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Biriflige Elderſaal.
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Suͤdoͤſtlicher
Bilderfaal
Bueiter Dan.
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Stuttgart
1840
Halldberger'fhe Berlagshandlung.
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Griechische Seiden.
Erfter Theil.
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Herausgegeben
vom
Verfaſſer der Briefe eines Verſtorbenen.
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Ich hatte nichts und doch genug:
Den Drang nach Wahrheit und die Luſt am Trug.
Böthe.
Bweite nachträgliche NMotiz.
Berlin, den 15ten Oktober 1840.
Ich bitte die Lefer dieſes Buches auch noch in einer andern Be—
ziehung, als ber vor dem Vorwort und auf S. 33. des I. Bandes
erwähnten, zu berüdfitigen, daß baffelbe vor vier Jahren ge-
ſchrieben wurde, und überdieß das Manufeript feit länger als fechs
Monaten fi im Beflg des entfernten Verlegers befindet, weßhalb
(da ich keine Copie davon beßalten) Beränderungen in bemfelben nicht
mehr thunlih waren. Mit ber rüdfichtsiofen Aufrichtigkeit, die ic
fietö dem Publikum gegenüber für meine Pflicht, " und, ich wage es
zu fagen, für mein Verdienſt gehalten Babe, geftehe ih nun, daß ich
ohne die erwähnten Umflände mehrere Neußerungen in einer gewiſſen
Richtung jetzt unterbrüdt haben würbe, nicht weil fie zu ihrer Zeit
als unrecht von mir angefehen werben könnten, fonbern nur beßhalb,
weil feittem durch eine eben fo intelligente als kräftige, großartige
Berfönlichkeit ein Heilbringender Wechfel herbeigeführt worden ift, ber
vorgehendes Mangelhafte fo gänzlih in den Hintergrund zurüdweist,
daß auch die Stimmung jebes früheren Opponenten, wenn biefer wohl-
meinender und ehrlicher Natur ift, fih nothwendig gänzlich dadurch
verändern muß, denn nicht ber ift confequent, der, als unerfchütterlicher
Pedant, auch von einer veränderten Sache immer die alte Anficht be-
halt, fondern nur der, welcher in parteilofer rechtlicher Gefinnung nur
immer feft dabei beharrt: was ihm unrecht und unklug dünkt zu
tabeln, ja zu verfpotten, was er für edel und gut hält, mit Enthuftas-
mus zu preifen und zu ehren.
IH Habe in manden Dingen zu dem Erften zuweilen Urfache zu
haben geglaubt, weit glüdlicher aber werde ich mich fihägen, in ber Zu-
kunft den entgegengefegten Gefühlen Raum und Worte geben zu bürfen.
Sapienti sat.
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Einleitung.
Es if meine Pflicht, den Leſer zu benachrichtigen,
daß, obgleich ich befennen muß, ihm früher einigemal
mein eigenes Sch unter verfchiedenen fremden Namen
vorgeftelt zu haben, diesmal bie Sache fih anders
verhält. Ich foufflire zwar noch und führe den Faden
wie bisher, aber ich bin Teineswegs der Held bes
Stüdes ſelbſt. Diefen repräfentirt im Gegentbeil nur
(mit wenigen Ausnahmen, die dem fcharffichtigen Leſer
nicht entgehen werben) ber dermalige Hauptafteur der
Marionettenbube, welcher ich ſchon feit geraumer Zeit
vorzuftehben die Ehre habe, und beren Werth unb um-
faffenden Bereich ich bejonders dadurch zu begründen
fuchte, daß ich fie mit einem großen Gudfaften in
Südoͤſtl. Bilderfual. II. | 1
-
nn — — —
Verbindung ſetzte, deſſen mannigfache Bilder, wie ich
trotz der mir angeborenen Beſcheidenheit keck behaupten |
darf, ung ſchon häufig den gnädigen Beifall der an-
fehnlichften Honoratioren in und außerhalb Deutfchland
zu Wege gebracht haben. Dies ift aber lange noch
nicht fo fchmeichelhaft ald das Aergerniß, welches an-
dere höchſt reſpektable Leute an denſelben Darſtellungen
genommen haben, indem fie meine armen anſpruchs⸗
loſen Holzfiguren für wirkliche, leibhaftige Menſchen,
und meine gemalte Leinwand für wirkliches Land und
Meer anſahen, in Folge deſſen aber an beſagte Manne-
quins und bunte Dekorationen ganz im Ernfte bie
wunderkichften Anfprüche ftellten, ja den Direktor in
taufend Aengften fogar mehr als einmal perſönlich da⸗
für. in Anfprud nehmen wollten,
"Da nun bies faft einige Aehnlichkest mit den Heren-
prozeſſen des Mittelalterd bat, wo man auch den mit-
telmäßigften Tafchenfpielern zwar die Ehre anthat, fie
für Zauberer zu halten, biefelben aber zugleich, ges
wiffermaßen als Sompenfation, darauf am langſamen
Feuer röſtete — fo bitte ich ein hohes Publikum, mich
gegen dergleichen Enormitäten fortan in feinen mäch—
tigen Schuß zu nehmen, und ferner nicht mehr zu ge
ftatten, daß .man von meinen Marionetten biejelben
Wunder in Geift und Fleiſch erwarte, als z.B. von
3
— — — — —
unſerm weltberühmten Berliner Nationaliheater, wenn
es parlante Tableaus oder ein ernſthaftes Glanzrührei
darſtellt, — noch Einzelnen zu erlauben, wenn durch
Zufall einige meiner hölzernen Prinzen, Ritter, Pries
fer, Bürger oder Bauern wahrhaften Menfchen aus
biefen fünf Caſten ſehr ahnlich ericheinen follten, mid
in meiner Unſchuld deßhalb zur Berantwortung zu
ziehen. -
Was nun endlich die Puppe betrifft, welche dieß⸗
mal die Hauptrolle fpielt, und tm Bergnügling, wie.
in dem folgenden Buche, unter der Firma eines Herrn
von Rofenberg gewöhnlich in ber erfien Perſon von
ſich Spricht, fo if dieſelbe zuerft weit jünger an Jah⸗
ten, wenigfiend den äußern Aufchein (und oft auch
dem immern) nad, ald meine eigene Wenigfeit, dann
auch, wie ich kaum zu fagen braude, aus fehr ver-
fhiedenem Material geformt, nämlich aus Holz, übri-
gend von ganz eleganten Manieren, immer fehr an-
Rändig, wenn gleich zuweilen etwas barof, gekleidet,
und im Ganzen von einem paflablen Charakter, ob-
wohl hie und da etwas zu Feichtfertig in ihren Aeuße⸗
rungen, und keineswegs fo tugendhaft, als es zu wün⸗
Shen wäre. Wir können diefe Bernadläßigung ihrer
Moralitäten nur damit ſchwach entfchuldigen, daß ihr
voriger Prinzipal, von dem ich fie für einen hohen
4
Preis erſtand — denn fie if, in Parenthefe gejagt,
ein Achter Baucanfon, fpricht von ſelbſt, und denkt
fogar zuweilen von felbfi, was höher geftellte Leute
als ich, wenn ihre Untergebenen fich deſſen unterfangen,
heutzutage gewiß mehr als je in Berlegenheit zu fegen
berechtigt ift, ich aber fenne meine Leute — wir Fün-
nen alfo, fagte ich, fie num“ damit entſchuldigen: daß
ihr voriger Prinzipal fie, gleich allen ihren verwahr-
losten Cameraden, zu fletem Umherwandern zwang,
wo dann bie übeln Folgen allzugemifchter Geſellſchaft
und gefährlichen Beiſpiels bei einem fo empfänglichen
Gemüthe, als das ihrige ift, Faum ausbleiben konnten.
‚Hierzu kommt noch, daß jener gewiſſenloſe Direktor
den rechtgläubigen Religionsunterricht ber ihm anvers
trauten Gentlemen und Ladies fat ganz verfäumte,
fih ſelbſt am heiligen Sabbath nicht nur ftets betranf
— was frommen Leuten vergönnt iſt — fondern auch
(fo lange er noch nüchtern war) fich nicht ſcheute, auch
an diefem Tage freventlich in feinem Beruf zu arbei-
ten, als ſey der Sabbath nicht eigens dem Nichtsthun
geweiht! ja fogar heidniſche Spiele an demjelben auf-
zuführen, flatt feine Marionetten in bie Kirche zu
ſchickken, wo man ihrer während feiner Regierung
faum anders mehr gewahr ‚wurde, ald wenn fie ge-
5
miethet worden waren, um Pfaffen, Heuchler oder
Hebetiſten darin vorzuftellen. !
Unter ſolchen ungünftigen Umftänden darf es ein
geehrtes Publikum keines Falls mit dem Herren von
Rofenberg zu genau nehmen, und muß es ihm im
Gegentheil als ein Verdienſt anrechnen, daß er nicht
noch weit fohlimmer geworden iſt. Ueberdieß befigt
aber die Puppe auch, wie Alles, ſelbſt das Uebelſte
in der Welt, ihre guten Seiten, und je liebenswur⸗
diger, je unterhaltender fie, troß ihrer großen Mängel,
den fehönen Leferinnen dieſer Zeilen erfcheinen wird,
je glädlicher wird fi ſchätzen
ber Herausgeber des vorliegenden Buchs
Wolf O'Guardthee,
Holzinfpektor und Puppendireltor.
x
Kandia, in der lebten Woche des Rhamadan 1837.
ı Hebetiften if ein aus dem Franzöſiſchen hergeleitetes
Bort, und bedeutet ,, proteftantifche Selbfiläugner‘‘ vulgo
Frömmler genannt. S. ven Bergnügl. erfter Theil.
Aachſchrift.
Ich hoffe, es wird Niemand ſo unchriſtlich ſeyn,
an bie folgenden Rhapſodien dieſelben Anſprüche, wie
an ein ſchulgerechtes Werk über Griechenland zu ma⸗
hen. Die Schule ift mir fremd, ich finge nur wie
der Vogel auf dem Zweige fingt, ohne Kunſt noch
Mühe; und frei im grünen. Hain des Lebens umher⸗
flatternd, bewundere ich ſtets beſcheiden und von fern
ben weit gelehrteren Gimpel im goldenen Bauer, den
das fleißige Stubium der Drehorgel fo viel fehönere
Lieder gelehrt hat. |
Erſtes Kapitel.
Ankunft des Herrn von Roſenberg in Patras, und fein
ungemein unge: Aufenthalt daſelbſt.
Sie ſagen, daß ich lebe,
„Sch aber glaub’ es nicht:
„Sch bin geftorben wahrlich,
„Begraben bin ich nicht.“
Un betannter.
Das waren böfe Tage! In meiner Verzweiflung
verfluchte ih, gleich Fauſt, des Lebens Schmerzens-
kelch. Ya, rief ih aus, verwänfdt auf immer ſep
dieſe hHöllifche, menfchenguäfende, unerträgliche Winter-
fahrt von Malta nah Patras, verwünicht die erbar:
mungslofe, wilbe verrätherifche „See, die und vier
Tage und vier Nächte in raftlofer Leidensagonie um⸗
derwarf, verwünfcht das ſchmutzige, ſchaukelnde, un-
regierbare Schiff Seiner englifhen Majeſtät, das
bereit3 reformirte Gouvernements⸗Dampfboot P’Afris
cain, deſſen allerlegte Reife wir Unglüdliche noch mit-
zumachen verurtheilt wurben, verwünfcht vor Allem
aber die heilloſe Neugierde und Thorheit, welche ung
vom bequemen, vom gemüthlichen heimifchen Herde
forttreibt, um in fremden Ländern inne zu werben —
dag es am Ende dort überall u ſchlechter als im Vater⸗
lande ſey!
Als ich einſt, noch in zartem Alter, mit meinem
Bruder an ſchwerer Krankheit darnieder lag, und der
Arzt, nachdem er den Letztern für gerettet erklärt, ung
verließ, weil mir, wie er hinzufegte, Niemand mehr
helfen könne — holte man einen im Ruf dunkler Kennt⸗
niffe ftehenden Schäfer, der durch geheimnißvoll zu-
bereitete Tränfe mich wieberherfiellte, während mein
geretteter Bruder in derfelben Nacht noch farb. Der
Schäfer — wie ich dem Publifum ehrlich geftehen will,
damit diefe wahrhafte Hiftorie nicht in den Verdacht
gelegentlicher Fiktionen gerathe — war eigentlich ein
wohlbeſtellter Rizentiat im Städtchen M....., meines
Sreunded Leopold Schefers Bater, deffen höheren
Kenntniffen ich auf diefe Weife mein Leben verbante.
Und ed war allerdings ein fonderbarer Mann, diefer
alte Aestulap! Den ganzen Tag in feinem Labora-
torium verfchloffen, fland er im Rufe, den Stein der
Weifen zu ſuchen. Seinem Sohne hinterließ er wenig⸗
ſtens den Karfunfel der Poefie, und mir — verſprach
er eine ewige Jugend. |
Am andern Morgen, als feine Mittel angeſchla⸗
gen, fagte er zu meinen Eltern, fie follten ſich meinets
wegen Feine Sorge machen, ich hätte nur Eins zu
fürdten, dies fey das Waſſer — weßhalb ich mich
auch, beiläuftg gefagt, feltbem weit mehr an den Wein
gehalten habe. Später prophbezeite mir die berüchtigte
Lenormand, wie id) bereite bei einer andern Gelegen⸗
beit erzählt, ebenfalls: dag ich in einem rings yon
Wafler umgebenen Orte (der folglich leicht ein Schiff
feyn Tönnte) mein Ende finden würde. In der Thai
war mir bis jet das Meer immer auffallend ungüns
fig. Doch nie litt ich mehr darauf, als dießmal!
Schon als wir und im Quarantainehafen zu Malta
während der heftigften Bourrasfe einzufchiffen gezwun⸗
gen waren, fihlug das Boot mit meinen Effekten um.
Koffer und Vaſchen tanzten eine ganze Zeit Yang auf
den Wellen umher, überall drang das Seewaffer vers
derblich ein, und nicht Alles warb von den helfenden
Leuten wieber herausgefifcht. Mehrere werthuolle Ge⸗
genftände, Bieles, was mir theuer war und mande
Dinge, die für meine Bequemlichkeit der empfindlichfte
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Verluſt find, fanten in die Tiefe. Arhnliches Wetter
und eine ſtets gleich hope Ser, bie uns ſelbſt mit ber
Hälfe des Dampfes Taum zwei bis drei englifhe Mei⸗
len in der Stunde zu avaneiren geflatteten, dauerten
umenterbrochen bis zur Infel Zante fort. Raum Tonnte
"man fih in ben engen jämmerlichen Betten fefthalten,
jede Nahrung widerfland dem fortwährenben Eckel,
und Fein Augenblid Schlaf erquickte die ermastete Natur.
Ale Paffagiere erklärten, daß ihnen felten fo andauernd
fürmifhe Witterung, aber nie ein Schiff mit folchen
monfiröfen Bewegungen, als das unfrige, vorgekom⸗
men fey. Denke Dir, Iteber Leſer ‚bag man Dich
anf eine Schaufel fege, auf der zwei Rieſen Dich hun⸗
dert Stunden lang „mit Haft ohne Rafl”, wie Göthe
fagt, auf und ab ſchleuderten, und urtheile dann, wie
Du Dich befinden würdeſt. Selbft die Seeleute fonnten
ſich oft nicht auf ihren Beinen erhalten, und als ich
einmal verfuchen wollte, etwas Suppe zu mir zu neh⸗
men, verlor ber fie bringende Schiffsdiener dergeſtalt
das Gleichgewicht, daß. er mit fammt der Schüffel in
mein Bett flürzte und mit ihrem heißen Inhalt mir
das halbe Geficht verbrühte. Was nicht feftgebunden
war, fiel jeden Augenblid von den Tischen klirrend
und zertrümmert nieder, und alle Effekten kollerten
durch einander. In der Nacht firömte Häufig das
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— — — — —
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Waffer durch die obern Luken herein, beren man, um
richt in der peftilenzialifchen Atmofphäre ganz zu er⸗
fielen, immer einige auflaffen mußte, und durdmäßte
und dann 518 anf die Haut. Eines Tages warf eine
Welle, die jähling über das Verdeck ſchlug, den dort
Rebenden Capitain um, fihleuderte ihn mit dem Kopf
an eine Ede, und wenig fehlte, fo hätte fie ihn ins
Meer geipält. Wir fahen ihn während des Reſtes
der Reife nur mit verbundenem Kopfe umberfchwanfen.
Was halfen mir nun alle romantischen and Tlaf-
ſiſchen Erinnerungen dieſer weltberühmten Gegend uns
ferer Erde, die fonft das jugendliche Herz ſchon flärfer
porhen machten, wenn man ihres Namens nur ers
wähnte, Vergebens rief ich mir zurüd, daß unter
uns im Meeresgrunbe der verliebte Alpheus zu Are-
tzuſa's Grotten von Krpſtall von hier bis nad) Sieilien
eile; daß nicht zu fern von uns im blauen Oſten ber
holden Cypris Inſel auf den Dunfeln Fluthen throne,
und der leukad'ſche Felſen vor und feine ſchroffe Wand
erhebe, wo Sappho's Schmerz nur mit Dem Leben floh;
daß ſchon Ulpffes Burg am Horizont des Nordens
Dimmre, und und zur Rechten ſchneebedeckter Berge
Gipfel die ſand'ge Pylos uͤberrage, wo einſt der weiſe
Neſtor herrſchte — ſtatt alles deſſen, guter Gott! ſah
ich nichts in der Wirklichkeit um mich her, als eine
1%
unreinliche ſtinkende Gafüte, mit jedem gräßlichen Ap⸗
pendir ber eckelhaften Seekrankheit verfehen, hörte nichts
ald das Fammern meiner Teidensgefährten und das
Heulen des Sturms und der Wellen! Wahrlich eine
fo troftlofe Rage für einen Vergnügling, daß bier alle
feine Lebensphiloſophie ihn im Stich Täßt, und er eine
. belle Seite der Sache nicht mehr aufzufinden weiß.
Dod nein, das fehlimmfte Uebel hat doch noch immer
eine gute Seite — bie, daß es enden muß.
Auch unfer Leiden endete, Doch noch nicht in Zante,
diefer „Blume des Morgenlandes”, wie fie genannt
wird, wo wir um Mitternacht ankamen, ung nur
wenige Stunden aufhielten, und von welcher Inſel,
dem Himmel dankend, eine kurze Zeit ohne Schaufeln
mi dem Schlaf überlaflen zu Tönnen, ich nicht mehr
kennen gelernt habe, ald wenn ich immer taufend Mei⸗
len weit von ihr entfernt geblieben wäre. Aber am
Morgen des andern Tages Yandeten wir in Patras,
und da fühlte ih, daß die Freude, die unmittelbar
nad) dem Leiden kommt, doppelten Werth bat. Der
ſonnenhelle, goldene Tag, der Lepanto's bergumkränz⸗
ten Golf beleuchtete, ſchien mir der ſchoͤnſte, den ich
je geſehen, ſelbſt die europäifche Kälte unter Null, mit
dem Anblid der weißen Dede des Gebirges, erfriichte
mir Körper und Geifl. Hier trat mir wieder ber
13
heimiſche Norden entgegen , während bie wüßte Ebene,
die halb aufgebaute Stadt, der Schmug und Unrath
am Ufer, mit der bunten Tracht der Griechen und ihrem
rothen maurifchen Bed, mir das Andenken ber uns
laͤngſt verlaffenen Barbarei Iebhaft wieder zurüdriefen.
Dank der Güte des Grafen von Lufi, unfers Gefand-
ten in Athen, der den hiefigen preußifchen Eonful von
meiner Ankunft avertirt hatte, fand ich bei diefem ein
geräumiges Logis (von Bequemlichkeit und Lurus
ift hier nicht mehr die Rede) für mich bereitet, bin-
länglich meublirt für meine befcheidenen Anfprüde,
nur leider, troß der bünnen Wände und vielen Fenfter,
ohne Defen noch Kamin — aber ich weiß ſchon laͤngſt,
dag man nur in den ſüdlichen Ländern zum Frieren
verurtheilt ift. Auch der englifche Conful, Herr Crowe,
an den ich Briefe von Malta mitbrachte, empfing mid)
mit gaftfreundlicher Güte. Ich warb eben fo ange-
nehm durch den mit der größten Herzlichkeit gepaarten
feinen Weltton diefer Familie erfreut, der ich unaus⸗
gefegte Gefälligfeiten während meines Aufenthalts in
Patras verdanke, als überrafcht Durch die Schönheit
und ausgezeichnete Erziehung ihrer älteflen Tochter,
Miß Nina. Der Eonful nahm mich fogleich für den
‚ganzen Tag in Beichlag, und noch ermattet von dem
Ueberftandenen, fonnte ich nichts Befleres wünſchen,
14
als mich in fo anmuthiger Geſellſchaft auszuruhen. Zum
erfienmal hörte ich an dieſem Abend griechifehe Lieder
fingen, melancholifche Melodieen, die mich fehr ans
ſprachen, und welde Mit Nina einfach und mit Ge⸗
fühl vortrug. Ä
Nachdem am andern Morgen das Häusliche, als
Auspacden und Aufftellen meiner Sachen, Einrichtung
meiner Heinen Junggefellenwirtbfchaft u. f.w. — denn
‚ich gebenfe hier einige Wochen zu verweilen, um eine
Schreibeftation zu machen, wozu der einfame Fleine
Ort gut paßt — beendigt war, trieb mich bald bie
Schauluſt in's Freie. Die größte Zierbe der Stadt
find die weitläuftigen Ruinen des alten von Guillaume
de Billeharbouin erbauten und von den Venetianern
fehr erweiterten Schloffes, das im lebten Kriege noch
abwechſelnd den Türken, wie den Griechen, zu einem
feſten Punkte diente.! Es iſt höchſt wäahrſcheinlich auf
den Ueberreſten der alten Akropolis errichtet, und man
entdeckt noch mehrere Grundmauern antiken Bauwerks,
ſo wie Fragmente von ſpäter eingemauerten Säulen⸗
a Einige Beamte hatten den barbarifchen Vorſchlag ger
macht, das Schloß für 3000 Drachmen zu verkaufen, und ein
hiefiger Friedensrichter bereits einen Theil deſſelben abreißen
und fi von ven Materialien ein neues Haus bauen laflen.
Glüdlicherweife genehmigte der Kriegsminifter diefe Schändung
nicht und Ließ ihr augenblidlichen Einhalt thun.
t 18
früden und Simſen. Jetzt iſt nur nor ein großer
vierediger Thurm in baulichem Stande, deſſen weiter
Raum in der Tiefe mit einigen zwanzig Mördern und
Räubern angefült war, auf die wir durch die oben
angebrachten Gitter hinabblickten. Sie hatten weder
Holz zum Feuern noch Stroh, Tagen auf nackten Stei-
nen und begrüßten uns mit Flüchen und Berwün-
ſchungen. Es find ſchwere Verbrecher, aber ein fo
graufames Gefaͤngniß feheint mir doch kaum zu vers
antworten. Hier, wie angeblich in ganz Moren ‚iR
jegt die Ruhe fo ziemlich wieder hergeftellt, d. h. feine
offene Rebellion mehr vorhanden, doc jenfeits des
Golfs, in Rumelien und dem nördlichen Theil des
Königreichs, find die faft ungangbar gewordenen Berg⸗
pfade durch Räuberhorden allerwärts fo unficher ges
macht, daß Fein Reiſender fi) mehr dahin wagen darf,
und das Militair fortwährend in der Verfolgung dieſer
Banditen begriffen if. Doc die bisherigen Expedi⸗
tionen haben weder unter Gordon noch General Pija
irgend eimen Erfolg gehabt, und die Banden find
frecher als je. Kuͤrzlich noch warb der baterifche Haupt-
mann Kraus, der fi ohne hinlänglihe Bedeckung
binauswagte, fammt feiner DOrdonnanz von ihnen er-
mordet. Es ift dies allerdings ein förmlicher Krieg,
unb wird hier allgemein ber unvorfihtigen Maßregel
16
ber Regentſchaft zugefchrieben, auf einmal die 5000
Mann Harken Nationaltruppen verabfihiedet zu haben,
bie Capo d'Iſtria fehr weiſe vereinigt hatte, um fo
ven gefährlichften Theil feiner Nation in ber Gewalt
zu behalten und nach und nach discipliniren und uns
ſchädlich machen zu Tönnen. Alle Unruhen und Re-
volten, die feitdem flattfanden und dies ſchöne Tand
jest paralpfiren, find faft allein jenen plöglich nah⸗
rungslos gewordenen Soldaten zuzufchreiben, welche
laut erflären, daß fie ſich berechtigt fühlen, ein Gou⸗
vernement zu befriegen, das ihnen ohne Grund ihr
Brod raubte. Durch die Revolution verwilbert und
der Ergreifung frieblicher Gefchäfte. abgeneigt, find
diefe Menſchen doppelt gefährlich, da fie. das Kriegs
handwerk gut erlernt, und daher nicht mehr als ges
wöhnliche Räuber, fondern ſyſtematiſch agiren, dabei
aber oft eine unglaubliche Kühnheit zeigen, wie ic)
fpäter noch fpezieller zu illuſtriren leider Gelegenheit
finden werde. |
Es ift überhaupt auffallend, wie wenig noch fett
ber Vertreibung ber Türken’ die verſchiedenen Regie-
rungen: für die Civiliſirung eines mit fo wenig Glück
von den eurppäifchen Mächten ertemporirten Staates
gethan haben, Als ich Capo P’Sftria kurz vor feiner
Abreife nach Griechenland zum Iegtenmal ſah, fagte
17
er: „Erziehung und Straßen follen mein Hauptaugen-
merf som Anbeginn feyn.” . Für die erfle war etwas
gethan worden, doch das Meifte davon ift ſchon wie-
der, wie ich höre, in Berfall gerathen; die Straßen,
außer einigen kurzen Streden in der Nähe von Athen
und Rauplia, blieben bis jegt ganz vernacdhläßigt, ob⸗
wohl Leichtigkeit und Frequenz der Communicationen
vielleicht die wichtigften Gegenflände von allen find,
ohne deren Berüdfichtigung das Land immer im halben
Zuftande der Barbarei verbleiben muß, weder Handel
und Berfehr. blühen, noch Sicherheit hergeftellt werben
Tann. Erleichterte Communicationsmittel für die Kör- -
per und Geifter find der Anfang und dag Ende aller
Eultur. Die beften Materialien zur Herftellung guter
Straßen find übrigens hier überall reichlich vorhan⸗
den, und wenn man die Summen bedenkt, welche fhon
für Griechenland verwandt wurden, begreift man nicht,
wie der immer vorgefhügte Mangel an Gelb ein
reelles Hindernig hat feyn können. Sehr richtig be-
merkte einer der biefigen Conſuln, ed würde für den
Anfang hinlaͤnglich geweſen ſeyn, wenn man nur die
von den Venetianern ſchon tracirten, jetzt aber großen⸗
theils verheerten Straßen gründlich in Stand geſetzt,
fie in gewiſſen Diſtanzen mit Stationshäufern für
Gensd’armes verfehen, und diefe zugleich zur dürftigen
Sudoſti. Bilderſaal. IL 2
18
Aufnahme für Reifende eingerichtet hätte. Dies würde
mit Erfolg nit nur ber Unfidherheit, fondern auch
der im Winter oder nad ſtarken Negengüffen fo oft
eintretenden momentanen gänzlichen Unterbrechung
alfer Verbindung, bie zugleich häufige Unglüdsfälle
berbeiführt, abgeholfen, fondern auch den Einwohnern
wieder Luft und Muth zu Verfolgung verſchiedenartiger
Unternehmungen gegeben haben — während jegt ein
trauriger Zuftand der Refignation und bes Stockens
alles Verkehrs flattfinde, und man überall die Straßen
einfam, und längs denfelben fruchtbaren vortreflichen
Boden wüſt liegen ſehe.
Nachdem ich die höchſten Zinnen des Thurms
erſtiegen, feste ich mich, in meinen Mantel gehällt,
auf eine berfelben nieder und überfhaute bie Gegend.
Ein bärtiger deutfcher Unteroffizier diente mir zum
Führer, und es hatte etwas Sondberbares, den ehr⸗
lichen Baier in feinem groben Jargon mir hier ben
Bergzug des Parnafius, dort Ithaka u, f.f. anzeigen
zu hören, Die weite Ebene’unter mir, fonft das Para
dies yon Patras genannt, die burchgängig mit Corinthen
angebaut, jährlich 3000 Tonnen dieſer einträgfichen
Beeren lieferte, wo, von hohen Platanen befchattet,
die Landhäufer und Luftgärten der reichen Türfen und
Griehen flanden, und auf der man über 100,000
19
Oliven⸗ und Fruchtbäume zählte — ift jest ein kaum
abfehbarer, meift verfumpfter und wüfter Anger ohne
einen einzigen Baum, auf dem nur Unkraut wuchert.
Sn diefer Ebene befand fi auch die berühmte
Eppreffe, welche eine Elle über der Erde 23 Fuß im
Umfange maß und fi ohne Zweifel aus der älteften
Zeit der Hellenen noch erhalten hatte,
Hier hausten die türfifchen Schaaren und Tochten
ihr Mahl am Feuer der ausgeriffenen Corinthenreben,
yon benen jebt in der ganzen Umgegend von Patras
kaum noch ſo viel übrig geblieben find, um 150 Tonnen
Frucht im Jahr zu gewähren. Die ältere Stadt ſtand
auf dem Hügel und am Abhange beffelben, faſt jedes
Haus mit einem Drangengarten umgeben. Nichts iſt
mehr dayon übrig, und leider ſchwanden mit ihr auch
bie türfifchen Bäder. Man fieht, wie gut bier die
bygiäifchen Borfcpriften ber muhamedaniſchen Neligion
wirkten, denn ohne fie find Die Griechen fogleich wie-
ber in ihre alte Unreinlichkeit zurüdgefunfen, und jest
in der Stadt nirgends weder Waſſer- noch Dampf-
bäber zu erlangen. Nur im Sommer fol ein ärm-
liches Etabliffement diefer Art im Gange feyn. Das
neue Patras wird nun in der Ebene unter dem vori-
gen am Meeresufer aufgebaut. Man befolgt Dabei
einen regelmäßigen Plan, und es verfpricht mit ber
-
.ı
20
Zeit ein heiteres Anfehen. Die meiften Häufer find im
italieniſchen Geſchmack, größtentheils zwar, wegen ber
häufigen Erberfchütterungen und wohl auch aus De:
fonomie, nur fehr Teicht aus Holz und Lehm aufge:
richtet, aber von außen wie Stein abgepugt, mit
grünen Saloufien und freundlichen Balkons verziert,
bie weit hbervorfpringenden Dächer flach, häufig durch
Deſſeins bunter Ziegel gehoben, und Arkaden länge
der Straße angelegt, wo die jest freilich noch ſehr
ärmlichen Boutifen ihren Plab finden. Den Mangel
an Kaminen und Defen bei einem Klima, wo ber
Thermometer häufig unter Dem Gefrierpunft fleht, und
das fehr von Falten Winden felbft im Sommer heim-
gefucht wird, rügte ich bereits als nicht nur unbequem,
fondern gewiß felbft der Gefundheit fehr nachtheilig.
Faſt unglaublih ift es, welches ſchwache Holz hier
zum Bau der Häufer verwandt wird. Meine Forfts
leute in M..... würden ihren Augen nicht trauen,
wenn fie fähen, daß man bier große Gebäude mit
bünnerem Stangenholz errichtet, als fie mir für bie
DBaumpfähle in meinem Parfe liefern! Diefe Bauten
haben aber auch gar zu fehr den Charakter des Pro;
viſoriſchen an fich, in paffender Analogie mit dem ganzen
Königreih. Wahrlich, wenn es in andern Ländern
abgerathen wird, mit bem Kopfe dur die Wand zu
21
rennen, in den Papphäufern von Patras würde ein
jo gewagtes Unternehmen wenig Schwierigfeit finden!
Die Reſidenzen der fremden Conſuln find zum Theil
etwas comfortabler eingerichtet; fie zeichnen ſich alle
dur eine Art hoher Vogelftange aus, welche bicht
neben dem Haufe fteht, und auf der an Sonn» und
Sefttagen die Flaggen ihrer refpeftiven Mächte aufge:
pflanzt werben.
Doch ich kehre zu meinem Spaziergange zurüd.
Nach einigem Verweilen auf der Höhe wandte ich mid)
den nahen Hügeln zu, die Tabl und zerriffen fich bie
zum Voidia erftreden, der die Stadt ungefähr A bie
5000 Fuß hoch überragt. Sc gelangte zuerft an eine
Fontaine, mit einem antifen Lömwenfopfe geziert, an
der eine junge Griechin mit Dick herabfallenden Haaren,
den rotben Fed verwegen barauf geftülpt, eben Waſſer
ſchöpfte. Daneben bat fi nod. eine Riefenplatane
erhalten, die einzige, welche die Revolution überlebte,
und nicht weit von ihrem Fuße ruhen vier Türfen-
brüder, welche die Griechen hier erfchlugen, mit ein-
ander in einem Grabe; vier fleinerne Turbane darauf
erhalten das Andenken der That. Die erwähnte Pla-
tane diente bei dem früheren mißlungenen Aufruhr der.
Griechen den Türken als Galgen, um in förmlich ſym⸗
metrifche Gruppen fortirte unglüdliche Opfer, Männer,
Weiber und Kinder zufammen daran aufzuhängen.
Eine Biertelftunde weiter findet man zwiſchen tiefen
Schluchten die Ruinen eines Aquädukts und noch an-
berer einft dort flehender antiker Gebäude. Sie zeigen
ſich beſonders an einer Stelle ſehr pittoresk, wo die
vom Feuer geſchwärzten Bögen mit Feigenſträuchen
und Epheu dicht überhangen ſind, und die alte Waſſer⸗
leitung auch noch jetzt hie und da zu einigen Lokal⸗
bewaͤſſerungen nahgelegener Felder benutzt wird. Gut
ſtaffirt ward die Landſchaft durch eine Art großer
Ziegen, die an den ſteilen Abhaͤngen umherkletterten,
und ſtatt der bei unſern Ziegen gewöhnlichen Hörner
ein gemundenes Geweih tragen, bas ihnen son weiten
bas Anſehen von Dammhirſchen gibt. Eben fo glichen
einige Rudel fchwarzer Schweine wilden Ebern voll-
kommen, und id) hatte fpäter Gelegenheit zu der Be⸗
merfung, dag auch, ihr Fleifch im Geſchmack dem der
legteren nahe kommt, zugleich aber bei weitem bag
Defte in Patras ift, wo freilich nicht viel Wahl ſtatt
findet.
Srancis und Norma machten mir hier viel Roth,
da beide ‚fehr gern jagen, nämlich was vor ihnen
läuft, aber ſobald ihnen etwas Stand hält, alfogleid
ſelbſt das Hafenpanier ergreifen. Sch mußte Iachen,
als ich mich erinnerte, dag Norma mir als ein Beſchuͤtzer
23
in Gefahren mitgegeben worden ſey; dem Anſchein
nach verſtanden beide Kläffer nur Unfug anzurichten,
und manche wilde Verwünſchung ber Hirten tönte
hinter mir drein, während ich meinen Meg in ber
Richtung des Meeres fortfegte. Die Sonne fant, che
ih eine Berghöhe, die ich mir als Ziel erforen, er-
reichen fonnte, Doch erhielt ich eine hübſche Anſicht der
ſich gegenüber liegenden Schlöffer von Rumelien und
Morea, in beutfchen Geographien von einem witigen
Schulmanne „die kleinen Dardanellen” genannt, welche
den Eingang bes Golfs vertheidigen; etwas weiter hin
erblidt man die Stadt Lepanto, bie, von einer hohen
‚Mauer gleich einem Dreied umfchloffen, in zwei Abs
fäten vom Berge nach dem Waſſer herabfteigt, und
endiih an der Auferftien Rechten gewahrt man etwag
vom Gebirgsfamm des Parnaſſus. Seine fehroffen
Abhänge und eifigen Gipfel führten meiner Phantafie
die Mufen jest in Pelz gewidelt vor, und den armen
griechifchen Pegafus, wie er auf fchlechter Weide müh⸗
fam ein Kräutfein aus dem Schnee hervorſucht, der
des Alterthums Herrlichkeiten bedeckt. In diefem Mo-
ment fam einer der biefigen Papa's angefchritten, welche
‚in Tracht und Ausfehen, wie durch ihren langen Bart,
unfern alten Juden vollfommen gleichen. Ich Dachte
. baran, wie außerordentlich nachtheilig die griechiſche
24 '
Geiſtlichkeit während der Revolution, die fie durch
ihren Fanatismus weit mörberifcher machte, hier ein-
gewirkt, und wie fie noch bigotter als die Tatholifche,
das Volk in Blindheit zu erhalten fuchtz wo mir augen
blicklich beifiel, was Lord Byron ſang, als er den
„Pegaſus hier beſtiegen hatte:
— — — — — still the red cross is here.
Thougb, sadly scoffed at by the circumecised,
Forgets that pride to pampered priesthood dear;
Churchman and votary alike despised.
Foul superstition]| howsoever disguised,
Idol, saint, virgin, prophet, erescent, cross,
For whatsoever symbol thou art prized,
Thou sacerdotal gain, but general loss!
Who from true worship gold can separate thy dross?
(Noch immer hält das rothe Kreuz firh feft,
Wenn gleich verfpottet jämmerlich von den Befrhnittenen,
Den Stolz vergeflend jetzt, der wohlgenährten SPriefter-
| ſchaft fo theuer!
Hier iſt der Geiſtliche, wie Laie, gleich verachtet.
O fauler Aberglaube! fey wie du willſt vermummt,
As Götze, Heiliger, als Jungfrau, Prophet, Halbmond
oder Kreuz,
In welch Symbol verftedt du auch gepriefen wirft —
Du bift Gewinnft nur für den Pfaffen, ver Menfchheit
fihmerzlicher Berluft!
Wer kann vom Gold des Achten Gottespienft’s dein ſchnö⸗
\ des Mefling Löfen ?)
D Byron! wie oft habe ich es tief bedauert, Dich
nie gefehen zu haben — vielleicht iſt es jest gut für
25
mi, denn was bei Dir dem Alltagsmenſchen ange-
hörte, und Jeder ohne Ausnahme ift auch Died, würde
vielleicht dem Dichter Schaden, felbft bei mir, gebracht
haben. Wie es nun ift, kenne ich nur den Unfterbs
lichen. — Hätte ich indeß des Lords perſönliche Be⸗
kanntſchaft gemacht, nach Allem, was ich von ihm ge-
hört, würbe ich ihn gewiß ganz fo behandelt haben,
wie er es felbft für den Umgang mit Weibern vor:
fhreibt; denn des Genius Natur ift immer halb weib⸗
lich, wie Göthe fingt: das ewig Weibliche führt
bimmelan!
Das Klima von Patras wird nicht für Das zu:
träglichfte gehalten, denn das griechiſche Sieber graffirt
mehrere Donate des Jahrs, und wer es einmal ge⸗
habt, befommt es Leicht zu jeder Zeit wieder. In dem
Haufe, das ich bewohne, defien Lage befonders un⸗
gefund feyn foll, habe ich eine überzeugende Wirkung
der aria cattiva fortwährend vor Augen; der Derr
beffelben, jeine Frau, feine beiden Töchter, fein Sohn,
das Dienftmäbchen und felbft der Hausfnecht Teiden
abwechſelnd am Fieber, und ſchleichen blaß wie Geifter
umber, wenn fie nicht im Bette Tiegen. Ich ſelbſt und
Lorenzo enigingen ihm bis fett, doch empfinde ich fei-
nen verſteckten Einfluß durch fortwährendes Unwohl-
fepyn, aber mein Diener Selim ift völlig Frank, und
— nn — —
die ungewohnte Kälte mit allem hieſigen Ungemach,
was er nicht ertragen kann, haben ihm obendrein das
Heimweh gegeben. Er findet Griechenland zu bar.
bariſch, wie er fagt, und da ihm noch dazu Dreimal
geträumt, daß er hier flerben werde, hat er mir den
Dienft aufgefündigt, mich inftändig bittend, ihn mit
dem nächſten Schiffe ziehen zu Yaflen, das feinen Weg
nur in ber Richtung Afrifa’s nehmen würde. Dies
ift feine kleine Unannehmlichkeit für mich, doch kann
ich ihn nicht halten; und ſelbſt geftehen muß id, dag
bie Unbequemlichkeit, der Mangel und die Entbehruns
gen, denen man bier ausgefest ift, alle meine eigenen
Erwartungen übertreffen. Weber ſechs Grad Wärme
Reaumur kann ich es in meinen Stuben nicht bringen,
ein harter Umftand für Jemand, der noch vor wenig
Monaten 30 mehr im Schatten, ald entgegengefestes
Extrem, ertragen mußte, und das einzige Fünftliche
Erwärmungsmittel — in die Stube geftellte Koblen-
becken — verurfachen dem nicht daran Gemöhnten häuflg
Kopfſchmerz und Lebelfeit, auch muß man fehr vor-
fichtig damit ſeyn. Es fehlte wenig, daß ich vor eint-
gen Tagen das Loos der armen Gräfin Salisbury
gehabt hätte, von dem ich Cder bie gute alte Dame fo
fehr verehrte) mit wahren Schmerz in den Testen
Zeitungen lad, in fonderbarer Zufall verhinderte
27
— nn — ——
mein gleich uübles Ende. Ich ſaß mit meinem Sekre⸗
tair beim Frühſtück, und wegen der ſchneidenden Kälte
batten wir unter den Tifch, den ein bis auf die Erde
hängender Teppich bededte, ein Kohlenfeuer geftellt.
Ich zog an meiner Seite, in zwei Tange Schlafröde
gehüllt, den Teppich über meine Kniee und freute mich
ber behaglichen Wärme, als plöslich Norma, die auf
bem Sopha neben mir Tag, auf den Tiſch fprang und
meine Theetaffe umwarf. Halb begoffen und verbrüht,
fuhr id von meinem Sig jähling in die Höhe, wo
Lorenzo zuerft bemerkte, dag meine beiden Gewänber
unten ſchon Tichterloh brannten, fa bereits ein ganzer
Theil davon vom Feuer verzehrt war. Wir hatten
Mühe, mit den Sophafiffen und mehreren Servietten
bie Flamme zu erftiden, und es ift fein Zweifel, daß
die Ungeſchicklichkeit des Thieres mir zum größten Heile
ausfchlug. Seitdem nehmen wir ung beffer in Acht.
Hinfihtlich der Haushaltungsgegenflände iſt man
noch fchlimmer daran als mit der Wohnung, und ohne
die Butherzigfeit tes engliſchen Conſuls und feiner
Geinahlin, die mich mit Allem verfehen, was fie von
weit her kommen Tießen, fo wie auch anderer Confular-
freunde Hülfe, die Jagdliebhaber find und mich zu:
weilen mit Wildpret verforgen, wüßte ich nicht, was
ich hätte beginnen follen. Wovon die hiefigen Griechen
28
leben, ift mir fat unerflärfich, denn meiftens find we⸗
der Fleiſch noch Fifche zu haben, Del und Butter find
von fehauderbafter Qualität und das Schlachten eines
Schweines ift eine Seltenheit. Kinen regelmäßigen
Gafthof gibt es gar nicht, und die Koft, die man fig
auf diefe Weife allenfalls verfchaffen könnte, ift voll-
ftändig ungeniegbar. Einmal wollte Selim, ber bisher
bie Küche beforgte, eine Gans faufen, und nachdem
er den ganzen Tag befhalb vergebens umher gelaufen
war, wies man ihn zulegt zu einem bier lebenden
Grafen von den jonifchen Infeln, wo allein Hoffnung
jep, ein folches Thier zu erlangen. Diefer war aber
übler Laune und erklärte, er babe felbft Gelb und
brauche das unfrige nicht, er wolle daher auch feine
Gänfe für fich felbft behalten; nur mit vieler Mühe
warb endlich fein harter Sinn erweicdht, und für ben
Preis von acht Drachmen (fieben Franken) — denn
man glaube nicht, dag man mohlfeil hier Iebe — ein
Eremplar aus feinem Hofe abgelaflen, das jedoch kaum
bie Größe einer Maltefer Ente hatte, und leider auf
die fhöne Qualität: gemäftet zu feyn, nicht den min-
beften Anſpruch machen durfte, Defterd gab es Fein
anderes Mittel, fih einen Braten zu verfhaffen, als
meinen Sefretair Sperlinge ſchießen zu laffen, ober
wenigſtens eine Art Feiner Vögel, bie ihnen vollkommen
gleihen. Nur fo viel hier über das Gapitel ber „Nah⸗
rungsforgen.”
Berfchiedene der Behörden hatten mich befucht, und
id begann meine Gegenpvifiten bei dem Direktor Alexo-
polo, der zweiten Perfon nad) dem Nomarchen, und
deffen Stellvertreter, wenn er abwefend iſt; ein gebil-
deter Grieche, der in Europa Arznei ftudirt hat, und
italienisch wie frangöfifch geläufig fpricht. Der Nomarch
war verreidt, um in den ihm untergebenen Provinzen,
Eli und Achaja, die fo eben befretirten Mairien ein-
zurichten, die ohne Zweifel von großem Nutzen ſeyn
werben. Die Gemeinden wählen felbft ihren Maire,
und die Mehrheit der Stimmen enticheidet, was in
der Ordnung iſt; Doc) bezweifle ich, daß man gut daran
gethan bat, Jedem ohne Ausnahme, der in der Ge-
meinde lebt, eine Wahlftimme zu verleihen. Die Mehr-
beit ift Dazu noch zu roh und unwiffend.
Griechenland ift befänntlich dermalen in zehn No-
mos eingetheilt, deren jedem ein Nomarch als Präfekt
vorfteht, mit einem Direltor ald Rathgeber, ober wie
fih Herr Meropolo ausdrückte, als concilianter Bes
börde, zur Seite; ein Poften, von dem er felbft fagte,
daß fein Inhaber fi nad der Sndividualität der
Perfon entweder ald faiseur, oder auch als bloßer
. Figurant geftalten Tönne. Es ift eigen, daß der hiefige
R
Nomarch ebenfalls in Deutfchland Arznei ſtudirt hat,
folglich beide Dirigenten den Staatöfrankheiten gewiß
bie beften Recepte werden verfähreiben Eönnen. Jede
einzelne provinzielle Abtheilung wirb außer dem Nom-
archen noch fpeziel von einem Sous-Präfekten (Eparch)
adminiftrirt, und jeder einzelne Ort erhält von nun
an, wie gefagt, auch einen Maire (Dimarch). Alle
diefe Behörden ſtehen unmittelbar unter dem Nomar-
hen und können nur durch feinen Canal fih an die
höheren Staatsbehörden wenden. Es verbient Aner⸗
fennung, daß man die leidige Eollegial- Berfaffung,
an ber wir noch laboriren, und die dem Weſen aller
Adminiftration ganz zumiber, nur für bie Juſtiz
paßt, weislich hier vermieden hat.! Die Juſtiz ſelbſt
ift, wie e8 die neuere Civiliſation verlangt, von der
Adminiftration und Polizei gänzlich getrennt. Für den
Civilprozeß erifiren nur zwei Inſtanzen, von denen
in febem der zehn Nomos Griechenlands ein Tribunal
erſter Inſtanz eriftirt, für den Archipel aber in Syra.
Das zweite Appellationstribunal für Morea ift in
Tripoligza, für den übrigen Kontinent und den Ar-
chipel in Athen, wo aud der Kaffationshof (der Areo⸗
pag) ſich befindet. Eine höchſt feltiame Einrichtung
ı Wir werden fpäter feben, daß in ber legten Zeit diefe
Einrichtungen zum Zheil wieder umgeworfen worden find.
81
— — ·
aber iſt folgende. Wer von der erſten zur zweiten
Inſtanz appelliven will, muß eine gewifle Summe
beponiren. Gewinnt er feinen Prozeß, fo erhält er
dieſes Geld zurück; verliert er ihn aber, fo bleibt Die
niedergelegte Summe ebenfalls verloren, ohne daß fie
‘von den übrigen Gerichtsfoften abgezogen würde. Das
Berfahren ift öffentlich mit einer Jury in Criminal:
fachen bei jebem ber beiden Appellationsgerichte. Stim⸗
menmehrheit entfcheidet wie in Frankreich.
Herr Ingate, ein englifher Kaufmann und Conſul
für Holland, der, ohne daß ich irgend ein Empfeh-
Iungsfchreiben an ihn mitbrachte, mir demungeachtet
mit der größten Zuvorkommenheit und Artigfeit emt-
gegenfam, hatte biefen Morgen eine Jagb für mid
arrangirt. Gute rumelifhe Dferbe, ein Dugend Hunde
aller Racen und faſt eben fo viel Griechen in ihrer
originellen Yandestracht, mit der rothen Müge und
weißen Fuſtanella, bie einem kurzen weiblichen Unter⸗
rock gleicht, verfammelten fi) um 10 Uhr vor meinem
Haufe. Ein Falter, aber klarer Tag begünftigte und,
| doch beichränkte fich Die ganze Jagdbeute nur auf einige
Hafen und ein paar Waldfchnepfen, da die Beichaffen-
beit der jegt mit Geftrüpp, Unfraut und Dornen hoch
bewachfenen Ebene, wie ber häufige moraflige Boben,
theils die Windhunde hinderten, theils bas Heraus⸗
32
treiben des Wildes zu fehr erſchwerten. Ich zog daher
bald vor, Die Jäger zu verlaffen und mit Herrn Ingate
einen Spagierritt am Seeufer entlang zu unternehmen,
ber und nad) zwei Stunden, während denen wir 5—6
reißende Bergftröme durchwaten mußten, an den Fuß
der Hügelfette brachte, welche die Ebene nach Gaftuni
bin fchließt. Hier lodte mich der Höhefinn hinauf,
obgleich der Weg oder vielmehr der Wegmangel ſchwierig
zu überwinden war. Doc belohnte der Erfolg mid
über alle Erwartung, da, auf dem höchſten Punft
angelangt, fih uns eine ber originellften Ausfichten
barbot, die felbft Herrn Ingate, den Einheimifchen,
böchlich überrafchte, welcher wohl bundertmal dieſe
Straße gezogen war, ohne den Einfall gehabt zu ha⸗
ben, eine ähnliche Recognoscirung vorzunehmen.
| Die erwähnte Hügelfette, in deren Mittelpunft
wir jegt unter bem Schuß einer uralten Eiche flanden,
bildet einen regelmäßigen Halbmond, nach dem Meere
zu eröffnet, deffen beide Enden ein fruchtbared, ganz
eben planirtes Thal einſchließen, auf dem ſich noch
mehrere Olivenbäume erhalten haben, und das zwei
tiefe Seebuchten in höchſt graziöfen Linien abgrenzen.
Bor diefem Halbkreis breitet fih nun auf dem Meere
felbft, in unendlich größerer Ausdehnung, ein enfgegens
gefester Bogen malerifh vor einander gefchobener und
33
dadurch fcheinbar zufammenhängender Berginfeln aus,
fo daß der weite Wafferfpiegel, den er einfchließt,
bier nur als ein ungebeurer Landſee erfcheint, deſſen
romantifhe Ufer in allen Schattirungen des verſchie⸗
benften Blaues fpielen. Linke beginnt der ſtets abs
wechfelnde Kranz, aus dem Gebirge herabfteigend, mit
ber von einem hohen Eichenwalde bedeckten Landzunge
Morea's, die beim Kap Papas, dem alten Ararug,
ind Meer ausläuft. Hinter ihr fohintmert in Dämmern-
der Ferne, wie eine lichte Wolfe, die Inſel Zante.
Unmittelbar an Kap Papas fchließt ſich Cephalonien
an, beffen jetzt ganz mit Schnee bedeckter Bergkoloß
hoch über alle andere Spigen bervorragte. Ithaka
fiheint, von biefem Standpunft aus gefehen, nur die
Fortfegung berfelben Kette zu ſeyn, und in tief dunk⸗
ler Farbe tauchen neben ihr die zwei fchroffen Felſen
Dria und Scrophes aus den an ihrem Fuß immer
fhäumenden Meereswogen empor. Hinter ihnen ſetzt
Sana Maura bie Reihe fort, mit den Fleineren ein⸗
zeln vor ihm gelagerten Selfeninfeln, zwiſchen denen
einſt die Weltfchlacht von Lepanto flattfand, heute viels
leicht am berühmteften dadurch, daß Cervantes in ihr
feine linke Hand verlor. Bon hier wendet ſich über
Miffolunghi’s kaum zu erfennende Häufer und fein
kahles Marfchland hin der Bogen nad dem mehr
Süböftl. Bilderſaal. IL 3
34
abgerundeten Gebirge und den kühn hervortretenden
ſchwarzen Bergfegeln Rumeliens, bis die wellenför-
mige Fortfegung fi endlich am landeinwärts drin⸗
genden Golf son Lepants, unter den jähen Schnee⸗
abhängen des Parnaffus, verliert. .Zwifchen dieſem und
dem Gipfel, anf dem wir ung befanden, umfaßten
‚ wir außerdem, rechts von und über bem niebrigen
Hügelbogen bin, mit einem Blick die ganze Ebene von
Patras, die amphitheatralifch gebaute Stadt an ihrem
Ende, impofant von dem alten Schloffe gekrönt, das
bier mitten im Schnee des mächtigen Vohidia's zu
ſtehen ſchien. Auf der Norbfeite zog ſich eine tiefe
Schlucht, mit mannigfaltigem Immergrün und Ge
ſträuch geſchmückt, durch die fleilen Abhänge, und
hinter derſelben thürmte ſich in drohender Näbe ber
höchſte und wildeſte Theil des Gebirges, ber alte
Mond Dlonos, in einer langen. blendend weißen Felfen-
mauer auf, deren feltfame Ausfchnitte und fehauerliche
Abgründe den glorreichften Kontraft mit der hohen
Majeftät und Ruhe der unermeßlichen Seeanſicht vor
uns bildeten.
Es fchien, dag. man und ben Genuß biefer herr⸗
lihen Scene, deren romantifhes Lokal Monodendron
genannt wird, nicht unangefochten geftatten wollte; denn
wir ſahen und plötzlich von mehreren der gefürchteten
85
und wirklich fehr furchtbaren griechifchen Hirtenhunde
angefallen, die Hyänen gleichen und jegt mit heiferem
Gebell ihre Zähne gegen ung fletfchten, weil wir uns
angemeldet in ihr wüftes Heiligthum gedrungen. Sie
machten und beſonders wegen eines mit uns gelaufes
nen Sjagbhundes beforgt, Doch glüdlicherweife war ihr
Gebieter in der Nähe, deſſen ärmliche Hütte nicht
weit davon fand, und den Herr Ingate fogleich, ibn
mit dem fchmeichelhafteften Dulosas (servo suo) bes
grügend, um Hülfe anrief. Diefe Hirten, in Zelle
gehüllt, fehen faft eben fo wild aus, als ihre Hunde,
unb beibe vertheidigen fich gegenfeitig, worüber man
uns in Patras ſchon mehrere Gefchichten erzählt hatte.
Sehr übel erging es befonders dem franzöfifchen In⸗
genienr-Oberfien Barthelemp, der beim Bermeffen des
Landes von einem folchen Hunde angefallen, dieſen
erfhoß, worauf von allen Seiten bie Hirten berbei-
ſprangen und ihn faſt todtſchlugen. Damit aber noch
nicht zufrieden, kamen fie in Prozeffion nach der Stabt,
um Gerechtigkeit für den Mord ihres treuen Gefährten
zu fordern, und es war nabe daran, daß ein Aufſtand
fämmtlicher Landleute Die Affaire beichloffen hätte, Der
hiefige baieriſche Militairarzt, Herr Hannig, ein ſehr
einnehmenber und gebilbeter junger Dann, hatte eine
ähnliche Avantüre, Bon zwei wütbenden Hunden atias
Tirt, ſtreckte er mit ſeiner Doppelflinte beide in den
Sand, verſäumte aber wohlweislich nicht, auch beide
Läufe ſogleich wieder zu laden. Dies reitete ihn ohne
Zweifel aus bedeutender Gefahr, denn wenig Sekun⸗
den darauf erfihien der Herr der Hunde, ein alter
Mann, welcher, als er feine Lieblinge in ihrem Blute
liegen ſah, ſich verzweiflungsnoll den weißen Bart
raufte und, wie Herr Hannitz verficherte, die Hand
ganz malerifch gegen- die Wolfen hebend, als wolle
er des Himmeld Rache damit berbeirufen, in ein
fhmerzlihes Geheul ausbrach. Augenblicklich lockte
dieß Jammergeſchrei 5—6 junge Leute herbei, wahr⸗
fcheinfich feine Söhne, die ſchon von fern den Frem⸗
ben mit einem Steinregen begrüßten. Diefer, der
Landesiprahe mädhtig, rief ihnen, feine gejpannte
Flinte zugleich anlegend, zu, daß der Erfte, der fi
ihm nahe, das 8008 der Hunde theilen würde. Nun
fing das Parlamentiren auf Diftanz an, denn die
Griechen find eben fo fertige Schwäter als die Ara-
ber. Der Doctor entichuldigte, immer dabei langſam
retirirend und der Haufe ihm folgend, feine That mit
ber Nothwehr, erbot fih por dem Nomarchen zu jedem
Schadenerfag, und fo, abwechſelnd beſchwichtigend,
abwechſelnd drohend, erreichte er endlich glüdlich einen
Militairpoften, worauf fih die Verfolger nicht weiter
37
wagten. Ihre fpätere Klage warb natürlich abge⸗
wieſen.
Wir machten dießmal Alles in Güte ab und ſchick⸗
ten uns nun an, auf der andern Seite des Hügels nach
Patras hinabzuſteigen, welches aber noch mehr Mühe
machte, als früher das Heraufreiten, und ung viele
Zeit wegnahm; denn ber legte Platzregen hatte das
weiche Erbreich überall tief zerfurcht und aufgeriflen.
„Is there a passage?“ frug Herr Ingate hinter mir,
als wir an einen fleilen und fehlüpfrigen Abhang ka⸗
men. „Some thing very like it,“ erwieberte ich,
und rutfchte, wie ich es in Afrika gelernt, mit meinem
Pferde zehn Fuß tief auf dem Hintertheile hinab. Ein
Ummeg brachte meinen Begleiter, dem diefe Art des
Fortkommens nicht einleuchten wollte, fpäter ebenfalls
wieder zu mir, und einmal bas Thal gewonnen, fonn-
ten wir dann auf dem Meerfande unfern Weg bald
ſchneller fortfegen, um noch mit einbrechender Nacht
bie Stadt wieder zu erreichen. Dort aber war ber
Spivefterabend zu feiern, den ich in fehr angenehmer
Geſellſchaft zubrachte, big die Stunde des neuen Jahres
ſchlug, wo ich mit Lorenzo die deutſche Sitte des Küſ⸗
ſens ber Damen einführte. Per aspera ad astra!
benn ehe wir zur Schönften gelangten, mußten wir
verſchiedene fich gefährlich ſträubende Alte bezwingen.
38
Heute, am erfien Januar 1836, wimmelten alle
Straßen von glänzenden baierifchen Uniformen auf
griechifchen Autoritäten, die fi) gegenfeitig ein glück⸗
Yiches Jahr wünfchten, Kleider und Leute, könnte man
fagen, weil hier die erfieren, buchſtäblicher als fonft,
bie Testeren machen. Abends aber fah ich auf einem
Heinen Ball des engliſchen Conſuls auch mehrere junge
Griechen in ihrer eben fo prädtigen als gefchmad-
sollen Nationaltradht. Zwei davon waren ungemein
hübſche Männer, mit Gefichtern voller Ausbrud und
ganz im antiken Styl, bejonders der Eine, Antonio
Kalamogdart, ber ſich gleich fehr durch Bildung ale
edeln Anftand auszeichnete. Die griechiſchen Damen
hatten ſämmtlich franzöfiihe Toiletten angenommen,
und von ihrem ehemaligen Coftäme nur die langen
Haare und den totben Fes beibehaften. Auch unter
ihnen gab es reizende Gefichter mit funkelnden bun-
fein Augen, und bie Lebhaftigfeit ihres Mienenfpiels,
das Feuer ihrer Unterhaltung, das Schmachtende ihrer
Blicke, wo ein innigeres Verhältniß ftattfinden mochte,
war für mich, den überall zirfulirenden Beobachter,
ein höchſt reizendes Schaufpiel. Der deutſche Walzer
und bie franzöfiſche Contredanſe fanden ihnen jedoch
eben ſo wenig gut an, als fie zu der impofanten
Tracht der Männer paffen wollten. Es ift auffallend,
wie fchnell beide Gefchlechter fich Die fFrangöftfche Sprache
mit dem richtigften Accent angeeignet haben; italie-
niſch ſprechen überbem die meiften und einige auch ſchon
deutfch, wahrfcheintich folche, denen baierifche Offiziere
die Cour gemacht haben.
Obgleich die Kälte immer empfindlicher wird, und
das zugleich trübe Wetter die Bergfpigen mit Wolfen
umlagert, fege ich doch meine täglihen Promenaden
noch nicht aus. Das Ziel der heutigen war eine alte
Kirhenruine am Meeresftrand, mit einer chriftlichen
und heidniſchen Antiquität, die erfte tragifcher, Die
zweite beiterer Natur. Denn auf biefem Mage fol
der heilige Andreas — jebt fo groß geworben, durch
das von ihm mit feltenem Erfolg protegirte Rußland —
die Märtprerfrone ber Sereuzigung errungen haben,
und dicht Daneben befindet fich eine uralte Duelle, der
Geres gewidmet, bie einft in ber Mitte eines heiligen
Haines Tag. Diefer überwölbte Brunnen mit der noch
dazu binabführenden Treppe ift, feiner ganzen Tage
und Umgebung nad), wahrfcheinlich derfelbe, von dem
Paufanias erzählt, daß er als ein Orakel diente, um
den Ausgang ber Krankheiten anzuzeigen. Ein Spie-
gel ward fo aufgeftellt, dag ein Theil deffelben mit
bem Wafjer ber Duelle in Berührung fam; bann ver-
brannte man einigen Weihrauch, Gebete wurden an
40
Geres gerichtet und hierauf gewifle Zeichen an ber
Spiegelflähe beobachtet, weldhe dem Kranken Gene⸗
fung oder Tod verkündeten. Jetzt dient bie Quelle
einem neuen Aberglauben, wie billig. — Das Waſſer
wird nicht mehr durch Geres, fondern an ihrer Statt
durch Andreas geheiligt, und an feinem Fefte trinken
alle gute Chriften in Patras eifrig von dieſer Panacee.
Ich thue es alle Tage, dba das Waſſer ganz vortrefflich
ift, fo daß Fein anderes auf meinen Tiſch fommt, und
wenn der Heilige wirklich darin fißt, muß ich ihn
wenigſtens fchon zur Hälfte in succum et sanguinem
in meinem Leibe verkehrt haben. Die Stadt befaß
früher auch das Haupt des Märtyrers; ald aber der
griechifche Deipot Thomas im fünfzehnien Jahrhundert
nach Stalien flühten mußte, nahm er es mit, um fi
durch dieſes Toftbare Geſchenk beim Pabfte einzufchmei-
hen, und fo verlor Griechenland den unerfegbarften
feiner Schäße.
Patras ift im Lauf der Jahrhunderte mehrfach
bergauf und bergab gewanbert. Zuerft fland es in
ber Plaine, unter Auguflus erflieg e8 Die Höhe, unter
den Türfen placirte es ſich etwas tiefer, und jegt ift
ed wieder in der Plaine angefommen, ziemlich auf
dem erften led, nur freilich in traurigem Contrafte
mit feinem frühern Glanz. Sonderbares Schidfal!
4
fonderbarer ewiger Wechfel der irbifchen Dinge, deren
endlichen Zwed wir arme Sterblichen freilich nicht ein⸗
zufehen vermögen! |
Bon all den prächtigen Dingen, bie Paufanias
befhreibt, haben die allerdings nur fehr oberflächlich
bier zu Zeiten gemachten Nachgrabungen noch wenig
zu Tage gefördert. Neuerlich fand man einen großen
wohlerhaltenen Stein Sarfophag, der jet vor dem
Gouvernementshaufe aufgeftellt iſt, und einige koloſſale
Köpfe, unter welchen ſich der eines Achilles von ziem⸗
lich guter Arheit befindet.! Man beabfichtigt mit diefen
Dingen den Anfang eines vaterländifhen Mufeums
zu begründen, das wahrfcheinlich, wie fo manches hier,
lange nur ein frommer Wunfch bleiben wird. Patras
war in der alten Zeit fehr reich an ausgezeichneten
Statuen achrofitifcher und chryfelophantinifcher Art —
eine zwedmäßige Benennung Leake's für biefenigen
Drappirten Statuen der Griehen, wo bei ben erften
ı Die Infehrift auf dem Sarkophag ift folgende:
ZEPBIAIO2. DIAEPO2. KATEZKEYAZAN.
AYTN.KAL TH. ZYMBIN. MON. BOYAOYMNIA.
SY/N.. OYZH.
(owoıxovon)
In der Ueberſetzung würde fie ungefähr fo Tauten:
„Serviltus Phileros hat dies für fi und feine Frau
Boulsumnia beflimmt, die lebend auch zufammen wohnten.“
Alfo ohne Zweifel ein zufrienenes Ehepaar.
4%
die nadten Theile aus Marmor, die Drapperie ober
andere Attribute aber aus gemaltem und vergoldetem
Holz beftanden; bei den zweiten hingegen das Fleifch
aus Elfenbein, das Lebrige aus Gold und buntem
Email, auch oft mit Ebelfteinen verziert, gebildet war,
wie 3.2. der berühmte Jupiter des Phidias. Ich
habe es immer bebauert, dag unſere Bildhauer dieſe
Art der Darftellung ganz verlafien haben, fo wie bie
Architekten größtentheils aud die bunte Ausſchmückung
der Gebäude, in der lange gehegten irrigen Meinung,
daß dieß gegen den guten Geſchmack verſtoße. Welche
neue Welt möchte ung überhaupt aufgehen, wenn
wir nur einen Tag lang einmal die Pracht ber alten
Welt mit Teiblichen Augen fehauen könnten! Vielleicht
bünfte ung bie Entbehrung nachher zu groß! — Das
erſte griechifche Patras war auch wegen feiner Manu-
falturen baumwollener Waaren berühmt. Alle in biefen
Fabriken befchäftigten Perfonen waren Weiber, daher
die Zahl derfelben in der Stadt die der Männer faft
um das Doppelte überftieg, ein Umſtand, ber, nad)
Pauſanias ungalanter Bemerkung, die Sitten des Orts
fehr Teichtfertig machte. Auch dieß hat ſich geändert, -
da jest die Damen von Patras eben fo berühmt durch
ihre Tugend find, als bie aller übrigen Städte
Griechenlands. Ohne Zweifel die fegendreiche Ein-
43
wirfung des heiligen Andreas und feines Feufchen
Waſſers!
Mitten unter den noch vorhandenen Ueberreſten
der zerſtoͤrten Kirche dieſes Märtyrers, über welche
man zum einſtweiligen Gottesdienſt jetzt einen Bretter⸗
ſchuppen erbaut, und deſſen Inneres mit verſchiedenen
Bildern auf Goldgrund ausgeſchmückt hat, ſieht man
noch einige Reſte antiker Moſaik und einen ſtattlichen
byzantiniſchen Doppeladler, der in den Boden einge⸗
laſſen iſt, ſo wie ein korinthiſches Säulenkapitäl aus
beſſerer Zeit. Der daneben liegende Kirchhof enthält
nur neuere Monumente, meiftend von Holz. Dazwi⸗
chen fanden im Freien zwei Todtenbahren, die man,
wie es fcheint, der Bequemlichkeit wegen, bier immer
gleich bei der Hand behält.
Auf dem Rückwege durch die Stabt fette ich meine
geftern begonnenen Beſuche fort, und fing heute mit
dem öſterreichiſchen Conſul, dem verbienftoollen Reifene
ben in Afrifa, Herrn Zuceoli, an, der die doppelten
. Quellen des Nils einerfeits in ben Mondgebirgen,
denen er näher gelommen zu ſeyn behauptet, als irgend
ein Reifender vor ihm, andererfeits im See Demben
in Abyffinien, beftimmt feftgefegt zu haben glaubt. !
Seine fo eben erfcheinende Charte Aegyptens und der
ı Er irrt ſich jedoch in beiden Hppothefen.
44
angrenzenden ſüdlichen Länder, von der er mir einen
ber erfien, mit bem eben eingetroffenen Pafetboot zur
Korrektur erhaltenen Abdrücke fchenkte, erläutert feine
beßfallfigen Anfichten. Herr Zuccoli durchſtrich zehn
Jahre Yang Afrika, begleitete Ibrahim A2 Monate
lang auf feiner benfwürdigen Campagne in Jemen,
und fpäter Mehemed Bey, den Defterbar und Schwie-
gerfohn Mehemed Ali's, ein Jahr Yang während des
Krieges in Korbofan. Mit Enthufiasmus ſprach er
von dem mir fo intereffanten Thema, den Nedſchdi,
ben edeln Roffen Arabiend, Er behauptete gegen
Burkhard's Ausfage, dag im Innern Jemens, wo bie
edelſten Racen fi befinden, die Araber allerbings
Schriftliche Stammbäume ihrer Pferde aufbewahrten,
und erhebt die Eigenfchaften derfelben bis in die Wol-
fen.! Oft machten, fagte er, die Wechabiten faft
unmöglich geglaubte Ueberfälle, bei denen fie Diftanzen
von 15 franzöfifchen Lieues im fortwährenden Gallop
burchritten, und mißlang die Expedition, mit nicht
geringerer Schnelligkeit wieder zurüdfehrten. In fol«
chem Falle, feste er Hinzu, pflegt. ber Wechabit der
ı In Jemen war ich nicht, aber alle Araber von den ver:
ſchiedenen Stämmen der Wüfte verneinten die Eriftenz ſchrift⸗
licher Stammbäume ihrer Pferde.
Anm. des Herausg.
45
— —
Wüfte feine Stute auf den Hals zu ſchlagen und ihr
zuzurufen: „Du bift nicht deines Vaters Kind, wenn
du mich nicht, gleich dem Blig, zurüdführft, wie bu
mich hergebracht.“ Wenn mein weißgeborener Hengft,
fuhr er fort, vom edelſten Blute Abu Calam's, den
ih mir mit großer Mühe und zu ſehr hohem Preife
verfchaffte, im Gallop lancirt wurde, war es ein
ſtolzer Anblid, zu ſehen, wie feine Augen Feuer ſprüh⸗
ten, feine weiten Nafenlödher dDampften und er augen
blicklich den Schweif fo hoch erhob, daß er oft damit
den Reiter in den Rüden fchlug. Bei all dieſem Feuer
war er fo fanft und gutmüthig wie ein Lamm, warb
auf der Teichteften Trenfe geritten und hätte zur Noth
auch mit der bloßen Halfter geführt werden können. —
Herr Zuccoli verlor ihn erft in Griechenland, wohin
er Ibrahim ebenfalls begleitete. Ein Flintenſchuß
töbtete ihn bei Miftra. !
Die Campagnen in Jemen waren mit feinen zu
großen Beichwerlichfeiten verbunden, aber bie in
ı Nicht für Damen!
Die Wechabiten reiten fa durchgängig Stuten, denen fie
in der Jugend die Gefchlechtötheile zunähen. Später werben
die Löcher der Nadeln durch filberne Stifte erweitert, fo daß
fie offen bleiben, wie bei ung die Ohrläppchen der Frauen zum
Behuf der Ohrringe. Haben die Araber nun einen ſtarken Ritt vor,
fo ſchließen fie mit großen Padnabeln von neuem bie Oeffnung
46
Sennaar und Korbofan, wie den angrenzenden Lan-
bestheilen, weniger angenehm, theild wegen der ums
erträglichen Hiße, welche es oft nöthig machte, fich im
Zelte ein Loch in die Erde zu graben und dort in
naßgemachten Bettlafen zu figen, theild wegen der fehr
unartigen Angewohnbeit der bortigen Völkerſchaften,
mit vergifteten Pfeilen zu fihießen, von denen ſelbſt
bie leichteſte Verwundung ſtets tödtlih war. Auch
litten die Truppen an furchtbaren epidemiſchen Krank⸗
heiten und an Ophthalmie. Während eines Bivouaks
unter hoben Mimofen fing Herr Zuccoli einmal eine
junge Giraffe, die, einer Kameelmutter beigegeben, bald
fo zahm wurde, daß er fie bis nach Kairo zurüds
bringen konnte. Auf diefer ganzen Expedition bediente
fih unſer unternehmender Reifende felten der Pferde,
fondern ritt fortwährend einen gleichfalls Nedſchdi⸗
Dromedar, den er faft den Pferden noch vorzicht.
Diefe Dromedare von edler Race find: in: ihren Be-
wegungen keineswegs fo hart unb unbequem, als bie
der Ratur, weil fie den Glauben nähren, daß eine Stute dann
mehr Fatigue aushalten könne, Auch führen fie als Grund an,
daß, da die Stuten im Laufe ebenfalls ven Schweif fo ho
erheben als die Hengfle, und dabei ihre Geſchlechtstheile oft
weit aufhalten, durch die künftliche Schließung der Wind ver:
hindert werde, fi darin zu fangen und ihnen durch Aufblafung
des Körpers den Athem zu benehmen.
47
gewöhnlichen, und ihre Reiftungen gehen ins Fabelhafte.
Ibrahim durchritt auf einem folchen Thiere die Wüſte
zwifchen Syrien und Aegypten in zwei Tagen. Sanfı
und willig, find fie nur in der Begattungszeit gefähre
lich, und während dieſer Epoche faßte eines Tages,
in einer Anwanblung von Wuth, Herrn Zuccoli's
Dromedar feinen Reiter (ber glüdlicherweife in meh⸗
rere bide Bernus gegen die Sonnenftrahlen eingewidelt
war) mit einer plöglihen Wendung feines langen
Halfes mit den Zähnen bei der Bruft, und warf ihn
jo unfanft zur Erde, daß er mehrere Minuten lang
bie Befinnung verlor, — eine neue Art, feinen Reiter
[08 zu werden, bie unfern Pferden, dem Himmel ſey
Dank! noch unbefannt geblieben ift.
Zu den ſehr empfehlungswerthen Belanntichaften
in Patras gehören auch noch ber zuffifhe und fran-
zöſiſche Conſul, die Herren Kallojerachi und Devoiſe.
Ich verdankte der Gefälligkeit des Erſteren mehrere
lehrreiche Broſchüren über das neue Griechenland, und
dem Andern eine werthvolle Zeichnung von ſeiner
eigenen geſchickten Hand.
Am heutigen Tage verließ mich Selim. Er wünſchte
mich vor feinem Abgange noch zu ſprechen, da ich aber,
wie ich nicht leugnen mag, empfindlich darüber war,
baß er, hinlänglich wieder hergeſtellt, mich um ſo
48
geringen Ungemachs willen hier im Stiche ließ, wo
er wußte, daß ich ihn nicht erfegen Tonnte, — fo trug
ich meinem Sefretair nur auf, ihm eine recht glück⸗
liche Reiſe zu wünfjchen, und fah ihn nicht mehr. Ich
war abweiend, als er das Haus verließ, und Lo⸗
renzo erzählte mir nachher, er habe geweint, mehr»
mals verfichert er Fönne nicht anders, und ſehr be⸗
dauert, daß ich ihn nicht mehr habe fehen wollen, ba
er infländig gewünſcht, mir etwas zu vertrauen, was
wichtig für mid) fey.
Dies fiel mir auf und ich ſchickte nad) ihm, Das
Schiff war aber ſchon abgefegelt. Gott weiß, was
der Menfch gewollt hat!
Ich muß einer Bekanntſchaft erwähnen, die mid
lebhaft, faft zu Iebhaft für Einen, der zu den fleten
Wanderungen des Zugvogels beſtimmt iſt, intereffirte.
Am Abhange des Parnag und auf der Hälfte
feiner Höhe liegt eine wunderbare Grotte, felbfi den
wilden Thieren unzugänglich, und wie von der Vor⸗
fehung dazu beftimmt, dem Berfolgten ein ficheres,
unerreichbares Aſyl zu geben. In Thurmeshöhe, von
ewigen Fellen überwölbt, groß genug, um mehr als
3000 Menfchen zu beherbergen, von der Natur felbft
mit binlänglichem Waffer verfehen, das an mehreren
Orten fortwährend durch der Steine Riten, bel und
49
— — ——— — —
rein wie Kryſtall, herabperlt, bis in ihre Mitte dem
Strahl der Sonne offen und weit hinein mit Erde
bedeckt, wo erſt in ihrem Hintergrunde der kahle Fels
jenboben wieder zum Vorſchein kommt, deckt niedriger
Rafen ihren Eingang, und felbft einige hochaufge⸗
fchoffene Waldbäume find unter ihrem Dom erwachfen.
Bon vielen Stellen des Gebirged Tonnte man ihre
Eriftenz gewahr werben, doch Fein menfchlicher Fuß
batte fie je betreten. Da erfor fie ſich der tapfere
Odyſſens zur unangreifbaren Feſte für feine Familie
und für fich felbft zum Ausgangspunkt jener kühnen
Streifzüge gegen die Ueberzahl der fein Baterland
ſchonungslos verheerenden Türken, in denen ibm dag
Leben jest binging, und glüdliher für ihn, wenn
ed darin auch geendet hätte.
Einige Schäfer des Gebirges, geſchickt im Klettern
gleich den Ziegen, die fie Tag und Nacht in diefen
Wildniffen hüteten, wurden aufgefordert, Alles anzu⸗
wenden, um mit Hülfe ihrer Steigeifen und Haden-
öde, an welden fie ſich emporzufchwingen pflegen,
die Höhle zu erflimmen und genauere Auskunft über
bie damals noch unbefannte Tofalität derfelben zu ers
theilen. Zwei dieſer Menſchen verunglüdten, ein be⸗
jabrter Mann und ein Knabe, wovon der erfte flarb,
_ ber zweite ſchwer verwundet wurde. Doc) das Vaterland
Süböftl. Bilderfaal II. «
50
— —— —
rief, und der tapferſte ſeiner Krieger gebat. So
wagte ein Dritter ſein Leben, und die kühne That ge⸗
lang. Ich übergehe die weiteren Details der Unter⸗
nehmung und begnüge mich, mit wenig Worten deu
Stand der Sachen zu fohildern, wie er nad einigen
Wochen fich geftaltet hatte. An drei verihiedenen Orten
führten Stridleitern, zufammen 86 hohe Stufen bes
tragend, an den bisher ungangbaren Stellen nad ber
Höhe hinauf, Drei durch vorjpringende Felfen ge=
fügte Schildwahen waren binlänglih, durch das
bloße Emporzieben der Leiter jeden Angriff zu ver-
eiteln. Der Eingang ter Höhle ward fo glüdlich durch
bie fih daneben erhebenden Felfenwände gededt, daß
er von keinem Geſchütz beftrihen werden konnte, und
ihr Naturdad) war mehr ale bombenfef. Auch haben
die Türken nicmals einen Verſuch gemacht, diefes Fel-
feuneft zu belagern. Die ganze Feine Macht, welde
Odypſſeus befchligte, fand daher zu jeder Zeit bier
einen gewiffen Zufludhtsort, und zugleich die Mittel,
erlittene Berlufte wieder zu erſetzen. Mehrere leichte
Hütten wurden im Innern der Höhle erbaut, und bald
gewann fie das Anfehen einer förmlichen Kolonie, abs
gefchieden von der ganzen übrigen Welt.
Um diefe Zeit war der edle Lord Byron, Gut
und Leben für Befreiung der Griechen einfegend, in
Si
Miffolunght angelangt, und ſchon hatte Kummer und
Sorge, fih in fo vielen feiner glänzenden Hoffnungen
getäufht zu fehen, ihn auf jenes Krankenlager ge-
worfen, an beffen Fuße ganz Europa trauernd fand,
und von dem er fich nie wieder erheben follte. Doch
bis zum legten Augenblide der Befinnung den hoben
Zwed im Auge, der ihn bergeführt, hatte er ſchon bei
ben erſten Anzeichen überhandnehmenden Uebelbefindens
ſeinen Freund Trelawney, bekannt durch ſein abenteuer⸗
liches Leben und ſeinen unbezähmbaren Unternehmungs⸗
geiſt, nebſt einem Transport von zwanzig Maulthieren,
die eine Batterie Berggeſchütz, Munition und Waffen
trugen, Odyſſeus zugeſandt. Trelawney erfuhr in
ber Grotte ſelbſt Lord Byrons Tod. Sich zu Odyffeus,
dent, wenn gleich rohen und ungebilbeien, doc ihm
verwandten Geifte hingezogen fühlend, beichloß er,
ihn nicht mehr zu verlaffen. Bald ganz zum Griechen
werdend, ihre raube Lebensart theilend, und flets in
ihre kriegeriſche Tracht gekleidet, war er manchen ges
fahrvollen Monat hindurch der treue Gefährte feines
Greundes in Triumph und Niederlage, bis zu deſſen
Abfall und bald darauf erfolgtem fchmählichen Tode.
Auch während diefer Epoche blieb er, den Krieg jept
allein für füch fortjegend, eine geraume Zeit lang Bes
wohner und nun einziger Befehlshaber der Höhle,
52
Doch hatte früher noch ein mächtigerer Einfluß
ihn zu diefer:Lebensart vermocht. Erft wenige Wochen
vor. feiner Ankunft war ein zartes Mädchen, nur 13
Sommer alt, frifeh und blühend wie ein Frühlings
morgen ihres Baterlandes, und fhön wie eine Rofe
aus Tempe’s idylliſchem Thal, den zarten Leib mit
Tauen umfchlungen, da fie die Leiter nicht zu erfleigen
vermochte, die Felfen binaufgewunden worden. Es
war Odyſſeus jüngfte Schwefter. Nicht Tange Tonnte
jugendliche Anmuth und männliche Kraft in fo naber.
förperlicher Berührung ftehen, ohne, dem füßen Ge⸗
fete der Natur getreu, fih in heißer Liebe zu ver-
einen, und kurz vor Odyſſeus Tode ward der Segen
ber Kirche über fie ausgefprochen, vom ſchönern Segen
der Natur geheiligt. Glüdlihe Tage vergingen dem
in entzückendem Genuffe fchwelgenden Paare, vielleicht
noch gefteigert durch zärtliche, gegenfeitige Sorge bei
dem fteten Wechſel drohender Gefahren. Kein langes
Glück iſt aber den Menfchen bienieden verginnt! —
bald trübte des Bruders tragifcher Tod, der unbes
greiflicherweife aus. Parteihag und Gewinnſucht —
den beiden Flüchen, die auf Griechenland haften —
. zu den Türken übergegangen und durch Karaiskaky
gefangen, yon den Zinnen ber Aropolis herabge⸗
fchleubert wurde — ihr bis jest fo heiter Tächelndes
33
Schidfal, und wenig Monden darauf beugte ein no
berberer Schmerz das holde Kind, das fchon dem neuen
Beruf der Mutter entgegenging. Im Gefolge Tres
lawney's befanden fich einige Engländer, bie er mit
allen Wohlthaten, welche er zu ertheilen im Stande
war, überhäuft hatte, Es ift unbefännt geblieben,
welche Motive den Einen berjelben zu ber ſchwarzen
That vermochten, fih mit einigen treulofen Griechen
in eine Verſchwörung gegen Trelamney’s Leben ein-
zulaffen. Der Verräther übernahm: felbft die Ausfüh-
rung, und als eines Tages der nichts ahnende Tre-
lawney, der ein vortrefflicher Schüge war, ſich im
Piftolenfchiegen nach der Scheibe übte, während ber
Engländer ihm die Gewehre Ind, nahm diefer den
günftigen Augenblick wahr, und ſchoß den Unbeforgten
mit einer Doppelpiſtole durch den Rüden.
Trelawney ſtürzte befinnungslos nieder, doch miß-
glüdte die Verſchwörung, und ‘der ihm Teidenfchaftlich
anhängende übrige Theil der Befagung bieb die Ver⸗
brecher neben ihm wüthend in Städe: In den Armen
der troftlofen Tarfisa ſchlug nad) langer Ohnmacht
Trelammey zuerft die Augen wieder auf. Die eine
Kugel war durch die Schulter, die anbere.zuerft den⸗
felben Weg, dann aber, fi feitwärts wendend, unter
bem Kinn in den Mund gedrungen und zur Bade
B4
wieder hinausgegangen. Es iſt auffallend, daß eine
fo furchtbare Verftämmelung fpäter dennoch, ohne bes
deutende Folgen zurücdzulaffen, geheilt werben konnte.
Indeß hatte ed damals ein ganz anderes Anfehen.
Bierzig Tage lang litt der Kranfe die graufamften
Schmerzen, auf Feine andere Weife eine momentane
Ruhe findend, ald wenn die arme Tarſitza, deren
Seele viel mehr noch als ihr Körper Titt, und in
deren Augen faft die ganze Zeit über Fein Schlaf Fam,
fein ſchmerzendes Haupt auf ihrem Arme hielt, Wegen
der Zerftörung der Kinnmuskeln Fonnte er in ben
erftien Wochen den zufammengepreßten Mund Taum
fo viel öffnen, um durch mühfam eingebrachte Flüſſig⸗
feiten fein häufig dem Berlöfchen nahes Leben zu fri-
ften, und faft zwei Jahre lang nachher blieb fein Linker
Arm unbraudbar. Sobald er binlänglich hergeftellt
war, um bie Höhle verlaffen zu können, gab er, für
jett zu Krieg und Abenteuern nicht mehr geeignet, das
bisher geführte Leben gänzlih auf, kehrte mit feiner
jungen Frau nah Morea zurüd, ging dann nad)
-Smyrna, verbrachte einen Sommer mit Seereifen im
Archipel, und ließ fich zulest vorläufig in Zante nie-
ber, wo fein gaftfreied Haus ftetd Freunden und Be⸗
fannten offen ftand.
Es fcheint, dag Friede und Ruhe feinem Charakter
85.
— — — 2·—
wie ſeinem ehelichen Glück nicht zuträglich waren.
Allerlei Mißhelligkeiten entſtanden, Folgen bes raſt⸗
loſen, unruhigen Sinnes des Mannes, und dem nicht
minder heißen Blute der Schweſter des kühnen Odyſ⸗
ſeus. Gemeinere Motive wirkten von außen her.
Trelawney hatte bei ſeiner Verheirathung, im Fall
einer Trennung oder ſeines Todes, ſeiner Frau eine
bedeutende Summe verſichert. Einige Verwandte dieſer
mochten die Realiſirung derſelben wünſchen, und als
nach einem ernſten ehelichen Zwiſt Tarſitza die raſche
Unvorſichtigkeit begangen hatte, das Haus ihres Man⸗
nes zu verlaſſen und Zuflucht in einem Kloſter zu
ſuchen, wußte die Familie dieſen Umſtand ſo gut zu
benutzen, daß endlich eine definitive Eheſcheidung die
Folge davon war. Die ſtipulirte Summe ward, glaube
ich, in eine lebenslaͤngliche Penſion verwandelt, und
Trelawney ging nach Amerika.
Dies war in kurzen Umriſſen das Schickſal der
noch immer reizenden Frau, die ich hier antraf, und
man fann ſich denken, wie reich, nach einem fo bes
wegten Leben, ihre Unterhaltung mir erfcheinen mußte,
aus fo fhönem Munde und mit dem Feuerausdruck
ſolcher Augen doppelt verführeriſch. —
Sie ſprach ftetd mit hoher Achtung und zärtlicher
Neigung von ihrem gefchiedenen Mann, mit dem fie
56
auch noch jest um fo mehr ein freundfchaftliches Ver⸗
hältniß fortfegt, ald er ihrem Sohn, ein Kind der
Liebe, wenn es je eins gab, mit fi nahm und jest
in England bei feinen vornehmen und reichen Vers
wandten erziehen läßt. Sie ſchilderte Trelawney als
großmüthig, vol Verachtung aller Gefahr, mohlthä-
tig und gut, aber auch oft rauh, launig und ſchwer
zu befriedigen.
Im Innern mochte fie das Vergangene vielleicht
tiefer bedauern, als fie es merken laſſen wollte, und
erwähnte nur mit fehmerzlichem Lächeln der Sonder-
“barfeiten ihres Mannes, die allerdings zuweilen weit
gegangen zu feyn ſcheinen. Charakteriſtiſch dünkte mir
befonders Folgendes. Sie hat, wie faſt alle Griechin⸗
nen, fchöneg, feidened Haar, das bei ihr von blonder
Farbe tft, und mit den dichten, hochgewölbten Augen-
brauen und dunfeln Augen eine ganz eigenthümliche
Wirkung hervorbringt. Sie gefiel fich, dies wollüftige
Haar in geringelten, lang herabhängenden Toden zu
tragen, was ihr Mann nidyt leiden Fonnte und ihr
zulegt förmlich unterfagte. Wenn die Eitelfeit der
Frauen ind Spiel kommt, fo gehorchen fie am ſchwer⸗
fien, fo auch Tarfiga, die wenig Notiz von dem ers
baltenen Befehle nahm. ines Abende näherte ſich
ihr daher Trelawney mit einem großen indifchen
57
Meſſer, das er immer bei fih trug, und, beiläufig
gefagt, mit großer Geſchicklichkeit auch zu ernfleren
Zweden zu führen wußte, wie wir bereits in feinen
" Memoiren gelefen haben. Mit der einen Hand die
Loden feiner Frau umfaſſen und mit der andern durch
einen graufamen Schnitt ke vom Haupte trennen, war
das Wert eines Augenblicks. Lachend hielt er die
graufame Trophäe jet in die Höhe und rief: Nun
hoffe ih doch, wirft du dich genöthigt fehen, meinem
Willen gemäß zum Fes zurüdzufehren. Doch hatte
er, wie man zu fagen pflegt, die Rechnung ohne den
Wirth gemacht, denn am andern Tage erihien Tar-
fisa, die auch ihr Köpfchen für ſich hatte, wieder
vollfommen eben fo als geftern, mit — falfchen Locken.
„Du kannſt dir jetzt das Abfchneiden erſparen,“ ſagte
fie, „es find noch viele dergleichen zu haben, und es
wird nur darauf ankommen, wer von und beiden die
meifte Beharrlichkeit hat.’
Dei einer Gelegenheit, wo er, von einem luſti⸗
gen Gelage zurückkommend, etwas eraltirt war, und
mit ihr in einen heftigen Streit gerietb, ohne fie
weder zum Schweigen noch Nachgeben bringen zu
fönnen, riß er das Fenfler auf, ergriff die Feine
Elfen⸗ artige Geftalt bei beiden Beinen und bielt fie
fo eine ganze Zeitlang über ber Straße hoch empor,
58
— — — —
bis ſie endlich, zum Tode erſchreckt, um Onade bat.
„Doch,“ ſetzte ſie naiv hinzu: „wie es bei jungen
Eheleuten geht, wenn wir am Tage auch noch ſo heftig
an einander geriethen, in der Einſamkeit der Nacht
verjöhnten wir uns ftets, und liegen feine Morgen»
fonne über unferem Zwift aufgehen.
Sept ift Tarfisa felbft fanfter geworden, und auch
Trelawney mögen nach und nach die Jahre zähmen —
doch das Uebel ift gefchehen. Etwas Aehnliches äußerte
fie einft 2... „O,“ fagte- ich, „Llaffen Sie darüber
Ihre ſchönen Haare nicht grau werden,
Verſcherztes Glück
Bringt Reue nicht zurück!
Am Ende bedeutet es auch nicht viel. — Sie haben
gelebt und geliebt — die Welt iſt groß — nichts
hindert Sie, weiter zu leben und zu lieben.“ —
„Unſere griechiſche Philoſophie ift nicht fo leichte
finnig als die Ihre,“ erwiederte fie, doch fchien mir
der Bli ihrer Augen nicht ganz mit den Worten im
Einklang zu ftehen.
Genug für den Leſer!
Ein gefälliger Grieche, Herr Zaimi, hatte mir
fein Pferd geborgt und ich benutte ed zu einem Spa⸗
zierritt nad) den Schlöffern Rhion und Antirhion. Der
bier garnifonirte Ingenieur » Lieutenant Tünnermann
un — em
‚begleitete mich. Wir fanden am mehreren Stellen,
ferbft in ber Ebene, den Boden zwei Fuß had mit
Schnee bededt, und viel Eid in ben Falten, tiefen
Bergbächen, deren Paffage Francis und Norma nicht
geringe Mühe machte, und vielfache Klagelaute von
den Armen erpreßte. Doc, mir durch manches Un-
gemach nachzufolgen beftimmt, müffen fie fih abhärten.
Das Dieffeitige der beiden genannten Scylöffer, das
einzige, welches ung die Zeit zu fehen erfanbte, ward
‚gleich dem andern von den Benetianern erbaut, und
ift jebt ziemlich verfallen, jedoch deßhalb nur um fo
pittoresfer. Ein Theil deffelben, befonderd ber untern
Gewölbe, ift mit auf die hohe Kante geftellten ſchma⸗
‚len Ziegen äußerft folide und mit großer Sorgfalt
ausgeführt, und Alles von diefer Bauart hat fich auch
gut erhalten. Auf den tiefen Batterien, die das Meer.
& fleur d’eau beftreichen, ift noch altes Geſchütz auf-
geftellt, das ungeheure Steinfugeln fhießt, und man
zeigte und einen Dörfer mit der Jahreszahl 1684,
aus bem bie Türfen während der Revolution einmal
einen unglüdlichen Griechen auf die Belagerer ab-
feuerten. Ueber mehrere andere Kanonen; die mit
verfaulten Laffetten auf den zum Theil eingeſchoſſenen
Wällen flanden, hingen Kettenfugeln, welche die Tür⸗
fen noch immer gebrauchen. Die Sranzofen belagerten
60
— — —— —
das Fort nur einige Tage, worauf es kapitulirte.
Während dieſer Belagerung warb einer ihrer Inge⸗
nieure getöbtet, dem fie auf der mit Dorngefträud
bewachfenen fumpfigen Plaine, welche das Schloß
umgibt, ein Monument in Obelisfenform gefett haben.
Es droht fhon den Umfturz, und von der Inſchrift
war nichts mehr zu lefen, denn die Denfmale unferer
Tage find vom Geflecht der Ephemeren. Aus einer
Heinen Mofchee im Innern der Feftung ift feitdem
das Commandantenhaus gemacht worden, und der
Minaret gibt einen höchft ſtattlichen Schornftein dafür
ab, von deſſen Spitze fett, flatt ded Gebetaufrufs Des
Muezzin, der Rauch des Küchenfeuerd zum Himmel
fleigt. Profane Umwandlung!
Es war der erfte Weihnachtsfeiertag der Griechen,
bie noch den alten Kalender beibehalten haben, und
feit fie unter baierifch » griehifhem Scepter ftehen, zu
ihren ſchon übermäßig vielen Feiertagen noch einige
ber unfrigen hinzufügen, ja man bat diefe fogar noch
um einige politifche vermehrt, fo daß jebt beinahe eben
fo viel Feiertage ald Werktage im. Jahre flattfanden,
ein ſehr fhlimmer Hemmſchuh für die Civiliſation,
und ein wahres Treibhaus für die ohnehin ſchon fo
beliebte Faulheit in Griechenland.
Indeſſen hatte ich es heute früh Doch fehr anmuthig
6
————, — — ——
gefunden, das Volk in vielen maleriſchen Gruppen,
alle in ihrer Sonntagstracht, in den Straßen ver⸗
einigt zu ſehen. Befonders fielen mir einige fünfzig
junge Leute auf, die auf den Mauern ihrer alten
Akropolis neben einander faßen, und, wie in Zrauer
über vergangene Größe, eine tief melandholifche Me⸗
Iodie unisono yon dort herabjangen.
Als ich nun Abends im Dunkeln von meinem
Ritt zurüdfehrte, fand ic) die ganze Marine — dag
Stadtviertel am Meer — erleuchtet, ein Anblick, der
mir weniger erfreulid, ald der am Morgen bäuchte,
denn die glänzende Yllumination befland nur aus
einer fortlaufenden Reihe yon Branntweinbuden, das
erbauliche Zeichen moderner Givilifation! — und,
nebft den Kirchen, der Hauptaufenthaltsort des Volke
an Sonn: und Feiertagen. Zu meiner Berwunderung
fiebt man bier gar Feine Juden; nod ein übles Omen
für den Stand des Handels in Patras, denn mit
feiner Blüthe wären fie längft wiebergefehrt, wie bie
Schwalben im Sommer.
Ich muß den folgenden Tag, den 10, Januar, als
einen ber memorablen Tage meines Lebens bezeichnen! -
Haft beginne ich nun ganz ernfllih zu glauben,
daß der Graf in Zauberfänften erfahren if, wenn
anders Norma aus feiner Hand fommt, wie faum zu
62
bezweifeln. Denn dies Thier allein rettete in der
vergangenen Nacht nicht nur mich, fondern fämmtliche
Hausgenoffen von einem ohne fie eben fo gewiffen
als fchauderhaften Zope! —
Ich habe zu Selims dürftigem Erjas einen Grie-
hen, der etwas italienisch fpricht, mit Namen Ana⸗
ftafius, angenommen, und außerdem provijorifch einen
baierſchen Soldaten zu feiner Hülfe, ein williger, aber
böchft dummer Menfch, obgleich vom Genies &orpg,
mit dem omindjen Namen Schweineberger.
