditur legt er, mittelft bes beige: 
fügten Fluchrings, den Keim neuen Biviftes, der, in Mord und Rache 
ſich fortwälzend, die Heldenftämme verfchlingt. In der Schlacht er 
fcheint er bald hüffreih, bald feinen eigenen Günftlingen verderblich. 
In Haddings Kampfe gegen die Biarmier ftellt er fich Hinter bie 
“ Reihen, zieht aus der Tafche, die ihm vom Naden hängt, einen Bo- 
gen, der anfangs Hein ericheint, bald aber weit fich dehnt, und legt 
an die Sehne zehn Pfeile zugleich, die, mit fräftigem Schuß in die 
Feinde gejchnellt, ebenfoviel Wunden bohren. Die Biarmier führen . 
durch SZauberliever ungeheure Regengüſſe berbei, aber der Greiß ver 
treibt durch Sturmgewölf den Regen. In Hrolf Krakis letztem Streite 
fieht Bjarli, wenn er Rutan unterm Arme burchblicdt, den ſchreck⸗ 
lichen Odin mitten im Schlacdhtgewühl auf hohem Roſs, mit weißem 
Schilde bevedt. Dem greifen Sigmund ſchwingt Odin in der Schlacht 
ben Speer entgegen, an dem das Böllungenichwert zeripringt, und 
nm fällt auch ber fonft von bem Gotte.begünftigte Held. In ber 
Bravallaſchlacht ift Odin Haralds Wagenführer und erfhlägt den alten 
König mit defien eigener Keule. Nicht bloß auf einzelne Helden tft 
des Gottes Wbfehen gerichtet, er läßt fich von benen, die er begabt 





1 (Bol. Schriften I, 188 ff. $.) 
2 [Schriften I, 141. 8.) 


348 


— — oe — 


unb auszeichnet, wie von Haralb Hylbetand und von Sigurb Schlang⸗ 
imauge, für deſſen Heilung, bie Seelen aller von ihnen Erſchlagenen 
verheißen, er weckt eine Welt von Kämpfern und rafft fie heerieife 
dahin. Als Odin den Speer unter’3 Volk auswarf, hörten wir die Völe 
fügen (Bölufpa Str. 28), ba erhub ſich in der Welt der erfte Kriegs 
mord. Darum hatte au Frodis goldnes Friedensalter auf der Erbe 
feinen Beltand und Hengiljaptr (ter mit dem herabbängenden Barte) 
war e3, der Frobin bie verberblicde Mühle gab. Noch aus ber ge: 
fchichtlichen Beit, in der Saga von Styrbjörn, ter gegen bag Ende 
des 10ten Jahrhunderts lebte, wird folgender fagenhafte Zug erzählt: 


Der Schwedenfönig Erik hatte fi zwei Tage hindurch mit Styrbjörn, 
feinem Brudersfohne, gefchlagen. In der folgenden Nacht gieng er zu Odins 
Heiligthum und gab fich felbft Hin, indem er, wenn er fiegen würde, feinen 
Tod in zehn Jahren angelobte Kurz darauf nahte fih ihm ein Mann mit 
tiefem Hut und gab ihm einen Rohrſtengel, den er über das feindliche Heer 
binfchießen und dabei fprechen folle: „Odin mil euch alle.” Erik folgte der 
Beifung; Blindheit fehlug die Feinde, ein Bergfall zermalmte einen Xheil der- 
ſelhen. Styrbjörns däniſche Streitgenoffen flohen und erlangten ihr Geſicht erft 
wieder, als fie außerhalb des Raumes waren, über den der Nohrftengel hin⸗ 
fuhr. Styrbjörn, der fichen geblieben, ward mit allen den Seinigen erjchlagen 
(Sagabibf. III, 142. 144 f.). 


So fährt Dvins, Speer fortwährend über ganze Heere hin, und 
nicht bloß, um den alten Harald zu holen, hat Odin die Bravallar 
Schlacht angeftiftet; ein langes, zaͤhlloſes Gefolge von Helden follte der 
gefallene König mit ſich nad) Valhall einführen aus diefer berühmteften 
Schlacht des Nordens, deren Beichreibung an ben legten, allverichlin« 
- genden Weltlampf mahnt. Die Übereinftimmung ber Helbenfage in 
ihren mythiſchen Beſtandtheilen mit ber Götterfage erweiſt fich beſon⸗ 
ders binfichtlih Odins in der Art, wie fich beide gegenfeitig erläutern 
und ergänzen. Wir haben in der Götterfage das Weſen und Wirken 
Odins vorzugsweiſe als ein geiftiges darzuthun verſucht und nun zeigt 
und aud die Helvenfage kaum irgend einen Zug, der auf eine ph: 
fiiche Bedeutung diefes Gottes hinweifen möchte (der erheblichſte, welcher 
fo gefaßt werben könnte, ift in der Sage von Habbing das Vertreiben . 
des hergezauberten Regenguſſes durch Sturmgewölk); dagegen bezieht 
fih überall das eingreifendfte und klarſte Wirken des Gottes auf 


. 349 


menfchliche Geiftesregung und Leidenſchaft. Die beiverlei Richtungen, in 
denen Odin Auf Erben, wie früher in der Götterwelt, thätig ift, die 
Prüfung der Geifter und bie Erwedung der Thatkraft, können auch 
füglich in dem einen Begriffe der geiftigen Anregung zufammengefaßt 
werben. Umgefehrt aber wird uns dasjenige, was im_ben irbifchen 
Erfheinungen Odins widerſprechend und räthſelhaft fi darſtellen 
mochte, durch den Rücklick auf ſein höheres, himmliſches Leben erklärt 
und ausgeglichen. Es iſt überall der gleiche Grund, warum er Helden 
und Heldenſtämme pflegt, waffnet, wunderbar begabt, warum er ſie 
anfeindet, aufreizt, verderbt. Er dürſtet nach Seelen der Tapfern, 
darum ſucht er die Häuſer der Helden auf, erzieht und rüſtet ihre 
Söhne zur Tapferkeit, ſtiftet große Kämpfe, darin fie ſich bewähren 
können; er will nur Solde, die im Streite gefallen: find oder frei 
willig fi mit Speeres Spige” gezeichnet haben. Seine Günftlinge 
müflen ihm die Seelen ihrer Erſchlagenen geloben, ihnen felbft gibt er 
Heldenruhm: und kurzes Leben, oder, wenn fie gealtert find, erbarmt 
er fich ihrer und rafft felbit fie gewaltfam bin. Aber nicht die Ieere 
Luft am Tode der Tapfern treibt ihn, er bebarf ihrer, doch eben nur 
ihrer, der Kampferprobten, und dieſer Tann ihm nie zu viel werben zu 
jenem gröften, ungebeuren Kampfe, welcher der Welt und den Göttern 
jelbft den Untergang drobt. | 

Wie Odin felbft, jo bedürfen auch feine Dienerinnen, die Valkyrien, 
zur vollen Darlegung ihres Weſens der Heldenfage; ja, wenn mir bie 
geiftigere Bedeutung Odins in der Götterwelt zu fuchen haben, jo laflen 
die Valkyrien! ihre höhere Natur erft in ihrem irdiſchen Wirken voll: 
ftäntig leuchten. Auch fie find hier, wie Odin felbft, auf zweifache | 
Weiſe thätig: fie lehren Weisheit, wie Brünhild den Sigurd Runen 
lehrt, und fie rufen zu Heldenthaten auf; aber auch hier fällt Beides 
in dem einen Beftreben zufammen, die dämmernde Jünglingsſeele mit 
geiftigem Feuer zu durchflammen.? 

Es genügt nicht, den Urfprung der Sage von den Balkyrien in 
Naturerfheinungen, in Luftgefichten, zu fuchen. In der Poeſie aller 


1 [Bgl. Schriften I, 150 ff. 8] 
2 [Die nachfolgende Stelle des Mannſcripts wiederholt meift wörtlich den 
I, 151. ff. abgebrudten Abſchnitt. Ich gebe daher hier die Stelle abgekürzt. 8.] 


350 


Völker wird den Vögeln ein 'geiftiges Leben beigelegt und es iſt 
nüttzlich, ihre Sprache zu verſtehen, wie Sigurd von ihnen gewarnt und 
über die Zulunft belehrt wird, wie Aslaug von ihnen die Verlobung 
Ragnars in Schmweben erfährt. Dbin felbft läßt feine Raben 1, Hugin 
und Munin, Gedanke und Gedächtnis, aljo völlig geiftiger Natur, 
täglich die Welt umkreiſen, um ihm Kunde von allen Dingen heimzus 
bringen. Der Liebling ber Sagen aber ift der Schwan. 

[Blätter für litterarifche Unterhaltung Nr. 294, 20 Oct. 1832: 

Vielfach benutzt iſt die fchöne Sage, daß der Schwan feine Seele in 
ſchönen Geſängen von fi hauche und dann fierbe Minder befammt dürfte 
folgende Notiz über den wirkliden Schwanengefang fein, die fi ebenfalls in 
der isländiſchen Neifebeichreibung von Dlafien und Povelfen I, 84 findet. Der 
Schwanengefang, melden fie, ift in den langen, dunleln Winternächten auf 
Island eine angenehme Erſcheinung. Die Schwäne durchſtreifen um die 
Mitternadhtsftunden haufenweiſe die Luft und erfüllen diefelbe mit Tönen, die 
denen der Violine gleichen. Es pflegt nur ein Schwan auf einmal zu fingen; 
fobald feine Tanggehaltenen Klänge verfloffen, beginnt ein anderer und fo fahren 
fie lange Zeit im Wechfel fort. Diefer Schwanengefang bedeutet meiftens Thau⸗ 
wetter nnd ift fomit bei hartem Froſte den armen Isländern auch in anderer 
dinßcht nroſtlic und eu 

Der norbifcen Sage zit hiemach das lee, Bit begabte 
weibliche Weſen durch den Zauber der Liebe für die mädhtigfte Er: 
wedung des Heldengeiftes und die Gegenwart besjelben wird auch in 
weiter Entfernung in glänzenden und Iuftigen Naturericheinungen ge: 
ahnt. In der finftern Nacht ſchwebt Helgis Valkyrie um das Schiff 
. ihres Helden und entringt es den Riefenweibern, in der Schlacht ſchwebt 
fie Ichirmend über ihm; Thorild 2 erjcheint leuchtend in der Nacht dem 
Königsjohne Regner, der als Hirtenjunge dienen muß, und reicht ihm 
als Brautgabe das fiegreihe Schwert zum Kampfe mit den Nacht: 
geipenftern. Aber auch über das Erdenleben hinaus währt die Ver: 
bindung, die Balkyrie erhebt ſich wieder in ihr himmliſches Dafein, in 
bem fie uns, bevor wir fie ala Heldenbraut kennen lernten, nur in 
den allgemeinen Zügen einer Kriegsgöttin erfchienen war, und wie fie 


1 [Bgl. Schriften I, 145. 8] 
2 [Bgl. Schriften I, 226. K.] 


31 
biex unten ben Helben erivedt und begeiftigt hatte, fo veicht fie ibm . 
nun in Balball, dem Saale des Geifterwaters, das Horn mit dem 
Tranke der göttlichen Begeifterung. 
Es hat ſich ung bei dieſem Durchgang der Helbenfage in ihrem 
Verhältnis zur Götterfage die Übereinftiimmung beiber unter ſich er- 
wielen. Dieler Zuſammenhang ift allerdings in ben Überlieferungen, 
wie fie auf und gelommen find, manigfach getrübt, aber je mehr mir 
das Ganze in’d Auge faflen, um fo mehr exhellen ſich auch dieſe ge 
trübten Partieen umb treten mit dem Übrigen in Einklang. Was in 
der profaifchen Erzählung der jüngern Edda ober in der breitern Aus: 
führlichleit der Sagan gefunfen ober falſch gewendet ift, kann meift 
mit Hülfe der älteren Lieber in feine vechte Höhe und Bebeutung ber: 
geftellt werben. - 


2, Über den gemeinſchaftlichen Charakter der Götter⸗ und Heldenfage. 


Das Berhältnis zwifchen Götter: und Heldenfage des Norbens iſt 
im Bisherigen objectiv betrachtet worden. Wir fanden, mie beide ſich 
wechjeljeitig erflären und ergänzen, mie bie irdiſche Gefchichte mit dem 
Weltleben, das menfchlihe Geſchick mit dem Schickſal der Götter zu: 
fammengreift und ſich darin vollendet. Diefe objective Übereinftimmung 
wird uns aber als eine nothwendige erfcheinen, wenn wir erwägen, 
daß jenes Weltganze ein Bild der Welt ift, wie fie in ber Anfchauung 
der Völker ſich dargeftellt bat, bei denen die jo zufammenhängenbe 
Sage lebendig war. Eben damit aber ergibt fich, neben der objectiven 
Übereinftimmung, ein noch tiefer greifender fubjectiver Charafteg, der, 
im innerften Bildungäzuftande diefer Völker begründet, das Erzeugnis 
ihrer Weltanfchauung im Ganzen und Einzelnen, in Inhalt und Form, 
durchdringt und ausprägt. Soll diefer gemeinjame, jubjective Cha⸗ 
rakter mit einem Worte bezeichnet werben, fo ift es der des Naturs 
Träftigen. Die Naturfraft berrfcht in Götter: und Heldenfage der alt 
norbifchen Völfer, wie fie in ihrem innern und äußern Leben geberricht 
bat. Ihre Götterlehre ift Naturreligion, fofern wir bierunter eine 
ſolche Religionsform verftehen, in der von den Gegenjägen zwiſchen 
Naturs und Sittengeſetz, Nothwendigkeit und freiheit, die erftere 
Seite, die des Naturgefehes und der Rothwendigkeit, wenn nicht aus: 


352 - ı 
Schließlich, doch vorwiegend ausgebildet ift 1. Keineswegs aber erfiredt 
fi) der Naturcharalter der norbifchen Bötterlehre fo weit, daß er in 
gleicher Weife auch auf den Gegenfak zwiſchen Natur und Geift, 
zwiſchen dem Phyſiſchen, Materiellen, und bem Geiftigen, Idealen, 
anwenbbar wäre. Denn ber Geift ift in ihr allerdings über die Materie 
geftellt, ex durchſpäht, befämpft und bänbigt fie; aber er wirkt mehr 
kräftig, als fittlich, er iſt felbft eine Naturfraft, die der. Nothwendig⸗ 
feit folgt, er ift nicht durch füttliche Freiheit ın fich beftimmt und über 
fi felbft gehoben. Der Naturcharakter ber norbiichen Glaubenslehre 
ift alfo näher dahin angugeben, daß in ihr bie materielle und bie 
geiftige Natur unter dem gleichen Geſetze ber Nothwendigkeit ftehen. 
Wenn nun gleich beide unter ſich im Kampfe begriffen find, fo find 
fie gleichwohl durch die gemeinfame Unterordnung noch nahe verbunden. 
Dieje Bindung ift eine bedeutende Schranke des Geiftes und gereicht 
dem ethiſchen Werthe der nordiſchen Götterlehre zum Nachtbeil, aber 
fie erhält auf der andern Seite dem Materiellen geijtige Belebung und 
dem Geifte, fomweit ihm zu walten vergönnt ift, lebendige Geftaltung. 
und hieraus erwächft die poetifche Naturkraft der nordifchen Mythologie. 
| Die Anſchauung der Natur felbft ift vermöge diefer Feſthaltung 

des Geiftes in der Materie eine durchgreifende Perſonifikation. Das 
poetifche Gefühl unfrer Zeit betrachtet die Natur vorzugsweiſe malerifch, 
landſchaftlich; der Geift, den wir in ihr ahnen, umfchwebt fie, wie ein 
zarter, farbiger Duft; das Auge des Nordländers aber heftete ſich auf 
das Gebirg, bis die bejchneiten Felsthürme menſchliche Geberbe an- 
nahmen und der Eißs oder Steinriefe fchweren Trittes herangewandelt 
kam; «8 verſenkte fich in den Glanz ver Frühlingsflur ober des Sommer: 
feldes, bis Freija mit dem leuchtenden Halsſchmuck oder Sif mit dem 
wallenden Goldhaar hervortrat. Diefe Naturweſen, einmal in’3 Leben 
gerufen, traten nun auch unter fich, jedes nach feinem perjönlichen 
Charakter 2, in Handlung und fo diehteten fich jene manigfachen Naturs 
mythen ber Edda, deren Sinn wir niemals durch philofophifche Ab⸗ 
ftraftion, fondern nur wieder mit vemfelben naturbelebenden Blide 


1 Bgl. Baur, Symbolif und Mythologie I, 148 f. 

2 In der nordiſchen Mythologie find nicht fowohl, wie bei den Griechen, 
die Ideen plaftifch ausgebildet, als vielmehr die Naturerfheinungen begeiftigt 

und damit in's Unbegrenzte aufgelöft. 


353 


erreichen werben, der ihnen das Dafein gab. Wären jene jotiſchen 
und vanifchen Götter bloße Allegorieen ber Natur geweſen, jo hätte . 
man fih ihrer auch als folcher bewuſt fein müflen und fie hätten 
dann niemals der Gegenftanb religiöfer Scheue und Verehrung fein 
lönnen; aber da die Ratur in ihnen lebendig und perfönlich wurbe, 
verehrte man in ihnen den in ber Natur waltenben Geift, wenn auch 
nur in feinen einzelnen Richtungen und Äußerungen. 

War aber fo bie finnlihe Exrihemung in gewifien Maaße belebt 
und begeiftigt, fo wurde auf der andern Seite der Geift: burd ma⸗ 
terielle Gebundenbeit beſchränkt und hinfällig, Dom, ber Tämpfenbe 
Geift, und Balbur, der mild erbaltende, waren gerade fo perjonificiert 
und ſinnlich geftaltet, wie jene Naturweſen, und traten infoferne mit 
ihnen auf gleiche Linien. Sie find -bamit, wie jene, der Zeit und 
ihren Gefegen, ber Nothwendigkeit und der Bergänglichkeit in ber Zeit, 
unterworfen. Mädtig ift Allvater, aber die Rornen, bie Zeitgöttinnen, 
weifen (Hrafnag. Od. ©tr. 1. Edd. Sem. 88); die Ajen haben ihre 
Nornen, wie die Alfe und die Zwerge (Fafn. M. Str. 13. Edd. Seem. 
188). Der Metb, von dem die Götter trinken, ift gemifcht aus ftoff- 
artigen und geiftigen Beſtandtheilen. Balbur felbft, vorzugsweiſe ber 
Ethifche unter den Afen, wiegt doch Natur⸗ und Sittengefek auf einer 
Wage, darum tft auch fein Reich ein vergängliches und er ſinkt jelbft 
zu Hel hinab. 

Derjelbe Naturcyaralter. zieht fih nun auch in beiden Richtungen 
burch die Heldenfage. Menfchliches Leben bringt bier aud in die übrige 
Natur ein; die Sprache ber Vögel wird verftanden und umgekehrt 
horcht das Element dem Zauberlieve; bie menſchliche Seele fährt in 
jebe Thiergeftalt. Alle Erfcheinung hat tieferen Sinn, darum ift jebes 
Traumbild beveutungsvoll und nichts Erhebliches gefchieht, mas nicht 
durch Träume vorgebildet wäre. Sind aber die Götter im Banne ber 
Natur befangen, wie viel mehr die Erbenbetwohner? Die ungeheure 
Körperkraft, zu der die Helden heranwachſen, mit ber fie die Schredfen 
der Natur, die Gewalt des Meered und die Ungethüme des Waldes 
befämpfen, brängt in ihnen ſelbſt bie Herrſchaft des Geiftes zurüd. 
Sie fteigert ſich bis zur blinden Berſerkerwuth. Der Bauber, dem bie 
Natur geborcht, beherrfcht auch die Menfchenjeele und vermag ben 


Menfchen zum rafenden Wolfe umzufchaffen. Ein Baubertrant bringt 
Uhland, Säriften. VI. 23 


354 


geſchworene Eide in Vergeſſenheit und nöthigt zu andrer Liebe. Mo⸗ 
tive, bie überall in den Heldenſagen fo bedeutend wirten, haben ent⸗ 
ſchieden phyfiſche Grundlage; fo das Forterben der edleren Natur in 
beftimmten Gejchlechtern, vorzüglich aber die Blutrache, bie inftinkt- 
artige Nöthigung, lediglich wegen des gleichen Blutes, ohne Nüdficht 
auf das fonftige Recht ver Sache, den erichlagenen Berwanbten ge 
waltfam zu rächen. Unter den Lehren, weldhe Brynhild dem Sigurd 
gibt, findet fih die: „ZTraue niemals ben Berheißungen beflen, dem 
bu den Bruder erichlagen ober ben Bater gefällt! der Wolf ftedt im 
jungen Sohne, warb er auch mit Gold erfreut” (Brynh. Qv. 1, Str. 36. 
Beem. Edd. 198 [= Sigrörif. 35. K.]). Die Buße, das Wergeld, ift ber 
erſte Verfuch einer gerichtlichen Ausgleihung, aber in ver alterthüm⸗ 
lichen Anſicht der Heldenſage ift e8 edler, das Löſegeld zu verſchmähen 
und Blut mit Blut zu fühnen. Leiht doch Odin jelbft feinen Speer 
zur Baterradhe und auch im Kreife der Ajen will Bali feine Hände 
nicht wafchen, noch fein Haupt kämmen, bevor er den Mörder, feines 
Bruberd Baldur auf ven Scheiterhaufen gebracht. Auch jede innigere 
Freundſchaft aus freier Wahl nimmt durch bie feierlihe Vermiſchung 
des Blutes im Pflegbrüberbunde die Geftalt ber eigentlichen Blutes 
freundfchaft an [ngl. 1, 259 f. K.j. Vor Allem aber äußert ſich bie 
Herrihaft der Nothwendigkeit darin, daß die böſe That, wenn aud 
ein Grund zur Rache, doch nicht eine Sache der Zurechnung, fondern 
ein Unglüd für ben ift, ver fie verübt. Nicht bloß dad Lebensalter 
und andres Geſchick ift dem Helden durch die Nomen vorbeftimmt, 
auch die That ift ihm zum voraus zugetheilt. Die Nidingswerke find 
eine .unfelige Gabe ber Götter bei feiner Geburt oder haften an feinem 
Schwerte. Helgi findet feine Schuld an feinem Bruder Hebin, ber, 
von einem NRiefenweibe verwünfcht, ihm die Braut zu rauben gelobte. 
Nachdem Gudruns Söhne ihren Bruder erfchlagen, entſchuldigt fi 
Hambir, daß ihn bie Difen (Nornen?) dazu gereizt haben (Hamdism. 
Str. 29. Edd. Seem. 273). Der Fluch, der in ber Bölfungenfage auf. ' 
das Löfegold gelegt ift, wirkt in langer Reihe von Yrevel und Race 
bis zur völligen Vertilgung ber Geſchlechter fort. Liebe und Heß, 
Treue und Verrath, walten ohne Berbienft und Verfchulbung mit der 
Nothwendigkeit und Unbetwuftheit des eingepflangten Naturtriebs. Über: 
einftimmenb biemit ift bemerkt worden, daß felbft im nordiſchen Rechte 


335 


Schuld und Zufall, beide im Begriff eines unvermeidlichen Echidfals - 
zufammentreffend, nicht immer unterfchieden werben (Schiibener, Guta⸗ 
Lagh d. i. der Inſel Gothland altes Rechtsbuch u. |. w. Greiföwalb 
1818. S. 190 f. NR. 152). Man darf fi darım auch nicht wundern, 
bag bie Lehrweisheit im Havamal, fowie ber Unterricht Brynhilbs, 
mehr Klugheitöregeln, als Sittenfprücde, mehr hülfreiche Runen , als 
Lehren der Tugend, enthält. 

So wie aber die materielle Natur bald im Übermaaß ihrer elemen: 
tarifchen Gewalten fi ungeftüm und furchtbar entlabet, bald wieder 
freundli und ftillerhaben fich darftellt und ihre Segnungen ausfpenbet, 
fo ericheint auch in jenen Heldenſeelen neben dem Gewaltfamen das 
Edle und Hohe. Es verläugnet: fi nicht, daß das unbewuſte Wirken 
der menſchlichen Ratur mit dem Sittengejeg in feinem unauflösbaren 
Widerfpruce fteht, daß die unverborbene Natur, mie im Rinde, fo im 
Jugendalter ver Völker, ihre eigenen, frifchkräftigen QTugenben herbors 
treibt. Während in geiftig gebilvetern Zeiten die fittliche Freiheit fich 
vorzüglich im ftrengen Ernfte gegen die weichlicden und üppigen Reis 
gungen bethätigt, fo nimmt port die natürliche Neigung felbft ihre bes 
. fändige, willensfräftige Richtung auf das Ernfte, Strenge, Harte und 
dann, allertings im Übermaaß, auf das Graufame und Blutige. Diefe 
norbifchen Helven find unbarmberzig, aber fie find es zunächft gegen 
ſich felbft; ein Menjchenleben gilt ihnen wenig, aber fie jparen auch 
ihr eigenes nicht. Wenn Starkadr die üppigen Sitten an Ingells Hofe 
ftraft, fo tritt er ſchon unter ein neues Geſchlecht ein; aber er felbft 
iſt der Held der alten Zeit, der fi am Wintermorgen auf die Sturm 
fette jet. und fi) bis zu den Schultern einfchneien läßt, ber feine 
furdtbaren Wunden Keinem zu verbinden gibt, der ihm ein Schlechter 
bünft. Unter den Kämpfen des Bornes und Haſſes zeigen fi) dann 
auch Liebe und Treue in ihrer vollen Kraft, ja fie blühen manchmal 
in wunderbarer Bartheit auf, wie eine Waflerlilie auf ſturmbewegter 
See. Gudrun figt Über Sigurbs Leiche, fteinbarten Herzens, und kann 
nicht weinen; da wird das Tuch, das ihn bevedte, weggeſchwungen, 
fie ſchaut einmal auf ihn, ihre Wange röthet fi, ein Regentropfen 
rinnt nieder auf ihre Aniee; Brynhild fticht fih das Schwert in bie 
Bruft, um mit dem geliebten Helben, ben fie ſelbſt erfchlagen ließ, den 
Scheiterhaufen zu theilen; wenn Sigrun weint, dann fallen blutige 


356 


Tropfen auf Helgis kalte Bruft im Grabhügel; Hagbarth eilt freudig 
zum Oalgen, als er Sygnes Kammer brennen fiebt; dem greifen König 
Wermund rinnen Sreubenthränen aus ben blinden Augen, als er ben 
fiegreichen Klang feines Schwertes Skrep in ber Hand feines Sohnes 
bört 1; und welcher Wettlampf ber Treue im Untergange Hrolf Krakis 
mit feinen Kämpen! Auch die mildern Tugenden fehen wir in biefem 
Könige bervorleuchten; er gewährt ftet3 auf die erſte Bitte, feine gaft- 
Iihe Halle ift immer offen und vom erbeuteten Golde behält er nichts 
für fih; darum nennt auch ihn ber chriftliche Dlaf auf Geſts Frage, 
welchem von den alten Königen er am liebften gleichen möchte. 

Es geht auch in dieſer Heldenzgeit die Sage von dem golbnen 
Hriedensalter, das einft unter König Frodi geblüht. Damals herrichte 
Geſetz und Recht, Keiner hätte den Mörder feines Vaters oder Bruders 
angetaftet, mochte er ihn [os oder gebunden vor fih finden, und ein 
Goldring lag lange unberührt am Wege. Aber dieje Friebenzgeit tft 
längft von der Erde verſchwunden, wie Baldurs Reich bei den Göttern. 
Hildur wedt unabläfligen Kampf bis zur Götterdämmerung; unabwend⸗ 
barer Fluch haftet auf den ebelften Helvenftämmen. Das Gefühl dieſes 
unauflöslichen Banned verbreitet über ‚die ganze Heldenfage einen 
büftern, tragiſchen Ernſt. Es ift eine tiefe Sehnſucht nach Befreiung, 
die nicht auf Erben, fondern von und bei den Göttern erwartet wird, 
die all den irdiſchen Kampf verhängt haben, ber felbft eine höhere Be 
deutung und Weihe erlangen fol. Der greife Starkadr, vom Fluch 
feiner Nivingöwerle gebeugt, trägt dad Gold, das er dafür empfangen, 
am Halje, zum Lohne dem, der ihn zu Dbin fendet. Aus dem jchwülen 
Leben bliden die Helden freudig dem Tod entgegen, fie jehen Valhall 
offen und fterben lachend. Auch bort noch wartet ihrer Kampf, aber 
ein größerer, in Gemeinſchaft der Götter. Auch dieſe find noch in den 
Schranken der Zeit gefangen, aber ber legte Kampf aller Geifter, der 
Untergang ihres Daſeins im Endlichen, ift auch ihre gemeinfame Be: 
freiung. In der neuen Welt ift alles Übel verſchwunden und Balbur 
wiebergelehrt (Bölufpa Str. 62. Seem. Edd. 10). 

So finden wir in der Götter: und Heldenfage des Norbend zwar 
ben Naturcharalter im Guten wie im Böfen vorherrſchend, aber das 


1 [gl 1,29. 8] 


357 


— — — — 


Sehnen uud Streben des Geiſtes nach ſittlicher Freiheit tann dennoch 
in ihr nicht verkannt werden. 


4 


3. Über bie Organe der norbdiſchen Sagendichtung. 


Geijer I, 170 bis 180. 247 bis 257. 260. Mone I, 235 bis zul 
243 bis 249. 


Es ift in der Einleitung zu unfrer Sagengefchichte bemerkt worden, 
daß, wenn e3 fi von den Stimmen handle, durch welche der poetijche 
Geift der Völker fih in Sang und Sage ausgefprochen, nicht von 
Individuen, fondern nur von ganzen Klafien der Sänger und Sagen: 
erzähler die Rede fein könne. Fragen wir nach foldhen Organen ber 
nordiſchen Sagendichtung, fo ftellen ſich dreierlei dar: Prieſter, Skalen, 
Sagenmänner. 

Prieſter⸗ und Sängerſchulen, mit kaſtenmäßiger Ausbildung, laſſen 
ſich im ſtandinaviſchen Norden nicht nachweiſen. Man hat allerdings 
in demjenigen, mas bie Ynglingaſaga von Odin und feinem Gefolge 
meldet, den Beweis ſolcher Einrichtungen geſucht; allein da wir mit 
der geſchichtlichen Auffaſſung der Aſen in dieſer Saga überhaupt nicht 
übereinſtimmen konnten, ſo vermögen wir ihr Zeugnis auch für das 
Prieſterweſen nicht anzuerkennen. Geiſtliches und weltliches Anſehen 
waren im Norden vereinigt. Der König, der Häuptling, der Vorſteher 
jedes Bezirks verſahen die prieſterlichen Verrichtungen!. Auch einzelne 
Landbeſitzer hatten ihre eigenen Gotteshäuſer. Nirgends erſcheint der 
Prieſter (godi) und fein Amt (godord) als etwas von andern Ständen 
Abgeſchloſſenes. Natürlich ift aber, baß bie Vorſteher des Gottes 
bienftes, auch vorzugsweiſe in bie Kenntnis der Götterlehre eingeweiht, 
die Bewahrer und Ausbilder, Lehrer und Erklärer der hierauf bezügs 
Iihen Sagen und Gefänge waren, daß in ihrer Lehrweisheit die Götters 
mythen ihre tieffte und geiftigfte Bedeutung hutten. Inſofern Zönnen 
wir die mythologijchen Eddalieder allerdings als prieſterliche Dichtung 
bezeichnen. 

Weltlicher mar der Beruf der Skalden. Aber Skalde war Jeder, 
der die Fähigkeit hatte, zu dichten und zu fingen. Bon dieſer Allge 
meinheit des Geſanges zeigt ſich wohl auch die Spur noch darin, daß 


1 Wie Halfdan in der Kridthjofs- Saga. 


358 


an den beivegtern Stellen der Sagan die Rebe fo häufig in ben Vers 
übergeht, ohne daß man behaupten könnte, dieß fein nur Überbleibfel 
einer ältern durchaus verfificierten Darftelung Das zur Bezeichnung 
diefer gehobenen Rebe gebräudlihe Wort qveda bedeutet fingen fo: 
wohl ala fprechen (Diaffen 8 9. Geijer 174, 7). Die Skalbfchaft 1 war 
eine freie Gabe der Götter, fie ftand nicht im Bann eines bejonbern 
Standes. Könige und Helden fingen, wie jeder Andre im Volle. Die 
jenigen aber, welche ſich in der Kunft auszeichneten und fie zu ihrem 
eigentlichen Berufe machten, begaben fich in die Dienfle der Könige 
und Häuptlinge, oder zogen an ihren Höfen umber, wo ihnen ber 
Ehrenſitz eingeräumt und reichlicher Lohn zu Theil wurde. Ihr Ge 
fang bildete fich immer fünftlicher und fchwieriger aus, und wenn fie 
feine Schule ausmachten, fo fehufen fie ſich doch eine eigene, bilder 
reiche Dichterſprache, einen beflimmten Kunftftil. Eine ausführlichere 
Darftellung dieſes Skaldenweſens gehört nicht zu unfrer Aufgabe. Die 
beroifchen Sagenlieder ftammen nicht von biefer höfiſchen Skaldenkunſt. 
Mährend und von ber zweiten Hälfte des Aten Jahrhundert? an bie 
Namen der berühmteften Skalden und von den meiften derjelben Lieder 
oder Liederbruchftüde, großentheild zum Ruhm ihrer Gönner umb beren . 
Geſchlechter, übrig find, worin eine Menge von Dichterausbrüden aus 
den Heldenfagen entlehnt tft, fo iſt doch von feinem ber eigentlichen 
Sagenlieder der Urheber bekannt; fie gehören dem alterthümlich ein- 
fachern, volfamäßigern Staldengefange an. Zwar wird Starkadr als 
Dichter mancher Lieber von feinen eigenen Thaten, von feiner Theil 
nahme an der Bravallaſchlacht u. |. w. genannt und Saro hat mehrere 
berfelben in lateinifche Verſe übertragen, aber biefe Autorfchaft Star: 
kadrs gehört felbjt mit zur Sage. Auf melde Weife aber durch den 
Geſang der Skalden gefchichtliche Ereigniſſe in die Poefie übergiengen, 
davon kann ung ein ſpäteres Beiſpiel, aus ber erften chriftlichen Zeit, 
eine Andeutung geben. In der Schladht bei Stifleitad, im Jahr 1030, 
in der Dlaf ber Heilige fiel und vor deren Anbrud das alte Bjarka⸗ 
mal gefungen wurde, waren brei Skalden in des Königs Gefolge. Er 
rief fie in den Kreis von Schilden, melde feine ftärfften und muthig⸗ 
ſten Männer um ihn fchloffen, und fagte zu den Skalden: „Hier follt 


1 Skäldskapr, m. = poesis. 


- 


ibe fein und fehen, was fi Merkwurdiges begibt, fo daß ihr dazu 
ber Sage Andrer nicht bebürft; denn euch gegiemt es, hernach bavon 
zu fagen und zu dichten.“ Zwei non ihnen fielen an des Königs Seite. 
Der dritte fang, töbtlich verwundet, noch zu Dlafs Breife, bevor er 
ſich den Pfeil aus dem Herzen zog und verſchied (Geijer 173 f.). 

Zu dem Bilderreichthum der fpätern Skaldenſprache finden fich 
übrigens doch ſchon in den ältern mythiſchen und fagenhaften Liedern 
die Keime. Es ift diefelbe Bilblichleit, die das Weſen ver Mytben im 
Ganzen ausmacht, auf den einzelnen Ausbrud angewandt; zwilchen 
Beidem mitten inne liegen jene Bilberrätifel im Getſpeki und in ber 
Amlethsſage. 

Sagenmann endlich (sognamadt, froadimadr; frœũi, n. doctrina, 
scientia; at froda, erudire) hieß ein in Erzählungen wohl erfahrener 
Dann. Einen ſolchen nennt fi Geft, der fo viel von ven alten 
Königen zu erzählen weiß, bei Dlaf Tryggoaſon. Auch die Sagem: 
erzäblung war fein abgefchloffenes Gewerbe, obgleich auch fie ſich auf 
gewiſſe Art zur Kunjt gefteigert hatte. Hievon iſt im Allgemeinen ſchon 
früher gehtindelt worden. und ich bebe nur noch zum Beweiſe ber 
Volksmäßigkeit diefer Sagenerzählung einzelne Züge aus, melde Geijer 
©. 175 bis 179 aufammengeftellt bat.’ ** 

Es bewährt fih dur al Dieles, dab Sagenlied und Sagen: 
erzäblung im Norden wahrhaft und im-beften Sinne vollgmäßig maren, 
nicht auf Stände oder Schulen beſchränkt, aber auch ben Ebelften im 
Bolle zu tbätiger Theilnahme und zum Genufle zugänglich. 


3. Balladen, Ortsfagen, Mährden. 


Wir faflen in biefer Ichten Abtbeilung der nordiſchen Sagen 
geſchichte diejenigen Sagenbildungen zufammen, welche, nachdem ber 
große Mythenkreis der Bötter- und Heldenjage durch das Chriſtenthum 
gebrochen war, entiweder, von demſelben abgelölt und mit veränderter 
Form, fih im Boll erhalten haben, over aus dem Grunde ber um: 
getvandelten Beit neu hervorgegangen find. Zwar gebören auch bie 
bisher benügten Auffaffungen der Sage großentheils der chriftlichen 


\ 


360 \ 

Zeit an, wie bie feit dem Anfang bes 13ten Jahrhunderts nieber- 
gefchriebenen en Sagan und Saros däniſche Geſchichte; aber in 
ihnen herrſcht dennoch Zuſammenhang, Geift und Gepräge ver ältern 
Periode vor. Wir befanden uns in den beiden bisherigen Abtheilungen 
auf dem Gebiete des altnorbifchen Heidenthums, in der jehigen treten 
wir in das chriftlihe Mittelalter des Nordens über; und jo wenjg für 
jeves Einzelne die Grenze ſcharf gezogen werben kann, jo manigfach 
die Übergänge find, fo befteht gleichwohl der charakteriftifche Unterfchieb 
im Größern und Ganzen. Auch lebt zwar ein bebeutenber Theil der 
Sagenpoefie, die wir jeßt barzuftellen haben, nod) heutzutag im Munde 
bes Volkes, aber fie beruht doch weſentlich im Charalter des norbifchen 
Mittelalters. So viel zur vorläufigen Verfländigung über ven inhalt 
diefer Abtbeilung im Allgemeinen! Die befonvern Bezeichnungen 
(Ballade, Ortsſage, Mährchen) follen in der. Darftellung der hiedurch 
bezeichneten Klaſſen ihre Erläuterung erhalten. 





1. Balladen, 


Dieſes fremden Wortes glaube ich mi doch am zweckmäßigſten 
zu bedienen, um die Bolfsliever ſagenhaften Inhalts aus derjenigen 
Periode, in welche wir jet übergetreten find, zu bezeichnen. Die ein: 
beimifchen Benennungen find bänifch vise (Weile, Lieb), Kjeempevise 
(Kämpenlied, Helvenlieb), ſchwediſch visa, isländiſch qvesdi, n. (Sarg), 
rimur (Reime), und fo auch färdiſch qvedi, rujma, auch taattur, 
leßtereö zur Bezeichnung einzelner Theile größerer Lieber, ober auch 
neuerer Gelänge (Fär. Qv. 15). MWollten wir aber, diefem entfprechend, 
gleichfalls allgemeinere Benennungen, Sagenlieber, Helbenlieber, Volks⸗ 
lieder, gebrauchen, jo wäre ung die gemeinte Lieberklafle nicht genug» 
fam, mit einem Worte von den altnordifchen, gleichfall® fagenhaften, 
beroiichen, vollgmäßigen Gefängen unterfchieven. Balladen aber hießen 
zunädft die ſchottiſchen und engliichen Sagenlieber aus ber mittlern 
Zeit, welche zu ben nordiſchen berjelben Periode jo nahe Beziehung 
barbieten, und das Wort ift durch jene zu einem allgemein verftänd» 
lichen Kunftausbrude zur Bezeichnung von Sagenliedern in der Weife 
‚ber nörblichen Bölfer des Mittelalterd geworden. 

Sammlungen norbifcher Vollsballaden find folgende: 


361 


Levninger af Middel- Alderens Digtekunst. Heft I. aodenhagen 1780. 

U ebend. 1784. Das ife Heft diefer dänischen Lieber if zn Sanbeig, daß 
2te non Ryerup herausgegeben. 
Udvalte Danske Viser fra Middelalderen efter A. 8. Vedels 0g P. 
Byvs trykte Udgaver og efter haandskrevne Samlinger udgivne paa ny 
af Abrahamson, Nyerup, og Rahbek. 5 Theile. Kopenhagen 1812 bis 14. 
Bom Bten Theil an find nur die beiden letztern Herausgeber genannt, der te 
gibt die alten Tonweifen und Litterarifche Abhandlungen. 

Udvelg af Danske Viser fra Midten af det 16de Aarhundrede til he- 
nimod Midten af det 18de, med Melodier, i Forening med P. Rasmussen 
udgiret af N. Nyerup. En Fortssttelse af de i Aarene 1812—14 udgivne 
Kjempeviser. 2 Theile. Kopenhagen 1821. 

[Danmarks gamle Folkeviser, udgivae af Svend Grundtvig. B Bände, 
Kopenhagen 1868. 1866. 8.) 

Altdänifche Heldenlieber, Balladen und Märchen, überſetzt von ®. C. 
Grimm. Heidelberg 1811. 

Svenska Folk-Wisor, utgifne af E. G. Geijer och A. A. Afzelins, 
8 Bände. Stodholm 1814 bis 1816. Mit Melodieen. 

[Aus neuerer Zeit find aud noch die Sammlungen von Arwidsſon und 

Lanbftad zu erwähnen. H.)] 
| Schwediſche Volksharfe, mit einer Beilage von Norränaliedern und Melo- 
dieen von J. 2. Studach. Stochholm 1826. Darin 24 ſchwediſche Boltslieder, 
hauptfähhlich nach obiger Sammlung. 

Rordenjaal, eine Sammlung ſchwediſcher Bolfslieber, mit Begleitung des 
Pianoforte, nad den alten Geſaugweiſen bearbeitet, 2 Hefte. Berlin 1827. 
(Herausgegeben von dem ſchpediſchen Tonkünſtler A. F. Linbblad, 9 Lieber, 
meiſt in obiger Sammlung und überfett von Frau v. Helwig.) 

Bollslieder der Schweden. Aus der Sammlung von Geijer und Afzelius. 
Bon ©. Mohnike. B. L Berlin 1830. (55 Numern), 

Feröiske Qvader om Sigurd Fofnersbane og hans Æt. Med et An- 
hang. Samlede og oversatte af H. Ch. Lyngbye. Med en Indiedning af 
P. E. Müller. NRanders 1822. | 

[P. J. Willatzen, altisländiſche Vollsballaden und ö Gelbentieber ber Yäringer. 
Bremen 1865. 8.] 

[Germaniſche Vollslieder der Vorzeit. Syn den VBersmafien ber Dri- 
ginale übertzagen von Roſa Warrens. Hierher gehören Band I, ſchwediſche 
Bollalieder, Band II, däniſche VBollslieder, Band IV, norwegiihe, islän- 
difche, färbiſche Wollglieber der Vorzeit. Leipzig und Hamburg 1856 bis 
1866. 9] | . 


ru 


Diefelbe Gemeinichaft, welche in Beziehung auf bie alte Götter 
und Heldenfage unter den Völkern des ſtandinaviſchen Nordens beftanben 
batte, beftand auch für die Balladendichtung, jelbft nachdem bie Mund⸗ 
arten der gemeinfamen altnorbiichen Sprache fich zu gefonderten Sprachen 
immer beftimmter ausgefchieven hatten. Bon norwegiſchen unb von 
islãndiſchen Vollsliedern Tonnte zwar feine Sammlung hier nambaft 
gemacht werden. Mohnike (1, 165) erwähnt einer ım Jahr 1821 zu 
Chriftiania erfchienenen Sammlung: Norrseena, en Samling af Forsög 
til norske Nationalsange, mit der Bemerkung jedoch, daß er nicht 
fagen könne, ob bielelbe als Borläuferin einer größenm Sammlung 
norwegiſcher Bollsliever zu betrachten fei. Wirklich find es, wie ſchon 
der Titel anzeigt, lauter neugebichtete Lieber, und zwar ſolche, bie aus 
Anlaß eines für den beften norwegiſchen Rationalgefang ausgefeigten 
Preifes von mehreren Berfaflern eingelommen waren. 

Dennoch ift Fein Zweifel darüber, daß die alten Vollsballaden 
auch in Rortvegen verbreitet waren und aud) dort noch eine Sammlung 
derjelben veranftaltet werden könnte; einzelne derſelben find in ber 
Mundart diefed Landes gebrudt. Eine Sammlung isländilcher, vom 
Jahr 1665, findet fi auf der Univerfitätsbibliothei zu Kopenhagen. 
(Ubv. d. Bi. V, 72 bis 76. Bol. Für. Quãder 86 f.) Die Lieber ſelbſt 
verlegen die Orilichkeit der Handlung in die verſchiedenen ſtandinaviſchen 
Länder und weiten bamit auf gegenfeitigen Austauſch hin. Wenn nun 
gleih ihre Heimath nidyt in einem einzelnen dieſer Bänder geſucht 
werden darf, fo ift doch ſehr glaublich, daß der vorzügliche Anſtoß zu 
diefer ſpätern mittelalterlihen Weile von Dänemark auögegangen, 
als demjenigen Lande, welches der neuen, chriftliden Bildung am 
nächſten zugänglich war !. Damit ſteht dann auch in Übereinftimmung, 
daß die der ältern Götter- und Helbenfage eninommenen Beftmbtheile 
dieſer Balladenvichtung hauptſächlich im höhern Norben, auf ben 
Bärden, gepflegt wurden. Zu einem gemeinfamen Ganzen aber find 
diefe in ben verfchievenen Nordlanden gefungenen Volkslieder insbes 
ſondre noch dadurch verſchmolzen, daß überall an die Stelle des alten 
Stabreims und bes auf ihn gegründeten Versbaus ber romaniſche End⸗ 


1 Bgl. C. Molbech: Bemerrkninger over vore danske Folkeviser fra 
Middelslderen. Kopenhagen 1828. &. 40 f. 65. 


363 


— reim mit feinen epifchen Formen und beigefügtem Kehrreim (däntfch 
und ſchwediſch omqväd, farbiſch stevi, niurleßi) getreten ift. 
Die früheften, reichhaltigſten Aufzeichnungen und Sammlungen 
ſolcher Bolleballaden fanden in Dänemark ftatt. Die handſchriftlichen 
daniſchen Lieberbächer, welche von ber Mitte des 16ten Jahrhunderts 
begiunen, find von Ryerup (Ubo. d. Viſ. V, 17 ff.) verzeichnet. Sie 
befanden fih, wie die eingefchriebenen Namen zeigen, meift im Befike 
weiblicher Hämbe und eines dieſer Lieberbücher bat bie Yorm eines 
Herzens. Aud zu ber erſten gedruckten Sammlung gab eine Frau ben 
Anlaß, die Konigin Sophie won Dünemarl. Sie wurde im Jahr 1686 
auf der Inſel Open, 100 fie Thcho Brahes aſtronomiſche Werkzeuge 
und Vorrichtungen befichtigt hatte, einige Tage durch Sturm aufge 
halten und erfuhr, dab em Freund Brabes, der Geſchichtsforſcher 
Anders Sörenfün Vedel, alte bänifche Lieber gefammelt babe. Sie 
zeigte große Luft, diefelben zu lefen, und Vedel eignete ihr, jedoch erft 
fünf Jahre nachher (Mibe 1691), einhundert derſelben im Drude zu. 
Aus feinem Nachlaß erichien, Kopenhagen 1657, eine weitere Samm⸗ 
‚fung unter dem Titel: Tragica oder alte däniſche hiſtoriſche Liebeslieder 
(Elskoffs Viser), ſammtlich von tragifchem Ausgang. Die erfte vedeli⸗ 
fhe Sammlung vermehrte Peter Syn mit einem zweiten Hunbert und 
gab fie fo, Ropenhagen 1695, in ben Drud. Dieſe ſwoiſchen Kämpfer: 
weiſen (ksempeviser) wurden 1739, 1764, 1787, twieber aufgelegt unb 
find in Dänemark gewiſſermaßen zum Volksbuche geworden. Manche 
Lieber wurden aud auf einzelnen, fliegenven Blättern verbreitet. Die 
neuefle, voliftändigfte Sammlung (von Abrahbamion, Nyerup und Rabe 
bef) mit ihten Rachträgen ift zuvor: ſchon angemerkt worden. Gleidy 
wohl ſcheint auch durch fie der brauchbare Vorrath noch keineswegs 
erſchöpft zu fein. Nach einer Bemerkung von Molbech (a. a. D. ©. 113) 
hatte J. M. Thiele, der Herausgeber einer Sammlung bänifcher Volks⸗ 
fagen, eine neue, forgfältige Nebifion aller in Kopenhagen befannter, 
handſchriftlicher Sammlungen alter, dänifcher Volkslieder (neben einer 
bisher: ganz unbelannten und unbenügten Sammlung von Dbenfe) be 
gonnen und: feine Unterfuchungen hatten bereits (1823). das Refultat 
gegeben, daß in diefen Sammlungen über 250 bis jetzt ungebrudte und 
in die nverupifhe Sammlung nicht aufgenommene Lieber ſich finden. 
Wollte man num von biefer Anzahl fogar 35, als des Druds nicht 


364 


‘ 


würdig, .vertwerfen, fo wurden doch 100 ungebsudte Stüde übrig 
bleiben, deren Herausgabe zu wunſchen märe. 

Wie in Dänemark dieſe mittelalterliche Weife am frübeften gereift 
war, fo bot fie auch am früheften ihre Erzeugnifle der Sammlung bar 
und lief am eheften Gefahr, von neuer litterarifcher Bilbung verdrängt 
zu werben. Deſſen ungeachtet war auch für die neuefte Sammlung 
bie lebendige Überlieferung im Volksgeſange noch nicht verfiegt und 
aus dieſem allein Tonnten bie alten Tonweifen aufgenommen werben. 
In Schweden fehlt es zwar auch nicht ganz an handſchriftlichen Samm⸗ 
[ungen vom 16ten Jahrhundert an (Bv. Folkv. III, 260 f.; bie frübefte 
Jahrzahl ift 1572), und Mandes wurde auch in biefem Lande auf 
Slugblättern verbreitet. Eine gedrudte Sammlung gab es aber nicht 
vor ber oben angeführten, 1814 bis 16 von Geijer und Afzelius beraus- 
gegebenen. Auch verdantten diefe Sammler ihr Meiftes und Beftes 
der mündlichen Überlieferung, vorzüglich durch Frauen, und bie vor 
handenen drei handſchriftlichen Sammlungen wurden ihnen fogar erft 
während der Herausgabe bekannt, für die fie nur Varianten baraus 
benägten. Ä | . 

Das Fortleben ber Lieder im Bollamunde zog fi) immer weiter 
nad dem Norben zurüd, aber dieſe Duelle bat fi) fo rein erhalten, 
daß bie erft jet in Schweben aufgezeichneten Lieber fi zum Theil 
urfprünglicher erweiſen, als wie fie im 16ten Jahrhundert in Dänemarl 
aufgefchrieben twurben, und baß bie ſchwediſchen Herausgeber bie münd⸗ 
lichen Überlieferungen in der Regel den Drudblättern vorzogen. Auch 
fanden fie in den nörblichern Provinzen Schwedens, dem eigentlichen - 
Norrland, nicht nur reiche Ausbeute, fondern auch faft durchaus den 
orhteften und beften Text der Lieber. Im Übrigen betrachten auch fie 
mit biefer erften, gedrudten Sammlung ven Reichthum des alterthüm⸗ 
lichen Bollögefanges in ihrem Baterlande noch lange nicht für erichöpft. 

Am fpäteften wurden bie färdifchen Volkslieder aufgefchrieben und 
in ben Drud gegeben. Die erfte hanbfchriftlihde Sammlung ift von 
den Jahren 1781 und 1782, bie erfte gedruckte von 1822, beren Titel 
oben angegeben wurde. Über gerade auf biefen entlegenen Inſeln 
haben fich Lieber bes älteften Urſprungs, mythiſche und folcye, bie ber 
Helbenfage von den Bölfungen angehören, bis beute münblich fortge⸗ 
pflanzt. Die Iehtern find beſonders beliebt und werden vorzugsweiſe 


365 


zum Reihentanze gefungen; auf fie beſchranli fich auch meiſt die ge⸗ 
druckte Sammlung. 
So Vieles nun von dem alten Liederſchatze der nordiſchen Völker 


noch nicht zur allgemeinen Kenntnis gebracht iſt, wie es denn bemerkter⸗ 


maaßen noch ganz an gedrudten Sammlungen norivegiicher und islän⸗ 
diſcher Volkslieder fehlt, ſo iſt dennoch ber bereit zugängliche Vorrath 
beträchtlich genug, um uns auch von dieſer Periode der Sagenpoeſie 
ein umfang⸗ und geſtaltenreiches Bild zu geben. Denn Sagenlieder, 
Balladen, find biefe zablseichen Bollögelänge; eine beſondre Lyrik kat 
ſich nach nicht ausgeſchieden. | Ä 
. Bir gehen nun biefen poetiſchen Bejammtbefi ber norbifchen 

Völler in der mittlern und neuern Seit in der Folge durch, daß wir 
mit denjenigen Liedern beginnen, welche ſich zunächſt der ältern Götter: 
und Heldenfage anreihen, ſodann die aus bem Geiſt und den Sitten 
des Mittelalters hervorgegangenen beiracdhten und mit benen, melde 
den Übergang zur gejchichtlichen Darftellung bilden, den Beichluß machen. 

Bon den altnorbifchen Mythenliedern, wie fie in ber Edda noch vor: 
handen find, ift nur eines vollftändig in bie neuere Form übergegangen, 
das Lied von Thrym (Thrymsqpida, auch Hamars:Heimt, Edd. Seem. 
70 ff.), welches bei der Götterfage vorgetragen und erläutert wurde. 
Es erzählt, wie Thor feinen verlornen Hammer von dem Rieſen zurüd: 
erlangt, indem er, verfleibet ala Freya, welcheder Rieſe Thrym für 
die Zurüdgabe des Hammers zur Braut verlangt, in Gejellichaft bes 
als Dienerin verlleideten Loli zum Niefenlande zieht und, als ber 
Hammer zur Heiligung bes Berlöbniffes herbeigebracdht wird, mit bem- 
jelben den Riefen Thrym und all fein Gefchlecht zerjchmettert. Wir 
baben darin einen Naturmythus erfannt, den Sieg des feiner Waffe 
wieber mächtigen Donnergotted über die Winterriefen, melche flet3 bar» 
nach trachten, bie Schöne Sommergöttin Freya den Afen zu entreißen. 
Als ſchwediſche, norivegifche und Dänische Ballade bat ſich dieſes uralte 
Lieb erhalten. Gebrudt ift in neuerer Zeit nur die ſchwediſche und 
dänische Behandlung. Erftere ift die alterthümlich einfachere. Sie ftebt 
im 8ten Heft der ftodholmifchen Zeitfchrift Iduna (2te Auflage 1824) 
und verbeutfcht in Mohnikes Volksliedern der Schweden (I, 172 ff.). 
Thor Heißt bier Thorlar (Thorkarl; karl, Mann; norwegiſch Torekal), 
Zoli Loke Lewe (dd. Seem. 73. Ham. H. Sir. 22: Loki, Lau- 


366 


feyjar sonr), Freya Frogenborg, der Niefe Trolltram (ber Troll 
Thrym: troll n., isl. tröll, Riefe, Zauberer, Dämon). Das Lied lautet 
nad Mohniles Überfegung fo: 

Thortar fit anf feinem Sitze u. [. m. *** 

Am dänifchen Liede (Nyerup, Udv. II, 188 ff.1) wird Thor 
Tord af Hafsgaard (Asgard) genannt, Loli, Tords Bruder, Lole 
Lejemand, Freyja Frivleföborg und ber Riefe Tosſe-Greve (tosse, 
Dummtopf; eigentlich Burs, Puss isl. Niefe, Riefengraf, Riefenhäupt- 
ling). Hier möchte Jungfrau Fridlefsborg lieber einen Chriftenmann 
beiratben, alö den wibrigen Trold, und fie richten, nicht den Bruder 
Thord, fondern ihren alten Bater ala Braut zu. Die Jungfrau 
ſagt: 


Da wollen wir nehmen den alten Bater, 

So wollen wir bürften fein Haar; 

Führen wir ihn zum Nordgebirg, 

Stellen als Braut ihn dar! 
Die Braut ißt fünfzehn Ochjenleiber, dreißig Schweinjeiten und 
fiebenhundbert Brote; zwölf Laften Bier trinkt fie aus, fo daß ber 
Bräutigam die Hände ringt und gerne den Hammer hergeben will, 
wenn er nur ihrer los wird. Nicht bloß gegen das Eddalied, ſondern 
auch gegen die ſchwediſche Darftellung ift bier Vieles entftellt und über: 
trieben. Db und mie weit nun in biefen Umtanblungen nod ein 
Verſtändnis der urjprünglichen Bedeutung geblieben fer, erjcheint zwei⸗ 
felhaft; doch zeigt fich im ſchwediſchen Liede die Epur des rechten Ber: 
ftändniffes, wenn Jungfrau Yrogenborg „die jchöne Sonne“ genannt 
wird. Aber jedenfalls bewährt fich die poetiſche Kraft der alten My: 
tbenbilbung darin, daß, fogar bei verlornem Sinne des alten Mythus, 
die Geftalten und Situationen ſelbſtändig noch Jahrhunderte hindurch 
als beluftigendes Mäbrchen fortleben Tonnten. 

Bölig mythifcher Natur, wenn gleich feinem der noch vorhandenen 
altnordiihen Gelänge entiprechend, find ferner einige ber färdifchen 
Volkslieder. Dahin gehört ohne Zweifel ein handſchriftliches, von dem 
nur der Titel befannt ift: Odin vor Asgaard u. |. w. (Fär. Div. Indl. 
16: „Ouin ür Aasgörum Odin fra Asgaard], ogſaa kaldet Frigvin 2 


1 Ebendaſ. IT, 226 der Anfang der norwesifchen Verſion. 
2 Bgl. Für. Qv. 284, 166. 


367 


Maaleja®), Dagegen ftehen in ber gebruditen Sammlung bie zwei 
folgenden, die id} in Überfegung gebe: 


Stryumners Reim (Skrujmsli- Rujma 1), 


Es war an einem Morgen früh 2, 
Des ih mich wohl entfinne, 

Der Baner gieng zum Walde fort, 
Sucht’ Apfel und Eicheln drinne. 


Da zog der Regen finfter auf, 
Die Sonne fant hinunter, 

Da wandte fi der Banersmann 
Zur Heimath raſch und munter. 


Da zog der Regen finfter auf, 

Es ſank der Tag zum Abend, 

Der Bauer lief fo froh nnıd friſch, 
Nach feiner Heimath trabend. 

Da warb es in der Wolle licht 
Und licht ward’3 auf den Wegen, 
Der Bauer ſah, wie Skrymner ihm 
Bar mächtig fchritt entgegen. 

Wohl aus der Erbe Skrymmer flieg, 
Dur Odins 3 Gabe Träftig, 

Zrug in der Hand das Biegelbrett 4 
Und fchritt heran gefchäftig. 

Zrug in der Hand das Biegelbrett 
Bon weißem Eifenbeine, 

Die Würfel aber waren da 

Aus Gold von Harem Scheine. 


Der Rieſe war von ftarler Art, 

Bon der die Argen ftammen. 

Er ſprach: „Sit nieder, lieber Freund, 
Und fpielen wir zufammen!” 


1IS. 480 bei Lyngbye. 8.) 

2 Al. Feiertag, balgjin Deä. 

8 Ouvans. 

4 Tijil Talv, eigentlich Spielbrett von Biegelftein, wahrfcheinlich aus Plätt- 
cen verſchiedener Farbe, hier aber allgemeiner, da das Brett von Elfenbein if. 


> 368 
. 
— — — — 


Der Baner ſproch: „O nein, o nein! 
Mir kann das wicht gebühren. 
Ich Hab’ das Breitſpiel nie gelernt, 
Ich weiß fein Spiel zu führen.” 


„Du müft mit mir zum Brettfpiel Bier, 

Und ſpielſt du fonft auch feines, 

Nicht ſolls dich koſten Hans noch Hof, - 
Dein Haupt nur oder meines.“ 


Der Bauer ftand auf grünem Grund, 
Begann, auf Rath zu finnen; 

Da z0g er an die Siegbanvfchuh 1, 
So dacht' er zu gewinnen. 


Der Bauer fette fi zum Spiel, 

Wie fehr davor ihm bangte; 

Doch gieng das Breitipiel fo zum Schluß, 
Daß erden Sieg erlangte. .- . 


Wohl fpielten dieſe Manner nicht 
Um Haus noch Hof im Brette; 
Des Rieſen Leib und Leben ſtand, 
Sein Haypt und Hals zur Wette. 


„Sm Brett haſt du gewonnen mid), 
Du mägft dein Glück wohl preifen. 
Doc laß mich löſen jetzt mein Haupt, 
Sowie du ſelbſt magft weiſen!“ 


„Willſt du dir löſen Haupt und Hals, 
2 Soüf du zuerfi mir rüften 
But Bier und Wein und Eicheljchwein, 
AU was mich mag gelüften. -n 


\ 


1 Sijurshanskar, vermuthlich Handfchuhe, die durch Runen gefeit waren; 
folde Siegrunen wurden aud) auf das Heft des Schwertes eingejchnitten (Grimm, 
Edd. 214. Edd. Havn. 195), wie Brynhild den Sigurd lehrt. Es gab auch 
Sieghelme, Siegfleider (sejerskleder, Udv. d. Vis. IV, 243) d. 5. gefeftete 
Waffenrüftung. Berzaubernder Schlag mit Wolfhandſchuhen (med ülfhandaka) 
fommt in Hrolfs 8. C. 25 (Fornald. S. I, 50) vor. Handski, m. chi- 
rotheca, 


369 


Du ſollſt mir ſetzen in den Hof 

Eine Burg, eine breit’ und lange, 
Und Bier ımb Wein und Neben drin, 
Eine Burg vom erften Range. 

Im Grunde fol ein Eftrich fein 

Und Ziegel: auf den Binnen, 


Das Dach fei von dem blauften Blei, . - 


Das irgend zu gewinnen. 


Der Eſtrich auf dem Grunde fei 
Bon weißem Marmelfteine, 

Der Dachſtuhl von Cypreſſenholz, 
Die Aand von Elfenbeine. 


Da fol man Herrenbetten jehn, 
Das Bettgeftell von Gedern, 

Die Lalen und die Deden all : 
Gefällt mit Yönirfebern. 

Da foll man Herrenbetten fehn, 
Gefüllt mit Schmanendaunen, 
Bedeckt mit Purpurtüchern all 
Und Goldſtoff, zum Erſtaunen. 


Ein koſtbar Becken ſei auch dort, 
Gefilllt mit edlem Tranle, 
Daß, wer davon getrunfen hat, 
Sein Lebtag nie erkranle. 


Sa, Niemand foll da werben kant, 
Bevor er ſelbſt will fierben. 

Und fchaffft du das nicht Alles ber, 
Hau’ ich dein Haupt zu Scherben. 


Da fol au Trank und Speife ſelbſt 
Sich auf die Tifche tragen.“ 

Dem Rieſen ift fein Leben lieb, 
Muß „ja“ zu Allem fagen. 

Der Bauer halft fein Tiebes Weib 
Am Abend beim Empfange: 

„Nun wird man fehen, wie ich balb 
In Würd’ und Reichthum prange.“ 


Aland, Säriften. VU, 


, 


24 


370 


Da bob das Weib zu weinen an 
Und ſprach mit Angſt und Beben: 
„Wohl ſchied der Rieſe fo von dir, 
Es koſtet dich dein Leben.“ 


Der Bauer ſchlief da ruhig ein 

In ſeines Weibes Arme. 

Der Rieſe ſucht und ſammelt Gold, 
So müd' und ſchwer von Harme. 


Auf See und Sand fuhr Shrymuer um, 
Auf Bergen und in Klingen, “ 
Setzt in des Bauern Hof die Burg 

Mit all den koſtbarn Dingen, 


Er bracht' ihm in die Halle dann, 
Gar ſtattlich zugerüftet, 

But Bier und Wein und Eichelichwein 
Und was ihn fonft gelüftet u. ſ. w. 


Es wiederholt fih nun, faft mit benjelben Worten, bie Aufzäh⸗ 
Iung alles deſſen, was der Bauer verlangt batte. 


Frühmorgens, als der Bauersmann 
Bum Walde wollte gehen, 

Da fah er eine große Burg 

Bor feiner Thüre ftehen. 


Der Bauer jah die ſchöne Burg, 
Er war fo frifh und munter, 
Der Rieſe fand und klemmte fich 
Die Schenkel fchier herunter. 


Der Bauer fand auf grünem Grund, 
So fett und wohl gebiehen. 

Man fiihrt’ ihn in die fhöne Burg, 
Da muft’ ihn Gorge fliehen. . 


Der Bauer halſt fein liebes Weib 
Am Abend zum Empfange: 
„Zehn Könge gibt e8 oder zwölf, 
Die überrag' ich lange.“ 


⸗ 


371 


Der Bauer war ſo friſch und froh, 

Mild gegen Seinesgleichen; 

Zehn Könge gibt es oder zwölf, 

„Die ihm an Wohlſtand weichen. 

Die Hausfrau war an Kindern reich 

Und rothem Scharlachtuche; 

Doch war ihr bang, daß Skrymner nicht 

Den Tod des Bauern ſuche. N 

Der Bauer hatte draus und drin, 

Was ihm fein Herz erfreute. 

Doch mäüd’ ift meine Zunge jetzt, 
Kurzweil genug für heute! 
Das Seitenftüd zu diefem Liebe heißt: 

Lotis Sage (Loka Thaattur) 1, 


Der Nief' und der Bauer fpielten, wie vor, 
: Der Niefe gewann und der Bauer verlor. 2 

„Ich hab’ getragen den Sieg davon,’ 

Rum will ih haben deinen Sohn. 

Den Sohn will ich Haben von dir, 

Wenn du ihn nicht kannſt bergen vor ir.” 

Da ruft der Bauer Knechte zwei: 

„Ladet ihr Odin 9 mir herbei! 

Bär’ Odin, Ajalönig, bier, 

Und hälfe, dich zu verbergen, mir!“ 

„Ih wollte, mein Odin läme heran 

Und wüfte, wo man verbergen Tann.“ 

Bevor fie halb geſprochen das Wort, 

Stand Odin vor dem Tiſche bort. 

„Hör du, Odin! ich rede zu dirz 

Du ſollſt verbergen den Knaben mir.“ 


1 [&. 500 bei Lyngbye. 8.] 
2 Risin vann o Bondin vajg. Bgl. Udv. db. Biſ. IV, 122 ff.: 
Den Ungersvend han tabte 
Og Jomfruen hun vandt, 
d Ouvin. 





1 Höner. 


372 
Odin fuhr mit dem Knaben ud, 
Bauer und Bäurkn traurten zu Haus. 
Odin hieß einen Ader mit Macht 
Wachſen und reifen in einer Naht. 
Odin bieß den Knaben nun 
Mitten im Acker fi unterthun, 
Mitten in eine Ühre hinein, 
Mitten in's Gerſtenkorn fo klein. 
„Bleib da drinn und forg nicht mehr! 
Wenn ich rufe, Tamm zu mir herl 
Bleib da drinn und hab nicht Graus! 
Wenn ich rufe, fo omm Geraus!” 
Strynmers Herz if Bart, wie. Horn; 
Er nimmt den ganzen Arm voll Korn. 
Er rafft den Arm voll Korns an ſich 
Und Hält ein Schwert fo filrchterlich. 
Er hält in der Hand ein fchneidenb Schwert, 
Damit er den Knaben zu haun begehrt. 
Da if der. Mnab’ in Angſt und Graus, 
Doc das Körnlein fpringt von der Fauſt heraus. 
Da ift der Knab' in Sorgen fehr, 
Doch Odin ruft ihn zu ſich ber. 
Odin führt mit den Knaben davon 
Und bringt ven Bauersleuten den Som. 


„Hier ift dein Erbe wieder zu Haus; 
Mit meinem Verfled iſt es nun aus.“ 


Da heißt der Bauer Knechte zwei: 


„Rufet ihr Hänern 1 mir herbei!“ 
„Ich wollte, mein Häner läme heran 
Und wifte, wo man verbergen Tann.“ 


Bevor fie halb geſprochen das Wort, 
Stand Häner vor dem Tiſche bort. 


1 Lokkji. 


373 


„Hör du, haner! ich rede zu dir; 

Du ſollſf verbergen ben Knaben mir.“ 
Häner fubr mit dem Knaben hinaus, - 
Bauer und Bäurin traurten zu Haus. 


Haner gieng auf dem grünen Grund, 


Drei Schwäne flogen da über den Sunb. 
Bon Dften flogen da Schwäne. brei 

Und festen ch Hänern nahebei. 

Häner heißt den Knaben nun 

In die Nackenfeder fi) unterthun. 
„Bleib da drinn und forg nicht mehr! 
Wenn ich rufe, fomm zu wir ber. 

Bleib da drinn umd hab nicht Graus! 
Wenn ih rufe, fo komm heran!“ 
Strymner lief auf dem grünen Grund, 
Drei Schwäne flogen da über den Sund. 
Er firauchelt und fällt anf feine Knie, 


Den vorderſten Schwan doch fängt er bie 
‘ Den vorberften Schwan doch fleng er ein 


Und flug ihm den Hals von dem Schulterbein. 
Da war der Knab in Angft und Graus, 
Doc die Feder flog vom Naden herans. 
Da war der Knab' in Sorgen fehr, 
Doch Häner ruft ihn zu fich ber. 

Häner fuhr mit dem Knaben davon 

Und brachte den Bauersieuten den Sohn: 
„Hier iſt bein Erbe wieder zu Haus; 
Mit meinem Berfted iſt e8 nun ans.” 
Da ruft der Bauer Knechte zwei: 

„Ladet ihr Lolin 1 mir berbeil“ 

„Ich wollte, mein Loli käme heran 

Und wüſte, wo man verbergen kann.“ 


.274 


Bevor fie Halb gefprochen das Wert, 
Stand Loki vor dem Tifche dort. 


„Du weift gar nichts von meiner Notb; 
Strymner will meines Sohnes Tod. 


Hör’ du, Loki! ich vede zu dir; 
Du ſollſt verbergen den Knaben mir! 


Berbirg ihn wohl und behftt! ihn dann, 
Daß ihn der Niefe nicht fangen kann!“ 


„Sol ich den Sohn verbergen dir, 
So ſchaff du, was von nöthen mir! 


Ein Boothaus 1 ſollſt du laſſen baun, 
Bevor du mich magft wieber ſchaun. 
Ein weites Yenfter mach barein! 

Die Stäbe follen von Eifen fein.“ 
Loti fuhr mit dem Knaben ans, 
Bauer und Bäurin traurten zu Haus. 


Lofi gieng hernicder zum Strand, 
Wo die Schüte ſchwamm vor dem Land. - 


Loft rudert zum äußerfien Yang; 
So ift gejagt im alten Belang. 


Loli fpricht nicht viele Wort, 
Angel und Stein wirft er über Bord. 


Angel und Stein zu Grunde fuhr, 
Bald zog er Butten anf an der Schnur. 


Einen 309 er und zog wohl zwei, 
Den dritten bracht’ er mit Noth herbei. 


1 Nest. Sole Schuppen, wo die Boote verwahrt wurden, find etwas 
oben auf dem Lande, oder auf Klippen, wo bie Wellen nicht wohl binreichen 
konnten, angebracht. Sie haben gewöhnlich ein Fenſter oder eine Öffnung auf 
der Landfeite, damit, wenn die Brandung ſtark wird, ein Mann hineinkriechen 
und die Boote feftbinden kann, damit fie nicht weggeſchwemmt werden, was 
doch zuweilen bei ſtarkem Sturme geſchehen Tann. Gtwas Beſondres find num 
hier die im der Offnung feſtgemachten Eiſenſtangen. Weit muſte die Öffnung 
fein, wenn ber Rieſe, wie nachher gefchieht, verfuchen follte, binburägufommen, 
Für. Qv. 510, Rote. 


375 


Loli heißt den Knaben nun 

Im Rogenlorne ſich unterthun. 

„Bleib da drinn und forg nicht mehr! 
Wenn ich rufe, Ensım zu mir. ber! | 
Bleib da drian und hab nicht Graus! 
Wenn ich rufe, fo komm heraus!“ 

Lofi endert wieder zum Land, 

Der Rieſe ſteht nor ihm auf dem San. 
Der Rieſe ſprach zu Loli ſchnell: 

„Wo wareft du Beute Nacht, Gejell?“ 
„Rub nicht Hab’ ih und nirgends Stand, 
Schweiſen nmf id um Meer und Land.” 
Der Riefe Kößt fein Boot hinaus, 

Lofi ruft: „Hei! wel ein Braus!“ 

Loki ruft dem Niefen zu: 

„Beſſer führen wir, ich und du.” 

Der Niefe nimmt das Steuer zur Hand, 
Loki rubert Hinaus vom Land. 

Loft rudert fort und fort, 

Das Eifenboot will nit vom Dirt. 

Lot rief dem Niefen zu: 

„Befler ſtänd' ih am Steuer, als bu.“ 
Als zu den Rudern der Rieſe griff, 
Fuhr in die weite See das Schiff. 
Skrymmer rudert mit langen Arm, 

Loft ſchafft ih aus Steuer warm. 
Stymner rudert zum änßerfien Fang, 
So if gefagt im alten Belang. 

Der Rieſe ſpricht nicht viele Wort, 
Angel und Stein wirft er über Bord. 
Angel und Stein zu Grunde fixhe, 

Bein zug er Butten auf an der Schuux. 
Einen zog ex und zog wohl zwei, 

Den dritten bracht' er mit Noth herbei. 


376 


Loft ſprach fo trügerif: . 

„Riefe, gib du mir diefen Sich!“ 

Der Riefe gab zur Antwort: „Nein! 
Rein, mein Loli! der wird nicht bein.“ 

Hielt den Fiſch mit den Knieen vorm, 

Zählt' im Rogen jegliches Korn. 

Jegliches Korn, das im Rogen hängt, 

Zählt er, damit er den Knaben fänge | 

Da war der Knab' in Angſt und Eraus; 
Doch das Korn glitt zwijchen der Fauſt heraus. 
Da war der Knab’ in Gorgen ſehr, 

Doc Loki ruft ihn zu fich her. 

„Sit bier nieder, hinter mid! 

Laß nicht den Rieſen erbliden did! 

Du muft laufen fo leicht anf dem Land, 

Daß du die Spur nicht drüdft in den Sand.“ 
Der Riefe rudert zurüd zum Land, 

Grade gegen den weißen Sand. 


Der Riefe rudert dem Lande zu, 

Loki drebet das Boot im Nu. 

Der Nieje ſtößt das Boot an den Strand, 
Der Knabe Ipringt fo Teicht auf das Land. 
Der Niefe fieht fi) um auf dem Land, 

Der Knabe ſteht vor ihm auf dem Sand. 
Der Knabe lief jo leicht übers Land, 

Er drüdte die Spur nicht ein in ben Sand. 
Der Riefe lief jo ſchwer auf dem Land, 

Er fant bis zu den Knien in den Sand. 
Der Kuabe lief mit aller Macht 

Durch's Boothaus, daB fein Bater gemacht. 
Durch's Boctbaus, das ſein Vater ließ baum, 
Folgt ihn der Niefe mit gutem Bertraun. 
Der Rieſe blieb tm Fenſter bangen 

Und zerbra die Stimm an ben Eitenftangen. 


Soft, tig Hinterbrein, 

Hieb ab dem Wiefen das eine Bein 

Dem Niefen war das nur Kurzweil, 

Die Wunde war gleich wieber heil. 

Loki, rüfig hinterdrein, 

Hieb ab dem Rieſen das andre Bein. 

Er hieb ihm ab das andre Bein 

Und warf es zwiſchen Stock und Stein. 

Dem Knaben war es ein luſtig Spiel, 

Wie da der Rieſe zuſammenfiel. 

Loti fuhr mit dem Knaben davon 

Und brachte den Bauersleuten den Sohn: 

„Hier ift dein Erbe wieber zu Haus, | 

Mit meinem Verſteck iſt es nun aus. 

Mit meinem Verſteck iſt's abgemacht, 

Ich hab deine Sach zum Ende gebracht. 

Ich hab gehalten, was ich geſchworn; 

Run hat der Rieſe fein Leben verlorn.“ 

Eine Erklaͤrung biefer beiden Lieder ift in ber gebrudten Samm⸗ 

lung nicht gegeben. Sie lann jedoch, den Hauptzügen nach, wenig 
Schwierigkeit haben, nachdem wir einmal mit ber Bilderſchrift der 
nordiſchen Naturmythen belannt geivorben find. Im Liebe voni wieder: 
erlangten Hammer befiegt ber. Aſe Thor den Winterriefen Thrymr. 
In einem früher vorgetragenen Mythus ber jüngern Edda haben wir 
Thom in feinen Wettkämpfen bei Utgarbslofi im Nachtheil gefunden 
und fon auf dem Wege dahin bat er allerlei: Abenteuer mit dem 
Riefen Skrymnir gehabt, in deſſen Handſchuh er eine Nacht über Her 
berge genommen, der ihm ben Speiſeſack zugeihnürt und an befien 
Haupt er feine Hammerfcläge erfolglos verfucht. Im beiben Mythen 
bat ſich uns. ein Kampf der Sommer und Winterkräfte bargeftellt, 
dort, im Liebe vom Hammer, zum Bortbeil, bier, auf ber Fahrt zu 
Utgardloki, zum Nachtheil des Donnergotted. Bon ähnlicher Bedeu: 
tung find nun bie beiden färdifchen Lieber; nur daß bier nicht ber 
gewaltige Aſe mit dem Winterriefen lämpft, ſondern ber unmächtige 
Bauer mit ibm fpielt, alfo bie Enticheivung ben Schickſalsmächten 


378 


anheimgibt. Im erſten Liede gewinnt der Bauer, er ſpielt mit Sieg 
handſchuhen, es iſt ein Sommerlied; im zweiten verliert er, der Winter 
bricht an. Wenn die Eddamythen in ber Götterwelt im allgemeineren 
Weltleben ſich bewegen, ſo ſehen wir hier, in den Vollsliedern, den 
Wechſel der Jahreszeiten, mehr idylliſch, in ſeinem Einfluß auf das 
ländliche, bäuerliche Leben vorgebildet. 

Betrachten wir von dieſem Geſichtspunkt aus die beiden Lieder 
einzeln! Im erſten heißt ber Rieſe Skrujmsli. Nach einer Anmerkung 
des Herausgebers bedeutet dieß im Färdiſchen ein Geſpenſt; isländiſch 
skrimsl, m. (Lex. isl. II, 281a monstrum), ein Ungeheuer, Mis⸗ 
geichöpf; weiter aber wird beigefügt, ein gebosner Yärder, ber Pfarrer 
Schröter auf Suberde, bemerke nad Tradition, daß dieſes Lieb ten 
Geipenfternamen (Skrujmeli Rujma), ftatt bes ältern GStrymners ! 
Riim, zur Zeit der Mönche erhalten habe, wo es bei Strafe zu fingen 
verboten geweſen; es werde auf Färde als ein Überreft bes Heiden⸗ 
thums angeſehen 2. Diefem gemäß babe ich auch in ber Überfegung 
den Namen Skrymner gebraucht, wodurch und der Riefe bed Liebes 
mit Skrymnir? des Eddamythus ibentifh wird. Dieß iſt er aber auch 
abgeſehen vom Namen. Sein Auffteigen auf ber Erbe beim Heran- 
ziehen ber dunkeln Regenmwolfe unb beim Anbrud bes Abends verkündet 
ihn deutlich genug als eine der tuinterlichen und finktern Erdmächte. 
Das Brettipiel, wozu er den Bauern aufforbert, lommt auch ſonſt 
in deu Sagen und Liebern- des Norbend vor. Nach ber Bölufpa 
ſpielten die Aſen in ihrem Golbalter dieſes Spiel (tefldo, Välufpa 
Str. 8. Edd. Beam, ©. 2; at tebla, alea vel latruneulis: Judere, 
fpille Brätipil, Lex. isl. II, 872a) unb in ber neuerftanbenen Welt 
werben fie ihre wunderſamen Golbtafeln (gelinar töflur) im. Grafe 
wieberfinden (Völuſpa Str. 61. Edd. Sem. ©. 10). Sollte wicklich 
biefes Götserfpiel, wie es erflärt worden ift, bie Vewegung der 


1 Bol Grimm, Wltbän. Heſdenl. S. 508 ob. Sagabibl. U, 618 fi. 

2 Zar. Dv. 480. 

3 Lex. mytb. 630, Rote: „Nomen Skrymir aut est vertendum a) gran- 
disonus, b) fabulosus, jactabundus, c) deformis vel monstrosus aut etiam 
d) deformans.* Bgl. 434. Lex. is}. II, 2836: „Skrfmnir, m. gigns grandi- 
sonus, en Jette; a skrum.“ Ebend. 288 a: „Bkram, n. fgmemtum, auge 
Siarber Opdigtelſe, Praleri.“ 


379 


Geſtirne bebeuten, jo wäre das auch auf unfer Lieb anwenbbar, denn | 


. ber Lauf ber Geſtirne beftimmt ben Sieg ber Jahreszeit. In ben 


Balladen werben wir meiterhin Beifpiele ‚finden, wie um Leben und 
Ehre Golbtafel gefpielt wird, oder der König das Spiel enticheiben 
Iäht, ob er feine Tochter bem Freier geben fol. In unfrem eriten 
Ziede nun gewinnt ber Bauer; ber Erdrieſe tft ihm verfallen und muß 
berbeifchaffen, was Sener verlangt, vor Allem die Fülle von Trank 
und GSpeife, Bier und Wein und Eichelſchwein, dann bie ftattliche 
Burg voll Behaglicher und koſtbarer Dinge, die am Morgen in des 
Bauern Hofe ſteht. Fett und mohlgebiehen fteht er felbft da. Damit 
ift der Gegen und Reichthum bezeichnet, ben bie fruchtbare Jahreszeit 
dem Bauern bringt; fie fchafft ihm Leibesnahrung, baut und füllt fein 
Haus. Die Yauersfrau iſt gefegnet mit Kindern, benn, wie bas fol: 
gende Lieb zeigt, find auch wieder die Erdfrüchte des Bauern Kinder. 
Die Frau hat aber immer bange, daß der Rieſe boch noch über ben 
Bauern Meifter werde, und dadurch Inüpft fich tiefes Lieb an das 
zweite. Daß aber erfteres wirklich ſo, von dem Siege ber beflern 
Jahreszeit verſtanden worden, dafür ſpricht noch imebeſendre der Kehr⸗ 
reim, mit dem es geſungen wird: 

Der Winter weicht, der Sommer kommt, 

Die Erbe wird fo milde, 

So ſchön Gewachs ergrünet im Gefilde. 

Und wenn ed, nach ber einen Verfion der erften Strophe, ein 
beiliger Tag ift, an bem ber Bauer ausgeht und das Spiel gewinnt, 
fo mag wohl dieſes Lieb zur Feier eine beftimmten Feſttags im Früh⸗ 
jabe gefungen und getanzt worben fein. Zwar ſcheint es auf eine 
vorgerüdktere Zeit binzuweiien, daß der Bauer in ben Wald gebt, um 
Apfel und Eicheln zu finden; allein wenn man aud. nicht darauf ver» 
zichten müfte, in der jeweiligen Yorm einer foldden Dichtung alle ein- 
zelne Züge. mit der Bedeutung des Ganzen in volllommener Über 
einftimmung zu finden, fo Fönnte doch hier noch immerhin die Erklä⸗ 
rung ftattfinden, daß damit die Begierde des Bauers nach den Früchten 
des Jahres bezeichnet fei. 


Im zweiten Liede gewinnt ber Riefe, und ber Bauer foll ihm - 


einen Sohn ausantiworten, entiweder zur Xöfung feines Hauptes, wie 
im erſten Liede der Rieſe das feinige Löfen muß, oder weil er benfelben 


auf das Spiel gefeht hatte. Der Bauernjohn bebeutet, wie ſchon be 
rührt worden, hen Segen des Jahres, dem der Winterriefe ein Ziel 
ſetzt. Aber wenn gleich der Rieſe vorerſt das Epiel gewonnen, fo if 
er doch feines Pfandes noch nicht ſicher; jener Jahresſegen trägt in 
fih ben Keim neuer künftiger Früchte. Diefer Keim febt unter ter 
Obhut ber Götter, die ber Bauer zu Hülfe ruft. Es ift nicht ber 
füämpfenbe. Donnergott Thor, an bem er ſich wendet, denn jett iſt 
Thors Sammer felbft von den Rieſen hinweg genommen. Auch der 
milde Freyr, wenn gleich Geber der Fruchtbarleit, iſt jetzt, in ben 
Wintermonaten, machtlos. Die jchaffenden Götter müflen hier in’s 
Mittel treten. Wie nach der Völufpa (Str. 18. Edd. Sem. 3) bei 
ver Weltichöpfung Odin, Hänir und Lodur bie Baumflämme zu Den: 
ſchen beleben, wie dann an. ber Spike ber Sigurdsſage Dbin, Hänir 
und Afaloli auf ihrer Wanderung durch bie Welt ben Keim Fünf 
tiger Geſchicke pflanzen, fo ſchreiten hier, auch in der Dreigahl, Dbin, 
Hänir und Loki nach einander bülfreih ein, denn es gilt bier, die Uns 
vertilgbarkeit des in die Natur gelegten: fhöpferiichen Triebes zu be 
währen, das dürre Saatlorn für neue Ernten lebendig zu erhalten, 
den gefährbeten Keim aus her ftarren Hand des Winterriejen gu retten. 
Am meiften fällt das Bild mit der Sache ſelbſt zufammen in der erften 
Rettung turh Odin, wo ber Bauernſohn mitten im Kornfeld, mitten 
-in der Ähre, mitten im Gerſtenkorne felbft verborgen ift und, als ber 
Rieſe den Arm voll Getreides zufammenrafft, eben dieſes Heine Korn 
ihm aus der Fauſt fpringt. Aber auch die entfliegenbe Feder deö ger 
tödteten Schwans ! und das entgleitenbe Rogenlorn des gefangenen 
Fiſches find unverlennbare Sinnbilber des unerlöfchlichen Lebenäleimes 
und vielleicht noch beſondrer Beziehungen fähig; ja fie fcheinen den 
Mythus auf einen größern Kreis des Naturlebens zu erweitern. Der 
Rieſe ſelbſt muß zulegt in ber Verfolgung bes Bauernfohnes untergehn, 
denn fowie ber Keim gerettet ift, bat die Wirkſamkeit ber Winters 
mächte aufgehört. Die Art aber, wie der Riefe umlommt, ift, bier 
nur im ländlichen Bilde, diefelbe, wie wir in einem früheren Mythus 
einen Andern dieſes Geſchlechts auf der Verfolgung abgefangen fahen; 
der Riefe Thiafli verfolgt Idun, die er geraubt batte unb bie ihm ala 


1 Über den Schwan vgl, Trail 115. 


381 


Schwalbe von Loli wieber entführt wurbe, in Geftalt eines Ablers; 
auf der Mauer von Asgard aber ſchießt er in das Teuer, das bie 
Aſen angünden, verjengt feine Schwingen und wird getöbtet. 

Die zwei färdikchen Bollölteber find nach bem bisherigen eine Er- 
gänzung ber altnorbifchen Mythen. Im zweiten kommt wiederholt ber 
Ausdrud vor: „So if in altem Liebe gefagt“ (Str. 50. 67: So eer uj 
Sodnun Fröji sagt); will man aber viejes bloß für eine herkommliche 
Formel betrachten, fo if gleichwohl nicht zu zweifeln, daß ber alter: 
thuͤmliche Inhalt einft auch in ber alten Liebesforn vorhanden. geweſen 
ſei. Zudem Zönnen biefelben nicht wohl auf ben Kürden felbft ent⸗ 
ftanben fein, ba bier ber Getreidebau, auf ven fie fich beziehen, ſtets 
unbebeutenb war (Faͤr. Dv: 7); basfelbe ift ber Fall mit Island 
(Troil 36), und ber Inhalt dieſer Lieder mag daher ſchon ein Erb- 
theil aus dem norivegiichen Heimathlande fein. Er bat fidh, bes hoben 
Altets unerachtet, in bem Maaße rein erhalten, daß feine Bebeutung 
no wohl durchſchaut werben kann, aber in ber Außern Ausſtattung 
zeigt. ſich ber Einfluß mittelalterlicher Romantil. Die prächtige Burg, 
bie bes Bauer verlangt, mit elfenbeinernen Wänden und Dachwerk 
von Cypreſſenholz und. von Reben umranft, die Betten mit Purpur: 
beden und Bhönizfebern u. ſ. w. find offenbar ſolche fpätere Ausmalung; 
früher: mochte ber Bauer mit einem neuen bölzernen Langhaus und 
einer tüchtigen Bierkufe darin zufrieden fein. 
In den bisher erdrterten Lieben traten noch bie großen Götter 
Thor, Dbin, Hänir, Loli, wenn auch zum Theil mit entftellten Nas 
men, auf. Bon ihnen findet fih auch in den ber Helbenfage entnom- 
menen Balladen noch einige Spur. Aber fonft waren es gerabe biefe 
böbern, Mächte, welche die neue Lehre am wenigſten bulden mochte, 
und auf das Uhfingen jener färdiichen Lieder mythiſchen Inhalts ſoll 
in früheren Seiten eine Geldbuße gelegt geweſen fein (Fär. Do. 20 f.). 
Dagegen bat ſich ver Bollsglaube eine andre mythiſche Weſenklaſſe 
nicht entfremben laſſen, die fortwährend unmittelbar aus ber umgeben- 
den Natur gu ihm ſprach. Es find dieß die untergeordneten Elementar: 
geifter, die Alfe ber altnorbiichen Mythologie, die nun in den Bal: 
laden als Eliten fortleben und gerabe in dieſer fpätern Dichtung mit 
beſondrer Liebe eigenthümlich ausgebilbet worben find. (Altnord. Alfr, 
DI. Alfar; ſchwed. elf, PL. elfar, woneben häufig ber weibliche Blur. 


382 


. elfvor; dän. elv, Pl. elve, in Zufammenfekungen beutzutag ellefolk, 
ellekone, ellekonge, ftatt elvefolk u. |. w.; aus welchem ellekonge 
durch Misverftändnis die unrichtige beutfche Überfegung Erllönig ent 
fprungen ift, da der Name des Beiftes mit dem bes Baumes Erle, 
dän. elle, altnord. elni, alnus, nichts zu ſchaffen hat. Grimm, ir. 
Elfenm. LXI). 

Es ift allen bekanntern Naturreligionen gemein, daß in ihnen 
eine Menge ſolcher untergeordneter Geifter lebt und webt, welche bald 
unfihtbar und leife geahnt die Natur erfüllen (ebenv. LIII), bald in 
[uftigen Erſcheinungen hervortreten, dem Menſchen in freundlicher ober 
feindlicher Gefiunung ſich nahend. Man faßt diefes Geiſterweſen bei 
den neuern Volkern am beſten unter dem, ihrer vielen gemeinſamen 
Namen der Elfen zuſammen. Es iſt neuerlich eine beſondre Mytho⸗ 
logie der Feen und Elfen von einem Engländer (Keightley) erſchienen, 
in's Deutſche überſetzt von D. 2. B. Wolff, 2 Theile, Weimar 1828. 
Das Grünblichfte aber ift eine Abhandlung der Brüber Grimm über 
die Elfen, melde fie der von ihnen herausgegebenen Überfegung iris 
fcher Elfenmährchen, Leipzig 1826, als Einleitung vorangeftellt haben. 

Wenn man erwägt, wie dieſes Geifterreih in übereinftimmenden 
Hauptzügen bei Völkern verfchievenen Stammes und ſonſt auch bedeu⸗ 
tend verfchiebener Glaubenslehre ſich ausgebreitet hat, jo erkennt man in 
ihm das urjprünglichite und allgemeinfte Element der mythiſchen Natur⸗ 
auſchauung, aus dem bann erft die eigenthümlichen Göttergeftalten jeder 
befondern Mythologie aufgetaudt find. Wurden dieſe durch die Herr 
Schaft einer neuen Lehre zeritört, fo trat die Auflöfung in jenes freiere 
Element wieder ein. Die luftigen Elementargeifter fchlüpften den exor 
eifierenden Bekehrern zwiſchen den Fingern durch und fie werben auch 
nicht weichen, fo lange die Völker noch mit einiger Einbildungskraft 
bie Natur anfchauen, deren wunderbares Leben fie umgibt. 

Was nun den Norben betrifft, jo unterfcheibet bie Eddalehre Licht: 
alfe und Schwarzalfe ober Zwerge, Naturgeifter des Licht? und ber 
Finſternis, Bewohner der leuchtenden Himmelögegenden und ber buns 
teln Erde (ebend. LXII f.). Mit voller Strenge war diefe Unterſchei⸗ 
dung vielleicht niemals durch alle Mythen und Sagen durchgeführt, 
aber in ven Volksliedern, bei denen wir jegt fteben, ift fie gänzlich 
aufgelöft, bie beiderlei Arten find überall verwechſelt, ihre Außern 


+, 


383 


", Kennzeichen, ihre guten und böſen Eigenſchaften manigfach vermifcht, 
und eben dieſe zweideutige Natur ift hier, wie in den entiprechenden 
Liedern und Sagen anbrer Völler, ein bervorftehenver Sus bes Elfen: 
weſens geworben (ebend. LXUI f. LXXXIX). 

Der Elfenname, ben wir als allgemeinfte Bereichnung gebrau⸗ 
chen, weicht übrigens für die beſondern Arten elfiſcher Weſen zahl⸗ 
reichen andern Benennungen. Wir veranſchaulichen uns nun dieſes 
Elfenreich in ſeinen bemerkenswertheſten Erſcheinungen durch die Sie 
ber ſelbſt. 

Erſt nur ahnungsvoll, halb im Traume fiebt man bie Elfen in 
einem Liebe, das befonders durch Herders Überjekung aus bem Dä⸗ 
nifhen, in den Stimmen ber Völler S. 446, belannter geivorben ift 


(Ude. d. Bif. I, 234. 385. Grimm 156. 521. Buf. 55 u). Auch 


ſchwediſch ift e8 vorhanden (Sv. UI, 170 bis 174). Hier nah Herber: 


EifenHö. 
Ich legte mein Haupt auf die Elfenhöh' m. ſ. w. *** 


Die Elfen, wie fie bier erjcheinen, find, was man in Schweben 
Högfolk, Hügelvolk nennt, d. 5. folde, die in Anhöhen oder in ben 
großen nordifchen Grabhügeln wohnen (Sv. III, 158). Auf einen fol: 
hen bat ſich der junge Gejel im Liebe niebergelegt und befinbet fi 
darum ganz im Luftkreiſe des Elfenzauberd. Nicht fo glücklich, als er, 
den der Hahnenſchrei eben zur rechten Zeit rettet, ift ein Andrer, von 
dem eine gleichfalls durch Herder übertragene däniſche Ballade melbet. 
Auch ſchwediſch und isländiſch findet fie fich vor, wie immer in ſolchen 
Ballen, mit mancherlei Veränderungen. (Adv. d. Bif. I, 236. 386 f. 
Jaländ. Grimm 91. 508. Sv. III, 158, 162. Mohnike 49. 208.) 
Nach Herder (ebend. 452): 


Herr Olof. 
Herr ODlof reitet ſpät und weit m. ſ. m. Rv 


Der Elfenfchlag, der dem Ritter Olof zum Verderben wird, kommt 
auch ſonſt in den Sagen vor (Grimm, ir. Elfm. CH f., 2). Aber 
auch freundlicher, wenn gleich immer gefährlich, erſcheint das Höhenvolk 
im Liebe vom Ritter Tynne. 


‘ 


384 


| Nitter Tynne (däniih Tönne). 

Schwediſch Sv. I, 82. 197. Däniſch Udv. d. Bif. I, 281. 390. Hier, 
foweit e8 für das Eifenwefen von Intereſſe, nach dem Schwediſchen, wo das 
Lied alterthämlicher lautet. Es ift auch von Mohnike I, 98 fiberfekt. 

Das war der Ritter Tynne, 

Wollt fhießen den Hirſch und die Hinde, 
Da ſah er Ulfa, des Zwerges Tochter, 
Unter grünender Linde. 


Und das war Ulfa, des Zwerges Tochter, 
Zur Dienerin ſprach ſie behende: 
„Du ſollſt nach meiner Goldharfe gehn, 
"Daß ich den Ritter zu mir wende!“ 
Sie ſchlug die Goldharfe den erſten Sqhies, 
Der mochte ſo lieblich klingen, 
Die wilden Thier' in Feld und Wald 

> | Bergeſſen, wohin fie wolln fpringen. 


Sie ſchlug die Golbharfe den zweiten Schlag, > 
Der mochte fo lieblich Mingen, ' 
Der Graufall, der auf dem Zweige faß, 
Er breitet aus feine Echwingen. 


Sie ſchlug die Boldharfe den dritten Sqhlas, 

Der mochte-fo lieblich klingen, 
Der kleine Fiſch, der ſchwamm in der Flut, 
Bergißt, wohin er will ſchwimmen. 


Hier blühte die Au, Hier belaubte ſich's all, 
Das mochte der Runenſchlag walten; 

Nitter Tynne fein Rofs mit dem Sporne ſtach, 
Er konnte ſich nicht mehr halten. 

Und das war Ritter Tynne, 

Bon feinem Roſs er ſich ſchwinget, 

Sp geht er zu Ulfa, bes Zwerges Tochter, 
AU unter gruͤnender Linde. 

„Ihr fitet Hier, meine Jungfrau ſchön, 

Über alle Lilien. eine Rofe; 

Euch fieht niemals ein irdifcher Dann, 

Den nicht lüſtet, um euch zu koſen.“ 


385 


„Schweigt fill, ſchweigt ſtill, Ritter Tonne, 
Mit eurem Liebeswerben 

Ich hab’ mich einem Bergkoͤnig verlobt, 
Einem König über alle Zwerge. 


Mein Bräutigam fit im Berge drinn, 
Goldtafel fpielt er im Berge, 

Mein Bater ftellt feine Kämpen im Kreis 
Und kleidet in Eifen die Zwerge. 


Meine Mutter fit un Berge drinn, 
Und legt das Gold in den Schrein, 

Ich ſchlich mich heraus eine Heine Weil’, 
Zu ſchlagen die Goldharfe mein,“ 


Und das war Nitter Tynne, 

Klopft fie auf die rofige Wange: 
„Warum nicht antworteft bu beffer mir, 
Herzliebfte, nad) der ich verlange?“ 


„Nicht beſſer kann ich antworten euch, 
Kann felbft darliber nicht walten. 

Ich bab’ mich einem Berglönig verlobt, 
Das Gelübde muß ich ihm halten.“ 


Und das war Thora, des Zwerges Grau, 
Sah zur Bergthüre hinaus, 

Da ward ihr zu ſehn, wie Nitter Tynne 
Saß unter der Linde draus. 


Und das war Thora, des Zwerges rau, 

Sie war fo ernft und firenge. 

„Was Haft du draußen im Walde zu thun? 
“ Sieber find nicht deine Gänge. 


Biel befler wärft du im Berge drinn 
Und legteft Gold in den Schrein, 
Als daß du fiel im Aofenwab 
Und ſchlägſt die Golbharfe dein, 


Und beffer wärft du im Berge brinn 

Und nähteft dein Brautkleid zu Ende, 

Als zu Schlagen unter Linde den Runenfchlag, 

Der des Chriftenmanns Herz zu dir wende.” 
Upland, Säriften. VII. 25 


& 
’ 


386 


Und das war Ulfa, des Zwerges Tochter, 
Sie geht in den Berg zuhaud, 

Ihr nach geht Ritter Tonne 

In Scharlach und Pelzgewand. 


Und das war Thora, des Zwerges ran, 
Den Goldſtuhl rückt fie heran, Ä 
So jentt fie Ritter Tynne in Schhummer, 
Bis daß da krähte der Hahn. 


Und das war Thora, des Bwerges Frau, 
Zünf Runebilcher nimmt fie zur Hanb, 
So loſt fie ihn aus den Aunen, 

Worein ihre Tochter ihn band. 


„Und bört ihr, ‚Ritter Tonne! 

Run habt vor den Runen ihr Trieben; 

Das will ich euch fagen in Wahrheit: 

Meiner Tochter feid ihr nicht beichieden“ u. |. w. 


Da gab fie ihm ein neues Kleid, 
Mit Sol und Berlen beftedt, 

- Und jede Naht im Kleide war 
Mit edeln Steinen bededt. 


° Da gab fie ihm ein Rofs fo gut, 
Einen neuen Gattel fofort: 
„Re ſollſt du nad) dem Wege fragen, 
Dein Rofs findt immer ben Ort.“ 
Und das war Ulfa, des Zwerges Tochter, 
No immer war er ihr werth. 
Sie gab ihm einen neuen Speer 
Und dazu ein gute? Schwert, 

’ „Nie wirft du flreiten einen Streit, 

Daß da des Siegs entbehrefl; 
Nie wirft dur ſegeln auf der Ger, 
Daß du zum Strand nicht Tchreh” m. ſ. w. 

Mas bier von der alten Ballave gegeben worden, ift nur etwa 
die Hälfte des Ganzen, fo viel nemlich das Leben und den Haushalt 
bes elfiichen Bergvolkes betrifft. Drinnen im Berge ift Alles mit 
Erzen beihäftigt. Die Berglönige fpielen Goldtafel oder Heiden ibre 


u 387 . 
Mannſchaft in Eiſen, die Zwergfrau legt Gold in den Schrein. Die 
ſchöne Tochter aber ſchleicht ſich hinaus und ſchlägt den Goldklang der 
Harfe an, um den Ritter zu bezaubern. Nachdem dieſer auf dem 
Goldſtuhl geſchlummert, wird er von den Runen entbunden und erhält 


zum Abſchied wunderbhare Waffen und herrliche Kleinode. Das Lieb 


erzäblt aber noch außerdem, wie die Zwergfrau dem Ritter vertraut, 
‚daß fie von Chriften geboren und in ben Berg geitohlen fei, wie fie 
ibm, zum Erſatz für Ulfa, die ihm nicht werden kann, ihre königliche 
Schweftertochter beftimmt und wie fie ihn eben dazu fo wohl ausrüftet, 
damit er diefe, die an einem fremden Hofe feftgehalten ift, in ritter 
lichem Kampfe befreien könne, was er dann aud rühmlid ausführt. 
Diefe Geichichten aber können, wenigſtens in ber Ausführlichkeit, mit 
der fie jetzt erzählt find, nicht urfprünglich zur Fabel gehört haben und 
e8 weichen auch gerad in diefem ‘Theile des Liedes die fchwebifche 
: und bie bänifche Überlieferung hauptfächlich von einander ab. 
Bas bier nur kurz berührt if, daß auch der Bergkönig felbft . 
berauslommt, um fich unter den Töchtern der Menſchen eine Braut 
zu bolen, ift der Gegenftand eines andern ſchwediſchen Liedes, bas in 
mehefadhen Berfionen vorliegt. Die vollftänbigfte ift diefe: 
Der Berglönig. - 
(Sv. II, 22. Sonft auch den Bergtagna, die Berggefangene, Sv. I, 1. 

II, 201. Die Verbreitung dieſes Bollsglaubens in Schweden zeigt fi aud 
darin, daß man eigene Worte für foldde Entführungen in den Berg bat: 
bergtagen, Adj., in den Berg genommen, von taga, nehmen; bergtagning, 
Subſt., die Wegnahme in den Berg). 

Stolz Margaret hatt’ einen Bater jo reich, 

Der war König Über fieben Königreich. 

Um die Jungfrau freiten der Grafen zwei, 

Sie aber wollte noch bleiben frei. 

Um die Jungfrau freiten ber Fürſten vier, 

Doc feiner der viere gefiel noch ihr. 

Um die Jungfrau freiten Könige fieben, 

Doch keiner von allen wollt’ ihr belieben. 

Bergtönig fragt feine Mutter um Rath, 

Die er am beften ſtolz Margaret faht. 


388 


„Wie viel denn will du geben mir, 

Daß fie felbR fell fommen zum Berge dir?“ 

„Dir will ich geben das rothefte Gold 

Und alf deine Kiften mit Pfennigen voll.“ 

Eines Sonntagmorgens, da follt’ es geſchehn, 

Stolz Margaret wollte zur Kirche gehn. 

Und all wie fie geht, oder fliehen bleibt, 

AU näher es fie zum Berge treibt. 

Sie geht um den Berg dreimal im Kreis, 

Da Öffnet fi eine Thilre leis. . 

Stolz Margret hinab durch die Bergthür fleigt, 

Berglönig ihr freundlich die Augen neigt. 

Er nahm die Jungfrau auf feine Knie 

Und mit Golbringen verlobt’ ex fie. 

Er nahm fie in feinen Arm fo hof, 

Gab Königswärd’ ihr und Krone von Gold. 

So war fie im Berg acht volle Jahr, 

Bis fie zwei Söhn’ und ein Mägblein gebar. 

Und als fie acht Jahre geweſen aus, 

Berlangte fie nad ihrer Mutter Haus. 

Berglönig ſprach zu den Kuechtlein zwein: 

„Spannt ihr vor ben Wagen die Grauroſſ ein!" 

Stolz Margaret trat zur Bergthür hinaus, 

Da weinten die Heinen Kinber zubans. 

Berglönig nahm in die Arme fie hold, 

So hob er fie auf den Wagen von Go. 

und hör du, Kuechtlein, und merk dir's genau! 
Zum Hof ihrer Mutter führ' du die Fraul“ 

Stolz Masgaret ab vor der Thlire fleigt, 

Und die Mutter ihr freundlich Die Augen neigt. 

„Und wo denn bift du geiweien fo lang?“ 

„Ich macht’ auf der Blumenau einen Gang.” 

„Was foll denn die Haub’ in deinem Haar? 

So tragen fich Yranen und Mütter fürwahr.“ 


389 


„Wohl hab’ ich die Haube zum Schmuck mix gewählt, 
Berglönig-ift mir verlobt und vermäßlt. 

Im Berge war id bie. vollen acht Jahr, 

Wo ich zwei Söhn' und ein Mägdlein gebar. 
Wohl hab' ich zwei Söhn' und ein Töchterlein, 
Das wird die herrlichſte Jungfran ſein.“ 

„Stolz Margaret, hör' und laß mich verſtehn, 
Kann ich folgen dir heim und die Kindlein ſehn?“ 
Berglönig ein durch die Thüre ſchritt, 

Und Margaret fiel zur Erde damit. 

„Und ſtehſt da nun bier und Magft fiber mich 
Und wendeft nicht wieder zum Berge dich? 

Und ſiehſt du nun bier und klagſt dein Geſchick 


Und kommſt nicht von felbf zum Berge zurlid?“ 


Er ſchlug fie anf die rofige Wang: 
„Wohlauf, deine Kindlein warten ſchon lang” u. f. w. 


Berglönig fie auf die Arme hob 
Und in den vergiifbeten Wagen fchob. 


„Und hör du, Knechtlein, und merk dir’s genan! 


Zum Berge follft bu führen die rau.“ 


Stolz Margaret trat zur Bergthür ein, 

Da freuten fo ſehr ſich die Kinder Hein. - 

„Es ift nicht werth, daß ihr meiner euch frent. 
D wär’ ich nicht eure Mutter noch heut!“ 

Das eine bradte den Stuhl von Gold: 

„Meine traurige Mutter, bier ansruben wollt!" 
Das zweite bracht’ ein gefülltes Horn, 

Das dritte legt’ drein eis verglildetes Korn. 

Und den erfien Trunf, den fie trank im Saal, 
Bergaß fie Himmel und Erde zumal. 

Und den zweiten Trunk, den fie trank im Saal, 
Bergaß fie Gott und fein Wort zumal. 

Und den dritten Trunk, den fie trank im Saal, 
Bergaß fie Schweſter und Bruder zumal 


I 


3% 
So vergaß fe "beide, Schweſter md Bruder, 
Do nimmer vergaß fie die trauernde Mutter. 

Derſelbe Verkehr, wie mit den Berggeiftern, beſteht auch zwiſchen 
den Chriſtenleuten und den Waflergeiftern; die Lage und Beſchaffenheit 
des Landes enticheibet, weldhe Art diefer Naturweſen vorwalte. Was 
im jchwebifchen _Berglande vom Vergkÿnig gefungen wirb, das iſt in 
Daänemark auf den Meermann angewandt. Vergleichen wir die bänifche 
Berfion der eben borgetragenen ſchwediſchen Ballade! 


Agnes und der Meermanni. 
Agnes auf ihrem Söller fund, 
Strads tauchte der Meermann aus dem Grund. 
„Und hör’ du, Agnes, wie ich es mein! 
Wit du meine Herzallerliebfte fen?“ 
„D ja! o ja! das will ih zurftund, 
Wenn du mit mich nimmft auf des Meeres Grund.“ 
Er ſtopft' ihr die Ohren, er ftopft’ ihr den Mund, 
So führt’ er hinab fie zum Meeresgrund. 
Sie waren zufammen acht volle Jahr, 
Sieben Söhne fie ihm gebar. 
Agnes jaß an der Wieg’ und fang, 
Da hörte fie Englands Glockenklang.“ 
Agnes gieng vor den Meermann zu ftehn: ‚ 
„Und dürft’ ich wohl in bie Kirche gehn?“ 
„Zur Kirche laß ich dich gerne fein, 
Wenn du wieder kommt zu deu Kindern Hein.” 
Er ſtopft' ihr die Ohren, er Ropff ihr den Mund, 
So führt! ex empor fie. auf Englands Grund. - 
Agnes trat in die Kirchthir ein, 
Ihre Mutter alsbald hinterdrein. 
„Und hör du, Agues! anworte mir wahr! . 
Wo biſt du geweſen acht volle Jahr?“ 
„Ih bin im Meeresgrunde geweien, 
Mit fieben Söhnen vom Meermaun genejen.“ 
1 Agnete og Havmanden, Udv. d. Vis. I, 318, 394. 


— 


391 


„Und was gab er bir für die Ehre zuvor, 

Da 7 zu feiner Braut dich erfor?” 

„x bat mir gegeben ein gut Goldband, 

Rein prächtigers glänzt au ber Königin Haud.“ 

Und der Meermann trat zur Kirchthür ein, 

Da drehten die Bilder fih indgemein. 

Sein Haar war wie das Jauterfie Gold, 

Seine Augen waren jo forgenvoll 1. 

„Und hör du, Agnes! perweil nicht mehr! 

Deine Kinder verlangen nad) dir fo fehr.“ 

„Laß fie verlangen, jo lang und fo jehr! - 
Dorthin komm’ ich doch nimmermehr.” | 
„Und dent an die großen und denk an die Hinmn 
Und die Heinften, die in der Wiege weinen!“ 

„Rimmer denk ich. der großen noch der Heinen, 

Noch der Meinften, die in der Wiege weinen.“ 


In der ſchwediſchen VBerfion muß die Frau zum Berge zurüd, 
fühlt fi aber mitten unter ihren Kindern unglüdlich; bier Tehrt fie 
nicht wieder und trennt fich noch jchneidender von den Kindern. Beide⸗ 
mal ift dieſe Verbindung der Chriftentöchter mit den bämonifchen Wefen 
unbeilbringend, und barum wird fie im ſchwediſchen Liebe ber ftolgen 
Margaret zur Strafe, die vorher zwei Grafen, fünf Fürſten und fieben 
Könige verfchmäht hatte, | 

Der gute Meermann ift gewöhnlich am Ende ber Betrogene, fo 
in einem andern, ‚gleichfalls in verfchiedenen Überlieferungen, däniſch 
und ſchwediſch, vorhandenen Liebe. Hier bie eine ber bänifchen Ver⸗ 
fionen, nah Grimm (S. 201) ?: 

Es wohnt eine Frau in Dänemark u. |. m. *** 


Jamiejon, der feiner Sammlung fchottifcher Balladen eine Über 
ſetzung dieſes altbänifchen Liebes beigefügt hat, macht die Bemerkung, 
der Meermann fei ein ehrlicher Teufel und im Grunde der befte Chriſt 
von allen dreien geweſen (Sv. III, 139). 
1 frydefuld’? 
2 pr, 2. Bil I, 218 bis 2833. 884. 


892 


Auch unter dem Namen der Ned (ſchwed. Necken, unfer Rige)- 


fommt der Waflerdämon vor. Als folcher geht er wieber auf Braut: 
werbung aus in folgenbem ſchwediſchen Liebe, das auch in däniſchen 
Balladen variiert ift. Nach Mohnikes Überfekung I, 128:- 
"Der Ned.t | 
Der Ned ex geht auf bem fchneeweißen Sand n. |. w. 


Die Macht der Harfe, die den Ritter in ben Berg verlodt, kann 
aber auch dem Ned feine Beute wieder entreißen, wie ein weiteres 
ſchwediſch⸗däniſches Lieb erzählt. Mohnite I, 57: 

Der Harfe Kraft? 
Der Gefell er gebt und fpielet im Freien u. J we 

Auch von der Meerfrau (Hafsfrun, ſchwed.) Handeln mehrere Lieber. 
Ein ſchwediſches (Sv. III, 148 ff.) erzählt, wie ber Bruder die don 
ihr geraubte Schwefter zurüderlangt. Wie der Meermann den Jungs 
fraun, fo ift fie den Sünglingen gefähr. So in folgender Überlieferung 
aus Uppland (Sv. I, 110 ff.): 

Herr Dlof jattelt fein graues Pferd, 
Nach der Meerfran Hofe der Ritter fährt. 
Gerr Olof ritt, fein Goldſattel floß, 
Hear Olof er fintt in der Meerfrau Schooß3 u. |. w. 
„Willkommen, willkommen, iung Olof, mir! 
Fünfzehn Jahr erwart’ ich dich bier. 

