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Full text of "Südöstlicher Bildersaal"

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Biriflige Elderſaal. 


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Suͤdoͤſtlicher 


Bilderfaal 


Bueiter Dan. 


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Stuttgart 
1840 
Halldberger'fhe Berlagshandlung. 


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Griechische Seiden. 


Erfter Theil. 


— — — — 


Herausgegeben 


vom 


Verfaſſer der Briefe eines Verſtorbenen. 


v 
Ich hatte nichts und doch genug: 
Den Drang nach Wahrheit und die Luſt am Trug. 


Böthe. 


Bweite nachträgliche NMotiz. 


Berlin, den 15ten Oktober 1840. 


Ich bitte die Lefer dieſes Buches auch noch in einer andern Be— 
ziehung, als ber vor dem Vorwort und auf S. 33. des I. Bandes 
erwähnten, zu berüdfitigen, daß baffelbe vor vier Jahren ge- 
ſchrieben wurde, und überdieß das Manufeript feit länger als fechs 
Monaten fi im Beflg des entfernten Verlegers befindet, weßhalb 
(da ich keine Copie davon beßalten) Beränderungen in bemfelben nicht 
mehr thunlih waren. Mit ber rüdfichtsiofen Aufrichtigkeit, die ic 
fietö dem Publikum gegenüber für meine Pflicht, " und, ich wage es 
zu fagen, für mein Verdienſt gehalten Babe, geftehe ih nun, daß ich 
ohne die erwähnten Umflände mehrere Neußerungen in einer gewiſſen 
Richtung jetzt unterbrüdt haben würbe, nicht weil fie zu ihrer Zeit 
als unrecht von mir angefehen werben könnten, fonbern nur beßhalb, 
weil feittem durch eine eben fo intelligente als kräftige, großartige 
Berfönlichkeit ein Heilbringender Wechfel herbeigeführt worden ift, ber 
vorgehendes Mangelhafte fo gänzlih in den Hintergrund zurüdweist, 
daß auch die Stimmung jebes früheren Opponenten, wenn biefer wohl- 
meinender und ehrlicher Natur ift, fih nothwendig gänzlich dadurch 
verändern muß, denn nicht ber ift confequent, der, als unerfchütterlicher 
Pedant, auch von einer veränderten Sache immer die alte Anficht be- 
halt, fondern nur der, welcher in parteilofer rechtlicher Gefinnung nur 
immer feft dabei beharrt: was ihm unrecht und unklug dünkt zu 
tabeln, ja zu verfpotten, was er für edel und gut hält, mit Enthuftas- 
mus zu preifen und zu ehren. 

IH Habe in manden Dingen zu dem Erften zuweilen Urfache zu 
haben geglaubt, weit glüdlicher aber werde ich mich fihägen, in ber Zu- 
kunft den entgegengefegten Gefühlen Raum und Worte geben zu bürfen. 
Sapienti sat. 


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- ur 5, - 


Einleitung. 


Es if meine Pflicht, den Leſer zu benachrichtigen, 
daß, obgleich ich befennen muß, ihm früher einigemal 
mein eigenes Sch unter verfchiedenen fremden Namen 
vorgeftelt zu haben, diesmal bie Sache fih anders 
verhält. Ich foufflire zwar noch und führe den Faden 
wie bisher, aber ich bin Teineswegs der Held bes 
Stüdes ſelbſt. Diefen repräfentirt im Gegentbeil nur 
(mit wenigen Ausnahmen, die dem fcharffichtigen Leſer 
nicht entgehen werben) ber dermalige Hauptafteur der 
Marionettenbube, welcher ich ſchon feit geraumer Zeit 
vorzuftehben die Ehre habe, und beren Werth unb um- 
faffenden Bereich ich bejonders dadurch zu begründen 


fuchte, daß ich fie mit einem großen Gudfaften in 
Südoͤſtl. Bilderfual. II. | 1 


- 


nn — — — 


Verbindung ſetzte, deſſen mannigfache Bilder, wie ich 
trotz der mir angeborenen Beſcheidenheit keck behaupten | 
darf, ung ſchon häufig den gnädigen Beifall der an- 
fehnlichften Honoratioren in und außerhalb Deutfchland 
zu Wege gebracht haben. Dies ift aber lange noch 
nicht fo fchmeichelhaft ald das Aergerniß, welches an- 
dere höchſt reſpektable Leute an denſelben Darſtellungen 
genommen haben, indem fie meine armen anſpruchs⸗ 
loſen Holzfiguren für wirkliche, leibhaftige Menſchen, 
und meine gemalte Leinwand für wirkliches Land und 
Meer anſahen, in Folge deſſen aber an beſagte Manne- 
quins und bunte Dekorationen ganz im Ernfte bie 
wunderkichften Anfprüche ftellten, ja den Direktor in 
taufend Aengften fogar mehr als einmal perſönlich da⸗ 
für. in Anfprud nehmen wollten, 

"Da nun bies faft einige Aehnlichkest mit den Heren- 
prozeſſen des Mittelalterd bat, wo man auch den mit- 
telmäßigften Tafchenfpielern zwar die Ehre anthat, fie 
für Zauberer zu halten, biefelben aber zugleich, ges 
wiffermaßen als Sompenfation, darauf am langſamen 
Feuer röſtete — fo bitte ich ein hohes Publikum, mich 
gegen dergleichen Enormitäten fortan in feinen mäch— 
tigen Schuß zu nehmen, und ferner nicht mehr zu ge 
ftatten, daß .man von meinen Marionetten biejelben 
Wunder in Geift und Fleiſch erwarte, als z.B. von 








3 


— — — — — 


unſerm weltberühmten Berliner Nationaliheater, wenn 
es parlante Tableaus oder ein ernſthaftes Glanzrührei 
darſtellt, — noch Einzelnen zu erlauben, wenn durch 
Zufall einige meiner hölzernen Prinzen, Ritter, Pries 
fer, Bürger oder Bauern wahrhaften Menfchen aus 
biefen fünf Caſten ſehr ahnlich ericheinen follten, mid 
in meiner Unſchuld deßhalb zur Berantwortung zu 
ziehen. - 
Was nun endlich die Puppe betrifft, welche dieß⸗ 
mal die Hauptrolle fpielt, und tm Bergnügling, wie. 
in dem folgenden Buche, unter der Firma eines Herrn 
von Rofenberg gewöhnlich in ber erfien Perſon von 
ſich Spricht, fo if dieſelbe zuerft weit jünger an Jah⸗ 
ten, wenigfiend den äußern Aufchein (und oft auch 
dem immern) nad, ald meine eigene Wenigfeit, dann 
auch, wie ich kaum zu fagen braude, aus fehr ver- 
fhiedenem Material geformt, nämlich aus Holz, übri- 
gend von ganz eleganten Manieren, immer fehr an- 
Rändig, wenn gleich zuweilen etwas barof, gekleidet, 
und im Ganzen von einem paflablen Charakter, ob- 
wohl hie und da etwas zu Feichtfertig in ihren Aeuße⸗ 
rungen, und keineswegs fo tugendhaft, als es zu wün⸗ 
Shen wäre. Wir können diefe Bernadläßigung ihrer 
Moralitäten nur damit ſchwach entfchuldigen, daß ihr 
voriger Prinzipal, von dem ich fie für einen hohen 


4 


Preis erſtand — denn fie if, in Parenthefe gejagt, 
ein Achter Baucanfon, fpricht von ſelbſt, und denkt 
fogar zuweilen von felbfi, was höher geftellte Leute 
als ich, wenn ihre Untergebenen fich deſſen unterfangen, 
heutzutage gewiß mehr als je in Berlegenheit zu fegen 
berechtigt ift, ich aber fenne meine Leute — wir Fün- 
nen alfo, fagte ich, fie num“ damit entſchuldigen: daß 
ihr voriger Prinzipal fie, gleich allen ihren verwahr- 
losten Cameraden, zu fletem Umherwandern zwang, 
wo dann bie übeln Folgen allzugemifchter Geſellſchaft 
und gefährlichen Beiſpiels bei einem fo empfänglichen 
Gemüthe, als das ihrige ift, Faum ausbleiben konnten. 
‚Hierzu kommt noch, daß jener gewiſſenloſe Direktor 
den rechtgläubigen Religionsunterricht ber ihm anvers 
trauten Gentlemen und Ladies fat ganz verfäumte, 
fih ſelbſt am heiligen Sabbath nicht nur ftets betranf 
— was frommen Leuten vergönnt iſt — fondern auch 
(fo lange er noch nüchtern war) fich nicht ſcheute, auch 
an diefem Tage freventlich in feinem Beruf zu arbei- 
ten, als ſey der Sabbath nicht eigens dem Nichtsthun 
geweiht! ja fogar heidniſche Spiele an demjelben auf- 
zuführen, flatt feine Marionetten in bie Kirche zu 
ſchickken, wo man ihrer während feiner Regierung 
faum anders mehr gewahr ‚wurde, ald wenn fie ge- 


5 


miethet worden waren, um Pfaffen, Heuchler oder 
Hebetiſten darin vorzuftellen. ! 

Unter ſolchen ungünftigen Umftänden darf es ein 
geehrtes Publikum keines Falls mit dem Herren von 
Rofenberg zu genau nehmen, und muß es ihm im 
Gegentheil als ein Verdienſt anrechnen, daß er nicht 
noch weit fohlimmer geworden iſt. Ueberdieß befigt 
aber die Puppe auch, wie Alles, ſelbſt das Uebelſte 
in der Welt, ihre guten Seiten, und je liebenswur⸗ 
diger, je unterhaltender fie, troß ihrer großen Mängel, 
den fehönen Leferinnen dieſer Zeilen erfcheinen wird, 
je glädlicher wird fi ſchätzen 


ber Herausgeber des vorliegenden Buchs 
Wolf O'Guardthee, 
Holzinfpektor und Puppendireltor. 


x 


Kandia, in der lebten Woche des Rhamadan 1837. 


ı Hebetiften if ein aus dem Franzöſiſchen hergeleitetes 
Bort, und bedeutet ,, proteftantifche Selbfiläugner‘‘ vulgo 
Frömmler genannt. S. ven Bergnügl. erfter Theil. 


Aachſchrift. 


Ich hoffe, es wird Niemand ſo unchriſtlich ſeyn, 
an bie folgenden Rhapſodien dieſelben Anſprüche, wie 
an ein ſchulgerechtes Werk über Griechenland zu ma⸗ 
hen. Die Schule ift mir fremd, ich finge nur wie 
der Vogel auf dem Zweige fingt, ohne Kunſt noch 
Mühe; und frei im grünen. Hain des Lebens umher⸗ 
flatternd, bewundere ich ſtets beſcheiden und von fern 
ben weit gelehrteren Gimpel im goldenen Bauer, den 
das fleißige Stubium der Drehorgel fo viel fehönere 
Lieder gelehrt hat. | 





Erſtes Kapitel. 


Ankunft des Herrn von Roſenberg in Patras, und fein 
ungemein unge: Aufenthalt daſelbſt. 


Sie ſagen, daß ich lebe, 
„Sch aber glaub’ es nicht: 
„Sch bin geftorben wahrlich, 
„Begraben bin ich nicht.“ 


Un betannter. 


Das waren böfe Tage! In meiner Verzweiflung 
verfluchte ih, gleich Fauſt, des Lebens Schmerzens- 
kelch. Ya, rief ih aus, verwänfdt auf immer ſep 
dieſe hHöllifche, menfchenguäfende, unerträgliche Winter- 
fahrt von Malta nah Patras, verwünicht die erbar: 
mungslofe, wilbe verrätherifche „See, die und vier 
Tage und vier Nächte in raftlofer Leidensagonie um⸗ 
derwarf, verwünfcht das ſchmutzige, ſchaukelnde, un- 





regierbare Schiff Seiner englifhen Majeſtät, das 
bereit3 reformirte Gouvernements⸗Dampfboot P’Afris 
cain, deſſen allerlegte Reife wir Unglüdliche noch mit- 
zumachen verurtheilt wurben, verwünfcht vor Allem 
aber die heilloſe Neugierde und Thorheit, welche ung 
vom bequemen, vom gemüthlichen heimifchen Herde 
forttreibt, um in fremden Ländern inne zu werben — 
dag es am Ende dort überall u ſchlechter als im Vater⸗ 
lande ſey! 

Als ich einſt, noch in zartem Alter, mit meinem 
Bruder an ſchwerer Krankheit darnieder lag, und der 
Arzt, nachdem er den Letztern für gerettet erklärt, ung 


verließ, weil mir, wie er hinzufegte, Niemand mehr 
helfen könne — holte man einen im Ruf dunkler Kennt⸗ 


niffe ftehenden Schäfer, der durch geheimnißvoll zu- 
bereitete Tränfe mich wieberherfiellte, während mein 
geretteter Bruder in derfelben Nacht noch farb. Der 
Schäfer — wie ich dem Publifum ehrlich geftehen will, 
damit diefe wahrhafte Hiftorie nicht in den Verdacht 
gelegentlicher Fiktionen gerathe — war eigentlich ein 
wohlbeſtellter Rizentiat im Städtchen M....., meines 
Sreunded Leopold Schefers Bater, deffen höheren 
Kenntniffen ich auf diefe Weife mein Leben verbante. 
Und ed war allerdings ein fonderbarer Mann, diefer 
alte Aestulap! Den ganzen Tag in feinem Labora- 








torium verfchloffen, fland er im Rufe, den Stein der 
Weifen zu ſuchen. Seinem Sohne hinterließ er wenig⸗ 
ſtens den Karfunfel der Poefie, und mir — verſprach 
er eine ewige Jugend. | 

Am andern Morgen, als feine Mittel angeſchla⸗ 
gen, fagte er zu meinen Eltern, fie follten ſich meinets 
wegen Feine Sorge machen, ich hätte nur Eins zu 
fürdten, dies fey das Waſſer — weßhalb ich mich 
auch, beiläuftg gefagt, feltbem weit mehr an den Wein 
gehalten habe. Später prophbezeite mir die berüchtigte 
Lenormand, wie id) bereite bei einer andern Gelegen⸗ 
beit erzählt, ebenfalls: dag ich in einem rings yon 
Wafler umgebenen Orte (der folglich leicht ein Schiff 
feyn Tönnte) mein Ende finden würde. In der Thai 
war mir bis jet das Meer immer auffallend ungüns 
fig. Doch nie litt ich mehr darauf, als dießmal! 
Schon als wir und im Quarantainehafen zu Malta 
während der heftigften Bourrasfe einzufchiffen gezwun⸗ 
gen waren, fihlug das Boot mit meinen Effekten um. 
Koffer und Vaſchen tanzten eine ganze Zeit Yang auf 
den Wellen umher, überall drang das Seewaffer vers 
derblich ein, und nicht Alles warb von den helfenden 
Leuten wieber herausgefifcht. Mehrere werthuolle Ge⸗ 
genftände, Bieles, was mir theuer war und mande 
Dinge, die für meine Bequemlichkeit der empfindlichfte 


10 


Verluſt find, fanten in die Tiefe. Arhnliches Wetter 
und eine ſtets gleich hope Ser, bie uns ſelbſt mit ber 
Hälfe des Dampfes Taum zwei bis drei englifhe Mei⸗ 
len in der Stunde zu avaneiren geflatteten, dauerten 
umenterbrochen bis zur Infel Zante fort. Raum Tonnte 
"man fih in ben engen jämmerlichen Betten fefthalten, 
jede Nahrung widerfland dem fortwährenben Eckel, 
und Fein Augenblid Schlaf erquickte die ermastete Natur. 
Ale Paffagiere erklärten, daß ihnen felten fo andauernd 
fürmifhe Witterung, aber nie ein Schiff mit folchen 
monfiröfen Bewegungen, als das unfrige, vorgekom⸗ 
men fey. Denke Dir, Iteber Leſer ‚bag man Dich 
anf eine Schaufel fege, auf der zwei Rieſen Dich hun⸗ 
dert Stunden lang „mit Haft ohne Rafl”, wie Göthe 
fagt, auf und ab ſchleuderten, und urtheile dann, wie 
Du Dich befinden würdeſt. Selbft die Seeleute fonnten 
ſich oft nicht auf ihren Beinen erhalten, und als ich 
einmal verfuchen wollte, etwas Suppe zu mir zu neh⸗ 
men, verlor ber fie bringende Schiffsdiener dergeſtalt 
das Gleichgewicht, daß. er mit fammt der Schüffel in 
mein Bett flürzte und mit ihrem heißen Inhalt mir 
das halbe Geficht verbrühte. Was nicht feftgebunden 
war, fiel jeden Augenblid von den Tischen klirrend 
und zertrümmert nieder, und alle Effekten kollerten 
durch einander. In der Nacht firömte Häufig das 


11 


— — — — — 
7 


Waffer durch die obern Luken herein, beren man, um 
richt in der peftilenzialifchen Atmofphäre ganz zu er⸗ 
fielen, immer einige auflaffen mußte, und durdmäßte 
und dann 518 anf die Haut. Eines Tages warf eine 
Welle, die jähling über das Verdeck ſchlug, den dort 
Rebenden Capitain um, fihleuderte ihn mit dem Kopf 
an eine Ede, und wenig fehlte, fo hätte fie ihn ins 
Meer geipält. Wir fahen ihn während des Reſtes 
der Reife nur mit verbundenem Kopfe umberfchwanfen. 
Was halfen mir nun alle romantischen and Tlaf- 
ſiſchen Erinnerungen dieſer weltberühmten Gegend uns 
ferer Erde, die fonft das jugendliche Herz ſchon flärfer 
porhen machten, wenn man ihres Namens nur ers 
wähnte, Vergebens rief ich mir zurüd, daß unter 
uns im Meeresgrunbe der verliebte Alpheus zu Are- 
tzuſa's Grotten von Krpſtall von hier bis nad) Sieilien 
eile; daß nicht zu fern von uns im blauen Oſten ber 
holden Cypris Inſel auf den Dunfeln Fluthen throne, 
und der leukad'ſche Felſen vor und feine ſchroffe Wand 
erhebe, wo Sappho's Schmerz nur mit Dem Leben floh; 
daß ſchon Ulpffes Burg am Horizont des Nordens 
Dimmre, und und zur Rechten ſchneebedeckter Berge 
Gipfel die ſand'ge Pylos uͤberrage, wo einſt der weiſe 
Neſtor herrſchte — ſtatt alles deſſen, guter Gott! ſah 
ich nichts in der Wirklichkeit um mich her, als eine 


1% 


unreinliche ſtinkende Gafüte, mit jedem gräßlichen Ap⸗ 
pendir ber eckelhaften Seekrankheit verfehen, hörte nichts 
ald das Fammern meiner Teidensgefährten und das 
Heulen des Sturms und der Wellen! Wahrlich eine 
fo troftlofe Rage für einen Vergnügling, daß bier alle 
feine Lebensphiloſophie ihn im Stich Täßt, und er eine 
. belle Seite der Sache nicht mehr aufzufinden weiß. 
Dod nein, das fehlimmfte Uebel hat doch noch immer 
eine gute Seite — bie, daß es enden muß. 

Auch unfer Leiden endete, Doch noch nicht in Zante, 
diefer „Blume des Morgenlandes”, wie fie genannt 
wird, wo wir um Mitternacht ankamen, ung nur 
wenige Stunden aufhielten, und von welcher Inſel, 
dem Himmel dankend, eine kurze Zeit ohne Schaufeln 
mi dem Schlaf überlaflen zu Tönnen, ich nicht mehr 
kennen gelernt habe, ald wenn ich immer taufend Mei⸗ 
len weit von ihr entfernt geblieben wäre. Aber am 
Morgen des andern Tages Yandeten wir in Patras, 
und da fühlte ih, daß die Freude, die unmittelbar 
nad) dem Leiden kommt, doppelten Werth bat. Der 
ſonnenhelle, goldene Tag, der Lepanto's bergumkränz⸗ 
ten Golf beleuchtete, ſchien mir der ſchoͤnſte, den ich 
je geſehen, ſelbſt die europäifche Kälte unter Null, mit 
dem Anblid der weißen Dede des Gebirges, erfriichte 
mir Körper und Geifl. Hier trat mir wieder ber 


13 


heimiſche Norden entgegen , während bie wüßte Ebene, 
die halb aufgebaute Stadt, der Schmug und Unrath 
am Ufer, mit der bunten Tracht der Griechen und ihrem 
rothen maurifchen Bed, mir das Andenken ber uns 
laͤngſt verlaffenen Barbarei Iebhaft wieder zurüdriefen. 
Dank der Güte des Grafen von Lufi, unfers Gefand- 
ten in Athen, der den hiefigen preußifchen Eonful von 
meiner Ankunft avertirt hatte, fand ich bei diefem ein 
geräumiges Logis (von Bequemlichkeit und Lurus 
ift hier nicht mehr die Rede) für mich bereitet, bin- 
länglich meublirt für meine befcheidenen Anfprüde, 
nur leider, troß der bünnen Wände und vielen Fenfter, 
ohne Defen noch Kamin — aber ich weiß ſchon laͤngſt, 
dag man nur in den ſüdlichen Ländern zum Frieren 
verurtheilt ift. Auch der englifche Conful, Herr Crowe, 
an den ich Briefe von Malta mitbrachte, empfing mid) 
mit gaftfreundlicher Güte. Ich warb eben fo ange- 
nehm durch den mit der größten Herzlichkeit gepaarten 
feinen Weltton diefer Familie erfreut, der ich unaus⸗ 
gefegte Gefälligfeiten während meines Aufenthalts in 
Patras verdanke, als überrafcht Durch die Schönheit 
und ausgezeichnete Erziehung ihrer älteflen Tochter, 
Miß Nina. Der Eonful nahm mich fogleich für den 
‚ganzen Tag in Beichlag, und noch ermattet von dem 
Ueberftandenen, fonnte ich nichts Befleres wünſchen, 


14 





als mich in fo anmuthiger Geſellſchaft auszuruhen. Zum 
erfienmal hörte ich an dieſem Abend griechifehe Lieder 
fingen, melancholifche Melodieen, die mich fehr ans 
ſprachen, und welde Mit Nina einfach und mit Ge⸗ 
fühl vortrug. Ä 

Nachdem am andern Morgen das Häusliche, als 
Auspacden und Aufftellen meiner Sachen, Einrichtung 
meiner Heinen Junggefellenwirtbfchaft u. f.w. — denn 
‚ich gebenfe hier einige Wochen zu verweilen, um eine 
Schreibeftation zu machen, wozu der einfame Fleine 
Ort gut paßt — beendigt war, trieb mich bald bie 
Schauluſt in's Freie. Die größte Zierbe der Stadt 
find die weitläuftigen Ruinen des alten von Guillaume 
de Billeharbouin erbauten und von den Venetianern 
fehr erweiterten Schloffes, das im lebten Kriege noch 
abwechſelnd den Türken, wie den Griechen, zu einem 
feſten Punkte diente.! Es iſt höchſt wäahrſcheinlich auf 
den Ueberreſten der alten Akropolis errichtet, und man 
entdeckt noch mehrere Grundmauern antiken Bauwerks, 
ſo wie Fragmente von ſpäter eingemauerten Säulen⸗ 
a Einige Beamte hatten den barbarifchen Vorſchlag ger 
macht, das Schloß für 3000 Drachmen zu verkaufen, und ein 
hiefiger Friedensrichter bereits einen Theil deſſelben abreißen 
und fi von ven Materialien ein neues Haus bauen laflen. 


Glüdlicherweife genehmigte der Kriegsminifter diefe Schändung 
nicht und Ließ ihr augenblidlichen Einhalt thun. 


t 18 





früden und Simſen. Jetzt iſt nur nor ein großer 
vierediger Thurm in baulichem Stande, deſſen weiter 
Raum in der Tiefe mit einigen zwanzig Mördern und 
Räubern angefült war, auf die wir durch die oben 
angebrachten Gitter hinabblickten. Sie hatten weder 
Holz zum Feuern noch Stroh, Tagen auf nackten Stei- 
nen und begrüßten uns mit Flüchen und Berwün- 
ſchungen. Es find ſchwere Verbrecher, aber ein fo 
graufames Gefaͤngniß feheint mir doch kaum zu vers 
antworten. Hier, wie angeblich in ganz Moren ‚iR 
jegt die Ruhe fo ziemlich wieder hergeftellt, d. h. feine 
offene Rebellion mehr vorhanden, doc jenfeits des 
Golfs, in Rumelien und dem nördlichen Theil des 
Königreichs, find die faft ungangbar gewordenen Berg⸗ 
pfade durch Räuberhorden allerwärts fo unficher ges 
macht, daß Fein Reiſender fi) mehr dahin wagen darf, 
und das Militair fortwährend in der Verfolgung dieſer 
Banditen begriffen if. Doc die bisherigen Expedi⸗ 
tionen haben weder unter Gordon noch General Pija 
irgend eimen Erfolg gehabt, und die Banden find 
frecher als je. Kuͤrzlich noch warb der baterifche Haupt- 
mann Kraus, der fi ohne hinlänglihe Bedeckung 
binauswagte, fammt feiner DOrdonnanz von ihnen er- 
mordet. Es ift dies allerdings ein förmlicher Krieg, 
unb wird hier allgemein ber unvorfihtigen Maßregel 


16 


ber Regentſchaft zugefchrieben, auf einmal die 5000 
Mann Harken Nationaltruppen verabfihiedet zu haben, 
bie Capo d'Iſtria fehr weiſe vereinigt hatte, um fo 
ven gefährlichften Theil feiner Nation in ber Gewalt 
zu behalten und nach und nach discipliniren und uns 
ſchädlich machen zu Tönnen. Alle Unruhen und Re- 
volten, die feitdem flattfanden und dies ſchöne Tand 
jest paralpfiren, find faft allein jenen plöglich nah⸗ 
rungslos gewordenen Soldaten zuzufchreiben, welche 
laut erflären, daß fie ſich berechtigt fühlen, ein Gou⸗ 
vernement zu befriegen, das ihnen ohne Grund ihr 
Brod raubte. Durch die Revolution verwilbert und 
der Ergreifung frieblicher Gefchäfte. abgeneigt, find 
diefe Menſchen doppelt gefährlich, da fie. das Kriegs 
handwerk gut erlernt, und daher nicht mehr als ges 
wöhnliche Räuber, fondern ſyſtematiſch agiren, dabei 
aber oft eine unglaubliche Kühnheit zeigen, wie ic) 
fpäter noch fpezieller zu illuſtriren leider Gelegenheit 
finden werde. | 
Es ift überhaupt auffallend, wie wenig noch fett 
ber Vertreibung ber Türken’ die verſchiedenen Regie- 
rungen: für die Civiliſirung eines mit fo wenig Glück 
von den eurppäifchen Mächten ertemporirten Staates 
gethan haben, Als ich Capo P’Sftria kurz vor feiner 
Abreife nach Griechenland zum Iegtenmal ſah, fagte 


17 


er: „Erziehung und Straßen follen mein Hauptaugen- 
merf som Anbeginn feyn.” . Für die erfle war etwas 
gethan worden, doch das Meifte davon ift ſchon wie- 
der, wie ich höre, in Berfall gerathen; die Straßen, 
außer einigen kurzen Streden in der Nähe von Athen 
und Rauplia, blieben bis jegt ganz vernacdhläßigt, ob⸗ 
wohl Leichtigkeit und Frequenz der Communicationen 
vielleicht die wichtigften Gegenflände von allen find, 
ohne deren Berüdfichtigung das Land immer im halben 
Zuftande der Barbarei verbleiben muß, weder Handel 
und Berfehr. blühen, noch Sicherheit hergeftellt werben 
Tann. Erleichterte Communicationsmittel für die Kör- - 
per und Geifter find der Anfang und dag Ende aller 
Eultur. Die beften Materialien zur Herftellung guter 
Straßen find übrigens hier überall reichlich vorhan⸗ 
den, und wenn man die Summen bedenkt, welche fhon 
für Griechenland verwandt wurden, begreift man nicht, 
wie der immer vorgefhügte Mangel an Gelb ein 
reelles Hindernig hat feyn können. Sehr richtig be- 
merkte einer der biefigen Conſuln, ed würde für den 
Anfang hinlaͤnglich geweſen ſeyn, wenn man nur die 
von den Venetianern ſchon tracirten, jetzt aber großen⸗ 
theils verheerten Straßen gründlich in Stand geſetzt, 
fie in gewiſſen Diſtanzen mit Stationshäufern für 


Gensd’armes verfehen, und diefe zugleich zur dürftigen 
Sudoſti. Bilderſaal. IL 2 


18 


Aufnahme für Reifende eingerichtet hätte. Dies würde 
mit Erfolg nit nur ber Unfidherheit, fondern auch 
der im Winter oder nad ſtarken Negengüffen fo oft 
eintretenden momentanen gänzlichen Unterbrechung 
alfer Verbindung, bie zugleich häufige Unglüdsfälle 
berbeiführt, abgeholfen, fondern auch den Einwohnern 
wieder Luft und Muth zu Verfolgung verſchiedenartiger 
Unternehmungen gegeben haben — während jegt ein 
trauriger Zuftand der Refignation und bes Stockens 
alles Verkehrs flattfinde, und man überall die Straßen 
einfam, und längs denfelben fruchtbaren vortreflichen 
Boden wüſt liegen ſehe. 

Nachdem ich die höchſten Zinnen des Thurms 
erſtiegen, feste ich mich, in meinen Mantel gehällt, 
auf eine berfelben nieder und überfhaute bie Gegend. 
Ein bärtiger deutfcher Unteroffizier diente mir zum 
Führer, und es hatte etwas Sondberbares, den ehr⸗ 
lichen Baier in feinem groben Jargon mir hier ben 
Bergzug des Parnafius, dort Ithaka u, f.f. anzeigen 
zu hören, Die weite Ebene’unter mir, fonft das Para 
dies yon Patras genannt, die burchgängig mit Corinthen 
angebaut, jährlich 3000 Tonnen dieſer einträgfichen 
Beeren lieferte, wo, von hohen Platanen befchattet, 
die Landhäufer und Luftgärten der reichen Türfen und 
Griehen flanden, und auf der man über 100,000 


19 


Oliven⸗ und Fruchtbäume zählte — ift jest ein kaum 
abfehbarer, meift verfumpfter und wüfter Anger ohne 
einen einzigen Baum, auf dem nur Unkraut wuchert. 

Sn diefer Ebene befand fi auch die berühmte 
Eppreffe, welche eine Elle über der Erde 23 Fuß im 
Umfange maß und fi ohne Zweifel aus der älteften 
Zeit der Hellenen noch erhalten hatte, 

Hier hausten die türfifchen Schaaren und Tochten 
ihr Mahl am Feuer der ausgeriffenen Corinthenreben, 
yon benen jebt in der ganzen Umgegend von Patras 
kaum noch ſo viel übrig geblieben find, um 150 Tonnen 
Frucht im Jahr zu gewähren. Die ältere Stadt ſtand 
auf dem Hügel und am Abhange beffelben, faſt jedes 
Haus mit einem Drangengarten umgeben. Nichts iſt 
mehr dayon übrig, und leider ſchwanden mit ihr auch 
bie türfifchen Bäder. Man fieht, wie gut bier die 
bygiäifchen Borfcpriften ber muhamedaniſchen Neligion 
wirkten, denn ohne fie find Die Griechen fogleich wie- 
ber in ihre alte Unreinlichkeit zurüdgefunfen, und jest 
in der Stadt nirgends weder Waſſer- noch Dampf- 
bäber zu erlangen. Nur im Sommer fol ein ärm- 
liches Etabliffement diefer Art im Gange feyn. Das 
neue Patras wird nun in der Ebene unter dem vori- 
gen am Meeresufer aufgebaut. Man befolgt Dabei 
einen regelmäßigen Plan, und es verfpricht mit ber 


- 


.ı 


20 


Zeit ein heiteres Anfehen. Die meiften Häufer find im 
italieniſchen Geſchmack, größtentheils zwar, wegen ber 
häufigen Erberfchütterungen und wohl auch aus De: 
fonomie, nur fehr Teicht aus Holz und Lehm aufge: 
richtet, aber von außen wie Stein abgepugt, mit 
grünen Saloufien und freundlichen Balkons verziert, 
bie weit hbervorfpringenden Dächer flach, häufig durch 
Deſſeins bunter Ziegel gehoben, und Arkaden länge 
der Straße angelegt, wo die jest freilich noch ſehr 


ärmlichen Boutifen ihren Plab finden. Den Mangel 


an Kaminen und Defen bei einem Klima, wo ber 
Thermometer häufig unter Dem Gefrierpunft fleht, und 
das fehr von Falten Winden felbft im Sommer heim- 
gefucht wird, rügte ich bereits als nicht nur unbequem, 
fondern gewiß felbft der Gefundheit fehr nachtheilig. 
Faſt unglaublih ift es, welches ſchwache Holz hier 
zum Bau der Häufer verwandt wird. Meine Forfts 
leute in M..... würden ihren Augen nicht trauen, 
wenn fie fähen, daß man bier große Gebäude mit 
bünnerem Stangenholz errichtet, als fie mir für bie 
DBaumpfähle in meinem Parfe liefern! Diefe Bauten 
haben aber auch gar zu fehr den Charakter des Pro; 
viſoriſchen an fich, in paffender Analogie mit dem ganzen 
Königreih. Wahrlich, wenn es in andern Ländern 
abgerathen wird, mit bem Kopfe dur die Wand zu 


21 





rennen, in den Papphäufern von Patras würde ein 
jo gewagtes Unternehmen wenig Schwierigfeit finden! 
Die Reſidenzen der fremden Conſuln find zum Theil 
etwas comfortabler eingerichtet; fie zeichnen ſich alle 
dur eine Art hoher Vogelftange aus, welche bicht 
neben dem Haufe fteht, und auf der an Sonn» und 
Sefttagen die Flaggen ihrer refpeftiven Mächte aufge: 
pflanzt werben. 

Doch ich kehre zu meinem Spaziergange zurüd. 
Nach einigem Verweilen auf der Höhe wandte ich mid) 
den nahen Hügeln zu, die Tabl und zerriffen fich bie 
zum Voidia erftreden, der die Stadt ungefähr A bie 
5000 Fuß hoch überragt. Sc gelangte zuerft an eine 
Fontaine, mit einem antifen Lömwenfopfe geziert, an 
der eine junge Griechin mit Dick herabfallenden Haaren, 
den rotben Fed verwegen barauf geftülpt, eben Waſſer 
ſchöpfte. Daneben bat fi nod. eine Riefenplatane 
erhalten, die einzige, welche die Revolution überlebte, 
und nicht weit von ihrem Fuße ruhen vier Türfen- 
brüder, welche die Griechen hier erfchlugen, mit ein- 
ander in einem Grabe; vier fleinerne Turbane darauf 
erhalten das Andenken der That. Die erwähnte Pla- 
tane diente bei dem früheren mißlungenen Aufruhr der. 
Griechen den Türken als Galgen, um in förmlich ſym⸗ 
metrifche Gruppen fortirte unglüdliche Opfer, Männer, 


Weiber und Kinder zufammen daran aufzuhängen. 
Eine Biertelftunde weiter findet man zwiſchen tiefen 
Schluchten die Ruinen eines Aquädukts und noch an- 
berer einft dort flehender antiker Gebäude. Sie zeigen 
ſich beſonders an einer Stelle ſehr pittoresk, wo die 
vom Feuer geſchwärzten Bögen mit Feigenſträuchen 
und Epheu dicht überhangen ſind, und die alte Waſſer⸗ 
leitung auch noch jetzt hie und da zu einigen Lokal⸗ 
bewaͤſſerungen nahgelegener Felder benutzt wird. Gut 
ſtaffirt ward die Landſchaft durch eine Art großer 
Ziegen, die an den ſteilen Abhaͤngen umherkletterten, 
und ſtatt der bei unſern Ziegen gewöhnlichen Hörner 
ein gemundenes Geweih tragen, bas ihnen son weiten 
bas Anſehen von Dammhirſchen gibt. Eben fo glichen 
einige Rudel fchwarzer Schweine wilden Ebern voll- 
kommen, und id) hatte fpäter Gelegenheit zu der Be⸗ 
merfung, dag auch, ihr Fleifch im Geſchmack dem der 
legteren nahe kommt, zugleich aber bei weitem bag 
Defte in Patras ift, wo freilich nicht viel Wahl ſtatt 
findet. 

Srancis und Norma machten mir hier viel Roth, 
da beide ‚fehr gern jagen, nämlich was vor ihnen 
läuft, aber ſobald ihnen etwas Stand hält, alfogleid 
ſelbſt das Hafenpanier ergreifen. Sch mußte Iachen, 
als ich mich erinnerte, dag Norma mir als ein Beſchuͤtzer 


23 
in Gefahren mitgegeben worden ſey; dem Anſchein 
nach verſtanden beide Kläffer nur Unfug anzurichten, 
und manche wilde Verwünſchung ber Hirten tönte 
hinter mir drein, während ich meinen Meg in ber 
Richtung des Meeres fortfegte. Die Sonne fant, che 
ih eine Berghöhe, die ich mir als Ziel erforen, er- 
reichen fonnte, Doch erhielt ich eine hübſche Anſicht der 
ſich gegenüber liegenden Schlöffer von Rumelien und 
Morea, in beutfchen Geographien von einem witigen 
Schulmanne „die kleinen Dardanellen” genannt, welche 
den Eingang bes Golfs vertheidigen; etwas weiter hin 
erblidt man die Stadt Lepanto, bie, von einer hohen 
‚Mauer gleich einem Dreied umfchloffen, in zwei Abs 
fäten vom Berge nach dem Waſſer herabfteigt, und 
endiih an der Auferftien Rechten gewahrt man etwag 
vom Gebirgsfamm des Parnaſſus. Seine fehroffen 
Abhänge und eifigen Gipfel führten meiner Phantafie 
die Mufen jest in Pelz gewidelt vor, und den armen 
griechifchen Pegafus, wie er auf fchlechter Weide müh⸗ 
fam ein Kräutfein aus dem Schnee hervorſucht, der 
des Alterthums Herrlichkeiten bedeckt. In diefem Mo- 
ment fam einer der biefigen Papa's angefchritten, welche 
‚in Tracht und Ausfehen, wie durch ihren langen Bart, 
unfern alten Juden vollfommen gleichen. Ich Dachte 
. baran, wie außerordentlich nachtheilig die griechiſche 


24 ' 


Geiſtlichkeit während der Revolution, die fie durch 

ihren Fanatismus weit mörberifcher machte, hier ein- 

gewirkt, und wie fie noch bigotter als die Tatholifche, 

das Volk in Blindheit zu erhalten fuchtz wo mir augen 

blicklich beifiel, was Lord Byron ſang, als er den 
„Pegaſus hier beſtiegen hatte: 


— — — — — still the red cross is here. 
Thougb, sadly scoffed at by the circumecised, 
Forgets that pride to pampered priesthood dear; 
Churchman and votary alike despised. 

Foul superstition]| howsoever disguised, 

Idol, saint, virgin, prophet, erescent, cross, 
For whatsoever symbol thou art prized, 

Thou sacerdotal gain, but general loss! 

Who from true worship gold can separate thy dross? 


(Noch immer hält das rothe Kreuz firh feft, 
Wenn gleich verfpottet jämmerlich von den Befrhnittenen, 
Den Stolz vergeflend jetzt, der wohlgenährten SPriefter- 
| ſchaft fo theuer! 
Hier iſt der Geiſtliche, wie Laie, gleich verachtet. 
O fauler Aberglaube! fey wie du willſt vermummt, 
As Götze, Heiliger, als Jungfrau, Prophet, Halbmond 
oder Kreuz, 
In welch Symbol verftedt du auch gepriefen wirft — 
Du bift Gewinnft nur für den Pfaffen, ver Menfchheit 
fihmerzlicher Berluft! 
Wer kann vom Gold des Achten Gottespienft’s dein ſchnö⸗ 
\ des Mefling Löfen ?) 


D Byron! wie oft habe ich es tief bedauert, Dich 
nie gefehen zu haben — vielleicht iſt es jest gut für 





25 


mi, denn was bei Dir dem Alltagsmenſchen ange- 
hörte, und Jeder ohne Ausnahme ift auch Died, würde 
vielleicht dem Dichter Schaden, felbft bei mir, gebracht 
haben. Wie es nun ift, kenne ich nur den Unfterbs 
lichen. — Hätte ich indeß des Lords perſönliche Be⸗ 
kanntſchaft gemacht, nach Allem, was ich von ihm ge- 
hört, würbe ich ihn gewiß ganz fo behandelt haben, 
wie er es felbft für den Umgang mit Weibern vor: 
fhreibt; denn des Genius Natur ift immer halb weib⸗ 
lich, wie Göthe fingt: das ewig Weibliche führt 
bimmelan! 

Das Klima von Patras wird nicht für Das zu: 
träglichfte gehalten, denn das griechiſche Sieber graffirt 
mehrere Donate des Jahrs, und wer es einmal ge⸗ 
habt, befommt es Leicht zu jeder Zeit wieder. In dem 
Haufe, das ich bewohne, defien Lage befonders un⸗ 
gefund feyn foll, habe ich eine überzeugende Wirkung 
der aria cattiva fortwährend vor Augen; der Derr 
beffelben, jeine Frau, feine beiden Töchter, fein Sohn, 
das Dienftmäbchen und felbft der Hausfnecht Teiden 
abwechſelnd am Fieber, und ſchleichen blaß wie Geifter 
umber, wenn fie nicht im Bette Tiegen. Ich ſelbſt und 
Lorenzo enigingen ihm bis fett, doch empfinde ich fei- 
nen verſteckten Einfluß durch fortwährendes Unwohl- 
fepyn, aber mein Diener Selim ift völlig Frank, und 


— nn — — 


die ungewohnte Kälte mit allem hieſigen Ungemach, 
was er nicht ertragen kann, haben ihm obendrein das 
Heimweh gegeben. Er findet Griechenland zu bar. 
bariſch, wie er fagt, und da ihm noch dazu Dreimal 
geträumt, daß er hier flerben werde, hat er mir den 
Dienft aufgefündigt, mich inftändig bittend, ihn mit 
dem nächſten Schiffe ziehen zu Yaflen, das feinen Weg 
nur in ber Richtung Afrifa’s nehmen würde. Dies 
ift feine kleine Unannehmlichkeit für mich, doch kann 
ich ihn nicht halten; und ſelbſt geftehen muß id, dag 
bie Unbequemlichkeit, der Mangel und die Entbehruns 
gen, denen man bier ausgefest ift, alle meine eigenen 
Erwartungen übertreffen. Weber ſechs Grad Wärme 
Reaumur kann ich es in meinen Stuben nicht bringen, 
ein harter Umftand für Jemand, der noch vor wenig 
Monaten 30 mehr im Schatten, ald entgegengefestes 
Extrem, ertragen mußte, und das einzige Fünftliche 
Erwärmungsmittel — in die Stube geftellte Koblen- 
becken — verurfachen dem nicht daran Gemöhnten häuflg 
Kopfſchmerz und Lebelfeit, auch muß man fehr vor- 
fichtig damit ſeyn. Es fehlte wenig, daß ich vor eint- 
gen Tagen das Loos der armen Gräfin Salisbury 
gehabt hätte, von dem ich Cder bie gute alte Dame fo 
fehr verehrte) mit wahren Schmerz in den Testen 
Zeitungen lad, in fonderbarer Zufall verhinderte 


27 


— nn — —— 


mein gleich uübles Ende. Ich ſaß mit meinem Sekre⸗ 
tair beim Frühſtück, und wegen der ſchneidenden Kälte 
batten wir unter den Tifch, den ein bis auf die Erde 
hängender Teppich bededte, ein Kohlenfeuer geftellt. 
Ich zog an meiner Seite, in zwei Tange Schlafröde 
gehüllt, den Teppich über meine Kniee und freute mich 
ber behaglichen Wärme, als plöslich Norma, die auf 
bem Sopha neben mir Tag, auf den Tiſch fprang und 
meine Theetaffe umwarf. Halb begoffen und verbrüht, 
fuhr id von meinem Sig jähling in die Höhe, wo 
Lorenzo zuerft bemerkte, dag meine beiden Gewänber 
unten ſchon Tichterloh brannten, fa bereits ein ganzer 
Theil davon vom Feuer verzehrt war. Wir hatten 
Mühe, mit den Sophafiffen und mehreren Servietten 
bie Flamme zu erftiden, und es ift fein Zweifel, daß 
die Ungeſchicklichkeit des Thieres mir zum größten Heile 
ausfchlug. Seitdem nehmen wir ung beffer in Acht. 
Hinfihtlich der Haushaltungsgegenflände iſt man 
noch fchlimmer daran als mit der Wohnung, und ohne 
die Butherzigfeit tes engliſchen Conſuls und feiner 
Geinahlin, die mich mit Allem verfehen, was fie von 
weit her kommen Tießen, fo wie auch anderer Confular- 
freunde Hülfe, die Jagdliebhaber find und mich zu: 
weilen mit Wildpret verforgen, wüßte ich nicht, was 
ich hätte beginnen follen. Wovon die hiefigen Griechen 


28 


leben, ift mir fat unerflärfich, denn meiftens find we⸗ 
der Fleiſch noch Fifche zu haben, Del und Butter find 
von fehauderbafter Qualität und das Schlachten eines 
Schweines ift eine Seltenheit. Kinen regelmäßigen 
Gafthof gibt es gar nicht, und die Koft, die man fig 
auf diefe Weife allenfalls verfchaffen könnte, ift voll- 
ftändig ungeniegbar. Einmal wollte Selim, ber bisher 
bie Küche beforgte, eine Gans faufen, und nachdem 
er den ganzen Tag befhalb vergebens umher gelaufen 
war, wies man ihn zulegt zu einem bier lebenden 
Grafen von den jonifchen Infeln, wo allein Hoffnung 
jep, ein folches Thier zu erlangen. Diefer war aber 
übler Laune und erklärte, er babe felbft Gelb und 
brauche das unfrige nicht, er wolle daher auch feine 
Gänfe für fich felbft behalten; nur mit vieler Mühe 
warb endlich fein harter Sinn erweicdht, und für ben 
Preis von acht Drachmen (fieben Franken) — denn 
man glaube nicht, dag man mohlfeil hier Iebe — ein 
Eremplar aus feinem Hofe abgelaflen, das jedoch kaum 
bie Größe einer Maltefer Ente hatte, und leider auf 
die fhöne Qualität: gemäftet zu feyn, nicht den min- 
beften Anſpruch machen durfte, Defterd gab es Fein 
anderes Mittel, fih einen Braten zu verfhaffen, als 
meinen Sefretair Sperlinge ſchießen zu laffen, ober 
wenigſtens eine Art Feiner Vögel, bie ihnen vollkommen 


gleihen. Nur fo viel hier über das Gapitel ber „Nah⸗ 
rungsforgen.” 
Berfchiedene der Behörden hatten mich befucht, und 
id begann meine Gegenpvifiten bei dem Direktor Alexo- 
polo, der zweiten Perfon nad) dem Nomarchen, und 
deffen Stellvertreter, wenn er abwefend iſt; ein gebil- 
deter Grieche, der in Europa Arznei ftudirt hat, und 
italienisch wie frangöfifch geläufig fpricht. Der Nomarch 
war verreidt, um in den ihm untergebenen Provinzen, 
Eli und Achaja, die fo eben befretirten Mairien ein- 
zurichten, die ohne Zweifel von großem Nutzen ſeyn 
werben. Die Gemeinden wählen felbft ihren Maire, 
und die Mehrheit der Stimmen enticheidet, was in 
der Ordnung iſt; Doc) bezweifle ich, daß man gut daran 
gethan bat, Jedem ohne Ausnahme, der in der Ge- 
meinde lebt, eine Wahlftimme zu verleihen. Die Mehr- 
beit ift Dazu noch zu roh und unwiffend. 
Griechenland ift befänntlich dermalen in zehn No- 
mos eingetheilt, deren jedem ein Nomarch als Präfekt 
vorfteht, mit einem Direltor ald Rathgeber, ober wie 
fih Herr Meropolo ausdrückte, als concilianter Bes 
börde, zur Seite; ein Poften, von dem er felbft fagte, 
daß fein Inhaber fi nad der Sndividualität der 
Perfon entweder ald faiseur, oder auch als bloßer 
. Figurant geftalten Tönne. Es ift eigen, daß der hiefige 


R 


Nomarch ebenfalls in Deutfchland Arznei ſtudirt hat, 
folglich beide Dirigenten den Staatöfrankheiten gewiß 
bie beften Recepte werden verfähreiben Eönnen. Jede 
einzelne provinzielle Abtheilung wirb außer dem Nom- 
archen noch fpeziel von einem Sous-Präfekten (Eparch) 
adminiftrirt, und jeder einzelne Ort erhält von nun 
an, wie gefagt, auch einen Maire (Dimarch). Alle 
diefe Behörden ſtehen unmittelbar unter dem Nomar- 
hen und können nur durch feinen Canal fih an die 
höheren Staatsbehörden wenden. Es verbient Aner⸗ 
fennung, daß man die leidige Eollegial- Berfaffung, 
an ber wir noch laboriren, und die dem Weſen aller 
Adminiftration ganz zumiber, nur für bie Juſtiz 
paßt, weislich hier vermieden hat.! Die Juſtiz ſelbſt 
ift, wie e8 die neuere Civiliſation verlangt, von der 
Adminiftration und Polizei gänzlich getrennt. Für den 
Civilprozeß erifiren nur zwei Inſtanzen, von denen 
in febem der zehn Nomos Griechenlands ein Tribunal 
erſter Inſtanz eriftirt, für den Archipel aber in Syra. 
Das zweite Appellationstribunal für Morea ift in 
Tripoligza, für den übrigen Kontinent und den Ar- 
chipel in Athen, wo aud der Kaffationshof (der Areo⸗ 
pag) ſich befindet. Eine höchſt feltiame Einrichtung 


ı Wir werden fpäter feben, daß in ber legten Zeit diefe 
Einrichtungen zum Zheil wieder umgeworfen worden find. 








81 





— — · 


aber iſt folgende. Wer von der erſten zur zweiten 
Inſtanz appelliven will, muß eine gewifle Summe 
beponiren. Gewinnt er feinen Prozeß, fo erhält er 
dieſes Geld zurück; verliert er ihn aber, fo bleibt Die 
niedergelegte Summe ebenfalls verloren, ohne daß fie 
‘von den übrigen Gerichtsfoften abgezogen würde. Das 
Berfahren ift öffentlich mit einer Jury in Criminal: 
fachen bei jebem ber beiden Appellationsgerichte. Stim⸗ 
menmehrheit entfcheidet wie in Frankreich. 

Herr Ingate, ein englifher Kaufmann und Conſul 
für Holland, der, ohne daß ich irgend ein Empfeh- 
Iungsfchreiben an ihn mitbrachte, mir demungeachtet 
mit der größten Zuvorkommenheit und Artigfeit emt- 
gegenfam, hatte biefen Morgen eine Jagb für mid 
arrangirt. Gute rumelifhe Dferbe, ein Dugend Hunde 
aller Racen und faſt eben fo viel Griechen in ihrer 
originellen Yandestracht, mit der rothen Müge und 
weißen Fuſtanella, bie einem kurzen weiblichen Unter⸗ 
rock gleicht, verfammelten fi) um 10 Uhr vor meinem 
Haufe. Ein Falter, aber klarer Tag begünftigte und, 
| doch beichränkte fich Die ganze Jagdbeute nur auf einige 
Hafen und ein paar Waldfchnepfen, da die Beichaffen- 
beit der jegt mit Geftrüpp, Unfraut und Dornen hoch 
bewachfenen Ebene, wie ber häufige moraflige Boben, 
theils die Windhunde hinderten, theils bas Heraus⸗ 


32 


treiben des Wildes zu fehr erſchwerten. Ich zog daher 
bald vor, Die Jäger zu verlaffen und mit Herrn Ingate 
einen Spagierritt am Seeufer entlang zu unternehmen, 
ber und nad) zwei Stunden, während denen wir 5—6 
reißende Bergftröme durchwaten mußten, an den Fuß 
der Hügelfette brachte, welche die Ebene nach Gaftuni 
bin fchließt. Hier lodte mich der Höhefinn hinauf, 
obgleich der Weg oder vielmehr der Wegmangel ſchwierig 
zu überwinden war. Doc belohnte der Erfolg mid 
über alle Erwartung, da, auf dem höchſten Punft 
angelangt, fih uns eine ber originellften Ausfichten 
barbot, die felbft Herrn Ingate, den Einheimifchen, 
böchlich überrafchte, welcher wohl bundertmal dieſe 
Straße gezogen war, ohne den Einfall gehabt zu ha⸗ 
ben, eine ähnliche Recognoscirung vorzunehmen. 
| Die erwähnte Hügelfette, in deren Mittelpunft 
wir jegt unter bem Schuß einer uralten Eiche flanden, 
bildet einen regelmäßigen Halbmond, nach dem Meere 
zu eröffnet, deffen beide Enden ein fruchtbared, ganz 
eben planirtes Thal einſchließen, auf dem ſich noch 
mehrere Olivenbäume erhalten haben, und das zwei 
tiefe Seebuchten in höchſt graziöfen Linien abgrenzen. 
Bor diefem Halbkreis breitet fih nun auf dem Meere 
felbft, in unendlich größerer Ausdehnung, ein enfgegens 
gefester Bogen malerifh vor einander gefchobener und 





33 


dadurch fcheinbar zufammenhängender Berginfeln aus, 
fo daß der weite Wafferfpiegel, den er einfchließt, 
bier nur als ein ungebeurer Landſee erfcheint, deſſen 
romantifhe Ufer in allen Schattirungen des verſchie⸗ 
benften Blaues fpielen. Linke beginnt der ſtets abs 
wechfelnde Kranz, aus dem Gebirge herabfteigend, mit 
ber von einem hohen Eichenwalde bedeckten Landzunge 
Morea's, die beim Kap Papas, dem alten Ararug, 
ind Meer ausläuft. Hinter ihr fohintmert in Dämmern- 
der Ferne, wie eine lichte Wolfe, die Inſel Zante. 
Unmittelbar an Kap Papas fchließt ſich Cephalonien 
an, beffen jetzt ganz mit Schnee bedeckter Bergkoloß 
hoch über alle andere Spigen bervorragte. Ithaka 
fiheint, von biefem Standpunft aus gefehen, nur die 
Fortfegung berfelben Kette zu ſeyn, und in tief dunk⸗ 
ler Farbe tauchen neben ihr die zwei fchroffen Felſen 
Dria und Scrophes aus den an ihrem Fuß immer 
fhäumenden Meereswogen empor. Hinter ihnen ſetzt 
Sana Maura bie Reihe fort, mit den Fleineren ein⸗ 
zeln vor ihm gelagerten Selfeninfeln, zwiſchen denen 
einſt die Weltfchlacht von Lepanto flattfand, heute viels 
leicht am berühmteften dadurch, daß Cervantes in ihr 
feine linke Hand verlor. Bon hier wendet ſich über 
Miffolunghi’s kaum zu erfennende Häufer und fein 


kahles Marfchland hin der Bogen nad dem mehr 
Süböftl. Bilderſaal. IL 3 


34 


abgerundeten Gebirge und den kühn hervortretenden 
ſchwarzen Bergfegeln Rumeliens, bis die wellenför- 
mige Fortfegung fi endlich am landeinwärts drin⸗ 
genden Golf son Lepants, unter den jähen Schnee⸗ 
abhängen des Parnaffus, verliert. .Zwifchen dieſem und 
dem Gipfel, anf dem wir ung befanden, umfaßten 
‚ wir außerdem, rechts von und über bem niebrigen 
Hügelbogen bin, mit einem Blick die ganze Ebene von 
Patras, die amphitheatralifch gebaute Stadt an ihrem 
Ende, impofant von dem alten Schloffe gekrönt, das 
bier mitten im Schnee des mächtigen Vohidia's zu 
ſtehen ſchien. Auf der Norbfeite zog ſich eine tiefe 
Schlucht, mit mannigfaltigem Immergrün und Ge 
ſträuch geſchmückt, durch die fleilen Abhänge, und 
hinter derſelben thürmte ſich in drohender Näbe ber 
höchſte und wildeſte Theil des Gebirges, ber alte 
Mond Dlonos, in einer langen. blendend weißen Felfen- 
mauer auf, deren feltfame Ausfchnitte und fehauerliche 
Abgründe den glorreichften Kontraft mit der hohen 
Majeftät und Ruhe der unermeßlichen Seeanſicht vor 
uns bildeten. 

Es fchien, dag. man und ben Genuß biefer herr⸗ 
lihen Scene, deren romantifhes Lokal Monodendron 
genannt wird, nicht unangefochten geftatten wollte; denn 
wir ſahen und plötzlich von mehreren der gefürchteten 





85 





und wirklich fehr furchtbaren griechifchen Hirtenhunde 
angefallen, die Hyänen gleichen und jegt mit heiferem 
Gebell ihre Zähne gegen ung fletfchten, weil wir uns 
angemeldet in ihr wüftes Heiligthum gedrungen. Sie 
machten und beſonders wegen eines mit uns gelaufes 
nen Sjagbhundes beforgt, Doch glüdlicherweife war ihr 
Gebieter in der Nähe, deſſen ärmliche Hütte nicht 
weit davon fand, und den Herr Ingate fogleich, ibn 
mit dem fchmeichelhafteften Dulosas (servo suo) bes 
grügend, um Hülfe anrief. Diefe Hirten, in Zelle 
gehüllt, fehen faft eben fo wild aus, als ihre Hunde, 
unb beibe vertheidigen fich gegenfeitig, worüber man 
uns in Patras ſchon mehrere Gefchichten erzählt hatte. 
Sehr übel erging es befonders dem franzöfifchen In⸗ 
genienr-Oberfien Barthelemp, der beim Bermeffen des 
Landes von einem folchen Hunde angefallen, dieſen 
erfhoß, worauf von allen Seiten bie Hirten berbei- 
ſprangen und ihn faſt todtſchlugen. Damit aber noch 
nicht zufrieden, kamen fie in Prozeffion nach der Stabt, 
um Gerechtigkeit für den Mord ihres treuen Gefährten 
zu fordern, und es war nabe daran, daß ein Aufſtand 
fämmtlicher Landleute Die Affaire beichloffen hätte, Der 
hiefige baieriſche Militairarzt, Herr Hannig, ein ſehr 
einnehmenber und gebilbeter junger Dann, hatte eine 
ähnliche Avantüre, Bon zwei wütbenden Hunden atias 


Tirt, ſtreckte er mit ſeiner Doppelflinte beide in den 
Sand, verſäumte aber wohlweislich nicht, auch beide 
Läufe ſogleich wieder zu laden. Dies reitete ihn ohne 
Zweifel aus bedeutender Gefahr, denn wenig Sekun⸗ 
den darauf erfihien der Herr der Hunde, ein alter 
Mann, welcher, als er feine Lieblinge in ihrem Blute 
liegen ſah, ſich verzweiflungsnoll den weißen Bart 
raufte und, wie Herr Hannitz verficherte, die Hand 
ganz malerifch gegen- die Wolfen hebend, als wolle 
er des Himmeld Rache damit berbeirufen, in ein 
fhmerzlihes Geheul ausbrach. Augenblicklich lockte 
dieß Jammergeſchrei 5—6 junge Leute herbei, wahr⸗ 
fcheinfich feine Söhne, die ſchon von fern den Frem⸗ 
ben mit einem Steinregen begrüßten. Diefer, der 
Landesiprahe mädhtig, rief ihnen, feine gejpannte 
Flinte zugleich anlegend, zu, daß der Erfte, der fi 
ihm nahe, das 8008 der Hunde theilen würde. Nun 
fing das Parlamentiren auf Diftanz an, denn die 
Griechen find eben fo fertige Schwäter als die Ara- 
ber. Der Doctor entichuldigte, immer dabei langſam 
retirirend und der Haufe ihm folgend, feine That mit 
ber Nothwehr, erbot fih por dem Nomarchen zu jedem 
 Schadenerfag, und fo, abwechſelnd beſchwichtigend, 
abwechſelnd drohend, erreichte er endlich glüdlich einen 
Militairpoften, worauf fih die Verfolger nicht weiter 





37 


wagten. Ihre fpätere Klage warb natürlich abge⸗ 
wieſen. 

Wir machten dießmal Alles in Güte ab und ſchick⸗ 
ten uns nun an, auf der andern Seite des Hügels nach 
Patras hinabzuſteigen, welches aber noch mehr Mühe 
machte, als früher das Heraufreiten, und ung viele 
Zeit wegnahm; denn ber legte Platzregen hatte das 
weiche Erbreich überall tief zerfurcht und aufgeriflen. 
„Is there a passage?“ frug Herr Ingate hinter mir, 
als wir an einen fleilen und fehlüpfrigen Abhang ka⸗ 
men. „Some thing very like it,“ erwieberte ich, 
und rutfchte, wie ich es in Afrika gelernt, mit meinem 
Pferde zehn Fuß tief auf dem Hintertheile hinab. Ein 
Ummeg brachte meinen Begleiter, dem diefe Art des 
Fortkommens nicht einleuchten wollte, fpäter ebenfalls 
wieder zu mir, und einmal bas Thal gewonnen, fonn- 
ten wir dann auf dem Meerfande unfern Weg bald 
ſchneller fortfegen, um noch mit einbrechender Nacht 
bie Stadt wieder zu erreichen. Dort aber war ber 
Spivefterabend zu feiern, den ich in fehr angenehmer 
Geſellſchaft zubrachte, big die Stunde des neuen Jahres 
ſchlug, wo ich mit Lorenzo die deutſche Sitte des Küſ⸗ 
ſens ber Damen einführte. Per aspera ad astra! 
benn ehe wir zur Schönften gelangten, mußten wir 
verſchiedene fich gefährlich ſträubende Alte bezwingen. 


38 


Heute, am erfien Januar 1836, wimmelten alle 
Straßen von glänzenden baierifchen Uniformen auf 
griechifchen Autoritäten, die fi) gegenfeitig ein glück⸗ 
Yiches Jahr wünfchten, Kleider und Leute, könnte man 
fagen, weil hier die erfieren, buchſtäblicher als fonft, 
bie Testeren machen. Abends aber fah ich auf einem 
Heinen Ball des engliſchen Conſuls auch mehrere junge 
Griechen in ihrer eben fo prädtigen als gefchmad- 
sollen Nationaltradht. Zwei davon waren ungemein 
hübſche Männer, mit Gefichtern voller Ausbrud und 
ganz im antiken Styl, bejonders der Eine, Antonio 
Kalamogdart, ber ſich gleich fehr durch Bildung ale 
edeln Anftand auszeichnete. Die griechiſchen Damen 
hatten ſämmtlich franzöfiihe Toiletten angenommen, 
und von ihrem ehemaligen Coftäme nur die langen 
Haare und den totben Fes beibehaften. Auch unter 
ihnen gab es reizende Gefichter mit funkelnden bun- 
fein Augen, und bie Lebhaftigfeit ihres Mienenfpiels, 
das Feuer ihrer Unterhaltung, das Schmachtende ihrer 
Blicke, wo ein innigeres Verhältniß ftattfinden mochte, 
war für mich, den überall zirfulirenden Beobachter, 
ein höchſt reizendes Schaufpiel. Der deutſche Walzer 
und bie franzöfiſche Contredanſe fanden ihnen jedoch 
eben ſo wenig gut an, als fie zu der impofanten 
Tracht der Männer paffen wollten. Es ift auffallend, 





wie fchnell beide Gefchlechter fich Die fFrangöftfche Sprache 
mit dem richtigften Accent angeeignet haben; italie- 
niſch ſprechen überbem die meiften und einige auch ſchon 
deutfch, wahrfcheintich folche, denen baierifche Offiziere 
die Cour gemacht haben. 

Obgleich die Kälte immer empfindlicher wird, und 
das zugleich trübe Wetter die Bergfpigen mit Wolfen 
umlagert, fege ich doch meine täglihen Promenaden 
noch nicht aus. Das Ziel der heutigen war eine alte 
Kirhenruine am Meeresftrand, mit einer chriftlichen 
und heidniſchen Antiquität, die erfte tragifcher, Die 
zweite beiterer Natur. Denn auf biefem Mage fol 
der heilige Andreas — jebt fo groß geworben, durch 
das von ihm mit feltenem Erfolg protegirte Rußland — 
die Märtprerfrone ber Sereuzigung errungen haben, 
und dicht Daneben befindet fich eine uralte Duelle, der 
Geres gewidmet, bie einft in ber Mitte eines heiligen 
Haines Tag. Diefer überwölbte Brunnen mit der noch 
dazu binabführenden Treppe ift, feiner ganzen Tage 
und Umgebung nad), wahrfcheinlich derfelbe, von dem 
Paufanias erzählt, daß er als ein Orakel diente, um 
den Ausgang ber Krankheiten anzuzeigen. Ein Spie- 
gel ward fo aufgeftellt, dag ein Theil deffelben mit 
bem Wafjer ber Duelle in Berührung fam; bann ver- 
brannte man einigen Weihrauch, Gebete wurden an 


40 


Geres gerichtet und hierauf gewifle Zeichen an ber 
Spiegelflähe beobachtet, weldhe dem Kranken Gene⸗ 
fung oder Tod verkündeten. Jetzt dient bie Quelle 
einem neuen Aberglauben, wie billig. — Das Waſſer 
wird nicht mehr durch Geres, fondern an ihrer Statt 
durch Andreas geheiligt, und an feinem Fefte trinken 
alle gute Chriften in Patras eifrig von dieſer Panacee. 
Ich thue es alle Tage, dba das Waſſer ganz vortrefflich 
ift, fo daß Fein anderes auf meinen Tiſch fommt, und 
wenn der Heilige wirklich darin fißt, muß ich ihn 
wenigſtens fchon zur Hälfte in succum et sanguinem 
in meinem Leibe verkehrt haben. Die Stadt befaß 
früher auch das Haupt des Märtyrers; ald aber der 
griechifche Deipot Thomas im fünfzehnien Jahrhundert 
nach Stalien flühten mußte, nahm er es mit, um fi 
durch dieſes Toftbare Geſchenk beim Pabfte einzufchmei- 
hen, und fo verlor Griechenland den unerfegbarften 
feiner Schäße. 

Patras ift im Lauf der Jahrhunderte mehrfach 
bergauf und bergab gewanbert. Zuerft fland es in 
ber Plaine, unter Auguflus erflieg e8 Die Höhe, unter 
den Türfen placirte es ſich etwas tiefer, und jegt ift 
ed wieder in der Plaine angefommen, ziemlich auf 
dem erften led, nur freilich in traurigem Contrafte 
mit feinem frühern Glanz. Sonderbares Schidfal! 





4 


fonderbarer ewiger Wechfel der irbifchen Dinge, deren 
endlichen Zwed wir arme Sterblichen freilich nicht ein⸗ 
zufehen vermögen! | 
Bon all den prächtigen Dingen, bie Paufanias 
befhreibt, haben die allerdings nur fehr oberflächlich 
bier zu Zeiten gemachten Nachgrabungen noch wenig 
zu Tage gefördert. Neuerlich fand man einen großen 
wohlerhaltenen Stein Sarfophag, der jet vor dem 
Gouvernementshaufe aufgeftellt iſt, und einige koloſſale 
Köpfe, unter welchen ſich der eines Achilles von ziem⸗ 
lich guter Arheit befindet.! Man beabfichtigt mit diefen 
Dingen den Anfang eines vaterländifhen Mufeums 
zu begründen, das wahrfcheinlich, wie fo manches hier, 
lange nur ein frommer Wunfch bleiben wird. Patras 
war in der alten Zeit fehr reich an ausgezeichneten 
Statuen achrofitifcher und chryfelophantinifcher Art — 
eine zwedmäßige Benennung Leake's für biefenigen 
Drappirten Statuen der Griehen, wo bei ben erften 
ı Die Infehrift auf dem Sarkophag ift folgende: 
ZEPBIAIO2. DIAEPO2. KATEZKEYAZAN. 


AYTN.KAL TH. ZYMBIN. MON. BOYAOYMNIA. 
SY/N.. OYZH. 
(owoıxovon) 
In der Ueberſetzung würde fie ungefähr fo Tauten: 
„Serviltus Phileros hat dies für fi und feine Frau 
Boulsumnia beflimmt, die lebend auch zufammen wohnten.“ 
Alfo ohne Zweifel ein zufrienenes Ehepaar. 


4% 


die nadten Theile aus Marmor, die Drapperie ober 
andere Attribute aber aus gemaltem und vergoldetem 
Holz beftanden; bei den zweiten hingegen das Fleifch 
aus Elfenbein, das Lebrige aus Gold und buntem 
Email, auch oft mit Ebelfteinen verziert, gebildet war, 
wie 3.2. der berühmte Jupiter des Phidias. Ich 
habe es immer bebauert, dag unſere Bildhauer dieſe 
Art der Darftellung ganz verlafien haben, fo wie bie 
Architekten größtentheils aud die bunte Ausſchmückung 
der Gebäude, in der lange gehegten irrigen Meinung, 
daß dieß gegen den guten Geſchmack verſtoße. Welche 
neue Welt möchte ung überhaupt aufgehen, wenn 
wir nur einen Tag lang einmal die Pracht ber alten 
Welt mit Teiblichen Augen fehauen könnten! Vielleicht 
bünfte ung bie Entbehrung nachher zu groß! — Das 
erſte griechifche Patras war auch wegen feiner Manu- 
falturen baumwollener Waaren berühmt. Alle in biefen 
Fabriken befchäftigten Perfonen waren Weiber, daher 
die Zahl derfelben in der Stadt die der Männer faft 
um das Doppelte überftieg, ein Umſtand, ber, nad) 
Pauſanias ungalanter Bemerkung, die Sitten des Orts 
fehr Teichtfertig machte. Auch dieß hat ſich geändert, - 
da jest die Damen von Patras eben fo berühmt durch 
ihre Tugend find, als bie aller übrigen Städte 
Griechenlands. Ohne Zweifel die fegendreiche Ein- 


43 


wirfung des heiligen Andreas und feines Feufchen 
Waſſers! 

Mitten unter den noch vorhandenen Ueberreſten 
der zerſtoͤrten Kirche dieſes Märtyrers, über welche 
man zum einſtweiligen Gottesdienſt jetzt einen Bretter⸗ 
ſchuppen erbaut, und deſſen Inneres mit verſchiedenen 
Bildern auf Goldgrund ausgeſchmückt hat, ſieht man 
noch einige Reſte antiker Moſaik und einen ſtattlichen 
byzantiniſchen Doppeladler, der in den Boden einge⸗ 
laſſen iſt, ſo wie ein korinthiſches Säulenkapitäl aus 
beſſerer Zeit. Der daneben liegende Kirchhof enthält 
nur neuere Monumente, meiftend von Holz. Dazwi⸗ 
chen fanden im Freien zwei Todtenbahren, die man, 
wie es fcheint, der Bequemlichkeit wegen, bier immer 
gleich bei der Hand behält. 

Auf dem Rückwege durch die Stabt fette ich meine 
geftern begonnenen Beſuche fort, und fing heute mit 
dem öſterreichiſchen Conſul, dem verbienftoollen Reifene 
ben in Afrifa, Herrn Zuceoli, an, der die doppelten 
. Quellen des Nils einerfeits in ben Mondgebirgen, 
denen er näher gelommen zu ſeyn behauptet, als irgend 
ein Reifender vor ihm, andererfeits im See Demben 
in Abyffinien, beftimmt feftgefegt zu haben glaubt. ! 
Seine fo eben erfcheinende Charte Aegyptens und der 

ı Er irrt ſich jedoch in beiden Hppothefen. 


44 


angrenzenden ſüdlichen Länder, von der er mir einen 
ber erfien, mit bem eben eingetroffenen Pafetboot zur 
Korrektur erhaltenen Abdrücke fchenkte, erläutert feine 
beßfallfigen Anfichten. Herr Zuccoli durchſtrich zehn 
Jahre Yang Afrika, begleitete Ibrahim A2 Monate 
lang auf feiner benfwürdigen Campagne in Jemen, 
und fpäter Mehemed Bey, den Defterbar und Schwie- 
gerfohn Mehemed Ali's, ein Jahr Yang während des 
Krieges in Korbofan. Mit Enthufiasmus ſprach er 
von dem mir fo intereffanten Thema, den Nedſchdi, 
ben edeln Roffen Arabiend, Er behauptete gegen 
Burkhard's Ausfage, dag im Innern Jemens, wo bie 
edelſten Racen fi befinden, die Araber allerbings 
Schriftliche Stammbäume ihrer Pferde aufbewahrten, 
und erhebt die Eigenfchaften derfelben bis in die Wol- 
fen.! Oft machten, fagte er, die Wechabiten faft 
unmöglich geglaubte Ueberfälle, bei denen fie Diftanzen 
von 15 franzöfifchen Lieues im fortwährenden Gallop 
burchritten, und mißlang die Expedition, mit nicht 
geringerer Schnelligkeit wieder zurüdfehrten. In fol« 
chem Falle, feste er Hinzu, pflegt. ber Wechabit der 


ı In Jemen war ich nicht, aber alle Araber von den ver: 
ſchiedenen Stämmen der Wüfte verneinten die Eriftenz ſchrift⸗ 
licher Stammbäume ihrer Pferde. 

Anm. des Herausg. 


45 


— — 





Wüfte feine Stute auf den Hals zu ſchlagen und ihr 
zuzurufen: „Du bift nicht deines Vaters Kind, wenn 
du mich nicht, gleich dem Blig, zurüdführft, wie bu 
mich hergebracht.“ Wenn mein weißgeborener Hengft, 
fuhr er fort, vom edelſten Blute Abu Calam's, den 
ih mir mit großer Mühe und zu ſehr hohem Preife 
verfchaffte, im Gallop lancirt wurde, war es ein 
ſtolzer Anblid, zu ſehen, wie feine Augen Feuer ſprüh⸗ 
ten, feine weiten Nafenlödher dDampften und er augen 
blicklich den Schweif fo hoch erhob, daß er oft damit 
den Reiter in den Rüden fchlug. Bei all dieſem Feuer 
war er fo fanft und gutmüthig wie ein Lamm, warb 
auf der Teichteften Trenfe geritten und hätte zur Noth 
auch mit der bloßen Halfter geführt werden können. — 


Herr Zuccoli verlor ihn erft in Griechenland, wohin 


er Ibrahim ebenfalls begleitete. Ein Flintenſchuß 
töbtete ihn bei Miftra. ! 

Die Campagnen in Jemen waren mit feinen zu 
großen Beichwerlichfeiten verbunden, aber bie in 


ı Nicht für Damen! 

Die Wechabiten reiten fa durchgängig Stuten, denen fie 
in der Jugend die Gefchlechtötheile zunähen. Später werben 
die Löcher der Nadeln durch filberne Stifte erweitert, fo daß 
fie offen bleiben, wie bei ung die Ohrläppchen der Frauen zum 
Behuf der Ohrringe. Haben die Araber nun einen ſtarken Ritt vor, 
fo ſchließen fie mit großen Padnabeln von neuem bie Oeffnung 





46 


Sennaar und Korbofan, wie den angrenzenden Lan- 
bestheilen, weniger angenehm, theild wegen der ums 
erträglichen Hiße, welche es oft nöthig machte, fich im 
Zelte ein Loch in die Erde zu graben und dort in 
naßgemachten Bettlafen zu figen, theild wegen der fehr 
unartigen Angewohnbeit der bortigen Völkerſchaften, 
mit vergifteten Pfeilen zu fihießen, von denen ſelbſt 
bie leichteſte Verwundung ſtets tödtlih war. Auch 
litten die Truppen an furchtbaren epidemiſchen Krank⸗ 
heiten und an Ophthalmie. Während eines Bivouaks 
unter hoben Mimofen fing Herr Zuccoli einmal eine 
junge Giraffe, die, einer Kameelmutter beigegeben, bald 
fo zahm wurde, daß er fie bis nach Kairo zurüds 
bringen konnte. Auf diefer ganzen Expedition bediente 
fih unſer unternehmender Reifende felten der Pferde, 
fondern ritt fortwährend einen gleichfalls Nedſchdi⸗ 
Dromedar, den er faft den Pferden noch vorzicht. 
Diefe Dromedare von edler Race find: in: ihren Be- 
wegungen keineswegs fo hart unb unbequem, als bie 


der Ratur, weil fie den Glauben nähren, daß eine Stute dann 
mehr Fatigue aushalten könne, Auch führen fie als Grund an, 
daß, da die Stuten im Laufe ebenfalls ven Schweif fo ho 
erheben als die Hengfle, und dabei ihre Geſchlechtstheile oft 
weit aufhalten, durch die künftliche Schließung der Wind ver: 
hindert werde, fi darin zu fangen und ihnen durch Aufblafung 
des Körpers den Athem zu benehmen. 





47 


gewöhnlichen, und ihre Reiftungen gehen ins Fabelhafte. 
Ibrahim durchritt auf einem folchen Thiere die Wüſte 
zwifchen Syrien und Aegypten in zwei Tagen. Sanfı 
und willig, find fie nur in der Begattungszeit gefähre 
lich, und während dieſer Epoche faßte eines Tages, 
in einer Anwanblung von Wuth, Herrn Zuccoli's 
Dromedar feinen Reiter (ber glüdlicherweife in meh⸗ 
rere bide Bernus gegen die Sonnenftrahlen eingewidelt 
war) mit einer plöglihen Wendung feines langen 
Halfes mit den Zähnen bei der Bruft, und warf ihn 
jo unfanft zur Erde, daß er mehrere Minuten lang 
bie Befinnung verlor, — eine neue Art, feinen Reiter 
[08 zu werden, bie unfern Pferden, dem Himmel ſey 
Dank! noch unbefannt geblieben ift. 

Zu den ſehr empfehlungswerthen Belanntichaften 
in Patras gehören auch noch ber zuffifhe und fran- 
zöſiſche Conſul, die Herren Kallojerachi und Devoiſe. 
Ich verdankte der Gefälligkeit des Erſteren mehrere 
lehrreiche Broſchüren über das neue Griechenland, und 
dem Andern eine werthvolle Zeichnung von ſeiner 
eigenen geſchickten Hand. 

Am heutigen Tage verließ mich Selim. Er wünſchte 
mich vor feinem Abgange noch zu ſprechen, da ich aber, 
wie ich nicht leugnen mag, empfindlich darüber war, 
baß er, hinlänglich wieder hergeſtellt, mich um ſo 


48 


geringen Ungemachs willen hier im Stiche ließ, wo 
er wußte, daß ich ihn nicht erfegen Tonnte, — fo trug 
ich meinem Sefretair nur auf, ihm eine recht glück⸗ 
liche Reiſe zu wünfjchen, und fah ihn nicht mehr. Ich 
war abweiend, als er das Haus verließ, und Lo⸗ 
renzo erzählte mir nachher, er habe geweint, mehr» 
mals verfichert er Fönne nicht anders, und ſehr be⸗ 
dauert, daß ich ihn nicht mehr habe fehen wollen, ba 
er infländig gewünſcht, mir etwas zu vertrauen, was 
wichtig für mid) fey. 

Dies fiel mir auf und ich ſchickte nad) ihm, Das 
Schiff war aber ſchon abgefegelt. Gott weiß, was 
der Menfch gewollt hat! 

Ich muß einer Bekanntſchaft erwähnen, die mid 
lebhaft, faft zu Iebhaft für Einen, der zu den fleten 
Wanderungen des Zugvogels beſtimmt iſt, intereffirte. 

Am Abhange des Parnag und auf der Hälfte 
feiner Höhe liegt eine wunderbare Grotte, felbfi den 
wilden Thieren unzugänglich, und wie von der Vor⸗ 
fehung dazu beftimmt, dem Berfolgten ein ficheres, 
unerreichbares Aſyl zu geben. In Thurmeshöhe, von 
ewigen Fellen überwölbt, groß genug, um mehr als 
3000 Menfchen zu beherbergen, von der Natur felbft 
mit binlänglichem Waffer verfehen, das an mehreren 
Orten fortwährend durch der Steine Riten, bel und 








49 


— — ——— — — 


rein wie Kryſtall, herabperlt, bis in ihre Mitte dem 
Strahl der Sonne offen und weit hinein mit Erde 
bedeckt, wo erſt in ihrem Hintergrunde der kahle Fels 
jenboben wieder zum Vorſchein kommt, deckt niedriger 
Rafen ihren Eingang, und felbft einige hochaufge⸗ 
fchoffene Waldbäume find unter ihrem Dom erwachfen. 
Bon vielen Stellen des Gebirged Tonnte man ihre 
Eriftenz gewahr werben, doch Fein menfchlicher Fuß 
batte fie je betreten. Da erfor fie ſich der tapfere 
Odyſſens zur unangreifbaren Feſte für feine Familie 
und für fich felbft zum Ausgangspunkt jener kühnen 
Streifzüge gegen die Ueberzahl der fein Baterland 
ſchonungslos verheerenden Türken, in denen ibm dag 
Leben jest binging, und glüdliher für ihn, wenn 
ed darin auch geendet hätte. 

Einige Schäfer des Gebirges, geſchickt im Klettern 
gleich den Ziegen, die fie Tag und Nacht in diefen 
Wildniffen hüteten, wurden aufgefordert, Alles anzu⸗ 
wenden, um mit Hülfe ihrer Steigeifen und Haden- 
öde, an welden fie ſich emporzufchwingen pflegen, 
die Höhle zu erflimmen und genauere Auskunft über 
bie damals noch unbefannte Tofalität derfelben zu ers 
theilen. Zwei dieſer Menſchen verunglüdten, ein be⸗ 
jabrter Mann und ein Knabe, wovon der erfte flarb, 


_ ber zweite ſchwer verwundet wurde. Doc) das Vaterland 
Süböftl. Bilderfaal II. « 


50 


— —— — 


rief, und der tapferſte ſeiner Krieger gebat. So 
wagte ein Dritter ſein Leben, und die kühne That ge⸗ 
lang. Ich übergehe die weiteren Details der Unter⸗ 
nehmung und begnüge mich, mit wenig Worten deu 
Stand der Sachen zu fohildern, wie er nad einigen 
Wochen fich geftaltet hatte. An drei verihiedenen Orten 
führten Stridleitern, zufammen 86 hohe Stufen bes 
tragend, an den bisher ungangbaren Stellen nad ber 
Höhe hinauf, Drei durch vorjpringende Felfen ge= 
fügte Schildwahen waren binlänglih, durch das 
bloße Emporzieben der Leiter jeden Angriff zu ver- 
eiteln. Der Eingang ter Höhle ward fo glüdlich durch 
bie fih daneben erhebenden Felfenwände gededt, daß 
er von keinem Geſchütz beftrihen werden konnte, und 
ihr Naturdad) war mehr ale bombenfef. Auch haben 
die Türken nicmals einen Verſuch gemacht, diefes Fel- 
feuneft zu belagern. Die ganze Feine Macht, welde 
Odypſſeus befchligte, fand daher zu jeder Zeit bier 
einen gewiffen Zufludhtsort, und zugleich die Mittel, 
erlittene Berlufte wieder zu erſetzen. Mehrere leichte 
Hütten wurden im Innern der Höhle erbaut, und bald 
gewann fie das Anfehen einer förmlichen Kolonie, abs 
gefchieden von der ganzen übrigen Welt. 

Um diefe Zeit war der edle Lord Byron, Gut 
und Leben für Befreiung der Griechen einfegend, in 


Si 





Miffolunght angelangt, und ſchon hatte Kummer und 
Sorge, fih in fo vielen feiner glänzenden Hoffnungen 
getäufht zu fehen, ihn auf jenes Krankenlager ge- 
worfen, an beffen Fuße ganz Europa trauernd fand, 
und von dem er fich nie wieder erheben follte. Doch 
bis zum legten Augenblide der Befinnung den hoben 
Zwed im Auge, der ihn bergeführt, hatte er ſchon bei 
ben erſten Anzeichen überhandnehmenden Uebelbefindens 
ſeinen Freund Trelawney, bekannt durch ſein abenteuer⸗ 
liches Leben und ſeinen unbezähmbaren Unternehmungs⸗ 
geiſt, nebſt einem Transport von zwanzig Maulthieren, 
die eine Batterie Berggeſchütz, Munition und Waffen 
trugen, Odyſſeus zugeſandt. Trelawney erfuhr in 
ber Grotte ſelbſt Lord Byrons Tod. Sich zu Odyffeus, 
dent, wenn gleich rohen und ungebilbeien, doc ihm 
verwandten Geifte hingezogen fühlend, beichloß er, 
ihn nicht mehr zu verlaffen. Bald ganz zum Griechen 
werdend, ihre raube Lebensart theilend, und flets in 
ihre kriegeriſche Tracht gekleidet, war er manchen ges 
fahrvollen Monat hindurch der treue Gefährte feines 
Greundes in Triumph und Niederlage, bis zu deſſen 
Abfall und bald darauf erfolgtem fchmählichen Tode. 
Auch während diefer Epoche blieb er, den Krieg jept 
allein für füch fortjegend, eine geraume Zeit lang Bes 
wohner und nun einziger Befehlshaber der Höhle, 


52 


Doch hatte früher noch ein mächtigerer Einfluß 
ihn zu diefer:Lebensart vermocht. Erft wenige Wochen 
vor. feiner Ankunft war ein zartes Mädchen, nur 13 
Sommer alt, frifeh und blühend wie ein Frühlings 
morgen ihres Baterlandes, und fhön wie eine Rofe 
aus Tempe’s idylliſchem Thal, den zarten Leib mit 
Tauen umfchlungen, da fie die Leiter nicht zu erfleigen 
vermochte, die Felfen binaufgewunden worden. Es 
war Odyſſeus jüngfte Schwefter. Nicht Tange Tonnte 
jugendliche Anmuth und männliche Kraft in fo naber. 
förperlicher Berührung ftehen, ohne, dem füßen Ge⸗ 
fete der Natur getreu, fih in heißer Liebe zu ver- 
einen, und kurz vor Odyſſeus Tode ward der Segen 
ber Kirche über fie ausgefprochen, vom ſchönern Segen 
der Natur geheiligt. Glüdlihe Tage vergingen dem 
in entzückendem Genuffe fchwelgenden Paare, vielleicht 
noch gefteigert durch zärtliche, gegenfeitige Sorge bei 
dem fteten Wechſel drohender Gefahren. Kein langes 
Glück iſt aber den Menfchen bienieden verginnt! — 
bald trübte des Bruders tragifcher Tod, der unbes 
greiflicherweife aus. Parteihag und Gewinnſucht — 
den beiden Flüchen, die auf Griechenland haften — 
. zu den Türken übergegangen und durch Karaiskaky 
gefangen, yon den Zinnen ber Aropolis herabge⸗ 
fchleubert wurde — ihr bis jest fo heiter Tächelndes 








33 


Schidfal, und wenig Monden darauf beugte ein no 
berberer Schmerz das holde Kind, das fchon dem neuen 
Beruf der Mutter entgegenging. Im Gefolge Tres 
lawney's befanden fich einige Engländer, bie er mit 
allen Wohlthaten, welche er zu ertheilen im Stande 
war, überhäuft hatte, Es ift unbefännt geblieben, 
welche Motive den Einen berjelben zu ber ſchwarzen 
That vermochten, fih mit einigen treulofen Griechen 
in eine Verſchwörung gegen Trelamney’s Leben ein- 
zulaffen. Der Verräther übernahm: felbft die Ausfüh- 
rung, und als eines Tages der nichts ahnende Tre- 
lawney, der ein vortrefflicher Schüge war, ſich im 
Piftolenfchiegen nach der Scheibe übte, während ber 
Engländer ihm die Gewehre Ind, nahm diefer den 
günftigen Augenblick wahr, und ſchoß den Unbeforgten 
mit einer Doppelpiſtole durch den Rüden. 
Trelawney ſtürzte befinnungslos nieder, doch miß- 
glüdte die Verſchwörung, und ‘der ihm Teidenfchaftlich 
anhängende übrige Theil der Befagung bieb die Ver⸗ 
brecher neben ihm wüthend in Städe: In den Armen 
der troftlofen Tarfisa ſchlug nad) langer Ohnmacht 
Trelammey zuerft die Augen wieder auf. Die eine 
Kugel war durch die Schulter, die anbere.zuerft den⸗ 
felben Weg, dann aber, fi feitwärts wendend, unter 
bem Kinn in den Mund gedrungen und zur Bade 


B4 

wieder hinausgegangen. Es iſt auffallend, daß eine 
fo furchtbare Verftämmelung fpäter dennoch, ohne bes 
deutende Folgen zurücdzulaffen, geheilt werben konnte. 
Indeß hatte ed damals ein ganz anderes Anfehen. 
Bierzig Tage lang litt der Kranfe die graufamften 
Schmerzen, auf Feine andere Weife eine momentane 
Ruhe findend, ald wenn die arme Tarſitza, deren 
Seele viel mehr noch als ihr Körper Titt, und in 
deren Augen faft die ganze Zeit über Fein Schlaf Fam, 
fein ſchmerzendes Haupt auf ihrem Arme hielt, Wegen 
der Zerftörung der Kinnmuskeln Fonnte er in ben 
erftien Wochen den zufammengepreßten Mund Taum 
fo viel öffnen, um durch mühfam eingebrachte Flüſſig⸗ 
feiten fein häufig dem Berlöfchen nahes Leben zu fri- 
ften, und faft zwei Jahre lang nachher blieb fein Linker 
Arm unbraudbar. Sobald er binlänglich hergeftellt 
war, um bie Höhle verlaffen zu können, gab er, für 
jett zu Krieg und Abenteuern nicht mehr geeignet, das 
bisher geführte Leben gänzlih auf, kehrte mit feiner 
jungen Frau nah Morea zurüd, ging dann nad) 
-Smyrna, verbrachte einen Sommer mit Seereifen im 
Archipel, und ließ fich zulest vorläufig in Zante nie- 
ber, wo fein gaftfreied Haus ftetd Freunden und Be⸗ 
fannten offen ftand. 

Es fcheint, dag Friede und Ruhe feinem Charakter 








85. 


— — — 2·— 


wie ſeinem ehelichen Glück nicht zuträglich waren. 
Allerlei Mißhelligkeiten entſtanden, Folgen bes raſt⸗ 
loſen, unruhigen Sinnes des Mannes, und dem nicht 
minder heißen Blute der Schweſter des kühnen Odyſ⸗ 
ſeus. Gemeinere Motive wirkten von außen her. 
Trelawney hatte bei ſeiner Verheirathung, im Fall 
einer Trennung oder ſeines Todes, ſeiner Frau eine 
bedeutende Summe verſichert. Einige Verwandte dieſer 
mochten die Realiſirung derſelben wünſchen, und als 
nach einem ernſten ehelichen Zwiſt Tarſitza die raſche 
Unvorſichtigkeit begangen hatte, das Haus ihres Man⸗ 
nes zu verlaſſen und Zuflucht in einem Kloſter zu 
ſuchen, wußte die Familie dieſen Umſtand ſo gut zu 
benutzen, daß endlich eine definitive Eheſcheidung die 
Folge davon war. Die ſtipulirte Summe ward, glaube 
ich, in eine lebenslaͤngliche Penſion verwandelt, und 
Trelawney ging nach Amerika. 

Dies war in kurzen Umriſſen das Schickſal der 
noch immer reizenden Frau, die ich hier antraf, und 
man fann ſich denken, wie reich, nach einem fo bes 
wegten Leben, ihre Unterhaltung mir erfcheinen mußte, 
aus fo fhönem Munde und mit dem Feuerausdruck 
ſolcher Augen doppelt verführeriſch. — 

Sie ſprach ftetd mit hoher Achtung und zärtlicher 
Neigung von ihrem gefchiedenen Mann, mit dem fie 


56 


auch noch jest um fo mehr ein freundfchaftliches Ver⸗ 
hältniß fortfegt, ald er ihrem Sohn, ein Kind der 
Liebe, wenn es je eins gab, mit fi nahm und jest 
in England bei feinen vornehmen und reichen Vers 
wandten erziehen läßt. Sie ſchilderte Trelawney als 
großmüthig, vol Verachtung aller Gefahr, mohlthä- 
tig und gut, aber auch oft rauh, launig und ſchwer 
zu befriedigen. 

Im Innern mochte fie das Vergangene vielleicht 
tiefer bedauern, als fie es merken laſſen wollte, und 
erwähnte nur mit fehmerzlichem Lächeln der Sonder- 
“barfeiten ihres Mannes, die allerdings zuweilen weit 
gegangen zu feyn ſcheinen. Charakteriſtiſch dünkte mir 
befonders Folgendes. Sie hat, wie faſt alle Griechin⸗ 
nen, fchöneg, feidened Haar, das bei ihr von blonder 
Farbe tft, und mit den dichten, hochgewölbten Augen- 
brauen und dunfeln Augen eine ganz eigenthümliche 
Wirkung hervorbringt. Sie gefiel fich, dies wollüftige 
Haar in geringelten, lang herabhängenden Toden zu 
tragen, was ihr Mann nidyt leiden Fonnte und ihr 
zulegt förmlich unterfagte. Wenn die Eitelfeit der 
Frauen ind Spiel kommt, fo gehorchen fie am ſchwer⸗ 
fien, fo auch Tarfiga, die wenig Notiz von dem ers 
baltenen Befehle nahm. ines Abende näherte ſich 
ihr daher Trelawney mit einem großen indifchen 





57 


Meſſer, das er immer bei fih trug, und, beiläufig 
gefagt, mit großer Geſchicklichkeit auch zu ernfleren 
Zweden zu führen wußte, wie wir bereits in feinen 
" Memoiren gelefen haben. Mit der einen Hand die 
Loden feiner Frau umfaſſen und mit der andern durch 
einen graufamen Schnitt ke vom Haupte trennen, war 
das Wert eines Augenblicks. Lachend hielt er die 
graufame Trophäe jet in die Höhe und rief: Nun 
hoffe ih doch, wirft du dich genöthigt fehen, meinem 
Willen gemäß zum Fes zurüdzufehren. Doch hatte 
er, wie man zu fagen pflegt, die Rechnung ohne den 
Wirth gemacht, denn am andern Tage erihien Tar- 
fisa, die auch ihr Köpfchen für ſich hatte, wieder 
vollfommen eben fo als geftern, mit — falfchen Locken. 
„Du kannſt dir jetzt das Abfchneiden erſparen,“ ſagte 
fie, „es find noch viele dergleichen zu haben, und es 
wird nur darauf ankommen, wer von und beiden die 
meifte Beharrlichkeit hat.’ 

Dei einer Gelegenheit, wo er, von einem luſti⸗ 
gen Gelage zurückkommend, etwas eraltirt war, und 
mit ihr in einen heftigen Streit gerietb, ohne fie 
weder zum Schweigen noch Nachgeben bringen zu 
fönnen, riß er das Fenfler auf, ergriff die Feine 
Elfen⸗ artige Geftalt bei beiden Beinen und bielt fie 
fo eine ganze Zeitlang über ber Straße hoch empor, 


58 


— — — — 


bis ſie endlich, zum Tode erſchreckt, um Onade bat. 
„Doch,“ ſetzte ſie naiv hinzu: „wie es bei jungen 
Eheleuten geht, wenn wir am Tage auch noch ſo heftig 
an einander geriethen, in der Einſamkeit der Nacht 
verjöhnten wir uns ftets, und liegen feine Morgen» 
fonne über unferem Zwift aufgehen. 

Sept ift Tarfisa felbft fanfter geworden, und auch 
Trelawney mögen nach und nach die Jahre zähmen — 
doch das Uebel ift gefchehen. Etwas Aehnliches äußerte 
fie einft 2... „O,“ fagte- ich, „Llaffen Sie darüber 
Ihre ſchönen Haare nicht grau werden, 

Verſcherztes Glück 

Bringt Reue nicht zurück! 
Am Ende bedeutet es auch nicht viel. — Sie haben 
gelebt und geliebt — die Welt iſt groß — nichts 
hindert Sie, weiter zu leben und zu lieben.“ — 

„Unſere griechiſche Philoſophie ift nicht fo leichte 
finnig als die Ihre,“ erwiederte fie, doch fchien mir 
der Bli ihrer Augen nicht ganz mit den Worten im 
Einklang zu ftehen. 

Genug für den Leſer! 

Ein gefälliger Grieche, Herr Zaimi, hatte mir 
fein Pferd geborgt und ich benutte ed zu einem Spa⸗ 
zierritt nad) den Schlöffern Rhion und Antirhion. Der 
bier garnifonirte Ingenieur » Lieutenant Tünnermann 








un — em 


‚begleitete mich. Wir fanden am mehreren Stellen, 
ferbft in ber Ebene, den Boden zwei Fuß had mit 
Schnee bededt, und viel Eid in ben Falten, tiefen 
Bergbächen, deren Paffage Francis und Norma nicht 
geringe Mühe machte, und vielfache Klagelaute von 
den Armen erpreßte. Doc, mir durch manches Un- 
gemach nachzufolgen beftimmt, müffen fie fih abhärten. 
Das Dieffeitige der beiden genannten Scylöffer, das 
einzige, welches ung die Zeit zu fehen erfanbte, ward 
‚gleich dem andern von den Benetianern erbaut, und 
ift jebt ziemlich verfallen, jedoch deßhalb nur um fo 
pittoresfer. Ein Theil deffelben, befonderd ber untern 
Gewölbe, ift mit auf die hohe Kante geftellten ſchma⸗ 
‚len Ziegen äußerft folide und mit großer Sorgfalt 
ausgeführt, und Alles von diefer Bauart hat fich auch 
gut erhalten. Auf den tiefen Batterien, die das Meer. 
& fleur d’eau beftreichen, ift noch altes Geſchütz auf- 
geftellt, das ungeheure Steinfugeln fhießt, und man 
zeigte und einen Dörfer mit der Jahreszahl 1684, 
aus bem bie Türfen während der Revolution einmal 
einen unglüdlichen Griechen auf die Belagerer ab- 
feuerten. Ueber mehrere andere Kanonen; die mit 
verfaulten Laffetten auf den zum Theil eingeſchoſſenen 
Wällen flanden, hingen Kettenfugeln, welche die Tür⸗ 
fen noch immer gebrauchen. Die Sranzofen belagerten 


60 


— — —— — 


das Fort nur einige Tage, worauf es kapitulirte. 
Während dieſer Belagerung warb einer ihrer Inge⸗ 
nieure getöbtet, dem fie auf der mit Dorngefträud 
bewachfenen fumpfigen Plaine, welche das Schloß 
umgibt, ein Monument in Obelisfenform gefett haben. 
Es droht fhon den Umfturz, und von der Inſchrift 
war nichts mehr zu lefen, denn die Denfmale unferer 
Tage find vom Geflecht der Ephemeren. Aus einer 
Heinen Mofchee im Innern der Feftung ift feitdem 
das Commandantenhaus gemacht worden, und der 
Minaret gibt einen höchft ſtattlichen Schornftein dafür 
ab, von deſſen Spitze fett, flatt ded Gebetaufrufs Des 
Muezzin, der Rauch des Küchenfeuerd zum Himmel 
fleigt. Profane Umwandlung! 

Es war der erfte Weihnachtsfeiertag der Griechen, 
bie noch den alten Kalender beibehalten haben, und 
feit fie unter baierifch » griehifhem Scepter ftehen, zu 
ihren ſchon übermäßig vielen Feiertagen noch einige 
ber unfrigen hinzufügen, ja man bat diefe fogar noch 
um einige politifche vermehrt, fo daß jebt beinahe eben 
fo viel Feiertage ald Werktage im. Jahre flattfanden, 
ein ſehr fhlimmer Hemmſchuh für die Civiliſation, 
und ein wahres Treibhaus für die ohnehin ſchon fo 
beliebte Faulheit in Griechenland. 

Indeſſen hatte ich es heute früh Doch fehr anmuthig 


6 


————, — — —— 


gefunden, das Volk in vielen maleriſchen Gruppen, 
alle in ihrer Sonntagstracht, in den Straßen ver⸗ 
einigt zu ſehen. Befonders fielen mir einige fünfzig 
junge Leute auf, die auf den Mauern ihrer alten 
Akropolis neben einander faßen, und, wie in Zrauer 
über vergangene Größe, eine tief melandholifche Me⸗ 
Iodie unisono yon dort herabjangen. 

Als ich nun Abends im Dunkeln von meinem 
Ritt zurüdfehrte, fand ic) die ganze Marine — dag 
Stadtviertel am Meer — erleuchtet, ein Anblick, der 
mir weniger erfreulid, ald der am Morgen bäuchte, 
denn die glänzende Yllumination befland nur aus 
einer fortlaufenden Reihe yon Branntweinbuden, das 
erbauliche Zeichen moderner Givilifation! — und, 
nebft den Kirchen, der Hauptaufenthaltsort des Volke 
an Sonn: und Feiertagen. Zu meiner Berwunderung 
fiebt man bier gar Feine Juden; nod ein übles Omen 
für den Stand des Handels in Patras, denn mit 
feiner Blüthe wären fie längft wiebergefehrt, wie bie 
Schwalben im Sommer. 

Ich muß den folgenden Tag, den 10, Januar, als 
einen ber memorablen Tage meines Lebens bezeichnen! - 

Haft beginne ich nun ganz ernfllih zu glauben, 
daß der Graf in Zauberfänften erfahren if, wenn 
anders Norma aus feiner Hand fommt, wie faum zu 


62 
bezweifeln. Denn dies Thier allein rettete in der 
vergangenen Nacht nicht nur mich, fondern fämmtliche 
Hausgenoffen von einem ohne fie eben fo gewiffen 
als fchauderhaften Zope! — 

Ich habe zu Selims dürftigem Erjas einen Grie- 
hen, der etwas italienisch fpricht, mit Namen Ana⸗ 
ftafius, angenommen, und außerdem provijorifch einen 
baierſchen Soldaten zu feiner Hülfe, ein williger, aber 
böchft dummer Menfch, obgleich vom Genies &orpg, 
mit dem omindjen Namen Schweineberger. 