Diejer beging die unerhörte Zollheit, eine mit
glühbenden Kohlen angefüllte eiferne Pfanne, die auf
einem hohen Dreifuß in meinem Fleinen Salon fteht,
und die, fobald ich zu Bett gegangen bin, immer in
die Küche getragen, und wovon die Kohlen dort auf den .
Herd geſchüttet werden, — flatt deſſen in meines ſchon
längft fchlafenden Secretaird Kammer auf die bloße
Diele zu fegen, nur aus wohlthätiger Abfiht — wie
der alberne Menfch fih nachher entfchuldigte — um
Herrn Lorenzo damit eine Güte zu thun, weil es fo
barbarifch kalt gewefen fey! |
Ich muß bemerken, daß meines Secretaird Schlaf:
fammer bloß durch eine loſe Bretterwand, mit dicken
Ritzen dazwiſchen, von der meinigen getrennt iſt.
Der unglückliche Schweineberger legte ſich, nach
vollbrachter That, auf feine Matratze nieder und war
bald ſchnarchend in Morpheus Arme gefunfen. Un⸗
terbeffen geſchah, was nicht ausbleiben Tonnte. Das
glübende eijerne Beden verkohlte die Diele, und, wie
man am andern Tage ſah, nicht nur diefe, fondern
hatte auch ein tiefes und weites Loch in den darunter
biegenden Balfen gebrannt. Durch den furdtbaren
Dampf, der daraus entftand, war der junge Lorenzo
bereits zur Hälfte im Schlaf asphyrirt, als es ihm
undeutlih vorfam, wie wenn Jemand ihm in bie
Ohren henle, und er zugleich einen Schmerz und ein
Kragen an ber Bruft fühlte. Er wollte ſich aufraffen,
fonnte e8 aber nicht, da biß ihn etwas heftig in Die
Naſe. Nun fuhr er endlich gewaltfem in bie Höhe
und fiel bei diefem Effort aus dem Bett. Hier erfi
tonnte er fi) völlig ermuntern, und das Erfte, was
er ſah, war die Dampfwolfe, welhe das Gemad
erfüllte, und die das vom Kohlfeuer noch ausgehende
Licht fehr bemerklich machte. Betäubt und kaum fähig,
feinen Gedanken zu gebieten, ſucht er das Beden auf-
zubeben, doch kaum hat er es ein wenig gerüdt, als
die Flamme fchon aus dem angebrannten Balfen Lichter:
loh herausſchlägt. Zum größten Slüf war die Küche,
wo aus Mangel an Raum die Leute fchlafen, und
immer eine Tonne voll Waſſer fieht, Dicht daneben,
64
—
ſo daß, als Lorenzo Lärm gemacht, das Feuer noch
in der Geburt erſtickt werben konnte. Wäre er nicht
ſo gewaltfam durch Norma und ihren wunderbaren
Inſtinkt gewedt worden, fo mußte das Feuer bald
um fich greifen, und das gräßliche Reſultat deſſelben
wäre um fo fehneller herbeigeführt worden, da in
des Serretaird Kammer, eben weil nie Feuer vorher
bereinfam, der ganze Borrath meines englifchen Jagd⸗
pulvers, ungefähr ſechs Pfund, in einer blechernen
Büchfe verwahrt wurde. Dazu denke man fih Das.
ganz hölzerne ausgeftaafte Haus, und man wird feicht
beurtheilen, mit welcher Wuth in wenig Augenbliden
das Feuer hätte um fich greifen müſſen. So fam
mein Seeretair nur mit einer blutenden Nafe, und die
andern erweckten Hausgenoſſen mit dem Schreden davon.
Dhne Zweifel muß ich felbft in einem gleichen
Zuftand halber Aspbyrie mit Lorenzo mich befunden
haben, denn ungeachtet alles Lärmend und Tumults,
ungeachtet,. daß man in meine Kammer drang, und
bie Fenſter öffnete,. um den Dampf hinauszulaffen,
erwachte ich nie. völlig, und erinnerte mich am fpäten
Morgen des Ganzen nur wie eines verwirrten Trau⸗
med. Ich hatte zwar mehrere Details deſſelben jehr
wohl behalten, doch find fie nicht von ber Art, um mit⸗
getheilt werben zu fönnen; da fie indeß eine fonderbare
65
— — — —
Miſchung von Grauenhaftem und Wollüſtigem dar⸗
boten, ſo laſſen ſie mich vermuthen, daß der Tod
durch Kohlendampf durchaus nicht von unangenehmen
Empfindungen begleitet ſeyn mag. Dies Loos ſtand
uns aber ſchwerlich bevor, denn ehe ein ſolches Ende
noch hätte erfolgen können, wären wir unfehlbar
ſchon vom Feuer ergriffen, oder vom Pulver in die
Luft geſprengt worden.
Als ih den kleinen ſchwarzen Krater in Rorenzo’d
Stube ſah, den das Becken eingebrannt, konnte ich
mich einiger ernften Reflerionen nicht erwehren, die
jedoch ſchnell eine fehr troftreihe Wendung nahmen.
Sorge aller Art, fagte ich zu mir, weiche von binnen!
denn wo und was ift Gefahr? — Wir wiffen es
nie — ift das Schickſal günftig, fo bahnt ſich auch
der rauhefte Weg, und hat ed anders über uns ent-
fchieden, fo braucht ed weder Kugeln noch Eifen, noch
des erzürnten Meeres Wogen — es findet feine Opfer
.. zu feder Zeit eben fo bequem im friedlichen Bett. —
Die Geſchichte ward bald in Patras befannt, und
Norma ift feitdem die Heldin des Tages. Die fchön-
fien Damen überhäuften fie mit Lobſprüchen und Lieb⸗
fofungen, und eine berfelben, für die Norma eine
. ganz befondere Unterwürfigfeit zeigt, hat das fchon
Süvspt. Bilserfaal. IL 5
66
abgenuste blaue Halsband unferer Retterin durch ein
neues erjeßt, doch glänzt die nämliche Inſchrift wie-
der in Gold auf beffen innrer Seite, mit Hinzufügung
des Datums jener Tage, an denen fie fchon zweimal
fo erfolgreih das Feuer für mid befämpfte. Dies
fcheint mir jest kaum gewogener als früber das
Maffer zu ſeyn, Die Luft ift ebenfalld cattıvissima,
es fehlt nur noch ein Erdbeben, um mich mit fämmt-
lichen Elementen zu brouilliren. Speriamo meglio!
Norma betreffend, fo feffelt mich nun allerdings
pie Dankbarkeit noch mehr an fie, als ich ihr fchon
ohnedem gewogen war (denn ihr Gefährte rührte ſich
nicht in der verhängnißvollen Naht). Demungeachtet
betrachtete ich fie manchmal mit halber Schen, Sie
bat aud wirklich etwas Fremdartiges, das Jedermann
auffällt. In Form gleicht fie ganz einem fchönen Spa⸗
niel, aber fein einziges weißes Haar unterbricht das
Kohlſchwarz ihrer Farbe, felbft die Augen find gleich
fhwarz und nur durch ihren gläfernen Glanz von
dem übrigen Theil des Kopfes unterfchieden. Bloß,
wenn fie fie ganz feitwärts dreht, erſcheint ein blen⸗
dend weißes Email, und dann tft ihr Ausdrud höchſt
ſeltſam; eben fo in der Nacht, wo die Augen glühen-
den Kohlen gleichen, und das Haar der Hündin, wie
bei den ſchwarzen Katzen, Funken ſprüht. Noch eine
67
andere Eigenthümlichkeit dieſes Thieres ift die faſt
gänzliche Unhörbarkeit feiner Bewegungen; man findet
die Hündin manchmal auf feinem Schooße fehlafen,
oder neben ſich im Bette Kiegen, ohne daß man im
Mindeften bemerkt hat, wie fie dahin gekommen ift.
Schon drei= bis viermal war fie einen Tag und eine
Nacht lang verfehwunden; alles Suchen blieb ver-
gebens und die Polizei von Patrad wurde jebesmal
ihrethalben in Requiſition geſetzt, fo wie für den ehr-
fihen Finder eine Belohnung ausgeboten. Doch jedes⸗
mal war fie auch nach den verlaufenen 24 Stunden
von felbft wieder da, ohne dag Jemand fie zurückge⸗
bracht noch zurückkommen gefeben hätte. Diefe Farta
find von Lorenzo und den Leuten, wie von mir beob⸗
achtet worden, und beweifen wenigftens, daß auch bei
den Thieren eine große Verſchiedenheit der Indivi⸗
bualität ſtattfindet. Einem Aberglaubigen: fönnten fie
aber faft unheimlich dünken.
Der eingefchludte Kohlendampf ift mir doch nicht
ganz wohl befommen, denn ich babe mehrere Tage
an heftigem Kopfweh gelitten, das mich am Ausgehen
verhinderte. Als ich mich wieder etwas beffer fühlte,
machte ich Abends dem eben angefommenen Nomar-
hen, Herrn Glarakis, einen Befuch. |
68
— —
Die Amerikaner rühmen ſo gern die Einfachheit
ihrer Staats⸗Beamten und die Abweſenheit alles
Prunkes und Luxus in den Wohnungen derſelben. O
ihr ſtolzen Kinder und Sklaven der Freiheit! Kommt
nach Griechenland, und weichet beſchämt wieder über
den Ozean zurück, denn hier findet ihr noch mehr wie
Einfachheit. Dieſer Nomarch commandirt faſt unum⸗
fhränft eine der größten Provinzen des Reichs, war
früher, nachdem er fein mebdizinifches Studium in
Deutfchland beendigt, Theilnehmer an der Revolution
yom Anfang bis zu Ende, während derfelben eine.
Zeitfang Minifter, und paffırt mit Recht für einen
der ausgezeichnetfien Staatsmänner Griechenlands, !
Demungenchtet ift fein Palaft nur ein unanfehnliches
Lehmhaus mit einer Beranda, die auf rohen Baum
pfählen ruht. Es war ſechs Uhr, als ich ihn betrat,
und ägpptifche Finfternig berrichte im Vorhaufe. Nach⸗
dem ih, behutfam vor mir hinfühlend, mit Mühe
eine Art Hühnerſteige emporgeffettert war, drang der
Schein eines entfernten Lämpchens zu mir, und eine
von Schmug firogende Magd fuchte mich oben durch
Geftilulationen abzuwehren, weil ich ihre, zu
ı Er warb noch in demfelben Jahre abgefeht, im Sabre
1838 von neuem Miniſter, und im Jahr 1840 abermals ges
nöthigt, in den Privatſtand zurüdzufehren. Anm. d. Herausg.
bemfelben Zweck an mid) gerichtete Rebe nicht verftand.
Ein zerlumpter Grieche, der italieniſch ſprach, Fam
mir indeg zu Hülfe, und nachdem ich ihm meinen
Wunſch erplieirt, den Herrn Nomarchen zu ſprechen,
wies er auf mehrere niedrige hölzerne Thüren hin,
die laͤngs des Korribors in verfchiedene Gemäder
führten. Ich öffnete die mittelfte, und fah ein Stüb-
den vor mir, wie ed bei und ein armer Student zu
bewohnen pflegt: Dort ſaß der Herr Nomard mit
feiner Fran, die ein Kind auf den Armen. hielt, noch
zwei andere etwas mehr erwachfene Kinder und eine
Magd beim Efien. Ich fah nichts auf dem Tifch, als
eine große irdene Suppenfchüffel, ein Tiſchtuch, das
wenigftens vierzehn Tage gedient hatte, einige hoͤr⸗
nerne Beftede und eine Schäffel in Del gebratener
Sritüre, deren Geruch nichts weniger als. einladend
war. Bon Meubeln befand fi außer dem großen
Eßtiſch nichts in der Stube, ald einige Schemel und
ein verftaubtes, halb verglühtes Kohlenbeden.
Mit vielen Entfchuldigungen, die Familie bei Tafel
geflört zu haben, nannte ich meinen Namen, worauf
der Nomarch, ein Heiner Mann mit großem Schnurrs
bart und geiftreihen Zügen, in einen grünen Ueber»
ro geffeidet, mich freundlich willkommen hieß und in
ein Nebenftühchen führte, wo ein mit grobem Kattun
70
überzogener Sopha ftand. Nah wenigen gewechjelten
Redensarten (in deutfcher Sprache) glaubte ich bie
unwillkürliche Störung nicht verlängern zu dürfen, und
überließ den Groß⸗Funktionair von neuem feiner
Sritüre. Dießmal flieg ich die Hühnerfteige mit weit
mehr Leichtigkeit hinab, da ein Stümpfchen Talglicht,
gleichfam als Repräfentant der neuen Sonne bes be-
freiten Griechenlands, feine wohlthuenden Strahlen
darüber ausgoß.
Das find primitive Sitten, bie ich gewiß zu bes
wundern bereit bin — doch wo möglich von ferne. Ich
füge noch Hinzu, daß der Gehalt eines Nomarchen,
bald hätte ich mich verfchrieben und Monarchen hergeſetzt,
in Griechenland jährlich 1000 Colonaten (1509 Rihlr.
preußifch) beträgt. Außerdem erhält er noch vom
Gpuvernement eine Staatsuniform geliefert, Deren
Werth aber wieder vom Gehalte abgezogen wird. Im⸗
mer noch befier bezahlt, als unfer biefiger Eonfuf, der,
wie er mir verfücherte, ſeit dreiundzwanzig Jahren bie
hohe Ehre gehabt habe, Preußen zu dienen, ohne da⸗
bei auch nur des mindeften Gehaltes noch Entfchädi-
gung, aller Bitten ungeachtet, füh fe zu erfreuen,
obgleich er in biefem Dienfte A000 Eolonaten während”
der Revolution eingebüßt zu haben vorgab. Dieß er⸗
ſchien mir wirflich räthſelhaft, da doch font Preußen,
71
wie weltbefannt, das wahre Eldorado der Offizianten
genannt werden mag, und der bort einmal erlangte
Staatsdienerpoften ein weit fihereres Eigenthum als
ein Rittergut, meiſtens auch weit einträglicher iſt.
Madame Bertiny, die Frau bes franzöfifchen Con⸗
fulats » Chancelierd, hatte gehört, daß ich den grie⸗
hifchen Nationaltanz fehr zu ſehen wünfchte, und war
fo gütig, am griecdhifchen Neujahrstage, ber zwölf Tage
nad dem unfern fällt, einen Fleinen Ball mit ihrer
zahlreichen Verwandiſchaft zu arrangiren, wo es in
jeder Art nationell herging, und ich daher gute Gele-
genheit hatte, mit rumelifchen, feiotifchen und albas
nefiichen Tanzen auch die Acht griechifchen Sitten mehr
als in andern Häufern zu beobachten. Ich fand die
erften wie bie Iegten den mauriſchen Afrika’s fehr nahe
verwandt, auch binfichtlich des natürlichen Anftandes
und der Würde im äußern Betragen, welde bie Be-
wohner aller Gegenden bes Drients auszeichnen, wenn
gleich hier in etwas geringerem Gepräge. In der
Nebenftube des Tanzſaals, beffen Thüren offen ſtan⸗
den, ward nach türfifcher Art Tabak geraucht, die
Tanzmufif, aus einer Violine und Zither beftehend,
war vollkommen arabifch, Die herumgegebenen Erfri-
ſchungen und Süßigfeiten gleichfalls von ähnlichem
parfümirtem Charakter, und berfelbe Löffel diente, wie
2
dort, Mehreren nad einander, um fie zum Munde
zu führen. Auch bie Pantomimen des Tanzes glichen
denen, die ich im Königreich Tunis gefehen, in vieler
Hinfiht. Damen und Herren faßen zwar auf euros
päifche Weife, doch vergaß fich nicht felten ein Bein,
mit unwillfürlicher Unterfohlagung nad) alter mufel-
männifcher Manier, und die Bouquets der Damen
waren ebenfalls nicht, wie bei ung, am Bufen placirt,
fondern unter dem Fes herabhängend nach orientas
liſcher Mode befeftigt. Während der Intervallen des
Zanzes fang eine alte Frau mit einer der durchdrin⸗
gendften Stimmen, die ich je gehört habe, und mit
unermüblicher Lunge griechifche Kriegslieder, bei Denen
Melodie und Singmethode mir durchaus in nichts von
dem Gefange der Beduinen in der Wüfte verfchieben
ſchienen. |
Uebrigens finde ich in Allem, was ich noch hier
von der griechiſchen Geſellſchaft gefehen, dieſe in ihren
Manieren freundlich, zuvorkommend und ohne Präten-
fion, aber freilih an das Zeitalter der Aſpaſia und
bes Alcibiades darf man dabei nicht mehr denken,
Selbſt die Züge der modernen Griechen verrathen
meiftens weit mehr bie Mifhung mit dem Blute ber
Barbaren, die fo Tange bier hausten, als den Urtypug
der Hellenen, wenn überhaupt noch etwas von Diefen
73
bier vorhanden iſt. Gebogene Naſen find an der Tages⸗
ordnung und bie fogenannten griechiſchen höchft felten,
Augen und Haarwuchs aber gemwöhntich der fchönfte
Theil bei Männern und Weibern. Eine der Damen,
Madam Papadiamandopolo, zugleich eine fehr hübſche
Frau mit zierlihem Fuß, zeichnete fich vorzüglich als
Tänzerin aus und erweckte mehreremale ben enthufiar
fifchen Beifall der Gefellfchaft, der fih durch Aus⸗
rufungen des Entzüdend und allgemeines Händellat-
fen Fund gab, Sämmiliche Tänze fahen fi unter
einander fehr ähnlich, und ih kann nicht fagen, daß
fie mir befonderd grazids vorgelommen wären, da
viele Pas mit einwärts geflellten Füßen oder auf den
Haffen gemacht wurden, und bas Beugen ber Kniee,
bis der Hintertheil des Körpers faft den Abfag be—
rührt, worauf dann immer mit einem Schneller der
färkftie Sprung erfolgt — auch ſchwer mit Grazie
auszuführen if. Doc waren einige Bewegungen an-
muthiger, und vor allem gefiel mir der ernfte, Teiden-
ſchaftlich ſchwärmeriſche Ausdruck, den die Frauen ihren
Gefihtern zu geben wußten, wobei dann bie ſchon
öfters gerühmten großen und feurigen Augen der Grie-
chinnen fih volfändig geltend machten.
Am nächften Tage folgte diefem Kleinen Feſte ein
großer Ball bei dem englifchen Conful, wo fafl die
74
ganze Stadt, Eingeborene wie Fremde, verſammelt
war, Ich hatte hier das Vergnügen, bie Belannt-
| fihaft des berühmten Kanaris zu machen, der mit
feiner Eleinen Corvette von 18 Kanonen, dem einzigen
Dreimafter, den bie jegige griechiſche Marine befigt,
in den biefigen Gewäflern kreuzt. Er trug nicht mehr,
wie fonft, die Nationaltracht, fondern nur eine ein-
fache Civilkleidung, und hätte man mich feine Perfon
unter den Antvefenben erratben laflen wollen, ich würde
vielleicht auf ihn gerabe zulegt gefallen feyn. Er ift
ein Eleiner, ziemlich eorpulenter Mann mit einem jo-
vialen, freundlichen Ausdruck des Geſichts und jener
ganz unbefangenen natürlichen Beſcheidenheit, Die trog
dem, was man darüber häufig zu behaupten pflegt,
mit fo hohem Verdienſt und fo großen Thaten nur
felten vereinigt if. Kanaris erinnerte mich in biefer
Hinficht, fo wie auch in feiner übrigen Tournure und
Wefen, lebhaft an Mina, von dem baffelbe galt. Ex
‚bat jest eine ſtark hervortretende Narbe an der Stirn,
von einer ſchweren und gefährlihen Wunde, die er
feltfamermeife voriges Jahr durch einen Fall auf ſei⸗
nem eigenen Schiffe erhielt, während er im Kriege,
unter fo vielen drohenden Gefahren und tolffühnen
Unternehmungen, ftet$ unverfehrt blieb. Er fpricht nur
Griechifch, und begierig, ihm meine tief gefühlte Hul-
75
digung barzubringen, mußte ich mich eines Dolmet⸗
fhers dazu bebienen. Er Iud mich zu einem Beſuche
auf feinem Schiffe ein, bis zu dem ich das Weitere
über ibn verfpare,
Die Königin dieſes Balled, die Schönfte unter
den Schönen, war Kräulein Nina, die reizende Tochter
unferes Wirths, mit der ich den Ball vermittelft einer
Polonaife eröffnete, und nachher auch ihre angenehme
Unterhaltung mehr genießen fonnte, als es fonft ber
Fall gewefen wäre, da fie wegen einer Berwunbung
ihres huͤbſchen Füßchens an andern Tänzen gehindert
wurde. Tarfiga war nicht gegenwärtig, weil fie fich
unwohl befindet; übrigens ſah ich viele mir noch un⸗
befannte Schönheiten, und überhaupt eine reizende
Gallerie rotber Fes. So brillant die Geſellſchaft indeß
war, muß fie doch etwas gemifcht geweſen feyn, denn
man ftahl mir aus meinem Hute ein paar neue pariſer
Handſchuhe von Walfer, die man durch ein dafür zu⸗
rüdgelaffenes horribles Eremplar geflidter patraser
erfegt hatte, ein fehr unangenehmer Verluſt in biefen
von der Eiviltfation entfernten Regionen, wo man bei
vielen Artikeln zu einer früher ganz ungenhnten Spar:
famleit gezwungen wird.
Ich litt in Patras eine ziemlich ange Zeit ſort⸗
während an Kopfweh, was ich hauptſäͤchlich dem Klima
76
—
zuſchreibe, da man ſich der Luft Abends kaum ausſetzen
darf, ohne die eine oder die andere nachtheilige Folge
davon zu ſpüren, und es geht ſelbſt den Eingeborenen
damit nicht viel beſſer. Mein Freund, der junge Arzt,
ſchreibt mir eine gewaltig ſtrenge Diät vor, die ich
auch leidlich befolge, z. B. hat er mir den Wein ver⸗
boten; ich trinke alſo nur Biſchof, in deſſen Bereitung
Lorenzo excellirt, und dem der weiße (denn warum
ſoll es nicht auch weißen Biſchof geben?) Wein von
Zante ein ganz eigenthümlich Föftliches Bouquet gibt.
Es ift fehr Schade, daß bis jetzt Diefer Wein durchaus
aller Verſuche gefpottet hat, ihn weiter als ganz in
die Nähe zu verführen. Auch die türkifche Pfeife unter-
fagt mir der Arzt, ich rauche alfo Cigarren, mit einem
Wort, ich Halte meine Diät wie ein Jeſuit, und be-
finde mich wahrfcheintich nicht viel fchlechter Dabei, als
es ohnedem auch der Kal feyn würde.
Heute ward, nad) Langer Raſt, wieder eine Ex⸗
eurfion nach den Bergen vorgenommen, Wir befahen
zuerft ein zerftörtes Klofter, wo einft ein antiker Tem⸗
pel ftand, von dem ſich noch einige Säulenfchäfte. und
andere Spuren porfinden, fo wie fih auch aus fpäterer
zeit auf den Mauern der Kirche, welche die Türken.
verbrannten, allerlei gemalte Engel und andere himm⸗
liſche Honoratioren in Tebhaften Farben zeigen. Bon
77
bier brachte ung ein fehr ſchlechter, oft mit Dornen
ganz überwachfener und von Bergbächen, die ihre Ufer
abgerifien hatten, burchfchnittener Weg nach einer vos
mantifchen Schlucht des Gebirges, welche ungefähr
zwei Stunden von der Stabt entfernt ift, und wo eine
für die hiefige Gegend anfehnliche Mühle ſich male-
rifh an die Felſen lehnt. Die unglüdlichen Bewohner
berfelben wurden vor einigen Monaten von einer jener
Ränberbanden, die hier im Gebirge immer noch hau⸗
jen, überfallen, und ba bie Beute den Wegelagerern
zu gering fohien, fehnitten fie, nach griechifcher Manier,
dem Müller Nafe und Ohren ab. Wir fahen den armen
Mann felhfi, und hörten feine Erzählung mit an,
die und Lieutenant Tünnermann überſetzte. Als der
Müller feine diden Haare aufbob, fanden wir, daß
bie Ohren wie mit einem fcharfen Rafirmeffer förmlich)
abbarbirt waren, die Nafe aber hatte glüdlichermweife
nod an einer Seite feftgehangen, als Die Räuber Durch
herbeigefommene Hülfe vertrieben wurden, und ed war:
daher möglich geworben, fie, obwohl unförmlich, wie:
ber zufammenzubeilen. Dennoch aber bleibt Der arme
Teufel zeitlebens furchtbar entftellt.
Rechts der Mühle liegt auf hohem Berge ein
Klofter, das feiner fchönen Ausficht wegen berühmt
iſt. Trotz der Unficherheit des Weges fuchten wir ee
78
zu erklimmen, der Tag reichte aber nicht mehr zu, fo
dag wir mitten in den romantiſcheſten Schluchten um⸗
fehren mußten, und bie Stabt erſt im Dunkeln wieder
erreichten, was auch nicht verfehlte, mir wegen der
ungefunden Abendluft am folgenden Morgen eine neue
Migräne, zit- bereiten. |
Ungeachtet dieſes fortwährenden Webelbefindens
mochte ich doch den Befuch bei. Kanaris nicht Länger
aufſchieben. Er fandte uns, ſobald ich ihn durch den
Nomarchen avertirt hatte, ein Boot mit recht nett ge-
kleideten Matroſen, und empfing und dann mit feinem
Heinen Offizierkorps auf ber Corvetie, bie wir im
beften Stande, d. h. fo reinlich und fü gut aufgepust
fanden, ale das alte in ein Kriegsfahrzeug umgewan⸗
delte Kauffahrteifchiff nur geflattete. Die Uniform der
griechiſchen Marine, welche Kanaris heute trug, blau
und roth mit goldenen Epaulettes, iſt geſchmackvoll,
und auf der Orden bes Erläfers eine recht hübſche
Dekoration. Es war indeß doch ein eigenes Gefühl
für uns, diefen berühmten Helden, deſſen Thaten .die
Welt erfüllten, nur ald Kapitain mit bem Kommando
einer jämmerlihen Brigg und ber britten Kaffe des
griechifchen Ordens belohnt, vor mir zu fehen, — da-
bei, wie immer, fo anfpruchslos, ala habe er kaum
79.
— — — — — ——
feine Schuldigkeit geihan.! Er führte mich in die artig
verzierte Kafüte, wo des Könige Bild und das des
Königs von Baiern in deforirten Rahmen hingen, und
ließ uns mit Kaffee auf türkifche Weiſe bewirtben.
Während der Unterhaltung diente uns einer feiner
Offiziere als Dolmetfher. Kanaris fprad mit vieler
Lebhaftigfeit über die zwei verunglüdten Expeditionen
im Hafen von Alerandrien, deren Nichtgelingen ihn
noch immer weit mehr zu fchmerzen fehien, als er über
das, was er vollführte, Genugthuung empfand. Ber
diefer Gelegenheit erwähnte er mit vielen Robeserhe-
bungen des festen Capudan Paſcha's, Tahir Pafeha,
gegen ben Kanaris geftand, nie etwas haben ausrich⸗
ten zu konnen. Dreimal, fagte er, hätten Tahir Pa-
ſcha's Kanonen vor Miffolunghi feinen Schiffemaft
zerfchmettert, und einmal fey er dem Sinken fo nabe
gewefen, daß nur .ein halbes Wunder ihn gerettet.
Bon den Fremden, die für Griechenland gefochten,
erhob er befonders den alten Kapitain Haſtings; we⸗
niger war er von Lord Cochrane erbaut, deſſen Ta⸗
lemen und Triegerifhem Geift er zwar Gerechtigkeit
wiberfahren Tieß, aber doch ber Meinung war, daß
er Griechenland gehemmt und ihm viel inbirelten
ı Kanaris ift jeht Commodore und Befehlshaber der ganzen
freilich nur ſehr diminutiven griechifchen Seemacht.
80
Schaden Dadurch zugefügt, daß er ſich nicht in den
Sinn und die Lage der Griechen habe verfegen können,
fondern von dieſen immer erwartet, daß fie fich gleich
eivilifirten und regulairen Truppen benehmen follten.
Großentheild warb dadurch auch das: Mißlingen der
zweiten alexandriniſchen Expedition herbeigeführt, an-
berntheild durch ben Ungehorfam und das intereifirte
Benehmen einiger der übrigen griedhifchen Kapitaine,
bie alle ihre eigenen Schiffe commandirten, ſich dem⸗
zufolge europäifcher Disziplin nicht unterwerfen, und
nur da der Gefahr entgegen gehen wollten, wo im
glüdlichen Kalle auch ein immediater pecuniairer Bor-
theil für fie felbft zu erwarten ſtand. Aus dieſem
Grunde zündete noch vor der Einfahrt in den Hafen
von Ulerandria einer der griechifchen Brander, welcher
dem Kanaris folgte und, nebft ben übrigen, die ge-
meffene Inſtruktion hatte, nichts ohne feinen Befehl
zu unternehmen, dennod die ald Wachtſchiff davor
poftirte Agpptifche DBrigg an, um baburch den vom
Gouvernement ausgeſetzten Preis zu gewinnen. Dies
gab der feindlichen Flotte den Alarm, und zwang
Kanaris zur fohleunigften Flucht. Lord Cochrane verlor
aber Die Geduld darüber fo ganz und gar, daß er Kanaris
und die mit ihm waren, ihrem Schidfale überlaffend,
mit dem übrigen Gefchwader gänzlih davon fegelte.
81
Biel merfwürdiger war ber erfte Verſuch gegen
Alerandrien, ben Kanaris ganz allein unternommen
hatte. Der Eingang des Hafens von AMlerandrien ift
befanntlich ſehr fehwierig und wegen ber fich häufig
bildenden Sandbänke ftetd wechſelnd. Alle Morgen
legt ſich daher zur Anzeige ber offenen Stelle eine
Barfe dafelbft vor Anker, auf der fich der Hafenfapi«
tain mit einigen Piloten befindet. Dort erſchien mit
feltener Kühnheit Kanaris bei Anbrud des Tages auf
feinem Brander, nahm die ganze Gefellichaft der über-
rumpelten Aegyptier gefangen und zwang fie, ihn zu
begleiten. Alles zeigte fidh feinem Vorhaben im höch⸗
ſten Grade günftig. Schon war unfer furchtloſer Aben-
teurer nicht nur im Angeſicht der Flotte, fondern felbft
einer Sregatte ganz nahe, auf der, wie er durch einen
der Gefangenen erfahren, ein Munitionsmagazin auf:
| bewahrt wurde. Wäre ed ihm: gelungen, biefe anzu⸗
zünden, wie es damals allen Anfchein hatte, fo Eonnte
er nicht nur darauf rechnen, bie ganze Flotte zu ver⸗
nichten, fondern auch einen großen Theil der Feflungs-
werke zu zerfiören, ja vielleicht das Arſenal ſelbſt, in
bem fi) gerabe damals Mehemed Ali in eigener Per-
fon befand, in Brand zu fteden. Man kann fi, mit
folh einem ungeheuern Triumph vor Augen, die Ge-
fühle des getäufchten Kanaris denfen, als ploblin ein
Südsſtl. Bilderfaal. IL
82
„dead calme“, wie die Engländer es nennen, eintrat,
und ſchnell darauf der Wind umſetzte und ihm nun
gerabe entgegenblies. Hiermit ſchwand bald alle Hoff-
mung, die Entdeckung mußte jeden Augenblick erfolgen
und es blieb Kanaris nichts anderes mehr übrig, als
jest feinen Brander felbft zu verbrennen und ſich ſpä⸗
ter, von den feindlichen Kugeln verfolgt, auf dem
Sahne zu retten, was er auch glücklich und mit gerin-
gem Berlufte bemerfftelligte. Den gefangenen Hafen-
fapitain nahm er bis gu einer Inſel des Archipelagus
mit, von wo er ihn an Mehemed Ali zurüdjanbie,
welder dem Unglüdfichen fogleich den Kopf abſchlagen
ließ, Hauptfächlich deßhatb, wie man hier behaup-
tet, weil ber nicht allzu vorfichtige Aegyptier mit
großen Lobeserhebungen die gute Behandlung pries,
die er bei den Griechen gefunden, und der Pafcha dieſes
befannt werden zu laffen nicht für politifch hielt. Bei
biefer Gelegenheit äußerte einer der Anwefenden, Me-
hemed Ali habe kurz darauf, als feine große Expedi⸗
tion nah Griechenland abfegelte, fich eine fehr pom⸗
pöſe und liberale Rede machen laſſen, die er auswendig
gelernt und vor dem Abzuge ſämmtlichen Dfftzieren
mit vieler Würde herregitirt. Am Ende fonnte er ſich
aber Doch nicht verfagen, noch einige extemporirte
Worte hinzuzuſetzen. Dieje lauteten denn auch wieder
83
— — — — ——
vollkommen türkiſch. „Glaubt nach alle dem nicht,“
rief er, „daß, wenn Einer von euch Luft hätte, den
„Kriegsſchauplatz zu verlaffen, er bier nach Aegypten
„uruͤckkehren und dort einen Jufluchtsort finden koͤnnte.
„Jedem, der fo zurückkäme, würde ich unfehlbar den
„Bart roth färben laſſen.“ (Eine elegante mufelmän-
nifhe Umfchreibung für köpfen.) Dies find indeß
griehifche Erzählungen, die Leicht parteiiſch feyn
dürften.
Um noch einmal auf Kanaris zurückzukommen, fo _
hatte es faft etwas Ruͤhrendes, diefen Helden erwäh-
nen zu hören, wie er ſchon, als dreizehnfähriger Knabe
das Seeleben beginnend, ſechszehn Fahre lang Han-
delsreifen- im mitteländifchen Meere und dem atlan-
tifchen Ozean gemacht, und er dann hinzufügte: „Wir
fürchteten uns dabei vor den Barbaresfen, wie Kinder
vor dem Popanz, um fo mehr, da wir gewöhnlich
viel Geld und Gelbeswerth bei uns hatten, und ich
erinnere mich, daB ich einmal, als wir mit dem Auf-
fpannen aller Segel befchäftigt waren, um einem
Piraten zu entfliehen, fo zitterte, daß mir Die Deine
wie Stöde an einander fihlugen. Nachher,” meinte
er lachend, „als ich die Ungläubigen in fo manden
Schlachten näher kennen Yernte, ift mir Aehnliches
nicht mehr widerfahren” Er erzählte und, daß er
84
außer den einzelnen Schiffen brei größere. Flotten
verbrannt, bei Tenedos, Scio und Samos einen Ca⸗
pudan Paſcha, zwei Admirale und einen Commodore
in die Luft gefprengt, außerdem aber aud noch Die
Urſache gemwefen, daß der Großherr einem feiner be-
rühmteften Seeleute, dem Admiral Carali, nebft drei
Sapitainen, die Köpfe abſchlagen ließ. — „Aber,“
fagte er, „was half es ung, fie ernannten immer wie-
der neue Chefs, und zulest hätten wir doch ohne
mächtigere Hülfe unterliegen müffen. Erft die Schlacht
von Navarin entſchied.“
Als ich nach Hauſe kam, fand ich dort, etwas
kontraſtartig mit dem Vorhergehenden, einen jungen
Tuchmacher aus Cottbus auf mich warten, der meine
Unterſtützung in Anſpruch nahm. Dieſer Menſch war
nicht ganz ohne einige Bildung, und ich hörte mit
Bergnügen die Befchreibung feiner Reife bis in dieſe
Gegenden mit an, Er war auf der Donau bis Bel-
grad mit dem neuen Dampfboot gefchifft, von da zu
Fuß nad Conftantinopel gegangen, und dann, nad
Aften überfegend, auf diefelbe Weife bis Smyrna ge-
langt — ein hübfcher Spaziergang! — jest kam er
über Athen bier durch, um nad Trieſt und von da
nad feiner Vaterſtadt zurüdzufehren. Er war ein
großer Freund der Türken geworben, und behauptete,
85
dag man in ihrem Lande, wenigſtens allerwärte, wo
er geweien, nicht nur eben fo fiher als in Deutfch-
land, fondern ald ein armer Mann, der nicht viel
auf fih verwenden fünne, in mander Hinficht beque-
mer und durchaus wohlfeiler reife, auch von den Be-
börden ungleich milder und höfficher behandelt werde.
Häufig, fagte er, habe er Arnauten begegnet, die bort
ben. Dienft unferer Gens d’armes verrichteten, und
benen jeder Reifende feinen Paß vorweifen wmüfle,
was jedoch nie mit Härte verlangt worden ſey; und
wenn man feine wenigen Sachen im Zollhaufe unter-
fuht, babe man ihn fogar nie ohne eine dDargereichte
Taſſe Kaffee geben laſſen. „Kam ich Abends,” fuhr
er fort, „in's Nachtlager, fo ging ich zum Schulzen,
in der Türkei Keino genannt, der mich im Khan un-
terbrachte und auch für mein Eſſen forgte. Oft war
bie Gefellfchaft dort ziemlich groß, wer bezablen
fonnte, gab eine Kleinigfeit, wer nichts hatte, fagte
feinen Danf, und auch das war hinlänglidh. So habe
ih von Conftantinopel big Smyrna nicht nöthig ge⸗
habt, die geringfte Ausgabe zu machen, und fand
naher ben’ Unterfchied in Griechenland defto drüden-
ber.” Mit ganz deutfhem Entzüden fprach der junge
Mann von einigen Gegenden, bie er durchzogen, na⸗
mentlich von einer gewiffen Stadt in Kleinaſien, ic
86
— —— ·— — —
glaube Maniſſa, und ihrer fo hoͤchſt „romantiſchen“
Umgebung; ein Wort, das ich mit wahrer Satisfac⸗
tion aus dem Munde dieſes Tandsmännifchen Tuch:
machergefellen vernahmt. Das Tuch wird zwar tägkich
fchlechter bet uns, aber man fieht, die Aäftbetiiche Bil-
dung fleigt.
Die von mir bei meiner Ankunft vorgenommenen
Arbeiten waren num vollendet, und nebenbei Patras,
fo weit e8 die Yahreszeit geftattete, hinlänglich ausge-
beutet, ich machte daher alle noͤthigen Anftalten, und
feste den 26ften Februar als den Tag meiner Abreife
nah Voſtitza fe. Ich hatte befchloffen, zu Lande zu
gehen, und Lorenzo mit meinen Effecten einen Tag
fpäter mit einem zu dieſem Behuf gemietheten Schiffe
nadhfommen zu lafien. Meine hiefigen Freunde ver-
forgten mich für bie ganze Tour mit Empfehlungs-
ſchreiben, und das erfie Nachtquartier in Voſtitza ſollte
ic) bei dem veichften der dortigen Gutäbefiger, ‚Herrn
Miffanefi, finden, das ich bei guter Zeit, noch vor
Abend, zu erreichen hoffte.
Alles war bereit, und ich eben im Begriff, mei⸗
nem Wirth noch einen Abſchiedsbeſuch zu machen, als
man mir meldete, daß Norma, die ſchon ſeit einigen
Tagen Zeichen gab, daß fie ſich jenem Zuſtande nähere,
bem die Natur bei den Hunden beftimmtere Perioden
87
als bei ven Menſchen angewiefen bat, nit aufgefun-
den werben Eönne, und Francis leider auch fehle, der
ihr wahrfcheinlid voll empressement nachgelaufen fey.
Das Thierftehlen ift hier ſehr gäng und gebe,
und bie Nachricht allarmirte mich daher, befonders
meines Lieblings Francis wegen, ungemein; denn bei
Menſchen und Thieren find es nicht die verbienftvoll-
ſten, ſondern bie anmuthigften, welche Lieblinge werben.
Man verdenfe es mir daher nicht au fehr, daß ich fe
oft meiner Hunde erwihne, Es find auch Reifegefährs
ten, oft die ehrlichſten und treueſten von allen, und ich
behaupte fogar, daß es ſehr menſchlich if, Die
Hunde zu Heben. Dann beſteht mein größter Feh⸗
ler und baher auch meine größte Dual in einem jchwer
zu befämpfenden Mißtrauen gegen mich jelbft - wie
gegen Andere, und nur den Thieren gegenüber, bie
feine DBerftellung lennen, fäls dies weg, und ſetzt
mich mit ihnen wenigfkend immer vollfiändig. & mon
aise. |
Meine Abreife aufzuſchieben, war natirlich bie
erfte unumgänglidhe Folge des Gefchehenen;: ich ſelbſt,
Lorenzo, die Leute, alle eilten nach verfchieitenen Rich⸗
tungen in bie Stabt und fuchten mehrere Stunden
lang, doch ohne Erfolg. So verging der ganze Tag
unter wahrer Angft und Sorge, und wenig beruhigt
83
durch alle gemachten Vorkehrungen, legte ich mich mit
fchwerem Herzen zu Bett. Defto größer war meine
Freude am andern Morgen, als Lorenzo mir fogleich
beim Erwachen froblodend die Nachricht brachte, daß
fhon um fünf Uhr früh die beiden Flüchtlinge in
großer Eintracht im Hofe erblidt worden wären, und
jest, beide eingefperrt, im Begriff zu ſeyn fchienen,
die von mir fo fehr gewuͤnſchte Nachkommenſchaft in’s
Leben zu rufen. „Unter foldhen Umftänden,” fette er
lächelnd hinzu, „wird die Reife wohl noch einige
Tage länger aufgefchoben werden müflen.” Ich fand
dieß ebenfalls billig, und da ohnedem das Wetter ab-
fheulih geworden war, Schnee und Regen an bie
Fenſter fhlugen, und der Sturm faft das Haus um-
warf, fo lieg ich wieder einen Theil meiner Sachen
auspaden, und etablirte mid von Neuem auf unbe-
flimmte Zeit bei unferm gütigen Conful.
- Richt wenig aber fühlten wir uns alle betreten,
als gegen Abend eine der unermwartetften Nachrichten ı
einlief, die einen neuen Beweis zu geben fehten, daß
Norma wirklich mit meinem Schußgeift im Bunde
fieben muͤſſe. Ich erzähle Fein Mähren — der offi-
zielle Bericht über die Begebenheit, ben mir der Eon-
ful und fpäter der Nomarch mittheilte, wird ohne
Zweifel bald die öffentlichen Blätter Griechenlands
89
füllen, doch halte ich es für nicht überflüffig, bier ben
Driginaldrief Herrn Miffanefl’s felbft einzufchalten,
den er einige Tage fpäter an den in Patras etablirten
Engländer Heren Wood ſandte, und. deffen wörtliche
Ueberfeßung ich der Güte der fhönen Fräulein Nina
verdanfe. Diefes Schreiben verräth zugleich eine Würbe
und Gelaffenheit bei fo großem Unglüd, bie in mei⸗
nen Augen etwas wahrhaft Antikes bat.
Herr Miffanefi an Herrn Wood.
„Am 15ten biefes Monats, Mittwochs um ſechs
Uhr Abends Calfo nur eine Stunde fpäter an
demfelben Tage, wo ih bei Herrn Miffe-
nefi einzutreffen gedachte), als ich in Gefell-
fhaft meiner Familie und des Herrn Panagin Krifan-
thopulo in meiner Arbeitsftube faß, öffnete ſich bie
Thür und ein Fremder blickte herein. Sch glaubte,
er fuche Jemand, und nahm Leine weitere Notiz davon.
Doch ward ich bald meinen Irrthum gewahr, denn
als ungefähr eine Viertelſtunde fpäter meine Tochter
Zoe hinausging, um ein Glas Waffer zu holen, ward
fie durch die Erfcheinung zwei bewaffnetier Männer
erfhredt, die ihr zuriefen: „Steb Here!” Augenblid«
lich die Gefahr einfehend, fprang fie in's Zimmer zus
rück, mo wir faßen, und indem fie den Riegel vor⸗
90
ſchob, rief fie ung ängſtlich zu: „Bater, es find Räu⸗
ber im Haufe!” Ich verbarrifabirte fogleich die Thüre,
und bie Fenſter Sffnend, ſchrien wir Alle nach der
Stabt um Hülfe. Unterdeſſen hatte mein Neffe Marko
und fein Mufifmeifter im Nebenzimmer den Larm pe-
hört, und beide eilten zu fehen, was vorfiele; fie wur⸗
den aber fogleih von den Räubern ergriffen, ſchwer
verwundet zu unferer Thüre gefchleppt, und dort ge-
zwungen, ung zuzurufen, daß, wenn wir nicht ſogleich
öffneten, die Klephten ihnen augenblicklichen Tod droh⸗
ten. Zugleich hieben dieſe mit einer kleinen Art ein
Loch in die Thuͤre, während ihre Gefährten zum Fen⸗
ſter hinein ſchoſſen, bei welcher Gelegenheit mein Seh
Sotirios von drei Kugeln in der Bruft niedergewor⸗
fen wurde. Da ih ſah, daß keine Hülfe yon außen
fam, und mit Recht fürchten mußte, daß, wenn vie
Räuber mit Gewalt einbrängen, Teiner von ung in
ihrer Wuth verihont werden würbe, fo oͤffnete ich
jegt die Thäre ſelbſt. Bier vom Kopf bis zu ben
‚Süßen bewaffnete Männer mit gezogenen Säbeln dran⸗
gen bereit, unb riefen: „Der mit deinem Gelbe, ver:
dammter Hahnrei!”ı Sie machten hierauf, wild ihre
ı Ein Favoritſchimpfwort der gemeinen Griechen, welches
natürlih Miß Nina nicht verfiand, und ich mir daher andern
Oris überfeben laſſen mußte.
91
Säbel ſchwingend, Miene, mich niederzuhauen, als
meine Tochter Zoe vorſprang, um mich mit ihrem
Körper zu decken, wobei ſie tief in Bruſt und Schul⸗
ter verwundet ward. Ich redete den Wüthenden, ſo
viel ich konnte, gütlich zu, oͤffnete mein Bureau und
gab ihnen nach einander 1350 Franken, 1000 Colona⸗
ten, 145 Sovereign's und 8 fpanifche Dublonen. Meine
Antifenfammlung nebft unfern Uhren hatten fie ſchon
felbft genommen. Sie waren aber auch hiemit noch nicht
zufrieden, fondern verlangten außerdem den Schmud,
‚mit dem wir geprahlt hätten, als der König bier
durchgefommen fey.” Zoe gab ihnen biutend und halb
obnmädhtig die Schlüffel, Nun erft fingen die Bewoh-
ner der Stadt mit einigen Gensd'armen an, fi auf
dem Platze um das Haus zu verfammeln, und ed nad
‚ und nad) zu umzingeln. Pilatus Bruber, Ricolt, ſchlich
durch den Garten, und bis zum Fenfter hinaufkletternd/
das auf bie Haustreppe fieht, erblidte er den Anfüh-
rer der Räuber, Sotirios Kondroyanni, wie er eben
zu Zoe's Zimmer binaufftieg, um den Schmud zu
bolen, Er prüdte fein Gewehr auf ibn ab und vers
wunbete ibn fo ſchwer, dag er auf der Stelle zufam«
menſturzte. Seine Gefährten ſprangen ſogleich zu fei-
ner Unterflügung herbei, und während fir mit ihm
befehäftigt waren, bradite ich ihnen einige Flaſchen
1)
92
Rum, wovon Alle haſtig ſo viel genoſſen, daß ſie ſich
bald größtentheils im Zuſtande halber Trunkenheit
befanden. Doch kehrte Jeder, bis auf den Verwun⸗
deten, kurz darauf an ſeinen Poſten zurück, das Haus
weiter durchſuchend, während ungefähr eine halbe
Stunde nachher noch zwei derſelben durch Schüſſe
von der Straße getroffen wurden. Sie begannen nun,
nach vollbrachter Arbeit, ganz ruhig mit dem Volke
außerhalb zu kapituliren, und erboten ſich, daß, wenn
man ihnen bie Herren Michael und Mitri Meletopulo
als Geißeln mitgäbe, bis fie die Stadt hinter fid
hätten, fie friedlich abziehen, fonft aber fih bis auf
den letzten Mann vertheidigen wollten, Während
dieß überlegt wurde, blieb eine Zeit lang Alles ruhig
auf beiden Seiten, und wir riefen aus dem Fenſter
Chirurgen herein, um fowohl unſere Verwundeten .
als die der Räuber zu verbinden, worauf: biefe ung.
endlich, noch immer mehr dem Rum zufprechend, ganz
unbewacht in meiner Arbeitsftube ließen, — Wir nab-
men ohne Zögern die Gelegenheit wahr, um John
über die Terraffe binabzulaffen, der das Volk benach⸗
richtigte, daß nur noch vier Räuber unverwundet übrig
blieben. Nicoli erftieg hierauf augenblidlich die Ter-
raſſe, und war faum in bas Haus getreten, ‘als er
zweien ber DBöfewichte begegnete und fie in ihrem
93
trunfenen Zuftande mit Hülfe unferer Magd Margie
entwaffnete. . est erft fchien die faubere Geſellſchaft
in Allarm zu geratben,.und 309 fih, Geſunde wie
Pleffirte, fliebend in die Sputerrains zurück. Wir
öffneten fhleunig die Hausthür, das verfammelte Bolf
firömte herein und faßte endlich Muth, die Räuber
ernftlich anzugreifen. Nach kurzem Gefecht wurden
bie gefürchteten dret Brüder, Sotirios, Androntos und
Georg Kondroyanni, ihr Better Katfavos, Argiron
Ikonomopulo und Sptini Dragatin gefangen, nachdem
fie noch vorher zwei Bürger Lurba und Sarneli er⸗
ihoffen und mehrere verwundet hatten. Einem der
Räuber gelang es nachher wieder zu entfliehen, wahr-
ſcheinlich durch Einverfländnig mit Einwohnern . der
Stadt. So endete dieſe tragifche Begebenheit. Mein
Sohn Sptirios und mein Neffe Marko, meine Toch⸗
ter Zoe, Jakintho, der Muſikmeiſter und Margio bie
Magd, find Alle mehr oder minder verwundet, und
die Populace, nicht die Räuber, denen man Alles
wieder abnahm, hat fich Die gute Gelegenheit zu Nugen
gemacht, und über A000 Eolonaten an Gelb und Gel-
deswerth aus meinem. Haufe mit fih fortgefchleppt,
ohne daß wir es zu hindern vermochten.“
94
Dieſer Brief iſt nicht nur durch feine reſignirte
Einfachheit auffallend, deren ich ſchon erwähnte, ſon⸗
dern fein Inhalt fcheint mir auch in vieler Hinficht
merkwürdig charakteriftiich für die Sitten und ben
Zuſtand dieſes unglüdlichen Landes zu jeyn, wovon
wir uns in Europa kaum einen Begriff zu maden -
vermögen. Man bedenke, daß bier eine Heine Anzahl
Räuber mit der größten Seelenruhe, mitten in einer
anfehnlichen Stadt, fih über ſechs Stunden in einem
ber anfehnlichften Häufer berfelben aufhielten, waͤh⸗
rend dem zu mehreren Malen ganz gemüthlich mit der
Bevölkerung dieſer Stadt parlamentirten, dabei gelafs
fen aßen und tranken, und felbft Chirurgen zur Ver⸗
bindung ihrer Wunden hereinkommen Ließen, erfi ganz
zulest aber für ihre Sicherheit ernfilih beforgt zu
werden anfingen. Auch haben die Brüder im erften
Berbör ſich noch bitter beflagt, von falſchen Freunden
beirogen worden zu fepn, und furchtbare Rache ge-
droht. Die drei Kondroyanni's waren ſchon lange
der Schrein bes Pelopornes, und fie waren es
auch, welche Dem yon mir erwähnten Müller, fo wie
nod zwei andern Einwohnern der Stadt Patras,
Nafe und Ohren abgefchnitten, und eine Menge ander
ver Räubereien und Morde begangen haben, fo bag
man fie ſchon feit geraumer Zeit für vogelfrei erklärt
9
und zugleid) einen Preis von 6000 Drachmen auf eines
Seden Kopf geſetzt hatte. Demungeachtet mochte Zein
Grieche diefen Preis verdienen, fo leicht ed Mehreren
unter ihnen oft geworden wäre, bis zuletzt die Brü-
der felbſt, durch zu großes Vertrauen auf bie ihnen
zu Gebote ſtehenden Mitiel, ihren Untergang herbei⸗
führten.
Es ift baher klar, daß diefe Menfchen nicht nur
ſpegiellen Anhang hatten, ſondern ſich fogar einer ge-
wiſſen Popularität erfreuten, and mehr als
Das Gpuvernement gefürchtet wurden.
Zu gleicher Zeit mit dieſem Briefe ging auch bie
für das Ganze beunruhigenbe Nachricht ein, daß in
ven nahen Rumelien ein bisher ganz unbekannter
Chef, mit Ramen Eapitain Kutras, aufgetreten fey,
ber zu feinem Probeſtück, an der Spige von mehr als
4100 Mann, das Dorf Lepenu verbrannt, gänzlich aus⸗
geraubt, und, da bie Einwohner geflohen, mit uner-
hörter Graufamkeit ſechszehn zurädgelafiene Kinder
und fieben Weiber niedergemacht babe.
Den Zeitungen nad) befindet fich fafl der ganze
Norden Griechenlands in einem ähnlichen Zuftaube,
und heimlich von den Türken unterflügt, wie man
glaubt, organifiren ſich die fo thöricht verabſchiedeten
früheren griechifchen Nationaltruppen zu einer förm⸗
% _
lichen Revolte im Großen. Dies find unangenehme
Aſpecten für einen friedlichen. Reifenben!
Unter ſolchen Umftänden hielt ich es für gerathen,
vor der Hand Patras noch nicht fo fchleunig zu ver⸗
Iaffen. Da aber außer den gefellfihaftlichen Berhält-
niffen, mit denen allein meine Zeit auszufüllen ich
nicht vermag — wenig mehr bier zu ſehen, noch zu
thun übrig blieb, vertrieb ich mir die übrige Muße
mit Lectüre. Deiner guten ober übeln Gewohnheit
nad laſſe ich meine Lefer auch gern an dem Theil
nehmen, was ich las; Abwechfelung ſchadet nicht,
denn das Leben ift bunt.
Das erfie Buch, was ih aus bes hülfreichen
englifchen Conſuls Bibliothek erhielt, war: Belgium
und Weſtern Germany, von Miſtreß Trollope,
Ih ergriff ed mit um fo mehr Vergnügen, ba
mir diefer Dame Buch über Amerifa befannt war,
dem e3 nicht an Driginalität fehlt, obgleich ich es oft
zu einfeitig und zuweilen de mauvais goüt gefunden
hatte. So erinnere id mich 3. B., daß ihre zwan-
zigmal wiederholten Befchreibumgen des Spudens der
Amerikaner mir zulegt faſt noch efelhafter vorfamen,
als die Sache felbft.
Das neue Werk täufchte jedoch meine Erwartung
gänzlih. Es bleibt fehr weit hinter dem erften zurüd,
97.
und Miſtreß Trollope’s außerordentlich ſchiefes Lob
Deutſchlands, fo weit fie es ſah, laͤßt fürdten, daß
ber frühere Tadel Amerika's eben fo ungegründbet
ſeyn möchte. Dabei if die burlesfe Unwiſſenheit,
hinfichtlich Tontinentaler Zuflände, bie fi) mehrmals
darin verräth, wahrhaft befremdend. |
In Belgien, wo Miftreß Trollope behauptet, daß
nur einige Sntriguants und bigotte Katholiken die
Reyplution gemacht, die große Totalitit bed Bolks
aber noch immer dem König von Holland mit größs
ter Liebe anhänge, bewundert fie unter andern, bei
Gelegenheit der dortigen neuen Feflungsbauten, „wel⸗
hen Stempel der Größe Alles trage, was von biefem
Könige ausgehe,” ohne zu wiflen, daß der König von
Holland, fo groß er aud ſonſt feyn mag, doch mit
dem Bau der belgifchen Feſtungen wenig zu thun hatte.
Bei Erwähnung der Schladht von Waterloo, wo na⸗
türlich die engliſchen Heldenthaten Durch alle Octaven
hindurch befungen werden, vergißt fie den kleinen
Antheil, den die Preußen daran hatten, vollſtaͤndig,
erzählt uns aber dafür, daß Napoleon, ſprachlos,
Wellingtons Maneuvres anftaunend, commandirt habe:
„Sauve qui peut!“ Als fie durch Quatrebras kommt,
berichtet ſie, „daß hier zwei Tage vor der Schlacht
von Waterloo Blücher aufs Haupt geſchlagen worden
Suboſtl. Bilderfaal. II. 7
—
ſey,“ und dergleichen baaren Unſinn mehr. Die deut
ſchen Gärten findet fie weit prachtvoller ads. die eng⸗
liſchen, ſelbſt das Tächerlich überlabene, geſchmackloſe
und vernachläßigte Schwetzingen, und wurdert ſich,
daß man in Caſſel, nach ihr der fchönften Stadt ber
Erde, die Hausthüren offen laſſen Fönne, ohne besaubt
zu werben. „Und doch,“ ſetzt fie triumphirend hinzu,
am allen Reformern und Eonftitutionellen durch dieſe
Bemerkung das Garaus zu machen, „doch hexrſcht
bier eine ganz deſpotiſche Regierung!“ Dieſe Bemer⸗
kung macht ſie im Jahr 1833.
Die großen Elogen, welche ſie hierauf der unter⸗
druͤckten Freiheit der Preſſe und noch mehr der ge⸗
feſſelten Erziehung der Jugend in einigen Theilen
| Deuiſchlands ſpendet, ſind nur folgerecht, deßhalb
jedoch nicht mehr, und am wenigſten aus einem eng⸗
liſchen Munde, erquicklich. Die Weitſchweißgkeit ihrer
Beſchreibungen aber, die unertaͤgliche Ausdehnung
ſelbſt der am ſich intereſſanteren Artilel, die Einen
fortwährend an jene Fabrilen erinnern, wo ein Heis
nes Stüd Gold fo lange buch prefiende Rollen ge⸗
zogen wird, bie es in viele hundert Ellen Faden
‚umgewandelt iſt — laſſen faſt vermuthen, daß dieſes
Buch mehr eine Speculation auf ben früher erlangten
Namen feyn möchte, als ein Werf aus echtem inneen
9
Drang geſchrieben. Ein ſolches fällt wie eine reife
Frucht vom üppig wuchernden Baum, wäre biejer
auch nur der geringften Art; das andere aber gleicht
der geſchmackloſen Pflaume, die mit Dünger im Treib⸗
haus getrieben wurde.
Eine hoͤchſt ridicüle Geſchichte mit einem gewiſſen
Kaſpar Melchior am Rhein gibt einen guten Maßſtab
für die Oekonomie ab, mit ber bie. Engländer heut zu
Tage reifen. .Mr&. Trollope Cheifäufig der wenig
vornehm. klingende Name für eine fo große Verehrerin
des ariftofratifchen Abſolutismus) Hatte, auf einer
Ercusfion, bei beſagtem Melchior nehſt ihrer Beglei-
tung ein Zimmer benust, um „Schnaps“ mit Mil
zu teinfen, bie beibe von ſchlechter Qualität erklaͤrt
werben, !: worauf die Gefelfchaft ihre Mäntel zurüd-
ließ und ihre Luſtpartie weiter verfolgte. Als fie
wieder zurückkommt, forbert ber böfe Kafpar einen
halben Thaler für Obdach und ben genoffenen
„Schnaps. Mrß. Trolfope, entrüftet über dieſe exor⸗
bitante Rechnung, Iegt, wie fie behauptet, „weit mehr
als die Wanre werth war, aber doch nur die Hälfte
des Geforderten,” alſo ſechs gute Grofchen auf ben
Tiſch und macht ihr exit. — Kaum find jedoch die
ı Dies Getränk feheint ihr übrigens befonders zuzufagen,
denn auf dem Broden genießt fie es wieder.
10900
— —— ——
Reiſenden im Boote angelangt, als, gleich dem Geiſte,
welcher fein ſilbernes Bein nicht fahren laſſen wollte,
der fürchterliche Kaſpar — von dem nachher chari⸗
tablerweiſe beigebracht wird, daß er im Verdacht meh⸗
rerer geheimen Verbrechen, unter andern eines Mordes
ftehe u. ſ. w. — mit wüthender Geberde hinzukömmt,
den Strick ergreift, mit dem das-Bont noch am Lande
befeftiget war, und ungenügfam auf feinem vollen
halben Thaler beſteht. Er iſt indeß nur ein fleiner,
fhwader Mann, der bloß einen athletifchen, aber
abmwefenden, Bruder bat, und bie beiden ftarfen
jugendlichen Bootsleute wären hinlänglich gewefen,
ihn mit Leichtigkeit zu ecrafiren. Doch Miſtreß Trof-
Yope, um Blutvergießen zu verhindern, entſchließt ſich
großmüthig, ein Opfer zu bringen. Sie entfaltet die
Schnur ihrer Börfe von neuem, und die fehlenden
ſechs Grofchen werden dem Ungeheuer Kafpar ausge
zahlt. Bei alle dem fcheint fie fpäter wieder einige
Neue über diefe rafhe That empfunden zu haben,
denn fie geht auf: dem DMeäufefelfen lange fehr. ernftlich
mit dem Gedanken um, Kafpar nachträglich noch pro-
zeffualifdy zu verfolgen — bis die Betrachtung, „daß
fie fi in St. Goar in Preußen befinde, der Miffe
thäter Kaſpar aber ein naffauifcher Unterthan ſey,“ fie
definitiv beftimmt, die unangenehme Begebenheit für
101
—— u en er
immer zu verſchmerzen. Wie man fieht, hat fie aber
ben Erſatz des gemachten Verluſtes doch noch geſchickt
threm Buchhändler aufzubürden gewußt.
Der Billigkeit gemäß geftehe ich auf ber andern
Seite, daß zuweilen in diefer vewäflerten Brühe doch
hie und da einige Fräftigere Broden umherſchwimmen.
Nicht unwibig 3. DB. ift die Weberzeugung der
Berfafferin, „daß die Holländer, wenn fie je das Un-
glüd hätten, kdolaters zu werden, gewiß fofort Seife
und Waffer anbeten würden,” und ganz ber früheren
zrollope würdig iſt eine fchlagende Bemerkung über
deutſche „Tradesmen.” Als Parantbefe bemerfe id;
vorber, daß diefes Wort in dem Sinne, den es in
England hat, ohne Umfchreibung wicht hinlänglich in’s
Deutſche zu überfegen if. Es bedeutet alle diejenigen
Leute, welche nicht unabhängig von ihrem Vermögen, .
ſondern son irgend einem untergeorbnneten Gefchäft,
Handel im Kleineren, Handwerk u. |. w. leben. Es ift
in gewiſſer Hinfiht der Gegenfag von Gentlemen,
und Aerzte, Advokaten, Doktoren, Banquiers, Künft-
ber. und Bücherfchreiber werben nicht bazu gerechnet,
jo viel ih. weiß — alfo: „Ein deutſcher Tradesman,“
ſagt Miſtreß Trollope, „hat nie die mindeſte Präs
tenſion, für einen Edelmann gehalten zu werden,
und ein deuiſcher Edelmann nie die mindeſte Furcht,
1082
für einen Tradesman gehalten zu werben; barin aber;
glaube ih, Kiegt der Grund, weicher einen fo merk⸗
würdigen Unterfhied zwiſchen einer gemiſchten engli-
ſchen und einer gemiſchten beutfchen Geſellſchaft her-
vorbringt.” Wer England kennt, wird dies hoͤchſt
treffend finden.
Nicht ohne Nutzen muß endlich das Buch, als
eine Art guide des voyagenrs, für alle diejentgen
feyn, welche den Rhein bereiſen wollen; denn an den
weitläuftigſten und langweiligſten Notizen in bieten
Hinficht fehlt es nid.
Nach der vorliegenden Probe meiner Nezenfenten-
Kaparität, deren NRefultat, mit einem Küchenausdruck,
füglich: esealopes-de Trollope genannt werben koͤnnte,
wollen wir uns wieber nach den griechifchen Wege-
lagerern umfehen.
Man hatte alle fünf Gefangene nach der Corvette
des Rapitain Kandrid gebracht, wo ich fie einige
Tage nach ihrer Ankunft mit dem Nomarchen beſuchte.
Wir erfuhren bier, dag bie brei Konbroyanti’s nad
vier andere Brüder haben, wovon zwei, bie gleid
berüchtigte Räuber find, bereitd auf dem Pakamid zu
Nauplia in Ketten fißen, zwei aber ſich bis jet ruhig
dur ihrer Hände Arbeit nährten. Alle aber, bis
auf ben allerfüngften, waren vorher ‚Soldaten oder
103
— i
Anführer in dem griechiſchen Nationalcorps, welches
die Regentſchaft in einer üblen Stunde verabſchiedete,
— und ihrer. Angabe nach hätten fie nur deßhalb ihr
jetziges Handwerk. begönnen, dann aber, um ihre Brü⸗
der zu rächen, es fortgeſetzt. Doch mag Dies nicht
ganz rihtig feyn, da bie äkteren Brüber fon unten
Capo d'Iſtria einmal daſſelbe Geſchaͤft bettieben. Mon
brachte einen nad dem andern einzeln zum Berkör.
herauf. Der ältee der Brüder, ein Fleiner dicker
Mann, weicher nur Leicht am Kopfe bieffirt war, fah
liſtig aus, haste aber im Uebrigen eiwas ganz Out-
möthiges,. und, wie alle drei Brüder, geſchonte weiche
Hände und Anpand in feinem Benehmen, fo daß das
Berhör ganz das Anfehen einer bloſen Converfation
gewann. Man nennt ihn den. Kopf, fo wie ben
zweiten Drubet den Arm Ber Bande, und beide ent⸗
ſprechen ber Richtigkeit dieſer Begeichnung. Anbrontos
ſuchte indeß fo viel Unbedeutendheit als möglich zu
affeetiren, ſprach imner von Sotirios als bem Ans
führer, und klagte ſich ſelbſt großer Furchtfumkeit am.
Als fein vollſandiger Gegenfag erſchien fein. Bru⸗
ber, der bei einem frͤhern Verhör, auf dir gdmöher:
Be Frage nach feinem Nanten, äntwandeti: . „Apns:
brayani, ter erfie Mükber. im Peloponnes!“ Es
- war ein großer, fehöner Mann von 22 Jahren und
104 .
Apolloniſchem Wuchs, nur entftellt durch den böfen und
graufamen Ausdruck feiner ſchwarzen, etwas ſtarren
Augen. Auch foll er es beſonders geweſen feyn, der
ftets fo viel Gefallen an ber Operation: des Nafen-
und Ohrenabſchneidens zeigte, Obgleich eben fo ge: .
fährlich als föhmerzlich verwundet — denn bie eine
Kugel des Nicoli hat ihm ben Oberfchenkel faſt zer-
fihmettert, die andere noch edlere Theile ‘getroffen —
leichenblaß, oft einer Ohnmacht nahe, und ſichtlich
unter den heftigſten Qualen in das Zimmer getragen,
verließ ihn doch ſein Stolz und die barbariſche Würde
ſeines Betragens keinen Augenblick. Im Winkel der
Stube mit nackten Beinen, die eben fo ſehr durch die
Schönheit ihrer Form, als ihre biendende Weiße auf-
fielen, auf feinem biutigen Hemde liegend, und felbft
während des Verhörs fo flarf biutend, dag man nach⸗
ber ben Fled, wo er gefeffen, mit heißem Wafler
aufwaſchen mußte, hätte man doch, wenn man bloß
nach feiner Phyſiognomie geurtheilt, ihn eher für einen
verwunbeten und gefürchteten Chef. in ber Mitte feiner
Untergebenen, als für einen gefangenen und für vogel-
frei erklärten Miffethäter hätte halten mögen, ber in
kurzer Zeit feiner Hinwichtung 'entgegenficht: Er Tieß
fih nur auf wenige, mit fehr übler Laune gegebene,
Antworten ein, wies auf-feine Wunden, und bat mit '
108
— — — — —
einer veraͤchtlichen Miene wenigftens um einen Stroh⸗
ſack, da, wie es ſcheint, er bisher im Swciffsraum
auf den harten Dielen liegen mußte.
Georg, der dritte Bruder, war ein ebenfalls hoch
gewachſener hübſcher junger Menſch von 18 Jahren,
der im Geſicht wie ein Maͤdchen ausſah, und durch
ſeine Unbefangenheit, ja Heiterkeit, und das verfchämte
Lächeln, mit dem er auf mehrere ſcherzhafte Kragen,
die man an ihn richtete, antwortete, das größte Mit:
leid erregen mußte; denn von Kindheit an dem Bei⸗
jpiele feiner Brüder folgend, Fann man wohl annehmen,
daß er Taum etwas Anderes vom Teben weiß, und daß
ihm daher, moralifch betrachtet, wenig zugerechnet wer:
den darf. Unter diefen Umfländen iſt es hart, ein fo
junges Blut der Gerechtigleit zum Opfer fallen zu fehen.
Die andern beiden Räuber erfchienen neben dieſen
drei Hauptacteurd nur wie Statiften. Doc erregte
der Eine derfelben ein wahres Grauſen durch ferne
furchtbare Entſtellung. Er war hinter dem Ohre durch
den. Kopf gefchoffen und fein Geficht ſo entſetzlich an⸗
geſchwollen, daß es mehr der Schnauze eines. wilben
Tieres, als dem Antlig eines Menfchen glich‘, eine
Taͤuſchung, die noch durch ſeine vergeblihen Berfuche,
zu-fprechen , vermehrt wurde, da fie fich alle bloß in
einem hohlen Grungen verloren:
186
Der Andere erſchien als ein fehr: auflänbiger
Mann, und behauptete, durch die Kondrsyandi’s gu
der Erpedition gegen Miffanefl gezwungen worben zu
feyn. Doch lachte der Nomarch zu dieſem Borgeben,
und meinte, feine ganze Familie fey bereits als ver⸗
wegene Klephten berüchtigt. | '
Die Art, wie man mit den Räubern umging,
war ſehr human, ja in. gewiſſer Hinſicht ſchien fie. mir
es faft zu fehr zu ſeyn; denn die Herren, melde fie
befragten, ſcherzten häufig lachend mit ihnen, und bes
handelten fit mit..der wohlwollendſten Familtarktät,
was mir bei biefer Rage der Dinge faft einen ſchauer⸗
lichen Effect machte. Es ift jedoch bei der hieſigen
Nationalität nöthig, weil man auf anders Weife gar
nichts yon ihnen erfahren würde, und daher nur hie
und da etwas mit Lift von ihnen hexrauszulocen iſt,
was um fo. widhtiger wird, da man nicht zweifeln .
batf, daß ihre Ennkerisnen mit den: Einwohnorn ſchr
weit verzweigt find. Das für ung Metkwuͤrdigſte ihrer
Ausſagen beſtand in Folgendem.
Die drei Bruder hatien fich auf: dem Dall ves
engliſchen Conſuls, deſſen ich erwähnt, auch: einge⸗
funden, im Hofe unter die Dirner gemiſcht, und wur⸗
den nur Durch einen Zufall verhindert, ſchon damals
fih irgend eines der angeſthenſten Fremden im Orte
167
zu bemächtigen, ben fie zu fangen wünſchten, um damit
ihre beiden auf der Feſtung figenden Brüder einzulöfen,
wozu ein Grieche, wie: fie meinten, nicht hinlänglich
wichtig genug ſey. Welche Rinaldoſecene wäre es ger
weien, wenn plöglich der fchöne Räuber mit feinen
bewaffneten Befährten in den Saal getreten, amd ſich
bort ein Opfer auserfehen hätte: In ber allgemeinen
Berwirrung und ohne Waffen würde vieleicht der
Widerſtand nicht fehr furchtbar für bie Ränder aus⸗
gefallen ſeyn.
Wir konnten ung nun leicht denken, wie erwünſcht
ihnen meine Reife nach Voſtitza hätte kommen müſſen,
denn eine beſſere Gelegenheit, ihren Zweck zu erreichen,
konnten fie in dieſem Augenbitd ſchwer finden — wir
aber waren fehr zufrieden, ihre intereffante. Bekannt;
ſchaft auf der Corvette des Kapitain Kanaris ſtatt in
Miſſaneſi's Haufe ober im ben Engpäffen der Verg⸗
ſtraße gemacht zu haben.
Der Nomarch, der, wie wir wiſſen, ſelbſt Arzt
if, fuͤßlte den Verwundeten theilnehmend an den Puls
und gab ihnen Arzilichen Rath, haste aber außerdem
noch einen Ehirurgus mit Rh, der ihre Verbindung
Geforgte. Bei diefer Gelegenheit erfuhren wir ben
jonderbaren Umftand, bag Kanaris auf feinem Schiffe
gar feinen Wundarzt hält, weil Offiziere und Mannſchaft
108
Seinen haben wollen. Sie können ſich felbft Furiren,
fagen fie, und. ein folcher regulairer Chirurgus quäle
fie nur und halte ihre Krankheit hin. Diefe Abnei-
gumg des griechiſchen Militaird gegen Aerzte ift wirk⸗
lich ergöglih. Man hat in neuefter Zeit, den früher
gemachten Fehler einfehend, wieder angefangen, Na⸗
tionaltruppen anzumwerben, und zwei Bataillons errich⸗
tet, welche von den Baiern nur kurzweg die Fuſtanell⸗
Bataillond genannt werden, ! und wovon eind in
Rumelien jetzt gegen die Snfurgenten gebraucht wird.
Es war dieſem Bataillon ein baierfcher Militairarzt
beigegeben worden, den jeboch der Befehlshaber ſchon
nad) den erftien zwei Märfchen nach Miffolunghi zu-
rüdihidte, wo er auch mit all feinem Apparat bie
zu ihrer Zuxückkunft müßig verblieb. „Was foll ich
mit Ihnen anfangen?“ hatte der Hauptmann zu ihm
gefagt, „durch die Felſen mit ung klettern Tönnen. Sie
nicht, gebe ich Ihnen und Ihrem Pferde gehn Mann
Gölorte, fo muß ich biefe entbehren und risfire bei
der Schwäche berfelben, daß fie mit Ihnen von ben
erſten beften Rebellen niedergemacht wird, denen Sie
begegnen; kuriren werben ‚wir und übrigens ſchon
felöft, eilen Sie alfo, dag Sie fo ſchleunig als möglich
1 Bon der Art Schürze, welche die Griechen tragen, die
fastanella heißt.
109
Miſſolunghi wieder erreichen.” Eine ſolche Sorglofig«
feit und gelegentliche Selbfthülfe ift gewiß eine vor⸗
treffliche foldatifche Difpofition!
Einige Tage später fand dad große politifche
Fe der NReugriehen zur Feier der Landung König
Dttv’d in Nauplia ftatt. Kirchen » Jeremonieen, Pros
zeffionen, Uniforms und KRoftiime-Ausftellung aller Art,
nebft Freudenſchüſſen aus Gefhüs und Gewehren von
Früh bis Abend, nahmen den Tag ein, den gutes
Wetter begünftigte; und des Nachts ſchloß ihn ein
Ball für 300 Perfonen bei Herrn Fachoͤri, wo unter
andern Beluftigungen auch eine Pharaobank vielen
Beifall fand; denn die Griechen lieben das Spiel.
Der ruffifhe Coyful erzählte mir bei dieſer Gele—
genheit eine komiſche Weife, mit der man in Ruß—
land das polizeiliche Verbot des Hazardſpiels um⸗
gebt. ine gefchloffene Geſellſchaft macht ihr Arran-
gement mis dem Wirth einer Taverne, und fpielt
bei ibm ohne Geld, nur um — Limonade, wovon
das Glas feinen beflimmten gewöhnlichen Werth hat.
Man fest aber oft 10— 20,000 Gläfer auf eine
Karte, und beim Nachhauſegehen wird vom Wirth
der flattfindende Verluſt oder Gewinnft bei Jedem ein-
getragen. Will Einer bezahlt feyn, jo erhält er, nad)
dem Werth der Släferanzahl berechnet, auf der Stelle
110
fein Geld vom Wirth mit dem Abzug gewilfer Pro.
zente, die wohl der allein fihere Gewinnft bei ber
Sache bleiben mögen. Erfcheint die Polizei, fo kann
fie nichts Tonfisciren, denn man unterhielt fi nur
Damit, in geſellſchaftlichem Scherz um einige Limo⸗
naden zu Spielen. |
Hier haben wir wieder Gelegenheit, den Ruffen
etwas Artiges nachzumachen.
No ein. anderes Amüfement fand auf diefem
Balle flatt, worauf wahrfcheinfich nicht vorher ge⸗
rechnet war. Man Tonnte nämlich in einem verräthe-
riſch aufgeftellten Spiegel ein für die geheime Ber
quemlichkeit der Damen beſtimmtes Zimmer ,. deffen
Thüre häufig offen ftand, überfehen; was, bis es ent-
deckt wurde, die fungen Leute faft noch mehr als das
Zangen anzuziehen fhien. Lorenzo machte mir eine
fehr drollige Beihreibung davon, und verſicherte
überdieß, daß eine der Damen, welche ihre Schuhe
gebrüdt, dieſe dort zurüdgelafien und in Strümpfen
weiter getanzt habe. Dies Cepie halte ich jedoch für
medisance.
Am nächſten Abend aß ich außer dem Hauſe; wo
ich. einen Ingenieur⸗-Kapitain antraf, der mit drei
Oberſten, in Dienften Englands, Frankreichs und
Rußlands, feit einem Sabre bei Berichtigung der
111
— [— —
Grenzen Griechenlands im Norden befchäftigt war.
Er gab den Zuftand diefes Landes als im höchſten
Grade traurig an, und hielt ihn überbieg für einen
ganz prefairen, faft nur nominellen Befis. Einen
ſehr üblen Effekt fol, unter andern Maßregeln ber
Regierung, dort auch die Aufhebung aller derjenigen
Heinen Klöfter gemacht haben, welche unter ſechs Moͤn⸗
hen enthielten, und die in einem Lande, wo es feine
Gafthöfe noch Khans giebt, für bebürftige Einwohner
wie Neifende eine ftete und. faft unentbehrfiche Zuflucht
abgaben. Dazu kommt, daß die Mönde ihre Grund«
ftüde gut kultivirten, während dieſe jegt, da ſich
feine Käufer dazu fanden, wäh, wie der größte
übrige Theil ber ungeheuern Krondomainen, liegen,
und dem Gouvernement daher nicht das Mindeſte
einbringen. Dieſes würde alfo weit weiler gehan-
belt haben, bei dem jetigen Zuſtande bes Landes
eine. Maßregel der Art noch aufzufchieben, und ſich
nur damit zu begnügen, einen höhern Zins von den
Mönden zu beziehen, den fie gern gegeben haben
würden, und ber eine realle Bermehrung der Staats⸗
revenüe herbeigeführt hätte. Wie ich erfuhr, hat das
Gouvernement in ganz Griechenland über 400 Heine
Klöfter dieſer Art nicht nur ‚aufgehoben, fondern im
wahren Sinne des Worts vernichtet, d. h. nicht
118
nur für die Moͤnche, ſondern auch größtentheils für
die Eultur.
Der Kapitain fchilderte Die Beichwerlichkeiten feiner
Erpebition als faft unerträglich, mit weit mehr Man⸗
gel, und nicht viel’ weniger Gefahren, ald eine Came
pagne verbunden, und meinte, baß die rurmelifchen
Inſurgenten unter einem vefoluten Anführer leicht den
König Otto mit feinem ganzen Minifterium in Athen
überfallen und mit fi fortnehmen könnten. Er rieth
mir ſehr, die Felſenklöſter von Metheora in Theile
ken zu befuden, wo noch eine Menge Seltenheiten
und merkwürdige Manuferipte mit prachtvollen Male-
teien aufbewahrt würden, von welchen man für Geld
gewiß fih Einiges verfchaffen könnte. Obgleich man
“ nur auf einer 100 Fuß boben gebrechlichen Leiter den
halben Weg hinauf fleigen kann, und dann bie übrigen
40 Fuß in einem Nee bis ganz hinanfgezogen wird,
gelang es doch im vorigen Jahre einem: Räuber, der
felb vorher zehn Jahre Mönch im Kloſter geweſen
war, von ber Leiter aus mit feinen Kameraden bie
Selfen auf eine andere Weiſe zu erflettern, worauf er
fih nicht nur alles Geldes der Mönche bemächtigte,
fondern ſich völlig militairifch im Klofter feftfegte. Der
Paſcha belagerte ihn mehrere Wochen hindurch ver:
geblih, worauf der Abenteurer, als ihm die Sache
113
doch zu lang dauern mochte, in einer dunkeln Nacht
mit allen feinen Gefährten und feinem Raube glüdlich
entfloh. Kapitain W.... kaufte Eurz nachher ein
Pferd yon ihm, deffen Qualitäten er fehr lobte. Das
Räuberhandwerf fcheint in diefen Gegenden ein ganz
reeipirter Nahrungszweig wie jeber andere zu fepn.
So hatte der Kapitain einen dergleichen Araber (Zi⸗
geuner) in feinem Dienft, mit dem er fehr zufrieden
war, nur manchmal feinen Stolz mißbilfigen mußte,
weil er nie Jemand außer feinem Herrn felbft bedies
nen, und einem Fremden nicht einmal eine Pfeife
bringen mochte. Eines Tages aber fagte ihm ber
Mann den Dienft auf, weil er wieder Räuber
werden wolle, was er auch ausführte, jeboch Fein
Glück dabei machte; denn er warb furz Darauf von
den Türken gefangen und von biefen ohne Umfande
erſchofſen.
Durch denſelben Kapitain erfuhr ich, daß im Schloß
von Korinth eine Stube eriftire, Die von einem Geifte
beunrubigt wird, nach dem ich nicht unterlaffen will,
mich an Ort und Stelle näher zu erkundigen. Der
Kapitain ſah ſelbſt zu verſchiedenen Zeiten.drei Leute,
denen das Schlafen darin übel befommen war, und
woyon der Teste, ein griechifcher Gensd'armes, ihn
Südöſtl. Bilderſaal. Il. 8
114
erft geftern von Lutrachi hierher escortirt hatte. Sein
Geficht war über und über gefchwollen, weil, wie er
fagte, der Geift in der Nacht fein Siegel darauf ge⸗
drüdt, indem er ihn mit drei Rüffeln von furchtbarer
Geftalt angefaugt habe. „Ich bin nicht abergläubifch,“
hatte er originellerweife hinzugefett, „glaube aber,
daß weder unfere noch die katholiſchen Pfaffen, noch
ſelbſt Ihre englifchen Philofophen die Sache erflären
fönnen, daß fie aber vollkommen wahr ift, davon bin
ich nunmehr durch eigene Erfahrung binlänglich über»
zeugt.” |
Al die Damen und verlaffen hatten (ein Wink
für meine fchönen Leferinnen), warb noch eine felt-
fame Anekdote erzählt, welche zu charakteriftifch if,
als dag ich mir erlauben dürfte, fie für mich zu
behalten, |
Ein biefiger Grieche, der eine fehr hübſche Frau
bat, lebte vor feiner Verheirathung mit diefer mebrere
Jahre mit einer Maitreffe. Als dieſe feine Abſicht
erfuhr, eine Frau zu nehmen, ging fie zu einer Wahre
fagerin und bat fie, ihr ein Mittel zu geben, das
Herren A...s Cwie wir ihn nennen wollen) Herz ihr
wieber zuwende, und ihm zugleich. feine neue Geliebte
zuwider made. Was die alte Here dem Mädchen für
ben erften Zwed rieth, übergehe ich als zu flarf für
nn na — — —
den Druck; das zweite Mittel aber beſtand darin —
es iſt in der That auch ſcabreus genug — ſich von
der Braut ihres Freundes etwas ſehr Natürliches zu
verſchaffen, was man leicht errathen kann, es in der
Sonne zu trocknen, zu pulveriſiren und Herrn A...
in dieſer Geſtalt mit Kaffee gemiſcht beizubringen.
Alles geſchah nach Vorſchrift. Unglücklicherweiſe für
die Maitreſſe hatte ſie ſich aber von Anfang an ver⸗
griffen, und, ſtatt von ber holden Tochter, das nöthige
Ingredienz von ber alten Mutter erobert. Der Erfolg
war nun bloß, wie Herr A. ... ſelbſt fpäter verficherte,
eine unerflärlihe Abneigung feinerfeits gegen bie alte
Dame, die ihn aber keineswegs verhinderte, Die Tochter
zu heirathen. Es war unvorfihtig von Herrn A....,
die Sache einem muthwilligen Freunde vertraut zu
haben, denn diefer tranf feitbem nie mehr Kaffee
bei ihm, und wenn ihm folder im Haufe offerirt
wurde, hielt er ſtets die Hand vor und fagte:
„3% danke ergebenft, und mein Freund N.... weiß
warum.” |
Faft ale Griehen glauben übrigens an dergleichen
Zanbermittel, und mehrere wollten felbit behaupten,
dag fie nicht nur ungrflärliche Beifpiele von Liebes⸗
tränken, ſondern auch viel unangenehmere von einer
ganz entgegengefesten, Riebetotal verhindernden Wirkung
«
116
gefehen, ja, wenn ich nicht irre, zum Theil felbft er-
fahren hätten.
Die Liebestränke find auf jeden Fall eine ſehr
anmuthige Sade, und ich wünfchte mir wohl, ſchon
der Bequemlichkeit wegen, einige recht große Flafchen
davon. Wie viel Mühe erfparte dieß! |
Zweites Rapitel.
Eine Wintertour im Gebirge des Peloponnes.
„Tell me Benvolio, what
„do You think of these monks?‘“*
Fletcher.
Endlih war zum zweitenmal Alles zur Abreife
von Patras bereit, Abfchied, ſchwer und leicht, war
genommen, der Sinn von neuem aufs Weite geftellt —
da kam noch Abends ſpät der Conſul, unfer Wirth,
eilig zu mir, um mid zu warnen; denn er habe Nach⸗
richten erhalten, fagte er, welche beftimmt verficherten,
die Räuber fegen wieder in ben Bergen; in Rumelien
aber baure das Morden unſchuldiger Kinder und Wei-
ber fort, und man bedrohe jetzt felbft yon dort aus
die Küften Morea’s. In einem Lande, das fih in
118
dem Zuftande Griechenlands befindet, find ſolche Nach⸗
richten zu gewöhnlih, um fie fehr zu berüdfichtigen,
auch hatte ich Feine Zeit mehr zu verlieren, und da
ich überdies vom Nomarchen zwei Gensb’rarmes als
Escorte erhalten, und ber Herr Lieutenant Tünner-
mann mich mit einem feiner Soldaten begleitete, fo
war wenig zu beforgen. Ich Tieg meinen Secretair
mit dem Gros der Effeften zurüd, um mir fpäter zu
Schiffe zu folgen, und begann um neun Uhr früh an
einem Falten und windigen, aber außerordentlich Haren
Tage, welches Iegtere mir in einer noch nicht gefehe-
nen Gegend immer ald das Wichtigfte erfcheint, meine
Reife nach Bolit. |
Da meine Sachen, unter denen fi) auch die Tages
bücher befinden, mir deßhalb eben fo wichtig find als
ich ſelbſt, fo ließ ich den ſchwarzen Schuggeifi Norma
bei ihnen zurüd, und nahm nur Francis mit, ben ih
feiner andern Hut, ald ber meinigen, anvertraue. Ein
eleganter Korb mit feinem Bett war auf einem der
Maulthiere für ihn bereitet, ev mashte aber, troß bes
fchlechten Wetters, keinen Gebrauch davon, und burch-
watete kühn Die beiden Haffiihen Flüſſe Melichos und
Charadros. |
Ungefähr eine Stunde hinter den Schlöffern von
Rhion und Antichion fenten fi die sam Bopibia
119
— —
niederſteigenden Vorberge bis hart an das Meer mit
ſchroffen Abhängen herab, und laſſen kaum fo viel
Platz übrig, um noch trockenen Fußes auf den loſen
Kiefeln durchzukommen. Manchmal muß man aud
das Meer ſelbſt zu Hülfe nehmen, da berabgerolite
Feloblöcke allen Weg verfperren, was alles demunge⸗
achtet hier eine große Poftfirage heißt, und wirklich
eine der frequentirteften im ganzen Lande ifl. Lepanto
lag uns jest jehr deutlich gegenüber, mit bem Dreied
feiner Befefligungsmauern und GCitabelle ganz einer
antifen Stadt gleihend, und noch in aller ber Kahl⸗
beit, wie es Ibrahims Verheerungen gelaflen. haben.
Es war fonft ein Berbannungsort für in Ungnade ge-
fallene Türken, und oft fanden fi ein Dutzend Pa⸗
ſcha's, nad aller Grabation der Roßſchweife, dort
im Eril friedlich vereinigt. Der Lieutenant fagte mir,
chemin faisant, dag man furz nad) Begründung der
baierfhen Herrfchaft in Griechenland auf einem ber
an 500 Fuß über der Stadt liegenden Felfen einen
36 »Pfünder von Bronze fand, ohue begreifen zu kön⸗
nen, wie er dahin gelommen fey. Der feltfame Um⸗
fand warb nach Nauplia gemeldet, und das Genie-
corps erhielt endlich Erlaubnig, zu verfuchen, bie Kanone
durch eine zu bem Endzweck vorgeſchlagene Mafchinerie
nach Leyanto herabsufchaffen. Doc als man ſich nach
180
der Tangen Verzögerung anfchiekte, die Sache in’d Wert
zu fegen, war die Kanone wieder verſchwunden, und
man hat nie erfahren, was aus ihr geworben ift.
Dieß mag wohl das erftemal feyn, dag ein 36⸗Pfün⸗
der geipuft hat.
. Unweit des alten Hafens Panormus und bes Pro⸗
montoriums Drepanon, fo benannt, weil bier Saturn
bie Sichel in's Meer warf, mit der er feinen Bater,
den Himmel, entmannt hatte, erfleigt man einen Hü⸗
gel, von bem man eine weite Ausficht nach dem Innern
bes Golfs bat, und hier zum erftenmal den Helifon
erblickt. Das Land hat die größte Aehnlichkeit mit
Nordafrika. Diefelbe Art Sträucher bedecken es bicht,
bie und da mit der füblichen Kiefer Cpinus maritima)
abwechſelnd, und ber felfige Weg ift ebenfalls nicht
viel beffer, als dergleichen dort zu feyn pflegen. Viele
Stelfen gibt es bier, wo ſich Räuber allerdings fehr
vortheilhaft poſtiren fönnten, und an einem Defilee
dieſer Art, das wir paffirten, hielten während der
Revolution 100 Griechen 8000 Türken einen ganzen
Tag Yang auf. Hier fällt ein Heiner Fluß ins Meer,
welcher der Selemnus feyn kann, von dem Paufanias
das hübſche Mährchen das jungen Hirten erzählt, für
welchen die Seenymphe in Liebe entbrannte und nächt⸗
lich mit ibm am Seeufer fchlief. Als er bald darauf
121
*
Kraft und Schönheit verlor, verließ ſie ihn, worauf
der Jüngling in Verzweiflung ſtarb, und durch Venus
in einen Fluß verwandelt wurde. Wer feitbem aus
biefem Fluffe trinkt, wird yon jeber Liebesfehnfucht ge⸗
heilt, Eifrig Eoftete daher auch ich von dem wohlthä-
tigen Waffer, und ſchon fpüre ich die günftigen Folgen.
Eine Biertelftunde weiter fieht man die Ruinen
zwei türfifcher Brunnen, welche die Griechen thörich⸗
termweife zerflörten; wie auch in der darauf folgenden
Plaine den großen Khan von Lambiri. Leider wirft
man den Griechen nicht ohne Grund vor, in ihrem
Befreiungskriege felbft mehr noch als die Türken ver-
beert, und oft ihr eigenes Land nicht minder audge-
plündert zu haben. Ihr jetziges graufames und Fopf-
Iofes Berfahren in Rumelien beweist daffelbe. Die
fteilen Berge um und ber, welche durchaus nur mit
niedrigem Gefräuh, wie mit gelodertem Haar, be-
wachſen find, geftalten fich oft in fehr pittoresten For⸗
men, und von dem einen berfelben flürzte ſich eine
über 100 Zuß hohe Kaskade herab, die eben jest ziem-
lich waflerreich war. Nachdem man bierauf eine fteinige
Ebene durchritten hat, die ganz mit Fränflichen Ole⸗
anderpflanzen bebedt ift, und auf der ung eine grie-
hifhe Familie, mit Weib und Kind. zu Pferd und
Efel, im raſchen Trabe überholte, kommt man burd)
122
einen breiten Fluß, den Phönix der Alten, und eine
halbe Stunde fpäter Durch einen noch größern (den |
Meganitus), der oft bush jählinge Anfchwellungen
gefährlich wird, fett aber ohne Schwierigkeit zu paſſi⸗
ven war. Bofliga Tiegt hart am Meere auf einem
Borgedirge, von dem ſich auf zwei Seiten der Stadt
eine glatt planirte Ebene durchzieht. Auf der Kante
eines tiefen Präzipiffes ritten wir darüber hin uud
genoſſen eine reizende Abwechfelung verjchiedener Ans
fihten des Golfs und der ihn umgebenden hohen Ge-
birge, bis wir mit ſchon beginnender Dämmerung
das Ziel unferer Tagesfahrt nach fünf Uhr Abende
erreichten.
— — — —
Brief an Lorenzo.
Voſtitza den 1oten Februar.
Die Reiſe bat den gewöhnlichen Effeft auf mid)
gemacht, und ich bin vollfommen wohl. Francis, Gott
Lob! auf. Er trägt mir viele Empfehlungen an feine
junge Negerfrau auf, und Hagt ihr zugleich, heute
| früh heftig von den ungalanten Boftitaer Windhunden
geswidt worden zu feyn, verfichert jedoch, ſich Dabei
nad) dem Maßftabe feiner Meinen Kräfte fehr tapfer
benommen zu haben. Anaftafius zeigt ſich ziemlich
128
eifrig, und macht mich durch bie flete Wiederholung
feines Lichlingswortes: Anzi, fo oft lachen, daß ich
ihm jest ſelbſt dieſen Namen beigelegt habe, und ihn
nie mehr anders rufe.
Seit ih Herrn Miffanef?d Haus. gefehen, ver-
ſtehe ich erſt vollklommen feinen Brief. Die kühne Zoe
iſt Schon wieder hergeſtellt; Sohn, Neffe und Muſik⸗
meiſter aber noch in trauriger Verfaſſung. Die Ret-
tung des erſten gehört faſt in's Reich der Mahrchen.
Der Räuberchef (der ſchöne Sotirios) drückte auf
wenige Schritte ein Tromblon auf ihn ab, das mit
ſechs Kugeln geladen war. Drei davon durchdrangen
ſeine Kleider, zwei trafen die Bruſt und eine die
Schulter. Die zwei auf der Bruſt ſtießen aber beide
auf Rippen, und folgten dieſen rund um den Körper,
fatt in denſelben einzubringen, fo daß fie nachher
beide im weichen Fleiſch des Rüdens herausggeſchnit—
ten wurden. Dem Reffen Marfo if das ganze Ge-
ſicht zerhauen, und ein ungefhidter Chirurgus bat
dem armen Menſchen wahnfinnigerweife das halbe
Ohr und einen Theil der Baden, die noch an ber
Haut hingen, ſtatt fie wieder anzunähen, abgefchnit-
ten, ſo daß der Verwundete jegt auf ewig gräulich
eniſtellt bleiben muß. Einem allerliebften Fleinen Kna—
ben von fünf Jahren wollten die Räuber zuerft den
124
Kopf abbauen, dann ihm Nafe und Ohren abſchnei⸗
den; Doch Zoe, ſich auf ihn werfend, und mit ihren
Armen umklammernd, bat ihn beidemal los. Der
Muth, die Geiftesgegenwart und das savoir faire
dieſes hersifchen Mädchens Scheint die Familie haupt⸗
fächlich gerettet, und den Räubern felbft, während
ihres fiebenftündigen Aufenthalts im Haufe, eine
Art Reſpekt für fie eingeflößt zu haben. Der wilbe Haupt-
mamı fonnte nad feiner Berwundüng, mehrmals ohn-
mächtig werdend, fich, ungeachtet des reichlich zu ſich ge⸗
nommenen Rums, nicht mehr aufraffen; doch birigirte
er noch fortdauernd die Uebrigen, und befahl ihnen zus
Iegt, ala er fand, dag Feine Rettung mehr fey, Alles
im Haufe niederzumadjen, das Haus felbft in Brand
zu ſtecken, und fich lieber ſämmilich unter feiner Aſche
zu begraben, als ſich gefangen zu geben. Glüdlicher-
weife hatten die Räuber nicht Energie genug, dieſen
Befehl auszuführen, fondern trugen den fih Sträuben-
den mit hinab in den untern Theil des Haufe, wo
fie fpäter der Uebermacht erlagen. Herr Miffaneft
behauptet, nur einige Bürger hätten etwas gethan,
bie Behörde nichts, und bie drei anweſenden Gens
d’armes um fo weniger, da fie unter ſich Dreien nur
vier Augen hätten, denn zwei feyen einäugig.
