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Full text of "Semilasso in Afrika;"

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Semilaſſo in Afrika. 


Semilaſſos vorlegter Weltgang. IT. Th. ıte Abth.) 





— 
7. ® IN Ser 11. oda a 1. 
y eb hon- — USMAV, Perman vawa "Meta o \ 
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SGemilasso: 
I vr ı.B ia, 


A A 


Algier. 


Aus den Papieren des PVerftorbenen 


Hiezu die Abbildung : 
Anficht von Algier. 


Mit Koͤnigl. Württemb, Privilegium. 





Stuttgart, 
Hallberger’fhe Verlagshandlung. 

BET BA 
1836, 





HAF 
PITTkse 


582839 
A.5.54 





Inhalts-DVerzeichnits 


erftien Theil, 


Erfiter Brief. 
| Seite 1. 


Die armen Landragen im Bauch des Krokodils. Er— 
wachfenen bringt das Wiegen Noth. Furor - anglo- 
manus einer Schaufpielerin. Berlin-oüu est cela? 
— — Ah, je comprends. Cultus der Druiden, 
des Feuers und der Katholiken des Mittelalters neben 


VI 


einander. Aus den Wolken fallende Pudel. Großes 
Feſt in Napoleons Geburtshaufe. Bildergalerie yon 
Gafeerenfelaven, Welch unfhäßbares Gut muß doch 
die Freiheit feyn, Portrait des berüchtigten Grafen 
de St. Helene. Glänzende Lage, nur zum Diebs- 
handwerk benußt. Die Hierifhen Infeln find nackte 
Selfen. Der Theaterfelfen in dem ſchönen Hieres. 
Gärten des Örafen Beauregard und des Herrn Fille. 
Glorreiche Laufbahn eines Schneiders. Algier. Faft 
taghelle Mondnacht in Afrika. Sommer im Winter. 
Beilner’fche Porzellanöfen in Riefenhöhe. Stadt von 
Biseuit. Mosquee chretienne — katholiſche Kirche. 
Die Cassuba und Marienburg. Beitrag zur neueften 
Ausgabe des Dietionaire de ’Academie: — coup 
d’evantail: eine Ohrfeige. Pulvermagazin mitten in 
der Nefidenz. Fünf Dey's und Ein Tag. Aloe- 
bfüthenftengel als Brennholz. Das Bettlerconcert. 
Pathetifche Würde der Krämer in Algier, Allgemeine 
Ehrlichkeit der dortigen Gaffenjungen. Spazierriit 
mit Heren von Baccuet. Ein zwanzigfähriges Pferd 
voll unbändigen Feuers. Graf Erlon, der freund- 
liche Greis von altem Schrot und Korn. General 
Rapatel und Admiral Graf de la Bretonniere, 


VII 


Großes Feuerwerk auf dem Waſſer. Der berühmte 
Juſſuf. Bruchftüde aus feiner Lebens-, Liebes- und 
Leidensgeſchichte. Die gigantifche Verſtandesmaſchine: 
Napoleon, Heirathsceremonieen. Zärtlichkeit ver 
Türken gegen Geliebte, Pallaft des Gouverneurs. 
Theater in Algier. Mißverftandene Oekonomie. 
Keflerionen über ein erfolgreiches Civiliſationsproject 
für Afrika. Locale Schwierigfeif der Exeurfionen. 
Höfliche Balleinlapungspeputation. 


Keifejpurmnal. 


Seite 125. 
‚Warnungstafel — als gültig vorausgefeßt — für die 
Damen. Entdefungsreifen durch die Straßen von 
Algier. Anfälle ver Ruffiani auf öffentlicher Straße. 
Armefünderinnenregifter zu Don Juan. Neue Modelle 


VIII 


für Werther in der Schweiz. Die unbeweglichen 
drei Götzenbilder, oder die Tabakrauchenden Schickſals— 
ſchweſtern. Gloſſe über mauriſche Sprache. Faſt 
Ariſtophaniſche ombres chinoises. Beneſizball des 
Roi de Ribauds. Erinnerung beim Tanzen an bie 
— Caroline. Originelle Weiſe, den 
Schönen Geſchenke zu machen. Mauriſche Birtuofen. 
Zahlung nach Belieben in den Caffee’8 zu Algier. 
Intereffante Pifite beim Admiral Herrn de la Bre- 
tonniere. Anefoote von Lord Wellington. Herrn 
de la Bretonniere’8 calamitofe Conferenz mit dem 
vorigen Dey. Kein Herrfcher ift glücklich durch feine 
Macht. Ball ver Kaufmannfchaft. Zug nach Buf- 
farik. Bortrefflichkeit der arabiſchen Miethpferde. 
Duera. Eine vom Militair gebaute Landftraße. 
Fort de l’Empereur. Die Colonie El- Ibrahim, 
Erinnerung an die liebe Heimath. Die Suaven. 
Ihre Waffen und zwedmäßige Tracht im Gegenfaß 
der unmilitairifchen Ausftattung der Soldaten in 
Europa. Landesproducte. Die elegante Spanierin zu 
Roß. Diner en regle im Caffée de l’armee 
d’Afrique. Sommernacht im Januar. Bis auf 
Kinder verbreitete Sternfunde der Araber. Die 


IX 


vermeinte Schlange im Bufen, Capitain Bonorand, 
ein großer Literatus. Dejeuner beim General Ra- 
patel, Die Truppen der Expedition. Demologie. 
Der Markt bei Buffarik. Raſirte Pferdeſchwänze. 
Säbel, der um alles franzöfiiche Gold nicht feit ift. 
Der biisfchnelle Doctor. Die nie fehenden Specu- 
lanten. Projeet zur Wiederbelebung des Eurppäifchen 
Mittelalters in Afrifa. Der gewandte Kopfabfchneider, 
Keitereitelfeit. Taktif der arabifchen Gebürgspölfer. 
Ein lahmer Heiliger. Nachzuahmende Pferdetränfen. 
Hannöverſche Bekanntſchaft. Gelungene Vermittlung. 
Fundgrube für Almanacserzählungen. Bruchſtücke 
aus der Lebensgefhichte eines Mainzer Abenteurerg. 
Lob des Clima's. Der Winde der Wüſte. Pradt 
und Barbarei bei einer türfifchen Hochzeit. Reprä⸗ 
ſentationsdiner beim Gouverneur. Herr Lecoq. 
Klage um die untergegangene goldne Zeit des 
Prügelns und Spießens. „Wenn das Wort von 
Silber iſt, fo iſt das Schweigen Gold.“ Rieſen— 
mäßige Tabakpfeifen. Scheuleder hinter den Augen, 
Gefahr, fih in Algier in einer Portechaife tragen 
zu laſſen. Topographie von Algier. Mangelhaftigkeit 
der Umgebungen. Producte. Aloe- und Cactus— 


X 


zäune. Gactusplantagen. Corhenillenzucht. Schlechte 
Militaireafernen. Türkifhe Wafferleitung in römi- 
ſchem Styl. Badöfen der Soldaten Garl des 
Fünften. Landhaus des däniſchen Conſuls. Eng— 
liſcher Park bei der Billa des Oberſten Bernelle. 
La maison riche, Nirgends ſoll die Erde voll- 
tommen feyn ! 


weiter Brief. 


Seite 223. 

St. Simonismus. Homöopathie. Gleichheit ver Häufer 
in Algier. Bauvorfihläge zu einer bequemen Woh— 
nung. Das Wunder in Nantes, Mufelmännifche 
Frömmigkeit. Beſuch der Mofchee in Strümpfen. 
Gelofreier Kirchenbefuh. Feier des Rhamadan. 
Bekanntſchaft mit vier belgifchen Marineoffizieren 





XI 


auf dem Landhaufe ihres Gonfuls. Anfall von 
Heimweh. Der Tiebenswürdige Amphidryon. Der 
Dichter bis in die Fingerfpigen. Anekdote von Yord 
Byron. Sendung des Herrn Lecoq nad) Marokko. 
Die Reichen im Monde. Eroberung vieler Länder 
ohne Blutvergießen. Sinnreicher Vergleich Belgiens 
mit Algier. Argumentum ad hominem. Ein 
Pröbhen von der Etikette am Maroffanifchen Hofe. 
Staatscaroffe des Kaifers von Marokko. Bewun— 
dernswerthe Negercavallerie. Der zu robufte Re- 
buste. Landhaus des Herrn Lacrousse, Vornehmer 
Eſel aus Tunis. Behaglichkeit der vrientalifchen 
Lebensweife. Mauriſche Bäder. Lobensmwürbige 
Ehrlichkeit der Badediener. Manier zu baden. Fa 
bono? — Si, fa bono. Wohlfeilheit des Gebrauchs 
ver Bäder. Prel- und Trugſucht der hiefigen 
Europäer. Sold der fihlafenden Sicherheitswarhe. 
Giviler Preis der famminen Hofen. Der politifche 
Schneider und der Sattlergefell sans gene, Schreden- 
erregendes Schaufpiel eines Sturmes. Schauerliche 
Pracht des wüthenden Meeres. Der Robuste: von 
vielen Schiffen das erfte Beifpiel der Zerftörung. 
Heldentod des Herrn de Livois im flurmbewegten 


xıE 


Meere. Schätzung des vom Sturm angerichteten 
Schadens. Der im Waffer ſchwimmend unabfolvirt 
fterbende Abfolsift. Hartnäckiger Kampf des l’Eclai- 
reur und einer feinen Govelette mit ven Wellen. 
Beifpiele der faft unglaublichen Gewalt des Sturmes. 
Aber felber die Alles verfchlingenden Wogen refpec- 
tiren das Geld. 








eritev Dr ver 
An die Frau Fürſtin von PB... Mt... 


Mittelländifches Meer, 
den 12, Januar 1835. 


Ich ſchreibe Dir, meine Herzensfreundin, aus 
dem Bauche des Crocodil's, gerade auf halbem 
Wege zwiſchen Frankreich und Algier, Port Mahon 
mit ſeiner langgeſtreckten Inſel, uͤber die der hohe 
Pik von Majorka hervorſchaut, im Angeſicht. 
Schon wehen die Luͤfte ſuͤdlicher, aber wir armen 
„Landratzen“« find alle krank. Denn das Meer 
geht hoch. Sonderbar! man wiegt das Kind, 
um es beſſer ſchlafen zu machen, und den Erz 
mwachfenen bringt es fo viel Noth, che fie das 

Semilaſſo in Afrika. I. 1 


2 


Mogen des Meeres vertragen lernen. Auch hierin, 
wie in fo Vielem, ift die Kindheit das glüdliche 
Alter. Mir aber bitte ich jeßt für ein Fleines 
Dpfer, ja für einigen Heroismus anzurechnen, 
daß ich troß Lord Byron’s Ausfpruch: Feine Liebe 
widerftehe der Seekrankheit — dennoch Dir in 
meiner Hangematte zu fchreiben die Kraft befiße. 
Aufrichtig gefagt, geftern ware e8 mir unmodglich 
gewefen, heute leide ich aber nur noch fehr wenig, 
und daß ich diesmal fo fchnell genefe, ſchreibe ich 
dem befolgten Regime zu, welches ic) Dir daher 
zu Deinem und aller angehenden Seefahrer Nußen, 
wenn ich noch etwas mehr Erfahrung darüber 
gefammelt, nächftens ganz ausführlich mittheilen 
werde; denn fo Fleinlich dies Manchem vorfommen 
mag, Andern, die fih mit mir in gleicher Lage 
befinden, wird es fehr willkommen erfcheinen. 
Die erften Afrikaner, mit denen ich auf dem 
Schiffe ſchon Bekanntſchaft gemacht habe, find 
mehrere hunderttauferd Kleine Käfer von brauner 
Farbe, die meine Cajuͤte bededen, und die 





3 


ich zuerft mit Schaudern für etwas noch weit 
Schlimmeres anſah. Es find indeß ziemlich harm— 
loſe Thierchen, die nur langſam kriechen, nicht 
ſtechen, und weit entfernt, die zaͤhe Lebenskraft 
eines Floh's z. B. zu beſitzen, ſchon durch eine 
ſtarke Beruͤhrung getoͤdtet werden koͤnnen. Da ſie 
aber in ſo großer Menge vorhanden ſind, und 
uͤberall eindringen, in die Ohren, Augen, Naſe 
u. ſ. w., ſo machen ſie ſich doch ziemlich un— 
bequem. Als ich bei meinem frugalen Mittageſſen 
eine weiße Serviette auf mein Bett gebreitet hatte, 
war ſie ſchon in fuͤnf Minuten ganz ſchwarz 
durch die kleinen Kaͤfer geworden, und ſo ſchnell 
ich mein Mahl auch beendete, ſo blieb es doch 
faſt unmoͤglich zu vermeiden, mit jeder Schuͤſſel 
einige dieſer unſchuldigen Creaturen mit hinunter 
zu ſchlingen. 

Ehe wir nun, liebe Lucie, jenen andern Welt— 
theil, von dem die um mich wimmelnden Scarabaͤen 
mir die erſte Kunde bringen, ſelbſt erreichen, muß 
ich noch einiges Europaͤiſche nachholen. Da meine 


4 


gute Mutter bei Dir ift, fo wirft Du meinen 
legten Brief an fie aus Toulon ohne Zweifel ges 
lefen haben. Sch beziehe mich daher auf diefen 
und füge nur hinzu, was darin unerwähnt blieb. 
Befümmert über alle die unglüclichen Nach- 
richten, die ich erhalten, ging ich während meinem 
fast zehntägigen Aufenthalt in Toulon wenig aus. 
Auch kenne ich Faum eine Hafenftadt, die fo arm 
lich und langweilig wäre. Das Theater, in Form 
eines langen Darm's gebaut, ift das fchledhtefte, 
was mir noch in Franfreich vorgefommen ift, und 
das Publikum fo gemein, daß, fo oft ich es be 
fuhte, auch immer regelmäßig eine Schlägerei 
im Varterre ftattfand. Einmal führte mich mein 
Unftern neben eine eben angefommene, neuengagirte 
Schaufpielerin, die, mich für einen Engländer 
haltend (eine Ehre, die mir fo oft widerfährt, 
ohne daß ic) fie gehörig zu ſchaͤtzen wüßte), mich 
auch in der Sprache diefer Nation anredete, was 
jedoch unmöglich zu verfichen war. Nach mehreren 
vergeblichen Verſuchen zwang fie mich in franz 


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0] 


zöfifchen Worten, der Vertraute aller ihrer mannig- 
fachen Schickfale zu werden, und nach Beendigung 
des erſten Aftes bat fie mich aar, fie nach Haufe 
zu führen. Da ich dies: jedoch ablehnte, meinte 
fies wenn ich nur wüßte, wie fehr fie die Eng- 
[ander liebe, würde ich nicht fo fier mit ihr ſeyn. 
„Gewiß nicht,“ erwicderte ich; „da ich aber nur 
ein fcheinbarer Englander bin, müffen Sie ſich 
an einen Achten adreffiren,“ und dabei zeigte ich 
ihr Lord Brougham, den ich eben, nicht weit von 
mir in einer Ede verborgen, erblickt hatte, Sein 
Genius muß ihm aber ohne Zweifel etwas von 
der drohenden Gefahr zugeflüftert haben, denn 
während meine ftarf nad) Grog duftende Nach: 
barin bereits firategifche Operationen begann, um 
fih ihm unvermerft zu nähern, verließ er das 
Theater und Fam nicht wieder, 

Unglaublich ift der Mangel an Handel und 
Verkehr in diefer Stadt. Es war mir nicht ein: 
mal möglich, leidlichen Thee Hier zu finden, Nur 
die Apotheker verkauften etwas Aehnliches, was 


6 


die einzigen Abnchmer deffelben in Toulon, die 
Kranken, gewiß noch Fränfer macht; denn ich fand 
beim Abkochen Blätter von fünf bis fechs ver: 
fhiedenen Pflanzen darin. Eben fo ging es mir 
mit vielen anderen Bedürfniffen. Ich hatte mic) 
hier für die Reife im Orient equipiren wollen, 
und fand Nichts, was zu brauchen war. Aber 
felbft um Etwas von bier nad) Deutfchland fort: 
zufchicken, begegnete ich den lächerlichiten Schwierig— 
keiten. Du darfft Dich, wein Du das Folgende 
gelefen, nicht wundern, wenn ich auf meinen Briefs 
adreffen zu Berlin noc) hinzufügte: „Royaume 
de Prusse ;« denn in dem erften Diligence-Büreau, 
an das ich mich wandte, frug man mit einem 
air capable: „Berlin — ou est cela®%« „En 
Prusse, Monsieur.“ „Ah, je comprends, en 
Russie.“ Es ſchien mir zu bedenklich, mein Paket 
diefem Bürcau anzuvertrauen, und ich ging daher 
in ein anderes. Hier aber nahm man es gar 
nicht an, „Comment voulez vous, que nous 


nous chargions de cela,“ hieß es, „pouvez 


7 


vous nous garantir, quil y a des diligences 
en Prusse? Dieu sait ce que ce paquet peut 
devenir dans des pays inconnus, et s'il se 
perd, nous serions oblige d’en payer la valeur. 
Nous ne saurions encourir cette responsabilite.“ 
Um mic) aus der DVerlegenheit zu ziehen, blieb 
nichts übrig, ald meine Kifte an den Preußifchen 
Conſul nad) Marfetlle zu fchicken, und ihn um 
die weitere Beforgung zu bitten. 

Ich würde mich ganz verwaist in Toulon ges 
fühlt haben, wenn nicht eine günftige Bourrasque 
mir Herrn Dufillot, der fich bereits nach Corfifa 
eingefchifft, wieder zurücgeführt hätte, Er war 
von Ajaccio nur deshalb nach Toulon gefommen, 
um zur See nach Baſtia, am andern Ende Cor: 
fifa’S, zu gelangen, weil der Schnee den Weg 
im Innern über das Gebürge momentan um 
practicable gemacht hatte. Nachdem ihn nun 
widrige Winde in Frankreich acht Tage aufgehalten, 
warf ihn der Sturm zum zweitenmal auf unge 
wiffe Zeit wieder hierher zurüc, während unterdeß 


8 


der Schnee in Corſika längft gefchmolzen war. 
So unficher und neckend ift das falſche Meer! 

Für mic) war indeß, wie gefagt, dies Er- 
eigniß eine Gunft des Schickſals, und mancher 
Abend ward angenehm verplaudert, mit Er: 
zählungen von Corſika und dem romantifchen 
Vaterlande Herrn Duftllot’S, der basse Bretagne, 
wo noch fo feltfame Sitten berrfchen; wo neben 
einander noch der Eultus der Druiden, der uralte 
des Feuers und der Achtkatholifche des Mittel: 
alters eriftirt, wo es von meift noch wohlerhaltenen 
gothifchen Schloffern und Kirchen wimmelt, die 
Leute gut, naiv und gläubig find, die Geiſter und 
Gefpenfter noch leben, und jeder Landmann über; 
zeugt ift, daß, fo wie ein Boͤſer firbt, ein Ger 
witter am Himmel fich zufammenzieht, und aus 
der fchwärzeften Wolfe deffelben ein Pudel herab: 
fällt, in den alfobald des Böfen Seele fahren 
muß, um in diefer Geſtalt bis zum jüngften 
Tage die Seen im Gebürge von Garhair zu 
umfreifen, 


9 


Gern hätte ich, wenn es meine Zeit erlaubti, 
eine Excurſion nach Ajaccio gemacht, um Napo— 
leon's Wiege zu fehen. Vor einigen Wochen fand 
dort ein intereffantes Feft ftatt, was dem neuen 
Gouverneur, dem General Lallemand, im Haufe 
Napoleons gegeben wurde, Der General benußte 
diefe Öelegenheit, in einer Nede, welche großen 
Enthufiasmus hervorbrachte, eine Erzahlung feiner 
Berhaltniffe zum Kaifer einzuflechten, die manches 
Treue und Unerwartete enthalten haben fol. Man 
fpeiste nachher in demfelben Zimmer, wo Napo— 
leon geboren wurde. Die Corfen, welche ich hier 
ſah, find mit Recht alle fehr ftolz auf ihren 
Helden, der der größte Mann des neuen Europa’s 
geworden; von den jeßt Lebenden aber tft der 
Ambaffadeur, wie fie ihn nennen (Pozzo di Borgo), 
der Gefeiertfie. ES fcheint auch, nad) ihren Aus- 
fagen, daß er nicht nur große Befigungen auf 
Corſika in Eultur feßt, fondern auch viel Groß— 
muth gegen feine Landsleute ausübt, wovon mehrere 
Beifpiele gerühmt wurden. 


10 


Das Aıfenal, diefe Welt im Kleinen, habe 
ich noch mehreremal befucht, und immer etwas 
Neues dort vorgefunden. Das Lettemal ſah ich, 
bei einem der Commiffeirs, eine merkwürdige 
Sammlung Bilder verfchiedener der berüchtigften 
Öaleerenfelaven, nebft den mannigfachen Verfuchen, 
die fie zu ihrer Rettung gemacht. Einer hatte 
ich vierundzwanzig Stunden lang, bis an den 
Mund im Waffer, zwifchen den Schiffen ver: 
borgen; ein Anderer ſich gar bei lebendigem Leibe 
mit Luftlöchern einmauern laffen und niehrere 
Zage auf diefe Weife unftchtbar gemacht, bis 
fih die ©elegenheit zur wirklichen Slucht darbot. 
Welch’ unfchäßbares Gut muß doch die Freiheit 
ſeyn, da man ihr folche heroifche Opfer zu bringen 
im Stande ift! 

Unter allen Portraits intereffirte mich das des 
berüchtigten Grafen de St. Helene am meiften, 
Dos Stehlen ift gewiß wie das Morden bei 
manchen Menſchen eine ganz unbeftegbare Krank 
heit; denn nachdem diefer Mann, von den Öalceren 





11 


entfprungen, mit unglaublicher Kühnheit und Ge— 
wandtheit einen vornehmen Namen ufurpirt, dem 
Marjchall Soult in Spanien wefentliche Dienfte 
geleiftet, den Ruf eines ausgezeichneten Milttairs 
fid) erworben, Chef de bataillon in der Garde 
geworden war, und fich in vielen der angefehenften 
Haufer in Paris, als ein Mann von hoher Ge—⸗ 
burt und als liebenswürdiger Sefellfchafter, wie 
das Kind vom Haufe aufgenommen fand — ber 
nutzte er diefe glänzende Lage doch nur, um fein 
Diebeshandwerf fortzufegen, bis dies endlich zu 
feiner Entdeckung führte Auch bier entrann er 
noch einmal mit der größten Geiftesgegenwart, 
ward aber bald darauf wieder ergriffen, und ift 
jeßt, mit allen Zeitlebens Verurtheilten, in Breft; 
wo er jedoch, wie man fagt, noch immer die 
tournure und aisance eines Mannes von Stande 
beibehalten heat, und fie felbft gegen feine Mitz 
gefangenen, die er als weit unter fich betrachtet, 
durchzufeßen weiß. Schade wahrlich um ein folches 
Zalent! und es ift wohl ein großer Mangel unferer 


12 


Gefege und gefellfehaftlichen Verhältniffe, daß wir, 
zu dem Endzwede der Befferung und Utilifirung 
folcher Menfchen, nicht noch ganz andere Anftalten 
befigen. ) 

Den lebten Tag meines Aufenthalts in Toulon 
benußte ich zu einer Ausflucht nach Hieres. 

Man hört immer von den Inſeln von Hieres 
fprechen, ja ich erinnere mich fogar, in Reife: 
befchreibungen von ihrer hesperifchen Orangenpracht 
ausführlich gelefen zu haben. Ein ficherer Beweis, 
daß diefe Neifenden nie da waren, denn die Inſeln 
von Hieres find nichts als nackte Felfen, nament— 
lich ohne einen einzigen Orangenbaum. Der Ort 
mit den berühmten Gärten dagegen ift die Fleine 
Stadt Hieres auf dem feften Lande, am Geftade 
des Meeres gelegen, mit einer guten Rhede, vier 
Lieues von Toulon. 


*) Der Graf von St. Helene ift ſeitdem geftorben, 
und hat bis zum letzten Augenblid behauptet, wirklich 
der zu feyn, für den er fih ausgab. 


13 


Der Tag war außerordentlich ſchoͤn und füdlich 
hell, zwar mit einem Falten Winde, aber heiß in 
der Sonne. Die Fahlen, blaßgrauen und blendenden 
Felſen, welche bis über die Mitte ihrer Höhe mit 
fruchtbarem Boden und vielen hundert weißen 
Baftiden bedeckt find, deren bunt glacirte Ziegel: 
dacher glänzend in der Sonne funkeln — die 
davor liegenden Hügel, denen unzählige, einzeln 
aber dicht ſtehende Delbaume das Anfehn zierlich 
gefräufelter Lockenhaͤupter geben — dunkelblaue 
Berge in der Ferne mit zertruͤmmerten Schloͤſſern 
— das weite Mittelmeer endlich mit ſeinen 
ſchroffen, gezackten Kuͤſten, machen dieſen Weg, 
auch im Winter, hoͤchſt genußreich. Jedoch nur 
erſt, wenn man ſich Hieres naͤhert, zeigt Die 
Sonne ihren ganzen Netz, und ſchon den deuts 
lichen Anklang eines nahen andern MWelttheils; 
denn die mit Millionen goldener Früchte bedeckten 
Drangenhaine, die das Thal füllen; viele dreißig 
bis vierzig Fuß hohe Palmen, welche in voller 
Pracht mitten aus ihnen emporfteigen; die von 


14 


Feigen und Dclbaumen ftrogenden Vorgebürge, 
die fich in den azurenen Sluthen wicderfpicgeln; 
und endlicy der fabelhaft geformte gigantifche 
Theaterfelfen, der ftch fenfrecht über dem Städtchen 
erhebt, von Ruinen, Thuͤrmen und verfallenen 
Mauern rings umfchlungen, bilden zufammen ein 
Gemälde, wie kaum irgendwo Europa ein abnliches 
darbietet. Man hat auf der hoͤchſten Spike des 
erwähnten Selfens ein kleines rundes Lufthaus 
aufgebaut, einfach weiß amgeftrichen und mit 
einem Schieferdach verfehen. Viele ärgern fid) 
darüber, und es fticht freilich feltfam mit den 
nahen Nuinen und den übrigen Umgebungen ab, 
nimmt ſich aber, meines Erachtens, bei alle dem, 
jo barof auf feiner Höhe, nicht übel aus; und 
wird Fünftig um fo mehr Verzeihung verdienen, 
da man die Selfentreppen, die im Zickzack hinauf 
führen, mit einer Allee junger Drangenbaume 
bepflanzt hat, welche, wenn fie glüdlich fort 
wachfen, einft den eigenthümlichften Effeet in diefer 
Infrigen Region hervorbringen müffen, 








15 


Zu den berühmteften Gärten im Ort rechnet 
man die des Grafen Beauregard und des Herru 
Sille. Ich Faufte von dem Gärtner des Letztern 
eine Sammlung Samereien aller Zterftraucher 
und Pflanzen, die in der Gegend von Hières 
einheimifch find. Er forderte SO Francs dafür, 
ließ fie indeß für 40, eine fehr gewöhnliche Weife 
bei den im Handel nicht allzu gawiffenhaften 
Provencalen. 

Die Terraffe vor dem Wohnhaufe war im 
hohen Grade lieblich. Eine Menge wohlriechender 
und fchön gelb beblumter Caſſiabaͤume, duftender 
arabifcher Jasmin, blühende Roſenhecken, einige 
hohe Palmen, Camellien in reicher Blüthe, nebft 
vielen Geranien und andern Blumen breiteren 
fid) zwiſchen netten Kiesgangen aus. In der 
Mitte befand fih eine Marmorfontaine mit 
Goldfiſchen, und von hier ward ein Stern mit 
Strahlen von einer Viertelftunde Lange fichtbar, 
welche durch ein Orangendiclicht, ganz mit Früchten 
bedeckt, gehauen zu ſeyn fchienen. Sch fage ab- 


16 


fihtlich ein Dieficht, denn in ganz Hieères findeft 
Du nicht einen einzigen fo ftarfen Orangenbaum- 
ftamm, als wir deren fehr viele in unferem Ge- 
wächshaufe befitzen. Während des großen Froftes 
vor vierzehn Jahren erfroren alle Orangenbaͤume 
ohne Ausnahme, fo daß man fie (und darunter 
Veteranen, die mehrere Jahrhunderte gefehen) 
fammtlich an der Wurzel abhauen mußte. Daher 
haben jetzt faft alle Baume zwei bis fechs Stamm, 
was ihnen mit der Zeit ein von dem ehemaligen 
fehr verfcbiedenes, und gewiß nicht weniger ſchoͤnes 
Anfehen geben wird, auch wegen der vermehrten 
Größe ihrer Kronen einen erhöhten Ertrag vers 
ſpricht. Schon jet erreichen die firauchartigen 
Baunıchen zum Theil beinahe fo viel Fuß Höhe 
als ſie Jahre zahlen. Die meiften find jedoch 
niedriger geblieben. Man zeigte mir einige, 
die von Natur ganz verfchtedenfarbige Blätter 
und auch verfchteden geformte Früchte trugen, 
worunter die pannafıhirten ſich am artigften aus: 
nahmen. 


17 


Einen flüchtigen Befuch verdient auch der 
Garten des Maire, welcher eine Enkelin des 
reichen Schneidermeifters Stulz aus London ge: 
heirathet hat. Diefer berühmte Mann befchloß 
hier vor einigen Jahren feine glorreiche Laufbahn, 
wovon ein Marmormonumtent auf dem Kirchhofe 
die traurige Kunde giebt. Gewiß fcheint der 
Lebenslauf des Verblichenen fehr verftandig. Ob: 
gleich er das Unglück hatte, in Deutfchland das 
Licht der Welt zu erblicen, befaß er dennoch 
die Gefhiclichkeit, in England fteinreich zu 
werden; und als das Leben ſich ihm zu entziehen 
drohte, war er poetifch genug, in Hieres zu 
fterben und fi) unter Pomeranzen begraben 
zu laffen. Ohne Zweifel tft er jegt im Himmel, 
und hat fo, von Stufe zu Stufe fleigend, das 
Syſtem der Verfeetibilität auf eine fchöne Weiſe 
illuftrirt, nach meinem Glauben, in folgender 
Gradation Stein, Pflanze, Thier, Deutfcher, 
englifcher Schneider, Poet, Engel. Gott habe 
ihn felig ! { 

Semilaffo in Afrika, J. 2 


18 


Als ich recht matt, müde und hungrig in den 
Gaſthof zurückkehrte, läutete man eben zur table 
d’höte. Denke Dir meine Ueberrafchung, dort 
ungefahr fünfzehn bis ſechzehn Gäfte vorzufinden, 
die fammtlich Deutfche waren, worunter drei 
Damen. Gewiß ein feltfanes Zufammentreffen! 
Sie waren mir Alle unbefannt, bis auf Eine 
der genannten Damen, die ſich vor einigen Jahren 
drei Monate im M.....er Bade aufhielt, eine 
artige, angenchme Frau, deren Du Dich gewiß 
erinnerft, und die (ein ficheres Mittel mir zu 
gefallen) von Dir mit Enthuftasmus ſprach. 
Alle Landsleute nahmen mich fehr freundlich auf, 
wir gedachten herzlich) der, immer und überall 
geliebten, Heimath, und erft fpät, bei hellem 
Mondfchein, einem Kleinen Sturm und fehr Falten 
Metter, fette ich mich, von einem großen Theil 
der Gefellfchaft bis an den Wagen begleitet, in 
meinen luftigen Zilbury. 

Unterwegs raubte mir der Wind meinen 
legten englifchen Hut, und obgleich ich à tout 


— — 





19 


risque das allerdings ziemlich phlegmatifche 
Roͤßlein mitten in der Straße ftchen ließ, um 
. den Slüchtling wo möglich noch einzuholen, war 
ic) doch nicht im Stande, feiner wieder habhaft 
zu werden. Einen jahen Abhang hinabrollend 
war er verfchwunden, als habe ihn ein necfender 
Geift entführt. Es hätte nichts gefehlt, als daß 
wie ich nach einer Viertelftunde vergeblichen 
Suchens zurückehrte, auch mein Pferd davon 
gelaufen ware, Nicht ohne Zagen ftellte ich mir, 
während ich die Höhe wieder hinaufkletterte, dieſe 
Moͤglichkeit vor, doc) das gute Thier hatte ſich 
nicht gerührt, ja es fchien fogar ftchend eingefchlafen 
zu ſeyn. Sch triumphirte demungeachtet zu früh, 
denn es erwartete mich noch anderes, unvorhers 
gefehenes Ungemadh. Halb erfroren, mit dem 
Schlage Mitternacht am Thore angelangt, fand 
ic) diefes verfchloffen. Trotz allen Rufens ließ 
fi) Feine Seele fehen, und nad) einer halben 
Stunde ganz unnüger Bemühungen jeder erdenk— 
lichen Art, blicb mir nichts übrig, als mein Heil 


20 


am andern Thore zu verfuchen. Toulon hat 
deren nur zwei: de ITItalie und de France. 
Bei dieſem leßteren erblickte ich eine Schildwacht, 
die auf dem Walle auf- und abging, und nad) 
vielen Parlamentiren, wahrend dem ich mid) 
für einen franzdfifchen Courier ausgab, gelang es 
mir, diefen Nefruten zu bewegen, einen Augen: 
blick feinen Poften zu verlaffen, um den Corporal 
der Wache aufzufordern, zum Commandanten 
zu ſchicken. Noch eine ewige Stunde mußte ich) 
ſehnſuchtsvoll warten, da dffnete fich endlich die 
Pforte und ein Offizier mit der halben Wache 
fam heraus. Obgleich ich jet den Courier nicht 
mehr fouteniren konnte, ließ mich der Offizier, 
nach Nennung meines Namens und Vorweifung 
meines Paffes, den man in Frankreich nie von 
fih laffen darf, dennoch paſſiren. Sch dankte 
Gott, denn bis 5 Uhr, wo die Thore dem 
Publicum erft wieder geöffnet werden, in Der 
eisfalten Nacht auf der Straße oder in dem 
offenen Waͤgelchen bivouafiren zu müffen, war 





21 


Feine troftreiche Ausficht, ein anderes Unterfommnien 
aber weit und breit nicht zu erfpähen. 

Nun fand ich wenigftens eine warme Stube, 
wenn auch Feine Ruhe; denn ich mußte noc) 
einpacken und hundert Kleinigkeiten zum embar- 
quement am andern Morgen felbft beforgen, da 
mein Parifer Bediente nicht von der Art ift, um 
ihm dergleichen allein überlaffen zu Fünnen, Er 
würde die eine Hälfte vergeffen und die andere 
confus beforgt haben. 