Doch wo biſt du geboren, wo ausgeritten? 
Wo find dir deine Hofkleider geſchnitten ?“ 
„Bon des Kaiſers Hof bin ich ausgeritten; 
Du find mir meine Hoffleiber geſchnitten. 
Dort haͤb ich den Bater und dort die Mutter, 
Dort Hab ih Schweiter, dort hab ich Bruder. 
Dort hab ih Wiefe, dort hab ich Feld, 

Dort fieht mein Brautbett ſchon beftellt. 


I 8v. DI, 127. I, 160. Eine däniſche Bartation bei Herder, Stimmen 
der Bölfer &. 450. Ä 

2 Sv. III, 140. Udv. d. Bil, I, 826. 395, 

3 Sköt, fonft sköte, n. Ehoof; sköt, m. aber u eine Art Netz. 


393 


Dort weilet die Brant, die getrene, mir, 
Mit ihr will ich leben und ſterben mit ihr.“ 
„Unb Hör; Ritter Olof! fomm, feig wir herein! 
Aus füberner Kanne trink lauterfien Wein! 
Bo bift du nun geboren? wo ansgeritten? 
Wo find dir deine Hoflleiver geichnitten?* 
„Hier bin ich geboren, hier ausgeritten, 
Hier find mir meine Hoflleider geſchnitten.“ 
„Ro haſt du nun Bater? wo haft du nun Mutter? 
Und wo haft du Echmefter? und wo haft du Bruder?“ 
„Hier hab ich Vater, hier Hab ich Mutter 
Und bier had ich Schwefter und hier hab ich Bruder.“ 
„Wo haft du nun Wiefe? wo Haft du nun Feld? 
Wo ftehet dein Brautbett ſchon beftellt?“ 
„Wo weilet die Braut, die getreue, dir, 
. Mit der du willſt leben und fterben mit ihr?“ | 
„Hier hab ich meine Wiefe, hier Hab ich mein Feld, 
. Hier if mein Brautbett ſchon beſtellt. 


Hier weilet die Braut, die getreue, mir; 
Mit die will ich leben und fterben mit bir!“ 


Des Zaubertrant, der hier den Ritter DIof feine wahre Heimaih ver⸗ 
geſſen lehrt, iſt derſelbe, von dem auch ſtolz Margaret nach ihrer Rückkehr 
in den Berg getrunken und über dem ſie Himmel und Erde, Gott und 
fein Wort, Schweſter und Bruber vergißt, nur die trauernde Mutter nicht. 
Z3u den Bollslievern von den Waflernigen gehört noch die ſchwe⸗ 
diſche Ballade vom jungen Magnus, ben bie Meerfrau Iodt. Sie ift 
in mehreren Verfionen vorhanden, die zum Theil in das ſchwediſch⸗ 
daniſche Lied vom Jungling auf dem Elfenhügel übergehen. Eine ber: 
ſelben aber nimmt beftimmte Beziehung auf ein geichichtliches Ereignis, 
das im Lichte des Vollsglaubens bargeftellt iR. Herzog Magnus, der 
jüngſte Sohn Buftavs I (erfte Hälfte des 16ten Jahrhunderts), brachte 
als ſchwachſinnig feine letzten Lebensjahre auf dem Herrenbofe Kungs⸗ 
bro und dem Schloffe Vadſten in Dftgotland zu. Davon beiagt noch 

die allgemeine Tradition, er ſoll eines Tags, bezaubert von der Schön: 
heit der Meerfrau, die ibm von ber See winkte, fich über Hals unb 


34 

Kopf aus dem Fenſter in das Waſſer geftürzt, Haben, aber unbeſchädigt 
von feinen Wächtern wieder aufgefangen worben fein und bann erzählt 
haben, wie ihn zwei emporgehobene Arme in feinem Falle leicht aufger 
faßt. Bon ihm fingt nun die bemerkte Verfion der Ballave, wie er aus 
dem Fenſter des Schlofles die fchöne Meexfrau fieht, wie ihn dieſe mit 
mancherlei Verheigungen zu ſich lodt und, als ex fich meigert, ihn 
mit Wahnfinn bedroht. Wahrſcheinlich ift ein älteres Lied dem wirk⸗ 
lichen Borfall anbequemt, dann aber auch der hiſtoriſche Name auf die 
andern Berfionen bes Liedes übertragen worden (Sv, IL 168 bis 174. 
178 bis 180. 

Doch ift der Name Magnus auch ſonſt in ben Balladen zu Haufe 
und ed Zönnte darin zum Voraus ein Anklang gelegen fein, ber bie 
Vollsdichtung mit dem Ereignis verband. 

Nachdem wir dieſe Bilter aus dem Elfenleben in bunter Reihe 
borübergeführt, ftellt fich das Bedürfnis heraus, diejelben unter allge 
meinere Gefichtspuntte zu ſammeln. Das Berhältnis des Elfenweſens 
zum Syſtem der altnorbifhen Mythen ift bereitö beiprochen morben; 
aus der Auflöfung des letzern bat fich jenes entbunven und frei ent- 
widelt. Um fo nöthiger iſt es, fich darüber Nechenichaft zu geben, 
wie dieſes Elfenreich im lebendigen Verſtändnis des Volles, in feinem 
innern Bebürfnis baftete. . 

Die Natur ift ein Wunder aud Für folde Zeiten, welche tiefer 
in die Gründe ihrer Erſcheinungen eingedrungen und ihrer Kräfte im 
höheren Grade Meifter geworden find; wie viel munberbarer muß fie 
dem jugenbliddern Alter der Volker ſich bauftellen, welche bie Erſchei⸗ 
sungen der Natur mit frischen Sinnen beobachten, ohne die Urſachen 
derjelben enträthſeln zu Fönnen, welde den Wirkungen ver Raturfräfte 
viel ſchutzloſer ausgeſetzt ſind und dieſe nicht durch ſich ſelbſt, ſondern 
nur durch perfönliche Tüchtigkeit zu beiämpfen wiſſen! Die mangelude 
Kenntnis der Geſetze und Uvfachen wird durch die Phantafie evfegt und 
das Wirlen der Elemente geftaltet ſich nach ter Weife der menſchlichen 
Natur. Hiemit erhält dasſelbe Perfönlichkeit, wird nach. Menſchenart 
in Charakter und Handlung geſetzt. Immer aber liegt das Gefühl 
des Unergründlichen im Hinterhalt, immer erſcheint die Natur vertraut 
zugleich und grauenhaft. Die Natur iſt auch wirllich getreu zwar und 
verläflig in ihrem großen Gange, aber ungelreu in ihren Wechſeln. 


33 
Das .Gebirg, der weite Wald haben ihre ftille große Einfamkeit, ihre 
ahnungsvollen Bauberftimmen t, aber fie haben auch ihre wilden Ge 
walten und plößlichen Schrecen. Der klare Strom, der ruhige Meeres⸗ 
Spiegel locken ven Schiffer vom Strand und den Schwimmer zum Babe, 
aber plötzlich erheben fie ſich wogend im Sturme ober ziehen in ver 
bergene Wirbel hinab, Dadurch wird der Gharalter der in den Liebern 
perfonificierten Elemente, ber Berg: und Meerelfen, nothwendig ein 
zweideutiger; fie find bald licht, mild mb anlodend, bald wüfter, zow 
nig und verderblich. Im auögebildetern Spftem ber Altern Mythologie 
haben ſich bie wohlthätigen und verberhlichen Naturkräfte mehr bualiftiich 
abgeſchieden; jet, nad bes Aufhebung jenes Syſtems, erfcheinen fie 
vorzugsweife in ihrer Miſchung und Doppelfeitigleit. 

Die Hanblung, in welche fie treten, ift im Gangen eine einfache, 
den verfchiedenen Elementen gemeinfame. Der Menſch mwirb von ven 
Raturpeiftern angezogen, überrafcht und hingenommen; bald bleibt er in 
ihter Gewalt, bald wird er aus derſelben befreit. Die Bhantafie für ſich 
erllart ſchon alle viele Bezauberungen, Gntführungen und Rettungen 
und die Wilder, unter welchen fie bargeftellt find. Ein poetifcher Bid 
in’ den Grund bes Meeres ober in die Schadhte bes Gebirgs ſchmückt 
und bevöllert dieſe geheimnisvollen Tiefen; die elfiihen Geftalten fteigen 
berauf und hinab; aber, wie der Menſch überall ein Menſchenherz ſucht, 
fo findet auch mander Hinabgezogene dort ein Geſchwiſter ober ein Ge 

liebtes wieder, das ihm zum Trojt und zum Heile wird. Wenn uns aber 
auch. fhon der Drang der Phantafie und des Gemüths zur Erklärung 
ausreicht, fo ift doch wicht zu zweifeln, daß auch Erfahrungen aus. dem 
Leben mitunterliegen. In wenig gebauter Gegend, bei weit zerfireuten 
" Wohmungen und ungebahnten Wegen, in ber einfamen Wildnis bes 
Waldes und Felsgebirgs, an twilden Strömen und auf dem unfteten 
Meere mufte den Naturmächten mandyes Opfer awbeimfallen. Ba 
findet man auf der Brüde die goldgeſpangten Schuhe ver Yungfrau, 
die der Ned binabgerifien, und im Waflerfall ihren Zeichnen ?.. Mit 
bleicher Wange kommt Dlof zu feiner Diutter beim, nachdem er ben 

1 Das Echo heißt im Isländiſchen und Färdifhen die Rede der Zwerge, 
der Bergelfen. Lex. isl. I, 160: Dvergmäl, n. eclio. Fär. Oväd. 464, 77. 


468, 90. 470, 9. | 
2 Bgl. Vilk. 8. 6..20. ©. 84 


396 





Elfenſchlag empfangen, unb wieder auf andre Weile fahen wir ben 
wahnwitzigen Herzog Magnus aus der Geſchichte in die dabel ge⸗ 
zogen. 

Ein vorzuglicher Grund ber großen Vorliebe für das Elfenwefen 
lag aber auch in bem eigentbümlichen Charalter, den das Chriftentbum 
in der Lehre der Belebrer und ihrer Nachfolger angenommen batte und 
bei dem ein bedeutendes Bebürfnis ber Phantafie und bed Gemüths 
unbefriebigt blieb. Überall wurde ber einige Gott ‚weit mehr. in ber 
Eigenſchaft des Erlöfers, als in der des Schöpfers, verlünbigt; über: 
al wurden die Wunder und Myſterien der Verſöhnung und Selig⸗ 
machung vorangeftellt, die. der Erfhaffung und Erhaltung. ber Welt 
blieben auf fi beruhen. Die Sehnſucht, in ber Natur das Göttliche 
zu erfennen, war die Grundlage ber. alten Naturreligion und murbe 
von dieſer emfig genährt und gehegt. Diefem Verlangen kam bie neue 
Lehre, jo wie fie behandelt wurbe, auf feine Weife entgegen; die höl⸗ 
zernen Heiligenbilder drehten ‚fi um, wenn der Ned in die Kirche trat. 
Nur als böfe Dämone wurden die Naturgeifter im Kirchenglauben ge 
duldet. Ein fo tief gepflanztes Bebürfnis nahm ſich aber dennoch, fein 
- Recht und die fehmerzlich gefühlte Lücke wurbe mit einem Überrefte des 
beidnifchen Naturglaubens, mit vem Elfenleben, ausgefüllt; dieſes wurde 
jogar, ba auf ber andern Geite fo Vieles von dem alten Gotterweſen 
weggefallen war, mit befondrer Neigung und reichem poetifchem Triebe 
nusgebilbet. 

Man kann felbft für unfre Zeit noch die Frage aufmerfen, ob 
nicht die Religionslehre fich zu ausſchließlich von der Natur ab auf das 
“ Unfichtbare gewendet habe und dadurch zwiſchen ber Religion und der 
Poeſie, der die Natur und das äußere Leben unentbehrlich find, eine 
unerfprießliche Trennung beftehe, welche wegfallen würbe, wenn man 
den Difenbarungen des Göttlichen in ber fichtbaren Welt eine vollere 
Anerlennung wiberfahren ließe. 

In den bisher durchgegangenen Vollsballaden waren es haupt⸗ 
ſaͤchlich die allgemeinern Naturweſen, die Elemente, welche beſeelt und 

geſtaltet wurden. Aber dieſe Beſeelung äußert ſich noch weiter und 
durchgreifender; auch in Bäumen und Thieren wird eine fühlende Seele 
geſucht, und wenn die Elementargeilter, jo nabe fie dem Menfchen 
rüden, doch immer etivas Außermenſchliches, Damoniſches, behalten, 


397 


was fie an bie alte Götternatur anfnüpft, fo legt nun ber Menfch 
hinabwärts in die andern Geſchoͤpfe feine eigenen Vermögen, Empfin- 
dungen unb Leidenſchaften. So liegt wirklich eine weitere beträchtliche 
Zahl von Liedern vor und, welche von ſolchen Berwandlungen handeln. 
Dergleihen find uns auch in der Götter und Helbenfage borgelonmen, 
two der mit der Macht, fi) zu verivanbeln, begabte hamramr ! heißt. 
In den Balladen find fie meiſt durch Verzauberung, beſonders von 
einer böfen Stiefmutter, herbeigeführt: - 

Wir beginnen mit der Linde, nad, einem ſchwediſchen Liebe, Sv. 
DI, 114. Ich habe für die Überfegung noch die Varianten einer 
andern, von den Herausgebern beigebrachten fragmentarifchen Aufzeich- 
nung, fowie einige von Nyerup mitgetheilte Strophen eines daniſchen 
Verfſion, Ude. d. Viſ. V, 25 f., benügt, 

Die Jungfrau geht in der Roſenwald, ) 
Da ficht eine grünende Linde fie bald. 

„Da ſtehſt du, Linde, fo ſchön und fo hold, 

Und Blätter trägſt du, fie glänzen, wie Gold.“ 

‚Was rühmſt du mich jo? Das verlohnet ſich nicht; 
Dein ift ja das Süd, das mir Armen gebricht. 

Du fie da drinne, wärmf Hand bir und Fuß, 

Ju Zweig und in Wurzel bier frieren id muß. 

Es kommen die Freier und freien um bi), 

"Die Bimmerleut’ kommen, befichtigen mid. 

Zur ‚Mtartreppe wert’ ich geripellt, 

Re mander Sünder auf's Anie bin fällt. 

Zu einem Betſtuhl werd' ich zerjägt, 

Dranf mande Suündrin die Hände legt.“ 

„D liebe Linde, dieweil du kannſt fpredden, 

Mag nichts in der Welt dir den Kummer brechen ?“ 
„D nichts in der Welt kann den Kummer mir brechen, 
Als König Magnus, Hunt ih ihn ſprechen.“ 

Und die Fungfrau fette ſich nieder und ſchrieb: 

„Ber trägt mir den Brief hin? wer thut mir's zu Tieb ?“ 


1 [Schriften I, 152 f. 8] 


398 


in — 0 — — 


— 


Stracks flog hernieder ein Falle fo grau: 
„Ich trage den Brief nach des Königes Ban.“ 
Der Falle den Brief in die Mlauen nahm 
Und zum Könige Magnus geflogen lam. 
Der König nahm ihm den Brief aus der Klau, 
Las haflig und las jebes Wörtlein genau. 
„Run fattelt mir ſtracks meinen Renner fo roth, 
Daß ich reit’ und befre? meine Braut aus der Roth!“ 
König Magnus rannt' auf dem rothen Roſs, 
Gefchwinder ein Theil, als der Kalle ſchoß. 
Auf die Kniee warf fi der König ſtolz 
Und Hifste die Jungfrau im Lindenhofz. 
König Magnus fiel vor der Jungfrau Fuß 
Und küſst' auf die Lindenmurzel den Kufs. 
König Magnus den Stamm mit den Armen umfchlang, 
Bis fo ſchön eine Jungfrau der Find’ entiprang. 
Er hob die Jungfrau wohl auf fein Roſs; 
So ritt er mit ihr nad dem Königsſchloß. 
- Er fette fie auf fein Kniee fofort, 
Gab ihr Goldkron' und Berlöbnigwort. 

Aber nicht bloß die Linde ift eine verzauberte Jungfran, auch die 
Nachtigall, die auf der Linde fingt., Davon iſt ein auf ſchwediſchen 
und bänifchen Slugblättern, mit Ausnahme der Iprachlihen Verſchieden-⸗ 
heit, gleichlautenbes Lieb vorhanden (Sv. II, 67. Ubv. d. 8if. I, 250. 
388 1): 

Die Nachtigall. 
Ich weiß wohl, wo da flieht ein Schloß; 
Das ift jo wohl gezieret 
Mit Süber und mit rotbem Gold, 
Bon Duadern aufgeführet. 
Und vor dem Schloß ſteht eine Lind’ 
Mit ſchönen, grünen Blättern, 
Darin wohnt eine Nachtigall, 
Läßt ihre Stimme ſchmettern. 


1 Bol. Niederd. Liederb. Nr. 66. 


Ein Ritter kam geritten ber 

Und lauſchte dem Gefange. 

Zur Stunde war’$ ber Mitternacht, 
Berwundert hielt er lange. & 


„Run hör du, Heine Nachtigall! 

Ein Lied noch mögf du fingen! 

Deine Federn laß' ich befchlagen mit Gold, 
Um den Hals dir Perlen ſchlingen.“ 


„Was follen Yedern mir von Gold, 
Die dir fo wohl gefallen? 

In der Welt bin ich ein Vogel wild 
Und fremd den Leuten allen.“ 


„Biſt du in der Welt ein Vogel wild 

Und fremd den Leuten allen, 

Dich quält wohl Hunger, Froſt und Schnee, 
Auf breiten Weg gefallen?“ 


„Dich quält nicht Hunger, quält nicht Schnee, 
Der fällt auf breite Wege; 

Mid quält wohl eine Sorge mehr, 

Die ich fo heimlich pflege. 


Zwiſchen Berg und tiefem Thal 
Die ſtarken Ströme treiben; 

Doch wer hat einen treuen Freund, 
Wird unvergeſſen bleiben. 


Wohl Hatt’ ich einen Liebſten mir, 
Einen Ritter, kühn und bieber; 
Stiefmutter warf das ploͤtzlich um, 
Es war ihr all zuwider. 


Sie ſchuf mich zu einer Nachtigall, 

Hieß durch die Welt mich fireifen, 

Meinen Bruder zu einem Wolf fo grimm, 
Hieß ihn im Walde ſchweifen. 

Stracks fuhr er in den Wald hinein, 
Nicht fol! er Heil erfahren, 

Solang er nicht ihr Herzblut trank; 

Das warb nach Reben Jahren. 


‘ 


400 


Da wollte fie fi) eine Tags . 

Am Rofenwald ergeben; | 
Mein Bruder ſah's und ließ nicht ab, 
Bol Grimma nad ihr zu jpähen. 


Ergriff fie bei dem linken Fuß 

Mit ſcharfen Wolfesflauen, 

NE aus ihr Herz und trank ihr Blut; 

Da war er heil zu ſchauen. 


Ich bin ein Heiner Vogel noch 
Der fliegt in Wälbern, weiten, . 

- Mein Leben ift fo fummervoll, \ | 
Zumeift in Winterözeiten. a 


Doch danf ich Gott, der mich erwedt, 
Daß ich die Zunge rühre. 
In fünfzehn Jahren ſprach ich nicht, 
Wie ih Geſpräch Hier führe. 

Ich fang nur immer auf dem Bweig 
Mit Nachtigallenklage, 
Und nirgends fand ich beſſern Ort 
Als in dem grünften Hage.“ 
„Run hör, du Heine Nachtigall, \ 
Und thu, wie ich .dir melde! 
Am Winter fi? in meinem Baur, 
Am Sommer fleug zu Felde!“ 


„Hab, ſchöner Ritter, Dank dafür! - 
Doch hilft's nicht meiner Plage; 
. Stiefmutter hat's verboten mir, - 

So lang ih Federn trage.” 

Die Nachtigall befann fich noch, 

Der Ritter bielt nicht ftille, 

Denn bei dem Fuß ergriff er fie, 

So war ed Gottes Wille u. |. w. 


Ex nimmt fie mit fi) heim im fein Gemach, wo fie ſich in mehrere 
Thiere, zum Löwen und Bären, zur Schlange und zum Lindwurm 
umwandelt und erit, als ber Ritter diefen mit einem Heinen Meſſer 
Blut gelafien, als Jungfrau, ar wie eine Blume, vor ihm ſteht. 


® 401 
Sie entbedt ihm nun weiter, daß fie eine Tochter des Königs von 
Egyptenland fei, und er erfennt nun. in ihr feine Schweitertochter. 
Diefer Schluß hat etwas Frembartiges; auch ſprechen andre An- 
zeichen dafür, daß diefe Ballade aus Deutfchland nah dem Norden 
gelommen fei. Die Eingangsftrophe, von dem mwohlerbauten Schloffe, 
kommt in beutfchen Liedern vor und die wörtliche Übereinftimmung bes 
dänifchen und ſchwediſchen Tertes, die auch beide gebrudten Blättern 
entnommen find, verräth ein gemeinfchaftlices Driginal. Iſt fie aber 
auch vom verwandten Deutichland gefommen, jo hat fie fi) doch ganz 


in die Vorſtellungsweiſe der nordischen Balladendichtung eingefügt. Die . 
Verwandlung des Bruberd in einen Wolf, überhaupt dem Norden. 
gangbar, findet fih auch in ber einen Aufzeichnung bes Liebes von der 


Linde und noch in andern Stüden. Auch in ber griechischen "Sage iſt 
Philomele eine verwandelte Jungfrau und hat grauſame Geſchicke zu 
klagen. 

Der Nachtigall wurde ſanfte Klage beigelegt, Schauerliches heftete 
ſich an die finſtre Erſcheinung des Naben ober des Geiers. Vom Bal- 
raben oder Nadıtraben, in deſſen Geftalt Dämone oder verzauberte 
Menfchen umberflogen, wurde manches gejagt und gefungen. Er ließ 


fi) die Kinder, noch vor ihrer Geburt, verheißen und holte ober zeichnete 


fie dann auf graufame Weife. Hier das Lied vom Valraben, nach 
Grimms Überfegung (S. 79 ff. Val. 150 ff. Udv. d. Viſ. I, 186 ff. 
Bol. ebend. 295 ff. 318. 394): - 


Der König und unjre junge Königin u. |. w. *** 


(Zwei Brüder, als Roſs und Rabe, befreien die Schweiter, bie 
dann wieder die beiben durch Kuſs erlöft, Udv. d. Viſ. I, 319 bis 25. 
394 f. Sv. 2, 194 bis 200.) | 

Das Wild des Waldes leiht zu manchen Berwanblungen feine Ges 
ftalt. Durch Runen verwandelt fih in bänifcher Ballade eim Nitter 
zum Hirfche, fpielt im Hofe der Jungfrau, bie er entführen will, und 
Iodt fie fo in den Wald hinaus (Udv. d. Viſ. I, 258. 389. Vgl. I, 
327 u.). Zur Hindin und noch Andrem wird eine Jungfrau von ihrer 
Stiefmutter in einem dänifchen Liebe verwandelt, das in verſchiedenen 
Verſionen aufgezeichnet ift (Nyerup I, 246 bis 249. 241 bis 245; auch 
zum Bogel, 387). | 

Upland, Schriften. VII. 26 


x 


402 
„Mein Boter ritt hinauf ins Land, 
Um eine Roſe zu werben, 
Da fand er fo ein leibig Weib, 
Bor dem muſt' ich verderben. 


Die erfte Nacht in des Waters Hans 
War fie mir Mutter, die gute; 

Die zweite Nacht da ward fie mir 
Stiefmutter, die bösgemuthe. 


Ich ſaß an meines Vaters Tiſch, 

Ich fpielte mit Braden und Winden, 
Da fam Stiefmutter gegangen raſch, 
Mein Glüd, das mufte da ſchwinden. 


Mein fhönes Blüd, das Bott mir gegönnt, 
Stiefmutter ſah e8 ungerne, | 
Sie jhuf mich um in ein ſcharfes Schwert 
Und bieß mich fahren fo ferne. 


Am Tage nahm der Ritter mid um; 

Da bieng ich an feiner Seite, 

Bei Nacht, da lag ich ihn unterm Haupt, 
Ich war ihm fein liebt Geleite. 

Mein gutes Glück, das Gott mir gegänm, 
Stiefmutter ſah e8 ungerne, 

Sie ſchuf mich zu einer Meinen Scheer’ 
Und bieß mid fahren fo ferne. 


Am Tag war ih in der Jungfrau Hand, 
Da ſchnitt ich am weißen Leine, 

Dei Nacht, da fchlief ich in ihrem Gemach, 
In einem verglifdeten Schreiue. 


Das gute Glück, das Gott mie gegönnt, , 
Stiefmutter ſah es ungerne, | 
Ste ſchuf mich zu einem Hirſchlein mm, 
Sie hieß mich fahren fo ferne. 


Sie ſchuf mich zu einer Hindin um, 
Sie wuſte fo manche Tüde, 

Meine fieben Geſpielen zu Wölfen gran, 
Die follten mid reißen in Stüde. 


403 


Meine fieben Gefpielen, bie wareg mir gut, 
Die blieben von mir fo ferne, 

Dos gute Glück, das Bott mir gegäunt, 
Stiefmutter Joh es umgerne. 


Here Heinrich dient an des Königs Hof, 

Er iſt fo ſchön ein Riner, 

Der tragerf um wich wohl Tag und Reit, 
- Die Sorge war ihm fo bitter.* 


Herr Heinrich nimmt den Bogen zur Hand, 
IN traurig gu Walde gegangen, 
Da fpielt eine Hindin vor ihm her, 
Wills Gott, ſo wird er fie fangen. 
And als die Hindin er erjagt, 
Fällt vor dem Roſſe fie nieder, 

= Urd wirft won fich die Hirfheshant 
Und wir zur Jungfrau wieder. 
Er nennt fie feines Herzens Traut, 
Hält fie fo fe ummunden. ' 
„Selobt fei Gott im Himmelreidh! 
Ich habe dich hier gefunden. 
Ich hab’ hier keine Dienerin 
Und feinen Knecht zur Seiten; 
So brechen wir jelbft das Lindenlaub, 
Ein Brautbett zu bereiten“ u. |. w. 


Meiter läuft ein Königsfohn, von der Stiefmutter zum Bären 
verzaubert, auf Dalbyheide. Der Bär zeereibt Ochſen und Pferde auf 
der Weide, und einen Bauer, ber mit ihm ringt, erivürgt er; dann 
lämpft ein Retter mit ihm vier Tage lang, wirb aber zulet vom Bären 
niebergeworfen. Doch will der Bär ihm das Leben ſchenken, wenn er 
das Eifenband zu löſen vermöge, das die Stiefmmtter jenem um ben 
Hals gebunden. In ſolchen Ringen lag, wie aus andern Sagen er: 
heilt, eben die geheime Araft, wodurch die Thierhaut fich dem Menſchen 
anfchloß (vgl. Grimm, Gelbenf. 388). Der Ritter macht das Kreuz 
über den Bären und bavon zeripringt bad Band. Der erlöfte Königs⸗ 
john gibt feine Schweſter dem Befreier zum Lohne (Nyerup J, 182. 


404 
'398. Grimm 300). In der Saga von Hrolf Kraki fanden wir fchon 
bie Verwandlung eines Nönigsjohnd zum Bären, durch ben Bauber 
feiner Stiefmutter, deren Liebesanträge er zurückgewieſen hatte; es war 
dieß Björn, Bödvar Bjarkis, eines der Kämpen Hrolfs, Vater, ſchon 
durch ſeinen Namen für dieſe Verwandlung beſtimmt. 

Endlich der fabelhafte Lindwurm (Lindormen) hat gleichfalls unter 
feiner Schuppenhaut einen Königsſohn verſteckt. Er kommt auf bie 
Hausflur der Jungfrau, nöthigt fie durch Verzauberung, ihm zu folgen, 
und wird durch einen Kuſs von ihr erlöft. Es erhebt fich über ihnen 
ein Königsbau und fie wird die Braut bes jungen Königs (Udv. d. 
Viſ. I, 255. 388. Sv. III, 121 bis 126). Diefe Erlöfung durch den Kuſs 
kam fchon bei der Linde vor und findet ſich auch fonft in ben norbifchen 
Balladen, wie in den Sagen andrer Völker, es tft ein Gegenzauber ver 
Liebe, der Treue, des Mitleids. | 

Die Verwandlungen, von denen biöher die Rebe mar, mwurben, 
wie in den Liedern felbft angeveutet ift, hauptſächlich durch Runen: 
zauber bewirkt. Der Ritter, der fich in einen Hirjch verwandelt, um 
die Jungfrau hinauszuloden, fagt (Nyerup I, 260, 1): 


Kann ich nicht Jungfrau Uſalill 
Mit ſchöner Rede fahn, 

So werd' ich ſie betrügen, 
Wenn die Rune mir helfen kann. 


Bei der Darſtellung Odins, der für den Stifter der Runen galt, 
iſt bemerkt worden, daß man unter dieſen die Schriftzeichen des Nor: 
dens verftand, welche durch Zauberliever zu magiſchem Gebraude ge 
weiht werben konnten. Aber auch die Zaubergefänge jelbft wurden Runen 
genannt! und in dem Liebe vom Ritter Tynne heit das bezaubernde 
Harfenfpiel ber Zwergtochter Runenſchlag und der Ritter wird aus den 
Runen, in die er durch dasſelbe gebunden ift, durch Hülfe von Runen- 
büchern wieder gelöit. 

Aller Zauberglaube beruht auf dem Gefühle der Abhängigkeit bon 
Kräften, deren Wirken ein unbegriffenes ift und eben darum aud für 
ein grenzenloſes angejeben werben Tann. Wo noch nicht ber forjchenbe 


J 


1 @eijex 111. 116. 


405 


Geift erwacht ift, der die wirkenden Kräfte nach innen auf ihr letztes, 
nicht weiter erklärbares Gejek zurückzuführen ftrebt, da wird nach außen 
eine Formel gefucht, welche, die Sinne treffend, unmittelbar das Ges 
heimnis in fich fchließt. Solche finnliche Formeln find die Runen, als 
magifche Buchftaben und Geſänge. Yolgerecht wird daher die Runen⸗ 
kunde denjenigen Weſen zugefchrieben, welche Perſonifikationen der un: 
begriffenen Naturmächte find, wie in dem vorerwähnten Liebe von ber 
Tochter des Bergkönigs und in dem von der, Elfenhöh, wo bie Elfen 
veriprachen, den Ritter Olof ftarle Runen (ramme Runer, Nyerup L, 
"235. Bol. ebend. 2801) zu lehren. Der Runenzauber vermag aud alle 
jene manigfachen Berwanblungen zu bewirken, denn fein Geſetz bes 
natürlichen Organismus bat noch beftimmte Grenzen gezogen. Am 
wenigſten aber darf uns befremden, die auch der gereiftern Forichung 
wunderbaren, geiftigefinnlihen Wirkungen ber Liebe und der Mufil in 
das Licht des Baubers geftellt zu finden. Folgen wir nun ben Liebern 
auch durch diefe Erjcheinungen bed Runen: und Zauberweſens! 
Eine Art von Inbegriff. des Runenzaubers gibt nachftehenbes 
dänifches Lied (Nyerup I, 308 f. 393): 

Auf Dovrefjelb in Norge, 

Lagen die Kämpfer ohn' Sorge. 
Ber aber foll führen unfre Runen, wenn wir nicht felber können? 


Wohl kühne Kämpfer, zwölf an der Zahl, 
Der Königin Ingeborg Brüder zumal. 


Der Erfte wandte den Wind mit der Hand, 
Der Andre brachte den Etrom zum Stand. 


Der Dritt' unter's Waſſer fuhr, wie ein Fiſch, 
Dem Bierten fehlte nie Speif’ auf dem Tiſch. 
Der Fünfte ſchlug Goldharfenſpiel, 

Daß Alle, dies hörten, das Tanzen befiel. 


Der Schste das Goldhorn blies fo laut, 
Daß Keiner e8 hörte, dem nicht gegraut. 


1 Kür. Ov. 286, 46 ff. Bol. 226, 22 f. 138, 28. 140, 32 f. 240, 57 
bis 59. 285. 286, 173. 298. | 


— 


406 


Der Siebente tanzt' auf dem wogenden Meer, 

Der Achte gieng unter der Erd' einher. 

Der Nemt alle Thier' im Walde band, 

Den Behnten nie der Schlaf überwand. 

Der Eilfte band den Linbwurm im Gras, 

Ja all, was et wollte, gleich hatt’ er das. 

Der Zwölfte war non ſolchem Berfland, 

Er wuſt', was geſchah im fremdeſten Land. 

Ich ſag' euch das zu wahrem Bericht, 

Ihrs Gleichen findt man in Norweg nicht. 

IH will euch jagen mit einem Wort, 

Ihrs Gleichen findt man an keinem Ort. 
Ber aber joll führen unfre Aunen, wem wir nicht jelber können? 


Daß die zwölf Brüber dem Runenzauber alle diefe Künſte ver 
dankten, ergibt fchon der Kehrreim. Doch ift eine Art und Wirkung 
dieſes Zaubers ihnen nicht beſonders zuerlannt, die in andern Balladen 
fpielt. Es iſt dieß das Werfen der Runen, um zur Liebe zu pwingen. 
Mer die rechten Runen in das Kleib einer Jungfrau zu werfen weiß, 
an ben ift fie durch unwiderftehlichen Zauber gebannt. Davon handeln 
befonberö zwei dDänifche Lieder. In dem einen wirbt Herr Peter fünf 
volle Winter um bie ſchöne Mettelill; fie weift ihn zurüd, weil er ihren 
Bruder nicht darum fragen will. Da fchreibt er die ſtarken Runen und 
wirft fie ihr ins Gewand. Blut fpringt ihr aus den Nagelwurzeln 


und Thränen fallen auf ihre Wange. Er fleigt zu Schiff und fegelt 


nach feiner Heimath. Aber fie verzehrt fich drei Winter lang in Sehn- 
fuht nah ihm. Da gebt fie mit bloßem Haupt und baarfuß von ihres 
Vaters Hofe. Nur ein treue Mäbchen, bie Heine Kirſten folgt ihr. 
Sie befteigen ein Boot, Mettelil führt das Steuer und Kirften rubert. 
So fahren fie Über die weite See, zum Lande Peters, ber die Geliebte 
freudig willkommen heißt und nun mit ihr die Vermählung feiert 
(Nyerup I, 303 ff. Vgl. Grimm 169. 324). Im andern Liebe will 
Ritter Stig die Heine Nirften, die gegen ihn hartgefinnt ift, gleichfalls 
durch Runenwverfen an fich fefleln. Abends beim Gelage wirft ex feine 
Runen nach ihr aus, fehlt aber und fle fallen der Schtoeftes bes Königs 
ind Gewand. Bon hun an ift biefe an ihn gebunden und der König 


407 
gibt fie ibm zur Gemahlin (Nyerup I, 295 ff.). Auf was dieſe Wurf 
runen eingelchrieben waren, erhellt nicht. 

Poetiſcher und ein Gegenſtand vieler ſchönen Lieder iſt die magiſche 
Gewalt, welche die Töne auf das menſchliche Gemüth und über die Natur 
ausüben. Geſang, Harfe und Horn zeigen fich auf ſolche Were zauber: 
Iräftig. Am geringften werben wir die Wirkung der Muſik anfchlagen, 
dab fie in den Schlaf verfenten ann. Aber wie ber eine der Kämpen 
auf Dovrefjeld den Runen verbantt, daß er niemals vom Schlafe be 
mwältigt wird, fo gibt e8 auch umgelehrt einen Zauber, der den Schlaf 
berbeiführt. Dieb in ber dänischen Ballabe vom gefangenen Ritter, nach 
Grimm S. 130 f. (Nyerup IV, 43 ff. 845 f. Vgl. Saxo ©. 12 f.): 

Auf Lindholms Haus u. f. w.*** 


(Schlafrunen, Sövneruner, Nyerup III, m, Vol, auch Odins 
Schlaſdorn.) | 
| In der Sage von Hadding, bei Saro (8. I, S. 12, norb. Helben]. 
Nr. 7; oben S. 198 ff.), wird dem Erzählen, worunter jedoch Sagen: 
lieder verftanden fein können, eine ähnliche Wirkung beigelegt, die ſich 
“ damit als eine magifche darftellt, daß Odin felbft dabei feinem Günft- 
ling zur Befreiung aus der Gefangenfchaft bebülflih fein mil. Er 
fagt zu dem jungen Helden Habbing: | 
er ren at tu 
S Custodes variis reram narratibus imple. 
Cumgue sopor dapibus funetos exeeperit altus, 
Injectos pexus et vineula dira relide ı. |. w. 
lpse struam votis aditum, famulosque sopore 
. Conficiam et lenta stertentes nocte tenebo. 


Am mädhtigften aber wirkt die Muſik als Liebeszauber. Unter den 
runentundigen Brüdern auf Dovrefjeld war auch einer, der in das 
vergüldete Hom (Lur, bier Schlachthorn) blies, daß Allen, die es 
hörten, davor graufte. Aber auch eine andre, anziehende Zauberkraft, 
ganz diefelbe, wie das Runenwerfen, hat der Klang des goldnen Horn 
(Lyd, isl. Lüdr, m. buceina, tubs, Valdhorn, Trompet, Zuur, 
Biörn Halb. Lex. isl. II, 45°). Davon eine daniſche Ballade, Grimm 
©. 173 (Nyerup III, 53 ff.): 


. Herr Peter und Herr Oluf u. |. m. *%* 


408 ö 

Der tragifche Ausgang zeigt, wie diefer Zauber der Mufil, da 
wo er -jelbft die Sitte bricht, für einen unheilvollen Zwang angejehen 
wurde. Vom Klang der Goldharfe findet fi ähnliche Wirkung in 
einem andern bänifchen Lieve von Herzog Heinrih und Jungfrau 
Malfred (Nyerup IV, 134 fi. Grimm 135). Die Wirkung dieſes 
Klangs wird fogar gleichbebeutend mit Liebesſchmerz überhaupt genom⸗ 
men. In einem bänifchen Liebe wird eine trauernde Jungfrau oeßzesi 
(Nyerup III, 254. Grimm 243): 


Hört ihr, Heine Kirſten, was bleicht euch die Wange fo viel? 
Bon was babt ihr das empfangen, von Harf- oder Pfeifenipiel? 


Jede Kluft des Standesunterſchieds ſchwindet vor der Macht der 
Töne. _ 

Viel gefungen iſt in Schweden ein Lieb, wie der König durch den 
Geſang eines Hirtenmädchens (vallpiga, vallkulla) bezaubert wird (Sv. 
III, 44 bis 69): 

Klein Hirtenmädchen zur Weide zieht, 

Sie finget ſo hell vor den Ziegen ihr Lied. 
Und der König erwacht im hohen Gemach: 
„Bas fingt für ein lieblicher Vogel mi wach?” 
Das ift ja fein Vogel, es dünket euch nur; 
Das Mädchen treibet die Biegen zur Flur. 
Und der König fpricht zu den Knappen zween: 
„Das Mädchen bittet ihr, vor mich zu gehn!“ 
Sie Tiefen zum Hirtenmädchen hinans: 
„Gefällt dir’S, zu kommen in Königeshaus?“ 
„Wie lann ich hinein vor den König gehn, 
Bor dem König-im grauen Wallmar ftehn ?“ 
„Den König beliimmert bein Kleid nicht ſehr; 
Dein Weidlied zu hören, verlanget ihn mehr.” 
Und der König ſprach zu den Mägden zuhand: 
„Nehmt ab ihr das graue Wallmargewand!“ 


Sie nahmen ihr ab das Wallmargewand 
Und reichten ihre Zobel und Marder zuhand. 


409 - 

Da gieng fie dem hoben Gemadhe zu - _‘ ‚ 
Mit Seidenzwidel und Goldſpangſchuh. 
Das Mädchen tritt vor den König ein 
Und er Heißt mit den Augen fie willkomm fein. 
„Run, Hirtenmäbchen, dein Lieb fing mir! 
Einen feidenen Yrauenrod geb’ ich dir.” 
„Ein feidener Frauenrock taugte mir ſchlecht; 
Die Zidlein zu meiden, das ift mir gerecht.” 
„Nun, Hirtenmädchen, dein Lied fing mir! 
Ein Schiff auf dem Meere, das geb’ ich dir.” 
„Ein Schiff auf dem Meere, das taugte mir ſchlecht; 
Die Zidlein zu hüten, das ift mir gerecht.“ 
„Run, Hirtenmädchen, bein Lied fing mir! 
Mein halbes Baterreich geb’ ich dir.” 
„Dem halbes Vaterreich taugte mir fchlecht; 
Die Zidlein zu hüten, das ift mir gerecht.“ 
„Run, Hirtenmädchen, dein Lieb fing mir! 
Meine Treu, meine Ehre, die geb’ ich dir.“ 
„Deine Treu, deine Ehre gegiemen nicht mir; 
Doch wohl kann id) fingen mein Weidlied vor bir.“ 
Eie erhub einen Sang, fie erhub wohl zween, 

‚Da begann das Schiff auf dem Meere zu gehn. 
Und als fie den vierten, den fünften begann, 
Da tanzte der König und jeglider Mann. 

„Und was mir gelobt ift, das laß um geichehn; 
Und laß du zu meinen Bidlein mid gehn!“ 
„Und was dir gelobt ift, das foll dir geichehn; 
Dod nimmermehr folft mit den Zidlein du gehn.“ 
Und Mägd’ und Yräulein, die frausten ihr Haar 
Und der König reicht ihr die Goldkron' dar. 


Diefes beliebte Lieb wird mit manigfachen Veränderungen gefungen. 
Die ‚bezaubernde Sängerin ift mitunter ein Mühlmäbchen (qvarnpiga, 
S. 58), das an der Handmühle mahlt, was wir ſchon öfters als ein - 
Geiäft der Unfreien kennen gelernt haben. Der ertwachenbe König 


om 


‘ ‘ 


410 oo | - 


glaubt in andern Berfionen, ftatt des lieblich ſingenden Vogels, fein 
vergolvetes Horm (S. 49), over feine Goldharfe (S. 53. 55..58) zu 
vernehmen. Wenn aber in einer Überlieferung: das Hirtenmädchen wirk⸗ 
lich die Harfe ſpielt (S. 50), fo if das ein impaſſender Zuſatz, ba 
für fie nur das Weidlied ſich eignet und das Wunderbare nur um fo 
ftärfer hervortritt, wenn ed burd den emfachen Hirtenfang beivirkt 
wird. Auch die Anerbietungen des Könige, mwoburd er dad Mädchen 
zum Singen bewegen will, find verſchieden geitellt und geiteigert; in 
einigen Berfionen bietet er, bevor er fich felbft gefangen gibt, noch 
feinen beften Diener und feinen jüngften.Bruber an (E. 51.59.56). 
Ebenso find die Wirkungen des Hirtenfanges mehrfach variiert. Erft 
lacht und jpielt fein Herz, dann ift ed dem Weinen nahe. Nicht 
bloß er und feine Hofleute fangen zu tanzen an, fondern auch Halm 
und Holz; Selbſt die Todten erftehen aus ihren Gräbern (©. 51 f. 
54. 56 f.). Ach bin bier der einfachften Darftellung gefolgt, vie fich 
für ben idylliſchen Charakter des Liedes am beiten zu ſchicken fchien. 
Mehrere der angegebenen Wirkungen der Mufil find Gemeingut diefer 
Baladendihtung Die Nöthigung zum Tanze kommt auch bei den 
Brüdern auf Doprefjeld vor, deren fünfter bie Goldharfe ſchlãgt, daß 
Alle tanzen, die darauf hören. 

Wie im ſchwediſchen Liede der König, ſo kann in einem daniſchen | 
die Königin der Lodung der Töne nicht wiberftehben. Nah Grimm 
134 (Nyerup IV, 100): 

Der König ber fihet in Ribe u. ſ. w. *** 


Die Eiferfucht des Könige, die bier nur leis angedeutet wird, 
. nimmt einen verberblichen Ausbruch, ala ein andermal bie Königin vom 
Klang eines Hornes (Lur) bezaubert wird; gleichfalls in bäniichem Liebe, 
Grimm 84 (Nyerup I, 356 ff.): 

Algrev bläft in das Hörnlein fein u. |. w. At 


Auch bei andern Völkern findet fi die Sage von dem Ritter und 
Sänger, deſſen Herz ber Geliebten von dem eiferfüchtigen Gemahl vor⸗ 
gefeßt wird. 

Der Klang bed Homes und der Harfe, bes fidh im bisherigen 
bauptfächlich als ein verlodender erwiein bat, kommt aber noch in 
andrer Bedeutung und Wirkung vor, als Botichaft und Hülferuf, in 


N 411 
großen Nöthen an Entfernte gerichtet. Es kehrt in den Ballaben häufig 
wieder, daß einer Schönen von bem, ber ihre Ehre gefräntt bat, eine 
Harfe gegeben wird, um barauf zu fpielen, wenn fie jorgenvoll fei 
(Sv. I, 52, 1. 58, 5. 61, 4. 226, 6 f. III, 91, 3. 92. Nyetup IV, 
105 f.). Dieß bat nicht ſowohl den Sinn, daß fie fi mit dem Saiten- 
jpiele erheitern und tröften fol, fondern fie erhält damit ein Pfand, 
daß e8 ihr in der bringendften Noth (Sv. II, 222,7: i nöd; fonft ges 
wöhnlich sorgefull) nicht an Hülfe fehlen werde. Wird dann die Harfe 
angeichlagen, fo bringt ihr Klang aud in die Ferne bin an Ohr und 
Herz deſſen, der fie zurüdließ, und mahnt ihn an feine Pflicht. Dieſer 
Zug, der fonft mehr nur beiläufig erfheint, ift in folgendem ſchwedi⸗ 
fchen Liebe, das auch in abweichender bänifcher Überlieferung vorkommt, 
zum Hauptinhalte getvorden, Sv. III, 90 ff. (Nyerup IV, 104 ff.): 
| Rofilia figt in der Kammer dort, | 

Die Thränen fallen ihr fort und fort. 

Roſilias Frau, fie trat herein: 

„Sp verweint die Augen? was mag dir fein?“ 

„Ich mag wohl weinen die Augen mir roth; 

3a hörte wohl neufich, mein Liebſter fei tobt.“ 

„Und börteft du neulich, dein Liebſter fei tobt, 

Bor mir's zu verfchweigen, das that bir nicht noth.” 

„Die Wahrheit kann ich verfchweigen nicht inehr; 

König Dlof hat abgelockt meine Ehr'.“ 

„Und lodie der König die Ehre dir ab, 

Sag’ an mir, was er zur Buße dir gab!“ . 

„Er gab mir eine Karfe von Gold, 

Die in großem Kummer ich fpielen ſollt'.“ 

„Und Iodte König Olof die Ehre von bir, 

So nimm, was du haft! zeuch ferne von mir!“ - 

Kofilia legt in den Schrein ihr Bold, 

Indeſs ihr jo manche Thräne entrollt. 

Nofilia geht in den Roſenwald, 

1 . Ba vaſten aber gelüftet fie bald. 
Rofilia nahm ihre Harfe von Gold, 
Auf der im Kummer fie fpielen wollt. 


pVv v2 4 


412 


König Diof aus dem Fenſter ſah, 

Roſilias Harfe vernahm er da 

„Nun hör’ ich meine Harfe von Gold, u 
Die im Kummer Roflia’ fpielen ſollt'.“ 

W Roſilia zum Hofe des Königs geht, 

Bo außen ein Meiner Knappe fteht. 

„Du Knappe, hör, was ich ſage dir! 

ft der König daheim? das fag du mir!“ 
„König Olof er fit im obern Geſchoß, 

Ihn kümmert fo dürftige- Maid nicht groß." 
Nofilia geht vor den König ein 

Und er Heißt mit den Augen fie willlomm fein. 
König Olof die blauen Polſter ſtreicht: 

„Roſilian gelüftet’s zu ruhen vielleicht.“ 

„O nicht bin ich milde, o nicht iſt mir ſchwach; 
Für dich erlitt ic viel Kummer und Schmach.“ 
„Erlittſt du um mich viel Kummer und Sohn, 
Zweifle nicht, zweifle nicht! ich vergüt' es dir ſchon.“ 
Er fette fie auf fein Knie fofort, 

Gab Goldkron' ihr und Verlöbniswort u. f. w. 


Es berrfcht auch in den Liedern biefer Art ein reines Gefühl für 
die Sitte. Denn wenn gleich auch hier noch jenes dem altnorbifchen 
Naturglauben eigenthümliche .Princip der Nothwendigkeit waltet und 

daher die Verführte, als einem unmiberftehlichen Zauber folgend, jeber 

Burechnung enthoben fcheint, fo fühlt fie fich dennoch entwürbigt und 
übergibt fih, im Lied von der Wette Peterd und Dlofs, felbft ven 
Flammen. Und fo ift e8 auch fchön, daß diefelbe Harfe, die das 
Werkzeug ber Verlodung war, aus der Hand bes Verführers in die 
ber Berführten übergeht und hier eine berzergreifende Stimme wird, 
die ihn mahnt, fein Unrecht wieder gut zu machen. 

Den Harfenichlag in der Noth, der in mweite Ferne bringt, fahben 
wir auch ſchon in ber Heldenjage. Gunnar Harfenichlag im Schlangen 
bofe wird von feiner Geliebten Oddrun weit über den Sund hin ges 
bört; fie eilt ihm zu Hülfe, kommt aber zu fpät. Das Ebbalieb 


“ 


413 
„Oddruns Klage“ Iautet hierüber To (Str. 27 bis 29. Edd. Sem. 243." 
F. Magn. Edd. IV, 138 ſSimrock ©. 245. K. ): 


Herrlich der Fürſt 

Die Harfe ſchlug, 

Er meinte das, 

Der hochgeborne König,” 

Daß ih kommen 

Bu Huf ihm könnte. 

Her von HleRey 

Konnt' ich es hören, 

Wie die ſtarken 

Saiten erſchollen. 

Die Dienerinnen 

Hieß ich bereit fein, 

Des Königs Leben 

Wollt ich bebüten. 

Die Fähre ließen wir 

| Sundüber fließen, 

x Bis ich ſah alle 

Höfe Atlis. 


Auch Ragnar Lodbrols Tobesfang ift ein folcher Notbruf, der feine 
. Söhne, wenn nicht mehr zur Hülfe, doch zur Rache mahnt. Selbit 
no aus der Bruſt der Tobten ertönt ein mächtiger Klang in folgen: 
dem ſchwediſchen Liebe (Sv. III, 16 ff. I, 81 ff. ebend. I, 86 ff. di 
röiſch vgl. Fär. Dv. V, 1..348, R.): | 


Es war em König in Engelland, 
Zwo Töchter hatt’ er im Jungfraunftand. 


Die Schwefter jo zu der Schweiter ſprach: 
. „Komm, laß uns gehen dem Strande nad!” 


- 


Die Jungſte war wie die Sonne klar, 
Die KÄltſte ſchwarz, wie die Erde, war. 
Die Züngfte gieng vor, die Loden im Flug, 
Die Altfle gieng nad) mit heimlichem Trug. 
Die Züngfle gieng vor, fo wohlgemuth, 

- Die Ütfte ſtieß fie hinab in die Flut. 


AA 


— — 





Da firedte fie aus die ſchneeweiße Haud: 
„D liebe Schweßer, du hilf mis ans Landi . 
O liebſte Schweſter, du Hilf mir ans Land 
Dir will ich geben mein roth Goldband.“ 
„Dein Golbband wird mir nicht entgeht, 
‚Nie ſollſt du auf grüner Erde mehr ſtehn.“ 
„O liebe Schwefter, Hilf wir aus der Flut! 
Sch gebe dir meine Goldkrone ſo gut.“ 
„Deine Goldkron' wird mir nicht entgehn, 
Nie ſollſt du auf grüner Erde mehr ſtehn.“ 
„O liebfte Schwefter, ans Land Hilf mir! 
Meinen jungen Bräutigam geh’ ich bir.” 
" ® 

„Und nimmer helf' ih zum Laube dir; 

Dein junger Bräutigam wirb doch mir.“ 
Die Schiffer ruderten aus vor Tag, 

Sie fanden die Jungfrau im Wellenfchlag. 
Sie fanden die Sungfrau, weiß wie Schnee, 
Und zogen fie ſacht an den Strand der See. 
Ein Epielmann, der des Weges kam, 

Die Jungfrau gu einer Harfe ſich nahm. 
Das Bruftbein nahm er zum Geſtell, 

Die Harfe Hang fo lieblich und Heil. 

Und er nahm der Jungfiau Finger fo fein,. 
Die muften die Harfenſchrauben ihm fein. 
Und er nahm aud) ihr gofbgelbes Haar, 
Das ftatt der Harfenfaiten ihm war. 

Die ſchmucke Harf’ auf den Arm er nahm 
Und zum Hochzeithaufe gegangen Tam. 

Er fpielt’ im Könighhaufe fie dort. 

„D horch, meine Braut, auf der Harfe wort! 
Und im erſten Schlage gab ſie den Laut: 
„Mein rothes Golbband trägt die Braut.” 


Und im zweiten Schlage gab fie ben Laut: 
„Der Bräutigam war mein Beriobter fo traut.“ 


415 ⸗ 

Und im dritten Schlage den Laut ſie gab: 

„Meine Schweſter ſtieß mich ins Meer hinab.“ 

„geriglagt mir die Harf' an einem Stein! 

Sie ang mir den Tod im dag Herz hiuem.“ 
| In den meiſten Überlieferungen diefes Liedes wird basfelbe mit den 
Mythen von den Waflergeiftern in Verbindung gebracht, indem an bie 
Stelle des Spielmannd, der die wunderbare Harfe baut, der Ned ein: 


. . tritt, den auch ſonſt die Volksſage zu einem mufilalifhen Weſen mat. 


Das Horn wird gleichfalls nicht bloß verlodend, fondern auch zum 
Hülferuf gebraucht. Da es von den NRittern auf Jagd und Fahrt ge- 
tragen wird, fo tft e8 ohnehin beftimmt, in mancdherlei Fällen die 
Lofung zu geben. Aber in ber gröften Noth wirkt es auch auf über: 
natürliche Weile und in die Gerne hinaus auf die inniger Befreundeten. 
Es Tann biefür ein däniſches Lieb angeführt werden, nad) Grimm 
207 f. (Nyerup IV, 31 ff): 

Stolz Signild ließ brauen u. |. w. *** 

Im Übrigen erſcheint dieſer Nothruf durch das Horn in den Sagen 
andrer Völker eingreifender und bebeutfamer, wie namentlich in der 
fränkiſchen von Roland. 

Nicht bloß über Seinesgleichen übt der Menſch in den nordiſchen 
Volksliedern durch die Muſik den mächtigſten Zauber aus; dasſelbe 
Mittel, wodurch die Naturgeiſter ihn bewältigen, wendet er gegen ſie 
zurück, und in ſolchen Fällen äußert dasſelbe von beiden Seiten ſeine 
wundervollften Wirkungen. Wenn Ulfva, die Zwergtochter, den Runen⸗ 
ſchlag auf der Goldharfe fchlägt, da vergejlen die Thiere des Waldes, 
wohin fie fpringen, die Fiſche der Flut, mohin fie fchwimmen wollen, 
der Fall! auf dem Zweige breitet die Flügel aus, die Wieſe blüht und 
Alles belaubt fih. Wenn die Jungfrau der Elfenhöh’ ihr Lied anhebt, 
da hält ver gewaltige Strom inne, die Fiſche ſpielen mit ihren Floßen, 
die Vögel im Walde beginnen zu zwitſchern. Und ſo umgekehrt, wenn 
der Bräutigam die vom Neck hinabgezogene Braut durch Harfenſchlag 
zurückheiſcht, da fpielt-er die Vögel vom Zweige, die Rinde von ber 
Birke, das Horn von der Stimme des Stiers, ben Thurm von der 
Kirche und zulegt die Braut aus den Wellen auf feine Kniee (Nyerup 
I, 328. Sv. III, 144 f. 147). Es fcheint jich bier in ven Balladen 


416 


etwas zu ergänzen, was in den Göttermythen verloren if. Wenn 
unter den welterhaltenden Afen Jedem fein Theil zugewieſen tft, wo⸗ 
burch er den zerftörenden Kräften entgegenwirkt, fo mögen wohl bie 


. Runen ‚auf der Zunge Bragid, des Staldengottes, (Yinn Magnuſen, 


Edd. IV, 47) durch Harmonie die Welt beherrſcht haben. 

Es iſt noch eine Art des Zaubers übrig, die in den Balladen ihre 
Macht äußert, die Beſchwörung der Todten. Dieje geſchieht ſchon in 
der Götterwelt durch Zauberliever und Runen. Dvin kömmt ald Veg— 
tamr (Vegt. qv. Str. 9. 10. Edd. Sesm. 94. Finn Magnufen Edd. II, 
254 f.) vor Hels Pforte, wo eine Völe begraben liegt, da fingt er 
Baubergefänge und legt Stäbe (Runen) an (lagdi & staf), und nun 
muß ſich die Todte erheben, die, vom Schnee bejchneit, vom Regen 
geihlagen und vom Thau benegt, lange dort gelegen war. So wedi 
auch in der Heldenjage Hervör durch Zaubergefang ihren Vater im 
Grabhügel und zwingt ibn, das Schwert Tyrfing heraus zu werfen. 
AÄhnliches nun kommt in den Volksliedern vor. So in dem bänifchen 
Heldenliede von Drm, der einem Riefen die Tochter des Dänentönige 
abtämpfen till, Grimm S. 41 f. (Nyerup I, 55 ff. 64 ff. 375 bis 378): 

Es war fpät zur Abendzeit u. ſ. w. ** 


Bol. Für. Div. 368 bis 375. 

- - Dann in ber dänischen Ballade von Svedger, der zu einer gefährs 
lichen Brautfahrt von der Mutter im Grabe feine Ausrüftung verlangt, 
Grimm ©. 168 f. (Nyerup I, 252 ff. 389): 

Hier fitt ihr, alle meine guten Mann u. |. w. *** 

Aber außer diefen heroiſchen Beſchwörungen gibt es in ven Balle- 
den noch einen andern Zauber, der die Tobten aus bem Grab er: 
wet, die Klagen und Thränen der Zurüdgebliebenen; ein Zauber, ber 
wieder an den Nothruf der Harfe erinnert 


Aage und Elſe. 
(Nyerup I, 210 fi. 381 bis 383. Grimm ©. 73 f. 505 bis 507. 8v. J, 29 fi. 


"II, 204 ff.) 


Das war der Ritter Aage, 
Nitt Über die Inſel weit, 
Berlobte fih Jungfrau Elfe, 
So eine bolde Maid. 


417 


Berlobte ih Jungfrau Elfe 

Mit Sol, fo manchem Pfund, 

Den Monatstag nad’ diefem;). 

Lag er_im ſchwarzen Grund. - 


Da war ber Jungfrau Elfe, _ 
Ihr Herz von Sorge wund, 
Das hörte Ritter Aage 

Tief unter ſchwarzem Grund. 


Auf ſteht der Ritter Aage, 
Trägt feine Bahre mit, 

Er wankt nad ihrer Kammer 
Mit mübevollem Schritt. 


Klopft an mit feinem Sarge, 
Weil man fein Kleid ihm nahm. 
„Steh auf, du Jungfrau Elfe, 
Schleuß auf deinem Bräutigam!” 


Da ſprach die Jundfrau Elfe: 
„Richt öffn' ich Thür noch Thor, 
Nennf du nit Jeſu Namen, 
Wie du ‚gelonnt hievor.“ 


„Steh auf, du Jungfrau Elfe, 
Schluß auf nur Thür und Thor! 
Wohl nenn’ ih Jeſu Namen, 
Wie ich gelonnt hievor.” 


Auf ſteht die Jungfrau Elfe, 
Schließt auf ihr Kämmerlein, 
Mit Thränen auf der Wange 
Läßt fie den Todten ein. 


Sie nimmt den Kamm von Cole, 
Kämmt ihm fein gelbes Haar; 

So manches Haar fie fchlichtet, 
So viel ber Thränen war. 


„Sag an, herzliebfter Aage, - 

Wie iſt's in deinen Grab? 

Wie iſt's im ſchwarzen Grunde, 

Da man dich grub hinab?“ 
Uhland, Schriften. VIL. 27 


418 


— 





„Jedmal, daB du dich freueft 
Und leicht ift dein Gemütb, 
.Da ift mein Grab dort unten 
Umbängt mit Rofenbläth. 


Jedmal, daß du dich grämeſt 
Und ſchwer dir iſt zu Muth, 

Da iſt mein Sarg dort unten 
Gefüllt mit dickem Blut. 


Nun kräht der Hahn, der rothe, 
Und nun muß ich vom Ort, 

Zur Erde müſſen die Todten, 
Da muß auch ich mit fort. 


Nun kräht der Hahn, der ſchwarze, 
Da muß ich flugs hinab, 

Sich öffnet des Himmels Pforte, 
Da muß ich in mein Grab.“ 


Auf ſteht der Ritter Aage, 
Trägt ſeine Bahre mit, 

So wanket er zum Kirchhof 
Mit mühevollem Schritt. 


Das that die Jungfrau Elſe, 

Ihr Herz war voll von Gram, 
Wohl durch den Wald, den finſtern, 
Folgt ſie dem Bräutigam. 


. Und als fie aus dem Walde 
Zum Kirchhof fommen war, 
Da falbte dem Ritter Aage 
Sein ſchönes gelbes Haar. 


Und als er von dem Kirchhof 
Die Kirche gieng entlang, 
Da falbte dem Ritter Aage 
Seine rofenrothe Wang’. 


„Run hör’, du Jungfrau Effe! 
Herzliebfte, Taß den Gram! 
Du weine niemals wieder 

Um deinen Bräutigam! 


419 


Sieh anf, fieh auf zum Himmel, 
Wo mandes Sternlein fteht! 
Daran wirft du erkennen, 

Wie bald die Nacht vergeht." 


Da fah fie auf zum Himmel, 
Sah all die Sternlein ftehn. 
Zur Erd’ entwich der Todte, 
Sie konnt’ ihn nicht mehr fehn. 


Heim gieng die Jungfrau Elfe, 
Ihr Herz von Sorge wund, 

Den Monatstag nad diefem 

Lag fie im jhwarzen Grund. 


Dieſe Ballade zeigt nahe. Beziehung zu dem Eddaliede von Helgi 
und Sigrun. Diefe ift binausgegangen in den Grabhügel ihres Ger 
mahls, da fagt fie zu ihm: „Dein Haar, Helgi, ift veifburdbrungen, 
überall bift du von Blutesthau benegt, eislalt find deine Hände; wie 
Tann ich jemals dir Sühne ſchaffen?“ Helgi antwortet: „Du allein, 
Sigrun, bift ſchuld, daß Helgi jo vom blutigen Leivesthau benekt ift; 
du goldgeſchmückte weinteſt bittre Zähren, ehe du ſchlafen giengft u. ſ. w.; 
jede ift blutig auf meine Bruft gefallen, die eiskalte, ſchmerzbedrungene.“ 
Ehe der‘ Hahn Salgofnir das Siegervolk, die Helden in Balhall, weckt, 
muß Helgi dahin zurüdfehren. Es find zwei mythiſche Hähne, der 
ſchönrothe mit dem Goldkamm bei den Aſen, der rußfarbe in ber 
Unterwelt; diefe krähen auch in der Ballave als rother und fchwarzer 
‘Hahn (Edd. F. Magn. I, 45 f.), wenn glei) bier Jefu Namen ge 
nannt wird und der Tobte in der Kirche begraben liegt. 

Sn nachfolgendem Liede wird der Chriftengott felbft in die Hand» 
lung gezogen (Nyerup I, 205 ff. 399 f. Grimm 147 ff.)1: 
Dyring ritt über die Inſel weit, 
Eine ſchöne Jungfrau er ſich freit. 
Bufammen waren fie fieben Jahr, 
Bis fie ſechs Kindlein ihm gebar. 


1 Zwei ſchwediſche Verſionen des Liebes, welche die Macht der Thränen 
noch ſtärker hervorheben, Sv. III, 33 bis 39. 


9J3 


420 
Da kam der Tod in dieſes Land 
Und brach die Lilie mit ſeiner Hand. 
Dyring ritt über die Inſel weit, 
Eine andre Jungfrau er ſich freit. 
Heim führte die Braut der Bräutigam, 
Doch fie war Allen bitter und gram. 
Da fie num fuhr auf den Hof daher, 
Da ftanden die Kinder und weinten ſehr. 
Die Kindlein fanden fo traurig dort, 
Sie ſtieß mit ihrem Fuße fie fort. 
Sie gab den Kindlein nicht Bier noch Brot, 
Sprach: „Ihr follt leiden Hımger und Noth. 
Rahm ihnen die blanen Polſter neu, 
Sprad: „Ihr ſollt liegen auf bloßer Streu.“ 
Wachslichter, die Froßen, Lichte fie aus: 
„Ihr follt ann liegen im dunkeln Haus.“ 


Die Kindlein weinten zur Abendſtund, 
Das hörte die Mutter im tiefen Grund, 
Das hörte, die unter ber Erbe war. 

„Zu meinen Kinblein muß ich fürwahr.“ 
Sie gieng vor unfern Herrn zu flehn: 
„Und darf ic zu meinen Kindlein gehn?“ 


Site bat den Herrn und bat fo lang, 


Bis daß er ihr erlanbte den Wang. 

„Doch ehe der Hahn kräht, bebe dich fort! 
Nicht Länger folft du verweilen dort? 
Da bob fie, auf ihr milde Geben, 

Die Mauer riß und ber Marmorflein. 

Und als fie gieng ben Ort binan, 

Da beulten die Hunde die Wollen an. 
Und als fie fam zu des Hofes Thor, 

Da fand die ältſte Tochter davor. 

„Was ftehft du Hier, liebe Tochter mein? 
Und wie denn geht's den Geſchwiſtern dein?“ 


421 


„Du bift doch meine Mutter nicht, 

‚ Meine Mutter war fo ſchön und licht. 
Meine Mutter war weiß mit Wangen roth, 
Doch du bift bleich, als wäreft du tobt.“ 
„Wie ſollt' ich ſchön doch fein und licht? 
Todt war ich und bleich warb mein Gefidht. 
Wie ſollt' ich weiß Doch fein und roth? 
So lange bin ic gewejen tobt.“ 

Und als fie trat in bie Stube hinem, 

Da ftanden mit Thränen die Kinder Hein. 

Das eine fie kämmt und dem andern fie flicht 
Und das dritte fie hebt und das vierte ſie richt. 
Das flinfte nahm fie mit folcher Luft, 

Als ob fie ihm geben wollte die Bruft i. 

Sie fagte zum älteften Töchterlein: 

„Den Vater bitte zu mir herein!“ 

Und. als er berein in die Stube tam, 
Da ſprach fie zu ihm in bitterem Gram: 
„Ich ließ zurück wohl Bier und Brot, 
Meine Kindlein leiden von Hunger Noth. 

_ Ich ließ zurück die Polſter nen, 
Meine Kinder liegen auf bloßer Stren. 
Wachslichter ließ ich dir, große, nad, 
Meine Kinder liegen im dunkeln Gemach. 
Und muß ich öfter gu ihnen gehn, 

Das wird dir nicht zum Glüde geſchehn. 
Run krähet der Hahn, ber zothe, 
Zur Erbe muß jedes Todte. 

Nun krähet auch der ſchwarze Hahn, 
Des Himmels Thor iſt aufgethan. 

Nun krähet auch der weiße Hahn, 

Nicht Länger ich verweilen kann u. |. w. 


1 Bol. 5. Schreiber, Taſchenbuch fiir Geſchichte und Alterthum in Süd⸗ 
dentſchland. 1889. S. 926. 


m | ' 


Der dritte weiße Hahn, der hier erfcheint und dem fo gut als · den 
andern feine mythifche Stelle gebührt, mag dem hellen Reiche ber Banen 
und Lichtalfe angehören, wie die beiden andern dem Aſen⸗ und Joten⸗ 
reiche. | 

Zwei weitere däniſche Balladen, die ich. Hier gleichfalls mittheile, 
gehören ſchon mehr dem Geſpenſterweſen bes chriftlicden Mittelalters 
an; doch zeigen auch fie noch den ſtufenweiſen Übergang. | 


Hedeby8 Geſpenſt. 
(Nyerup I, 201 ff. Grimm 296.) 
Ich ritt am Abend über Land, | 
Mein Roſs ih in die Schlinge band. 
Ich Iegte mein Haupt an den Hligelrain, 
So gerne wollt’ id ba ſchlafen ein. 
Und als mich der erſte Schlaf befieng, 
Der todte Mann zu mir hergieng. 
„Und biſt du einer von meinem Geſchlecht, 
Sollſt führen du meine Sach’ im Recht. 
Nach Hebeby ſollſt du hingehn, 
Da wohner mir Blutsfreunde zehn. 
Da hat auch gewohnt mir Vater und Mutter, 
Dazu auch Schweſter und lieber Bruder. 
- » Da wohnt Hein Chriftel, mein ſchönes Weib, 
Und: die verrieth meinen jungen Leib. 
Mit ihren fünf Weibern fie das thät, 
Sie erftidten mid im Seidenbett. 
Sie bargen im Bundel Heu mid, dort | u 
Und führten zur wilden Heide mich fort. 
Der Geſell, den fonft ich Hieft fo werth, 
Er reitet nun mein gutes Pferd. 
Mit meinem Meffer ift der Dieb 
Und Tiegt bei meinem holden Lieb. 


Sitzt mir am breiten Tifche dort, 
Berböhnt meine Kinder mit hartem Mort. 


- | 423 


Gibi ihnen ſo ein kleines Brot, 

Verſpottet ſie, weil ihr Vater todt. 

Mit meinen Hunden reitet er hin 

Und jagt mir die Thier' im Walde drinn. 
Und jagt er mir eins den Forſt hinab, 

So weckt er mich auf in meinem Grab. 

Doch komm' ich einmal zu ihm hinein, 

Da ſoll ihm übel zu Muthe ſein. 


Wenn bier auch Feine Beſchwörung mehr, auch nicht bie durch die 
Thränen, obwaltet und keine fonftigen mythiſchen Züge hervortreten, 
ſo iſt es doch noch immer ein nordiſches Motiv, das Begehren der 
Mordbuße, was den Todten heraustreibt; der Blutsverwandte, dem 
er erſcheint, ſoll ſeine Sach' im Rechte führen, d. h. die Mordklage 
erheben. Anders nun im folgenden letzten Stücke dieſer Art, auch aus 
dem Daäniſchen (Nyerup I, 215 ff. 383 f.): 


Das war Herr Morten von Vogelſang, 
Er ritt in den grünen Walb; 
Da kam ein Siehthum über ihn 
An einem Morgen fo balb. 
Todt rritet Herr Merten von Bogelfang. 


Zur Kirche gab er das rothe Gold, 
Zum Klofter gab er fein Pferd, 
Da legten fie mit Sang und Klang 
Herrn Mortens Lei’ in die Erd’. 


Das war der junge Folmer Stiöt, . 
Er ritt über Berg und Thal, . | 
Nah reitet ihm Morten von Vogelſang, 
Spräch' gerne mit ihm einmal. 
„Nun hör du, junger Folmer Stjöt! 
Halt an und fprich mit mir! 

Ich ſchwör' bei meinem Chriftenglauben, 
Keinen Schaden füg’ ich dir.” 

„Nun Hör du, Morten von Bogelfang, 
Bas ift zu reiten dir noth? | 
Richt länger, als feit geftern, if’s, 
Man ſcharrte dich ein für todt. 


424 


Ich reite nicht um Klage hier, - \ 
Noch daß ih Spruch erlang', 

Ich reit' um ein kleines Ackertheil, 

Man ſchwur's zu Bogelſang. 


Ich reite nicht um Hader hier 

Und nicht um Gold und Geld, 
Ich reit um ein kleines Adertheil, 
War zweier Waiſen Feld. 


Sag ihr, der ſchönen Frau Mettelill, 
Sobald du dort zu Gaſt, 

Sie gebe zurück das Ackertheil, 

So wird meiner Seele Raſt! 


Sag ihr, der ſchönen Frau Mettelill, 
Hat fie nicht Glauben dazu, 

Droben vor der Kammerthür 

Da flehen meine Nachtſchuh! 


Droben vor der Kammertbür, 

Wo meine Nachtſchuh ftehn, | 
Das wird geſchehn vor Mitternacht, 
Man wird voll Bluts ſie ſehn.“ 


„Herr Morten, reitet nun hinweg! 
Ruht aus eur müd Gebein! 

Ich ſchwoör euch: dieſes Ackertheil 
Soll rückerſtattet ſein.“ 


Schwarz waren feine Habichte 
Und ſchwarz war aud fein Hund 
Und ſchwarz war all des Herren Volt, 
Das ihm folgte durch Waldesgrund. 


Dank Habe die ſchöne Frau Mettelill ! 
\ Sie war fo treu dem Gemaßl, 

Gie gab zurüd das Adertheil, 

Da war die Seel’ aus der Dual. 


Diefer Grabgeift wird ganz in der Art, wie ver Gefpenfterglaube 


ſich noch heutzutag hauptſächlich äußert, durch Gewiſſensangſt umge 
trieben. & ſucht nicht, wie noch das Geipenft von Hedeby, Nechtöftreit 


495 


und Urtbeil, er will vielmehr zurüderftattet wiſſen, was er bei Leb⸗ 
zeiten vor dem Gericht ungerechterweife ven Waifen abgenommen. 

So haben die alten mythiſchen Borftellungen ihre allmähliche Um⸗ 
wandlung in den neuern Bolleglauben vollendet. 

Nachdem zuerft das Verhältnis der Volksballaden zur Götterfage 
erörtert worden, fo ift num auch von ihrer Beziehung zur Helbenfage 
zu handeln. Manches von dem, was in ben altnorbifchen Liedern und 
Sagen gefungen und gefagt war, ift in die Form der Balladen über: 
gegangen und bat fi fo zum Theil, noch bis auf den heutigen Tag 
im lebendigen Volksgeſang erhalten. Im beträchtlichiten Umfang ift 
dieß mit folden Sagen der Fall, die wir ald dem Norben mit Deutich- 
land gemeinfame bezeichnet haben. Dahin gehören 11 färdifche Lieber, 
die den Hauptbeitand der gebrudten Sammlung ausmachen, meift von 
bebeutenver Strophenzahl, jo daß eines derfelben bis auf 230 Strophen 
anfteigt. Sie find hauptſächlich dem Sagentreis entnommen, den wir 
in den Sagan von den Bölfungen, Nornageft und Ragnar Lonbrof 
‚ bargeftellt fanden. Ein großer Theil berfelben, der, vom Tobe Sig- 
munds anhebend, die Thaten und Geſchicke Sigurbs, Brynhilds, der 
Gjukungen und Atlis umfaßt, bildet ein nicht nur durch Versart und 
Stil, fondern auch durch ausbrüdlihe Antnüpfungen am Schlufie der 
einzelnen Lieder zufammenhängendes Ganzes. Hiezu fommen dann die 
Lieder von Ragnar und Aslög (Aasla), der angeblichen Tochter Sigurds 
und Brunhilds, und von Nornageft, fobann noch einige, in denen eins 
zelne Abenteuer Sigurds und Pirgars, Vealants Sohns, mit Rieſen 
und Bivergen. erzählt find. Es zeigt fich in dieſen Liedern eine Mi: 
fhung der nordiſchen und beutichen Darftellung des gemeinfchaftlichen 
Sagenkreifes. Die von Sigurb und den Gjukungen oder Niflungen 
ſtimmen bis zu Sigurd Tod in der Hauptfache mit der norbilchen 
Völfungenfage und den Eddaliedern; von da aber, jenen Morb mit 
eingeichloffen, halten fie fi mehr an die auf beutfcher Überlieferung 
berubende Vilkinaſaga. Ragnar und Nornageft fallen wieber den entſpre⸗ 
"chenden norbifhen Sagan anheim, Virgar aber ven deutfchen Quellen. 
Auf den Yärden felbft war eine allgemeine Sage, daß die dortigen 
Gefänge von einem alien, in Leber gebundenen Buche berftammen, 
welches auf die Inſel Sanbö mit einem iälänbifchen Schiffe, das bort 
geftxandet, gelommen ſei. Das Bud fei fo groß geivefen, daß es bie 


426 


volle Laſt eines Pferdes auf der. einen Seite feines. Tragſattels aus« 
gemacht. Der Kehrreim eined färöifchen Liebes hebt an: „Ein Reim 
ift von Island kommen, gefchrieben im Buch fo breit" (Fär. Qu. 
553, 5). Die Nachforſchungen ver Gelehrten nad dieſem Buche find 
jedoch vergeblich geweſen und die Inſelbewohner befigen überhaupt: feine 
Schriftliche Aufzeichnungen ihrer wielen Lieder, fondern diefe haben ſich 
durchaus mündlich vererbt. Der jegige färdifche Dialekt ift auch fo ab» 
weichend von dem isländiſchen, daß ein Gebrauch isländiſch aufgefchrie- 
bener Lieder, ohne eine eigentliche Umarbeitung, nur in längft ver: 
gangener Zeit hätte eintreten können. Es mögen diefe und andre 
Sagenlieder auf den Färden, jo gut ala auf Ysland, ein altes Erb⸗ 
theil dus dem gemeinfanten, norwegiichen Heimathlande jein, aber durch 
innere und auswärtige Einwirkungen manigfach erweitert und umge⸗ 
wanbelt (Für. Div. Indl. 13. 38, 40). Der Einfluß deutfcher Über 
lieferung erklärt fich als ein mittelbarer durch den Verkehr mit den 
andern nordiichen Ländern; doch könnte auch Einiges unmittelbar durch 
die auf Suderö beitandenen Nieberlaflungen der Hanjeftädte eingeführt 
mworben fein (ebend. 36)., 

So beliebt die Lieder dieſes Helvenfreifes bei ben Bewohnern jener 
entlegenen Inſeln find, fo machen fie doch ten Eindrud, daB fie ihrem 
Zebendelemente zu weit entrüdt find. Man findet in ihnen einzelne 
Epuren der altnordifchen Dichterſprache, z. B. wenn das Gold nod 
 Malmaring (Malm aa Rhin, Rheinerz, 128 f.), ein Held oder König 
Mjelingur (Mildingr, 180, 130), Hilmar (Hilmir, 204, 188), der 
Drache, den Ragnar erlegt, Ura-Sej, eine Fiſchart (320, 28), ges 
nännt wird. (Del. 89, 2. 135, 18. 194 u.). Bon ſolchen Ausprüden 
tagen aber die Färöer jelbft: „Wir find diefes Wortes nicht mächtig“ 
(219, N.). Es zeigt ſich aud an einzelnen Stellen poetifcher Schwung, 
3. DB. wenn ein Lied beginnt: „Auf dem Meere brechen ſich viel mwilbe 
und jähe Wogen“, um damit die Ausfahrt eines Helden anzufündigen 
(101), oder wenn von der ſchönen Brynhild gelagt wird, die Sonne 
fchein’ auf. fie mit Schatten (128, 8. Vgl. 227, 21). Allein aud 
dieß find eben nur Einzelheiten und im Ganzen herrſcht eine gewifie 
Trockenheit, welche überall eintreten muß, wo bie überlieferte Poefie 
nicht fortwährend aus. ihrer Lebensquelle getränft wird, Das inwere 
Verſtändnis des Mythus und des Heldenthums ift verfiegt und manch⸗ 


⸗ 


427 


mal bleibt von den Heldencharakteren nur die rieſenhafte Geſtalt und die 
rohe Gewaltthat übrig. Keines vieſer Heldenlieder kommt den früher 
vorgetragenen zwei mythiſchen Stücken, vom Spiele Skrymners mit 
dem Bauer, an poetiſchem Werthe gleich; letztere haben ſich wohl eben 
dadurch ſo lebendig erhalten, daß ſie in den Kreis der ländlichen Wirth⸗ 
ſchaft, in ben Bereich der eigenen Anſchauungen und Bedürfniſſe ein 
greifen. Aus gleichem Grund ift auch unter den Liebern der Helden⸗ 
fage dasjenige das eigentbümlichfte und belebtejte, welches ſich mehr 
zum SYoylliichen hinneigt, indem es Brautwerbung und Hochzeitfeier fo 
ſchildert, mie fie dem Bewohner: ber Färden anftändig und ftattlich er: 
fcheinen mochten. - 

Es ift dieß das Lieb von Jamal (Ujsmal). Sein Inhalt fällt in 
den Umkreis der Völfungenfage, ohne daß jedoch diefe in ihren ander 
wärtigen Darftelhmgen etwas Entſprechendes barböte. Dem Helden 
Sigurd wird hier eine Schivefter Spanild Sonnenlicht (Suola Ljauma), 
gegeben, um melde Ismal, der berühmte Kämpe (freiji kjempe), 
wirbt. Beim Hochzeitmahl fieht Sigurd Brynhilden, die eine der Braut⸗ 
jungfraun ift und an bie fi fortan fein Schiefal knüpft. Bon Is⸗ 
mal und feiner Werbung wiſſen weder die Eddalieder noch die Bol: 
fungafaga. Svanhild heißt ihnen die Tochter Sigurd von Gubrun. 
Auch passt die einfache Weile, wie fih Sigurd im Ismalsliede in 
Brynhild verliebt, nicht vecht für das heroifche Weſen des Drachen 
töbters und feiner Valkyrie, eben darum aber um fo befler für ven 
ländlichen Gefang färdiſcher Inſelbewohner, welchem denn auch biefer 
epiſodiſche Zufag zur Heldenfage, wenn nicht feinen Urfprung, body 
feine charakteriſtiſche Ausbildung verbantt. Ich habe hiernach auch gerade. 
dieſes Lieb zur Probe der färdischen Balladen der bemerkten Klaſſe ge- 
wählt, basjelbe aber, feines größern Umfangs wegen, in Profa über: 
tragen. 

Ssmals Lied. 
(Fär. Ov. 100 fi. Bol Judl. 27 f.) 

1. Auf dem Meere bricht fih manche jähe Woge. Ismaln kam es zuerft 
in den Sim, feinen Knecht Hermund aufzubieten. 

2. Wir wollen reiten in des Königs Hof, um Hjalpreks Tochter zu werten, 

3. Mitten im Grashof mwechfelt er fein Kleid (skin) und fo bereit gehf er 
in die hohen Hallen’ein. 


428 





4. Wo König Hialpret am Tiſche faß mit fünffundert Mannen. 

5. Ismal fteht auf der Halle Boden mit filberbefnopfter Mütze; feine 
Wangen find roth, wie Hummerfiauen, feine Augen blau, wie eine Taube. 

6. Zsmal ſteht auf der Halle Boden und trägt feine Werbung vor. „Br 
beglüdt, tapfrer König! gib deine, Tochter mir!“ 

7. Lange ſaß der König und fann auf Rath, wie er Jamaln ſollte mit 
Hohn antworten. 

8. „Die Jungfrau bat einen raſchen "Bruder, er heißt Sigurb ber 
namentmbige. Ständ’ er bir zur rechten Hand, er däuchte wohl dein 
Meiſter.“ 

9, Das war Granild Sonmenlicht, fie gieng ein in die Safe. Sowie 
fie Ismaln mit Augen fah, gewann fie Gunft zu ihm. 

10. Lange faß der König und fann darauf, wie er Jemalu follte mit 
Hulb antworten. 

11. Da antwortete Hialprel, der König, al ohne Sorge: „Dir geb’ ich 
meine Tochter jetzt und dazu den Hochzeittrunk.“ 

12. Jsmal fteht auf der Halle Boden, gürtet fi) und wendet ſich; verlobt 
ſich Svanhilden Sonnenlicht; Hjalpref, der König, läßt ſchenken. 

13. Jsmal fleht auf der Halle Boden, für alle Dinge weiß er Befcheid. 
„Wie fol id) den Sigurd zu meinem Sochzeitfefte laden ?* 

14. Da antwortete Hjalpref, der reiche König: „ch weiß d dir feinen andern 
Rath, als du ladeſt ihn ſelber.“ 

15. Ismal fprang auf fein gutes Roſs, fort ritt er in ben Wal; da 
begegnet’ ihm Sigurd, Sigmund Cohn, mitten auf feinem Wege. 

16. Das ift mir für wahr gefegt, er war nicht gar freundlich. 

17. Ismal feht auf dem grünen Feld, für alle Dinge weiß er Beicheib. 
„Dich bitt’ ih, Sigurd, zu meinem Hochzeitfeſte.“ 

"18. Antwortete Sigurd, Eigmunds Sohn, er fit auf raſchem Roſſe: 
„Woher des Landes ift die Braut, die du dir, Ismal, gefreit ?“ 

19. „König Hialprek ift ihr Vater, Frau Hjordys ihre Mutter; das ift 
mir für wahr gejagt, du feift der Jungfrau Bruder.” 
| 20. „Haft du meine Schweiter gefreit und mich nicht drum gefragt, fo 

flag’ ich di mit Knütteln lahm; dir gebiihrt kein andres Recht.“ 

21. „Wohl hab’ ich deine Schweſter gefreit und dich nicht drum gefragt. 
Doch eh du mid mit Knütteln lähmft, biet’ ich dir ein andres Recht. 

22. Wohl bab’ ih deine Schwefler gefreit, nicht aber wuſt' ih um dich. 
Eh du mid mit Knütteln lähmſt, foll deine Stirne ſchwitzen.“ 

28.. „Haſt du meine Schweſter gefreit, bie fittfamfte der Jungfranen, bör’ 
du, Ismal, raſcher Kämpe, ſollſt du mir Heldenarbeit vollbringen!“ 


429 


24. Antwortete Jamal, der rafhe Held, gewachſen fiber alle Kämpen: 
„Wie heißt das erſte Werl, das du mir auflegen will?“ 

25. „Hier vorn in dem grünen Walb, da liegen ver Wärme ſechs; alle 
muſt du fie mir erfchlagen, eb bu vor ben Brautſchemel tritt. 

26. Hier vorn in bem grünen Wald, da liegen der Würme zwölf, alle 
— du fie mir erſchlagen, eh du das Brautgemach betrittſt.“ 

27. „Hier vorn in dem grünen Wald, da liegen ber Würme gween; jag’ 
vu mie, Sigurd, Sigmund Sohn! wie lang find fie denn?“ 

28. „Der eine ift.achtzehn Ellen lang, der anbre breiundbzwanzig; mein 
ganzes Heer iR Zeuge, daß ich dir die Wahrheit fage.“ 

29. „IR der eime achtzehn Ellen lang und der anbre dreiundzwanzig, jo 
bin ich des flarlen Samſons Sohn nnd fürchte mir nicht davor.” ' 

30. Alle die Wirme ſchlug er da, das dunkt ihm Teine Noth. Finna fpie 
Eiter anf ihn, daß er nicht von binnen konnte. 

81. Das war Sigurd, Sigmunds Sohn, er ritt heim nach dem Hofe. 
Außen fand Svanild Sonnenlicht. | 

82. Gigurb gieng in die Vurg, groß if feine Kraft; er jet ſich auf den 
Hodfik, daß all Die Burg ergittert. 

88. „Pflegen jo, Water, Höfifhe Männer ihre Töchter Binzugeben, 
fo wollt’ ic, dein Halsbein wär’ im fieben Stücke geichlagen von meiner 
Gab” u 

84. Hervor trat Svanild Sonuenlicht, die fittigfte aller Krane. gr 
du, Sigurd, den Rath erdacht, Jamaln Heldenwerk anfzulegen?“ 

85. „Geh du fort aus meinen Angen! ich will dich uicht anhören; nicht 
ziemt das meinem guten Schwert, in Weiberblut es zu tauchen.“ 

86. Das war Svanild Sonnenlicht, fie beganı fo fehr zu weinen. Wieder 
fragte Sigurd, warum fie ſich fo gehärbe. | 

87. „Geh du fort aus meinen Augen! weine nicht länger bießmall Der 
Mann ift würdig feiner Maid, und wicht iſt er ſchwächer, denn ich.“ 

88. Sigurd fprang auf fein gutes Roſs, er trägt das Heldenſchwert, fo 
reitet er nah dem Walde fort, feiner Schweſter zu Liebe. 

89. Ismal liegt auf dem grünen Grund, feſt im Citer des Wurmes. Froh 
iſt er, da er Granis Hufe treten hört. 

40. Jamal Tiegt auf dem grünen Grund, feſt in des Wurmes Blut. ðroh 
iſt er, da er Granis Hufe ſtampfen hört. 

41. Sigurd nimmt ihn in den Sattel und fürchtet für Ismals Wunden; 
in ſeiner Taſche ſucht er nach Salbe, um ſie einzureiben. 

42. Sigurd nimmt ihn in dem Sattel, führt ihn beim zu den ‚Hollen: 
„Nimm bier, Syanild Sonnenlit! heil’ du den Kämpen!“ 


— 430 


48. Sie heilt' ihn einen Tag, fie heilr ihn zwei; der vierten Woche erſten 
Tag fuhr er in die blaue Brünne. 

44. Der vierten Woche erſten Tag fuhr er in die neue Brlinne; fie führt’ 

- ihn in die Hallen ein; fo freundlich war er anzufehn. 

45. Da rüfteten fie das Hochzeitmahl; fein Mangel war da; achtzehn 
Burgen waren geladen, zwölfhundert Mann aus jeder. 

46. Da rüfteten fie das Hochzeitfeft; bald war Alles verfammelt; achtzehn 
Burgen waren geladen und dort war auch der König von Frankreich (Kongur 
eäv Frans). 

47. Ismaln fehlten nicht die Brantmänner; ;ur rechten Hand gieng König 
Hjalpref, zur linken Gunnar des. Held. 

48. Spmilden fehlten nicht ſchmucke Brautfrauen; zur rechten dand gieng 
Gunild, Budlis Gemahlin, zur linken Grimild, Giukis. 

49. Svanilden fehlten nicht ſchmucke Brautjungfrauen; zur rechten Hand 
gieng Brinild, Budlis Tochter, zur linken Gurin (Gudrun), Giulis. 

50. Da war ein Mann, der die Harfe ſchlug, genannt Orvur⸗Oddur; 
Hjalmar Kappi und Sigurd waren Brautführer. 

51. Da waren dreißig Krüge von Eilber und mande Silberfhaale.. Da 
lief e3 über in des Königs Halle, als Alles bereit geftellt war. 

52. Da waren dreißig Schiffen von Silber, neugefchmiedet waren alle. 
Signrd fteht auf der Halle Boden und erzählt von raſchen Kämpen. 

583. So fierte da Sigurd auf Brynhilbs Rede, er brach iiber dem Tiſche 
die vergüldete Methſchal' entzwei. 

54. Getrunfen war diefe Hochzeit. Die Leute waren fo fröhlih, wie die 
Bögel, die auf dem Zweige figen, ſich des lichten Tages freuen. 

55. Dreißig Kerzen waren angezlindet und vierzig Fackein brannten; fie 
geleiteten diefe reiche Braut die erfte Nacht zum Lager. 

56. Dreißig Kerzen waren angezündet und Wachslichter dazu. König 
Hialpret und all fein @efind geleitete fie zum Schlafhanfe. 

51. Die Orgel warb im Hof getreten, Harfen fchlug man in Menge. 
König Hialpref und all fein Gefind’ geleitete fie zum. Lager. 

58. Getrunlen war diefe Hochzeit und luſtig war ihr Leben. Beide giengen 
zu einem Lager, Ismal und fein Weib. 

659. Getrunken war dieſe Hochzeit, beides, wohl und lange. &o mancher 
Hofmann war dabei, als Federn in Vogelſchwinge. - 

60, Getrunken war diefe Hochzeit und fo hab’ ich’3 vernommen. Dann 
fuhr Jeder, der geladen war, heim zu dem Seinen. 

61. Nun foll das Lied aufhören, nicht länger fing’ ich diefesmal. Nun 
fol anheben eine andre Mähr, foßt ihr fie ins Gedächtnis! 


431 


Die deuiſch⸗nordiſche Sage von Sigurd und ben. Niflungen bat 
fih auch, zugleich mit den Überlieferungen von Wolſdietrich, Dietrich 
von Bern und feinen Helden, in einer anfehnlichen Reihe altdäniſcher 
Balladen ausgeprägt. (Sämmtlih im Iten Bande der Nyerup: Nah: 
bekiſchen Sammlung und voranftehend in Grimms Überfegung.) Der 
Schauplag vom Verrath an den Niflungen bat fih aus dem. Hunnen: 
reihe, Hunaland, auf die Heine Snfel Sven im Eunde zurüdgezogen. 
Dieſe däniſchen Lieber fallen jedoch gröftentheild auf die Seite ber 
deutfchen Sagengeftaltung und entsprechen fomit nicht der Völſunga⸗, 
jondern der Billinafaga. Inſofern berühren fie ung, nach dem fchon bei 
den Heldenfagen angenommenen Plane, bier nicht näher. Einige wenige 
folgen den nordiſchen Quellen und erzählen, ziemlich entftellt, die Ges 
ſchichten Sivards, Brynildbs und ihrer Tochter Spanelil (Aslög. ©. 
Nyerup I, 132 ff. Udvalg af danske Viſer fra 16—18 Aarh. II, 199 ff. 
Bol. auch Nyerup II, 172 ff.). Im Ganzen gilt bon den dänischen, diefem 
Sagentreife zugehörenden Balladen dasjelbe, was zum Nachtheil der 
färöifchen gejagt worden. Sie find, neben dem geſunkenen Stil, auch 
noch zerrifiener und verwirrter, als dieſe. Dieje Helden find überaus 
riefenbaft und ungebätdig. Sie fallen dadurch mehr und mehr ins 
Zuftige und Scherzbafte und aus der fich hiemit natürlich ergebenden 
Parodie ift ein Lied hervorgegangen, in welchem fie, millführlich zu: 
jammengerafft, zu einer gigantifchen Hochzeit verfammelt find. 


Heldenhodzeit. 
(Ude. d. Sif. fra 16—18 Aarh. II, 173 fi. Grimm 63 ff.) 
Das war der. Graf Herr Guncelin, 
er ſprach zur Mutter fein: 
„Ich will reiten hinauf ins Land , 
und verfuchen die Mannheit mein.“ 
Wohl Auf vor Tag! wir kommen wohl über die Heibe. 


„Willſt du reiten hinauf ins Land 
und machſt mir das belannt, 

So will ich dir geben dein gutes Roſs, 
der graue Karl genannt. 


So will ich dir geben den grauen Karl, 
‘ dein Rofs von raſchem Lauf. 


432 


Nie darfft du ſchnallen den Sporn an den Fuß, 
no binden ben Helm bir auf. 


Keinen Kämpfer du achten darfft, 
vor feinem darf dir graum, 

Bevor du auf einen Kämpfer trifffi, 
man nennt ihn Iver den Blaum. 


Das war der Graf Herr Guncelin, 
er reitet an grüner Halo’; 

Er begegnet dem Heinen Tilventin, 
den er halten heißt alsbald. 


„Willlommen, junger Tilventin! 

wo Haft du die Nacht geruht?“ 
„I hab’ geruht anf Bratensborg, 
- wo man euer haut aus dem Hut.“ 


Das war der Graf Herr Guncelin, 
er blidt’ unterm Helm fo roth: 

„Fürwahr, du Heiner Tilventin, 
du fprichft deinen eignen Tod.“ 


Das war der Graf Hert Buncelin, 

der ſchnell fein Schwert auszog, 
Er hieb den Heinen Tilventin, 
daß der in Stücke flog. 


So ritt er fort nach Bratenshorg, 
Er ſtieß ans Thor den Schaft: 
Iſt irgend hier ein Kämpfer drin, 
der fechten mag mit Kraft?“ 


Das war der Held, Herr er Blau, 

der aus nad) Weften fchant’; 

„Run Hilf mir UL und Asmer Grib! 
Ich höre Kämpferlaut.“ 


Das war der Held, Herr Iver Blau, 

der aus nach Oſten ſchaut': 

„Hilf, Otthin, mir, ſo gut du kannſt! 
Herr Guncelin ruft ſo laut.“ 


1 Alf und Aſe? 


433 


— — — — — 


Das war der Graf Herr Guncelin, 
Den Helm warf über der Held; 

Das hörte die liebſte Mutter ſein 
‚Biel Meilen über Feld. 


Die Frau erwacht' um Mitternacht 
und ſprach zu ihrem Herrn: 
„So walte nur der höchſte Gott 
ı über unfern Sohn in der Fern'!“ 


Den erften Ritt und den erfien Stoß 
(fie waren Helden zur Hand) 

Sta Guncelin Heren Iver Blau 
und warf ihn weit auf’8 Land. 


„Hör du, Graf Herr Guncelin! 
willſt du mich laffen leben, 

Ich hab' mir eine Braut verlobt 
und die will ich dir geben.“ 


„Nicht mit der Braut, die dir verlobt, 
will ih die Hände fügen; 

Gib mir Salenta, die Schweiter dein! 
fo laß ich mir genügen.“ 


Sie richteten die Hochzeit zu, 
fie konnt’ nicht beffer fein; 
So viel es kühne Kämpfer gab, 

fo viele luden fie ein. 


Sie Iuden Bidrich, Verlands Sohn, 
ſtark Dietrih au von Bern, 

Sie luden Hplger den Dänen ein, 
bieweil er fritt jo gern. 

Sie luden Sivard, den raſchen Geſelln, 

daß vor der Braut er reite; 

Der Rieſe Langbein fitzen ſoll 
dem Bräutigam zur Seite. 

Sie luden den Meiſter Hildebrand, 
der trug die Fackel voraus; 

Ihm folgten auch die Kämpfer zwölf, 
die tranlen und machten viel Braus. 

nhland, Schriften. VII 28 


434 


Holgvard der Spielmaun kam dahin; 
ihm tranten die Kämpfer Beſcheid; 

Dahin fam König Sigfreb Horn, 
fih felber zu Angſt und Leid. 


Da follte die ſtolze Fran Grimild 
die Braut bereiten zum Mahl; 

Sie ließ ihr die Hände mit Eifen beichlagen 
und die Finger umfchmieden mit Stahl. 


Frau Bunde Hette fam dahin, 
die im Norbgebirge Hanit; 

Sie trank wohl und fie tanzte wohl, 
verftand wohl, wie man fchmauft. 


Da war gelommen Frau Brynial, 
zu jchneiden der Brant das Eſſen; 

Ihr waren: fieben Mägde gefolgt 
und unter die Kämpfer gefeflen. 


Sie führten die Braut in die Kammer ein, 
zu halten den Morgenfhmaus; 

Sie aß da auf vier Tonnen Brei, 
ber ſchmeckt' ihr überaus. 


Achtzehn Schweinfeiten nahm fie dazu 
und fechzehn Ochjenruden, 

Trank dazu fieben Tonnen Bier, 
dann fieng fie an zu ſchlucken. 


d 
Sie führten die Braut zum Saale hin, 
da baufchte fo fehr ihre Gewand, 
Sie hieben, um fie zu bringen hinein, 
wohl fünfzehn Ein von der Wand. 


Sie führten die Brant zur Brautbanf hin 
und fetten fie nieder fo ſacht; 
Die’ Brautbant war don Marmorftein, 
die zerfprang bis zur Erde mit Macht u. f. w. " 


Die junge Braut von der Brautbant fprang, 

die Hände firedte fie aus, \ 
Der Niefe Larigbein fprang zu ihr 

und tanzte mit ihr durch's Haus. 


435 


Da tanzte ber Tiſch und da tanzte die Bank, 
der Reihn gieng von Ribe bis Slie; 

Der Heinfte Maun, der im Tanze war, 
bielt fünfzehn Elin unterm Knie u. |. w. 


Es fehlt bier nur noch Sivards Aufzug in .einem andern Liebe, 
wo diefer Helb mit einer ausgerifienen Eiche am Gürtel tanzt und ber 
König ausruft: „Sivard bringt und den Sommer herein!” (Nyerup I, 
14. Grimm 30 f.) 

Wenn die färdifche Hochzeit mehr nody einen idylliſchen Anſtrich 
bat, jo hat bie dänische einen entſchieden grotesfen. 

Die ſchwediſchen Volkslieder erſtrecken fich nicht über diefen deutſch⸗ 
nordiſchen Sagenkreis. 

Aber auch noch andre, mehr einzeln ſtehende Heldenſagen des Nor⸗ 
dens, die wir früher in ihrer ältern Geſtalt vorübergeführt haben, ſind 
in den ſpätern Volksgeſang durchgedrungen. Im Verzeichnis der noch 

ungedruckten färöiſchen Lieder laſſen ſich mehrere Helden isländiſcher 
Sagan bemerken; fo wird eines von Halfs Ende namhaft gemacht 
(Saghbibl. II, 453). Der in ver Hervörsſaga dargeſtellte Kampf Hiel⸗ 
mars und Orvarodds wit den Berferlern auf Samss ift, unter halb 
fenntlihen Namen, in eine däniſche Ballade umgewandelt (Nyerup I, 
139 ff.) und von Herbörs Todtenbeſchwörung finden fi) gleichfalls Ans 
Hänge im däniſchen und färdifchen (Fär. Dv. 368 bie 375) Vollsgefange. 
Schwediſch und däniſch ift endlich die tragifche Geſchichte Hagbartbs - 
und Sygnes (oben S. 229) in Ballabenform viel werbreitet (Svenska 
Folk-wisor I, 137 ff. Habor och Signild. Nyerup UI, 1 ff. Hafbur og 
Signe. Vgl. IV, 47). Sie hat an Kraft ber Darftellung verloren und 
bedeutſame Züge eingebüßt; ein ſchöner Zug ift dagegen hinzugelommen. 
Als des Königs Kriegsleute den maffenlojen Hafbur doch nicht über: 
wältigen lönnen, gibt die falfche Dienerin den Rath, ihm die Hände 
mit einem Haare Signilds zu binden; das werde er nicht entziwei reißen. 
Sie binden ihn mit zwei derfelben und fie ift ibm zu lieb im Herzen, 
als daß er ihre Haare zerrifie. 

Auch von ſolchen Heldenfagen, die wir nicht mehr in ihrer älteren 
Darftellung vergleichen können, haben fich Überbleibfel in den Balladen 
erhalten, wenn gleich in zerriffener und verbunfelter Geftalt. So Ribolts 
Dracenlampf,. Nyerup I, 144 ff. 388; dann das jelbft räthielhafte 


436 


Lied, deſſen Held, in däniſcher Verſion Sven Vonved, in fchive: 
diſcher Sven Svanehvit genannt, Räthſelfragen, an die des Geiſpeki 
erinnernd, aufgibt, Nyerup I, 83. 379. Grimm 227. 527. Svenska 
Folk-wisor II, 138 u. a. m. 

Schon die feither betrachteten Lieber, wenn gleich dem Grundſtoffe 
nach von altnorbiichen Mythen und Helbenfagen ftammenb, haben doch 
in Yorm und Darftellung : und jelbft in veränderter Bebeutung bie 
Einflüffe des chriftlihen Mittelalters gezeigt. Eine weitere zahlreiche 
Klafle aber ift aus dem Leben und den Sitten bes Mittelalters felbft 
aud dem Stoffe nach hervorgegangen oder ‚hätte doch ebenfo wohl daraus 
hervorgehen können; denn keineswegs läßt fich in jedem einzelnen Falle 
über den Urfprung enticheiven, da im mittelalterlichen Leben felbft bie 
neuaufgelommenen Borftellungen und. Gebräuche überall noch mit ben 
ältern, im Heidenthum wurzelnden vermijcht waren. 

Die zahlreichen Lieder der bemerkten Klaſſe find von manigfachem 

Inhalt und verfchienenem Werthe. Vorherrſchend ericheinen, was ben In⸗ 
halt betrifft, die Liebesabenteuer, Brautwerbungen, Entführungen, Wetten 
und Kämpfe ver Nebenbuhler, Treue und Untreue, bald in beiterer, bald 
in tragifcher Entwicklung. Es möchten ſich auch diefe manigfachen Lebens⸗ 
bilder großentheild auf gewifie Grundtypen zurüdführen laſſen. Ohne 
jedoch eine ftrengere Eintheilung vorzunehmen, bebe ich nad) beiben 
Seiten, des Ernſtes und des Scherzes, einige charakteriftiiche. Stüde 
geringeren Umfangs bervor. | 

Mehr noch an den Geift bes ältern Nordens mahnt das büftze 
ſchwediſche Vollslieb von Shen im Rofengarten i (Sven i Rosengärd, 
Sv. 11,2 ff. in 2 Berfionen, Mohnike ©. 3 ff): 

Wo bift dur geweien fo lange, 
Spen im Rofenhain ? 
„Ich bin im Stall geweien, 
viebe Mutter mein!“ 
Ihr harret mein ſpät, doch ich komme niemals. 
Was find deine’ Kleider fo blutig, 
Spen im Rojenhain? 
1 Bgl. Schröter, Finniſche Runen. Upſala 1819. ©.125 fi. Sven, Jung- 
geſell, junger raſcher Mann; dann Knappe, Edelmann; aber auch Cigenname. 
Wie Morten von Vogelſang. 


137 


„Das weiße Fohlen ſchlug mich, 

Liebe Mutter mein!“ 

Was ift dein Hemd fo bfutig, 

Sun im Rofjenhain? 

„Meinen Bruder hab’ ich gemorket, — 
Liebe Mutter mein!“ 

Wohin nun deines Weges, 

Sven im Roſenhain? 

„Das Land muß ih num räumen, 
Liebe Mutter mein!“ 

Bann wirft bu wieder kommen, 
Spen im Rofenhain ? 

„Wann der Nabe bleichet, 

Liebe Mutter mein!“ 


Bann bleichet denn der Habe, 
Sven im Rofenhain? 
„Bann der Grauftein 1 fchwimmet, 
Liebe Mutter mein!“ 
Ihr Barret mein ſpät, doch ich komme niemals. 


Das Schwimmen de3 Granitfteind, bier, in älterer Anficht, der 
Ausdrud unmöglicher Wieberlehr, unverföhnlider Schuld, ift, nicht 
unbebeutfam, in ber chriftlichen Legende möglich geworden. Ein andre 
ſchwediſches Lieb bezeichnet damit die Erfcheinung eines Engels (Sv. 
ll, 233): 

Bas nimmer ich ſah, hab' gefehen ich, itt, 
Daß der Grauftein fhwimmt und der Mann darauf fikt. 

Und im färöifhen St. Jakobsliede (Fär. Dv. 520 ff.) fchifft dieſer 
Heilige auf einem Steine über dad Meer nah Garſialand (Spanien), 
wo er den König befehrt, indem er deſſen Sohn, der vor fünfzehn 
Jahren in dem Meereögrund verfunfen, wieder ind Leben ruft. So 
hätte durch die Wunder der Friedensbotſchaft auch dem landflüchtigen 
Sven noch der Grauſtein ſchwimmen können. 

Verwandt mit dem Tone der vorigen Ballade iſt folgende gleich⸗ 
falls ſchwediſche (Sv. II, 107 ff.): 


‚i Grästen, auch gräberg, grauer Felsſtein, Granit. 


x 


438 , 


Höreſt du, Schwefter Anna? 
Haft du nicht Luft zu vermählen dich ad? 


„Nicht hab’ ich noch zu vermählen mich Luſt, 
Will leben als Jungfrau mit ſtolzer Bruſt.“ 


Höreſt du, Schweſter Anna? 
Was für ein Grauroſs, thu mir kund, 
Das geſtern vor deiner Thüre ſtund? 


„Das war kein Pferd, war Grauroſs keins, 
Meiner engliſchen Schafe war'g wohl eins. 


Höreſt du, Schweſter Anna? 
Was war das für ein vergüldter Speer, 
Der blinkte von deinem Fenſter her? 


„Richt war ein vergülbter Speer im Haus; 
Die Sonne, fie fhien wohl ein und aus.“ 
Höreft du, Schwefter Anna? 

Was waren das für Kinder Klein, 

Die geflern gemeint in ber Kammer dein? 
„Kein weinend Kind ich drinmen hielt, ' 
Auf meiner Orgel hab’ ich geſpielt.“ 

Höre du, Schweiter Anna? 

Kennſt du wohl diefe Manneshand, 

Die hängt an meinem Sattelband ? 


„Gott guade dir, Bruder Olof! 
Meinen Kindlein Haft du gethan groß Leid, 
Nahmft ihren Vater von meiner Seit." 


Der Typus dieſes nordſchwediſchen Liedes kehrt im Vollsgefange 
mehrerer Völker wieder; in ſüdſchwediſchen, ſowie in fübnorivegifchen, 
dänischen und deutſchen Verſionen ift ihm eine jcherzhafte Wendung ge 
geben. Nur im böhern Norden und in Spanien hat das Lieb feinen 
firengen Exnft bewahrt; dort aber ift e8 ber Bruber, hier der Gemahl, 


der die gekränkte Ehre des Haufes zu rächen bat. 


Tragifhen Ausgang nimmt ein großer Theil der Entführungs: 
geſchichten. E3 wird in das Recht und in bie Ehre eines Haufes einge: 
griffen und die wehrhaften Glieder desſelben Laffen die nicht ungeahndet. 
Die gemeinjame Anlage vieler Ballaven ift die: eine Jungfrau wird 


- 


\ 439 
_ verlodt, mit einem Ritter zu entfliehen; fie ruhen in einem Walbe aus, 
aber fchon eilen ihnen die Verwandten ber Entführten nad und es er⸗ 
hebt fi ein Kampf, ber Allen zum Verderben oder zur Trauer endigt, 
Zum Muſter hievon ein fchmebifches Lieb, das in mehrfachen, aud 
dänifchen Verfionen vorfommt (Sv. IT, 7 ff. Bol. I, 5 ff. II, 76 ff. 
Nyerup III, 353 ff. 438 ff. Grimm 119 ff. 518. Nyerup II, 327 fi. 
435 |. Grimm 74 ff): 

Klein Hilla fit in der Kammer dort, 

Die Thränen fallen ihr fort und fort. 

Gleich kam die Kunde zus Königin: 

Klein Hilla näht in die Irre Hin !. 

Die Königin achſelt den Mantel blau, 

So gieng zu Hein Hillas Kammer die ran. 

Schlug Hillan auf bleichblühende Wang’, 

Daß ihr das Blut auf den Vorhang fprang. 

„D gnädige Königin, ſchlagt nicht fo Hartl 

Ich bin doch, wie ihr, von Königes Art.” 

Klein Hilla Mopft auf das Kiffen blau: 

„Gefällt hier zu ruhn meiner gnädigen Frau? 

O gnäbige Königin, feet euch her! 

Ich will euch erzählen mein Leib fo jchwer. 

Un des Baters Hofe, da gieng es mir gut, 

Sieben Ritter hielten mid) täglich in Hut. 

Mein Bater fo wohl meiner Ehre pflag, 

Zween Nitter dienten mir jeden Tag. 

Der eine, der Herzog Magnus bieß, 

Nah meiner Gunft ſich gelüften ließ. 

Der andre hieß Herzog Hillebrand, 

Des Königes Sohn von Engelland. 

Und das mar Herzog Hillebrand, 

Mit ihm muft’ ich entfliehn aus dem Lan. 

i Stolts Hilla lilla syr s& vildt i sömmen sin. Mohnite I, 84: Hilfe 

lilla handthiert jo wild im Schlaf! güm m. Rath, Saum, Nätherei; söümn ın, 
Schlaf. 


440 
&r ſattelte da fein Roſs jo grau 


Und bob mid; Kinauf vor des Vaters Ban. 
Und als wir gelommen zum Roſenwald, 
Da verlangte der Herzog zu ruhen fo ba. 
Er legte fein Haupt in meinen Schooß 
Und fchfief sinen Schlummer fo forgenlos. 
Hillebrand, Hillebrand, den Schlaf laß fein! 
Ich höre Vater und Brüder mein. 
Hillebrand, Hillebrand, wach anf, wach auf! ! 
Ich kenn' ihre Grauroſſ' am rafchen Lauf. 
Hillebrand nimmt mich in den Arm md fpridt: 
Klein Hilla, nenn’ meinen Ramen nicht 1) 
Da ſchlug er in dem vorderften Reihn | 
Meine Brüder ſechs und den Vater mein. 
Dann traf er in der zweiten Schaar 
Meinen jüngften Bruder mit goldgelbem Haar. 
O Hillebrand, Hillebrand, ftill dein Schwert! 
Dein jüingfter Bruder ift Tods nicht werth. 
Nicht datt’ es ausgefprochen mein Mund, 
Zodwund lag Hillebrand auf dem Grund. 
Hillebrand er ftreicht fein blutiges Schwert: 
„Und wärft bu nit Hilla, des wäreft du werth.“ 
Mein Bruder faßt’ an der Locke mi drauf, - 
So band er mid an den Sattellnauf. 
So Hein war feine Wurzel gewiſs, 
Die ein Etild nicht von Hillas Fuße riß. 
Da war auch gewiſs lein”Bmweig jo Hein, 
Der ein Stüd nicht geriffen von Hillas Bein. 


* 


1 In ber verwandten däniſchen Ballade „Herr Ribolt“ heißt es (Nyerup III, 
8%): Du nevn mig ikke tildödel (Bol. Nyerup III, 486. Grimm 507. 
8v. I, 11. DI, 194.) Diefes Todtnennen (jhwebifh dödnämna) beruhte auf 
dem Glauben, daß die Kraft eines im Streit oder andrer Unternehmung Be- 
griffenen gelähmt werde, wenn man feinen Namen nenne, wie beim Nacht- 
wandler. 