Der hieſige Eparch Cein fehr einnehmender und
185
ganz europäiſch gebildeter Mann) fpricht jedoch, wie
man ſich vorftellen Tann, ganz anders , und meint,
Griechenland ſchulde den Behörden Voſtitza's große
Dankbarkeit, alle drei Kondroyanni’s auf einmal be-
feitigt zu haben, von denen jeder Einzelne der Schrecken
des ganzen Poloponnes gewefen. wäre. „Jetzt berrfcht
überall vollkommene Sicherheit,” ſetzte er hinzu; als
ih aber frug, ob ich, da nun nichts mehr zu befürd-
ten fey, meine Gens d’armes zurüdichiden Tönne, bat
er mich infändig, fie zu behalten, „denn,“ fagte er,
„man könne bei alle dem doch nicht wiffen, was vor-
file" So ſprach auch der Nomarch in Patras, und
behauptete, immebiat por der Bofligaer Tragödie, der
ganze Poloponnes fey fo ficher wie feine Stube!
Was uns betrifft, fo find wir auf dem Wege
hieher allerdings nur einem Räuber begegnet, und
den Hatten zwei Gens d’armes am Stride, um ihn
nad) Patrad zu transportiren. Beim Ueberfall des
armen Miffanefi waren nicht fechs, wie er in der Eil
irrthumlich gefehrieben, ſondern acht zugegen. Einer
von biejen ift der, welder und entgegenfam, zwei
andere find entfloben. Ob fie wieder mehr Anhang
finden werden, ſteht dahin.
Ich bin bei Herrn Lontos abgetreten, an den ich
einen Brief von ſeinem beruͤhmten Bruder hatte, und
126
der felbft auch früher Minifter. des Auswärtigen war
— denn alle Wet frheint bier wenigſtens einmal Mi⸗
nifter gewefen zu ſeyn. Diefer fing ſogar frine. Car⸗
riere gleich mit dem Miniſterium an, ward Dann Chef
eines Juſtiztribunals, und bekleidet jetzt Die Stelle
eines Maire von Voſtitza, ein ungewöhnliches Avan⸗
cement anf abfteigender Leiter. Webrigens ift er Fein
unehener Mann, der außerdem, zu meinem großen
Comfort, geläufig franzoͤſiſch und italieniſch ſpricht.
Er bewohnt ein neues, wunderſchön gelegenes Haus
auf.der Höhe, dem Miſſaneſi's Dicht gegenüber, und
nahm mich fehr gaftfrei auf.
Schließlich mache ich Sie noch darauf aufmerkfam,
Ihr Schiff in Patras ja nicht tageweiſe zu miethen.
Ein Bataillonschef, der dies im vorigen Jahre that,
blieb wit acht Schiffen ſechzig Zage lang!! von
Lutrafi bis Patras unterwegs, was man bei günftiger
Witterung oft in eilf Stunden aurüdlegt. Der Wind
moshte aber diesmal fommen, woher er wollte, bie
ehrlichen. Griechen wußten ed immer fo einzurichten,
bag fie mehr rüdwärts als vorwärts fegelten, bie
man in Patras fhon das ganze Bataillon verloren
gab und für eine Speife der Fiſche anfah.
Sie koͤnnen jest, das Maltaer Paketboot ruhig
abwarten, was hoffentlich Die Briefe, denen wir feit
187
Monaten wit fo viel Sehufucht enigegenfehen, nun
endlich bringen wird. Zum 2öften treffen Sie zeitig
genug bier ein, da ich noch allerlei Ercurfionen in
ber Umgegend vorhabe.
Adien!
C. Rofenberg.
Am nächſten Morgen machte ich einen Spazier-
gang in und um die Stadt, die einige fehr: anftändige
Hänfer hat, und burd) die Schönheit ihrer Lage Pa-
tras noch übertrifft. Die erfte Berüdfichtigung ge-
bührte natürlich der berühmten Platine am Meer,
neben den fünf Quellen, ein Baum, deffen Paufanias
ſchon erwähnen fol, wie man bier verfihert, wovon
ich jedod) in meinem Eremplar nichts auffinden Tann.
Uralt iſt er wenigſtens, denn er mißt jest, eine Elle
vom Boden, über vierzig Fuß im Umfang. Auch hat
er feine vollfländige Krone, und würde vielleicht noch
Sahrhunderte leben, wenn man nicht während der
Revolution den unten zum Theil hohlen Stamm zur
Kühe benugt, und ihn bei diefer Gelegenheit ange-
zündet hätte, fo daß das Feuer bis oben hinaus brannte.
Hiernach find nun bereits drei feiner Hauptäfte morſch
geworben und abgebrochen, und es ift fehr zu befürd-
ten, daß der Reſt, obgleich dem Anfchein nach jest
128
noch gefund, doch in einiger Zeit ebenfalld nachfolgen
wird. Vor zwanzig Jahren ward Voſtitza durch ein
Erbbeben heimgefucht, während welchem das Meer
bis an die Mitte der Felfenwand fchlug, auf der es
fteht, und dabei auch die Platane bis zur Hälfte über-
deckte. Doc widerfland fie der Fluth, wie der Erd⸗
Erſchütterung. Schon im Altertfum, 373 vor unferer
Zeitrehnung, erlitt Aegium (das jegige Voſtitza) bei
dem Erbbeben, welches Bura und Helife gänzlich ver-
nichtete,, eine, ähnliche Kataſtrophe, nur durch feinen
Felſen vom Untergange gefhüst. Wahrſcheinlich war
e8 damals, wo das Meer eine Grotte durch biefen
Felſen grub, die noch jetzt als Straße von den weni-
gen Häufern, die unten am Seeufer ftehen, nach der
höher Tiegenden Stadt hinauf, benugt wird. Wir
pflüdten an ihren Abhängen wilden Goldlack von dem
fügeften Geruch, und ſahen aud, trog ber Kälte,
einige Schmetterlinge die Blumen umflattern.
Nicht weit von der Platane zeigt fh in der Ser
deutlich ein antifer Molo, nur Einen Fuß unter dem
Waffer, den Herr Lieutenant Tünnermann früher ver-
mefien hat. Er ift 20 Fuß tief, 1503Fuß lang, 5 Fuß
breit, und von der größten Feftigfeit. Herr Miſſa⸗
neſi, der feine Waarenhäufer am angrenzenden Ufer
hat, erbot fih unter Capo d'Iſtria's Negierung, den
129
— —
Molo wieder herſtellen zu laſſen, und zugleich einen
Quai zu bauen, zu deſſen Grund er ſchon eine Menge
großer, noch da liegender Steine im Waſſer aufge⸗
ſchichtet hatte, und wodurch er einen anſehnlichen Platz
für Aufbewahrung von Kaufmannsgütern aller Art
gewonnen haben würde, Er verlangte nur von denen,
die ihn benugen wollten, fo lange einen Zoll erheben
zu dürfen, bis fein ausgelegtes Kapital gedeckt ſey,
doch wurde ihm von dem damaligen Gouvernement
die Erlaubniß nicht ertheilt; es iſt ſchwer zu begrei⸗
fen, aus welchem Grunde. |
Auf dem mehrmals erwähnten Felfenabhang geht
an der obern Stadt ein Tanger, ſchmaler, ganz unbe-
fhüster Weg dicht am Abgrunde hin, Ich frug unfern
Begleiter, ob hier niemals Jemand verunglüdt fey?
— „D gewiß,” erwieberte er, „nicht felten fallen Heine
"Kinder binunter und brechen den Hals. Es ift auch
noch nicht lange ber, daß baffelbe Loos einige Ipſa⸗
rioten traf, die in der Nacht ihren Weg verfehlt hat⸗
ten, und voriges Jahr fielen zwei, wie ein paar Efel
betrunfene Cipsissima verba), englifche Matroſen hinab.
Die Engländer haben aber fo ein zähes Reben, daß
der Eine, der auf feine Füße zu ſtehen fam, nur nüch⸗
sern davon wurde, und ber Andere bloß ein Bein
brach.“ Dazu gehörte allerdings Talent, erwieberte ich:
Südöſtl. Bilderſaal. IL. 9
130
bein die Höhebeträgt über TO Fuß. „Es wäre ein rechtes
Glück,“ fuhr unfer Cicerone fort, „wenn hier ein Gelän-
der fiinde ” Schon dieſe Bemerkung war viel für einen
Griechen, und wenn bie Einwohner von Boflita noch
50 Jahre in der Cultur fortgefihritten find, werden fie
wohl auch ein folhes Geländer wirklich anfertigen laſſen.
Der ſchönſte Punkt für die Ausficht auf das Berge
amphitheater jenfeits des Golfs iſt von einem Tahlen
Hügel am öſtlichen Ende der Stadt, nahe am Meer,
wo einft vielleicht Aegium's Akropolis fand, oder
jener Tempel Zupiters, in bem ber hohe Priefter ber
fhönfte Knabe der Stabi war, und wo Agamemnon
mit ben übrigen Häuptern der Griechen den trofani-
ſchen Krieg berieth — denn man findet bier faft allein
im Bereich des ganzen Orts noch antifed und zwar
ſehr ftarfes Mauerwerk, was erft Fürzlich bei Grund»
grabung eined Haufes zum Vorſchein Fam. Nahe
dabei find die Rudera einer venetianifhen Kirche mit
einigen umgeworfenen, früher darin verwandten, aber
offenbar. antifen Säulen und Kapitälen von weißem
Marmor. Einige hundert - Schritte. entfernt befindet
fih noch eine zweite, bis auf das Dach erhaltene mit⸗
telalterfiche Kirche, in deren Mauern das Fragment
eines ſchön gearbeiteten Basreliefs, zwei kämpfende
Pferde darſtellend, eingelaffen ifl.
131
als wir zuruͤckkehrten, erhielten wir bei unferem
Wirth ein Acht griechiihes Mittagsmahl, dreimal:
Hühner und einmal Kapaunen, Alles abfichtlich Talt,
obgleich mit Butterfauce fervirt. Dagegen -regalirte
man uns mit einem fehr guten Deſſert. Eine Art
milchfetter Nougat unter andern, der in Zante verfer-
tigt wird und Manderlito beißt, würde überall für
eine große Delikateſſe gelten Finnen. Bortreffliche
Melonen waren nur dadurch fo gut erhalten worden,
dag man fie fehs Monate ang in der Ciſterne über
dem Waſſer aufgehangen hatte. Jeder Brunnen fönnte
ohne Zweifel denfelben Zwed erfüllen.
Zu fchlechtes Wetter :hinderte mich, meine Reife am
folgenden Tage fortzufegen. Ich machte baher einige
Viſiten, zuerft beim Eparchen, bier Governatore ge-
nannt, der auch wirklich eine fehr ausgedehnte Auto-
rität zu befigen fcheint, denn fein mir mitgegebenes
Empfehlungsfchreiben an den Prälaten des mächtigen
Klofterd Megaspileon ift überfchrieben: „Befehl an
ben Prälaten.” Die biefigen Sitten haben viel Pa⸗
triarchalifches, ben Gebräuchen in Schottland, als
noch die Clans in ihrer alten Berfaffung exiſtirten,
ſehr ähnlich, und ſelbſt die Kleidung beider fo entfern-
ten Nationen gleicht ſich auffallend. - Mich begleitete
ein Diener und zugleich Verwandter des Herrn Miffa-
132
nefi zum Eparchen. Als dieſer mich. nun mit feiner
Frau empfing, trat ber Diener mit in's Zimmer, feste
fih jedoch. nicht, fondern blieb reſpektvoll in einer
Ede deſſelben ſtehen. Demungeachtet, als hierauf bie,
Frau Gouverneurin, nad) griechifchem Gebrauch, ſelbſ
Confituren und kaltes Waſſer hereinbrachte, und uns |
beides auf einer filbernen Schüffel barbot, 'präfentirte
fie nachher daffelbe auch dem Bebienten, der. ohne
alle Danfhezeugung noch Verwunderung davon zu:
langte, als gebühre ihm biefe- Attention. Sehr häufig
nennt bier der Diener feinen Herrn Adelphe (Bruder),
und dieſer ermwiebert benfelben Namen. Der Herr
fest aber dem Bruder deßhalb nicht minder 'gelegent-
lich einen Schlingel, oder noch viel Schlimmeres hinzu;
denn ber Griechen Schimpfwörter find gräulid.! Zum
Zanfen und Schimpfen find die Griechen überhaupt
fehr geneigt; doch kommt es felten „to blows,“ wie
bie Engländer fagen. Eine drollige Manier,. die “
Grabation ihres Zorns zu zeigen, tft die, daß fie einen
Singer nach dem Gegenſtande deſſelben ausſtrecken,
werden ſie böſer, zwei, und zuletzt alle zehn, als die
höchfte. Steigerung- Das erfie Mal, als ich es fah,
ı Rote für Gelehrte. Eins der gewöhnlichften if:
Je f.... ton pere, ta croix, ton Dieu. — Das ift bie Brom
migteit des Aberglaubens!
13
glaubte ich, ſie fpielten alla mora, bei welchem Spiel
die Italiener auch gewöhnlich fo ausfehen, als feyen
fie im Begriff, fih die Hälfe zu brechen. Hier war
ed fein Spiel, fondern | Ernſt, endete aber dennoch
micht bintiger. | |
Nach abgethanen Befuchen richteten wir unfern
Weg nad den Bergen hinter der Stadt. Wir fanden
dort einen Herrn, der die Arbeiter auf feinem Korin-
thenfelde infpizirte, Herrn A...., ber Bräutigam eines
ſehr hübfchen Mädchens in Patras, mit Namen Pene-
lope, der Schwefter der fchönen Madame Green, gegen
die ich oft ſcherzend äußerte, dag ich fie ald meinen
Pagen mit nach Deutfchland nehmen wolle. Herr A....
fügte und, daß die Korinthen ‚jegt für bie Beſitzer
alter Weinfelder einen reinen Gewinn von 600 Pro⸗
zent abwerfen. Bei einer ganz neuen Anlage rechnet
man, daß das Stremma (ziemlich unfer Morgen, etwas
tfeiner) 20 Colonaten zu bearbeiten Eoflet, und dann
jährlich noch 10. Dies dauert fieben Jahre, ehe der
Ertrag anfängt, welcher dann aber an 50 bis 60 Co⸗
Ionaten jährlich beträgt. Die erften zwei Productions⸗
jahre bringen alfo ſchon wieder das Capital nebft
Sntereffen ein. Dies find ganz beflimmte Angaben,
und daher würbe, befonders bei Patras, wo man Land
fo wohlfeil von ber Regierung erhalten Tann, eine
134
beffere Spefulation faum zu unternehmen ſeyn. Wie
demüungeachtet das griechifehe Gouvernement nie auf
den Einfall gefommen ift, oder wenn es ihn gehabt,
ihn nicht ausgeführt hat, deutſche Koloniften im Großen
hierherzuziehen, iſt mir unerflärbar, Eben fo fraps '
pirte e8 mich, ald Herr A.... nachher in Erwieberung
meiner Klage über den abfcheulichen Weg, der nad)
der Selfenfchlucht führt, aus der der. Selinus hervor
- bricht, verficherte (was mir fpäter auch von mehreren
Andern beftätigt wurde), daß die Einwohner von
Boftita bereits feit drei Jahren um einen Plan für
ihre Stabt und bie durchführende Landfiraße ſuppli⸗
ziren, willig ſelbſt dazu nad Kräften beizutragen,
ohne jedoch big jest eine Antwort erhalten zu können.
Dies erfcheint um fo härter, da ihnen ohne einen von
der Regierung approbirten Plan alles Bauen verboten
iſt. Fährt die Regierung in biefer Schläfrigkeit fort,
fo. fann freilich das fo lange verwahrloste Land nicht
vorwärts kommen.
Auf dem Rückwege betraten wir ein Feld,
man erſt geſtern auf ein roͤmiſches Grab geſtoßen war.
Es enthielt aber nichts als Knochen und Aſche, und
ward bloß von vier großen Steinplatten gebildet.
Weiterhin ſahen wir hart am Wege alte Mauern,
die wahrſcheinlich einem Tempel angehörten. Man
135
behauptet, früher ein noch ganz intaftes Souterrain
darunter entbedit zu haben, das aber nachher wieder
äugeworfen wurde, doc, niemand hat ſeitdem von
neuem nachgraben laſſen.
Ich frug zuletzt den jungen Mann, ob er auch
bei der Räuberaffaire zugegen geweſen ſey? „D ja,”
erwiederte er, „aber nur als Zufchauer, keineswegs
als Theilnehmer, und,” fuhr ex fort, wäre ber An⸗
führer der Räuber nicht in ben erſten Stunden ges
fährlich verwundet worden, es wäre ein Leichtes für
bie Bande gemwefen, durch bie um das Haus Yer-
fammelte Menge zu bringen unb. fid) bald in Sicher⸗
beit zu feßen. Denn nur drei oder vier yon uns
Zufhauern nahmen thätigen Antheil an ber Sache.”
Diefer junge Fräftige Mann ift dennoch ein Anver-
wandier Miffanefl’s! Ein Deutfcher würbe eniweber
die Räuber mitbelämpft, ober das Gegentheil: nicht
exzaͤhlt haben,
Dei Tiſch theilte und Herr Lontos allerlei merk⸗
mürbige Details über einige Epochen der Revolution
mit. Er war gerade zur Zeit der Schlacht von Na⸗
varin Miniſter, wo er eines Tages fih mit ben Ad⸗
mirälen Heyden, Rigny und Codringten, bei einem
Diner pereinigt fand. Nach der Tafel nahm er Ge
legenheit, lebhaft in fie gu dringen, den Griechen eine
136
Fräftige Unterlügung zu gewähren, wibrigenfalls
Hydra und Spezia ohne Rettung fallen müßten. Der
Admiral Rigny wollte jedoch darauf nicht eingehen,
fonbern erwieberte mehrmals ausweichen, bie Mächte
fönnten nicht thätlich eingreifen, und die Griechen
müßten fich ſelbſt helfen. Heyden ſchwieg — da faßte
Eodrington den Minifter beim Arm und fagte mit
geuer: „Seyn Sie unbeforgt! Ich habe ben Ober-
befehl und werde Hydra nicht fallen laſſen;“ und bei
biefen Worten zeigte er Herrn Lontos einen Theil
feiner Inſtruction mit dem entſcheidenden Poſtſeriptum
des Herzogs von Clarence (ſpäteren Königs), dem
die Griechen demnach wahrhaft ihre Exiſtenz verdan⸗
ken würden. So erzählte Herr Lontos. Relata refero.
Megaspileon, den 13ten Februar 1836.
In einer folhen Mauſefalle bin ich noch nie ges
fangen worden! Der geheimnißvolle Graf oder Däs
mon hatte wahrlich Recht, daß nur Gefahren und
Ungemach mich in Griechenland erwarteten. Schlim-
meres konnte mir in Tester Hinficht auf feftem Lande
nicht wiberfahren, und der Himmel weiß, wenn es
fein Ende findet! | u
Mit Mühe babe ich mir ein türfifches Schreibs
zeug verfchafft, wo ich mit der Feder eines Puterhahns,
137
von sehn ungewafchenen Mönchen umgeben, die ſich
durch nichts abweilen laſſen, meine Kalamitäten jest
aufzeichne, während ein dicker Raub, der bie Stube
erfüllt, meinen Augen unwillfürliche, aber unferer
Situation ganz angemeffene, Thränen auspreßt, ohne
bag doch das Feuer meine verflommenen Finger auf-
zuihauen Yermöchte.
Das Wetter hatte fih geftern, nad heftigem
Sturm und Regen, ein wenig aufgeklärt, und ob⸗
gleich esıfehr Talt war, machte ich mich doch um 10 Uhr
mit Cientenant Tünnermann auf den Weg, in ber
Hoffnung, daß die von Zeit zu Zeit bervorblidende
Sonne enblich ben Sieg erringen und ung nad) Me⸗
gaspileon vorleuchten würde, dem erften und reichften
Kloſter Griechenlandg, dag an 300 Mönche zählt,
und wo wir, nach katholiſchem Mapftabe, erwarteten,
wie in Abrahams Schooße zu tuhen. |
Auf einem alten venetianifchen Steindamin führte
ung die Straße zuerfi in der Plaine am Meere zwi⸗
schen Korintbenfelvern hin, die im Sommer mit ihrem
das ganze Thal bededenden Blättermantel einen rei-
zenden Anblick gewähren müffen, denn der Anbau um
Voſtitza ift überall forefältig, und der Boden von
reichem Ertrag. Der alte Selinus, welcher in einem
breiten Bett, voll herabgeroliter Steine, die Ebene
138
durchſtrönt, war von dem Testen Regen fo unger
fhwollen, dag wir ihn nicht ohne naß zu werben,
und nur halb ſchwimmend pafliren konnten; was bei
der immer fihneidender zunehmenden Kälte fein Un
angenehmes hatte. Indeſſen eine Stunde zu Fuß
gehen, während der wir die Reſte einer römifchen
Ziegelmauer befichtigten, erwärmte uns wieder, und
erlaubte mir, ohne Fieberfchauer die fchöne, obgleich
wilde Scene zu bewundern, die fi beim Eingang des
Gebirges am Bochuſia (ehemals Kerynites PMentfaltete.
An einem Hügel darüber befinden ſich noch einige
Ueberrefte der Stabt Kerynea, bie dem Fluß feinen
Namen gab, doch find fie nur höchſt unbedeutend.
Der nordifche Gebirgszug des Peloponnes Bat
das Eigenthümlidhe, faft gar Feine Thäler, ſondern
nur Schluchten in feiner Bildung barzubieten, weil
Berggipfel an Berggipfel fih unmittelbar anfchliegen
und fteile Felfenwände mit bandartig gemunbenen,
zerriſſenen Schichten auf allen Seiten ſenkrecht empor,
Reigen. Bor und lag ein einzelner, fehr hoher Pik,
defien Spite wie abgebroden erfchien; feine Seiten
waren mit Kiefern son fchöner hellgrüner Karbe bes
wachſen, und bis zur Hälfte feiner Höhe bedie ihn
son oben herab tiefer Schnee.
In vielen Windungen fchlängelte ſich nach nnd
139
nach ber Weg über biefen Berg, und inbem wir lang⸗
Sam binanritten, hielten, ber Gensb’armes wie wit
ferbft, unjere Waffen ſtets bereit zur Gegenwehr; denn
beſſere Gelegenheit für einen Ueberfall konnte es un-
möglich geben, als bier in den ganz abgefchiebenen,
engen Zelfengaffen und Gebüfchen, um fo mehr, - da
fih unfere Karavane fchon Tängft in zwei Theile ge:
fchieden hatte, weil die Maulthiere, welche. bie Effef-
ten trugen, zu fchledht waren, um mit und Schritt
zu balten. Sch Hatte alfo mit dem Lieutenant. und
einem der Gensd'armes, nebft einem Negerablömme
ling der Truppen Ibrahims, welcher uns als. Bote
diente, bald einen großen Borfprung gewonnen, indeß
des Lieutenants Diener, ber meinige, und ber zweite
der Gensb’armes bei den Maulthieren und ihren
Zreibern weit zurüd geblieben waren. Se höher wir
waren, je mehr nahm die Kälte überhand, und in
ber Schneeregion war der Weg fchon mit Eis bebedt,
was unfer weiteres Fortlommen höchſt beſchwerlich
machte. Wir flanden nun auf einem fo erhabenen
Punkte, dag wir die Kette der Borberge nach dem for
rinthiſchen Golfe zu hinlänglich bominirten, um biefen
mit feinen Heinen Inſeln und der Bai von Salona,
nebft der großen Deffnung über der Taftalifchen Quelle,
deutlich überfehen zu können. Die ganze Folge bes
140
Parnaßgebirges mit den angrenzenden Bergen Rume-
liens, breitete fi von Lepanto bis an den einzeln
hervorragenden Helifon vor uns aus; doch die höch—
ſten Spitzen blieben alle in dunkle Schleier gehüllt.
Die Götter mochten fich vielleicht zu einem Beſuch bei
den Mufen dort niedergelaffen haben, und was wir
fahen, nur ihre harrenden Wolkenwägen feyn.
Nachdem wir den Berggipfel völlig erreicht, und
dann an einem jähen Abhang Iange Zeit wieder hin-
abgeflettert waren, ſahen wir feitwärts ein Dorf
liegen ‚ in dem zwei ſchloßartige Häuſer ſich auszeich⸗
neten. Beide ſtehen leer, und ſind, wie wir erfuhren,
noch. beſitzerlos, weil bie Familien, denen fie gehoͤr⸗
ten, im Kriege gänzlich erterminirt wurden. Wir
folgten jeßt, geraume Zeit faft ohne Weg, durch Fel⸗
fenblöde uns burcharbeitend, einem: Heinen Berg-
firome, bis wir zuletzt über eine ſchmale und geländber-
loſe Steinbrüde in eine neue Schlucht Hineinritten,
bie an Wildheit felhft die Gegend um die Teufels-
brüde am Gotthard überbietet. Die fteilen, mit
ſchwarzen Fichten bededten Bergwände fleigen hier
über 2000 Fuß hoch aus einer ſchmalen Oeffnung
himmelan, in der der Fluß von Kalaͤvrita ſich im
engften Bette braufend durchzwaͤngt. Einzelne, felt-
fam geftältete Felsmaſſen ragen aus. dem Walde an
141
vielen Stellen hervor und wölben fich zumeilen wie
ein Dom über dem weißen Waflerfchaume im Abgrunde.
Nur ein fchmaler Fußfteig führt am fohroffen Abhang
durch fie bin, oft von kleinen Bächen unterbrochen,
bie, in Cascaden von oben herabflürzend, ihren Tribut
dem Buraͤikos potamos darbringen; alle Höhen umher
aber find von einer frühern Erdrevolution bergeftalt
mit großen und Heinen Felsblöcden überworfen, daß
man glauben follte, irgend ein mächtiger Geift habe
fie, damals eben in der Luft darüber fchwebend, von
ben Bergfpisen abgeriffen und gleich Saatkörnern nie-
dergeftreut. Wilder und fohauerlicher noch warb dieſer
Anblick jest durch einen Schneefturm, ber plöglich ein⸗
trat und bald mit folcher Gewalt zunahm, dag wir
Mühe hatten, und auf den Pferden zu erhalten, und
faum noch fo weit vor ung fehen fonnten, um ben engen
Weg: zu erkennen. Bei diefer Gelegenheit war Lieus
tenant Zünnermann, der fein eigenes fehr Lebhaftes
Pferd ritt, einmal nahe daran, zu verunglüden, da das
Thier mit dem Hinterfuß vom Saume des Weges abs
glitfehte und fih nur mit genauer Noth wieder aufs
taffte, um fich vom Ueberfchlagen in die Tiefe zu retten.
Auch mein Klepper fiel in den Steinen eines Bergbachs,
wobei ein Bügel abriß, den ich während des übrigen
Rittes mit viel Unbequemlichkeit entbehren müßte.
\
14%
Nah einer Stunde immer ſchwierigern Fortkom⸗
mens lag der Schnee bereits einen Fuß hoch auf dem
Wege, doch hatte ſich der Wind und die vorige Dum-
felheit etwas gemindert, fo daß wir zwifchen ben Dicht
herabfalfenden Flocken endlich den abenteuerlichen Ban
entdeden konnten, der wie ein Schattenbilb an ber
fingenden Felſenwand vor uns angeheftet zu ſeyn fihien.
Diefe Wand fteigt fo glatt und perpendifulair zu uns
geheurer Höhe hinan, dag, wenn man von ihrem Fuß
aus an ihr hinaufzufchauen verfucht, man volllommen
denjelben Schwindel empfindet, als ſtehe man an einem
Abgrunde, es kommt Einem nur vor, als Babe fich
Dieter umgekehrt, Da auch der Bergabhang, über Dem
das Klofter an der erwähnten Wand hängt, ſehr fleil
it, fo ift man genöthigt geweſen, den Weg in fort
währendem weiten Zickzack binaufzuführen. Auf diefem
fommt man nun wohl zehnmal ganz nahe bei ben
Gebäuden vorbei, und glaubt fie flets bei der nächften
Diegung gewiß zu erreichen, wirb aber immer yon
neuem getäufchtz fa felbft wenn man zulest wirklich
oben ift, möchte man fi abermals für geäfft halten,
und nur die Silhouette der weitläuftigen Burg vor
fih zu haben meinen, welde die Entfernung vorge⸗
fpiegelt. Denn das eigentliche Kloſter befindet fi un-
gefehen in einer gigantifchen Höhle von 90 Fuß Tiefe
— —
— — —
r
(LER Er TFT EN
143
—
und: 180 Fuß Länge, vor deren Oeffnung nur eine
lei :Tange, 70 Zuß hohe und 12 Fuß Dide Matter
mit: vielen Reihen Heiner Fenfter, Balkonen und einir
gen Thürmihen auf ihrer Spige, vorgezogen worben
Me Alle bewohnten Räume, die Küche u. ſ. w. find,
mit einziger Ausnahme rines viereckigen Thurmes zur
Seite, im Innern der Höhle ſelbſt verborgen.
Sobald wir und dem Eingang näherten, hörten
wir das lang fortgeſetzte Lauten einer Glocke, deren
heiſerer, ungaftlicher Klang nicht viel Gutes prophe-
zeibte. - Gleich darauf drangen aus. bem gothifchen
Spitbogen bes Thores, trotz des noch immer heftigen
Schneeweiters, die Mönche in Prozeffion hervor, um
und zu empfangen. Sie glichen vollfonmen einer An⸗
zahl Warſchauer Juden, als fie fih, in zerriffenen
Kleidern. und von Schmus firogend, neugierig um ung
drängten. und uns bie Hand auf bem Pferde reichten,
wo wir, wie Schneemänner, halb eingefroren faßen.
Das Innere des Klofters übertraf leider noch alle
Erwartungen, welche das Ausfehen der Mönche. erregt
hatte, und ber Schmug und Geftanf, welcher aller:
wärts Darin herrfchte, war fo gräßlih, bag mir Die
ganze Begebenheit als kaum in der Realität möglich,
und nur ein böfer- Traum zu feyn bünfte,
.. Schwarze halbvermoderte Holztreppen hinan, auf
144
denen ein Mönd mit trübe brennender gelber Wachs⸗
ferze voranleuchtete, führte man mich bis in den ober⸗
fien Stock des Thurmes in die Stube des abweſenden
Prälaten, eine eingeräucherte Kammer mit Kalkwän⸗
den, die auf der einen Seite einen Kamin mit. einer
Calotte von haarigem Zeuge hatte, wo naſſes Holz
nicht brennen wollte; Die andere verdeckten unangeftri-
chene Holzſchränke; auf der dritten waren vier Senfter
eng neben einander angebracht, deren zerbrochene Glas⸗
Scheiben durch hundert Papierftreifen geflickt waren;
auf der vierten fland eine Ottomane, halb mit zer-
riffenem Kattun, halb mit einer Flanelldecke überzogen,
beides durch Flecken und Staub im hödften Grabe
eckelhaft gemacht. Im zweiten Drittel der Stubenhöhe
waren an den Wänden Repoſitorien ringsumher befe⸗
ſtigt, Die man mit dem degoutanteſten Gerümpel be-
deckt hatte, das fih die Einbildungskraft erdenken kann,
alte Lappen, ſtinkende Pantoffeln, Medizinen, eine
Klyſtirſpritze und unter andern auch vier große las
fchen mit Blutegeln gefüllt, Die erbfarbenen Dielen
verbarg fein Teppich, und ber mannigfache Parfüm,
den bie wie Ameifen hereindringenben Mäufe um fid)
. verbreiteten, vollendete Die Defolation diefer Wohnung.
Sch tröftete mich noch Damit, bei Ankunft meiner
Sahen jeden Winkel mit Teppichen und Züchern
'
145
— — — — —
belegen und verhängen zu fönnen, vorher aber von uns
fern Leuten eine totale Reinigung vornehmen zu laffen,
gertetb jedoch in eine zweite Verlegenheit, als ber
Küchenmeifter, deſſen Ausfehen ich nicht befchreiben mag,
mir in feiner fettigen Hand eine Schale mit von
Staub grauen Konfttüren, nebft einem gleich unreinen
Glaſe Waffer offerirte, und fih durchaus damit nicht
abmweifen Iaffen wollte, Die darauf folgende Taffe mit
Kaffee war von einem noch gefährlicheren Anſehen,
und der Edel, der fich meiner immer mehr zu be-
mächtigen anfing, wurde bald größer, als ich ihn je
in Afrifa in dem elendeften Araberzelte empfunden
babe. Indeß verging Stunde auf Stunde, der Schnee
fiel immer dichter nieder, und feiner unferer Leute
erfhien! Wer mich zwifchen einem Dutend dieſer
unappetitlichen Mönche, die überdies in ihren Mante-
ren die größte Dreiftigfeit und Samiliarität an ben
Tag legten, eingeswängt gejehen hätte, ohne daß ih
fie weder los werben, noch mit ihnen anders ald durch
Zeichen mich unterhalten konnte, würde fi an mir
und meiner Häglihen Miene gewiß nicht wenig belu-
ftigt haben, vorausgefegt, daß er nicht gendthigt ge-
weſen wäre, meine traurige Lage zu theilen.
Diefe Leute find fo in Allem zurüd, daß fie 3. DB:
fein anderes Mittel kennen, das Feuer anzufadhen, ale
Süpäfll. Bilderfaal. IL 10
146
nad der Reihe durch ein Flintenrohr barauf zu blafen,
und andere Meubles der größten Nothwendigkeit auf
eine Weife entbehren, wovon man fi kaum eine Vor⸗
felfung machen fann. So hatte das ganze Klofter,
wie es fchien, nur ein großes Wafchbeden; baffelbe
Handtuch diente dabei Allen, wahrfcheinlich fo Lange
e8 zufammenhält; andere Tücher wurden abwechſelnd
zur Dedung des Beites wie des Eßſchemels Cein
Tiſch iſt es nicht zu nennen) gebraudt — kurz es
überfteigt folche mehr als thierifche Schwernerei allen
Glauben, wie alle menſchliche Erlaubniß.
ALS jede Hoffnung gefhwunden war, meine Diener
und Sachen noch antommen zu fehen, brachte man Das
erwähnte wurmftichige Vehikel herein, Tegte ein zer-
riffenes Zuc darauf, was bis jet über einen Theil
der Ottomane gebreitet gewefen, mit Meffern und Ga—
bein, die gar nicht anzufaflen waren, und fervirte bie
zufammengeworfenen Refte eines aufgewärmten Hubs
ned und eines Puters, nebft fteinhartem Käfe, Brod
und rohen Zwiebeln. Einer ber Mönche, der etwas
italienifch radebrechte, entfchulbigte die fpärliche Be⸗
wirthung damit, dag man mich geftern und nicht heute
erwartet habe, eine ganz leere Ausflugt, wie man
fiebt, und um fo mehr, da die Mönche ſchon längft
durch ein halbes Dutzend Empfehlungsbriefe der ans
147
gefehenften Bewohner von Patras, wie Durch zwei
Befehle des Nomarchen und Eparchen wußten, daß
ich einige Tage bei ihnen zuzubringen gedenfe, und
dennoch nicht die mindefte Anftalt zu einem irgend
bezenten Empfang gemacht hatten. Ich dankte für Alles
und bat nur um einige geſottene Eier nebft einer reinen
Serviette, welche letztere jedoch nicht zu erlangen ftand.
Der Wein vom eigenen crü wäre nicht übel gewejen,
wenn er nicht mit Harz angemacht worden, und folglich)
wie Firnig geichmedt hätte. Nach dieſem Mahle legte
ich mich, in meinen nun am Feuer ziemlich getrockne⸗
ten Mantel gewidelt, auf den mit Kattun überzogenen
Theil der Ottomane, als dem verhältnigmäßig rein-
lichften, nieder, erleuchtet von einer mepbitifchen Duft
aushauchenden Lampe, die am Kamin aufgehangen war,
und kaum die Rauchatmofphäre der Eleinen Stube mit
ihrem fchwachen Strahl zu durchdringen vermochte.
Den ı5ten.
Die ganze Nacht dauerte das Schneewetter fort,
und erft am Nachmittag des folgenden Tages Tangten
die Leute mit den Maulthieren an, nach verfchiedenen
Unglüdsfällen, die fie unterwegs erlitten, und mit der
angenehmen Nachricht, daß, wenn es nur noch Furze
Zeit fo fortfchneie, am eine weitere Paflage im oe
148
Gebirge nicht mehr zu denken fey. Daffelbe Weiter
"hielt aber bis zum zweiten Morgen ‚ununterbrochen
an, und ich finde mid nun in dieſem Tchauerlichen
Klofter bis auf ungewiſſe Zeit regelmäßig blodirt, mit
der fichern Ausficht auf den denkbar widrigften Aufent-
halt mehrerer Tage, ärger als ein Gefängnif. Dies
ift allerdings hart, doch hat fich wenigſtens des Herrn
Prälaten ſchauderhafter Schlupfwinkel ſeitdem in An:
feben und Luftbefchaffenheit bedeutend verändert; ja,
wäre der Zug durch die zerbrochenen Fenſter, der Raud)
aus dem Kamine und die zubringlihen Mänfe noch
daraus zu entfernen, fo Fönnte ich mein Schickſal mit
philoſophiſcher Ruhe ertragen; unter den obwaltenden
Umftänden aber gehört viel Meberwindung dazu.
Ich verwandte einen Theil des Tages darauf,
das innere des Kiofters und bie Kirche in der Höhle
zu befehben. Das erfte zeigt überall nur Unrath und
Elend, die zweite aber iſt voller Reichthümer und
alter Bilder, die zum Theil nicht ohne Intereſſe, ob-
gleich alle ohne Kunftwerth find, Einige in Eonftan-
tinopel auf rothem Atlas in Gold, Silber und bunter
Seide gefticte Darftellungen würben die Damen ent:
züden, denn vortrefflichere Stickerei fah ich nie; auch
mehrere in vergoldetem Silber getriebene Thüren find
bemerfenswerth, fo wie höchſt Eunftreiches Schnitzwerk
149
v
in Holz, namentlich ein Bifchofaftab, das Geſchenk
einer. griechifchen KRaiferstochter, von bewundernswür⸗
dig feiner und geſchmackvoller Arbeit. Der Boden
ver Kirche ift mit Marmor belegt und mit Sonne,
Mond und Sternen, fowie allerhand myftifchen Figuren
geziert. Die wirkliche Sonne Teuchtet Dagegen dieſer
Kirche nie, ed brennen aber fletd Lampen oder Wachs⸗
fichter darin, und das ganze Gefchäft ber Mönche,
welche. die größten Faullenzer im Lande - find, befteht
nur in den albernften Eeremonien, denen fie bier, jeder
in. feiner Tour, obliegen müflen. Zu ihrer Bedienung
‚baben fie faft eben fo viel funge Knaben zwifchen
11 — 16 Jahren, als Mönche im Kloſter find. Meh⸗
rere unter dieſen waren außerordentlich fchön, fo wie
fih auch unter den Mönchen felbft viel fhöne Männer
mit herrlichen Köpfen a la Titian und Rembrandt be-
fanden; aber die allgemeine Unreinlichteit] geftattet
feinen Genuß, felbft an der vollendeiften Schönheit,
und nad kurzer Betrachtung mußte man ſich immer
mit Widerwillen von dieſen in Schmutz getanchten
Geſtalten abwenden. So viel iſt gewiß, daß mir nie
etwas Aehnliches vorgekommen iſt, und Lieutenant
Tünnermann, der doch das Land ſchon lange kennt,
verficherte gleichfalls, Daß er bier Alles übertroffen
finde, was er bisher im griechifchen Reiche von Salo-
150
perie zu beobachten Gelegenheit gehabt. Demunge-
achtet rechnet man bie Einkünfte des Kloſters wenig-
ſtens auf 50,000 Colonaten jährlih, fo daß jede an-
ftändige Annehmlichkeit eines civilifirten Lebens in der
Mönche Bereich flünde und auch noch genug für ihre
Privatfamilien in abfteigender und auffteigender Linie
außer dem Klofter übrig bliebe. Da man die Eleinen
Klöfter aufgehoben hat, welche eben fo populär beim
Bolfe waren, als bie großen, und vielleicht mehr
Nutzen als dieſe ftifteten, fo fehe ich wirklich nicht ein,
warum man die Yeßteren verfchont. Es wäre eine
wahre Wohltbat, wenn ein folcher Düngerhaufen zur
Befruchtung für das allgemeine Beſte verwendet wer-
ben könnte, Doch die Zeit dazu ift freilich noch nicht
für Griechenland gefommen, für weldes bie Klöfter
ohne Ausnahme anno, wenn auch in nichts Anderm,
doch in Hinſicht auf Landnutzung, die beften und wahr-
fcheintich einzigen Mufterwirthfchaften abgeben, fo
weit Routine reicht.
Die kraſſe Unwiffenheit der hiefigen Mönche ent-
fpricht der Natur ihrer Umgebung. Die meiften der⸗
felben fönnen weder leſen noch fehreiben, und keinen
fanden wir, der nur in der Gefchichte feines Vater⸗
landes, gefchweige denn in Dingen, die andere Länder
oder irgend eine Wiffenfchaft betreffen, Die geringfle
151
Kenniniß hatte. Der Aberglaube ihrer Religion, nebſt
alfen abgeſchmackten Legenden berfelben, war das Ein-
zige, was ihnen bekannt zu feyn fchien. .
Den 17ten.
Ich habe es oft erfahren, auch wohl gefagt, und
bier beflätigt e8 fich wieder: Man gewöhnt fih an
Alles! Das Wetter bleibt, mit wenig Sntervallen,
daffelbe; wir find nun förmlich verfchneit, und ich muß
bongre malgre mit den Mönchen haushalten, bis die
Straßen wieder offen find. Schon vertragen meine
Augen den Rauch recht Yeiblih, und der eisfalte Zug
fommt mir manchmal ganz norbifch behaglich vor. Ger
pichter Wein mit Waffer gemifcht, Schwarzes Brod,
Eier und Zwiebeln find gewiß für die Gefundheit eine
jehr heilfame Diät, und befonders empfehle ich, nad
der Borfhrift eines muhammedanifchen Arztes, die
rohe Zwiebel jedem Reifenden in fremden Ländern als
das befte Präfervativ gegen alle Krankheiten, bie das
Klima verurfacht, wie Fieber, Diffenterien u. |. w.
Es ift fein ganz angenehmes Mittel, aber von vor-
treffliher Wirkung,
Bermittelft meines griechifchen Dieners Tann ich
nun mit den Pfaffen mich wenigftens unterhalten, deren
Naivität fpakhaft genug iſt. Ganz eben fo, wie bei
15%
ben Arabern, muß ich ihnen alle-meine Sachen zeigen,
die fie mit findifcher Freude betrachten, auch mir. oft,
gleich jenen, Verſchiedenes davon abzubetteln verfuchen.
Einer der Bornehmften war fehr zufrieden, eine Stange
Siegellad und zwei Eigarren erobert zu haben — die
letztern heimlich — denn die. Mönche. dürfen nicht
mehr rauchen, feitbem das Klofter einmal durch eine
Pfeife angezündet wurde und ganz abbrannte, Drei
oder viermal ward es auch Später vom Feuer verhbeert,
was bei den biefigen Anftalten nicht zu verwunbern
ift, und ich ſehe jeden Abend mit einer ähnlichen. Be⸗
forgmiß auf den Tameelhärnen Raudfang meines Ka-
mins hin, unter dem eine Viertelflafter Holz wie ein
Auto da fe brennt, mit vergeblicher -Bemühung, bie
Iuftige Laterne zu erwärmen, in ber ich in und häufig
über den Wolfen wohne. Ich babe erwähnt, daß
einer der Moͤnche etwas italieniſch ſpricht, mas ſich
jedoch ziemlich auf die Worte „‚capisco“ und „tale
quale“ beſchränkt, die er überall andringt. Ich habe
ihm deßhalb, zum großen Gaudium ſeiner Kameraden,
die ihn jetzt ſelbſt ſo zu rufen anfangen, den Beinamen
des Pater Talequale gegeben. Dieſer ſehr pfiffig aus⸗
ſehende Geiſtliche iſt der Gelehrte des Kloſters, und
erregt wegen des Airs, das er ſich deßhalb gibt, die
Eiferſucht aller Uebrigen. Als ich ihm neulich aus
158
einer englifchen Neifebeichreibung mehrere Detaits über
Megaspileon und die darin enthaltenen Gegenftände
vorlag, deren Richtigkeit ihn in Verwunderung ſetzte,
fügte er mit capabler Miene: „Dies Buch muß von
Pauſanias ſeyn, der einzige Reifende in Griechenland,
der von Allem fo genau unterrichtet war” — in wel⸗
em frommen Glauben ich ihn beftärkte.
Da es noch immer fohneit, und jeder Gang ing
Freie faſt unmöglich ift, durchſuchte ih Das ganze
Klofter von neuem, muthig durch den Kehricht watend,
der auf Treppen und Gängen, die wahrſcheinlich noch
nie gereinigt wurden, faſt eben fo tief lag als ber
Schnee draußen. Die gigantifhe Höhle und ihre in>
genieufe Benusung find indeß fehr merfwürbig. Zur
Zeit Ibrahims hatten fi) die Mönche ganz darin ein-
geichloffen, und fih fogar zwei Kanonen verichafft,
die noch bier find, einen 36⸗ und einen 24-Pfünber.
Man hat fie ihnen ſeitdem wieder abnehmen wollen,
boch die Genie: Offiziere erklärten, wie in Lepanto:
es fey zu ſchwierig und der enormen Koften jedenfalls
nicht werth, fie herabzufchaffen, wie aber die Mönche
fie hingebracht, begriffen fie nicht. . In jener Epoche
warb auch eine Mühle zum eigenen Getyeidemahlen
in der Höhle angelegt, fo daß die Mönche ganz ges
faßt darauf waren, wenn es hätte ſeyn müflen, Jahr
J
154
und Tag ihre unterirbifche Wohnung nicht mehr zu
verlaffen. Die Zellen find recht bequem für eine bis
drei Perfonen eingerichtet, und rund herum mit Di-
vans und weichen Kiffen verſehen, die zugleich als
Betten dienen, aber allen fehlt mit der Reinlichkeit
aud die frifche Luft. Die Tracht ihrer Bewohner,
bie fie, wie-die Türken, Tag und Nacht aubehalten
und nicht eher wechfeln, bis fie vom Leibe fällt, er-
fhien mir übrigens eben fo bequem als ſchön, wenn
fie nur weniger ſchmutzig wäre. Sie tragen eine, weite
und lange Zunifa, meiftens von grüner Farbe und
aus einem feinen wollenen Zeuge gefertigt, die über
ber Taille von einem Gürtel zufammengebalten wird;
darüber einen ſchwarzen oder braunen faltenreichen
Aermelpelz. Das lange Haar und der volle Bart ſteht
vortrefflich dazu, wie die ſchwarze Toque von eleganter
Form, die fie auf dem Kopfe tragen und nie abs
nehmen, als vielleicht beim Schlafen. Ihre pantoffel-
artigen weiten Schuhe werfen fie, gleich den Orien⸗
talen, ab, wenn fie auf einen Teppich treten, und an
den grauen wollenen Strümpfen, die dann zum Bor:
Schein kommen, ift wenigſtens nicht zu fehen, wie Tange
fie ungewafchen feyn mögen. Im Sommer gehen fie
wahrſcheinlich barfuß.
Die Heine Bibliothek des Kloſters enthält nur
155
kirchliche Manuferipte mit wenigen fehr fchlechten Mi⸗
niaturbildern, und einen gebrudten Homer, aus dem
verſchiedene Blätter herausgeriffen waren, nebſt einigen
andern neuen Büchern, von benen jedoch Feind benutzt
worben zu feyn fchien, bis auf das Gott weiß wie
bierhergelommene italienifche Opernbuch ber pazza per
amore, in deſſen Blättern ein Stüd Käſe eingemwidelt
war. Bon einem Manufeript über Alchymie, deſſen
Reale erwähnt, wollte man nichts wiſſen, auch hätte
es mir nichts helfen Eönnen, ba ich in der griechifchen
Sprache eben fo unwiffend bin, ale. die Mönde in
Allem außer diefer. |
Nebſt der großen Kirche, die ich befchrieben, be-
finden ſich auch noch drei kleinere in den drei verfchie-
denen Etagen der Höhle, Die Wände berfelben find
durchgängig bemalt, doch haben Raud und Feuchtigfeit
biefe Malereien meiftentheil6 zerftört. In einem grö-
Beren Saal unten ift Die Geſchichte Joſephs abgebildet
und beſſer erhalten, die mir Pater Talequale mit Hülfe
Anzi’3, als eine mir ganz unbekannte Sache, forg-
fältig erflärte. Bei dem Capitel der Potiphar blieb
er jedoch die Auskunft ſchuldig, und half fi bei mei-
nen inquifitiven Fragen mit der fchlau gegebenen Ant-
wort: „non capisco.“
Das Merfwürdigfte der ganzen Anſtalt iſt ohne
156
Zweifel der Keller, voll Fäſſer, die dem weiland Hei⸗
delberger nicht: viel nachgeben, Eine Quelle herrlichen
eistalten Waffers fprudelt dort zugleich aus dem Fel-
fen, und Die ung begleitenden Mönche meinten lachend,
der Pater Kellermeifter, der ung dies Alferheiligfte
aufgefchloffen, verdiene in dem Baffin, das fie anfüllt,
erfäuft zu werden, weil er ihnen ſtets ben Wein mit
ihrem ſchädlichen Inhalt bis über die Hälfte miſche.
Gewöhnlich efien die Mönche in ihren Zellen, wo fie
fich felbft ihr frugales Mahl bereiten, nur an gewiflen
Tagen fpeifen fie in einem furchtbar ausfehenden Ge-
wölbe an ſchwarzen Tafeln zufammen, über bie an
ber Dede eine Reihe Bodshäute aufgehangen. find,
welche den Wein enthalten. Ein und berfelbe zinnerne
Becher dient babei für die ganze Geſellſchaft.
Die Mönche von Megaspileon befißen eine Art
republifanifcher Verfaſſung mit zwei Senaten, einen
erften dirigirenden von at, und einen ‚weiten von
zehn Mitgliedern. Doch verringert oder vermehrt: fi
biefe Zahl nach Umftänden. Der zweite Senat wird,
wie fie fagen, vom erften gewählt, und der erſte vom
zweiten; eine feltfame Einrichtung, deren Anfang eben
fo wenig begriffen werden kann, als die Myſterien
unferer heiligen Religion felbft, denn. um die Sache
möglich zu machen, muß wenigftens einer biefer Senate
157
notbwendig von Ewigkeit ber eriftirt haben. Der erſte
Senat ballotirt auch den Prälaten aus feiner Mitte,
ver alle Jahre von neuem erwählt wird, doch verhin-
dern die Statuten: nicht, dag derfelbe Mönd immer
wieder dazu beftimmt werde. Das Gouvernement hat
jest, wie ich hörte, brei Mitglieder aus dem erften
Senat zu feinen Commiſſarien ernannt, um ihm einen
jährlichen Rapport über die ganzen Affairen des Klo-
ſters abzuftatten, doch bezweifle ich, daß diefer fehr
wahrhaft feyn mag. Unter türfifcher Herrfchaft wurden
die Mönche von Zeit zu Zeit wilffürlich tarirt, und
erhielten fih, wie es fcheint, ziemlich wohlfeil, ver-
möge gelegentlicher Beftechungen in Conſtantinopel.
Seat müfjen fie regelmäßige Abgaben zahlen, "über
deren Höhe fie gewaltig jammern, und in biefer Hin⸗
fiht den Verluſt des alten Regiments bedauern, weil
fie behaupten, ſeitdem weit härter gebrüdt zu feyn.
Man Tann ihnen jedoch nur wenig aufs Wort glauben.
Einen fpaßhaften Beweis für die Induſtrie der
Mönche erzählte mir mein Begleiter. Sie pflegen
jährlich Einen aus ihrer Mitte mit Reliquien im Lande
umberzufchicten, der biefe Dinge theils verkauft, theile
fonft milbthätige Gefchenfe dafür. von den Gläubigen
einfammelt. Da aber diefer Handelszweig ſchwer zu
fonteofiren war, fo befchloffen die Mönche, die Com⸗
158
miffion zu verpachten, und ftellten eine förmliche Lizi⸗
tation unter fih an, wo dann ber Meiftbietende
mit den Reliquien abging.
Ueber meine hiefige Wohnung , fo fchlecht fie ift,
darf ich mich nicht beflagen, denn König Dito bat
auch da logirt, doch nur wenige Stunden barin aus:
gehalten. Des Ladens konnte ich mich aber unmög⸗
ich erwehren, als mir der proto Papa erzählte, daß
man die Mittagstafel für Seine Majeſtät in dem bes
wußten bobdenartigen Borfaal angerichtet hatte, ber
nach der genannten Wohnung führt und an welchen
unmittelbar (und fichtlich) der, feine Näbe den Ge⸗
ruchswerkzeugen noch viel fühlbarer verfündende .......
fößt. An dies Gaftmahl wird der arme König wohl
auch Zeitlebend gedenken.
Das Klofter hat noch mehrere Nebenhäuſer, zu
Wohnungen für Fremde beſtimmt, die in der Regel
nie das Kloſter ſelbſt betreten dürfen, und fich dann,
für ihr Geld, wahrſcheinlich viel beſſer außerhalb befin⸗
den; ferner mehrere Ställe, Wirthſchaftsgebäude u. |. w.
Der fteile Abhang, an dem das Ganze fteht, ift bis
auf den Boden der Schlucht hinab mit Fleinen Ter⸗
rafiengärten bedeckt, die in allen Richtungen ange-
bracht find, und mit dem pittoresfen Schloß, nebft
ber. über diefem ſich auftbürmenden Felſenwand, das
— — — — — — —
alleroriginellſte Schauſpiel gewähren. Viele dunkle
Cypreſſen ragten aus dem Schnee der Gärten hervor,
boch ſchienen fie, troß ihres hoben Alters und threr
Größe, nur Zwerge gegen den ungeheuern Maßſtab
der Gegenftände umher. Auf dem Yuftigen Papillon,
in dem ich haufe, prangt außerhalb ein fchwarzes
Kreuz an der Mauer, in Form des preußifchen eijer-
nen; denn der Berg, welder diefem Bezirk den Na:
men gibt, heißt zum heiligen Kreuz. Die größte
Heiligkeit des Kloſters befteht jedoch in einem affreu-
fen braunen Wachsbilde der Jungfrau, das der hei-
lige Lufas verfertigt hat. Außer dieſem, belehrte mich
Talequale, gibt es nur noch zwei von bemfelben Ber-
faffer, wovon Das eine in Rußland ift, das andere
aber noch nicht aufgefunden wurde — alfo noch in
Referve bleibt. Demungeadhtet erinnere id mich, in
Stalien ſchon zwei oder drei dieſer angeblichen Kunft-
werte des. heiligen Lukas gefehen zu haben, von denen
auch bort bei jedem behauptet wurbe, es ſey das ein-
zige ächte. Während einer Der Zeremonien, die vor.
dieſem Bilde in der großen Kirche flattfanden, warf
fih der :mit der Stola befleidete Pfaffe wenigftens
hundertmal zur Erde, und hatte in diefem bligfchnellen
Niederwerfen und Wiederauffpringen eine jo bes
wundernswürdige Fertigkeit erlangt, daß ficher Fein
160
Seiltänzer-Bajaszo es ihm mit derfelben Belozität und
Ausdauer nachzumachen im Stande geweſen wäre. Für
Leute, die ohnedies gar nichts zu thun haben würben, ift
eine folche Art Turnen gewiß eine fehr heilfame Motion.
| Sn den furzen Zwifchenräumen bes fchlechten
Wetters verfäumte ich nie, mich auf der offenen Ga⸗
Ierie, die am obern Ende der Mauer binläuft, ein-
zufinden, um von dort hinab abmwechfelnd in die Tiefe
nieder und an ber Felfenwand hinaufzuſchauen — ein
wunderbarer Anblid, defien ich nicht müde wurde. Den-
noch fieht man nur wenig; nichts eben als über fi
die ſenkrechte, fchauererregende, glatte Steinmafle von
mehr als 300 Fuß Höhe, nach unten gewendet, über
das Labyrinth von Terraffen hinweg, in eine enge,
mehrere hundert Fuß tiefe, ſich weit hinziehende Berg⸗
fpalte, die von zwei hohen Bergrüden eingefaßt wird,
welche fih dreimal höher erheben, als die Spalte tief
ift — und gegenüber den noch Eoloffalern Berg Ro:
chico, der, gleich einem vorgezogenen weißen Bor-
bang, den Abgefchhiedenen die ganze übrige Welt ver-
birgt. Außer einigen röthlichen Felfen, deren Kuppen
noch hie und da feitwärts hervorfchauen, find überall
feine andern Farben fichtbar, als das biendende Weiß
des Schneed, und das Schwarz der Tannen. Man
glaubt in Nova Zembla zu ſeyn.
161
Ehen fchneit es fehon wieder mit Macht und "der
proto Papa ſagt feufzend, bag feit 1812, wo Rapos
leon in Rußland erfroren fey, wie man ihm erzählt,
fie feinen ähnlichen Winter bier erlebt hätten! Dem
fey indeß, wie ihm wolle, ich kann doch mit Schillers
Worten audrufen: Auch ich bin in Arkadien geweſen!
und gewiß ‘werde ich nie in meinem Leben Schnee
und Schmuß. wiederſchen, ohne. Arkadiens fröftelnd
zu gedenken.“
Den ı18ten.
Nach Regen folgt Sonnenſchein, und nach Schnee⸗
geſtöber endlich auch! Der heutige Tag war ſo glän⸗
zend als die goldene Glorie um das Haupt der Jung⸗
frau des heiligen Lukas, und man mag ſich leicht vor⸗
ſtellen, daß ich ihn nicht unbenutzt ließ. Die Felſen⸗
wand zu erfieigen nebſt dem barüber Liegenden hohen
Berg, wo über den Fichten ein weithin fichibares
hoͤlzernes Kreuz errichtet iſt, warb beſchloſſen und
trog aller Schwierigfeiten ausgeführt. Zwei ber rüftig-
Ken Mönche mußten, nach vielem Sträuben, mit
Schaufeln voraus, um ein wenig Bahn zu machen,
ı Jetzt ift zwar Megaspileon zu Achaja gefchlagen, doch
ehemals gehörte dieſer Theil des Gebirges, in der Abhängig:
Teit von Kynaetha, noch mit zu Arkadien.
Sudoſtl. Bilderſaal. IL 11
168
und ich. folgte. Unglüctlicherweiſe hatte Francis, dem
ich nichts abfehlagen Fan, durchaus mitgewolli, und
dba wir bald in den aſchigen Schnee Ks über bie
Kniee wateten, ja manchmal bis über den Leib hin-
einfielen, mußte ich ben Hülflofen, ber gänzlich darin
verfchwand, den größten Theil des Weges felbit tra-
gen,. denn des Heine Teufel laͤßt fih von niemand
Anderem handhaben, ohne ihm den guten Dienft mit
heftigen Biffen zu vergelten. Diefer tiefe Schnee, fo
ermübend er war, hatte indeß das Gute, dag wir
mit feiner Hülfe an allen Abgründen fihern Fußes
hinklettern Tonnten, wo es oft ohne ihn kaum möglich
gewefen wäre, wie wir an einigen Stellen, wo ihn
der Wind hinweggeweht, zur Genüge inne wurden. Die
Ausfichten auf hunderte mit Fichten und Kiefern ger
frönte Gipfel, zwifchen denen ſich immer noch höhere,
völlig baumlofe, filberfarbene Kegel erhoben, ferner
auf Das ganze Bett bes Buraikus nach feinen beiden
Seiten bin, und endlich auf das romantifche Kloſter
felbft in der fchmindelnden Tiefe waren prachtvoll,
und mit Stolz zeigten ung die beiden Mönche mehrere
: Höhen, von denen Ibrahims Araber vergebend durch
ihr Flintenfener fie zu ſchrecken verfuht, ohne ihre
Standhaftigfeit erichüttern zu fünnen. | |
Leider bleibt Die Sonne in dieſen Regionen nicht
168
fange fichtbar, und ich war überbieg ein wenig zu
ſpät für ihren Fugen Lauf aufgeftanden.“ Nach eini-
gen Stunden mußte id daher fehleunig an den Nüd:
weg denken, ber nun an einer andern Seite hinab-
genommen wurbe, Am Saume einer Höhle, zu der
wir faft in gerader Richtung niedergerutfcht waren,
brach ich einen Eiszapfen von ber Länge einer
Koſakenlanze ab, den ich auch ganz unverfehrt ins
KMoſter brachte, um Talequale ein Präfent damit zu
machen. Die Mönthe amüfirten ſich Tange wie Kinder
damit, und ſteckten zuletzt den Reſt beffelben unter
großem Jubel ins Feuer, während ich mid; auszog,
und, eine Taſſe Glühwein trinfend, zu Bett Yegte;
denn bier, als dem reinfichflen und wärmſten Ort im
Klofter, halte ich mich Tag und Nacht regelmäßig:
auf, jo lange ich in meinem Zimmer verweile Die
Mönche Habe ich mir nun auch, mit Hülfe Tüm-
nermanns und meines Dieners, fo ziemlid nach der
Hand gezogen. Mehr als 8 von ihnen werden auf
einmal nicht hereingelaffen; fie Tauern ſich dann auf
meine Teppiche nieder, und Dürfen unter ſich nur leife
ſprechen, wenn ich Iefe oder fchreibe, auch nichts an-
faffen, ohne vorher um Erlaubnig gebeten zu haben.
Ich felbft genive mich gar nicht, und dba ich fie nur
felten 108 werben fann, unternehme ich alles, was ich
164
Luft abe und bedarf, als fey ich völlig allein. ZH
erſcheine mie dabei wie Ludwig bes Bierzehnte, der
auch weder aufftehen, eſſen, zu Bette gehen, noch
Gott weiß was fonft Unvermeidliches thun fonnte,
ohne von einem. Theile feines Hofes umgeben zu feyn.
Wenn man erft fo weit gekommen ift, die übrigen
Menſchen wie Thiere anzufehen, wie ich biefe Mönche,
fo geht es recht gut. Aber fo docil fie find, zu einer
befieren Bewirthung find fie doch nicht zu bringen.
Ein mageres, ſteinhartes Huhn täglich für Tünner⸗
mann und mich, ift alles was ih, außer der ſchon
erwähnten Brod⸗ und Zwiebelfoft, von ihnen heraus:
zuprefien vermag. ch bin aber volfflommen damit.
zufrieden, denn meine Natur iſt fo glücklich beſchaffen,
daß ich faft nie die Entbehrung deſſen fühle, was
nicht zu erlangen möglid if. . Die Geizhälfe haben
mi jest gebeten, in Athen ein bort. eingereichtes
Gefuh um Berminderung ihrer Abgaben zu unters
flügen, weil Lieutenant Tünnermann fih den Spaß
machte, ihnen zu vertrauen, daß ich nahe mit dem
Könige Dito verwandt fey. Auf die Nachricht fandten
fie heute fogar nad Kalaprita, um ein Tamm bort
zu faufen, was ich in den folgenden Tagen auf bie
Gefundheit Seiner Majeftät dankbar zu verzehren ge-
benfe — denn noch ift Fein Fortkommen, außer zurüd
165
nach Voſtitza, möglich, und ohne den Waſſerfall des
Styr gefehen zu haben, ber ‘fi im Hergen des Ge⸗
birges vom Khelwos berabftürgt, weiche ich nicht ae
Diefer Gegend, und follte ich bis zum Frühjahr darauf
warten müffen. Man fagt, es fey in dieſer Jahres⸗
zeit nicht thunlih, Doch auf die eine oder die andere
Weile mug es möglich gemacht werden. Was ich
- wirklich wollte, erreichte ich noch immer.
Lieutenant Zünnermann, ber ſich, ohne alle Effek⸗
ten und erbärmlich logirt, noch weit ſchlechter als ich
bebelfen mußte, konnte es nicht länger aushalten und
bat fih daher einer Karavane von 12 Mönden und
eben fo viel Mauleſeln (die das fchöne Wetter be-
nusen wollen, um, wenn fie durchkommen können, nad)
Boftiga zu geben, wo englifche Kaufleute ſchon feit
mehreren Tagen auf fie warten, einen Korinthen-
handel abzumachen), angefchloffen.- Ich verliere ihn
fehr ungern, konnte aber unter den obwaltenden Um⸗
ſtänden unmöglich in ihn dringen, länger zu bleiben.
Hält das Wetter aus,-fo denke ich morgen ſelbſt mid
nad. Kaläayrita auf den Weg zu machen, das nur
einige Stunden von hier entfernt ift, und dann zu
fehben, wie ich eine Anficht des Styr erreiche. Doch
werde ich mich in Zufunft gewiß hüten, je wieder im
Winter die griechifchen Gebirge au betreten. Abgerechnet
166
bie Beſchwerlichkeiten einer Reife, ift fle auch ſehr
theuer, da Man für jedes Pferd oder Maulthier 6—7
Manfen täglich zahlen muß, und den Führern eben
ſo viel. Ueberhaupt find alle Preiſe in Griechenland
anßerorbentlich hoch, was bei der allgemeinen Armuth
auffallend ift, aber durch die geringe Bevölkerung,
und befonders bie Faulheit der Einwohner, erflärlich
wird. Dennoch verfäumen fie Feine Gelegenheit, wo
fie dem Fremden ohne eigene Mühe etwas abpreſſen
fonnen. Ein Reifender erzählte mir in Patras, daß
er einft, mit feinem Diener Tein Unterfommen im
Gebirge findend, die Nacht auf freier Erde zubrin⸗
gen mußte, AS fie am Morgen erwachten, fland ein
Bauer vor ihnen und verlangte eine Dradme par
tete, weil fie auf feinem Grund und Boden ges
fhlafen hätten’!
Ehe der gute Lieutenant abreiste, lehrte er mid)
noch eine nene Kunft, die ich verwandten Seelen mit:
theilen muß. Alle Diejenigen, welche ſich der Cigar⸗
ven bedienen, werben oft Durch folche ennüyirt worden
ſeyn, die feine Luft Haben, was befonderd dann vor-
fällt, wenn fie, nicht Dicht genug eingepadt, fih auf
ber Reife abblätterten. Diefer Umftand hatte mir fo
eben ein Dutzend derſelben unbrauchbar gemadht.
Tünnermamm ftellte fie jedoch alle auf eine Art wieder
467 .
ber, die ihren Geſchmack ſogar noch angenehmer als
im. Normalzuſtande machte. Es wird dies durch eine
ähnliche Behandlung erlangt, wie bei Fertigung pw
niſcher Papiercigarren für Damen. Man nimmt ganz
feines, möglichft dünnes Poftpapier, umwidelt damit
eng.bie kranke Cigarre, daffelbe unten, wo fie ange-
brannt wird, offen laſſend. Oben fließt man. das
Papier, wie man eine Düte zumacht. Iſt dies ge-
ſchahen, jo Hreicht man an dem zugemaihten Enbe bas
Papier wieder auf zarte Weife zwifchen ben Fingeru
nad) oben, fo. daß bie Schließung dadurch Inder ge-
nug wird, um ben Rauch durchzulaſſen, und ſteckt
baun bie Cigarre, wie gewöhnlich, ‚unten an. Keine
einzige e verfügte nad) dieſer Operation ihre befenibienfe:
Den th.
Heute ‚entladen ſich wieder Schneswolken, und
ic) ‚bleibe an mein Lager gebannt! Ein gutex. Tag
zur Benutzung meiner Reiſebibliothek. Da ich :alfo
bier nit fortfam, wandere ich, den Leſer abermals
ohne Sſheu zur Begleitung einladend, mit dem. vor⸗
trefflichen Alexander Burns durch Indien und ben
Himmalaja nach Perſien, und lerne bort. gleich etwas
ſehr Paſſendes, nämlich dag man, um den. übeln
Folgen. des Schnees auf die Yugen zu begegnen, dieſe
v
168
mit Antimonium beftreihen muß. "Wie anmuthig
Däncht es mir ferner, wihrend des fibirifchen Winters
web herben Mangels um mich her, ben anlodenben
Empfang zu lefen, der Burns in Peſhawur zu Theil
ward. ‚Peer Muhammed Khan,” fagt der Reiſende,
‚erwartete uns in feinem Garten unter einer bunten
Laube von Fruchtbäumen, die voll Blüthen waren.
Man breitete Teppiche aus ,. und ehe wir uns. febten,
wurden. die Bäume gefchüttelt, um jene noch Dicht
mit den Blüthen der Aprikoſen und Pfirſiche zu be⸗
beden. Duft und Schönheit dieſes Lagers waren
gleich Sinnentzüdend. Plan feste ums herrlichen
Wein. von Caboul vor, der den Madeira übertrifft,-
aber. die Traube wird bier auch noch anders ver⸗
wandte. Man benutt ihren Saft zum Braten
Des Fleiſches, und bereitet ein Pulver daraus,
was beim Eſſen als pickle gebraudt wird. Dies
gewinnt man durch das Stoßen getrodneter Trauben,
bevor fie reif find.” Ä
Dei den wilden Usbeken und Afghanen Bokha⸗
ra's angelangt, erftaunt Burns über ein dort übliches
Sprüchwort, welches folgendermaßen Tautet: „Ru f-
fifhes Erbarmen ſteht auf gleider
Stufe mit Afgbanifher Tyrannei."
Thee. findet er in Bokhara als das unentbehr-
169
lichſte Getränf wie in China, meiftend aber wird er,
flatt mit Milch und Zuder, mit Salz getrunfen, und
oft noch mit Fett: gemifcht. Dann werden die Blät⸗
ter aus dem Topfe unter die Theegeſellſchaft vertheilt
und wie Tabaf gefaut.
In Wafhan fieht er die Einwohner ihre Pferbe
mit Hirſchgeweihen befchlagen. Sie bringen einen
Theil des Horns in die nöthige Form und befeftigen
es auch mit Nägeln aus Horn. Ein folder Beſchlag
Dauert weit länger als aus Eifen. Dies erinnert mid)
An eine Stelle des Pauſanias, wo er erzählt, daß bie
alten Sarmaten eben fo fhöne Panzerhemden, ale
bie der Griechen waren, aus Pferbehufen gefertigt
frugen.
Alle Völker diefer Gegenden feheinen überhaupt
die größte Sorgfalt für ihre Pferde zu hegen. „Sie
nehmen,” fagt Burns, „am Tage nie den Sattel ab,
weil dies, wie fie glauben, ihnen eine beffere Nacht⸗
ruhe bereitet. Zum Abfühlen werden die Pferde nicht,
wie bei ung, umbhergeführt, fondern Tangfam gerits
ten. Immer balten fie den Rüden des Pferdes bet
Hite und Kälte bedeckt (wie es in Afrifa und Gries
chenland mit den Windhunden üblich ift), und immer
binden fie ihnen den Schweif auf. Die Turkomannen
wallachen ihre Pferde wie die Europäer, weil fie
170
ebenfalls glauben, daß es ihnen. eine größere Dauer
gebe. Um fie den Kopf hoch tragen zu machen, be⸗
dienen fie fich einer eigenen Danier. Sie fperren fie
yon Jugend an in Ställe, die nur ein Fenſter in ber
Dede haben, nad dem das Thier häufig fieht, und
fo ſich lofe im Halfe macht. Die. beften Pferde ber .
Turfomannen (und der Welt nad Burn's Meinung)
fommen vom Stamm SKarabeer, in ber Nähe der
Stadt Shur Subz, her. Auch in Shibbergaum, nahe
bei Balkh, ift eine vorzügliche Race. Wenn die Tur«
komannen trockenes Sutter haben, geben fie nie grüs
‚nes, und mifchen beides nie; auch wird den Pferden
nicht geftattet, außer der regelmäßigen Mahlzeit zu
nafchen. Sie erhalten zu jeder Zeit Außerfi wenig
Wafler, und wenn man fie in training fett, was man
bier fo gut wie ber beſte englifche groom verfteht,
gibt man ihnen fehr viel Arbeit, und dennoch wenig
Sutter. Man tränft fie, wenn fie heiß find, und jagt
fe dann eine Weile noch ftärker umher, damit das
Wafler die Temperatur des Leibes annehme. Erf,
wenn das Pferd, felbft nach der ſtärkſten Erhitzung,
nur wenig Durft zeigt, halten fie es für vollkommen
zu jebem Dienft präparirt. Ihr Fleiſch wird bei
dieſer Behandlung fo hart wie Eifen, und ich weiß
Beifpiele,. führt Burns fort, daß zahlreiche Truppe
181.
bewaffneter Krieger 600: englifche Meilen in tabs Ta⸗
gen zurückzulegen im Stande geweſen find, was wahr-
jgeinli Bein anderes Nferb der Ende vermag. Syn.
Bokhara bat man ein Mittel gegen den Spath unb
dergleichen Ausdehnungen, das fpezififch feun fell. Es
ift ein Del, das aus Sceſdunger durch Deſtillation
ertrabirt wird.
In Meſchid, in Khoraſſan, zeigt ih dem Rei⸗
ſenden ein ergreifendes Schauſpiel gefallener Größe.
Ein direkter Abkömmling des großen Nadix Shach,
der blind geworben, bettelte um einen: Biſſen Brod,
feinen quälenden Hunger zu ſtillen!
Sch fchließe mit einer herriichen Bemerkung des
philoſophiſchen Engländers: „Ein großer Nuten bee
Reiſens it der, bie Borurtheile feines eige-
nen Landes durch die Beobachtung berjeni-
gen zu mäßigen, die in andern Ländern
herrſchen.“ —
Die Mönche braditen mir Abende einen angeb-
chen Knieknochen und eine Ribbe von enormen Di⸗
menſionen, behauptend, dag dies Ueberrefte eines Rie⸗
fen feyen, deffen Grab man fürzlich bier aufgefunden.
Ich vermochte ſie, mir Beides mitzugeben, um es tn
Arhen durch einen gelehrteren Naturforicher, als ich
bin, unterfuchen zu Taffen. Wahrfcheinlih wird es
170
ebenfalls glauben, daß es ihnen: eine größere Dauer
gehe. Um fie den Kopf. hoch tragen zu machen, be⸗
dienen fie fich einer eigenen Manier. Sie fperren fie
yon Zugend an in Ställe, die nur ein Fenſter in ber
Dede haben, nach dem das Thier häufig ſieht, und
fo ſich Tofe im Halfe macht. Die beften Pferde ber
Turfomannen (und der Welt nach Burn’s Meinung)
fommen vom Stamm Karabeer, in ber Nähe ber
Stadt Shur Subz, her. Auch in Shibbergaum, nahe
bei Balkh, ift eine vorzüglihe Race. Wenn die Ture
komannen trodenes Sutter haben, geben fie nie grüs
‚nes, und mifchen beibes nie; auch wird den Pferden
nicht geftattet, außer der regelmäßigen Mahlzeit zu
nafhen. Sie erhalten zu jeder Zeit äußerſt wenig
Wafler, und wenn man fie in training feßt, was man
bier fo gut wie ber befte englifche groom verfteht,
gibt man ihnen fehr viel Arbeit, und dennoch wenig
Futter. Man tränft fie, wenn fie heiß find, und jagt
fie dann eine Weile noch ftärfer umher, damit das
Waſſer die Temperatur des Leibes annehme. Erf,
wenn bas Pferd, felbft nach der ftärkfien Erhitzung,
nur wenig Durft zeigt, halten fie es für vollfommen
zu jedem Dienft präparirt. Ihr Fleiſch wird bei
dieſer Behandlung fo hart wie Eifen, und ich weiß
Deilpiele,. fährt Burns fort, daß zahlreihe Trupps
187.
bewaffneter Krieger 600: engliſche Meilen in ſechs Tas
gen zurückzubegen im Stande geweſen find, was wahr⸗
ſcheinlich kein auderes Nferb der Ende vermag. In
Belhara hat man ein Mittel gegen den Spath unb
dergleihen Ausbehnungen, das fpezififch feun fell. Es
ift ein Del, das aus anfänger durch Deftillation
extrabirt wird.
In Meſchid, in Khoraſſan, zeigt ſich dem Rei⸗
ſenden ein ergreifendes Schaufpiel gefallener Größe.
Ein direkter Abkömmling des großen Nabir Shach,
ver blind geworben, bettelte um einen. Biffen Bros,
feinen quälenden Hunger zu ſtillen!
Ich fchliege mir einer herrlichen Bemerkung bes
philoſophiſchen Engländers: „Ein großer Ruben bee
Reiſens ik der, bie. Borurtheile feines eiger
nen Landes Durch die Beobahtung berfeni-
gen zu mäßigen, die in andern Ländern
herrſchen.“ —
Die Mönche brachten mir Abends einen angeb-
fihen Knieknochen und eine Ribbe von enormen Dir
menſionen, behauptend, daß dies Ueberreſte eines Rie⸗
fen feyen, defien Grab man kürzlich hier aufgefunden.
Ich vermodte fie, mir Beides mitzugeben, um es in
Athen durch einen gelehrteren Naturforfcher, als ih
bin, unterfuhen zu laſſen. Wahrfcheinlih wird es
172
von irgend einem antebiluvianifchen Thier herrühren.
Auch einige gefchnittene Steine probueirten fie, die
man in Sykion ausgegraben. Es war jedoch ganz
orbinaire Waare, wie man mir in Afrika das Dutzend
dergleichen oft für 5 Franken anbot.
Kalavrita, den 2often.
' \
In der legten Nacht hatte es ſtark geregnet, wo⸗
durch eine große Menge Schnee abgefloſſen war,
und die ganze Gegend davon jetzt wie geſcheckt aus⸗
ſah. Ich machte mid, da das Fortkommen nun mög⸗
lih wurde, fogleich gegen eilf Uhr auf den Weg, ven
ich weniger fehlecht fand, als ich erwartete, Bei meis
nem Abſchied von den Pfaffen Tieg ich ihnen, während
man bie Trinfgelder austheilte, durch meinen, bier
als Dragoman fungirenden, Anzi verdolmetſchen, daß
fie fih auf meine Fürfpradhe in Athen verlaffen möd-
ten, denn Niemand babe fih von ihrer bittern Ar⸗
muth beffer überzeugen können als ih, für den fie,
wie ich wiffe, fo gütig Alles gethban, was in ihren
Kräften geftanden, und damit doch kaum die Bewir⸗
thung des geringfien Bauern zu erreihen im Stande.
gewefen wären. Sn. der That kann ich auch hier den
ökonomiſchen Papa's meine Dankbarkeit nicht beſſer
1 Sie wiefen fih gar nur als Fiſchknochen aus.
173
beweifen, ald indem ich jedem Fremden rathe, zwar
ihr Slofter als eine hohe Merkwürdigkeit zu befehen,
aber fi} ja vor jebem Aufenthalt bei ihnen zu hüten
— welche Warnung überdieß, wenn fie befolgt wird, .
den Mönchen mehrere halb verhungerte Hühner und
eben fo viele Bouteillen ihres gefirnißten Weins er-
fparen würde. Diefe Gegenflände waren wenigftens
das Einzige, womit ich fie in Unfoften gefegt, da
das von mir prophezeihte, unfchuldige Lamm von
Kalavrita weistich erft die Nacht vor meiner Abreife
anfam, weßhalb ich alfo nicht zu feinem fleifchlichen
Genuſſe gelangt bin.
Es waren wilde und herrliche Couliſſen, durch
die ih nach Kalaͤvrita gelangte, obgleich die Approchen
der Hölle auch nicht viel anders ausfehen mögen.
Das Wetter blieb ganz im Einklang mit ihnen, bald
nachtdunkel mit einem Hagelfchauer, bald durch einen
plöglihen Sonnenblick zwiſchen rolfenden Wolfen
blisartig erhellt, bald durch den feinen Regen, mit
ftehendem Schneegeftöber gemifcht, und zwingend,
sum Gapuchon der Bernus unfere Zufludt zu neh⸗
men — und hier muß ih noch einmal den göttlichen
Byron eitiren, von dem Herr Field fo myſtiſch wahr
fagt: Byron's Pallette ift vorzüglich mit Schwarz
174
und. Roth ausgehaitet, worin nichs weniger Charalie«
riſtiſches Liegt, als in Homer's Violett und Bold.
Auch in Briechenland, unb nicht entfernt von die⸗
fee Gegend, ruft der engfifche Barbe, fo tief meinen
Gefühlen entſprechend, aus:
Dear nature is the kindest mother still
Though all way changing , in her aspect mild;
From her bare bosom let me take my fill,
Her never veaned, though not her favoured child,
O! she is fairest in hier features wild,
Where notäing polished dares pollute her patlı.
To me by day or night she ever smiled,
Though I have marked her where none other hath
And sought her more, and loved. her best in rath!4
Nachdem wir ungefähr eine Stunde geritten
waren, famen wir an eine gebrechliche Brüde, bie
nur aus zwei ſchwankenden Balfen und Iofe darüber.
gelegten Knüppeln beftand. Der vorderſte der Gens
d’armes — doch hier muß ich anhalten, um nidt
ı Einige Freunde haben mir vorgeworfen, häufig Citatio⸗
nen aus Autoren in fremder Sprache ohne Heberfeßung anzu⸗
Bringen, obgleich der zehnte Deutfche fie nicht verftünde. Darauf
antworte ih: „Wer's verfiebt, für den ift es hergeſetzt, und
wer's nicht verfteht, dem gefällt e8 doch, wie die Damen yon
Sean Paul's Werken hauptfächlich deshalb entzüdt waren, weil
fie meiftens nicht ein Wort davon verftanden; oder die Hegelia-
ner ihres Meifters legitime Orakel dann am meiften anftaunten,
wenn er fie vielleicht ſelbſt nicht verſtand.“
17%
Rraffällig zu werben; denn ich babe vernommen, daß
vermöge eined baierifchen Nefcripts, welches. auch.
in Griechenland fein vffizielles Echo gefunden, das
obige Wort in Zukunft „Gen darm“ bei nambaf-
ter Strafe geichrieben werden muß, weil unnütze
Witzlinge die Dlitglieder des refpectabeln Corps durch
bie Benennung „Gänsdarme“ (nad der alten Schreibs
art Gens d’armes) ſchwer gefräntt hätten. Ich weiß,
nit, ob man im Uebertretungsfalle vor dem Bilde
des Königs Abbitte thun muß, aber jebenfalld füge
ich mich refpectvoll dem geftrengen Befehl. — Alſo
dee Gendarm flieg ab, ich war zu bequem dazu,
fam indeg eben fo gut hinüber. Dod der Dämon
wollte, daß der Efel, welcher Bett und Toilette trug,
burchbrechen und in das unbequemere Bett des Berg⸗
ſtroms flürzen follte. Was aber der Damon will —
das geſchieht. Das Thier felbft nahm ‚zwar wenig,
Schaden, aber ich blieb der leidende Theil, denn nicht
nur das hier fo troftreihe Bett ward gänzlich durch⸗
näßt, fondern aud meine Toilette, Spiegel, Rafirs
meffer und der fämmtliche Reſt wohlriechender Effen-
zen, den mir bie maltefiihe See noch gelaffen, fanden
bier ihren Untergang. Eine lange türfifhe Pfeife
leiſtete ihnen zum Ueberfluß Geſellſchaft. Noch einige
dergleichen Zufälle, und ich werde mich bald in der
— — —— — 70 —
176
Berfaffung befinden, die zum Reifen in diefem Lande
yaßt, nämlich nichte mehr mit mir führen, als was ich
auf dem Leibe trage.
Die Sache hielt uns ſo lange auf, daß ich mich
genöthigt ſah, um wenigſtens für meine Perſon noch
bei Tage in's Nachtquartier zu kommen, wieder mit
dem einen Gendarmen vorauszureiten. Die Gegend
ward immer rauher, die Felſenſchluchten von immer
höheren Bergen überragt, dicht verhüllt von ihrem
ſchwarzen Fichtenmantel, den graue Nebelſtreifen ſäum⸗
fen. Da ſtürzen mit einem Mal drei fürchterliche
Hunde auf ung los, die Pferde heftig attafirend, ohne
jedoch zum Glück von meinem Heinen Francis Notiz
zu nehmen, und zu gleicher Zeit hören wir von ver=-
fhiedenen Drten um ung her ein wiederholtes, durch⸗
dringenbes Pfeifen. Ich fehe meinen Gendarmen troß
des fleinigen Weges fein Pferd baftig in Galopp
fegen, und muß eben folgen, da er mir auf mein Ru⸗
fen feine Antwort gibt, fondern im Gegentheil fein
Thier immer heftiger antreibt. Nachdem wir fo eine
geraume Strede fortgejagt, begegneten wir zehn bie
Zwölf Bauern, die einige Maufthiere escortirten. Hier
hielt endlich) der Gendarm fein keuchendes Roß an,
und da ich mich nicht mit ihm erpliziren kann, weil
er nur griechifch Spricht, fo erfuhr ich erft in Kalavrita,
197
bag er, durch die Art der Hunde und das Pfeifen in
den Bergen beforgt gemacht, wirklich einen. Leberfall
vermuthet, und deßhalb feinen Weg fo fehleunig fori⸗
gefegt hatte. Dan beflätigte uns in der Stadt, daß
die Berge allerdings noch nicht ganz geheuer feyen,
doch da eine Stunde fpäter der Reft unferd Zuges
unangefochten anfam, fo bezweifle ih, daß etwas
Anderes ald Ziegenhirten, die ihren böfen Hunden
pfiffen, Anlaß zu dem panic bes tapfern Gendarm
gegeben hatten.
Kurz vor Kalavrita erweitert fich die Schlucht und
nimmt einen weit freundblichern Charakter an. Ihr
einige hundert Schritt breiter Grund iſt ganz eben
und mit grünem Gras bedeckt, welches jetzt durch⸗
gängig einige Zoll hoch vom Fluffe überſchwemmt war.
An mehreren Orten wateten Kühe in dem ermweichten
Boden, aus dem an andern die Iangen Stengel weit
fi) hinziehender und gleichfalls dicht vergraster Mais-
felder hervorragten. Kurz vor der Stadt mündet fi
diefe Schlucht in ein freundliches Thal, das erfte,
welches wir im Gebirge antrafen, zwar immer nur
von geringem Umfang, aber mit dem forgfältigfien
Anbau,
Wenn ih im reihen Klofler Megaspileon wie
Süpöftl. Bilderfaal. II. 12
ein Delinquent gehalten worden war, und noch jetzt
on biefen Aufenihalt nur wie an eine mährchenhafte
Viſion zurückdenken Tanıı, fo ward id) Dagegen in dem
armen Kalapriia wie ein König empfangen. Schon
Auf den am Tage vorher abgeſandten Befehl aus Pa⸗
306, und einen italieniſchen Brief von mir ſelbſt,
‚beide an den Eparch⸗ Subftituten in Kalaͤvrita gerich-
‚set, hatte diefer geantwortet: daß man mich mit „im-
‚menso e stupendo piacere“ erwarte, umd der Erfolg
bewies, dag dieß nicht ſatyriſch, fondern höchſt auf-
richtig gemeint war.
Einige Minuten vor der Stadt Tamen mir zwei
Boten entgegen, um mid nad) dem Haufe bes Herrn
Aſſimaͤthis Papadoͤpulo zu führen, wo mich der Eparch⸗
Subfitut, ein hübjiher junger Diann, der aber nur
griechiſch ſprach, und fich den italienifchen Brief vom
‚Doctor loci Batte machen Iaffen, bewillfoinmte, ferner
ber Tiebenswürdige, freundlide Wirth ſelbſt und ber
befagte Doctor, welcher in Stalien ſtudirt hat, und
uns als vortreffliher Dolmeticher diente. Die Stube,
welche man mir anwies, hatte freilich wie alle, bie ich
bisher bei den Eingeborenen gefeben, auch nur [lichte
Kalkwände, aber dießmal waren ed reinliche weiße;
zund herum flanden ‚elegante ſcharlachrothe Divans,
und ein hübfher Smyrnaer Teppich war über ben
179
Boden gebreitet. Sogar ber bier feltene Luxus eines
Spiegels fand fi vor.
Sobald ich mich niedergelaffen, brachte man mir,
durchnäßt wie ich war, und noch ohne eigene Sachen
zum Wechſeln, feine weige Soden mit flattlihen tür-
fifchen Pantoffeln, und präfentirte mir fehr empfeh⸗
lungswerthe Confitüren, aus Rofenblättern bereitet,
deren Duft eben fo Töflidh als ihre Geſchmack iſt. Gleich
darauf erfehien der Bifchof, der Oberft der Miliz, der
Iegtere ein Triegerifch ausfehender Mann in prächki-
gem Nationalfoftüm, der Befehlshaber der Gendar⸗
men des Orts, und die erflen Nobili Kalaprita’g,
(unter welchem Titel fte mir präfentirt wurden), um
mid zu bewillkommnen. Diefe gütigen Aitentionen
erfiredten fich fogar bis auf den höchſt unglücklich aus⸗
febenden Francis, der, mit dem Lehm der Straße be-
det und naß wie eine gebadete Kate, jämmerlich
zitterte und ohne Unterlag niedte, Auf meine Bitte
warb ihm fogleih ein laues Seifenbab bereitet und
eine warme Kraftfuppe vorgefegt, welches ihm denn
wich in Kurzem feine ganze angeborene Luſtigkeit und
liebenswürbige Schelmerei wiebergab.
Mit einer höchſt dankbar von mir erkannten Des
likateſſe ließ man bie ehrenvollen Befuche nur fehr
kurze Zeit andauern, brachte mir dann Pfeife und
480
Kaffee und geflattete mir, mid damit ganz meiner:
Bequemlichkeit zu überlaffen. Während diefer Zeit
waren auch meine Leute angefommen, und um ſechs
Uhr trat Herr Papadopulo wieder herein, um anzu⸗
fragen, ob ich zu fpeifen befehle. Ich bejahte dies
mit demfelben Eifer, wie der Sultan Amuratb ber
Dritte, deffen erſtes Wort beim Antritt feiner Regie—
sung war: Gebt mir zu effen, denn ich bin fehr
Hungerig — eine Heußerung, die den ganzen zur Huls .
digung verfammelten Hof mit Entfegen erfüllte, und
worauf fonderbarerweife auch wirklich Furz nach ber
pminöfen Rebe eine Hungersnoth erfolgte, wie fie
Conftantinopel nie fchredficher erfahren hat. Ich
fhmeichle mir, daß Kalaͤvrita durch meinen guten Ap⸗
petit Fein gleiches Unglück befallen wird.
Was nun meine Bewirthung betrifft, fo erhielt
ich ein fehr reſpektables Diner, das fogar feinen klaſ⸗
fifhen Anftrich hatte, denn die Hauptfchüffel war
der ſchon im Altertum berühmte Fiſch Peſtropha aug
bem Alpheus (genauer aus dem Ladon, der den Haupt⸗
zufluß des Alpheus aus dem Norden Tiefer). Es ift
ohne Widerrede. der glorreichfte Flußfiſch auf dieſer
Erde, und dabei ganz ohne Gräten, wie ein Bewoh⸗
ner ded Meeres. Zu erwähnen find auch eigentbümlich
präparirte Weintrauben. Ich kann fie nicht befier bes
181
fchreiben, ald wenn ich fage: daß fie fich im Zuſtande
halber NRofinen befinden, aber noch mit Beibehal«
tung des Saftigen und Croquanten ber frifchen Traube,
Alles Uebrige war entfprehend, und zwei vier Kuß
hohe Kirchenkerzen erlenchteten dies folitaire Feſtgelag.
Der Wirth, obgleich einer der Bornehmften des Orts,
brachte alle Schüffeln ſelbſt, und hielt reſpektvoll den
Fes in der Hand, ald ich auf feine Gefundheit trank;
den größten Werth aber erhielt alles dies durch bie
unverfennbarfte Herzlichfeit, mit der ed geboten ward,
und es rührte mich wahrhaft, als nach vollendeter
Mahlzeit Herr Aſſymäthis wieder hereintrat, auf jedem
Arme einen feiner hübfchen Fleinen Knaben tragend,
um mich zulest auch mit dem befannt zu machen, was
ibm auf der Welt am Tiebften fey.
Spät Abende kam noch einmal der junge Eparch⸗
Subftitut Joanny Lambropulo zu mir, um, wie er
verbindlich fagte, meine Befehle für den folgenden
Tag einzuholen. Er theilte mir mehrere fehr wills
fommene Notizen über die Antiquitäten der Um⸗
gegend mit.
Erft während der Revolution, fagte er unter an⸗
dern, habe man die Ruinen son Klitoria mit den
Reften feiner Afropolis aufgefunden, wo zugleich einige
werthvolle geidmittene Steine ausgegraben wurden,
— —
von denen er mir einen ungemein ſchoönen zeigte, wel⸗
der eine ähnliche Gruppe wie die Kolofie des Qui⸗
rinals darftellte. Eben fo iſt die Lage von Kynaetha
genauer beſtimmt worden, das Leake irrig an ber
Stelle des jetzigen Kalaͤvrita ſupponirte; es iſt noch
anderthalb Stunden öſtlich davon entfernt. Pauſanias
erzählt, daß die Töchter des Proetus in einem Anfall
son Wahnfinn in eine große Höhle der Bergreihe
Aorania (Khelmos) flohen und von Melampus nad
Luft gurüdgebradht wurden. Diefe fehr große und
merkwürdige: Höhle ward durch Griechen, bie eine
Zuflucht vor den Türken fuchten, zufällig wieber ent-
dedt, und hat ihnen lange die beiten Dienfte geleiftet.
Aud die Lage von Luft ‚hat fih durch mehrere aufges
fundene Trümmer mit ziemlicher Sicherheit ergeben.
Wäre die Jahreszeit günftiger, fo hätte ich gern alle
biefe Erkurfionen gemacht, jett ſcheint es faft unmoͤg⸗
lich, und auch bie Zeit drängt mich, da mein Quartier
tn Athen ſchon gemiethet ifl. Sch darf alfo vor ber
Hand nicht weiter daran denken.
Den aıflen.
Kalavrita war fonft die Hauptſtadt des Difiriis,
mit einem bier refipirenden Woiwoden, und iſt in der
griechiſchen Gefchichte auf ewig denfwärdig dadurch
geworben, daß in dieſer Stadt, umer Leitung bes
Erzbiſchofs Germanos von Patras und des Andrea
Zaimp, die Revolution zuerſt ausbrach, der bald das
ganze Land folgte. Dan zeigte mir die Ruinen ber
verbsannten Moſchee, fo wie bes kleinen Palaſtes,
wo ſich die Bureaus der Regierung befanden, und in
dem ſich die angegriffenen Türken verſchanzten, auch
ſechs Tage lang tapfer vertheidigten, bis Hunger fie
zur Uebergabe zwang. Dan bielt fie im Anfang nur
gefangen, ald aber Dramalid mit feiner Armee bei
Korinth Iandete, und man dies hier erfuhr, wurden
fie von den erbisterten Tredes! fämmilich niederges
machi, den Woiwoden und Kadi mit einbegriffen.
Es war heute Sonntag und der letzte Carnevals⸗
tag, nach dem ein langes und ſtrenges Faſten für alle
Griechen eintritt. Die Straßen der kleinen Stadt
winmelten daher von recht artigen Masken, die ſich
fehr anſtändig betrugen, und mich immer, wenn ich
mich unter fie miſchte, ehrerbietig grüßten. Die ge⸗
fällige türtifche Manier, die Hand beim Gruße an die
Druß zu legen, iR auch in Griechenland allgemein,
außer bei denen, bie europaͤiſche Tracht und Sitten
angenommen haben.
1 Name derjenigen Bergbewohner, die zuerſt die Waffen
ergriffen. | |
104
Ich benuste meine Muße zu Erfleigung eines
Hügels hinter der Stadt, von dem man eine reizende.
Ausfiht auf das Thal und die umliegenden mannigs.
fach geformten Berge genießt. Am fühnften fleigt aus
ihnen der ifolirte Felfen auf, wo das Schloß Tremola
fiand, eine Veſtung der Venetianer, von ber jedoch
faft nichts mehr als einige niedrige Mauern übrig.
find. Sch feste mih dann zu Pferde, um nad dem
Klofter Santa Raura zu reiten, das eins der älteften,
im Lande, noch älter ald Megaspileon und fchon ſeit
900 Zahren geftiftet if. Der alte Biſchof wollte es.
fih nicht nehmen laſſen, mit einem blauen Turban
und großen Neiterftiefeln angethan, mich auf feiner
muntern Falbe zu begleiten, und auch der Oberft, ein
aus der Revolution berühmter Kapitano, mit Namen
Baſiliko Petimefas, ſchloß fih mit dem Dottore on,
fo daß wir eine ziemlich anfehnlihe Cavalcade büdes
ten. Der Oberſt ritt einen ausgezeichnet fhönen ara⸗
bifchen Hengft, ganz türkiſch geihmüdt, und früher jo
mit Sad und Pad von einem Paſcha erbeutet; fan
Sohn hatte einen getigerten Bergpony beftiegen, neben
ben ber Pfeifenträger in Pantoffeln mit-Iangen Spigen
zu Fuß berlief, der Dottore zog auf einem beſcheide⸗
nen Eſelein daher. Man fieht von ben Bergen, au
benen ber Weg binführt, in einen reich mit Wein
x
bebauten Arm des Thales von SKalävrita, und auch
bier gehört der größte Theil der fruchtbaren Felder
wieder den Richards von Megaspileon. Die Mönde
von Santa Laura find viel ärmer und haben ihr ganzes
Klofter erft vor kurzem neu aufbauen müffen, weil
Ibrahim ed bid auf den Grund nieberbrannte. Es
ift in Form eines großen Duarrees aufgeführt, und
fieht fo alterthümlich aus, als zähle es bereits wieder
ein Jahrhundert. Um eine große Silberpappel, bie
davor fteht, ift eine fleinerne Terraffe gemauert wor-
den, von ber wir über viele andere Bergſpitzen nad
drei verfhiedenen Weltgegenden bin die glänzenden
Schnechänpter des Bohidia, des Olonos und bes
Khelmos zugleich erblidten, während das zu Füßen
liegende frieblihe Thal mit feinen friſch geaderten
Weinfeldern wie mit rother Farbe überzogen erſchien,
denn an ben meiften Orten zeigte gerade die frucht-
barfte Erde dieſe Färbung. ’
Die hiefigen Berge find faft alfe mit den Sträus
Sen einer immergrünen Quercusart bewachſen (quer-
eus ilex), welche felten zu Bäumen werden, und auch
andere hohe Bäume find nicht häufig. An Waffer
zeigt: fich diefe Gegend deſto reicher, und das Waffer
ſelbſt iſt meiſtens von vorzüglicher Dualität. Wie in
der Zeit der Alten, fabelt man auch jebt noch afleriek
von diefen Quellen: bald heilen fie den tolfen Hunds⸗
big, bringen männliche Kinder hervor, oder find ein
Sperifieum für andere Kranfpeiten ‚ bald verurfacdhen
fie auch) welche.