Wind und Wetter waren günftig, als wir 
den Morgen darauf Toulon verliehen, und die 
herrliche Umgebung der Rhede ſich im fchönften 
Sonnenglanz um uns her grugpirte, wahrend 
von dem Admiralſchiff die befte Milttairmufif in 
Frankreich uns das Geleit zu geben fehien. Sch 
nahm dies für eine gute Vorbedentung an, und 
obgleich nicht ganz wohl nach der fehlaflofen 
Nacht, begann ich fehr heiter die Neife nach der 
unbefannten Ferne und den unbefannten Schick— 
falen, bis die Seekrankheit allen romantischen 


22 


Zraumen ein höchft triviales Ende machte. Als 
es Abend geworden war und ich an der Edelcur 
im Bette lag, hatte ich auf der einen Seite einen 
Glüklichen neben mir, der, ganz vom allgemeinen 
Uebel verfchont, eine Eigarre unter feiner Dede 
rauchte und luftige Lieder dazu träalferte, wahrend 
auf der andern ein noch weit fehlimmer als ich 
Letdender, beinahe in Convulſionen verfchted. Es 
war cin feltfamer Gontraft, wenn der Eine luftig 
intonirte: „L'enfant cheri des Dames; je fus 
en tous pays“ u. f. w. und alfobald der Zweite 
mit einem wiürgenden Gebrüll einfallend, ein 
ſchreckliches Accompagnement dazu lieferte, das 
Mitleid in jedem Sinne erregte. Sch fehauderte; 
doch nur Geduld, rief meine Philofophie, Alles 
überfteht fich, auch dies wird bald vorüber ſeyn, 
der Schmerz wird fchwinden ; aber fpäter — die 
Freude leider auch! 





Rhede von Nlgier, den 13. 
um Mitternacht. 


O, theure Lucie, welch ein wunderliches Bild 
umgibt mich! Wir haben Anker geworfen auf 
derfelben Stelle, von der Lord Ermourh Algier 
bombardirte. Der Mond fcheint faft tageshell, 
ein milder Sephyr fachelt meine Wangen und 
füße MWohlgerüche dringen vom Ufer her. Es ıft 
Alles wie mitten im Sommer, ruhig wie ein 
Spiegel fehimmert das bläuliche Meer; links 
erhebt ſich, noch mit Schnee bededit, der Atlas 
mit dem gezadten mons serratus der Alten; 
rechts dreht der hohe Leuchtthurm feine Feuer 
und vor Dir liegt gefpenftifch von dret illuminirten 
Minarets matt befchienen, eine fchlohweiße dicht 
zufammenhangende Maffe, todtengleich an den 


24 


Bergen hingelagert. Nicht eine Stadt, nein — der 
in ein unermeßliches Leichentuch gehuͤllte Geiſt einer 
Stadt ſcheint dieſe ſeltſame Erſcheinung zu ſeyn. 
Ohne die Minarets aber, die, gleich Candelabres am 
Paradebett, daruͤber glaͤnzen, haͤtte ich es fuͤr einen 
ungeheuren Marmorz oder Kalkbruch angefehen. 
Wohl eine Stunde weidete ich mid) an dieſem 
fremdartigen Schaufpiel und ftieg dann erft im 
des Capitains elegante Cajüte hinab, um, während 
alle Uebrigen um mich her in tiefem Schlaf be— 
graben find, an den grünen Tifche fchreibend, auch) 
Dir jetzt eine fanfte Ruhe zu wünfchen. Ich werde 
Mühe haben, mich felbit ihr zu überlaffen; denn 
reine alte Einbildungsfraft ift von Afrifa’s Küften 
mit einem ganz neuen, frifchen Jugendfeuer ans 
geftrahlt worden. Du wirft indeß nicht viel dabei 
gewinnen, liebe Freundin. Wohl kann es fommen, 
daß ich hier mehr genieße und weniger beobachte, 
mehr lebe und weniger darüber reflectire. 





Algier, den 16. 


Um 9 Uhr am andern Morgen debarfirten 
wir, Don Neuem ftaunte ich, am Tage wie in 
der Nacht, beim Anblick der blendend weißen 
Stadt ohne Daͤcher, die, ſo eng zuſammengebaut 
daß wenig Straßen uͤber fuͤnf Fuß breit ſind, 
eine einzige, ganz compacte, an den Berg gelehnte 
Maſſe, ungefaͤhr in der Form eines oben abge— 
brochenen Zuckerhutes, bildet. Da nun die Haͤuſer, 
wie ihre Platformen, alle Jahr wenigſtens zweimal, 
viele jeden Monat, friſch geweißt werden, ſo iſt 
kaum hie und da auch nur ein Fleckchen von 
einer andern Farbe zu erblicken. Die Minarets, 
welche nicht ſchlank, und denen in der Tuͤrkei 
daher ganz unaͤhnlich ſind, kann ich Dir nicht 


26 


treffender fchildern, als wenn ich fage: daß fie 
vollfommen riefenmäßigen Feilnerfchen Porzellan- 
dfen gleichen, oben fogar von einem ahnlichen 
Dande bunter Kacheln und dem Kranz von 
Schnörfeln darüber eingefaßt, als Aufſatz aber, 
ftatt des Amor’s, Adler’s oder Vaſe, eine Zierrath 
mit dem halben Monde tragen. Die Aehnlichkeit 
ift vollftändig, jo wie die ganze Stadt, wenn fie 
aus Biscuit beftünde, ebenfalls nicht im geringften 
anders als jeßt ausfehen Fünnte. 

Noch feltfamer für den Europäer erfcheint das 
Innere derfelben, um fo mehr vielleicht grade 
jeßt, wo neben dem Afrtfanifchen das Sranzöftfche 
fih im curioſeſten Mifchmafch eingebürgert hat, 
und dadurch den bizarren Effeft noch verdoppelt. 

Sp wie wir den Fuß ans Land gefeßt hatten, 
fielen hundert braune und ſchwarze Geftalten, 
alle in urfprünglich weiße Bernus gefleidet (eine 
Art wollener Mantel mit capuchon), die meiftens 
in ſchmutzigen Lappen um fie herhingen, wie 
Räuber über meine Coffers her, und pruͤgelten 


27 


fih untereinander, um fie für mich in den Gaft- 
hof zu tragen. Ein Aengftlicher würde die Sachen 
ſchon für geraubt und verloren angefehen haben, 
und mein Parifer Badaud, den Alles, was cr 
nicht in der Hauptftadt erlebt hat, aus der Faſſung 
bringt, war auch ganz diefer Meinung. Dennoc) 
ift eine DVeruntreuung bet folchen Gelegenheiten 
bier faft beifpiellos., ES dauerte indeß eine gute 
Diertelftunde, che endlich fünf bis fechs diefer 
damonifchen MWefen ihrer Rivalen foweit Herr 
geworden waren, daß diefe fie mit der fehr um 
gleich vertheilten Bürde ruhig abziehen ließen. 
Als wir vom Molo ans Thor gelangten, 
entftand ein neuer Aufenthalt. Ein langer Zug 
von Efeln, Maulthieren, und Kameelen drang 
langfam daraus hervor, Voran ritt auf einem 
arabifchen Schimmel eine nicht haßliche Negerin, 
und allerlei wunderliches Gemengfel folgte. Wir 
befanden uns, nachdem wir das Thor paffırt 
hatten, in der breiteften Straße der Stadt, rechts 
und links die Haufer halb in Ruinen, weil fie 


28 


die Franzofen zur Verbreiterung der Straße 
abgeriffen haben. Ueberall lagen daher Schutt 
und Steine umher, zwifchen denen das geranfchs 
vollfte Gcwühl Feinen Augenblick abbrach. Die 
Safttrager, oft fünf bis fechs für einen Gegenftand, 
liefen meiftens im Trabe, und wer fich nicht genau 
vorfah, Fonnte leicht umgeftoßen werden, befonders 
von den langen Balken, die Einzelne auf dem 
Kopfe trugen. Trachten aller Art umringten ung, 
fhwarze Kabylen vom Atlas, in weißen Mänteln; 
Mauren in ftattlicher bunter Kleidung; Neger 
in wahren Harlefinsjaden, über und über mit 
grell fchilfernden Blumen und Sternen geftickt ; 
elegante franzofifche Offiziere; Suaven und Spahis 
in orientalifchefrangöfifcher Uniform; Parifer Son: 
bretten und maurifche Bürgerfrauen, die Letzteren 
dergeftalt in Leinwand gehüllt, daß nur die Yugen 
frei find, und fie ganz ciner Keiche gleichen, die 
eben vom Zodtendett aufgeftanden ift, um fic) 
noch einmal die Stadt zu beſehen; Juͤdinnen mit 
nechten Beinen und Sandalen, aber dazu mit 


29 


Gold behangen und ein drei Fuß langes tuyau 
von Drath geflochten auf dem Kopfe tragend — 
alles das wimmelte, mit vielen Thieren untermifcht, 
bunt durcheinander. Set ftanden wir vor einem 
eingeriffenen Haufe, welches man uns als das Hotel 
anfündigte. Sch erſchrack. Ueber den Schutt muͤh— 
fam Eletternd, drängten wir uns durch ein enges, 
halb demolirtes Gewölbe, traten dann feitwarts 
in eine niedrige Thür, und — wie dur) Zauber — 
war die Scene verwandelt. Ein eleganter maurifcher 
Saal, mit Arcaden rings umgeben, die auf fehonen 
gewundenen Marmorfäulen ruhten; die Bögen ziers 
lic) mit farbigen Sayancetafeln ausgelegt, in der 
Mitte ein wohlgarnirtes Büffet, mit einer nach 
der neueften Mode gefleideten Pariſerin dahinter 
thronend; eine Menge Heiner runder Tifche vol 
dampfender Schüffeln, von luſtigen Gäften ums 
ringt, und das Ganze durch den Duft einer guten 
franzöfifchen Küche für Hungrige ſehr anzichend 
gemacht — beruhigte unfere Sorge, die fich beim 
Eintritt das Webelfte erwartet hatte. 


30 


Faft alle Haufer der Mauren, die man intact 
gelaffen hat, find innerlich auf diefelbe, cben fo 
zwedmäßige als gefällige Weife eingerichtet. 

Zuerft findet man gewohnlich eine Fleine bedeckte 
Halle mit Banfen an der Seite, und tritt dann 
in einen mit Marmor oder Fließen gepflafterten 
vieredfigen Hof, in deffen Mitte oft eine Fontaine 
fprudelt, und welchen oben ein Zeltdach deckt, 
das nad) Belieben abgenommen werden Fann. 
Der. Drient ändert feine Sitten nicht, und der 
Doctor Schaw bemerft ſchon, daß der Pſalmiſt 
auf dieſe Zeltdecke anſpielt, wenn er ſagt: „Der 
Herr breitet ſeine Himmel aus wie einen Vor— 
hang.“ Gar viele Stellen der Bibel zeigen 
übrigens deutlich, daß zu Chriſtus, wie in früheren 
Zeiten, die Häufer der Orientalen vollkommen 
den heutigen gleich waren; auch mit der römifchen 
Bauart haben fie große Achnlichkeit. | 

Doc um wieder auf den Säulenhof zurüd; 
zufommen, den man nach unferm Sprachgebrauch 
beffer einen Saal nennen würde, fo ift er ſtets 





3 


auf allen vier Seiten von zwei Stodwerfen Ar: 
caden übereinander umgeben, wodurch zwei bedeckte 
und geräumige alerieen rund umher gebildet 
werden. Langs diefen Oalerteen laufen die Zimmer 
hin, welche lang und fchmal find, aber durch große 
Nifchen mehr Raum gewinnen, welche Marabuts 
heiffen. Geflochtene Matten und Teppiche auf 
dem Boden und Divans an den Wänden, mit 
funftreichen Schranken, auf denen Vaſen und 
dergleichen in Kleinen Blenden ftchen, machen faft 
das ganze Ameublement aus. Kamine und Oefen 
gab es, che die Franzofen fie einführten, fonft 
nirgends hier. Die Fenfter und Thüren gehen 
fämmtlich nach der Galerie und den Hof, find 
aber vergittert; nach der Straße zu find nur in 
der Höhe Fleine bunte Fenfterchen angebracht, 
Blumen und dergleichen vorftellend, deren Farben 
oft ganz das Feuer des gemalten Glafes in 
mehreren gothifchen Kirchen erreichen. 
Gewöhnlich führt eine fcymale Marmortreppe 
in der Ede des Haufes von Galerie zu Galerie, 


32 


und auf die Terraſſe hinauf. Diefe mit einer 
niedrigen Bruftwehr verfehen, tft der angenchmfte 
Aufenthalt in der Abendkuͤhle; und da Algier an 
einem fteilen Berge aufgebaut tft, hat man faft 
son jedem Haufe die Ueberſicht der ganzen Stadt, 
welches an einem Sommerabend, bet ſolchem all- 
gemeinen Leben auf den Dächern, den feltfamften 
Anblick gewähren muß. Zuweilen iſt er jedoch) 
auc) von weniger angenehmer Art. Go erzahlte 
mir ein Bekannuter, daß er Türzlic) fein Quartier 
verlaffen habe, weil er alle Morgen vor dem 
Senfter, an dem er fchlief, auf der Zerraffe des 
Nebenhauſes von der Toilette einer Negerin habe 
Augenzeuge ſeyn müffen, deren Details zu de 
goutant gewefen wären, um ſich einem folchen 
Schaufpiel langer auszufegen. 

Durch die Gefälligkeit eines reichen Bretagner 
Handelsmannes, mit dem etwas fonderbaren 
Namen: Pied de Vache, war mein Quartier 
bereits früher befiellt worden, und ich fand mich 
bald recht bequem und behaglich, wenn gleich fehr 











33 


eng, eingerichtet, mit einem bhinlänglich großen 
Schreibtifch und einem vortrefflichen Bett, durch 
dichte Moustiquaires geſchuͤtzt; denn troß des 
Winters gibt e$ bereit Moustiques, diefe abſcheu— 
liche Mücenart, hier in ziemlicher Menge, 
Wenn man vom Meere Fommt, iſt die darauf 
folgende Mahlzeit auf dem Lande immer ein 
kleines Feft. Unter fo angenehmen Aufpicien in 
jeder Hinficht war fie eS uns doppelt; und Du 
Fannft denken, daß ich nicht vergaß, mein erfies 
Glas Champagner in Afrifa, wie früher an fo 
manchen intereffanten Stellen Europa’s, auf 
Deine Gefundheit zu leeren. Nach Tiſche führte 
mich Herr Pied de Vache, der acht Tage in 
Algier vor mir voraus hat, in der Stadt umher, 
Es wird eine gute Weile dauern, ehe ich mich 
in dieſem Labyrinth von, haufig mehrere hundert 
Schritt lang überwölbten, Tußfteegen, die man 
hier Straßen nennt, zurecht finden werde. Auf 
beiden Seiten derfelben arbeiten in offenen Räumen, 
oft ohne Fenfter und Thüren, die Mufelmänner 
Semilaffo in Afrika, 1. 3 


34 


an verſchiedenen Handwerken, oder bieten in ftolzer 
Ruhe ihre Waaren fell. Einige der Handwerker 
find originell anzufchauen, z. B. die Goldfticer, 
welche die langfamfte, aber vortrefflichfte Arbeit 
liefern; die Weber, die alles noch mit den 
Handen, ohne Mafchine und auf die feltfamfte 
MWeife zu Stande bringen — einer von ihnen 
faß, als ich vorbeiging, auf dem Dache und hielt 
dort, unbeweglich wie eine Statüe, eine Spindel 
hoch in der Luft empor, von der ein langer 
Faden bis vor die Werkftatt herabhing, und dort 
abgefponnen wurde; die Drechsler, welche mit 
der einen Hand, vermoͤge einer Art Fidelbogen, 
drehen, mit der andern den Meißel halten und mit 
den Zchen des rechten Fußes den zu drechfelnden 
Gegenftand handhaben, oder vielmehr fußhaben, 
u. ſ. w. Jetzt begegneten wir im Gedrange einem 
vornehmen Türken, Muftapha Paſcha, Sohn eines 
früheren Dey, der ganz ohne Gefolge fich, gleich) 
uns, durch die ihre Waaren ausbietenden Juden 
drängte. Sch hörte ſpaͤter, daß er einen glänzenden 





35 


Harem unterhält, und mehrere franzöfifche Damen 
haben dort mit fiinen Weibern Befanntfchaft 
gemacht. Sie follen mitunter fehr fehon und 
angenehm feyn, und die Meiften von ihnen nod) 
nie ihre Wohnung verlaffen haben, ald um wohl 
vermummt in's Bad getragen zu werden. Gie 
fennen daher felbft Algier nur von der Ausficht 
auf den Dachern her, find aber bei alledem außerft 
heiter und zufrieden, und ohne Wunſch nad) einer 
Aenderung ihres Schickſals, das ihnen im Gegens 
theil dem der Europäifchen Damen fehr vorzuzichen 
ſcheint. 

Mit großem Intereſſe ſah ich die ſogenannte 
Mosquée Chrétienne, eine Moſchee, die zur 
katholiſchen Kirche umgeſchaffen worden iſt. Ein 
herrlicher Tempel! gleichfalls in Form eines vier— 
eckigen Saals, mit Arcaden rund umher, die im 
zweiten Stock, von Saͤule zu Saͤule, immer eine 
eigne kleine gewoͤlbte Capelle bilden, deren Decken 
in der geſchmackvollſten Steinarbeit, und alle ver— 
ſchieden, verziert find. Ein kunſtreicher bunter und 


36 


vergoldeter Dom det das Ganze, Fleine farbige 
Senfter verbreiten überall ihr magifches Dunkel, 
Teppiche fohmücen den Boden, und faft mit 
Verwunderung beftet fich das Auge auf den haͤß— 
lichen, affreus gefchnörfelten Hochaltar mit einer 
hölzernen grob angeftrichenen Maria, nebit einem 
verzerrten, gefreuzigten Chriftus, welche, mitten 
unter arabischen Inſchriften und Stellen aus dem 
Koran, die wundervolle Einheit und Zierlichkeit 
des fonft untadelhaft fchonen Ganzen hier nur zu 
foren fcheinen. Mon bemerkt übrigens an diefen 
Gebäuden deutlich, wie vielfach die gothifche Baus 
Funft aus der arabifchen entfproffen tft, und in 
den Fatholifchen Klöftern, wo die Kreugesform 
nicht wie bei den Kirchen de rigueur war, findet 
man viele Bauwerke, die diefer Mofchee faft ganz 
ahnlich find. 

Diefeldbe Bemerfung machte ich, als wir die 
Cassuba, die ehemalige Wohnung des Dey, welche 
auf dem höchften Gipfel der Stadt liegt, erftiegen 
hatten, und ich unter den verfchtedenen Palläften, 


37 


die, von einer hohen erenelirten Mauer umfchloffen, 
dieſe Reſidenz bilden, einen fah, der im Fleineren 
Verhältniffen ganz dem fchönften der Gebäude 
Marienburgs glich. Leider ift die Cassuba, oder 
Cassba, wie fie gewöhnlich genannt wird, uns 
verantwortlich verheert, die Arcaden zugemanert, 
die Gärten zerſtoͤrt worden, unt da fie jeßt als 
Caferne für 1300 Mann, die Offiziere ungerechnet, 
dient, ſo kann man daraus eben fo gut ihre im— 
pofante Große abmeffen, als im Voraus errathen, 
in welchem Zuftande der Unreinlichfeit und Ver: 
nachlaßigung fie fich befindet. Alle die weiland 
vergoldeten Kiosks, Die große Spiegelgalerie, die 
fhönen paves von Marmor find nicht mehr; 
felbft die bunten Porzellaintafeln, welche fich als 
Banden zwifchen den Stockwerken, als Thuͤr— 
und Fenftereinfaffungen u. ſ. w. fo zierlich aus: 
nehmen, ſind metftens zerbrochen; die Terraſſen 
mit wundervollen Ausfichten durch den efelhafteften 
menschlichen Unrath gefchänder, und von den 
mannigfaltigen Baͤumen nur noch cine riefenz 


38 


mäßige Platane und einige zwanzig bis dreißig 
Fuß hohe Drangenbaume vorhanden. Kaum der 
Schatten des alten Glanzes ift geblieben, und 
dennoch erfcheint das Ganze noch impofant und 
abenteuerlich in feinen fo entfichten Reſten! Ein 
unbedeutendes Holzcabinet von Treillage, auf einer 
der Galericen des inneren Hofes, in der Wohnung 
des Dey, hat man verfchont: weil es in dieſem 
war, wo die berühmte Confularohrfeige (von den 
Franzoſen höflich »le coup d’Eventail“ genannt) 
ertheilt wurde, und befanntlid dem Dey fein 
Reich Eoftete. Er hätte fich des fchonen arabifchen 
Spruch erinnern follen; der erfte Begleiter des 
Zorns ift Thorheit, der zweite — Neue. 

Der arme Mann befaß übrigens feine Macht 
unter traurigen Bedingungen, und war fo jehr 
fortwährend von ZTodesfurcht geplagt, daß er in 
den legten neun Jahren nie fein Schloß und 
feine Gärten zu verlaffen gewagt hatte — wahrlid) 
fein beneidenswerthes Loos. Auch in der Cassuba 
befindet fich eine ſchoͤne Mofchee, mit vorzüglich 








39 


foftbaren Marmorfaulen, jedoch ebenfalls nun 
gänzlich verheert. 

Charafteriftifch ift e8, daß ungeachtet der Ge— 
fahr folder Nachbarfchaft, das Pulvermagazın, 
in Form einer Rotunde mit bombenfeftem Stein: 
dad), mitten in der Nefidenz fand, wo aud) eine 
Gewehrfabrif und die Münze fich befand, fo wie 
in den. Gärten die Pulverfabrik. Während der 
furzen Belagerung foll der Dey mehrere Male 
jich mit brennender Lunte in den Pulverdom haben 
ftürzen wollen, um fich mit allen feinen Schaͤtzen vor 
Ankunft der Sranzofen in die Luft zu fprengen. 

Mir nahmen unfern Rüdweg außerhalb der 
Stadt, den Berg hinab, auf einer ſchoͤnen Chauffee, 
die Algier dem: Herzoge von Rovigo verdankt. Sie 
führt unrer einem Gewirr von Cactus- und Aloe— 
ftauden, mit einzelnen Feigen: und Mandelbaumen, 
mitten durch viele Grabruinen, die ihr haben weichen 
müffen. Unter diefen zeichneten fich fünf kleine 
Gewölbe aus, welche die irdischen Ueberrefte von 
fünf Dey's enthielten, die fammtlid) an ein und 


40 


demfelben Tage erwäahlt und umgebracht wurden. 
Erft der Sechste wußte fih zu erhalten. Die 
ausländifche Vegetation ergoͤtzte uns ungemein, 
befonders fielen mir die Blüthenftengel der Aloe 
auf, welche fich oft bis fünfzehn Fuß Höhe über 
die Pflanze erheben, und fpater als Brennholz 
abgehauen werden. 

Am Thore empfing uns ein DBettlerconcert, 
Einige Dußend diefer Beflagenswerthen von allen 
Hautfarben, auf die Erde Hingefauert und in die 
Lappen ihrer einft weißen Bernus gehülft, fiedelten, 
trommelten, bliefen und fangen in fürchterlicher 
Disharmonie, um auf dem Wege des Ohren 


zerreißens die Mildthätigfeit der Vorübergehenden 


zu erwecken. Dabei waren ſie jedoch nicht im 
mindeften zudringlich und auch für das Wenigite 
dankbar. 

Sm Gewühl der Stadt wieder angelangt, be 
nußten wir den Zufall, uns eben in der rue 
Babazun, einer Straße voller Läden, zu befinden, 
„to go shopping.“ Dies ift hier etwas Neues 


41 


in jeder Art, fowohl die Waaren als die Vers 
Faufer betreffend. Die Würde der Kegreren, ihre 
apathifche Nuhe, ihre oft außerordentliche Schöns 
heit, ihre vornehmen und höflichen Manieren und 
die fcheinbare Abwefenheit alles intereffirten Wefens 
fiechen merkwürdig von den Boutiquiers anderer 
Lander ab. Wir Fauften bei einen derfelben, dem 
ein herrlicher fchwarzer Bart und fo gut foignirte 
Hande als die eines englifchen Dandy’s das Ans 
feben eines Prinzen gaben, der auf einer Maskerade 
die Rolle eines Türken zu ſpielen uͤbernommen, 
mehrere ſchoͤn in Gold geſtickte Muſſelintuͤcher, 
Seidenzeug von Marokko, Strohkoͤrbe mit Tuch 
durchflochten von Tombuktu, Roſen- und Jasmin— 
eſſenz von Tunis, nebſt einigen Dutzend Pastilles 
du Sérail, die einer Pfeife Tabak von Latakia 
den Parfüm der beſten Raͤucherkerzen geben. 

Als ich meinen Beutel öffnete, um zu bezahlen, 
flieg mid) ein vorübergehender Laftträger an, und 
fünf bis ſechs Napoleons fielen auf die Straße. 
Der mauriſche Kaufmann, ohne fich weiter zu 


42 


rühren, winfte nur mit der Hand; und che ich 
noch Zeit gefunden, mid) nach den verlorenen 
Goldftücen zu bücden, hatten fie bereits mehrere 
zerlumpte Gaffenjungen aufgehoben und über: 
reichten fie mir freundlich lachend. Diefe Ehr— 
lichfeit ift, wie man mid) verfichert, hier allgemein, 
und bei fo viel Buden, in denen zum Theil die 
Eoftbarften Sachen den ganzen Tag über ohne 
allen Schuß, fo zu fagen, auf der Straße liegen, 
freilich auch ganz unerläßlich. Dies hindert jedoch 
nicht, daß man im Handel mit allem Anftande 
derb übertheuert wird, wenn mar fich nicht in 
Acht nimmt, und namentlich fchlagen faft alle 
Kaufleute beinahe eben fo viel vor, als unfere 
Herrnhuter à prix fixe, 

Obgleich noch ſchwach und angegriffen von der 
Seefrankheit, und wohl auch vom ungewohnten 
Clima etwas afftcirt, unternahm ich dennoch am 
andern Tage mit Herrn Baccuet, einem jungen 
hiefigen Bangquier, an den ich recommandirt bin, 
und der mich mit Artigfeit wahrhaft überhäuft, 








43 


einen weitläuftigen Spagzterritt in die Umgegend. 
Herr Baceuet befißt, nebft mehreren ſchoͤnen andern 
Pferden, einen ausgezeichneten Barber aus Marokko, 
den er mir zu unferer Excurſion anbot. immer 
hätte ich geglaubt, daß einem alten Reiter wie 
mir, der fogar einige Neputation in diefer Hinficht 
erlangt hat, gefchehen würde, was mir bevorftand. 
Diefes wenigſtens zwanzig Jahr alte Pferd hatte 
eine folche Kraft und ein fo unbändiges Feuer, 
daß ich fchon nach einer halben Stunde, vor Er: 
ſchoͤpfung mich ernftlich Frank fühlend, nicht im 
Stande war es länger za regieren und mit einem 
faſt unerträglichen Nervenfopfivch abfteigen mußte. 
Dabei ift noch zu bemerken, daß unfer Weg 
fortwährend zientlich fterl bergauf ging, und zwar 
meiftens auf einer frifch mit zerfchlagenem Granit 
befahrnen Straße. Aber Hufe und Beine diefes 
Thieres waren wie von Eifen, feine Lunge fchien 
unerſchoͤpflich, und fein Temperament halb toll, 
Meine Arme waren noch mehrere Tage davon 
wie zerfchlagen. Es ift wahr, daß der Nengft 


44 


fehr fchlecht gegauntt, und ich felbft, che ich ihn 
befticg, fchon unwohl war, aber demungeachtet 
hätte ich ein folches Nefultat kaum für moͤglich 
gehalten, wenn man mir c8 vorher prophezeiht 
hätte. Auch war ich ganz befhyamt darüber, doc) 
deshalb nicht weniger entzuͤckt von der unbefiegbaren 
Bravour diefes afrifanifchen Wildfangs, der eine 
vortreffliche Acquiſition für unfere Geftüte feyn 
würde. Die heftige Migraine, die ich ihm vers 
dankte, und die mich vierundzwanzig Stunden 
qualte, hinderte mich leider eben fo unfern Weg 
weiter fortzufeßen, als an dem heitern dine Theil 
zu nehmen, das nad) der Zuruͤckkunft bei Herrn 
Baccuet ftatt fand. 

Sch hatte cin Empfehlungsfchreiben des frans 
zoͤſiſchen Gouvernements und einen Brief unferes 
gütigen Freundes Breffon an den Gouverneur 
von Algier, den ich, fobald ich mich hergeftellt 
fühlte, abgab. Sch fand an dem Grafen Erlon, 
der viel in Deutfchland gelebt, einen heiteren und 
freundlichen Greis, von altem Schrot und Korn, 





45 


wie wir zu fagen pflegen. Er empfing mich mit 
der größten Zuvorfommenheit und behielt mich zu 
Tiſch. Dort lernte ich feine liebenswürdige Tochter, 
die einer Deutfchen, und feine ſchoͤne Schwiegers 
tochter, die einer Spanierin gleicht, Fennen, ferner 
den brillanten General Rapatel und den Admiral 
Grafen de la Bretonniere, der uns von Trafalgar 
und Navarin erzählte, wo er befanntlich mit 
dem Breslau, ohne erhaltene Ordre und auf eigne 
Gefahr, Hildenmäthig ein ruffiihes Schiff auf 
dem entgegengefeßten Flügel rettete, Mit dem 
lebhafteſten Intereſſe hörte ich die pittoresfe Bes 
ſchreibung jenes beifptellofen Feuerwerks an, als 
die Mufelmanner gegen das Ende der Schlacht 
einige zwanzig ihrer Schiffe felbft anzündeten, und 
das Feuer, langfam fortfchreitend, ohne Menfchen: 
hand die geladenen Kanonen abſchoß, bis eing 
der brennenden Schiffe nach dem andern in die 
Luft flog. 

Als das Fremdartigfte zog mich jedoch in 
diefer Gefellfchaft ein außerordentlich ſchoͤner Türke 


46 


an, prachtvoll gekleidet in violetten Sammt und 
Gold mit ponceaurothem Turban, und mit dem 
Kreuz der Ehrenlegion geſchmuͤckt. Es war der 
berühmte Zuffuf, Commandant der franzöfifchen 
Spahis in Bona, der, am Fieber leidend, zur 
Herftellung feiner Geſundheit nach Algter gefommen 
ift. Der eigentliche Urfprung diefes Mannes ift 
unbefannt, und er felber außert fich nicht darüber, 
vielleicht weil.er weiß, daß das Nathfelhafte immer 
am meiſten anzieht. Einige behaupten, er fey ein 
geraubtes Chriftenfind; Andere halten ihn für den 
Sohn eines europaifchen Sclaven und einer vor— 
nchmen Tuͤrkin. Man weiß nur fo viel gewiß, 
daß er im Serail des Bey von Tunis erzogen 
ward und dort eine Liebſchaft mit der Tochter 
deffelben angefnüpft hatte, in deren Folge er nach 
Algier entfloh, wo er, der franzöfifchen Sprache 
mächtig, in hiefige Dienfte trat. Die Gefchichte 
diefes Derhältniffes, wie der dadurch herbei 
geführten Flucht, erfuhr ich ſpaͤter aus Juſſuf's 
eignem Munde. Sie ift fo feltfam und roman: 








47 


haft, und erfchien mir fo chevaleresk, jo naiv in 
den Ausdrücen diefes felbft bei den graufamften 
Scenen immer Findlichen Orientalen, der mir wie 
ein fentimentaler Loͤwe vorfam, daß ich mir nicht 
das Vergnügen verfagen Fann, ihn Dir bier felbft 
redend einzuführen. Da ich feine Worte augen: 
bliclich nachher niederfchricb, bin ich gewiß, in 
feinem wefentlichen Punkte von ihnen abzuweichen. 
„Ich ward“, fagte Zuffuf, „als ein Faum 
vierjähriges Kind auf dem Meere gefangen, und, 
wie Sie wiffen, im Serail des Bey erzogen. 
Bis zum zwölften Sabre lebte ich unter den 
Weibern, und ſchon damals verband mich mit 
der etwas jüngeren. Tochter des Bey die zärtlichfte 
Kinderlicbe, welche von ihrer Mutter noch mehr 
genahrt wurde, indem dieſe oft halb im Scherz 
zu uns fagte, daß Niemand als ich einft Kab- 
buhra *) zur. Srau erhalten follte. Nach dem 


*) Wir bemerfen ein für allemal, daß zu den mit 
Iateinifchen Leitern gedruckten arabiſchen Worten eine 


48 


zwölften Sabre werden in Tunis, wo mehr 
Drdnung und Bildung als an andern türfifchen 
Hofhaltungen herrfcht, die zu Mameluden bes 
fiimmten Knaben meiner Art aus dem Harem 
entfernt, und forgfältig für den Dienft des Paſcha 
erzogen. Cie bilden die Hofleute des Gebieters, 
verfehen die höchften Poften im Militair und 
Civil, ja felbft der des Bey’s hat ihnen manchmal 
nicht zu hoch gefchienen. Auch ich mußte mich, 


ſolche Orthographie angenommen worden ift, die dem 
Zon derfelben in deutſcher Ausfprache entfpricht, ohne 
im geringften auf die arabifche felbft Rückſicht zu nehmen. 
Denn fobald man die Worte einer fremden Sprache nicht 
mit ihren eigenen Yettern, fondern nur nach) dem Klange 
für unfer Ohr wiedergibt, muß natürlich jede Nation 
ihre eigene Orthographie wählen. Sp frhreiben z. B. die 
Engländer: Hammam -leef, und wir: Hammam -lief; 
die Franzoſen: Gjebel, wir: Dschebel; u. f. w. Das 
englifche th, fo wie dag graffäjirende r, welches beides 
die Araber haben, können wir aber Teider im -Deutfchen 
durch nichts ausdrücken. 

