. 441 
Und als wir famen zum erfien Thor, : . 
\ Meine traurige Mutter ſtand davor. 
Dea wollte mein Bruder erwürgen mich, 
Meine Mutter wollte verlaufen mid. 
Sie verkauften mich für eine Glocke neu, 
Die hängt in Mariä Kirchengebäu. 
ALS die Mutter hörte der Glode Klang, 
Das traurige Herz ihr in Stüde ſprang.“ 
Kein Hilla ſchloß ihre Nede bie, 
Da fiel fie todt nor ber Königin Knie. 
gIn dieſem Liede iſt die tragiſche Kataſtrophe der Entführung ſehr 
vollſtändig ausgeführt. Der Vater und ſechs Brüder der Jungfrau 
werben’ auf ber Verfolgung vom Entführer erfchlagen. In der Angft 
um den letzten, fiebenten Bruber, dem fie das Leben erflehen will, ruft 
fie ben Geliebten beim Namen und wird ihm dadurch zum Verberben. 
Der gerettete Bruder nimmt nun an ihr die Rache für das Geſchehene; 
die Mutter beftimmt ihn zwar, daß die Jungfrau nicht getöbtet, fonbern 
um eine Glode verlauft werde, aber beim Klang diefer Glode bricht 
das Mutterherz. Endlich wirb die Verlaufte von ihrer eigenen Erzäb: 
lung all dieſes Unheils fo ergriffen, daß fie ſich damit felbft zum Tode 
genannt hat. | 
Nicht fo gewwaltfamer Art find die Ereigniffe im folgenden ſchwedi⸗ 
ſchen Liebe. Hier verzehrt fich ein ſtille duldendes Herz im geheimen 
Kummer: 
(BGe. UI, 80 ff. Bol. 27 fi. 176 ff) 
Pflegbruder ſprach zum Pflegbruder fein: 
„Wird mir Hein Chriſtel, ſchön Schweſter dein?” 
f „Klein Ehriftel fie it noch fo jung und Hein, 
Goldkrone möcht’ ihr zu ſchwer noch fein.“ 
„Und wenn fie fo Hein und fo jung auch wär”, 
Auf’s Jahr fol fie tragen Goldkrone fo ſchwer.“ 
Sie hoben die Braut in den Sattel da, 
Zwei Knappen des Königs ritten ihr nah. 


1 Hier könnte noch: Pehr Tyreons döttrar i Vänge, 8v. III, 198 ff. 
eingerück werden. 


442 _ 
Sie führten die Braut auf den Kirchhof dar, 
Goldgewirkt die Kleider, goldgeflochten das Haar. 


"Sie führten die Braut in die Kirche bin, 
Ihr rollen die Thränen auf Wangen und Kinn. 


Sie führen zum Brautftuhl fie zur Stund', 
Ihre Thränen, die rollen fo dicht auf den Grund. 


„Und Herr Gott Vater, hör du mein Gebetl 
Nimm hin mich, fo fang noch der Wal grün ſteht!“ 


Pfingfttag war's, da dieß Gebet fie erhub, 
Mittiommertag, da mau das Grab ihr grub. 


Sie legten Hein Chriftel wohl anf die Bahr", 
Gotts Engel fanden da rings in ber Gchaar. 
,„ Sie trugen die Lei’ auf den Sarıd fo weiß, 
Gotts Engel bie fangen vor ihr mit Fleiß. 


Sie legten. die Leid’ in den ſchwarzen Grund, 
Das Goldkreuz fiedten die Engel zur Stund. 


In andern Verſionen dieſes Liedes iſt der hier verſchwiegene Grund 
"der Abneigung gegen die Tönigliche Heirath als ein chriſtlich-frommer 
bezeichnet: die Jungfrau fehnt ſich nach den Freuden des Himmels, 


nicht nach einer irdiſchen Krone. 


Den traurig: ernſten Liedern mögen nun auch einige luſtigen Tones 


gegenüberſtehen. 


In den mythiſchen Volksliedern der Färder ſahen wir den Bauer 
mit dem Rieſen um: den Sieg der Jahreszeit im Golbbrett fpielen. 
Ein viel und manigfach gefungenes ſchwediſches Lied erzählt, wie ber 
Heine Matrofe mit der Königstochter Goldwürfel fpielt. 


ift der Spielende ein Neitersjunge. 


(Sv. II, 37 bis 47. Nyerup IV, 122 fi. 351 f. Grimm 414 fi.) 


Die Jungfrau faß im Obergeſchoß, 

Gold wob ins Kleid fie ein. 

Da kam ein Heiner Bootsmänn 

Und guckte da beyein. 
Doch fie fpielten, fie. ſpielten Bote 


Im Däniichen 


443 


\ 


„Und hör du, kleiner Bootsmann, 
Was ich will fagen dir! 

Lüftet di, zu fpielen 
Goldwürfel mit mir?“ - 


„Und wie denn ſoll ich fpielen 
Goldwürfel met dir? 

Ich bab’ ja fein rothes Gold 
- Einzufeßen bier.” 


„Set du nur deine Jade, 
Die graue fe nur frei! 
Dagegen will ich ſetzen 
Hier Golbringe zwei.” 


Und bei dem erfen Golbwlilrfel, 
Der auf das Spielbrett rann, 
Berlor der Heine Bootsmann 
Und die fhöne Jungfrau gewann. 


„Und hör du, Heiner Bootsmann, 
Was ih will fagen dir! 

Lüftet dich, zu jpielen 

Goldwürfel mit mir?“ 


„Und wie denn fol ich fpielen 
Goldwürfel mit dir? 

Ich hab’ ja fein rothes Gold 
Einzuſetzen hier.“ 


„Setz du nur deinen alten Hut, 
Setz nur den grauen ein! 

So ſetz ich meine Goldkrone; 
Gewinnſt du ſie, iſt ſie dein.“ 


Und bei dem zweiten Goldwürfel, 
Der auf das Spielbrett rann, 
Berlor der Heine Bootsmann 
Und die ſchöne Jungfrau gewann. 


„And hör du, Meiner Vootsmann, 
Bas ich will jagen dir! 

Luſtet did), zu ſpielen 
Goldwürfel mit mir?“ 


x 


Adi 


„Und wie denn foll ich fpielen 
Golbwürfel mit dir? 

Ich hab ja kein rothes Bold 
Einzufegen Bier.“ 


„Set du nur deine Strümpfe 
Und fildergeipangte Shup! 
So fetz ich meine Ehre 

Und meine Treu dazu.” 


Und bei dem dritten Goldwürfel, 
Der auf das Spielbreit raun, 
Berlor die ſchöne Jungfrau 

Und der Meine Bootsmann gewann. 


„Und hör dur, Meiner Bootsmann, 
Heb du di ſchnell von mir! 

Ein gehend Schiff auf dem Meere, 
Das will ich geben dir.” 


„Ein gehend Schiff auf dem Deere, 
Das nehm’ ih, wo ich kann; 

Doch haben will ich die Jungfrau, 
Die ich mit Goldwürfel gewann.“ 


„Und Hör du, Meiner Bootsmann, 
Heb du dich ſchnell von mir! 

Ein Hemd, gefäumt mit Seide, 
Das will ich geben dir.” 


Ein Hemd, gefäumt mit Seibe, 
Das nehm’ ich, wo ich kann; 
Do haben will ich die Jungfrau, 
Die ich mit Goldwiirfel gewann.“ 


„Mud bör du, Heiner Bootsmann, 
Heb du dich ſchnell von mir! 
Mein Königreih zur Hälfte, 

Daß will ich geben ir.“ 


„Dein Königreich zur Hälfte, 

Das nehm’ ich, wie ih fan; 
Dod haben wil ich die Jungfrau, 
Die ih mit Goldwlrfel gewann.” 


Die Jungfrau geht in die Kammer, 
Sie krauft ihr goldgelb Haar. 
' „Gnad' Gott ob diefer Heirath! 

‚Die gebt nicht hoch fürwahr.“ 
Der ‚Bootsmann geht auf dem Eſtrich, 
Er fpielt mit feinem Schwert. 
„Dir wird fo gut eine Heirath, 
Als irgend du bift wertb. 
Ich bin wohl nicht ein Bootsmann, 
Ich dünkt' e8 fo dir nur; 

Ich bin der befte Königsfohn, 
Der je von England fuhr.“ 

Doch fie fpielten, fie fpielten Goldwürfel. 

Wie wir für die tragifhhen Entführungsgeichichten einen gemein: 
ſamen Typus bemerkt haben, fo gibt es auch einen folden für eine 
anfehnliche Zahl ergebliher Brautwerbungs» und Hochzeitabenteuer. 
Hier wird gewöhnlich dem Bräytigam von einem Andern, ber ältere 
ober befiere Anfprüche hat, die Braut noch am Hochzeitabend weggehaſcht. 
Ähnliche Anlage zeigte ſich ſchon in den Helbenfagen, namentlich in 
denen von Halfvan. Auf eigenthümliche Weife ift jenes Thema in folgender 
dänifcher Ballade behandelt (Nyerup IV, 254 ff. Grimm 137 ff): 

- Das war an einem Samflag, 
der Regen fiel fo laut. 
Das war Tyge Hermandfen, 
ſollte holen feine Braut. 

Herr Tyge fieht zum Fenſter hinaus, 
wie die Bäche fo ſtrömend Tanfenn 
„Da ritt' id) doch mir felber zur Qual, 
fo theuer die Braut mir zu kaufen. 

Hör du, Nilans Benditſön! 
dein Rofs hat lange Bein’; 
Ich bitte dich bei dem allmädhtigen Gott: 
Hol du die Braut mir herein!“ 
Antwortet Nilaus Benbitfön, 
antwortet ein Wort für ſich: 
„Soll ich die Holen die junge Braut, 
da find’ ih wohl einen Schlich.“ 


446 


Und das war Rilaus Benpditfön, 
der ritt der Braut zu Gruß; 

Sie breiteten Seid’ und Zindel grün \ 
all vor feines Rofſes Fuß. 


Sie Heideten ſich in Seide 
und auch in Goldſtoffkleid, 
So ritten fie zur Kirche 
al mit der fhönen Maid. 


Die Braut ſteht vor der Kirchenthür, . 
wie eine Nofe fo licht; 

Sie bat, nach dem Wafler auszufehn, 

ob der Bräutigam komme noch nicht. . 


Antwortet Nilaus Benbitfön, 
darf fih nicht lange befinnen: 

„Er wagt fi heut nicht über den Bach, 
weil die. Ströme fo heftig rinnen.“ 


Sie fetten die Braut auf die Brautbank Hin, 
,‚ mit Zuchten und mit Sitten, 
Sie fahen all nad dem Waſſer aus, 

ob der Bräutigam komme geritten. 


Da ſchenkten fie Beides, Bier und Meth, 
wohl in der Silberſchaale; 

Es neigte ftark zum Abend hin, 
und gieng zu End mit dem Dlahle. 


Sie hoben da die junge Braut 
wohl auf das Brautbett Hoch, 
Da faß fie wohl drei Stunden lang, 
der Bräutigam fäumte noch. 


Die Prieſter fanden vor'm Brantbett 
und fangen auf's Allerbeite. 

„Was fol noch werden mit diefer Braut? 
der Bräutigam fehlt beim Feſte.“ 


Herzu gieng Nilaus Benbitfün, 
ſeine Schuhe warf er fort: 
„So will ich felbft der Bräutigam fein, 
ih ‚geb’ ihr Treu und Wort.” 


447 
Da tranken fie das Brautgelag 
und machten ſich gute Zeiten, 
Außer Tyge Hermandſen, 
durft' über den Bach nicht reiten. 


An einem Mittwoch! war es nun, 
das Waſſer begann zu fallen; 

Herüber fam Tyge Hermandfen 
mit feinen Brautmannen allen. 


Er kam wohl in das Hochzeithaus 
und zu dem ſchönen Feſte; 

Da ſprach fogleich die junge Braut: 
„Kehrt Heim, ihr fpäten Gäſte!“ 


„Hör du, ſtolze Sidſelill, 
das hab' ih nun mit bir, 

Daß du dich verlobt einem Andern 
und übel gefpielt mit mir!“ 


„Hör du, Tyg Hermandſen! 
das konnteſt du jelbft dir jagen, 
Daß ich nicht wollte ſolchen Geſelln, 
der in Regen ſich nicht mag wagen. 


Wärft du ein rechter Bräutigam 
und, hätte mich Tieb und werth, 
Du bätteft gebrochen die Welle blau 
mit deinem blanken Schwert.“ 


„Da will ich in ein Klofter gehn 
und will ein Mönch da werden; 
Und wiß du, ſtolze Sidſelill! 
du fiehft mich nimmer auf Erden.“ 
„Führt doch dein Weg dich hier vorbei, 
wenn fill die Bäche dir fcheinen, 
Hab’ ih dann Käfe, mehr als zmei, 
geb’ ich in den Sad dir einen.” 
Den Liebern von Entführungen gab die Vervielfältigung der 
Nonnenllöfter eine neue Richtung. Vom Klofterraub murbe Manches 
1 Odensdag, Onsdag. 


448 


gelungen. Eine heitre Ballade biefer Klaſſe, bie in ſchwediſcher und 
dänifcher Verfion gebrudt ift, gebe ich bier nach erfterer: 


- (Svenska Folk-visor I, 179. Mohnite I, 17 ff. Nyerup IV, 261 ff. 866.) 


Herr Karl vor feine Pflegmutter trat, 

er gieng um Rath fie an: 

„Wie mag ich die ſchöne Jungfrau wohl 
mir aus dem Klofter fahn 2“ R 


„Reg du Dich krank, leg dm Dich tobt, 
leg du dich auf die Bahr! | 
So kannſt du die ſchöne Jungfrau wohl 

dir Holen ohne Fahr.“ 


Da traten die Heinen Diener ein, 
fie waren gefleivet in Blau. 

„Will die ſchöne Jungfrau zur Leichenftub’ gehn? 
dort liegt Herr Karl zur Schau.” 


Da traten die Heinen Diener ein, 

fie waren gekieidet in Roth. | 
„Wil die ſchöne Jungfrau zur Leichenſtub' gehn? 
dort liegt Herr Karl und ift tobt.“ 


Da traten die Heinen Diener ein, 
fie waren gefleidet in Weiß. 

„Bill die Schöne Jungfrau zur Leihenftub’ gehn, 
Herrn Karl betrachten mit Fleiß?“ 


- Die Jungfrau vor ihre Pflegmutter trat, 
um Rath fie anzugehn. 
„Ah! kann ich hinab in die Leichenſtub', 
‚Herrn Karl auf der Bahre zu ſehn?“ 


„Und nicht will ich dir geben den Rath 
und auch nicht ſag ich „nein“; 

Do gehſt du heut Abend zur Leichenſtub', 
leicht magſt du betrogen ſein.“ 


Und die Jungfrau ein zur Thlire gebt, 
fie glänzt wie die Sonn aus der Nacht. 
Hear Karl, der bat ein falfches Herz, 
das liegt auf der Bahr’ und lacht. 


449 


Und die Jungfrau zu feinem Haupte tritt, 
fieht an fein krauſes Haar: 
„Ad! als du Hier noch lebteſt, 
wie lieb und werth ih dir war!” 
Und die Jungfrau zu feinen Füßen tritt, 
hebt auf den weißen Sein: | 
„Ag! als dA bier noch lebteſt, 
warft du ber Herzliebfte mein.” | 
Und die Jungfrau zu der Thüre gieng, 
bot ihrdn Schweſtern Gutnacht; 
Herr Karl, der auf der Bahre lag, 
ſprang auf und ergriff ſie mit Macht. 
„Trägt aus meine Bahre wieder 
und ſchenket Meth und Wein! 
Morgen joll meine Hochzeit fein 
mit der Herzallerliebften mein.“ 
Das waren die Klofternonien, 
fie lafen im Buche dort. | ’ 
„Das war ein Gottesengel, 
nahm unfre Schwefter fort.‘ 
Und alle Klofternonnen, 
fie fangen Jede für fidh: 
„Chriſt geb’, daß ein ſolcher Engel 
binnehme mich und dich!” 
So ſchließen und die Engel, wie zuvor die Reihe ernfter und weh⸗ 
müthiger Lieder, nun auch die der heitern und ſcherzhaften. Dort fangen 
“ fie der Jungfrau, deren Herz vor Kummer gebrochen, zu Grabe und jegten 
ein golvenes Kreuz auf ihre Begräbnisftätte, hier follen fie die Nonnen 
aus den Kloftermauern in's frifche Leben zurüdführen. Neben den ' 
heidniſchen Naturgeiftern hat fich eine Schaar hriftlicher Lichtalfe hervor⸗ 
geftellt; die Phantafie und pas Gemüth fuchen unermüdlich und überall 
befreundete Genien. 

Nach der angenommenen Stufenfolge iſt nun zuletzt noch von den⸗ 
jenigen Balladen zu reden, welche den Übergang bes ſagenhaften Volks⸗ 
lieds zur gejchichtlichen Darftellung bilden. 

Es find viele nordiſche Balladen vorhanden, welche unztoeifelbaft 

Ubland, Schriften. VI. 29 


400 

oder muthmaßlich ſich auf hiſtoriſche Perſonen und Ereigniſſe beziehen. 
Die däniſchen find im 2ten Bande der Nyerup⸗Rahbekiſchen Samm⸗ 
lung zuſammengefaßt und in Grimms Überfegung gegen das Ende ge 
ftellt; in der ſchwediſchen Sammlung ift den Stüden diefer Art bie 
zweite Abtheilung jebes Bandes eingeräumt. Eine fichre Grenze zwiſchen 
ſolchen Stüden, die auf geichichtlicher Grundlage beruhen, und ander, 
bie aus freierer Auffaffung des Lebens hervorgegangen, Tann freilich 
nicht gezogen werden. Es finden hier die manigfachften Bermittlungen 
ftatt. Noch weniger Tann die biftorifche Kritik auf die einzelnen Züge 
jedes Liebes erftredt werben, denn nicht leicht ſteht eine urkundliche 
Detoilgefhichte zur Vergleichung. So gründet fih. die Ballade von 
Arel und Valborg höchſt wahrfcheinlich auf ein mwirkliches Ereignis bes 
13ten Jahrhunderts, von dem aber die Gefchichte ſchweigt und das in 
der Volksſage fich dichterifch zugebilvet hat. (Diefe vielverbreitete Bal- 
lade, vermuthlich norwegischen Urfprungs, da die Begebenheit Norivegen 
angehört, fteht däniſch bei Nyerup III, 257 ff. 425 ff. Grimm 357 ff. “ 
537 ff., ſchwediſch in Svenska Folkwisor I, 148 ff. Durch Dlen- 
ſchlägers Zrauerfpiel find Areld und Valborgs Geſchie⸗ auch in Deutſch⸗ 
land allgemein bekannt geworben.) Überhaupt gehören Me Lieber dieſer 
Klaſſe ja nur infofern in unſern Bereich, als in ihnen wirklich noch 
die bildende Kraft der Sagenpoefie fich äußert. 

Vorzüglich beachtenötverth ift in dieſer Hinficht die Erfcheinung, daß 
auch jet noch, im Laufe des norbifchen Mittelalters, gefchichtliche Cha⸗ 
raltere und Begebenheiten diejer Zeit felbft zu umfaflendern Sagen 
bildungen menigitend bie Anſätze entiwidelt haben, in ver Art, daß 
mehrere Lieder fich zu einem Cyklus zufammenzeiben. Zwei folder 
Liederkreiſe treten in ben bänifchen Balladen zu Tage, der erfte von 
der Königin Dagmar, der zweite von Marft Stig und feinen Töchtern. 
Mit dieſen beiven fchließen wir denn auch ben Durchgang durch die 
nordiſche Balladenpoefie, 

Auf die Königin Dagmar beziehen ſich fünf in innerem gufammen⸗ 
bang ſtehende däniſche Lieber (Nyerup II, 70 bis 98. 349 bis 355. Grimm 
: 337 bi® 364. 535 ff.). Das erfte berfelben gebe ich bier in Überfegung, 
die übrigen im Auszug: 

König Waldemar und Herr Strange 
figen tiber dem breiten Tiſch, 


451 


Sie beginnen zufammen zu reden 
- mand Wort fo fröhlich und frifch. 
Da fegelt Herr Strange nah Königin Dagmar. 


„Herr Strange, hör, was ich fage dir! . 


folft fahren vom Lande mir aus, . 


Soüf führen mir vom böhmifchen Land 
die junge Brant in mein Haus.” 


Da fprad Herr Strange Ehbefün, F 
Wollt' kluges Wort nicht ſparen: 

„Soll ich ausreiſen in's böhmiſche Land, 
wer ſoll da mit mir fahren?“ 


„Nimm mit dir den jungen Herrn Limbek 
‚und Herrn Oluf Tolle vor allen! 

Nimm auch den reichen Herrn Peter Glob 
und welche bir fonft gefallen! 


Nimm du den Bifhof von Seeland mit! 
eilt fo gelehrt ein Mann. ö 

Nimm auch Herrn Albert von Eſtilsö, 
der die Worte wohl fligen kann!“ 


Das war der junge Herr Strange, 
er gieng hinab an den Strand, 
Ihn geleitete König Waldemar felbfl 

mit mandem Manne von Stand. 


Sie fegelten Über die ſalzge See 
und fuhren der Wochen drei, - 

So nahe fie konnten der böhmiſchen &renz', 
fie waren fo fröhlich und frei. 


Sie firiden die Segel, fie warfen die Anker, 
fie eilten das Land hinan; 

So ſchön war biefe Herrenfchaar, 
Herr Strange der vorderſte Mann. 


Und als fie ein Stüd gelommen in’s Land, 
ba fchidten fie Botfchaft voraus, | 
Zu meiden dem König von Böhmenreich, 
von wenn fie ihm fämen zu Haus, 


- 


452 


Sie —* mit ihm zu ſprechen geheim, 
das ſei er beſtens gebeten. 

Da ward auf die Erde Seide gebreitet, 
vor den König ſollten fie treten. 


„Heil jei euch, König von Böhmenland! 
Ihr ſeid ein Fürſt mit Ehren. 

König Waldemar hat uns ansgefandt, 
Eure Tochter für ihn zu begehren.” 


„Ihr Herrn, nehmt Waſſer und Handtuch hier 
und ſetzet zu Tiſch euch nieder! J 
Ihr ſeid willlommen in unſrem Land, 
wir entbieten euch Gutes hinwieder.“ 


Der König geht in's Obergeſchoß 
und hält mit der Königin Rath. 

„Bon Dänemark iſt eine Botſchaft kommen, 
die um unſere Tochter bat.“ 


„Wil König Waldmar von Dänemark, 
will unſre Tochter er haben, 

Wir geben fie ihm, dem mächtigen Mann, 
und dazır viel köſtliche Gaben.“ 


Sie legten ihr an das roihe Gold, 

Geleiteten fie zum Saal; 
Herr Strange, der Ritter, ftand auf vor J— 
und die andern Herren zumal. 


Sie ſchlugen ihr über die Seide blau 
und führten zum Saale fie ein. 

„Hier mögt ihr ſehen das Fränulein ſelbſt 
in Zucht und in Sitten fein.“ 

Sie brachten herein das Schachſpielbrett, 
das Spiel von Golde fo rein; 

Herr Strange follte fpielen mit ihr 
und reden mit ihr allein. 


Sie jpielten das Spiel von rotbem Gold, 
und als fie das dritte vollbracht, 

Da hatte Herr Strange geivonuen die Braut 
in König Waldemars Macht. 


{ 


Es neigte zum fpäten Abend ſchon, 
da gieng zum Ende die Wette. 

‚Herr Strange, der Ritter weil’ und flug, 
folte führen die Braut zu Bette 


Sie führten das Fräulein zum. Hochzeitbett 
und der Ritter faß darauf; 

Herr Strange mit großer Ehr’ und Zucht 
fland gegen dem Fräulein auf. 


„Sagt nun, Herr Strange, die Wahrheit mir 
auf eure Ehr' und Treu! 

Iſt euer König in Dänemarl 
Beides ſchön und getreu?“ 


Antworter’ ihr Herr Strange da, 
ſah auf zur Sonne dabei: 

„Furwahr der König von Dänemark 
iſt ſchöner, als meiner zwei.“ 


Da ward auf die Erde Seide gelegt, 
ſie führten das Fräulein vom Strand, 
Sie bot ihren lieben Eltern Gutnacht, 
fo wollten fie fahren vom Land. 


Das war der König von Böhmenland, 
er gab feiner Tochter die Lehre: 


- „Und wenn du fommf nad) Dänemark bin, 


fo den auf Zucht und auf Ehre! 


Gottsfürchtig, tugendlich, fromm und gut, 
des befleiße dich fort und fort! 

Das theile mit allen, die unterthan bir! - 
fo wirft dm ihr Hoffen und Hort.” 


Da trieben die Herren das Schiff vom Land, 
fie waren fo fröhlich und frei. 

So jegelten fie nah Dänemart 
nicht voll der Monate zwei. 


Die milde Königin Dagmar kam 

vor Mandöd an das Land, 

Da warf der König von Dänemart 
fein Roſs herum auf dem Sand. 





454 


„Sagt mir, Herr Strange Ebbeſön, 

‚ - *h’ näher wir fommen dem Land! 
Ber ift der dreifte, tolle Geſell, 

der reitet auf weißen Sand?“ 


„Seid willlomm, edle Königin, 
amd redet davon ſacht! 
Das if König Waldmar von Dänemart, 
bat dreier Reiche Macht. 


Meine gute, gnäbge Frau Dagmar, 
mit dem Füurſten iſt's fo geftalt, 
Er Hat der Burgen und Bellen viel, 

bat dreier Reiche Gewalt.” _ 


„Run ſchäm' Di, Strange, ſchäm' bu dich, 
der alfo lügen Tann! | 

Iſt das der König von Dänemark? 
Einäugig dunkt mich der Dann.” 


„Hört ihr das, meine ſchöne Jungfrau! 
er ift ein Held zur Hand, 
Hat wiedergemonnen zu Dänemart 
das ganze nordelbiſche Land. 


Er if ein Mann und ein weifer Furſt, 
er blickt auf die Feinde jo led, 

Sie fliehen vor ihm nad Of und nach Wei, 
wenn jein Born fie jaget in Schred. 


Wer Land und Lehen wagen will, 
mit Kriegsfpiel ſich ergeben, 

Iſt er ein Fürf von Muth und Blut, 
muß ſchon ein Aug’ dranf feken. 


Hört ihr das, meine ſchöne Jungfrau? 
ihr mögt euch wahrlich freum. 

Eud wird, fo lang-ihr leben mögt,- 
nie diefe Fahrt gereum. 


Und auch, fo lang ihr Ieben miögt, 
will ich euch Dienft bewähren, 
Und aller Adel In Dänemarl, 
er fol euch lieben und ehren.“ 


455 
So tranken fie ihr Hochzeitfeft 
zu einer guten Stund. 
Der Fürft Ind die Fürftin liebten wohl 
einander von Herzensgrund, 


Da freute ſich wohl Groß und Hein, 
da freute fih Arm und Neid, 
Da freiten ſich von Herzensgrund 
Bürger und Baur zugleich. 
Sie kam mit Frieden, kam ohne Beſchwer, 
‘Dem Bauer Troft zu erweilen; 
Hätt’ Dänemark allzeit folche Blumen, 
man follte fie ehren und preifen. 


f Allen, foviel in Dänemarkt warn, ' 
benahm fie wohl manche Klage; 
So lange fie lebt' auf der Erbe hier, 
da Hatten fie gute Tage. 
Da fegelt Herr Strange nad) Königin Dagmar, 


Das zweite Lied erzählt, wie bie Königin Dagmar, der elterlichert 
Lehren eingebent, fih von ihrem Gemahl glei zur Morgengabe er: 
bittet,. daß er feinen Mutterbruber, den Biſchof Waldemar, den er 
ſchon in's zwölfte Jahr gefangen hielt, losgebe, auch alle übrigen Ge 
fangenen aus ben Eifen befreie und Ben Bauern alle Pflugpfennige 
- erlaße. — | 

Das dritte enthält die Prophezeiung einer Meerfrau, welche ber 
Königin das Geſchick ihrer Söhne verfünbigt, auch daß fie felbft an der 
Geburt des dritten Sohnes fterben möchte. Die Königin entläßt die 
Unglüdäprophetin veich beſchenkt und dieſe ruft ihr noch aus den 
MWellen zu: 
, Sm Himmelreich ſollſt du bauen und leben; 
Da wird dir erft Ruh und Stille gegeben. 


Das, vierte Lieb zeigt die Königin auf dem Sterbelager. Gie hat 
fich nicht? vorzumwerfen, als daß fie am Sonntag ihre Seidenärmel ein: 
geihnürt. Abermals bittet fie ben König für die Gefangenen und Frieb: 
Iofen; auch eröffnet fie ihm den Wunſch, daß er nad) ihrem Tode bie 
Heine Chriftel und nicht Berngerd von Portugal, die bittre Blume, 


\ " . R ‘ 


A56 


beirathen möge. Dann hört fie die Gloden des Himmelreichs Täuten 
und verlangt hin zu ben Seelen. In Ringfteb wird fie begraben. 
Das fünfte Lieb befagt, wie der König fi) dennod mit Berrigerb 

vermählt. Diefe ift gänzlich das Wiberfpiel von Dagmar. Sie ver: 
langt zur Morgengabe, daß der König das ganze Land mit einem Eifen- 
band umziehen lafie: 

„Lieber Herr, was der Bauer wohl mehr bedarf, 

Als ein Fenſter, eine Thür und eine Senſe ſcharf? 

Was braucht ein Bürger in's Haus bazu, 

Hat er zwei Ochſen und eine Kuh? , 

Welche Bauerfrau gebiert einen Sohn, 

Soll mir geben ein Loth ſchön Gold davon. 

Aber bringt fie 'ne feine Tochter zur Welt, 

Soll fie mir geben die Hälft’ von dem Gelb.“ 


Dagmar aber ericheint ihrem Gemahl im Traum und ermahnt ihr, 
fid) nicht von Berngerd bethören zu laſſen. Dieſe kommt bald bernach 
um, und um fie fiehbt man feine Thräne fließen. 

Die biftoriihen Perſonen diefes Liederchklus find: Waldemar II 
ober der Siegreiche, der im Anfang des 13ten Jahrhunderts regiate, 
feine erfte Gemahlin Margareta, Tochter des Königs, von Böhmen, bie 
im Jahre 1212 ftarb, und ihre Nachfolgerin Berengaria, eine por: 
tugiefifche Königstochter. Auch einzelne Thatjachen der Lieder laſſen fich 
geſchichtlich nachweiſen und gewiſs tft das einfach: jchöne Bild der nilden 
Königin Dagmar aus gefchichtlicher Wahrheit hervorgegangen. Aber 
aud) die Dichtung hat ihr Blumen in den Tobtenfranz gewunden und 
Ihon ihr Liebername Dagmar ift ein poetifcher: Tagjungfmu (alt: 
dänifch maar, isländiſch mer, Jungfrau). Die Lichtalfe waren Kinder 
bes Tags (vgl. Lex. myth. 43). Von Waldemars Werburg um fie 
ift auch ein färötfches Lied vorhanden (Färdiffe Qväder 556,9; vol. 
470,93) und in Schweben ‚hat man auf fie, wenigftens durch den Kehr⸗ 
reim, das Lied bezogen, in welchem die Mutter aus dem Grabe kömmt. 
um ihre von ber Stiefmutter mishandelten Kinder zu pflegen (Nye⸗ 
rup 1, 399 f.). . a 

Ter zweite Eyflus diefer Art, von Marſt (Marfchall) Stig und 
einen Töchtern, erinnert an den Gang der antiken Tragäpie Er 


* 


451 


‘ 


begreift 8 bis 9 Lieber, theilmeife von ziemlichem Umfang (Nyerup 2, 
115 bie 162. 359 big 367. 1, 310. 393. Grimm 89 bis 409. Thiele 1, 
41. 2, 56.59. Svenska Folk-visor III, 40 ff.). Ihr Inhalt ift kürzlich 
diefer: „König Erich Glepping ſendet feinen Marfchall Stig auf Kriegs⸗ 
fahrt aus und entehrt indeilen die I höne Frau besjelben gewaltſam. Als 
Stig, bei feiner Heimkehr, diefes erfahren, raſtet er nicht, bis er feine 
Hausehre gerächt hat. Er überfüllt den König, als dieſer einft inemer 
Bauernfcheune übernachtet, und ermordet ihn jämmerlih. Dann fucht 
er feine Sicherheit auf einer hohen, feiten Burg.” Vom Tode des 


Marſchalls handelt Fein Lied beſonders. Wir fehen nur feine Töchter 


beimatblos umherirren. Davon folgendes Lied, bei Grimm ©. 400: 
Marſt Stig hat zwei Töchter ſchön u. f. m. *** 


In einem meitern Liebe wird bie vielgefungene Sage, wie der 
Meermann eine Jungfrau wegführt, auf eine der Töchter Stigs ange 
wandt, vermuthlich um auszudrlden, wie fie ſpurlos von ber Erde ver- 
ſchwunden. Die legten Lieder handeln von Ranild, ber den König an 
Stig verrathen, und beilen Hinrichtung. Die gejchichtlichen Ereigniſſe, 
welche dieſen Liedern zu Grunde liegen, fallen gegen den Schluß des 
13ten Jahrhunderts. 

Wenn es zur Überfiht und Erläuterung nöthig war, die nordi⸗ 
ſchen Balladen, wie im Bisherigen geſchehen, nach ihren verſchiedenen 
Klaſſen und Stufen abzutheilen, ſo liegt doch anderſeits gerade darin 
wieder ein beſonderer Reiz dieſer reichen Volksdichtung, daß alle dieſe 
verſchiedenen Arten, mythiſche, heroiſch rieſenhafte, romantiſche, traurigen 
und ſcherzhaften Inhalts, hiſtoriſche, ſich in bunter Manigfaltigkeit ver⸗ 
weben, und es bildet ſich ſo aus allen zuſammen eine poetiſche Welt 
voll friſcher, lebendiger Geſtalten und doch von dem zauberiſchen Dufte 
des Wunderbaren umfloſſen. 

Wenn es ſchon bei den ältern Sagen und Liedern vergeblich war, 
nach den Urhebern zu fragen, fo kann davon bei dieſen Volksballaden 
noch weniger die Rede fein. Selbft das kunſtmäßigere Skaldenthum 
bat aufgehört, wir finden nur bie und da wieder die wandernden 
Spielleute. Bon ihnen mochte manche jener ernften und ergetzlichen 
Brautwerbungen bei den Hochzeitfeiten, von denen bie Lieber ſelbſt jo 
Vieles melden, gefungen werden. Im Ganzen aber kann body nur im 


458 


| \ 

Volke felhft Urfprung, Verbreitung und Ausbilbung biefes Balladen: 
weſens gejucht werden, jo jedoch, daß Feiner der verichiedenen Stände 
des Volks auszufchließen ift, indem namentlich ein großer Theil ber 
Lieder ſich allzu fehr im ritterlihen Leben bewegt, als daß nicht der 
Adel, der ja auch keine höhere Bildung Tannte, thätigen Antheil ge 
nommen haben follte!. Sp waren ja aud die älteſten fchriftlichen 
Sammlungen ein Beſitzthum abelicher Fräulein. Daß bie Färder ihre 
Balladen, und am liebften die von Sigurb und feinem Geſchlecht, zum 
Reihentanze ſingen, iſt früher bemerkt worden. Es iſt damit mimiſcher 
Ausdruck des Inhalts der Lieber verbunden und wenn es in einem ber 
jelben an die Stelle kommt, wo die Helden gewaltig daherſprengen, fo 
wird der Tanz felbft zum donnernden Galopp (Färöiſte Qväder ©. 
411, N.). Jene großen Tänze in ven hellen Sommernädten - des 
Nordens, von deren verführerifchen Klängen die Balladen felbft fo 
Manches ‚erzählen, waren wohl auch eine vorzügliche Pflegftätte dieſes 
Gefanges. 


2. Ortsſagen. 


Dieſe Rubrik iſt in der ſtandinaviſchen Sagengeſchichte mehr nur 
anzuzeigen, als auszuführen. Wir begreifen unter derſelben diejenigen. 
Volksſagen, welche, außer und neben ben volleren Kreifen des Mythus, 
der Heldenfage, der Balladendichtung, kurz und vereinzelt baftehen und 
meift an beftimmte Örtlichleiten gebannt find. In den norbifchen Ländern, 
wie überall, haften an Bergen und Seeen, un Felsftüden pon auf: 
fallender Form, an Quellen, Grabhügeln, Kirchen, Burgtrümmern u, |. f. 
mancherlei Überlieferungen, bie dem vorüber Wandernden, wie das 
Echo im alten Gemäuer, einfilbig abgebrochene Stimme geben. Sie 
find oft ganz einzeln und örtlich aus befondern, natürlichen oder ardhi- 
tektoniſchen Geftaltungen hervorgegangen ober follen ben Ortsnamen 
zur Erklärung dienen; oft aber find fie auch lokale Anknüpfungen bes 
allgemeinern Volksglaubens und der volleren Sagen, -die dadurch einer 
beitimmten Gegend vertrauter und einheimifcher werden. Umgekehrt 
aber haben auch die größern Sagentreife foldhe örtliche Mertwürbig: 

1 [Bgl, Ferdinand Wolf, über die Frage: In welchen Kreifen find die jekt 
fogenannten Bollsballaden entftanden? (Vorwort zu „Schwediſche Bollglieder 
der Vorzeit, übertragen von R. Warrens,“ Leipzig 1857. 8.) H.) 


459 

keiten in_fih aufgenommen. So weiß die Götterfage davon, wie bie 
Afin Gefion mit einem Ochſengeſpann aus Yötunheim ein Stüd Landes 
in Schweden herausgepflügt und in das Meer verfeht bat, woraus bie 
Inſel Seeland geworden ift, deren Landſpitzen ganz ben Buchten bes 
° Mälarfees entiprechen, welcher an der Stelle des ausgerifienen Land: 
ftüdes entftanden. So wird in.der Helbenfage von Starkadr erzählt, 
wie er, von Wunden ermattet, auf einen Felöftein hinſank und biefem 
feine Geftalt eindrüdte, melde Saxo noch felbft gejehen (Saxo B. VI, 
©. 167f.). Auf der andern Seite ift gleichfalls fchon erwähnt worden, 
‚ wie vielfach die Sagen von Hagbarth und Sygne, vom Schmiede Vö⸗ 
Iund u. f. w. fich in örtlicher Tradition angelnüpft finden; das Gleiche 
gilt von der Gejchichte Axels und Valborgs und andern in den Ballaben 
befungenen Ereigniſſen. Beſonders auch haben ſich die untergeordneten 
dämonifchen Weſen, die in der Bellabenbichtung eine fo beveutende 
Rolle fpielen, überall in den Drtsfagen angefiebelt. Die Elfen ber 
Hügel, die Zwerge, der Ned, die Meerfrau, treiben auch bier ihren 
Spuk. Mit dem allgemeiniten Namen heißen fie Trolle oder Trolde 
(t#ländifch travll, tröll n., in der Edda jedes jotnifche, bösartige Wefen, 
Lex. myth. 474 ff.; ſchwediſch troll n.; däniſch trold, en), ſo jedoch, 
daß fie bei biefem Namen mehr in ihrer feindfeligen Natur und in 
bäßlicher Geftalt gebacht werben, daher er auch wieder vorzugsweiſe 
auf Wald» und Erbgeifter angewandt wird (vgl. Nyerup I, 175 ff. 
Arndt II, 8). Eigenthümlich ift noch ber Ortsſage ber Hausgeift, 
der Niſſe, der im einzelnen Hofe und Haufe, bald hülfreich, bald nedifch, 
fein Weſen treibt; denn je mehr fid) Die Sage örtlich einengt, um fo 

häuslicher werben auch die Dämone. | 
Die Ortsſagen haben ihren bebeutenditen Werth in ber Sagenge⸗ 


ſchichte da, mo aus ihnen erſt auf das einſtige Vorhandenſein und bie 


Beichaffenheit verlorener Mythen⸗ und Sagenkreiſe zurüdgeichloffen 
werben muß ober wo fie nur noch fragmentarifch und unflar vorhandenen 
größern Sagen zur Ergänzung und Erläuterung gereichen Tünnen. Ihre. 
Bebeutung ſinkt aber, wo die größern Sagenkreiſe felbft noch im ganzen 
Zuſammenhang und in reicher Fülle zu Tage liegen. Lebteres ift nun, 
mehr als irgendiwo, bei den neuern Völlern, in der norbilchen Sagen: 
porfie der Fall, die und das Syſtem einer vollftänbigen Götterfage, dann 
eine vielverzweigte Helbenfage und zuleßt noch eine üppig wuchernde 


460 


Balladendichtung ausgebreitet hat. Je mehr die Sagengeſchichte, wir 
wir ſie von Anfang aufgefaßt haben, ihr Abſehen auf die poetiſche Ge⸗ 
ſtaltung richtet, um fo weniger ift ihr nach der ergiebigen Ausbeute, 
welche die bisher betrachteten Kreife darboten, eine ſparſame Nachlefe 
unter ben vereinzelten Ortsſagen erforberlih. Denn wenn auch aus 
diefen wirklich Einiges von verfchollener, älterer Sage hergeftellt werben 
könnte (3. B. aus den Überlieferungen von Svend Felding, Nyerup 
150 bis 66. 96 ff. 388 ff. Vgl. Thiele I, 40. II, 64. IV, 16. Grimm 
©. 316), fo würden und doch ſolche fpecielle Bemühungen hier zu meit 
führen. 

Ich beichränfe mich daher auf die Angabe der hauptſächlichen Hülfs⸗ 
mittel, die bei näherer Beihäftigung mit biefer Sagenttafi zu be 
nüßen find. 

Die einzige reichhaltigere Sammlung ift: 


Danske Folkesagn, samlede af I. M. Thiele; 2 Xheile oder 4 Eanım- _ 
lungen, Kopenhagen 1819. 1823. 


p Über Sagen und Mährchen aus Danemark. Von Steffens.“ 
In Büſchings „der Deutſchen Leben, Kunſt und Willen im Mittelalter“. 
B. II, Breslau 1819, S. 183 bis 91. Hauptfächlich nur über Walde 
mars Jagd, nach Thiele.) | 

Mehreres über einzelne däniſche Sagen findet ke in den Ar: 
merlungen zu der Nyerup : Rahbefifchen Lieverfammlung. Vgl. aud 
Overtro hos den danske Almue (af R. Nyerup) in bem Senblat: 
‘ Dagen for 1822. N. 291 bis 94. 297. 299. 

Eine Sammlung fchwebifcher Volksſagen wird ſchon ſeit längerer 
Zeit von Zetterftröm erwartet. Bis jebt muß man ih an das hal- 
ten, was ſich in E. M. Arndts Reife dur Schweden im Jahre 1804, 
4 Theile, Berlin 1806, befonders im 3ten Theil ©. 7 bis 21, ſodann in 
den Einleitungen und Anmerkungen zu einzelnen Liedern ber Sammlung 
‚von Geijer und Afzelius, namentlich den Zauber: und Elfenlievern des 
3ten Bandes, auch in Geijers Geſchichte von Schweden zerftreut findet. 

In der Ausgabe der färöiichen Volkslieder ift gleichfalls Ein: 
zelnes von diefen Eilanden angemerkt, auf denen man fogar noch neuer 
lich ein Sagenbrudftüd von den Söhnen Ragnar Lodbroks aus dem 
Munde des Volle hat aufzeichnen können, gebrudt in ber Einleitung 


461. 


— — — — 


zum Iten Bande der Nordiske Fortids Sagaer, overs. af C. C. Rafn. 
Kopenhagen 1829. XV bis XVII. | 

Sammlungen norwegischer und isländiſcher Ortsſagen find gleiche 
falls noch vorhanden. 

Um übrigens auch von dieſer Sagenklaſſe eine Probe zu geben; 
wähle ich ein ſolches Stüd, in dem fi) noch Erinnerungen aus dem 
alten Götterglauben, mit hriftlichen Vorftellungen wunderlich vermifcht, 
erhalten haben. | 

In Nyerups Schrift über die dänischen und norwegiichen Volks⸗ 
bücher (Almindelig Morskabsleening i Danmark og Norge igjennem 
Aarhundreder. Beskreven af Rasmus Nyerup. Kjöbenhavn, forlagt 
af Brödrene Thiele 1816!) ift, als das einzige, dem Norden felbft ent: 
ftammenbe, noch gangbare Vollsbüchlein (S. 243 bi8 247) das von dem 
Alten oder Trold des Höjbergs verzeichnet. Dem dänifchen Büchlein liegt 
aber ohne Zweifel ein fchwebifches zu Grunde, da die Ortlichkeit ber 
Sage in Schweden liegt. Nyerup gibt davon folgenden Auszug ?: *** 


3. Mährden. 


Die in der mündlichen Überlieferung der Völker gangbaren Märchen 
find ihrem Hauptbeftande nach phantaftiiche Auflöfungen folder Mythen 
und Sagen, deren urfprüngliche Bedeutung verloren ift®, deren Bilver 
aber noch immer vie- Einbilbungskaft vergnügen können und, wie ein 
fliegender Sommer, fich leicht und glänzend umherſpinnen. 

Schon in der ältern nordiſchen Sage findet fich Verfchiedenes diefer 


At. Man findet in isländiſchen Sagan und bei Saro abenteuerliche 


‘ 


Grzäblungen von den Fabellanden Utgarblofis, Geirröds und Gob- 
munds, in beflen Lande Odaͤinsakur, der Unfterblichfeitäader, Tiegt, two 
Kranke gefund, Alte wieder jung merden und Niemand dem Tod unter 
liegt (Lex. myth. 294 f. Vgl. Nyerup II, 327 f. Grimm ©. 507, 3. 
Kong Dlaf Tryggvaſ. S. af Ran D. II, 121 fi. 155 ff.). Dahin 
gehört auch die noch ungebrudte Huldafaga, wovon in der SagabibL I, 
363 fi. ein Auszug gegeben ift. 

1 Dänifches Vollsduch von Königin Dagmar? Grimm, Altdäniſche Lieber 
©. 536. 


2 [Der Auszug fehlt im Manufcript, 8]. 
3 ag! Baur, Symbolik und Mythologie I, 8 ſ. 


462 

In den Balladen, beſonders denen, die das Elfenreich betreffen, 
ift noch Mehreres im angegebenen Sinne mährchenhaft getvorben. Ein 
größerer Vorrath eigentlicher Mährchen, wie wir folden 5. B. in ben 
beutfchen Lieber und Hausmährchen, gefammelt von ben Brüdern Grimm, 
befigen, ift im. Norden nicht vorhanden. Die Brüder Grinun haben 
im 3ten Bande ber’ gedachten Sammlung (Berlin 1822), wo fie bie 
Litteratur der Mährchen bei den verfchiedenen Völkern mit großer Um- 
fit abhandeln, aus Dänemark und Schweden nur Weniges, und auch 
dieſes meift mit Deutſchland gemeinſam, zu verzeichnen gewuſt au, 
405 bis 408 1), 

Die Erklärung Tiegt wieder nahe. Wo fo vieles Poetifche und 
Sagenhafte noch, wie namentlich in den nordiſchen Volleliedern, in 
fefterer Geftalt vorhanden tft, da fchwimmt weniger in mährchenhafter 
Auflöfung umher. Ganz folgerichtig zeigt ſich und in der Sagenge 
Schichte die Erſcheinung, daß, während zu oberft im Norden eine reiche 
und unverfehrte Götter: und Heldenſage bafteht, das Yphantaftifche 
Mährchen aber fich wenig entwidelt bat, fo umgekehrt, auf der ſüd⸗ 
lichften Spitze des germanifchromanifchen Sagengebietd, in Unter: 
"italien, wo Mythus und Epos längft erloſchen find, das Mährchen feine 
gebeihlichfte Blüthe getrieben bat. 

Sch ſchließe hiemit die Vorlefüng für diefes Semeſter. Es bat fi 
freilich bald gezeigt, daß in der vorgeſteckten Zeit der Umfang einer 
Sagengefchichte der germanifchen und romanifchen Völker nicht werde en 
ſchöpft werden können, und fo ift ftatt ihrer nur eine Sagengeichichte 
des ſtandinaviſchen Nordens zu Stande gelommen, während bie ber 
übrigen Völker auf dad Sommerhalbjahr ausgeſetzt werden muß. Allein 
auch für fich bilbet die norbifche Sage ein fo vollftändiges und wohl abge 
ſchloſſenes Ganzes, wie e8 bei Feinem andern Volle, das in unſre Auf- 
gabe fällt, wieder zu finden tft. Sein andres bat eine vollftändig er 
haltene Götterfage aufzumeifen; bei allen andern muß erſt aus ber 
Heldenfage, oder noch weiter unten aus Balladen, Ortsſagen, Mährchen 
der verlorene oder verjunfene Mythus fomweit möglich hergeftellt, er: 
ratben und erahnt werben. a 


1 [S. 322 der Ausgabe von 1856. Vgl. Islenzk Æfintyri, söfnud af 
M. Grimssyni og F. Arnasyni. Reytjavik 1852. 8.] 


Sagengeſchichte der germaniſchen und romaniſchen 
Völker. | 


Zweite Hälfte!. 


x 


Vorbemerkungen. 


Als ich am Anfang des Winters die Vorlefungen über die Sagen: 
geſchichte ber germanifchen und romaniichen Völker eröffnete, war. es 
meine Abficht, die Aufgabe im Laufe eines Semeſters zu Töfen. Bald 
jeboch zeigte fih, daß, bei der .großen Mafle des zu verarbeitenden 
Stoffes, entweder vom volljtändigen Ganzen nur ein Umriß gegeben 
werben könnte ober zu einer auögeführteren Darftellung die Beit des 
Vortrags ausgebehnt werben müfte. Ich zog das Lebtere vor. Denn 
ed handelte ſich bier, wie in aller Geſchichte der Poefie, davon, bie 
Bildungen der fchaffenden Dichtkraft nicht bloß äußerlich anzuzeigen, - 
fondern fie und den Gang ihrer Entwidlung fo viel möglich zu einer 
vollen und unmittelbaren Anfchauung zu bringen. Nach diefer aus: 
gebehntern Anlage reichte das vorige Semefter nur für die Sagenge: 
fchichte der Völker des ſtandinaviſchen Nordens aus. Sowie jedoch diefe 
nordifche Sagengefchichte in ſich ein organifches Ganzes ausmadhte, fo 
merde ich darauf bedacht fein, daß auch die Sagenbildungen derjenigen 
Völker, zu welchen wir jett vorſchreiten, für fich verftändlich und in fich 
abgerundet erfcheinen mögen. 

Was ich über den Begriff einer Sagengeichichte in ber allgemeinen 
Einleitung vorangeſchickt habe, will ich bier nicht ausführlich wiederholen. 
63 kann im Wefentlihen auf folgende Säte zurüdgeführt werben: 


1 [Auf einem Umſchlag des Manufcripts betitelt Uhland dieſe Abtheilung 
fo: Deutſche und frauzöfiſche Sagengeſchichte. Sommerhalbjiahr 1882. 8.] 


464 


Im Leben der Völker gibt es eine Zeit, in welcher alle Kräfte 
und Richtungen bes Geiftes in der Poeſio gefammelt find!. Glaube, 
Lehrweisheit, Gefchichte, alle Seiten und Intereſſen bes bewegten Lebens 
prägen fich dann in dichterifchen Geftaltungen aus. Dieſe Geftaltungen, 
mit dem Ideenreichthum der Völker erfüllt, von ihrer Phantafie ge 
Ichaffen, mit ihrem Gemüthe befeelt, tragen die Gewähr ihres Beſtandes 
in fi; fie können nicht untergehn, fo lang fie in berfelben (Seiftes- 
ftimmung Aufnahme finden, aus der fie entiprungen find. Diele 
lebendige Bilverfchrift haftet unmittelbar und ficher in Phantafie und 
Gemüth,- fie bedarf nicht der Erhaltung hurch den tobten Buchftaben. 
hr genügt nolllommen die mündliche Milheilung durch Singen und 
Sagen, ja dieſe Art der Überlieferung, als die Iebendigfte, fagt ihr am 
beften zu. Die Schrift findet feine Anwendung, nicht etwa bloß, meil 
fie nicht erfunden, fondern weil fie Fein Bedürfnis ift; denn weſſen 
der menschliche Geift bedarf, das erfindet er. Runen waren im Norden 
lange belannt, ohne daß man fi ihrer zur Aufzeichnung der Lieber 
und Sagen bediente. Erſt wenn der Gedanle vom Bilde, Lehre und 
Gefchichte von der. Poeſie fich ablöfen, wenn die geiftigen Fähigkeiten 
und Richtungen fich ausfcheiden, muß auch zur Buchftabenichrift ge 

‚ griffen werben. Dann weicht die mündliche Überlieferung, die Sage, 
der fchriftlichen, der Litteratur. Exft in: diefer treten dann auch, für 
die Poeſie ſelbſt, Dightercharaltere, fchriftitelleriiche Indivibualitäten, 
bervor. In jener jugendlichen Sagenzeit, bei der Ungeſchiedenheit ber 
geiftigen Vermögen und Entiwidlungen, ift der Bildungsftand jedes 
Volles überhaupt mehr ein allgemeiner, gleichartiger; die münbliche 
Überlieferung insbefonvre aber löſt jebe individuelle Weife in der ge 
meinfamen auf, der begabtefte Einzelne mehrt nur unvermerkt ben 
geiftigen Gejammtbefiß, ber berühmteite Sängername ift felbft nur ein 
lagenhafter, und wenn wir nach den Dichten fragen, jo kann zuletzt 
doch nur das Voll im Ganzen genannt werden. Aus ihm erzeugt und 
wandelt fi die Sagenpoefie in einem natürlichen und allgemeinen 
Wachsthum, mie ein taufenbftlämmiger Urwald immerfort in fich ver- 
mwittert und aus feinen eigenen Samen wieder anffteigt. 

Die Sagengefchichte nun iſt ung die gefchichtlicde Darftellung jener 


1 (gl. Schriften I, 25: VII, 1ff. 8) 


465 


vorlitterarifchen, in münblicher Überlieferung erwachfenen Volkspoeſie. 
Sie unterfcheidet fi uns eben damit, nach Abſicht und Umfang, fo: 
wohl von der Mythengeſchichte, als von der. poetiſchen Litteraturges 
ſchichte. Die Mythengeſchichte, wie fie neuerlich mit befondrer Vorliebe 
ausgebildet worden ift, befchäftigt ſich mit ben religiöfen Überlieferungen 
der heibnifchen Völker und geht anf die poetiichen Sagen nur in fomweit 
ein, als fie zur Erläuterung der Glaubensanfichten beitragen; ihr Stand» 
punkt ift der religionagefchichtliche; die Sagengefchichte, in unfrem Sinne, 
eritredt ſich über alle Trabitioen, welche das Leben ver Völker, in 
göttlichen und menfchlihen Beziehungen, dichterifch geftaltet zurück⸗ 
Spiegeln, fie gebt mejentlith vom poetifchen Gefichtspunft aus. Die 
poetische Litteraturgefchichte verlehrt in Schriftbenlmälern, in Geifteser: 
zeugniffen, welche da anfangen, wo die mündliche Überlieferung aufhört; 
ihr ift die Kunftform des Werkes, die Eigenthümlichleit des Verfaſſers 
von großem Belang; der Sagengeſchichte dagegen gilt dag Schriftiwerf 
nur ala Mittel, der.alten Überlieferung habhaft zu mwerben, nur als 
Faſſung des tiefquellenden Sagenborms; ihr kommen Form und Ber 
fafler nur in fofern in Betracht, als von ihnen auf die reinere oder 
getrübtere ‚Echtheit des Inhalts zu ſchließen ift; fie bat meniger mit 
einzelnen Dichtern, als mit größeren Klafien von Eängern und Er: 
zählen zu fchaffen. Im Übrigen pflegt die Sage noch lange Zeit neben 
ber Litteratur einherzugeben. Während ein Theil des Volles fich ber 
gelehrtern Bilbung zugewañdt hat, bleibt der andre noch an dem alten 
Lieber: und Sagenſchatze hängen. Aber freilich je mehr eblere Kräfte 
fih der Pflege diefes vollsmäßigen Befikes entziehen, um fo bürftiger 
wird er fein Dafein friften. 

© Rad) diefen hier kurz zufammengefaßten Anfichten unternahm ich 
es, die Sagengeſchichte der germaniſchen und romaniſchen Völker für 
den akademiſchen Vortrag zu bearbeiten. Sie follte in zwei Haupttheile 
zerfallen, die Sageripefchichte der germaniſchen Völker und die der ro> 
maniſchen, der erfterd Haupttheil wieder in zwei Abſchnitte, norbijche 
und deutfhe Sage. Nur der erfte Abjchnitt des erften Theile ift im 
vorigen "Semefter vorgetragen worden, die Sagengeichichte ver Völker 
des ſtandinaviſchen Nordens. Der große Sagenreichthum dieſer Völker 
hat uns fo lange feſtgehalten. Sie haben einen Beſitz voraus, deſſen 
ſich keiner der übrigen, in ben Bereich unjver Darftellung fallenden 

Ubland, Schriften. VII. 30 


466 


Volksſtäͤmme rlihmen kann, eine in uralten Denkmälern erhaltene Götter: 
fage, ein in den Hauptzligen vollftändiges mythologiſches Syitem, das 
au für den meitern Verfolg unter Aufgabe von Bedeutung ift. 
Zunächſt fommen mir nun an ben zweiten Abſchnitt des eriten 
Theils, ober der germanifchen Sagengefchichte, an die deutſche Sage. 
Über ihr Verhältnis zu den übrigen Abtheilungen der ganzen Dar 
ftelung ift Einiges vorläufig zu erinnern. 
Ich babe gleich anfänglich in der allgemeinen Einleitung bemerft, 
- daß es die nationale Stellung fei, von der aus wir unfern Kreis be 
ſchreiben. Die Sagenpoefie des eigenen Volles und Vaterlandes follte 
fih uns erjchliegen. Allein je weiter wir in has Alterthum derſelben 
eindringen, um fo unzulänglicher erfcheint ed, fi) auf die Gremen 
des jehigen deutſchen Sprachgebiet3 einzuſchränken. Der Gefichtöfreis 
muß ſich auf alle diejenigen Völker erweitern, die fich ung durch Sprad; 
perwandtfchaft ala Glieder des großen germanischen Geſammtſtammes 
bewähren. Darunter nehmen die Völker des ſtandinaviſchen Nordens 
eine vorzüglihe Stelle ein; gemeinfame Götter: und Heldenſage ver: 
bindet fie mit unfern deutſchen Vorfahren und in ihren Denkmälern 
ericheint Vieles noch ganz und klar, was bei uns zerftüdelt und halb 
erlojchen tft, wie hauptſächlich die odiniſche Glaubenslehre. So muften 
mir und aufgeforbert finden, ihre Sagengeſchichte zur Vorbereitung für 
die deutiche herbeizuziehen. Dieſe nordiſche Sagenwelt bildet’ aber in ſich 
einen jo reichen und lebendigen Zuſammenhang, daß wir, einmal auf 
fie verwiefen, fie nit anders, als in ihrem vollen Beftande darzu⸗ 
ftellen für geeignet hielten. Nach andrer Seite greift der Einfluß ger 
manifcher Sagenpoefie auch auf die romaniſchen Völker hinüber, d. h. 
auf diejenigen, deren Sprache auß der Vermilchung ber altlateinifchen 
mit andern, vorzüglich germanischen Idiomen bervorgegangen ift; und 
ſoweit ein foldher Einfluß ſich offenbart, fol auch die Sage biefer 
Völker Gegenftand unſrer Betrachtung fein. Indem wir alfo jeßt von 
ber nordiſchen Sage zur deutſchen übergehen, die romanifche aber in 
der Ausficht behalten, treten wir in die Mitte unfrer Aufgabe. Eo 
rein aus einem Stüde, jo vorherrſchend in unmittelbarer Darftellung, 
wie ed bei der norbiihen Sage möglich war, kann die beutfche nicht 
behandelt werben. Sie tft zu vielverzweigt, in den vorhandenen Auf 
zeichnungen entweder zu lüdenbaft, ober zu manigfach getrübt und 


467 
— — — 
umgewandelt, als daß nicht hier vielmals der weniger anziehende Weg 
mühfamer Forſchung, kritiſcher Prüfung, fleißigen Sammelns und 
Sichtens eingeſchlagen und verfolgt werden müſte. Wir könnten es 
auch zum voraus nicht erwarten, daß uns das Bild unſrer alten Sagen⸗ 


dichtung ſo leicht und unverkümmert zufalle, denn über wenige Länder 


haben ſo manigfache Schickſale und Bildungswechſel ihre Furchen und 
Gleiſe gezogen, als über die deutſche Erde. 


* 


n 


Zweiter Abſchnitt. 
Deutfche Sage. 


Wir haben unter dem Geſammtnamen Germanen, germaniſch einen 
großen Stamm ſprach⸗ und ſittenverwandter Völker zufammengefaßt, 
der fih uns dann wieder in zwei Hauptäfte, den nordiſchen und ben 
deutichen gejpalten bat. Da Hinfichtlich diefer Benennungen zum Theil 
ein verſchiedener Gebrauch ftatt findet, fo wird hier Einiges zu ihrer 
Erläuterung zu jagen fein. J. Grimm bedient ſich in feinen groß 
artigen, den ganzen Völkerſtamm umfafjenden Werken, ver, deutſchen 
Grammatik und den deutſchen Rechtsalterthümern, der Bezeichnung 
deutfch eben in biefem allgemeinften Sinne. SHierüber erllärt er ſich 
in der Einleitung zu Theil I, Ausg. 1 (Ööttingen 1819) der Gram⸗ 
matit, S. XXXVIII folgendermaßen: 

Ich bediene mich, wie jeber fieht, des Ausdrucks „deutſch“ allgemein, fo 
daß er auch bie nordiſchen Sprachen einbegreift. Viele würden das Wort 
„germaniſch“ vorgezogen und unter feine Allgemeinheit das Deutfche und Nor- 
diſche als Das Beſondere geftellt haben. [So machen wir die Eintheilung.] 
Da indeffen norbijche Gelehrte neuerdings fürmliche Einfpradde dawider thun, 
daß ihr Volksſtamm ein germanifcher fei, jo fol ihnen die Theilnahme an diefem 
feit der Römerzeit ehrenvollen Namen jo wenig aufgebrungen werden, al8 der 
von ihnen vorgefäjlagene I allgemeine „gothiſch“ gebilligt werben faun. Die 
Gothen bilden einen ſehr beftimmten Stamm, nad dem man unmöglich andere 
Stämme benennen darf. Deutſch bleibt dann die einzige allgemeine, kein ein- 
zelnes Volt bezeichnende Benennung u. |. w. Jeder allgemeine Name hat für 


‘1 ®gl. Rask , Undersögelse om det gamle Nordiske eller Islandske 
Sprogs Oprindelse. Kopenhagen 1818. S. 70 bis 72. 


j 469 -. 


— — — — — 


x 


gewifie Zeiten und Länder etwas Unpaffendes, allein. die Geichichte bebarf feiner 
einmal. Wo es auf ben befondern. Unterfchieb ankonimt, verſteht man ſich 
ohnedem. N 


Grimm misbilligt ſonach den Ausbrud germanifch als den allge: 
* meinen nicht, er kann aber für feine Zwecke auch den Ausdruck deutfch, 
in diefem weitern Sinne, wohl gebraucden, da er im Einzelnen immer 
die beſondern Sprach⸗ und Volksſtämme gothiſch, altſächſiſch, alt⸗ 
nordiſch u. ſ. w. benennt. Für unſern Zweck aber kam es hauptſäch⸗ 
lich darauf an, einen Collectivnamen zuerſt für die ſämmtlichen ſprach⸗ 
und ſtammverwandten Völker, mit Einſchluß der nordiſchen, ſodann 
einen andern für alle übrigen, im Gegenſatz zu den letztern, zum Ge 
braudye zu haben, und bazu ſchienen die Ausdrücke germanifch-und deutſch 
die tauglichſten. 

Vom Urſprung des Namens Germanen beſagt Tacitus Germania 
Cap. 2 Folgendes: 

Ceterum Germanie vocabulum recens et nuper additum: 'quoniam, 
qui primi Rhenum transgressi Gallos expulerint, ac nune Tungri, tunc 
Germani vocati sint, Ita nationis nomen, non gentis 1 evaluisse paulatim, 
ut omnes primum & victore ob metum, mox ab se ipeis invento nomine 
Germani vocarentur 2. 


So märe alfo der befonbre Name zu einem allgemeinen für alle 
die ftammverwandten Nationen geworden und als ein folcher Collectiv⸗ 
name wird er auch überhaupt von den römifchen Schriftftellern gebraucht. 
Tacitus rechnet aber auch noch insbejondre die Suionen, deren Gebiete 
(Germ. Cap. 44: Suionum eivitates) nach feiner Befchreibung offenbar 
ſtandinaviſches Land find (wie auch Geijer I, 64 f. annimmt), aus 
drüdlich zu den Germanen (nec ut apud ceteros Germanos). Der 
Gebrauch dieſes Wortes, wonach mir aud) die norbifchen Völler darunter 

begreifen, ift ſonach in fehr alter Autorität begrünvet. Über die Ety- 
mologie desjelben ift zwar fchon viel gerathen, aber noch nichts Schlagen 
bes beigebracht worden. Grimm ſelbſt äußert hierüber Feine eniſchiedene 
Meinung (Gramm. II, 448. 412). — 


4 Gens tanquam genus singulas nationes tanquam nalas Bive filias 
compleetitur. Annal. Il, 1. Germ. 38, i ' 
2 Bgl. Paſſows Annet. S. 81. . 


470 


— 


Der Ausbrud deutih kommt erft ſeit dem Anfang bes gten 
Jahrhunderts in Urkunden, Glofien, bei Annaliiten und andern 
Schriftftelern vor, meift in Anwendung auf die Sprade (lingua 
theudieca, theodisca; doch auch in einer Gloſſe des gebacdhten Jahr 
hunderts: thiudisca liudi, Germani, Echmeller I, 406. II, 523). 
Belege vom älteften Gebrauch dieſes Wortes findet man gejammelt 
bei Fr. Rühs, Ausführliche Erläuterungen der 10 erſten Gapitel der 
Schrift des Tacitus über Deutihland ©. 103 ff. Mone II, 6 bis 8. 
Schmeller, Bayerifches Wörterbuch I, 406 8. v. deutſch. Dasſelbe 
wird auf Völker der hochdeutſchen und der nieberbeutichen Mundart, 
vorzüglich auf Franken, aber aud auf Sachſen und Andere bezogen, 
nicht aber auf die nordiſchen Stämme, und es eignet fi daher ganz 
für die beichränktere Golleftiobebeutung, in der wir es nehmen. 
Etymologifch hat man es fonft meiftens als Adjectiv von thiot, alt: 
hochdeutſch Masc. und Neutr., goth. piuda, fem. gens, populus, ab: 
geleitet: thiodisc, thiudisc, gentilis, popularis (Schmeller a. a. D.) 
Gegen diefe Ableitung erklärt fig Grimm, Gramm. I, 108. Bel. 
103. 1069 1. 

Db die bei den römischen Schriftftellern vorkommenden Namen 
Teutones, teutonicus, für einen befondern germanischen Stamm, Teuto- 
burgum, mit unſrem thiutise, im etymologifchen Zuſammenhang ftehe, 
tft noch unausgemadt. Del. Gramm. I, 163. Schmeller a. a. D. 
Rühs 102 f.2 

Wichtiger, als die Namen, find uns die innern Beziehungen ber 
allgemeinen Stammverwandtichaft jowohl, als binwiber der linealen 
Sonderung aller der Völker, die unter jenen Collectivnamen germaniſch 
und beutich begriffen find. Sowie in der Sprachgemeinſchaft die vor 
zliglide Gewähr der Stammvermandtichaft liegt, jo find dann auch die 
Mundarten das ficherfte Merkmal für die Abtheilung ber großen ger: 
manifchen Familie in ihre Hauptitämme. Diefe Eprachverhältniffe hat 
Grimm folgendermaßen in großen Zügen vorgezeichnet (in bei ange: 
führten Einleitung © 2f): 





1 [Später hat er fie entichieden angenommen. Vgl. Geſchichte der dentfchen 
Sprade S. 789. 8.] 
21Bgl. Grimms Gefchichte der deutfchen Sprache S. 790. 8.] 


471 


Man fieht, daß die Gothen und die ihnen näher verbundenen Stämme, 
namentlich die Gepiden, Heruler und Vandalen, einen Gegenſatz in Sprache 
und Geſchichte zu den Longobarden, Baiern, Burgunden, Alemannen und 
Franken bildeten. Einem dritten Hauptflamm gehören die Sachſen, Weftphalen, 
Sriefen und Angeln an und vermitteln wiederum die Verbindung mit dem 
vierten Hauptflamm, nämlich dem nordifchen. freilich ift es ſchwer oder un⸗ 
möglich, dieſes Reſultat im Einzelnen auf die verfchiedenen Namen und Bohn- 
fite der deutſchen Völker des Iten und 2ten Jahrhunderts anzumenden ſogl. 
XLII]; wir befigen aus jener frühen Beit faft nur Nachricht von der Sprache 
des zweiten Hauptflamms (Alemannen, Katten, Sueven u. f. w.). Und wie 
viele einzelne Völkerſchaften dürfen gar nicht in Anſchlag gebracht werden, wenn 
man nicht willkürlich das Dunkele zu dem Helleren ordnen will! Im Ganzen 
aber bleibt die Sache nichts defto weniger begründet und wird es zumal durch 
die jeit dem Sten Jahrhundert aus der Ungemifsheit tretende Sprachgeſchichte 
des zweiten (hochdeutfchen) und dritten (niederdeutſchen) Hauptftamms. Was 
fih fpäter feſt und natürlich zeigt, muß fchon früher fo befanden haben. 
Durch forgfältige Vergleihung der Sprachunterſchiede mit Geſchichte, Sitte und 
Sage der älteren Zeit werden wir auch manches Einzelne befeftigen lernen, 
das jetzo noch abgeriffen erfcheint. ' 


Die vier Sprachitämme der germanischen Völker, welche die Grund: 
lage der |päteren Entwidlungen ausmachen, find hiernach dieſe: 

1. der gothijche: Gothen, Gepiden, Heruler, Vandalen; 

2. der hochdeutſche: Longobarden, Baiern, Burgunden, Alemannen, 
Franken; und nad ſpäterer geographifcher Beitimmung: Schwaben, 
Baiern, Oftreih, Schweiz, Elfaß, Franken, Thüringen (Oberfachfen), 
Heflen, Oberrhein 1; 

"3. ber niederbeutfche: Sachen, Weftphalen, riefen, Angeln und, 
von biefen Völkern ausgegangen, die Angelſachſen; nad fpäterer Geo 
graphie: Sachſen (Nieverfachfen), Engern, Weft: und Dftphalen, Nieder: 
rhein (Niederlande); das Verhältnis der englifchen Space und Sage 
lafje ich bier noch ausgejegt fein; 

4. der nordiſche: Island, Norwegen, Schweden, Dänemarf. 

Die vier großen Hauptflämme ſtehen [nah Grimms weiterer Darleguug 
S. LI) unter einander in mehrfachen Verhältnis. So ftehen der erfte (gothiſche) 
und zweite (hochdeutſche) in unleugbar näherer Berwandtichaft gegenliber dem 


— 


1 Ebendaſ. ©. LII. LV. LXIX. 


472 

dritten (niederdeutfchen) und vierten (norbiichen). . Den Übergang zwiſchen 2 
Gochdeutſch) und 3 (Miederdeutfch) vermitteln die Franken; zwifchen 3 (Rieder- 
deutich) und 4 (Nordiich) Friefen und Angeln; zwifchen I (Bothifch) und 2 
(Hochdeutfch) vermuthlih die Duaden, Markomannen u. |. w; zwiſchen 1 
(Gothiſch) und 4 (Nordifch) läßt fi gar kein Mittelglied ertennen; aber bie 
große Vollkommenheit, worin fi) in diefen beiden die alte Sprache gefchicht- 
li erhalten bat, vermittelt die wichtigſten Berührungspunkte. Sn anderer 
Rüdfiht darf man auch die brei erfien Stämme (den gothiſchen, hochdeut⸗ 
jhen und nieberbeutihen) bem einzigen vierten (dein nordiihen) entgegen- 
fiellen u. ſ. w. 


Diefem letztern Gegenfag der Sprachſtämme entfpricht denn auch 
unſre Abtheilung der germaniſchen Sagengeſchichte in nordiſche und 
deutſche. Ob nun aber in Beziehung auf das Verhältnis dieſer vier 
Hauptſtämme die Sagenforſchung dasſelbe Reſultat liefern werde, welches 
die Sprachforſchung ergeben hat und das ich am beſten mit Grimms 
eigenen, präciſen Worten mitzutheilen glaubte, darüber will ich dem 
Gange der Unterſuchung nicht vorgreifen. Das jedoch mag ſchon zum 
voraus angedeutet werben, daß die beiden Außerften, der erſte (gothiſche) 
und der vierte (nordiſche) Hauptftamm, welche Grimm binfichtlid ber 
Sprache durch fein Wittelglied verbunden findet, fi) auch in der Sage 
entſchieden gegenüberftehen. 

Die verfchievenen Klafien der Sagenbicdhtung, die und in Be 
tracht kommen, find in der allgemeinen Einleitung nad. folgenber 
Reihe aufgezählt worden: Götterfage, veldenſage, Ortsſage, Ballade, 
Mährchen. 

Dieſem Schema ſind wir, der Hauptſache nach, in der Darſtellung 
der nordiſchen Sage gefolgt und werden es nun auch auf die deutſche 
anwenden. Bei dieſer jedoch tritt gleich der damals erwähnte Fall ein, 
daß die Götterſage nicht mehr, wie in den Eddaliedern und der pro: 
jaifhen Edda des Nordens, in reichen mythiſchen Dentmälern vor uns 
ausgebreitet liegt, fondern daß wir die lebendigern Zeichen ihres einftis 
gen Dafeins wirklich erft in den folgenden Sagenklaſſen zu juchen haben. 
Der erften Unterabtheilung diefes zweiten Abfchnitts können wir daher 
nicht, wie der des erften, die Nubrif Gonerſage. geben, ſondern nur 
die beſcheidnere: 


473 


» 
— —— nn 


1. Älteſte Spuren der dentſchen Götterſage. 


Spuren der alten Götter nur finden wir auf deutſchem Boden ein⸗ 
gedrückt, während wir im ſtkandinaviſchen Norden ihre lebendigen und 
vollen Geſtalten wandeln ſahn. 

Ein umfaſſendes und den wiſſenſchaftlichen Anforderungen der 
jetzigen Zeit genügendes Werk über deutſche Mythologie beſitzen wir 
nicht. Viel Verdienſtliches hat auch in dieſem Fache: Mones Geſchichte 
des Heidenthums im nördlichen Europa. 2 Theile, Leipzig und Darm⸗ 
ſtadt 1822. (Der vordere Theil des 2ten Bandes betrifft die Religion 
des beutfchen Völkerſtammes.) Aber die mythologiſch⸗philoſophiſchen 
Hypotheſen und Combinationen bes Verfaſſers machen Borficht beim’ 
Gebraude dieſes Werkes nöthig. 

% Grimm bat in der Borrede zu feinen deutſchen Rechtsalter⸗ 
thümern (Göttingen 1828. XVIII) Hoffnung gegeben, daß er auf 
ähnliche Weiſe verarbeiten werde, was er zu der Geſchichte des heidni⸗ 
ſchen Glaubens der Deutſchen geſammelt habe. Eine Arbeit über dieſen 
Gegenſtand, in derſelben Weiſe ausgeführt, wie die Rechtsalterthümer, 
läßt das Trefflichſte erwarten!. Schon jetzt gibt das ebengenannte 
Merk, ſowie auch die deutſche Grammatik, manchen lehrreichen Beitrag 
zur Kenntnis des deutſchen Mythus. | 

Einzelne hieher einjchlagende Abhandlungen werbe ich je bei ihrem 
bejondern Gegenftande namhaft machen. 

Die älteften Nachrichten von einiger Erheblichleit über den Glauben 
und bie Götterverehrung der alten Deutichen geben uns bie. römiſchen 

Geſchichtſchreiber und unter diefen vorzüglih Tacitus in feiner Schrift: 
do situ, moribus et populis Germanie. Ich werde biefe Schrift, als 
die reichhaltigfte der auf und gelommenen, für die Betrachtung deſſen, 
was uns überhaupt die alten Schriftfteller vom Glauben unfrer Bor 
‚fahren melden, zum Anhalt nehmen und die hieher bezüglichen Stellen 
berjelben, ſoweit ich es im Stande bin, fortlaufend mythologiſch coms 
mentieren. Sch bebiene mich dabei der 2ten Ausgabe von 3. Paſſow, 
Breslau 1817, welche die verfchiedenen Lesarten fehr vollftändig angibt- 


1 [Jakob Grimms deutjche Mythologie iſt zuerſ 1885, wieder 1844 er-· 
ſchienen. K.] 


1A.‘ . 


und auf die urfprünglicen, aus ven bloßen Conjecturen,” zurüdzu- 
führen bemüht if. (Bgl. Gramm. I, Einl. XXXIX.) Die neufte 
größere Ausgabe der Werke des Tacitus von Walther ift noch nicht 
bis zu dem Heineren Schriften vorgefchritten. 


Zur Litteratur der Germania, in Beziehung auf die Alterthiimer des 
beibnifchen Glaubens, find anzuführen: F. Nühs, Ausführliche Erläuterung 
der zehn erſten Kapitel der Schrift des Tacitus über Deutſchland. Berlin - 
1821. (Rühs wollte unter dem Titel „das alte Germanien“ eine ausführliche 
Erläuterung der Echrift des Tacitus, als Beitrag für bie Bearbeitung der 
deutfchen Alterthlimer überhaupt geben, wurbe aber durch den Tod unter 
brochen.) 

Ammon und Bäumlein, Teutſche Alterthümer der Mythologie und Sprache 
oder mythologiſch⸗- etymologiſcher Commentar zu Tacitus Schrift de situ, 
moribus et populis Germanie. Tübingen 1817. 

Die Germania des Tacitus, überſetzt und in vollsthümficher, deutſch⸗ 
rechtlicher und geographiſch-hiſtoriſcher Hinficht erläutert von Bülau, Weiske 
und von Leutſch, Leipzig 1828 (mehr räfonnierend, als forſchend). 


Es hat über der älteften Geſchichte unfres Volles ein bejonbres 
Geſchick gewaltet. Gerade diejenigen Gefchichtbücher römiſcher Echrift- 
fteller, worin die ausführlichften Nachrichten über Germanien und feine 
Völker gegeben waren, find nicht auf ung gefommen. So haben wir 
den Berluft derjenigen Bücher von Livius Gefchichtwerle zu bedauern, 
in welchen die Kriege Cäſars am Rheine und die des Drufus in Deutſch⸗ 
land bejchrieben iwgren. Das 104te namentlich enthielt, wie noch ber 
Epitomator anzeigt, eine Beſchreibung der Lage Germaniend und ber 
Sitten feiner Betwohner. Der ältere Blinius war im Traumgefichte von 
Drufus aufgefordert worden, feine Thaten der Vergeſſenheit zu entreißen, 
und ſchrieb hierauf 20 Bücher über die Kriege der Römer mit den 
Germanen. Er war, als er das Werk anfteng, jelbit in Deutſchland, 
und ſeine Naturgeſchichte zeigt, daß er von dieſem Lande genaue Kennt 
nis batte. Aber jene 20 Bücher find verloren und dasjelbe ijt ver 
Fall mit noch andern bieher bezüglichen Schriften römiſcher Autoren 
(Bredows Germania ©. 55 f. Ruhs ©. 36 ff. 40 f.). Dagegen bat _ 
ih und von Tacitus außer dem, was er in den Annalen und Hiftorien 
von deutichen Sachen meldet, in dem Heinen Bude über Germanien, 
nach Rühs treffender Bezeichnung (S. 59), das volllommenfte und 


— 


475 

lebendigite Gemählde eines zu den barbariſchen gezählten Volles er- 
halten, das wir aus dem ganzen Altertum befiten. In demfelben iſt 
wohl auch das Weſentlichſte aus den verlorenen Schilderungen zufammen- 
gefaßt, es ift bei geringem Umfang überaus inhaltreih und aus feinem 
gebrängten Kerne ift ſchon gar Vieles entwickelt worden und ‚ann noch 
‚ immer Weiteres entwidelt werden, wie auch für unfern Gegenftand im 
Folgenden verſucht werben foll. 

Tacitus ſchrieb dieſes Buch, nach den Anzeigen, welche das 37te 
Capitel an die Hand gibt, im Jahre 98 oder 99 nach Chrifti Geburt 
(Breboiv S. 49. Rühs 56). Er war, nach allen Umftänden, nie jelbft in 
Germanien (Brebow 54. Rübhs 55). Aber was ihm die Schriften feiner 
Borgänger, die Erzählungen feiner Landsleute, die dort geweſen waren, 
und wohl auch die Germanen felbit, die er in Nom zu beobachten Ge: 
legenheit hatte, für feine Arbeit darboten, hat er gewiſs Har und treu 
aufgefaßt, wenn er gleich von feinen Quellen ſchweigt. Dem, was ibm 
von außen zugieng, kam ein inneres Verſtändnis entgegen; er war bem 
germanischen Weſen mit fichtlicher Liebe zugewandt; in biefem mochte 
ihn ein Verwandtes anfprechen mit jener alten, einfachen Römertugend, 
deren Bild er, mitten in feinem verborbenen Zeitalter, unerlöfchlich 
in der Seele trug. Die Abficht, dem welken Römerreiche das Bild 
eined an feinen Grenzen ftehenden gefunden und naturlräftigen Volles 
entgegenzuhalten, läßt fich nicht verfennen. Aber man ijt viel zu weit 
gegangen, wenn man darum fein Buch als eine Satire bezeichnet und 


gewiſſermaaßen eine willlührliche Conftruction des germanifchen Lebens 


darin gefucht hat. Se mehr den germanifchen Alterthümern in neuerer 
Zeit nach verſchiedenen Richtungen eine gründliche Erforfchung aus ben 
einheimichen Duellen zu Theil geworben ift, um fo volljtänbiger hat 
ſich durch die Vergleihung mit diefen die Glaubwürdigkeit ber Angaben 
bed Tacitus in den bedeutendſten Zügen bewährt. Es iſt allerdings 
zu unterfcheiden, was er als Thatſache gibt und was er zur Erklärung 
oder Würdigung einer jolchen als jeine Anficht beifügt. Dort, in ben 
Thatfachen, werden wir ihn glaubhaft finden oder er wird ung wenig: 
ftens einen Anhalt bieten, feine Angaben nad unfrer fonftigen Kennt» 
nis zurechtzulegen und zu ergänzen; bier, in den Anfichten, werben wir 
uns durch ihn nicht für gebunden erachten, aber doch auch hiebei feinen 
hellen Blick bemerken können. Aber nicht bloß im Einzelnen liegt die 


| 176 


— — ꝰ — — — 
x - 


Wahrheit feiner Darftellung, fie liegt im Geifte des Ganzen. Derfelbe 


Hauch, ber noch jegt wohl Manchen anmeht, der aus der Fremde zum 


deutfchen Heimathlande wiederkehrt, dieſes Gefühl des Neinen und 
Friſchen, des Wohlwollens und der Milde, weht und aus ber Ger: 
mania des Tacitus entgegen. Er bat- au nicht bloß rückwärts bie 
Beobachtungen feiner Vorgänger in ſich aufgenommen, er bat felbft 
vorwärts, in die Zukunft gejchaut. 

Als Druſus feinen legten Zug bis an die Ufer ver Elbe erftredte, 
‚da erſchien ihm, wie Dio Caſſius (LV, 1) erzählt, ein Weib von über: 
menschlicher Größe und rief ihm zu: „Wohin ftrebft du, Unerfättlicher? 
Es tft dir nicht beftimmt, dieß alles zu fchauen. Beuch von Binnen! 
denn da3 Ende demer Thaten "und deines Lebens fteht dir bevor.“ 
(Rühs 29.) Auch Tacitus hat diefe Erfcheinung der gewaltigen Germania 
geſehen, hat fie verftanden und gedeutet. Er jagt. Cap. 33, nachbem 
‚er bon einem innern Sriege germanifcher Volker berichtet: 

Maneat, quæeæso, duretque gentibus, si non amor nostri, at certe 
odium suil quando in urgentibus imperii fatis nihil jam prestare fortuna 
majus potest, quam hostium discordiam. Und C. 37: Quippe regno Ar- 
‚ sacis acrior est Germanorum libertas. 

Es geſchah damals, wie gleichfalls Tacitus am Schluffe des 13ten 
Buchs der Annalen (Capitel 58) berichtet, daß der ruminalifche Baum, 
der einft bie Sinpheit des Remus und Romulus geſchirmt hatte, in 
den Zweigen erftarb und im Stamme verborrtte. Man nahm dieß für 


ein bebeutungsbolles Vorzeichen. Zwar fchlug biefer Baum noch ein⸗ 


mal aus, aber die erfterbende alte Welt. ergrünte nicht wieder. Ein 
andrer Fräftiger Lebensbaum erwuchs in den deutſchen Wäldern und 
weit mehr, ala Zacitus felbft ahnen mochte, lag in dem, mas er von 
dem Wefen, den Einrichtungen. und Sitten ber germanifchen Völler meldet, 
ber Keim einer neuen Weltgejchichte und jo auch einer neuen’ Poefie. 

Wir gehen nun alfo, in Ermanglung reicherer mythiſcher Denkmäler, 
die einzelnen Stellen der Germania, die fih auf germaniſchen Mythus 
beziehen, commentierend durch, und zwar in ver Art, daß wir jebes: 
mal bemerken, was etiva in ber norbifchen Bötterfage Entſprechendes 
gefunden: wird. Der Verſuch der Vergleihung wird vielleiht am An- 
fang unfruchtbar erfcheinen, aber doch am Ende zu einem überzeugen⸗ 
deren Ergebnis führen. 


. 


477 


— — — — — 


C. 2. Celebrant carminibus antiquis, quod unum apud illos memoriæ 
et annalium genus est, Ruisconem [al. Tuistonem], deum terra editum, 
et filium Mannum, originem gentis conditoresque. Manno tres filios 
assignant, e quorum nmominibus proximi Oceano Ingevones, medii Her- 
minones, ceteri Istevones vocentur,. Quidam, ut in licentia vetustatis, 


plures deo ortos pluresque gentis appellationes, Marsos, Gambrivios, 


Suevos, Vandalos affirmant: eaque vera et antiqua nomina. Ceterum 
Germani® vocabulum resens et nuper additum. 


Das 2te Capitel, im welches Tacitus diefe germaniſche Stamm: 


“ 


fage aufgenommen bat, ftellt zuerft die Anficht auf, daß die Germanen - 


Ureinwohner (indigene) jeien, unvermifcht mit andern, eingewanberten 


Vöolkern. Den Gründen für diefe Anficht wird die eigene Überlieferung 


der Germanen angereiht. Betrachten wir aber diefe Sage genauer, 


jo jcheint fie nicht bloß auf den Urfprung des bejtimmten Volkes, 
fondern auf die Schöpfungsgefchichte überhaupt fich zu beziehen. Tuiſto, 
der obenan geftellt ft, wird ein Gott genannt; über die Etymologie 
des Namens felbft wage ich feine Bermuthung 1. Deutlicher ift Tuiftos 
Sohn Mannus; dad Wort Mann bezeichnet in der älteften Sprache mehr 
homo, als mas. „Als fpäter für homo das aus dem Adj. mannisks 


- geleitete mannisco, mennisco, mensche auffam, konnte dad Simpler 


mehr den Begriff mas ausdrüden” (Gramm. III, 318 f.). Jener Man: 


nu3?, der Sohn Tuiftos, ift ſonach noch ein fehr allgemeines, mehr 


fosmogonifches, als nationales Weſen. Erſt von feinen Söhnen follen 
die drei Volksſtämme Ingävones, Herminones, Sftävones 3 benannt jein. 
Diefe Völfernamen auf perfünliche zurüdgeführt, würden wenigſtens 
zwei Namen ber Söhne des Mannus annehmlich hervortreten: Ingo 
und Hermin. Ingo entfpricht dem altnorbifchen Yngi (m. juvenis; 
vgl. Gramm. II, 364). Hermin ſcheint ſich noch langeßin als ein 
Göttername zu bewähren; die Formen afrmun, airman? goth., ahd. 
Ermun, Erman, irmin, altnordiſch iörmun, zumeilen mit vorgeſetzter 
Spirans h (nad) Grimme Ausdrud: „dunkles Sinnes, vielleicht Name 


1 [Bgl. Wadernagel, Gloffar zum altdeutſchen Lefebuch, Bafel 1889, u. d. W. 
zwiſch. Zeufs, die Deutfchen und die Nachbarſtämme ©. 22. 72. Grimm, Ge 
ſchichte der deutſchen Sprache ©. 467. 775. 791. 2.] 

2 Bol, Maßmann, Weflobr. Geb. 21 bis 24.- 

3 Bol. Grimms Gramm. I, Ite Ausg. 1819. Einleitung XLIII. Mone 2, 
5. [Grimms Gejchichte der deutihen Sprade ©. 467. 768. 775. 8.) 


N 


4778 


eines Gottes?” Gramm. II, 448), immer in Zufammenfeßungen voran- 
ftehend, drücken den Begriff des Großen, Umfaffenden aus, 3. B. ahd. 
irmin-got (Hilbebrand 25), irman-sül (altissima columna, colossus, 
Hoffmanns althochd. Glofj. 18, 30), altſ. irmin-diot (genus humanum, 
vgl. Hildebrand 11), agf. &ormen-cyn (genus humanum), &ormen-grund 
(terra), altn. iörmun-gandr (serpens maximus, die ungeheure Mib- 
gardsſchlange der norbiichen Mythologie; vgl. Lex. myth. 214), iör- 
mungrund (terra). Auch in vielen Eigennamen: Hermun-duri, Taec.; 
goth. Airmana-reiks (Ermanaricus); ahd. Irmindrüt, Irmangart u..m.! 
Am unflariten bleibt der den Iſtävonen zu unterlegende Perfonen- 
name. _ Scheint nun nah dem Bisherigen auch die Dreitheilung nad 
den Söhnen des Mannus noch im allgemeinen Weltmythus zu be 
ruhen, fo ergibt doch die weitere Meldung des Gefchichtichreibers, wie 
immer mehrere germaniſche Völker (Marfen, Gambrivier, Sueven, 
Bandalen) ihren beſondern Antheil an dem göttlihen Urfprung bes 
Gejammtvolfes verlangten und darum, außer jenen breien, mehrere 
Götterfühne (plures deo orti) angenommen murden, eben damit aber 
die Stammjage ihre kosmogoniſche Bedeutung einbüßte. 

Bleiben wir bei jener älteren Geftalt der Sage ftehen, fo zeigt 
fih, zwar nicht im Wortlaute der mythiſchen Namen, aber im genea⸗ 
logifchen Schema eine unverfennbare Ähnlichkeit mit ven kosmogoniſchen 
Götterivefen der ſtandinaviſchen Mythologie. Der ervgeborne Gott 


Tuiſto (deus terra editus), fein Sohn Mannus und wieder deſſen brei 


Söhne, die Stammväter der Germanen, finden ihr Entfprecdendes in 
dem norbilchen Buri (generans), ber von der Kuh Aubhumla aus 
den Salzfteinen geledt wird, deſſen Some Bör (gnatus), und bes 
Letztern drei Söhnen Odin, Bili und Be, welche die. Welt bildeten 
und orbneten und die Menfchen erfchufen (Sn. Edd, 7. Sem. Edd. 1,4). 

In beiden Mythen zeigt fich zuerft eine einfache Beugung und dann 
eine dreifache; in beiden geht das organifche Urweſen aus dem unor: 


1 Gramm. II, 448 (zu irmin-diot): Wie wenn germani hiermit zu- 
fanımenhienge, nämlich fein comp. von ger-man wäre (S. 412 f.), fondern 
ein Derivatim germ-an (oben ©. 175)? Freilich findet fi) weder hermani 
noch germunduri, aber der Keblanlaut kann bei verſchiedenen Bollsftämmen 
von der Ausſprache und dem Ohr der Römer verſchieden aufgenonmten 
worden fein. 


\ 


ganischen Stoffe, „der Gott” aus ber Erde over dem Salsfteine hervor; 
in volllommener Menjchengeftalt (allr madr) entipringt Buri, der Götter: 
vater, und fo darf uns auch der Name Mannus, Menſch, nicht ab: 
balten, ihn und feine Söhne für Götteriwefen zu nehmen. 

Wir befinden uns bier überhaupt im Gebiete der Vermuthungen 
und Andeutungen, und fo mag auch noch folgende Stelle aus den 
“Annalen des Tacitus (B. XII, Cap. 57) angeführt werben, worin 
bon der Heilighaltung der Salzquellen bei den Germanen die Rebe ift: 

Esdem zstate inter Hermunduros Cattosque certatum magno pralio, 
dum flumen, gignendo sale fecundum, et conterminum, vi trehunt, super 
libidinem cuncta armis agendi, religione insita, eos maxime locos pro- 
pinquare calo, precesque mortalium a deis nusquam propius audiri; inde, 
indulgentia numinum, illo in amne illisque silvis salem provenire, non 
ut alias apud gentes, eluvie maris arescente unda, sed super ardentem 
arborum struem fusa, ex contrariis inter se elementis, igne aique aquis 
voncretum. Sed bellum Hermunduris prosperum, Cattis exitiosius fuit. 
(gl. Plinii Hist. nat. 1. XXXI, c. 39.) 


. Daß in dem vorlegten Sage auf die Entftehung bes Salzes aus 
dem Zuſammenwirken zweier entgegengefebter Elemente, des Feuers und 
des Waflers, ein beſondrer Werth gelegt ift', würbe (wie ſchon Mone 

II, 27; vgl. I, 318 oben bemerkt bat) gejucht und ſpielend erſcheinen, 
wenn Tacitus hierin feine eigene Meinung und nicht vielmehr, mie 
der relative Stil ergibt, die religiöſe Anſicht (religionem insitam) der 
Germanen dargelegt hätte. Nun willen mir aus der nordiſchen Mytho: 
logie, daß die ganze Weltihöpfung aus ben Gegenſatz / und der Bindung 
widerftreitender Elemente bervorgieng. Die gefrornen Ströme aus Nifl: 
beim, der Heimath der Kälte und Finfternis, werben durch die Feuer: 
funfen aus Mufpelheim, dem Reiche der Wärme und bes Lichtes, zum 
Schmelzen gebradt. Aus den belebten Tropfen entitehen dann unors 
ganifche und organische Bildungen, der Urriefe Ymer, die Kuh Aud⸗ 
bumla. Dieje ledt aus ben Salsfteinen den vollendeten Organismus, 
Buri; die Salzfteine felbft aber erfcheinen ſchon als ein Meicherer, aus 
jener Wechſelwirkung der Elemente erzeugter Stoff. Ein Anklang ähn⸗ 
liher Sagen nun läßt fi in den angeführten Worten vernehmen: 
indulgentia numinum salem provenire ex contrariis inter se ele- 
mentis, igne atque aquis, concretum. Die religiöfe Meinung aber von 


480 


_— 


bem zwifchen den beiden Völkern ftreitigen Salzfluſſe (eos maxime locos 
propinquare co@lo, precesque mortalium a deis nusguam propius 
audiri) würde in nordiſcher Anficht fich dahin beftimmen, daß an dieſen 
heiligen Orten fortwährend die. Werkftätte jener elementarischen Welt: 
ſchöpfung offen jtehe. 

Merkwürdig ift insbeſondre noch, daß Tacitus der Stammfage der 
Germanen, bie wir zu einer kosmogoniſchen erweitern zu dürfen glaubten, 
ausdrücklich als einer durch alte Lieder überlieferten gedenkt: 

Celebrant carminibus antiquis, quod unum apud illos memorie et 
annalium genus est, Tuistonem, deum terra editum, et flium Mannum, 
originem gentis conditoresque. | 

Alſo ſchon im älteften Germanien gab ed eine Götter: und 
Schöpfungsfage in Liedern, wie eine ſolche ſpäter in den Mythenliedern 
der Edda fich erhalten bat.. | 

Geben wir von den Spuren Tosmogonifcher Sagen zu den be: 
fondern Gottheiten über, welche, nach der Meldung der alten Schrift 
fteller, von den Germanen verehrt wurden, fo ftellt fi uns ber Beit 
nad die furze Nachricht voran, melde Cäſar (de bello gallico 1. VI, 
cap. 21} von der Götterberehrung ber Germanen, im Gegenfaße zu 
derjenigen der Gallier gibt: 

Germani u, f. w. neque Druides babent, qui rebus divinis preesint, 
neque sacrificiis student. Deorum numero eos solos ducunt, quos cernunt 
et quorum opibus aperte juvantur, Solem et Vulcanum et Lunam; reliquos 
‚ne fama quidem acceperunt. 

Ich verſuche nicht, den genannten drei Naturgottheiten entjprechende 
aus der nordifchen Mythologie gegenüber zu ftellen. In dieſer findet 
fih zwar Sol, die Sonnengöttin, und ihr Bruder Mani, der Mont, 
ſowie auch ein beſondrer Feuerdämon Logi. Allein alle dieſe Weſen 
nehmen feine ausgezeichnete Stelle ein. Zieht man aber Hauptgötter 
berbei und macht mit Mone (II, 29) den Sol Cäfars zum Odin, ben 
Bulfan zum Thor und die Luna zur Frigg, fo fehlt es hiefür an aller 
näheren Begründung. Cäfar war von dem Religionsweſen ver Ger: 
manen offenbar fehr unvollfommen unterrichtet, wie er denn auch nur 
kurze Zeit in Deutſchland vermeilt hatte. Wenn er die kurze Erwäh— 
nung ihrer Götter unmittelbar an die Behauptung anreiht!, daß die 
Deutichen weder Druiden haben, die dem Gotteödienfte vorftehen, noch 


481 


> ® 


fich viel mit Opfern abgeben, fo deutet er eben damit einen Grund 
feiner mangelhaften Kenntnis an. Er kam gerade Denjenigen nicht 
. näher, die ihm über die Glaubenslehre der germaniichen Völker hätten 
Aufſchluß geben können. Eine priefterlice Kafte, nad Art ber gallı: 
ſchen Druiden, batte ſich zwar bei den Germanen nicht ausgebilbet, 
aber bie Nachrichten des Tacitus zeigen zur Genüge, daß es aud) bei 
ihnen weber an Prieftern, noch an Opfern fehlte; und fo gibt uns 
biefer Schriftfteller auch von ihren Göttern wenigftens ſoweit genauere 
Kunde, daß wir fie nicht auf einen fo rohen Naturbienft beſchränkt ſehen, 
wie Cäfar annehmen will. Daß während der Zeit, welche zwiſchen 
beiden Schriftftellern inne liegt, hierin eine mejentliche Veränderung 
vorgegangen, ift nicht glaublih. Tacitus ! beruft ſich mehrmals auf 
alte Überlieferungen dieſer Völker. Seine genauern Anzeigen beruhen 
auf ber feit Cäſars Tagen erweiterten Belanntfhaft mit ihrem eins 
heimiſchen Leben; fie müflen uns daher aud in ber weitern Verfolgung 
der germanifchen Götterfage leiten. Er berichtet Germania Cap. 9: 

'Deorum maxime Mercurium colunt, cui certis diebas humanis quogue 
hostiis litare' fas habent. Herculem ac Martem concessis animalibus pla- 
cant. Pars Suevorum et Isidi sacrificat. Unde causa et origo peregrino 
aacro, parum: comperi, nisi quod signum ipsum, in modum liburne 
figuratum, docet advectam religionem, Ceterum nec cohibere parietibus 
deos, neque in ullam humani oris speciem assimilare, ex magnitudine 
coelestium arbitrantur. Lucos ac nemora consecrani, deorumque nomini- 
bus appellant secretum illud, quod sola reverentia vident. 

Bier germanifche Gottheiten, Mercur, Hercules, Bars und fie, 
find und hier genannt, aber auch, wirklich bloß genannt und zwar mit 
fremden, römischen Namen (interpretatione romana, wie Tacitus felbft, 
Germania Cap. 43 diefe Umnennung bezeichnet), die und nur ganz im 
Allgemeinen auf die Eigenfchaften dieſer Götterweſen (ea vie numini, 
ebend.) jchließen lafjen. Am meiften verehrt fol Mercur geweſen fein, aber 
gerade der Gott dieſes Namens ift in ber alten Mythologie ein jehr 
vieljeitiges Wefen. Fragt fih nun, melde feiner Prädikate in der ent- 
ſprechenden germanifchen Gottheit wiedergefunden wurden, fo mag und 
biebei ein anbrer römischer Schriftfteller zu Hülfe fommen. Cäfar hat 
auf ähnliche Weife bei den Galliern eine vorzügliche Verehrung bes 


1 Bgl. Mone II, 30. | ⸗ 
Uhland, Séhriften. VI. 31 


482 
Mercurius bemerkt und er gibt die befondern Merkmale an, die ju 
diefer Annahme zu berechtigen fchienen. Er fagt (de bello gallico 
B. VI, Cap. 17): 
_  Deum maxime Mercurium ! colunt. Hujus sunt plurima eimulaera; 
hunc omnium inventorem artium ferunt, bunc viarum atque itinerum 
ducem, hunc ad qusstus pecunie mercaturasyue habere vim maximam 


° arbitrantur. 3— 


Setzen wir nun bei Tacitus die gleiche Anſchauungsweiſe voraus 
und erwägen wir, was von den angegebenen Merkmalen auf einen 
germaniſchen Mercur paſſen würde, ſo werden wir uns vorzüglich nur 
auf eines derſelben verwieſen finden. Als einflußreich auf Geldgewinn 
und Kaufmannſchaft kann Mercur bei einem Volke nicht gedacht werden, 


das Tacitus Cap. 5, mit Ausnahme der Grenzbewohner, noch auf den 


Tauſchhandel beſchränkt fand (interiores simplicius et antiquius per- 
mutatione mercium utuntur) und von dem er Gap. 26 bemerft: 


Fenus agitare et in usuras extendere, ignotum. 


Als dux viarum et itinerum möchte Mercur gleichfalls + wenig in 
einem Lande zu ſchaffen haben, von dem wieder Tacitus (Cap. 5) jagt: 

Terra, etsi aliquando specie differt , in universum tamen aut silvis 
horrida, aut paludibus fade. 


(Auf die eigentlihen Völkerzüge fcheint der Straßengott Mercur 
feine Beziehung darzubieten und mit ber Irminſtraße ift e8 eine fehr 
zweifelhafte Sache; vgl. v. d. Hagen, Irmin 33 bis 35. Grimm, Irmen⸗ 
ftraße 35.) 

Bebeutfamer dagegen ift und diejenige Bezeichnung Mercurs, melde 
Cäfar voranftelt: hunc omnium inventorem artium ferunt. Waren 
auch die Künfte der Germanen nicht viele und ausgebildete, jo bat doch 
jedes Volt relativ feine Kunftfertigfeiten, und .eine geiftige Erregung 
der Germanen erhellt fchon aus dem, was Tacitus von ihren Liedern 
meldet. Dachte fih nun Tacitus, wie Cäfar, den Mercur, den verehr: 


teſten der germanifchen Götter, ala den Erfinder aller Künſte, fo ift be 


achtenswerth, daß auch der oberjte der Ajen, Odin, vorzugsweiſe das 
geiftige Wirken darftellt und für den Geber und Anreger aller höhern 


1 ®gl. Ammian. Marcell, B. XVI, 6. 5. 


\ 483 
Fähigkeiten gilt. Ex hat den begeifternden Dichtertrank herbeigeſchafft; 
Hermes erfand die Lyra und lehrte den Apoll fie fpielen; ihm wird auch 
beſonders die Gabe der Wohlredenheit zugefchrieben. Odin ift ber 
Stifter der Runen, Mercur hat aus dem Fluge der Kraniche die Buch 
ftaben erfunden. (Hygin, Nitfch 1363 ®.) Ein Ebbhlieb (Hindlu-1jod, . 
Str. 3 [bei Simrod S. 131. K.] hörten wir von Odin jagen: 
Sieg gibt er Söhnen, 
, Etlichen Reichthum, 

Nede den Edeln, 

Wit den Männern, 

Fahtwind den Seglern, 

Sang ben Stalben, 

Aber Mannheit 

Manchem Reden. 


In der bisher befprochenen Stelle bemerkt Tacitus noch, daß dem 
Mercur an gewiſſen Tagen auch Menſchenopfer gebracht werden dürfen, 
und an einem andern Orte (Annal. B. XIII, €, 57), bei ver Erzählung 
des ſchon erwähnten Krieges der Hermunduren und ber Katten um ben 
heiligen Saljfluß, wird gleichfalls des Mercurius auf folgende Weiſe 
gedacht: 

Sed bellum Hermunduris prosperum, Cattis exitiosius fuit, quia 
'vietores diversam aciem Marti ac Mercurio sacravere, quo voto equi, virl, 
cuncta victa occidioni dantur ſeeaunt Et minæe quidem hostiles in 
ipsos vertebant. 


Die Erklärung diefer Stelle if nicht ohne Schwierigkeit. Der 
natürlichite Sinn ſcheint aber der zu fein: die Sieger, die Hermuns 
duren, hatten das entgegengejebte Heer, diversam aciem, dem Mars 
und Mercur zum voraus geweiht, ala Opfer für den Sieg, den ihnen 
diefe Götter zutheilen würden, angelobt; zwar möchte biebei ftatt des 
Perfects sacravere das Plusquamperfect sacraveraut erwartet werben; 
allein Tacitus ift im Gebrauch der Beitformen nicht beſonders ftreng 
und das gleich folgende quo voto weiſt auf ein foldyes vorhergegangenes 
Belübde hin, vermöge deſſen Alles, mas unter den Sieg fällt, cuncta 
vieta, Männer und Noffe, niedergemadt wird, oceidioni dantur. 
Diefes Präfens dantur ‚zeigt zugleih, daß bier von etwas auch fonft 
Borlommenbem, von einem germanischen Gebrauche die Rebe iſt. Im 


ABA 


legten Sate (et mine quidem hostiles in ipsos vertebant) iſt das 
letzte Wort neutral, für vertebantur gebraucht; die Drohungen ber 
Feinde wandten fi auf fie jelbft zurück, womit wohl nichts Andres 
befagt wird, als daß. die Katten ihrerfeits durch ein ähnliches Ge 
lübde dieſes PVerfahren der fiegenden Hermunburen hervorgerufen 
hatten. 

Daß dem Dbin, wie andern nordiſchen Göttern, zu gewiſſen Zeiten 
oder bei befondern Anläfjen auch Menfchenopfer gewidmet wurden, Tönnte 
mehrfach nachgewieſen werden. Wir halten uns jebod ganz an jenes 
&aralteriftifcehe oceidioni dare. Odin, der nach Obigem alle geiftige 
Thätigleiten der Menjchen anregt, iſt insbeſondre auch der Erreger des 
Kampfes. Denn auf was ift der Geilt der Völker auf diefer jugend- 
lihen Bildungsſtufe eifriger gerichtet, ald auf Kampf und Krieg? Odin 
ift der Gott der Heere und ‚der Geber des Siege, er heißt Heervater 
und Giegvater. In Schlachten tft er jelbft gegenwärtig, wie Tacitus 
Cap. 7 auch von dem Gotte der Germanen fagt: quem adesse bellan- 
tibus eredunt. Ddin ift Erfinder und Lehrer der Feilförmigen Schlacht⸗ 
ordnung, melde wieder die des Germanen ift, Cap. 6: acies per . 
cuneos componitur, und Hist. B. V, Cap. 16: Civilis haud porrecto 
agmine, sed cuneis adstitit. Aber auch nad) feiner höhern Stellung 
im Weltleben, mie wir fie in der norbifchen Götterlehre dargethan haben, 
ift Odin ein Kampfgott. Er ift felbit. ver kämpfende Geift, der am 
Ende der Zeiten durch den Untergang der materiellen Welt zu einem. 
höheren Dafein durchbrechen fol. Zu diefem legten, gröften Kampfe 
fammelt er um ſich die im irbifchen Streit erprobten Helden ala Ein- 
berien in Valhall; fie leben auch dort in beftändiger Kampfübung, bis 
zu dem Tage, da er an ihrer Spige zur Schlacht auszieht. Er dürfte 
nad den Seelen der Tapfeın, denn ihrer wird ihm nie genug zum 
furchtbaren Weltftreit. Darum läßt er ſich auch von feinen Günftlingen 
die Seelen ihrer Erfchlagenen geloben. Hievon geben die norbijchen 
Sagen mehrfach Zeugnis. Der Dänenkönig Harald Hyldetand ift durch 
die Gunft Odins unverwundbar durch Eifen. Dafür bat er dem Gotte 
die Seelen berjenigen gelobt, die durch fein Schwert fallen würden. 
Saro Gramm., Hist. Dan. 8. VII, S. 212: Animas quippe ei [Othino], 
quas ferro corporibus ejecisset, pollieitus est. Harald fällt als Greis 
in ber von Odin angeftifteten, im Norden. fagenberühmten Bravalla: 


485 


ichlacht durch einen Keulenſchlag des Gottes felbit, nachdem in biefer 
Schlacht eine ungeheure Anzahl non Helden auf beiben Seiten umge 
lommen ift. Der feindliche Heerführer, Sigurd Ring, Haralds Neffe, 
läßt die Leiche des Erfchlagenen auffuchen, fchirrt fein eigenes Schlacht: 
roſs an den Wagen. Haralbs, weiht e8 dieſem und fleht, daß er, feinen 
Todesgenoſſen damit voranziebend, Freunden und Feinden glückliche 
Wohnftätten erbitte. Ebendaſ. B. VIII, ©. 227: Inde vota nuncupat, ad- 
jieitque precem, uti Haraldus, en vectore usus, fati consdrtes ad tar- 
tara-antecederet, atque apud prestitem Orci Plutonem sociis hosti- 
husque placidas expeteret sedes. Ebenfo erzählt Saro 8. IX, ©.263, 
wie Odin zu dem ſchwerverwundeten Sivard (Sigurd, Ragnar Lob: 
broks Sohne)* getreten und ihm Heilung verfprochen, si sibi illorum, 
quos armis oppressurus foret, animas dedicasset. Am naͤchſten aber 
auf den Fall bei Tacitus, wo für einen Sieg in der Feldſchlacht das 
ganze feindliche Heer dem Gotte geweiht wird, past eine Erzählung ber 
isländischen, dem Hauptinhalte nach hiftoriichen Saga von Styrbjörn, 
einem ſchwediſchen Königsfohne vom Ende des 10ten Jahrhunderts. Nach 
dem Auszuge, ven Beter Er. Müller (Sagabibl. II, 142. Vgl. 144 f.) 
kon diefer Saga gibt, hatte Styrbjörn fich zwei Tage hindurch, in ber 
Gegend von Upfala, mit feinem Oheim, dem Schwedenkönige Erik, ge 
fchlagen. Als die Nacht wieder die kämpfenden Heere trennte, opferte 
Styrbjöm, dem es unglüdli ergangen war, dem’ Gotte Thor. Dies 
felbe Nacht ging Erik zum Heiligthum Odins und gab fi ſelbſt hin, 
_ um ben Sieg zu erhalten, indem er feinen Tod nach gehen Jahren an: 
gelobte. Kurz darauf nahte fih ihm ein Mann mit tiefhereinhängendem 
Hute (dieß ift gewöhnlich die irbifche Erfcheinung Odins) und gab ihm 
einen Rohrftengel, den er über das feindliche Heer hinſchießen und dabei 
fprechen jolle: „Odin will euch alle baden!” Erik folgte der Weiſung; 
Blindheit ſchlug das Heer der Feinde, ein Bergfall zermalmte einen 
Theil desſelben. Styrbjörns dänifche Streitgenoffen flohen und erlangten 
ihr Geficht erſt wieder, als fie außerhalb ver Strede fi) befanden, über 
die der Rohrſtengel gefahren war. Styrbjörn, der, auch erblinbet, 
ſtehen geblieben, wurde mit allen feinen Kriegen erſchlagen. Dieß 
Speerwerfen über ein feinblies Heer, wodurch dasſelbe dem Ber: 
derben geweiht wird, kommt auch fonft im Norden vor (Sagabibliothef 
_ II, 145. Rechtsalterth. 59, 29) und bat wohl fein mythiſches Vorbild 


486 


— — — — 


darin, dag Odin am Ende des goldnen Alters, zum erſten Geerftreite 
den Speer auswarf (Bölufpa 28. Edda Sem. b). 

Die nordiſche Sage und die Stelle bei Tacitus kommen ſich wechſel 
ſeitig erllärend entgegen. Zur Vollſtändigkeit jener gehört es offenbar, 
daß Erik nicht bloß ſich, nach Ablauf von 10 Jahren, ſondern, wie 
die Hermunduren, das ganze feindliche Heer, wenn ihm der Sieg würde, 


dem Gotte weiht, und deſſen ift der Speerwurf das Zeichen. Die an⸗ 


geführten Gelübde Haralds und Sivards, welche die Seelen aller ihnen 
Unterliegenden dem Odin verſprechen, dienen zur Beſtätigung. Auf der 
andern Seite erhält die Erzählung des Tacitus nicht nur ihr unver 


kennbares Gegenbild in der norbiichen Sage, ſondern e3 wirb num aud 


erflärlih, wie Mercur, der Erfinder aller Künfte nad Cäſars Be 
zeichnung, nun auf einmal, gegen den römilchen Begriff von ihm, aud 
als Schlachtengott erfcheinen kann; denn ift Mercur Odin, fo vereinigt 
ja diefer beiberlei Eigenfchaften in fih und eben auf Odin paſst auch 
der ſchon bemerkte Umftand,. welcher wieder nicht der römiſchen Anſicht 
von Mercur entnommen ſein kann, daß er von allen Göttern am höchſten 
verehrt wird (deorum maxime Mercurium celunt). 