Die Mönde bewirtheten ung mit ben fih ewig
bier wiederholenden Konfitüren, Wafler und Kaffee,
bie ich bei den heute gemachten Bifiten wenigftens
ſchon ſechsmal genießen mußte, und ſchienen etwas
reinliher als ihre Amtshrüder in Megaspileon zu feyn.
Dem Biſchof widmeten ſie ganz dieſelben Devotions⸗
Bezeigungen, als die Araber ihren Chefs. Sie küßten
ſeine Hand, drückten ihre Stirn darauf und gehorch⸗
ten aufmerkſam jedem feiner Winke — denn verlöre
fi die Disziplin aud überall, in der Kirche hält
fie gewiß am längften an.
Ich vergaß. zu fagen, dag Herr Lontos in Voſtitza
mir einen ſchwarzen Windhund von. der herrlichen
Race von Gaſtuni gefchenft hat, die. nirgends über»
troffen wird. Diefer Hund begleitete mich auch heute,
und zwar, wie es hier gemöhnlich iſt, in eine bide
Friesjacke gelleibet, die um ben Leib durch einen Gurk
befeftigt if. Auf dem Rückweg ſtöberte er, wie ei
Hühnerhund revierend, im Gebüfch einen Hafen auf,
und trog dem hindernden Anzug fing er ihn nach einer
wiennlic) langen Jagd, mitten unter ben hohen Sträu⸗
dern, weiches Teinem umferer auch ber beften Sole
fänger möglich gewefen wäre. Was mich am meiſten
frappirte, war, daß dad Thier nach einer fo ermüben-
ben Berfolgung auf dem fchwierigfien Terrain, bergs
anf ımb bergab, fich nicht im mindeften außer Athem
zeigte, fobald ihm der Hafe abgenommen war, und
ruhig mit den Pferden weiter Tief, one auch nur
ein inzigesmal die Zunge lechzend herauszuſtrecken.
Jeder Liebhaber der Hetzjagd wird bied gleich mir zu
ſchätzen willen.
Rah unſerer Zurüdkunft erhielt ich noch die
nachträglichen Bifiten des Juſtizperſonals, nebft denen
einiger andern Ortsbewohner, und überzeugte. mich dann
son neuem, daß es fchon deßhalb werth if, nach Gries
chenland zu reifen, um Peftropha zu effen, von dem
heute ein noch vollendeteres Eremplar als geftern
meine Tafel zierte. Die Kritifer werben hier wieder
über meine Gourmandife in Harniſch gerathen, ich
will aber meinem Enthuſiasmus über biefen Fiſch
Raum geben, entfiehe Daraus auch, was da wolle, und.
warum ſollte ih nicht? Er ift fo gut eine berühmte
Kreatur Gottes und Griechenlands, als der felige
Hräfident dieſes Reiches felbft, und beide haben über-
dieß jetzt noch die Aehnlichkeit mehr gemein, einer wie
der andere gegeffen zu werben, wenn au der. Iehte
nur von den Würmern, und fein Andenten von ben
Berläumbdern, den gefräßigften aller Thiere. Ich ers
Höre alfo, daß. ih ein wahrhaft fchmerzliches Des
dauern fühle, daß einige meiner Parifer Freunde,
die einen. boben Rang als elegante und harmloſe
Berzehrer einnehmen, dieſen Abend nicht meine Mit⸗
gäfte fepyn Tonnten, Sie würden mit nit geahneter
Beihämung haben geftehen müffen, daß fie, obgleich
Profefforen der Kunſt, doch binfichtlich des Fifches bis
jest im Dunfeln tappten. Wäre es möglich, den vors
trefflihften holländiſchen Turbot mit der ebelften
Lachsforelle des Genferſee's in ein Wefen zu vers
ſchmelzen, fo würde ein folches begünftigtes Geſchöpf
fih dem Peftropha entfernt nähern, doch ihn zu ers
reichen noch Tange nicht im Stande ſeyn. Kalaͤvrita
bat nun für mich eine Doppelte Berühmtheit gewonnen,
Es begann die Revolution gegen die Tyrannen und
lehrte mich den Peftropha Tennen.
„Sceptrum eripuit tyrannis et fluvio piscem !”
Es gab auch noch einen andern fehr anziebenden
Gegenſtand im Haufe des Herrn Papadöpulo, zwar
nur ein Dienſtmädchen, das aber vom Kopf bis zum
Fuß als Modell einer antifen Benus hätte bienen
tönnen. Lady Morgan hat mir vorgeworfen, von
einem Mädchen ähnlicher Art, einer Gaſtwirthstochter
BEE... ZU -
aus Irland, zwei Seiten lang das Publikum unters
halten zu haben. Ich fehe den Grund meiner Strafs
barkeit in diefer Hinficht nicht ein. Lady Morgan ik
felbft nur die Tochter einer unbebeutenden wanbernden
Schaufpielerin, wie man mir gefagt, und bezaubert
doch die Welt Durch ihren Geift, warum foll eine
Gaſtwirthstochter, oder ein Dienftmädchen, nicht durch
ibre Schönheit bezaubern können? Sn diefer
Region gilt der Rang gar nichts, und eine Magd
mag darin hunderimal mehr werth feyn als eine Koͤni⸗
gin. Wir Künftler wenigftens denken fo, und darum
bleibt, troß ihres geringen Standes, die. fhöne Maria
von Kalävrita, in ihrer originellen, wilden Scheuheit,
ihrer nur von der Natur erlernten Coquetterie, und
threr Haffifhen Schönheit, meinem Andenfen tiefer
eingeprägt, ald gar manche vornehme Dame meiner
Befanntihaft, die viel Darum geben würde, ihre anas
tomifch -präparirten Reize gegen bie Fülle diefer urs
fprünglichen vertaufhen zu koͤnnen.
Doch vergiß leifes Fleh'n, füßes Wimmern
Unter Schnee, nackten Felſen und Trümmern —
denn nur ſolche Freuden ſtehen Dir jetzt bevor!
Der Styr macht viele Schwierigkeiten, ſich be-
trachten zu laſſen. Alles beftätigt mir, daß bie Straße
nad Solos haushoch verſchneit ſey, doch meinte Einer
Rn —
ar WE
wenn id) einen Umweg von 12 Stunden machen wollte,
könnte ich vielleicht hingelangen, ma & pericolo della
vita, ſetzte ſelbſt der Oberſt hinzu, denn vor dem
Monat Juni unternimmt Niemand dieſen Beſuch, ja
der Doctor wollte mich ſogar glauben machen, daß bis
zu dieſer Zeit immer ein Rebel vor dem Styr ſchwebe,
der ihn nicht fihtbar werden ließe. Aber was hilft
dies Alles jegt, ich Fann den Zuni nicht herzaubern,
und habe ich einft in früherer Zeit im Auguft bie
afritanifche Wüfte bereifen müffen, fo paßt es recht
gut, daß ich nun im Februar die ungangbaren Schnee=
berge des Peloponnes forcire. Ich werde alſo morgen
den Verſuch beginnen, follte er auch mit der Um
annehmlichkeit verbunden ſeyn, einige Falte Nächte
unterwegs in einer Bauernhütte oder gar im Freien
bippuafiren zu müäffen. Ich ſchwor beim Styr, ben
Styx zu fehen, und muß nun meinem Schidfal folgen.
Im Gebürgsdorf Dhiakof to,
den 22. Abends.
Die Ruſſen halten es für bedenflih, an einem
Montag abzureifen, und hätte ich nicht ſchon den böfen
freitag, fo würde ich ihren Glauben annehmen. Der
beutige Montag wenigſtens bewährte fih in biefem
übeln Sinne durch eine fehr traurige Begebenheit.
Wir waren Taum einige Stunden geritten, als mein
fleiner Franeis auf dem engen Steinmwege unter bas
Pferd des Gendarm gerieth, und da diefer nicht auf
ihn Acht gab, fo fehredlidg getreten wurde, daß .ciner
feiner Zehen ganz abgelöst und der Ballen des linken
Vorderfußes in der Mitte gefpalten wurde. Das
arme Thierchen kam fogleich mit kläglichem Gefchrei |
auf drei Beinen zurüd, die kranke Pfote bis an fein
Schnäuzchen grabe emporhebend, als wolle es, Hälfe
ſuchend, mir gleich vecht deutlich zeigen, wo fie fo
nöthig ſey. Es war in diefem Augenblide gut, daß
ich fein Sultan bin. Denn als Solcher geboren und
erzogen, würde ich wahrſcheinlich in ungebändigter
Wuth den Gendarm erſchoſſen haben. So aber be-
zwang ich wich, bis nach und nad fein eigener uns
verfiellter Kummer mich wieder mit ihm ausföhnte. |
Wir ftiegen nım beide, den Patienten in unfern Armen,
zu dem Burailus hinab, um durch ein fortgefegtee
faltes Wafferbad der Suflammation zuvorzukommen.
Dom wurde der Berunglüdte in ein feidenes Tafchen-
tuch gewickelt und im Mantel aufs Pferd genommen,
wo der Aermfle noch vier Tange Stunden verweilen.
mußte, ehe wir ein Quartier auffinden konnten. Der
Weg mar fürdterlih, und man hatte mir nicht zu
L
U 0]
viel davon in Kalävrita gefagt, aber wunderbar. ſchön
in ihrer grandiofen Wildheit war aud die Natur!
Einmal hatten wir, bei einem nur fußbreiten Pfade,
rechts über ung eine grad auffteigende Felswand, bie
der vom Klofter Megaspileon wenig nachgab, und
links eine gleiche, die bis an den Rand des in der
Tiefe fohänmenden Fluffes niederfant, und von ber
man den Blick abwenden mußte, um nicht den Muth
zu verlieren. Hier war man genöthigt worden, wie
mir Anzi nachher erzählte, alle nachfolgenden Mauls
thiere abzuladen, und das Gepäd einzeln berüber zu
fchaffen. Oft blieben unfere Pferde im Schnee fo feſt
ſtecken, dag wir geraume Zeit brauchten, ebe fie fid
wieder herausarbeiten konnten; das Schlimmfte aber
war, daß an mehreren Stellen Schnee und Regen das
Erdreich zwifchen den Steinen bergeflalt durchweicht
hatten, daß es abgeriffen war, und dann. zuweilen
eine Queerfpalte von mehreren Elfen den Weg gänz-
lich unterbrach. In ſolchem Falle blieb nichts anderes
übrig, als fi daneben am fteilen Abhang durch die
Felsblöcke eine andere Paffage aufzufuhen, wahrlid
fein leichtes Unternehmen, und wegen der naben Abs
gründe fo halsbrehend, als ‚irgend eines, das mir
vorgefommen ift. Dabei blieb es zulegt noch ungemein
sönant, immer breierlei nicht aus. der Acht laſſen zu
193
dürfen, nämlich: erſtens die Betrachtung der belles
horreurs der Gegend, als den Hauptzweck meiner
Reiſe, zweitens bie ſtete Vorſicht gegen einen Räuber⸗
Anfall, welche die Klugheit gebot, und drittens die
größte Aufmerkſamkeit auf die Gefahren des Weges
ſelbſt, um nicht unvermuthet Arme und Beine zu
brechen.
Als wir eine gewiffe Höhe erreicht hatten, ver⸗
ſchwanden die füblihen Sler= und Duerceuss Arten,
und ein dem unfrigen fehr ähnlicher MWachhotber, nebft
der nordiſchen Tanne, nahmen allein ihre Stelle ein.
Sn diefer Region Tag durchgängig tiefer Schnee, und
die Wildheit ber Umgebung fleigerte fih bis zum
bögften Grabe. Dennod waren hier mandhmal Höhlen
zu einfamen Wohnungen benugt, doch fahen wir keinen
ihrer Befiter; nur Ziegen mit gewundenen Hörnern,
die Darum herlagerten, verrietben die menfchlihe Nähe,
Am meiften frappirte mich der Anblid einer Tangen
ganz ſchwarzen Schlucht von wenigftens 1500 Fuß
Tiefe, deren fteile Abhänge dicht mit niedrigen Tannen
bewachfen waren; fie wurde dadurch noch ſchauerlicher,
daß ihre Gipfel auf beiden Seiten von ſchnell ziehen»
ben Wolfen verborgen wurden, zwiſchen denen weit
am Ende der Schlucht ein Meerftreifen als magifcher
Spiegel erſchien, den ebenfalls dicke Wolfen umhüllten,
Süvöftl. Bilberſaal. II. 13
104
bie gleich einem mpftifchen Rauche daraus empor zu
quellen ſchienen. Leider entluden ſich alle dieſe Nebel
bald darauf mit einem erneuten heftigen Schneegeftöber,
das während ber legten Stunden unferer Tagesfahrt
auch ununterbrochen anhielt. Erſt gegen 5 Uhr er⸗
reichten wir bei völliger Dunkelheit Dbiafofto, ein
Ort, der aus lauter einzeln zerftreuten Häufergruppen
befieht, welche, an den Böfchungen eines weiten Bergs
Teffeld aufgebaut, zufammen wohl eine Quadratſtunde
Raum einnehmen mögen. Auch däuchte es ung eine
wahre Ewigfeit, che wir das faft am Ende des Dorfes
- Hiegende Haus bes Richters (Kritis) auffinden konnten.
Er ſelbſt war nicht gegenwärtig, feine Frau aber, von
ginem Berwandten unterflüßt, der etwas italienifch
ſprach, that Alles, was in ihren Kräften fand, und
für Geld und gute Worte beftens zu bewirthen. .
Ich hoffe, es wirb meine Lefer nicht ermüben,
wenn ich ihnen mit einigen Worten meine Umgebung
in biefer Hütte male, wie fie flatt fand, während id
mein Tagebuch ſchrieb. Wir find in einer Eleinen,
wie gewöhnlih, son Raub erfüllten Stube. Der
Samin hat, wie in Megaspileon, ebenfalls feinen
kameelhärenen Rauchfang. Unter ihm kocht mein
Abendefien, und das heil lodernde Feuer erleuchtet,
außer Anzi’s fettem Geſicht, die daran Inieende,
95
keineswegs haͤßliche, funge Wirkhin nebſt Hier einen
Kindern, von denen bie Mutter dem jüngken, o b⸗
gleich es ſchon über ein Jahr alt iſt, neh
immer die weiße Bruft reicht. Alle vier find äußerſt
geräuſchvoll, befonders der alte Säugling; die übri⸗
gen figen faft im Feuer ſelbſt, und eſſen -bort rohe
Zwiebeln mit Aſche flatt Salz, wobei fie ſämmilich
ausfehen, ald habe man au fie felbft ſchon mehr-
mals in der Afche umbergerolt. Dicht neben ihnen |
bat mein Windhund Dumani fein Lager genommen,
und Francis Legt ſchon in meinem eigenen, links
vom Kamine auf einem Teppich bereiteten; Beste, nad
am Wundfieber leidend, aber in Sicherheit. Die
zweite Stubenwanb füllen vier Fenſter, die.’ brikte
Schränfe (eine faR immer befolgte Dispoſuion bei
griechifchen Stuben), und die vierte iR jest Die ſtait⸗
Kahfte, denn dort hängen meine Waffen in flolzer
Reihe, mein großer Schlachtfäbel, meine Sattelpi⸗
fiolen, drei Terzerole an ihrer gofinen Schnur im
reichgeſtickten Gurt, ein türkifcher Dol in ſilberner
Scheide, und enblih mein Degenfiod: niit kunſtvoll
gearbeitetem, maffio golbenen Krückenknopf — meht
Schäte, ald wohl je in diefer beſcheidenen Wohnung
vereinigt waren. Draußen fihneit und regnet es ab⸗
wechfelnd, und aus den: Yenftern Tann man nicht
zehn Schritte, weit ſehen, eine üble Ausficht für mors
gen, wo bie Straße noch imgangbarer als bieher
feyn foll, und daher bei ſchlechtem Wetter die Reife
gar nicht unternommen werben kann. Das befchrier
bene Prunfzimmer wird mid) daher wohl noch einen
Tag länger beherbergen müffen. |
Solos, am Fuß des Khelmög,
den 23ften Februar.
Der Himmel ift immer zuletzt den Beharrlichen
günftig! Trotz der geringen Hoffnung dazu erweckte
and fruͤh der. herrlichſte Morgen, ein griechifrher, wie
fie mir befihrieben worden. find, wie ich deren
aber. felbft noch nicht viele genoffen habe. Kurz, der
Dimmel war blau, die Sonne in aller Kraft, die
Luft völlig: rein, und kaum ſah ich den Tag über drei
vder vier Wölfen verlaffen und einfam im Aether
umherſchwimmen. Dies war, bei dem unzweifelhaft
interefianieften Momente meines gewagten Unterneh:
mens, in dieſer Jahreszeit gewiß Glück zu nennen,
Auch ſchwelgte ich in der Klarheit und im Sonnen.
licht auf den filbernen Höhen, wie ein fchen halb der
Seligkeit theilhaftig Gewordener. |
Die erſte, nun busch nichts mehr getrübte aus⸗
ſicht eröffnete ſich über das Meer auf die ganze ru⸗
197
melifche Bergfette, die fi mir .in ſolchem Glanz und.
Sonntagsftaat noch nie gezeigt Fate. Dann kamen
wir in die romantifhe Tiefe, in welcher der Labo
potamos, auch Fluß von Dhiakoftoͤ benannt, bem
Meere reigend zuflürzt. Die Sonnenfelte der Schlucht,
an der wir hinritten, war mit Kiefern, Wachholdern
und immer grünen Eichen bewadfen, und faft ohne
Schnee, die gegenüber ftehende dagegen mit Tannen
von oben big unten beffeidet, auf einem nirgends ab⸗
brechenden weißen Grunde. Bor und fchloß ein
emporftrebendes Felſengebilde die ſchmale Deffuung,
das auf dad Bolltändigfte den zerfiörten Mauern
einer alten Riefenburg glich. Ein Theil derſelben
erhob fich bebeutend höher ald der Ne, ats fey es
der Wartthurm gewefen, und auf deſſen Spite war-
eine einzelne Pinie emporgewachſen, beren frei über
ben Stamm gebreitete Krone fich reizend gegen ben
kryſtallhellen Himmel abzeichneie. Wir fahen. fpäter
dieſe wunderbare Kunftruine der Natur, welder die
Eingeborenen den Namen Petrudi geben, auch von
der andern Seite, und fie behielt dort gleichfalls dafs
felbe tänſchende Ecloßanfehen, wiewohl in etwas
geringerem Grade. |
Wir mußten nun zum Fluß bernieberfieigen, und.
nad feiner Durchwatung son neuem an der Nord⸗
fette: jäh hinauftleftern. Hier. begannen bie angekün⸗
begten Befchwerlichkeiten, und oben angelangt, ging
umfer Weg mehrmals über gefrorene Schneefelber, wo
wir nicht felten einbrachen. Obgleich hier die Some
wie im Sommer drüdte, und den blendenden ‚weißen
Atlas zu unfern Füßen mit Millionen Flittern ftickte,
blieb der Schnee doch an den meiften Stellen feft wie
Eis, und lag dabei fo. tief, daß wir mehr ald ein-
mal zwifchen den Spitzen großer, Sträudjer hinritten,
die dennoch faum mit einigen Blättern aus der har⸗
ten Kruſte bervorfahen. Als wir den höchſten Punkt
esfiommen. hatten, konnten wir ſchon uns gegenüber
eine, durch zwei immergrüne Eichen überwölbte, Ka⸗
pelle des noch vier Stunden entfernten Solos mit
bloßen Augen deutlich erkennen. Dieſe Stabt erſchien
uns hier, ſo zu ſagen, wie in der äußerſten Müns
dung eines Trichters fehroffer Berge liegend, deſſen
obere Peripherie wohl mehrere bentihe Meilen ber
tragen mag, meldjer unten aber dennoch Fein Thal
bilbet,. fondern nur ein Gewücll geringerer Keffel,
Schluchten und Abgründe, bei denen, wenn man an
iprem Rande ſteht, man meiſtens nicht begreift, wie
das Hinunterfommen möglich werben wird. Aud tft
es freilich darnach! Ich las oft von den mit nichts
zw vergleichenden Gefahren eines Uebergangs ber
Anded; ich frage aber: was Tann es in ber Art
Schlimmeres geben, ale z. B. gendthigt zu ſeyn, an
dem friſch abgeriffenen Ufer eines Bergbachs hinzu⸗
jieben, der in einer Tiefe von 60 — 80 Fuß durch
einzelne Felſenblöcke fih mühfam feinen Weg bahnt,
umd dazu feinen andern Weg vorzufinden, als einen,
breiviertel, ja, wie wir an mehreren Stellen gemef-
fen, nur einen halben Fuß breiten Pfad, noch
obendrein abſchüſſig und mit halb gefrorenem, halb
aufgethautem Schnee bebedt? Eine ähnliche Paffage
ward und dreimal geboten, mit abwechfelnder Höhe
bes darunter befindlichen Präzipiſſes. Das Exftemal
flieg Jeder ab, und wir liegen bie Thiere, ohne fie
ach nur:am Zügel zu führen, ganz frei binübergehen.
Da ich jedoch fah, wie vorſichtig und geſchickt fie fid)
dabei benahmen, und faft fiherer als wir felbft ſchrit⸗
ten, ſo habe ich mich nachher meinem Thiere immer
ſorglos anvertraut, mit der einzigen Rückſicht, ſopiel
wie möglich jede Bewegung darauf zu vermeiden und
ihm völlige Zügelfreiheit zu laſſen, nur darauf be⸗
dacht, bei einem etwaigen Kalle des Pferdes, wo mög⸗
lich mich ſelbſt gu retten, aber keineswegs die Kata—
ſtrophe durch meine Reiterkünſte verhindern zu wollen.
Der wefentliche Unterſchied mit den amerikaui⸗
ſchen Gebürgspäffen Tann hier nur der ſeyn, daß bie
Abgründe dort viel tiefer find, aber mir fcheint es
im Refultat feinen Unterfchied zu machen, ob man
100 Zug oder 5000 auf ſpitze Felſen hinabfällt, ja
wenn ich Eins von beiden durdaus wählen müßte,
fo würde ich unbedenklich für die größere Zahl flim-
men, um wenigſtens gewiß gleich vernichtet, und nicht
vielleicht vorher noch gräßlich gequält zu werben. Im
Dimmalaja follen zwar die Maulthiere gar dreffirt
ſeyn, über Abgründe binweg zu fesen (wahrſcheinlich
nicht fehr breite), fpringt aber ein folches Thier ficher,
fo ift nicht mehr dabei zu ridliren, ale da, wo auf
glatten Wege ein einziges Ausglitſchen ober ein
Nachfallen des ſchon unterminirten Erdreichs Pferd
und Reiter eben fo unvermeidlih als ein zu kurzer
Sprung in die Tiefe hinabreißen würden,
Hierbei erinnere ich mich der Avantüre eines Eng»
länders in den Andes, die er fehr Taunig zu erzählen
wußte. An einem furcdtbaren Abgrunde binziehend,
überraſchte ihn ein Schneefturm und die Naht. Man
fa nichts mehr, und gräßlich heulte der Orkan. Da
ſtürzt bes Reifenden Maulthier, ſchleudert ihn herab,
und .er gibt, die ſchwindelnde Tiefe noch vor dem
Angen, ſich ſchon verloren, als er fühlt, daß er durch
bie Aefte eines. Baumes falle. Mit allem Aufwand
feiner Kräfte erhaſcht er noch fehnell einen ſchwachen
os
Zweig, an dem er fih anflammert, und nun fo an
den Armen zwifhen Himmel und Erde in Tobesangft
hängen bleibt. Wohl eine halbe Stunde, die ihm
eine Ewigkeit dünkt, verweilt er in dieſer Lage. Ends
lich ermatten trog der riefenmäßigfien Anftrengung
feine Glieder, er ruft um Hülfe, aber fein Angftfchrei
verhaltt im Sturm. Obgleich der ſchrecklichſte Tod
ihm nun gewiß ift, reihen doch feine Kräfte nicht
mehr aus, Berzweiflungsvoll läßt er endlich den
Rettungsaf, den Strohhalm in ber Noth, los, und
— finft nur zwei Fuß tief ganz fanft auf weichen
Raſen nieder, wo er auch ſogleich, halb bewußtlos
und tödtlich ermattet, wie er ift, feſt einſchlaͤft. Als
er am Morgen erwacht, fieht er fi, fern von aller
Gefahr, auf einem anmuthigen, Keinen Grasplage
gelagert, fein Maulthier dort ruhig neben ſich graſen,
und einen ber zurüdgefehrten Zreiber, bie ihn in ber
Naht nicht hatten auffinden Fönnen, mit der Papier«
cigarre im Munde, gemächlich rauchend vor ſich
ſtehen. Alſo alle furchtbare ausgeftandene Angft, das
verzweiflungsvolle Hängen zwiſchen Himmel und Erbe,
Alles war nur in einer getäufchten Phantaſie begrüns
det gewefen, denn bem früher geſehenen Abgrund
war man ſchon laͤngſt vorübergezogen — und wie oft
geht es uns im Leben nicht ebenſo!
Du bebft vor Allem, was nit trifft
Und ſchaffſt getäufcht dir ſchwere Leiden.
Wege werden hier in Griechenland, wie es fcheint,
nie gebeflert, daher fie fih auch jedes Zahr mehrmals
verändern. Iſt eine Stelle niht mehr zu paffiren
möglich, fo fucht der Erſte, der dabei anlangt, wo
anderd durchzufommen, und diefer Spur folgen bie
Nächten, wie eine Heerde Schafe dem Leithammel.
Es famen uns verfchiedene Beifpiele davon vor, und
auch unfere von Dbiakofto mitgenommenen Führer
erfundigten ſich ftetd‘ bei den Begegnenden: ob bie
Straße noch diefelbe fey? Do folde Ziegen-
ftege überhaupt nur eine Straße zu nennen, ift eine
wahre Mpftififation.
Bon dem Höhepunkte aus gefehen, deifen ich vor⸗
ber erwähnte, hatte uns bie ganze ‘weite Vertiefung
burdgängig mit Schnee und größtentheild mit Tan
nenwald bedeckt gefchienen,: doch bei näherer Beſichti⸗
gung änderte fi) died gar mannigfaltig und die ent⸗
gegengefegteften Bergeffette gingen ohne Unterlaß an
ung vorüber, ja wir fanden fogar ein anmuthiges
Dorf, wo, rund von Schnee und Eis umgeben, Obft-
und Weinbau üppig floririe. Man fegte ung bier
einen röthlich gelben Wein vor, deffen Geſchmack ich
— — — — —
allen andern mir bebannten griechiſchen Sorten vor⸗
ziehe, und ber auch nicht geſtrnißt war.
Bisher beſtanden die Felſen ſämmtlich aus foges
nanntem Puddingſtein (Breccia), gleich einer Stuck⸗
maſſe zuſammengebackener Kieſel, ganz wie auf dem
Rigi; als wir uns aber den hoben Bergkoloſſen des
Khelmos naherten, nahm Thonſchiefer und ſpaäter
Kalkſtein ihre Stelle ein, der erſte zuweilen fhön grün
und blau gefärbt. Es gibt nicht viel Orte in der
Schweiz, die an Erhabenheit die Umgebäng von Solos
übertreffen, denn der Keſſel, an deſſen Abhängen dies
über dem Krathis liegt, wird unmittelbar von den
höchſten Gipfeln des Peloponneſes gebildet, und noch
ſeltſamer erſcheint ſeine Lage dadurch, daß dieſe ſtei⸗
len Wände rund umher mehrere hundett Fuß hoch
rerraſſirt, und mit Gärten voller Obſt und ſüßen
Kaſtanienbaumen bedeckt find; die letzten übertreffen
jedoch hier kaum unſere Aepfelbäume an Größe und
Stätte. Den unten ſtrömenden Krathis faſſen hohe
Eichen ein, die leider bis auf ihre ſchmalen obern
Buſchei ihrer Aeſte beraubt worden ſind. Sobald ich
mich Solos gegenüber befand, noch eine Stunde früs
ber, ehe wir auf den entſetzlichen: Wegen fein Juneres
erreichen konnten, ſah ich ſchon auf das Deullichſte
mit bloßen Augen Hinter ihm einen gefrornen Waſſer⸗
u _
fall von der höchſten Selfenmauer des Moränia-.
gebürges, wie zwei Eiszapfen von Kirchthurmshöhe
berabhängen, und obgleich ich es bamald noch nicht
wußte, fagte mir doch, ſchon in Kolge der gelefenen
Defchreibungen, eine fihere Ahnung, daß dies ber
Styr ſeyn müſſe, wie ich nachher aud) beftätigt fand.
Man fieht hieraus, wie wenig man fi) bei folchen
Gelegenheiten felbt auf der Einwohner Ausfagen
yerlaffen kann. Alle Perfonen, die ich in Kalaͤvrita
-befrug, blieben einftimmig dabei, dag man im Winter
Dem Star nicht nahen, und auch von fern Feine Deuts
liche Anficht von ihm erhalten Eönne, und das Erfte,
was ich mit den Häufern von Solos zugleich in der
allervoliftändigften Klarheit erblidtte, war biefer ſelbe
Styr. Au die Unmöglichteit, fi ihm zu nahen,
yerfepwindet, und wenn id mich morgen wohlbefinde
und das Weiter ausbält, hoffe ich ſeine genauſte Be⸗
kanniſchaft zu machen.
Der Herr, an welchen ich ein Empfehlungsſchrei⸗
ben mithatte, war leider verreidt, mein Dolmeiſcher
Anaftafio aber, um mir aus ber Berlegenbeit zu hel⸗
fen, nicht angelangt, und noch mehrere Stunden zurüd.
Mit dem Gendarm konnte ich mich nicht verftändigen,
ud, er fhien auch wenig savoir faire zu befisen,
denn ungeachtet feiner aͤngſilichten Bemühungen wollte.
mir Niemand ein Duartier geben. Ich probuzirte bie
Drdre des Nomarden von Patras an alle Behörden
im Rreife, aber erſtens Tonnte Niemand ber Gegen⸗
wärtigen leſen, zweitens waren alle Funktionaire bes
Gousernements abweiend. Ich wartete ſchon feit einer
Viertelſtunde das Nefultat, im Schnee ſtehend, mit
großer Ungeduld ab, als ſich endlich ein ganz anftän«
dig und fogar mit einigem Reichthum gefleideter Mann
meiner Noth erbarmte und mich in eine noch elendere
Stube führte, ald die. in Dhinfofto von mir bewohnte
wars fie zeichnete ſich jeboch vor biefer dadurch auß;
ba die reihften türfifhen Waffen ſchon jebt, ebe bie
meinigen noch bort ihren Platz gefunden, an ben Wän⸗
den hingen, und zwei große Winbhunde, wie ich fie
nie ſchöner gefehen, darunter gelagert, fie zu bewachen
ſchienen. Zehn bie zwölf nichtd weniger als empfeh⸗
lenswerth erfcheinende Adelphi’s drangen mit mir bins
ein und zeigten ſich fehr bereit, Feuer anzumaden;
das vielfache Gerümpel hinauszufchaffen und mir eiw
ſchmutziges Lager von alten. zerriffenen Teppichen ame
Kamin zu bereiten. Es gelang mir enblih, ihnen
begreiflich zu mathen, dag ich meinen’ Dragoman mit
eigenen. Sachen erwarte, wo bied Alles in Stanb
gelebt. .werben Tönne, dag ich aber jetzt nur wuͤnſche,
vor Simmnenuntergang noch eine Anſicht des Mavro
208
nero (ſchwarzen Waffers), wie der Sityr hier genannt
wird, zu erlangen. Gleich waren fie willig; und. wis
machten und auf den Weg. Solos zählt gewiß. mehr
ala 500, einzeln auf ein fehr großes Terrain zerftreute,
zwar mafftve, aber dennoch nur Eeme und elende
Häufer, und es bauerte eine gute halbe Stunde, ehe
wir völlig in's Freie kamen. Hier warb ein Hügel
im tiefen Schnee erflettert, ber. an einer alten venes
tianifhen Bogenbrücke im Grunde. emporfleigt, und
nach wenigen Minuten fand ich, mit. einem bedenflich
ausfehenden Gefolge, das, obgleich mit großen Schnuvrs
bärten durchgängig verfeben, doch ohne Aufhören wie
alte Weiher unter fich fchnatterte, dem ungefähr noch
zwei Stunden von hier entfernten Wafferfalle gegenüber.
Plutarch frheint ihn von allen alten Autoren am
richtigften zu befchreiben,, denn er fagt, daß der Gall
in: der Luft ſich verliere, welches die biefigen Leute
beftätigten, und die nur bis auf die Hälfte der Fels—⸗
wand reichenden Eiszapfen ebenfalls anzeigten. Dies
erflärt auch ſehr gut, was. dem Herrn Leafe fo abfurh
erſcheint, nämlich,. dag. die Alten dem Wafler bes
Styr efne giftige Eigenfchaft heigelogt hätten, aber
nie daran gedacht, daß er dann auch ben Krathis
habe vergiften müſſen, in ben fein Waſſer abfließt.
Diefen Strom erreicht aber ber Waflerfall des Siypr
nie, weil die Duelle dazu entweder zu ſchwach it und
fih in Staub auflöst, oder, wie Einige bier behaupten
wollen, nad ihrem Sturze wieder in eine untere
Deffaung der Wand hineindringe. Dies Letztere fupe
ponirten wahrſcheinlich auch bie Alten, denn nur vor
da konnte das ominöfe Waffer recht bequem in ben
Dades abfliegen, wo Homer den Styx binverlegt,
uadıdem er vorher die Juno ihren Schwur fo begin⸗
nen läßt:
„Erdo, du weit gefpannter Himmel oben,
Und Styr, der unten niebergleitet — höret dies!
Zu dem Waſſer des Styr aber felbft zu kommen, um
es zu koſten, wäre nur durch eine fehr koſtſpielige Vorrich⸗
tung möglih, da ed aus der Mitte einer beinahe
tgufend Fuß Hohen perpendikulairen Felſenmauer her⸗
ausquilit, und, wie gefagt, nie unten anlangt, al&
höchftens in Form eines feinen Staubnebeld., Es
ſcheint alfo immer noch Teinegwegs erwielen, ob dies
Waſſer wicht wirklich pernizioͤſe Eigenſchaften beftge, die
nur ber Aberglaube vergrößert hat. Arrian erzählt,
Plutarch beftreitet und Baufanias erwähnt es bloß, daß
Ylerander mit dem Waſſer des Styr, in einem Bedher
aus Eſelshuf, vergiftet worden fey. Denn dies Wafler
haste die Eigenſchaft, alle andern Gefäffe, ſelbſt gol⸗
bene, aläferne und irbene zu zerfreffen, nur bes Eſels
208
Huf widerfiand, und noch mußte es ein ſeythiſcher
feyn. In unferer aufgeflärten Zeit glaubt man ſolche
Dinge jedenfalls nur halb, ich für meine Perfon fenne
aber wichtige Leute in unferem Baterlande, von benen
ich überzeugt bin, daß, verfchaffte man fich einen Schuh
son ihnen, den fie nur vier Wochen getragen, dieſer
bem Waller des Styr fo undurchdringlich als der
echtefte fepthifche Becher bleiben, und eine hinlängliche
Duantität deſſelben halten würde, um ein ganzes
Volk damit, wo nicht zu. vergiften, doch wenigftens
blödfinnig zu machen.
Der Herr, bei dem ich wohne, und ber ein eiges
nes Mittelding von Rohheit und Eultur, in Tracht
wie Benehmen, darbietet, ſcheint ein ziemlich wohls
habender Mann und einer ber vornehmften Honora⸗
tioren des Ortes zu feyn; demungeachtet ift feine
Wohnung jämmerlicher und unreinlicher als bie mei⸗
fien unferer, wegen ihres elenden Anfchens eitirten,
wendifchen Bauerhäufer; und dann haben dieſe doch,
ſelbſt auf der letzten Stufe der Dürftigfeit, wenigſtens
nod eine zu erwärmende Stube, was hier nirgends
zu erlangen ift — auch nicht in diefer Gegend, wo
ber Schnee bis zum Juli Tiegen bleibt! Ich bin gewiß,
dag die, welche bie civilifirten Länder Europa’s nie
verlaffen haben, fi) gar feinen Begriff yon ber Bar⸗
209:
barei machen Tönnen, die nicht nur bei ben ärmeren,
fondern auch den mittleren Klaffen, in Allem, was
Lebensbequemfichfeit betrifft, hier noch herrfcht, und:
ich bezweifle, daß ed zu Hermann und Thusneldens
Zeiten je jo jchlimm bei ung gewefen fey.
Den 24flen Februar.
Dhne meine große Müdigkeit würde ich geftern
Abend ſchwerlich haben einfchlafen Fönnen, denn das
feine Kind eines Verwandten ded Hausherren, das
Zähne befam, ſchrie fortwährend mit ber durchdrin⸗
gendften Stimme, und ein alter Windhund, ber ſich
des Kindes Leiden glei) eigenen zu Herzen zu neh=
men fihien, accompagnirte es heulend. Doch Alles
dies fonnte meinen gefunden Schlaf nicht Tange auf-
halten. Als ich aber früh in völliger Dunkelheit auf-
machte, glaubte ich noch zu träumen, denn ich fah über
mir einen ſchwarzen Himmel mit taufend glänzenden
Sternhen. Es dauerte geraume Zeit, che ich ent-
deckte, daß der Grund diefer Täuſchung nur das mit
Iofen Ziegeln belegte fladye Dad war, weldes bei
jedem ber Ziegel eine Fleine Deffnung zeigte. Nun
erft Fonnte ich mir auch erklären, - warum die böhlen-
artige Stube, die nur ein kleines Fenſter und eine
nicht viel größere Thüre hatte, welche ih obendrein
Süupöftl. Bilderfaal. TI. 14
210
mit Teppichen verhängen ließ, trog eines unausgeſetzt
brennenden Feuers auf keine Weife irgend zu erwär-
men war. Ohne es bisher zu wiffen, Fampirte ich
wirklich halb unter freiem Himmel und fonnte mir
gratuliren, dag es nicht regnete. In der natürlichen
Bettwärme war es aber jett auszuhalten, und ich
geftehe, daß ich bedeutende Mühe hatte, mich von ihr
zu trennen, um bie doch fchon fo ſchwer erfaufte Ex⸗
curfion nach dem Styr nun zu beenden. Erft um 11
Uhr traten wir unfern Weg an.
Fine meiner geiftreihften Freundinnen fpricht nie
von einem ihr wieberfahrenen Guten, ohne hinzuzu⸗
fegen: „Zur guten Stunde fey’s geſagt!“ Die-
fer Aberglaube herrſcht au im Volke, wo man oft
ausrufen hört: „Man folle feine gute Gefundheit ohne
bergleichen nit befprehen!“ und etwas Wahres
liegt der Sache zum Grunde, nämlih: der Menfch
fol Maß halten und Demuth üben, über Glück nicht
triumphiren, über Unglüd nicht verzweifeln. Vielleicht
batte ich geſtern hinfichtlid) des guten Wetterd gegen
diefe Negel gefehlt, und ein fchadenfroher Berggeift
übernahm die Strafe, denn eine graue Todtenfarbe
überzog heute ben ganzen Himmel Und dennod
ſah ich den Wafferfall, von einem fpigen Felfen, ber
ihm gerade gegenüber liegt, und den wir nach zwei
211
Stunden erreichten, ſo deutlich und bequem, daß ich
mir es nie hätte beſſer wünſchen können. Er war von
hier in gerader Richtung kaum noch eine Viertelſtunde
entfernt, die aber zurückzulegen bei den ganz mit
Schnee angefüllten Vertiefungen wohl mit vier mul⸗
tiplizirt werden mußte, wenn man durchaus die
Wand hätte mit Händen greifen wollen. Wäre dies
nöthig gewefen, fo Tonnte die Sache leicht anggeführt
werben, ba biefer Weg nicht mehr Schwierigfeiten
und vielleicht weniger Gefahr bot, als meine Felſen⸗
promenabe in Megaspileon, Da ich aber feinen Nugen
Davon gewahr ward, erfparte ich mir die undanfbare
Mühe. Wir frübftüdten auf ber angegebenen Stelfe,
worauf ich eine flüchtige Skizze der ganzen Umgebung
aufzeichnete, und babei mehrmals bie unzuverläßigen
Diffikultätsmacher zu allen Teufen wünfchte, Die,
wenn ich. ihnen geglaubt, mich um eine ber fchönften
Erinnerumgen aus meiner Lebengreife gebracht haben
würden — denn Die Scene war, abgerechnet ihre
Klaffizität, auch an ſich erhaben und prachtvoll. Ich
muß hier noch eines ſeltſamen Umſtandes erwähnen,
ber mir dabei begegnete, Ald wir Solog verließen,
und in ber Selfenfchlucht des Krathis, die, fo wie
ſämmtliche Gipfel des Khelmos, faft baumlos ift, und
nichts wie Schnee und himmelanfteigende Steinmaffen
21%
barbietet, an dem rechten Ufer bes Fluſſes hinkletter⸗
ten, begleitete ung, etwas rüdwärts bleibend, eine
langgedehnte und mit und in gleicher Höhe ziehende
Wolfe an dem enigegenftehenden Bergabhang, als ge=
‚höre fie zu unferer Suite. Während unferes ziemlich
Yangen Aufenthalts auf dem Felſen aber Hatte bie.
Wolfe uns langſam überholt, und faft in bemfelben
Augenblicke, als ich mit meiner Zeichnung fertig war,
ſchloß fie, wie eine von unfichtbarer Hand vorgezogene,
Draperie, ben Styr, melden wir auch nachher nicht
wieder zu ſehen befamen, und ich felbft wahrfcheinlich
erft in jener Welt wieder erbliden werde,
Diejenige Spite des Khelmos, an der die Höhle
‚ der] Töchter des Proetus dem Wafferfall feitwärts
Liegt, blieb indeg noch frei, und wir eilten daher, eine
andere Höhe zu erfleigen, von ber wir faft in das |
Innere der ſchwarzen Grotte, vermöge meined Ta⸗
ſchenperſpektivs, hineinfehen konnten, Nicht weit von
diefer Höhle, deren Umfang fehr ‚groß ift, und bie
fi) mehr als zweitaufend Fuß hoch über Dem Meeres⸗
fpiegel befindet, follen etwas tiefer hinab noch einige
antife Mauerreſte eriftiren, bie man Nonafris zus.
ſchreibt, obgleich diefe Stadt ſchon zu Pauſanias Zeit
zerfiört war.
Wir hatten Slinten und drei Windhunde mit ung
218
genommen, um einige Haſen zu erlegen, fanden aber.
nichts als die ganz frifhe. Spur eines fehr. großen
Wolfes. Auf meine Frage, ob die drei ſtarken Winds
hunde wohl auch, eines fo mächtigen .Eremplars, wie
diefe Spur zeigte, Herr werden koͤnnten? fchüttelte
mein Wirth. mit dem Kopfe. Nahe biefer Stelle war
ein ſchönes Echo, das den Flintenfhug jn einen lan⸗
gen Donner verkehrte, und noch etwas weiter hin
befichtigten wir mit Intereſſe einen Wafferfall bes
Krathis unter fehr pittoresf überhängenden Felfen, bie
ein fortwährender Aufenthalt der wilden Tauben find,
die hier niften. Wir fuchten mehrere von ihnen auf»
zuſtören, und da wir bei dieſer Bemühung nicht auf
die Hunde Acht gaben, benutzten dieſe auf eine für
uns höchſt unangenehme Weiſe die gegebene Freiheit,
um eine nahe weidende Heerde Schafe zu überfallen,
und zwei dieſer harmlofen Thiere graufam zu erwürs
gen. Ein fehr Hübfches Tleines Mädchen, die fie
hütete, erfüllte die Luft mit ihrem Gefchrei und
ſchluchzte Häglih. Das arme Kind that mir fo leid,
daß ich ihr fat den ganzen Vorrath Drachmen in
meiner Taſche zuwarf. Bier aber zeigte ſich der
griehifhe Nationalcharakter in einem auffallenden
Zuge; denn weit entfernt, ſich dadurch zu beruhigen,
fhrie das Mädchen nur nor weit ärger, und ale
zi4
wir Alle fragten, warum fie fih noch immer nicht
zufrieden geben wolle, antwortete fie: — weil das
ihr. Gegebene viel zu wenig fey. Ich mußte-Tachen,
demm unfer Wirth felbft daxirte die Bezahlung als
mindeſtens boppelt. - Dennod gab ih ihr für ihr
hübſches Lärvchen und bie. bewiefene presence d’esprit
die mir noch übrig gebliebene Münze, Bislleiht war
auch eins der gemorbeten Opfer ihr Liebling, und
das läßt fih ja gar nicht tariren. Ich fühle es an
meinem kleinen Patienten, der. leider, ftatt befter zu
werden, immer ſchlimmer wird, und für den ich,
wenn Geld etwas thun könnte, gern jedes Opfer
brächte. Hier iſt aber nirgends Hülfe, denn weit und
breit exiſtirt weder ein Arzt noch Chirurgus für
Menſchen und Vieh.
In einem Dorfe an der andern Seite der Schlucht
Calle dieſe verſchieden benannten Dorfgruppen, zu des
nen Solos auch gehört, und die ſich nach allen Seiten
ausdehnen, werden die Klukines genannt) zeigte man
mir eine ſehenswerthe Vorrichtung. Man läßt einen
Bergbach durch einen zwölf Ellen langen hölzernen
Trichter, der in der Art einer Tonne konſtruirt iſt
und unten ſpitz zuläuft, ſich jähling in ein großes
und tiefes Becken herabftürzen, was unter ſich wieder
einen engen Abflug hat, wodurch eine Art Strudel
15
in dem Beden hervorgebracht wird. In biefen Strubdel
wirft man ein Wollengewebe, was bie biefigen Bes
wohner verfertigen, und bas roh eine bunfelgraue
Farbe Hat, wie Sacktuch ausfiehbt, und in welches in
ber Diftanz von vier Zoll immer eine grobe Franfe
von einer Art Zorfade etagenmweife eingewebt if.
Dies Zeug läßt man zwölf Tage im Strudel herums
treiben, worauf es nicht nur ſchlohweiß wieder her⸗
ausgezogen wird, fondern auch über und über bag
Ausfehen eines feinen Ianghaarigen Pelzes erhält, bie
Modetracht der Elegants im Nationalfoftüm, Wie
bies eigentlich zugeht, Tann ich weder erflären, noch
fetbft begreifen, aber ich habe auf der einen Seite die
aufgefchichteten rohen, auf der andern bie durch dag
zwölftägige Strudelbad präparirten Stoffe, als bie
beiden Extreme, fo wie die im Strudel noch umher»
getriebenen und im Zuftande bes Uebergangs begriffe-
nen, felbft gefehen und unterfucht, wobei ich mid
binlängih und durch den Augenſchein überzeugte,
daß, obgleich alle drei ein und baffelbe Gewebe find,
doch ihre äußern Erfhheinungen vor, in der Mitte
und nad) der Operation nicht Die mindefte Aehnlichkeit
mit einander haben.
Ehe wir zu Haufe anlangten, erzählte mir mein
Wirth, daß vor zwei Jahren fi vier Engländer bier
16
im Juli einfanden und vermittelt einer Belohnung
von fünfzig Colonaten einen Menfchen bewogen, ſich
an Striden nah dem Orte hinabzulaffen, wo der
Styr aus der Felfenwand fprudelt, und Dort drei
Flaſchen mit feinem Waffer zu füllen. Dies ward
glücklich ausgeführt, und man follte nun. glauben, die
Frage über bie fchädliche Qualität des Waffers fey
gelöst. Aber mit nichten, — denn als die verhängniß-
sollen Bouteillen in den Händen ber. Engländer
waren, wagte es feiner von ihnen, wie Herr Kon⸗
nomopulo, noch jest darüber lachend, berichtete, den
Anfang mit dem Koften derfelben zu machen, und am
Ende verfiegelten fie die Flaſchen, um fie in Oxford,
ihrer Baterftadt, unterfuchen zu laſſen. Ob feitdem
hierüber etwas publizirt worden iſt, blieb mir freilich
unbefannt; ift es aber nicht gefchehen, fo kann man
ſelbſt jest noch nicht einmal darauf ſchwören, daß
nicht unterwegs das Waſſer die Bouteillen zerfreffen,
pder wie nachgemachter Champagner fie zerplaßt habe.
Hier ſcheint noch nie Jemand davon getrunfen zu
haben, ich glaube indeß, ernfihaft gefprochen, fehr
gern, daß das wahricheinlich eisfalte Waffer nur dann
ſchädlich ſeyn mag, wenn man es erhigt trinkt, und.
nur ein. folhes Gefäß fprengen wird, was vorher
am Feuer geftanden bat. Jeder wird gewiß dieſe
217
natürliche Erklärung fehr. vernünftig finden, mödte
es aber doch vielleicht fehr übel vermerken, wenn ich
manchen noch viel alberneren Aberglauben unferer
Zeit, den er felbft theilt, eben fo ffeptifch wie den ber
Alten abfertigen und bei feinem wahren Namen nen
nen wollte. jene vier Engländer Hatten hier viel J
Glück, denn ſie beſtiegen den höchſten Gipfel des
Khelmos und des ganzen Peloponnes, mit einziger
Ausnahme des Taygetos, den Killoͤne, ſahen die Sonne
dort unter- und am Morgen aufgehen, Alles beim
vortrefflichſten Wetter. Die Ausſicht, die man da oben
genießt, ſcheint, nach dem, was mir mehrere Augen⸗
zeugen in Kalaͤvrita, und auch bier, verſicherten, an
einem. ganz Haren Tage vielleicht mehr Gegenftände
vom höchſten Intereſſe zu umfaffen, als irgend eine
in der Welt. Man überfieht, nach der Behauptung
diefer Perfonen, nicht nur den ganzen Peloponnes
wie eine Landeharte, fondern auch XTheffalien und
Epirus, erblickt den Olymp, den Athos, ſämmtliche
jonifche Inſeln, Malta, einen großen Theil des Archi⸗
pels und die Berge von Kandia.
Dhiakofto, den 2sten Februar.
Es ift merfwürdig, wie bald ungebildete Diener
bei einer ſolchen Art Reife, wo allerdings durch bie
Natur der Sache ſchon ber größte Theil der Etikette
wegfãllt, von bem reſpektvollſten Benehmen in die
größte Familiarität übergehen. Mein dicker Ang
fpricht ſchon von mir und dem Meinigen nicht anders
ats im Pluralis, hockt ſich unbedenklich mit den ans
dern Zudringlichen neben mir auf den Boben, und
behält, gleich den Vebrigen, bie Müge dazu auf bem
Kopfe, genirt fih auch nicht, mit mir, wie mit Seiness
gleichen zu Tonverfiren, und mir fogar manchmal in
feiner Unfhuld ganz naive Wahrheiten zu jagen.
Sch Hüte mich wohl Mißfallen darüber zu zeigen;
denn einmal amüfirt es mich, zweitens, wenn er es
übel aufnähme, wäre ich jest wirklich ſchlimmer daran
als er, deffen Dolmetfchung ich, bier in den Bergen
Berlaffener, gar nicht entbebren könnte. Meine alte
Großmutter aber gab mir fchon bie Lehre, dag mit
dringend nöthigen Leuten, fie mögen ſeyn wer fie
wollen, man immer patte de velours machen müſſe.
Veberbied habe ih es von jeher als eine ber witzig⸗
fien, vergnüglichfien und zugleih edelften Sitten
unferer Vorfahren angefehen: Hofnarren zu halten —
denn e8 gehört Edelmuth dazu, die Wahrheit zu vers
tragen. In diefer Art verwende ich meinen Griechen
jest; in Athen wird es Zeit ſeyn, ihm die Dienft-
pflichten wieder einzufchärfen. Sch weiß nicht, welcher
Fürft es war, den fein Rare immer ald Bruber:
dutzen durfte, wenn der Kürft feld eine Narrheit
beging. Natürlich dehnte fich dies auch auf bie Gäfle
ans, nur gefrönte Häupter waren sfficiell davon aud⸗
genommen, was ich gar nicht Höflich far fie finde.
Man hätte vielmehr dies Berbot ald gang unnütz bei
thnen vorausfegen, und dann zur Sicherheit den Bes
fehl im Stillen geben follen, was viel ſchmeichelhafter
für Allerhoͤchſt Sie gewefen wäre. Ani war nicht fo
raffinirt; und ungeduldig über die andauernden Bes
fchwerlichkeiten, gab er mir nicht undeutlich zu ver⸗
ſtehen, dag er mid felbft für einen großen Narren
. halte, wegen einer fo unbebeutenden Sache als der
Styr ſey, mich fo vielem Mangel und mannichfachen
Beichwerlichkeiten auszufegen. Er meinte, wenn er
an meiner Stelle zu feyn das Glück hätte, würde ex
biefe ſchon anders zu benusen wiſſen. Vielleicht hatte
er auch ganz Recht!
Unfer Wirth benuste feine Stellung zu mir befio
befter, denn er präfentirte mir dieſen Morgen eine
Rechnung von 38 Kranken: 1) für die Stube, ober
vielmehr nur einen Platz auf der Erde, wo ich fchlief,
und er an ber andern Seite des Kamins, zu welder
Bergünftigung fih 2) ein Hühnerpaar nebft zwei
Flaſchen Landwein, der bier nidyt vielmehr als Waſſer
gilt, 3) Brod und einige Bündel Holz, welches letz⸗
tere fid) Jeder im Walde holt wie er will, fintemalen
die griechifche Forſtordnung ſich noch, gleich dem Volke
felbſt, im Naturzuftande zu befinden ſcheint. Ich führe
bies Alles Bier nur deshalb an, um zu beweifen, daß
man, ungeachtet ber barbarifgen Lebensart, dennoch
ebenfo. theuer in Griechenland reist, als in den civi⸗
Efirten Ländern Europa’d, Ich felbfi aber bin ein
Preuße, und demnach aus vielen ſchweren Gründen
ökonomiſch!
Da am Morgen meiner Abreiſe Regen und
Thauwetter eingetreten war, mußte ich vier Menſchen
mit Schaufeln mitnehmen, zu 5 Franken die Perſon,
um diejenigen Wegſtellen, die ganz unpaſſirbar ge⸗
worden, vorher nothdürftig in Stand zu ſetzen. Es
war auch ſehr gut, daß ich dieſe Vorſicht gebrauchte,
denn ſonſt hätte ich entweder wieder umkehren, oder
ganz unter freiem Himmel ſchlafen müſſen. Demun⸗
geachtet waren wir genöthigt, die Maulthiere an
mehrefen Orten abpacken und die Sachen von ein-
zelnen Menfchen hinüber tragen zu laffen, nachdem
ſchon eind der Thiere vorher zehn Fuß binabgefolfert
war, ohne jedoch dießmal etwas von Bedeutung zu
beſchädigen. An einer andern Stelle, wo vor einigen
. Jahren eine ganze Zelfenwand eingeſtürzt ift, und
den vor ihr. Itegenden AWhaug fo wit ihren Trüm⸗
mern bedeckt hat, dag man ſich wie durch ein Labp⸗
rinth hindurchwinden muß, würgte ber unverbefferkiche
Dumani. abermals ein Mutterſchaf, und töbiete es,
ehe wir demfelben zn Hülfe Eommen fonnten. Wenn
bas fo. fortgeht, wird mir dies Präſent des Herrn
Lontos theuer zu ſtehen fommen. Unfer Zug muß
einen ziemlich fpaßhaften Anblick gewährt haben;
lauter Roffinanten und Ritter von ber traurigen Ge⸗
flalt, unter denen jedoch Anzi unbezweifelt den erſten
Rang einnahm. Oben war er in meine, auf ber
Reife halb zerriffene Livree geftedt, unten kamen aber
nur nadte Füße und ein Paar alte Pantoffeln zum
Vorſchein, weil ihn die Stiefel angeblich zu fehr
drüdten. Auf der einen Seite feines Kleppers hing
noch ganz ftattlich ein Regenſchirm nebft meiner Pfeife,
ein Gefchenf des Herrn Konnomopulo, beftebend aus
einem Rohre. von Dorn mit einem hölzernen Kopf,
der nur halb. mit Meffingblech befchlagen war; auf
der andern aber diente zum Pendant ein bereits ab-
gezogener und zum Braten fertig gemadhter, ganzer
Schöps für unfern Abendſchmaus. Eine Nachtmütze
auf dem Kopf vollendete bie klaſſtſche Erfcheinung.
Es fehlten nur noch die Schellen an der lebten zur
fompfletten- Charaktermaske.
u
Gegen Abend gewann bie Sonne wieber bie
Obergewalt, und bereitete ung bald nachher ein Land⸗
ſchaftsgemaͤlde, das ich gewuͤnſcht hätte, unferem treff⸗
lichen (Berliner). Gropius zeigen zu koͤnnen, um fo
pleih eine feiner geninlen Theuterdekorationen dar⸗
nach anzufertigen... Wir faben vor und im Norben,
etwa fünf bis fechs deutſche Meilen entfernt, im
ußerſten Hintergrunde der Gegend ben Parnaß; über
ihm baute fi) ein zweites Gebirge florartiger, durchs
fichtiger Wollen auf, doch jo Inder, daß mehrere der
wirflihen Schneegipfel darunter frei blieben, und
swifchen ihnen bie und da ein Theil des blauen Hims
mels hindurch fohimmerte. Eine untere Etage Wolfen
zog an der Berge Mitte hin; dann fam an ihrem
Fuß der breite Meerftreifen, den am diesſeitigen
Ufer gezadte, dunkle Felſen einfaßten. Bon diefen flieg,
ars Mirtelgrund der Randfchaft, der Keſſel von Dhia⸗
koftoͤ tief nad uns hernieder, in dem abermals eine
noch weit niedrigere Wolkenſchicht, ald Die jenfeitigen,
ruhte, gleichwie fih Rauch manchmal über Schmelz:
und Ziegelhütten Yagert. Dicht aber vor ung, auf der
Höhe, wo wir fanden, erhoben fi vier alte Tannen,
die dies wie mit Schleiern burchwebte Bild Fünfts
leriſch abtheilten. Seitwärts und hinter ung erblid-
ten wir nur blendende Schneefelder, aus denen viele,
mit ſchwarzem Nadelholz bebedte, fpige Hügel her⸗
sorragten, über welche jetzt eben die Sonne in roͤth⸗
lichem Scheine nieberfant,
Eine Stunde darauf erreichten wir glücklich das
frühere Nachtlager in Dhiakofto, wo man, und ers
wartend, dießmal das Stübchen recht reinlich, und
ſogar, nach griechiſcher Möglichkeit, warm für unſern
Gebrauch hergerichtet hatte.
Voſtitza, Freitag den 26ſten Februar.
Heute war der lebte Tag meiner Styr- Reife,
die am Montag begonnen, am Freitag beendet, oben-
drein in einem Schaltjiahre, und fogar in demfelben
Monat unternommen, der den überzähligen ominöfen
Tag enthält — ohne neues Unglück unmöglich ab-
gehen Fonnte! Am erſten Unglüdstage verwunbete,
wie man gefehen, der böfe Kobofd, der mich in Grie-
henland verfolgt, meinen Francis, am zweiten, dem
heutigen Tage, raubte er mir, bei der ſchwierigen
Paſſage des Boraicus, den erwähnten foftbaren Degen-
fiod obendrein (das theure Andenfen eines verftorbes
nen Freundes), der auf dem Packpferde feinem Futtes
rale entglitt. Augenblidli ergriff ihn Das reigende
Waffer mit Wuth, und führte ihn ohne Rettung in
wenig Augenblidien dein Deere zu. Man muß jelbft
Reifender ſeyn, um das Herbe eines: ſolchen Verluſtes
in dieſen hyperboreifchen Gegenden, bie ‚für nichts
einen Erfag bieten, mir nachzuempfinden. Bon allen
lebloſen Dingen Hätte ich nichts einbüßen können,
was mir. fehmerzlicher geweſen wäre. Und. im Ans
fang ließ ſich Alles fo fhön an! Das Vetter war
herrlich, Die Gegend, im reizendften Kontraft mit der
bisherigen Wifpheit, anmuthig und idplliſch, und meine
Stimmung die heiterfie. Wir zogen zuerfi, von ben
Bergen grabatim niederfteigend, in einem Walde jener
füblichen Kiefern hin, die Durch ihre haarfeinen Tangen
Nadeln und ihre Schöne Farbe fo verſchieden von dem
büftern Anfehen der unferigen find. Im Bette der
Bergbäde, deren wir mehrere paffirten, ſtanden ge=
wöhnlich viele uralte Platanen, unter welchen man
‚an verfchiedenen Stellen den Waſſerſtrom gefaßt, und
ihn in fteinerne Becken Taufen Taffend, bequem zum
Tränfen der Pferde eingerichtet hatte, Dies waren
föfliche Orte, befonders erinnere ich mich eines der—
ſelben, ſchon nahe am Meere, mit ber ſchmalen
Ausfiht auf einen tfolirten Schneeberg von Lokrig,
unter prachtvollen Bäumen, deren Laubdach der Sonne
im Sommer undurchdringlich ſeyn muß, und Die
Epheu und Schlingpflanzen noch jeut überall wuchernd
mit Feſtons und Guirlanden umfränzten. Die lang
und weit ſich hindehnende Plaine von Voſtitza, Wwie
faum einen Fuß hoch aus dem Meere hervorzutreten
jheint, während auf der Sübfeite die fleilen, durch⸗
aus mit Nadelholz bededten Berge ploͤtzlich fchroff
aus ihr emporflarren, und in engen dhaotifchen Schluch⸗
ten ſechs verſchiedenen Flüſſen den Ausgang nur mit
„Kampf geftatten, gewährt von den freieren Stellen
ebenfall8 einen höchft reizenden Anblid. Sie ift theils
mit Dlivenwäldern, theild mit Weinfeldern gefhmüdt,
und bier fein Fleckchen unbenutt geblieben. Selbſt
die breiten, fleinigen Flußbetten find noch mit Olean⸗
der und anderem Strauchwerk vielfach durchwachſen.
Der erfte Olivenwald, deffen Boden ſchon auf:
feimender Rafen mit hellem Grün zu überziehen ans
fing, war ungefähr drei DBiertelflunden Yang, und
beftand aus üppigen, meift fehr alten, aber noch jugend⸗
lich frifhen Bäumen. Sn der Mitte deffelben Tag
ein Dorf, welches fih vor den unfrigen beſonders
dadurch auszeichnete, daß faſt keins der Häuſer, weder
mit einem Hofe noch Garten, noch irgend einer Art
Befriedigung umgeben war. Die Häuſer ſind von
Lehm, und die flachen Dächer nur loſe mit Hohlzie⸗
geln belegt. Viele Gruppen von Bauern, alle mit
großen Schnurrbärten, waren theils mit Wolleklopfen,
theils mit Strauchroden, oder mit andern ländlichen
Süpöftl. Bilderſaal. II. 15
286
Arbeiten beſchaͤftigt. Wäſche hing in Tangen Reihen
zum Trodnen zwifchen den Bäumen, kurz das Ganze,
von der Eonne ſchoͤn vergoldet, hatte ein gemüäthliches
und heimliches Anfehen, wie es in dieſer Art der
Süden nit fo häufig als unfer Norden darbietet.
Doch am Ende dieſes Waldes eben erwartete mid
die beflagte Kataftrophe, meine Berefina auf der Res
tirade von dem abenteuerlichen Winterzuge, der vers
rätherüiche Fluß, den der gefchmolzene Echnee mehr
als gewöhnlich angefüllt hatte — und von da an ver⸗
for mein Sinn gar viel von feiner früheren Empfäng=
lichkeit. Sch ließ mich aber deghalb in meinen Reife-
pflichten doch nicht irre machen, und beſah zuerft das
Heine zu Megaspileon gehörige Kloſter Trupia, das
auf derfelben Stelle ſteht, wo einft ber beleibigte
Reptun die Stadt Bura dur ein Erdbeben unter-
gehen ließ, über deren begrabenen Trümmern fich jezt
unabſehbare Korintbenfelder erftreden. Einige ber
Mönche waren im Hofe befchäftigt, Geld, Wolle und
andern Tribut, ber ihnen gebracht wurde, einzuneh⸗
men, und wir fonnten nur mit Mühe durch ihre Hülfe
einen der faulen Bauern bewegen, uns für eine Co⸗
Yonate nad der kaum eine halbe Stunde entfernten
Höhle des Herfules zu führen, wo früher die Statue
Diefes, hier im Norden des Peloponnes befonders
227
befhäftigten Heros ftand, und fpäter eine Heine chriſt⸗
liche Kirche eingerichtet worden war. Sept ift bie
umfaffende Ausfiht auf den Golf das einzig In⸗
tereffante, was fie dem neugierigen Wanderer noch
gewährt. |
Bon bier begab ich mich zu den wenigen, am
Ausflug des Bokhufia noch herausragenden Steinen
von Helife. Dies warb in derfelben ſchweren Nacht,
die Bura vernichtete, von bes erzürnten Meeres’ Wo⸗
gen fo gänzlich verfchlungen, daß, wie und Herafli-
bes erzählt, nur des rächenden Neptuns eherne Sta-
tue mit dem Hippofampus im Grund des Waſſers
an heilen Tagen noch ſichtbar blieb, und bier Tange
den Schiffern eine neue Klippe der Gefahr wurde.
Wenn die Stelle, die man jebt dafür annimmt,
wirklich diefelbe if, wo Helife ftand, fo muß fih das
Meer ſeitdem wieber zurüdgezogen haben, und bdann
gäbe es vielleicht feinen Ort in Griechen—
land, wo Nachgrabungen eine reihere Aus-
beute verſprächen; denn Helife war damals, als
ed von ber Erbe verſchwand (zwei Jahre vor der
Schlaht von Leuftra, v. Chr: 373), die erfte und
reihfte Stadt in Ahaja, und Alles, was das Meer
nicht fortführte, müßte man, ſelbſt noch unverfehrter
als in Pompefi, im Grunde der Erde wieder antreffen.
228
Freilich wirde man zu dieſem Zweck genöthigt ſeyn,
dem meiſt ganz unbedeutenden Bergſtrom, deſſen ſeich⸗
tes Bett jetzt eine halbe Stunde breit iſt, den aber ein
fefter mit Dämmen eingefaßter Kanal von zwölf Fuß
Breite zu jeder Zeit bequem faffen Fönnte — eine
Grenze biefer Art zu fegen; was ohnehin in einem
polizirten Lande bald zu erwarten flünde, und daher
hier eine doppelt würdige Aufg®be für die Regierung
wäre. Selbſt ein Particulier fönnte Durch den
hohen Ertrag des gewonnenen Landes gewiß ſchon bie
Hälfte feiner Koften deden, und welder Schäge würde
er Meifter, wenn er Helife wirklich auffände! Dies
mag eine Chimäre feyn, aber unbegreiflich bleibt es
mir doch, daß. von fo vielen Engländern, die täglich
mit Hinterlaffung eines koloſſalen Bermögens fterben,
nachdem fie wie bie Champignons gelebt, Feiner noch
je auf den. Gedanken kam, irgend ein grandiofes Un⸗
ternehmen bdiefer Art in Griechenland auszuführen.
Es blieb, den famoſen Raub des Lord Elgin ausge⸗
nommen, immer bei Eleinlichen unbedeutenden Ders
fuchen ‚ und felbft in Olympia haben nur die Kran
zofen etwas Weniges gethan, was fid vos fogleich
reich belohnte.
In Voſtitza, wo mid mein Secretair erwarten
follte, um mit mir nach Korinth zu fegeln, fand id
229
biefen nit, weil, wie ich nachher erfuhr, mein
Schreiben an ihn von Kalaprita nicht angefommen war.
Statt deffen begrüßten mid) nur verſchiedene unange-
nehme Briefe, unter denen fi auch ein unwillfomme-
ner häuslicher Bericht befand. Die ſchwarze Norma
ift, ungeachtet aller von Francis angewandten Mühe,
nicht tragend, und meine Hoffnungen auf die zu erzie-
fende feltene Race getäufcht! Bei ihrer bämonifchen
Natur, an die ich feit dem Erlebten ernſtlich glauben
muß, hätte ich mir es freilich erwarten können, denn
ich las einſt in einem alten Hexenbuche, daß Geſchöpfe
dieſer Art, gleich den Mauleſeln, nie fruchtbar werden.
Außerdem theilte man mir noch allerlei ziemlich beun-
ruhigende Neuigkeiten über die zunehmende Revolution
in Rumelien, einen ernfllichen Angriff auf Lepanto, Lamia
und Miſſolunghi u. ſ. w. mit, wozu ſich Die mich perſön⸗
lich bekümmernde Nachricht geſellte, daß der intereſſante
Ingenieur-Kapitain Abele, den ich noch vor vierzehn
Tagen in aller Frifche männlicher Kraft kennen lernte,
in der Affaire bei Miffolunghi geblieben fey. Es fiel
mir recht widerlich auf, daß ich ihm beim Abfchieb
noch fherzend fagte, ich wänfche ihm viel Glück zur
bevorſtehenden Räuberfampagne, worauf er mir ers
wieberte, daß er nur um einen Freund zu befuchen
dorthin ginge, und, mit feinem Abſchied in der Taſche
bald dies Land zu verfaften hoffe, wa für ben Solda⸗
ten nur auf Muͤhſeligkeit und wenig Ruhm zu rech⸗
nen ſey. Er äußerte ſich bitter und mißmuthig über
die hieſigen Verhältniſſe, und freute ſich ſehnlich auf
die Heimath. Der Arme hat nun ſchneller als er ah⸗
nete, die ewige finden müſſen!
Bevor ich dieſe Relation ende, mag woch eine
kurze Betrachtung über bie ungemeine Faufpeit ber
niedern Claffen und den gleichen Müßiggang ber hö-
beren, wie, ich Beides bisher überall hier antraf,
ihren Plag finden. Dies ift gewiß eins ber größten
Nationalübel, bem eine weife Regierung dur alfe in
ihrer Macht ſtehenden Mittel am meiften entgegen ar-
beiten ſollte. Wo ich auch hinkam, faft nie fah ich irgend
jemand, der nicht gerade von Handarbeit [chen muß,
jelbft die Gouvernementsbeamten nur nothbürftig, mit
irgend etwas befchäftigt, ein Schlaraffenleben führend,
das für einen Gebildeten unferer Länder ärger als
Zudthausarbeit fegn würde. Diefe grenzenloſe Träg⸗
beit hindert die Menfchen auch allein, fih nur im ge⸗
singftien Maße die Bequemlichkeiten der Givilifation
zu verichaffen. Nichtsthun ift ihr Hauptgenng! Haben
fie. den, fo feinen fie wenig nach allem Vehrigen zu
fragen. Der gemeine Mann if fo apathiſch, daß
man nuy mit. unyerhältnißmäßiger Belohnung ihn. zu
ei
einiger Anſtrengung bewegen kann. Ja, dieſe Faulheit
iſt ſo groß, daß man die Leute nicht einmal dazu zu
bringen vermag, die Thüren zuzumachen, burch weiche
fie gehen, und mehr wie fünfzig Mal babe ich, bei
der empfindlichen Kälte diefen Dienft ſelbſt für ſie
verrichten müſſen, um mir den Zug in ber Stube zu
erfparen. Ich bin wahrlich nicht berühmt dafür, früh
ber Erfte fertig zu feyn — demungeachtet mußte ich
auf der letzten Reiſe jeden Tag auf meine Maulthier⸗
treiber warten, bie fi, trotz aller Befehle, nie cher
als im legten Augenblide an die Aufpadung der Effel-
ten machen wollten, fo daß in der Regel immer eine
bafbe Stunde unnütz dadurch verloren ging. Dann
aber wurde Alles noch fo obenhin und liederlich be=
forgt, bag fortwährend neuer Aufenthalt entftand, und
eine Menge Dinge muthwillig ruinirt wurden, bie nur
ein wenig Ordnung und Pünktlichkeit erhalten hätte,
Da feine Dorfgemeinde daran benft, dad Geringfie
an ihren Wegen zu repariven, obgleich ſehr häufig
Ynglüdsfälle daraus entfieben, babe ich fihon zur Ges
nüge erwähnt, und bie bewaffnete DRiliz, welche bie
unſichern Gegenden im Gebirge begeben folk, fanben
wir ſtets irgendwo, fhlafenb oder rauchend, in ben
Sträuchern Liegen. Die Regierung fheint an derſel⸗
ben Schläfrigfeit zu leiden, und fo fann, wenn dieſe
ſelbſt fich nicht energifcher und thätiger zeigt, auch im
Bolfe Feine Befferung eintreten, das vielleicht nur aus
Berwöhnung, aus Mangel an erwecktem Induſtrie⸗In⸗
tereſſe, und namentlich durch die 170 Feiertage im Laufe
bes Jahres eine ſolche traurige Richtung genommen hat.
Zum Schluß werben meine Teer wahrfcheinlich
eben fo überrafcht feyn, als ich es war, zu erfahren
Ceine Kunde, die mir erft hier in Boftiga wurde) dag
der Gentleman von Solos, bei dem ich zwei Tage
wohnte, — ein berüchtigter Räuber, und der Bruder
deſſelben Konnomopulo ift, den ich auf Kanarid Eor-
vette ſah, wo er vorgab, von den Kondroyanni’d zu
ihrer Begleitung gezwungen worden zu feyn. Ich
hatte mich des Namens durchaus nicht erinnert, jebt
fonnte ih mir aber beffer; die foftbaren Waffen und
vortrefflich dreffirten Hunde in der dürftig elenden
Hütte erflären. Wie gut ift oft die Unwiffenheit!
Ohne fie würde ich wahrfcheintich nicht fo forglos am
Generherbe neben dem bie Gaftfreundfehaft ehrenden
Klephten gefchlafen haben. Solos foll überhaupt ein
berüchtigtes Räuberneft ſeyn, und vielleicht war auch
dies einer der Gründe, warum man mir in Kalaͤvrita
fo beharrlich ausreden wollte, dahin zu geben.
Drittes Kapitel.
Endliche Abreife des Herrn non Rofenderg aus dem wilden
Zergrevier und feine glüdliche Ankunft in der heiligen Athina.
„Nach der Schidfalstragöpie pflegt gewöhn⸗
lich auf derfelben Bühne eine Pantomime agirt zu
werben, in ber Sarlequin die Hauptrolle fpiett.'
j Semilaffo.,
Es war Yangmweilig, in Voſtitza noch einige Tage
unnüß verweilen zu müffen, um Lorenzo dafelbft zu
erwarten. Eine unerwartete Ausbeute fand ſich in-
beffen Doch noch daſelbſt vor. Erſt während meiner
Abweſenheit hatte man die Grundmauern eines fehr
großen Bauwerks mit merfwürdigen, weitläuftigen und
mwoblerbaltenen Souterrains im Garten eines Herrn
entdedt, deſſen Name fih, wie gewöhntih, auf
„opulo“ endigte, von dem ich aber den Anfang vers
geſſen Habe. Wir fliegen mis Fackeln eine tiefe Treppe
hinab, an deren Wänven glatter und dick aufgelragener
Stud noch an den meiften Orten fefthielt, und durch⸗
234
Fletterten darauf, theilweis über Steingerölfe, mehrere
mit Schutt angefüllte Gewölbe, unter denen der Tritt
fo hohl Hang, daß offenbar noch eine Etage ähnlicher
Räume fih darunter befinden muß. Zwei, an zehn
Fuß tiefe, cylinderartig aus Werfflüden gemauerte,
enge Brunnen, die mit großen, vieredigen Quabern
zugebedt waren, fanden fi von allem Schutte frei,
body war weder Bier noch irgend wo anderes etwas
von Skulpturen zu entbeden, Jedenfalls war das
Gebäude, zu dem biefe Souterrains gehören, von
außerorbentlich großem Umfange, da nach mehreren
äußeren Anzeichen bis jegt kaum der zehnte Theil das
von zugänglich geworden if. Die Fortfegung ber
Ausgrabungen kann daher noch viel intereffantere Re⸗
fultate liefern, und auch aufflären, welder Art Bau
bie Ruine angehört, was in dieſem Augenblick ſchwer
zu beſtimmen if.
Nachdem mein Secretair, durch eine vollſtäͤndige
Windftille im Golfe aufgehalten, zwei Tage zuge⸗
bracht hatte, um bie wenigen Stunden von Patras
hierher zurückzulegen, ſchiffien wir ung, ohne weitere
Zeit zu verlieren, noch in berfelben Nacht nach feiner
Ankunft, bei hellem Mondlicht ein, und erreichten mit
ſchwachem, aber nicht günkigem Winde, am darauf
felgenden Mitiag Lutraͤli. Dieſer ganze Ort beſteht
nur aus zwei Heinen Häufern, bie, zwiſchen Table
Selfen hart am Meeresufer eingeflemmt, von Doua⸗
niers und einem Kaffeewirtb bewohnt werden. Den
ſchmalen Plag, der zwifchen Haus und Ges übrig
blieb, hatten zwei koloſſale Säue, vielleicht noch Ab⸗
kömmlinge des erpmanthiſchen Ebers, mit einigen
zwanzig ihrer Jungen eingenommen, und vertheidigten
die Approchen gegen unſere kleinen Hunde mit vieler
Energie. Die menſchlichen Bewohner waren friedlicher,
obgleich ſie im Uebrigen von derſelben Familie zu ſeyn
ſchienen. Sieben ſchlechte Mauleſel, welche glücklicher⸗
weiſe von einem hierher geſandten Transport noch
gegenwärtig waren, wurden unter vielem Zanken und
Lärmen mit unſeren Effekten beladen, und nachdem
Alles in Ordnung gekommen, durchwanderten wir
neben ihnen zu Fuß den Iſthmus. Die Witterung
war ſchön und warm, auch Far und ſonnig vor und,
doch hinter uns der Golf, wie alle Berge, in Wolfen
und Nebeldunfel eingehüllt. Der von Korinth na
bem Oneja fanft anfleigende Iſthmus zeigt nur wenig
felfigen Boden, und befteht meiftend aus frushtbauen
Lehm, der vielfach mit Strauchwerk durchwachſen if.
Im Schatten diefes Gebüſches fanden wir häufig ein
qußerordentlich Schön blühendes Zwiebelgewächs, mit
hochrother Blume und blauem Kelch, nebft einer Axt
236
Heiner Trauben-Hyazinthen, wovon wir uns ein zier-
Yihes Bouquet pflüdten. Da ih ſehr bald hierher
zurüdgufehren gedenke, fo verſchiebe ih bis dahin alle
ferneren Bemerkungen und begnüge mid, meine Ber-
wunderung darüber auszubrüden, daß die Regierung
feibft bier, wo es doch fo leicht und wichtig wäre,
noch an Feine Straße gedacht hat.
Unfer Fortfommen ging nur fehr Tangfam von
flatten, da wir jeden Augenblick durch die Maufthiere
aufgehalten wurden, die hier eben fo faul und wenig
disziplinirt zu feyn feheinen, als ihre Gebieter. Bei
jeder ſich darbietenden Gelegenheit vertheilten fie ſich
entweder, um dem feimenden Graſe zuzufprechen, ober
brachten durch widerfegliche Sprünge die fchlechte
Paderes in Unordnung, was oft eine theilweiſe Um⸗
ladung nöthig machte, oder warfen auch wohl, ſich
niederlegend, die ganze -Bürbe auf einmal ab. So
bauerte es dritthalb Stunden, ehe wir auf der Höhe
am jenfeitigen Golf ankamen, deſſen fübliche Lieb:
lichkeit einen höchſt anmuthigen Contraft gegen bie
wilde Umgebung und die fchroffen Schneegipfel der
eben verlaffenen Gegenden bildeten, Aegina, Salas
mis, und der ſpitze Berg diefer Infel, hinter dem die
Akropolis Athens noch verborgen blieb, lagen vor
ung mit einem fpiegelglatten Meer, eingefapt von ben
237
— — — — —
beiden weit hinaustretenden Vorgebirgen von Attika,
mit dem Kap Kolonos auf der einen, und Argolis mit
Kap Eſtemo auf der andern Seite. In der weiteſten
Entfernung erſchienen bie duftblauen Berge von Zoͤa,
und um fie ber die ügeifhe See, nur vom Horizont
begrenzt. Salamafi, dad wir nahe unter und am
fladen Meerfand aufgebaut erblidten, enthält einige
Häuſer mehr ald.Luträft, doch ift es von Feinem glän⸗
zenderen Anfehn. Wir fanden dort, außer den Doua⸗
nierd, nod einige beutfche Soldaten der griechifchen
Truppen, die wegen begangener Subordinationgfehler
nah Nauplia trangportirt wurden, und ſich in bie
bitteren Berwünjhungen über Griechenland und ben
hiefigen Dienſt ergofien. Der Eine, ein fchöner her⸗
kuliſcher Mann, ſchien viel in ber Welt verfucht zu
haben, deun er hatte mit wahrem Kosmopolitismug
dem Kaifer Franz und Napoleon, Don Pedro und Don
Miguel, der fpanifchen Königin und Don Carlos ge⸗
dient, bedauerte aber fehr die im hiefigen jungen Reich
gemachte legte Probe. Uebrigens war und diefer vor⸗
urtheilöfreie Krieger fehr behülflih, um und mit dem
Zolfbeamten und dem zerlumpten Capitan del porto
zu serfländigen; auch half er und mit dem Eigenthü«
mer einer Barfe der Heinften Art, der einzigen. die
ugegen war, einen Contract für die Ueberfahrt nad)
238
Athen abzuſchließen, welches von bier noch vierzig
Miglien (Ceirca 8 deutſche Meilen) entfernt if. Ich
verehrte ihm deßhalb eine Colonate, um auf meine
Geſundheit gu trinken, was er feinen abmirabeln Prin-
zipien gemäß fih in Wein und Liqueur fogleich Tehr
angelegen ſeyn Tief. Unterbefien hatte fi ein fehr
heftiger Wind erhoben, der zwar günftig blies, aber
bei einem fo efenden Schiffe, nahe dem Einbruch der
Nacht, einige Bedenklichkeit einflößte. Um ſechs Uhr
lichteten wir indeß herzhaft die Anker, alle kleinen
etwas ſchadhaften Segel aufgeſpannt, und flogen bald
wie ein Pfeil durch die ſchon ſich ungeduldiger bäu-
menden Fluthen dahin, in ein Bett von Schaum ge⸗
hüllt, den die reiffende Bewegung des Schiffes bei
ihrer gewaltfamen Durchſchneidung ber Wellen rau-
fihend emporhob. Die ganze Scene hatte viel Origi⸗
nelles. Außer uns dreien beitand das Perfonal im
Schiffe nur aus dem Kapitain, ein alter Soldat ber
Revolution mit einem Stelzfuß, und feinen zwei ſtna⸗
den von fechszehn und vierzehn Jahren, welche als
Matrofen fungirten. Auf dem als Ballaft mitgeführ-
ten Kies, der frei auf dem Boden bes Schiffes Tag,
das Feine andere Bequemlichkeit, als noch einige Plans
fen zum Sigen darbot, Tag außerdem eine junge Frau
mit ihrem Kinde an der Bruft, die vorher einen unferer
Mauleſel getrieben hatte, und nun von der Gelegen⸗
heit profitirte, um gratis nach Athen zu gelangen.
Der Iſthmus und die Berge mit der hoc über ale
hervorragenden Burg von Korinth, waren in fahlem
Scheine von dunkelſchwarz berabhängenden Wollen
bededt, während am noch immer hellen Blau der
Himmelswölbung vor ung der Mond fehon glänzend
Teuchtete. So hinter ung die Nacht, vor uns ein mit
"Bold befterntes Meer, in dem eine Abendgefellfchaft
Iuftiger Delphine fpielte, durchfausten wir, immer
beftiger getrieben, halb mit dem Schiff auf einer Seite
Tiegend, wie im Wettlauf die aufgewühlte See, und
ergößten uns, bei der wunderbaren Beleuchtung, an
der Geſchidclichkeit der far nadten Schifföfungen, bie
raſtlos, gleich zahmen Affen, an den Stricken hinauf
und herablletterten, um die Segel bald da balb borts
hin zu ftellen, damit der hohlpfeifende Wind fie nicht
gänzlich zerreiße.
Lorenzo und ich wurden bald in die romanttichefte
Stimmung verfegt, und ſelbſt Francis ſchien für bie
‚Maffifche Umgebung einige Empfindung an den Tag
Tegen zu wollen, denn er ſtierte ohne Unterlaß auf
Aegina's malerifhe Formen hin, bid wir bemerkten,
daß ein Schöpfenknochen, den Lorenzo am Ende feines
—
Veſperbrodes in's Meer hatte werfen wollen, ſich in
der Höhlung des untern Segels gefangen hatte, und
uns nun leider keinen Zweifel mehr übrig ließ, daß
er allein es war, der meines allzu finnlichen Lieblings
Anfmerkſamkeit fo anhaltend feſſelte. Es iſt hart, ihn
yon einer fo unpoetifchen Seite hier barftellen zu müf-
fen, aber meine Wahrbeitstiebe verfchont weder Freund
noch Feind. Als wir die Spitze von Salamis ums
ſegelten, war das Meer ſo hoch, und der Wind ſo
ſturmartig geworden, daß der Kapitain befahl die
Segel einzuziehen, die Jungen aber, denen das vogel⸗
artige Fliegen des Schiffes gefiel, wollten keine Folge
leiſten. Dies wurde um ſo lächerlicher, weil der Va⸗
ter, vermoͤge ſeines mangelnden Beines, nur durch
Worte und wüthendes Ausſtrecken aller zehn Finger
feine Autorität bekräftigen konnte, vor einer thätigeren
Zurechtweiſung aber bie junge Brut in ihrer Ge⸗
wandtheit a la Mazurier fi) ganz ſicher fühlte. Da
wir indeß nicht Luft.hatten, zum Bergnügen ber un
gezogenen Buben (die wahrſcheinlich auch wie Fiſche
fhwimmen fonnten) unfere Pilgerfahrt ohnfern des
naſſen Kampfplatzes von Salamig zu enden, fo ſchlu⸗
gen wir ung in's Mittel und dämpften die Rebellion
im Beginnen, Wir waren bier den Uferfelfen ziemlich
241
nahe, in deren zahlreichen Grotten das Meer wie eine
Stampfmühle toste. Auch hatten die dunfeln Wollen
und nun eingeholt, Mond und Sterne waren ſchon
von ihnen verfehlungen worden, über der Küfte fah
man einige Blitze den Himmel durchzucken, feitwärte |
anrennende Wellen gaben dem Schiffe oft widerliche
Stöße, und das Meer hatte jene fchwarze Farbe an⸗
genommen, die zwar die weißen Schaumfloden fehr
Schön darauf hervorhebt, aber in dieſer gefährlichen
See nicht den erfreulichſten Eindrud madht. Dazu
war es äußerft Falt geworben, und ohne andern Schuß
als unfere Mäntel durchzog ung der fehneidende Wind
auf die empfindlichfte Weife. Die Schnelligfeit unferer
Fahrt felbft erfparte ung Uebleres, denn ehe der Sturm
noch ganz ausbrach, hatten wir den Pyräus erreicht,
und die ganze Tour in ber faft beifpiellos kurzen Zeit
von noch nicht ganz vier Stunden zurüdgelegt. Hier
trafen wir aber auf eine neue, fehr unerwartete Un-
annehmlichkeit. Am Wachtſchiff angelommen, befahl
man von dorther dem Schiffsherrn, fogleih Anker zu
werfen, weil er jett nicht mehr landen bürfe. Da
wir feinen Kahn hatten, ließ ich durch Anzi den Teuten
zurufen, daß ich eine Ausnahmserlaubnig habe, aber
feine weitere Antwort erfolgte troß aller Bemühungen,
und nichts konnte unfern Schiffer vermögen, auf eigene
Südöſtl. Bilterfaal. II. 16
208
—
Gefahr weiter zu fegeln. Dies war die abfchenfichfte
Nacht der ganzen Reife, die wir in Sturm und Regen
unter freiem Himmel und im Angeſicht der Stadt zu⸗
zubringen blos dadurch muthwillig gezwungen wurden,
weil, wie ich nachher erfuhr, der Wachtfapitain, mit
der gewöhnlichen Liederlichfeit der griechifchen Behör⸗
den, gar nicht auf dem Wachtſchiff gegenwärtig war,
auch Feinen Stellvertreter geſchickt hatte, die rohen
bydriptiichen Matrofen aber viel zu fehr ihre Bequem-
fichfeit Tiebten, um fi) durch eine Converfation mit
uns in ihrem Schlafe ftören zu laſſen. Der Stadt-
fommandant, der mich am Morgen fehr freundlich
empfing, verficherte mir zwar, daß er den Wachtkapi⸗
tain zur Berantwortung ziehen werde, ich bezweifle
aber, daß er ihn ein Wort davon zu fagen gebentt,
denn fein Beamter foheint bier, von oben an, Luft zu
baben, feine Autorität Fräftig zu üben, und mir fann
jest auch diefe Neprimande post festum wenig helfen.
Wenn ich ohne das atbenifche Fieber davon komme,
will ih dem Saumfeligen gern großmüthig verzeihen,
obgleich der ungeſtüme Lorenzo große Luft hatte, ihn
zur Vergeltung in’d Meer zu werfen.
Der Gaſthof im Pyräus war zu elenb und uns
reinlih, um darin zu bleiben, aber aud) das Wetter
zu abfcheulich, und ich felbft zu unwohl, um bie Reife
243
fortfegen zu fönnen. So nahm ih, einiger Pflege
dringend benöthigt, mit Dank das Anerbieten zwei
leerer Zimmer in des Kommandanten Wohnung an,
und fand mich dort bald mit dem Inhalt meiner afri-
fanifchen Wüftenequipage ganz Teiblich eingerichtet.
Anzi hatte eben den Thee mit dem erfrifchenden Tichibuf
hereingebradht, ald man mir den jungen Herrn von
Luft meldete, der ein freundliches Billet feines Vaters,
mit allen Beweifen deffen gütiger Aufmerffamfeit für
mich, brachte, Died aber zugleich mit der wirklich troft-
Iofen Nachricht begleitete, daß von den feit fo vielen
Monaten ungeduldig von mir erwarteten Briefen und
Paketen, die ich angeblich in Athen finden follte, nach⸗
dem fie mich in Tunis und Malta verfehlt, auch hier
nod nichts angefommen war. Ihn, feste Herr von
Luft hinzu, verwundere die Sache nicht, denn fein
Bater habe neulich eine Depefche aus Berlin erſt nach
drei Bierteljahren erhalten! Gewiß tft diefe Unge-
wißheit der Kommunikation eine der größten Unan⸗
nehmlichfeiten in den hiefigen Ländern, und die Berfuche,
durch Etablirung von Dampffchiffen derfelben abzu⸗
helfen, fcheiterten bisher gewöhnlich fehon nach wenigen
Monaten, wie neuerdings die Entreprife der Dampf-
boote zwifchen Marfeile und Malta, bei der bie
214
— -- - —
foftbar auggerüfteten Fahrzeuge kaum ſechs Reifen
machten. ?
Ich blieb drei Tage frank im ungefunden Pyräus,
verdrießlih und nur von Mifere alfer Art umgeben,
im Bette liegen, und hier war ed, wo ich dieſem
Buche feinen Titel gab, den es von Anfang bis heute
reblich verdient hat. Das Wetter ſchien mit mir zu
trauern, denn es ftürmte und regnete fortwährend,
und erft am vierten Morgen ftand die Sonne auch mit -
mir zugleich wieder auf.
Ich lenkte alfobald meine Schritte nad) der Douane
(wo man bei der Ankunft meine Sachen fehr ffrupulög
unterfucht hatte), in der Hoffnung, unter ber immer
bort verfammelten Menfchenmenge Jemand zu finden,
der mir als umterrichteter Kührer zu dienen vermöchte,
fonnte aber Niemand auftreiben, als einen griechifchen
Schuſter, der einige Auskunft in italienifher Sprache
zu geben fähig war.
Ich hatte einen wenig fpeziellen Plan des alten
Athens bei mir, dem folgend ich zuerft Aphrodifium,
eine Abtheilung des alten Hafens, umgehen und den
ſich darein ergießenden Kephiſſus befehen wollte. Aphro-
diſium war aber zu einem übelriechenden Sumpf, und
ı Diefem Uebel iſt nun durch die franzöſiſchen uud öfter:
reichiichen Gouvernements radifal abgepolfen worden.
245
der Fluß ebenfalld nur zu einem Leichenduft ausftrö-
menden Graben geworben. Ich wandte mich daher
auf der andern Seite nad dem Hafen Munichia, zwi⸗
fhen Pyräus und Phalerus, wo wir unglüdlicher-
weife auf das im Bau begriffene Haug fließen, wel-
ches mein unternehmender Cicerone für ſich ſelbſt
etablirt. Er ließ mich jetzt nicht vorbei, bevor ich es
betrachtet und alle Pläne des Bauluſtigen mit ange⸗
hört hatte, wozu er noch ein Bruchſtück feiner Fami⸗
liengeſchichte hinzufügte. Ich fakrifizirte mich geduldig,
denn in folhen Dingen bin ich gutmütbig und mag
nicht gern die geringfie Individualität aus Mangel
an Theilnahme kränken. Zulegt fand ich fogar noch
etwas in diefem Haufe, Das meinen antiten Erwar⸗
tungen befler entſprach, nämlich einen fehr wohl er-
baltenen runden Brunnen, auf den die Arbeiter kürz⸗
lich geftoßen waren, und welder in eine geräumige
Eifterne hinabführte, die jett dem jungen Anfledler
fehr paffend als fertiger Keller zu Hülfe fommt. Der
ganze Boden von hier aus länge des Meeres hin ift
voll Grundmauern mit vielen unterirdifhen Gewölben,
und durch mehrere ganz unbeſchützt gelaffene Deffnuns
gen fieht man in diefe binab. Aber nur wenig fteht
noch über der Erde von den vorhandenen Reiten,
hauptſächlich die eines Theaters, der Gitadelle und
246
einiger Tempel. Etwas von biefen erfchien mir indeß,
in einer Hinfiht wenigftens, impofanter als Alles
was ich bisher der Art angetroffen — denn das hohe
Alter und die eigene Beſchaffenheit des poröfen Stei-
nes hatte hier eine wahre Apotheofe diefer Gegen-
ftände hervorgebracht. Man fah die Ruinen der Men
fhenwerfe wieder in ewig jungfräuliche, urfprüngliche
Gottesnatur veriwandelt, und mußte dieſe feltfamen
Baurefte auf das Genauefte unterfuchen, um ſich zu
überzeugen, daß man nicht einfache Felſen vor fid
habe, da faft alle Fugen der über einander gelegten
Steine fo gänzlich verfchwunden, und auch die Außere
Contoure fo verſchmolzen find, daß ihre Oberfläde
vollfommen die gewöhnliche irregulalre Form natürs
Iicher Felfen angenommen hat. Nur an fehr wenigen,
ter Wirfung der Atmofphäre minder ausgejegten Stel-
len entdeckt man noch die Hand der menſchlichen Er⸗
bauer. Zwiſchen den unzähligen zerbrödelten Eleinen
Steinen, welche dieſe kahle Gegend bebeden, fproßten
Tauſende von Anemonen in allen Nünncen, himmel-
und indigoblau, wie vom blaffeften Roſa bis zum
glühendften Purpur auf. Während ich erfreut mir
einen jungen Frühlingsftraug davon zufammenband,
war der Schuhmacher eben fo emſig befchäftigt, wilden
Salat und Kamillen einzufammeln, deren vorzüglice
247
Eigenſchaften er ſehr herausſtrich. Er führte mich nun
nad) dem Dieereögrund hinab, in weitläuftige, geheim⸗
nißvolle Grotten, die noch durch Brunnen mit den
sbern Ruinen in Berbindung ſtehen, und beren Eins
gang jest durch berabgefallene Mauerſtücke von un-
geheurer Größe Halb verftopft if. Die Luft war
Har und warm, und die Augficht von der einen Seite
auf die Inſeln mit dem nahen Hymettus, von der
andern auf den in diefem Augenblid fehr an Schiffen
reichen Pyräus, die Berge von Megara und Korinth,
nebft einigen der Schneegipfel Achaja's, die ich erft
Fürzlich verlaflen, erfchien gar lieblich in den füblichen
Zinten des heutigen Tages.