49 


diefer Einrichtung gemäß von meiner kleinen 
Geliebten unter vielen Thranen trennen, aber wir 
vergaßen uns nicht, und nach einigen Jahren 
fanden wir Gelegenheit uns heimlich wieder: 
zufehen.« 

»Diefe feltenen Zufammenfünfte, über welche 
die Mutter wahrfcheinlich die Augen zudrücdte, 
hatten ber Anfang der Nacht auf der Zerraffe 
meiner Geliebten ftatt, wo wir vor Ueberrafchung 
ziemlich ficher waren, da Fein männliches Auge 
fi) bei Strafe des Spiefens oder Verbrennens 
dahin verirren durfte. Auf zwei der Dienerinnen 
Kabbuhra’s aber, die fie immer begleiteten, und 
ſich während unferes Zufammenfeyns disſcret 
zurüczogen, Fonnten wir wie auf uns felbft rech- 
nen. So vergingen wieder mehrere Sahre, in 
denen ich immer mehr in der Gunft des Paſcha 
ſtieg. Mein Liebesverhältniß mit feiner Tochter 
war dabei noch ftets, wenigftens in der Haupt: 
fache, unfchuldig geblieben. Bald trieben wir 


ausgelaffene Scherze mit einander, bald weinten 
Semilafjo in Afrika. I, 4 


50 


wir zufammen, fchmollten auch wohl zuweilen, 
verfühnten uns wieder, und fanfen von Liebfofungen 
ermattet, und von der Hite überwältigt, Eines 
in des Andern Armen, in wollüftigen Schlummer, 
bis die Dienerinnen uns wecten, und wir nad) 
vielen zärtlichen Küffen uns bis zur nächften 
Zufammenfunft trennen mußten. Dft fchrieben 
wir uns, ich ihr nie anders als mit meinem 
Blute, das ich mit Wonne für fie fließen fah, 
wenn ich mir zu dieſem DBehuf mit meinem 
Dolche eine Ader geöffnet. Ich Fünnte Ihnen 
wohl zehn Wunden an nieinen Armen zeigen, die 
ih) mir auf diefe Weiſe im verliebter Thorheit 
beigebracht.“ 

„Unterdeffen hatte ich einen griechifchen Sclaven 
gekauft, einen gewandten und brauchbaren Men— 
ſchen von riefiger Geftalt, an den ich mich 
fehr attafchirte, und ihm viele Freiheit geftattete. 
Zuleßt war ich ihm fogar behülflich in den Dienft 
des Paſcha überzugehen, bei dem ich ihm Die 
bet uns angefehene Stelle feines Pfeifenftopfers 





51 


verfchaffte. Er ward jedoch in diefer neuen Lage 
bald ziemlich übermüthig, und ließ fich in ver 
fcehiedene zweideutige Intriguen ein, fo daß wir 
auf einem weniger guten Fuß mit einander zu 
ftehen anfingen. In dieſer Zeit ging ich, ftets 
bang für die Sicherheit meiner Gelichten, und den 
immer reger werdenden Neid meiner Camaraden 
fürchtend, nie anders als auf das forgfaltigfte 
bewaffnet zu ihr, und aufßerte oft gegen fie, daß, 
wer ihr je ein Haar zu kruͤmmen wage, taufend 
Tode von meiner Hand fterben ſolle. Auch fuͤhlte 
ich mich, jedesmal wenn ich zu ihr hinaufſtieg, 
wie ein junger Loͤwe, von aller Furcht fuͤr mich 
frei und ledig, nur ſie beſorgt im Auge haltend; 
ja ich erinnere mich, daß ich faſt den Tod fuͤr 
ſie wuͤnſchte, und mir mit einer Art Entzuͤcken 
das Bild ausmalte, wenn man meine Leiche unter 
ihren Fenſtern hinaustragen, und fie mit Weh⸗ 
Hagen und Händeringen mir verzweiflungsvoll 
nachweinen würde. An einem unglüdlichen Abend 
jedoch, wo ich mich ganz ficher glaubte, vergaß 


32 


ich alle Vorficht, und ftieg wegen der druͤckenden 
Hitze in leichter Kleidung, ganz unbewaffnet auf 
die Terraffe. Der glühende Wind der Wuͤſte 
wehte, und nach kurzem füßen Gefofe — denn 
Bruft an Bruſt gedrüct uns innig zu umfchlingen, 
dauchte uns damals noch immer der höchfte 
Genug — überrafchte uns Beide der Schlaf. 
Ploglich fühle ich mich von einer Rieſenfauſt 
ergriffen, und bore einen lauten Nuf. Mid) 
muͤhſam aufraffend, fehe ich den coloffalen Griechen 
über mir, der mit der einen Hand mic) fefthalt 
und die andere in Kabbuhra’s diamantenes breites 
Armband dergeſtalt geſchlungen hat, daß er ſie 
ebenfalls am Aufſtehen hindert, wozu er fort— 
wahrend laut nad) Leuten ruft, um Zeugen unferes 
Zuſammenſeyns herbeizuführen. Sch war vor 
Wuth und Schrecden auffer mir, Kabbuhra lag 
in tiefer Ohnmacht. Es blieb mir nichts übrig, 
als den Griechen bei Gott und dem Propheten 
zu befchworen, uns nicht zu verderben. Da die 
Pracht unfrer Kleidung zu jener Zeit fehr aroß 





53 


war, fo trug ih Diamanten von bedeutenden 
Werthe an mir, die ich alle nad) einander losrif 
und dem verratherifchen Griechen aufdrang, der 
ſich für Diefen enormen Preis endlich befanftigte. 
Die Tochter des Bey, noch immer ohnmächtig, 
ward von ihren entfeßten Frauen hinweggebracht, 
ich aber eilte, felbft mehr todt als lebendig, mic) 
in meiner Wohnung zu verbergen. Vor Schaam 
und Verzweiflung fand ich mich, nad) einer 
fhlaflofen Nacht, am andern Morgen ernftlich 
trank; denn“, fagte Juſſuf in feiner lebhaften 
Erzählungsart, und noch jeßt tief auffeufzend, 
„ein Mann wird nicht. feines Yeuffern, fondern 
nur feines Charakters und feines Muthes wegen 
von den Frauen geliebt. Mußte ich nicht vor 
Schande vergehen, ich, der ich hundertmal gefagt, 
dag ich dem zermalmen würde, der Ihr nur einen 
falfchen Blick zuzuwerfen wage — jetzt fie und 
mich von einem Chriftenhund (wie ich damals 
den Griechen betrachten mußte) gemißhandelt zu 
fehben, und ſtatt des verdienten Todes ihm nur 


54 


gute Worte gegeben, ihn durch Bitten und Gefchenke 
befänftigt, und uns fo von ihm losgefauft zu 
haben !« 

»Diefer peinigende Gedanke demoralifirte mich 
ganzlic), ich fühlte mich nicht mehr wie ein Held, 
fondern wie ein Jude *), und befchloß feft, 
Kabbuhra nicht wieder zu fehen, ja, des Sonnen; 
lichtes unwürdig, mein Bett nicht cher zu verlaffen, 
bis ſich mein Schieffal gänzlich gewendet habe,“ 

„Am dritten Tage Fam der Grieche wieder 
zu mir und redete mir gütlich zu, verfprach uns 
verbrüchliche Verſchwiegenheit, wogegen er, feßte 
er hinzu, auf meine fernere Großmuth rechne, 
Ich folle mich durch das DVorgefallene nicht 
abhalten laffen meine Sntriguen mit des Pafcha’s 
Tochter fortzufegen, von ihm wenigftens habe ich 
nichts mehr zu beforgen. Aber, erwiederte ich, 
du haft jet den größten Theil meines Schmudes, 
und auch das Armband Kabbuhra’s (welches 


*) Man bittet zu bemerfen, daß hier ein Türke fpricht. 

















wm 


0 757 


der Schurfe ihr an jenem Abend von Arme 
geriffen hatte). Das muß Furz oder lang zu 
einer Entdeckung führen, die dir übrigens eben fo 
fchlecht als uns befommen kann. Tarire felbjt 
den Werth dieſer Sachen, ich werde dir ihn nad) 
und nach bezahlen, und dafür die Steine wieder 
einlofen, Der Grieche ging diefen Handel ein, 
[hätte das Ganze ungefähr 40,000 Franken und 
brachte mir auf die angegebene Weiſe meine 
Pretiofen allmahlich wieder zurück, Meinem Vor: 
ſatz getreu hatte ich meine Geliebte, ungeachtet 
aller Beftürmungen ihrerfeits, nicht wieder gefehen, 
und meine Stube eben fo wenig verlaffen, hin— 
fichtlich des Griechen aber meinen Racheplan mit 
großer DVorficht vorbereitet, Endlich Fam der 
Tag, wo er mir das letzte Stuͤck, Kabbuhra’s 
Armband, zurücdzubringen verfprochen. Sch lag 
im Bett, mit einem breiten Gandfchar unter 
der Dede verborgen, als er hereintrat. Der 
Paſcha war mit feinem ganzen Gefolge ausgeritten, 
und da wir uns im Nhamadan befanden, wo 


56 


das Geſetz vor Abend nichts zu genießen erlaubt, 
fo durfte, nach der GEtiferte des Hofes, der 
Pfeifenträger fi den Tag über nicht vor dem 
Paſcha fehen kaffen, damit er ihn nicht unangenehm 
an die nothwendige Entbehrung erinnere, Wir 
waren daher ganz ungeftort. Sch fühle mich 
heute recht Frank, Juan, fagte ich, als der Grieche 
das bewußte Armband auf mein Bett legte, hier 
ift der Schlüffel zu meinem Echranf, mache ihn 
nur auf, du wirft einen offenen Sad mit Zechinen 
darin finden, nimm die Summe, die Dir zufümmt, 
felbft heraus. Der Thor eilte gierig in die Falle, 
nahm den Sad und Fniete auf den Teppich nieder, 
um das Geld darauf hinzuzählen. Das Herz 
hämmerte mir im Bufen. Sch weiß nicht, fuhr 
ich fort, was für eine fonderbare Krankheit das 
ift, aber jeden Augenblid muß ich aufftchen, um 
ein Bedürfniß zu befriedigen. Ber diefen Worten 
erhob ich mich, die Bettdecke um mich gefchlagen, 
als wollte ich nach) dem Nachttifche zugehen, wandte 
mich aber plöglich, und den ©riechen bet feinem 





57 


langen fchwarzen Haarzopf faſſend, und ihn 
wüthend auf den Boden niederreißend, ſchrie ich 
ihm in’s Ohr: Haft du geglaubt, Hund, Juſſuf 
fo wohlfeilen Kaufs zu meiftern? Nach diefen 
Morten fiteß ich dem, vergebens um Hülfe 
Nufenden, den Dolch mit folcher Gewalt in’s 
Herz, daß er noch zwei Zoll in die Fugen des 
Steinpflafters durch den Teppich eindrang. Noch 
heute, wenn ich mich diefes Augenblickes erinnere, 
fagte Zuffuf mit glänzenden Augen, fühle ic) 
einen wonnevollen Schauer mir von den Fußſpitzen 
bis ans Herz dringen. Doch hören Ste. weiter. 
Ich hatte mir forgfam ein Faß Weingeift, Salz 
und ungelöfchten Kalk, nebſt Allem, was nöthig 
war, um eine Niſche verloren zuzumauern, ver: 
ſchafft, und dies Material an verfchtedenen Orten 
in meinen Zimmern verborgen. Mein  erftes 
Geſchaͤft war nun, den Körper in Heine Stüce 
zu zerhaden, und in das Faß mit allen diefen 
verzehrenden Ingredienzen zu thun, worauf ic) 
das Ganze in die Nifhe am Bett vermauerte, 


58 


und die Draperie von Sammet, welche die 
Waͤnde meiner Schlafftube dedte, darüber 309. 
Nur die rechte Hand, die Augen und die Zunge 
des Gricchen behielt ich, und nachdem ich fie 
gleich dem Uebrigen praparirt hatte, that ich Die 
erfte in eine Eoftbare Kaffette, die Augen in eine 
Kleine, mit Diamanten befegte Schachtel voll Roſen— 
effenz, und die Zunge in eine goldene Tabatiere. 
In weniger als zwei Stunden war Alles vollbracht. 
Set eilte ich in des Griechen Stube, zerbradh die 
dort aufgeftellten Pfeifen des Paſcha, vffuete die 
Koffer, in denen ich mein ganzes Geld noch ums 
berührt wiederfand, und nahm zugleich ſaͤmmtliche 
Effecten des Giaur's mit hinweg, die ich in eine 
meiner Kiften verftecte, worauf ich mich von 
einer Gentnerlaft befreit, ruhig, als fey nichts 
vorgefallen, wieder zu Bett legte.“ 

„Sie koͤnnen ſich,“ fuhr Juſſuf fort, „den 
Zorn des Bey denken, als er mit dem Schluß 
der Faſtenſtunde zuruͤckkam, die Sklaven ſich 
beeiferten ihm Erfriſchungen aller Art vorzuſetzen, 





59 


und nur die gelichte Pfeife ausblieb. Man ftürmte 
nad) des Saumfeligen Wohnung, wo man aber 
nur, erftaunt, die Verheerung entdeckte, die ich 
dafelbft angerichtet, und da man zugleich alle 
Koffer leer fand, zweifelte Niemand mehr an ciner 
gluͤcklich bewerkftelligten Flucht des Griechen. 
Meil nun auch fpater, aus guten Gründen, alle 
Maafregeln feiner babhaft zu werden, fruchtlos 
blieben, wurde er bald gänzlich vergeffen.“« 

„In der nächften Nacht ſchon fah ich Kabbuhra, 
die ich durch des Paſcha's Arzt, Lombard avertirt 
hatte, zum erſtenmal ſeit der von mir erlittenen 
Schmach, auf unſerer Terraſſe wieder, doch dieſes 
Mal hatte ich ein beſſeres Gewiſſen!“ 

„Als fie mir jetzt Shluchzend in die Arme 
fanf, bat ich fie ernfthaft, drei Gefchenfe von 
mir anzunehmen, oder mich nie wieder zu fehen. 
Mas foll ich mit diefen Dingen? rief fie verwundert, 
und was bedeuten deine feltfanten Worte? Deffne, 
erwiederte ich, und ſiehe. — Hier haft du die 
Hand, die dich anzufaffen gewagt, hier die Augen, 


60 


die ung heimtüchifch belauſcht, und hier die Zunge, 
die uns fchandlichen Verrath gedroht! Faft ware 
Kabbuhra von Neuem in Ohnmacht gefunfen, 
von Furcht bewegt, daß ihres Vaters Nache mid) 
todtlich treffen würde, doch beruhigte ich fie bald 
durch die genauere Erzählung des Gefchehenen ; 
und von Liebe aufgelöst, noch zitternd über meine 
Gefahr, war e8 erft in diefer Nacht, daß Die 
Geliebte ganz mein ward, und wir, in feligem 
Entzücen, die übrige Welt um uns vollig vers 
geffend, des Paradieſes Wonne mit einander theilten. 
De rief Juſſuf mit einem fchwarmerifchen Aufflug 
der füßeften Erinnerung, „wer kann befchreiben, 
welch ein himmlifches Wefen dieſes Madchen war, 
welch unergründlicher Schaß von Gefühl, Klugheit 
und Charafterftärfe in diefem zarten Bufen ruhte, 
und welche unwiderftehlichen Reize diefe nur Liebe 
athmende Seele umfchloffen !« 

Er fchwieg eine Meile, wie verzuͤckt in der 
Vergangenheit verloren, und feßte dann feine, die 
gefpanntefte Aufmerkſamkeit meinerſeits immer 





61 


mehr in Anfpruch nehmende Erzählung alfo 
fort; 

„Ehe ich zu der furchtbaren Kataftrophe über: 
gehe, die uns bevorftand, muß ich Ihnen einige 
Localitaͤtn des Bardo (Reſidenz des Bey) ber 
fhreiben, was zum Verſtaͤndniß des Folgenden 
nöthig iſt.“ 

»Der Pafıha hat ungefähr achtzig bis hundert 
Mamelucden in feinem Dienfte, welche in drei 
verfchiedene Grade abgetheilt find, und alle unter 
einem Chef fliehen, der damals zugleich erfter 
Minifter war. Sie find durch ihren Einfluß bei 
Meitem die angefehenfte Klare im. Lande, und 
felbft die Türken zittern vor ihnen. Dabei fehlt 
es ihnen an Nichts, was Reichthum gewähren 
kann. Don den Schaßen, die in Tunis aufgehauft 
find, fteht ihnen ein großer Theil zu Gebot, fie 
haben die ſchoͤnſten Pferde, eine prächtige Wohnung, 
Maffen firogend von Edelfteinen, und ein reiches 
Leben in jeder Hinfiht, bis auf vier fchwere Ente 
behrungen, denen fie unterworfen find. Ste müffen 


62 


dem Umgang mit Werbern entfagen, und werden 
erfi im fünfundvierzigften Jahre verheirathet, wo 
man fie als Invaliden anfiehtz dürfen nie die 
Reſidenz anders als im Gefolge des Pafcha oder 
auf feinen fpeciellen Befehl verlaffen, und außer: 
dem nie weder Wein trinken noch felbft Tabak 
rauchen. Weil fie allein für die Sicherheit und 
den Dienft des Bey’s da find, fo hat man diefe 
Verbote für nöthig erachtet; daß fie demungeachtet 
alle häufig umgangen werden, ift gewiß, doch 
wird eine Verfündigung diefer Art offictell befannt, 
fo entgeht fie felten ihrer Strafe.“ 

„Ich habe gefagt, daß es den Manteluden 
nie an Geld und Koftbarkeiten fehlte, mir jedod) 
ftanden noch größere Mittel zu Gebote, da ich 
das Amt eines Privatfchagmeifters verfah und 
nur wenig Rechnung im Allgemeinen davon abs 
zulegen brauchte, ohne in dem, was ich felbft zu 
nehmen für gut fand, befonders befchranft zu 
feyn. Dabei war mein Gefchäft leicht, denn bei 
ung gibt es weder die Maffe Beamten, nod) die: 


63 


Maffe Schreiberei, wie in der Adminiſtration der 
Franzoſen.“) So hatte ich, ohne eben gefeß- 
widrig zu handeln, alle Mittel der Beftechung in 
meiner Gewalt, durch die man zuletzt aud) das 
Schwierigfte möglich macht. Demungeachtet blieb 
jede Zufammenfunft mit meiner Geliebten ein hals— 
brechendes Magftüc, da ich, um den ſchon rege 
werdenden Verdacht und den immer zunehmenden 
Neid meiner Camaraden nicht nod) mehr zu weden, 
oft die feltfamftien Mittel ergreifen mußte, Zu— 
weilen ließ ich mich in eine Waarenkiſte verbergen, 
ein anderesmal einen Teppich um mic) wideln, 
und fo bei dem Paſcha ſelbſt vorbeitragen. Einft 
mußte ich), von ihm überrafcht, zwei Stunden 
in dem Gehäufe einer Wanduhr verftecft bleiben, 
worin ich zulegt dem Erſticken fehr nahe war. 
Endlich vermochte ich mit einiger Sicherheit nur 
noch auf folgendem Wege zur Prinzeffin zu ge 
langen. Der Bardo, eine Art Citadelle und faft 


*) Jufuf kennt die unfrige noch night. 


64 


ein Viertheil ſo groß wie ganz Algier, iſt auf 
einem Labyrinth von Souterrains gebaut, die jetzt 
groͤßtentheils voll Unrath und Waſſer ſind. In 
dieſen unterirdiſchen Gaͤngen werden ſeit langen 
Zeiten alle die, welche auf Befehl des Bey ihr 
Leben im Bardo verlieren, hingerichtet, und die 
entſeelten Koͤrper ſorglos darin zuruͤckgelaſſen. Die 
Milde des jetzigen Gebieters hatte zwar in dieſen 
Executionen einen langen Stillſtand eintreten laſſen; 
halbverweste Leichname fanden ſich auch daher 
nicht mehr vor, wie fruͤher, aber deſto mehr 
Gerippe und Knochenhaufen aus aͤlteren und 
unruhigeren Zeiten. Durch einen Theil dieſer Sou— 
terrains nahm ich von nun an, an den Abenden, 
wo mich Kabbuhra auf ihrer Terraſſe erwartete, 
meinen Weg, und da ich nicht wagen durfte, mid) 
einer Blendlaterne zu bedienen, fo blieb mir, um 
mich nothdürftig zu orientiren, nichts weiter übrig, 
als mir gewiffe Marken für das Betaſten mit 
der Hand zu machen, und mit meinem Dolch 
zuweilen aus den Quadern der ©eitenmanern 


65 


einen Funken zu fchlagen, der auf einen Augen— 
blick die aͤgyptiſche Finfterniß um mich her wie 
ein Blitz erhellte. Aus den Souterrains führte 
eine niedrige Thür im einen Fleinen Blumengarten 
des Paſcha, den er zu feinem Vrivatgebrauch hatte 
anlegen laſſen. Auf diefen Garten gingen die 
Fenſter feiner Wohnung, wie auf der andern Seite 
die der Zimmer feiner Tochter, Der Gärtner 
Andreas, ein Stalianer, und feine Frau Marta 
ftanden zwar in meinem Solde, fo lange aber noch 
Kicht in des Paſcha Zimmern fichtbar war, durfte 
ich mic) nicht hinauswagen, und oft mußte ich fo 
drei bis Hier Stunden in den unterirdifchen Ge: 
wolben verharren, auf Knochen gelagert, wo ich 
mir mehr als einmal die ZTodtenfchadel gleich 
Kiffen bald da bald dort unterlegte, um bequemer 
zu ruhen.“ 

„Hatte ich endlich die Lichter hinter den Fenſtern 
verlöfchen fehen, und mic) auch überzeugt, daß 
fein Mameluc auf der Brüftung der letztern, um 
die Kühle zu genießen, ſchlafe, wie fie haufig zu 

Semilaſſo in Afrika, 1. 5 


65 


thun pflegten, fo Hletterte ich mit Andrea’s Hülfe 
an einer Mafferleitung hinauf, wo die arme Kab- 
buhra die halbe Nacht meiner harrte. Nicht cher 
als bis der Muedzin vom naben Minaret zum 
Morgengebet rief, verließ ich fie, und Fehrte oft 
zehnmal zurüd, um fie noch einmal an mein 
Herz zu drüden, bis fie mid) felbft, entfeht vor 
der Gefahr, die mir bevorftand, son ſich drängte, 
Auch für mich war der Ruͤckweg ftets eine Marter, 
denn zu ihr ging ich mit dem Gefühl, einer Welt 
zu widerfichen, von ihr zaghaft und alle Kraft 
im Herzen zerfnict. 

„Ein halbes Jahr war auf diefe Weife ver- 
gangen, als neue Sorgen mich beftürmten. Kab- 
buhra fühlte fich fehwanger, und zu gleicher Zeit 
qualte mich eine thorichte Eiferfucht.« 

„Einer meiner Camaraden, ein eben fo ſchoͤner 
als Fühner und unternehmender junger Mann, 
der überdem in hohem Grade das Talent des 
Gefanges befaß, hatte mid) jo weit belaufcht, daß 
er, wenn auch nicht von der pofitiven Gcewißheit, 





67 


doch von der MWahrfcheinlichfeit unferes Verhälts 
niffes überzeugt wurde, Mich zu verrathen Fonnte 
er nicht wagen, denn ohne feine Ausfage auf der 
Stelle beweifen zu Tonnen, ware er das erfte 
Opfer derfelben geworden, Die gewonnene Kunde 
ermuthigte ihn aber, mir felbft den Preis ftreitig 
machen zu wollen, und mehrmals war ich Zeuge, 
daß er in dem erwähnten Garten vor dem Fenfters 
gitter meiner Geliebten zärtliche Kieder fang. Es 
war hinläanglic), daß Kabbuhra aus Neugier 
nur einmal ihnen zugehört hatte, um mich in die 
wildefte Wuth zu verfegen. Am andern Tage 
titten wir im Gefolge des Paſcha aus, ich näherte 
mid) Muhammed, und obgleidy bei uns Duelle 
kaum üblid) find, und überdem auch aufs Strengfte 
verpont waren, fo demüthigte ich ihn doch fo fehr 
durch entehrende Worte, daß er in einen Palmen: 
wäldchen mit mir zurücdblich, und che ich noch 
meinen Säbel ziehen Fonnte, mir mit zwei Streichen 
den Turban zerhieb und zwei tiefe Wunden in 
den Kopf beibrachte, Das Blut ftrömte mir über’s 


68 


Gefiht, und da er mir den Reſt gegeben zu haben 
glaubte, fo wandte er fein Pferd um dem Paſcha 
nachzueilen. Doc) Zorn und Liebe ließen mich nicht 
unterliegen, ich wifchte mir das herabftrömende 
Blut aus den Augen, raffte mich, ſchon halb 
vom Pferde gefunfen, wieder auf, verfolgte meinen 
Feind und mit einem gewaltigen Zuge Dieb ich 
ihm den Theil des Hauptes mit einem Stüd 
der Hirnfchale ab, auf dem wir einen Haarzopf 
ftehen laffen, um eine Locke für unfere Geliebte 
übrig zu behalten.“ Hier warf Suffuf, der im 
Negligee auf einem Divan lag, feinen Turban 
herab, und zeigte mir mit ausdrucsvollem Geftus 
den Büfchel Haare, den alle Türfen auf ihrem 
glatt gefchorenen Haupte tragen. „Kaum hatte 
ich) meinen Rival ftürzen ſehen,“ fuhr er- fort, 
„ſo begab ich mich, als habe ein plößliches Uebel: 
befinden mich angewandelt, fogleih nach Haufe 
und ließ mid) den Tag über nicht weiter fehen, 
Doch konnte der Vorfall nicht verfchwiegen bleiben ; 
man fand Muhammed Tschulak für todt unter 





69 


den Palmen liegen, und hörte, als er wieder zu 
fi) Fam, das Gefchehene, noch möglichft zu 
meinem Nachtheil entftellt, aus feinem Munde, 
Der Paſcha, im größten Zorn, fchwur einen 
fohweren Eid, daß wenn Muhammed ftürbe, ich 
ihm augenblicklich nachfolgen folle. Kabbuhbra 
gerieth bei diefer Nachricht in fo große Verzweiflung, 
daß, ald am zweiten Tage cine lange Ohnmacht, 
in die mein Gegner verfiel, die Nachricht feines 
Todes im Serail verbreitet hatte, das belden: 
müthige Mädchen mich nicht überleben wollte, 
und fich in einem Moment der Raſerei an ihrem 
eigenen Betthimmel aufhing. Ware nicht durch 
einen glüdlichen Zufall Lombard, der ſchon erwähnte 
Leibarzt des Bey und unfer Vertrauter, hinzuge— 
kommen, als fie fehon mit den legten Krampfen 
des Erſtickens rang, fo war ihr Tod unvermeidlich. 
Muhammed genaß nach langer Gefahr und mußte 
von der Zeit an eine filberne Calotte tragen.“ 
„Hiermit ging der Sturm diefesmal an uns 
anfcheinlich vorüber. Doch defto fchrecflicher drohte 


70 


ung die Entdefung des Zuftandes meiner Ge 
liebten. Eine alte Negerin unternahm ces, fle 
davon zu befreien, und obgleich das Wagſtuͤck, 
durch Mittel, die nur im Orient befannt find, 
gelang, fo fehwebte doch Kabbuhra von Neuem 
mehrere Tage in Todesgefahr. Eine Furze Ruhe 
folgte diefen mannichfachen Agitationen, und wir 
glaubten endlich jede Gefahr überftanden zu haben, 
als der unglüclichfte Zufall die rettungslofe Ent— 
deckung alles Vergangenen herbeiführte. 
„Waͤhrend ich auf einer Sendung des Paſcha 
einige Tage abwefend war, bemerfte man Riſſe 
in unferer Wohnung, die fich grade über meinem 
Schlafzimmer befanden. Der befragte Architeft 
entfchted, daß der alte Pfeiler abgeriffen und durch 
einen neuen erfeßt werden müfe. Um dieß zu 
bewerfftelligen ward ein Theil meiner Stube der 
molirt, und das Unglück wollte, daß dies grade 
derjenige war, wo ich den Griechen vor einem 
Fahr vermauert hatte. Der zerhadte Körper 
deffelben war zwar gänzlich durch die von mir 


7 


angewandten Mittel aufgelöst worden, Doc) er 
kannte man ihn an dem ungewöhnlich langen 
Zopf harter fchwarzer Haare, die mir fo gut 
gedient hatten, um ihn zu Boden zu reißen, und 
der leider ganz unverfehrt geblieben war.« 

„Sie Fünnen fich meine Empfindungen denken, 
als ich bei meiner Ruͤckkunft das Vorgefallene 
erfuhr. Doc) durfte ich mir nichts merfen laffen, 
und erfchten am andern Morgen, unbefangen an 
meinem Poften. Der Etikette gemäß ftellten wir 
uns namlich jeden Morgen, wenn der Paſcha aus 
dem Harem fam, in einem großen Saale auf, 
in zwei Gliedern eine Gaſſe bildend, durch die 
er, uns mufternd, bis zu feinem thronartigen 
Divan ging, auf dem er fih dann ntederließ, 
und dort, feine Pfeife rauchend, Recht fpradı. 
Mein Platz war an feiner linfen Seite, wo id) 
ihm das goldene Becken reichte, oder fonft den im 
Augenbli noͤthigen Dienft verrichtet. Schon 
lange ſtets beforgt, pflegte ich immer gleich beim 
Eintritt fein Geficht zu ftudiren, welche Laune 


72 


fi) wohl darauf abmale, heute aber war es finfter 
wie ein ſchwarzer Gewitterhimmel. Kaum hatte 
er Pat genommen, als er fich mit zufammen- 
gezogenen Augenbraunen zu mir wandte und nic) 
fragte, was der Fund in meinem Schlafzimmer 
bedeute, in dem man den vor einem Jahr fo 
feltfam abhanden gefommenen Griechen erfennen 
wolle. Sch erwiederte mit möglichfter Faſſung, 
Daß Ic) davon gar nichts wiffe, aber wohl erfahren, 
wie man in Folge dieſes Fundes einen hochft 
ungerechten Verdacht auf mich geworfen, Den 
ungeachtet bate ich feine Hoheit zu berücfichtigen, 
daß ich (wie ich leicht vorgeben Fonnte) früher 
in einem andern Zimmer gefchlafen, und dieſes 
erft feit des Griechen Verſchwinden gewählt habe, 
es auch eine wahre Unmöglichkeit fey, daß, wenn 
die vorgefundenen Ueberreſte die des Griechen wären, 
fie in fo kurzer Zeit ſich total hätten zerfegen koͤnnen; 
daß daher ohne Zweifel hier eine Begebenheit zum 
Grunde liegen müffe, die fi) vor dreißig Jahren, 
und che ich geboren, zugetragen babe. Daß 





73 


übrigens der vorhandene Zopf lang und ſchwarz 
ware, wie der Grieche einen gehabt, ſey ein 
fchwacher Beweis gegen mic), da es viele Leute 
mit langen Zöpfen und fihwarzen Haaren gabe, 
und von jeher gegeben habe,“ 

„Der Paſcha wandte fi ab ohne ein Wort 
zu erwiedern, und ich fühlte mic) Feincswegs 
beruhigt.“ 

„Indeſſen fiel nichts weiter am Tage vor, 
und ich begann fchon einer beffern Hoffnung wieder 
Kaum zu geben, als es um Mitternacht an meine 
Thür klopfte. Sch öffnete, und Assin unfer Chef, 
der Basch-Mameluck, den wir fehr liebten, weil 
er fi) immer als ein wahrer Vater für ung 
gezeigt, ftand vor mir. Bei diefem Anblick fühlte 
ich wie einen Dolchftich im Herzen, denn unfere 
Gebräuche zu gut Fennend, fah ich, daß nun mein 
8008 entfchieden fey. Doch da es bei uns für 
eine Schande gilt, vor dem Tode zu erblaffen, 
oder fich in den letzten Augenblicken kleinmuͤthig 
zu zeigen, fo gab mir Stolz und das allmächtige 


74 


Gefühl der Liebe für Kabbuhra ſchnell eine fo 
unerſchuͤtterliche Faſſung wieder, dag von diefem 
Moment an mid) Fein Gefühl der Schwäche mehr 
überrafchen Tonnte, und ich mir im Gegentheil 
mit wahrer Zufriedenheit dachte, diefer Verluſt 
meines Lebens ſey nur ein heiliges Opfer der 
Geliebten gebracht; denn die Liebe beherrfchte 
damals meine ganze Seele faft ausſchließlich. 
Juſſuf, fagte der Basch-Mameluck, ich habe 
dich. oft gewarnt, aber umſonſt; Alles was du 
gethan, iſt entdeckt — du mußt dich) zum Tode 
bereiten. Cage mir deine legten Wünfche, und 
lege mir die Beichte als deinem Freund und 
Dater ab. — Wohlan, erwiederte ich ohne Zagen, 
Kismet! (daS fatum) was gefchehen foll, muß 
gejchehen, ich bin bereit! Nach einer ernften 
Unterredung von einer Viertelftunde, in der als 
der Letzten auf diefer Welt, noch Manches berührt 
wurde, was ich” hier nicht wiederholen darf, folgte 
ib dem Basch-Mameluck refignirt zu meiner 
bevorftehenden Hinrichtung. Vor der Thür ftand 


75 


ein Sclave mit einer Laterne, und an die Mauer 
gelehnt bemerkte ich noch mehrere Andere, in der 
Dunkelheit verborgen, nur erfenntlih an den 
DBligen ihrer gezogenen Jataghans. Wir fttegen 
in die Souterrains hinab und machten Halt, 
genau an der Stelle in dem mit Knochen ange 
füllten Gewölbe, wo ich fo manche Nacht der 
Stunde geharrt, die mich) in Kabbuhra’s Arme 
führen ſollte. Sch kann verfichern, daß diefer 
Umstand mich wie mit Wonne übergoß, und ic) 
nicht die mindefte Furcht vor dem Tode in mir 
fühlte 

„Nach unfern Sitten darf, Fein Mann von 
Bedeutung hingerichtet werden, ohne ihm vorher 
zeit zu laffen, fein letztes Gebet zu verrichten, dem 
eine Abwafchung vorhergeht. Ein Sclave hatte 
zu diefem Behuf mein filbernes Mafchbecken mit 
fi) genommen, und ein Anderer einen Teppich) 
vor mir ausgebreitet, auf den er feine Laterne 
ftellte. Sch wufch mich, kniete nieder, und 
vertichtete genau, was unfere Religion gebietet. 


76 

Diefes legte Gebet iſt ziemlich lang und dauert 
faſt eine Viertelſtunde. Bei feiner Beendigung 
verlangt die Vorſchrift des Geſetzes die Ede des 
Teppichs, auf dem man gefntet, umzufchlagen. — 
Und nun bedenke man, was das Schieffal iſt!“ 
fubr Juſſuf nach einem augenblicklichen Still- 
fhweigen fort. „Indem id) mechanisch und im 
Begriff dem Todesftreich mein Haupt darzureichen, 
die Ede des Teppiche umfchlage, werfe ich von 
ungefähr, und ohne alle Abficht, die Laterne mit 
um, deren Licht auf der Stelle verlifcht.« 

„Was in diefem entfcheidenden Moment in 
mir vorging, iſt ſchwer begreiflich zu machen. 
Mein ganzes Wefen verzehnfachte ſich; das Leben, 
vor einem Augenblicke faft noch eine Bürde, fchien 
mir das unfchäßbarfte der Güter, und ehe ich 
noch eines deutlichen Gedankens mir felbft bewußt 
ward, hatte ich ſchon dem mir zunachft fiehenden 
Sclaven den Jataghan entriffen, und war in der 
Dunkelheit verfhwunden, aufs Gerathewohl in 
den finftern Gewoͤlben forttappend. Bald gerierh 


77 


ich in tiefen Schlamm, und das Larmen und Rufen 
meiner Begleiter hallte fchon immer fehwächer aus 
der Ferne. Sch fiel, ich zerſchlug mir Hande und 
Gefiht an den Steinen, doch Nichts hielt mich 
auf. Bald ging mir das Waſſer bis über den 
Gürtel, und endlicy bis an den Hals. Jet erſt 
hielt ih an, und Grabesſchweigen umfing nic), 
fein Laut war mehr hörbar. Tiefaufathmend 
genoß ich zuerft das volle Entzüden der Freiheit, 
des neugewonnenen Lebens, dann fuchte ich den 
Ruͤckweg, um eine trocdene Stelle zu erreichen. 
Doch ohne den Faden der Ariadne war hier an 
fein Zurechtfinden zu denken, und Alles, was ich 
thun Fonnte, war nur, immer wieder zurück 
zufehren, wenn ich in einen Gang gerieth, der 
zu hoch mit Waffer angefüllt war, und einen 
feichteren aufzuſuchen; glücklich), wenn id) nur 
zuweilen einen Stein fand, um darauf auszuruhen. 
Sie werden es kaum glauben Fünnen, aber die 
Folge hat es mir unumftöglich bewiefen (denn 
während der Zeit felbft Fonnte ich ihre Dauer 


78 


nicht meffen, und Tag und Nacht nicht unters 
fopeiden), daß ich drei Tage und drei Nächte in 
Diefen Katafomben zugebracht habe, ohne eine 
andere Nahrung als das efelhafte fchlammige 
Waffer und eine Art Schwamme, die an den 
feuchten Wanden wuchſen. Am Morgen des vierten 
Tages trat ich, zum Tode ermattet, auf einen 
langen Knochen, den die Ratten hierher gefchleppt 
haben mochten, und wie eine Inſpiration ward 
es mir deutlich, daß im diefer Nichtung das 
Knochengewoͤlbe Liegen müffe, das zu meinem 
Grabe beſtimmt gewefen und mir feit fo lange 
innig befreundet war. Schon oft hatte ich mein 
früheres Mittel Feuer zu fchlagen verfucht, aber 
die fchlechte Schwache Klinge meiner geraubten 
Waffe entſprach nie meinen Bemühungen. © Doch 
betrog mic), auch ohne diefe Hülfe, meine Hoffnung 
diesmal nicht. Nach wenigen Minuten ſank ich 
mit unbefchreiblicher Wonne auf meinem alten 
Ruhebette, den wohlbefannten Gerippen nieder, 
die ich wie meine Erlöfer zärtlich an mich druͤckte. 