Diejer beging die unerhörte Zollheit, eine mit 
glühbenden Kohlen angefüllte eiferne Pfanne, die auf 
einem hohen Dreifuß in meinem Fleinen Salon fteht, 
und die, fobald ich zu Bett gegangen bin, immer in 
die Küche getragen, und wovon die Kohlen dort auf den . 
Herd geſchüttet werden, — flatt deſſen in meines ſchon 
längft fchlafenden Secretaird Kammer auf die bloße 
Diele zu fegen, nur aus wohlthätiger Abfiht — wie 
der alberne Menfch fih nachher entfchuldigte — um 
Herrn Lorenzo damit eine Güte zu thun, weil es fo 
barbarifch kalt gewefen fey! | 

Ich muß bemerken, daß meines Secretaird Schlaf: 
fammer bloß durch eine loſe Bretterwand, mit dicken 
Ritzen dazwiſchen, von der meinigen getrennt iſt. 

Der unglückliche Schweineberger legte ſich, nach 





vollbrachter That, auf feine Matratze nieder und war 
bald ſchnarchend in Morpheus Arme gefunfen. Un⸗ 
terbeffen geſchah, was nicht ausbleiben Tonnte. Das 
glübende eijerne Beden verkohlte die Diele, und, wie 
man am andern Tage ſah, nicht nur diefe, fondern 
hatte auch ein tiefes und weites Loch in den darunter 
biegenden Balfen gebrannt. Durch den furdtbaren 
Dampf, der daraus entftand, war der junge Lorenzo 
bereits zur Hälfte im Schlaf asphyrirt, als es ihm 
undeutlih vorfam, wie wenn Jemand ihm in bie 
Ohren henle, und er zugleich einen Schmerz und ein 
Kragen an ber Bruft fühlte. Er wollte ſich aufraffen, 
fonnte e8 aber nicht, da biß ihn etwas heftig in Die 
Naſe. Nun fuhr er endlich gewaltfem in bie Höhe 
und fiel bei diefem Effort aus dem Bett. Hier erfi 
tonnte er fi) völlig ermuntern, und das Erfte, was 
er ſah, war die Dampfwolfe, welhe das Gemad 
erfüllte, und die das vom Kohlfeuer noch ausgehende 
Licht fehr bemerklich machte. Betäubt und kaum fähig, 
feinen Gedanken zu gebieten, ſucht er das Beden auf- 
zubeben, doch kaum hat er es ein wenig gerüdt, als 
die Flamme fchon aus dem angebrannten Balfen Lichter: 
loh herausſchlägt. Zum größten Slüf war die Küche, 
wo aus Mangel an Raum die Leute fchlafen, und 
immer eine Tonne voll Waſſer fieht, Dicht daneben, 


64 


— 


ſo daß, als Lorenzo Lärm gemacht, das Feuer noch 
in der Geburt erſtickt werben konnte. Wäre er nicht 
ſo gewaltfam durch Norma und ihren wunderbaren 
Inſtinkt gewedt worden, fo mußte das Feuer bald 
um fich greifen, und das gräßliche Reſultat deſſelben 
wäre um fo fehneller herbeigeführt worden, da in 
des Serretaird Kammer, eben weil nie Feuer vorher 
bereinfam, der ganze Borrath meines englifchen Jagd⸗ 
pulvers, ungefähr ſechs Pfund, in einer blechernen 
Büchfe verwahrt wurde. Dazu denke man fih Das. 
ganz hölzerne ausgeftaafte Haus, und man wird feicht 
beurtheilen, mit welcher Wuth in wenig Augenbliden 
das Feuer hätte um fich greifen müſſen. So fam 
mein Seeretair nur mit einer blutenden Nafe, und die 
andern erweckten Hausgenoſſen mit dem Schreden davon. 

Dhne Zweifel muß ich felbft in einem gleichen 
Zuftand halber Aspbyrie mit Lorenzo mich befunden 
haben, denn ungeachtet alles Lärmend und Tumults, 
ungeachtet,. daß man in meine Kammer drang, und 
bie Fenſter öffnete,. um den Dampf hinauszulaffen, 
erwachte ich nie. völlig, und erinnerte mich am fpäten 
Morgen des Ganzen nur wie eines verwirrten Trau⸗ 
med. Ich hatte zwar mehrere Details deſſelben jehr 
wohl behalten, doch find fie nicht von ber Art, um mit⸗ 
getheilt werben zu fönnen; da fie indeß eine fonderbare 








65 


— — — — 


Miſchung von Grauenhaftem und Wollüſtigem dar⸗ 
boten, ſo laſſen ſie mich vermuthen, daß der Tod 
durch Kohlendampf durchaus nicht von unangenehmen 
Empfindungen begleitet ſeyn mag. Dies Loos ſtand 
uns aber ſchwerlich bevor, denn ehe ein ſolches Ende 
noch hätte erfolgen können, wären wir unfehlbar 
ſchon vom Feuer ergriffen, oder vom Pulver in die 
Luft geſprengt worden. 

Als ih den kleinen ſchwarzen Krater in Rorenzo’d 
Stube ſah, den das Becken eingebrannt, konnte ich 
mich einiger ernften Reflerionen nicht erwehren, die 
jedoch ſchnell eine fehr troftreihe Wendung nahmen. 
Sorge aller Art, fagte ich zu mir, weiche von binnen! 
denn wo und was ift Gefahr? — Wir wiffen es 
nie — ift das Schickſal günftig, fo bahnt ſich auch 
der rauhefte Weg, und hat ed anders über uns ent- 
fchieden, fo braucht ed weder Kugeln noch Eifen, noch 
des erzürnten Meeres Wogen — es findet feine Opfer 
.. zu feder Zeit eben fo bequem im friedlichen Bett. — 

Die Geſchichte ward bald in Patras befannt, und 
Norma ift feitdem die Heldin des Tages. Die fchön- 
fien Damen überhäuften fie mit Lobſprüchen und Lieb⸗ 
fofungen, und eine berfelben, für die Norma eine 


. ganz befondere Unterwürfigfeit zeigt, hat das fchon 
Süvspt. Bilserfaal. IL 5 





66 


abgenuste blaue Halsband unferer Retterin durch ein 
neues erjeßt, doch glänzt die nämliche Inſchrift wie- 
der in Gold auf beffen innrer Seite, mit Hinzufügung 
des Datums jener Tage, an denen fie fchon zweimal 
fo erfolgreih das Feuer für mid befämpfte. Dies 
fcheint mir jest kaum gewogener als früber das 
Maffer zu ſeyn, Die Luft ift ebenfalld cattıvissima, 
es fehlt nur noch ein Erdbeben, um mich mit fämmt- 
lichen Elementen zu brouilliren. Speriamo meglio! 
Norma betreffend, fo feffelt mich nun allerdings 
pie Dankbarkeit noch mehr an fie, als ich ihr fchon 
ohnedem gewogen war (denn ihr Gefährte rührte ſich 
nicht in der verhängnißvollen Naht). Demungeachtet 
betrachtete ich fie manchmal mit halber Schen, Sie 
bat aud wirklich etwas Fremdartiges, das Jedermann 
auffällt. In Form gleicht fie ganz einem fchönen Spa⸗ 
niel, aber fein einziges weißes Haar unterbricht das 
Kohlſchwarz ihrer Farbe, felbft die Augen find gleich 
fhwarz und nur durch ihren gläfernen Glanz von 
dem übrigen Theil des Kopfes unterfchieden. Bloß, 
wenn fie fie ganz feitwärts dreht, erſcheint ein blen⸗ 
dend weißes Email, und dann tft ihr Ausdrud höchſt 
ſeltſam; eben fo in der Nacht, wo die Augen glühen- 
den Kohlen gleichen, und das Haar der Hündin, wie 
bei den ſchwarzen Katzen, Funken ſprüht. Noch eine 





67 


andere Eigenthümlichkeit dieſes Thieres ift die faſt 
gänzliche Unhörbarkeit feiner Bewegungen; man findet 
die Hündin manchmal auf feinem Schooße fehlafen, 
oder neben ſich im Bette Kiegen, ohne daß man im 
Mindeften bemerkt hat, wie fie dahin gekommen ift. 
Schon drei= bis viermal war fie einen Tag und eine 
Nacht lang verfehwunden; alles Suchen blieb ver- 
gebens und die Polizei von Patrad wurde jebesmal 
ihrethalben in Requiſition geſetzt, fo wie für den ehr- 
fihen Finder eine Belohnung ausgeboten. Doch jedes⸗ 
mal war fie auch nach den verlaufenen 24 Stunden 
von felbft wieder da, ohne dag Jemand fie zurückge⸗ 
bracht noch zurückkommen gefeben hätte. Diefe Farta 
find von Lorenzo und den Leuten, wie von mir beob⸗ 
achtet worden, und beweifen wenigftens, daß auch bei 
den Thieren eine große Verſchiedenheit der Indivi⸗ 
bualität ſtattfindet. Einem Aberglaubigen: fönnten fie 
aber faft unheimlich dünken. 

Der eingefchludte Kohlendampf ift mir doch nicht 
ganz wohl befommen, denn ich babe mehrere Tage 
an heftigem Kopfweh gelitten, das mich am Ausgehen 
verhinderte. Als ich mich wieder etwas beffer fühlte, 
machte ich Abends dem eben angefommenen Nomar- 
hen, Herrn Glarakis, einen Befuch. | 


68 


— — 





Die Amerikaner rühmen ſo gern die Einfachheit 
ihrer Staats⸗Beamten und die Abweſenheit alles 
Prunkes und Luxus in den Wohnungen derſelben. O 
ihr ſtolzen Kinder und Sklaven der Freiheit! Kommt 
nach Griechenland, und weichet beſchämt wieder über 
den Ozean zurück, denn hier findet ihr noch mehr wie 
Einfachheit. Dieſer Nomarch commandirt faſt unum⸗ 
fhränft eine der größten Provinzen des Reichs, war 
früher, nachdem er fein mebdizinifches Studium in 
Deutfchland beendigt, Theilnehmer an der Revolution 
yom Anfang bis zu Ende, während derfelben eine. 
Zeitfang Minifter, und paffırt mit Recht für einen 
der ausgezeichnetfien Staatsmänner Griechenlands, ! 
Demungenchtet ift fein Palaft nur ein unanfehnliches 
Lehmhaus mit einer Beranda, die auf rohen Baum 
pfählen ruht. Es war ſechs Uhr, als ich ihn betrat, 
und ägpptifche Finfternig berrichte im Vorhaufe. Nach⸗ 
dem ih, behutfam vor mir hinfühlend, mit Mühe 
eine Art Hühnerſteige emporgeffettert war, drang der 
Schein eines entfernten Lämpchens zu mir, und eine 
von Schmug firogende Magd fuchte mich oben durch 
Geftilulationen abzuwehren, weil ich ihre, zu 


ı Er warb noch in demfelben Jahre abgefeht, im Sabre 
1838 von neuem Miniſter, und im Jahr 1840 abermals ges 
nöthigt, in den Privatſtand zurüdzufehren. Anm. d. Herausg. 





bemfelben Zweck an mid) gerichtete Rebe nicht verftand. 
Ein zerlumpter Grieche, der italieniſch ſprach, Fam 
mir indeg zu Hülfe, und nachdem ich ihm meinen 
Wunſch erplieirt, den Herrn Nomarchen zu ſprechen, 
wies er auf mehrere niedrige hölzerne Thüren hin, 
die laͤngs des Korribors in verfchiedene Gemäder 
führten. Ich öffnete die mittelfte, und fah ein Stüb- 
den vor mir, wie ed bei und ein armer Student zu 
bewohnen pflegt: Dort ſaß der Herr Nomard mit 
feiner Fran, die ein Kind auf den Armen. hielt, noch 
zwei andere etwas mehr erwachfene Kinder und eine 
Magd beim Efien. Ich fah nichts auf dem Tifch, als 
eine große irdene Suppenfchüffel, ein Tiſchtuch, das 
wenigftens vierzehn Tage gedient hatte, einige hoͤr⸗ 
nerne Beftede und eine Schäffel in Del gebratener 
Sritüre, deren Geruch nichts weniger als. einladend 
war. Bon Meubeln befand fi außer dem großen 
Eßtiſch nichts in der Stube, ald einige Schemel und 
ein verftaubtes, halb verglühtes Kohlenbeden. 

Mit vielen Entfchuldigungen, die Familie bei Tafel 
geflört zu haben, nannte ich meinen Namen, worauf 
der Nomarch, ein Heiner Mann mit großem Schnurrs 
bart und geiftreihen Zügen, in einen grünen Ueber» 
ro geffeidet, mich freundlich willkommen hieß und in 
ein Nebenftühchen führte, wo ein mit grobem Kattun 


70 


überzogener Sopha ftand. Nah wenigen gewechjelten 
Redensarten (in deutfcher Sprache) glaubte ich bie 
unwillkürliche Störung nicht verlängern zu dürfen, und 
überließ den Groß⸗Funktionair von neuem feiner 
Sritüre. Dießmal flieg ich die Hühnerfteige mit weit 
mehr Leichtigkeit hinab, da ein Stümpfchen Talglicht, 
gleichfam als Repräfentant der neuen Sonne bes be- 
freiten Griechenlands, feine wohlthuenden Strahlen 
darüber ausgoß. 

Das find primitive Sitten, bie ich gewiß zu bes 
wundern bereit bin — doch wo möglich von ferne. Ich 
füge noch Hinzu, daß der Gehalt eines Nomarchen, 
bald hätte ich mich verfchrieben und Monarchen hergeſetzt, 
in Griechenland jährlich 1000 Colonaten (1509 Rihlr. 
preußifch) beträgt. Außerdem erhält er noch vom 
Gpuvernement eine Staatsuniform geliefert, Deren 
Werth aber wieder vom Gehalte abgezogen wird. Im⸗ 
mer noch befier bezahlt, als unfer biefiger Eonfuf, der, 
wie er mir verfücherte, ſeit dreiundzwanzig Jahren bie 
hohe Ehre gehabt habe, Preußen zu dienen, ohne da⸗ 
bei auch nur des mindeften Gehaltes noch Entfchädi- 
gung, aller Bitten ungeachtet, füh fe zu erfreuen, 
obgleich er in biefem Dienfte A000 Eolonaten während” 
der Revolution eingebüßt zu haben vorgab. Dieß er⸗ 
ſchien mir wirflich räthſelhaft, da doch font Preußen, 


71 


wie weltbefannt, das wahre Eldorado der Offizianten 
genannt werden mag, und der bort einmal erlangte 
Staatsdienerpoften ein weit fihereres Eigenthum als 
ein Rittergut, meiſtens auch weit einträglicher iſt. 
Madame Bertiny, die Frau bes franzöfifchen Con⸗ 
fulats » Chancelierd, hatte gehört, daß ich den grie⸗ 
hifchen Nationaltanz fehr zu ſehen wünfchte, und war 
fo gütig, am griecdhifchen Neujahrstage, ber zwölf Tage 
nad dem unfern fällt, einen Fleinen Ball mit ihrer 
zahlreichen Verwandiſchaft zu arrangiren, wo es in 
jeder Art nationell herging, und ich daher gute Gele- 
genheit hatte, mit rumelifchen, feiotifchen und albas 
nefiichen Tanzen auch die Acht griechifchen Sitten mehr 
als in andern Häufern zu beobachten. Ich fand die 
erften wie bie Iegten den mauriſchen Afrika’s fehr nahe 
verwandt, auch binfichtlich des natürlichen Anftandes 
und der Würde im äußern Betragen, welde bie Be- 
wohner aller Gegenden bes Drients auszeichnen, wenn 
gleich hier in etwas geringerem Gepräge. In der 
Nebenftube des Tanzſaals, beffen Thüren offen ſtan⸗ 
den, ward nach türfifcher Art Tabak geraucht, die 
Tanzmufif, aus einer Violine und Zither beftehend, 
war vollkommen arabifch, Die herumgegebenen Erfri- 
ſchungen und Süßigfeiten gleichfalls von ähnlichem 
parfümirtem Charakter, und berfelbe Löffel diente, wie 





2 





dort, Mehreren nad einander, um fie zum Munde 
zu führen. Auch bie Pantomimen des Tanzes glichen 
denen, die ich im Königreich Tunis gefehen, in vieler 
Hinfiht. Damen und Herren faßen zwar auf euros 
päifche Weife, doch vergaß fich nicht felten ein Bein, 
mit unwillfürlicher Unterfohlagung nad) alter mufel- 
männifcher Manier, und die Bouquets der Damen 
waren ebenfalls nicht, wie bei ung, am Bufen placirt, 
fondern unter dem Fes herabhängend nach orientas 
liſcher Mode befeftigt. Während der Intervallen des 
Zanzes fang eine alte Frau mit einer der durchdrin⸗ 
gendften Stimmen, die ich je gehört habe, und mit 
unermüblicher Lunge griechifche Kriegslieder, bei Denen 
Melodie und Singmethode mir durchaus in nichts von 
dem Gefange der Beduinen in der Wüfte verfchieben 
ſchienen. | 

Uebrigens finde ich in Allem, was ich noch hier 
von der griechiſchen Geſellſchaft gefehen, dieſe in ihren 
Manieren freundlich, zuvorkommend und ohne Präten- 
fion, aber freilih an das Zeitalter der Aſpaſia und 
bes Alcibiades darf man dabei nicht mehr denken, 
Selbſt die Züge der modernen Griechen verrathen 
meiftens weit mehr bie Mifhung mit dem Blute ber 
Barbaren, die fo Tange bier hausten, als den Urtypug 
der Hellenen, wenn überhaupt noch etwas von Diefen 


73 


bier vorhanden iſt. Gebogene Naſen find an der Tages⸗ 
ordnung und bie fogenannten griechiſchen höchft felten, 
Augen und Haarwuchs aber gemwöhntich der fchönfte 
Theil bei Männern und Weibern. Eine der Damen, 
Madam Papadiamandopolo, zugleich eine fehr hübſche 
Frau mit zierlihem Fuß, zeichnete fich vorzüglich als 
Tänzerin aus und erweckte mehreremale ben enthufiar 
fifchen Beifall der Gefellfchaft, der fih durch Aus⸗ 
rufungen des Entzüdend und allgemeines Händellat- 
fen Fund gab, Sämmiliche Tänze fahen fi unter 
einander fehr ähnlich, und ih kann nicht fagen, daß 
fie mir befonderd grazids vorgelommen wären, da 
viele Pas mit einwärts geflellten Füßen oder auf den 
Haffen gemacht wurden, und bas Beugen ber Kniee, 
bis der Hintertheil des Körpers faft den Abfag be— 
rührt, worauf dann immer mit einem Schneller der 
färkftie Sprung erfolgt — auch ſchwer mit Grazie 
auszuführen if. Doc waren einige Bewegungen an- 
muthiger, und vor allem gefiel mir der ernfte, Teiden- 
ſchaftlich ſchwärmeriſche Ausdruck, den die Frauen ihren 
Gefihtern zu geben wußten, wobei dann bie ſchon 
öfters gerühmten großen und feurigen Augen der Grie- 
chinnen fih volfändig geltend machten. 

Am nächften Tage folgte diefem Kleinen Feſte ein 
großer Ball bei dem englifchen Conful, wo fafl die 


74 


ganze Stadt, Eingeborene wie Fremde, verſammelt 
war, Ich hatte hier das Vergnügen, bie Belannt- 
| fihaft des berühmten Kanaris zu machen, der mit 
feiner Eleinen Corvette von 18 Kanonen, dem einzigen 
Dreimafter, den bie jegige griechiſche Marine befigt, 
in den biefigen Gewäflern kreuzt. Er trug nicht mehr, 
wie fonft, die Nationaltracht, fondern nur eine ein- 
fache Civilkleidung, und hätte man mich feine Perfon 
unter den Antvefenben erratben laflen wollen, ich würde 
vielleicht auf ihn gerabe zulegt gefallen feyn. Er ift 
ein Eleiner, ziemlich eorpulenter Mann mit einem jo- 
vialen, freundlichen Ausdruck des Geſichts und jener 
ganz unbefangenen natürlichen Beſcheidenheit, Die trog 
dem, was man darüber häufig zu behaupten pflegt, 
mit fo hohem Verdienſt und fo großen Thaten nur 
felten vereinigt if. Kanaris erinnerte mich in biefer 
Hinficht, fo wie auch in feiner übrigen Tournure und 
Wefen, lebhaft an Mina, von dem baffelbe galt. Ex 
‚bat jest eine ſtark hervortretende Narbe an der Stirn, 
von einer ſchweren und gefährlihen Wunde, die er 
feltfamermeife voriges Jahr durch einen Fall auf ſei⸗ 
nem eigenen Schiffe erhielt, während er im Kriege, 
unter fo vielen drohenden Gefahren und tolffühnen 
Unternehmungen, ftet$ unverfehrt blieb. Er fpricht nur 
Griechifch, und begierig, ihm meine tief gefühlte Hul- 








75 


digung barzubringen, mußte ich mich eines Dolmet⸗ 
fhers dazu bebienen. Er Iud mich zu einem Beſuche 
auf feinem Schiffe ein, bis zu dem ich das Weitere 
über ibn verfpare, 

Die Königin dieſes Balled, die Schönfte unter 


den Schönen, war Kräulein Nina, die reizende Tochter 


unferes Wirths, mit der ich den Ball vermittelft einer 
Polonaife eröffnete, und nachher auch ihre angenehme 
Unterhaltung mehr genießen fonnte, als es fonft ber 
Fall gewefen wäre, da fie wegen einer Berwunbung 
ihres huͤbſchen Füßchens an andern Tänzen gehindert 
wurde. Tarfiga war nicht gegenwärtig, weil fie fich 
unwohl befindet; übrigens ſah ich viele mir noch un⸗ 
befannte Schönheiten, und überhaupt eine reizende 
Gallerie rotber Fes. So brillant die Geſellſchaft indeß 
war, muß fie doch etwas gemifcht geweſen feyn, denn 
man ftahl mir aus meinem Hute ein paar neue pariſer 
Handſchuhe von Walfer, die man durch ein dafür zu⸗ 
rüdgelaffenes horribles Eremplar geflidter patraser 
erfegt hatte, ein fehr unangenehmer Verluſt in biefen 
von der Eiviltfation entfernten Regionen, wo man bei 
vielen Artikeln zu einer früher ganz ungenhnten Spar: 
famleit gezwungen wird. 

Ich litt in Patras eine ziemlich ange Zeit ſort⸗ 
während an Kopfweh, was ich hauptſäͤchlich dem Klima 


76 


— 


zuſchreibe, da man ſich der Luft Abends kaum ausſetzen 
darf, ohne die eine oder die andere nachtheilige Folge 
davon zu ſpüren, und es geht ſelbſt den Eingeborenen 
damit nicht viel beſſer. Mein Freund, der junge Arzt, 
ſchreibt mir eine gewaltig ſtrenge Diät vor, die ich 
auch leidlich befolge, z. B. hat er mir den Wein ver⸗ 
boten; ich trinke alſo nur Biſchof, in deſſen Bereitung 
Lorenzo excellirt, und dem der weiße (denn warum 
ſoll es nicht auch weißen Biſchof geben?) Wein von 
Zante ein ganz eigenthümlich Föftliches Bouquet gibt. 
Es ift fehr Schade, daß bis jetzt Diefer Wein durchaus 
aller Verſuche gefpottet hat, ihn weiter als ganz in 
die Nähe zu verführen. Auch die türkifche Pfeife unter- 
fagt mir der Arzt, ich rauche alfo Cigarren, mit einem 
Wort, ich Halte meine Diät wie ein Jeſuit, und be- 
finde mich wahrfcheintich nicht viel fchlechter Dabei, als 
es ohnedem auch der Kal feyn würde. 

Heute ward, nad) Langer Raſt, wieder eine Ex⸗ 
eurfion nach den Bergen vorgenommen, Wir befahen 
zuerft ein zerftörtes Klofter, wo einft ein antiker Tem⸗ 
pel ftand, von dem ſich noch einige Säulenfchäfte. und 
andere Spuren porfinden, fo wie fih auch aus fpäterer 
zeit auf den Mauern der Kirche, welche die Türken. 
verbrannten, allerlei gemalte Engel und andere himm⸗ 
liſche Honoratioren in Tebhaften Farben zeigen. Bon 








77 


bier brachte ung ein fehr ſchlechter, oft mit Dornen 
ganz überwachfener und von Bergbächen, die ihre Ufer 
abgerifien hatten, burchfchnittener Weg nach einer vos 
mantifchen Schlucht des Gebirges, welche ungefähr 
zwei Stunden von der Stabt entfernt ift, und wo eine 
für die hiefige Gegend anfehnliche Mühle ſich male- 
rifh an die Felſen lehnt. Die unglüdlichen Bewohner 
berfelben wurden vor einigen Monaten von einer jener 
Ränberbanden, die hier im Gebirge immer noch hau⸗ 
jen, überfallen, und ba bie Beute den Wegelagerern 
zu gering fohien, fehnitten fie, nach griechifcher Manier, 
dem Müller Nafe und Ohren ab. Wir fahen den armen 
Mann felhfi, und hörten feine Erzählung mit an, 
die und Lieutenant Tünnermann überſetzte. Als der 
Müller feine diden Haare aufbob, fanden wir, daß 
bie Ohren wie mit einem fcharfen Rafirmeffer förmlich) 
abbarbirt waren, die Nafe aber hatte glüdlichermweife 
nod an einer Seite feftgehangen, als Die Räuber Durch 
herbeigefommene Hülfe vertrieben wurden, und ed war: 
daher möglich geworben, fie, obwohl unförmlich, wie: 
ber zufammenzubeilen. Dennoch aber bleibt Der arme 
Teufel zeitlebens furchtbar entftellt. 

Rechts der Mühle liegt auf hohem Berge ein 
Klofter, das feiner fchönen Ausficht wegen berühmt 
iſt. Trotz der Unficherheit des Weges fuchten wir ee 


78 


zu erklimmen, der Tag reichte aber nicht mehr zu, fo 
dag wir mitten in den romantiſcheſten Schluchten um⸗ 
fehren mußten, und bie Stabt erſt im Dunkeln wieder 
erreichten, was auch nicht verfehlte, mir wegen der 
ungefunden Abendluft am folgenden Morgen eine neue 
Migräne, zit- bereiten. | 

Ungeachtet dieſes fortwährenden Webelbefindens 
mochte ich doch den Befuch bei. Kanaris nicht Länger 
aufſchieben. Er fandte uns, ſobald ich ihn durch den 
Nomarchen avertirt hatte, ein Boot mit recht nett ge- 
kleideten Matroſen, und empfing und dann mit feinem 
Heinen Offizierkorps auf ber Corvetie, bie wir im 
beften Stande, d. h. fo reinlich und fü gut aufgepust 
fanden, ale das alte in ein Kriegsfahrzeug umgewan⸗ 
delte Kauffahrteifchiff nur geflattete. Die Uniform der 
griechiſchen Marine, welche Kanaris heute trug, blau 
und roth mit goldenen Epaulettes, iſt geſchmackvoll, 
und auf der Orden bes Erläfers eine recht hübſche 
Dekoration. Es war indeß doch ein eigenes Gefühl 
für uns, diefen berühmten Helden, deſſen Thaten .die 
Welt erfüllten, nur ald Kapitain mit bem Kommando 
einer jämmerlihen Brigg und ber britten Kaffe des 
griechifchen Ordens belohnt, vor mir zu fehen, — da- 
bei, wie immer, fo anfpruchslos, ala habe er kaum 








79. 


— — — — — —— 


feine Schuldigkeit geihan.! Er führte mich in die artig 
verzierte Kafüte, wo des Könige Bild und das des 
Königs von Baiern in deforirten Rahmen hingen, und 
ließ uns mit Kaffee auf türkifche Weiſe  bewirtben. 
Während der Unterhaltung diente uns einer feiner 
Offiziere als Dolmetfher. Kanaris fprad mit vieler 
Lebhaftigfeit über die zwei verunglüdten Expeditionen 
im Hafen von Alerandrien, deren Nichtgelingen ihn 
noch immer weit mehr zu fchmerzen fehien, als er über 
das, was er vollführte, Genugthuung empfand. Ber 
diefer Gelegenheit erwähnte er mit vielen Robeserhe- 
bungen des festen Capudan Paſcha's, Tahir Pafeha, 
gegen ben Kanaris geftand, nie etwas haben ausrich⸗ 
ten zu konnen. Dreimal, fagte er, hätten Tahir Pa- 
ſcha's Kanonen vor Miffolunghi feinen Schiffemaft 
zerfchmettert, und einmal fey er dem Sinken fo nabe 
gewefen, daß nur .ein halbes Wunder ihn gerettet. 
Bon den Fremden, die für Griechenland gefochten, 
erhob er befonders den alten Kapitain Haſtings; we⸗ 
niger war er von Lord Cochrane erbaut, deſſen Ta⸗ 
lemen und Triegerifhem Geift er zwar Gerechtigkeit 
wiberfahren Tieß, aber doch ber Meinung war, daß 
er Griechenland gehemmt und ihm viel inbirelten 


ı Kanaris ift jeht Commodore und Befehlshaber der ganzen 
freilich nur ſehr diminutiven griechifchen Seemacht. 


80 


Schaden Dadurch zugefügt, daß er ſich nicht in den 
Sinn und die Lage der Griechen habe verfegen können, 
fondern von dieſen immer erwartet, daß fie fich gleich 
eivilifirten und regulairen Truppen benehmen follten. 
Großentheild warb dadurch auch das: Mißlingen der 
zweiten alexandriniſchen Expedition herbeigeführt, an- 
berntheild durch ben Ungehorfam und das intereifirte 
Benehmen einiger der übrigen griedhifchen Kapitaine, 
bie alle ihre eigenen Schiffe commandirten, ſich dem⸗ 
zufolge europäifcher Disziplin nicht unterwerfen, und 
nur da der Gefahr entgegen gehen wollten, wo im 
glüdlichen Kalle auch ein immediater pecuniairer Bor- 
theil für fie felbft zu erwarten ſtand. Aus dieſem 
Grunde zündete noch vor der Einfahrt in den Hafen 
von Ulerandria einer der griechifchen Brander, welcher 
dem Kanaris folgte und, nebft ben übrigen, die ge- 
meffene Inſtruktion hatte, nichts ohne feinen Befehl 
zu unternehmen, dennod die ald Wachtſchiff davor 
poftirte Agpptifche DBrigg an, um baburch den vom 
Gouvernement ausgeſetzten Preis zu gewinnen. Dies 
gab der feindlichen Flotte den Alarm, und zwang 
Kanaris zur fohleunigften Flucht. Lord Cochrane verlor 
aber Die Geduld darüber fo ganz und gar, daß er Kanaris 
und die mit ihm waren, ihrem Schidfale überlaffend, 
mit dem übrigen Gefchwader gänzlih davon fegelte. 


81 


Biel merfwürdiger war ber erfte Verſuch gegen 
Alerandrien, ben Kanaris ganz allein unternommen 
hatte. Der Eingang des Hafens von AMlerandrien ift 
befanntlich ſehr fehwierig und wegen ber fich häufig 
bildenden Sandbänke ftetd wechſelnd. Alle Morgen 
legt ſich daher zur Anzeige ber offenen Stelle eine 
Barfe dafelbft vor Anker, auf der fich der Hafenfapi« 
tain mit einigen Piloten befindet. Dort erſchien mit 
feltener Kühnheit Kanaris bei Anbrud des Tages auf 
feinem Brander, nahm die ganze Gefellichaft der über- 
rumpelten Aegyptier gefangen und zwang fie, ihn zu 
begleiten. Alles zeigte fidh feinem Vorhaben im höch⸗ 
ſten Grade günftig. Schon war unfer furchtloſer Aben- 
teurer nicht nur im Angeſicht der Flotte, fondern felbft 
einer Sregatte ganz nahe, auf der, wie er durch einen 
der Gefangenen erfahren, ein Munitionsmagazin auf: 
| bewahrt wurde. Wäre ed ihm: gelungen, biefe anzu⸗ 
 zünden, wie es damals allen Anfchein hatte, fo Eonnte 
er nicht nur darauf rechnen, bie ganze Flotte zu ver⸗ 
nichten, fondern auch einen großen Theil der Feflungs- 
werke zu zerfiören, ja vielleicht das Arſenal ſelbſt, in 
bem fi) gerabe damals Mehemed Ali in eigener Per- 
fon befand, in Brand zu fteden. Man kann fi, mit 
folh einem ungeheuern Triumph vor Augen, die Ge- 


fühle des getäufchten Kanaris denfen, als ploblin ein 
Südsſtl. Bilderfaal. IL 


82 


„dead calme“, wie die Engländer es nennen, eintrat, 
und ſchnell darauf der Wind umſetzte und ihm nun 
gerabe entgegenblies. Hiermit ſchwand bald alle Hoff- 
mung, die Entdeckung mußte jeden Augenblick erfolgen 
und es blieb Kanaris nichts anderes mehr übrig, als 
jest feinen Brander felbft zu verbrennen und ſich ſpä⸗ 
ter, von den feindlichen Kugeln verfolgt, auf dem 
Sahne zu retten, was er auch glücklich und mit gerin- 
gem Berlufte bemerfftelligte. Den gefangenen Hafen- 
fapitain nahm er bis gu einer Inſel des Archipelagus 
mit, von wo er ihn an Mehemed Ali zurüdjanbie, 
welder dem Unglüdfichen fogleich den Kopf abſchlagen 
ließ, Hauptfächlich deßhatb, wie man hier behaup- 
tet, weil ber nicht allzu vorfichtige Aegyptier mit 
großen Lobeserhebungen die gute Behandlung pries, 
die er bei den Griechen gefunden, und der Pafcha dieſes 
befannt werden zu laffen nicht für politifch hielt. Bei 
biefer Gelegenheit äußerte einer der Anwefenden, Me- 
hemed Ali habe kurz darauf, als feine große Expedi⸗ 
tion nah Griechenland abfegelte, fich eine fehr pom⸗ 
pöſe und liberale Rede machen laſſen, die er auswendig 
gelernt und vor dem Abzuge ſämmtlichen Dfftzieren 
mit vieler Würde herregitirt. Am Ende fonnte er ſich 
aber Doch nicht verfagen, noch einige extemporirte 
Worte hinzuzuſetzen. Dieje lauteten denn auch wieder 





83 


— — — — —— 


vollkommen türkiſch. „Glaubt nach alle dem nicht,“ 
rief er, „daß, wenn Einer von euch Luft hätte, den 
„Kriegsſchauplatz zu verlaffen, er bier nach Aegypten 
„uruͤckkehren und dort einen Jufluchtsort finden koͤnnte. 
„Jedem, der fo zurückkäme, würde ich unfehlbar den 
„Bart roth färben laſſen.“ (Eine elegante mufelmän- 
nifhe Umfchreibung für köpfen.) Dies find indeß 
griehifche Erzählungen, die Leicht parteiiſch feyn 
dürften. 

Um noch einmal auf Kanaris zurückzukommen, fo _ 
hatte es faft etwas Ruͤhrendes, diefen Helden erwäh- 
nen zu hören, wie er ſchon, als dreizehnfähriger Knabe 
das Seeleben beginnend, ſechszehn Fahre lang Han- 
delsreifen- im mitteländifchen Meere und dem atlan- 
tifchen Ozean gemacht, und er dann hinzufügte: „Wir 
fürchteten uns dabei vor den Barbaresfen, wie Kinder 
vor dem Popanz, um fo mehr, da wir gewöhnlich 
viel Geld und Gelbeswerth bei uns hatten, und ich 
erinnere mich, daB ich einmal, als wir mit dem Auf- 
fpannen aller Segel befchäftigt waren, um einem 
Piraten zu entfliehen, fo zitterte, daß mir Die Deine 
wie Stöde an einander fihlugen. Nachher,” meinte 
er lachend, „als ich die Ungläubigen in fo manden 
Schlachten näher kennen Yernte, ift mir Aehnliches 
nicht mehr widerfahren” Er erzählte und, daß er 


84 


außer den einzelnen Schiffen brei größere. Flotten 
verbrannt, bei Tenedos, Scio und Samos einen Ca⸗ 
pudan Paſcha, zwei Admirale und einen Commodore 
in die Luft gefprengt, außerdem aber aud noch Die 
Urſache gemwefen, daß der Großherr einem feiner be- 
rühmteften Seeleute, dem Admiral Carali, nebft drei 
Sapitainen, die Köpfe abſchlagen ließ. — „Aber,“ 
fagte er, „was half es ung, fie ernannten immer wie- 
der neue Chefs, und zulest hätten wir doch ohne 
mächtigere Hülfe unterliegen müffen. Erft die Schlacht 
von Navarin entſchied.“ 

Als ich nach Hauſe kam, fand ich dort, etwas 
kontraſtartig mit dem Vorhergehenden, einen jungen 
Tuchmacher aus Cottbus auf mich warten, der meine 
Unterſtützung in Anſpruch nahm. Dieſer Menſch war 
nicht ganz ohne einige Bildung, und ich hörte mit 
Bergnügen die Befchreibung feiner Reife bis in dieſe 
Gegenden mit an, Er war auf der Donau bis Bel- 
grad mit dem neuen Dampfboot gefchifft, von da zu 
Fuß nad Conftantinopel gegangen, und dann, nad 
Aften überfegend, auf diefelbe Weife bis Smyrna ge- 
langt — ein hübfcher Spaziergang! — jest kam er 
über Athen bier durch, um nad Trieſt und von da 
nad feiner Vaterſtadt zurüdzufehren. Er war ein 
großer Freund der Türken geworben, und behauptete, 








85 


dag man in ihrem Lande, wenigſtens allerwärte, wo 
er geweien, nicht nur eben fo fiher als in Deutfch- 
land, fondern ald ein armer Mann, der nicht viel 
auf fih verwenden fünne, in mander Hinficht beque- 
mer und durchaus wohlfeiler reife, auch von den Be- 
börden ungleich milder und höfficher behandelt werde. 
Häufig, fagte er, habe er Arnauten begegnet, die bort 
ben. Dienft unferer Gens d’armes verrichteten, und 
benen jeder Reifende feinen Paß vorweifen wmüfle, 
was jedoch nie mit Härte verlangt worden ſey; und 
wenn man feine wenigen Sachen im Zollhaufe unter- 
fuht, babe man ihn fogar nie ohne eine dDargereichte 
Taſſe Kaffee geben laſſen. „Kam ich Abends,” fuhr 
er fort, „in's Nachtlager, fo ging ich zum Schulzen, 
in der Türkei Keino genannt, der mich im Khan un- 
terbrachte und auch für mein Eſſen forgte. Oft war 
bie Gefellfchaft dort ziemlich groß, wer bezablen 
fonnte, gab eine Kleinigfeit, wer nichts hatte, fagte 
feinen Danf, und auch das war hinlänglidh. So habe 
ih von Conftantinopel big Smyrna nicht nöthig ge⸗ 
habt, die geringfte Ausgabe zu machen, und fand 
naher ben’ Unterfchied in Griechenland defto drüden- 
ber.” Mit ganz deutfhem Entzüden fprach der junge 
Mann von einigen Gegenden, bie er durchzogen, na⸗ 
mentlich von einer gewiffen Stadt in Kleinaſien, ic 


86 


— —— ·— — — 


glaube Maniſſa, und ihrer fo hoͤchſt „romantiſchen“ 
Umgebung; ein Wort, das ich mit wahrer Satisfac⸗ 
tion aus dem Munde dieſes Tandsmännifchen Tuch: 
machergefellen vernahmt. Das Tuch wird zwar tägkich 
fchlechter bet uns, aber man fieht, die Aäftbetiiche Bil- 
dung fleigt. 

Die von mir bei meiner Ankunft vorgenommenen 
Arbeiten waren num vollendet, und nebenbei Patras, 
fo weit e8 die Yahreszeit geftattete, hinlänglich ausge- 
beutet, ich machte daher alle noͤthigen Anftalten, und 
feste den 26ften Februar als den Tag meiner Abreife 
nah Voſtitza fe. Ich hatte befchloffen, zu Lande zu 
gehen, und Lorenzo mit meinen Effecten einen Tag 
fpäter mit einem zu dieſem Behuf gemietheten Schiffe 
nadhfommen zu lafien. Meine hiefigen Freunde ver- 
forgten mich für bie ganze Tour mit Empfehlungs- 
ſchreiben, und das erfie Nachtquartier in Voſtitza ſollte 
ic) bei dem veichften der dortigen Gutäbefiger, ‚Herrn 
Miffanefi, finden, das ich bei guter Zeit, noch vor 
Abend, zu erreichen hoffte. 

Alles war bereit, und ich eben im Begriff, mei⸗ 
nem Wirth noch einen Abſchiedsbeſuch zu machen, als 
man mir meldete, daß Norma, die ſchon ſeit einigen 
Tagen Zeichen gab, daß fie ſich jenem Zuſtande nähere, 
bem die Natur bei den Hunden beftimmtere Perioden 





87 


als bei ven Menſchen angewiefen bat, nit aufgefun- 
den werben Eönne, und Francis leider auch fehle, der 
ihr wahrfcheinlid voll empressement nachgelaufen fey. 

Das Thierftehlen ift hier ſehr gäng und gebe, 
und bie Nachricht allarmirte mich daher, befonders 
meines Lieblings Francis wegen, ungemein; denn bei 
Menſchen und Thieren find es nicht die verbienftvoll- 
ſten, ſondern bie anmuthigften, welche Lieblinge werben. 
Man verdenfe es mir daher nicht au fehr, daß ich fe 
oft meiner Hunde erwihne, Es find auch Reifegefährs 
ten, oft die ehrlichſten und treueſten von allen, und ich 
behaupte fogar, daß es ſehr menſchlich if, Die 
Hunde zu Heben. Dann beſteht mein größter Feh⸗ 
ler und baher auch meine größte Dual in einem jchwer 
zu befämpfenden Mißtrauen gegen mich jelbft - wie 
gegen Andere, und nur den Thieren gegenüber, bie 
feine DBerftellung lennen, fäls dies weg, und ſetzt 
mich mit ihnen wenigfkend immer vollfiändig. & mon 
aise. | 
Meine Abreife aufzuſchieben, war natirlich bie 
erfte unumgänglidhe Folge des Gefchehenen;: ich ſelbſt, 
Lorenzo, die Leute, alle eilten nach verfchieitenen Rich⸗ 
tungen in bie Stabt und fuchten mehrere Stunden 
lang, doch ohne Erfolg. So verging der ganze Tag 
unter wahrer Angft und Sorge, und wenig beruhigt 


83 


durch alle gemachten Vorkehrungen, legte ich mich mit 
fchwerem Herzen zu Bett. Defto größer war meine 
Freude am andern Morgen, als Lorenzo mir fogleich 
beim Erwachen froblodend die Nachricht brachte, daß 
fhon um fünf Uhr früh die beiden Flüchtlinge in 
großer Eintracht im Hofe erblidt worden wären, und 
jest, beide eingefperrt, im Begriff zu ſeyn fchienen, 
die von mir fo fehr gewuͤnſchte Nachkommenſchaft in’s 
Leben zu rufen. „Unter foldhen Umftänden,” fette er 
lächelnd hinzu, „wird die Reife wohl noch einige 
Tage länger aufgefchoben werden müflen.” Ich fand 
dieß ebenfalls billig, und da ohnedem das Wetter ab- 
fheulih geworden war, Schnee und Regen an bie 
Fenſter fhlugen, und der Sturm faft das Haus um- 
warf, fo lieg ich wieder einen Theil meiner Sachen 
auspaden, und etablirte mid von Neuem auf unbe- 
flimmte Zeit bei unferm gütigen Conful. 

- Richt wenig aber fühlten wir uns alle betreten, 
als gegen Abend eine der unermwartetften Nachrichten ı 
einlief, die einen neuen Beweis zu geben fehten, daß 
Norma wirklich mit meinem Schußgeift im Bunde 
fieben muͤſſe. Ich erzähle Fein Mähren — der offi- 
zielle Bericht über die Begebenheit, ben mir der Eon- 
ful und fpäter der Nomarch mittheilte, wird ohne 
Zweifel bald die öffentlichen Blätter Griechenlands 


89 


füllen, doch halte ich es für nicht überflüffig, bier ben 
Driginaldrief Herrn Miffanefl’s felbft einzufchalten, 
den er einige Tage fpäter an den in Patras etablirten 
Engländer Heren Wood ſandte, und. deffen wörtliche 
Ueberfeßung ich der Güte der fhönen Fräulein Nina 
verdanfe. Diefes Schreiben verräth zugleich eine Würbe 
und Gelaffenheit bei fo großem Unglüd, bie in mei⸗ 
nen Augen etwas wahrhaft Antikes bat. 


Herr Miffanefi an Herrn Wood. 


„Am 15ten biefes Monats, Mittwochs um ſechs 
Uhr Abends Calfo nur eine Stunde fpäter an 
demfelben Tage, wo ih bei Herrn Miffe- 
nefi einzutreffen gedachte), als ich in Gefell- 
fhaft meiner Familie und des Herrn Panagin Krifan- 
thopulo in meiner Arbeitsftube faß, öffnete ſich bie 
Thür und ein Fremder blickte herein. Sch glaubte, 
er fuche Jemand, und nahm Leine weitere Notiz davon. 
Doch ward ich bald meinen Irrthum gewahr, denn 
als ungefähr eine Viertelſtunde fpäter meine Tochter 
Zoe hinausging, um ein Glas Waffer zu holen, ward 
fie durch die Erfcheinung zwei bewaffnetier Männer 
erfhredt, die ihr zuriefen: „Steb Here!” Augenblid« 
lich die Gefahr einfehend, fprang fie in's Zimmer zus 
rück, mo wir faßen, und indem fie den Riegel vor⸗ 


90 


ſchob, rief fie ung ängſtlich zu: „Bater, es find Räu⸗ 
ber im Haufe!” Ich verbarrifabirte fogleich die Thüre, 
und bie Fenſter Sffnend, ſchrien wir Alle nach der 
Stabt um Hülfe. Unterdeſſen hatte mein Neffe Marko 
und fein Mufifmeifter im Nebenzimmer den Larm pe- 
hört, und beide eilten zu fehen, was vorfiele; fie wur⸗ 
den aber fogleih von den Räubern ergriffen, ſchwer 
verwundet zu unferer Thüre gefchleppt, und dort ge- 
zwungen, ung zuzurufen, daß, wenn wir nicht ſogleich 
öffneten, die Klephten ihnen augenblicklichen Tod droh⸗ 
ten. Zugleich hieben dieſe mit einer kleinen Art ein 
Loch in die Thuͤre, während ihre Gefährten zum Fen⸗ 
ſter hinein ſchoſſen, bei welcher Gelegenheit mein Seh 
Sotirios von drei Kugeln in der Bruft niedergewor⸗ 
fen wurde. Da ih ſah, daß keine Hülfe yon außen 
fam, und mit Recht fürchten mußte, daß, wenn vie 
Räuber mit Gewalt einbrängen, Teiner von ung in 
ihrer Wuth verihont werden würbe, fo oͤffnete ich 
jegt die Thäre ſelbſt. Bier vom Kopf bis zu ben 
‚Süßen bewaffnete Männer mit gezogenen Säbeln dran⸗ 
gen bereit, unb riefen: „Der mit deinem Gelbe, ver: 
dammter Hahnrei!”ı Sie machten hierauf, wild ihre 

ı Ein Favoritſchimpfwort der gemeinen Griechen, welches 


natürlih Miß Nina nicht verfiand, und ich mir daher andern 
Oris überfeben laſſen mußte. 


91 
Säbel ſchwingend, Miene, mich niederzuhauen, als 
meine Tochter Zoe vorſprang, um mich mit ihrem 
Körper zu decken, wobei ſie tief in Bruſt und Schul⸗ 
ter verwundet ward. Ich redete den Wüthenden, ſo 
viel ich konnte, gütlich zu, oͤffnete mein Bureau und 
gab ihnen nach einander 1350 Franken, 1000 Colona⸗ 
ten, 145 Sovereign's und 8 fpanifche Dublonen. Meine 
Antifenfammlung nebft unfern Uhren hatten fie ſchon 
felbft genommen. Sie waren aber auch hiemit noch nicht 
zufrieden, fondern verlangten außerdem den Schmud, 
‚mit dem wir geprahlt hätten, als der König bier 
durchgefommen fey.” Zoe gab ihnen biutend und halb 
obnmädhtig die Schlüffel, Nun erft fingen die Bewoh- 
ner der Stadt mit einigen Gensd'armen an, fi auf 
dem Platze um das Haus zu verfammeln, und ed nad 
‚ und nad) zu umzingeln. Pilatus Bruber, Ricolt, ſchlich 
durch den Garten, und bis zum Fenfter hinaufkletternd/ 
das auf bie Haustreppe fieht, erblidte er den Anfüh- 
rer der Räuber, Sotirios Kondroyanni, wie er eben 
zu Zoe's Zimmer binaufftieg, um den Schmud zu 
bolen, Er prüdte fein Gewehr auf ibn ab und vers 
wunbete ibn fo ſchwer, dag er auf der Stelle zufam« 
menſturzte. Seine Gefährten ſprangen ſogleich zu fei- 
ner Unterflügung herbei, und während fir mit ihm 
befehäftigt waren, bradite ich ihnen einige Flaſchen 


1) 


92 


Rum, wovon Alle haſtig ſo viel genoſſen, daß ſie ſich 
bald größtentheils im Zuſtande halber Trunkenheit 
befanden. Doch kehrte Jeder, bis auf den Verwun⸗ 
deten, kurz darauf an ſeinen Poſten zurück, das Haus 
weiter durchſuchend, während ungefähr eine halbe 
Stunde nachher noch zwei derſelben durch Schüſſe 
von der Straße getroffen wurden. Sie begannen nun, 
nach vollbrachter Arbeit, ganz ruhig mit dem Volke 
außerhalb zu kapituliren, und erboten ſich, daß, wenn 
man ihnen bie Herren Michael und Mitri Meletopulo 
als Geißeln mitgäbe, bis fie die Stadt hinter fid 
hätten, fie friedlich abziehen, fonft aber fih bis auf 
den letzten Mann vertheidigen wollten, Während 
dieß überlegt wurde, blieb eine Zeit lang Alles ruhig 
auf beiden Seiten, und wir riefen aus dem Fenſter 
Chirurgen herein, um fowohl unſere Verwundeten . 
als die der Räuber zu verbinden, worauf: biefe ung. 
endlich, noch immer mehr dem Rum zufprechend, ganz 
unbewacht in meiner Arbeitsftube ließen, — Wir nab- 
men ohne Zögern die Gelegenheit wahr, um John 
über die Terraffe binabzulaffen, der das Volk benach⸗ 
richtigte, daß nur noch vier Räuber unverwundet übrig 
blieben. Nicoli erftieg hierauf augenblidlich die Ter- 
raſſe, und war faum in bas Haus getreten, ‘als er 
zweien ber DBöfewichte begegnete und fie in ihrem 





93 


trunfenen Zuftande mit Hülfe unferer Magd Margie 
entwaffnete. . est erft fchien die faubere Geſellſchaft 
in Allarm zu geratben,.und 309 fih, Geſunde wie 
Pleffirte, fliebend in die Sputerrains zurück. Wir 
öffneten fhleunig die Hausthür, das verfammelte Bolf 
firömte herein und faßte endlich Muth, die Räuber 
ernftlich anzugreifen. Nach kurzem Gefecht wurden 
bie gefürchteten dret Brüder, Sotirios, Androntos und 
Georg Kondroyanni, ihr Better Katfavos, Argiron 
Ikonomopulo und Sptini Dragatin gefangen, nachdem 
fie noch vorher zwei Bürger Lurba und Sarneli er⸗ 
ihoffen und mehrere verwundet hatten. Einem der 
Räuber gelang es nachher wieder zu entfliehen, wahr- 
ſcheinlich durch Einverfländnig mit Einwohnern . der 
Stadt. So endete dieſe tragifche Begebenheit. Mein 
Sohn Sptirios und mein Neffe Marko, meine Toch⸗ 
ter Zoe, Jakintho, der Muſikmeiſter und Margio bie 
Magd, find Alle mehr oder minder verwundet, und 
die Populace, nicht die Räuber, denen man Alles 
wieder abnahm, hat fich Die gute Gelegenheit zu Nugen 
gemacht, und über A000 Eolonaten an Gelb und Gel- 
deswerth aus meinem. Haufe mit fih fortgefchleppt, 
ohne daß wir es zu hindern vermochten.“ 





94 

Dieſer Brief iſt nicht nur durch feine reſignirte 
Einfachheit auffallend, deren ich ſchon erwähnte, ſon⸗ 
dern fein Inhalt fcheint mir auch in vieler Hinficht 
merkwürdig charakteriftiich für die Sitten und ben 
Zuſtand dieſes unglüdlichen Landes zu jeyn, wovon 
wir uns in Europa kaum einen Begriff zu maden - 
vermögen. Man bedenke, daß bier eine Heine Anzahl 
Räuber mit der größten Seelenruhe, mitten in einer 
anfehnlichen Stadt, fih über ſechs Stunden in einem 
ber anfehnlichften Häufer berfelben aufhielten, waͤh⸗ 
rend dem zu mehreren Malen ganz gemüthlich mit der 
Bevölkerung dieſer Stadt parlamentirten, dabei gelafs 
fen aßen und tranken, und felbft Chirurgen zur Ver⸗ 
bindung ihrer Wunden hereinkommen Ließen, erfi ganz 
zulest aber für ihre Sicherheit ernfilih beforgt zu 
werden anfingen. Auch haben die Brüder im erften 
Berbör ſich noch bitter beflagt, von falſchen Freunden 
beirogen worden zu fepn, und furchtbare Rache ge- 
droht. Die drei Kondroyanni's waren ſchon lange 
der Schrein bes Pelopornes, und fie waren es 
auch, welche Dem yon mir erwähnten Müller, fo wie 
nod zwei andern Einwohnern der Stadt Patras, 
Nafe und Ohren abgefchnitten, und eine Menge ander 
ver Räubereien und Morde begangen haben, fo bag 
man fie ſchon feit geraumer Zeit für vogelfrei erklärt 





9 


und zugleid) einen Preis von 6000 Drachmen auf eines 
Seden Kopf geſetzt hatte. Demungeachtet mochte Zein 
Grieche diefen Preis verdienen, fo leicht ed Mehreren 
unter ihnen oft geworden wäre, bis zuletzt die Brü- 
der felbſt, durch zu großes Vertrauen auf bie ihnen 
zu Gebote ſtehenden Mitiel, ihren Untergang herbei⸗ 
führten. 

Es ift baher klar, daß diefe Menfchen nicht nur 
ſpegiellen Anhang hatten, ſondern ſich fogar einer ge- 
wiſſen Popularität erfreuten, and mehr als 
Das Gpuvernement gefürchtet wurden. 

Zu gleicher Zeit mit dieſem Briefe ging auch bie 
für das Ganze beunruhigenbe Nachricht ein, daß in 
ven nahen Rumelien ein bisher ganz unbekannter 
Chef, mit Ramen Eapitain Kutras, aufgetreten fey, 
ber zu feinem Probeſtück, an der Spige von mehr als 
4100 Mann, das Dorf Lepenu verbrannt, gänzlich aus⸗ 
geraubt, und, da bie Einwohner geflohen, mit uner- 
hörter Graufamkeit ſechszehn zurädgelafiene Kinder 
und fieben Weiber niedergemacht babe. 

Den Zeitungen nad) befindet fich fafl der ganze 
Norden Griechenlands in einem ähnlichen Zuftaube, 
und heimlich von den Türken unterflügt, wie man 
glaubt, organifiren ſich die fo thöricht verabſchiedeten 
früheren griechifchen Nationaltruppen zu einer förm⸗ 


% _ 
lichen Revolte im Großen. Dies find unangenehme 
Aſpecten für einen friedlichen. Reifenben! 

Unter ſolchen Umftänden hielt ich es für gerathen, 
vor der Hand Patras noch nicht fo fchleunig zu ver⸗ 
Iaffen. Da aber außer den gefellfihaftlichen Berhält- 
niffen, mit denen allein meine Zeit auszufüllen ich 
nicht vermag — wenig mehr bier zu ſehen, noch zu 
thun übrig blieb, vertrieb ich mir die übrige Muße 
mit Lectüre. Deiner guten ober übeln Gewohnheit 
nad laſſe ich meine Lefer auch gern an dem Theil 
nehmen, was ich las; Abwechfelung ſchadet nicht, 
denn das Leben ift bunt. 

Das erfie Buch, was ih aus bes hülfreichen 
englifchen Conſuls Bibliothek erhielt, war: Belgium 
und Weſtern Germany, von Miſtreß Trollope, 

Ih ergriff ed mit um fo mehr Vergnügen, ba 
mir diefer Dame Buch über Amerifa befannt war, 
dem e3 nicht an Driginalität fehlt, obgleich ich es oft 
zu einfeitig und zuweilen de mauvais goüt gefunden 
hatte. So erinnere id mich 3. B., daß ihre zwan- 
zigmal wiederholten Befchreibumgen des Spudens der 
Amerikaner mir zulegt faſt noch efelhafter vorfamen, 
als die Sache felbft. 

Das neue Werk täufchte jedoch meine Erwartung 
gänzlih. Es bleibt fehr weit hinter dem erften zurüd, 








97. 


und Miſtreß Trollope’s außerordentlich ſchiefes Lob 
Deutſchlands, fo weit fie es ſah, laͤßt fürdten, daß 
ber frühere Tadel Amerika's eben fo ungegründbet 
ſeyn möchte. Dabei if die burlesfe Unwiſſenheit, 
hinfichtlich Tontinentaler Zuflände, bie fi) mehrmals 
darin verräth, wahrhaft befremdend. | 
In Belgien, wo Miftreß Trollope behauptet, daß 
nur einige Sntriguants und bigotte Katholiken die 
Reyplution gemacht, die große Totalitit bed Bolks 
aber noch immer dem König von Holland mit größs 
ter Liebe anhänge, bewundert fie unter andern, bei 
Gelegenheit der dortigen neuen Feflungsbauten, „wel⸗ 
hen Stempel der Größe Alles trage, was von biefem 
Könige ausgehe,” ohne zu wiflen, daß der König von 
Holland, fo groß er aud ſonſt feyn mag, doch mit 
dem Bau der belgifchen Feſtungen wenig zu thun hatte. 
Bei Erwähnung der Schladht von Waterloo, wo na⸗ 
türlich die engliſchen Heldenthaten Durch alle Octaven 
hindurch befungen werden, vergißt fie den kleinen 
Antheil, den die Preußen daran hatten, vollſtaͤndig, 
erzählt uns aber dafür, daß Napoleon, ſprachlos, 
Wellingtons Maneuvres anftaunend, commandirt habe: 
„Sauve qui peut!“ Als fie durch Quatrebras kommt, 
berichtet ſie, „daß hier zwei Tage vor der Schlacht 
von Waterloo Blücher aufs Haupt geſchlagen worden 
Suboſtl. Bilderfaal. II. 7 


— 

ſey,“ und dergleichen baaren Unſinn mehr. Die deut 
ſchen Gärten findet fie weit prachtvoller ads. die eng⸗ 
liſchen, ſelbſt das Tächerlich überlabene, geſchmackloſe 
und vernachläßigte Schwetzingen, und wurdert ſich, 
daß man in Caſſel, nach ihr der fchönften Stadt ber 

Erde, die Hausthüren offen laſſen Fönne, ohne besaubt 
zu werben. „Und doch,“ ſetzt fie triumphirend hinzu, 
am allen Reformern und Eonftitutionellen durch dieſe 
Bemerkung das Garaus zu machen, „doch hexrſcht 
bier eine ganz deſpotiſche Regierung!“ Dieſe Bemer⸗ 
kung macht ſie im Jahr 1833. 

Die großen Elogen, welche ſie hierauf der unter⸗ 
druͤckten Freiheit der Preſſe und noch mehr der ge⸗ 
feſſelten Erziehung der Jugend in einigen Theilen 
| Deuiſchlands ſpendet, ſind nur folgerecht, deßhalb 
jedoch nicht mehr, und am wenigſten aus einem eng⸗ 
liſchen Munde, erquicklich. Die Weitſchweißgkeit ihrer 
Beſchreibungen aber, die unertaͤgliche Ausdehnung 
ſelbſt der am ſich intereſſanteren Artilel, die Einen 
fortwährend an jene Fabrilen erinnern, wo ein Heis 
nes Stüd Gold fo lange buch prefiende Rollen ge⸗ 
zogen wird, bie es in viele hundert Ellen Faden 
‚umgewandelt iſt — laſſen faſt vermuthen, daß dieſes 
Buch mehr eine Speculation auf ben früher erlangten 
Namen feyn möchte, als ein Werf aus echtem inneen 





9 


Drang geſchrieben. Ein ſolches fällt wie eine reife 
Frucht vom üppig wuchernden Baum, wäre biejer 
auch nur der geringften Art; das andere aber gleicht 
der geſchmackloſen Pflaume, die mit Dünger im Treib⸗ 
haus getrieben wurde. 

Eine hoͤchſt ridicüle Geſchichte mit einem gewiſſen 
Kaſpar Melchior am Rhein gibt einen guten Maßſtab 
für die Oekonomie ab, mit ber bie. Engländer heut zu 
Tage reifen. .Mr&. Trollope Cheifäufig der wenig 
vornehm. klingende Name für eine fo große Verehrerin 
des ariftofratifchen Abſolutismus) Hatte, auf einer 
Ercusfion, bei beſagtem Melchior nehſt ihrer Beglei- 
tung ein Zimmer benust, um „Schnaps“ mit Mil 
zu teinfen, bie beibe von ſchlechter Qualität erklaͤrt 
werben, !: worauf die Gefelfchaft ihre Mäntel zurüd- 
ließ und ihre Luſtpartie weiter verfolgte. Als fie 
wieder zurückkommt, forbert ber böfe Kafpar einen 
halben Thaler für Obdach und ben genoffenen 
„Schnaps. Mrß. Trolfope, entrüftet über dieſe exor⸗ 
bitante Rechnung, Iegt, wie fie behauptet, „weit mehr 
als die Wanre werth war, aber doch nur die Hälfte 
des Geforderten,” alſo ſechs gute Grofchen auf ben 
Tiſch und macht ihr exit. — Kaum find jedoch die 


ı Dies Getränk feheint ihr übrigens befonders zuzufagen, 
denn auf dem Broden genießt fie es wieder. 


10900 


— —— —— 


Reiſenden im Boote angelangt, als, gleich dem Geiſte, 
welcher fein ſilbernes Bein nicht fahren laſſen wollte, 
der fürchterliche Kaſpar — von dem nachher chari⸗ 
tablerweiſe beigebracht wird, daß er im Verdacht meh⸗ 
rerer geheimen Verbrechen, unter andern eines Mordes 

ftehe u. ſ. w. — mit wüthender Geberde hinzukömmt, 
den Strick ergreift, mit dem das-Bont noch am Lande 
befeftiget war, und ungenügfam auf feinem vollen 
halben Thaler beſteht. Er iſt indeß nur ein fleiner, 
fhwader Mann, der bloß einen athletifchen, aber 
abmwefenden, Bruder bat, und bie beiden ftarfen 
jugendlichen Bootsleute wären hinlänglich gewefen, 
ihn mit Leichtigkeit zu ecrafiren. Doch Miſtreß Trof- 
Yope, um Blutvergießen zu verhindern, entſchließt ſich 
großmüthig, ein Opfer zu bringen. Sie entfaltet die 
Schnur ihrer Börfe von neuem, und die fehlenden 
ſechs Grofchen werden dem Ungeheuer Kafpar ausge 
zahlt. Bei alle dem fcheint fie fpäter wieder einige 
Neue über diefe rafhe That empfunden zu haben, 
denn fie geht auf: dem DMeäufefelfen lange fehr. ernftlich 
mit dem Gedanken um, Kafpar nachträglich noch pro- 
zeffualifdy zu verfolgen — bis die Betrachtung, „daß 
fie fi in St. Goar in Preußen befinde, der Miffe 
thäter Kaſpar aber ein naffauifcher Unterthan ſey,“ fie 
definitiv beftimmt, die unangenehme Begebenheit für 











101 


—— u en er 


immer zu verſchmerzen. Wie man fieht, hat fie aber 
ben Erſatz des gemachten Verluſtes doch noch geſchickt 
threm Buchhändler aufzubürden gewußt. 

Der Billigkeit gemäß geftehe ich auf ber andern 
Seite, daß zuweilen in diefer vewäflerten Brühe doch 
hie und da einige Fräftigere Broden umherſchwimmen. 

Nicht unwibig 3. DB. ift die Weberzeugung der 
Berfafferin, „daß die Holländer, wenn fie je das Un- 
glüd hätten, kdolaters zu werden, gewiß fofort Seife 
und Waffer anbeten würden,” und ganz ber früheren 
zrollope würdig iſt eine fchlagende Bemerkung über 
deutſche „Tradesmen.” Als Parantbefe bemerfe id; 
vorber, daß diefes Wort in dem Sinne, den es in 
England hat, ohne Umfchreibung wicht hinlänglich in’s 
Deutſche zu überfegen if. Es bedeutet alle diejenigen 
Leute, welche nicht unabhängig von ihrem Vermögen, . 
ſondern son irgend einem untergeorbnneten Gefchäft, 
Handel im Kleineren, Handwerk u. |. w. leben. Es ift 
in gewiſſer Hinfiht der Gegenfag von Gentlemen, 
und Aerzte, Advokaten, Doktoren, Banquiers, Künft- 
ber. und Bücherfchreiber werben nicht bazu gerechnet, 
jo viel ih. weiß — alfo: „Ein deutſcher Tradesman,“ 
ſagt Miſtreß Trollope, „hat nie die mindeſte Präs 
tenſion, für einen Edelmann gehalten zu werden, 
und ein deuiſcher Edelmann nie die mindeſte Furcht, 


1082 


für einen Tradesman gehalten zu werben; barin aber; 
glaube ih, Kiegt der Grund, weicher einen fo merk⸗ 
würdigen Unterfhied zwiſchen einer gemiſchten engli- 
ſchen und einer gemiſchten beutfchen Geſellſchaft her- 
vorbringt.” Wer England kennt, wird dies hoͤchſt 
treffend finden. 

Nicht ohne Nutzen muß endlich das Buch, als 
eine Art guide des voyagenrs, für alle diejentgen 
feyn, welche den Rhein bereiſen wollen; denn an den 
weitläuftigſten und langweiligſten Notizen in bieten 
Hinficht fehlt es nid. 

Nach der vorliegenden Probe meiner Nezenfenten- 
Kaparität, deren NRefultat, mit einem Küchenausdruck, 
füglich: esealopes-de Trollope genannt werben koͤnnte, 
wollen wir uns wieber nach den griechifchen Wege- 
lagerern umfehen. 

Man hatte alle fünf Gefangene nach der Corvette 
des Rapitain Kandrid gebracht, wo ich fie einige 
Tage nach ihrer Ankunft mit dem Nomarchen beſuchte. 
Wir erfuhren bier, dag bie brei Konbroyanti’s nad 
vier andere Brüder haben, wovon zwei, bie gleid 
berüchtigte Räuber find, bereitd auf dem Pakamid zu 
Nauplia in Ketten fißen, zwei aber ſich bis jet ruhig 
dur ihrer Hände Arbeit nährten. Alle aber, bis 
auf ben allerfüngften, waren vorher ‚Soldaten oder 





103 


— i 


Anführer in dem griechiſchen Nationalcorps, welches 
die Regentſchaft in einer üblen Stunde verabſchiedete, 
— und ihrer. Angabe nach hätten fie nur deßhalb ihr 
jetziges Handwerk. begönnen, dann aber, um ihre Brü⸗ 
der zu rächen, es fortgeſetzt. Doch mag Dies nicht 
ganz rihtig feyn, da bie äkteren Brüber fon unten 
Capo d'Iſtria einmal daſſelbe Geſchaͤft bettieben. Mon 
brachte einen nad dem andern einzeln zum Berkör. 
herauf. Der ältee der Brüder, ein Fleiner dicker 
Mann, weicher nur Leicht am Kopfe bieffirt war, fah 
liſtig aus, haste aber im Uebrigen eiwas ganz Out- 
möthiges,. und, wie alle drei Brüder, geſchonte weiche 
Hände und Anpand in feinem Benehmen, fo daß das 
Berhör ganz das Anfehen einer bloſen Converfation 
gewann. Man nennt ihn den. Kopf, fo wie ben 
zweiten Drubet den Arm Ber Bande, und beide ent⸗ 
ſprechen ber Richtigkeit dieſer Begeichnung. Anbrontos 
ſuchte indeß fo viel Unbedeutendheit als möglich zu 
affeetiren, ſprach imner von Sotirios als bem Ans 
führer, und klagte ſich ſelbſt großer Furchtfumkeit am. 

Als fein vollſandiger Gegenfag erſchien fein. Bru⸗ 
ber, der bei einem frͤhern Verhör, auf dir gdmöher: 
Be Frage nach feinem Nanten, äntwandeti: . „Apns: 
brayani, ter erfie Mükber. im Peloponnes!“ Es 
- war ein großer, fehöner Mann von 22 Jahren und 








104 . 


Apolloniſchem Wuchs, nur entftellt durch den böfen und 

graufamen Ausdruck feiner ſchwarzen, etwas ſtarren 
Augen. Auch foll er es beſonders geweſen feyn, der 
ftets fo viel Gefallen an ber Operation: des Nafen- 
und Ohrenabſchneidens zeigte, Obgleich eben fo ge: . 
fährlich als föhmerzlich verwundet — denn bie eine 
Kugel des Nicoli hat ihm ben Oberfchenkel faſt zer- 
fihmettert, die andere noch edlere Theile ‘getroffen — 
leichenblaß, oft einer Ohnmacht nahe, und ſichtlich 
unter den heftigſten Qualen in das Zimmer getragen, 
verließ ihn doch ſein Stolz und die barbariſche Würde 
ſeines Betragens keinen Augenblick. Im Winkel der 
Stube mit nackten Beinen, die eben fo ſehr durch die 
Schönheit ihrer Form, als ihre biendende Weiße auf- 
fielen, auf feinem biutigen Hemde liegend, und felbft 
während des Verhörs fo flarf biutend, dag man nach⸗ 
ber ben Fled, wo er gefeffen, mit heißem Wafler 
aufwaſchen mußte, hätte man doch, wenn man bloß 
nach feiner Phyſiognomie geurtheilt, ihn eher für einen 
verwunbeten und gefürchteten Chef. in ber Mitte feiner 
Untergebenen, als für einen gefangenen und für vogel- 
frei erklärten Miffethäter hätte halten mögen, ber in 
kurzer Zeit feiner Hinwichtung 'entgegenficht: Er Tieß 
fih nur auf wenige, mit fehr übler Laune gegebene, 
Antworten ein, wies auf-feine Wunden, und bat mit ' 





108 


— — — — — 


einer veraͤchtlichen Miene wenigftens um einen Stroh⸗ 
ſack, da, wie es ſcheint, er bisher im Swciffsraum 
auf den harten Dielen liegen mußte. 

Georg, der dritte Bruder, war ein ebenfalls hoch 
gewachſener hübſcher junger Menſch von 18 Jahren, 
der im Geſicht wie ein Maͤdchen ausſah, und durch 
ſeine Unbefangenheit, ja Heiterkeit, und das verfchämte 
Lächeln, mit dem er auf mehrere ſcherzhafte Kragen, 
die man an ihn richtete, antwortete, das größte Mit: 
leid erregen mußte; denn von Kindheit an dem Bei⸗ 
jpiele feiner Brüder folgend, Fann man wohl annehmen, 
daß er Taum etwas Anderes vom Teben weiß, und daß 
ihm daher, moralifch betrachtet, wenig zugerechnet wer: 
den darf. Unter diefen Umfländen iſt es hart, ein fo 
junges Blut der Gerechtigleit zum Opfer fallen zu fehen. 

Die andern beiden Räuber erfchienen neben dieſen 
drei Hauptacteurd nur wie Statiften. Doc erregte 
der Eine derfelben ein wahres Grauſen durch ferne 
furchtbare Entſtellung. Er war hinter dem Ohre durch 
den. Kopf gefchoffen und fein Geficht ſo entſetzlich an⸗ 
geſchwollen, daß es mehr der Schnauze eines. wilben 
Tieres, als dem Antlig eines Menfchen glich‘, eine 
Taͤuſchung, die noch durch ſeine vergeblihen Berfuche, 
zu-fprechen , vermehrt wurde, da fie fich alle bloß in 
einem hohlen Grungen verloren: 


186 


Der Andere erſchien als ein fehr: auflänbiger 
Mann, und behauptete, durch die Kondrsyandi’s gu 
der Erpedition gegen Miffanefl gezwungen worben zu 
feyn. Doch lachte der Nomarch zu dieſem Borgeben, 
und meinte, feine ganze Familie fey bereits als ver⸗ 
wegene Klephten berüchtigt. | ' 
Die Art, wie man mit den Räubern umging, 

war ſehr human, ja in. gewiſſer Hinſicht ſchien fie. mir 
es faft zu fehr zu ſeyn; denn die Herren, melde fie 
befragten, ſcherzten häufig lachend mit ihnen, und bes 
handelten fit mit..der wohlwollendſten Familtarktät, 
was mir bei biefer Rage der Dinge faft einen ſchauer⸗ 
lichen Effect machte. Es ift jedoch bei der hieſigen 
Nationalität nöthig, weil man auf anders Weife gar 
nichts yon ihnen erfahren würde, und daher nur hie 
und da etwas mit Lift von ihnen hexrauszulocen iſt, 
was um fo. widhtiger wird, da man nicht zweifeln . 
batf, daß ihre Ennkerisnen mit den: Einwohnorn ſchr 
weit verzweigt find. Das für ung Metkwuͤrdigſte ihrer 
Ausſagen beſtand in Folgendem. 

Die drei Bruder hatien fich auf: dem Dall ves 
engliſchen Conſuls, deſſen ich erwähnt, auch: einge⸗ 
funden, im Hofe unter die Dirner gemiſcht, und wur⸗ 
den nur Durch einen Zufall verhindert, ſchon damals 
fih irgend eines der angeſthenſten Fremden im Orte 





167 
zu bemächtigen, ben fie zu fangen wünſchten, um damit 
ihre beiden auf der Feſtung figenden Brüder einzulöfen, 
wozu ein Grieche, wie: fie meinten, nicht hinlänglich 
wichtig genug ſey. Welche Rinaldoſecene wäre es ger 
weien, wenn plöglich der fchöne Räuber mit feinen 
bewaffneten Befährten in den Saal getreten, amd ſich 
bort ein Opfer auserfehen hätte: In ber allgemeinen 
Berwirrung und ohne Waffen würde vieleicht der 
Widerſtand nicht fehr furchtbar für bie Ränder aus⸗ 
gefallen ſeyn. 

Wir konnten ung nun leicht denken, wie erwünſcht 
ihnen meine Reife nach Voſtitza hätte kommen müſſen, 
denn eine beſſere Gelegenheit, ihren Zweck zu erreichen, 
konnten fie in dieſem Augenbitd ſchwer finden — wir 
aber waren fehr zufrieden, ihre intereffante. Bekannt; 
ſchaft auf der Corvette des Kapitain Kanaris ſtatt in 
Miſſaneſi's Haufe ober im ben Engpäffen der Verg⸗ 
ſtraße gemacht zu haben. 

Der Nomarch, der, wie wir wiſſen, ſelbſt Arzt 
if, fuͤßlte den Verwundeten theilnehmend an den Puls 
und gab ihnen Arzilichen Rath, haste aber außerdem 
noch einen Ehirurgus mit Rh, der ihre Verbindung 
Geforgte. Bei diefer Gelegenheit erfuhren wir ben 
jonderbaren Umftand, bag Kanaris auf feinem Schiffe 
gar feinen Wundarzt hält, weil Offiziere und Mannſchaft 


108 


Seinen haben wollen. Sie können ſich felbft Furiren, 
fagen fie, und. ein folcher regulairer Chirurgus quäle 
fie nur und halte ihre Krankheit hin. Diefe Abnei- 
gumg des griechiſchen Militaird gegen Aerzte ift wirk⸗ 
lich ergöglih. Man hat in neuefter Zeit, den früher 
gemachten Fehler einfehend, wieder angefangen, Na⸗ 
tionaltruppen anzumwerben, und zwei Bataillons errich⸗ 
tet, welche von den Baiern nur kurzweg die Fuſtanell⸗ 
Bataillond genannt werden, ! und wovon eind in 
Rumelien jetzt gegen die Snfurgenten gebraucht wird. 
Es war dieſem Bataillon ein baierfcher Militairarzt 
beigegeben worden, den jeboch der Befehlshaber ſchon 
nad) den erftien zwei Märfchen nach Miffolunghi zu- 
rüdihidte, wo er auch mit all feinem Apparat bie 
zu ihrer Zuxückkunft müßig verblieb. „Was foll ich 
mit Ihnen anfangen?“ hatte der Hauptmann zu ihm 
gefagt, „durch die Felſen mit ung klettern Tönnen. Sie 
nicht, gebe ich Ihnen und Ihrem Pferde gehn Mann 
Gölorte, fo muß ich biefe entbehren und risfire bei 
der Schwäche berfelben, daß fie mit Ihnen von ben 
erſten beften Rebellen niedergemacht wird, denen Sie 
begegnen; kuriren werben ‚wir und übrigens ſchon 
felöft, eilen Sie alfo, dag Sie fo ſchleunig als möglich 


1 Bon der Art Schürze, welche die Griechen tragen, die 
fastanella heißt. 








109 


Miſſolunghi wieder erreichen.” Eine ſolche Sorglofig« 
feit und gelegentliche Selbfthülfe ift gewiß eine vor⸗ 
treffliche foldatifche Difpofition! 

Einige Tage später fand dad große politifche 
Fe der NReugriehen zur Feier der Landung König 
Dttv’d in Nauplia ftatt. Kirchen » Jeremonieen, Pros 
zeffionen, Uniforms und KRoftiime-Ausftellung aller Art, 
nebft Freudenſchüſſen aus Gefhüs und Gewehren von 
Früh bis Abend, nahmen den Tag ein, den gutes 
Wetter begünftigte; und des Nachts ſchloß ihn ein 
Ball für 300 Perfonen bei Herrn Fachoͤri, wo unter 
andern Beluftigungen auch eine Pharaobank vielen 
Beifall fand; denn die Griechen lieben das Spiel. 
Der ruffifhe Coyful erzählte mir bei dieſer Gele— 
genheit eine komiſche Weife, mit der man in Ruß— 
land das polizeiliche Verbot des Hazardſpiels um⸗ 
gebt. ine gefchloffene Geſellſchaft macht ihr Arran- 
gement mis dem Wirth einer Taverne, und fpielt 
bei ibm ohne Geld, nur um — Limonade, wovon 
das Glas feinen beflimmten gewöhnlichen Werth hat. 
Man fest aber oft 10— 20,000 Gläfer auf eine 
Karte, und beim Nachhauſegehen wird vom Wirth 
der flattfindende Verluſt oder Gewinnft bei Jedem ein- 
getragen. Will Einer bezahlt feyn, jo erhält er, nad) 
dem Werth der Släferanzahl berechnet, auf der Stelle 


110 


fein Geld vom Wirth mit dem Abzug gewilfer Pro. 
zente, die wohl der allein fihere Gewinnft bei ber 
Sache bleiben mögen. Erfcheint die Polizei, fo kann 
fie nichts Tonfisciren, denn man unterhielt fi nur 
Damit, in geſellſchaftlichem Scherz um einige Limo⸗ 
naden zu Spielen. | 

Hier haben wir wieder Gelegenheit, den Ruffen 
etwas Artiges nachzumachen. 

No ein. anderes Amüfement fand auf diefem 
Balle flatt, worauf wahrfcheinfich nicht vorher ge⸗ 
rechnet war. Man Tonnte nämlich in einem verräthe- 
riſch aufgeftellten Spiegel ein für die geheime Ber 
quemlichkeit der Damen beſtimmtes Zimmer ,. deffen 
Thüre häufig offen ftand, überfehen; was, bis es ent- 
deckt wurde, die fungen Leute faft noch mehr als das 
Zangen anzuziehen fhien. Lorenzo machte mir eine 
fehr drollige Beihreibung davon, und verſicherte 
überdieß, daß eine der Damen, welche ihre Schuhe 
gebrüdt, dieſe dort zurüdgelafien und in Strümpfen 
weiter getanzt habe. Dies Cepie halte ich jedoch für 
medisance. 

Am nächſten Abend aß ich außer dem Hauſe; wo 
ich. einen Ingenieur⸗-Kapitain antraf, der mit drei 
Oberſten, in Dienften Englands, Frankreichs und 
Rußlands, feit einem Sabre bei Berichtigung der 


111 


— [— — 


Grenzen Griechenlands im Norden befchäftigt war. 
Er gab den Zuftand diefes Landes als im höchſten 
Grade traurig an, und hielt ihn überbieg für einen 
ganz prefairen, faft nur nominellen Befis. Einen 
ſehr üblen Effekt fol, unter andern Maßregeln ber 
Regierung, dort auch die Aufhebung aller derjenigen 
Heinen Klöfter gemacht haben, welche unter ſechs Moͤn⸗ 
hen enthielten, und die in einem Lande, wo es feine 
Gafthöfe noch Khans giebt, für bebürftige Einwohner 
wie Neifende eine ftete und. faft unentbehrfiche Zuflucht 
abgaben. Dazu kommt, daß die Mönde ihre Grund« 
ftüde gut kultivirten, während dieſe jegt, da ſich 
feine Käufer dazu fanden, wäh, wie der größte 
übrige Theil ber ungeheuern Krondomainen, liegen, 
und dem Gouvernement daher nicht das Mindeſte 
einbringen. Dieſes würde alfo weit weiler gehan- 
belt haben, bei dem jetigen Zuſtande bes Landes 
eine. Maßregel der Art noch aufzufchieben, und ſich 
nur damit zu begnügen, einen höhern Zins von den 
Mönden zu beziehen, den fie gern gegeben haben 
würden, und ber eine realle Bermehrung der Staats⸗ 
revenüe herbeigeführt hätte. Wie ich erfuhr, hat das 
Gouvernement in ganz Griechenland über 400 Heine 
Klöfter dieſer Art nicht nur ‚aufgehoben, fondern im 
wahren Sinne des Worts vernichtet, d. h. nicht 


118 


nur für die Moͤnche, ſondern auch größtentheils für 
die Eultur. 

Der Kapitain fchilderte Die Beichwerlichkeiten feiner 
Erpebition als faft unerträglich, mit weit mehr Man⸗ 
gel, und nicht viel’ weniger Gefahren, ald eine Came 
pagne verbunden, und meinte, baß die rurmelifchen 
Inſurgenten unter einem vefoluten Anführer leicht den 
König Otto mit feinem ganzen Minifterium in Athen 
überfallen und mit fi fortnehmen könnten. Er rieth 
mir ſehr, die Felſenklöſter von Metheora in Theile 
ken zu befuden, wo noch eine Menge Seltenheiten 
und merkwürdige Manuferipte mit prachtvollen Male- 
teien aufbewahrt würden, von welchen man für Geld 
gewiß fih Einiges verfchaffen könnte. Obgleich man 
“ nur auf einer 100 Fuß boben gebrechlichen Leiter den 
halben Weg hinauf fleigen kann, und dann bie übrigen 
40 Fuß in einem Nee bis ganz hinanfgezogen wird, 
gelang es doch im vorigen Jahre einem: Räuber, der 
felb vorher zehn Jahre Mönch im Kloſter geweſen 
war, von ber Leiter aus mit feinen Kameraden bie 
Selfen auf eine andere Weiſe zu erflettern, worauf er 
fih nicht nur alles Geldes der Mönche bemächtigte, 
fondern ſich völlig militairifch im Klofter feftfegte. Der 
Paſcha belagerte ihn mehrere Wochen hindurch ver: 
geblih, worauf der Abenteurer, als ihm die Sache 








113 


doch zu lang dauern mochte, in einer dunkeln Nacht 
mit allen feinen Gefährten und feinem Raube glüdlich 
entfloh. Kapitain W.... kaufte Eurz nachher ein 
Pferd yon ihm, deffen Qualitäten er fehr lobte. Das 
Räuberhandwerf fcheint in diefen Gegenden ein ganz 
reeipirter Nahrungszweig wie jeber andere zu fepn. 
So hatte der Kapitain einen dergleichen Araber (Zi⸗ 
geuner) in feinem Dienft, mit dem er fehr zufrieden 
war, nur manchmal feinen Stolz mißbilfigen mußte, 
weil er nie Jemand außer feinem Herrn felbft bedies 
nen, und einem Fremden nicht einmal eine Pfeife 
bringen mochte. Eines Tages aber fagte ihm ber 
Mann den Dienft auf, weil er wieder Räuber 
werden wolle, was er auch ausführte, jeboch Fein 
Glück dabei machte; denn er warb furz Darauf von 
den Türken gefangen und von biefen ohne Umfande 
erſchofſen. 

Durch denſelben Kapitain erfuhr ich, daß im Schloß 
von Korinth eine Stube eriftire, Die von einem Geifte 
beunrubigt wird, nach dem ich nicht unterlaffen will, 
mich an Ort und Stelle näher zu erkundigen. Der 
Kapitain ſah ſelbſt zu verſchiedenen Zeiten.drei Leute, 
denen das Schlafen darin übel befommen war, und 
woyon der Teste, ein griechifcher Gensd'armes, ihn 

Südöſtl. Bilderſaal. Il. 8 


114 


erft geftern von Lutrachi hierher escortirt hatte. Sein 
Geficht war über und über gefchwollen, weil, wie er 
fagte, der Geift in der Nacht fein Siegel darauf ge⸗ 
drüdt, indem er ihn mit drei Rüffeln von furchtbarer 
Geftalt angefaugt habe. „Ich bin nicht abergläubifch,“ 
hatte er originellerweife hinzugefett, „glaube aber, 
daß weder unfere noch die katholiſchen Pfaffen, noch 
ſelbſt Ihre englifchen Philofophen die Sache erflären 
fönnen, daß fie aber vollkommen wahr ift, davon bin 
ich nunmehr durch eigene Erfahrung binlänglich über» 
zeugt.” | 

Al die Damen und verlaffen hatten (ein Wink 
für meine fchönen Leferinnen), warb noch eine felt- 
fame Anekdote erzählt, welche zu charakteriftifch if, 
als dag ich mir erlauben dürfte, fie für mich zu 
behalten, | 

Ein biefiger Grieche, der eine fehr hübſche Frau 
bat, lebte vor feiner Verheirathung mit diefer mebrere 
Jahre mit einer Maitreffe. Als dieſe feine Abſicht 
erfuhr, eine Frau zu nehmen, ging fie zu einer Wahre 
fagerin und bat fie, ihr ein Mittel zu geben, das 
Herren A...s Cwie wir ihn nennen wollen) Herz ihr 
wieber zuwende, und ihm zugleich. feine neue Geliebte 
zuwider made. Was die alte Here dem Mädchen für 
ben erften Zwed rieth, übergehe ich als zu flarf für 





nn na — — — 


den Druck; das zweite Mittel aber beſtand darin — 
es iſt in der That auch ſcabreus genug — ſich von 
der Braut ihres Freundes etwas ſehr Natürliches zu 
verſchaffen, was man leicht errathen kann, es in der 
Sonne zu trocknen, zu pulveriſiren und Herrn A... 
in dieſer Geſtalt mit Kaffee gemiſcht beizubringen. 
Alles geſchah nach Vorſchrift. Unglücklicherweiſe für 
die Maitreſſe hatte ſie ſich aber von Anfang an ver⸗ 
griffen, und, ſtatt von ber holden Tochter, das nöthige 
Ingredienz von ber alten Mutter erobert. Der Erfolg 
war nun bloß, wie Herr A. ... ſelbſt fpäter verficherte, 
eine unerflärlihe Abneigung feinerfeits gegen bie alte 
Dame, die ihn aber keineswegs verhinderte, Die Tochter 
zu heirathen. Es war unvorfihtig von Herrn A...., 
die Sache einem muthwilligen Freunde vertraut zu 
haben, denn diefer tranf feitbem nie mehr Kaffee 
bei ihm, und wenn ihm folder im Haufe offerirt 
wurde, hielt er ſtets die Hand vor und fagte: 
„3% danke ergebenft, und mein Freund N.... weiß 
warum.” | 

Faft ale Griehen glauben übrigens an dergleichen 
Zanbermittel, und mehrere wollten felbit behaupten, 
dag fie nicht nur ungrflärliche Beifpiele von Liebes⸗ 
tränken, ſondern auch viel unangenehmere von einer 
ganz entgegengefesten, Riebetotal verhindernden Wirkung 


« 


116 


gefehen, ja, wenn ich nicht irre, zum Theil felbft er- 
fahren hätten. 

Die Liebestränke find auf jeden Fall eine ſehr 
anmuthige Sade, und ich wünfchte mir wohl, ſchon 
der Bequemlichkeit wegen, einige recht große Flafchen 
davon. Wie viel Mühe erfparte dieß! | 


Zweites Rapitel. 
Eine Wintertour im Gebirge des Peloponnes. 


„Tell me Benvolio, what 
„do You think of these monks?‘“* 
Fletcher. 


Endlih war zum zweitenmal Alles zur Abreife 
von Patras bereit, Abfchied, ſchwer und leicht, war 
genommen, der Sinn von neuem aufs Weite geftellt — 
da kam noch Abends ſpät der Conſul, unfer Wirth, 
eilig zu mir, um mid zu warnen; denn er habe Nach⸗ 
richten erhalten, fagte er, welche beftimmt verficherten, 
die Räuber fegen wieder in ben Bergen; in Rumelien 
aber baure das Morden unſchuldiger Kinder und Wei- 
ber fort, und man bedrohe jetzt felbft yon dort aus 
die Küften Morea’s. In einem Lande, das fih in 


118 


dem Zuftande Griechenlands befindet, find ſolche Nach⸗ 
richten zu gewöhnlih, um fie fehr zu berüdfichtigen, 
auch hatte ich Feine Zeit mehr zu verlieren, und da 
ich überdies vom Nomarchen zwei Gensb’rarmes als 
Escorte erhalten, und ber Herr Lieutenant Tünner- 
mann mich mit einem feiner Soldaten begleitete, fo 
war wenig zu beforgen. Ich Tieg meinen Secretair 
mit dem Gros der Effeften zurüd, um mir fpäter zu 
Schiffe zu folgen, und begann um neun Uhr früh an 
einem Falten und windigen, aber außerordentlich Haren 
Tage, welches Iegtere mir in einer noch nicht gefehe- 
nen Gegend immer ald das Wichtigfte erfcheint, meine 
Reife nach Bolit. | 

Da meine Sachen, unter denen fi) auch die Tages 
bücher befinden, mir deßhalb eben fo wichtig find als 
ich ſelbſt, fo ließ ich den ſchwarzen Schuggeifi Norma 
bei ihnen zurüd, und nahm nur Francis mit, ben ih 
feiner andern Hut, ald ber meinigen, anvertraue. Ein 
eleganter Korb mit feinem Bett war auf einem der 
Maulthiere für ihn bereitet, ev mashte aber, troß bes 
fchlechten Wetters, keinen Gebrauch davon, und burch- 
watete kühn Die beiden Haffiihen Flüſſe Melichos und 
Charadros. | 

Ungefähr eine Stunde hinter den Schlöffern von 
Rhion und Antichion fenten fi die sam Bopibia 





119 


— — 





niederſteigenden Vorberge bis hart an das Meer mit 
ſchroffen Abhängen herab, und laſſen kaum fo viel 
Platz übrig, um noch trockenen Fußes auf den loſen 
Kiefeln durchzukommen. Manchmal muß man aud 
das Meer ſelbſt zu Hülfe nehmen, da berabgerolite 
Feloblöcke allen Weg verfperren, was alles demunge⸗ 
achtet hier eine große Poftfirage heißt, und wirklich 
eine der frequentirteften im ganzen Lande ifl. Lepanto 
lag uns jest jehr deutlich gegenüber, mit bem Dreied 
feiner Befefligungsmauern und GCitabelle ganz einer 
antifen Stadt gleihend, und noch in aller ber Kahl⸗ 
beit, wie es Ibrahims Verheerungen gelaflen. haben. 
Es war fonft ein Berbannungsort für in Ungnade ge- 
fallene Türken, und oft fanden fi ein Dutzend Pa⸗ 
ſcha's, nad aller Grabation der Roßſchweife, dort 
im Eril friedlich vereinigt. Der Lieutenant fagte mir, 
chemin faisant, dag man furz nad) Begründung der 
baierfhen Herrfchaft in Griechenland auf einem ber 
an 500 Fuß über der Stadt liegenden Felfen einen 
36 »Pfünder von Bronze fand, ohue begreifen zu kön⸗ 
nen, wie er dahin gelommen fey. Der feltfame Um⸗ 
fand warb nach Nauplia gemeldet, und das Genie- 
corps erhielt endlich Erlaubnig, zu verfuchen, bie Kanone 
durch eine zu bem Endzweck vorgeſchlagene Mafchinerie 
nach Leyanto herabsufchaffen. Doc als man ſich nach 


180 


der Tangen Verzögerung anfchiekte, die Sache in’d Wert 
zu fegen, war die Kanone wieder verſchwunden, und 
man hat nie erfahren, was aus ihr geworben ift. 
Dieß mag wohl das erftemal feyn, dag ein 36⸗Pfün⸗ 
der geipuft hat. 

. Unweit des alten Hafens Panormus und bes Pro⸗ 
montoriums Drepanon, fo benannt, weil bier Saturn 
bie Sichel in's Meer warf, mit der er feinen Bater, 
den Himmel, entmannt hatte, erfleigt man einen Hü⸗ 
gel, von bem man eine weite Ausficht nach dem Innern 
bes Golfs bat, und hier zum erftenmal den Helifon 
erblickt. Das Land hat die größte Aehnlichkeit mit 
Nordafrika. Diefelbe Art Sträucher bedecken es bicht, 
bie und da mit der füblichen Kiefer Cpinus maritima) 
abwechſelnd, und ber felfige Weg ift ebenfalls nicht 
viel beffer, als dergleichen dort zu feyn pflegen. Viele 
Stelfen gibt es bier, wo ſich Räuber allerdings fehr 
vortheilhaft poſtiren fönnten, und an einem Defilee 
dieſer Art, das wir paffirten, hielten während der 
Revolution 100 Griechen 8000 Türken einen ganzen 
Tag Yang auf. Hier fällt ein Heiner Fluß ins Meer, 
welcher der Selemnus feyn kann, von dem Paufanias 
das hübſche Mährchen das jungen Hirten erzählt, für 
welchen die Seenymphe in Liebe entbrannte und nächt⸗ 
lich mit ibm am Seeufer fchlief. Als er bald darauf 














121 


* 

Kraft und Schönheit verlor, verließ ſie ihn, worauf 
der Jüngling in Verzweiflung ſtarb, und durch Venus 
in einen Fluß verwandelt wurde. Wer feitbem aus 
biefem Fluffe trinkt, wird yon jeber Liebesfehnfucht ge⸗ 
heilt, Eifrig Eoftete daher auch ich von dem wohlthä- 
tigen Waffer, und ſchon fpüre ich die günftigen Folgen. 

Eine Biertelftunde weiter fieht man die Ruinen 
zwei türfifcher Brunnen, welche die Griechen thörich⸗ 
termweife zerflörten; wie auch in der darauf folgenden 
Plaine den großen Khan von Lambiri. Leider wirft 
man den Griechen nicht ohne Grund vor, in ihrem 
Befreiungskriege felbft mehr noch als die Türken ver- 
beert, und oft ihr eigenes Land nicht minder audge- 
plündert zu haben. Ihr jetziges graufames und Fopf- 
Iofes Berfahren in Rumelien beweist daffelbe. Die 
fteilen Berge um und ber, welche durchaus nur mit 
niedrigem Gefräuh, wie mit gelodertem Haar, be- 
wachſen find, geftalten fich oft in fehr pittoresten For⸗ 
men, und von dem einen berfelben flürzte ſich eine 
über 100 Zuß hohe Kaskade herab, die eben jest ziem- 
lich waflerreich war. Nachdem man bierauf eine fteinige 
Ebene durchritten hat, die ganz mit Fränflichen Ole⸗ 
anderpflanzen bebedt ift, und auf der ung eine grie- 
hifhe Familie, mit Weib und Kind. zu Pferd und 
Efel, im raſchen Trabe überholte, kommt man burd) 


122 


einen breiten Fluß, den Phönix der Alten, und eine 


halbe Stunde fpäter Durch einen noch größern (den | 


Meganitus), der oft bush jählinge Anfchwellungen 
gefährlich wird, fett aber ohne Schwierigkeit zu paſſi⸗ 
ven war. Bofliga Tiegt hart am Meere auf einem 
Borgedirge, von dem ſich auf zwei Seiten der Stadt 
eine glatt planirte Ebene durchzieht. Auf der Kante 
eines tiefen Präzipiffes ritten wir darüber hin uud 
genoſſen eine reizende Abwechfelung verjchiedener Ans 
fihten des Golfs und der ihn umgebenden hohen Ge- 
birge, bis wir mit ſchon beginnender Dämmerung 
das Ziel unferer Tagesfahrt nach fünf Uhr Abende 
erreichten. 


— — — — 


Brief an Lorenzo. 
Voſtitza den 1oten Februar. 


Die Reiſe bat den gewöhnlichen Effeft auf mid) 
gemacht, und ich bin vollfommen wohl. Francis, Gott 
Lob! auf. Er trägt mir viele Empfehlungen an feine 

junge Negerfrau auf, und Hagt ihr zugleich, heute 
| früh heftig von den ungalanten Boftitaer Windhunden 
geswidt worden zu feyn, verfichert jedoch, ſich Dabei 
nad) dem Maßftabe feiner Meinen Kräfte fehr tapfer 
benommen zu haben. Anaftafius zeigt ſich ziemlich 











128 


eifrig, und macht mich durch bie flete Wiederholung 
feines Lichlingswortes: Anzi, fo oft lachen, daß ich 
ihm jest ſelbſt dieſen Namen beigelegt habe, und ihn 
nie mehr anders rufe. 

Seit ih Herrn Miffanef?d Haus. gefehen, ver- 
ſtehe ich erſt vollklommen feinen Brief. Die kühne Zoe 
iſt Schon wieder hergeſtellt; Sohn, Neffe und Muſik⸗ 
meiſter aber noch in trauriger Verfaſſung. Die Ret- 
tung des erſten gehört faſt in's Reich der Mahrchen. 
Der Räuberchef (der ſchöne Sotirios) drückte auf 
wenige Schritte ein Tromblon auf ihn ab, das mit 
ſechs Kugeln geladen war. Drei davon durchdrangen 
ſeine Kleider, zwei trafen die Bruſt und eine die 
Schulter. Die zwei auf der Bruſt ſtießen aber beide 
auf Rippen, und folgten dieſen rund um den Körper, 
fatt in denſelben einzubringen, fo daß fie nachher 
beide im weichen Fleiſch des Rüdens herausggeſchnit— 
ten wurden. Dem Reffen Marfo if das ganze Ge- 
ſicht zerhauen, und ein ungefhidter Chirurgus bat 
dem armen Menſchen wahnfinnigerweife das halbe 
Ohr und einen Theil der Baden, die noch an ber 
Haut hingen, ſtatt fie wieder anzunähen, abgefchnit- 
ten, ſo daß der Verwundete jegt auf ewig gräulich 
eniſtellt bleiben muß. Einem allerliebften Fleinen Kna— 
ben von fünf Jahren wollten die Räuber zuerft den 





124 


Kopf abbauen, dann ihm Nafe und Ohren abſchnei⸗ 
den; Doch Zoe, ſich auf ihn werfend, und mit ihren 
Armen umklammernd, bat ihn beidemal los. Der 
Muth, die Geiftesgegenwart und das savoir faire 
dieſes hersifchen Mädchens Scheint die Familie haupt⸗ 
fächlich gerettet, und den Räubern felbft, während 
ihres fiebenftündigen Aufenthalts im Haufe, eine 
Art Reſpekt für fie eingeflößt zu haben. Der wilbe Haupt- 
mamı fonnte nad feiner Berwundüng, mehrmals ohn- 
mächtig werdend, fich, ungeachtet des reichlich zu ſich ge⸗ 
nommenen Rums, nicht mehr aufraffen; doch birigirte 
er noch fortdauernd die Uebrigen, und befahl ihnen zus 
Iegt, ala er fand, dag Feine Rettung mehr fey, Alles 
im Haufe niederzumadjen, das Haus felbft in Brand 
zu ſtecken, und fich lieber ſämmilich unter feiner Aſche 
zu begraben, als ſich gefangen zu geben. Glüdlicher- 
weife hatten die Räuber nicht Energie genug, dieſen 
Befehl auszuführen, fondern trugen den fih Sträuben- 
den mit hinab in den untern Theil des Haufe, wo 
fie fpäter der Uebermacht erlagen. Herr Miffaneft 
behauptet, nur einige Bürger hätten etwas gethan, 
bie Behörde nichts, und bie drei anweſenden Gens 
d’armes um fo weniger, da fie unter ſich Dreien nur 
vier Augen hätten, denn zwei feyen einäugig. 