Dies bewog mich, auch ben Weg nad) Athen zu
Hufe einzufchlagen, und dem Grafen Luft, der fo gütig
war, mich in feiner Equipage abholen zu wollen, auf
der neuen Chauſſee entgegen zu gehen. Sobald die
erſte Fleine Anhöhe erftiegen ift, wo einige Reſte der
- Mauer fihtbar werden, die fonft Athen mit dem Py⸗
räus verband, erhlidt man plöglich die ganze Ebene
son Athen vor fi) ausgebreitet, die Akropolis mit
dem zierlichen Parthenon in ihrer Mitte thronend, den
fpigen Lykabettus dicht hinter ihr und ben ehrwürbigen
Dlivenwald um fie ber gezogen, der farblos und halb
abgeftorben feine dürren Aeſte gen Himmel ſtreckt. Er
248
— — — —
paßt zu der melancholiſchen Stimmung, welcher Wenige
ſich zu erwehren im Stande ſeyn möchten, wenn zum
erſtenmal in der Ferne jene erhabenen Ueberreſte ges
fallener Größe, gleich trauernden Geiſtern, vor ihnen
aufbämmern, von allen jenen magifchen Erinnerungen
des Altertbums umfchwebt, Die unferer Seele feit frühes
fier Kindheit eingeprägt find. Auch die ganze übrige
Gegend erſchien hiermit im Einklang; ſchöne, edle For-
men, aber ohne Farbe, nur grau in grau gemalt, öde,
unfrudtbar und .verlaffen. —
Bon der Landſtraße konnte man dies letztere je-
doch nicht fagen. Hier zogen, in Staubmwolfen ges
hüllt, eine Menge Reiter und Fußgänger daher, von
denen bie erfteren ihren Weg meiftend in großer Eile
zurüdlegten. Ja einmal mußte ich fogar fünf fran-
zöfifhen Matrofen, die im Zuftande höchſter Seligfeit
die ganze Breite der Straße eingenommen hatten, und
mit dem günftigften Winde zu fegeln fchienen, bis in
den Chauffeegraben Plag machen, um nicht von ihnen
in den Grund gebohrt zu werben. Der mir vom Ges
fandten empfohlene Commiffionair begleitete mich und
erzählte mir unterwegs, daß die Kunſtſtraße, auf der
wir und befänden, nur von bairifchem Militair und
in der übelften Jahreszeit hergeftellt ward, daher auch
nur wenige ber dabei gebrauchten Arbeiter am Leben
249
geblieben wären. Bei dieſer Gelegenheit theilte er mir
ein, wie er behauptete, ganz ficheres Hausmittel gegen
Dies mörberifche griechiſche Fieber mit, dem er felbft
Schon zweimal feine augenblidliche Heilung verdanken
wollte. Es befteht darin, fobald der erfte Froftanfall
völlig vorüber ift, eine Sardelle in ſcharfen Eſſig ge⸗
taucht zu ſich zu nehmen, ein halbes Glas guten Da-
Deira= oder Borbeaurwein Dazu zu trinfen und dann
die darauf folgende Hite ruhig im Bette abzuwarten.
Solche Hausmittel find nicht immer zu verachten,
um fo mehr bier, wo oft eine fehsmonatliche Des
handlung mit Chinin, nach allen Regeln der Kafultät,
dennoch Feine erwünfchte Wirfung zeigte, und die Krank⸗
beit in jedem jahre fortwährend umd unerbittlich ihre
Opfer fordert. Died war namentlid) im vorigen in
foldem Grade der Fall, daß verbältnigmäßig mehr
Derfonen bier täglich farben, als in Berlin während
der ftärfften Periode der Cholera.
Die Befen des verfrüppelten Olivenwaldes lagen
ſchon hinter mir; ich erblickte bereits den Tempel des
Thefeus, die ältefte und zugleich am beiten erhaltene
Nuine Athens, deren gelbe Farbe ihr ein noch neueres
Anfehen gibt, ald Graf Luſi's englifhe Barutfch und
ihr liebenswürdiger Beſitzer zugleich fihtbar wurden,
und ich, vor der Hand bie antifen Herrlichleiten gänz⸗
250
lich bei Seite jegend, eine trauliche Unterhaltung über
die Gegenwart mit allen ihren Fleinen Intereſſen vor-
z09. Es war in biefer profaifchen Beichäftigung, daß
wir endlich lachend und fchergend in die bunten Papp⸗
bäufer der neu aufgelegten Stadt des Kekrops ein-
fuhren.
Viertes Kapitel.
Ein ſehr langer Bericht aus Athen, in dem jedoch meiſtens von
andern Dingen die Rede iſt.
„Fremder: Wo willſt du hinaus, Freund?
„Anaſtaſius! Weiß ich's!“
Alte Comödie.
An den Thoren von Athen nahmen wir Abſchied,
geliebter Leſer, und wenn ich mich recht erinnere, (denn
ich vergeſſe oft über Nacht, was ich geſtern geſchrieben)
mit ſehr geringer Exſtaſe von meiner Seite, obgleich
es nur billig, ja vielleicht fogar ſchicklich gewefen
wäre, mit einer der glänzendften Ziraden, die mir
zu Gebote ftehen, die berühmtefte Stadt der alten Welt
zu begrüßen. Es war mir aber leider gar nicht fo
zu Muthe, im Gegentheil, Athen, wie es fi) mir jeßt
darſtellte, machte faft einen Tomifchen Eindruck auf
252%
mid. Ein Biertheil antik, ein anderes türfifch, eins
neugriehifh und das letzte baierifch; taufendjährige
und heutige Ruinen durcheinander gemengt, daneben
nagelneue, grüne, gelbe und weiße Häufer, im Ge⸗
ſchmack der Nürnberger Spielfahen aufgeführt; alte
abgebrochene Straßen im gräßlichſten Chaos; breite,
abgewinfelte neue, die aber in Ermangelung der Häufer
meifteng nur durch Planken bezeichnet find, überdies
voller Unrath Tiegen, und oft in der Mitte noch einen
tief aufgeworfenen,, übel bunftenden Graben haben;
eine eben fo Lebendige und zahlreiche, ald gößtentheils
zerlumpte Menfchenmenge, die in jenen Gaffen wim- |
melte, und fie mit einem andauernden Gefumme ſechs
bis fteben verfchiedener Sprachen erfüllte; eine heiße
Sonne und ein Falter Wind, der dag Ganze von Zeit
zu Zeit in die unbequemſten Staubwolfen büllte —
das war die neue Athina, welche ich hier mit weh-
müthigem Lächeln vor mir fah. ‚
Ich ftieg mit dem Gefandten bei feinem Hotel ab,
und fand dort mit inniger Freude die vortreffliche
Gräfin Maria wieder, die ich als blühendes Mädchen
in England verlaffen, zwar noch immer blühend, doch
in reiferer Fülle, und zugleich als die glückliche Mutter
vieler lieblichen Kinder, die ſich in einem fo wohl⸗
thuenden Bilde häuslicher Glückſeligkeit vereinigten,
als man es in höheren wie niederen Ständen nur zu
felten antrifft. — Nah einem böhft angenehm hier
verbrachten Zage begab ich mich erſt fpät Abende in
mein eigenes Quartier, Das aus zwei für Athen ganz
artig meublirten Stuben und einigen Diminutiv-Cabi-
nets für meine Leute befteht, indeß auch eben fo theuer
als ein weit geräumigered und [urugreicheres-auf den
Pariſer Boulevards bezahlt werden muß. Ich Tann
mir demungeacdhtet fchr Glück wünfhen, es bei der
großen Concurrenz noch disponibel angetroffen zu has
ben, welches ich ebenfalls allein der Güte des Grafen
Luft verdanke, welcher die erfle Gelegenheit wahrges
nommen hatte, ed mir zu verjchaffen.
In Athen erft werbe ich wieder gewahr, daß ich
mich in Europa befinde; ich fehe wieber die herges
braten Formen eines civilifirten Hofes, und die ele⸗
ganten Salons eines fehr ausgezeichneten diplomatiſchen
Cirkels, fpiele wieder Wpift und Höre italienifchen
Geſang, und freue mid, das mir faft fremb gewor⸗
dene Alte einige Wochen wieder mit anzufehen, bie
Byron's Natur:
„Wo nichts Gefchliffnes ihren Schritt entweihen darf,“
mid) von neuem an ihren nadten Bufen nimmt; denn
auch in der Leidensperiode bleib’ ich nad Kräften
immer des VBergnüglings eingedenf.
254
Wir haben hier zwei franzöfifche Gefandte, von
denen aber der Eine im Geben, und der Andere, fo
zu jagen, im Kommen begriffen ift, denn obgleich er
ſelbſt ſchon gegenwärtig, ward doch fein Haus nody
nicht eröffnet, während das feined Vorgängers ges
fhloffen if. Bon diefem, welches fieben Jahre lang
bier florirte, börte ich viel Rühmens, und von dem
neuen erwartet man gleich viel. Sch kann nur über
die verlaffenden und angefommenen Perfönlichkeis-
ten urtheilen, welche, obgleich fehr verfchieden, mir
doch beide in nicht geringem Grade anziehend erſchie⸗
nen. Der englifhe Gefandte ift der Gemahl jener
liebenswürdigen Lady Lyons, die ich mit ihren Töch—
tern in Malta kennen zu lernen das Vergnügen hatte,
und deren anmuthige Unterhaltung bier wieber zu
“ finden, ich ſchon feit jener Zeit zu den größten Au⸗
nehmlichfeiten vechnete, die mich in Athen erwarteten.
Diefe englifhe Dame vereinigt mit aller Ruhe ber
großen Welt und dem fanfteften Aeußern, eine Schärfe
und Lebbaftigfeit ber Repartie, welche der geiftreichiten
Franzöfin Ehre machen würde, und obgleih fie mich
nicht felten zum Ziel ihres Witzes erfor, fühlte ic
Doch fletd dabei Die Befriedigung eines fih mit Freu⸗
den Opfernden. Bon dem Comfort und Glanz des
Haufes eines englifhen Gefandten zu ſprechen, if
unnüß, benn wo wäre eind zu finden, dem es baran
feblie? Das englifhe Gouvernement beobachtet in
biefem Punkte nicht bie Heinlihe Defonomie einiger
andern Mächte, wohl wiſſend, daß es nicht fo gleich-
gültig fey, fih in fremden Ländern ärmlich oder mit
Anftand vertreten zu ſehen. Friedrich der Große, fagt
man, habe dennoch, eben durch dieſe Defonomie, im
Kontraft mit dem lange feines Namens, nur defto
mehr zu imponiren geſucht. Nun wer fich fühlt ein
anderer Friedrich der Große zu ſeyn, mag dem Bei-
fpiel folgen, wiewohl dabei noch immer zu berüdfich«
gen bleiben würde, daß ein großer Mann in verſchie⸗
denen Zeiten auch ganz andere Mittel zum Zwede
anwendet; denn fein ift ber lebendige Geift, und
nicht das todte Wort — das vereinzelte Copiren eines
folhen Mannes bleibt daher immer mißlich.
Rußland hat das engliihe Prinzip vorgezogen,
und wird bier, wie überall, von einem ausgezeichne-
ten Minifter würdig repräfentirt. Die ruſſiſche Di-
plomatie ift mit ber alten päbftlichen zu vergleichen;
fie weiß von lange her genau, was fie will, ift fehr
forgfältig in der Wahl derer, Die zur Ausführung
“ihrer Pläne beftimmt find und knickert nie im ihrer
Bezahlung. Auch bewährte der Erfolg, wie bekannt,
bis jetzt ſtets dieſe gediegenen Anſichten.
256
Bor Allem muß ich aber jest eines Mannes er⸗
wähnen, deſſen hoher fchriftfiellerifcher Ruf Neugier
wie Wißbegierde zu ihm Hinzieht, deſſen geiftaus-
firömende, heitere und anſpruchsloſe Perfönlichkeit
aber noch weit mehr als feine Schriften feifelt. Ich
geitehe übrigens gern, daß der zuvorfommende, freund
liche Empfang, den er mir angedeihen ließ, noch ehe
er etwas von meinen Empfehlungsbriefen an ihn
wußte, mir ſehr fchmeichelhaft däuchte, und gewiß
war es nebenbei Fein Fleiner Bortheil, unter der güti-
gen Leitung eines fo gründlichen Altertkumfennerg,
eines fo vielfeitig gebildeten Gelehrten, und eines fo
liebenswürdigen Weltmannes die ewig denfwürbigen
Monumente zu ſehen, welde ung die Größten unter
ben Alten, und eine leider auf immer dahin gefhwun-
dene Periode der Kunft in ihren erhabenften Formen,
noch jetzt vergegenwärtigen.
So wie man das Haus des Herrn von Prokeſch
betritt, das mich durch die geſchmackvolle Dispoſition
antiker Fragmente an das unſeres Göthe erinnerte, ahnet
man den kunſtliebenden, feineren Genüſſen lebenden
Beſitzer. Ich fühle mich wohl in einer ſolchen
Atmoſphäre, und ein günſtiges Schickſal gewährte mir
fogleih noch einen lieblichern Beweis yon dem praf-
tifchen Schönheitsfinn des Hausherrn, indem es mid.
257
zufällig die veizende Dame auf dem Flure begegnen
hieß, die er zu feiner Gemahlin gewählt. Frau von
Prokeſch ift ſchön und liebt ihren Mann, aber fie vers
ſteht ihn auch, — ein noch glüdlicheres Roos für Beide!
Dazu befitt fie das Talent, eine große Birtuofin auf
dem Klaviere zu feyn. Unter ſolchen Umfländen kann
man es ohne Zweifel ſelbſt im neuen ©riechenland
aushalten, "und es fogar lieben wie Herr von Pros
fefh, eine Liebe, der das Erbarmen zum Grunde
liegt, und welche die Hoffnung aufrecht erhält.
Die hieſige europäifche Gefellfhaft gleicht natür⸗
lich der großen Welt an andern Orten, doch unter-
ſcheidet fie füch in einigen Nünncen. Die Etifette iſt
geringer, Stiefeln unter anderm find, fehr vernünf-
tigerweife, an der Taged= und Abendordnung. Wenn
man ed dod mit dem Hutabnehmen eben fo maden
wollte! Ich meine, daß man den Hut, diefe groteöfe
‚und unbequeme Kopfbedeckung, ein für allemal abneh⸗
nehmen folle, um ihn nie wieder aufzufegen, fondern
mit einem zwedhnäßigern und permanent figen bleiben⸗
ven Kopfput zu vertaufchen. Wie Täherlih würden
wir ed 3. B. finden, wenn unfere Damen bei jeder
Begegnung ihre Hüte und Bonnets abziehen müßten,
und eben fo Lächerlich erfcheinen wir mit Necht den
Morgenländern. Die armen Griechen müſſen jest
Siröftl. Bilverfaal. 11.” 17
258
auch fogar ihren türfifhen Fes abnehmen, weit bie
Regentſchaft dies früher fo befohlen bat! D, würde
fie nit mancherlei Geſcheidteres zu befehlen gehabt
haben, wenn fie fi recht darauf befonnen hätte?
Eine andere, auffallende, mir aber ebenfalls höchſt
willtommene, Sitte ift, daß in den brillanteften Affen
bleen, der Fremden wie der Einheimifchen die Herren
an ihrer Wpiftpartie rauchen, wobei ein großer Luxus
ſechs Fuß langer türkifcher Pfeifen berrfcht, die durch
aufmerffame Diener fortwährend gewechfelt werben.
Nur muß man Obacht nehmen, die Spiten ber Pfeis
fen gut abzumifchen, ehe man fich ihrer bebient, da
die Diener, nad) orientalifcher ſchmutziger Manier, auch
bier fie vorher anzuraucen pflegen und aus dem
Munde nehmend präfentiren.
Kunftgegenftände ſah ih, außer bei Herrn von
Prokeſch nirgends, dafür aber überall vortreffliche
Smyrnaer Teppiche, viele europäiſche Papiertapeten
und hie und da einige mufelmännifche Kuriofitäten,
nebſt den obligaten franzöfifchen Pendülen und Brons
zen. Zu irgend einer recht glänzenden oder gar dar
rafteriftifhen Einrichtung ift, wie es fiheint, Alles
bier wohl noch zu neu, zu Armli und zu proviforifch.
.
Aus meinem Tagebuche.
Athen, den tm Mär; 1836.
Wir gingen vom Diner des Grafen Lufl, wo
heute nur vom geliebten Baterlande gefprochen wurbe,
zu Fuß durch viele alttürfifche, enge Gäßlein, welche
noch nicht reformirt find, zu einer großen Soirée.
Der Bediente Teuchtete mit einer enormen Laterne vor,
in ber drei Lichter brannten, wenn ich recht verſtand,
ein Vorrecht der Miniſter. Die unſrigen verklärten
durch ihre Zahl ohne Zweifel die heilige Allianz. Doch
wurden wir bald darauf durch eine noch größere La⸗
terne mit fünf Lichtern überflügelt, und ich dachte an
Diogened. Ihr folgte ein in feine Kapuze gewidelter
260
Reiter auf einem alten Schimmel. Es war Herr Rizo,
Minifter des Auswärtigen und zugleich vier anderer
Minifterien, worauf wahrfheinlich abermals die Zahl
ber Lichter anfpielte. Er ritt, wie man mich belehrte,
nach den Mühen bes heißen Tages zu einer Hombre-
Partie beim Fürften Karadja, die mit dem erwähnten
Wyiſt die Haupterholung der hieſigen Diplomaten
ausmacht. Unſer Loos war, obwohl bei gleicher Bes
fhöftigung, dennod angenehmer, denn wir hörten
Madame de Rouen und Madame Katakazy gleich
zwei wetteifernden Philomelen dazu fingen.
Den sten März.
Der halbe Tag ging mit Viſiten hin, denn ehe
ich mich zum Todten wende, will ich mit den Leben⸗
“den fertig ſeyn. Auch der fünffache Minifter war auf
der Lifte. Wir fanden frin Haus etwas Teer, da vor
einigen Tagen ein falſcher Feuerlärm darin entftauden
war, und die Leute in ihrem Rettungseifer damit an⸗
gefangen hatten, Stutzuhren, Spiegel, Leuchter, und
was ihnen zunächft unter, die Hände fam, auf bie
Straße zu werfen, die, obgleich nicht gepflaftert, doch
wenigen biefer Gegenftände ein Ruhelager im ganzen
Zuftande geftatten wollte. Als wir weggingen, hielt
Herr Rizo den Grafen Luft noch einige Augenblide
261
auf, um ihm fo viel Freundliches und Schmeichelhaftes
über mich ſelbſt zu fagen, daß meine Befcheidenpeit
es nicht wiederholen darf. Scmeichelhaft aber nenne
ih ed, weil Herr Rizo einer der ausgezeichneiften,
auch Titerarifch berühmten Griechen if. Nicht alle
biefigen Staatsmänner haben diefelbe Bildung, unb
einer derjelben ergögte ung heute fehr bei Tiſch, in⸗
dem er, ald von D’Eonnel gefprochen wurbe, ihn mit
D’Dommel verwechfelnd, frug, ob diefer denn nicht
mehr in Spanien diene? — Wie würde das den großen
Agitator gedemüthigt haben!
„Abends um 9 Uhr ward ih mit Graf Luft und
meinem Secretair burch eine Audienz bei Sr. Majeftät,
dem König Dtto, beehrt. Ich hatte noch nicht das
Glück gehabt, ihm zu nahen, und fand in dem Bes
herrfcher Griechenlands einen ſchön gewachfenen: jungen
Mann von einnehmenden Zügen und. gewinnendem
Benehmen. Er behandelte ung mit viel Herablaffung
und Güte ‚und verrieth im Lauf ber Unterhaltung
nicht felten die von feinem erlauchten Vater ererbte
Liebe zur Kunft, nebft manchem Gewinn ernſter Stus
dien verfchiedener Art, denen er außer feinen Regie-
rungsgefchäften bier ausſchließlich zu leben ſcheint.
Denn er bringt ſeine Zeit faſt immer allein zu, und
es gibt vielleicht keinen einzigen Fürſten ſeines Alters,
»
der ein fo eingezognes Leben führte. Es wunderte
mid, bag König Otto, dem die Griechen Teibenfchafts
lich ergeben find, die deutſche Tracht, die ihnen zus
wider iſt, beibehalten hat. Dan würbe ihn vergöttern,
wenn er durch Annahme der Nationalkleibung einen
neuen Beweis der Anhänglichkeit an fein erwähltes
Baterland gäbe, und der ſchöne Wuchs des jungen
Fürften würde fih überdies fehr gut darin ausnehmen.
Sch halte dergleichen zu den Augen Sprechendes Feis
neswegs für eine unbedeutende Kleinigkeit, und hier
würde e8 um fo zwedmäßiger feyn, da unter den
Griechen ſelbſt nur eine allgemeine Stimme bes leb⸗
bafteften Wunſches fih darüber vernehmen Täßt. !
Das Palais, welches der König proviforifch bewohnt,
Bis das neue Schloß fertig feyn wird, deffen Lage fehr
verfländig gewählt wurbe, ift nur Hein, aber mit Ges
ſchmack und wohnlich eingerichtet. ch verließ es nach
beendigter Audienz mit fehr angenehmen Empfindungen,
und wünfchte aus voller Seele dem jugendfichen König
Glück und Heil, der ſich europäifcher Politif und dem
Wohle Griechenlands Bis jest nur noch geopfert
bat,
1 Seit biefes gefchrieben wurde, hat der König das griechi⸗
ſche Koftüm angenommen, aber noch nicht, gleich Heinrich dem
Bierten, auch die Religion. \
Den 9ten März.
Mein bochverehrter Gönner aus alter Zeit, ber
bairiſche Geſandte, Herr von Kobell, befuchte mich früh,
um mir mitzutbeilen, daß dieſen Abend, auf den
Wunſch des Königs von Baiern, das Parthenon, der
Tempel bes Erechteus und, die Propyläen mit Holss
feuern erleuchtet werden würden, und verfchaffte mir
zugleih ein Eintrittsbillet zu der für ben heutigen
Abend, um die höchften Herrfchaften nicht zu flören,
- gefehloffenen Afropolid. Jetzt durfte ich nicht Tänger
zögern, mid zu den Antiquitäten zu wenden. Bom
Haufe des Grafen Luſi aus, der mich mit orientalis
(cher Gaſtfreiheit ein für allemal eingeladen bat, feinen
Tiſch mit meinem Begleiter zu theilen, wenn wir fein
anderes Engagement hätten, begaben wir ung, in Bes
gleitung des Alteften Sohnes und bes Leibarzted des
Grafen, um 9 Uhr mit der befannten Raterne auf dem
fürzeftien Wege nad der Afropolis, der über Steinge
roͤlle ziemlich fteil hinanfuhr.
Schon erblidten wir von weitem feltfame Licht-
fheine in der tiefen Dunkelheit, hier wie ein Komet
über einer Säule fihwebend, von der nur das Capitäl
erſt fihtbar war, dort wie ein Lavaſtrom breit und
licht an einer Mauer herabfließend, die noch das Alfer-
heiligſie verdedte. Jetzt verfhwand wieder Alles in
264
undurchdringliche Nacht, doch nur wenige Augenblicke
noch — und das feenhafte Traumbild vor- uns ent-
faltete fih in feiner ganzen Ausdehnung auf einmal
dem flaunenden Auge. So mußte ich diefe Tempel
zum Erftenmale ſehen — wie viel hätte ich verloren,
wäre es anders gewefen! In der Glorie des firömen-
den Lichts, das ſelbſt das Unfraut unter dem Portifug
in Smaragden verwandelte, bie gelblihen, wetterges
fledten Säulen wie mit gebräuntem Golde überzog,
und die Weiße der haotifch umbergeworfenen Diarmor-
trümmer mit röthlich glühendem Schein verkfärte,
glaubte ich noch einmal die Schatten jener Geifter an
den Wänden hingleiten zu fehen, die feit Jahrtauſenden
bier in verförperten Gedanken zu ung reden,
Noch war Alles till, Niemand zugegen, und wir
durchſtrichen einfam nad allen Seiten die Ruinen,
während die tageshell erleudhteten Karyatiden des
Erechtheums uns bis in die entfernteften Winfel zu
verfolgen ſchienen. Wahrlich, fie erweckten boppelt
fhauerlihe Erinnerung! Denn unter ihren gefpenfti-
ſchen Bliden ſtürzte auch des Tempeld Dach über
Gura’s unglüdlicher Wittwe zufammen und begrub fie
lebendig mit acht jungen Mädchen ihres Gefolges. Am
andern Morgen fand man Alle unverſehrt, vom Ge-
rüfte gefchüst und noch warm — aber todt.
BE.
Jest Tamen bie Fürſten mit ihrem ileinen Gefolge,
und jch erftieg eilig bie verfallene Wendeltreppe, klet⸗
terte. dann auf dem Simfe weiter nach dem Giebelfelde
"des Parthenon, welches der Stadt zugewandt ift, und
ſetzte mich oben auf einen einzelnen Mauerblod hin,
die Wunder unter mir in reltgiöfer Geiftesfammlung
beſchauend. Hier war das Scanfpiel am bezaubernd-
ften. Rechts und links Tedten die Feuer mit rothen
Zungen, gleich balbverborgnen Ungeheuern, an den
Zempelfäulen empor. Dazwifchen bewegten fidh dunkle,
ungewiffe Schatten, und über den erleuchteten Monus
menten wölbte ſich ein ſchwarzer, fternbebedter Himmel,
zu dem die einzelnen Lichter des Athens der Tiefe
irrwifhartig aus dem Abgrunde heraufblitzten. Dicht
zu meinen Füßen aber lag, weit hin gebreitet, wie
ein Kirchhof der Jahrhunderte, der ununterbrochene,
bleiche Trümmerhaufen, deſſen Grenze fih undeutlich
im Dunkel der Nacht verlor, und auf deffen Mitte,
zur Belebung des wunderbaren Gemäldes, zwei kunſt⸗
Tiebende Könige ftanden.
Sie waren eben in einer lebhaften Unterhaltung
über einige architeftonifche Detail mit dem jegigen
Hüter und Bewohner der Afropolis, dem verdienft-
sollen Profeffor Roß, begriffen, wovon zuweilen ein
belehrendes Wort bis zu mir heraufdrang. ch unters
beffen blickte zwifchen den Säulen auf der innern Geite
durch eine ſchmale Deffnung wie in einen tiefen,
ſchwarzen Brunnen aufmerffam hinab; denn dort faßen
bewegungslos drei griechiſche Diener, deren rothe Fes,
vom Feuer am hellſten beleuchtet, ſelbſt gleich lebendi⸗
gen Flämmchen auf ben bärtigen Gefthtern fladerten,
und fo dieſe Leute in ihrer phantaftevollen Tracht une
bewußt einen Rembrandt von wundervoller Wahrheit,
als ein Tableau moderner Zeit, im antiten Rahmen
gefaßt, darftellen liegen. Mit Mühe nur vermochte.
ih, nad langem Weilen, mich von diefer, aus allem
Gewöhnlichen in jedem Zuge fo ganz heraustretenden
Scene loszureißen. Hier ftörte felbft die Bernichtung
fo vieles Herslihen mich nicht mehr, — dem Traum⸗
bild vor mir fehlte es ja an Feiner poetifhen und ma⸗
lerifhen Schönheit, und ich hätte mich in diefem Au«-
genblid faſt Darüber tröften können, dag erft vor
200 Zahren barbarifche Benetianer das Damals noch
vollfändig erhaltene Parthenon durch ihre Aue
nonen niederfchmetterten.
Den ıoten Mär;.
| Unter ben Gegenvifiten, bie ich waͤhrend bes Vor⸗
mittags erhielt, wurden bie bes Herrn von Profefch
—
und des Herrn von Catacazy für mich, außer dem
Bergnägen, das fit mir gewäßrten , auch unters
richtend.
Herr von Prokeſch iſt ein Mann, der das Menſch⸗
ſiche und Geniale liebt und das Kanzleiiſche haßt.
Ohne blinde Hingebung an ewig wechſelnde Theorien,
ohne an Alles den Schuſtermaßſtab deſſelben engen
Leiſtens zu ſetzen, beurtheilt und behandelt er die
Dinge nach der Natur ihrer Pofalität und nad Ayrem
darauf bafirten, wahren Werth. Die ächte Fröm—
migfeit erfreut ihn am Muſelmann fo gut wie am
Ehriften; den Dichter kann er bewundern, auch wenn
er ganz andere politifhe Gruntjäge Haben follte als
er felbft, und das Genie ehrt er, es finde fi 9 unter’
dem Zurban oder der Perüde.
Die vielen Tehrreichen und neuen Anfichten, bie
Herr von Profefch mir, befonder$ über Aegypten und
feine beiden bervorftechendften Geflalten, den Bire-
könig und Ibrahim, aufſchloß, welche fo nahe daran
waren, aud die Herren: Griechenlands zu erben,
‚waren mir bei meiner nahe bevorftehenden Reife in-
Die Länder, welche fie jet beherrſchen, doppelt werthe
voll. Wirklich, Mebemed Uli richtet ſich immer höher
auf feinem Piedeftal empor, je näher ich ihm komme,
und die heißere Sonne trodnet ſchnell den Schlamm,
den ınan aus Europa auf ihn wirft, wo man eben fo
unfähig als unwillig fcheint, ihn mit Gerechtigkeit zu
beurtheilen. Es war ein großes Unglüd für diefen
Fürften, in das Spinnengewebe europäifcher Politik
mit hineingerathen zu fepn, und fi in feinem Wirken
durch fie paralpfirt zu fehen, bis das After des hohen,
großen Mannes Kräfte vielleicht bricht, der unter
andern Umftänden ein zweiter Zaar Peter für den
Drient geworden ſeyn würde,
Man hält den Vicekönig von Negppten, fagte
Prokeſch, nicht nur für einen Tyrannen, ſondern
auch für einen fogenannten Freigeift. Er ift dennoch
eben fo wenig eins als das andere, ſondern oft nur
zu gutmüthig, und babei ein fehr eifriger Mufelmann.
Schon als folder war er gar nicht des Gedankens
fähig, den Sultan, ben er als den geiftlichen, heiligen
Chef des Islams anfieht, enthronen zu wollen, obs
gleih er fih als Herrſcher de facto, dem andern
Herrſcher gegenüber, in weltlichen Intereſſen verthei-
digen muß. Er ift gewiß nicht ohne Ehrgeiz, aber
in weit billigeren Schranken als man gewöhnlich
glaubt, und wer fieht, was er in Aegypten gethan
und allein gefchaffen, gönnt ihm gewiß deſſen vollen
Genug. Nur Neid und Unfennmiß feinden vereint
biefen großen Mann an, bem erft die fpätere Ges
|
ſchichte vollſtaͤndige Gerechtigkeit widerfahren Taffen
wird; 1
Uebrigens, aus politiichem Geſichtspunkte bes
trachtet, handelt es fih ja gar nicht um Mehemed
Ali; es handelt fih um das türkifhe Reich. Diefes
zu halten, zu flärfen, auf eigene Füße zu ftellen, ift
die Aufgabe der Kabinete, die den Frieden wahren
wollen. In diefer Beziehung gibt es nun zweierlei
Anfihten, die eine geht zu dieſem Ziele durch die
Erniedrigung Mehemed Ali's, die andere durch deffen
Erhebung. Die erfte ftüst ſich auf rein europäifche
Dentweife, fie läßt Mehemed Ali denfen wie etwa
ein Franzoſe denken würde; die andere auf türfifche,
fie beachtet, wie Mehemed Ali als Mufelmann denken
muß; die eine wirft alle praktifche Fragen, auf die
es am Ende anfommt, zur Seite, und ftellt den
wirklichen Kräften hohle Namen als Kräfte entgegen;
die andere nimmt Kenntnig von biefen praftifchen
Fragen, fie will bie wirklichen Kräfte dem Reiche
zurüdführen und dadurch ben Hüllen wieder Mark
geben; die eine hat, im Falle des Gelingens, das
Reich in einen Leichnam verwandelt, oder hält zum
1 Dies ward gefchrieben, ehe ich Aegypten gefehen, und
Mehemed Ali felbft kennen gelernt hatte. Ich kann nur fagen,
daß ich jebt weiß, was fh damals nur glaubte.
— — — — —
wenigſten die eine Haͤlfte deſſelben gegen die andere
in Krieg und Feindſchaft gewaffnet; die anderté hat,
im gleichen: Falle des Gelingens, das Reich verfühnt,
vereint, der Einwirkung europäifcher Induſtrie und
Biffenfchaft geöffnet, es auf eigene Füße geftellt. —
Der Gegenftand ift zu beterogen, um ihn hier
weiter zu verfolgen, aber ich freute mich der Worte,
denn von jeher Tiebte ich mehr, am Großen hinaufzu⸗
bliden, ald es mißgünftig, nach der Mode unferer
Zeit, in den Staub herabguzerren.
Mit dem feingebilbeten Griechen im ruſſiſchen
Dienſte ſprach ich über einen andern ausgezeichneten
Mann, deſſen hohe Geſtalt gleichfalls weit über ſo
viele der Zwerge emporragt, die ihm gefolgt ſind.
Ich meine Capo d'Iſtria. Herr Catacuzy, der ihm
perſönlich befreundet war, fügte mir, daß jener
Märtyrer ſchon in London auf die Gratulation des
Herzogs von Wellington ahnend erwiederte: „Glau⸗
ben Sie mir, ich weiß fehr wohl, was mich in Gries
chenland erwartet, ein Piſtolenſchuß oder ein Dolch⸗
ſtoß.“ Es ſcheint, daß, niedergebrüdt durch ben nie
endenden Kampf kurzſichtiger Intriguen der Fremden,
und felbft im Baterlande nur Berfennung und Wider:
fland findend, dem er doch großmüthig fein Leben ges
weiht, er auf dieſe ſchmerzvolle Eriftenz zuletzt nur
Lid ur
— — — — 1
wenig Werth mehr ſetzte, und wenn nicht den Tod
ſuchte, doch ihm nicht länger aus dem Wege ging.
So viel wenigtens if gewiß, daß ihm mehrere Tage
vor feiner Ermorbung viele Berichte zufamen, die Das
Borhaben der Mauro Michali's, dag fie in Nauplia
Waffen gekauft u, f. w., unzweifelhaft machten, und
ver Präfident dennoch nicht das Geringfte dagegen
unternahm. Hoͤchſt bedeutend, zugleich rührend menſch⸗
lich und antik heroifh, war fein Benehmen an ben
verhängnißvollen Tage ſelbſt. Auf die Thüre ber
Kirche zufchreitend, erblidte er die fanatiſchen Meuchel⸗
mörder neben ihr ſtehen. Er erblaßte und trat einen
halben Schritt zurück, dann ſenkte er ſein Haupt,
und ging ſchnell und feſten Schrittes dem finſtern
Schickſal entgegen, deſſen blinde Werkzeuge nun augen-
biitich über ihn berfallend, Durch einen Schuß in
ben Naden und einen gleichzeitig geführten Dolchſtoß
in die Seite, des Regenten thatenreichem- Leben ein
ſchnelles Ende madıten.
Ein anderer, noch hierher gehörenver feltfamer
Umſtand ift folgender. Auf Aegina ging eines Abende
Herr Catacazy mit Capo deIſtria fpazieren, ald einer
der Gefangenen von Ibrahims Truppen, denen man
für Geld im Felde zu arbeiten geftattete, ein wilb
ausfehenker Mohr, Hinter einem Grabſteine plötzlich
—
mit einer Bewegung bergortrat, bie bei Herrn Cata⸗
cazy die größte Beſorgniß für vie Sicherheit des
Präfidenten erregte. Er nahm die Gelcgenheit wahr,
dieſen zu bitten, ſich doch nicht fortwaͤhrend ſo ganz
ohne alle Vorſich jedem beliebigen Angriff auf ſein
Leben auszuſetzen. „O,“ erwiederte Capo d'Iſtria,
„ein Größerer als ich hat geſagt, es ſey beſſer zu
ſterben, als immer in der Furcht vor dem Tode zu
leben, und übrigens,“ ſetzte er lächelnd hinzu, „wenn
fie mich ermorden, bier folgt mir ſchon mein Rächer.“
Bei diefen Worten zeigte er auf einen einarmigen
treuen Balifaren, der ihm fehr zugetban war und ihn
überall binbegfeitete. Bei der wirklichen endlichen
Kataftrophe des Präfidenten traf diefer Ausfprud
wörtlich ein. Derfelbe Menſch fing. mit dem Stumpf
feines verlorenen Armes den Fallenden auf und ver-
wundete mit feinem Dolch zuerfi den ergriffenen
Verbrecher.
Capo d'Iſtria's Tod war vielleicht das größte
Ungluͤck, welches das werdende Griechenland treffen
fonnte, und ein noch größeres für deffen Ehre, daß
ein Grieche der Mörder war! Es ift traurig, daß
der erwähnte treue Adjutant des Präftventen, ber
fpäter vor den fiegreihen Rumelioten (während des
Spntagma) außer Landes fliehen mußte, jest, nach⸗
273
dem er zurückgekehrt iſt, noch immer vergeblich um
eine feinem früheren Grade gleiche Einreihbung in den
Hhalanr fupplieirt. — J
Am Abend hatte ich die Ehre, Sr. Majeſtät dem
Könige von Baiern vorgeſtellt zu werden, den ich
als Kronprinz zum Letztenmal geſehen. Ich fand ihn
ſehr heiterer Laune und in den langen Jahren wenig
geändert, noch ganz mit demſelben Feuer ſeiner feinen
genialen Augen, in deren Blau ſich doch ſo anmuthig
ächt deutſche Gutmüthigkeit mit einer zuweilen ſehr |
ſchalkhaften Schlauheit verbindet. Auf mehrere Scherze
bes Königs über meine erotifchen Reifen, und daß fie
mich fo Tange vom Beiuhe Münchens abgehalten,
nahm ich mir die Freiheit, zu erwiedern, daß ich es
jest deſto fchöner und bedeutender für mich fände,
Ihm, dem Künfte befhügenden und prächtige Kunſt⸗
gebilde täglich hervorrufenden Herrfcher, von deſſen
hohem Wirken Europa fehon Tängft wiederhalle, ohne
dag ich es noch felbft zu bewundern vermocht, — hier
zum Erftenmal wieder, als König, unter den Säulen
des Parthenons, der erhabenen Schöpfung des ihm
fo nahe verwandten Perifles, im Feitglanze der Flam⸗
men begegnet zu fepn.
Bei Sr. Majeftät dem Könige Dtto zur Tafel
eingeladen, hatte ich nachher das Glück, bie heitere
Süpöfl. Bilverfaal. II. 18
24
und geiftreihe Unterhaltung, welche fein erlauchter
Bater früher mit mir angefnüpft, noch vielfad fort
gefest zu ſehen, und ich geftebe, bag ich in dieſem
Augenblid, an einem fumptusfen Mable Theil neh⸗
mend, an ber Seite zweier Könige ſitzend, die mich
mit den gnädigften Aeußerungen überhäuften, nur mit
innerem Lächeln des Contraſtes gedenfen fonnte, der
mich noch vor wenigen Tagen in den Hütten ber
Armuth, in dem Verkehr mit zerlumpten Bauern, und
‚gelegentlich felhft mit Räubern, fo abftehend ums
geben hatte.
Den Königen waren alle meine literarifchen Sün-
den befannt, nnd in manchem Lobe fand ich nur die
verftedte, gerechte Satyre; doch ift man immer eitel
darauf, fo große Herren unter feine Lefer zählen zu
bürfen. Noch zulegt entlieg mich nad aufgehobener
Tafel der König von Batern mit einem Scherz über
-Semilaffo, den Halbmüden. Ich verficherte, daß,
wenn diefer arme Pilger wirklich vor Sr. Majeftät zu
fieben die Ehre hätte, er gewiß die Bedeutung feines
Namens heute vergeften und diefen Tag wenigftend
mit jugendlicher Friſche, ald einen der erfreulichften
in feiner Lebensreife, aufzeichnen würde. Dies war
auch Feine Schmeichelei, Doch weiß man, daß Se.
Majeftät ſich irrten, und. des weiland Semilaffo
27
Schidfal ein ganz anderes war, ich aber feinen Theil
mehr an diefem Berfchollenen haben will, Dagegen
muß ich mic jetzt ſelbſt meiner Jdentität bei Gelegen-
heit eines guten Werkes rühmen. Meine Erzählung
ber englifchen Bernachläßigung des Tempels zu Gozo,
und die ihr folgende Bitte, bewogen unfern bochfinni-
gen bdeutjchen Fürften fogleih zu dem Berfprechen,
fein Fürwort bei dem Gouverneur Englands einzus
Iegen, und wäre dies nicht hinlänglich, auf eigene
Koften dem ferneren Ruin eines ber merfwürbdigften
Reſte des Alterthbums vorzubeugen, aud jedenfalls feine
gänzliche Aufdeckung veranlaffen zu wollen. So aber
iſt es gut, nämlich, daß die Kleinen am rechten Orte
zu reden fi) getrauen, und die Großen das als ver-
ftändig erfannte Wort alfogleich in That verwandeln.
Außer den erlaudten Herrichaften, die ich eben
genannt, waren noch verfchiedene Perfonen von be-
deutendem Intereſſe an der Föniglihen Tafel ver⸗
fammelt. Ich nenne nur die mir bisher noch Lnbe-
Tannten. Unter ben Baiern zeichnete fi die geift-
reiche, feine Bhyfiognomie des Herrn von Mieg, Ge⸗
fandten am Bundestage und Mitarbeiter an dem
großen Werfe des deutſchen Zollverbandes, aus, deffen
Bekanntfchaft ich zu einer der belohnenbften für mich
in Athen rednen muß. Die Staatdmänner unferer
276
— — — —
Zeit tragen nicht allzuhäufig dies ausgezeichnete äußere
Gepräge, und vielleicht noch ſeltener rechtfertigen ſie
es bei näherer Beleuchtung ſo vollſtändig. Unter den
Griechen erfreute mich das patriarchaliſche Anſehen
des würdigen Zaymi, des Vaters der Revolution,
und bemerkenswerth erſchienen mir außerdem noch
der gefeierte Conduriotti, wie der engliſche General
Church in griechiſchen Dienſten, deſſen Thaten und
Ausdauer als Philhellene gewiß große Anerkennung
verdienen. Ein griechiſcher Ordonanz-Offizier des
Königs nahm fid) in der, nur wenig und gefhmad:
voll europäifirten Nationaltradht pradhtvoll aus, und
ich bedbauerte abermals, den jungen Monarchen nicht
in ähnlicher zu ſehen, deſſen anſpruchsloſe Freimüthig-⸗
keit, rege Wißbegierde und geſundes Urtheil ich auch bei
dieſer Gelegenheit mehreremale im Laufe des Abends
hoch zu ehren Urſache fand.
Den ııten März.
Die Sonne lodte in's Freie und rief mich zur
lange verfhobenen Befihtigung aller großen Kunf
werfe auf, die fie in ihren ehrwürdigen Reften, wie
einft in ihrer Bollendung, auch jest nad) Jahrtauſen⸗
den noch zu unferem Unterricht und unferer geiftigen
Erhebung beleuchtet, — denn Gebäude find inhalt:
277.
fchwere Worte, welche die Vergangenheit zur Nach—
welt fpricht. Wie fchnell aber werden die unferigen
von diefer Art verballen !
Der junge Fürft Demetrius Cantacuzeno hatte
die Güte gehabt, mir feine Begleitung und feine
Pferde anzubieten, und wir richteten demnach unfern
Weg zuerft nach dem Tempel des Jupiter. Die etwa
60 Fuß Hohen Marworſäulen dieſes großartigen
Monuments, bas nad) Zerfiörung des alten Tempels,
welcher nad einem Bau von 700 Jahren no nicht
fertig geworden war, und deſſen Säulen Sylla na
Rom fandte, von Hadrian größtentheils neu aufge
führt wurde, glänzen noch heute, obgleich die Zeit ihr
Weiß verfchiedenartig überzogen, von fern mit dem
Silberſchein des Atlas. Von allen Ruinen Athens
bietet dieſe die größten Dimenfionen bar, und iſt nach
dem Parthenon gewiß von der ergreifendſten Wirkung.
Die Türken haben in dem innern Raum ein rundes
Steinpflaſter, meiſtens aus den umherliegenden Mar⸗
morſtücken beſtehend, gelegt, um ihr Getreide darauf
auszudreſchen, und auf dem Gebälk, von dem nur
noch ein Ardhitrav vorhanden ift, bat ein verrüdter
Mönch, ein Säulenheiliger, fih aus Badfteinen eine
Heine Einftevelei in der Luft erbaut, die er mehrere
Jahre bewohnte, und die man jegt nicht mehr abzus
278
nehmen wagt, aus Furcht, den herrlichen Säulen
darunter ihren Halt zu benehmen. Neben dem Peri-
bolus des Tempels, nad) dem Hymettus zu, fließt
der Iliſſus, jest Faum nur noch einen Fuß breit
Waſſer führend, und auf der andern Seite ſieht man,
mit einem gleichen Theil der alten Baſis der Terraffe
zufammenhängend, ein 5 bis 6 Fuß tief verfchüttetes
Thor von mittelmäßiger Arbeit, deffen Inſchrift auf
ber öftlihen Wand Hadriand Namen, auf der andern
den des Thefeus trägt, beffen Stadt hier endete, wie
bie Inſchrift befagt. Nur noch 16 Säulen ftehen von den
120, die der Tempel, nach der ſchwächſten Berechnung,
haben mußte. Schon vor 160 Sahren eriftirte deren
nur eine mehr als jest, die im vorigen Jahrhundert
zum Bau der Mofchee im Bazar verwandt mwurbe.
Mehrere waren früher zu Kalk verbrannt worden,
und daſſelbe Schickſal hatten die Stufen des Stadiums
bes Herodes, weldhes an zwanzigtauſend Menſchen
faßte, wie auch die Brücke, welche unfern davon über
den Iliſſus führte. Die Ausficht von der Höhe neben
dem Stadium, wo ein Tempel der Fortuna ftand,
auf die Akropolis und Umgegend, ift eine der vor⸗
theilhafteften in der Nähe Athens, und bie jungen
feimenden Saaten in der Nähe gaben ihr jegt aud),
theilweife wenigftens, das fonft mangelnde Grün.
120
Bäume find leider, außer dem ſich weit binziehenden
fablgrauen DOlivenwalde, und dem magern Inhalt
verfchiebener Obftgärten, feine von irgend "einiger
Bedeutung vorhanden, mit Ausnahme weniger Pap⸗
pein in ber Kerne und drei kümmernder Palmen mit
einigen Cypreſſen in der Stabt, die demungenchtet in
ihrer Gefammtheit nor viel zu der malerifchen Wir-
fung ber Landſchaft beitragen. Der Friſche entbehren
biefe Gegenden leider überall. |
In den mit einer Erdböfdhung überdeckten Felſen⸗
wänden des Stadiums befindet fih auf ‚der einen
Seite eine 50 Schritt Iange, natürliche, hohe Grotte,
die dazu diente, denen, welche im Wettkampf ber
Wagen befiegt worden waren, gleihfam zur Rettung
vor der Verhöhnung der Zufchauer zu dienen, indem
fie dort, ſchnell den Blicken entſchwindend, bindurd-
fuhren, und von außerhalb dad Eingangsthor unbe⸗
merkt wieder gewannen. in diefem Fühlen Felſenge⸗
gewöfbe faben wir im fernen Dämmerdunkel deifelben
eine ganz ſchwarz gefleidete junge Dame figen, die
fih mit Leſen zu befchäftigen fehien. Sie .erregte
nicht wenig unfere Neugierde, doch ‚hielten wir es für
indisfret, fie zu flören, und fegten bald darauf, wieder
ber Stadt. zugefehrt, unfern Weg nad) den alten Bädern
am Iliſſus fort, wo jegt eine Gruppe bäßlicher
Weiber ihre Wäſche wuſch. Als ich diefe Heine Goffe
mit dem vornehmen Namen ſah, wunberte ich mid)
nit mehr, daß einft die Pferde des Kerres den
Iliſſus austranfen. Heute würden Taum ein Paar
ermattete Maulefel ihren Durft damit Iöfchen fönnen.
Bom nahen Theater des Bachus am Fuße der Alro⸗
polis ift nothdürftig die Form noch zu erfennen.
Auch bier raubte Lord Elgin von deſſen vorzügliche
ſtem choragiſchen Monument, welches eine Grotte bes
Heidete, die Statüe eines jungen Bacchus, ber ben
Dreifuß auf feinem Schoße hielt, und gab dadurch
bie erfte Veranlaffung zur fpäteren Zerflörung des
Ganzen, denn „das tft der Fluch des Böfen, daß es
fortwährend Böfes muß gebären.” ı Beim Odeum
des Herodes vorüber, beffen Ruinen die Kanonen⸗
fugeln der Griechen im legten Befreiungefriege
hart mitgenommen haben, gelangten wir zu dem
teraffirten Hügel, auf dem das Denkmal bes Philo⸗
pappus ftebt. Hier wütheten die türfifhen Kano-
nenfugeln, und haben von der einftigen mit vielen
Figuren römifcher Skulptur reich gefehmüdten Halb⸗
rotunde nur ein befhäbigtes Stück übrig gelaffen,
1 Sollte die englifhe Nation nicht großmüthig dies ganze
ungerechte Gut den Griechen zurüdgeben — oder ift der Ge⸗
danke zu ideologifch ?
28t
welches ganz abzutragen höchſt wünfchenswerth wäre.
Denn biefer fhmale und lange Ueberreft eines Monu-
ments, deſſen Kunftwerth nur gering ift, «auf der
Spige eined weiten Hügels placirt, entftellt durch
biefes widrige VBerhältnig die Landfhaft Athene von
allen Seiten, wo es fidhtbar wird, und mahnte mich
jedeömal, wenn ich es erblidte, durch die große Aehn⸗
Jichleit des Effelts, an die verfandete Thurmfpige auf
unjerm Berliner Kreuzberge.
Wir befchloffen den Spazierritt mit Beſichtigung
des im Felſen ausgehauenen fogenannten Gefängnifles
des Sofrates, ein Feines, ganz bequemes Gemach mit
einem tiefen Brunnen. Daneben befindet ſich noch
ein anderes kleineres Behältnig, gleichfalls im Felſen
eingehauen, und zwiſchen beiden ſieht man die
Bekleidung einer Fontaine, die kein Waffer mehr
bat. Es find noch die Spuren Äußerer Zierden
und einer gefchmüdten Façade erfennbar, doch er-
fheint das Ganze nur Fleinlih, und nur Das
Andenfen des Mannes (si fabula vera est) kann
dDiefem Monument das heilige Intereſſe einer Reli⸗
quie geben. |
In eine Allee junger Bäume zurüdfehrend, die
erften vielleicht, welche feit mehr als einem Jahr⸗
tanfend in der Nähe Athens gepflanzt wurde, frap-
fine — — —
pirte mich das noch im Bau begriffene neue Militair⸗
Lazareth im venetianiſch⸗griechiſchen Styl, das einzige
neue hieſige Gebäude, welches einigen Geſchmack
verräth. Auch erfuhr ich auf Befragen, dag Plan
und Ausführung keinem Architeften von Profeffion ans
gehöre, fondern einem Ingenieur-Rapitain. Ein wah⸗
rer Fluch des Lächerlichen fcheint über den Bauwerken
des neuen Athens ausgefprochen worden zu feyn, for
wohl öffentlicher als Privatunternehmungen dieſer
Art. Sp fieht das Kriegs und Marine Minifterium
eher wie ein Waaren-Magazin aus; die neue Militair-
Kaferne mit einem langen und einem ganz Furzen
Klügel, comme si elle ne battait plus que d’une
aile; die faſt Findifch erfcheinenden Proportionen ber
Münge, als follten nur preußifcde Silbergrofchen
darin gefchlagen werben, und der Marftall Choffent-
lich nur proviſoriſch) erinnerte mich an bag Etabliffe:
ment eined bei Mohabit reich gewordenen Ziegels
ftreihers. Die Verzierungen der Privathäuſer gehen
aber vollends in's Unglaubliche. Eines ftieß uns auf,
nicht weit vom fogenannten Tempel der Winde und
unmittelbar am Fuße der Akropolis, das nad dem
bunten Mufter englifchen Zitzes angeftrihen war!
Uebrigend herricht diefelbe Bauart von Lehm und
Stangen wie in Patrad, nur meiſtens ohne die
— — — — —
dortigen Veranda's; um aber den Grund zu dieſen
Kartenhäuschen auszugraben, zerſchlägt man unbedenk⸗
ih die prachtwollſten Marmorplatten alter Fußböden
und andere antike Ueberreſte, mit denen überall der
Boden angefüllt iſt. Ich halte es für ein wahres
Unglück, daß die neue Stadt auf derſelben Stelle,
wo die alte ſtand, erbaut wird. Dies begraͤbt ges
wig auf ewig große, unbefannte Schäße. Das Gou-
vernement bat zwar befohlen, um jedes der noch
ftebenden alten Monumente einen kleinen Plaß frei
zu laſſen, aber abgerechnet, daß feine Befehle nicht
zu ben beftrefpeftirteften gehören, ift dies viel zu
wenig.
Ich bin überhaupt der Meinung, daß, wenn man
Athen, wie ed den Anfchein hat, bloß feines Namens
und feiner berühmten Altertbumsrefte wegen zur
Hauptfladt erfor, — denn dad Klima der Stadt ift
höchſt ungefund, und die Lage des Orts weder für
Bertheidigung nod für den Handel vortheilhaft — man
gewiß einen feltfamen Mißgriff getban bat. Die
Umsingelung dur) eine große, moderne Stabt, bes
fonders in der geſchmackloſen Art, wie man bier da⸗
mit angefangen, wird dag Romantifhe und
Ehrwürdige der Alterthümer Athens gewiß nidyt
heben. Der vormalige barbarifche Heine Häuferr
254
haufen der Türken gab wenigftens einen fchlagenden
Contraſt, der dennoch durch fein wildes, orientalifches
Anfeben und den ‚weißen, geifterartigen Anſtrich in
einem gewifien Einflang mit den erhabenen Ruinen
felöft .ftand. Das jegige Weſen, welches, fo fabrif-
artig und geledt, ſich höchſtens zu einer efelhaften
Nachpfuſchung des Alten zu verfteigen fähig ift, feheint
nur beftimmt zu ſeyn, recht ad oculos zu demonftriren,
dag jet Dygmäen da wohnen, wo einft Riefen haus⸗
ten. Kaum möchte man heute noch mit Lyſippus
ausrufen wollen: „Wer Athen nicht zu feben wünfdt,
ift ein Thor; wer es fieht, ohne davon entzüdt zu feyn,
ift ein noch größerer Thor; wer aber fo davon ent-
zückt ift, und es dennoch verlaffen Tann, ift von Allen
der größte Thor !“ | |
Man darf indeß hoffen, daß wenigftens der neue
Dalaft des Königs, außer der Stadt am Fuße des
Lykabettus Tiegend (wo einft, fonderbar genug, ſich bie
Schule der Cyniker befand), von dem Geſagten eine
ehrenvolle Ausnahme machen werde. Seine Majeftät
hatte die Gnade, mir den Herrn Profeſſor Gärtner,
den ausgezeichneten Architekten des Königs von Baiern,
ber Seine Majeftät hierher begleitet hat, zuzufchiden,
am mir feine Pläne für diefen Bau zu zeigen. Ob⸗
gleich in größter Eile entworfen, fehienen fie mir in
285
würdiger, einfacher Korm allen Bebürfniffen einer
jolchen Reſidenz mit größter Umſicht und praftifcher
Erfahrung zu entſprechen. Bei diefer Gelegenheit
fandte mir Seine Majeftät auch des genialen Schin⸗
feld Projeft, den neuen Palaft mit einer Reftauration
der Akropolis zu verbinden. Es ift ein wunderbareg,
bezauberndes Bild, aber zur Ausführung hätte
Schinkel aud in geiftiger wie materieller Hinſicht Die
Talente mitſchicken müffen, die Perifles zu Gebote
fanden. Bielleicht würde aber auch felbft in dieſem
Hall der Bequemlichkeit dabei mehr haben aufgeopfert
werden müffen, als bei einem Wohnhaufe billig ift,
was die Alten felbft nie aus den Augen ließen. Die
jest gewählte Stelle iſt in dieſer Hinfiht gewiß die
befte, mit überall freier Ausficht; finkd dag Meer, in
einiger Entfernung zur Seite die Stadt vor fi,
rechts den ſpitzen Kegel des Lykabettus, und füdöſtlich
den blauen Bergrüden des Hymettus. Außerdem
ift es mit hinlänglichem Play für weitläuftige Gärten
rund umher verfeben, und fo muß bie Schloß,
vollendet, ein eben fo reizender Wohnfig, als ein
Gegenftand edler Zierde für Athen werben. Mit
Schreden erfuhr ih, dag die Säulen des Portikus
aus Ziegeln gemauert werben follen, weil der Weg
zum nahen Pentelifon nicht mehr fahrbar ſey! Ib
hoffe, diefer Satyre wird man fih nicht fchulbig
machen. !
Ein fehr recherchirtes Saftmahl mit Darauf fol-
gendem Concert bei dem ruſſiſchen Gefandten endigte
den Tag, und ed war mir ein eigenthbümliches Schaus
fpiel, hier in Griechenland ein Fragment aus Haydı’d
Schöpfung in deutſcher Sprache, größtentheils von
dienenden Ruſſen, in ihrer Nationalkleidung, in
Berbindung mit einigen Dilettanten der Gefellichaft
ausführen zu fehen. Die Sclaven fangen am richtigften.
Den ı2ten März.
Einige Tage, nur den gewöhnlichen Begebenheiten
der Gefellfehaft gewidmet, boten nichts für mein Ta⸗
gebuch. Ein Beſuch dagegen, den ich diefen Morgen
bei Herrn von Profefch, der Leider an einem Fieber⸗
anfall Darnieder liegt, abftattete, war, wie immer, eben
fo intereffant. als Iehrreich. ch befah Antiken, Bilder,
reizende Zeichnungen aus dem Drient, und befonders
eine Sammlung ägyptifcher Alterthümer, mehrere aus-
erlefene Sachen von Werth in ſich faffend, unter denen
ein großer, vortrefffih erhaltener Papyrus, mit
ı Diefe Hoffnung ift erfüllt worden. Das Schloß wird
aus dem trefflichen Bruchftein des Hymettus aufgeführt. Ber:
zierungen und Säulen aus pentelifhem Marmor.
wie ſeit geftern aufgetragenen Farben, mich beſonders
anzog.
Als neuere orientaliſche Kleidungen und Waffen
an die Reihe kamen, fiel mir die Pracht und die herr⸗
liche Klinge eines Säbels auf, neben dem eine ver⸗
trodneie Roſe Tag. Die Geſchichte dieſer Waffe warb
in Herren von Profefh Munde zur anmutbigfien Ers
zählung.
Die Klinge ift ſchon an ſich eine der fchönften,
bie man weit und breit finden kann. Sie wurde in
JIspahan gemacht, wie die mit goldenen Leitern eins
gelegte Infchrift zeigt, und ift eine fogenannte dop⸗
pelte oder weibliche Klinge. Herr von Prokeſch empfing
biefe Waffe, mit Gold und Diamanten auf das aller⸗
reichſte geſchmückt, von Abdallah, dem Paſcha von St.
Jean d'Aere. Jetzt hängt ſie in einem und demſelben
Glasſchrank mit allerlei andern Gefährten, zur Linken
ein Säbel Mehemed Ali's, unter deſſen gewaltigem
Arm die Wälle jener feſten Burg von Acka brachen,
und die Macht und die Herrlichkeit des Nachfolgers
Dieffar’s mit einem Schlage begruben; zur Rechten
die merfwürbdigfte Klinge and allen, eine türkifche, von
Bonaparte aus Aegypten nad) Europa mitgebracht,
yon ihm bis zu feinem Falle im Jahre 1814 bewahrt,
von Marie Luife ihrem Sohne gegeben, als er feine
288
furze militairifche Laufbahn begann, von dieſem bie
an den Tod als heiliges Angedenfen geachtet, ja ſelbſt
bis nach dem Tode nicht von ihm getrennt, indem
fie früher, immer mit dem Herzöge felbft das Dienft-
Heid wechſelnd, in der Scheide, in der fie noch zu
fehen ift, auch auf feiner Bahre Tag. Erft dann ward
fie von der Wittwe Napoleons, nad dem Verlangen
des Sohnes, dem Herrn von Profefh, als letztes
Zeichen ſeiner Freundſchaft, zum Erbſtück übergeben.
Die Geſchichte der neueſten Zeit, der Spott des Ver⸗
hängniſſes liegt in dem Zuſammenfinden dieſer drei
Waffen in einem und demſelben Schranke. Aber alle
drei gehören dem Orient an.
Die Geſchichte, welche ſich an den Säbel Abdal—⸗
lah's knüpft, ſtellt anziehend den Wechſel der Dinge
hienieden und den ſeltſamen, launenhaften Zuſammen⸗
hang der Fäden dar, an welchen die Vorſehung die
Menſchenſchickſale führt. Abdallah Paſcha, in dem der
wilde Geiſt Djeſſar's, aber nicht deſſen Verſtandes⸗
gaben fortlebten, war als gewaltſamer, gefürchteter
Mann im ganzen türfifchen Reiche bekannt. Dem
Sultan felbft hatte er durch drei Jahre hinter den
Thürmen und Bollwerfen von St. Jean d'Acre ges
troßt, das durch ihn erweitert, verſtärkt, gerüftet
worden war. Die Ehriften in feinem Lande, wozu
7
die heiligen Bezirke von Jeruſalem, Bethlehem und
Nazareth gehörten, behandelte er mit tyranniſcher
Laune, und hierin die alte und allgemeine Sitte ver-
laffend, war er den Fremden abgeneigt, und ſchloß
den Europäern insbefondere fein Land.
Zu dieſem der That nad unabhängigen Fürften
bes größten Theild von Syrien wurde Herr von Pro⸗
fefh, damals Chef des Generalftabes der öfterreichi-
fhen Eskadre, im Jahre 1829 gefandt, um die
Abftellung einiger Gewaltmaßregeln zu bewirfen. Ab⸗
ballah hatte den öfterreichifchen Eonful von St. Jean
d'Acre, einen reihen, feit langen Jahren im Reiche
anfägigen Mann, der wie ein Patriarch Söhne und
Töchter, Schnuren und Schwiegerfühne, mit Kindern
gefegnet, Knechte und Mägde in Menge um fich vers
fammelt fah, bedroht, beraubt, und endlich vertrieben,
die öfterreihifhe Slagge herunterreißen laſſen und
alle Handelsverbindungen mit derfelben aufgehoben.
Als Herr von Prokeſch auf der Rhede von Kaipha
erihien, die St. Jean d'Acre gegenüber Liegt, traf
er ein engliſches Bombenſchiff dort an, den Ynfernal,
deffen Kommandant gleichfalls Geſchäfte mit Abdallah
Paſcha hatte, aber nicht einmal die Erlaubniß erhal-
ten fonnte, den Fuß an’s Land zu fegen. Denn ums
befannt mit den damals ſchon wenig freundfchaftlichen
Süpöfl. Bilderſaal. II. 19
70
Berhältniffen zwiſchen dem Gebieter von Syrien und
dem von Aegypten hatte er ſich die Thüre bei Jenem
zu öffnen geglaubt, indem er Briefe von Diefem
braͤchte, fie auch wirklich abgegeben, darauf aber von
dem mißtrauifhen und ſtolzen Abdallah nur die Furze
‘Antwort erhalten, daß er nichts mit ihm zu fehaffen
baben wolle. Der englifhe und öfterreidifche Ab-
geordnete überlegten noch mit einander, was zu: thun
fey, ald an den Erften eine Sendung des Paſcha Fam,
der auf dem Berge Karmel ein Landhaus bewohnte,
des Inhalts: Er erneure feinen Ausſpruch, dag Nie-
mand von dem englifchen Fahrzeuge den Fuß auf- das
Land zu fegen Habe. Dem Herrn von Profefc aber,
der einftweilen feine Ankunft dem Paſcha ebenfalls
hatte anzeigen und den Wunſch ansdrüden Taflen, ihn
gu ſehen, ließ er durch denfelben Boten fagen: Er
feinerfeits theife diefen Wunfh nicht. Der Englän-
ber, erzürnt über die Sprade des Paſcha, der über:
dies eine Drohung beigefügt war, Tieß fogleich ein
ſtatkes Boot in's Waffer werfen und fuhr felbft an’s
Land. Raum ausgeftiegen, fah er fid) jedoch von einem
Haufen Bewaffneter umgeben, welche, die Drohung
in’s Werk fegend, die Mannfchaft des Infernal in's
Boot zurücdwarfen, und ben Dragoman des Kommans
danten, da dieſer orientalifch gekleidet war, graͤulich
291
mißhandelten. Der Paſcha, höchlich erzürnt, Tieß zus
gleich dem Infernal bedeuten, binnen 24 Stunden
unter Segel zu geben, widrigenfald er ihn mit Ka⸗
nonen hierzu nöthigen würde, Es blieb diefem Schiffe
auch nichts übrig, ald unter unmäcdhtigen Drohungen
feines Befehlshabers abzufegeln.
Herr von Profefh, auf der Hut gegen eine dem
Zwed feiner Sendung fhädliche Empfindlichkeit, er⸗
neuete um dieſe Zeit fein Begehren mit dem Beifage:
Er begreife des Paſcha's ablehnende Antwort fehr
‚wohl, fo lange ein Kriegsfahrzeug einer andern eurp-
päiſchen Flagge auf der Rhede fey, deſſen Komman⸗
danten der Pafcha nicht zu feben für gut finde; er
felbft wünſche übrigens nichts als freies Geleit nad
den heiligen Orten, da eben die Oftern vor der Thüre
ſeyen. Diefe Pilgerfahrt verſprach ihm den dreifachen
Nutzen: die Achtung bes Mufelmanned zu gewinnen,
die Zeit der Berfiimmung bes Paſcha vorüber gehen
zu laſſen, und den nad) Nazareth in die Arme auf-
rührerifcher Araber geflüchteten Conſul zu fprecden.
Nazareth war unter der Bezeichnung ber heiligen
Drte mit einbegriffen, und Herr von Prokeſch hatte
bereits den Conful verfländigen Iaffen, ihn! dort zu
erwarten. Der Pafıha ging in dies Begehren willig
‚ein, gab Briefe und Geleit, und der öfterreichifche
L
292
— — —ñ—— —
Geſandte ritt unangefochten nach Jeruſalem und Beth⸗
lehem, von dort aber nach Samaria und die Ebene
von Esdrelon herauf nach Nazareth.
Nachdem er gehörige Kenntniß von den That—⸗
fahen, die er auszugleichen beauftragt war, nebft
ihrer Beranlaffung eingezogen, nahm er ben Conſul
mit fih und erfchien nad mehreren Wochen wieder
vor St. Jean d'Acre, wo ihn fein Schiff erwartet
hatte. Er ließ Abdallah erfuchen, ihm danfen zu dür-
fen für den genoffenen Schuß, und zweifelte nicht, daß
ibm dies jeßt erlaubt werden würde, — aber er irrte
fih, denn der Paſcha Tieß ihm fagen, er danfe für
den Danf, Herr von Profefch könne denfelben allen-
falls an feinen Kiaja abtragen. Weit entfernt, ſich
durch Diefe neue Ausweichung entmuthigen zu Taffen,
und die Abficht feithaltenn, an den unnahbaren Mann
doch endlich zu gelangen, entſchloß fich Herr von Pro-
feich, ohne Säumen den Kiaja aufzufuchen. Er fand
einen artigen Mann an ihm, in Konftantinopel ge-
boren, der ſich bald mit vieler Bereitwilligfeit, mit
Wärme fogar ded Verlangend des Herrn von Prokeſch
annahm, und fogleich einen reitenden Boten an den
Paſcha abfandte. Diefer erſte Vorwärtsſchritt war
alfein dadurch errungen, dag Herr von Profefch dem
Kiaja offen den Zwed feiner Sendung mittheilte, den
— —
dieſer ohnedieß errathen konnte, und dabei ſtatt einen
gereizten Ton anzunehmen, von dem Geſichtspunkte
ausging, daß der Paſcha ſich gewiß nicht ohne ge⸗
wichtige Veranlaſſung zu ſo ſchwerer Handlung habe
bewegen laſſen. Ueberdieß beruhigte Herr von Pro⸗
keſch den Kiaja ſogleich über die Beſorgniß, welche
die türkiſchen Großen ſo leicht und mit Recht bei
Zuſammenkünften mit Europäern hegen, daß dieſe
nämlich es an Höflichkeit ermangeln laſſen, und vor
den Augen und Ohren der Dienerſchaft ſich anmaßend
benehmen möchten. Der Kiaja ſchien erfreut, auf ſo
unerwartete Weiſe ſeinen Herrn aus dem Handel zu
ziehen, und dadurch ein unangenehmes Verhältniß mit
einer Flagge aufzuheben, die in den Gewäſſern von
Syrien die am häufigſten erſcheinende iſt.
Raum war Herr von Prokeſch in fein Haus zurüde '
gefehrt, fo war auch ſchon die Antwort des Pafcha da,
der am nädften Morgen ihn mit Sonnenaufgang zu
empfangen ſich bereit erflärte, noch am Abend ihm
feine Mufif in’d Haus fandte, den Autoritäten der
Stadt auftrug, ihn zu befuchen, und nod durd ans
dere Ehrenbezeigungen feine geneigte Stimmung an
ben Tag legte. Died gab Heren von Prokeſch ſchon
Boden genug, um feinem Beſuch eine einleitende Ber»
handlung vorauszufchiden. Er ließ daher dem Paſcha
4
— — — — — —
in den freuudſchaftlichſten Ausdrücken fagen: Er rechne
auf feine Achtung für die alte Sitte, die Feinem Frem⸗
den erlaube, durch einen Andern, als durch feinen
Conſul bei dem Paſcha eingeführt zu werben. Er
habe den: Eonful von Nazareth mit fih genommen,
keinen Augenblick zweifelnd, daß der Pafcha das Gaft-
recht, das er, der Fremde, auch auf den Eonful aug-
dehne, achten werde. Abdallah nahm diefe Aeuße-
rung gut auf, und erwiederte verbindlich: „Unter dem
Schirme des Gefandten werde er auch dem Conſul
erlauben, vor ihm zu erfcheinen.“
Mit Tagesanbruch waren alle Straßen mit Trup-
pen garnirt, auf hundert Schritte vor dem Palafte
begannen die Reihen verfchiedener Hofdiener in mannig⸗
faltigen, reichen Gewändern; am Thore warteten bö-
here Offiziere und dedten die Stiege bis oben hinauf,
wo man über eine Fleine blumengefchmücdte Terraffe
in ein Kiöſchk trat. Da faß nun endlich der gefürch—
tete Mann, von ftrahlenden Dienern umgeben, in einer
Ede des niedrigen Divand, er felbft einfach gekleidet,
aber Waffen mit Diamanten überfäet im Gürtel, an-
dere dergleichen noch außerdem neben ihm auf Polftern
liegend und ringe an den Wänden aufgeftellt. Es
war ein funger fehöner Drientale, mit einem leiden-
den Zuge im Geſichte, großen ſchwarzen, faft melan>
choliſchen Augen. Er erhob fih freundlich und reichte
A
—
Herrn von Prokeſch eine Roſe dar, wit ſauften und
poetiſchen Worten der Begrüßung. Man ſetzte ſich;
Kaffee und Pfeifen wurden gereicht. Die Diener ent⸗
fernten ſich nach einiger Zeit, und die Hauptperſonen
blieben allein. Das Ergebniß, der mehrſtündigen
Unterredbung war, daß Abdallahb Paſcha den Conſul
wieder aufnahm, dad ihm genommene Geld fogleich
zurüdftellen ließ, dem Begehren zu Gunften der Chri⸗
fien im heiligen Lande, der Pilger überhaupt und ing:
befondere der Kaufleute genügte, und fi mit einer
Milde und Feinheit benahm, ‚die mit dem Ruf feiner
Härte, wie feinem frübern Benehmen, einen merf-
würdigen. Gegenfaß bildeten, und deßhalb die frans
zöfifchen Blätter fagen machte: es fihiene wirklich, als
hätte nur Herr von Profefch es verftanden, dies wilde
arabifhe Roß zu bändigen.
Am Ausgange der Iangen Unterredung gab Ab⸗
dallah mit königlicher Munifizenz ſeinem Gaſte den
Säbel, deſſen ich oben erwähnte, und der durch Reich⸗
thum und Schönheit der Arbeit, fo wie burd den
Adel der Klinge früher würdig geweſen war, ein Ge⸗
fchenf des Sultans an den Mann zu feyn, der fall
ganz Syrien unter feine Herrfchaft gebracht hatte, und
für weit ausfehende Pläne der Pforte ein Wichtiger
Stein im Spiele mar.
— — — — — — — — ee — — — ——
mem
——. —
Zurückgekommen nach dem Conſulate, drängten
ſich nun alle Freunde des Conſuls heran, um ihm
Glück zu feiner Wiedereinſetzung zu wünſchen; auch
keiner ſeiner Gegner fehlte. Es war ein Kommen und
Gehen, wie um Abrahams Zelt. Am nächſten Morgen
aber mit Sonnenaufgang kündigten die Kanonen von
den Wällen bie feierlihe Wiedererhebung der öfter:
reihifchen Flagge in der Stadt an, in welder fie vor
vielen Jahrhunderten gegründet worden war!; bie
Kanonen des öfterreichiichen Fahrzeuges antworteten,
und von ben Bergen von Nazareth fah die zahlreiche
und fhöne Familie des Konfuls froh dem Schaufpiele
zu, deſſen erfreuliche Bedeutung der Pafcha ihr ale
ben Beweis ihrer geendeten Berbannung durch einen
Eilboten hatte verfündigen laffen.
Dies ift die eine Hälfte der Gefchichte, die an-
dere, wie verfchieden! Drei Jahre darauf war der
mächtige Abdallah von feinem mächtigeren Nachbar
Mehemed Ali überwunden, die Wälle von Acre, die
bem größten Feldherrn ber Zeit getrogt hatten, und
dadurch dem Schickſale des Orients, vielleicht dem⸗
jenigen Europa’s, eine veranderte Richtung gegeben,
lagen im Staub; Syrien bis an feine äußerften Grenzen
war von den Aegyptern erobert, das Heer, bie
1 Siepe die Gefchichte der Kreuzzüge.
Diener Abdallah's, hatte der Tod oder die Flucht auf⸗
gerieben; der Paſcha felbft faß, ein Gefangener, auf
der Inſel Ruda, bei Cairo!
In dieſer Epoche wurde Herr von Prokeſch von
feinem Hofe an Mehemed Ali geſendet, um im Ver⸗
eine mit Abgeorbneten anderer Mächte das ſiegreiche
Schwerdt, vor dem ſchon der Sultan in feiner Haupts
ftadt erzitterte, wieder in die Scheide zurüdzubringen.
Der Friede wurde geſchloſſen; Syrien fiel an Mebes
med Ali; ber Sultan aber — vergaß den unglüd-
lichen Abdallah, der ſich für ihn geopfert hatte. Bald
darauf ging Herr von Profefch von Alerandrien nad
Cairo. Kaum dort angeflommen, erſchien bei eintre=
tender Dunfelheit eines Abends mit jcheuen Schritten
ein Bertrauter Abdallah’8 vor ihm, um eine Unter
redung mit feinem Herrn flehentlich zu erbitten. Der
ſtolze Fürft hatte ſich erboten, da er jest in Cairo
frei ausgehen durfte, zu jeder Stunde zu erfcheinen,
die Herr von Prokeſch ihm beftimmen würde; da aber
diefer fo viel Demüthigung reſpektvoll abgelehnt und
feinen eigenen Beſuch ftatt deffen angekündigt, erwar⸗
tete Abdallah, jest einfam und verlaffen, den zu ihm
fommenden Fremden, ging ihm bis an die Hausflur
entgegen und nannte ihn Bruder und Freund und eins
zigen Netter. Er flehte nur um Berwendung in Kons
— — —— — —
ſtantinopel, damit er feine Freiheit wieder erlange.
Nur darnach ſchmachtete er, und fürdtete ſtets Ver:
rath und Tod, obgleih Mehemed Ati ihn mit großer
Auszeichnung behandelte. Herr von Profefch, alle Flein-
lichen Rüdfihten edefmüthig von ſich werfend, that
ohne Zögern und auf eigene Gefahr die geeigneten
Schritte, wiewohl mit geringer Hoffnung auf einen
günfligen Erfolg. Doch ein glücklicher Zufall wollte,
dag als der Anternuntius feine Depefchen empfing,
fih eben der damals in Konftantinopel allnächtige
Graf Drloff bei ihm befand. Der Internuntius, Freis
berr von Stürmer, theilte den inhalt dem Grafen
mit, und dieſer, fein Kanzleimann, ergriff die Sache
mit Wärme, und begehrte bei feiner Abſchiedsaudienz
die Befreiung Abdallah’s. Der Sultarı, vielleicht bes
Ihämt, erft durd) des Fremden Mund an eine heilige
Pflicht erinnert zu werden, ſchickte nun zur Auslöfung
Abdallah’8 einen eigenen Abgeordneten an Mehemed
Alt, welcher auch fogleih zugeftand, was man ver-
langte. So erhielt durch einen ihm in der Zeit feiner
Größe gewiß nur fehr unbedeutend erfcheinenden Mann,
soll er ihn würdig behanbelt, Abdallah der Erde
höchſtes Gut, die verlorene Freiheit mit dem geficher:
ten Leben wieder, und genießt jest ruhig beider in
Konftantinspel. Nur felten aber verflechten fich fp
— — — — —
anmuthig und mit ſo viel poetiſcher Gerechtigkeit die
wunderſamen Fäbden eines unergründlichen Schickſals.
Am Abend war für die Könige eine kleine Geſell⸗
ſchaft, nur aus Deutſchen beftebend, bei dem liebens—
würdigen und Tebensheitern Greife, Herrn von Kobell,
arrangirt worden, und Ihre Mafeftäten hatten gnä⸗
digſt auch meine und meines Sefretaird Einladung
befohlen. So weit Ungenirtheit und freie Hingebung
an das Bergnügen gemeinfamer Unterhaltung in ber
Gegenwart jo hober Perfonen geftattet feyn fann, war
gewiß bier mit Acht deutfiher Gemüthlichfeit beides
überall erfichtlich und gern gefehen, und ich glaube,
daß Reiner die Geſellſchaft ohne das Gefühl der ans
genehmften Befriedigung verlaffen haben wird. Herr
Aſcher erfreuete ung durch feine Virtuofität auf dem
Diano, und Herr Berg, Direktor der hiefigen Schule,
ein guter Sänger und höchſt Tiebenswürdiger Gefell
fchafter, zeigte ein fehr ergögliches Talent im Bortrag
fomifcher Gefänge, unter denen befonderd das Lied
der neunundneunzig Schneider, welches in Berlin ver-
boten ift, viel herzliches Gelächter erregte. Derfelbe
Herr Berg deflamirte nachher — durd eine Vorrich⸗
tung, wo feine Arme ihm als Beine dienten, und ein
verborgen hinter feinem Rüden Stehender die Geftis
kulgtionen dazu Tieferte, durch eine offene Thüre und
einen davor geftellten Tifch wie in Rahmen gefaßt —
ale groteöfer Zwerg-mit viel Poffirlichleit den Hand⸗
ſchuh von Schiffer, und fpäter in anderer Maske, nicht
weniger gewandt und Lachen erregend, die Glocke. Ich
babe an diefem Deanne auch wieder ein Beifpiel ges
feben, wie die heiterfte Kindlichfeit mit ausgebreitetem
Wiffen, und namentlih aud mit einem feften Charafs
ter, zufammenwohnen koͤnnen. Ueber den Erfolg, mit
dem er feine Schule behandelte, hörte ich fpäterhin
manches fehr Anzichende, ſah auch felbft, wie er die
Kinder an ſich zu ziehen, zn leiten, zu unterrichten,
und auf weldhe rührende Weife er für fie zu forgen
verftand. Ja er entblödete fich nicht, für die Armen
aus ihnen Kleider, Schuhe, Nahrung von Freunden
und Befannten zufammenzufuchen, und von feiner ganz
fargen eigenen Befoldung verwendete er dad Erjparte.
geregelt für fie, wortlos und ohne allen Aufpuß.
Außerdem bewunderte ich oft an Herrn Berg ein merfs
würdiges Zeichnungstalent, eine erfinderiſche, höchſt
poetifche, oft ungemein Taunige Feder, die ohne be=
engende Schule mit wahrem Genie immer dad Rich⸗
tigfte trifft. Aber zurüd zu unferer Gefellfchaft.
Später wurden auch ernftere Dinge trefflich vorges
tragen. Inden Zwifchenaften herrichte ungezwungenes
Geſpräch. Der König von Baiern, obgleich ſchon vor
301
ber Sonne auf und unermüdlich in Geſchäften, wie im
Studium der Kunft, war äußerſt aufgelegt und heiter.
Einmal fagte er mir foherzend, wenn ich mit den Welt:
gängen fertig wäre und nad) dem Monde reiste, follte
ich doch meinen erften Brief daher über München ber
abfallen laffen. Ich proteftirte jedoch biergegen, aus
Furcht, daß Niemand es der Mühe wertb balten
möchte, den Brief aufzuheben, und ich fehr beforge,
Seiner Majeftät Aufforderung zur Mondreije fey nur
eine Reminiscenz aus dem Arioſt. Ich ſchlüge daher,
feste ich hinzu, Fieber eine fromme Somnambüle zu
diefem Zwede vor, deren ja fchon mehrere auf dem
Monde fo gut befannt als in ihrer eigenen Schlafftube
gewejen feyen. Merkwürdig war mir die Erzählung
bes Tünftlichen Ertbebens, wie Seine Majeflät es
nannte, das der König Türzlih in München bei der
Erplofion des abfichtlich in die Luft gefprengten Pulver⸗
magazind erlebt Hatte. Ein toller Soldat war der
Thäter, und hatte mit tragifchem Muthwillen noch meh⸗
rere feiner Cameraden zurüdzubalten gefucht, ihnen
zweideutig fagend: „Bleibt nur noch ein wenig, wir
geben dann Alle zufammen!” Sechs Mann wurden
dad Opfer diefes blutigen Scherzed. Die Straßen
Münchens, fagte der König, faben nachher aus wie
mit Diamanten betreut, denn der größte Theil der
302
Sentterfcheiben Yag zerfchmettert auf den Steinen und
flimmerte dort in der Sonne. Daſſelbe Loos traf die
Fenſter der Pinakothek, doch wie Durch eine ſchützende
Vorſicht ward keins der Gemälde beſchädigt.
Nachdem Seine Majeſtät uns verlaſſen, und König
DOtto allein zurückgeblieben war, demaskirte Herr von
Kobell feine Konftantinopolitanifche Pfeifenbatterie, lau⸗
ter Gefchüße von 5 — 6 Fuß Länge mit Taloffalen
Mundftüden aus dem reinften goldgelben Bernftein,
und ein Fleines Tabadefollegium, wie in älterer deut—
ſcher Zeit, ward etablirt. Auch meine maroffanifche
Waffe dDiefer Art, Die mit ihren Silber- und .Gold-
bebängen, Ketten und baroffen Ertremitäten einen
Gegenftand allgemeiner Curioſität abgab, Hatte die
Ehre, daran Theil zu nehmen, wozu id, ganz paſſend,
von Afrika einige Auskunft geben mußte. Ich erzählte
son der Willkür Der dortigen Gebieter im Gegenſatz
zur Milde der unfrigenz; wie aber in Tunis die Sorge
der Regierung für Erziehung mandmal noch weiter
gehe als bei und, indem einft Hamudan Paſcha fogar
einem Schulmeifter bei Todesftrafe: anbefohlen, wicht
nur den Schulungen, fondern auc feinen Efel leſen
zu lehren, ein Kunſtſtück, welches dieſer auch wirklich
bewerkſtelligte und im öffentlichen Gerichtsſaal des Bey
glorreich erwies. Der ſchlaue Schulmeiſter hatte dem
— —
Eſel viele Monde hindurch auf einem großen Exem⸗
plare des Korans zu freffen gegeben, das Futter ein-
zen bald zwiſchen dieſe, bald jene Blätter fireuend,
bis endlich Afinus ſich gewöhnt, um feine Nahrung
aufzujuchen, die Blätter fo Tange mit großer Gravität
umzudrehen, big er den Schag zwifchen ihnen aufges
funden batte. Bei der entfcheidenden Seffion, wo fein
Körnhen im heiligen Buche lag, war das arme Thier
daher genöthigt, mit ungetheilter Aufmerffamfeit Alles
zu durchſuchen und Blatt für Blatt vergebend umzu=
fhlagen, was ihm fo vollfommen das Anjehen eines
lefenden Profeſſors gab, dag felbft Hamudan, ftaunend
und lachend, dem unerhörten Schaufpiel feinen Beis
fall nicht verfagen fonnte. „Gut,“ fagte er jest, „wir
ſahen deinen Efel in der That Iefen, Haffan, aber wir
hörten nicht was er las. Befiehl ihm alfo, ſich deut
licher vernehmen zu laſſen.“ O Herr, erwiederte Hafs
fan, fih zur Erde werfend, welche Worte find Dir
entfallen! Du geboteft mir, meinen Eſel Iefen zu
lehren, und es ift gefchehen, aber nie fügteft Du den
Befehl Hinzu, ihn auch fprechen zu machen. Syft aber
dies Dein Wille, fo muß ich ihm gleichfalld genügen,
doch brauche ich wenigfteng dreißig Jahre dazu, und
flebe daher in Demuth um diefe Frifl. Hamudan aber
ſtrich ſich Lächelnd den Bart, und fagte: „Du bift ein,
304
ſchlauer Kunde, und zum Schulmeifter zu gut, — drum
fey fortan Wifir und der Erſte in meinem Nath.”
Sp ward Haflan, den man nachher fpottweile des
Eſels Sohn nannte, durch diefen tunefijcher Miniſter
und geheimer Rath, !
Den ı6ten.
Ein höchſt ungeftümer Wind mit unfäglichen Staub>
wolfen plagt ung feit mehreren Tagen. Graf Arman-
fperg, Fürft Kantafuzeno, meine Hauswirthin und
viele andere Bekannte liegen an Fieberrüdfällen dar-
nieder, und jeden Augenblit muß man leider ſelbſt
‚erwarten, von diefer Landplage mit ergriffen zu wers
den. Da indeß Niemand f:inem Schickſal entgeht,
fo thue ich, was mir beliebt, und laffe den lieben Gott
walten. Mash Allah! Auf die Gefahr einer Berfäl-
tung bin unternahm ich daher anch heute, ungeachtet
des widerlichen Wetters, einen langen artiftifchen Spas
ziergang mit dem eben fo gelehrten als gefälligen
Drofeffor Roß.
Man wird von mir bier weder eine eigene, noch
ausgefchrichene Abhandlung über Athens Alterthümer
erwarten. Ich befeblige, wie man weiß, nur ein
ı Diefer orientalifhde Schulmeifter muß eine Wahlver⸗
wandiſchaft mit Till Eulenfpiegel gehabt haben.
Anmerk. des Herausgebers.
305
leichtes Streifforps und habe mit dem ſchweren Ges
ſchütz nirgends etwas zu fchaffen. In diefem Sinne
Tefe man alfo das Folgende.
Mein gütiger Führer zeigte mir zuerft in feiner
eigenen Behaufung einige merkwürdige, erft geftern
beim Grundausgraben des neuen Palais gefundene,
filberne Geräthe, beftebend aus einem eleganten achte
eigen Käftchen mit Dedel, einem ägpyptifchen Siftrum
und einer höchſt zierlichen Bafe. Alles war in ber
Erde ſchön dunkelblau oridirt, was ein anweſender
Chemifer für eine der größten Seltenheiten erflärte,
von der bisher nur ein einziges Beifpiel vorfomme;
als den Grund davon gab er an, daͤß dieß Silber
auf eine Art mit andern Metallen verſetzt ſey, wie
dergleichen jetzt nur in China noch üblich iſt. Wir
begannen hiernächſt unſere Tour mit dem von Kimon,
nicht lange vor dem Parthenon, erbauten Tempel des
Theſeus, deſſen Erhaltung von weitem faſt vollſtändig
ſcheint, denn keine Säule fehlt. Der Fries mit über
die Hälfte heraustretenden Figuren, wie auch die Mes
topen, find jedoch leider faft durchgängig verſtümmelt.
Eigenthümlich ift es, daß nicht die ganze Neihe der
Metopen ringe um den Tempel, fondern nur die zehn
der öftlichen Fronte und nur Die vier nächften von ber
Ede auf jeder der langen Seiten Scufpturen darbieten,
Süröfl. Bilderſaal. IT. 29
während alle übrigen dazu beftimmten Näume leer
blieben. '
Das Innere des Tempels, dem man jebt ein
proviforifches Dach gegeben, fo wie auch, Gott Lob!
die Anhängfel entfernt, die ihn als chriſtliche Kirche
eine Zeitlang verungierten, und den man, wenn Mittel
vorhanden, mit Teichter Mühe (bis auf die Kunft in
der Ausführung) in statu quo wieder herftellen könnte,
— dient jetzt als eine Art Muſeum zur Aufbewahrung
bes neu Ausgegrabenen. Schon außerhalb des Tempels
fah ich einen völlig gut, erhaltenen römifchen Sarko⸗
phag (beim Bau der Münze entdedt) aufgeftellt, und
daneben den Torfo einer alten Statüe, zu deren Fügen
ein betrunfener Neugrieche, tief ſchlafend, Tag, ‚gleiche
fam als räthfelhafter Sphynx vor den Pforten des
modernen Muſeums. Ausgezeichnetes war in biefem
nichts vorhanden. Am bemerkenswertheften fehienen
mir mehrere bemalte Bafen, von .anfehnlicher Größe
und graziöfer Form, die Farben eingebrannt wie auf
den etrusfifchen, deren gleichen man bis jest nur auf
der Inſel Santorin angetroffen bat; ferner eine noch
in der erften Bearbeitung begriffene Statue aus dem
Attelier eines alten Bildhauers, die den Neuern wills
fommene Auffchlüffe über die Technik der Alten bei
ihren Seulpturen zu geben im Stande feyn wird.
37
Der falte Stinem blied und, im vollfien Sinne
des Werts, vom Thefeus- Tempel hinweg und nad
dem Tempel der Winde felbft hin, einem halbvers
f&ütteten Achted, auf deffen Spige ehmals ein Triton
yon Bronze, mit einem Stabe in der Hand, anzeigte,
welcher Wind regiere, und damit zugleich anf die
fliegende, koloſſale Berförperung veffelben Windes
hinwies, deren alle acht in hautrelief am Friefe ans
gebracht und noch wohl erhalten find. Eine Waffer-
leitung fteht mit dem Tempel in Berbindung, der im
Alterthum in feinem Grunde eine Wafferuhr mit einem
und jest unbefannten Mechanismus enthielt. Später
pflegten auf derfelben Stelle am Boden bed Gebäudes
die Derwifhe zu tanzen, und chriſtliche Mönche wer-
den ihn wohl auch benugt haben. Denn fo folgen
fih die Gudfaftenbilder für höhere Geifter fort und
fort auf unferer närrifchen Erde.
Nahe diefem Tempel war die Agora, wo heute
noch 15 Fuß tief von Erde umfchloffene Säulen, wie
Yerwunbert über bie neue Zeit, ihre Häupter aus dem
Boden hervorſtrecken. Auch von dem borifchen Thor,
das dem Plage zum Eingange diente, ift ber untere
Theil verfehättet. Bor ibm fleht ein hoher Stein, von
oben bis unten befchrieben mit einer, Zoll⸗ und Markt»
gefege enthaltenden, Berordnung Hadrians. Etwas
308
feitwärts von bier feffelt das Auge eine fehr alte chriſt⸗
liche Kirche, die fpäter als Mofchee diente, durch ihr
baroffes Aeußere; denn ihre Wände find ganz durch
eingemauerte Bruchſtücke aus alten Zeiten bebedt. Ur-
alte griehifhe Seulptur; eine reizende Figürchen
aus den beften, fpätern Perioden; byzantinifche Unges
heuer; gothiſche Anflänge, Alles Turdheinander ges
mifcht,, liefern die feltfamfte Mufterharte; doch findet
man leider jedes Fragment durch eingegrabene Kreuze
verunftaltet, welche die Pfaffen, gleich ihrem angebornen
Wappen, überall aufgedrüdt. In Athen wird Einem
diefer heidnifche Auswuchs des Chriſtenthums, der, von
Barbaren unterftügt, und vom Islam nur gleichartig
abgelöst, hier fo viel Jahrhunderte lang an dem Herr:
lichſten genagt und gefrefien, was das Alterthum hers
vorgebracht, mehr noch ald an andern Orten zum
Abſcheu — denn hier zerflörte er nur, und bradte in
nichts, wie bei ung in Bau- und Malerfunft, ein
neues organifches Ganze hervor,
Das horagifche Monument des Tyfifrates, dieſer
Suwel aller Architektur, ift auf Koften mehrerer Dis
lettanten jest frei gegraben und kann in feiner voll
endeten Lieblichfeit ganz genoffen werden. Es ift
größtentheils erhalten, nur der Fries und die fchöne
Blume mit ihren Ranken auf der Spite, welche den
. Dreifuß trug, find unerfeglich beſchädigt.
* 309
Zum erfienmal flieg ich nun bei Tage nach ber
Akropolis hinauf, zur nüchternen Unterfuchung nad
dem poetifhen Nachtgenuß. Die fpäte Stunde, Wind
und Kälte erlaubten jedoch nur einen kurzen Beſuch.
Nah dem Plane des Profeffors Roß wird jest Alles
dafelbft vorläufig nur aufgeräumt, jeder moderne Zu⸗
fag nad und nad abgebrochen, und das Alte, was
man auffindet, ald Ergänzung des noch Beftehenden
wieder eingefügt. Auf diefe Weife ift faft der ganze
zierliche Eleine Tempel des Sieges, der auf der redh-
ten Seite der Propyläen ftand, ſchon unter dem Schutt
hervorgeholt und von neuem auf feinem frühern Plage
aufgerichtet worden. Weld einen Anblid muß dieß
den Göttern geweihte und ihrer würdige Ganze einft
gewährt haben, mit feinem harmoniſchen Gewirr von
Tempeln, Treppen, Säulen und Statüen jeder Art,
im Slanze füdliher Sonne und in aller Pracht der
Farben und Metalle! Denn daß faft fämmtliche Archie
teftur reich und vollftändig bemalt'war, iſt jest außer
"Zweifel gefest, und an vielen Fragmenten fonnten wir
noch heute beutlich die verfchiedenen Farben entdeden.
Selbft am berühmten Fries der Cella waren die Klei⸗
dungen der Figuren bunt, die Zügel der Pferde wie
die Waffen der Reiter von Metal, und es ift nicht
wahrfcheinlih, dag man hierzu die nadten Körpertbeile
weiß gelaffen haben follte. Sch fand Bier auf das
fchönfte meine Anfichten vom Gebrand der Sym-
metrie beſtätigt, deren Tprannei die neuere Archi⸗
tektur fo kalt und hölzern gemacht hat. Die Alten
vermieden die Steifheit der Symmetrie dadurch, daß
fie faft immer in Gruppen bauten, fo daß, wenn aud
bei einzelnen Gebäuden (wiewohl keineswegs bei allen,
wie bier 3. B. das Erechtheum beweist) die Symmetrie
beibehalten wurde, doch das ganze bargeitellte Bild
immer, gleich den Werfen der Natur, unfpmmetriich,
aber nichts deſto weniger barmonifch blieb.
Die ſchönſte Ausficht von der Akropolis ift durch
Die hohe Pforte des Parthenons, vom Opistkodromog
auf das Meer und die Inſeln. Da wo man frei ſteht,
bat dieſelbe Ausficht ſchon einen weit weniger origi⸗
nellen Charakter. Dean bedarf einer Erlaubnißfarte,
um die Afropolis zu fehen, und dies wird fo fireng
beobachtet, daß man vor einigen Tagen komiſcher
‚Reife dem jungen König, ben ber Factionair nicht
Ä Tannte, ben Einlaß verweigerte, weil er fein Bilfet
vergeſſen hatte, wie er mir nachher ſelbſt lachend er⸗
zählte. Au der Gefellfhaft bed Profeffors Roß aber
bat man dergleichen fo wenig zu befürchten, als wenn
man von Minerva felbf in Mentors-Geftaft geführt
würbe, und wir machten und die Freiheit gehörig zu
3
—— —
Nutze. Zuletzt kleuerten wir noch eine Zeit laug auf
dem Dache umber, wo ich für mein fentimentales
Herbarium einige Blumen ber Erinnerung pflüdtes
dann erft traten wir den Rüdweg an. Das Gymna⸗
ſium Hadriand und einige andere unbebeutendere Refte
vergangener Zeit verdienen kaum der Erwähnung.
Dagegen muß ich eines Fleinen Thurmes gedenken, .
den Lord Elgin, als er das geplünderte Athen vers
ließ, gleihfam um das Andenken an feine That zu
verewigen, auf dem biefigen Marftplage erbauen Tieß.