79 


Dabei zerriffen mir aber zugleidy die grauſamſten 
Schmerzen die Eingeweide und ein wüthender 
Hunger Lehrte mic) Martergefühle von einer 
bisher ganz ungefannten Art, Kaum hatte ich 
noch die Kraft mich wieder aufzurichten und dem 
Drte zugutappen, wo ich die nach dem arten 
führende Thür vermuthete, als cine rauhe Maffe 
mich anfttc und ic) ein dumpfes Grunzen dicht 
vor mir vernahm. Das Entfegen gab mir neue 
Kräfte, ich filed mit dem Dolch nach dem un: 
befannten Wefen, und etwas Schweres fiel auf 
mic mit lautem Stoͤhnen; zugleich fühlte ic) 
mich) mit warmem DBlute firommeis übergoffen. 
In dieſem Augenblick glänzte mir ein Lichtſtrahl 
entgegen, die Thuͤr ging auf und Andrea trat 
herein, um einen am Abend vorher gefauften Efel 
zu holen, den er einſtweilen hier die Nacht über 
angebunden hatte, und der fich als das eben von 
meiner Hand aefallene Ungethuͤm auswies. Andrea, 
rief ich, um Öotteswillen rette mich! ich bin Juſſuf! 
Doc) diefer jahlinge Anruf hatte bald mein Ver: 


Ss) 


derben herbeigeführt, denn Andrea, von aber: 
glaubifcher Furcht durchbebt, brach in cin wahn— 
wißiges Gefchrei aus, ftürzte aus der Thin, und 
ſchlug fie Trachend wieder hinter ſich zu. Jetzt 
erft verfiel ich im ganzliche Verzweiflung, mein 
unglücfeliges Schickſal verwünfchend ; doch forderte 
die Natur ihr Recht, und das Blut des gefallenen 
Eſels, das ich gierig fchlürfte, bewahrte mich viels 
leicht vor dem gäanzlichen Schwinden meiner leiten 
Kräfte. Glüclicherweife hatte Andrea feiner Frau 
erzählt, was ihm begegnet, und diefe, gefcheidter 
als er, Fam nach einer halben Stunde mit Effenzen 
und Erfrifchungen wieder, blieb jedoch ebenfalls 
lange zaghaft an der Thür ſtehen, che fie fich 
näher wagte und endlich mit Gewißheit ſich übers 
zeugte, daß Tein Geift fie fheuche, fondern mein 
wahres Fleisch und Bein dringend ihre Hülfe in 
Anfpruch nehme. Andrea und feine Frau hatten 
mir, was man in Europa Neichthümer nennen 
würde, zu danken, denn fie waren mir zu nöthig, 
um fie nicht mit Gold zu uͤberſchuͤtten. Sie 


81 


blieben mir auch jetzt getreu. Waͤhrend der Mann 
mir in ſeiner Wohnung ein Bad bereitete und 
friſche Kleider gab, benachrichtigte ſeine Frau — 
Kabbuhra von meinem Leben und meiner wunder— 
baren Rettung, fo daß ich ſchon in der folgenden 
Nacht mich in ihren Armen und im ihrer eigenen 
Mohnung ficher aufgenonmen fand. 

„Das arme Kind glich einem Schatten, und 
hatte in Verzweiflung über meinen Tod alle 
Nahrung von fich gewiefen. Shre Freude grenzte 
daher jeßt auch faſt an Tollheit, doch fehon nad) 
den cerften Momenten der Ueberrafhung war fie 
es wiederum, die für uns Alle zu denken und zu 
handeln verſtand. Mehrere Tage blieb ich bei 
ihr verborgen, während denen folgender Plan 
durch ihre Thätigfeit und Geiftesgegenwart zur 
Ausführung kam. Um diefen zu erflären muß 
ich hier abermals einiges früher Geſchehene ein— 
ſchalten.“ 

„Ein naher Verwandter des vorletzten, um— 


gekommenen Bey's, der in der Armee diente, Ali 
Gemilaffo in Afrika. I. 6 


82 


Ben Junnuss, hatte jchon fett geraumer Zeit die 
Flucht ergriffen, in Algier Unterftügung gefucht 
und gefunden, und war, von cinem Kleinen Heer 
DBergbewohner gefolgt, von der Seite von Cons 
ffantine aus in das tunefifche Gebiet eingefallen, 
wo er bereits zweimal die Ihm entgegen gefchieften 
Truppen mit einer Handvoll Leute gefchlagen hatte, 
und jeßt in einer fehr vortheilhaften Pofition auf 
dem Rüden des Gebürges einem dritten Corps 
des Bey gegenüberftand, fo daß ein abermaliger 
Echek fehr bedenklich für diefen werden konnte.“ 

„Es blieb mir nun die Wahl übrig, entweder 
zu dem Empoͤrer überzugehen, oder durch eine 
eflatante Handlung meinen Pardon zu verdienen. 
Der Geliebte Kabbuhra’s fonnte nur das Leßtere 
wählen.“ 

„An meinem Tode zweifelte übrigens Niemand, 
der Bey felbft nicht, denn bei ung ift es nic üblich, 
daß der, welcher mit einer folchen Hinrichtung 
beauftragt wird, auch ihre Vollziehung meldet. 
Dies verfteht fi) fo fehr von felbft, daß aus 





83 


einer Urt von Decorum der Sache nur dann 
wieder erwahnt wird, wenn noch andere Befehle 
einzuholen find. Hier aber hatte der Basch- 
Mameluck ſich um fo mehr gehütet den un 
erwarteten Ausgang zu erzählen, da er leicht 
ſammt den nachlaßigen Sclaven ftatt meiner 
dafür hatte büßen fünnen, und überdies die Rettung 
aus den unterivdifchen Gewölben ſo unmoͤglich 
ſchien, daß man nur glaubte, ich habe das 
Ende durch den Dolch mit dem des Hungertodes 
vertauſcht.“ | 

„Noch war indeß über meine Habfeligfeiten 
nicht3 verfügt worden, und der Bey, wie man 
behauptete, unruhig und befümmert, hatte im 
Gegentheil fichtlich vermieden, irgend etwas mich 
Berreffendes zu erwähnen. Diefer Umftand gab 
uns doppelt gute Hoffnung. Durch die Sorgfalt 
Kabbuhra’8 wurde mein treuer Diener Rustan 
von dem Gefchehenen unterrichtet, und ihm an: 
befoplen, mit meinem Schlachtroß Sheitan kaila 
(der heißefte Teufel, in wörtlicher Ueberfeung) 


84 


und meinen beften Waffen fich zur Abendftunde 


mit noch zwei andern bewaffneten Dienern, Die 
von Nichts wußten, im demfelben Wäldchen ein— 
zufinden, in dent Muhammed von meiner Hand 
gefallen war. Dies ward glücklich ausgeführt, ich 
entfam unentdeeft über die Wälle und Mauern, 
und mitten in der Nacht erreichte ich fchon das 
Lager unferer Truppen. Hier campirte, etwas 
von dem. gros des Korps abgefondert, mein 
treuefter Freund und MWaffenbruder Roduin mit 
vierhundert Suaven auserlefener Truppen. Auch 
hier bei der Armee war bereits mein Tod befannt 
geworden, zum Schmerz meiner Freunde und zur 
Freude meiner Neider. Sch Fanın jedoch fagen, 
daß ich immer noch mehr der Erften als der 
Letztern zahlte. Mein Charakter war von Natur 
wohlwollend und großmüthig, und da meine Lage 
mir die Mittel gab, diefe Tugenden leicht zu üben, 
fo hatte ich Vielen geholfen, und Keinen, der 
mich nicht angriff, zu ſchaden gefucht. Dazu 
fan, daß ich, verwegen und Fühnen Wagnıffen 





85 


hold, bisher in allen Unternehmungen von einem 
außerordentlichen Glück begünfligt worden war, 
Dies entfcheidet bei den Drientalen Alles, und 
da fie nicht gern einer Fahne folgen, von der 
mehreremale der Sieg gewichen, die meine aber 
fhon von meinem fünfzehnten Jahre an kaum 
je einen Sieger gefunden, fo genoß ich einer großen 
und nicht ganz unverdienten Popularität bei den 
Arabern. Viel hatte dazu noch beigetragen, daß 
ich ihnen nie mein Wort gebrochen. Muth und 
Wahrhaftigkeit find aber die am höchften von 
ihnen geſchaͤtzten Eigenſchaften.“ 

„Rodums Erſtaunen war grenzenlos, als ich 
in fein Zelt trat und durch eine Umarmung mein 
Leben befundete. Sobald ich ihn Furz von dem 
Vorhergehenden unterrichtet hatte, fagte ich, feine 
Hand ergreifend: Seht, Roduin, ift der Augen— 
blick gefommen, wo du mir alle Dienfte, die ic) 
dir oft mit Gefahr meines Lebens erwieſen, vers 
gelten follft. Du mußt mir den Befehl über 
deine Suaven abtreten; du weißt, daß ich dir 


86 


im Kriege und Kampf überlegen bin, und bier 
gilt es jeßt für mich Alles zu wagen, um Alles 
zu gewinnen.“ 

„Ste werden fich vielleicht wundern, daß 
Roduin diefem Gefuch ohne Weigern willfahrte, 
aber zuerft herrfcht bei uns Faunı eine Spur von 
der firengen Disciplin europaifcher Heere; zweitens 
wenn wir viel Mangelhaftes im Bergleich mit 
Ihnen haben, fo haben wir aud) Einiges voraus, 
und dahin gehört ein ritterlicher, vomantifcher 
Sinn, der der Liebe, der Freundichaft, ja of 
einer bloßen YAufwallung der Großmuth, Alles 
zum Opfer zu bringen fahig tft. Kurz, Boduin 
gab meinem Wunfche ohne Befinnen nach, ich 
hielt eine Traftige Anrede an feine Suaven, und 
wenige Minuten nachher Elommen wir fchon den 
Berg hinan zum Ueberfall des feindlichen Haupt: 
corps, von dem wir wufiten, daß es nur aus 
Fußvolk beftand, und zugleich vorausfeßten, daß 
diefe wilden Horden, durch ihre letzten Siege wie 
durch Die Unthäatigfeit unferer Truppen forglos 





ee —— * 


87 


gemacht, wahrfcheinlich wenig auf ihrer Hut feyn 
würden. 

„Nur ich, Roduin, und meine drei Diener 
waren zu Pferde, die Suaven folgten zu Fuß; 
doch bald bemerkte ich Nachlaßigkeit und Un— 
beftimmtheit bei den Truppen. Sch rief mehrere 
male die Schausch (Art Offiziere) heran”), die 
wohl einen Augenblick die Ordnung wieder herz 
ftellten, welche jedoch Feine Dauer hatte.“ 

„Immer mehr Leute blieben zurüd, die 
Dunkelheit der Nacht verhinderte es genau zu 
bemerken, und als wir auf dem Nücen des Berges 
anfamen, fanden wir Berittene uns faft allein, 
Feſt entfchloffen für meine Berfon nicht zu weichen, 
und durch irgend etwas Außerordentliches meine 
Schuld zu tilgen, hielt ich einen Augenblid an, 
bat Roduin, mich hier ruhig zu erwarten, fprang 
vom Pferde, und ſchlich, mit meinem gefpannten 
Tromblon in der Hand, leife dem Lager zu. 


) 20 Mann ftehen gewöhnlich unter einem Schausch, 


88 


„Alles !Iag pele-mele im Dunkel und im 
tiefften Schlafe; nur ein einziges Zelt, was offenbar 
das des Anführers ſeyn mußte, ſchimmerte nicht 
weit von mir mit dem ſchwachen Ecyein eines 
einzelnen Lichtes durcy die Nacht. Sch kroch auf 
Handen und Füßen heran, ‚und erblidte einen | 
Mann darin liegen, der, in Sedanfen vertieft, 
noch zu wachen ſchien; denn er wiegte fich fortz 
während hin und her. *) Ich unging das Zelt, 
hob leife eine Wand empor, drängte mich unten 
hindurch, und wollte eben mein Gewehr losdruͤcken 
— denn mit dem Tode des Chefs, war ich überzeugt, 
dag an Feinen Widerfiand mehr zu denfen ſey, 
und dann die nachfolgenden Suaven hinlanglich 
zum vollfiandigen Eiege ſeyn würden — als ich 
an einem Knopfe meines Vermels hängen blieb. 
Bei der dadurch entftandenen Bewegung des Zeltes 
ergriff der vor mir liegende Jummuss feinen Eabel, 


*) Dies ift eine Mode der Orientafen, die mit ihrer 
Art zu fihen in Verbindung ſteht. 








89 


und traf, erfchrocden nach mir hauend, mein 
Gewehr in demfelben Augenblid, wo ic) es auf 
ihn abdruͤckte. Pulverdampf erfüllte das Zelt, 
und als cr ſich verzogen hatte, war Niemand 
mehr darin zu fehen. Eine defto größere Anzahl 
durch den Schuß Erweckte drangen dagegen von 
allen Seiten herzu; ich nahm mir nur fo viel 
Zeit den Stegelring des fremden Befehlshabers 
zu mir zu ſtecken, der auf einem Fleinen Feldtiſch 
mit feinen Maffen neben ihm lag, und cilte, den 
Drt wieder zu erreichen, wo ich meine Begleiter 
gelaffen. Kaum war ich jedoch einige Schritte 
gelaufen, als ich ſchon mein Pferd wichern hörte, 
das ſich losgeriffen hatte, als wolle es mich auf 
fuchen. Es auffangend befand ic) mic) augen- 
bielih im Sattel, aber ſchon war es zu fpat! 
Eine folche Zahl von Menfchen umringte mic) 
im Nu, daß aller Widerftand unmöglich ward. 
Man entriß mir meine mit Juwelen befeßten 
Waffen, ergriff die Zügel meines Pferdes, und 
309 es fort, um mid im Triumph dem Chef 


90 


zuzuführen. Doch diefer war nirgends zu finden. 
— Man fuchte ihn von allen Seiten mir immer 
fteigender Beſorgniß, Doch jede Spur von ihm 
(bien verfhwunden. Während man mich nun 
fo ungewiß umherführte, und übrigens, da man 
mic) nach der Pracht meiner Kleidung und 
Waffen für einen Sohn des Bey von Tunis 
hielt, mit einer Art Ehrfurcht behandelte, fiel 
mir plöglich ein, ob ich mic) nicht durch ein 
früher fchon einmal verfuchtes Manoͤver noch 
retten koͤnnte. Gedacht, gethan. Mit cinem® 
Zuge ſchob ich Sheitan’s Zügel und Kopfgeftell 
über feine Ohren, fo daß Beides herabfiel, und 
die, welche mic) führten, nur noch die Zügel ohne 
Pferd in den Händen behielten. *) Die Ueber: 
raſchung lahmte fie einen Augenblick, und als 
verftche mich mein edles Roß, baumte es in 
demfelben Moment hoch auf, fchlug mit den 
Vorderfüßen um ſich, und indem es dann mit 


*) Nur mit arabifcher Zaumung ift dies ausführbar, 


9 


einem ungeheuren Sage niederwarf, was ſich ihm 
entgegen ftellte, rannte es mit Blißesfchnelle wald: 
ein, forgfam jeden Baum vermeidend, und dann 
inftinetmäßig denn Wege wieder zucilend, den wir 
gefommen waren. Viele hundert Flintenfchüfe 
wurden wahrend dem nad) mir abgefeuert, doch 
die Liebe befchüßte mich ohne Zweifel, denn Feiner 
davon traf fein Ziel, Wer bifchreibt aber meine 
Sreude, als ich mit den erften Strahlen der auf: 
gehenden Sonne Roduin mit feinen Suaven mir 
entgegen kommen fahe. Set wandte fib die 
Geftalt der Dinge, wir umzingelten fogleich den 
in ein defile zufammengepreßten, ungefähr ſechs— 
hundert Mann ftarfen Feind, und ich befahl, taub 
für das Flehen der Beſiegten und ihr Anerbieten, 
fich gefangen zu geben, ein Ende mit ihnen zu 
machen. Sn einer guten halben Stunde war 
Keiner von ihnen mehr unter den Lebenden, Ich 
geftehe, daß diefe Metzelei etwas graufam genannt 
werden mag; aber ich fühlte mich fo empört 
über die erlittene Schmach, ich war damals fo 


92 


überzeugt, daß diefe barbarifchen Gebürgsvölfer 
auch barbarifch behandelt werden müßten, und 
hielt überdies, im Behuf meines eigenen Intereſſes, 
einen blutigen Steg für ſo unerläßlich, daß ic) 
Feiner weiten Veberlegung Naum gab. Als man 
die Leichname plünderte, fanden fi auch meine 
eignen Waffen wieder, und voll der lachendſten 
Hoffnungen für die Zukunft, mit meinem Nacht: 
werf wohl zufrieden, cilte ich, nachdem ich) Roduin 
gehörig inftruirt, fchleunig die Stadt Keruan zu 
erreichen, welche als cin geheiligtes Afyl gilt, in 
dem Fein Flüchtling beunruhigt werden darf.“ 
„Als Roduin im Lager anfam, und meldete, 
daß cr allein das von Ali Ben Junnuss felbft 
befchligte Corps aus feiner ftarfen Poſition 
vertrieben, und ihm fechshundert Mann getödter, 
wollte der durch das Schießen am Morgen 
allarmirte Befehlshaber kaum der Nachricht 
Glauben beimeſſen. Doch Fonnte er fich nicht 
lange der Evidenz verfihlichen, übernahm die 
Verfolgung des Meberreftes, und fandte Roduin 


93 


mit der erfreulichen Nachricht fofort nach Tunis. 
Nachdem dieſer dort für fein eigenmächtiges 
Handeln nicht nur willige Verzeibung, fondern 
hohe Belohnung erhalten, entdeckte er, dom Bey fich 
zu Süßen werfend, daß diefer für die vaterlandifchen 
Waffen fo glorreiche Steg nur dem, wie durch 
ein Wunder auferflandenen, Juſſuf zu danken 
fey. Der Bey, welcher längft Neue über meine 
im erften Zorn von ihm anbefohlene Hinrichtung 
gerühlt hatte, um fo mehr, da er Niemand fand, 
mich ihm bei hundert Angelegenheiten, die er mir 
allein anzuvertrauen pflegte, zu erſetzen, zeigte eine 
unverholene Freude bei der unerwarteten Nachricht, 
und fendete mir fogleic) einen Mamelucen mit 
dem Perlenfranz nad) Keruan, deffen Beſitz die 
vollftändige Verzeihung verbürgt. Ich benußte die 
Gelegenheit, dem Bey einen nemen fehr bedentenden 
Dienst zu leiſten. Hinter Keruan lebte namlich 
auf einem hohen Berge der Schech Buttura, ein 
Mann von großem Einfluß auf die Bergbewohner, 
der fi Fürzlicdh gegen den Paſcha fehr feindlich 


94 


benommen, dann zwar wieder mit ihm verfohnt, 
aber dennoch der Einladung des Pafcha nach 
Tunis zu fommen, nicht hatte trauen wollen. 
Ich wußte, wie viel wegen anderer Pläne dem 
Bey daran gelegen war, mit Buttura feften Frieden 
zu Schließen. Die glücliche Conjunctur benußend, 
brachte ich daher Diefem den Rofenfranz von 
Perlen, als fey er ihm gefchieft, und vermochte 
den Schech, mid) zu begleiten.“ 

„Ein wahrer Triumphzug erwartete mich in 
Tunis, und Sie Fünnen mein doppeltes Entzuͤcken 
ſich vorftellen, da ich wußte, daß Kabbuhra Zeuge 
davon feyn und alle Damen des Harems den 
Sieger nach ihrer fchmeichelbaften Weife begrüßen 
würden. Denn dies fahen wir immer als unfern 
fchönften Lohn an, wenn nad) einer vollbrachten 
braven That, aus den Fenftern des Harems 
Blumen auf uns niedergeworfen wurden; oder, 
ohne daß wir wußten, von wem die Gabe Fame, 
irgend ein Juwel am Sattel unfres im Hofe 
ftebenden Pferdes aufgehangen, oder dieſes mit 








95 


der Foftlichiten Nofeneffenz begoffen wurde. Oft,“ 
jagte Juſſuf lachend, „duftete mein Sheitan fo 
ſtark danach, dag man es Taum im feiner Nähe 
aushalten Fonnte.“ 

Mie fchön, dachte ich bei diefen Worten, haben 
doc) die Mauren und Araber, welche wir Barbaren 
fchelten, die alten chevaleresfen Sitten beibehalten, 
die fie cinft von Spanien aus über ganz Europa 
verbreiteten, wo fie jeßt nur noch eine halb ver: 
geffene Tradition find! 

„Der Pascha,“ erzählte Juſſuf weiter, „empfing 
mich gnädig, aber ernft, und nicht cher fand ich 
mich ganz unbeforgt, als bis er mic) am Abend 
allein zu fich in den Harem rufen ließ. Hier, 
von Kabbuhra hinter den Gittern gefeben, warf 
ih mic) ihm zu Füßen, und weinend feine Hande 
füffend, fchwur ich ibm zu, immer fein treuer 
und danfbarer Sohn zu bleiben. Mein Betragen, 
o Herr! feßte ich hinzu, verbürgt es dir wohl.“ 

„Hier fchliegt der erfte Act meines Drama’s,« 
fagte Zuffuf, fi mit. der weißen beringten Hand 


96 


» 


feinen prächtigen braunen Bart ftreichend (denn 
Juſſuf ſpricht jet wie ein gebildeter Europäer) 
„der zweite endete gewaltfamer, und änderte mein 
ganzes zufünftiges Schickſal.“ 

„Drei Fahre vergingen in ungeftortem Frieden. 
Der Paſcha konnte über das fortwährende Ver: 
haltnig mit feiner Tochter nicht mehr in Zweifel 
ſtehen, es war indeß hinlanglich, dag er «8 zu 
ignoriren ſchien; doch mußte dabei faft Immer 
dieselbe Dorficht angewendet werden, um Kab-® 
buhra’s Ruf zu fohonen und Feinen Eclat herbei- 
zuführen, der dem Pafcha felbft die Hande gebunden 
haben würde, Cine Heirath war vermöge unferer 
Geſetze nicht möglih, und mein Rang ihr aud) 
vollig unangemeffen, da ich, nicht von prinzlichem 
Blute, wenigftens erfter Mintfter und Chef der 
Mamelucken hatte ſeyn müffen, um auf ihre 
Hand hoffen zu dürfen, was meine zu große 
Jugend unausführbar machte.“ 

„Dieſer fortwahrende Zwang fing daher an, 
uns mit der Zeit ganz unerträglich zu werden, 


97 


und wir befchloffen endlich zu fliehen. Sch hatte 
zu der Zeit einen Sclaven, mit Namen Antonto, 
auf den ich mich ganz verlaffen zu Fonnen glaubte, 
und dem ich mich daher auch rücffichtslos entdeckte. 
Sch gab ihm 6000 PViafter, um unter der Hand 
ein Schiff Faufen, und dies am beftimniten Tage 
mit einer geringen Mannfchaft, die im Namen 
eines Kaufmannes gemiethet werden follte, für 
uns bereit halten zu laffen.“ 

„Der Hof begab ſich alle Frühjahr nad) einem 
Luſtſchloß, Hammam-Lief genannt, wo ſich 
mineralifche Bäder befinden, Diefe werden als 
eine Art Reinigungscur gebraucht, der ſich Jeder, 
der zum Hofftaat gehört, unterziehen muß. Das 
Schloß liegt mitten in einer Plane, vom Meer 
eine halbe Stunde entfernt, und durch eine fumpfige 
Gegend voll hoher Binfen von diefem getrennt. 
Don hier wollten wir unfere Flucht bewerfftelligen, 
un Malta oder Sicilien zu erreichen, und, da 
es uns an Schäßen nicht fehlte, in Europa ein 
freies und glückliches Leben zu führen. Mit den 

Semilaſſo in Afrika. I, 7 


98 


ſchoͤnſten Kuftfchlöffern bauten wir uns dieſe 
Zufunft auf, in denen wir die füllen Freuden 
einer ungeftorten Verbindung genießen wollten, 
und Fein Zweifel am Gelingen ftorte die Zuverficht 
unferer, leider zu vertrauenspollen Jugend.“ 
„Die feftgefette Nacht erſchien. Antonio, der 
verficherte, daß Alles bereit fey, hatte mich ver— 
loffen, um uns am Ufer zu erwarten, und ich 
begab mich, froh endlic) am Ziele zu feyn, zu der 
ängftlich meiner harrenden Geliebten, die in großer 
Bewegung mit Thranen in meine Arme ſank.“ 
„Bald gelang es indeß meinen Liebkoſungen 
und fenrigen Morten, die ihr das Bild unferes 
nahen Glücdes mit allen glänzenden Karben einer 
feit lange nur dahin gerichteten Eimbildungsfraft 
ausmalten, fie zu beruhigen. Ein entfeßzliches 
Gewitter mit Sturm und Wegen, wie es in diefer 
Sahreszeit haufig eintritt, tobte vor unfern Fenſtern. 
Nichts Fonnte ung günftiger feyn, denn eine Doppelte 
Reihe von Zelten, mit Soldaten angefüllt, umgab 
das Schloß. Dbgleich Einige von ihnen da, wo 


99 


wir durchdringen wollten, beftochen waren, fo 
konnten leicht Andere uns entdecken. Das Zimmer, 
in. dem wir uns befanden, war nicht alfzuboch 
von Boden entfernt. Sch löste meine lange 
goldene Säbelfchnur, befeftigte fie am Gitter, 
und auf den Balkon hHinaustretend, Fletterte ich 
zuerft an der im Winde flatternden Schnur hinab, 
Kabbuhra, mir unverzagt und mit der Gefchidz 
lichkeit eines Eichhörnchens nachfolgend. Als fie 
aber unten angefommen war, überwaältigten fie 
von Neuem ihre Gefühle. Sie wandte fich dem 
Haufe noch einmal zu, fiel, in ihrer Meinung 
den ewigen Abfchted nehmend, auf ihre Kniee 
und fchluchzte laut. Doch unfere Zeit war zu 
koſtbar, ich zog fie mit fanfter Gewalt hinweg, und 
paffirte unangefochten mit ihr die Zelte, in welche 
der fürchterliche Regen alle Krieger zuſammen— 
gedrängt hatte, Unfer Weg zwifchen den Binfen 
wurde aber immer befchwerlicher, und das Herz 
blutet mir noch), wenn ich daran denfe, mit wie 
viel Muth und Geduld dies zarte Weſen ihre 


100 


feine Haut an den Geftrüppen blutig ritzte, in 
bloßen Füßen (denn ihre Vantoffeln waren nach 
furzer Zeit im Sumpfe verloren gegangen) und 
leichter Kleidung dem entfeglichften Unwetter aus: 
gefeht blieb, und dennoch nie eine Klage über 
ihre Lippen kommen lich. Sch trug fie, fo oft 
ich Fonnte, aber Fürzlich erft von einer bedeutenden 
Wunde in der Bruft genefen, die ich in einem 
Gefecht erhalten, waren meine eignen Krafte Faım 
zur Halfte wieder zurückgekehrt, und überdem 
drücte mich die Laft großer Summen in Gold 
und Juwelen, die ich niemand Andrem anzus 
vertrauen gewagt, faft Darnteder. Endlich erreichten 
wir, von Mattigfeit erfchöpft, das Meer; aber 
wer fchildert unfer Entfegen! Fein Schiff war 
weit und breit zu fehen. — Hier verließ mid) - 
einen Augenblick alle Saffung, und nur Kabbuhra 
zeigte eine wunderbare Standhaftigfeit. Warte 
meiner bier, rief ich verftört, und laß mich fuchen, 
Antonio muß in der Nahe ſeyn. Ueber cine 
halbe Stunde irrte ich verzweiflungsvoll am Ufer 


101 


umher, doch nichts als einzeln die Luft durch— 
freifende Seemoͤven zeigten ſich meinen ftarren 
Blicken. Als ich zurüdfam, war auch Kabbuhra 
verſchwunden. Eine aus den Binfen hervorbrechende 
Schlange verfcheuchte fie; toͤdtlich geängftigt hatte 
fie mich dann auf einer falfchen Seite aufgefucht, 
und eine zweite bange halbe Stunde verftrich, 
ehe wir, laut unfern Namen rufend, uns wieder 
zufammenfanden,« 

„Troſtlos fchlugen wir den Ruͤckweg nad) dem 
Schloſſe ein; ich in dumpfer Verzweiflung, das 
entfchloffene Mädchen mich mit allen Trugfchlüffen, 
die ihr die Liebe eingab, vergebens zu tröften 
verfuchend. O Kabbuhra! rief ich, cs bleibt uns 
nichts Andres mehr übrig, wir müffen zuſammen 
fterben! Sch bin bereit, erwiederte fie, dir zu 
folgen, wohin du mich führft, auch in den Tod, — 
Sm halben Wahnfinn drückte ich fie feft an meine 
DBruft und zog meinen Dolch, doch verfagte mir 
der Muth. Kabbuhra, begann id) zagend um 
Zeit zu gewinnen, kuͤſſe mich, und richte felbft 


102 


die Waffe auf dein Herz — ift dein letter Seufzer 
entflohn, fo zerfchmettert diefe Piftole mein fchuld; 
bedecftes Haupt. O, fagte fie ſich fchaudernd 
abwendend, laß uns vorher doc) noch das Aeußerfte 
abwarten. Wie fchnell ift, che man uns ergreifen 
fann, ein Dolchſtoß geführt; vielleicht ſchuͤtzt ung 
Allah, und laßt ung durch ein Wunder das Schloß 
wieder erreichen. Aber fie wußte nicht, daß meine 
wenigen übrigen Kräfte mit jedem Momente 
fhwanden. Meine Wunde war von Neuem aufz 
gebrochen, ich fühlte mich mit Blut überftrömt, 
und ſank ohnmaͤchtig im die Kniee. Als ich die 
Yugen wieder auffchlug, fand ich das treue 
Geſchoͤpf mit der größten Geiſtesgegenwart ber 
fohaftigt, meine Wunde zu verbinden und mir 
ſtarke Effenzen vorzuhalten, Die mid) mühfam 
ins Leben zurücgebracht hatten, Wie, dachte ich 
über mich felbft empört, dieſes zarte gebrechliche 
Weſen zeigt folchen Muth und Du follteft neben 
ihr erliegen? Eine überirdifche Kraft fehien bei 
diefem Gedanken alle meine Nerven wunderbar 


103 


zu ftarken; ich vraffte mich gewaltfam auf, und 
von Kabbuhra zärtlich) unterftüßt, nahten wir 
zum zweitenmal den Zelten, Der Himmel ſchien 
mit uns im Bunde und fironte noch immer 
feine Sluthen wie einen Molfenbruch herab. — 
Jeder Wahrfcheinlichfett zum Trotz waren in 
wenigen Sekunden die Wachen glücklich hinter 
uns, doc) die goldne Schnur, dachte ich mit 
Schaudern, wenn fie bemerft worden und nicht 
mehr da wäre! Doch das Unwetter hatte uns 
gerettet; fchimmernd flatterte fie noch) im Winde 
wie zupor. Kabbuhra ſchwang fich zuerft mit 
ihrer Hülfe Hinauf, und gleich darauf verricth 
mir ihr dreimaliges Klopfen, daß Niemand erwacht 
fey, und ich ihr ficher folgen Tonne. Auf dem 
gewohnten Wege fand ich meine Wohnung wieder, 
und wenige Tage reichten hin, um die Folgen 
diefer fchredlichen Nacht, der fchmerzlichften meines 
Lebens, gänzlich zu verwifchen.« 

„Doch nur eine Frift hatte uns das ver 
ratherifche Schickfal vergunnt! Der Grund, warum 


104 


Antonio nicht erfchienen, war nicht Verrath, wie 
ich befürchtete, fondern ein auf ihn gefallener 
Verdacht der Behörde, weil er feinen Auftrag 
mit zu wenig Vorficht verrichtet. Man hatte 
fein Schiff angehalten, und da er Feine Auskunft 
darüber geben wollte, ihm fünfhundert Stock— 
fhläge aufzählen laffen. Nun nannte er einen 
falfchen Namen, deffen Unwahrhett fich aber bald 
auswies. So ward feine Marter verdoppelt, 
und ohne Kraft fie länger auszuhalten, geftand er 
Alles. — Der Paſcha, als er diefen Bericht erfuhr, 
übte noch einmal Langmuth, und ftatt mich todten 
zu laffen, wie ich erwarten mußte, wies er mir 
einen feften Pallaſt in Tunis zum Gewahrfant 
an, die Darlaola, wo von Negerinnen Alles 
bereitet wird, defjen die Hofhaltung bedarf. Hier 
ward ich übrigens anftändig behandelt, zuerft der 
genauen Aufficht diefer alten Weiber übergeben, 
einer gefährlicheren Wache als alle übrigen, außer; 
dem aber umringten auch noch Soldaten das 
Haus; und dennoch gelang es mir bald, mit 


105 


Hülfe des Arztes und der nicht zu firengen 
Controle des Chefs der Mamelucken, ein folches 
Beſtechungsſyſtem zu organifiren, daß, wahrend 
des ganzen Jahres wo ich hier gefangen faß, 
nur wenig Nächte vergingen, in denen ich nicht, 
wenigftens einige felige Minuten, in Kabbuhra’s 
Armen ruhte, obgleich mein Gefaͤngniß über eine 
Stunde von der Refidenz entfernt war und ich 
hundert Schwierigkeiten aller Art zu überwinden 
hatte, che ich bis zu ihr dringen Fonnte, Meine 
damalige Ausdauer, meine unerfchütterliche Zu— 
verficht und meine gänzlidhe Verachtung jeder 
Gefahr ift mir feitdem oft felbft faft ein Raͤthſel 
geworden, und ich fühle wohl, daß ich des 
Gleichen jetzt nicht mehr fähig ware.“ 