Der hieſige Eparch Cein fehr einnehmender und 





185 


ganz europäiſch gebildeter Mann) fpricht jedoch, wie 
man ſich vorftellen Tann, ganz anders , und meint, 
Griechenland ſchulde den Behörden Voſtitza's große 
Dankbarkeit, alle drei Kondroyanni’s auf einmal be- 
feitigt zu haben, von denen jeder Einzelne der Schrecken 
des ganzen Poloponnes gewefen. wäre. „Jetzt berrfcht 
überall vollkommene Sicherheit,” ſetzte er hinzu; als 
ih aber frug, ob ich, da nun nichts mehr zu befürd- 
ten fey, meine Gens d’armes zurüdichiden Tönne, bat 
er mich infändig, fie zu behalten, „denn,“ fagte er, 
„man könne bei alle dem doch nicht wiffen, was vor- 
file" So ſprach auch der Nomarch in Patras, und 
behauptete, immebiat por der Bofligaer Tragödie, der 
ganze Poloponnes fey fo ficher wie feine Stube! 

Was uns betrifft, fo find wir auf dem Wege 
hieher allerdings nur einem Räuber begegnet, und 
den Hatten zwei Gens d’armes am Stride, um ihn 
nad) Patrad zu transportiren. Beim Ueberfall des 
armen Miffanefi waren nicht fechs, wie er in der Eil 
irrthumlich gefehrieben, ſondern acht zugegen. Einer 
von biejen ift der, welder und entgegenfam, zwei 
andere find entfloben. Ob fie wieder mehr Anhang 
finden werden, ſteht dahin. 

Ich bin bei Herrn Lontos abgetreten, an den ich 
einen Brief von ſeinem beruͤhmten Bruder hatte, und 


126 


der felbft auch früher Minifter. des Auswärtigen war 
— denn alle Wet frheint bier wenigſtens einmal Mi⸗ 
nifter gewefen zu ſeyn. Diefer fing ſogar frine. Car⸗ 
riere gleich mit dem Miniſterium an, ward Dann Chef 
eines Juſtiztribunals, und bekleidet jetzt Die Stelle 
eines Maire von Voſtitza, ein ungewöhnliches Avan⸗ 
cement anf abfteigender Leiter. Webrigens ift er Fein 
unehener Mann, der außerdem, zu meinem großen 
Comfort, geläufig franzoͤſiſch und italieniſch ſpricht. 
Er bewohnt ein neues, wunderſchön gelegenes Haus 
auf.der Höhe, dem Miſſaneſi's Dicht gegenüber, und 
nahm mich fehr gaftfrei auf. 

Schließlich mache ich Sie noch darauf aufmerkfam, 
Ihr Schiff in Patras ja nicht tageweiſe zu miethen. 
Ein Bataillonschef, der dies im vorigen Jahre that, 
blieb wit acht Schiffen ſechzig Zage lang!! von 
Lutrafi bis Patras unterwegs, was man bei günftiger 
Witterung oft in eilf Stunden aurüdlegt. Der Wind 
moshte aber diesmal fommen, woher er wollte, bie 
ehrlichen. Griechen wußten ed immer fo einzurichten, 
bag fie mehr rüdwärts als vorwärts fegelten, bie 
man in Patras fhon das ganze Bataillon verloren 
gab und für eine Speife der Fiſche anfah. 

Sie koͤnnen jest, das Maltaer Paketboot ruhig 
abwarten, was hoffentlich Die Briefe, denen wir feit 


187 


Monaten wit fo viel Sehufucht enigegenfehen, nun 
endlich bringen wird. Zum 2öften treffen Sie zeitig 
genug bier ein, da ich noch allerlei Ercurfionen in 
ber Umgegend vorhabe. 


Adien! 
C. Rofenberg. 





Am nächſten Morgen machte ich einen Spazier- 
gang in und um die Stadt, die einige fehr: anftändige 
Hänfer hat, und burd) die Schönheit ihrer Lage Pa- 
tras noch übertrifft. Die erfte Berüdfichtigung ge- 
bührte natürlich der berühmten Platine am Meer, 
neben den fünf Quellen, ein Baum, deffen Paufanias 
ſchon erwähnen fol, wie man bier verfihert, wovon 
ich jedod) in meinem Eremplar nichts auffinden Tann. 
Uralt iſt er wenigſtens, denn er mißt jest, eine Elle 
vom Boden, über vierzig Fuß im Umfang. Auch hat 
er feine vollfländige Krone, und würde vielleicht noch 
Sahrhunderte leben, wenn man nicht während der 
Revolution den unten zum Theil hohlen Stamm zur 
Kühe benugt, und ihn bei diefer Gelegenheit ange- 
zündet hätte, fo daß das Feuer bis oben hinaus brannte. 
Hiernach find nun bereits drei feiner Hauptäfte morſch 
geworben und abgebrochen, und es ift fehr zu befürd- 
ten, daß der Reſt, obgleich dem Anfchein nach jest 


128 


noch gefund, doch in einiger Zeit ebenfalld nachfolgen 
wird. Vor zwanzig Jahren ward Voſtitza durch ein 
Erbbeben heimgefucht, während welchem das Meer 
bis an die Mitte der Felfenwand fchlug, auf der es 
fteht, und dabei auch die Platane bis zur Hälfte über- 
deckte. Doc widerfland fie der Fluth, wie der Erd⸗ 
Erſchütterung. Schon im Altertfum, 373 vor unferer 
Zeitrehnung, erlitt Aegium (das jegige Voſtitza) bei 
dem Erbbeben, welches Bura und Helife gänzlich ver- 
nichtete,, eine, ähnliche Kataſtrophe, nur durch feinen 
Felſen vom Untergange gefhüst. Wahrſcheinlich war 
e8 damals, wo das Meer eine Grotte durch biefen 
Felſen grub, die noch jetzt als Straße von den weni- 
gen Häufern, die unten am Seeufer ftehen, nach der 
höher Tiegenden Stadt hinauf, benugt wird. Wir 
pflüdten an ihren Abhängen wilden Goldlack von dem 
fügeften Geruch, und ſahen aud, trog ber Kälte, 
einige Schmetterlinge die Blumen umflattern. 

Nicht weit von der Platane zeigt fh in der Ser 
deutlich ein antifer Molo, nur Einen Fuß unter dem 
Waffer, den Herr Lieutenant Tünnermann früher ver- 
mefien hat. Er ift 20 Fuß tief, 1503Fuß lang, 5 Fuß 
breit, und von der größten Feftigfeit. Herr Miſſa⸗ 
neſi, der feine Waarenhäufer am angrenzenden Ufer 
hat, erbot fih unter Capo d'Iſtria's Negierung, den 





129 





— — 


Molo wieder herſtellen zu laſſen, und zugleich einen 
Quai zu bauen, zu deſſen Grund er ſchon eine Menge 
großer, noch da liegender Steine im Waſſer aufge⸗ 
ſchichtet hatte, und wodurch er einen anſehnlichen Platz 
für Aufbewahrung von Kaufmannsgütern aller Art 
gewonnen haben würde, Er verlangte nur von denen, 
die ihn benugen wollten, fo lange einen Zoll erheben 
zu dürfen, bis fein ausgelegtes Kapital gedeckt ſey, 
doch wurde ihm von dem damaligen Gouvernement 
die Erlaubniß nicht ertheilt; es iſt ſchwer zu begrei⸗ 
fen, aus welchem Grunde. | 

Auf dem mehrmals erwähnten Felfenabhang geht 
an der obern Stadt ein Tanger, ſchmaler, ganz unbe- 
fhüster Weg dicht am Abgrunde hin, Ich frug unfern 
Begleiter, ob hier niemals Jemand verunglüdt fey? 
— „D gewiß,” erwieberte er, „nicht felten fallen Heine 
"Kinder binunter und brechen den Hals. Es ift auch 
noch nicht lange ber, daß baffelbe Loos einige Ipſa⸗ 
rioten traf, die in der Nacht ihren Weg verfehlt hat⸗ 
ten, und voriges Jahr fielen zwei, wie ein paar Efel 
betrunfene Cipsissima verba), englifche Matroſen hinab. 
Die Engländer haben aber fo ein zähes Reben, daß 
der Eine, der auf feine Füße zu ſtehen fam, nur nüch⸗ 
sern davon wurde, und ber Andere bloß ein Bein 


brach.“ Dazu gehörte allerdings Talent, erwieberte ich: 
Südöſtl. Bilderſaal. IL. 9 


130 


bein die Höhebeträgt über TO Fuß. „Es wäre ein rechtes 
Glück,“ fuhr unfer Cicerone fort, „wenn hier ein Gelän- 
der fiinde ” Schon dieſe Bemerkung war viel für einen 
Griechen, und wenn bie Einwohner von Boflita noch 
50 Jahre in der Cultur fortgefihritten find, werden fie 
wohl auch ein folhes Geländer wirklich anfertigen laſſen. 

Der ſchönſte Punkt für die Ausficht auf das Berge 
amphitheater jenfeits des Golfs iſt von einem Tahlen 
Hügel am öſtlichen Ende der Stadt, nahe am Meer, 
wo einft vielleicht Aegium's Akropolis fand, oder 
jener Tempel Zupiters, in bem ber hohe Priefter ber 
fhönfte Knabe der Stabi war, und wo Agamemnon 
mit ben übrigen Häuptern der Griechen den trofani- 
ſchen Krieg berieth — denn man findet bier faft allein 
im Bereich des ganzen Orts noch antifed und zwar 
ſehr ftarfes Mauerwerk, was erft Fürzlich bei Grund» 
grabung eined Haufes zum Vorſchein Fam. Nahe 
dabei find die Rudera einer venetianifhen Kirche mit 
einigen umgeworfenen, früher darin verwandten, aber 
offenbar. antifen Säulen und Kapitälen von weißem 
Marmor. Einige hundert - Schritte. entfernt befindet 
fih noch eine zweite, bis auf das Dach erhaltene mit⸗ 
telalterfiche Kirche, in deren Mauern das Fragment 
eines ſchön gearbeiteten Basreliefs, zwei kämpfende 
Pferde darſtellend, eingelaffen ifl. 





131 


als wir zuruͤckkehrten, erhielten wir bei unferem 
Wirth ein Acht griechiihes Mittagsmahl, dreimal: 
Hühner und einmal Kapaunen, Alles abfichtlich Talt, 
obgleich mit Butterfauce fervirt. Dagegen -regalirte 
man uns mit einem fehr guten Deſſert. Eine Art 
milchfetter Nougat unter andern, der in Zante verfer- 
tigt wird und Manderlito beißt, würde überall für 
eine große Delikateſſe gelten Finnen. Bortreffliche 
Melonen waren nur dadurch fo gut erhalten worden, 
dag man fie fehs Monate ang in der Ciſterne über 
dem Waſſer aufgehangen hatte. Jeder Brunnen fönnte 
ohne Zweifel denfelben Zwed erfüllen. 

Zu fchlechtes Wetter :hinderte mich, meine Reife am 
folgenden Tage fortzufegen. Ich machte baher einige 
Viſiten, zuerft beim Eparchen, bier Governatore ge- 
nannt, der auch wirklich eine fehr ausgedehnte Auto- 
rität zu befigen fcheint, denn fein mir mitgegebenes 
Empfehlungsfchreiben an den Prälaten des mächtigen 
Klofterd Megaspileon ift überfchrieben: „Befehl an 
ben Prälaten.” Die biefigen Sitten haben viel Pa⸗ 
triarchalifches, ben Gebräuchen in Schottland, als 
noch die Clans in ihrer alten Berfaffung exiſtirten, 
ſehr ähnlich, und ſelbſt die Kleidung beider fo entfern- 
ten Nationen gleicht ſich auffallend. - Mich begleitete 
ein Diener und zugleich Verwandter des Herrn Miffa- 


132 

nefi zum Eparchen. Als dieſer mich. nun mit feiner 
Frau empfing, trat ber Diener mit in's Zimmer, feste 
fih jedoch. nicht, fondern blieb reſpektvoll in einer 
Ede deſſelben ſtehen. Demungeachtet, als hierauf bie, 
Frau Gouverneurin, nad) griechifchem Gebrauch, ſelbſ 
Confituren und kaltes Waſſer hereinbrachte, und uns | 
beides auf einer filbernen Schüffel barbot, 'präfentirte 
fie nachher daffelbe auch dem Bebienten, der. ohne 
alle Danfhezeugung noch Verwunderung davon zu: 
langte, als gebühre ihm biefe- Attention. Sehr häufig 
nennt bier der Diener feinen Herrn Adelphe (Bruder), 
und dieſer ermwiebert benfelben Namen. Der Herr 
fest aber dem Bruder deßhalb nicht minder 'gelegent- 
lich einen Schlingel, oder noch viel Schlimmeres hinzu; 
denn ber Griechen Schimpfwörter find gräulid.! Zum 
Zanfen und Schimpfen find die Griechen überhaupt 
fehr geneigt; doch kommt es felten „to blows,“ wie 
bie Engländer fagen. Eine drollige Manier,. die “ 
Grabation ihres Zorns zu zeigen, tft die, daß fie einen 
Singer nach dem Gegenſtande deſſelben ausſtrecken, 
werden ſie böſer, zwei, und zuletzt alle zehn, als die 
höchfte. Steigerung- Das erfie Mal, als ich es fah, 

ı Rote für Gelehrte. Eins der gewöhnlichften if: 


Je f.... ton pere, ta croix, ton Dieu. — Das ift bie Brom 
migteit des Aberglaubens! 








13 





glaubte ich, ſie fpielten alla mora, bei welchem Spiel 
die Italiener auch gewöhnlich fo ausfehen, als feyen 
fie im Begriff, fih die Hälfe zu brechen. Hier war 
ed fein Spiel, fondern | Ernſt, endete aber dennoch 
micht bintiger. | | 

Nach abgethanen Befuchen richteten wir unfern 
Weg nad den Bergen hinter der Stadt. Wir fanden 
dort einen Herrn, der die Arbeiter auf feinem Korin- 
thenfelde infpizirte, Herrn A...., ber Bräutigam eines 
ſehr hübfchen Mädchens in Patras, mit Namen Pene- 
lope, der Schwefter der fchönen Madame Green, gegen 
die ich oft ſcherzend äußerte, dag ich fie ald meinen 
Pagen mit nach Deutfchland nehmen wolle. Herr A.... 
fügte und, daß die Korinthen ‚jegt für bie Beſitzer 
alter Weinfelder einen reinen Gewinn von 600 Pro⸗ 
zent abwerfen. Bei einer ganz neuen Anlage rechnet 
man, daß das Stremma (ziemlich unfer Morgen, etwas 
tfeiner) 20 Colonaten zu bearbeiten Eoflet, und dann 
jährlich noch 10. Dies dauert fieben Jahre, ehe der 
Ertrag anfängt, welcher dann aber an 50 bis 60 Co⸗ 
Ionaten jährlich beträgt. Die erften zwei Productions⸗ 
jahre bringen alfo ſchon wieder das Capital nebft 
Sntereffen ein. Dies find ganz beflimmte Angaben, 
und daher würbe, befonders bei Patras, wo man Land 
fo wohlfeil von ber Regierung erhalten Tann, eine 





134 


beffere Spefulation faum zu unternehmen ſeyn. Wie 
demüungeachtet das griechifehe Gouvernement nie auf 
den Einfall gefommen ift, oder wenn es ihn gehabt, 
ihn nicht ausgeführt hat, deutſche Koloniften im Großen 


hierherzuziehen, iſt mir unerflärbar, Eben fo fraps ' 


pirte e8 mich, ald Herr A.... nachher in Erwieberung 
meiner Klage über den abfcheulichen Weg, der nad) 
der Selfenfchlucht führt, aus der der. Selinus hervor 


- bricht, verficherte (was mir fpäter auch von mehreren 


Andern beftätigt wurde), daß die Einwohner von 
Boftita bereits feit drei Jahren um einen Plan für 
ihre Stabt und bie durchführende Landfiraße ſuppli⸗ 
ziren, willig ſelbſt dazu nad Kräften beizutragen, 
ohne jedoch big jest eine Antwort erhalten zu können. 
Dies erfcheint um fo härter, da ihnen ohne einen von 
der Regierung approbirten Plan alles Bauen verboten 
iſt. Fährt die Regierung in biefer Schläfrigkeit fort, 
fo. fann freilich das fo lange verwahrloste Land nicht 
vorwärts kommen. 
Auf dem Rückwege betraten wir ein Feld, 


man erſt geſtern auf ein roͤmiſches Grab geſtoßen war. 


Es enthielt aber nichts als Knochen und Aſche, und 
ward bloß von vier großen Steinplatten gebildet. 
Weiterhin ſahen wir hart am Wege alte Mauern, 
die wahrſcheinlich einem Tempel angehörten. Man 





135 


behauptet, früher ein noch ganz intaftes Souterrain 
darunter entbedit zu haben, das aber nachher wieder 
äugeworfen wurde, doc, niemand hat ſeitdem von 
neuem nachgraben laſſen. 

Ich frug zuletzt den jungen Mann, ob er auch 
bei der Räuberaffaire zugegen geweſen ſey? „D ja,” 
erwiederte er, „aber nur als Zufchauer, keineswegs 
als Theilnehmer, und,” fuhr ex fort, wäre ber An⸗ 
führer der Räuber nicht in ben erſten Stunden ges 
fährlich verwundet worden, es wäre ein Leichtes für 
bie Bande gemwefen, durch bie um das Haus Yer- 
fammelte Menge zu bringen unb. fid) bald in Sicher⸗ 
beit zu feßen. Denn nur drei oder vier yon uns 
Zufhauern nahmen thätigen Antheil an ber Sache.” 
Diefer junge Fräftige Mann ift dennoch ein Anver- 
wandier Miffanefl’s! Ein Deutfcher würbe eniweber 
die Räuber mitbelämpft, ober das Gegentheil: nicht 
exzaͤhlt haben, 

Dei Tiſch theilte und Herr Lontos allerlei merk⸗ 
mürbige Details über einige Epochen der Revolution 
mit. Er war gerade zur Zeit der Schlacht von Na⸗ 
varin Miniſter, wo er eines Tages fih mit ben Ad⸗ 
mirälen Heyden, Rigny und Codringten, bei einem 
Diner pereinigt fand. Nach der Tafel nahm er Ge 
legenheit, lebhaft in fie gu dringen, den Griechen eine 


136 


Fräftige Unterlügung zu gewähren, wibrigenfalls 
Hydra und Spezia ohne Rettung fallen müßten. Der 
Admiral Rigny wollte jedoch darauf nicht eingehen, 
fonbern erwieberte mehrmals ausweichen, bie Mächte 
fönnten nicht thätlich eingreifen, und die Griechen 
müßten fich ſelbſt helfen. Heyden ſchwieg — da faßte 
Eodrington den Minifter beim Arm und fagte mit 
geuer: „Seyn Sie unbeforgt! Ich habe ben Ober- 
befehl und werde Hydra nicht fallen laſſen;“ und bei 
biefen Worten zeigte er Herrn Lontos einen Theil 
feiner Inſtruction mit dem entſcheidenden Poſtſeriptum 
des Herzogs von Clarence (ſpäteren Königs), dem 
die Griechen demnach wahrhaft ihre Exiſtenz verdan⸗ 
ken würden. So erzählte Herr Lontos. Relata refero. 


Megaspileon, den 13ten Februar 1836. 


In einer folhen Mauſefalle bin ich noch nie ges 
fangen worden! Der geheimnißvolle Graf oder Däs 
mon hatte wahrlich Recht, daß nur Gefahren und 
Ungemach mich in Griechenland erwarteten. Schlim- 
meres konnte mir in Tester Hinficht auf feftem Lande 
nicht wiberfahren, und der Himmel weiß, wenn es 
fein Ende findet! | u 

Mit Mühe babe ich mir ein türfifches Schreibs 
zeug verfchafft, wo ich mit der Feder eines Puterhahns, 





137 


von sehn ungewafchenen Mönchen umgeben, die ſich 
durch nichts abweilen laſſen, meine Kalamitäten jest 
aufzeichne, während ein dicker Raub, der bie Stube 
erfüllt, meinen Augen unwillfürliche, aber unferer 
Situation ganz angemeffene, Thränen auspreßt, ohne 
bag doch das Feuer meine verflommenen Finger auf- 
zuihauen Yermöchte. 

Das Wetter hatte fih geftern, nad heftigem 
Sturm und Regen, ein wenig aufgeklärt, und ob⸗ 
gleich esıfehr Talt war, machte ich mich doch um 10 Uhr 
mit Cientenant Tünnermann auf den Weg, in ber 
Hoffnung, daß die von Zeit zu Zeit bervorblidende 
Sonne enblich ben Sieg erringen und ung nad) Me⸗ 
gaspileon vorleuchten würde, dem erften und reichften 
Kloſter Griechenlandg, dag an 300 Mönche zählt, 
und wo wir, nach katholiſchem Mapftabe, erwarteten, 
wie in Abrahams Schooße zu tuhen. | 

Auf einem alten venetianifchen Steindamin führte 
ung die Straße zuerfi in der Plaine am Meere zwi⸗ 
schen Korintbenfelvern hin, die im Sommer mit ihrem 
das ganze Thal bededenden Blättermantel einen rei- 
zenden Anblick gewähren müffen, denn der Anbau um 
Voſtitza ift überall forefältig, und der Boden von 
reichem Ertrag. Der alte Selinus, welcher in einem 
breiten Bett, voll herabgeroliter Steine, die Ebene 





138 


durchſtrönt, war von dem Testen Regen fo unger 
fhwollen, dag wir ihn nicht ohne naß zu werben, 
und nur halb ſchwimmend pafliren konnten; was bei 
der immer fihneidender zunehmenden Kälte fein Un 
angenehmes hatte. Indeſſen eine Stunde zu Fuß 
gehen, während der wir die Reſte einer römifchen 
Ziegelmauer befichtigten, erwärmte uns wieder, und 
erlaubte mir, ohne Fieberfchauer die fchöne, obgleich 
wilde Scene zu bewundern, die fi beim Eingang des 
Gebirges am Bochuſia (ehemals Kerynites PMentfaltete. 
An einem Hügel darüber befinden ſich noch einige 
Ueberrefte der Stabt Kerynea, bie dem Fluß feinen 
Namen gab, doch find fie nur höchſt unbedeutend. 

Der nordifche Gebirgszug des Peloponnes Bat 
das Eigenthümlidhe, faft gar Feine Thäler, ſondern 
nur Schluchten in feiner Bildung barzubieten, weil 
Berggipfel an Berggipfel fih unmittelbar anfchliegen 
und fteile Felfenwände mit bandartig gemunbenen, 
zerriſſenen Schichten auf allen Seiten ſenkrecht empor, 
Reigen. Bor und lag ein einzelner, fehr hoher Pik, 
defien Spite wie abgebroden erfchien; feine Seiten 
waren mit Kiefern son fchöner hellgrüner Karbe bes 
wachſen, und bis zur Hälfte feiner Höhe bedie ihn 
son oben herab tiefer Schnee. 

In vielen Windungen fchlängelte ſich nach nnd 





139 


nach ber Weg über biefen Berg, und inbem wir lang⸗ 
Sam binanritten, hielten, ber Gensb’armes wie wit 
ferbft, unjere Waffen ſtets bereit zur Gegenwehr; denn 
beſſere Gelegenheit für einen Ueberfall konnte es un- 
möglich geben, als bier in den ganz abgefchiebenen, 
engen Zelfengaffen und Gebüfchen, um fo mehr, - da 
fih unfere Karavane fchon Tängft in zwei Theile ge: 
fchieden hatte, weil die Maulthiere, welche. bie Effef- 
ten trugen, zu fchledht waren, um mit und Schritt 
zu balten. Sch Hatte alfo mit dem Lieutenant. und 
einem der Gensd'armes, nebft einem Negerablömme 
ling der Truppen Ibrahims, welcher uns als. Bote 
diente, bald einen großen Borfprung gewonnen, indeß 
des Lieutenants Diener, ber meinige, und ber zweite 
der Gensb’armes bei den Maulthieren und ihren 
Zreibern weit zurüd geblieben waren. Se höher wir 
waren, je mehr nahm die Kälte überhand, und in 
ber Schneeregion war der Weg fchon mit Eis bebedt, 
was unfer weiteres Fortlommen höchſt beſchwerlich 
machte. Wir flanden nun auf einem fo erhabenen 
Punkte, dag wir die Kette der Borberge nach dem for 
rinthiſchen Golfe zu hinlänglich bominirten, um biefen 
mit feinen Heinen Inſeln und der Bai von Salona, 
nebft der großen Deffnung über der Taftalifchen Quelle, 
deutlich überfehen zu können. Die ganze Folge bes 


140 


Parnaßgebirges mit den angrenzenden Bergen Rume- 
liens, breitete fi von Lepanto bis an den einzeln 
hervorragenden Helifon vor uns aus; doch die höch— 
ſten Spitzen blieben alle in dunkle Schleier gehüllt. 
Die Götter mochten fich vielleicht zu einem Beſuch bei 
den Mufen dort niedergelaffen haben, und was wir 
fahen, nur ihre harrenden Wolkenwägen feyn. 
Nachdem wir den Berggipfel völlig erreicht, und 
dann an einem jähen Abhang Iange Zeit wieder hin- 
abgeflettert waren, ſahen wir feitwärts ein Dorf 
liegen ‚ in dem zwei ſchloßartige Häuſer ſich auszeich⸗ 
neten. Beide ſtehen leer, und ſind, wie wir erfuhren, 
noch. beſitzerlos, weil bie Familien, denen fie gehoͤr⸗ 
ten, im Kriege gänzlich erterminirt wurden. Wir 
folgten jeßt, geraume Zeit faft ohne Weg, durch Fel⸗ 
fenblöde uns burcharbeitend, einem: Heinen Berg- 
firome, bis wir zuletzt über eine ſchmale und geländber- 
loſe Steinbrüde in eine neue Schlucht Hineinritten, 
bie an Wildheit felhft die Gegend um die Teufels- 
brüde am Gotthard überbietet. Die fteilen, mit 
ſchwarzen Fichten bededten Bergwände fleigen hier 
über 2000 Fuß hoch aus einer ſchmalen Oeffnung 
himmelan, in der der Fluß von Kalaͤvrita ſich im 
engften Bette braufend durchzwaͤngt. Einzelne, felt- 
fam geftältete Felsmaſſen ragen aus. dem Walde an 





141 


vielen Stellen hervor und wölben fich zumeilen wie 
ein Dom über dem weißen Waflerfchaume im Abgrunde. 
Nur ein fchmaler Fußfteig führt am fohroffen Abhang 
durch fie bin, oft von kleinen Bächen unterbrochen, 
bie, in Cascaden von oben herabflürzend, ihren Tribut 
dem Buraͤikos potamos darbringen; alle Höhen umher 
aber find von einer frühern Erdrevolution bergeftalt 
mit großen und Heinen Felsblöcden überworfen, daß 
man glauben follte, irgend ein mächtiger Geift habe 
fie, damals eben in der Luft darüber fchwebend, von 
ben Bergfpisen abgeriffen und gleich Saatkörnern nie- 
dergeftreut. Wilder und fohauerlicher noch warb dieſer 
Anblick jest durch einen Schneefturm, ber plöglich ein⸗ 
trat und bald mit folcher Gewalt zunahm, dag wir 
Mühe hatten, und auf den Pferden zu erhalten, und 
faum noch fo weit vor ung fehen fonnten, um ben engen 
Weg: zu erkennen. Bei diefer Gelegenheit war Lieus 
tenant Zünnermann, der fein eigenes fehr Lebhaftes 
Pferd ritt, einmal nahe daran, zu verunglüden, da das 
Thier mit dem Hinterfuß vom Saume des Weges abs 
glitfehte und fih nur mit genauer Noth wieder aufs 
taffte, um fich vom Ueberfchlagen in die Tiefe zu retten. 
Auch mein Klepper fiel in den Steinen eines Bergbachs, 
wobei ein Bügel abriß, den ich während des übrigen 
Rittes mit viel Unbequemlichkeit entbehren müßte. 


\ 


14% 


Nah einer Stunde immer ſchwierigern Fortkom⸗ 
mens lag der Schnee bereits einen Fuß hoch auf dem 
Wege, doch hatte ſich der Wind und die vorige Dum- 
felheit etwas gemindert, fo daß wir zwifchen ben Dicht 
herabfalfenden Flocken endlich den abenteuerlichen Ban 
entdeden konnten, der wie ein Schattenbilb an ber 
fingenden Felſenwand vor uns angeheftet zu ſeyn fihien. 
Diefe Wand fteigt fo glatt und perpendifulair zu uns 
geheurer Höhe hinan, dag, wenn man von ihrem Fuß 
aus an ihr hinaufzufchauen verfucht, man volllommen 
denjelben Schwindel empfindet, als ſtehe man an einem 
Abgrunde, es kommt Einem nur vor, als Babe fich 
Dieter umgekehrt, Da auch der Bergabhang, über Dem 
das Klofter an der erwähnten Wand hängt, ſehr fleil 
it, fo ift man genöthigt geweſen, den Weg in fort 
währendem weiten Zickzack binaufzuführen. Auf diefem 
fommt man nun wohl zehnmal ganz nahe bei ben 
Gebäuden vorbei, und glaubt fie flets bei der nächften 
Diegung gewiß zu erreichen, wirb aber immer yon 
neuem getäufchtz fa felbft wenn man zulest wirklich 
oben ift, möchte man fi abermals für geäfft halten, 
und nur die Silhouette der weitläuftigen Burg vor 
fih zu haben meinen, welde die Entfernung vorge⸗ 
fpiegelt. Denn das eigentliche Kloſter befindet fi un- 
gefehen in einer gigantifchen Höhle von 90 Fuß Tiefe 


— — 


— — — 








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143 


— 


und: 180 Fuß Länge, vor deren Oeffnung nur eine 
lei :Tange, 70 Zuß hohe und 12 Fuß Dide Matter 
mit: vielen Reihen Heiner Fenfter, Balkonen und einir 
gen Thürmihen auf ihrer Spige, vorgezogen worben 
Me Alle bewohnten Räume, die Küche u. ſ. w. find, 
mit einziger Ausnahme rines viereckigen Thurmes zur 
Seite, im Innern der Höhle ſelbſt verborgen. 
Sobald wir und dem Eingang näherten, hörten 
wir das lang fortgeſetzte Lauten einer Glocke, deren 
heiſerer, ungaftlicher Klang nicht viel Gutes prophe- 
zeibte. - Gleich darauf drangen aus. bem gothifchen 
Spitbogen bes Thores, trotz des noch immer heftigen 
Schneeweiters, die Mönche in Prozeffion hervor, um 
und zu empfangen. Sie glichen vollfonmen einer An⸗ 
zahl Warſchauer Juden, als fie fih, in zerriffenen 
Kleidern. und von Schmus firogend, neugierig um ung 
drängten. und uns bie Hand auf bem Pferde reichten, 
wo wir, wie Schneemänner, halb eingefroren faßen. 
Das Innere des Klofters übertraf leider noch alle 
Erwartungen, welche das Ausfehen der Mönche. erregt 
hatte, und ber Schmug und Geftanf, welcher aller: 
wärts Darin herrfchte, war fo gräßlih, bag mir Die 
ganze Begebenheit als kaum in der Realität möglich, 
und nur ein böfer- Traum zu feyn bünfte, 
.. Schwarze halbvermoderte Holztreppen hinan, auf 


144 


denen ein Mönd mit trübe brennender gelber Wachs⸗ 
ferze voranleuchtete, führte man mich bis in den ober⸗ 
fien Stock des Thurmes in die Stube des abweſenden 
Prälaten, eine eingeräucherte Kammer mit Kalkwän⸗ 
den, die auf der einen Seite einen Kamin mit. einer 
Calotte von haarigem Zeuge hatte, wo naſſes Holz 
nicht brennen wollte; Die andere verdeckten unangeftri- 
chene Holzſchränke; auf der dritten waren vier Senfter 
eng neben einander angebracht, deren zerbrochene Glas⸗ 
Scheiben durch hundert Papierftreifen geflickt waren; 
auf der vierten fland eine Ottomane, halb mit zer- 
riffenem Kattun, halb mit einer Flanelldecke überzogen, 
beides durch Flecken und Staub im hödften Grabe 
eckelhaft gemacht. Im zweiten Drittel der Stubenhöhe 
waren an den Wänden Repoſitorien ringsumher befe⸗ 
ſtigt, Die man mit dem degoutanteſten Gerümpel be- 
deckt hatte, das fih die Einbildungskraft erdenken kann, 
alte Lappen, ſtinkende Pantoffeln, Medizinen, eine 
Klyſtirſpritze und unter andern auch vier große las 
fchen mit Blutegeln gefüllt, Die erbfarbenen Dielen 
verbarg fein Teppich, und ber mannigfache Parfüm, 
den bie wie Ameifen hereindringenben Mäufe um fid) 
. verbreiteten, vollendete Die Defolation diefer Wohnung. 

Sch tröftete mich noch Damit, bei Ankunft meiner 
Sahen jeden Winkel mit Teppichen und Züchern 


' 








145 


— — — — — 


belegen und verhängen zu fönnen, vorher aber von uns 
fern Leuten eine totale Reinigung vornehmen zu laffen, 
gertetb jedoch in eine zweite Verlegenheit, als ber 
Küchenmeifter, deſſen Ausfehen ich nicht befchreiben mag, 
mir in feiner fettigen Hand eine Schale mit von 
Staub grauen Konfttüren, nebft einem gleich unreinen 
Glaſe Waffer offerirte, und fih durchaus damit nicht 
abmweifen Iaffen wollte, Die darauf folgende Taffe mit 
Kaffee war von einem noch gefährlicheren Anſehen, 
und der Edel, der fich meiner immer mehr zu be- 
mächtigen anfing, wurde bald größer, als ich ihn je 
in Afrifa in dem elendeften Araberzelte empfunden 
babe. Indeß verging Stunde auf Stunde, der Schnee 
fiel immer dichter nieder, und feiner unferer Leute 
erfhien! Wer mich zwifchen einem Dutend dieſer 
unappetitlichen Mönche, die überdies in ihren Mante- 
ren die größte Dreiftigfeit und Samiliarität an ben 
Tag legten, eingeswängt gejehen hätte, ohne daß ih 
fie weder los werben, noch mit ihnen anders ald durch 
Zeichen mich unterhalten konnte, würde fi an mir 
und meiner Häglihen Miene gewiß nicht wenig belu- 
ftigt haben, vorausgefegt, daß er nicht gendthigt ge- 
weſen wäre, meine traurige Lage zu theilen. 

Diefe Leute find fo in Allem zurüd, daß fie 3. DB: 


fein anderes Mittel kennen, das Feuer anzufadhen, ale 
Süpäfll. Bilderfaal. IL 10 


146 


nad der Reihe durch ein Flintenrohr barauf zu blafen, 
und andere Meubles der größten Nothwendigkeit auf 
eine Weife entbehren, wovon man fi kaum eine Vor⸗ 
felfung machen fann. So hatte das ganze Klofter, 
wie es fchien, nur ein großes Wafchbeden; baffelbe 
Handtuch diente dabei Allen, wahrfcheinlich fo Lange 
e8 zufammenhält; andere Tücher wurden abwechſelnd 
zur Dedung des Beites wie des Eßſchemels Cein 
Tiſch iſt es nicht zu nennen) gebraudt — kurz es 
überfteigt folche mehr als thierifche Schwernerei allen 
Glauben, wie alle menſchliche Erlaubniß. 

ALS jede Hoffnung gefhwunden war, meine Diener 
und Sachen noch antommen zu fehen, brachte man Das 
erwähnte wurmftichige Vehikel herein, Tegte ein zer- 
riffenes Zuc darauf, was bis jet über einen Theil 
der Ottomane gebreitet gewefen, mit Meffern und Ga— 
bein, die gar nicht anzufaflen waren, und fervirte bie 
zufammengeworfenen Refte eines aufgewärmten Hubs 
ned und eines Puters, nebft fteinhartem Käfe, Brod 
und rohen Zwiebeln. Einer ber Mönche, der etwas 
italienifch radebrechte, entfchulbigte die fpärliche Be⸗ 
wirthung damit, dag man mich geftern und nicht heute 
erwartet habe, eine ganz leere Ausflugt, wie man 
fiebt, und um fo mehr, da die Mönche ſchon längft 
durch ein halbes Dutzend Empfehlungsbriefe der ans 


147 


gefehenften Bewohner von Patras, wie Durch zwei 
Befehle des Nomarchen und Eparchen wußten, daß 
ich einige Tage bei ihnen zuzubringen gedenfe, und 
dennoch nicht die mindefte Anftalt zu einem irgend 
bezenten Empfang gemacht hatten. Ich dankte für Alles 
und bat nur um einige geſottene Eier nebft einer reinen 
Serviette, welche letztere jedoch nicht zu erlangen ftand. 
Der Wein vom eigenen crü wäre nicht übel gewejen, 
wenn er nicht mit Harz angemacht worden, und folglich) 
wie Firnig geichmedt hätte. Nach dieſem Mahle legte 
ich mich, in meinen nun am Feuer ziemlich getrockne⸗ 
ten Mantel gewidelt, auf den mit Kattun überzogenen 
Theil der Ottomane, als dem verhältnigmäßig rein- 
lichften, nieder, erleuchtet von einer mepbitifchen Duft 
aushauchenden Lampe, die am Kamin aufgehangen war, 


und kaum die Rauchatmofphäre der Eleinen Stube mit 


ihrem fchwachen Strahl zu durchdringen vermochte. 


Den ı5ten. 
Die ganze Nacht dauerte das Schneewetter fort, 
und erft am Nachmittag des folgenden Tages Tangten 
die Leute mit den Maulthieren an, nach verfchiedenen 
Unglüdsfällen, die fie unterwegs erlitten, und mit der 
angenehmen Nachricht, daß, wenn es nur noch Furze 
Zeit fo fortfchneie, am eine weitere Paflage im oe 


148 


Gebirge nicht mehr zu denken fey. Daffelbe Weiter 
"hielt aber bis zum zweiten Morgen ‚ununterbrochen 
an, und ich finde mid nun in dieſem Tchauerlichen 
Klofter bis auf ungewiſſe Zeit regelmäßig blodirt, mit 
der fichern Ausficht auf den denkbar widrigften Aufent- 
halt mehrerer Tage, ärger als ein Gefängnif. Dies 
ift allerdings hart, doch hat fich wenigſtens des Herrn 
Prälaten ſchauderhafter Schlupfwinkel ſeitdem in An: 
feben und Luftbefchaffenheit bedeutend verändert; ja, 
wäre der Zug durch die zerbrochenen Fenſter, der Raud) 
aus dem Kamine und die zubringlihen Mänfe noch 
daraus zu entfernen, fo Fönnte ich mein Schickſal mit 
philoſophiſcher Ruhe ertragen; unter den obwaltenden 
Umftänden aber gehört viel Meberwindung dazu. 

Ich verwandte einen Theil des Tages darauf, 
das innere des Kiofters und bie Kirche in der Höhle 
zu befehben. Das erfte zeigt überall nur Unrath und 
Elend, die zweite aber iſt voller Reichthümer und 
alter Bilder, die zum Theil nicht ohne Intereſſe, ob- 
gleich alle ohne Kunftwerth find, Einige in Eonftan- 
tinopel auf rothem Atlas in Gold, Silber und bunter 
Seide gefticte Darftellungen würben die Damen ent: 
züden, denn vortrefflichere Stickerei fah ich nie; auch 
mehrere in vergoldetem Silber getriebene Thüren find 
bemerfenswerth, fo wie höchſt Eunftreiches Schnitzwerk 





149 


v 


in Holz, namentlich ein Bifchofaftab, das Geſchenk 
einer. griechifchen KRaiferstochter, von bewundernswür⸗ 
dig feiner und geſchmackvoller Arbeit. Der Boden 
ver Kirche ift mit Marmor belegt und mit Sonne, 
Mond und Sternen, fowie allerhand myftifchen Figuren 
geziert. Die wirkliche Sonne Teuchtet Dagegen dieſer 
Kirche nie, ed brennen aber fletd Lampen oder Wachs⸗ 
fichter darin, und das ganze Gefchäft ber Mönche, 
welche. die größten Faullenzer im Lande - find, befteht 
nur in den albernften Eeremonien, denen fie bier, jeder 
in. feiner Tour, obliegen müflen. Zu ihrer Bedienung 
‚baben fie faft eben fo viel funge Knaben zwifchen 
11 — 16 Jahren, als Mönche im Kloſter find. Meh⸗ 
rere unter dieſen waren außerordentlich fchön, fo wie 
fih auch unter den Mönchen felbft viel fhöne Männer 
mit herrlichen Köpfen a la Titian und Rembrandt be- 
fanden; aber die allgemeine Unreinlichteit] geftattet 
feinen Genuß, felbft an der vollendeiften Schönheit, 
und nad kurzer Betrachtung mußte man ſich immer 
mit Widerwillen von dieſen in Schmutz getanchten 
Geſtalten abwenden. So viel iſt gewiß, daß mir nie 
etwas Aehnliches vorgekommen iſt, und Lieutenant 
Tünnermann, der doch das Land ſchon lange kennt, 
verficherte gleichfalls, Daß er bier Alles übertroffen 
finde, was er bisher im griechifchen Reiche von Salo- 


150 


perie zu beobachten Gelegenheit gehabt. Demunge- 
achtet rechnet man bie Einkünfte des Kloſters wenig- 
ſtens auf 50,000 Colonaten jährlih, fo daß jede an- 
ftändige Annehmlichkeit eines civilifirten Lebens in der 
Mönche Bereich flünde und auch noch genug für ihre 
Privatfamilien in abfteigender und auffteigender Linie 
außer dem Klofter übrig bliebe. Da man die Eleinen 
Klöfter aufgehoben hat, welche eben fo populär beim 
Bolfe waren, als bie großen, und vielleicht mehr 
Nutzen als dieſe ftifteten, fo fehe ich wirklich nicht ein, 
warum man die Yeßteren verfchont. Es wäre eine 
wahre Wohltbat, wenn ein folcher Düngerhaufen zur 
Befruchtung für das allgemeine Beſte verwendet wer- 
ben könnte, Doch die Zeit dazu ift freilich noch nicht 
für Griechenland gefommen, für weldes bie Klöfter 
ohne Ausnahme anno, wenn auch in nichts Anderm, 
doch in Hinſicht auf Landnutzung, die beften und wahr- 
fcheintich einzigen Mufterwirthfchaften abgeben, fo 
weit Routine reicht. 

Die kraſſe Unwiffenheit der hiefigen Mönche ent- 
fpricht der Natur ihrer Umgebung. Die meiften der⸗ 
felben fönnen weder leſen noch fehreiben, und keinen 
fanden wir, der nur in der Gefchichte feines Vater⸗ 
landes, gefchweige denn in Dingen, die andere Länder 
oder irgend eine Wiffenfchaft betreffen, Die geringfle 








151 


Kenniniß hatte. Der Aberglaube ihrer Religion, nebſt 
alfen abgeſchmackten Legenden berfelben, war das Ein- 
zige, was ihnen bekannt zu feyn fchien. . 


Den 17ten. 

Ich habe es oft erfahren, auch wohl gefagt, und 
bier beflätigt e8 fich wieder: Man gewöhnt fih an 
Alles! Das Wetter bleibt, mit wenig Sntervallen, 
daffelbe; wir find nun förmlich verfchneit, und ich muß 
bongre malgre mit den Mönchen haushalten, bis die 
Straßen wieder offen find. Schon vertragen meine 
Augen den Rauch recht Yeiblih, und der eisfalte Zug 
fommt mir manchmal ganz norbifch behaglich vor. Ger 
pichter Wein mit Waffer gemifcht, Schwarzes Brod, 
Eier und Zwiebeln find gewiß für die Gefundheit eine 
jehr heilfame Diät, und befonders empfehle ich, nad 
der Borfhrift eines muhammedanifchen Arztes, die 
rohe Zwiebel jedem Reifenden in fremden Ländern als 
das befte Präfervativ gegen alle Krankheiten, bie das 
Klima verurfacht, wie Fieber, Diffenterien u. |. w. 
Es ift fein ganz angenehmes Mittel, aber von vor- 
treffliher Wirkung, 

Bermittelft meines griechifchen Dieners Tann ich 
nun mit den Pfaffen mich wenigftens unterhalten, deren 
Naivität fpakhaft genug iſt. Ganz eben fo, wie bei 


15% 





ben Arabern, muß ich ihnen alle-meine Sachen zeigen, 

die fie mit findifcher Freude betrachten, auch mir. oft, 
gleich jenen, Verſchiedenes davon abzubetteln verfuchen. 
Einer der Bornehmften war fehr zufrieden, eine Stange 
Siegellad und zwei Eigarren erobert zu haben — die 
letztern heimlich — denn die. Mönche. dürfen nicht 
mehr rauchen, feitbem das Klofter einmal durch eine 
Pfeife angezündet wurde und ganz abbrannte, Drei 
oder viermal ward es auch Später vom Feuer verhbeert, 
was bei den biefigen Anftalten nicht zu verwunbern 
ift, und ich ſehe jeden Abend mit einer ähnlichen. Be⸗ 
forgmiß auf den Tameelhärnen Raudfang meines Ka- 
mins hin, unter dem eine Viertelflafter Holz wie ein 
Auto da fe brennt, mit vergeblicher -Bemühung, bie 
Iuftige Laterne zu erwärmen, in ber ich in und häufig 
über den Wolfen wohne. Ich babe erwähnt, daß 
einer der Moͤnche etwas italieniſch ſpricht, mas ſich 
jedoch ziemlich auf die Worte „‚capisco“ und „tale 
quale“ beſchränkt, die er überall andringt. Ich habe 
ihm deßhalb, zum großen Gaudium ſeiner Kameraden, 
die ihn jetzt ſelbſt ſo zu rufen anfangen, den Beinamen 
des Pater Talequale gegeben. Dieſer ſehr pfiffig aus⸗ 
ſehende Geiſtliche iſt der Gelehrte des Kloſters, und 
erregt wegen des Airs, das er ſich deßhalb gibt, die 
Eiferſucht aller Uebrigen. Als ich ihm neulich aus 





158 


einer englifchen Neifebeichreibung mehrere Detaits über 
Megaspileon und die darin enthaltenen Gegenftände 
vorlag, deren Richtigkeit ihn in Verwunderung ſetzte, 
fügte er mit capabler Miene: „Dies Buch muß von 
Pauſanias ſeyn, der einzige Reifende in Griechenland, 
der von Allem fo genau unterrichtet war” — in wel⸗ 
em frommen Glauben ich ihn beftärkte. 

Da es noch immer fohneit, und jeder Gang ing 
Freie faſt unmöglich ift, durchſuchte ih Das ganze 
Klofter von neuem, muthig durch den Kehricht watend, 
der auf Treppen und Gängen, die wahrſcheinlich noch 
nie gereinigt wurden, faſt eben fo tief lag als ber 
Schnee draußen. Die gigantifhe Höhle und ihre in> 
genieufe Benusung find indeß fehr merfwürbig. Zur 
Zeit Ibrahims hatten fi) die Mönche ganz darin ein- 
geichloffen, und fih fogar zwei Kanonen verichafft, 
die noch bier find, einen 36⸗ und einen 24-Pfünber. 
Man hat fie ihnen ſeitdem wieder abnehmen wollen, 
boch die Genie: Offiziere erklärten, wie in Lepanto: 
es fey zu ſchwierig und der enormen Koften jedenfalls 
nicht werth, fie herabzufchaffen, wie aber die Mönche 
fie hingebracht, begriffen fie nicht. . In jener Epoche 
warb auch eine Mühle zum eigenen Getyeidemahlen 
in der Höhle angelegt, fo daß die Mönche ganz ges 
faßt darauf waren, wenn es hätte ſeyn müflen, Jahr 


J 


154 


und Tag ihre unterirbifche Wohnung nicht mehr zu 
verlaffen. Die Zellen find recht bequem für eine bis 
drei Perfonen eingerichtet, und rund herum mit Di- 
vans und weichen Kiffen verſehen, die zugleich als 
Betten dienen, aber allen fehlt mit der Reinlichkeit 
aud die frifche Luft. Die Tracht ihrer Bewohner, 
bie fie, wie-die Türken, Tag und Nacht aubehalten 
und nicht eher wechfeln, bis fie vom Leibe fällt, er- 
fhien mir übrigens eben fo bequem als ſchön, wenn 
fie nur weniger ſchmutzig wäre. Sie tragen eine, weite 
und lange Zunifa, meiftens von grüner Farbe und 
aus einem feinen wollenen Zeuge gefertigt, die über 
ber Taille von einem Gürtel zufammengebalten wird; 
darüber einen ſchwarzen oder braunen faltenreichen 
Aermelpelz. Das lange Haar und der volle Bart ſteht 
vortrefflich dazu, wie die ſchwarze Toque von eleganter 
Form, die fie auf dem Kopfe tragen und nie abs 
nehmen, als vielleicht beim Schlafen. Ihre pantoffel- 
artigen weiten Schuhe werfen fie, gleich den Orien⸗ 
talen, ab, wenn fie auf einen Teppich treten, und an 
den grauen wollenen Strümpfen, die dann zum Bor: 
Schein kommen, ift wenigſtens nicht zu fehen, wie Tange 
fie ungewafchen feyn mögen. Im Sommer gehen fie 
wahrſcheinlich barfuß. 

Die Heine Bibliothek des Kloſters enthält nur 





155 


kirchliche Manuferipte mit wenigen fehr fchlechten Mi⸗ 
niaturbildern, und einen gebrudten Homer, aus dem 
verſchiedene Blätter herausgeriffen waren, nebſt einigen 
andern neuen Büchern, von benen jedoch Feind benutzt 
worben zu feyn fchien, bis auf das Gott weiß wie 
bierhergelommene italienifche Opernbuch ber pazza per 
amore, in deſſen Blättern ein Stüd Käſe eingemwidelt 
war. Bon einem Manufeript über Alchymie, deſſen 
Reale erwähnt, wollte man nichts wiſſen, auch hätte 
es mir nichts helfen Eönnen, ba ich in der griechifchen 
Sprache eben fo unwiffend bin, ale. die Mönde in 
Allem außer diefer. | 

Nebſt der großen Kirche, die ich befchrieben, be- 
finden ſich auch noch drei kleinere in den drei verfchie- 
denen Etagen der Höhle, Die Wände berfelben find 
durchgängig bemalt, doch haben Raud und Feuchtigfeit 
biefe Malereien meiftentheil6 zerftört. In einem grö- 
Beren Saal unten ift Die Geſchichte Joſephs abgebildet 
und beſſer erhalten, die mir Pater Talequale mit Hülfe 
Anzi’3, als eine mir ganz unbekannte Sache, forg- 
fältig erflärte. Bei dem Capitel der Potiphar blieb 
er jedoch die Auskunft ſchuldig, und half fi bei mei- 
nen inquifitiven Fragen mit der fchlau gegebenen Ant- 
wort: „non capisco.“ 

Das Merfwürdigfte der ganzen Anſtalt iſt ohne 


156 


Zweifel der Keller, voll Fäſſer, die dem weiland Hei⸗ 
delberger nicht: viel nachgeben, Eine Quelle herrlichen 
eistalten Waffers fprudelt dort zugleich aus dem Fel- 
fen, und Die ung begleitenden Mönche meinten lachend, 
der Pater Kellermeifter, der ung dies Alferheiligfte 
aufgefchloffen, verdiene in dem Baffin, das fie anfüllt, 
erfäuft zu werden, weil er ihnen ſtets ben Wein mit 
ihrem ſchädlichen Inhalt bis über die Hälfte miſche. 
Gewöhnlich efien die Mönche in ihren Zellen, wo fie 
fich felbft ihr frugales Mahl bereiten, nur an gewiflen 
Tagen fpeifen fie in einem furchtbar ausfehenden Ge- 
wölbe an ſchwarzen Tafeln zufammen, über bie an 
ber Dede eine Reihe Bodshäute aufgehangen. find, 
welche den Wein enthalten. Ein und berfelbe zinnerne 
Becher dient babei für die ganze Geſellſchaft. 

Die Mönche von Megaspileon befißen eine Art 
republifanifcher Verfaſſung mit zwei Senaten, einen 
erften dirigirenden von at, und einen ‚weiten von 
zehn Mitgliedern. Doch verringert oder vermehrt: fi 
biefe Zahl nach Umftänden. Der zweite Senat wird, 
wie fie fagen, vom erften gewählt, und der erſte vom 
zweiten; eine feltfame Einrichtung, deren Anfang eben 
fo wenig begriffen werden kann, als die Myſterien 
unferer heiligen Religion felbft, denn. um die Sache 
möglich zu machen, muß wenigftens einer biefer Senate 





157 





notbwendig von Ewigkeit ber eriftirt haben. Der erſte 
Senat ballotirt auch den Prälaten aus feiner Mitte, 
ver alle Jahre von neuem erwählt wird, doch verhin- 
dern die Statuten: nicht, dag derfelbe Mönd immer 
wieder dazu beftimmt werde. Das Gouvernement hat 
jest, wie ich hörte, brei Mitglieder aus dem erften 
Senat zu feinen Commiſſarien ernannt, um ihm einen 
jährlichen Rapport über die ganzen Affairen des Klo- 
ſters abzuftatten, doch bezweifle ich, daß diefer fehr 
wahrhaft feyn mag. Unter türfifcher Herrfchaft wurden 
die Mönche von Zeit zu Zeit wilffürlich tarirt, und 
erhielten fih, wie es fcheint, ziemlich wohlfeil, ver- 
möge gelegentlicher Beftechungen in Conſtantinopel. 
Seat müfjen fie regelmäßige Abgaben zahlen, "über 
deren Höhe fie gewaltig jammern, und in biefer Hin⸗ 
fiht den Verluſt des alten Regiments bedauern, weil 
fie behaupten, ſeitdem weit härter gebrüdt zu feyn. 
Man Tann ihnen jedoch nur wenig aufs Wort glauben. 

Einen fpaßhaften Beweis für die Induſtrie der 
Mönche erzählte mir mein Begleiter. Sie pflegen 
jährlich Einen aus ihrer Mitte mit Reliquien im Lande 
umberzufchicten, der biefe Dinge theils verkauft, theile 
fonft milbthätige Gefchenfe dafür. von den Gläubigen 
einfammelt. Da aber diefer Handelszweig ſchwer zu 
fonteofiren war, fo befchloffen die Mönche, die Com⸗ 


158 


miffion zu verpachten, und ftellten eine förmliche Lizi⸗ 
tation unter fih an, wo dann ber Meiftbietende 
mit den Reliquien abging. 

Ueber meine hiefige Wohnung , fo fchlecht fie ift, 
darf ich mich nicht beflagen, denn König Dito bat 
auch da logirt, doch nur wenige Stunden barin aus: 
gehalten. Des Ladens konnte ich mich aber unmög⸗ 
ich erwehren, als mir der proto Papa erzählte, daß 
man die Mittagstafel für Seine Majeſtät in dem bes 
wußten bobdenartigen Borfaal angerichtet hatte, ber 
nach der genannten Wohnung führt und an welchen 
unmittelbar (und fichtlich) der, feine Näbe den Ge⸗ 
ruchswerkzeugen noch viel fühlbarer verfündende ....... 
fößt. An dies Gaftmahl wird der arme König wohl 
auch Zeitlebend gedenken. 

Das Klofter hat noch mehrere Nebenhäuſer, zu 
Wohnungen für Fremde beſtimmt, die in der Regel 
nie das Kloſter ſelbſt betreten dürfen, und fich dann, 
für ihr Geld, wahrſcheinlich viel beſſer außerhalb befin⸗ 
den; ferner mehrere Ställe, Wirthſchaftsgebäude u. |. w. 
Der fteile Abhang, an dem das Ganze fteht, ift bis 
auf den Boden der Schlucht hinab mit Fleinen Ter⸗ 
rafiengärten bedeckt, die in allen Richtungen ange- 
bracht find, und mit dem pittoresfen Schloß, nebft 
ber. über diefem ſich auftbürmenden Felſenwand, das 


— — — — — — — 


alleroriginellſte Schauſpiel gewähren. Viele dunkle 
Cypreſſen ragten aus dem Schnee der Gärten hervor, 
boch ſchienen fie, troß ihres hoben Alters und threr 
Größe, nur Zwerge gegen den ungeheuern Maßſtab 
der Gegenftände umher. Auf dem Yuftigen Papillon, 
in dem ich haufe, prangt außerhalb ein fchwarzes 
Kreuz an der Mauer, in Form des preußifchen eijer- 
nen; denn der Berg, welder diefem Bezirk den Na: 
men gibt, heißt zum heiligen Kreuz. Die größte 
Heiligkeit des Kloſters befteht jedoch in einem affreu- 
fen braunen Wachsbilde der Jungfrau, das der hei- 
lige Lufas verfertigt hat. Außer dieſem, belehrte mich 
Talequale, gibt es nur noch zwei von bemfelben Ber- 
faffer, wovon Das eine in Rußland ift, das andere 
aber noch nicht aufgefunden wurde — alfo noch in 
Referve bleibt. Demungeadhtet erinnere id mich, in 
Stalien ſchon zwei oder drei dieſer angeblichen Kunft- 
werte des. heiligen Lukas gefehen zu haben, von denen 
auch bort bei jedem behauptet wurbe, es ſey das ein- 
zige ächte. Während einer Der Zeremonien, die vor. 
dieſem Bilde in der großen Kirche flattfanden, warf 
fih der :mit der Stola befleidete Pfaffe wenigftens 
hundertmal zur Erde, und hatte in diefem bligfchnellen 

Niederwerfen und Wiederauffpringen eine jo bes 
wundernswürdige Fertigkeit erlangt, daß ficher Fein 


160 


Seiltänzer-Bajaszo es ihm mit derfelben Belozität und 
Ausdauer nachzumachen im Stande geweſen wäre. Für 
Leute, die ohnedies gar nichts zu thun haben würben, ift 
eine folche Art Turnen gewiß eine fehr heilfame Motion. 

| Sn den furzen Zwifchenräumen bes fchlechten 
Wetters verfäumte ich nie, mich auf der offenen Ga⸗ 
Ierie, die am obern Ende der Mauer binläuft, ein- 
zufinden, um von dort hinab abmwechfelnd in die Tiefe 
nieder und an ber Felfenwand hinaufzuſchauen — ein 
wunderbarer Anblid, defien ich nicht müde wurde. Den- 
noch fieht man nur wenig; nichts eben als über fi 
die ſenkrechte, fchauererregende, glatte Steinmafle von 
mehr als 300 Fuß Höhe, nach unten gewendet, über 
das Labyrinth von Terraffen hinweg, in eine enge, 
mehrere hundert Fuß tiefe, ſich weit hinziehende Berg⸗ 
fpalte, die von zwei hohen Bergrüden eingefaßt wird, 
welche fih dreimal höher erheben, als die Spalte tief 
ift — und gegenüber den noch Eoloffalern Berg Ro: 
chico, der, gleich einem vorgezogenen weißen Bor- 
bang, den Abgefchhiedenen die ganze übrige Welt ver- 
birgt. Außer einigen röthlichen Felfen, deren Kuppen 
noch hie und da feitwärts hervorfchauen, find überall 
feine andern Farben fichtbar, als das biendende Weiß 
des Schneed, und das Schwarz der Tannen. Man 
glaubt in Nova Zembla zu ſeyn. 





161 


Ehen fchneit es fehon wieder mit Macht und "der 
proto Papa ſagt feufzend, bag feit 1812, wo Rapos 
leon in Rußland erfroren fey, wie man ihm erzählt, 
fie feinen ähnlichen Winter bier erlebt hätten! Dem 
fey indeß, wie ihm wolle, ich kann doch mit Schillers 
Worten audrufen: Auch ich bin in Arkadien geweſen! 
und gewiß ‘werde ich nie in meinem Leben Schnee 
und Schmuß. wiederſchen, ohne. Arkadiens fröftelnd 
zu gedenken.“ 


Den ı18ten. 

Nach Regen folgt Sonnenſchein, und nach Schnee⸗ 
geſtöber endlich auch! Der heutige Tag war ſo glän⸗ 
zend als die goldene Glorie um das Haupt der Jung⸗ 
frau des heiligen Lukas, und man mag ſich leicht vor⸗ 
ſtellen, daß ich ihn nicht unbenutzt ließ. Die Felſen⸗ 
wand zu erfieigen nebſt dem barüber Liegenden hohen 
Berg, wo über den Fichten ein weithin fichibares 
hoͤlzernes Kreuz errichtet iſt, warb beſchloſſen und 
trog aller Schwierigfeiten ausgeführt. Zwei ber rüftig- 
Ken Mönche mußten, nach vielem Sträuben, mit 
Schaufeln voraus, um ein wenig Bahn zu machen, 


ı Jetzt ift zwar Megaspileon zu Achaja gefchlagen, doch 
ehemals gehörte dieſer Theil des Gebirges, in der Abhängig: 
Teit von Kynaetha, noch mit zu Arkadien. 

Sudoſtl. Bilderſaal. IL 11 


168 


und ich. folgte. Unglüctlicherweiſe hatte Francis, dem 
ich nichts abfehlagen Fan, durchaus mitgewolli, und 
dba wir bald in den aſchigen Schnee Ks über bie 
Kniee wateten, ja manchmal bis über den Leib hin- 
einfielen, mußte ich ben Hülflofen, ber gänzlich darin 
verfchwand, den größten Theil des Weges felbit tra- 
gen,. denn des Heine Teufel laͤßt fih von niemand 
Anderem handhaben, ohne ihm den guten Dienft mit 
heftigen Biffen zu vergelten. Diefer tiefe Schnee, fo 
ermübend er war, hatte indeß das Gute, dag wir 
mit feiner Hülfe an allen Abgründen fihern Fußes 
hinklettern Tonnten, wo es oft ohne ihn kaum möglich 
gewefen wäre, wie wir an einigen Stellen, wo ihn 
der Wind hinweggeweht, zur Genüge inne wurden. Die 
Ausfichten auf hunderte mit Fichten und Kiefern ger 
frönte Gipfel, zwifchen denen ſich immer noch höhere, 
völlig baumlofe, filberfarbene Kegel erhoben, ferner 
auf Das ganze Bett bes Buraikus nach feinen beiden 
Seiten bin, und endlich auf das romantifche Kloſter 
felbft in der fchmindelnden Tiefe waren prachtvoll, 
und mit Stolz zeigten ung die beiden Mönche mehrere 
: Höhen, von denen Ibrahims Araber vergebend durch 
ihr Flintenfener fie zu ſchrecken verfuht, ohne ihre 
Standhaftigfeit erichüttern zu fünnen. | | 

Leider bleibt Die Sonne in dieſen Regionen nicht 





168 


fange fichtbar, und ich war überbieg ein wenig zu 
ſpät für ihren Fugen Lauf aufgeftanden.“ Nach eini- 
gen Stunden mußte id daher fehleunig an den Nüd: 
weg denken, ber nun an einer andern Seite hinab- 
genommen wurbe, Am Saume einer Höhle, zu der 
wir faft in gerader Richtung niedergerutfcht waren, 
brach ich einen Eiszapfen von ber Länge einer 
Koſakenlanze ab, den ich auch ganz unverfehrt ins 
KMoſter brachte, um Talequale ein Präfent damit zu 
machen. Die Mönthe amüfirten ſich Tange wie Kinder 
damit, und ſteckten zuletzt den Reſt beffelben unter 
großem Jubel ins Feuer, während ich mid; auszog, 
und, eine Taſſe Glühwein trinfend, zu Bett Yegte; 
denn bier, als dem reinfichflen und wärmſten Ort im 
Klofter, halte ich mich Tag und Nacht regelmäßig: 
auf, jo lange ich in meinem Zimmer verweile Die 
Mönche Habe ich mir nun auch, mit Hülfe Tüm- 
nermanns und meines Dieners, fo ziemlid nach der 
Hand gezogen. Mehr als 8 von ihnen werden auf 
einmal nicht hereingelaffen; fie Tauern ſich dann auf 
meine Teppiche nieder, und Dürfen unter ſich nur leife 
ſprechen, wenn ich Iefe oder fchreibe, auch nichts an- 
faffen, ohne vorher um Erlaubnig gebeten zu haben. 
Ich felbft genive mich gar nicht, und dba ich fie nur 
felten 108 werben fann, unternehme ich alles, was ich 


164 





Luft abe und bedarf, als fey ich völlig allein. ZH 
erſcheine mie dabei wie Ludwig bes Bierzehnte, der 
auch weder aufftehen, eſſen, zu Bette gehen, noch 
Gott weiß was fonft Unvermeidliches thun fonnte, 
ohne von einem. Theile feines Hofes umgeben zu feyn. 
Wenn man erft fo weit gekommen ift, die übrigen 
Menſchen wie Thiere anzufehen, wie ich biefe Mönche, 
fo geht es recht gut. Aber fo docil fie find, zu einer 
befieren Bewirthung find fie doch nicht zu bringen. 
Ein mageres, ſteinhartes Huhn täglich für Tünner⸗ 
mann und mich, ift alles was ih, außer der ſchon 
erwähnten Brod⸗ und Zwiebelfoft, von ihnen heraus: 
zuprefien vermag. ch bin aber volfflommen damit. 
zufrieden, denn meine Natur iſt fo glücklich beſchaffen, 
daß ich faft nie die Entbehrung deſſen fühle, was 
nicht zu erlangen möglid if. . Die Geizhälfe haben 
mi jest gebeten, in Athen ein bort. eingereichtes 
Gefuh um Berminderung ihrer Abgaben zu unters 
flügen, weil Lieutenant Tünnermann fih den Spaß 
machte, ihnen zu vertrauen, daß ich nahe mit dem 
Könige Dito verwandt fey. Auf die Nachricht fandten 
fie heute fogar nad Kalaprita, um ein Tamm bort 
zu faufen, was ich in den folgenden Tagen auf bie 
Gefundheit Seiner Majeftät dankbar zu verzehren ge- 
benfe — denn noch ift Fein Fortkommen, außer zurüd 





165 


nach Voſtitza, möglich, und ohne den Waſſerfall des 
Styr gefehen zu haben, ber ‘fi im Hergen des Ge⸗ 
birges vom Khelwos berabftürgt, weiche ich nicht ae 
Diefer Gegend, und follte ich bis zum Frühjahr darauf 
warten müffen. Man fagt, es fey in dieſer Jahres⸗ 
zeit nicht thunlih, Doch auf die eine oder die andere 
Weile mug es möglich gemacht werden. Was ich 
- wirklich wollte, erreichte ich noch immer. 
Lieutenant Zünnermann, ber ſich, ohne alle Effek⸗ 
ten und erbärmlich logirt, noch weit ſchlechter als ich 
bebelfen mußte, konnte es nicht länger aushalten und 
bat fih daher einer Karavane von 12 Mönden und 
eben fo viel Mauleſeln (die das fchöne Wetter be- 
nusen wollen, um, wenn fie durchkommen können, nad) 
Boftiga zu geben, wo englifche Kaufleute ſchon feit 
mehreren Tagen auf fie warten, einen Korinthen- 
handel abzumachen), angefchloffen.- Ich verliere ihn 
fehr ungern, konnte aber unter den obwaltenden Um⸗ 
ſtänden unmöglich in ihn dringen, länger zu bleiben. 
Hält das Wetter aus,-fo denke ich morgen ſelbſt mid 
nad. Kaläayrita auf den Weg zu machen, das nur 
einige Stunden von hier entfernt ift, und dann zu 
fehben, wie ich eine Anficht des Styr erreiche. Doch 
werde ich mich in Zufunft gewiß hüten, je wieder im 
Winter die griechifchen Gebirge au betreten. Abgerechnet 


166 


bie Beſchwerlichkeiten einer Reife, ift fle auch ſehr 
theuer, da Man für jedes Pferd oder Maulthier 6—7 
Manfen täglich zahlen muß, und den Führern eben 
ſo viel. Ueberhaupt find alle Preiſe in Griechenland 
anßerorbentlich hoch, was bei der allgemeinen Armuth 
auffallend ift, aber durch die geringe Bevölkerung, 
und befonders bie Faulheit der Einwohner, erflärlich 
wird. Dennoch verfäumen fie Feine Gelegenheit, wo 
fie dem Fremden ohne eigene Mühe etwas abpreſſen 
fonnen. Ein Reifender erzählte mir in Patras, daß 
er einft, mit feinem Diener Tein Unterfommen im 
Gebirge findend, die Nacht auf freier Erde zubrin⸗ 
gen mußte, AS fie am Morgen erwachten, fland ein 
Bauer vor ihnen und verlangte eine Dradme par 
tete, weil fie auf feinem Grund und Boden ges 
fhlafen hätten’! 

Ehe der gute Lieutenant abreiste, lehrte er mid) 
noch eine nene Kunft, die ich verwandten Seelen mit: 
theilen muß. Alle Diejenigen, welche ſich der Cigar⸗ 
ven bedienen, werben oft Durch folche ennüyirt worden 
ſeyn, die feine Luft Haben, was befonderd dann vor- 
fällt, wenn fie, nicht Dicht genug eingepadt, fih auf 
ber Reife abblätterten. Diefer Umftand hatte mir fo 
eben ein Dutzend derſelben unbrauchbar gemadht. 
Tünnermamm ftellte fie jedoch alle auf eine Art wieder 





467 . 


ber, die ihren Geſchmack ſogar noch angenehmer als 
im. Normalzuſtande machte. Es wird dies durch eine 
ähnliche Behandlung erlangt, wie bei Fertigung pw 
niſcher Papiercigarren für Damen. Man nimmt ganz 
feines, möglichft dünnes Poftpapier, umwidelt damit 
eng.bie kranke Cigarre, daffelbe unten, wo fie ange- 
brannt wird, offen laſſend. Oben fließt man. das 
Papier, wie man eine Düte zumacht. Iſt dies ge- 
ſchahen, jo Hreicht man an dem zugemaihten Enbe bas 
Papier wieder auf zarte Weife zwifchen ben Fingeru 
nad) oben, fo. daß bie Schließung dadurch Inder ge- 
nug wird, um ben Rauch durchzulaſſen, und ſteckt 
baun bie Cigarre, wie gewöhnlich, ‚unten an. Keine 
einzige e verfügte nad) dieſer Operation ihre befenibienfe: 


Den th. 

Heute ‚entladen ſich wieder Schneswolken, und 
ic) ‚bleibe an mein Lager gebannt! Ein gutex. Tag 
zur Benutzung meiner Reiſebibliothek. Da ich :alfo 
bier nit fortfam, wandere ich, den Leſer abermals 
ohne Sſheu zur Begleitung einladend, mit dem. vor⸗ 
trefflichen Alexander Burns durch Indien und ben 
Himmalaja nach Perſien, und lerne bort. gleich etwas 
ſehr Paſſendes, nämlich dag man, um den. übeln 
Folgen. des Schnees auf die Yugen zu begegnen, dieſe 


v 


168 


mit Antimonium beftreihen muß. "Wie anmuthig 
Däncht es mir ferner, wihrend des fibirifchen Winters 
web herben Mangels um mich her, ben anlodenben 
Empfang zu lefen, der Burns in Peſhawur zu Theil 
ward. ‚Peer Muhammed Khan,” fagt der Reiſende, 
‚erwartete uns in feinem Garten unter einer bunten 
Laube von Fruchtbäumen, die voll Blüthen waren. 
Man breitete Teppiche aus ,. und ehe wir uns. febten, 
wurden. die Bäume gefchüttelt, um jene noch Dicht 
mit den Blüthen der Aprikoſen und Pfirſiche zu be⸗ 
beden. Duft und Schönheit dieſes Lagers waren 
gleich Sinnentzüdend. Plan feste ums herrlichen 
Wein. von Caboul vor, der den Madeira übertrifft,- 
aber. die Traube wird bier auch noch anders ver⸗ 
wandte. Man benutt ihren Saft zum Braten 
Des Fleiſches, und bereitet ein Pulver daraus, 
was beim Eſſen als pickle gebraudt wird. Dies 
gewinnt man durch das Stoßen getrodneter Trauben, 
bevor fie reif find.” Ä 
Dei den wilden Usbeken und Afghanen Bokha⸗ 
ra's angelangt, erftaunt Burns über ein dort übliches 
Sprüchwort, welches folgendermaßen Tautet: „Ru f- 
fifhes Erbarmen ſteht auf gleider 
Stufe mit Afgbanifher Tyrannei." 
Thee. findet er in Bokhara als das unentbehr- 





169 
lichſte Getränf wie in China, meiftend aber wird er, 
flatt mit Milch und Zuder, mit Salz getrunfen, und 
oft noch mit Fett: gemifcht. Dann werden die Blät⸗ 
ter aus dem Topfe unter die Theegeſellſchaft vertheilt 
und wie Tabaf gefaut. 

In Wafhan fieht er die Einwohner ihre Pferbe 
mit Hirſchgeweihen befchlagen. Sie bringen einen 
Theil des Horns in die nöthige Form und befeftigen 
es auch mit Nägeln aus Horn. Ein folder Beſchlag 
Dauert weit länger als aus Eifen. Dies erinnert mid) 
An eine Stelle des Pauſanias, wo er erzählt, daß bie 
alten Sarmaten eben fo fhöne Panzerhemden, ale 
bie der Griechen waren, aus Pferbehufen gefertigt 
frugen. 

Alle Völker diefer Gegenden feheinen überhaupt 
die größte Sorgfalt für ihre Pferde zu hegen. „Sie 
nehmen,” fagt Burns, „am Tage nie den Sattel ab, 
weil dies, wie fie glauben, ihnen eine beffere Nacht⸗ 
ruhe bereitet. Zum Abfühlen werden die Pferde nicht, 
wie bei ung, umbhergeführt, fondern Tangfam gerits 
ten. Immer balten fie den Rüden des Pferdes bet 
Hite und Kälte bedeckt (wie es in Afrifa und Gries 
chenland mit den Windhunden üblich ift), und immer 
binden fie ihnen den Schweif auf. Die Turkomannen 
wallachen ihre Pferde wie die Europäer, weil fie 


170 


ebenfalls glauben, daß es ihnen. eine größere Dauer 
gebe. Um fie den Kopf hoch tragen zu machen, be⸗ 
dienen fie fich einer eigenen Danier. Sie fperren fie 
yon Jugend an in Ställe, die nur ein Fenſter in ber 
Dede haben, nad dem das Thier häufig fieht, und 
fo ſich lofe im Halfe macht. Die. beften Pferde ber . 
Turfomannen (und der Welt nad Burn's Meinung) 
fommen vom Stamm SKarabeer, in ber Nähe der 
Stadt Shur Subz, her. Auch in Shibbergaum, nahe 
bei Balkh, ift eine vorzügliche Race. Wenn die Tur« 
komannen trockenes Sutter haben, geben fie nie grüs 
‚nes, und mifchen beides nie; auch wird den Pferden 
nicht geftattet, außer der regelmäßigen Mahlzeit zu 
nafchen. Sie erhalten zu jeder Zeit Außerfi wenig 
Wafler, und wenn man fie in training fett, was man 
bier fo gut wie ber beſte englifche groom verfteht, 
gibt man ihnen fehr viel Arbeit, und dennoch wenig 
Sutter. Man tränft fie, wenn fie heiß find, und jagt 
fe dann eine Weile noch ftärker umher, damit das 
Wafler die Temperatur des Leibes annehme. Erf, 
wenn das Pferd, felbft nach der ſtärkſten Erhitzung, 
nur wenig Durft zeigt, halten fie es für vollkommen 
zu jebem Dienft präparirt. Ihr Fleiſch wird bei 
dieſer Behandlung fo hart wie Eifen, und ich weiß 
Beifpiele,. führt Burns fort, daß zahlreiche Truppe 





181. 


bewaffneter Krieger 600: englifche Meilen in tabs Ta⸗ 
gen zurückzulegen im Stande geweſen find, was wahr- 
jgeinli Bein anderes Nferb der Ende vermag. Syn. 
Bokhara bat man ein Mittel gegen den Spath unb 
dergleichen Ausdehnungen, das fpezififch feun fell. Es 
ift ein Del, das aus Sceſdunger durch Deſtillation 
ertrabirt wird. 

In Meſchid, in Khoraſſan, zeigt ih dem Rei⸗ 
ſenden ein ergreifendes Schauſpiel gefallener Größe. 
Ein direkter Abkömmling des großen Nadix Shach, 
der blind geworben, bettelte um einen: Biſſen Brod, 
feinen quälenden Hunger zu ſtillen! 

Sch fchließe mit einer herriichen Bemerkung des 
philoſophiſchen Engländers: „Ein großer Nuten bee 
Reiſens it der, bie Borurtheile feines eige- 
nen Landes durch die Beobachtung berjeni- 
gen zu mäßigen, die in andern Ländern 
herrſchen.“ — 

Die Mönche braditen mir Abende einen angeb- 
chen Knieknochen und eine Ribbe von enormen Di⸗ 


menſionen, behauptend, dag dies Ueberrefte eines Rie⸗ 


fen feyen, deffen Grab man fürzlich bier aufgefunden. 
Ich vermochte ſie, mir Beides mitzugeben, um es tn 
Arhen durch einen gelehrteren Naturforicher, als ich 
bin, unterfuchen zu Taffen. Wahrfcheinlih wird es 


170 


ebenfalls glauben, daß es ihnen: eine größere Dauer 
gehe. Um fie den Kopf. hoch tragen zu machen, be⸗ 
dienen fie fich einer eigenen Manier. Sie fperren fie 
yon Zugend an in Ställe, die nur ein Fenſter in ber 
Dede haben, nach dem das Thier häufig ſieht, und 
fo ſich Tofe im Halfe macht. Die beften Pferde ber 
Turfomannen (und der Welt nach Burn’s Meinung) 
fommen vom Stamm Karabeer, in ber Nähe ber 
Stadt Shur Subz, her. Auch in Shibbergaum, nahe 
bei Balkh, ift eine vorzüglihe Race. Wenn die Ture 
komannen trodenes Sutter haben, geben fie nie grüs 
‚nes, und mifchen beibes nie; auch wird den Pferden 
nicht geftattet, außer der regelmäßigen Mahlzeit zu 
nafhen. Sie erhalten zu jeder Zeit äußerſt wenig 
Wafler, und wenn man fie in training feßt, was man 
bier fo gut wie ber befte englifche groom verfteht, 
gibt man ihnen fehr viel Arbeit, und dennoch wenig 
Futter. Man tränft fie, wenn fie heiß find, und jagt 
fie dann eine Weile noch ftärfer umher, damit das 
Waſſer die Temperatur des Leibes annehme. Erf, 
wenn bas Pferd, felbft nach der ftärkfien Erhitzung, 
nur wenig Durft zeigt, halten fie es für vollfommen 
zu jedem Dienft präparirt. Ihr Fleiſch wird bei 
dieſer Behandlung fo hart wie Eifen, und ich weiß 
Deilpiele,. fährt Burns fort, daß zahlreihe Trupps 





187. 


bewaffneter Krieger 600: engliſche Meilen in ſechs Tas 
gen zurückzubegen im Stande geweſen find, was wahr⸗ 
ſcheinlich kein auderes Nferb der Ende vermag. In 
Belhara hat man ein Mittel gegen den Spath unb 
dergleihen Ausbehnungen, das fpezififch feun fell. Es 
ift ein Del, das aus anfänger durch Deftillation 
extrabirt wird. 

In Meſchid, in Khoraſſan, zeigt ſich dem Rei⸗ 
ſenden ein ergreifendes Schaufpiel gefallener Größe. 
Ein direkter Abkömmling des großen Nabir Shach, 
ver blind geworben, bettelte um einen. Biffen Bros, 
feinen quälenden Hunger zu ſtillen! 

Ich fchliege mir einer herrlichen Bemerkung bes 
philoſophiſchen Engländers: „Ein großer Ruben bee 
Reiſens ik der, bie. Borurtheile feines eiger 
nen Landes Durch die Beobahtung berfeni- 
gen zu mäßigen, die in andern Ländern 
herrſchen.“ — 

Die Mönche brachten mir Abends einen angeb- 
fihen Knieknochen und eine Ribbe von enormen Dir 
menſionen, behauptend, daß dies Ueberreſte eines Rie⸗ 
fen feyen, defien Grab man kürzlich hier aufgefunden. 
Ich vermodte fie, mir Beides mitzugeben, um es in 
Athen durch einen gelehrteren Naturforfcher, als ih 
bin, unterfuhen zu laſſen. Wahrfcheinlih wird es 


172 


von irgend einem antebiluvianifchen Thier herrühren. 
Auch einige gefchnittene Steine probueirten fie, die 
man in Sykion ausgegraben. Es war jedoch ganz 
orbinaire Waare, wie man mir in Afrika das Dutzend 
dergleichen oft für 5 Franken anbot. 


Kalavrita, den 2often. 
' \ 


In der legten Nacht hatte es ſtark geregnet, wo⸗ 
durch eine große Menge Schnee abgefloſſen war, 
und die ganze Gegend davon jetzt wie geſcheckt aus⸗ 
ſah. Ich machte mid, da das Fortkommen nun mög⸗ 
lih wurde, fogleich gegen eilf Uhr auf den Weg, ven 
ich weniger fehlecht fand, als ich erwartete, Bei meis 
nem Abſchied von den Pfaffen Tieg ich ihnen, während 
man bie Trinfgelder austheilte, durch meinen, bier 
als Dragoman fungirenden, Anzi verdolmetſchen, daß 
fie fih auf meine Fürfpradhe in Athen verlaffen möd- 
ten, denn Niemand babe fih von ihrer bittern Ar⸗ 
muth beffer überzeugen können als ih, für den fie, 
wie ich wiffe, fo gütig Alles gethban, was in ihren 
Kräften geftanden, und damit doch kaum die Bewir⸗ 
thung des geringfien Bauern zu erreihen im Stande. 
gewefen wären. Sn. der That kann ich auch hier den 
ökonomiſchen Papa's meine Dankbarkeit nicht beſſer 


1 Sie wiefen fih gar nur als Fiſchknochen aus. 











173 

beweifen, ald indem ich jedem Fremden rathe, zwar 
ihr Slofter als eine hohe Merkwürdigkeit zu befehen, 
aber fi} ja vor jebem Aufenthalt bei ihnen zu hüten 
— welche Warnung überdieß, wenn fie befolgt wird, . 
den Mönchen mehrere halb verhungerte Hühner und 
eben fo viele Bouteillen ihres gefirnißten Weins er- 
fparen würde. Diefe Gegenflände waren wenigftens 
das Einzige, womit ich fie in Unfoften gefegt, da 
das von mir prophezeihte, unfchuldige Lamm von 
Kalavrita weistich erft die Nacht vor meiner Abreife 
anfam, weßhalb ich alfo nicht zu feinem fleifchlichen 
Genuſſe gelangt bin. 





Es waren wilde und herrliche Couliſſen, durch 
die ih nach Kalaͤvrita gelangte, obgleich die Approchen 
der Hölle auch nicht viel anders ausfehen mögen. 
Das Wetter blieb ganz im Einklang mit ihnen, bald 
nachtdunkel mit einem Hagelfchauer, bald durch einen 
plöglihen Sonnenblick zwiſchen rolfenden Wolfen 
blisartig erhellt, bald durch den feinen Regen, mit 
ftehendem Schneegeftöber gemifcht, und zwingend, 
sum Gapuchon der Bernus unfere Zufludt zu neh⸗ 
men — und hier muß ih noch einmal den göttlichen 
Byron eitiren, von dem Herr Field fo myſtiſch wahr 
fagt: Byron's Pallette ift vorzüglich mit Schwarz 


174 


und. Roth ausgehaitet, worin nichs weniger Charalie« 
riſtiſches Liegt, als in Homer's Violett und Bold. 

Auch in Briechenland, unb nicht entfernt von die⸗ 
fee Gegend, ruft der engfifche Barbe, fo tief meinen 
Gefühlen entſprechend, aus: 


Dear nature is the kindest mother still 

Though all way changing , in her aspect mild; 
From her bare bosom let me take my fill, 

Her never veaned, though not her favoured child, 
O! she is fairest in hier features wild, 

Where notäing polished dares pollute her patlı. 

To me by day or night she ever smiled, 

Though I have marked her where none other hath 
And sought her more, and loved. her best in rath!4 


Nachdem wir ungefähr eine Stunde geritten 
waren, famen wir an eine gebrechliche Brüde, bie 
nur aus zwei ſchwankenden Balfen und Iofe darüber. 
gelegten Knüppeln beftand. Der vorderſte der Gens 
d’armes — doch hier muß ich anhalten, um nidt 


ı Einige Freunde haben mir vorgeworfen, häufig Citatio⸗ 
nen aus Autoren in fremder Sprache ohne Heberfeßung anzu⸗ 
Bringen, obgleich der zehnte Deutfche fie nicht verftünde. Darauf 
antworte ih: „Wer's verfiebt, für den ift es hergeſetzt, und 
wer's nicht verfteht, dem gefällt e8 doch, wie die Damen yon 
Sean Paul's Werken hauptfächlich deshalb entzüdt waren, weil 
fie meiftens nicht ein Wort davon verftanden; oder die Hegelia- 
ner ihres Meifters legitime Orakel dann am meiften anftaunten, 
wenn er fie vielleicht ſelbſt nicht verſtand.“ 


17% 


Rraffällig zu werben; denn ich babe vernommen, daß 
vermöge eined baierifchen Nefcripts, welches. auch. 
in Griechenland fein vffizielles Echo gefunden, das 
obige Wort in Zukunft „Gen darm“ bei nambaf- 
ter Strafe geichrieben werden muß, weil unnütze 
Witzlinge die Dlitglieder des refpectabeln Corps durch 
bie Benennung „Gänsdarme“ (nad der alten Schreibs 
art Gens d’armes) ſchwer gefräntt hätten. Ich weiß, 
nit, ob man im Uebertretungsfalle vor dem Bilde 
des Königs Abbitte thun muß, aber jebenfalld füge 
ich mich refpectvoll dem geftrengen Befehl. — Alſo 
dee Gendarm flieg ab, ich war zu bequem dazu, 
fam indeg eben fo gut hinüber. Dod der Dämon 
wollte, daß der Efel, welcher Bett und Toilette trug, 
burchbrechen und in das unbequemere Bett des Berg⸗ 
ſtroms flürzen follte. Was aber der Damon will — 
das geſchieht. Das Thier felbft nahm ‚zwar wenig, 
Schaden, aber ich blieb der leidende Theil, denn nicht 
nur das hier fo troftreihe Bett ward gänzlich durch⸗ 
näßt, fondern aud meine Toilette, Spiegel, Rafirs 
meffer und der fämmtliche Reſt wohlriechender Effen- 
zen, den mir bie maltefiihe See noch gelaffen, fanden 
bier ihren Untergang. Eine lange türfifhe Pfeife 
leiſtete ihnen zum Ueberfluß Geſellſchaft. Noch einige 
dergleichen Zufälle, und ich werde mich bald in der 


— — —— — 70 — 


176 


Berfaffung befinden, die zum Reifen in diefem Lande 
yaßt, nämlich nichte mehr mit mir führen, als was ich 
auf dem Leibe trage. 

Die Sache hielt uns ſo lange auf, daß ich mich 
genöthigt ſah, um wenigſtens für meine Perſon noch 
bei Tage in's Nachtquartier zu kommen, wieder mit 
dem einen Gendarmen vorauszureiten. Die Gegend 
ward immer rauher, die Felſenſchluchten von immer 
höheren Bergen überragt, dicht verhüllt von ihrem 
ſchwarzen Fichtenmantel, den graue Nebelſtreifen ſäum⸗ 
fen. Da ſtürzen mit einem Mal drei fürchterliche 
Hunde auf ung los, die Pferde heftig attafirend, ohne 
jedoch zum Glück von meinem Heinen Francis Notiz 
zu nehmen, und zu gleicher Zeit hören wir von ver=- 
fhiedenen Drten um ung her ein wiederholtes, durch⸗ 
dringenbes Pfeifen. Ich fehe meinen Gendarmen troß 
des fleinigen Weges fein Pferd baftig in Galopp 
fegen, und muß eben folgen, da er mir auf mein Ru⸗ 
fen feine Antwort gibt, fondern im Gegentheil fein 
Thier immer heftiger antreibt. Nachdem wir fo eine 
geraume Strede fortgejagt, begegneten wir zehn bie 
Zwölf Bauern, die einige Maufthiere escortirten. Hier 
hielt endlich) der Gendarm fein keuchendes Roß an, 
und da ich mich nicht mit ihm erpliziren kann, weil 
er nur griechifch Spricht, fo erfuhr ich erft in Kalavrita, 








197 


bag er, durch die Art der Hunde und das Pfeifen in 
den Bergen beforgt gemacht, wirklich einen. Leberfall 
vermuthet, und deßhalb feinen Weg fo fehleunig fori⸗ 
gefegt hatte. Dan beflätigte uns in der Stadt, daß 
die Berge allerdings noch nicht ganz geheuer feyen, 
doch da eine Stunde fpäter der Reft unferd Zuges 
unangefochten anfam, fo bezweifle ih, daß etwas 
Anderes ald Ziegenhirten, die ihren böfen Hunden 
pfiffen, Anlaß zu dem panic bes tapfern Gendarm 
gegeben hatten. 

Kurz vor Kalavrita erweitert fich die Schlucht und 
nimmt einen weit freundblichern Charakter an. Ihr 
einige hundert Schritt breiter Grund iſt ganz eben 
und mit grünem Gras bedeckt, welches jetzt durch⸗ 
gängig einige Zoll hoch vom Fluffe überſchwemmt war. 
An mehreren Orten wateten Kühe in dem ermweichten 
Boden, aus dem an andern die Iangen Stengel weit 
fi) hinziehender und gleichfalls dicht vergraster Mais- 
felder hervorragten. Kurz vor der Stadt mündet fi 
diefe Schlucht in ein freundliches Thal, das erfte, 
welches wir im Gebirge antrafen, zwar immer nur 
von geringem Umfang, aber mit dem forgfältigfien 
Anbau, 


Wenn ih im reihen Klofler Megaspileon wie 
Süpöftl. Bilderfaal. II. 12 





ein Delinquent gehalten worden war, und noch jetzt 
on biefen Aufenihalt nur wie an eine mährchenhafte 
Viſion zurückdenken Tanıı, fo ward id) Dagegen in dem 
armen Kalapriia wie ein König empfangen. Schon 
Auf den am Tage vorher abgeſandten Befehl aus Pa⸗ 
306, und einen italieniſchen Brief von mir ſelbſt, 
‚beide an den Eparch⸗ Subftituten in Kalaͤvrita gerich- 
‚set, hatte diefer geantwortet: daß man mich mit „im- 
‚menso e stupendo piacere“ erwarte, umd der Erfolg 
bewies, dag dieß nicht ſatyriſch, fondern höchſt auf- 
richtig gemeint war. 

Einige Minuten vor der Stadt Tamen mir zwei 
Boten entgegen, um mid nad) dem Haufe bes Herrn 
Aſſimaͤthis Papadoͤpulo zu führen, wo mich der Eparch⸗ 
Subfitut, ein hübjiher junger Diann, der aber nur 
griechiſch ſprach, und fich den italienifchen Brief vom 


‚Doctor loci Batte machen Iaffen, bewillfoinmte, ferner 


ber Tiebenswürdige, freundlide Wirth ſelbſt und ber 
befagte Doctor, welcher in Stalien ſtudirt hat, und 
uns als vortreffliher Dolmeticher diente. Die Stube, 
welche man mir anwies, hatte freilich wie alle, bie ich 
bisher bei den Eingeborenen gefeben, auch nur [lichte 
Kalkwände, aber dießmal waren ed reinliche weiße; 
zund herum flanden ‚elegante ſcharlachrothe Divans, 
und ein hübfher Smyrnaer Teppich war über ben 





179 


Boden gebreitet. Sogar ber bier feltene Luxus eines 
Spiegels fand fi vor. 

Sobald ich mich niedergelaffen, brachte man mir, 
durchnäßt wie ich war, und noch ohne eigene Sachen 
zum Wechſeln, feine weige Soden mit flattlihen tür- 
fifchen Pantoffeln, und präfentirte mir fehr empfeh⸗ 
lungswerthe Confitüren, aus Rofenblättern bereitet, 
deren Duft eben fo Töflidh als ihre Geſchmack iſt. Gleich 
darauf erfehien der Bifchof, der Oberft der Miliz, der 
Iegtere ein Triegerifch ausfehender Mann in prächki- 
gem Nationalfoftüm, der Befehlshaber der Gendar⸗ 
men des Orts, und die erflen Nobili Kalaprita’g, 
(unter welchem Titel fte mir präfentirt wurden), um 
mid zu bewillkommnen. Diefe gütigen Aitentionen 
erfiredten fich fogar bis auf den höchſt unglücklich aus⸗ 
febenden Francis, der, mit dem Lehm der Straße be- 
det und naß wie eine gebadete Kate, jämmerlich 
zitterte und ohne Unterlag niedte, Auf meine Bitte 
warb ihm fogleih ein laues Seifenbab bereitet und 
eine warme Kraftfuppe vorgefegt, welches ihm denn 
wich in Kurzem feine ganze angeborene Luſtigkeit und 
liebenswürbige Schelmerei wiebergab. 

Mit einer höchſt dankbar von mir erkannten Des 
likateſſe ließ man bie ehrenvollen Befuche nur fehr 
kurze Zeit andauern, brachte mir dann Pfeife und 


480 


Kaffee und geflattete mir, mid damit ganz meiner: 
Bequemlichkeit zu überlaffen. Während diefer Zeit 
waren auch meine Leute angefommen, und um ſechs 
Uhr trat Herr Papadopulo wieder herein, um anzu⸗ 
fragen, ob ich zu fpeifen befehle. Ich bejahte dies 
mit demfelben Eifer, wie der Sultan Amuratb ber 
Dritte, deffen erſtes Wort beim Antritt feiner Regie— 
sung war: Gebt mir zu effen, denn ich bin fehr 
Hungerig — eine Heußerung, die den ganzen zur Huls . 
digung verfammelten Hof mit Entfegen erfüllte, und 
worauf fonderbarerweife auch wirklich Furz nach ber 
pminöfen Rebe eine Hungersnoth erfolgte, wie fie 
Conftantinopel nie fchredficher erfahren hat. Ich 
fhmeichle mir, daß Kalaͤvrita durch meinen guten Ap⸗ 
petit Fein gleiches Unglück befallen wird. 

Was nun meine Bewirthung betrifft, fo erhielt 
ich ein fehr reſpektables Diner, das fogar feinen klaſ⸗ 
fifhen Anftrich hatte, denn die Hauptfchüffel war 
der ſchon im Altertum berühmte Fiſch Peſtropha aug 
bem Alpheus (genauer aus dem Ladon, der den Haupt⸗ 
zufluß des Alpheus aus dem Norden Tiefer). Es ift 
ohne Widerrede. der glorreichfte Flußfiſch auf dieſer 
Erde, und dabei ganz ohne Gräten, wie ein Bewoh⸗ 
ner ded Meeres. Zu erwähnen find auch eigentbümlich 
präparirte Weintrauben. Ich kann fie nicht befier bes 








181 


fchreiben, ald wenn ich fage: daß fie fich im Zuſtande 
halber NRofinen befinden, aber noch mit Beibehal« 
tung des Saftigen und Croquanten ber frifchen Traube, 
Alles Uebrige war entfprehend, und zwei vier Kuß 
hohe Kirchenkerzen erlenchteten dies folitaire Feſtgelag. 
Der Wirth, obgleich einer der Bornehmften des Orts, 
brachte alle Schüffeln ſelbſt, und hielt reſpektvoll den 
Fes in der Hand, ald ich auf feine Gefundheit trank; 
den größten Werth aber erhielt alles dies durch bie 
unverfennbarfte Herzlichfeit, mit der ed geboten ward, 
und es rührte mich wahrhaft, als nach vollendeter 
Mahlzeit Herr Aſſymäthis wieder hereintrat, auf jedem 
Arme einen feiner hübfchen Fleinen Knaben tragend, 
um mich zulest auch mit dem befannt zu machen, was 
ibm auf der Welt am Tiebften fey. 

Spät Abende kam noch einmal der junge Eparch⸗ 
Subftitut Joanny Lambropulo zu mir, um, wie er 
verbindlich fagte, meine Befehle für den folgenden 
Tag einzuholen. Er theilte mir mehrere fehr wills 
fommene Notizen über die Antiquitäten der Um⸗ 
gegend mit. 

Erft während der Revolution, fagte er unter an⸗ 
dern, habe man die Ruinen son Klitoria mit den 
Reften feiner Afropolis aufgefunden, wo zugleich einige 
werthvolle geidmittene Steine ausgegraben wurden, 


— — 





von denen er mir einen ungemein ſchoönen zeigte, wel⸗ 
der eine ähnliche Gruppe wie die Kolofie des Qui⸗ 
rinals darftellte. Eben fo iſt die Lage von Kynaetha 
genauer beſtimmt worden, das Leake irrig an ber 
Stelle des jetzigen Kalaͤvrita ſupponirte; es iſt noch 
anderthalb Stunden öſtlich davon entfernt. Pauſanias 
erzählt, daß die Töchter des Proetus in einem Anfall 
son Wahnfinn in eine große Höhle der Bergreihe 
Aorania (Khelmos) flohen und von Melampus nad 
Luft gurüdgebradht wurden. Diefe fehr große und 
merkwürdige: Höhle ward durch Griechen, bie eine 
Zuflucht vor den Türken fuchten, zufällig wieber ent- 
dedt, und hat ihnen lange die beiten Dienfte geleiftet. 
Aud die Lage von Luft ‚hat fih durch mehrere aufges 
fundene Trümmer mit ziemlicher Sicherheit ergeben. 
Wäre die Jahreszeit günftiger, fo hätte ich gern alle 
biefe Erkurfionen gemacht, jett ſcheint es faft unmoͤg⸗ 
lich, und auch bie Zeit drängt mich, da mein Quartier 
tn Athen ſchon gemiethet ifl. Sch darf alfo vor ber 
Hand nicht weiter daran denken. 


Den aıflen. 


Kalavrita war fonft die Hauptſtadt des Difiriis, 
mit einem bier refipirenden Woiwoden, und iſt in der 
griechiſchen Gefchichte auf ewig denfwärdig dadurch 





geworben, daß in dieſer Stadt, umer Leitung bes 
Erzbiſchofs Germanos von Patras und des Andrea 
Zaimp, die Revolution zuerſt ausbrach, der bald das 
ganze Land folgte. Dan zeigte mir die Ruinen ber 
verbsannten Moſchee, fo wie bes kleinen Palaſtes, 
wo ſich die Bureaus der Regierung befanden, und in 
dem ſich die angegriffenen Türken verſchanzten, auch 
ſechs Tage lang tapfer vertheidigten, bis Hunger fie 
zur Uebergabe zwang. Dan bielt fie im Anfang nur 
gefangen, ald aber Dramalid mit feiner Armee bei 
Korinth Iandete, und man dies hier erfuhr, wurden 
fie von den erbisterten Tredes! fämmilich niederges 
machi, den Woiwoden und Kadi mit einbegriffen. 

Es war heute Sonntag und der letzte Carnevals⸗ 
tag, nach dem ein langes und ſtrenges Faſten für alle 
Griechen eintritt. Die Straßen der kleinen Stadt 
winmelten daher von recht artigen Masken, die ſich 
fehr anſtändig betrugen, und mich immer, wenn ich 
mich unter fie miſchte, ehrerbietig grüßten. Die ge⸗ 
fällige türtifche Manier, die Hand beim Gruße an die 
Druß zu legen, iR auch in Griechenland allgemein, 
außer bei denen, bie europaͤiſche Tracht und Sitten 
angenommen haben. 


1 Name derjenigen Bergbewohner, die zuerſt die Waffen 
ergriffen. | | 








104 


Ich benuste meine Muße zu Erfleigung eines 
Hügels hinter der Stadt, von dem man eine reizende. 
Ausfiht auf das Thal und die umliegenden mannigs. 
fach geformten Berge genießt. Am fühnften fleigt aus 
ihnen der ifolirte Felfen auf, wo das Schloß Tremola 
fiand, eine Veſtung der Venetianer, von ber jedoch 
faft nichts mehr als einige niedrige Mauern übrig. 
find. Sch feste mih dann zu Pferde, um nad dem 
Klofter Santa Raura zu reiten, das eins der älteften, 
im Lande, noch älter ald Megaspileon und fchon ſeit 
900 Zahren geftiftet if. Der alte Biſchof wollte es. 
fih nicht nehmen laſſen, mit einem blauen Turban 
und großen Neiterftiefeln angethan, mich auf feiner 
muntern Falbe zu begleiten, und auch der Oberft, ein 
aus der Revolution berühmter Kapitano, mit Namen 
Baſiliko Petimefas, ſchloß fih mit dem Dottore on, 
fo daß wir eine ziemlich anfehnlihe Cavalcade büdes 
ten. Der Oberſt ritt einen ausgezeichnet fhönen ara⸗ 
bifchen Hengft, ganz türkiſch geihmüdt, und früher jo 

mit Sad und Pad von einem Paſcha erbeutet; fan 
Sohn hatte einen getigerten Bergpony beftiegen, neben 
ben ber Pfeifenträger in Pantoffeln mit-Iangen Spigen 
zu Fuß berlief, der Dottore zog auf einem beſcheide⸗ 
nen Eſelein daher. Man fieht von ben Bergen, au 
benen ber Weg binführt, in einen reich mit Wein 





x 


bebauten Arm des Thales von SKalävrita, und auch 
bier gehört der größte Theil der fruchtbaren Felder 
wieder den Richards von Megaspileon. Die Mönde 
von Santa Laura find viel ärmer und haben ihr ganzes 
Klofter erft vor kurzem neu aufbauen müffen, weil 
Ibrahim ed bid auf den Grund nieberbrannte. Es 
ift in Form eines großen Duarrees aufgeführt, und 
fieht fo alterthümlich aus, als zähle es bereits wieder 
ein Jahrhundert. Um eine große Silberpappel, bie 
davor fteht, ift eine fleinerne Terraffe gemauert wor- 
den, von ber wir über viele andere Bergſpitzen nad 
drei verfhiedenen Weltgegenden bin die glänzenden 
Schnechänpter des Bohidia, des Olonos und bes 
Khelmos zugleich erblidten, während das zu Füßen 
liegende frieblihe Thal mit feinen friſch geaderten 
Weinfeldern wie mit rother Farbe überzogen erſchien, 
denn an ben meiften Orten zeigte gerade die frucht- 
barfte Erde dieſe Färbung. ’ 

Die hiefigen Berge find faft alfe mit den Sträus 
Sen einer immergrünen Quercusart bewachſen (quer- 
eus ilex), welche felten zu Bäumen werden, und auch 
andere hohe Bäume find nicht häufig. An Waffer 
zeigt: fich diefe Gegend deſto reicher, und das Waffer 
ſelbſt iſt meiſtens von vorzüglicher Dualität. Wie in 
der Zeit der Alten, fabelt man auch jebt noch afleriek 


von diefen Quellen: bald heilen fie den tolfen Hunds⸗ 
big, bringen männliche Kinder hervor, oder find ein 
Sperifieum für andere Kranfpeiten ‚ bald verurfacdhen 
fie auch) welche. 