Sehr paſſend hat man ihn jest zum Gefängnig für
Diebe beftimmt, deren wir einige oben hinter ben
eifernen Kenfterftäben ftehen, und fie wüthend fchüttelnd,
Verwünſchungen berabrufen hörten. Auf der Spige
des Thurms ift an einer langen Stange ein Welter-
hahn angebracht, 'den man, bis England großmüthig
den Raub zurüdgibt, billig mit Lord Elgin's Portrait
vertauſchen follte, Einige Reifende haben die Schäns
dung des Parthenond vertheidigen wollen. Ich kann
mit dieſen nicht übereinftiimmen, am wenigften als
Kunftfreund. Hätte Lord Elgin das ganze Parthenon,
wie ed war, nah England verfchiffen können, fo
möchte er zu entfehufdigen feyn. Ein foldes Wert
‘aber nur roh zu zerftören Chalb fo viel, ald man weg⸗
nahm, ward noch überdies nutzlos durch die Schwierig
312%
Seit der Dperation vernichtet), um den Raub nachher
zu verlaufen, bleibt ewig unverzeihlich.
Den ı7ten März.
Ih habe in Malta zu viel von Diners geiprochen,
um ber bhiefigen zu erwähnen; aber gern möchte ich
jedes Geſpräch im Haufe des Herrn Profefch wieder:
erzählen, fo reich ift die Unterhaltung dieſes ausge:
zeichneten Mannes, der überdieg von allen mir be-
fannten Europäern den Orient, dieſes beute fo intes
reffante Thema, am beiten verfteht, wie er auf den
ſchwierigſten Miſſionen dort mit glänzendem Erfolge
genügte.! Dieſe mannigfaltigen Aufträge brachten ihn
natürlih auch mit ben merfwürbigften Perfonen jener
Länder in nahe Berührung, deren Charafteriftif von
ihm zu hören äußerft belehrend iſt. Auf die Bitte des
Präfidenten Capo d'Iſtria batte er es unter andern
im Jahre 1828 übernommen, bei Ibrahim Paſcha den
Austauſch gefangener Araber gegen griechifhe Sklavin—
nen und Kinder zu negoziren, in Folge deffen er mit
diefem Fürften in.ein fehr vertrautes Berhältnig Fam.
ı Wer feine vortrefflihen Worte und neuerdings in der
Allgemeinen Zeitung feinen tief gedachten Aufſatz, gegen vie
naive Rede des. Herrn Lamartine in der franzöfiſchen Depus
tirtenfammer gerichtet, gelefen hat, wird ſchon darnarh ver hier
geäußerten Meinung vollkommen beiftimmen.
| Anmerk. des Herausgebers.
⸗
313
Ibrahim mußte die erwähnten griechifchen Sclaven
faR durchgängig mit Geld Iosfaufen und theuer bes
zahlen, da er felbft nur wenig befaß. Obgleich er
damals das Geld fehr nöthig anderwärts brauchte,
zeigte er doch große Bereitwilligfeit, und benahm ſich
in vielen fpecielen Fällen, die ich hies übergehen muß,
auf bie nobelſte und humanfte Weife. Nach Tangem
Verweilen im Lager ber Uegyptier reiste Herr von
Prokeſch nah Smyrna, und dba er wußte, baß es
Ibrahim zulegt an Wein gefehlt, den bie firenge Blo⸗
fade der hriftlichen Klotten nicht durchließ, weil bie
chevalereske Liberalität, die man in Altern Kriegen
bei folchen Gelegenheiten übte, heute nicht mehr flatts
findet, fo fandte er ihm einige Kiften mit Bordeaurs
wein durd ein neutrales öfterreichiiches Schiff, ihm
dazu fihreibend, daß er feineswegs die Abficht Habe,
dem mächtigen Sohne des Vicekönigs von Aegypten
mit diefem Weine ein Gefchenf zu machen, fondern
Ibrahim fchon willen werde, weldhe Art Handel zwi⸗
ſchen ihnen ſtattfinde und welche Bezahlung ihm die
willfommenfte fey. Er bäte alfo, ihm einen Wechfel,
in folder Münze zahlbar, auf feinen Bater in Ale⸗
zandrien auf Sicht auszuftellen, überlaffe aber bie
Schäsung ihm ſelbſt. Sogleich fhidte der Dann, ber:
uns fonft wohl oft ale ein roher Barbar erfchienen iſt,
314
mit großmüthiger Feinheit einen Wechſel auf feinen
Bater an Herrn von, Prokeſch zurũck, worin er bes
fannte, die Baluta für zwanzig Griechenſelaven ere
halten zu haben, und den Bicefönig bat, eine gleiche
Anzahl dem Ueberbringer oder an deffen Ordre fofort
auszuliefern. Der Paſcha von Aegypten aber refpel-
tirte, als Herr von Prokeſch nach Alexandrien fandte,
nicht nur die Anweifung ohne Weigern, fondern ges
ſtattete deſſen Beauftragten, dem öfterreichifchen Gene-
ralconful Herrn Acerbi, fogar noch die eigene Auswahl.
Bom Charakter der Mufelmänner auf ihren Glau⸗
ben übergebend, blätterten wir nachher im Storan, wo
wir glei auf eine feltfame Stelle ‚fließen. Sie lautet
folgendermaßen :
„D ihr Schriftbefiger, überfchreitet bie Grenze
eurer Religion nicht, und fpredht von Gott nur Wahre
heit. Gewiß, Chriftus Jeſus, der Sohn Waria’s, ift
ein Gefandter Gottes, ift Gottes menſchgewordenes
Wort, ift Gottes Geiſt. Glaubt an ihn. Aber fagt
"nicht: es find drei Götter. Enthaltet euch diefer Re⸗
densart..... es wird beffer. für euch ſeyn. Es if
nur ein Gott. Fern fey es, daß er einen Sohn habe!
Was im Himmel und auf der Erde ift, das ift Gottes
Geſchöpf, und Gott braucht feinen Sohn, um ed zu
beihägen, und Chriſtus ſelbſt iſt nicht fo hoffärtig,
— mE mE — nnd
daß er fi. weigern follle, Gottes Knecht zu feyn.“
— (Eine andere Lehre des Koran, die wir in vieler
Hinſicht falſch beurteilen, it Die ber Vielweiberei.
Es if wahr, der Koran geſteht einem Manne vier
Frnuen zu, aber er regelt fireng ihre Gerechtſame.
Der. Bormurf, daß er bie Frauen aus dem Parabiefe
ausſchließe, iſt, wie ſo mander andere, nur Exflubung
der Gegner. Er fagt vielmehr ausdruͤcklich: „Wer
Butes tbut, er fey Mann oder Weib, ber wird
in’8 Paradies eingehen.” Gr läßt au bie Ehe mit
Ehriftinnen und Füdinnen zu, ohne gu verlangen,
Daß fie ihre Religion ändern follen, und
Pricht überhaupt eine merfwärbige Toleranz aus,
welche nur der türkiſche Geift in das Begentheil ver-
kehrt Hat. Dahin gehört der großartige Sag: „Einem
jeben Volke haben wir eine Religion gegeben (fpricht
Gott) und einen offenen Weg. Hätte ed Gott belisht,
fo hätte er aus. euch, ihr Bölfer alle, ein Boll ges
macht. So Hat er vuch aber durch verfchiedene Ges
fege (Religionen) von einander unterschieden, um eines
Zeven Gehorſam gegen bad ihm genffenbarte Geſetz
zn prüfen. Gehet alſo, jeder auf feiner Bahn, vor.
wärts, und ſuchet euh an guten Werfen
zu übertreffen. Alle werbet ihr ein zu
Gott zurüdtehren, und dann wird er euch
bie Punkte aufflären, über welde ſich eure
Einfihten nicht haben vereinigen können.“
Dieſer Sat if fo ganz Friede, fo erhaben über
die Leidenfchaften der Menfchen und Völker, fo tief in
Erfahrung und Kenntnig, dag Taum Größeres und
Srömmeres auf Erden gefagt worden if. Aber es
ging Muhammeds Lehre wie ber Chrifti. Beide ent
fernten fich ſchnell von ihrer urfprünglichen Reinheit
durch die Böfen, welche fih nur fromm anftellten; ja,
dag Muhammed felbft, bei feinen weltlichen Abfichten,
ben Lehren des von ihm Fompilirten heiligen Buches
nicht immer folgte, kann ebenfalld nicht geläugnet wer⸗
den, und die Statthalter Chrifti haben diefem Beifpiel
nicht minder gefolgt.
Nach dem Koran fchenkten wir aud den heiligen
Büchern der alten Perfer, dem Zend Avefta (das les
bendige Wort) bes Zoroafter einige Zeit. Es war bie
franzöfifche Ueberfegung bes Anquetil du Perron, bie
wir vor und hatten. Sie beginnt mit der Schilderung
ber Reife, die dieſer fehr verdienſtvolle und muthige
Mann um die Mitte des vorigen Jahrhunderts burch
Indien mit Gefahren aller Art, mit Mangel, Armuth,
Undanf, Krieg, Hochmuth und Gemeinheit kämpfend,
machte, einzig, um fein Baterland, das ſich nichts
darum befümmerte, mit diefen in Europa bis bahin
17
unbelannten Büchern zu befchenten. „Wo ein Menſch
betet, neigt euch mit Ehrfurdt,” denn jeder Aufſchwung
zum Himmel ift Balfam für die Seele. Alſo verdient
auch jedes Religionsſyſtem an fih ſchon, daß wir es
mit gerechtem und geweihtem Gemüthe betrachten. Was
durch Zahrtaufende von Millionen und Millionen ges
glaubt und geübt wurde, kann nur der Hochmuth der.
Unwiffenheit ohne Unterfuchung, ohne Achtung von
Haus aus, verwerfen. Die Religion des Zoroafter
im fechsten Jahrhundert vor Chrifto, in dem Gebuͤrgs⸗
rande zwiichen dem fchwarzen und Taspifchen Meere
gegründet, verbreitete ſich über einen Landftrich, größer
als Europa, nämlich über alle Länder zwifchen bem
Kaufafus, dem Euphrat, Mittel- Indien und China.
Sie ging zeitweife über dieſe Grenze hinaus, fo 3.82.
bis an’s Mittelmeer und nad Aegypten, als biefe
Länder unter perfifche Herrfchaft Famen. Sie begann
mit Frieden und endigte mit Krieg, wie alle andern:
fie war erft verfolgt, dann verfolgend, und erftarb
mit dem Umſturz des Reichs der Saflaniden durch Die
Muhammedaner, denn feit diefer Zeit irren die An⸗
bänger berfelben im Innern von Aften und Indien
umber, ganz wie die Juden in Europa, ftreng ihren
Geſetzen ergeben, und auf deſſen allgemeine Herrfchaft
immer noch hoffend.
318
— — — — —
Höchſt merkwürdig iſt die Menge von Lehren in
biefer Religion, welche mit ben chriſtlichen ganz über⸗
einflimmen und bie mofaifchen versollfommnen. Der
große Say der Einheit Gottes ſteht in dem Syfiem
Zoroaſters zu oberſt; er nennt dieſen Gott „bie Zeit
ohne Ende”, die Ewigkeit, oder das, was if, war
und feyn wird von Ewigfeit zu Ewigkeit. Er ift der
Shöyfer. Das Wort ging jedem Gefdhaffenen vor⸗
aus; denn dur das Wort entftand die Schöpfung
(gerade fo fagt Johannes — Ev. Kay. L Bers 1 —
Am Anfang war das Wort 20.) Zwei Primipe —
Kräfte — theilen fih in die Schöpfung: das Gute
and das Böfe, und nun fommt genau unfere Tehre von
Erzengeln, Engeln, Schugengeln, Heiligen, von Teu⸗
fefn und von dem fortwährenden Kampfe der Böen
gegen die Guten; die Lehre vom Sündenfall; vom
Gegefeuer, von der Hölle und vom Himmel, vom
füngften Gericht, von ber Unfterblichleit der Seele,
son der Auferfiehung des Leibes, von Strafe und Lohn
nach dem Tode. Gerechter als wir läßt aber. Zoroaſter
zulegt die Höfe überwunden werden; die ſcheußliche
Lehre Der ewigen Verdammniß kennt er nicht. Die
"Teufel ſelbſt lehren zu Gott zurück und alle Geſchöpfe,
nachdem fie durch verſchiedene Grade von Reinigung
gegangen, opfern zulegt auf demſelben Altar bem
Einen, Ewigen und Höchften — ihrem Schöpfer. Was
wich am vorzüglichfien in biefer Lehre anſpricht, iM
Deren Anpaffung an die Naturgefege. Mir if Dies
der Maßſtab ber Werthſchätzung für jede
Einrihtung auf Erden. Mit größter Weisheit
find eine Menge Gefundheitssorfchriften zu Religions⸗
gefegen gemacht, wie dies auch in der moſaiſchen Res
ligion bemerkt wird. Der Genuß vieler Dinge ift vers
boten; wieder andere, ſogar verbienftliche Wafchungen
und Reinigungen, werden in Menge anempfohlen, bie
in allen neuern Religionen zum Nachtheil des Körpers
und der Seele übergangen find; ferner eine bis in's
Kleinfte gehende Sorgfalt für Reinlichfeit der Waſſer,
der Wohnungen, ber Kleider, der Körper, ‚der Ges
räthe, und firenge Strafen verorbnet gegen Alles,
was den Körper ſchwächt, gegen Mißbräuche der Kräfte
u. ſ. w. Das Faſten iſt nicht nur nicht verdienſtlich,
ſondern auch verboten; denn Zoroaſter ſagt: ein ge⸗
ſunder, ſtarker, gut genährter Körper iſt geeigneter
zur Uebung des Guten und zum Kampfe gegen das
Böſe; man ehrt alſo Gott, indem man ſich gut naͤhrt.
Ich behaupte, daß dies wohlthätige Wort ſchon allein
beweist, welch ein geſunder Geiſt Jorvafter ſelbſt war,
obgleich man viel Darüber witzeln und es ale ein paſſen⸗
des Motto für den Almanac des Gourmands ausgeben
könnte, aber die Wahrheit Tiegt Doch darin; denn das
Elend, welches gute Ko und Kleidung entbehrt, ges
biert die meiſten Verbrechen, und die epidemifchen
Krankheiten raffen immer in dreifacdher Zahl die Mans
gel Leidenden hin. Doc man höre weiter. Den Werth
bes Menfchen Iegt Zoroafter in Die Reinheit der
Gedanken, Worte und Handlungen, und er
trennt diefe drei Maßſtäbe nie. Er breitet feine Hand
auch über alle nüslichen Thiere aus, ja ſelbſt über
bie Pflanzenwelt; einen Baum begiegen, eine Blume
pflegen, ein nügliches Thier nähren, fichern, ihm bei⸗
fpringen, wenn es verwundet ift oder leidet, es reini-
gen und beffen Bermehrung veranlaffen — find gute
Werke! Den Boden bebauen, unfruchtbaren Grund
fruchtbar machen, Getreide pflanzen, Inſekten und
ſchädliche Thiere tödten, iſt fo verdienſtlich, als
hätte man zehntauſend Gebete gebetet. —
Kann es eine fchönere, göttlich = menfchlihere Lehre
geben? — So Etwas Iehrt Doch aud von ber Kanzel,
ihr Schriftgelehrten! Ich gebe fünfzig eurer beſten
Predigtbücher darum bin. Getreide zurüdhalten, um
zu gewinnen durch Fünftlich erzeugte Noth, ift ein Ver⸗
brechen fo großer Art, dag alle Seufzer und Thränen
der Noth verzehnfacht auf Rechnung dieſes Wuchers
fallen. Heirath ift heilige Pflicht, und Fruchtbarkeit
321
des Weibes höchfter Schmud. Eine große Zahl Kinder
ift den Eltern Ehre und Bortheil. „Kinder find eine
Brüde zum Himmel!” Der Priefter, der feine Kin-
der bat, darf fein Gebet für Andere verrichten, denn
der Himmel bezeichnet ihn als in Ungnade;! daher
‚der fromme Gebrauch, Kinder Anderer ſelbſt an Kindes⸗
ftatk anzunehmen; ſich aus Liebe zu einem Freunde,
den der Tod überrafchte, bevor er vermählt war, in
feinem Namen zu vermählen und das erſte Kind mit
feinem Ramen zu bezeichnen, und eine Menge anderer
Gebräuche, alle im Geifte jenes Heiles, Das ung die
Natur auf Millionen Wegen offenbart, begründet.
Als fi) das Geſpräch von hier weiter, vergleiches
weife, auf bie verfdhiedenen neueren Kulten wandte,
erzählte Jemand, bie hiefige Fatholifche Kirche ſey fo
arm, daß neulih bei Transportirung des Allerhei⸗
ligften der Priefter in Ermangelung eines Baldachins
ſich ſtatt deſſen eines alten Regenſchirms bediente, eine
Prozeſſion, die mit dem übrigen Athen in wunders
vollem Einklange fteht.
Sic transit gloria mundi! Das neugeborene Grie⸗
chenland bettelt neben dem ſterbenden Katholizismus!
ı Dies foheint hart, und doch ift eine tiefe Wahrheit darin.
Der Kinderloſe ift vielleicht nicht direkt fuldig, aber in Un
gnade ift er wirklich.
Euvöftl. Bilderfaal. II. 21
Den 18ten März.
Da der Fürft Demeirius noch am Fieber Seidet,
jo hatte heute fein Bruder Alerander die Gefälligkeit,
mid auf meinem Bormittags-Spazierritt zu begleiten.
Wir durchſchnitten zuerſt den Keramifus innerhalb and
außerhalb der alten Mauer, und bejahen mehrere
wohlgehaltene Fruchtgärten im Dlivenwalde bei Pa⸗
riſſia, der auf dieſer Seite weit frifcher ald nach dem
Pyraͤus zu, aber auch dafür mit aria cattiva vreichlich
gefihwängert if. Zwilchen Lehmmauern, über die
blühende Mandels und Pfirfihbäume hervorragten,
famen wir auf engem labyrinthiſchen Pfade endlich
bei der Stelle an, wo Plato’8 Akademie geftanden
haben muß, obgleich Feine Ruinen mehr vorhanden
find, um fie genauer anzuzeigen, und auch nichts ben
lieblichen Hainen Aehnliches mehr eriftirt, in denen,
mit feinen Schülern auf- und abgebend, der Philoſoph
zu lehren pflegte. Wir erſtiegen dann den Heinen fleis
nigen Hügel von Kolonos, berühmt duch den Debiz
bes Sophokles. Hier hat man eine fehr fchöne Ans
fiht der Akropolis und ‚ganz Athens, deren Barder-
grund heute ererzivende Soldaten bildeten, lauter
baierifhe Griechen, die laut griehifh, und wenn es
nicht gehen wollte, heimlich deutfch, mit Zugabe einiger
yaterländifchen Flüche, kommandirt wurden. Zn feinem
⸗
323
Eifer fiel der Oberſt fogar vom Pferde, welches wir
nachher das Verdienſt hatten aufzufangen. Eine Ras
nonade begleitete dieſes Manöver, jedoch nicht milts
tairifher Art, fondern nur vom Sprengen ber nahen
Felſen berrührend. Bei dem Abzug der Türken Faufte
ein junger Architekt diefe pittoresfen Felfenberge in
der Nähe der Stadt für ein Spottgeld, und bezieht
jest, wie man fagt, bloß vom Verkauf der Steine
eine monatliche Revenüe von einigen hundert Colo⸗
naten. Es ift fehr zu bedauern, daß bei diefer indu⸗
ſtriellen Operation auch eine antike in den Stein
gehauene Treppe, und eine ber Afteftlen an der Felſen—
wand befindfihen Inſchriften mit in die Luft fliegen
mußten. Selbft an dem gebeiligten Lykabettus hatte
man ſchon Pulverminen gelegt, doch bier griff dag
Gouvernement mit einem Berbote ein, was ich fhon
einigemale als deſpotiſch tadeln hörte, obgleich es mir
eben fo lobenswerth als billig erfcheint.! Hinter dem
Lyfabettus, an dem Weg nad dem Pentelifon, befuch-
ten wir die Fleine Billa des Herren v. Catacazy. Sie
macht einen fehr freundlichen Eindrud, und wir er-
gögten und, durch die rothen und gelben Scheiben ber
ı Diefer Berg wurde lange Anchesmos genannt, bis ein
däniſcher Profeffor feinen wahren Namen bewies. Welcher
Berg aber mın ver Anchesmos war, weiß Niemand.
324
Salonthüren die Gegend zu betrachten, welche im
Schein des gelben Glafed eine Landſchaft aus ber
Sonne felbft, und bei dem rothen den Widerfchein des
im Brand aufgehenden Erdplaneten darzuftellen ſchienen.
In die Stadt zurüdgefehrt, fand ich meinen Pla
bei Tiſche zwifchen zwei intereſſanten Perfonen: dem
Sohne des unglüdlihen Marfhall Ney — ein junger
Mann von biederem, gewinnenden Ausdrud — und
ber reizenden, jugendlichen Frau von Lagrene, deren
Heirathögefhichte einen fehr hübſchen Roman abgeben
könnte. Selten wird ein junges Mädchen fo viel
Ausdauer, Entfagung und Charakterſtärke zeigen, als
fie dabei an den Tag legte. So etwas aber erfreut
mid) immer in den höheren Ständen, befonders bei
einer Hofdame, und noch obendrein einer rufjifchen.
Uebrigeng habe ich mid) durch die mir gemachte Er⸗
zählung dieſer intereſſanten Begebenheit überzeugt,
daß der ruſſiſche Adel, trotz ſeiner ſelaviſchen Ver—
faſſung, doch noch ein merkwürdiges Gefühl unab⸗
hängiger Selbſtſtändigkeit im innerſten Herzen nährt.
‚Den 20ten März. |
Heute Abend war bie erſte große Affembiee im
Haufe des bisher am Fieber leidenden Staatskanzlers.
Die Könige beehrten fie mit ihrer Gegenwart, und fie
hatte durchaus ein ſtattliches Anfehen, ſehr gehoben
— — — —
noch durch die vielen glänzenden Nationalcoſtüme,
welche zum Theil von berühmten Männern getragen
wurden. Hier ſah ich zum erſtenmal Kolokotroni und
Nikitas „den Türkenfreſſer.“ Den erſten hatte ich mir
ganz anders vorgeftelltz er iſt für fein Alter gut fon-
fervirt, ſtark und did, einfach, ja vernadhläßigt in
Haltung und Kleidung, aber mit einem Ausdrud von
Kraft und Gutmüthigfeit gemifcht, der feinem negli-
girten Wefen gut anfteht, und gewiß bei jedem Un-
parteiifchen Wohlwollen für ihn gewinnt. Der allge-
meinen Stimme nad) war er in der unglücklichen Zeit
der Regentfchaft dad Opfer einer ſchlechten Intrigue,
und bei feinem großen Einfluß in Morea Tann das
Gouvernement fih nur gratuliren, ihn jeßt aufrichtig
auf feiner Seite zu fehen. Er war der glüdlichfte und
zugleich der vorfichtigfte der Feldherren der Griechen,
und fonderbarerweife bei den brillanteſten feiner Af-
fairen gewoͤhnlich ſelbſt nicht auf dem Echlachtfelde
gegenwärtig. Nifitas ift ein Mann von Eifen, mit
noch gutmüthigeren Zügen als Kolofotroni, dem aber
die europäifche Oberfl-Uniform gar nicht gerecht werben
voll. Diefer nun bezahlte immer mehr als nöthig
mit feiner Perſon. Man fagt, daß er bei der Ueber⸗
fallung Dramali’d (die Kolokotroni angeordnet, ohne
dabei zu ſeyn) mit eigener Hand über 70 Türken er⸗
8
legt Babe. Herr Prafafalis, der auch bei dieſer
Affaire zugegen war, erzählte mir fpäter, daß man
Nikita's Hand mit fammt dem Säbelgriff in warmes
Waffer habe tauchen müffen, weil er die Frampfhaft
gefchloffenen Finger nicht bavon loszumachen im Stande
war. Prächtig waren, wie gewöhnlich, die Adjutanten
des Königs in der himmelblauen mit Silber bebediten
Uniform, wie mehrere Chefs ber neuerrichteten grie-
hifchen Phalanı. Bemerfenswerth erfchien mir außer-
dem noch der Marineminifter Kriezis, einer der See⸗
beiden der Revolution, deffen Ausfehen ganz der
Bravour entfpricht, Durch die er fih fo vielfach aus-
gezeichnet bat; ferner Sfuffo, der gefürdhtete Redalk⸗
teur des Sauveur, den beide Monarden ausgezeichnet
gnädig behandelten und offenbar dadurch zu gewinnen
fuhten, ein Dann von Geift und ſcharfen Zügen; der
Staatsrath Aenian, welcher einer der geſchickeſten
Arbeiter und ausgezeichnetfien Redner Griechenlands
feyn fol, obgleich fein Aeußeres ohne Zweifel das
unanfehnfichfte in der ganzen Geſellſchaft war; Maus
romichalis endlich, der Bruder desienigen, der Capo
de Iſtria gemorbet, von verwegenem Ausfehen, in glän-
zender Kleidung Fed: Daher fehreitend, vornehm und
ſtolz, das echte Bild eines mainstischen Häuptlings.
Griechiſche, deutſche und italienische Muſik wech⸗
fette mit einander ab; nur wenige Spieltiſche in ven
Nebruſtuben waren befegt und in dem großen Saal
ward Gercle um die Monarchen gemacht, die in den
Jwiſchenakten der Duft fa Jedem etwas Verbind⸗
liches zu ſagen wußten. Unter den jungen Damen
zeichneten ſich vor allen die ſchöne Frau von Prokeſch
und die liebliche Tochter des Haufes, die Fürſtin De;
mitri Kantafuzeno, aus, unter den Matronen aber bie
Wirthin ſelbſt, weiche ihren Rang mit vieler Würbe
repräfentirte. Mehrere Damen bed dipfomatifchen
Corps biieben abwefend (gewiß ein großer Verluſt
für die Geſellſchaft), und die liebenswürdige Lady
Lyons — wahrſcheinlich um zu zeigen, daß fir, troß
ihrer europäifhen Bildung, doch eine echte Eng⸗
länderin geblieben ſey — war nur deßhalb nicht ges
fommen, weil ed Sonntag war. — Die Sünde wäre
zu groß gewefen!
Den 2ıflen Bar.
Beim Frühſtück fiel mie eine deutſche Recenflon
des „Semilaſſo in Frankreich“ in die Hände, die mir
fo fchtef nnd ungerecht ſchien, daB ih den Handſchuh
für den Berfaffer des Buches aufzaheben Luft fühle.
Die Resenfion bezog fih, wie ich bemerkte, noch auf:
mehrere andere Kritifen,. Die wahrſcheinlich alle dem
Autor. ſelbſt, wo er auch jetzt weiten mag, eben ſo
unbefannt geblieben find, wie: den Sübfee-Infulanern
unfere Beichreibungen derfelben. Sonft würde er zu
feinem Nuten daraus erfehen haben, wie ſchwer man
es allen Leuten recht zu machen im Stande iſt! Den
Berftorbenen tadelte man als boshaft; den Semilaffo
ald zu banal und fomplimentenreich; ja NRecenfent
findet nun fogar einen feltfamen Widerfpruc darin,
daß dort die englifche Ariftofratie angegriffen und hier
ber. frangöfifche Bürgerfönig mit Enthuſiasmus gelobt
worden ſey — eine Bemerkung oder vielleicht eine
feine Ironie, deren tiefen Sinn id nicht klar genug
zu ergründen vermag — denn was haben beide mit
einander gemein? Aber eben diefer Mangel an Tiefe
ift mein eigener, wie er auch Semilaffo’s Fehler ſeyn
fol. Sein Buch wird Teihte Waare genannt (ehr.
mit Necht, da fchwerfällige zu geben wahrfcheinlich
nie feine Abfiht war). Doc der billigere Lefer möge
felbft entfcheiden. Der Autor fehreibt in feinem erften
Driefe aus Paris, daß er nur einen flüchtigen Auf-
enthalt weniger Wochen in jener Hauptftabt gemadht,
und auch nur flüchtige Bemerkungen darüber zu er:
theilen im Stande fey. Demungeachtet tabelt Re⸗
cenfent — gewohnt vielleiht, ein Buch fchon zu
beurtbeilen, wenn er auch nur ſechs Blätter davon
überflogen, und folglich auch von einem Reiſenden
—
erwartend, daß er nach vierzehntägigtm Aufenthalt in
der Haupiſtadt eined Landes über die Nation, bie
verborgenen Motive ihrer Handlungen und den Cha⸗
after ihrer großen Männer erichöpfende Auskunft geben
folle — Recenfent tabelt alfo, fage ich, bitter: „Daß
son dem ungeheuern Ernfte der franzöfifchen Gefchichte
feit 40 Jahren” — (höhere Geifter eines andern Pla-
neten Eönnten leicht diefen ungeheuern Eruft ungeheuer
ſpaßhaft finden) — Feine Spur in Semilaffo’s Briefen
ſich vorfände, noch etwas von der verworrenen Tiefe
jenes Herenfeffeld vor ung auffteige, in welchem
Alles wild durcheinander geworfen wird, um die
wahre Mifchung zu finden, aus der der Trank des
neuen Lebens gebraut werden foll u. f. w. u. f. w.“
Mit diefem Bombaft wird der Mangel an Tiefe —
ob auch verworrener, oder gar auffteigender, wie bie
des Recenfenten ift, wird nicht ausdrücklich angegeben,
— im Buche Semilaſſo's beflagt, was ungefähr eben
fo viel fagen will, ald wenn fid) Jemand nicht zus
frieden darüber geben Fönnte, daß der Schmetterling
nicht zugleich ein Elephant ſey!
Veberbaupt ift e8 aber mit biefer modernen deut⸗
ſchen Tiefe oft eine eigene Sache. — Die Herren
ſchreiben fo tief, daß man nicht ſelten noch tiefer dar
über einſchläft, oder faller Einem gar unter den Hän⸗
den fo tief in den feldft gegrabenen Brunnen, daß
man in beffen trübem Waffer den langbeinigen Ger-
manen nur noch wie einen Froſch in unerreichhar
büfßterer Kerne galvanifch zappeln fieht, nachdem er
den Geift ſchon lange vorher aufgegeben. ch glaube,
der genügfame Tefer begleitet und Tieber auf der blü⸗
benden, fonnerhellten Oberfläche; gelüſtet es ihm
aber, wenn auch mit Gefahr einer gelegentlichen Ver⸗
fhüttung, in bie dunkleren Schachten einzufahren, fo
überlaffe ich ihn eben fo gern, und ohne alle Eifer:
fucht, dem grundlos tiefften alfer Kritifer unferer va-
terländifchen Journale,
In dem erwähnten Aufja wird auch eines ges
wiffen Wiebrandt oder Wiebarg gedacht, der bieh-
mal nicht dem Semilaffo, fondern „mir perſönlich
eine: barte Rede über meine Standesvorur
theile gehalten haben fol.“ Ich bin leider fo Tange
ſchon der deutfchen Literatur entfrembet, dag ich von
diefem großen Manne zum erftenmal hier etwas er-
fahre, aber ich will aus fhuldigem Reſpekt für ihn
einmal das loſe Bifir abnehmen — wobei ich je-
doch auf feine Diskretion rechne, daß ed ganz unter
ang bleibt — und, flat in des Herren von Rofenbergs
Text fortzufahren, Hier von mir ſelbſt ſprechen. Wenn
mich mun dieſer Herr. Wiedbarg von Angefiiht zu An⸗
21
geficht exbliden könnte und perfönlih kennen lernte,
würde er bald inne werben, daß er fih, was mid
betrifft, alle Mübe „ber harten Reber hätte er⸗
fparen können, denn, und felbft wider Willen fogar,
würde er fih dann bald überzeugen müffen, daß ich
vielleicht noch weniger Werth als er ſelbſt auf dieſe
von ihm berührte Auszeichnung bes Zufalls fege.
Schon die Erfahrung bätte mich Yon ſolchem
Wahne heilen müflen, denn was man „vornehm“
nennt, war ich von Geburt,‘ und dennoch blieb ich
überfeben in ber Menge. Ich reiste auch damals
ſchon in der Welt umher, und mit berfelben, ja leider
noch viel jugendlicheren,, folglich anziehenderen Perfoͤn⸗
lichkeit wie jetzt; Doch nad) erzeigter, nicht zu umgebendber
ſchuldiger Höflichkeit frug Niemand weiter nad) mir.
Da ward ich, ich weiß felbft nicht wie, ganz zufällig
und verfhämt, ein Autor. Bon diefem Moment an
hätte ich glauben. mögen, daß mit mir und der Welt
eine Revolution vorgegangen fey. Auszeichnung be—
gegnete mir überall; — wo ich hinfam, ward ich, fo
zu fagen, auf Händen getragen, und von ben Herr⸗
fchern bis zum Bolke hinab (und dies Legtere ift viel⸗
feicht das Schmeichelhafteſte) in mehr als einem Welt⸗
theif mit der wohlwollendfien Berüdfichtigung und
auf die ehrenvollſſe Weife empfangen und hervorge⸗
x
BEE...
hoben. Wenn ich auch nicht mit Lord Byron fagen
kanns „Ich Tegte mich unbelannt zu Bett, und fland
als ein berühmter Mann wieder auf,” fo ging doc,
anf niedberer Stufe, wirflih etwas Aehnliches mit
mir vor. Denn der überfehene nichts bedeutende Graf
und Fürft fuchte an jedem Ubend fein Lager ignos
rirt und oft verfannt, — der Schrififteller erhob fich
am Morgen, von Alfen begrüßt, und — bei weitem
der fchönfte Preis — von Vielen geliebt. —
Welchem Umftand aber habe ich dies zu verbans
fen? Nicht meinem vornehmen Namen, wie wir
geſehen, eben fo wenig meinem ſchwachen Talent, in
dem Hunderte mid, übertreffen. Nein, der Grund tft
ber, daß in Diefer großen, heutigen Welt des Trugs
und Selbftbetruge — ich vielleiht einer der Wahr⸗
fen geblieben bin; dag ich den moraliſchen Muth
und bie innere Freiheit befiße, mich wirklich ganz und
vollſtändig fo zu geben, wie ich bin, wenn feine in-
tereffante, Doch eine Achte Individualität, und wenn
ich eine Maske vornehme, Died immer nur eine ſcher⸗
gende ift, nie eine foldhe, die zu täuſchen beabfichtigt.
Dies bat das Publikum mit feinem ſtets richtigen
Takte gefühlt, und deßhalb bin ich ihm werth
geworden.
Achte Wahrhaftigfeit Tiegt aber nicht ſowohl in
der nad) außen gerichteten, im Urtheil über Dinge,
benn bier bleibt alle Wahrheit relativ, ald in ber
innern, der des Charafterg, ja in diefer Hinficht kann
fogar das Wahre Lüge, und die Lüge Wahrheit wer, .
den. Wenn Münchhaufen Wahrheit fpricht, wird er erſt
unwahr, und ein folcher fchlecht aufgemwärmter Münch⸗
haufen ift der Lügengeiſt unferer Zeit. Diefe ewige
Lüge befteht in unferer fortwährenden künſtlichen Bers
ftellung, welde die Sitten bei und ſchon zur andern
Natur gemacht haben; in einer allgemeinen falfchen
Scham, fi) zu zeigen, wie und was man if, wo⸗
durch alle geſunde Kräftigkeit ber Seele gebrocden
wird, Wir haben einen großen Theil unferer Reli-
gionsformen überlebt, und geben und doch nod) immer
forgfältig das Anfehen, als hielten wir das Todte
noch für lebend, als feyen wir wirklich noch Katho⸗
lifen, Proteftanten der Augsburg'ſchen Eonfeffion u; ſ. w.,
ganz allein des Anftands halber! Wir find nicht um
ein Jota im Herzen fittlicher ald in andern moderaten
Zeiten, fielen uns aber äußerlich ängſtlicher als je
fo an — nur um des Deforumsd wegen! Furcht iR
eine Haupteigenfchaft unferes heutigen Charakters, und,
beiläufig gefagt, auch der wahre Schlüffel unferer felts
famen europäifhen Politik. Dennoch hatten wir
nie tapferere Zeitungen, noch eine großfprecherifchere
a
Jugend. Wir verbannten die Hazardipiele und die
Lotterie — ald zu unmoralifh, und ein wiüthendes
Börfenppiel droht alfe Fugen der Gefelffehaft aufzu—
löfen. Der fältefte, mattherzigfte Egoismus erfaßt
alte Nationen und Individuen täglich mehr mit feiner
eifernen Kralle — und unfere Jeit erfand das Wort:
„Humanität!” Kin großer Theik unferer Regierungs-
formen, die wichtigften, am meiften in's Leben eins
greifenden Jnftitutionen (3. B. die Ehe und Jugend
erziehung in ihrem dermaligen Zuftande), unfere ganzen
gefelffchaftlihen Schiefichfeitsgefege und Gebräuche
endlich find von früh bis Abend, jchriftfic und münd-
Yich, nichts als die langweiligſte, geſchmacklofeſte Lüge.
Schon daraus erklärt ſich dag unruhige, unbehagliche
Wogen der Zeit, die Unzufriedenheit mit Allem,
das dunkle Gefühl, in eine Schattenwelt ohne ächte
Realität gerathen zu ſeyn, wo eine Menge Leichen
noch gleich Lebenden umhergehen, und das wirklich
1. Ich hörte den Fürſten Metternich, Linen ber tieſſten Bes
obachter menſchlicher Zuſtände, einmal fagen: dieſe generaliſi⸗
renden Worte unſerer Zeit hätten viel Unheil angeſtiftet. Chriſtus
habe gelehrt: Thne deinem Nächſten, wie du wünſcheſt, daß er
wir thue. Dies begreife eine ſpezielle Verpflichtung — jetzt
lehre man: Uebe Humanität, die Jeder ſich nach Gefallen aus
lege. So mordete Sand den arınen Kößebue aus Humanität,
und ſelbſt Robespierre glaubte von ihr geleitet zu werben.
335
Lebende gefeffelt ift — ober, wenn man lieber will,
in eine traurige Lebensperiode, wo das Alte fon
todt, und Das Neue noch nicht geboren tft.
Dielleicht Tiegt auch bierin der Grund, warum
fo Biele jest mit erhöhtem Intereſſe und der regeften
Theilnahme aus Europa nad) dem Orient bliden, von
daher ein nenes Heil ahnend für und erwarten, und
alle Diejenigen, weldye felbft dort eine Zeit lang leb⸗
ten, des Drients gleichfam ewig frifche Jugend, der
alten, induftriellen und auf Mänder Ieihenden Bet⸗
ſchweſter Europa, fo unwillfürlih als entfchieben,
vorziehen. Ja, wenn fie diefe Länder wieder ver⸗
laſſen mäffen, fieht man fie oft. ein ſchmerzliches Heim-
weh darnach empfinden, was ihnen das Baterland
nicht mehr einzuflößen im Stande if. Denn fie fuͤh⸗
len ſich in jener urſprünglich fremden Sphäre bald fo
heimisch wohl und Teicht, wie in einer reinesen, äthes
rifheren Luft, ohne fi vielleicht felbft darüber ges
naue Rechenfchaft geben zu Tönnen, warum dem fo
ſey — während auf der andern Seite, höchſt bemer⸗
fenswertb, Bewohner des Orients nie im avilifirten
Europa freiwillig zu verbleiben, noch ſich dort heimiſch
zu fühlen vermögen. Der Grund ift aber einzig unb
allein die größere Wahrheit in. allen gefellichafts
lichen und fittlichen Berhälmiſſen, bie alle der Natur
336
nach nit fo vollfländig als. bei ung entfremdet find,
und die trog aller äußern Defpotie in materielleren
Dingen eine innere Geiflesfreiheit, eine Selbſt⸗
Rändigfeit der Individualität geftatten, welde die
Beſchaffenheit unferer Kultur ſchon im SKindergeifte
töbtet. Dies ift es, was Alle, welde in folder At-
meiphäre aufgewachſen find, nit mehr entbehren
fonnen, und worin der fremde Einwanderer, troß
jener defpotifchen Formen um ihn ber, troß des par⸗
tiefen Mißbrauchs der Gewalt, eine ihm bisher un-
befannte Freiheit findet, die er, einmal gefoftet, nur
feufzend wieder mit der gefellfchaftlichen Tretmühle
vertaufchen Tann, die ihn zu Haufe ermartet.
Mit einem Wort, bei und tft Alles verfünftelt;
die Civiliſation des Drients (und daß eine folde,
wenn gleih himmelweit von ber unfern verſchieden,
doch in ihrer Art fehr ausgebildet, daſelbſt eriftirt,
fann nur die Arroganz ber Unwiſſenheit beftreiten)
ift der Natur treuer und folglih wahrer geblieben,
Natur und Wahrheit werben aber immer als bee
Menſchen höchſte und unzertrennliche Güter angefehen
werden müſſen, er mag fie nun verloren haben oder
nod) befigen. Das Paradies war im Orient, und die alte
Fabel vom Baume der Erfenntniß, deffen gefoftete Frucht
unfere Eltern Daraus vertrieb, hat einen tiefen Sinn.
337
Tönt nun ein ſchwacher Anklang jener Wahr⸗
heit, die der Natur noch nicht ganz untreu geworden
iſt, in meinen anſpruchsloſen und in jeder andern
Hinſicht höchſt unbedeutenden Schriften, ſo wundert
Euch nicht, wenn die vom wirflihen Leben Gepeinig-
ten, während fie einige Augenblide ruhen, um ſich
den Schweiß von der Stirn zu trocknen, zur Erho-
lung gern auf meine einfachen Worte lauſchen. Sie
thun es wirklich, und weßhalb fol ich es leugnen,
biefer Lohn dünkt mir ſüß. Ueberdem aber Liebt der
Deutfche, fo geplagt er ift, die Bequemlichkeit und
haßt alle Gene. Ein eben fo bequemer und unges
nirter Schriftfteller, wie ih bin, ift daher dem deuts
fhen Publikum gerade recht, und die Familiarität,
die ich mir ihm gegenüber erlaube, und die mir alt—
kluge Recenſenten oft vorwerfen, beleidigt es ganz
und gar nicht, da es ſehr wohl einſieht, daß ſie nicht
aus arrogantem Dünkel, ſondern aus hingebender
Liebe und Vertrauen entſpringt. So zollt es mir
Beifall, ſtatt mich zu tadeln, und nimmt ſogar ſelbſt⸗
ftändig meine Partie gegen die Neider.
Habe ich alfo, haben wir überhaupt, meine wer:
then Herrn Collegen, ung vor einer ſchaͤdlichen Eitel⸗
keit zu hüten, ſo iſt es nicht die Standes⸗ ‚ ſondern
die Autor⸗Eitelkeit, und Herr Wiebarg kann ſich durch
Sudoͤſti. Bilderſaal. II. 22
eine zweite Standrede über dieſe ſehr verbient ma—
hen. Was mich betrifft, fo fege ich ihr täglich mehr
bie mir gebührende Demuth entgegen,. aber die erfte
Eitelfeit entſchwand mir längft, denn fie gehört dem
Mittelalter an. Ich müßte blind ſeyn, wenn ich nicht
ſähe, daß ed nur noch drei Mittel in Europa gibt,
in der heutigen Epoche zu gelten: durch die Induſtrie,
die Rednerbühne und das Tintenfag. Selbſt der
Krieger finft im ewigen Frieden, dem wir zu nahen
ſcheinen ‚zur Null herab. Der Staatsdiener wird
mit wenigen glorreichen Ausnahmen immer mehr zum
Büreaufraten oder zum politifchen Avantürier, und
der letzte wahre Adel hört in England ſchon die
Todtenenle ſchreien.
Nach alle dieſem, liebes, deutſches Rezenſenten⸗
Collegium, verzeihe es mir endlich — ein alter Edel⸗
mann zu ſeyn! Ich ſchwöre dir, ich wäre viel lieber
ein junger Bürger, und dazu der Sohn eines chriſt⸗
lichen oder jüdiſchen Banquiers mit zehn Millionen
Papiergeld in der Taſche. | .
Hier aber muß ich noch auf etwas Anderes kom⸗
men, das ebenfalls einige Worte Erwiederung ver-
langt; denn einem fo großmüthigen Gönner, wie das
Publikum mir ift, darf ich Feine Art auch der fpeciels
len Wahrheit über mid vorenthalten. Man fchreibt.
mir, es befände fih in einem andern viel gelefenen
Dlatte (das bis in dieſe Geftlde unglüdlichermweife
nicht reicht) ein ziemlich weitläuftiger Aufſatz, nicht
über mich felbft Cd. h. meinen Charakter oder meine
Herfon), nicht über meine Schriften, fondern feltfam
— — über meine Bermögensumftände! Die Tendenz
beffelben ift, dad Anathema über mich auszufprechen.
Ich ſey keineswegs ein reicher Mann, wie viele glaub⸗
ten, fondern in Wahrheit arm, und kaum mehr zum
zehnten Theile Herr meiner Beftgungen.
Ich weiß, es ift Dies eine ſchwere Beihuldigung!
Man kann heut zu Tage Jemandem nicht leicht etwas
Uebleres nachfagen, und der wohlmeinende Landsmann
— denn id errathe die Duelle, aus der Die Nach⸗
richt fließt — Hatte nichts Gutes damit im Sinne,
Das Sclimmfte dabei aber ift, daß ich ihm kaum
zu widerſprechen vermag; denn ſeit jenem Tage, wo
ich, von früheren, günſtigeren Verhältniſſen gewalt⸗
ſam losgeriſſen, in andere zu treten gezwungen ward,
verarme ich wirklich gradatim, und beſitze jetzt kaum
noch die Hälfte meiner früheren Einkünfte, mit vier⸗
facher Vermehrung direkter und indirekter Abgaben
— ein Loos, das ich übrigens mit zu vielen Guts⸗
befigern theile, um darüber Elagen zu dürfen, wenn
Klagen überhaupt zu etwas helfen könnten! Noch
310.
bin ich demungeachtet nicht vollflommen arms
wenn ed aber dahin Fäme, würde ich es wenigftens
nicht felbft verfchuldet haben... Da ich mich indeß
ſchon feit Tange gewöhnt, für meine Perfon nur wenig
zu bebürfen, fo ift der Zuftand meines Vermögens
in der That mein geringfter Kummer, und follte ich
einmal wirklih „ganz arm“ werden, fo verfprede
ih (da ich fehe, daß diefer Gegenftand ein fo allge⸗
meines Intereffe hat, wie ich ihm gar nicht zuge-
traut), es mit berfelben Nufrichtigfeit zu befennen,
als ich jest ſchon nicht Teugne, daß ich jeden mit vor-
nehmen Titeln befchwerten Dann für arm halte,
wenn er nicht reich ift.
Auch ein großes Pad politifher Journale ward
mir zugefandt, und ich Tas wieder von europäifchen
Händeln mit reger Theilnahme bier, in diefem weder
Europa, noch Aften, noch Afrifa angehörenden Grie-
henlande, Das mir wie ein fecheter Stereotyp - Welt:
theil vorfommt. Da traf ich in der preußifchen Staats».
zeitung auf eine ſchöne, würdige Rede des Biſchofs
Eulert, der dem: ewig Wiederfehrenden — dem jähr-
lichen Ordensfeſt — mit unglaublicher Birtuofttät
immer noch eine neue Seite abzugewinnen weiß.
Was er diegmal den Beamten von indirefter, feine-
rer Untreue, von Betrachtung ihres Amtes als eines
341
Eigenthums u. ſ. w. fagt, ift wahrlich ein argumen-
tum ad hominem. Nur, dächte ih, hätte er auch
‚ben Herrſchern und Hohen der Erde, mit dem fihönen
Vorrecht der Diener Gottes, zu Allen mit Freimüthig-
feit fprechen zu dürfen, die gleihfalid immer von
Neuem nützliche Lehre auffrifchen ſollen, daß fie nicht
blog folhe Beamte, Speichelleder, Höflinge und
Frömmler für treu halten mögen, die in Allem nur
der Windfahne des Hofes folgen, und Andersdenfende
gern und eifrig verfolgen, fondern auch die, melde
felbft die augenblidlih unwillfommene Wahrheit zu
fagen wagen, und den eigenen Bortheil opfern, um
ihren ©efinnungen treu zu bleiben, nicht allzufehr
gering ſchätzen ſollte; denn Solche find am lebten
Ende weit gewiffer dem Herrn wie der Sade
treu, denen fie fi) einmal in Liebe ergeben, oder an
welche fie die Pflicht bindet, — während die Andern
nur einer Sache unverrüdt treu bleiben — nämlid
ihrem eigenen Sntereffe, es möge nun heute gebieten
dem Lamme, oder morgen dem Baal zu opfern, bie
aber durch Chriftus wie Durch Baal immer auf
fiherem Wege zum „goldenen Kalbe” zu ge⸗
langen wiffen.
Doch genug der langen Abfchweifung !
Den zuten März.
Heute früh fuhr ich mit dem öfterreichifchen Ges
fandten und feiner Gemahlin auf den ober richtiger
die Puyx, welche Herr von Profefh erfauft hat; und
in beffere Hände konnte das Haffifche Befitzthum nicht
fommen. Es bat übrigens noch eine befondere Lokal⸗
merfwürbigfeit. Gleich unten ift ein Felfen fo glatt
wie polirt. Er ift ed auch wörtlih, wiewohl mit
einem feltfamen Snftrumente. Junge Weiber, bie
fruchtbar zu werden wünfchen, rutfchen bei Mondſchein
auf gewiſſen entblößten Theilen ihres Körpers darauf
herab, und nad) dem Effekt auf dem Steine zu urtheis
fen muß ihre Zahl nicht gering feyn. Des heiligen
Petrus abgefüßter Fuß in Rom ift nicht glätter als
der hieſige Fruchtbarfeitsfelfen.
Die uralte, in Größe den Steinmaflen der foge-
nannten cyflopifchen wenig nachgebende, gewiß noch
vor Solons Zeit aufgeführte Niefenmauer, die den
Volksplatz oben ſtützte, zieht hiernach zuerft Die Blicke
auf fih. Hat man diefen obern Pla erfiiegen, der
jest nur mit zerfchlagenen Steinfplittern und ber
wuchernden Tobtenblume, Asphodelos, bededt ift, de:
ren Homer, ald auf den Ebenen ber Unterwelt
wuchernd, gebentt, fieht man eine lange, ſenkrecht ab-
gearbeitete Selfenwand vor fih, an ber die Spuren
— — — — —
vieler dort befeſtigter Votivtafekn erſcheinen, mit einer
kleinon Riſche, in ber eine Statüe ber Gerechligkeit
ſtand. Dem Raume nach konnte ſie — vielleicht iro⸗
niſcherwriſe — nur febr winzig feyn. In der Mitte
ber Wand ſtehen noch die Stufen, welche zum Redner⸗
ſtuhl binaufführten, von dem herab einft Demofthenes
gedommert und Die Gefährten feines Ruhms. Hier
überfhaut man nur die Gegend nad) der Stadtfeite
bin, oberhalb der Rednerbühne aber breitet ſich noch
ein zweiter, größerer Platz aus, von wo man zugleich
auf der andern Seite dad Meer und ein weites
Panorama nad allen Rithtungen hin verfolgen Tann.
Ueber bie Bergfette im Norden ragt der Kptheron
hervor, im Weften die hoben Zinnen des Kyllene und
fübfih über Aegina der ſpitze Kegel des Ortholitos
(der aufgerihtete Stein). Diefen Ort zu betreten,
verboten, nad Plutarch, die dreißig Tyrannen dem
fih unten verfammelnden Bolfe, weil fie befürchteten,
der Anblil des Meeres und des weiten Horizonis
möchte ifmen zu gefährliche Gefühle der Freiheit ein⸗
flößen. Sie wußten,. daB folde Gefühle einzeln vor-
fliegen, aber wenn fie fiih der Mafſe Tauſender auf
einmal bemachtigen, eleftrifih wirfen wie ber Bi.
Während wir ſelbſt noch, ich kann verfidgern ohne
alle zebellifche AUnwanblungen, an dem ſchoͤnen Schau⸗
344
fpiel in Verbindung mit fo reihen Erinnerungen ung
weideten, abwechſelnd den Areopag vor und betrachte⸗
ten, weldem der Gott Mars, zuerft bier Recht .fpres
hend und Hallirrhotius erfchlagend, den Namen gab,
wo Oreſtes gerichtet wurde und Debip begraben
liegt, oder unfere Blicke auf die Stelle des Tempels
der Furien und die nahe Grotte des Pans richteten,
fam ein einzelner Mann rüftig durch das grüne Feld
am Abhange herangefchritten, in dem wir bald ben
König Ludwig. erfannten. Al er auch ung gewahr
wurde, ging er ſogleich lächelnd auf und zu, freute
ſich der Begegnung der ſchönen Dame, wunderte ſich,
mich um 2 Uhr Nachmittag ſchon aufgeſtanden zu
finden, und bewillkommnete Herrn von Prokeſch mit
gleich munterer Laune. Doch nahm fein Geſpräch
bald eine ernſtere Wendung. Er ſagte uns, daß er,
morgen abreiſend, heute ſeinen letzten Gang ſchon
ſeit dem früheſten Morgen auf klaſſiſchem Boden ge⸗
macht, und Freude, die Heimath wieder zu ſehen, ſich
in ſeiner Seele mit der Wehmuth verſchwiſtere, das
Vaterland der Götter und Heroen nun verlaſſen zu
müſſen. Herr von Prokeſch, der wie Dewoſthenes
ſelbſt ſpricht, verſäumte nicht, dem Könige Anmuthiges
darauf zu erwiedern, und die Unterhaltung wurde
nicht nur höchſt lebhaft fortgeführt, ſondern nahm
—
———
— —
345
ſelbſt einen faſt herzlichen Charakter an; denn König
Ludwig ift Tiebenswürdig und geliebt. Im Berfolg
berfelben beforirte der König jeden von und mit
einem eigenthümlichen Prädikat. Frau von Prokeſch
nannte er, wegen ihrer treuen, Tornblumenfarbigen
Augen, xar EEoynv, die Deutſche; Herrn von Pros
fefh, son dunklem Teint, mit fchwarzem Bart, den
Araber, und mich, wegen meiner weißen Bernus,
morgenländifhen Tracht und Nomadenfinn, den Be—
duinen. Als er endlich mit freundliden Worten
und ber Bemerkung, wie dies nun wohl das Letzte⸗
mal fey, daß wir und in Griechenland gefehen —
nit ohne die Zeichen huldvollſter Theilnahme von
uns Abfchied nahm, waren wir, glaube ich, Alle ganz
ehrlich gerührt, und ich für meine Perfon fürchte ſo—
gar, die Etikette fo weit vergeffen zu haben, daß id)
Seiner Majeftät von Herzen die Hand brüdte; über
dem Menfchen war mir wirklich einen Augenblid der
König ganz abhanden gekommen.
est fliegen wir zu St. Dimitri, dem Bombar⸗
vier, hinab, wie eine Kleine Kapelle benannt wird,
welche man den Venetianern zu Ehren erbaute, bie
von hier die Tempel der Akropolis am erfolgreichiten
eingefchoffen hatten. Gleich daneben, auf der andern
Seite des pyräifchen Thores, ift das in den Felſen
316
gehauene, jetst feiner Zierbe beraubte, offene Grab
des Kimon, über beffen Tage: des Paufaniad fo bes
fimmte Angabe faum einen Zweifel zuläßt. Wir
ſahen mit Abfcheu, daß es jetzt — zu einem öffent:
lichen A... .tt dient. Wird einmal Polizei hier ein-
geführt, fo fleuert man wohl folhem Gräuel, aber
jest ift faum das Eigenthum noch zu fhügen, ge-
ſchweige für das idealifhe Altertum Reſpekt ein-
zuflößen.
Die raſchen Pferde rückten ung ſchnell eine ge>
raume Strede weiter. Noch einmal wandelten wir
jest unter den erhbabenen Marmorfäulen des Jupiter⸗
Tempels, in dem einſt hundert verſchiedene Statüen
Hadrians verſammelt ſtanden, während der Gott ſich
wahrſcheinlich nur mit einer begnügen mußte — denn
Herrendienſt geht vor Gottesdienſt, — umgingen dann
den ganzen weiten Raum des Peribolus, fliegen nach⸗
ber wieder in den Wagen und fuhren am Lylabettus
hin, bie wir zwei Taubreiche große Pappeln ers
reichten, welche Stelle Herr von Profefh die Billa
Poufſin getauft Hat, weil das korrekt fehöne Lands
ſchaftsbild, deffen man von dort anfidhtig wird, den
geregelten, faft fommetrifch gruppirten, und einer ge-
wiffen Naturkofetterie theilhaftigen Gemälden jenes
Meifters auffallend entfpricht.
u
Ich blieb zu Tiſch beim Gefanbten, und noth den
ganzen Abend bis lange nah Mitternacht. — Welch
ein reicher Tag für mich! Ich will nur hie und da
einige getrotfnete und in meimer Hand, ich fürdhte,
verwelfte Blumen daraus wieder vor mich hinlegen,
ihre urfprünglich reizende Frifche, ihren füßen Duft
kann ich ihnen nicht wiedergeben.
Nachholen muß ich zuerft, dag wir auf dem Rück⸗
wege einen Garten unferd Wirths befuchten, deffen
Mandelbäume mit ihrem glatten Saftgrün wie friſch
dafirt erfchienen. An der Mauer unter einem biefer
Bäume fhlief im Schatten, die Flügel weit ausge-
breitet, als ſey es eine auf den Stein gemalte Pſyche,
ein wunderſchöner Rachtfchmetterling, wohl 5—6 Zoll
im Durchmeſſer. Wir lösten den lockern Stein ab,
an ben er fich fefigeflammert, doch er rührte ſich nicht.
Ich bat mir biefe unerwartete Gartenfrudt zum. Au⸗
denken aus, worauf Lorenzo das Thier im Wagen
wohl eine halbe Stunde in der Hand hielt, und immer
fchlief der wunderſame Nachtfalter fort, nur felten
einmal die farbigen Flügel wie im Traume dehnend.
Unterwegs Tamen wir beim Hanfe eined franzöfifchen
Naturforfchers vorbei. Wir ließen ihn berausrufen,
um unfern Fund son ihm bewundern zu laſſen (wel⸗
chen er auch gern für ſich behalten Hätte), und uns
"348
‚gugleich bei ihm nach der kürzeſten Art, den Schmet-
terling zu. töbten, zu erfundigen. Der dide, jovial
‚ausjehende Mann meinte, es ſey weiter nichts zu thun,
‚als den Gefangenen an eine derbe Nabel anzuſpießen
und auf einen Kork zu fleden. Da er fo flarfe Flügel
habe und fo koloſſal ſey, werde er feinen Schaden.
leiden, wenn er auch etwas flattere, und morgen,
‚fpäteftens übermorgen, fey er gewiß tobt; Dies Fung-
ſame Verfahren aber bleibe das ſicherſte, um ihn gut
zu konſerviren. Ich ſchauderte über die Naivität des
menſchlichen Eigennutzes, der auch Krebſe lebendig
fiedet, damit fie auf der Tafel röther ausſehen, und
gab fat unwillfürtich diefem Gefühle Worte, woran
fich ferneres Gefpräd über denfelben Gegenftand an⸗
knüpfte. Man wiederholte die oft aufgeftellte Frage:
ob ein Gefhöpf diefer Art wohl auch etwas denke?
Herr von Profefh erwiederte fcherzend: „Er zweifle
nicht daran, und glaube fogar, daß jedes Teberidige
Mefen fich felbft eben fo gut, wie wir es thäten, für
den Mittelpunft des All's anfähe, und dadurch eben
das AU beftünde.” Dies ift ja meine alte Lehre vom
heiligen Egoismus! rief ich erfreut, eine foldhe Auto:
rität für mich zu haben.
Wir Iangten hierauf zu Haufe an, und der Wagen .
hielt jähling am Thore. Da erwachte endlich aus
349 -
feinem langen, füßen Schlummer der Schmetterling,
und glitt vom Steine herab auf das lieblihe Küchen
ber holden Irene, eine Agraffe von Azur und Purpur
bildend, wo das Band den Schuh zufammenhielt.
Das Schaufpiel war zu artig, um es fogleich zu flö«
ren; als wir aber den Flüchtling von neuem greifen
wollten, erhob er fi) plöglich mit dem windfchnelfen
Zluge der Schwalbe, deren Umfang er auch faft ers
reichte, und fhoß hoch über das Haus hin, trium-
phirend der Gegend feines Geburtsorts wieder zu.
Wir Hatten das Nachſehen, und im Innern freute ich
mich, daß er uns angeführt und ihm felbft nun alle
Marter erfpart blieb. Vielleicht war aud von ben
graufen Worten des Naturforfchers etwas ahnungs⸗
vol, nah Schubart’8 Theorie, in feinen Traum ges
fallen und hatte nachwirkend noch zur rechten Zeit den
Schläfer gewedt. ı '
Ehe wir zur Tafel gingen, bemerkte ich auf einem
Tiſche ein reiches chinefifches Markfenfäftchen mit allen’
Attributen des großen Napoleon. Es ift daffelbe, wel-
ches der Admiral Malcolm für den Kaifer in China
machen Tieß, und weldes diefem darauf auf Helena
ı Merkwürdig ift eg, daß Herr von Prokeſch ven Schmet«
terling am andern Tage wieder genau an berfelben Stelle in
feinem, eine ſtarke halbe Stunde entfernten Garten fand.
— — — — —
täglich diente bis an feinen Tod. Herr von Prokeſch,
der dem Herzog von Reichſtadt fehr ergeben war, er=
bielt yon Madame Lätitia in Rom dieſes Käftchen
nebft einigen Schönen Miniaturbildern Napoleons und
andern Dingen, um es ihrem Enkel zu überbringen.
Er kam jedoch Damit zu fpät. Schon feit vierzehn
Tagen war ber junge Prinz, deffen treuer Freund
und Bertrauter er im Leben gewefen, nicht mehr.
Diefer arme Dulder ſcheint aud) einer jener Menfchen
gewefen zu feyn, wie fie zuweilen ein Spiel ber Natur
hervorruft: Menfchen, die an ihrer Seele flerben,
weil in ihr zu viel Aetherfeuer den aus gröbern Stof-
fen zufammengefegten Körper vor ber Zeit verzehrt.
Herr von Profefh ſchickte, tief betrübt, die übrigen
Dinge zurück; das Marfenfäftchen batte ihn Madame:
Tätitia gebeten, ald Andenken zu behalten — auch
eine Reliquie!
Das nicht leicht abbrechende Geſpräch, welches
bald nachher auf einige bedeutende Menſchen der Zeit
überging, richtete ſich deßhalb ſehr natürlich auch auf
den Fürſten Metternich. Herr von Prokeſch entwickelte
mit Wärme mehrere der Eigenſchaften, die dieſen
großen Staatsmann als ſolchen und als Menſchen
auszeichnen. Er hob ſeine unerſchütterliche Ruhe, die
Eleganz ſeines Umgangs, die Schnelligkeit und Sicher⸗
EL.
heit feines Blicks, die Klarheit und ven Farbenreich⸗
thum feiner Darftelung, den Umfang und die Ber
fhiedenartigfeit feiner Kenntniffe, den merkwürdigen
Berein von ſtreng praftifhem Sinn und .von einem
mit Wiffenfhaft und Kunft vertrauten Leben glänzend
hervor. Das Talent, in jeder Leiftung den ihr eigens
thümlichen Werth herauszufinden und jede Stellung
mit ihren Bor= und Nachtheilen zu würdigen, gehört
ohne Zweifel zu den feltenen Erfeheinungen, denn Ein-
feitigfeit ift das Panier unferer und vielleicht jeber
Zeit. Fürft Metternich, der einem Cuvier bis zu ben
äußerfien Enden feiner Entdedungen folgt, und die
Lieder Heine's mit Vergnügen und Rührung liest, ift
ein überrafchendes und anziehendes Bild. Ein: Chef
aber, von dem feine Untergeorbneten fagen, daß fie
nie eine Spur Heinlicher Eitelfeit und Rechthaberet
in ihm gefunden haben, den fie jederzeit die großen
Seiten eines Gegenftandes, nie aber die Heinen zus
fälligen Pünktchen davon in's Auge faſſen fehen, und
der daher unzugänglich für die taufend Liſten und Ueber⸗
fälle ver Intrigue dafteht — ein folder Chef ift in unferm
ſchwächlichen, an Pedantismus und Engherzigfeit, an
den Ultras wie an den Tiberalen, leidenden Jahrhundert
eine eben jo adtbare als liebenswürdige Ausnahme.
Wahrlih, mit einem foldhen Charakter iſt man.
352%
zum Premierminifter gefchaffen! rief ih, und gern
verfpredhe ich, nie ein Glas vom Nektar des Johan⸗
nisbergs zu trinken, ohne es auf fein Wohl zu Teeren.
Und in der That dürfen wir fehr ernftlih wünſchen,
dag Gott uns ihn noch lange erhalten möge, — denn
mir erſcheint er ald der nothwendigfte, wahrſcheinlich
der unerſetzliche Mann in Europa, der fähig iſt, uns
der neu ſich bereitenden Zeit, ohme Schiffbruch und
die gewaltigſten Kriſen, mit Weile und Maß fried—
lich entgegenzuführen. Wir ſprangen nun von dem
großen Staatskanzler Oeſterreichs zu den viel kleineren
Miniſtern Mehemed Ali's über. Dieſe ſind indeß auch
nicht ganz zu verachten, denn ſie haben zum Theil
über 100,000 Colonaten jährlihen Gehalt, wobei fie
freilich ihres Kopfes nicht immer gleich ficher find als
die unfrigen, bie in manchen Reichen mit fo wenigen
Eolonaten fürlieb nehmen müffen, dag man fih faum
verwundern könnte, wenn fie den Kopf ſchon vorher
verloren hätten, ehe fie ihr Amt noch antreten. Ein
mal, erzählte ung Prokeſch, redete der Paſcha in der
übelften Laune diefe fo gut honorirten Minifter fols
gendermaßen an: „Ihr und Ich, wir wiſſen Alle
nihte — aber zwifchen Euh und Mir ift dennoch ein
wichtiger Unterfhied, nämlich der: dag Ich etwas
Yernen will, Ihr aber nicht,”
Es waren eben Nachrichten aus Aegypten von ben
öfterreichifchen Raturforfchern angefommen, die auf
Defehl ihres Gouvernements und auf Koſten bes ägpp-
tifchen reifen. Dem letztern follen fie Gold auffinden,
dem erftern gehören alle ihre wiffenfchaftlichen Samm-
fungen, — ein neuer Beweis, was Defterreich ohne
Geräuſch und Ruhmredigkeit, und auch mit öfonomis
fher Umficht, für Wiffenfchaft und Induſtrie im Stillen
thut. Nur wenige Stunden hatten die Reifenden in
Alerandria geraftet, als fie ſchon durch den Telegras
phen, der ihre Ankunft gemeldet, die freundlidyfte Ant-
wort des Pafcha’s erhielten, und auf feinen Befehl eine
Regierungsbarfe zu ihrer Difpofition geftellt wurde.
Das Stadtgefpräh in Cairo war, als fie dort
anlangten, der Empfang des unglüdlichen Befehls-
habers in Jemen, der dem Vicekönige eine Armee von
12,000 Mann zu Grunde richtete, mehr als Ibrahim
der ganze Krieg gegen den Sultan gefofte. Man
glaubte allgemein, er werde feine Inkapazität mit dem |
Leben‘ büßen müffen; doch Mehemed Ali begnügte ſich,
als der Schuldige zitternd vor ihm fland, ihm fpot-
tend zu fagen: „Als Du gingft, glicheſt Du einem
ftreitbegierigen Löwen, und jest fommft Du zurüd wie
eine ſich krümmende franfe Katze. Docd die fehlechte
Wahl ift nur meine Schuld.” Diefe Neprimande,
Süvöfl. Bilderfaal. JI. 23
— — — —
weiche mit einem Handkuß endete, blieb bie ganze
Strafe. |
Was die Neifenden bis jest am meiften frappirte,
war ein ſchon weit vorgerüdter Kanal, an dem nur —
mehrere taufend Feine Kinder gleih Ppgmäen arbeis
teten, In ben englifchen Fabriken geſchieht dafjelbe,
nur nicht in fo Foloffaler Zufammenftellung.
Herr von. Profefch zeigte mir bei dieſer Gelegen-
beit ein Portrait des Bicefönigs, das eine auffallende
Aehnlichkeit im Ausdrud mit den beften Bildern Erom-
weils hat. Er trägt hier noch das alte türfifche Co⸗
füme, und dies bradte ung auf Mahmud, den Joſeph
den Zweiten ber Türkei, der bie Reform der Seelen
mit der der Kleider angefangen hat. Er glaubte wohl,
fo würde der innere Menſch am ficherfien folgen, und
nah dieſem Opfer der Nation fein anderes mehr
au Schwer bünfen. |
Bei diefer Gelegenheit fagte mir Herr von Pro⸗
keſch ein Wort, das bei mir vollen Anklang fand und
das ich daher gern wiederhole: „Man wirft die Re⸗
formen des Sultans mit denen Mehemed Ali's in
einen Wuſt zufammen, und doch liegen die einen fo
ferne von den andern, wie Unvernunft von Vernunft,
wie Tödten von Beleben. Die Zeit wirb Tommen,
wo man dies begreifen wird, Beute ift fie leider noch
ds
nit da. Lefen Ste meinen Heinen furdtfamen Auf-
fag in den Wiener Jahrbüchern vom Jahr 1834 über
bie Reformen des Sultand. Er ift unbemerft ge—
hfieben, denn, wer gegen den Zaumel der Zeit fpricht,
fpricht vergebens, aber nicht zehn Jahre werben vor⸗
über gehen, ohne daß diefelben Leute, die heute voll
Bewunderung ber verderblichen Schritte des Sultans
find, in Tadel gegen diefelben überfließen werben.
Gewonnen wird freilih auch dadurch nichts fepn,
denn dann wie heute Tiegt ihnen wenig an der Wahr-
heit, fie üben nur ihren Götzendienſt. Als der Sultan
bie gräßlichſte Handlung feines bfutigen Lebens voll:
brachte, die Ermordung der Taufende von Bürgern
und Bätern — ich ſpreche nicht von den Yanitfcharen
der Hauptftabt, die mit den Waffen in der Band
gegen ihn auftraten, fondern von denen, die in allen
Städten und Orten des Reichs zerfireut, überall Hand-
werfe und bürgerliche Geſchäfte treibend, ruhige, an-
. gefehene Bürger, Familienväter, ohne Zufammenhang
mit den Rebellen in Konftantinopel und nur deßhalb
Sanitfharen waren, weil die in fich durch Die Schwäche
der Sultane verfallene Inftitution noch dem Namen
nach beftand (wie e8 auch bei ung Snftitutionen in
einem ähnlichen Zuftande gibt) und fih eine Aus-
zeichnung daran knüpfte — von dieſen Unfchuldigen,
— — — — —
wriche mit einem Handkuß endete, blieb die ganze
Strafe. |
Was die Reifenden bis jest am meiften frappirte,
war ein ſchon weit vorgerüdter Kanal, an dem nur —
mehrere taufend Feine Kinder gleich Pygmäen arbeis
teten, In ben englifchen Fabriken geſchieht daſſelbe,
nur nicht in ſo koloſſaler Zuſammenſtellung.
Herr von Prokeſch zeigte mir bei dieſer Gelegen⸗
heit ein Portrait des Vicekönigs, das eine auffallende
Aehnlichkeit im Ausdruck mit den beſten Bildern Crom⸗
wells hat. Er trägt bier noch das alte türkiſche Eos
ftüme, und dies brachte uns auf Mahmud, den Joſeph
den Zweiten der Türkei, ber bie Reform ber Seelen
mit ber der Kleider angefangen hat. Er glaubte wohl,
fo würde der innere Menſch am ficherfien folgen, und
nah dieſem Opfer der Nation Fein. anderes mehr
su ſchwer dünken. |
Bei diefer Gelegenheit fagte mir Herr von Pro⸗
keſch ein Wort, das bei mir vollen Anklang fand und
das ich Daher gern wiederhole: „Man wirft bie Re-
formen des Sultans mit denen Mehemed Ali's in
einen Wuft zufammen, und doch liegen die einen fo
ferne von den andern, wie Unvernunft von Vernunft,
wie Tödten von Beleben. Die Zeit wird Tommen,
wo man dies begreifen wird, Beute ift fie leider noch
355
nicht da. Leſen Ste meinen Heinen furdtfamen Auf:
fag in den Wiener Jahrbüchern vom Jahr 1834 über
die Reformen des Sultand. Er ift unbemerft ges
blieben, denn, wer gegen den Taumel der Zeit Spricht,
fpricht vergebeng, aber nicht zehn Jahre werden vor-
über gehen, ohne daß diefelben Leute, die heute voll
Bewunderung ber verberblichen Schritte des Sultans
find, in Tadel gegen diefelben überfliegen werben.
Gewonnen wird freilih auch dadurch nichts ſeyn,
denn dann wie heute Tiegt ihnen wenig an der Wahr:
heit, fie üben nur ihren Götzendienſt. Als der Sultan
die gräßlichſte Handlung feines blutigen Lebens voll:
brachte, die Ermordung der Zaufende von Bürgern
und Vätern — ich ſpreche nicht von den Janitſcharen
der Hauptftadt, die mit den Waffen in der Hand
gegen ihn auftraten, fondern von denen, die in allen
Städten und Orten des Reiche zerftreut, überall Hand-
werfe und bürgerliche Geſchäfte treibend, ruhige, ans
. gefehene Bürger, Samilienväter, ohne Zufammenhang
mit den Rebellen in Konftantinopel und nur defhalb
Sanitfcharen waren, weil die in ſich durch die Schwäche
der Sultane verfallene Inftitution noch dem Namen
nach beftand (wie e8 auch bei ung Inſtitutionen in
einem ähnlichen Zuſtande gibt) und ſich eine Aus-
zeichnung daran Tnüpfte — von dieſen Unfchuldigen,
356
im Schlafe Ueberfallenen fpreche ich; als dieſe nun
der Sultan erwürgte, da Hatfchte man auf allen
Bänken Europa’d, und die einen begrüßten dies un⸗
nütze Berbrechen als die Morgenröthe ber Civiliſation,
die andern als das heilſame Mittel zur Wiedergeburt
‚ des Reiches! — AS bald darauf den Neuerungen die
Schleußen geöffnet wurden, die Sittenlofeften als die
Koryphäen vorandrangen, fredher Spott ald Berftand,
und Unverfhämtheit als Fortfchritt gekleidet, einhers
ſtolzirten; als aus dem flinfenden Pfuhl der Haupts
ſtadt alle Lafter emporftiegen und fih auf die von
Europäern zurecht geftellten Stühle festen, Lob und
Preis verlangend; als im Backhantentaumel der edle
Zurban zur Seite geworfen wurde und die Eifrigften
auf der Bahn der Civiliſation fih in ruffifche Hofen
und Röde ftedten, als zulegt der Sultan fogar feine
Frau an den Arm nahm und über die Straße führte,
da wurde des DBeifallrufens in Europa gar fein Ende
mehr; man riß fih um bie Ehre, diefe Umwandlung
veranlaßt zu haben; die Regeneration ber Türkei auf
biefem Wege wurde ein Dogma, wer nicht baran
glaubte, galt für einen Thoren, für einen Berräther,
für einen Feind der Givilifation. Einſtweilen hüllten
fih die alten Mufelmänner in ihre Mäntel uud ver:
gingen vor Schmerz, oder fie wandten ihre Augen
357
auf Mehemed Ali, den Fürften, beffen flarfer Arm
einen Theil des Reiches gegen den Gleichmacher auf
dem Throne zu fihern wußte, und der aus Europa
herüber zu nehmen verftand, was, ohne Religion und
Sitten mit Füßen zu treten, aus gelöfeten Elementen
ein Volk zu bilden, zu flärfen, zufammenzuhalten und
mit Leben zu durchdringen vermag.”
„Das Werk des Sultans wird verdammt werben,
fo wie er die Augen ſchließt, vielleicht früher ſchon.
Uebrigens, nicht Die Abficht, fondern die Einſicht
des Sultans klage ih an. Es wäre Narrheit, vor⸗
auszufegen, er wolle das Reich wiffentlich zu Grunde
richten. Er richtet e8 zu Grunde, das ift alles, was
ih ſage. Er ift ein Werkzeug ber Vorſehung. Er
thut eben nur, was feit längerer Zeit Freunde und
Feinde der Pforte gethan. Der Londoner Traktat und
der von Adrianopel, der große Canning und ber
General Diebitfh, Die Sieger von Ravarin und die
Rathgeber in Konftantinopel, bie Feigheit im Jahr
1829 und der Uebermuth im Jahr 1832, die Schladht
yon Konya und die Rufen am Bosphor, in feiner
Wirkung ift dies alles eins und daſſelbe. Eine
Politif, der eine lebendige Idee zum Grunde Liege,
ift heut zu Tage nur mehr in gar wenigen Ländern
möglih. Die meiften unferer Staaten leben vom
358
Sterben. — Diefelben Erfcheinungen, bie wir vor ein
paar Jahren gehabt haben, werben ſich wiederholen.
Der Sultan wird Krieg gegen Mehemed Alt machen,
bie Sefandten der Mächte werden eher dazu flogen
als davon abhalten; die Beute, welche Davon abratben,
wird man vornehm über die Achſel anſehen oder zur
Thüre hinauswerfen; der Krieg wird mit der Nieder—
Tage des Sultans beginnen, dann wird man die Hände
ringen und alle Heiligen anrufen. Kommt man durd
die Mäßigung Mehemed Ali's auch aus biefer Ge>
fahr, fo fürdte ih, wird wieder nichts gewonnen
feyn; aus wortreihen Beftrebungen wird der alte
status quo hervorfteigen und zuletzt der völlige Unter-
gang deffen, was man halten will und foll, aber zu
halten nicht verfteht. — Sie fehen, mein Glaube ift
ſchwach. Es gibt eine Betrachtung, gegen die er nicht
Stand hält, eine Betrachtung, die mir der Anblick der
europäifhen Welt aufdringt; fo wie aus den Inſtitu⸗
tionen in den meiften Staaten bag Werk heraus-
gefallen und nur die Rinde noch geblieben tft, fo
it es mit der Weſenheit der Politik und’ mit ihrer
Form gegangen. Es beſteht gleihfam ein ftilffchwei-
gendes Webereinfommen durch ganz Europa für bie
Regel: „„Ehrfurcht den Täuſchungen!“““ Ich table
dies nit. Es iſt eine Nothwendigkeit wie eine an⸗
dere. Damit aber fhaffet man nichts; man flirt
nur noch nicht. Diefe Bereinsmünzge der Täufchungen
bat, wie. anderes Papiergeld, Kurs unter den Oläu⸗
bigen, aber Teinen unter denen, die nicht daran glau⸗
ben. Was im Jahr 1827 zu London und im Sex
tember 1829 zu Ronftantinopel die Türken retten bieß,
war eigentlich nichts anders als fie zu Grunde
richten. Was man im Jahr 1831 die Weisheit des
Sultans nannte, war eigentlich nichts ale deſſen Thor⸗
beit. Solche quid pro quo werden wir unfehlbar wies
der erleben, und fo Tann es fommen, daß unter den
hersifchen Mitteln, die man ihm zur Rettung eintridh-
tert, der Kranke feinen Geift aufgibt. Er war nit
zu retten, wird man dann fagen, und das wirb aber
mals ein Lehrfaß feyn, nicht wahrer als die andern.
— Ich weiß nit, was Sultan Mahmud thun wird.
Wäre ih an feiner Stelle, ih würde Mehemed Ak
als meinem erften Diener die Hand reichen, unbe-
Tümmert darum, was man in London oder Petersburg
dazu fagen mag. Ihn zur Seite, in wenig Jahren,
würde mir nicht bange feyn, dem Reiche eine Orga⸗
nifation zu geben, bie mir. auf eigenen Füßen zu
fiehen erlaubte und die Laſt fremden Schuges. von
mir nähme. Dann aber würden bie reblichen Freunde
der Dforte mir bie Hände küſſen für den Entſchluß,
—— —
den ſie zweifelsohne vorher nach beſten Kräften be⸗
kämpft, verläſtert und verdammt hätten. Der wahre
Weg der Rettung geht durch die Verſöhnung. Es iſt
möglich, denn Mehemed Alt ift weder in unfern
Salons erzogen, noch in.den Straßen von Paris.
Er if ein Türfe, und dreißig Jahre feines Lebens
liegen vor ung.”
„Da Sie die Abfiht, haben nach Aegypten zu
gehen, fo nehmen Sie meinen Rath. Werfen Sie
von fi Alles, was Sie über den heutigen Zuftand
des Landes und feiner Berwaltung gelefen haben, das
Wahre. wie das Unwahre Sie wagen nichts babei.
Bon der. früheren Gefchichte behalten Sie bloß die
unverwilchbaren Umriffe, die ımbeftreitbaren That-
ſachen. So ausgerüftet treten Sie ein und laſſen
Land und Menfchen auf Sie wirken. ' Betrachten, ich
möchte fagen, erfahren Sie Klima und Natur des
Bodens, wie die daraus hervorgegangenen Menſchen.
Geben Sie ſich Rechenfchaft über das feit Jahrtauſenden
Stabile, fo wie über das Schwanfende in ben In⸗
fitutionen diefes Landes. Betrachten Sie den Araber,
den ackerbauenden, fo. wie den mwandernden. Lernen
Sie kennen, was feit zwanzig Jahren geworden ift,
was es verfpricht.und woburd es fih hält. — Dann
fhauen Sie fi eben fo unbefangen in der Türkei
361
um, mit gleichem Haffe gegen Phrafen und Lügen,
mit gleicher Wiebe zur Wahrheit. Die Sonate übers
laſſe ih nachher Ihnen.“
„Machen Sie fih aber gefaßt auf Berfäumbung,
fo wie Sie ſich ausſprechen. Unterfteben Sie fich zu
fagen, Mehemed Alt habe Sie freundlich empfangen,
fein Sefpräd habe Sie erfreut, er habe durch Wort
und That auf Sie den Eindrud eines großen Mannes
gemacht (und Sie werden dieſem Eindrude nicht ent-
geben), geſtehen Sie, daß Sie fein Syftem für das-
jenige halten, aus welchem dem Sande eine große
Zufunft hervorwachſen kann, dem Reiche die natürs
lichſte Stüge u. f. w., fo wird man Sie einen Blin⸗
den, einen Beftochenen, einen Lobhudler der Tyrannei,
einen Feind der Pforte, einen Anhänger Mehemed
Are ſchelten. Kleiden Sie ſich in Beſcheidenheit —
es nützt nichts. Wagen Sie nur den geringſten
Zweifel daran zu äußern, daß neben der europäiſchen
Staatsweisheit, die in Algier und Griechenland frei-
lich nicht ganz feblerlofe Erperimente gemacht hat,
alle Erfahrung, alles Wiffen und Wollen Mehemed
Ars rückſichtlich Aegyptens nit ein Stänbchen wiegt,
ſo fallen Sie in den Bann. Wagen Sie zu- fagen,:
daß Sie Mehemed Ali's Finanzen nicht für erfchöpft,
feine Armee für wenigſtens fo gut als bie des Sul⸗
368 -
— —
tans, feine Flotte für brauchbar, Ibrahim nicht ges
radezu ausichließend für einen Saufbold, Mehemed
Ali felbft nicht für einen Mann halten, der an der.
Schnur einer Parifer Depefche Täuft, fo werben Sie
übel angefehen werben bei ben Freunden der Pforte,
3a die Freunde der Pforte!. Es kommt bloß darauf
an, dag man ſich über das Wort verfieht, Im Jahr
1831 fagten die Freunde: „„Sultan, wenn Du ben
Fuß hebſt, trittſt Du den Verräther nieder!““ — Die
Feinde aber fagten: „„Greifft Du an, Sultan, fo wirft
Du gefchlagen und bringft. das Reich an den Abgrund.
Gib ihm die Hand und Du wirft ſtark.“! — Aber
laſſen wir dad. Es ift ein unangenehmes Kapitel, fo
recht für das „„oflice for strange affairs‘“ “ gemacht,
wie. ein Franzoſe bas foreign office zu benennen.
pflegte. Denken Sie darauf was ich Ahnen fage,
die carrefours und culs de sae Europa’ werben
Shnen feltfam. yorkommen, nachdem Sie einmal ein
Stück Drient durchwandert haben.” -
Nach dergleichen hiſtoriſchen und politifchen Kreuz⸗
zügen wandten wir und am fpätern Abend zu einer
Lektüre des Fauſt. Mir wurde dieſe Rolle zugetheilt;
unfer Wirth Tas den Mepbiftopheleg; feine Gemahlin
mit Liebliher Naivetät Gretihen, und Lorenzo den
Wagner. Einige andere Herren übernahmen die Neben-
368 ’
— rn —
roflen, denn an mehreren: Exemplaren fehlie es nicht,
und ſo gewann das Ganze bie Aebnlichkeit- einer thea⸗
traliſchen Vorſtellung, in der freilich Publikum und
Darſteller Eins waren, wie wir in fo manchen an⸗
bern Weltfchaufpielen Richter und Partei auch oft in
benfelben Perfonen vereinigt fehen. Man könnte fi
foäglih.denten, dag wir uns gegenfcitig Tobten und
ſehr zufrieden mit einander waren, — wir hatten
aber Ale dazu fchon einen zu philoſophiſchen Anſtrich,
fhon felbft zu viel gekoſtet von der Leibfpeife der
Schlange, mit der fie unfere Mutter verführte, Herr
von Prokeſch, obgfeich einer der vortrefflichſten Vor⸗
leſer, die ich kenne, erklaͤrte geradezu, Mephiſtopheles
könne gar nicht geleſen werden, denn welcher Menſch
wolle ſich am Ende unterfangen, den Teufel richtig zu
ſpielen, eben ſo wenig, wie es der Kunſt je gelaͤnge,
Gott abzubilden. Ich bin nicht ganz dieſer Meinung,
weder für Gott noch Teufel. Es kommt nur. auf bie
Dorftelungsart von ihnen an. Den abflraften Gott.
der Philoſophen Fönnen wir freilich in Feine. Form
faffen, aber den Alten gelang es Doch, ihre Götter,
als bloße menſchliche Ideale, vollendet barzuftellen.
Und fo menſchlich gedadt, und abfichtlich fo ger
zeichnet, iſt auch Göthe's Mephiftopbeles, weil der
Teufel eben nur fo dem taktreichen Dichter überhaupt
264
zugänglich war. Ich glaube alſo, daß, in dieſem
Sinne ihn behandelnd, es ſehr wohl möglich ſey, den
Göthe'ſchen Mephiſtopheles zu agiren wie vorzuleſen,
obgleich ich bis jetzt noch Niemand angetroffen, ber
das mir vorſchwebende Ideal erreicht hätte. — Denn
eine ungeheuer ſchwere Aufgabe bleibt es immer.
Man würde übrigens nur zwei Dinge dabei zum
Grunde zu legen haben: 1) die eigene Natur des
Teufels, welche, nah menſchlicher Borfiellungs-
fähigkeit, in höhniſchem Ingrimm, Unruhe, und wie
Göthe ihn Chejonders im zweiten Theil) gezeichnet,
in einer gewiffen Gemeinheit, nicht der Form und
äußeren Erfcheinung, aber wohl ber tiefen Verderbt⸗
beit. ber. Gefinnung und höͤchſter innerer UnfittlichFeit
beftebt, der es jedoch nicht an einer gewiflen Jovia⸗
lität fehlt. Der Teufel ſpricht im erften Theil mit
Luft von den Freuden des Blocksberges, und am Ende
bes zweiten. verliebt er fih gar auf die unanftändigfte.
Weiſe in einen männlichen Engel. Er if alfo nicht
leidenſchaftslos, infofern die Sinnlichkeit im Spiele
it, mit Einem Worte: menfohlich, aber dies, wie es
auch feine übrigen Eigenfchaften find, als Klugheit,
Feſtigkeit, Ausdauer, Impaſſibilität, edle Frech⸗
heit u. ſ. w. immer in höchſter Potenz, und dazu
idealiſch ſchlecht; 2) iſt Die angenommene Natur,
365
um Fauft zu verführen, wohl zu berüdfichtigen, welche
ihre gewinnenden Seiten haben muß, denn von einer
Gefichter fehneidenden Frage, die mit jeber Miene
und jedem Wort deutlich ausfprechen will: „Ich bin
ber häßliche, fürchterliche Teufel,“ damit weder Fauft
noch das Publitum dies je einen Aügenblict vergeffe,
wie ih mich noch z. B. vom feligen Devrient mit
wahrem Efel gefeben zu haben erinnere, — von einer
ſolchen Rarrifatur läßt man fich nicht verführen, und
fo tritt Fein [hlauer Teufel auf. Schon Heine
machte und darauf aufmerffam, dag die äußere Form
eines Tiebenswürdigen Diplomaten weit beffer dazu
paſſe, und ih babe wirklich einen fehr berüßmten
Mann gekannt, der, felbft mit dem hinfenden Fuße
verfehben, alles Erforderliche dazu beſaß, und den ich
nie betrachten Fonnte, ohne mich über diefe vollkom⸗
mene Mephiftophelesmasfe zu freuen; ich meine ben
Herrn von Talleyrand,
Diefer hinkende Fuß des noch jungen, eleganten
Kavaliers, wie ihn Göthe auftreten laſſen will, gibt,
uns auch den Harften Wink über die moralifhe Dar⸗
ſtellung. Das Tiebenswürdige Aeußere, die Bonho⸗
mie fcheinbarer Wahrhaftigfeit und völliger- Offenheit,
trotz aller beigenden Satyre, der eben fo geiftreich ale
höhnifch ſcherzende, aber dabei ganz vertrauliche Ton,
find die Maske, hinter der doch zuweilen ber hinkende
Ruß, nämlich die wirkliche Teufelsnatur vollſtändig
hindurchblitzt, wie ein Wetterleuchten am noch: ſchein⸗
bar unbewölkten Horizont.
Darin Viegt die große Schwierigkeit, welcher ſich
dann noch Die materielle zugefellt, daß der Teufel
weder falfch Iefen, noch anftoßen, noch. ſich verfprechen
darf, ohne fogleih alle Illuſion zu flören. Es ik
baber die genügende Berförperung des Mephiftopheles
barzuftellen, allerdings eine der ſchwierigſten Auf-
gaben, aber, meines Erachtens, dennoch. feine un
loͤsbare.
Was nun uns betrifft, fo waren wir Alle zwar
ſehr weit von der Vollkommenheit entfernt, aber ich
babe es fihlechter gehört, und. wenigſtens genoßen wir
ben Dichter mit Wonne. Gewiß aber iſt es, daß
biefen, befonderd den bramatifcgen, eine gute Dar:
ſtellung erft völlig Fomplettirt und feine ganze Wirs
fang auf und bis zum höchften Punkte fteigert, weil
zu dem fo fhwaden und mangelhaften Mittel, das
ben Autor für feine Schöpfung allein zu Gebete fleht
— bie Sprache — nun erft dad. Drganifche einer
. wahren Lebendigkeit hinzugefügt wird. Einige der
Hauptcharaktere Shalefpeare’d gingen mir, wie eine.
neue Welt, erfi in der Verkörperung durch große
er
Schauſpieler anf, und nicht eher verftand ich den Dich⸗
‚ter ganz, als bis ich feine heraufbeſchworenen abge-
ſchiedenen Geiſter von neuem hatte Menfchen mit Fleiſch
und Blut werben fehen.
As wir hiermit geendigt, warb ben luxuriöſen
Geiſtesvergnügungen dieſes gehaltvollen Tages. noch
eine ſtrahlende Krone aufgeſetzt. Die reizende Gebie—
terin des Hauſes ſpielte, ehe ſie uns entließ, als den
würdigſten Schluß zum Fauſt, das Finale des Don.
Juan. Eines Kunſturtheils über dieſe Leiſtung un⸗
faͤhig, kann ich nur ſagen, daß mich kaum je Klavier⸗
ſpiel ſo befriedigt hat. Dieſe Wiederſchöpfung aus
einem Guß, dies Wühlen in den Tönen wie in einem
Haufen Perlen, dieſes nachhallende Donnern und Lis⸗
peln der kleinen Hand, dies Entſetzen, dies Entzücken —
Alles mußte das Seinige beitragen, einen ſo tiefen
Eindruck auf mich herporzubringen: höchſtes Kunſt⸗
talent, inniges Gefühl, tiefes Verſtändniß des unüber⸗
troffenen Meiſters, ein vortreffliches Inſtrument, ‚eine
ſchöne frau und ein empfängliches Gemüth. Mit ge⸗
ſchloſſenen Augen lauſchte ich, und im Traum der
Nacht noch erflungen mir. fortwährend die Zauber⸗
töne wieder.
368
Den aaflen.
Der König von Baiern reiste heute ab, und faſt
die ganze Stadt firömte nad dem Pyräus, um ihn
noch einmal beim Kanonenlärm zu ſehen, nebſt allem-
begleitenden Spektakel, dem Militairzug u. ſ. w. Sch
war etwas unmwohl, was mich jedoch kaum verhindert
hätte, binauszufahren, aber — als ein Eonderling,
der ich einmal bin, hatte sch noch einen andern Grund-
zu Haus zu bleiben. Es war mir ſo romantifch vor⸗
gekommen, den König, dieſe ſo bedeutende Erſcheinung
unſers Vaterlandes, hier zufällig am flammenden Par⸗
thenon zum erſtenmale geſehen, und eben fo zu—
faͤllig am Rednerſtuhl des Demoſthenes, Athen, ſein
Meer und ſeine Berge um uns hergebreitet, den
letzt en Abſchied von ihm genommen zu haben. Ich
mochte die elektriſchen Schläge dieſer beiden Pole nicht
durch ein nichtsſagendes juste milieu neutraliſiren.
Ein von Lorenzo für mich in der Nähe von Par
tras erhandeltes Pferd, früher das Eigenthum eines.
albanefifchen Häuptlings, kam heute, nad einer be-
ſchwerlichen Reife durch Das Gebirge, von Pyrgos
bier an, und obgleich Herr von Prokeſch Kehauptete,
es ſey mager wie ein Kanzleigedanke, bin ich doch mit-
feinem aus einer weit beffern Region herſtammenden
Feuer und feinen eifernen Knochen außerordentlich zu-
frieden. Der Türke hatte es verkauft, weil es flatt
bed gewöhnlichen einen, zwei verbrehbte Haarwirbel
auf der Stirn hat, was nach der Orientalen Glauben
anzeigt, daß es feinen Herrn umbringen wird. Es
wurde fogleich, noch müde von der Neife, auf einem
langen Spasierritt probiert, und übertraf alle Erwar⸗
tungen. Wir ritten meiſtens queerfeld ein, auf mit
Iofen Steinen bebedten Acdern, bis faſt an den Fuß
des Pentelikon. An einer Stelle war bier die Gegend
weniger Tabl ale gewöhnlich, ja wir fanden fogar eine
Wieſe mit hohen und dicht belaubten Pappelbänmen,
deren Rinde faft fo weiß als die unferer Birken er-
glänzte., Die Ruinen einer alten Wafferleitung ver⸗
banven gleich daneben verfchiebene malerische Fels⸗
fihfuchten, und hinter den Gruppen wilder Obfibäume,
die in der Bläthe ftanden, und den hellgrünen Saat⸗
feldern, welche fih ihnen anfdhloßen, hoben fich die
kahlen dunkelblauen Berge des Hintergrundes doppelt
fhön hervor. Wir aber flogen durch alles dies im
faufenden Gallop, denn ſchon neigte fich die Sonne
vor uns dem infelbededten ‘Meeresfpiegel zu. Dies.
war poetifch, der Darauf folgende Abend Dagegen über⸗
proſaiſch; denn ich fpielte bei Herrn von Kobell Whiſt
bis um drei Uhr nah Mitternacht.
Süpdöftl. Vilderfaal. II 24
370
Den 26ten.
Die weiteren poetifchen Stunden muß ich immer
wieber bei Herren von Profefch aufjuchen, deſſen eigene
naturverwandte Dichtungen aus dem Orient, bie er
und manchmal vorliest, ungemein anziebend find. Es
ift eine ganz neue, einfache und Doch fo glänzende
Welt, die uns in diefen Gedichten aufgeht, gauz ver-
fibieden von ber Auffaſſung der orientalifchen Dichter
felbft, denn fie fpiegelt fi in einem europäiſchen, mo⸗
dernen driftlichen Gemüthe wieder, welches dennoch
nieht minder, als das der Drientgeborenen, für ihre
Schönheit regen Sian. befißt, noch fie weniger. tief zu
erfaffen weiß. Und wenn bie Wellen der Poeſie und:
der Muſik verraufht find, wird nachher immer ein fo:
mannigfacher, bunter Teppich leichterer und doch nicht.
minder feffelnder Unterhaltung ausgebreitet, daß ich
mich nie genug befielben erfreuen kann. Bebarf es.
einer, wiederholten Entfchultigung, auch den Leſer
daran. Theil nehmen zu laſſen?
Der liebenswärdige Geſandie lebte Tange in ber
Mühe des Feldmarfhalls Fürften Schwarzenberg, und-
verlish ihn bis zum Tode nicht. Man kann denken,
welche iniereffante Epoche fich dem geiftreichen Beob⸗
achter hier dargeboten haben muß, wenn das Nefultat-
auch erfi in langer Zeit dem Publikum befannt werben
3
mag. in auffallendes Zufammentreffen ift folgendes.
Am 15ten OHober zog Fürſt Schwarzenberg vor Leip⸗
sig, und am 19ten z0g er fiegreidh in bie Stadt ein.