Das Gelübbe der Hermunduren war aber nicht bloß an Mercur, 
fondern auch an Mars gerichtet (diversam aciem Marti ac Mercurio 


. sacravere), Sierüber ließen ſich nun verſchiedene Vermuthungen auf: 


ftellen. Hat nicht etiwa jene Bufammentreffen der Eigenfchaften bes 
Mercur und des Kampfgottes in Odin den Tacitus irre gemacht und 
veranlaßt, den einen Gott doppelt, den Odin als Mars und Mercur 
zu bezeichnen? denn auffallend ift Doch, daß derſelbe Schriftfteller, den 
wir im 9ten Capitel der Germania den Mercur ala den verebrteften der 
germanifchen. Götter hervorftellen hörten, an einem andern Orte den 
gleichen Vorrang dem Mar3 einräumt. Histor. B. IV, Gap. 64 läßt 
er einen Gefanbten der Tencterer jo zu den ſtammverwandten Agrippi: 
nenjern |prechen: Rediisse vos in corpus nomenque Germanie, com- 
munibus deis, et precipuo deorum Marti grates agimus. Über dürfen 
wir ein Misverftänpnis. in der Art vermuthen, daß, da dag Gelübbe 
beiberfeitig war, bie Hermunduren nicht dem Mars und Mercur zugleich, 
fondern fie dem einen, die Katten aber dem andern Gotte das Üpfer 
zugelagt, wie in ber norbiihen Erzählung Styrbjörn dem Thor opfert 
und Erik fi an Odin wendet und wie auch fonft in den Sagen bes 


4 


487 


Nordens Ddin und Thor einander gegenüberflchen? Solche Fragen mögen 
fi in Beziehung auf die befonbre Stelle der Annalen allerdings auf; 
drängen, aber immerhin bleibt Mars als ein meiterer, von Mercur 
unterjchievener Gott beftimmt genug herausgeftellt. 

Im 9ten Capitel der Germania, wovon wir ausgegangen, heißt 
ed, nachdem von Mercur, als dem verebrteften der Götter, die Rebe 
war: Herculem ac Martem concessis animalibus placant. Auch ver 
Norden hat neben dem Heer: und Siegvater Odin noch einen befondern 
Kriegsgott, Tyr, einen Sohn Odins. In Ermanglung näherer Vers 
gleichungspunkte muß jedoch dabingeftellt bleiben, ob biejer für ben 
Mars des Taritus anzunehmen ſei. (Vgl. Mone II, 29.) Ebenfo 
wenig läßt ſich über den Hercules fagen, den biefer Hiftorifer bier als 
ben zweiten in ber Reihe germanifcher Götterweſen auffährt, Er ge 
denkt desjelben fchon Cap. 3: 

Fuisse apud eos et Herculem memorant, primumque omnium virorum 
fortium, ituri in prelia, cenunt; 
wo jedody Hercules mehr in ber Eigenſchaft eines Helden (viri ſortis), 
als eines Gottes erſcheint. Seiner geſchieht ferner Cap. 34 Erwähnung, 
nach der Beſchreibung des Gebiets der Frieſen: 

Ipoum quin etiam Oceanum illa tentavimus, et superesse adhuc Her- 
culis columnas, fama vulgavit; sive adiit Hercules, seu, quicquid ubique 
magnificum est, in claritatem ejus referre consensimus. Nec defuit 
audentia Druso Germanico: sed obstitit Oceanus, in se simul atque in 
Herculem inguiri. Mox nemo tentavit: sanctiusque ac reverentius vigum, 
de actis deorum credere, ‚quam scire. 

Endlich Annel. B. II, Cap. 12 finden wir einen dem Hercules - 
heiligen Wald in ber Weſergegend: | 

Cesar [Germanicus] transgressus Visurgim indicio perfuge cognoseit 
delectum ab Arminio locum pugne: conyenisse et alias nationes in sil- 
vam Herculi sacram ausurosque noeturnam castrorum Oppugnationem. 

Daß Tacitus den Hercules bald als Heros und bald ala Gott 
bezeichnet, mag im antiken Mythus beruhen, nad} welchem der Heros zum 
Lohne feiner Thaten unter die Götter aufgenommen wurde. Ihm würde 
unter den norbilchen Göttern am nächften “en, ber ftärkfte der Aſen!, 


1 Bel. Mone II, 30. 


488 


verwandt fein, ber, F ihm, Rieſen und Ungeheuer bezwingt und 
mit dem furchtbaren Hammer, wie Hercules mit der Keule, zermalmt, 
ber ſeine Fahrten in das fernſte Utgard, die Heimath der Eis- und 
Steinrieſen, erſtreckt und von dort nad der großen Erdſchlange in das 
Meer binausrubert. Daß die Sagen vom germanifchen Hercules lebendiger 
Art waren, läßt ſich aus der beſondern Angabe fchließen, wonach von 
ihm gefungen, und zwar beim Vorfchritt in die Schlacht gelungen wurde, 
Gap. 3: Ituri in preelia canunt, Im Ganzen aber ift es für uns nicht 
minder fchiwierig, ala für Drufus, dem Hercules nadyufpüren. 

Auch der fig, welche nody im Gap. 9 genannt wird, vermögen wir 
nicht den Edhleier zu lüften. Tacitus bemerkt, daß ein Theil der 
Sueven ihr opfre und fügt hinzu: 

Unde causa et origo peregrino sacro, parum comperi, nisi quod 
signum ipsum, in modum liburue [eines liburniſchen, dalmatiſchen Schiffes] 
figuratum, docet advectam religionem. 

Nur ein gottesbienftliches Symbol, in Form eines € chiffes, das an 
das ſogenannte navigium Isidis 1 erinnerte, ſcheint dem Tacitus ober dem 
Erzähler, dem er folgte, die ägyptiſche Göttin zugeführt zu haben; denn 
Götterbilder, woraus eine Ähnlichkeit hätte entnommen werden können, 
waren, nach der unmittelbar angehängten Bemerkung, bei ben Germanen 
nicht gebräuchlid. Konnte nun Tacitus Urfache und Urfprung der Ber: 
ebrung dieſer vermeintlich fremden Göttin nicht erfahren, jo find wir 
nicht im Stande, ihr wirkliches Wejen zu erkennen. Das angegebene 
Symbol bietet feine deutliche Beziehung zu einer der befannten Göttinnen 
des Nordens dar. (Vgl. Rühs 284 fe Mone II, 31.) Überhaupt aber 
iſt felbft der Verſuch, für Gottheiten, von denen fo wenig Näheres be 
jagt wird, Beziehungen zur nordiſchen Mhthologie anzufnüpfen, nur 
dann für gerechtfertigt anzufehen, wenn fich wirklich fchon bei andern 
auffallenvere Ähnlichkeiten ergeben haben. Diefes war nad) dem Bis ” 
herigen am meiften zwiſchen bem Mercur des Tacitus und bem Afen 
Odin der Fall. 

Dahin rechnen wir nun noch weiter, was Germania Cap. 8 von 
der religiöfen Verehrung der Frauen gemelbet wirb: 

1 Ritſch, Mytholog. Wörterb. 116856: „Diefes Feſt [navig. Is.] war eine 


feierliche Proceffion, wodurch man bei der Diedereröfinung | der Schiffahrt der 
Göttin das erfte Schiff weihete. “ or, 


. 


489 

Inesse quin etiam sanetum aliquid et providum putant feminis]; ; nec 
aut cunsilia. earum aspernantyr, aut responsa negligunt. Vidimus sub 
divo Vespasiano Veledam, diu apud plerosque numinis loco habitam, sed 
et olim Auriniam et complures alias venerati sunt; non adulatione, neo 
tanquam facerent deas. 


- Biele Stellen der Alten beftätigen biefen Glauben der Germanen 
an bie höhere Begabung der Frauen. Derjelbe erweiſt feinen Einfluß 
in den wichtigften Unternehmungen der germanifchen Völker. Die ge 
Schichtlichen Zeugniffe beginnen bei ben blutigen Weiffagerinnen ber 
Cimbern, welche Strabo im Tten Bud feines geographiſchen Werkes 
beſchreibt. Sie fchreiten vor zu den rauen im Heere Ariovifts, bie, 
um den Beginn ber Schlacht befragt, ſolche vor dem Neumond wider⸗ 
rathen. Davon jagt Cäfar de beil. gall, B. I, Cap. 50: 


Cum ex captivis quereret Cesar, quamobrem Ariovistue prœlio non | 
decertaret, hanc reperiebat causam, quod apud Germanos ea consuetudo 
esset, ut matres familias sortibus et vaticinationibus declararent, utrum 
prelium committi ex usu esset, nec ne; eas ita dicere: non esse fas 
Germanus superare, si ante novam lunam prœlio contendissent. (Bgl. 
Germania 6, 11) 


Die Art der Wahrfagung diefer weiſen Frauen gibt Plutarch im 

Leben Cäſars an: fte fehauten in die Wirbel der Ströme, merften auf 
bie Kreife und das Rauſchen der Bäche und fangen daraus die Zukunft. 
Die. Geltung der deutichen Seherinnen war fo verbreitet, daß jelbit 
römiſche Kaifer fie hochhielten. Sueton im Vitell! Cap. 14: 


Suspectüs et in morte matris fuit, quasi wgre praeberi cibum pro- 
hibuisset: vaticinante Catta muliere, cui velut oraculo acquiescebat, ita 
demum firmiter imperaturum, si superstes parenti extitisset. 


Bon Domitian wirb in Excerpt. e Dion. ©. 761 erzählt, wie er 
. einen König der Semnonen, des ſueviſchen Hauptitammes, und die 
Jungfrau Ganna, welche nad Veleda als Weiſſagerin aufgetreten, 
ehrenvoll empfangen habe. 

Von all den geſchichtlichen Beiſpielen aber zeigt pP an feinem fo 
Har und beziehungsreich das Verhältnis jener heilig geachteten Frauen, 
als an der eben genannten Beleva, von ber Tacitus im angeführten 


Gap. 8 ſpricht: 


‚ 10 on 

Vidimus sub divo Vespasiano Velodem 4 1, dia apud plerosque numinis 
loco habitam, 
und von der er in den Hiftorien (B. IV und V) ausführlicher Handelt 
Die Nachrichten, die er von ihr und dem mit ihr verbundenen Helben 
Civilis gibt, liefern und, wenn fie zufammengeftellt werden, ein merf: 
würdiges Bild germanischen Lebens und Glaubens. “ 

Der Bataver Civilis, aus Töniglichem Stamm entiprofien (Hist. IV, 
13: regia stirpe), verfammelt feine Landesgenoffen im heiligen Haine, 
bei nächtlihem Mahl und läßt fie ſchwören, das Soc der Römer ab- 
zuwerfen (B. 4, Cap. 14). 

Civilis primores gentis et promptissimos vulgi, specie epularum, 
sacrum in nemus vocatos, ubi nocte ac letitia incaluisse videt, a laude 
gloriaque gentis Orsus, injurias et raptus et cetera servitii mala enumerat. 
6. 15: Magno cum assensu auditun, barbaro ritu et patriis exeecrationibus 
universos adigit. 

Aus Wäldern und Hainen werben bie Zeldpeichen, Gebilde wilder 
Thiere, hervorgeholt: 

C. 22: Hinc veteranarum cohortium signa, inde depromptes silxis 
“ lucisque ferarum imagines, ut cuique genti inire prelium mos est. 

Germania 6, 7: Effi igiesque et signa quedam, detracia lveis, in 
prelium ferunt. 

Civilis ſelbſt thut, als er ‚ner die Waffen ergreift, nach altem 
germaniihem Braud, das Gelübbe, ſich bie rötblichen Haare wachſen 
zu laſſen, big er einen Sieg erfochten. _ 

8. IV, 6. 61: Civilis barbaro voto, post copta adversus Romanos 
arma, propexum ratilatumgue crinem, patrata demum aede legionum, 
depoguit, / 

Bon dieſem germanifchen Gebraiche, barbaro voto, der beſonders 
bei den Katten im Schwange war, ſpricht Tacitus umſtändlicher in 
der Germania Cap. 31: 

Et aliis Germanorum populis usurpatum rara et privata cujusque 
audentia, apud Chattos in consensum. vertit; ut primum adoleverint, 
crinem' barbamque summittere, nec nisi hoste c®80, exuere votivum ob- 
ligatumque virtuti oris habitum. . Super sanguinem et spolia revelant 
frontem, seque tum demum . pretis nascendi retulisse, dignosque patria 


1 Stat., Sylv. Velede; Dio Cass. ]. e. (67, 5) need ep — 


491 


.  &e. parentibus ferumt. Ignavis et imbellibus manet squalor. Förtissimus 
. quisque ferreum insuper annulum (ignominiosum) id genti, velut vineulum 
gestat, donec se cœde hostis absolvat. | 

Die Bataver, benen Civilis angehörte, waren den Hatten ſtamm⸗ 
verwandt: B. IV, Cap. 12: Batavi, doneo trans Rhenum agebant, 
pars Cattorum. Wol Germania Cap. 29.) 

Im norbiihen Mythus hat der Gott Vali nicht die Hände ger 
walchen, noch das Haupt gelämmt, bevor er ven Tob feines Bruders 
Baldur gerächt (Völufpa "Str. 38. Edd. Seem. 6. Vegt. Qr. Str. 16. 
Ebend. 95. Hyndl. I, Str. 28. Ebend. 117. Über die Sitte vgl. 
Mascou I, 127. R. 1. 491. N. 2°. U, 182. Nr. 4). 

Dem Helden Eivilis zur Seite nun ſteht Veleda, eine Jungfrau 
vom Volle der Brukterer, weit umber mächtig und nad; germanifcher 
Sitte verehrt; fie hat den Deutfchen Heil, den Legionen Verberben ger 
weiſſagt und aus ber Erfüllung dieſes Ausſpruches erwächſt ihr Anſehn: 

B. IV, C. 61: Ea virgo, nationis Bruqters, late imperitabat: vetero 
apud Germanos more, quo plerasque feminarum fatidicas et augescente 
superstitione arbitrentur deas. Tuneque Veledæ auctoritas adolevit: nam 
prosperas Germanis res et excidium . legionum presdixerat, (BL 2 V, 
€. 25: Germanorum feminas.) 


Ihr wird der gefangene Legat Lupercus zum Geſchenke beftimmt, 
ihr von den römifchen Schiffen, welche bei nächtlichen Überfall auf dem 
Rhein erbeutet worden, das mit dem Fähnlein bes Prätors, die Lippe 
hinauf, zugeführt. (B. IV, Cap. 61. 3. V, Cap. 22.) Civilis, und 
Beleda werben ſtets sufammen genannt. nen ſchickt man Gefandte 
mit Geſchenken zu, um. Bünbniffe bei ihnen zu feftigen; doch iſt es 
nicht geftattet, die Jungfrau zu fehen, fie wohnt hoch auf einem Thurme, 
ein Auserwählter ihrer Verwandtſchaft ift der Vermittler ihrer gött 
lihen Ausſprüche: 

8. IV, © 65: Agrippinenges- respondent: Arbitrum habebimus 
- Civilem et Veledam, apud quos pacta sancientur. Sic lenitis Tencteris, 
legati ad Civilem et Veledam missi cum donis, cuncta ex voluntate 
Agrippinensium perpetravere, Sed coram adire alloquique Veledam, ne- 
gatum; arcebantur aspectu, quo venerationis plus inesset. Ipsa edita in 
turre; delectus e propinquis [vgl. B. IV, 6. 24] consulta responaagne, 
ut internuntius numinis, portabat. 


492 
Späterhin jedoch ſcheint Veleda von ihren Landsleuten (vielleicht 
von Civilis ſelbſt) den Roͤmern als Preis des Friedens ausgeliefert 


worden zu fein (Hist. V, 25). Die verlorenen Bücher der Hiſtorien 


enthielten ohne Zweifel ihr Ende (Paſſow 94). Daß fie in römifche 
Gefangenſchaft gerieth, zeigt noch eine hingeworfene Äußerung des 
Statius, Sylve B. J, Cap. 4, V. 90: Captiveque preces Velede 
u. ſ. w. (Bol. Rühs 259). Auf die Gefangene und nah Rom Ge 
führte mag fich wohl auch der Ausdruck des Tacitus (Germania Cap. 8) 
beziehen: Vidimus [sc. nos Romani] sub divo Vespasiano ! Vele- 
dam „ diu apud plerosguie numinis loco habitam; da fonft, ertwähnter: 
maaßen, Teine Spur borhanben it, daß er jemals felbit in Deutjchland 
geiweien. 

Bei den Völkern des heibnifchen Nordens fanben wir gleichfalls ben 
Glauben berrichend, daß die weibliche Seele ein klarer Spiegel höherer 
Dffenbarungen fei. Sie hatten ihre Volen oder Weiflagerinnen, die noch 
in der biftorifchen und chriftlichen Zeit in großem Anſehen ericheinen. 
Sagenhafter ift die Erfeheinung der Balkyrien, der Jungfrauen Odins, 
die er ausfendet, um bie Geſchicke der Schlacht zu lenken und bie 
Tobten zu küren, wovon fie eben ven Namen haben (valr, strages; 
kjöra, eligere). Sie walten über Sieg und Tod, in Valhall aber 
reichen fie den Einberien das Trinthorn. Bald ftellen fiesfih ala völlig 
mythiſche Weſen dar, bald aber auch, in den heroifchen Liedern und 
Sagen, find fie irdiſche Jungfrauen, von Odin bejeelt, die den ſchlum⸗ 
mernden Heldengeift der Jünglinge wecken, ihren Günftlingen Rath und 
Lehre geben und in ber Schlacht fchirmend fie umſchweben. Helmges 
ihmüdt, Flammen auf der Lanzenipige, leuchtend durch die Nacht, auf 
Wolkenroſſen, fommen fie durch die Luft geritten, auch ale Schwäne 
raufchen fie daher; überall nehmen fie den Flug, der einer bloß geiftigen 
Gegenwart am nächſten fommt. Die berühmteiten Sagenbelven baben 
ihre Valkyrien; Sigurds Valkyrie iſt Brynhild, Helgis Svava u. f. m. 
Ermägt man nun die genaue Verbindung des Helden Civilis mit der 
göttlich verehrten, Frieglenfenden Jungfrau Beleva, fo legt fich der 
Gedanke nahe, daß, nach germaniichen Begriffen, fie die Valkyrie des 


| batavischen ‚Helden geweſen fei.?2 Die Bölfungafaga erzählt (Cap. 32), 


1 Bol. Ruhs 62. 
2 [Bgl. Schriften I, 182 f. 8 


\ 493 
dab Sigurd, ald er bei den Verwandten Brynhilds verweilte, einft 
feinem entflogenen Habicht auf einen hohen Thurm nachſtieg und unver: 
muthet durch ein Fenſter desſelben Brynhilden felbft erblidte, mie fie in 
ein goldenes Gewebe feine vollbrachten Thaten wirkte Man will in 


dieſer Erzählung, wovon die Eddalieder nichts enthalten, einen fpätern . 


Zuſatz, im Gefchmade der Ritterdichtung, erfennen. Gleichwohl iſt ein 
altnordifcher Anlaß nicht durchaus abzujtreiten, wenn man fich hier in 
| Brynhild die ſchickſalwebende Valkyrie denkt; und auf ähnliche Weife 
ericheint auch Veleda in einem Thurme (edita in turre), und einer.ihrer 
Verwandten (electus e propinquis) verkündet ihre Nathichläge (con- 
sulta responsaque, ut internuntius numidis, ' portabat). In dem Be 
freiungsfriege des Civilis liegen einft die Heere, nach hartnädigem Kampfe 
den Tag der Entſcheidung erwartend, ſich nächtlich gegenüber. Bei den 
Germanen, erzählt der Geſchichtſchreiber, ward die Nacht mit lautem 

Geſange hingebracht: 


Histor. B. V, Gap. 15: Nox apud barbaros cantu aut clamore, nostris 
per iram et minas acta. 


Sollte nun in diejer erwartungsvollen Nacht die ſchickſalskundige 
Lenkerin des Krieges nicht vor die Seele der Tapfern getreten, nicht 
in ihren Liedern gefeiert worden fein? mochte nicht, wenn die Lüfte 
rauſchten oder das Gewölk erglänzte, die Gegenwart Veledas, der Vals 
kyrie des gepriefenen Civilis, geahnt werden? 

‚ Die Schrift des Tacitus über Germanien theilt ſich in ber Art in 
zwei nicht völlig gleiche Hälften, daß er in den vorbern 27 Capiteln 
vom Urſprung und den Sitten der Germanen im Allgemeinen, in ben 
weitern 19 Capiteln von den bejondern Völkerſtämmen handelt. Doch 
iſt diefe Scheidung, mad unjern Gegenitand betrifft, nicht jo ftreng 
durchgeführt, daß nicht 3. B. Cap. 9 von den Iſisopfern, ala bei einem 
. Theile der Sueven üblich, die Rede wäre. Einer meiteren Gottheit, 
welche gleichfalls bei einem Theil ver Sueven, demjenigen nemlich, ber 
fi) mehr ins abgelegene Germanien (Cap. 41: in seoretiora Germanis) 
erſtrecke, verehrt fei, wird Gap. 40 ausführlicher gedacht. Nachdem bier 
diefe fuewifchen Stämme, Langobardi, Reudigni, Aviones, Anglii, 
Varini, Eudoses, Suardones, Nuithones, aufgezählt worden, heißt es 
‚von. ihnen: . 


494 


"Nee quiequam notebile in singulis, nisi quod in commune Nerthum, 
id est, Terram matrem, colunt, eamque intervenire rebus hominum, in- 
vehi populis arbitrantur. Est in insula Oceani’ castum nemus, dica- 
tumque in eo vehiculum, veste contectum, attingere uni sacerdoti con- 
cessum. Is adesse penetrali deam intelligit, vectamgue bubus feminis 
multa cum veneratione prosequitur. Leti tunc dies, festa loca, que- 
cunque adventu hospitiaque dignatur; non bella ineunt, non arma sumunt; 
clausum omne ferrum; pax et quies tunc tantum nota, tunc tantum 
amata, donec idem sacerdos satiatam conversatione mortalium deam templo 
reddat. Mox vehiculum et vestes, et, si credere velis, numen ipsum 
secreto lacu abluitur. Servi ministrant, quos_statim idem lacus haurit. 
Arcanus hinc terror sanctaque ignorantia, quid sit illud, quod tantum 
perituri vident. 

.. Für den Namen ber Gottheit, von ber biefes Gapitel Spricht, hat 
Paſſow (6. 64) die Lesart Nerthum als die echte der Handſchriften 
wieberbergeftellt. (Bol. Rechtsalterth. 263. J. Grimm, Göttingifche 
Anzeigen 1830. N. 28. ©. 272.) Herthum und, um das Wort mit 
dem folgenden Terram matrem noch beiler in Einklang zu bringen, 
_ Hertham find bloße Eonjecturen. In der Exrlärung von Nerthus aber 

ftimme ich denjenigen bei, welche darin ben Gott Niörb bes norbis 

‚schen Mythus ertennen!. (Das geichloffene deutſche & entſpricht auch 
fonft dem norbifchen id; iörd., ahd. Erde; biörm, mhd. bör. Gramm. 
II, 352.) Wer zuerft dieſe Anficht aufgeftellt, weiß ich nicht anzu- 
geben. In neuelter Beit findet man fie bei Kufahl (die Geſchichte 
ber Deutichen bis zur Gründung der germanifchen Reiche im weitlichen 
Europa, Th. 1. Berlin 1831. ©. 75. 413 f.) und zwar darauf be 
gründet, daß Niörb wie Nertbus als die Gottheit bes Friedens, der 
Eintracht und des Überfluffes gefeiert worben. Diele allgemeine Ahn⸗ 
lichleit Tann jedoch viel ſpecieller dargethan werden, wie ich es im 
Folgenden verſuche. 

Geht man von jener bezeichnenden Sielle bei Kacitug aus, daß die 
Gottheit Nerthus zu getoiffen Zeiten von ihrem Priefter auf einem mit 
Kühen beipannten Wagen umbergeführt werde und daß alebann überall 


Friede und feſtliche Freude herrſche, 


- 1 [Bgl. Grimms deutſche Mythologie € &. 197. 230 f. Maad in Pfeiffers 
Germania 4, 409. 8&.] 


_ | 495 


(leeti tunc dies, festa loca, quscungue adrentn hospitioque dignatur; 
non bella ineunt, non arma sumunt; clausum omne ‚ferrum; pax et 
quies tunc tantum nota, tune tantum amats), 


jo vergegenmwärtigt uns dieß die alten, norbifchen Sign, von einer 
goldenen Friedenzzeit. 

Sn Dänemark hieß biefelbe Frodis Friede (Fröda-fridur); denn 
ber Herricher dieſes Yriedensalter® war der Lethrafönig Frodi, eben 
davon auch Friedfrodi (Fridfrödi) genannt, Bon diefem Frobisfrieden iſt 
in der nordiſchen Sagengeſchichte [oben ©. 99 ff. K.] ausführlich gehandelt 
worden. Sch bebe bier nur aus, mas für unfern jetzigen Zweck nötbig ift. 

Sein Mann [jagt die Stalda Sn. Edd. &. 146] fügte da dem anbern 
Schaden zu, mochte er auch ven Mörder feines Baters oder Bruders, los ober 
gebunden, vor fi finden. Da war auch kein. Dieb oder Räuber, jo daß ein 
Golbring lang auf Jalangursheiba [in Jütland)] lag. 

Man hat dann, auf gelehrterem Wege, den Frieden unter Frobi mit 
dem unter Kaiſer Auguftus, während befien Chriftus geboren wurde, 
für gleichzeitig angenommen. Beachtenswerth ift_aber insbeſondre noch, 
was Saro (Hist. Dan. B. V, ©. 144) vom Herumführen dieſes Königs 
nach feinem Tode meldet. (Ex unterfcheivet mehrere Dänenlönige des 
Namens Frotho, unter denen derjenige, welchen die nachfolgende Stelle 
betrifft, der britte ift, wir haben aber geſehen, daß ihrer mehrere in dem 
mythiſchen Charakter des Friedenslönigs zuſammenfallen.) 

Hie Frothonis toto orbe clarissimi regis excessus fuit. Hujus egestis 
visceribus salitum corpus triennio proceres asservandum curabant, pro- 
vinciarum defectionem vulgato regis exitu formidantes, mortemque ejus 
ob hoc maxime clam exteris esse cupientes, üt vitæ simulatione propagati 
jampridem imperii terminos- tuerentur, pristinaque ducis autoritate sub- 
nixi, consuetam a subjectis pensionem elicerent. Deportabstur iteque ab 
eis exanimum corpus, ut jam non funebri lecto, sed regali vehiculo 
gestari videretur, tanquam invalido seni nec satis virium compoti id 
muneris a milite deberetur. Tantum magnificentie etiam extincto ab 
amicis tributum est. 


So zeigt fih uns zwiſchen Nerthus und dem fagenhaften Könige 
Frodi eine doppelte Beziehung: beide find friebebringende Weſen und 
beide werden auf einem Wagen unter dem Volle umbergeführt. Der 
Erzählung Saros vom Herumführen der Leiche Frodis liegt ohne Zweifel 


496 


N 


die Erinnerung an einen alten Gebrauch der heibnifchen Beit zu Grunde; 
daß man durch ſolche Täufhung das Reich zufammenzuhalten und bie 
Entrichtungen der Unterthbanen ferner beizutreiben beabfichtigt Habe, 
trägt das Gepräge fpäterer Erklärung einer Feierlichleit, deren Sinn 
nicht mehr verftanden wurde. Auch jcheint Saro felbit zu ſchwanken, 
indem er am Ende mehr auf eine dem Könige damit erwieſene Ehre 
hindeutet. 

Ganz Ähnliches aber, was in däniſcher Sage vom Könige Frodi, 
wird in fchmebilcher vom Gotte Freyr berichtet, ob glei auch hier ber 
Gott zum Menfchen umgewandelt erfcheint. 

Eine der drei Hauptllaffen nordiſcher Götterwejen bilden die Banen, 
bie freundlichen Naturlräfte des Lichtes und der Wärme, und damit 
die Geber ver Fruchtbarkeit und des Reichthums, überhaupt aller äußern 
Wohlfahrt. In die Gemeinfchaft der geiftigern Aſen find fie nur auf 
genommen, nicht gleichen Urſprungs mit diefen. Auf der andern Natur: 
feite aber ftehen ihnen die Jöten, die Mächte der Finfternis und Kälte, 
gegenüber. Die vaniichen Bauptgötter nun find Njörd und deſſen 
Kinder, Frege und Freya. 

Freyr insbeſondre mwaltet, wie bie proſaiſche Edda ſagt (Sn. Edd. 
28), über Regen und Sonnenfcdein und damit über die Erdgewächſe; 
er ift gut anzurufen um Jahresſegen und Frieben. 

Die Inglingafaga. (dev vorberfte Theil ner Heimskringla, des im 
13ten Jahrhundert von Snorro Sturlefon in altnorbifcher Sprache 
zufammengetragenen Geſchichtwerks über den Urfprung und die Ge 
ſchichte der norwegiſchen Könige) macht die Götter des Nordens über: 
baupt zu irdiſchen Herrichern. So läßt fie über Schweden, nach Odin 
und Nidrd, den Sohn bes lehtern, Freyr, herrſchen. (Der Gott Freyr 
wurde in Schweben beſonders verehrt und pon ihm leiteten bie Upſala⸗ 
fönige, nach feinem Beinamen Ingvi Unglinger genannt, ihren Ur: 
fprung ab.) Im 12ten Cap. diefer Saga nun wird bon Freyr u. A. 
gejagt (I, 12): 

Er war fehr geliebt und ein Geber guter Jahre, wie fein Vater. In 
feinen Tagen begann Frodis Friede; da war auch gute Beit in allen Landen. 
Die Schweden rechneten das Freyrn zu und er war um fo viel mehr verehrt, 
als andre Götter (godin), da in feinen Tagen das Voll des Landes reicher, 
als vorher, durch Frieden und Jahresſegen war. Freyr ward kant und als 


- . 491 


feine Krankheit zunahm, wurden fie zu Rathe, wenige Leute zu ihm kommen 
zu laſſen. Sie bauten einen großen Hügel und machten eine Thüre dran und 
drei Yenfter. Als nun Freyr tobt war, trugen fie ihn heimlich in den Hügel 
und ſagten den Schweden, er lebe noch, und verwahrten ihn dort drei Winter. 
Alle Schatung aber brachten fie in den Hügel; zum einen Fenſter hinein das 
Gold, zum andern das Silber und zum dritten. die. Kupfermüngen; da war 


“ gutes Jahr und Friede. (Gap. 13.) Als aber nun alle Schweben wulten, daß 


Freyr tobt war und gutes Jahr und Friede befand, glaubten fie, es wilrde 
fo bleiben, fo lange Freyr in Schweben wäre, wollten ihn nicht verbrennen, 
nannten ihn den Bott der Welt und opferten ihm alle Zeit hernach um Jahr⸗ 
gewächs und Frieden. 

(Auch Frodi hat, nach dänischer Volksſage, große Schäße in feinem _ 


Grabhügel md um feinen Hals hängt eine Golbfette, deren anbres 


Ende um des Königs Zehen befeitigt ift. Thiele, danske Folkeſ. D. J. 
Kopenhagen 1819. ©. 20 f. 166.) | 

Wie aber Frodi noch immer im Wagen umhergeführt wurde, ſo 
geſchah es auch Freyrn. 

Davon findet ſich bei der Saga des Königs Olaf Tryggvaſon (des 
Belehrers von Norivegen am Schluffe des 10ten Jahrhunderts eine merk 
würbige Erzählung folgenden Inhalts (Sagabibl. III, 264 ff., deutſch 
in Bragur II, 143 ff.): 

Gunnar Helmingr, ein Norweger, ben man eines Todſchlags wegen fälfch- 
li im Verdacht Hatte, entfloh deshalb aus feinem Baterlande nach Schweden. 
Hier wurde dazumal viel geopfert, beſonders dem Freyr. Der böſe Geift ſprach 


‘ans dem Bötenbilde. Das Volk glaubte, Freyr fei lebendig, und verfchaffte 


ihm das fehönfte Mädchen zur Frau. Sie fand dem Gotteshaufe vor und 
Allen, was dazu gehörte. Zu ihr nahm Gunnar feine Zuflucht, fie war ihm 
gewogen, bemerkte jedoch, daß Freyr nicht mit Freundesaugen auf ihn fah. 
Sie ließ ihn erſt drei Tage bleiben, diefe wurden zu vierzehn, und je länger 
Gunnar blieb, um fo beffer war er gelitten. Endlich geftattete fie ihm, den 
Winter über zu verweilen und mit Freyr auf Gaftgebote auszuziehen; denn 
Freyr wurbe smbergeführt, um gutes Jahr zu fchaffen. Freyr und feine 
Frau jagen im Wagen und ihr Dienftvolf gieng an deſſen Seite. Als fie nun 
einen weiten Weg über's Gebirge machten, fiel ftarkes Unwetter ein. Gunnar 
blieb beim Wagen, das übrige Gefolge zerftreute fi. Nachdem er eine Zeit 
lang die Ochfen geführt hatte, ward er milde, feste fich in den Wagen und ließ 
die Thiere felbft gehen. Bald darauf fagte die Frau zu ihm: „Thu' dein Ge⸗ 
ſchäft, oder Freyr lommt über dich!“ Gunnar geborchte, als er aber wieder 
Upland, Sqriften. VII. . z2 


498 

müde war, fagte er, er wolle Freyrn fchon empfangen, wenn- biefer über ihn. 
fine Da fprang Freyr vom Wagen und fie begannen zu ringen. Grinnar 
merlte bald, daß er erliegen müfje, und that das Gelübde, zum rechten Glauben 
zurückzulehren und Bergleih mit König Dlaf zu fuchen, wenn er diefen Unhold 
zu überwinden im Stande fei. Sogleih begann Freyr zu wanken, der böfe 
Geift fuhr aus dem Bilde und die leere Geſtalt blieb zurüd, weldde Gunnar 
in Stüde ſchlug. Er hieß nun die Frau wählen; entweder würde er fie hier 
figen laffen, oder fie follte ihn für Freyr ausgeben. Sie wählte das Letztere. 
Gunnar zog nun Freyrs Kleidung an und fo kamen fie in’s bewohnte Land. 
Die Leute fahen ed für einen großen Beweis von Freyrs Macht an, baß er 
in ſolchem Wetter über's Gebirg gelommen war und daß er gehen und trinken 
tonnte. Den ganzen Winter über fprach Freyr nur wenig, außer mit feiner 
Frau, er wollte keine Opfertbiere für ſich fehlachten laſſen und fein andres 
Opfer annehmen, als Gold und Silber, gute Kleider und andre Koftbarleiten. 
Bald erfuhr man, daß Freyrs rau im gefegneten Umftänden fei, und man 
batte großes Gefallen an diefem Botte, indem zugleid der Winter gut war 
und Alles fi zu einem glnftigen Jahre anließ. Das Gerliht von Freyrs 
Macht kam auch zu Dlaf Tryggvaſon, der viel nachbadhte, was wohl dahinter 
ſtecken möchte. Eines Tags ließ er Gunnars Bruder Sigurd holen, erzählte 
diefem, wie er Verdacht Babe, daß Gunnar Freyrs Rolle fpiele; Sigurd folle 
zu feinem Bruder reifen und ihn zur Rüdkehr überreden, die er nun ficher 
antreten könne, da man wife, wer den Todtſchlag veriibt habe Sigurd noll- 
führte den Auftrag des Könige. Gunnar entfloh alsbald mit feiner Frau und 
feinem Gelde. Die Schweden fegten ihnen nach, verirrten fi) aber und fo kam 
Gunnar mit feiner Frau zu König Dlaf, wo beibe fi taufen ließen. 

Legt man in diefer Erzählung zurecht, was bejonders die bei den 
hriftlichen Belehrern gangbare Anficht, wonach die Götter des heidni⸗ 
ſchen Alterthums leibhafte Teufel waren, Yabelhaftes eingemifcht hat, 
jo läßt fih daraus doc ein unverwerfliches Bild vom Dienjte Freyrs 
“in der legten Beit des norbifchen Heidenthums entnehmen. Auch fonft 
‚ergeben die hiftoriichen Sagan, daß. man dem Freyr opferte, um ein 
gutes Jahr zu erhalten, und daß nicht bloß Männer, fondern auch 
Frauen dem Tempeldienite desſelben vorftanden; Opferpriefterinnen dieſes 
Gottes werben beſonders genannt (Sagabibl. IIL, 267 f.). 

Faßt man aber Alles zufammen, was wir bisher über Freyr bei⸗ 
gebracht, ſo zeigt ſich bei ihm die Ähnlichkeit mit dem Dienſte von 
Nerthus noch viel auffallender, als bei dem Dänenkönige Frodi. Was 
Tacitus von der ſueviſchen Gottheit ſagt, eamque intervenire rebus 


49 


— — — — — — 


hominum, invehi populis arbitrantur, gilt ganz auch von Freyr. 
Wie dieſer mit ſeiner Prieſterin, ſo zieht der Prieſter mit Nerthus vom 
Heiligthum (penetrali, templo) aus; der Wagen, der die Gottheit trägt, 
ift im Norden mit Ochſen befpannt, bei Tacitus bubus feminis. : Freyr 
wird den Winter über auf Gaftgeboten umberbewirthet; læti tunc dies, 
festa loca, quacunque adventu horpitioque dignatur, heißt es von 
Nertbus. Dieje Feſteszeit tiber berrjchte ein Gottesfriede: non bella 
ineunt, non arma sumunt, clausum omne ferrum, pax et quies tunc 
tantum nota, tunc tantum amata; welches ganz der Beichreibung von 
Frodis Frieden entſpricht. Die Schweden aber, jagt die Inglinge-Saga, 
vechneten dieſen Frieden Freyrn zu. Auch jonft heißt es von dieſem, daß 
er des Friedens malte. Im Frieden Tann auch nur aller ber Segen ge: 
beihen, deſſen Geber er ift. Die nordifchen Sagen felbft von einer goldenen 
Friedendzeit mögen. jenem feierlichen, in beftimmten Perioden (alle drei 
Jahre) ftattgefundenen Umberführen der fegensreichen Gottheit, während 
deſſen wirklich ein Gottesfriede herrichte, ihren Urſprung verdanken. 
Neben dem, was in den Erzählungen von Nerthus und, Freyr zus 
ſammentrifft, zeigt ſich allerdings auch Einiges nicht Ahnlide. Was 
Taritus vom Waſchen der Gottheit im geheimen See berichtet, ift an 
fich keine Verſchiedenheit, die norbilchen Berichte ſchweigen nur bavon. 
Bedeutender ericheint, daß Nerthus ausbrüdlich ale eine Göttin (des, 
Terra mater) bezeichnet wird. Allein auch diefer Umftand wird kein 
entſcheidendes Hindernis jein, wenn wir erwägen, daß Tacitus bier 
von Völkern Spricht, deren Gebiete ſich nach feinem Ausdruck (Cap. 41) 
in secretiora Germanis erftreden, von denen aljo nur dunklere Kunde 
durchdringen mochte, daß die bedeutende Rolle, melde auch in jener 
nordiſchen Erzählung die Priefterin fpielt, ihn leicht verführen Konnte, 
die Priefterin zur Göttin und den Gott zum Priefter umzumandeln, 
und die um fo eher, ala ein Römer, der von einer Gottheit bes 
Jahresſegens fprechen hörte, dieſe fich in römiſcher Anficht am eheften 
als eine weibliche Terra mater zu denken geneigt fein muſte, daß end⸗ 
lich im Namen Nerthus fogar noch die männlide Wortform übrig ge: 
blieben ift, welche den Bereinigern des Tertes fo viel zu fchaffen machte, 
und daß eben dieſe ſcheinbare Anomalie ſich durch unfre Annahme fo 
natürlich erklärt. 

Der Name Nerthus felbft trifft, nach Dbigem, zufammen mit dem 


900 
norbifchen Niörb (Niördr). Diefer iſt zwar nicht. identiſch mit Freyr, 
aber er ift deſſen Vater, er gehört derjelben Klaſſe an, ift der Stamm 
der Banengötter. Bon feiner Regierung fagt die Inglinga-Saga Cap. 11 
faft dad Nemliche, wie von der feines Sohnes: 

Su feinen [Niörbs] Zagen war durchaus guter Friebe und Jahresſegen 
jeder Art, ſo reichlich, daß die Schweden deshalb glaubten, Niörd walte über 
das Jahr und über das Glück der Menjchen. 


Man trank Niörds und Freyrs Becher für gutes Jahr und Frieben 
(Suhm, Od. 337 u.). Es mar ein islänbifches Sprichwort: „reich wie 
Niörd“ (Lex. myth. ©. 252). Daß einer feiner Beinamen, den 
die Skalda aufführt, Vagnagud, curruum s. vehiculorum numen 
‘war, was auf ähnliches Umberführen, mie bei Freyr, deuten könnte, 
laſſe ich dahingeftellt fein. (Ebend. 2535). Ob nun im Nerthus des 
Tacitus eine Verwechslung des Vaters ‚mit dem Sohne ftattgefunden, 
oder ob in früherer Zeit oder bei andern Völferftämmen ein ähnlicher 
Eultus für Njörd, wie der uns befanntere von Freyr ftattgefunden, 
läßt ſich freilich nicht mit Sicherheit entſcheiden. Da übrigens Niörb 
im altnorbiichen Mythus der Geber desjenigen Reichthums ift, der vom 
Meere, von Schifffahrt und Fiſchfang herrührt, wie er denn in Noatun, 
der Waflergegend, am SGeeftrande wohnt, wo er den Lauf des Windes 
regiert und dad Meer ftillt, fo darf doch nicht unbemerkt bleiben, daß 
der Hain von Nerthus auf einer Meeresinfel ift (in insula Oceani) 
und nachher die Gottheit in einem See gebavet wird (secreto lacu 
- abluitur). 

Über die Lage diefer Infel! ift viel gerathen worben: das bänifche 
Seeland, der Mälarfee in Schweren, die Inſel Rügen u. |. m. Sie 
wird wohl, tie die untergegangene Atlantis, niemals wieder entbedt 
werben. 

Litterarifch ift Hier noch anzuführen: 

Hertha und fiber die Religion der Weltmutter im alten Teutſchland. Bon 
C. Karl Barth. Augsburg 1828. 


1 [Bgl. 8. Maad, die Inſel der Nerthus, ein Hiftorifch-antiquarifcher Ver⸗ 
fuch, in Pfeiffer Germania 4, 385. Er fucht die Infel in der Oftfee; es jei 
die einft vom Feſtlande abgeriffene Oftede Holfteins, die damals mit der Inſel 
Fehmarn zuſammenhieng. 8.] 


501 


| Der Berfaffer bemerkt (S. 2), daß er fih der weiblichen Form 
Hertha nur als einer unfrer Nedeart entiprechenden Abänderung bes 
diene, indem nach der beftimmten Erklärung des Tacitus bie Bedeutung 
felbft nicht amweifelbaft fei. Der Plan der Schrift ift fehr weit angelegt 
und ber Berfafler jelbft gibt die Gedankenreihe derjelben im Borwort 
©. XU ff. fo an: *** Abgeſehen von manchen gewagten Berbinvungen 
und unbaltbaren Etymologieen, welche in der Ausführung dieſes 
Planes zu Hülfe genommen werben, fällt uns ſchon die Grundlage 
besjelben hinweg, wenn wirklih, mie wir zu zeigen verfucht, Nerthus 
mit Nidrb für ibentifch anzufehen if. In diefem und der ganzen 
Bötterflaffe, deren Haupt er ift, den Banen, erfennen wir zwar Naturs 
weſen, aber keineswegs die Natur im Verein ber höchſten phyſiſchen 
und geiftigen Kraft. Die Fülle der geiftigen Kraft lebt in ven Aſen. 

Einige weitere Gottheiten, deren Tacitus gedenkt, find wenigſtens 
anzuführen, wenn wir auch nichts zu ihrer Erklärung zu fagen wiflen. 
Annal. 8.1, Cap. 50. 51 erzählt er, wie Germanicus die Marfen (in 
Weſtphalen) bei einem nächtlichen Feſtmahle überfiel (etenim attulerant 
exploratores festam eam Germanis noctem ac solemnibus epulis 
Iudicram). Auf 50 Meilen weit wurde das Land mit euer und 
Schwert verwüftet (profana simul et sacra et celeberrimum illis gen- 
tibus templum, quod Tanfan® vocabant, solo wquantur, Cap. 52). 
Bon diefer Göttin Tanfanı kommt fonft nirgends etwas vor. Es ift 
felbft bezweifelt tworben, ob der Name ben Drt ober bie Gottheit bes 
zeichne (vgl. Mone II, 18), Grimm nimmt Letzteres an (Einleitung 
XLIV I), Ein göttliches Brüderpaar wird Germania Cap. 43 namhaft 
gemadht: 

Apud Nahanarvalos (al. Naharvalos, ein Bolf im innerften Germanien] 
antiquæ religionis lucus ostenditur; presidet sacerdos muliebri ornatu; 
sed deos, interpretatione romana, Castorem Pollucemque memorant; ea 
vie numini, nomen Alcis; nulla simulacra, nullum peregrine supersti- 
tionis vestigium; ut fratres tamen, ut juvenes venerantur. 

Meder im nordiſchen Mythus, noch fonft in germanifcher Sage, 
findet fi) etwas ven bier geſchilderten Göttermejen oder dem angegebenen 


1 [Bgl. Grimms deutiche Mythologie ©. 70. 236. 256. 1062. Grimms 
Heinere Schriften 2, 247. 8] 


⸗ 


02 


Kamen derjelben Entfprechendes (vgl. Mone II, 25).1 Was endlich 
Gap. 45 von der Berehrung der Mater Deom bei den Aftyern ge 
meldet wird, laflen wir zur Seite, da Tacitus dieſes Volk der Sprache 
nach als ein nichtgermanifches bezeichnet: lingua britannicse propior.? 

Mehreres berichtet diefer Schriftfteller noch von gottesdienſtlichen 
Einrichtungen und Gebräucdhen der Germanen, fo Cap. 7 und 11 von 
ber Gewalt ihrer Priefter, Cap. 10 von ihren Aufpicien, Gap. 39 von 
dem heiligen Haine der Semnonen; allein für unfern Zweck hatten wir 
uns auf Dasjenige zu befchränten, was auf die Beſchaffenheit des 
Böttermythus felbft hinwies. Nicht befonders erwähnt Tacitus des 
Glaubend der Germanen an die Fortdauer nah dem Tode, eines 
Glauben, welcher der odinifchen Lehre weſentlich iſt. Wohl aber be 
merfen fonft römiſche und griechifche Echriftfteller der Kaiferzeit an den 
Deutichen verſchiedener Stämme als hervorſtechende Züge, wie fie Ber 
ächter des Todes, Bergeuder ihres Lebens gewejen, wie fie den Tod 
in der Schlacht für ruhmvoll, den auf dem Krankenlager für ſchmählich 
gehalten, tie fie in Greifenalter over Krankheit ihre Verwandten um 
fchleuniges Ende gebeten, wie fie den gepriejenen Tod von eigener Hand 
der Gefangenschaft vorgezogen, wie fie verftümmelt fortgefochten und 
noch im legten Augenblide trogig umhergeſchaut, und ala Urfache folder 
Erfcheinungen wird angeführt, daß diefe Barbaren eine Fortdauer nad 
dem Tode, eine Wiederkehr in das Leben geglaubt haben. Am bün- 
digſten drüdt dieß Lucan in folgender Stelle aus, die ſich jedoch auf 
die nördlichen Völfer überhaupt, namentlich auch die galliichen bezieht 
(Pharsal. I, 457): 

“u... certe populj, quos despicit Arctos, j 
Felices errore suo, quos ille timorum 
Maximus haud urget, leti metus; inde ruendi 
In ferrum mens prona viris animaque capaces 
Mortis, et ignavum rediture parcere vite. 

1 Paſſow ©. 115: Alcis. Hec numina intelligere videtur Timens 
Siculus, apud Diodor. Sic. 4, 56 de Tyndaridis narrans, eos in pr&cipuo 
apud Celtas ad Oceanum honore fuisse. Nomen Alcis Antonius, interp, 
vernac. p. 186 recte derivare videtur e Slavico Holczy, pueri. Bgi. 
Gr. III, 428: goth. alhe, templym. [Grimms deutfhe Mythologie S.57. 8.) 

2 Beziehen ſich etiwa die forme aprorum auf vaniſche Gottheiten, Freija, 
Freyr? Die Äftyer werden als aderbanend geſchildert. | 


- 


\ 503 


Die Spuren der Götterfage laſſen fi) bei Tacitus nicht ganz von 
denen der Heldenjage ausſcheiden. Den Hercules fanden wir bald mit 
den Hauptgöttern Mercur und Mars durch -Opfer verehrt ‚(Sap. 9), . 
bald als den erften aller tapfern Männer befungen (Cap. 3), An ber 
letztern Stelle wird auch des Wyfjes gedacht: | | 

Ceterum et Ulixem quidam opinantur longö illo et fabuloso errore 
in hunc Oceanum delatum, adisse Germanite terras, Asciburgiumque, quod 
in-ripa Rheni situm hodie ineolitur, ab illo constitutum nominatumque 
[Hier Hat eine der älteften Ausgaben, und die ihr folgen, eine Lücke, in welder 
der von Ulyſſes diefer Stadt gegebene Rame geftanden haben follte] aram 
quin etiam Ulixi consecratam, adjecto Laertee patris nomine, eodem loco 
olim repertam, monnumentaque et tumulos quosdam, greecis litteris in- 
scriptos, in confinio Germanie Rhetieque adhuc exstare. Quæeæ neque 
confirmare argumentis, neque refellere in animo est: ex ingenio suo quis- 
que demat vel .addat fidem. . 


Mit diefem Verweilen auf unjere eigene Einficht find wir freilich 
in. einer fo dunkeln Sache wenig gefördert. E3 handelt ſich übrigens 
an dieſer Stelle, ihrer ganzen Faſſung nach, nicht wie anderwärts von 
einer germanifchen, römiſch gebeuteten Sage, fondern von einer ge: 
lehrten Meinung einiger Berichterftatter, welche Tacitus vor ſich hatte 
(quidam opinantur). Der Stadt Asciburgium am Niederrhein gefchieht 
auch Histor. B. IV, Cap. 33 bei den Kriegen des Civilis, fowie von 
Ptolemäus, . Erwähnung; mas aber die Gelehrten veranlagt haben 
mochte, ihre Gründung dem Ulyſſes zuzufchreiben, würbe ſich ohne 
Biveifel durch den Namen erklären, ven er derfelben gegeben haben joll 
und der nun in der angezeigten Lüde auögefallen iſt. Anfieblungen 
und Denkmäler der Helven, die ſich aus ber zerftörten Troja flüchteten 
oder von der Eroberung nad Haufe Fehrten, glaubten die Alten überall 
zu finden; namentlih wollten fie Altäre, von Wlyfies errichtet, auch 
an andern Orten entbedt haben (Rühs 138 bis 141). Spätere Ausleger 
baben Asciburg mit Asgard, der nordiſchen Aſen⸗ oder Götterburg, 
und den Ulires, Odyſſeus, Utis mit dem mweitgefahrenen Obin für gleich 
bebeutend gehalten; allein abgejehen bavon, daß hier gar feine ger 
maniſche Sage ermweislich vorliegt, fo heißt Asciburgium etymologifch 
nichts anders als Eichenburg, von adc masc. ahd., (askr, altn.) 
fraxinus, Eiche; auch in ver Bedeutung „Schiff“, ein aus Eſchenholz 


504 


gezimmertes Fahrzeug (Grimm, Grammatik II, 448. III, 437. I, Ein 
leitung XL. Bgl. Rübs 140 f. Mone UI, 9 f.). 

Wie einheimifcdhe, germantfdye Helden in Sang und Sage über 
giengen, davon gibt Tacitus ein Beilpiel an Armin!, dem Befreier 
Germaniens, von welchem er Annel. B. II, Gap. 88 verſichert: cani- 
turgue adhuc barbaras apud gentes. Dasjelbe war vielleicht auch mit 
Civilis, dem Freunde Veledas, der Fall, der von Tacitus (Hist. B. IV, 
Gap. 61) inclitus fama genannt wirb und in deſſen eigenem Heere bie 
Nacht mit Gefang bingebradyt wurde (Hist. B. V, Gap: 15). 

Es ergab fi) aus dem Bisherigen, daß bie Germanen von ihren 
Göttern und Helden gefungen haben. Den Gott Tuifto und befien 
Eohn WMannus, ihre Stammwäter, feierten fie durch Lieder (Cap. 2: 
celebrant carminibus antiquis, quod unum apud illos memoris et 
annalium genus est). Den Hercules befangen fie, wenn fie zur Schlacht 
auszogen (Cap. 3: ituri in proelia canunt). Aud Arminius lebte bei 
ihnen im Gejange fort (Ann. |. c. caniturque adhuc berbaras apud 
gentes). Über den Schlachigefang wird jener Erwähnung des Singens 
von Hercules Cap. 3 unmittelbar Folgendes beigefügt: 

Fuisse apud eos et Hercnlem memorant, primumque omnium virorum 
fortium, ituri in prelie, canunt. Sunt illis hec quoque carmina, quorum 
relatu, quem barditum vocant, accendunt animos, futureque pugnee for- 
tunam ipso cantı augurantur; terrent enim trepidantve, prout sonuit 
acies; nec tam voces ille, quam virtutis concentus videatur. Affectatur 
precipue asperitas soni et fractum murmur, objectis ad 08 scutis, quo 
plenior et gravior vox repercussu intumescat. 

Die Worte „Sunt illis hæe quoque carmina® u. f. w. fönnen auf 
zweifache Weile genommen werden. Entweder: dieje (die Geſänge von 
Hercules) find ihnen auch diejenigen, melde fie zur Schlacht felbft 
fingen; oder: fie haben auch (außer den Liedern von Hercules) noch 
andre, derjenigen Art, wodurch fie den Muth entzünden; jene, die von 


1 Grimm, ©r. I, Ite Ausg. Einf. XXXIX.: „Arminius durch Hermann, 
Ariovistus durch Ehrenfeft zu erllären, ift nicht beffer, als Canninefates durch 
Sanindhenfänger.“ Ebend.: „Sodann muß man fie [die germanifchen Bölter-, 
Orter« und Berfonennamen bei den Alten] durchgehends nicht aus der [pätern 
Spracde, fondern aus den älteften einheimifchen Dentmälern behutfam erläu- 
tern, wobei das Studium der althochdeutfchen Eigennamen in den Urkunden bes 
6ren bis Iten Jahrhunderts große Hälfe gewährt.“ 


505 


Hercules, fingen fie auf dem Wege zur Schlacht, ituri in preelia, bie 
andern beim Anbruche der Schlacht und während dieſer ſelbſt. Die 
leßtere Erflärung, wonach von einer verichienenen Art ber Lieber die 
Rede iſt, wird gemöhnlid angenommen und ift wohl aucd die unge » 
ztoungenere. Aber auch hiebei wird bie Verſchiedenheit nicht ſowohl auf 
den Inhalt zu beziehen fein (denn auch diefe Schlachtgefänge, da fie 
doch nicht ala bloßes Schlachtgeichrei bezeichnet find, werben von Göttern 
und Helden gehandelt haben), als auf die Art des Vortrags, auf den 
relatus, quem barditum vocant. Dieſer jollte ein möglichft voller und 
ftarder Klang fein, für die Genoflen ermuthigend, den Feinden Schreden 
erregend; ihn zu verſtärken, wurden die Schilde ald Refonanz gebraudht. 
Der Klang felbft war ber Mefler der Kampffreudigkeit im Heere: 
terrent enim trepidantve, prout sonuit acies; e3 waren nicht bloße 
Stimmen, fondern Zuſammenklänge des Eriegeriichen Muthes: nec tam 
voces ille, quam virtutis concentus videntur. 

In der Beichreibung des batavifchen Krieges kommt nicht bloß 
jener nächtliche Geſang im Heere bes Civilis vor, deſſen wir früher er 
wähnten (Hist. V, 15: nox apud barbaros cantu aut elamore acta), 
fondern auch der Gefang in ver Schlacht felbit, wie er ben Schlacht⸗ 
ruf der Römer übertönt (Hist. B. IV, Cap. 18): 


Ut virorum cantu, feminarum ululatu, sonuit acies; nequaguam par 
& legionibus cohortibusque redditur clamor. 


Desfelben gedenkt Tacitus auch ſchon früher, bei den innern Kämpfen 
zwiſchen den Parteien des Diho und Bitellius, wo germanifche Hülfe- 
truppen auf leßterer Seite an dem vergeblichen Sturme auf Placentia 
(Biacenza) Theil nehmen, Histor. B II, Cap. 22: 

Ingerunt desuper |von den Mauern] Othonieni pila, librato magis et 
certo ictu, adversus temere subeuntes cohories Germanorum, cantu truci 
et, more patrio, nudis corporibus, super humeros scuta quatientium. 


Was den Namen betrifft, womit Tacitus dieſen germanifchen 
Schlachtgeſang bezeichnet und zwar als mit einem bei ihnen felbft ge: 
bräudjlichen, quem barditum vocant, fo ift die Lesart barditum 
zweifelhaft. Paſſow hat fie zwar, als in mehreren Handſchriften vor: 
fommend, in den Tert aufgenommen, vermuthet aber in der Note, daß 
. die fonft in den alten Ausgaben gebrauchte Lesart baritum die richtigere 


ſei!. Denn auch anbre römische Schrififteller, Vegetius (de re milit. 29) 
und Ammianus Marcellinus haben nicht barditus, ſondern barritus. 
Das Wort, das fie als ein ftrategifch hergebrachtes gebrauchen, wird 
ausprüdlich ein von den Barbaren entlehntes genannt und der Damit 
bezeichnete Schlachtruf fo gefchildert, daß er von leiſerem Gemurmel 
allmählich anfchwelle: 

Amm, Marc. Rer. gest. B. XVI, 6. 12: Barritum civere vel maximum, 
qui clamor ipso fervore certaminum & tenui susurro exoriens peaullatim- 
que adulescens ritu extollitur fluctuum cantibus illisorum. 

(Es ift bier nicht von den Alemannen, jondern von ben Cornutis 
et Bracatis auf römifcher Seite die Rebe.) 

Das barbarifche Wort wird jogar von dieſem Geſchichtſchreiber als 
römischer Schlachtruf im. Gegenfate des germanischen gebraudt. Bon 
einer Schlacht der Römer gegen bie Gothen in Thracien meldet er 
B. XXXI, Cap. 7: 

Et Romani quidem voce undique Martia concinentes, a minore solita 
ad majorem protolli, quam gentilitate appellant berritum, vires validas 
erigebant. Barbari vero majorum laudes clamoribus stridebent inconditis; 
interque varios sermonis dissoni strepitus leviora prolia tentabantur. 

(Alfo bier das Helvenlied im Kampfe felbft. Bel. noch B. XXVI, 
Cap. 8 Nühe ©. 144). 

Eine fichere deutiche Etymologie des Wortes weiß ich nit anzu: 
geben; die Beziehung auf Bar, was in der Sprache der Meifterfänger 
ein Lieb bebeutete (vgl. Aretind Beiträge IX, 1161, 51: Ein par u. f. w.), 
ift fehr zmeifelhaft. J. Grimm, Rechtsalterthümer ©. 876. 855 er 
innert an das friefifche baria, im gerichtlichen Gebrauche: manifestare, 
elamare, lagen durch Ruf oder Schrei. Die Lesart barditus hat be 
fonder8 Denjenigen zugelagt, die darauf ein deutfches Bardenweſen zu 
begründen hofften. Barben (Bardi, BaodoL) heißen in den Quellen 
überall nur die Sänger der Ballier, alfo eines von den Germanen 
völlig verſchiedenen Volksſtammes. Sie werben von Antmianus Mar: 
cellinus als eine eigene, von den Druiden und Euhagen unterjchievene 
Alaſſe unterrichteter Männer bezeichnet (B. XV, Cap. 9): 

Et Bardi quidem fortia virorum illustrinm facta heroicie composita 
versibus cum dulcibus lyr& modulis cantitarunt. 


1 [Anders W. Wadernagel, Lefebuch 4, 9. R.] 


— 


507 


Daß nun auch die Germanen ihre Sänger hatten, ift Har, aber 
weber daß biefe Barbeir hießen, noch baß fie eine Taflenartige Klaſſe 
"bildeten, was jelbft bei ihren Prieftern nicht erweislich if. 

Das Ergebnis, das ih aus den bisher erörterten Nachrichten ber 
alten Schriftfteller ziehen läßt, ift kürzlich folgendes: die Völker bes 
alten Germaniens hatten Lieder von Göttern und Helben;. unter ben 
Gottheiten, welche genannt werben, zeigen fi) Anllänge an Tosmos 
goniſche Weſen, an Afen: und Banengötter des Nordens; Mercur bietet 
beſonders mittelft der Gelübde, wodurch ihm und dem Wars ganze 
Heere zum Opfer geweiht werden, eine nähere Beziehung zum nordiſchen 
Odin dar, und eine gleidhe zeigt Nerthus felbft dem Namen nad) zum 
ſtandinaviſchen Njörd; unbeftimmtere ober gar Feine Verwandtſchaft ers 
gibt ſich Hinfichtlich der übrigen Gottheiten, deren die römischen Schrift 
ftellev erwähnen. Tacitus fagt, Germania Gap. 45: 

Trans Suionas [viefe bewohnen ihm, nach der Meinung der meiſten Er 
Märer, den fühlichen Theil des jeigen Schmebens, ben er jedoch für eine Inſel 
des Dceans anfiebt, Paffow 116] aliud mare, pigrum ac prope immotum: 
quo eingi cludique terraram orbem hinc fides, quod extremus cadentis 
jam solis fulgor in ortus edurat, adeo clarus, ut sidera hebetet; sopum 
insaper [al. immergentis u. f. w.] audiri, formas deorum et radios capitis 

aspici, persuasio adjicit, 

Sp verliert fih dem Tacitus die germaniſche Welt nach dem Norden 
hin in räthſelhafte Töne und Glanzbilder. Man glaubt in ſeiner Be⸗ 
ſchreibung die Erſcheinungen des Nordlichts zu erkennen. Reiſende im 
höhern Norden erzählen von dem wunderſamen Spiel der Lichter und 
Laute bei dieſem Phänomen!. Auf ähnliche Weiſe erahnen wir in den 
Berichten der Germania nur fern hinaus die Sagenklänge und bie - 
bauptumglänzten Geftalten des norbifchen Götterhimmels (formas deorum 
et radios capitis). _ 

Mas wir aber von germanifchem Böttermejen aus den Nachrichten 
der Römer wenig über die Grenzen der Vermuthung entwickeln konnten, 


1Paſſow 116: Sonum insuper audiri] Accepit hæe Sehlozerus, Higt. 
univ. septentr. p. 139 de fulgoribus borealibus, explicuitque e narrationi- 
bus per Lepponiam peregrinantium, precipue Monnerii, qui simillima de 
mira colorum coruscatione degue inandito quodam strepitu inter hass 
pheenomena observato tradiderunt, 


508 


bas erhält nun größeres Gewicht, wenn wir bamit bie einheimiſchen 
Nachrichten zufammenhalten, welche am weiteften in bie Zeit der Be 
kehrung der heibnifchen Germanen oder noch über diefelbe hinaufreichen; 
und bier tritt und zwar wieder nicht eine geftaltete Götterfage entgegen, 
aber wir hören jeßt bei verfchiedenen deutſchen Volksſtämmen und aus 
verfchievenen Gegenden bes deutichen Landes auögefprochene Bötternamen, 
welche mit denen ber norbifchen Hauptgottheiten identiſch find. 

- Die bebeutendften Zeugniſſe von dieſer Seite follen nun gleichfalls 
angeführt werben. 

Wir befigen in altniederbeuticher Mundart eine Abſchwoörungsformel, 
wohl noch aus dem Sten Jahrhundert, die fogenannte Abrenuntiatio 
diaboli, welche mwahrjcheinlich den bekehrten Sadjen zu jchwören auf: 
erlegt wurde (Gramm. I, Einleitung LXV, 2. Mehrfach gedrudt, 
namentlich in Eccard. France. or. I, 4401), Aus ihr erlernen wir, 
welden Hauptgöttern die Belehrten bei der Taufe zu entjogen batten; 
die HSauptitelle lautet jo: 

Ec forsacho allum diaboles wercum and wordum, Thunaer ende Wo- 
den ende Saxnote ende allum them unholdum, the hira genotas sint d. h. 
ich fage ab allen Teufelswerlen und Worten, Donner und Woden nnd Sarırote 
und allen den Unholden (böfen Beiftern), die ihre Genoſſen find. 

Unter den Götterweſen, bie .bier genannt werben, find bie beiden 
erften vollkommen klar: Thunaer? ift in Wort und Bebeutung basfelbe 
mit dem norbifhen Donnergotte Thor. (Gramm. III, 353: Donar, 
Thunar, brüden in ahd. und ſächſiſcher Mundart nit nur den 
donnernden Gott, jondern auch den Schall feines Wagen? am Himmel 
aus, der Donner ift darum masc. Im Altn. hat fi das verfürzte 
börr (ftatt ponr, wie As für ans) nur ale Eigenname, nicht mehr für 
die Naturerfcheinung erhalten, die durch die fem. pruma und skrugga 
bezeichnet wird. Den Dänen dauert das Compofitum torden fort, den 
Schweden tordön, gleichfam Thori fragor.) Woden in altfächfifcher 
und angelſächſiſcher Form, Wuotan (als fräntifcher Eigenname? Gramm. I, 
Einleitung S. L. Mone Il, 150, N. 149. Wotan, um 887 und 889 
Trad. Fuld.) in altbochbeutfcher, ift, nach der Analogie des fonftigen 

1 [®. Wadernagels deutſches Leſebuch 1d, 19. Müllenhoffs Denkmäler 


S. 158. 435. Heyne, almiederdeutſche Denkmäler S. 86. 8.] 
25%. Grimm (Götting. Anz.) vermuthet Thunare. 


» 


f 


509 


— 


Wechſels der Mundarten der ſtandinaviſche Odin. Schwierigkeit iſt 
allein bei Saxnote. Es ſind verſchiedene Deutungen dieſes Wortes, 
das nach dem Zuſammenhang, in dem es ſteht, offenbar einen dritten 
Gott bezeichnet, verſucht worden (ſächſiſchem Odin, ſächſiſchem Ges 
folge, Verſammlungen der Sachſen u. ſ. w.; vgl. Mone II, 150 f. 
Geijer ©. 358 f. Leo, Od. 68). J. Grimm widerlegt (in der Recenfion 
von Geijers ſchwediſcher Geſchichte, Götting. gel. Anz. St. 56, 5 April 
1828, ©. 549) einige der früheren Erklärungen und gibt feine eigene 
dahin: . | 

Samöt iR wörtlid Schwertgenoß (althochbeutich Sahstindz) 1, far war. 
den Sachſen ein Heines Schwert und fie führen felbft den Namen daher. Unter 
dem Schwertgenoß kann aber fein andrer heibnifcher Gott gemeint fein, als der 
altnorbifche Freyr, d. 5. der altfächfiihe Froho, angelfächfiich Frea, gothiſch 
Frauja. [Alles in der Bedeutung von Herr, dominus, beffen Yeminin freyja, 
althochdeutſch fröwa, frouwa, rau, Gr. III, 320, 2. 335.] Dem Freyr 
legt die Edda das befte Schwert bei und läßt es ihn in großer Bedrängnis 
weggeben, fo daß er es nachher vermiflen muß (Snorra Edda ©. 40. 41). 
Nun aber hat nautr? im Altnordifchen gerade die Bedeutung eines vormaligen 
Befigers und Freyr Lönnte treffend den Beinamen Sarnautr, Sverdnautr 
führen, obgleich wir ihn aus almordifcher Quelle nicht nachzuweiſen wiffen. Bei 
den Sachen mag er fih länger behauptet haben, bie angelfächfiichen Geſchlechts⸗ 
reihen nennen ausprüdlich einen Searneat, Searntt. Ohne Zweifel war es 
angemeflen, daß die Abrenuntiationsformel die drei vornehmften und verehrteften 
Götter Thunar, Woden und Froho (Thor, Odin, Freyr) anführte, 3 


Soviel von den Altfachfen. Bei ihren Stammverwandten, den 
Angeljachien, finden wir Woden ald den Stammvater der Königäge: 
fchlechter genannt. Beda (+ 731), Hist. eccles, ed. Smith S. 53 
(Leo 66): 

Duces eorum fuisse perhibentur primi duo fratres Hengist et Horsa 
n.|.w. Erant autem filii Victogieli, cujus pater Vitta, cujus pater Vecta, 
cujus pater Voden, de cujus stirpe multerum provinciarum regium genus 
originem duzit, 


1 Bgl. Man. U, 57a, 3 f. ofterfahß, Dtte? 

2 Thor heißt in einem Staldenbruchftüde (Skald. 102) hafra-niötr, ca 
prorum possessor, Lex. myth. 188. j 

8 [Bgl. J. Crimms deutſche Mythologie ©. 184. 8.) 


510 

(Gerade wie wir im Norden bie Töniglichen Heldengefchlechter ihren 
Uriprung von Din ableiten ſahen). 

Daß von- den riefen die Götter Woban, Thor, Forfeti (beflen 
Heiligthum auf der Inſel Helgoland Forfetesland war) verehrt wurden, 
bezeugen die alten Lebensbefchreibungen ber Belehrer diefes Volkes, ver 
Heiligen Willibrord, Wulframn, Liubger (Acta sanctor.). Der Friefens 
könig Radbot zog feinen Fuß aus dem Taufbeden zurüd, als er hörte, 
daß feine ungetauften Vorfahren nicht im Paradiefe feien; lieber wollte 
er mit ihnen bei Wodan bleiben. Aber nicht bloß bei Völkern bes 
nieberbeutichen Sprachſtammes, auch bei den Langobarden, die wir zum 
hochdeutſchen zählten, und zu oberft im ältern Deutichland gefchieht ver 
Verehrung dieſes Gottes ausprüdlidhe Erwähnung Paulus Diaconus, 
felbft ein Langobarde, in der 2ten Hälfte des Sten Jahrhunderts er 
zählt in der Geſchichte feines Volks (B. I, Cap. 8. 9) die Sage, mie 
dasſelbe von Wodan und beffen Gemahlin Frea (Freya, ſtatt Frigga), 
ben Namen erhalten. Wir werben diefe Sage fpäter, an der Spike 
anbrer langobarbifcher anführen. Paulus erklärt fie für eine Lächerliche 
Fabel (ridieulam fabulam, und eiter: heec risu digna sunt et pro 
nihilo habenda), aber fie macht fih fo fehr geltend, daß er ihr, fo un- 
gläubig er fih anläßt, doch ihr Recht muß widerfahren lafien, und er 
fügt noch die allgemeinere Bemerkung Hinzu: 

Wodan sane, quem sadjecta littera Guodan dixerunt, ipse est, qui 
apud Romanos Mercurius dicitur, et ab universis«Germanise gentibus ut 
denus adoratur; qui non circa hec tempora, sed longe anterius, nee in 
Germania, sed in Grecia fuisse perhibetur. ' 


Endlich auch am Ufer des Zürcherjees fand der Belehrer Columban 
in der erften Hälfte des 7ten Jahrhunderts das Volk verfammelt, um 
dem Wodan ein Opfer zu bringen. Jonas, ber kurze Zeit nach dem 
. Tode jenes Heiligen das Leben besfelben fchrieb (Vita s. Columbani, 
Mabillon, Acta sanct. B. II, ap. Sur. ad d. 21 Nov. Leo, Dd. 12), 
. erzählt davon: 

Deinde perveninnt ad locum [eben am Zürichfee], quem peragrans vir _ 
Dei non suis placere animis ait, sed tamen ob fidem in eis ferendam inibi 
paulisper moraturum se spopondit. Sunt enim inibi viein® gentes Sue- 
vorum. Quo cum moraretur et inter habitatores loci progrederetur, reperit 
08 sacrificium profanum lilare velle, vasque magnum, quod valgo cupam 

” 


N 


511 


—* 


— 


vocant, quod viginti et wex modios, amplius minusve, capiebat, cerevisia 
plenum in medio habebant positum. Ad quod vir Dei accessit et sci- 
scitatur, quid de illo fieri vellent. Illi ajunt, deo suo Wodano, quem 
Mercurium vocant alii, se velle litare. Ille pestiferum opus audiens, vas 
eminus suflat, miroque modo vas cum fragore dissolvitur et in frusta 
dividitur, visque rapida [cum fragore] cerevisie prorumpit: manifesteque 
datur inteligi, diabolum in eo vase fuisse occultatum, qui per profanum 
litatorem caperet animos sacrificantium. | 


Was wir nun auch von dem Wunder halten mögen, daß ber 
heilige Solumban mit feinem bloßen Haude die vom Teufel beſeſſene 
Bierkufe zeriprengt, die Erzählung überhaupt von einem dem Wodan 
in diefer Gegend gebrachten Opfer kann, auch des Wunderbaren ent 
leidet, dennoch wohl beftehen. Sie erinnert wieber an norbilche Sagen, 
wonach Dbin, dem alles Begeifternde und der Dichtertrant jelbft zu 
verdanken ift, auch beim Brauen des Bieres angerufen, ober ihm- und 
andern Göttern ein Opfer dieſes Geträntes gelobt wird (Sagabibl. IL, 
449. III, 272. Bel. III, 244). 

Die Gelehrten find, auch in neuefter Zeit, darüber verjchiedener 
Meinung, ob aus den angeführten und anbern Beugniflen eine all 
gemeinere oder’ eine auf beftimmte Volksſtämme bejchräntte Verbreitung 
der Odinslehre unter den Bewohnern des eigentlichen Deutſchlands zu 
folgern ſei. Kufahl führt in einem befondern Anhang zum Theil I 
feiner Gejchichte der Deutichen (Berlin 1831) ©. 446 ff. die Gründe 
für die Allgemeinheit diejes Glaubens aus, wogegen Heinrich Leo den 
odiniſchen Dienft außer Sachſen auf einige Stämme in den Alpen und 
. an den Alpen einfchränlt (in einer Abhandlung im Hermes B. 35, Cap. 2, 
1831 „Was ift für die deutfche Geſchichte in ber’legten Zeit gejchehen? 
und was thut auf dem dadurch genommenen Standpunkte beſonders 
Noth?“ 2ter Art. Schon früher hat fich der Berfaffer mit dieſem Gegen-- 
ftande beichäftigt in einer Schrift: Über Odins Verehrung in Deutſch⸗ 
land. Erlangen 1822. Vgl. Mone I, 193, N). Ohne dag wir auf 
das Einzelne diefer Unterfuchungen eingehen, mag uns vorläufig die 
aus dem Obigen gewonnene Beobachtung genügen, daß zur Zeit der 
Belehrung der Deutihen Wodan an den entgegengejetteiten Punkten 
Deutſchlands, am Norbjeeftrande und in der Nähe der Alpen, alio, 
wenn auch nicht allgemein, doch in jehr weiter Ausdehnung, verehrt 


512 


wurde und daß fich unter den Völkern, die ihn anriefen, folche be 
finden, welche bereit8 in ber Germania des Tacttus genannt find: 
Longobarben und Frieſen (menn mir aud von den Sueven abfehen, 
weil e8 bei dem Opfer am Bürcherfee nur beißt: sunt enim inibi vi- 
cine gentes Suevorum). Sind mir nun daburd um jo näher berechtigt, 
die römischen Nachrichten vom. Glauben der Deutichen mit jenen ein. 
beimifchen in Verbindung zu fegen, jo gewinnen die innern Beziehungen, 
bie wir zwifchen ben Götterwefen bei Tacitus und denen bes norbifchen 
Mythus gefunden haben, eine äußere Betätigung dürch Die nun auch 
in Deutfchland felbft aufgefundenen entiprechenden Götternamen. Be 
merkenswerth ift dabei insbefondre, daß der am meilten genannte Wodan 
in den ausgehobenen Stellen fowohl, als in andern (welche Kufahl 
a. a. O. beibringt), regelmäßig zugleich durch Mercurius überjegt wird 
(Wodan, qui apud Romanos Mercurius dicitur, Paul. Diac. a. a. D.). 
Diefe Stellen [fagt derfelbe Schriftſteller S. 447] find um fp gewichtiger, 
da in keiner derſelben die Gleichheit des Woden und Mercur erſt bewiefen, fon» 
bern al8 allgemein zugegeben nur angeführt wird. Es ift alfo in dieſem Falle 
vollflommen gleichgültig, ob die Berfafler derfelben die Regeln der Hiftorifchen 
Kritit kannten und befolgten oder nicht. Sie hatten bloß eine weit verbreitete 
Meinung zu wiederholen, und bierzu behurften fie nur ihres Gedächtniſſes. 
Jenes „deorum maxime Mercurium colunt“ bei Taditus, Ger 
mania Gap. 9, das wir aus innern Anzeigen auf Odin bezogen, be⸗ 
glaubigt ſich alſo in der gleichen Beziehung auch durch den ſpäteren 


Sprachgebrauch: Wodan sive Mercurius. Wollte man aber aüh an- 


nehmen, daß dieſe Zufammenftellung erft aus der Benennung ber 
MWochentage eniſtanden fei (vgl. Kufahl 448, 2. Lex. myth. 313 f. 
Geijer 292, 4. Saro Gramm. B. VI, ©, 155), fo liegt doch ander: 
feit3 gerade in den beutfchen Namen einiger diefer Tage ein weiteres 
bedeutfames Zeichen für Die große Verbreitung einer mit dem Norden 
gemeinfamen Götterverehrung auch über das eigentlihe Deutſchland. 

Vom Dienftag fagt 3%. Grimm, Nechtsalterth. 818: 

Die echthochdeutſche Benennung ift Die unter dem Volt in Schwaben er- 
baltene ziestag, zistig, ahd. ziestac gl. blas. 76a, in noch älterer Yorm wahr⸗ 
ſcheinlich ziuweſstac, ziustac, genau dem agf. tivesdäg, engl. tuesday, frief. 
tysdag, alt. tYsdagr, tyredagr, ſchwed. tisdag, dän. tirsdag entiprechend 
und wörtlih dies Martis [Tag des KriegsgottS Tyr] bedeutend, weil Mars 


4 


513. 


ahd. Bin, agf. Tiv, altn. Tyr heißt, -goth. Tius (= lat. deus), fein Tag alfo 
tivisdags heißen würde. Hin und wieder erfcheint auch in Oberdeutſchland fir 


Bistag Binstag, wodurqh die vermuthete Verderbnis des Dienstag ans Diestag 
. beftärtt wird. 


Der Mittwoch, dies Mercurii, heißt isländiſch Odinsdagr, däniſch, 
norwegiſch und ſchwediſch Onsdag, angelſächſiſch Vodnesdäg, engliſch 
Wednesday , niederländiſch Woensdag (Lex. myth. J. c.); in ober: 
deutſcher Mundart ſcheint nur Gonſtag vorzukommen (Rechtsalterth. 
818). Deutlich iſt der Name Donnerstag, Dies Jovis, isländiſch 
börs dagr, däniſch, norwegiſch, ſchwediſch Torsdag, angelſächſiſch pu- 
“ noresdäg, engliſch thursday, niederländiſch donderdag, ahd. donares⸗ 
tgc (Gramm. II, 458). Schwieriger ift der Freitag, dies Veneris; altn. 
ſchon freyu-dagur (Tag der Freija) und friä-dagr, däniſch, ſchwediſch 
fredag, angelſächſiſch frigedäg, niederländiſch vrydag, ahd. fria-dag, 
frige-dag (Framm. II, 488. Lex. myth. 84. Schmeller I, 110). Db 
nun dieſe Wodentage ſchon zur heidniſchen Zeit fo benannt geweſen 
ſeien, iſt ſtreitig (Gründe dafür bei Geijer 1, 292 f., N. 4. War 
es aber wirklich nicht der Fall, fo Tann: doch wohl feine andre Abficht 
angenommen werben, als bie römiſchen Götternamen mittelſt der ihnen 
entſprechenden deutſchen twieberzugeben. 

Die dentſche Wochentagbenennung ſſagt Schmeller, bayr. Wörterb. I, 821] 
iſt ein feltfames Gemiſch. In Sonn- und Mondtag reine fogenannte Planeten 
namen. Im Dienstag, Mittwoch, Dannerstag, Freytag ſcheinen die Pla⸗ 
netennainen, als Namen von römiſchen Goͤttern, in die der ihnen nach ihren 
Attributen ähnlichſten deutſchen überfeßt zu fein. Der Samstag flammt durch's 
Lateinifche vom Hebräiſchen [Sabbatstag]. 


Jene Überfegungen der römifchen Götternamen für einen bem 
Worte nach täglichen Gebrauch des Volles waren nun jedenfalls nur 
dann verſtändlich, wenn die Götter, deren Namen an die Stelle ders 

ſelben Tamen, auch wirklich in Deutichland einft allgemein befannt waren. 

Spuren einer deutſchen Götterfage und zwar einer den beutjchen 
Böllern, oder doch einem beträchtlichen Theile derſelben mit dem ſtan⸗ 
dinaviſchen Norden gemeinfamen Götterfage, konnten durch die bisherige 
“ Bufammenftellung der Nachrichten römischer Schriftfteller mit denen aus 
der Zeit des Übergangs der deutſchen Völker zum Chriſtenthum aller: 
dings nachgetviejen- werben. Sie werden ung zum Anhalt bienen, um 

Upland, Gariften. VII. 33 


514 


1 x 


an fie die weitern Überrefte des deutſchen Mythus anzureihen, die fid 
uns aus der Betrachtung der Heldenfage ergeben werben unb bie fid 
in den Bollsfagen des Mittelalter und fogar noch in denen der 
neueften Seit erhalten haben. 

Einige Alterthumsforſcher haben geglaubt, daß in dem ſogenannten 
Weſſobrunner Gebet doch noch ein, wenn auch chriſtlich umgewandeltes 
Bruchſtück eines kosmogoniſchen Gedichts aus dem deutſchen Heidenthum 
auf uns gekommen ſei. Dieſes althochdeutſche Sprachdenkmal, aus der 
zweiten Hälfte des Sten Jahrhunderts (Gramm. I, Einleitung LIV) 
beiteht in nicht mehr als 17 allitterierenden Zangzeilen und gebört fomit 
zu den feltenen Urkunden des Stabreims in hochdeutſcher Mundart. 
Die Handſchrift, in der es fteht, befand fih in der Benebiftinerabtei 
Weflobrunn in Dberbaiern, woher e3 den Namen bat, und Fam von 
ba in die Münchner Bibliothel. Herausgegeben und sommentiert ift es 
mehrfach: 

Brlider Grimm, die beiden älteſten deutſchen Gedichte aus dem Sten Jahr⸗ 
hundert: das Lied von Hildebrand und Hadubrand und das Weißenbrummer 


Gebet u. ſ. w. Gaffel 1812. 4. - 

Maßmann, Erläuterungen zum Weffobrunner Gebet u. |. w. Berlin 1824, 

Wadernagel, das Weffobrunner Gebet und die Wefjobrunner Gioffen. 
Berlin 1827. Koberſteins Grundriß ©. 29. [Bierte Ausgabe, 1847. 1, 
88.18) - 

Dasfelbe beginnt damit: 

Wie nicht Erde war, noch Himmel (Afhimil, Aufhimmel); nit Baum noch 
Berg, nicht Stern, noch Sonne ſchien, noch Mond leuchtete, noch das Meer 
war; da nun nichts war, Ende noch Wende, da war doch der eine allmädy 
tige Gott und mit ihm göttliche @eifter u. |. w. 

Diefer Anfang bat Ähnlichkeit mit dem der Echöpfungsgefchichte in 
dem Eddaliede Völuſpa, wo gleichfall8 geſagt wird, wie in der Frühe 
der Zeiten nicht Sand mar, noch See, nicht fühle Wogen, wie nicht 
Erde gefunden ward, nody Aufhimmel (upphimin) u. |. w. Da nun 
die auf den poetifchen Anfang folgende Betformel, ober die zweite Hälfte 
bes beutfchen Gedichts auch der Sprache nach weniger fließend und 
dichteriſch, als die erite, erjcheint, jo ift gemuthmaßt worden, daß jener 


1 [Spätere Ausgaben: W. Wadernagels Leſebuch 1d, 61 f. Müllenhoffs 
Dentmäler ©. 1. 8.] 


515 


vordere Theil ein heibnifcher Nachklang fei, dab der altbeutiche Dichter 
nicht eine chriſtliche Schilderung der Schöpfung, ſondern vielleicht noch 
‚eine altheibnifche vor fi), ober in Gedanken gehabt habe. Da man 
jedoch die nicht minder einleuchtende Ähnlichkeit mit dem Anfang ber 
moſaiſchen Schöpfungsgejchichte und noch andrer Kosmogonieen mohl 
bemerkte, fo konnte hier freilich nur vermuthet werben. \ 

In dem feit Anfang diefes Jahrs vom Freiherrn von Aufſeß 
herausgegebenen Anzeiger für Kunde des deutfchen Mittelalters ©. 11 f. 
- wird von einem ähnlichen, gleichfalls jtabgereimten althochbeutfchen Ge: 
dichte des Yten Jahrhunderts, welches Türzlich freilich nur als größeres 
Bruchſtück von Schmeller in München wieder aufgefunden worden und 
das er in einer dortigen Zeitſchrift mitzutheilen gedenke!, Notiz gegeben. 
Das Gedicht handle vom Weltuntergange und zwar zum Theil in Aus— 
drüden, melde vorchriſtlicher Zeit und Anſchauung anheimfallen, z. B. 
Muſpilli (in der Edda Muspell, Muspelleheimr, die Feuerregion, deren 
Funken bei der Schöpfung das Eis geſchmolzen und von der auch die 
Zerſtörung der Welt durch Feuer ausgehen ſoll). Dieſes Wort Mu—⸗ 
ſpilli habe der Herausgeber zum Titel gewählt. Auch in der gleich 
falls von Schmeller unter dem Titel Heliand (München 1830) heraus: 
gegebenen altfächfifchen, fonft fogenannten Evangelienharmonie in Stab- 
reimen begegnet biefer etymologiſch noch unerllärte Ausdrud, in der 
Form mutspelli (Hal. 79, 24. 133, 4. Gramm. I, 394). . 

Mir verlafien nun diefe dunklern mythiſchen Gebiete, um zu. den 
vollern Geitaltungen der deutfchen Heldenfage Üüberzugehen. 


x 


2. Helbenfage. 


Der Heldenfage der deutfchen Völker war es nach der Belehrung 
diejer legtern zum Chriftenthume nicht mehr möglich, mit der alten heid⸗ 


1 [Menue Beiträge zur vaterländiſchen Geſchichte, Geographie und Statiftik, 
herausgegeben von Buchner und Zierl. B. J. H. 3. Minden 1832. ©. 89 bis 
118: Muspilli von Schmeller.] [Neu oft, zulett von Wadernagel, Lejebuch 1d, 
15 ff. Müllenhoffs Dentmäler ©. 4. 8] 

2 Mimirberh, Annalista Saxo ad ann. 1138, bei Eocard, Scriptor. rer. 
germ. T. I. 


516 


nifchen Gbtterſage auf ähnliche Weiſe, wie ed im fpäter bekehrten flan- 
dinaviſchen Norden geſchehen konnte, fortwährend ein Weltganzes aus 
zumadjen und fo in fchriftlicher Auffafiung bis auf unfre Zeit durchzu⸗ 
bringen. Sie löfte fi) von der Götterwelt ab, ſtrebte jedoch nur um 
jo emfiger dahin, die einzelnen heroiichen Sagen und die befonvern 
“Sagenkreife der verfchiedenen deutfchen Vollsftämme zu einem immer 
größern epifchen Ganzen zu fammeln und zu verichmehen, während um: 
gelehrt im Norden die Sagen und Sagenkreiſe unter fich weit mehr 
vereinzelt: blieben und nur in dem Zuſammenhang mit ber Götterfage 
ihre gemeinfame. Bindung fanden. 

Wir theilen nun unſre Darftellung der deutſchen Helvenfage in ber 
. Art ab, daß wir zuerft den größern epilchen Cyklus, ſoweit berfelbe 
wirklich zu Stande gelommen ift, betrachten, fodann von ben übrigen 
Heldenfagen handeln, welche für fich vereinzelt jtehen geblieben find ober 
einen größern Kreis zu bilden nur verjucht baben. 


A. Der größere Sagenkreis, die cykliſche Heldenſage. 


(Aufzählung der deutſchen Heldengedichte und ihrer Ausgaben, auch 
der deutſch⸗nordiſchen Quellen, vgl. die Geſchichte ber beutichen Poefie 
im Mittelalter [Schriften I, 30. 8.]), ** 

1In der Betrachtung des epiſchen Cyklus werde ich nun den Gang 
nehmen; daß ich zuerſt den Inhalt der deutſchen Dichtungen, da ich 
ſolchen nicht als befannt vorausſetzen darf, im Umriß barlege, fodann 
denſelben nad) feiner gejchichtlichen Entwidlung und inneren Bedeutung 
erläutre. 


I. JInhalt ber Helbenfage im Umriß. 


Ich werde mich hiebei zunächft auf den Beitand der aufgezählten. 
einheimifchen Heldenliever bejchränfen, die deutfch-nordifchen Quellen 
aber erſt für die nachfolgende Erläuterung gebrauden. Darum erde 
ich die verwiſchten Verbindungen ber Lieber unter fidh bier noch nicht 
berzuftellen, das Lüdtenhafte noch nicht zu ergänzen fuchen; eine Ahnung 


i (Soft biefelben Worte wie Schriften I, 29. 8] 


517 


bes Zuſammenhangs wird ſich von felbft ergeben. Auf der andern 
- Seite ift der Hauptzwed der mitzutheilenden Auszüge, daß u. f. m. *** 1 


IL. Erflärung der eykliſchen Helbenfage. 


Die Alten pflegten u. |. m. *** 2 

Bon den zahlreichen Schriften u. ſ. m. *** 3 

Wenn die Heldenſage, in ihren Hauptbilvern aufgeftellt, einzelner 
fühlbarer Lücken uneradhtet, beim erften .Anblid den Einbrud eines 
compalten Ganzen zu machen geeignet ift, fo zeigt doch eine nähere Be: 
trachtung bald die Fugen manigfacher Zuſammenſetzung, die Merkmale 
verichievenartiger Beſtandtheile. Damit ergibt ſich für die Erklärung 
burchgreifenb ein hoppeltes Geſchäft, einerfeitö den Verband des Ganzen 
in feine verfchiebenen Elemente aufzulöfen, anberfeitö wieder den Gang 
ihrer allmählichen Verbindung zum Ganzen nachzuweiſen. Angeveutet 
baben mir diefe doppelte Aufgabe zum voraus, indem wir einen Ge: 
Jammtcyllus mit drei in ihm begriffenen bejondern Helvenkreifen vorge: 
bildet haben, Am’ywedmäßigften jedoch wird die erläuternde Forſchung 
den Weg einichlagen, daß fie zuerft Dasjenige erfaßt, was fi) zunächſt 
dem Blide darbietet, dann aber von ber offenern Oberfläche zu dem 


tiefer Liegenben hinabfteigt und fo das Ganze, fondernd und verbindend 


zugleich, zu durchbringen ftrebt. Diefem gemäß: 
1. Erflärung von geſchichtlicher Seite. 


. Die Tragen, melde ſich bei der Betrachtung unfrer Sagenbilber 
vor allen aufbrängen, möchten diefe fein: Führen die gefchichtlichen 
Namen, die geographifchen Bezeichnungen, welche dem Verſtändnis die 
erite Handhabe zu reichen fcheinen, wirklich auf einen innern Zufammen- 
bang der Sage mit biftorifchen Perfonen und Ereignifjen? ift Die 


1 [Der Berfafler weift hier zuriid auf ein früheres Heft, liber die Geſchichte 
der deutfchen Poefie, wovon die betreffende Stelle im Iten Bande der Säriften, 
&. 81 ff. zum Abdruck gelommen if. 8.] 
| 2 [Hier ift zurück verwiefen auf die Stelle Schriften I, 88 f. von den 

Born: „Die Alten pflegten“ u. |. w. bis „verflärkt werben.“ K.) 
3 [Schriften I, 90 f. von den Worten: „Bon ben zahlreichen Schriften” 
u. |. w. bis „mandjes Belehrendbe finden.” 8.] 
4 (Bgl. Echriften I, 89. 8.) 


N 


. 518. 


Dichtung aus dem Grunde der Gefchichte entſproſſen oder bat fie ihrer 
ſeits ſich des gefchichtlichen Stoffes bemächtigt? wie dachte man hierüber 
in den Zeiten felbft, in welchen die Sage lebendig war? 

Was uns in der Heldenfage u. ſ. w.*8 1 


\ 2. Erflärung von mythiſcher Seite? 


Die Ermittlung des Mythiſchen in der Heldenfage kann fich uns 
nicht darauf beichränfen, daß mir Bötter und andre Fabelweſen, bie 
fih in ihr ergreifen laffen, gefondert berausftellen und beleuchten. Biel: 
mehr fragt es fih darum, ob in dem ganzen Sagencyklus ober je in 
den einzelnen größeren Kreifen desfelben die Spuren mythiſcher, Gött⸗ 
liches und Menfchliches umfaſſender Weltanfchauung nachgewieſen werben 
fünnen. Nur auf ſolchem Wege dürfen wir hoffen, des bvorgefchichtlichen 
idealen Sagenbeitandes der durch die angeführten biftorifhen Momente 
bloß feinen Durchgang genommen, wenn auch nur annäberungsmeife 
vollſtändig habhaft zu werden. Daß aber jener vorgeſchichtliche Beſtand 
nicht für den ganzen Cyklus ſich auf ein gemeinſames, mythiſches 
Syſtem zurückführen laſſe, wird dem forſchenden Auge bald bemerklich. 
Darum werden wir uns die Betrachtung zum voraus erleichtern, wenn 
wir mit Rückſicht auf die ſchon bisher beobachtete Abtheilung der Helden⸗ 
geſchlechter zweierlei Mythenkreiſe unterſcheiden, 

1) den deutſchnordiſchen, welchem die Nibelungen- und die Hege⸗ 
lingenſage angehören; 

2) den gothiſchen, dem die Amelungenſage eigen iſt. 


1. Dentſchnordiſcher Aytheuxkreis. 


a. Nibelungenſage. 


Dieſer Sagenkreis iſt ein gemeinſchaftlicher Beſitz Deutſchlands und 
des ſtandinaviſchen Nordens. Da nun die nordiſche Geſtaltung desſelben 
das mythiſche Gepräge viel jchärfer bewahrt hat, fo ift es nöthig, zu 
ihr zurüdgugreifen. Sie ift zwar bereitö in der ſtandinaviſchen Eagen: 


1 [Hierher gehört der ganze Abſchnitt „Geicjichttiches und Ortliches“. 
Säriften I, 91 bis 138. 8.] 
2 [Bgl. Schriften I, 188 f. &] 


- 519 » 


— — ç ç — —— 
= 


geichichte dargelegt worden, es wird jeboch, beionbers für Diejenigen, 
welche an ven Borlefungen des vorigen Semefter3 nicht Theil nahmen, 
angemeſſen fein, von dieſer norbiichen Darftellung aud bier einen ge 
drängten Umriß zu geben, gegenüber den kürzlich mitgetheilten Auss 
zügen ber deutſchen Lieber. 
Die Hauptquellen der norbifchen Darftellung, jo weit fie ung Bier 
berührt, find die Lieber der ältern Edda und die islänbifche Völ⸗ 
fungafage. Was mir im deutſchen Cyklus Nibelungenfage nennen, - 
heißt im Norden Bölfungenfage, indem fich hier Alles vorzugsweiſe auf 
den Helden Sigurd (Siegfried) und fein Geſchlecht, den Stamm ber 
Völfunge, bezieht. | 

Der Umriß der Völfungenfage ift diefer 1: *** 

Diefe nordiſche Geftaltung der gemeinfamen Sage nun ift durchaus 
bom odinischen Mythus getragen und durchdrungen. Odin felbft greift 
vom Anfang bis zum Ende thätig ein und feine Dienerin, die Vallyrie 
Brynhild, ift eine der handelnden Hauptperfonen. Wir haben Odin als 
den weltbewegenden Geift kennen gelernt, ala den Vater der Heldenger 
. fehlechter und den Erreger der Heldenfeelen, nad) denen er ſtets begierig 
ift, als den Anftifter des irdiſchen Streites, der Vorfchule jenes größeren, 
in welchem am Ende der Zeiten bie kämpfenden Geifter durch ben 
Untergang der materiellen Welt zu einem höheren Dafein durchbrechen. 
So nun erweift fi Odin dutch den ganzen Verlauf der Sage von den 
Bölfungen. Er ift der Stammbater diefes Geſchlechts, das ohne Zweifel 
diefem göttlichen Urfprung die Unverlegbarkeit durch Gift und das ſcharfe 
leuchtende Auge verdankt, vor dem der Mörder Sigurds zurüdiichridt 
und felbft die Roſſe fcheuen, die Svanhild zertreten follen. Dbin ge 
leitet feinen Sohn Sigi in dic Welt hinaus und verhilft ihm zu Heer 
ihiffen; Rerin fendet er den befruchtenden Apfel; in den Baumftamm 
in Wölfungs Halle ftößt er das herrliche Echwert, das nur Sigmund, 
Bölfungs Sohn, herauszuziehen vermag ;_ dieſes Schwert wird die Urfache 
> des blutigen Zwiſtes unter den Blutöbermandten, wie foldher von 
dieſem Kampfgott auch in andern Sagen erregt wird. immer wieder 


1 [Hier folgen die ſchon früher mitgetheilten Abſchnitte: 1. Sigurds Ahnen; 
vgl. oben ©. 287. 2..Der Hort; Schriften B. 1, 81. 3. Sigurd; B. I, 82. 
4. Atlis Gaſtmahl; B. 1, 85. 5. Svanhild und ihre Brüder; 8. I, 86. 
VII, 293. ®.)] 


- 


520 


ericheint Odin in feiner gewohnten irdiſchen Verhüllung als einäugiger, 
Iangbärtiger Greis mit berabhängendem Hut und umgeſchlagenem Mantel. 
So tritt er auch dem alten Sigmund in der legten Schlacht entgegen 
und ſchwingt auf ihn den Speer, an dem das treffliche Schwert, eimft 
"feine Gabe, zerfpringt. Ex holt den ‚alten Helden aus dem Schlacht⸗ 
gewühle zu fich, wie in einer andern früher angeführten Sage den greifen 
König Harald Hyldetand. Wieder tritt er auf. an ber Spitze von 
Sigurds Geſchichten. Mit den Aſen Hänir und Loli, denfelben, mit 
denen er die erften Menfchen erjchaffen (wenn Lodr mit Loft gleichdes 
deutend genommen wird) und mit denen er in einem noch jet gang: 
baren färdifchen Volksliede wirffam ift, wandelt er durch die Welt und 
auf "diefem Gange werben die Geſchicke langer Geſchlechtsreihen beftimmt. 
Dbin legt bei der Sühne für Ditur zu dem übrigen Golde den Ring, 
auf dem der Fluch haftet, daß er ven Befihern des Schatzes Verderben 
bringt. (Die Buße für getöbtete Menſchen und Thiere durch Be 
ſchuttung berfelben, zwar nicht mit Gold, aber mit rothem Weizen, 
kommt auch fonft in den nordiſchen und beutichen Rechtsalterthümern 
vor, |. Grimm, Nechtöaltertb. 668). Außer Hreidmarn, dem erften 
Empfänger des Goldes, und feinem Haufe, verzehrt jener Fluch bie 
drei Gefchlechter der Völfunge, Bublunge und Giukunge. Diefes ent 
Ipricht dem norbiihen MWeltmythus, wonach Gold den Krieg in bie 
Welt gebracht bat. Damals warf Odin ben Speer aus und jo warb 
ber erfte Volksſtreit. Odin hilft dann weiter dem jungen Sigurd das 
Rofs Grani wählen, das von Sleipnir ftammt. Aus den Stüden bes 
Schwertes, das Odin einft in den Baum ftieß, wird Sigurds treffliches 
Schwert Gramr gejchmievet, womit er feinen Bater rächt und den 
Lindwurm erfhlägt. Auf Sigurbs Fahrt zur Baterrache läßt fi Odin 
in das Schiff aufnehmen, ftillt das Ungewitter und gibt dem Jüng 
linge Kampflehren, namentlid von ver Feilfürmigen Schlachtordnung, 
die auch Harald Hyldetand von ihm erlernt. Als Sigurd auf ber 
Heide den Lindwurm erwartet, lommt wieder Odin und räth ihm, 
mehrere Gruben zu machen, damit das Blut ablaufe. Die Ballyrien, 
wie wir wiflen, find die Jungfraun Odins, melde den ſchlummernden 
Heldengeiſt der Königsſöhne wecken und ſchütend im Kampfe fie um: 
ſchweben. Odin bat die Valkyrie Brunhild, weil fie einem Andern, 
als" feinem Günftlinge, Sieg verlieh, in Zauberſchlaf verfentt und 


* 


521 


beftimmt, daß ber ihren Schlaf breche, den nichts erſchrecken könne. Dieſer 
iſt Sigurd, den fie Weisheit Ichrt und zwiſchen Ruhm und Bergefien- 
beit wäblen beißt. Sigurbs Geſchick ift von nun an ungertrennlid an 
Brynhild gelnüpft, und als er, vom Zaubertranke betäubt, eine Weile 
ihrer vergißt, heiſcht fie ihn zurüd, indem fie felbft feinen Tod anftiftet. 
Diefer frühzeitige Tod wird in langer Reihe blutiger Thaten durch den 
völligen Untergang des Giukungengeſchlechtes gerächt und als die legten 
diefes Stammes, Hambir und Sörli, nicht mit Waffen zu verlegen find, 
kommt nochmals der einäugige Greis und räth, fie mit Steinwürfen 
zu tödten. on 

Vergleichen wir nun u. f. m. 1*** " 
Im? Allgemeinen finden wir das Mythiſche, das in der norbiichen 
Darſtellung vollitändig zuſammengreifend und bebeutungsvoll ericheint, 
in ber deutſchen mangelhaft, zerftreut, in Widerſprüche und Misver⸗ 
fänbniffe verwickelt. Der größere Zuſammenhang im heibnifchen Glauben 
HR aufgeldft, Din, im Rorben der Schlußftein des Ganzen, völlig ver: 
ſchwunden. 

Es bewährt ſich hiedurch, daß die Betrachtung der Sage von 


mythiſcher Seite ſich zuvörderſt an bie nordiſche Geſtaltung derſelben 


halten muß. Allerdings ſteht nun dieſe in voller Übereinſtimmung mit 
der geſammten mythiſchen und ethiſchen Anſicht des Nordens, wie ſolche 
ſich ſonſt in der ſtandinaviſchen Götter und Heldenſage ausdrückt, und 
es iſt in der nordiſchen Sagengeſchichte angedeutet worden, daß in keiner 
dahin gehörigen Sagenreihe Odin ſo vom Anfang bis zum Ende thätig 
eingreife und damit das Einzelne zum Ganzen verbinde, wie in der 
Volſungenſage. Gleichwohl zeigt ſich dem /ſchärferen Hinblick auch hier 
die Nothwendigkeit einer fortgeſetzten Sonderung. Es genügt nicht, 
daß wir den Geſammichklus nach den drei Heldengeſchlechtern, Ame⸗ 
lungen, Ribelungen und Hegelingen, abgetheilt und nun zunächſt die 
Nibelungen: oder, nach nordiſcher Bezeichnung, die Völſungenſage zum 
Gegenftande befondrer mythologifcher Erforſchung gemacht haben. Auch 
fie muß, wenn wir zu ihrem mythiſchen Kerne gelangen wollen, noch 
weiter zerjeßt werden. Die Verbindung verfchievener Sagen geſchah im 


1 [Abgedrudt in den n Schriften I, 156 bis 158. 8.] 
2 (Schriften I, 158. # 


522 


Norden vorherrſchend auf dem Wege, daß dieſelben genealogiſch im 
Fortſchreiten von einem Gliede der Abſtammung zum andern angereiht 
wurden, wogegen im deutſchen Epos die Zuſammenreihung mehr in die 
Breite, gleichzeitig und ſeitenverwandt ſich bewerkſtelligte. Jener Weg 
in abſteigender Linie iſt nun auch für die innwärtige Sonderung der 
nordiſchen Bölfungenfage rückwärts einzuſchlagen. Zum voraus haben 
wir die Anknüpfung derfelben an Ragnar Lodbrok, dur beflen Ber 
mäblung mit Aslög!, einer angeblichen Tochter Sigurds von Brynhild, 
meggelafien, da fie, im. Widerſpruch mit dem echten Sagenbeftanbe, 
nur zur Verberrlihung eines norbifchen Königsftammes dienen follte. 
Allein auch dasjenige Sagenglied, welches wir im obigen Umriß mit 
der Rubrik: Syanhild und ihre Brüder?, bezeichnet haben, muß: abge: 
löft werden, als urfprünglih zu einem ändern Sagenkreiſe gehörig. 
Gudrun, Sigurds und dann Atlis Wittwe, will, nachdem fie an Letzterem 
ben Tod ihrer Brüder graufam gerächt, ſich jelbft im Meere verſenken, 
aber bie Bogen heben fie empor und tragen fie zum Lande bes Königs 
Jonakur, von dem fie Mutter breier Söhne wird. Mit diefen und ihrer 
Halbſchweſter Svanhild, der Tochter Gubruns von Sigurd, erben 
wir in bie Geſchichten des Könige Jörmunrek (Ermenrich) verfegt und 
in ber That ift die VBölfungenfage an einem ihr völlig fremden Stranve 
angeſchwommen. Daß nun Spanpilb und ihre Brüder wirklich im 
Amelungenkreife ihre vechte Heimath haben, ſoll bei ber Betrachtung 
des gothilchen Diythus nachgetwiefen werden. Hier, bei der Volſungen⸗ 
ſage, poſtulieren wir einſtweilen die Ablöſung. | 
Aber noch weiter ift diefes abfondernde Verfahren erftredit morben. 
Auch Atli (Ebel, der Hunnenkönig) und die burgundiſchen Königsbrüder 
follten fih von der eigentliden Bölfungen: und Niflungenfage aus 
jcheiden. W. Grimm hat bemerkt, daß in denjenigen Ebbalievern, welche 
nach Yorm und Darftellung als die älteften erfcheinen, Atli auch nicht 
- ein einziges mal König von Hunaland genannt werbe, daß in ihnen 
vielmehr Hunaland das Erbe der Bölfunge fer, deshalb auch Sigurd 
vorzugsweiſe der huniſche heiße und in einigen Fällen huniſch ſichtbar 
in allgemeinem Sinne für deutſch gebraucht fei (Heldenfage 6, 2); für 


1 (Schriften I, 87 f. 8] 
2 [Schriften 1, 86 f. 8] 


— 


523 


Ali fei darum bie Beziehung auf den Hiftorifchen Attila, den König 
der Hunnen, bier noch unbebenklic zu läugnen. Der Name, althoch⸗ 
deutſch Azilo, Ezilo, fei freilich derfelbe, aber fonft ftimme nichts, ja 
es bleibe noch ungewifs, ob wir Hunni und Hünar für ein und das⸗ 
jelbe Wort zu halten haben u. 7. w. (ebend. 9. Vgl. 10, 2). Erſt 
fpäter fei Hunaland, Siegfrieds Heimath, ala das hiſtoriſche Hunnen⸗ 
veich nach Dften verlegt und dem Ebel zugetheilt worden (ebenv. 345. 
Bol. 11, 1). Auf ähnliche Weile glaubt Lachmann (Kritit der Sage 
bon den Nibelungen im rheiniſchen Mufeum für Philologie, Geichichte 
und griechifche Philofophie, herausgegeben von Niebuhr und Brandig, 
im 3ten Jahrgang, Aten Heft, Bonn 1832, ©. 435 ff.), daß ber in ber 
eigentlichen Nibelungen» over Völfungenfage gelegene Name Gunther, 
Gunnar, den Anlaß gegeben Babe, den geichichtlichen Burgundenkönig 
Gundahar mit ihr zu verbinden (S. 25. 30). 

E3 bat fih und nun allerdings bei der vorbergegangenen Bes 
trachtung der Sage von gefchichtlicher Seite die Verſchiedenheit ergeben, 
daß mir für denjenigen Theil derſelben, welcher zunächſt Siegfrieds 
Leben und Tod betrifft, Feine haltbare Anknüpfung an hiſtoriſche Pers 
fonen und Ereigniffe aufzufinden wuſten, wogegen ſich für den andern 
Theil, der die eigentliche Nibelungenotb, ben Untergang der Burgunden 
an Etzels Hofe, umfaßt, vie Beziehung auf die hiſtoriſch beglaubigte 
Bertilgung des burgunbifchen Gunthilar und feines Geſchlechts durch 
die Hunnen unter Attila, ſowie au auf die Königsnamen des bur⸗ 
gundiſchen Gefehes, ſehr nabe legte. Erwägen wir zugleih, daß ein 
mythiſcher Charakter, felbit nach der nordiſchen Darftellung, ſich vor⸗ 
zugsweiſe und weſentlich nur in jenem vordern Theil der Sage be 
merklich mache, fo jpricht alle Wahrfcheinlichleit dafür, daß die vorge: 
Schichtliche mythiſche Sigurbsfage erft im Verlauf ihrer meitern Ents 
wicklung in jene Biftorifhen Elemente eintrat. Bindungsmittel konnte 
der gemeinfame Name Gunther, Gunnar, fein; biejer ift auch ein alt 
nordiſcher und felbft einer vor den vielen Beinamen Odins (Lex. myth. 
369 @ bellicosus, pugnax; ahd. fund, altn. gunn, pugna. Gramım. IL, 
457). War Gunther, Gunnar, in der urfprünglichen Sage der Name 
eines ber Schwäger Sigurds und der Berräther an ihm, fo reihten fich 
die übrigen burgundifchen Königenamen Gibica (Gibich, Giuli), Gobo: 
mar (Guttormr), Gislahar (Gifelber) leicht mit an. Hagen, Högni, 


524 


‚dagegen, der feinen biftorifchen Anklang findet, blieb aus der alten 
Siegfriedsſage ſtehen. Für fich allein zwar würbe die Namengleichheit 
noch Feine Verbindung zu bewirken vermocht haben; aber einestheils 
- mochte das hiftorifche Ereignis der Vertilgung des burgundifchen Könige 

ſtammes durch die Hunnen ſich in der Überlieferung bereits fagenhaft 
berangebilvet haben, anderntheils lag eine nähere Beranlaflung, beide 
Sagen zu verbinden, nad) Lachmanns Bemerkung (6. 25) in der fühl 
baren Unvollftändigleit der Nibelungenfage, fobald fie mit ver durch 
keine Rache vergoltenen Ermordung eines Helden durch feine Schwäger 
endigte, wenn wir nicht anders annehmen, daß ein Rachekampf auch 
bier fchon vorhanden war und bie entipredjenbe geihichtlide Sage an 
ſich zog. 
Fragen wir nun nach dem mythiſchen Beſtande der von jenem 
hiſtoriſchen Anwachs wieder abgelösten Völſungen⸗ oder Nibelungen⸗ 
ſage, ſo bieten ſich hier, wie für die Betrachtung von mythiſcher Seite 
überhaupt, verſchiedene Anfichten der Forſcher dar. Sie theilen ſich haupt⸗ 
ſächlich nach zweierlei Richtungen. In der einen wird angenommen, 
daß die Heldenſage dem Hauptinhalte nach menſchliche Verhältniſſe dar⸗ 
ſtelle, wenn gleich in ihrem Zuſammenhang mit dem Göttlidyen und 
Übernatürlichen. Nach der andern Richtung wird die Helbenfage für 
eine menſchlich umgewandelte Götterfage angeſehen. Zu Gunften der erftern 
Anficht Spricht fi W. Grimm aus. Er unterjcheidet Götter: und Helden 
fage und weiſt ber erftern vorzugäweife die Betrachtung des Überfinn« 
lichen, ber -Ietern bie Verherrlihung irdiſcher Ereigniffe an (Helvenf. 
336). Über das Wunderbare im deutfchen Epos ſagt⸗ er S. 398 f.: 
Geringfügig ift es nicht 1 u. ſ. m. *** | 

Sn befondrer Beziehung auf bie Siegfriensjage äußert Grimm 

©. 336: Wenn Siegfried zugleich Dietrich ift u. |. w. *** . 

„ Die Einmifhung der drei Aſen am Eingang der Sagen von’ 
Sigurd hält Grimm für einen norbifchen Zujag, für eine Einfchiebung, 
denn was fie thun und was fie fi) müflen gefallen lafien (die Löſung 
ihrer Häupter durch das Zwergegold), fei jo wenig göttlih, daß eben 
fo Leicht, felbft ſchicklicher, ſterbliche Menfchen an ihren Platz treten 
würden (©. 384 f.). 


1 [Bgl. Schriften I, 210 f. 2] 


325 ‚ 


Die entgegengeſetzte Anficht, welche Grimm in Dbigem anbeutet, 
das Aufgehen ver Heldenfage im Gottermythus, iſt beſonders von Done 
und H. v. d. Hagen hervorgeftellt worben. 

Mone, Einleitung in das Nibelungenlied. Heidelberg 1818. 

(Otnit, berausg. von Done Berlin 1818. Cinleitung.) 

Mone, Beichichte des Heidenthums im nördlichen Europa. 

H. v. d. Hagen, Die Wibelungen: ihre Verentuns für die Gegenwart und 
für immer. Breslau 1819. 

Diefen- beiden Schriftftellern iſt Siegfrieh gleichbedeutend mit 
Baldur und der Nibelunge Noth mit Ragnaröl, dem Weltbrande ber 
norbifchen Mythologie, was freilich die ungetrennte Nibelundenſage 
vorausſetzt (Mone, Einleitung in das Nibelungenlied S. 77. Ge 
ſchichte des Heidenthums II, 326 f. 330. Moferd Auszug 918 ä 
Hagen, die Nibelunge 37. 60 f. 68). 