Die Mönde bewirtheten ung mit ben fih ewig 
bier wiederholenden Konfitüren, Wafler und Kaffee, 
bie ich bei den heute gemachten Bifiten wenigftens 
ſchon ſechsmal genießen mußte, und ſchienen etwas 
reinliher als ihre Amtshrüder in Megaspileon zu feyn. 
Dem Biſchof widmeten ſie ganz dieſelben Devotions⸗ 
Bezeigungen, als die Araber ihren Chefs. Sie küßten 
ſeine Hand, drückten ihre Stirn darauf und gehorch⸗ 
ten aufmerkſam jedem feiner Winke — denn verlöre 
fi die Disziplin aud überall, in der Kirche hält 
fie gewiß am längften an. 

Ich vergaß. zu fagen, dag Herr Lontos in Voſtitza 
mir einen ſchwarzen Windhund von. der herrlichen 
Race von Gaſtuni gefchenft hat, die. nirgends über» 
troffen wird. Diefer Hund begleitete mich auch heute, 
und zwar, wie es hier gemöhnlich iſt, in eine bide 
Friesjacke gelleibet, die um ben Leib durch einen Gurk 
befeftigt if. Auf dem Rückweg ſtöberte er, wie ei 
Hühnerhund revierend, im Gebüfch einen Hafen auf, 
und trog dem hindernden Anzug fing er ihn nach einer 
wiennlic) langen Jagd, mitten unter ben hohen Sträu⸗ 





dern, weiches Teinem umferer auch ber beften Sole 
fänger möglich gewefen wäre. Was mich am meiſten 
frappirte, war, daß dad Thier nach einer fo ermüben- 
ben Berfolgung auf dem fchwierigfien Terrain, bergs 
anf ımb bergab, fich nicht im mindeften außer Athem 
zeigte, fobald ihm der Hafe abgenommen war, und 
ruhig mit den Pferden weiter Tief, one auch nur 
ein inzigesmal die Zunge lechzend herauszuſtrecken. 
Jeder Liebhaber der Hetzjagd wird bied gleich mir zu 
ſchätzen willen. 

Rah unſerer Zurüdkunft erhielt ich noch die 
nachträglichen Bifiten des Juſtizperſonals, nebft denen 
einiger andern Ortsbewohner, und überzeugte. mich dann 
son neuem, daß es fchon deßhalb werth if, nach Gries 
chenland zu reifen, um Peftropha zu effen, von dem 
heute ein noch vollendeteres Eremplar als geftern 
meine Tafel zierte. Die Kritifer werben hier wieder 
über meine Gourmandife in Harniſch gerathen, ich 
will aber meinem Enthuſiasmus über biefen Fiſch 
Raum geben, entfiehe Daraus auch, was da wolle, und. 
warum ſollte ih nicht? Er ift fo gut eine berühmte 
Kreatur Gottes und Griechenlands, als der felige 
Hräfident dieſes Reiches felbft, und beide haben über- 
dieß jetzt noch die Aehnlichkeit mehr gemein, einer wie 
der andere gegeffen zu werben, wenn au der. Iehte 


nur von den Würmern, und fein Andenten von ben 
Berläumbdern, den gefräßigften aller Thiere. Ich ers 
Höre alfo, daß. ih ein wahrhaft fchmerzliches Des 
dauern fühle, daß einige meiner Parifer Freunde, 
die einen. boben Rang als elegante und harmloſe 
Berzehrer einnehmen, dieſen Abend nicht meine Mit⸗ 
gäfte fepyn Tonnten, Sie würden mit nit geahneter 
Beihämung haben geftehen müffen, daß fie, obgleich 
Profefforen der Kunſt, doch binfichtlich des Fifches bis 
jest im Dunfeln tappten. Wäre es möglich, den vors 
trefflihften holländiſchen Turbot mit der ebelften 
Lachsforelle des Genferſee's in ein Wefen zu vers 
ſchmelzen, fo würde ein folches begünftigtes Geſchöpf 
fih dem Peftropha entfernt nähern, doch ihn zu ers 
reichen noch Tange nicht im Stande ſeyn. Kalaͤvrita 
bat nun für mich eine Doppelte Berühmtheit gewonnen, 
Es begann die Revolution gegen die Tyrannen und 
lehrte mich den Peftropha Tennen. 
„Sceptrum eripuit tyrannis et fluvio piscem !” 

Es gab auch noch einen andern fehr anziebenden 
Gegenſtand im Haufe des Herrn Papadöpulo, zwar 
nur ein Dienſtmädchen, das aber vom Kopf bis zum 
Fuß als Modell einer antifen Benus hätte bienen 
tönnen. Lady Morgan hat mir vorgeworfen, von 
einem Mädchen ähnlicher Art, einer Gaſtwirthstochter 











BEE... ZU - 
aus Irland, zwei Seiten lang das Publikum unters 
halten zu haben. Ich fehe den Grund meiner Strafs 
barkeit in diefer Hinficht nicht ein. Lady Morgan ik 
felbft nur die Tochter einer unbebeutenden wanbernden 
Schaufpielerin, wie man mir gefagt, und bezaubert 
doch die Welt Durch ihren Geift, warum foll eine 
Gaſtwirthstochter, oder ein Dienftmädchen, nicht durch 
ibre Schönheit bezaubern können? Sn diefer 
Region gilt der Rang gar nichts, und eine Magd 
mag darin hunderimal mehr werth feyn als eine Koͤni⸗ 
gin. Wir Künftler wenigftens denken fo, und darum 
bleibt, troß ihres geringen Standes, die. fhöne Maria 
von Kalävrita, in ihrer originellen, wilden Scheuheit, 
ihrer nur von der Natur erlernten Coquetterie, und 
threr Haffifhen Schönheit, meinem Andenfen tiefer 
eingeprägt, ald gar manche vornehme Dame meiner 
Befanntihaft, die viel Darum geben würde, ihre anas 
tomifch -präparirten Reize gegen bie Fülle diefer urs 
fprünglichen vertaufhen zu koͤnnen. 
Doch vergiß leifes Fleh'n, füßes Wimmern 
Unter Schnee, nackten Felſen und Trümmern — 

denn nur ſolche Freuden ſtehen Dir jetzt bevor! 

Der Styr macht viele Schwierigkeiten, ſich be- 
trachten zu laſſen. Alles beftätigt mir, daß bie Straße 
nad Solos haushoch verſchneit ſey, doch meinte Einer 


Rn — 
ar WE 


wenn id) einen Umweg von 12 Stunden machen wollte, 
könnte ich vielleicht hingelangen, ma & pericolo della 
vita, ſetzte ſelbſt der Oberſt hinzu, denn vor dem 
Monat Juni unternimmt Niemand dieſen Beſuch, ja 
der Doctor wollte mich ſogar glauben machen, daß bis 
zu dieſer Zeit immer ein Rebel vor dem Styr ſchwebe, 
der ihn nicht fihtbar werden ließe. Aber was hilft 
dies Alles jegt, ich Fann den Zuni nicht herzaubern, 
und habe ich einft in früherer Zeit im Auguft bie 
afritanifche Wüfte bereifen müffen, fo paßt es recht 
gut, daß ich nun im Februar die ungangbaren Schnee= 
berge des Peloponnes forcire. Ich werde alſo morgen 
den Verſuch beginnen, follte er auch mit der Um 
annehmlichkeit verbunden ſeyn, einige Falte Nächte 
unterwegs in einer Bauernhütte oder gar im Freien 
bippuafiren zu müäffen. Ich ſchwor beim Styr, ben 





Styx zu fehen, und muß nun meinem Schidfal folgen. 


Im Gebürgsdorf Dhiakof to, 
den 22. Abends. 


Die Ruſſen halten es für bedenflih, an einem 
Montag abzureifen, und hätte ich nicht ſchon den böfen 
freitag, fo würde ich ihren Glauben annehmen. Der 
beutige Montag wenigſtens bewährte fih in biefem 





übeln Sinne durch eine fehr traurige Begebenheit. 
Wir waren Taum einige Stunden geritten, als mein 
fleiner Franeis auf dem engen Steinmwege unter bas 
Pferd des Gendarm gerieth, und da diefer nicht auf 
ihn Acht gab, fo fehredlidg getreten wurde, daß .ciner 
feiner Zehen ganz abgelöst und der Ballen des linken 
Vorderfußes in der Mitte gefpalten wurde. Das 

arme Thierchen kam fogleich mit kläglichem Gefchrei | 
auf drei Beinen zurüd, die kranke Pfote bis an fein 
Schnäuzchen grabe emporhebend, als wolle es, Hälfe 
ſuchend, mir gleich vecht deutlich zeigen, wo fie fo 
nöthig ſey. Es war in diefem Augenblide gut, daß 
ich fein Sultan bin. Denn als Solcher geboren und 
erzogen, würde ich wahrſcheinlich in ungebändigter 
Wuth den Gendarm erſchoſſen haben. So aber be- 
zwang ich wich, bis nach und nad fein eigener uns 
verfiellter Kummer mich wieder mit ihm ausföhnte. | 
Wir ftiegen nım beide, den Patienten in unfern Armen, 
zu dem Burailus hinab, um durch ein fortgefegtee 
faltes Wafferbad der Suflammation zuvorzukommen. 
Dom wurde der Berunglüdte in ein feidenes Tafchen- 
tuch gewickelt und im Mantel aufs Pferd genommen, 
wo der Aermfle noch vier Tange Stunden verweilen. 
mußte, ehe wir ein Quartier auffinden konnten. Der 
Weg mar fürdterlih, und man hatte mir nicht zu 





L 
U 0] 


viel davon in Kalävrita gefagt, aber wunderbar. ſchön 
in ihrer grandiofen Wildheit war aud die Natur! 
Einmal hatten wir, bei einem nur fußbreiten Pfade, 
rechts über ung eine grad auffteigende Felswand, bie 
der vom Klofter Megaspileon wenig nachgab, und 
links eine gleiche, die bis an den Rand des in der 
Tiefe fohänmenden Fluffes niederfant, und von ber 
man den Blick abwenden mußte, um nicht den Muth 
zu verlieren. Hier war man genöthigt worden, wie 
mir Anzi nachher erzählte, alle nachfolgenden Mauls 
thiere abzuladen, und das Gepäd einzeln berüber zu 
fchaffen. Oft blieben unfere Pferde im Schnee fo feſt 
ſtecken, dag wir geraume Zeit brauchten, ebe fie fid 
wieder herausarbeiten konnten; das Schlimmfte aber 
war, daß an mehreren Stellen Schnee und Regen das 
Erdreich zwifchen den Steinen bergeflalt durchweicht 
hatten, daß es abgeriffen war, und dann. zuweilen 
eine Queerfpalte von mehreren Elfen den Weg gänz- 
lich unterbrach. In ſolchem Falle blieb nichts anderes 
übrig, als fi daneben am fteilen Abhang durch die 
Felsblöcke eine andere Paffage aufzufuhen, wahrlid 
fein leichtes Unternehmen, und wegen der naben Abs 
gründe fo halsbrehend, als ‚irgend eines, das mir 
vorgefommen ift. Dabei blieb es zulegt noch ungemein 
sönant, immer breierlei nicht aus. der Acht laſſen zu 





193 


dürfen, nämlich: erſtens die Betrachtung der belles 
horreurs der Gegend, als den Hauptzweck meiner 
Reiſe, zweitens bie ſtete Vorſicht gegen einen Räuber⸗ 
Anfall, welche die Klugheit gebot, und drittens die 
größte Aufmerkſamkeit auf die Gefahren des Weges 
ſelbſt, um nicht unvermuthet Arme und Beine zu 
brechen. 

Als wir eine gewiffe Höhe erreicht hatten, ver⸗ 
ſchwanden die füblihen Sler= und Duerceuss Arten, 
und ein dem unfrigen fehr ähnlicher MWachhotber, nebft 
der nordiſchen Tanne, nahmen allein ihre Stelle ein. 
Sn diefer Region Tag durchgängig tiefer Schnee, und 
die Wildheit ber Umgebung fleigerte fih bis zum 
bögften Grabe. Dennod waren hier mandhmal Höhlen 
zu einfamen Wohnungen benugt, doch fahen wir keinen 
ihrer Befiter; nur Ziegen mit gewundenen Hörnern, 
die Darum herlagerten, verrietben die menfchlihe Nähe, 
Am meiften frappirte mich der Anblid einer Tangen 
ganz ſchwarzen Schlucht von wenigftens 1500 Fuß 
Tiefe, deren fteile Abhänge dicht mit niedrigen Tannen 
bewachfen waren; fie wurde dadurch noch ſchauerlicher, 
daß ihre Gipfel auf beiden Seiten von ſchnell ziehen» 
ben Wolfen verborgen wurden, zwiſchen denen weit 
am Ende der Schlucht ein Meerftreifen als magifcher 
Spiegel erſchien, den ebenfalls dicke Wolfen umhüllten, 

Süvöftl. Bilberſaal. II. 13 


104 


bie gleich einem mpftifchen Rauche daraus empor zu 
quellen ſchienen. Leider entluden ſich alle dieſe Nebel 
bald darauf mit einem erneuten heftigen Schneegeftöber, 
das während ber legten Stunden unferer Tagesfahrt 
auch ununterbrochen anhielt. Erſt gegen 5 Uhr er⸗ 
reichten wir bei völliger Dunkelheit Dbiafofto, ein 
Ort, der aus lauter einzeln zerftreuten Häufergruppen 
befieht, welche, an den Böfchungen eines weiten Bergs 
Teffeld aufgebaut, zufammen wohl eine Quadratſtunde 
Raum einnehmen mögen. Auch däuchte es ung eine 
wahre Ewigfeit, che wir das faft am Ende des Dorfes 
- Hiegende Haus bes Richters (Kritis) auffinden konnten. 
Er ſelbſt war nicht gegenwärtig, feine Frau aber, von 
ginem Berwandten unterflüßt, der etwas italienifch 
ſprach, that Alles, was in ihren Kräften fand, und 
für Geld und gute Worte beftens zu bewirthen. . 
Ich hoffe, es wirb meine Lefer nicht ermüben, 
wenn ich ihnen mit einigen Worten meine Umgebung 
in biefer Hütte male, wie fie flatt fand, während id 
mein Tagebuch ſchrieb. Wir find in einer Eleinen, 
wie gewöhnlih, son Raub erfüllten Stube. Der 
Samin hat, wie in Megaspileon, ebenfalls feinen 
kameelhärenen Rauchfang. Unter ihm kocht mein 
Abendefien, und das heil lodernde Feuer erleuchtet, 
außer Anzi’s fettem Geſicht, die daran Inieende, 


95 


keineswegs haͤßliche, funge Wirkhin nebſt Hier einen 
Kindern, von denen bie Mutter dem jüngken, o b⸗ 
gleich es ſchon über ein Jahr alt iſt, neh 
immer die weiße Bruft reicht. Alle vier find äußerſt 
geräuſchvoll, befonders der alte Säugling; die übri⸗ 
gen figen faft im Feuer ſelbſt, und eſſen -bort rohe 
Zwiebeln mit Aſche flatt Salz, wobei fie ſämmilich 
ausfehen, ald habe man au fie felbft ſchon mehr- 

mals in der Afche umbergerolt. Dicht neben ihnen | 
bat mein Windhund Dumani fein Lager genommen, 
und Francis Legt ſchon in meinem eigenen, links 
vom Kamine auf einem Teppich bereiteten; Beste, nad 
am Wundfieber leidend, aber in Sicherheit. Die 
zweite Stubenwanb füllen vier Fenſter, die.’ brikte 
Schränfe (eine faR immer befolgte Dispoſuion bei 
griechifchen Stuben), und die vierte iR jest Die ſtait⸗ 
Kahfte, denn dort hängen meine Waffen in flolzer 
Reihe, mein großer Schlachtfäbel, meine Sattelpi⸗ 
fiolen, drei Terzerole an ihrer gofinen Schnur im 
reichgeſtickten Gurt, ein türkifcher Dol in ſilberner 
Scheide, und enblih mein Degenfiod: niit kunſtvoll 
gearbeitetem, maffio golbenen Krückenknopf —  meht 
Schäte, ald wohl je in diefer beſcheidenen Wohnung 
vereinigt waren. Draußen fihneit und regnet es ab⸗ 
wechfelnd, und aus den: Yenftern Tann man nicht 


zehn Schritte, weit ſehen, eine üble Ausficht für mors 
gen, wo bie Straße noch imgangbarer als bieher 
feyn foll, und daher bei ſchlechtem Wetter die Reife 
gar nicht unternommen werben kann. Das befchrier 
bene Prunfzimmer wird mid) daher wohl noch einen 

Tag länger beherbergen müffen. | 


Solos, am Fuß des Khelmög, 
den 23ften Februar. 

Der Himmel ift immer zuletzt den Beharrlichen 
günftig! Trotz der geringen Hoffnung dazu erweckte 
and fruͤh der. herrlichſte Morgen, ein griechifrher, wie 
fie mir befihrieben worden. find, wie ich deren 
aber. felbft noch nicht viele genoffen habe. Kurz, der 
Dimmel war blau, die Sonne in aller Kraft, die 
Luft völlig: rein, und kaum ſah ich den Tag über drei 
vder vier Wölfen verlaffen und einfam im Aether 
umherſchwimmen. Dies war, bei dem unzweifelhaft 
interefianieften Momente meines gewagten Unterneh: 
mens, in dieſer Jahreszeit gewiß Glück zu nennen, 
Auch ſchwelgte ich in der Klarheit und im Sonnen. 
licht auf den filbernen Höhen, wie ein fchen halb der 
Seligkeit theilhaftig Gewordener. | 

Die erſte, nun busch nichts mehr getrübte aus⸗ 
ſicht eröffnete ſich über das Meer auf die ganze ru⸗ 





197 


melifche Bergfette, die fi mir .in ſolchem Glanz und. 
Sonntagsftaat noch nie gezeigt Fate. Dann kamen 
wir in die romantifhe Tiefe, in welcher der Labo 
potamos, auch Fluß von Dhiakoftoͤ benannt, bem 
Meere reigend zuflürzt. Die Sonnenfelte der Schlucht, 
an der wir hinritten, war mit Kiefern, Wachholdern 
und immer grünen Eichen bewadfen, und faft ohne 
Schnee, die gegenüber ftehende dagegen mit Tannen 
von oben big unten beffeidet, auf einem nirgends ab⸗ 
brechenden weißen Grunde. Bor und fchloß ein 
emporftrebendes Felſengebilde die ſchmale Deffuung, 
das auf dad Bolltändigfte den zerfiörten Mauern 
einer alten Riefenburg glich. Ein Theil derſelben 
erhob fich bebeutend höher ald der Ne, ats fey es 
der Wartthurm gewefen, und auf deſſen Spite war- 
eine einzelne Pinie emporgewachſen, beren frei über 
ben Stamm gebreitete Krone fich reizend gegen ben 
kryſtallhellen Himmel abzeichneie. Wir fahen. fpäter 
dieſe wunderbare Kunftruine der Natur, welder die 
Eingeborenen den Namen Petrudi geben, auch von 
der andern Seite, und fie behielt dort gleichfalls dafs 
felbe tänſchende Ecloßanfehen, wiewohl in etwas 
geringerem Grade. | 

Wir mußten nun zum Fluß bernieberfieigen, und. 
nad feiner Durchwatung son neuem an der Nord⸗ 


fette: jäh hinauftleftern. Hier. begannen bie angekün⸗ 
begten Befchwerlichkeiten, und oben angelangt, ging 
umfer Weg mehrmals über gefrorene Schneefelber, wo 
wir nicht felten einbrachen. Obgleich hier die Some 
wie im Sommer drüdte, und den blendenden ‚weißen 
Atlas zu unfern Füßen mit Millionen Flittern ftickte, 
blieb der Schnee doch an den meiften Stellen feft wie 
Eis, und lag dabei fo. tief, daß wir mehr ald ein- 
mal zwifchen den Spitzen großer, Sträudjer hinritten, 
die dennoch faum mit einigen Blättern aus der har⸗ 
ten Kruſte bervorfahen. Als wir den höchſten Punkt 
esfiommen. hatten, konnten wir ſchon uns gegenüber 
eine, durch zwei immergrüne Eichen überwölbte, Ka⸗ 
pelle des noch vier Stunden entfernten Solos mit 
bloßen Augen deutlich erkennen. Dieſe Stabt erſchien 
uns hier, ſo zu ſagen, wie in der äußerſten Müns 
dung eines Trichters fehroffer Berge liegend, deſſen 
obere Peripherie wohl mehrere bentihe Meilen ber 
tragen mag, meldjer unten aber dennoch Fein Thal 
bilbet,. fondern nur ein Gewücll geringerer Keffel, 
Schluchten und Abgründe, bei denen, wenn man an 
iprem Rande ſteht, man meiſtens nicht begreift, wie 
das Hinunterfommen möglich werben wird. Aud tft 
es freilich darnach! Ich las oft von den mit nichts 
zw vergleichenden Gefahren eines Uebergangs ber 








Anded; ich frage aber: was Tann es in ber Art 
Schlimmeres geben, ale z. B. gendthigt zu ſeyn, an 
dem friſch abgeriffenen Ufer eines Bergbachs hinzu⸗ 
jieben, der in einer Tiefe von 60 — 80 Fuß durch 
einzelne Felſenblöcke fih mühfam feinen Weg bahnt, 
umd dazu feinen andern Weg vorzufinden, als einen, 
breiviertel, ja, wie wir an mehreren Stellen gemef- 
fen, nur einen halben Fuß breiten Pfad, noch 
obendrein abſchüſſig und mit halb gefrorenem, halb 
aufgethautem Schnee bebedt? Eine ähnliche Paffage 
ward und dreimal geboten, mit abwechfelnder Höhe 
bes darunter befindlichen Präzipiſſes. Das Exftemal 
flieg Jeder ab, und wir liegen bie Thiere, ohne fie 
ach nur:am Zügel zu führen, ganz frei binübergehen. 
Da ich jedoch fah, wie vorſichtig und geſchickt fie fid) 
dabei benahmen, und faft fiherer als wir felbft ſchrit⸗ 
ten, ſo habe ich mich nachher meinem Thiere immer 
ſorglos anvertraut, mit der einzigen Rückſicht, ſopiel 
wie möglich jede Bewegung darauf zu vermeiden und 
ihm völlige Zügelfreiheit zu laſſen, nur darauf be⸗ 
dacht, bei einem etwaigen Kalle des Pferdes, wo mög⸗ 
lich mich ſelbſt gu retten, aber keineswegs die Kata— 
ſtrophe durch meine Reiterkünſte verhindern zu wollen. 

Der wefentliche Unterſchied mit den amerikaui⸗ 
ſchen Gebürgspäffen Tann hier nur der ſeyn, daß bie 





Abgründe dort viel tiefer find, aber mir fcheint es 
im Refultat feinen Unterfchied zu machen, ob man 
100 Zug oder 5000 auf ſpitze Felſen hinabfällt, ja 
wenn ich Eins von beiden durdaus wählen müßte, 
fo würde ich unbedenklich für die größere Zahl flim- 
men, um wenigſtens gewiß gleich vernichtet, und nicht 
vielleicht vorher noch gräßlich gequält zu werben. Im 
Dimmalaja follen zwar die Maulthiere gar dreffirt 
ſeyn, über Abgründe binweg zu fesen (wahrſcheinlich 
nicht fehr breite), fpringt aber ein folches Thier ficher, 
fo ift nicht mehr dabei zu ridliren, ale da, wo auf 
glatten Wege ein einziges Ausglitſchen ober ein 
Nachfallen des ſchon unterminirten Erdreichs Pferd 
und Reiter eben fo unvermeidlih als ein zu kurzer 
Sprung in die Tiefe hinabreißen würden, 

Hierbei erinnere ich mich der Avantüre eines Eng» 
länders in den Andes, die er fehr Taunig zu erzählen 
wußte. An einem furcdtbaren Abgrunde binziehend, 
überraſchte ihn ein Schneefturm und die Naht. Man 
fa nichts mehr, und gräßlich heulte der Orkan. Da 
ſtürzt bes Reifenden Maulthier, ſchleudert ihn herab, 
und .er gibt, die ſchwindelnde Tiefe noch vor dem 
Angen, ſich ſchon verloren, als er fühlt, daß er durch 
bie Aefte eines. Baumes falle. Mit allem Aufwand 
feiner Kräfte erhaſcht er noch fehnell einen ſchwachen 





os 


Zweig, an dem er fih anflammert, und nun fo an 
den Armen zwifhen Himmel und Erde in Tobesangft 
hängen bleibt. Wohl eine halbe Stunde, die ihm 
eine Ewigkeit dünkt, verweilt er in dieſer Lage. Ends 
lich ermatten trog der riefenmäßigfien Anftrengung 
feine Glieder, er ruft um Hülfe, aber fein Angftfchrei 
verhaltt im Sturm. Obgleich der ſchrecklichſte Tod 
ihm nun gewiß ift, reihen doch feine Kräfte nicht 
mehr aus, Berzweiflungsvoll läßt er endlich den 
Rettungsaf, den Strohhalm in ber Noth, los, und 
— finft nur zwei Fuß tief ganz fanft auf weichen 
Raſen nieder, wo er auch ſogleich, halb bewußtlos 
und tödtlich ermattet, wie er ift, feſt einſchlaͤft. Als 
er am Morgen erwacht, fieht er fi, fern von aller 
Gefahr, auf einem anmuthigen, Keinen Grasplage 
gelagert, fein Maulthier dort ruhig neben ſich graſen, 
und einen ber zurüdgefehrten Zreiber, bie ihn in ber 
Naht nicht hatten auffinden Fönnen, mit der Papier« 
cigarre im Munde, gemächlich rauchend vor ſich 
ſtehen. Alſo alle furchtbare ausgeftandene Angft, das 
verzweiflungsvolle Hängen zwiſchen Himmel und Erbe, 
Alles war nur in einer getäufchten Phantaſie begrüns 
det gewefen, denn bem früher geſehenen Abgrund 
war man ſchon laͤngſt vorübergezogen — und wie oft 
geht es uns im Leben nicht ebenſo! 


Du bebft vor Allem, was nit trifft 
Und ſchaffſt getäufcht dir ſchwere Leiden. 


Wege werden hier in Griechenland, wie es fcheint, 
nie gebeflert, daher fie fih auch jedes Zahr mehrmals 
verändern. Iſt eine Stelle niht mehr zu paffiren 
möglich, fo fucht der Erſte, der dabei anlangt, wo 
anderd durchzufommen, und diefer Spur folgen bie 
Nächten, wie eine Heerde Schafe dem Leithammel. 
Es famen uns verfchiedene Beifpiele davon vor, und 
auch unfere von Dbiakofto mitgenommenen Führer 
erfundigten ſich ftetd‘ bei den Begegnenden: ob bie 
Straße noch diefelbe fey? Do folde Ziegen- 
ftege überhaupt nur eine Straße zu nennen, ift eine 
wahre Mpftififation. 

Bon dem Höhepunkte aus gefehen, deifen ich vor⸗ 
ber erwähnte, hatte uns bie ganze ‘weite Vertiefung 
burdgängig mit Schnee und größtentheild mit Tan 
nenwald bedeckt gefchienen,: doch bei näherer Beſichti⸗ 
gung änderte fi) died gar mannigfaltig und die ent⸗ 
gegengefegteften Bergeffette gingen ohne Unterlaß an 
ung vorüber, ja wir fanden fogar ein anmuthiges 
Dorf, wo, rund von Schnee und Eis umgeben, Obft- 
und Weinbau üppig floririe. Man fegte ung bier 
einen röthlich gelben Wein vor, deffen Geſchmack ich 








— — — — — 


allen andern mir bebannten griechiſchen Sorten vor⸗ 
ziehe, und ber auch nicht geſtrnißt war. 

Bisher beſtanden die Felſen ſämmtlich aus foges 
nanntem Puddingſtein (Breccia), gleich einer Stuck⸗ 
maſſe zuſammengebackener Kieſel, ganz wie auf dem 
Rigi; als wir uns aber den hoben Bergkoloſſen des 
Khelmos naherten, nahm Thonſchiefer und ſpaäter 
Kalkſtein ihre Stelle ein, der erſte zuweilen fhön grün 
und blau gefärbt. Es gibt nicht viel Orte in der 
Schweiz, die an Erhabenheit die Umgebäng von Solos 
übertreffen, denn der Keſſel, an deſſen Abhängen dies 
über dem Krathis liegt, wird unmittelbar von den 
höchſten Gipfeln des Peloponneſes gebildet, und noch 
ſeltſamer erſcheint ſeine Lage dadurch, daß dieſe ſtei⸗ 
len Wände rund umher mehrere hundett Fuß hoch 
rerraſſirt, und mit Gärten voller Obſt und ſüßen 
Kaſtanienbaumen bedeckt find; die letzten übertreffen 
jedoch hier kaum unſere Aepfelbäume an Größe und 
Stätte. Den unten ſtrömenden Krathis faſſen hohe 
Eichen ein, die leider bis auf ihre ſchmalen obern 
Buſchei ihrer Aeſte beraubt worden ſind. Sobald ich 
mich Solos gegenüber befand, noch eine Stunde früs 
ber, ehe wir auf den entſetzlichen: Wegen fein Juneres 
erreichen konnten, ſah ich ſchon auf das Deullichſte 
mit bloßen Augen Hinter ihm einen gefrornen Waſſer⸗ 


u _ 

fall von der höchſten Selfenmauer des Moränia-. 
gebürges, wie zwei Eiszapfen von Kirchthurmshöhe 
berabhängen, und obgleich ich es bamald noch nicht 
wußte, fagte mir doch, ſchon in Kolge der gelefenen 
Defchreibungen, eine fihere Ahnung, daß dies ber 
Styr ſeyn müſſe, wie ich nachher aud) beftätigt fand. 
Man fieht hieraus, wie wenig man fi) bei folchen 
Gelegenheiten felbt auf der Einwohner Ausfagen 
yerlaffen kann. Alle Perfonen, die ich in Kalaͤvrita 
-befrug, blieben einftimmig dabei, dag man im Winter 
Dem Star nicht nahen, und auch von fern Feine Deuts 
liche Anficht von ihm erhalten Eönne, und das Erfte, 
was ich mit den Häufern von Solos zugleich in der 
allervoliftändigften Klarheit erblidtte, war biefer ſelbe 
Styr. Au die Unmöglichteit, fi ihm zu nahen, 
yerfepwindet, und wenn id mich morgen wohlbefinde 
und das Weiter ausbält, hoffe ich ſeine genauſte Be⸗ 
kanniſchaft zu machen. 

Der Herr, an welchen ich ein Empfehlungsſchrei⸗ 
ben mithatte, war leider verreidt, mein Dolmeiſcher 
Anaftafio aber, um mir aus ber Berlegenbeit zu hel⸗ 
fen, nicht angelangt, und noch mehrere Stunden zurüd. 
Mit dem Gendarm konnte ich mich nicht verftändigen, 
ud, er fhien auch wenig savoir faire zu befisen, 
denn ungeachtet feiner aͤngſilichten Bemühungen wollte. 





mir Niemand ein Duartier geben. Ich probuzirte bie 
Drdre des Nomarden von Patras an alle Behörden 
im Rreife, aber erſtens Tonnte Niemand ber Gegen⸗ 
wärtigen leſen, zweitens waren alle Funktionaire bes 
Gousernements abweiend. Ich wartete ſchon feit einer 
Viertelſtunde das Nefultat, im Schnee ſtehend, mit 
großer Ungeduld ab, als ſich endlich ein ganz anftän« 
dig und fogar mit einigem Reichthum gefleideter Mann 
meiner Noth erbarmte und mich in eine noch elendere 
Stube führte, ald die. in Dhinfofto von mir bewohnte 
wars fie zeichnete ſich jeboch vor biefer dadurch auß; 
ba die reihften türfifhen Waffen ſchon jebt, ebe bie 
meinigen noch bort ihren Platz gefunden, an ben Wän⸗ 
den hingen, und zwei große Winbhunde, wie ich fie 
nie ſchöner gefehen, darunter gelagert, fie zu bewachen 
ſchienen. Zehn bie zwölf nichtd weniger als empfeh⸗ 
lenswerth erfcheinende Adelphi’s drangen mit mir bins 
ein und zeigten ſich fehr bereit, Feuer anzumaden; 
das vielfache Gerümpel hinauszufchaffen und mir eiw 
ſchmutziges Lager von alten. zerriffenen Teppichen ame 
Kamin zu bereiten. Es gelang mir enblih, ihnen 
begreiflich zu mathen, dag ich meinen’ Dragoman mit 
eigenen. Sachen erwarte, wo bied Alles in Stanb 
gelebt. .werben Tönne, dag ich aber jetzt nur wuͤnſche, 
vor Simmnenuntergang noch eine Anſicht des Mavro 


208 


nero (ſchwarzen Waffers), wie der Sityr hier genannt 
wird, zu erlangen. Gleich waren fie willig; und. wis 
machten und auf den Weg. Solos zählt gewiß. mehr 
ala 500, einzeln auf ein fehr großes Terrain zerftreute, 
zwar mafftve, aber dennoch nur Eeme und elende 
Häufer, und es bauerte eine gute halbe Stunde, ehe 
wir völlig in's Freie kamen. Hier warb ein Hügel 
im tiefen Schnee erflettert, ber. an einer alten venes 
tianifhen Bogenbrücke im Grunde. emporfleigt, und 
nach wenigen Minuten fand ich, mit. einem bedenflich 
ausfehenden Gefolge, das, obgleich mit großen Schnuvrs 
bärten durchgängig verfeben, doch ohne Aufhören wie 
alte Weiher unter fich fchnatterte, dem ungefähr noch 
zwei Stunden von hier entfernten Wafferfalle gegenüber. 

Plutarch frheint ihn von allen alten Autoren am 
richtigften zu befchreiben,, denn er fagt, daß der Gall 
in: der Luft ſich verliere, welches die biefigen Leute 
beftätigten, und die nur bis auf die Hälfte der Fels—⸗ 
wand reichenden Eiszapfen ebenfalls anzeigten. Dies 
erflärt auch ſehr gut, was. dem Herrn Leafe fo abfurh 
erſcheint, nämlich,. dag. die Alten dem Wafler bes 
Styr efne giftige Eigenfchaft heigelogt hätten, aber 
nie daran gedacht, daß er dann auch ben Krathis 
habe vergiften müſſen, in ben fein Waſſer abfließt. 
Diefen Strom erreicht aber ber Waflerfall des Siypr 








nie, weil die Duelle dazu entweder zu ſchwach it und 
fih in Staub auflöst, oder, wie Einige bier behaupten 
wollen, nad ihrem Sturze wieder in eine untere 
Deffaung der Wand hineindringe. Dies Letztere fupe 
ponirten wahrſcheinlich auch bie Alten, denn nur vor 
da konnte das ominöfe Waffer recht bequem in ben 
Dades abfliegen, wo Homer den Styx binverlegt, 
uadıdem er vorher die Juno ihren Schwur fo begin⸗ 
nen läßt: 


„Erdo, du weit gefpannter Himmel oben, 
Und Styr, der unten niebergleitet — höret dies! 


Zu dem Waſſer des Styr aber felbft zu kommen, um 
es zu koſten, wäre nur durch eine fehr koſtſpielige Vorrich⸗ 
tung möglih, da ed aus der Mitte einer beinahe 
tgufend Fuß Hohen perpendikulairen Felſenmauer her⸗ 
ausquilit, und, wie gefagt, nie unten anlangt, al& 
höchftens in Form eines feinen Staubnebeld., Es 
ſcheint alfo immer noch Teinegwegs erwielen, ob dies 
Waſſer wicht wirklich pernizioͤſe Eigenſchaften beftge, die 
nur ber Aberglaube vergrößert hat. Arrian erzählt, 
Plutarch beftreitet und Baufanias erwähnt es bloß, daß 
Ylerander mit dem Waſſer des Styr, in einem Bedher 
aus Eſelshuf, vergiftet worden fey. Denn dies Wafler 
haste die Eigenſchaft, alle andern Gefäffe, ſelbſt gol⸗ 
bene, aläferne und irbene zu zerfreffen, nur bes Eſels 


208 


Huf widerfiand, und noch mußte es ein ſeythiſcher 
feyn. In unferer aufgeflärten Zeit glaubt man ſolche 
Dinge jedenfalls nur halb, ich für meine Perfon fenne 
aber wichtige Leute in unferem Baterlande, von benen 
ich überzeugt bin, daß, verfchaffte man fich einen Schuh 
son ihnen, den fie nur vier Wochen getragen, dieſer 
bem Waller des Styr fo undurchdringlich als der 
echtefte fepthifche Becher bleiben, und eine hinlängliche 
Duantität deſſelben halten würde, um ein ganzes 
Volk damit, wo nicht zu. vergiften, doch wenigftens 
blödfinnig zu machen. 

Der Herr, bei dem ich wohne, und ber ein eiges 
nes Mittelding von Rohheit und Eultur, in Tracht 
wie Benehmen, darbietet, ſcheint ein ziemlich wohls 
habender Mann und einer ber vornehmften Honora⸗ 
tioren des Ortes zu feyn; demungeachtet ift feine 
Wohnung jämmerlicher und unreinlicher als bie mei⸗ 
fien unferer, wegen ihres elenden Anfchens eitirten, 
wendifchen Bauerhäufer; und dann haben dieſe doch, 
ſelbſt auf der letzten Stufe der Dürftigfeit, wenigſtens 
nod eine zu erwärmende Stube, was hier nirgends 
zu erlangen ift — auch nicht in diefer Gegend, wo 
ber Schnee bis zum Juli Tiegen bleibt! Ich bin gewiß, 
dag die, welche bie civilifirten Länder Europa’s nie 
verlaffen haben, fi) gar feinen Begriff yon ber Bar⸗ 


209: 


barei machen Tönnen, die nicht nur bei ben ärmeren, 
fondern auch den mittleren Klaffen, in Allem, was 
Lebensbequemfichfeit betrifft, hier noch herrfcht, und: 
ich bezweifle, daß ed zu Hermann und Thusneldens 
Zeiten je jo jchlimm bei ung gewefen fey. 


Den 24flen Februar. 


Dhne meine große Müdigkeit würde ich geftern 
Abend ſchwerlich haben einfchlafen Fönnen, denn das 
feine Kind eines Verwandten ded Hausherren, das 
Zähne befam, ſchrie fortwährend mit ber durchdrin⸗ 
gendften Stimme, und ein alter Windhund, ber ſich 
des Kindes Leiden glei) eigenen zu Herzen zu neh= 
men fihien, accompagnirte es heulend. Doch Alles 
dies fonnte meinen gefunden Schlaf nicht Tange auf- 
halten. Als ich aber früh in völliger Dunkelheit auf- 
machte, glaubte ich noch zu träumen, denn ich fah über 
mir einen ſchwarzen Himmel mit taufend glänzenden 
Sternhen. Es dauerte geraume Zeit, che ich ent- 
deckte, daß der Grund diefer Täuſchung nur das mit 
Iofen Ziegeln belegte fladye Dad war, weldes bei 
jedem ber Ziegel eine Fleine Deffnung zeigte. Nun 
erft Fonnte ich mir auch erklären, - warum die böhlen- 
artige Stube, die nur ein kleines Fenſter und eine 


nicht viel größere Thüre hatte, welche ih obendrein 
Süupöftl. Bilderfaal. TI. 14 


210 


mit Teppichen verhängen ließ, trog eines unausgeſetzt 
brennenden Feuers auf keine Weife irgend zu erwär- 
men war. Ohne es bisher zu wiffen, Fampirte ich 
wirklich halb unter freiem Himmel und fonnte mir 
gratuliren, dag es nicht regnete. In der natürlichen 
Bettwärme war es aber jett auszuhalten, und ich 
geftehe, daß ich bedeutende Mühe hatte, mich von ihr 
zu trennen, um bie doch fchon fo ſchwer erfaufte Ex⸗ 
curfion nach dem Styr nun zu beenden. Erft um 11 
Uhr traten wir unfern Weg an. 

Fine meiner geiftreihften Freundinnen fpricht nie 
von einem ihr wieberfahrenen Guten, ohne hinzuzu⸗ 
fegen: „Zur guten Stunde fey’s geſagt!“ Die- 
fer Aberglaube herrſcht au im Volke, wo man oft 
ausrufen hört: „Man folle feine gute Gefundheit ohne 
bergleichen nit befprehen!“ und etwas Wahres 
liegt der Sache zum Grunde, nämlih: der Menfch 
fol Maß halten und Demuth üben, über Glück nicht 
triumphiren, über Unglüd nicht verzweifeln. Vielleicht 
batte ich geſtern hinfichtlid) des guten Wetterd gegen 
diefe Negel gefehlt, und ein fchadenfroher Berggeift 
übernahm die Strafe, denn eine graue Todtenfarbe 
überzog heute ben ganzen Himmel Und dennod 
ſah ich den Wafferfall, von einem fpigen Felfen, ber 
ihm gerade gegenüber liegt, und den wir nach zwei 





211 


Stunden erreichten, ſo deutlich und bequem, daß ich 
mir es nie hätte beſſer wünſchen können. Er war von 
hier in gerader Richtung kaum noch eine Viertelſtunde 
entfernt, die aber zurückzulegen bei den ganz mit 
Schnee angefüllten Vertiefungen wohl mit vier mul⸗ 
tiplizirt werden mußte, wenn man durchaus die 
Wand hätte mit Händen greifen wollen. Wäre dies 
nöthig gewefen, fo Tonnte die Sache leicht anggeführt 
werben, ba biefer Weg nicht mehr Schwierigfeiten 
und vielleicht weniger Gefahr bot, als meine Felſen⸗ 
promenabe in Megaspileon, Da ich aber feinen Nugen 
Davon gewahr ward, erfparte ich mir die undanfbare 
Mühe. Wir frübftüdten auf ber angegebenen Stelfe, 
worauf ich eine flüchtige Skizze der ganzen Umgebung 
aufzeichnete, und babei mehrmals bie unzuverläßigen 
Diffikultätsmacher zu allen Teufen wünfchte, Die, 
wenn ich. ihnen geglaubt, mich um eine ber fchönften 
Erinnerumgen aus meiner Lebengreife gebracht haben 
würden — denn Die Scene war, abgerechnet ihre 
Klaffizität, auch an ſich erhaben und prachtvoll. Ich 
muß hier noch eines ſeltſamen Umſtandes erwähnen, 
ber mir dabei begegnete, Ald wir Solog verließen, 
und in ber Selfenfchlucht des Krathis, die, fo wie 
ſämmtliche Gipfel des Khelmos, faft baumlos ift, und 
nichts wie Schnee und himmelanfteigende Steinmaffen 


21% 





barbietet, an dem rechten Ufer bes Fluſſes hinkletter⸗ 
ten, begleitete ung, etwas rüdwärts bleibend, eine 
langgedehnte und mit und in gleicher Höhe ziehende 
Wolfe an dem enigegenftehenden Bergabhang, als ge= 
‚höre fie zu unferer Suite. Während unferes ziemlich 
Yangen Aufenthalts auf dem Felſen aber Hatte bie. 
Wolfe uns langſam überholt, und faft in bemfelben 
Augenblicke, als ich mit meiner Zeichnung fertig war, 
ſchloß fie, wie eine von unfichtbarer Hand vorgezogene, 
Draperie, ben Styr, melden wir auch nachher nicht 
wieder zu ſehen befamen, und ich felbft wahrfcheinlich 
erft in jener Welt wieder erbliden werde, 

Diejenige Spite des Khelmos, an der die Höhle 
‚ der] Töchter des Proetus dem Wafferfall feitwärts 
Liegt, blieb indeg noch frei, und wir eilten daher, eine 
andere Höhe zu erfleigen, von ber wir faft in das | 
Innere der ſchwarzen Grotte, vermöge meined Ta⸗ 
ſchenperſpektivs, hineinfehen konnten, Nicht weit von 
diefer Höhle, deren Umfang fehr ‚groß ift, und bie 
fi) mehr als zweitaufend Fuß hoch über Dem Meeres⸗ 
fpiegel befindet, follen etwas tiefer hinab noch einige 
antife Mauerreſte eriftiren, bie man Nonafris zus. 
ſchreibt, obgleich diefe Stadt ſchon zu Pauſanias Zeit 
zerfiört war. 

Wir hatten Slinten und drei Windhunde mit ung 





218 


genommen, um einige Haſen zu erlegen, fanden aber. 
nichts als die ganz frifhe. Spur eines fehr. großen 
Wolfes. Auf meine Frage, ob die drei ſtarken Winds 
hunde wohl auch, eines fo mächtigen .Eremplars, wie 
diefe Spur zeigte, Herr werden koͤnnten? fchüttelte 
mein Wirth. mit dem Kopfe. Nahe biefer Stelle war 
ein ſchönes Echo, das den Flintenfhug jn einen lan⸗ 
gen Donner verkehrte, und noch etwas weiter hin 
befichtigten wir mit Intereſſe einen Wafferfall bes 
Krathis unter fehr pittoresf überhängenden Felfen, bie 
ein fortwährender Aufenthalt der wilden Tauben find, 
die hier niften. Wir fuchten mehrere von ihnen auf» 
zuſtören, und da wir bei dieſer Bemühung nicht auf 
die Hunde Acht gaben, benutzten dieſe auf eine für 
uns höchſt unangenehme Weiſe die gegebene Freiheit, 
um eine nahe weidende Heerde Schafe zu überfallen, 
und zwei dieſer harmlofen Thiere graufam zu erwürs 
gen. Ein fehr Hübfches Tleines Mädchen, die fie 
hütete, erfüllte die Luft mit ihrem Gefchrei und 
ſchluchzte Häglih. Das arme Kind that mir fo leid, 
daß ich ihr fat den ganzen Vorrath Drachmen in 
meiner Taſche zuwarf. Bier aber zeigte ſich der 
griehifhe Nationalcharakter in einem auffallenden 
Zuge; denn weit entfernt, ſich dadurch zu beruhigen, 
fhrie das Mädchen nur nor weit ärger, und ale 


zi4 

wir Alle fragten, warum fie fih noch immer nicht 
zufrieden geben wolle, antwortete fie: — weil das 
ihr. Gegebene viel zu wenig fey. Ich mußte-Tachen, 
demm unfer Wirth felbft daxirte die Bezahlung als 
mindeſtens boppelt. - Dennod gab ih ihr für ihr 
hübſches Lärvchen und bie. bewiefene presence d’esprit 
die mir noch übrig gebliebene Münze, Bislleiht war 
auch eins der gemorbeten Opfer ihr Liebling, und 
das läßt fih ja gar nicht tariren. Ich fühle es an 
meinem kleinen Patienten, der. leider, ftatt befter zu 
werden, immer ſchlimmer wird, und für den ich, 
wenn Geld etwas thun könnte, gern jedes Opfer 
brächte. Hier iſt aber nirgends Hülfe, denn weit und 
breit exiſtirt weder ein Arzt noch Chirurgus für 
Menſchen und Vieh. 

In einem Dorfe an der andern Seite der Schlucht 
Calle dieſe verſchieden benannten Dorfgruppen, zu des 
nen Solos auch gehört, und die ſich nach allen Seiten 
ausdehnen, werden die Klukines genannt) zeigte man 
mir eine ſehenswerthe Vorrichtung. Man läßt einen 
Bergbach durch einen zwölf Ellen langen hölzernen 
Trichter, der in der Art einer Tonne konſtruirt iſt 
und unten ſpitz zuläuft, ſich jähling in ein großes 
und tiefes Becken herabftürzen, was unter ſich wieder 
einen engen Abflug hat, wodurch eine Art Strudel 





15 


in dem Beden hervorgebracht wird. In biefen Strubdel 
wirft man ein Wollengewebe, was bie biefigen Bes 
wohner verfertigen, und bas roh eine bunfelgraue 
Farbe Hat, wie Sacktuch ausfiehbt, und in welches in 
ber Diftanz von vier Zoll immer eine grobe Franfe 
von einer Art Zorfade etagenmweife eingewebt if. 
Dies Zeug läßt man zwölf Tage im Strudel herums 
treiben, worauf es nicht nur ſchlohweiß wieder her⸗ 
ausgezogen wird, fondern auch über und über bag 
Ausfehen eines feinen Ianghaarigen Pelzes erhält, bie 
Modetracht der Elegants im Nationalfoftüm, Wie 
bies eigentlich zugeht, Tann ich weder erflären, noch 
fetbft begreifen, aber ich habe auf der einen Seite die 
aufgefchichteten rohen, auf der andern bie durch dag 
zwölftägige Strudelbad präparirten Stoffe, als bie 
beiden Extreme, fo wie die im Strudel noch umher» 
getriebenen und im Zuftande bes Uebergangs begriffe- 
nen, felbft gefehen und unterfucht, wobei ich mid 
binlängih und durch den Augenſchein überzeugte, 
daß, obgleich alle drei ein und baffelbe Gewebe find, 
doch ihre äußern Erfhheinungen vor, in der Mitte 
und nad) der Operation nicht Die mindefte Aehnlichkeit 
mit einander haben. 

Ehe wir zu Haufe anlangten, erzählte mir mein 
Wirth, daß vor zwei Jahren fi vier Engländer bier 


16 


im Juli einfanden und vermittelt einer Belohnung 
von fünfzig Colonaten einen Menfchen bewogen, ſich 
an Striden nah dem Orte hinabzulaffen, wo der 
Styr aus der Felfenwand fprudelt, und Dort drei 
Flaſchen mit feinem Waffer zu füllen. Dies ward 
glücklich ausgeführt, und man follte nun. glauben, die 
Frage über bie fchädliche Qualität des Waffers fey 
gelöst. Aber mit nichten, — denn als die verhängniß- 
sollen Bouteillen in den Händen ber. Engländer 
waren, wagte es feiner von ihnen, wie Herr Kon⸗ 
nomopulo, noch jest darüber lachend, berichtete, den 
Anfang mit dem Koften derfelben zu machen, und am 
Ende verfiegelten fie die Flaſchen, um fie in Oxford, 
ihrer Baterftadt, unterfuchen zu laſſen. Ob feitdem 
hierüber etwas publizirt worden iſt, blieb mir freilich 
unbefannt; ift es aber nicht gefchehen, fo kann man 
ſelbſt jest noch nicht einmal darauf ſchwören, daß 
nicht unterwegs das Waſſer die Bouteillen zerfreffen, 
pder wie nachgemachter Champagner fie zerplaßt habe. 
Hier ſcheint noch nie Jemand davon getrunfen zu 
haben, ich glaube indeß, ernfihaft gefprochen, fehr 
gern, daß das wahricheinlich eisfalte Waffer nur dann 
ſchädlich ſeyn mag, wenn man es erhigt trinkt, und. 
nur ein. folhes Gefäß fprengen wird, was vorher 
am Feuer geftanden bat. Jeder wird gewiß dieſe 


217 


natürliche Erklärung fehr. vernünftig finden, mödte 
es aber doch vielleicht fehr übel vermerken, wenn ich 
manchen noch viel alberneren Aberglauben unferer 
Zeit, den er felbft theilt, eben fo ffeptifch wie den ber 
Alten abfertigen und bei feinem wahren Namen nen 
nen wollte. jene vier Engländer Hatten hier viel J 
Glück, denn ſie beſtiegen den höchſten Gipfel des 
Khelmos und des ganzen Peloponnes, mit einziger 
Ausnahme des Taygetos, den Killoͤne, ſahen die Sonne 
dort unter- und am Morgen aufgehen, Alles beim 
vortrefflichſten Wetter. Die Ausſicht, die man da oben 
genießt, ſcheint, nach dem, was mir mehrere Augen⸗ 
zeugen in Kalaͤvrita, und auch bier, verſicherten, an 
einem. ganz Haren Tage vielleicht mehr Gegenftände 
vom höchſten Intereſſe zu umfaffen, als irgend eine 
in der Welt. Man überfieht, nach der Behauptung 
diefer Perfonen, nicht nur den ganzen Peloponnes 
wie eine Landeharte, fondern auch XTheffalien und 
Epirus, erblickt den Olymp, den Athos, ſämmtliche 
jonifche Inſeln, Malta, einen großen Theil des Archi⸗ 
pels und die Berge von Kandia. 


Dhiakofto, den 2sten Februar. 


Es ift merfwürdig, wie bald ungebildete Diener 
bei einer ſolchen Art Reife, wo allerdings durch bie 


Natur der Sache ſchon ber größte Theil der Etikette 
wegfãllt, von bem reſpektvollſten Benehmen in die 
größte Familiarität übergehen. Mein dicker Ang 
fpricht ſchon von mir und dem Meinigen nicht anders 
ats im Pluralis, hockt ſich unbedenklich mit den ans 
dern Zudringlichen neben mir auf den Boben, und 
behält, gleich den Vebrigen, bie Müge dazu auf bem 
Kopfe, genirt fih auch nicht, mit mir, wie mit Seiness 
gleichen zu Tonverfiren, und mir fogar manchmal in 
feiner Unfhuld ganz naive Wahrheiten zu jagen. 
Sch Hüte mich wohl Mißfallen darüber zu zeigen; 
denn einmal amüfirt es mich, zweitens, wenn er es 
übel aufnähme, wäre ich jest wirklich ſchlimmer daran 
als er, deffen Dolmetfchung ich, bier in den Bergen 
Berlaffener, gar nicht entbebren könnte. Meine alte 
Großmutter aber gab mir fchon bie Lehre, dag mit 
dringend nöthigen Leuten, fie mögen ſeyn wer fie 
wollen, man immer patte de velours machen müſſe. 
Veberbied habe ih es von jeher als eine ber witzig⸗ 
fien, vergnüglichfien und zugleih edelften Sitten 
unferer Vorfahren angefehen: Hofnarren zu halten — 
denn e8 gehört Edelmuth dazu, die Wahrheit zu vers 
tragen. In diefer Art verwende ich meinen Griechen 
jest; in Athen wird es Zeit ſeyn, ihm die Dienft- 
pflichten wieder einzufchärfen. Sch weiß nicht, welcher 





Fürft es war, den fein Rare immer ald Bruber: 
dutzen durfte, wenn der Kürft feld eine Narrheit 
beging. Natürlich dehnte fich dies auch auf bie Gäfle 
ans, nur gefrönte Häupter waren sfficiell davon aud⸗ 
genommen, was ich gar nicht Höflich far fie finde. 
Man hätte vielmehr dies Berbot ald gang unnütz bei 
thnen vorausfegen, und dann zur Sicherheit den Bes 
fehl im Stillen geben follen, was viel ſchmeichelhafter 
für Allerhoͤchſt Sie gewefen wäre. Ani war nicht fo 
raffinirt; und ungeduldig über die andauernden Bes 
fchwerlichkeiten, gab er mir nicht undeutlich zu ver⸗ 
ſtehen, dag er mid felbft für einen großen Narren 
. halte, wegen einer fo unbebeutenden Sache als der 
Styr ſey, mich fo vielem Mangel und mannichfachen 
Beichwerlichkeiten auszufegen. Er meinte, wenn er 
an meiner Stelle zu feyn das Glück hätte, würde ex 
biefe ſchon anders zu benusen wiſſen. Vielleicht hatte 
er auch ganz Recht! 

Unfer Wirth benuste feine Stellung zu mir befio 
befter, denn er präfentirte mir dieſen Morgen eine 
Rechnung von 38 Kranken: 1) für die Stube, ober 
vielmehr nur einen Platz auf der Erde, wo ich fchlief, 
und er an ber andern Seite des Kamins, zu welder 
Bergünftigung fih 2) ein Hühnerpaar nebft zwei 
Flaſchen Landwein, der bier nidyt vielmehr als Waſſer 


gilt, 3) Brod und einige Bündel Holz, welches letz⸗ 
tere fid) Jeder im Walde holt wie er will, fintemalen 
die griechifche Forſtordnung ſich noch, gleich dem Volke 
felbſt, im Naturzuftande zu befinden ſcheint. Ich führe 
bies Alles Bier nur deshalb an, um zu beweifen, daß 
man, ungeachtet ber barbarifgen Lebensart, dennoch 
ebenfo. theuer in Griechenland reist, als in den civi⸗ 
Efirten Ländern Europa’d, Ich felbfi aber bin ein 
Preuße, und demnach aus vielen ſchweren Gründen 
ökonomiſch! 

Da am Morgen meiner Abreiſe Regen und 
Thauwetter eingetreten war, mußte ich vier Menſchen 
mit Schaufeln mitnehmen, zu 5 Franken die Perſon, 
um diejenigen Wegſtellen, die ganz unpaſſirbar ge⸗ 
worden, vorher nothdürftig in Stand zu ſetzen. Es 
war auch ſehr gut, daß ich dieſe Vorſicht gebrauchte, 
denn ſonſt hätte ich entweder wieder umkehren, oder 
ganz unter freiem Himmel ſchlafen müſſen. Demun⸗ 
geachtet waren wir genöthigt, die Maulthiere an 
mehrefen Orten abpacken und die Sachen von ein- 
zelnen Menfchen hinüber tragen zu laffen, nachdem 
ſchon eind der Thiere vorher zehn Fuß binabgefolfert 
war, ohne jedoch dießmal etwas von Bedeutung zu 
beſchädigen. An einer andern Stelle, wo vor einigen 
. Jahren eine ganze Zelfenwand eingeſtürzt ift, und 





den vor ihr. Itegenden AWhaug fo wit ihren Trüm⸗ 
mern bedeckt hat, dag man ſich wie durch ein Labp⸗ 
rinth hindurchwinden muß, würgte ber unverbefferkiche 
Dumani. abermals ein Mutterſchaf, und töbiete es, 
ehe wir demfelben zn Hülfe Eommen fonnten. Wenn 
bas fo. fortgeht, wird mir dies Präſent des Herrn 
Lontos theuer zu ſtehen fommen. Unfer Zug muß 
einen ziemlich fpaßhaften Anblick gewährt haben; 
lauter Roffinanten und Ritter von ber traurigen Ge⸗ 
flalt, unter denen jedoch Anzi unbezweifelt den erſten 
Rang einnahm. Oben war er in meine, auf ber 
Reife halb zerriffene Livree geftedt, unten kamen aber 
nur nadte Füße und ein Paar alte Pantoffeln zum 
Vorſchein, weil ihn die Stiefel angeblich zu fehr 
drüdten. Auf der einen Seite feines Kleppers hing 
noch ganz ftattlich ein Regenſchirm nebft meiner Pfeife, 
ein Gefchenf des Herrn Konnomopulo, beftebend aus 
einem Rohre. von Dorn mit einem hölzernen Kopf, 
der nur halb. mit Meffingblech befchlagen war; auf 
der andern aber diente zum Pendant ein bereits ab- 
gezogener und zum Braten fertig gemadhter, ganzer 
Schöps für unfern Abendſchmaus. Eine Nachtmütze 
auf dem Kopf vollendete bie klaſſtſche Erfcheinung. 
Es fehlten nur noch die Schellen an der lebten zur 
fompfletten- Charaktermaske. 


u 


Gegen Abend gewann bie Sonne wieber bie 
Obergewalt, und bereitete ung bald nachher ein Land⸗ 
ſchaftsgemaͤlde, das ich gewuͤnſcht hätte, unferem treff⸗ 
lichen (Berliner). Gropius zeigen zu koͤnnen, um fo 
pleih eine feiner geninlen Theuterdekorationen dar⸗ 
nach anzufertigen... Wir faben vor und im Norben, 
etwa fünf bis fechs deutſche Meilen entfernt, im 
ußerſten Hintergrunde der Gegend ben Parnaß; über 
ihm baute fi) ein zweites Gebirge florartiger, durchs 
fichtiger Wollen auf, doch jo Inder, daß mehrere der 
wirflihen Schneegipfel darunter frei blieben, und 
swifchen ihnen bie und da ein Theil des blauen Hims 
mels hindurch fohimmerte. Eine untere Etage Wolfen 
zog an der Berge Mitte hin; dann fam an ihrem 
Fuß der breite Meerftreifen, den am diesſeitigen 
Ufer gezadte, dunkle Felſen einfaßten. Bon diefen flieg, 
ars Mirtelgrund der Randfchaft, der Keſſel von Dhia⸗ 
koftoͤ tief nad uns hernieder, in dem abermals eine 
noch weit niedrigere Wolkenſchicht, ald Die jenfeitigen, 
ruhte, gleichwie fih Rauch manchmal über Schmelz: 
und Ziegelhütten Yagert. Dicht aber vor ung, auf der 
Höhe, wo wir fanden, erhoben fi vier alte Tannen, 
die dies wie mit Schleiern burchwebte Bild Fünfts 
leriſch abtheilten. Seitwärts und hinter ung erblid- 
ten wir nur blendende Schneefelder, aus denen viele, 








mit ſchwarzem Nadelholz bebedte, fpige Hügel her⸗ 
sorragten, über welche jetzt eben die Sonne in roͤth⸗ 
lichem Scheine nieberfant, 

Eine Stunde darauf erreichten wir glücklich das 
frühere Nachtlager in Dhiakofto, wo man, und ers 
wartend, dießmal das Stübchen recht reinlich, und 
ſogar, nach griechiſcher Möglichkeit, warm für unſern 
Gebrauch hergerichtet hatte. 


Voſtitza, Freitag den 26ſten Februar. 

Heute war der lebte Tag meiner Styr- Reife, 
die am Montag begonnen, am Freitag beendet, oben- 
drein in einem Schaltjiahre, und fogar in demfelben 
Monat unternommen, der den überzähligen ominöfen 
Tag enthält — ohne neues Unglück unmöglich ab- 
gehen Fonnte! Am erſten Unglüdstage verwunbete, 
wie man gefehen, der böfe Kobofd, der mich in Grie- 
henland verfolgt, meinen Francis, am zweiten, dem 
heutigen Tage, raubte er mir, bei der ſchwierigen 
Paſſage des Boraicus, den erwähnten foftbaren Degen- 
fiod obendrein (das theure Andenfen eines verftorbes 
nen Freundes), der auf dem Packpferde feinem Futtes 
rale entglitt. Augenblidli ergriff ihn Das reigende 
Waffer mit Wuth, und führte ihn ohne Rettung in 
wenig Augenblidien dein Deere zu. Man muß jelbft 


Reifender ſeyn, um das Herbe eines: ſolchen Verluſtes 
in dieſen hyperboreifchen Gegenden, bie ‚für nichts 
einen Erfag bieten, mir nachzuempfinden. Bon allen 
lebloſen Dingen Hätte ich nichts einbüßen können, 
was mir. fehmerzlicher geweſen wäre. Und. im Ans 
fang ließ ſich Alles fo fhön an! Das Vetter war 
herrlich, Die Gegend, im reizendften Kontraft mit der 
bisherigen Wifpheit, anmuthig und idplliſch, und meine 
Stimmung die heiterfie. Wir zogen zuerfi, von ben 
Bergen grabatim niederfteigend, in einem Walde jener 
füblichen Kiefern hin, die Durch ihre haarfeinen Tangen 
Nadeln und ihre Schöne Farbe fo verſchieden von dem 
büftern Anfehen der unferigen find. Im Bette der 
Bergbäde, deren wir mehrere paffirten, ſtanden ge= 
wöhnlich viele uralte Platanen, unter welchen man 
‚an verfchiedenen Stellen den Waſſerſtrom gefaßt, und 
ihn in fteinerne Becken Taufen Taffend, bequem zum 
Tränfen der Pferde eingerichtet hatte, Dies waren 
föfliche Orte, befonders erinnere ich mich eines der— 
ſelben, ſchon nahe am Meere, mit ber ſchmalen 
Ausfiht auf einen tfolirten Schneeberg von Lokrig, 
unter prachtvollen Bäumen, deren Laubdach der Sonne 
im Sommer undurchdringlich ſeyn muß, und Die 
Epheu und Schlingpflanzen noch jeut überall wuchernd 
mit Feſtons und Guirlanden umfränzten. Die lang 


und weit ſich hindehnende Plaine von Voſtitza, Wwie 
faum einen Fuß hoch aus dem Meere hervorzutreten 
jheint, während auf der Sübfeite die fleilen, durch⸗ 
aus mit Nadelholz bededten Berge ploͤtzlich fchroff 
aus ihr emporflarren, und in engen dhaotifchen Schluch⸗ 
ten ſechs verſchiedenen Flüſſen den Ausgang nur mit 
„Kampf geftatten, gewährt von den freieren Stellen 
ebenfall8 einen höchft reizenden Anblid. Sie ift theils 
mit Dlivenwäldern, theild mit Weinfeldern gefhmüdt, 
und bier fein Fleckchen unbenutt geblieben. Selbſt 
die breiten, fleinigen Flußbetten find noch mit Olean⸗ 
der und anderem Strauchwerk vielfach durchwachſen. 

Der erfte Olivenwald, deffen Boden ſchon auf: 
feimender Rafen mit hellem Grün zu überziehen ans 
fing, war ungefähr drei DBiertelflunden Yang, und 
beftand aus üppigen, meift fehr alten, aber noch jugend⸗ 
lich frifhen Bäumen. Sn der Mitte deffelben Tag 
ein Dorf, welches fih vor den unfrigen beſonders 
dadurch auszeichnete, daß faſt keins der Häuſer, weder 
mit einem Hofe noch Garten, noch irgend einer Art 
Befriedigung umgeben war. Die Häuſer ſind von 
Lehm, und die flachen Dächer nur loſe mit Hohlzie⸗ 
geln belegt. Viele Gruppen von Bauern, alle mit 
großen Schnurrbärten, waren theils mit Wolleklopfen, 


theils mit Strauchroden, oder mit andern ländlichen 
Süpöftl. Bilderſaal. II. 15 


286 

Arbeiten beſchaͤftigt. Wäſche hing in Tangen Reihen 
zum Trodnen zwifchen den Bäumen, kurz das Ganze, 
von der Eonne ſchoͤn vergoldet, hatte ein gemüäthliches 
und heimliches Anfehen, wie es in dieſer Art der 
Süden nit fo häufig als unfer Norden darbietet. 

Doch am Ende dieſes Waldes eben erwartete mid 
die beflagte Kataftrophe, meine Berefina auf der Res 
tirade von dem abenteuerlichen Winterzuge, der vers 
rätherüiche Fluß, den der gefchmolzene Echnee mehr 
als gewöhnlich angefüllt hatte — und von da an ver⸗ 
for mein Sinn gar viel von feiner früheren Empfäng= 
lichkeit. Sch ließ mich aber deghalb in meinen Reife- 
pflichten doch nicht irre machen, und beſah zuerft das 
Heine zu Megaspileon gehörige Kloſter Trupia, das 
auf derfelben Stelle ſteht, wo einft ber beleibigte 
Reptun die Stadt Bura dur ein Erdbeben unter- 
gehen ließ, über deren begrabenen Trümmern fich jezt 
unabſehbare Korintbenfelder erftreden. Einige ber 
Mönche waren im Hofe befchäftigt, Geld, Wolle und 
andern Tribut, ber ihnen gebracht wurde, einzuneh⸗ 
men, und wir fonnten nur mit Mühe durch ihre Hülfe 
einen der faulen Bauern bewegen, uns für eine Co⸗ 
Yonate nad der kaum eine halbe Stunde entfernten 
Höhle des Herfules zu führen, wo früher die Statue 
Diefes, hier im Norden des Peloponnes befonders 





227 


befhäftigten Heros ftand, und fpäter eine Heine chriſt⸗ 
liche Kirche eingerichtet worden war. Sept ift bie 
umfaffende Ausfiht auf den Golf das einzig In⸗ 
tereffante, was fie dem neugierigen Wanderer noch 
gewährt. | 
Bon bier begab ich mich zu den wenigen, am 
Ausflug des Bokhufia noch herausragenden Steinen 
von Helife. Dies warb in derfelben ſchweren Nacht, 
die Bura vernichtete, von bes erzürnten Meeres’ Wo⸗ 
gen fo gänzlich verfchlungen, daß, wie und Herafli- 
bes erzählt, nur des rächenden Neptuns eherne Sta- 
tue mit dem Hippofampus im Grund des Waſſers 
an heilen Tagen noch ſichtbar blieb, und bier Tange 
den Schiffern eine neue Klippe der Gefahr wurde. 
Wenn die Stelle, die man jebt dafür annimmt, 
wirklich diefelbe if, wo Helife ftand, fo muß fih das 
Meer ſeitdem wieber zurüdgezogen haben, und bdann 
gäbe es vielleicht feinen Ort in Griechen— 
land, wo Nachgrabungen eine reihere Aus- 
beute verſprächen; denn Helife war damals, als 
ed von ber Erbe verſchwand (zwei Jahre vor der 
Schlaht von Leuftra, v. Chr: 373), die erfte und 
reihfte Stadt in Ahaja, und Alles, was das Meer 
nicht fortführte, müßte man, ſelbſt noch unverfehrter 
als in Pompefi, im Grunde der Erde wieder antreffen. 





228 


Freilich wirde man zu dieſem Zweck genöthigt ſeyn, 
dem meiſt ganz unbedeutenden Bergſtrom, deſſen ſeich⸗ 
tes Bett jetzt eine halbe Stunde breit iſt, den aber ein 
fefter mit Dämmen eingefaßter Kanal von zwölf Fuß 
Breite zu jeder Zeit bequem faffen Fönnte — eine 
Grenze biefer Art zu fegen; was ohnehin in einem 
polizirten Lande bald zu erwarten flünde, und daher 
hier eine doppelt würdige Aufg®be für die Regierung 
wäre. Selbſt ein Particulier fönnte Durch den 
hohen Ertrag des gewonnenen Landes gewiß ſchon bie 
Hälfte feiner Koften deden, und welder Schäge würde 
er Meifter, wenn er Helife wirklich auffände! Dies 
mag eine Chimäre feyn, aber unbegreiflich bleibt es 
mir doch, daß. von fo vielen Engländern, die täglich 
mit Hinterlaffung eines koloſſalen Bermögens fterben, 
nachdem fie wie bie Champignons gelebt, Feiner noch 
je auf den. Gedanken kam, irgend ein grandiofes Un⸗ 
ternehmen bdiefer Art in Griechenland auszuführen. 
Es blieb, den famoſen Raub des Lord Elgin ausge⸗ 
nommen, immer bei Eleinlichen unbedeutenden Ders 
fuchen ‚ und felbft in Olympia haben nur die Kran 
zofen etwas Weniges gethan, was fid vos fogleich 
reich belohnte. 

In Voſtitza, wo mid mein Secretair erwarten 
follte, um mit mir nach Korinth zu fegeln, fand id 





229 


biefen nit, weil, wie ich nachher erfuhr, mein 
Schreiben an ihn von Kalaprita nicht angefommen war. 
Statt deffen begrüßten mid) nur verſchiedene unange- 
nehme Briefe, unter denen fi auch ein unwillfomme- 
ner häuslicher Bericht befand. Die ſchwarze Norma 
ift, ungeachtet aller von Francis angewandten Mühe, 
nicht tragend, und meine Hoffnungen auf die zu erzie- 
fende feltene Race getäufcht! Bei ihrer bämonifchen 
Natur, an die ich feit dem Erlebten ernſtlich glauben 
muß, hätte ich mir es freilich erwarten können, denn 
ich las einſt in einem alten Hexenbuche, daß Geſchöpfe 
dieſer Art, gleich den Mauleſeln, nie fruchtbar werden. 

Außerdem theilte man mir noch allerlei ziemlich beun- 
ruhigende Neuigkeiten über die zunehmende Revolution 
in Rumelien, einen ernfllichen Angriff auf Lepanto, Lamia 
und Miſſolunghi u. ſ. w. mit, wozu ſich Die mich perſön⸗ 
lich bekümmernde Nachricht geſellte, daß der intereſſante 
Ingenieur-Kapitain Abele, den ich noch vor vierzehn 
Tagen in aller Frifche männlicher Kraft kennen lernte, 
in der Affaire bei Miffolunghi geblieben fey. Es fiel 
mir recht widerlich auf, daß ich ihm beim Abfchieb 
noch fherzend fagte, ich wänfche ihm viel Glück zur 
bevorſtehenden Räuberfampagne, worauf er mir ers 
wieberte, daß er nur um einen Freund zu befuchen 
dorthin ginge, und, mit feinem Abſchied in der Taſche 


bald dies Land zu verfaften hoffe, wa für ben Solda⸗ 
ten nur auf Muͤhſeligkeit und wenig Ruhm zu rech⸗ 
nen ſey. Er äußerte ſich bitter und mißmuthig über 
die hieſigen Verhältniſſe, und freute ſich ſehnlich auf 
die Heimath. Der Arme hat nun ſchneller als er ah⸗ 
nete, die ewige finden müſſen! 
Bevor ich dieſe Relation ende, mag woch eine 
kurze Betrachtung über bie ungemeine Faufpeit ber 
niedern Claffen und den gleichen Müßiggang ber hö- 
beren, wie, ich Beides bisher überall hier antraf, 
ihren Plag finden. Dies ift gewiß eins ber größten 
Nationalübel, bem eine weife Regierung dur alfe in 
ihrer Macht ſtehenden Mittel am meiften entgegen ar- 
beiten ſollte. Wo ich auch hinkam, faft nie fah ich irgend 
jemand, der nicht gerade von Handarbeit [chen muß, 
jelbft die Gouvernementsbeamten nur nothbürftig, mit 
irgend etwas befchäftigt, ein Schlaraffenleben führend, 
das für einen Gebildeten unferer Länder ärger als 
Zudthausarbeit fegn würde. Diefe grenzenloſe Träg⸗ 
beit hindert die Menfchen auch allein, fih nur im ge⸗ 
singftien Maße die Bequemlichkeiten der Givilifation 
zu verichaffen. Nichtsthun ift ihr Hauptgenng! Haben 
fie. den, fo feinen fie wenig nach allem Vehrigen zu 
fragen. Der gemeine Mann if fo apathiſch, daß 
man nuy mit. unyerhältnißmäßiger Belohnung ihn. zu 





ei 


einiger Anſtrengung bewegen kann. Ja, dieſe Faulheit 
iſt ſo groß, daß man die Leute nicht einmal dazu zu 
bringen vermag, die Thüren zuzumachen, burch weiche 
fie gehen, und mehr wie fünfzig Mal babe ich, bei 
der empfindlichen Kälte diefen Dienft ſelbſt für ſie 
verrichten müſſen, um mir den Zug in ber Stube zu 
erfparen. Ich bin wahrlich nicht berühmt dafür, früh 
ber Erfte fertig zu feyn — demungeachtet mußte ich 
auf der letzten Reiſe jeden Tag auf meine Maulthier⸗ 
treiber warten, bie fi, trotz aller Befehle, nie cher 
als im legten Augenblide an die Aufpadung der Effel- 
ten machen wollten, fo daß in der Regel immer eine 
bafbe Stunde unnütz dadurch verloren ging. Dann 
aber wurde Alles noch fo obenhin und liederlich be= 
forgt, bag fortwährend neuer Aufenthalt entftand, und 
eine Menge Dinge muthwillig ruinirt wurden, bie nur 
ein wenig Ordnung und Pünktlichkeit erhalten hätte, 
Da feine Dorfgemeinde daran benft, dad Geringfie 
an ihren Wegen zu repariven, obgleich ſehr häufig 
Ynglüdsfälle daraus entfieben, babe ich fihon zur Ges 
nüge erwähnt, und bie bewaffnete DRiliz, welche bie 
unſichern Gegenden im Gebirge begeben folk, fanben 
wir ſtets irgendwo, fhlafenb oder rauchend, in ben 
Sträuchern Liegen. Die Regierung fheint an derſel⸗ 
ben Schläfrigfeit zu leiden, und fo fann, wenn dieſe 





ſelbſt fich nicht energifcher und thätiger zeigt, auch im 
Bolfe Feine Befferung eintreten, das vielleicht nur aus 
Berwöhnung, aus Mangel an erwecktem Induſtrie⸗In⸗ 
tereſſe, und namentlich durch die 170 Feiertage im Laufe 
bes Jahres eine ſolche traurige Richtung genommen hat. 

Zum Schluß werben meine Teer wahrfcheinlich 
eben fo überrafcht feyn, als ich es war, zu erfahren 
Ceine Kunde, die mir erft hier in Boftiga wurde) dag 
der Gentleman von Solos, bei dem ich zwei Tage 
wohnte, — ein berüchtigter Räuber, und der Bruder 
deſſelben Konnomopulo ift, den ich auf Kanarid Eor- 
vette ſah, wo er vorgab, von den Kondroyanni’d zu 
ihrer Begleitung gezwungen worden zu feyn. Ich 
hatte mich des Namens durchaus nicht erinnert, jebt 
fonnte ih mir aber beffer; die foftbaren Waffen und 
vortrefflich dreffirten Hunde in der dürftig elenden 
Hütte erflären. Wie gut ift oft die Unwiffenheit! 
Ohne fie würde ich wahrfcheintich nicht fo forglos am 
Generherbe neben dem bie Gaftfreundfehaft ehrenden 
Klephten gefchlafen haben. Solos foll überhaupt ein 
berüchtigtes Räuberneft ſeyn, und vielleicht war auch 
dies einer der Gründe, warum man mir in Kalaͤvrita 
fo beharrlich ausreden wollte, dahin zu geben. 








Drittes Kapitel. 


Endliche Abreife des Herrn non Rofenderg aus dem wilden 
Zergrevier und feine glüdliche Ankunft in der heiligen Athina. 


„Nach der Schidfalstragöpie pflegt gewöhn⸗ 
lich auf derfelben Bühne eine Pantomime agirt zu 
werben, in ber Sarlequin die Hauptrolle fpiett.' 

j Semilaffo., 

Es war Yangmweilig, in Voſtitza noch einige Tage 
unnüß verweilen zu müffen, um Lorenzo dafelbft zu 
erwarten. Eine unerwartete Ausbeute fand ſich in- 
beffen Doch noch daſelbſt vor. Erſt während meiner 
Abweſenheit hatte man die Grundmauern eines fehr 
großen Bauwerks mit merfwürdigen, weitläuftigen und 
mwoblerbaltenen Souterrains im Garten eines Herrn 
entdedt, deſſen Name fih, wie gewöhntih, auf 
„opulo“ endigte, von dem ich aber den Anfang vers 
geſſen Habe. Wir fliegen mis Fackeln eine tiefe Treppe 
hinab, an deren Wänven glatter und dick aufgelragener 
Stud noch an den meiften Orten fefthielt, und durch⸗ 


234 


Fletterten darauf, theilweis über Steingerölfe, mehrere 
mit Schutt angefüllte Gewölbe, unter denen der Tritt 
fo hohl Hang, daß offenbar noch eine Etage ähnlicher 
Räume fih darunter befinden muß. Zwei, an zehn 
Fuß tiefe, cylinderartig aus Werfflüden gemauerte, 
enge Brunnen, die mit großen, vieredigen Quabern 
zugebedt waren, fanden fi von allem Schutte frei, 
body war weder Bier noch irgend wo anderes etwas 
von Skulpturen zu entbeden, Jedenfalls war das 
Gebäude, zu dem biefe Souterrains gehören, von 
außerorbentlich großem Umfange, da nach mehreren 
äußeren Anzeichen bis jegt kaum der zehnte Theil das 
von zugänglich geworden if. Die Fortfegung ber 
Ausgrabungen kann daher noch viel intereffantere Re⸗ 
fultate liefern, und auch aufflären, welder Art Bau 
bie Ruine angehört, was in dieſem Augenblick ſchwer 
zu beſtimmen if. 

Nachdem mein Secretair, durch eine vollſtäͤndige 
Windftille im Golfe aufgehalten, zwei Tage zuge⸗ 
bracht hatte, um bie wenigen Stunden von Patras 
hierher zurückzulegen, ſchiffien wir ung, ohne weitere 
Zeit zu verlieren, noch in berfelben Nacht nach feiner 
Ankunft, bei hellem Mondlicht ein, und erreichten mit 
ſchwachem, aber nicht günkigem Winde, am darauf 
felgenden Mitiag Lutraͤli. Dieſer ganze Ort beſteht 





nur aus zwei Heinen Häufern, bie, zwiſchen Table 
Selfen hart am Meeresufer eingeflemmt, von Doua⸗ 
niers und einem Kaffeewirtb bewohnt werden. Den 
ſchmalen Plag, der zwifchen Haus und Ges übrig 
blieb, hatten zwei koloſſale Säue, vielleicht noch Ab⸗ 
kömmlinge des erpmanthiſchen Ebers, mit einigen 
zwanzig ihrer Jungen eingenommen, und vertheidigten 
die Approchen gegen unſere kleinen Hunde mit vieler 
Energie. Die menſchlichen Bewohner waren friedlicher, 
obgleich ſie im Uebrigen von derſelben Familie zu ſeyn 
ſchienen. Sieben ſchlechte Mauleſel, welche glücklicher⸗ 
weiſe von einem hierher geſandten Transport noch 
gegenwärtig waren, wurden unter vielem Zanken und 
Lärmen mit unſeren Effekten beladen, und nachdem 
Alles in Ordnung gekommen, durchwanderten wir 
neben ihnen zu Fuß den Iſthmus. Die Witterung 
war ſchön und warm, auch Far und ſonnig vor und, 
doch hinter uns der Golf, wie alle Berge, in Wolfen 
und Nebeldunfel eingehüllt. Der von Korinth na 
bem Oneja fanft anfleigende Iſthmus zeigt nur wenig 
felfigen Boden, und befteht meiftend aus frushtbauen 
Lehm, der vielfach mit Strauchwerk durchwachſen if. 
Im Schatten diefes Gebüſches fanden wir häufig ein 
qußerordentlich Schön blühendes Zwiebelgewächs, mit 
hochrother Blume und blauem Kelch, nebft einer Axt 


236 

Heiner Trauben-Hyazinthen, wovon wir uns ein zier- 
Yihes Bouquet pflüdten. Da ih ſehr bald hierher 
zurüdgufehren gedenke, fo verſchiebe ih bis dahin alle 
ferneren Bemerkungen und begnüge mid, meine Ber- 
wunderung darüber auszubrüden, daß die Regierung 
feibft bier, wo es doch fo leicht und wichtig wäre, 
noch an Feine Straße gedacht hat. 

Unfer Fortfommen ging nur fehr Tangfam von 
flatten, da wir jeden Augenblick durch die Maufthiere 
aufgehalten wurden, die hier eben fo faul und wenig 
disziplinirt zu feyn feheinen, als ihre Gebieter. Bei 
jeder ſich darbietenden Gelegenheit vertheilten fie ſich 
entweder, um dem feimenden Graſe zuzufprechen, ober 
brachten durch widerfegliche Sprünge die fchlechte 
Paderes in Unordnung, was oft eine theilweiſe Um⸗ 
ladung nöthig machte, oder warfen auch wohl, ſich 
niederlegend, die ganze -Bürbe auf einmal ab. So 
bauerte es dritthalb Stunden, ehe wir auf der Höhe 
am jenfeitigen Golf ankamen, deſſen fübliche Lieb: 
lichkeit einen höchſt anmuthigen Contraft gegen bie 
wilde Umgebung und die fchroffen Schneegipfel der 
eben verlaffenen Gegenden bildeten, Aegina, Salas 
mis, und der ſpitze Berg diefer Infel, hinter dem die 
Akropolis Athens noch verborgen blieb, lagen vor 
ung mit einem fpiegelglatten Meer, eingefapt von ben 


237 


— — — — — 


beiden weit hinaustretenden Vorgebirgen von Attika, 
mit dem Kap Kolonos auf der einen, und Argolis mit 
Kap Eſtemo auf der andern Seite. In der weiteſten 
Entfernung erſchienen bie duftblauen Berge von Zoͤa, 
und um fie ber die ügeifhe See, nur vom Horizont 
begrenzt. Salamafi, dad wir nahe unter und am 
fladen Meerfand aufgebaut erblidten, enthält einige 
Häuſer mehr ald.Luträft, doch ift es von Feinem glän⸗ 
zenderen Anfehn. Wir fanden dort, außer den Doua⸗ 
nierd, nod einige beutfche Soldaten der griechifchen 
Truppen, die wegen begangener Subordinationgfehler 
nah Nauplia trangportirt wurden, und ſich in bie 
bitteren Berwünjhungen über Griechenland und ben 
hiefigen Dienſt ergofien. Der Eine, ein fchöner her⸗ 
kuliſcher Mann, ſchien viel in ber Welt verfucht zu 
haben, deun er hatte mit wahrem Kosmopolitismug 
dem Kaifer Franz und Napoleon, Don Pedro und Don 
Miguel, der fpanifchen Königin und Don Carlos ge⸗ 
dient, bedauerte aber fehr die im hiefigen jungen Reich 
gemachte legte Probe. Uebrigens war und diefer vor⸗ 
urtheilöfreie Krieger fehr behülflih, um und mit dem 
Zolfbeamten und dem zerlumpten Capitan del porto 
zu serfländigen; auch half er und mit dem Eigenthü« 
mer einer Barfe der Heinften Art, der einzigen. die 
ugegen war, einen Contract für die Ueberfahrt nad) 


238 


Athen abzuſchließen, welches von bier noch vierzig 
Miglien (Ceirca 8 deutſche Meilen) entfernt if. Ich 
verehrte ihm deßhalb eine Colonate, um auf meine 
Geſundheit gu trinken, was er feinen abmirabeln Prin- 
zipien gemäß fih in Wein und Liqueur fogleich Tehr 
angelegen ſeyn Tief. Unterbefien hatte fi ein fehr 
heftiger Wind erhoben, der zwar günftig blies, aber 
bei einem fo efenden Schiffe, nahe dem Einbruch der 
Nacht, einige Bedenklichkeit einflößte. Um ſechs Uhr 
lichteten wir indeß herzhaft die Anker, alle kleinen 
etwas ſchadhaften Segel aufgeſpannt, und flogen bald 
wie ein Pfeil durch die ſchon ſich ungeduldiger bäu- 
menden Fluthen dahin, in ein Bett von Schaum ge⸗ 
hüllt, den die reiffende Bewegung des Schiffes bei 
ihrer gewaltfamen Durchſchneidung ber Wellen rau- 
fihend emporhob. Die ganze Scene hatte viel Origi⸗ 
nelles. Außer uns dreien beitand das Perfonal im 
Schiffe nur aus dem Kapitain, ein alter Soldat ber 
Revolution mit einem Stelzfuß, und feinen zwei ſtna⸗ 
den von fechszehn und vierzehn Jahren, welche als 
Matrofen fungirten. Auf dem als Ballaft mitgeführ- 
ten Kies, der frei auf dem Boden bes Schiffes Tag, 
das Feine andere Bequemlichkeit, als noch einige Plans 
fen zum Sigen darbot, Tag außerdem eine junge Frau 
mit ihrem Kinde an der Bruft, die vorher einen unferer 








Mauleſel getrieben hatte, und nun von der Gelegen⸗ 
heit profitirte, um gratis nach Athen zu gelangen. 
Der Iſthmus und die Berge mit der hoc über ale 
hervorragenden Burg von Korinth, waren in fahlem 
Scheine von dunkelſchwarz berabhängenden Wollen 
bededt, während am noch immer hellen Blau der 
Himmelswölbung vor ung der Mond fehon glänzend 
Teuchtete. So hinter ung die Nacht, vor uns ein mit 
"Bold befterntes Meer, in dem eine Abendgefellfchaft 
Iuftiger Delphine fpielte, durchfausten wir, immer 
beftiger getrieben, halb mit dem Schiff auf einer Seite 
Tiegend, wie im Wettlauf die aufgewühlte See, und 
ergößten uns, bei der wunderbaren Beleuchtung, an 
der Geſchidclichkeit der far nadten Schifföfungen, bie 
raſtlos, gleich zahmen Affen, an den Stricken hinauf 
und herablletterten, um die Segel bald da balb borts 
hin zu ftellen, damit der hohlpfeifende Wind fie nicht 
gänzlich zerreiße. 

Lorenzo und ich wurden bald in die romanttichefte 
Stimmung verfegt, und ſelbſt Francis ſchien für bie 
‚Maffifche Umgebung einige Empfindung an den Tag 
Tegen zu wollen, denn er ſtierte ohne Unterlaß auf 
Aegina's malerifhe Formen hin, bid wir bemerkten, 
daß ein Schöpfenknochen, den Lorenzo am Ende feines 


— 


Veſperbrodes in's Meer hatte werfen wollen, ſich in 
der Höhlung des untern Segels gefangen hatte, und 
uns nun leider keinen Zweifel mehr übrig ließ, daß 
er allein es war, der meines allzu finnlichen Lieblings 
Anfmerkſamkeit fo anhaltend feſſelte. Es iſt hart, ihn 
yon einer fo unpoetifchen Seite hier barftellen zu müf- 
fen, aber meine Wahrbeitstiebe verfchont weder Freund 
noch Feind. Als wir die Spitze von Salamis ums 
ſegelten, war das Meer ſo hoch, und der Wind ſo 
ſturmartig geworden, daß der Kapitain befahl die 
Segel einzuziehen, die Jungen aber, denen das vogel⸗ 
artige Fliegen des Schiffes gefiel, wollten keine Folge 
leiſten. Dies wurde um ſo lächerlicher, weil der Va⸗ 
ter, vermoͤge ſeines mangelnden Beines, nur durch 
Worte und wüthendes Ausſtrecken aller zehn Finger 
feine Autorität bekräftigen konnte, vor einer thätigeren 
Zurechtweiſung aber bie junge Brut in ihrer Ge⸗ 
wandtheit a la Mazurier fi) ganz ſicher fühlte. Da 
wir indeß nicht Luft.hatten, zum Bergnügen ber un 
gezogenen Buben (die wahrſcheinlich auch wie Fiſche 
fhwimmen fonnten) unfere Pilgerfahrt ohnfern des 
naſſen Kampfplatzes von Salamig zu enden, fo ſchlu⸗ 
gen wir ung in's Mittel und dämpften die Rebellion 
im Beginnen, Wir waren bier den Uferfelfen ziemlich 








241 


nahe, in deren zahlreichen Grotten das Meer wie eine 
Stampfmühle toste. Auch hatten die dunfeln Wollen 
und nun eingeholt, Mond und Sterne waren ſchon 
von ihnen verfehlungen worden, über der Küfte fah 

man einige Blitze den Himmel durchzucken, feitwärte | 
anrennende Wellen gaben dem Schiffe oft widerliche 
Stöße, und das Meer hatte jene fchwarze Farbe an⸗ 
genommen, die zwar die weißen Schaumfloden fehr 
Schön darauf hervorhebt, aber in dieſer gefährlichen 
See nicht den erfreulichſten Eindrud madht. Dazu 
war es äußerft Falt geworben, und ohne andern Schuß 
als unfere Mäntel durchzog ung der fehneidende Wind 
auf die empfindlichfte Weife. Die Schnelligfeit unferer 
Fahrt felbft erfparte ung Uebleres, denn ehe der Sturm 
noch ganz ausbrach, hatten wir den Pyräus erreicht, 
und die ganze Tour in ber faft beifpiellos kurzen Zeit 
von noch nicht ganz vier Stunden zurüdgelegt. Hier 
trafen wir aber auf eine neue, fehr unerwartete Un- 
annehmlichkeit. Am Wachtſchiff angelommen, befahl 
man von dorther dem Schiffsherrn, fogleih Anker zu 
werfen, weil er jett nicht mehr landen bürfe. Da 
wir feinen Kahn hatten, ließ ich durch Anzi den Teuten 
zurufen, daß ich eine Ausnahmserlaubnig habe, aber 
feine weitere Antwort erfolgte troß aller Bemühungen, 


und nichts konnte unfern Schiffer vermögen, auf eigene 
Südöſtl. Bilterfaal. II. 16 


208 


— 


Gefahr weiter zu fegeln. Dies war die abfchenfichfte 
Nacht der ganzen Reife, die wir in Sturm und Regen 
unter freiem Himmel und im Angeſicht der Stadt zu⸗ 
zubringen blos dadurch muthwillig gezwungen wurden, 
weil, wie ich nachher erfuhr, der Wachtfapitain, mit 
der gewöhnlichen Liederlichfeit der griechifchen Behör⸗ 
den, gar nicht auf dem Wachtſchiff gegenwärtig war, 
auch Feinen Stellvertreter geſchickt hatte, die rohen 
bydriptiichen Matrofen aber viel zu fehr ihre Bequem- 
fichfeit Tiebten, um fi) durch eine Converfation mit 
uns in ihrem Schlafe ftören zu laſſen. Der Stadt- 
fommandant, der mich am Morgen fehr freundlich 
empfing, verficherte mir zwar, daß er den Wachtkapi⸗ 
tain zur Berantwortung ziehen werde, ich bezweifle 
aber, daß er ihn ein Wort davon zu fagen gebentt, 
denn fein Beamter foheint bier, von oben an, Luft zu 
baben, feine Autorität Fräftig zu üben, und mir fann 
jest auch diefe Neprimande post festum wenig helfen. 
Wenn ich ohne das atbenifche Fieber davon komme, 
will ih dem Saumfeligen gern großmüthig verzeihen, 
obgleich der ungeſtüme Lorenzo große Luft hatte, ihn 
zur Vergeltung in’d Meer zu werfen. 

Der Gaſthof im Pyräus war zu elenb und uns 
reinlih, um darin zu bleiben, aber aud) das Wetter 
zu abfcheulich, und ich felbft zu unwohl, um bie Reife 


243 


fortfegen zu fönnen. So nahm ih, einiger Pflege 
dringend benöthigt, mit Dank das Anerbieten zwei 
leerer Zimmer in des Kommandanten Wohnung an, 
und fand mich dort bald mit dem Inhalt meiner afri- 
fanifchen Wüftenequipage ganz Teiblich eingerichtet. 
Anzi hatte eben den Thee mit dem erfrifchenden Tichibuf 
hereingebradht, ald man mir den jungen Herrn von 
Luft meldete, der ein freundliches Billet feines Vaters, 
mit allen Beweifen deffen gütiger Aufmerffamfeit für 
mich, brachte, Died aber zugleich mit der wirklich troft- 
Iofen Nachricht begleitete, daß von den feit fo vielen 
Monaten ungeduldig von mir erwarteten Briefen und 
Paketen, die ich angeblich in Athen finden follte, nach⸗ 
dem fie mich in Tunis und Malta verfehlt, auch hier 
nod nichts angefommen war. Ihn, feste Herr von 
Luft hinzu, verwundere die Sache nicht, denn fein 
Bater habe neulich eine Depefche aus Berlin erſt nach 
drei Bierteljahren erhalten! Gewiß tft diefe Unge- 
wißheit der Kommunikation eine der größten Unan⸗ 
nehmlichfeiten in den hiefigen Ländern, und die Berfuche, 
durch Etablirung von Dampffchiffen derfelben abzu⸗ 
helfen, fcheiterten bisher gewöhnlich fehon nach wenigen 
Monaten, wie neuerdings die Entreprife der Dampf- 
boote zwifchen Marfeile und Malta, bei der bie 





214 


— -- - — 


foftbar auggerüfteten Fahrzeuge kaum ſechs Reifen 
machten. ? 

Ich blieb drei Tage frank im ungefunden Pyräus, 
verdrießlih und nur von Mifere alfer Art umgeben, 
im Bette liegen, und hier war ed, wo ich dieſem 
Buche feinen Titel gab, den es von Anfang bis heute 
reblich verdient hat. Das Wetter ſchien mit mir zu 
trauern, denn es ftürmte und regnete fortwährend, 
und erft am vierten Morgen ftand die Sonne auch mit - 
mir zugleich wieder auf. 

Ich lenkte alfobald meine Schritte nad) der Douane 
(wo man bei der Ankunft meine Sachen fehr ffrupulög 
unterfucht hatte), in der Hoffnung, unter ber immer 
bort verfammelten Menfchenmenge Jemand zu finden, 
der mir als umterrichteter Kührer zu dienen vermöchte, 
fonnte aber Niemand auftreiben, als einen griechifchen 
Schuſter, der einige Auskunft in italienifher Sprache 
zu geben fähig war. 

Ich hatte einen wenig fpeziellen Plan des alten 
Athens bei mir, dem folgend ich zuerft Aphrodifium, 
eine Abtheilung des alten Hafens, umgehen und den 
ſich darein ergießenden Kephiſſus befehen wollte. Aphro- 
diſium war aber zu einem übelriechenden Sumpf, und 


ı Diefem Uebel iſt nun durch die franzöſiſchen uud öfter: 
reichiichen Gouvernements radifal abgepolfen worden. 





245 
der Fluß ebenfalld nur zu einem Leichenduft ausftrö- 
menden Graben geworben. Ich wandte mich daher 
auf der andern Seite nad dem Hafen Munichia, zwi⸗ 
fhen Pyräus und Phalerus, wo wir unglüdlicher- 
weife auf das im Bau begriffene Haug fließen, wel- 
ches mein unternehmender Cicerone für ſich ſelbſt 
etablirt. Er ließ mich jetzt nicht vorbei, bevor ich es 
betrachtet und alle Pläne des Bauluſtigen mit ange⸗ 
hört hatte, wozu er noch ein Bruchſtück feiner Fami⸗ 
liengeſchichte hinzufügte. Ich fakrifizirte mich geduldig, 
denn in folhen Dingen bin ich gutmütbig und mag 
nicht gern die geringfie Individualität aus Mangel 
an Theilnahme kränken. Zulegt fand ich fogar noch 
etwas in diefem Haufe, Das meinen antiten Erwar⸗ 
tungen befler entſprach, nämlich einen fehr wohl er- 
baltenen runden Brunnen, auf den die Arbeiter kürz⸗ 
lich geftoßen waren, und welder in eine geräumige 
Eifterne hinabführte, die jett dem jungen Anfledler 
fehr paffend als fertiger Keller zu Hülfe fommt. Der 
ganze Boden von hier aus länge des Meeres hin ift 
voll Grundmauern mit vielen unterirdifhen Gewölben, 
und durch mehrere ganz unbeſchützt gelaffene Deffnuns 
gen fieht man in diefe binab. Aber nur wenig fteht 
noch über der Erde von den vorhandenen Reiten, 
hauptſächlich die eines Theaters, der Gitadelle und 


246 


einiger Tempel. Etwas von biefen erfchien mir indeß, 
in einer Hinfiht wenigftens, impofanter als Alles 
was ich bisher der Art angetroffen — denn das hohe 
Alter und die eigene Beſchaffenheit des poröfen Stei- 
nes hatte hier eine wahre Apotheofe diefer Gegen- 
ftände hervorgebracht. Man fah die Ruinen der Men 
fhenwerfe wieder in ewig jungfräuliche, urfprüngliche 
Gottesnatur veriwandelt, und mußte dieſe feltfamen 
Baurefte auf das Genauefte unterfuchen, um ſich zu 
überzeugen, daß man nicht einfache Felſen vor fid 
habe, da faft alle Fugen der über einander gelegten 
Steine fo gänzlich verfchwunden, und auch die Außere 
Contoure fo verſchmolzen find, daß ihre Oberfläde 
vollfommen die gewöhnliche irregulalre Form natürs 
Iicher Felfen angenommen hat. Nur an fehr wenigen, 
ter Wirfung der Atmofphäre minder ausgejegten Stel- 
len entdeckt man noch die Hand der menſchlichen Er⸗ 
bauer. Zwiſchen den unzähligen zerbrödelten Eleinen 
Steinen, welche dieſe kahle Gegend bebeden, fproßten 
Tauſende von Anemonen in allen Nünncen, himmel- 
und indigoblau, wie vom blaffeften Roſa bis zum 
glühendften Purpur auf. Während ich erfreut mir 
einen jungen Frühlingsftraug davon zufammenband, 
war der Schuhmacher eben fo emſig befchäftigt, wilden 
Salat und Kamillen einzufammeln, deren vorzüglice 





247 


Eigenſchaften er ſehr herausſtrich. Er führte mich nun 
nad) dem Dieereögrund hinab, in weitläuftige, geheim⸗ 
nißvolle Grotten, die noch durch Brunnen mit den 
sbern Ruinen in Berbindung ſtehen, und beren Eins 
gang jest durch berabgefallene Mauerſtücke von un- 
geheurer Größe Halb verftopft if. Die Luft war 
Har und warm, und die Augficht von der einen Seite 
auf die Inſeln mit dem nahen Hymettus, von der 
andern auf den in diefem Augenblid fehr an Schiffen 
reichen Pyräus, die Berge von Megara und Korinth, 
nebft einigen der Schneegipfel Achaja's, die ich erft 
Fürzlich verlaflen, erfchien gar lieblich in den füblichen 
Zinten des heutigen Tages. 