Am 15ten Dftober nur wenige Jahre fpäter flarb er
in Leipzig in dem Haufe des Könige von Sachen, zu
deſſen Entthronung er felbft das Werkzeug war, und
am 19ten trug man feinen Leichnam in Prozeffion aus
bemjelben Thore wieder heraus, das er früher als
Eieger durchzogen. Etwas Aehnliches geſchah in Wien
mit dem Herzoge von Reichſtadt. Als diefer in Schöns
brunn immer fränfer ward, räumte man ihm ein Logis
an der Sommerfeite des Schloffes ein, und placitte
ihn, ohne daran zu denken, in diefelbe Stube und in
daffelbe Bett, in dem fein Vater gewohnt und ges
fhlafen, ja: vielleicht hier dem erfien Traume non des
Sohnes Geburt nachgehangen hatte, Der Prinz ftarb
in diefem Bett, und an dem Tage feines Todes fchlug
der Blig in einen vor feinem Fenfter fiehenden Obelisk,
und fehmetterte einen goldenen einföpfigen Adler herab,
der feine Spike Frönte, !
Doch um auf den Fürften Schwarzenberg zurüͤck⸗
zukommen, ſo ſtand an deſſen Todtenbette, zu dem mit
ı Es war alſo ein dem Napoleoniſchen Adler gleichender,
fein öfterreichifcher, der belanntlich zweitöpfig iſt, und wahrlith
die Alfegorie gut zu bewähren weiß.
87%
voller Geifteögegenwart Sterbenden heilige, tröftende
Worte fpredhend, außer Herrn von Profefch und dem
Grafen John Paar, noch ein anderer höchft merfwür-
diger Mann, Wilhelm yon Meyern, der Berfafler
bes Dya na Sore, vielleicht der feltfamfte und zugleich
der edelſte Sonderling unferer Tage. Noch als Kader
fhrieb er jened zu feiner Zeit fo viel Auffehen ma-
chende Bud. Später verließ er den Dienft und lebte
15 Sabre einfam und nomadifch im Orient, allein mit
und im Schooße der Natur. Sein Leben hätte man
überhaupt ein indifches Blumenleben nennen können,
und alle feine Anfichten waren nur jener Richtung bee
menfchlichen Geiftes zugewandt. ine Blume zu bres
hen, irgend eine Tebende Organifation zu zerftören,
blieb ihm jederzeit fchmerzlih, und er vermied es
gern, wo feine Pflicht entgegentrat.
Endlich Fehrte er nach Wien zurüd, wo er, von
allen bedeutenden Familien mit Verlangen geſucht und
mit Achtung behandelt, ſich hauptſächlich an die Fürften
von Paar und Kaunis anfhloß, und dann mit bem
letzteren nach Rom und Madrid ging. Er war fpäter
einer der erften, Träftigften und unermüdetſten Schde
pfer des Landwehrfpftens in Defterreih; im Jahr
1813 aber — fchon feit Tange der Familie Schwarzen
berg verbunden — folgte er dem Feldmarſchall, vor
873
der Welt im Range eined Hauptmannd, im Privats
verhaͤltniß aber als fein Freund. Er begleitete ihn
während der Befreiungsfeldzüge und zeichnete ſich dort
mehrfach aus. Unter andern war er es, der am i6ten
Dftober bei Leipzig, verfprengt und auf den Thurm
son Gautfch geflüchtet, von dort aus dem Feld:
marfchall jenen entfheidenden, hinter den Hügeln von
Wachau im Verborgenen vorbereiteten Reiterangriff
Napoleons fignalifirte, der, wenn er gelungen, vielleicht
das Schickſal der jegigen Welt ganz anders geftaltet
haben würde. Er befam dafür, wie fehon bei früheren
Gelegenheiten, mehrere Orden, Tonnte aber nie dazu
vermocht werben, je weder diefe noch biesfeits bes
Rheins felbft die Uniform zu tragen (eine Bergünfti-
gung, die man in meinem Baterlande gewiß Hannibal
ſelbſt nicht geflatten würde, wenn er etwa als Volon⸗
tair aus der Unterwelt herauf käme, um bie Orga
nifation der Landwehr in Preußen zu fludiren). In
Defterreih war man nadhfichtiger, und der milde Fürft
bemerfte es eben fo wenig als Meyern felbft, daß
auch die altmodiſche Eivilfleidung, in der er erfchien,
und an deren Wechfel er nie dachte, an mehreren
Orten zerriffen war. Sebt aber erbarmten fich feine
Cameraden bes Zerftreuten, Tießen ihm Rod, Weſte
und Hopfen anfertigen und diefe an die Stelle ber abs
374
getragenen auf feinen Stuhl legen. Meyern erman-
gelte auch nicht, ſich des neuen Anzugs zu bedienen,
ſcheint aber jelbft die Veränderung nie gewahr worben
zu feyn. Als Profefh, damals von Wien fommend,
ihn zuerft fah, fand er den modernen Diogenes in
einem prächtigen Palaft einquartirt, wo man ihm
fünf große Zimmer- eingeräumt hatte. Aus diefen hatte
Mepern forgfältig alle Meubles herausfchaffen Taffen.
Herr von Profefch wanderte zwifchen ven kahlen Wän-
den hin, big er in der fünften Piece in der Ede eine
Schütte Stroh erblidte, und in der Mitte der Stube
einen großen Tiſch, auf den ein Stuhl geftellt war.
Hinter diefer Borrichtung fah er Meyern ftehend fchreie
ben, ber, fo wie er feinen Namen hörte, ihn freund»
lich bewillfommte, ‚mit einem Geftcht, das, nach Pros
keſch Ausdruck, deutlich fagte: Habe mic Fieb! Diefe
allgemeine Liebe, mit der höchften Achtung verbunden,
genoß auch er von Jedermann, der ihn Fannte, iR
feltenem Grade, und vergebens follen ihm in Folge
defien zu wiederholten Malen bedeutende Poften an-
getragen worden fepn. Er lehnte dergleichen ſtets ab;
fa, ohne feine große Anhänglichfeit an den Fürften
Schwarzenberg würde er auch die Stellung, welde
ihn mit Diefem verband, nie angenommen haben, und
nach dem Orient, wohin immer fein Sinn gewandt
— — — ——
blieb, zurückgekehrt ſeyn. Als ein komiſches Beiſpiel,
wie wenig er die am meiſten geſuchten Lorbeeren un⸗
ſerer Zeit, die Dukaten, zu achten verſtand (ein Um⸗
ſtand, der ſich nur aus der Vernachläßigung ſeiner
frühern Erziehung erklären läßt), möge es dienen,
daß, nachdem er zwei Jahre lang ſeine Gage zu faſſen
verſäumt hatte, der Hofkriegsrath nach dem Haupt⸗
quartier ſchrieb, um ſich zu erkundigen, was es denn
für eine Bewandniß mit dem Hauptmann Mepyern
babe, der noch immer weder fein Traftament bezogen,
nod irgend eine Nachricht deßhalb gegeben habe?
Man theilte ihm dies mit. „Mein Gott,“ fagte Meyern,
„28 ift eine ſolche Unbequemlichfeit für mich, die Quit-
tungen auszuſtellen, dag ich mich weiter nicht darum
befümmern mochte. Wenn das nur Jemand für mich
beforgen und auch Das Geld verwenden wollte! Denn
für mich brauche ich ja nichts.” Einer feiner Freunde,
der Graf Johann P..., bot fich Hierauf an, beides
feinem Wunfche gemäß für ihn zu ihun. Es geſchah,
Meyern felbft aber wußte für ſich felbft nie ınehr als,
monatlich zwei bie drei Gulden anzubringen. Dem
Freunde verblieb das Uebrige zu wohlthätigen Zwecken,
doch mit der ausdrüdlichen Bedingung von Seiten bes
Eigenthümers, ihn nie mit einer weitern Berechnung
darüber zu behelligen. Meyern war ein Dann von
378
ungeheurer Gelehrſamkeit, voll dichteriſcher Phantaſie
und von unermüdlicher Thätigkeit, alles mit einer un⸗
glaublichen Milde der Formen, der Denkweiſe und
bes Ausdrucks gepaart, Selbſt faſt ohne Bedürfniſſe
(ſo genoß er z. B., ſeit er aus dem Orient zurückge⸗
kommen, obgleich er allen großen Tafeln beiwohnte,
nie etwas anderes als Gemüſe), war doch Niemand
nachſichtiger gegen die Schwächen ſeiner Mitmenſchen,
und ſein Wort war ſo troſtreich, ſo beſchwichtigend,
daß Herr von Prokeſch meinte, ſelbſt ein Todesurtheil
würde man aus ſeinem Munde mit Ruhe vernommen
haben. |
Haft über alle Gegenftände der Wiſſenſchaft und
Kunft hatte er gefchrieben und befaß über 15,000
Seiten feiner Handſchrift. Die Vernichtung Diefer
Dranuferipte ift tief zu bedauern, unb ber Kummer
Darüber, dies einzige Gut, das dem Philofophen noch
in der Welt am Herzen Tag, die Frucht unabläßigen
Nachdenkens und der Anftrengung fo vieler Jahre zu
verlieren, fcheint fogar feinen bald nachher erfolgten
Tod, wo nicht herbeigeführt, doch fehr beichleunigt zu
haben. Zu feinem Unglüd hatte er nämlich, ſchon
vor geraumer Zeit, 30,000 Gulden geerbt, Die er
beim Banquierhaufe des Grafen Fries nieberlegte,
und dann nicht weiter darnach frug, Da aber einmal
877
fein Geld dort war, fo ſchickte er auch bie Koffer mit
den Manufcripten an den Grafen, der fie in feiner
Bibliothek aufheben Tieß. Bei dem fpäter barauf ers
folgten Bankerott diefes Hauſes, wo Alles drüber und
drunter ging ‚und alle Effekten für die Gläubiger in
Beihlag genommen wurden, öffnete man dieſe Koffer
und der Inhalt warb von unverfländigen Menfchen
als wertiblofe Makulatur mit vielen andern Rießen
unnügen Papiers verkauft, che Meyern, um es zu
hindern, Nachricht davon bekam. Ich finde dieſes
Ende tragiſch, und um ſo mehr, je ironiſcher es iſt.
Viel wurde auch von Gentz erzählt, ſeinem hohen
Geiſte, ſeiner Originalität, ſeinem wichtigen Wirken
und ſeiner liebenswürdigen Kindlichkeit. Doch erinnere
ich mich, von Andern gehört zu haben, daß er mehr
die Eigenfchaften des Denfers und gewandten Schrift-
ſtellers als die des Selbſthandelns und Fräftigen Ein⸗
greifens der That beſaß. Er beurtheilte die Gefchäfte
mit dem Blicke eines Adlers, war aber fein Mann
der Ausführung, und dazu, trog feines großen Ver⸗
Randes, fat das Opfer der feltfamften Mpfiftcationen
im Privatleben.
Er liebte den Sinnengenug jeder Art, und wußte
ihn überall mit Kunft und Schönheitsfinn zu raffiniren.
Sp war er, gleidf Friedrich dem Großen, ein großer
rs
Berehrer des guten Eſſens, eine Dispofttion, bie zu
verdammen ich weit entfernt bin. In den letzten Jah⸗
ten feines Lebens fuchte er täglich Erholung im Um⸗
gang mit Fanny Eldler, deren Schönheit ihn vielleicht '
nod ‚weniger anzog, ald die hohe Natürlichkeit und
graziöfe Ruhe ihres Mefens, Er hatte ihr eine rei-
zende Wohnung eingerichtet, in der eine Stube, mit
Draht und im feinften Geſchmack ausgefhmüdt, alle
Tage mit ganzen Pyramiden frifcher, forgfältig ges
wählter Blumen befegt ward. Dies. nannte er fein
Portiei, und wenn bie Arbeiten des Tages vorüber
waren, fam er gewöhnlich mit einem Freunde, mei-
ſtens mit Herren von Prokeſch (der damals im Kabinet
des Fürften Metternich mit ihm arbeitete) erſt um
Mitternacht dorthin, um in biefem Tieblichen Sorgen—
frei die Zournale, Bücher, Brodhüren u. ſ. w., von
denen er amtlich Notiz zu nehmen hatte, Durchzugehen.
Sobald fi Die Herren. niedergefegt ‚am Fanny, im
verführerifchen Negligee, und brachte Mokkakaffee herz
ein, um die Leer wach zu erhalten, worauf fie ent-
weder, nad) wenig gewechfelten Worten, fogleich wieber
verſchwand, oder auch, fich mit weiblicher Arbeit bes
Thäftigend, fill in eine Ede feste. Einmal fuhren
beide genannte Herren im Winter dahin, und fprachen
unterwegs von der Unfterblichfeit Dir Seele, die Geng
— — — — —
kummervoll bezweifelte und Prokeſch vertheidigte. Auf
dem Joſephsplatz angekommen, wurde Gentz durch das
Raſſeln des Wagens geftört, und rief haſtig dem
Kutſcher zu, ſtill zu halten. est ſprachen fie noch
eifriger fort, der Gegenfland ergriff Gent immer hef-
tiger, welcher zulest in Thränen zerfloß, und fo
dauerte die Unterhaltung in der Falten Dezembernadht
ununterbrochen über zwei Stunden fort, bis Gens,
endlich fich befinnend, wo er fey, dem Kutfcher wieder
weiter zu fahren befahl. Diegmal fanden fie die
arme Fanny weniger ruhig als gewöhnlich, und in
nicht geringer Ungft über ihr unerflärlich langes Aus⸗
bleiben. Gewiß hatte fie Dabei mehr an die Gebred-
lichfeit der Körper, als an bie Unfterbfichfeit der Seele
gedacht. |
Ein ungarifcher Edelmann, der gegenwärtig war,
theilte ung noch andere pifante Anekdoten über Gens
mit, Das hier Nacherzählte erfchten mir eben fo be-
Yuftigend als charafteriftifch.
Dem Fürften Metternich, fagte der Ungar, fehlt
das Organ der Gourmandife gänzlih, was dagegen
in Gens befanntlih glänzend ausgebildet war, in
Folge deffen er oft bittere Seelenfchmerzen an der Tafel
des Fürften erlitt, die damals, wie es ſcheint, nicht
zu ben beften in Wien gehörte. Einigemal beobachtete
ih ihn eine ganze Zeit Tang mit ſtets fleigenbem Inte⸗
reffe, wie er unmutbig zuerft einen Zeller nad dem
andern wegſchob, dann nad und nach immer ſchweig⸗
famer und büfterer wurde, bis ihm die. Stirnader
langfam anfhwol und fein Zuftand zulebt in den eines
wirklichen tragischen Zornes überging. Jetzt bedurfte
er der Worte, und mit Ingrimm fragte er feinen
erfiaunten Nachbar: „Iſt Ihnen je ein elenderer Koch
vorgekommen? — nein, e8 ift hier nicht mehr zu effen!“
Da auch diefer Ausfall nicht bemerft wurde, rief er
zulegt mit vor Erbitterung zitternder Stimme, fo Taut,
dag es der Hausherr über ben ganzen Tiſch hinüber
hören mußte: „Aber das iſt ja eine ganz unverant-
wortliche, eine ganz unverfhämte Speiſe!“ Der Fürft,
ben diefe Scene ungemein ergößte, verfehlte nicht, mit
größter Milde und Heiterkeit feinen Koch zu entfchul-
digen, und feine eigene Unwiſſenheit in diefem Fach
zu beflagen, bis Gent fih grabatim beruhigte und
wahrfcheinlih darauf dachte, wie er feine irritirten
Nerven durch ein befferes Souper wieder in's Gleich⸗
gewicht bringen könne.!
1 Ich vermuthe daß bei diefen Borfällen entweder eine
neue Mpftification des armen Gent zum Grunde lag, oder der
Fürſt Metternich feitvem mehr auf einen guten Koch hält als
früher, wenigflens bin ich (der als ein Häglicher Laie in der
881
Zwei originelle Aeußerungen, deren fi) Gens
häufig zu bedienen pflegte, find folgende:
„Schmeichelt mir,” fagte er zu feinen Freunden,
sh bitte Euch, ſchmeichelt mir, fo viel Ihr Könnt,
Schmeichelei thut wohl!“
Und blafirt, wie er ſeyn mußte, rief er oft mit wah⸗
rer. Sehnfucht im Blicke aus:
„O Gott! gebt mir doch etwas Aezended, gitte
Leute, damit es mir den faden, alltäglichen Gefchmad
aus der Seele entferne !“
Die Formen der Wiener Gefellfehaft ſcheinen viel
freier und vor Allem natürlicher, als die unferes linki⸗
hen Nordens zu ſeyn. Wenigftens äußerte man ſich
in diefem öfterreichifchen Haufe flarf über die bei ung
noch immer fo fireng verlangten fervilen Ausdrüde,
wie: Allerhöchſt, großmächtig, höchſt und hoch, befehlen,
ſtatt einladen u. f. w., mit denen man fi, wie man
Politit, von den großen Staatsmännern wenig mehr als ihre
Diners zu beuriheilen verſteht) noch jet ſehr erbaut von ber
excellente chöre, die dermalen an des Fürften Zafel herrſcht;
und ih muß fogar dankbar rühmen, daß er auch mit feinem
über alles Lob erhatenen Zohannigberger gegen meine Wenig⸗
keit fih gar oft nichts weniger als fparfam gezeigt hat, wos
von ihm zuweilen das Gegentheil im Scherze vorgeworfen
worden if.
Anmerk. des Herausgeber.
bebamptete, bei den. einfachen öfterreichifchen Prinzen
und Macthabenden nur Täcerlih machen würde,
Man erwähnte bier befonberd ber Tiebenswürbigen
Bonhomie des Kaiferd Franz, und Jemand erzählte,
einmal habe ihm der Kaifer nach einer Tebhaften und
ihn intereffirenden Unterhaltung freundlich mit den
Worten die Hand gedrüdt: „Ru, ich dan auch ſchön⸗
Bene für die lange Audienz!“
Fünftes Kapitel.
Beginn eines geheimnißvollen Liebesabenteuers.
„Gin Buch iſt ſedes Weiberherz
„Mit gar gemeihten Lettern
„Die meiſten Männer leſen's nicht,
„Sie wollen bin b’ein blättern.“
Der Humorift.
Athen, den ıften April.
Ich babe eines Umſtandes noch nicht erwähnt,
ber nad dem früher Borgefallenen für mich nicht ohne
Wichtigkeit iſt, obgleich ſtarke Geifter darüber Lächeln
werden. Schon am zweiten Tage nad meiner An«.
funft in Athen verfhwand mein Schuggeift Norma!
Da indeß: dag Heine Thier ſich fehon fo oft entfernt,.
und immer von felbft. wieber gekommen war,. jo arhteie
ih wenig darauf, und erwartete ohne Anruhe auch
384
diegmal feine baldige Wiedererfcheinung. Doch habe
ich bis heute nie wieder etwas Yon ihm vernommen,
und muß es jeßt wohl als definitiv verloren betradh-
ten. Bedauern Tann ich es nicht fehr, Denn fo viel
Danf ich dem feltfamen Gefchöpfe auch ſchuldig bin,
mag ih doc nicht leugnen, daß fein Anbli immer
etwas Unheimliches für mich hatte; und wäre es wirk⸗
lich — wer aber kennt die Geheimniffe der Natur
und ihrer unfihtbaren Kräfte hinlänglich, um darüber
abzufprechen — wäre es wirffich möglich, daß dieſes
untergeordnete Wefen von einer dunfeln Macht mir
zum Schuge beigejellt worden ſey, fo darf ich vors
ausſetzen, daß die Zeit vorüber ift, wo ich biefes
Schutes beburfte, Ich begnüge mich daher gern mit
meinem harmlofen Francis, der zwar länger als ich
um Norma trauerte, jeßt aber, wieder Yuftiger und
drolliger als je, auch hier die Gunft aller Damen er⸗
obert, und Eintritt in die vornehmften Zirkel erlangt
Bat. Ich hoffe, daß die Herren Recenfenten (die mid
ſchon Teinen Biffen in Ruhe mehr effen laſſen wollen)
mir nicht auch die Liebhaberei an dieſem liebenswür⸗
digſten aller Schooßhunde mißgönnen werben. Wäre,
dies dennoch der Fall, fo rufe ich hier feierkich ben
Beiftand des Schönen Geſchlechts an. Die fanften
liebevollen Frauen mögen meine Vertheidigung über⸗
nehmen, und gewiß bitte ich bei ihnen nicht umfonf.
Ach, es gibt Eine, die in Diefem Punkt mich fchon
erhört bat; koͤnnte ich nur daſſelbe von allen andern
Punkten jagen, die jegt meiner Einbildungsfraft vors
ſchweben! Auch Du, freundlicher Leer, wenn Du aufs
merkam warft, weißt fchon von ihr, der fremden, lieb⸗
fihen Frau, die zarten weißen Glieder ſtets im
Schwarz gehüllt, Du fahft fie zwar nur einmal fluͤch⸗
tig im Borübergehen in der Grotte des Stadiums,
ich aber —
Doch ich muß weiter ausholen! Meine Neugierde
war ſchon damals durch den erſten Anblick der Unbe⸗
kannten, ich begriff ſelbſt nicht warum, lebhaft gereizt
worden, und einige Tage nachher begab ich mich von
neuem, faſt mechaniſch, an denſelben Ort, der nur eine
Biertelftunde son der Stadt entfernt ift. Ich Eonnte
faum ernſtlich glauben, fie bort wieder «anzutreffen,
auch fand ich die Grotte Teer, doch ſchien mir eine
innere Stimme zuzuflüftern: Berliere die Geduld nicht
zu ſchnell! Es war am 11. März, einem Freitag, wo
ih fie zum erfienmal gefehen, und erſt geflern fiel
es wie ein Lichtſtrahl in meine Seele, daß ich den⸗
felben wieberfchrenden Tag und biefelbe Stunde währ
Ion müſſe, um bie Fremde wieberzufinden, bie ich
nicht aus meinen Gedanken verbannen ſonnte. Mit
Sadsſtl. Bilderſaal. II. 26
a
«
‚Hopfendem Herzen, denn meine Phantake war: ſchon
‚in voller Regung, überſchritt ich daher heute den yiyf«
ſus — und die holde Ahnung trog mich nicht.
— Wieder faß wirklich an berfelben Stelle Die ſchwarz⸗
verhüllte Geftalt in der Grotte, doch däuchte mir, fie
werde in bemfelben Augenblide, als ich ſie gewahr
ward, von einer andern Perſon verlaflen, ‚die -indeß
ſo ſchnell entſchwand, daß ich weder zu erkennen im
Stande war, ob es ein Mann oder eine Fran ge⸗
wefen, noch überhaupt mit völliger Gewißheit zu ent⸗
ſcheiden vermochte, ob id) mich nicht ganz und gar
getäuſcht und nur der. Schatten eines entfernten Ge⸗
genſtandes dort vorüber geglitten ſey.
Es wäre unhöflich gewefen, die fremde Dame zu
ſtören, und ich zögerte noch ungewiß. Da half mir
Francis aus der Berlegenheit, denn kaum bemerkte er
. fie, ald er Quf fie zufprang, und fobald er den Saum
ihres Kleides nah Hundeart befehnüffelt Hatte, eine
Kreude äußerte, wie fie diefe Thiere fonft nur beim
Wiederfinden alter Belannten zu zeigen: pflegen. Er
ſchmiegte fih zu ihren Füßen, fprang dann hoch an
thr empor, und den Augenblid naher ſaß er ſchon
auf ihrem Schooße. Auch fie. nahm - erfreut- diefe uns
erwarteten Liebkoſungen des niedlichen Geſchoͤpfes auf,
welche. fie Übrigens aus einer tiefen Träumerei ges
⸗
riſſen zu haben ſchienen. Ein Buch, in dem ſie wahr⸗
ſcheinlich vorher geleſen, lag neben ihr auf dem Stein⸗
block, und ſie war ſchon wieder in nachdenkendes
Sinnen zurüdgefunten, als ich mich ihr zögernd nä⸗
herte. Es waͤre mehr als ungeſchickt geweſen, wenn
ich nicht von der Zudringlichkeit meines Hundes Ge⸗
brauch gemacht hätte, um ihm jetzt ſelbſt ſo weit als
möglich nachzuahmen. Ich faßte mir alſo ein Herz,
und ſchleunig herantretend, entſchuldigte ich Francis
Unart in den höflichfien Ausdrücken, die mir beifallen
wollten, wozu ich mich der franzöfifhen Sprace bes
biente, die ja beinahe überall jetzt verftanden wird.
An dem Accent der Antwort bemerkte ich jebod mit
freudiger Ueberraſchung, daß ich eine Deutfche vor
mir babe, und ihr Lächeln, welches fie vergebens zu
bemeiftern fuchte, fchien anzubeuten, daß ihr weder
meine Perfon ganz unbekannt, noch felbft mein Beſuch
vollfommen unerwartet feyn mochte. Demungeadhtet
nahm fie im Anfang meine Bemühungen, die Unter-
redung zu beleben, mit viel Kälte und Referve anf,
doch entzüdte mich aud dabei Die Anmuth ihres gans
zen Wefens, während ihre madellofe Schönheit mich
in das füßefle Staunen verfegte. Nie habe ich einen
transparenteren, obgleich etwas bräunlichen Teint,
und ausdrucksvollere Augen geſehen. Die langen fei-
—
208
y
denen Wimpern bebediten fie zwar gewöhnlich wie
mit einem Schleier, dad, wenn fie aufblidten, braunte
eine feuchte Sluth in ihnen, welche, wie ein magiſches
Lipht, die ganze Höhle zu erhellen ſchien. Sie trug
den griechifchen Fed, und volle ſchwarze Haare quollen
in glänzenden Locken daraus hervor — ach, über. einen
Hals und Bufen, den Benus felbft beneidet haben
würde. An dem fchmalen, fanft zugefpisten rechten
Zeigefinger ihrer Heinen Hand trug fie einen einzigen
ſchwarzen Ring mit einem großen, funkelnden Soli
tair, was ih erſt gewahr ward, als fie den Hau
ſchuh auszog, um Francis zu ſtreicheln, und dann,
dieſen in die Höhe bebend, einen fo. zaͤrtlichen Kuß
ihrer Purpurlippen an den Heinen Unempfindlichen
verichwendete, daß vor Entzüden und Begehrlichkeit
alle meine Pulſe zitterten. _
. Sie mo&te wohl merken, was in mir vorgisa⸗
und ließ mich jetzt, um den Triumph weiblicher Eitel⸗
keit zu vollenden, ihr Füßchen ſehen. Gott, welch
ein Fuß! Ich will nichts weiter davon ſagen, denn
ihm volle Gerechtigkeit wiberfahren zu laſſen ift uns
möglich. Nur fo viel behaupte ich, daß ein fhöner
Fuß nicht dem andern gleicht, denn es gibt deren,
die Phyſiognomie befigen, und ſolchen iſt gar nicht zu
wiberfieben. Ich aber bin impreffionabfe, und mit
339
—
Anakreon der Meinung, daß man zum Lieben nie zu
alt ſey, felbſt wenn dem dunkeln Haar ſich ſchon vor
der Zeit einiges Silber beigemiſcht haben ſollte. Dies
find manchmal Trophäen, die auf Erfahrung deuten.
Die Weiber aber find voll Eigenfinn. Sie Tieben
bald am einen, bald am andern Ende, und gönnen
ihre Gunſt wohl oft noch fonderbaren Launen. Darum,
wer nur noch felber heiße Liebe fühlt, verzweifle nit!
Freundſchaft beginnt, Bertrauen folgt, Bebarrlichkeit
gewinut und — Gelegenheit macht endfich Diebe. Je
mehr das Eid des Fremdſeyns zwifchen ung ſchmolz,
defto Tiebenswürdiger ward das ſchöne Weib, und als
nad) einer ſchnell vorüber geſchwundenen halben Stunde
eine Dienerin erfchien, um ihre Gebieterin abzuholen,
wußte ich genug von ihren Berhältniffen, um wenig-
ſtens über die nächfte, fichere Fortfegung ber begons
nenen Befanntfchaft beruhigt zu ſeyn. Das Rad
ſtehende erfuhr ich aus ihrem eigenen Munde, Sie
war von einer deutfhen Mutter geboren, wie fie mir
fagte, doch hatte fie zeitig ihr Vaterland mit den
joniſchen Inſeln vertauſcht, und fi dort mit einem
Griechen verheirarhbet, den fie auf manden feiner
Fahrten im Drient begleitete. Sein Name war Nas
mor, der ihrige Sara. Sie wohnte in einem Kleinen
Landhaufe im Dlivenwalde, der fih von Patiſſia bie
30
—
zum Pyräus erſtreckt, jest ganz allein mit weniger
Dienerfhaft. Ihr Mann war auf einer Handelsreife
abweſend, und befand fidh, wie fie vermuthete, in die⸗
ſem Augenblid in Sonflantinopel. Mit großer Mühe
erbielt ich die Erlaubnig, fie zu befuchen, body for⸗
derte fie mir fonderbarerweife mein Wort ab, nie an
einem andern Tage ald am Freitag zu fommen.
‚„Der Weg zu mir ift etwas ſchwer zu finden,“
fuhr fie fort, „aber dicht bei dem Monument des Ly⸗
fifrates befindet fi ein Haus, das mit einem rothen
Kreuze bezeichnet ifl. Sie werben dort jeden Freitag
Abends nach Sonnenuntergang, wenn Sie dreimal an
die Thüre Elopfen, und der dann heraustretenden Pers
fon das Wort „mavro‘“ zuflüſtern, einen zuverläßigen
Führer zu mir finden. Doch Bitte ich, diefen nicht mit
Fragen zu beläftigen — da er flumm tft, und ihn zu -
entlaffen, fobald Sie in der Umgebung meines Haufes
angefommen find. Zur Rückkehr können Sie fiher
feyn, ihn immer an berfelben Stelle, wo Sie ihn
verließen, wieder anzutreffen. Gründe, die ich Ihnen
jest nicht auseinander fegen Tann, machen alles dies
nothwendig.” Da ich den bezeichneten Tag befannt-
lich fcheue, und es fehr hart fand, fie nur einmal in
der Woche zu ſehen, verfuchte ich Alles, fie andern:
Sinnes zu machen, doch vergebens; und als fie ihr
—
liebliches Geſichtchen endlich in ernſte Schmollfalten
zuſammenzuziehen begann, und mit Kälte ſagte: nach
reiflicher Ueberlegung ſehe fie ein, dag fie ſchon eine
Thorheit begangen, den Bitten eines ihr ganz frem⸗
den Mannes ſo weit nachgegeben zu haben, und daher
für das Beſte halte, auch die ertheilte Mergünftigung -
jegt wieder zurüdzunehmen — ergriff ich mit flehen-
der Miene ihre Hand, fo ernftlih erichroden, daß fie
nit umhin konnte, mir lächelnd zu verzeihen. Dann
meinen, wie es fchien, ihr zu lebhaft werdenden Dank
errötbend von ſich abwehrend, wandte fie fi dem
Ausgange zu, verbeugte fi mit fehalkhafter Grazie
gegen mich, und verließ eilig die Höhle.
Wonnevoll aufgereizt, fette ich mid jetzt mit ger
fhloffenen Augen auf den Plag, den das holde Ge-
Ihöpf eben verlafien, träumte noch einmal die Ver⸗
gangenheit durch und dann ein gar gut Stüd in bie
Zukunft hinein — da fiel meine Hand auf etwas neben
mir, ich fab bin, und es war das Bud, in welchem
Sara gelefen, und das fie mitzunehmen vergeffen
hatte, Diefe Heine Diftraftion verfehlte meine Eitel-
feit nicht, zu ihrem Bortheil auszulegen. Neugierig
öffnete ich hierauf das Schloß bes zierlichen blauen
Maroquinbandes, und ſah, daß er mehrere Manufs
eripte in englifcher Sprache zufgmmenfaßte. Ihr In⸗
—
halt war wunderlich und ſeltſam verſchieden von dem,
was ich hier erwartet hätte. Doch zog mich jedes
Wort an, und ganz berauſcht von dem ſüßen Veilchen⸗
duft, den das Buch, wie eine febendige Erinnerung
an feine reizende Gebieterin, aushauchte, wandte ich
mi) etwas mäher zum Licht, und ‚fuhr emfig fort zu
leſen, wie folgt: 5
l.
Vruchſtücke aus den Briefen eines in Europa reifenden
Ehinefen.
... JIch habe ihre Gefchichten Rudirt und gefun-
den, daß fie feit Sahrhunderten immer hinter bem
einen ober dem andern Worte berliefen, das im
Grunde einen Lobgefang auf fie ſelbſt enthielt. Es
war ein goldenes Kalb, nach ihrem Ebenbilde gemacht.
jest heißt dieſes Wort: Civiliſation; vor kurzem hieß
ed: ‚Freiheit und Gleichheit, etwas früher: Philofophie,
noch fräher:. Religion u. f. w. Unter Eivilifation
verftehen fie etwa nicht die Veredfung des Menſtchen,
nicht das Auffteigen deffelben auf die Höhe der alles
umfaffenden Liebe, nicht die Erziehung zu immer
reinerer Pflichterfüllung, zu innigerer Bermählung mit
der Ratur, zu geläuterterer Empfindung des Himemelö
auf Erden, fondern was fie auch immer barüber fagen
— ——
7 «
und wie fie dieſen Goͤtzendienſt ausputen mögen, im
Wahrheit bezweckt er nichts als eine armfelige Ver-
engung der herrlichſten Menſchennatur, ein mühſeliges
und verderbliches Erlernen von allerlei Irrthümern,
ein Nachplappern armer Sprachen, die für das Ohr,
aber nicht für den Geiſt verſchieden find, die Verein⸗
feitigung und Ausbildung bes Dorfgeiftes, Dorfneides
und Dorfſtolzes, das Erfinden neuer Hofen und
_Schürzen, die Verſtümmelung ganzer Völker nad) dem
Mufter gewiſſer Gärten, die fie franzöfische nennen,
und in denen fie jegt Die Bäume wieder ihren natür-
lichen Wuchs nehmen Yaffen, feitbem ihnen die närs
riſche Idee Fam, das Spftiem flatt auf Bäume auf
Menſchen anzuwenden — die Verdummung in Wis
und Sopphiftereien, die Ausbildung des fchamlofeften
Egoismus endlih, woraus eben eine täglich allges
meiner werdende und tiefer greifende Unzufriedenheit
hervorgeht, die bereits zu einer Menge fehmerzlicher
Krämpfe im Staatenleben geführt hat und mir ein
Symptom der Linheilbarkeit der Krankheit, in der
dieſe Bölfer liegen, zu ſeyn fcheint.
Bon wahrer Religion habe ich bis jet Feine
Spur in. den Ländern gefunden, bie man bie civilis
firten zu nennen pflegt.. Ich gab mir zwar fehr Mühe,
das Band aufzufinden, wodurch biefe Unglücklichen noch
394
mit bem Himmel Zufammenhang hätten, fand aber
nichts. Zwar haben fie noch mehrere der Tempel, die
ihre Borfahren bauten, fteben laſſen, bauen deren bie
und da wohl ſelbſt noch neue, freilich fehr ärmliche,
geben auch in diefe Tempel, haben auch Prieſter,
feiern Ceremonien und fagen auch Gebete her, aber
— meiner Erfahrung gemäß — muß ich alle Leute,
die diefe Bölfer ausmachen, in zwei Klaſſen theilen,
in Solche nämlich, welche das, was ich eben fagte,
für Religion nehmen, und in Sole, die ſich fogar
biefer Formen fchämen, gar Feine Ahnung mehr davon
haben, wie fie zu beleben find, und fi gar Feines
Zufammenhanges mit dem Schöpfer mehr bewußt find.
Du begreift, daß ein Volk, dem diefe Leuchte erlo⸗
ſchen ift, eigentlich nur mehr wie eine Leiche auf dem
Boden laſtet. Es verdient kaum noch, daß man da⸗
von fpricht, wenn nicht bag Seltfame einer fo trau⸗
rigen Erfheinung an ſich ſchon unfere Betrachtung
verdiente.
Du, der: du ihre heiligen Bücher kennſt, wirft
bilfig fragen, wie fie das Wichtigfte verlaffen oder
verlieren, und in dieſen tiefen Berfall gerathen konn⸗
ten. Das ift allerdings eine Frage forgfamer Unter:
fuhung wertb, wäre ed auch nur um der Warnung
willen, die aus einem fo gräßlichen Beifpiele für alle
“
“
— — — — —
Bölfer hervorgeht. Ich kann mir dieſe Erſcheinung
nur dadurch erklären, daß ihre religiöſen Inſtitutionen
in ihrem Entſtehen ſchon durch den Beiſatz von Herrſch⸗
ſucht, Habgier und aller niedrigen Leidenſchaften ver⸗
giftet wurden, und nicht Zeit hatten, ſich hinlänglich
feſt zu begründen, und geſund zu entwickeln. Und
wirklich geht aus ihrer Geſchichte hervor, daß ſchlechte
geiſtliche und weltliche Fürſten (denn fie hatten immer
deren von biefer boppelten Art) bald nah ihrem Ent-
fteben fih ihrer als Werkzeug zu den ſchändlichſten
Zweden bebienten. Der Erſte, der fih zu ihrem
Chriſtenthum befannte, und es dadurch allgemein ver-
breitete, war ein gewiffer Conftantin, ein Lüfling,
Heuchler und Mörder, von dem du vielleicht gehört
haben wirft. Er faß zu Byzanz, einem Dorfe am’
Bosphor, und beherrfchte einen Theil von Europa und.
von den Küftenländern Aſiens und Afrika's an ben
beiden Bufen, die man das ſchwarze und das mittel-
Ländifhe Meer nennt. Alte feine Nachfolger waren.
Leute, die das Gold diefer Lehre mit den fchlechteften
Metallen verfegten, und ald Marktmünze zu Wucher
und gemeinen Bedürfniſſen ausgaben. Der Mißbrauch
bradte auch bald feine Frucht, denn die Lehre, da⸗
mals faum ein paar Zahrhunderte alt, ging ſchon in
Gährung und Fäulnig über. Statt zu beglüden, ‚wie
386
fle es ihrer Natur nach konnte und follte, trieb fie
das Voll gegen das Boll, und flatt zu binden Töste
fie, was gebunden war, und machte ed in Theile zer
fallen, die fich nicht wieder vereinigen konnten. Im
Lande gegen Abend bedienten fih Aufkömmlinge ihrer
als Schwert gegen ihre Fürften, und daun zur blu⸗
tigen Ermeiterung ber geraubten Herrihaft. Die In⸗
fitutionen, die in dieſen Zeiten entitanden, wurben
zu Stägen diefer Miflethaten eingerichtet, iumd waren
daher von weniger Dauer. So kam es, daß fi,
faum daß fie entflanden, auch bereitö der Kampf
gegen diefelben erhob, unmenfchliche und unmögliche
Mittel zur Aufrehthaltung derfelben angewendet wer⸗
den mußten, und die Achtung erzwungen werben
follte, die in der That allein fie dauernd machen Fonnte,
bie fie aber ihrer Natur nach, troß ber herrlichen Lehre,
an bie fie ſich Iehnten, nicht zu gewinnen vermoch⸗
ten. Vergeblich ſtrebten einige heilige und große
Priefter die Lehre zu retten. Sie ſelbſt ſtanden ſchon
auf einem Boden von Moder, und hatten keine an⸗
dern Werkzeuge, als die zum Voraus abgeſtumpften,
gebrochenen oder unzulänglichen. Weil num der Wis
berfiand in ber Menge Recht behielt gegen die Ein-
richtungen, fo wuchs eben daraus der Hochmuth her⸗
vor, welcher Das Merkzeichen der europäis
ſchen Bölfer if. Das beſchränkte Wiffen Ichnte
fi auf gegen den unendlichen Glauben; mit den Ye
fitutionen wurde die Religion felbft angegriffen, ver-
nichtet oder vertrieben, und fo erklärt fich der Unter⸗
gang in den fihmusigften Schlamm von Üitelfeit,
Selbſtſucht, Lügenhaftigfeit, der Abgang von Leben“
wärme, das Erflarren zur hochmüthigſten Unwiffenbeis
und zur ſchroffſten Anmaßung im Urtheil, endlich der
Goͤtzendienſt ohne Religion, in welche wir diefe un⸗
glücklichen Völker heute verfunfen fehen.
. Daß ihre Tirhliden Inſtitutionen die religiöfe
Empfindung nie zur Kraft fommen ließen, gebt ſchon
aus ihren Bauten hervor, und aus dem verbältniß«-
mäßig Furzen Dienfle, den die Kunft, dieſe Tochter
ber Religion, ihr zu leiften Gelegenheit und Erlaub⸗
niß fand, Sie fagen zwar das Gegentheil davon,
aber das fagen fie jedesmal, denn fie halten fi für
das erfie Bolf der Welt, aber man darf nur bie
Augen aufthun und fehen. Daß jede Lehre ihren ei⸗
genen Bauſtyl erzeuge, das erfennen zwar Einige aus
ihnen, und fo auch, daß in Diefem bie Zeugungsfaͤhig⸗
feit der Religion ihren Maßſtab liefere. Nun fcheint
ed allerdings, Daß fie eine Epoche gehabt haben, wie
die Religion allgemein bei diefen Böen in Blut
und Mark übergegangen war, aber es dauerte nicht
398
Iange, ein Beweis der Schwäche ihrer Natur. Da⸗
mals find denn auch in mehreren Ländern chriſtliche
Tempel aus dem erwärmien Geiſte und Herzen her-
vorgegangen, die im Zufammenflange mit der Lehre,
die darin gepredigt und gefeiert werben follte, ſtehen,
und vielverfprechende Anfänge waren, wenn fie auch
an Macht der Maffen, an Klarheit und Entwidelung
des Geſetzes, an Reichthum der Ausftattung und an
Menge und Ausdauer des Fleißes hinter den Tempeln
zurüdftehen, welche unfere und fo manche andere alte
Religion in Aften und Afrika in’s Leben gefördert
Haben. Aber diefe Anfänge brachte faft alle ein und
daſſelbe Jahrhundert hervor, und im nächften hatte
die Frömmigkeit ſchon nicht mehr Wärme genug, fie
zu vollenden! Faft alle ſtehen nur halb fertig da. —
Der große Geift, der Durch die Idee des Werks, durch
den Styl betet, und ber fchwächere, der daſſelbe burg
den Fleiß der Ausführung thut, beide waren ſchon
entnervt. Man ahmte nad ſtets verringertem Maße
flabe die paar Mufter nach, und felbft dies nur in
fehr wenigen Ländern, fo daß ein allgemeiner
Styl den allgemeinen Glauben nie völlig bewahr-
heitete, verließ fie dann ganz unb baute fort, ohne
auch nur mehr an die Verwandiſchaft zwifchen dem
Tempel und der Religion zu denfen, Dann ging man
‚gar zu griechifchen und römifchen Muſtern über, worin
ſich die hriftliche Lehre wie das Kreuz in eiyem
Opernſaale ausnimmt, überlub benfelben, wie natür«
lich, bis zur efelhafteften Verzerrung, und führte in
. ben Testen Zeiten faſt überall Kirchen auf, die fi
kaum mehr von SKafernen, Spitälern, Tollhäufern,
‚Theatern und andern öffentlichen Gebäuden unter
ſcheiden, und darum mit richtigem Takte auch in
neuerer Zeit häufig wieder zu bergleichen Gesang
verwendet wurden.
Eine Sekte der Chriften (denn fie theilen fi im
unzählige), deren Anhänger ſich Proteftanten und Res
formirte nennen, und bie feit einigen Jahrhunderten
immer mehr überhand nimmt, fo dag jest wohl ein
Biertheil Europa’s ihr anhängt, hat aus dem Grunbe
ihrer blos negativen Natur: und Religion gar Feine
Baufunft mehr. Es ift ein wahrer Igmmer, dieſe
ſchmuck⸗ und geſchmackloſen Tempel zu fehen, die au
nur .an einem Tage ber Woche einige Stunden befucht
werden, von ben Männern meiſtentheils, um zu ſchla⸗
fen, und von den Weibern, um ihren Putz und ihre
hübſchen Geſichter zu zeigen.
Mit den übrigen Künften ſteht es nicht beſſer im
religioſen Sinne. Die Malerei, die Bildhauerei und
ihre Zweige, die Muſik, Iegten fi ‚Tiebend an das
400
Herz. ihrer Mutter, umb flehten um das Geſchenk, fie,
Die, Niedergeftiegene vom Himmel, im irdiſchen Kleide
verherrlichen zu dürfen. Aber wie wenig bot dieſe,
entartet, wie fie geworben, fich dazu dar! Sie mußten
abfaffen yon dem geliebten Dienfte, bevor fie noch in
- bemfelben völlig erftarfen-fonnten. . Die Malerei ging
lange wie eine Hoffende umher und ſchuf eine Zeit
ang berrliche Bilder, ftarb aber bald, in todte, Nach⸗
abmung und Manier verfinfend, mit der abnehmenden
Wärme des religiöfen Gefühle. Der Meifel des
Bildhaners, die Teile des Goldſchmids, Die Kelle des
Erzgießers und der Stift” des Steinfehneiders „gaben
faſt durchgängig nur ſchönes Heidenwerk, weil bag
eigene, ohne fi) .je völlig zu confolidiren, in der Ju—
gend ſchon an der umwölkten Sonne welfte. Die
Muſik mußte »gleichfalls -bald Kriegsgelärm und Luſt⸗
getaͤndel in jene Häuſer bringen, die man Kirchen
nannte, da ſie die Seele der Hörer nur in ihren
Ohren, nicht mehr im Aufſchwunge zum Himmel fur
chen durfte.
So ift denn das herrliche Korn anf einen nicht
gefunden Boden gefallen. Die Pflanze if. ihrer vollen
Entwirfelung, ihrer Schönheit und Farbenpracht be=
saubt geblieben, und bie zuerft ihre Heilkraft gelähmt;
haben fie nachher als nutzlos von fih geworfen,
a |
— — —
........ Der erſte Eindruck, den dieſe Länber.
wachen, iſt ſicher fein heiterer. Die Geſtade ſſiud arm
und entvölkert, die Luft jſt rauh — bie Sonne ſcheint
matt. Da iſt von dem. glücklichen Getreibe ber hun⸗
derte und tauſende von Barken, das bei uns einen
Hafen verkuͤndigt, Feine Rede; da find keine Gärten.
und Straßen auf die See ſelbſt getragen, da iſt nicht
die helle Farbenpracht bei Tage, noch das Glanzmeer
ber Lampen bei Nacht. Alles iſt öde, einfarbig, Teer.
und ſtill; kaum daß fünfzig oder hundert Schiffe in
einem ſolchen Hafen liegen, ein paar häßliche Boote
ab und zu fahren, ein kurzer Damm und ein paar
Erbwälle für Geſchütze fihtbar find, und einige.
fhmugige, ungefhmüdte Häufer am vernachläßigten
Geftade fi erheben. |
Iſt man angefommen ‚ fo fällt Keinem auf bem
Schiffe ein, fein Herz zu Gott zu ‚erheben und ihm
zu banfen für bie glückliche Fahrt, das würden Manche,
nur als eine Läſterung ihrer felbft betrachten. Es.
fällt auch Keinem auf dem Lande ein, ben Angefoms
menen freundlich entgegen zu eilen, ihnen Erholung
nah fo langen Beichwerden, Gaftfreundfehaft mit.
Haus und Tifh anzubieten; denn Jedermann denkt
nur auf fih, und dem Andern beifpringen ift fo viel
als ſich ſelbſt etwas nehmen! Sie haben vielmehr eine
Süpvöfl. Bilderfaal. II. 26,
40%
gräßliche Anftalt, bie fie, wohl nur des Spottes we-
gen, Senität, d. i. Gefundheitsanftalt, nennen, und
über deren eigentlichen Zwed ich mir bermalen noch
nicht erlaube, abzufprechen. Es wird den Schiffen
namlich, und allen, die darauf blieben, durch eine
willkürlich beſtimmte Zahl von Tagen, die in ber
Regel nicht weniger als zwanzig, mandmal aber
mehr als fechzig ift, jede Verbindung mit dem Lande
und den andern Schiffen unterfagt; wer Geld genug
hat, um das Recht zum Aufenthalt auf dem feften
Lande fih erfaufen zu können, der wird nad einem
ummauerten Ort gebracht, Tazareth genannt, und bort
in ein Loch gelegt, wo er, aud bie nothwendigften
Dequemlichkeiten entbehrend, und der Gewinnſucht ger
meiner Faquini preis gegeben, eine ähnliche Zahl von
Zagen ſchmachten muß. Daß diefe Anftalt nicht aus
Sorgfalt für dia Gefundheit der Reifenden und
Seefahrer beftellt ſey, ift Har, denn dieſe werben
vielmehr als Opfer behandelt. Man gibt aber vor,
die Gefundheit des Landes ſelbſt zu ſchützen, indem
bie Seefahrer anſteckende Miasmen mit fi bringen
Tönnten, als 3. B. die der Pet, bes gelben Fiebers,
der Cholera morbus u. f. w. Dies würde man fürs
wahr halten fönnen, wenn bloß Leute, die aus Eranfen
Gegenden Tommen, diefem Verfahren unterzogen wür-
403
den, aber folche, die aus Gegenden fommen, wo auch
nicht die geringfte Spur folder Krankheiten ift, wer:
den nicht anders behandelt. Auch wird ein Mann,
ber mit einem Fuße in dem verbäcdhtigen Lande und
mit dem andern in dem gefunden fteht, nur etwa
vierzehn Tage aufgehalten; ein Anderer aber, der zu
Waſſer fümmt, und wäre er zehn Jahre in der See
geblieben, muß die Doppelte Zahl von Tagen in der
Strafe liegen. Eine nicht zu enträtbfelnde Berwir-
znng berrfcht in den Grundſätzen, wornach diefe An⸗
ftalten in den verfchiedenen Ländern Europa’s einge⸗
richtet find. In einigen dürfen die Schiffe gar Feine
Waare einnehmen, und auch nicht eher wieder abfegeln,
bis nicht die ganze Strafzeit ausgeſtanden ift, mögen
fie auh am erften Tage nah ihrem Anlangen alle
Waaren ausgefchifft und fih innen und außen puri⸗
fisirt haben; in andern zahlt die Duarantaine bes
erften ausgefchifften Ballen .erft von dem Augenblide
an, wo der letzte ausgefchifft ift, Tägen auch Monate
dazwischen; in einigen Häfen würde ein Schiff, das
3. B. aus Konftantinopel kömmt, zu 40, in einem
andern zu 28, in einem dritten zu 14, in einem viers
ten zu 7 Tagen verurtheilt werden, und wieder in
andern gar Feine Duarantaine machen. Eben fo ver-
ſchiedenartig werden die Waaren behandelt. Manche
404
— —— — ——
Länder haben bie Landgrenze ganz offen, andere we⸗
nigſtens nur zum Scheine gefchloffen, und hegen doch
eine heilige Scheu gegen Ankünfte aus denfelben Nach⸗
barkändern zur See. Ein Mandarin des Landes felb,
mit dem ich mich am Lazarethe traf, erwies mir, daß
die Anftalt in dem einen Hafen allein, in dem wir:
eingelaufen waren, jährlih um mehr als drei Mil-
lionen Silbergulden die dort ausgefchifften Waaren
vertheuere, ohne daß daraus ein anderer füchtbarer
Bortheil erwachje, als einen Haufen Leute zu nähren,
welche die Reifenden und Handeltreibenden zu quälen
beſtimmt find. Alles wohl bedacht, Liegt entweder ein
abergläubifcher oder der politiihe Grund: Reifen und
Handel zu hemmen, der Anftalt als Zwed unter.
Das Erftere, obwohl uns unverfländlih, if um fo
wahricheinlicher, ald gerade der Papft, eines der reli-
giöſen Oberhäupter Europa’s, in feinen Staaten die
mildefte Quarantaine, und davon manchen Bortheil
bat, was nicht der Kal feyn würde, wenn nicht ihm
die oberſte Leitung derfelben zuſtünde. Indeß, wie
geſagt, Har ift uns Fremden die Sache durchaus
nicht, und ich empfehle fie Dir als einen Gegenftand,
Dein Nachdenken über die Quellen des Unfinns ver
Menſchen zu üben.
405
— — —
........ Sie haben eine unverwüſtliche Zuver
ſicht in ihre Ueberlegenheit, und ſehen den ganzen
Erdfreis als fih unterthan an. Wie kommen fie
‚dazu? Tann man billig fragen; fie, bie außer Europa,
wovon fie die Hälfte nicht einmal zu den gebildeten
Ländern rechnen, kaum bie und da auf einer wüften
Landzunge ein Fort, oder für Tribut ein paar Lan⸗
dungsplaͤtze beſitzen. Ueber ſolche Einwürfe hebt fie
der Slaube an gewiffe vorausgeſetzte Wahrheiten ohne
Schwierigkeit hinweg. Erftens find alle Ränder, wo⸗
bin Niemand aus dem gebildeten Europa gefommen
if, Wüfteneien ober Barbaren- Eigenthum, kurz, von
der Art, daß fie nicht die Ehre verdienen, in Betracht
zu fommen, und fomit fällt bie eine Hälfte der feſten
Erde ſchon weg; zweitens werben eine Menge anderer
Länder, wohin Jemand aus dem gebildeten Europa
zuerft hingefommen ift, durch Die bloße Thatfache dies
feg Kommend jhon als erobert und als ihre eigenen
angefeben, und ſomit haben fie den größten Theil der
bekannten Erbe inne. Sie thun fih fehr viel auf
ihre Schiffe zu gute. Weit fie nämlich in ihrem Lande
nicht Leben koͤnnen, fo plündern fie entlegene Küften,
wenn biefelben von einem ſchwachen Volke bewohnt
werben, ober betteln mit Unverfchämtheit, wenn fie
fühlen, daß fie mit Gewalt nicht ausreichen. Bon ber
406
Barmberzigfeit der Fürften und Bölfer haben fie hier
und dort Erlaußniß erhalten, ſich anzufiedeln; fie fan-
den Schu in ihrer Noth, Lebensmittel für ihren
Hunger und Nachſicht für ihre: Anmafßung, überall
aber Iohnten fie mit ſchwarzem Undank diefe Gnade,
und mußten an ben meiften Orten, mo die gaftfreien
Bölfer nicht felbft unterlagen und vernichtet wurden,
gewaltfum hinausgejagt werden, um fie los zu feyn.
Ueberall, wo fie erfchienen, fam mit ihnen Heuchelei
und Lüge, Raub und Mord. Sie krochen demüthig
heran, hoben fi dann wie die Schlange, ſpien tödt-
lichen Geifer und warfen ihren gefchwollenen Bauch
über die Unglüdlichen, die ihnen vertrauungsvoll ge⸗
naht waren. So haben ſie glückliche Völker ganz
ausgerottet, edle in barbariſche verwandelt, bfühende
Landſtriche zu Wüſten verſengt, Laſter und Krank—⸗
heiten ausgeſäet, welche Seele und Körper bis in's
zehnte Glied vergiften. Veranlaſſung dazu war jedes-
mal ihr Geiz und Heißhunger nah Schätzen; auf
ihren Fahnen aber fand: Givilifation und Chriftene
thum!
407
Ich war nicht wenig erfiaunt über diefe ſeltſame
Lektüre einer fchönen jungen Dame, doch hatte ber
verruchte Chinefe meine Neugierde Tebhaft angezogen,
and begierig ging ich zum zweiten Fragment fiber.
IL. j
............ So fand ich Wien. Ich liebe in
dunkler Nacht dieſe glanzvollen Straßen, wo die Fluth
feſtlicher Lampen, von allen Säulen aufſtrebend, aus
allen Fenſtern ſtrömend, Dich umgibt, und die Kugeln
bengaliſchen Feuers vergeſſen machen, daß es eine
Sonne gibt, und daß man eine braucht. Ich liebe dies
Gedränge der von Neugierde, Müßiggang, Liebe oder
Zufall verſammelten Männer und Frauen, Mädchen
und Knaben, denen mit jedem Wagen ein neues Schau⸗
ſpiel ſich aufthut, das die Haufen hinter ſich zerreißt,
bis ſie ſich vor den Thoren des flammenden Palaſtes,
der heute die Blüthe Deutſchlands glänzendſter Ariſto⸗
kratie vereinigt, faſt übereinanderthürmen, wie Wogen
der See. Und wie viele, wie prachtvolle Wagen
kommen jest, du Kaiſerſtadt Wien, durch deine ge⸗
krümmten Straßen heran, und halten unter der Ein⸗
fahrt des Palaſtes, den unſer Freund, der Botſchafter,
bewohnt. Wie prangen die Pferde — wie ſtolz thun
die Kutſcher, die Jäger, die Diener, in ihrem hell⸗
408
— — — — —
glänzenden, ſchimmernden Node ber Knechtſchaft. Die
Menge blickt vertraulich erfreut ſie an, ſie ſind von
ben ihren. Aber jeder Wagenſchlag, ber aufgethan
wird, feflelt jedes Auge, das ihn erreichen fann. Da
hinkt in Roth und Gold, in Puder und Steife, ein
Greis heraus, und die Dienge wäre nahe daran, fich
über Täuſchung zu beflagen, bald flattert eine andere -
Uniform hervor, ein Magnaten-Kaftan, ein Elegant
ber Diplomatie, und ftellt Die Menge immer noch nicht.
zufrieden. Nun aber neigt fi zum erftenmal ein in
Brillanten fchimmerndes Haupt heraus, ein vorfichtig
tappendes Füßchen, vor dem Kaiſer und Könige fih
niederwerfen möchten, berührt den Wagentritt, bas
andere folgt, und die reizende Geftalt, von ihrem
Kleide wie von Armen der Liebe umfangen, ſchwingt
ſich jetzt ganz die beweglichen Stufen hinab — da
ſtarrt die Menge in Luſt und Staunen wie vor dem
ſchönſten Tableau im Ballet, als noch Fanny Elsler
die todten Bretter der Buͤhne mit Frühling und Roſen
behing, oder wie vor einer Feuerfronte im Prater,
wenn plotzlich die Nacht mit ihren Sternen bad ſtrah⸗
lende Blumenſtück wie im Rahmen einfaßt.
Aufgethan find die Pforten-der wohlthätig erwärm⸗
ten Treppe, auf deren Stufen ſchon ſo viele Herrſcher
nebeneinander Platz fanden; ſchmeichelnd berauſchender
408
Duft, als enifttege er den fügeften Worten fein bewegter
Lippen, eilt allen - Kommenden als Gruß entgegen;
Blumen, Bäume ſchmücken das Geländer und bitten,
indem fie ed der Hand faft entziehen, daß man fie bes
achte, ihrer Frifche, ihrer Fülle, ihrer Karben gemieße
— ah Frifhe, Fülle und Farben, die drängen fidh
ja Schöner, herrlicher an ihnen vorüber, und der Strahl
aus diefen glühenden Augen, biefen offenen Pforten,
zu einer in Gluth ftehenden Welt, er tödtet fie nicht ?
Nein, er macht fie nur die Köpfchen melancholiſch
hängen — auch find Feine Thränen daran — ſchon längſt
bat fünftlihe Wärme die Thautropfen aufgetrodnet. -
Da ſtehen in Iangen Reihen die Diener von alten.
Sarben und Zeihen — da bricht Glanz aus ben. Sälen,
Glanz an Glanz wie Schichten dahinftrömender Lava,
oder wie Riefeln der See, wenn die Sonne eben big
zur Hälfte in?s Tiebeheige Bette gefunfen iſt; Melodien.
wogen heran, von fanft gebämpften Inftrumenten, Me⸗
lodien, wie Bellini und Beethoven fie fand, oder wie.
Meyerbeer in Schwermuth und Frohfinn fie Dachte; fie
herrſchen nicht, fie dienen nur, fie nahen nur eben dem
Ohr und bitten bei dem Herzen um Einlaß. — Aber
nie gewährte das Herz ihnen mehr als einen flüchti-
gen Dank; denn ſchimmern dort nicht Edelſteine wie
in Golkonda und Augen glängender als fie, und Haare.
410
vou zaubervoller Schönheit, und Blumen mit biamant«
nen Kelhen, welde die Natur zur Bettlerin machen,
und Gold und Silber und Seide! Wogt nit ein
Heer von Siegen und Triumphen durcheinander — yon
Stergen und Drben, von biendenden Nasen und
ſchwellenden Buſen?
Da ſteht der Herr des Hauſes und nimmt die
Huldigung Europa's hin; dort ſitzt ſeine Dame, das
Band der kaiſerlichen Gunſt um die Bruſt geſchlungen,
und theilt das koſtbare Geſchenk ihrer Blicke aus; da
drängen ſich Nuntius und Abgeordnete des Sultans,
Biſchof und Bojar, Miniſter und General, Magnat
und Fürft, Liebender und Geliebte, Freund und Feind
in faum bemerkten immer wechſelnden Wogen vorüber.
Jetzt Yäutet es dreimal. Wer iſt e8? Der Sohn bes
Kaifers yon Oeſtreich. Er führt bie flattliche baieriſche
Prinzeffin, feine Gemahlin, an der Hand. Sie würbe
brechen unter der Laſt der Diamanten, göße nicht ber.
Fönigliche Stolz Feuer des Lebens durch alle ihre Adern,
Es Täutet wieder. Ha! der Sieger von Würzburg
und Aspern. — Der Soldat kennt ihn, der Soldat an
den Ufern der Weichfel, wie ber in den Straßen yon
Bologna und am Dom von Mainz; feht, wie Die Augen-
heller glänzen bei Jung und bei Alt! es Tächelt freubig.
und ſtolz Alles, was Oeſtreichs Uniform trägt in den,
411
fdimmernden Sälen. Es läutet wieder. Dioßmal if
es ber Prinz vom Gebürge, der kühne Jäger, der
Freund des Bauern und ber Bruder des Kaiſers, Ver,
weichen Alyenmann und Steiermarf am beiten kennen.
Es Fäutet und läutetr — andere Kaiſersbrüver und
Prinzen kommen, ihnen folgt ein trauernder Koͤnigs⸗
foßn aus dem Norden, die in Zugend und Schönheit
prangende Frau an der Seite. Wie Alles immer le⸗
bendiger wogt, als züge der Hauch des Morgens über
das fonnerleuchtete Meer!
Wirf ab dein Leichentuch, und freue dich einen
Augenblick mit den Lebendigen, ſo lange du gebuldet
biſt in diefem Feenreihe! Schau um did. — Wer
iſt dieſe Herrliche, die wie ein Magnet die Blicke
feffelt, an der felöft Golb und Diamanten wie befeeft
erfiheinen, und doch wie befchämt ver dem Gfanze
ihrer dunkeln, ſchwermüthigen Augen? Ste fAreitet
einher wie eine Königin, nicht wie eine, die unter ben
Berpflichtungen und Beſorgnifſſen der Krone Bricht,
fondern wie eine ſolche, deren Seele groß umb deren
Haupt flarf genug wäre, um fie als Schmud zu tragen
für beide. Die edeln Kormen ihres Körpers find durch
Milde der Bewegung gefänftigt; doch welch ergreifen⸗
der Ernft wohnt in dieſem blafen Antlig, und wie
geheimnißvoll, tief aus dem Herzen aufgetaucht, blitzt
41%
ein Schmerz in. biefen fhönen Augen, und ſchaut gei-
fterbaft durch Die davor gelagerte Freude, — Der Pöbel.
nennt fie flarr und ſtolz; bie Frauen finden fie hoch⸗
müthig und launiſch; der Mittelmäßigfeit erfcheint fie-
oft unzart und geringfchägend; bie fie nur halb-Tennen,
halten fie für hart und eigenwillig; aber ihre Freunde
wiſſen fie edel, gut, warm und verfändig, unb alle
zufammen, felbft die Frauen, nennen fie fhön — doch
ift dies nur Schönheit? o nein, es ift mehr, weit
mehr, als ich mit umfaffendem Worte hier auszufprechen.
yermag !
Wer aber ift die anmuthige Geftalt an ihrer Seite,
die man hochmuithig ob ihrer Einfachheit nennen Eönnte,
ſpräche nicht ihr ganzes Wefen Far aus, daß fie Feines
Schmuckes bedarf! Das Publifum kennt fie aus geifts
reihen Schriften, und wie man mir fagte, war fie
einſt das Schongfind der berühmten Frau von Stael.
Wie demofratiich befcheiden fie neben der prächtigen,
finnenden Fürftin flieht, aber gerade dadurch ihren
Pla auch zu behaupten weiß. Zwei Jungfrauen
folgen ihr, Wunderblumen, fo ſtill und Geift duftend,
fo farbenreich und doch befcheiden, fo liebewarm und
Seufh im ganzen Weſen — ach, wer dich einft zum
Altar führen wird, bu jugendliche. Hebe, wenn er
Dich Tiebt, wie fehr muß er dich lieben! — Und bu,
413
gluckliche Braut, die du deine Augen nach Oſten wen⸗
beft, und Gluth einſaugſt mit feinem Lichte, wirft du
nicht bie beglüdtefte und beglüdenpfte Frau, fo ift bein
Mann ein Berbrecer.
Aber horch, es vaufcht vorüber wie Schlangen
im Grafe: Selle Goldſchlange, wie wundervoll biſt
du! Welch ein Zauber langt aus deinem Auge mit
unſichtbaren, tauſendfingrigen Händen hervor, und um⸗
ſchlingt feſthaltend, was er gefaßt. Du blickſt ſtolz,
faſt gleichgültig vor dich hin, und doch laufen deine
Blicke wie glühende Kohlen über Buſen und Leib. Die
Tochter einer ſchönen Mutter biſt du, und einen edeln
Namen trägſt du. Wie das goldſtoffene Kleid ſich
ſchmiegt an die herrliche Fülle der Glieder, wie dieſe
Füßchen zum Kuße laden, wie dieſe unvergleichbare
Bruſt wogt und den Jüngling berauſcht, der fie ans
blickt, berauſcht mit Glück und Berzweiflung. Der
Orient ſpricht aus dieſem reinen Halbrund des Kopfes,
aus dieſem dunkeln reichen Haar, aus dieſem Nacht
brand der Augen, aus diefen wollüftigen, Sehnſucht
fühlenden und gebenden Lippen. Ich habe einfache
Mädchen gekannt, und es ward mir wohl, wenn ich
fie anblickte. Sie wiegten meine Gedanken und Em⸗
pfindungen wie bes Sees Fräufelnde Wellen im Abend»
wind. Du aber — unwiderftehliche und höhnende
414
Stegerin, bu bift Scheiterhaufen und Wolluſt, du bift
Sturm der See und Paradies, Untergang und Selig-
keit! Sa, die Fürfkin und du — ihr feyb bie ſtrahlen⸗
den Königinnen bes Feſtes. Wer jene liebt, wird fie
ewig lieben, du wirft den heftigften Rauſch der Lei⸗
denſchaft erregen — aber des Raufches Natur iſt vers
gänglich! .
Haben Sie niemals drei Miniſter freundlich neben
einander ſitzen ſehen, wovon jeder etwas anderes denft
and will? Hier betrachten Sie den Fürſten Metternich,
ihm zur Rechten den Herren von Tatitfcheff, und zu
feiner Linken ben Grafen St. Aulaire. Es wird nun
blos darauf anfommen, welcher yon. Diefen breien ber
geſchickteſte Myſtificateur iſt.
Dies hatte, wie es ſcheint, nicht mehr der Chiueſe,
fondern ein weltluftiger Europäer gefhrieben. Noch
baroder dünkte mir das dritte Bruchſtück, wahrſchein⸗
lich von bemfelben Verfaſſer.
45
III.
Lazareth von Trieſt am 20ten Auguſt.
Theure Sara!
Unſere Ausflucht nach Aegypten iſt beendet, und
wir Alle glücklich im Vaterlande wieder angelangt.
Gazelle und Chamaͤleon befinden ſich a merveille. Die
erſte iſt zwar noch etwas lahm, denn ſie wurde vor
mehreren Tagen in dieſer Heilanſtalt, in der wir uns
Alle befinden (und in welche man gewöhnlich gefund
eintritt, aber faſt immer krank wieder herauskommt),
von einem Skorpion geſtochen; es wimmelt bier zur
Ehre der Sanität davon; Antonio muß ſich alle Nächte
gegen Skorpione und Mänfe fihlagen, mein Zimmer
befuchen fie etwas feltener. Was das Chamäleon be-
teifft, fo iſt es körperlich vom Tode auferftanden, und
zeichnet fi Durch feine Abfcheulichkeit und fittfames
Beiragen and. Es verdient, daß ich etwas Mehreres
für deffen Ruf thue, fonft Iäuft e8 Gefahr, unbemerkt
aus der Welt zu geben; ich verleibe daher dieſen ewi⸗
gen Blättern ein:
Die Sebensgefchichte meines Chamäleons.
Diefes häßliche, zwifchen Eidechfe und Kröte ſchwe⸗
bende Thier verbient eine vorzügliche Aufmerffamfeitr
416
da es aus jener Klaffe der Gefchöpfe if, bie, weit
über ihre Gattung hinaus, Nachahmer finden, und
ihren Namen fcheinbar höheren Wefen aufbringen. Es
ift ein Tiebes Thierchen, etwa acht Zoll lang, Eidechs⸗
form, trägt eine Art Spitzhut, den Pipi’s I nicht uns
ähnlich, hat einen Rachen fo lang als der Kopf, Augen,’
die fih in Kugeln beweglicher Art befinden, natürliche:
Dollonds oder Herfchel’iche Telefkope, einen gezahnten:
Rüden, vier Zoll. langen Leib‘ und eben fo langen,
dünnen und fehr empfindlichen Schweif, vier Deine,
an jedem Ballen zwei Füße und fünf Krallen. Seine.
habituelle Farbe ift grasgrün; im Schlaf (Ces ſchläft
als frommer Bürger wenigftens 14 Stunden. in 24)
wird es gelb; im Wohlbehagen, wenn. e8 nämlich ein.
Fleckchen mit Sonne findet, wird es ſchwarzgrau; oft
beliebt e8 ihm, halb ſchwarz, halb grün au ſeyng im
Beſorgniß, Angft, Bedrängniß, Schmerz wird es
fledig, und dieſe Flecken felbft wechfeln auf die mannig⸗
faltigfte von untergeorbneter. bis zur fhönft geordne⸗
ten Form und machen Deſſeins, die für Kaleidoffope
zu empfehlen wären und Stiderinnen dienen Tönnten.
Es ift fehr ruhiger Natur, phlegmatifch wie ein Raths⸗
berr, bat einen beruhigenden Ausdrud yon Dummheit,
1 Kleine Hüte der Damen, die wahrfcheinlich damals
Mode waren.
417
und bewegt fi) Yangfam. Ueber feine politifchen Ge⸗
ſinnungen bin ich ohne Beſorgniß; über Religion ſpricht
es ſich nicht aus, ſcheint aber ein Parſe, da es vor⸗
züglich der Sonne huldigt. Für Fraß und Trank
"braucht man gar nicht zu ſorgen, es frißt wochenlang
nichtd, dann oft wieder an einem Tage zwanzig Fliegen,
die es auf eine merkwürdige Weife fängt; es flößt
nämlich löslich eine Zunge, die oft länger als es
feroft ift, aus dem Rachen auf die Fliege los, biefe
bleibt daran leben, und geht dann den Weg alles
Fleiſches.
Dies zur Einleitung, damit du bei ben kommen⸗
den Zeilen wiſſeſt, um was es fich handelt.
Mein verehrtes Chamäleon wurde am Vorabend
meiner Abreife von Alerandrien von Muftapha Alt,
Sanitfoharen meines Freundes, gefänglich eingezogen,
und da fein Herr fih nicht mit ihm befaffen mochte,
mir als ein unintereffirtes Andenken zum Gefchent
gebracht. Antonio wurde zu deſſen Wächter beftellt;
er auch brachte es an Bord. Nachdem wir, das Cha-
mäleon und ich, Abſchied genommen vom Geſtade fei-
ner Heimath, brachte e8 mehrere Tage in Faften und
guten Werfen zu, fing dann wieder an, ſich der Ge-
fhäften und dem öffentlichen Leben hinzugeben, be-
ſuchte mit vielem Anftande die Offiziere auf ihren
Süpöftl. Bilderſaal. II 27
418
Zimmern, bewohnte gewöhnlid die Vorhänge in ben
meinigen, benahm ſich gut, überließ ſich aber in ber
Sliegenjagd manchmal zu fehr feiner Fühnen Bedäch⸗
tigfeit, jo daß ed, die Gefahr verlahend, den Leuten
unter ben Füßen herumkroch, ohne fie yon feiner Ge⸗
genwart zu avertiren. Der Himmel, um es bafür zu
ſtrafen, bediente ſich in feiner Weisheit und Milde
bierzu des Fußes eines gewiffen della Lucie, Schmuß-
kümmels von Gharalter, wie die Triefiner fagen, und
Bedienten des Kommandanten dem Range nad. Dies
fer della Lucia alfo trat ganz unbefangen auf baffelbe,
queifchte es völlig, und ſah fein Verbrechen erſt ein,
als es gethan war. Taumelnd verkroch fih bas Cha⸗
mäleon nach dieſem furchtbaren Schlage, ohne daß
man eine Läfterung aus feinem Munde vernommen
hätte und wurde Durch mehrere Tage nicht gefehen.
Wir wollten fhon ein de profundis anflimmen, ale
wir ed, zwar ſchwach, aber aus ber platten Geftalt
anftändig aufgerundet, an ber Verbedfliege wieder
erbiickten; fein Auge war gedanfenvoll; Ernf ſaß auf
feiner Stirne; die Nafe blutete noch und die Unter⸗
finpe verriet Spuren, Die ed ald Zeugen ber erlit«
tenen Schmach bi8 an ben füngften Tag wit ſich
tragen wird, Mit dem Fliegenfangen haperte ed nun
im Wertfinne. Dennoch durch des Himmeld Gnade
419
gedieb es auch im biefew wichtigen Rüdficht wieder
zur Beſſerung und ſah hoffnungsvoll dem Trieſter La⸗
zareth entgegen. Als wir dieſen Tempel nach mancher
erlittenen Gefahr und Verzögerung anfihtig wurden,
befam dad Chamäleon meine Hutfchachtel jur provi⸗
forifchen Wohnung, wurde, wie Ulpffes, Im Schlafe
von dem Schiffe an bie wirthbare Küſte gebradit, und
und bezog am Sten Auguft früb das Quartier nobile,
wo es noch dermalen wohnt. Wie es bier unſägliche
Gefahren beſtand, ſich den Studien ergab, Bekannt⸗
ſchaft mit der Gazelle machte und in mancher Bezie⸗
hung einen neuen Menſchen anzog, will ich auf mein
nächſtes Blatt verſparen, damit des Intereſſanten nicht
zu viel auf dieſes komme. |
Der Mebensgeſchichte Des Chamäleons
zweiter und vorletzter Theil.
Ohne die Anſichten zu kennen, welches das holde
Thier von Europa geſchoͤpft hat, koͤnnen wir doch mit
einiger Zuverſicht ſagen, daß es nicht die beſten waren,
denn es fror auf eine Weiſe, daß wir mehrmals ge⸗
nöthigt wurden, es auf unſerm eigenen Koͤrper und
im Bette zu erwärmen, um feinen erſtarrten Gfiebern-
wieder Leben zu geben. Es ſchloß fi jedoch den
420
Zeitumftänden an, wurde unbehülfficher und deßhalb
mit dem Excellenztitel belegt, brachte viele Stunden
des Tages auf franzöſiſchen und deutſchen Zeitungen
zu, und hatte ſeinen Kopf mit Politik dick gefüllt, als
das Verhaͤngniß, dießmal durch den Fuß meines.
Freundes Connomopolo, denſelben wieder platt trat,
und dabei das linke Auge faſt ganz zerſtörte. In ko—
miſchen Kreiſen, vom Schmerz getrieben, ſchwankte
das Arme und meinte zu vergehen. Wir hielten es
für verloren, aber Gott iſt allmächtig! — es erhob
fih auch dießmal wieder aus der argen Bedrängniß,
und felbft das Auge beilte fi) in wenigen Tagen aus.
Noch war es indeß nicht ganz bergeftellt, als Das
wunderbare Thier, in frommen Betrachtungen auf
dem Fenfterbalfen ſich ergebend, aus dem erſten Stode
in den Hof fiel. Es geſchah an demfelben Tage, an
welchem die Gazelle einen noch betrübteren Sturz
im heimlichen Gemade that, und erſt nach Tanger
Wafhung und Raffinirung der Gefellfhaft nafenhäl-
tiger Freunde und Schätzer wiedergegeben werben:
fonnte. An die Umſicht des Chamäleons gewöhnt,
hatte Niemand fein Unglück geahnet — als plötzlich
Das Geheul der Lazarethwächter etwas Großes ver=-
kündigte. Ich glaubte im. erſten Augenblide, es habe:
Makaroni oder. fonft etwas allgemein Nützliches ge⸗
421
segnet, denn nur fo konnte ich mir die Ausrufe vort
Veberrafhung, und, wie mir fehien, ausgelaflener
Freude erflären. Der Strom wälzte fi bis an meine
Thür — und ba vernahm id, e8 habe fidh ein außer-
ordentliches, nie geſehenes Thier gefunden, und ftehe
mir als verdienftlichen Dienagerie-Inhaber zu Gebote.
Ih ging — und fah die Erceflenz auf einem fonne=
beſchienenen Düngerhaufen gedanfenvoller Ruhe pfle⸗
gen. Genien müfjen es binabgetragen haben, denn es
war unverfehrt. Es hat feither denſelben Sturz, ſelbſt
auf härtere Gegenflände, noch mehrere Male in un:
pergleichlicher Ungefchietichfeit wiederholt, und immer
bat die Hand der Borfehung fih an ihm mild bewahr-
beitet. Sein einfaches, ruhiges Leben, feine Entfer-
nung von allen demagogifchen Umtrieben machten ed
täglich ber Gleichgültigfeit feiner Vorgeſetzten würs
diger, als ſich unglüdlicher Weife ein häuslicher Zwifl
zwifhen Madame Gazelle und Herrn Chamäleon ent-
ſpann. Das Befchnüffeln von Seiten der erftern ſchien
ihm zu mißfallen, er 30g die glänzendfte feiner Livreen,
die der Furcht, alfogleih an (grünes Tuch mit brei⸗
ten Trauerborten, reih in Schwarz geftidt, ftehendem
Kragen, ftraffem Schweif und Schnürleib), und ergriff
eiligft die Flucht: Seit diefer Zeit iſt eine gewiſſe |
Unbehaglichkeit an ihm fihtbar, fo oft Madame im
488
immer ſich befindet, und kein Ehemann kann rafcher
die entferntefien und gewagteſten Orte zu erreichen
fuhen, ald Se. Ercellenz das äußerſte Ende eines
Pfeifenrohrs oder fonft ſchützende Gegenflände in der
gefürchteten Nähe.
Was den neuen Menfchen betrifft, den es anzog,
wie ich erwähnte, fo ift biefer Punft etwas fihwierig
zu berühren, aber zu wichtig, um übergangen zu wers
den. Es muß bier vor Allem bemerkt werden, baß
im Laufe von zwei Monaten nicht Das geringfte corpus
delicti einer chemiſchen Berwanblung irdiſcher Stoffe
vor ben hohen Rath hatte gelegt werben Fönnen, fo
dag wir ſaͤmmilich in den gräufichen Irrthum verfallen
waren (und wer bürfte deßhalb einen Stein gegen
und aufpeben?), daß bie verehrte Ercellenz auf uns
fichtbare Weite, in Luft zerfest, dad Berbaute von
ich gebe. Bor ein paar Tagen aber, zu Alter Er-
ſtaunen, Tieferte es einen beträchtlichen Gegenbeweid
und zwar in folder Menge, daß es Leicht für das
Werk vieler Wochen erfannt werben mußte. Dieſe
neuefte Ausgabe. feiner Werke erfchien in fieben Abs
fepnitten, wovon zwei gelb und die andern ſchwarz
gebunden ‚waren, und ber Afademie wißbegieriger
Fliegen auf dem Mißhaufen übergeben wurden. Diele
merkwürdige Erfcheinung verräth fich offenbar ale eine
423
Folge des Entſchluſſes, ſich an die Sitten und Ge⸗
bräuche des neuen Baterfandes anzufihließen. Wie
viele andere Menfchen, 3. B. der türkifche Sultan,
füngt das Chamäleon die Civilifatton von hinten at.
Wie viel fi) auch dagegen fügen Täßt, wir dürfen
die Intention nicht verfennen; fie verbient Achtung
und unſern aufrichtigen Beifall. |
Lazareth von Trieſt, den 28ſten Auguſt.
Dem armen Chamäleon iſt ſo eben durch Madame
ein Fuß entzwei gebiſſen worden! Weinet Alle und
heulet Klagelieder! Vielleicht aber wächsſt er wieder
zuſammen, doch iſt es ſchlimm, der Knöchel iſt durch⸗
gebiſſen. |
Lazareth von Zrieft, ten 3often Auguft.
Bülletin. |
Se. Excellenz haben: eine unruhige Nacht gehabt,
nur zwölf Stunden gefihlafen, den Fuß gar nicht ger
brauchen können und einen krankhaften Hang nad ber
Senfterbanf gezeigt. Nach Ianger Beratbung baben
Die Aerzte äußerlich einen Tropfen Del verorbnet,
innerlich aber Geduld und Ergebungz auch wurde
dem Leidenden frifhes Gras untergebreitet, welches
Madame mit großer Gefahr fir Se. Excellenz ia
424
einem unbewachten Augenblide auffrag. Trotz der
förperlichen und geifligen Erfchöpfung haben der hohe
Patient abermals ſechs Abfchnitte ihrer neuen Werke.
erſcheinen laſſen. Da aus Reſpelt vor dem berühm-
ten Leidenden biefelben noch nicht geöffnet worden find,
fo Eönnen wir nit mit Genauigfeit dem geehrten
Publikum mittheilen, ob ber legte Abſchnitt das Te-
ftament enthalte, vder Rathichläge an die Zeitgenoffen.
| Der ordinirende Bon Seiten der Yazarethbehörbe
Arzt Peter Zipfel,
Strumpf. Actuar.
Der Febensgeſchichte meines Chamäleons
dritter und letzter Theil.
Da ich jest, wenn ich wollte, außer dem Testen,
noch den zweitleäten, den allerfegten u. |. w. Theil
vor mir hätte, jo könnte ich mich weit auslaffen über
Bas thatens und Teidenreiche Leben meines Helden.
Der Stoff iſt reih, aber Großes muß auf großar-
tige, d. h. auf einfache Weife behandelt werden. Die
Weltgeſchichte ſelbſt iſt am Ende auf wenige Blätter
zu fehreiben, und bie Weisheit der Weifeften Tieße fich
au einer mäßigen Pille zufammendrüden, die jeder
Keifende durch das Land des Lebens in feiner homöo⸗
pathifchen Apotheke zum Gebrauch für fih und ganze
35
Voͤlker mit fih führen könnte. Ich erinnere mich einer
jochen Apothefe von der Erfindung eines relegirten
Hallenfer Studenten, wo in den Fläſchchen, ftatt
Streukügelchen, Conftitutionen präparirt Tagen, ein
fehr remarkables Werk, und von biefem Philantropen
zwar der ganzen Menſchheit gefchenft, einftweilen aber, |
bis fich Diefe meldet, beftimmt, im Fez des Sultang
niedergelegt zu werben. ! Alfo zu meinem Chamäs
leon! Es gibt Wunder, die vielleicht dem Thäter
Spaß mahen, fonft aber zu nichts nüslich find; es
gibt andere, die für den Denker zeitweifen Offen-
barungen gleich fommen und ihn über Zweifel berubhi-
gen, von benen fämmtliche Univerfitäten, zwar nicht
ſprachlos, aber defto ſchlimmer für fie, daftehen. Das
fogleich zu erzählende Wunder, weldes an meinem
Chamäleon geſchah, gehört zu der zweiten Art. Noch
war der Fuß nicht wieder zur Brauchbarkeit ausge⸗
wachſen, den ihm feine Gefährtin in einem Augen
blide der Zerftreuung, oder Übergroßen Hungers, ab»
gebiffen hatte Cein Unfall, den es durch ungeitige An⸗
wendung feines diplomatifihen Talentes, ſich in alle
Farben zu Heiden, und in alle Falten zu fügen, ſelbſt
ı Wir haben kürzlich geſehen, wie fie von dort bereits be=
gönnen, an’s Licht der Welt zu treten.
Anmerk. bes Herausgebers.
— —
zugezogen hatte; denn Madame behandelte es als
Grad, wie es auf dem Grafe Tag), als feine und
meine Jammerszeit endete, und wir Alle ber Freiheit
wiedergegeben wurben. Ich hatte mich, was wirklich
an das Wunderbare grenzt, gefund erhalten im Laza⸗
reihe, Eonnte mid alſo ſchnell auf die Reife maden,
und that es auch, obgleich ein lähmender Froft mir
aus der Heimath entgegen kam. Mein Chamäleon
bewohnte während des Tages meine Weſte; des Nachts
aber, in der Beſorgniß, es zu erdrücken, hatte ich es
in einer Schachtel untergebracht, die ich unter den
Mantel zu ſtecken beabſichtigte. Kaum war das häf-
liche Bild unſeres Gefaͤngniſſes unter den Horizont
geſunken, und der blüthenreiche Karſt vor uns, ſo
jchnitt der Wind kalt in den Wagen hinein. In der
Nacht fuhren wir durch Adelsberg, und am Morgen
waren wir in Lohitſch, wo ich, um nicht zu erfrieren,
mich aus dem Wagen berausheben und in die Wirths⸗
fiube tragen Tief. Ein Nebengrund war, daß ich den
Wagen zufammenflidlen Taffen mußte, denn er Hatte
an einem Steine vor Lohitſch Anftoß gefunden, und
war in Trümmer gegangen. Sch Bätte alſo doch nicht
weiter kommen Tönnen vor einigen Stunden. Nun
denfe dir mein Entfegen Ca, wie ſchwach find bie.
Sprachen!), als ih, aus meiner verbammenswerthen
487
Bergeblichleit endlich erwachend, die Schachtel ſuche,
endlich in einem Winkel des Wagens fie finde, aufs
zeige — da liegt mein Ehamäleon, noch im Tode
fhön, beinfeft gefroren darin. Ich nehme es heraus,
will meinem Gefichte, meinen Gefühlen nicht glauben,
Hopfe mit dem fteifen Thiere auf den Tiſch — mein
Gehör beflätigt, was die anderen Sinne fagten —
beinfeft, fage ich, wie ein Stüd Holz. Der Schmerz
übermannte mid, und ich will den Leichnam fchon
. einer Katze vorwerfen, um ihn meinen Augen wie
meinen Gewiflensbiffen auf immer zu entrüden, ba
hält mich eine unfichtbare Hand zurück — ich laſſe
mir Kalbskotelettes und Wein bringen (Herr, beine
Wege, wer begreift fie!) und befchwichtige mich durch
Efien. Run beginnt das Wunder aus jener unſicht⸗
baren in die fihtbare Natur überzugehen. Es war
ungeheuer heiß in diefem Zimmer, eine wahre Brüte
wärme der Dummheit. Da iſt mir, ald zude mein
Chamäleon, das vor mir auf dem Tiſche Tag. Ich
will e8 nit glauben — es zudt wieder — ich fange
an, zwiſchen Angft und Hoffnung zu zittern — es zudt
und zudt, dreht ſich endlich — wacht auf; fein erſter
Bid fällt auf die Weinflafhe. Es Triedt mühfam
derſelben zu — Hetiert hinauf an dem Glafe, durch
das das helle, falſche Gold fchimmert, faͤllt herunter
428
und lettert wieder; dabei fperrt es den Rachen auf,
verlangend, flebend; der größte Redner hätte nicht
Harer ſich ausſprechen können. Ich tröpfle ihm einen
Tropfen Wein ein — einen zweiten, einen britten —
zehn vielleicht; da beginnt es fich zu drehen, und zu
wälzen, und gräaßliche Fratzen zu fchneiden. Das ift
der Todesfampf, fag’ ich mir verzweiflungsvoll, ee
erwachte nur, um auf ewig zu entfihlafen! Mir fallen
Berwundete ein, die noch einmal begierig trinken und
dann fterben. Uber ſieh, es ftirbt nicht! nachdem es
eine Weile geraftet, beruhigt es fih, — verlangt
wieder zu trinken; jeßt geb’ ich ihm Waſſer. Es wird
fihtbar kräftig — ich wage ihm eine Fliege vorzu-
legen — es frißt fie, es Lebt! Sein präfumirter Tod
war Schlaf — fein geglaubter Todeskampf Raufch!
Es ift erftanden.
Seit dieſem Augenblid habe ich e8 nie ohne Ver⸗
ehrung angeblidt — nie ohne Gedanken, die ich hier
zu entwideln nicht Zeit habe. Es reiste glücklich mit
mir bis nach Peſth, wurde an der Mauth, obgleich
ed ohne Paß war, nicht angehalten — ergößte Biele
und erfebte Biel — kam zu hohen Ehren, indem ed
die böchften Damen in vertrauten Morgenſtunden be=
| fuchen durfte — gab eine reihe Folge von Werfen
heraus und fuhr endlich, nachdem es im Gaſthof zur
.
49
Ungariſchen Krone durch den Genuß mehrerer mit Ar-
jenifpapier Cdie legte Erfindung bes großen Jahr:
hunderts) vergifteten Fliegen das Zeitliche gefegnet,
wohl. ausgeftopft in das Paradies des profektirten
Peſther Mufeums ein. Es hat den Ruhm, bis jegt
noch der erſte und Iegte Gegenftand zu ſeyn, den viele
munifizente Anftalt beſitzt.
Wie viel. Stoff zum Nachdenken bietet dieſe merf-
würbige Geſchichte für einen philoſophiſchen Geift —
wie viel nüglide Lehren in diefem Leben, für alle
Stände, felbft für den fo ſchief beurtbeilten der Säu-
fer! — Süße Freundin! liebſt du es nicht, ſelbſt im
Tode noch?
Ich hatte mit fo ungetheilter Aufmerffamfeit ge⸗
leſen (denn man weiß, wie viel ich fchon felbft mit
Chamäleons zu verkehren hatte), daß ich erft: beim:
legten Wort das ominöſe Zeichen der Unterfchrift ge⸗
wahrte, und es jetzt erfchroden anſtarrte.
le guien Geiſter — Halbmond und Kreuz!
Alſo der Geber Norma's fchrieb dieſe Zeilen, der ges
heimnißvolle Graf, oder wer? ebenfalls ſteht er mit
ihr in Berbindung — war er nicht vieleicht ber
Schatten, den ich in der Grotte bingleiten ſah?
Hierüber muß ich Aufklärung finden! fuhr ich
in meinem Selbfigefpräde eifrig fort — ich foll fie
nur am Freitag feben, heute ifi aber Freitag, warum
ihn alfo nicht gleich benutzen — fte ift allein, erwartet
mich vielleicht — Zögern wäre Thorbeit!
Geſagt, gethan. Mit einbrechender Dämmerung
Rand ich vor dem bezeichneten Haufe. Kaum Tonnte
ih das rothe Kreuz noch erfennen. Doch fobald ich
dreimal leiſe angepocht, erfchien ein reich in Roth und
Gold gekleideter Negerfnabe, Als er das gebotene
Wort aus meinem Munde gehört, machte er ein
Zeihen, was mir anbeutete, ich‘ möge hier einige
Augenblicke auf ihn warten. Kurz darauf kam er, in
einen ſchwarzen Mantel gehüllt, wieder heraus, worauf
er langfam, bald rechts bald Linke, in vielen engen
Gäßlein am Fuß der Akropolis vor mir ber ſchritt.
„Der Wind war kalt; der Weg war weit.” Schön
Hänzte im Mondſchein ber Thefeustenpel, und dane⸗
ben erhob fih drohend bes Areopag’s ſchwarze Felſen⸗
mauer. Bald waren beide hinter und, und wir
— — u — —
wandten uns nunmehr rechts dem Olivenwalde zu.
JZwiſchen eng zuſammenſtehenden Gartenmauern, bie
Domengebüfche überhingen, uns mühſam hindurch
awängend, und und fortwährend bald nad biefer, bald
nach jener Seite wendend, gelangten wir nach einer
guten halben Stunde in einen etwas freieren Theil
Des Waldes, wo ich ein Feines aber nettes Häuschen,
aus rez de chanssse und einem Stockwerk beſtehend,
einfam vor mir liegen fah.
Der Negerfuabe ergriff mich beim Arm, wies
darauf hin und verſchwand im Dunkel ber Baumes,
Nur zwei Fenſter waren erleuchtet. Hohe Delbäume
Banden rund um bie ifolirte Wohnung, und ein großen
gottiger Hund, ber bevor wachte, bellte mich zornig
an. Doch auf einen entfernten PA beruhigte er fi
ſogleich und ſtreckte ſich gähnend wieder nieder. Ein
Klopfer in Form eined Löwenkopfes glänzte heil ges
pust an ber Thür, und ich fegte ihn mehreremal ari⸗
ſtokratiſch ia Bewegung, che geöffuet wurde. Ein
alter Mana, in griechiſcher Rationaltracht, erſchien,
und da er wohl ben Fremden in mir erfamnie, frug
er auf italieniſch nach meinem Begehr.
Ich bat ihn, wich bei feiner Hersichaft als ben
Deutſchen zu. melden, der ihr das in ber Grotte ver⸗
geffene Buch zurüdbringe. Der Alte fehüttelte ben.
438
Kopf und meinte, die Stgnora pflege gar Feine Be-
ſuche, am wenigften um dieſe fpäte Stunde, anzuneb-
wen, Doch wollte er die Botſchaft ausrichten. Ich biieb
unten im Flur fteben, wo eine büftere Rampe brannte,
und wartete ziemlich Yange auf des Alten Rüdkunft.
Endlich zeigte er fi) wieder, wie mir vorfam, mit
einer noch verbrießlicheren Miene ald zuvor, auf dem
oberen Abfat der Treppe, und winfte mir zu fidh
herauf. Mit ein paar Sprüngen war ich bei ihm;
er öffnete die. Thür eines Fleinen Borfaals, wies flills
fhweigend auf einen dunkelrothen Thürvorhang, ben
das Licht im inneren Gemach wie einen Transparent
durchglühte, und entfernte fih. Nicht ohne einige Be⸗
fangenheit näherte ich mid dem Heiligthum, ſchob
Seife die Drapperie zurüd, und trat fchüchtern ein.
Die fchwarze Dame Taß feitwärtd der Thür in ber
&de einer eleganten causeuse, und ihr holder Anblid
gab mir fehnell den halb verlorenen Muth wieber;
„Man muß gefteben,” fagte fie, halb lächelnd, halb
ſchmollend, „Sie willen bie Leute ſchnell beim Worte
zu nehmen, doch will ich nicht zürnen, da Ste eine
fo gute Entfhuldigung mitbringen. Wo iſt mein
Buch? Ich babe es gleich ſchmerzlich vermißt, und
freue mich wenigftens darüber, daß es einem fo ehr⸗
Kidhen Finder in bie Hände fiel Setzen Sie fid,
433
und geben Ste mir dann ohne Zögern meinen
Schatz zurück.“ Schon faß ich auf ber causeuse
neben ihr, und überreichte ehrerbietig den Maroquin⸗
band.
Aber, Madame, erwieberte ich, da Eie meiner
Ehrlichkeit foldhe Gerechtigfeit widerfahren laſſen, muß
ih mich im Boraus und offen einer großen Indis⸗
fretion auflagen — denn ich las in dem Buche — ja,
ich fand fogar etwas darin, was mit einer früheren
Begebenheit meines Lebens in naher Berührung fleht,
und über das ich höchſt begierig bin, von Ihnen Aufe
Härung zu erhalten,
„Die werde ich Ihnen fchwerlich ertheilen können,“
fiel Madame Namor haflig ein, „denn das Buch ges
.bört meinem Manne, und enthält nur Erzerpte, bie
theils er, theils ich, kopirten. Doch — welches ift
denn der Gegenfland Ihrer Neugier ?⸗
» Das Zeichen des Kreuzes und Halbmondbes mit
einander verfchlungen, welches unter einem der Ab⸗
Schnitte ſteht, fagte ich, fie firirend.
Mir däuchte, es zucke etwas Schmerzliches über
ihr Geſicht bei diefen Worten, doch fuhr fie gleich
darauf unbefangen fort: „D das meinen Sie? —
Es ift ein Freund meines Mannes, der fi) zuweilen
fo unterzeichnet, und ber Brief, ben Sie gelefen, und
Süpöftl, Bilderfaal. IL 28
— — — — —
der son ihm herrührt, war am. feine Frau ‚gerichtet,
die ‚glei mir Sara heißt.“ |
Der Briefſteller ſelbſt fheint ein Dann von
mannigfachen Gaben. zu feyn, fagte ih; ift er no
jung?
„O gewiß, kaum einige zwanzig Jabre alt.“
Kennen Sie ihn ſchon lange?
„Aber Sie verhören mich ja wie ein Kriminal⸗
richter! Allerdings Tenne ich ihn feit Jahren — er
it unfer Hausfreund; demungeachtet,“ verbeflerte fie
fh, „darf ich kaum fagen, daß ich ihn Tenne, denn
was er eigentlich im wahren Innerſten feyn mag, ber
Sonderling, was in der Tiefe feiner Seele begraben
liegt, fo wie felbfi der ganze Verlauf feiner feltfamen
Schickſale, find mir nur unvollſtändig befannt, gerabe
hinlaͤnglich jedoch, um zu wiffen, Daß fie einer. genanern
Nachforſchung vielleicht werth feyn mögen. Indeſſen,“
feste fie mit einiger Verwirrung hinzu, „fühlte ich
bisher weder Neigung noch Beruf zu fo grünblicher
Unterfuchung.”