Der nordiſche Mythus von Baldur ift diefer!: 

Baldur der Gute, Odins Sohn, ift der mildefte und weiſeſte 
der Aſen. Ihn lieben und loben Alle. Seine Urtbeile Tann Niemand 
umftoßen. Er glänzt von Schönheit, nichts Unreines darf in feiner 
Wohnung fein. So lang er lebt, ijt die Macht der Götter gefichert. 
Doch Baldur ſelbſt hat ſchwere Träume, daß fein Leben gefährbet fei. 
Frigg, feine Mutter, nimmt darum einen Eid von Elementen, lebenden 
und leblofen Weſen, daß fie Baldurn nicht ſchaden werben. Hierauf 


vvertrauend ergeben ſich die Aſen damit, daß fie Baldurn vorm in die 


Berfammlung ftellen, wo einige auf ihn hauen, anbre nad) ihm fchießen 
oder mit Steinen werfen; und was fie auch tbun, er hat feinen Schaben 
davon. Als Loki, der Stifter alles Böfen, der Verräther unter ben 
Aſen, dieſes fieht, verbrießt ed ibn; in Geſtalt eines Weibes erforfcht- 
er Frigg, ob denn alle mögliche Dinge gefchworen, Baldurs zu fehonen. 
Frigg antwortet, weſtlich von Valhall wachſe ein Kleiner junger Baum, 
Mifteltein genannt; er hab ihr zu jung geichienen, um ihn in Eib zu 
nehmen. Xoli zieht nun den Mifteltein aus und geht Damit zur Ver: 
fammlung. Der blinde Aſe Hödr ſteht zu Außerft im Kreiſe. Ihn 
ragt Loli, warum er nicht auch auf Balbdurn ſchieße. Hödr antwortet: 
„Sch jehe nicht und hab’ auch Feine Waffe. “ „Sch will dir zeigen, wo 

1 [Eine ausführlichere Darftellung desfelben iR Schon oben ©. 22 fi. 
argeben. 8). 


526 


er ſteht,“ erwibert Loli, „und ſchieß dann auf ihn mit dieſer Gerte!“ 
Gbdr nimmt Mifteltein und ſchießt nach Lolis Anweifung auf Balbum. 
. Der Schuß durchbohrt diefen und er fällt tobt zur Erde. Sprachlos 
ftehen die Aſen umber. Nanna, Baldurd Frau, vergeht wor Bram 
und ihre Leiche wird mit der feinigen auf den Scheiterhaufen gelegt. 
Vergeblih find die Verſuche der Afen, Baldurn aus Hels dunteln 
Wohnungen zurüdzugeiwinnen, und unaufhaltſam bricht nun auch ihr 
Verderben herein. Sie fallen im Kampfe mit den entfefjelten Unge 
beuern und. die Welt lodert in Flammen auf. In der wiebergeborenen 
Melt gebt auch Balbur neu hervor. 

Diefer Mythus von Baldur bietet fich zweifacher Deutung, phufifcher 
und ethifcher, dar. Phyſiſch wird Baldur für einen Sonnengott er 
Härt, fowohl für die Sommerfonne, als für die Sonne des Weltjahrs, 
fo daß alfo fein Tod einestheils die Sommerfonnenwende, das ak 
nehmende Licht, anberntheild das Neigen der ganzen erfchaffenen Welt 
‚au ihrem Ende bezeichnen würde. Ethiſch zeigt fih in ihm das er 
haltende Maaß und Geſetz, mit deſſen Aufhebung alle zerſtörende Ge 
walten entbunden werden. Auch eine Verbindung und Wechſelbeziehung 
dieſer beiderlei Auffaſſungen kann gedacht werden. Das Nähere jedoch 
gehört in die nordiſche Mythengeſchichte. 

Die Ahnlichkeit nun, welche zwiſchen dem Tode Baldurs durch den 
blinden Hödur und dem dadurch herbeigeführten Götteruntergang und 
Weltbrande einerſeits und anderſeits der Ermordung Siegfrieds durch 
Hagen (Guttorm) und dem hierauf folgenden Vertilgungskampf im 
brennenden Saale bemerkt wurde, hat veranlaßt, den Gott und den 
Helden, den Mythus und die Sage, entweder für identiſch anzunehmen 
oder dieſelbe Idee dort makrokosmiſch, hier mikrokosmiſch ausgebildet, 
dort den Urmythus, hier deſſen heroiſch-epiſche Einkleidung zu erfenncn. 
9. v. d. Hagen fagt (die Nibelungen S. 37): 

In ihrer älteften ung übrigen Geftaltung, befonders ber ebbaifchen Allitte⸗ 
rationslieder, find fie [die Nibelunge) noch dur Abſtammung und Einwürkung 
der Götter ganz in die Böttergefchichte verwachſen umd eine heroifche Wieber- 
holung 1 des Grundmythus darin. Aber es läßt fi darthun, daß auch Fä 
uns Giegfrieds Leben und Tod, die Klage und der Nibelungen Noth nichts 
anders ift, als das Leben und*ber Tod Baldurs des Guten, der Untergang 


1 &. 86: die heroifche Verkörperung desſelben. 


527. 


aller @ötter in der Götterbämmerung, alfo jener unter mancherlei Namen und 
Geftalten überall vorkommende Urmythus von Leben, Tod und Wiedergeburt, 
von Schöpfung, Untergang und Wiederlehr der Beiten und Dinge liberhaupt. 


Mone erllärt in der Einleitung in das Nibelungenlied S. 771 
Siegfried für ein Weſen mit Balbur. Später, in ber Geſchichte des 
nordeuropäiſchen Heidenthums (Il, 326) äußert er: 


Da der Weltbrand durch den Untergang der Völker fi) im Leben erfüllte, 
fo mufte diefer in der Anficht des Volkes dieſelbe Urfache haben, wie jener; 
nun war Balburs Ermordung der Uriprung des Weltendes, daher denn in 
der Heldenfage auf die Ermordung Sigfrids die Nibelungen Roth folgt. 

Negifter 585: Sigfrit ift Ballder. 


Es bat fi fonderbar gefügt, daß Mone, fonft der entſchiedenſte 
Bertbeidiger der mythiſchen Deutung, in feiner neuejten, zuvor anges 
führten Abhandlung über die Heimath der Nibelungen ebenjo vor: 
wiegend den Weg der geichichtlichen Erklärung verfolgt bat, während 
umgelehrt Lachmann, der die mythologiſchen Hypotheſen Mones und 
Hagens eifrig belämpfte, neuerlich in der ſchon erwähnten Kritik ber 
Sage von den Nibelungen in dieſer gleichfalld eine Götterfage (24, 2) 
und in Siegfried einen dem nordilhen Baldur ähnlichen Gott (22) ger 
funden bat, obgleich allerdings in behutfamerem Gange der Yorfchung. 

Die Hauptzüge diefer neuen Forſchung find folgende: 

©. 12 f.? Bon den Wolfungen wird uns nichts als Mythifches erzählt, 
und ſelbſt in den Namen Wolſung und Nibelung iſt ſchon ein bedeutungsvoller 
Gegenſatz. Vols für Pracht und Stolz hat ſich in der nordiſchen Sprache er⸗ 
halten: in Deutſchland weiſet mir J. Grimm die Namen Wolsbrahts und 
. Welifunc. nad) (tradit. fuld. 2, 216. Schannat N. 496. Meichelbeck N. :40). 
- Davon Bolfingar, angelſächſiſch Bälfingas, das Gefchlecht der Herrlichkeit. Da- 
gegen Nibulunga, Niflingar, die Nebellinder, wozu fi) das Subftantivum 
Nifl wieder aus der nordifhen Epradhe verloren hat, die es jedoch in mytho- 
logiſchen Ableitungen noch bewahrt u. |. w. Damit, daß die Wolfunge Kinder 
ber‘ Herrlichkeit find, flimmen die glänzenden Wolfungenaugen Sigurds umd in 
den Anhängen der nordiſchen Sage auch feiner Nachkommen überein, [jowie 
itberhaupt) ihre wunderbaren ubermenſchlichen Eigenſchaften und Thaten u. ſ. w. 


1VBgl. Geſchichte des Heidenthums II, 330. 
2 Lachmanns Anmerkungen zu den Nibelungen S. 339. 8.] 
3 abd. perabt, lucidus, Gr. II, 556 und berabt, Schmeller I, 194. 


. u > wu 

Nachdem Lachmann hierauf verſchiedene Anzeigen hervorgehoben, 
nach welchen Siegfried in den verſchiedenen Darftellungen ver Sage 
als in einem Verhältnis ber Dienftbarfeit befangen ericheint, entwidelt 
er weiter: 


S. 17 f. [342]. Beachten wir, baß in der Mythologie des Nordens Riflheim 
und Niflhel der alte Theil der Erde und die Wohnung der Berftorbenen ge 
nannt wird, beachten wir daneben, daß, wenn die nordiſche Sage zuerfl den 
Schatz in der Gewalt der Zwerge fein läßt, die ſüddeutſche nicht ohne Bar 
wirrung außer Günther und feiner Umgebung auch die erften Herren des Schatzes 
zu andern Nibelungen macht, die Siegfried zum Theil erichlägt, fo wirb man 
Ihwerlih noch zweifeln, jene und diefe find von einem Geichlechte, und dies 
Geſchlecht ift ein üibermenfchliches, aus dem dunkeln neblichten Todtenreich, ihnen 
gehört ver Schat und fie’ befommen ihn zurüd. 

So ift der Sinn von Siegfrieds Sage deutlich. und einfah. Er bat das 
Gold gewonnen, das den dunkeln Geiftern zugehört, durch beffen verberblichen 
Beſitz er in ihre Knechtſchaft gerathen if. Bei aller Herrlichkeit, Die es ihm 
gewährt, ift er der Unterwelt verfallen: er muß die firahlende Jungfran nid 
für fich, fondern feinem Herrn, dem König des Tedtenreihs, gewinnen und ihm 
durch den Ring der Bermählung weihen: das Bold ehrt zu den Unterirdiſchen 
in die Ziefen bes Rheins zurüd. 

©. 20 [343].. Die Ausführmg haftet an dem Sue, daß das Gold, obgleid 
begebrungswärdig, doch in die Gewalt der unterirbifhen Mächte bringt u. f. m. 


Noch weiter aber ſucht Lachmann darzuthun, daß bier nicht Helden, 
f ondern Gotterweſen handeln. 


Der Name Sigofrid [jagt er S. 2 e] findet vor dem Ende des Tien 
Jahrhunderts fi) nirgend, woraus man wohl fließen darf, er ſei in heidni⸗ 
jcher Zeit Name oder Beiname eines Gottes geweſen. Nehmen wir Dies am, 
fo denkt man bei ihm natürlich fogleih an. den nordiſchen Baldur, als einen 
Gott, der ebenfalls geftorben ift: und dieſe Bergleihung (bie aber keine robe 
Identification fein foll) ergibt, in dem mythiſchen Ausprud für den Tod beider 
Götter, fogar noch eine Möglichkeit, den fonft unerflärlicden Mörder Siegfriebs, 
Hagano, für die lurſprüngliche] Sage zu retten. Baldur wird von dem blinden 
Hödr mit der Miftel erfchoffen: Hagano, der einängige Mörder Siegfrieds, hat 
feinen Namen von dem flechenden Dorn (hagan), weshalb er in Eckehards 
Waltharius manu fortis auch spinosus Hagano genannt wird und O paliure, 
virens foliis, ut pungere possis. Seine Berfon ift offenbar mehr, als heroiſch. 
Nach der nordiſchen Sage foll er ein Niflung fein und Hniflüngr heißt fein 
Sohn: nad der deutjchen ift ſein Vater ein Alb (Bilfinaf. Gap. 150. 865) u. ſ. w. 


_ . 529 
Danach zeigte denn die Gabel, nicht mehr wie ein Held, fonbern wie felbfl 
ein herrlicher leuchtender Gott, ein Gott des Friedens durch den Sieg, nicht 
ungeftraft die geheimnisvollen Wächter im Lalten vördlichen Todtenreihe morben 
und das Gold der. nächtlichen Götter dem Drachen rauben darf. Er gewinnt 
durch den Raub zwar Reichthum und wunderbare Kräfte, aber er kommt auch 


in die Gewalt der Dämonen. Er muß ihr Bundesbruder werben, fi mit 


ihrer Schwefter vermäblen, für den König des Nebelreihg mit dem Werkzeug 


der Unterwelt die umſtrahlte Valkyrie aus den Flammen holen, in bes Königs 
Geſtalt ihren Widerftand bezwingen: durch den Ning aus dem Schatze ver- 
mählt er fi mit ihr, aber fie wird nicht feine, ſondern feines Herrn Braut: 
er iſt it, vom Todesborn, dem Sohn des Gchredens, erſtochen. 


Sn 


Ohne auf dieſe verſchiedenen Auffaffungen der Nibelungenfage im 
Einzelnen einzugehen, gebe. ich meine Meinung darüber Fürzlich mit 
Folgendem: 


N 


Grimms Anſicht, wonach Gotter⸗ und Heldenſage unterſchieden 


werden müſſen, halte ich im Allgemeinen für bie richtige; Götterwelt 
und Menfchenleben zufammen bilden das Ganze einer mythiſchen Welt: 
anichauung Aber in der Ausführung jelbft ſcheint mir Grimm. diejen 
größern Zufammenhang zu wenig zu beachten und fich zu jehr auf bie 
Betrachtung ber einzelnen Erſcheinungen bed Wunberbaren zu be 
Ichränten. Insbeſondre Tann ich, aus fpäter anzuführenden Grünen, 
nicht damit einverftanden fein, wie er Odin und die übrigen Aſen aus 
der Nibelungenfage entfernen will. Die Gleichſtellung Siegfrieds mit 
Baldur, bei Mone und v. d. Hagen, würde, als völlige Identification, 
in jener Vermiſchung von Götter: und Helvenfage beruhen, gegen bie 
fih Grimm mit Recht erklärt. Aber auch die analogiiche Zufammens 
ftellung, als Makrokosmus und Mikrokosmus, als heroiſche Wieder⸗ 
holung des Göttermythus, findet ihren Gegengrund in der Eigenthüm⸗ 
lichleit der nordiſchen Glaubenslehre ſelbſt. Das Verhältnis der Götter 
zu den Menſchen, alſo zum voraus der Unterſchied zwiſchen beiden, 
dann die Erweckung der Helden durch Odin, die Steigerung des irdiſchen 
Kampfes zum künftigen in Gemeinſchaft der Götter, dieſes Fortſchreiten, 
dieſe Abſtufungen ſind der nordiſchen Anſicht weſentlich. Sigurd kann 


nicht Baldur ſein, er wird erſt durch die Valkyrie zu Odins Hallen 


gezogen; der Niflunge Kampf, wenn er auch urſprünglich zur Sage 
gehörte, iſt nicht Ragnarök, denn die Helden fahren vom irdiſchen 
Uhland, Schriften. VII. 34 | 


530 


Kampfe zu Odin auf, um dann erft mit ihm, als Einherien, am Welt: 
kampfe Theil zu nehmen. So rewuciert fih uns die Gleichftellung 
zwifchen Göttermythus und Heldenfage auf eine allerdings nothwendige 
Verbindung und Übereinftimmung beiber. 

Lachmanns an fidh fcharffinnige und mehrfach anregende Aus: 
führung ift mir hauptfählih darum nicht überzeugend, weil fie einer: 
ſeits fih an die nordifche Mythologie anſchließt, anderfeitg einen uns 
unbelannten deutſchen Mythus aus Muthmaßungen aufbaut. Eieg: 
fried ift nicht Baldur, aber ein, biefem ähnlicher deutſcher Gott Sigo⸗ 
frid, Hagen nicht Hödur, aber doch mit diefem gleichartig. Die Nibe 
lunge werben wirklich mit dem nordiſchen Reihe der Finfternis und 
Kälte, Niflheimr, Niflhel, in Beziehung gefeßt, aber doch bilden fie in 

ihrem Gegenfabe zu den Bölfungen ein Verhältnis, von dem man nid 
abfieht, tie ed in das zu Tage liegende Syſtem der nordifchen Mytho— 
logie und der ihm eigenthümlichen Wejenklaflen eingereiht werden fol. 
Brynhild hört auf, ala Valkyrie bedeutend zu fein, fie wird eine ftrablenve 
Jungfrau, deren mythiſcher Charakter nirgends begründet ift. Die 
Aſen Odin, Hänir und Loki follen weichen, um den neuen Göttern 
Sigofrid und Hagen Raum zu geben. Aber dürfen wir das NAltbe 
feftigte für das noch gänzlih Muthmaßliche aufgeben ? 

Um bei folder Manigfaltigleit der Anfihten, wenn nicht zu einer 
volftändigen Erklärung, doc zu einem möglich feften Anhalte zu ge 
langen, glaube ich die Unterſuchung auf folgende zwei Fragpunkte zurüd: 
führen zu müſſen: 

1) Sit der von ihren fpätern Anmwüchfen abgelösten Nibelungen: 
jage, fo wie fie dann in nordiſcher Darftellung ericheint, der odiniſche 
Mythus nur äußerlich angeeignet, ober ift ihre innere Bebeutung in 
ihm begründet? 

2) Zeigt auch die deutiche Darftellung diefer gemeinfamen Eage 
noch unverlennbare Merkmale des urfprünglichen Zufammenhangs mit 

demfelben Mythus? ’ 

In erfterer Beziehung iſt bereits bargetban worden, wie das 
Mythiſche in der norbifchen Darftellung durchaus der odiniſchen Glaubens: 
anficht entfpreche, mie ſolche fi) anderwärts in ſtandinaviſcher Götter: 
und Heldenfage darlegt. Allein eben. daraus, daß Odin auch über den- 
jenigen Theil des nunmehrigen Sagenverbandes hinauswirkt, melden 


—— 53531 


wir als urſprünglichen Beſtand der Völſungen⸗ ober Nibelungenſage ab: 
geſondert haben, könnte geſchloſſen werben, der Norden babe feine 
Göttertvefen dem Ganzen nur als berlömmliche mythiſche Ausitattung 
angehängt. Sin demjenigen Sagenglieve zwar, welches den Untergang 
ber Giukungen an Atlis Hofe begreift, ift nichts Odiniſch-Mythiſches 
zu bemerken, dagegen im lebten, das den Tod der Söhne Gubruns er 
zählt und das wir feinem rechten Zufammenhange nach einem andern, 
dem gothiſchen Sagenkreife vindicieren muften, tritt der alte, einäugige 
Odin noch am Schluffe hervor und räth, wie Hamdir und Görli ge 
töbtet werden ‚Tönnen. Die norbifhen Quellen ſelbſt mifchen einzelne 
mythiſche Züge nicht in gleichem Maaße bei. So gräbt Sigurd in den 
Eddaliedern eine einzige Grube, über die der Drache binkriechen foll, 
während in ver Bölfunga- Saga Odin eingeführt wird, um dem Jüng— 
linge zu rathen, daß er noch andre Gruben zum Schuge gegen Fafnirs 
Blut grabe (W. Grimm, Heldenfage 382 f) Da nun auch bei 
andern Drachenkämpfen, melde Saro (von Frotho B. UI, ©. 26, von 
Fridlev B. VI, ©. 153. Vgl. B. VU, ©. 195) erzählt, Dbin, den’ 
Helben berathend, eintritt, jo Tönnte in der Völjunga- Saga ſich diefer 
Bug nur ald ein Hergebrachtes wiederholt haben. AU dieſes aber ent- 
hebt uns nicht der Erforfhung, ob der Mythus im Innern der Sage 
hafte. Denn wäre Lebtered der Sal, jo müften wir dad Beſtreben 
natürlich finden, ‚ die fpätern Anhänge der urjprünglichen Sage mit 
diefer auch in mythiſcher Hinficht, wäre e8 auch mehr nur. äußerlich, in 
Einflang und Zuſammenhang zu bringen... Den eigentlichen Kern der 
‚Sage bilden nun die Geſchicke Sigurbs, der Drachenlampf und die Er 
werbung des Horts, fein Verhältnis zu Brunhild, jein gewaltfamer 
Tod. (In legter Hinficht ift Lachmann ©. 21 abweichender Meinung.) 
Bom Horte nun und dem darauf haftenden Fluche haben W. Grimm 
und Lachmann die Erfcheinung ber drei Aſen, Odin, Hänir und Loli, 
als norbiichen Zufag wieder abzutrennen verjucht; der Exftere, weil er 
das, mas die Afen bier thun und erleiben, "nicht für göttlich und fie 
an biefer Stelle leicht und ſchicklicher durch ſterbliche Menſchen erjegbar 
fand (Heldenfage 384 f.); Leßterer, weil diefe Erzählung nicht mit der 
deutichen Sage ftimmt (wovon nachher) und weil er den Helden Sigo: 
frid jelbft zum Gott erhebt. Auf diefe Zweifel fol im Folgenden, for 
weit es nicht ſchon geicheben, geantwortet werben. Es trägt aber auch 


532 





poſitiv jene Verbindung der Götter mit dem Horte fo entjchieden das 
‚Bepräge ältefter mythifcher Anſchauung, fie macht ein Bedeutungsvolles 
fo nahe fühlbar, daß gerade bier durch unbegründete Trennung ber 
tiefere Sinn zerftört werden könnte. Wil fih uns dieſer auch nick 
mehr völlig enthüllen, fo wird doch fo viel deutlich, Daß die mächtige 
Wirkung des Golbes auf die menfchlichen Geſchicke nicht ohne die Götter 
eintreten follte. Ein Unrecht ift von biejen felbft gefcheben, durch den 
töbtlihen Wurf auf Ditur. Zwar mar Dttur in feiner Verwandlung 
unkenntlich und der Wurf geſchah durch Loki, der auch in der Göttern 
welt, feiner Abkunft nach nicht zu den Aſen gehörig, ſtets das Böle 
ftiftet. Uber auch die ſchuldloſen Afen muften fi dem Rechte fügen, 
das die Buße des Mordes erheifcht. Hreibmar verlangt, daß der Ge 
tödtete, wie in andern Fällen mit Waizen, fo bier, wo Götter bie 
- Thäter find, mit Gold bejchüttet werde, und fie find nun genöthigt, 
das ververbliche Gold den unterirbifchen Mächten zu entreißen. So iR 
das Verhältnis der Götter, welche ſich dem unterwerfen, was nad den 
Begriffen des Alterthums unantajtbares Geſetz ift, Fein fo unwürdiges 
‚wie Grimm es anfieht, noch hätten fo teitgreifende Geſchicke Lediglich 
in menfchlichen Handlungen ihren Anfang nehmen dürfen. Wollte man 
: aber dennoch die Götter in der Art hier befeitigen, dag man annähme, 
biefer Mythus von der Einführung des Goldes unter‘ die Sterblichen 
fei ein allgemeinerer, nicht urfprünglich an die Sigurbsfage gefnüpfter, 
jo liegt doch in biefer ein andrer, von ihr untrennbarer und zugleich 
im eigenften Weſen des odinifchen Mythenkreiſes haftender Beſtandtheil, 
die Valkyrie Brynhild. Nirgends, als in ber odiniſchen Kampflehre, 
maltet die Balkyrie, und wollten wir Brynhilden dieſer Eigenfchaft ent 
Heiden, ihr auch fo den Panzer vom Leibe ſchneiden, ſo würde aller innere 
Bufammenhbang der norbifchen Fabel fih auflöſen. Ein ſolches Wefen 
höherer Art muß Sigurds erfte und unter allen Verdunklungen unver: 
tilgbare Liebe fein, wenn der nur von ihm ausführbare Ritt durch bie 
Flamme, wenn der Gegenſatz Brynhilds zu der menichlidern Gubrun, 
wenn die Wieberbereinigung Sigurds und Brynhilds im Tode Sinn 
und Bedeutung bebalten follen. 

Die find die Hauptmomente, warum ich glaube, daß bie Nibelungen: 
fage fi in der norbifchen Därftellung ben obinifchen Mythus nicht bloß 
äußerlich angeeignet bat, ſondern innerlich mit demſelben zufammenbängt. 


533 . | . 


Fragen wir nun aber 

3) ob auch die deutſche Darftellung noch einen ſolchen urjprüng« 
lichen Bufammenbang mit demfelben Mythus ertennen laffe, jo wird 
und bie folgende Erörterung auch hier auf dasſelbe Ergebnis führen. 

Es ift unter den neueren Forſchern darüber fein Zweifel mehr, daß bie 
Abkunft der Nibelungenfage, ſoweit ſich folche verfolgen läßt, in Deutſch⸗ 
land zu ſuchen fei. Die norbifchen Quellen felbft weiſen auf deutſchen 
Urfprung Bin, wie früher in der ſtandinaviſchen Sagengeſchichte ausge: 
führt worden. Ein auswärtige Land, bald Hunaland, bald Frakland 
(Frankenland) genannt, ift das Gebiet der Völfunge, und wenn es 
auch nit an Örtlidhen Anknüpfungen an den Norben fehlt, jo drängt 
doch die Sage für ihre bebeutendften Ereignifje immer wieder nad 
dem Süden, nah Frankenland und dem Rheine hin. Die Namen 
Nibelung und Siegfried find auch geichichtlich am früheſten als fränkifche 
beurfundet. Iſt aber die Sage überhaupt aus Deutſchland nad dem 
Norden gewandert, fo tritt uns nun die früher umftänblid; begründete 
Thatſache Hinzu, dag Odin, Wodan, aud von beutichen Völkern ver- 
ehrt wurde. Der obinische Mythus hatte alſo für diefe Sage auch auf 
beutfchem Boden zum voraus nichts Fremdartiges; ja es konnte eben 
im gemeinfamen Mythus der Anlaß ihrer frühen und vollftändigen Ein: 
bürgerung im Norden zu ſuchen fen. Warum aber die heibnilchen 
Mythen in den beutfchen Lievern und Sagen überhaupt abgeichtwächt 
- und auögetilgt wurden, während fie in den norbifchen Denkmälern ſich 
ungetrübt erhielten, warum in jenen befonders Odins Erfcheinung gänz⸗ 
lich twegfiel, davon tft der Grund leicht einzufehen. Abfeits der Völker⸗ 
züge, unberührt von der Nachbarſchaft römischer Bildung, unerreicht vor: 
nehmlich von den Fortſchritten des Chriftenglaubens und allen in feinem 
Gefolge gehenden Umwandlungen der Verfaſſung und Sitte, war Stan: 
dinavien feiner eigenthümlichen Entwidlung den langen Beitraum bins 
durch überlafien, während deſſen die deutichen Völker der Neihe nad 
jenen mächtigen Einflüffen unterlagen. Sechs Jahrhunderte vergiengen 
von der Verbreitung des Chriftentbums unter ven Oftgothen bis zum 
Siege desfelben in Norwegen und Island. Was urfprünglich vielen 
Völkern germanifchen Stammes gemeinfam mar, mufte doch bei ben 
Bewohnern des Nordens ſich in feitefter und fchärffter Geitaltung aus: 
prägen. So wurden denn bie norbilchen Götter zwar auch aus Hainen 


4 
J 


934 


und Tempeln vertrieben, aber ihre Hochfige blieben ihnen in bem Ge 
biet einer höchft eigenthümlich ausgebilbeten Skaldenkunſt. Die Dichtung 
bielt dort noch Iange feft, wozu der Glaube fich nicht mehr befennen- 
durfte. Die chriſtlichen Skalden reihten fih an bie vorchriftlichen als 
Glieder einer fortlaufenden Kette und entnahmen fortwährend 'vem 
beibnifchen Mythus und der damit zufammenhängenben SHelbenfage 
Bilder, dichterifche Benennungen und Umfchreibungen. Zu dieſem Be 
bufe blieben auch die alten Lieder und Sagen in ihrem vorchriftlichen 
Weſen erhalten und ber muthmaßlihe Sammler der Götter- und 
Helvenlieber der ältern Edda am Anfang des 12ten Jahrhunderts. der 
Isländer Sämund,, war ein chriſtlicher Geiſtlicher. 

Als die erſten, einzelnen Glaubensboten nach dem Norden aus⸗ 
giengen, war die chriſtliche Kirche längſt in der eifrigſten Verehrung 
der deutſchen Volker begründet. Selbſt der kriegeriſche Sinn war kei 
biejen durch die Kämpfe mit den Belennern des Islams, mit flavifchen 
und normännifchen Heiden, zur Glaubensbegeifterung ertwacdhfen. . Eine 
zahlreiche, feit in fich verbundene Geiftlichfeit war ftet3 wachſam, Vie 
Überbleibfel heidniſcher Meinungen und. Gebräude zu rügen und au& 
zurotten. Den Beherrihern des mächtigen Frankenreichs war die Aus: 
breitung des Chriftenthbums Staatöflugheit und Eroberung; mit dem 
Schwerte befehrten fie und in der Taufe ließen fie ih huldigen. Die 
Sachſen waren das letzte deutſche Volk, welches jein Heidenthum und 
ſeine Freiheit gegen die fränkiſchen Machthaber vertheidigte; nach mehr 
als dreißigjährigem Kampf lehrte Karl fie, mie eine päbſtliche Bulle 
jagt, das. fanfte och des Heilands tragen, die wilden Herzen mit dem 
Schwerte zähmend (corda ferocia ferro perdomans). Auch diefes ge 
ſchah noch 200 Jahre eher, als die Volksverſammlung in Island (am 
Schluffe des 10ten Jahrhunderts) durch Beichluß das Chriftentbum an- 
nahm, jelbft da noch mit Borbehalt nicht Öffentlicher Verehrung der 
alten Götter (Münter ©. 541). 

Was im chriftlich bekehrten Deutjchland überall zuerft weichen 
mufte, "waren begreiflich die Namen der großen Götter. Wodan (Din), 
dem mit Thunar und Sarnote (Thor und Freyr) in der Abſchwörungs⸗ 
formel widerfagt war, durfte auch nicht mehr an der Spiße ber Helden 
lieder genannt werden. Abgewandt von den Göttern der Vorzeit, all» 
mählig berfelben vergefjend, hatte man dennoch die heimifche Helben- 


535 


ſage, dieſes uralt geiſtige Erbgut des Volles, nicht aufgegeben; man 
erhielt und hegte fie, indem man in ihr dad Menſchliche, auch für 
die neuen Verhältniſſe Gültige hervorhob und ausbilbete, ' 

Neben den Hauptgotiheiten ver alten Glaubenslehre war die Natur 
bon einer Menge untergeorbneter Elementargeifter erfüllt. Diefe find 
auch dem Chriftentbum nicht gewichen, wenn gleich der Klang ber 
Kirchengloden ihnen zuwider ift, und. noch jeßt aud in ber beutfchen 
Bollsfage nicht gänzlich untergegangen. Von den chriftlichen Be⸗ 
fehrern u. ſ. m. 1*** 

Es ergibt fi und aus dem Bisherigen einestheild, daß das Nicht⸗ 
vorhandenſein Odins und anderer Götter in der jetzigen Geſtaltung der 
deutſchen Nibelungenſage keineswegs zu der Annahme berechtige, als 
. wären fie niemals in ihr vorhanden geweſen, da ſich genügende Gründe 
ihres Verſchwindens barbieten und da denn doch unläugbar bie ‚gütter: 
loſe Erwerbung des Hortes, die Nichtbegründung des auf ihm haftenden 
Fluches eine in der norbifchen Darftellung wohl: ausgefüllte Lücke fühl 
bar machen; anderntheils, auf melde Weiſe fich gleichwohl auch in 
unfrer Nibelungenfage noch Überrefte des Mythiſchen erhalten haben. 
Davon könnten in ihr, noch meitere Spuren nachgewiefen werden, 3. B. 
bie. weifjagenben Meerweiber des Nibelungenlieves. Allein bier ift uns 
von vorzüglichem Belange, darthun zu können, daß, wenn gleid Odin 
felbft aus dem beutichen Liede verſchwunden ift, dennoch fein Mythus 
noch unverlennbar in demfelben durchſcheine. Zeugin diejed bormaligen 
mythiſchen Zufammenhangs ift und abermals die Balkyrie Brynhild. 
Sie fteht in ihrer wunderbaren Stärke und Furchtbarkeit vereinzelt und 
unerflärt, während fie, als Valkyrie betrachtet, einem größeren und 
bedeutiamen Verbande ſich einreiht. Auf ihr früheres Verhältnis zu 
Siegfried, wenn gleich ſolches in den Hintergrund getreten, ift doch noch 
bingewiejen, da er, als Gunther die Fahrt nad ihr unternehmen will, 
zum voraus von ihr zu fagen weiß und fie ihn fogleich erfennt und 
außzeichnet (Nibelungenlied 8. 1334 f. 1659. 1689 ff.). Ihr geheimer 
Anſpruch auf ihn, der Wechſel von Liebe und Haß, der dem Helben 
zum Verberben wird, erfordern eine tiefere Begründung, wie fie in den 
. nordifchen Quellen gegeben ift; gleiche Folgen laſſen auch hier auf gleich 

1 [Hier greift die Darftellung auf das in den Schriften I, 158 gefagte zurück 
und es ift der Abichnitt von S. 158 bis 162 Hier einzufügen. 8] 


536 


artigen Borgang fließen und in ber Billinenfage, welche hauptſächlich 
nad} deutſchen Überlieferungen erzählt, ift Siegfrieds erſter Veſuch bei 
Brünhild nicht vergefien, obſchon in zober und unzufammenhängenber 
Darftellung (Cap. 148. I, 36. Sagabibl. I, 212), Wenn uns bie 
Macht des Hortes ohne Götter nicht einleudhten wollte, ſo kann ums 
noch weniger bie kriegeriſche Jungfrau, von bloß Törperlicher Stärke, ohne 
die geiftige Höhe der Valkyrie, von genügender Bedeutung fein. So er 
weift fi uns, in deuticher wie in norbifcher Darftellung, die Ribelungen 
fage im innern Zufammenbange mit der odiniſchen Glaubenälehre. 


db. Hegelingenfage 


Die zu diefem Kreife gehörigen Sagen, tie fie in dem beutfchen 
Heldengebichte von Gudrun zufammengefaßt find, haben, nad) unſrer 
früheren Ausführung, ihren örtlichen Anhalt an den nieberfächfifchen 
und friefifchen Rorbjeelüften. Auch ein Frute von Dänemark tritt darin 
auf !; Frodi, Frotho aber ift in däniſcher Sage ein in das Mythiſche 
übergehender Königsname. Wirlli auch läßt fih ein Theil der Hege 
lingenfage, gewiflermaßen der Mittelpunkt derſelben, als ein gemein- 
ichaftlicher, deutfchenorbilcher, und zwar im Dbinsglauben berubenber 
Mythus nachweiſen. Im deutichen Liede läßt Hettel, König zu Hege 
lingen, durch feinen Neffen Horand Hilden, die Tochter des Königs 
Hagen von Irland, zu Schiff entführen, der beleivigte Vater eilt nad 
und es erhebt fich eine blutige Schlacht am Strande. Diejer Theil des 
Gudrunliedes ift auch in altnordiſcher Überlieferung, und zwar bier in 
offenbar urfprünglicherer Geftalt, vorhanden. In der ſtandinaviſchen 
Sagengeichichte find die verjchtebenen nordischen Darftellungen der Sage 
von Hilbur dargelegt und erörtert worden. Ich hebe hier diejenige aus, 
in- der fich die ältefte mythiſche Bedeutung am reinften erhalten hat. 
Sie findet fih in der Skala (Sn. Edd. ©. 163 ff.), zur Erklärung 
verjchiedener, diefer Sage entnommener Dichterausprüde, Die Erzählung 
der Skalda lautet fo: König Högni hatte eine Tochter u. |. m. 2 *** 

Bon den Namen Hilbur ausgehend, haben wir biefe Sage folgender: 
maßen erflärt: Die Wurzel hild u. ſ. w. 3 *** 

1 Yuch bei Saro if Frotho ILL mit Hithin zuſammengebracht. 

2 [Bgl. oben S. 278 f. 8] 

9 [DaB weitere |. oben S. 282 fi. 8.) 


537 


Ganz im Geiſte des Odinsglaubens gibt die Sage ein Bild des 
nimmer vaftenden irdiſchen Kampfes, ber, durch Odins Dienerim Hilbur 
immer neu angefacht, fortbauert bis Ragnaröl, wo der Hjabninge 
Streit im großen, allverzehrenden Weltfampfe aufgeht. 

- Diefe mythiſche Sage nun ift im beutichen Gedichte nur noch in 
wenigen Zügen zu erfennen, aber body in foldyen, welche die urſprüng⸗ 
liche oentität genugjam verbürgen, Die norbiichen Namen der Haupt« 
perjonen, Hilbur, Högnt, Hebin, Hjarrandi, entiprechen den beutichen 
Hilde, Hagen, Hettel, Horand. Auch die Berhältnifie, in denen fie zu 
einander ftehen, und der Verlauf der Ereigniffe find in der Hauptſache 
die gleichen. Hilbur ift dort Högnis Tochter, wie hier Hilde Hagens; 
ihr Freier, der fie dort ſelbſt entführt, hier entführen läßt, ift beides 
mal derfelbe, norbifch Hebin, deutſch Hettel. Unweſentlich ift die Ab- 
weichung, daß Hjarrandi nur als Hedins Vater genannt wird, während 
Horand, Hettelö Neffe, für ihn die Braut binführt. Die Nacheile des 
Vaters mit Schiffmacht und die blutige Schlacht nady der Landung ift 
beiven Darftellungen gemeinfam; der Sinn der norbilchen (mie eine 
weitere Erzählung bei Saro zeigt) if der, dat Högni und Hebin gegen. 
feitig einander töbten; in der deutfchen werden Hettel und Hagen nur 
verwundet. Hier aber verſöhnen fie ſich zulegt und von dem Erwecken 
der gefallenen Kämpfer durch Hilbur ift nur darin eine Spur geblieben, 
daß Hilda den Helden Wate, der durch ein wildes Weib zum Arzte ges 
‚worben, fußfällig erbittet, ihren Vater und bie übrigen Verwundeten 
u beilen (Gubrun 8. 2115 ff.). Ä 

Läge uns nicht die norbifche Geftalt der Sage zur Bergleihung mit 
. der deutſchen vor, fo mürben mir allervings in biefer den einftigen 
mythiſchen Beftand nicht mehr zu entbeden im Stande fein. So aber 


- find wir berechtigt, anzunehmen, baß die tiefere Bedeutung einft auch der 


deutſchen Sage nicht gefehlt habe, und es muß uns diejer Fall in ber 
Anficht beftärten, daß auch anderwärts manches Mythiſche in der älteren - 
deutihen Sagenbildung vorhanden gewefen fei, wo e3 jeßt nicht mehr 
ober nur in leiferen Spuren zu bemerken iſt. Die Hegelingenjage, wie 
fie in dem Gudrunsliede des 13ten Jahrhunderts auf uns gefommen 
ift, bat, flatt des mythiſchen, durchaus ein ritterlicyes Ausfehen ange 
nommen. Echter mochte fie noch in derjenigen Geftalt vorliegen, auf 
welche ein deutſches erzäblendes Gedicht bes 12ten Jahrhunderts, bes 


® 


58 


eo 


— — 





Pfaffen Lambrecht Alerander, anfpielt (Heldenſage 330). Aber auch fchon 
‚ein viel älteres angelſächſiſches Gedicht (ebend. 329 |.) erwähnt ber 
Heodeninge (nord. Hjabninge) und des liederkundigen Heorrenda (Hjar 
yandi), entſprechend dem berrlihen Sänger Horand unfres Gudrun⸗ 
liedes, auf den auch fonft in mittelhochbeutichen Gedichten angeipielt 
wird (ebend. 331). 

Soviel som deutſchnordiſchen Mythus in Ribelungen- und Hege 
lingenfage. Odin, den wir hier nur noch unfichtbar waltend fanden, 
wird fich und weiterhin, felbft bis zum heutigen zag, in deutſcher Boll« 
fage lebendig erweiſen. 


2, Gothiſcher oder parfiſch ˖ gothifher Aythenkreis. 


Amelungenſage!. 


Haben 2 ung nun nad) dem bisherigen erſt die perfiſchen Sagen 
von Ruſthm und Asfendiar in den Stand geſetzt, den verworrenen 
Abenteuern unfrer Wolfvietrichslieder eine beftimmte Anordnung zu 
geben, und hat fi auch im Einzelnen der Tagfahrten eine unverfenn: 
bare Ähnlichkeit auf beiden Seiten gezeigt, bat fih uns dann wieder 
erft in ber perfiichen Glaubenglehre 3 eine tiefere mythiſche Begründung 
bes in beiberlei Sagen gleichartig vorfommenden Wunderbaren ergeben 
und erweift fi uns damit perfifche Sage und perliicher Mythus über: 
haupt als eine Quelle für die Erläuterung unſres gotbifchen Fabel: 
freifes, fo müflen wir uns berechtigt finden, nun auch anderivärtigen, 
bisher noch nicht berührten Übereinftimmungen zwiſchen dem iranifchen 
Heldenbuch und der deutschen Amelungenfage ein größeres Gewicht bei: 
‚zulegen; und felbft auf folde Fälle, wo das Zufammentreffen fonft 
wohl aus einer allgemeinern, in der gleichen Entwidlungsftufe ver: 
Ichiedener Völfer natürlid) begründeten Gleichartigfett ihrer Sagen er: 
klärt werden könnte, fann nun auch die einmal nachgewiefene befondre 
Verwandtſchaft angewendet werben. 


1 [Hier verweift der Verfaffer auf die ältern Hefte. Es gehört hierher ber 
Abſchnin Schriften J, 172 „die Erklärer der Detbenfage‘ u. |. w. bis ©. 200. &.] 
2 [(Bgl. Schriften I, 201. &.] 
3 [Über die perfifche Glaubenslehre vergleiche man a namentlich auch die licht⸗ 
volle Entwidlung vor Mar Dunder in feiner Geſchichte des Alterthums IT. 
Dritte Auflage. Leipzig 1867. 8 H.)] 


539 


N 


Bedeutendere Übereinftimmungen ber beiderfeitigen Eage find na- 
mentlich noch folgende: 

1) Rai Kawus, deſſen Gefangenfchaft in Mafenveran ir erzahlt, 
hatte ſich mit einer Nichte des Schahs von Turan, Afraſiab, welche 
nad) Iran geflohen war, vermählt und mit ihr einen Sohn, Sijaweſch, 
erzeugt, welchen Ruſthm erzog. Sijatvefch wurde nachher durch die Ränke 
feiner Stiefmutter Sudabeh genöthigt, fich nach Turan zu begeben, wo er 
Afraſiabs Tochter Ferengis zur Che und zwei Länder zur Mitgift erhielt. 
Aber bald wurde der Argmohn des Schahs gegen feinen Eidam aufgeregt 
und er ließ biefen graufam ermorden. Auch gegen die ſchwangere 
Ferengis, feine Tochter, wüthete er. Da trat Biran, fein Vezier, ind 
Mittel, nahm Ferengis mit fih nad) Cothen und übergab fie feiner 
Gattin zur Pflege. Görres, Heldenbuch von ran II, 37 bis 39. *** 

Diefer Chosreiv, der bei den Hirten erwächſt, ift der Cyrus der 
griechiſchen Gefchichtfchreiber, von deſſen Kindheit. wir ähnliche Erzäh⸗ 
lungen bei Herodot (B. 1, Cap. 107, ff.) und Auftinus (3. I, Cap. 4. 5) 
finden. Der medische König Aftyages ift dur Träume und Traum: 
beutungen vor dem Kinde gewarnt worden, das feine Tochter Mandane, 
die mit dem Perfer Cambyſes vermählt ift, gebären würde. Als nun 
dieſes Kind, der Knabe Cyrus, zur Welt kommt, befiehlt ver König 
feinem vertrauten Diener Harpagus, dasfelbe zu tödten. Harpagus 
übernimmt den Auftrag; im Gedanken aber, daß nach dem Tode des 
Schon bejahrten Aftyages defien Tochter, die Mutter, in der Herrichaft 
folgen werde, ſucht er ſich dadurch vor Gefahr zu ſchützen, daß einer 
von des Altyages Leuten der Mörder werben fol. Er ſendet nach 
einem Rinderhirten des Königs, Mitradates, der im Gebirge mit einem · 
Weibe lebt, das, nach Herodots Worten „auf griechiſch Khno und auf 
mediſch Spako hieß, denn der Hund beißt bei den Medern Spaka.“ 
. Dem Hirten befiehlt Harpagus im Namen des Königs, das Kind auf 
dem Gebirg in die mwilbefte, mit wilden Thieren angefüllte Einöbe hin- 
zulegen, damit es je eber je lieber umlomme; wofern er es leben lafje, 
ſoll er jelbft des ſchmählichſten Todes fterben. Das Weib des Hirten 
‘aber, das eben von einem tobten Kind entbunden worden, bewegt ihn, 
dieſes auszufegen und ihr dafür das fehöne, lebende Kind zur Pflege 


1 [Schriften I, 180. 191. 8] 


540 


zu laſſen. So wirb Eyrus gerettet. Bon biefer Erzähluimg Herodots 
ift die bei Juſtinus in einigen Umftänden verfchieden. Der Hirte hat 
bier das königliche Kind bereits ausgeſetzt; auf Bitten feines Weibes 
aber Tehrt er in den Wald zurüd, um es ihr zu bringen. Er findet 
es daſelbſt, wie es von einer Hünbin gejäugt wird, die e8 vor wilben 
Thieren und Vögeln vertheibigt. Bon Mitleid ergriffen, trägt er bas 
Knäblein zu feinen Hürben und die Hünbin folgt ängftlih nad. Die 
Hirtenfrau ernährt nun basfelbe ſtatt des ihrigen. Es wird, nicht recht 
deutlich, hinzugeſetzt: 

Nutrici 8pacos postea nomen fuit, quia canem Perse sic vocant, 
Puer deinde, cum inter pastores esset, Cyri nomen accepit. 

Kenophon, in befien Cyropädie, nach den beſondern Zwecken bes 
Buchs, diefe Sagen zur Seite gelafien find, bemerkt doch, wie Cyrus 
frühzeitig in den Gefängen der Barbaren gefeiert worden und noch ge 
feiert werde. Auf Gefänge beruft fih auch Firbufi (am Cingang der 
21ſten Sage bei Görres, II, 40): 

So if denn "die Rede von Sijaweſch geenbet, und wir beginnen die 
andere von Keychosrem in der Weife, wie jener Sängersmann es gefungen. 

Überaus ähnlicy dieſen früheften Geichiden Chosrews, Cyrus, find 
nun. wieder die Wolſdietrichs, nach der Darftellung bei Kafpar von 
der Nöhn 1. Hier läßt Hugdietrich, König zu Konftantinopel, feinen 
vierjährigen Sohn Dietrich, der ihm als das Kind eines böſen Geiftes 
verbächtigt wird, durch Puntung (Berhtung) von Meran, den er nur 
durch Bebrohung mit feinem und feines ganzen Geſchlechtes Tode dazu 
bewegt, Nachts hinwegtragen, bamit ed im Walde getödtet werbe. 
Aber Puntung hat Mitleid mit dem Kinde, legt er an einem Wald 
brunnen nieder und beobachtet es. Da kommen wilde Schweine, Bären, 
Hirſche und eine große Schaar von Wölfen zu dem Brunnen, um 
daraus zu trinten. Die Wölfe fegen fi um das Kind und hüten_es. 
Nun ertennt Puntung, daß es nicht vom Böfen ftammen könne, und 
entfchließt fich, es zu retten. - 

Str. 43. Er ſprach: du pift genefen 
von den wolffen wunderlich, 
darumb dein nam fol wefen 
hinfur Wolfdieterich. 

1 [Bgl. Schriften I, 191. 8.) 


LG 


541 

Er übergibt es einem im Walde wohnenden Wilbener (Sjäger) und 
befien Weibe, die e8 für das ihrige ausgeben müflen. Nach ber Dar 
ftellung im gedrudten Helvenbuche wird der neugeborme Knabe, den 
feine Mutter, um ihn zu verbergen, in den Burggraben binabgelaflen, 
von einem Wolfe mweggenommen und in feine Höhle getragen, den 
ungen zur Speife. Weil aber dieſe noch klein und blind find, bleibt 
das Kind unverjehrt, bis es am andern Morgen von feinem Groß . 
vater, König Walgund, auf der Jagd gefunden wird. Wolfbietrich 
wird e8 dann getauft, weil mian es bei ven Wölfen gefunden. 

Die Übereinftimmung biefer Sage in der erftern Darftellung mit 
denen von Cyrus, Chosrew, bedarf Feiner ſpeciellern Nachweifung. Das 
Schwanken hinſichtlich des beſchirmenden Thieres zwilchen Hündin und 
Wolf gemahnt an die Spradyverwandtichaft von Wolf und Welf, Welp, 
ahd. bualf, catulus (Gramm. Ill, 329 1), 

(Vgl. noch die Sage von Odipus; auch die Ausſetzung Sals, 


| Helvdenbud von Stan I, 72, und bie mandherlei Welfenfagen. Das 


gegen bat die Erzählung von Hugbietrih und Hiltburg einigen Anklang 
in der von Sam und Saljer, Heldenbuh von Sran I, 77 Li ., den 
Eltern Rufthms.) 

Wie Chosrem nachmals den im Kampfe gefallenen Biran einbal 
famieren und herrlich beftatten läßt, Heldenbuch von Iran II, 195, 
Malcolm I, 52, bat gleichfalls Ähnlichkeit mit Wolfbietriche Benehmen 
bei ſeines Meiftera Grabe, gebr. Heldenbuch Bl. 143, Kaſpar von der 
Röhn Str. 311 ff. 

2) Die Ermordung Sijaweſchs, des Vaters von Keychosrew, bat 
eine lange Reihe blutiger Rachekriege zwiſchen Iran und Turan zur 
Folge. Zulett unterliegt Turan, der Schah Afraſiab fällt in die Hände 
Chosrews, der nun an ber Spike des iranischen Heeres ſteht, und 


diefer vollzieht felbft das Rachewerk; Helvenbud von Iran II, 232, 


(30fte Sage): 

Keychosſsrew gieng num mit feharfen Schwerte auf ihn dar, das Herz mit 
bitterem Haſſe erfüllt; und wie Afrafiab ihm aljo gerliftet zu feinem Verderben 
erblidte, da ſprach er: „Diejen leiden Tag hab' ich längſt ſchon im Traume 
gefehen, jet ift der Schleier des Geheimmiffes zerriffen, und es werde, was 
werden fol” Dann rief er mit einmal: „Berruchter! ſchenſt du dich nicht, den 


1 [Bgl. Liebrecht in Bfeiffers Germania 11, 172. 8] 


⸗ 


542 


eigenen Großvater zu bien? ſprich! womit magſt du die Unthat beſchönigen?⸗ 
Da zählte der Schah noch einmal alle feine Berbrechen von Anfang ihm auf, 
wie er zwei Häupter aus dem Königsgeihhlechte und fo viele Unſchuldige ge 
mordet, ja ſelbſt des befferen Bruders nicht gefchont; wie oft er treulos und 
bundbrüdig an Fran gehandelt und wie hart er die Iranier bebrängt; „jest 
aber naht der Lohn all deiner böfen Thaten, und dir wird, was du verdient.“ 
Da bat Afrafiab, daß er noch einmal nur die Mutter ihn ſehen Iaffe; ber 
Schah aber verweigerte ihm fein Gefuch, gieng auf ihn los und Hieb ihm mit 
dem Schwerte das Haupt ab. Kerſiwes aber [der einft Afrafiabs Todesbefehl 
an Sijaweſch vollfiredt hatte] übergab er dem Henker und dieſer hieb ihn in 
Stüde. 


(Aftyages fallt nach Herodot und Juſtinus zwar auch in die Ge— 
fangenſchaft feines Enkels Cyrus, auf den damit auch die Herrſchaft 
über Medien übergeht, aber am Leben geſchieht ihm nichts zu Leide, 
Herodot J, 130. Juſtin I, 6.) 

Jene langen Bertvandtenkriege nun und das Ende Afraſiabs bieten 

Beziehung zu einem andern Theile des Amelungenkreiſes dar, zu den 

Sagen von Dietrich von Bern und Ermenrich. Dieſer wüthet, wie 
Afraſiab, gegen ſeine nächſten Blutsverwandten, ſelbſt gegen ſeinen 
einzigen Sohn, und die älteſten ſagenhaften Meldungen von ſeinem 
Tode erinnern gleichfalls an den des Schahs von Turan. 

Jornandes (um 552) erzählt de rebus geticis Cap. 24: 

Ermanaricus, rex Gothorum, licet multarum gentium extiterit trium- 
phator, Roxolanorum [a. Rosomonorum, Rasomonorum, Rosomorum] 
gens infide, que tunc inter alias illi famulatum exhibebat, tali eum 
nanciscitur occasione deciperee Dum enim quandam mulierem Sanielh 
ſa. Sonilda, Suanibildam, Sunihil] nomine, ex gente memorata, pro 
mariti fraudulento discessu, rex furore commotus, equis ferocibus illi- 
gatam, ineitatisque cursibus, per diversa divelli precepisset, fratres ejus 
Sarus et Ammius german obitum. vindicantes, Ermanarici latus ferro 
petierunt, quo vulnere saucius, segram vitam corporis imbecillitate con- 
traxit. 


Um dann aber dieſes Sagenhafte mit den geſchichtlichen Nachrichten 
vom Tode des gothiſchen Ermanariks einigermaßen auszugleichen, wonach 
derſelbe, verzweifelnd, den gewaltigen Einbruch der Hunnen aufzuhalten, 


1 [Bgl. Schriften 1, 118. 4.) 


543 


ſich jelbft den Tod gab (zufolge des gleichzeitigen Ammianus Mar: 
cellinus, rer. gest. B. 31, Cap. 3), fagt Iornandes weiter: 

Ermanaricas tsm vulneris dolorem, quam etism incursiones Hunno- 
rum, non ferens, grandevus et plenus dierum, centesimo decimo ‚anno 
vite su@ defunctus est. (RW. Grimm, Helden‘. 1 f.) 

In den Hauptzligen nun, wenn aud nicht allem Einzelnen, ſtimmt 
die Sage bei Sornandes mit der vorangeführten Darftellung der Edda⸗ 
lieder, wonach Sörli und Hamdir (Sarus et Ammius) dem Jörmunrek 
Hände und Füße abhieben, meil er ihre Schweſter Swanhild von ben 
Pferden hatte zertreten laſſen. Hiemit trifft auch die Erzählung Sarxos, . 
Hist. Dan. 8. VII, ©. 242 f. ! vom Tode feines Dänenkönigs Jar⸗ 
mericug ? zufammen. Daß aber diefe Sage auch in Deutichland gang- 
bar war, zeigen bie Erwähnungen berjelben in Chroniken des Mittel: 
alters. Im Chronicon Quedlinburgense aus dem Ende des 10ten und 
Anfang bes 11ten Jahrhunderts (Zeibnig, Seript. rer. Brunsv. II, 237) 
wird gemeldet: 

Ermanarici regis Gothorum ‚a fratribus Hernido et Serila et Adaocro 
quorum patrem interfecerat, amputatis manibus et pedibus, ut dignus 
erat, occisio. (Heldenſ. 32.) | 

(Hier alfo würde, wenn nicht patrem irrige Lesart ift für sororem, 
Baterrache geübt, wie beim Tode Afrafiabs.) 

Auch das Chronicon Urspergense, vom Anfang des 12ten Jahr⸗ 
bunberts, fegt bei Erwähnung von Ermenrichs Tode durch die Brüder 
Sarus und Ammius, nad) Jornandes, hinzu: 

Qui vulgariter [d. 5. im deutjcher Bollsjage] Sarelo et Hamidiecus di- 
euntur. 

Die Villinafaga Cap. 374 fchließt Ermenrichs Laufbahn mit einer 
furchtbaren Krankheit, in welcher er halb todt hinſchmachtet, nachdem 
man ihm zu feiner Heilung vergeblich den Leib aufgeichnitten hatte 
(Helbenjage 188), und das deutſche Gewicht von Dietrichs Ylucht enthält 
"bloße Andeutungen von einem ſchrecklichen Tode Ermenrichs, wodurqh 
Gott deſſen Unthaten gerächt habe. 

Bei aller Verſchiedenheit in den manigfachen uberlieferungen 
kommen nun doch die perſiſche und germaniſche Sage in größeren Zügen 

1 Bgl. Saxo 112, 2. 114, 1. 107, 2. 

‚3 (Bgl. Schriften I, 306. K.] 


544 


überein: Afrafiab ift, wie Ermenrich, der treulofe Anftifter ber Langen, 
verberblichen Kriege, er hat feine nächften Bertvandbten, namentlich feinen 
Eidam Sijaweſch, gegen ben er Argwohn gefaßt Hatte, ermorbet und 
gegen deſſen Gattin, feine eigene Tochter Ferengis, geivüthet, wie auch 
Ermenrih an feinen Blutsfreunden und, nad Sornandes, an dem 
Weibe Sanielb pro mariti fraudulento discessu feine Wuth ausließ; 
beive Wüthriche erreicht zuleht die Rache dur das Schwert von An 
gehörigen der Ermorbeten; Kerfitves, der einft Afrafiabs blutige Be 
fehle vollgogen, wird in Stüde zerhauen, wie in ber gothifchen Sage 
Ermenrich jelbft. 

3) Wie Afrafiabs und. Grmenrihs Ende fi} gleicht, fo verfchwin 
den auch ihre Gegner, Chosrew und Dietrich von Bern, auf ahnlich 
Weiſe aus der Welt. 

Keychosrew, der ſeinem Großvater Key Cawus im Reiche von Jran 
gefolgt war und eine ruhmvolle, weitverbreitete Herrſchaft begründet 
hatte, verfiel im ſechzigſten Jahre feiner Regierung (Malcolm I, 54; er 
lebte 90 Jahre) in grübelnden Tieffinn. Es fam die Furcht über ihn, 
er könnte, da er mutterhalb von turanifchem Geſchlecht ſtamme, dem 
verruchten Afrafiab gleich werden und- Unheil verüben auf Erden. Er 
lag in eifrigem Gebete vor Gott und im Traum verlünbigte ihm Seruſch, 
ber mächtige geb, unter deſſen Obhut die Erde fteht, daß feines Bleibens 
nicht länger bienieben fein ſolle. „O Schab, ſprach er, haft bu aus 
dieſer Welt verlangt, dein Verlangen ift erhört; du follft nicht länger 
weilen in ber Finfternis.” Keychosrew beitellte nun fein Reich, be 
ſchenkte feine Getreuen und nahm Abfchied von allen. Dann gieng er 
nach dem Gebirge. Vgl Heldenbuc von Iran II, 243 f. 31ſte Sage 
(die Sage von der Verſchwindung Key Chosrews): 

Der Schah aber Hub fi von dannen, und gieng am Gebirge hinauf bis 
zu feiner Höge; mit ihm waren, die Großen, Ruſthm und Sal und Kuders 
und Giw, Becher, Kuſthehem, Ferbers und Thus, und fie verweilten mit ihm 
alle zufanmen eine Woche auf dem Berge. Biel Volks Tief zu; mehr als hun⸗ 
berttaufend, Männer und Weiber, kamen aus Fran weinend zu ihm, das ganze 
Gebirge war vol Wehllage: „Was ifl bir, o Schah, doch begegnet? wir wollen 
ja Erbe fein deinem Pferde u. |. w- Ale wollen wir im Feuerhauſe ohme 
Unterlaß beten zu Gott, daß er dich uns wiederſchenkt.“ Der Fürft ſprach: 
„Barum wollt ihr weinen, baß mir Heil wiberfährt? über das Gute fol man 
nicht trauen; feid freudig vielmehr, nnd dankt Alle Gott, daß er meine Ditte 


545 


’ 


erhört! Jetzt aber kehrt wieder zur Heimatht denn lang iſt der Weg, ohne 
Waſſer und Baum, nicht gangbar fo vielem Bolle.” Sie thaten mit ſchwerem 
Herzen,. wie er geboten; auch Deſthan, Ruſthm und Kuders kehrten zurüd, 
aber Thus, Giw, Kerlin, Peſchen, Ferbers wollten ihm nicht verlaffen und 
zogen mit ihm hinaus in die Wüfte, 

Einen Tag und eine Nacht giengen fie fort, dann lagerten fie fich bei einer 
Duelle und aßen und legten dann fich nieder zur Ruhe. Er ſprach dann zu 
ihnen: „Heute Nacht wird's enden; forſcht nicht viel nach mir, und fuchet nicht! 
denn ihr werbet mich nicht wiederfinden, der Morgen wird mir die Beit des 
Scheidens fein.” In der Naht wuſch er Körper und Haupt in ber Quelle. 
Dann fagte er den Begleitern ein emiges Lebewohl, dann ſprach er: „Laßt euch 
rathen und fehrt nad meinem Hingang eilig zurlid aus dieſem Sande! wollet 
nicht bleiben, und wenn es Moſchus aus den Wollerr regnete! denn ein heftiger 
Wind wird vom Gebirge herabbraufen, daß die Bäume vor ihm flürzen, und 
Schnee wird Alles bebeden, aljo, daß, ihr den Weg nicht mehr findet.” Wie 
bie Sonne aufgieng, da wurde er den Augen der Edlen unſichtbar. Sie giengen 
hinaus in die Wiüfte, ihn zu fuchen, und forſchten nad) ihm auf allen Wegen, 
aber fie fanden ihn nicht. Wie Sinnlofe und mit weinenden Augen kamen fie 

wieder zur Quelle zurüd. Sie faßen dort in großer Trauer; da ſchlug Ferbers 
vor, noch eine Weile dort zu. ruhen und fich mit Speife zu flärken, und fie 
fprahen von dem Unerhörten, was fie gejehen, daft lebendig einer zu Gott ge- 
gangen. Sie führten dariiber mancherlei Reden und aßen dann und fchliefen. 
Da Hub fid ein gewaltiger Sturm und es fiel ein dichtes Schneegeflöber und 
bededte die Erde weit umher alfb hoch, daß die Lanzenfchafte der Edlen nicht 
mehr fichtbar waren; fie blieben, man weiß nicht wie, unter den Schnee. Eine 
Weile arbeiteten fie, um wieder Luft zu gewinnen, und gruben unter der Dede, . 
am Ende entgieng ihnen die Kraft und fie gaben den Geiſt auf. Drei Tage 
aber waren Sal und Ruſthm und Kuders im Gebirge gegangen; da aber jene 
nicht wiederlehrten, da beichloffen fie umzufehren und auf allen Wegen nad 
ihnen fuchen zu laffen. Sie giengen darum hinaus in die Wüfte und forfchten 
auf allen Pfaden und Wegen; endlich fanden fie die Helden erftorben unter dem 
Schnee, und Thränen ſtürzten aus den Augen Aller, denen der betrübte Anblid 
zu Theil wurde. Und fie beftatteten die Todten und errichteten ihnen ein Dial. 

Malcolm (History. of Persia I, 54, 2) bemeaft !: 

Einige Schriftfieller behaupten, Kai Chosrew fei nicht tobt, fondern ver- 
borgen, und die Tradition erhebe ihn zum Rang eines Propheten, der wieder 
erjcheinen werde, 

1 Malcolm 1.c.: Kei Khoosroo lived ninety years, and reigned sixty. 
He was a prince of the highest qualities, and his name is still cherished 

Ubland, Sriften. VII. 35 


546 


Bom Ende Dietrich? von Bern gibt es verfchiedene Sagen 1. Sie 
werden uns fpäter in andrer Berbinbung beichäftigen. Hier bebe ih 
nur diejenige aus, welche fi) der eben angeführten von Chosrew am 
meiften nähert. Sie fteht 'm profaifhen Anhang unfres gebrudten 
Heldenbuchs [S. 11, 18 meiner Ausg. K.]. Ein großer Streit gefchieht 
vor Bern, darin alle Helden, die in der Welt find, erſchlagen werden, 
ausgenommen Dietrich von Bern: 

Do kam ein Meiner zwerg und ſprache zuo im: „Berner, Berner, du folt 
mit mir gan.” Do ſprach der Berner: „Wo fol id Hin gan ?“ Do fprad der 
zwerg: „Du folt mit mir gan; dyn reich iſt mit me in difer welt.“ Alſo gieng 
ber Berner hyn wege und weyſz nyemant wo er fummen if; ob er noch in 
leben oder todt ſy, weyſz nyemant warlichen da von zuo reden. 

Die deutfche Überlieferung ift freilih nur ein balbverjchollener 
Klang gegenüber der auögeführten perfiichen Erzählung, und ftatt Se 
ruſchs, des mächtigen Schußgeiftd der Erbe, ift hier in der Weiſe des 
fpätern deutſchen Mythus ein Meiner Ziverg der Abrufende. Aber das 
Verſchwinden des Helden im Gebirge (denn darauf deutet auch in ber 
deutfchen Sage der Zwerg oder Bergelfe, vgl. Etzels Hofhaltung Str. 
132, Dietrich Drachenkämpfe in der wüſten Numeney 2), den Unter 
gang feiner Genofjen auf der Helvenbahn und die Möglichkeit, daß 
er noch am’ Xeben fei, finden wir auf beiden Seiten gleichmäßig. 

4) In den Kriegen zwifchen Iran und Turan fommt es wieber 
bolt vor, daß die auserlejenften Helden auf beiden Seiten, barunter 
die Heerführer felbit, in ber Eilfs ober Zwölfzahl einander zum Einzel: 
fampfe ausforbern und fo das Geſchick des Heerzugs entfchieden wird. 
(Heldenbudy von ran II, 185 bis 190. 176 ff. 28fte Sage: „Der Kampf 
ber zwölf Reden.) Görres vergleicht dieß mit den Zwölfkämpfen 
Dietrih8 und feiner Reden in den deutſchen Rojengartenliedern (ebend. 
I, CLXXV. CCXVI. CCXXXVI Auch ein gewalttbätiger Ferge 
II, 55; vgl. 57, 2. I, CCXVIL f.). Wir laffen dieſe und andre ent 


by his countrymen. Some authors [Zeenut-ul-Tuarikh] state, that he is 
not dead, but concealed [ghaib is the persian phrase, and is applied to such 
of their prophets as they believe are not dead, but will reappear]; and the 
tradition elevates this monarch into Ihe rank of u prophet. 

1 (Bol. Schriften I, 203. 8.) 

2 [Bgl. Schriften I, 181. 206. 8] 


547 


ferntere Beziehungen auf ſich beruhen und fafien aus der Geſchichte 
jener Kriege nur noch den einen Kampf Ruſthins mit feinem unerlannten 
Sohne Sehrab auf. Sehrab war von Ruſthm in Zuran mit ber 
Tochter eines dortigen Fürſten erzeugt. Er hatte bis in fein Jünglings⸗ 
alter feinen Vater noch nie gefehen. Da vernahm er, daß der Held 
in die Ungnade bes Schah Cawus gefallen tvar. In der Abficht, dem 
Bater nützlich zu fein, in freudiger Hoffnung, ihn nun zum erftenmale 
zu fehen, ftellte fi) Sehrab an die Spike eines turanifchen Heeres, das 
ihm Afrafiab gerne gab, und brad in Iran ein. Key Cawus ftand 
ihm mit dem feinigen gegenüber. Die Erzählung Ferduſis beginnt mit 
folgender Einleitung: Heldenbuch von Iran, I, 225 ff. 18te Sage: 
Die Sage vom Kampfe Ruſthms mit feinem Sohne Sehrab. „Sekt 
laßt uns bören” u. f. w.*** Dann’ S. 251: „Sehrab aber gieng 
heraus“ u. |. w. (mit einigen Auslafiungen) bis 262: „mögliche 
. Dinge”. *** Zuletzt noch die Klage der Mutter, S. 269: „Human 
eilte” u. |. m. bis 271, zu Ende. *** 

In deuticher Heldenbichtung treffen wir ſchon am Schlufie des 
Sten Jahrhunderts auf das fragmentarifche Lieb von Hildebrand und 
Habubrand in Stabreimen. 2 *** 

Ziwifchenein tritt bier das Gebicht von Biterolf und feinem Sohne 
Dietleib, aus dem 13ten Jahrhundert. 9 *** 

Endlich ift der Kampf Hildebrands mit feinem Sohne 4 als Volkslied 
noch auf fliegenden Drudblättern des 16ten und felbft des 17ten Jahr 
bunbert3 im Umlauf geweſen. Es lautet (Grimm, Hilvebr. ©. 53): *** 

Hildebrand, der mit feinem Herrn zu den Hunnen in’s Elend gegangen, 
will, nachdem endlich bie Stürme fi) verzogen, zu Lande, d. h. heim, nad 
Bern, reiten, wo er feine rau, Uten, zuriidgelaffen. 


Die durchlaufende Ähnlichkeit der verſchiedenen Darftellungen auf 
perfifcher und deutſcher Seite ift in die Augen fallend. 5 *** 


1 [Die Darftellung diefer Sage fällt zum Theil wörtlich zuſammen mit ber 
in ®. I, 164 f. gegebenen, weshalb ich hier Lürze K.) 2 
2 (u. ſ. w. Bol Schriften I, 167. Grimm, Hineor, © 7 ſ. x. 
I [Schriften I, 167. 48. 8] 
4 (Schriften I, 168. 8.) - 
5 [Weitere Ausführung wie in den Schriften I, 168 fi. 8] 


548 


Für ! die bisher bargelegte Übereinftimmung der perfifchen Helen - 
ſage mit dem gothifhen Beitanbtheile der deutſchen, dem Amelungen- 
reife, läßt fich eine dreifache Weife der Erflärung denken. Diefe Über 
einſtimmung könnte vorerft in dem allgemeinen Typus ber menfchlichen 
Natur, der fi) im Epos aller Völfer bis zu einem gewiſſen Grade 
gleihmäßig ausprägt, ihre Erflärung finden; fie könnte zweitens aus 
einer äußern, mündlichen oder fchriftlihen Entlehnung, mittelft welcher 
das eine Volk ſich die Sage des andern angeeignet hätte, hervorge 
gangen fein; würde aber Feine diefer beiden Erllärungsarten ausreichend 
erfunden, fo mülte drittens die alte Stammverwandtfchaft, eine vor 
geichichtlihe Mythen- und Sagengemeinfchaft der beiven Völlker ala 
Grund der Übereinftimmung angenommen erben. 

Es iſt nun in erfter Hinficht nicht zu beffreiten, daß unter den 
ausgehobenen Ahnlichfeiten folde Situationen vorkommen, welche m 
ben einfachern Berhältniffen des alten Bollslebend beruhen und überall 
twieberlehren können, wo unter ben gleichen Bedingungen bes gefelligen 
Bildungsftandes die Menſchen in Haß und Liebe zmfammentrefien. 
Dahin mag vor Allem der Kampf des Vaters mit dem Sohne zu rechnen 
fein. Er wiederholt fi) noch mehrfadh in andern Sagen und Sagen: 
kreiſen. In der nordiſchen Sagengefchichte haben wir die entſprechende 
Scene aus der norwegiichen Saga von An, dem Bogenfchügen?, an 
geführt. Aber auch außerhalb des germaniſchen Spracdhftammes, bei 
dem ſlaviſchen und dem Teltifchen findet fich diefer Kampf, felbft in ein 
zelnen Umftänden zutreffend. 

Beim erftern, im ruſſiſchen Heldenliede: Fürſt Wladimir und deffen Tafel 
runde. Alt-Ruffifche Heldenlieder. Leipzig 1818. ©. T5 fl. Bom Kampfe 
Iljais von Murom mit feinem Sohne. 

Gäliſch in Difians Gedichten, von Ahlwardt, B. III. Leipzig 1811. 
©. 29 bis 38. (In dem Liede Kanthon.) 

Iriſch in: Reliques of irish Poetry n. |. w. by Miss Brooke. Dublin 
1789. & (Conloch; The lamentation of Cucullen S. 3 ff. 9 ff. in eng 
liſcher Überjegung; ©. 265 ff. 269 ff. die irifchen Originale.) Po6sies de Marie 
_de France u. ſ. w. 8. I, ©. 358 fi. Lai de Milon, Kampf des Baters mit 

dem Sohne [überjegt von W. Her, Marie de France ©. 161. 8]. 


1 [Bgl. Schriften I, 170. 8.] 
2 [Bgl. oben ©. 197 f. Schriften I, 165 k. 8.) 


549 


Wir fehen davon ab, daß auch in Beziehung auf diefe Vollzftämme 
- "eine uralte Sagengemeinfchaft nicht undenfhar wäre und daß die ruffiichen 
Sagenliever ſich wirklich Manches aus den deutjchen angeeignet zu haben 
fcheinen, wir räumen in diefem Falle die Möglichkeit einer freien Er 
zeugung der gleichartigen Sage bei verichiebenen Völkern volllommen ein, 
Aber diefe Möglichkeit kann uns nicht für ſolche Fälle einleuchten, wo 
die Berhältniffe vermwidelter, wo die einzelnen Situationen nur aus 
einem größeren Zufammenhange verftänblich find.1 So trafen wir es 
bei den Wolfdietrichsliedern, deren einzelne, den perfifchen "Ähnliche 
Abenteuer auch nur in den größeren Verbindungen bes perſiſchen Mythus 
und Epos Anordnung und Bedeutung, felbft nur in ber afiatifchen 
Natur klimatiſchen Anhalt fanden. War aber biemit einmal die bes 
- fondre Berwanbtichaft in größeren Zügen dargethan, fo wurde dieſe 
allerdings auch für foldye Ähnlichkeiten wahrjcheinlicher, die fich fonft 
wohl aus dem allgemeinern Sagentypus hätten erflären laſſen. Es darf 
und auch biebei nicht irre machen, wenn das Ähnliche doch wieber ſehr 
verſchieden zugetheilt und dem Ganzen eingeorbnet ift, wenn bie Thaten 
und Geſchicke Wolfdietrichs bald denen Key. Chosrews, bald Ruſthms 
und Asfendiars entiprechen, wenn umgelehrt Chosrem zu ben ver 
ſchiedenen Dietrichen der deutſchen Sage, Ruſthm bald zu MWolfbietrich, 
bald zum alten Hildebrand Beziehung darbietet. Schah und Pehlvan 
des Orients, König und Meifter der deutichen Lieber, muſten nach der 
Berfchiedenheit der nationalen Sitten ihre Stellen manigfach vertaufchen. 
Ruſthm und Asfendiar felbft find, mie fchon früher bemerkt wurde, für 
bie Fahrt der fieben Tagreifen fagenhaft identiſch und fo werben mir 
auch in Dietrich von Bern den wiedergebornen Wolfvietrich erkennen. 
immer aber bleiben die Grunbverhältnifje die nemlichen, der Kampf 
des Lichthelden gegen die Mächte der Yinfternis, das Rettungswerk, 
wodurch er die Kinder des Lichtreichd aus der Haft der finftern Ge 
walten erlöit. | 

Gerade ‘diefe Freiheit der. gegenfeitigen Sagengeftaltung ift es nun 
auch, was zweitens eine eigentliche Entlehnung der einen Sage aus 
der andern nicht annehmbar macht. Zwar wenn mir auf das Wolf: 
dietrichslied zurückgehen, bei dem unfre Unterfuchung begonnen, fo fcheint 


ı [Schriften 1, 172. 8.] 


550 
diefes fellft auf eine äußere, und zwar im Wege des Schriftverkehr vor 
gegangene Aneignung hinzuweiſen. Am Eingang ber Gebichte von 
Hug: und MWolfvietrih, worin überhaupt öfters des „Buchs“ erwähnt 
wird, ſteht eine ausführliche Nachricht zur Geichichte diefes Werks, melde 
jeboch in den verſchiedenen Handichriften etwas abweichend lautet. Sm 
dem Klofter zu Tagemunt (Tagemunden, Dageminde) fei ein Bud 
gefunden worden, dad manches Jahr dort gelegen. Nachher fei es, 
auf durch Baierland, dem Biſchof von Einftet (alter Druck: Eyftet) 
gefandt worden, der fih bis zu feinem Tobe daran vergnügt. Wenn - 
er verbroffen gewejen, habe er fich die Weile mit den feltfamen Wundern 
verkürzt, die in dem Buche geſchrieben waren. Nach feinem Tode habe 
ed fein Capellan gelefen und dann an feinen Arm genommen und in 
das Frauenkloſter zu fante Walpurg zu Einftat (Einftette) getragen. 
Mertent von dem buch[e], wie e8 ſich zerbreittet bat u. ſ. w. 
Die AÄbtiſſin fand gleichfalls großes Gefallen an bem Buche: 
Si fattz fir ſich zwen meifter 
“Do [die] Iert fit eg durch ein hubſchait, 
Die fundent difen don darzuo, 
Sie brohtten ez in die Kriftenheit 
ſa. Daz fie daran fundent geſchriben 
Daz brahten ſü in die criftenheit] 
Nahe und ferne 
Zuoren fü in die land, 
Si fungenz und feitenz, 
Da von wart ez belant. 
fa. Do von wart dis buoch befant] u. f. w. 
(H. v. d. Hagen, Grundriß S. 8 f£ Grimm, Heldenſ. 228 f.) 
Mas nun diefe Angaben im Einzelnen betrifft, fo iſt zuvörderſt 
das Klofter Tagemunt (Tagemunden, Dageminde), wo das Buch zuerft 
aufgefunden und von wo es nach Baiern herauf gebracht worben, nod) 
nicht auögemittelt. Der Biſchof zu Einftett (Eyftet), der nun das Bud) 
erhält, ift offenbar der von Eichſtädt, mo auch ein befanntes Frauen: 
Hofter, der h. Walburg geweibt, fich befand. Die Äbtiffin-diefes Klofters 
lehrt dann das Buch die beiden Meifter des Gejanges, fie jagt es ihnen 
vor, teil fie entweber des Leſens überhaupt, ober body des Lateins, 
- wenn das Buch in foldhem geichrieben angenommen wird, unkundig 


% 


4 


} 


351 


waren; und fie finden nun „biefen Ton“ dazu, bringen es in die epiſche 
Geſangsweiſe und verbreiten es ſo mit Singen und Sagen in die Lande. 


Bas an dieſen Angaben Wahres ſei, wird Niemand beſtimmen 


können. Es iſt an ſich wohl möglich, daß bie ſchon aufgezeichnete Sage 
aus der Schrift wieder in den Geſang übergegangen. Aber wenn nicht 
angenommen wird, daß die Umſetzung des Buchs in die Geſangsweiſe 
auch gleich wieder nicbergefchrieben morben, wovon nichts erwähnt tft, 
jo wäre, was auf und gelommen, doch nur die enbliche Aufzeichnung 
ber durch die wandernden Eänger verbreiteten Überlieferung und fomit 
die Nachricht von der Sagengliclle ſelbſt eine fagenbafte. 
Was uns die Annahme nicht geftattet, daß etwa ein perfiiches 
Gericht aus dem Drient nach dem Abenblanvde mitgebracht und bier 
in Latein übertragen worden, aus welchem lateinischen Buche dann die 
deutichen Sänger den Stoff ihrer Lieder von Wolfdietrich empfangen 
und nun diefe Fabel in Deutfchland befannt gemacht haben, das ift 
die frühzeitige Verbreitung, gefchichtliche und örtliche Anknüpfung, die 
lebendige volksmäßige. Ausbildung diefer Sagen im deutſchen Epos. 
Das alte Hildebranvslied vom Schluſſe des Sten Jahrhunderts ſetzt be 
reits einen größern Zufammenbang der Amelungenfage voraus, es fteht 
-am Ende der Sagenreihe, an beren Spitze der mythiſche Wolfpietrich 
zu feßen ift, und die nocd Altern angeljächfifchen Gedichte, vielleicht 


fhon aus dem ten Sahrhundert, bezeichnen in ihren Anfpielungen. 


gleichfalls fchon einen ſolchen ausgebildeten Zuſammenhang der gothifchen 
Eage. Und wie follte eine Überfegung aus dem Perfifchen zu ben 
gothiſchen Namen und Geſchichten gelommen, wie ein jo mechaniſch Er⸗ 
borgtes in die freieſte Triebkraft der deutſchen Sagenpoeſie übergegangen 
ſein? Umgekehrt aber eine Einwirkung germaniſcher Sagendichtung auf 
die perſiſche anzunehmen!, würde allem ſonſt bekannten hiſtoriſchen 
Bildungsgange widerſtreben; und wenn gleich Firduſis Heldenbuch um 
zwei Jahrhunderte jünger iſt, als unſer deutſches Hildebrandslied, ſo 
hat er ja ſein Werk aus ältern Königebüdern und Überlieferungen 
bearbeitet. 

So bleibt uns wirflih nur die dritte Erllärungsweile übrig. Auf 
beiden Seiten verliert ſich der Urfprung der Sage in unbeftimmte Ferne. 


3 [Schriften I, 170. 4.)] ’ ' 


— 


- 392 

Nur in dieſer Beitenferne, nur in einem uralten gemeinfamen Mythen 
und Sagenbeftante, nicht in dem Abbrud eines ſchon ausgeprägten per 
fiichen Epo3 in dem germanifchen over umgelehrt, kann ber geſchichtliche 
Grund der Übereinftimmung zwar nicht urkundlich nachgeiviefen, aber 
mit gutem Fug erichloffen werden. Was wir vorangeltellt,. daß die 
Verwandtſchaft der Sprachen zum voraus auch die der Sagen glaublid 
mache, hat ih und im Berfolge der Unterfuhung beftätigt.- So wenig 
wir aber bis dahin vorbringen können, wo ſich die Spracdäfte ge 
fpalten, fo wenig bis zur einftigen Ungefchievenheit der Eagen. 

Über die Entwicklung der Amelungenfage felbft nun aus ihrem 
frühern mythiſchen Charalter ift noch Einiges anzufügen. Wie fih uns 
"die perfiiche Heldenſage einestheild mehr mythiſch⸗ſymboliſch in ben 
Kämpfen der Lichthelden mit den Ausgeburten Ahrmans, anderntheils 
mehr epifch-hiftorifch in den’ Kriegen Irans und Turand erwies, und 
wir jenen eritern Charakter als den ältern, vorbildlichen erfannt haben, 
jo wiederholt fi uns dasfelbe in der gotbiihen Sage. Die Haupt 
gedichte diefer Kreife, die von Wolfdietrich, Rother und Dietrich von 
Bern, find in den Grundzügen einerlei.1 Alle die brei Helden kämpfen 
und dulden für die Rettung ihrer gefangenen Dienfimannen. Wolf 
dietrih aber muß noch Draden befämpfen und Zauber mancher Art 
überwinden, das Wunderbare ift in feinen Abenteuern vorberrichend, 
er fteht als mythiſcher Held obenan. Auch das Verhältnis des Königs 
- zu ben eilf Dienftmannen, die gegenfeitige, Alles opfernde Treue und 
der endliche Sieg berjelben, tritt hier noch in einem vollkommen abge 
sundeten Bilde voll echter, ftarfer, inniglebendiger Züge hervor. Durch 
all die bunten Verwicklungen, die jih im Laufe der Zeiten angefekt 
haben, ericheint doch immer das einfachgroße Grundbilb, der Blick bleibt 
auf das Biel geheftet und das Nebenwerk ift leicht abzulöjen. Rother 
ftebt zu feinen zwölf gefangenen Boten, wie Wolfvietrich zu feinen 
Dienftimannen. Er nennt fi) jogar Dietrich; dem getreuen Berchtung, 
dem Meifter Wolfdietrichs, entipriht jchon in ber. Wurzelfilbe des 
Wortes der alte Berther des Rothersliedes, ein Name, der auch einem 
von Wolfdietrichs Dienftmannen, einem ver Söhne Berchtungs, ange 
hört. Berchtung und Berchter find beide Herten von Meran. ? Eigen, 

1 [Schriften I, 201. K.) . . 

2 [Söriften I, 244. 8) 


Sn 


553 


thümlich ſind die drei Harfenſchläge, wodurch Rother ſich den Seinigen 
zu erlennen gibt. Urſprünglicher jedoch und hauptſächlicher beſteht im 
. Wolfbietri jener Treuebund, während im Rothersliede die Braut⸗ 
werbung ſich einbrängt, zu der Berchters Eöhne nur die Boten find. 
Drachenkämpfe dagegen und Zaubereien find bier weggefallen. Ein 
wiebergeborner Wolfdietrich ift nun auch Dietrich von Bern; er iſt es 
in demjenigen Theile feiner Geichichten, in welchen noch die unvermiſchte 
Amelungenfage beraustritt, wie er, um feine fieben gefangenen Mannen 
zu retten, von Land und Herrfchaft weicht. An ber Spike diefer Sieben 
ſteht Berchtram von Pola,1 der al feinen Schat dem Gebieter hingeben 
will, in Namen. und Wefen identifch mit Berchtung und Berther. 
Auch von Dietrich von Bern werden zwar Drachenkämpfe erzählt und 
in der Willinenfage (Heldenſ. 236), wie in einer bänifchen Ballade 
nom Lindwurmlampfe werden ihm Thaten zugefchrieben, die fonft dem 
Wolfdietrich angehören; jene mythiſchen Kämpfe find aber, bezeichnend, 
daß fie einer ältern Geftaltung der Dietrichsfage angehören, in bes 
Berners frübe Jugend binaufgerüdt und aus dem Verhältnis zu feinen 
Dienftmannen gänzlid hinausgeſchoben. In diefem bat das Menid- 
liche?, die epische Charakteriftif über das Wunderbare, die mythiſche 
Symbolil, gefiegt. Ahrmann und feine Diwes wandeln nicht mehr in 
Schlangengeftalt, ſondern treten in menſchlicher Tüde zu Tag, mie ja 
in der perfiichen Sage felbft der turanifche Afrafiab und feine Genofjen 
an: ihre Stelle getreten find. Welche Schwierigfeiten die Beziehung 
des geichichtlihen Ermanarich auf den Ermenrich der Heldenfage habe, 
wenn fie gleich fchon von Jornandes gemacht wird, ift früher erwähnt . 
worden. Aber ein mythiſcher Anklang macht ſich hörbar, wenn ich auch, 
da mir die etymologifche Geltung der Hauptfilbe im perfiichen Ahrman 
nicht befannt ift, nichts weiter daraus beweifen Tann. (Die gothiiche 
Form von Ermentich wäre Afrmanareiks; vgl. Grimm Gramm. |], 
43 f. 3). ** 

Für unjre Anſicht, nad) welcher die Wolfbietrichöfage vermöge 
ihres mythiſchen Charakters an die Spitze der Amelungenfage zu ftellen 
ift, die Sagen von Dietrich von Bern aber als epiſche Entwicklung jener 

1 [Schriften I, 98 f. 804. 8.] Ä 

2 [Bgl. Echriften I, 201 f. 8.] 
3 [Weitere Ausführung ſ. Schriften I, 202. 8.] 


554 


zu betrachten find, zeugen auch bie gefchichtlichen und örtlichen Durch 
gänge. Die Wolfvietrichälieber fpielen noch hauptſächlich in Konſtanti⸗ 
nopel, Griechenland, dem Küftenlande Meran, obgleich) auch fie ſchon 
durch Dinit an Stalien angenüpft werden; das Rotherslied theilt 
fi) zwifchen Stalin und Konftantinopel; in den Geſchichten Dietrich 
von Bern aber bat fich die Sage ganz und gar nad Oberitalien 
gezogen, tie der gothiſche Volksſtamm felbjit immermehr vom Diten 
beranlam. | | 

Auf Dietrid von Bern haben fi die alten gotbifchen fiber 
lieferungen herabgeſenkt, in feinem Kreife haben fie epifche Entfaltung . 
und ausgebildete Charakteriftif gewonnen, dur ihn find fie mit den 
Etammfagen andrer Völker in Verbindung getreten. 

Solche Sagenverbindungen konnten auch wirklich erft in größeren 
Umfang vollzogen werben, nachdem die mythiſchen Elemente bereits mehr 
in ben Hintergrund, getreten tvaren. Der odiniſche und ber parſiſch⸗ 
gothifche Mythus ftehen auch wirklich (einiger Beziehungen uneradhtet, 
weldye die Siegfriedsſage zur perfiichen geftattet) fo weit auseinander, 
daß ich zwifchen ihnen Feine ungezwungene Bermittlung, feine ein 
leuchtende gemeinfame Grundlage anzugeben wüſte. Wenn es aber 
» auch möglich wäre, eine foldhe aufzufinden, fo war doch jebenfalls die 
Einwirkung der beiderfeitigen Blaubenslehren auf die Region der Helden 
fage überaus verſchieden. Im perfiichen Heldenweſen fegt ſich aus dem 
religiöfen Syfteme der beftimmteite Dualismus, der Gegenfaß bes Lichtes 
und ber Finfternis, des’ Guten und Böfen, ber Kampf bes Reinen 
mit dem Unreinen fort. Die odiniſche Olaubensanficht dagegen ergreift 
im Heldenthume die ungefchiebene Kraft; gut und böfe ift nur ein Ber 
bängnis, unverwüftliche Tapferkeit ein Verbienft; aus beiden Heeren, 
die fih im Kampfe vernichten, fahren die Helden zu Dbin; ein Gegen: 
fat ift nur zwiſchen ihnen und den Feigen, Siechtobten, nicht mit 
Speeresſpitze Gezeichneten, welche Hel in ihre dunkeln Wohnungen zieht, 
die aber eigentlich gar nicht in das Heldenlied aufgenommen werben. 
Diefer Charakter des odiniſchen Heldenthums, den id in ber ſtan⸗ 
dinaviſchen Sagengefchichte näher zu begründen fuchte, tritt nun eben 
auch in den norbifchen Darftellungen des gemeinfamen Sagentreifes am 
entichiebenften zu Tage, und ed-mag hiebei an die frühere Bemerkung 
erinnert werben, wie auch der gothifche und ber nordiſche Sprachſtamm 


555 


"im Schema ber großen germanifchen Sprachverwandliſchaft an den beiden 
äußerften Enden ftehen (Grimms Gramm. Aufl. 1,8. 1,6 LN). _ 

Wie nun die, in ihren mythiſchen Grundlagen ſo weit getrennten 
Heldenfagen fich dennoch zum epifchen Cyllus zufammengearbeitet haben, 
muß fi und auf andern Wegen der Betrachtung als den bisherigen, 
welche meift nur zur Sonberung führten, ergeben. 


8 Erllärung der cyllifhen Heldenjage von ethiſcher Seite. 1 


Meder vom geichichtlichen, noch vom mythiſchen Stanbpunft Tonnte 
fi und das Weſen der deutſchen Helbenfage, wie fie jetzt vorliegt, 
völlig erſchließen. Das Gefchichtliche fanden wir nur in Durchgängen 
und Umriffen erkennbar, das Mythiſche verbunlelt und miöverftanden. 
Gleichwohl ift dieſe Helbenfage nicht als vertwittertes Denkmal alter. 
Volksgeſchichte oder untergegangenen Heivenglaubens ftehen geblieben, 
fie ift im längft befehrten Deutfchland lebendig fortgemachien, im 13ten 
Sabrhundert in großen Dichtwerken aufgefaßt worben, bat noch lange 
nachher in der Erinnerung des Volles gehaftet und fpricht noch jet. 
verftändlich zum Gemüthe. Dieß feht voraus, daß fie unabhängig von 
ihren hiſtoriſchen Elementen und von ben beitimmten Glaubenslehren, 
mit denen fie urfprünglich zufammenbieng, fortwährend in ven Bor: 
ſtellungen des beutichen Volles vom rechten und Träftigen Leben, vom 
Großen und Ebeln, ſowie von den Gegenfägen, die damit im Kampfe 
fteben, getwurzelt und fich im Einklange mit diefen Vorftellungen weiter 
entwidelt babe. Derfelbe Geift, dasſelbe Gemüth, die ſich im Leben 
und der Sitte der beutichen Stämme von ihrem erften Ericheinen an 
bis zum Ablaufe der mittlern Zeit fund gaben und die Grundzüge bes 
Volkscharakters bildeten, haben ſich auch in unfrer epiſchen Volkspoeſie 
ausgeprägt. Die Nachweiſung biefes Gemeinfamen in Leben und Liebe, 
die Begründung des Epos im Ganzen des Vollslebens und der Volle: 
fitte ift e& nun, was ich unter der Erlärung der Heldenjage von ethilcher 
Seite verftehe. Es wird fich dabei zeigen, wie aus der allgemeinen 
Begründung auch das Einzelne in Geftalten und Ereignifien oft in auf 
fallender Übereinftimmung zwiſchen Wirklichkeit und Gedicht hervorgeht, 


Ss 


1 (Schriften I, 211. &.) \ 


956 


obne daß wir für foldye Ani im Einzelnen einen eigentlich ge 
ſchichtlichen Zuſammenhang anzunehmen genöthigt ober befugt mären. 
Allein die Geſchichte ſelbſt ift ja nicht bloß Außeres Ereignis, fondern 
theils in Thaten ein Erzeugnis des Volfögeiftes, theils durch äußere 
Einwirkungen, die er in ſich verarbeitet, eine Entwicklung besfelben. 
Staatenbildungen u. |. wirt 

Die deutiche, cykliſche Heldenfage ift in ber bisherigen Ausführung 
von brei Seiten erflärt worden, von gefchichtlicher, mytbifcher und ethifcher. 
Die beiden erftern Erklärungsweiſen haben uns zur Trenyung geführt, 
zur Auflöfung de Sagenganzen in feine urjprünglid bon einander 
unabhängigen Beftanbtheile, in die befondern Sagentreife der verſchie 
denen Volksſtämme, in die Anſätze aus verfchiebenen Epochen der Ges 
Ichichte, in die weit aus einander tretenden Unterlagen verfchiebener 
mythiſch⸗religiöſer Syfteme. Die Erflärung von ethifcher Seite dagegen 
hat uns auf die Verbindung diefer manigfachen Beitandtheile zur Eins 
heit des epiſchen Cyklus hingeleitet. Die geichichtlichen Beziehungen 
waren zum voraus mehr nur äußerlich, die Bebeutung des Mythiſchen 
war verbunfelt, und fo konnte das Gemeinfame in Lebensanſicht und 
Sitte der deutfchen Völker ungehindert die Verichmelzung der urfprüng- 
lich gefonderten Elemente bewirten. Der poetifche Trieb, der in ber 
Sagenbilbung thätig tft, arbeitet überall darauf hin, das Bereinzelte 
zu immer weiteren Kreiſen lebendig zu verknüpfen; das Bindemittel 
aber, die beſeelende Einheit, war hier in jener ethiſchen Idee der Treue 
gegeben. Am nächſten haben ſich die Heldenkreiſe der Amelunge und 
der Nibelunge auf die angezeigte Weiſe verbunden; die Hegelinge haben 
mehr für fi ihren Kreis abgeſchloſſen. Jedes einzelne Lieb zeigt auch 
die Fäden, wodurch es mit dem größeren Ganzen zufammenhängt, das 
eben aus der Gefanmtbeit -aller hervorgeht. Die umfaſſendſten Com- 
pofitionen find, außer den Gudrunsliede, melches die zum Hegelingen: 
freife gehörenden Sagen einfchließt, die Willinenfkge und das Nibe 
Iungenlievd. Erſtere fammelt um Dietrih von Bern, als ihren Mittel: 
punkt, die gröfte Zahl der Sagenhelden und ift fo an Reichhaltigkeit 
des Stoffes dem Nibelungenlied überlegen. Letzteres dagegen bat bie 


1 (Hier ift auf die älteren Hefte verwielen, welche Schriften I, 214 bis 
347 zum Abdrud gelonmen find. 8.) | 


557 


innere organiſche Sagenverbinbung in ber fittlihen See am voll: 
kommenſten zu Stande gebracht. Auch Äußerlich tragen unfre deutichen 
Helbenliever das Gepräge eined gemeinfamen epiſchen Stils und in 
einem großen Theile derfelben herrſcht die Gemeinfchaft des epifchen 
Verſes, der vierzeiligen Strophe, die als Nibelungenvers hinreichend 
belannt iſt. 

In einzelnen dieſer epiſchen Gedichte ſind die Namen der Dichter, 
wahre oder ſelbſt ſagenhafte, angegeben. Allein dieſe Autorſchaft kann 
ſich nur auf die jeweilige Auffaſſung der Sage im einzelnen Dicht⸗ oder 
Schriftwerke beziehen, der eigentliche Sagenbeſtand ift das Erzeugnis der 
dichtenden Kraft des geſammten Volkes in dem Sinne, wie wir früher 
das Weſen der Vollspoeſie dargelegt haben. Die vorzüglichen Organe 
. ber Bildung und Verbreitung dieſer epifchen Vollöpoefie aber waren 
ohne Zweifel die wandernden Sänger, deren wir das ganze Mittelalter 
hindurch fo häufig erwähnt finden. Auch dad Sagen wird herkömmlich 
neben dem Singen genannt, ohne daß jedoch eine ſo beftimmt ausge: 
bildete Form der bloßen Erzählung, mie in den Sagan des Norbeng, 
auch für Deutichland nachgewieſen werben könnte. 


B. Nichteykliſche Heldenfagen!. 


Neben dem umfaſſenden Cyklus deutſcher Heldenſage, welcher bis⸗ 
her den Gegenſtand unſrer Betrachtung ausgemacht hat, ſind noch viele 
heroiſche Sagen vorhanden, welche gleichfalls bei den deutſchen Völkern 
erwachfen find, auch an Perfonen und Ereigniffe der deutſchen Gefchichte 
fih anlehnen, aber fich entiweder nur zu befchränkteren Verbindungen 
abgeichlofien haben, oder nur als Überrefte früher beftandener Sagen- 
freife auf und gelommen, ober als Verfuche größerer Sagenbilbungen 
ftehen geblieben find, oder auch völlig vereinzelt daſtehen. 

Gerade weil jener epifhe Cyklus auch urfprünglic gejonverte 
Sagentreife an ſich zog und zum größeren Ganzen fammelte, meil er 
für feine Ausbildung die dichtende Kraft im Volle vorzugsweiſe in An- 
ſpruch nahm, Tonnten diejenigen Sagen, welche nicht in dieſe Verbin- 
dung eingiengen, fich weniger gebeihlich erhalten, erheben und entfalten. 


1 [Bgl. Schüiften I, 456. 8.] j 


- 5358 
Wir wöhlen nun aus dem Borrathe biefer nichtchllifchen fiber 
lieferungen diejenigen aus, welche durch den fagenhaften Inhalt ſelbſt, 
ober doch durch die Perfonen und Begebenheiten, auf bie fic ſich be 
ziehen, beſondre Aufmerkfamleit verbienen. Quellen ſind hiefür die 
älteften Geſchichtbucher ber verſchiedenen deutlichen Bollsftämme, melde 
beſonders in ihren vordern Theilen der Sage noch vollen Spielraum 


zu laflen pflegen, bann Reimchroniken und Gedichte des Mittelalters 


und ſpätere Aufzeichnungen ber mündlichen Bollsfage. 

Vieles Bereingelte ift in der Sammlung deutſcher Sagen von den 
Brüdern Grimm treu nach den Duellen, ohne eigene Zuthat ober Ber 
ſchönerung, zufammengeftellt. 

Vorzüglich gebt un bier der zweite Band an, worin die an Ge 
ſchichtliches ſich anknüpfenden Stamm: und Geſchlechtsſagen gefammelt 
find, waährend ber erfte Theil mehr für die noch in ſpäterer Zeit gang 
baren mythiſchen Überlieferungen, die uns weiterhin befchäftigen werden, 
von Wichtigkeit iſt. 

Die älteren der hier auszuhebenden Sagen athmen noch den Geiſt 
der epiſchen Dichtung und geſtatten ſelbſt Anknüpfungen an die größere 
Heldenſage; die ſpäteren nehmen immer mehr entweder das Gepräge des 
Phantaſtiſchen oder umgekehrt einen geſchichtlichen Charakter an, eine 
Sonderung von Elementen, die im eigentlichen Epos verſchmolzen ſind 


L Sagen ber Heruler 1, ** 
IL Sagen ber Rangobarben. ** 
. ID. Sagen ber Thüringer. 7%* 
IV. Karolingiſch⸗-fränkiſche Sagen 2. 


Von der fränkiſch⸗burgundiſchen Siegfriebs: und Nibelungenfage 
ift beim größeren Cyklus gehandelt worden. Ein fchon feit dem 7ten 
Jahrhundert (Grimme Heldenfage S. 87) verbreiteter Glaube leitet die 
Abkunft der Franken von Troja ber und diefe Tradition ift nament⸗ 
Ich auch auf Hagen von Tronje angewandt,‘ Waltharius 8. 28: 


1 [Hier folgt die Darftellung wie Schriften I, 458 bis 506. Bon einzelnen 
Abſchnitten hat ſich noch eine weitere Ausführung vorgefunden, aus welcher bier 
das Wefentliche mitgeteilt wird. .] 

2 (Bgl. Schriften I, 470. - 8.) 


— 


359 


veniens de germine Troje. (Vgl. W. Grimm, Alidäniſche Helden⸗ 
lieber, Balladen u. f. w. Anhang ©. 481 bis 440: „Über die Sage 
von der trojanifchen Abkunft der Franlen.”) 

. Eine lange Reihe fabelhafter Frankenkönige diefer trojanifchen Ab» 
ſiammung ift in den angeblichen Geſchichtbüchern Waſthalds und Huni- 
balds aufgeführt, von deren einftigem Vorhandenfein wir aber nur durch 
die Auszüge Kenntnis haben, welche der Abt Trittenheim zu Anfang 
des 16ten Jahrhunderts (1514) daraus gemacht hat: | 

De origine gentis Francorum compendium Johannis Trittenbemii 
abbatis, ex duodecim ultimis Hunibaldi librie, quorum sex primos Wast- 
haldus conscripeit, ab introitu Sicambrorum ad partes Rheni in Germe- 
niam. (In Schardii Rerum Germanicarum Scriptt. Gießen 1673, ©. 143 f. 
Schon früher in Trittenheimg Schriften. Eine Abhandlung von Görres über 
Hunibald fteht in Schlegel3 Deutſchem Mufeum. 1) . 

Der fchwierigen Prüfung dieſes Erzeugnilfes können wir ung um 
fo eher entheben, als jedenfalls die Mittheilungen Trittenheims von 
lebendigem Sagenbeftande jehr wenig burchbliden laflen. 

Aus der Zeit des merowingischen Königsftammes zeigt ſich nur 
fparfame Sagenbilbung. (Einiges in Grimms deutfhen Sagen U, 
72 fi.) Aber wie mit Karl dem Großen eine neue Ära der Gefchichte 
beginnt, jo entfaltet fih auch ein neues Wachsthum ber Helbenbichtung. 
Ihren epilchen Kreis hat zwar biefe Tarolingifche Heldenſage nit in 
deutſcher, fondern in norbfranzöfiicher Poefie gebildet und dieſes Epos 
wird uns erft in ber romanilchen Sagengefchichte näher in Betracht 
fommen. : | 

Karl der Große hatte fich der alten deutſchen Heldenlieder treulich 
angenommen, laut der befannten und vielbefprochenen Stelle in Egin⸗ 
harts Vita Caroli magni, Cap. 29: 

Item barbara et antiquissima carmins, quibus veterum actus et bella 
canebantur , scripsit memorieque mandavit. (Grimm, Helden. 26 f. 
Mone, Quellen und Forſchungen I, 259.) 

Dennoch follte er dafür nicht in der ihm angeborenen, ſondern in 
einer fremden Sprache, der franzöfifchen, den vollen Dant der Poefie 
empfangen. Diefe Erfheinung läßt fich mohl erllären. In Gallien war 
die Macht des fränkischen Stammes, aus welchem Karl hervorgegangen ; 


1 [Botthafts Bibliotheca historica medil evi, Berlin 1862, ©. 552. 8.] 


560 


einem großen Theile von Deutichland war Karl feinblicdh entgegenge 
treten, und Dann war im Mutterlande eben jene uralte beimifche Helber- 
fage fchon vorhanden und feflbegründet. Sowie bie Heroen derſelben 
die längft in wunderbarer Größe umberwanbelten, dem jüngern Helden, 
fo glänzend er in der Geſchichte aufgetreten, die Anerlennung in ber 
Poeſie erſchweren mochten, jo ftand auch er feinerfeitö zu gewaltig da, 
um in ihrem Kreife eine untergeorbnete Stelle einzunehmen. Darım 
brad er ſich eigene Bahn, da, wo neue Bildungen ber Sprache und 
des Gefanges ſich eröffneten. 

Gleichwohl fehlt e8 auch auf deutſchem Boben keineswegs an eigen⸗ 
thümlichen Überlieferungen von Karln dem Großen!, nur daß fie keinen 
vollen Sagenchklus zu Stande gebracht haben. 

Mit? der Gründung des deutfchen Königs: und Kaiferthrones zeigen 
ſich überhaupt die neuerftehenden Sagen im Gegenfage der größer 
und unter ſich verfchlungenen Nationalfagen aus der ältern Zeit mehr 
und mehr vereinzelt, auf das herrſchende Haus, auf einzelne Könige 
oder mächtige Fürften, oft faft anefootenartig, beſchränkt, oder mehr 
genealogiſch fich fortpflanzend, als in epifcher Erweiterung fi aus 
breitend. Es ericheint daher angemefien, bie mweitern Sagen in ber 
Drbnung der nad einander folgenden Kaiferhäufer aufzuführen, auf 
ähnliche Weile, wie man auch die Gefchichte diefer Zeiten abzutheilen 
pflegt. Sie halten mit der Gefchichte Schritt, wie an gewiſſen Drten 
bei feitlihen Umzügen je neben einem ernften Manne ein fingenber 
Knabe bergeht. 

Zuerft alfo deutjch:Tarolingifche Sagen und zwar von Karin dem 
Großen jelbft. 

Es ift bei den Überlieferungen der Langobazrven® bemerkt worben, 
baß, ſowie die untergehenden Heruler und Gepiden in bie langobarbifche 
Sage aufgenommen wurden, fo die Langobarden, nachdem fie felbft den 
Franken unter Karl dem Großen unterlegen, in die Sage ber letztern. 
Die Untergang des langobarbifchen Reiches betreffen. die vier nächſt 
folgenden Sagen: \ 


\ 


1 [Sthriften II, 91. 8] 
2 [Schriften I, 471. 8.] 
3 (Schriften I, 462. 8.) 


561 


1. Der eiferne Karl. Aus dem etwas fehmwülftigen Stile ber Iatei- 
niſchen Chronik tft Die Sage von ben Brüdern Grimm (Deutfche Sagen II, 
112 f.) überfegt 1:*** 

2. Der lombardiſche Spielmann. 

3. Karl vor Pavia. 

4. Adelgis. 

5. Karl nach der Kaiſerchronik. 
6. Die Legende von Karls Streit vor Regensburg. 
7. Karla Heimkehr aus Ungerland. 

8. Karla Recht. 2 

Wenn gleich Karl der Große auch in eigenthümlich deutſcher 
Überlieferung als Kriegsheld und Heidenbekehrer gefeiert ift, fo hat 
fih doch, wie Schon erwähnt, diefe beroifch:legenvenhafte Seite nur 
in der altfranzöfifchen Poefte zum vollen Epos. ausgebildet. Aber 
noch uf. m. . 

9. Kaiſer Karl im Berge. 3 

War Kaiſer Karl gleich zu Grabe gebracht worden, fo beftand doch 
viele Jahrhunderte hindurch der Volksglaube, daß er unterirdiſch fort 
lebe, bis zur künftigen Wiederkehr feines Reiches An verichienene 
Hrtlichkeiten knüpfte ſich diefe Sage. 

Zu Nürnberg auf der Burg ſoll Karl der Große ſich in den tiefen 
Brunnen verwünſcht haben und ſich daſelbſt aufhalten. Sein Bart iſt 
durch den Steintiſch gewachſen, vor welchem ey fit (Deutſche Sagen I, 28). 
Bei Fürth, unweit Nürnberg, fteht mitten in grüner Wiefe ein ſonder⸗ 
barer. fahler Sandhügel. 


„Im Sabre 1678 aber bat fih der Berg einem Rüurnberger Kaufmann 
aufgethan, welcher Karln den Großen tief unten an einem Tiſche ſitzen und 
ſchlafen gefunden, daß fein Bart ſehr breit über ven Tiſch hingewachſen ſei; fein 
Kriegsheer aber wurde abſeits, wie im Felde neben ihm gelagert, vermerlt.“ 
(Maßmanns bayerifhe Sagen ©. 8, nad) Prätorius Alectryomantia, Franl- 
furt 1680.) | | 


1 [Schriften II, 91 ff. 8.) 

2 [Schriften II, 96. 8.) 

3 [Schriften I, 95. 8.] 

4 Bgl. O. 8%. B. Wolff, hiſtoriſche Vollsliever S. 182, 8. 
ubland, Schriften. VII. 36 


562 


Befonderd auch bat Karl feinen Aufenthalt im Unteröberge bei 
Salzburg. Bon den Wunvern im Innern dieſes Berges gibt es ein 
Volksbuch, das, mit der Ortsbezeihnung Briren, auch auf unfern 
Märkten verfauft wird. Nach einer Hanbfchrift des ITten Jahrhunderts 
-ift dasfelbe mit Vergleihung anbrer Exemplare und Unterfuchungen 
über die Sage kürzlich neu herausgegeben worben: „Bayerifche Eagen, 
mitgetheilt und gefchichtlich beleuchtet von H. F. Maßmann. 1te3 Bänt- 
hen. Münden 1831,“ auch mit dem beſondern Titel: „Der Unter: 
berg bei Salzburg.“ 

Sm Untersberge fibt Kaifer Karl mit goldner Krone auf tem 
Haupt und dem Ecepter in der Hand. Auf dem großen Walferfelbe 
warb er verzüdt ! und bat noch ganz feine Geftalt behalten 2. *** 

Sn dem von Maßmann zu Grunde gelegten Eremplar wird dieß 
vom Kaifer Friedrich erzählt, deſſen Name allmählich an die Stelle des 
älteren Karl eingetreten zu fein fcheint 3, 


1 Bol. Kafpar von der Röhn, Herzog Ernſt, Str. 50: Der Tayier 
[Friedrich] hie verzudet ward. 
2 [Weiteres Schriften II, 95 f, K.] Grimms deutihe Sagen I, 33. 
3 [Bgl. Ergänzungsblätter zur jenaifchen allgemeinen Litteraturzeitung 1833, 
Nr. 21. Schluß der Anzeige von: Die Ritterburgen von Gottfhall. 1 bis 88. 
Ep. 164: „135. Deejenberg bey Warburg, an der Diemel, -im preufifchen 
Zürftentbume Paderborn“ u. f. w. ©. 330 konnte auf die Übereinfiimmung 
der Bollsfage, nad welcher der mit den Seinen in den Deefenberg gebannte 
Kaifer Karl der Große dort an einem fteinernen Tiſche figen fol, durch den 
ihm der Bart bis auf die Füße gewachien fei u. |. w., mit dem befannten Mähr- 
hen von Kaifer Yriedrich auf dem Kiffhäufer hingewieſen werden. So glauben 
auch die Anmohner des letzten Berges, daß derfelbe, ebenjo wie jener, die Witte. 
rung vorherverlündige, was man in folgende Reime eingelleidet hat: 
Steht Kaifer Friedrich ohne Hut, 
Iſt das Wetter ſchön und gut; 
Iſt er mit dem Hut zu fehn, 
Wird das Wetter nicht beftehn. 
©. Alb. Ritteri Lucubratiancula II de alabastris schwarzburgicis (1732. 
4.) ©. 13. Nach den Blättern für litterarifche Unterhaltung 1834. Yan. Nr. 1. 
S. 3 find die Nachträge zu Gottſchalks Ritterburgen in den Ergänzungsplättern 
zur jenaiſchen allgemeinen Litteraturzeitung 1833, Nr. 16 bis 21 von Heffe, 
der auch eine Monographie Über die Rothenburg in Thüringen, wie es fcheint, 
in den Schriften des thüringifch -fächfifchen Vereins zur Erforſchung des Alter 
thums gegeben] [Bgl. Schriften I, 501. 8.) 


563 

Wie Kaifer Karl in der früher vorgetragenen Sage von feiner 
Heimkehr aus Ungerland im Dome zu Aachen auf dem Stuhl fitend 
geliehen wurde, fo fit er nun fchlummernd im Berge. Aber auf bies 
jelbe Weife war er auch nach ven Gefchichtfchreibern wirklich in die Gruft 
geſetzt. | 

Bon der Beifegung dieſes Kaiferd in der von ihm erbauten Haupt: 
Tirhe zu Aachen meldet die Chronif des Mönchs von Ungouleme: 

Corpus ejus aromizatum est, et in sede aurea scdens positum est in 
curvatura sepulcri, euse aureo accinctum, Evangelium aureum tenens in 
manibus u. |. w. Vestitum est corpus ejus vestimentis imperialibus u. ſ. w. 
Sceptrum aureum et scutum aureum, quod Leo papa consecraverat, ante 
eum posita sunt dependentia, et clausum et sigillatum est sepulcrum ejus, 
Hahn I, 88, 

Raifer Otto III ließ im Jahr 1000 diefes Grabgewölbe öffnen, 
nad der Erzählung in Ademari chronicon: 

Otio imperator per somnium monitns est, ut levaret corpus Caroli 
Magni imperatoris, qui Aquis humatus erat, sed vetustate oblitterante 
ignorabatur locus certus, ubi quiescebat, et peräcto triduano jejunio, in- 
ventus est eo loco, quem per visum cognoverat imperator, sedens in aurea 
cathedra intra arcuatamı speluncam, infra basilicam beate Marie, coro- 
natus Corona ex auro et gemmis, tenens sceptrum et ensem ex auro 
purissimo, et ipsius corpus incorruptum inventum est, quod levatum po» 
pulo demonstratum est. Solium ejus aureum imperator Otto direxit regi 
Botisclavo pro reliquiis 8. Adalberti martyris u. |. w (Hahn, a a. O. 
Vgl. Deutſche Sagen 1I, 173.) 

Kaiſer Yriebrich I ließ das Grab abermals öffnen und bie Gebeine 
Karls herausnehmen und in einen Kaften legen. 

Wir jehen bier das leibhafte Vorbild zu dem ſchlummernden Kaiſer 
in der Berghöhle. - 

Bei den im Münfter zu Aachen ftattgehabten Kaiferfrönungen wurde 
der noch jet dort aufgeftellte Marmorftuhl gebraudt, auf welchem Karl 
im Grabe gefeffen fein fol (bei den Unnaliften aurea sedes, catlıedra), 
und unter ben früher in Aachen aufberwahrten, aber im Jahre 1794 
‘von da nad Wien abgeführten Krönungszierden befand ſich dag Schwert 
"Karla und fein mit goldenen Buchſtaben auf Pergament gejchriebenes 
Evangelienbuh (Quix, Hiftorisch -topographifche Beichreibung der Stabt 
Aachen. Köln und Aachen 1829. ©. 22 f. 29 f.) 