Dies bewog mich, auch ben Weg nad) Athen zu 
Hufe einzufchlagen, und dem Grafen Luft, der fo gütig 
war, mich in feiner Equipage abholen zu wollen, auf 
der neuen Chauſſee entgegen zu gehen. Sobald die 
erſte Fleine Anhöhe erftiegen ift, wo einige Reſte der 
- Mauer fihtbar werden, die fonft Athen mit dem Py⸗ 
räus verband, erhlidt man plöglich die ganze Ebene 
son Athen vor fi) ausgebreitet, die Akropolis mit 
dem zierlichen Parthenon in ihrer Mitte thronend, den 
fpigen Lykabettus dicht hinter ihr und ben ehrwürbigen 
Dlivenwald um fie ber gezogen, der farblos und halb 
abgeftorben feine dürren Aeſte gen Himmel ſtreckt. Er 


248 


— — — — 


paßt zu der melancholiſchen Stimmung, welcher Wenige 
ſich zu erwehren im Stande ſeyn möchten, wenn zum 
erſtenmal in der Ferne jene erhabenen Ueberreſte ges 
fallener Größe, gleich trauernden Geiſtern, vor ihnen 
aufbämmern, von allen jenen magifchen Erinnerungen 
des Altertbums umfchwebt, Die unferer Seele feit frühes 
fier Kindheit eingeprägt find. Auch die ganze übrige 
Gegend erſchien hiermit im Einklang; ſchöne, edle For- 
men, aber ohne Farbe, nur grau in grau gemalt, öde, 
unfrudtbar und .verlaffen. — 

Bon der Landſtraße konnte man dies letztere je- 
doch nicht fagen. Hier zogen, in Staubmwolfen ges 
hüllt, eine Menge Reiter und Fußgänger daher, von 
denen bie erfteren ihren Weg meiftend in großer Eile 
zurüdlegten. Ja einmal mußte ich fogar fünf fran- 
zöfifhen Matrofen, die im Zuftande höchſter Seligfeit 
die ganze Breite der Straße eingenommen hatten, und 
mit dem günftigften Winde zu fegeln fchienen, bis in 
den Chauffeegraben Plag machen, um nicht von ihnen 
in den Grund gebohrt zu werben. Der mir vom Ges 
fandten empfohlene Commiffionair begleitete mich und 
erzählte mir unterwegs, daß die Kunſtſtraße, auf der 
wir und befänden, nur von bairifchem Militair und 
in der übelften Jahreszeit hergeftellt ward, daher auch 
nur wenige ber dabei gebrauchten Arbeiter am Leben 


249 


geblieben wären. Bei dieſer Gelegenheit theilte er mir 
ein, wie er behauptete, ganz ficheres Hausmittel gegen 
Dies mörberifche griechiſche Fieber mit, dem er felbft 
Schon zweimal feine augenblidliche Heilung verdanken 
wollte. Es befteht darin, fobald der erfte Froftanfall 
völlig vorüber ift, eine Sardelle in ſcharfen Eſſig ge⸗ 
taucht zu ſich zu nehmen, ein halbes Glas guten Da- 
Deira= oder Borbeaurwein Dazu zu trinfen und dann 
die darauf folgende Hite ruhig im Bette abzuwarten. 

Solche Hausmittel find nicht immer zu verachten, 
um fo mehr bier, wo oft eine fehsmonatliche Des 
handlung mit Chinin, nach allen Regeln der Kafultät, 
dennoch Feine erwünfchte Wirfung zeigte, und die Krank⸗ 
beit in jedem jahre fortwährend umd unerbittlich ihre 
Opfer fordert. Died war namentlid) im vorigen in 
foldem Grade der Fall, daß verbältnigmäßig mehr 
Derfonen bier täglich farben, als in Berlin während 
der ftärfften Periode der Cholera. 

Die Befen des verfrüppelten Olivenwaldes lagen 
ſchon hinter mir; ich erblickte bereits den Tempel des 
Thefeus, die ältefte und zugleich am beiten erhaltene 
Nuine Athens, deren gelbe Farbe ihr ein noch neueres 
Anfehen gibt, ald Graf Luſi's englifhe Barutfch und 
ihr liebenswürdiger Beſitzer zugleich fihtbar wurden, 
und ich, vor der Hand bie antifen Herrlichleiten gänz⸗ 


250 


lich bei Seite jegend, eine trauliche Unterhaltung über 
die Gegenwart mit allen ihren Fleinen Intereſſen vor- 
z09. Es war in biefer profaifchen Beichäftigung, daß 
wir endlich lachend und fchergend in die bunten Papp⸗ 
bäufer der neu aufgelegten Stadt des Kekrops ein- 
fuhren. 








Viertes Kapitel. 


Ein ſehr langer Bericht aus Athen, in dem jedoch meiſtens von 
andern Dingen die Rede iſt. 


„Fremder: Wo willſt du hinaus, Freund? 
„Anaſtaſius! Weiß ich's!“ 


Alte Comödie. 


An den Thoren von Athen nahmen wir Abſchied, 
geliebter Leſer, und wenn ich mich recht erinnere, (denn 
ich vergeſſe oft über Nacht, was ich geſtern geſchrieben) 
mit ſehr geringer Exſtaſe von meiner Seite, obgleich 
es nur billig, ja vielleicht fogar ſchicklich gewefen 
wäre, mit einer der glänzendften Ziraden, die mir 
zu Gebote ftehen, die berühmtefte Stadt der alten Welt 
zu begrüßen. Es war mir aber leider gar nicht fo 
zu Muthe, im Gegentheil, Athen, wie es fi) mir jeßt 
darſtellte, machte faft einen Tomifchen Eindruck auf 


252% 





mid. Ein Biertheil antik, ein anderes türfifch, eins 
neugriehifh und das letzte baierifch; taufendjährige 
und heutige Ruinen durcheinander gemengt, daneben 
nagelneue, grüne, gelbe und weiße Häufer, im Ge⸗ 
ſchmack der Nürnberger Spielfahen aufgeführt; alte 
abgebrochene Straßen im gräßlichſten Chaos; breite, 
abgewinfelte neue, die aber in Ermangelung der Häufer 
meifteng nur durch Planken bezeichnet find, überdies 
voller Unrath Tiegen, und oft in der Mitte noch einen 
tief aufgeworfenen,, übel bunftenden Graben haben; 
eine eben fo Lebendige und zahlreiche, ald gößtentheils 
zerlumpte Menfchenmenge, die in jenen Gaffen wim- | 
melte, und fie mit einem andauernden Gefumme ſechs 
bis fteben verfchiedener Sprachen erfüllte; eine heiße 
Sonne und ein Falter Wind, der dag Ganze von Zeit 
zu Zeit in die unbequemſten Staubwolfen büllte — 
das war die neue Athina, welche ich hier mit weh- 
müthigem Lächeln vor mir fah. ‚ 

Ich ftieg mit dem Gefandten bei feinem Hotel ab, 
und fand dort mit inniger Freude die vortreffliche 
Gräfin Maria wieder, die ich als blühendes Mädchen 
in England verlaffen, zwar noch immer blühend, doch 
in reiferer Fülle, und zugleich als die glückliche Mutter 
vieler lieblichen Kinder, die ſich in einem fo wohl⸗ 
thuenden Bilde häuslicher Glückſeligkeit vereinigten, 





als man es in höheren wie niederen Ständen nur zu 
felten antrifft. — Nah einem böhft angenehm hier 
verbrachten Zage begab ich mich erſt fpät Abende in 
mein eigenes Quartier, Das aus zwei für Athen ganz 
artig meublirten Stuben und einigen Diminutiv-Cabi- 
nets für meine Leute befteht, indeß auch eben fo theuer 
als ein weit geräumigered und [urugreicheres-auf den 
Pariſer Boulevards bezahlt werden muß. Ich Tann 
mir demungeacdhtet fchr Glück wünfhen, es bei der 
großen Concurrenz noch disponibel angetroffen zu has 
ben, welches ich ebenfalls allein der Güte des Grafen 
Luft verdanke, welcher die erfle Gelegenheit wahrges 
nommen hatte, ed mir zu verjchaffen. 

In Athen erft werbe ich wieder gewahr, daß ich 
mich in Europa befinde; ich fehe wieber die herges 
braten Formen eines civilifirten Hofes, und die ele⸗ 
ganten Salons eines fehr ausgezeichneten diplomatiſchen 
Cirkels, fpiele wieder Wpift und Höre italienifchen 
Geſang, und freue mid, das mir faft fremb gewor⸗ 
dene Alte einige Wochen wieder mit anzufehen, bie 
Byron's Natur: 

„Wo nichts Gefchliffnes ihren Schritt entweihen darf,“ 
mid) von neuem an ihren nadten Bufen nimmt; denn 
auch in der Leidensperiode bleib’ ich nad Kräften 
immer des VBergnüglings eingedenf. 


254 


Wir haben hier zwei franzöfifche Gefandte, von 
denen aber der Eine im Geben, und der Andere, fo 
zu jagen, im Kommen begriffen ift, denn obgleich er 
ſelbſt ſchon gegenwärtig, ward doch fein Haus nody 
nicht eröffnet, während das feined Vorgängers ges 
fhloffen if. Bon diefem, welches fieben Jahre lang 
bier florirte, börte ich viel Rühmens, und von dem 
neuen erwartet man gleich viel. Sch kann nur über 
die verlaffenden und angefommenen Perfönlichkeis- 
ten urtheilen, welche, obgleich fehr verfchieden, mir 
doch beide in nicht geringem Grade anziehend erſchie⸗ 
nen. Der englifhe Gefandte ift der Gemahl jener 
liebenswürdigen Lady Lyons, die ich mit ihren Töch— 
tern in Malta kennen zu lernen das Vergnügen hatte, 
und deren anmuthige Unterhaltung bier wieber zu 
“ finden, ich ſchon feit jener Zeit zu den größten Au⸗ 
nehmlichfeiten vechnete, die mich in Athen erwarteten. 
Diefe englifhe Dame vereinigt mit aller Ruhe ber 
großen Welt und dem fanfteften Aeußern, eine Schärfe 
und Lebbaftigfeit ber Repartie, welche der geiftreichiten 
Franzöfin Ehre machen würde, und obgleih fie mich 
nicht felten zum Ziel ihres Witzes erfor, fühlte ic 
Doch fletd dabei Die Befriedigung eines fih mit Freu⸗ 
den Opfernden. Bon dem Comfort und Glanz des 
Haufes eines englifhen Gefandten zu ſprechen, if 


unnüß, benn wo wäre eind zu finden, dem es baran 
feblie? Das englifhe Gouvernement beobachtet in 
biefem Punkte nicht bie Heinlihe Defonomie einiger 
andern Mächte, wohl wiſſend, daß es nicht fo gleich- 
gültig fey, fih in fremden Ländern ärmlich oder mit 
Anftand vertreten zu ſehen. Friedrich der Große, fagt 
man, habe dennoch, eben durch dieſe Defonomie, im 
Kontraft mit dem lange feines Namens, nur defto 
mehr zu imponiren geſucht. Nun wer fich fühlt ein 
anderer Friedrich der Große zu ſeyn, mag dem Bei- 
fpiel folgen, wiewohl dabei noch immer zu berüdfich« 
gen bleiben würde, daß ein großer Mann in verſchie⸗ 
denen Zeiten auch ganz andere Mittel zum Zwede 
anwendet; denn fein ift ber lebendige Geift, und 
nicht das todte Wort — das vereinzelte Copiren eines 
folhen Mannes bleibt daher immer mißlich. 

Rußland hat das engliihe Prinzip vorgezogen, 
und wird bier, wie überall, von einem ausgezeichne- 
ten Minifter würdig repräfentirt. Die ruſſiſche Di- 
plomatie ift mit ber alten päbftlichen zu vergleichen; 
fie weiß von lange her genau, was fie will, ift fehr 
forgfältig in der Wahl derer, Die zur Ausführung 
“ihrer Pläne beftimmt find und knickert nie im ihrer 
Bezahlung. Auch bewährte der Erfolg, wie bekannt, 
bis jetzt ſtets dieſe gediegenen Anſichten. 


256 


Bor Allem muß ich aber jest eines Mannes er⸗ 
wähnen, deſſen hoher fchriftfiellerifcher Ruf Neugier 
wie Wißbegierde zu ihm Hinzieht, deſſen geiftaus- 
firömende, heitere und anſpruchsloſe Perfönlichkeit 
aber noch weit mehr als feine Schriften feifelt. Ich 
geitehe übrigens gern, daß der zuvorfommende, freund 
liche Empfang, den er mir angedeihen ließ, noch ehe 
er etwas von meinen Empfehlungsbriefen an ihn 
wußte, mir ſehr fchmeichelhaft däuchte, und gewiß 
war es nebenbei Fein Fleiner Bortheil, unter der güti- 
gen Leitung eines fo gründlichen Altertkumfennerg, 
eines fo vielfeitig gebildeten Gelehrten, und eines fo 
liebenswürdigen Weltmannes die ewig denfwürbigen 
Monumente zu ſehen, welde ung die Größten unter 
ben Alten, und eine leider auf immer dahin gefhwun- 
dene Periode der Kunft in ihren erhabenften Formen, 
noch jetzt vergegenwärtigen. 

So wie man das Haus des Herrn von Prokeſch 
betritt, das mich durch die geſchmackvolle Dispoſition 
antiker Fragmente an das unſeres Göthe erinnerte, ahnet 
man den kunſtliebenden, feineren Genüſſen lebenden 
Beſitzer. Ich fühle mich wohl in einer ſolchen 
Atmoſphäre, und ein günſtiges Schickſal gewährte mir 
fogleih noch einen lieblichern Beweis yon dem praf- 
tifchen Schönheitsfinn des Hausherrn, indem es mid. 


257 


zufällig die veizende Dame auf dem Flure begegnen 
hieß, die er zu feiner Gemahlin gewählt. Frau von 
Prokeſch ift ſchön und liebt ihren Mann, aber fie vers 
ſteht ihn auch, — ein noch glüdlicheres Roos für Beide! 
Dazu befitt fie das Talent, eine große Birtuofin auf 
dem Klaviere zu feyn. Unter ſolchen Umfländen kann 
man es ohne Zweifel ſelbſt im neuen ©riechenland 
aushalten, "und es fogar lieben wie Herr von Pros 
fefh, eine Liebe, der das Erbarmen zum Grunde 
liegt, und welche die Hoffnung aufrecht erhält. 

Die hieſige europäifche Gefellfhaft gleicht natür⸗ 
lich der großen Welt an andern Orten, doch unter- 
ſcheidet fie füch in einigen Nünncen. Die Etifette iſt 
geringer, Stiefeln unter anderm find, fehr vernünf- 
tigerweife, an der Taged= und Abendordnung. Wenn 
man ed dod mit dem Hutabnehmen eben fo maden 
wollte! Ich meine, daß man den Hut, diefe groteöfe 


‚und unbequeme Kopfbedeckung, ein für allemal abneh⸗ 


nehmen folle, um ihn nie wieder aufzufegen, fondern 
mit einem zwedhnäßigern und permanent figen bleiben⸗ 
ven Kopfput zu vertaufchen. Wie Täherlih würden 
wir ed 3. B. finden, wenn unfere Damen bei jeder 
Begegnung ihre Hüte und Bonnets abziehen müßten, 
und eben fo Lächerlich erfcheinen wir mit Necht den 


Morgenländern. Die armen Griechen müſſen jest 
Siröftl. Bilverfaal. 11.” 17 


258 


auch fogar ihren türfifhen Fes abnehmen, weit bie 
Regentſchaft dies früher fo befohlen bat! D, würde 
fie nit mancherlei Geſcheidteres zu befehlen gehabt 
haben, wenn fie fi recht darauf befonnen hätte? 

Eine andere, auffallende, mir aber ebenfalls höchſt 
willtommene, Sitte ift, daß in den brillanteften Affen 
bleen, der Fremden wie der Einheimifchen die Herren 
an ihrer Wpiftpartie rauchen, wobei ein großer Luxus 
ſechs Fuß langer türkifcher Pfeifen berrfcht, die durch 
aufmerffame Diener fortwährend gewechfelt werben. 
Nur muß man Obacht nehmen, die Spiten ber Pfeis 
fen gut abzumifchen, ehe man fich ihrer bebient, da 
die Diener, nad) orientalifcher ſchmutziger Manier, auch 
bier fie vorher anzuraucen pflegen und aus dem 
Munde nehmend präfentiren. 

Kunftgegenftände ſah ih, außer bei Herrn von 
Prokeſch nirgends, dafür aber überall vortreffliche 
Smyrnaer Teppiche, viele europäiſche Papiertapeten 
und hie und da einige mufelmännifche Kuriofitäten, 
nebſt den obligaten franzöfifchen Pendülen und Brons 
zen. Zu irgend einer recht glänzenden oder gar dar 
rafteriftifhen Einrichtung ift, wie es fiheint, Alles 
bier wohl noch zu neu, zu Armli und zu proviforifch. 

. 








Aus meinem Tagebuche. 


Athen, den tm Mär; 1836. 


Wir gingen vom Diner des Grafen Lufl, wo 
heute nur vom geliebten Baterlande gefprochen wurbe, 
zu Fuß durch viele alttürfifche, enge Gäßlein, welche 
noch nicht reformirt find, zu einer großen Soirée. 
Der Bediente Teuchtete mit einer enormen Laterne vor, 
in ber drei Lichter brannten, wenn ich recht verſtand, 
ein Vorrecht der Miniſter. Die unſrigen verklärten 
durch ihre Zahl ohne Zweifel die heilige Allianz. Doch 
wurden wir bald darauf durch eine noch größere La⸗ 
terne mit fünf Lichtern überflügelt, und ich dachte an 
Diogened. Ihr folgte ein in feine Kapuze gewidelter 


260 


Reiter auf einem alten Schimmel. Es war Herr Rizo, 
Minifter des Auswärtigen und zugleich vier anderer 
Minifterien, worauf wahrfheinlich abermals die Zahl 
ber Lichter anfpielte. Er ritt, wie man mich belehrte, 
nach den Mühen bes heißen Tages zu einer Hombre- 
Partie beim Fürften Karadja, die mit dem erwähnten 
Wyiſt die Haupterholung der hieſigen Diplomaten 
ausmacht. Unſer Loos war, obwohl bei gleicher Bes 
fhöftigung, dennod angenehmer, denn wir hörten 
Madame de Rouen und Madame Katakazy gleich 

zwei wetteifernden Philomelen dazu fingen. 


Den sten März. 

Der halbe Tag ging mit Viſiten hin, denn ehe 
ich mich zum Todten wende, will ich mit den Leben⸗ 
“den fertig ſeyn. Auch der fünffache Minifter war auf 
der Lifte. Wir fanden frin Haus etwas Teer, da vor 
einigen Tagen ein falſcher Feuerlärm darin entftauden 
war, und die Leute in ihrem Rettungseifer damit an⸗ 
gefangen hatten, Stutzuhren, Spiegel, Leuchter, und 
was ihnen zunächft unter, die Hände fam, auf bie 
Straße zu werfen, die, obgleich nicht gepflaftert, doch 
wenigen biefer Gegenftände ein Ruhelager im ganzen 
Zuftande geftatten wollte. Als wir weggingen, hielt 
Herr Rizo den Grafen Luft noch einige Augenblide 





261 


auf, um ihm fo viel Freundliches und Schmeichelhaftes 
über mich ſelbſt zu fagen, daß meine Befcheidenpeit 
es nicht wiederholen darf. Scmeichelhaft aber nenne 
ih ed, weil Herr Rizo einer der ausgezeichneiften, 
auch Titerarifch berühmten Griechen if. Nicht alle 
biefigen Staatsmänner haben diefelbe Bildung, unb 
einer derjelben ergögte ung heute fehr bei Tiſch, in⸗ 
dem er, ald von D’Eonnel gefprochen wurbe, ihn mit 
D’Dommel verwechfelnd, frug, ob diefer denn nicht 
mehr in Spanien diene? — Wie würde das den großen 
Agitator gedemüthigt haben! 

„Abends um 9 Uhr ward ih mit Graf Luft und 
meinem Secretair burch eine Audienz bei Sr. Majeftät, 
dem König Dtto, beehrt. Ich hatte noch nicht das 
Glück gehabt, ihm zu nahen, und fand in dem Bes 
herrfcher Griechenlands einen ſchön gewachfenen: jungen 
Mann von einnehmenden Zügen und. gewinnendem 
Benehmen. Er behandelte ung mit viel Herablaffung 
und Güte ‚und verrieth im Lauf ber Unterhaltung 
nicht felten die von feinem erlauchten Vater ererbte 
Liebe zur Kunft, nebft manchem Gewinn ernſter Stus 
dien verfchiedener Art, denen er außer feinen Regie- 
rungsgefchäften bier ausſchließlich zu leben ſcheint. 
Denn er bringt ſeine Zeit faſt immer allein zu, und 
es gibt vielleicht keinen einzigen Fürſten ſeines Alters, 


» 


der ein fo eingezognes Leben führte. Es wunderte 
mid, bag König Otto, dem die Griechen Teibenfchafts 
lich ergeben find, die deutſche Tracht, die ihnen zus 
wider iſt, beibehalten hat. Dan würbe ihn vergöttern, 
wenn er durch Annahme der Nationalkleibung einen 
neuen Beweis der Anhänglichkeit an fein erwähltes 
Baterland gäbe, und der ſchöne Wuchs des jungen 
Fürften würde fih überdies fehr gut darin ausnehmen. 
Sch halte dergleichen zu den Augen Sprechendes Feis 
neswegs für eine unbedeutende Kleinigkeit, und hier 
würde e8 um fo zwedmäßiger feyn, da unter den 
Griechen ſelbſt nur eine allgemeine Stimme bes leb⸗ 
bafteften Wunſches fih darüber vernehmen Täßt. ! 
Das Palais, welches der König proviforifch bewohnt, 
Bis das neue Schloß fertig feyn wird, deffen Lage fehr 
verfländig gewählt wurbe, ift nur Hein, aber mit Ges 
ſchmack und wohnlich eingerichtet. ch verließ es nach 
beendigter Audienz mit fehr angenehmen Empfindungen, 
und wünfchte aus voller Seele dem jugendfichen König 
Glück und Heil, der ſich europäifcher Politif und dem 
Wohle Griechenlands Bis jest nur noch geopfert 
bat, 

1 Seit biefes gefchrieben wurde, hat der König das griechi⸗ 


ſche Koftüm angenommen, aber noch nicht, gleich Heinrich dem 
Bierten, auch die Religion. \ 














Den 9ten März. 

Mein bochverehrter Gönner aus alter Zeit, ber 
bairiſche Geſandte, Herr von Kobell, befuchte mich früh, 
um mir mitzutbeilen, daß dieſen Abend, auf den 
Wunſch des Königs von Baiern, das Parthenon, der 
Tempel bes Erechteus und, die Propyläen mit Holss 
feuern erleuchtet werden würden, und verfchaffte mir 
zugleih ein Eintrittsbillet zu der für ben heutigen 
Abend, um die höchften Herrfchaften nicht zu flören, 
- gefehloffenen Afropolid. Jetzt durfte ich nicht Tänger 
zögern, mid zu den Antiquitäten zu wenden. Bom 
Haufe des Grafen Luſi aus, der mich mit orientalis 
(cher Gaſtfreiheit ein für allemal eingeladen bat, feinen 
Tiſch mit meinem Begleiter zu theilen, wenn wir fein 
anderes Engagement hätten, begaben wir ung, in Bes 
gleitung des Alteften Sohnes und bes Leibarzted des 
Grafen, um 9 Uhr mit der befannten Raterne auf dem 
fürzeftien Wege nad der Afropolis, der über Steinge 
roͤlle ziemlich fteil hinanfuhr. 

Schon erblidten wir von weitem feltfame Licht- 
fheine in der tiefen Dunkelheit, hier wie ein Komet 
über einer Säule fihwebend, von der nur das Capitäl 
erſt fihtbar war, dort wie ein Lavaſtrom breit und 
licht an einer Mauer herabfließend, die noch das Alfer- 
heiligſie verdedte. Jetzt verfhwand wieder Alles in 


264 


undurchdringliche Nacht, doch nur wenige Augenblicke 
noch — und das feenhafte Traumbild vor- uns ent- 
faltete fih in feiner ganzen Ausdehnung auf einmal 
dem flaunenden Auge. So mußte ich diefe Tempel 
zum Erftenmale ſehen — wie viel hätte ich verloren, 
wäre es anders gewefen! In der Glorie des firömen- 
den Lichts, das ſelbſt das Unfraut unter dem Portifug 
in Smaragden verwandelte, bie gelblihen, wetterges 
fledten Säulen wie mit gebräuntem Golde überzog, 
und die Weiße der haotifch umbergeworfenen Diarmor- 
trümmer mit röthlich glühendem Schein verkfärte, 
glaubte ich noch einmal die Schatten jener Geifter an 
den Wänden hingleiten zu fehen, die feit Jahrtauſenden 
bier in verförperten Gedanken zu ung reden, 

Noch war Alles till, Niemand zugegen, und wir 
durchſtrichen einfam nad allen Seiten die Ruinen, 
während die tageshell erleudhteten Karyatiden des 
Erechtheums uns bis in die entfernteften Winfel zu 
verfolgen ſchienen. Wahrlich, fie erweckten boppelt 
fhauerlihe Erinnerung! Denn unter ihren gefpenfti- 
ſchen Bliden ſtürzte auch des Tempeld Dach über 
Gura’s unglüdlicher Wittwe zufammen und begrub fie 
lebendig mit acht jungen Mädchen ihres Gefolges. Am 
andern Morgen fand man Alle unverſehrt, vom Ge- 
rüfte gefchüst und noch warm — aber todt. 


BE. 


Jest Tamen bie Fürſten mit ihrem ileinen Gefolge, 
und jch erftieg eilig bie verfallene Wendeltreppe, klet⸗ 
terte. dann auf dem Simfe weiter nach dem Giebelfelde 
"des Parthenon, welches der Stadt zugewandt ift, und 
ſetzte mich oben auf einen einzelnen Mauerblod hin, 
die Wunder unter mir in reltgiöfer Geiftesfammlung 
beſchauend. Hier war das Scanfpiel am bezaubernd- 
ften. Rechts und links Tedten die Feuer mit rothen 
Zungen, gleich balbverborgnen Ungeheuern, an den 
Zempelfäulen empor. Dazwifchen bewegten fidh dunkle, 
ungewiffe Schatten, und über den erleuchteten Monus 
menten wölbte ſich ein ſchwarzer, fternbebedter Himmel, 
zu dem die einzelnen Lichter des Athens der Tiefe 
irrwifhartig aus dem Abgrunde heraufblitzten. Dicht 
zu meinen Füßen aber lag, weit hin gebreitet, wie 
ein Kirchhof der Jahrhunderte, der ununterbrochene, 
bleiche Trümmerhaufen, deſſen Grenze fih undeutlich 
im Dunkel der Nacht verlor, und auf deffen Mitte, 
zur Belebung des wunderbaren Gemäldes, zwei kunſt⸗ 
Tiebende Könige ftanden. 

Sie waren eben in einer lebhaften Unterhaltung 
über einige architeftonifche Detail mit dem jegigen 
Hüter und Bewohner der Afropolis, dem verdienft- 
sollen Profeffor Roß, begriffen, wovon zuweilen ein 
belehrendes Wort bis zu mir heraufdrang. ch unters 


beffen blickte zwifchen den Säulen auf der innern Geite 
durch eine ſchmale Deffnung wie in einen tiefen, 
ſchwarzen Brunnen aufmerffam hinab; denn dort faßen 
bewegungslos drei griechiſche Diener, deren rothe Fes, 
vom Feuer am hellſten beleuchtet, ſelbſt gleich lebendi⸗ 
gen Flämmchen auf ben bärtigen Gefthtern fladerten, 
und fo dieſe Leute in ihrer phantaftevollen Tracht une 
bewußt einen Rembrandt von wundervoller Wahrheit, 
als ein Tableau moderner Zeit, im antiten Rahmen 
gefaßt, darftellen liegen. Mit Mühe nur vermochte. 
ih, nad langem Weilen, mich von diefer, aus allem 
Gewöhnlichen in jedem Zuge fo ganz heraustretenden 
Scene loszureißen. Hier ftörte felbft die Bernichtung 
fo vieles Herslihen mich nicht mehr, — dem Traum⸗ 
bild vor mir fehlte es ja an Feiner poetifhen und ma⸗ 
lerifhen Schönheit, und ich hätte mich in diefem Au«- 
genblid faſt Darüber tröften können, dag erft vor 
200 Zahren barbarifche Benetianer das Damals noch 
vollfändig erhaltene Parthenon durch ihre Aue 
nonen niederfchmetterten. 


Den ıoten Mär;. 


| Unter ben Gegenvifiten, bie ich waͤhrend bes Vor⸗ 
mittags erhielt, wurden bie bes Herrn von Profefch 





— 
und des Herrn von Catacazy für mich, außer dem 
Bergnägen, das fit mir gewäßrten , auch unters 
richtend. 

Herr von Prokeſch iſt ein Mann, der das Menſch⸗ 

ſiche und Geniale liebt und das Kanzleiiſche haßt. 
Ohne blinde Hingebung an ewig wechſelnde Theorien, 
ohne an Alles den Schuſtermaßſtab deſſelben engen 
Leiſtens zu ſetzen, beurtheilt und behandelt er die 
Dinge nach der Natur ihrer Pofalität und nad Ayrem 
darauf bafirten, wahren Werth. Die ächte Fröm— 
migfeit erfreut ihn am Muſelmann fo gut wie am 
Ehriften; den Dichter kann er bewundern, auch wenn 
er ganz andere politifhe Gruntjäge Haben follte als 
er felbft, und das Genie ehrt er, es finde fi 9 unter’ 
dem Zurban oder der Perüde. 

Die vielen Tehrreichen und neuen Anfichten, bie 
Herr von Profefch mir, befonder$ über Aegypten und 
feine beiden bervorftechendften Geflalten, den Bire- 
könig und Ibrahim, aufſchloß, welche fo nahe daran 
waren, aud die Herren: Griechenlands zu erben, 
‚waren mir bei meiner nahe bevorftehenden Reife in- 
Die Länder, welche fie jet beherrſchen, doppelt werthe 
voll. Wirklich, Mebemed Uli richtet ſich immer höher 
auf feinem Piedeftal empor, je näher ich ihm komme, 
und die heißere Sonne trodnet ſchnell den Schlamm, 





den ınan aus Europa auf ihn wirft, wo man eben fo 
unfähig als unwillig fcheint, ihn mit Gerechtigkeit zu 
beurtheilen. Es war ein großes Unglüd für diefen 
Fürften, in das Spinnengewebe europäifcher Politik 
mit hineingerathen zu fepn, und fi in feinem Wirken 
durch fie paralpfirt zu fehen, bis das After des hohen, 
großen Mannes Kräfte vielleicht bricht, der unter 
andern Umftänden ein zweiter Zaar Peter für den 
Drient geworden ſeyn würde, 

Man hält den Vicekönig von Negppten, fagte 
Prokeſch, nicht nur für einen Tyrannen, ſondern 
auch für einen fogenannten Freigeift. Er ift dennoch 
eben fo wenig eins als das andere, ſondern oft nur 
zu gutmüthig, und babei ein fehr eifriger Mufelmann. 
Schon als folder war er gar nicht des Gedankens 
fähig, den Sultan, ben er als den geiftlichen, heiligen 
Chef des Islams anfieht, enthronen zu wollen, obs 
gleih er fih als Herrſcher de facto, dem andern 
Herrſcher gegenüber, in weltlichen Intereſſen verthei- 
digen muß. Er ift gewiß nicht ohne Ehrgeiz, aber 
in weit billigeren Schranken als man gewöhnlich 
glaubt, und wer fieht, was er in Aegypten gethan 
und allein gefchaffen, gönnt ihm gewiß deſſen vollen 
Genug. Nur Neid und Unfennmiß feinden vereint 
biefen großen Mann an, bem erft die fpätere Ges 


| 





ſchichte vollſtaͤndige Gerechtigkeit widerfahren Taffen 
wird; 1 

Uebrigens, aus politiichem Geſichtspunkte bes 
trachtet, handelt es fih ja gar nicht um Mehemed 
Ali; es handelt fih um das türkifhe Reich. Diefes 
zu halten, zu flärfen, auf eigene Füße zu ftellen, ift 
die Aufgabe der Kabinete, die den Frieden wahren 
wollen. In diefer Beziehung gibt es nun zweierlei 
Anfihten, die eine geht zu dieſem Ziele durch die 
Erniedrigung Mehemed Ali's, die andere durch deffen 
Erhebung. Die erfte ftüst ſich auf rein europäifche 
Dentweife, fie läßt Mehemed Ali denfen wie etwa 
ein Franzoſe denken würde; die andere auf türfifche, 
fie beachtet, wie Mehemed Ali als Mufelmann denken 
muß; die eine wirft alle praktifche Fragen, auf die 
es am Ende anfommt, zur Seite, und ftellt den 
wirklichen Kräften hohle Namen als Kräfte entgegen; 
die andere nimmt Kenntnig von biefen praftifchen 
Fragen, fie will bie wirklichen Kräfte dem Reiche 
zurüdführen und dadurch ben Hüllen wieder Mark 
geben; die eine hat, im Falle des Gelingens, das 
Reich in einen Leichnam verwandelt, oder hält zum 

1 Dies ward gefchrieben, ehe ich Aegypten gefehen, und 


Mehemed Ali felbft kennen gelernt hatte. Ich kann nur fagen, 
daß ich jebt weiß, was fh damals nur glaubte. 


— — — — — 


wenigſten die eine Haͤlfte deſſelben gegen die andere 
in Krieg und Feindſchaft gewaffnet; die anderté hat, 
im gleichen: Falle des Gelingens, das Reich verfühnt, 
vereint, der Einwirkung europäifcher Induſtrie und 
Biffenfchaft geöffnet, es auf eigene Füße geftellt. — 

Der Gegenftand ift zu beterogen, um ihn hier 
weiter zu verfolgen, aber ich freute mich der Worte, 
denn von jeher Tiebte ich mehr, am Großen hinaufzu⸗ 
bliden, ald es mißgünftig, nach der Mode unferer 
Zeit, in den Staub herabguzerren. 

Mit dem feingebilbeten Griechen im ruſſiſchen 
Dienſte ſprach ich über einen andern ausgezeichneten 
Mann, deſſen hohe Geſtalt gleichfalls weit über ſo 
viele der Zwerge emporragt, die ihm gefolgt ſind. 
Ich meine Capo d'Iſtria. Herr Catacuzy, der ihm 
perſönlich befreundet war, fügte mir, daß jener 
Märtyrer ſchon in London auf die Gratulation des 
Herzogs von Wellington ahnend erwiederte: „Glau⸗ 
ben Sie mir, ich weiß fehr wohl, was mich in Gries 
chenland erwartet, ein Piſtolenſchuß oder ein Dolch⸗ 
ſtoß.“ Es ſcheint, daß, niedergebrüdt durch ben nie 
endenden Kampf kurzſichtiger Intriguen der Fremden, 
und felbft im Baterlande nur Berfennung und Wider: 
fland findend, dem er doch großmüthig fein Leben ges 
weiht, er auf dieſe ſchmerzvolle Eriftenz zuletzt nur 


Lid ur 


— — — — 1 


wenig Werth mehr ſetzte, und wenn nicht den Tod 
ſuchte, doch ihm nicht länger aus dem Wege ging. 
So viel wenigtens if gewiß, daß ihm mehrere Tage 
vor feiner Ermorbung viele Berichte zufamen, die Das 
Borhaben der Mauro Michali's, dag fie in Nauplia 
Waffen gekauft u, f. w., unzweifelhaft machten, und 
ver Präfident dennoch nicht das Geringfte dagegen 
unternahm. Hoͤchſt bedeutend, zugleich rührend menſch⸗ 
lich und antik heroifh, war fein Benehmen an ben 
verhängnißvollen Tage ſelbſt. Auf die Thüre ber 
Kirche zufchreitend, erblidte er die fanatiſchen Meuchel⸗ 
mörder neben ihr ſtehen. Er erblaßte und trat einen 
halben Schritt zurück, dann ſenkte er ſein Haupt, 
und ging ſchnell und feſten Schrittes dem finſtern 
Schickſal entgegen, deſſen blinde Werkzeuge nun augen- 
biitich über ihn berfallend, Durch einen Schuß in 
ben Naden und einen gleichzeitig geführten Dolchſtoß 
in die Seite, des Regenten thatenreichem- Leben ein 
ſchnelles Ende madıten. 

Ein anderer, noch hierher gehörenver feltfamer 
Umſtand ift folgender. Auf Aegina ging eines Abende 
Herr Catacazy mit Capo deIſtria fpazieren, ald einer 
der Gefangenen von Ibrahims Truppen, denen man 
für Geld im Felde zu arbeiten geftattete, ein wilb 
ausfehenker Mohr, Hinter einem Grabſteine plötzlich 


— 
mit einer Bewegung bergortrat, bie bei Herrn Cata⸗ 
cazy die größte Beſorgniß für vie Sicherheit des 
Präfidenten erregte. Er nahm die Gelcgenheit wahr, 
dieſen zu bitten, ſich doch nicht fortwaͤhrend ſo ganz 
ohne alle Vorſich jedem beliebigen Angriff auf ſein 
Leben auszuſetzen. „O,“ erwiederte Capo d'Iſtria, 
„ein Größerer als ich hat geſagt, es ſey beſſer zu 
ſterben, als immer in der Furcht vor dem Tode zu 
leben, und übrigens,“ ſetzte er lächelnd hinzu, „wenn 
fie mich ermorden, bier folgt mir ſchon mein Rächer.“ 
Bei diefen Worten zeigte er auf einen einarmigen 
treuen Balifaren, der ihm fehr zugetban war und ihn 
überall binbegfeitete. Bei der wirklichen endlichen 
Kataftrophe des Präfidenten traf diefer Ausfprud 
wörtlich ein. Derfelbe Menſch fing. mit dem Stumpf 
feines verlorenen Armes den Fallenden auf und ver- 
wundete mit feinem Dolch zuerfi den ergriffenen 
Verbrecher. 

Capo d'Iſtria's Tod war vielleicht das größte 
Ungluͤck, welches das werdende Griechenland treffen 
fonnte, und ein noch größeres für deffen Ehre, daß 
ein Grieche der Mörder war! Es ift traurig, daß 
der erwähnte treue Adjutant des Präftventen, ber 
fpäter vor den fiegreihen Rumelioten (während des 
Spntagma) außer Landes fliehen mußte, jest, nach⸗ 





273 


dem er zurückgekehrt iſt, noch immer vergeblich um 
eine feinem früheren Grade gleiche Einreihbung in den 
Hhalanr fupplieirt. — J 

Am Abend hatte ich die Ehre, Sr. Majeſtät dem 
Könige von Baiern vorgeſtellt zu werden, den ich 
als Kronprinz zum Letztenmal geſehen. Ich fand ihn 
ſehr heiterer Laune und in den langen Jahren wenig 
geändert, noch ganz mit demſelben Feuer ſeiner feinen 
genialen Augen, in deren Blau ſich doch ſo anmuthig 
ächt deutſche Gutmüthigkeit mit einer zuweilen ſehr | 
ſchalkhaften Schlauheit verbindet. Auf mehrere Scherze 
bes Königs über meine erotifchen Reifen, und daß fie 
mich fo Tange vom Beiuhe Münchens abgehalten, 
nahm ich mir die Freiheit, zu erwiedern, daß ich es 
jest deſto fchöner und bedeutender für mich fände, 
Ihm, dem Künfte befhügenden und prächtige Kunſt⸗ 
gebilde täglich hervorrufenden Herrfcher, von deſſen 
hohem Wirken Europa fehon Tängft wiederhalle, ohne 
dag ich es noch felbft zu bewundern vermocht, — hier 
zum Erftenmal wieder, als König, unter den Säulen 
des Parthenons, der erhabenen Schöpfung des ihm 
fo nahe verwandten Perifles, im Feitglanze der Flam⸗ 
men begegnet zu fepn. 

Bei Sr. Majeftät dem Könige Dtto zur Tafel 


eingeladen, hatte ich nachher das Glück, bie heitere 
Süpöfl. Bilverfaal. II. 18 


24 


und geiftreihe Unterhaltung, welche fein erlauchter 
Bater früher mit mir angefnüpft, noch vielfad fort 
gefest zu ſehen, und ich geftebe, bag ich in dieſem 
Augenblid, an einem fumptusfen Mable Theil neh⸗ 
mend, an ber Seite zweier Könige ſitzend, die mich 
mit den gnädigften Aeußerungen überhäuften, nur mit 
innerem Lächeln des Contraſtes gedenfen fonnte, der 
mich noch vor wenigen Tagen in den Hütten ber 
Armuth, in dem Verkehr mit zerlumpten Bauern, und 
‚gelegentlich felhft mit Räubern, fo abftehend ums 
geben hatte. 

Den Königen waren alle meine literarifchen Sün- 
den befannt, nnd in manchem Lobe fand ich nur die 
verftedte, gerechte Satyre; doch ift man immer eitel 
darauf, fo große Herren unter feine Lefer zählen zu 
bürfen. Noch zulegt entlieg mich nad aufgehobener 
Tafel der König von Batern mit einem Scherz über 
-Semilaffo, den Halbmüden. Ich verficherte, daß, 
wenn diefer arme Pilger wirklich vor Sr. Majeftät zu 
fieben die Ehre hätte, er gewiß die Bedeutung feines 
Namens heute vergeften und diefen Tag wenigftend 
mit jugendlicher Friſche, ald einen der erfreulichften 
in feiner Lebensreife, aufzeichnen würde. Dies war 
auch Feine Schmeichelei, Doch weiß man, daß Se. 
Majeftät ſich irrten, und. des weiland Semilaffo 





27 


Schidfal ein ganz anderes war, ich aber feinen Theil 
mehr an diefem Berfchollenen haben will, Dagegen 
muß ich mic jetzt ſelbſt meiner Jdentität bei Gelegen- 
heit eines guten Werkes rühmen. Meine Erzählung 
ber englifchen Bernachläßigung des Tempels zu Gozo, 
und die ihr folgende Bitte, bewogen unfern bochfinni- 
gen bdeutjchen Fürften fogleih zu dem Berfprechen, 
fein Fürwort bei dem Gouverneur Englands einzus 
Iegen, und wäre dies nicht hinlänglich, auf eigene 
Koften dem ferneren Ruin eines ber merfwürbdigften 
Reſte des Alterthbums vorzubeugen, aud jedenfalls feine 
gänzliche Aufdeckung veranlaffen zu wollen. So aber 
iſt es gut, nämlich, daß die Kleinen am rechten Orte 
zu reden fi) getrauen, und die Großen das als ver- 
ftändig erfannte Wort alfogleich in That verwandeln. 

Außer den erlaudten Herrichaften, die ich eben 
genannt, waren noch verfchiedene Perfonen von be- 
deutendem Intereſſe an der Föniglihen Tafel ver⸗ 
fammelt. Ich nenne nur die mir bisher noch Lnbe- 
Tannten. Unter ben Baiern zeichnete fi die geift- 
reiche, feine Bhyfiognomie des Herrn von Mieg, Ge⸗ 
fandten am Bundestage und Mitarbeiter an dem 
großen Werfe des deutſchen Zollverbandes, aus, deffen 
Bekanntfchaft ich zu einer der belohnenbften für mich 
in Athen rednen muß. Die Staatdmänner unferer 


276 


— — — — 


Zeit tragen nicht allzuhäufig dies ausgezeichnete äußere 
Gepräge, und vielleicht noch ſeltener rechtfertigen ſie 
es bei näherer Beleuchtung ſo vollſtändig. Unter den 
Griechen erfreute mich das patriarchaliſche Anſehen 
des würdigen Zaymi, des Vaters der Revolution, 
und bemerkenswerth erſchienen mir außerdem noch 
der gefeierte Conduriotti, wie der engliſche General 
Church in griechiſchen Dienſten, deſſen Thaten und 
Ausdauer als Philhellene gewiß große Anerkennung 
verdienen. Ein griechiſcher Ordonanz-Offizier des 
Königs nahm fid) in der, nur wenig und gefhmad: 
voll europäifirten Nationaltradht pradhtvoll aus, und 
ich bedbauerte abermals, den jungen Monarchen nicht 
in ähnlicher zu ſehen, deſſen anſpruchsloſe Freimüthig-⸗ 
keit, rege Wißbegierde und geſundes Urtheil ich auch bei 
dieſer Gelegenheit mehreremale im Laufe des Abends 
hoch zu ehren Urſache fand. 
Den ııten März. 

Die Sonne lodte in's Freie und rief mich zur 
lange verfhobenen Befihtigung aller großen Kunf 
werfe auf, die fie in ihren ehrwürdigen Reften, wie 
einft in ihrer Bollendung, auch jest nad) Jahrtauſen⸗ 
den noch zu unferem Unterricht und unferer geiftigen 
Erhebung beleuchtet, — denn Gebäude find inhalt: 


277. 


fchwere Worte, welche die Vergangenheit zur Nach— 
welt fpricht. Wie fchnell aber werden die unferigen 
von diefer Art verballen ! 

Der junge Fürft Demetrius Cantacuzeno hatte 
die Güte gehabt, mir feine Begleitung und feine 
Pferde anzubieten, und wir richteten demnach unfern 
Weg zuerft nach dem Tempel des Jupiter. Die etwa 
60 Fuß Hohen Marworſäulen dieſes großartigen 
Monuments, bas nad) Zerfiörung des alten Tempels, 
welcher nad einem Bau von 700 Jahren no nicht 
fertig geworden war, und deſſen Säulen Sylla na 
Rom fandte, von Hadrian größtentheils neu aufge 
führt wurde, glänzen noch heute, obgleich die Zeit ihr 
Weiß verfchiedenartig überzogen, von fern mit dem 
Silberſchein des Atlas. Von allen Ruinen Athens 
bietet dieſe die größten Dimenfionen bar, und iſt nach 
dem Parthenon gewiß von der ergreifendſten Wirkung. 
Die Türken haben in dem innern Raum ein rundes 
Steinpflaſter, meiſtens aus den umherliegenden Mar⸗ 
morſtücken beſtehend, gelegt, um ihr Getreide darauf 
auszudreſchen, und auf dem Gebälk, von dem nur 
noch ein Ardhitrav vorhanden ift, bat ein verrüdter 
Mönch, ein Säulenheiliger, fih aus Badfteinen eine 
Heine Einftevelei in der Luft erbaut, die er mehrere 
Jahre bewohnte, und die man jegt nicht mehr abzus 


278 





nehmen wagt, aus Furcht, den herrlichen Säulen 
darunter ihren Halt zu benehmen. Neben dem Peri- 
bolus des Tempels, nad) dem Hymettus zu, fließt 
der Iliſſus, jest Faum nur noch einen Fuß breit 
Waſſer führend, und auf der andern Seite ſieht man, 
mit einem gleichen Theil der alten Baſis der Terraffe 
zufammenhängend, ein 5 bis 6 Fuß tief verfchüttetes 
Thor von mittelmäßiger Arbeit, deffen Inſchrift auf 
ber öftlihen Wand Hadriand Namen, auf der andern 
den des Thefeus trägt, beffen Stadt hier endete, wie 
bie Inſchrift befagt. Nur noch 16 Säulen ftehen von den 
120, die der Tempel, nach der ſchwächſten Berechnung, 
haben mußte. Schon vor 160 Sahren eriftirte deren 
nur eine mehr als jest, die im vorigen Jahrhundert 
zum Bau der Mofchee im Bazar verwandt mwurbe. 
Mehrere waren früher zu Kalk verbrannt worden, 
und daſſelbe Schickſal hatten die Stufen des Stadiums 
bes Herodes, weldhes an zwanzigtauſend Menſchen 
faßte, wie auch die Brücke, welche unfern davon über 
den Iliſſus führte. Die Ausficht von der Höhe neben 
dem Stadium, wo ein Tempel der Fortuna ftand, 
auf die Akropolis und Umgegend, ift eine der vor⸗ 
theilhafteften in der Nähe Athens, und bie jungen 
feimenden Saaten in der Nähe gaben ihr jegt aud), 
theilweife wenigftens, das fonft mangelnde Grün. 





120 


Bäume find leider, außer dem ſich weit binziehenden 
fablgrauen DOlivenwalde, und dem magern Inhalt 
verfchiebener Obftgärten, feine von irgend "einiger 
Bedeutung vorhanden, mit Ausnahme weniger Pap⸗ 
pein in ber Kerne und drei kümmernder Palmen mit 
einigen Cypreſſen in der Stabt, die demungenchtet in 
ihrer Gefammtheit nor viel zu der malerifchen Wir- 
fung ber Landſchaft beitragen. Der Friſche entbehren 
biefe Gegenden leider überall. | 

In den mit einer Erdböfdhung überdeckten Felſen⸗ 
wänden des Stadiums befindet fih auf ‚der einen 
Seite eine 50 Schritt Iange, natürliche, hohe Grotte, 
die dazu diente, denen, welche im Wettkampf ber 
Wagen befiegt worden waren, gleihfam zur Rettung 
vor der Verhöhnung der Zufchauer zu dienen, indem 
fie dort, ſchnell den Blicken entſchwindend, bindurd- 
fuhren, und von außerhalb dad Eingangsthor unbe⸗ 
merkt wieder gewannen. in diefem Fühlen Felſenge⸗ 
gewöfbe faben wir im fernen Dämmerdunkel deifelben 
eine ganz ſchwarz gefleidete junge Dame figen, die 
fih mit Leſen zu befchäftigen fehien. Sie .erregte 
nicht wenig unfere Neugierde, doch ‚hielten wir es für 
indisfret, fie zu flören, und fegten bald darauf, wieder 
ber Stadt. zugefehrt, unfern Weg nad) den alten Bädern 
am Iliſſus fort, wo jegt eine Gruppe bäßlicher 


Weiber ihre Wäſche wuſch. Als ich diefe Heine Goffe 
mit dem vornehmen Namen ſah, wunberte ich mid) 
nit mehr, daß einft die Pferde des Kerres den 
Iliſſus austranfen. Heute würden Taum ein Paar 
ermattete Maulefel ihren Durft damit Iöfchen fönnen. 
Bom nahen Theater des Bachus am Fuße der Alro⸗ 
polis ift nothdürftig die Form noch zu erfennen. 
Auch bier raubte Lord Elgin von deſſen vorzügliche 
ſtem choragiſchen Monument, welches eine Grotte bes 
Heidete, die Statüe eines jungen Bacchus, ber ben 
Dreifuß auf feinem Schoße hielt, und gab dadurch 
bie erfte Veranlaffung zur fpäteren Zerflörung des 
Ganzen, denn „das tft der Fluch des Böfen, daß es 
fortwährend Böfes muß gebären.” ı Beim Odeum 
des Herodes vorüber, beffen Ruinen die Kanonen⸗ 
fugeln der Griechen im legten Befreiungefriege 
hart mitgenommen haben, gelangten wir zu dem 
teraffirten Hügel, auf dem das Denkmal bes Philo⸗ 
pappus ftebt. Hier wütheten die türfifhen Kano- 
nenfugeln, und haben von der einftigen mit vielen 
Figuren römifcher Skulptur reich gefehmüdten Halb⸗ 
rotunde nur ein befhäbigtes Stück übrig gelaffen, 

1 Sollte die englifhe Nation nicht großmüthig dies ganze 


ungerechte Gut den Griechen zurüdgeben — oder ift der Ge⸗ 
danke zu ideologifch ? 





28t 


welches ganz abzutragen höchſt wünfchenswerth wäre. 
Denn biefer fhmale und lange Ueberreft eines Monu- 
ments, deſſen Kunftwerth nur gering ift, «auf der 
Spige eined weiten Hügels placirt, entftellt durch 
biefes widrige VBerhältnig die Landfhaft Athene von 
allen Seiten, wo es fidhtbar wird, und mahnte mich 
jedeömal, wenn ich es erblidte, durch die große Aehn⸗ 
Jichleit des Effelts, an die verfandete Thurmfpige auf 
unjerm Berliner Kreuzberge. 

Wir befchloffen den Spazierritt mit Beſichtigung 
des im Felſen ausgehauenen fogenannten Gefängnifles 
des Sofrates, ein Feines, ganz bequemes Gemach mit 
einem tiefen Brunnen. Daneben befindet ſich noch 
ein anderes kleineres Behältnig, gleichfalls im Felſen 
eingehauen, und zwiſchen beiden ſieht man die 
Bekleidung einer Fontaine, die kein Waffer mehr 
bat. Es find noch die Spuren Äußerer Zierden 
und einer gefchmüdten Façade erfennbar, doch er- 
fheint das Ganze nur Fleinlih, und nur Das 
Andenfen des Mannes (si fabula vera est) kann 
dDiefem Monument das heilige Intereſſe einer Reli⸗ 
quie geben. | 

In eine Allee junger Bäume zurüdfehrend, die 
erften vielleicht, welche feit mehr als einem Jahr⸗ 
tanfend in der Nähe Athens gepflanzt wurde, frap- 


fine — — — 


pirte mich das noch im Bau begriffene neue Militair⸗ 
Lazareth im venetianiſch⸗griechiſchen Styl, das einzige 
neue hieſige Gebäude, welches einigen Geſchmack 
verräth. Auch erfuhr ich auf Befragen, dag Plan 
und Ausführung keinem Architeften von Profeffion ans 
gehöre, fondern einem Ingenieur-Rapitain. Ein wah⸗ 
rer Fluch des Lächerlichen fcheint über den Bauwerken 
des neuen Athens ausgefprochen worden zu feyn, for 
wohl öffentlicher als Privatunternehmungen dieſer 
Art. Sp fieht das Kriegs und Marine Minifterium 
eher wie ein Waaren-Magazin aus; die neue Militair- 
Kaferne mit einem langen und einem ganz Furzen 
Klügel, comme si elle ne battait plus que d’une 
aile; die faſt Findifch erfcheinenden Proportionen ber 
Münge, als follten nur preußifcde Silbergrofchen 
darin gefchlagen werben, und der Marftall Choffent- 
lich nur proviſoriſch) erinnerte mich an bag Etabliffe: 
ment eined bei Mohabit reich gewordenen Ziegels 
ftreihers. Die Verzierungen der Privathäuſer gehen 
aber vollends in's Unglaubliche. Eines ftieß uns auf, 
nicht weit vom fogenannten Tempel der Winde und 
unmittelbar am Fuße der Akropolis, das nad dem 
bunten Mufter englifchen Zitzes angeftrihen war! 
Uebrigend herricht diefelbe Bauart von Lehm und 
Stangen wie in Patrad, nur meiſtens ohne die 


— — — — — 


dortigen Veranda's; um aber den Grund zu dieſen 
Kartenhäuschen auszugraben, zerſchlägt man unbedenk⸗ 
ih die prachtwollſten Marmorplatten alter Fußböden 
und andere antike Ueberreſte, mit denen überall der 
Boden angefüllt iſt. Ich halte es für ein wahres 
Unglück, daß die neue Stadt auf derſelben Stelle, 
wo die alte ſtand, erbaut wird. Dies begraͤbt ges 
wig auf ewig große, unbefannte Schäße. Das Gou- 
vernement bat zwar befohlen, um jedes der noch 
ftebenden alten Monumente einen kleinen Plaß frei 
zu laſſen, aber abgerechnet, daß feine Befehle nicht 
zu ben beftrefpeftirteften gehören, ift dies viel zu 
wenig. 

Ich bin überhaupt der Meinung, daß, wenn man 
Athen, wie ed den Anfchein hat, bloß feines Namens 
und feiner berühmten Altertbumsrefte wegen zur 
Hauptfladt erfor, — denn dad Klima der Stadt ift 
höchſt ungefund, und die Lage des Orts weder für 
Bertheidigung nod für den Handel vortheilhaft — man 
gewiß einen feltfamen Mißgriff getban bat. Die 
Umsingelung dur) eine große, moderne Stabt, bes 
fonders in der geſchmackloſen Art, wie man bier da⸗ 
mit angefangen, wird dag Romantifhe und 
Ehrwürdige der Alterthümer Athens gewiß nidyt 
heben. Der vormalige barbarifche Heine Häuferr 


254 


haufen der Türken gab wenigftens einen fchlagenden 
Contraſt, der dennoch durch fein wildes, orientalifches 
Anfeben und den ‚weißen, geifterartigen Anſtrich in 
einem gewifien Einflang mit den erhabenen Ruinen 
felöft .ftand. Das jegige Weſen, welches, fo fabrif- 
artig und geledt, ſich höchſtens zu einer efelhaften 
Nachpfuſchung des Alten zu verfteigen fähig ift, feheint 
nur beftimmt zu ſeyn, recht ad oculos zu demonftriren, 
dag jet Dygmäen da wohnen, wo einft Riefen haus⸗ 
ten. Kaum möchte man heute noch mit Lyſippus 
ausrufen wollen: „Wer Athen nicht zu feben wünfdt, 
ift ein Thor; wer es fieht, ohne davon entzüdt zu feyn, 
ift ein noch größerer Thor; wer aber fo davon ent- 
zückt ift, und es dennoch verlaffen Tann, ift von Allen 
der größte Thor !“ | | 

Man darf indeß hoffen, daß wenigftens der neue 
Dalaft des Königs, außer der Stadt am Fuße des 
Lykabettus Tiegend (wo einft, fonderbar genug, ſich bie 
Schule der Cyniker befand), von dem Geſagten eine 
ehrenvolle Ausnahme machen werde. Seine Majeftät 
hatte die Gnade, mir den Herrn Profeſſor Gärtner, 
den ausgezeichneten Architekten des Königs von Baiern, 
ber Seine Majeftät hierher begleitet hat, zuzufchiden, 
am mir feine Pläne für diefen Bau zu zeigen. Ob⸗ 
gleich in größter Eile entworfen, fehienen fie mir in 








285 





würdiger, einfacher Korm allen Bebürfniffen einer 
jolchen Reſidenz mit größter Umſicht und praftifcher 
Erfahrung zu entſprechen. Bei diefer Gelegenheit 
fandte mir Seine Majeftät auch des genialen Schin⸗ 
feld Projeft, den neuen Palaft mit einer Reftauration 
der Akropolis zu verbinden. Es ift ein wunderbareg, 
bezauberndes Bild, aber zur Ausführung hätte 
Schinkel aud in geiftiger wie materieller Hinſicht Die 
Talente mitſchicken müffen, die Perifles zu Gebote 
fanden. Bielleicht würde aber auch felbft in dieſem 
Hall der Bequemlichkeit dabei mehr haben aufgeopfert 
werden müffen, als bei einem Wohnhaufe billig ift, 
was die Alten felbft nie aus den Augen ließen. Die 
jest gewählte Stelle iſt in dieſer Hinfiht gewiß die 
befte, mit überall freier Ausficht; finkd dag Meer, in 
einiger Entfernung zur Seite die Stadt vor fi, 
rechts den ſpitzen Kegel des Lykabettus, und füdöſtlich 
den blauen Bergrüden des Hymettus. Außerdem 
ift es mit hinlänglichem Play für weitläuftige Gärten 
rund umher verfeben, und fo muß bie Schloß, 
vollendet, ein eben fo reizender Wohnfig, als ein 
Gegenftand edler Zierde für Athen werben. Mit 
Schreden erfuhr ih, dag die Säulen des Portikus 
aus Ziegeln gemauert werben follen, weil der Weg 
zum nahen Pentelifon nicht mehr fahrbar ſey! Ib 


hoffe, diefer Satyre wird man fih nicht fchulbig 
machen. ! 
Ein fehr recherchirtes Saftmahl mit Darauf fol- 
gendem Concert bei dem ruſſiſchen Gefandten endigte 
den Tag, und ed war mir ein eigenthbümliches Schaus 
fpiel, hier in Griechenland ein Fragment aus Haydı’d 
Schöpfung in deutſcher Sprache, größtentheils von 
dienenden Ruſſen, in ihrer Nationalkleidung, in 
Berbindung mit einigen Dilettanten der Gefellichaft 
ausführen zu fehen. Die Sclaven fangen am richtigften. 


Den ı2ten März. 

Einige Tage, nur den gewöhnlichen Begebenheiten 
der Gefellfehaft gewidmet, boten nichts für mein Ta⸗ 
gebuch. Ein Beſuch dagegen, den ich diefen Morgen 
bei Herrn von Profefch, der Leider an einem Fieber⸗ 
anfall Darnieder liegt, abftattete, war, wie immer, eben 
fo intereffant. als Iehrreich. ch befah Antiken, Bilder, 
reizende Zeichnungen aus dem Drient, und befonders 
eine Sammlung ägyptifcher Alterthümer, mehrere aus- 
erlefene Sachen von Werth in ſich faffend, unter denen 
ein großer, vortrefffih erhaltener Papyrus, mit 

ı Diefe Hoffnung ift erfüllt worden. Das Schloß wird 


aus dem trefflichen Bruchftein des Hymettus aufgeführt. Ber: 
zierungen und Säulen aus pentelifhem Marmor. 











wie ſeit geftern aufgetragenen Farben, mich beſonders 
anzog. 

Als neuere orientaliſche Kleidungen und Waffen 
an die Reihe kamen, fiel mir die Pracht und die herr⸗ 
liche Klinge eines Säbels auf, neben dem eine ver⸗ 
trodneie Roſe Tag. Die Geſchichte dieſer Waffe warb 
in Herren von Profefh Munde zur anmutbigfien Ers 
zählung. 

Die Klinge ift ſchon an ſich eine der fchönften, 
bie man weit und breit finden kann. Sie wurde in 
JIspahan gemacht, wie die mit goldenen Leitern eins 
gelegte Infchrift zeigt, und ift eine fogenannte dop⸗ 
pelte oder weibliche Klinge. Herr von Prokeſch empfing 
biefe Waffe, mit Gold und Diamanten auf das aller⸗ 
reichſte geſchmückt, von Abdallah, dem Paſcha von St. 
Jean d'Aere. Jetzt hängt ſie in einem und demſelben 
Glasſchrank mit allerlei andern Gefährten, zur Linken 
ein Säbel Mehemed Ali's, unter deſſen gewaltigem 
Arm die Wälle jener feſten Burg von Acka brachen, 
und die Macht und die Herrlichkeit des Nachfolgers 
Dieffar’s mit einem Schlage begruben; zur Rechten 
die merfwürbdigfte Klinge and allen, eine türkifche, von 
Bonaparte aus Aegypten nad) Europa mitgebracht, 
yon ihm bis zu feinem Falle im Jahre 1814 bewahrt, 
von Marie Luife ihrem Sohne gegeben, als er feine 


288 


furze militairifche Laufbahn begann, von dieſem bie 
an den Tod als heiliges Angedenfen geachtet, ja ſelbſt 
bis nach dem Tode nicht von ihm getrennt, indem 
fie früher, immer mit dem Herzöge felbft das Dienft- 
Heid wechſelnd, in der Scheide, in der fie noch zu 
fehen ift, auch auf feiner Bahre Tag. Erft dann ward 
fie von der Wittwe Napoleons, nad dem Verlangen 
des Sohnes, dem Herrn von Profefh, als letztes 
Zeichen ſeiner Freundſchaft, zum Erbſtück übergeben. 
Die Geſchichte der neueſten Zeit, der Spott des Ver⸗ 
hängniſſes liegt in dem Zuſammenfinden dieſer drei 
Waffen in einem und demſelben Schranke. Aber alle 
drei gehören dem Orient an. 

Die Geſchichte, welche ſich an den Säbel Abdal—⸗ 
lah's knüpft, ſtellt anziehend den Wechſel der Dinge 
hienieden und den ſeltſamen, launenhaften Zuſammen⸗ 
hang der Fäden dar, an welchen die Vorſehung die 
Menſchenſchickſale führt. Abdallah Paſcha, in dem der 
wilde Geiſt Djeſſar's, aber nicht deſſen Verſtandes⸗ 
gaben fortlebten, war als gewaltſamer, gefürchteter 
Mann im ganzen türfifchen Reiche bekannt. Dem 
Sultan felbft hatte er durch drei Jahre hinter den 
Thürmen und Bollwerfen von St. Jean d'Acre ges 
troßt, das durch ihn erweitert, verſtärkt, gerüftet 
worden war. Die Ehriften in feinem Lande, wozu 


7 


die heiligen Bezirke von Jeruſalem, Bethlehem und 
Nazareth gehörten, behandelte er mit tyranniſcher 
Laune, und hierin die alte und allgemeine Sitte ver- 
laffend, war er den Fremden abgeneigt, und ſchloß 
den Europäern insbefondere fein Land. 

Zu dieſem der That nad unabhängigen Fürften 
bes größten Theild von Syrien wurde Herr von Pro⸗ 
fefh, damals Chef des Generalftabes der öfterreichi- 
fhen Eskadre, im Jahre 1829 gefandt, um die 
Abftellung einiger Gewaltmaßregeln zu bewirfen. Ab⸗ 
ballah hatte den öfterreichifchen Eonful von St. Jean 
d'Acre, einen reihen, feit langen Jahren im Reiche 
anfägigen Mann, der wie ein Patriarch Söhne und 
Töchter, Schnuren und Schwiegerfühne, mit Kindern 
gefegnet, Knechte und Mägde in Menge um fich vers 
fammelt fah, bedroht, beraubt, und endlich vertrieben, 
die öfterreihifhe Slagge herunterreißen laſſen und 
alle Handelsverbindungen mit derfelben aufgehoben. 

Als Herr von Prokeſch auf der Rhede von Kaipha 
erihien, die St. Jean d'Acre gegenüber Liegt, traf 
er ein engliſches Bombenſchiff dort an, den Ynfernal, 
deffen Kommandant gleichfalls Geſchäfte mit Abdallah 
Paſcha hatte, aber nicht einmal die Erlaubniß erhal- 
ten fonnte, den Fuß an’s Land zu fegen. Denn ums 


befannt mit den damals ſchon wenig freundfchaftlichen 
Süpöfl. Bilderſaal. II. 19 


70 
Berhältniffen zwiſchen dem Gebieter von Syrien und 
dem von Aegypten hatte er ſich die Thüre bei Jenem 
zu öffnen geglaubt, indem er Briefe von Diefem 
braͤchte, fie auch wirklich abgegeben, darauf aber von 
dem mißtrauifhen und ſtolzen Abdallah nur die Furze 
‘Antwort erhalten, daß er nichts mit ihm zu fehaffen 
baben wolle. Der englifhe und öfterreidifche Ab- 
geordnete überlegten noch mit einander, was zu: thun 
fey, ald an den Erften eine Sendung des Paſcha Fam, 
der auf dem Berge Karmel ein Landhaus bewohnte, 
des Inhalts: Er erneure feinen Ausſpruch, dag Nie- 
mand von dem englifchen Fahrzeuge den Fuß auf- das 
Land zu fegen Habe. Dem Herrn von Profefc aber, 
der einftweilen feine Ankunft dem Paſcha ebenfalls 
hatte anzeigen und den Wunſch ansdrüden Taflen, ihn 
gu ſehen, ließ er durch denfelben Boten fagen: Er 
feinerfeits theife diefen Wunfh nicht. Der Englän- 
ber, erzürnt über die Sprade des Paſcha, der über: 
dies eine Drohung beigefügt war, Tieß fogleich ein 
ſtatkes Boot in's Waffer werfen und fuhr felbft an’s 
Land. Raum ausgeftiegen, fah er fid) jedoch von einem 
Haufen Bewaffneter umgeben, welche, die Drohung 
in’s Werk fegend, die Mannfchaft des Infernal in's 
Boot zurücdwarfen, und ben Dragoman des Kommans 
danten, da dieſer orientalifch gekleidet war, graͤulich 


291 


mißhandelten. Der Paſcha, höchlich erzürnt, Tieß zus 
gleich dem Infernal bedeuten, binnen 24 Stunden 
unter Segel zu geben, widrigenfald er ihn mit Ka⸗ 
nonen hierzu nöthigen würde, Es blieb diefem Schiffe 
auch nichts übrig, ald unter unmäcdhtigen Drohungen 
feines Befehlshabers abzufegeln. 

Herr von Profefh, auf der Hut gegen eine dem 
Zwed feiner Sendung fhädliche Empfindlichkeit, er⸗ 
neuete um dieſe Zeit fein Begehren mit dem Beifage: 
Er begreife des Paſcha's ablehnende Antwort fehr 
‚wohl, fo lange ein Kriegsfahrzeug einer andern eurp- 
päiſchen Flagge auf der Rhede fey, deſſen Komman⸗ 
danten der Pafcha nicht zu feben für gut finde; er 
felbft wünſche übrigens nichts als freies Geleit nad 
den heiligen Orten, da eben die Oftern vor der Thüre 
ſeyen. Diefe Pilgerfahrt verſprach ihm den dreifachen 
Nutzen: die Achtung bes Mufelmanned zu gewinnen, 
die Zeit der Berfiimmung bes Paſcha vorüber gehen 
zu laſſen, und den nad) Nazareth in die Arme auf- 
rührerifcher Araber geflüchteten Conſul zu fprecden. 
Nazareth war unter der Bezeichnung ber heiligen 
Drte mit einbegriffen, und Herr von Prokeſch hatte 
bereits den Conful verfländigen Iaffen, ihn! dort zu 
erwarten. Der Pafıha ging in dies Begehren willig 
‚ein, gab Briefe und Geleit, und der öfterreichifche 


L 


292 


— — —ñ—— — 


Geſandte ritt unangefochten nach Jeruſalem und Beth⸗ 
lehem, von dort aber nach Samaria und die Ebene 
von Esdrelon herauf nach Nazareth. 

Nachdem er gehörige Kenntniß von den That—⸗ 
fahen, die er auszugleichen beauftragt war, nebft 
ihrer Beranlaffung eingezogen, nahm er ben Conſul 
mit fih und erfchien nad mehreren Wochen wieder 
vor St. Jean d'Acre, wo ihn fein Schiff erwartet 
hatte. Er ließ Abdallah erfuchen, ihm danfen zu dür- 
fen für den genoffenen Schuß, und zweifelte nicht, daß 
ibm dies jeßt erlaubt werden würde, — aber er irrte 
fih, denn der Paſcha Tieß ihm fagen, er danfe für 
den Danf, Herr von Profefch könne denfelben allen- 
falls an feinen Kiaja abtragen. Weit entfernt, ſich 
durch Diefe neue Ausweichung entmuthigen zu Taffen, 
und die Abficht feithaltenn, an den unnahbaren Mann 
doch endlich zu gelangen, entſchloß fich Herr von Pro- 
feich, ohne Säumen den Kiaja aufzufuchen. Er fand 
einen artigen Mann an ihm, in Konftantinopel ge- 
boren, der ſich bald mit vieler Bereitwilligfeit, mit 
Wärme fogar ded Verlangend des Herrn von Prokeſch 
annahm, und fogleich einen reitenden Boten an den 
Paſcha abfandte. Diefer erſte Vorwärtsſchritt war 
alfein dadurch errungen, dag Herr von Profefch dem 
Kiaja offen den Zwed feiner Sendung mittheilte, den 








— — 





dieſer ohnedieß errathen konnte, und dabei ſtatt einen 
gereizten Ton anzunehmen, von dem Geſichtspunkte 
ausging, daß der Paſcha ſich gewiß nicht ohne ge⸗ 
wichtige Veranlaſſung zu ſo ſchwerer Handlung habe 
bewegen laſſen. Ueberdieß beruhigte Herr von Pro⸗ 
keſch den Kiaja ſogleich über die Beſorgniß, welche 
die türkiſchen Großen ſo leicht und mit Recht bei 
Zuſammenkünften mit Europäern hegen, daß dieſe 
nämlich es an Höflichkeit ermangeln laſſen, und vor 
den Augen und Ohren der Dienerſchaft ſich anmaßend 
benehmen möchten. Der Kiaja ſchien erfreut, auf ſo 
unerwartete Weiſe ſeinen Herrn aus dem Handel zu 
ziehen, und dadurch ein unangenehmes Verhältniß mit 
einer Flagge aufzuheben, die in den Gewäſſern von 
Syrien die am häufigſten erſcheinende iſt. 

Raum war Herr von Prokeſch in fein Haus zurüde ' 
gefehrt, fo war auch ſchon die Antwort des Pafcha da, 
der am nädften Morgen ihn mit Sonnenaufgang zu 
empfangen ſich bereit erflärte, noch am Abend ihm 
feine Mufif in’d Haus fandte, den Autoritäten der 
Stadt auftrug, ihn zu befuchen, und nod durd ans 
dere Ehrenbezeigungen feine geneigte Stimmung an 
ben Tag legte. Died gab Heren von Prokeſch ſchon 
Boden genug, um feinem Beſuch eine einleitende Ber» 
handlung vorauszufchiden. Er ließ daher dem Paſcha 


4 


— — — — — — 


in den freuudſchaftlichſten Ausdrücken fagen: Er rechne 
auf feine Achtung für die alte Sitte, die Feinem Frem⸗ 
den erlaube, durch einen Andern, als durch feinen 
Conſul bei dem Paſcha eingeführt zu werben. Er 
habe den: Eonful von Nazareth mit fih genommen, 
keinen Augenblick zweifelnd, daß der Pafcha das Gaft- 

recht, das er, der Fremde, auch auf den Eonful aug- 
dehne, achten werde. Abdallah nahm diefe Aeuße- 
rung gut auf, und erwiederte verbindlich: „Unter dem 
Schirme des Gefandten werde er auch dem Conſul 
erlauben, vor ihm zu erfcheinen.“ 

Mit Tagesanbruch waren alle Straßen mit Trup- 
pen garnirt, auf hundert Schritte vor dem Palafte 
begannen die Reihen verfchiedener Hofdiener in mannig⸗ 
faltigen, reichen Gewändern; am Thore warteten bö- 
here Offiziere und dedten die Stiege bis oben hinauf, 
wo man über eine Fleine blumengefchmücdte Terraffe 
in ein Kiöſchk trat. Da faß nun endlich der gefürch— 
tete Mann, von ftrahlenden Dienern umgeben, in einer 
Ede des niedrigen Divand, er felbft einfach gekleidet, 
aber Waffen mit Diamanten überfäet im Gürtel, an- 
dere dergleichen noch außerdem neben ihm auf Polftern 
liegend und ringe an den Wänden aufgeftellt. Es 
war ein funger fehöner Drientale, mit einem leiden- 
den Zuge im Geſichte, großen ſchwarzen, faft melan> 
choliſchen Augen. Er erhob fih freundlich und reichte 


A 


— 


Herrn von Prokeſch eine Roſe dar, wit ſauften und 
poetiſchen Worten der Begrüßung. Man ſetzte ſich; 
Kaffee und Pfeifen wurden gereicht. Die Diener ent⸗ 
fernten ſich nach einiger Zeit, und die Hauptperſonen 
blieben allein. Das Ergebniß, der mehrſtündigen 
Unterredbung war, daß Abdallahb Paſcha den Conſul 
wieder aufnahm, dad ihm genommene Geld fogleich 
zurüdftellen ließ, dem Begehren zu Gunften der Chri⸗ 
fien im heiligen Lande, der Pilger überhaupt und ing: 
befondere der Kaufleute genügte, und fi mit einer 
Milde und Feinheit benahm, ‚die mit dem Ruf feiner 
Härte, wie feinem frübern Benehmen, einen merf- 
würdigen. Gegenfaß bildeten, und deßhalb die frans 
zöfifchen Blätter fagen machte: es fihiene wirklich, als 
hätte nur Herr von Profefch es verftanden, dies wilde 
arabifhe Roß zu bändigen. 

Am Ausgange der Iangen Unterredung gab Ab⸗ 
dallah mit königlicher Munifizenz ſeinem Gaſte den 
Säbel, deſſen ich oben erwähnte, und der durch Reich⸗ 
thum und Schönheit der Arbeit, fo wie burd den 
Adel der Klinge früher würdig geweſen war, ein Ge⸗ 
fchenf des Sultans an den Mann zu feyn, der fall 
ganz Syrien unter feine Herrfchaft gebracht hatte, und 
für weit ausfehende Pläne der Pforte ein Wichtiger 
Stein im Spiele mar. 


— — — — — — — — ee — — — —— 


mem 


——. — 


Zurückgekommen nach dem Conſulate, drängten 
ſich nun alle Freunde des Conſuls heran, um ihm 
Glück zu feiner Wiedereinſetzung zu wünſchen; auch 
keiner ſeiner Gegner fehlte. Es war ein Kommen und 
Gehen, wie um Abrahams Zelt. Am nächſten Morgen 
aber mit Sonnenaufgang kündigten die Kanonen von 
den Wällen bie feierlihe Wiedererhebung der öfter: 
reihifchen Flagge in der Stadt an, in welder fie vor 
vielen Jahrhunderten gegründet worden war!; bie 
Kanonen des öfterreichiichen Fahrzeuges antworteten, 
und von ben Bergen von Nazareth fah die zahlreiche 
und fhöne Familie des Konfuls froh dem Schaufpiele 
zu, deſſen erfreuliche Bedeutung der Pafcha ihr ale 
ben Beweis ihrer geendeten Berbannung durch einen 
Eilboten hatte verfündigen laffen. 

Dies ift die eine Hälfte der Gefchichte, die an- 
dere, wie verfchieden! Drei Jahre darauf war der 
mächtige Abdallah von feinem mächtigeren Nachbar 
Mehemed Ali überwunden, die Wälle von Acre, die 
bem größten Feldherrn ber Zeit getrogt hatten, und 
dadurch dem Schickſale des Orients, vielleicht dem⸗ 
jenigen Europa’s, eine veranderte Richtung gegeben, 
lagen im Staub; Syrien bis an feine äußerften Grenzen 
war von den Aegyptern erobert, das Heer, bie 

1 Siepe die Gefchichte der Kreuzzüge. 








Diener Abdallah's, hatte der Tod oder die Flucht auf⸗ 
gerieben; der Paſcha felbft faß, ein Gefangener, auf 
der Inſel Ruda, bei Cairo! 

In dieſer Epoche wurde Herr von Prokeſch von 
feinem Hofe an Mehemed Ali geſendet, um im Ver⸗ 
eine mit Abgeorbneten anderer Mächte das ſiegreiche 
Schwerdt, vor dem ſchon der Sultan in feiner Haupts 
ftadt erzitterte, wieder in die Scheide zurüdzubringen. 
Der Friede wurde geſchloſſen; Syrien fiel an Mebes 
med Ali; ber Sultan aber — vergaß den unglüd- 
lichen Abdallah, der ſich für ihn geopfert hatte. Bald 
darauf ging Herr von Profefch von Alerandrien nad 
Cairo. Kaum dort angeflommen, erſchien bei eintre= 
tender Dunfelheit eines Abends mit jcheuen Schritten 
ein Bertrauter Abdallah’8 vor ihm, um eine Unter 
redung mit feinem Herrn flehentlich zu erbitten. Der 
ſtolze Fürft hatte ſich erboten, da er jest in Cairo 
frei ausgehen durfte, zu jeder Stunde zu erfcheinen, 
die Herr von Prokeſch ihm beftimmen würde; da aber 
diefer fo viel Demüthigung reſpektvoll abgelehnt und 
feinen eigenen Beſuch ftatt deffen angekündigt, erwar⸗ 
tete Abdallah, jest einfam und verlaffen, den zu ihm 
fommenden Fremden, ging ihm bis an die Hausflur 
entgegen und nannte ihn Bruder und Freund und eins 
zigen Netter. Er flehte nur um Berwendung in Kons 


— — —— — — 


ſtantinopel, damit er feine Freiheit wieder erlange. 
Nur darnach ſchmachtete er, und fürdtete ſtets Ver: 
rath und Tod, obgleih Mehemed Ati ihn mit großer 
Auszeichnung behandelte. Herr von Profefch, alle Flein- 
lichen Rüdfihten edefmüthig von ſich werfend, that 
ohne Zögern und auf eigene Gefahr die geeigneten 
Schritte, wiewohl mit geringer Hoffnung auf einen 
günfligen Erfolg. Doch ein glücklicher Zufall wollte, 
dag als der Anternuntius feine Depefchen empfing, 
fih eben der damals in Konftantinopel allnächtige 
Graf Drloff bei ihm befand. Der Internuntius, Freis 
berr von Stürmer, theilte den inhalt dem Grafen 
mit, und dieſer, fein Kanzleimann, ergriff die Sache 
mit Wärme, und begehrte bei feiner Abſchiedsaudienz 
die Befreiung Abdallah’s. Der Sultarı, vielleicht bes 
Ihämt, erft durd) des Fremden Mund an eine heilige 
Pflicht erinnert zu werden, ſchickte nun zur Auslöfung 
Abdallah’8 einen eigenen Abgeordneten an Mehemed 
Alt, welcher auch fogleih zugeftand, was man ver- 
langte. So erhielt durch einen ihm in der Zeit feiner 
Größe gewiß nur fehr unbedeutend erfcheinenden Mann, 
soll er ihn würdig behanbelt, Abdallah der Erde 
höchſtes Gut, die verlorene Freiheit mit dem geficher: 
ten Leben wieder, und genießt jest ruhig beider in 
Konftantinspel. Nur felten aber verflechten fich fp 





— — — — — 


anmuthig und mit ſo viel poetiſcher Gerechtigkeit die 
wunderſamen Fäbden eines unergründlichen Schickſals. 

Am Abend war für die Könige eine kleine Geſell⸗ 
ſchaft, nur aus Deutſchen beftebend, bei dem liebens— 
würdigen und Tebensheitern Greife, Herrn von Kobell, 
arrangirt worden, und Ihre Mafeftäten hatten gnä⸗ 
digſt auch meine und meines Sefretaird Einladung 
befohlen. So weit Ungenirtheit und freie Hingebung 
an das Bergnügen gemeinfamer Unterhaltung in ber 
Gegenwart jo hober Perfonen geftattet feyn fann, war 
gewiß bier mit Acht deutfiher Gemüthlichfeit beides 
überall erfichtlich und gern gefehen, und ich glaube, 
daß Reiner die Geſellſchaft ohne das Gefühl der ans 
genehmften Befriedigung verlaffen haben wird. Herr 
Aſcher erfreuete ung durch feine Virtuofität auf dem 
Diano, und Herr Berg, Direktor der hiefigen Schule, 
ein guter Sänger und höchſt Tiebenswürdiger Gefell 
fchafter, zeigte ein fehr ergögliches Talent im Bortrag 
fomifcher Gefänge, unter denen befonderd das Lied 
der neunundneunzig Schneider, welches in Berlin ver- 
boten ift, viel herzliches Gelächter erregte. Derfelbe 
Herr Berg deflamirte nachher — durd eine Vorrich⸗ 
tung, wo feine Arme ihm als Beine dienten, und ein 
verborgen hinter feinem Rüden Stehender die Geftis 
kulgtionen dazu Tieferte, durch eine offene Thüre und 


einen davor geftellten Tifch wie in Rahmen gefaßt — 
ale groteöfer Zwerg-mit viel Poffirlichleit den Hand⸗ 
ſchuh von Schiffer, und fpäter in anderer Maske, nicht 
weniger gewandt und Lachen erregend, die Glocke. Ich 
babe an diefem Deanne auch wieder ein Beifpiel ges 
feben, wie die heiterfte Kindlichfeit mit ausgebreitetem 
Wiffen, und namentlih aud mit einem feften Charafs 
ter, zufammenwohnen koͤnnen. Ueber den Erfolg, mit 
dem er feine Schule behandelte, hörte ich fpäterhin 
manches fehr Anzichende, ſah auch felbft, wie er die 
Kinder an ſich zu ziehen, zn leiten, zu unterrichten, 
und auf weldhe rührende Weife er für fie zu forgen 
verftand. Ja er entblödete fich nicht, für die Armen 
aus ihnen Kleider, Schuhe, Nahrung von Freunden 
und Befannten zufammenzufuchen, und von feiner ganz 
fargen eigenen Befoldung verwendete er dad Erjparte. 
geregelt für fie, wortlos und ohne allen Aufpuß. 
Außerdem bewunderte ich oft an Herrn Berg ein merfs 
würdiges Zeichnungstalent, eine erfinderiſche, höchſt 
poetifche, oft ungemein Taunige Feder, die ohne be= 
engende Schule mit wahrem Genie immer dad Rich⸗ 
tigfte trifft. Aber zurüd zu unferer Gefellfchaft. 
Später wurden auch ernftere Dinge trefflich vorges 
tragen. Inden Zwifchenaften herrichte ungezwungenes 
Geſpräch. Der König von Baiern, obgleich ſchon vor 


301 


ber Sonne auf und unermüdlich in Geſchäften, wie im 
Studium der Kunft, war äußerſt aufgelegt und heiter. 
Einmal fagte er mir foherzend, wenn ich mit den Welt: 
gängen fertig wäre und nad) dem Monde reiste, follte 
ich doch meinen erften Brief daher über München ber 
abfallen laffen. Ich proteftirte jedoch biergegen, aus 
Furcht, daß Niemand es der Mühe wertb balten 
möchte, den Brief aufzuheben, und ich fehr beforge, 
Seiner Majeftät Aufforderung zur Mondreije fey nur 
eine Reminiscenz aus dem Arioſt. Ich ſchlüge daher, 
feste ich hinzu, Fieber eine fromme Somnambüle zu 
diefem Zwede vor, deren ja fchon mehrere auf dem 
Monde fo gut befannt als in ihrer eigenen Schlafftube 
gewejen feyen. Merkwürdig war mir die Erzählung 
bes Tünftlichen Ertbebens, wie Seine Majeflät es 
nannte, das der König Türzlih in München bei der 
Erplofion des abfichtlich in die Luft gefprengten Pulver⸗ 
magazind erlebt Hatte. Ein toller Soldat war der 
Thäter, und hatte mit tragifchem Muthwillen noch meh⸗ 
rere feiner Cameraden zurüdzubalten gefucht, ihnen 
zweideutig fagend: „Bleibt nur noch ein wenig, wir 
geben dann Alle zufammen!” Sechs Mann wurden 
dad Opfer diefes blutigen Scherzed. Die Straßen 
Münchens, fagte der König, faben nachher aus wie 
mit Diamanten betreut, denn der größte Theil der 


302 


Sentterfcheiben Yag zerfchmettert auf den Steinen und 
flimmerte dort in der Sonne. Daſſelbe Loos traf die 
Fenſter der Pinakothek, doch wie Durch eine ſchützende 
Vorſicht ward keins der Gemälde beſchädigt. 
Nachdem Seine Majeſtät uns verlaſſen, und König 
DOtto allein zurückgeblieben war, demaskirte Herr von 
Kobell feine Konftantinopolitanifche Pfeifenbatterie, lau⸗ 
ter Gefchüße von 5 — 6 Fuß Länge mit Taloffalen 
Mundftüden aus dem reinften goldgelben Bernftein, 
und ein Fleines Tabadefollegium, wie in älterer deut— 
ſcher Zeit, ward etablirt. Auch meine maroffanifche 
Waffe dDiefer Art, Die mit ihren Silber- und .Gold- 
bebängen, Ketten und baroffen Ertremitäten einen 
Gegenftand allgemeiner Curioſität abgab, Hatte die 
Ehre, daran Theil zu nehmen, wozu id, ganz paſſend, 
von Afrika einige Auskunft geben mußte. Ich erzählte 
son der Willkür Der dortigen Gebieter im Gegenſatz 
zur Milde der unfrigenz; wie aber in Tunis die Sorge 
der Regierung für Erziehung mandmal noch weiter 
gehe als bei und, indem einft Hamudan Paſcha fogar 
einem Schulmeifter bei Todesftrafe: anbefohlen, wicht 
nur den Schulungen, fondern auc feinen Efel leſen 
zu lehren, ein Kunſtſtück, welches dieſer auch wirklich 
bewerkſtelligte und im öffentlichen Gerichtsſaal des Bey 
glorreich erwies. Der ſchlaue Schulmeiſter hatte dem 








— — 





Eſel viele Monde hindurch auf einem großen Exem⸗ 
plare des Korans zu freffen gegeben, das Futter ein- 
zen bald zwiſchen dieſe, bald jene Blätter fireuend, 
bis endlich Afinus ſich gewöhnt, um feine Nahrung 
aufzujuchen, die Blätter fo Tange mit großer Gravität 
umzudrehen, big er den Schag zwifchen ihnen aufges 
funden batte. Bei der entfcheidenden Seffion, wo fein 
Körnhen im heiligen Buche lag, war das arme Thier 
daher genöthigt, mit ungetheilter Aufmerffamfeit Alles 
zu durchſuchen und Blatt für Blatt vergebend umzu= 
fhlagen, was ihm fo vollfommen das Anjehen eines 
lefenden Profeſſors gab, dag felbft Hamudan, ftaunend 
und lachend, dem unerhörten Schaufpiel feinen Beis 
fall nicht verfagen fonnte. „Gut,“ fagte er jest, „wir 
ſahen deinen Efel in der That Iefen, Haffan, aber wir 
hörten nicht was er las. Befiehl ihm alfo, ſich deut 
licher vernehmen zu laſſen.“ O Herr, erwiederte Hafs 
fan, fih zur Erde werfend, welche Worte find Dir 
entfallen! Du geboteft mir, meinen Eſel Iefen zu 
lehren, und es ift gefchehen, aber nie fügteft Du den 
Befehl Hinzu, ihn auch fprechen zu machen. Syft aber 
dies Dein Wille, fo muß ich ihm gleichfalld genügen, 
doch brauche ich wenigfteng dreißig Jahre dazu, und 
flebe daher in Demuth um diefe Frifl. Hamudan aber 
ſtrich ſich Lächelnd den Bart, und fagte: „Du bift ein, 


304 


ſchlauer Kunde, und zum Schulmeifter zu gut, — drum 
fey fortan Wifir und der Erſte in meinem Nath.” 
Sp ward Haflan, den man nachher fpottweile des 
Eſels Sohn nannte, durch diefen tunefijcher Miniſter 
und geheimer Rath, ! 

Den ı6ten. 

Ein höchſt ungeftümer Wind mit unfäglichen Staub> 
wolfen plagt ung feit mehreren Tagen. Graf Arman- 
fperg, Fürft Kantafuzeno, meine Hauswirthin und 
viele andere Bekannte liegen an Fieberrüdfällen dar- 
nieder, und jeden Augenblit muß man leider ſelbſt 
‚erwarten, von diefer Landplage mit ergriffen zu wers 
den. Da indeß Niemand f:inem Schickſal entgeht, 
fo thue ich, was mir beliebt, und laffe den lieben Gott 
walten. Mash Allah! Auf die Gefahr einer Berfäl- 
tung bin unternahm ich daher anch heute, ungeachtet 
des widerlichen Wetters, einen langen artiftifchen Spas 
ziergang mit dem eben fo gelehrten als gefälligen 
Drofeffor Roß. 

Man wird von mir bier weder eine eigene, noch 
ausgefchrichene Abhandlung über Athens Alterthümer 
erwarten. Ich befeblige, wie man weiß, nur ein 

ı Diefer orientalifhde Schulmeifter muß eine Wahlver⸗ 


wandiſchaft mit Till Eulenfpiegel gehabt haben. 
Anmerk. des Herausgebers. 





305 


leichtes Streifforps und habe mit dem ſchweren Ges 
ſchütz nirgends etwas zu fchaffen. In diefem Sinne 
Tefe man alfo das Folgende. 

Mein gütiger Führer zeigte mir zuerft in feiner 
eigenen Behaufung einige merkwürdige, erft geftern 
beim Grundausgraben des neuen Palais gefundene, 
filberne Geräthe, beftebend aus einem eleganten achte 
eigen Käftchen mit Dedel, einem ägpyptifchen Siftrum 
und einer höchſt zierlichen Bafe. Alles war in ber 
Erde ſchön dunkelblau oridirt, was ein anweſender 
Chemifer für eine der größten Seltenheiten erflärte, 
von der bisher nur ein einziges Beifpiel vorfomme; 
als den Grund davon gab er an, daͤß dieß Silber 
auf eine Art mit andern Metallen verſetzt ſey, wie 
dergleichen jetzt nur in China noch üblich iſt. Wir 
begannen hiernächſt unſere Tour mit dem von Kimon, 
nicht lange vor dem Parthenon, erbauten Tempel des 
Theſeus, deſſen Erhaltung von weitem faſt vollſtändig 
ſcheint, denn keine Säule fehlt. Der Fries mit über 
die Hälfte heraustretenden Figuren, wie auch die Mes 
topen, find jedoch leider faft durchgängig verſtümmelt. 
Eigenthümlich ift es, daß nicht die ganze Neihe der 
Metopen ringe um den Tempel, fondern nur die zehn 
der öftlichen Fronte und nur Die vier nächften von ber 


Ede auf jeder der langen Seiten Scufpturen darbieten, 
Süröfl. Bilderſaal. IT. 29 


während alle übrigen dazu beftimmten Näume leer 
blieben. ' 

Das Innere des Tempels, dem man jebt ein 
proviforifches Dach gegeben, fo wie auch, Gott Lob! 
die Anhängfel entfernt, die ihn als chriſtliche Kirche 
eine Zeitlang verungierten, und den man, wenn Mittel 
vorhanden, mit Teichter Mühe (bis auf die Kunft in 
der Ausführung) in statu quo wieder herftellen könnte, 
— dient jetzt als eine Art Muſeum zur Aufbewahrung 
bes neu Ausgegrabenen. Schon außerhalb des Tempels 
fah ich einen völlig gut, erhaltenen römifchen Sarko⸗ 
phag (beim Bau der Münze entdedt) aufgeftellt, und 
daneben den Torfo einer alten Statüe, zu deren Fügen 
ein betrunfener Neugrieche, tief ſchlafend, Tag, ‚gleiche 
fam als räthfelhafter Sphynx vor den Pforten des 
modernen Muſeums. Ausgezeichnetes war in biefem 
nichts vorhanden. Am bemerkenswertheften fehienen 
mir mehrere bemalte Bafen, von .anfehnlicher Größe 
und graziöfer Form, die Farben eingebrannt wie auf 
den etrusfifchen, deren gleichen man bis jest nur auf 
der Inſel Santorin angetroffen bat; ferner eine noch 
in der erften Bearbeitung begriffene Statue aus dem 
Attelier eines alten Bildhauers, die den Neuern wills 
fommene Auffchlüffe über die Technik der Alten bei 
ihren Seulpturen zu geben im Stande feyn wird. 





37 


Der falte Stinem blied und, im vollfien Sinne 
des Werts, vom Thefeus- Tempel hinweg und nad 
dem Tempel der Winde felbft hin, einem halbvers 
f&ütteten Achted, auf deffen Spige ehmals ein Triton 
yon Bronze, mit einem Stabe in der Hand, anzeigte, 
welcher Wind regiere, und damit zugleich anf die 
fliegende, koloſſale Berförperung veffelben Windes 
hinwies, deren alle acht in hautrelief am Friefe ans 
gebracht und noch wohl erhalten find. Eine Waffer- 
leitung fteht mit dem Tempel in Berbindung, der im 
Alterthum in feinem Grunde eine Wafferuhr mit einem 
und jest unbefannten Mechanismus enthielt. Später 
pflegten auf derfelben Stelle am Boden bed Gebäudes 
die Derwifhe zu tanzen, und chriſtliche Mönche wer- 
den ihn wohl auch benugt haben. Denn fo folgen 
fih die Gudfaftenbilder für höhere Geifter fort und 
fort auf unferer närrifchen Erde. 

Nahe diefem Tempel war die Agora, wo heute 
noch 15 Fuß tief von Erde umfchloffene Säulen, wie 
Yerwunbert über bie neue Zeit, ihre Häupter aus dem 
Boden hervorſtrecken. Auch von dem borifchen Thor, 
das dem Plage zum Eingange diente, ift ber untere 
Theil verfehättet. Bor ibm fleht ein hoher Stein, von 
oben bis unten befchrieben mit einer, Zoll⸗ und Markt» 
gefege enthaltenden, Berordnung Hadrians. Etwas 


308 


feitwärts von bier feffelt das Auge eine fehr alte chriſt⸗ 
liche Kirche, die fpäter als Mofchee diente, durch ihr 
baroffes Aeußere; denn ihre Wände find ganz durch 
eingemauerte Bruchſtücke aus alten Zeiten bebedt. Ur- 
alte griehifhe Seulptur; eine reizende Figürchen 
aus den beften, fpätern Perioden; byzantinifche Unges 
heuer; gothiſche Anflänge, Alles Turdheinander ges 
mifcht,, liefern die feltfamfte Mufterharte; doch findet 
man leider jedes Fragment durch eingegrabene Kreuze 
verunftaltet, welche die Pfaffen, gleich ihrem angebornen 
Wappen, überall aufgedrüdt. In Athen wird Einem 
diefer heidnifche Auswuchs des Chriſtenthums, der, von 
Barbaren unterftügt, und vom Islam nur gleichartig 
abgelöst, hier fo viel Jahrhunderte lang an dem Herr: 
lichſten genagt und gefrefien, was das Alterthum hers 
vorgebracht, mehr noch ald an andern Orten zum 
Abſcheu — denn hier zerflörte er nur, und bradte in 
nichts, wie bei ung in Bau- und Malerfunft, ein 
neues organifches Ganze hervor, 

Das horagifche Monument des Tyfifrates, dieſer 
Suwel aller Architektur, ift auf Koften mehrerer Dis 
lettanten jest frei gegraben und kann in feiner voll 
endeten Lieblichfeit ganz genoffen werden. Es ift 
größtentheils erhalten, nur der Fries und die fchöne 
Blume mit ihren Ranken auf der Spite, welche den 
. Dreifuß trug, find unerfeglich beſchädigt. 





* 309 


Zum erfienmal flieg ich nun bei Tage nach ber 
Akropolis hinauf, zur nüchternen Unterfuchung nad 
dem poetifhen Nachtgenuß. Die fpäte Stunde, Wind 
und Kälte erlaubten jedoch nur einen kurzen Beſuch. 
Nah dem Plane des Profeffors Roß wird jest Alles 
dafelbft vorläufig nur aufgeräumt, jeder moderne Zu⸗ 
fag nad und nad abgebrochen, und das Alte, was 
man auffindet, ald Ergänzung des noch Beftehenden 
wieder eingefügt. Auf diefe Weife ift faft der ganze 
zierliche Eleine Tempel des Sieges, der auf der redh- 
ten Seite der Propyläen ftand, ſchon unter dem Schutt 
hervorgeholt und von neuem auf feinem frühern Plage 
aufgerichtet worden. Weld einen Anblid muß dieß 
den Göttern geweihte und ihrer würdige Ganze einft 
gewährt haben, mit feinem harmoniſchen Gewirr von 
Tempeln, Treppen, Säulen und Statüen jeder Art, 
im Slanze füdliher Sonne und in aller Pracht der 
Farben und Metalle! Denn daß faft fämmtliche Archie 
teftur reich und vollftändig bemalt'war, iſt jest außer 
"Zweifel gefest, und an vielen Fragmenten fonnten wir 
noch heute beutlich die verfchiedenen Farben entdeden. 
Selbft am berühmten Fries der Cella waren die Klei⸗ 
dungen der Figuren bunt, die Zügel der Pferde wie 
die Waffen der Reiter von Metal, und es ift nicht 
wahrfcheinlih, dag man hierzu die nadten Körpertbeile 


weiß gelaffen haben follte. Sch fand Bier auf das 
fchönfte meine Anfichten vom Gebrand der Sym- 
metrie beſtätigt, deren Tprannei die neuere Archi⸗ 
tektur fo kalt und hölzern gemacht hat. Die Alten 
vermieden die Steifheit der Symmetrie dadurch, daß 
fie faft immer in Gruppen bauten, fo daß, wenn aud 
bei einzelnen Gebäuden (wiewohl keineswegs bei allen, 
wie bier 3. B. das Erechtheum beweist) die Symmetrie 
beibehalten wurde, doch das ganze bargeitellte Bild 
immer, gleich den Werfen der Natur, unfpmmetriich, 
aber nichts deſto weniger barmonifch blieb. 

Die ſchönſte Ausficht von der Akropolis ift durch 
Die hohe Pforte des Parthenons, vom Opistkodromog 
auf das Meer und die Inſeln. Da wo man frei ſteht, 
bat dieſelbe Ausficht ſchon einen weit weniger origi⸗ 
nellen Charakter. Dean bedarf einer Erlaubnißfarte, 
um die Afropolis zu fehen, und dies wird fo fireng 
beobachtet, daß man vor einigen Tagen komiſcher 
‚Reife dem jungen König, ben ber Factionair nicht 
Ä Tannte, ben Einlaß verweigerte, weil er fein Bilfet 
vergeſſen hatte, wie er mir nachher ſelbſt lachend er⸗ 
zählte. Au der Gefellfhaft bed Profeffors Roß aber 
bat man dergleichen fo wenig zu befürchten, als wenn 
man von Minerva felbf in Mentors-Geftaft geführt 
würbe, und wir machten und die Freiheit gehörig zu 








3 


—— — 





Nutze. Zuletzt kleuerten wir noch eine Zeit laug auf 
dem Dache umber, wo ich für mein fentimentales 
Herbarium einige Blumen ber Erinnerung pflüdtes 
dann erft traten wir den Rüdweg an. Das Gymna⸗ 
ſium Hadriand und einige andere unbebeutendere Refte 
vergangener Zeit verdienen kaum der Erwähnung. 
Dagegen muß ich eines Fleinen Thurmes gedenken, . 
den Lord Elgin, als er das geplünderte Athen vers 
ließ, gleihfam um das Andenken an feine That zu 
verewigen, auf dem biefigen Marftplage erbauen Tieß. 
Sehr paſſend hat man ihn jest zum Gefängnig für 
Diebe beftimmt, deren wir einige oben hinter ben 
eifernen Kenfterftäben ftehen, und fie wüthend fchüttelnd, 
Verwünſchungen berabrufen hörten. Auf der Spige 
des Thurms ift an einer langen Stange ein Welter- 
hahn angebracht, 'den man, bis England großmüthig 
den Raub zurüdgibt, billig mit Lord Elgin's Portrait 
vertauſchen follte, Einige Reifende haben die Schäns 
dung des Parthenond vertheidigen wollen. Ich kann 
mit dieſen nicht übereinftiimmen, am wenigften als 
Kunftfreund. Hätte Lord Elgin das ganze Parthenon, 
wie ed war, nah England verfchiffen können, fo 
möchte er zu entfehufdigen feyn. Ein foldes Wert 
‘aber nur roh zu zerftören Chalb fo viel, ald man weg⸗ 
nahm, ward noch überdies nutzlos durch die Schwierig 


312% 


Seit der Dperation vernichtet), um den Raub nachher 
zu verlaufen, bleibt ewig unverzeihlich. 