„Nach Verlauf diefes, troß feiner unaufhörlichen 
Sorge, glüclichen Jahres trennte uns endlich das 
grauſam mit uns fpielende Schieffal für immer!« 
Der tiefe Kummer, der fi) hier über Juſſufs 
Züge verbreitete, und die Heftigfeit feiner Ems 
pfindung, die ihm auf einen Augenblick faft das 


106 


Athmen benahm, zeigten mir, wie fchmerzlich er 
diefen DVerluft noch jet empfinde „Ich kann,“ 
fagte er an feine Bruft faffend, „dieſe Gefchichte 
meines ftürmifchen Lebens nicht erzählen, ohne 
auf das heftigfte davon ergriffen zu werden, und 
hätten Sie mir nicht ein fo freundliches Intereſſe 
gezeigt und fo lebhaft in mich gedrungen — id) 
würde mich fchwer dazu entfchloffen haben. Sie 
find der Erfte, dem ich fo ausführlich mitgetheilt, 
was ich mich lange Zeit bei mir felbft zu über 
denfen fcheute. Doc) wir find jetzt bald am Ende, 
und Ihre Geduld«, feste er mit feinem unwider— 
ftehlich licbenswürdigen Kacheln hinzu, „möge nicht 
noch früher ermuͤden.“ 

„Um die angeführte Zeit hatte ich das Ungluͤck, 
daß Assin, mein Befchüßer und zweiter Water, 
wie überhaupt einer der ausgezeichnetften Männer, 
in Ungnade fiel und mein größter Feind feine 
Stelle als erfter Minifter und Chef der Mame- 
lucken einnahm. Diefer, der genau meinen Schritten 
gefolgt und von Allem unterrichtet war, machte 


107 


dem Pafıha einen fo umſtaͤndlichen Rapport dar— 
über, daß der Dater mich nun endlich der Ehre 
feiner Tochter aufopfern zu müffen glaubte. 
„Lombard, der Leibarzt, befam den Auftrag, 
mir in meinem Gefängniffe die Gifttaffe zu reichen, 


die dem Leben der Verurtheilten ein fchnelles Ende 


macht. Aber von Lombard hatte ich nichts zu 
befürchten, und es ift wohl möglich, daß der Bey 
felbft im Geheim darauf rechnete. Der Grund 
diefer meiner Sicherheit war folgender. Als ich 
noch ein Knabe von fünfzehn Sahren war, kam 
Lombard zuerft nad) Tunis, wo er fich am beften 
zu infinuiren glaubte, wenn er dem Schuß der 
Conſuln entfagte und fich ganz unter die Juris— 
diction des Bey begäbe. Diefer Schritt führte 
ihn jedoch bei einem Haare feinem Untergange 
zu. Eine Epidemie verbreitete fich in der Haupts 
fiadt, welche Lombard für die Peft erklaͤrte. Da 
Nichts dem Handel und unfern damaligen Vers 
bältniffen nachtheiliger feyn Tonnte, wie eine offtciell 
erflärte Peft, durch alle Hinderniffe welche fie in 


108 


den Verkehr mit Europa bringt, fo gerieth der 
Paſcha in die höchfte Wuth über eine Behauptung, 
der alle tunefischen Aerzte widerfprachen. Er befahl, 
den allzufühnen Lombard fogleich herbeizuführen, 
um ihm vor feinen Augen taufend Stocichläge 
zu geben, welches einem Xodesurtheil aquivalent 
ift. Die einnehmende Geſtalt und das würdige 
Benehmen Lombard’s machte auf mich, der damals 
ein verzogenes Kind des Paſcha war, einen folchen 
Eindruck, daß ich in die bitterfien Thranen aus— 
brach, mich dem Bey zu Füßen warf, und ihn 
beſchwor: den graufamen Befehl zuruͤckzunehmen, 
um doch erſt abzuwarten, ob der fremde Mann 
nicht die Wahrheit gefagt. Der Paſcha, gerührt von 
meiner Angſt, ftreichelte mir die Wangen und fagte 
guͤtig: beruhige dich nur, es foll nad) deinem Wunfch 
gefchehen! Lombard ward abgeführt, und als Turze 
Zeit darauf fich vollftandig bewährte, was er 
behauptet, machte ihm der Bey dffentlich eine Entz 
ſchuldigung, befchenfte ihn reichlich, und ernannte 
ihn mit einem hohen Gehalte zu feinem Leibarzt.“ 


109 


„Als num derfelbe Mann, der mir Leben, Ehre 
und Wohlſtand dankte, jetzt in der Nacht mit dem 
Gifttranf bei mir erfchten, fagte er, mic) um— 
armend: Ich ſchaͤtze mich glücklich, Zuffuf, endlich 
vergelten zu Fünnen, was du einft an mir gethan, 
Alles ift zu deiner Flucht mit LXeffeps (dem Sohne 
des franzofifchen Conſuls) abgeredet, die Fregatte 
Adonis *) Liegt fegelfertig auf der Goletta, um 
zur Erpedition gegen Algier zu ftoßen, eine Ems 
barfation wird vom früheften Morgen an am 
Ufer auf dich warten, und zwei Pferde ftehen für 
dic) und deinen Diener am Meeresthore bereit. 
Es wird dir leicht werden, dich zur beftimmten 
Stunde dort einzufinden, und du haft noch Zeit 
alle gehörigen Vorbereitungen zu treffen, denn 
vor Morgen wird Niemand nach dir fragen. Ein- 
mal in Sicherheit, werden wir dann fehen, ob 
noch etwas weiter für dich zu thun if. Mit 


*) Der Name des Schiffs Eonnte nicht paffender für 
den ausgefucht werden, den e8 tragen follte. 


110 


tieffter Rührung nahm ich von dem treuen Freunde 
Abfchied, trug ihm taufend Liebesgrüße an meine 
arme Kabbuhra auf, füllte dann eine Kifte mit 
allen meinen Zuwelen, mehr als eine Million an 
Merth, nähte davon für ungefähr Hunderttaufend 
Franken einzelne Diamanten in meine Wefte (was 
fpater ein großes Gluͤck für mid) war), und ver: 
ließ, als Beduine vermummt und ganz unkenntfh, 
auf die gewohnte Weife mein Gefängnig. Nachdem 
ich Alles gefunden wie e8 mir Lombard angezeigt, 
und das Meerufer glücklich erreicht, todtete ich 
die Pferde und warf fie mit Hälfe Ruftan’s in 
einen tiefen Brunnen, damit fie meine Flucht 
nicht verrathen Fonnten, dann näherte ich mid) 
mit der Morgendämmerung der bezeichneten Stelle. 
Hier bot fi) meinen Bliden ein unerwartetes 
Schaufpiel dar. Eine Patrouille war, vorbeis 
gehend, den Matrofen der Embarkation begegnet, 
die, felbft von nichts wiffend, als daß fie einen 
Paſſagier aufnehmen und nach) dem Schiff bringen 
follten, an's Ufer geftiegen waren um zu früßs 


111 


ftücen, an welchem Mahl nun die Soldaten der 
Patrouille brüderlich Theil nahmen, Wahrend ich 
ſchnell mein Morgengebet verrichtete, drangen die 
Töne ihres Iuftigen Muthes mit Gelächter und 
Scherzen bis zu mir herüber. Wahrfcheinlich hatte 
diefer Laͤrm eine zweite Patrouille angezogen, die 
ich bereits vom Gipfel des nahen Hügels herab: 
ſteigen ſah. Ich gab fehleunig meinem Diener 
die in einen weißen Shawl gewicelte Juwelen— 
Tifte, befahl ihm, mir auf dem Fuße zu folgen, 
und ging unbefangen anf die Gruppe zu. Hier 
ward ich gewahr, daß die unbeforgten Soldaten, 
um ihre Mahlzeit ungeftört zu genießen, ihre 
Gewehre in dichter Reihe an eine Mauer gelehnt 
batten, die an diefer Stelle das Meer einfaßt 
und einen Vorfprung nach dem Waffer zu bilder, 
auf dem die Kolben der Slinten ruhten, Mit 
einem Sprunge war ich am aͤußerſten Ende 
der Reihe, und das crfte Gewehr ergreifend, warf 
ic) fie mit leichter Mühe alle mit einander raffelnd 
ing Meer, Seht zog ich meinen Säbel, und 


112 


den Matrofen franzöfifch zurufend, daß ich der 
erwartete Paffagier fey, und fie, wenn fie ihr Leben 
fchätzten, über Hals über Kopf ihr Boot befteigen 
follten, chargirte ich mit meinem Diener die über: 
rafchten Soldaten, welche kaum wußten wie ihnen 
geſchah.“ 

„Nachdem ich zwei davon niedergehauen, ergriff 
mich einer beim Bund und fiel durchſtochen 3 
meinen Füßen, einen Andern ftredfte meine Piſtole, 
mit dem linken Arm abgefeuert, zu Boden, Auch 
mein Diener Fampfte mit dem Muthe der Ver— 
zweiflung, und ungeachtet der Uebermacht erreichten 
wir glüdlic) das Boot, ehe noch die im Lauf 
herbeieilende zweite Patrouille uns einholen Fonnte. 
Schon mit einem Fuße in dem Fahrzeug hielt 
mid) noch ein riefiger Albanefe an der Schulter 
feft, was ihm jedoch übel bekam, denn ein glüde 
licher Zug meines Damasceners trennte feine Fauft 
fo glatt vom Arme, daß fie als Trophäe mit Ing 
Boot herabfiel. Ste war nur ein fchlechter Taufch 
für den herben Verluft, den ich zu gleicher Zeit 


113 


erlitt. In der Verwirrung des Kampfes, und 
um fich die Hände frei zu machen, hatte naͤmlich 
Ruftan die ihm übergebene Juwelenkiſte von ſich 
geworfen, und feitdem nicht wieder daran gedacht. 
Waͤhrend der Füfillade, die uns vom Ufer ver— 
folgte, fab ich fie unverfehrt auf dem Strande 
liegen. Einen Augenblick faßte ich den raſenden 
Entſchluß, noch einmal nach ihr umzukehren, doch 
die Vernunft gebot mir bald ihn wieder aufzugeben. 
Spaͤter habe ich erfahren, daß dieſe Kiſte dem 
Paſcha nach meiner Flucht richtig uͤberliefert 
worden tft.“ 

„Wie ich nun in den franzöfifchen Dienft ges 
langte, was ich dort auszuführen das Glücd hatte, 
und wie ic) mit einer Sendung des Gouverneurs 
‚von Algier mich noch einmal nach Tunis wagte, 
erzähle ich Zhnen, wenn Sie c8 wünfchen, ein 
anderes Mal; für heute haben wir wohl Beide 
genug.“ 

Mit diefen Worten fchloß Zuffuf feinen felt 
famen Bericht. Ich fee vor der Hand nur nod) 

Semilafjo in Afrika, I, 8 


114 


hinzu, daß er ſich im franzofifchen Dienft durch 
Gewandtheit und Unerſchrockenheit auf das Glan- 
zendfte auszeichnete, durch das faft wunderbare 
Magftüc der Einnahme der Citadelle von Bone 
mit feinen Freunde d'Armandy aber die Augen 
der ganzen Armee auf fich zog, wovon ich fpater 
mehr zu fagen Gelegenheit finden werde. 

Die neueften Lorbeeren bat er in der Affaire 
gegen den Bey von Conftantine gewonnen, und 
der Gouverneur wünfcht nichts mehr, als ihn 
an die Stelle deffelben einfeen zu koͤnnen. Ueber 
Tiſch Außerte er dies wie halb im Scherz: „Mais 
mon General,“ antwortete Suffuf, „donnez moi 
1200 hommes, et vous navez qu'à me laisser 
partir, je m’entaillerais bien moi meme. La 
route de Bone a Constantine est aussi facile 
que celle de votre hötel à mon logement en 
ville.“ 

Es ſchien dem jungen Türken nicht unangenehm 
zu feyn, als ich ihm fagte, daß ich mich um fo 
mehr gefreut habe, ihn Fennen zu lernen, da feine 


115 


Reputation bereits cine Europaifche geworden 
fey, und ich in Paris aus manchem fchönen 
Munde feinen Namen mit einem Enthuſiasmus 
nennen gehört hätte, den fein Anblick gewiß nicht 
entfräften würde, In der That, Juſſuf ift eine 
Erfcheinung, die Jeden lebhaft intereffiren. muß, 
doc) fpricht er meine Sndividualität vielleicht noch 
mehr als irgend einen Andern an, und die Folge 
hat mir gezeigt, Daß diefe Anziehung in einigem 
Grade auch gegenfeitig war. Wir im alternden 
Europa find faft Alle mehr oder weniger Denker 
geworden; bier ſah ich einmal unfern Gegenfat, 
einen Menfchen, der ganz Handlung if. Es ift 
ein Achter Naturheld, und ſchoͤn, liebenswürdig, 
menschlich vornehm, wie er fich darftellt, zugleic) 
der Romanheld wie er feyn follte, Wir Civilifirte 
find eine ausgemergelte, zehnmal ausgepreßte, bis 
auf den letzten Grad geiftig ausgefogene Race, 
die dergleichen nicht mehr liefern Tann, Nur 
eine gigantifche Verftandesmafchine, wie Napoleon, 
Fonnte als hoͤchſte Summe und Repräfentant 


116 


der Zeitfahigfeit noch bei ung möglidy werden — 
aber eine primitive Natur, eine folche poösie en 
action, wie diefer Türke, wird auf unferem Boden 
nicht mehr wachfen. Iſt der Einfluß derfelben durch 
Stellung und Umftande hier auch nur gering und 
local, dem Kenner bleibt ihre Entfaltung immer 
höchft merkwürdig. Wer fie ſich übrigens aug 
hiſtoriſch und weltſtuͤrmend denken wollte, brauchte 
ſie nur in ſeiner Phantaſie auf einen Thron Aſiens 
zu ſetzen. Doch wir wollen zur Geſellſchaft unſeres 
braven Gouverneurs zuruͤckkehren. 

Das Geſpraͤch wandte ſich jetzt auf andere 
Gegenſtaͤnde, namentlich auf eine nahe bevorſtehende 
Heirath im Hauſe des ſchon von mir erwaͤhnten 
Muſtapha Paſcha. Juſſuf beſchrieb uns die bei 
ſolchen Gelegenheiten uͤblichen Ceremonien und 
bemerkte, daß der Braͤutigam, ſo wie die Braut 
entſchleiert wird (bei welcher Gelegenheit er ſie 
zum erſtenmal zu ſehen bekommt), ſie auf die 
Stirn kuͤſſe und ihr ſage: Ich nehme dich zu 
meinem Weibe fuͤr dieſe und jene Welt, 


117 


„Ich denke, fiel ich ein, „in jener Welt find den 
Öläubigen noch höhere Schönheiten beſchieden.“ 

„Allerdings, antwortete Juſſuf lachend, »erz 
warten uns dann die Horris (ſo ſprach er das 
Wort aus), aber der Prophet geftattet uns, eine 
Frau, die wir befonders lieben, mit unter dieſe 
aufnehmen laffen zu dürfen.“ 

„Die Türken,“ fuhr die Tochter des Gouverneurs 
fort, „müffen übrigens weit zartlicherer Natur 
ſeyn als die europätfchen Liebhaber, denn der 
Braͤutigam verficherte mir bei unferm legten 
Beſuch, daß ihm die Schnfucht nach feiner Braut 
Tag und Nacht Feine Ruhe laffe, obgleich er fie 
noch nie gefehen habe.“ 

»DBielleicht eben deßwegen;“ meinte der far; 
Faftifche Hausarzt. 

Das Denehmen Zuffufs wer eben fo fein 
und hoͤflich, als impofant in feiner einfachen 
Natürlichkeit, nicht ohne Stolz gegen die Männer, 
vertraulic) und einfchmeichelnd gegen die Damen. 
Doch war etwas Unheimliches wie im Othello 


118 


dabei, an deffen Charakter er mich oft erinnerte, 
So fagte er einmal von einer ſchoͤnen, bier fehr 
gefeierten Dame: „Je m’oserais pas laimer. 
Comment pourrais-je le supporter, de lui 
voir fair la cour par tout d’autres!« Er 
hatte einen füperben perfifchen Candſchar im 
Gürtel, den nach Tiſch die Geſellſchaft neugierig 
betrachtete. Als die reizende Gräfin Erlon ihn 
in die Hand nahm, fagte er mit dem ſanfteſten 
Lächeln: „Madame, vous pouvez le toucher 
hardiment, avec celui la je n’ai pas encore 
coupe de tete.“ 

Der Pallaft des Gouverneurs gehörte früher 
einem der reichften Mauren der Stadt, und ift 
faft das einzige von Franzoſen bewohnte Gebäude, 
was auch im Innern faſt ganz unverändert ges 
blieben if. Wie in den übrigen Haͤuſern bildet 
auch hier, nur in größeren Dimenfionen der mit 
Säulengangen umgebene innere Hof die Haupt— 
piece, Alle Zimmer find aber bier geräumiger, 
und prächtig mit Vergoldung und bunten Farben 


119 


geſchmuͤckt; Treppen, Ihäreinfaffungen, Säulen 
fammtlic) aus weißem Marmor, die Gapitale 
und Fenftergitter vergoldet, die Waͤnde bis zur 
Bruſthoͤhe mit Porzellaintafeln eingelegt, Plafonds 
und Thüren Funftreich gefchnigt u. f. w. Diel 
originelle Meubles fielen mir auf, unter andern 
fehr bequeme, aber unfoͤrmlich große fauteuils, 
wie auch eine feltfame Bettftelle in Grün und 
Gold, mehr im Geſchmacke der Zeit Ludwig des 
Vierzehnten, als im Charakter des Orients, vielleicht 
noch eine gemachte Beute aus jener Epoche. 

Ich begleitete den Gouverneur mit ſeiner Familie 
ind Theater, wo une femme.de l’empire leidlich, 
und nachher eine Farce, le divorce, beſſer gefpielt 
wurde, als ich fie auf jrgend einem Provinzial- 
theater in Frankreich gefehen habe. Das dritte 
Stuͤck konnte nicht gegeben werden, weil die 
Directrice ploglich erfranft war — man fagte: 
in Folge der foudroyanten Nachricht, daß die 
Municipalität ihr ftatt einer Zulage von zwölf 
taufend Franken jährlich, wie fie fie bisher genoffen, 


120 


fortan nur die Hälfte geben wolle. Dies fcheint 
mir eben fo mißverftandene Defonomie im Kleinen, 
als fie das Goupernentent, durch die Kammern 
gezwungen, auch bei Verwaltung der Angelegen— 
heiten Ulgiers überhaupt im Großen anwendet. 
Diele find 3. DB. der Meinnng, daß man mit 
6000 Mann Truppen nıehr, alle wünfchenswerthe 
Mefultate erreichen, und ſich dann weit genug 
verbreiten Fonnen würde, um mit Öicherheit 
folche Stellungen auf die Dauer einzunehmen, 
welche eine wahre Herrfchaft über die Regence 
begründen, und wenigftens die Cultivirung der 
Ebene von Metidschia möglich machen würden. 
— Die, welche die hiefigen Verhältniffe am 
genaueften Fennen wollen, verfichern, daß, wäre 
der Bey von Eonftantine befeitigt, aller Wider: 
ftand der Araber von felbft aufhören würde, da 
fein Beifptel und feine Sntriguen der Ießte Anker 
find, der fie an dem alten Zuftend der Dinge 
fefthalt. Dann, fagen fie, Fönnte ein wahres und 
erfolgreiches Civilifattonsprojeet Afrifa’s beginnen, 


121 


wahrend bis jett alle angewandten Mittel und 
Koften nur als Palliative wirkten. Noch andere 
behaupten dagegen, man habe zu viel Truppen 
und müffe nur im böchften Nothfall die Einge 
bornen befriegen, ftatt deffen fie vielmehr durch) 
Geld bearbeiten, und ihr Intereſſe trennend, nach 
Macchiavel's Regel, Einen durch den Andern im 
Zaum halten; wenn man aber einmal felbt aufträte, 
dürfe man auch nicht die mindefte Schonung walten 
laſſen, wozu nicht fowohl die vielen Truppen als eine 
größere Energie nöthig fey. Ich kann über Alles 
dieß nicht urtheilen, aber jeden Unpartetifchen muß 
es in Verwunderung feßen, daß die Franzofen 
nach vichährigem Befisthum, mit 15,000 Mann 
Truppen und fo vielen angewandten Millionen 
es noch nicht einmal dahin gebracht haben, daß 
man vier Stunden von der Stadt fich ohne 
Escorte hinauswagen darf, zwei- bis dreitaufend 
Mann dazu gehören, um eine Ereurfion nach 
dem acht Stunden entfernten Belida zu unter: 
nehmen, der Atlas in gleicher Entfernung ganzlich 


122 


unzuganglicy geblieben ift, und die fruchtbare 
Ebene von Metidschia, obgleich bereits faſt ganz 
lich verfauft, dennoch wüft liegen bleibt, weil die 
Colontften darauf weder ihres Eigenthums noch 
ihres Lebens ficher find. Und dies ift um fo auf 
fellender, wenn man bedenft, daß das türfifche 
Goupernement früher mit 7000 QTürfen des 
ganze weite Reich, von den Örenzen Maroktos 
bis denen von Tunis, in Gehorſam hielt. Es 
fcheint in der That, daß die Sranzofen, bei allen 
ihren übrigen glänzenden Eigenfchaften, die Kunft 
des Golonifirens entweder nur fchlecht verftchen, 
oder das Gouvernement gar nicht die Abficht hat, 
Algier für immer zu behalten, fich aber dem fo 
enthuftaftifc ausgefprochenen Willen der Nation 
nicht offen entgegen zu feßen wagt. Iſt dies 
Lestere der Fall, fo glaube ich für mein Theil, 
daß es vollkommen Recht bat, und daß vielleicht 
ein Erabliffement, dem der alten Nitterorden von 
Malta und Serufalem ahnlich, nach dem Zeit: 
geifte motipirt, und unter den allgemeinen Schutz 


123 


der europaifchen Mächte geftellt, dem Zwecke beffer 
entfprechen würde, 

Aber das Poſtdampfſchiff ift im Begriff ab- 
zufegeln, und ich muß fchließgen. Eben verläßt 
mich eine Deputation des Handelsftandes, um 
mich zu einem großen Balle einzuladen. Ich 
muß ſchon mieiner Eitelkeit das Vergnügen goͤnnen, 
zu fagen, daß der Sprecher der Herren mich mit 
den Worten anredete: „La reputation, qui vous 
a devance, m. P., nous fait vivement desirer, 
que vous nous fassiez l’honneur d’assister a 
notre petite fête.“ In Algier ift dies immer 
recht artig für einen armen Lauſitzer Edelmann, 
den die Natur nur beſtimmt hatte, zu Haufe Haafen 
zu fchießen und Kohl zu pflanzen. Verzeih' der 
Schwäche, die ich hier an den Tage lege, und 
lahft Du mich ein bischen aus, fo gefchehe es 
mit derfelben gutmüthigen und fchalfhaften Liebens- 
würdigfeit, die Dir bei jeder Gelegenheit, Du 
mochteft tadeln oder loben, mein Herz im Lauf 
der Zeit Immer inniger zuführte, 


124 


Empfange, von diefer Wahrheit innig über: 
zeugt, mit Liebe und Freundfchaft mein erftes 
Lebewohl aus dem andern Welttheil. 


Dein treuer 


H. S 


Rerse - Iaıue nal, 


(Ber Sitten fhildern, und das wahre Bild eines 
Landes, fo weit er es kennen und beurtheilen lernte, auf- 
ftellen will, dem muß es auch erlaubt feyn, frei mit 
der Sprache herauszutreten. Die zu ängftliche Decenz 
und Zimperlichteit moderner, überwohlanftändiger Reiſe— 
befohreiber bringt dadurch faft immer [im großen Gegenfaß 
der fühneren Alten] nur ein verwäffertes undeutliches Ge— 
mälde hervor, und wir fünnen daher Semilaffo , unferer 
Anſicht nach, nicht tadeln, wenn er von ihnen abzumweichen 
wagt, halten es aber zugleich für unfre Schuldigfeit, den 
Damen zu ratben, daß fie den folgenden Tag überfchlagen 
möchten.) 


126 


Algier, den 17. Januar 1835. 


Es ift die Zeit des Rhamadan, wahrend dent, 
um fich für das Faſten am Tage zu entfchadigen, 
die Mufelmanner den Abend und die Nacht 
durchſchwelgen. Als ein pflichtfchuldiger Reifender, 
ein Opfer meines Handwerks, machte ich daher 
diefen Abend mit einem jungen Franzoſen cite 
Entdefungsreife in den gänzlich dunfeln, labyrinths 
und höhlenartigen Straßer, nebft vielen feltfamen 
öffentlichen und geheimen Orten der Stadt. Hatte 
Diefes furchtfame, an Sclaverei gewühnte, unters 
würfige Volk einen Banditen-, Diebes- oder 
Uebercivilifationg = Charakter, gäbe es z. B. in 
Italien oder England cin folches Stadtlocal wie 
diefes, Ich möchte mich nicht, ohne bis an die 
Zähne bewaffnet zu ſeyn, in dunkler Nacht hin; 
einwagen. Hier iſt Dagegen durchaus nichts zu 
fürchten, als höchftens von Seit zu Zeit In eine 
Pfübe oder einen Kothhaufen zu treten, oder mit 
dem Kopf an einen zu niedrigen Bogen, einen 


127 


hervorftchenden Balken und dergleichen anzurennen, 
wenn nicht gerade cin vorübergehender Maure, mit 
feiner hohen Papterlaterne die Straße momentan 
erleuchtend, den Weg deutlicher erkennen läßt. 
Man Fann, fobald es finfter geworden ift, nicht 
fünf Minuten in der Stadt umhergehen, ohne 
von einem Ruffiano, die hier meiftens junge 
Knaben find, angefprochen zu werden, der Einen 
dann im ziemlich verftändlichen Franzoͤſiſch Alles 
anbietet, was der gefunde, wie ber verfehrtefte 
Geſchmack nur verlangen Tann, als: reizende 
Juͤdinnen, die meiftens verheiratbet und Feines: 
wegs Freudenmadchen nach ceuropäifcher Urt find; 
alte dicke maurifche Weiber, die, mit Gold und 
Brimborions aller Art behangen, daliegen, und 
aus einem großen Houkah rauchen, welcher einer 
Schraube ohne Ende gleicht, aus dem fie den 
Dampf durch Waffer widerlich fchnalzend ein- 
ziehen; Negerinnen mit hängenden Brüften ; braune 
Mädchen bis zum Alter von zehn Fahren herab, 
mit gefärbten Nageln und Augenbraunen u. f. w. 


128 


Fa, ic weiß nicht, was einer verfchrobenen Ein— 
bildungstraft nicht alles fonft noch auf Verlangen 
hier vorgeführt werden möchte! Es verſteht ſich 
von felbft, daß für einen Europäer die meiften 
diefer Schaufpiele fo ungeheuer eckelhaft find, daß 
man alle feine Reifepflicht zufanmennehmen muß, 
um fih nur zu ihrem Anblick entfchließgen zu 
konnen; doch machen zuweilen einzelne tableaux 
auch eine vollftandige Ausnahme. Co Trfchien 
mir folgendes fo frappant, daß ich es gewiß nie 
vergeffen werde, 

Mir wurden von unfern zwei Ruffiani, einem 
fchönen, aber zerlumpt angezognen, fiebzehrjährigen 
Juͤngling, und einem, in eine braune Capuze 
gewickelten, ebenfalls recht hübfchen Knaben von 
höchftens 12 Jahren, durch einen langen ſtock— 
dunfeln Zrichter von Gaſſe Trepp auf Trepp ab 
geführt, bis wir auf eine blendend vom Mond 
erleuchtete Terraſſe kamen, die uns plößlich) das 
Meer und die geifterbleiche Stadt überfehen lich. 
Von hier verloren wir ung von Neuem in Adgyp- 


129 


tische Sinfterniß, und befanden ung nad) Erfteigung 
weniger Stufen in einem ganz auftändigen, mit 
ZTeppichen belegten Gemach. Hier faßen, wie 
drei Gößenbilder unbeweglich, mit unterfchlagenen 
Beinen, drei junge Mädchen, in verfchiedne Farben, 
zwar reich, aber nach unfern Begriffen immer 
mehr oder weniger ſchmutzig gefleidet. Sie waren 
mit golduen und filbernen Ketten, Münzen u. f. w. 
behangen, trugen eine Art Hufarenjaden mit gold- 
nen Schnüren und Furzen offnen Aermeln, durch- 
fihtigem Muslin über dem Bufen, die nur bie 
an die Wade reichenden Beinkleider aus demfelben 
Stoff, an den nadten Armen und Beinen große 
Kinge, lange Gloden in den Ohren und einen 
Shawlturban auf dem Kopfe. Zwei rauchten 
aus dem Houkah, eine, mit aller Grazie eines 
Pariſer Stugers, Cigarren. Sie grüßten uns 
weder, noch nahmen fie fcheinbar irgend eine 
Notiz von und. In der Ede fand, an die 
Wand gelehnt, ein Franfer Wahnfinniger, in eine 
zerriffene wollene Decke gehüllt, mit einem leichens 


Semilaffo in Afrika, I. 9 


130 


Ahnlichen Antlitz. Zwei Banfe an der Thüre 
waren leer. Wir feßten ung, müde von dem 
langen Umpherfteigen, auf die eine, die Buffiani 
auf die andre, und nun hatten wir alle Muße, die 
uns noch immer fchweigend gegenüber vauchenden 
Schickſalsſchweſtern auf das genauefte zu betrachten. 
Sie waren alle drei huͤbſch, aber von dem ver— 
fchtedenften Ausdruck, nur fi) ahnlich durch den 
metallartigen Glanz der Augen, und die blendende 
Weiße ihrer Zähne, wie durch die gleiche rothe 
Farbung der Nägel und Fohlfchwarze der Augenz 
braunen, die Ichtern noch durch einen Etrich in 
eins zufammengezogen, was allerdings den Augen 
einen erhöhten lustre zu geben fcheint. 

Die, welche rechter Hand von uns faß, mochte 
achtzehn Fahr alt feyn und war eine orientalifche 
Schönheit, Das heißt fehr corpulent, aber dennod) 
wohl proportionirt. Sie fah eben fo apathifch als 
unmwohlwollend aus, und hatte, troß ihrer regelz 
masigen Züge, etwas Gemeines und Charafterlofes. 
Die Mittelfte, die ich höchftens fünfzehn Jahr 


131 


(hatte, zeigte ein wahres Ideal der Zungfranlich- 
feit, im firengen griechifchen Styl, mit einer 
ſchoͤnen jugendlichen Bruft nach derfelben Vor: 
ſchrift. Sie blickte eisfalt, ernft und melancholifch. 
Die Dritte, mit einem Stußnäschen und zterlich 
aufgeworfnen Lippen, angenehmer Fülle und 
fhalfhaft ausgelaffuer Miene, glich) ganz einer 
Franzofin aus dem Süden, und war die Einzige, 
die uns, obgleich immer noch ftillfchweigend, 
mehrmals anlachte, und nach einiger Zeit endlich 
dem Gelüfte über uns zu fpotten nachgebend, 
ſich woahrfcheinli mit irgend einer boshaften 
Bemerkung, zu der Dicken wandte, Die jedod) 
nur mit einem erneuten quirlenden Zuge aus ihrem 
Houkah antwortete. Die maurifche Sprache in 
Algier ift angenehm, bis auf einen gewiffen Ton, 
anferm Ch ähnlich, der haufig wiederfehrt und 
fatal Elingt, Uebrigens hat fie etwas — wie foll 
ic) fagen — von Natur Geziertes oder Affectirtes 
(denn es gibt auch ein folhes im Gegenfaß 
zu dem Mbfichtlichen), was jedoch im Munde 


132 


der Jugend nicht ohne Reiz ift. Nachdem alfo 
die Kleine vergeblich ihre Gefährtinnen zum 
Lachen oder in beffere Laune zu bringen gefucht, 
und die Corpulente nur damit noch zorniger 
gemacht zu haben ſchien, denn fie fprudelte etwas 
einer Verwänfhung nahe Kommendes hervor, 
wandte fie ſich an uns und frug in gebrochnem 
Sranzöfifch mit italianifchen Worten untermifcht, 
ob wir militairifche Chefs wären? So begann 
endlich die Unterhaltung, die indeffen, fo weit 
wir und gegenfeitig durch unfre Interpreten verz 
ftandlich machen Tonnten, immer nur auf diefes 
eine Mädchen beſchraͤnkt blieb. Auf unfre Bitte 
ftand fie auf, und machte nachher wenig Umftände, 
wie auf dem Sclavenmarkt, ihre Neize dem Anz 
blick preiszugeben. 