564 


Wenn wir in jener Weife ver Beftattung Karla des Großen einen 
äußern Anhalt zu ven Volksſagen bemerkt haben, welche wir nachher auch 
von den hobenftaufifchen Friebrihen und zwar noch mit mweitern Um: 
ftänden erzählt finden werben, fo bat doch dieſes Fortleben ber alten 
Helden bis zum Erwachen für Tünftige große Creigniffe gewiſs nicht 
minder einen innern mythiſchen Grund, der fih uns gleichfalla erft 
ſpäter nahe legen wird. . 

Bei Karl dem Großen insbeſondere aber lafien ſich diefe Eagen 
mit denen von feinem Rechte in Verbindung ſetzen. Die Böller 
legen ihre Träume von einer goldenen Zeit des Friedens und ber 
Gerechtigkeit bald in die Vergangenheit, bald in die Zulunft; Karls 
Reich war längft hingeſchwunden, aber man hoffte auf deſſen einftige 
Wiederkehr. 

Es ließen ſich zu den bisher erzählten noch andre, der Be 
Achtung nicht unwerthe Sagen, Karln den Großen betreffend, anführen, 
z. B. die befannte von Eginhard und Emma (nad) dem Chronicon 
Laurishamense in Grimms deutfchen Sagen II, 125 ff.), von Karin 
und Elegaft (Grundriß 171. Mufeum für altveutiche Litteratur und 
Kunſt I, ©. 226 ff. nach einem althollänvifchen Reimbuche); das bis 
berige wird jedoch genügend zeigen, wie Karl auch in eigenthümlid 
beutfcher Überlieferung von Iegendenhafter, beroifcher und felbft mythi⸗ 
ſcher Seite gefeiert wurde. Auch in beutfchen Landen ſprang von 
- ihm überall die Ader der Sagendichtung, wie vom Obenberg in Heſſen 
erzählt wird, daß dort vom Hufichlage feines Roſſes ein ftarker Duell 
entiprungen ſei (Mone, Geſchichte des Heidenthums im nörblichen Eu- 
ropa II, 155). 


V. Sagen aus ben Zeiten ber ſüchſiſchen und der fränfifhen Kaifer ?, 


Unter den kräftigen Gelchlechtern der Ottone und ber Salier finden 
wir wieder eine regere und umfaſſendere Sagenbilbung in der Art wirt: 
fam, daß eine Reihe von Perfonen und Ereignifen, die ſich in der 
Geſchichte ein Jahrhundert hindurch folgen, in der Handlung und den 
Charakteren eines größeren Gebichtes gefammelt und aufgegangen find. 


I [Schriften I, 472. 8.) 


565 


Diefes war nur dadurch möglich, baß jene ganze Periode über in ber 
Geſchichte ſelbſt gleichartige Beſtrebungen malteten, die ich mit wenigen 
Zügen zum voraus bezeichne. Die beutfchen Könige waren, um bie 
Macht ihres Haufes und die Kraft ihrer Herrfchaft zu heben, unabläflig 
barauf bedacht, fich zugleich der Gewalt, welche die großen Reichsämter 
darboten, zu verfihern. Mittel zu diefem Zwecke fuchten fie vorzüglich 
darin, daß fie die Hergogthümer und andre bebeutende Würden auf 
Glieder ihres Haufes übertrugen oder durch Vermählungen an biefes 
Inüpften. Hierin lag aber auch der Keim der Eiferfudht und Zwietracht 
unter den nächſten Verwandten felbft, die fih auf ſolche Weiſe in ben 
verfchiedenen Intereſſen der Oberherrlichleit und Vaſallenſchaft gegen: 
übergeftellt waren. Statt daß die Provinzen dem Könige näher ver- 
bunden wurden, indem fein Sohn, Bruder, Schwager, Eivam über 
fie gejegt war, wurden vielmehr dieſe feine Angehörigen ihm burch ihre 
Stellung nicht minder entfrembet, als e8 frühere verbrängte Fürften: 
geſchlechter geweſen waren. Eine weitere Duelle des Yamilienzwiftes 
ergab fi) dann noch in der Unbeftimmtheit des Erbfolgerechtes, das 
bier mit dem Wahlrechte, dort mit der jeweiligen Macht des Etärlern 
in Wage ftand. Die Berwürfniffe, die aus folchen Urfachen zwiſchen 
hochgeftellten und nahe verwandten Perfonen erwuchſen, waren an fi 
Ichon geeignet, Aufmerkſamkeit und Theilnahme zu eriveden. In fie 
waren aber auch die Völker jelbft, thätig und leidend, verflochten. Sang 
und Eage, die Drgane der Volksſtimmung, muften von diefen manig- 
fachen Bewegungen und Verwicklungen um fo lebhafter angeregt werben, 
ala e3 überall auch mächtige Perfönlichkeiten waren, die auf dieſer 
tragischen Weltbühne auftraten. Die herrſchende Gewalt iſt zu ver⸗ 
ſchiedenen Zeiten bald mehr in bie Ideen, bald mehr in die Perfonen 
gelegt. Im beutfchen Mittelalter war Letzteres der Fall. Ein hinter 
verantioortlihen Reichöverwaltern ftehender Fürſt, der für feinen Theil 
gut oder böfe, fähig oder unfähig fein könnte, ein unperfönlicher Träger 
ftantsrechtlicher been, wäre der Anfchauungsweife jener Zeit völlig 
unzugänglich geweſen!. Sie verlangte einen König von Mark und Bein, 
von fichtbarer hoher Geſtalt, dem der Geiſt aus den Augen Teuchtete, 


1 Die Ideen von Neich und Kirche waren nicht im Volle lebendig, fie 
waren römifche. 
‘ 


366 


Darum war Deutfchland ein Wahlreich; zwar vererbte ſich Die oberfte 
Gewalt meift Iangehin in dvemfelben Stamm, aber ein ſolches König: 
geſchlecht war ſelbſt eine Perfönlichkeit; Tonnte diefe nicht mehr genügen, 
fo trat, vermöge des Wahlrechts, ein andres an feine Stelle !. So 
kam es denn, daß wir in ben Kaiſerhäuſern des Mittelalters überall 
auf beruorftechenpe, im Guten und im Böfen kräftige Perfönlichkeiten 
treffen, auf folche, die wohl auch befähigt waren, Phantafie und Ge 
müth der Zeitgenofien für Lied und Sage anzufprechen. 

Die Sage nun, in der ſich ſächſiſche mit fränkifcher Kaifergefchichte 
in dem angegebenen Charafter beider zum poetifchen Ganzen verfchmolgen 
bat, ift die noch jet als Volfsbuh im Umlauf befindliche Erzählung 
von Herzog Ernft. Ich mwerbe diefer Sage cine ausführlichere Erörte: 
rung widmen, weil fie durch folche Bereinigung hiſtoriſcher Perſonen 
und Ereigniſſe aus verjhiedenen Epochen und bei der Möglichkeit, Ge 
ſchichte und Dichtung hier genauer zu vergleichen, in dag Weſen der 
Sagendildung aus gejchichtlichen Elementen manigfach aufllärenden Ein: 
blick darbietet?. 


1 Vehſe, das Leben und die Zeiten Kaifer Dttos des Großen, Dresden 
1829, bemerkt hierfiber ©. 6 Folgendes: „So groß war die Liebe der dent- 
Ihen Stämme filr ihre Ehre, daß fie zwar freiwillig und gern einem durch 
glänzende Tugenden weithin über alle ſich erhebenden Fürften fi untergeben 
mochten, eine Zeit lang wohl aud, der großen Thaten eingedent, die ein 
früherer Herriher unter ihnen verrichtet, feine, obwohl weniger ausgezeichnete 
Nachlommen als Könige über fich dulbeten, immer aber doch endlich, wenn die 
Schwäne und Untlichtigfeit derſelben zu unrühmlich hervortrat, fich der mehr 
dritdenden Herrſchaft entledigten und einen beriihmten Mann aus einem neuen 
Geichlechte zum Könige festen, damit diefer ihren Angelegenheiten mit einem 
neuen Träftigeren Geifte vorftche." (Vgl. 7, 1 u. 286.) Aſchbach, in der 
Recenfion von Kufahls Geſchichte der Deutſchen TH. I, in den Jahrbüchern für 
wiffenfchaftliche Kritit, Mai 1832, Nr. 95, Sp. 756 jagt; „Übrigens, wenn 
man nicht fophiftifch tiber das Wort Demokratie ftreitet, jo war bei den alten 
Deutjchen offenbar eine reine Demokratie, fo Tange die Arimannie oder Frie 
dend- und Kriegsgenoſſenſchaft der Freien, die Grundlage der germanifchen 
Stammverfaffung, beftand. Bon ihr wurden aus der Mitte der Freien die 
Ziihtigften zu Anführern ermählt und bei ven Völlerſchaften, welche Könige 
hatten, aus ten tüchtigften Anführern der König. Tacitus Germania C. 7: 
Reges ex nobilitate, duces ex virlute sumunt.“ 

2 [Schriften I, 479. 8] 





Die Enge von Herzog Ernſt ift in mehrfachen Bearbeitungen vor: 
banden: 

1) Die ältefte, von ber etwas auf und gelommen, gehört noch 
dem 12ten Jahrhundert an. Bon ihr haben ſich nur zwei Bruchftüde, 
auf zwei Bergamentblättern, mit 89 kurzen Reimzeilen erhalten; her⸗ 
audgegeben in H. Hoffmanns Yundgruben für Gefchichte deutfcher Sprache 
und Litteratur, Theil I. Breslau 1830. ©. 228 ff. Der Zeit nad 
fönnten dieſe Überrefte einen Theil derjenigen Darftelung ausgemacht 
haben, welcher in einem Schreiben des Grafen Berthold von Andechs 
an den Abt Rupert von Tegernfee vom Jahr 1180 erwähnt tft, worin 
der Graf an den Abt die Bitte ftellt: 

Rogo, concedas mihi libelluam teutonicum de Herzogen Ernesten, donec 
velocius scribstur mihi, quo perscripto continuo remittetur tibi. Pez, 
'Thes. Anecd. [®. 6. 8.] Th. II, ©. 18. 

Allein die niederbeutfchen Formen, welche in dieſen Bruchftüden 
vorkommen, weiſen wenigſtens das Exemplar, zu dem fie gehörten, einer 
andern Gegend an. 

2) Ein lateinifches Gedicht, in Herametern, von einem Mönche 
Odo dem Erzbifchof Albert von Magdeburg, der 1199 zu dieſer Würde 
gelangte, zugeeignet und, nad) den darin vorkommenden Anfpielungen 
auf die Zeitumftände, auch um biejelbe Zeit verfaßt. Es fteht mit ber 
Aufichrift „Ernestus seu carmen de varia Ernesti Bavarise ducis 
fortuna, auctore Odone, libri VIII* gedruckt in Martene, Thesaur. 
nov. anecdotor. T. Ill, ©. 308 bi8 376. 

3) Bon einem zwar vollftändigen, aber noch ungebrudten beut- 
ſchen Gebichte diefed Inhalts bat Docen (Mufeum für altdeutiche 
Litteratur und Kunft. B. 2. Berlin 1811. ©. 254 ff.) nad) einer Wiener 
Hodſchr. Nachricht gegeben und einzelne Stellen mitgetheilt. Nach biejen 
Proben ift e8 nicht wohl noch ins 12te Jahrhundert hinaufzufegen, wie 
man getban hat. 

4) Ein anderes mittelbochbeutfches Gedicht des 13ten Jahrhunderts 
in 5560 kurzen Reimzeilen, vollftändig abgedrudt in den Deutjchen 
Gedichten de3 Mittelalters, herauögegeben von v. d. Hagen und 
Büſching. B. 1. Berlin 1808. 

5) Im Heldenbuche Kafpars von der Röhn, um 1472, findet 
fich gleichfalld ein Herzog Ernft, in 54 breizehnzeiligen Strophen, als 


568 





Abkürzung eines größeren Liedes, welches der Bearbeiter vor ſich 
hatte. Es find au alte Drude, aus dem 16ten Jahrhundert, eines 
Liedes von Herzog Ernſt in berfelben Versart, aber in größerer Strophen: 
zahl, vorhanden, in denen vielleicht dasjenige Gedicht noch übrig if, 
welches Kafpar von der Nöhn abgekürzt hat. (Bol. v. d. Hagen, Ein 
leitung zum Herzog Ernft S. XIX.) Nach folder ftrophifchen Behand: 
‚lung wurde diefe Strophe, die fonft auch des Berners Weife hieß 
(Sigenot und Eden Ausfahrt Jind darin gebichtet), Herzog Ernft3 Ton, 
Herzög Ernſts Weile, genannt. 

6) Endlich das proſaiſche Volksbuch von Herzog Ernſt, auch ſchon 
in alten Druden vorhanden und nod jet auf unſern Märkten im 
Verkehr, ift nicht eine Auflöfung eines ältern deutichen Gedichts, ſon⸗ 
bern Überfegung aus einer-noch ungebrudten lateinifchen Proſa (Hagens 
Grundriß ©. 184)... 

Eine nähere Charakteriſtik dieſer verfchiedenen Bearbeitungen ber 
Sage gehört nicht zu unſrem Zwecke. Sie liegen auch alle beträchtlich 
über die Zeit hinaus, in der fi) die Cage zuerft aus der Gefchichte 
entwideln muſte, indem bie älteften erft an den Schluß des 12ten Jahr: 
hunderts fallen. 

Im Hauptbeitande der Sage ftimmen fie jedoch Jämmtlich überein. 
Ich gebe diejelbe in einem Auszuge ded unter Numer 4 angeführten, 
vollftändig abgebrudten Gedichts aus dem 13ten Jahrhundert 1. *** 

Es find ohne Zweifel vorzüglich die Wunder der abenteuervollen 
Kreuzfahrt, welche diefer Erzählung eine fo große Verbreitung in mehr: 
fachen Bearbeitungen und felbft noch eine Fortbauer in unfern Tagen, 
mittelft des Volksbuchs, verjchafft haben. Hier befchäftigt uns mehr 
die deutſche Eage, in welche jene Reifeabenteuer und das auf gelchr: 
tem Wege binzugelommene Wunderbare eingelegt worden. 

Den Grundbeſtand der Sage bildet eine Gruppe von fünf Per: 
fonen: der mächtige Kaijer Otto; deſſen zweite Gemahlin, die fchöne 
und tugenbreiche Adelheid, Wittwe des Herzogs von Baiern; Adelheids 
Sohn erfter Ehe, der junge Herzog Emit, der erft beim Kaifer, feinem 
Stiefvater, in höchſter Gunit fteht, dann aber, als fih Neid und 
Berleumbung zwilcheneingebrängt, vom Kaiſer geächtet, befriegt und 


1 [Der Inhalt ganz wie Schriften I, 479 ff. 8.) 


569 





vom Lande zu meichen genöthigt wird; der Pfalzgraf Heinrich, des 
Kaiſers Schweiterfohn, eben der Verleumder und Stifter des Unheils, 
der aber durch Ernſts gewaltfame That feinen Lohn empfängt; der 
Graf Wepel, Ernftö treuer Kampfgenofje und ungertrennlidher Ge: 
fährte auf feinen Irrfahrten. Die Handlung, zu melcher dieſe fünf 
Hauptperfonen verflochten find, befteht in ben Störungen des freund: 
lichen Berhältnifjes zwiſchen dem Kaifer und feinem Stiefſohn, in 
den Kämpfen und Gewaltthaten, welche daraus hervorgehn, in den 
Drangfalen und Heldenwerlen der geächteten Freunde und in der end» 
lihen Wiederaufnahme des Vertriebenen in die Huld des Stiefvaters 
durch die Fürfprache der Mutter. 

Fragen wir aber nach der geichichtlichen Unterlage, fo mweifen uns 
fhon die Namen auf eine für die Einficht in den Gang der Sagenbildung 
merfwürdige Vermifchung verichiebener Beftandtheile bin, in melde fich 
dem Forjchenden jene Gruppe der handelnden Perjonen und die eine 
Handlung ſelbſt wieder auflöft. Die Namen Otto, Adelheid, Heinrich, 
gehören der ſächſiſchen Kaifergefchichte und auch wieder verſchiedenen 
Momenten diefer an, die Namen Ernft und Wetzel der falifch-fräntifchen. 
Und fo verhält es fih auch in der Sache felbit; eine Folge der Zeit 
und den Perfonen nad getrennter, aber in Geift und Wefen gleich 
artiger Geſchichten aus der Periode des jächfischen und des fränkischen 
Kaiferhaufes bat ich durch die bindende Kraft der Sagendichtung zur 
einzigen, fcheinbar Gleichzeitiges umfaflenden Handlung verjchmolzen. 

Sch verfuche nun, diefen Hergang Mar zu machen, indem ich die 
verfchiedenen gefchichtlichen Situationen und Ereigniſſe, aus welchen ſich 
die Sage herausgebilvet, nach einander aufführe und bei jeber folchen 
biftorifchen Abftufung bemerfe, was von ihr in das fagenhafte Ganze 
übergegangen, das in dem Gedichte von Herzog Ernft vor und liegt. 


1. Otto I und fein Bruder Heinrid. 


ODitto I, aus dem Haufe Sachſen, durch einftimmige Wahl ber 
Fürften zum deutſchen Throne berufen, empfieng am 8 Auguſt 936 im 
Dome zu Aachen unter lautem Zurufe des Volkes die feierliche Könige: 
weihe. Nach der Firchlichen Feier fette fi, der neue König im Palaſt 
an den marmornen Tiih zum Krönungsmahle nieder. Die Herzoge 
des Reichs, jeder in feinem Erzamte, verfahen dabei den Dienft. Mit 


570 


föniglicher Freigebigkeit wurden fie von Otto begabt und man jchied 
in lautrer Freude. Aber die heitre Eintracht, die bei dieſem Feſte den 
König und die Fürften verbunden hatte, war von furzer Dauer. Unter 
den vier Neichebeamten, vie ihm beim Krönungsmahle gedient, war 
nicht einer, der nicht felbit oder deſſen Nachfommen nicht, früber oder 
jpäter, das Schwert gegen den König Otto erhoben hätten. Auch feine 
Brüder, Dankmar und Heinrich, ließen fih nad einander in dieſe 
Empörungen hineinziehen. Der lebtere, Heinrih, ift uns bier von 
befondrer Bedeutung. Otto und Heinrich waren Söhne aus der ziveiten 
Ehe Heinrichs I, des Vogelſtellers, mit Mathilden, einer Tochter des 
fähfifhen Grafen Dietrih, vom Stamme Wittekinds. Das Leben 
diefer ausgezeichneten Frau, wie e8 auf Befehl ihres Urenfels, des 
überfrommen Heinrichs IL, befchrieben wurde, ftellt fie, dem Geiſte 
biefer Zeit gemäß, im Licht einer Heiligen dar, verhehlt aber doch aud) 
nicht die menschlichen Züge mütterlicher Schwäche. Ihr zweiter Sohn 
Heinri war von vorzügliher Schönheit, er trug den Namen des 
Baters, ihn liebte die Mutter vor ihren übrigen Söhnen und ihn 
wünfchte fie, nad) dem Tode des Vaters, auf dem Throne zu fehen. 
Ihrer Hoffnung fchmeichelte der Umftand, daß der ältere Otto vor ber 
Erhöhung des Vaters, ihr Liebling Heinrich aber, wenn gleich ber 
jüngere, in der Königspfalz geboren war. Allein je mehr ihn bie 
Mutter verzärtelte, um fo härter traf ihn bas Geſchick. Über ver 
Leiche des Gemahls ermahnte zwar die Königin ihre Söhne, fich nidt 
um weltliche Herrlichkeit zu entziveien, deren Hinfälligleit fie bier vor 
Augen hatten. Aber der Samen der Eiferfuht war ausgeſtreut und 
ala Dito den Scepter empfieng, trug Heinrich den Stachel im Herzen. 

Wenige Jahre nachher verſchworen ſich die Herzoge Eberhard in 
Franken und Gifelbert von Lothringen, Schwager des Königs, gegen 
diefen. Heinrich, deſſen ehrgeizigem Gelüfte nach der Krone gefchmeichelt 
wurde, nahm Theil an dem Aufftand. Aber die Verſchworenen, bie 
ihr Heer bei Andernach über den Rhein fegten, wurden von ben Freun⸗ 
den bed Königs, unter denen beſonders der hefiifche Graf Kuno fid 
Ruhm erwarb, überfallen 1; beide Herzoge famen um und Heinrid, 

1 Bol. Ranke I, 2, 37. 90 bis 98. 939. Eberhards von Mimen bejungene 


unglückliche Schlacht bei Eresburg gegen den Sachſenherzog Heinrih 912, Hahn 
II, 10, a. Ranke I, 2, 24. 


571 


— — — — — — 


deſſen hochfahrende Hoffnungen mit einem Schlage vernichtet waren 
(Vehſe S. 126), entfloh nach Frankreich. Doch bald demüthigte er 
ſich vor ſeinem königlichen Bruder, gelobte fortan Treue und erhielt 
von ihm Vergebung und ſogar die Belehnung mit dem erledigten Her⸗ 
zogthum Lothringen. Dieſes geſchah im Jahr 939. Aber ſchon im 
folgenden Jahre wurde Heinrich von feinen neuen Untergebenen ver⸗ 
drängt und ter König Jah fich veranlaßt, das Herzogthum anders zu 
vergeben. Heinrich ftiftete eine neue Verſchwörung an und zwar eine 
fehr gefährliche, gegen daB Leben des Königs hinterliftig gerichtete. 
Diefer jedoch wurde noch zur rechten Zeit gewarnt, die Verbundenen 
fielen in feine Gewalt und die meiften derſelben büßten ihr Verbrechen 
mit dem Tode. Nur Heinrich, der Urheber des Anfchlags, rettete fich 
abermals durch die Flucht. Nachdem er eine Zeit lang unftät in feinem 
verlorenen Herzogthum Lothringen umbergeirrt, fuchte er, der vielen 

Drangfal müde, von neuem die Gnabe des fchmwerbeleibigten Bruders, 
In Begleitung einiger Bilhöfe, die er um ihre Verivendung ange 
ſprochen hatte, kam er eines Tags unerwartet, mit bloßen Füßen, als 
ein Büßender, vor den König und warf fich vor ihm nieder. Diejer 
wollte zwar dem Gebemüthigten Fein Leides thun, Tieß ihn jedoch nad) 
der Pfalz Ingelheim bringen und bort, bis auf ruhigere Entjchließung, 
beiwachen. ! 

Bis zum Ende bes Jahrs 941, im welchem zur Ofterzeit die Der: 
ſchwörung ausbrechen follte, faß Heinrich dort gefangen. Der König 
aber fam nah Frankfurt am Main, um bier das Weihnachtöfeft zu 
begeben. Da gelang es Jenem, zur Nachtzeit feiner Haft zu entfliehen. 
Sn der Frühe des Chriftfeftes, vor Tagesanbruch, war König Otto im 
Dome zu Frankfurt beim Gotteöbienfte gegenwärtig, er hatte all feinen 
toftbaren Echmud abgelegt und war mit einem einfachen Gewande be- 
Hleivet, um ihn ertönten die feierlichen Hymnen diefer heiligen Nacht. 
Da trat mit nadten Sohlen, des Winterfroftes uncrachtet, der unglück⸗ 
liche Heinrich in die Kirche und warf fich vor dem Altare mit dem An- 
geficht auf die Erbe. Fromme Gefühle kamen über den König, er war 
eingedenk bes Feſtes, an welchem die Engel der Welt den Frieden 


1 [Bgl. W. v. Gieſebrecht, Geſchichte der deutfchen Kaiferzeit. Braun⸗ 
ſchweig 1860. I, 572. 1863. I, 276 f. &.] 


572 


fangen; ihn erbarmte feines reumüthigen Bruder® und er gewährte 
demfelben volle Verzeihung. Einige Zeit nachher verlieh er ihm das 
Herzogthum Baiern und fortan beftand unter den Brüdern die unge 
ftörtefte Eintracht. Ausdrücklich wirb noch verliert, daß Ottos milde 
Gefinnungen gegen feinen ftraffälligen Bruder durch Ermahnung und 
Vermittlung ihrer heiligen Mutter Mathilde angeregt worden feien. 

Biehen wir nun aus diefen urkundlichen Gedichten den Erfund 
für unfre Sage, fo zeigt fih der Biftorifche Dtto I bier in demſelben 
Berhältniffe zu feinem jüngern Bruder Heinrich, in welchen nach dem 
Gedichte der gleichnamige Kaifer zu feinem Stiefſohne Ernft fteht. Beide, 
Heinrih und Ernft, müſſen, nach vereitelter Unternehmung, vom Lande 
weichen. Bon erfterem jagt Wituchind (Annal. B. II, ©. 649,[bei Perk 
3, 447. 8.]): Henricus autem fugiens regno cessit u. ſ. w. und meiter: 
bin: recordatus est [Otto rex] multis laboribus fatigati fratris. Echon 
bier boten fih Anläſſe dar, die Schidfale des landflüchtig umberirrenden 
Fürftenfohnes mit wunderbaren Abenteuern auszumalen, wie es beim 
Herzog Ernſt gefchehen tft. Die Ausföhnung wird durch die Fürſprache 
einer den beiven Gegnern gleich nahe geftellten königlichen Yrau ver: 
mittelt; bier iſt es die Königswittwe Mathilde, die Mutter ver ent 
zweiten Brüber, dort Adelheid, die Mutter Ernft3 und Gemahlin Dttos. 
Der angeführte Annalift meldet, B. Il, ©. 649 [bei Perg 3, 447. 8.]: 

Igitur cum omnia regna coram eo [Ottone] silerent et potestati ipsius 
omnes hostes cederent, monitu et intercessione sanct® matris ejus recor- 
datus est multis laboribus fatigati fratris, pr&fecitgne eum regno Bajo- 
ariorum, 1. |. w. pacem et concordiam cum eo faciens, qua usquein finem 
fideliter permansit. 

Als Herzog von Baiern tft auch Ernft dargeitellt und er empfängt 
nad der Begnadigung dieſes Herzogthum zurüd. 

Am ftärkften aber tritt die Ähnlichkeit in den befondern Umftänben 
der Verſöhnungsſcene hervor. Wie im Gedichte Herzog Ernſt bei ber 
Weihnachtsfeier im Münfter zu Bamberg, wohin er vor Tagesanhrud 
in Pilgertracht heimlich gelommen, fich vor dem Kaiſer niebertoirft, 
ebenfo Heinrich, als Büßender, bei der gleichen Feier im Dome zu 
Frankfurt [Ranfe II, 2, 52). 

Contin. Regin., Bert, Monum. I, ©. 619: A. d. 942 rex natalem 
Domini Franconofurti celebravit, ubi frater ejus u. |. mw. custodiam noctu 


373 


clam aufugiens, antelucano tempore regis ecclesiam adeuntis pedibus 
accubuit, et cOncessa venia, misericordiam, quam precatur, obtinuit. 


Wenn e3 nach diefer Stelle ſcheinen könnte, als hätte Heinrich fich 
vor feinem Bruder auf deſſen Wege nad) der Kirche (ecclesiam 
adeuntis) niedergeworfen, fo ftellt uns ein andres Zeugnis die Ver: 
föhnung als wirklich bei ber kirchlichen Feierlichkeit jelbft vorgegan- 
gen bar. 

Die Nonne Hroswitha 1 zu Gandersheim, die auf Verlangen 
Ottos II die Thaten feines Vaters, des erften Otto, in einem hera- 
metrifchen Gebichte gefeiert bat, gibt von dem Vorgang in der Kirche 
zu Frankfurt die folgende, ſchon im Obigen benüßte, malerifche 
Schilderung Nachdem fie von Heinrich® tiefer Neue gefprochen, führt 
fie fort (Meibom I, 717 f. Reuber ©. 170): 

Tandem percerte forti devinctus amore, 
1llico poenalem proicit de corde timorem, 

Et sub nocturnis nimium secreto tenebris 
Adveniens, in regalem se contulit urbem, 
In qua natalem regis celebrare perennis 
Rex piis obsequiis cœpit solenniter aptis, 
Depositisque suis ornamentis preciosis 
Simplicis et tenuis fruitur velamine vestis, 
Inter sacratos noctis venerabilis hymnos 
Intrans nudatis templi penetralia plantis, 
Nec horret hiemis sevum frigus furientis, 
Sed prono sacram vultu prostratus ad aram 
Corpus frigores sociavit nobile terre: 

Sic sic moerentis toto conamine cordis 
Optans presteri venie munus sibi dulcis. 
Quo rex comperto, victus pietate benigna 
Instantisque memor festi cunctis venerandi, 
In quo calicole pacem mundo cecinere u. |. w. 
Condoluit, miserans fratri commissa fatenti, 
Atque suam pie gratiolam concessit habendam 
Dli cum venie dilecto munere plenæ. 


Es ift möglih, daß Hroswitha, welche nad, ihrer wiederholten 
Verſicherung Feine fehriftliche Berichte vor fich hatte, dieſe Begebenbeit 


1 [Schriften I, 46. 8] 


974 


bereit3 durch mündliche Überlieferung einigermaaßen für bie poetifche 
Darftellung zugebildet gefunden hat. Aber immerhin fand fie den Er 
eignifien noch ziemlidy nahe (fie fchrieb für den Eohn die Geſchichten 
des Vaters nieder), und wir finden bei ihr fchon eine Ecene feftgeftellt, 
welche fih lange nachher, in den Dichtungen vom Herzog Ernſt, den 
Hauptzügen nach unverrüct erhalten hat. Nach dem mittelhochdeutfchen 
gedrudten Gedichte eilt Ernſts Mutter zur Frühmette des Weihnachts: 
tages in das Münfter, wohin fie ihn beichieden hat. Eie Ipricht zu 
ihren Frauen: „Ich fehe dort Pilgrime ftehen von über Meer, ich will 
| zu ihnen gehn und will Frage thun, ob fie irgend wiſſen um meinen 
Sohn.” Sie geht hierauf mit dem Sohne, den fie aufs Innigſte be: 
grüßt, zur Seite und belehrt ihn unter vielen Zähren, wie er bes 
Kaifers Verzeihung erlangen fol. Dann tritt fie wieder an ihren Stuhl, 
Freude und Sorge ringen mit ihr, mit naflen Augen ruft fie die 
Mutter Gottes an bei ben Freuden und der Ehre, die ihr von dem 
göttlichen Sohn (der heute zur Erbe kam) geworden. Groß Gebräng 
ift bernah im Münfter, als der Bilchof die Meſſe fingt und darauf 
jo jüß predigt, daß Mancher über feine Sünde Hähren vergießt. Auch 
den Kaifer bringt er zu großer Andacht. Da dringt Ernjt, nad) der 
Mutter Lehre, vor den Sig des Kaiſers, fällt ihm zu Füßen und 
Ipriht mit Demuth: „Herr, ich hab’ wider euch gethan; das vwergebt 
um Gottes Willen mir armen Mann!” Der Kaifer antivortete: „Dir 
jei vergeben! beſſre Gott bein Leben!” Er hebt ihn auf mit der Hand; 
als er aber ven fremden Mann recht anfieht und erkennt, da ift ihm 
leid, daß er demſelben Freundſchaft gethan, und jein Geficht werfärbt 
fh. Die Fürften aber, zuvor fchon von der Mutter gewonnen, treten 
alle vor den Kaifer: „hr habt Erniten feine Schuld vergeben; was 
ihr ſpracht, das hieltet ihr noch ftets.” „Dünkt es denn Allen gut,“ 
erwibert der Kaifer, „Io fei ex ledig diefer Fährde!“ Des freut fich 
alles Volt und Frau Adelheid ift der Sühne innig froh. 

Verglichen mit obiger Darftellung bei Hroswitha hat fich bier bie 
Scene vorzüglich darin erweitert, daß die vermittelnde Mutter perfün- 
lich in fie eingetreten if. Sjened „monitu et intercessione sancle 
matris® bet Wituchind ift in der Sagendichtung zur lebendigen Ger 
ftalt geworben; die fanfte DVermittlerin durfte nicht fehlen im Bilde 
der feierlichen Verſöhnung. 


So hat ſich ung auf diefer erften Stufe von jenen Hauptperſonen 
unfrer Sage Kaiſer Dito dem Namen und der That nach geichichtlich 
begründet. Auch das Verhältnis des Kaifers, bier zu Heinrich, dort 
zu Ernft, die Stellung der beiden Frauen, Mathilde und Adelheid, 
ift fich in allgemeinen Zügen ähnlich, und befonders auffallend ift die 
Zufammenftimmung in der Kataftrophe. 

Aber noch find und die Namen Adelheid ftatt. Mathilde, Emft 
ftatt Heinrich nicht gerechtfertigt und andere Perſonen fehlen noch gänz- 
lich. Schreiten wir daher weiter in der Geſchichte! - 


2. Otto IT und fein Sohn Ludolf. 


Zehn Jahre nach Beilegung des Bruderzwiſtes war der Erwerb 
neuer Macht und erhöhten Glanzes für den König Otto zugleich ber 
Anfang neuen und meitgreifenden Zwieſpalts, der wieder von feinem 
Haufe ausgieng. Adelheid, die junge Wittwe des Königs Lothar von 
Stalien, hatte, von ihren Verfolgern auf das Außerfte gebrängt, vie 
Hülfe Ottos angerufen und ihm, der damals Wittwer war, ihre Hand 
zugleich mit der Herrichaft über Stalien anbieten lafjen. Otto folgte 
diefem Rufe, warb der Befreier Adelheids, nahm von dem lombarbis 
chen Reiche Befig und Tam im Frühjahr 952 mit feiner neuen Ge: 
mahlin nad Deutfchland zurüd. Die Königin Adelheid, eine Tochter 
des burgundifchen Königs Rubolfs II, mufte durch glänzende Schön- 
beit, edle Eigenfchaften und die wunderbaren Geſchicke, durch die fie 
frühe ſchon gegangen war, Aller Augen auf fih ziehen. Auch um ihr 
Haupt mob fi in ver Folge der Heiligenfchein. 

Argwöhnifch ſah aber zu diefer neuen Verbindung Ludolf, Herzog 
von Schwaben, der Sohn Dttos aus erfter Ehe mit Editha, einer 
englijchen Königstochter. Sein Vater hatte ihn bereits, mit Zuftimmung 
der Neichsfürften, zum Mitherrfher und Nachfolger ausrufen laſſen 
(Vehſe S. 196). Durch die zärtliche Neigung, welche Otto feiner zweiten 
Gemahlin zumandte, glaubte fich der damals zwanzigjährige Lubolf aus 
der Liebe des Vaters verbrängt, die er fonft im volliten Maaße ge 
nofien hatte. Er mochte ſelbſt befürdten, daß er, als vor der Thron: 
befteigung Ottos geboren, in ber Reichsnachfolge zurüditehen müfle, 
wenn diefem in zweiter Che Söhne geboren würden (Behje ©. 204. 212). 
Zuerft jedoch warf ſich fein bitterfter Groll auf feinen Vatersbruder 


576 


Heinrich, denfelben, der fich früher wiederholt empört, feit feiner letzten 
Begnadigung aber Ottos unbejchränttes Vertrauen und nun auch das 
der Königin erivorben hatte (Vehfe S. 204). Zuvor ſchon waren Lubolf 
und Heinrich über die Grenzen ihrer Herzogthümer, Schwaben und 
Baiern, in Streit gerathen. Jetzt, nachdem die Eiferfucht immer heftiger 
entbrannt war, verband ſich Lubolf mit dem gleichfalls unzufriedenen 
Eidam ded Königs, Herzog Konrad von Lothringen, und dem Erz⸗ 
biſchofe Friedrih von Mainz, um gegen Heinrich loszubrechen und, 
wenn der König fih des letztern annähme, auch ihm die Spihe zu 
bieten. Bor den König nad) Mainz befchieden, gaben zwar Zubolf und 
Konrad vor, daß ihre Nüftung nicht gegen ihn gerichtet fei, äußerten 
jedoch ungefcheut ihr Vorhaben, den Herzog Heinrich zu greifen, wenn 
er zum Ofterfeft am königlichen Hoflager zu Ingelheim fich einfinde. 

Nachdem fie in Folge ihrer Weigerung, auf dem Reichstage zu 
Fritzlar zu erfcheinen, in die Reichsacht und ihrer Herzogthümer ver- 
Iuftig erllärt worden waren, brad im Sommer 953 die offene Fehde 
aus. Im Berlaufe derjelben bemächtigte ſich Lubolf der feſten Städte 
des Baiernherzogs, namentlich der Hauptftadt Regensburg, welche fortan 
der Mittelpuntt des Kampfes wurde und breimal von Seiten des Königs 
harte Belagerung erfuhr. Die Empörer fcheuten fich nicht, felbft bie 
wilden Schaaren der Ungarn zu ihrer Hülfe nad) Deutichland zu rufen. 
Zuletzt jedoch mufte Regensburg ſich ergeben, und als die Heere ſich 
an ber ler zu einer neuen enticheivenden Schlacht gegenüberftanden, 
wurde ein Stillftand dahin vermittelt, daß LZubolf auf einem Reichs: 
tage zu Fritzlar fich ftellen folle, um des Töniglihen Ausſpruchs zu 
gewarten. Als nun in der Zwiſchenzeit, im Herbit 954, Dtto zu 
Sonnenveld (Vehſe S. 229) in Thüringen der Jagd oblag, erſchien 
Ludolf, der ihm nachgezogen, baarfuß und warf fi) vor ihm nieber. 
Der Vater zuerft und dann alle Anmejende wurden vom leben bes 
reuigen Sohnes zu Thränen gerührt. Ludolf murbe begnadbigt, das 
Herzogthbum Schwaben jeboch erhielt er nicht zurüd. 

Auf gleiche Weife, wie in der früheren Verwicklung feinem meu⸗ 
terifchen Bruder Heinrich, fteht Kaifer Dito in diefer zweiten feinem 
wiberipenftigen Sohne Lubolf gegenüber. An feiner Seite erfcheint nun 
auch, wie im Gedichte, feine zweite Gemahlin Adelheid, deren Namen 
wir bisher noch vermifsten. Aber-die gefchichtliche Adelheid ift Lubolfs 


577 


Etiefmutier und, wenn auch unberſchuldet, Gegenſtand feines Grolles. 
Die Königin Adelheid der Eage bagegen ift bie Fürbitterin bes Sohnes 
beim Stiefvater. In diefer jagenhaften Adelheid lebt offetibar die 
biftöriiche Mathilde fort, deren Thätigkeit in Vermittlung tinb Fürſprache 
uns befannt ift; ein ſtärkerer glänzender Frauenname hat die Stelle 
eine8 früheren eingenommen. Ludolf ift von feinem Vater jum Reichs⸗ 
nachfolger beftimmt!, und bie Beforgnis, in biefet Nachfolge beein⸗ 
trächtigt zu werden, reizt ihn auf; Ernſt hatte von feinem Stiefunter, 
als er gleichfalls noch in deſſen voller Liebe ſtand, dieſelbe Beitimmung 
erhalten. Vorzüglich aber weift uns die Gefchichte nunmehr auch ben 
Verläumber und Zivietrachtitifter Heinrich, wie er im Liebe lebt und 
mit eben biefem Kamen, auf. Dort heißt er Pfalzgraf, Hier ift er 
Herzog von Baiern; dort des Königs Neffe, bier fein jüngeter Bruder. 
Derjelbe Heinrich, der in der erften Gefchichte der Aufrlihter und Ge: 
ächtete wat, alfo im der nemlichen Stellung, wie nachher Ludolf und, 
im Gevigte Ernft, ſich befand, nimmt nun einen Standpunkt ein, auf 
welchem Sage und Geſchichte in ſeinem Namen zuſammentteffen. Witi⸗ 
chind a. a. O. ſagt u. A.: 

COhuuvonradus a. ſ. w. ubumque cum eo sentiens ſilius regis Luidalfus, 
suspectum super had caussa Henricuti frattem regis habentes, quasi an- 
tiqua stimulatum invidid devitererdnt eum. Henricus auteni sciens adoles- 
centem mraternis destitutum suffragiis, contemtui eum cœpit habere, in 
taatum, ut a eonvitiig ei quoque nom päarceret. 

Der Baietnhetzog Heinrich wird zwar nicht von vem gefräntteh 
Lubolf erfchlagen, wie der Pfalzgraf Heinrich des Gebichts vom Herzog 
Ernſt bei deflen kühnem Eindringen im die Katferburg zu Speier. Aber 
das melden die Annalen, daß Ludolf und Konrad offen gevroht, ven 
Herzog Heinrich zu greifen, wenn er fich. jur Ofterfeier zu Ingelheim, 
auch einer rheiniſchen Königepfalz, einfinden würde. Bejonbers noch 
ftimmen bes biftorifchen Qubolf und des fagenhaften Eraſt Kriege 
gegen den Kaifer darin überein, daß beivemal die belagerte Stabt 
Regensburg der Mittelpunkt des Kampfes iſt. Ludolfs endliche Be⸗ 


1 Witichind B. VIII, a. a. O. ©. 651 [bei Perk, Monum. V. Ser. 3, 
451. 8.]: Post excessum Edidis regine omnem amorem Malernam trans- 
fadit rex in unicum filium suum Liudulfum factogae testäamento creavit 
eum regem post se. 

Upland, Schriften. VII. 37 


578 





gnadigung geht nicht jo feierlich in ber Kirche vor, wie bei Heinrich und 
Ernſt, aber doch wirft auch er ſich als Büßender, mit bloßen Füßen, 
vor dem beleibigten Bater und Könige nieber. 1 

Wir haben hiernach in biejer zweiten hiſtoriſchen Schichte den Namen 
Adelheid, einer meiteren Hauptperfon de3 Gebichts, dann Namen und 
volle Geftalt des Zankftifterd Heinrich, nebft der Belagerung Regen: 
burgs, urkundlich aufgefunden. Kaifer Dito fteht fortwährend an feiner 
Stelle und der Sohn Ludolf entipricht dem Stiefjohne Ernſt. 


3. Otto II und fein Better Heinrid. 


Dtto II, der Sohn Ottos I von Adelheid und deſſen Nachfolger 
im Reiche, hatte mancherlei Unruhe von feinem Better, dem Herzog 
Heinrich in Baiern, dem Sohne besfelben Heinrichs, der fich einft gegen 
Otto I empört und dann mit Ludolf in Zwieſpalt geratben war. 
Streitigleiten zwiſchen den Herzogen von Schwaben und Baiern, Dito, 
dem Eohne Ludolfs, und dem erwähnten zweiten Heinrich, gaben aud 
zu diefen Unruhen Anlaß. Der Kaifer Dito begünftigte den Herzog von 
Schwaben; zu dem Baiernberzog Heinrich aber hielt ein anderer Heinrich, 
der jüngere ? genannt, ein Sohn Bertholds, vom Geſchlecht der früheren 
baitifchen Herzoge, von der Mutter ber aber gleichfalls mit dem 
ſächſiſchen Königöftamme (vgl. Vehſe ©. 433) verwandt, ſodann ber 
Biſchof Heinrich von Augsburg (Sohn des Grafen Burkard, Vita Udel- 
rici C. 28). Jene beiden Heinriche ? ergriffen bie Waffen gegen den 
Kaiſer, mujten fich aber bald unterwerfen und murden im Jahre 978 
ins Elend verwiefen (Hahn Il, 113 f.). Der ſchwäbiſche Herzog 
Otto erhielt zu feinem bisherigen auch das Herzogthum Baiern. Erft 
nad jeinem Tobe im Jahre 982 * empfieng der vertriebene Heinrich das⸗ 
jelbe zurück (Hahn UI, 114). Bon diefer Ausföhnung nun handelt 
ein ohne Zweifel gleichzeitige Gebicht,5 in welchem lateinifche mit 
deutſchen Reimzeilen ſeltſam verflochten find. Sein Inhalt ift diefer: 

I Bal. Grimms Rechtsalterthümer ©. 718 f. 

2 minor, Hahn UI, 113; junior, ebenbaf. 114. 

3 [Bgl. Schriften I, 4705. 8.) 

4 Hermannus Gontractus bei Piftorius, Regensburg 1726, ©. 267, zum 
Jahr 982: „Heinricusque ducatum Bajoarie recepit.* Bei Ditmar von Merie 


burg, bei Leibnig I, 347 zum Jahr 978: Henricus minor exilio solutus u. ſ. w. 
5 [Bgl. Schriften I, 382. 473 fi. 8.) 


x 


379 


Zum Kaifer Otto (er war Kaijer feit 967, Dtto I tagegen, der 962 die 
Kaiſerkrone empfangen, war zur Zeit der Begnadigung feines Bruders Hein- 
rich, 942, noch lange nicht Kaifer) tritt ein Bote und ruft ihn auf: „Was 
fiteft du, Otto, unfer guter Kaifer? Hier ift Heinrich, dein königlicher Better.“ 1 
Da fteht Otto auf, geht ihm entgegen mit mandem Dann und eınpfängt ihn 
mit großen Ehren. „Willkommen Gott und mir,“ ſpricht der Kaifer, „ihr 
Heinriche, ihr beiden Gleichnamigen, und eure Gefährten!” Nachdem Heinrich 
den Gruß ermidert, faflen fie einander bei der Hand und Dtto führt ihn in 
das Gotteshaus, wo fie Gottes Gnade anrufen. Nach vollbradtem Gebete 
führt ihn Dito in den Rath, mit großen Ehren, und überträgt ihm, was er 
da hatte, außer dem Königsrechte, des auch Heinrich nicht begehrt. Da ftand 
alle Berathung unter dem treuen Heinrih. Was Otto that, das rieth alles 
Heinrih, und mas er ließ, rieth auch Heinrih. Da war Keiner, dem nicht 
Heinrich in Allem Recht gethan hätte. 

Das Gevicht ? ift gebrudt in Eckards Veterum Monument. Qua- 
ternio, Leipzig 1720, und neuerlih nah W. Madernagels Fritifcher 
Herftelung in H. Hoffmanns Yundgruben für Geſchichte deutſcher Sprache 
und Litteratur Th. I, Breslau 1830, ©. 340 f. Es befteht aus 36 
furzen Reimzeilen, wovon je eine lateinifche und eine deutjche zuſammen⸗ 
reimen, in folgender Art: 

Tunc surrexit Otdo 

ther unfar feifar guodo, 
perrexit iHi obviam 

inde vilo manig man 
et excepit illum 

mit midilon eron. 

Dieſes ſonderbare Stück rührt ohne Zweifel von einem Geiſtlichen 
auf der Seite des Herzogs Heinrich her, der durchaus in das vortheil⸗ 
hafteſte Licht geſtellt iſt. Auch die Sprache verläugnet dasſelbe nicht 
als ein gleichzeitiges mit dem Ereigniſſe, von dem es handelt; ſie zeigt 
übrigens niederdeutſche Formen. 

Was die hiſtoriſche Beziehung desſelben betrifft, ſo hat der erſte 
Herausgeber Eckard es auf Kaiſer Otto IV gebeutet und ſomit in das 


1 bruother hero, wie faterro patruus (Schmeller I, 638), hier etwa: 
bruotherero, bruotherro? Grimm II, 138. (Müfenhoffs Dentmäler &. 25. 
804 8] 

2 Bur Erflärung desfelben vgl. Grammatik II, 570. 


580 


Jahr 1209 verlegt. Daß diefe Zeitbeftimmung ſchon der Sprache nad) 
gänzlich unpaflend fei, ift jegt allgemein angenommen. Aber auch bie 
neuern Forſcher, Docen in Hormayrs Ardiv, 1823, ©. 532. %. Grimm, 
Grammatik 1te Aufl. 1, LX. Hoffmann, Fundgr. 1, 16. 341 und Lad 
mann, über die Leihe ©. 12, Note 23, haben ihm eine, nad meiner 
Anficht, unrichtige Anwendung gegeben. Eie beziehen es auf bie Ber: 
föhnung Ottos I mit feinem Bruber Heinrich im Jahre 941, wovon 
wir unter N. 1 gehandelt. Allein diefer Beziehung iwiberfpricht der 
Inhalt des Liedes. Bon minder mefentlihen Umftänden abgejehen, 
führt dasfelbe zwei Heinrihe ein, welche vor ben Kaiſer Otto treten, 
Diefer fpridt: 
Wilicumo Heinriche, 


ambo vos zquivoci =. |. w. 
\ 


Zwei dieſes Namens, welche an dem Ereignifje unter Otto I Theil 
genommen hätten, Tünnen aber nicht nachgewiefen werden. Lachmann 
fagt zwar: „Der andere Heinrich ijt der Sohn Herzog Geifelberts von 
Lothringen.“ Diejer Heinrich aber, ein Schwefterjohn Dttos I, war 
im Sahr 491 noch unmündig und fommt bei den Zwiſtigkeiten und ber 
Ausföhnung diefed Königs mit feinem Bruber nirgends vor. Dagegen 
werben in den Hänbeln unter Dtto II, auf die ich das Lieb beziehe, 
die darein verwidelten beiden denrich mit demſelben Ausdrucke wie 
im Gedichte zuſammen genannt. 


Vita S. Udalrici C. 28: Heinrieus Alias Hainrici et eequivocus ejus, 
filius Perhtolfß ad colloquium imperatoris vocati sunt u. f. w. Peracto 
itaque colloquio Heinricus et equivocus ejus in exilium missi sunt. 


Für die Sage vom Herzog Emmft erläutern fi zwar auf biejer 
dritten gefchichtlichen Stufe nicht weitere Hauptperfonen; dennoch durfte 
diefelbe nicht überfprungen werden. Wir finden bier wieber unter 
den Namen Otto und Heinrich, wie im erften ber ausgebobenen 
Fälle, den Zwieſpalt und die endliche Ausföhnung eines deutſchen 
Königs mit einem feiner nächften Blutsvertvandten, aud einem Baiern⸗ 
herzoge; es find die Söhne, an denen ſich wiederholt, was mit den 
Vätern geſchah. Nach dem halblateiniſchen Liebe, das noch ziemlich 
biftorifche Haltung hat, wird auch diesmal der Friede in der Kirche 
befiegelt: 


581 


Conjunxere manus; 

ber leida in [Otto Heinrichen] in thaz gobes hus; 
petierunt ambo 

thero godes genathono u. |. m. 


Ereigniffe und Eituationen, die ſich fo, jelbft unter gleichen Namen, 
von Generation zu Generation in ber deutjchen Kaifergefchichte erneuerten, 
fonnten auch in der Sage fortwährend benfelben Typus anfrifchen. 
Otto IL ift aber auch noch durd eine befonvere Bezeihnung an unfer 
mittelhochdeutiches Gedicht von Herzog Ernſt geknüpft. Er hatte den Bei: 
namen der Rothe, rufus, (Chronographus Saxo ad a. 974: „Se- 
dente... in paterni regni solio... Ottone secundo, ab habitu faciei 
agnomine rufo.“ Hahn II, 104.) Der Kaifer im eben erwähnten 
Gerichte wird nun gleichfalls an zwei Etellen der rothe Kaifer Otte 
genannt (V. 1337. 1368), während er doch als Gemahl Adelheids 
und durch andere, früher enitwidelte Verhältniſſe ſich als Dtto I dar⸗ 
ſtellt. Auch anberwärts in ſächſiſchen Kaiferfagen finden mir diefe 
beiden Dttone, Vater und Eohn, für einen genommen. Es maltet 
hierin berfelbe Bang der Eagenbildung, vermöge deſſen wir zuvor fchon 
Mathilden ale Adelheid wieder erftehen fahen und nun aud Heinrich, 
Ottos I Bruder, und Zubolf, feinen Son, zum Herzog Ernft umge: 
wandelt ſehen werden. 


4. Konrad II und fein Stiefſohn Ernſt. 


Ein anderes Gefchlecht deutſcher Könige ftieg herauf, das fränkische 
oder falifhe. An der Epihe desfelben ftand Konrad II, der Salier. 
Feſt und raftlo wirkte aud er darauf bin, die Macht feines Hauſes 
und damit ſeine Herrſchergewalt zu mehren und zu ſtärken. Er war 

vermählt mit Giſela, der Wittwe des Herzogs Ernſt von Schwaben, die 
als die ausgezeichneifte Frau ihrer Zeit gepriefen wird. Sie hatte aus 
erfter Ehe einen Sohn, ber gleich dem Vater Ernft hieß und deſſen Nach: 
folger im Herzogthum Schwaben war. Um das erlebigte Erbe des 
Königreih® Burgund entzweite fich der junge Fürſt mit feinem mäd): 
tigen Stiefvater. Er griff zu den Waffen, aber bald in dieſem un- 
gleichen Kampfe von feinen Bafallen verlaffen, mufte er fih unbebingt 
dem Kaifer ergeben und wurde von dieſem auf dem Felsſchloſſe Gibichen⸗ 


582 


ftein eingekerkert. Cinzig Graf Werner (Wecilo 1) von Kyburg war 
ihm treu geblieben, vertheibigte drei Monate lang feine Veſte Kyburg 
gegen den Kaifer und irrte, als dieſe nicht länger zu halten war, ge⸗ 
ächtet umher. Auf Füriprache feiner Mutter Gifela wurde Ernft nad 
zweijähriger Gefangerfchaft wieder freigelafien. Er follte nun in das 
Herzogthum Baiern eingefegt werben, unter der Bebingung, baß er 
ſchwöre, Wernern, ben Anftifter der Unruhen, wenn diefer ſich in feinem 
Gebiete betreten ließe, feftzunehmen und auszuliefern. Ernſt aber wollte 
lieber auf das Herzogthum verzichten, al3 ben Freund verratben. Ihn 
fchredte nicht, daß Reichsacht und Kirchenbann über ihn ausgefprochen 
wurde. Mit Wernern und wenigen Andern jeßte er fih, in der Wild⸗ 
nid des Schwarzwalbs, auf die Burg Fallenftein, deren Trümmer nod) 
in der Gegend von Wolfach zu fehen find. Dort aufgeſucht und ge: 
brängt, fiel er in verzweifelndem Kampfe zugleich mit Wernern und Bielen 
der Seinigen. Auf der Inſel Reichenau wurde er, nachdem der Bann von 
ihm genommen war, begraben. “Dieß ereignete ſich im Jahre 1030. 
Die Schickſale des Herzogs Ernſt, die wechſelſeitige aufopfernde 
Treue der beiden Freunde und ihr gemeinfamer Tob, mie hiernach bie 
Geſchichte fie beurfundet, bieten dem Gemüthe fo viel Ergreifendes dar, 
daß man ihren frühzeitigen Übergang in Lieb und Eage fich wohl ers 
Hären kann. Eine hiſtoriſche Hauptquelle ift die Erzählung Wippos 
(Wippo de vita Chunradi Salici imp. bei PBiftorius, Script. Rerum 
Germanicarum 8. I. Frankfurt 1607. ©. 421 ff.), der ala Capellan 
Konrads II und in einem deſſen Sohne zugeeigneten Werke keineswegs 
die Partei diefer Gegner feines Gebieterd nahm, und doch verläugnet 
ſich auch bei ihm nicht das Gefühl für diefes großartige Beifpiel der Treue. 
Es iſt auch nicht zu zweifeln, daß biefe Gefchichten urfprünglich ſelbſt⸗ 
ftändig gejagt und gejungen worden. Aber derjelbe Bildungstrieb, ver: 
möge deſſen fi) im größeren epiſchen Cyklus jo manigfache Sagen 
und Sagenfreife zum Ganzen verbunden, äußerte auch bier noch feine 
Wirkſamkeit und fpielte diefe falifch- fränkische Sage mit der ottonifchen, 


1 Wecifo, wie der Name ſchon bei Wippo, dann aud in Odos lateiniſchem 
Gedichte Tautet, ift das Diminutiv von Werinhere, Werinharius, wie er bei 
Hermannus Gontractus u. a. heißt. Vgl.: „quidam monachus [Tegerns.) 
Werinherus, qui a quibusdam causa civilitatis Weczil dicebatur.“ Kugler, 
de Werinhero ©, 25. 


383 





— 


deren ſtufenweiſe Bildung wir bisher verfolgten, zufammen. Der Anlaß 
und Heftpunkt diefer Verknüpfung lag darin, daß die Stellung Ernſts 
zu feinem Gtiefoater Konrad und feiner Mutter Gifela in der Haupt: 
ſache die nemliche war, wie ſchon auf jener erften Stufe die Stellung 
des ſächſiſchen Heinrich zu feinem Löniglichen Bruder Otto und feiner 
Mutter Mathilde. Aber die Verknüpfung gieng nicht ohne I bebeutenbe 
Einbuße auf Seiten ber falifhen Sage vor ſich. 

Sch babe die Eage vom Herzog Ernſt nicht darum zum Gegen⸗ 
ſtande genauerer Erforſchung gemacht, als ob ich ihren dichteriſchen Werth, 
wie ſie jetzt vorliegt, ſo beſonders hoch anſchlüge, ſondern weil ſie mir 
für die Einſicht in die Werkſtätte der Sagenbildung vorzüglich lehrreich 
zu ſein ſchien. Die wahrhafte Geſchichte des Herzogs Ernſt ſteht offen⸗ 
bar größer da, als die nunmehrige Sagendichtung. Die Geſchichte bot 
zwei lebendige Hauptmomente dar, welche gewiſs auch von Anfang im 
Volksgeſang aufgefaßt waren, die aufopfernde Treue der beiden Freunde 
und die Stellung Giſelas zwiſchen dem Gemahl und dem unglücklichen 
Sohne. Ernſts und Wecilos gegenſeitige Treue, wie dieſer allein aus⸗ 
hält, als der Herzog von allen andern Vaſallen verlaſſen iſt und im 
Kerker liegt, wie er ſeine Burg ſo lang als möglich vertheidigt und 
nachher geächtet umherſchweift, wie dann aber Ernſt ihm wetteifernd 
vergilt, wie er um Wecilos willen ein Herzogthum ausſchlägt, Acht und 
Bann auf ſich nimmt, und wie endlich der Tod im Kampfe die beiden 
Freunde vereinigt; dieſer erſte geſchichtliche Hauptmoment iſt unverkenn⸗ 
bar der dichteriſch bedeutendſte. Aber er iſt der Sagenverknüpfung zum 
Opfer gebracht worden, und nur noch die Spur, wie er einſt lebendiger 
in der Sage gewaltet, hat ſich noch darin erhalten, daß Herzog Ernſt 
und Graf Wetzel als unzertrennliche Gefährten im Kampf und auf der 
Irrfahrt erſcheinen. Der ältere, ottoniſche Sagengrund blieb unvertilgt 
und behauptete die Oberhand über den ſpäteren Anwuchs. Jene ältere 
Sage ſchloß mit der Verſöhnung und ſo fiel die tragiſche Kataſtrophe 
der Ernſtsſage hinweg. Das Gemeinſame der beiden Sagen ſchlug in 
ihrer Verbindung vor, und dieſes lag für die Ernſtsſage in dem zweiten 
der angeführten Hauptmomente, in der Stellung Giſelas zwiſchen Ge⸗ 
mahl und Sohn, deren Entſprechendes in der ottoniſchen Sage uns ge⸗ 
nügend bekannt iſt. In den Namen Adelheid trat, wie früher Mathilde, 
fo nun Giſela ein. Die Mutterliebe, wie fie unermüblih wach und 


584 


thötig ift, dem bebrängten Sohne fein hartes Schichal zu erleichtern 
und die Verſöhnung des unfeligen Zwieſpalts berbeiguführen, und wie 
fie zulegt, nach manchem bittern Sabre, freudig gerührt, ihr Friedens⸗ 
werk zum Biele gebracht fieht, diefe Fromme Mutterlisbe ift auch wirllich 
im Gedichte yon Herzog Ernſt mit vieler Innigkeit aufgefaßt und durch⸗ 
geführt und eben biexein fee ich den hauptſächlichen poetiſchen Gehalt 
biefes Gebichts. Indem die ysfprüngliche Ernſisſage fi) nunmehr auf 
dieſes zweite Moment heichränkte, Brit fie, mit den Berichten ber 
Annaliften verglichen, jchon beim Jahre 1024, alſo 6 jahre vor Ernſis 
Tode, ab, nemlich bei feiner erſten Auflehnung gegen ben König und 
ber Vermittlung dieſer Fehde durch feine Mutter. 

Wippo zum Jahr 1024 jagt: 

Eodem tempore, hoste pacis diabolo suadente, Ernestus dux Ale- 
mannie, Chuno dux Francie, Friderions dux Lotharingorum cum aliis 
plerisque contra regem Chuonredum consenserunt, et multa molientes, 
multas munitioneg incassum preparantes, nihil nisi calamitatem futuram 
agseeuti supt; quos omnes rex Chuonradus parvi pendens, iter suum in 
Iteliam cum copiis destinevit; sed dux Ernestus, humiliter iter ejus pro- 
secutus usque Augustam Vindelicam, interventu matris suæ regin® et 
fratris sui Heinriei adhuc parvuli aliorumque principum multum renuente 
rege vix in gratiam ejus receptus est, 


Hier, glaube ich, ift der Punkt, wo die Ernftgfage mit ber otto⸗ 
niſchen, mit deu ähnlichen Verfühnungsfcenen in dieſer, ſich berührte 
und zufammenichmolz, dabei aber ihren tragifchen Schluß hinter fich ließ. 

Sehen wir von dem ab, was auf ſolche Weife verloren gieng, fo 
ift gleichwohl nicht zu miskennen, baß in jener Gruppe, von ber wir 
ausgiengen und die wir nun aus fo manigfachen Entwidlungen beran- 
gebildet fanden, noch immer ein großartiges deutſches Gefchichtbilb vor 
uns ftebt. In den Hallen des alten Domes, mo die Priefterfhaft Weih⸗ 
nachthymnen anftimmt, vagt in einfachem Gewande des erniten, ftrengen 
Naiſers hohe Geftalt; vor ihm, am Altare, wirft fich ein Mann in Pilger: 
tracht nieber, in Kämpfen und Mühen früh gealtert und faft unkenntlich 
geworden; an hefien Seite fteht der treue Genoſſe feiner Drangfale, 
auch jetzt bereit, jeve Wendung ber Dinge mit ihm zu tragen und durch⸗ 
zulämpfen; die Mutter aber beugt ſich herein, die fürbittenden Hände 
gefaltet. Auch die Fürften des Reichs, im Halbkreis umber, zeigen 


585 
ihre vermittelnde Theilnahme, und erwartungspoll draͤngt fich die Volls⸗ 
gemeinde. Den Berläumber aber, den Anftifter des Unheils, und 
jeinen blutigen Tod deckt Tängft ber breite Grabftein auf dem Boden 
ber Kirche. 

Gerade, daß ber Kaifer zugleich Dito I, Dtto II und Konrad II, 
Bater, Sohn und Urentel ift, der knieende Pilger Heinrich, Lubolf und 
wieder Heinrich und Ernft, die fürbittende Frau Mathilde, Adelheid, 
Giſela, daß in dem ftehen gebliebenen unter diefen Namen verſchiedene 
geſchichtliche Epochen fich kreuzen, daß der trügeriiche Heinrich ber ſäch⸗ 
ſiſchen, der treue Wecilo der fränkiſchen Kaifergefchichte angehört, eben 
damit ift das Geſchichtbild ein ideales, es ftellt den Geilt und Cha- 
ralter einer langen, vielbewegten Zeitperiobe dar. 

Der gefchichtlihe und früher im Volksgeſange gefeierte Ernft bat 
allerbings in der Sage, in welcher ſich jo viele Zeitereignifie aufgerollt, 
an feiner fittlich>tragiichen Ericheinung verloren; aber doch war bie 
Nachwirkung derielben jo märhtig, daß er der ottonifchen Sage, indem 
fie ihn und feinen Freund in fih aufnahm, feinen Namen aufprüdte, 
daß fie nun als die Sage vom Herzog Emft fortlebt. - 

Emft verehrt am Ziele feines Irrſals dem Kaifer den leuchtenden 
. Endelftein, ven ex bei der Fahrt durch den hohlen Berg aus dem Felſen 
geriflen und ber, fortan ein Kleinod in ber Reichskrone, als der einzige 
feiner Art der Waife 1 genannt wird (vgl. Rechtsalth. 923. Grammatik 
IL, 379, 2). BDiefem Steine legt Odo, der Verfaſſer des lateiniſchen 
Gedichtes, die wunderbare Eigenfchaft bei, daß er auf dem rechten 
Scheitel fitend das Bild des römischen Neiche zurüdftrale (B. VIII, 
E. 375): | 

Hujus mira satis virtus, si sederit equo 
Vertice, Romani [jam] splendet imagine regni. 

Es bat doch zuletzt der Sagenheld Ernft in bie alte Kaiſerkrone 
ben meltfpiegemben Kryſtall der Poefte geſetzt, in welchem alle jene 
tweiten Räume beutjcher Gefchichte fich abftralen. 

68 ift bereitz erwähnt worden, daß bie wunderbaren Reifenbenteuer 
nicht im Munde des Volles, fondern auf gelehrtem Wege in die Cage 
von Herzog Ernft gelommen ſeien, durch Titterarifche Belanntichaft mit 

1 Bol. Minnefinger Man. I, 15a, 5. 1026, 3, 1276, 8. U, 138 a 
Pfälzer Hdſ. 357, Bl. 19 6. 


586 


-— — — —— — — 


demjenigen, was ſchon die Alten, namentlich Plinius und Solinus, 
dann die fabelhaften Geſchichten Alexanders des Großen, von den Wundern 
des Morgenlandes berichten. Dieſe gelehrte Beimiſchung erklärt ſich leicht, 
indem wir wiſſen, daß die Sage namentlich auch in den Klöftern Be 
arbeiter fand. Die erfte Epur cine? deutichen Herzogs Ernſt fanden 
wir im Klofter Tegernfee; der Mönch Odo bearbeitete fie in lateiniſchen 
Herametern und auch die mittelhochbeutfchen Gedichte berufen fi auf 
eine lateinifhe Duelle Erheblicher ift ung die Frage, ob auch noch 
- weiterhin, namentlid) aus der hohenftaufifchen Zeit, geichichtliche Beſtand⸗ 
tbeile in die Ernſtsſage aufgefaßt worden ſeien, ob fie fomit bis in 
das dritte Kaifergefchleht vorjchreite. Nur ganz äußerlich ift die An⸗ 
lehnung, wenn in dem Meiftergefange des 15ten Jahrh., wie ihn Kaſpar 
von der Nöhn gibt, der Kaifer, Ernſts Stiefvater, Friederich beißt, 
ein bobenftaufifcher Königename. Erft zu unterfuchen ift noch das bloß 
banbfchriftlich vorhandene Gedicht von Heinrih 1 von Braunfchweig, mel: 
ches einestheild mit der Sage von Heinrich dem Löwen, anderntheils mit 
ber von Herzog Ernft Ähnlichkeit haben foll (Grundriß 540, 184 ff. 
Docen, en. Litteraturzeitung 1810, N. 109, Ep. 267 f. 277). Bor: 
züglich aber hat man in Ernits kecker Gewalttbat, wie er feinen bo& 
baften Anſchwärzer, den Pfalzgrafen Heinrih, im Gemade des Kaifers 
aufſucht und erjchlägt, mie der Kaifer ſelbſt nur dur fchnelle Flucht 
dem Schwerte des Zürnenden entrinnt, eine poetiihe Nachbildung be 
Königsmordes gemuthmaßt, melden der Pfalzgraf Otto von Wittels⸗ 
ba im Jahre 1208 an dem Hohenſtaufen Philipp verübte, indem er 
wirklich auf ganz ähnliche Weife in Philipps Gemach auf der Altenburg 
bei Bamberg einbrang. 

Godefridus monachus coloniensis, Anneles colon. maximi: „Cum Phi- 
lippus solus in quodam lobio cum episcopo spirensi et aliis duobus, sc. 
camerario et dapifero suo, remansisset, ille nefarius homo [Otto Pala- 
tinus 2) cum sedecim militibus armatis adveniens introftum petit. Qui 


1 [Soll wohl heißen Reinfrit von Brannſchweig. Das Gedicht von dem 
braunfchweigifhen Herzog Heinrich dem Löwen hat fchon 1828 Maßmann in 
jeinen Dentmälern 1, 128 fi. Herausgegeben, wie Schriften I, 503 gefagt 
if. Über Reinfrit von Braunſchweig vgl. die Monographie K. Gödekes 
Hanover 1851. &.] 

2 [Bgl. Münchner Liederhoſchr. 52a: Dux Philippus moritur Palatini 
gladio.] 


cum jussu regis intromissus fuisset, gladium latenter de manu cnjusdam 
armigeri tulit, et quasi regem salutalurus accessit, quem cum audacter 
in caput ejus vibrasset, uno ictu eum interfecit. "Quo statim martuo, 
episcopo spircnsi se Occultante, alios duos in eum irruentes fortiter vul- 
neravit et mox "gressus adscenso equo cum suis fugere cœpit. ven IV, 
76. Raumer Ill, 139 bis 145.) 

Vergleichen wir biemit die Erzählung von Ernſts That in ber 
älteften, noch vorhandenen Darftellung, den poetifhen Brucftüden in 
Hoffmanns Fundgr. 1, 230 (Erneft de belit gut u. |. w.), fo ift die 
Übereinftimmung allerdings auffallend. Mollen wir aber diefelbe nicht 
überhaupt entweder für zufällig oder in der Art eines ſolchen Unter: 
nehmens beruhend annehmen, fo Tann doch feinen Falls das Gedicht 
aus der Gejchichte vom Ende Philipps geborgt haben, denn die Bruch— 
ftüde find älter, fie ftammen noch aus dem 12ten Jahrhundert, während 
die Ermordung Philipps in das Jahr 1208 fällt. 

In der ſächſiſchen und fränkischen SKaifergefchichte zeigt ſich zwar 
feine Thatſache, die dem Gewaltſtreiche Ernſts entjprädhe. Nur das 
ift Schon früher angeführt worden, daß Ludolf und Konrad dem Kaifer 
drobten, den Herzog Heinrich, wenn er an den Hof in der Pfalz Ingel⸗ 
heim Täme, gewaltſam zu greifen. Dagegen mochten jchon ältere 
farolingifhe Eagen einen folden Zug barbieten, 3. B. wenn in ber 
Enge von den Heimonskindern Neinold dem Könige Ludwig, im Ans 
geficht feines Vaters, des Kaifers Karl, das Haupt abſchlägt; 1 Ahn- 
liches im Roman von Hüon von Borbeaur. Eine fagenhafte Über: 
lieferung dieſer Art konnte ſich als That da anfchließen, wo die Ge: 
ihichte nur eine Drohung kennt. Kann nun aber bier der Grund ber 
Cage nicht in einem geichichtlichen Ereignifje nachgewieſen werben, To 
erhebt ſich umgefehrt die Möglichkeit, daß die Eage auf die wirkliche 
That bingewirkt habe. Heinrich von Andechs, Markgraf von Iſtrien, 
der als Anſtifter der von Otto von Wittelsbach verübten Frevelthat 
betrachtet und deshalb geächtet wurde, und deſſen gleichfalls in dieſe 
Sache vertwidelter Bruder, ver Bilchof Egbert von Baınberg, waren 
Söhne eben jened Grafen Berthold, der im Jahr 1180 das deutiche 


1 Über die aufrühriſchen Grafen Ernft und Werner unter Ludwig bem 
Deutſchen f. Annales Fuldens. zu den Jahren 861. 865. 866 bei Freher 
©. 21. 30. 31. Pertzs Mon. I, 343 bis 415.8} 

% 


388 


Büchlein von Herzog Ernft fi) vom Abte des Kloſters Tegernfee zur 
Abſchrift erbeten hatte. Das Gedicht war fomit ohne Zweifel im Haufe 
Andechs vorhanden und wäre nun die Muthmaßung zu geivagt, daß 
eine Fabel, welche damals fo beliebt war, dem Markgrafen Heinrich 
und feinem Mitverfchworenen, Dtto von Witteldbach!, zum aufregenden 
Vorbild diente, nach welchem fie den eigenen Teden Anſchlag faßten 2? 
So hätte die Sage zwar auch das dritte Kaiferhaus ergriffen, aber 
nicht zu poetifher Geftaltung, fondern rüdwirkend auf die Befchichte. 

Über die Eagen und Gedichte von Herzog Ernſt ift ſchon manig- 
fach verhandelt und dabei auh das Geſchichtliche erörtert worden. 
Namentli find anzuführen: | | 

Görres, die deutfchen Volksbücher. Heidelberg 1807. S. 83 bis 85. 

Ebendesſelben Anzeige diefes Buchs, Heidelberger Jahrbücher 1808. 9.11. 
©. 411 bis 418. | 

8. d. Hagen, Einleitung zum Herzog Ernft, in den deutſchen Gedichten 
bes Mittelalters. B. I. Berlin 1808. 

Docen, Beurtheilung diefer Sammlung in Schellings Allgem. Beitichrift. 
81 H. 2. Nürmberg 1813. ©. 231 bis 264 

Ebenberfelbe, zur Litteratur und Kritik altveutfcher Gedichte. Muſenm für 
altdeutiche Litteratur und Kunſt. B. II. Berlin 1811. S. 245 ff. 


Ich habe diefe Vorarbeiten benützt, aber das Einzelne in einen 
vollern Zuſammenhang der Sagenentwidlung zu bringen geludt. 

Außer diefer umfaflenden Eage find aus der ſächſiſchen und 
fränfifchen Kaiferzeit noch manche, mehr vereinzelte vorhanden, deren 
ih noch einige anführe, und zwar folde, die fih den. Geſchichten der 
uns bereitö fagenbaft befannten Kaiſer, Ottos I und II und Konrads II, 
angeheftet haben. 

Rurzbold 3. *** 

Es ift jehr zu bedauern, daß uns Eckehard (geft. um 1036) von 


1 Otto von Wittelsbach wollte Anfangs Gertrud, die Nichte jener beiden 
Brüder, heirathen. Raumer III, 145, 1. 

? In einer Urkunde Ottos JV werben beide zufammen genannt Interfectores 
regis Philippi marchio Histrie et Otto Palatinus u. |. mw. Raumer ILI, 144, 2, 
[2te Aufl, 2, 667. 8.) 

3 [E83 bleibt hier mandyes weg, was ſchon Schriften I, 412 f. wörtlich 
gleihlautend abgedrudt if. 8.) 


589 


diefem führen Sonverling nicht mehr erzählt over gar bie Lieber er: 
halten bat, weiche von ihm gejungen wurden. Hätten wir biefelben 
no, fo würden ſich wohl auch die Sonverbarleiten poetiſch erklären, 
wie bei nano. | 

Daß fi die Überlieferungen von Kuno Kurzbold zu Edeharbz 
Zeit, vor Ablauf eines vollen Jahrhunderts von den geichichtlichen 
Greignifien, ſchon beträchtlich ſagenhaft geftaltet hatten, ergibt fich 
Ihon daraus, daß Bier in die Tage Heinrichs I binaufgerüdt wird, 
was ſich unter feinem Sohne Otto I begab. Der Untergang der aufs 
rührifchen Herzoge bei Breyfich nächſt Andernach fällt in die Zeit ver 
Zwietracht Ottos I mit feinem Bruder Heinrich, in melden Zufammen- 
bange wir früher davon Melbung thaten. 

Dito mit bem Barte 1. *** 

Sage von Kaiſer Heinrich III2. *** 

Mehrere andere fagenhafte Überlieferungen aus der Zeit der Ditone 
und der Salier find im 2ten Bande der grimmiſchen Sammlung zu 
finden. Bon manden find nur noch Spuren übrig, welche zu verfolgen, 
bier zu umftänvli fein würde, wenn gleich aud fie betveifen, fie 
geichäftig diefe Periode des deutſchen Mittelalters noch war, die Ge: 
fchichte in Sang und Eage aufzufafen. | 


VI Sagen aus ber Zeit der Hobenftanfen. 
1. FSriedrih von Schwaben 3, *** 
2. Der verlorene Kaijer Friebrid. 


Ähnliche Sage, wie die vom Fortleben und der einftigen Wieber: 
kehr Karla des Großen, wird aud vom Kaiſer Friedrich, obgleich wieder 
mit befondern Umftänven, erzählt. Welcher der zwei berühmten Hohen- 
ftaufen biefes Namens dabei gemeint fei, läßt ſich nicht immer be: 
ſtimmt unterſcheiden; bald neigt bie Überlieferung ſich mehr zum Einen, 
bald mehr zum Andern, bald gehen fie in fagenhafter Einheit auf. Das 

1 (Schriften I, 478. 2] 

2 (DaB Dianufcript dieſes Abfchnittes fehlt. Nach dem in der Borlefung 
nachgejehriebenen Hefte ift die bei Grimm, deutihe Sagen 2, 177 nad Gott⸗ 
fried von Viterbo erzählte Sage gemeint. $.] 

3 [Na dem frühern Hefte, Schriften I, 481 fi. 8.] 


390 


— 





Lebensende Beiber trat unter Berhältniflen ein, welche die Anknüpfung 
einer ſolchen Sage begünftigten. Friedrich der Erfte fam auf der Kreuz: 
fahrt im fernen Dften um (1190) und die Annalıften jelbft weichen in 
der Erzählung von feinem Tode manigfad) von einander ab (Raumer 
II, 436 f.); um fo freieres Epiel hatte hier die lebendige Volksſage. 
Auch Friedrich II farb fern vom deutfchen Heimathlanbe, in Apulien 
(1250. Raumer IV, 261), nachdem ihn längft der päbitliche Bann - 
aus der Gemeinschaft der chriftlihen Kirche veritoßen hatte. Johann 
von Winterthur, ein Chronilichreiber aus der erjten Hälfte des 14ten 
Sahrhunderts, 1 verbindet mit der Rachriht vom Tode dieſes Kaifers 
folgendes Sagenhafte (Joh. Vitodurani Chronicon in Yeibnigs Ac- 
cessiones historie, S. 14): 

Fridericus imp. quondam sic anathematizatus et impcrialis honoris 
apice privatus .. . sepultus apud Fodiam tam occulte, quod multi per 
annos XL vadiabant eum vivere, venturum in proximo in manu robusta. 
Alii famant, quod ad exhortationem suorum astronomorum Europam 
reliquerit et ad partes terre longinquissimas per mare et per terram cum 
suis familieribus et servitialibus dudum ante mortem suam dervenerit, ne 
mala sevissima incurreret sibi immihentia, astrologorum suorum in astris 
certan per cognitionem, si reimaneret; qui recedens ultra non apparuit 
in terra. 

Wie verbreitet im 14ten Jahrhundert der Glaube vom Verſchwin⸗ 
den, Fortleben und ber Wiederkunft Kaifer Friedrihs war, und 
zwar in fichtlicher Anwendung auf Friedrich II, davon ſprechen weitere, 
und zwar poetifche Zeugnifje aus dem gedachten Jahrhundert. 

Dahin ohne Zmeifel gehört ein vorn herein nicht mehr vollſtändi⸗ 
ges deutfches Gebicht vom Kaifer Friedrich in der Heidelberger Papier: 
Hdſ. 844 (Willen ©. 544). Der Berfafler desſelben nennt fih am 
Schluffe Dswalt 2. Dabei fteht die Jahrzahl 1478, welche jedoch nur auf 


1 Fobannes Bitoduranus fagt im proomium ©. 4: Exordium autem 
narrationis memw assumere cogitavi ab Innocentio tertio illius nominis papa 
et a Friderico imperatore secundo hujus nominis, qui non longe mea 
meorumque progenitorum tempora antecesserunt. Sein Chronicon geht, 
joweit es vorhanden, bis zum Jahr 1277, ſoll ſich aber nach Leibnihs pre- 
fatio bis 1348 erfiredt haben. ſVgl. C. %. v. Stälin wirtembergifche Ge: 
ſchichte. Stuttgart bei Cotta 1856. 3, 4. 8.) | 

2 [Bgl. Schriften I, 495. 8.] 


591 

die Zeit dieſer Abfchrift zu beziehen ift. Zu Königsberg in Ungarn, fagt 
der Verfaſſer, habe er diefes Werk vollbradyt. Das vorhandene Brud) 
ſtück betrifft Hauptfächlich ven Verkehr des Kaiſers Friedrich mit dem fabel: 
haften Priefter Johann in Indien und ihre gegenjeitigen Geſchenke. 
Der Kaifer empfängt namentlich ein Kleid, von Salamanbern gemoben, 
das man im Feuer wäſcht; eine Flafche vom Wafler des Wunder: 
brunnens, welches allezeit Gefundheit und Kraft gibt; davon foll der 
Kaifer ein Jahr und drei Monate lang jeden Tag nüchtern trinfen, 
jo bleibe er gejund und lebe darnach 300 Jahre und 3 Monate; fo: 
dann einen Yingerring mit Ebeljteinen von wunderbarer Kraft, be: 
ſonders der, daß wer den foftbarften dieſer Steine in der Hanb ver 
ſchloſſen hält, dadurch unfichtbar wird. 

Diefer Haupttheil des Gedichts, für melchen der Verfaſſer fih auf 
ein lateintfches Buch beruft, geht uns für die eigenthümlich deutſche 
Sage nicht näher an. Dagegen ift nun am Schluſſe eine Erzählung 
in Verbindung gefeßt, bie fi, nach ausbrüdlichem Berfihern des Ver: 
faſſers, auf mündliche Volksſage gründet. 

Der edle Kaiſer Friedrich behielt jene drei Kleinode ſorgfältig bis 
zu der Zeit, da ihn der Pabſt Honorius in den Bann that, ihn von 
der Gemeine der Chriſtenheit ausſchloß und die Fürſten, die dem Reiche 
geſchworen, ihrer Eide ledig ließ. In welche Stadt nun der Kaiſer 
ritt, vermied man, ſo lang er darin war, Gottes Amt, las keine 
Meſſe und ſang keine Tagzeit. Einſt nun zur Oſterzeit, um nicht die 
Chriſtenheit in dieſer heiligen Feier zu irren, bereitete ſich der Kaiſer 
auf die Jagd. Niemand von den Jägern wuſte ſeinen Muth noch 
Sinn. Er legte das koſtbare Gewand an, das ihm aus Indien geſandt 
war, nahm darunter die Flaſche vom Wunderbrunnen und beſtieg ein 
gutes Roſs. Etliche Herren ritten mit ihm. Als er fern in den Wald 
gekommen, nahm er feinen Ring mit dem unſichtbar machenden Edel—⸗ 
ftein in die Hand und verſchwand vom Sagen. Seitdem fah man ihn 
nimmermehr 1, 

Alfo ward der hochgeporn 
Keifer Friderich do verlorn. 


1 [Andere Darftellungen f. bei Adelung, Altdeutſche Gedichte in Rom II, 
197. Bgl. Graffs Diutisca II, S. 367.] | 


592 


Wo er darnach ye bin kam, 
Oder ob er den end do nam, 
Das fund nyemanb gefagen mir, 
Oder ob yne die wilden tir 
Breffen habn oder zeriffen, 

Es lan die warbeit nyemand willen, 
Oder ob er noch Iebentig ſy, 
Der gewiſſen fin wir fry 

Und der rechten warheit; 

Ne doch ift uns gefait 

Bon pamwren folh mer, 

Das er als ein waler 

Sich oft by yne hab laſſen ſehen 
Und hab yne offenlich verjehen, 
Sr füll noch gewaltig werden 
Aller romſchen erben, 

Cr ſüll noch die paffen foren 
Und er wol noch nicht uf horen 
Noch mit nichten laffen abe 
Nur l er pring das heilge grabe 
Und dar zuo das Heilig lant 
Wider in der Eriften hant, 

Und wol fines fchiltes laſt 

Hahen an den deren ? afl. 

Das ich daß für ain warheit 
Sag, das die pamren haben gefeit, 
Das I nym ich mich nicht an, 
Dan ich fin nicht gejehen han. 
Ich Han e8 auch zuo fein fiunden 
Noch nyndert gefhribn funden, 
Wan das ichs gehort han 

Bon den alten pauren an wan. 4 
Aber das der hochgeborn 

Keifer Fridrih wurd verlorn 


i Niwan? 

2 dürren? 

3 Des? " 
4 Are wän, ohne Fehl, ausgemacht. Wigalois 744. 


393 


Alfue 1 und and alba 

Das fagt die romſch Beronica, ? 

Da von ichs wol gefagen tar 

Und gejchriben offenbar, 

Das ley noch die paffen 

Daran nicht mogen geftraffen u. ſ. w. 

Daß bier Friedrich II gemeint ſei, erhellt ſchon aus der Nennung 
bes Pabites Honorius als desjenigen, der ihn mit dem Banne be 
legte, worunter Honorius III, der von 1227 bis 1241 auf dem päbft- 
lichen Stuble jaß, zu verftehen ift (Raumer Il, 507),-dann aber au 
daraus, daß der Kaifer, von dem erzählt wird, ala Gegner einer fich 
zu viel anmaßenden Prieſterſchaft erfcheint. Mochte man von Karls des 
Großen Wiederkehr die Herftellung weltlichen Friedens und Rechts fich 
veriprechen, von diefem Friedrich erwartete man, daß er noch einft „bie 
Pfaffen ftöre“ 3, ihre Verderbnis und ungebührliche Gewalt breche und 
durch Befreiung des heiligen Landes und Grabes 4 der Gründer einer 
neuen, gereinigten Kirche werde, was mit der Idee vom taufendjährigen 
Reiche, die im Mittelalter fehr gangbar war, zufammenzuhängen fcheint. 
Der Verfafler des Gedicht drückt fich hierüber vorſichtig aus, er gibt 
es als eine Sage der alten Bauern, für die er nicht ſelbſt einftehen will. 

Noch deutlicher find dieſe Anfichten in einem Meifterlieve ausge⸗ 
fprochen, das wahrscheinlich aus der Mitte des 14ten Jahrhunderts her: 
ftammt. Docen, Kritifche Beichreibung einer Sammlung alter Meifter: 
gefänge in einer Hoſ. des 15ten Jahrhunderts (in der Bibliothel zu 
Münden), in Aretind Beiträgen zur Geſchichte und Litteratur B. IX. 
Münden 1807. S. 1133 f. 

So wenig diefes Lieb durch feine meifterfängerifche Form und bei 
dem fichtbaren Verfall ver Sprache ſich empfehlen Tann, fo ift es doch 
durch feinen inhalt hier beachtenswerth. Es verkündet die Nähe einer 
Beit, in welcher um zwei Häupter ber Chriftenheit, die ſich wider ein- 
ander feßen, großer Streit über alle Lande fi heben wird. Gewalt: 


1 Alſo? 
2 Romiſch cronica? 
SI foren, verjagen; Benele zu Wigalois und Boner. 
4 Ähnliches doch auch ſchon von Karl dem Großen; Willen, Kreuzzüge I, 
16. R. 81. 
Uhland, Schriften. VII. 38 


394 


that, Raub und Brand werben toben. Iſt dann der Krieg fo groß 
geworden, daß Niemand mehr ihn ftillen kann, 

So kumpt fi) Kayfer Friderich, der her und auch der milt, 

Er vert dort ber durch Gotes willen, 

An einen dürren pawm fo bendt er feinen fdilt. 

Dann geichieht die Fahrt Über Meer; Mann und Weib heben 
fih raſch dahin, wo ihnen Gott fein Reich geben wird. Friebe und 
Freude wird dann in ben Landen herrſchen. Der dürre Baum grünt 
und Inofpet, daran ber Kaifer feinen Schild aufgehängt. Gewonnen 
wird das heilige Grab und nimmer Schwert darum gezogen. Alle 
echte bringt diefer Kaifer wieder. Alle heibnifche Reiche werben ihm 
unterthban; der Juden Kraft legt er barnieder, ohne allen Wiberftanb: 

Und aller pfaffen meifterfchafft [d. h. legt er nieder]; 
Daz fibend teil wirt auch kawm beſtan. 

Dy clofter di zuftort er gar der furft gar bochgeborn. 
Er gibt dy nunnen zu der e, 

Daz fag ich euch furwar, 

Sy müſſen ung pawen wein und fon; 7 

Wann daz geſchiht, jo fumen ung gute jar. 

Wir fehen, wie frühzeitig Gedanken in prophetifcher Sprache wal⸗ 
teten, die erft gegen zwei Jahrhunderte ſpäter fih in der Wirklichkeit 
geltend madten !. 

An den Schluß des 1dten oder in den Eingang des 16ten Jahr—⸗ 
bunberts fällt die Abfafjung eines ehmaligen Volksbuchs 2. Das Büch— 
lein nimmt zwei Drudbogen in 4° ein. | 

Die angegebene Zeit der Abfaflung des Buchs in feiner jegigen 
Geftalt ift aus einer Erwähnung Marimilians I, als bermaligen 
Kaiſers, zu entnehmen. 

Dasfelbe erzählt mehreres Fabelhafte von einer Belagerung und 
Eroberung der Stadt Serufalem durch Friedrich I, wobei befonders ein 
bairifcher Herzog Edart ſich auszeichnet; ſodann von einjähriger Ge 
fangenichaft dieſes Kaifers bei einem heidniſchen Sultan, und zuleßt 


1 Vgl auch Kafpar von der Röhn, Herzog Ernft, Str. 50: „Der kayfer 
[Briebrih] hie verzudet ward.” [Bgl. oben ©. 562. 8] 
2 [Näheres darüber Schriften I, 499. 8.] 


595 


noch, was uns bier näher berührt, von feinem Verſchwinden und feiner 
fünftigen Wiederlehr 1. *** 

Die Sage ift bier ebenſo beftimmt an Friedrich I gefnüpft, als im 
früheren Falle an Friedrich II. Das. öfters erwähnte Aufhängen des 
Schildes bei ber Wieberlehr des Kaiſers bezieht fi auf die alte 
beutfche Sitte, vermöge welcher die Aufrichtung des Herrenfchilves das 
feterlide Symbol der Gegenwart des Yürften im Heer oder im Gerichte 
geweſen zu fein fcheint (%. Grimm, Nechtsalth. 956. 851 f. 425). 

Es ift Schon früher bemerkt worden, daß die von Maßmann herauss 
gegebene, dem 17ten Jahrhundert angehörende Handſchrift des Volks⸗ 
buch® vom Untersberge bei Salzburg dem Kaiſer Friedrich beilege, was 
die gewöhnlichen Drude vom Kaifer Karl melden. Da beißt es dann 
u. a., obgleich etwas verwirrt, ©. 60 bis 62: Der Mönd u. ſ. w. *** 

Beſonders auch an alte Kaiferburgen bat ſich die Sage vom ver 
lorenen Kaifer Friedrich geheftet, wie die von Karln an die Burg von 
Nürnberg. Im Schloß zu Kaiferölautern hängt Kaijer Friedriche Bett 
an u. f. w. ***1 

8. Heinrich der — ERX 


4. Die Habsburgers. *** 


3. Spätere Vollsſage. 


Wir haben die deutſche Sagengeidiichte bis jeht in zwei Abthei⸗ 
lungen abgehandelt: 

1) Ältefte Spuren der deutfchen Gbtterſage [S. 473. 8.]; 

- 2) Heldenfage [S. 515. K.], die fi uns wieder in cykliſche und 

nicht cykliſche abtheilte. \ 

Die frühe Belehrung der beutfchen Völker Iöste bei ihnen ben 
volleren Umfang ihret einftigen Gdtterfage und wir Tonnten von biejer 
ſchon in älterer Zeit nur balberlofchene Spuren aufweilen. In reichern 
Entfaltungen zeigte fih uns die Heldenfage, bis aud ihre Bildungs 


1 (Schriften I, 501. 8.] 
2 [Schriften 1, 508. 8] 
s [Schriften I, 505. 8.] 





596 


kraft mit dem Beitalter der Hobenftaufen allmählich verfiegte. Darum 
bat aber doch die Eage nicht gänzlich aufgehört, auch noch teiterhin 
im Volke zu leben. Bon foldher fpätern Volksſage, nad ber wir biefe 
dritte Unterabtheilung benennen, haben wir zuvor ſchon Einzelnes auf 
ältere Sagenhelden, 3. B. Karln den Großen, die ſchwäbiſchen Fried⸗ 
riche, erläuternd und ergänzend zurüdbezogen. Wir hätten auch für 
fie diefelbe Rubrik gebrauchen können, wie für bie entfprechenbe dritte 
Abtheilung der nordiſchen Sagengeſchichte: Balladen, Ortsfagen, Mährs 
hen. Da jedoch eine fpeciellere Ausführung nad) dieſen dreierlei Klaffen 
innerhalb der zugemeflenen Zeit nicht mehr möglich ift, fo befchränte 
ich mich darauf, die allgemeiner zugänglichen Quellen nambaft zu machen 
und bloß einige beveutendere Partieen diefer ſpäteren Volksſage näher 
zu beleuchten. 

Litterariſch aljo bemerken mir: 

1. Balladen, fürzere deutfche Sagenlieber, in ihrer jekigen Geftalt 
meift aus dem 15ten und 16ten Jahrhundert herrührend, aber zum 
Theil auch noch im Munde des Volkes befindlih. Gegen die Fülle 
derartiger Lieder, wie fie bei den Völkern des flandinanifchen Norvens 
vorliegt, exfcheinen freilich die Überrefte unfrer früheren Balladendich—⸗ 
tung fehr dürftig. Dennoch glaube ich, daß ein emfiges Verfolgen des 
alten Volksgeſangs, in Ylugblättern des 16ten und 17ten Jahrhunderts, 
in handſchriftlichen und gebrudten Liederfammlungen ber genannten 
Zeit und der noch fortdauernden mündlichen Überlieferung des Volles 
jelbft, befonvers in abgelegenern Gebirgs- und Waldgegenden, nod 
Manches zu Tage fördern und auch unfern Vorrath anfehnlicher ge: 
ſtalten könne. 

Für jetzt ſind hauptſächlich ſolgende Sammlungen anzuführen: 

Des Knaben Wunderhorn, alte deutſche Lieder, geſammelt von A. v. Aruim 
und Brentano, 3 Bände. Heidelberg 1806 bis 1808. 

Sp wenig diefe Sammlung Tritifchen Anforberungen genügt, ba 
fie Altes und Neues, Echtes und Unechtes willkührlich zuſammenmiſcht, 
fo war fie doch nicht bloß für eine forgfältigere Beachtung der alten 
Volkslieder anregend, fondern ift auch, namentlih für die balladen⸗ 
artigen, noch immer die reichhaltigfte. 

Alte teutſche Volkslieder in der Mundart des Kuhländchens. Herausge- 
geben und erläutert von J. G. Meinert. B. I. Wien und Hamburg 1817. 


597 


Das Kuhländchen ift ein Kleines Hirtenland auf der Scheide zwiſchen 
Mähren und Schlefien, zu erfterem gehörig. Dort wohnt ein beutfcher 
Menſchenſchlag mitten inne zwischen jlavifchen und ungarifchen Nachbarn. 
Es haben ſich daſelbſt viele alte Volkzliever erhalten, wovon Meinert 
einen Theil in der dortigen Mundart, echt und unentftellt, heraus: 
gegeben hat. Zu bebauern ift, daß die Sammlung beim erften Bande 
fteben blieb. 

2. Dirtsfagen, d. h. foldhe Volksſagen, welche, außer und neben 
ben größern und vollftändigern Bildungen. der Sagendichtung, kurz und 
vereinzelt daftehen und meift an beftimmte Ortlichkeiten, an Berge und 
Seen, an Felſen und Quellen, Kirchen und Burgtrümmer u. |. w. 
gebannt find, in beitimmten Gemeinden und Yamilien ihren Sit haben. 

Bon den, was frühere, meift provinzielle Sammlungen folcher 
Volksſagen Echtes und Erheblichered enthielten und mas fonft Der: 
artiges in ältern Echriften zerftreut lag, findet ſich die reichite Zuſam⸗ 
menftellung in dem oft angeführten Buche der Brüder Grimm: Deutfche 
Sagen!, beſonders dem erften Theile (Der zweite umfaßt mehr die 
geihichtlichen, an die Heldenfage fich anfchließenden.) 

3. Märchen, pbantaftifche Erzählungen, noch jeßt in ber münd⸗ 
lichen Überlieferung bes Volkes, beſonders zum Vergnügen der find» 
lichen Einbildungsfraft gangbar, zum Theil Auflöfungen oder Verwand⸗ 
lungen alter, fefterer Mythen und Sagen. 

Auch hiefür haben die Brüder Grimm das Beite gethan in ihren: 

Kinder- und Hausmährden. 3 Bände, Berlin 1819 bis 1822. [Dritte 
Auflage 1856. K.] 

Diefe bedeutendſte Sammlung hat, vorzüglich aus dem Munde des 
beflifchen Landvolks, einen vorher nieht geahnken Reichtum deutfcher 
Mähtchen an's Licht gebracht. In der Einleitung und den Anmerkungen 
finden fich befonders auch die nachmeisbaren Beziehungen zu Mythus 
und Heldenfage angezeigt. Eine reichhaltige, vergleichende Litteratur des 
Mährchentvefens bei den verfchievenen Volksſtämmen gibt der dritte Theil. 

Soviel über den Beltand der fpäteren deutſchen Volksſage im 
Allgemeinen. Derfelbe ift übrigens mit jenen drei Rubriken nicht eben 
für erſchöpft anzufehen. Zu bejondrer Erörterung bebe ich zuerſt zwei 


1 [Neue Auflage. Berlin 1866. K.] 


598 


durch ihre mythiſche Grundlage vorzugsweiſe beachtenswerthe Über: 
lieferungen hervor, die vom Venusberg und die vom wüthenden Heere, 
fodann noch eine britte, fcherzhafter Natur, von den Schildbürgern 
(Schwabenftreichen). 


1. Der Benusbergi. 


Sn fliegenden Blättern des 16ten und 17ten Jahrhunderts mar 
folgende Ballade viel verbreitet, die auch fonft mehrfach abgebrudt iſt, 
3. B. nad) einem Nürnberger Flugblatt in Gräters Bragur, B. VII 
Breslau 1812. S. 186 ff.; nach Kornmanns Venusberg im Wunber: 
born 1, 86 und andern Sammlungen. Nieberveutfch, fliegendes Blatt 
vermutblich von 1581, Schellers Bücherkunde ©. 479, XVI. Sie lautet 
fo (nad) dem Tert im Bragur mit einigen Ledarten des andern): Run 
wil ih u. f. w. (f. die Vorlefung über die deutiche Dichtlunft im 15ten 
und 16ten Jahrhundert.) ?*** 

Wie hoch hinauf im I6ten Sahrhundert die Drude dieſer Ballade 
verfolgt werden können, ift mir nicht befannt. Aber fchon der trodne 
Stil und die harte Form derſelben laflen vermutben, daß fie in folcher 
Geftalt nur Umarbeitung eines ältern beweglichern Volksgeſanges fei. 
Wirklih finden wir auch ſchon im erften Biertel des 16ten Jahr 
bunderts ſprichwörtlich des „alten Tanhäuſers“, alfo doch wohl im 
Gegenſatz einer neueren Faſſung, erwähnt. Aventin (Johann Thum: 
mayer aus Abensberg, geft. 1534) überfett in feiner Grammatik von 
1517: eandem canis cantilenam, fingft gleich den alten Danhaufer. 
Derfelbe, in der bairifchen Chronif (Frankfurt 31580. BI. 33) macht, 
nad) feiner Weife4, die Fabelhelden gejchichtlich einzureiben, den Dan: 
beufer zu einem vbn ven Griechen Thanauſes genannten König der 
Gothen 3. *** 

In einem „Ichönen Dialogus“ 6 zweier luthrifher Bauren , Kunk 
und Fritz, über das Verhalten der Hochſchule zu Tübingen gegen Luther 


ı [Bgl. Schriften II, 229 fi. 8] 

2 [Schriften II, 588. Vollslieder I, 761. 8.) 

3 [Bgl. Potihafts Bibliotheca medii evi ©. 153. &.] 
4 [Bal. Schriften I, 120 f. 8.) 

5 [Das weitere gleichlautend wie Schriften II, 280. &.) 
6 (gl. Schriften II, 508. 5.] 


599 


(einer Flugſchrift auf der Stuttgarter Bibliothel 0. D. u. J. mit Bleis 
ftift 1522, dem „Inhalt nad wenigſtens vor 1532), wird der bafige 
Profeſſor der Theologie Jacob Lemp ein „alter danheüferifcher Eſel“ 
genannt und noch weiter heißt es: 

Du weift wol, das die alten patres ſchlecht gelert feind, dann fie willen 
nit von den zierlichen Latein Eiceronis unnd Vergilii, zu fagen, darumb ſchmeckt 
in nit dann das fie gelernet haben, und fo fie nur den alten Danbelifer ge 
lernet haben, künden fie aud) den Erasmım und ander gelert nitt verfteen. 

Der Pabft Urban, der am Schluffe des Liedes, obgleich nicht in 
allen Druden besfelben, als der vierte bezeichnet wird, hatte von 
1262 bis 1264 den päbftlichen Stuhl inne. So weit hinauf fünnen wir 
freilich weder das Lieb noch die darin erzählte Fabel nachweiſen; aber 
daß diefe ſchon um die Mitte des 15ten Jahrhunderts gangbare Volle: 
fage war, ergibt das auf fie gegründete Gedicht Hermanns von Sachſen⸗ 
beim, die Mörin 1, welches 1453 verfaßt ift. *** 

In diejer allegorifchen Dichtung unſres Landsmanns (fein Gefchlecht 
nannte fi von Groß⸗Sachſenheim bei Vaihingen an der Enz), welche 
ihren Namen von einer darin eine bedeutende Rolle fpielenden Mohrin 
bat, wird der Dichter auf einem einfamen Gang im Walde an den 
wunderbaren Hof der Königin Venus entführt, wo er für mancherlei 
Untreue, die er fi) in der Liebe zu Schulden fommen ließ, vor Gericht 
fteben muß. Der Tanbäufer, ein Ritter aus Frankenland, trägt hier 
im Reiche der Venus, ald Gemahl verfelben, die Krone; wie er dahin 
gefommen, wird vermuthlih als bekannt vorausgefegt. Das Innere 
des Venuöberges ift nur kurz und geheimnisvoll angedeutet: ein ewiger 

Mai blüht in ihm, er ift voll Golves und edeln Gefteind; rauen, 
Ritter, Zwerge ergeben fich darin mit Singen, Tanz und Eaitenfpiel; 
alle. Meifter der Philofophei möchten die Wunder dieſes Berges nicht 
ermeſſen. 

Am Hofe der Königin Venus befindet ſich, nach der Mörin, auch 
der treue Eckart, von welchem, als dem getreuen Meiſter und Warner 
der Harlunge, wir bei der cykliſchen Heldenſage gehandelt haben?. Bon 


1 Bol. BL. 15. [Die Stelle ift gebrudt in den Schriften II, 221. Die 
weitere Ausführung über die Mörin flimmt zum Xheil wörtlich mit dem IL, 
220 fi. gegebenen, weshalb ich hier kürze. 8.] 

2 [Bgl. Schriften I, 245 f. II, 2831. &.) 


600 


"ihm fagt ber proſaiſche Anhang des Heldenbuchs (Hagenau 1509, 
BL. 212 [Stuttgart 1867, ©. 3. K.): 

Man vermeinet auch, der getreu Edarte ſey noch vor fraw Fenus berg, and 
fol auch do beiyben biß an den jungften tag, und warnet alle, die in den berg 
gan wöllen. 

Joh. Agricola fest in feinen beutichen Eprihmwörtern (die erfte 
vollftändige Ausgabe erfchien zu Zwickau 15291) BI. 243 die Fabel vom 
Thannheufer, die er, übereinſtimmend mit der Ballade, kurz anführt, 
gleichfall® mit der Sage und dem Spridiwort vom treuen Edart in 
Verbindung: 

Nun Haben die Teutfchen ires trewen Edharts nit vergefien, von dem fie 
fagen, er fite vor dem Benusberg unnd warne alle leut, fie folten nit in den 
berg gehn u. |. w. Dieweil nun der Thannheuſer alfo mit leib und feel ver- 
borben ift, fagen die Teutſchen, ber trem Edart fite vor dem berg und warne 
die Teut, fie jollen nit hinein gehen, es möcht ihnen fonft ergehn wie dem 
Thannheufer. (Bgl. Aventin 88 f.) | 

Wie jehr die Sage vom Venusberg im I5ten und I6ten Jahr 
hundert befonders auch in unfrer Gegend vollsmäßig verbreitet war, 
mögen nod einige weitere Anführungen darthun ?. *** 

Sole Berzauberungen machen auch den Inhalt fehwebifcher und 
dänifcher Volkslieder aus (befonders die von Ritter Tynne, Sv. Folkr. 
I, 32. 127, der jelbft im Namen mit Tanhäufer anklingt; däniſch 
Zönne, Udv. d. Bil. I, 281. 390 [vgl. oben ©. 384. K.]) und eben 
dahin gehört uriprünglic) das Lied vom Tanhäuſer. Davon bin id 
durch eine mir, nebft der Melodie, mitgetheilte Aufzeichnung des 
felben überzeugt worden, wie es nocd vor Kurzem im Entlebuch, im 
Kanton Luzern, vom Bolfe gefungen worden. Hier fängt das Lied 
jo an: Wele gros wunder fchauen iwil.3 *** (Der Lange: Tanz, darin 
ih Alle, die tanzen wollen, nad der Reihe anfallen, kommt auch bei 
ben Dithmarſchen vor, Viethens Beichreibung und Geſchichte des Lan⸗ 
des ©. 107. 4) 


I [Vgl Schriften II, 231, Anm. 2. 9.) " 
2 [E8 folgt num die Ausführung wie 8. 1, 232 fi. &.] 

3 [Bgl. Volkslieder I, 770. ‚Schriften II, 284. 8] 

3 [Bgl. Schriften II, 398 f. 9.) 


601 


Gerade fo heben bie daniſch⸗ſchwediſchen Elfenliever an; das von 
Dluf (Udv. d. Viſ. I, 2371): 

Herr Dluf reitet aus fo weit, 

Bu laden feine Hochzeitlent, 

Da tanzen vier und da tanzen mehr, 

Eiffönigs Tochter die Hand firedt. ber. 

„Willkomm, Herr Olufl! laß fahren die Eil 

Und tritt mit mir in den Tanz eine Weil’! *** 
Oder das vom Elfenhügel (ebend. I, 2342): 

Ich legte mein Haupt auf die Elfenhöh', 

Meine Augen begannen zu ſinken, 

Da lamen gegangen zwei Jungfraun vor, 

Die thäten mir lieblih winten. 


Die eine, die ſtrich mir die weiße Wang’, 
Die andre flüſtert' in's Ohr mir: 

Steh auf, du ſchöner junger Knab, 

Wilt du erheben den Tanz hier! *** 


Am Schluſſe des lektern Liedes beißt es: 
Hätt’ Gott nicht gemacht mein Glück fo gut, 
Daß der Hahn gefchlagen die Flügel, 
Gewiſs wär’ ich geblieben dort 3 
Bei den Elfen im Elfenhügel u, |. wm. * 
Der Tanhäufer aber bleibt wirklich im Venusberge, der uns in 
dieſer Zufammenftellung gänzlich als ein Elfenhügel ericheint. 
Im Entlebucher Liede heißt übrigens die Elfenkönigin nicht Venus, 
fondern Frau Frene!; ob durch bloße Entſtellung oder im Nachklang 
‚ eines deutſch⸗mythiſchen Namens, kann ich nicht entfcheiven?. Diejes Lieb 


1 [8gl. oben ©. 383. K.] 

2 [Bgl. oben S. 388. 8.] 

| 3 Eh. 1, 236: Vist var jeg blevet i iElvehöj, Alt hos de Elvegvinder, 
8v. III, 171: 8& hade jagh soffvit i berget den natt, Alt hoos dhe Eifve- 

qvinnor. 

4 Vgl. das Vrena⸗Beutlinsloch, Schwabs ſchwäbiſche Alb S. 146. Der 
Zeigenbaum bes Entlebucher Liebes ift auch ein Eifenbaum, vgl. Einleitung zu 
den iriſchen Mährchen S. LXXVII, 8. Brenelis- Gärtli heißt einer der drei 
Gipfel des Glärniſch, ſchneelos. 

5 [RgL 3. Grimm, Deutſche Mythologie ©. 288. 1212. H.] 


ift au, des Hark verfümmerten Reimes unerachtet, durchaus leben: 
diger in der Darftellung, als die gedrudten Danhäuferslieder. Schon 
der Anfang, die Aufforderung, in den grünen Wald binauszugehen, 
wenn man rechte Wunder fchauen wolle, ift viel poetifcher, als jener: 
Nun wil ich aber [al. ichs frölichj Heben an, 
Bom Danheüfer zu fingen u. ſ. w. 

Sp mag fih uns denn im fchweizerifchen Bollegefange noch ein 
Überreft des alten Tanhäufers, deſſen Aventin und der Tübinger Die 
logus gedenken, erhalten haben, während wir in ben Druden des 
16ten Jahrhunderts nur eine fpätere Überarbeitung vor uns haben \. 

Wenn nun gleich die Sage vom Nitter Tanhäufer noch unziveifel: 
baft im Zufammenhange mit dem Elfenmytbus fteht, jo waltet doch 
darın ſchon jene mittelalterliche Anfiht, nach welcher die Elfen teuf 
liche, dem Chriftenmanne nad) Leib und Seele gefährliche Wefen find. 
Doc ift der grünende Bannftab felbft ein poetifches Bild, zu dem fich im 
Schwure des Agamemnon bei feinem Herricheritab (Ilias I, 233 bie 39) 
und im Steden Aarons (4 Mof. 17; vgl. Wernhers Maria ©. 75 ff. 
bei Otter [S. 41 bei Feifalil. K.]) uralte Seitenftüde zeigen. 

Wie es aber gelommen, daß in den deutſchen Hügeln ftatt ber 
einbeimifchen Elfenweſen die römiſche Göttin Benus ihren Hof aufge 
Ichlagen, läßt ſich ohne bejondre Schwierigkeit erllärn. Frau Venus 
gehört zu den wenigen mythologifhen Namen, welche den Dichtern bes 
Mittelalter aus des Poefie der alten Welt zugelommen find. Den 
Minnefängern ift fie eine allegorifche Perfonification, mie in der eigenen 
Sprahe Frau Minne Vom 14ten Jahrhundert an nahm aud für 
bie erzäblende Poeſie die allegorifche Darftellung immer mehr überhand. 
Die Allegorie mufte der längft untergegangenen mythiſchen Symbolik 
zu einigem Erſatze dienen. Dennoch follten auch die neuaufgelommenen 
allegoriichen Figuren nicht ganz des heimifchen Bobend und Colorits 
entbehren. Man ſetzte fie mit Überreften alter, verbunfelter Sage in 
Berbindung und gab diefer felbft damit neue Bedeutung. Diefes Ver: 
fahren. wird beſonders anſchaulich in einem handſchriftlichen Gedichte 
bes 13ten Jahrhunderts „der [Tugenden] Schatz“ (Heivelb. Hbf. 313, 
eine Sammlung allegoriicher Erzählungen von der Minne aus dem 


1 Apnlihe Erfahrungen mit ben nordiſchen Vollsliedern. 


603 


14ten und 1dten Jahrhundert), Ich gebe baher eine kurze Anzeige 
feines Inhalts 1. *** 

Hermann von Sachſenheim, dem, wie ich aus mehreren Gründen 
glaube, bei feiner Mörin dieſes ältere Gedicht zum Vorbilde gedient, 
bat die Bereinigung der verfchievenen Elemente weit nicht jo glüdlich 
zu Stande gebracht. Bei ihm greifen altfagenhafte Perſonen, der ge: 
treue Edart und der Tanhäufer, mehr in die Handlung ein, aber bie 
Allegorie weiß fich ihrer nicht recht zu bemächtigen. 

Sowie nun die Frau Venus der Minnefänger allmählich auch in 
die vollemäßigeren Liebeslieder eintrat, fo waren allegoriiche Erzäh—⸗ 
lungen der angeführten Art wohl geeignet, dem Namen der römischen 
Liebesgöttin in die mythiſche Ballave Eingang zu verſchaffen. 

Rom felbft hatte feinen Venusberg?. Ein Schriftfteller der römi⸗ 
ſchen Kaiferzeit, Äthicus, fagt in feiner Gosmographie bei Beicpreibung 
des Laufe der Tiber: 

Hic [Tiberis fluvius] iterum insulam facit inter portam [portum?] urbis 
et Ostiam civitatem, ubi populus romanus cum prsefecto urbis, vel con- 
sule, castrorum celebrandorum caussa egreditar solennitate jucunda. 
Insula vero, quom facit intra urbis portum et Ostiam civitatem, tante 
viriditetis ammnitatisque est, ut neque stivis mensibus, neque hiemalibus 
pasture admirabiles herbse deficiant: ita autem vernali tempore rosa, vel 
czeteris floribus adimpletur, ut pre nimietate aui odoris et floris insula 
ipsa Libanus alme Veneris nuncupetur. 

(Dieſe Stelle fand ich angeführt in Wernsborfs Procemium zum 
Pervigilium Veneris, welches er als einen für dieſe Feier beftimmten 
Chorgefang® betrachtet, Poetss latini minores, curav. J. Ch. Werns- 
dorf. 8. Il. Altenburg 1782, ©. 431 f.) 

Hier alfo ein römiſcher Venusberg, Libanus alme Veneris; ber 
ſyriſche Libanon war der Göttin heilig, fie hatte auf demfelben einen 
berühmten Tempel und ber Name dieſes Berges war nun auf bie 
roſenblühende Tiberinjel, auf der (nah Wernsdorfs Annahme) ihr 
Frühlingsfeſt gefeiert wurde, übertragen worden. (Ebendaſ. S. 435.) 


1 [Das weitere ift 8. II, 236 bis 239 gedrudt, K.] 

2 Alterthumszeitung 1816. Nr. 20. ©. 78. Benusberg in Italien. 

3 [Über dieſes Gedicht vgl. Jahrbücher für wiffenfchaftliche Kritit. Nr. 5. 
Auli 1882. Sp. 40.] 