Den ı7ten März. 

Ih habe in Malta zu viel von Diners geiprochen, 
um ber bhiefigen zu erwähnen; aber gern möchte ich 
jedes Geſpräch im Haufe des Herrn Profefch wieder: 
erzählen, fo reich ift die Unterhaltung dieſes ausge: 
zeichneten Mannes, der überdieg von allen mir be- 
fannten Europäern den Orient, dieſes beute fo intes 
reffante Thema, am beiten verfteht, wie er auf den 
ſchwierigſten Miſſionen dort mit glänzendem Erfolge 
genügte.! Dieſe mannigfaltigen Aufträge brachten ihn 
natürlih auch mit ben merfwürbigften Perfonen jener 
Länder in nahe Berührung, deren Charafteriftif von 
ihm zu hören äußerft belehrend iſt. Auf die Bitte des 
Präfidenten Capo d'Iſtria batte er es unter andern 
im Jahre 1828 übernommen, bei Ibrahim Paſcha den 
Austauſch gefangener Araber gegen griechifhe Sklavin— 
nen und Kinder zu negoziren, in Folge deffen er mit 
diefem Fürften in.ein fehr vertrautes Berhältnig Fam. 


ı Wer feine vortrefflihen Worte und neuerdings in der 
Allgemeinen Zeitung feinen tief gedachten Aufſatz, gegen vie 
naive Rede des. Herrn Lamartine in der franzöfiſchen Depus 
tirtenfammer gerichtet, gelefen hat, wird ſchon darnarh ver hier 
geäußerten Meinung vollkommen beiftimmen. 

| Anmerk. des Herausgebers. 


⸗ 








313 


Ibrahim mußte die erwähnten griechifchen Sclaven 
faR durchgängig mit Geld Iosfaufen und theuer bes 
zahlen, da er felbft nur wenig befaß. Obgleich er 
damals das Geld fehr nöthig anderwärts brauchte, 
zeigte er doch große Bereitwilligfeit, und benahm ſich 
in vielen fpecielen Fällen, die ich hies übergehen muß, 
auf bie nobelſte und humanfte Weife. Nach Tangem 
Verweilen im Lager ber Uegyptier reiste Herr von 
Prokeſch nah Smyrna, und dba er wußte, baß es 
Ibrahim zulegt an Wein gefehlt, den bie firenge Blo⸗ 
fade der hriftlichen Klotten nicht durchließ, weil bie 
chevalereske Liberalität, die man in Altern Kriegen 
bei folchen Gelegenheiten übte, heute nicht mehr flatts 
findet, fo fandte er ihm einige Kiften mit Bordeaurs 
wein durd ein neutrales öfterreichiiches Schiff, ihm 
dazu fihreibend, daß er feineswegs die Abficht Habe, 
dem mächtigen Sohne des Vicekönigs von Aegypten 
mit diefem Weine ein Gefchenf zu machen, fondern 
Ibrahim fchon willen werde, weldhe Art Handel zwi⸗ 
ſchen ihnen ſtattfinde und welche Bezahlung ihm die 
willfommenfte fey. Er bäte alfo, ihm einen Wechfel, 
in folder Münze zahlbar, auf feinen Bater in Ale⸗ 
zandrien auf Sicht auszuftellen, überlaffe aber bie 
Schäsung ihm ſelbſt. Sogleich fhidte der Dann, ber: 
uns fonft wohl oft ale ein roher Barbar erfchienen iſt, 


314 


mit großmüthiger Feinheit einen Wechſel auf feinen 
Bater an Herrn von, Prokeſch zurũck, worin er bes 
fannte, die Baluta für zwanzig Griechenſelaven ere 
halten zu haben, und den Bicefönig bat, eine gleiche 
Anzahl dem Ueberbringer oder an deffen Ordre fofort 
auszuliefern. Der Paſcha von Aegypten aber refpel- 
tirte, als Herr von Prokeſch nach Alexandrien fandte, 
nicht nur die Anweifung ohne Weigern, fondern ges 
ſtattete deſſen Beauftragten, dem öfterreichifchen Gene- 
ralconful Herrn Acerbi, fogar noch die eigene Auswahl. 

Bom Charakter der Mufelmänner auf ihren Glau⸗ 
ben übergebend, blätterten wir nachher im Storan, wo 
wir glei auf eine feltfame Stelle ‚fließen. Sie lautet 
folgendermaßen : 

„D ihr Schriftbefiger, überfchreitet bie Grenze 
eurer Religion nicht, und fpredht von Gott nur Wahre 
heit. Gewiß, Chriftus Jeſus, der Sohn Waria’s, ift 
ein Gefandter Gottes, ift Gottes menſchgewordenes 
Wort, ift Gottes Geiſt. Glaubt an ihn. Aber fagt 
"nicht: es find drei Götter. Enthaltet euch diefer Re⸗ 
densart..... es wird beffer. für euch ſeyn. Es if 
nur ein Gott. Fern fey es, daß er einen Sohn habe! 
Was im Himmel und auf der Erde ift, das ift Gottes 
Geſchöpf, und Gott braucht feinen Sohn, um ed zu 
beihägen, und Chriſtus ſelbſt iſt nicht fo hoffärtig, 


— mE mE — nnd 


daß er fi. weigern follle, Gottes Knecht zu feyn.“ 
— (Eine andere Lehre des Koran, die wir in vieler 
Hinſicht falſch beurteilen, it Die ber Vielweiberei. 
Es if wahr, der Koran geſteht einem Manne vier 
Frnuen zu, aber er regelt fireng ihre Gerechtſame. 


Der. Bormurf, daß er bie Frauen aus dem Parabiefe 


ausſchließe, iſt, wie ſo mander andere, nur Exflubung 
der Gegner. Er fagt vielmehr ausdruͤcklich: „Wer 
Butes tbut, er fey Mann oder Weib, ber wird 
in’8 Paradies eingehen.” Gr läßt au bie Ehe mit 
Ehriftinnen und Füdinnen zu, ohne gu verlangen, 
Daß fie ihre Religion ändern follen, und 
Pricht überhaupt eine merfwärbige Toleranz aus, 
welche nur der türkiſche Geift in das Begentheil ver- 
kehrt Hat. Dahin gehört der großartige Sag: „Einem 
jeben Volke haben wir eine Religion gegeben (fpricht 
Gott) und einen offenen Weg. Hätte ed Gott belisht, 
fo hätte er aus. euch, ihr Bölfer alle, ein Boll ges 
macht. So Hat er vuch aber durch verfchiedene Ges 
fege (Religionen) von einander unterschieden, um eines 
Zeven Gehorſam gegen bad ihm genffenbarte Geſetz 
zn prüfen. Gehet alſo, jeder auf feiner Bahn, vor. 
wärts, und ſuchet euh an guten Werfen 
zu übertreffen. Alle werbet ihr ein zu 
Gott zurüdtehren, und dann wird er euch 


bie Punkte aufflären, über welde ſich eure 
Einfihten nicht haben vereinigen können.“ 
Dieſer Sat if fo ganz Friede, fo erhaben über 
die Leidenfchaften der Menfchen und Völker, fo tief in 
Erfahrung und Kenntnig, dag Taum Größeres und 
Srömmeres auf Erden gefagt worden if. Aber es 
ging Muhammeds Lehre wie ber Chrifti. Beide ent 
fernten fich ſchnell von ihrer urfprünglichen Reinheit 
durch die Böfen, welche fih nur fromm anftellten; ja, 
dag Muhammed felbft, bei feinen weltlichen Abfichten, 
ben Lehren des von ihm Fompilirten heiligen Buches 
nicht immer folgte, kann ebenfalld nicht geläugnet wer⸗ 
den, und die Statthalter Chrifti haben diefem Beifpiel 
nicht minder gefolgt. 

Nach dem Koran fchenkten wir aud den heiligen 
Büchern der alten Perfer, dem Zend Avefta (das les 
bendige Wort) bes Zoroafter einige Zeit. Es war bie 
franzöfifche Ueberfegung bes Anquetil du Perron, bie 
wir vor und hatten. Sie beginnt mit der Schilderung 
ber Reife, die dieſer fehr verdienſtvolle und muthige 
Mann um die Mitte des vorigen Jahrhunderts burch 
Indien mit Gefahren aller Art, mit Mangel, Armuth, 
Undanf, Krieg, Hochmuth und Gemeinheit kämpfend, 
machte, einzig, um fein Baterland, das ſich nichts 
darum befümmerte, mit diefen in Europa bis bahin 


17 





unbelannten Büchern zu befchenten. „Wo ein Menſch 
betet, neigt euch mit Ehrfurdt,” denn jeder Aufſchwung 
zum Himmel ift Balfam für die Seele. Alſo verdient 
auch jedes Religionsſyſtem an fih ſchon, daß wir es 
mit gerechtem und geweihtem Gemüthe betrachten. Was 
durch Zahrtaufende von Millionen und Millionen ges 
glaubt und geübt wurde, kann nur der Hochmuth der. 
Unwiffenheit ohne Unterfuchung, ohne Achtung von 
Haus aus, verwerfen. Die Religion des Zoroafter 
im fechsten Jahrhundert vor Chrifto, in dem Gebuͤrgs⸗ 
rande zwiichen dem fchwarzen und Taspifchen Meere 
gegründet, verbreitete ſich über einen Landftrich, größer 
als Europa, nämlich über alle Länder zwifchen bem 
Kaufafus, dem Euphrat, Mittel- Indien und China. 
Sie ging zeitweife über dieſe Grenze hinaus, fo 3.82. 
bis an’s Mittelmeer und nad Aegypten, als biefe 
Länder unter perfifche Herrfchaft Famen. Sie begann 
mit Frieden und endigte mit Krieg, wie alle andern: 
fie war erft verfolgt, dann verfolgend, und erftarb 
mit dem Umſturz des Reichs der Saflaniden durch Die 
Muhammedaner, denn feit diefer Zeit irren die An⸗ 
bänger berfelben im Innern von Aften und Indien 
umber, ganz wie die Juden in Europa, ftreng ihren 
Geſetzen ergeben, und auf deſſen allgemeine Herrfchaft 
immer noch hoffend. 


318 


— — — — — 


Höchſt merkwürdig iſt die Menge von Lehren in 
biefer Religion, welche mit ben chriſtlichen ganz über⸗ 
einflimmen und bie mofaifchen versollfommnen. Der 
große Say der Einheit Gottes ſteht in dem Syfiem 
Zoroaſters zu oberſt; er nennt dieſen Gott „bie Zeit 
ohne Ende”, die Ewigkeit, oder das, was if, war 
und feyn wird von Ewigfeit zu Ewigkeit. Er ift der 
Shöyfer. Das Wort ging jedem Gefdhaffenen vor⸗ 
aus; denn dur das Wort entftand die Schöpfung 
(gerade fo fagt Johannes — Ev. Kay. L Bers 1 — 
Am Anfang war das Wort 20.) Zwei Primipe — 
Kräfte — theilen fih in die Schöpfung: das Gute 
and das Böfe, und nun fommt genau unfere Tehre von 
Erzengeln, Engeln, Schugengeln, Heiligen, von Teu⸗ 
fefn und von dem fortwährenden Kampfe der Böen 
gegen die Guten; die Lehre vom Sündenfall; vom 
Gegefeuer, von der Hölle und vom Himmel, vom 
füngften Gericht, von ber Unfterblichleit der Seele, 
son der Auferfiehung des Leibes, von Strafe und Lohn 
nach dem Tode. Gerechter als wir läßt aber. Zoroaſter 
zulegt die Höfe überwunden werden; die ſcheußliche 
Lehre Der ewigen Verdammniß kennt er nicht. Die 
"Teufel ſelbſt lehren zu Gott zurück und alle Geſchöpfe, 
nachdem fie durch verſchiedene Grade von Reinigung 
gegangen, opfern zulegt auf demſelben Altar bem 


Einen, Ewigen und Höchften — ihrem Schöpfer. Was 
wich am vorzüglichfien in biefer Lehre anſpricht, iM 
Deren Anpaffung an die Naturgefege. Mir if Dies 
der Maßſtab ber Werthſchätzung für jede 
Einrihtung auf Erden. Mit größter Weisheit 
find eine Menge Gefundheitssorfchriften zu Religions⸗ 
gefegen gemacht, wie dies auch in der moſaiſchen Res 
ligion bemerkt wird. Der Genuß vieler Dinge ift vers 
boten; wieder andere, ſogar verbienftliche Wafchungen 
und Reinigungen, werden in Menge anempfohlen, bie 
in allen neuern Religionen zum Nachtheil des Körpers 
und der Seele übergangen find; ferner eine bis in's 
Kleinfte gehende Sorgfalt für Reinlichfeit der Waſſer, 
der Wohnungen, ber Kleider, der Körper, ‚der Ges 
räthe, und firenge Strafen verorbnet gegen Alles, 
was den Körper ſchwächt, gegen Mißbräuche der Kräfte 
u. ſ. w. Das Faſten iſt nicht nur nicht verdienſtlich, 
ſondern auch verboten; denn Zoroaſter ſagt: ein ge⸗ 
ſunder, ſtarker, gut genährter Körper iſt geeigneter 
zur Uebung des Guten und zum Kampfe gegen das 
Böſe; man ehrt alſo Gott, indem man ſich gut naͤhrt. 
Ich behaupte, daß dies wohlthätige Wort ſchon allein 
beweist, welch ein geſunder Geiſt Jorvafter ſelbſt war, 
obgleich man viel Darüber witzeln und es ale ein paſſen⸗ 
des Motto für den Almanac des Gourmands ausgeben 


könnte, aber die Wahrheit Tiegt Doch darin; denn das 
Elend, welches gute Ko und Kleidung entbehrt, ges 
biert die meiſten Verbrechen, und die epidemifchen 
Krankheiten raffen immer in dreifacdher Zahl die Mans 
gel Leidenden hin. Doc man höre weiter. Den Werth 
bes Menfchen Iegt Zoroafter in Die Reinheit der 
Gedanken, Worte und Handlungen, und er 
trennt diefe drei Maßſtäbe nie. Er breitet feine Hand 
auch über alle nüslichen Thiere aus, ja ſelbſt über 
bie Pflanzenwelt; einen Baum begiegen, eine Blume 
pflegen, ein nügliches Thier nähren, fichern, ihm bei⸗ 
fpringen, wenn es verwundet ift oder leidet, es reini- 
gen und beffen Bermehrung veranlaffen — find gute 
Werke! Den Boden bebauen, unfruchtbaren Grund 
fruchtbar machen, Getreide pflanzen, Inſekten und 
ſchädliche Thiere tödten, iſt fo verdienſtlich, als 
hätte man zehntauſend Gebete gebetet. — 
Kann es eine fchönere, göttlich = menfchlihere Lehre 
geben? — So Etwas Iehrt Doch aud von ber Kanzel, 
ihr Schriftgelehrten! Ich gebe fünfzig eurer beſten 
Predigtbücher darum bin. Getreide zurüdhalten, um 
zu gewinnen durch Fünftlich erzeugte Noth, ift ein Ver⸗ 
brechen fo großer Art, dag alle Seufzer und Thränen 
der Noth verzehnfacht auf Rechnung dieſes Wuchers 
fallen. Heirath ift heilige Pflicht, und Fruchtbarkeit 





321 


des Weibes höchfter Schmud. Eine große Zahl Kinder 
ift den Eltern Ehre und Bortheil. „Kinder find eine 
Brüde zum Himmel!” Der Priefter, der feine Kin- 
der bat, darf fein Gebet für Andere verrichten, denn 
der Himmel bezeichnet ihn als in Ungnade;! daher 
‚der fromme Gebrauch, Kinder Anderer ſelbſt an Kindes⸗ 
ftatk anzunehmen; ſich aus Liebe zu einem Freunde, 
den der Tod überrafchte, bevor er vermählt war, in 
feinem Namen zu vermählen und das erſte Kind mit 
feinem Ramen zu bezeichnen, und eine Menge anderer 
Gebräuche, alle im Geifte jenes Heiles, Das ung die 
Natur auf Millionen Wegen offenbart, begründet. 

Als fi) das Geſpräch von hier weiter, vergleiches 
weife, auf bie verfdhiedenen neueren Kulten wandte, 
erzählte Jemand, bie hiefige Fatholifche Kirche ſey fo 
arm, daß neulih bei Transportirung des Allerhei⸗ 
ligften der Priefter in Ermangelung eines Baldachins 
ſich ſtatt deſſen eines alten Regenſchirms bediente, eine 
Prozeſſion, die mit dem übrigen Athen in wunders 
vollem Einklange fteht. 

Sic transit gloria mundi! Das neugeborene Grie⸗ 
chenland bettelt neben dem ſterbenden Katholizismus! 


ı Dies foheint hart, und doch ift eine tiefe Wahrheit darin. 
Der Kinderloſe ift vielleicht nicht direkt fuldig, aber in Un 
gnade ift er wirklich. 

Euvöftl. Bilderfaal. II. 21 


Den 18ten März. 

Da der Fürft Demeirius noch am Fieber Seidet, 
jo hatte heute fein Bruder Alerander die Gefälligkeit, 
mid auf meinem Bormittags-Spazierritt zu begleiten. 
Wir durchſchnitten zuerſt den Keramifus innerhalb and 
außerhalb der alten Mauer, und bejahen mehrere 
wohlgehaltene Fruchtgärten im Dlivenwalde bei Pa⸗ 
riſſia, der auf dieſer Seite weit frifcher ald nach dem 
Pyraͤus zu, aber auch dafür mit aria cattiva vreichlich 
gefihwängert if. Zwilchen Lehmmauern, über die 
blühende Mandels und Pfirfihbäume hervorragten, 
famen wir auf engem labyrinthiſchen Pfade endlich 
bei der Stelle an, wo Plato’8 Akademie geftanden 
haben muß, obgleich Feine Ruinen mehr vorhanden 
find, um fie genauer anzuzeigen, und auch nichts ben 
lieblichen Hainen Aehnliches mehr eriftirt, in denen, 
mit feinen Schülern auf- und abgebend, der Philoſoph 
zu lehren pflegte. Wir erſtiegen dann den Heinen fleis 
nigen Hügel von Kolonos, berühmt duch den Debiz 
bes Sophokles. Hier hat man eine fehr fchöne Ans 
fiht der Akropolis und ‚ganz Athens, deren Barder- 
grund heute ererzivende Soldaten bildeten, lauter 
baierifhe Griechen, die laut griehifh, und wenn es 
nicht gehen wollte, heimlich deutfch, mit Zugabe einiger 
yaterländifchen Flüche, kommandirt wurden. Zn feinem 


⸗ 





323 


Eifer fiel der Oberſt fogar vom Pferde, welches wir 
nachher das Verdienſt hatten aufzufangen. Eine Ras 
nonade begleitete dieſes Manöver, jedoch nicht milts 
tairifher Art, fondern nur vom Sprengen ber nahen 
Felſen berrührend. Bei dem Abzug der Türken Faufte 
ein junger Architekt diefe pittoresfen Felfenberge in 
der Nähe der Stadt für ein Spottgeld, und bezieht 
jest, wie man fagt, bloß vom Verkauf der Steine 
eine monatliche Revenüe von einigen hundert Colo⸗ 
naten. Es ift fehr zu bedauern, daß bei diefer indu⸗ 
ſtriellen Operation auch eine antike in den Stein 
gehauene Treppe, und eine ber Afteftlen an der Felſen— 
wand befindfihen Inſchriften mit in die Luft fliegen 
mußten. Selbft an dem gebeiligten Lykabettus hatte 
man ſchon Pulverminen gelegt, doch bier griff dag 
Gouvernement mit einem Berbote ein, was ich fhon 
einigemale als deſpotiſch tadeln hörte, obgleich es mir 
eben fo lobenswerth als billig erfcheint.! Hinter dem 
Lyfabettus, an dem Weg nad dem Pentelifon, befuch- 
ten wir die Fleine Billa des Herren v. Catacazy. Sie 
macht einen fehr freundlichen Eindrud, und wir er- 
gögten und, durch die rothen und gelben Scheiben ber 

ı Diefer Berg wurde lange Anchesmos genannt, bis ein 


däniſcher Profeffor feinen wahren Namen bewies. Welcher 
Berg aber mın ver Anchesmos war, weiß Niemand. 


324 


Salonthüren die Gegend zu betrachten, welche im 
Schein des gelben Glafed eine Landſchaft aus ber 
Sonne felbft, und bei dem rothen den Widerfchein des 
im Brand aufgehenden Erdplaneten darzuftellen ſchienen. 

In die Stadt zurüdgefehrt, fand ich meinen Pla 
bei Tiſche zwifchen zwei intereſſanten Perfonen: dem 
Sohne des unglüdlihen Marfhall Ney — ein junger 
Mann von biederem, gewinnenden Ausdrud — und 
ber reizenden, jugendlichen Frau von Lagrene, deren 
Heirathögefhichte einen fehr hübſchen Roman abgeben 
könnte. Selten wird ein junges Mädchen fo viel 
Ausdauer, Entfagung und Charakterſtärke zeigen, als 
fie dabei an den Tag legte. So etwas aber erfreut 
mid) immer in den höheren Ständen, befonders bei 
einer Hofdame, und noch obendrein einer rufjifchen. 
Uebrigeng habe ich mid) durch die mir gemachte Er⸗ 
zählung dieſer intereſſanten Begebenheit überzeugt, 
daß der ruſſiſche Adel, trotz ſeiner ſelaviſchen Ver— 
faſſung, doch noch ein merkwürdiges Gefühl unab⸗ 
hängiger Selbſtſtändigkeit im innerſten Herzen nährt. 

‚Den 20ten März. | 

Heute Abend war bie erſte große Affembiee im 
Haufe des bisher am Fieber leidenden Staatskanzlers. 
Die Könige beehrten fie mit ihrer Gegenwart, und fie 
hatte durchaus ein ſtattliches Anfehen, ſehr gehoben 








— — — — 


noch durch die vielen glänzenden Nationalcoſtüme, 
welche zum Theil von berühmten Männern getragen 
wurden. Hier ſah ich zum erſtenmal Kolokotroni und 
Nikitas „den Türkenfreſſer.“ Den erſten hatte ich mir 
ganz anders vorgeftelltz er iſt für fein Alter gut fon- 
fervirt, ſtark und did, einfach, ja vernadhläßigt in 
Haltung und Kleidung, aber mit einem Ausdrud von 
Kraft und Gutmüthigfeit gemifcht, der feinem negli- 
girten Wefen gut anfteht, und gewiß bei jedem Un- 
parteiifchen Wohlwollen für ihn gewinnt. Der allge- 
meinen Stimme nad) war er in der unglücklichen Zeit 
der Regentfchaft dad Opfer einer ſchlechten Intrigue, 
und bei feinem großen Einfluß in Morea Tann das 
Gouvernement fih nur gratuliren, ihn jeßt aufrichtig 
auf feiner Seite zu fehen. Er war der glüdlichfte und 
zugleich der vorfichtigfte der Feldherren der Griechen, 
und fonderbarerweife bei den brillanteſten feiner Af- 
fairen gewoͤhnlich ſelbſt nicht auf dem Echlachtfelde 
gegenwärtig. Nifitas ift ein Mann von Eifen, mit 
noch gutmüthigeren Zügen als Kolofotroni, dem aber 
die europäifche Oberfl-Uniform gar nicht gerecht werben 
voll. Diefer nun bezahlte immer mehr als nöthig 
mit feiner Perſon. Man fagt, daß er bei der Ueber⸗ 
fallung Dramali’d (die Kolokotroni angeordnet, ohne 
dabei zu ſeyn) mit eigener Hand über 70 Türken er⸗ 


8 


legt Babe. Herr Prafafalis, der auch bei dieſer 
Affaire zugegen war, erzählte mir fpäter, daß man 
Nikita's Hand mit fammt dem Säbelgriff in warmes 
Waffer habe tauchen müffen, weil er die Frampfhaft 
gefchloffenen Finger nicht bavon loszumachen im Stande 
war. Prächtig waren, wie gewöhnlich, die Adjutanten 
des Königs in der himmelblauen mit Silber bebediten 
Uniform, wie mehrere Chefs ber neuerrichteten grie- 
hifchen Phalanı. Bemerfenswerth erfchien mir außer- 
dem noch der Marineminifter Kriezis, einer der See⸗ 
beiden der Revolution, deffen Ausfehen ganz der 
Bravour entfpricht, Durch die er fih fo vielfach aus- 
gezeichnet bat; ferner Sfuffo, der gefürdhtete Redalk⸗ 
teur des Sauveur, den beide Monarden ausgezeichnet 
gnädig behandelten und offenbar dadurch zu gewinnen 
fuhten, ein Dann von Geift und ſcharfen Zügen; der 
Staatsrath Aenian, welcher einer der geſchickeſten 
Arbeiter und ausgezeichnetfien Redner Griechenlands 
feyn fol, obgleich fein Aeußeres ohne Zweifel das 
unanfehnfichfte in der ganzen Geſellſchaft war; Maus 
romichalis endlich, der Bruder desienigen, der Capo 
de Iſtria gemorbet, von verwegenem Ausfehen, in glän- 
zender Kleidung Fed: Daher fehreitend, vornehm und 
ſtolz, das echte Bild eines mainstischen Häuptlings. 
Griechiſche, deutſche und italienische Muſik wech⸗ 








fette mit einander ab; nur wenige Spieltiſche in ven 
Nebruſtuben waren befegt und in dem großen Saal 
ward Gercle um die Monarchen gemacht, die in den 
Jwiſchenakten der Duft fa Jedem etwas Verbind⸗ 
liches zu ſagen wußten. Unter den jungen Damen 
zeichneten ſich vor allen die ſchöne Frau von Prokeſch 
und die liebliche Tochter des Haufes, die Fürſtin De; 
mitri Kantafuzeno, aus, unter den Matronen aber bie 
Wirthin ſelbſt, weiche ihren Rang mit vieler Würbe 
repräfentirte. Mehrere Damen bed dipfomatifchen 
Corps biieben abwefend (gewiß ein großer Verluſt 
für die Geſellſchaft), und die liebenswürdige Lady 
Lyons — wahrſcheinlich um zu zeigen, daß fir, troß 
ihrer europäifhen Bildung, doch eine echte Eng⸗ 
länderin geblieben ſey — war nur deßhalb nicht ges 
fommen, weil ed Sonntag war. — Die Sünde wäre 
zu groß gewefen! 
Den 2ıflen Bar. 
Beim Frühſtück fiel mie eine deutſche Recenflon 
des „Semilaſſo in Frankreich“ in die Hände, die mir 
fo fchtef nnd ungerecht ſchien, daB ih den Handſchuh 
für den Berfaffer des Buches aufzaheben Luft fühle. 
Die Resenfion bezog fih, wie ich bemerkte, noch auf: 
mehrere andere Kritifen,. Die wahrſcheinlich alle dem 
Autor. ſelbſt, wo er auch jetzt weiten mag, eben ſo 


unbefannt geblieben find, wie: den Sübfee-Infulanern 
unfere Beichreibungen derfelben. Sonft würde er zu 


feinem Nuten daraus erfehen haben, wie ſchwer man 
es allen Leuten recht zu machen im Stande iſt! Den 


Berftorbenen tadelte man als boshaft; den Semilaffo 
ald zu banal und fomplimentenreich; ja NRecenfent 
findet nun fogar einen feltfamen Widerfpruc darin, 
daß dort die englifche Ariftofratie angegriffen und hier 
ber. frangöfifche Bürgerfönig mit Enthuſiasmus gelobt 
worden ſey — eine Bemerkung oder vielleicht eine 
feine Ironie, deren tiefen Sinn id nicht klar genug 


zu ergründen vermag — denn was haben beide mit 


einander gemein? Aber eben diefer Mangel an Tiefe 
ift mein eigener, wie er auch Semilaffo’s Fehler ſeyn 


fol. Sein Buch wird Teihte Waare genannt (ehr. 


mit Necht, da fchwerfällige zu geben wahrfcheinlich 
nie feine Abfiht war). Doc der billigere Lefer möge 
felbft entfcheiden. Der Autor fehreibt in feinem erften 
Driefe aus Paris, daß er nur einen flüchtigen Auf- 
enthalt weniger Wochen in jener Hauptftabt gemadht, 
und auch nur flüchtige Bemerkungen darüber zu er: 
theilen im Stande fey. Demungeachtet tabelt Re⸗ 
cenfent — gewohnt vielleiht, ein Buch fchon zu 


beurtbeilen, wenn er auch nur ſechs Blätter davon 
überflogen, und folglich auch von einem Reiſenden 








— 


erwartend, daß er nach vierzehntägigtm Aufenthalt in 
der Haupiſtadt eined Landes über die Nation, bie 
verborgenen Motive ihrer Handlungen und den Cha⸗ 
after ihrer großen Männer erichöpfende Auskunft geben 
folle — Recenfent tabelt alfo, fage ich, bitter: „Daß 
son dem ungeheuern Ernfte der franzöfifchen Gefchichte 
feit 40 Jahren” — (höhere Geifter eines andern Pla- 
neten Eönnten leicht diefen ungeheuern Eruft ungeheuer 
ſpaßhaft finden) — Feine Spur in Semilaffo’s Briefen 
ſich vorfände, noch etwas von der verworrenen Tiefe 
jenes Herenfeffeld vor ung auffteige, in welchem 
Alles wild durcheinander geworfen wird, um die 
wahre Mifchung zu finden, aus der der Trank des 
neuen Lebens gebraut werden foll u. f. w. u. f. w.“ 
Mit diefem Bombaft wird der Mangel an Tiefe — 
ob auch verworrener, oder gar auffteigender, wie bie 
des Recenfenten ift, wird nicht ausdrücklich angegeben, 
— im Buche Semilaſſo's beflagt, was ungefähr eben 
fo viel fagen will, ald wenn fid) Jemand nicht zus 
frieden darüber geben Fönnte, daß der Schmetterling 
nicht zugleich ein Elephant ſey! 
Veberbaupt ift e8 aber mit biefer modernen deut⸗ 
ſchen Tiefe oft eine eigene Sache. — Die Herren 
ſchreiben fo tief, daß man nicht ſelten noch tiefer dar 
über einſchläft, oder faller Einem gar unter den Hän⸗ 


den fo tief in den feldft gegrabenen Brunnen, daß 
man in beffen trübem Waffer den langbeinigen Ger- 
manen nur noch wie einen Froſch in unerreichhar 
büfßterer Kerne galvanifch zappeln fieht, nachdem er 
den Geift ſchon lange vorher aufgegeben. ch glaube, 
der genügfame Tefer begleitet und Tieber auf der blü⸗ 
benden, fonnerhellten Oberfläche; gelüſtet es ihm 
aber, wenn auch mit Gefahr einer gelegentlichen Ver⸗ 
fhüttung, in bie dunkleren Schachten einzufahren, fo 
überlaffe ich ihn eben fo gern, und ohne alle Eifer: 
fucht, dem grundlos tiefften alfer Kritifer unferer va- 
terländifchen Journale, 

In dem erwähnten Aufja wird auch eines ges 
wiffen Wiebrandt oder Wiebarg gedacht, der bieh- 
mal nicht dem Semilaffo, fondern „mir perſönlich 
eine: barte Rede über meine Standesvorur 
theile gehalten haben fol.“ Ich bin leider fo Tange 
ſchon der deutfchen Literatur entfrembet, dag ich von 
diefem großen Manne zum erftenmal hier etwas er- 
fahre, aber ich will aus fhuldigem Reſpekt für ihn 
einmal das loſe Bifir abnehmen — wobei ich je- 
doch auf feine Diskretion rechne, daß ed ganz unter 
ang bleibt — und, flat in des Herren von Rofenbergs 
Text fortzufahren, Hier von mir ſelbſt ſprechen. Wenn 
mich mun dieſer Herr. Wiedbarg von Angefiiht zu An⸗ 


21 





geficht exbliden könnte und perfönlih kennen lernte, 
würde er bald inne werben, daß er fih, was mid 
betrifft, alle Mübe „ber harten Reber hätte er⸗ 
fparen können, denn, und felbft wider Willen fogar, 
würde er fih dann bald überzeugen müffen, daß ich 
vielleicht noch weniger Werth als er ſelbſt auf dieſe 
von ihm berührte Auszeichnung bes Zufalls fege. 
Schon die Erfahrung bätte mich Yon ſolchem 
Wahne heilen müflen, denn was man „vornehm“ 
nennt, war ich von Geburt,‘ und dennoch blieb ich 
überfeben in ber Menge. Ich reiste auch damals 
ſchon in der Welt umher, und mit berfelben, ja leider 
noch viel jugendlicheren,, folglich anziehenderen Perfoͤn⸗ 
lichkeit wie jetzt; Doch nad) erzeigter, nicht zu umgebendber 
ſchuldiger Höflichkeit frug Niemand weiter nad) mir. 
Da ward ich, ich weiß felbft nicht wie, ganz zufällig 
und verfhämt, ein Autor. Bon diefem Moment an 
hätte ich glauben. mögen, daß mit mir und der Welt 
eine Revolution vorgegangen fey. Auszeichnung be— 
gegnete mir überall; — wo ich hinfam, ward ich, fo 
zu fagen, auf Händen getragen, und von ben Herr⸗ 
fchern bis zum Bolke hinab (und dies Legtere ift viel⸗ 
feicht das Schmeichelhafteſte) in mehr als einem Welt⸗ 
theif mit der wohlwollendfien Berüdfichtigung und 
auf die ehrenvollſſe Weife empfangen und hervorge⸗ 


x 


BEE... 

hoben. Wenn ich auch nicht mit Lord Byron fagen 
kanns „Ich Tegte mich unbelannt zu Bett, und fland 
als ein berühmter Mann wieder auf,” fo ging doc, 
anf niedberer Stufe, wirflih etwas Aehnliches mit 
mir vor. Denn der überfehene nichts bedeutende Graf 
und Fürft fuchte an jedem Ubend fein Lager ignos 
rirt und oft verfannt, — der Schrififteller erhob fich 
am Morgen, von Alfen begrüßt, und — bei weitem 
der fchönfte Preis — von Vielen geliebt. — 

Welchem Umftand aber habe ich dies zu verbans 
fen? Nicht meinem vornehmen Namen, wie wir 
geſehen, eben fo wenig meinem ſchwachen Talent, in 
dem Hunderte mid, übertreffen. Nein, der Grund tft 
ber, daß in Diefer großen, heutigen Welt des Trugs 
und Selbftbetruge — ich vielleiht einer der Wahr⸗ 
fen geblieben bin; dag ich den moraliſchen Muth 
und bie innere Freiheit befiße, mich wirklich ganz und 
vollſtändig fo zu geben, wie ich bin, wenn feine in- 
tereffante, Doch eine Achte Individualität, und wenn 
ich eine Maske vornehme, Died immer nur eine ſcher⸗ 
gende ift, nie eine foldhe, die zu täuſchen beabfichtigt. 
Dies bat das Publikum mit feinem ſtets richtigen 
Takte gefühlt, und deßhalb bin ich ihm werth 
geworden. 

Achte Wahrhaftigfeit Tiegt aber nicht ſowohl in 


der nad) außen gerichteten, im Urtheil über Dinge, 
benn bier bleibt alle Wahrheit relativ, ald in ber 
innern, der des Charafterg, ja in diefer Hinficht kann 
fogar das Wahre Lüge, und die Lüge Wahrheit wer, . 
den. Wenn Münchhaufen Wahrheit fpricht, wird er erſt 
unwahr, und ein folcher fchlecht aufgemwärmter Münch⸗ 
haufen ift der Lügengeiſt unferer Zeit. Diefe ewige 
Lüge befteht in unferer fortwährenden künſtlichen Bers 
ftellung, welde die Sitten bei und ſchon zur andern 
Natur gemacht haben; in einer allgemeinen falfchen 
Scham, fi) zu zeigen, wie und was man if, wo⸗ 
durch alle geſunde Kräftigkeit ber Seele gebrocden 
wird, Wir haben einen großen Theil unferer Reli- 
gionsformen überlebt, und geben und doch nod) immer 
forgfältig das Anfehen, als hielten wir das Todte 
noch für lebend, als feyen wir wirklich noch Katho⸗ 
lifen, Proteftanten der Augsburg'ſchen Eonfeffion u; ſ. w., 
ganz allein des Anftands halber! Wir find nicht um 
ein Jota im Herzen fittlicher ald in andern moderaten 
Zeiten, fielen uns aber äußerlich ängſtlicher als je 
fo an — nur um des Deforumsd wegen! Furcht iR 
eine Haupteigenfchaft unferes heutigen Charakters, und, 
beiläufig gefagt, auch der wahre Schlüffel unferer felts 
famen europäifhen Politik. Dennoch hatten wir 
nie tapferere Zeitungen, noch eine großfprecherifchere 





a 
Jugend. Wir verbannten die Hazardipiele und die 
Lotterie — ald zu unmoralifh, und ein wiüthendes 
Börfenppiel droht alfe Fugen der Gefelffehaft aufzu— 
löfen. Der fältefte, mattherzigfte Egoismus erfaßt 
alte Nationen und Individuen täglich mehr mit feiner 
eifernen Kralle — und unfere Jeit erfand das Wort: 
„Humanität!” Kin großer Theik unferer Regierungs- 
formen, die wichtigften, am meiften in's Leben eins 
greifenden Jnftitutionen (3. B. die Ehe und Jugend 
erziehung in ihrem dermaligen Zuftande), unfere ganzen 
gefelffchaftlihen Schiefichfeitsgefege und Gebräuche 
endlich find von früh bis Abend, jchriftfic und münd- 
Yich, nichts als die langweiligſte, geſchmacklofeſte Lüge. 
Schon daraus erklärt ſich dag unruhige, unbehagliche 
Wogen der Zeit, die Unzufriedenheit mit Allem, 
das dunkle Gefühl, in eine Schattenwelt ohne ächte 
Realität gerathen zu ſeyn, wo eine Menge Leichen 
noch gleich Lebenden umhergehen, und das wirklich 


1. Ich hörte den Fürſten Metternich, Linen ber tieſſten Bes 
obachter menſchlicher Zuſtände, einmal fagen: dieſe generaliſi⸗ 
renden Worte unſerer Zeit hätten viel Unheil angeſtiftet. Chriſtus 
habe gelehrt: Thne deinem Nächſten, wie du wünſcheſt, daß er 
wir thue. Dies begreife eine ſpezielle Verpflichtung — jetzt 
lehre man: Uebe Humanität, die Jeder ſich nach Gefallen aus 
lege. So mordete Sand den arınen Kößebue aus Humanität, 
und ſelbſt Robespierre glaubte von ihr geleitet zu werben. 





335 


Lebende gefeffelt ift — ober, wenn man lieber will, 
in eine traurige Lebensperiode, wo das Alte fon 
todt, und Das Neue noch nicht geboren tft. 

Dielleicht Tiegt auch bierin der Grund, warum 
fo Biele jest mit erhöhtem Intereſſe und der regeften 
Theilnahme aus Europa nad) dem Orient bliden, von 
daher ein nenes Heil ahnend für und erwarten, und 
alle Diejenigen, weldye felbft dort eine Zeit lang leb⸗ 
ten, des Drients gleichfam ewig frifche Jugend, der 
alten, induftriellen und auf Mänder Ieihenden Bet⸗ 
ſchweſter Europa, fo unwillfürlih als entfchieben, 
vorziehen. Ja, wenn fie diefe Länder wieder ver⸗ 
laſſen mäffen, fieht man fie oft. ein ſchmerzliches Heim- 
weh darnach empfinden, was ihnen das Baterland 
nicht mehr einzuflößen im Stande if. Denn fie fuͤh⸗ 
len ſich in jener urſprünglich fremden Sphäre bald fo 
heimisch wohl und Teicht, wie in einer reinesen, äthes 
rifheren Luft, ohne fi vielleicht felbft darüber ges 
naue Rechenfchaft geben zu Tönnen, warum dem fo 
ſey — während auf der andern Seite, höchſt bemer⸗ 
fenswertb, Bewohner des Orients nie im avilifirten 
Europa freiwillig zu verbleiben, noch ſich dort heimiſch 
zu fühlen vermögen. Der Grund ift aber einzig unb 
allein die größere Wahrheit in. allen gefellichafts 
lichen und fittlichen Berhälmiſſen, bie alle der Natur 


336 


nach nit fo vollfländig als. bei ung entfremdet find, 
und die trog aller äußern Defpotie in materielleren 
Dingen eine innere Geiflesfreiheit, eine Selbſt⸗ 
Rändigfeit der Individualität geftatten, welde die 
Beſchaffenheit unferer Kultur ſchon im SKindergeifte 
töbtet. Dies ift es, was Alle, welde in folder At- 
meiphäre aufgewachſen find, nit mehr entbehren 
fonnen, und worin der fremde Einwanderer, troß 
jener defpotifchen Formen um ihn ber, troß des par⸗ 
tiefen Mißbrauchs der Gewalt, eine ihm bisher un- 
befannte Freiheit findet, die er, einmal gefoftet, nur 
feufzend wieder mit der gefellfchaftlichen Tretmühle 
vertaufchen Tann, die ihn zu Haufe ermartet. 

Mit einem Wort, bei und tft Alles verfünftelt; 
die Civiliſation des Drients (und daß eine folde, 
wenn gleih himmelweit von ber unfern verſchieden, 
doch in ihrer Art fehr ausgebildet, daſelbſt eriftirt, 
fann nur die Arroganz ber Unwiſſenheit beftreiten) 
ift der Natur treuer und folglih wahrer geblieben, 
Natur und Wahrheit werben aber immer als bee 
Menſchen höchſte und unzertrennliche Güter angefehen 
werden müſſen, er mag fie nun verloren haben oder 
nod) befigen. Das Paradies war im Orient, und die alte 
Fabel vom Baume der Erfenntniß, deffen gefoftete Frucht 
unfere Eltern Daraus vertrieb, hat einen tiefen Sinn. 


337 





Tönt nun ein ſchwacher Anklang jener Wahr⸗ 
heit, die der Natur noch nicht ganz untreu geworden 
iſt, in meinen anſpruchsloſen und in jeder andern 
Hinſicht höchſt unbedeutenden Schriften, ſo wundert 
Euch nicht, wenn die vom wirflihen Leben Gepeinig- 
ten, während fie einige Augenblide ruhen, um ſich 
den Schweiß von der Stirn zu trocknen, zur Erho- 
lung gern auf meine einfachen Worte lauſchen. Sie 
thun es wirklich, und weßhalb fol ich es leugnen, 
biefer Lohn dünkt mir ſüß. Ueberdem aber Liebt der 
Deutfche, fo geplagt er ift, die Bequemlichkeit und 
haßt alle Gene. Ein eben fo bequemer und unges 
nirter Schriftfteller, wie ih bin, ift daher dem deuts 
fhen Publikum gerade recht, und die Familiarität, 
die ich mir ihm gegenüber erlaube, und die mir alt— 
kluge Recenſenten oft vorwerfen, beleidigt es ganz 
und gar nicht, da es ſehr wohl einſieht, daß ſie nicht 
aus arrogantem Dünkel, ſondern aus hingebender 
Liebe und Vertrauen entſpringt. So zollt es mir 
Beifall, ſtatt mich zu tadeln, und nimmt ſogar ſelbſt⸗ 
ftändig meine Partie gegen die Neider. 

Habe ich alfo, haben wir überhaupt, meine wer: 
then Herrn Collegen, ung vor einer ſchaͤdlichen Eitel⸗ 
keit zu hüten, ſo iſt es nicht die Standes⸗ ‚ ſondern 


die Autor⸗Eitelkeit, und Herr Wiebarg kann ſich durch 
Sudoͤſti. Bilderſaal. II. 22 


eine zweite Standrede über dieſe ſehr verbient ma— 
hen. Was mich betrifft, fo fege ich ihr täglich mehr 
bie mir gebührende Demuth entgegen,. aber die erfte 
Eitelfeit entſchwand mir längft, denn fie gehört dem 
Mittelalter an. Ich müßte blind ſeyn, wenn ich nicht 
ſähe, daß ed nur noch drei Mittel in Europa gibt, 
in der heutigen Epoche zu gelten: durch die Induſtrie, 
die Rednerbühne und das Tintenfag. Selbſt der 
Krieger finft im ewigen Frieden, dem wir zu nahen 
ſcheinen ‚zur Null herab. Der Staatsdiener wird 
mit wenigen glorreichen Ausnahmen immer mehr zum 
Büreaufraten oder zum politifchen Avantürier, und 
der letzte wahre Adel hört in England ſchon die 
Todtenenle ſchreien. 

Nach alle dieſem, liebes, deutſches Rezenſenten⸗ 
Collegium, verzeihe es mir endlich — ein alter Edel⸗ 
mann zu ſeyn! Ich ſchwöre dir, ich wäre viel lieber 
ein junger Bürger, und dazu der Sohn eines chriſt⸗ 
lichen oder jüdiſchen Banquiers mit zehn Millionen 
Papiergeld in der Taſche. | . 

Hier aber muß ich noch auf etwas Anderes kom⸗ 
men, das ebenfalls einige Worte Erwiederung ver- 
langt; denn einem fo großmüthigen Gönner, wie das 
Publikum mir ift, darf ich Feine Art auch der fpeciels 
len Wahrheit über mid vorenthalten. Man fchreibt. 


mir, es befände fih in einem andern viel gelefenen 
Dlatte (das bis in dieſe Geftlde unglüdlichermweife 
nicht reicht) ein ziemlich weitläuftiger Aufſatz, nicht 
über mich felbft Cd. h. meinen Charakter oder meine 
Herfon), nicht über meine Schriften, fondern feltfam 
— — über meine Bermögensumftände! Die Tendenz 
beffelben ift, dad Anathema über mich auszufprechen. 
Ich ſey keineswegs ein reicher Mann, wie viele glaub⸗ 
ten, fondern in Wahrheit arm, und kaum mehr zum 
zehnten Theile Herr meiner Beftgungen. 

Ich weiß, es ift Dies eine ſchwere Beihuldigung! 
Man kann heut zu Tage Jemandem nicht leicht etwas 
Uebleres nachfagen, und der wohlmeinende Landsmann 
— denn id errathe die Duelle, aus der Die Nach⸗ 
richt fließt — Hatte nichts Gutes damit im Sinne, 
Das Sclimmfte dabei aber ift, daß ich ihm kaum 
zu widerſprechen vermag; denn ſeit jenem Tage, wo 
ich, von früheren, günſtigeren Verhältniſſen gewalt⸗ 
ſam losgeriſſen, in andere zu treten gezwungen ward, 
verarme ich wirklich gradatim, und beſitze jetzt kaum 
noch die Hälfte meiner früheren Einkünfte, mit vier⸗ 
facher Vermehrung direkter und indirekter Abgaben 
— ein Loos, das ich übrigens mit zu vielen Guts⸗ 
befigern theile, um darüber Elagen zu dürfen, wenn 
Klagen überhaupt zu etwas helfen könnten! Noch 


310. 

bin ich demungeachtet nicht vollflommen arms 
wenn ed aber dahin Fäme, würde ich es wenigftens 
nicht felbft verfchuldet haben... Da ich mich indeß 
ſchon feit Tange gewöhnt, für meine Perfon nur wenig 
zu bebürfen, fo ift der Zuftand meines Vermögens 
in der That mein geringfter Kummer, und follte ich 
einmal wirklih „ganz arm“ werden, fo verfprede 
ih (da ich fehe, daß diefer Gegenftand ein fo allge⸗ 
meines Intereffe hat, wie ich ihm gar nicht zuge- 
traut), es mit berfelben Nufrichtigfeit zu befennen, 
als ich jest ſchon nicht Teugne, daß ich jeden mit vor- 
nehmen Titeln befchwerten Dann für arm halte, 
wenn er nicht reich ift. 

Auch ein großes Pad politifher Journale ward 
mir zugefandt, und ich Tas wieder von europäifchen 
Händeln mit reger Theilnahme bier, in diefem weder 
Europa, noch Aften, noch Afrifa angehörenden Grie- 
henlande, Das mir wie ein fecheter Stereotyp - Welt: 
theil vorfommt. Da traf ich in der preußifchen Staats». 
zeitung auf eine ſchöne, würdige Rede des Biſchofs 
Eulert, der dem: ewig Wiederfehrenden — dem jähr- 
lichen Ordensfeſt — mit unglaublicher Birtuofttät 
immer noch eine neue Seite abzugewinnen weiß. 
Was er diegmal den Beamten von indirefter, feine- 
rer Untreue, von Betrachtung ihres Amtes als eines 


341 


Eigenthums u. ſ. w. fagt, ift wahrlich ein argumen- 
tum ad hominem. Nur, dächte ih, hätte er auch 
‚ben Herrſchern und Hohen der Erde, mit dem fihönen 
Vorrecht der Diener Gottes, zu Allen mit Freimüthig- 
feit fprechen zu dürfen, die gleihfalid immer von 
Neuem nützliche Lehre auffrifchen ſollen, daß fie nicht 
blog folhe Beamte, Speichelleder, Höflinge und 
Frömmler für treu halten mögen, die in Allem nur 
der Windfahne des Hofes folgen, und Andersdenfende 
gern und eifrig verfolgen, fondern auch die, melde 
felbft die augenblidlih unwillfommene Wahrheit zu 
fagen wagen, und den eigenen Bortheil opfern, um 
ihren ©efinnungen treu zu bleiben, nicht allzufehr 
gering ſchätzen ſollte; denn Solche find am lebten 
Ende weit gewiffer dem Herrn wie der Sade 
treu, denen fie fi) einmal in Liebe ergeben, oder an 
welche fie die Pflicht bindet, — während die Andern 
nur einer Sache unverrüdt treu bleiben — nämlid 
ihrem eigenen Sntereffe, es möge nun heute gebieten 
dem Lamme, oder morgen dem Baal zu opfern, bie 
aber durch Chriftus wie Durch Baal immer auf 
fiherem Wege zum „goldenen Kalbe” zu ge⸗ 
langen wiffen. 
Doch genug der langen Abfchweifung ! 


Den zuten März. 

Heute früh fuhr ich mit dem öfterreichifchen Ges 
fandten und feiner Gemahlin auf den ober richtiger 
die Puyx, welche Herr von Profefh erfauft hat; und 
in beffere Hände konnte das Haffifche Befitzthum nicht 
fommen. Es bat übrigens noch eine befondere Lokal⸗ 
merfwürbigfeit. Gleich unten ift ein Felfen fo glatt 
wie polirt. Er ift ed auch wörtlih, wiewohl mit 
einem feltfamen Snftrumente. Junge Weiber, bie 
fruchtbar zu werden wünfchen, rutfchen bei Mondſchein 
auf gewiſſen entblößten Theilen ihres Körpers darauf 
herab, und nad) dem Effekt auf dem Steine zu urtheis 
fen muß ihre Zahl nicht gering feyn. Des heiligen 
Petrus abgefüßter Fuß in Rom ift nicht glätter als 
der hieſige Fruchtbarfeitsfelfen. 

Die uralte, in Größe den Steinmaflen der foge- 
nannten cyflopifchen wenig nachgebende, gewiß noch 
vor Solons Zeit aufgeführte Niefenmauer, die den 
Volksplatz oben ſtützte, zieht hiernach zuerft Die Blicke 
auf fih. Hat man diefen obern Pla erfiiegen, der 
jest nur mit zerfchlagenen Steinfplittern und ber 
wuchernden Tobtenblume, Asphodelos, bededt ift, de: 
ren Homer, ald auf den Ebenen ber Unterwelt 
wuchernd, gebentt, fieht man eine lange, ſenkrecht ab- 
gearbeitete Selfenwand vor fih, an ber die Spuren 








— — — — — 


vieler dort befeſtigter Votivtafekn erſcheinen, mit einer 
kleinon Riſche, in ber eine Statüe ber Gerechligkeit 
ſtand. Dem Raume nach konnte ſie — vielleicht iro⸗ 
niſcherwriſe — nur febr winzig feyn. In der Mitte 
ber Wand ſtehen noch die Stufen, welche zum Redner⸗ 
ſtuhl binaufführten, von dem herab einft Demofthenes 
gedommert und Die Gefährten feines Ruhms. Hier 
überfhaut man nur die Gegend nad) der Stadtfeite 
bin, oberhalb der Rednerbühne aber breitet ſich noch 
ein zweiter, größerer Platz aus, von wo man zugleich 
auf der andern Seite dad Meer und ein weites 
Panorama nad allen Rithtungen hin verfolgen Tann. 
Ueber bie Bergfette im Norden ragt der Kptheron 
hervor, im Weften die hoben Zinnen des Kyllene und 
fübfih über Aegina der ſpitze Kegel des Ortholitos 
(der aufgerihtete Stein). Diefen Ort zu betreten, 
verboten, nad Plutarch, die dreißig Tyrannen dem 
fih unten verfammelnden Bolfe, weil fie befürchteten, 
der Anblil des Meeres und des weiten Horizonis 
möchte ifmen zu gefährliche Gefühle der Freiheit ein⸗ 
flößen. Sie wußten,. daB folde Gefühle einzeln vor- 
fliegen, aber wenn fie fiih der Mafſe Tauſender auf 
einmal bemachtigen, eleftrifih wirfen wie ber Bi. 
Während wir ſelbſt noch, ich kann verfidgern ohne 
alle zebellifche AUnwanblungen, an dem ſchoͤnen Schau⸗ 


344 


fpiel in Verbindung mit fo reihen Erinnerungen ung 
weideten, abwechſelnd den Areopag vor und betrachte⸗ 
ten, weldem der Gott Mars, zuerft bier Recht .fpres 
hend und Hallirrhotius erfchlagend, den Namen gab, 
wo Oreſtes gerichtet wurde und Debip begraben 
liegt, oder unfere Blicke auf die Stelle des Tempels 
der Furien und die nahe Grotte des Pans richteten, 
fam ein einzelner Mann rüftig durch das grüne Feld 
am Abhange herangefchritten, in dem wir bald ben 
König Ludwig. erfannten. Al er auch ung gewahr 
wurde, ging er ſogleich lächelnd auf und zu, freute 
ſich der Begegnung der ſchönen Dame, wunderte ſich, 
mich um 2 Uhr Nachmittag ſchon aufgeſtanden zu 
finden, und bewillkommnete Herrn von Prokeſch mit 
gleich munterer Laune. Doch nahm fein Geſpräch 
bald eine ernſtere Wendung. Er ſagte uns, daß er, 
morgen abreiſend, heute ſeinen letzten Gang ſchon 
ſeit dem früheſten Morgen auf klaſſiſchem Boden ge⸗ 
macht, und Freude, die Heimath wieder zu ſehen, ſich 
in ſeiner Seele mit der Wehmuth verſchwiſtere, das 
Vaterland der Götter und Heroen nun verlaſſen zu 
müſſen. Herr von Prokeſch, der wie Dewoſthenes 
ſelbſt ſpricht, verſäumte nicht, dem Könige Anmuthiges 
darauf zu erwiedern, und die Unterhaltung wurde 
nicht nur höchſt lebhaft fortgeführt, ſondern nahm 


— 





——— 
— — 








345 


ſelbſt einen faſt herzlichen Charakter an; denn König 
Ludwig ift Tiebenswürdig und geliebt. Im Berfolg 
berfelben beforirte der König jeden von und mit 
einem eigenthümlichen Prädikat. Frau von Prokeſch 
nannte er, wegen ihrer treuen, Tornblumenfarbigen 
Augen, xar EEoynv, die Deutſche; Herrn von Pros 
fefh, son dunklem Teint, mit fchwarzem Bart, den 
Araber, und mich, wegen meiner weißen Bernus, 
morgenländifhen Tracht und Nomadenfinn, den Be— 
duinen. Als er endlich mit freundliden Worten 
und ber Bemerkung, wie dies nun wohl das Letzte⸗ 
mal fey, daß wir und in Griechenland gefehen — 
nit ohne die Zeichen huldvollſter Theilnahme von 
uns Abfchied nahm, waren wir, glaube ich, Alle ganz 
ehrlich gerührt, und ich für meine Perfon fürchte ſo— 
gar, die Etikette fo weit vergeffen zu haben, daß id) 
Seiner Majeftät von Herzen die Hand brüdte; über 
dem Menfchen war mir wirklich einen Augenblid der 
König ganz abhanden gekommen. 

est fliegen wir zu St. Dimitri, dem Bombar⸗ 
vier, hinab, wie eine Kleine Kapelle benannt wird, 
welche man den Venetianern zu Ehren erbaute, bie 
von hier die Tempel der Akropolis am erfolgreichiten 
eingefchoffen hatten. Gleich daneben, auf der andern 
Seite des pyräifchen Thores, ift das in den Felſen 


316 





gehauene, jetst feiner Zierbe beraubte, offene Grab 
des Kimon, über beffen Tage: des Paufaniad fo bes 
fimmte Angabe faum einen Zweifel zuläßt. Wir 
ſahen mit Abfcheu, daß es jetzt — zu einem öffent: 
lichen A... .tt dient. Wird einmal Polizei hier ein- 
geführt, fo fleuert man wohl folhem Gräuel, aber 
jest ift faum das Eigenthum noch zu fhügen, ge- 
ſchweige für das idealifhe Altertum Reſpekt ein- 
zuflößen. 

Die raſchen Pferde rückten ung ſchnell eine ge> 
raume Strede weiter. Noch einmal wandelten wir 
jest unter den erhbabenen Marmorfäulen des Jupiter⸗ 
Tempels, in dem einſt hundert verſchiedene Statüen 
Hadrians verſammelt ſtanden, während der Gott ſich 
wahrſcheinlich nur mit einer begnügen mußte — denn 
Herrendienſt geht vor Gottesdienſt, — umgingen dann 
den ganzen weiten Raum des Peribolus, fliegen nach⸗ 
ber wieder in den Wagen und fuhren am Lylabettus 
hin, bie wir zwei Taubreiche große Pappeln ers 
reichten, welche Stelle Herr von Profefh die Billa 
Poufſin getauft Hat, weil das korrekt fehöne Lands 
ſchaftsbild, deffen man von dort anfidhtig wird, den 
geregelten, faft fommetrifch gruppirten, und einer ge- 
wiffen Naturkofetterie theilhaftigen Gemälden jenes 
Meifters auffallend entfpricht. 


u 


Ich blieb zu Tiſch beim Gefanbten, und noth den 

ganzen Abend bis lange nah Mitternacht. — Welch 
ein reicher Tag für mich! Ich will nur hie und da 
einige getrotfnete und in meimer Hand, ich fürdhte, 
verwelfte Blumen daraus wieder vor mich hinlegen, 
ihre urfprünglich reizende Frifche, ihren füßen Duft 
kann ich ihnen nicht wiedergeben. 

Nachholen muß ich zuerft, dag wir auf dem Rück⸗ 
wege einen Garten unferd Wirths befuchten, deffen 
Mandelbäume mit ihrem glatten Saftgrün wie friſch 
dafirt erfchienen. An der Mauer unter einem biefer 
Bäume fhlief im Schatten, die Flügel weit ausge- 
breitet, als ſey es eine auf den Stein gemalte Pſyche, 
ein wunderſchöner Rachtfchmetterling, wohl 5—6 Zoll 
im Durchmeſſer. Wir lösten den lockern Stein ab, 
an ben er fich fefigeflammert, doch er rührte ſich nicht. 
Ich bat mir biefe unerwartete Gartenfrudt zum. Au⸗ 
denken aus, worauf Lorenzo das Thier im Wagen 
wohl eine halbe Stunde in der Hand hielt, und immer 
fchlief der wunderſame Nachtfalter fort, nur felten 
einmal die farbigen Flügel wie im Traume dehnend. 
Unterwegs Tamen wir beim Hanfe eined franzöfifchen 
Naturforfchers vorbei. Wir ließen ihn berausrufen, 
um unfern Fund son ihm bewundern zu laſſen (wel⸗ 
chen er auch gern für ſich behalten Hätte), und uns 


"348 


‚gugleich bei ihm nach der kürzeſten Art, den Schmet- 
terling zu. töbten, zu erfundigen. Der dide, jovial 
‚ausjehende Mann meinte, es ſey weiter nichts zu thun, 
‚als den Gefangenen an eine derbe Nabel anzuſpießen 
und auf einen Kork zu fleden. Da er fo flarfe Flügel 
habe und fo koloſſal ſey, werde er feinen Schaden. 
leiden, wenn er auch etwas flattere, und morgen, 
‚fpäteftens übermorgen, fey er gewiß tobt; Dies Fung- 
ſame Verfahren aber bleibe das ſicherſte, um ihn gut 
zu konſerviren. Ich ſchauderte über die Naivität des 
menſchlichen Eigennutzes, der auch Krebſe lebendig 
fiedet, damit fie auf der Tafel röther ausſehen, und 
gab fat unwillfürtich diefem Gefühle Worte, woran 
fich ferneres Gefpräd über denfelben Gegenftand an⸗ 
knüpfte. Man wiederholte die oft aufgeftellte Frage: 
ob ein Gefhöpf diefer Art wohl auch etwas denke? 
Herr von Profefh erwiederte fcherzend: „Er zweifle 
nicht daran, und glaube fogar, daß jedes Teberidige 
Mefen fich felbft eben fo gut, wie wir es thäten, für 
den Mittelpunft des All's anfähe, und dadurch eben 
das AU beftünde.” Dies ift ja meine alte Lehre vom 
heiligen Egoismus! rief ich erfreut, eine foldhe Auto: 
rität für mich zu haben. 

Wir Iangten hierauf zu Haufe an, und der Wagen . 
hielt jähling am Thore. Da erwachte endlich aus 





349  - 
feinem langen, füßen Schlummer der Schmetterling, 
und glitt vom Steine herab auf das lieblihe Küchen 
ber holden Irene, eine Agraffe von Azur und Purpur 
bildend, wo das Band den Schuh zufammenhielt. 
Das Schaufpiel war zu artig, um es fogleich zu flö« 
ren; als wir aber den Flüchtling von neuem greifen 
wollten, erhob er fi) plöglich mit dem windfchnelfen 
Zluge der Schwalbe, deren Umfang er auch faft ers 
reichte, und fhoß hoch über das Haus hin, trium- 
phirend der Gegend feines Geburtsorts wieder zu. 
Wir Hatten das Nachſehen, und im Innern freute ich 
mich, daß er uns angeführt und ihm felbft nun alle 
Marter erfpart blieb. Vielleicht war aud von ben 
graufen Worten des Naturforfchers etwas ahnungs⸗ 
vol, nah Schubart’8 Theorie, in feinen Traum ges 
fallen und hatte nachwirkend noch zur rechten Zeit den 
Schläfer gewedt. ı ' 

Ehe wir zur Tafel gingen, bemerkte ich auf einem 
Tiſche ein reiches chinefifches Markfenfäftchen mit allen’ 
Attributen des großen Napoleon. Es ift daffelbe, wel- 
ches der Admiral Malcolm für den Kaifer in China 
machen Tieß, und weldes diefem darauf auf Helena 


ı Merkwürdig ift eg, daß Herr von Prokeſch ven Schmet« 
terling am andern Tage wieder genau an berfelben Stelle in 
feinem, eine ſtarke halbe Stunde entfernten Garten fand. 


— — — — — 


täglich diente bis an feinen Tod. Herr von Prokeſch, 
der dem Herzog von Reichſtadt fehr ergeben war, er= 
bielt yon Madame Lätitia in Rom dieſes Käftchen 
nebft einigen Schönen Miniaturbildern Napoleons und 
andern Dingen, um es ihrem Enkel zu überbringen. 
Er kam jedoch Damit zu fpät. Schon feit vierzehn 
Tagen war ber junge Prinz, deffen treuer Freund 
und Bertrauter er im Leben gewefen, nicht mehr. 
Diefer arme Dulder ſcheint aud) einer jener Menfchen 
gewefen zu feyn, wie fie zuweilen ein Spiel ber Natur 
hervorruft: Menfchen, die an ihrer Seele flerben, 
weil in ihr zu viel Aetherfeuer den aus gröbern Stof- 
fen zufammengefegten Körper vor ber Zeit verzehrt. 
Herr von Profefh ſchickte, tief betrübt, die übrigen 
Dinge zurück; das Marfenfäftchen batte ihn Madame: 
Tätitia gebeten, ald Andenken zu behalten — auch 
eine Reliquie! 

Das nicht leicht abbrechende Geſpräch, welches 
bald nachher auf einige bedeutende Menſchen der Zeit 
überging, richtete ſich deßhalb ſehr natürlich auch auf 
den Fürſten Metternich. Herr von Prokeſch entwickelte 
mit Wärme mehrere der Eigenſchaften, die dieſen 
großen Staatsmann als ſolchen und als Menſchen 
auszeichnen. Er hob ſeine unerſchütterliche Ruhe, die 
Eleganz ſeines Umgangs, die Schnelligkeit und Sicher⸗ 


EL. 


heit feines Blicks, die Klarheit und ven Farbenreich⸗ 
thum feiner Darftelung, den Umfang und die Ber 
fhiedenartigfeit feiner Kenntniffe, den merkwürdigen 
Berein von ſtreng praftifhem Sinn und .von einem 
mit Wiffenfhaft und Kunft vertrauten Leben glänzend 
hervor. Das Talent, in jeder Leiftung den ihr eigens 
thümlichen Werth herauszufinden und jede Stellung 
mit ihren Bor= und Nachtheilen zu würdigen, gehört 
ohne Zweifel zu den feltenen Erfeheinungen, denn Ein- 
feitigfeit ift das Panier unferer und vielleicht jeber 
Zeit. Fürft Metternich, der einem Cuvier bis zu ben 
äußerfien Enden feiner Entdedungen folgt, und die 
Lieder Heine's mit Vergnügen und Rührung liest, ift 
ein überrafchendes und anziehendes Bild. Ein: Chef 
aber, von dem feine Untergeorbneten fagen, daß fie 
nie eine Spur Heinlicher Eitelfeit und Rechthaberet 
in ihm gefunden haben, den fie jederzeit die großen 
Seiten eines Gegenftandes, nie aber die Heinen zus 
fälligen Pünktchen davon in's Auge faſſen fehen, und 
der daher unzugänglich für die taufend Liſten und Ueber⸗ 
fälle ver Intrigue dafteht — ein folder Chef ift in unferm 
ſchwächlichen, an Pedantismus und Engherzigfeit, an 
den Ultras wie an den Tiberalen, leidenden Jahrhundert 
eine eben jo adtbare als liebenswürdige Ausnahme. 

Wahrlih, mit einem foldhen Charakter iſt man. 


352% 

zum Premierminifter gefchaffen! rief ih, und gern 
verfpredhe ich, nie ein Glas vom Nektar des Johan⸗ 
nisbergs zu trinken, ohne es auf fein Wohl zu Teeren. 
Und in der That dürfen wir fehr ernftlih wünſchen, 
dag Gott uns ihn noch lange erhalten möge, — denn 
mir erſcheint er ald der nothwendigfte, wahrſcheinlich 
der unerſetzliche Mann in Europa, der fähig iſt, uns 
der neu ſich bereitenden Zeit, ohme Schiffbruch und 
die gewaltigſten Kriſen, mit Weile und Maß fried— 
lich entgegenzuführen. Wir ſprangen nun von dem 
großen Staatskanzler Oeſterreichs zu den viel kleineren 
Miniſtern Mehemed Ali's über. Dieſe ſind indeß auch 
nicht ganz zu verachten, denn ſie haben zum Theil 
über 100,000 Colonaten jährlihen Gehalt, wobei fie 
freilich ihres Kopfes nicht immer gleich ficher find als 
die unfrigen, bie in manchen Reichen mit fo wenigen 
Eolonaten fürlieb nehmen müffen, dag man fih faum 
verwundern könnte, wenn fie den Kopf ſchon vorher 
verloren hätten, ehe fie ihr Amt noch antreten. Ein 
mal, erzählte ung Prokeſch, redete der Paſcha in der 
übelften Laune diefe fo gut honorirten Minifter fols 
gendermaßen an: „Ihr und Ich, wir wiſſen Alle 
nihte — aber zwifchen Euh und Mir ift dennoch ein 
wichtiger Unterfhied, nämlich der: dag Ich etwas 
Yernen will, Ihr aber nicht,” 





Es waren eben Nachrichten aus Aegypten von ben 
öfterreichifchen Raturforfchern angefommen, die auf 
Defehl ihres Gouvernements und auf Koſten bes ägpp- 
tifchen reifen. Dem letztern follen fie Gold auffinden, 
dem erftern gehören alle ihre wiffenfchaftlichen Samm- 
fungen, — ein neuer Beweis, was Defterreich ohne 
Geräuſch und Ruhmredigkeit, und auch mit öfonomis 
fher Umficht, für Wiffenfchaft und Induſtrie im Stillen 
thut. Nur wenige Stunden hatten die Reifenden in 
Alerandria geraftet, als fie ſchon durch den Telegras 
phen, der ihre Ankunft gemeldet, die freundlidyfte Ant- 
wort des Pafcha’s erhielten, und auf feinen Befehl eine 
Regierungsbarfe zu ihrer Difpofition geftellt wurde. 

Das Stadtgefpräh in Cairo war, als fie dort 
anlangten, der Empfang des unglüdlichen Befehls- 
habers in Jemen, der dem Vicekönige eine Armee von 
12,000 Mann zu Grunde richtete, mehr als Ibrahim 
der ganze Krieg gegen den Sultan gefofte. Man 
glaubte allgemein, er werde feine Inkapazität mit dem | 
Leben‘ büßen müffen; doch Mehemed Ali begnügte ſich, 
als der Schuldige zitternd vor ihm fland, ihm fpot- 
tend zu fagen: „Als Du gingft, glicheſt Du einem 
ftreitbegierigen Löwen, und jest fommft Du zurüd wie 
eine ſich krümmende franfe Katze. Docd die fehlechte 


Wahl ift nur meine Schuld.” Diefe Neprimande, 
Süvöfl. Bilderfaal. JI. 23 


— — — — 


weiche mit einem Handkuß endete, blieb bie ganze 
Strafe. | 

Was die Neifenden bis jest am meiften frappirte, 
war ein ſchon weit vorgerüdter Kanal, an dem nur — 
mehrere taufend Feine Kinder gleih Ppgmäen arbeis 
teten, In ben englifchen Fabriken geſchieht dafjelbe, 
nur nicht in fo Foloffaler Zufammenftellung. 

Herr von. Profefch zeigte mir bei dieſer Gelegen- 
beit ein Portrait des Bicefönigs, das eine auffallende 
Aehnlichkeit im Ausdrud mit den beften Bildern Erom- 
weils hat. Er trägt hier noch das alte türfifche Co⸗ 
füme, und dies bradte ung auf Mahmud, den Joſeph 
den Zweiten ber Türkei, der bie Reform der Seelen 
mit der der Kleider angefangen hat. Er glaubte wohl, 
fo würde der innere Menſch am ficherfien folgen, und 
nah dieſem Opfer der Nation fein anderes mehr 
au Schwer bünfen. | 

Bei diefer Gelegenheit fagte mir Herr von Pro⸗ 
keſch ein Wort, das bei mir vollen Anklang fand und 
das ich daher gern wiederhole: „Man wirft die Re⸗ 
formen des Sultans mit denen Mehemed Ali's in 
einen Wuſt zufammen, und doch liegen die einen fo 
ferne von den andern, wie Unvernunft von Vernunft, 
wie Tödten von Beleben. Die Zeit wirb Tommen, 
wo man dies begreifen wird, Beute ift fie leider noch 


ds 

nit da. Lefen Ste meinen Heinen furdtfamen Auf- 
fag in den Wiener Jahrbüchern vom Jahr 1834 über 
bie Reformen des Sultand. Er ift unbemerft ge— 
hfieben, denn, wer gegen den Zaumel der Zeit fpricht, 
fpricht vergebens, aber nicht zehn Jahre werben vor⸗ 
über gehen, ohne daß diefelben Leute, die heute voll 
Bewunderung ber verderblichen Schritte des Sultans 
find, in Tadel gegen diefelben überfließen werben. 
Gewonnen wird freilih auch dadurch nichts fepn, 
denn dann wie heute Tiegt ihnen wenig an der Wahr- 
heit, fie üben nur ihren Götzendienſt. Als der Sultan 
bie gräßlichſte Handlung feines bfutigen Lebens voll: 
brachte, die Ermordung der Taufende von Bürgern 
und Bätern — ich ſpreche nicht von den Yanitfcharen 
der Hauptftabt, die mit den Waffen in der Band 
gegen ihn auftraten, fondern von denen, die in allen 
Städten und Orten des Reichs zerfireut, überall Hand- 
werfe und bürgerliche Geſchäfte treibend, ruhige, an- 
. gefehene Bürger, Familienväter, ohne Zufammenhang 
mit den Rebellen in Konftantinopel und nur deßhalb 
Sanitfharen waren, weil die in fich durch Die Schwäche 
der Sultane verfallene Inftitution noch dem Namen 
nach beftand (wie e8 auch bei ung Snftitutionen in 
einem ähnlichen Zuftande gibt) und fih eine Aus- 
zeichnung daran knüpfte — von dieſen Unfchuldigen, 





— — — — — 


wriche mit einem Handkuß endete, blieb die ganze 


Strafe. | 


Was die Reifenden bis jest am meiften frappirte, 
war ein ſchon weit vorgerüdter Kanal, an dem nur — 
mehrere taufend Feine Kinder gleich Pygmäen arbeis 
teten, In ben englifchen Fabriken geſchieht daſſelbe, 
nur nicht in ſo koloſſaler Zuſammenſtellung. 

Herr von Prokeſch zeigte mir bei dieſer Gelegen⸗ 
heit ein Portrait des Vicekönigs, das eine auffallende 
Aehnlichkeit im Ausdruck mit den beſten Bildern Crom⸗ 
wells hat. Er trägt bier noch das alte türkiſche Eos 
ftüme, und dies brachte uns auf Mahmud, den Joſeph 
den Zweiten der Türkei, ber bie Reform ber Seelen 
mit ber der Kleider angefangen hat. Er glaubte wohl, 
fo würde der innere Menſch am ficherfien folgen, und 
nah dieſem Opfer der Nation Fein. anderes mehr 
su ſchwer dünken. | 

Bei diefer Gelegenheit fagte mir Herr von Pro⸗ 
keſch ein Wort, das bei mir vollen Anklang fand und 
das ich Daher gern wiederhole: „Man wirft bie Re- 
formen des Sultans mit denen Mehemed Ali's in 
einen Wuft zufammen, und doch liegen die einen fo 
ferne von den andern, wie Unvernunft von Vernunft, 
wie Tödten von Beleben. Die Zeit wird Tommen, 
wo man dies begreifen wird, Beute ift fie leider noch 








355 
nicht da. Leſen Ste meinen Heinen furdtfamen Auf: 
fag in den Wiener Jahrbüchern vom Jahr 1834 über 
die Reformen des Sultand. Er ift unbemerft ges 
blieben, denn, wer gegen den Taumel der Zeit Spricht, 
fpricht vergebeng, aber nicht zehn Jahre werden vor- 
über gehen, ohne daß diefelben Leute, die heute voll 
Bewunderung ber verberblichen Schritte des Sultans 
find, in Tadel gegen diefelben überfliegen werben. 
Gewonnen wird freilih auch dadurch nichts ſeyn, 
denn dann wie heute Tiegt ihnen wenig an der Wahr: 
heit, fie üben nur ihren Götzendienſt. Als der Sultan 
die gräßlichſte Handlung feines blutigen Lebens voll: 
brachte, die Ermordung der Zaufende von Bürgern 
und Vätern — ich ſpreche nicht von den Janitſcharen 
der Hauptftadt, die mit den Waffen in der Hand 
gegen ihn auftraten, fondern von denen, die in allen 
Städten und Orten des Reiche zerftreut, überall Hand- 
werfe und bürgerliche Geſchäfte treibend, ruhige, ans 
. gefehene Bürger, Samilienväter, ohne Zufammenhang 
mit den Rebellen in Konftantinopel und nur defhalb 
Sanitfcharen waren, weil die in ſich durch die Schwäche 
der Sultane verfallene Inftitution noch dem Namen 
nach beftand (wie e8 auch bei ung Inſtitutionen in 
einem ähnlichen Zuſtande gibt) und ſich eine Aus- 
zeichnung daran Tnüpfte — von dieſen Unfchuldigen, 


356 


im Schlafe Ueberfallenen fpreche ich; als dieſe nun 
der Sultan erwürgte, da Hatfchte man auf allen 
Bänken Europa’d, und die einen begrüßten dies un⸗ 
nütze Berbrechen als die Morgenröthe ber Civiliſation, 
die andern als das heilſame Mittel zur Wiedergeburt 
‚ des Reiches! — AS bald darauf den Neuerungen die 
Schleußen geöffnet wurden, die Sittenlofeften als die 
Koryphäen vorandrangen, fredher Spott ald Berftand, 
und Unverfhämtheit als Fortfchritt gekleidet, einhers 
ſtolzirten; als aus dem flinfenden Pfuhl der Haupts 
ſtadt alle Lafter emporftiegen und fih auf die von 
Europäern zurecht geftellten Stühle festen, Lob und 
Preis verlangend; als im Backhantentaumel der edle 
Zurban zur Seite geworfen wurde und die Eifrigften 
auf der Bahn der Civiliſation fih in ruffifche Hofen 
und Röde ftedten, als zulegt der Sultan fogar feine 
Frau an den Arm nahm und über die Straße führte, 
da wurde des DBeifallrufens in Europa gar fein Ende 
mehr; man riß fih um bie Ehre, diefe Umwandlung 
veranlaßt zu haben; die Regeneration ber Türkei auf 
biefem Wege wurde ein Dogma, wer nicht baran 
glaubte, galt für einen Thoren, für einen Berräther, 
für einen Feind der Givilifation. Einſtweilen hüllten 
fih die alten Mufelmänner in ihre Mäntel uud ver: 
gingen vor Schmerz, oder fie wandten ihre Augen 


357 


auf Mehemed Ali, den Fürften, beffen flarfer Arm 
einen Theil des Reiches gegen den Gleichmacher auf 
dem Throne zu fihern wußte, und der aus Europa 
herüber zu nehmen verftand, was, ohne Religion und 
Sitten mit Füßen zu treten, aus gelöfeten Elementen 
ein Volk zu bilden, zu flärfen, zufammenzuhalten und 
mit Leben zu durchdringen vermag.” 

„Das Werk des Sultans wird verdammt werben, 
fo wie er die Augen ſchließt, vielleicht früher ſchon. 
Uebrigens, nicht Die Abficht, fondern die Einſicht 
des Sultans klage ih an. Es wäre Narrheit, vor⸗ 
auszufegen, er wolle das Reich wiffentlich zu Grunde 
richten. Er richtet e8 zu Grunde, das ift alles, was 
ih ſage. Er ift ein Werkzeug ber Vorſehung. Er 
thut eben nur, was feit längerer Zeit Freunde und 
Feinde der Pforte gethan. Der Londoner Traktat und 
der von Adrianopel, der große Canning und ber 
General Diebitfh, Die Sieger von Ravarin und die 
Rathgeber in Konftantinopel, bie Feigheit im Jahr 
1829 und der Uebermuth im Jahr 1832, die Schladht 
yon Konya und die Rufen am Bosphor, in feiner 
Wirkung ift dies alles eins und daſſelbe. Eine 
Politif, der eine lebendige Idee zum Grunde Liege, 
ift heut zu Tage nur mehr in gar wenigen Ländern 
möglih. Die meiften unferer Staaten leben vom 


358 


Sterben. — Diefelben Erfcheinungen, bie wir vor ein 
paar Jahren gehabt haben, werben ſich wiederholen. 
Der Sultan wird Krieg gegen Mehemed Alt machen, 
bie Sefandten der Mächte werden eher dazu flogen 
als davon abhalten; die Beute, welche Davon abratben, 
wird man vornehm über die Achſel anſehen oder zur 
Thüre hinauswerfen; der Krieg wird mit der Nieder— 
Tage des Sultans beginnen, dann wird man die Hände 
ringen und alle Heiligen anrufen. Kommt man durd 
die Mäßigung Mehemed Ali's auch aus biefer Ge> 
fahr, fo fürdte ih, wird wieder nichts gewonnen 
feyn; aus wortreihen Beftrebungen wird der alte 
status quo hervorfteigen und zuletzt der völlige Unter- 
gang deffen, was man halten will und foll, aber zu 
halten nicht verfteht. — Sie fehen, mein Glaube ift 
ſchwach. Es gibt eine Betrachtung, gegen die er nicht 
Stand hält, eine Betrachtung, die mir der Anblick der 
europäifhen Welt aufdringt; fo wie aus den Inſtitu⸗ 
tionen in den meiften Staaten bag Werk heraus- 
gefallen und nur die Rinde noch geblieben tft, fo 
it es mit der Weſenheit der Politik und’ mit ihrer 
Form gegangen. Es beſteht gleihfam ein ftilffchwei- 
gendes Webereinfommen durch ganz Europa für bie 
Regel: „„Ehrfurcht den Täuſchungen!“““ Ich table 
dies nit. Es iſt eine Nothwendigkeit wie eine an⸗ 


dere. Damit aber fhaffet man nichts; man flirt 
nur noch nicht. Diefe Bereinsmünzge der Täufchungen 
bat, wie. anderes Papiergeld, Kurs unter den Oläu⸗ 
bigen, aber Teinen unter denen, die nicht daran glau⸗ 
ben. Was im Jahr 1827 zu London und im Sex 
tember 1829 zu Ronftantinopel die Türken retten bieß, 
war eigentlich nichts anders als fie zu Grunde 
richten. Was man im Jahr 1831 die Weisheit des 
Sultans nannte, war eigentlich nichts ale deſſen Thor⸗ 
beit. Solche quid pro quo werden wir unfehlbar wies 
der erleben, und fo Tann es fommen, daß unter den 
hersifchen Mitteln, die man ihm zur Rettung eintridh- 
tert, der Kranke feinen Geift aufgibt. Er war nit 
zu retten, wird man dann fagen, und das wirb aber 
mals ein Lehrfaß feyn, nicht wahrer als die andern. 
— Ich weiß nit, was Sultan Mahmud thun wird. 
Wäre ih an feiner Stelle, ih würde Mehemed Ak 
als meinem erften Diener die Hand reichen, unbe- 
Tümmert darum, was man in London oder Petersburg 
dazu fagen mag. Ihn zur Seite, in wenig Jahren, 
würde mir nicht bange feyn, dem Reiche eine Orga⸗ 
nifation zu geben, bie mir. auf eigenen Füßen zu 
fiehen erlaubte und die Laſt fremden Schuges. von 
mir nähme. Dann aber würden bie reblichen Freunde 
der Dforte mir bie Hände küſſen für den Entſchluß, 


—— — 





den ſie zweifelsohne vorher nach beſten Kräften be⸗ 
kämpft, verläſtert und verdammt hätten. Der wahre 
Weg der Rettung geht durch die Verſöhnung. Es iſt 
möglich, denn Mehemed Alt ift weder in unfern 
Salons erzogen, noch in.den Straßen von Paris. 
Er if ein Türfe, und dreißig Jahre feines Lebens 
liegen vor ung.” 

„Da Sie die Abfiht, haben nach Aegypten zu 
gehen, fo nehmen Sie meinen Rath. Werfen Sie 
von fi Alles, was Sie über den heutigen Zuftand 
des Landes und feiner Berwaltung gelefen haben, das 
Wahre. wie das Unwahre Sie wagen nichts babei. 
Bon der. früheren Gefchichte behalten Sie bloß die 
unverwilchbaren Umriffe, die ımbeftreitbaren That- 
ſachen. So ausgerüftet treten Sie ein und laſſen 
Land und Menfchen auf Sie wirken. ' Betrachten, ich 
möchte fagen, erfahren Sie Klima und Natur des 
Bodens, wie die daraus hervorgegangenen Menſchen. 
Geben Sie ſich Rechenfchaft über das feit Jahrtauſenden 
Stabile, fo wie über das Schwanfende in ben In⸗ 
fitutionen diefes Landes. Betrachten Sie den Araber, 
den ackerbauenden, fo. wie den mwandernden. Lernen 
Sie kennen, was feit zwanzig Jahren geworden ift, 
was es verfpricht.und woburd es fih hält. — Dann 
fhauen Sie fi eben fo unbefangen in der Türkei 


361 


um, mit gleichem Haffe gegen Phrafen und Lügen, 
mit gleicher Wiebe zur Wahrheit. Die Sonate übers 
laſſe ih nachher Ihnen.“ 

„Machen Sie fih aber gefaßt auf Berfäumbung, 
fo wie Sie ſich ausſprechen. Unterfteben Sie fich zu 
fagen, Mehemed Alt habe Sie freundlich empfangen, 
fein Sefpräd habe Sie erfreut, er habe durch Wort 
und That auf Sie den Eindrud eines großen Mannes 
gemacht (und Sie werden dieſem Eindrude nicht ent- 
geben), geſtehen Sie, daß Sie fein Syftem für das- 
jenige halten, aus welchem dem Sande eine große 
Zufunft hervorwachſen kann, dem Reiche die natürs 
lichſte Stüge u. f. w., fo wird man Sie einen Blin⸗ 
den, einen Beftochenen, einen Lobhudler der Tyrannei, 
einen Feind der Pforte, einen Anhänger Mehemed 
Are ſchelten. Kleiden Sie ſich in Beſcheidenheit — 
es nützt nichts. Wagen Sie nur den geringſten 
Zweifel daran zu äußern, daß neben der europäiſchen 
Staatsweisheit, die in Algier und Griechenland frei- 
lich nicht ganz feblerlofe Erperimente gemacht hat, 
alle Erfahrung, alles Wiffen und Wollen Mehemed 
Ars rückſichtlich Aegyptens nit ein Stänbchen wiegt, 
ſo fallen Sie in den Bann. Wagen Sie zu- fagen,: 
daß Sie Mehemed Ali's Finanzen nicht für erfchöpft, 
feine Armee für wenigſtens fo gut als bie des Sul⸗ 


368 - 
— — 


tans, feine Flotte für brauchbar, Ibrahim nicht ges 
radezu ausichließend für einen Saufbold, Mehemed 
Ali felbft nicht für einen Mann halten, der an der. 
Schnur einer Parifer Depefche Täuft, fo werben Sie 
übel angefehen werben bei ben Freunden der Pforte, 
3a die Freunde der Pforte!. Es kommt bloß darauf 
an, dag man ſich über das Wort verfieht, Im Jahr 
1831 fagten die Freunde: „„Sultan, wenn Du ben 
Fuß hebſt, trittſt Du den Verräther nieder!““ — Die 
Feinde aber fagten: „„Greifft Du an, Sultan, fo wirft 
Du gefchlagen und bringft. das Reich an den Abgrund. 
Gib ihm die Hand und Du wirft ſtark.“! — Aber 
laſſen wir dad. Es ift ein unangenehmes Kapitel, fo 
recht für das „„oflice for strange affairs‘“ “ gemacht, 
wie. ein Franzoſe bas foreign office zu benennen. 
pflegte. Denken Sie darauf was ich Ahnen fage, 
die carrefours und culs de sae Europa’ werben 
Shnen feltfam. yorkommen, nachdem Sie einmal ein 
Stück Drient durchwandert haben.” - 

Nach dergleichen hiſtoriſchen und politifchen Kreuz⸗ 
zügen wandten wir und am fpätern Abend zu einer 
Lektüre des Fauſt. Mir wurde dieſe Rolle zugetheilt; 
unfer Wirth Tas den Mepbiftopheleg; feine Gemahlin 
mit Liebliher Naivetät Gretihen, und Lorenzo den 
Wagner. Einige andere Herren übernahmen die Neben- 


368 ’ 
— rn — 


roflen, denn an mehreren: Exemplaren fehlie es nicht, 
und ſo gewann das Ganze bie Aebnlichkeit- einer thea⸗ 
traliſchen Vorſtellung, in der freilich Publikum und 
Darſteller Eins waren, wie wir in fo manchen an⸗ 
bern Weltfchaufpielen Richter und Partei auch oft in 
benfelben Perfonen vereinigt fehen. Man könnte fi 
foäglih.denten, dag wir uns gegenfcitig Tobten und 
ſehr zufrieden mit einander waren, — wir hatten 
aber Ale dazu fchon einen zu philoſophiſchen Anſtrich, 
fhon felbft zu viel gekoſtet von der Leibfpeife der 
Schlange, mit der fie unfere Mutter verführte, Herr 
von Prokeſch, obgfeich einer der vortrefflichſten Vor⸗ 
leſer, die ich kenne, erklaͤrte geradezu, Mephiſtopheles 
könne gar nicht geleſen werden, denn welcher Menſch 
wolle ſich am Ende unterfangen, den Teufel richtig zu 
ſpielen, eben ſo wenig, wie es der Kunſt je gelaͤnge, 
Gott abzubilden. Ich bin nicht ganz dieſer Meinung, 
weder für Gott noch Teufel. Es kommt nur. auf bie 
Dorftelungsart von ihnen an. Den abflraften Gott. 
der Philoſophen Fönnen wir freilich in Feine. Form 
faffen, aber den Alten gelang es Doch, ihre Götter, 
als bloße menſchliche Ideale, vollendet barzuftellen. 
Und fo menſchlich gedadt, und abfichtlich fo ger 
zeichnet, iſt auch Göthe's Mephiftopbeles, weil der 
Teufel eben nur fo dem taktreichen Dichter überhaupt 


264 


zugänglich war. Ich glaube alſo, daß, in dieſem 
Sinne ihn behandelnd, es ſehr wohl möglich ſey, den 
Göthe'ſchen Mephiſtopheles zu agiren wie vorzuleſen, 
obgleich ich bis jetzt noch Niemand angetroffen, ber 
das mir vorſchwebende Ideal erreicht hätte. — Denn 
eine ungeheuer ſchwere Aufgabe bleibt es immer. 
Man würde übrigens nur zwei Dinge dabei zum 
Grunde zu legen haben: 1) die eigene Natur des 
Teufels, welche, nah menſchlicher Borfiellungs- 
fähigkeit, in höhniſchem Ingrimm, Unruhe, und wie 
Göthe ihn Chejonders im zweiten Theil) gezeichnet, 
in einer gewiffen Gemeinheit, nicht der Form und 
äußeren Erfcheinung, aber wohl ber tiefen Verderbt⸗ 
beit. ber. Gefinnung und höͤchſter innerer UnfittlichFeit 
beftebt, der es jedoch nicht an einer gewiflen Jovia⸗ 
lität fehlt. Der Teufel ſpricht im erften Theil mit 
Luft von den Freuden des Blocksberges, und am Ende 
bes zweiten. verliebt er fih gar auf die unanftändigfte. 
Weiſe in einen männlichen Engel. Er if alfo nicht 
leidenſchaftslos, infofern die Sinnlichkeit im Spiele 
it, mit Einem Worte: menfohlich, aber dies, wie es 
auch feine übrigen Eigenfchaften find, als Klugheit, 
Feſtigkeit, Ausdauer, Impaſſibilität, edle Frech⸗ 
heit u. ſ. w. immer in höchſter Potenz, und dazu 
idealiſch ſchlecht; 2) iſt Die angenommene Natur, 


365 


um Fauft zu verführen, wohl zu berüdfichtigen, welche 
ihre gewinnenden Seiten haben muß, denn von einer 
Gefichter fehneidenden Frage, die mit jeber Miene 
und jedem Wort deutlich ausfprechen will: „Ich bin 
ber häßliche, fürchterliche Teufel,“ damit weder Fauft 
noch das Publitum dies je einen Aügenblict vergeffe, 
wie ih mich noch z. B. vom feligen Devrient mit 
wahrem Efel gefeben zu haben erinnere, — von einer 
ſolchen Rarrifatur läßt man fich nicht verführen, und 
fo tritt Fein [hlauer Teufel auf. Schon Heine 
machte und darauf aufmerffam, dag die äußere Form 
eines Tiebenswürdigen Diplomaten weit beffer dazu 
paſſe, und ih babe wirklich einen fehr berüßmten 
Mann gekannt, der, felbft mit dem hinfenden Fuße 
verfehben, alles Erforderliche dazu beſaß, und den ich 
nie betrachten Fonnte, ohne mich über diefe vollkom⸗ 
mene Mephiftophelesmasfe zu freuen; ich meine ben 
Herrn von Talleyrand, 

Diefer hinkende Fuß des noch jungen, eleganten 
Kavaliers, wie ihn Göthe auftreten laſſen will, gibt, 
uns auch den Harften Wink über die moralifhe Dar⸗ 
ſtellung. Das Tiebenswürdige Aeußere, die Bonho⸗ 
mie fcheinbarer Wahrhaftigfeit und völliger- Offenheit, 
trotz aller beigenden Satyre, der eben fo geiftreich ale 
höhnifch ſcherzende, aber dabei ganz vertrauliche Ton, 


find die Maske, hinter der doch zuweilen ber hinkende 
Ruß, nämlich die wirkliche Teufelsnatur vollſtändig 
hindurchblitzt, wie ein Wetterleuchten am noch: ſchein⸗ 
bar unbewölkten Horizont. 

Darin Viegt die große Schwierigkeit, welcher ſich 
dann noch Die materielle zugefellt, daß der Teufel 
weder falfch Iefen, noch anftoßen, noch. ſich verfprechen 
darf, ohne fogleih alle Illuſion zu flören. Es ik 
baber die genügende Berförperung des Mephiftopheles 
barzuftellen, allerdings eine der ſchwierigſten Auf- 
gaben, aber, meines Erachtens, dennoch. feine un 
loͤsbare. 

Was nun uns betrifft, fo waren wir Alle zwar 
ſehr weit von der Vollkommenheit entfernt, aber ich 
babe es fihlechter gehört, und. wenigſtens genoßen wir 
ben Dichter mit Wonne. Gewiß aber iſt es, daß 
biefen, befonderd den bramatifcgen, eine gute Dar: 
ſtellung erft völlig Fomplettirt und feine ganze Wirs 
fang auf und bis zum höchften Punkte fteigert, weil 
zu dem fo fhwaden und mangelhaften Mittel, das 
ben Autor für feine Schöpfung allein zu Gebete fleht 
— bie Sprache — nun erft dad. Drganifche einer 
. wahren Lebendigkeit hinzugefügt wird. Einige der 
Hauptcharaktere Shalefpeare’d gingen mir, wie eine. 
neue Welt, erfi in der Verkörperung durch große 


er 


Schauſpieler anf, und nicht eher verftand ich den Dich⸗ 
‚ter ganz, als bis ich feine heraufbeſchworenen abge- 
ſchiedenen Geiſter von neuem hatte Menfchen mit Fleiſch 
und Blut werben fehen. 

As wir hiermit geendigt, warb ben luxuriöſen 
Geiſtesvergnügungen dieſes gehaltvollen Tages. noch 
eine ſtrahlende Krone aufgeſetzt. Die reizende Gebie— 
terin des Hauſes ſpielte, ehe ſie uns entließ, als den 
würdigſten Schluß zum Fauſt, das Finale des Don. 
Juan. Eines Kunſturtheils über dieſe Leiſtung un⸗ 
faͤhig, kann ich nur ſagen, daß mich kaum je Klavier⸗ 
ſpiel ſo befriedigt hat. Dieſe Wiederſchöpfung aus 
einem Guß, dies Wühlen in den Tönen wie in einem 
Haufen Perlen, dieſes nachhallende Donnern und Lis⸗ 
peln der kleinen Hand, dies Entſetzen, dies Entzücken — 
Alles mußte das Seinige beitragen, einen ſo tiefen 
Eindruck auf mich herporzubringen: höchſtes Kunſt⸗ 
talent, inniges Gefühl, tiefes Verſtändniß des unüber⸗ 
troffenen Meiſters, ein vortreffliches Inſtrument, ‚eine 
ſchöne frau und ein empfängliches Gemüth. Mit ge⸗ 
ſchloſſenen Augen lauſchte ich, und im Traum der 
Nacht noch erflungen mir. fortwährend die Zauber⸗ 
töne wieder. 


368 


Den aaflen. 
Der König von Baiern reiste heute ab, und faſt 
die ganze Stadt firömte nad dem Pyräus, um ihn 
noch einmal beim Kanonenlärm zu ſehen, nebſt allem- 
begleitenden Spektakel, dem Militairzug u. ſ. w. Sch 
war etwas unmwohl, was mich jedoch kaum verhindert 
hätte, binauszufahren, aber — als ein Eonderling, 
der ich einmal bin, hatte sch noch einen andern Grund- 
zu Haus zu bleiben. Es war mir ſo romantifch vor⸗ 
gekommen, den König, dieſe ſo bedeutende Erſcheinung 
unſers Vaterlandes, hier zufällig am flammenden Par⸗ 
thenon zum erſtenmale geſehen, und eben fo zu— 
faͤllig am Rednerſtuhl des Demoſthenes, Athen, ſein 
Meer und ſeine Berge um uns hergebreitet, den 
letzt en Abſchied von ihm genommen zu haben. Ich 
mochte die elektriſchen Schläge dieſer beiden Pole nicht 
durch ein nichtsſagendes juste milieu neutraliſiren. 
Ein von Lorenzo für mich in der Nähe von Par 
tras erhandeltes Pferd, früher das Eigenthum eines. 
albanefifchen Häuptlings, kam heute, nad einer be- 
ſchwerlichen Reife durch Das Gebirge, von Pyrgos 
bier an, und obgleich Herr von Prokeſch Kehauptete, 
es ſey mager wie ein Kanzleigedanke, bin ich doch mit- 
feinem aus einer weit beffern Region herſtammenden 
Feuer und feinen eifernen Knochen außerordentlich zu- 


frieden. Der Türke hatte es verkauft, weil es flatt 
bed gewöhnlichen einen, zwei verbrehbte Haarwirbel 
auf der Stirn hat, was nach der Orientalen Glauben 
anzeigt, daß es feinen Herrn umbringen wird. Es 
wurde fogleich, noch müde von der Neife, auf einem 
langen Spasierritt probiert, und übertraf alle Erwar⸗ 
tungen. Wir ritten meiſtens queerfeld ein, auf mit 
Iofen Steinen bebedten Acdern, bis faſt an den Fuß 
des Pentelikon. An einer Stelle war bier die Gegend 
weniger Tabl ale gewöhnlich, ja wir fanden fogar eine 
Wieſe mit hohen und dicht belaubten Pappelbänmen, 
deren Rinde faft fo weiß als die unferer Birken er- 
glänzte., Die Ruinen einer alten Wafferleitung ver⸗ 
banven gleich daneben verfchiebene malerische Fels⸗ 
fihfuchten, und hinter den Gruppen wilder Obfibäume, 
die in der Bläthe ftanden, und den hellgrünen Saat⸗ 
feldern, welche fih ihnen anfdhloßen, hoben fich die 
kahlen dunkelblauen Berge des Hintergrundes doppelt 
fhön hervor. Wir aber flogen durch alles dies im 
faufenden Gallop, denn ſchon neigte fich die Sonne 
vor uns dem infelbededten ‘Meeresfpiegel zu. Dies. 
war poetifch, der Darauf folgende Abend Dagegen über⸗ 
proſaiſch; denn ich fpielte bei Herrn von Kobell Whiſt 


bis um drei Uhr nah Mitternacht. 
Süpdöftl. Vilderfaal. II 24 





370 


Den 26ten. 

Die weiteren poetifchen Stunden muß ich immer 
wieber bei Herren von Profefch aufjuchen, deſſen eigene 
naturverwandte Dichtungen aus dem Orient, bie er 
und manchmal vorliest, ungemein anziebend find. Es 
ift eine ganz neue, einfache und Doch fo glänzende 
Welt, die uns in diefen Gedichten aufgeht, gauz ver- 
fibieden von ber Auffaſſung der orientalifchen Dichter 
felbft, denn fie fpiegelt fi in einem europäiſchen, mo⸗ 
dernen driftlichen Gemüthe wieder, welches dennoch 
nieht minder, als das der Drientgeborenen, für ihre 
Schönheit regen Sian. befißt, noch fie weniger. tief zu 
erfaffen weiß. Und wenn bie Wellen der Poeſie und: 
der Muſik verraufht find, wird nachher immer ein fo: 
mannigfacher, bunter Teppich leichterer und doch nicht. 
minder feffelnder Unterhaltung ausgebreitet, daß ich 
mich nie genug befielben erfreuen kann. Bebarf es. 
einer, wiederholten Entfchultigung, auch den Leſer 
daran. Theil nehmen zu laſſen? 