Als ich ihr meine Verwunderung Außerte, daß 
fie ihre huͤbſchen Hände und Füße durch eine, 
altem Mahagoniholz gleiche, braunrothe Farbe 
fo serunftalten möge, meinte fie: das Fame blos 
auf den Geſchmack an, unfre weißlichrothen Nagel 


133 


ſchienen ihr eben fo haͤßlich als uns die braunen, 
und die Franken wüßten überhaupt gar nicht, 
was fchon ware. Als wir darauf nicht viel zu 
entgegnen fanden, fing fie an, mit anmutbiger 
Stimme cin mehr als crotifches franzoͤſiſches 
Lied zu fingen, von dem fie jedoch nur die erfien 
Zeilen behalten hatte, die fie daher auf lacherliche 
Meife immerwährend wiederholte, was ich bier, 
felbft nicht einmal, nachzuahmen wage Go 
willig diefe Schöne ſich nun zeigte, fo fpröde 
war die jugendliche Mittlere, welche weit mehr 
den Effect einer Priefterin der Veſta als der 
Venus auf uns machte. Nur mit der größten 
Mühe bewogen wir fie aufzufichen, und kaum 
ließ fie uns ihre fchlanfe Taille einige Sekunden 
bewundern, während die Dicke, wahrfcheinlidy er— 
bittert, daß wir von ihr gar Feine Notiz zu nehmen 
fchienen, und derb auszufchelten begann. Nachdent 
wir, ohne darauf zu achten, noch cine Weile mit 
der andern gefcherzt, frug die Kleine, indem fic 
ihre Cigarre aus dem Munde nahm und uns 


134 


keck in die Augen bliefte: ob es nur unfre Abficht 
fey, fie anzufchen? Der junge Franzoſe antwortete 
mit der Lebhaftigfeit feines Alters: Que notre 
intention sans doute n’allait pas plus loin; 
mais qu'il la payerait bien, si’ elle voulait nous 
donner avec le jeune homme, qui nous avait 
amend, une scene de la tendresse moresque. 
En entendant ces mots grossiers, que la tra- 
duction de Jinterprete rendait encore plus 
humiliants, le sang monta de colere au visage 
de la jeune fille, qui, regardant avec une fierte 
melde de mepris celui, qui Yavait offensee, dit; 
Un Ruffiano est trop au dessous de moi; et 
elle ajouta encore quelques mots, que nous ne 
pouvons repeter littralement, mais qui ca- 
ractérisent trop bien les moeurs des habitant« 
de ce pays pour eire passes sous silence. 
Le sens de sa phrase £tait que, si mon com- 
pagnon était si curieux, il n’avait qu’ a se 
charger de son röle aupres du jeune homme, 


pour ©tre entierement satisfait. Diefe monftröfe 


135 


Abfertigung decontenaneirte den unvorfichtigen Anz 
greifer dergeftalt, daß ihm alles fernere Spaßen 
verging. Wir warfen darauf den drei Mädchen 
einige fpanifche Piafter hin, was ihnen fehr viel 
zu dünfen fchien. Die beiden Ruffiani, die wir 
jet entliofen, erhielten SZeder 20 Sous, und 
waren gleich dankbar dafür, 

Mir begaben uns nun in eine Art Theater 
der Mauren, wo Ombres chinoises vortreiflich 
dargeftellt wurden. Hier aber überfticg die Ob— 
feönträt alle Vorſtellung. Der Hauptheld des 
berühmten Volksſtuͤckes war der Rieſe Carragus, 
welcher einen Priape zur Schau trug, mit dem 
er vor den Augen der gravitätifch rauchenden 
Zufchauer ausführte, was in diefer Hinficht denk; 
bar und (für uns) nicht denkbar ift. Das Ende 
des Stuͤcks beftand darin, daß cin Piket franzöftfcher 
Soldaten den Riefen gefangen nehmen wollte, 
worauf er fi) des erwähnten Priape ald Waffe 
bediente, und zulegt das Pifet damit glüdlich in 
die Flucht fchlug. 


136 


Nach dem Schaufpiel befuchten wir einen 
Maͤdchenball, der alle Monat zum Benefiz des 
Meruar, Vorgeſetzten diefer Klaffe (ein fürmlicher 
Roi des Ribauds, welcher für Ausübung diefer 
Charge dem Gouvernement jährlich 20,000 Franken 
zahlt), fatt findet. Die Mädchen, felfam und 
phantaftifch wie Priefterinnen angezogen, tanzen 
nicht zuſammen, fondern eine nach der andern 
allein, indem fie mit Tüchern dazu wehem Die 
Hauptbewegung bei dieſem Tanz beſteht in ganz 
beſondern, hoͤchſt unſchicklichen Convulſionen, von 
wolluͤſtigem Mienenſpiel begleitet, um den phyſiſchen 
Genuß deutlich auszudruͤcken. Ungeachtet einige 
dieſer Maͤdchen ſchoͤn und nicht ohne Grazie waren, 
wirkte doch das Ganze auf Europaͤer gewiß nur 
hoͤchſt widrig. Die maͤnnlichen Zuſchauer, welche 
Gefallen an der Taͤnzerin finden, und dies durch 
Geſchenke bethaͤtigen wollen, naͤhern ſich ihr mit 
einem Zeichen, worauf ſie ihren Tanz unterbricht, 
und ihr Geſicht, gegen den Galan gewandt, in 
die Hoͤhe hebt. Dieſer nimmt mehrere Muͤnzen 


137 


in die Hand, die er. erſt mit feinem Speichel 
befeuchtet, und fie ihr dann auf Stirn, Wangen 
und Kinn aufflebt, worauf er fie kuͤßt. Sobald 
dieß gefchehen, büct fie fich über einen Teppich 
und fchüttelt den Kopf wie ein Pferd, damit die 
Geldſtuͤcke herabfallen, die der Chef für fie in 
Empfang nimmt. Man Fann fi) kaum etwas 
MWiderfinnigeres und Edelhafteres denken als diefe 
Operation, Wahrend die Eine tanzte, Fauerten die 
übrigen neben ihr auf dem Boden und rauchten ; 
die Tanzende felbft aber trank haufig (wie unfere 
Vorleſer) Zuckerwaſſer. Daß auch alle anwefenden 
Manner rauchten, braucht wohl Faum erwähnt 
zu werden. 

Wir befchloffen unfre, meiftens penible Tour, 
mit DBefichtigung eines der angefehenften Caffee: 
haufer, wo ein maurifches Concert viele Leute 
verfammelte. Diefes bot uns wiederum ein fehr 
originelles Charafterbild dar. 

Auf einer mit Teppichen behangenen Eftrade 
faßen auf ihren nadten Beinen, bunt und felbft 


138 


ziemlich reinlich gekleidet, vier Muſiker mit den 
ausdrucdsvollften Geſichtern, die in ihrer Art 
durchaus Feine ungefchieften Künftler waren. Zus 
erſt links ein Fugelrunder unformlicd) dicker Neger 
mit einem höchft gutmuͤthigen Mondfinfternißgeficht, 
der mit rüßrenden Grimaſſen die Zither fpielte. 
Neben ihm ein fchoner, alter Araber, mit langem 
weißen Bart, welcher eine Art Geige ſtrich, und 
mich, der nahe herangetreten war, auf das Freund— 
lichſte, jedoch immer wuͤrdevoll anblickte. Ihm 
folgte ein junger Maure von eben ſo hellem Teint 
wie ein Europaͤer, der die Trommel ſchlug. Der 
Letzte der kleinen Truppe war ein ſtarker Mann 
von dunkelbrauner Geſichtsfarbe und wahrſcheinlich 
gemiſchtem Blute, mit ſtruppigem ſchwarzen Bart, 
und dieſer blies eine Art Floͤte. Die Muſik, welche 
die Leute machten, hatte etwas Wildes, Abruptes 
und Fremdartiges, war aber keineswegs unange— 
nehm. Da mich das ganze Schauſpiel ſehr ergoͤtzte, 
legte ich ein Fuͤnffrankenſtuͤck auf den Teppich, 
worauf das Orcheſter ſogleich mit vieler Gewandt— 








139 


heit aus der Nativnalmufil einen Uebergang in 
eine befannte europaifche Melodie bewerkſtelligte, 
offenbar uns zu Ehren, weßhalb auch der Alte 
mit dem weißen Bart mir mehrmals lächelnd 
dabei zuwinkte, und feine kleinen Augen, die wie 
ein paar Kohlen funkelten, Fomifch Dazu verdrehte. 
Mir liegen uns jet Caffee geben, den in Fleinen 
Zaffen ein Negerfnabe fehr reinlich ferpirte, und 
auf Verlangen auch geftoßnen Candiszucker hinzu— 
fügte, Obgleich mit dem Eat vermischt, fanden 
wir doch Beide diefen Trank vortrefflich, und weit 
beſſer als in den hiefigen franzöfifchen Caffechaͤuſern. 
Eben fo gut war der türfifche Tabaf, von dem 
ich, mitten unter den in ftolzer Ruhe hingelagerten 
Mufelmannern, eine Pfeife mit Vergnügen rauchte, 
Sonderbar ift die Mode, daß in diefen Häufern 
fein Preis für das, was man darin genießt, 
feſtſteht. Man zahlt wörtlih nach Belieben. 
Denn man gebe noch fo wenig, es wird nichts 
mehr verlangt, eine reichere Gabe jedoch mit vielem 
Danke angenommmen. 


140 


Sp hatten wir denn au) unfern Rhamadan, 
im Geift des Landes, freilich grotesk und für die 
Augen zum Wehthun indecent, aber doch merk; 
würdig und faftend gefeiert! 


Den 1B. 


Ich machte einige Vifiten. Unter andern eine 
intereffante beim Admiral. Er ſprach während 
derfelben mit vieler Anerkennung von den Eng: 
ländern, und fagte im Verlauf der Unterhaltung: 
es bliebe immer cine fehr angenehme Erinnerung 
für ihn, gewiffermaßen Zeuge des erften Auf- 
fproffens der großen Laufbahn des Herzogs von 
Wellington gewefen zu feyn. Sch befand mich, 
fuhr er fort, im Jahr 99 an der Tafel des 
Gouverneurs Lord Melleslen in Galcutta, bei 
dem fein Bruder Eir Arthur, wie er damals hieß, 
als Oberſt Adjutantendienft verrichtet. Mean 
wußte bereits, daß die Truppen gegen Zippo 
Saib einen großen Echee erlitten hatten, und es 


142 


fiel daher Zedem auf, ald dem Gouverneur bet 
Tiſch eine Depefche überbracht wurde, die er 
fogleih, und mit deutlichen Zeichen der Unruhe 
las. Sie enthielt, wie man nachher erfuhr, cin 
hoͤchſt dringendes Geſuch des General en chef 
um außerordentliche und ſchleunige Huͤlfe, widrigen— 
falls er an dem Heil der Armee a muͤſſe. 
Nachdem Lord Wellesley die Hiobspoſt wieder 
zuſammengefaltet hatte, ſchickte er ſie ſeinem 
Bruder. Dieſer ſah den Brief mit großem 
Gleichmuth nur fluͤchtig durch, und legte ihn 
unter ſeinen Teller, worauf das Diné auf die 
gewoͤhnliche Weiſe verlief. Doch ſobald ſich die 
Gaͤſte entfernt hatten, ward ſchleunig Kriegsrath 
gehalten, in dem die Mehrheit einfach dafuͤr 
ſtimmte, ohne allen Zeitverluſt alle disponibel zu 
machenden Truppen der Armee zur Unterſtuͤtzung 
zu ſenden. „Nein,“ ſagte der nachherige Mann 
des Schickſals, „außerordentliche Zuſtaͤnde verlangen 
auch außerordentliche Mittel. Der Gouverneur 
muß thun, was vor ihm noch Fein anderer 


143 


Gouverneur getban hat. Er muß felbft, was 
von Truppen zufammen zu raffen tft, ins Feld 
führen, und fich auch damit nicht begnügen, fondern 
augenblicklich durd Proclamationen alle Behörden 
anfeuern, und alle treuen Unterthanen zur Hülfe 
gegen den allgemeinen Feind aufrufen. Dies 
geſchah; der größte. Enthuſiasmus ergriff alle 
Klaffen, Tippo Saib, diefer gefahrlichfte Feind der 
Engländer, ward in einem blutigen denfwürdigen 
Kriege befiegt, und Wellington’s milttatrifcher 
Ruhm begann von diefem Augenblife an feinen 
immer fteigenden glanzenden Lauf, ohne daß felbfi 
Napoleons allmächtiger Stern ihn zu hemmen 
vermochte. 

Mit Vergnügen börte ich auch den Admiral 
über feine Verhaͤltniſſe zu dem vorigen Dey 
fprechen, an den er vor der großen Kataftrophe 
abgefendet wurde, um die legten Verſoͤhnungs— 
verfuche zu machen. Der Dey, ein ernfter, 
melancholifh ausfehender Mann, empfing ihn, 
von einer prachtvollen Garde umgeben, die von 


144 


Gold und Zuwelen ftrogte, mir vieler Mürde, 
und ſchien im Anfang fehr friedfertig. Bei der 
zweiten Audienz hatte ſich Dies jedoc) durch fremden 
Einfluß vollig geändert, und die Behandlung des 
Admirals war fo feindlich), daß diefer faft jede 
Ruͤckſicht bei Seite ſetzte, und merfwärdigermeife 
den Dey Alles genau vorher prophezeite, was 
ihm nachher wirklich widerfahren if. Als man 
nah dem Hafen zurücgefehrt war, frug der 
algierifche Admiral, deffen Einfluß die Sranzofen 
immer befonders nachtheilig empfunden hatten, 
und der fie mit wahrer Wuth haßte, was das 
Endrefultat der Conferenz gewefen fiy. Es war 
höchft wahrfcheinlih cin Gluͤck für Herrn de la 
Bretonniere, daß er die Geiftesgegenwart befaß 
zu antworten: Er ſey zufrieden und noch fiy 
feineswegs die Hoffnung auf eine gütliche Aus— 
gleichung verloren — ſonſt hätte, bei dem ex— 
asperirten Zuftande der Zürfen, feinem geben 
gewiß die hoͤchſte Gefahr gedroht, denn Taum 
hatte er fiin Schiff erreicht, als er auch ſchon 


145 


immediat nach dem Bekanntwerden des ungünftigen 
Reſultats feiner Conferenz eine volle Ladung von 
allen Hafenbattericen erhielt, und da nur ein fehr 
ſchwacher Wind wehte, blieb er diefem Feuer 
eine geraume Zeit lang ausgeſetzt. Er hatte die 
Seftigfeit und Kaltblütigkeir keinen Schuß zu 
erwiedern, obgleich er einige Leute verlor und 
fein Schiff nicht ohne Befchadigung blieb. Sehr 
ergoglich fchilderte mir nachher einer der Conſuln 
den Enthufiasmus, den diefes befonnene Benchnien 
bei einem englifchen Capitain erregte, der mit 
feiner Mannfchaft die Sache von den Wallen mit 
anfah. Diefes Original unterhielt fich fortwährend 
laut mit dem Admiral, als ob diefer ihn hören 
fonnte. „Well, my boys,“ rief er, „don't fire. 
Let the rascals alone! Haug them! Beauti- 
fully behaved! An Englishman could’ ut do 
better“ u, ſ. w. 

In der That rettete der Admiral ohne Zweifel 
fein Schiff durch jein Faltıs Blut, denn ab 
gerechnet, Daß bei der geringften Erwiederung 

Semilafio in Afrika, J. 10 


146 


das Feuer der Algierer noch weit mörderifcher 
geworden feyn würde, waren auch alfe Seeleute 
der Meinung, daß eine Kanonade vom Schiff 
aus wahrfcheinlich den geringen Luftzug, der es 
endlich glüdlicy aus der Nhede brachte, gebrochen, 
und auf der Stelle, wo es fich befand, einen 
völligen calme herbeigeführt haben würde, 

Als das Zahr darauf der Dey entthront nach 
Paris Fam, fügte es der Zufall, daß er auf der 
Tribüne der Deputirtenfanmer bei feinem erften 
Erfcheinen im Publifum mit Herren de la Bre— 
tonniere zufammentraf. Der Admiral glaubte aus 
Delicateffe die Bekanntſchaft nicht erneuern zu 
müffen, doch ward der Dey feiner Faunt anfichtig, 
als er ihm fogleic) feine Dofe ſchickte (eine orienta— 
lifche Artigkeit), und ihn anftandig bitten ließ, 
ihn fobald als möglich zu befuchen. Der Admiral 
fügte fid) dem Wunfche mit Vergnügen und 
ward vom Dey fehr freundlich empfangen. „Wir 
würden ung,“ fagte er lächelnd, „hier nicht treffen, 
wenn ich Ihren Rath befolgt und Ihrer Vorher 


147 


fagung beffern Glauben gefchenft hatte, Sie find 
der Einzige, von dem ich je die volle Mahrheit 
gehört, und darum rechne ich Ste auch zu meinen 
beften Freunden, Uebrigens,“ feßte er hinzu, 
„bedaure ich nicht allzufchr, was ich verloren, 
denn ich war nie glücklich im Beſitz nreiner Macht !« 
Das Letztere glaubt man heut zu Tage gern einem 
jeden Herrfcher, in Afrika, wie in Europa! ; 
Abends fand der große Ball der Kaufmann: 
fhaft ftatt, welder, den maurifchen Salon 
abgerechnet, den man hübfch mit bunten Lampen, 
Blumen und Fahnen decorirt hatte, einem frans 
zöfifchen in allen Dingen vollfommen aͤhnlich fah. 
Höchitens gaben ihm einige mit Gold behangene 
Juͤdinnen, die früher in Pantoffeln mit nacten 
Beinen gingen, und jetzt auch fihon Strümpfe 
tragen, etwas Tremdartiges. Die hübfehefte unter 
ihnen war die Tochter des, chemals hier eine 
große Rolle fpielenden, jeßt aber ruinirten Bacri, 
des Rothſchilds von Algier, jedoch ohne das 
Genie und das Gluͤck des europäifchen Heros. 


148 


Doc) bei weitem die intereffantefte Figur dieſes 
Balles war wieder Zuffuf, der mit feinem trüb 
und ftolz lächelnden Nomangeftcht, heute in ganz 
fhwarze Mameluckentracht gehullt, einen Foftbaren 
rothen Shaw! mit blauen Blumen um den Kopf 
gewickelt, und einen großen Dianıant an feiner 
weißen Hand, Byrons Corſaren, täufchend vers 
gegenwärtigte. Eine Weile fah ich von der Galerie 
walzen und galoppiren,, dann tödtete ich die Zeit 
in einer Partie Wpift mit dem. Gouverneur, 
machte unterfchiedliche neue Befanntfchaften, bes 
wunderte viele frifche Toiletten, einige wenige 
fhöne Frauen, drangte und ließ mich drangen, 
und fühlte ein füßes Behagen — als ic) mid 
wieder zu Haufe in meinen vier Pfahlen befand. 


Den 19. Januar. 


General Rapatel hatte mich evertirt, daß er mit 
2000 Mann einen Zug nad) Buffarik unternehmen 
würde, und mir angeboten, ihn zu begleiten, was 
ih mir Eifer annahm. Es ward ausgemadt, 
daß ich mid am andern Morgen im Camp 
von Duera an die Truppen anfchliefen, und die 
Tour bis dahin nad) meiner Bequemlichkeit zu: 
rüclegen möge. Der General hatte die Artigfeit 
mir eine Escorte anzubieten, die ich jedoch, da ic) 
die Straße bis Duera in cinem folchen Augen: 
blick als belebt genug vorausſetzen durfte, ausfchlug. 
Um drei Uhr Nachmittags machte ich mich mit 
dem Bretagner und Herrn Klimerath, einem 
Neveu des General Rapp, der früher in der 


150 


Marine gedient, eine Zeitlang Corfar gewefen tft, 
und ſeitdem faft die ganze Welt zu feinem Ver; 
gnuͤgen durchftreift hat, alle wohlbewaffnet auf 
den Meg. Ein arabifches Miethpferd ift, wie es 
fcheint, einem europäifchen eben fo überlegen, als 
ein Beduine der Wüfte einem unferer Stadtkinder. 
Das meinige, obgleich fehr alt und einäugig, hat 
fi) wenigftens in dem Lauf diefer zwei Tage als 
eins der beften ausgewiefen, die ich je geritten. 
Nach Allem, was ich hier fehe, fcheint mir über: 
haupt die hiefige Pferderace, wenn auch mit der 
acht arabifchen Aftens nicht zu vergleichen, dennod) 
viele Vorzüge zu befien. Sie verräth überall 
noch ihre frühere hohe Abftammung von den 
Pferden der Wüfte, fpater mit den fpanifchen 
gekreuzt, und hat dazu den Mortheil, den fie 
vielleicht vandalifchen Pferdeblut verdankt, eben 
fo wenig Wartung, Pflege und Futter als die 
ruffifchen und Kofadenpferde zu bedürfen. Man 
läßt die armen Thiere bier oft, mit Schaum 
bedeeft, ohne Decke im Falten Winde ftehen, und 


151 


wirft ihnen, wenn fie noch außer Athem find, 
fogleich Stroh und Gerfte vor, die fie mit Appetit 
verzehren. Die Reinheit. ihrer Beine und die 
BVortrefflichfeit ihrer Hufe, bet folcher Behandlung 
und fo großen Strapazen, ift bewundernswürdig, 
und in diefem Punkte ftchen ihnen felbft die erften 
Pferde der Erde, die englifchen, bedeutend nad). 
Schön find fie nie, doch auch felten ganz haßlich, 
weil fie meiftens zwedmaßig für den Gebrauch 
gebaut, d. h. weder zu lang noch zu hoch, und gut 
ins Gleichgewicht geftellt find. Das Kreuz ift faft 
immer etwas abfchüffig und auch den Schweif tragen 
fie in der Regel nur wenig gehoben, doc) find fie 
fräftig im Hintertheil. Ihr Temperament ift im 
Allgemeinen feurig, befonders in Gefellfchaft, oder 
wenn fie erft etwas animirt find. Auch haben 
fie viel Dauer, Die Hengfte ficht man jeden 
Augenblick Fampfluftig untereinander fich heraus; 
fordern, und leicht nehmen fie, bei unzweckmaͤßiger 
Behandlung, allerlei Unarten an, die ihnen nachher 
wieder fchwer abzugewöhnen find, Weiß im 


152 


Segentheil der Reiter mit ihnen gut umzugehen, 
fo attachiren. fie ſich auch an ihn, und zeigen, 
wie alles edlere Blut, viel Ehrgefuͤhl. Das 
Regiment der Türken hat auf die hiefige Pferdes 
zucht den übelften Einfluß gehabt, weil fie jedes 
ausgezeichnete Pferd, was ſie bei einem Einge— 
bornen fanden, fogleich wegnabmenpund diefe daher 
ſich bald nur auf folche befchranften, welche die 
Habgier ihrer Unterdrücer nicht zu. reizen im 
Stande waren. 

Duera ift 6 Lieues von Algier entfernt, die wir 
auf einer durch Militair verfertigten guten Lands 
firaße in dritthalb Stunden gemächlich zurüdlegten. 
Während der erſten Stunde kamen wir bei einer 
großen Anzahl, zum Theil zerftörter, Villen vors 
bei, alle weiß wie cararifcher Marmor, und da 
das Wetter außerordentlich ſchoͤn war, genpßen 
wir, die vielen Windungen des Weges langfam 
empor ftetgend, mit wahrem Entzücen die ver— 
fhiednen reichen Ausfichten, die ſich bald auf 
diefe retzenden Landfige, und den darunter liegenden 





153 


Golf mit dem Aratsch, bald auf die Stadt mit 
ihren verfchiedenen Forts und Minarets; oder 
auf die weite Ebene von Metidschia, mit der 
maison quarree, dem Fort de Yeau und den 
ferner Cap Matifu eröffneten, Hinter der Plaine 
lagerte fich majeftätifch der Atlas, aus dem der 
mit Schnee bedeckte Dschordschora, in der 
Sonne flitternd, emporftieg und mit ätherifchem 
Silberglang das tief dunkelblau gefarbte Vor— 
gebürge prachtvoll umftrahlte. In der Nähe fah 
man von Zeit zu Zeit eine einzelne Palme, Cypreſſe, 
oder einen Haufen Bananen, große herzfürmige, 
und ſchoͤn violet gefärbte Blüthen tragend, aus dem 
Gewirr der Cactus und Aloe’s heroorragen, und 
die entlaubten großen Feigenftamme fchimmerten 
anmuthig mit ihren weißgrauen Aeſten durch das 
dunkle Laub und die goldnen Früchte der Orangen- 
und Citronenbäume, Beim Fort de l’Empereur, 
das an dem höchfien Punct der Straße erbaut, 
und von den Algierern Carl dem Fünften zum 
Hohn fo benannt wurde, ift der umfaffendfte Punct 


154 


für Diefe impofante Ausficht, welche der Oberftz 
lieutenant Preaur, in feinem MWerfe über Algier, 
felbft der von Eonftantinopel gleichftellen will. 

Bei mehreren Blockhaͤuſern und einzelnen Fleinen 
Redouten vorüberfommend, erreichten wir einige 
Zeit darauf EI Ibrahim, eine neue Colonie, wo 
wir das Vergnügen hatten, durch bettelnde euro⸗ 
paͤiſche Gaſſenjungen an die liebe Heimath erinnert 
zu werden, Auf der Anhöhe ſtanden mehrere 
Suaven, und ich bedauerte Feinen Zeichner bei 
mir zu haben, um die malerifch ſchoͤne Stellung 
diefer Schildwachen zu firiren, die mit e.nem Arm 
auf ihr Gewehr gelehnt, den andern in die Seite 
geftemmt, und einen Fuß nachlaͤßig über den andern 
gefchlagen, in ihrer pittoresfen Tracht, wie ein Bild 
fühner Ruhe in die Gegend hinausfchauten, 

Die Suaven find eine orientalifch gefleidete 
Infanterie, worunter jedoch nur ein Feiner Theil 
Eingeborner des Landes von dem Stamme fich 
befindet, der eigentlich den Namen Suaven führt. 
Ihre Zracht erfcheint mir als ein Mufter von 


155 
Eleganz und Zwedmäßigkeit. Sie befteht aus 
einem rothen Fez mit einem turbanartigen grünen 
Bund darum gewunden, einer blauen tärkifchen 
Jacke mit rothen Bandfchnüren, blauer MWefte mit 
gleicher rother Befeßung, einen blauen türfifchen 
Bund um den Leib, fehr weite kurze Hofen, die 
unter dem Knie feftgehaft find, vom Knie bis auf 
den Knöchel lederne feftanfchließende Gtiefletten, 
kurze weißleinwandne Kamafchen und ftarfe Schuhe. 
Fade und Wefte find nad) orientalifcher Manier 
ohne Kragen oben rund gefchnitten, und der Hals 
bloß. Iſt es Falt, fo tragen fie beliebig ein Tuch 
lofe darum gefchlagen. Ihre Maffen find ein 
Gewehr mit Bajonett, ein Furzes breites Schwert, 
wie die Nömer führten, und die Patrontafche 
tragen fie ſehr zweckmaͤßig vorn, über den Bund 
um den Leib gefchnallt. Ihr fleiner Zornifter, 
nur mit den allernöthigften Dingen gefüllt, wiegt 
höchftens fünfzehn bis zwanzig Pfund, und wird, 
nicht wie bei uns, mit dem unbequemen Bruft- 
riemen, fondern an zwei fchmaleren Niemen über 


156 


die Schultern gehangen. In diefer Kleidung wird 
jede Bewegung des Körpers leicht und ungehindert 
ausgeführt, und fie ift warm und luftig zugleich. 
Bei einem Fälteren Clima würde es nur nothig 
feyn, noc) den Mantel hinzuzufügen. Hätte ich ein 
Freicorps in Europa zu errichten, ich würde mir 
feine allen militairifchen Zwecken "ntfprechendere 
Tracht auszudenfen wiffen, denn ich habe nie 
recht begreifen koͤnnen, was man bei uns mili— 
tairifche Kleidung par excellence zu nennen 
beliebt. Ein Soldat, der in feine Uniform, die 
nie eng genug feyn kann, wie eine Welpe zus 
fammengefchnürt ift, der einen fehweren und harten, 
Augenkrankheit und Schmerz verurfachenden Czako 
auf dem Kopfe tragt; außerdem Gewehr und 
einen zu nichts ordentlich dienenden Sabel, der 
ihn beim Marfchiren auf die Waden fchlägt, an 
Mantel und ZTornifter (welcher letztere ihm die 
Bruſt durd) die Art feiner Befeftigung noch ein: 
klemmt) 42 Pfund zu ſchleppen hat — ein ſo 
gemarterter Soldat, ſage ich, ſcheint mir hoͤchſt 


157 


unmilitairifch ausgeftattet zu ſeyn. Auch 
erwies ſich dies mehrmals fchon im Frieden, 
unter andern bei dem Marſch des 37. preußifchen 
Snfanterieregiments im Sommer 1832 von Witten: 
berg nach Eoblenz, wo unterwegs an einem fehr 
heißen Tage blos vom 2. Bataillon diefes Regiments 
fieben Leute an den Folgen ihres militairifchen 
Coſtuͤms den Geift aufgaben. Einige von diefen 
fürzten wahrend des Marfchirens auf der Stelle 
todt nieder, 

Von der Höhe EI Ibrahim’s verfolgten wir 
mit dem Auge das Gebürge bis gegen Oran hin, 
und erblickten zu unfern Füßen Sidi Ferruch, 
wo die franzöfifche Expedition bekanntlich landete, 
ohne faft irgend einen Widerftand zu finden. 

Bon hier bis Duera ift die Gegend kahl, und 
leider hat die franzöfifche Eroberung auf ihrem 
Wege dem Lande überall viel alte Baume gekoſtet, 
ja man foll in diefer Hinficht oft ganz unverant- 
wortlid verfahren feyn. So behaupten Augen- 
zeugen, daß bei Duera die fchönften Palmen 


158 


abgehauen wurden, um fie zur Schmüdung eines 
Bivouaks wieder Alleenweife in die Erde zu 
rammen. Die, dem Anfchein nach, Feineswegs 
unfruchtbaren, fondern nur vernachläßigten Landes, 
die fich hier unabfehbar hinziehen, find jett nur 
mit Dornen, Staudengewächfen, Myrthen und 
Palmita's (Phoenix humilis) "bedeckt, deren 
MWurzelmarf eine fehr beliebte Speife ift und im 
Geſchmack völlig unfern Hafelnüffen gleicht. Feld— 
hühner, Haafen und wilde Schweine werden hier 
häufig angetroffen. 

Der erfte Gegenftand, dem wir im Camp 
von Duera begegneten, war eine fpantfche galante 
Dame, die von einem Offizier und zweit arabifchen 
Spahis, in ihren weißen über den Kopf geftülpten 
Bernus, escortirt, fpazieren ritt. Nach und nad) 
wurden mehrere ausgeftellte Poſten, die ver 
ſchiedenen Gebäude des feften Lagers, und die 
Bretterbuden der Anfiedlerfichtbar. Wir galoppirten 
ſchnell hindurch um von einem Hügel noch die 
Sonne Hinter dem Atlas Hinabfinfen zu fehen, 


159 


und fuchten dann erft eim nicht fehr leicht zu 
findendes Unterfommen Für die Pferde schaffte 
man zwar bald Rath, indem man ihnen in der 
Scheune eines Epiciers einen Platz anwies, für 
uns felbft aber Fonnte nichts befferes als cine 
Streu in dem Fleinen Schlaffabinet des Haus: 
wirths ausgemittelt werden. Dagegen erwartete 
uns in dem Caffe de l’Armee d’Afrique, wo 
bereits ein Billard, Lefecabinet und Reftaurant 
etablirt ift, ein dine en regle mit Bordeaur und 
Champagner, der jedoch vom Kunftfenner fchwerlich 
unter die Originale rangirt worden wäre, 

Als wir nach aufgehobener Tafel hinaustraten, 
umfing uns am 18. Januar die fihönfte warme 
Sommernabt, mit einem Himmel voll gold: 
glänzender Sterne, und dem cben Dunfelroth 
herauffteigenden Monde, Lange irrten wir noc) 
unter diefem prachtvollen Zelt im ftillen Lager 
umher, nur von Zeit zu Zeit von einer bartigen 
Wache angerufen, und philofophirten über Dieffeits 
und Senfeits, über die Erde und über die Sterne, 


160 


unter welchen leßteren zu unferer Verwunderung 
der manurifche Knabe, der uns zum Ueberfluß mit 
einer Laterne vorleuchtete, fo gut Beſcheid wußte, 
als habe er Aftronomie, wie wir, aus den lettres 
a Emilie findirt. Nur mit Zögern Fonnten wir 
uns entfchließen, dem ſchoͤnen Schaufpiel zu ent: 
fagen, und unfere Schritte wiewe der mehr als 
befchetonen Herberge zuzumwenden, wo man uns 
obendrein mit fehr verdrüßlicher Miene empfing. 
Der unbekannte Grund diefes Mißgeſchicks klaͤrte 
ſich erft fpater auf eine drollige Weife auf. Wir 
hatten nämlic) mehrere Brovifionen mitgenommen, 
welche in eine alte Kifte gepackt worden waren, 
auf der, ihrem früheren Inhalt gemäß, noch mit 
großen Buchftaben gefchrieben fand: 350 chan- 
delles. Der vierzehmahrige Sohn des Epicier 
ermangelte nicht, nachdem wir das Haus verlaffen, 
feinen Vater auf diefe inhaltfchweren Worte auf: 
merffam zu machen, und es war nach Diefer 
Entdekung der beftürzten Familie Fein Zweifel 
übrig geblieben, daß fie hier mit einem formidablen 


161 


Rival zu thun befäme, und die Schlange felbft 
im Buſen nähre, die damit umginge, den Kichter- 
handel in Duera an ſich zu ziehen. 

Glüdlicherweife hatte ich) noch Luſt einige 
Drangen zu effen, wo denn der bei Auspadung 
‚derfelben gegenwärtige Hauswirth, feinen Irrthum 
erfennend, in der Freude feines Herzens uns 
das eben Mitgetheilte aufrichtig offenbarte. Sch 
mußte noch auf meiner Streu darüber lachen, 
daß in meiner erften Rolle in Afrika das Schickſal 
mic) als Lichterhaͤndler auftreten laffe — immer 
‚beffer noch, dachte ich bei mir felbft, ald im 
Daterlande die eines Lichtauspußers fpielen zu 
müffen. 

Schon um 5 Uhr am nachften Morgen Fam 
ein Adjutant des Generals, Capitaine Bonprand, 
um mich nebft meinen Begleitern zum Frühftüd 
bein General einzuladen, nach dem fogleich aufs 
gebrochen werden follte. Unfere Toilette dauerte 
nicht lange, und in wenigen Minuten folgten wir 
dem intereffanten Begleiter, den ich mit Erftaunen, 

Semilaſſo in Afrika, I. 11 


162 


fhon während des Furzen Weges, in der deutfchen 
und franzöfifchen Literatur beffer bewandert fand, 
als ich mich es felbjt zu feyn rühmen darf; was 
freilich nicht viel fagen will, aber bei einem franz 
zöfifchen Offizier immer felten angetroffen werden 
mag. Unfer Gefellfcehafter hats, mit liebens—⸗ 
würdiger Heiterkeit, im Morgennebel ſchon ein 
Dutzend der fchönften Stellen aus Göthe, Schiller, 
Dante und Taſſo, geſchickter als ein deutfcher 
Declamator recitirt, als wir bei des Commans 
direnden dampfender Gaffeefanne anfamen, der 
diefer felbft gleich darauf folgte. Oeneral Ras 
patel ift einer der ausgezeichnetften Generale der 
frangofifchen Armee, und von eben fo angenehmen 
Sitten ald einer Tapferkeit, die feine Camaraden 
von ihm fagen ließ: „quwil avait jure de se 
faire tuer a chaque affaire, sans pouvoir 
jamais y reussir.« In feiner legten Expedition 
gegen die Hajuten, an der meinen befcheidenen 
Theil als meugteriger Reifender zu nehmen, ich 
leider zu fpät gefommen bin, chargirte er von der 


163 


Spite feines Generalftabes in eigner Perfon die 
wilden Bergbewohner, um cinen vom Pferde 
gefallenen Spahi zu retten, dem man eben den 
Hals abſchneiden wollte. Es gelang ihm aud), 
und diefe chevaleresfe That riß felbft die jüngften 
Conferibirten zu unaufhaltfamem Enthuſiasmus 
mit fich fort. 