Da fie hier verlegen abbrach, und abſichtlich die
Konverſation auf etwas Anderes zu bringen fuchte, fo
fürdhtete ich, dDurd) meine Neugierde unbequem zu wers
den, und beſchloß, lieber die Zeit für nich Ib u
benugen.
435
Und Ihr Dann, frug ich, gleicht er dem Haus;
freunde?
„O,“ vief fie lachend, „mein Mann ift nicht fo
somanhafter Natur, und denkt mehr an feine praftis
hen Geſchäfte, als an alle die phantaftifchen Grübes
Ieien, denen ſich Achrios überläßt. Ich glaube übri«
geng,” feste fie fchalkhaft hinzu, „er gleicht Ihnen
felöft weit mehr als meinem Gemahl.“
Wie glücklich würde ich mich ſchätzen, erwiederte
ih, wenigftens denfelben Titel des Hausfreundes mit
ihm zu theilen, obgleich ich wohl fühle, fette ich mit
leiſerer Stimme Hinzu, daß es mir unmöglich ſeyn
würde, der fhönen Sara Hausfreund zu feyn, ohne
in die wilbeflen Träume jener romanhaften Einbil⸗
dungskraft zu verfallen, die Sie fo eben als unfer
beiderfeitiges charakteriftifches Erbtheil bezeichneten.
„Daß die Männer doch nie mit und allein feyn
Sinnen, ohne in den Ton der Galanterie zu verfallen!
Ich bin überzeugt, daß Sie jeder irgend leidlichen
- Frau daſſelbe jagen würben.” |
Warum, möchte ich auf diefe ungerechte Voraus⸗
fegung antworten, wollen die Weiber doch immer alle
Männer über einen Leiften ſchlagen? Ich wenigftend
gehöre nicht zu den Frivolen, von benen Sie fpres
chen — aber noch weniger follten Sie jo ungerecht
*
436
gegen fich ſelbſt feyn, ſich mit den Alltäglichen Ihres
Geſchlechts in eine Klaffe zu fegen. Sollten denn
Sie allein, fuhr ich inniger fort, indem ih fchüchtern
ihre Hand ergriff, die fie ſchnell zurüdzog, follten Sie
allein die Gewalt von Reizen verfennen wollen,. die
auch den Kälteften entflammen müffen? Und bürfen
Sie ed dem Stahl verdenfen, wenn ihn des Feuers
Nahe erbist? Er folgt nur dem Bedingniß feiner
Natur, und gut wäre es, wir folgten ihm Alle ein
wenig mehr, als wir aus hundert thörichten Gründen
zu thun pflegen.
„O Alles mit Map!” entgegnete Sara mit fpots
tender Miene. „Wenn aber der Stahl zu heiß wird, —
wiffen Sie, was wir Hausfrauen dann thun? Wir
gießen kaltes Wafler darauf, dann zifeht er ein wenig,
und man. verbrennt ſich nicht mehr die Finger daran!“
Ich glaube wirklich, rief ich Tachend, daß von fo
niedlichen Fingern felbft eine Taufe mit kaltem Waſſer
noch ihr Angenehmes haben müßte; aber wiffen Sie
auch, daß, wenn das Metall recht glühend ift, das
kalte Waſſer nur darauf gegoffen wird, ‚feinen Hiße-
grad noch mehr zu erhöhen, und die Lieblichen Haus⸗
frauen, deren Sie erwähnen, mögen davon wohl auch
zuweilen eine Ahnung haben.
„Sagen Sie lieber: die Männer, und vorzüglich
467
die Ehemänner, die in der That bie graufame Expe⸗ |
riment mit und armen, zu Tiebenden Befchöpfen täglich
wiederholen.”
O bie.Ehemänner! rief ich ungeduldig, reden wir
nicht von diefen Tyrannen. Das Befte ift, dag wir
Menfchen find, ehe wir in den Ehefland treten, und
auch nachher Menfchen bleiben. Die natürliche Folge
davon zeigt fih, dem Himmel fey Dank, täglidy, und
fände fie nicht ftatt, fo wäre es bald um alle die füße-
ften Sreuden auf Erden gefcheben, die nur — ver-
fiohlene Liebe gibt.
‚Dies blieb ohne Antwort, denn der Diener brachte
fo eben einen Heinen Tisch mit Früchten, Confitüren,
frifcher Mitch u. f. w. befest, herein, den er mit mürs
riihem Geſicht vor feine Gebieterin hinftellte.
„Ste müſſen heut mit meiner frugalen Koft für-
Tieb nehmen,” fagte Madame Namor, „wäre mein
Mann hier, fo würde er Ihnen ohne Zweifel ein bef-
feres Sonper anbieten.”
Ich verfiherte, daß ich Feine Art Entbehrung
fühle, und mich mit dem Vorhandenen in jeder Hine
ſicht vollſtändig begnüge, bei welchen Worten ich den
gebedten Tiſch vor und benugte, um das holde Füß—
chen neben mir Teife zu drücken; doch ein firafender,
beleibigter Bid, und das fehnelle Entziehen bes elel-
438
teifhen Gegenſtandes zwangen mich zu größerer Bes
butfamfeit. Das Heine Mahl war bald geendet, und
das unterbrochene Gefpräh von neuem angefnüpft.
Ach wie fehnell verging die kurze Zeit unfers Beifams
menfeyns! Im Feuer der immer lebhafter werbenben
Unterhaltung verlor das Tiebliche Wefen nach und nad
auch immer mehr von der früher gezeigten Zurüdhal-
tung. Die Stille der Nacht, die vor jeder Stoͤrung
ganz geficherte Einſamkeit, zwei Seelen, die fih uns
willkuͤrlich fuchten, und vielleicht durch jene geheims
nißvolle Wahlverwandtſchaft ſchon verknüpft waren,
welche unſichtbar die ganze Natur durchdringt, und die
kleineren Nebendinge dann ſo leicht beſeitigt — Alles
mußte einem näheren Verſtändniß zwiſchen uns einen
ſchnellen Weg bahnen,
Schon hatten unfere Worte eine viel ernftere Wens
dung genommen, und unfere Augen weit inniger zu
einander gefprochen, obgleich meine reizende Gegnerin
noch auf ihrer Bertheidigungslinie flehen blieb, und
manden Gemeinplatz von Pflicht und Tugend den ver⸗
ſteckten Angriffen meiner ſophiſtiſchen Philoſophie ent⸗
gegenfeßte. | '
Theure Sara, fagte ih endlih, Sie verglichen
mich im Anfang unferer Unterredung mit Ihrem Hause
freunde, und das Wort hält feitbem immer meine
439
Gedanken fe. Warum follte diefe Idee ſich nicht
zenlifiren laſſen. Sch bin frei und unabhängig wie
der Vogel in ber Luft, und darf mein Glück fuchen,
wo es fih findet, ja auf ganz und ewig mid ihm
bingeben, wo ed mir entgegenfommend die Arme
öffnen will. Ach und welch ein überſchwengliches Glück
wäre es für mich, jenen Namen mit der That zu
führen! aber denken Sie nicht, dag ich mid) dann da⸗
mit begnügen könnte, mit an Ihrem Tiſch zu ſitzen,
Sie in Gefellihaft zu führen oder Sie auf Spazier⸗
gängen zu begleiten, und zugleich der ſtets bereits
willige Sreund Ihres Gemahls zu ſeyn — nein, zu
alledem müßte ein höherer Preis mir winken, ben ges
meinen Wochentagen auch ein Sonntag folgen, und
in dieſer Alltagswelt nach ihrem ermübenden Treibeu,
von menfhlichen Augen ungefeben, ein bimmlifcher
Engel geheimnißvoll und tröftend zu mir niederſteigen!
„Deſto fchlimmer für Sie,” erwiederte Sara mit
bewegter Stimme, ihre feuchten Augen einen Augen-
bfik auf mir ruhen laffend, und fie dann pfeilſchnell
wieder mit den feidenen Wimpern bededend, „ba
in unferm proſaiſchen Kreife wenig Spielraum für
dergleichen himmliſche Erfcheinungen zu Anden ſeyn
möchte.“
Spielraum! O der Auedruck iſt gut gewählt;
440
ein folcher ift freilich nicht mehr vorhanden, wo tiefer
Ernft ſich geltend zu machen anfängt — ad, Sara!
fein Spiel iſt es mehr, was mir in Ihrer Nähe
das innerfie Herz wie durch Zauber bewegt. — Ja
zürnen Sie mir nicht, holde, Tiebliche Frau; ich war
son jeher ein Kind der Wahrheit, Berftellung ift mir
fremd! Schon Ihr erfter Anblick, obgleich ich dabei
faum mehr ald Ihr Gewand gefehen, Tieß einen uns
begreiflichen, unbefiegbaren Eindrud in mir zurüd;
das Geſpräch in der einfamen Grotte, Ihre rührende
Schönheit, ja bis auf den Veilchenduft Ihres verrä-
therifchen Buches, der mir auch in Ihrer Abweſenheit
fortwährend Ihre Nähe mit beraufchendem Entzüden
zurüdrief — es war zu viel für mid, verbammen
Sie meine Kühnheit; aber verftoßen Sie mid nicht
mit graufamer Härte aus dem einzigen Grunde, weil
ih Sie wie eine Heilige anbete! Sagen muß ich eg,
einmal wenigftens in meinem Leben, daß ich Sie
liebe, Sara, ja mit allen Kräften meiner Seele liebe,
obgleich Ihr Bild erft feit wenig Wochen in meinem
Herzen brennt, und daß ich verzweifeln muß, wenn
fein Funke diefes Feuers das Ihrige zu berühren
vermag. —
Ih war zu ihren Küßen gefunfen und mit glü-
benden Wangen drückte ich Yeidenfchaftlich mein Anz
441
gefiht auf ihre Knie. Ich Hatte im Anfang vielleicht
nur eine Oalanterie gewöhnlicher Art im Sinne ge:
habt, aber ein unnennbares, ungeahneted Gefühl über»
rafchte mich jest. Liebe, Wehmuth und Sinnlichkeit
batten fi feltfam in mich getheilt, und meiner Em⸗
pfindung nicht mehr mächtig, entquollen heiße Thränen
meinen Augen. Da fühlte ich eine weiche Hand in
meinen Häaren wühlen, und hörte eine faft Iautlofe,
bebende Stimme folgende Worte mehr feufzen als
fpreden: „Berfuher . . . . laß ab von mir!” Sch
blidte auf — Sara's Augen waren ftarr vor fi bin
gerichtet, ihr Antlig Leichenblag und ein tief ſchmerz⸗
liches Lächeln zudte um ihren Mund. Dann meine
Hand krampfhaft ergreifend und fie mit Leidenſchaft
an ihr Herz drüdend, rief fie laut: „Fliehe! — Nie
dürfen wir uns wiederſehen.“ Ehe ich noch wußte,
wie mir geſchehen, hatte ſie ſich aus meinen vergebens
fie umſchlingenden Armen losgeriſſen, wie im Traum
nur hatte ich einen ſeligen Augenblick lang ihre Lippen
auf den meinigen gefühlt, dann war ſie in einer Sei⸗
‚tenthür meinen Blicken, gleich einer erdloſen Form,
entſchwunden! |
Sch fand wie von dem Strahl einer galvanifchen
Säule getroffen, mein Herz hatte faft zu klopfen aufs
gehört; es war, ald wenn alles Blut fi zum Lebens⸗
: 448 \
quell zurüdgebrängt hätte, um fortan nur als ein
ungetheilter Liebesſtrom für bies verführerifche Weib
dahinzufließen, deffen wunderbares Wefen jede Fiber
meiner Seele zu erregen gewußt hatte. Das Mag
der Zeit verlor ſich vor meinen Dliden, und ich glaubte,
feit ich lebte, nur fie gefannt zu haben, nur mit ihr
von Emwigfeit ber verbunden gewefen zu feyn. Halb
gedankenlos wollte ich ihr endlich nacheilen, als ber
alte grämliche Diener, ber unterdeß wieder hereinges
treten war, ohne daß ich ihn bemerkt hatte, mir mit
einer Berbeugung anzeigte, mein Negerfnabe ließe bit-
ten, nicht länger zu verweilen, ba es ſpät und ber
Meg in der Nacht unficher ſey. Es war nichts zu
thun, als zu folgen; ich ergriff alfo meinen Hut, mit
ſchwer verwundetem Herzen bie Treppe Tangfam bins
abfleigend, die ich fo Teicht heraufgefprungen war. Was
lag Alles für mich zwifchen jenem und biefem Moment!
und in Gebanfen des Entzüdens, der Sehnſucht und
einer unbegreiffichen Furcht vor der Zufunft verloren,
die fh nur einem tiefen Gefühle beigefellt, folgte ich
mechanifch meinem Führer, und fland endlich verwuns
bert wieder vor der Thür meiner Wohnung, ohne mid
des zurüdgelegten Weges in irgend einer Art erinnern
zu können. | j
Die Unrupe der Gegenwart, hundert Pläne für
442
die Zukunft, einer immer unausführbarer ale der ans
bexe, raubten mir den Schlaf, und Taum war ich aufs
geftanden, als ich. fhon einen Brief an das geliebte
Weſen zu fihreiben begann, das jest alle meine Sinne
‚erfüllte, ohne doch noch zu wiffen, wie ich dieſen Brief
in ihre Hände bringen follte.
Brief an die Unbekannte.
Fünf Uhr früh.
Meine angebetete Sara!
Noch bin ich wie im Raufche befangen! — Welche
Seligfeit fühlte ich in Ihrer Nähe! welchen Todes:
ſchmerz bei der gewaltfamen Trennung! und o Gott,
auf wie Iange! Mir fchaubert bei ber Ungewißheit
diefer Zukunft und Ihren ſchrecklichen Worten: „Nie
dürfen wir uns wiederſehen!“ Wahrlich, Grauſamkeit
muß tiefer in der weiblichen Natur liegen, als in der
männlichen — die ſanfteſte Frau kann Freude an der
Qual ihres Opfers empfinden — denn ſonſt hätten
Sie ſo zu mir nicht ſprechen können! Thue ich Ihnen
Unrecht, ſo verzeihen Sie mir. — — Ach, Sara, ich
weiß kaum, was ich ſchreibe — — laut mit Ihnen
denken zu dürfen, meine Freundin, iſt ja noch mein
einziger Troſt! und went Ihr Herz mich nur ver⸗
ſtehen wollte, wäre alles Uebrige in der Welt nur
444
Tand für mich und unbedeutend. Aber bis ich davon
unumftößlich überzeugt bin, habe ich auch Feine Ruhe;
wachend oder träumend, einfam oder von Menfchen
umgeben, was ih auch beginnen mag, Sie und biete
Ungewißheit allein befchäftigen meine Seele, und fo
lange der mindeſte Zweifel über Ihre wahre Gefin-
nung in mir obwaltet, kann ich nur elend feyn!
Sie fagten mir geftern, als ih, noch verzagt,
Ihnen meine Gefühle nur anzubeuten wagte, ich ſpräche
wohl fo zu jeder hübfchen Frau, Die mir ein vorüber
gehendes Gefallen einflößte. O Gott! wie grenzenlos
iſt Ihr Irrthum! Ich will mich nicht beſſer machen
als ich bin; gewiß würbe ich nicht, von Feiner andern
gefeflelt, gleich dem keuſchen Joſeph, Die Gunft einer
ſchönen Frau zurüdweifen, ‚wenn fie fih mir dar⸗
böte, aber Liebe! — ab, glauben Sie mir, Sara,
noch in dem Testen Augenblid, bevor ich Sie kennen
lernte, fürdhtete ich eine folche Liebe, wie ich fie jeßt
fühle, gleich fengendem Feuer. Ich bin zu ernft für
Diefes Spiel, zu romantifch vielleicht, zu fentimental,
zu thöricht; denn ich kann nicht im Scherze lieben. —
Den erfien Tag, ed ift wahr, gefielen Sie mir nm,
ih fand meine Sinne erregt durch Ihre Schönheit,
Ihr Anblid that mir wohl — das war Alles, Aber
je lebendiger die Erinnerung biefes Bildes in mein
445
Inneres drang, je weniger blieb ich Herr meiner felbft,
und geftern Nacht — als Hundert Heine Züge die
‚ganze Lieblichkeit Ihrer Engelsfeele fo bezaubernd vor
mir entfalteten, als Ihr füßer Athen um mich wehte,
als Ihre Lippen einen Augenblid auf den meinigen
rubten — o mein Gott! welcher. Sterbliche hätte dieſer
Fülle von Seligfeit wiberfiehen können! .
Da verwandelte fi mein ganzes Wefen in Leiden.
fhaft für Sie, und wie magnetifeh gefeffelt hing ich
an dieſen Blicken, die fo fanft, fo tief, fo Hug und
doch fo gut find — ab, ſo von überirdifchem Him⸗
meldfeuer belebt, dag auch wider Ihren Willen fie auf
ewig fih in mein Herz einbrennen mußten.
. 3a, died kann nun auch fein Gott mehr ändern,
ed ift zu ſpät — und fchredlih, wenn. ed mich zu
hoffnungsloſer Dual verdammte. Verdammniß aber
it es, zu Lieben, wenn man allein liebt. Und dennoch
fühle ich .mit Beben, wie gering meine Anfprüche und
folglich meine Hoffnungen ſeyn dürfen! Als mein Fuß
zum erftienmal den Ihren ſcheu zu drüden wagte —
o fönnte ich doch jest wieder meine fiebernde Stirn
auf ihn drüden, ihn mit taufend Küffen bedecken und
mit meinen heißen, glühenden Thränen henegen! —
da zogen Sie ihn zurüd, ald wenn eine Schlange
Sie berührt; und als ich, Die Welt um mich ber ver⸗
446
geſſend, Sie halb bewußtlos an mein Herz zog, hatte
ih kaum, wie beraufchenden Nektar, einen Moment
ben Hauch Ihres rofigen Mundes getiunfen, ald Sie
fih empdrt von mir losreißen und durch graufame
Worte Angſt und Verzweiflung in meine Bruft fäeten.
D Sara, fpielen Sie nicht mit meiner Liebe, fie ift zu
tief, zu wahr dazu. Und nun auf meinen Knien be—
fhwöre ich Sie darum, antworten Sie mir aufrichtig:
was ih von Ihnen hoffen darf? XTheure, geliebte
Sara! entfcheide über mich, fprich frei Berberben oder
Wonne über mich aus — aber täufche mich nicht!
Sie felbft haben mich früher ohne Erbarmen auf
die Sreitage allein beſchränkt. Wohlen, ich muß Ihnen
biinblings folgen, aber die Tage mäffen nun auch das
Geſchäft der Wochen übernehmen — der nächſte Frei⸗
tag muß memeg Lebens Süd. oder Weh beftimmen.
Ich liebe mit allen Kräften meiner Seele, ic) bete
- Sie an wie eine Gottheit, Ste find mir theurer als
meiner Augen Licht — aber ih bin dennoch weber
ein Siegwart noch ein Werther, und es ift thöricht,
eine koſtbare Zeit im unnügem Spiel zu verlieren;
Hr Gemüth, Sara, hängt der Natur noch an, es if
nicht verfümmert und verwachſen in ben Narrenhäu⸗
fern der Menfchen. Sie ſprachen dieſe Nacht von Ihrems
Manne, Ihren Pflichten — ac, bie Liebe kennt Feine
448
fo teodene Pflichten, der Liebe Pflicht ift zugleich
ihre Notbwendigfeit, und die Uebung derfelben:
Wonne, der wahre Zuſtand des Paradieſes, vielleicht
der wahre Stand der Unſchuld! Darum, Sara, laß
und glüdlih feyn, wenn Du anders dies Glück in
meinen Armen zu finden vermagft! Wo nicht, fo vers
-banne mich. ohne Säumen und auf ewig! Doc handle
nicht rafch, nicht wider Dein eigenes Herz, ehe Du
das meinige brichſt — denn das ift die Achte, Die
größte Sünde, die wahre Sünde wider die Natur!
und folglich ja auch wider Die ewige Liebe ſelbſt, deren
Geſetze höher ſtehen, als alle Menſchenſatzungen.
O in welcher Bewegung, zwiſchen Goͤtterglück
und Höllenmarter ſchwebend, erwarte ich Deine
Antwort! Sie wird für mid zum Schichſalsſpruch!
— Bedenke dies! — !
Kaum Hatte ich die legten Worte gefchrieben, als
wie ein hülfreicher Geiſt der ſtumme Regerfnabe in
ı Wenn man Obiges mit jenen Unſchuldsworten vergleicht,
die Herr von Roſenberg einft an Lottchen fehrieb, fieht man
freilich, was Die Welt am Ende au aus dem Lammfrömmſten
macht! Helas! on conımence par ätre dupe, et on finit par
&tre fripon — denn der Teufel mag an die Ehrlichkeit dieſes
Briefes glanben,
Anmerk. des Yuppen « Direktors.
48
—— —
meine Stube trat, um mir meinen Stock zu über⸗
reichen, den ich in der geſtrigen Verwirrung ver⸗
geſſen hatte. Ich händigte ihm, hocherfreut über ſeine
Gegenwart, ſogleich meinen Brief ein; er verſtand
ohne Mühe, für wen er beſtimmt ſey, kreuzte lächelnd
beide Hände über die Bruſt, und eilte ſchleunig von
dannen. Schon am nächſten Sonntagsmorgen erhielt
ich durch ihn folgende, mich im höchſten Grade über⸗
raſchende Antwort:
Sonnabend Nacht.
Sie find grauſam, hart, ungenügſam, undanfs
bar, nicht ih! O hätte ich Sie nie gefehben! Reue,
und ich fühle es, fruchtlofe Neue foltert mid. Doc
Sie haben Recht: es ift zu fpät! — Der Feind war
mit Ihnen im Bunde, und fo haben Sie und er mit
feichter Mühe ein ſchwaches Weiberherz bethört. —
Wohlan, auch ich bin Fein gewöhnliches Weib, und
weil ih mit Schmerz und Luft tief fühle, daß ich
muß, fo will ih auch. Wohlen, die Zeit fol nicht,
wie Sie fagen, in unnügem Spiel vergehen, — aber
vorher muß die Prüfung erft Icehren, ob Sie au
dem Ernſte gewachjen find. Und nun, mein Freund,
will ich es Ihnen nicht mehr verbergen, dag Sie mir
theuer find; ſchon Yänger, als Sie es ahnen, waren
Sie es, — ein Mann von Ihrem Geifte, Ihrer
449
Willenskraft, die dennoch mit fo vieler Kindlichfeit
gepaart iſt, kann den Frauen nicht gleichgültig blei=
ben. Doc hätte es fo nicht kommen follen! — Aber
der Dämon, der Di) und mich verderben will, half
Dir, Unglüdjeliger! Ich rede im Fieber, — es ift
vielleicht der Schmerzensfchrei untergehender Tugend!
Doch fürdte nichts von ihr, mein füger Freund, ich
bin entichloffen. Komme nächſten Freitag.um Mitter-
nadt, der Negerfnabe wird Dir die Thür Öffnen.
3a — ih will Dein, ganz Dein feyn, Di mit
meinen Armen umfangen, wie die Liane die Palme,
mit wilder Luft Did an meinen Bufen drüden und
Dir mehr Seligfeit geben, als irgend eine Andere es
permöchte, — wenn Du Muth haft.
— — —
Dies hatte ich nicht erwartet, und wenn mich der
Inhalt des ſeltſamen Briefes auch mit einem Schauer
des Entzückens durchbebte, ſo war doch etwas Un—⸗
heimliches, Unzufammenhängendes, ja ich möchte ſagen
Unweibliches, faſt Unnatürliches in dieſen Zeilen, was
von der ſanften Lieblichkeit und der bisherigen Zurüds
haltung der räthfelhaften Frau höchſt feltfam abſtach.
Wahrlich, rief ih aus, ich bin nicht mehr jung genug,
um fo plöglihe Eindrüde zu erregen, noch fo leicht
Eüpöfl. Bilderfaal. IL 29
450
daran zu glauben. Etwas mir Unbefanntes muß hier
im Spiele ſeyn, aber was? — Doc fey dem, wie
ibm wolle, an Muth fol es mir wenigftens bei einer
folhen Gelegenheit nicht fehlen, vorausgefegt, daß
fein Verbrechen von mir verlangt wird, denn meine
Seele opfere ih auch der Schönſten nidt. Schnell
ſchrieb ich die wenigen Worte: „Dank, Du heiß ges
liebtes Weib meiner Seele! Rechne auf mi im
Leben und im Tode. Ich komme.“ Und nun beihloß
ih, da noch faft eine Woche zwifchen jest und dem
Tage der entjheidenden Zufammenkunft lag, waähs
rend welcher jede fernere Correſpondenz gehaltlos,
ja faft lächerlich geworden wäre, fo viel ed meiner
Charafterftärfe möglih, mir die Sache aus den Ges
danken zu fohlagen, und mit aller zu erlangenden
Ruhe meinen gewöhnlichen ZTagesgefchäften nachzu⸗
gehen. Eine fehr gute Gelegenheit zu Zerfireuung
wie Belehrung bot ſich eben dar, und ich eilte fie zu
benugen. Die Hauptſache war ja erreicht, die Gewiß⸗
heit meines Glücks Tag vor mir, — unter ſolchen
-Umftänden fonnte man ja die Ungebuld wohl eine
Woche lang zähmen!
Sechstes Kapitel.
Des Herrn von Rofenberg archäologiſch-militairiſche Excurfion
nach dem Schlachtfelde von Marathon.
„Den Athenern aber wuchs ſtit dem glorreichen
„Tage bei Marathon der Muth, und mit ihm
„tie Kraft.“
Sobannes Müller.
Ich wibme diefer Fleinen Tour einen eigenen
Auffag, weil das hiſtoriſche Sntereffe der Lofalität
groß ift, und demungeachtet immer noch mehrere bes
deutende Meinungsverſchiedenheiten und daraus ent⸗
ſtehende Ungewißheit über die Stellung der Griechen,
den Verlauf der darauf folgenden Schlacht, ja ſelbft
über die genaue Lage Marathond flattfinben, welde
durch das Folgende eine Ergänzung mehr erhalten,
und zur Erforichung der Wahrheit in fo weit beitragen
45%
mögen, als die Feftftelung der Wahrheit überhaupt
bei Dingen diefer Art möglich if. Eine ſolche Zu⸗
verfiht würde dennoch arrogant erfcheinen, wenn ich
nur meine eigenen Anftchten bier aufzuftellen beabfich-
tigte, da wir aber das Glück hatten, unfere Expedi⸗
tion unter der Leitung zweier Manner zu machen,
des Herrn von Profefh und des Confuld Herrn
Gropius, von denen ſchon Jeder allein als eine Aus
torität anerkannt wird, fo darf eine Meinung, welche
Beide billigen und theilen, wohl auf einige Aufmerf-
famfeit Anfpruch machen.
Außer den genannten Perfonen ward unfere Ge-
felfchaft noch durch den jungen Grafen Joſeph Schaff-
gotſch und den Herren Baron von Friefenhof vermehrt,
die fih alle bei Herren von Prokeſch verfammelten,
von wo wir, ganz gut beritten und mit allem Nöthi⸗
gen verjehen, am Aten April um 7 Uhr früh, bei
wolfigem Himmel, aber Harer Luft, aufbrachen. Wir
fhlugen den Weg nad Kephiffia ein, der zunächſt
zwifchen dem Lykabettus und der hügelreihen Turko⸗
vuni hindurch führt, kamen hier bei Spuren einiger
antiten Gräber und den Gärten von Ambelokypos
vorbei, betrachteten dann eine kurze Zeit lang die mas
leriſchen Nefte des Aquäducts Hadriang, und mußten,
als wir bei ber zerflörten Kloftermeierei Pelica ans
"483
langten, dem guten Gefhmad des jungen Könige
voße Gerechtigkeit widerfahren laſſen, der fich dieſe
reizend gelegene, mit alten fräftig wuchernden Oliven-
daumen gefchmüdte Anhöhe zur Anlage eines Lufts
ſchloſſes ausgeſucht hat. Kephiſſia felbft, mit feinen
Gärten voller Feigen-, Maulbeer- und Judasbäume,
die jeßt in ihrer üppigften Blüthe fliehen, macht einen
veht wohnlihen und heitern Eindrud, Durch den
friſchen Glanz des beginnenden Frühlings heute noch
mehr gefteigert, obgleich der füblidhe Frühling dem
unferen nie gleichfommt. Umberliegende Säulenſchäfte,
halb fertig gearbeitete Marmorblöde, Reſte von
MWafferleitungen und befonders ein pittoredfer Bogen,
unter welchem ber Weg binführt, von dem Stalaftiten
berabhängen und ben die rothblühenden Blumen des
Sudasbaumes, mit Epheu und Schlingpflanzen ver-
mifht, prachtvoll überwoben hatten, Tiefen auch das
Altertum nicht vergefien, — die ehrwürdige Ber-
gangenheit, welche bier freifich faft auf jedem Schritte
zu ung fpricht. Auf dem P abe bei der Mofchee, der
rings von wohlkultivirten Gärten umgeben ift, und
in deffen Mitte fich eine zierlich gefaßte Duelle be-
findet, wählten wir unfern erſten Ruhepunkt. Eine
ungeheure Platane, deren Aefte leider im letzten Kriege
die Hälfte ihrer Länge verloren hatten, um zu den
454
Lafetten der Börfer zu bienen, mit weldden man bie
Akropolis beſchoß, breitete ch doch noch fo weit aus,
bag wir und unſere Pferbe gemächlich Darunter Plas
finden konnten, während Herr Gropins unfer frugales
Fruhſtück durch viele pifante Erzählungen aus dem
reihen Schage feiner Erfahrungen und eines mehr
als dreißigiährigen Aufenthalts in klaſſiſchen Landen
auf das Angenehmſte würzte.
Wie intereffant würde eine Geſchichte der gries
difchen Revolution fepn, ‚welche mit pockifcher Kraft
fih all der wimderbaren Details zu bemächtigen
wüßte, die eigentlih ihr Charakterififches ausmachen.
Dies ift für und eine neue Welt, denn weber bie
Nationalität der Griechen noch ber Türken ift und
bisher, außer etwa theilweiſe im Anaſtaſius, recht
lebendig vorgeführt worden.
Als im Jahre 1821 die Maſſe der Türken, ſo
erzählte Herr Gropius unter andern, ſich ſchon auf
bie Akropolis gezogen, bie ummauerte Stadt aber
noch von ihnen militgirifch beſetzt blieb, hatten die
Gemeinden der Dörfer Kaffla, Menidi u. f. w. durch
die Nachrichten der Siege von Livadia und Kalavrita
ermutbigt, die weiße Fahne mit dem Kreuze aufges
zogen und bebrohten Athen mit einem Ueberfall. Im
Anfang hielten die Türken forgfame Wade, begnügten
455
fh aber doch in ihrem Acht vornehmen, forglofen
Sinne, ihre griechiſchen Diener auf die Mauern
zu poftiren, während fle nur an den Thoren bei großen
Feuern Tagen und dort Pfeife und Kaffee nicht ent⸗
behrten. Die fchlauen Griechen im Dienfte der Türs
fen führten es in dieſer Zeit wie einen Scherz ein,
von den Mauern in das Keld binabzurufen: Kommt,
fommt, die Türken fchlafen! Diefe Tachten darüber,
weit fie wohl wußten, daß fie nicht fchliefen. Einige
Wochen vergingen fo ohne Angriff, und bald hielten
die Mufelmänner mit ihrer Teichten Art, die irdifchen
Dinge zu nehmen, fih für fiher, und verfäumten
gänzlich die bisherige Wachſamkeit. Der alte Spotts
ruf dauerte aber immer fort, und warb nun
als Ernſt von außen vernommen. In der Oſter⸗
nacht flürmten, mit dem Feldgefchrei: „Chriſt iſt er⸗
flanden!” die Griechen den ſchwächſten Theil der
Mauer, da, wo jet bas Palais des Königs erbauet
et, und nur Wenige ber wirklich größtentheild im
Schlafe überraſchten Befagung vermochten fih in bie
Feſtung zu retten.
Als die Türken gegen dad Ende ber zweiten Be⸗
Sagerung, bie fieden Monate dauerte, während welcher
es feltfamer Weiſe wohl in Athen, nie aber über der
Akropolis vegnete, die furchtbarfte Noth an Waſſer
46
Kitten, konnten fie ihre früher hinaufgetriebenen Efel
nicht mehr erhalten. Jede andere Beſatzung würde
fie geichlachtet, vieleicht ihre Blut getrunken haben.
Nicht fo die Türken, welde dazu viel zu viel Thier-
liebe befigen. Sie liegen mit großer Mühe die un
ſchuldigen Thiere an Striden herunter, wo ſich die
Griechen unter ihren Augen berfelben bemächtigten.
Ein Anderesmal begab fih etwas Aehnliches,
doch von mehr tragifcher Natur. Ein Theil der Be-
fagung, der einen Ausfall gemacht hatte, um Lebens⸗
mittel zu.erlangen, ward zurüdgeichlagen, und rettete
ſich, vom Wege abgefchnitten,, Dicht unter die Felſen—
wände der Feftung. Die Griechen, durch die Mauern
bes Theaters des Herodes geſchützt, tiraillirten mit
ihnen, doch konnten fih für den Augenblick beide
Parteien in diefer Stellung nit viel anhaben. Wie
früher die Efel, Tießen nun die Türfen mit Matragen
und Deden umwidelte Kaften herab, in denen fie ihre
Kameraden einzeln binanfzogen. Sobald diefe aber
eine gewiſſe Höhe erreicht hatten, dienten fie den Grie-
chen, die über ihre ſchützende Dauer. hinaus nun auf
fie feuern Eonnten, zum bequemften Ziel, und mancher
arme Türfe ward auf Diefe Weife, gleich -einer wilden
Ente, noch im Fluge erlegt. _
Herr Gropius erlebte auch perſoöͤnlich manche
mestwürdige Fata in. Diefen Zeiten. Im Jahr 1821,
wo Dmer Vrione zum Entſatz Athens heranrückte,
verbreitete ſich davon ein dumpfes Gerücht in- ber
Stadt, doch. Tonnte der Conſul, der. nicht mehr aus⸗
ging, aber fortwährend zur Beobachtung am Fenfter
faß, durch Niemand, ben er anrief., befimmte Nach⸗
richt erhalten, bis endlich, beſtaubt und erhigt, ein
fiebender — Taubſtummer erfchien. Diefer gab fo.
fpredende Zeidhen, daß Herr Gropius von nun:
an wußte, woran er war. Kurz bavauf erhob ſich
au von der Aftopofis das. weithin fihallende Gebet
der Türken zu Allah: dankend gen: Himmel. In Folge.
der nun bald flattfindenden Maſſacre blieb die Stabt
mit Leichnamen fowohl von Menſchen als Thieren
angehäuft, zu deren Befeitigung die Türken auch nit
die mindefte Anſtalt machten‘, obgleich ein peflilenzia«
liſcher Geſtank alle Straßen erfüllte, und in bes:
Gluhhitze des Augufls eine fo ungeheure Anzahl Flie⸗
gen fich einfanden, bag man- nichts genießen Tonnte,
ohne fortwährend über den Speifen zu webeln. Dit
vor. des Eonfuld Haufe Tagen faulend ein Zürfe und
din Grieche, beide, wie Byron fagt, „noch in ber
legten Umarmung ber Feinde” begriffen. Diener hatte
Herr Gropius nicht mehr; er holte alfo aus Teeren
Häufern und Kivchen die Trümmer von Holzwaaren
mit zertretenem Stroh herbei, und verbrannte mit-
deren Hülfe die beiden Leichname eigenhändig, deren -
Geruch er nicht Jünger ertragen konnte. Als er dars
auf dem Paſcha einen Beſuch abflattete, um ihm Vor⸗
ftellungen wegen einer fo grenzenlofen Nachläßigkeit
und Barbarei zu machen, gab ihm diefer vollfommen
Recht, Hatfchte in die Hände, und befahl dem Herbei⸗
eifenden, fogleih ale Todten, die in den Straßen:
Tägen, begraben zu laſſen. Wie warb Died ausge⸗
führt? Man fehleppte fie in die naheftehenden leeren
Häufer, ſchob den Riegel vor die Thüren und ließ.
fie Dort verfaulen, und babei blieb es.
Noch viel gräßlicher ging es zu Corinth ber, wo
befanntlih fpäter eine ganze türfifhe Armee durd
Mangel und Krankheit zu Grunde gerichtet ward,
Große Haufen von Gerippen verburfteter Laſtthiere fab
man dort, nad der Türken Abzug, um die waſſer⸗
leeren Brunnen aufgefchichtet; viele todte Menſchen
fagen, mitten in ben Straßen und an den Mauern
hin, noch ganz angefleivet auf ihren Betten ausges
firedt, bilflos darin geftorben und auch barin vermo⸗
dert; Feine Hausruine war ohne Leichname, und dieſe
in der That die einzigen Bewohner der Stadt geblie-
ben. In diefer furchtbaren Epoche defertirten auf ihre
eigene Hand 24 Kameele, von einem &fel angeführt,
459
und gingen zu ben Griechen über, ohne von einem
einzigen Menfchen begleitet zu ſeyn.
Ein Hauptgrund des Mißglückens biefer Erpes
bition lag in einem jcheinbar fehr geringfügigen Um-
ftande. Als Dramali in einem Tage, ohne eigentlich
Befehl dazu zu haben, von Theben bis nad Gorinth
den foreirten Marfch unternahm, wurden viele Trais
neurs feiner Armee von den in den Bergen im Hin
terhalt liegenden Landleuten gefangen, und unter biefen
auch die Feldſchmieden mit den fämmtlichen Vorräthen
an Hufeifen genommen. Später fonnten die Türfen
ſich feine mehr verfchaffen, was auf den durchaus mit
fpigen Steinen bededten Wegen dieſes Landes ihre
ganze Kavallerie völlig unbrauchbar machte, und alfe
ihre Bewegungen von da an paralpfirte,
Noch muß ich der Snduftrie der Bewohner des
Dorfes Kaffia, unweit Athen auf dem Wege nad)
Theben, bei diefer Gelegenheit erwähnen, bie, unges
achtet das Dorf mehr als einmal von ben Türken
angezündet wurde, ihre Häufer dennoch buch das
einfache Mittel retteten, vorher immer bie Ziegel abs
zudecken. Nun blieb das zum Behuf des Niederbren⸗
nens angezündete Stroh nur ein Strohfeuer, weil die
Flamme oben einen leichten Ausgang fand, Holzwände,
Geräthe zum Verbrennen hatten fie in ihren Woh⸗
489
nungen nicht; es war ihnen alfo genug, daß nur bie
Mauern mit dem Dachgerüfte ftehen blieben, und ſo⸗
bald nachher die Ziegel von neuem aufgelegt wur⸗
den, waren auch die Wohnungen wieber in der alten
Ordnung.
Vielen Hunderten, Türken wie Griechen, rettete
Herr Gropius mit Hilfe der Eonfularflagge, bei den
fluctuirenden Siegen der einen und der andern Partei,
Durch feine ehrenvolle Seftigfeit bas Teben. Er räumte
ben Flüchtlingen bei fih Haus und Hof ein, forgte,
fo weit es die Möglichkeit geflattete, für ihre Ernäh-
zung, und verlor allerdings darüber ben ‚größten Theil
feines Vermögens, verlor auch Haus und Hof, welche
der Krieg niederbrannte, aber es gibt ſelbſt heut zu
Tage noch keinen Conſul in Griechenland, der eines
ähnlichen Anſehens, einer fo großen Verehrung allge⸗
mein genießt. Das kommt von bem Umftande, daß
bie. Völker doch etwas mehr Erinnerung
haben als bie Regierungen, Einen Zug, ber
biefen wadern Dann bezeichnet, und ber mir. wiebers
holt in Athen erzählt wurbe, will ich bier ald Anben-
fen nieberlegen. An dem furdtbaren Tage, wo Dram-
ali Paſcha Athen erffürmte, farben, Taufende unter
| ben Händen ber Sieger. Blut und Wuth reimen
fi ih, möchte man fagen, nicht ohne eine tiefe Bedeu⸗
u
fung in unferer Sprade. Blut erzeugt und fleigert
die Wuth. Sn war es da. Haus für Haus wurde
erflürmt, und was nit bie Geldgier oder bie Sinne
lichfeit zu reizen im Stande war, Sage wie Menſch,
in den Staub getreten, vernichtet; dann bas leere
Hand. den Flammen preisgegeben. Schon waren bie
Stürmenden bis an das Eonfulargebäude des Herrn
Gropius (bed einzigen nicht geflüchteten europäifchen
Eonfuld) gedrungen, in deffen geräumigem Hof über
fiebenhundert Männer, Weiber und Kinder Zuflucht
fuchten und fanden. Wie mander unſerer hochge⸗
rühmten Philanthropen würde an Gropius Stelle fein
Haus gefchloffen gehalten, feine Feigheit hinter irgend
eine Phrafe geftecdt, und hintennach einen ruhmredigen
Bericht gefchrieben haben! Gropius hielt fein Haug
offen, fo fange noch Flüchtige aufzunehmen waren.
Erft den führererlos. qubrängenden vorberften Türken
Schloß er es, aber nur fo lange, bis er bie öfterreichi-
ſche Flagge hatte in ben, Thorweg breiten, einen Stuhl
darauf ftellen, und jet, wie einft bie Bäter Roms, vor
den Gallerien ſich nieberfegen Tonnte; dann befahl er
beide Thorflügel aufzureißen, und ben Stürmenden
bie Worte entgegen bonnernd: „Ich bin. der Conful!
dies ift die Flagge des Kaiſers! mein Haus ein. Aſpl,
und nur über meinen Körper tretet ihre in daſſelbe!“
462
feffekte er ben blutigen Haufen, und wandelte die Wuth
in Achtung. Türken waren es, Söhne ber macedo⸗
niſchen und albaniſchen Gebuͤrge, daher durch das
Beiſpiel von Muth, und durch den Reſpekt für Flagge
und Aſyl erfaßbar! — Sie ſahen den Hofraum voll
der ihnen entwandten Opfer, aber ſie hielten an, und
nun wandte ſich Gropius zu einem ihrer Offiziere mit
der Einladung an den Paſcha, bei ihm, dem Conſul,
das Abſteigquartier zu nehmen. Der Offizier über—
brachte ſeine Boiſchaft — der Paſcha nahm den An⸗
trag an, und nun waren die ſieben hundert und ſo
viele Menſchen gerettet! Hier waren die Geretteten
Griechen geweſen. Als ein Jahr darauf die Türken
wieder aus der Stadt gejagt wurden, nahm Gropius
mit derſelben Menſchlichkeit an zwei hundert türkiſche
Frauen in ſeinem Hauſe auf, ſchützte, nährte fie, und
als endlich die Schiffe zur Ueberfahrt nach Afien an-
gefommen waren, führte er die Zitternden, mitten
durch die Haufen gieriger Griechen, durch die zwei
Siunden lange Ebene nach dem Piräus, er in Perſon
an der Spitze des Zuges, ſein Kanzler am Ende def-
felben. Seine Haltung lähmte die Gier nad) Weibern
und Schmud, Wie oft die Frechften auch herandran-
gen an den Zug; er, der Unbewaffnete, vertrieb ſie. —
Man muß bekennen, daß während dieſes gräuel⸗
463
sollen Krieges die Türken faft immer fich traitabler,
und ihren Worten treuer, als die Griechen bewiefen.
Grauſamkeiten kamen indeß von beiden Seiten und
mit gegenfeitiger Weberbietung fortwährend vor. Herr.
son Profefh fand einmal auf Sphacteria bei Navarin
bie Leichname von zwanzig Griechen in einer Spalte
des Kalkgebirges ſtecken, welchen man die Hände auf
den Rücken gebunden und ſie ſo lebendig, mit dem
Kopf nach unten, in die Spalte gewaltſam einge—
zwängt hatte. Bon der Sonne gebörrt, war die Vers
zerrung gräßlicher Verzweiflung noch mit furdhtbarer:
Wahrheit auf den Gefichtern diefer Unglüdlichen aud-
gedrüädt. So etwas ift freilich ſchrecklich, und die
Borfehung läßt Alles zu. — Es iſt aber do nur
Euer Wille und Eure Schuld, Menfchen, dag fo
Schreckliches geſchieht! Werdet Füger und beffer, fol
get der Offenbarung Chrifti wie der in Euerm In⸗
nern, und nichts von dem Allen wird mehr möglid.
feyn! Der Borfehung habt Ihr nichts vorzuwerfen —
nur Euch ſelbſt!
Unter ſolchen Geſpraͤchen, Die ich hier nur andeu⸗
ten kann, verging die Frühftüdsftunde und ſchnell und
nicht ohne Belehrung. Weniger günftig war ung ber
Himmel; denn fohon bier begann der Regen, ber ung,
aub bis zu unferer Rückkehr nur felten einige trod=
664
nere Intervalle nengönnte. Da es jedoch faſt immer
nur Strichregen waren, bie über und hingingen, oft
ungleich; von Sonne und Regenbogen hegleitet, fo ver⸗
Inren wir hinſichtlich der Beleuchtung vielleicht weni⸗
ger, als wir dadurch gewannen, denn ſtets zeigte ſich
die Gegend, wo der Regen nicht hinfiel, doppelt klar,
während an den reinen. Sonnentagen hier, wie in
Nordafrika, gemöhnlich ein trüber Dunft die entfernte-
ven Gegenfände undeutlich macht. Weber das Raß⸗
werben aber muß ein Reifender ſich hinwegfegen kön⸗
nen, dem mehr ald allen Andern eine wenig ftoifche
Ergebung vonnoͤthen if.
Der Weg von Kephiſſia nördlich des Pentelifon
bis an die Bergrücken, welche von der Landſeite in
einem Halbzirkel Marathons Ebene umſchließen, iſt
von wenig Intereſſe, da er fort und fort über öde
Haiden hinführt, die jedoch, durch den Duft des Ros⸗
marins und anderer wohlriechenden Pflanzen, überall
eine liebliche Atmoſphäre um den Wanderer verbrei-
ten. In der Mitte diefer Einöde Fiegt das Dorf
Stamätes, und eine halbe Stunde hinter demfelben
fanden wir in einem kleinen Gebüſch von Andrachne-
firäuchern, durch das wir nur durch Zufall Tamen,
weil wir den Weg verloren hatten, die Auinen eines
alten Marmorgebäubes, deſſen Beflimmung nicht mehr
— —
—
465
gu erkennen war, denn wenige Blöde nur befanden
ſich noch in ihrer urfprünglichen Tage, Herr Gropius
hatte diefe weniger belohnende, und oft ſchwer zu er»
kennende Straße abfihtlich gewählt, weil es von Wich⸗
tigkeit if, dag man in diefer Richtung die Ebene von
Marathon zuerfi erblide, wo fie fich überrafchend und
"in ihrem ganzen Umfange plötzlich barbietet, währen»
fie fih von dem andern mehr befuchten Wege, füblich
des Pentelifon, ſchon Tange vorher, aber nur theils
weife zeigt, und nie vollftändig überblidt werben
faun, bis man auf ihr ſelbſt flieht. Auch marfchirten
die Athenienfer auf derfelben alten Straße zur Schlacht,
was zum befiern Verſtändniß dieſer weſentlich bei⸗
traͤgt.
Die erwähnte Ausſicht, welche ſich am Gipfel des
Aforismo, dicht über Brana, nad) der langweiligen
Zour wie dur einen Zauberfchlag entfaltet, ift veich
und erbaben. Schon erblidt man auf der wie mit
dem Richticheit geebneten Plaine den Zumulus ber
Athenienfer; man fieht fehr deutlich links am äußerften
Ende der Ebene die Bucht, in der die Perfer affein
landen Tonnten, um ihren Schiffen einige Sicherheit
zu gewähren, wie. auch die Moräfte, in bie fie theils
weife nach dem Verluſt der Schlacht getrieben wurben,
nit weit vom Tumulus, auf derfelben nörbliden
Sudoſtl. Bilberſaal. II. 30
466
Seite beginnen. Senfeits bed breiten Mecrarınd
thürmen fih die Bergfetten Euböa’s in verfchiedenen
Abfägen über einander, verlängert durch die Eleinen
Smfeln an ihrem füdlihen Ende, fo wie norbwärts
durch das Gebürge Attifa’d. Indem man den fteilen,
vielfach gewundenen Weg nad) Brana hinabfteigt, theilt
fi der große obere Ueberblid in viele reizende Ein-
zelheiten, durdy den Kieferwald, der die Bergabhänge
bedeckt, anmuthig unterbroden, und manchmal auf
Augenblide auch) ganz verborgen. Brana ift ein Klofter
des heil. Georg, wo wir freilich nur ein höchſt elen⸗
des, vom Winde durchſaustes, und durch ſechs obere
Senfteröffnungen dem Regen fehr zugängliches Unters
fommen fanden, und wo überdem, außer Brod und
Wafler, Eiern und bodig fehmedender Butter, feine
Lebensmittel aufzutreiben waren. Man gab indeß
willig und gern, was man hatte, und unfere Pferde
tröftete reichliche Gerſte für den ermüdenden Marſch.
Ungeachtet des heftigſten Platzregens konnten wir
doch, da und noch eine reichliche Stunde Zag.übrig _
blieb, die Begierde nicht zähmen, und etwas auf der
Plaine umzufehen, und wanderten daher zu Fuß bis
zum Heraffefum, deffen Lage Leake wohl außer Zweifel
gefegt hat, obgleih nur ſchwache Ueberrefle davon
vorhanden find, Im Uebrigen mußten wir und mit
467
der Befihtigung einiger niebrigen, halb verwiſchten
Tumuli, und bie und da zerftreuten ſchwachen Ans
zeichen von Gräbern, nebft drei oder vier umges
worfenen fleinernen Wafchtrögen für heute begnügen.
In diefen letztern verehrten, beiläufig gefagt, einige
engliſche Altertbumsjäger ergöglicherweife die Pferdes
frippen des Artaphernes, von denen der geehrte Lefer
das Weitere im Paufaniad nachſchlagen kann. — Die
Hauptſachen blieben auf den andern Tag verſchoben,
der uns ſchon früh zu detailirterer Beſichtigung zu
Pferde fand.
Ich bitte, von nun an die Charte von Leake zu
Hülfe zu nehmen, und zugleich die Kruſe'ſche damit zu
vergleichen, um ſich beſſer orientiren zu konnen, und
zugleich zu ſehen, warum wir von Leake abwichen,
und welche Irrthümer Kruſe's wir beſtreiten, in die
der verdienſtvolle Gelehrte aus Mangel an richtiger
Lokalkenntniß, die nur durch Selbſtſehen erlangt werden
kann, auf ſeiner Studirſtube verfallen iſt.
Nachdem wir die Thalvertiefung bei Brana mit
ihren Ruinen (die Grotte des Pan, welche wahr-
ſcheinlich nicht die des Pauſanias ift, ließen wir, als
zu viel Zeit raubend und wenig bedeutend, ungefehen),
das angrenzende Thal bei dem jetigen Marathon ums
zitten hatten, durchſchnitten wir die Ebene, um ben
großen Tumulus zu erreichen, dem einzigen hoch übri«
gen, wirklich beglaubigten Monument der Schladt;
denn von jenen die Ramen der Gefallenen tragenden
Säulen, dem Denfmal des Miltiades u. f. w. ift
nichts mehr zu fehben, und felbft die andern Tumuli,
von denen noch ‚Spuren vorhanden find, mäflen, ihre
wahre Beflimmung beireffend, höchſt ungewiß bleiben.
Der Tumulus der Athenienfer if jetzt durch Die frucht⸗
loſe Eröffnung, die Fauvel veranftaltete — fruchtlos
wahrfcheinlich nur, weil fie nicht tief genug fortgeſetzt
wurde — vielleicht auch durch Wegnahme der Todern
Erde von Seiten ber nahen Feldbeſitzer, oder durch
Erhẽhang des umliegenden Erdreichs an feiner Baſts
bedeutend niedriger geworden, als er Anfangs war,
und bat von feiner urfprünglichen Höhe, die zu vier⸗
zig Fuß angegeben wird, wenigftend zehn verloren.
Die mediſchen Pfeltfpigen, zierlich wie dreiſchneidige
Degenklingen, aus afrikaniſchem ſchwarzen Stein ge-
arbeitet, von denen Kruſe fagt: daß Dodwell fie bier
entdedt habe, obgleich ihre Dafeyn ſchon feit. einem
Jahrhundert belannt war, Liegen in ihren Fleinen
Fragmenten auch noch jet fo häufig hier verfireut,
daß wir im kurzen Zeitraum einer Biertelftunde über
ein Dugend davon auflafen. Ich ermangelte nicht,
meinen Theil davon, uebft einer ſchönen blutrothen |
.
Blume, die der Gipfel des Tumulus trug, mit Fröm⸗
migkeit meinen der Erinnerung geweihten Sammlungen
einzuverleiben. Pfeslfpigen aus Erz find feltener;
wir fanden Feine, doch befist fa jeder Sammler in
Athen deren mehrere.
Wir fegten num unfern Ritt nörblih längs des
Meeres bis an die Moräfte fort, Eehrten dann wieber
um und folgten dem Seearm ſüdlich bis an das Ende
der Maine, wo ſich abermals einige Moräfte befinden,
und wo unter mehreren antifen Trümmern, Neften
son Poftamenten und Fragmenten son Statüen and)
eine Anzahl weißer Marmorfänlen im Kreiſe ftehen,
die fih Lady Elgin bier zufammen tragen ließ, um
ihr Zelt daran zu befefligen. Es ift kaum begreiftich,
wie Hamilton, ber Lord Elgin begleitete und bie Re⸗
lation von der Ausflucht gefehrieben hat, diefe Säulen
und Baurefte für griechifhe bat anfehen und allerlei
unbaltbare Hypotheſen darauf gründen können, ba
Thon das ungeübtefe Auge die Arbeit auf ben erfien
Blick ale römifche, und dazu ziemlich mittelmäßige,
erfennen muß. Herr von Choiſeul ließ hier nachgra⸗
ben, und fand, was das Geſagte noch mehr befräftie
gen würde, wenn es beffen bebürfte, zwei römifche
Bſiſten (des Hadrian und Lucius Berus) auf Demfelben
‚ Bled. Ohne Zweifel gehörte das Ganze zu dem römi⸗
470
fhen Landhaufe eines vermögenden Mannes, was
wiederum die flärffie Bermuthung begründet, daß die
jest rund umher Tiegenden Sümpfe, in denen wir
überdies aller Orten fehlen Grund fanden, neuern
Urfprungg, und nur ber Vernachläßigung der früher ge=
wiß flattgefundenen Entwäfjerungen zuzufchreiben find.
Unmöglich Tann man annehmen, daß der Befiger jener
reichen und ausgedehnten Billa dieſe inmitten der
Sümpfe und daraus entflehenden Aria cattiva aufge-
baut .haben würde. Dies ift aber deßhalb fehr wichtig,
weil Krufe und mehrere Andere die Perfer gerade in
Diefe (damals alfo gar nicht eriftirenden) Moräfte
bineinfagen Taffen, ja in neuerer Zeit fih, nad ben
Angaben verfchiedener Perfonen, gar Die ganz wider⸗
finnige Anficht acereditirt hat, daß die Griechen ihr
Lager weiter ſüdwärts an eine der dortigen niedrigen
und weit überfehbaren Anhöhen gelehnt und am Tage
ber Schladht ihre Stellung mit dem rechten Flügel an
die fupponirten Sümpfe, den linken an die ſchwache
Anhöhe von Kotroni (ſiehe Leake's Plan) gelehnt,
genommen hätten, um ben viel leichter zu: paffiren-
den und überhaupt acceffibleren Weg, der bier
länge dem Meere nad) Athen führt, zu beden.
Kein Militair wird diefen Glauben theilen. 8000
oder auch 20,000 Mann, die 200,000. zu befämpfen
471
haben! wird man gewiß nicht frei.bem Feinde gerade
gegenüber Kinftellen, befonders wenn er ihnen noch, wie
bier der Fall war, vom Meere aus in Flanke und Rüden
fallen Tonnte, jondern eine durd die Natur geſchützte
Stellung fuchen, die ihn zugleich über ihre Stärfe unge⸗
wiß läßt — fobald man zwifchen beiden die Wahl bat.
* Zudem hätten aber auch die Griechen, außer dieſem
Nuchtheile, zugleich das ganze Gebürge und den Darüber
hinführenden nädjften, wenn gleich befchwerlicheren Weg
nach Athen dem Feinde bei ſolcher Dispofition völlig frei
gelaffen, fo daß dieſer bei einer folchen Stellung der
Atbenienfer gar nicht mehr. der Schlacht beburft hätte,
fondern nur mit Hinterlaffung eines Obſervationscorps
gradezu nach der Hauptfladt marfchiren konnte, was
er auch nachher, felbft nah der. verlornen Schladt,
noch auf dem weitern Umwege zur See verfuchte, aber
son dem ihm durch einen Eilmarfch zuvorkommenden
fiegreichen Miltiabes Dort ebenfalls zurüdigemiefen ward.
Der Natur der Sache nad mußten alfo die
Griechen eine ſolche Stellung wählen, wo die. Bes
fchaffenheit des Terrains fie möglichſt ſchützte und ihre
ı Die fpätern Schriftkiefler geben fogar 300,000 Mann an,
obgleich nach Leake's ſehr plaufibler Berechnung 170,000 die
wahrfiheinlichfte Zahl ſeyn möchte, wovon überbieß nur 40,000
regulaire Truppen waren. Ä
47
Schwache verbarg, wo fie bie naäͤchſte Straße über das
Gebuͤrge vollſtändig, die am Meere hin aber wenig⸗
ſtens zum Theil decken, und fie in der Nähe ſtets im
Auge behalten konnten. Diefe lettere Straße war um
fo weniger bedenklich, da auf. ihr, nach dem vorher bes
fiimmten Plane, die Lacedämonier heranziehen follten,
und auch, wenn gleich zu ſpät, um an der Schlacht
noch Theil zu nehmen, doch kurz darauf wirfli an⸗
Yangten. Hätten alfo bie Perfer diefen Weg einge-
fchlagen, ſo Fonnte Miltiades darauf rechnen, daß fie,
bevor fie Athen erreichten, auf die Spartaner geftoßen
wären, während er fie im Rüden angegriffen hätte,
wo die Niederlage des Feindes noch viel entfcheiben-
der geworben, und die Perfer vielleicht gänzkich ver-
nichtet worben wären. Alle dieſe Bortheile vereinigte
aun die Stellung vor Brand, welde, unferer Anficht
nad, die Griechen wirklich einnahmen, und wo, ſelbſt
wenn die Schlacht verloren ging, ein leichter unb
Scherer Rückzug in’s Gebürge offen fland, auf dem
jeder Fuß breit Weg vertheibigt werben konnte, wäh-
rend in jener andern fupponirten SPofition auf der
Strafe am Meer die gefchlagenen Athenienfer auf
bie Lacedämonier zurüdgemworfen, ober feitwärts in die
Gorgen des Pentelifon getrieben worden wären, was
den Ruin beider Armeen wahrſcheinlich nach fi ge
%
478
Yogen, unb der Einnahme von Athen nichts mehr ent⸗
gegengefekt haben würde. Andere behaupten, die
Griechen hätten am Tage der Schlacht in dem Thale
bes jeßigen Marathon geflanden, welches gerabe in der
Mitte der Ebene liegt, was Herobots Worte Deutlich an-
zeigten. — Diefe gehen aber von ber irrigen Meinung
aus, das jetzige Marathon fiehe ba, wo daß alte geftanden.
Die Wahl jenes mittleren Thales zur Aufftellung
Des griechifchen Heeres würbe den Nachtheil gehabt
haben, einmal, bag von diefer Diitte jener Maſſen⸗
engriff in fchiefer Ordnung auf den Hinten Flügel der
Serfer, wodurd gerade auf der Stelle bed Tumulus
der Sieg hauptfächlich entſchieden warb, nicht möglüh
war; zweitens, daß die Griechen dort durch Forrirung
der Schlucht von Brana leicht hätten umgangen wer-
den Tönnen. Endlich ift anch noch zu bemerken, daß
das Thal des heutigen Marathon in einer Richtung
auffteigt, welche den Griechen, im Fall fie gefchlagen
wurden, den Rückweg nad Atben Taum, oder nur
mitteilt eines bedeutenden Umwegs erlaubte.
Ein Blid auf die Charte Leakes zeigt ewibent,
Daß auch heute noch fein General unter denſelben Um⸗
Ränden eine beffere Stellung auffinden konnte, als die
vor dem Keflel von Brand, deſſen Deffuung auch gerabe
breit genug if, um 8000 Wann in der Weile aufs
474
marſchiren zu laſſen, wie die Hiſtoriker es beſchreiben
und die antife Schlachtördnung mit ſich brachte, bie
Mitte ſchwächer, die Flügel verdickt, und beide End⸗
punkte hier an ſchützende Berge gelehnt, von wo die
Griechen, ihr feſtes Unger hinter fi, in einer folchen
Richtung avancirten, bie von Haus aus den linken
Flügel der Perfer mit der Aufroffung bedrohte, welche
nachher auch flattfand. Syn diefer melde fonnten fie
dann ohne Beforgnig ihr eigenes ſchwaches Gentrum
durchbrechen fehen, da der, nur einen Augenblid im
Bortheil fich befinbende Feind bald von den Seinigen
abgefchnitten und, mit dem Gebürge vor fih, durch
Zufammenziehung der fiegreidhen Flügel ficher in ihre
Hände fallen mußte, wie es geſchah. '
Aus allen diefen Gründen ift es Daher höchft wahr:
fhernlih, und Herodots Worte fcheinen es eben nur
zu befräftigen, daß das alte Marathon nidt an
der Stelle des jeßigen, fondern in der
Schluht von Brana geftanden habe, wo au
die Nefte eines Stabiumsd und mehrere andere Mauer
trümmer, fo wie einige Tumuli fihtbar find, während
bei dem modernen Marathon nicht die mindeſten Ueber⸗
bfeibfel einer alten Stadt angetroffen werben, Leafe.
ift derfelben Meinung, und fupponirte, mit feinem
gewöhnlichen Scharfbiid und genauer Prüfung der
475
Lokalitaͤten, die Thatfachen ziemlich eben fo, wie fie,
nad) unferer Veberzeugung, wirklich ftattgefunden haben
müſſen. Gibt man bie von ihm ausgemittelte Lage des
Heraffefums zu, welche jede Wahrfcheinlichkeit für ſich
hat, fo Tann Fein Zweifel mehr obwalten, daß Mara«
thon fih in der Schlucht von DBrana befunden babe,
da Herobot ausdrücklich ſagt: „Die Griechen Tagerten
auf dem dem Herkules geweihten Diftrift bei
Marathon.”
Herr Profeffor Krufe, der im Text fchon in.den
feltfamen Irrthum verfällt, Marathon zwifchen bem
Hpmettos und Pentelilon Tiegend anzugeben, während
das ganze Gebürge bes Pentelifon zwilchen dem ſehr
weit entfernten Hymettos und Marathon Tiegt, bat
auch auf feinem Plane der Schlacht den Zug und bie
Entfernung ‚der Höhen von einander ganz falſch ange⸗
geben, und die von ihm fupponirte griechifcehe Schlacht-
finie wird faft burlesf, da ed wohl 80,000 Dann flatt
83000 verlangt haben würde, um bei der Tiefe der
antiten Aufftellung (wenn wir auch das Centrum von
viel geringerer Tiefe annehmen) eine folche Länge aus⸗
zufüllen, die ſich über drei Viertel deutfche Meilen
erfiredt, währenddem höchſtens 5— 6000 Fuß ſchon
völlig hinlänglih zum Zwede waren.! In diefen Irr⸗
1 Nach dem Längenmaß auf Kruſe's falſcher Charte er⸗
Hum iſt Here Kruſe allein durch die Angabe bes He⸗
zobst geratben, ber allerbings jagt: „Die Schlachtlinde
ver Griechen war mit der mebifchen gleich lang ge⸗
macht.“ Diefe Worte müffen aber nothwendig anders
gu verſtehen ſeyn, als nach dem materiellen Wortfinne,
0 Mann 200,000 gegenüber in gleicher Tänge auf
der Plaine aufgeftellt, würden nur einer Vebettenfette
geglihen haben, und überdem müßte fich Herobgt ſelbſt
dabei widerſprechen, da er gleih darauf fagt, bie
Griechen bätten in vollen Haufen angegriffen.
Dies würde bei einer Aufftelung, wie bie angeführte,
Schwer bewerkftelligt worben ſeyn. Die einzige Moͤg⸗
lichkeit eines folden Angriffs wäre die geweien, daß
fih die fo unnatürlich ausgedehnte Linie während bes
angegebenen langen Laufs auf bie Feinde in viele Heine
* Häuflein gebildet, und den Feind bann auf feiner
‚ganzen Fronte ohne Zufammenhang wie ein Müden-
ſchwarm attakirt hätte, was bei der geringen Zahl der
Briehen gewiß Tein günftiges Reſultat herbeiführen
ſcheinen die Diflanzen zwar bebeutend geringer, aber in ber
Wirklichteit beträgt die Entfernung von Bergabhang zu DBergs
abhang, vom nördlichen Ende der Ebene bis zu dem Thale
von Brana, wenigſtens eine deutſche Meile, da fie nad Leake's
genauer Meflung über 5 englifhe Meilen lang ift, welche ohne
Zweifel die Perfer, wegen Raummangel für ihre großen
Maflen, ganz dedten.
—
Bonnie, ba fie nur durch ihre kompalte Maſſe, wie ein
Keil auf einen Fleck eindringend, auf einen fo über-
legenen Feind erfolgreich einzuwirken im Stande waren.
Die Worte des Herodot erklaͤre ich mir ſo: Selbſt
Kruſe auf feinem Schlachtplan ſtellt Die Meder ſeparat
auf den linken Flügel, neben fie die Perſer, und auf
ben rechten die weniger zuverläßigen Hülfsvölfer, bie
Schifföruderer u.f.w. Auch Herodot trennt in feinem
Bericht ausdrücklich Meder und Perfer. Es ift alfo
wahrfheintih, und wärbe mit unferer Annahme Teicht
übereinftimmen, dag Herodot nur gemeint hat, die
griechiſche Linie ſey mit der des medifhen Corps
anf dem linken Flügel gleich lang gewefen.
Herr Krufe äußert nachher, um den von Herodot
berichteten Schnelllauf der Griechen auf den Feind,
ſechs Stadien weit, zu erflären — man fünne anneh»
men, die Griechen hätten auf ver Anhöhe von Kotroni
(bei Zephiri) geftanden, und wären von dort herunter
auf die Perſer Ins gelanfen Wie ſtimmt aber bies
mit jener ausgedehnten Linie, ba bie Höhe bei Zephiri,
wo fie in die Ebene ſchmal auslänft, nicht 500 Fuß
breit ift, und baber, nach der. Ausdehnung ber Krufes
ſchen Schlachtlinie, höchſtens einige hundert Mann dar⸗
auf hätten poflist werben können. Freilich nimmt ber
Umfang diefes ſchmalen Bergrüdens auf Krufe’s
478
Charte eine Breite.an, die faſt die halbe Länge des
Thales erreicht, aber nicht die Natur, fonbern nur die
Hypotheſe ift bei diefer Zeichnung zu Rathe gezogen.
Das ganze fabelhafte Laufen ift übrigens wohl nicht
fo wörtlich zu nehmen, und bedeutet für die griehifche
Armee ohne Zweifel nichts weiter als ein Auancement
im ſchnellern Tempo, ein pas de charge, der im
legten Augenblide erft vielleicht in. wirkliches Laufen
überging.
Die Linie ber perfifchen Schiffe ift ebenfalls, wie
wir glauben, unrichtig auf Kruſe's Plan verzeichnet,
da diefe fo weit herab fühlih an dem flachen und
feichten Ufer gar feinen Ankergrund hatten, und allen
Stürmen ohne Schug. dort ausgefegt geweien wären.
Alles das fcheint bloß den fühlihen Sümpfen zu Liebe
erbacht worden zu fepn, in denen Krufe, wie Dobwelk
und. Andere, die Perfer durchaus ertrinfen laſſen wols
Ien, obgleich gar Fein Grund dazu vorhanden, und
alle Wahrfcheinlichkeit dawider ift, daß überpaupt dar
mald jene Sümpfe eriftirten. .
Unferer Anſicht nach Tagen die Schiffe ber Derfer
in der .nörbliden Bai, wo fie hinlängliden Raum
und Schug fanden, vor Anker, und behnten fih nicht
das ganze Ufer hinab. Die Winde werben aber da⸗
male wohl biefelben wie heute geweien feyn (ba in
48
unſerer fo vielfach fchwanfenden Welt wenigftens bie
Winde noch ihre Stabilität behauptet haben), und ih⸗
rem Gefeße mußten die Schiffe unfehlbar fih fügen.
Die Schladhtlinie der Truppen jedoch erfiredte fich
wahrfcheinlich noch über den Tumulus der Athenien-
fer binaus, wo eben am Tage der Schlacht ihr linker
Flügel von den Griechen in Maſſe angegriffen warb.
Am fchwerften zu erläutern bleibt ed, daß die
perfifhe Kavallerie bei dem günftigften Terrain fo
ganz unthätig geblieben zu ſeyn ſcheint, weil fie nir-
gende erwähnt wird, und ferner, warum bie Perſer
neun Tage rafteten, ohne den Feind im Geringften zu
beunruhigen. Man muß annehmen, daß irgend ein
Aberglaube oder verzögerte Transporte von Lebens
mitteln daran Schuld waren, und endlich auch die
alberne Zuverſicht wie die Indolenz dieſer ſüdlichen
Voͤlker in Anſchlag bringen, da ſelbſt heute noch bei
tärkifhen Armeen Aehnliches mehr als einmal vorge⸗
kommen ift.
Unferes Erachtens war ber Hergang der ganzen
Begebenheit von Anfang an in fehr einfacher Weife
ungefähr folgender:
Die Griechen, auf der geraden Straße nad) Ma⸗
rathon marfchirend, erfchienen auf den Höhen, die von
Athen aus die. Ebene am Meere einfchliegen, und
⸗
—
ließen durch die Beſetzung derſelben die ſich ausſchif⸗
fenden Perſer ungewiß über ihre Stärke. Ihr befeſtigtes
Lager vor Marathon aufſchlagend, ſuchten ſie demun⸗
geachtet durch "eine langgedehnte, durch Verhacke ge⸗
deckte Linie den Feind zu täuſchen, doch am Tage der
Schlacht ſelbſt zogen ſie dieſe in der Oeffnung vor
Marathon (Vraua) zuſammen, und ohne Zweifel
(wenn auch Herodot in feinem fo außerorbentlich kur⸗
zen Bericht nichts davon erwähnt) detachirten fie ein
Corpé der leichteren, weniger zuverläßigen Truppen,
die an Zahl wohl den Hoplitä gleich kommen mochten
(jo, daß fih ihre ganze Macht gewiß auf 15 bie
16,000 belief), zur Beobachtung und Beichäftigung
des rechten Flügels der Perfer, in das Thal des heu⸗
tigen Marathon. Nur durch die fämmtlichen Hoplitä
felbR aber ward die Hauptmacht formirt, von ber das
Lops der Schlacht abhing, und bie mit der Rechten
an die Höhen von Argolithi, mit der Linken an die
yon Kotroni gelehnt, aufgeftellt wurde.
Mit diefen 8000 Mann Schwerbewaffneter ärzte
ſich nun Miltiades, ans dem Thal von Brand bers
vorbrehend, auf den linken Flügel der Perjer, wo
fich deren befte Truppen, bie Meder, befanden, und wo
ber Tumulus den Stanbpunft des Eutfheibungsr
Inmpfes binlänglich bezeichmet; aͤhnlich Friedrich bei
481
Leuthen und Ibrahim bei Konia. Nach Aufroflung
biefes Flügeld der Perſer wurden wahrſcheinlich aus
beren Centrum unb vom rechten Flügel, ohne eines
geſchickteren Manövers fähig zu feyn, immer frifche
Truppen der Perfer ben Siegern gerabe entgegen ge-
führt, yon denen fogar ein Theil augenblidfich ben
Bortheil gewann, und der Griechen Centrum durch⸗
brach. Dies blieb jedoch ohne Refultat, und durch
bie geſchickten Bewegungen des griechifchen Feldherrn,
ber feine Flügel fogleich zufammenzog und fpäter ben
fo abgefchnittenen Theil der Perfer ohne Mühe: vers
nichtete, warb die VBerwirrung und Zerfprengung
der ganzen feindlichen Macht dadurch nur vervollſtän⸗
diget. Der Perfer eigene Maſſe, zulegt in die großen
nördlichen Sümpfe auf ihrem rechten Flügel ger
brängt — wobei bie Teichteren Cin das Thal des heu⸗
tiger Marathon detaſchirten) griechifchen Trupyen nun
auch mit thätig waren — ward ihnen verderblich und
eine Herfiellung ber Schlacht unmöglich, Dennoch
fiheint die Nieberlage der Perfer keineswegs vollſtaͤn⸗
big, ja ber legte Angriff der Griechen auf die Schiffe
fogar abgeſchlagen worden, und fie gar nice im
Stande gerdejen zw fenn, die Einfchiffung weiter zu
hindern, Bei biefen Bemühungen kommt, wie wir
Iefen, der tapfere Kynegiros mit Andern um, umb Die
Süpöftl. Bilderfaal. II 31
48%
Zahl der genommenen Schiffe iſt höchſt unbedeutend.
Die Perfer verlieren im Ganzen 6000 Mann und die
Griechen 192; ein Refultat, Das auch Feine fehr fange
Dauer des Kampfes vorausfesen Yäßt.
Sp ſcheint Die Schlacht, den vorhandenen Berich-
ten, der Natur der Sache und der Lofalität ganz an
gemeffen, verlaufen zu feyn, ohne der unwahrfdein-
lichen Annahme zu bedürfen, daß die Perfer in ihrer
ganzen Front zugleich angegriffen und in die Sümpfe
nad beiden Enden der Ebene hingetrieben worden
feyen, was gleich fehr der Zahl beider Armeen, wie
ver Befchaffenheit des Terrains wiberfpricht.
Hinſichtlich unſerer Behauptung, dag nur ein
großer Sumpf auf der Ebene damals eriftirt habe,
worauf fo viel anfommt, frheint auch Paufanias volle
fommen baffelbe anzunehmen, wenn er bei Befchrei-
bung der bunten Halle, in der fi ein Gemälde von
der Schlacht bei Marathon befand, fagt: „...... ende
lich find die Perfer auf der Flucht, und drängen ein-
ander in den Sumpf Calfo nicht in verfchiebene
Sümpfe an beiden Seiten der Plaine) hinein.” Wei-
terhin, bei Beichreibung des Terrains ſelbſt, erfcheint
ſein Zeugniß noch viel entſcheidender. „Es iſt,“ ſchreibt
er, „im Marathoniſchen ein See, der größtentheils
nur einen Moraft ausmacht; in diefen fielen. bie.
483
flüchtigen Perfer aus Unwiffenheit der Wege (deren
damals wahrſcheinlich mehr als einer Hindurchführte),
und wurden bafelbft in großer Anzahl niedergemacht.“
Dieſe Schilderung läßt kaum einen Zweifel mehr
übrig. Auch für die Stellung der Schiffe, der Aus⸗
ſchiffung der Truppen und ihren Hauptlandungsplatz
ſind die folgenden Worte ein ſehr deutliches Anzeichen:
„Bet dieſem See findet man noch fteinerne Krippen
für die Pferde des Artapherneg, und an dem Felſen
Zeichen eines dort befeſtigten Zeltes.“ Felſen
aber gibt es nirgends an der Meerſeite der Ebene,
als eben am äußerſt nördlichen Ende der Bucht, wel⸗
cher entlang, unſerer Meinung nach, die Schiffe pla⸗
cirt waren. An dieſen Felſen alſo und an der kleinen
Ebene von Tricorythos (Suly) hatte Artaphernes ſein
Hauptquartier, wozu es ſich, vom Morafte gefchüßt,
nur. durch den engen Pag am Stavrokoraͤki nahbar,
und zugleih in Verbindung mit der Straße nad
Rhamnus, jo wie in der Nähe der Flotte, vortrefflich
eignete,
Die Schlacht von Marathon ward mit Entfchlof-
fenheit und richtiger Taktik von Seiten. der Griechen,
mit Vebermuth und gänzlicher Unwilfenheit von Seis
‚ten der Perſer gefchlagen,. fo wie auch noch heut zu
Tage ein Hänffein regulairer Truppen bie haliloſen
Schaaren der Türken in ähnlicher Weiſe befiegen
würbe. Obgleich Feine Niederlage, waren bie Reful-
tate dennoch für die Zukunft außerordentlich, weil fie
bie Griechen ihre eigene Ueberlegenheit kennen Iehrten,
und fo einen Zufland der Dinge vorbereiteten, deſſen
Folgen in hundert Fäden noch bis in unfere eigene
Zeit hineinreichen.
Wir mußten jest, um von den Ruinen ber rö⸗
mischen Billa wieder auf die Straße zu gelangen, eine
mit Waffer hoch angefülte Vertiefung paffiren. Mein
armer Francis durchſchwamm fie tapfer, aber das
Pferd des Herrn von Profefh warf ſich mitten darin
fo plöglih mit feinem Reiter nieder, dag dieſem Feine
Zeit, es zu verhindern, übrig blieb, und er das Talte
Bad ruhig erdulden mußte, was er auch mit der lies
benswärbdigften Heiterkeit hinnahm. Webrigend machte
der fortwährend herabftrömende Negen und in biefer
Hinfiht bald alle glei, und das Drängen durch die
naſſen Gebüſche, welche die Felſenſchluchten erfüllten,
entkraͤftete auch allen Dienſt der Mäntel und Regen⸗
ſchirme. Ein ſchützendes Obdach, mit der wohlthäti⸗
gen Erwärmung eines praſſelnden Feuers aus wohl⸗
riechendem Strauchwerk, gewährte uns nachher ber
kurze Aufenthalt in einer Art Meierei. mitten in der
Wildniß, Die son einer Stoloniftenfamilie aus Hydra
bewohnt wird, Wir, die Familie, ein Theil unferer
Dferde nebft andern Hausthieren, bivouakirten alle in
der geräumigen Scheune friedlich neben einander, wo
wir Durch einige ben Kindern gereichte Scheidemünzen
viel Freude zurüdtießen. Da indeß ber Regen uns
nicht den Gefallen thun wollte, im Geringſten nach⸗
zulaffen, erlaubte ung die Zeit nicht Tänger, bier zu
saften. Wir verfolgten von nun an einen beſchwer⸗
lichen engen Felſenweg durch die Borberge bes Pen-
sefifon, die, ganz wie in Afrika, durchaus mit An
drächne⸗ und Arbnius- Arten, ſchön gelb blähenbem
Binfter, dem Maſtixſtrauch Clentiscus), der in fo
dichten, runden Kormen, als fey er bejchnitten, wächſt,
hohen Erifen, niedrigen, vothen und weißen Zwerg
roſen u. f. w. bedeckt waren. An den jebt überaß
angeſchwollenen Bächen fanden Platanen, meifl funger
Aufwuhs, und in ben Thälern häufig Pinienhaine,
mit einzelnen filber - und biaßgrün ſchimmernden
Pappeln. Biele Orte waren durch Feuer verheert,
welde die Hirten der Ziegenheerben, bie faſt allein
biefe Einfamfeit beleben, überall anſtecken, wo fie es
für gut finden, um durch die Düngung der Aſche im
nädften Jahre reihlichere Weide für ige Bich her⸗
vorzurufen; ein Mißbrauch, ber fich mit größerer Ci⸗
pilifation wohl allgemach verlieren wird.
Die Ausfihten in die Ferne waren höchſt beloh⸗
nend, und umfaßten einen immer weiteren Spielraum.
Wir ſahen zwar jetzt die Ebene von Marathon nicht
mehr, aber, außer Euhöa, die Inſel Andros, VIsole
Inglese, die wie eine große Meerſchildkröte auf dem
Waffer liegt, und Isola langa, die Liebesinfel genaunt,
weil, zu Folge der Sage, Paris nach dem Raube der
Helena hier zum erfienmal die Früchte feines Sieges
über bie verhängnißvolle Schöne vollſtaͤndig genoffen
haben ſoll. Später zeigte ſich links Die Küfte und ber
Hafen yon Raphti (Prusiae)), ferner das weite Thal
yon Meffogia, begrenzt auf der einen Seite vom
Hymeltus, der ſich nirgends vortheilhafter präfentirt,
und auf ber andern vom Derge Laurium, der am Cap
Sunium ausläuft, Nahe neben uns rechts erhob fich
ber in Wolfen gehüllte Gipfel des Penteltfon ſelbſt,
an deſſen ſteilem Rande wir hinritten. Während
unfere gütigen Führer biefe Details der Gegend ers
Härten, erwähnte Herr von Prokeſch einer merkwür⸗
bigen Lebensrettung auf dem uns feitwärts liegenden
Meere. Er befand ſich bei heftigem Sturm in einer
Dezembernacht des Jahres 1828 auf einem Linienſchiff
“7
son 6% Kanonen, das von der Windsbraut gejagt,
obgleich es faft alle Segel eingezogen hatte, noch immer
41 Seemeilen in der Stunde zurücklegte. Die Nacht
war tief dunkel, Regen und Hagel flürzten mit ſolchem
Beräufch nieder, ba man kaum das Rollen des Don⸗
ners vernahm, und feit geraumer Zeit war man in
Ungewißheit, welchen Curs man zu verfolgen habe,
um ben gefährlichen Klippen biefer Küfte zu entgehen.
In diefer Gefahr äußerte plöglich der Pilot: es blinke
ihn, er höre Brandung durch das Geheul des Win-
des. Man horchte — doch Niemand vernahm etwas.
— Da fuhr mit fhwerem Krachen ein Blitz dicht am
Stenerborde nieder, und bei feinem Lichte ſah man,
daß das Schiff in gerader Richtung auf die hohe Fels
fenwand an der Nordfpige von Zea zufliege. Nur
noch wenige Minuten waren zwifchen Leben und Tod,
Einen Augenblid erflarrte alles, im nächſten flürzte
ohne Befehl Jeder ſchon an die Arbeit, und eben
langte die Zeit noch zu, mit Riefenanftrengung das
Schiff zu wenden, ehe es ben Felfenkolog berührte,
an dem es fonft wie Glas zerfplittert worden wäre.
Ohne diefen vom Himmel gefandten Blig war Teine
Rettung möglich — und Jeder mag nun na feinem
Sinme entfeiden: ob er in Folge des bloßen Natur⸗
gefeßes gerade um diefe Zeit nieberfallen mußte, ober
488 .
ob eine vorſehende, mächtige Hand ihn abfichtlich als
Rettungsengel fandte?
Der Negen Tieß endlih nad, und die warme
Luft hatte ung ziemlich getrodnet, ald wir bei dem
verlaſſenen Kloſter Daud (David) anfamen, das ſchon
halb zur Ruine verfallen, in einer der reizendſten
Lagen erbaut iſt, welche dieſes Gebürge darbietet.
Uralte Olivenbäume, über grüne Saaten ihre Schats
ten breitend, mit Pappeln und Fichten angefüllte Heine
Thäler, Reichthum an Waffer, fruchtbarer Grasboden,
und die fihönfte Hügel» Gruppirung rings umher mit
mannichfaltigen Ausfichten von diefen Höhen nad) allen
Seiten hin, machen Daud zu einem wünfchenswerthen,
alten Berfchönerungen leicht zugänglichen Beſitzthum.
Die Mönche wurden einft von türkifhen Räubern
überfallen und fämmtlich niedergemadt, weßhalb ihre
Nachfolger das Kfofter nicht mehr bewohnen mochten,
und fih, einige Stunden weiter, nad Klofter Penteli
zurüdzogen. Die Kirche, eine hohe Rotunde, in die
ich mühfam hineinritt, bildet eine malevifhe Ruine,
gegen deren graue abgeblätterte Wände ber einzeln
ſtehende Altar aus weißem Marmor geſpenſtiſch abs
ftiht.. Das Ganze muß in biefer vollfiändigen Eins
famfeit, überbieg eine Stätte des Mordes, um Mits
ternacht allein zu befuchen fchauerlich genug ſeyn, und
4809
der Kontraſt der lieblichen und doch verlaſſenen Ges
gend umher fcheint diefe Wirkung nur noch zu erhöhen.
Wir fagerten uns nachher auf den Rafen neben
den eingeflürsten äußern Manern hin, um eine Stunde
auszuruhen, tranfen aufgelöstes Kryſtall aus der rau-
ſchenden Kaskade, und festen dann durch blühende
Gebüſche den Tagesmarſch Bid zu dem erwähnten
Kloſter Penteli fort, wo wir unfer Nachtlager zu neh-
men beftimmt hatten.
Auch diefer Bau Tiegt heiter, in hohe Pappeln
und blühende Judasbäume eingebust, und tft mit
einer Mauer umgeben, in weldhe nur eine drei Fuß
bohe Thür den Eingang verftattete. Dies galt ehemals
den Türken, bie, zu faul, um abzufleigen, an einem Haufe,
in das fie nicht hineinreiten fonnten, gewöhnlich vorüber⸗
zogen; auch diente es wohl im Nothfall zur befferen
Bertheidigung. Im Kloſterhofe fanden wir Lorbeers
bäume von auferorbentlihem Umfang und über 20
Fuß Höhe, aber fein Mönch ließ fich blidden, nur ein
alter Diener, der uns einen flallartigen Raum ans
wies, welcher viele Tenfteröffnungen, aber feine Fen⸗
ſter darin hatte. Doch war ein großes Kamin und
Holz davor liegend in Menge vorhanden, ſo daß wir
bald unſere durchnäßten Kleider und Effekten an einem
kleinen Scheiterhaufen trocknen konnten, deſſen Nähe,
490
ohne ſich forgfältig das Geſicht zu bededen,. kaum. zu
ertragen war. |
Auf alle unfere Fragen, die eigenen Bedürfniſſe,
wie die der Pferde betreffend, erhielten wir ſtets bie
Antwort, es fey im Klofter nichts zu haben; bis endlich
einer unferer Leute zu energifchen Thätlichfeiten über:
ging, und ich mit dem Despoten (Erzbifchof) in Athen
drohte, was uns wenigftend für unfer Geld Pferdes
futter, und aud einige Lebensmittel für die Men»
ſchen verfchaffte.
Die gemeinen Griechen haben eine befonders aus⸗
drudsvolle Pantomime bei folher Weigerung, bei
deren phlegmatifchen Wiederholung es ſchwer iſt, nicht
die Geduld zu verlieren. Sie heben den Kopf lange
fam, laſſen die Augenlider finfen, ſchnalzen mit Zunge
und Lippen, und wiſchen ſich dann ſatyriſch den Mund,
indem ſie mit gedehnter, ricanirender Stimme bedächtig
die Worte: „dev’ axev (ed gibt nichts)!“ ausſprechen.
North Tennt Fein Gebot, und da Niemand fi im
Klofter rühren wollte, fo erbot ich mich felbft, meine
Kochkunſt in Anwendung zu bringen: Graf Schaff-
goifch verſprach, dabei behülflich zu feyn. In letzter
Snftanz gab jedoch Herr Gropius bie praktiſcheſten
Lehren dazu. So Fam denn unter vielem Gelächter
und nad) mandem Berfehen ein Ragout zu Stande,
das trotz der heterogenften Ingredienzien allgemein
föftlich gefunden wurde, Das Warmbier ald Suppe
hatte fich geringern Beifalls zu erfreuen, ba es mit
galfenbitterem englifchen Porter bereitet wurbe, und
der Flaſchenkeller, wie die Talte Küche des Herrn von
Prokeſch, mußten ſich zuletzt auch Heute als die ent-
fheidende Reſerve bewähren. Beim wohlriechen⸗
den Dampfe unferer türfifchen Pfeifen ſchloß erft
fpät die belebtefte Unterhaltung den Abend fo ange-
nehm, als es im recherchirteften Salon der Reſidenz
ſchwerlich der Fall geweſen feyn würde, Auch fehlief
ich ſehr gut in der mir angewiefenen feuchten Zelle,
obgleich fich des Nachts einigemal ganze Stüde Kalf
von dem Gewölbe über mir ablösten und auf mein
Feldbett fielen. Die übrige Gefellfehaft hatte vorge-
30gen, am euer zu fchlafen, und es war 8 Uhr —
denn wir hatten Beute nichts zu verfäumen — ehe. Die
Cavalcade fih vollſtaͤndig ‚gerüftet fand, um den Mar⸗
morbrüchen zuzueilen, die fich nicht fern vom Gipfel
bes Pentelikon Binftreden. Der Weg war fehr bes
ſchwerlich, und dba, wo ihn ein Detachement: herge-
ſchickter baieriſcher Soldaten gebeſſert hatte, am ſchlech⸗
teſten. Dazu regnete es fortwährend heftig, was ben
Anblie der wilden Gegend um die Brüche mit ihren‘
ſchroffen und hohen, glatt abgearbeiteten, weiß glän-
zenben Marmorwänden nur noch fehöner hervorhob.
Hier befindet fih eine merkwürdige und fehr ausge⸗
behnte Höhle, von deren Dede ſchön geformte Stalaf«
titen nieberhängen, und oft als Säulen auf bem
Boden Wurzel faffen. Unten wuchert bellgrünes
Moos auf Den nadten Steinen, feitwärts -ift ein ab-
geichloffener Theil zu einer kleinen Kirche für bie
Arbeiter eingerichtet, und tief unten führt ein enger
Schacht zu einer Quelle des reinften Waffers hinab;
am Eingange der Höhle rankt fih Epheu in weiten
Gewinden, und verbreitet fanfte Dämmerung im In-
nern. Wir ließen große Feuer angünden, um uns zu
wärmen und an ben wunderbaren Lichteffeften zu er⸗
freuen, die dadurch hervorgebradit wurden. So hoff⸗
ten wir den Regen abwarten zu. Tönnen. Da indeß
auh nah einer Stunde ſich noch nicht bie mindefle
Ausficht dazu zeigte, jo befliegen wir endlich, obgleich.
wie unter ber Traufe, unfere Roffe wieber, und rits
ten nach dem Klofter auf demfelben Wege zurüd, den
wir gelommen, ber aber: jegt in Das Bett eines. Baches
verwandelt ſchien. Bor uns entfaltete fih Athens
Ebene unter einem Regenbogen, der Lykabettus zeigte
fih nur als ein Kleines Hügelchen im Thal, und bie
Akropolis, einem zierhihen Tafelaufſatz gleichend, war
kaum noch. zu unterſcheiden.
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Im Klofter fanden wir biegmal ein Lamm am
Spieße,. das in der Nacht: burch einen unferer Beritte-
nen geholt worden war. Rad deſſen anbächtiger
Berzehrung ward Nachmittags der Rückweg nad
Athen‘ befchloffen, obgleich der Himmel immer noch
zürnend feine Waffer niedergoß. Wir wählten eine
andere Straße, die durch Maruffi (das alte Amarufia,
wie man glaubt) führt, und durchſchnitten erſt bei
Pelika wieder die, einer 8 gleichende Form, welde
den ganzen Umfang unferer Erkurfion bezeichnete. .
Hier machte man: uns auf das Dorf Kalandri auf:
merkſam, das durch eine Niederlage türkiſcher In⸗
fanterie im letzten Kriege einige Berühmtheit erlangt
bat. Herr Eonful Gropius, der fih Damals in Athen
befand, fah die wenigen Flüchtlinge, die dieſer mörde⸗
rifhen Affaire entkamen, dort anlangen, welche alle
von dem den Türken fo ungewohnten Laufen der⸗
maßen erfchöpft waren, daß fie ſich meifteng auf Den
Straßen wie vom gelben Fieber Leberfallene erbra-
Gen, und unfähig, weiter zu kommen, liegen blieben,
bis fie, auf Eſel gepadt, nad der Akropolis hinauf
transportirt werden Tonnten.
Auch Herr von Profefch hatte auf der Stelle des
Dlivenwaldes, wo wir ung jet befanden, in jener
Zeit eine intereffante Avantüre. Er war nad Brana
— en en nn
geritten und fanb dort eine fehr hübſche und veich ge-
fleidete Griechin mit zwei Dienern, die füh, wie fie .
ging und ftand, mit genauer Noth aus der Maſſaere
von Livadia, während ber ihr Mann vor ihren Augen
erfhhlagen worden war, hierher geflüchtet hatte, und
| jegt Athen zu erreichen fuchte, um ſich von dort nad
Zante einzufchiffen, wo ihre Verwandten lebten. Sie
bat flepentlih Herrn von Profefh um Hülfe, da fie
nicht wife, wie fie durch die türfifchen Kavallerie⸗
poften hindurchkommen folle. Unfer Freund, chevale-
rest wie immer, nahm fie fogleich in feinen Schuß,
und trat mit ihr und feinen Leuten den Rüdweg. an,
während er ihren Dienern, deren Gegenwart zu ge=
fährlich gewefen wäre, aufgab, fi, fo gut: fie könnten,
nach Athen durchzufchleichen. Aber ſchon vor Kephiſſia
fam ein türfifches Detafchement auf fie zugefprengt,
beffen Offizier, ein fehöner, junger Araber von mar:
ttalifhem Anfehen und maleriſch gekleidet, nach der
Reiſenden Namen und Geſchäft frug. Herr von
Prokeſch nannte fih. „Und wer ift die Frau?” frug
der Araber argwöhniſch weiter. „Die Frau..... iſt
meine Frau” „Ach,“ fagte zweideutig lächelnd der
Offizier, „die Ihrige! — nun dann müffen wir fie
freilich unter unfern Schug nehmen.” Bei dieſen
Worten holte er eine Drange aus feiner Bernus her⸗
495
|
vor, und überreichte fie der Dame mit einer graziöfen
Berbeugung. Diefe, leichenblaß, blieb bewegungslos
wie eine Marmorſtatüe, doch auf einen Winf ihres
Begleiters faßte fie fih endlich Hinlänglih, um mit
zitternder Hand bie Frucht danfend zu empfangen.
Der Offizier betrachtete fie mit mitleidigem Blick, und
dann feinen feurigen Schimmelhengft herummerfend,
erbot er fich, das einfame Paar felbft ald Sauvegarde
durch die. Truppen zu begleiten, welche Kephiſſia und
Die Umgegend erfüllten. Man Tann fi) während
diefer Zeit die Todesnoth der armen Griechin denfen,
die auch nachher, als der edelmüthige Araber fie am
Ende des Dlivenwaldes mit ſtets fich gleichbleibender
Eourtoifte verließ, in ein fo Frampfhaftes Weinen der
Freude und Angft zugleich ausbrach, daß alles Zu:
reden des Herrn von Prokeſch es lange Zeit nicht zu
ftillen vermochte. Diefe Erzählung ift fehr einfach,
aber, aus der Natur gegriffen und auf den Boden
angepaßt, verfehlte fie ihre Wirkung auf und nicht.
Wenn man durch die Schluht von Brileſſus
fommt, worin bie fogenannte „schöne Kirche“ ſteht,
in Wahrheit jedoch nur eine jämmerlihe, griechifche
Kapelle, und bei den Felfen von Padiſchah (gewöhn⸗
lich Patiſſia genannt) daraus hervortritt, wo im Stein
antike Gleiſe und verfchiedene Vorrichtungen der Alten
— — — — — ——
beim Steinfprengen ſehr deutlich ſichtbar find, eröffnet
fih die Ausſicht auf Athen und den Pyräus in ber
überrafchendften Weife, und ich glaube, Daß nirgends
die Akropolis, mit Hafen und Meer im Hintergrunde,
ſich vortheilhafter präfentirt, weßhalb Malern biefer
Punkt fehr zu empfehlen ift.
Beim Herabfleigen von hier blieb uns feine
Merfwürdigkeit gu fehen mehr übrig, ale die ruinir⸗
ten Lehmwände der einfligen Wohnung der „Maid
of Athens.“ Die Banf der Liebe ſteht noch wie ehe-
mals daran gelehnt, aber bie füge Maid hat —
o horror! — ſeitdem den Athenienfifchen Polizeidireftor
geheirathet, und ift eine bagere, Iangnäfige Mama
mit verfchiedenen Kindern geworden. Byron trieb
indeß die Sache ebenfalls profaifcher in der Wirklich⸗
feit als im Gedicht, — denn er bot, während bed
Carnevals, für die Geliebte 10,000 türkiſche Piafter,
erhielt aber zur Antwort, Daß ohne Bermittelung
eines Priefters feine Wünſche nicht erfüllt werden
fönnten. In Stalien würde man dies anders haben
verftehben Tönnen; bier aber bedeutete es ganz einfach
nur. dag gräulihe Wort: — — „Beirnihen“ — wozu
ſich Byrons poetiſche Liebe natürlich nicht bequemen
konnte.
no be 2. +7 090 — —
14 DAY USE
RETURN TO DESK FROM WHICH BORROWED
LOAN DEPT,
This book is due on the last date stamped below, or
on the date to which renewed.
Renewed books are subject to immediate recall.
— — — — — — —
— — — — — — — —
— — — — — — — —
General Library N
LD 21-100m-6,’56 . . . 0.
’ University of California
(B9311810)476 Berkeley ' {
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STAA
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\S 49
THE UNIVERSITY OF CALIF ORNIX LIBRARY