604 


Ob zivifchen biefen Venusbergen der alten Welt und benen unfrer 
Zabel irgend eine Beziehung anzunehmen fei, ift freilich fehr zweifelhaft. 
Ebend. ©. 432: Plane mihi persuasum habeo, Veneralia hoc loco 
desceribi, et ludos, qui iis diebus agebantur, castra vocatos esse u. |. w. 
Castra autem vocabantur hi ladi, quod in nemore multis tabernaculis 
positis, vel casis ex fronde myrtea plexis, agebant, qui Veneralia cele- 
brabant. 
©. 435: Rem denique conficit Æthicus, quum insulam Ostiee Libanum 
almæ Veneris appellatam dicit. Hæc enim appellatio quum indicet, eam 
insulam quasi dedicatam Veneri fuisse, eo magis etiam probat, Iudos Veneri 
in ea celebratos esse, eosque forte ritibus e Syria Libanoque petitis, ubi 
Venus passim multa licentia colebatur, procedente tempore auctos esse. 
Equidem odorum tantum florumque caussa Æthicus ait insulam ti- 
berinam nomen Libani Veneris acoepisse, tamen et enltam ibi Venerem 
esse eo rilu, quo in Libano solebat, ex eodem recte colligitur, Libanum 
Syrie sacrum Veneri, et perpetno ejus cultu frequentatum fuisse, ut 
plures Nonni locos taceam, in primis testatur Orpheus, hymno 54 in Ven.: 
El oùòù dsa Basllsa, nalß yadovsa npodeng, 
Eirs nal sul: Bavov Zuping ddog aupımolsvsg. 
Celebre templum Veneris in Libano memorant Luciauus, de Dea Syria, 
p. 753 Tomi IU. edit. Basil., et Sozomenus Hist. eccles. Jib. II, cap. 5. 
Unde Libanitidis nomen ei dat Lucienus, orat. adversus indoctum, Tom. 
II, p. 754. Colebatur autem Venus in Libano a feminis ejus sacerdotibus, 
ibi habitantibus, quotidiana festaque saltatione, quod Bartlıius, Advers, 
VII, 21, recte colligit e Musei de Hero et Leand. versu 48: 
Ovdä yurn rig Iuuvev dvi arulisccı Kudıpov, 
Ob AıBavav Hvosvro; dvl mrapuysddı yopsıar. 
Et cum Venerem perpetuis saltationibus gaudere dicat Orpheus, hymno 
quem diximus, hoc magis etiam choreas et saltationes Veneri in tiberina 
insula celebratas, eamque propterea Libanum Veneris appellatam arbitror. 


Für den Dichter Florus, der unter Habrian lebte, vermuthlich 
identiſch mit dem Hiftorifer, findet Wernsdorf die meifte Wahrjcheinlic« 
feit, als Verfaſſer des Pervigilium Veneris fpredhend, ©. 450. 

2. Das wüthende Heer. 

Es gibt eine Sage!, dab man mit einem Steinwurf in gewiſſe 

Waſſer den beiterften Himmel trüben und ein gewaltig Ungewitter mit 


1 [2 Kön. 7,6 f. Yagl. 8. C. 10.) 


605 

Sturmwind und Schloflen erregen Tünne; fo haben wir in einem nod) 
jet gangbaren Worte den Wurf, den alten Odin zu wecken mit dem 
ganzen Sturmzuge der Walküren und Einherin. Wir haben früber 
im Norden dem Gotte nachgeſpürt von feinem unfceinbaren Wandel 
im grauen Mantel und niedrigen Hute- bis wo er im leuchtenden Gold⸗ 
beim dem Bötterlampfe voranziebt; auch unter uns noch gebt er umber, 
nur unfenntlicher und tiefer verhüllt. 

Es ift ein fprichwörtlicher Ausdruck, den wir beſonders von einem 
Trupp lärmender Knaben gebrauden: „das Muotisheer.“ Auch bört 
man die Redensart: „fahren, wie das heilige Heer.“ Stalder, Schweis 
zerifches Idiotikon II, 227 hat das Wort „Mutti:Seer für Lärm, Rumor. 
(Schſ.)“, unridtig abgefegt. Näher rüdt der Sache Schmid in feinem 
ſchwäbiſchen Idiotikon [S. 391. 8.]: 

S muotes Heer, ein wildes, Schreden erregendes Geheul und Getöfe in 
der Luft bei Nacht, vermuthlich das Gefchrei wilden Gevögels, SW. u. a. O. 
fonft das wilihende Heer, der wilde Jäger genannt u. |. w. 

Handfchriftliche Pfarrbeichreibung der Parochie Pfullingen von Dia- 
conus Meyer, 1828, wo, wie billig, auch die ärtlihen Sagen auf 
genommen find: | 

Die Heergaffe (von der alten Landſtraße, die bier hindurch zog, fo ge⸗ 
nannt). Eine Sage leitet indejs ihren Namen ber von dem Mutes- (WuteS-, 
Wudes⸗, Wudans⸗, Wodans⸗, dem fogenannten wilden) Heere, das oft und 
no ungefähr vor 100 Jahren durch fie herab gezogen fein fol. Das Tofen 
und Toben war. damals fo entjetlih, daß Alles in den Häufern zitterte und 
bebte, und wer fi auf der Straße treffen ließ, der wurde von dem böfen Feinde 
mit fortgeriffen. (In den andern Straßen wurde nichts davon verfpürt 1.) 

Unſre ſchwäbiſche Mundart hat in diefem, ohnehin der Bedeutung 
nach nicht mehr verftandenen Worte das W mit dem M vertaufcht, 

Mutes: ftatt Wutes:Heer, wie mir ftatt wir, mo ftatt wo ꝛc. 
| Wir finden uns alfo zunächſt auf das fogenannte wüthende Heer 
bingewiefen, das neuerlih im Freiſchütz über die Bühne zieht. Die 
vielen Volksſagen bievon find gefammelt in: Deutiche Sagen, herausg. 


1 [Auf dem Schwarzwald fagt man das Wuotesheerr. Mit dem Wuote, als 
einem Dämon, jehredt man die Kinder. Yrau Holle fährt mit dem Wuotesheer, 
fie wird ungefähr als die Mutter des Wuote betrachtet. Mündlich. Bgl. 
Thomaf., de vagant. scholast. $ 64.] 


606 


von den Br. Grimm. Tb. I. Berlin 1816. Bon ältern Schriften, 
die im witbenben Heere Teufel und Teufelöipuf ſehen, bemerke ich 
Hilſchers Diss. de exercitu furioso, wovon mir jeboch nur eine Über 
fegung zugänglid war: Hilſchers Guridfe Gedanken vom mütenben 
Heere. Dresden und Leipzig 1702. Francisci, Höllifcher Proteus. 
Nürnberg 1708. LVIII. ©, 529 bis 46: Das wütende Heer. ch gebe 
bier die, foviel mir belannt, ältefte Befchreibung desſelben in Sob. 
Agricola deutſchen Sprichwörtern, 1534: 

Es ift gewiſſe fage, daß zu Eißleben und im ganken land zu Mansfeld 
das wüthende Heer (aljo haben fie es genennet) fitrliber gezogen fei, alle jar 
auff den Faßnacht⸗Dornstag, und die leut ſeind zugelauffen, und haben baranff 
gewartet, nit anderft, al folt ein großer mächtiger Keyfer oder König fürliber 
ziehen. Bor dem hauffen ift ein alter man bergangen, mit einem weißen ftab, 
der hat ſich ſelbs den trewen Edhart geheiſſen; difer alt man hat die leut heißen 
auß dem weg weichen, bat auch etliche leut heißen gar heim gehen, fie würden 
fonft ſchaden nemen. Nach difem man haben etliche geritten, etliche gangen, und 
jeind leut gefehen worden, die newlich an den orten geftorben waren, auch ber 
eins theils noch lebten. Einer hat geritten auff einem pferdt, mit zweyen füffen, 
der ander ift auff einem rad gebunden gelegen, und das rad if von im felbs 
umbgelauffen. Der dritt hat einn jehendel über die, acdhfel genommen, und hat 
gleich jehr gelauffen. Ein ander bat keinen kopff gehabt, unnd der ftud ohn maflen. 

Ferner Erufius in feiner ſchwäbiſchen Chronif zum Jahr 1544 !: 

Quidam alii fuerunt, scholastici rudes, perditseque spei, qui in humeris 
parvum reticulum flavum gestabant, tanquam cappam. Hi se appellabant 
volaticos vel erraticos scholasticos. Fingebant apud rusticos et homines 
simplices, se in monte Veneris fuisse, mira vidisse, scire, quæ essent, 
qus fuissent, qu& ventura essent u. ſ. w. se potestatem habere in Furias 
vel exercitum furiosum, in quo essent omnes infantes non baptizati, 
omnes in pugnis ctesi, omnes ecstatici, in quorum corpora anime, que 
evolessent, non rediiesent u. f. w. (gl. I, 15.) 

In Kirchhofs Wenbunmuth (einer Sammlung „höflicher, züchtiger 
und Iuftiger Hiftorien, Scimpfreden und Gleichnüſſen“, Frankfurt 
1563) wird von einem edlem Staubenhünlein, der Rechenberger genannt, 
verichievenes Geipenfterhaftes erzählt, namentlich, wie er einmal Nachts 
mit feinem Knechte auf den Fang gelauert. 

Bl. 755 f.: „Die Nacht vergieng u. f. w.“ ev⸗ 


1 II, 653. [Schriften II, 288. $.) 


607 


Den ausgehobenen Stellen ! aus dem 16ten Jahrhundert zufolge 
zeiten im wüthenden Heere tobte Männer, befonders ſolche, die in ber 
Schlacht oder jonft gewaltfam umgelommen find. Bei Agricola: „und 
find Ieut gefeben worben, bie newlich an den orten geftorben;“ bei 
Grufius: „omnes in pugnis czwesi;* bei Kirchhof ift dem Rechenberger 
für das nächſte Jahr, mo er erftochen werben foll, ſchon das lebige 
Roſs vorbehalten. Diefes nächtliche Reiten der Todten geftattet nun 
auch ähnliche, ältere Berichte hieber zu ziehen, wenn gleich babei des 
wüthenden Heeres nicht ausbrüdlich erwähnt ift. 

Das Chronicon Urspergense erzählt zum Jahr 1117: 

Emicho comes a militibus Friderici ducis occiditur; 

Und zum Jahr 1123: | 

In pago wormaciensi videbatur per aliquot dies non modica et 
armata multitudo equitum euntium et redeuntium et quasi ad placitum 
colloquium nune hic nunc illic turbas facere, circa nonam vero horam 
cuidam monti, quo et exiisse videbantur, se reddere. Tandem quidam de 
incolis regionis illius non sine magno timore hujusmodi tam prodigioes 
eoncioni crucis signaculo munitus appropinquat. Mox quandam ex illis 
occurentem sibi personam per nomen omnipotentis domini nostri mani- 
festare causam populi, qui sic apparuerit, adjurst. Cui ille inter cetera, 
„non sumus,“ inquit, „ut putatis, fantasmata, nec militum, ut vobis 
cernimur, turba, sed anime militum interfectorum; arma vero et habitus 
atque equi, quia nobis prius fuerant instrumenta peccandi, nunc nobis 
sunt materia tormenti et vere totum ignitum est, quod in nobis cernitis, 
quamvis id vos corporalibus oculis discernere non possitis.“ In hujus 
modi comitata dicitur etiam Emicho comes ante paucos &annos Occisuß 
apparuisse et ab hac pona orationibus et elemosynis se posse redimi 
docuisse.* (Maßmanns B. Sagen 1,5 f. Hiller 27 f.) 

Die Sache hat hier einen möndifchen Anftrich erhalten, die ge 
fpenftiiche Schaar ift aber augenscheinlich das Nemliche, was Kirchhof 
„das wütende heer auß der hellen“ nennt. 

Auch der alte Sagenheld, Dietrich von Bern, erfcheint wieder auf 
ſolche Weile. Die Annalen des Mönches Gotfrid von Köln befagen 
zum Jahr 1197 (Freherus, Germanicarum rerum Scriptores I, 262): 


1 (Stahl, Weftphäliihe Sagen 62: Wittii Historia Westphalie S. 613 
bis 616. Motherwell 30 aus Matthäus Paris.] 


608 


1, 


Eodem etiam anno quibusdam juxta Mosellam ambulantibus apparuit 
phentasma mire magnitudinis in hbumana forma, equo nigro insidens. 
Quibus timore perculsis, id, -quod videbatur, ad eosdem audacter acce- 
dens, ne pertimescant "hortatur, Theodoricum quondam regem Verone se 
nominat, ei diversas calamitates et miserias suaperventuras romano imperio 
denuntiat. Hsc et alia plura cum eisdem contulit, et ab eis recedens, 
equo quo gedebat Mosellam transivit, et ab uculis eorum evanuit. (Bgl. 
8. Grimm, Heldenfage ©. 49.) 


(E3 folgte unmittelbar darauf der Tob Heinrichs VI und die 
Kämpfe der Gegenlaifer, jene Zerrüttung, in der Walther von der Vogel: 
weide die Vorboten des Weltgericht3 zu erfennen fcheint) 

Die Erſcheinung Dietrih8 von Bern auf dem ſchwarzen Roſſe 
kann zwar mit den Erzählungen von feinem Verjchwinden in Berbin- 
dung gelegt werben, iſt aber bier in jene Borftellungen vom Umreiten 
der Todten eingetreten. 

Das wüthende Heer wird auch die wilde Jagd! genannt, denn es 
läßt fi auch wie Jagdgeſchrei und Hundegebell nächtlih vernehmen. 
Der Führer desſelben aber, der wilde Jäger, führt örtlich verſchiedene 
Namen: Hadelberg, Rodenftein, Davensberg u. |. w. Auch ein weib: 
liches Weſen, Frau Holle, zieht voran 2, 

In ©. Schwabs „die Nedarfeite der ſchwäbiſchen Alb”, Stuttgart 
1823, findet fih als dter Anhang ©. 312 ff. die Beichreibung 
einer der bebeutendern Höhlen unjeres Landes, eine Viertelitunde von 
Onftmettingen, Balinger Oberamts, "die unter dem unfcheinbaren 
Namen Linkenbolvslöchle in der Umgegend befannt it. Davon gebt 
die Vollsfage, „daß das muthige Heer (dev Teufel) in dieſer Höhle 
baufe” und daß man fich beim Beſuch ber Höhle „vor dem Linken⸗ 
bold gehörig fchügen müfle.“ Der Verfafler der Beichreibung bemerft 
hiebei: | 

Der Linkenbold fommt auh im Schwarzwald und im SHarzgebirge (bier 
unter dem Namen Feinbold) als Anflihrer des Muthesheeres vor. 


1 „Die wilde Fart, der wilde Jäger, Heren, Geſpenſter.“ Schmeller I 
566. Schweizeriſch Türſt (wilder Jäger)” u. |. w. Ebendaſelbſt I, 458. Stal- 
der I, 329, 

2 Bol. Sammlung für altdeutiche Litteratur und Kunſt Heft I, ©. 48 fi. 
Narrenbuch ©. 894 f. 


609 


— — — — 


Der berühmteſte unter dieſen geſpenſtiſchen Heeresführern, der noch 
von Zeit zu Zeit in den Zeitungen ſpukt, iſt der ſchon genannte Ritter 
vom Rodenſtein. 

Im Odenwalde, ſeitwärts der Bergſtraße, 6 Stunden von Darm: 
ſtadt, liegen, mit Epheu und wilden Roſen umwachſen, die Mauern 
der verfallenen Burg Rodenſtein. Sieben Viertelſtunden davon ſieht 
man die wenigen Überreſte des alten Schloſſes Schnellerts. Bon hier 
zieht der NRodenfteiner, wenn ein Krieg beworfteht, bei grauender Nacht . 
aus, mit Rofs und Wagen, mit Heer und Hunden, in luftigem Getds 
und Sagen, börbar, aber nicht fihtbar, bis nad dem Rodenſteine. 

‚Man hört ihn durch eine beftimmte Hofraite und Scheune bes Dorfes 
Oberfainsbach feinen Zug nehmen. Wenn e3 fih zum Frieden anläßt, 
fehrt er in gleichem Zuge, boch ruhiger und ftiller, zur Burg Schnellerta 
zurüd. Ehe Napoleon im Frühjahr 1815 landete, hatte ſich die Sage 
verbreitet, der Nobenfteiner fei wieder in die Kriegähurg gezogen. (Grimm, 
deutſche Sagen I, 244 ff.) Noch in diefem Jahre hat fi dic Eage 
wieder gerührt. Das Frankfurter deutiche Journal enthielt Folgendes: 
Aus dem Odenwalde, im Merz 1832. Der Glaube u. f. wm. (Schwä- 
bifcher Merkur 7 April 1832.) *** | 

Es ift über diefe Sage eine befondre Schrift erihienen: Der Burg: 
geift auf Nodenftein oder ber Landgeift im Odenwalde. Eine alte 
Bollsfage. Frankfurt am Main 18161. 

Der Berfafier, der fih in der Vorrede dem Gefpenfterglauben im 
Allgemeinen geneigt erflärt und die Geiftergefchichte im Odenwalde wenig. 
ſtens einer ernften Unterſuchung werth erachtet (S. 43), will zwar das 
wüthende Heer oder den wilden Jäger nicht mit jenem Landgeiſte ver 
wechfelt wifien (S. 37. 39), allein er wird dem größern Sagenzuge 
nicht widerftreben können. Seine Schrift enthält die protofollariichen 
Aufnahmen, welche bei dem gräflich erbachifchen Amte Reichelheim in 

den Jahren 1743 bis 1764 über ſolche Auszüge ftattgefunden. Darin 
fommt aller Heer und Jagdlärm (S. 24) durch die Lüfte ziehend, 
gerade fo vor, wie in ben Sagen vom wüthenden Heer und der wilden 
Sagd. Befonders ift, wegen des Nachfolgenven, eine Angabe deö Leonh. 

„Hübner von Brensbach vom 20 Dec. 1758 auszuheben (S. 20): 

1 Bol. au: Das wilde Heer im Odenwalde, oder der Burggeiſt auf 
Rodenftein. Romantifche Voltsmährchen der Pfälzer; von Poſer. Mannheim 1822. 

Ubland, Schriften. VII. 39 . 


610 

Borzeiten folle fi diefer Geift auh in Grumbach (eine Stunde von 
Schnellert) vor einem Haus, worin ebebeffen ein Schmied gewohnt, gemelbet 
haben und gemeiniglich allda die Pferde beichlagen laſſen. 

Sn der Abhandlung „über die Elfen“, welche die Brüder Grimm 
den von ibnen überjegten Iriſchen Elfenmährchen, Leipzig 1826, vor: 
gejegt haben, S. LXXXIV, wird das mwüthende Heer, die wüthenden 
Säger (2), für den Umzug der Elfen um Weihnachten, wenn die Sonne 
am tiefften gefunfen ıft, angenommen. Dabei wird bemerkt, der Aus: 
druck felbit („bda3 mwüthende Heer“) fer alt, denn der Dichter Reinfrieds 
von Braunjchweig (BI. 4 5) fage: „er raufchet wie das wüthende Heer,“ 
und in einer Erzählung Ruodigerd (Königsb. Hdf.) ſchwöre Einer „bei 
dem müthenden Heer.” 

Allerdings ift in dem Elfenwefen, in der Maſſe der die Natur 
erfüllenden untergeoroneten Geifter, Manches aufgegangen, was vorher 
in befondrer mythiſcher Geftaltung beftanden hatte. Aber wo fich ein 
Solches noch ausfcheiden läßt, wo die Geftalt der größern Götter nod 
durchſcheint, da dürfen wir nicht bei jener allgemeinern und niebrigern 
Geifterwelt ftehen bleiben. Wenn wir die Elfen in der vorhergegangenen 
Sage, vom Benuzberg, in ihr Recht einzufegen verfucht haben, fo gilt 
eö bier, einem höheren Weſen dasfelbe zu thun. J. Grimm bat felbft 
(Götting. gel. Anz. 1828, St. 56 1) bemerflich gemacht, daß ber ſcan⸗ 
binavifche Odin bei den Sachſen unter dem Namen Woben, bei Hod: 
beutfchen unter dem von Wuotan verehrt worden. Wie nun in dem 
Gedichte „Reinfried von Braunjchweig” die vorerwähnte Stelle bud- 
ftäblich laute, ift mir unbefannt. Aber in der Erzählung Ruodegers 
geſchieht der Schwur, fo wie die Stelle in H. von ber Hagen Grundriß 
©. 344 fteht: bi Wutungis ber; alſo nicht beim wüthenden Heer, 
fondern beim Heere Wutungs, eines perjönlihen Wefend. Ferner in 
dem Liebe von Heinrich dem Löwen (dieſer ſoll auch unter Reinfried von 
Braunſchweig gemeint fein ?), welches aus einer Hanbfchrift der öffent: 
lichen Bibliothet zu Stuttgart, von 1474, in Maßmanns Dentmälern 
deutſcher Sprache und Litteratur, Heft I, Münden 1828, Str. 66, 
©. 132 beginnt: 

I Grammatik I, 315. 40. 57 bis 59. 290. II, 156. 171. Bol. Mone 
II, vı. 


2 [Bgl. oben ©. 5686. 8.) 


611 


Bon Brlinecwid der fürſt und herre 
Wolt ſich aber fürbaß gan 
Da gwam er under daz woden her 
Dae die böffen geifte ir wong han u. |. w. * 

Mir haben alfo für das wüthende Heer, wie man es jeßt zu 
fchreiben pflegt, für das Muotes: oder Wuotes: Heer der Volksſprache 
in biefen Altern deutichen Gedichten ein Wutungs- und.MWoden: Heer, 
offenbar das Heer Wuotans, Wodens, Odins. Dafür hat es, außer 
Andern, auch ſchon Hilfher in der angeführten Schrift genommen. 
Folgen wir dieſem Zuge weiter nach dem Norden, fo treffen wir noch 
auf deutfchem Boden, in Medlenburg, das rechte Wert. Unter den 
dortigen Bauern fand man noch in der Mitte des letverfloffenen Jahr: 
hundert3 viele Eagen von Wodes Jagd, womit fie um Weihnachten 
die Kinder fchredten. Sie pflegten auch ehedeſſen einen Eleinen Theil 
des Getreidefeldes ungefchnitten zu lafien, tanzten darum und fangen: 
„ode, Wode, hohl dienen Roſſe nu Voder!” (Frank, Alt und neues 
Medlenburg, 1753. ©. 571.) Weiterhin in Dänemark erjcheint die 
wilde Jagd unter den Namen König Waldemar, König Abels, des 
Brudermörders, Palnatofes oder des Palnajägers. Auch bier zieht der 
wilde Jäger nächtlich, mie Rodenſtein, von einer Stätte zur andern, 
durch beftimmte Bauerhöfe und über deren Dächer hin. (Thiele, Tanjfe 
Folkeſagn. D. I. Kjöbenhavn 1819. ©. 89 bis 97. II, 63.) Auch bier 
wird Folgendes erzählt: 

Der Balnajäger holt jede Nenjahranacht drei Hufeifen auf der einen oder 
der anderı Schmiebwerkftätte der Inſel Fyen und die Schmiede vergeffen nicht, 
diejelben fertig fiir ihn auf dem Amboß liegen zu laffen, denn er legt jedesmal 
drei Hufbefchläge von Gold an die Stelle der eifernen. Kommt er aber und 
findet die Hufeifen nicht vor, fo verfegt er den Anıboß anderswohin, wie er 
einft dem Schmiede zu Korup feinen großen Amboß auf einen Kirchthurm febte. 
(Thiele IV. 1823. ©. 24 f.) 

Seßen wir über den Sund, fo erzählt Geijer (Svea Rikes Häfder 
Th. I, Upfala 1825, ©. 268): 

In Schonen wird noch ein Getös in der Luft, das man zumeilen au 
Vovember- und Decemberabenden hört, Odins Jagd genannt, nach Nilsjon, 
Scandinavifche Fauna II, 106, welcher diejes Geräuſch von irgend einer gegen 
Süden ziehenden Seevögelart herleitet. 


1 [$. Grimm, Deutſche Mythologie, zweite Ausgabe I, ©. 140 bis 148. H.) 


612 


Derjelbe führt (ebendaf. aus Loccenius, Ant. Sveogoth. C. 3 an, 
man fage bei einem nächtlichen, unbelannten Lärm, wie von Roffen 
und Wagep, Oben fahre vorbei. 

Schon Weftphalen, Monumenta inedita rerum germanicarum, 
preecipue eimbricarum 1 et megapolensium bemerlt B. 1 (Leipzig 
1739), Pref. ©. 58: 

Inde paroomia apud Germanos et Suecos? nata, nec hodie deleta: die 
Wode ziehet, Oden kommt vorbey. 

Derfelbe B. IV (Leipzig 1745), Prefat. ©. 210 f.: 

Cultum et memoriam nominis ejus [Othini] ex plurimis conjeclionibus 
produnt dies quartus Wodanstag u. |. w. strepitus Wodani, qui a Ger- 
manis dicituar Wütensher, exercitus Wodani, de enjus egnis (Odenshzestar) 
rustiei hodieque mira fingunt teste Arrhenin de Templo Upsala p. 9. 

Aus Nortvegen endlich meldet eine Königs-Saga, die in die Mitte 
des 13ten Jahrhunderts gejeßt wird, kurz vor dem Friedensſchluſſe 
zwifchen Philipp und Inge (im Jahr 1208) habe fih Odin in Geftalt 
eines Reiters einem Schmiede gezeigt und Hufbejchläge für fein Pferd 
verlangt, auch dabei erzählt, daß er jeht das Land (Norwegen) ver: 
laffen wolle, um fih nad Schweden zu begeben (mo damals blutige 
Bürgerkriege ausgebrochen waren). Der Sagafchreiber fügt Hinzu 
(Müllers Sagaenbibl. III, 427 f.): 

Der Schmied Hat diefes denfelben Winter dem Könige Philipp erzäßlt, 
und Einer, der es mit anbörte, hat e8 uns wiebererzäblt. 

Greifen wir nun zu den Liedern der Edda zurüd, fo heißt es in 
dem mythifchen Geſange Bölufpa, die Weisfagung der Wöle, Str. 24: 

Sie [die Wöle] fah Walküren fernher kommen, verorbnet zum %olte der 
Götter zu reiten; Skuld trägt den Schild, Skögul die andre, Gunnr, Hilhr, 
Göndul und Geir⸗Skögul. Nun find Herjans [Odins] Mädchen aufgezählt, die 
Walküren, verorbniet zu reiten tiber die Erde. (Edd. I, 42 f.) 

Diejes Neiten der Walküren ift das erfte Vorzeichen von Balvers 
nahendem Tob und von dem letzten großen Götterfampfe. 

Im zweiten Liede von Helgi, dem Wölfungen, fpricht die Magd 


1 Eimbrifch Heißt ihm: Holftein, Schleswig, Jütland. 
2 Heimshingla, Yngl. S. €. 10: Auch glaubten die Echweben, daß er 
[Odin] fi zeige, wenn große Kriege bevorftehen. 


613 


— —— — — 


Sigruns, als ſie am Abend zum Grabhügel des Helden gegangen und 
nun Helgi mit vielen Männern daherreitet: 

„Iſt das Blendwerk nur, was mir zw ſehen dünkt, oder iſt es Götter⸗ 
dämmerung? Reiten todte Männer, wo ihr eure Roſſe mit Sporen treibt? 
oder iſt den Helden Heimfahrt erlaubt?“ Helgi antwortet: „Nicht iſt Blend⸗ 
wer! nur, was dir zu feben dünkt, noch ift Weltende, obgleich du uns fchaueft 
und mir unfre Roffe mit Sporen treiben, noch ift den Helden Heimfahrt er- 
laubt.” (Grimm I, ©. 113 ff. Edda III, 307 fi. [Simrod ©. 175. 8.]) 

Alſo das nächtliche Reiten der Todten, die aus den Sälen Odins 
fommen und Morgens zurüdfehrend ihre bleichen Rofje den gerötheten 
Lufifteig treten lajjen, wird auch hier als ein Zeichen des Weltendes, 
des großen Götterkampfes angefehen. Es find Einberien, die bei Odin 
in Walhall wohnen, aus deſſen Thoren fie «inft zum letzten Streit 
ausfahren (Edda I, 174). Voran reifet dann Dbin, mit Golbhelm, 
Harniſch und Speer (jüngere Edda 228). 

Und nun reiben fi an folden Zug auch jene reitenden Todten 
der deutichen Sagen an, Emicho, der mit ber geivappneten Schaar aus 
dem Berge und dahin zurüd reitet, wie Helgi zum Grabhügel, u. X. m. 
Selbft das einftige Hervorgehn der deutfchen Kaifer zum letzten Kampfe 
fommt biebei in Erinnerung, und der verhängnisvolle Baum mit dem 
bürren Afte, an ben fie ihren Schild aufhängen, mahnt an die Welt: 
eſche Yggdraſill, darunter der Aſen Dingftätte, an welcher täglich große 
Mühſal zehrt und die im lebten Sturme zittert, doch ftehen bleibt. 
Jene Kaiferfagen freilich tragen längft das Gepräge chriftlicher Bor: 
ftellungen. 

Bemerkenswerth ift, daß im normännifchen Frankreich und Eng: 
land das wilde Heer milites Herlikini, familia Helliquinii hieß, wie 
es noch jet franzöfifh chasse Hellequin, chasse Hennequin, ge 
nannt wird, vielleicht aus alten Erinnerungen von ber norbifchen Hei: 
math an die Sage von des tobten Helgi nächtlihem Ausritt 1. 

So haben wir, in Sprache und Borftellung, von dem unverftan: 
denen Wortgebraudy durch die noch lebende Volksſage bis zum Zufammen: 
bang und der Bedeutung in der odiniſchen Glaubenslehre, von unjrer 
nächften Umgebung, der ſchwäbiſchen Alb und dem Schwarzwalde, 


1 Chasse Hennequin, Tristan le Voyageur II, 350 f. Roquefort, 
Glossaire I, 746 s. v. Hellequin. Minstrelsy, 5 ed. 11, 127 bis 130. . 


614 


durch den Odenwald und das nördliche Deutfchland, über bie dänischen 
Inſeln nach Schweden und Norwegen die Epuren des Wuotandheeres 
nachweifen Tönnen; beim Schmiede zu Grumbach im Odenwalde, bei 
dem auf der Inſel Fyen und zuletzt bei dem norwegiſchen, bat der 
friegbringende Odin fein Roſs Eleipner befchlagen lafien, in Medien: 
burg aber ließ man dieſem fein Futter auf dem Felde ftehen. Bas 
das nächtlihe Geräufch fei, bei dem man an jenen Heereözug, jene 
wilde Jagd gedacht, ob nächtliche Etürme, ob Zugvögel, ob bie foge 
nannten Stimmen aus ber Höhe u. ſ. w., laffen wir unentſchieden; bie 
Natur hat mandye braufende Stimme, die in der dunkeln Nacht wunder: 
barer und jchredhafter vernommen wird. Aber noch jebt, wenn nächtlich 
der Wald raufcht und zerriffenes Gewölk worüberjagt, hören wir. uner: 
kannt, jenen gewaltigen Geift über uns hinfahren, der einft germaniſche 
Völker wie Meeresmogen aufgewühlt und umgetrieben hat. 


8, Die Schildpbürger (Die Schwabenftreide !.) 


Das komiſche Element der Sagenpoefie haben wir bisher nur in: 
fomeit berührt, als dasfelbe fi Eagenbildungen von ernfter Richtung 
beigemifcht hatte, Schon in die nordiſche Bötterfage fanden mir es 
aufgenommen, namentlich in die Abenteuer Thors und Afalofis im 
Riefenlande. Die deutiche Helvenfage bat uns Charaktere vorgeführt, 
welche, wenigſtens im Berlaufe der Zeit, humoriftiihes Gepräg er 
balten hatten, den Mönch Ilſan, den alten Meifter Hildebrand. Auch 
unter den Kaiferfagen fand ſich Einiges diefer Art, Manche von den 
iherzhaften Erzählungen der Dichter des 13ten und 14ten Jahrhunderts 
mögen auch aus einheimifcher Volksſage hervorgegangen fein, während 
ein größerer Theil aus altfranzöfiihen Mähren entlehnt if. Wenn in 


1 Boners Edelſtein, ©. 220, V. 55 f. Gouchsperk. Freidank, der im 
Jahr 1229 fein gnomologiſches Werk beendigte: Wiftu wort unt tumbin werc, 
din habent die von Goucesbere. [W. Grinm in (8.)] Göttingifche gelehrte 
. Anzeigen 76ſtes ©t., 12 Mai 1832, &. 760, in der Anzeige von: Le Pantcha- 
Tantra, ou les cing ruses, fableg du Brahme Vichnou-Sarma; aventures 
de Paramarta et autres contes, le tont traduit pour la premiere fois sur 
les originaux indiens; par M. l’abb& J. A. Dubois. 415 Seiten in 8. Paris, 
J. S. Merlin, 1826: „Die Abenteuer des Paramarta find indiſche Schwaben- 
ftreihe." Buchan I, 260, 3 f. Stahl, Wefphälifche Sagen 34 fi.: der Hid. 
Th. Wright, Early Mysteries ©. 93 bis 106. 


615 


den Helbengebichten ver Mönch Ilſan nur eine Nebenrolle fpielt, fo 
traten weiterhin geiftlihe Perſonen als die Helden befondrer Schwan: 
bücher auf. Ein foldhes war fchon im 13ten Jahrhundert dag Gedicht 
vom Pfaffen Amis, von dem, obwohl aus fremder Quelle, Mehreres 
berichtet wird, mas nachher von Eulenspiegel erzählt wurde. (Gedrudt 
in: Coloczaer Coder altveuticher Gedichte, herausgegeben von Mailath 
und Köffinger, Peſth 1817, und neuerlich in Benekes Beiträgen zur 
Kenntnis der altveutfchen Sprache und Litteratur, 2te Hälfte, Göt- 
tingen 1832.) Gejchichtlihe Perfonen geiftlihen Etandes, melche zu 
komiſchen Sagenhelden erhoben wurden, find der Pfarrherr von Kalen: 
berg aus dem l4ten und Peter Leu, von Schwäbiſch Hall, Helfer des 
Priefters zu Weftbeim, aus dem 15ten Jahrhundert (beive Schwank⸗ 
bücher in H. von der Hagen Narrenbuch, Halle 1811). Aber auch aus 
der Mitte des Volkes felbft erſtanden luſtige Perfonen. Der Bauer 
Morolf (Marcolph) zwar, der feinen ungeſchlachten Wit gegen die hohe 
Weisheit des Könige Ealomon in Wettgeiprächen mißt, ftammt ur: 
fprünglih aus dem Orient her und war den europäilchen Völkern des 
Mittelalter3 gemeinfam. (Das deutfche Gedicht, mahrfcheinlich des 14ten 
Jahrhunderts, ift gedruckt in H. von der Hagen und Büſchings Deutichen 
Gedichten des Mittelalters, B. I. Berlin 1808. Als profaifches Volle: 
buch war Marcolph im 16ten Jahrhundert in Umlauf gebracht; Görres 
Volksbücher 188 ff.) Deutfches Gewächs dagegen find Eulenfpiegel und 
Klaus Narr. Erfterer ift durch das noch gangbare Volksbuch, das feine 
Streiche erzählt, hinreichend befannt 1. Klaus Narr ift eine geichicht: 
liche Perſon? im letzten Viertel des 15ten und ber erften Hälfte bes 
16ten Jahrhunderts. 

Wir belafien es bei einer fummarifchen Anzeige dieſer einzelnen 
poflenhaften Charaktere und handeln zum Schluß unfrer deutfchen Sagen⸗ 
gefchichte noch etwas ausführlicher von denjenigen Volköfagen, welche 
darauf abzielten, der ergetlichen Thorheit irgendwo auf deutſchem Boden 
ihren befondern Siß, ihr eigenes Neich zu begründen. Den Vorzug, 
hiefür erlefen zu fein, ſchoben fich die verſchiedenen deutſchen Stämme 
wechjelfeitig zu und zurüd und jeder fuchte denſelben wenigſtens einem 


1 [Schriften II, 561. K.] 
2 [Schriften II, 562. &.] 


616 


einzelnen Drte feines Gebietes zuzuweiſen. Belonders wohl bebadıt 
aber war bei diefem Wettftreite unfer auch hierin gejegnetes Schwaben: 
Iand, fo daß man fich über die ganze Art der hier in Betracht kommen: 
den Schwänke am leichteften durch das eine Wort „Schwabenftreicdhe“ 
verftänblich macht. 

Die ältefte Spur von folden mag Dasjenige fein, was wir bei 
den Sagen der Heruler von der Flucht dieſes von den Langobarden 
aufs Haupt geichlagenen Volkes erzählen hörten. Paulus Diaconus 
(de gestis Langobardorum , 8te8 Jahrhundert, B. I, €. 201) berichte 
davon Folgendes: 

Über die Schaaren der Heruler aber, wie fie, da und dorthin zerftrent, 
entflohen, kam folder Zorn des Himmels, daß fie die blühenden Flachsfelder 
(viridantia camporum lina cernentes) für ſchwimmbare Waffer anfahen und, 
indem fie die Arme zum Schwimmen ausbreiteten, von den Schwertern ber 
Feinde grauſam erſchlagen wurden. 

Mag die Abſicht dieſer heruliſch⸗ langobardiſchen Sage zunächſt auch 
nur die geweſen ſein, die große, zur völligen Verblendung gewordene 
Beitürzung ? der fliehenden Heruler auszudrücken, fo finden wir doch 
das Gleiche, lange nachher, von den fieben Schwaben und den Schild⸗ 
bürgern als einen ihrer Thorenftreiche erzählt. (Vgl. Narrenbuch 493. 
Volksbüchlein 128 f. 1713.) 

Im 10ten Jahrhundert erfcheinen bereits bie Schwaben, wie fie 
überall den Vorſtreit hatten, an ber Spite lächerliher Gefchichten, 
jedoch in der Art, daß fie felbit We Schälte find. In Eberts Über 
Lieferungen zur Gefchichte, Litteratur und Kunft der Bor: und Mitiwelt, 
8. I, St. 1, Dresden 1826 4, find aus einer im 10ten Jahrhundert 
geichriebenen Pergamenthandichrift der Wolfenbüttler Bibliothek mehrere 
lateiniſche Gedichte mit übergeſchriebenen meift deutſchen Benennungen 
der Tonweiſen belannt gemacht, melde, wie neuerlich Lachmann 


1 Auch in Aimoins Ercerpten aus Paulus, B. TI, ©. 13. Deutſche Sagem 
I, 33, [Bgl. Schriften I, 460 f. W. Wadernagel in Haupts Zeitſchrift für 
dentjches Altertum 6, 258. 8.) 

2 Bol. Grimms Geſchichte der deutfchen Sprache S. 459. 

39. Sachs, Kemptener Ausgabe I, 947a: hänfen weyLer — Galgen? 

4 (Neuer Abdrud in Müdenhoffs und Scherers Dentmälern deutſcher 
Poeſie und Proſa S. 28. 311. 8.] 


617 


gezeigt hat, derjenigen freieren Versart angehörten, die man in ber alt: 
deutſchen Dichtkunft mit dem Namen der Leiche bezeichnete. Unter jenen 
lateiniſchen Stüden befinden ſich zwei von geringem Umfang, melde 
hieher einfchlagen. Das eine, mit der Überſchrift: Modus Florum, 
bebt an (©. 79): | 
 Mendosam quam cantilenam ago 

puerulis commendatam dabo, 

qno modulos per mendaces risum 

aulditoribus ingentem ferant. 

Der Anhalt aber ift dieſer: 

Ein König hatte eine ſchöne Tochter, deren Freiern er die Bedingung vor⸗ 
legte, es folle fie Derjenige heimführen, welcher fo lügen könne, daß der König 
mit eigenem Munde ihn als Lügner anerlennen müſſe. Alsbald bob ber 
Schwabe an: „Ich war allein auf die Jagd gegangen und hatte einen Hafen 
erlegt. Ich löſ' ihm den Kopf mit der Haut ab. Als ih nun den abge 
ſchnittenen Haſenkopf mit der Hand aufhebe, fließen aus feinem linken Ohre 
bundert ſchefflige Maaß Honig, und wie ich das andre berühre, quillen ebenfo 
viel Goldmünzen heraus; dieſe bind’ ich in die Haut ein. Als ich aber den 
Hafen zerlege, find’ ih im äußerften Schwanzende einen königlichen Brief ver- 
ſteckt, welcher bekräftigt, daß der König mein Leibeigener fei.” "Liigenmwerf! 
fchrie da der König, ‘der Brief und duf Go hatte der Schwabe ben König 
betrogen und ward beffen Tochtermann. | 

Das zweite diefer Stüde bes 10ten Jahrhunderts, überfchrieben: 
Modus Liebine 1, fchreibt die Geſchichte vom Schneelind, welche ſpäter, 
im 13ten Jahrhundert, in franzöfiiher und deutſcher Erzählung vor⸗ 
fommt, gleichfalld einem Schwaben zu. Am Eingang ſteht ein ähn⸗ 
licher Aufruf, wie beim vorigen (S. 80): 

Advertite, omnea populi, ridieulum, et andite, quomodo Suevum 
mulier et ipse illam defr[a]udaret. 

Ein Kaufmann von Konftanz (Constantie civis Suevulus) fam nach einer 
zweijährigen Fahrt iiber Meer in die Heimath zurlid und fand unerwartet auf 
dem Arme feiner Frau einen Heinen Erben. Sie vertraute dem erftaunten 
Gemahl, fie habe einft in den Alpen ihren Durft mit Schnee geftillt und fei 
davon fruchtbar geworden. Nah fünf Fahren und drüber machte der Kauf 
mann wieder eine Seefahrt und nahm den Knaben mit fih. Jenſeits des 


I [Mütlenhoff, Denkmäler S. 29. 312. Uhlands Schriften III, 220. 321. &.] 


618 


Meers verkaufte er denfelben um 100 Pfund. Bei der Rückkehr meldete er 
feiner Fran, fie feien durch den Sturm auf eine Sandbank geworfen worden 
und bier babe die Sonne fo heftig gebrannt, daß der Schneefohn vertragen: 

Sic perfidam Suevus conjugem deluserat, 

sic fraus fraudem vicerat, 

nam quem genuit nix, recte hunc sol liquefecit. 

Anders, längft nicht mehr im Charatter der klugen Schälfe, finden 
wir die Schwaben 500 Sabre fpäter, in den Schwänken bes I6ten 
Jahrhunderts, dargeſtellt. Zwiſchen inne muß Manches liegen, was 
den Übergang vermittelt. 

Bon dem Hauptabenteuer der 7 oder 9 Schwaben fteht die ältefte, 
mir befannte Erzählung in Kirchhofs Wendunmuth; Frankfurt 1563, 
Bl. 281% bis 283°, C. 274 [I, 318 bei Oſterley. 8.]2. 


Bon neun Schwaben ein Hiftori. 

Neun Schwaben, lijet man im buch der alten ungejchehenen ding, wolten 
auch die welt erfaren und unſers Herrgotts roch zu Trier, darnach fürter das 
beiligthumb zu Ach beſuchen unnd abjaß holen. Damit fie nun deſto ficherer 
wanbelten, ſahen fie für gut an, daß fie einen flarden unnd langen fpieß 
machen lieflen, daran fie alle neun, der küneſt unnd mannlicheft geharneſt zu- 
vorderft gienge. Dife ire reiß begab fi) aber im Julio oder Hewmonat, unnd 
als fie eins tags cin fehr weiten weg gezogen, darzu aud nod gar fern ins 
dorfi, da fie die nacht bleiben musten, beiten, unnd im bundelen über ein 
wijen oder matten giengen, flog der grofien rofsteffer oder hurnuffeln eine 
nit weit von inen binder einer ftauden unnd brumlet feindtlih. Darumb der 
vorberft erihrad, daß er den fpieß ſchier hett fallen laſſen [und einen beim 
lihen ftreichen ließ]; ſprach zu feinen gefellen: „Lojend, loſend! Gott! ich hör 
ein trummel.“ Die anderen fagten, es wer inen auch alfo, [unnd der zu 
nechft nach dem vorderften an der reig war, entpfieng den geftand deß blint 
ſchleichen feines gejellen in die najen und ſprach: „Etwas ift one zweiffel vor- 
handen, denn ich ſchmeck das pulffer und die zündftrid“.] Im Hui begund der 
gebarnifchte zu fliehen, fprang über ein zaun, do lag ongefer noch ein reden 
(denn es betten dajelbft die Teut ben tag heuw gemadhet), darauff trat er, daß 
ihn der ftiel auff die naſen ſchlug: „O wei omei,“ ſchrey er, „niem mid 


1 Langebel, Scriptores rerum danicarum I, 70: 
Swevia promissa percepta[0?] munera[e?] frangit, 
Vitat turpe loqvi, qvia nobilis atqve superbe. . 
Charakteriſtik vieler Fänder und Vollsſtämme. 
2 Ein Lied gleihen Inhalts |. im Wunderhorn II, 445. 


619 
gefangen! ich gib mid.“ Die andere bupfften alle einer vber den andern her- 
nad, und rufften: „@ibflu dich, fo gib ich mi auch.” Letzlich wurden fie 
gewar, daß fie betrogen waren, unnd damit fie derhalben nit gejpeiet würden, 
verſchwuren fie undereinander, ftilläufchweigen, biß jo lang einer das maul 
auffıhet. Der andern gefahr, die inen zu handen fam, mag die erfte nit ver- 
gliden werden; denn nach etlihen tagen trug fie ir weg durch das brachfeld 
und faß ein haß in der fonnen, ſich mit den vordern laufen umb den fopff 
bugende. Diejen erſahen fie, blieben zu berahtſchlagen, was hHierinnen das 
wenigft geferliche wer, beftehen. Einer auß inen ſprach gantz geberkt (etliche 
wöllen, es fei der hinderſte geweſen): „Rageneurlel gang anher, Rageneurle!“ 
„O Gott!” fagt der vorderft, „wenn du bie ftündeft, da ich fand, du würdeſt 
mit nichten fagen: "Rageneurle, gang anher!* Hub in dem an fich zu fegnen 
mit dem heiligen creuß, ruft Gott umb Hilff an, und zum letften, als nichts 
heiffen wolt, daß der haß aufm weg tem, ſchrey er aus groffer furdt: „Hau 
burlehau, Hau Hau!“ Bon diefer flimm erjchrad der haß und lieff darvon. 
Der ted aber fprah: „Nun fihe ih, das ein hurlehau beſſer dann taufent 
Gottheiff if.“ Fürter, nach dem fie yegund an die Moſel, ein moſicht fill und 
tieff waffer, famen, darüber nit vil bruden gemacht, fondern an mehrern orten 
man fih muß in fchiffen überführen laſſen, und dieweil fie deſſen unberichter, 
rufften fie zu einem mann, der yenfeit deß waſſers fein arbeit volnbradht, wie 
man binüber kommen möchte. Derfelbig verflund von wegen der weite, auch 
der ſprach halben nit, was fie wolten, und fragt auff fein trierifche ſprach: 
„Wat, wat?” das ift: was, was? So meineten fie, er fagte, fie folten waten, 
und hub an der vorderft hinüber zu: gehen. Er vermochte aber es nit gar lang, 
umb des ſchlams und der tieffe willen, antreiben, fiel binunder und ertrand. 
Als die andern difes hut, den der wind an das ufer auff yener jeiten ge- 
triben, ſahen, und ein froſch darbey jaß und quadet „Wat, wat, wat,” das 
eben lautet wie fie das maul in diefem wort und dergleichen weit auffperren, 
hielten fie es darfür, ir geſell ruffet inen, fi hernacher zu machen, verflunden 
es wol, unnd fagten undereinander: „Kan er überhin waten, warumb wir nit 
auch?“ Unud find alfo alle neun ertrunden, und durch unverftand der ſprach 
und den leidigen froſch yemerlich umbgebradt. 
Es fein dSchwaben hierdurch nit gichmedht, 
In frölichleit e8 jo bingeht. 
Ein yeder gfellt im felber baß, 
Andre wifjen von im aud was. 
Drumb wer nit auch wil ſchimpff verftahn, 
Der foll vorhin vom ſchimpffen lan; 
Allweg findt yeber feinen mann. 


620 


Nicht bloß mit dem Hafen und dem Spieße, auch mit den gelben 
Füßen und mit der Nuß! wurden die Schwaben genedt. Auch bievon 
berichtet Kirchhof im Wendunmuth, BL. 218. Nr. 199 [T, 244 bei Öfter- 
ley. K.]. Ein Schwab und ein Schweiger treffen ſich im Eljaß, auf dem 
Wege von Schlettſtadt nach Straßburg, und wandern zufammen. 

Wie diefe zwen alfo bey eim waſſer hergiengen, ermanet einer den andern, 
ein gricht krebs zu fahen. Der Schwab aber fieng fröſch für frebs, und fo 
offt er einen erwütſchet, jabe er: „Lug, Uli (jo hieß der Schweiger) I ich hab 
wider oinen mit oim gelben bainle.“ 

Stem auff dem weg fand ohngeferd der Schwab ein keften oder caftanean, 
die Hub er auff und ſprach mit freuden: „Lug, Uli, lug! ein ſchöns und guts 
nüßle, das ift in ein läderle gnieiet.” Der Schweitzer bſahe e8 eigentlich und 
fagt mit groffen verwundern: „Bugden gugden, das ift by Gotts chrilz ein 
finer ſchnider gſyn unnd bat gar ein ſubers nödelt chönnen machen.“ Meinet, 
oben das ort gegem ftil geftanden mer die naht, da das lederlin wer zugenebet. 

Hollender, die kein butter effen u. |. w. *** 

(Ein langes Verzeichnis diefer Art vgl. Eſchenburgs Denkmäler 
©. 417.) Dem Schwaben fehen wir hier einen andern Landsmann, ben 
Schweizer, beigejellt und fo war überhaupt der Scherz keineswegs auf 
die Schwaben befchränft. Kirchhof weiß auch von drei Baiern ein artiges 
Abenteuer zu erzählen (E. 200. Bl. 219 f. [I, 246 bei Öfterley. K.P. 
„Bon den Heflen und irem Nammen“ hat er ebenfalls cin befonbres 
Gapitel (BI. 248 ff. [I, 280 bei Ofterley. K.]), worin er jedoch, felbft 
ein Hefle, nicht recht mit der Sprache herausrüdt, vielmehr feine Lande: 
leute higig gegen Dasjenige vertheidigt, was man ihnen aufmutze. 
Fiſchart, der berühmte deutſche Humorift in der zweiten Hälfte bes 
16ten Jahrhunderts, ift voll von nedifhen Anfpielungen nad allen 
Theilen des beutichen Landes. 

Nicht unbeadhtet darf bleiben, daß die Erzählungen der Schwaben: 
jtreihe großentheils von Schwaben felbft ausgegangen zu fein fcheinen; 
vgl. Volksbüchlein 169. Bon einigen, die am früheften in Bebels, unfres 
Landsmanns, Facetiis zu finden find und von ba zu Kirchhof und An: 
dern übergiengen, wird nachher beſonders die Nede fein. Noch neuerlich 
bat ein Schwabe, Aurbacder in Münden, „ein Volksbüchlein,“ 


1 Bauli, Schimpf und Ernſt. 1535. Bl. 16. Schwaben, Nüſſe. ſSchau⸗ 
ſpiele des Herzogs H. J. v. Braunſchweig S. 306. 868 f. $-] 


621 


Münden 1827, ohne feinen Namen, ausgehen laflen, in welchem ein 
beträchtlicher Abfchnitt den Abenteuern der 7 Schtuaben gemwibmet ift. Die 
Compofition, die Darftelung und auch fonft Vieles vom Inhalt ift 
allerdingd eigene Arbeit des Herausgebers, aber auf alte Volksſage 
gebaut. Eines der Gapitel ift überfchrieben (S. 127): „Wie unfre 
Schwaben durch das blaue Meer ſchwimmen, ohne zu erfaufen;” dieß ift 
in der Hauptjache jenes blühende Leinfeld der Heruler, und zwar, nad) 
befondrer Berfiherung (S. 171), aus mündlicher Bolfsfage eritnommen. 

Kunftreih bat, um zum 16ten Jahrhundert zurüdzufehren, Hans 
Sachs drei Schwänte der beiprochenen Art in einem Meiftergefange 
zufammengeftellt, welchen Göß in feiner Auswahl aus deſſen Gedichten, 
2tes Bändchen, Nürnberg 1829, ©. 104 ff. nach einer alten Hand» 
Schrift herausgegeben hat. In jeder der drei Strophen, aus welcher Zahl 
häufig das meifterfängerifche Lied befteht, ift je ein deutlicher Wolfe: 
ſtamm, Franke, Schwabe und Baier, mit einem thörichten Dietum auf: 
gezogen, alle drei Dieta aber find dadurch zur Einheit verbunden, daß 
fie fämmtlih, ald von einem gemeinfamen Nationalinterefie, vom 
Trinken handeln: 

Nun Hört artlidher ſchwänke drey u. f. m. ##* 

So traten Thoren aus verfchiedenen deutfchen Gauen an ben 
Schwabenſpieß. Es kam aber darauf an, eine menigitens ideale Ein: 
beit des närrifchen Deutfchlands zu begründen, und dieſe fam gegen ben 
Schluß des 16ten Jahrhunderts in dem Buche von den Schildbürgern 
glüdlih zu Stande. Die ältefte, befannte Ausgabe dieſes Buches ift: 

Der Schiltbürger, wunderfeltzame, abentheurliche, unerhörte und bißber 
unbejchriebene Geichichten und Thaten der Schiltbürger in Mifnopotamia durch 
M. Aleph, Beth, Gimaul, Paul Brachfeld, 1597. (Narrenbud 440 f.) 1 

Die Gejchichte ift durch verfchiebene Fortſetzungen eriweitert morben 
und bat fih in mehrfachen nachfolgenden Ausgaben, die zum Theil 
auch den Titel des Lalenbuchs führen, im Volle verbreitet. In etwas 
erneuerter Schreibart fteht fie in H. von ber Hagen Narrenbuch, mo auch 
bie Litteratur angegeben ift, womit bie lehrreihe Recenfion in ber 

1 Über das dänifche, eigentfich jütländifche, wie es fcheint, erſt in den 
1700er Jahren zufammengetragene, Vollsbuch: Beretning om de vidtbekjendte 


Molboers vise Gjerninger og dappre Bedrifter ſ. Nyerup, Morslabslägning. 
1816. ©. 274 bis 277. Bgl. Narrenbud 492 f. [Schriften I, 564 f. 8.] 


622 


Leipziger Litteraturzeitung 1812, ©. 1282 bis 1301 (von Grimm) zu 
vergleichen ift. Koberftein S. 129 [4te Aufl. I, 441 ff. K.]. Ein Theil 
der darin enthaltenen Erzählungen ift in den Volksmährchen von Peter 
Lebrecht (Tied, Th. 3) bearbeitet. 

Die Anlage des Buchs, melde, wie mehreres Andere, etwas von 
gelehrter Hand verräth, ift folgende: 

Die Einwohner des Dorfes Schilde (ein jetiges Städtchen Schilda liegt in 
Oberfachfen; Narrenbud 440) ftammten von einem griehifchen Weifen ab und 
waren durch ihre eigene Weisheit jo berühmt, daß fie überall Hin von Königen 
und Fürſten berufen wurden, welche ihren Rath benützen wollten. Weil aber über 
diefer Abweſenheit das Hausweſen zu Grunde gieng, fo wurden fie von ihren 
Weibern dringend zurüdberufen, und damit fie nicht wieder ihrer Weisheit 
wegen nad) auswärts abgeforbert werden möchten, beichloffen fie, fich mit 
Macht auf die Thorheit zu werfen. Sie bringen es hierin wirklich ſehr weit, 
obgleich noch lange die leidige Weisheit, wie ein alter, abgeftlimmelter Weiden 
baum, immer wieder ausfchlagen will (S. 92). Durch eine Reihe der jelt- 
famften Streiche fteigert fi) aber ihre Narrheit bis dahin, daß fie in Berfol- 
gung eines ihnen höchſt gefährlich fcheinenden Maushundes (einer Kate) ihr 
ganzes Dorf durch Feuer zerftören und dann fi in der Welt zerireuen, wodurch 
ihr Geſchlecht fih aller Orten verbreitet bat. 

Bon den närrifchen Streichen dieſes wunderlichen Völkchene mögen 
folgende zur Schau ftehen, mobei ich beſonders wieder ſolche berüd: 
fihtigt habe, die ſich als ſchwäbiſches Bundescontingent nachmweifen 
lafien: Der Kudud, ©. 193 f.*** Der Krebs, ©. 199 bis 202. *** 

Die erfte diefer beiden Gefchichten 1, nebft einer andern, gleichfalls 
in den Schildbürgern vorfommenden, ift bereit in unſres Bebels, bald 
nad 1506 zufammengetragenen Facetiis B. 1, ©. 52 f., und zwar von 
den Nachbarn feines Geburtsort3, den Bauern von Mundingen bei 
Ehingen, erzählt. Ebendaſelbſt (3. UI, ©. 175) findet fich die zweite 
Anekdote vom Krebs, doch mit fehlender Spite, wieder auf einen 
Schneider zu Mundingen angewandt. Narrenbud ©. 433 bis 436. Aus 
Bebels Facetiis kamen fie in Kirchhof Wendunmuth (BI. 268° bis 
2695. 284). 


1 Zu unterfuchen wäre überhaupt noch das nach Pfifters Notizen in ber 
k. Privatbibliothek befindlihe Manufcript: Augustani 'Tunger, procuratoris 
curie constantiensis, ad Eberhardum com. de Wirtemberg Facetiæ latin® 
‘et germanice, 1486, mit artigen Federzeichnungen. [Es fcheint verloren. K.] 


623 


Die meiſten Schwänle der Schildbürger find ohne Zweifel altüber: 
lieferte, wie dieß eben von einzelnen gezeigt worden; aber unverkennbar 
ift in diefem Büchlein die Hand eines bis jet unbelannten Meiftere 
über fie gelommen, der fie zu einem mohlgefälligen Ganzen geordnet, 
oder, wenn etwa ſchon ein früher Zufammentrag vor ihm lag, diefem 
die rechte und volle Geftaltung gegeben hat. Es ift ein Guß der 
rubigen, ſchalkhaft feierlichen und doch bis in das Einzelfte lebendigen 
Darftellung. Natürlichleiten fehlen hier fo wenig, als in andern Schriften 
jenes Zeitraums, aber es verhehlt fich auch nicht ein feiner, ftill und 
tief beobachtender Geift. Ein ſolcher beivährt fich in der Aufgabe des 
urfprünglichen Ganzen, wie in ihrer Löfung. Diefe Aufgabe war nicht 
etwa bloß, die Kleinftäbterei und Pfahlbürgerei (vgl. Narrenbudy S. 426) 
zu parodieren, vielmehr die wunderbare Mifhung von Weisheit und 
Thorbeit in der menſchlichen Natur überhaupt darzulegen. Narrheit 
und Verſtändigkeit (der fchlaue und der thörichte Schwabe) find Bier, 
wie Zettel und Eintrag, mit ficherer Hand zu einem ergeblichen Gewebe 
verfchlungen!. Wie ſich im heroiſchen Nibelungenlieve die verfchievenen 
deutschen Heldenkreiſe zu einem gleichmäßigen Ganzen verſchmolzen, jo 
haben wir in den Schilpbürgern das Nibelungenliev der deutſchen 
Schwabenſtreiche. 


1 ISchriften II, 565. 8] 


Bweiter Theil. 
Zur romanifchen Sagengeſchichte. 


Es war meine Abfiht, mit der germanischen Sagengefchichte bie 
der romanischen Völker, d. h. derjenigen, deren Sprachen aus ber Ber 
milchung der altlateinifchen mit andern, vorzüglich germanischen Idiomen 
hervorgegangen find, infomweit zu verbinden, als bei diefen Völkern, mit 
ben Einflüflen der germanifchen Eroberungen überhaupt, aud die 
Sagenpoefie der Eroberer ſich wirkſam und fruchtbar eriwiefen hat. Die 
Völker, welche biebei, in größerem ober geringerem Maaß, in Betracht 
famen, find die bes jehigen Frankreichs, der britiichen Inſeln, ver 
iberifchen und italifchen Halbiniel. Der germaniſche Antbeil an der 
Sagendichtung diefer Völker ift allerdings von fehr verſchiedener Art. 
Bald find fie felbjt, der romanifierten Sprache unerachtet, noch vor 
wiegend germanifche geblieben und haben auch ihrer neuentwidelten 
Sage dieſen Charakter aufgeprägt, bald haben fie bei mehrerer natio- 
naler Entfremdung doch germaniſche Sagen und gemeinfame Sagenftoffe 
in fih aufgenommen, bald haben fie ſolche nur mittelbar, durch andre 
romanische Völker, erhalten, bald endlich ift in ihnen nur eine allge 
meinere und entferntere Nachwirkung germaniſchen Weſens bemerkbar 
geblieben.  Näher mar die germanifche Verwandtſchaft der englifchen 
und franzöfiichen, entfernter die der fpanifchen und italifchen Eagen. 

Nachdem uns jegt nur ſehr menige Zeit noch übrig ift, welche der 
romaniſchen Sage überhaupt gewidmet merden fann, fo ftand ich in 
ber Wahl, ob ich diefe übrigen Stunden eher der englifchen ober ber 
franzöſiſchen Sagengeſchichte, foweit möglich, beftimmen follte Yür 
erftere, die englifhe und die des benachbarten Sübfchottlands fprach, 
daß es fich bier von Völkern handelte, bei denen die germanifche Art 


625 


— — — — —— 


vorherrſchend und deren Sprache, des normanniſchen Einfluſſes unerachtet, 
im Grund eine germaniſche blieb, daher auch J. Grimm in ſeine 
deutſche Grammatik die engliſche Sprache mitaufgenommen hat. Die 
angelſächſiſche Periode fällt ohnehin in unvermiſchtem Sprachbeſtande 
noch gänzlich auf germaniſche Seite. Wäre von Anfang an bezweckt 
geweſen, einzig die germaniſche Sagengeſchichte darzuſtellen, ſo wären 
auch angelſächſiſche, engliſche und ſüdſchottiſche Sagen am natürlichſten 
zu ihr geſchlagen worden. Sollten aber die vermiſchten Sprachen eine 
beſondre Abtheilung, als romaniſche Sagengeſchichte, ausmachen, fo ſchien 
es von Intereſſe, auf ihrer Seite einestheils noch das germaniſche, 
anderntheils das romaniſche Element vorwiegend beobachten zu können. 

Gleichwohl entſchied ich mich dafür, die noch übrige Friſt der fran⸗ 
zöſiſchen Eage einzuräumen; nicht bloß, weil für die englifch:fchottifche 
doch nur eine fummarifche Überficht noch möglich gewefen wäre, fondern 
vorzüglich, meil ich wenigſtens an Einem vozherrſchend romanifchen 
Sprach⸗ und Bollsftamme die germaniſche Nachwirkung zeigen zu 
können mwünfchte. | ‚ 


Franzoſiſche Sage. 


Die bedeutendern Sagenbildungen, die ſich in nordfranzöſiſcher 
Sprache (zum Unterſchied der provenzaliſchen) geſtaltet haben, laſſen 
ſich auf drei verſchiedene Kreiſe zurückführen: 

1) den fränkiſchen, 

2) den normanniſchen, 

3) den keltiſchen. 

WVon unſrem germaniſchen Standpunkt aus haben wir es nur mit 
den beiden erſtern zu thun, d. h. mit denjenigen Sagenbildungen, welche 
unter dem vorwaltenden Einfluß und auf dem nationalen Sagengrunde 
der fränkiſchen und ſtandinaviſchen Eroberer Galliens zu Stande ge: 
fommen find. Der britte, keltiſche Kreis, wohin vorzüglich die Dich⸗ 
tungen vom König Artus und feiner Tafelrunde gehören, bat feine 
Heimath in denjenigen Gegenden, in welche ſich altgallifche Sprache und 

Sage, von frühern römiſchen und nachherigen germaniihen Ein: 
wirkungen verdrängt, zurüdgezogen hatte, nemlich in der Bretagne und 
auf den gegenüberliegenden britifchen Landenden, in Kornwallis und 

nhland, Schriften. VI. 40 


626 


Wallis. Zwar tft auch diefer Sagenfreis von den romanifierten Ror- 
mannen mit Vorliebe bearbeitet worden, aber ſchon in einem mittel: 
alterlichsritterlichen Sinne, wobei weder der urjprünglide Geiſt ber 
feltifehen Mythen, noch das ältere gesmanifche Weſen mehr obwaltet. 
Wir beichränten uns fomit auf die zwei erfigenannten Kreife, ben 
fränkiſchen und den normannifchen, und machen und aud bet biefen 
nicht ſowohl mehr die abhandelnde Erörterung, als die unmittelbare 
Darftellung der bebeutenpften Geftalten zur Aufgabe. 


L Fräukiſcher Sagenkreis. 


Es hat ſich in altfranzöſiſcher Sprache ein großer epiſcher Cyklus 
gebildet, der ſich um Karln den Großen! als feinen Mittelpunkt be 
wegt. Die dahin gehörenden vielen und umfangreichen Gedichte ſind 
noch weit zum gröſten Theile ungedruckt. Erſt in neueſter Zeit hat 
ſich ihnen in Frankreich ſelbſt eine anerkennendere und thätigere Theil⸗ 
nahme zugewandt. Bei ſolchen Umſtänden gibt es auch noch keine 
irgend befriedigende, litterariſch-ſagengeſchichtliche Darſtellung dieſes 
epiſchen Kreiſes. Für jetzt iſt über denſelben, obwohl zum Theil mehr 
hinſichtlich der Übertragungen und Umarbeitungen der altfranzöſiſchen 
Dichtwerke in andre Sprachen, in folgenden Schriften Auskunft zu finden: 

Dippoldt, Leben Kaifer Karls des Großen. Tübingen 1810; in der Beil. 
D: Poefie und Sagen von Karl dem Großen. 

Görres, die teutfchen Vollsbücher. Heidelberg 1807, ©. 99 ff., aus Anlaß 
des Vollsbuchs von den Heimonsfindern. 

F. W. Bal. Schmidt, Über die italiänifchen Heldengedichte aus dem Sagen 
kreis Karls des Großen. Berlin 1820. 

Derjelbe in der Necenfion von Dunlop, History of fiction, Wiener Jahr-⸗ 
bücher der Litteratur 1825. Bd. 81. 

Paris, in der Einleitung zu feiner nachher anzuführenden Ausgabe des 
Romans: Berte aus grans piés. Paris 18322, 

„Über das altfranzöfifhe Epos“ Habe ich in ber Beitfchrift „bie 
Mufen,” herausgegeben von Fouque und Neumann, Berlin 1812, eine 
Abhandlung eingerüdt, worin ic) von den Gedichten dieſes Heldenkreiſes 


1 über Charlemaines vgl. Grammatit II, 320. 
2 [Bgl. weiter meine Ausgabe des Karlmeinet, Stuttgart 1858, &. 852 f. 
Histoire po@lique de Charlemagne, par Gaston Paris. Paris 1865. $.) 


627 


— — —— — — 


Nachricht gab, ſoweit mir ſolche vorzüglich aus altfranzöſiſchen Hand⸗ 
ſchriften der Pariſer Bibliothek bekannt geworden waren. 

Ausgaben einzelner Gedichte oder größerer: Bruchftüde aus ſolchen 
werde ich bei der Aufzählung der Dichtungen ſelbſt namhaft machen. 

Der Umfang dieſer larolingiſchen Heldenſage iſt nach den allge: 
meinſten Umriſſen diefer 1: 

Nachdem Karl, in früher Jugend durch die Ränke feiner Stief⸗ 
brüder von ſeinem Erbe verſtoßen und in die Dienſte eines ſarazeni⸗ 
ſchen Königs in Spanien eingetreten, ſich den väterlichen Thron wieder 
erkämpft hat, muß er ſich in Kriegen mit Auswärtigen und mit wider⸗ 
ſpenſtigen Vaſallen zwölf Genoſſen durch Streit gewinnen, die ihm 
fortan als gehamifchte Apoftel zur Seite ftehn, um mit ihm die Sache 
der Chriftenheit auszufechten. Sie ziehen zum heiligen Grabe und durch 
eine Glorie, die im Tempel über ihren Häuptern erfcheint, werben fie 
als Streiter Gottes anerlannt und geweiht. Als ſolche kämpfen fie in 
vielfachen Feldzügen gegen die beibnifchen Eachfen und gegen die Un: 
gläubigen in Spanien, bis fie endlich, nad) vielen wunderreichen Thaten 
und Scidfalen, durch den Judas Ganelon verratben, im Thale Ronces 
val, in den Porenäen, gemeinjamen Helden: und Märtyrertod erleiden. 
Karl jelbjt und Einige aus der Zahl bleiben zwar am Leben, doch nur 
um Jene zu rächen, zu verberrlichen und zeitlebens zu betrauern. An 
diefen Kern des Epos aber fhliegen fich in auffteigenber Linie, zu Pipin 
und Karl Martell, und in abfteigender zu Karls Nachfolgern und den. 
Nachkommen feiner Helden, fowie in Nebenzweigen, nod viele andre 
Helvdengefchichten an. 

Dieb der Umfang der Sage. Den Zufammenbang der zahlreichen 
und manigfaltigen Gedichte bilden innerlid: der altertbümliche Helden: - 
geift, nicht mehr mythiſch⸗rieſenhaft, zumeilen ſchon ritterlicher Galanterie 
zugeneigt, aber voll heroifcher Freudigkeit; der religiöfe Nimbus, ber 
die Helden umgibt; die burchgebende Charakteriftil der bedeutenderen 
unter ihnen: Karls ruhige, zumeilen ftarre, mehr leitende als ſelbſt⸗ 
thätige Haltung; des Herzogs Naimes von Batern bedächtiges Alter und 
weifer Rath; Rolands achilleifches Feuer und feine innige Waffenbrüber: 
ſchaft mit dem heitern Olivier; Ganelons Falſchheit und Tüde; endlich 


1 [Bgl. Fonques Mufen, Berlin 1812. 3, 63. 8] 


628 
des Helden gemeinfamer Untergang und dad vorahnende Hindeuten 
darauf in den meijien Gebichten, weldye noch die früheren Abentener 
darftellen; äußerlich aber: die Gleid fürmigleit eines epiſchen Stils und 
beitimmte Bersarten 1. 

Ca find der legtern zweierlei: ein fechöfüßiger (der altfranzöfifche 
Alerandriner) und ein fünffüßiger, beide von jambifcher Hebung. Eine 
beliebige, größere oder Kleinere Reihe ſolcher Verszeilen auf ven gleichen 
Neim, manchmal mit einem kurzen Nachſchlag am Ende ber Reihe, 
bildet je eine Strophe. 

Die Verfaſſer oder Anordner dieſer altfranzöſiſchen Gedichte in 
ihrer jetzigen Geſtalt ſind, wohl mit weniger Ausnahme, Geiſtliche. 
Mehrere derſelben nennen ſich. Aber ſie beziehen ſich, wenn auch 
manchmal im Widerſpruche, auf den ſchon herkömmlichen Vollsgeſang 
der Jongleurs, und fie ſelbſt noch beſtimmen ihre Arbeiten ausdrüclich 
für den Gefang. Nicht die Erfindung der Sagın, fondern die Ber: 
einigung und Ausbildung der rhapſodiſchen Gejänge zu größeren Com: 
pofitionen war hier, wie anderwärts, das Geſchäft Derjenigen, melde 
das Epos in Schriftwerfe auffaßten. 

Mas nun die einzelnen Dichtungen betrifft, fo werde ich dieſelben, 
foweit mir ihr Inhalt wirklich aus altfranzöfifchen Quellen befannt ge: 
worben ift, bier aufzählen und bedeutendere Partieen ausführlicher hervor: 
heben. Sch nehme dabei den Gang, daß ich nicht die Zeitfolge der jeweili: 
gen Abjaffung zum Leitfaden nehme, fondern den Berlauf der fagenbaften 
Geſchichte jelbft, mie die Helden, welche Karla Genoſſenſchaft bilden, fi 
nad einander um ihn, als ihren leuchtenden Mittelpunkt, fammeln, wie 
fie ihren Charakter und ihre Thatkraft bald mehr einzeln, bald zu 
fammenwirfend zum gemeinfamen Heldenmwerf entmwideln ; wie die freudige 
Heldenwelt ihrem tragifchen Untergang entgegenfchreitet 2. 


1. Königin Berte. 


Li romans de Berte aus grans pies, précédé d’une dissertation sur 
les romans des douze pairs; par Paulin Paris. Paris 1832, BZuglei mit 


1 (Bol, Fouques Mufen 3, 79. K.] 

2 [Ausführliche Inhaltsangaben der altfranzöfiichen Dichtungen aus dem 
fräntifchen Sagentreife finden fi im 22 Bande der Histoire litteraire de la 
France, H.] 


629 


— — 





der Bezeichnung: Romans des douze pairs de France. No. 1. Alſo der An⸗ 
fang zu einer beabſichtigten Folge herauszugebender Gedichte diefes Cyklus, 
über den auch die Einleitung manches Bemerkenswerthe enthält 1. 

Der Verfaſſer diefes altfranzöfifchen Gedichts in Alerandrineyn ber 
borangegebenen Art iſt Adenes, zugenannt le Roi (vermuthlich roi des 
me£nestrels), der in der zweiten Hälfte bes 13ten Jahrhunderts Iebte, 
fo daß folches, diefer Zeit der vorliegenden Abfaſſung nad, zu den 
fpätern gehört. Es enthält die Gejchichte der Mutter Karls des Großen, 
die Verfolgungen, welche fie durch eine ftatt ihrer, al Gemahlin des 
Königs Pipin, unterfhobene Dienerin zu erleiden bat, und ihre end: 
Iihe Wiedereinfegung. Die Darftellung ift nicht ausgezeichnet, aber 
Doch anziehend in demjenigen Theile des Gedichte, meldher die Flucht 
der verfolgten Berta dur den unmegfamen Wald von Mans und 
ihren ftillen Aufenthalt in einem abgelegenen Waldhauſe, wo fie uner- 
Tannt einer frommen Familie mit weiblichen Arbeiten dient, faft idylliſch 
erzählt. Dieſe Gelchichte it, wenn auch in den befondern Umjtänden 
beträchtlich abweichend, do in Hauptzügen gleichartig mit der deutichen 
Erzählung, melde, mie früher angeführt wurde, Aretin unter dem 
Titel: „Ültefte Cage über die Geburt und Jugend Karls des Großen, 
Münden 1803” herausgegeben hat? und worin der Schauplag nad) 
Baiern verlegt iſt. 

Die Zeit, wo Berte fpann, iſt noch in Frankreich ſprichwörtlich 
(Roman de Berte S. IV) und an den alten Kirchen daſelbſt findet 
man häufig die Figur der reine pedauque, ohne Zweifel eben ber 
Königin Berte mit den großen Füßen, die zur Enthüllung des Betruges 
dienen, deilen Opfer fie jo lange mar (ebendaf. ©. 11 bis V. 104 f. 
198). Bertha, Perchta, heißt auch bei den Annaliften die Mutter Karls 
(Aretin a. a. D. 67). 

Sn diefem Gedichte Tommt bereit3 einer der nachmaligen zwölf 
Genoſſen Karls, Naimes, der Sohn de3 Herzogs von Baiern, mit 


1 [E8 find von der Sammlung 13 Nummern in 12 Bänden erfchienen. 
Uber Berte aus grans pies vgl. Echweglers Jahrbücher der Gegenwart 1843, 
S. 85 f. 8] 

2 Bgl. Blätter für litterariſche Unterhaltung 1840. Dec. Nr. 366. S. 1477 
bis 1479. Mones Anzeiger 1835. Ep. 421 bis 423.] [Sommer in daupis 
Zeitſchrift für deutſches Alterthum 2, 387. 8.] 


630 


13 Gefährten zum König Pipin nach Angers, um fi) von ihm zum 
Ritter Schlagen zu laffen und ihm feine Dienfte anzubieten, die aud 
gerne angenommen werden (ebendaf. S. 143 bis 145). 


2. Karls Jugent. 


Eine Folge des Gedichts von Adenes bildet ein noch ungebrudter 
Roman ! in derfelben Verdart, von Girart d'Amiens, in der Barifer 
Handſchrift Nr. 7188. Derfelbe macht auf hiſtoriſche Glaubwürdigkeit 
Anſpruch umd ift ein Verfuch, die Begebenheiten Karls des Großen in 
ein Ganzes zu bringen. Nur ftellenweife hat biefer Roman epiſches 
Leben; das erfte Buch ift das erheblichite und macht die Auffindung 
älterer Gedichte von Karls Yugenbjahren, die Bier ohne Zweifel zu 
Grunde liegen (vgl. Les enfances Charlemagne, Roman de Berte 
©. 189, N.), wünſchenswerth. Im ziveiten Buch findet fich eine gute 
Episode, wie Karl auf einer Jagd bei Vannes zum erftenmal feinen, 
nachher fo berühmten Neffen Roland trifft, der ald Knabe fchon als 
rüftiger Jäger im Walde ftreift und des Königs Waidleute, die er für 
Wilddiebe hält, übel zurichtet. (Gebrudt beim Fierabras S. 156 bis 
158.) Den inhalt des Zten Buchs werben wir beffer nach einem ältern 
Gedicht am Schluffe geben. 

Über der Geburt und erften Jugend Karls felbft ſchwebt ein ge: 
wiſſes Geheimnid. Eginhard, der ala Beitgenofje und Geheimfchreiber 
des Kaiſers doch für unterrichtet angenommen ‘werben follte, fagt de 
vita Caroli Magni Cap. IV: 

De cujus nativitate atque infentia vel etiam pueritia, quia neque 
scriptis aliquid usque declaratum est, neque quisguam modo superesse 
invenitur, qui horum se dicat habere notitiam, scribere ineptum judicans, 
ad actus et mores omterasque vitee illius partes explicandas ac demon- 
strandas, omiseis incognitis, transire disposui. 

Man bat diefe Äußerungen nidyt mit Unrecht etwas räthſelhaft 
und rüdhaltig gefunden (Aretin a. a. D. 70 bis 73). Je mehr aber 
Karls frühere Lebenszeit in Halbdunkel gehüflt blieb, um fo freieres 
Spiel war der Sagendichtung gelafien. 


4 [Jouques Mufen 3, 66. Bol. Karlmeinet S. 853 f. Bartfch über Karl- 
meint S.1ff. 8.) 


631 





8. Agolant. 


Ein Fragment dieſes Gebichts, von 1338 Verszeilen, nebft mehrern 
Heinern, bat Immanuel Beller in feiner Ausgabe bes Fierabras (Berlin 
1829) abbruden laſſen, nad einer Pergamentbanbichrift im Beſitze H. 
von der Hagen (S. LIII ff.). Über Handſchriften auf den franzöfifchen 
Bibliothelen babe ich feine Notiz!. Jedoch rechnet Paris, der Heraus: 
geber des Romans von Berta, in der Einleitung zu biefem (S. XXXII 2) 
den Agolant zu den älteiten und echteften Gebichten, die ſich auf die 
Epoche Karla des Großen felbft beziehen. Das Heldenthum Karls und 
feiner Genoflen erfcheint bier in feiner eriten Blüthe. Der König felbft 
rüftet fich mit feinen herrlihen Waffen und befteigt fein herrliches Roſs, 
deſſen Schritt von den Golvfchellen am Reitzeug heller, ald Harfe oder 
andres Spiel, erklingt; er gleicht einem Engel, ber vom Himmel herab: 
gelommen, nicht einem irbifchen Nitter (Fierabras 163). Der Jüngling 
Roland wird hier erſt zum Nitter gefchlagen und der Herzog Naimes 
von Baiern, der fonft ala greifer Neftor auftritt, ift bier noch in ber 
vollen Kraft und Schönheit des Mannes, obgleich nicht minder ala ber 
Befonnene dargeftellt.e. Den Hauptinhalt des Gebichts, fo weit man 
folden aus den Bruchftüden erfehen kann, madt ein großer Kampf, 
den Karl gegen den ſarazeniſchen König Agolant, der ihm mit unge 
heurer Heeresmacht in fein chriftliches Neich gefallen, fiegreich beftebt. 
Der Schauplag des Kampfes ift eine Ebene am Fuße des hohen und 
zauben Berges Afpremont. Sn dem gebrudten, größern Fragmente 
find die beiden Heere zu beiden Seiten dieſes Gebirges gelagert und 
e3 ift daran gelegen, erſt wechſelsweiſe die Stärke des Gegners kennen 
zu lernen, bevor zur Schlacht gefchritten wird. Hier nun, wo es auf 
Helvdenmutb und Klugheit zugleich anlommt, wird Herzog Naimes, der 
fonft mehr als Berather erfcheint, Träftig handelnd eingeführt. Die 
Abenteuer, die er hiebei zu beftehen bat, find in dem erwähnten Yrag- 
ment erzählt und ich gebe den Inhalt vesfelben, ſoweit er fagengefchichts 
lich von Belang ift: 


1 (Bgl. meine Romvart S.1f. K.] 

2 „Quant aux po&mes dont l’&poque precise de Charlemagne fournit 
le cadre, les plus anciens et les plus authentiques sont Agolant, ou les 
Sarracins chasses d’Italie,“ 





632 


König Karl ſpricht vor feinen verfammelten Helden: „Seht Hier Afpre- 
mont, liber den wir ziehen müflen, um die Sarazenen zu ſchlagen! Für gut 
halt’ ih, wenn auch ihr es gut findet, daß Einer von uns fich rüfle, Afpre- 
mont zu befteigen unb bas Heer unſrer Feinde zu ſchätzen.“ Die Franken 
ſchweigen, Keiner wagt, ſich bervorzuftellen. Zum zweitenmal fragt Karl, wer 
es unternehmen wolle. Keiner will der Erfte fein, bis Ogier der Däne feinen 
Mantel auffnüpft und fi vor dem König auf das Knie nieberläßt: „An eurem 
‚Hofe, ruft er, ift fein Nitter, der beffer als ich Bote fein Tönnte; Laßt euch's 
nicht verbrießen, edler König! Ich will für euch auf Afjpremont fleigen, und 
treff' ih) Hiamon (Agolants Sohn) oder den ftolgen Agolant felbit, jo werd’ ich 
ihn zu fragen wiffen, warum er euer Land euch flreitig made.” „Ogierl, 
ſpricht Karl, tritt zurück! nicht begehr’ ich dein.” Nach einander erheben fid) 
mehrere Helden und bitten, unter Anführung ihrer Wiirden und Berbienfte, 
daß der König fie ausſende. Karl weift Alle zurück und ſpricht zulegt: „Laßt 
euch's nicht verbrießen, ihr Herrn! Keinen hoben Vafallen, der Land zu ver- 
walten bat, will ich den Heiden fenden; die Treulofen möchten ihn tödten. Aber 
if hier fein armer Nitter, der fich ſeines Leibes zu helfen weiß, der etwas ver- 
mag, wenn’s Noth thut?“ Da erhebt ſich der gute Geſell Nichier, der Sohn 
des Grafen Berengier, noch unvereheliht. Bor den König läßt er ſich auf's 
Knie: „Herr! ſpricht ex, ich bin ein Nitter, der nicht Fand noch Erbe zu ver 
walten bat; wollt ihr folch einen Armen ausfenden, ich bin’S, der euch helfen 
will.“ „Freund, erwidert Karl, ich Heiß es gut; kommſt bu wohl und heil 
zurück, fo werd’ ich dir deinen guten Lohn geben, dein ganz Geſchlecht ſoll des 
genießen.“ Als Herzog Naimes dieß ‚hört, der den Jüngling erzogen und zum 
Nitter gemacht, zürmt er. Schon reiht der König Richiern den Brief hin, da 
tritt Naimes vor den König und ſpricht fo laut, daß man es wohl hört: „Ihr 
habt, Herr, ſchlimmem Rathe geglaubt. Richier it wader und von großer 
Tugend; ich habe fein wohl gepflegt, darım thut mir's leid.“ „Birne nicht! 
ſpricht Karl; ehrt er zurüd, fo wird ihm wohl gelohnt.” „Richier, fpricht 
Naimes weiter, if ſtolz und kühn, wie ein Löwe; leicht erhebt er übeln Zank 
mit den Heiden; da braucht mar Sinn, Maaß und Vernunft, das ſchlägt Hoch⸗ 
mütbige und Treulofe nieder; darum thut mir’g leid.“ 

Nichier geht in's Zelt, fih zu waflnen, dann fteigt er zu Roſs, nimmt den 


1 Bon der Kindheit Ogiers des Dänen, der uns hier zuerft auftritt, handelt 
ein bejondres, noch ungedrudtes Gedicht desjelben Adenes, der den Roman von 
Berte abgefaßt hat. [La chevalerie Ogier de Danemarche par Raimbert 
de Paris, poöme du XllIe siöcle in 2 Bänden, Paris 1842. 8. Man vgl. 
hierüber B. X. Huber in ber „neuen jenaifchen allgemeinen Litteraturgeitung® 
1844, Nr. 95 bis 100. $.] 


633 


— — — — 


Schild mit dem Löwen und reitet dahin mit Karls Briefe, bis er zum Aſpre⸗ 
mont kommt. Hüt' ihn Gott, der die Welt erſchaffen! Bald wird er in Angſt 
und No:h jein. Schon erſchaut ihn vom Fels herab ein Greif; Flügel hat 
diefer, einen Speer lang; vom Genid zum Schweife mißt er 30 Fuß, vom 
Schnabel zur Stirne drei; feine Augen find roth wie glühende Kohlen; die Laſt 
eines Eſels wär’ er zu tragen ftarf genug; wenn er fliegt, fo raufcht e8 weit⸗ 
bin. Im Gebirge find feine Junge, durch die Wüſte fuchen fie Nahrung. Als 
der Greif Richiern daherreiten fieht, kommt er jählings auf ihn angeflogen und 
fhlägt ihn mit den Flügeln fo gewaltig .auf den Schild, daß nit Gurt noch 
Sattel hält und der Ritter auf den Sand geworfen wird. Bevor er wieder 
auf den Füßen fteht, hat der Greif fein aragoniſch Rofs gepadt, reißt ihm 
Leber und Lunge fanımt allem Gedärm aus und bringt e8 feinen Jungen auf 
den Berg. Richier erhebt fi) zornvoll, zieht fein Schwert, um Rache zu neh- 
men, aber der Vogel ift ſchon auf dem Felsgipfel. „Gott! ruft Nichier, bei 
deinem heiligen Namen, wie kann ich über Afpremont kommen, nun id mein 
Rofs verloren? mit großer Gewalt ſchießen die Bergwaſſer daher. Und wie ſoll 
ich umlehren zum Lager Karla? Allzu ſehr fürcht’ ich den Herzog Naimes; anf 
immer würd’ ih darum geſchmäht fein.” Da geht er dem Berge zu, wo die 
Waſſer vom Felſe fallen. Er wirft fih hinein, aber die Flut reißt ihn abwärts 
und es wäre fein letzter Tag geweſen, hätt’ ex nicht mit beiden Händen einen 
Straud ergriffen und fi) zurück an’s Ufer geſchwungen. Traurig fteht er wieder 
vor feinem todten Rofs, und wie er aufſchaut, fieht er die Vögel von Afpremont 
berabfliegen, Habichte, Beier und andre, deren dort die Fülle if. Sie lommen 
in großer Zahl über das todte Roſs, ihn felbft aber faßt an der Ferſe ein böfer 
Ecorpion und reißt ibm den Sporn vom Fuße. Da flieht er, daß bier fein 
Heil für ihn ift, und kehrt um, mag er wollen ober nicht. ALS er zum Zelte 
des Herz0g8 Naimes gelommen und erzählt, wie ihm's gegangen, fpridht Diefer 
vol Unmillens: „Eine Memme Hab’ ich in dir erzogen, nicht haft du dich zum 
Alpremont gewagt; nimmer warft du dort, feiger Schelm!" Dann nimmt er 
Niiern den Brief des Königs, waffnet fich eilig felbft, nimmt den Speer in 
bie Yauft und befleigt fein Narles Roſs Morel. Seine Mannen begleiten ihn 
eine Strede und fcheiden mweinend von ihm. Als Karl es hört, ift er fehr un⸗ 
gemuth. „Zieht Naimes dahin, fo wird mein Herz nie wieder froh und un- 
berathen werd’ ich fortan fein.“ 

Naimes reitet gegen Afpremont, da fängt es ſtark zu ſchloſſen an, Schnee 
bebedt den Hals feines Noffes, es friert ihn durch den Harnifh und er ift naß 
His zur Ferſe. So reitet er zwei Meilen weit an dem tiefen und wilden Waffer 
bin, das Nichiern fortgeriffen; ex fieht die Eisſchollen darin treiben und findet 
weder Brüde noch Steg. Da wird er unmuthig, gibt feinem Roffe die Sporen 


634 


und fprengt hinein. „Heil'ge Maria, ruft er, jungfränliche Königin, errette mich 
und mein Roſs!“ Er langt am Felsufer an und fleigt vom Rofle, das zittert 
und vom Eiſe zerfetzt iſt. Morel, fpricht er, nie gab es ein Thier von deiner 
Tüchtigkeit; gibt Bott, daß wir wiederlehren, wie jolR du nerlauft oder nerfet 
werben.” Nachdem er eine Weile gerubt und fein Roſs bemitleidet, daß durch 
diefen Strudel gefebt, fieht er zu feiner Rechten, einen Steinwurf entfernt, eine 
Höhle und in ihr eine große, gelammte Schlange, die wohl jeit zwei Jahr⸗ 
hunderten hier geniftet. Sie wirft in dunkler Naht jo helles Licht von ſich, 
als wären zehen Kerzen angezündet, vermöge eines edeln Steines, den fie im 
SHaupte trägt. Kommt irgend ein Thier dort zur Tränke, fo erwürgt fie es. 
Sie fieht den Herzog und kriecht ſachte heran. Er hält den Schild vor und 
ſchlügt ihr mit einem ungeheuren Hiebe den Kopf vom Leibe. Dreimal ſpringt 
fie no auf und wirft Flammen. Naimes fieht den Edelſtein und jchlägt ihn 
aus ihrer Stimme. Nachdem er ihn im Strome gewaſchen, betrachtet er ihn in 
der Hand uud die Augen funfeln ihm von dem Glanze. Dann ftedt er das 
- Kleinod zu fich, reinigt auch fein vergiftetes Schwert im Wafler und reitet weiter 
den fteilen Felshang hinan. Bald aber ſchießt der Greif, der Richiers Rofs 
getödtet, auch auf ihn herab, faßt fein Roſs Morel mit den Krallen, hebt es 
ſammt dem Reiter drei Schub body Über den Boden empor und läßt es auf 
den Sand zurüdfallen. Aber Naimes fitst fer tm Sattel, ſchwingt jein Schwert 
und baut dem Greif beide Beine ab. Sie bleiben in der Pferdämähne, neben 
bem Sattelbogen, hängen; fie find von dem Umfang, daß eines zwei volle Kannen 
Deines faßte. Der Held nimmt fie mit fih, um fie Karln zu zeigen. Wer 
dem Liede nicht glauben will, gehe nad Compiegne! dahin hat Raimes fie ge 
ſchick. Der wunde Greif fliegt nad) dem Berg und wälst eine ſolche Schner- 
mafle herab, daß fie nahezu Mann und Roſs wıngeftürzt hätte. Noch einmal 
ſieht Naimes fih um, da gewahrt er den Sporn Richiers und nur noch bie 
Gebeine feines Roſſes. „Heiliger Gott! ruft er aus, mit großem Unrecht hab’ 
ih den Nitter geſchmäht.“ Als der Herzog auf ber Höhe des Afpermonts an 
gelommen, ift e8 dunkle Nacht. Er läßt ſich unter einem Baume zwiſchen zwei 
Telfen nieder, den Speer neben fi. Aber er weiß nicht, wo er fich gelagert. 
Eine Bärin hat dort ihr Junges zurüdgelaffen. Es ftürmt und ſchloßt, Naimes 
ift ganz durchnäßt. Morel nagt die Nacht über an feinem Zaume. „Groß Mitleid, 
jagt Naimes, hab’ ich mit dir; fänd' ich dir Futter zu laufen, kein Gold jollte 
mid dauern. Mad’ uns Gott ein andermal beffere Freude! Dießmal find wir an 
einem Orte geherbergt, wo wir beide wenig Gemach haben.“ Der Herzog ſtellt 
feinen Schild gegen Wind und Hagel; wohl bedarf er feines Mantels, er 
zittert vor Froſt, kaum hofft er den Tag mehr zu erleben und ruft inbrünfig 
zu Gott. Da gedenlt er auf einmal des ebeln Eteins, den er der Schlange 


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abgewonnen, und holt ihn hervor. Der Stein wirft folche Helle umber, als 
wären zehen Kerzen angezlindet. Morel fieht e8 und fcharrt mit dem Fuß, er 
meint, man hab’ ihm Futter gebracht. Auch Naimes fühlt fi von dem An⸗ 
blid gänzlih nen belebt und hat weder Hunger noch Durft mehr. Aber neben 
fi fieht er nun and den jungen Bär, faßt ihn foglei mit beiden Yäuften 
und fchmettert ihn gegen die Felswand. Endlich bricht der Morgen an; aber 
nun kehrt au die Bärin zurück, mit offnem Rachen gebt fie auf den Herzog 
los. Den Schild am Halſe, kämpft biefer gegen fie und ſchlägt ihr mit einem 
Streiche zwei Füße ab. Indeſs kommen nocd zwei Bären und ein Leopard 
daher, ſehen das Roſs und jeder if gierig darnach. Aber fein Herr eilt ihm 
zu Hülfe und wird mit den beiden Bären fertig, während Morel felbft mit 
feinen Hufen dem Leopard Kiefer und Hirnfchale zerſchmettert. „Morel! ruft der 
Herzog, an dir iſt jo ſchöner Beiſtand; hundert Flüche dem, der jemals von dir 
wichel” Doc ſchon erblidt er im Grund eines Thales drei Löwen, da hat er 
der Sache genug, wiſcht fein Schwert ab, fchlittelt Schnee und Hagel vom ver- 
goldeten Sattel und reitet beim Aufgang der Sonne die andre Seite bes Bergs 
hernieder. Da fieht er weithin Über die Ebne Agolants großes Heer und auf 
den Strome (Far) feine Schiffrüſtung. Er hört die Roſſe wiehern und die 
Jagdhunde Bellen. Er fieht Gezelte, Kriegszeng, Dromedare, fieht Agolants 
Belt mit dem leuchtenden, goltnen Adler und auf einem Wagen den Götzen 
Mahomet, vor dem fie fich anbetend nieberwerfen. „Gott, Richter der Welt, 
ruft er da, fhirme den Kaiſer Karl!“ 


Soweit dieſer Auszug. Das gebrudte Fragment erzählt noch, wie 
Naimes mit einem farazenifchen Fürften, der gleichfalls auf Kundichaft 
audgeritten ift, einen Kampf befteht und wie er, ohne fich zu nennen, 
die Botſchaft des Kaiferd an Agolant ausrichtet und mas er fonft im 
Lager der Ungläubigen erfährt. Bis zur Rückkehr reicht dasfelbe nicht. 

Der Schauplatz diefer Epiſode ift die Bergicheive der Alpen bei 
Nizza (franzöfifch Nice; Rise?), wo aud ein Ort Afpremont liegt, mie 
im Gebichte der Gebirgspaſs heißt. Karl kommt von Rom ber, der 
Pabſt ift in feinem Lager, die Sarazenen liegen auf ber franzöfifchen 
Gebirgsſeite, an ben Ufern des Bar (ar), der fich unfern in's Meer 
ergießt. Dürfte man vom poetischen Gehalte des Bruchſtücks auf den 
des ganzen Gedichts fchließen, fo wäre biefer nicht gering anzufchlagen. 
Die Charaktere find wohl gezeichnet und bie fabelhafte Gebirgämelt ift . 
ganz die, wo der Fels ftürzt und über ihn die Flut, und wo in Höhlen 
der Drachen alte Brut hauft. Sagengeſchichtlich beachtenswerth ift aber 





" 636 
insbefondere noch, dat wir hier in ben Abenteuern des Herzogs Raimes 
denfelben Typus wiederfinden, der fih und in den Zügen Ruſthms 
und Adfendiard durch die Wüfte und, übereinftimmend damit, in ben 
Fahrten Molfvietrich8 dargelegt hat '!. 


4. Die Belagerung von Biane?. 


Bon dem Roman de Viane, der die Geſchichte diefer Belagerung 
enthält, ift ein großes Etüd, von 4060 Berfen, nach der von mir aus 
einem Parifer Coder genommenen Abjchrift in den Zugaben zu Bellers 
Ausgabe des Fierabrag (XII ff.) abgedrudt. Nähere Nachricht von 
diefem Roman und Überfegungen daraus habe ich in der angeführten 
Abhandlung über das altfranzöfiiche Epos? und deren Beilage gegeben. 

Derfelbe bildet zwar in fih ein Ganzes, iſt aber doch zugleich 
organischer Theil eines großen Geſchlechtsgedichts, das ſich, wie es 
Scheint, durch fieben Abtheilungen bindurdhgieht und von Generation zu 
Generation fortichreitet. Im Eingang bezieht ſich der Dichter, ver fih 
Bertran; nennt, un gentil clerc qui ceste chanson fist, auf ein altes 
Bud in der Abtei St. Denis, woher auch andre Gedichte dieſes Kreiſes 
ihre Nachrichten haben wollen, in welchem er Belehrung über die fränfi: 
ſchen Hauptgefchlechter (gestes?) gefunden. Das erfte und vornehmite 
ift das des Königs, bad zweite das von Doon von Mainz, mächtig, 
reich und tapfer, nur leider nicht von großer Treue; aus diefem gieng 
der Verräther Ganelon hervor; das britte ift das des Garin von Mont: 
glaive und aus diefem entiprangen nur weiſe und hochherzige Helben. 
Diefen Stamm will der Dichter verherrlichen. Die erfte Abtheilung 
der Gedicdhtreibe, der Roman von Viane, handelt von dem Stamm: 
vater Garin, von deſſen Söhnen Girart, Rainier u. f. w. und befon: 
ders von der Belagerung, melde Girart durd den Kaifer Karl, mit 
dem er in großen Ziwiefpalt geratben, in der Stabt PViane erleidet, 
wobei Roland und Dlivier, jener Karls, diefer Girarts Neffe, kämpfend 
den Bund fchließen, der bis an ihr Ende dauert. Aus der Beſchrei⸗ 
bung dieſes Kampfes, in welchem zwei Haupthelden der Farolingifchen 


1 [Schriften I, 183 fi. 8.] 
2 Vienne, an der Rhone. 
3 [Fouque, Mufen 8, 68 fi. &] 


637 





Genoſſenſchaft zufammentreffen, theile ich Einiges nach meiner Über: 
feßung mit. 

Zum beflern Berftändnis und zur Kenntnis ber Anlage des Ganzen‘ 
fchide ich Folgendes voran: 


Girart ift ſchon fieben Jahre lang vom Kaiſer belagert. Ihm find ſeine 
Brüder, namentlich Rainier von Genua in Begleitung feines Sohnes Olivier 
und feiner Tochter Alde (Aude), zu Hllfe gezogen. Im Heere Karls befinden 
fih deffen Neffe Roland, Herzog Naimes von Baiern u. A. m. Über einen 
Fallen Rolands, welchen Olivier aufgefangen, gerathen diefe Jünglinge zuerft 
in Hader. Es folgen verfchiedene Ritterftilde von beiden und andre Gefechte. 
Einmal ift die ſchöne Alte mit andern Frauen aus der Stabt gelommen, um 
dem Kampfe zuzuſehen; Roland ergreift fie und will fie wegführen, fie wird ihm 
aber von ihrem Bruder wieder abgejagt. Dlivier begibt fi in des Kaifers 
Belt, um Friedensvorſchläge zu maden, welche jedoch fchnöde zurückgewieſen 
werden; worauf Olivier den Roland auf die Ahoneinfel unterhalb Viane zum 
Zmeilanpf fordert. Die Verabredung wird dahin getroffen, daß, wenn Roland 
überwunden wird, der Kaijer abziehe, wenn Olivier unterliegt, Herzog Gerhard 
Viane übergeben und das Land räumen müffe Beim Weggehen Oliviers erhebt 
ih Zank und biutiger Streit zwifchen ihm und den Rittern des Kaifers. Die 
Bianer kommen ihm zu Hilfe und es beginnt eine allgemeine Schlacht. Die 
Bianer werden mächtig gedrängt; Girart bläft das Horn zum Rückzug, faßt 
Dliviers Zügel, damit diefer nicht im Gefecht zurückbleibe, und eilt mit feiner 
Schaar in die Stadt zurüd. Diefe wird nun vom Heere Karls beſtürmt, aber 
von den Innern tapfer vertheidigt. Die ſchöne Alde felbft tritt an die Zinne 
und wirft einen Stein herab, wodurch der Helm eines Stürmenden zerfplittert 
wird. Roland erblidt fie und will nicht gegen Frauen ſtürmen. Gr läßt fi 
mit ibr in ein Geſpräch ein, während deſſen Olivier ausfällt und im Heere der 
Belagerer großen Schaden anrichtet. Karl befiehlt den Rückzug und nedt feinen 
Neffen Roland mit diefer ungzeitigen Unterhaltung. (Die Überfegung diefer Scene 
babe ih in meine Gedichtjammlung aufgenommen.) In der Naht träumt es 
dem Kaifer, wie fein Habicht mit einem Falken, der aus der Stadt hergeflogen, 
heftig fämpfe, wie aber zulett die Vögel Frieden machen und ſich fchnäbeln. 
Ein weiſer Meifter deutet e8 auf den Zweikampf der Jüinglinge Olivier rüftet 
fih in aller Frühe. Ein alter Jude, Joachim, ift gutmütbhig genug, ihn mit 
vortreffiihen Waffen (worunter ein Halsberg, welchen Aneas vor Troja erobert 
bat) auszuftatten, ob er glei von Olivier nicht wenig genedt wird. Die Waffen 
werden jedoch zuvor vom Biſchof eingefegnet. Dlivier reitet, Girarts Abmahnung 
unerachtet, von dannen, läßt fih auf die Infel überſetzen und ſtößt dreimal in’s 
Hom. Roland, höchlich erfreut, rüftet ſich gleichfalls und glirtet das gute 





638 


Schwert Durandart um. Vergeblich räth ihm der Kaifer ab, der Dliviers fo 
wenig, als Rolands Schaden wiinſcht. Roland ſchwimmt auf feinem Hoffe zum 
Eiland über. No einmal erfucht ihn Dlivier, den Bianern beim Kaifer Frieden 
zu werben, die ſchöne Alde fol ihm dafür zum Danke werben. Aber ber trogige 
Roland will fi die Stadt zufammt der Jungfrau mit den Schwert erringen. 
Da rennen fie gegen einander an, zertrümmern fi die Schilde und brechen die 
Speere. Sofort greifen fie zu den Schwertern. ; Beide Hoffe werden zufammen- 
gehauen und die beiden Helden kämpfen zu Fuß. Als Alde vom Fenſter aus 
ihres Bruders Roſs gefällt fieht, geht fie zur Kapelle hinab und betet für ihn 
und feinen Gegner. Bon den Mauerzinnen find Olivier Berwandte, vom 
andern Ufer Karl und die Seinigen Zujchauer des Zweikampfs. 

Meiter möge nun das Lied fprechen (Fouques Mufen IV, 126 ff.)! 

Auf der Bianer Inſel, auf dem Sand u. ſ. w. #** 

(Str. 16 bis: „dieſes Land.” 18: „Der Herzeg Roland.” 19. 20. 21. 23. 

24. 32 bis 36 nebſt profaifchem Schluſſe.) 


5. Karls PBilgerfahrt. 


Von der Pilgerfahrt Karla des Großen und feiner zwölf Genoflen 
nad) Serufalem und ihrer Heimkehr über Conftantinopel handelt, fo viel 
fih aus den zugänglichen Notizen erjehen läßt, ein bandfchriftliches 
altfrangöfilches Gedicht im britifchen Muſeum. Man hat dasſelbe wohl 
zu body hinauf ins 11te Jahrhundert gejeßt (Roquefort de l'état de la 
poe@sie frang. S. 206 bi8 208. 4801). Auch eine der altfranzöfiichen 
Hanbichriften der Berner Bibliothet (Num. 570: vers sur Charlemagne) 
fcheint vesfelben Inhalts zu fein. 

In Ermanglung diefer ältern, noch ungebrudten Gedichte muß und 
ein noch in neuerer Zeit gangbarer franzöfiicher Volksroman, den ich 
jedoh auch in einer Papierhandſchrift der Pariſer Bibliothef (Nr. 7548) 
getroffen, hier Dienfte leiften: 

Histoire u. f. w. de Gallien Restaure, fils du noble Olivier u. |. w. 
A Lons-le-Saunier 1807. 40. 

Am Anfang diefes Buches, welches in der Gejchichte feines Haupt: 
beiden Galien ſelbſt ſehr unbebeutend und eine bloße Nachahmung 


1 [Herausgegeben: Charlemagne, an anglo-norman poem of the twelfth 
century, now first published by Francisque Michel. London 1886. Dar- 
nad deutſch in meinen altfranzöfiichen Sagen, Tübingen 1839. I, 26 ff. 8] 


639 


fonftiger Dichtungen von den zwölf Pairs ift, fteht eine Erzählung ber 
Neife nach Yerufalem und Conftantinopel, melde offenbar andern und 
älteren Urfprungs und an deren Inhalt das übrige Machwerk erft 
jpäter angefponnen worden ift. Der Gang diefer einleitenden Erzäb: 
ung ift folgender: 

Nachdem Karl der Große ſich viele Länder und Stäbte unterworfen batte, 
befchloß er, mit feinen Genoffen das heilige Grab zu befuchen und zugleich den 
König Hugo zu Conftantinopel fennen zu lernen, bes ihm als der reichfte und 
mädhtigfte Herrſcher geprieſen worden war. 

Als die frommen Helden in Jeruſalem angekommen, giengen ſie ſtracks auf 
den Tempel des heiligen Grabes zu, fanden aber die Thüren mit ſtarken eiſer⸗ 
nen Riegeln verichloffen. Karl richtete ein Gebet an die Mutter des Heilands 
und alsbald öffneten fi die Pforten ohne Zuthun einer Menfchenhand. Sie 
traten andädtig in den Tempel ein und fanden zmölf koftbare Stühle, in Mitten 
derjelben aber einen dreizehnten, der an Schönheit alle librigen übertraf. Es 
war derjenige, auf welchen Chriftus jelbft fich gefeßt, nachdem er vom Tode 
zum 2eben auferflanden. Jeder ber zwölf Genofien fette ſich auf einen der 
Stühle und der König auf den mittelften. Dann dankten fie allzufammen dem 
Herrn für die Onade, daß er fie an diefen heiligen Ort gelangen ließ. In 
diefen Tempel trat ein Chrift, der zu Jeruſalem wohnte. Er betrachtete den 
Kaifer und fah, daß von deffen Antlit eine Teuchtende Helle ausgieng, die dem 
Stral der Sonne gli und den ganzen Tempel mit Glanz erfüllte Eilig lief 
der Chriſt zum Patriarchen von Jerufalem, um zu fagen, was er gejehen. Der 
Patriarch, jehr erftaunt hierüber, ließ alle Diener der Kirche berufen und fid 
in koftbaren Feſtſchmuck Heiden, worauf er mit ihnen in andächtigem Zuge nad) 
dem Zempel gieng. Der Kaifer und die zwölf Genoſſen erhoben ſich von ben 
Stühlen und ließen fidh vor dem Patriarchen nieder. Diefer ſah nun auch die 
fonnenhelle Klarheit, die vom Munde Karls ausgieng, hob ihn mit der Hand 
auf und fragte, woher er und feine Leute wären und was fie fuchten. Karl 
antwortete, er jei König von Frankreich und habe feinen Neffen Roland, den 
Grafen Olivier und andre Herren bei fi; fie jeien in diefes Land gelommen, 
um das heilige Grab zu ehren, in welches der Leichnam des Heilands gelegt 
worden. Da nahın fie der Patriarch fehr ehrenvoll auf und bewirthete fie vier- 
zehn Tage lang in Jerufalem. Karl ftellte hierauf an den Patriarden das 
Erſuchen, daß e8 diefem gefallen möchte, ihm welche von den heiligen Reliquien 
zu geben, zu deren Ehre er ſchöne Kirchen und Klöfler fliften wolle, wenn er 


Der Anfang des Volksbuchs ftimmt mit dem des alten Gedichts, Roque⸗ 
fort a. a. O. ©. 480. 