Nach Furzem Aufenthalt feßte man fich zu 
Pferde, und folgte den ſchon vorausgegangenen 
Truppen, die wir mit dem Aufgang der Sonne 
in dem defile einholten, das aus den Hügeln 
nad) der weiten Ebene von Metidschia hinabführt, 
und wo fpanifche Guerillas ung wahrfcheinlic) 
ſchon unfanft empfangen haben würden. Das 
Heine Corps beftand aus zwei Bataillonen regu— 
lairer Snfanterie, meiftens junge Conferits, die 
bei der letzten Expedition zum crftenmal im 
Feuer gewefen waren, dem Bataillon der Suaven, 
deffen Ruf unter dem Commando ihres ausge 
zeichneten Anführers, de la Moriffiere, täglich fteigt, 
zwei Schwadronen der Chasseurs d’Afrique, 


154 


einigen fünfzig arabifchen Spahis mit langen 
fhwarzen Barten, faft wie alte Weiber gekleidet, 
aber mit einer langen Flinte, Sataghan und 
Piſtolen Friegerifch genug bewaffnet, und endlic) 
einem Detafchement Artillerie mit vier leichten 
Kanonen (pieces de montagne), deren jede auf 
practicablen Wegen von zwei Maulefeln gezogen, 
und wo es das Terrain nöthig macht, felbft 
den Thieren aufgeladen werden Tonnen, Ein 
Maulthier tragt dann die Kanone, das andre 
die Lafette. 

Man marfchirte mit großer Vorſicht und allen 
Präcautionen, wie in eines unternehmenden Feindes 
Land, vor deffen Ueberfall man ſich nie ganz ficher 
halt. Eben fo forgfaltig war die Aufftellung der 
Truppen vor Buffarik, als wir bei einer fchönen 
Gruppe hoher Silberpappeln und einem chrwürz 
digen, gewiß mehrere hundert Gahre zahlenden, 
Delbaum Halt machten. Um uns her war die 
ganze Ebene mit Dleanderfirauchern durchwebt, 
die in der Blüthe einen prachtigen Anblick 


165 


gewähren muͤſſen, und einige Haufen von dichten 
Gebuͤſch bildeten zierlicye Bouquets in der weiten 
Flache. Auf dem nahen Atlas ſah man nichrere 
Eignalfener der feindlichen Araber auffteigen, 
während die befreundeten Stämme ruhig auf ihren 
Kameelen, Pferden und Efeln zum Markte hers 
beizogen, welcher auf diefem , Buffarik genannten 
Plage alle Montag ftattfindet, feit der legten 
Strafunterncehmung aber kaum zum Drittheil mehr 
fo viel Zufpruch als früher hat, auch durch die 
üble Stimmung der Gebürgsftamme fehr unficher 
geworden ift. 

Ein wohlberittener Trupp arabifcher Krieger 
fam, als eine Art Deputation, dem General 
entgegen, um ihm einige neue Raͤubereien der 
Hajuten zu melden. Die Mannigfaltigkeit und 
der fcharf gezeichnete Ausdruck diefer wilden Ger 
fihter war mir hoͤchſt auffallend, um fo mehr, 
da man eine fo große Ausbildung der Indivi— 
dualität gewöhnlich nur einer langen Givilifation 
zufchreibt. Uebrigens, wenn ich richtig in ihren 


166 


Seelen gelefen — und der Befehlehaber der Suaven, 
der feit vier Jahren fie genau ftudirt, und mir 
viel merfwürdige Details über fie mitgetheilt hat, 
betätigt es — fo war Schlauheit, Fanatismus, 
Stolz und Verachtung der Fremden darin am 
deutlichften ausgeprägt, obglsich die Nothwendigkeit 
fie jeßt zu momentaner Unterwerfung zwingt. 
Herr von Moriffiere unterfchied übrigens den 
Charakter der verfchiedenen Ueberbleibfel alter 
Nationen, welche die hiefige Bevölkerung aus- 
machen, eben fo beftimmt, als er verficherte, 
diefe Abkunft fchon aus ihren aͤußern Formen 
leicht zu erfennen. Die Kabylen hielt er für die 
achten und nur wenig vermifchten alten Numidier, 
die alteften uns befannten Herren diefes Bodens, 
die Hajuten für Stämme von vandalifcher Ab- 
kunft; Beduinen, Mauren, Neger, Juden fprechen 
fi) beim erften Anblick felbft aus. Sie find 
noch), was ſie waren, 

Nachdem man auf den Cantinen fiend, ein 
impropifirtes Mahl eingenommen, und dazu aus 


167 


ladirtem Leder ganz guten Wein getrunken hatte, 
titten wir auf den, ungefahr noch eine Viertel 
ftunde von unferm Lagerplaßge entfernten Markt. 
Da alle dort Gegenwartige — es mochten ungefähr 
an 1000 Seelen feyn — gleichmäßig in fchmußige, 
weiße Mäntel und gleichfarbige Capuchons gehüllt 
waren, fo gab das Ganze Feinen fehr abwed)- 
felnden, aber einen deſto feltfameren Anblid. 
Einige der anmwefenden Chefs hatten fehr gute 
Pferde und Waffen, wollten fie aber nicht ver- 
kaufen. Den meiften diefer Pferde waren die 
Echwänze und Maͤhnen abrafirt, was ihnen faft 
das Aufchen von Maulefeln gab, bei denjenigen aber, 
wo die Haare fchon wieder etwas gewachfen waren, 
gli) die Rübe ganz einem Schaaffchwanz, und 
nahm ſich nichts weniger als elegant aus. Sch 
bemerkte, daß cin Reiter, von wildem Anfehen, 
ein ſehr fchönes langes Schwerdt von grader 
Form, mit einer vergoldeten Scheide in erhabner 
Arbeit und einem ganz eigenthümlichen Griff aus 
Horn, vielleicht noch eine Waffe aus der Zeit 


168 


des griechifchen Kaiferthbums herftammend, an 
feinem Sattel hängen hatte, und bat daher einen 
franzoͤſiſchen Offizier, der arabifch ſprach, ihn zu 
fragen, ob er es verfaufen wolle. Wider mein 
Vermuthen war die Antwort bejahend, und die 
Forderung fehr mäßig. Er ‚verlangte zehn Duros 
(ſpaniſche Piafter, die einzige Münze, welche diefe 
Leute bis jet annehmen wollen), dafür, Un— 
glüclicherweife hatte ich Feine Piafter bei mir, 
und vergebens bot ich ihm in frangöfifcher Gold: 
münze doppelt fo viel als er verlangte, (denn 
die Waffe war noch weit mehr werth) er wollte 
kaum einen Bli der Verachtung auf mein Gold 
werfen, ja er ſchien fogar durch das Anerbieten 
deffelben wie beleidigt, verfteckte, nach wenig ges 
wechfelten Worten, ſein Schwerdt unter den 
Mantel, und ritt, indem er mehreremal mir dem 
Kopf ſchuͤttelnd fehr nachdruͤcklich: No, no, no, 
rief, in voller Earriere den Bergen zu, ohne wieder 
zurücdzufchren. Sch fah ihm noch verdrieglich 
nad), ale cin Gensd'armes herbeifam, und mir 





169 


eine Botfchaft vom Doctor des Gouverneurs 
brachte, der mich einlud, zuzufehen, wie er den 
Franfen Arabern Medicin austheile. Sch fand 
den DOperirenden in einem verfchloßnen Zelt, vor 
einer Kifte mit Paketen aller Art und einem Tifche 
voller Slafchen ſitzen; neben ihm fand ein Dols 
metfcher, und an der fchmalen Oeffnung des Zeltes 
ein Diener, der auf einmal immer nur eine 
Kranken hereinließ. Die meiften Patienten litten 
am Magen, viele auch an fpphilitifchen Uebeln. 
Der gute Doctor, der gewiß eine große Wohlthat 
für diefe armen Leute ift, hatte auch vollkommen 
die nöthige ſchnelle Entfchliegung bei folchen Ger 
legenheiten, denn er fann nie eine Sekunde über 
den vorgetragenen Fall nach. Ehe dem Dolmetfcher 
noch das legte Wort entfallen und der Patient 
die Zunge nur herausgeftreckt hatte, war auch 
fhon die Entfcheidung erfolgt und die Medicin 
in des Lebteren Händen. Sch glaube,.er hätte 
auf diefe Weife in einer Woche halb Afrika curirt; 
ob indeffen fowohl die Krankheitsgefchichte als 


170 


die ertheilte Inſtruction durch den Dolmetfcher in 
diefer Schnelligkeit immer ganz richtig wieder: 
gegeben wurde, mag der Himmel wiffen, jedod) 
verficherte der Doctor, daß diefelben Individuen 
felten wiederfämen, woraus er denn, mit einigem - 
Opgptimismus, Schloß, daS fie ohne Zweifel aud) 
geheilt feyn müßten. 

Neben dent Zelt dieſes erpeditiven Aeskulaps 
war ein anderes, der Themis gewidmetes, auf: 
gefchlagen, wo der Cadi die Gerechtigkeit — vb 
verfaufte oder nur handhabte, kann ich nicht ent: 
fcheiden, denn er brach leider fchon auf, als ich 
hinzukam. Ganz zufrieden geftellt mußte er indeß 
Einige doch nicht haben, denn fie erfchtenen noch 
nachträglich beim General, der fich aber auf nichts 
einlaffen wollte, was den Civilfach angehore. 

Wir überliegen nun den Markt feinem eigenen 
Schickſal, und nahmen den Rückweg, der ungefähr 
12 Lieues betrug, durch die Ebene zwifchen dem 
Meere und den Bergen hin. Nur wenige Stellen 
fanden wir fumpfig, der größte Theil war ein 





171 


fruchtbarer Lehmboden, haufig mit einer üppigen, 
dichten und hohen Vegetation von Strauchern 
verfcehtedener Art bedeckt. Viele Pläße waren 
schon mit ziemlich gutem Grafe bewachfen und 
vollig troden. Doch ift im Sommer die ganze 
Ebene höchft ungefund, und die graffirenden Fieber 
den Europäern fo todtlich), daß die meiften ſchon 
bearbeiteten Vachthöfe in der Nahe des Meeres, 
unter andern auch die vom Gouvernement an 
gelegte ferme modele, wieder haben verlaffen 
werden müffen. Demungeachtet hat fait alles 
Terrain bis Belida hin, deffen weiße Haäufer 
wir in der Ferne erblidten, und wohin fich Fein 
Europaer anders als im Gefolge einer Fleinen 
Armee wagen darf, Käufer gefunden. Es find 
Speculanten, die. es meiftens nie mit Augen 
gefehen und für ein Spottgeld erftanden haben, 
und noch liegt diefes Land in unberührter Jung— 
fräulichfeit da, Mein Begleiter, Herr Klimerath, 
geftand mir lächelnd, felbft in diefe Falle gegangen 
zu ſeyn, und jeht ſchon aus zweiter Hand ein 


172 


Haus mit einem. herrlichen DOrangengarten nebft 
800 Morgen Aeder in Belida zu befitzen, das er 
wahrfcheinlicy in feinem ganzen Leben eben fo 
wenig fehen, als einen Pfennig Einkünfte davon 
ziehen werde. 

Sollten ſich indeſſen bie Umſtaͤnde andern, fo 
fonnte alles dies dennoch bald eine ganz andere Ge— 
ftalt gewinnen, ja wäre ich ein reicher Gapitalift, fo 
würde ich Fein Bedenken tragen, mich hier nieder: 
zulaffen. Mit einem bedeutenden Vermögen wäre 
nichts leichter, als fich felbft, ganz ohne Hülfe des 
Gouvernements, eine Feudaleriftenz wie im Mittel- 
alter in Europa zu gründen. Man würde ein 
großes Terrain nahe der Küfte Faufen, fich eine 
befeftigte Burg bauen, die ganze Beſitzung leicht, 
fchon durch einen bloßen tiefen Graben mit hohem 
Yufwurf und einer Banquette dahinter, vielleicht 
noch) von einigen Blockhaͤuſern oder Nedouten 
flanfırt, vor den Angriffen der Araber fchüßen, 
fünfzig bis Hundert Bewaffnete als Garnifon 
in feinen Dienft nehmen, und mit den nächften 


173 


Stammen fich durch gelegentliche Gefchenfe in 
ein gutes DVernehmen zu feßen fuchen. — Bald 
würde man dann in vollfommener Sicherheit be- 
deutende Revenüen, einen fehr großen Einfluß, ja 
eine wahre Macht in der Gegend erlangen koͤnnen; 
ein accidenteller Tleiner Krieg mit den wilden 
Horden des Atlas ware aber im folcher Lage nur 
ein intereffanter Lebensreiz mehr, und eine anz 
muthige Uebung ferner Kräfte. Sp hätte man 
auf der einen Seite Mittelalter und Fehde, auf 
der andern moderne Civilifation mit gebildeter 
europatfcher Gefellfchaft und vaterlandifchen Sitten, 
überall aber eine Freiheit, fein Leben nach) Be— 
lieben zu geftalten, eine Selbſtſtaͤndigkeit und 
Unabhängigkeit, wie fte in Europa gar nicht mehr 
möglich ift. Die Franzoſen find jedoch dergleichen 
poetifchen Ideen nicht ſehr zugänglich, finden 
daher fait allgemein ihre hiefige Eriftenz außerft 
unangenehm, fehnen fich herzlich nach baldiger 
Ruͤckkehr, und werden fehwerlich je eine irgend 
bleibende Eolonifation hier zu Stande bringen. 


174 


Unterwegs erzahlte mir der General, als eben 
einer unferer Spahis vorbeigaloppirte, daß diefer 
Mann bei dem leßten Gefecht einen Beduinen, 
der einen feiner Camaraden cerfchoffen, mit feinem 
Säabel niedergehauen habe, worauf er ihm mit 
der größten Schnelligkeit den Kopf abgefchnitten, 
diefen nach hiefiger Art am Steigbügel in einen 
Niemen gehängt (der unter dem Kinn durch 
geftochen und durch den Mund gezogen wird), fo 
im. vollen Galopp mit dem erbeuteten Kopf 
zuruͤckgekommen ſey, und ihn als eine Öalanterie 
dem General vor die Füße gerollt habe. Diefe 
Dperation geht jo fchnell von ftatten, daß man 
einzelne Neiter, oft fchon mit zwei bis drei Köpfen 
an den Bügeln hangend, immer noch) weiter in 
ihren menfchenfreundlichen Bemühungen fortfahren 
fieht. Ein anderer Spahi ritt ein ausgezeichnetes 
junges Pferd, dem ebenfalls, wie denen in Buffarik, 
Schweif und Mähne abrafırt waren; und kaum 
hatte er bemerkt, daß wir es lobten, als cr fogleich 
anfing, es zum Garacoliren und Lancadenmachen 


175 


zu reizen, ganz jo wie ehemals unfere jungen 
Offiziere gern zu thun pflegten, wenn fie bei den 
Senftern ihrer Damen vorbeiritten. Die Araber 
haben, alt und jung, alle diefe etwas Findifche 
Eitelkeit, und ihre Pferde find fo fehr darauf 
abgerichtet, daß man lange Zeit braucht, um 
ihnen dieſes „Männchenmachen®, wie man es bet 
uns nennt, wieder abzugewöhnen. Webrigens find 
fie durchgehends vortreffliche Neiter und auf ihren 
Pferden ganz zu Haufe. Ihre hohen Sättel, die 
Stühlen gleichen, unterffüßen fie dabei fehr in 
einem fefteren Sit und geben ihnen größere Br 
quemlichkeit. Sch finde fie für den Krieg viel 
zwedmäßiger ald die unfrigen, da fie beim 
Stürzen und allen gefährlichen Paffagen dem 
Keiter viel Hülfe gewähren, und ihm dadurd, 
daß er faft aufrecht darin ftehen Fann, beim 
Schießen und Hauen in vollem Galopp außer: 
ordentlich nüßlich find. Es ift auch bequem, daß 
die Bügel zugleich ald Sporen dienen und den 
ganzen Fuß decken. Wegen ihrer Kürze und 


176 


Form ift es beifpicllos, daß Einer je darin hängen 
geblieben wäre. 

Sn Maffe ift die Fechtart der hiefigen Ge 
bürgspolfer von wenig Wirkung, fo gefährlich fie 
auch im Einzelnen find. Sie leiften faft nicht 
eher Miderftand, als bis man fich zurüdzieht. 
Dann verfolgen fie, forfwährend beunruhigend, 
den Feind, ihn im Halbfreis umgebend. Wenn 
man daher, nad) Maaßgabe des Zerrains, in 
gehöriger Weite vom gros de corps ihnen eine 
Schußwehr von Tirailleurs entgegenfeßt, fo Fünnen 
die Colonnen ganz gededt vor einem allgemeinen 
Angriff, ziemlich ficher außer dem Bertich ihrer 
Kugeln marfchiren, 

Als wir uns, um Algier zu erreichen, wieder 
gegen die Bergregion wandten, Famen wir in einer 
pittoresfen Gegend bei einem Blochaufe vorbei, 
wo fich vor einiger Zeit 25 Mann drei Tage lang 
gegen viele hundert Araber vertheidigten, ohne daß 
ihnen dieſe das mindefte anhaben Fonnten. Bei 
diefer Gelegenheit drang ein lahmer Maräbut (eine 


177 


Art Heiliger) bis an die Wande des Blodhaufes 
vor, und fchlug mit feinen Krüden auf die zurüd- 
weichenden Araber los, ohne daß ihn, als fey cr 
wirklich gefeyt, eine einzige Kugel traf, obgleich 
mehr als zwanzig derfelben faft a bout portant, 
auf ihn abgefeuert wurden, Derfelbe Poften hat 
feitdem wegen aria cattiva verlaffen werden 
müffen. 

Man ficht hier in der Ebene mehrere weiße, 
einzeln ftchende Kleine Dome, die folchen Heiligen 
zum Begraͤbniß dienen, und daher, gleich ihnen, 
ebenfall$ Maräbut genannt werden. Sie haben 
einige Aehnlichkeit mit unfern Backöfen. Wir 
trafen viele Vichheerden in der Plaine, aber durch- 
gangig elende, verhungert ausfchende Thiere, Faum 
fo groß als die unfrer armen Wenden. Todte 
Hunde und Schafals lagen mehr als einmal am 
Mege. Drei Stunden von Algier begann wicder 
die Negion der Landhäufer, welche haufig Kleinen 
gothifchen Schloͤſſern glichen und mit ihren Garten 
und Boskets die Landfchaft fehr belebten. Doch 

Semilaſſo in Afrika, I. 12 


178 


ift nur an wenigen Stellen der Anbau ſo forg- 
faltig mehr, als er es fonft gewefen zu feyn fcheint, 
In einem tiefen Thal führte die Straße durch 
einen ausgetrodneten Sumpf, der noch) vor zwet 
Fahren fo grundlos war, daß man beim Marfch 
ein verſunknes Stuͤck Vieh „nicht anders daraus 
hervorziehen Fonnte, als indem man es auf der 
Stelle fchlachtete und in Stüce zerfihnitt. Nach 
einiger Zeit gelangten wir, mitten in Bufch und 
Selen, an ein großes Kaffeehaus, der Brunnen 
des Rais Zbrahim genannt. Ein Theil deffelben 
war mit hohen gemauerten Wafferbehältern um: 
geben, um die Pferde bequem faufen laffen zu 
Tonnen, während die darauf fißenden Reiter ihren 
Kaffee trinken, der unter zierlichen Arkaden faft 
in freier Luft gemacht wird. Diefe Kaffeegefell: 
ihaft von 20 Dffizieren auf ihren faufenden 
Pferden, gab ein uns nicht wenig auffallendes 
Genregemalde ab. 

Um 6 Uhr Abends umfchloffen uns endlic) 
wieder Algiers Mauern. Diesmal waren wir 


179 


von den Arabern ganzlich unangefochten geblieben, 
fanden ung aber defto müder von einem zwölf: 
ftündigen Ritte im ununterbrocdhnen Schritt, das 
Fatiguantefte, was ich Fenne, wenn es nicht durd) 
fo manches neue und intereffante Schaufpiel heute 
reichlich aufgewogen worden wäre. 


Den 20. Januar. 


Dies war ein Schlafrocdstag, den ich der 
Ruhe widmete, und dann tete A tele mit dem 
Soldaten $.... von der deutfchen Legion 
in meinem Gafthof zu Mittag aß. Der neuen 
Befanntfchaft muß ich erwähnen. Als ich bei 
meiner Ankunft in Algier den Crocodil verließ, 
um in die Landungsbarfe zu fleigen, hörte ich 
einen der mit uns übergefhifften 60 Mann 
Soldaten, die mit wurmftichigem Zwieback genährt, 
fortwährend auf dem Verdeck bivouafiren mußten, 
zu einem Camaraden deutfch fprechen, wobei 
mir feine ganze Art und Weiſe eire Bildung 
über feinen Stand zu verrathen ſchien. Sch redete 
ihn daher an, und forderte ihn auf, da ich jet 


181 


Feine Zeit hatte, in Näheres einzugehen, mic) in 
dem afthofe zu befuchen, den ich ihm angab. 
Einige Tage fpater erfchien er und theilte mir fein 
Schickſal mit. Er legitimirte fich, einer angefehenen 
Familie und reichen Verwandten aus dem Hannd- 
verfchen anzugehören, hatte in B..... umd 
BB... ſtudirt, dann in dem Lande, wo feine 
Mutter jet anfaßig ift, eine Zeit lang im 
Militair gedient und nach) gemachtem Dffiziere- 
eramen feine Entlaffung genommen, um feine 
Studien n Ho ........ 30 vollenden, Kaum 
dort angefommen findet er einen Freund und 
Schulcamaraden, der ihn inftändig bittet, ihn am 
andern Morgen bei einem Piſtolendnell zu fefun- 
diren. Er glaubt e8 nicht abfchlagen zu dürfen, 
und der Gegner, ein Graf d......, wird 
erfchoffen, Er muß mit feinem Freunde fliehen. 
Sie erreichen glüdlih Holland und nehmen dort 
Dienfte für Batavia, doch Faum inftallirt, laßt 
ihnen der Oberft felbft rathen, ſich fo fchleunig 
als möglich) aus dem Staube zu machen, da 


182 


er fie fonft ausliefern muͤſſe. Sie folgen natürlid) 
der Meifung und engagiren fih nun bei der 
Fremdenlegion; der Freund wird jedoch unterwegs 
franf und bleibt im Lazareth zu Avignon zurüc, 
FG... 0. allein koͤmmt auf demfelben Schiff mit 
mir hier an, und wird ſegleich zur Straßenarbeit, 
Graben nnd Alveausroden commandirt — aller 
dings ein etwas hartes Loos für einen an luftiges 
Leben gewohnten deutfchen Studenten, wiewohl 
es meiner Anficht nach im höchiten Grade) zweck— 
mäßig und nuͤtzlich ift, die Soldaten, gleich den 
römifchen Legionen, zu gemeinnüßigen Arbeiten 
zu verwenden, ftatt ihnen durch cwiges Ererziren 
den Dienft zu verleiden, oder durch Müßiggang 
Ausfchweifungen unter ihnen zu veranlaffen. 

Der gute Muth und das gefällige Wefen des 
jungen Mannes intereffirten mic), und ich ver: 
fprach, mic) für ihn zu verwenden. 

Sch kann e8 nicht anders als mit dem aufs 
richtigften Danke rühmen, wie diefe Verwendung 
aufgenomnien ward, Kaum hatte ich dem Oberften 


183 


Bernelle und dem commandirenden General 
(Baron Rapatel) die erwähnten Umftände vor: 
getragen, als 5... . fogleich von aller Hand: 
arbeit befreit, und fehon den Tag darauf zum 
titulairen Corporal ernannt ward, was ihm fchnell 
eine ganz anftändige Stellung verfchaffte. Dies 
gli) nur dem, was ich fo oft zu Napoleons 
Zeiten kennen gelernt, aber es freute mic) bier 
doppelt, theil8 um meines armen Landsmannes 
willen, theils aus alter Achtung für das chemalige 
gute Benehmen der franzöfifchen Armee in meinem 
Daterlande Sachen, diefen Geift der Humanitaͤt 
und Billigkeit auch hier in gleihem Maaße wieder 
zu finden, 

Seltſame Schickſale ſieht man im Diefer 
Fremdenlegion zufammengewürfelt! Wer fie alle 
kennte, würde hier eine wahre Fundgrube für 
Almanahserzählungen erbeuten und das beliebte 
Criminelle dabei auch nicht vermiffen. Hier eine 
Beine Skizze: Bruchftüde aus der von dem Aben⸗ 
teurer felbft, und zwar nicht wenig naiv, auf 


184 


geſchriebnen Geſchichte, die man unter feinem 
Nachlaß aufgefunden hat. | 

Meine erfte Garnifon in Spanien war im 
Escurial, ein fo abfcheulich großes Gebaͤude, daß 
nach einem Jahr Aufenthalt dafelbft ich mich 
immer noch nicht allein darin zurechtfinden Fonnte. 
Die Commando’s, die wir von hier gaben, waren 
haufig, doc) in der Regel nur fehwach, und meifteng 
zur Sicherung der Straße nad) Madrid beftimmt. 
Dft befand ich mich mit einem Staliäner dabei, 
der als Sergeant bei meinem Negiment ftand, 
und nicht felten, wenn wir dergeftalt unter ung 
waren, daß er fih auf unfre Verſchwiegenheit 
verlaffen zu koͤnnen glaubte, fielen einzelne Reifende 
durch feinen Schuß oder feinen Dolch, die er 
beide fo gefchickt zu dirigiren wußte, daß ich mid) 
nie erinnere, auch nur einen Laut von den Opfern 
vernommen zu haben. Geld, Kleidungsftüce und 
jonftige Sachen, die man ſich auf diefe Weife 
verfchaffte, wurden ſtets redlid CN vertheilt, 
und meiftentheils in den erfien Tagen verjubelt, 


185 


Doch eines Tages, als er fchon in der Dämmerung 
einen Vorübergehenden im Dickigt mit feiner 
Flinte darniedergeftredt, fanden wir zu uufrer 
größten Befhamung, daß es nur ein armer 
Landmann war, der nicht mehr als neun Sous 
nach unfrer Münze bei fich führte, Mein Gewiffen 
machte mir hier zum erftenmal fo bittre Vorwürfe, 
einem Nebenmenfchen um einer folchen Lappalie 
willen das Leben genommen zu ſehen; daß ich 
den Sergeanten deshalb hart anfuhr. Der Streit 
erhißzte fich, ich fah, daß der bofe Teufel nad) 
feinem Dolche griff, und in der Wuth ftich ich 
ibm meinen Säbel dur) den Leib, Er fanf, 
wie die, welche er früher getroffen, ohne einen 
Laut zu Boden. Von Schreck ergriffen, floh ich 
querfeldein 2... 

Wir finden unfern gewiffenhaften Mainzer, 
nach allerlei Schickſalen, bei der Nationalgarde 
in Romain als Tambourmajor wieder, wo ihm, 
wie er fagt, feine athletifche Figur, ein leidliches 


| Geficht und fchöne Kleider viele genaue Bekannt— 


186 


ſchaften mir dem fchönen Geſchlecht verfchafften. 
Er geräth in Schulden und bedauert mit vieler 
NRechrlichkeit, daß er wohl leider nie im Stande 
feyn werde, fie zu bezahlen. Da er nun zugleich 
das Ungluͤck hat, auf ungefeglichem Wege, nad) 
feinem fcherzhaften Andruck, der Schwiegerfohn 
eines angefehenen Handelsherrn in Romain zu 
werden, jo macht er fich bei erfter Gelegenheit 
mit feinen fchönen Kleidern auf und davon, und 
gedenft, der Freiheit fih widmend, den Polen 
zu Hülfe zu eilen. Preußiſche Behörden ſetzen 
ihn jedoch wahrend des ganzen Krieges feft. Er 
entfommt endlich und reist mit einen polnifchen 
Reitknecht, der ſich für einen Oberften ausgibt, 
und die Mildthätigkeit der Polenfreunde auf alle 
Meife ftark in Unfpruch nimmt, ganz gemächlic) 
wieder nach Frankreich zurüd, Hier laßt er ſich 
zur Veraͤnderung fuͤr Don Pedro nach Portugal 
anwerben. Das ſchlechte Transportfahrzeug leidet 
Schiffbruch, faſt die ganze Mannſchaft ertrinkt, 
nur ihn nebſt zwei Camaraden rettet der nach— 


187 


fichtige Himmel. Er bettelt und ftiehlt fich nach 
Mainz, denn lange ſchon, meint er, hat feine 
Seele ein unbezwingliches Heimweh gequält. Doc) 
entfpricht das Vaterland Feineswegs feinen Er— 
wartungen. In Mainz, fahrt er fort, war damals 
der Verdienft in jeder Hinficht fehlecht, allein 
in einer Kneipe fand ic) einige meiner Jugend: 
freunde fo froh und fo bedeutend zechen, daß mir 
diefer Umftand um fo mehr auffiel, da mir ihre 
Armuth hinlaͤnglich befannt war, Ich ward 
herzlich aufgenommen, und noch an demfelben 
Abend erfuhr ich, dag die ganze hier verfammelte 
Geſellſchaft das einträgliche Gefchaft der Schmug— 
gelet treibe. Ohne mich lange zu befinnen, trat 
ich in ihren Bund und gewann Aller Herzen 
durch Erzählung meiner Schidfale. Zu meinem 
neuen Stande waren unumganglid ein paar 
enorm weite Hofen und ein langes Meffer erforder- 
lich. Beides erhielt ich von der zuporfommenden 
Gefälligkeit meiner Camaraden ſchon am andern 
Morgen, und fo, in diefem Anzuge, meldete ich 


188 


nich noch deffelben Tages auf der Polizei als 
Arbeiter im Freihafen. 

Kaufleute in allen Artikeln haben im Magazin 
des Freihafens bedeutende Vorräthe lagern, und 
ließen fie gewoͤhnlich durch uns umpaden, fäubern 
u. f. w., um dann,trft beim Bedarf fie dort 
abzuholen und zu verfteuern. Hierbei fand nun 
das Schmuggeln ftatt, indem wir ung Seiden- 
ſtoffe, Linnen, Spigen, kurz alle diefem ähnlichen 
Waaren um Schenkel, Waden und Leib wicelten, 
und vermöge unfrer weiten Beinkleider diefe Gegen— 
ftande ftetd unangehalten den Kaufleuten in der 
Stadt, gegen gute Procente überlieferten. Kaffee, 
Zuder, Tabak und dergleichen wurden am Tage 
hinter Steinen und fonftigen paffenden Orten 
verborgen, und in der Nacht auf dem Rhein in 
die Stadt gebracht. Oft fielen Schüffe auf uns, 
oft wurden wir verfolgt, und manchesmal mußten 
wir unfere Bürden abwerfen un beffer fliehen zu . 
fonnen, allein nie ward Einer von uns ertappt. 
Der Verdienft, den wir hatten, war groß genug, 


159 


um daß Jeder fich ungefähr auf 50 bis 60 Gulden 
die Woche ftand. Sicher gemacht durch unfer 
Glück trieben wir die Sache von Tage zu Tage 
weiter, bis endlich die Douaniers verftarft wurden 
und ihre Wachſamkeit fi) nun gleichfalls ver: 
doppelte. Als ich eines Abends mit zwei Stücen 
foftbaren Seidenftoffs um mich gewicelt, har m— 
108 durchs Thor fchlenderte, ruft mich ein Douanter 
mit den Morten an: „Mas haben Sie denn in 
Ihren Hofen?« und tritt fchnell auf mich zu. 
Sauz Faltblütig greife ich in die Taſche, ziehe 
mein langes Meffer heraus und fage, es ihm 
rafch vorhaltend: »Dies!« und der erblaffende 
Zollbeamte laßt mich ruhig in die Stadt gehen. 
Bald aber Fam es noch ernfter, Wir hatten einen 
fehr bedeutenden Transport Kaffee und Zucker 
einzufchmuggeln, allein ein von mir in der vorigen 
Nacht wegen unztemlichen Betragens ftarf durch— 
geprügelter ehrvergefiner Camarad hatte uns den 
Douaniers verrathen, und diefe, um fich des 
Transports defto gewiffer zu bemächtigen, waren 


190 


auf den unglüdlichen Gedanken gefommen, vom 
preußischen 36. Infanterie-Negimente eine Der: 
ftärfung zu requiriren. Nichts ahnend, gelangten 
wir um Mitternacht, 20 Mann im Ganzen, je 
vier und vier zufammengehend, und fchwer beladen, 
in einiger Entfernung vom Raimundithore an, 
als auf einmal auf mich und meine braven drei 
Camaraden mehrere Schüffe fallen, und mit einem 
entjeglihen Schrei mein befter Bufenfreund an 
meiner Seite zu Boden ftürzt, In demfelben 
Augenblid fpringen mehrere preußifche Soldaten 
und Douaniers herbei, um ung zu fangen. Meine 
noch übrigen beiden Begleiter gaben Ferfengeld, 
ich, im Begriff daffelbe zu thun, werde bei der 
Schulter ergriffen. Doch umfonft gab mir der 
Himmel meine Niefenfräfte nicht! Mich um: 
drehen, meinen Gegner mit aller‘ Gewalt der 
Verzweiflung foffen und ihn vom hohen Wall, 
© wir uns grade befanden, hinabfchleudern — 
war das Werk einer Sefunde. Fürchterlich brüllte 
der Hinabgeworfne, der, wie ich am Lederzeuge 


191 


fühlte, ein Soldat feyn mußte, und noch, als 
ich durch einen Schlupfwinfel auf allen Vieren 
in die Stadt kroch, hörte ich fein Flägliches Ge— 
winfel. Unfere Waaren fielen faft fammtlich in 
die Hande der Douanters, doc) außer dem Todten 
ward Feiner von uns erwifcht. Als ich aber am 
andern Morgen den von mir vom Wall hinab- 
gefchleuderten Soldaten, fanft verfchieden mit 
großem Wehklagen in die Stadt bringen fah, hielt 
ih es für das Zweckmaͤßigſte, mein geliebtes 
Baterland abermals mit einer andern Heimath 
zu vertaufchen. 

Zwei meiner Camaraden begleiteten mich und 
wir begaben uns auf den Weg nach Straßburg. 
Ein badenfcher Gensd’armes, der unhöflicherweife 
uns für nicht ganz gut legitimirt anfehen wollte, 
hielt uns im Walde auf einer fteilen Anhöhe an, 
flieg vom Pferde und verlangte unfre Paͤſſe. 
Sch winkte meinen Camaraden langfam voraus: 
zugehen, welches auch der Gensd’armes zulich, 
va ich ihm fagte, daß ich die Papiere für uns 


192 


alle Drei befaße, und ihn fogleich ganz contentiren 
werde. So mit ihm fprechend, während er den 
Zügel feines jungen und muthigen Pferdes forg- 
fam um den Arm gewunden hatte, zog ich unbe— 
merft mein treues Meffer aus der Tafche und 
ſtieß 08 dem Pferde bis ans Heft ins Hintertheil, 
jo daß Dies in ungeheuren Säßen den Berg 
hinabfprang, und feinen fchreienden Neiter auf 
eine Art mis fich fort fehleifte, daß es fehr zweifel— 
haft ift, ob er es je wieder beftiegen hat. 

In Straßburg ohne fernere Störung ange 
langt, ließen wir ung bei der légion etrangere 
engagiren, und erreichten in guter Gefundheit 
Algier. Hier gefällt es mir recht wohl, und des 
Umpherirrens müde, gedenfe ich bald eine meiner 
Frauen nachfolgen zu laffen, zu denen ich, wahrend 
meiner langen Reifen in verfchiedner Herren Länder, 
fo gelegentlich gefommen bin, 


Den 21. Januar. 