Der liebenswärdige Geſandie lebte Tange in ber 
Mühe des Feldmarfhalls Fürften Schwarzenberg, und- 
verlish ihn bis zum Tode nicht. Man kann denken, 
welche iniereffante Epoche fich dem geiftreichen Beob⸗ 
achter hier dargeboten haben muß, wenn das Nefultat- 
auch erfi in langer Zeit dem Publikum befannt werben 








3 


mag. in auffallendes Zufammentreffen ift folgendes. 
Am 15ten OHober zog Fürſt Schwarzenberg vor Leip⸗ 
sig, und am 19ten z0g er fiegreidh in bie Stadt ein. 
Am 15ten Dftober nur wenige Jahre fpäter flarb er 
in Leipzig in dem Haufe des Könige von Sachen, zu 
deſſen Entthronung er felbft das Werkzeug war, und 
am 19ten trug man feinen Leichnam in Prozeffion aus 
bemjelben Thore wieder heraus, das er früher als 
Eieger durchzogen. Etwas Aehnliches geſchah in Wien 
mit dem Herzoge von Reichſtadt. Als diefer in Schöns 
brunn immer fränfer ward, räumte man ihm ein Logis 
an der Sommerfeite des Schloffes ein, und placitte 
ihn, ohne daran zu denken, in diefelbe Stube und in 
daffelbe Bett, in dem fein Vater gewohnt und ges 
fhlafen, ja: vielleicht hier dem erfien Traume non des 
Sohnes Geburt nachgehangen hatte, Der Prinz ftarb 
in diefem Bett, und an dem Tage feines Todes fchlug 
der Blig in einen vor feinem Fenfter fiehenden Obelisk, 
und fehmetterte einen goldenen einföpfigen Adler herab, 
der feine Spike Frönte, ! 

Doch um auf den Fürften Schwarzenberg zurüͤck⸗ 
zukommen, ſo ſtand an deſſen Todtenbette, zu dem mit 
ı Es war alſo ein dem Napoleoniſchen Adler gleichender, 


fein öfterreichifcher, der belanntlich zweitöpfig iſt, und wahrlith 
die Alfegorie gut zu bewähren weiß. 


87% 


voller Geifteögegenwart Sterbenden heilige, tröftende 
Worte fpredhend, außer Herrn von Profefch und dem 
Grafen John Paar, noch ein anderer höchft merfwür- 
diger Mann, Wilhelm yon Meyern, der Berfafler 
bes Dya na Sore, vielleicht der feltfamfte und zugleich 
der edelſte Sonderling unferer Tage. Noch als Kader 
fhrieb er jened zu feiner Zeit fo viel Auffehen ma- 
chende Bud. Später verließ er den Dienft und lebte 
15 Sabre einfam und nomadifch im Orient, allein mit 
und im Schooße der Natur. Sein Leben hätte man 
überhaupt ein indifches Blumenleben nennen können, 
und alle feine Anfichten waren nur jener Richtung bee 
menfchlichen Geiftes zugewandt. ine Blume zu bres 
hen, irgend eine Tebende Organifation zu zerftören, 
blieb ihm jederzeit fchmerzlih, und er vermied es 
gern, wo feine Pflicht entgegentrat. 

Endlich Fehrte er nach Wien zurüd, wo er, von 
allen bedeutenden Familien mit Verlangen geſucht und 
mit Achtung behandelt, ſich hauptſächlich an die Fürften 
von Paar und Kaunis anfhloß, und dann mit bem 
letzteren nach Rom und Madrid ging. Er war fpäter 
einer der erften, Träftigften und unermüdetſten Schde 
pfer des Landwehrfpftens in Defterreih; im Jahr 
1813 aber — fchon feit Tange der Familie Schwarzen 
berg verbunden — folgte er dem Feldmarſchall, vor 


873 


der Welt im Range eined Hauptmannd, im Privats 
verhaͤltniß aber als fein Freund. Er begleitete ihn 
während der Befreiungsfeldzüge und zeichnete ſich dort 
mehrfach aus. Unter andern war er es, der am i6ten 
Dftober bei Leipzig, verfprengt und auf den Thurm 
son Gautfch geflüchtet, von dort aus dem Feld: 
marfchall jenen entfheidenden, hinter den Hügeln von 
Wachau im Verborgenen vorbereiteten Reiterangriff 
Napoleons fignalifirte, der, wenn er gelungen, vielleicht 
das Schickſal der jegigen Welt ganz anders geftaltet 
haben würde. Er befam dafür, wie fehon bei früheren 
Gelegenheiten, mehrere Orden, Tonnte aber nie dazu 
vermocht werben, je weder diefe noch biesfeits bes 
Rheins felbft die Uniform zu tragen (eine Bergünfti- 
gung, die man in meinem Baterlande gewiß Hannibal 
ſelbſt nicht geflatten würde, wenn er etwa als Volon⸗ 
tair aus der Unterwelt herauf käme, um bie Orga 
nifation der Landwehr in Preußen zu fludiren). In 
Defterreih war man nadhfichtiger, und der milde Fürft 
bemerfte es eben fo wenig als Meyern felbft, daß 
auch die altmodiſche Eivilfleidung, in der er erfchien, 
und an deren Wechfel er nie dachte, an mehreren 
Orten zerriffen war. Sebt aber erbarmten fich feine 
Cameraden bes Zerftreuten, Tießen ihm Rod, Weſte 
und Hopfen anfertigen und diefe an die Stelle ber abs 





374 


getragenen auf feinen Stuhl legen. Meyern erman- 
gelte auch nicht, ſich des neuen Anzugs zu bedienen, 
ſcheint aber jelbft die Veränderung nie gewahr worben 
zu feyn. Als Profefh, damals von Wien fommend, 
ihn zuerft fah, fand er den modernen Diogenes in 
einem prächtigen Palaft einquartirt, wo man ihm 
fünf große Zimmer- eingeräumt hatte. Aus diefen hatte 
Mepern forgfältig alle Meubles herausfchaffen Taffen. 
Herr von Profefch wanderte zwifchen ven kahlen Wän- 
den hin, big er in der fünften Piece in der Ede eine 
Schütte Stroh erblidte, und in der Mitte der Stube 
einen großen Tiſch, auf den ein Stuhl geftellt war. 
Hinter diefer Borrichtung fah er Meyern ftehend fchreie 
ben, ber, fo wie er feinen Namen hörte, ihn freund» 
lich bewillfommte, ‚mit einem Geftcht, das, nach Pros 
keſch Ausdruck, deutlich fagte: Habe mic Fieb! Diefe 
allgemeine Liebe, mit der höchften Achtung verbunden, 
genoß auch er von Jedermann, der ihn Fannte, iR 
feltenem Grade, und vergebens follen ihm in Folge 
defien zu wiederholten Malen bedeutende Poften an- 
getragen worden fepn. Er lehnte dergleichen ſtets ab; 
fa, ohne feine große Anhänglichfeit an den Fürften 
Schwarzenberg würde er auch die Stellung, welde 
ihn mit Diefem verband, nie angenommen haben, und 
nach dem Orient, wohin immer fein Sinn gewandt 





— — — —— 


blieb, zurückgekehrt ſeyn. Als ein komiſches Beiſpiel, 
wie wenig er die am meiſten geſuchten Lorbeeren un⸗ 
ſerer Zeit, die Dukaten, zu achten verſtand (ein Um⸗ 
ſtand, der ſich nur aus der Vernachläßigung ſeiner 
frühern Erziehung erklären läßt), möge es dienen, 
daß, nachdem er zwei Jahre lang ſeine Gage zu faſſen 
verſäumt hatte, der Hofkriegsrath nach dem Haupt⸗ 
quartier ſchrieb, um ſich zu erkundigen, was es denn 
für eine Bewandniß mit dem Hauptmann Mepyern 
babe, der noch immer weder fein Traftament bezogen, 
nod irgend eine Nachricht deßhalb gegeben habe? 
Man theilte ihm dies mit. „Mein Gott,“ fagte Meyern, 
„28 ift eine ſolche Unbequemlichfeit für mich, die Quit- 
tungen auszuſtellen, dag ich mich weiter nicht darum 
befümmern mochte. Wenn das nur Jemand für mich 
beforgen und auch Das Geld verwenden wollte! Denn 
für mich brauche ich ja nichts.” Einer feiner Freunde, 
der Graf Johann P..., bot fich Hierauf an, beides 
feinem Wunfche gemäß für ihn zu ihun. Es geſchah, 
Meyern felbft aber wußte für ſich felbft nie ınehr als, 
monatlich zwei bie drei Gulden anzubringen. Dem 
Freunde verblieb das Uebrige zu wohlthätigen Zwecken, 
doch mit der ausdrüdlichen Bedingung von Seiten bes 
Eigenthümers, ihn nie mit einer weitern Berechnung 
darüber zu behelligen. Meyern war ein Dann von 


378 


ungeheurer Gelehrſamkeit, voll dichteriſcher Phantaſie 
und von unermüdlicher Thätigkeit, alles mit einer un⸗ 
glaublichen Milde der Formen, der Denkweiſe und 
bes Ausdrucks gepaart, Selbſt faſt ohne Bedürfniſſe 
(ſo genoß er z. B., ſeit er aus dem Orient zurückge⸗ 
kommen, obgleich er allen großen Tafeln beiwohnte, 
nie etwas anderes als Gemüſe), war doch Niemand 
nachſichtiger gegen die Schwächen ſeiner Mitmenſchen, 
und ſein Wort war ſo troſtreich, ſo beſchwichtigend, 
daß Herr von Prokeſch meinte, ſelbſt ein Todesurtheil 
würde man aus ſeinem Munde mit Ruhe vernommen 
haben. | 

Haft über alle Gegenftände der Wiſſenſchaft und 
Kunft hatte er gefchrieben und befaß über 15,000 
Seiten feiner Handſchrift. Die Vernichtung Diefer 
Dranuferipte ift tief zu bedauern, unb ber Kummer 
Darüber, dies einzige Gut, das dem Philofophen noch 
in der Welt am Herzen Tag, die Frucht unabläßigen 
Nachdenkens und der Anftrengung fo vieler Jahre zu 
verlieren, fcheint fogar feinen bald nachher erfolgten 
Tod, wo nicht herbeigeführt, doch fehr beichleunigt zu 
haben. Zu feinem Unglüd hatte er nämlich, ſchon 
vor geraumer Zeit, 30,000 Gulden geerbt, Die er 
beim Banquierhaufe des Grafen Fries nieberlegte, 
und dann nicht weiter darnach frug, Da aber einmal 


877 


fein Geld dort war, fo ſchickte er auch bie Koffer mit 
den Manufcripten an den Grafen, der fie in feiner 
Bibliothek aufheben Tieß. Bei dem fpäter barauf ers 
folgten Bankerott diefes Hauſes, wo Alles drüber und 
drunter ging ‚und alle Effekten für die Gläubiger in 
Beihlag genommen wurden, öffnete man dieſe Koffer 
und der Inhalt warb von unverfländigen Menfchen 
als wertiblofe Makulatur mit vielen andern Rießen 
unnügen Papiers verkauft, che Meyern, um es zu 
hindern, Nachricht davon bekam. Ich finde dieſes 
Ende tragiſch, und um ſo mehr, je ironiſcher es iſt. 

Viel wurde auch von Gentz erzählt, ſeinem hohen 
Geiſte, ſeiner Originalität, ſeinem wichtigen Wirken 
und ſeiner liebenswürdigen Kindlichkeit. Doch erinnere 
ich mich, von Andern gehört zu haben, daß er mehr 
die Eigenfchaften des Denfers und gewandten Schrift- 
ſtellers als die des Selbſthandelns und Fräftigen Ein⸗ 
greifens der That beſaß. Er beurtheilte die Gefchäfte 
mit dem Blicke eines Adlers, war aber fein Mann 
der Ausführung, und dazu, trog feines großen Ver⸗ 
Randes, fat das Opfer der feltfamften Mpfiftcationen 
im Privatleben. 

Er liebte den Sinnengenug jeder Art, und wußte 
ihn überall mit Kunft und Schönheitsfinn zu raffiniren. 
Sp war er, gleidf Friedrich dem Großen, ein großer 


rs 


Berehrer des guten Eſſens, eine Dispofttion, bie zu 
verdammen ich weit entfernt bin. In den letzten Jah⸗ 
ten feines Lebens fuchte er täglich Erholung im Um⸗ 


gang mit Fanny Eldler, deren Schönheit ihn vielleicht ' 


nod ‚weniger anzog, ald die hohe Natürlichkeit und 
graziöfe Ruhe ihres Mefens, Er hatte ihr eine rei- 
zende Wohnung eingerichtet, in der eine Stube, mit 
Draht und im feinften Geſchmack ausgefhmüdt, alle 
Tage mit ganzen Pyramiden frifcher, forgfältig ges 
wählter Blumen befegt ward. Dies. nannte er fein 
Portiei, und wenn bie Arbeiten des Tages vorüber 
waren, fam er gewöhnlich mit einem Freunde, mei- 
ſtens mit Herren von Prokeſch (der damals im Kabinet 
des Fürften Metternich mit ihm arbeitete) erſt um 
Mitternacht dorthin, um in biefem Tieblichen Sorgen— 
frei die Zournale, Bücher, Brodhüren u. ſ. w., von 
denen er amtlich Notiz zu nehmen hatte, Durchzugehen. 
Sobald fi Die Herren. niedergefegt ‚am Fanny, im 
verführerifchen Negligee, und brachte Mokkakaffee herz 
ein, um die Leer wach zu erhalten, worauf fie ent- 
weder, nad) wenig gewechfelten Worten, fogleich wieber 
verſchwand, oder auch, fich mit weiblicher Arbeit bes 
Thäftigend, fill in eine Ede feste. Einmal fuhren 
beide genannte Herren im Winter dahin, und fprachen 
unterwegs von der Unfterblichfeit Dir Seele, die Geng 





— — — — — 


kummervoll bezweifelte und Prokeſch vertheidigte. Auf 
dem Joſephsplatz angekommen, wurde Gentz durch das 
Raſſeln des Wagens geftört, und rief haſtig dem 
Kutſcher zu, ſtill zu halten. est ſprachen fie noch 
eifriger fort, der Gegenfland ergriff Gent immer hef- 
tiger, welcher zulest in Thränen zerfloß, und fo 
dauerte die Unterhaltung in der Falten Dezembernadht 
ununterbrochen über zwei Stunden fort, bis Gens, 
endlich fich befinnend, wo er fey, dem Kutfcher wieder 
weiter zu fahren befahl. Diegmal fanden fie die 
arme Fanny weniger ruhig als gewöhnlich, und in 
nicht geringer Ungft über ihr unerflärlich langes Aus⸗ 
bleiben. Gewiß hatte fie Dabei mehr an die Gebred- 
lichfeit der Körper, als an bie Unfterbfichfeit der Seele 
gedacht. | 

Ein ungarifcher Edelmann, der gegenwärtig war, 
theilte ung noch andere pifante Anekdoten über Gens 
mit, Das hier Nacherzählte erfchten mir eben fo be- 
Yuftigend als charafteriftifch. 

Dem Fürften Metternich, fagte der Ungar, fehlt 
das Organ der Gourmandife gänzlih, was dagegen 
in Gens befanntlih glänzend ausgebildet war, in 
Folge deffen er oft bittere Seelenfchmerzen an der Tafel 
des Fürften erlitt, die damals, wie es ſcheint, nicht 
zu ben beften in Wien gehörte. Einigemal beobachtete 


ih ihn eine ganze Zeit Tang mit ſtets fleigenbem Inte⸗ 
reffe, wie er unmutbig zuerft einen Zeller nad dem 
andern wegſchob, dann nad und nach immer ſchweig⸗ 
famer und büfterer wurde, bis ihm die. Stirnader 
langfam anfhwol und fein Zuftand zulebt in den eines 
wirklichen tragischen Zornes überging. Jetzt bedurfte 
er der Worte, und mit Ingrimm fragte er feinen 
erfiaunten Nachbar: „Iſt Ihnen je ein elenderer Koch 
vorgekommen? — nein, e8 ift hier nicht mehr zu effen!“ 
Da auch diefer Ausfall nicht bemerft wurde, rief er 
zulegt mit vor Erbitterung zitternder Stimme, fo Taut, 
dag es der Hausherr über ben ganzen Tiſch hinüber 
hören mußte: „Aber das iſt ja eine ganz unverant- 
wortliche, eine ganz unverfhämte Speiſe!“ Der Fürft, 
ben diefe Scene ungemein ergößte, verfehlte nicht, mit 
größter Milde und Heiterkeit feinen Koch zu entfchul- 
digen, und feine eigene Unwiſſenheit in diefem Fach 
zu beflagen, bis Gent fih grabatim beruhigte und 
wahrfcheinlih darauf dachte, wie er feine irritirten 
Nerven durch ein befferes Souper wieder in's Gleich⸗ 
gewicht bringen könne.! 


1 Ich vermuthe daß bei diefen Borfällen entweder eine 
neue Mpftification des armen Gent zum Grunde lag, oder der 
Fürſt Metternich feitvem mehr auf einen guten Koch hält als 
früher, wenigflens bin ich (der als ein Häglicher Laie in der 


881 


Zwei originelle Aeußerungen, deren fi) Gens 
häufig zu bedienen pflegte, find folgende: 

„Schmeichelt mir,” fagte er zu feinen Freunden, 
sh bitte Euch, ſchmeichelt mir, fo viel Ihr Könnt, 
Schmeichelei thut wohl!“ 

Und blafirt, wie er ſeyn mußte, rief er oft mit wah⸗ 
rer. Sehnfucht im Blicke aus: 

„O Gott! gebt mir doch etwas Aezended, gitte 
Leute, damit es mir den faden, alltäglichen Gefchmad 
aus der Seele entferne !“ 

Die Formen der Wiener Gefellfehaft ſcheinen viel 
freier und vor Allem natürlicher, als die unferes linki⸗ 
hen Nordens zu ſeyn. Wenigftens äußerte man ſich 
in diefem öfterreichifchen Haufe flarf über die bei ung 
noch immer fo fireng verlangten fervilen Ausdrüde, 
wie: Allerhöchſt, großmächtig, höchſt und hoch, befehlen, 
ſtatt einladen u. f. w., mit denen man fi, wie man 


Politit, von den großen Staatsmännern wenig mehr als ihre 
Diners zu beuriheilen verſteht) noch jet ſehr erbaut von ber 
excellente chöre, die dermalen an des Fürften Zafel herrſcht; 
und ih muß fogar dankbar rühmen, daß er auch mit feinem 
über alles Lob erhatenen Zohannigberger gegen meine Wenig⸗ 
keit fih gar oft nichts weniger als fparfam gezeigt hat, wos 
von ihm zuweilen das Gegentheil im Scherze vorgeworfen 
worden if. 
Anmerk. des Herausgeber. 


bebamptete, bei den. einfachen öfterreichifchen Prinzen 
und Macthabenden nur Täcerlih machen würde, 
Man erwähnte bier befonberd ber Tiebenswürbigen 
Bonhomie des Kaiferd Franz, und Jemand erzählte, 
einmal habe ihm der Kaifer nach einer Tebhaften und 
ihn intereffirenden Unterhaltung freundlich mit den 
Worten die Hand gedrüdt: „Ru, ich dan auch ſchön⸗ 
Bene für die lange Audienz!“ 


Fünftes Kapitel. 
Beginn eines geheimnißvollen Liebesabenteuers. 


„Gin Buch iſt ſedes Weiberherz 
„Mit gar gemeihten Lettern 

„Die meiſten Männer leſen's nicht, 
„Sie wollen bin b’ein blättern.“ 


Der Humorift. 
Athen, den ıften April. 


Ich babe eines Umſtandes noch nicht erwähnt, 
ber nad dem früher Borgefallenen für mich nicht ohne 
Wichtigkeit iſt, obgleich ſtarke Geifter darüber Lächeln 
werden. Schon am zweiten Tage nad meiner An«. 
funft in Athen verfhwand mein Schuggeift Norma! 
Da indeß: dag Heine Thier ſich fehon fo oft entfernt,. 
und immer von felbft. wieber gekommen war,. jo arhteie 
ih wenig darauf, und erwartete ohne Anruhe auch 


384 


diegmal feine baldige Wiedererfcheinung. Doch habe 
ich bis heute nie wieder etwas Yon ihm vernommen, 
und muß es jeßt wohl als definitiv verloren betradh- 
ten. Bedauern Tann ich es nicht fehr, Denn fo viel 
Danf ich dem feltfamen Gefchöpfe auch ſchuldig bin, 
mag ih doc nicht leugnen, daß fein Anbli immer 
etwas Unheimliches für mich hatte; und wäre es wirk⸗ 
lich — wer aber kennt die Geheimniffe der Natur 
und ihrer unfihtbaren Kräfte hinlänglich, um darüber 
abzufprechen — wäre es wirffich möglich, daß dieſes 
untergeordnete Wefen von einer dunfeln Macht mir 
zum Schuge beigejellt worden ſey, fo darf ich vors 
ausſetzen, daß die Zeit vorüber ift, wo ich biefes 
Schutes beburfte, Ich begnüge mich daher gern mit 
meinem harmlofen Francis, der zwar länger als ich 
um Norma trauerte, jeßt aber, wieder Yuftiger und 
drolliger als je, auch hier die Gunft aller Damen er⸗ 
obert, und Eintritt in die vornehmften Zirkel erlangt 
Bat. Ich hoffe, daß die Herren Recenfenten (die mid 
ſchon Teinen Biffen in Ruhe mehr effen laſſen wollen) 
mir nicht auch die Liebhaberei an dieſem liebenswür⸗ 
digſten aller Schooßhunde mißgönnen werben. Wäre, 
dies dennoch der Fall, fo rufe ich hier feierkich ben 
Beiftand des Schönen Geſchlechts an. Die fanften 
liebevollen Frauen mögen meine Vertheidigung über⸗ 








nehmen, und gewiß bitte ich bei ihnen nicht umfonf. 
Ach, es gibt Eine, die in Diefem Punkt mich fchon 
erhört bat; koͤnnte ich nur daſſelbe von allen andern 
Punkten jagen, die jegt meiner Einbildungsfraft vors 
ſchweben! Auch Du, freundlicher Leer, wenn Du aufs 
merkam warft, weißt fchon von ihr, der fremden, lieb⸗ 
fihen Frau, die zarten weißen Glieder ſtets im 
Schwarz gehüllt, Du fahft fie zwar nur einmal fluͤch⸗ 
tig im Borübergehen in der Grotte des Stadiums, 
ich aber — 

Doch ich muß weiter ausholen! Meine Neugierde 
war ſchon damals durch den erſten Anblick der Unbe⸗ 
kannten, ich begriff ſelbſt nicht warum, lebhaft gereizt 
worden, und einige Tage nachher begab ich mich von 
neuem, faſt mechaniſch, an denſelben Ort, der nur eine 
Biertelftunde son der Stadt entfernt ift. Ich Eonnte 
faum ernſtlich glauben, fie bort wieder «anzutreffen, 
auch fand ich die Grotte Teer, doch ſchien mir eine 
innere Stimme zuzuflüftern: Berliere die Geduld nicht 
zu ſchnell! Es war am 11. März, einem Freitag, wo 
ih fie zum erfienmal gefehen, und erſt geflern fiel 
es wie ein Lichtſtrahl in meine Seele, daß ich den⸗ 
felben wieberfchrenden Tag und biefelbe Stunde währ 
Ion müſſe, um bie Fremde wieberzufinden, bie ich 


nicht aus meinen Gedanken verbannen ſonnte. Mit 
Sadsſtl. Bilderſaal. II. 26 


a 
« 


‚Hopfendem Herzen, denn meine Phantake war: ſchon 
‚in voller Regung, überſchritt ich daher heute den yiyf« 
ſus — und die holde Ahnung trog mich nicht. 

— Wieder faß wirklich an berfelben Stelle Die ſchwarz⸗ 
verhüllte Geftalt in der Grotte, doch däuchte mir, fie 
werde in bemfelben Augenblide, als ich ſie gewahr 
ward, von einer andern Perſon verlaflen, ‚die -indeß 
ſo ſchnell entſchwand, daß ich weder zu erkennen im 
Stande war, ob es ein Mann oder eine Fran ge⸗ 
wefen, noch überhaupt mit völliger Gewißheit zu ent⸗ 
ſcheiden vermochte, ob id) mich nicht ganz und gar 
getäuſcht und nur der. Schatten eines entfernten Ge⸗ 
genſtandes dort vorüber geglitten ſey. 

Es wäre unhöflich gewefen, die fremde Dame zu 
ſtören, und ich zögerte noch ungewiß. Da half mir 
Francis aus der Berlegenheit, denn kaum bemerkte er 
. fie, ald er Quf fie zufprang, und fobald er den Saum 
ihres Kleides nah Hundeart befehnüffelt Hatte, eine 
Kreude äußerte, wie fie diefe Thiere fonft nur beim 
Wiederfinden alter Belannten zu zeigen: pflegen. Er 
ſchmiegte fih zu ihren Füßen, fprang dann hoch an 
thr empor, und den Augenblid naher ſaß er ſchon 
auf ihrem Schooße. Auch fie. nahm - erfreut- diefe uns 
erwarteten Liebkoſungen des niedlichen Geſchoͤpfes auf, 
welche. fie Übrigens aus einer tiefen Träumerei ges 





⸗ 


riſſen zu haben ſchienen. Ein Buch, in dem ſie wahr⸗ 
ſcheinlich vorher geleſen, lag neben ihr auf dem Stein⸗ 
block, und ſie war ſchon wieder in nachdenkendes 
Sinnen zurüdgefunten, als ich mich ihr zögernd nä⸗ 


herte. Es waͤre mehr als ungeſchickt geweſen, wenn 
ich nicht von der Zudringlichkeit meines Hundes Ge⸗ 


brauch gemacht hätte, um ihm jetzt ſelbſt ſo weit als 


möglich nachzuahmen. Ich faßte mir alſo ein Herz, 


und ſchleunig herantretend, entſchuldigte ich Francis 
Unart in den höflichfien Ausdrücken, die mir beifallen 
wollten, wozu ich mich der franzöfifhen Sprace bes 
biente, die ja beinahe überall jetzt verftanden wird. 
An dem Accent der Antwort bemerkte ich jebod mit 
freudiger Ueberraſchung, daß ich eine Deutfche vor 
mir babe, und ihr Lächeln, welches fie vergebens zu 
bemeiftern fuchte, fchien anzubeuten, daß ihr weder 
meine Perfon ganz unbekannt, noch felbft mein Beſuch 
vollfommen unerwartet feyn mochte. Demungeadhtet 
nahm fie im Anfang meine Bemühungen, die Unter- 
redung zu beleben, mit viel Kälte und Referve anf, 
doch entzüdte mich aud dabei Die Anmuth ihres gans 
zen Wefens, während ihre madellofe Schönheit mich 
in das füßefle Staunen verfegte. Nie habe ich einen 
transparenteren, obgleich etwas bräunlichen Teint, 
und ausdrucksvollere Augen geſehen. Die langen fei- 


— 


208 

y 
denen Wimpern bebediten fie zwar gewöhnlich wie 
mit einem Schleier, dad, wenn fie aufblidten, braunte 
eine feuchte Sluth in ihnen, welche, wie ein magiſches 
Lipht, die ganze Höhle zu erhellen ſchien. Sie trug 
den griechifchen Fed, und volle ſchwarze Haare quollen 
in glänzenden Locken daraus hervor — ach, über. einen 
Hals und Bufen, den Benus felbft beneidet haben 
würde. An dem fchmalen, fanft zugefpisten rechten 
Zeigefinger ihrer Heinen Hand trug fie einen einzigen 
ſchwarzen Ring mit einem großen, funkelnden Soli 
tair, was ih erſt gewahr ward, als fie den Hau 
ſchuh auszog, um Francis zu ſtreicheln, und dann, 
dieſen in die Höhe bebend, einen fo. zaͤrtlichen Kuß 
ihrer Purpurlippen an den Heinen Unempfindlichen 
verichwendete, daß vor Entzüden und Begehrlichkeit 
alle meine Pulſe zitterten. _ 

. Sie mo&te wohl merken, was in mir vorgisa⸗ 
und ließ mich jetzt, um den Triumph weiblicher Eitel⸗ 
keit zu vollenden, ihr Füßchen ſehen. Gott, welch 
ein Fuß! Ich will nichts weiter davon ſagen, denn 
ihm volle Gerechtigkeit wiberfahren zu laſſen ift uns 
möglich. Nur fo viel behaupte ich, daß ein fhöner 
Fuß nicht dem andern gleicht, denn es gibt deren, 
die Phyſiognomie befigen, und ſolchen iſt gar nicht zu 
wiberfieben. Ich aber bin impreffionabfe, und mit 


339 


— 





Anakreon der Meinung, daß man zum Lieben nie zu 
alt ſey, felbſt wenn dem dunkeln Haar ſich ſchon vor 
der Zeit einiges Silber beigemiſcht haben ſollte. Dies 
find manchmal Trophäen, die auf Erfahrung deuten. 
Die Weiber aber find voll Eigenfinn. Sie Tieben 
bald am einen, bald am andern Ende, und gönnen 
ihre Gunſt wohl oft noch fonderbaren Launen. Darum, 
wer nur noch felber heiße Liebe fühlt, verzweifle nit! 
Freundſchaft beginnt, Bertrauen folgt, Bebarrlichkeit 
gewinut und — Gelegenheit macht endfich Diebe. Je 
mehr das Eid des Fremdſeyns zwifchen ung ſchmolz, 
defto Tiebenswürdiger ward das ſchöne Weib, und als 
nad) einer ſchnell vorüber geſchwundenen halben Stunde 
eine Dienerin erfchien, um ihre Gebieterin abzuholen, 
wußte ich genug von ihren Berhältniffen, um wenig- 
ſtens über die nächfte, fichere Fortfegung ber begons 
nenen Befanntfchaft beruhigt zu ſeyn. Das Rad 
ſtehende erfuhr ich aus ihrem eigenen Munde, Sie 
war von einer deutfhen Mutter geboren, wie fie mir 
fagte, doch hatte fie zeitig ihr Vaterland mit den 
joniſchen Inſeln vertauſcht, und fi dort mit einem 
Griechen verheirarhbet, den fie auf manden feiner 
Fahrten im Drient begleitete. Sein Name war Nas 
mor, der ihrige Sara. Sie wohnte in einem Kleinen 
Landhaufe im Dlivenwalde, der fih von Patiſſia bie 


30 


 — 





zum Pyräus erſtreckt, jest ganz allein mit weniger 
Dienerfhaft. Ihr Mann war auf einer Handelsreife 
abweſend, und befand fidh, wie fie vermuthete, in die⸗ 
ſem Augenblid in Sonflantinopel. Mit großer Mühe 
erbielt ich die Erlaubnig, fie zu befuchen, body for⸗ 
derte fie mir fonderbarerweife mein Wort ab, nie an 
einem andern Tage ald am Freitag zu fommen. 
‚„Der Weg zu mir ift etwas ſchwer zu finden,“ 
fuhr fie fort, „aber dicht bei dem Monument des Ly⸗ 
fifrates befindet fi ein Haus, das mit einem rothen 
Kreuze bezeichnet ifl. Sie werben dort jeden Freitag 
Abends nach Sonnenuntergang, wenn Sie dreimal an 
die Thüre Elopfen, und der dann heraustretenden Pers 
fon das Wort „mavro‘“ zuflüſtern, einen zuverläßigen 
Führer zu mir finden. Doch Bitte ich, diefen nicht mit 
Fragen zu beläftigen — da er flumm tft, und ihn zu - 
entlaffen, fobald Sie in der Umgebung meines Haufes 
angefommen find. Zur Rückkehr können Sie fiher 
feyn, ihn immer an berfelben Stelle, wo Sie ihn 
verließen, wieder anzutreffen. Gründe, die ich Ihnen 
jest nicht auseinander fegen Tann, machen alles dies 
nothwendig.” Da ich den bezeichneten Tag befannt- 
lich fcheue, und es fehr hart fand, fie nur einmal in 
der Woche zu ſehen, verfuchte ich Alles, fie andern: 
Sinnes zu machen, doch vergebens; und als fie ihr 


— 

liebliches Geſichtchen endlich in ernſte Schmollfalten 
zuſammenzuziehen begann, und mit Kälte ſagte: nach 
reiflicher Ueberlegung ſehe fie ein, dag fie ſchon eine 
Thorheit begangen, den Bitten eines ihr ganz frem⸗ 
den Mannes ſo weit nachgegeben zu haben, und daher 
für das Beſte halte, auch die ertheilte Mergünftigung - 
jegt wieder zurüdzunehmen — ergriff ich mit flehen- 
der Miene ihre Hand, fo ernftlih erichroden, daß fie 
nit umhin konnte, mir lächelnd zu verzeihen. Dann 
meinen, wie es fchien, ihr zu lebhaft werdenden Dank 
errötbend von ſich abwehrend, wandte fie fi dem 
Ausgange zu, verbeugte fi mit fehalkhafter Grazie 
gegen mich, und verließ eilig die Höhle. 

Wonnevoll aufgereizt, fette ich mid jetzt mit ger 
fhloffenen Augen auf den Plag, den das holde Ge- 
Ihöpf eben verlafien, träumte noch einmal die Ver⸗ 
gangenheit durch und dann ein gar gut Stüd in bie 
Zukunft hinein — da fiel meine Hand auf etwas neben 
mir, ich fab bin, und es war das Bud, in welchem 
Sara gelefen, und das fie mitzunehmen vergeffen 
hatte, Diefe Heine Diftraftion verfehlte meine Eitel- 
feit nicht, zu ihrem Bortheil auszulegen. Neugierig 
öffnete ich hierauf das Schloß bes zierlichen blauen 
Maroquinbandes, und ſah, daß er mehrere Manufs 
eripte in englifcher Sprache zufgmmenfaßte. Ihr In⸗ 


— 

halt war wunderlich und ſeltſam verſchieden von dem, 
was ich hier erwartet hätte. Doch zog mich jedes 
Wort an, und ganz berauſcht von dem ſüßen Veilchen⸗ 
duft, den das Buch, wie eine febendige Erinnerung 
an feine reizende Gebieterin, aushauchte, wandte ich 
mi) etwas mäher zum Licht, und ‚fuhr emfig fort zu 
leſen, wie folgt: 5 


l. 
Vruchſtücke aus den Briefen eines in Europa reifenden 
Ehinefen. 


... JIch habe ihre Gefchichten Rudirt und gefun- 
den, daß fie feit Sahrhunderten immer hinter bem 
einen ober dem andern Worte berliefen, das im 
Grunde einen Lobgefang auf fie ſelbſt enthielt. Es 
war ein goldenes Kalb, nach ihrem Ebenbilde gemacht. 
jest heißt dieſes Wort: Civiliſation; vor kurzem hieß 
ed: ‚Freiheit und Gleichheit, etwas früher: Philofophie, 
noch fräher:. Religion u. f. w. Unter Eivilifation 
verftehen fie etwa nicht die Veredfung des Menſtchen, 
nicht das Auffteigen deffelben auf die Höhe der alles 
umfaffenden Liebe, nicht die Erziehung zu immer 
reinerer Pflichterfüllung, zu innigerer Bermählung mit 
der Ratur, zu geläuterterer Empfindung des Himemelö 
auf Erden, fondern was fie auch immer barüber fagen 





— —— 


7 « 


und wie fie dieſen Goͤtzendienſt ausputen mögen, im 
Wahrheit bezweckt er nichts als eine armfelige Ver- 
engung der herrlichſten Menſchennatur, ein mühſeliges 
und verderbliches Erlernen von allerlei Irrthümern, 
ein Nachplappern armer Sprachen, die für das Ohr, 
aber nicht für den Geiſt verſchieden find, die Verein⸗ 
feitigung und Ausbildung bes Dorfgeiftes, Dorfneides 
und Dorfſtolzes, das Erfinden neuer Hofen und 
_Schürzen, die Verſtümmelung ganzer Völker nad) dem 
Mufter gewiſſer Gärten, die fie franzöfische nennen, 
und in denen fie jegt Die Bäume wieder ihren natür- 
lichen Wuchs nehmen Yaffen, feitbem ihnen die närs 
riſche Idee Fam, das Spftiem flatt auf Bäume auf 
Menſchen anzuwenden — die Verdummung in Wis 
und Sopphiftereien, die Ausbildung des fchamlofeften 
Egoismus endlih, woraus eben eine täglich allges 
meiner werdende und tiefer greifende Unzufriedenheit 
hervorgeht, die bereits zu einer Menge fehmerzlicher 
Krämpfe im Staatenleben geführt hat und mir ein 
Symptom der Linheilbarkeit der Krankheit, in der 
dieſe Bölfer liegen, zu ſeyn fcheint. 

Bon wahrer Religion habe ich bis jet Feine 
Spur in. den Ländern gefunden, bie man bie civilis 
firten zu nennen pflegt.. Ich gab mir zwar fehr Mühe, 
das Band aufzufinden, wodurch biefe Unglücklichen noch 


394 


mit bem Himmel Zufammenhang hätten, fand aber 
nichts. Zwar haben fie noch mehrere der Tempel, die 
ihre Borfahren bauten, fteben laſſen, bauen deren bie 
und da wohl ſelbſt noch neue, freilich fehr ärmliche, 
geben auch in diefe Tempel, haben auch Prieſter, 
feiern Ceremonien und fagen auch Gebete her, aber 
— meiner Erfahrung gemäß — muß ich alle Leute, 
die diefe Bölfer ausmachen, in zwei Klaſſen theilen, 
in Solche nämlich, welche das, was ich eben fagte, 
für Religion nehmen, und in Sole, die ſich fogar 
biefer Formen fchämen, gar Feine Ahnung mehr davon 
haben, wie fie zu beleben find, und fi gar Feines 
Zufammenhanges mit dem Schöpfer mehr bewußt find. 
Du begreift, daß ein Volk, dem diefe Leuchte erlo⸗ 
ſchen ift, eigentlich nur mehr wie eine Leiche auf dem 
Boden laſtet. Es verdient kaum noch, daß man da⸗ 
von fpricht, wenn nicht bag Seltfame einer fo trau⸗ 
rigen Erfheinung an ſich ſchon unfere Betrachtung 
verdiente. 

Du, der: du ihre heiligen Bücher kennſt, wirft 
bilfig fragen, wie fie das Wichtigfte verlaffen oder 
verlieren, und in dieſen tiefen Berfall gerathen konn⸗ 
ten. Das ift allerdings eine Frage forgfamer Unter: 
fuhung wertb, wäre ed auch nur um der Warnung 
willen, die aus einem fo gräßlichen Beifpiele für alle 


“ 
“ 
— — — — — 


Bölfer hervorgeht. Ich kann mir dieſe Erſcheinung 
nur dadurch erklären, daß ihre religiöſen Inſtitutionen 
in ihrem Entſtehen ſchon durch den Beiſatz von Herrſch⸗ 
ſucht, Habgier und aller niedrigen Leidenſchaften ver⸗ 
giftet wurden, und nicht Zeit hatten, ſich hinlänglich 
feſt zu begründen, und geſund zu entwickeln. Und 
wirklich geht aus ihrer Geſchichte hervor, daß ſchlechte 
geiſtliche und weltliche Fürſten (denn fie hatten immer 
deren von biefer boppelten Art) bald nah ihrem Ent- 
fteben fih ihrer als Werkzeug zu den ſchändlichſten 
Zweden bebienten. Der Erſte, der fih zu ihrem 
Chriſtenthum befannte, und es dadurch allgemein ver- 
breitete, war ein gewiffer Conftantin, ein Lüfling, 
Heuchler und Mörder, von dem du vielleicht gehört 
haben wirft. Er faß zu Byzanz, einem Dorfe am’ 
Bosphor, und beherrfchte einen Theil von Europa und. 
von den Küftenländern Aſiens und Afrika's an ben 
beiden Bufen, die man das ſchwarze und das mittel- 
Ländifhe Meer nennt. Alte feine Nachfolger waren. 
Leute, die das Gold diefer Lehre mit den fchlechteften 
Metallen verfegten, und ald Marktmünze zu Wucher 
und gemeinen Bedürfniſſen ausgaben. Der Mißbrauch 
bradte auch bald feine Frucht, denn die Lehre, da⸗ 
mals faum ein paar Zahrhunderte alt, ging ſchon in 
Gährung und Fäulnig über. Statt zu beglüden, ‚wie 


386 
fle es ihrer Natur nach konnte und follte, trieb fie 
das Voll gegen das Boll, und flatt zu binden Töste 
fie, was gebunden war, und machte ed in Theile zer 
fallen, die fich nicht wieder vereinigen konnten. Im 
Lande gegen Abend bedienten fih Aufkömmlinge ihrer 
als Schwert gegen ihre Fürften, und daun zur blu⸗ 
tigen Ermeiterung ber geraubten Herrihaft. Die In⸗ 
fitutionen, die in dieſen Zeiten entitanden, wurben 
zu Stägen diefer Miflethaten eingerichtet, iumd waren 
daher von weniger Dauer. So kam es, daß fi, 
faum daß fie entflanden, auch bereitö der Kampf 
gegen diefelben erhob, unmenfchliche und unmögliche 
Mittel zur Aufrehthaltung derfelben angewendet wer⸗ 
den mußten, und die Achtung erzwungen werben 
follte, die in der That allein fie dauernd machen Fonnte, 
bie fie aber ihrer Natur nach, troß ber herrlichen Lehre, 
an bie fie ſich Iehnten, nicht zu gewinnen vermoch⸗ 
ten. Vergeblich ſtrebten einige heilige und große 
Priefter die Lehre zu retten. Sie ſelbſt ſtanden ſchon 
auf einem Boden von Moder, und hatten keine an⸗ 
dern Werkzeuge, als die zum Voraus abgeſtumpften, 
gebrochenen oder unzulänglichen. Weil num der Wis 
berfiand in ber Menge Recht behielt gegen die Ein- 
richtungen, fo wuchs eben daraus der Hochmuth her⸗ 
vor, welcher Das Merkzeichen der europäis 


ſchen Bölfer if. Das beſchränkte Wiffen Ichnte 
fi auf gegen den unendlichen Glauben; mit den Ye 
fitutionen wurde die Religion felbft angegriffen, ver- 
nichtet oder vertrieben, und fo erklärt fich der Unter⸗ 
gang in den fihmusigften Schlamm von Üitelfeit, 
Selbſtſucht, Lügenhaftigfeit, der Abgang von Leben“ 
wärme, das Erflarren zur hochmüthigſten Unwiffenbeis 
und zur ſchroffſten Anmaßung im Urtheil, endlich der 
Goͤtzendienſt ohne Religion, in welche wir diefe un⸗ 
glücklichen Völker heute verfunfen fehen. 

. Daß ihre Tirhliden Inſtitutionen die religiöfe 
Empfindung nie zur Kraft fommen ließen, gebt ſchon 
aus ihren Bauten hervor, und aus dem verbältniß«- 
mäßig Furzen Dienfle, den die Kunft, dieſe Tochter 
ber Religion, ihr zu leiften Gelegenheit und Erlaub⸗ 
niß fand, Sie fagen zwar das Gegentheil davon, 
aber das fagen fie jedesmal, denn fie halten fi für 
das erfie Bolf der Welt, aber man darf nur bie 
Augen aufthun und fehen. Daß jede Lehre ihren ei⸗ 
genen Bauſtyl erzeuge, das erfennen zwar Einige aus 
ihnen, und fo auch, daß in Diefem bie Zeugungsfaͤhig⸗ 
feit der Religion ihren Maßſtab liefere. Nun fcheint 
ed allerdings, Daß fie eine Epoche gehabt haben, wie 
die Religion allgemein bei diefen Böen in Blut 
und Mark übergegangen war, aber es dauerte nicht 


398 


Iange, ein Beweis der Schwäche ihrer Natur. Da⸗ 
mals find denn auch in mehreren Ländern chriſtliche 
Tempel aus dem erwärmien Geiſte und Herzen her- 
vorgegangen, die im Zufammenflange mit der Lehre, 
die darin gepredigt und gefeiert werben follte, ſtehen, 
und vielverfprechende Anfänge waren, wenn fie auch 
an Macht der Maffen, an Klarheit und Entwidelung 
des Geſetzes, an Reichthum der Ausftattung und an 
Menge und Ausdauer des Fleißes hinter den Tempeln 
zurüdftehen, welche unfere und fo manche andere alte 
Religion in Aften und Afrika in’s Leben gefördert 
Haben. Aber diefe Anfänge brachte faft alle ein und 
daſſelbe Jahrhundert hervor, und im nächften hatte 
die Frömmigkeit ſchon nicht mehr Wärme genug, fie 
zu vollenden! Faft alle ſtehen nur halb fertig da. — 
Der große Geift, der Durch die Idee des Werks, durch 
den Styl betet, und ber fchwächere, der daſſelbe burg 
den Fleiß der Ausführung thut, beide waren ſchon 
entnervt. Man ahmte nad ſtets verringertem Maße 
flabe die paar Mufter nach, und felbft dies nur in 
fehr wenigen Ländern, fo daß ein allgemeiner 
Styl den allgemeinen Glauben nie völlig bewahr- 
heitete, verließ fie dann ganz unb baute fort, ohne 
auch nur mehr an die Verwandiſchaft zwifchen dem 
Tempel und der Religion zu denfen, Dann ging man 


‚gar zu griechifchen und römifchen Muſtern über, worin 

ſich die hriftliche Lehre wie das Kreuz in eiyem 
Opernſaale ausnimmt, überlub benfelben, wie natür« 
lich, bis zur efelhafteften Verzerrung, und führte in 
. ben Testen Zeiten faſt überall Kirchen auf, die fi 
kaum mehr von SKafernen, Spitälern, Tollhäufern, 
‚Theatern und andern öffentlichen Gebäuden unter 
ſcheiden, und darum mit richtigem Takte auch in 
neuerer Zeit häufig wieder zu bergleichen Gesang 
verwendet wurden. 

Eine Sekte der Chriften (denn fie theilen fi im 
unzählige), deren Anhänger ſich Proteftanten und Res 
formirte nennen, und bie feit einigen Jahrhunderten 
immer mehr überhand nimmt, fo dag jest wohl ein 
Biertheil Europa’s ihr anhängt, hat aus dem Grunbe 
ihrer blos negativen Natur: und Religion gar Feine 
Baufunft mehr. Es ift ein wahrer Igmmer, dieſe 
ſchmuck⸗ und geſchmackloſen Tempel zu fehen, die au 
nur .an einem Tage ber Woche einige Stunden befucht 
werden, von ben Männern meiſtentheils, um zu ſchla⸗ 
fen, und von den Weibern, um ihren Putz und ihre 
hübſchen Geſichter zu zeigen. 

Mit den übrigen Künften ſteht es nicht beſſer im 
religioſen Sinne. Die Malerei, die Bildhauerei und 
ihre Zweige, die Muſik, Iegten fi ‚Tiebend an das 


400 


Herz. ihrer Mutter, umb flehten um das Geſchenk, fie, 
Die, Niedergeftiegene vom Himmel, im irdiſchen Kleide 
verherrlichen zu dürfen. Aber wie wenig bot dieſe, 
entartet, wie fie geworben, fich dazu dar! Sie mußten 
abfaffen yon dem geliebten Dienfte, bevor fie noch in 
- bemfelben völlig erftarfen-fonnten. . Die Malerei ging 
lange wie eine Hoffende umher und ſchuf eine Zeit 
ang berrliche Bilder, ftarb aber bald, in todte, Nach⸗ 
abmung und Manier verfinfend, mit der abnehmenden 
Wärme des religiöfen Gefühle. Der Meifel des 
Bildhaners, die Teile des Goldſchmids, Die Kelle des 
Erzgießers und der Stift” des Steinfehneiders „gaben 
faſt durchgängig nur ſchönes Heidenwerk, weil bag 
eigene, ohne fi) .je völlig zu confolidiren, in der Ju— 
gend ſchon an der umwölkten Sonne welfte. Die 
Muſik mußte »gleichfalls -bald Kriegsgelärm und Luſt⸗ 
getaͤndel in jene Häuſer bringen, die man Kirchen 
nannte, da ſie die Seele der Hörer nur in ihren 
Ohren, nicht mehr im Aufſchwunge zum Himmel fur 
chen durfte. 
So ift denn das herrliche Korn anf einen nicht 
gefunden Boden gefallen. Die Pflanze if. ihrer vollen 
Entwirfelung, ihrer Schönheit und Farbenpracht be= 
saubt geblieben, und bie zuerft ihre Heilkraft gelähmt; 
haben fie nachher als nutzlos von fih geworfen, 





a | 


— — — 


........ Der erſte Eindruck, den dieſe Länber. 
wachen, iſt ſicher fein heiterer. Die Geſtade ſſiud arm 
und entvölkert, die Luft jſt rauh — bie Sonne ſcheint 
matt. Da iſt von dem. glücklichen Getreibe ber hun⸗ 
derte und tauſende von Barken, das bei uns einen 
Hafen verkuͤndigt, Feine Rede; da find keine Gärten. 
und Straßen auf die See ſelbſt getragen, da iſt nicht 
die helle Farbenpracht bei Tage, noch das Glanzmeer 
ber Lampen bei Nacht. Alles iſt öde, einfarbig, Teer. 
und ſtill; kaum daß fünfzig oder hundert Schiffe in 
einem ſolchen Hafen liegen, ein paar häßliche Boote 
ab und zu fahren, ein kurzer Damm und ein paar 
Erbwälle für Geſchütze fihtbar find, und einige. 
fhmugige, ungefhmüdte Häufer am vernachläßigten 
Geftade fi erheben. | 

Iſt man angefommen ‚ fo fällt Keinem auf bem 
Schiffe ein, fein Herz zu Gott zu ‚erheben und ihm 
zu banfen für bie glückliche Fahrt, das würden Manche, 
nur als eine Läſterung ihrer felbft betrachten. Es. 
fällt auch Keinem auf dem Lande ein, ben Angefoms 
menen freundlich entgegen zu eilen, ihnen Erholung 
nah fo langen Beichwerden, Gaftfreundfehaft mit. 
Haus und Tifh anzubieten; denn Jedermann denkt 
nur auf fih, und dem Andern beifpringen ift fo viel 


als ſich ſelbſt etwas nehmen! Sie haben vielmehr eine 
Süpvöfl. Bilderfaal. II. 26, 


40% 


gräßliche Anftalt, bie fie, wohl nur des Spottes we- 
gen, Senität, d. i. Gefundheitsanftalt, nennen, und 
über deren eigentlichen Zwed ich mir bermalen noch 
nicht erlaube, abzufprechen. Es wird den Schiffen 
namlich, und allen, die darauf blieben, durch eine 
willkürlich beſtimmte Zahl von Tagen, die in ber 
Regel nicht weniger als zwanzig, mandmal aber 
mehr als fechzig ift, jede Verbindung mit dem Lande 
und den andern Schiffen unterfagt; wer Geld genug 
hat, um das Recht zum Aufenthalt auf dem feften 
Lande fih erfaufen zu können, der wird nad einem 
ummauerten Ort gebracht, Tazareth genannt, und bort 
in ein Loch gelegt, wo er, aud bie nothwendigften 
Dequemlichkeiten entbehrend, und der Gewinnſucht ger 
meiner Faquini preis gegeben, eine ähnliche Zahl von 
Zagen ſchmachten muß. Daß diefe Anftalt nicht aus 
Sorgfalt für dia Gefundheit der Reifenden und 
Seefahrer beftellt ſey, ift Har, denn dieſe werben 
vielmehr als Opfer behandelt. Man gibt aber vor, 
die Gefundheit des Landes ſelbſt zu ſchützen, indem 
bie Seefahrer anſteckende Miasmen mit fi bringen 
Tönnten, als 3. B. die der Pet, bes gelben Fiebers, 
der Cholera morbus u. f. w. Dies würde man fürs 
wahr halten fönnen, wenn bloß Leute, die aus Eranfen 
Gegenden Tommen, diefem Verfahren unterzogen wür- 


403 
den, aber folche, die aus Gegenden fommen, wo auch 
nicht die geringfte Spur folder Krankheiten ift, wer: 
den nicht anders behandelt. Auch wird ein Mann, 
ber mit einem Fuße in dem verbäcdhtigen Lande und 
mit dem andern in dem gefunden fteht, nur etwa 
vierzehn Tage aufgehalten; ein Anderer aber, der zu 
Waſſer fümmt, und wäre er zehn Jahre in der See 
geblieben, muß die Doppelte Zahl von Tagen in der 
Strafe liegen. Eine nicht zu enträtbfelnde Berwir- 
znng berrfcht in den Grundſätzen, wornach diefe An⸗ 
ftalten in den verfchiedenen Ländern Europa’s einge⸗ 
richtet find. In einigen dürfen die Schiffe gar Feine 
Waare einnehmen, und auch nicht eher wieder abfegeln, 
bis nicht die ganze Strafzeit ausgeſtanden ift, mögen 
fie auh am erften Tage nah ihrem Anlangen alle 
Waaren ausgefchifft und fih innen und außen puri⸗ 
fisirt haben; in andern zahlt die Duarantaine bes 
erften ausgefchifften Ballen .erft von dem Augenblide 
an, wo der letzte ausgefchifft ift, Tägen auch Monate 
dazwischen; in einigen Häfen würde ein Schiff, das 
3. B. aus Konftantinopel kömmt, zu 40, in einem 
andern zu 28, in einem dritten zu 14, in einem viers 
ten zu 7 Tagen verurtheilt werden, und wieder in 
andern gar Feine Duarantaine machen. Eben fo ver- 
ſchiedenartig werden die Waaren behandelt. Manche 


404 


— —— — —— 


Länder haben bie Landgrenze ganz offen, andere we⸗ 
nigſtens nur zum Scheine gefchloffen, und hegen doch 
eine heilige Scheu gegen Ankünfte aus denfelben Nach⸗ 
barkändern zur See. Ein Mandarin des Landes felb, 
mit dem ich mich am Lazarethe traf, erwies mir, daß 
die Anftalt in dem einen Hafen allein, in dem wir: 
eingelaufen waren, jährlih um mehr als drei Mil- 
lionen Silbergulden die dort ausgefchifften Waaren 
vertheuere, ohne daß daraus ein anderer füchtbarer 
Bortheil erwachje, als einen Haufen Leute zu nähren, 
welche die Reifenden und Handeltreibenden zu quälen 
beſtimmt find. Alles wohl bedacht, Liegt entweder ein 
abergläubifcher oder der politiihe Grund: Reifen und 
Handel zu hemmen, der Anftalt als Zwed unter. 
Das Erftere, obwohl uns unverfländlih, if um fo 
wahricheinlicher, ald gerade der Papft, eines der reli- 
giöſen Oberhäupter Europa’s, in feinen Staaten die 
mildefte Quarantaine, und davon manchen Bortheil 
bat, was nicht der Kal feyn würde, wenn nicht ihm 
die oberſte Leitung derfelben zuſtünde. Indeß, wie 
geſagt, Har ift uns Fremden die Sache durchaus 
nicht, und ich empfehle fie Dir als einen Gegenftand, 
Dein Nachdenken über die Quellen des Unfinns ver 
Menſchen zu üben. 


405 


— — — 


........ Sie haben eine unverwüſtliche Zuver 
ſicht in ihre Ueberlegenheit, und ſehen den ganzen 
Erdfreis als fih unterthan an. Wie kommen fie 
‚dazu? Tann man billig fragen; fie, bie außer Europa, 
wovon fie die Hälfte nicht einmal zu den gebildeten 
Ländern rechnen, kaum bie und da auf einer wüften 
Landzunge ein Fort, oder für Tribut ein paar Lan⸗ 
dungsplaͤtze beſitzen. Ueber ſolche Einwürfe hebt fie 
der Slaube an gewiffe vorausgeſetzte Wahrheiten ohne 
Schwierigkeit hinweg. Erftens find alle Ränder, wo⸗ 
bin Niemand aus dem gebildeten Europa gefommen 
if, Wüfteneien ober Barbaren- Eigenthum, kurz, von 
der Art, daß fie nicht die Ehre verdienen, in Betracht 
zu fommen, und fomit fällt bie eine Hälfte der feſten 
Erde ſchon weg; zweitens werben eine Menge anderer 
Länder, wohin Jemand aus dem gebildeten Europa 
zuerft hingefommen ift, durch Die bloße Thatfache dies 
feg Kommend jhon als erobert und als ihre eigenen 
angefeben, und ſomit haben fie den größten Theil der 
bekannten Erbe inne. Sie thun fih fehr viel auf 
ihre Schiffe zu gute. Weit fie nämlich in ihrem Lande 
nicht Leben koͤnnen, fo plündern fie entlegene Küften, 
wenn biefelben von einem ſchwachen Volke bewohnt 
werben, ober betteln mit Unverfchämtheit, wenn fie 
fühlen, daß fie mit Gewalt nicht ausreichen. Bon ber 


406 


Barmberzigfeit der Fürften und Bölfer haben fie hier 
und dort Erlaußniß erhalten, ſich anzufiedeln; fie fan- 
den Schu in ihrer Noth, Lebensmittel für ihren 
Hunger und Nachſicht für ihre: Anmafßung, überall 
aber Iohnten fie mit ſchwarzem Undank diefe Gnade, 
und mußten an ben meiften Orten, mo die gaftfreien 
Bölfer nicht felbft unterlagen und vernichtet wurden, 
gewaltfum hinausgejagt werden, um fie los zu feyn. 
Ueberall, wo fie erfchienen, fam mit ihnen Heuchelei 
und Lüge, Raub und Mord. Sie krochen demüthig 
heran, hoben fi dann wie die Schlange, ſpien tödt- 
lichen Geifer und warfen ihren gefchwollenen Bauch 
über die Unglüdlichen, die ihnen vertrauungsvoll ge⸗ 
naht waren. So haben ſie glückliche Völker ganz 
ausgerottet, edle in barbariſche verwandelt, bfühende 
Landſtriche zu Wüſten verſengt, Laſter und Krank—⸗ 
heiten ausgeſäet, welche Seele und Körper bis in's 
zehnte Glied vergiften. Veranlaſſung dazu war jedes- 
mal ihr Geiz und Heißhunger nah Schätzen; auf 
ihren Fahnen aber fand: Givilifation und Chriftene 
thum! 








407 


Ich war nicht wenig erfiaunt über diefe ſeltſame 
Lektüre einer fchönen jungen Dame, doch hatte ber 
verruchte Chinefe meine Neugierde Tebhaft angezogen, 
and begierig ging ich zum zweiten Fragment fiber. 

IL. j 

............ So fand ich Wien. Ich liebe in 
dunkler Nacht dieſe glanzvollen Straßen, wo die Fluth 
feſtlicher Lampen, von allen Säulen aufſtrebend, aus 
allen Fenſtern ſtrömend, Dich umgibt, und die Kugeln 
bengaliſchen Feuers vergeſſen machen, daß es eine 
Sonne gibt, und daß man eine braucht. Ich liebe dies 
Gedränge der von Neugierde, Müßiggang, Liebe oder 
Zufall verſammelten Männer und Frauen, Mädchen 
und Knaben, denen mit jedem Wagen ein neues Schau⸗ 
ſpiel ſich aufthut, das die Haufen hinter ſich zerreißt, 
bis ſie ſich vor den Thoren des flammenden Palaſtes, 
der heute die Blüthe Deutſchlands glänzendſter Ariſto⸗ 
kratie vereinigt, faſt übereinanderthürmen, wie Wogen 
der See. Und wie viele, wie prachtvolle Wagen 
kommen jest, du Kaiſerſtadt Wien, durch deine ge⸗ 
krümmten Straßen heran, und halten unter der Ein⸗ 
fahrt des Palaſtes, den unſer Freund, der Botſchafter, 
bewohnt. Wie prangen die Pferde — wie ſtolz thun 
die Kutſcher, die Jäger, die Diener, in ihrem hell⸗ 


408 


— — — — — 


glänzenden, ſchimmernden Node ber Knechtſchaft. Die 
Menge blickt vertraulich erfreut ſie an, ſie ſind von 
ben ihren. Aber jeder Wagenſchlag, ber aufgethan 
wird, feflelt jedes Auge, das ihn erreichen fann. Da 
hinkt in Roth und Gold, in Puder und Steife, ein 
Greis heraus, und die Dienge wäre nahe daran, fich 
über Täuſchung zu beflagen, bald flattert eine andere - 
Uniform hervor, ein Magnaten-Kaftan, ein Elegant 
ber Diplomatie, und ftellt Die Menge immer noch nicht. 
zufrieden. Nun aber neigt fi zum erftenmal ein in 
Brillanten fchimmerndes Haupt heraus, ein vorfichtig 
tappendes Füßchen, vor dem Kaiſer und Könige fih 
niederwerfen möchten, berührt den Wagentritt, bas 
andere folgt, und die reizende Geftalt, von ihrem 
Kleide wie von Armen der Liebe umfangen, ſchwingt 
ſich jetzt ganz die beweglichen Stufen hinab — da 
ſtarrt die Menge in Luſt und Staunen wie vor dem 
ſchönſten Tableau im Ballet, als noch Fanny Elsler 
die todten Bretter der Buͤhne mit Frühling und Roſen 
behing, oder wie vor einer Feuerfronte im Prater, 
wenn plotzlich die Nacht mit ihren Sternen bad ſtrah⸗ 
lende Blumenſtück wie im Rahmen einfaßt. 

Aufgethan find die Pforten-der wohlthätig erwärm⸗ 
ten Treppe, auf deren Stufen ſchon ſo viele Herrſcher 
nebeneinander Platz fanden; ſchmeichelnd berauſchender 


408 


Duft, als enifttege er den fügeften Worten fein bewegter 
Lippen, eilt allen - Kommenden als Gruß entgegen; 
Blumen, Bäume ſchmücken das Geländer und bitten, 
indem fie ed der Hand faft entziehen, daß man fie bes 
achte, ihrer Frifche, ihrer Fülle, ihrer Karben gemieße 
— ah Frifhe, Fülle und Farben, die drängen fidh 
ja Schöner, herrlicher an ihnen vorüber, und der Strahl 
aus diefen glühenden Augen, biefen offenen Pforten, 
zu einer in Gluth ftehenden Welt, er tödtet fie nicht ? 
Nein, er macht fie nur die Köpfchen melancholiſch 
hängen — auch find Feine Thränen daran — ſchon längſt 
bat fünftlihe Wärme die Thautropfen aufgetrodnet. - 

Da ſtehen in Iangen Reihen die Diener von alten. 
Sarben und Zeihen — da bricht Glanz aus ben. Sälen, 
Glanz an Glanz wie Schichten dahinftrömender Lava, 
oder wie Riefeln der See, wenn die Sonne eben big 
zur Hälfte in?s Tiebeheige Bette gefunfen iſt; Melodien. 
wogen heran, von fanft gebämpften Inftrumenten, Me⸗ 
lodien, wie Bellini und Beethoven fie fand, oder wie. 
Meyerbeer in Schwermuth und Frohfinn fie Dachte; fie 
herrſchen nicht, fie dienen nur, fie nahen nur eben dem 
Ohr und bitten bei dem Herzen um Einlaß. — Aber 
nie gewährte das Herz ihnen mehr als einen flüchti- 
gen Dank; denn ſchimmern dort nicht Edelſteine wie 
in Golkonda und Augen glängender als fie, und Haare. 


410 


vou zaubervoller Schönheit, und Blumen mit biamant« 
nen Kelhen, welde die Natur zur Bettlerin machen, 
und Gold und Silber und Seide! Wogt nit ein 
Heer von Siegen und Triumphen durcheinander — yon 
Stergen und Drben, von biendenden Nasen und 
ſchwellenden Buſen? 

Da ſteht der Herr des Hauſes und nimmt die 
Huldigung Europa's hin; dort ſitzt ſeine Dame, das 
Band der kaiſerlichen Gunſt um die Bruſt geſchlungen, 
und theilt das koſtbare Geſchenk ihrer Blicke aus; da 
drängen ſich Nuntius und Abgeordnete des Sultans, 
Biſchof und Bojar, Miniſter und General, Magnat 
und Fürft, Liebender und Geliebte, Freund und Feind 
in faum bemerkten immer wechſelnden Wogen vorüber. 
Jetzt Yäutet es dreimal. Wer iſt e8? Der Sohn bes 
Kaifers yon Oeſtreich. Er führt bie flattliche baieriſche 
Prinzeffin, feine Gemahlin, an der Hand. Sie würbe 
brechen unter der Laſt der Diamanten, göße nicht ber. 
Fönigliche Stolz Feuer des Lebens durch alle ihre Adern, 
Es Täutet wieder. Ha! der Sieger von Würzburg 
und Aspern. — Der Soldat kennt ihn, der Soldat an 
den Ufern der Weichfel, wie ber in den Straßen yon 
Bologna und am Dom von Mainz; feht, wie Die Augen- 
heller glänzen bei Jung und bei Alt! es Tächelt freubig. 
und ſtolz Alles, was Oeſtreichs Uniform trägt in den, 


411 
fdimmernden Sälen. Es läutet wieder. Dioßmal if 
es ber Prinz vom Gebürge, der kühne Jäger, der 
Freund des Bauern und ber Bruder des Kaiſers, Ver, 
weichen Alyenmann und Steiermarf am beiten kennen. 
Es Fäutet und läutetr — andere Kaiſersbrüver und 
Prinzen kommen, ihnen folgt ein trauernder Koͤnigs⸗ 
foßn aus dem Norden, die in Zugend und Schönheit 
prangende Frau an der Seite. Wie Alles immer le⸗ 
bendiger wogt, als züge der Hauch des Morgens über 
das fonnerleuchtete Meer! 

Wirf ab dein Leichentuch, und freue dich einen 
Augenblick mit den Lebendigen, ſo lange du gebuldet 
biſt in diefem Feenreihe! Schau um did. — Wer 
iſt dieſe Herrliche, die wie ein Magnet die Blicke 
feffelt, an der felöft Golb und Diamanten wie befeeft 
erfiheinen, und doch wie befchämt ver dem Gfanze 
ihrer dunkeln, ſchwermüthigen Augen? Ste fAreitet 
einher wie eine Königin, nicht wie eine, die unter ben 
Berpflichtungen und Beſorgnifſſen der Krone Bricht, 
fondern wie eine ſolche, deren Seele groß umb deren 
Haupt flarf genug wäre, um fie als Schmud zu tragen 
für beide. Die edeln Kormen ihres Körpers find durch 
Milde der Bewegung gefänftigt; doch welch ergreifen⸗ 
der Ernft wohnt in dieſem blafen Antlig, und wie 
geheimnißvoll, tief aus dem Herzen aufgetaucht, blitzt 


41% 

ein Schmerz in. biefen fhönen Augen, und ſchaut gei- 
fterbaft durch Die davor gelagerte Freude, — Der Pöbel. 
nennt fie flarr und ſtolz; bie Frauen finden fie hoch⸗ 
müthig und launiſch; der Mittelmäßigfeit erfcheint fie- 
oft unzart und geringfchägend; bie fie nur halb-Tennen, 
halten fie für hart und eigenwillig; aber ihre Freunde 
wiſſen fie edel, gut, warm und verfändig, unb alle 
zufammen, felbft die Frauen, nennen fie fhön — doch 
ift dies nur Schönheit? o nein, es ift mehr, weit 
mehr, als ich mit umfaffendem Worte hier auszufprechen. 
yermag ! 

Wer aber ift die anmuthige Geftalt an ihrer Seite, 
die man hochmuithig ob ihrer Einfachheit nennen Eönnte, 
ſpräche nicht ihr ganzes Wefen Far aus, daß fie Feines 
Schmuckes bedarf! Das Publifum kennt fie aus geifts 
reihen Schriften, und wie man mir fagte, war fie 
einſt das Schongfind der berühmten Frau von Stael. 
Wie demofratiich befcheiden fie neben der prächtigen, 
finnenden Fürftin flieht, aber gerade dadurch ihren 
Pla auch zu behaupten weiß. Zwei Jungfrauen 
folgen ihr, Wunderblumen, fo ſtill und Geift duftend, 
fo farbenreich und doch befcheiden, fo liebewarm und 
Seufh im ganzen Weſen — ach, wer dich einft zum 
Altar führen wird, bu jugendliche. Hebe, wenn er 
Dich Tiebt, wie fehr muß er dich lieben! — Und bu, 


413 


gluckliche Braut, die du deine Augen nach Oſten wen⸗ 
beft, und Gluth einſaugſt mit feinem Lichte, wirft du 
nicht bie beglüdtefte und beglüdenpfte Frau, fo ift bein 
Mann ein Berbrecer. 

Aber horch, es vaufcht vorüber wie Schlangen 
im Grafe: Selle Goldſchlange, wie wundervoll biſt 
du! Welch ein Zauber langt aus deinem Auge mit 
unſichtbaren, tauſendfingrigen Händen hervor, und um⸗ 
ſchlingt feſthaltend, was er gefaßt. Du blickſt ſtolz, 
faſt gleichgültig vor dich hin, und doch laufen deine 
Blicke wie glühende Kohlen über Buſen und Leib. Die 
Tochter einer ſchönen Mutter biſt du, und einen edeln 
Namen trägſt du. Wie das goldſtoffene Kleid ſich 
ſchmiegt an die herrliche Fülle der Glieder, wie dieſe 
Füßchen zum Kuße laden, wie dieſe unvergleichbare 
Bruſt wogt und den Jüngling berauſcht, der fie ans 
blickt, berauſcht mit Glück und Berzweiflung. Der 
Orient ſpricht aus dieſem reinen Halbrund des Kopfes, 
aus dieſem dunkeln reichen Haar, aus dieſem Nacht 
brand der Augen, aus diefen wollüftigen, Sehnſucht 
fühlenden und gebenden Lippen. Ich habe einfache 
Mädchen gekannt, und es ward mir wohl, wenn ich 
fie anblickte. Sie wiegten meine Gedanken und Em⸗ 
pfindungen wie bes Sees Fräufelnde Wellen im Abend» 
wind. Du aber — unwiderftehliche und höhnende 


414 


Stegerin, bu bift Scheiterhaufen und Wolluſt, du bift 
Sturm der See und Paradies, Untergang und Selig- 
keit! Sa, die Fürfkin und du — ihr feyb bie ſtrahlen⸗ 
den Königinnen bes Feſtes. Wer jene liebt, wird fie 
ewig lieben, du wirft den heftigften Rauſch der Lei⸗ 
denſchaft erregen — aber des Raufches Natur iſt vers 
gänglich! . 
Haben Sie niemals drei Miniſter freundlich neben 
einander ſitzen ſehen, wovon jeder etwas anderes denft 
and will? Hier betrachten Sie den Fürſten Metternich, 
ihm zur Rechten den Herren von Tatitfcheff, und zu 
feiner Linken ben Grafen St. Aulaire. Es wird nun 
blos darauf anfommen, welcher yon. Diefen breien ber 


geſchickteſte Myſtificateur iſt. 


Dies hatte, wie es ſcheint, nicht mehr der Chiueſe, 

fondern ein weltluftiger Europäer gefhrieben. Noch 
baroder dünkte mir das dritte Bruchſtück, wahrſchein⸗ 
lich von bemfelben Verfaſſer. 


45 


III. 


Lazareth von Trieſt am 20ten Auguſt. 
Theure Sara! 

Unſere Ausflucht nach Aegypten iſt beendet, und 
wir Alle glücklich im Vaterlande wieder angelangt. 
Gazelle und Chamaͤleon befinden ſich a merveille. Die 
erſte iſt zwar noch etwas lahm, denn ſie wurde vor 
mehreren Tagen in dieſer Heilanſtalt, in der wir uns 
Alle befinden (und in welche man gewöhnlich gefund 
eintritt, aber faſt immer krank wieder herauskommt), 
von einem Skorpion geſtochen; es wimmelt bier zur 
Ehre der Sanität davon; Antonio muß ſich alle Nächte 
gegen Skorpione und Mänfe fihlagen, mein Zimmer 
befuchen fie etwas feltener. Was das Chamäleon be- 
teifft, fo iſt es körperlich vom Tode auferftanden, und 
zeichnet fi Durch feine Abfcheulichkeit und fittfames 
Beiragen and. Es verdient, daß ich etwas Mehreres 
für deffen Ruf thue, fonft Iäuft e8 Gefahr, unbemerkt 
aus der Welt zu geben; ich verleibe daher dieſen ewi⸗ 
gen Blättern ein: 


Die Sebensgefchichte meines Chamäleons. 


Diefes häßliche, zwifchen Eidechfe und Kröte ſchwe⸗ 
bende Thier verbient eine vorzügliche Aufmerffamfeitr 


416 


da es aus jener Klaffe der Gefchöpfe if, bie, weit 
über ihre Gattung hinaus, Nachahmer finden, und 
ihren Namen fcheinbar höheren Wefen aufbringen. Es 
ift ein Tiebes Thierchen, etwa acht Zoll lang, Eidechs⸗ 
form, trägt eine Art Spitzhut, den Pipi’s I nicht uns 


ähnlich, hat einen Rachen fo lang als der Kopf, Augen,’ 
die fih in Kugeln beweglicher Art befinden, natürliche: 
Dollonds oder Herfchel’iche Telefkope, einen gezahnten: 
Rüden, vier Zoll. langen Leib‘ und eben fo langen, 


dünnen und fehr empfindlichen Schweif, vier Deine, 


an jedem Ballen zwei Füße und fünf Krallen. Seine. 
habituelle Farbe ift grasgrün; im Schlaf (Ces ſchläft 


als frommer Bürger wenigftens 14 Stunden. in 24) 


wird es gelb; im Wohlbehagen, wenn. e8 nämlich ein. 


Fleckchen mit Sonne findet, wird es ſchwarzgrau; oft 
beliebt e8 ihm, halb ſchwarz, halb grün au ſeyng im 
Beſorgniß,  Angft, Bedrängniß, Schmerz wird es 


fledig, und dieſe Flecken felbft wechfeln auf die mannig⸗ 
faltigfte von untergeorbneter. bis zur fhönft geordne⸗ 


ten Form und machen Deſſeins, die für Kaleidoffope 
zu empfehlen wären und Stiderinnen dienen Tönnten. 
Es ift fehr ruhiger Natur, phlegmatifch wie ein Raths⸗ 
berr, bat einen beruhigenden Ausdrud yon Dummheit, 


1 Kleine Hüte der Damen, die wahrfcheinlich damals 
Mode waren. 











417 


und bewegt fi) Yangfam. Ueber feine politifchen Ge⸗ 
ſinnungen bin ich ohne Beſorgniß; über Religion ſpricht 
es ſich nicht aus, ſcheint aber ein Parſe, da es vor⸗ 
züglich der Sonne huldigt. Für Fraß und Trank 
"braucht man gar nicht zu ſorgen, es frißt wochenlang 
nichtd, dann oft wieder an einem Tage zwanzig Fliegen, 
die es auf eine merkwürdige Weife fängt; es flößt 
nämlich löslich eine Zunge, die oft länger als es 
feroft ift, aus dem Rachen auf die Fliege los, biefe 
bleibt daran leben, und geht dann den Weg alles 
Fleiſches. 

Dies zur Einleitung, damit du bei ben kommen⸗ 
den Zeilen wiſſeſt, um was es fich handelt. 

Mein verehrtes Chamäleon wurde am Vorabend 
meiner Abreife von Alerandrien von Muftapha Alt, 
Sanitfoharen meines Freundes, gefänglich eingezogen, 
und da fein Herr fih nicht mit ihm befaffen mochte, 
mir als ein unintereffirtes Andenken zum Gefchent 
gebracht. Antonio wurde zu deſſen Wächter beftellt; 
er auch brachte es an Bord. Nachdem wir, das Cha- 
mäleon und ich, Abſchied genommen vom Geſtade fei- 
ner Heimath, brachte e8 mehrere Tage in Faften und 
guten Werfen zu, fing dann wieder an, ſich der Ge- 
fhäften und dem öffentlichen Leben hinzugeben, be- 


ſuchte mit vielem Anftande die Offiziere auf ihren 
Süpöftl. Bilderſaal. II 27 


418 


Zimmern, bewohnte gewöhnlid die Vorhänge in ben 
meinigen, benahm ſich gut, überließ ſich aber in ber 
Sliegenjagd manchmal zu fehr feiner Fühnen Bedäch⸗ 
tigfeit, jo daß ed, die Gefahr verlahend, den Leuten 
unter ben Füßen herumkroch, ohne fie yon feiner Ge⸗ 
genwart zu avertiren. Der Himmel, um es bafür zu 
ſtrafen, bediente ſich in feiner Weisheit und Milde 
bierzu des Fußes eines gewiffen della Lucie, Schmuß- 
kümmels von Gharalter, wie die Triefiner fagen, und 
Bedienten des Kommandanten dem Range nad. Dies 
fer della Lucia alfo trat ganz unbefangen auf baffelbe, 
queifchte es völlig, und ſah fein Verbrechen erſt ein, 
als es gethan war. Taumelnd verkroch fih bas Cha⸗ 
mäleon nach dieſem furchtbaren Schlage, ohne daß 
man eine Läfterung aus feinem Munde vernommen 
hätte und wurde Durch mehrere Tage nicht gefehen. 
Wir wollten fhon ein de profundis anflimmen, ale 
wir ed, zwar ſchwach, aber aus ber platten Geftalt 
anftändig aufgerundet, an ber Verbedfliege wieder 
erbiickten; fein Auge war gedanfenvoll; Ernf ſaß auf 
feiner Stirne; die Nafe blutete noch und die Unter⸗ 
finpe verriet Spuren, Die ed ald Zeugen ber erlit« 
tenen Schmach bi8 an ben füngften Tag wit ſich 
tragen wird, Mit dem Fliegenfangen haperte ed nun 
im Wertfinne. Dennoch durch des Himmeld Gnade 


419 


gedieb es auch im biefew wichtigen Rüdficht wieder 
zur Beſſerung und ſah hoffnungsvoll dem Trieſter La⸗ 
zareth entgegen. Als wir dieſen Tempel nach mancher 
erlittenen Gefahr und Verzögerung anfihtig wurden, 
befam dad Chamäleon meine Hutfchachtel jur provi⸗ 
forifchen Wohnung, wurde, wie Ulpffes, Im Schlafe 
von dem Schiffe an bie wirthbare Küſte gebradit, und 
und bezog am Sten Auguft früb das Quartier nobile, 
wo es noch dermalen wohnt. Wie es bier unſägliche 
Gefahren beſtand, ſich den Studien ergab, Bekannt⸗ 
ſchaft mit der Gazelle machte und in mancher Bezie⸗ 
hung einen neuen Menſchen anzog, will ich auf mein 
nächſtes Blatt verſparen, damit des Intereſſanten nicht 
zu viel auf dieſes komme. | 


Der Mebensgeſchichte Des Chamäleons 
zweiter und vorletzter Theil. 


Ohne die Anſichten zu kennen, welches das holde 
Thier von Europa geſchoͤpft hat, koͤnnen wir doch mit 
einiger Zuverſicht ſagen, daß es nicht die beſten waren, 
denn es fror auf eine Weiſe, daß wir mehrmals ge⸗ 
nöthigt wurden, es auf unſerm eigenen Koͤrper und 
im Bette zu erwärmen, um feinen erſtarrten Gfiebern- 
wieder Leben zu geben. Es ſchloß fi jedoch den 


420 


Zeitumftänden an, wurde unbehülfficher und deßhalb 
mit dem Excellenztitel belegt, brachte viele Stunden 
des Tages auf franzöſiſchen und deutſchen Zeitungen 
zu, und hatte ſeinen Kopf mit Politik dick gefüllt, als 
das Verhaͤngniß, dießmal durch den Fuß meines. 
Freundes Connomopolo, denſelben wieder platt trat, 
und dabei das linke Auge faſt ganz zerſtörte. In ko— 
miſchen Kreiſen, vom Schmerz getrieben, ſchwankte 
das Arme und meinte zu vergehen. Wir hielten es 
für verloren, aber Gott iſt allmächtig! — es erhob 
fih auch dießmal wieder aus der argen Bedrängniß, 
und felbft das Auge beilte fi) in wenigen Tagen aus. 
Noch war es indeß nicht ganz bergeftellt, als Das 
wunderbare Thier, in frommen Betrachtungen auf 
dem Fenfterbalfen ſich ergebend, aus dem erſten Stode 
in den Hof fiel. Es geſchah an demfelben Tage, an 
welchem die Gazelle einen noch betrübteren Sturz 
im heimlichen Gemade that, und erſt nach Tanger 
Wafhung und Raffinirung der Gefellfhaft nafenhäl- 
tiger Freunde und Schätzer wiedergegeben werben: 
fonnte. An die Umſicht des Chamäleons gewöhnt, 
hatte Niemand fein Unglück geahnet — als plötzlich 
Das Geheul der Lazarethwächter etwas Großes ver=- 
kündigte. Ich glaubte im. erſten Augenblide, es habe: 
Makaroni oder. fonft etwas allgemein Nützliches ge⸗ 








421 


segnet, denn nur fo konnte ich mir die Ausrufe vort 
Veberrafhung, und, wie mir fehien, ausgelaflener 
Freude erflären. Der Strom wälzte fi bis an meine 
Thür — und ba vernahm id, e8 habe fidh ein außer- 
ordentliches, nie geſehenes Thier gefunden, und ftehe 
mir als verdienftlichen Dienagerie-Inhaber zu Gebote. 
Ih ging — und fah die Erceflenz auf einem fonne= 
beſchienenen Düngerhaufen gedanfenvoller Ruhe pfle⸗ 
gen. Genien müfjen es binabgetragen haben, denn es 
war unverfehrt. Es hat feither denſelben Sturz, ſelbſt 
auf härtere Gegenflände, noch mehrere Male in un: 
pergleichlicher Ungefchietichfeit wiederholt, und immer 
bat die Hand der Borfehung fih an ihm mild bewahr- 
beitet. Sein einfaches, ruhiges Leben, feine Entfer- 
nung von allen demagogifchen Umtrieben machten ed 
täglich ber Gleichgültigfeit feiner Vorgeſetzten würs 
diger, als ſich unglüdlicher Weife ein häuslicher Zwifl 
zwifhen Madame Gazelle und Herrn Chamäleon ent- 
ſpann. Das Befchnüffeln von Seiten der erftern ſchien 
ihm zu mißfallen, er 30g die glänzendfte feiner Livreen, 
die der Furcht, alfogleih an (grünes Tuch mit brei⸗ 
ten Trauerborten, reih in Schwarz geftidt, ftehendem 
Kragen, ftraffem Schweif und Schnürleib), und ergriff 
eiligft die Flucht: Seit diefer Zeit iſt eine gewiſſe | 
Unbehaglichkeit an ihm fihtbar, fo oft Madame im 





488 


immer ſich befindet, und kein Ehemann kann rafcher 
die entferntefien und gewagteſten Orte zu erreichen 
fuhen, ald Se. Ercellenz das äußerſte Ende eines 
Pfeifenrohrs oder fonft ſchützende Gegenflände in der 
gefürchteten Nähe. 

Was den neuen Menfchen betrifft, den es anzog, 
wie ich erwähnte, fo ift biefer Punft etwas fihwierig 
zu berühren, aber zu wichtig, um übergangen zu wers 
den. Es muß bier vor Allem bemerkt werden, baß 
im Laufe von zwei Monaten nicht Das geringfte corpus 
delicti einer chemiſchen Berwanblung irdiſcher Stoffe 
vor ben hohen Rath hatte gelegt werben Fönnen, fo 
dag wir ſaͤmmilich in den gräufichen Irrthum verfallen 
waren (und wer bürfte deßhalb einen Stein gegen 
und aufpeben?), daß bie verehrte Ercellenz auf uns 
fichtbare Weite, in Luft zerfest, dad Berbaute von 
ich gebe. Bor ein paar Tagen aber, zu Alter Er- 
ſtaunen, Tieferte es einen beträchtlichen Gegenbeweid 
und zwar in folder Menge, daß es Leicht für das 
Werk vieler Wochen erfannt werben mußte. Dieſe 
neuefte Ausgabe. feiner Werke erfchien in fieben Abs 
fepnitten, wovon zwei gelb und die andern ſchwarz 
gebunden ‚waren, und ber Afademie wißbegieriger 
Fliegen auf dem Mißhaufen übergeben wurden. Diele 
merkwürdige Erfcheinung verräth fich offenbar ale eine 





423 


Folge des Entſchluſſes, ſich an die Sitten und Ge⸗ 
bräuche des neuen Baterfandes anzufihließen. Wie 
viele andere Menfchen, 3. B. der türkifche Sultan, 
füngt das Chamäleon die Civilifatton von hinten at. 
Wie viel fi) auch dagegen fügen Täßt, wir dürfen 
die Intention nicht verfennen; fie verbient Achtung 
und unſern aufrichtigen Beifall. | 


Lazareth von Trieſt, den 28ſten Auguſt. 


Dem armen Chamäleon iſt ſo eben durch Madame 
ein Fuß entzwei gebiſſen worden! Weinet Alle und 
heulet Klagelieder! Vielleicht aber wächsſt er wieder 
zuſammen, doch iſt es ſchlimm, der Knöchel iſt durch⸗ 
gebiſſen. | 


Lazareth von Zrieft, ten 3often Auguft. 
Bülletin. | 

Se. Excellenz haben: eine unruhige Nacht gehabt, 
nur zwölf Stunden gefihlafen, den Fuß gar nicht ger 
brauchen können und einen krankhaften Hang nad ber 
Senfterbanf gezeigt. Nach Ianger Beratbung baben 
Die Aerzte äußerlich einen Tropfen Del verorbnet, 
innerlich aber Geduld und Ergebungz auch wurde 
dem Leidenden frifhes Gras untergebreitet, welches 
Madame mit großer Gefahr fir Se. Excellenz ia 





424 


einem unbewachten Augenblide auffrag. Trotz der 
förperlichen und geifligen Erfchöpfung haben der hohe 
Patient abermals ſechs Abfchnitte ihrer neuen Werke. 
erſcheinen laſſen. Da aus Reſpelt vor dem berühm- 
ten Leidenden biefelben noch nicht geöffnet worden find, 
fo Eönnen wir nit mit Genauigfeit dem geehrten 
Publikum mittheilen, ob ber legte Abſchnitt das Te- 
ftament enthalte, vder Rathichläge an die Zeitgenoffen. 


| Der ordinirende Bon Seiten der Yazarethbehörbe 
Arzt Peter Zipfel, 
Strumpf. Actuar. 


Der Febensgeſchichte meines Chamäleons 


dritter und letzter Theil. 


Da ich jest, wenn ich wollte, außer dem Testen, 
noch den zweitleäten, den allerfegten u. |. w. Theil 
vor mir hätte, jo könnte ich mich weit auslaffen über 
Bas thatens und Teidenreiche Leben meines Helden. 
Der Stoff iſt reih, aber Großes muß auf großar- 
tige, d. h. auf einfache Weife behandelt werden. Die 
Weltgeſchichte ſelbſt iſt am Ende auf wenige Blätter 
zu fehreiben, und bie Weisheit der Weifeften Tieße fich 
au einer mäßigen Pille zufammendrüden, die jeder 
Keifende durch das Land des Lebens in feiner homöo⸗ 
pathifchen Apotheke zum Gebrauch für fih und ganze 








35 


Voͤlker mit fih führen könnte. Ich erinnere mich einer 
jochen Apothefe von der Erfindung eines relegirten 
Hallenfer Studenten, wo in den Fläſchchen, ftatt 
Streukügelchen, Conftitutionen präparirt Tagen, ein 
fehr remarkables Werk, und von biefem Philantropen 
zwar der ganzen Menſchheit gefchenft, einftweilen aber, | 
bis fich Diefe meldet, beftimmt, im Fez des Sultang 
niedergelegt zu werben. ! Alfo zu meinem Chamäs 
leon! Es gibt Wunder, die vielleicht dem Thäter 
Spaß mahen, fonft aber zu nichts nüslich find; es 
gibt andere, die für den Denker zeitweifen Offen- 
barungen gleich fommen und ihn über Zweifel berubhi- 
gen, von benen fämmtliche Univerfitäten, zwar nicht 
ſprachlos, aber defto ſchlimmer für fie, daftehen. Das 
fogleich zu erzählende Wunder, weldes an meinem 
Chamäleon geſchah, gehört zu der zweiten Art. Noch 
war der Fuß nicht wieder zur Brauchbarkeit ausge⸗ 
wachſen, den ihm feine Gefährtin in einem Augen 
blide der Zerftreuung, oder Übergroßen Hungers, ab» 
gebiffen hatte Cein Unfall, den es durch ungeitige An⸗ 
wendung feines diplomatifihen Talentes, ſich in alle 
Farben zu Heiden, und in alle Falten zu fügen, ſelbſt 


ı Wir haben kürzlich geſehen, wie fie von dort bereits be= 
gönnen, an’s Licht der Welt zu treten. 
Anmerk. bes Herausgebers. 


— — 





zugezogen hatte; denn Madame behandelte es als 
Grad, wie es auf dem Grafe Tag), als feine und 
meine Jammerszeit endete, und wir Alle ber Freiheit 
wiedergegeben wurben. Ich hatte mich, was wirklich 
an das Wunderbare grenzt, gefund erhalten im Laza⸗ 
reihe, Eonnte mid alſo ſchnell auf die Reife maden, 
und that es auch, obgleich ein lähmender Froft mir 
aus der Heimath entgegen kam. Mein Chamäleon 
bewohnte während des Tages meine Weſte; des Nachts 
aber, in der Beſorgniß, es zu erdrücken, hatte ich es 
in einer Schachtel untergebracht, die ich unter den 
Mantel zu ſtecken beabſichtigte. Kaum war das häf- 
liche Bild unſeres Gefaͤngniſſes unter den Horizont 
geſunken, und der blüthenreiche Karſt vor uns, ſo 
jchnitt der Wind kalt in den Wagen hinein. In der 
Nacht fuhren wir durch Adelsberg, und am Morgen 
waren wir in Lohitſch, wo ich, um nicht zu erfrieren, 
mich aus dem Wagen berausheben und in die Wirths⸗ 
fiube tragen Tief. Ein Nebengrund war, daß ich den 
Wagen zufammenflidlen Taffen mußte, denn er Hatte 
an einem Steine vor Lohitſch Anftoß gefunden, und 
war in Trümmer gegangen. Sch Bätte alſo doch nicht 
weiter kommen Tönnen vor einigen Stunden. Nun 
denfe dir mein Entfegen Ca, wie ſchwach find bie. 
Sprachen!), als ih, aus meiner verbammenswerthen 


487 


Bergeblichleit endlich erwachend, die Schachtel ſuche, 
endlich in einem Winkel des Wagens fie finde, aufs 
zeige — da liegt mein Ehamäleon, noch im Tode 
fhön, beinfeft gefroren darin. Ich nehme es heraus, 
will meinem Gefichte, meinen Gefühlen nicht glauben, 
Hopfe mit dem fteifen Thiere auf den Tiſch — mein 
Gehör beflätigt, was die anderen Sinne fagten — 
beinfeft, fage ich, wie ein Stüd Holz. Der Schmerz 
übermannte mid, und ich will den Leichnam fchon 
. einer Katze vorwerfen, um ihn meinen Augen wie 
meinen Gewiflensbiffen auf immer zu entrüden, ba 
hält mich eine unfichtbare Hand zurück — ich laſſe 
mir Kalbskotelettes und Wein bringen (Herr, beine 
Wege, wer begreift fie!) und befchwichtige mich durch 
Efien. Run beginnt das Wunder aus jener unſicht⸗ 
baren in die fihtbare Natur überzugehen. Es war 
ungeheuer heiß in diefem Zimmer, eine wahre Brüte 
wärme der Dummheit. Da iſt mir, ald zude mein 
Chamäleon, das vor mir auf dem Tiſche Tag. Ich 
will e8 nit glauben — es zudt wieder — ich fange 
an, zwiſchen Angft und Hoffnung zu zittern — es zudt 
und zudt, dreht ſich endlich — wacht auf; fein erſter 
Bid fällt auf die Weinflafhe. Es Triedt mühfam 
derſelben zu — Hetiert hinauf an dem Glafe, durch 
das das helle, falſche Gold fchimmert, faͤllt herunter 


428 


und lettert wieder; dabei fperrt es den Rachen auf, 
verlangend, flebend; der größte Redner hätte nicht 
Harer ſich ausſprechen können. Ich tröpfle ihm einen 
Tropfen Wein ein — einen zweiten, einen britten — 
zehn vielleicht; da beginnt es fich zu drehen, und zu 
wälzen, und gräaßliche Fratzen zu fchneiden. Das ift 
der Todesfampf, fag’ ich mir verzweiflungsvoll, ee 
erwachte nur, um auf ewig zu entfihlafen! Mir fallen 
Berwundete ein, die noch einmal begierig trinken und 
dann fterben. Uber ſieh, es ftirbt nicht! nachdem es 
eine Weile geraftet, beruhigt es fih, — verlangt 
wieder zu trinken; jeßt geb’ ich ihm Waſſer. Es wird 
fihtbar kräftig — ich wage ihm eine Fliege vorzu- 
legen — es frißt fie, es Lebt! Sein präfumirter Tod 
war Schlaf — fein geglaubter Todeskampf Raufch! 
Es ift erftanden. 

Seit dieſem Augenblid habe ich e8 nie ohne Ver⸗ 
ehrung angeblidt — nie ohne Gedanken, die ich hier 
zu entwideln nicht Zeit habe. Es reiste glücklich mit 
mir bis nach Peſth, wurde an der Mauth, obgleich 
ed ohne Paß war, nicht angehalten — ergößte Biele 
und erfebte Biel — kam zu hohen Ehren, indem ed 

die böchften Damen in vertrauten Morgenſtunden be= 
| fuchen durfte — gab eine reihe Folge von Werfen 
heraus und fuhr endlich, nachdem es im Gaſthof zur 


. 








49 


Ungariſchen Krone durch den Genuß mehrerer mit Ar- 
jenifpapier Cdie legte Erfindung bes großen Jahr: 
hunderts) vergifteten Fliegen das Zeitliche gefegnet, 
wohl. ausgeftopft in das Paradies des profektirten 
Peſther Mufeums ein. Es hat den Ruhm, bis jegt 
noch der erſte und Iegte Gegenftand zu ſeyn, den viele 
munifizente Anftalt beſitzt. 

Wie viel. Stoff zum Nachdenken bietet dieſe merf- 
würbige Geſchichte für einen philoſophiſchen Geift — 
wie viel nüglide Lehren in diefem Leben, für alle 
Stände, felbft für den fo ſchief beurtbeilten der Säu- 
fer! — Süße Freundin! liebſt du es nicht, ſelbſt im 
Tode noch? 








Ich hatte mit fo ungetheilter Aufmerffamfeit ge⸗ 
leſen (denn man weiß, wie viel ich fchon felbft mit 
Chamäleons zu verkehren hatte), daß ich erft: beim: 
legten Wort das ominöſe Zeichen der Unterfchrift ge⸗ 
wahrte, und es jetzt erfchroden anſtarrte. 


le guien Geiſter — Halbmond und Kreuz! 
Alſo der Geber Norma's fchrieb dieſe Zeilen, der ges 
heimnißvolle Graf, oder wer? ebenfalls ſteht er mit 
ihr in Berbindung — war er nicht vieleicht ber 
Schatten, den ich in der Grotte bingleiten ſah? 

Hierüber muß ich Aufklärung finden! fuhr ich 
in meinem Selbfigefpräde eifrig fort — ich foll fie 
nur am Freitag feben, heute ifi aber Freitag, warum 
ihn alfo nicht gleich benutzen — fte ift allein, erwartet 
mich vielleicht — Zögern wäre Thorbeit! 

Geſagt, gethan. Mit einbrechender Dämmerung 
Rand ich vor dem bezeichneten Haufe. Kaum Tonnte 
ih das rothe Kreuz noch erfennen. Doch fobald ich 
dreimal leiſe angepocht, erfchien ein reich in Roth und 
Gold gekleideter Negerfnabe, Als er das gebotene 
Wort aus meinem Munde gehört, machte er ein 
Zeihen, was mir anbeutete, ich‘ möge hier einige 
Augenblicke auf ihn warten. Kurz darauf kam er, in 
einen ſchwarzen Mantel gehüllt, wieder heraus, worauf 
er langfam, bald rechts bald Linke, in vielen engen 
Gäßlein am Fuß der Akropolis vor mir ber ſchritt. 
„Der Wind war kalt; der Weg war weit.” Schön 
Hänzte im Mondſchein ber Thefeustenpel, und dane⸗ 
ben erhob fih drohend bes Areopag’s ſchwarze Felſen⸗ 
mauer. Bald waren beide hinter und, und wir 





— — u — — 


wandten uns nunmehr rechts dem Olivenwalde zu. 
JZwiſchen eng zuſammenſtehenden Gartenmauern, bie 
Domengebüfche überhingen, uns mühſam hindurch 
awängend, und und fortwährend bald nad biefer, bald 
nach jener Seite wendend, gelangten wir nach einer 
guten halben Stunde in einen etwas freieren Theil 
Des Waldes, wo ich ein Feines aber nettes Häuschen, 
aus rez de chanssse und einem Stockwerk beſtehend, 
einfam vor mir liegen fah. 

Der Negerfuabe ergriff mich beim Arm, wies 
darauf hin und verſchwand im Dunkel ber Baumes, 
Nur zwei Fenſter waren erleuchtet. Hohe Delbäume 
Banden rund um bie ifolirte Wohnung, und ein großen 
gottiger Hund, ber bevor wachte, bellte mich zornig 
an. Doch auf einen entfernten PA beruhigte er fi 
ſogleich und ſtreckte ſich gähnend wieder nieder. Ein 
Klopfer in Form eined Löwenkopfes glänzte heil ges 
pust an ber Thür, und ich fegte ihn mehreremal ari⸗ 
ſtokratiſch ia Bewegung, che geöffuet wurde. Ein 
alter Mana, in griechiſcher Rationaltracht, erſchien, 
und da er wohl ben Fremden in mir erfamnie, frug 
er auf italieniſch nach meinem Begehr. 

Ich bat ihn, wich bei feiner Hersichaft als ben 
Deutſchen zu. melden, der ihr das in ber Grotte ver⸗ 
geffene Buch zurüdbringe. Der Alte fehüttelte ben. 


438 
Kopf und meinte, die Stgnora pflege gar Feine Be- 
ſuche, am wenigften um dieſe fpäte Stunde, anzuneb- 
wen, Doch wollte er die Botſchaft ausrichten. Ich biieb 
unten im Flur fteben, wo eine büftere Rampe brannte, 
und wartete ziemlich Yange auf des Alten Rüdkunft. 
Endlich zeigte er fi) wieder, wie mir vorfam, mit 
einer noch verbrießlicheren Miene ald zuvor, auf dem 
oberen Abfat der Treppe, und winfte mir zu fidh 
herauf. Mit ein paar Sprüngen war ich bei ihm; 
er öffnete die. Thür eines Fleinen Borfaals, wies flills 
fhweigend auf einen dunkelrothen Thürvorhang, ben 
das Licht im inneren Gemach wie einen Transparent 
durchglühte, und entfernte fih. Nicht ohne einige Be⸗ 
fangenheit näherte ich mid dem Heiligthum, ſchob 
Seife die Drapperie zurüd, und trat fchüchtern ein. 
Die fchwarze Dame Taß feitwärtd der Thür in ber 
&de einer eleganten causeuse, und ihr holder Anblid 
gab mir fehnell den halb verlorenen Muth wieber; 
„Man muß gefteben,” fagte fie, halb lächelnd, halb 
ſchmollend, „Sie willen bie Leute ſchnell beim Worte 
zu nehmen, doch will ich nicht zürnen, da Ste eine 
fo gute Entfhuldigung mitbringen. Wo iſt mein 
Buch? Ich babe es gleich ſchmerzlich vermißt, und 
freue mich wenigftens darüber, daß es einem fo ehr⸗ 
Kidhen Finder in bie Hände fiel Setzen Sie fid, 


433 


und geben Ste mir dann ohne Zögern meinen 
Schatz zurück.“ Schon faß ich auf ber causeuse 
neben ihr, und überreichte ehrerbietig den Maroquin⸗ 
band. 

Aber, Madame, erwieberte ich, da Eie meiner 
Ehrlichkeit foldhe Gerechtigfeit widerfahren laſſen, muß 
ih mich im Boraus und offen einer großen Indis⸗ 
fretion auflagen — denn ich las in dem Buche — ja, 
ich fand fogar etwas darin, was mit einer früheren 
Begebenheit meines Lebens in naher Berührung fleht, 
und über das ich höchſt begierig bin, von Ihnen Aufe 
Härung zu erhalten, 

„Die werde ich Ihnen fchwerlich ertheilen können,“ 
fiel Madame Namor haflig ein, „denn das Buch ges 
.bört meinem Manne, und enthält nur Erzerpte, bie 
theils er, theils ich, kopirten. Doch — welches ift 
denn der Gegenfland Ihrer Neugier ?⸗ 

» Das Zeichen des Kreuzes und Halbmondbes mit 
einander verfchlungen, welches unter einem der Ab⸗ 
Schnitte ſteht, fagte ich, fie firirend. 

Mir däuchte, es zucke etwas Schmerzliches über 
ihr Geſicht bei diefen Worten, doch fuhr fie gleich 
darauf unbefangen fort: „D das meinen Sie? — 
Es ift ein Freund meines Mannes, der fi) zuweilen 


fo unterzeichnet, und ber Brief, ben Sie gelefen, und 
Süpöftl, Bilderfaal. IL 28 


— — — — — 


der son ihm herrührt, war am. feine Frau ‚gerichtet, 
die ‚glei mir Sara heißt.“ | 

Der Briefſteller ſelbſt fheint ein Dann von 
mannigfachen Gaben. zu feyn, fagte ih; ift er no 
jung? 

„O gewiß, kaum einige zwanzig Jabre alt.“ 

Kennen Sie ihn ſchon lange? 