640 


nah Frankreich zurücgelange. Hieranf erwiderte der Patriarch, er thue das 
fehr gerne; denn er wufte wohl, wenn er fie nicht gutwillig geben würde, fo 
wirde man fie ihm mit Gewalt abnehmen. Er gab ihnen nebſt Mehrerem 
die Echüffel, worauf der Heiland Fiſche gefpeilt, den Gürtel der heiligen Jung⸗ 
frau und etwas von ihrer foftbaren Milch, auch den Arm des heiligen Simeon. 
Mit dem Segen des Patriarchen begaben die Pilger fi) auf den Rückweg. Sie 
famen an mehrere Ströme, aber die Heiligthlimer, die fie mit fich führten, 
äußerten folche Kraft, daß fie ohne Brliden oder Fähren liberfeten Tonnten. Wo 
fie durchzogen, wurden Blinde jehend und Krumme gerad. In einem großen 
Walde kam ein zahllofes heidnifches Heer gegen die dreizehn Pilger angerlidt. 
Roland getraute fi, es mit Allen aufzunehmen, fo lang er Durandal in der 
Hand und feinen Genoffen Olivier an der Seite habe. Der Herzog Naimes 
von Baiern aber hielt dieß für bedenklich und rieth, den Herrn anzufleben, daß 
er den Meliquien rettende Macht verleihe. So geſchah es, und als Roland allein 
auf die Heiden einbauen wollte, ftanden fie alle zu Steinen und Felſen ver- 
wandelt vor ihm, worauf er fich lobpreijend niederwarf. Am Ausgange des 
Maldes kamen fie auf eine Wieſe, wofelbft fie ein prädhtiges, buntes Belt er- 
bliden, mit einem großen goldnen Knopfe, auf welhen cin koftbarer Karfunkel 
befeftigt war, der ein blendendes Licht von fih warf. Nachdem Karl es eine 
gute Weile betrachtet, ritt er darauf zu und fragte, wen es gehöre. Ein Mann, 
der am Eingange des Zeltes erfchien, antwortete, dem König Hugo von Con- 
ftantinopel, e8 wohnen aber darin deſſen Schweinhirten, welche Echweine zu 
Zaufenden zu hüten haben, und wenn der Monat Auguft hberangelommen, erhalte 
jeder zwblfhundert Scheffel Getreides. Karl verminderte ſich Bierliber fehr und 
fragte, ob er die herannahende Nacht im dieſem Zelte zubringen fünne. Der 
Schweinhirt erflärte, daß er fie jehr gerne bewirthe, und wenn ihrer hundert 
wären, jo würden fie Brot, Wein und Fleiſch aller Arten zur Genüge finden. 
Karl und die zwölf Genoffen fliegen nun ab. Roland aber ſprach: „Wahrlid, 
mein Obein, wenn man in Frankreich wilſte, daß wir im Haus eines Schwein- 
birten Herberge genommen, man könnt' e8 uns zum Vorwurf machen.“ „Neffe, 
laß das!“ erwiderte der Kaiſer; „das Haus eines reihen Schweinhirten ift wohl 
fo viel werth, als das eines armen Ritters." Der Schweinhirt bat Ogiern den 
Dänen, das Amt des Haushofmeifters zu übernehmen. Sie wurden trefflid 
bewirthet und nahmen am Morgen Abſchied. Diefen Tag kamen fie zum Rinder 
hirten des Königs Hugo, der dem König Karl den Bügel hielt, worüber Roland 
jehr lachte, und fie in feinem noch geräumigern Zelte in Gold- und Silber 
geſchirren bewirthete. Tags darauf ſprachen fie beim Schaafhirten ein und es 
ergieng ihnen nicht minder gut. Roland fprad: „Wenn König Hugo ebenfo 
wohl mit Helmen, Schilden und Speeren verjehen ift, als mit Schweinen, 


641 


⸗ 


Rindern und Schafen, fo können ihm alle Fürſten der Welt nichts anhaben.“ 
Auf der Weiterreiſe, beim Herabfleigen von einem Berge, begegneten fie einem 
jungen Boten, der raſch daherlief. Karl fragte ihn, wer ex fei. „Herr! ich bin 
ein Bote des Königs Hugo; feht an meinem Gürtel die golpne Büchfe, darin 
ih die Briefe trage, wenn ich für ihn Boten gehel” „Sag mir! wo ift König 
Hugo?“ ſprach Karl weiter; „mich verlangt, ihn zu ſehen.“ „Herr! ex ift in 
einem Thale diesfeits Conftantinopel, wo er den Pflug führt, wie er von Jugend 
auf gelernt bat." Karl ſprach zu feinen Gefährten: „Das hab’ ich noch nie 
gehört, daß ein König Pflüger war.“ Nachdenklich zogen fie weiter, bis fie 
den König Hugo fanden, wie er einen Pflug, der von Gold und Silber und 
mit Edelfteinen eingelegt war, tim Felde führte; die Stiere, die den Pflug zogen, 
hatten Halfter von feinem Gold und mit Perlen bededt. Auf feinem Hute trug 
der König eine Perle von ungemeiner Größe, die im Sonnentichte herrlich er» 
glänzte, aud Hatte er ein ſchönes, Toftbar aufgezäumtes Maulthier. Diefer 
König Hugo war- fein Freund der Jagd, weder mit Hunden, noch mit Stoß- 
vögeln; feiſte Ochſen und Schweine waren feine gröjte Freude. Die Hirten 
hatten mehr Gewalt an feinem Hof, als die Edelleute. Er hielt fein Land in 
gutem Frieden, ließ gutes Recht verwalten, war milde gegen Jedermann und 
geliebt von feinem Bolle. Die Pilger begrüßten den König und er nahm fie 
freundlich auf. Er beftieg fein reichgeſchmücktes Maulthier und führte fie nad 
Gonftantinopel in feine Burg, deren Pracht keine Zunge erzählen kann. Die 
Mauern waren von Albafter und die Pfeiler von Elfenbein. Die beiden Söhne 
des Königs und feine ſchöne Tochter Jacqueline kamen den Gäften entgegen. 
Dlivier verliebte fi} jo jehr, daß er bei dem wohlbeſetzten Mahle nichts genoß, 
fondern ganz in Gedanken da jaß. Roland, dem er die Urfache diejes Benehmens 
geftand, fagte lachend: „Ihr jeid ein rechter Pilger, der ihr vom heiligen Grabe 
fommt und euch an ſchöne Franen hängt.“ Zur Nachtruhe wurden fie in einen 
Saal mit prächtigen Betten geführt, in welchem fich ein hohler Marmorpfeiler 
befand und darin ein Mann, der aufhordhte, was die Franken fprächen, um es 
bem König Hugo zu berichten. Sie legten ſich nieder, "aber Karl konnte nicht 
fchlafen und jprach zu ben zmölf Genoffen: „Ihr Herren, ich bitt' euch, etwas 
zu fagen, was zum Lachen ift, denn ich kann nicht einfchlafen.“ Roland er- 
wiberte: „An euch ift es, ein Iuftiges Geſpräch anzuheben.“ Karl begann nun: 
„Der König Hugo ift jehr reich und mächtig und hat ung wohl aufgenommen, 
aber er bat keinen Mann an jeinen Hofe, dem ich nicht, wenn er feinen Hald- 
berg umgethau und fein Haupt mit zwei Helmen von gutem Stahl gewaffnet 
Hätte, diejelben doch mit einem Streiche meines Schwertes durchhiebe.” Als ber 
Kundſchafter Diejes hörte, ſprach er beifih: „Ha, Karl! große Thorheit begieng 
König Hugo, dich zu beherbergen.“ Karl hieß hierauf den Roland jprechen 
ubland, Schriften. VII. 4l 


642 


und diefer fagte: „Morgen werd’ ich mein Horn mit folder Macht blafen, daß 
die ganze Stadt über den Haufen fällt, und kommt mir König Hugo im ben 
Weg, fo werd’ ich ihm den Bart verfengen.“ „Wehe mir!“ ſprach der Horcher; 
„wenn Roland thut, was er fagt, fo muß ich fterben. Verwünſcht fei die Stumde 
feiner Geburt, da dur ihn die Stadt fallen fol.” Nach Roland ſprach Dlivier: 
„Ihr Herrn, id rühme mich nicht; aber hätt’ ich die fchöne Jacqueline in mei⸗ 
nen Armen, ich Lüfste fie fünfzehn für ein Mal.“ Der Laufcher im Pfeiler 
dachte in feinem Herzen, Dlivier wäre der Mann dazu, die Tochter des Königs 
zu entführen, feiner Pilgerfhaft uneradhtet. Hierauf bob Ogier an: „Ich ver 
ſprech' euch, ihr Herren, daß ich morgen den großen Pfeiler im Saale bier zer- 
brechen und das ganze Haus erfchilttern werde.“ Da fing der Mann im Pfeiler 
zu weinen an: „Ad, mein Gott! was fol ich thun? der böfe Feind hat mid) 
in biefen Pfeiler geftedt; könnt' ich entwiichen! um alles Gold der Welt wird’ 
ich nicht hieher zuridichren.” Die Reihe kam an Bernard. „Morgen frühe,“ 
fprah er, „werd' ich dieſen Palaft einwerfen, und wenn ich ihn fallen ſehe, 
werd’ ich einen fchönen Sprung thun, fo daß ich unbefchädigt heraus komme.“ 
„Und ich,“ ſprach der Laufcher, „werde davon laufen, fobald fie eingejchlafen 
find.“ Weiter rühmte fi Aimery: „Mit einer Hand werd’ ich den großen 
Stein aufheben, der im Hofe ftegt, und ihn mit folcher Gewalt gegen die Mauer 
des Palaftes fchleudern, daß ih 30 Ruthen davon abwerfe.“ Der Kundfchafter 
ſprach, zitternd vor Angft: „Das laſſe Gott nicht gefchehen, daß ein fo fefter 
und reicher Palaft befhädigt werde! Der mülſt' ein guter Wirth fein, der euch 
mehr, als eine Nacht, beherbergte.” Auch Ganelon that feine Rebe: „Morgen, 
wenn wir im Saale find und König Hugo trinkt und ißt, werd’ ich ihm einen 
ſolchen Streich auf den Hals verjegen, daß ich ihm das Kehlbein breche.“ Ganz 
leife ſprach der Kundſchafter: „O! wel ein Verräther bift du! burch dich wird 
eines Tags noch große Übelthat verlibt werben; von Keinem der Andern hab’ 
ih jo graufame Rede gehört.” Herzog Naimes ließ fich Hierauf vernehmen: 
„Bäbe mir König Hugo drei Ringpanzer anzuziehen, fo alt und verliebt ich bin, 
ih wollte 15 Ruthen höher Ipringen, als die Burgmauern, dann mich auf bie 
Erde legen, ausfiveden und fo ſtark wieder aufipringen, daß die drei Panzer.. 
zerbrächen, wie bürres Stroh.” „Wer hätte gedacht,” ſprach der Horcher, „daß 
diefer Graubart folhe Stärke hätte, der doch wohl feine 120 Jahre alt iſt! Auf 
der gauzen Welt gibt es feine Leute, wie bieje, oder die fo fchrediiche Dinge 
zu vollbringen vermöchten, wie biefe von fi) ausfagen.” Der Erzbiſchof Turpin 
begann jet: „Ich werde morgen alles Wafler des Stromes, der hier vorliber- 
fließt, in die Stadt hereinleiten, jo daß die Leute in ihren Häufern ſchwimmen.“ 
Hieranf der Späher: „Heiland der Welt, geftatte du nicht foldden Frevel!“ 
Gerard von Monbibier ſprach: „Gäbe mir König Hugo drei Roffe und würden 


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diefe in eine Reihe hinter einander geftellt und wär’ ich in die drei fchmerften 
Harnifche gewappnet, fo wollt’ ich vom erften Roſs auf das dritte fpringen, ohne 
das zweite zu berühren, und von dem großen Sprung, ben id) auf das Rofs 
tbäte, jollten ihm die Gebeine zuſammenbrechen, und wär’ es das allerftärtfte 
im ganzen Lande des Königs Hugo.“ Der Horcher war hierüber höchſt er⸗ 
ftaımt: „Bei Gott! der König Hugo bedarf keines ſolchen Reitknappen.“ Nach 
Dieſem ſprach Rihard von der Normandie: „Ließe König Hugo die 6 ſtärkſten 
Männer der Stadt wappnen, wie irgend ihn gelüftete, und dann eine Kufe mit 
fiedendem Blei füllen, und würden bie ſechs Gewappneten mir auf den Hals 
gepadt, jo wollt’ ich ganz nadt in die Kufe und wieber heraus fpringen, ohne 
daß mich das Blei brühte, den Sechjen aber müſte von dieſem Eprunge das 
Herz im Leibe vor Angſt berften.” „Mein Gott!“ brach der Taufcher aus, „id 
glaube, diefe Leute find aus Stahl gefchaffen.” Noch fprah Garin: „Bevor 
der Morgen anbricht, werd’ ich alle Steine des Palaftes in den Wald hinaus 
fchleudern, fo daß kein Hirſch, Eber no andres Wild vor meinen Würfen am 
Leben bleibt.” Der Kundfchafter ſprach Teife: „Sterbe der taufendfachen Todes, 
der euch den Weg hieher gezeigt!" Zum Scluffe ſprach Beranger: „König 
Hugo nehme die ſechs beiten Stahlllingen, die er finden kann, und ftede fie 
halb in die Erde, fo werd’ ich mit bloßen Füßen auf die Epiten fpringen und 
fie abbrechen, ohne mich zu verwunden.” Roland und Ogier bemerlten: „Wir 
werden unfre guten Schwerter nicht dazu hergeben.“ 

Der Schlaf famı nun Über die Helden; da ſchlich ſich der Kundfchafter aus 
den hohlen Pfeiler und hinterbracdhte dem König Hugo die angehörten Gefpräche. 
Diefer gerietd in großen Born und betheuerte, er würde fie Alle aufhängen 
laſſen, wenn fie nicht in Erfüllung brächten, weffen fie fi gerühmt. Diefen 
Beicheid eröffnete er ihnen felbft zum Morgengruße. Als ihn aber Karl anfah, 
wındt’ er fi um und ſprach leife: „Heilige Jungfrau, meld ein Pilgrim! Ich 
bin halb todt von feinem Blicke; mein Herz ift fo davon erjchüttert, daß ih in 
ſechs Monaten nicht wieder hergeftellt fein werde." Er ließ nun durch die ganze 
Stadt die Sturmgloden Täuten und es jammelten fich über 30,000 wehrhafte 
Männer gegen die 13 Pilgrime. Diefe thaten Wunder der Tapferfeit und ver- 
goffen Blut in Strömen. Da forderte König Hugo fie nochmals auf, ihre Vor⸗ 
fäte zur Ansführung zu bringen. Sie vermaßen ſich zwar abermals, daß fie 
das wohl im Stande wären, befanden fi aber doch in Berlegenheit. Sie 
giengen Meſſe zu hören und Karl betete inbränftig um Hülfe. Kaum war fein 
Gebet zu Ende, fo erfchien ihm ein Engel vom Himmel und verkündigte, daß 
alle die Neben in Erfüllung gehen würden; „aber,” fette er hinzu, „laß bir 
nicht mehr beigehen, dergleichen Dinge zu ſprechen!“ Karl meinte vor Nüh- 
rung und Alle danlten dem Himmel für diefen Troſt. Aimery ergriff nun ven 


644 


— — — — — — 


Stein, der im Hofe lag und den 30 Pferde nicht von der Stelle gebracht hätten, 
Mit einer Hand hob er denfelben auf und warf damit wirklich 30 Ruthen von 
der Mauer ab (non par sa furce, mais par la volonte de Dieu). Sofort 
machte fih Erzbiichof Zurpin an's Werk, warnte jedoch zuvor die Leute, aus 
der Etadt zu gehen, wenn fie nicht alle ertrinten wollten. Er fticg ſodann auf 
die Binne des Palaftes, machte den Segen über den Strom und nöthigte ihn, 
durch die Stadt zu fließen. Da hatte König Hugo genug, bat nur inftändig, 
den Strom wieder in fein altes Bert zu wenden, erließ alle weiteren Broben 
und feste feine Krone auf das Haupt Karls des Großen. Die ſchöne Jacque⸗ 
line wurde mit Olivier verlobt und am neunten Tage traten die Pilger ihren 
Rückweg nad) Frankreich an. 

Wir fehen in biefer Dichtung eine feltfame Mifhung von Schwant 
und Legende. Der Himmel felbft muß Wunder thun, um die Auf - 
fchneibereien ber prahlerifchen Franken wahr zu machen. Der Ernſt des 
germanischen Helvenliedes hat eine bedeutende Umwandlung erfahren. 
Und dennoch trägt die Erzählung ein unverfennbar alterthümliches Ge: 
präge, wie denn aud das Gedicht von der Reife nach Gonftantinopel 
für das ältefte franzöfifche Schriftdenkmal dieſes Sagenkreiſes angefehen 
wird, Die Meinung von einer Wallfahrt Karls des Großen war früh 
zeitig verbreitet. Nur 150 bis 160 Jahre nach feinem Tode findet ſich 
die Eage von feinem Zuge nad Conftantinopel und Serufalem ſchon 
in einer lateinifhen Mönchschronik (Perg, Monum. II, 730). Um das 
Volk zum erften Kreuzguge aufzuregen, wurde (1095) vorgegeben, Karl 
der Große fei von den Todten auferſtanden, um an die Spitze des 
Volks Gottes zu treten: 

Ekkeh. de 8. exped. Hieros. ©. 519: Inde fabulosum illud confietum 
est de Carolo Magno quasi de mortuo in id ipsum resuscitato, (Willen I, 
16, 81.) 

Petrus Tudebodus, der ald Augenzeuge die Eroberung und Grün 
dung des Reichs Serufalem, bis zum Tode Gotfrieds von Bouillon, 
in den erften Jahren des 12ten Jahrhunderts befchrieb, fagt (Petri 
Tudeb. hist. in Duchesne, scriptores rerum Franeic. B. IV, ©. 771. 
Willen I, Beil. 3, 1): | 

Una pars Francorum in Hungarie intravit regionem, scilicet Petrus 
Heremita et Dux Godefridus et Balduinus frater ejus. Isti potentissimi 
milites et alii plures, quos ignoro, venerunt per viam, quam jam dudum 
Carolus Magnus, mirificus rex Francie, aptari fecit usque Constantinopolim. 


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Weitere Nachweiſungen finden fih in Wilkens Gefchichte der Kreuz: 
züge, B. I, Beil. 1, S. 3 ff.: „Über ven fabelhaften Zug Karla bes 
Großen nad Paläftina.” Bon einem Iateinifhen Roman dieſes Sm: 
halts ift Nachricht gegeben in dem Auszug einer Abhandlung von 
Zebeuf, in der Hist. de l’Acad. des Inscript. B. XXL!. 


6. Die vier Aymonsföhne 


Das altfranzöfifche Gedicht le livre des quatre fils Aymon ift 
vollftändig nur in Hanbichrift vorhanden (Pariſer Handſchrift 7182). 
Fragmente desſelben, zuſammen 1044 Verſe, hat Bekker zum Fierabras 
(S. I bis XII) mitgetheilt?. Die darin behandelte ſagenhafte Ges 
fchichte, in welcher König Karla Kampf mit widerfpenftigen Bafallen 
dargeftellt ift, geht in Frankreich noch jetzt ala proſaiſches Volksbuch 
um. In Deutſchland ift fie gleihfall® durch einen aus franzöfifcher 
Duelle entnommenen Bollsroman hinreichend befannt, fo daß ich bei 
dieſer an fich ſehr werthvollen Sage bier nicht verweile. 

Eine ſchöne Charakteriſtik derſelben mit litterariſchen Notizen gibt 
Görres, Volksbücher S. 100 ff. 


= 7. Bierabras, 


Der Roman von Fierabras, provenzalifh. Herausgegeben von Immanuel 
Beller. Berlin 1829, 40, 


Diejes Gedicht, in 5084 alerandrinifchen LZangzeilen, ift zwar nur 
in provenzaliicher Sprache vorhanden. Aber id, glaube es in bicjer 
GSeftalt ala aus dem Norbfranzöfifchen in das Provenzalifche übertragen 
ober bloß umgejchrieben betrachten zu dürfen. Provenzaliih ftcht es 
vereinzelt da, während es norbfranzöfifch in den gefammten Cyclus ber 
in leßterer Sprache vorhandenen Farolingifchen Heldengebichte fich ein» 
reiht?. Sein jehr anziehender Inhalt, die Kämpfe und Abenteuer Karls 

1 Bgl. Schriften II, 84. 4.) 

2 [Eine ältere Recenfion hat H. Michelant 1862 in der Bibliothek des litte⸗ 
rarifchen Vereins in Stuttgart B. 67 herausgegeben. Vgl. daſelbſt S. 512. K.) 

3 [Die von Uhland ausgeiprochene Vermuthung hat ſich beftätigt. Das 
altfranzöfifche Gedicht ift num herausgegeben unter folgendem Xitel: Fierabras, 
chanson de geste, publi&e pour la premiere fois d'oprès les manuscrits de 
Paris, de Rome et de Londres par MM. A. Kröber et G. Servois. Paris 
1860. 12. 8.) 


646 


und feiner Helden mit dem riefenhaften Saragenenlönige Fierabras und 
befien fchöner Schwefter Yloripar, bildet ebenfalls den Hauptgegenftand 
eines franzöfifchen Vollsbuchs: 

Les conquestes du grand Charlemagne avec les faits et gestes des 
douze pairs de France et du grand Fierabras. XTroyes 1736. 

Es gibt davon ſchon Drude von 1505 u. ſ. f. 

Eine deutſche Bearbeitung, gleihfal8 in Druden des 16ten Jahr: 
hunderts, ift mit veränderter Rechtfchreibung aufgenommen in Büſchings 
und H. von der Hagen Bud) der Liebe, B. 1, Berlin 1809, und daburd 
leicht zugänglich geworden. 


8. Die Schlacht von Ronceval. 


Die tragifhe Kataftrophe der Tarolingifchen Heldenſage, melde 
zugleich den poetifchen Höhepunkt verfelben bilvet, Tannte man bisher 
bauptfächlih nur aus dem apofruphifchen Buche: Turpini historia de 
vita Caroli Magni et Rolandi, gevrudt in Reuberö Scriptores rernm 
germanicarum. Frankfurt 1584 1. 

Diefer Iateinifhe Roman, welcher übrigens ſchon vom Pabſte 
Calixtus II im Jahr 1122 als echte, vom Erzbischof Turpin zu Rheims 
felbft niedergejchriebene Geſchichte beitätigt wurde, iſt das ältefte vor: 
handene Schriftventmal über die legten Gefchide der Zwölfgenoſſenſchaft 
und man hat ihn häufig als den Urquell der Dichtungen des karo⸗ 
lingiſchen Sagenkreiſes geltend gemacht. 

Ich gebe zuerft das Hauptfächliche vom fagenhaften Inhalte dieſes 
Buchs, fomweit er das Ende der Helden betrifft 2. *** 

Diejer Pfeubo-Turpin ift erweislih am Schluffe des I1ten Jahr: 
hunderts aus Spanien nah Frankreich gebracht worden. Aber nicht 
minder unzweifelhaft ruht deflen jagenhafter Beftand doch in der Haupt: 
fache auf franzöfifcher Tradition. Man hat auch bisher fchon aus An- 
führungen bei Dufreöne (Glossarium ad scriptores med. et inf. latini- 
tatis 8. v. Mons Gaudii) von dem Dajein eines banbichriftlichen Roman 
de Roncevaux gewuft. Aber erft feit wenigen Monaten ift beflen 
Inhalt und Beichaffenheit durch folgende Schrift befannt geworben: 

1 [Echriften I, 76. 8] 

2 [Hier weiſt der Verfaffer zurüd auf das Heft über die deutſche Poefie 
des Mittelalters, Schriften II, 79 f. 8.) 


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Dissertation sur le roman de Roncevaux, par H. Monin, 
These de liti£rature soutenue le 23 Juillet 1832. Paris 1832. 

Nach den bier gegebenen Auszügen geftaltet ſich die Gefchichte fo !: 

Karl Hat ſechs volle Fahre in Spanien zugebracht und ſich das ganze Land 
unterworfen, mit Ausnahme von Saragoffa, wo fich der Sarazenenkönig Marfil 
noch hält. Diefer beräth fi in feiner Bedrängnis mit feinen Häuptlingen. 
Keiner weiß eine Ausfunft zu finden. Endlich erhebt fi Blankardin, der klügſte 
unter ihnen, unb gibt den Math, Marfil fol dem König Karl einen Boten mit 
reichen Gefchenten jenden, Roffe, alten, Jagdhunde, Bären und Löwen, 
50 Wagen voll gemünzten Goldes, zum Zeichen der Unterwerfung und Lehns- 
treue, die er Karln am Feſte des Heiligen Michael ſchwören wolle Berlange 
der Kaifer Geifel, fo fol man ihm deren 15 bis 20 zuſchicken. Hiedurch fidher 
gemacht, werde Karl fein Heer aus Spanien zurüdführen und jeder feiner Helben 
fi in feine Heimath begeben. Blankardin bietet feinen eignen Sohn unter die 
Zahl der Geiſel an; beffer, daß Allen das Haupt abgeichlagen werde, als daß 
Spanien verloren gehe. Die Heiden rufen: „Der König hat einen guten Rath» 
geber.“ Blanlardin wird ſelbſt mit 9 Gefährten zu Karln nach Cordova ge- 
fandt und die Sache ſoweit in's Reine gebracht, daß nur noch von Karls Seite 
ein Botſchafter an Marfil abzugeben hat, Allein noch nie ift ein Abgefandter 
lebend vom Hofe des treufofen Heidenfönigs zurüdgelommen. Nach einer feier- 
lichen Stille erheben fih die Helden Karls und verlangen, abgefchidt zu werden; 
der Herzog Naimes, Dfivier, der Erzbifchof Turpin treten nad einander vor. 
Aber Karl will nicht feine beften Ritter dem Tote ausfegen. Die ähnliche 
Scene, wie im Agolant. Endlid Schlägt Roland, welcher felbft beim Heere nicht 
entbehrlich ift, feinen Stiefvater, Ganelon von Mainz, vor. Die Franken rufen 
einftimmig, daß es feinen Tanglichern gebe, und Karl genehmigt den Borfchlag. 
Aber Ganelon flirchtet den Tod, er ift voll Ingrimms gegen Roland und ſchwört, 
fi zu rächen. Durch Karls Drohungen wird er genöthigt, mit Blankardin 
abzuziehen, nachdem er noch Sohn uud Neffen den Freunden empfohlen, die 
das ſchöne Frankreich (la douce France) wiederfehen werden. Schon auf dem 
Dege weiß Blankarbin die Stimmung Ganelons zu benügen. Am Hofe Marfils 
wird Ganelon durch den Haß gegen Roland, dur Habgier und Todesfurcht 
zum fehändlichen Berrathe bewogen. Er gibt Marfiln die Weifung, die Nachhut 


1 Roncievals ift Roncesvalles, Ort auf der fpanifchen Grenze, auf dem 
Pyrenäenpaſſe nach Pampelona. [Das Gedicht ift feither öfters herausgegeben, 
zuerft von Francisque Michel, Paris 1837, von Jean Louis Bourdillon 1841, 
von Theodor Müller 1851 und 1863, deutſch in meinen altfranzöfiichen Sagen 
B. 1, von Wilhelm Her 1861. 8.) 


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der heimfehrenden Franken beim Übergang über die Pyrenäen anzugreifen. Hier 
werde er unfehlbar die zwölf Genoſſen treffen, und wenn Karl diefe verliere, fei 
feine Macht für immer gebroden. Mit Gefchenten beladen kehrt Ganelon zu 
feinem Herrn, berichtet ihın, daß Marfil die Bedingungen angenommen, und 
bringt ihm 20 Geifel. Alsbald wentet der alte Kaijer jein Heer nach Franl- 
reich zurüd. Auf dem Zuge bat er unheilverlündende Träume. Das Heer 
fommt am Fuße des Gebirges an und Roland erhält den gefährlichen Auftrag, 
die Nachhut zu führen. Er entzieht fih nicht, ob er gleich, der Drohungen 
Ganelons eingedent, feinen Tod vorausfieht. Karl zieht mit dem Heere durch 
die Engpäffe; als die Franken fi) tem Land ihres Königs nähern, da gedenken 
fie der Kinder. und der Greife daheim und können fi) der Thränen nicht er- 
wehren, Am ſchwerſten ift Karin das Herz. Herzog, Naimes fieht, daß er weint, 
und fragt um die Urſache. Der Kaifer erzählt, wie ihm geträumt Habe, daß 
ihm die Lanze in der Fauſt zerbrochen ſei; er deutet dieß auf die Gefahr feines 
Neffen Roland. Diefer ift indejs mit 20000 Erlefenen, die fonft tie Vorhut 
ausmachten, im Gebirge zurüdgeblieben, bei ihm Olivier, Turpin und andre 
der tapferften Helden. 

Schön und hell geht der nächte Morgen auf, der Morgen des Schladt- 
tags von Roncevaux. ALS die Sarazenen anriiden und Dlivier Berg und Thal 
mit Feinden bevedt fieht, fordert er zu wiederholten Malen feinen Freund 
Roland auf, das Horn Dlifant zu blajen, deflen Schall der Kaifer hören und 
ihnen zu Hilfe eilen werde. Beharrlich weigert fih Roland deſſen, fein Oheim 
fol nicht mit ihm bemüht und Frankreich nicht durch feine Zaghaftigfeit ge- 
ſchmäht fein. Nicht dag Horn, das Schwert foll erklingen. 

Schwing Hautecler! jo ſchwing' ih Durandal, 

Mein gutes Schwert, das mir geſchenkt von Karin; 
Und bleib’ ich todt, kann ſprechen, wer’3 vernahm: 
„Dieß Schwert trug eines tapfern Mannes Hand.“ 

Der Kampf beginnt und nad) vielen Heldenthaten find die Franken zuletzt 
durch die Überzahl erbrüdt. Roland ſelbſt fühlt ſich erfchöpft und will endlich 
in's Horn ſtoßen, nun will aber Olivier nichts mehr davon wiſſen und wiederholt 
im bittrem Hohn über Rolands frühere Weigerung, die nun der Franken Ber- 
derben fei, die Gründe, welche diefer ſelbſt gebraucht: 

„Freund Olivier! 1 fo fpricht Roland, der Held, 
Der Kampf ift hart, wie du an dir erfährft; 
Ich ſtoß' in's Horn, wenn du genehm es hältſt“. 
Sprach Olivier: „Darum wärſt dur geſchmäht 


1 [Bei Hertz S. 68 ff. K.] 


649 





Und all dein Stamm er wäre drum entehrt. 
Bei dem, der an dem Kreuze warb gequält, 
Und wär’ uns noch vergönnt die Wiederkehr, 
Nie würde Schwefler Alte dir vermäßlt, 

In ihren Armen lägft du nimmermebr“ u. ſ. w. 
Der Erzbiſchof, der ihren Etreit bemerft, 

Hat ſchon den guten Renner angeiprengt, 
Kommt anf fie zu und weiſet fie zurecht: 

„Beim ew’gen Gott, dem Richter aller Welt, 
Greifert euch, ihr Freunde, nicht fo fehr! 

Der Auf des Hornes frommt uns jett nicht mehr, - 
Wir fterben heute, jede Hilf’ iſt fern, 

Zu weit ift Karl, die Unifehr viel zu fpät. 

Und dennoch, kämen unfre Franken her, 

Den Heiden würde biutiger Entgelt. 
. Beiweinen würd' uns Todte mancher Held, 

An kühle Erde wilrden wir gejentt, 

In einen fihern Friedhof eingehegt, 

Wo uns das Thier der Wildnis nicht verzehrt.“ 
Dlivier ſpricht: „Das heiß’ ich wohlgeredt. 

Ya, mein Gefelle Roland, ftoß in’s Horn! 

Karl wird e8 hören an der Alpen Thor, 

Da wird zurüd er führen al fein Belt. . 
Wohl finden fie uns bingeftredt und tobt, 

Doh werben fie bejammern unfre Noth. 
Wohlan, jo blas dein Horn mit vollem Stoß!” 

Roland bläſt dreimal mit folder Gewalt, daß ihm das Hirm wirbelt. und 
die Halsader reift; Blut fpringt ihm aus den Munde. Berg und Thal hallen 
wieder. Die Sarazenen fchreden auf und Karl hört 15 Meilen weit, am Aus⸗ 
gang der Engpäfle, den Schall. Ganelon fucht ihn irre zu machen; um einen 
einzigen Hafen blafe Roland den ganzen Tag das Horn. Herzog Naimes be» 
merkt, Roland habe nie in's Horn geftoßen, wenn nicht große Noth gemeien. 
Karl läßt unverweilt fein Heer umwenden, aber zu fpät. Indeſs hat Roland 
nur noch 50 Ritter, mit denen er ungeheure Niederlage anrichte. Bon den 
Hührern des Heer find noch Turpin und Olivier bei ihm übrig. Aber der 
Letstere bat bereit3 eine töbtliche Wunde empfangen. Da wirft er fich nochmals, 
um Nahe zu nehmen, in die dichteſten Haufen ber Feinde. Mitten im Ge⸗ 
Dränge trifft er auf Roland und haut gewaltig auf deffen Helm, ohne den 
Fremd zu Innen. 


650 


„Herr Olivier, fo ruft der Held Roland, 

Mein trauter Freund, warum mir biefen Echlag ?“ 
Dlivier hört's; zweimal erfeufzt er da, 

Kein Wort kann ſprechen er vor tiefen Harm. 
Er neigt ſich über feines Rofſes Hals. 

„Dlivier, Spricht Roland zum zweiten mal; 

Bon deinem Echlag ift mir das Ente nah. 
Sprid, mein Geſell, ob du mit Fleiß es thatſt! 
Noch war mir ja von dir nicht widerjagt. 

Ich bin Roland, dem ftetS fo lieb du warft.“ 
Drauf Dlivier; „Geſell, nun glaub’ mir das! 
Ich feh’ dich nicht, fo fehe Bott dich an! 

Wohl fürcht' ich, daß mein Schwert dich töbtlich traf. 
Ich bitt um Gott, daß du dich mein erbarmſt.“ 
Da haben fich die Beiden feit unihalit, 

Doch werden fie getrennt durch Gottes Macht, 
Daß fie einander lebend nie mehr jahr. 

Dlivier merkt, daß ihn der Tod umfäht, 

Daß ihm die Augen aus dem Haupt fidh drehn, 
Da fleigt er ab von feinem guten Pferd. 

Er legt auf feinen Schild fi morgenwärtg, 
Legt auf fid nieder Hautecler, das Echwert. 
Bon Zeit zu Zeit er auf die Bruſt ſich ſchlägt, 
Dann faltet er die Hände zum Gebet, 

Daß Gott zum Paradies ihn laſſe gehn. 
. Dann fegnet er den Katfer, feinen Herrn, 

Und auch das fchöne Frankreich fegnet er, 

Bor allen Roland, jeinen Kampfgejelln. 

Drei grüne Halme nimmt er von der Erd’ 

Und braucht fie für das Liebesmahl des Herrn. 
Sein Leib if auf dem Boden ausgeftredt; " 
Die Engel Gottes ſchweben zu ihm ber 

Und führen mit Gefang Hin feine Seel'. 

Bald find nur noch Roland und Zurpin am Leben, aber diefem iſt bereits 
das Roſas getödtet. Da hört man zum erfienmale die Schlachthörner des fränki⸗ 
ſchen Hauptbeeres, das in’s Gebirge zurückgekehrt if. So oft Roland wieder 
einen gewaltigen Schlag gethan hat und die Saragenen darüber eine Weile 
ftugen, hört man diefen Hörnerfhall näher und näher. Schon vernimmt man 
Monjoie, den Schlachtruf der Franken. Da wiflen die Sarazenen, daß fie das 


651 


Teld nicht mehr behaupten können. Nur Roland fol noch erliegen. Sie ſchleu⸗ 
dern auf ihn Speere und Wurfgefchoffe aller Art. Sein Schild wird durch⸗ 
löchert, fein Helm zerfchmettert, fein Halsberg durchbrochen; fein Roſs, an 20 
Stellen ſchwer geiroffen, fällt todt unter ihm nieder. Da entfliehen fi. Roland 
geht über die Wahlftätte bin und fucht feine todten Yreunde, er trägt fie auf 
den Armen vor den wunden Erzbifpof Hin, der fie fegnet und ein Gebet über 
fie fpriht. Auch den Leichnam Dliviers hat er unter einer Fichte, neben einem 
wilden Roſenſtrauche, gefunden, drückt ihn an feine Bruft und bringt ihn zu 
Turpin. Als diefer ihn gefegnet, 

Da ſpricht Roland: „Olivier, mein Gefell! 

Du warft der Sohn des guten Graf Rainier, 

Der wohl die Dark verwaltet und das Lehn. 

Nicht gab es beſſern Nitter in der Welt, 

Den Feinden zu zertrlimmern Schild und Speer, 

Die Panzerringe weit zu fireun umber 

Und zu erhöhen einen edeln Herrn, 

Warſt Aldens Bruder, die fo Preifes wertb, 

Mit der ich feiern ſollt' das Hochzeitfeſt. 

Bon diefer Heirath muß ih ab nun fiehn; 

Bu fterben ziemt mir; Niemand wender’s ınehr. 

Schön’ Alde, o wie liebte dich mein Herz!“ 

Roland finkt befinnungslos hin. Erzbifhof Zurpin nimmt das Horn Dli- 
fant und will darein, zu Rolands Erfrifhung, an einem Bad im Thale Waffer 
ihöpfen. Aber eh’ er dahin gelangt, bricht ihm der Tod das Herz. Roland 
erwacht noch einmal, aber aud fein Tod ift nahe. Unter einer breiten, grü- 
nenden Fichte ftehen vier Felsſteine. An einem von diefen will er fein Schwert 
Durandart zerjchlagen, damit e8 in feines Schlechten Hand falle Aber das 
Schwert jpaltet den Fels durch und durch. Unfern ift eine tiefe, giftige Quelle, 
auß der nie ein Menſch getrunken, der nicht auf der Stelle tobt niebergefallen 
wäre. In diefe wirft nun Roland fein Schwert. Das Lied nimmt die Leute 
der Gegend zu Zeugen, daß das Schwert noch dort ift und bis zum Ende ber 
Zeiten dort fein wird. Hierauf legt der Held fih unter einen Baum, wendet 
fein Angeficht gegen Spanien hin, denkt nad}, wie viele Länder er erobert, denkt 
an das fchöne Frankreich und an jeine Landsleute; da kann er fi) der Thränen 
nicht enthalten. Zuletzt betet er inbrünftig um Vergebung feiner Sünden. 

Den rechten Handſchuh beut zu Gott er hin 
Und unter feinen Arm den Helm er nimmt, 
Die Hände faltet er, ter Tod faßt ihn. 
Da hat ihm feine Engel Bott gefchidt, 


652 


— — — — — 


Den heilgen Gabriel und andre viel, 
Die tragen ſeine Seel' in's Paradies. 

Wie dann Karl mit dem Frankenheere herankommt, wie er an den Eara- 
cenen ſchwere Rache nimmt, wie die Todten beffagt und beftattet werben, wie 
iiber Ganelon ftrenges Gericht ergeht, al Diefes wird noch ausführlich im 
Gedicht erzählt. Wir fchließen aber mit dem, was den Kern desſelben ausmacht. 

Vergleiht man die Darftelung im Pfeudo:Turpin mit der des 
Roman de Roncevauz, fo ergibt fi, daß dort mehr das legenden⸗ 
bafte, bier mehr das beroifche hervortritt, daß dort bejtimmte geiftliche 
Zwecke obmwalteten, bier das freie Intereſſe der Poeſie. Hat auch der 
lateiniſche Roman die Grundzüge nicht verwifcht, fo ſchwebt doch nur 
über dem Gedichte jene tragifche, bis zur Tobestrunfenheit gefteigerte 
Stimmung. Bol ahnungsfchwerer Träume zieht Karl voran; feines 
Todes zum voraus ficher, hält Roland die Nachhut; munderfam ertönen 
die fchauerlihen Klänge des Hornes Dlifant” Sole Rufe und Klänge, 
die in der gröften Noth auf übernatürliche Weiſe in große Yerne hinaus 
auf die Befreundeten wirken, find und auch in der norbifhen Sage 
bemerklich geworden. Das lebte Zufammentreffen Rolands und Dli- 
viers im Kampfgetümmel, mo der Tobesnebel die Augen bes Lebtern 
ſchon jo umwölkt, daß er blindlings den unzertrennlichen Freund fchlägt, 
ift das Äußerſte des büftern Echlachtgemälbes, 

Die normannifche Reimchronik des Robert! Wace (Roman de Rou 
II, 214 f. 2) vom Ende des 12ten Jahrhunderts berichtet in der Er 
zählung der Schlacht von Haftings, welche im Jahr 1066 für Wilhelm 
den Eroberer den Befig Englands entſchied, daß den erften Streich auf 
Seiten der Normannen ein Ritter mit Namen Taillefer führte, der vor 
dem Herzog herritt und mit lauter. Stimme von Karl, Roland und 
Dlivier und den andern Helden fang, die in Ronceval ftarben: 
Taillefer, ki mult bien cantout, 

Sor un cheval, ki tost alout,. 
Devant li dus alout cantant 
De Karlemaine e de Rollant 
E d’Oliver e des vassals 

Ki morurent en Renchervals. 


% 


1 [Der Vorname Robert ift unrichtig. H. Bgl. unten S. 661. 8.] 
2 [Herg, Rolandslied ©. V. 8.] 


653 

Kampffeenen, wie die ausgehobenen des Romans von Nonceval, 
tvaren wohl geeignet zum Schlachtgefange. Fällt auch die jetzige Ab- 
faflung des Gedichts um Vieles fpäter, fo lebten doch die Helbenbilber 
felbft ſchon längſt in der franzöfiihen Volkspoeſie. 

Die Schlacht von Ronceval, wenn fie gleih an den Schluß der 
karolingiſchen Helbenfabel fällt, war doch ohne Zweifel eine der Haupt: 
grundlagen ihrer Entwicklung. Diefe tragifche Handlung bat vorzugsweiſe 
das Eindringliche, was im Gemüthe haftet. Bon ihr aus griff man auf 
die früheren Thaten Rolands und Dliviers zurüd, ſpann ihre Jugend⸗ 
abenteuer und Heldenfahrten poetiich aus. Aber auch für die biftorifche 
Anknüpfung zeigt ſich gerade bier ein Haltpunkt, mährend fonft bei 
diefem Sagenkreiſe die gefchichtlichen Nachweiſungen jo bürftig ausfallen. 

Eginhard, der Zeitgenofje Karls, meldet in feiner Lebensbeſchrei⸗ 
bung diefes Kaiſers (de vita et gestis Caroli M. bei Reuber ©. 5. 
[C. 9. Pertzs Monum. II, 447. 8.)): 


Hispeaniam quam muximo poterat belli apparatu [Carolus] aggreditar, 
saltuque Pyrenzi superato, omnibus qnæ adierat oppidis atque castellis 
in deditionem acceptis, salvo atque incolumi exercitu revertitur, preeter 
quod in ipso, Pyrenei jugo vasconicam perfidiam parumper in redeundo 
contigit experiri. Nam cum agmine longo, ut loci et angustiarum situs 
permittebat, porrectus iret exercitus, Vuscones in summi montis vertice 
positis insidiis (est enim locus ex opacitate sylvarım, quarum maxima est 
ibi copia, insidiis ponendis Opportunus) extremam impedimentorum parte, 
et e08, qui, novissimo agmine incedentes, subsidio pr&cedentes tuebantur, 
desuper incursantes, in subjectam vallem dejiciunt: consertoque cum eig 
prelio, usque ad unum omnes interfciunt: ac direptis impedimentis, 
noctis beneficio, qu& jam instabat, protecti, summa cum celeritate in 
diverss disperguntur. Adjuvabat in hoc facto Vascones et levitas armorum 
et loci, in quo res gerebatur, situs. Econtra Francos et armorum gravitas 
et loci iniquitas per omnia Vasconibus reddidit impares. In quo prelio 
Eghartus [al. Eggihardus], regie mens&® prepositus, Anshelmus, comes 
palatii, et Rutlandus [al. Hruotlandus, Hrodlandus, Hrollandus, Ruod- 
landus, Rotlandus, Monin a. a. O. ©. 77], britanniei littoris [al. limitis] 
prefectus, cuın aliis pluribus interficiuntur. 


Daß hier der Überfall von den Basken geichieht, in der Sage 


dagegen von den Sarazenen, denen auch der ſpaniſche Feldzug gegolten 
hatte und die überall in diefem Gedichtkreife die Hauptgegner ber 





654 


Franken find, ift eine unmefentliche Verſchiedenheit. Aber der unge: 
fährbete Heimzug des Hauptheers, der Untergang der Nachhut und in 
ihr mehrerer der Hof und Reichsbeamten Karls, unter denen der bre 
tagnifhe Grenzgraf Hruotland beſonders genannt ift, dieß find Mo: 
mente, in denen der Gefchichtfchreiber und die Gedichte zufammenflimmen. 

Ein Erzbifchof Tilpinus von Rheims mar gleihfallg in der Ge 
Ihichte mit Karl dem Großen gleichzeitig und menigjtend die Namen 
Dlivier, Ogier, Naimes u. |. w. finden fich, Iateinifh geformt, in Ur⸗ 
funden bes Sten Jahrhunderts, als: Ulfarius, Namatus, Oggerus, Aut: 
charius, YAutgarius u. f. w. (Monin a. a. D. 80 unten bis 84. Über 
Autcharius vgl. Leos Odin ©. 73 oben und die Cage vom eifernen 
Karl.) Ein biftorifcher Herzog von Baiern mit einem der franzöft: 
Shen Form Naimed entfprechenden Namen läßt fih zwar nicht nad: 
weifen; eher läßt fich bei dem unverfennbar aus Zufammenziehung 
entftandenen Naimes an den in der deuifchen Heldenfage ziemlich dunkel 
vorlommenden Nantwin oder Nentwin von Regensburg (dem alten 
bairifchen Herzogsfite) denfen. Er wird im Dietleibslieve ausdrücklich 
als „berzoge von Beirlant” bezeichnet. (Grimms Heldenfage ©. 137. 
Vgl. Gramm. Ill, 367 unten.) 

Über manche Theile diefer Sagendichtung und über einzelne Züge 
derfelben dürfte die Nachforſchung in der Gefchichte den ähnlichen Er: 
folg haben, wie die Unterfuhung von Rolands Grabe zu Blaye, mworin 
man ftatt der erwarteten Rieſenknochen ein Häufchen Gebeine fand, 
welche kaum Fingerslänge hatten, gerade wie man beim Nachgraben 
nad) Siegfried Gebeinen zu Worms auf Wafler kam. 

Das Tarolingifhe Epos, deſſen bedeutendſte Dichtungen, foweit fie 
aus altfranzöfifhen Quellen näher befannt find, im Vorhergehenden 
aufgezählt wurden, ift in einem germanijchen Volksſtamme, dem fränfe 
chen, erzeugt, aber abgefaßt und ausgebildet in einer romanifchen 
Mundart, die aus dem Siege hervorgieng, melden die Sprache bed 
untertworfenen, gebilvetern Volkes über diejenige feiner Eroberer davon: 
getragen. Im Vergleiche mit dem alteinheimifchen deutichen Epos zeigt 
es folgende mwefentlihe Ummanblungen ber Heldenbichtung ?: *** 

1 [Bgl. Schriften II, 91. 8.) 

2 [Das Weitere, wie in der Borlefung über Geſchichte der altbentichen 
Poefie, Schriften I, 85 f. 8.] 


659 


Der Tarolingifche Sagenfreis bat fih von Frankreich aus der 
italiänifchen und Spanischen Poefie mitgetheilt, Ein noch jeßt in allen 
Theilen Italiens befanntes Volksbuch, worin mehrered aus biefem 
Kreife zufammengefaßt iſt, find die Reali di Francis, wovon zu Be 
nedig 1821 eine berichtigte Ausgabe erjchienen ift 1. *** 

In deutſcher Sprade find fhon vom Echluffe des 11ten Jahr⸗ 
hunderts an mehrere der altfrangöfiichen Gedichte des Sagenkreiſes von 
Karl dem Großen bearbeitet worden, befonders fcheint das um bie 
angeführte Zeit geichriebene Rolandslied bes Pfaffen Kunrat (Schilters 
Thefaurus B. 112) eine Bearbeitung des jett näher bekannt geworde⸗ 
nen Roman de Roncevaug zu fein, ohne daß jedoch biefe Übertragungen 
als eine neue und eigenthümliche Ausbildung dieſes Sagentreifes zu 
betrachten wären. Die eigentlich deutichen, fehr vereingelten Sagen von 
Karln haben wir an ihrem Orte abgehandelt. 


11. Rormannifher Sagentreid, 


Die Normandie, die am Anfang des 10ten Jahrhunderts von 
Söhnen des ſtandinaviſchen Nordens erobert worden und davon ben 
Namen erhielt, zeigt auch in den ihr eigenthbümlichen Überlieferungen 
noch den altnordiſchen Einfluß. Wir betrachten als foldhe die Sagen 
von Robert dem Teufel und von feinem Sohne, Richard Obnefurdt. 


1. Robert der Teufel. 


Das altfranzöfiiche Gedicht von ihm, in epiſchen Aleranbrinern 
(Diet de Robert le Deable,. Roquefort, Glossaire de la langue 
romane II, 779. Paris 1808) ift noch ungebrudt®. Aber noch jet 
geht feine fabelbafte Gefchichte in Frankreich ald Volksbuch um: La 
terrible et &pouvantable vie de Robert le Diable. A Limoges,. 


1 [Das weitere wie Schriften II, 87. 8.) 

2 [Schriften II, 88. 8] 

3 [Eine Ausgabe hat Trebutien in Paris 1837 erfcheinen laffen. Darnach 
meine deutfche Erzählung in den Altfranzöfifchen Sagen, Xübingen 1840. 2, 58. 
Bol. weiter Gräßes Lehrbuch einer allgemeinen Litterärgefchichte, Dresden 1842. 
2,2, 2, 628. Eveleftand du Meril, la legende de Robert-le-diable, in der 
Revue contemporaine 15 Juni 1854. $.] 


656 


Auch fpanifh (Madrid o. J. 49) und englifh (Altenglifhe Sagen und 
Mährchen, nach alten Volksbüchern herausgegeben von Thoms, deutſch 
von Spazier. Boch. I. Braunſchweig 1830, wo auch in ber Ein 
leitung das altenglifche gedruckte Gebicht bemerkt ift) war biefer Volle 
roman verbreitet 1. 

Hier ein Umriß des Inhalts: 

Herzog Hubert von der Normandie und feine Gemahlin, die Tochter des 
Herzogs von Burgund, find lange kinderlos. Als die Gebete zum Himmel ohne 
Erfolg bleiben, gelabt die Herzogin das Kind, das ihr werden würde, dem 
böjen Feinde. Sie genejt eines Knaben, bei deflen Geburt ter Himmel fo finfter 
wird, als ob es Nacht wäre; es donnert und blitt, al$ wäre das Firmament 
offen; die Winde blafen aus allen vier Weltenden; es ift ſolches Stürmen und 
Toben, daß die Häufer beftig erfchlittert werden und große Stücke von ihnen 
zur Erde fallen; der Welt Untergang ſcheint gekommen zu ſein. Als das Wetter 
fih wieder aufgeklärt, wird das Kind zur Taufe gebracht und Robert genannt. 
Es ift von ungemöhnlic großer Geftalt, und wie e8 beranwädjt, nimmt es 
auch täglihd an Bosheit zu. Wenn es fi auf der Etraße zeigt, rufen die 
andern Knaben einander zu: „Da kommt der böſe Nobert. Da kommt der 
wiüthende Robert. Da koınmt Robert der Teufel“ und alle entlaufen, um nit 
von ihm gejchlagen zu werden. Davon blieb ihm fein Lebenlang der Name 
Nobert der Zeufel. Seinen Lehrmeifter erfticht der Knabe; die Prieſter am 
Altare, die Betenden in der Kirche blieben von feinen boshaften Streichen nicht 
verjhont. Als er gegen 18 Jahre alt geworden, hoffen feine Eltern, es werde 
zu feiner Befferung dienen, wenn er zum Ritter gejchlagen werde. Letzteres 
geihieht am Pfingftfefte. Aber beim Turnier, das zu diejer Feier angeftellt if, 
tobt Robert jo furchtbar, daß er, ohne auf Abwehr zu adten, Männer und 
Noffe tödtel. Fortan reitet er im Land umher, beraubt Klöſter und Höfe, ver- 
brennt Gotteshäufer und verübt Zungfrauenraub. Die bewaffneten Leute, welde 
fein Vater ausſchickt, um ihn zu fangen, ſchickt er demſelben gebiendet zuräd. 
Dann läßt er fih im wilden, finftern Walde ein feſtes Haus erbauen, wo er 
mit einer Schaar der verruchteften Raubgejellen feinen Aufertthaft nimmt. Von 
dort aus fallen fie, wie reißende Wölfe, raubend und ınordend über Kaufleute 
und Pilger her und plündern die ganze Umgegend. Einſt erfchlägt Robert in 
feiner Wuth fieben fromme Waldeinfiebler, deren heiliges Leben ihm zum Bormurfe 


i Tristan le Voyageur III, 25 bis 40. 75 f. 342. Rom. de Rou |, 
404 fi. Görres, Volksb. 216 bis 218. [Das Ausland, 2 April 1884. N. 92. 
©. 368: „Das Schloß Roberts des Teufels.” Ohne Angabe der Duelle und 
unerbeblidh.] 


657 





war. Roth vom Blute der Erfchlagenen reitet er aus den Walde hervor 
und über die Felder hin. Als er nun fieht, wie alle Menfchen erihroden vor 
ihm entfliehen, beginnt er über feine Berworfenheit im Herzen zu *erfenfzen. 
Er reitet nad) dem Schloffe Darques, wohin, wie ihm ein Schäfer am Wege 
erzählt, feine Mutter, die Herzogin, zu Mittag kommen fol. Er langt am 
Schloßthor an und fpringt von Pferde; Niemand wagt, ihn entgegenzulommen 
und e8 zu halten. Da läßt er e8 am Thore ftehen, zieht fein biutiges Schwert 
heraus und geht nad dem Saale, wo feine Mutter if. Als fie ihren Sohn 
fo, das bluttriefende Echwert in der Hand, kommen fieht, will fie vor ihm 
fliehen. Wie nun Robert fieht, daß die eigene Mutter vor ihm fliehen will, 
ruft er ihr flehend zu, daß fie fill ftehen möge, nähert fi ihr reuevoll, legt 
das blutige Schwert vor ihr nieder und beſchwört fie, darauf hinweiſend, ihm 
wahrhaft zu fagen, wie es gekommen fei, daß er fo ruchlos geworben. Mit 
bitteren Thränen erzählt die Herzogin, wie es ergangen, und klagt fich felbft 
aller Schuld an. Robert faßt nun den feſten Entichluß, fein Leben zu befien - 
und für feine vielen und großen Sünden Buße zu thun. Um Erlaß derjelben 
will er den Weg nah Rom einfchlagen. Er reitet nach einer Abtei, die er 
fonft öfters geplündert hat, und tiberliefert dem Abte, feinem Verwandten, die 
Schlüffel des Haufes, in welchem die gevaubten Güter liegen, damit fie den 
Beihädigten zurüdgegeben werden. Sein Roſs und fein Schwert, das Wert. 
zeug feiner Miffethaten, läßt er im Kloſter zurüid und pilgert allein nad) Rom. 
Beim Hochamt in der Beterstirche drängt er fih zum Pabfte hin und wirft ſich 
ihm bußfertig zu Füßen. Der Pabſt hört fein Bekenntnis an, verweift ihn 
aber an einen Eremiten, der drei Meilen von der Stadt feine Zelle hat. Robert 
macht ſich dahin auf und beichtet dem frommen Manne. In der Nadıt erfcheint 
dem Eremiten, der unter Gebeten für dein reuigen Studer entichlafen, ein Engel 
und verkündet ihm, welche Buße Robert zu erfiehen babe, um von feinen 
Siiuden loggefproden zu werben. Er müſſe fih ſtumm und närriſch ftellen 
und dürfe feine andre Speife nehmen, als die er den Hunden entriffen. In 
dieſem Zuftande müffe er fo lange verharren, bis ihm geoffenbart werde, daß 
feine Sünden vergeben feien. Robert unterwirft ſich willig diefer ftrengen Buße, 
die ihm für ſolche Miſſethaten eine leichte dünft. Er begibt fi zurück nad 
Rom an den Hof des Kaifers, läßt fi da als Narren verladhen, macht den 
Stummen, theilt Nahrung und Streu mit den Hunden. So elend lebt er bis 
in das fiebente Jahr. Nun hat der Kaifer eine jchöne, aber von Geburt an 
ſtumme Tochter. Um fie hat der Senefchall des Kaiſers mehrmals geworben, 
diefer aber hat fie ihm ftetS verweigert. Darliber erboft, kommt der Seneſchall 
mit einem großen Heere Sarazenen angezogen und belageıt die Stadt Rom. 
Der Kaiſer fanmelt feine Macht und führt fie gegen die Feinde in's Feld. 
Uhland, Schriften VII. 42 





658 


Robert, der zu Haufe bfieb, gebt, nad) feiner Gewohnheit, zu einem jchönen 
Brummen im Garten des Kaifers, um zu trinten. Hier findet er ein weißes 
Noſs mit einem vollftändigen Harnifh und eine Etimme vom Himmel befichlt 
ihm, fich in diefen Harniſch zu waffnen und das Nofs zu befteigen, um bem 
Kaifer mit feinem Volke zu helfen. Robert thut, wie er geheißen if; deB 
Kaifers ſtumme Tochter aber, die am Fenſter fteht, fieht eg mit an und be 
wahrt e8 wohl in ihrem Herzen. Bei Roberts Ankunft auf dem Schlachtielde 
ift eben das Heer des Kaifers auf das Äußerſte bebrängt, durch. feine ZTapfer- 
teit aber werden die Sarazenen zur Flucht gezwungen. Nach erfochtenen Siege 
reitet Robert unbemerkt vom Heere weg und fehrt zum Brunnen zurüd, wo 
er fich entwaffnet und den Harniſch auf das Nofs legt, welches ſogleich ver- 
ſchwindet. Die Kaiferstochter, welche dieſes fieht, verwundert ſich fehr und 
würde Alles erzählt haben, wenn fie jpredhen könnte. Der Kaifer kommt fieges- 
froh zu feinem Palafte zurüd. Als bei Tifche Robert wieder den Narren Ipielt, 
bemerkt der Raifer in feinem Geſicht eine Schmarre, die Robert in der Schlacht 
erhalten. Er glaubt, die Diener haben während feiner Abweſenheit den Narren 
geſchlagen, und unterfagt das ernftlih. Hierauf fragt er feine Ritter, ob Einer 
von ihnen jagen könne, wer der Nitter auf dem weißen Hoffe geweien, der jo 
ptötzlich in das Feld kam und fo tapfer aushalf. Des Kaiſers Tochter bemüht 
fich vergeblich, zu bezeichnen, daß Robert das geweien je. Die Belagerung 
Roms durch die, von Seneſchall herbeigeführten Sarazgenen und die den Sieg 
der Römer entfcheidende Erfcheinung des Ritters auf dem weißen Roſſe wieber- 
holt fi zum zweiten und dritten Male. Als aber nad der dritten Schlacht 
Robert zum Brunnen zurüdreiten will, fommen ihm mehrere Nitter nadıge 
ſpreugt, weldhen der Kaifer aufgegeben, auf ihn Acht zu haben. Robert aber 
fpornt fein weißes Roſs und fliegt über Berg und Thal davon. Einer der 
Ritter, der ihm hitzig nacheilt, will das weiße Roſs mit feinem Speere töbten, 
fehlt aber und trifft Roberts Schenlel, in welchem die abgebrochene Speerſpitze 
fteden bleibt. Robert fommt unerreicht wieder zum Brunnen, entwaffnet ſich, 
und das Roſs verſchwindet abermals mit dem Harniſch. Die Speerjpite zieht 
er aus und verbirgt fie zwijchen zwei großen Steinen beim Brunnen; auf die 
Wunde legt er Gras und Moos. Auch hievon ift die Tochter des Kaifers vom 
Tenfter aus Zeugin. Nachdem der Kaifer den Hergang jener Verfolgung er 
fahren, Täßt er öffentlich verkiiubigen, welcher Ritter mit weißem Nofs und 
Harnifch die Speeripige, mit der er verwundet worden, vorweiſe und die Wunde 
zeige, der foll die Kaiferstochter zur rau und das halbe Reich zur Mitgift 
erhalten. Der treulofe Seneihall, der von diefer Beklanntmachung hört, macht 
ſich neue Hoffnung, die Kaiferstochter, wach der er fo oft ausgemweien, nun zu 
gewinnen. Er verihafft fi ein weißes Rofs und einen weißen Harniſch und 


6 


— 





ſticht fih eine Speeripige in den Schenkel. Dann reitet ex mit prächtigem Ge⸗ 
folge nad Rom nnd gibt fi) dem Kaifer als den unbelannten Retter an, indem 
er zum Beweis Speerjpige und Wunde vorzeigt. Der Kaifer läßt ſich täufchen 
und glaubt, feinen Seneſchall bisher verfannt zu haben. Die ſſumme Tochter 
wird gezwungen, fih als Braut zu ſchmücken. Im feierlichen Buge führt der 
Kaifer ſelbſt die Tiefbetriibte zur Kirche. Als aber der Priefter das Amt be= 
ginnt und den Seneſchall mit der Jungfrau zufammen geben foll, da hebt fie, 
durch ein Wunder, auf einmal zu fprechen an, entdeckt nen Betrug des Sene⸗ 
ſchalls und fagt, daß hier in der Stabt der Mann lebe, um beffentwillen ihr 
Gott die Sprache gegeben und den fie im Herzen liebe, meil fie feine Tapferkeit 
und Frömmigkit erlannt babe, während Niemand ihren Zeichen und Hinden- 
tungen glauben wollte. Sie führt den Pabft und den Kailer, ihren Vater, zu 
dem Brunnen und zieht zwiſchen den beiden Steinen die Speerfpite hervor, die 
mit dem herbeigebradhten Schafte fich fo zufammenflgt, als wären fie niemals 
entzwei gewejen. Robert wird nun aufgefudht, man forſcht nach ſeiner Wunde, 
aber er bleibt noch immer ſtumm, ſpringt närriſch umher und gibt dem Pabſte 
den Segen. Da erſcheint der Eremit, der ihm die Buße auferlegt. Ihm iſt 
in der Nacht geoffenbart worden, daß dieſe Buße num zu Ende ſei. Er ver- 
fündigt, daß diefer für ſtumm und närrifch gehaltene Mann jener Robert fei, 
den man den Teufel nannte, der aber nun einen beffern Namen erhalten und 
Gottes Diener heißen foll; von ihm fei das Land vor den Sarazenen gerettet 
worden und feine Sünden feien ihm vergeben. Robert wirft fi) auf die Kniee 
nieder, hebt mit lautem Preis und Danke die Hände zum Himmel auf. Die 
Kaiferstochter wird nun mit dem, ben fie lang im Stillen geliebt, feſtlich ver» 
mählt. Gr führt fie nach Rouen, wo er, da ſeitdem fein Bater geflorben, das 
Herzogthum übernimmt, feine Mutter von manigfacher Bedrängnis befreit und, 
von Armen und Reichen geliebt, mit feiner Gemahlin ein fronımes Leben führt 
Sie haben einen Sohn, Richard, der nachher mit Karln dem Großen viel große 
Waffenthaten zur Erhaltung und Ausbreitung des Chriftenglaubens vollbringt. 


Robert der Teufel lebt in der Normandie noch jetzt in der Volks⸗ 
fage und fein Gedächtnis bat fich örtlich angeheftet. Das Schloß Ro: 
berts des Teufeld heißt ein wildüberwachſenes Burggetrümmer auf einer 
Anhöhe am rechten Ufer der Seine, beim Dorfe Molineaug, unterhalb 
Rouen. Keine geſchichtliche Erinnerung Tnüpft fi an dieſe Überrefte 
des Alterthbums; aber die Sage, wie fie in der ganzen Umgegend gang: 
bar ift, verlegt hieher den einftigen Aufenthalt bes furchtbaren Robert 
und den Schauplaß feiner Unthaten. Die Wehllage feiner Opfer ertönt 
aus den unterirbifchen Gemwölben, während er jelbit nächtlicher Weile 


660 


— — nn —ü — 


die Trümmer umwandelt. Bald erſcheint er im Eremitengewand, wie 
er begraben worden, mit bloßen Füßen und kahlem Haupt an ber 
Gtelle, wo die Unglüdlichen begraben wurden, und am Morgen findet 
man dann die Erde aufgemühlt; bald fchmeift er auf einem nur von 
ihm betretenen Pfade in Geftalt eines von Alter gebleichten Wolfes ! 
umber, blidt traurig nach den Trümmern feiner Burg und erhebt ein 
tägliches Geheul, das einer Menjchenjtimme gleicht. Dieler graue Molf 
ift noch allen Nachſtellungen ver Jäger entgangen, obgleih er an bie 
offenfte Stelle herausfommt. Eine Abbildung und Beſchreibung der 
Ruine, mit diefen Sagen, in: Voyage pittoresque et romantique 
dans l’ancienne France, par Taylor, Nodier et de Cailleux; ber 
Tert ift auch dem erften Theile de Romans: Robert-le-Diuble ou le 
Chäteau .de Molineaux (traditions normandes, recueillies et publiees 
par Placide-Justin. B. 1 bis 4. Paris 1823) vorgefeßt. 

An- der Vorberfeite ber Genovevenkirche zu Parts zeigte man che: 
befien einen großen eifernen Ring, von dem die Sage war, Robert ber 
Teufel, von brennendem Fieber gequält, fei in der Nacht zur Abtei 
Sainte:Genevieve gelummen, um durch Berührung der Reliquien dieſer 
Heiligen geheilt zu werben, der Abt aber babe ſich gemweigert, einen 
ſolchen Übelthäter zum Heiligthume zu führen, worauf ihn Robert in 
feiner Wuth an den Eifenring aufgehängt und diefen an ber Mauer 
befeftigt habe (Tristan le Voyageur, ou la France au 14 siecle. Par 
M. de Marchangy. B. VI, Paris 1825 bi 1826; bieher B. III, ©. 342). 

Die Perfon diefes der Sage jo wohl befannten Herzogs Robert 


1 [Contes populaires, prejoges, patnis, proverbes) noms de lieux de 
l’arrondissement de Bayeux, recueillis et publies par Frederic Plugnet. 
Deuxiöme &dition. Rouen, Edouard Frere, editeur, libraire de la biblio- 
theque de la ville, Quai de Paris, No. 45. 1934. 80. S. 14 (Contes po- 
pulaires, Traditions, Usages): Les Lubins. Ce sont des fantömes en furme 
de loups, qui rödent la nuit, cherchent & entrer dans les cimetieres, ri 
du reste sont assez peureux. Leur chef est tout noir et plus grand que 
les autres. Lorsqu’on s’approche, il se drease sur ses paltes, se met ä 
hurler, et toute Ja troupe «lisparait en criant: „Robert est mort! Robert 
est mort!“ S. 80 (Patois et Noms Triviaux): Huards, lutins, farfadeıs; 
& cause des huées que l'on suppose qu'ils poussent en traversant les 
airs, pendant la nuit. ©. 94: Roberde, l’herbe & Robert: „geranium 
Robertianum.“] 


661 


gefchichtlih aufzumeifen, ift noch nicht gelungen. Es gibt zwar eine 
alte Chronit der Normandie (zu Rouen ohne Jahrszahl gedrudt), nad 
welcher, vor der Belignahme diefes Landes durch die ſtandinaviſchen 
Eroberer, Herzoge von Neuftrien beftanden, deren erfter, Robert, der 
Bater Robert? deö Teufels war. Allein diefe Chronik ift noch felbft 
halb fagenhaft (Tristan le Voyageur III, 26,-1; vgl. Robert le Diable, 
par Pl. Justin I, XVII). 

Ähnliche Büßungen, wie ſie dem reuigen Robert aufgelegt werden, 
kommen auch in andern legendenhaften Erzählungen aus dem Mittels 
alter vor (vgl. Altenglifhe Eagen 1, 6 f.). Welches aber auch ver 
Urfprung und die urfprüngliche Geftalt der Cage fein modıte, fo ift 
fie doch unter den eigentlichen Normannen vollsmäßig geworden und 
ift mit den gleich nachher zu betrachtenben, unverkennbar aus norbifchen 
Erinnerungen erwachſenen Eagen von Richard nicht bloß äußerlich, 
genealogiſch, ſondern aud innerlich, durch denſelben finſtern, von nor⸗ 
diſcher Abkunft zeugenden Geiſt verbunden. Wie die Herzogin das Kind, 
das ſie gebären würde, dem Teufel gelobt, ſo in der nordiſchen Halfs⸗ 
ſaga Geirhild das ihrige dem Odin (Sagabibl. II, 449 ob.); und wie. 
bei Roberts Geburt der Tag ſich verfinſtert und der Sturm das Haus 
zu zertrümmern droht, ſo ſagt das Eddalied von der Geburt Helgis 
des Hundingstödters zu Bralund: „Nacht war in der Burg u. |. w. 
Burgenbruch [zerftörender Sturm] ift in Bralund.“ (Raſks Edd. 149°, 
Grimm, Edda 57. Finn M. II, 273. Afzelius Edda 142.) Roberts 
tobendes Weſen gemahnt an die norbifche Berſerkerwuth. 


2. Richard Ohnefurgti. 


Die älteſten fehriftlichen Aufzeichnungen der Sagen von ihm gibt 
die normanniſche Reimchronik des Robert Wace? vom Schluſſe des 
12ten Jahrhunderts: 


1 Tristan le Voyageur III, 79. 88. 366. 

2 [Der Borname Robert ift Wace fäljchlich von Huet beigelegt worden. Man 
vergleiche über den Dichter mein Buch über Ereftien von Troies, Tübingen 1854. 
8. ©. 152.153 und E. du Meril, La vie et les ouvrages de Wace in Eberts 
und Wolfs Jahrbuch fiir romanifche und englifche Litteratur. I. Berlin 1858. 
8. S. 1 bis 48. 5] 


662 


Le Roman de Rou et des ducs de Normandie, par Robert Wace, 
poste normand du 12 sidcle, publi6 pour la premidre fois par Fred. 
Pluquet. 2 Bände. Rouen 1827. (Rou, lat. Rollo, Hrolf, der Stifter des 
normannifchen Staates in Frankreich; in ber Taufe nahm er den Namen 


Robert an.) 


Hier wird von dem britten Herzog der Normandie, Richard 1, dem 
Sohne Wilhelms Langſchwert und Entel Rollos, aus der zweiten Hälfte 
des 10ten Jahrhunderts, verſchiedenes Sagenhafte erzählt (1, 278 ff.): 

Richard hatte nie vor irgend etwas Furcht, er gieng bei Nacht, wie bei 
Tag, umber und traf auf manches Geſpenſt (fantosme). Weil er fo viel bei 
Naht aus war, fagten die Leute, er ehe fo hell in der Nacht, als Andre am 
Tage. Auf einem foldhen nächtlichen Witte begegnet ihm ein Abenteuer, beflen 
Erzählung ih aus der altfranzöfiichen Reimchronik fo überſetzt habe: Graf Ri⸗ 
hard von der Normandie m. f. w. (Gerichte, 2te Aufl S. 409 [5äfte Aufl. 
1868. ©. 412 fi. 8.).) *** 


(Ganz Dasfelbe wird, in beutfcher Sage, vom Junker Rechen: 
berger, beflen wir beim mwüthenden Heere gedacht, in Kirchhof Wend⸗ 
unmuth Bl. 75° erzählt.) 

Nobert Wace läßt noch ein andres Abenteuer folgen, von dem er 
fagt, man würde es kaum glauben, wenn es nicht fo fehr befannt wäre. 
Er babe e8 Mehrere erzählen hören, die es von ihren Voreltern gehört. 
Es ift dieß die Gefchichte eines auf einem nächtlichen verliebten Gange . 
im Wafler verunglüdten Sacriftans der Abtei Saint Duen, um beflen 
Eeele ein Teufel und ein Engel ſich ftreiten und den Grafen Richard 
zum Schiebsrichter wählen. Diefe Erzählung fteht mit der vorigen in 
der Sammlung meiner Gebichte 1 verbeuticht. Sie ift mehr witzig, als 
fagenhaft. 

Noch zwei andre feltfame Begegniffe, welche Richard und einer 
feiner Jäger im Walde hatten, berichtet die Reimchronik (I, 288 bis 
292); ich übergehe fie jedoch, weil die Überlieferung bier unflar und 
entftellt erfcheint. 

Die ſchon erwähnte profaifche Chronik der Normandie foll gleich 
falls dergleichen Dinge aus Richards Zeit erzählen (Tristan ie Voya- 
geur Ill, 367). 


s [58fte Aufl. S. 414. 8.) 


663 


Am zahlreichiten find feine gefpenftifchen Abenteuer in einem noch 
jet im Umlauf befinplicden franzöfiichen Vollsroman zufammengeftellt: 


L’histoire de Richard Sans-Peur, duc de Normandie, fils unique de 
Robert le diable u. f. w. A Troyes o. J. 


Wie diefer Titel befagt, ift Richard Ohnefurdt bier ein Sohn 
Mobert3 des Teufeld und der Tochter des FKaifers von Rom. Was 
von ibm erzählt wird, bildet nicht eine einzige, fortlaufende Gefchichte, 
wie die feines Vaters, fonvern es find mehr einzelne Abenteuer an 
einanber gereibt, deren Faden barin beiteht, daß die böfen Geifter, 
befonders einer mit Namen Brundemor, den furdtlofen Herzog auf 
manigfache Weife, jedoch vergeblich, in Schreden zu jegen bemüht find. 
Ich bebe von biefem Gefpenfterfpuf Einiges aus, mas uns weitere 
fagengefichichtliche Beziehungen darbietet. 

Der Teufel Brundemor hat ſich gerühmt, dem Herzog Richard Furcht ein- 
zujagen. Als nun Diefer allein mit einem Hünblein, das er auf dem Sattel 
bogen hält, durch einen finftern Wald reitet, kommt Brundemor mit mehr als 
10000 Huars (huer, laut rufen), welche fürchterliches Geſchrei und Geheul er- 
heben, gerad auf ihn hergefahren. Richard aber erfchridt nicht im mindeften, 
fondern ruft und fchreit mit ihnen, worüber fie fo in Zorn gerathen, daß fie 
das Hiindlein zwifchen feinen Armen zerreißen; ihn felbft wagen fie nicht zu 
berühren. Nachdem Brundemor noch unter verfhiedenen Bermandlungen, wohin 
aud die Gefchichte mit dem Todten auf der Bahre zu gehören fcheint (Richard 
Sans Peur ©. 17), das Schreden vergeblich verjucht hat, tritt er mit Richard 
in freuntlicheres Verhältnis. 

Richard Hat ſich auf einem Zurnier, welches Karl der Große veranftaltet 
hatte, die Gunſt Clariffeng, der Tochter des Königs von England, durch feine 
Tapferkeit verdient. Auf ihrer Heimkehr durch die Normandie entführt er fie 
ihren Begleitern gemwaltfam und vermählt fi mit ihr. Darüber befriegt ihn 
ihr Vater, der König von England. As Richard zur Schlacht reitet, fieht er 
vor fich einen ſchwarzen Mitter, der ihm feine Dienfte anbietet, unter der ein- 
zigen Bedingung, daß, wenn er felbft jemals befriegt werde, der Herzog ihm 
die gleiche Hülfe ermeife. Richard fagt e8 zu und fragt dann nad) dem Namen 
des Mitters. „Brundemor,“ erwidert diefer; „fürchte dich richt! Alle werd’ ich 
tödten, die in der Schlacht auf mid) treffen.” Brundemor focht auch fo tapfer, 
daß die Engländer völlig gefchlagen wurden. Nach erlchigtem Siege wiederholte 
Nichard fein Verſprechen; fie trennten fi und Brundemor ritt in den Wald 
hinein. Drei Tage nach der Schlacht wollte Richard einen ſchwanweißen, von 
Feen aufgezogenen Eber jagen und fibernachtete zuvor im der Abtei von 


664 


Sescamp. “Gegen Mitternacht erſchien ihm ein gewappneter Nitter, in welchem 
Richard den Brundemer erlannte, und forderte ihn, auf, nunmehr feinem Ver⸗ 
ſprechen Genüge zu leiften. Der Herzog ftand auf, waffnete fi) und ritt in 
der Naht mit Brundemor in den Wald, wo fie zwölf fampfgerüftete Bitter 
- fanden. Es war Burgifer, ein andrer Teufel, der Gegner Brundemors, mit 
feinem Geleite. Ihn follte Richard im Zweilampfe beftehen. Er zeigte ſich 
bereit dazu und ein hartnädiges Gefecht erhob fi. Burgifer ſchwang ein fau- 
riges Schwert, zulettt aber jchlug Richard gegen ihn mit dem Knopfe des fei- 
nigen, in welchen mehrere Reliquien gefaßt waren. Da mufte fi) Burgifer 
ergeben und jo beftand Richard auch diefe Probe feiner Furctlofigleit. 

Bon den übrigen Abenteuern find hauptſächlich noch Diejenigen 
beachtenöwerth, welche den gefpenftifchen Ritter Hellequin ! betreffen. 

Als Richard einmal durch den Wald ritt, fah er vor ſich Hajen und Rebe, 
von einem großen Rudel bellender Hunde verfolgt, vorlibereilen. Er dachte 
eben, wer wohl ohne feine Erlaubnis in dieſem Forfte jagen möge, als er drei 
gewaffnete Ritter vor ſich ſah. Alsbald griff er diefe unberufenen Jäger an 
und fchlug fih fo tapfer mit ihnen, daß fie zulett die Flucht ergriffen und ihre 
Hunde im Stiche ließen. Mit verhängtem Bügel rannte Richard ihnen nad), 
im Berfolgen aber gewahrte er einen Zanz von Leuten, die im SKreife reibten. 
Da gedadhte er des Geſchlechts von Hellequin (de la race de Hellequin), wo: 
von er fonft reden gehört hatte. 

Diefer Hellequin war von einem alten und berühmten Starım entiproffen. 
Sn einem bintigen Kriege Karl Martelld gegen die Sarazenen, die in Frank⸗ 
reich eingefallen waren, hatte diefer Mitter feine Habe im Dienfte feines Herm 
verzehrt und felbft ein Schönes Schloß in der Normandie verfauft, um die Kriegs 
bedürfniffe anzuſchaffen. Nach dent Kriege nun fah er fi von Allem entblößt 
und fieng deshalb, mit mehreren feiner Verwandten, zu rauben und zu plün= 
dern an. Jedermann rief gegen ihn um Race zu Gott. Er wurde von einer: 
ſchweren Krankheit ergriffen, an der er ftarb,. und war in Gefahr, verdamınt 
zu werden, Aber Gott hatte Erbarmen mit ihm, weil er ftet3 gegen die Sara- 
zenen gelämpft und den Chriftenglauben gemehrt hatte; zur Buße jedoch ward 


1 [Über die mesnie Hellequin vgl. Les manuscrits frangois de Ja Liblio- 
theque du roi. Par Paulin Paris. I. Paris 1836. ©. 821 bis 325. Le 
livre des l&gendes, par le Roux de Lincy, Paris, Silvestre, 1836. Th. 
Wright, Deposit. of Richard II. ©. 53.] [Man vgl. ferner: 3. Grimm, 
Deutſche Mythologie, zweite Ausgabe. Göttingen 1844. 8. IL ©. 893. 894. 
W. Menzel, Odin. Stuttgart 1855. 8. ©. 226. 227. F. Liebrecht, Des Ger- 
vaſius von Tilbury Otia imperialia. Hanuover 1856. 8. ©. 198. 199. 5.) 


665 


er verurtbeilt, jede Nacht mit denen feines Geſchlechts an den Orten umzugehen, 
wo fie Böfes verübt hatten; meift fanb man fie tanzend ober jagend. 

Als num Richard Ohnefurcht den Zanz des Gefchlechtes von Hellequin (de 
la lignee de Hellequin) gewahr worden, fpornte er fein Roſs nad ihnen hin, 
ımd als er ihnen nahe war, fah er wunherbare Dinge Gleih vorn ſah er 
feinen Marfchall, der vor länger als einem Jahre geftorben war. Richard war 
fehr darliber erftaunt, doch ohne ſich zu fürchten. Auf fein Befragen erklärte 

ihm der Marſchalk, daß er mit denen, die hier am Tanze feien, büßen müſſe. 
Der Herzog verlangte Hellequin felbft zu fprecden, um ihn wegen des Jagens 
in feinem Forſte zur Rede zu ftellen. Der Marſchalk führte feinen vormaligen 
Herrn zu einem Straudhe, worauf Helleguin ſaß und breitete ein ſeidenes Tuch 
auf dem Boden aus, auf welches fih Hellequin nun niederließ, Auf die Trage 
des Herzogs, wegen des Jagens im fremden Forſte, gab er zur Antwort, daß 
dieß ihnen zur Sündenbuße auferlegt fei.und fie täglich große Dual erleiden. 
Beim Abſchied gab Hellequin dem Herzog das Seidentuch, welches fehr koſtbar 
und von unbegreifliher Hand gewirkt war. Nach feiner Heimkunft ftiftete er 
dasfelbe als Altartuch in die Liebfrauenkirche zu Rouen. 


Der Held diefer wunderfamen Abenteuer ift auch in den karolingi⸗ 
Ichen Sagentreis verwoben worden, wie wir ſchon die angeführten Volks⸗ 
bücher von ihm und feinem Water anbeuten. hörten. Beſonders im 
Roman von Fierabras ſpielt der kühne Richard von der Normandie, 
ald einer von Karls Genofjenfchaft, eine bebeutende Rolle. Aber fo 
wenig Karl der Große und ein normannifcher Herzog Richard gleich 
zeitig waren, da ja die Normannen erſt ein Jahrhundert nach Karls 
Tode fih im nördlichen Frankreich feitiebten, fo wenig gehören der 
fränkiſche und der normannifche Sagenkreis urfprünglich zufammen. Es 
bat nun aud hier jener. Trieb der epilhen Sagenbildung gemaltet, 
vermöge deſſen verfchievene Heldenkreiſe ſich allmählich zum größeren 
Cyklus verbinden. | 

Unverkennbar find die Sagen von Richard Ohnefurcht altes Erb» 
theil der romanifierten Normannen aus der norbilchen Heimath. Die 
Geifterfämpfe überhaupt fanden wir in der norbiichen Sage zu Haufe. 
Wie Brundemor dem Herzog in der Schladht beifteht und fich dafür 
einen Gegendienft bedingt, dieß ift ganz das Verhältnis des Kampf— 
gottes Odin zu den Helden des Nordens; er bedingt fich aber die Seelen 
der Erfchlagenen. (Unter dem Namen Bruni nimmt Odin an der 


Bravallaſchlacht ala Wagenführer Haralda Theil.) Verdunkelt, in ihrem. 


666 


— 


rechten Sinne verkannt, find allerdings die nordiſchen Mythen in der 
normannifchen Überlieferung, aber darum doch noch im Grunde durch⸗ 
ſchaubar. 

Dieß gilt auch von Hellequin. Leicht ergeben ſich hier dieſelben 
Anſchauungen, wie in den deutſchen Volksſagen von der wilden Jagd, 
von der Wiederkehr der Todten im wüthenden Heere!, in Wuotans, 
Odins Fahrt. Was wir die wilde Jagd, das wüthende Heer nennen, 
heißt noch in der Normandie la chasse Hennequin (Hellequin) 
(Tristan le Voyageur II, 350 f.). In England hieß es, nach ber 
normannilchen Eroberung, in lateinifchen Chronifen des Mittelalters: 
Milites Herlikini (Herleurini), familia Helliquinii (Minstreley. 5 ed. 
II, 129 f.). Nun ift uns bereit die deutſche Sage vom wüthenden 
Heere in Beziehung getreten mit. dem nächtlichen Reiten des tobten 
Helgi und feines Gefolges. In Hellequin, Helliquinius haben wir 
nun auch den wenig umgeformien Namen, Wenn von Hellequin ge 
fagt wird, er fei aus einem alten und berühmten Gefchlecht entiprungen, 
fo gehörte Helgi zu dem Hervenftamme der Völfunge, deren Stamm: 
vater Odin ſelbſt war. Vermiſcht und getrübt ift freilich auch bier der 
alte Mythus. Der Tanz ber Leute Hellequins ift ein norbilcher Elfen 
tanz; daß fie aber zur Buße ihrer Sünden lämpfen, jagen und tanzen, 
ift Vorftellungsmweife bes chriftlihen Mittelalters. 

So find wir, wie früher mit der deutfchen Volksſage, fp nun aud 
mit der franzöfiichen, dahin zurüdgelommen, von wo unfre ganze Dar: 
ftellung ausgieng, zum alten Odin und den Anfchauungen bes odini⸗ 
fhen Glaubens. 

Ich ſchließe hiemit dieſe Vorlefungen, die zwar nicht ganz ben 
Kreis ermeſſen konnten, den ich mir anfänglich vorgezeichnet hatte, die 
aber doch hinreichenden Stoff darboten, um fih an ihm das Weſen 
und bie weiten Züge der Sagendichtung zu veranfchaulichen. 


1 [Bgl. oben ©. 618. 2.] 


‚Anhang. 
Einleitung zur Borlefung über nordiſche Sagenkunde!. 


Zur Einleitung der Vorlefungen, die ich heute eröffne, habe ih 
nur Weniges über Gegenftand und Richtung derfelben voranzufciden ; 
denn ich halte für zweckmäßig, fit baldmöglih in die Sache felbft zu 
verſetzen und erft aus ber näheren Belanntihaft mit ihr die allgemei- 
neren Betrachtungen hervorgehn zu laflen. 

Die nordiſche Sagenkunde gehört in den Kreis derjenigen Stubien, 
welche ſich mit einem längft entſchwundenen, von ben Zuſtänden ber 
Gegenwart äußerft verfchiedenen Zeitalter beihäftigen. Es mag für 
ben erften Anfchein etwas Wiberftrebendes darin gefunden werben, ſich 
mitten aus einer vielbewegten Zeit in bie auögeftorbene Vergangenheit 
zu verſenken und bie Theilnahme für fo Entlegenes in Anfprud zu 
nehmen, während der nächſte Augenblid unfre Aufmerkſamkeit lebhaft 
anregt. Gleichwohl wird ſich bei genauerer Erwägung zeigen, daß die 
Erforfhung eben jener fernen Alter nicht bloß ein Ziel gelehrter Wiß- 
begierde, daß fie vielmehr ver Freiheit des Geiftes fürberlih und ein 
Bedürfnis des tieferen Gemüthes fei. 


1 [Im Sommerhalbjahr 1833 wollte Uhland das Hauptthema der vor- 
fiehenden Borlefungen unter dem Titel „Nordiſche Sagenkunde“ nad neuer 
Bearbeitung wieder vortragen. Es ift befannt, daß er am 28 Mai die Ent- 
Yaffung von feinem Lehramt erhielt. Bon der Borlefung ift eben nur die Ein- 
leitung neu ausgearbeitet worden. Obgleich biefelbe in den Hauptpunkten mit 
der oben ©. 3 ff. 14 ff. gegebenen Einleitung übereinſtimmt, ift doch die Form 
. neu und vererelt. Die unveränderte Mittheilung diefes Tekten von Uhland für 
den Lehrfiuhl ausgearbeiteten Vortrags wird daher keiner weiteren Reqtjern 
gung bedürfen. K.] 


668 


Den Geift kann die vollere Anfchauung verfloffener Zeiten von 
zweifachem Borurtheile frei halten, von der Gebundenheit durd das 
Adgelebte und von der Befangenheit im Gegenmwärtigen. Eo kann eine 
gründliche Kenntnis des Mittelalterd nur zu der beivufteren Überzeugung 

führen, daß diefe Zeit ihr eigenthümliches Leben abgejchloffen, ihre bes 
fondre Aufgabe gelöft habe; damit aber ftellt fi uns die Aufgabe der 
eigenen Zeit um fo reiner heraus und der Hinblid auf das Vergangene 
fordert ung auf, auch unfrem Berufe friſch und rüftig nachzuſtreben. 
Auf der andern Seite wird uns die Einfiht in das Weſen früherer 
Perioden wohl erkennen laffen, daß aud fie nicht lediglich die Be 
ftimmung hatten, Steine zu unfrem Bau berbeizufhleppen, daß fie 
wirklich ihr eigentbümliches Leben lebten, ihren Charalter entwidelten, 
ihre eigenen Werte jchufen, daß jede größere Periode neben ihren be 
jondern Mängeln auch ihre befondern Vorzüge aufzumweifen bat, die 
einer folgenden fchon darum, weil fie eine neue ift, nicht wieder in 
diefer Art erreichbar find. Eben in folder Manigfaltigfeit der Ente 
widlungen äußert fi ber unerſchöpfliche Reichthum des Weltgeiftes 
und zugleich feine Gerechtigkeit, indem er weder der Erfigeburt noch 
den Süngftgeborenen einen unbedingten Vorrang einräumt. In geiftiger 
Auffafjung ift auch wirklich alles Beitandene und Beftehende gleichzeitig, 
in ihr tritt das Ferne der Beit, wie des Haumes, in die Gegenwart 
und alle die fuccefliven Geftaltungen des Völkerlebens ftellen fi zum 
Gefammtbilde neben einander. 

Auch das Gemüth fühlt fih in die Zeiten vor uns bingezogen. 
Während wir in der Gegenwart für die Zufunft arbeiten, finten mir 
mit jedem Augenblide jelbft in die Vergangenheit hinab; und indem 
wir felbft wünfchen, im Gedächtnis kommender Gefchlechter Fortzuleben, 
vernehmen wir auch die Mahnung der hingegangenen, ihrer nicht zu 
vergeffen. Jeder Erdentag ftellt uns in den Gegenfchein von Ber 
gangenheit und Zufunft, bald fehen wir die ‚weftlichen Berge von ber 
Morgenjonne beleudytet, bald die öftlichen von der Abenbfonne. Das 
ältere Geſchlecht, das wir zu Grabe tragen, an das fid) rückwärts unfre 
früheften Erinnerungen knüpfen, iſt ung doch wieder vorangeeilt in die 
Zukunft und unfer liebendes Angedenken ann fi) bald dem Abſchiede, 
bald dem Wiederfehen zuwenden. Wollen wir einmal nicht vereinzelt 
fteben, fühlen wir uns durch ein heiliges Band der gefammten Menfd) 


669 
beit verbunden, warum follte dieſes nicht auch bie Geſchlechter um: 
fohlingen, melde vor uns gelebt haben? Es fragt fi) au am Ende 
doch nur, wo die echtefte, Fräftigite Poefte zu finden fei; das rüdficht 
[oje Streben nad dem Schönen, nad) der wahren Poeſie ift auch ein 
Bedürfnis der Gegenwart und hiebei kann felbft die fernfte Vergangen⸗ 
beit nicht ausgeſchloſſen fein. 

Was uns aber in der Kenntnis früherer Zeitalter für Geift und 
Gemüth Befriedigendes liegen Tann, das find doch nicht ſowohl die 
äußern Ereignifie, als wieder das geiftige Leben, deilen Wirkung und 
Ausdrud jene Ereignifie felbft find. Gerade nun bie älteften, vorge: 
ſchichtlichen Zeiten jedes Volkes, diejenigen, bei welchen wir die mindefte 
Stufe geiftiger Bildung vorausfeßen möchten, haben ihr Gedächtnis 
einzig und durchaus in idealer Weife, in der Volksdichtung, der Sage, 
auf die Nachwelt gebradt. 

Es find dieß die Zeiten, in denen die menschlichen Geiftesträfte 

noch in ſolcher Ungefchiedenheit wirken, daß ihr höheres Erzeugnis nichts 
anderes fein Tann, ala Poeſie. Gefchichte, Glaubens und Sittenlehre, 
alle in fpäteren Altern jo weit auseinandergehenden Richtungen geiftiger 
Thätigleit, find bier nod) in den Bildern und Klängen des Liebes zu: 
fammengefaßt. Die Schrift ift nicht erfunden oder doch von feinem 
litterarifchen Gebrauche, weil für fie fein Bebürfnis befteht, weil ver 
todte Buchjtabe nicht vermiſſt wird, mo die lebenvigen Geitaltungen 
der Phantafie im Gedächtnis haften. Alles ift hier münbliche Über: 
lieferung, Sage. Aber diefe Sage Tann audy nur eine poetifche fein, 
weil, jobald fie aufhörte, durch und auf die Einbildungskraft zu wirken, 
fie damit auch die einzige Gewähr ihrer Dauer aufgegeben hätte. 

Fragen wir nad den Überlieferungen aus der vorgefchichtlichen 
Zeit unſres eigenen, des germanifhen Stammes, die doch in unjrer 
Sinnesart den meiſten Anklang finden dürften, jo eröffnet fih uns 
allerdings ein weites Gebiet manigfaltiger Sagendichtung. Was jedoch 
das eigentliche Deutichland betrifft, jo find über feinen Boden fo viel- 
fache Völterzüge hingeſchritten, er ift von fo frühem und verfchieben- 
artigem Anbau umgewühlt worben, daß die ältefte, heimifche Sage fich 
unmöglid) mehr in urjprünglicher Lauterkeit und Bollftändigleit fort: 
pflanzen und in folcher zur fchriftlichen Aufzeichnung gelangen konnte. 

Die frühzeitig begonnene Belehrung der deutfchen Völker zum 





670 


Chriftentyum nahm ihrer angeflammten Sage ven religiöfen Grund, 
auf welchem fie erwachſen war, und ba fie auch nicht fich eignete, biele 
beibnifche Grundlage mit einer chriftlichen zu vertaufchen, To mufte fie 
ſich gröftentheils auf menfchliche Verhältniffe zurüdziehn und felbft den 
alten Göttermpthus in foldhe umgeftalten, fo daß mwir denſelben in ihr 
mehr nur ahnen und burchfühlen, als zu Harer und voller Anfchauung 
bringen können. Hiernach bat fi in Deutſchland zwar eine viel⸗ 
umfaflende Helvdenfage, ein großer epifcher Cyllus, gebildet und erhalten, 
aber ohne mehr in Verbindung mit einer entfprechenden Bötterfage das 
volle Weltganze des deutſchen Altertbums darzuftellen. 

Dagegen lag abfeits der großen Völferftraße und außerhalb bes 
Bereich3 der erften Belchrungen das Ländergebiet des ſtandinaviſchen 
Nordens: Dänemark, Schweden, Norwegen mit den hauptſächlich von 
legterem aus bevölferten Inſeln, Island und den Faarben. Die Be 
wohner dieſer Länder bilden einen der germanifchen Hauptiprachftämme; 
norreena, die norbifche, hieß die Sprache, die noch über die heibnifche 
Zeit hinaus ihre gemeinfame war und ſich im Isländiſchen fortbauernd 
erhalten bat, wogegen anderwärts ſich beſondre Mundarten ausfchieden 
und im Schwebifchen und Dänifchen zu eigenen neuen Sprachen ge 
ftalteten.” Bon den übrigen Sauptftämmen germanifcher Zunge kommt 
dem nordifchen am nächften ber nieberbeutfche, am entfernteften ſteht 
ihm der gothiſche. Erwägt man nun, daß auch die mythiſchen Beſtand⸗ 
tbeile der gothifchen Überlieferungen, wie fie in beutfcher Helbenfage 
durchicheinen, die mwenigfte Beziehung zu den flanbinavifchen Mythen 
darbieten, daß dagegen die wenn glei nur ſparſamen Nachrichten von 
den Göttern der alteingefeflenen Germanen und vom Heidenthum der 
ſächſiſchen Völlerfchaften ihren unverfennbaren Anllang in der norbi 
ſchen Götterfage finden, fo deutet dieß noch weiter barauf bin, im 
Norden die Pfleg: und Zufluchtftätte derjenigen Sage zu fuchen, melde 
ben älteften germanischen Anfteblern eigen war, im Gegenſatze ber in 
ber großen Völkerwanderung nachgerüdten beutfchen Stämme, melde 
vorzugsweiſe als gothifche bezeichnet werben können. Die Völker des 
flandinavifchen Nordens find Ureinwohner, foferne wenigſtens die Zeit 
ihrer Anfievlung über aller urkundlichen Gefchichte hinaus liegt, und 
felbft was man aus ihrer Eage für ihre Herlunft aus dem Dften be 
weifen wollte, berubt, wie ich fpäter zu zeigen verfuchen werbe, auf 


671 


Misverftänbnifien und gelehrten Deutungen. Die öſtliche Abkunft an 
fih fol damit fo wenig verworfen werden, als die gewiſſermaßen natur 
geſchichtliche Thatfache, daß die ſchwächern finnischen Stämme von eins 
‚wandernden germanischen auf ben äußerften Rand des norbiichen Feſt⸗ 
landes hinausgebrängt worden. ebenfalls aber beſtand hier feit 
unvordenklicher Zeit und gewiſs Jahrhunderte vor den geichichtlich bes 
kannten Bölferwanberungen ein Sit und Heerd germanischen Weſens, 
das eben auch bier am längften von fremden Einwirkungen unberührt 
fortlebte. Das Chriftenthum, in deſſen Gefolge ftetd auch die manig- 
fachften anderwärtigen Einflüfe der Bildung und des Verlehrs fich 
geltend madten, hatte bei den Gothen fchon im Aten Jahrhundert und 
bei den Franken zu Ende des dten Eingang gefunden, die Sachſen 
waren am Anfang des Yten mit den Waffen befehrt worben, in den 
nordiſchen Ländern aber gewann das Chriſtenthum erft feit dem Ende 
des 10ten Jahrhunderts feine feftere Gründung. In fol langer Ab⸗ 
geichlofienheit des ſtandinaviſchen Nordens konnte und mufte denn nun 
jenes urgermanifche Weſen, wie im Leben überhaupt, wie in Glauben, 
Recht und Sitte, jo aud im idealen Ausbrud des innern und äußern 
Lebens, in der Sagenbichtung, jein vollftes und fchärfites Gepräge er 
langen und bewahren. Die Verbindung bes Göttlihen und Menſch⸗ 
lichen, des Mythiſchen und Heroifchen, der Götter und der Helvenfage 
zu einer volftändigen Weltanfchauung, die wir in den beutfchen Sagen» 
kreiſen vermifien, ift in den auf uns gelommenen Lievern und Sagen 
des Nordens noch weſentlich unverlümmert vorhanden. Es iſt nicht 
zu verfennen und müſte fogar als, nothwendig vorausgefebt erben, 
daß diefe Sagenwelt ihre befonbre, heimathlich nordiſche Färbung an 
fih trage, daß in ihr die Natur des Landes und bie Lebensweiſe feiner 
Bewohner nicht ohne Spur geblieben fei, daß fie an Ortliches und 
Beichichtliches jener Gegend ſich anknüpfe. Aber auch davon Liegen, 
wie fchon erwähnt, erhebliche Anzeigen vor, daß fie, den größern und 
bebeutfamern Zügen nad, auch andern beutichen Stämmen gemeiniam 
war; und jelbft wenn dieß weniger der all geweſen wäre, fo würden 
wir doch nur durch fie noch in die Tiefe des älteften germanifchen 
Geiftes binabzubliden, nur in ihr noch ein volles ſyſtematiſches Er⸗ 
zeugnis besjelben zu erfaflen im Stande fein. 

Dir verdanken dieſe im Weſentlichſten vollitändige Erhaltung ber 


672 


nordiſchen Sage dem Umſtande, daß ſie noch zur rechten Zeit und unter 
günftigen Berhältniffen aus der münblichen Überlieferung in die Schrift 
aufgenommen wurde, und zwar ift dieß vorzüglich das Verdienſt ber 
Isländer. Wie die größern flanbinavifchen Zänbergebiete dem übrigen 
germanifchen Feſtlande abfeitö liegen, fo liegt wieder über jene hinaus 
die Inſel Island einfam im Weltmeere. Diejes raube, minterliche Ei- 
land, mit Schneebergen, melde Flammen ausmwerfen, wurde gegen da3 
Ende des 9ten Jahrhunderts von Norwegen aus- bevölfert. Damals 
verließen viele der angejehenften norwegischen Geſchlechter, denen bie 
Alleinherrichaft des Eroberers Harald Schönhaar unerträglich war, ihre 
Heimath und gründeten auf Jsland einen Freiftaat, der fich bis über 
die Mitte des 13ten Jahrhunderts unabhängig erhielt. Das Chriften- 
tbum wurde dafelbit um das Jahr 1000 eingeführt. Die Einwanderer 
hatten ihren geiftigen Befig, Lied und Sage des Stammlanves, mit 
ſich berüber genommen und pflegten vdenfelben bier mit dem bebarr- 
lichften Eifer. So wenig die neue Wohnftätte äußerlich als ein Garten 
der Poeſie erfcheinen mochte, fo war fie doch eben in ihrer Abgeſchieden⸗ 
heit, mit ihrer ftrengen Natur, ihren langen Wintern und Winter: 
nächten wohl geeignet, auf Beichäftigungen und Genüſſe des geiftigen 
Lebens hinzumeifen. In Island bildete fi) eine, zum Theil ſehr künſt⸗ 
liche Lieberbichtung und von hier giengen die Skalden aus, die an den 
Königshöfen der norbifchen Neiche fangen; in Island erhielt auch die 
gefchichtliche und fabelhafte Erzählung in ungebundener Rebe; die Saga, 
eine eigene Form, in welcher die Isländer aufbewahrten, mas fie in 
der Heimath und auf ihren beitändigen Wanderungen im übrigen Nord 
lande Dentwürbiges felbft erfahren oder vernommen hatten. Sn diefer 
emfig eingeübten und entwidelten Form famen die mündlichen Über 
lieferungen der jchriftlichen Auffaflung völlig vorbereitet entgegen. In 
der erften Hälfte des 12ten Jahrhunderts begann das Sammeln und 
Nieberfchreiben der Sagen und Lieder und damit die Begründung einer 
eigentbümlich isländischen Xitteratur. So war der beeiste Inſelfels im 
Ocean dem gefammten übrigen Norden als ein Spiegel gegenüber: 
gejtelt, in welchem ſich die Lebensbilder älterer und neuerer Zeit 
abitralten. 

Was bei all Diefem befonders der älteften mythiſchen und heroi⸗ 
ſchen Fabelwelt zu Statten kam, ift der bebeutende Umftand, daß bie 


673 
isländifche Staldenkunft, auch nach der Einführung des Chriſtenthums, 
in ihrer ſchmudreichen Dichterſprache ſich noch überall ver Namen und 
Bilder aus dem heidniſchen Götter⸗ und Heldenweſen, der manigfachſten | 
Anspielungen auf ſolches bediente. Hiedurch war es fchon technifches 
Bedürfnis, ſich den Inhalt der alten Sagenliever durch fchriftliche Auf: 
zeichnungen und Auszüge fortwährend zugänglich zu erhalten, 

Diefe Bemühungen der Isländer bilden denn aud) die Grundlage, 
an welche fih die Schriftdenfmäler und die zum Theil noch im Volke 
lebenden Erinnerungen aus ben andern norbifchen Ländern ergänzend 
anſchließen. Die nähere Bezeichnung der bier nur im Allgemeiniten 
angebeuteten Quellen wird je bei den bejondern Hauptabfchnitten und , 
Unterabtheilungen unfrer Aufgabe erfolgen. 

Die norbifche Sagentunde, mie ich diefe Aufgabe benannt habe, 
d. h. die quellenmäßige Darftellung und entwidelnde Erläuterung ber 
vorgefchichtlichen und urfprünglich mündlichen Überlieferungen bes ſtan⸗ 
dinavifchen Nordens, wird ſich uns folgendermaßen abtheilen: 

Erfter Abfchnitt: Sage des norbifchen Heidenthums. 

Erfte Abtheilung: Götterfage. 
Zweite Abtbeilung: Heldenjage. 
Zweiter Abfchnitt: Spätere Volksſage. 

Für den erſten dieſer beiden Hauptabfchnitte, welcher die heidniſche 
Sage in ungetrübter Echtheit und möglichit vollftänbigem Zufammen: 
bang ermitteln und daritellen fol, müflen wir ung gleichwohl, da alle 
Sammlung und Aufzeihnung erft in chriftliher Zeit ftattfand, auch 
ſolcher Quellen bedienen, welche nicht ohne den Einfluß chriftlicher Ans 
ficht geblieben find, ober in melden das Mythiſche und Sagenhafte 
eine biftorifche Verfleivung erhalten hat; und in ſolchem Falle kommt 
es nur darauf an, das Urfprüngliche aus foldhen Anwüchſen und Ver: 
büllungen auszufcheiden und berzuftellen. | 

Der zweite Abjchnitt dagegen ift bejtimmt, die Nachwirkung und 
Umwandlung jener heidnifchen Überlieferungen in der fpäteren Volks⸗ 
fage, d. b. in den zahlreichen Volksballaden, den Mährchen, den vers 
einzelten Ortsfagen des norbifchen Mittelalter und ver neueren Zeit 
nachzumeifen, und bier gehört die Vermiſchung chriftlicher Begriffe, 
neueren Aberglaubens, mit ben altheibnifchen gerabe zum Charafteriftis 


chen. Beiberlei Abfchnitte werden übrigens nicht fo ſcharf geichieden 
Uhland, Edriften. VII. 43 


674 


fein, daß ſich nicht auf beiden Seiten Übergänge ergäben, und nament⸗ 
lich werben wir zu dem erftern, als dem wichtigern, manchmal herüber: 
ziehn, was fich für feinen Gegenftand auch in der fpäteren Volksſage 
zur Ergänzung oder Erläuterung darbietet. 

Endlich hebe ich noch einige Geſichtspunkte hervor, die mich bei 
der Behandlung des Ganzen leiten werden und daher aud zur vor: 
läufigen Berftändigung dienen können: 

1) Dan hat auf die nordiſche Mythologie, mie auf diejenige andrer 
Völker, mit Vorliebe theils die religionsgeſchichtliche und philofophifche, 
theils die naturgefchichtlihe Betrachtungsweiſe angewandt. Allerdings 
auch find in biefen Mythen die Glaubenslehren und Philofopheme 
früherer Alter, es find darin ihre Vorftellungen von ber Entftebung 
und dem Bau der Welt, vom Wirken der Naturkräfte und vom Wechſel 
der Zeiten nievergelegt. Allein unfre Zeit, die im Lichte der geiftigften 
Religion erzogen, von den ausgebildetſten Yhilofophifchen Syſtemen 
umgeben und mit den Fühnften Fortichritten der Naturkunde vertraut 
ift, wird doch, fofern fie nicht etwa ihre eigenen Ideen in die alten 
Mythen überträgt, aus diefen, neben dem bloß hiftorifchen Wiffen, nur 
wenigen Gewinn ziehen, wenn gerade Dasjenige vernadhläfligt wird, 
was jenen Zeiten, der unſrigen gegenüber, am meiften eigenthümlich ift, 
ich meine die völlige Verfchmelzung der Idee mit dem Bilde, die Be 
geiftigung der Natur und die Verfinnlihung des Gedankens, mit Einem 
Worte die Poefie der alten Glaubens: und Naturlehren. Auch für 
unſre jpecielle Aufgabe ergibt fich ſomit mejentlich der poetifche Stand- 
punft der Betrachtung. 

2) Wenn wir gleich weder in den eigentlichen Göttermythen, noch 
felbft in einem großen Theile der beroifchen Sagen bes Nordens, eine 
Beziehung auf wirkliche biftorifche Perſonen und Ereigniffe anzuerkennen 
vermögen, fo wird doch eine fittengefchichtlihe Grundlage derſelben 
keineswegs zu beftreiten fein, eben meil alle wahrhafte Volkspoeſie 
Ausdruck und Erzeugnis des ganzen Charakters und Lebens der Völker 
ift. Eine bejondre Ableitung und Entwidlung der nordiſchen Sage aus 
dem Leben, den Schidfalen und Sitten der Rordbewohner wäre jedoch 
ſchon darum bebenklich, weil die Sage felbft älter ift, als alle gefchidht- 
lich gegebene Zuftände, aus denen wir fie erklären möchten, fo baß bie 
leßtern menigftens ebenjo wohl aus ihr beleuchtet werden könnten. Noch 


675 


mehr aber ift es eine bedeutende fagengefchichtliche Thatſache, daß bie 
Sage, vermöge ihres poetifchen Beſtandes, ihre einmal vorhandenen 
Keime mit eigener Triebfraft zu einer von den äußern Berhältnifien in 
mancher Beziehung unabhängigen Entfaltung zu bringen pflegt. Diefes 
geiftig felbftändige, innere Leben und Wachsthum der Eage nun wird 
unfer vorzügliches Augenmerf fein, und wenn wir auch auf norbifche 
Gefchichte und Sitte fowohl in allgemeinem Andeutungen, als für 
einzelne Erläuterungen, Bezug nehmen werben, fo werben wir doch eine 
durchgeführte Zufammenftellung der Sage mit der Sittengefchichte nicht 
zu unfrer Aufgabe rechnen und felbft Dasjenige, was vom heidniſchen 
Eultus der nordifchen Völker gefchichtlich bekannt ift, nur ſoweit be: 
nügen, als es Aufichlüffe über das innere Wefen der Götterlehre ge 
währen fann. Eine Zufammenftellung der vorerwähnten Art ift ohne 
Zweifel nach beiden Seiten nützlich, aber fie wird doch nur medanifch 
und äußerlich ausfallen können, wenn nicht auch jever Theil in feinem 
befondern Elemente durchgearbeitet ift. Gewiſs wird daher auch eine 
befondre Behandlung der Sagengefchichte ihren Nuten haben, mie denn 
auch eben fie durch die felbftändige Lebenskraft der Sage hiezu vor⸗ 
züglich geeignet it; und näher betrachtet ift ja die Sage, mo fie fih 
in größerem Umfang erhalten hat, nicht einmal ein Beſonderes, fondern 
fie gibt uns das Gejammtleben eines gejchichtlih untergegangenen 
Beitalters. 

3) Der poetifhe Standpunkt, den wir im Biöherigen nach ver: 
ichiebenen Richtungen geltend machten, enthebt den Gegenftanb unfrer 
Darftellung auch den befondern Gebieten des Litterarifchen und Techni⸗ 
fchen. Dieſer Gegenftand ift die Cage jelbft, abgejehen von der zus 
fälligen Form ihrer jeweiligen Auffafiung. Die Frage nah Dichtern 
und Berfafjern ift auf die Sagenpoefie nicht anwendbar; das allmähliche 
Wachsthum dieſer Voefie in mündlicher Überlieferung läßt den Antheil 
des Einzelnen an ihr nicht unterfcheiden und fie erfcheint als Erzeugnis 
des gemeinfamen Volksgeiſtes. Werden auch einzelne Sängernamen 
genannt, jo tragen doch dieſe felbit dad Gepräge des Sagenhaften. Erſt 
im Gebrauche der Schrift fordern und befeftigen fi Perjönlichkeiten 
und Dichtercharaftere. Da ferner der erfte Urfprung des Sageninhalts 
niemals zu erreichen und jede zugängliche Behandlung desſelben auf 
ein Früheres, Gegebenes, hinweiſt, fo kommt auch die Technik der 


676 


älteren oder jüngeren Auffaflung für die Sagentunde nicht in befon- 
bern Betracht. Das Litterarifche und Technifche wird uns daber nur 
infoweit befchäftigen, als einestheild zum Beleg bes Vorzutragenden 
und zur Anleitung für eigenes Stubium bie Bezeichnung der Quellen 
und Hülfsmittel erforderlich ift und anderntheild die Form, in der und 
ber Sagenftoff überliefert ift, die Zeit der Aufzeichnung und die Be 
kanntſchaft mit den Verhältniffen des Aufzeichnerd ober Bearbeiters und 
den kritiſchen Maaßſtab für die größere oder geringere Lauterkeit der 
Überlieferung an die Hand gibt. Die Sage felbft ift ein Schtwebenbes, 
Tließendes, dag wir, von jeder beengenden Form abgelöft, in feinem 
freien Elemente verfolgen müſſen. 


Inhalt. 


Vorwort des Herausgebers . 
Sagengeſchichte der germanifchen und romaniſchen Bolter 
Einleitung 
Erſter Theil. Sagengeſchichte der germaniſchen Bölfer 
Erfter Abſchnitt. Nordifche Sage . 
1. Götterfage 
Umriß der Götterfage . . / 
2. Heldenſage . . 
A. Eigenthümlich nordiſche Seenfagen 
1. Frodi der friebfame 
2. Herpör und Heidrek 
3. Hrolf Krali . . 
4. Half und feine Reden 
5. Fridtbjof . 
6. Bier normwegijche dee 
7. Hadding . ? . . 
8. Regner 
9. Amleth 
10. Uffo 
1. mund 22 
12. Fridlleee. 
13. Othar und Syrith . 
14. Af und Alvild 
15. Hagbarth und Syene 
16. Halfdan . . 
17. Harald Hyldetand . 
18, Starlatr . . 


1. Starkadrs Urfprung und vorbeſtimmies echt 


2. Starkadrs erftes Nidingswerl . 
3. Starfadrs Kriegsfahrten 
4. Starladrs erfte Hofreife . 


Starkadrs zweite Hofreife 
Starkadrs dritte Hofreife 
Starfadrs zweites Nidingswert 


se a nm dp 


Starkadrs drittes Ridingewert 
10. Starkadrs Tod . . . 
B. Deuiſch⸗ nordiſche deienfogen . 

1. Hildur 

2. Bölundr . 

3. Di Bölfunge 

1. Sigurds Ahnen 

. Helgi . 
. Sigurd . 
. Atlis Gaftmabl . . 
. Svanhild und ihre Brüider 
. Aslaug .. 

4. Ragnar Lodbrol 

5. Nornageſt 
“gemeinen Bemerlungen 


m MD m 


. Über das Berhältnis ber Heldenſage zur Bötterfage 
ni Über den gemeinfchaftlihen Charakter der Götter⸗ und 


Heldenfage . 


3. Über die Organe der nordiſchen Sogmigung 


3. Balladen, Ortsiagen, Mahr en . 
1. Balladen . .. 
Skrymners Reim . 
Lolis Sage . 
Eifenhöh . 
Herr Dlof 
Nitter Tonne 
Der Berglönig . 
Agnes und dev Meermann . 
Dar Ned. . . 
Der Harfe Kraft 
Bon der Meerfrau 
Die Linde . 
Die Nachtigall . 
Der Rabe 
Aunenzauber 
Bom gefangnen Ritter 
Das Hirtenmädchen 
Roſilia 


Starkadr in der Bravallafhladt . 


679 


Es war ein König in Engelland— . 
Aage und Elfe. en 
Dying . . . een 
Hedebys Geipenft . .. . 
Herr Morten von weielans .. .. 
Ismals Lied... .. 
Heldenhochzeit .. 
Even im Rofenhain . . . . 
Schweſter Anna 
Kein Hilla . rn 
Klein Che > .. 
Sie jpielten Goldwürfel . rn 
Tyge Hermandjen . 
Herr Karl 
Königin Dagmar . . . a . . .. 
Marſchalk Stig und ſeine zäger rn 
2. Ortfagen . . . . a 
3. Mährchen ER 
(Biweite Hälfte. Vorbemerkungen) . . 

Zweiter Abſchnitt. Deutſche Sage . nn 
1. Ültefte Spuren der deutjchen Gbtterſage ren 
2. — .. on 

. Der größere Sagentreiß , die cpftifche detenage . 
I. Inhalt der Heldenfage im Umriß . .. Tr 
II. Erflärung der cylliſchen Heldenfage en 
1. Erflärung von gefhichtliher Seite. . . . .. 
2. Erklärung von mythiſcher Seite . .. 
1. Deutſchnordiſcher Mythenkreis 
a. Nibelungenſagge..... 20 
b. Hegelingenjage. . . 
2. Gothiſcher oder page — Ame- 
Iımgenjage . . 
3. Erflärung der cykiiſchen GeDenfage von ehe Seite 
B. Rigoric Heldenſagen 
l. Sagen der Heruler 
11. Sagen der Langobarden . 
III. Sagen der Thüringer 
IV. Karolingifhfräntiihe Sagen . 
V, Sagen aus der Zeit der ſächſiſchen und —9 Kalle 
Herzog Ernit . 
1. Otto I und jein Bruder Heinrich . 
2. Dito I und fein Sohn Aubolf . . 





680 


— — — — 


3. Otto II und fein Vetter Heinrich. 

4. Konrad II und Tin Stieſſehn ER 
Kubi . . . . . . 
Dtto mit dem Barte. » » > 22 0. 
Sage von Kaiſer Heinrih II. . . . . 

VI. Sagen aus der Zeit der Hohenftaufen . 
1. Sriedrih von Schwaben . . - : . 2.“ 


2. Der verlorne Kaiſer Friedrich . nd 


8. Heinrich der Löwe . 
4. Die Habsburger 
3. Spätere Bollsfage . 
1. Der Venusberg . 
2. Daß wüthende Heer . ı - 2 2 200. 
3. Die Schildbürger. (Die Schwabenftreiche) 
Zweiter Theil. Bur romaniſchen Sogengeſchichte 
Sranzöfiihe Sage. . . . 
l. her Sagenkreis 
1. Königin Berte . 
. Karla Augend . 
. Agolant . 
. Die Belagerung von Bine 
. Karls Pilgerfahrt . ren 
. Die vier Anmonsföhne . . . : .. 
. Fierabra . . - .. 
.Die Schlacht von Ronceval . 
11. Normanniſcher Sagentreis . 
1. Robert der Teufel . 
2. Richard Ohnefurcht . 
Anhang. Einleitung zur Vorleſung über norbifche Sagentunde 


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8, Otto II und fein Better Heinrich . 
4. Konrad II und ſein Stieſſehn ER 


Kuzbod . . . . . . 

Dtto mit dem Barte. . . .... 

Sage von Kaiſer Heinrich Im. en 
VI. Sagen aus der Beit der Hohenflaufen . 

1. Sriedrih von Schwaben. . . . . 


2. Der verlorne Kaifer Friedrich . 
8. Heinrich der Löwe . . 
4. Die Habsburger 
8. Spätere Bollsjage . 
l. Der Venusberg 
2. Daß wüthende Heer . ı - 2 2 200. 
8. Die Schildbürger. (Die Schmabenftreiche) 
Biveiter Theil. Zur romanifchen Segengeſchiqhte 
Ssranzöfiihe Sage. . . . . . 
I. Fränkiſcher Sagentreis 
1. Königin Berte . 
2. Karls Jugend . 
3. Agolant . 
4. Die Belagerung von Biane 
5. Karla Pilgerfahrt . 
6. Die vier Aymonsjöhne 
1. Fierabras . . ur 
8. Die Schlacht von Ronceval 
11. Rormannifher Sagentreis . 
1. Robert der Teufel . 
2. Richard Ohnefurcht 
Anhang. Einleitung zur Vorlefung über nordiſche Sagenlunde 


— — 2— — — um 


 -..-.. 


— — — —— — — ——— een 


MAR 12 1956