„Aber Sie verhören mich ja wie ein Kriminal⸗ 
richter! Allerdings Tenne ich ihn feit Jahren — er 
it unfer Hausfreund; demungeachtet,“ verbeflerte fie 
fh, „darf ich kaum fagen, daß ich ihn Tenne, denn 
was er eigentlich im wahren Innerſten feyn mag, ber 
Sonderling, was in der Tiefe feiner Seele begraben 
liegt, fo wie felbfi der ganze Verlauf feiner feltfamen 
Schickſale, find mir nur unvollſtändig befannt, gerabe 
hinlaͤnglich jedoch, um zu wiffen, Daß fie einer. genanern 
Nachforſchung vielleicht werth feyn mögen. Indeſſen,“ 
feste fie mit einiger Verwirrung hinzu, „fühlte ich 
bisher weder Neigung noch Beruf zu fo grünblicher 
Unterfuchung.” 

Da fie hier verlegen abbrach, und abſichtlich die 
Konverſation auf etwas Anderes zu bringen fuchte, fo 
fürdhtete ich, dDurd) meine Neugierde unbequem zu wers 
den, und beſchloß, lieber die Zeit für nich Ib u 
benugen. 


435 


Und Ihr Dann, frug ich, gleicht er dem Haus; 
freunde? 

„O,“ vief fie lachend, „mein Mann ift nicht fo 
somanhafter Natur, und denkt mehr an feine praftis 
hen Geſchäfte, als an alle die phantaftifchen Grübes 
Ieien, denen ſich Achrios überläßt. Ich glaube übri« 
geng,” feste fie fchalkhaft hinzu, „er gleicht Ihnen 
felöft weit mehr als meinem Gemahl.“ 

Wie glücklich würde ich mich ſchätzen, erwiederte 
ih, wenigftens denfelben Titel des Hausfreundes mit 
ihm zu theilen, obgleich ich wohl fühle, fette ich mit 
leiſerer Stimme Hinzu, daß es mir unmöglich ſeyn 
würde, der fhönen Sara Hausfreund zu feyn, ohne 
in die wilbeflen Träume jener romanhaften Einbil⸗ 
dungskraft zu verfallen, die Sie fo eben als unfer 
beiderfeitiges charakteriftifches Erbtheil bezeichneten. 

„Daß die Männer doch nie mit und allein feyn 
Sinnen, ohne in den Ton der Galanterie zu verfallen! 
Ich bin überzeugt, daß Sie jeder irgend leidlichen 
- Frau daſſelbe jagen würben.” | 

Warum, möchte ich auf diefe ungerechte Voraus⸗ 
fegung antworten, wollen die Weiber doch immer alle 
Männer über einen Leiften ſchlagen? Ich wenigftend 
gehöre nicht zu den Frivolen, von benen Sie fpres 
chen — aber noch weniger follten Sie jo ungerecht 


* 


436 





gegen fich ſelbſt feyn, ſich mit den Alltäglichen Ihres 
Geſchlechts in eine Klaffe zu fegen. Sollten denn 
Sie allein, fuhr ich inniger fort, indem ih fchüchtern 
ihre Hand ergriff, die fie ſchnell zurüdzog, follten Sie 
allein die Gewalt von Reizen verfennen wollen,. die 
auch den Kälteften entflammen müffen? Und bürfen 
Sie ed dem Stahl verdenfen, wenn ihn des Feuers 
Nahe erbist? Er folgt nur dem Bedingniß feiner 
Natur, und gut wäre es, wir folgten ihm Alle ein 
wenig mehr, als wir aus hundert thörichten Gründen 
zu thun pflegen. 

„O Alles mit Map!” entgegnete Sara mit fpots 
tender Miene. „Wenn aber der Stahl zu heiß wird, — 
wiffen Sie, was wir Hausfrauen dann thun? Wir 
gießen kaltes Wafler darauf, dann zifeht er ein wenig, 
und man. verbrennt ſich nicht mehr die Finger daran!“ 

Ich glaube wirklich, rief ich Tachend, daß von fo 
niedlichen Fingern felbft eine Taufe mit kaltem Waſſer 
noch ihr Angenehmes haben müßte; aber wiffen Sie 
auch, daß, wenn das Metall recht glühend ift, das 
kalte Waſſer nur darauf gegoffen wird, ‚feinen Hiße- 
grad noch mehr zu erhöhen, und die Lieblichen Haus⸗ 
frauen, deren Sie erwähnen, mögen davon wohl auch 
zuweilen eine Ahnung haben. 

„Sagen Sie lieber: die Männer, und vorzüglich 





467 


die Ehemänner, die in der That bie graufame Expe⸗ | 
riment mit und armen, zu Tiebenden Befchöpfen täglich 
wiederholen.” 

O bie.Ehemänner! rief ich ungeduldig, reden wir 
nicht von diefen Tyrannen. Das Befte ift, dag wir 
Menfchen find, ehe wir in den Ehefland treten, und 
auch nachher Menfchen bleiben. Die natürliche Folge 
davon zeigt fih, dem Himmel fey Dank, täglidy, und 
fände fie nicht ftatt, fo wäre es bald um alle die füße- 
ften Sreuden auf Erden gefcheben, die nur — ver- 
fiohlene Liebe gibt. 

‚Dies blieb ohne Antwort, denn der Diener brachte 
fo eben einen Heinen Tisch mit Früchten, Confitüren, 
frifcher Mitch u. f. w. befest, herein, den er mit mürs 
riihem Geſicht vor feine Gebieterin hinftellte. 

„Ste müſſen heut mit meiner frugalen Koft für- 
Tieb nehmen,” fagte Madame Namor, „wäre mein 
Mann hier, fo würde er Ihnen ohne Zweifel ein bef- 
feres Sonper anbieten.” 

Ich verfiherte, daß ich Feine Art Entbehrung 
fühle, und mich mit dem Vorhandenen in jeder Hine 
ſicht vollſtändig begnüge, bei welchen Worten ich den 
gebedten Tiſch vor und benugte, um das holde Füß— 
chen neben mir Teife zu drücken; doch ein firafender, 
beleibigter Bid, und das fehnelle Entziehen bes elel- 


438 


teifhen Gegenſtandes zwangen mich zu größerer Bes 
butfamfeit. Das Heine Mahl war bald geendet, und 
das unterbrochene Gefpräh von neuem angefnüpft. 
Ach wie fehnell verging die kurze Zeit unfers Beifams 
menfeyns! Im Feuer der immer lebhafter werbenben 
Unterhaltung verlor das Tiebliche Wefen nach und nad 
auch immer mehr von der früher gezeigten Zurüdhal- 
tung. Die Stille der Nacht, die vor jeder Stoͤrung 
ganz geficherte Einſamkeit, zwei Seelen, die fih uns 
willkuͤrlich fuchten, und vielleicht durch jene geheims 
nißvolle Wahlverwandtſchaft ſchon verknüpft waren, 
welche unſichtbar die ganze Natur durchdringt, und die 
kleineren Nebendinge dann ſo leicht beſeitigt — Alles 
mußte einem näheren Verſtändniß zwiſchen uns einen 
ſchnellen Weg bahnen, 

Schon hatten unfere Worte eine viel ernftere Wens 
dung genommen, und unfere Augen weit inniger zu 
einander gefprochen, obgleich meine reizende Gegnerin 
noch auf ihrer Bertheidigungslinie flehen blieb, und 
manden Gemeinplatz von Pflicht und Tugend den ver⸗ 
ſteckten Angriffen meiner ſophiſtiſchen Philoſophie ent⸗ 
gegenfeßte. | ' 
Theure Sara, fagte ih endlih, Sie verglichen 
mich im Anfang unferer Unterredung mit Ihrem Hause 
freunde, und das Wort hält feitbem immer meine 


439 


Gedanken fe. Warum follte diefe Idee ſich nicht 
zenlifiren laſſen. Sch bin frei und unabhängig wie 
der Vogel in ber Luft, und darf mein Glück fuchen, 
wo es fih findet, ja auf ganz und ewig mid ihm 
bingeben, wo ed mir entgegenfommend die Arme 
öffnen will. Ach und welch ein überſchwengliches Glück 
wäre es für mich, jenen Namen mit der That zu 
führen! aber denken Sie nicht, dag ich mid) dann da⸗ 
mit begnügen könnte, mit an Ihrem Tiſch zu ſitzen, 
Sie in Gefellihaft zu führen oder Sie auf Spazier⸗ 
gängen zu begleiten, und zugleich der ſtets bereits 
willige Sreund Ihres Gemahls zu ſeyn — nein, zu 
alledem müßte ein höherer Preis mir winken, ben ges 
meinen Wochentagen auch ein Sonntag folgen, und 
in dieſer Alltagswelt nach ihrem ermübenden Treibeu, 
von menfhlichen Augen ungefeben, ein bimmlifcher 
Engel geheimnißvoll und tröftend zu mir niederſteigen! 

„Deſto fchlimmer für Sie,” erwiederte Sara mit 
bewegter Stimme, ihre feuchten Augen einen Augen- 
bfik auf mir ruhen laffend, und fie dann pfeilſchnell 
wieder mit den feidenen Wimpern bededend, „ba 
in unferm proſaiſchen Kreife wenig Spielraum für 
dergleichen himmliſche Erfcheinungen zu Anden ſeyn 
möchte.“ 

Spielraum! O der Auedruck iſt gut gewählt; 


440 


ein folcher ift freilich nicht mehr vorhanden, wo tiefer 
Ernft ſich geltend zu machen anfängt — ad, Sara! 
fein Spiel iſt es mehr, was mir in Ihrer Nähe 
das innerfie Herz wie durch Zauber bewegt. — Ja 
zürnen Sie mir nicht, holde, Tiebliche Frau; ich war 
son jeher ein Kind der Wahrheit, Berftellung ift mir 
fremd! Schon Ihr erfter Anblick, obgleich ich dabei 
faum mehr ald Ihr Gewand gefehen, Tieß einen uns 
begreiflichen, unbefiegbaren Eindrud in mir zurüd; 
das Geſpräch in der einfamen Grotte, Ihre rührende 
Schönheit, ja bis auf den Veilchenduft Ihres verrä- 
therifchen Buches, der mir auch in Ihrer Abweſenheit 
fortwährend Ihre Nähe mit beraufchendem Entzüden 
zurüdrief — es war zu viel für mid, verbammen 
Sie meine Kühnheit; aber verftoßen Sie mid nicht 
mit graufamer Härte aus dem einzigen Grunde, weil 
ih Sie wie eine Heilige anbete! Sagen muß ich eg, 
einmal wenigftens in meinem Leben, daß ich Sie 
liebe, Sara, ja mit allen Kräften meiner Seele liebe, 
obgleich Ihr Bild erft feit wenig Wochen in meinem 
Herzen brennt, und daß ich verzweifeln muß, wenn 
fein Funke diefes Feuers das Ihrige zu berühren 
vermag. — 

Ih war zu ihren Küßen gefunfen und mit glü- 
benden Wangen drückte ich Yeidenfchaftlich mein Anz 


441 
gefiht auf ihre Knie. Ich Hatte im Anfang vielleicht 
nur eine Oalanterie gewöhnlicher Art im Sinne ge: 
habt, aber ein unnennbares, ungeahneted Gefühl über» 
rafchte mich jest. Liebe, Wehmuth und Sinnlichkeit 
batten fi feltfam in mich getheilt, und meiner Em⸗ 
pfindung nicht mehr mächtig, entquollen heiße Thränen 
meinen Augen. Da fühlte ich eine weiche Hand in 
meinen Häaren wühlen, und hörte eine faft Iautlofe, 
bebende Stimme folgende Worte mehr feufzen als 
fpreden: „Berfuher . . . . laß ab von mir!” Sch 
blidte auf — Sara's Augen waren ftarr vor fi bin 
gerichtet, ihr Antlig Leichenblag und ein tief ſchmerz⸗ 
liches Lächeln zudte um ihren Mund. Dann meine 
Hand krampfhaft ergreifend und fie mit Leidenſchaft 
an ihr Herz drüdend, rief fie laut: „Fliehe! — Nie 
dürfen wir uns wiederſehen.“ Ehe ich noch wußte, 
wie mir geſchehen, hatte ſie ſich aus meinen vergebens 
fie umſchlingenden Armen losgeriſſen, wie im Traum 
nur hatte ich einen ſeligen Augenblick lang ihre Lippen 
auf den meinigen gefühlt, dann war ſie in einer Sei⸗ 
‚tenthür meinen Blicken, gleich einer erdloſen Form, 
entſchwunden! | 

Sch fand wie von dem Strahl einer galvanifchen 
Säule getroffen, mein Herz hatte faft zu klopfen aufs 
gehört; es war, ald wenn alles Blut fi zum Lebens⸗ 


: 448 \ 


quell zurüdgebrängt hätte, um fortan nur als ein 
ungetheilter Liebesſtrom für bies verführerifche Weib 
dahinzufließen, deffen wunderbares Wefen jede Fiber 
meiner Seele zu erregen gewußt hatte. Das Mag 
der Zeit verlor ſich vor meinen Dliden, und ich glaubte, 
feit ich lebte, nur fie gefannt zu haben, nur mit ihr 
von Emwigfeit ber verbunden gewefen zu feyn. Halb 
gedankenlos wollte ich ihr endlich nacheilen, als ber 
alte grämliche Diener, ber unterdeß wieder hereinges 
treten war, ohne daß ich ihn bemerkt hatte, mir mit 
einer Berbeugung anzeigte, mein Negerfnabe ließe bit- 
ten, nicht länger zu verweilen, ba es ſpät und ber 
Meg in der Nacht unficher ſey. Es war nichts zu 
thun, als zu folgen; ich ergriff alfo meinen Hut, mit 
ſchwer verwundetem Herzen bie Treppe Tangfam bins 
abfleigend, die ich fo Teicht heraufgefprungen war. Was 
lag Alles für mich zwifchen jenem und biefem Moment! 
und in Gebanfen des Entzüdens, der Sehnſucht und 
einer unbegreiffichen Furcht vor der Zufunft verloren, 
die fh nur einem tiefen Gefühle beigefellt, folgte ich 
mechanifch meinem Führer, und fland endlich verwuns 
bert wieder vor der Thür meiner Wohnung, ohne mid 
des zurüdgelegten Weges in irgend einer Art erinnern 
zu können. | j 

Die Unrupe der Gegenwart, hundert Pläne für 


442 


die Zukunft, einer immer unausführbarer ale der ans 
bexe, raubten mir den Schlaf, und Taum war ich aufs 
geftanden, als ich. fhon einen Brief an das geliebte 
Weſen zu fihreiben begann, das jest alle meine Sinne 
‚erfüllte, ohne doch noch zu wiffen, wie ich dieſen Brief 
in ihre Hände bringen follte. 


Brief an die Unbekannte. 
Fünf Uhr früh. 
Meine angebetete Sara! 

Noch bin ich wie im Raufche befangen! — Welche 
Seligfeit fühlte ich in Ihrer Nähe! welchen Todes: 
ſchmerz bei der gewaltfamen Trennung! und o Gott, 
auf wie Iange! Mir fchaubert bei ber Ungewißheit 
diefer Zukunft und Ihren ſchrecklichen Worten: „Nie 
dürfen wir uns wiederſehen!“ Wahrlich, Grauſamkeit 
muß tiefer in der weiblichen Natur liegen, als in der 
männlichen — die ſanfteſte Frau kann Freude an der 
Qual ihres Opfers empfinden — denn ſonſt hätten 
Sie ſo zu mir nicht ſprechen können! Thue ich Ihnen 
Unrecht, ſo verzeihen Sie mir. — — Ach, Sara, ich 
weiß kaum, was ich ſchreibe — — laut mit Ihnen 
denken zu dürfen, meine Freundin, iſt ja noch mein 
einziger Troſt! und went Ihr Herz mich nur ver⸗ 
ſtehen wollte, wäre alles Uebrige in der Welt nur 


444 


Tand für mich und unbedeutend. Aber bis ich davon 
unumftößlich überzeugt bin, habe ich auch Feine Ruhe; 
wachend oder träumend, einfam oder von Menfchen 
umgeben, was ih auch beginnen mag, Sie und biete 
Ungewißheit allein befchäftigen meine Seele, und fo 
lange der mindeſte Zweifel über Ihre wahre Gefin- 
nung in mir obwaltet, kann ich nur elend feyn! 

Sie fagten mir geftern, als ih, noch verzagt, 
Ihnen meine Gefühle nur anzubeuten wagte, ich ſpräche 
wohl fo zu jeder hübfchen Frau, Die mir ein vorüber 
gehendes Gefallen einflößte. O Gott! wie grenzenlos 
iſt Ihr Irrthum! Ich will mich nicht beſſer machen 
als ich bin; gewiß würbe ich nicht, von Feiner andern 
gefeflelt, gleich dem keuſchen Joſeph, Die Gunft einer 
ſchönen Frau zurüdweifen, ‚wenn fie fih mir dar⸗ 
böte, aber Liebe! — ab, glauben Sie mir, Sara, 
noch in dem Testen Augenblid, bevor ich Sie kennen 
lernte, fürdhtete ich eine folche Liebe, wie ich fie jeßt 
fühle, gleich fengendem Feuer. Ich bin zu ernft für 
Diefes Spiel, zu romantifch vielleicht, zu fentimental, 
zu thöricht; denn ich kann nicht im Scherze lieben. — 
Den erfien Tag, ed ift wahr, gefielen Sie mir nm, 
ih fand meine Sinne erregt durch Ihre Schönheit, 
Ihr Anblid that mir wohl — das war Alles, Aber 
je lebendiger die Erinnerung biefes Bildes in mein 


445 


Inneres drang, je weniger blieb ich Herr meiner felbft, 
und geftern Nacht — als Hundert Heine Züge die 
‚ganze Lieblichkeit Ihrer Engelsfeele fo bezaubernd vor 
mir entfalteten, als Ihr füßer Athen um mich wehte, 
als Ihre Lippen einen Augenblid auf den meinigen 
rubten — o mein Gott! welcher. Sterbliche hätte dieſer 
Fülle von Seligfeit wiberfiehen können! . 

Da verwandelte fi mein ganzes Wefen in Leiden. 
fhaft für Sie, und wie magnetifeh gefeffelt hing ich 
an dieſen Blicken, die fo fanft, fo tief, fo Hug und 
doch fo gut find — ab, ſo von überirdifchem Him⸗ 
meldfeuer belebt, dag auch wider Ihren Willen fie auf 
ewig fih in mein Herz einbrennen mußten. 

. 3a, died kann nun auch fein Gott mehr ändern, 
ed ift zu ſpät — und fchredlih, wenn. ed mich zu 
hoffnungsloſer Dual verdammte. Verdammniß aber 
it es, zu Lieben, wenn man allein liebt. Und dennoch 
fühle ich .mit Beben, wie gering meine Anfprüche und 
folglich meine Hoffnungen ſeyn dürfen! Als mein Fuß 
zum erftienmal den Ihren ſcheu zu drüden wagte — 
o fönnte ich doch jest wieder meine fiebernde Stirn 
auf ihn drüden, ihn mit taufend Küffen bedecken und 
mit meinen heißen, glühenden Thränen henegen! — 
da zogen Sie ihn zurüd, ald wenn eine Schlange 
Sie berührt; und als ich, Die Welt um mich ber ver⸗ 


446 


geſſend, Sie halb bewußtlos an mein Herz zog, hatte 
ih kaum, wie beraufchenden Nektar, einen Moment 
ben Hauch Ihres rofigen Mundes getiunfen, ald Sie 
fih empdrt von mir losreißen und durch graufame 
Worte Angſt und Verzweiflung in meine Bruft fäeten. 
D Sara, fpielen Sie nicht mit meiner Liebe, fie ift zu 
tief, zu wahr dazu. Und nun auf meinen Knien be— 
fhwöre ich Sie darum, antworten Sie mir aufrichtig: 
was ih von Ihnen hoffen darf? XTheure, geliebte 
Sara! entfcheide über mich, fprich frei Berberben oder 
Wonne über mich aus — aber täufche mich nicht! 
Sie felbft haben mich früher ohne Erbarmen auf 
die Sreitage allein beſchränkt. Wohlen, ich muß Ihnen 
biinblings folgen, aber die Tage mäffen nun auch das 
Geſchäft der Wochen übernehmen — der nächſte Frei⸗ 
tag muß memeg Lebens Süd. oder Weh beftimmen. 
Ich liebe mit allen Kräften meiner Seele, ic) bete 
- Sie an wie eine Gottheit, Ste find mir theurer als 
meiner Augen Licht — aber ih bin dennoch weber 
ein Siegwart noch ein Werther, und es ift thöricht, 
eine koſtbare Zeit im unnügem Spiel zu verlieren; 
Hr Gemüth, Sara, hängt der Natur noch an, es if 
nicht verfümmert und verwachſen in ben Narrenhäu⸗ 
fern der Menfchen. Sie ſprachen dieſe Nacht von Ihrems 
Manne, Ihren Pflichten — ac, bie Liebe kennt Feine 


448 

fo teodene Pflichten, der Liebe Pflicht ift zugleich 
ihre Notbwendigfeit, und die Uebung derfelben: 
Wonne, der wahre Zuſtand des Paradieſes, vielleicht 
der wahre Stand der Unſchuld! Darum, Sara, laß 
und glüdlih feyn, wenn Du anders dies Glück in 
meinen Armen zu finden vermagft! Wo nicht, fo vers 
-banne mich. ohne Säumen und auf ewig! Doc handle 
nicht rafch, nicht wider Dein eigenes Herz, ehe Du 
das meinige brichſt — denn das ift die Achte, Die 
größte Sünde, die wahre Sünde wider die Natur! 
und folglich ja auch wider Die ewige Liebe ſelbſt, deren 
Geſetze höher ſtehen, als alle Menſchenſatzungen. 

O in welcher Bewegung, zwiſchen Goͤtterglück 
und Höllenmarter ſchwebend, erwarte ich Deine 
Antwort! Sie wird für mid zum Schichſalsſpruch! 
— Bedenke dies! — ! 





Kaum Hatte ich die legten Worte gefchrieben, als 
wie ein hülfreicher Geiſt der ſtumme Regerfnabe in 


ı Wenn man Obiges mit jenen Unſchuldsworten vergleicht, 
die Herr von Roſenberg einft an Lottchen fehrieb, fieht man 
freilich, was Die Welt am Ende au aus dem Lammfrömmſten 
macht! Helas! on conımence par ätre dupe, et on finit par 
&tre fripon — denn der Teufel mag an die Ehrlichkeit dieſes 
Briefes glanben, 

Anmerk. des Yuppen « Direktors. 


48 


—— — 





meine Stube trat, um mir meinen Stock zu über⸗ 
reichen, den ich in der geſtrigen Verwirrung ver⸗ 
geſſen hatte. Ich händigte ihm, hocherfreut über ſeine 
Gegenwart, ſogleich meinen Brief ein; er verſtand 
ohne Mühe, für wen er beſtimmt ſey, kreuzte lächelnd 
beide Hände über die Bruſt, und eilte ſchleunig von 
dannen. Schon am nächſten Sonntagsmorgen erhielt 
ich durch ihn folgende, mich im höchſten Grade über⸗ 
raſchende Antwort: 
Sonnabend Nacht. 

Sie find grauſam, hart, ungenügſam, undanfs 
bar, nicht ih! O hätte ich Sie nie gefehben! Reue, 
und ich fühle es, fruchtlofe Neue foltert mid. Doc 
Sie haben Recht: es ift zu fpät! — Der Feind war 
mit Ihnen im Bunde, und fo haben Sie und er mit 
feichter Mühe ein ſchwaches Weiberherz bethört. — 
Wohlan, auch ich bin Fein gewöhnliches Weib, und 
weil ih mit Schmerz und Luft tief fühle, daß ich 
muß, fo will ih auch. Wohlen, die Zeit fol nicht, 
wie Sie fagen, in unnügem Spiel vergehen, — aber 
vorher muß die Prüfung erft Icehren, ob Sie au 
dem Ernſte gewachjen find. Und nun, mein Freund, 
will ich es Ihnen nicht mehr verbergen, dag Sie mir 
theuer find; ſchon Yänger, als Sie es ahnen, waren 
Sie es, — ein Mann von Ihrem Geifte, Ihrer 


449 


Willenskraft, die dennoch mit fo vieler Kindlichfeit 
gepaart iſt, kann den Frauen nicht gleichgültig blei= 
ben. Doc hätte es fo nicht kommen follen! — Aber 
der Dämon, der Di) und mich verderben will, half 
Dir, Unglüdjeliger! Ich rede im Fieber, — es ift 
vielleicht der Schmerzensfchrei untergehender Tugend! 
Doch fürdte nichts von ihr, mein füger Freund, ich 
bin entichloffen. Komme nächſten Freitag.um Mitter- 
nadt, der Negerfnabe wird Dir die Thür Öffnen. 
3a — ih will Dein, ganz Dein feyn, Di mit 
meinen Armen umfangen, wie die Liane die Palme, 
mit wilder Luft Did an meinen Bufen drüden und 
Dir mehr Seligfeit geben, als irgend eine Andere es 
permöchte, — wenn Du Muth haft. 


— — — 


Dies hatte ich nicht erwartet, und wenn mich der 
Inhalt des ſeltſamen Briefes auch mit einem Schauer 
des Entzückens durchbebte, ſo war doch etwas Un—⸗ 
heimliches, Unzufammenhängendes, ja ich möchte ſagen 
Unweibliches, faſt Unnatürliches in dieſen Zeilen, was 
von der ſanften Lieblichkeit und der bisherigen Zurüds 
haltung der räthfelhaften Frau höchſt feltfam abſtach. 
Wahrlich, rief ih aus, ich bin nicht mehr jung genug, 


um fo plöglihe Eindrüde zu erregen, noch fo leicht 
Eüpöfl. Bilderfaal. IL 29 


450 

daran zu glauben. Etwas mir Unbefanntes muß hier 
im Spiele ſeyn, aber was? — Doc fey dem, wie 
ibm wolle, an Muth fol es mir wenigftens bei einer 
folhen Gelegenheit nicht fehlen, vorausgefegt, daß 
fein Verbrechen von mir verlangt wird, denn meine 
Seele opfere ih auch der Schönſten nidt. Schnell 
ſchrieb ich die wenigen Worte: „Dank, Du heiß ges 
liebtes Weib meiner Seele! Rechne auf mi im 
Leben und im Tode. Ich komme.“ Und nun beihloß 
ih, da noch faft eine Woche zwifchen jest und dem 
Tage der entjheidenden Zufammenkunft lag, waähs 
rend welcher jede fernere Correſpondenz gehaltlos, 
ja faft lächerlich geworden wäre, fo viel ed meiner 
Charafterftärfe möglih, mir die Sache aus den Ges 
danken zu fohlagen, und mit aller zu erlangenden 
Ruhe meinen gewöhnlichen ZTagesgefchäften nachzu⸗ 
gehen. Eine fehr gute Gelegenheit zu Zerfireuung 
wie Belehrung bot ſich eben dar, und ich eilte fie zu 
benugen. Die Hauptſache war ja erreicht, die Gewiß⸗ 
heit meines Glücks Tag vor mir, — unter ſolchen 
-Umftänden fonnte man ja die Ungebuld wohl eine 
Woche lang zähmen! 


Sechstes Kapitel. 


Des Herrn von Rofenberg archäologiſch-militairiſche Excurfion 
nach dem Schlachtfelde von Marathon. 


„Den Athenern aber wuchs ſtit dem glorreichen 
„Tage bei Marathon der Muth, und mit ihm 
„tie Kraft.“ 

Sobannes Müller. 


Ich wibme diefer Fleinen Tour einen eigenen 
Auffag, weil das hiſtoriſche Sntereffe der Lofalität 
groß ift, und demungeachtet immer noch mehrere bes 
deutende Meinungsverſchiedenheiten und daraus ent⸗ 
ſtehende Ungewißheit über die Stellung der Griechen, 
den Verlauf der darauf folgenden Schlacht, ja ſelbft 
über die genaue Lage Marathond flattfinben, welde 
durch das Folgende eine Ergänzung mehr erhalten, 
und zur Erforichung der Wahrheit in fo weit beitragen 


45% 


mögen, als die Feftftelung der Wahrheit überhaupt 
bei Dingen diefer Art möglich if. Eine ſolche Zu⸗ 
verfiht würde dennoch arrogant erfcheinen, wenn ich 
nur meine eigenen Anftchten bier aufzuftellen beabfich- 
tigte, da wir aber das Glück hatten, unfere Expedi⸗ 
tion unter der Leitung zweier Manner zu machen, 
des Herrn von Profefh und des Confuld Herrn 
Gropius, von denen ſchon Jeder allein als eine Aus 
torität anerkannt wird, fo darf eine Meinung, welche 
Beide billigen und theilen, wohl auf einige Aufmerf- 
famfeit Anfpruch machen. 

Außer den genannten Perfonen ward unfere Ge- 
felfchaft noch durch den jungen Grafen Joſeph Schaff- 
gotſch und den Herren Baron von Friefenhof vermehrt, 
die fih alle bei Herren von Prokeſch verfammelten, 
von wo wir, ganz gut beritten und mit allem Nöthi⸗ 
gen verjehen, am Aten April um 7 Uhr früh, bei 
wolfigem Himmel, aber Harer Luft, aufbrachen. Wir 
fhlugen den Weg nad Kephiffia ein, der zunächſt 
zwifchen dem Lykabettus und der hügelreihen Turko⸗ 
vuni hindurch führt, kamen hier bei Spuren einiger 
antiten Gräber und den Gärten von Ambelokypos 
vorbei, betrachteten dann eine kurze Zeit lang die mas 
leriſchen Nefte des Aquäducts Hadriang, und mußten, 
als wir bei ber zerflörten Kloftermeierei Pelica ans 


"483 


langten, dem guten Gefhmad des jungen Könige 
voße Gerechtigkeit widerfahren laſſen, der fich dieſe 
reizend gelegene, mit alten fräftig wuchernden Oliven- 
daumen gefchmüdte Anhöhe zur Anlage eines Lufts 
ſchloſſes ausgeſucht hat. Kephiſſia felbft, mit feinen 
Gärten voller Feigen-, Maulbeer- und Judasbäume, 
die jeßt in ihrer üppigften Blüthe fliehen, macht einen 
veht wohnlihen und heitern Eindrud, Durch den 
friſchen Glanz des beginnenden Frühlings heute noch 
mehr gefteigert, obgleich der füblidhe Frühling dem 
unferen nie gleichfommt. Umberliegende Säulenſchäfte, 
halb fertig gearbeitete Marmorblöde, Reſte von 
MWafferleitungen und befonders ein pittoredfer Bogen, 
unter welchem ber Weg binführt, von dem Stalaftiten 
berabhängen und ben die rothblühenden Blumen des 
Sudasbaumes, mit Epheu und Schlingpflanzen ver- 
mifht, prachtvoll überwoben hatten, Tiefen auch das 
Altertum nicht vergefien, — die ehrwürdige Ber- 
gangenheit, welche bier freifich faft auf jedem Schritte 
zu ung fpricht. Auf dem P abe bei der Mofchee, der 
rings von wohlkultivirten Gärten umgeben ift, und 
in deffen Mitte fich eine zierlich gefaßte Duelle be- 
findet, wählten wir unfern erſten Ruhepunkt. Eine 
ungeheure Platane, deren Aefte leider im letzten Kriege 
die Hälfte ihrer Länge verloren hatten, um zu den 


454 


Lafetten der Börfer zu bienen, mit weldden man bie 
Akropolis beſchoß, breitete ch doch noch fo weit aus, 
bag wir und unſere Pferbe gemächlich Darunter Plas 
finden konnten, während Herr Gropins unfer frugales 
Fruhſtück durch viele pifante Erzählungen aus dem 
reihen Schage feiner Erfahrungen und eines mehr 
als dreißigiährigen Aufenthalts in klaſſiſchen Landen 
auf das Angenehmſte würzte. 

Wie intereffant würde eine Geſchichte der gries 
difchen Revolution fepn, ‚welche mit pockifcher Kraft 
fih all der wimderbaren Details zu bemächtigen 
wüßte, die eigentlih ihr Charakterififches ausmachen. 
Dies ift für und eine neue Welt, denn weber bie 
Nationalität der Griechen noch ber Türken ift und 
bisher, außer etwa theilweiſe im Anaſtaſius, recht 
lebendig vorgeführt worden. 

Als im Jahre 1821 die Maſſe der Türken, ſo 
erzählte Herr Gropius unter andern, ſich ſchon auf 
bie Akropolis gezogen, bie ummauerte Stadt aber 
noch von ihnen militgirifch beſetzt blieb, hatten die 
Gemeinden der Dörfer Kaffla, Menidi u. f. w. durch 
die Nachrichten der Siege von Livadia und Kalavrita 
ermutbigt, die weiße Fahne mit dem Kreuze aufges 
zogen und bebrohten Athen mit einem Ueberfall. Im 
Anfang hielten die Türken forgfame Wade, begnügten 


455 


fh aber doch in ihrem Acht vornehmen, forglofen 
Sinne, ihre griechiſchen Diener auf die Mauern 
zu poftiren, während fle nur an den Thoren bei großen 
Feuern Tagen und dort Pfeife und Kaffee nicht ent⸗ 
behrten. Die fchlauen Griechen im Dienfte der Türs 
fen führten es in dieſer Zeit wie einen Scherz ein, 
von den Mauern in das Keld binabzurufen: Kommt, 
fommt, die Türken fchlafen! Diefe Tachten darüber, 
weit fie wohl wußten, daß fie nicht fchliefen. Einige 
Wochen vergingen fo ohne Angriff, und bald hielten 
die Mufelmänner mit ihrer Teichten Art, die irdifchen 
Dinge zu nehmen, fih für fiher, und verfäumten 
gänzlich die bisherige Wachſamkeit. Der alte Spotts 
ruf dauerte aber immer fort, und warb nun 
als Ernſt von außen vernommen. In der Oſter⸗ 
nacht flürmten, mit dem Feldgefchrei: „Chriſt iſt er⸗ 
flanden!” die Griechen den ſchwächſten Theil der 
Mauer, da, wo jet bas Palais des Königs erbauet 
et, und nur Wenige ber wirklich größtentheild im 
Schlafe überraſchten Befagung vermochten fih in bie 
Feſtung zu retten. 

Als die Türken gegen dad Ende ber zweiten Be⸗ 
Sagerung, bie fieden Monate dauerte, während welcher 
es feltfamer Weiſe wohl in Athen, nie aber über der 
Akropolis vegnete, die furchtbarfte Noth an Waſſer 


46 


Kitten, konnten fie ihre früher hinaufgetriebenen Efel 
nicht mehr erhalten. Jede andere Beſatzung würde 
fie geichlachtet, vieleicht ihre Blut getrunken haben. 
Nicht fo die Türken, welde dazu viel zu viel Thier- 
liebe befigen. Sie liegen mit großer Mühe die un 
ſchuldigen Thiere an Striden herunter, wo ſich die 
Griechen unter ihren Augen berfelben bemächtigten. 
Ein Anderesmal begab fih etwas Aehnliches, 
doch von mehr tragifcher Natur. Ein Theil der Be- 
fagung, der einen Ausfall gemacht hatte, um Lebens⸗ 
mittel zu.erlangen, ward zurüdgeichlagen, und rettete 
ſich, vom Wege abgefchnitten,, Dicht unter die Felſen— 
wände der Feftung. Die Griechen, durch die Mauern 
bes Theaters des Herodes geſchützt, tiraillirten mit 
ihnen, doch konnten fih für den Augenblick beide 
Parteien in diefer Stellung nit viel anhaben. Wie 
früher die Efel, Tießen nun die Türfen mit Matragen 
und Deden umwidelte Kaften herab, in denen fie ihre 
Kameraden einzeln binanfzogen. Sobald diefe aber 
eine gewiſſe Höhe erreicht hatten, dienten fie den Grie- 
chen, die über ihre ſchützende Dauer. hinaus nun auf 
fie feuern Eonnten, zum bequemften Ziel, und mancher 
arme Türfe ward auf Diefe Weife, gleich -einer wilden 


Ente, noch im Fluge erlegt. _ 


Herr Gropius erlebte auch perſoöͤnlich manche 


mestwürdige Fata in. Diefen Zeiten. Im Jahr 1821, 
wo Dmer Vrione zum Entſatz Athens heranrückte, 
verbreitete ſich davon ein dumpfes Gerücht in- ber 
Stadt, doch. Tonnte der Conſul, der. nicht mehr aus⸗ 
ging, aber fortwährend zur Beobachtung am Fenfter 
faß, durch Niemand, ben er anrief., befimmte Nach⸗ 
richt erhalten, bis endlich, beſtaubt und erhigt, ein 
fiebender — Taubſtummer erfchien. Diefer gab fo. 
fpredende Zeidhen, daß Herr Gropius von nun: 
an wußte, woran er war. Kurz bavauf erhob ſich 
au von der Aftopofis das. weithin fihallende Gebet 
der Türken zu Allah: dankend gen: Himmel. In Folge. 
der nun bald flattfindenden Maſſacre blieb die Stabt 
mit Leichnamen fowohl von Menſchen als Thieren 
angehäuft, zu deren Befeitigung die Türken auch nit 
die mindefte Anſtalt machten‘, obgleich ein peflilenzia« 
liſcher Geſtank alle Straßen erfüllte, und in bes: 
Gluhhitze des Augufls eine fo ungeheure Anzahl Flie⸗ 
gen fich einfanden, bag man- nichts genießen Tonnte, 
ohne fortwährend über den Speifen zu webeln. Dit 
vor. des Eonfuld Haufe Tagen faulend ein Zürfe und 
din Grieche, beide, wie Byron fagt, „noch in ber 
legten Umarmung ber Feinde” begriffen. Diener hatte 
Herr Gropius nicht mehr; er holte alfo aus Teeren 
Häufern und Kivchen die Trümmer von Holzwaaren 


mit zertretenem Stroh herbei, und verbrannte mit- 
deren Hülfe die beiden Leichname eigenhändig, deren - 
Geruch er nicht Jünger ertragen konnte. Als er dars 
auf dem Paſcha einen Beſuch abflattete, um ihm Vor⸗ 
ftellungen wegen einer fo grenzenlofen Nachläßigkeit 
und Barbarei zu machen, gab ihm diefer vollfommen 
Recht, Hatfchte in die Hände, und befahl dem Herbei⸗ 
eifenden, fogleih ale Todten, die in den Straßen: 
Tägen, begraben zu laſſen. Wie warb Died ausge⸗ 
führt? Man fehleppte fie in die naheftehenden leeren 
Häufer, ſchob den Riegel vor die Thüren und ließ. 
fie Dort verfaulen, und babei blieb es. 

Noch viel gräßlicher ging es zu Corinth ber, wo 
befanntlih fpäter eine ganze türfifhe Armee durd 
Mangel und Krankheit zu Grunde gerichtet ward, 
Große Haufen von Gerippen verburfteter Laſtthiere fab 
man dort, nad der Türken Abzug, um die waſſer⸗ 
leeren Brunnen aufgefchichtet; viele todte Menſchen 
fagen, mitten in ben Straßen und an den Mauern 
hin, noch ganz angefleivet auf ihren Betten ausges 
firedt, bilflos darin geftorben und auch barin vermo⸗ 
dert; Feine Hausruine war ohne Leichname, und dieſe 
in der That die einzigen Bewohner der Stadt geblie- 
ben. In diefer furchtbaren Epoche defertirten auf ihre 
eigene Hand 24 Kameele, von einem &fel angeführt, 


459 


und gingen zu ben Griechen über, ohne von einem 
einzigen Menfchen begleitet zu ſeyn. 

Ein Hauptgrund des Mißglückens biefer Erpes 
bition lag in einem jcheinbar fehr geringfügigen Um- 
ftande. Als Dramali in einem Tage, ohne eigentlich 
Befehl dazu zu haben, von Theben bis nad Gorinth 
den foreirten Marfch unternahm, wurden viele Trais 
neurs feiner Armee von den in den Bergen im Hin 
terhalt liegenden Landleuten gefangen, und unter biefen 
auch die Feldſchmieden mit den fämmtlichen Vorräthen 
an Hufeifen genommen. Später fonnten die Türfen 
ſich feine mehr verfchaffen, was auf den durchaus mit 
fpigen Steinen bededten Wegen dieſes Landes ihre 
ganze Kavallerie völlig unbrauchbar machte, und alfe 
ihre Bewegungen von da an paralpfirte, 

Noch muß ich der Snduftrie der Bewohner des 
Dorfes Kaffia, unweit Athen auf dem Wege nad) 
Theben, bei diefer Gelegenheit erwähnen, bie, unges 
achtet das Dorf mehr als einmal von ben Türken 
angezündet wurde, ihre Häufer dennoch buch das 
einfache Mittel retteten, vorher immer bie Ziegel abs 
zudecken. Nun blieb das zum Behuf des Niederbren⸗ 
nens angezündete Stroh nur ein Strohfeuer, weil die 
Flamme oben einen leichten Ausgang fand, Holzwände, 
Geräthe zum Verbrennen hatten fie in ihren Woh⸗ 


489 


nungen nicht; es war ihnen alfo genug, daß nur bie 
Mauern mit dem Dachgerüfte ftehen blieben, und ſo⸗ 
bald nachher die Ziegel von neuem aufgelegt wur⸗ 
den, waren auch die Wohnungen wieber in der alten 
Ordnung. 

Vielen Hunderten, Türken wie Griechen, rettete 
Herr Gropius mit Hilfe der Eonfularflagge, bei den 
fluctuirenden Siegen der einen und der andern Partei, 
Durch feine ehrenvolle Seftigfeit bas Teben. Er räumte 
ben Flüchtlingen bei fih Haus und Hof ein, forgte, 
fo weit es die Möglichkeit geflattete, für ihre Ernäh- 
zung, und verlor allerdings darüber ben ‚größten Theil 
feines Vermögens, verlor auch Haus und Hof, welche 
der Krieg niederbrannte, aber es gibt ſelbſt heut zu 
Tage noch keinen Conſul in Griechenland, der eines 
ähnlichen Anſehens, einer fo großen Verehrung allge⸗ 
mein genießt. Das kommt von bem Umftande, daß 
bie. Völker doch etwas mehr Erinnerung 
haben als bie Regierungen, Einen Zug, ber 
biefen wadern Dann bezeichnet, und ber mir. wiebers 
holt in Athen erzählt wurbe, will ich bier ald Anben- 
fen nieberlegen. An dem furdtbaren Tage, wo Dram- 
ali Paſcha Athen erffürmte, farben, Taufende unter 
| ben Händen ber Sieger. Blut und Wuth reimen 
fi ih, möchte man fagen, nicht ohne eine tiefe Bedeu⸗ 


u 
fung in unferer Sprade. Blut erzeugt und fleigert 
die Wuth. Sn war es da. Haus für Haus wurde 
erflürmt, und was nit bie Geldgier oder bie Sinne 
lichfeit zu reizen im Stande war, Sage wie Menſch, 
in den Staub getreten, vernichtet; dann bas leere 
Hand. den Flammen preisgegeben. Schon waren bie 
Stürmenden bis an das Eonfulargebäude des Herrn 
Gropius (bed einzigen nicht geflüchteten europäifchen 
Eonfuld) gedrungen, in deffen geräumigem Hof über 
fiebenhundert Männer, Weiber und Kinder Zuflucht 
fuchten und fanden. Wie mander unſerer hochge⸗ 
rühmten Philanthropen würde an Gropius Stelle fein 
Haus gefchloffen gehalten, feine Feigheit hinter irgend 
eine Phrafe geftecdt, und hintennach einen ruhmredigen 
Bericht gefchrieben haben! Gropius hielt fein Haug 
offen, fo fange noch Flüchtige aufzunehmen waren. 
Erft den führererlos. qubrängenden vorberften Türken 
Schloß er es, aber nur fo lange, bis er bie öfterreichi- 
ſche Flagge hatte in ben, Thorweg breiten, einen Stuhl 
darauf ftellen, und jet, wie einft bie Bäter Roms, vor 
den Gallerien ſich nieberfegen Tonnte; dann befahl er 
beide Thorflügel aufzureißen, und ben Stürmenden 
bie Worte entgegen bonnernd: „Ich bin. der Conful! 
dies ift die Flagge des Kaiſers! mein Haus ein. Aſpl, 
und nur über meinen Körper tretet ihre in daſſelbe!“ 


462 

feffekte er ben blutigen Haufen, und wandelte die Wuth 
in Achtung. Türken waren es, Söhne ber macedo⸗ 
niſchen und albaniſchen Gebuͤrge, daher durch das 
Beiſpiel von Muth, und durch den Reſpekt für Flagge 
und Aſyl erfaßbar! — Sie ſahen den Hofraum voll 
der ihnen entwandten Opfer, aber ſie hielten an, und 
nun wandte ſich Gropius zu einem ihrer Offiziere mit 
der Einladung an den Paſcha, bei ihm, dem Conſul, 
das Abſteigquartier zu nehmen. Der Offizier über— 
brachte ſeine Boiſchaft — der Paſcha nahm den An⸗ 
trag an, und nun waren die ſieben hundert und ſo 
viele Menſchen gerettet! Hier waren die Geretteten 
Griechen geweſen. Als ein Jahr darauf die Türken 
wieder aus der Stadt gejagt wurden, nahm Gropius 
mit derſelben Menſchlichkeit an zwei hundert türkiſche 
Frauen in ſeinem Hauſe auf, ſchützte, nährte fie, und 
als endlich die Schiffe zur Ueberfahrt nach Afien an- 
gefommen waren, führte er die Zitternden, mitten 
durch die Haufen gieriger Griechen, durch die zwei 
Siunden lange Ebene nach dem Piräus, er in Perſon 
an der Spitze des Zuges, ſein Kanzler am Ende def- 
felben. Seine Haltung lähmte die Gier nad) Weibern 
und Schmud, Wie oft die Frechften auch herandran- 
gen an den Zug; er, der Unbewaffnete, vertrieb ſie. — 

Man muß bekennen, daß während dieſes gräuel⸗ 


463 


sollen Krieges die Türken faft immer fich traitabler, 
und ihren Worten treuer, als die Griechen bewiefen. 
Grauſamkeiten kamen indeß von beiden Seiten und 
mit gegenfeitiger Weberbietung fortwährend vor. Herr. 
son Profefh fand einmal auf Sphacteria bei Navarin 
bie Leichname von zwanzig Griechen in einer Spalte 
des Kalkgebirges ſtecken, welchen man die Hände auf 
den Rücken gebunden und ſie ſo lebendig, mit dem 
Kopf nach unten, in die Spalte gewaltſam einge— 
zwängt hatte. Bon der Sonne gebörrt, war die Vers 
zerrung gräßlicher Verzweiflung noch mit furdhtbarer: 
Wahrheit auf den Gefichtern diefer Unglüdlichen aud- 
gedrüädt. So etwas ift freilich ſchrecklich, und die 
Borfehung läßt Alles zu. — Es iſt aber do nur 
Euer Wille und Eure Schuld, Menfchen, dag fo 
Schreckliches geſchieht! Werdet Füger und beffer, fol 
get der Offenbarung Chrifti wie der in Euerm In⸗ 
nern, und nichts von dem Allen wird mehr möglid. 
feyn! Der Borfehung habt Ihr nichts vorzuwerfen — 
nur Euch ſelbſt! 

Unter ſolchen Geſpraͤchen, Die ich hier nur andeu⸗ 
ten kann, verging die Frühftüdsftunde und ſchnell und 
nicht ohne Belehrung. Weniger günftig war ung ber 
Himmel; denn fohon bier begann der Regen, ber ung, 
aub bis zu unferer Rückkehr nur felten einige trod= 


664 


nere Intervalle nengönnte. Da es jedoch faſt immer 
nur Strichregen waren, bie über und hingingen, oft 
ungleich; von Sonne und Regenbogen hegleitet, fo ver⸗ 
Inren wir hinſichtlich der Beleuchtung vielleicht weni⸗ 
ger, als wir dadurch gewannen, denn ſtets zeigte ſich 
die Gegend, wo der Regen nicht hinfiel, doppelt klar, 
während an den reinen. Sonnentagen hier, wie in 
Nordafrika, gemöhnlich ein trüber Dunft die entfernte- 
ven Gegenfände undeutlich macht. Weber das Raß⸗ 
werben aber muß ein Reifender ſich hinwegfegen kön⸗ 
nen, dem mehr ald allen Andern eine wenig ftoifche 
Ergebung vonnoͤthen if. 

Der Weg von Kephiſſia nördlich des Pentelifon 
bis an die Bergrücken, welche von der Landſeite in 
einem Halbzirkel Marathons Ebene umſchließen, iſt 
von wenig Intereſſe, da er fort und fort über öde 
Haiden hinführt, die jedoch, durch den Duft des Ros⸗ 
marins und anderer wohlriechenden Pflanzen, überall 
eine liebliche Atmoſphäre um den Wanderer verbrei- 
ten. In der Mitte diefer Einöde Fiegt das Dorf 
Stamätes, und eine halbe Stunde hinter demfelben 
fanden wir in einem kleinen Gebüſch von Andrachne- 
firäuchern, durch das wir nur durch Zufall Tamen, 
weil wir den Weg verloren hatten, die Auinen eines 
alten Marmorgebäubes, deſſen Beflimmung nicht mehr 





— — 
— 


465 


gu erkennen war, denn wenige Blöde nur befanden 
ſich noch in ihrer urfprünglichen Tage, Herr Gropius 
hatte diefe weniger belohnende, und oft ſchwer zu er» 
kennende Straße abfihtlich gewählt, weil es von Wich⸗ 
tigkeit if, dag man in diefer Richtung die Ebene von 
Marathon zuerfi erblide, wo fie fich überrafchend und 
"in ihrem ganzen Umfange plötzlich barbietet, währen» 
fie fih von dem andern mehr befuchten Wege, füblich 
des Pentelifon, ſchon Tange vorher, aber nur theils 
weife zeigt, und nie vollftändig überblidt werben 
faun, bis man auf ihr ſelbſt flieht. Auch marfchirten 
die Athenienfer auf derfelben alten Straße zur Schlacht, 
was zum befiern Verſtändniß dieſer weſentlich bei⸗ 
traͤgt. 

Die erwähnte Ausſicht, welche ſich am Gipfel des 
Aforismo, dicht über Brana, nad) der langweiligen 
Zour wie dur einen Zauberfchlag entfaltet, ift veich 
und erbaben. Schon erblidt man auf der wie mit 
dem Richticheit geebneten Plaine den Zumulus ber 
Athenienfer; man fieht fehr deutlich links am äußerften 
Ende der Ebene die Bucht, in der die Perfer affein 
landen Tonnten, um ihren Schiffen einige Sicherheit 
zu gewähren, wie. auch die Moräfte, in bie fie theils 
weife nach dem Verluſt der Schlacht getrieben wurben, 


nit weit vom Tumulus, auf derfelben nörbliden 
Sudoſtl. Bilberſaal. II. 30 


466 


Seite beginnen. Senfeits bed breiten Mecrarınd 
thürmen fih die Bergfetten Euböa’s in verfchiedenen 
Abfägen über einander, verlängert durch die Eleinen 
Smfeln an ihrem füdlihen Ende, fo wie norbwärts 
durch das Gebürge Attifa’d. Indem man den fteilen, 
vielfach gewundenen Weg nad) Brana hinabfteigt, theilt 
fi der große obere Ueberblid in viele reizende Ein- 
zelheiten, durdy den Kieferwald, der die Bergabhänge 
bedeckt, anmuthig unterbroden, und manchmal auf 
Augenblide auch) ganz verborgen. Brana ift ein Klofter 
des heil. Georg, wo wir freilich nur ein höchſt elen⸗ 
des, vom Winde durchſaustes, und durch ſechs obere 
Senfteröffnungen dem Regen fehr zugängliches Unters 
fommen fanden, und wo überdem, außer Brod und 
Wafler, Eiern und bodig fehmedender Butter, feine 
Lebensmittel aufzutreiben waren. Man gab indeß 
willig und gern, was man hatte, und unfere Pferde 
tröftete reichliche Gerſte für den ermüdenden Marſch. 

Ungeachtet des heftigſten Platzregens konnten wir 
doch, da und noch eine reichliche Stunde Zag.übrig _ 
blieb, die Begierde nicht zähmen, und etwas auf der 
Plaine umzufehen, und wanderten daher zu Fuß bis 
zum Heraffefum, deffen Lage Leake wohl außer Zweifel 
gefegt hat, obgleih nur ſchwache Ueberrefle davon 
vorhanden find, Im Uebrigen mußten wir und mit 


467 


der Befihtigung einiger niebrigen, halb verwiſchten 
Tumuli, und bie und da zerftreuten ſchwachen Ans 
zeichen von Gräbern, nebft drei oder vier umges 
worfenen fleinernen Wafchtrögen für heute begnügen. 
In diefen letztern verehrten, beiläufig gefagt, einige 
engliſche Altertbumsjäger ergöglicherweife die Pferdes 
frippen des Artaphernes, von denen der geehrte Lefer 
das Weitere im Paufaniad nachſchlagen kann. — Die 
Hauptſachen blieben auf den andern Tag verſchoben, 
der uns ſchon früh zu detailirterer Beſichtigung zu 
Pferde fand. 

Ich bitte, von nun an die Charte von Leake zu 
Hülfe zu nehmen, und zugleich die Kruſe'ſche damit zu 
vergleichen, um ſich beſſer orientiren zu konnen, und 
zugleich zu ſehen, warum wir von Leake abwichen, 
und welche Irrthümer Kruſe's wir beſtreiten, in die 
der verdienſtvolle Gelehrte aus Mangel an richtiger 
Lokalkenntniß, die nur durch Selbſtſehen erlangt werden 
kann, auf ſeiner Studirſtube verfallen iſt. 

Nachdem wir die Thalvertiefung bei Brana mit 
ihren Ruinen (die Grotte des Pan, welche wahr- 
ſcheinlich nicht die des Pauſanias ift, ließen wir, als 
zu viel Zeit raubend und wenig bedeutend, ungefehen), 
das angrenzende Thal bei dem jetigen Marathon ums 
zitten hatten, durchſchnitten wir die Ebene, um ben 


großen Tumulus zu erreichen, dem einzigen hoch übri« 
gen, wirklich beglaubigten Monument der Schladt; 
denn von jenen die Ramen der Gefallenen tragenden 
Säulen, dem Denfmal des Miltiades u. f. w. ift 
nichts mehr zu fehben, und felbft die andern Tumuli, 
von denen noch ‚Spuren vorhanden find, mäflen, ihre 
wahre Beflimmung beireffend, höchſt ungewiß bleiben. 
Der Tumulus der Athenienfer if jetzt durch Die frucht⸗ 
loſe Eröffnung, die Fauvel veranftaltete — fruchtlos 
wahrfcheinlich nur, weil fie nicht tief genug fortgeſetzt 
wurde — vielleicht auch durch Wegnahme der Todern 
Erde von Seiten ber nahen Feldbeſitzer, oder durch 
Erhẽhang des umliegenden Erdreichs an feiner Baſts 
bedeutend niedriger geworden, als er Anfangs war, 
und bat von feiner urfprünglichen Höhe, die zu vier⸗ 
zig Fuß angegeben wird, wenigftend zehn verloren. 
Die mediſchen Pfeltfpigen, zierlich wie dreiſchneidige 
Degenklingen, aus afrikaniſchem ſchwarzen Stein ge- 
arbeitet, von denen Kruſe fagt: daß Dodwell fie bier 
entdedt habe, obgleich ihre Dafeyn ſchon feit. einem 
Jahrhundert belannt war, Liegen in ihren Fleinen 
Fragmenten auch noch jet fo häufig hier verfireut, 
daß wir im kurzen Zeitraum einer Biertelftunde über 
ein Dugend davon auflafen. Ich ermangelte nicht, 

meinen Theil davon, uebft einer ſchönen blutrothen | 


. 
Blume, die der Gipfel des Tumulus trug, mit Fröm⸗ 
migkeit meinen der Erinnerung geweihten Sammlungen 
einzuverleiben. Pfeslfpigen aus Erz find feltener; 
wir fanden Feine, doch befist fa jeder Sammler in 
Athen deren mehrere. 

Wir fegten num unfern Ritt nörblih längs des 
Meeres bis an die Moräfte fort, Eehrten dann wieber 
um und folgten dem Seearm ſüdlich bis an das Ende 
der Maine, wo ſich abermals einige Moräfte befinden, 
und wo unter mehreren antifen Trümmern, Neften 
son Poftamenten und Fragmenten son Statüen and) 
eine Anzahl weißer Marmorfänlen im Kreiſe ftehen, 
die fih Lady Elgin bier zufammen tragen ließ, um 
ihr Zelt daran zu befefligen. Es ift kaum begreiftich, 
wie Hamilton, ber Lord Elgin begleitete und bie Re⸗ 
lation von der Ausflucht gefehrieben hat, diefe Säulen 
und Baurefte für griechifhe bat anfehen und allerlei 
unbaltbare Hypotheſen darauf gründen können, ba 
Thon das ungeübtefe Auge die Arbeit auf ben erfien 
Blick ale römifche, und dazu ziemlich mittelmäßige, 
erfennen muß. Herr von Choiſeul ließ hier nachgra⸗ 
ben, und fand, was das Geſagte noch mehr befräftie 
gen würde, wenn es beffen bebürfte, zwei römifche 
Bſiſten (des Hadrian und Lucius Berus) auf Demfelben 
‚ Bled. Ohne Zweifel gehörte das Ganze zu dem römi⸗ 


470 
fhen Landhaufe eines vermögenden Mannes, was 
wiederum die flärffie Bermuthung begründet, daß die 
jest rund umher Tiegenden Sümpfe, in denen wir 
überdies aller Orten fehlen Grund fanden, neuern 
Urfprungg, und nur ber Vernachläßigung der früher ge= 
wiß flattgefundenen Entwäfjerungen zuzufchreiben find. 
Unmöglich Tann man annehmen, daß der Befiger jener 
reichen und ausgedehnten Billa dieſe inmitten der 
Sümpfe und daraus entflehenden Aria cattiva aufge- 
baut .haben würde. Dies ift aber deßhalb fehr wichtig, 
weil Krufe und mehrere Andere die Perfer gerade in 
Diefe (damals alfo gar nicht eriftirenden) Moräfte 
bineinfagen Taffen, ja in neuerer Zeit fih, nad ben 
Angaben verfchiedener Perfonen, gar Die ganz wider⸗ 
finnige Anficht acereditirt hat, daß die Griechen ihr 
Lager weiter ſüdwärts an eine der dortigen niedrigen 
und weit überfehbaren Anhöhen gelehnt und am Tage 
ber Schladht ihre Stellung mit dem rechten Flügel an 
die fupponirten Sümpfe, den linken an die ſchwache 
Anhöhe von Kotroni (ſiehe Leake's Plan) gelehnt, 
genommen hätten, um ben viel leichter zu: paffiren- 
den und überhaupt acceffibleren Weg, der bier 
länge dem Meere nad) Athen führt, zu beden. 
Kein Militair wird diefen Glauben theilen. 8000 
oder auch 20,000 Mann, die 200,000. zu befämpfen 


471 


haben! wird man gewiß nicht frei.bem Feinde gerade 
gegenüber Kinftellen, befonders wenn er ihnen noch, wie 
bier der Fall war, vom Meere aus in Flanke und Rüden 
fallen Tonnte, jondern eine durd die Natur geſchützte 
Stellung fuchen, die ihn zugleich über ihre Stärfe unge⸗ 
wiß läßt — fobald man zwifchen beiden die Wahl bat. 
* Zudem hätten aber auch die Griechen, außer dieſem 
Nuchtheile, zugleich das ganze Gebürge und den Darüber 
hinführenden nädjften, wenn gleich befchwerlicheren Weg 
nach Athen dem Feinde bei ſolcher Dispofition völlig frei 
gelaffen, fo daß dieſer bei einer folchen Stellung der 
Atbenienfer gar nicht mehr. der Schlacht beburft hätte, 
fondern nur mit Hinterlaffung eines Obſervationscorps 
gradezu nach der Hauptfladt marfchiren konnte, was 
er auch nachher, felbft nah der. verlornen Schladt, 
noch auf dem weitern Umwege zur See verfuchte, aber 
son dem ihm durch einen Eilmarfch zuvorkommenden 
fiegreichen Miltiabes Dort ebenfalls zurüdigemiefen ward. 
Der Natur der Sache nad mußten alfo die 
Griechen eine ſolche Stellung wählen, wo die. Bes 
fchaffenheit des Terrains fie möglichſt ſchützte und ihre 


ı Die fpätern Schriftkiefler geben fogar 300,000 Mann an, 
obgleich nach Leake's ſehr plaufibler Berechnung 170,000 die 
wahrfiheinlichfte Zahl ſeyn möchte, wovon überbieß nur 40,000 
regulaire Truppen waren. Ä 


47 


Schwache verbarg, wo fie bie naäͤchſte Straße über das 
Gebuͤrge vollſtändig, die am Meere hin aber wenig⸗ 
ſtens zum Theil decken, und fie in der Nähe ſtets im 
Auge behalten konnten. Diefe lettere Straße war um 
fo weniger bedenklich, da auf. ihr, nach dem vorher bes 
fiimmten Plane, die Lacedämonier heranziehen follten, 
und auch, wenn gleich zu ſpät, um an der Schlacht 
noch Theil zu nehmen, doch kurz darauf wirfli an⸗ 
Yangten. Hätten alfo bie Perfer diefen Weg einge- 
fchlagen, ſo Fonnte Miltiades darauf rechnen, daß fie, 
bevor fie Athen erreichten, auf die Spartaner geftoßen 
wären, während er fie im Rüden angegriffen hätte, 
wo die Niederlage des Feindes noch viel entfcheiben- 
der geworben, und die Perfer vielleicht gänzkich ver- 
nichtet worben wären. Alle dieſe Bortheile vereinigte 
aun die Stellung vor Brand, welde, unferer Anficht 
nad, die Griechen wirklich einnahmen, und wo, ſelbſt 
wenn die Schlacht verloren ging, ein leichter unb 
Scherer Rückzug in’s Gebürge offen fland, auf dem 
jeder Fuß breit Weg vertheibigt werben konnte, wäh- 
rend in jener andern fupponirten SPofition auf der 
Strafe am Meer die gefchlagenen Athenienfer auf 
bie Lacedämonier zurüdgemworfen, ober feitwärts in die 
Gorgen des Pentelifon getrieben worden wären, was 
den Ruin beider Armeen wahrſcheinlich nach fi ge 


% 


478 


Yogen, unb der Einnahme von Athen nichts mehr ent⸗ 
gegengefekt haben würde. Andere behaupten, die 
Griechen hätten am Tage der Schlacht in dem Thale 
bes jeßigen Marathon geflanden, welches gerabe in der 
Mitte der Ebene liegt, was Herobots Worte Deutlich an- 
zeigten. — Diefe gehen aber von ber irrigen Meinung 
aus, das jetzige Marathon fiehe ba, wo daß alte geftanden. 

Die Wahl jenes mittleren Thales zur Aufftellung 
Des griechifchen Heeres würbe den Nachtheil gehabt 
haben, einmal, bag von diefer Diitte jener Maſſen⸗ 
engriff in fchiefer Ordnung auf den Hinten Flügel der 
Serfer, wodurd gerade auf der Stelle bed Tumulus 
der Sieg hauptfächlich entſchieden warb, nicht möglüh 
war; zweitens, daß die Griechen dort durch Forrirung 
der Schlucht von Brana leicht hätten umgangen wer- 
den Tönnen. Endlich ift anch noch zu bemerken, daß 
das Thal des heutigen Marathon in einer Richtung 
auffteigt, welche den Griechen, im Fall fie gefchlagen 
wurden, den Rückweg nad Atben Taum, oder nur 
mitteilt eines bedeutenden Umwegs erlaubte. 

Ein Blid auf die Charte Leakes zeigt ewibent, 
Daß auch heute noch fein General unter denſelben Um⸗ 
Ränden eine beffere Stellung auffinden konnte, als die 
vor dem Keflel von Brand, deſſen Deffuung auch gerabe 
breit genug if, um 8000 Wann in der Weile aufs 


474 


marſchiren zu laſſen, wie die Hiſtoriker es beſchreiben 
und die antife Schlachtördnung mit ſich brachte, bie 
Mitte ſchwächer, die Flügel verdickt, und beide End⸗ 
punkte hier an ſchützende Berge gelehnt, von wo die 
Griechen, ihr feſtes Unger hinter fi, in einer folchen 
Richtung avancirten, bie von Haus aus den linken 
Flügel der Perfer mit der Aufroffung bedrohte, welche 
nachher auch flattfand. Syn diefer melde fonnten fie 
dann ohne Beforgnig ihr eigenes ſchwaches Gentrum 
durchbrechen fehen, da der, nur einen Augenblid im 
Bortheil fich befinbende Feind bald von den Seinigen 
abgefchnitten und, mit dem Gebürge vor fih, durch 
Zufammenziehung der fiegreidhen Flügel ficher in ihre 
Hände fallen mußte, wie es geſchah. ' 

Aus allen diefen Gründen ift es Daher höchft wahr: 
fhernlih, und Herodots Worte fcheinen es eben nur 
zu befräftigen, daß das alte Marathon nidt an 
der Stelle des jeßigen, fondern in der 
Schluht von Brana geftanden habe, wo au 
die Nefte eines Stabiumsd und mehrere andere Mauer 
trümmer, fo wie einige Tumuli fihtbar find, während 
bei dem modernen Marathon nicht die mindeſten Ueber⸗ 
bfeibfel einer alten Stadt angetroffen werben, Leafe. 
ift derfelben Meinung, und fupponirte, mit feinem 
gewöhnlichen Scharfbiid und genauer Prüfung der 


475 





Lokalitaͤten, die Thatfachen ziemlich eben fo, wie fie, 
nad) unferer Veberzeugung, wirklich ftattgefunden haben 
müſſen. Gibt man bie von ihm ausgemittelte Lage des 
Heraffefums zu, welche jede Wahrfcheinlichkeit für ſich 
hat, fo Tann Fein Zweifel mehr obwalten, daß Mara« 
thon fih in der Schlucht von DBrana befunden babe, 
da Herobot ausdrücklich ſagt: „Die Griechen Tagerten 
auf dem dem Herkules geweihten Diftrift bei 
Marathon.” 
Herr Profeffor Krufe, der im Text fchon in.den 
feltfamen Irrthum verfällt, Marathon zwifchen bem 
Hpmettos und Pentelilon Tiegend anzugeben, während 
das ganze Gebürge bes Pentelifon zwilchen dem ſehr 
weit entfernten Hymettos und Marathon Tiegt, bat 
auch auf feinem Plane der Schlacht den Zug und bie 
Entfernung ‚der Höhen von einander ganz falſch ange⸗ 
geben, und die von ihm fupponirte griechifcehe Schlacht- 
finie wird faft burlesf, da ed wohl 80,000 Dann flatt 
83000 verlangt haben würde, um bei der Tiefe der 
antiten Aufftellung (wenn wir auch das Centrum von 
viel geringerer Tiefe annehmen) eine folche Länge aus⸗ 
zufüllen, die ſich über drei Viertel deutfche Meilen 
erfiredt, währenddem höchſtens 5— 6000 Fuß ſchon 
völlig hinlänglih zum Zwede waren.! In diefen Irr⸗ 


1 Nach dem Längenmaß auf Kruſe's falſcher Charte er⸗ 


 Hum iſt Here Kruſe allein durch die Angabe bes He⸗ 
zobst geratben, ber allerbings jagt: „Die Schlachtlinde 
ver Griechen war mit der mebifchen gleich lang ge⸗ 
macht.“ Diefe Worte müffen aber nothwendig anders 
gu verſtehen ſeyn, als nach dem materiellen Wortfinne, 
0 Mann 200,000 gegenüber in gleicher Tänge auf 
der Plaine aufgeftellt, würden nur einer Vebettenfette 
geglihen haben, und überdem müßte fich Herobgt ſelbſt 
dabei widerſprechen, da er gleih darauf fagt, bie 
Griechen bätten in vollen Haufen angegriffen. 
Dies würde bei einer Aufftelung, wie bie angeführte, 
Schwer bewerkftelligt worben ſeyn. Die einzige Moͤg⸗ 
lichkeit eines folden Angriffs wäre die geweien, daß 
fih die fo unnatürlich ausgedehnte Linie während bes 
angegebenen langen Laufs auf bie Feinde in viele Heine 
* Häuflein gebildet, und den Feind bann auf feiner 
‚ganzen Fronte ohne Zufammenhang wie ein Müden- 
ſchwarm attakirt hätte, was bei der geringen Zahl der 
Briehen gewiß Tein günftiges Reſultat herbeiführen 


ſcheinen die Diflanzen zwar bebeutend geringer, aber in ber 
Wirklichteit beträgt die Entfernung von Bergabhang zu DBergs 
abhang, vom nördlichen Ende der Ebene bis zu dem Thale 
von Brana, wenigſtens eine deutſche Meile, da fie nad Leake's 
genauer Meflung über 5 englifhe Meilen lang ift, welche ohne 
Zweifel die Perfer, wegen Raummangel für ihre großen 
Maflen, ganz dedten. 


— 


Bonnie, ba fie nur durch ihre kompalte Maſſe, wie ein 
Keil auf einen Fleck eindringend, auf einen fo über- 
legenen Feind erfolgreich einzuwirken im Stande waren. 

Die Worte des Herodot erklaͤre ich mir ſo: Selbſt 
Kruſe auf feinem Schlachtplan ſtellt Die Meder ſeparat 
auf den linken Flügel, neben fie die Perſer, und auf 
ben rechten die weniger zuverläßigen Hülfsvölfer, bie 
Schifföruderer u.f.w. Auch Herodot trennt in feinem 
Bericht ausdrücklich Meder und Perfer. Es ift alfo 
wahrfheintih, und wärbe mit unferer Annahme Teicht 
übereinftimmen, dag Herodot nur gemeint hat, die 
griechiſche Linie ſey mit der des medifhen Corps 
anf dem linken Flügel gleich lang gewefen. 

Herr Krufe äußert nachher, um den von Herodot 
berichteten Schnelllauf der Griechen auf den Feind, 
ſechs Stadien weit, zu erflären — man fünne anneh» 
men, die Griechen hätten auf ver Anhöhe von Kotroni 
(bei Zephiri) geftanden, und wären von dort herunter 
auf die Perſer Ins gelanfen Wie ſtimmt aber bies 
mit jener ausgedehnten Linie, ba bie Höhe bei Zephiri, 
wo fie in die Ebene ſchmal auslänft, nicht 500 Fuß 
breit ift, und baber, nach der. Ausdehnung ber Krufes 
ſchen Schlachtlinie, höchſtens einige hundert Mann dar⸗ 
auf hätten poflist werben können. Freilich nimmt ber 
Umfang diefes ſchmalen Bergrüdens auf Krufe’s 


478 


Charte eine Breite.an, die faſt die halbe Länge des 
Thales erreicht, aber nicht die Natur, fonbern nur die 
Hypotheſe ift bei diefer Zeichnung zu Rathe gezogen. 
Das ganze fabelhafte Laufen ift übrigens wohl nicht 
fo wörtlich zu nehmen, und bedeutet für die griehifche 
Armee ohne Zweifel nichts weiter als ein Auancement 
im ſchnellern Tempo, ein pas de charge, der im 
legten Augenblide erft vielleicht in. wirkliches Laufen 
überging. 

Die Linie ber perfifchen Schiffe ift ebenfalls, wie 
wir glauben, unrichtig auf Kruſe's Plan verzeichnet, 
da diefe fo weit herab fühlih an dem flachen und 
feichten Ufer gar feinen Ankergrund hatten, und allen 
Stürmen ohne Schug. dort ausgefegt geweien wären. 
Alles das fcheint bloß den fühlihen Sümpfen zu Liebe 
erbacht worden zu fepn, in denen Krufe, wie Dobwelk 
und. Andere, die Perfer durchaus ertrinfen laſſen wols 
Ien, obgleich gar Fein Grund dazu vorhanden, und 
alle Wahrfcheinlichkeit dawider ift, daß überpaupt dar 
mald jene Sümpfe eriftirten. . 

Unferer Anſicht nach Tagen die Schiffe ber Derfer 
in der .nörbliden Bai, wo fie hinlängliden Raum 
und Schug fanden, vor Anker, und behnten fih nicht 
das ganze Ufer hinab. Die Winde werben aber da⸗ 
male wohl biefelben wie heute geweien feyn (ba in 


48 


unſerer fo vielfach fchwanfenden Welt wenigftens bie 
Winde noch ihre Stabilität behauptet haben), und ih⸗ 
rem Gefeße mußten die Schiffe unfehlbar fih fügen. 
Die Schladhtlinie der Truppen jedoch erfiredte fich 
wahrfcheinlich noch über den Tumulus der Athenien- 
fer binaus, wo eben am Tage der Schlacht ihr linker 
Flügel von den Griechen in Maſſe angegriffen warb. 

Am fchwerften zu erläutern bleibt ed, daß die 
perfifhe Kavallerie bei dem günftigften Terrain fo 
ganz unthätig geblieben zu ſeyn ſcheint, weil fie nir- 
gende erwähnt wird, und ferner, warum bie Perſer 
neun Tage rafteten, ohne den Feind im Geringften zu 
beunruhigen. Man muß annehmen, daß irgend ein 
Aberglaube oder verzögerte Transporte von Lebens 
mitteln daran Schuld waren, und endlich auch die 
alberne Zuverſicht wie die Indolenz dieſer ſüdlichen 
Voͤlker in Anſchlag bringen, da ſelbſt heute noch bei 
tärkifhen Armeen Aehnliches mehr als einmal vorge⸗ 
kommen ift. 

Unferes Erachtens war ber Hergang der ganzen 
Begebenheit von Anfang an in fehr einfacher Weife 
ungefähr folgender: 

Die Griechen, auf der geraden Straße nad) Ma⸗ 
rathon marfchirend, erfchienen auf den Höhen, die von 
Athen aus die. Ebene am Meere einfchliegen, und 


⸗ 


— 


ließen durch die Beſetzung derſelben die ſich ausſchif⸗ 
fenden Perſer ungewiß über ihre Stärke. Ihr befeſtigtes 
Lager vor Marathon aufſchlagend, ſuchten ſie demun⸗ 
geachtet durch "eine langgedehnte, durch Verhacke ge⸗ 
deckte Linie den Feind zu täuſchen, doch am Tage der 
Schlacht ſelbſt zogen ſie dieſe in der Oeffnung vor 
Marathon (Vraua) zuſammen, und ohne Zweifel 
(wenn auch Herodot in feinem fo außerorbentlich kur⸗ 
zen Bericht nichts davon erwähnt) detachirten fie ein 
Corpé der leichteren, weniger zuverläßigen Truppen, 
die an Zahl wohl den Hoplitä gleich kommen mochten 
(jo, daß fih ihre ganze Macht gewiß auf 15 bie 
16,000 belief), zur Beobachtung und Beichäftigung 
des rechten Flügels der Perfer, in das Thal des heu⸗ 
tigen Marathon. Nur durch die fämmtlichen Hoplitä 
felbR aber ward die Hauptmacht formirt, von ber das 
Lops der Schlacht abhing, und bie mit der Rechten 
an die Höhen von Argolithi, mit der Linken an die 
yon Kotroni gelehnt, aufgeftellt wurde. 

Mit diefen 8000 Mann Schwerbewaffneter ärzte 
ſich nun Miltiades, ans dem Thal von Brand bers 
vorbrehend, auf den linken Flügel der Perjer, wo 
fich deren befte Truppen, bie Meder, befanden, und wo 
ber Tumulus den Stanbpunft des Eutfheibungsr 
Inmpfes binlänglich bezeichmet; aͤhnlich Friedrich bei 


481 


Leuthen und Ibrahim bei Konia. Nach Aufroflung 
biefes Flügeld der Perſer wurden wahrſcheinlich aus 
beren Centrum unb vom rechten Flügel, ohne eines 
geſchickteren Manövers fähig zu feyn, immer frifche 
Truppen der Perfer ben Siegern gerabe entgegen ge- 
führt, yon denen fogar ein Theil augenblidfich ben 
Bortheil gewann, und der Griechen Centrum durch⸗ 
brach. Dies blieb jedoch ohne Refultat, und durch 
bie geſchickten Bewegungen des griechifchen Feldherrn, 
ber feine Flügel fogleich zufammenzog und fpäter ben 
fo abgefchnittenen Theil der Perfer ohne Mühe: vers 
nichtete, warb die VBerwirrung und Zerfprengung 
der ganzen feindlichen Macht dadurch nur vervollſtän⸗ 
diget. Der Perfer eigene Maſſe, zulegt in die großen 
nördlichen Sümpfe auf ihrem rechten Flügel ger 
brängt — wobei bie Teichteren Cin das Thal des heu⸗ 
tiger Marathon detaſchirten) griechifchen Trupyen nun 
auch mit thätig waren — ward ihnen verderblich und 
eine Herfiellung ber Schlacht unmöglich, Dennoch 
fiheint die Nieberlage der Perfer keineswegs vollſtaͤn⸗ 
big, ja ber legte Angriff der Griechen auf die Schiffe 
fogar abgeſchlagen worden, und fie gar nice im 
Stande gerdejen zw fenn, die Einfchiffung weiter zu 
hindern, Bei biefen Bemühungen kommt, wie wir 


Iefen, der tapfere Kynegiros mit Andern um, umb Die 
Süpöftl. Bilderfaal. II 31 


48% 
Zahl der genommenen Schiffe iſt höchſt unbedeutend. 
Die Perfer verlieren im Ganzen 6000 Mann und die 
Griechen 192; ein Refultat, Das auch Feine fehr fange 
Dauer des Kampfes vorausfesen Yäßt. 

Sp ſcheint Die Schlacht, den vorhandenen Berich- 
ten, der Natur der Sache und der Lofalität ganz an 
gemeffen, verlaufen zu feyn, ohne der unwahrfdein- 
lichen Annahme zu bedürfen, daß die Perfer in ihrer 
ganzen Front zugleich angegriffen und in die Sümpfe 
nad beiden Enden der Ebene hingetrieben worden 
feyen, was gleich fehr der Zahl beider Armeen, wie 
ver Befchaffenheit des Terrains wiberfpricht. 

Hinſichtlich unſerer Behauptung, dag nur ein 
großer Sumpf auf der Ebene damals eriftirt habe, 
worauf fo viel anfommt, frheint auch Paufanias volle 
fommen baffelbe anzunehmen, wenn er bei Befchrei- 
bung der bunten Halle, in der fi ein Gemälde von 
der Schlacht bei Marathon befand, fagt: „...... ende 
lich find die Perfer auf der Flucht, und drängen ein- 
ander in den Sumpf Calfo nicht in verfchiebene 
Sümpfe an beiden Seiten der Plaine) hinein.” Wei- 

terhin, bei Beichreibung des Terrains ſelbſt, erfcheint 
ſein Zeugniß noch viel entſcheidender. „Es iſt,“ ſchreibt 
er, „im Marathoniſchen ein See, der größtentheils 
nur einen Moraft ausmacht; in diefen fielen. bie. 


483 


flüchtigen Perfer aus Unwiffenheit der Wege (deren 
damals wahrſcheinlich mehr als einer Hindurchführte), 
und wurden bafelbft in großer Anzahl niedergemacht.“ 
Dieſe Schilderung läßt kaum einen Zweifel mehr 
übrig. Auch für die Stellung der Schiffe, der Aus⸗ 
ſchiffung der Truppen und ihren Hauptlandungsplatz 
ſind die folgenden Worte ein ſehr deutliches Anzeichen: 
„Bet dieſem See findet man noch fteinerne Krippen 
für die Pferde des Artapherneg, und an dem Felſen 
Zeichen eines dort befeſtigten Zeltes.“ Felſen 
aber gibt es nirgends an der Meerſeite der Ebene, 
als eben am äußerſt nördlichen Ende der Bucht, wel⸗ 
cher entlang, unſerer Meinung nach, die Schiffe pla⸗ 
cirt waren. An dieſen Felſen alſo und an der kleinen 
Ebene von Tricorythos (Suly) hatte Artaphernes ſein 
Hauptquartier, wozu es ſich, vom Morafte gefchüßt, 
nur. durch den engen Pag am Stavrokoraͤki nahbar, 
und zugleih in Verbindung mit der Straße nad 
Rhamnus, jo wie in der Nähe der Flotte, vortrefflich 
eignete, 

Die Schlacht von Marathon ward mit Entfchlof- 
fenheit und richtiger Taktik von Seiten. der Griechen, 
mit Vebermuth und gänzlicher Unwilfenheit von Seis 
‚ten der Perſer gefchlagen,. fo wie auch noch heut zu 
Tage ein Hänffein regulairer Truppen bie haliloſen 


Schaaren der Türken in ähnlicher Weiſe befiegen 
würbe. Obgleich Feine Niederlage, waren bie Reful- 
tate dennoch für die Zukunft außerordentlich, weil fie 
bie Griechen ihre eigene Ueberlegenheit kennen Iehrten, 
und fo einen Zufland der Dinge vorbereiteten, deſſen 
Folgen in hundert Fäden noch bis in unfere eigene 
Zeit hineinreichen. 


Wir mußten jest, um von den Ruinen ber rö⸗ 
mischen Billa wieder auf die Straße zu gelangen, eine 
mit Waffer hoch angefülte Vertiefung paffiren. Mein 
armer Francis durchſchwamm fie tapfer, aber das 
Pferd des Herrn von Profefh warf ſich mitten darin 
fo plöglih mit feinem Reiter nieder, dag dieſem Feine 
Zeit, es zu verhindern, übrig blieb, und er das Talte 
Bad ruhig erdulden mußte, was er auch mit der lies 
benswärbdigften Heiterkeit hinnahm. Webrigend machte 
der fortwährend herabftrömende Negen und in biefer 
Hinfiht bald alle glei, und das Drängen durch die 
naſſen Gebüſche, welche die Felſenſchluchten erfüllten, 
entkraͤftete auch allen Dienſt der Mäntel und Regen⸗ 
ſchirme. Ein ſchützendes Obdach, mit der wohlthäti⸗ 
gen Erwärmung eines praſſelnden Feuers aus wohl⸗ 





riechendem Strauchwerk, gewährte uns nachher ber 
kurze Aufenthalt in einer Art Meierei. mitten in der 
Wildniß, Die son einer Stoloniftenfamilie aus Hydra 
bewohnt wird, Wir, die Familie, ein Theil unferer 
Dferde nebft andern Hausthieren, bivouakirten alle in 
der geräumigen Scheune friedlich neben einander, wo 
wir Durch einige ben Kindern gereichte Scheidemünzen 
viel Freude zurüdtießen. Da indeß ber Regen uns 
nicht den Gefallen thun wollte, im Geringſten nach⸗ 
zulaffen, erlaubte ung die Zeit nicht Tänger, bier zu 
saften. Wir verfolgten von nun an einen beſchwer⸗ 
lichen engen Felſenweg durch die Borberge bes Pen- 
sefifon, die, ganz wie in Afrika, durchaus mit An 
drächne⸗ und Arbnius- Arten, ſchön gelb blähenbem 
Binfter, dem Maſtixſtrauch Clentiscus), der in fo 
dichten, runden Kormen, als fey er bejchnitten, wächſt, 
hohen Erifen, niedrigen, vothen und weißen Zwerg 
roſen u. f. w. bedeckt waren. An den jebt überaß 
angeſchwollenen Bächen fanden Platanen, meifl funger 
Aufwuhs, und in ben Thälern häufig Pinienhaine, 
mit einzelnen filber - und biaßgrün ſchimmernden 
Pappeln. Biele Orte waren durch Feuer verheert, 
welde die Hirten der Ziegenheerben, bie faſt allein 
biefe Einfamfeit beleben, überall anſtecken, wo fie es 
für gut finden, um durch die Düngung der Aſche im 


nädften Jahre reihlichere Weide für ige Bich her⸗ 
vorzurufen; ein Mißbrauch, ber fich mit größerer Ci⸗ 
pilifation wohl allgemach verlieren wird. 

Die Ausfihten in die Ferne waren höchſt beloh⸗ 
nend, und umfaßten einen immer weiteren Spielraum. 
Wir ſahen zwar jetzt die Ebene von Marathon nicht 
mehr, aber, außer Euhöa, die Inſel Andros, VIsole 
Inglese, die wie eine große Meerſchildkröte auf dem 
Waffer liegt, und Isola langa, die Liebesinfel genaunt, 
weil, zu Folge der Sage, Paris nach dem Raube der 
Helena hier zum erfienmal die Früchte feines Sieges 
über bie verhängnißvolle Schöne vollſtaͤndig genoffen 
haben ſoll. Später zeigte ſich links Die Küfte und ber 
Hafen yon Raphti (Prusiae)), ferner das weite Thal 
yon Meffogia, begrenzt auf der einen Seite vom 
Hymeltus, der ſich nirgends vortheilhafter präfentirt, 
und auf ber andern vom Derge Laurium, der am Cap 
Sunium ausläuft, Nahe neben uns rechts erhob fich 
ber in Wolfen gehüllte Gipfel des Penteltfon ſelbſt, 
an deſſen ſteilem Rande wir hinritten. Während 
unfere gütigen Führer biefe Details der Gegend ers 
Härten, erwähnte Herr von Prokeſch einer merkwür⸗ 
bigen Lebensrettung auf dem uns feitwärts liegenden 
Meere. Er befand ſich bei heftigem Sturm in einer 
Dezembernacht des Jahres 1828 auf einem Linienſchiff 


“7 


son 6% Kanonen, das von der Windsbraut gejagt, 
obgleich es faft alle Segel eingezogen hatte, noch immer 
41 Seemeilen in der Stunde zurücklegte. Die Nacht 
war tief dunkel, Regen und Hagel flürzten mit ſolchem 
Beräufch nieder, ba man kaum das Rollen des Don⸗ 
ners vernahm, und feit geraumer Zeit war man in 
Ungewißheit, welchen Curs man zu verfolgen habe, 
um ben gefährlichen Klippen biefer Küfte zu entgehen. 
In diefer Gefahr äußerte plöglich der Pilot: es blinke 
ihn, er höre Brandung durch das Geheul des Win- 
des. Man horchte — doch Niemand vernahm etwas. 
— Da fuhr mit fhwerem Krachen ein Blitz dicht am 
Stenerborde nieder, und bei feinem Lichte ſah man, 
daß das Schiff in gerader Richtung auf die hohe Fels 
fenwand an der Nordfpige von Zea zufliege. Nur 
noch wenige Minuten waren zwifchen Leben und Tod, 
Einen Augenblid erflarrte alles, im nächſten flürzte 
ohne Befehl Jeder ſchon an die Arbeit, und eben 
langte die Zeit noch zu, mit Riefenanftrengung das 
Schiff zu wenden, ehe es ben Felfenkolog berührte, 
an dem es fonft wie Glas zerfplittert worden wäre. 
Ohne diefen vom Himmel gefandten Blig war Teine 
Rettung möglich — und Jeder mag nun na feinem 
Sinme entfeiden: ob er in Folge des bloßen Natur⸗ 
gefeßes gerade um diefe Zeit nieberfallen mußte, ober 


488 . 


ob eine vorſehende, mächtige Hand ihn abfichtlich als 
Rettungsengel fandte? 

Der Negen Tieß endlih nad, und die warme 
Luft hatte ung ziemlich getrodnet, ald wir bei dem 
verlaſſenen Kloſter Daud (David) anfamen, das ſchon 
halb zur Ruine verfallen, in einer der reizendſten 
Lagen erbaut iſt, welche dieſes Gebürge darbietet. 
Uralte Olivenbäume, über grüne Saaten ihre Schats 
ten breitend, mit Pappeln und Fichten angefüllte Heine 
Thäler, Reichthum an Waffer, fruchtbarer Grasboden, 
und die fihönfte Hügel» Gruppirung rings umher mit 
mannichfaltigen Ausfichten von diefen Höhen nad) allen 
Seiten hin, machen Daud zu einem wünfchenswerthen, 
alten Berfchönerungen leicht zugänglichen Beſitzthum. 
Die Mönche wurden einft von türkifhen Räubern 
überfallen und fämmtlich niedergemadt, weßhalb ihre 
Nachfolger das Kfofter nicht mehr bewohnen mochten, 
und fih, einige Stunden weiter, nad Klofter Penteli 
zurüdzogen. Die Kirche, eine hohe Rotunde, in die 
ich mühfam hineinritt, bildet eine malevifhe Ruine, 
gegen deren graue abgeblätterte Wände ber einzeln 
ſtehende Altar aus weißem Marmor geſpenſtiſch abs 
ftiht.. Das Ganze muß in biefer vollfiändigen Eins 
famfeit, überbieg eine Stätte des Mordes, um Mits 
ternacht allein zu befuchen fchauerlich genug ſeyn, und 


4809 


der Kontraſt der lieblichen und doch verlaſſenen Ges 
gend umher fcheint diefe Wirkung nur noch zu erhöhen. 

Wir fagerten uns nachher auf den Rafen neben 
den eingeflürsten äußern Manern hin, um eine Stunde 
auszuruhen, tranfen aufgelöstes Kryſtall aus der rau- 
ſchenden Kaskade, und festen dann durch blühende 
Gebüſche den Tagesmarſch Bid zu dem erwähnten 
Kloſter Penteli fort, wo wir unfer Nachtlager zu neh- 
men beftimmt hatten. 

Auch diefer Bau Tiegt heiter, in hohe Pappeln 
und blühende Judasbäume eingebust, und tft mit 
einer Mauer umgeben, in weldhe nur eine drei Fuß 
bohe Thür den Eingang verftattete. Dies galt ehemals 
den Türken, bie, zu faul, um abzufleigen, an einem Haufe, 
in das fie nicht hineinreiten fonnten, gewöhnlich vorüber⸗ 
zogen; auch diente es wohl im Nothfall zur befferen 
Bertheidigung. Im Kloſterhofe fanden wir Lorbeers 
bäume von auferorbentlihem Umfang und über 20 
Fuß Höhe, aber fein Mönch ließ fich blidden, nur ein 
alter Diener, der uns einen flallartigen Raum ans 
wies, welcher viele Tenfteröffnungen, aber feine Fen⸗ 
ſter darin hatte. Doch war ein großes Kamin und 
Holz davor liegend in Menge vorhanden, ſo daß wir 
bald unſere durchnäßten Kleider und Effekten an einem 
kleinen Scheiterhaufen trocknen konnten, deſſen Nähe, 


490 


ohne ſich forgfältig das Geſicht zu bededen,. kaum. zu 
ertragen war. | 

Auf alle unfere Fragen, die eigenen Bedürfniſſe, 
wie die der Pferde betreffend, erhielten wir ſtets bie 
Antwort, es fey im Klofter nichts zu haben; bis endlich 
einer unferer Leute zu energifchen Thätlichfeiten über: 
ging, und ich mit dem Despoten (Erzbifchof) in Athen 
drohte, was uns wenigftend für unfer Geld Pferdes 
futter, und aud einige Lebensmittel für die Men» 
ſchen verfchaffte. 

Die gemeinen Griechen haben eine befonders aus⸗ 
drudsvolle Pantomime bei folher Weigerung, bei 
deren phlegmatifchen Wiederholung es ſchwer iſt, nicht 
die Geduld zu verlieren. Sie heben den Kopf lange 
fam, laſſen die Augenlider finfen, ſchnalzen mit Zunge 
und Lippen, und wiſchen ſich dann ſatyriſch den Mund, 
indem ſie mit gedehnter, ricanirender Stimme bedächtig 
die Worte: „dev’ axev (ed gibt nichts)!“ ausſprechen. 

North Tennt Fein Gebot, und da Niemand fi im 
Klofter rühren wollte, fo erbot ich mich felbft, meine 
Kochkunſt in Anwendung zu bringen: Graf Schaff- 
goifch verſprach, dabei behülflich zu feyn. In letzter 
Snftanz gab jedoch Herr Gropius bie praktiſcheſten 
Lehren dazu. So Fam denn unter vielem Gelächter 
und nad) mandem Berfehen ein Ragout zu Stande, 


das trotz der heterogenften Ingredienzien allgemein 
föftlich gefunden wurde, Das Warmbier ald Suppe 
hatte fich geringern Beifalls zu erfreuen, ba es mit 
galfenbitterem englifchen Porter bereitet wurbe, und 
der Flaſchenkeller, wie die Talte Küche des Herrn von 
Prokeſch, mußten ſich zuletzt auch Heute als die ent- 
fheidende Reſerve bewähren. Beim wohlriechen⸗ 
den Dampfe unferer türfifchen Pfeifen ſchloß erft 
fpät die belebtefte Unterhaltung den Abend fo ange- 
nehm, als es im recherchirteften Salon der Reſidenz 
ſchwerlich der Fall geweſen feyn würde, Auch fehlief 
ich ſehr gut in der mir angewiefenen feuchten Zelle, 
obgleich fich des Nachts einigemal ganze Stüde Kalf 
von dem Gewölbe über mir ablösten und auf mein 
Feldbett fielen. Die übrige Gefellfehaft hatte vorge- 
30gen, am euer zu fchlafen, und es war 8 Uhr — 
denn wir hatten Beute nichts zu verfäumen — ehe. Die 
Cavalcade fih vollſtaͤndig ‚gerüftet fand, um den Mar⸗ 
morbrüchen zuzueilen, die fich nicht fern vom Gipfel 
bes Pentelikon Binftreden. Der Weg war fehr bes 
ſchwerlich, und dba, wo ihn ein Detachement: herge- 
ſchickter baieriſcher Soldaten gebeſſert hatte, am ſchlech⸗ 
teſten. Dazu regnete es fortwährend heftig, was ben 
Anblie der wilden Gegend um die Brüche mit ihren‘ 
ſchroffen und hohen, glatt abgearbeiteten, weiß glän- 


zenben Marmorwänden nur noch fehöner hervorhob. 
Hier befindet fih eine merkwürdige und fehr ausge⸗ 
behnte Höhle, von deren Dede ſchön geformte Stalaf« 
titen nieberhängen, und oft als Säulen auf bem 
Boden Wurzel faffen. Unten wuchert bellgrünes 
Moos auf Den nadten Steinen, feitwärts -ift ein ab- 
geichloffener Theil zu einer kleinen Kirche für bie 
Arbeiter eingerichtet, und tief unten führt ein enger 
Schacht zu einer Quelle des reinften Waffers hinab; 
am Eingange der Höhle rankt fih Epheu in weiten 
Gewinden, und verbreitet fanfte Dämmerung im In- 
nern. Wir ließen große Feuer angünden, um uns zu 
wärmen und an ben wunderbaren Lichteffeften zu er⸗ 
freuen, die dadurch hervorgebradit wurden. So hoff⸗ 
ten wir den Regen abwarten zu. Tönnen. Da indeß 
auh nah einer Stunde ſich noch nicht bie mindefle 
Ausficht dazu zeigte, jo befliegen wir endlich, obgleich. 
wie unter ber Traufe, unfere Roffe wieber, und rits 
ten nach dem Klofter auf demfelben Wege zurüd, den 
wir gelommen, ber aber: jegt in Das Bett eines. Baches 
verwandelt ſchien. Bor uns entfaltete fih Athens 
Ebene unter einem Regenbogen, der Lykabettus zeigte 
fih nur als ein Kleines Hügelchen im Thal, und bie 
Akropolis, einem zierhihen Tafelaufſatz gleichend, war 
kaum noch. zu unterſcheiden. 





498 


Im Klofter fanden wir biegmal ein Lamm am 
Spieße,. das in der Nacht: burch einen unferer Beritte- 
nen geholt worden war. Rad deſſen anbächtiger 
Berzehrung ward Nachmittags der Rückweg nad 
Athen‘ befchloffen, obgleich der Himmel immer noch 
zürnend feine Waffer niedergoß. Wir wählten eine 
andere Straße, die durch Maruffi (das alte Amarufia, 
wie man glaubt) führt, und durchſchnitten erſt bei 
Pelika wieder die, einer 8 gleichende Form, welde 
den ganzen Umfang unferer Erkurfion bezeichnete. . 
Hier machte man: uns auf das Dorf Kalandri auf: 
merkſam, das durch eine Niederlage türkiſcher In⸗ 
fanterie im letzten Kriege einige Berühmtheit erlangt 
bat. Herr Eonful Gropius, der fih Damals in Athen 
befand, fah die wenigen Flüchtlinge, die dieſer mörde⸗ 
rifhen Affaire entkamen, dort anlangen, welche alle 
von dem den Türken fo ungewohnten Laufen der⸗ 
maßen erfchöpft waren, daß fie ſich meifteng auf Den 
Straßen wie vom gelben Fieber Leberfallene erbra- 
Gen, und unfähig, weiter zu kommen, liegen blieben, 
bis fie, auf Eſel gepadt, nad der Akropolis hinauf 
transportirt werden Tonnten. 

Auch Herr von Profefch hatte auf der Stelle des 
Dlivenwaldes, wo wir ung jet befanden, in jener 
Zeit eine intereffante Avantüre. Er war nad Brana 


— en en nn 


geritten und fanb dort eine fehr hübſche und veich ge- 
fleidete Griechin mit zwei Dienern, die füh, wie fie . 
ging und ftand, mit genauer Noth aus der Maſſaere 
von Livadia, während ber ihr Mann vor ihren Augen 

erfhhlagen worden war, hierher geflüchtet hatte, und 
| jegt Athen zu erreichen fuchte, um ſich von dort nad 
Zante einzufchiffen, wo ihre Verwandten lebten. Sie 
bat flepentlih Herrn von Profefh um Hülfe, da fie 
nicht wife, wie fie durch die türfifchen Kavallerie⸗ 
poften hindurchkommen folle. Unfer Freund, chevale- 
rest wie immer, nahm fie fogleich in feinen Schuß, 
und trat mit ihr und feinen Leuten den Rüdweg. an, 
während er ihren Dienern, deren Gegenwart zu ge= 
fährlich gewefen wäre, aufgab, fi, fo gut: fie könnten, 
nach Athen durchzufchleichen. Aber ſchon vor Kephiſſia 
fam ein türfifches Detafchement auf fie zugefprengt, 
beffen Offizier, ein fehöner, junger Araber von mar: 
ttalifhem Anfehen und maleriſch gekleidet, nach der 
Reiſenden Namen und Geſchäft frug. Herr von 
Prokeſch nannte fih. „Und wer ift die Frau?” frug 
der Araber argwöhniſch weiter. „Die Frau..... iſt 
meine Frau” „Ach,“ fagte zweideutig lächelnd der 
Offizier, „die Ihrige! — nun dann müffen wir fie 
freilich unter unfern Schug nehmen.” Bei dieſen 
Worten holte er eine Drange aus feiner Bernus her⸗ 





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vor, und überreichte fie der Dame mit einer graziöfen 
Berbeugung. Diefe, leichenblaß, blieb bewegungslos 
wie eine Marmorſtatüe, doch auf einen Winf ihres 
Begleiters faßte fie fih endlich Hinlänglih, um mit 
zitternder Hand bie Frucht danfend zu empfangen. 
Der Offizier betrachtete fie mit mitleidigem Blick, und 
dann feinen feurigen Schimmelhengft herummerfend, 
erbot er fich, das einfame Paar felbft ald Sauvegarde 
durch die. Truppen zu begleiten, welche Kephiſſia und 
Die Umgegend erfüllten. Man Tann fi) während 
diefer Zeit die Todesnoth der armen Griechin denfen, 
die auch nachher, als der edelmüthige Araber fie am 
Ende des Dlivenwaldes mit ſtets fich gleichbleibender 
Eourtoifte verließ, in ein fo Frampfhaftes Weinen der 
Freude und Angft zugleich ausbrach, daß alles Zu: 
reden des Herrn von Prokeſch es lange Zeit nicht zu 
ftillen vermochte. Diefe Erzählung ift fehr einfach, 
aber, aus der Natur gegriffen und auf den Boden 
angepaßt, verfehlte fie ihre Wirkung auf und nicht. 
Wenn man durch die Schluht von Brileſſus 
fommt, worin bie fogenannte „schöne Kirche“ ſteht, 
in Wahrheit jedoch nur eine jämmerlihe, griechifche 
Kapelle, und bei den Felfen von Padiſchah (gewöhn⸗ 
lich Patiſſia genannt) daraus hervortritt, wo im Stein 
antike Gleiſe und verfchiedene Vorrichtungen der Alten 


— — — — — —— 


beim Steinfprengen ſehr deutlich ſichtbar find, eröffnet 
fih die Ausſicht auf Athen und den Pyräus in ber 
überrafchendften Weife, und ich glaube, Daß nirgends 
die Akropolis, mit Hafen und Meer im Hintergrunde, 
ſich vortheilhafter präfentirt, weßhalb Malern biefer 
Punkt fehr zu empfehlen ift. 

Beim Herabfleigen von hier blieb uns feine 
Merfwürdigkeit gu fehen mehr übrig, ale die ruinir⸗ 
ten Lehmwände der einfligen Wohnung der „Maid 
of Athens.“ Die Banf der Liebe ſteht noch wie ehe- 
mals daran gelehnt, aber bie füge Maid hat — 
o horror! — ſeitdem den Athenienfifchen Polizeidireftor 
geheirathet, und ift eine bagere, Iangnäfige Mama 
mit verfchiedenen Kindern geworden. Byron trieb 
indeß die Sache ebenfalls profaifcher in der Wirklich⸗ 
feit als im Gedicht, — denn er bot, während bed 
Carnevals, für die Geliebte 10,000 türkiſche Piafter, 
erhielt aber zur Antwort, Daß ohne Bermittelung 
eines Priefters feine Wünſche nicht erfüllt werden 
fönnten. In Stalien würde man dies anders haben 
verftehben Tönnen; bier aber bedeutete es ganz einfach 
nur. dag gräulihe Wort: — — „Beirnihen“ — wozu 
ſich Byrons poetiſche Liebe natürlich nicht bequemen 


konnte. 
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