Das Elima ift doch eine liebliche Sache hier! 
Ich befie feinen Kamin in meiner Stube, welche 
mit einer Glasthür und drei Fenftern verfehen 
ift, die alle fchlecht fchliegen, und dennoch habe 
ich es noch nie darin weder zu Fühl noch zu warm 
gefunden. Bis jet regnete es nur felten, und 
felbit ein ftarfes Gewitter außerte wenig Einfluß 
auf die Temperatur, Nie erlebt man hier folche 
Schneeftürme wie z. DB. häufig in dem, nicht 
unter viel nördlicherer Breite liegenden Andalufien, 
wo, wie mir noch neulich der Gouverneur erzählte, 
diefer eimmal bei der drüdendften Hitze aus- 
marfchirend, plöglid) von einem fo furcdhtbaren 
Schneewetter überfallen wurde, daß 300 feiner 

Semilaſſo in Afrika, IL. 13 


194 


Leute unterwegs liegen blieben und fiarben, und 
faft eben fo viel noch in den nachften Tagen, an 
den Folgen der entfeßlichen Erkaͤltung, ihr Leben 
verloren. Selbſt Pferde erlagen diefem jählingen 
Froſt. Hier gibt es nur eine Plage der Witterung, 
der Wind der Wifte im Sommer, der jedoch 
felten länger als vierundzwanzig Stunden anhält. 
Nicht ſowohl die Hite, obgleich fie bis zu mehreren 
dreißig Graden fteigt, als die außerordentliche 
Trockenheit der Luft, follen eine ganz eigne, dem 
Europäer faft unerträgliche Pein hervorbringen, 
Niemand verlaßt feine Stube wenn diefer Wind 
weht, und Viele verficherten mich, daß fie fich 
nact auf die Fließen des Bodens geworfen hätten, 
um fich nur einige Kühlung zu verfchaffen. Den 
Soldaten tft es fogar anbefohlen, fich bei 
Annäherung diefes Windes, felbft im Dienft, mit 
dem Geficht auf die Erde zu werfen. Allerdings 
wäre es übel, wenn die beffer gegen den Simum 
abgehärteten Beduinen einmal einen ſolchen Mos 
ment zum Angriff wählten, 


195 


Ich aß beim General Trezel zu Mittag, deffen 
liebenswürdige Gemahlin uns eine fehr belebte 
Beſchreibung von der türfifchen Hochzeit im Haufe 
Muftapha Pafcha’s machte. 

Pracht und Barbarei gingen dort treulich Hand 
in Hand. So waren z. DB. die Zimmer bie zur 
Bruſthoͤhe mit goldgeftidtem Cramoifi-Sammet 
drappirt; die Teppiche von Smyrna und Perfien 
außerft reich; die Ottomanen mit weißem Atlas, 
auf dem große goldne Blumen prangten, über: 
zogen, und mit Phantafiekiffen aller Farben, von 
den geſchmackvollſten Deffeins belegt; die offnen 
Thuͤren und Gitterfenfter mit prachtvollen Muffelins 
fchleiern, deren Stickerei alles Europäifche dieſer 
Art weit übertrifft, verhangen; Die gefchnitten 
Plafonds, voll der Fünftlichften Arbeit, theils reich 
vergoldet, theils in glänzend bunten Muftern ver; 
ziert. — Ms Gegenfaß hierzu aber ſah man 
unmittelbar über der Sammtdrapperte bis zu 
dem koſtbaren Plafond nichts als die Fahle weiße 
Wand; die ganze Erleuchtung beftand in einer 


196 


einzigen großen Kirchenterze, die man in der Mitte 
des Zimmers auf einen Holzwürfel placirt hatte, 
der mit Perlmutter ausgelegt war. Dazu rauchten 
die türfifhen Damen aus Pfeifen mit Juwelen 
befeßt. 

Der Bräutigam, welcher zuletzt kam, war ganz 
einfach gekleidet, die Braut aber mit einer unge 
heuren, wie man fagt, bei folchen Gelegenheiten 
von allen Bekannten und Freunden erborgten Maffe 
von Schmud an Perlen, Edelfteinen und Gold 
beladen. Damit noch nicht zufrieden, waren auch 
mehrere Theile ihres Gefichts vergoldet, namentlic) 
die Augenbraunen, fo daß man Faum von Ihrem 
natürlichen Anfehn urtheilen Fonnte. Doch fchien 
fie den fremden Damen huͤbſch, und von vieler 
fraicheur. 

Dbgleih der Beſuch beinahe zehn Stunden 
dauerte, ward nichts als Caffee au musk und 
Confttüren herumgereicht, wovon die von Quitten 
und Cedrat als vortrefflich, alles Uebrige aber als 
fehr widerlich gefchildert wurde. 


197 


Sch beſchloß meinen Abend beim Gouverneur, 
und verlor zwei Partien Schad gegen feine 
Tochter, nebft einer Partie Dame gegen feine 
Schwiegertochter, nach welcher vollftändigen Nieder: 
lage ich mich an meinen Schreibtifch retirirte, um 
der Pflicht des Neifejournals zu genügen. Der 
Gouverneur, welcher einen nicht zahlreichen, aber 
ausgewählten Kreis alle Abend empfängt, macht 
ein fehr angenehmes praätentionslofes Haus, das 
auch für mic) eine große Reſſource tft. 


Den 23. Januar. 
4 


Da der geftrige Tag faft ganz mit dem leidigen 
Viſiten-Geben und Empfangen hinging, fo fahre 
ich mit dem Schwamm darüber, Am heutigen 
war ein Repraͤſentations-Diné beim Gouverneur, 
wo unter andern auch die fämmtlichen fremden 
Conſuln verfammelt waren, Ich machte mit dem 
Belgiſchen, Herrn Lecoq, Befanntfchaft, an dent 
ich einen hoͤchſt intereffanten Mann fand. Sch 
dankte feiner Unterhaltung eine Menge nüßlicher 
und pifanter Notizen, und gratulire jedem Fremden, 
der Gelegenheit hat, mit ihm in nähere Verbindung 
zu treten. Ein Mann diefer Art ift in fernen 
Landen eine fo doppelt erfreuliche und Nutzen 
dringende Erfcheinung, daß ich hoffe, Herrn 





199 


Lecoq's Befcheidenheit wird mir verzeihen, wenn 
diefes individuelle Urtheil zur Deffentlichfeit kom— 
men follte, was allerdings unter die Möglichkeiten 
gehört. Sonft bot das Mahl nichts Merfwürdiges 
dar, als grüne Erbfen aus dem freien Lande, und 
einen ‚vortrefflichen Sifh, der 5 Fuß lang und 
verhaltnigmaßig corpulent war. Da ich feit einigen 
Tagen etwas an den Augen leide, begab ich mid) 
fhon früh nad) Haufe, wo ich meinem Com— 
miffionaire, einem ftattlichen Juden, Audienz gab, 
der das vorübergefchwundene Regiment der Türken 
fehr bedauert. „Es ift wahr, fagte er heute zu 
mir, man hing und fpiefte uns zuweilen, und 
prügelte ung ſehr, alles um wahrer Zappalien 
willen, aber es war dennoch beffer als jetzt. Wir 
galten mehr und verdienten zehnmal mehr Geld. 
Die Türken, befter Herr, müffen Ste wiffen, find 
faft wie die Engländer, grob, herrifch, aber genereus 
und prachtlicbend. Der Türke fragte nie was eine 
Sache Fofte und handelte nie, Wenn wir Geld 
zu einem Gefchäftchen brauchten, fo ging man zu 


200 


jeinem Gönner, und fagtes Gib uns ſoviel taufend 
Franken, fo und fo viel Procent vom Gewinnft 
geben wir dir ab. Ohne Umftände auf unfer 
bloßes Wort, erhielten wir dag Geld. Und in 
der Zeit erft, ald der Sclavenhandel noch blühte, 
o Mofes und die Propheten, was war das für 
eine gute Zeit! Sehen Sie, die dummen Türken 
und Mauren Fauften immer die ſtarken und robu- 
ften Leute, und bezahlten fie theuer. Wir aber 
ſahen nur nad) den Händen, Waren die weic) 
und zart, oder gar noch) Spuren von abgenommenen 
Ringen daran — hier ſah er faft fehnfüchtig nach 
den meinen — „und die Perfon dazu delifat und 
ſchwaͤchlich, die Waare nahmen wir fofort in 
Beſchlag, und erhielten fie meiftens für ein Spott: 
geld. Mancher Mann wurde da für 50 Piafter 
gekauft, der fi nachher mit 10,000 Ioslöfen 
mußte. Set ift es erbärmlich! Unter uns gefagt, 
die Sranzofen verſtehen das Land nicht, und paffen 
gar nicht hierher. Meit entfernt, daB man von 
ihnen etwas verdienen Fonnte, will nur Jeder von 


201 


ihnen felbft hier schnell reich werden, und fie 
knauſern ärger als wir geringgefchäßten Juden. 
Uebrigens,“ feßte er pfiffig hinzu, „werden fie’s 
wohl nicht zu lange mehr treiben. Seit faft fünf 
Sahren find fie hier, und man kann ja noch nicht 
vor's Thor hinausgehen, ohne zu riskiren, daß 
Einem die Beduinen den Hals abſchneiden. Unſere 
Tuͤrken waren andere Leute! Ich will's Ihnen 
mit zwei Worten erklaͤren: die Tuͤrken nahmen 
viel, aber ſie gaben auch viel; die Tuͤrken ſtraften 
grauſam, aber ſie belohnten auch genereus. Daher 
fuͤrchtete und achtete man ſie. Die Franzoſen 
nehmen nichts und geben nichts; ſie ſtrafen nicht 
und belohnen auch nicht. Daher....* „Aron,“ 
unterbrach ich ihn hier, „laß mich mit der Politik 
ungeſchoren, und berichte lieber, ob du mir die 
marokkaniſche Pfeife und das arabiſche Pferdezeug 
erſtanden haſt.“ 

„Beides iſt bereits im Vorzimmer,“ erwiederte 
er, und ich eilte neugierig, es zu beſichtigen. Dieſe 
Pfeife, halb in geſchlagenem Silber, mit Pailetten 


202 


an Kettchen hangend, und Kernfprüce aus dent 
Koran darauf gefchrieben, 3. B.: Wenn das Wort 
von Silber ift, fo ift das Schweigen von Gold; 
oder: Das Gut gehört nicht dem Geizigen, fondern 
der Geizige dem —— u. ſ. w.; dieſe Pfeife, ſage 
ich, deren uͤbriger Theil aus wohlriechendem, 
glaͤnzenden Weichſelrohr, halb mit Sammt und 
Goldſtickerei umwunden, einem Mundſtuͤck von 
purpurrothen Corallen, und einem mit Goldblech 
uͤberzogenen Kopfe beſteht; erklaͤrt der Student 
ers. für das Schoͤnſte dieſer Art, was feine 
Augen je auf einer deutfchen Univerfität erb.ickt, 
obgleich er mit Stolz hinzufeßt: fie hätten auch dort 
fhon Zürfenpfeifen von folcher Laͤnge befeffen, 
daß, wenn man aus dem zweiten Stod heraus: 
fhauend, daraus geraucht habe, fie auf der Straße 
hätten geftopft werden müffen. Schade, daß der 
felige Hoffmann, als er den jeßt ſchon vergeffenen 
Klein⸗Zaches (o undankbares Vaterland!) fchrich, 
dieſes mein Prachtftück nicht vorher zu fehen 
bekam. Er würde es für immer verewigt haben. 


203 


Ueber den arabifchen Zaum aus Gold und 
bunter Seide muß id) doc) auch noch ein Wort 
verlieren. Er zeichnet fich vor ander Reitzaumen 
befonders dadurch aus, daß er Scheuleder hat, 
und — was das Ungewöhnliche iſt — Scheuleder 
nicht vor, fondern hinter den Augen.) Dieß 
koͤnnte einem gründlichen Philofophen viel zu denken 
geben. Man würde fogar die feltfamften politifchen 
Beziehungen damit in Verbindung zu bringen im 
Stande feyn, wenn man diefe neue Zäumung in 
Europa einführte. Sch bitte den armen Laube, 
der mehr Wis hat wie ich, wenn er erft die 
Berliner Hausvogtet (in der man doch Dichter 
nicht fo lange martyrifiren follte) gleich den Scheu: 
ledern hinter fich hat, diefes Kapitel ftatt meiner 
zu bearbeiten. So viel fehe ich aber felbft fchon 
ein, daß, da eine Ercellenz, die zufällig. Ober; 


*) D. h. diefe Scheuleder decken das Auge nicht, 
fondern reichen nur bis an daſſelbe, und Liegen hinter 
ihm platt am Kopfe an, 


204 


berghauptmann ift, ein U...leder trägt, eine 
andere Ercellenz, die zufällig Minifter ift, eben 
fo wohl ein Scheuleder tragen koͤnnte. Ja es 
foheint mir fogar, daß bei vielen europätfchen 
Miniftern dies Scheuleder cine Hauptbedingung 
ihrer Anftellung geworden ſey. Schöbe es nun 
einer derfelben auf arabifche Weife zurück und 
hinter feine Augen, wie übel koͤnnte dann das 
viele Kicht auf ihn wirken, was fic) jeßt fo un- 
befcheiden überall Luft machen will, und am Ende 
fürchtete fich nachher ein folder Mann nicht ein 
mal mehr vor der Freiheit, gefchweige denn vor 
Liberalen und der leidigen Preffe. 





Den 24. 


Selbſt mit verbundnem Auge wie ein Bleffirter, 
denn ich leide feit Kurzem an der Ophthalmie, 
ritt ich dennoch den halben Tag in der Stadt 
und Umgegend umher. Bei diefer Gelegenheit 
will ich einiges Allgemeinere über Algier, zur 
beffern Drientirung für mid) und den Lefer, hier 
einfchalten. Nur eine Straße der Stadt, die von 
Babazun, ift gepflaftert und zwar fehr fchlecht. 
Die übrigen, aus Lchmboden beftehend, find im 
Untertheile der Stadt häufig grundlos, und z. B. 
jest durch zwei bis drei Negentage ſchon fo 
Fothig geworden, daß man, um fic) Abends zu 
einem Dine oder in andre Sefellfchaften zu begeben, 
nothgedrungen eine Portechaife nehmen muß. Dies 


206 


ift aber hier ſtets mit der Gefahr einige Beulen 
davon zu tragen verbunden, denn erftens find die 
Vehikel felbft, buchftäblich nichts als große Holz- 
Faften mit zwei Deffnungen (nicht immer durd) 
Glasfenſter gefchloffen) ohne alle Auspolfterung, 
noch fonftige Ziwde; zweitens gibt es nichts 
Ungefchictteres als die hiefigen Träger, Da nun 
überdies die Wege grundlos find und voll großer 
Steine liegen, die Straßen fie) auch Feiner Art 
von Erleuchtung erfreuen, fo kann man fich denken, 
daß das Stolpern der maurifchen Heiducken fehr 
haufig und das gänzliche Umwerfen nicht felten 
ift. Beſſer geht es in den engen Fußwegen der 
obern Stadt, von denen auch einige gepflaftert 
find, und wo bei allen, ihrer Steile wegen, die 
Feuchtigkeit fchnell abfließt. 

Algier hat fünf Thore. Das neue, oben auf 
dem Berge neben der Cassba, welches öftlich 
nady dem Fort l’Empereur führt; das von 
Babazun, durch welches man unten, dem © 'eer 
entlang, in derfelben Richtung die Ebene von 


207 


Metidschia crreicht: das von Babaluet an der 
entgegengefeten weftlichen Seite von der Stadt, 
wodurd man zu den chemaligen Gärten des 
Dey's, dem Berge Budscharia und, am Meere 
hin, nach der pointe de Pescade gelangt; das 
der Marine, um nach dem Arfenal und dem 
Mole zu gehen; und endlic) das der Fiſcher, wo 
die Schiffe debarfiren. Die ganze Stadt ift nach 
dem Meere zu impofant mit Batterieen gefpict, 
von denen aus einft der franzöfiiche Conful Le 
Vacher, in die große Kanone geladen, und nad) 
Duquesne’3s Admiralſchiff abgefchoffen wurde, 
auf das, wie man fagt, wirklich einige blutige 
Stüde des Leichnams flogen. Nach den drei 
Landſeiten umgibt die Stadt ein breiter und 
tiefer Graben, und eine hohe crenelirte Mauer 
mit Kleinen Thürmchen, wodurd) das pittoreske 
Anfehn diefes ehemaligen Raubneftes noch unge— 
mein erhöht wird, um fo mehr, da der Graben 
jest mit Cactus, Aloe und Epheu in wilder 
Unordnung verwachfen if, Von den Thürmen 


208 


diefer Mauern wurden früher die Verbrecher auf 
Haaken herabgeftürzt, wo fie bis zu ihrem qual- 
vollen Ende hängen blieben, oder auf den Plate 
formen gefpießt, allen Blicken zugänglic), als 
fchaudervolles Beifpiel. 

Sp reizend auch die Umgegend dem Europäer 
erfcheint, fo fehlt es ihr doch leider fait ganz an 
folchen großen und hohen Bäumen, wie unfre 
Waͤlder fie darbietem Sch Habe bis jet nur 
zwei dergleichen gefehen. Eine wenigftens SO Fuß 
bohe Platane am Thor von Babazun und eine 
ahnliche im Hofe der Cassba. Beide beweifen 
wenigftens, daß an dem erwähnten Mangel nur 
die Menfchen, nicht der Boden Schuld find. Was 
man hauptfächli an Bäumen vorfindet, find 
Sujubiers, Maulbeerz, Oel-, Mandel-, Apri— 
fofenz, Pfirfih-, Birn-, Aepfel- und feine 
Nußbaume, auch mehrere Pappelarten, Afazien, 
Caroubiers, Orangen-, Citronenz und Feigenz 
baume, Cypreſſen, Palmen, Bananen, Elsbeerz 
und Bruftbeerbaume, und einige auslandifche im 





209 


Gärten, unter andern der prachtige perfifche wilde 
Fliederbaum, der die Größe einer Akazie erreicht, 
und deffen, unferm fpanifchen Flieder ganz ahnliche, 
Bluͤthe ſtark nah Vanille riecht. Bluͤhende 
Straucher und Blumen fieht man jest ſchon 
haufig, und im Frühjahr follen fie eine große 
Pracht über die Gegend verbreiten. Darunter 
zeichnet fich die Agave aus, welche binnen zwei 
Monaten oft einen Stengel von 30 Fuß Höhe 
emporfchießt, der 5 bis 6000 Blumen, freilic) 
nur von blaßgrüner Farbe tragt. Aloe und 
Cactus find befonders für undurchdringliche und 
ſchnell wachfende DBefriedigungen unfchäßbar , der 
Boden aber überall dankbar, wo man nur Eultur 
darauf verwenden will; und dabei fhmüden die 
Menge immergrüner Sträucher und Baume hier 
den Winter wie den Sommer. 

Sch nahm Heute meine Richtung durch Das 
Thor Babaluet nad) den Gärten des Dey. Der 
Meg führt bei einigen malerifchen Forts vorbei, 
die auf Felfen fiehen, an denen fich zu jeder 

Semilaffo in Afrika, I. 14 


210 


Zeit das Meer mit weichen Schaume bricht. 
Sein glanzend blauer Spiegel bietet von hier ein 
herrliches Schaufpiel dar, während auf der linfen 
Seite ein Amphitheater von Bergen, mit Villen 
bedeckt, ein halbrundes Thal einschließt, in dem 
der große Kirchhof der Juden, mit feltfam ge 
ftalteten weißen MWürfeln befat, befonders hervors 
fticht. Nahe dabei liegen die weitlauftigen, von 
vielen Mauern umgebenen und durchfchnittenen, 
vielleicht mit marmornen Kiosks verzierten Gärten 
des Dey. Leider find fie jeßt in ein Lazareth 
mit Gemüfegarten verwandelt, und die Gebäude 
fiehen fchmußig und verfallen. Ein einziger 
Drangenhain, mit nett gepflafterten Moſaikwegen, 
it von dem alten Schmuck allein noch übrig, 
nebft einigen Neften jener Tieblichen bedeckten 
Gange von Wein, Roſen und Jasmin, welche 
fonft jeden der einzelnen Gärten, langs den Mauern 
bingeführt, umgaben, Der Jasmin wird hier 
faft zum Baume, und größer als bei uns ber 
Hafelnußftrauh, Ein Theil des Ganzen hat 


211 


man zu einer Cactusplantage für die Zucht der 
Cochenille beftimmt. Es wird viel Mühe darauf 
verwandt, man glaubt jedoch an Feinen fonderz 
lichen Erfolg, da man im Winter die Thierchen 
bier bedecken muß, was große Koften und einen 
Aufwand von Leuten erfordert, der mit dem Profit 
kaum gleichen Schritt halten möchte. Mein Pferd 
Eletterte von hier nad) dem Budscharia, wie 
eine Ziege, die. Felſen hinan, mit einer Ausdauer 
und Sicherheit, die nur die Gewohnheit geben 
kann. Als ich auf den wuͤſten Haiden oben an: 
langte, blühten in diefer fchweigenden Wildniß 
Tazetten, Myrthen und große blaue Iris um mic) 
ber, und die fernen Berge felbft fehimmerten fo 
piolet wie Blumen, Die Ausfiht vom Blockhaus 
ift gewiß eine der fehönften in der Welt, wenn 
man einen fo günftigen Tag trifft, als der heutige 
war, Man befindet fich in bedeutender Höhe im 
Mittelpunct des bergigen Landvorſprungs, den 
Afrika hier bildet, und den die impofante Ebene 
der Metidschia von Heinen Atlas trennt, welcher 


212 


in grader Linie von Horizont zu Horizont fich 
zieht. Auf diefer unermeßlichen, auf drei Seiten 
vom Meer umfchloffenen, die höchfte Abwechfelung 
und die barofeften Küftenlinten bildenden Aus— 
Dehnung, geftattet die klare Luft Millionen Gegen; 
fände mit der größten Genauigkeit zu fehen, und 
ein gutes Perſpectiv citirte mir felbft den Atlas 
nahe vor das Auge, obgleich er über zwölf Stunden 
entfernt ift. Es ſcheint unnöthig, einen folchen 
Anblick zu befchreiben,, Feine Einbildungstraft ift 
fo arm, daß fie ihn fich nicht felbft ausmalen 
koͤnnte. 

Lange, lange verweilte ich hier, dann nahm 
ich, bei den vier Brunnen voruͤber, durch Hohlwege, 
Schluchten und ausgeriſſene Regenrinnen, wie ich 
die Direction nur zu finden glaubte, meinen 
Ruͤckweg nach der andern Seite der Stadt; bis 
id) die neue Straße von Duera erreichte, die in 
fühnen Windungen nach dem Thor von Babazun 
berabführt. Da ich noch einige Stunden Tag 
vor mir hatte, und mein Pferd noch munter 


213 


war, zog ich vor, ftatt mich jet jchon nach Haufe 
zu begeben, meinen Spazierritt noch einmal zu 
erneuern, und fchlug zu dem Ende zuerft den Weg 
nah Muftapha ein, wie die mit Villen angefüllte 
Gegend füdöftlih von Algier, dem Golf entlang, 
benannt wird. Auf diefer Seite wimmelt cs 
fortwährend von Militair, was das Mohnen 
dafelbjt theilmeife fehr unangenehm macht, wegen 
des Laͤrmens und der Unreinlichfeir, die dieſe 
Nachbarſchaft mit fich führt. Weberdem find im 
Thal, über einen großen Raum hin abfcheuliche, 
gefhmadlofe, weiße Kafernen aufgebaut worden, 
welche, wie ein haßliches Pflafter auf einem fchönen 
Geſicht, die fonft in hohem Grade lieblihe und 
mannigfaltige Ausficht, faft von allen Landhaͤuſern 
am Abhange der Berge, total zu Grunde gerichtet 
haben. Es ift dies um fo mehr zu bedauern, 
da die Lage befagter Kafernen obendrein ganz 
ungefund und unzwecmäßig tft. 

Der erfie Gegenftand, der meine Yufmerffan: 
feit feffelte, war eine ſchoͤne Wafferleitung, die 


214 


zwei Selfen mit einander verbindet, im Styl der 
Römer von den Türken erbaut. "Darunter ber 
finden fich die gewölbten Defen, welche Carl der 
Fünfte zum Brodbaden für feine Armee bier 
errichten ließ, deren größtem Theil hier in der 
That Furz darauf das letzte Brod gebacken ward. 
Sie find fehr dünn und flach auf eine fehwierige 
Weiſe gewölbt, und dennoch fo feft, daß der 
jetige Befiger, der fie (etwas vandalifch) abreißen 
laßt, um die Steine zu verfaufen, große Mühe 
hat, fie zu demoliren. Sc) befah hierauf das 
Innere einiger Landhaufer, deren Eigenthümer 
ic) kenne, unter andern das des dänischen Confuls, 
wo fich lange und dichte Hecken von 4 bis5 Fuß 
Höhe aus blühenden Geraniun befinden. Sn 
dem fogenannten Maräbut (Cabinet oder Nifche) 
des obern Ealons ift ein großer Spiegel fehr 
glücklich und überrafchend angebracht, um den 
fchönften Theil der Gegend, der Ottomane gegen- 
über, gleich einer camera obscura immer vor 
Augen zu haben. Eine Cypreſſengruppe deckt von 


215 


diefem Puncte wenigftens die haͤßlichen Cafernen, 
welche dagegen aus dem, im jeder andern Hinficht 
anmuthigen Garten, überall ftörend fichtbar werden, 
und nach ihrer eigenthümlichen Bauart, von fo 
boch erblickt, einer colofalen Katrinenanftalt für 
die ganze Armee gleichen. 

Vortheilhafter fitwirt in dieſer Hinficht ift, 
eine Viertelftunde weiter, tiefer im Thal, die 
Billa des Oberſten Bernelle; deren bedeutendes 
Terrain im Gefhmad eines fogenannten englifchen 
Gartens, mit mehr Erfolg als gewöhnlich und 
mit nicht geringen Koften arrangirt worden ift, 
Diele Partien, namentlich die Blumengarten, 
welche von außerordentlich fchönen alten Oliven-, 
Mandel» und Granatbaumen befchattet find, und 
in denen man die Baumwollenpflanzen jeßt ihre 
weißen Flocken tragen fieht, waren ſchon in diefer 
Sahreszeit Außerft reich und anzichend, und das 
Haus allerliebft eingerichtet, mit verftändiger 
Anwendung des europaifchen Comforts, ohne 
doch die maurifche Phyſiognomie zu verwifchen, 


216 


was Viele mit großer Ungefchicklichkeit hier ins 
Merk gefet, und dadurch die herrlichften poetifchen 
Originale in gemeine Proſa überfet haben. Denn 
ich wüßte mir Feine Architeftur zu denken, welche 
eben für Landhaͤuſer paffender feyn koͤnnte. Pracht, 
Eleganz, das höchft Pittoresfe, machen mit der 
hoͤchſten Bequemlichkeit und Ruͤckſicht auf das 
Elima, den Haupteharakter derfelben aus. Wie 
bei den Gebäuden im gothifchen Styl, welche 
die engliſchen Parks zieren, gewähren auch hier 
die vor- und rüdfpringenden Linien mit tiefen 
Winkeln, und die einzelnen Theile von ungleicher 
Hohe mit ganz verfchiedenartigen Verbindungen, 
eine malerifche Abwechfelung, der es dennoch nicht 
an einer wohlthuenden Ruhe fehlt. Im Innern 
aber verbreiten die mit Säulen umgebenen Höfe, 
die Fontainen und Bäder, die Menge bunter 
Arabesken, die fortwährende Verſchmelzung der 
Heinen Gartenabtheilungen mit den Gebauden, 
jo wie die gleichfalls zu arten umgefchaffnen 
ZTerraffer über das Ganze einen unbefchreib- 


217 


lichen, in feiner Mannigfaltigfeit nie verfiegenden 
Reiz. 

Manche dieſer Villen, die reichen Leuten an— 
gehoͤrten, erſchienen an Umfang und Pracht mehr 
fuͤrſtlichen Schloͤſſern ahnlich, als beſcheidnen 
Landhaͤuſern ungebildeter Barbaren, wie man 
ihre einftigen Beier bet uns Flaffificiren würde. 
Man fieht ihnen, wenn auch im geringern Maaß— 
ftabe, noch immer an, daß fie von den Nachfommen 
jener Mauren herrühren, denen Spanien die Al- 
hambra und den Generalife,, wie fo viele andre 
feiner ſchoͤnſten Monumente verdanft. 

Gleich über der Befigung des Oberften Bernelle 
dehnt fich eine ſolche Billa aus, welche die Fran— 
zofen la maison riche getauft haben. Sie ift 
noch das Eigenthum eines Mauren, aber feit 
der Occupation an Europäer verpachtet und von 
franzöfifchen Subalternoffizieren bewohnt. Die 
Folgen davon däuchten mir wahrhaft tragifch, 
und eine folche Verheerung binnen vier Fahren 
kaum denkbar. Die Marmorfontainen, die eleganten, 


218 


mit Fayencetafeln belegten Treppen, waren überall 
befchadigt und fo mit Koth bededt, daß man 
fih ihren zu nahen fcheute. Die Orangenbaume, 
wilde aus dem Porcellainpflafter weiter Höfe 
hervorwuchſen, ſah man groͤßtentheils, aus Mangel 
an Pflege abgeſtorben, und in den Volieren, einſt 
mit Papagaien und Singvoͤgeln bevoͤlkert, liefen 
jetzt Huͤhner und Schweine umher; die Terraſſen 
waren zum Theil halb eingeſtuͤrzt, und die herrlichen 
Wein- und Jasmingewoͤlbe, welche ſchattige Treil— 
Iagegange zwiſchen ihnen bildeten, faft durchgängig 
zerbrochen, und am vielen Ortca die baumftarfen 
Pflanzen fchmählig eingegangen. Nur die majer 
ftatifchen Cypreſſen ftanden noch in unverfehrten 
Gruppen da, wie ernft und trauernd auf den 
Unfug herabblickend, der fie umgab. Was aber 
wäre dennoch aus diefem Befisthum zu machen, 
wenn es im die rechten Hände Fame! Hundertmal 
habe ich hier unfres Kronprinzen gedacht, der 
grade für dieſe Art füplicher Architeftur und 
Schmuckes fo viel Einn und Gefhmed an den 


219 


Tag legt, und ihm dies zu fehen und zu befitzen 
gewänfcht. Wie die Dinge jeßt in Algier befchaffen 
find, bezweifle ich, daß irgend Jemand den mög- 
lichften Vortheil daraus zu ziehen je verfichen 
wird. Selbſt die hiefigen Engländer fcheinen thre 
Natur zu verändern, denn die Villa des Conſuls 
diefer Nation z. B., obgleich wohl gelegen, tft 
dennoch eben fo ſchmutzig und armlich, als die 
meiften der übrigen, die fi) in europaifchen 
Handen befinden. 

Um nun noch einmal auf die maison riche 
zurüczufommen, fo vereinigt fie mit ardis 
teftonifchber Schönheit und grandiofem Anfehn, 
auc) cine der reichften Ausfichten. Mit allen 
ihren Galerieen, Höfen und weitlauftigen Gärten 
ift fie an den ausgedehnten Halbeirfel der den 
Golf umfchliefenden Bergkette, ungefähr in der 
Mitte ihrer Höhe angelehnt, auf einem poröfen 
Felſen fichend, den Tactus und Schlingpflanzen 
faft ganz überzogen haben. Auf beiden Seiten 
werden die Berge umher von unzähligen Villen 


220 


mit einer üppigen Vegetation bedeckt und laufen 
links an Algier's ins Meer hinausragendem Leucht: 
thurm, rechts, fich fenfend an dem weit vor: 
fpringenden Gap Matifu aus. Gin großer Theil 
des Atlas wird über ihnen noch fichtbar, und 
zwifchen den Gärten und dem Meer zieht fich 
ein langer grüner Wicfenplag hin, den die Manoͤ— 
vers der Truppen täglich beleben, doch in gehöriger 
Entfernung nur einen unterhaltenden Anblick ger 
ftatten, ohne laftig zu werden. 

Sch feste meinen Weg auf der fhönen neuen 
Straße nach Birkhadem fort, verlich fie aber 
nach einer halben Liene, um über Felfen und 
Geroͤll in eine tiefe Schlucht Hinab zu rutfchen, 
und an der andern Seite wieder hinauf zu klimmen, 
und Fam bald darauf in eine wilde fehr coupirte 
and einfame Gegend, wo fich nur noch cinige, 
meiſtens zerſtoͤrte und verlaffene, Villen befanden. 
Bei den wenigen nod) bewohnten ward dies blos 
durch Hundegebell angefündigt, Fein Menfch lieg 
fih fehen. Der Tag ſank, und ich hatte fehr 





221 


gewünfcht, Jemand auftreiben zu koͤnnen, um 
mich einigermaßen zu orientiren, denn ich Fonnte 
mic) ta dem Labyrinth von Ihalern und Höhen 
durchaus nicht mehr zurechtfinden. Ueberdem 
hatte ich vergeffen mich zu biwaffuen, was die 
Klugheit bei Ereurfionen diefer Art, wenn fie 
auch nur auf wenige Stunden ausgedehnt werden, 
immer hier gebietet, da von Zeit zu Zeit Er— 
merdungen, felbit in dieſem nahen Bezirk keines— 
wegs felten find. 

Ich schlug endlich einen Fußfteig, oder vielmehr 
das ausgetrocnete Bett eines Baches ein, das 
nit umher geworfnen Steinen ausgefüllt und 
mit Aloe, Cactus, Eröbeerftrauchern und anderm 
Immergruͤn oft fo dicht überwolbt war, daß hier 
ſchon völliges Abenddunkel berrfchte. Ich würde 
viel darum geben, eine folche Naturfcene in meinent 
Park darftellen zu Fünnen, hier war es unter den 
jeßtgen Umſtänden cben fein einladender Gegen- 
fiand, und ich fühlte mid) fehr froh, als ich, 
nach einer Viertelftunde möglichft ſchnellen Reitens, 


222 


auf eine freie und dominirende Anhöhe gelangte, 
welche e8 mir endlicy möglich machte, die Richtung 
nad) der Straße von Duera zu finden. Sch 
erreichte fie foft an demfelben Puncte wieder, wo ich 
fie zwei Stunden früher auf der andern Seite, vom 
Budscharia aus, betreten hatte, und galoppirte 
nun gemächlich der Stadt zu, obgleich die Nacht 
fhon ihre Fittige über mich breitete, ehe ich noc) 
am Thore anlangen konnte. Die Abenddaͤmmerung 
dauert bier nicht fo lange wie bei ung, wodurd), 
meines Erachtens, den hiefigen Climaten eine 
große Annehmlichkeit entzogen wird. Vollkommen 
hat die Erde nirgends feyn follen. 


SWeLLerteaneef. 
4 


Un Frau von U... in Berlin. 


Algier, den 18. Februar 1835. 


Sie haben mir, meine liebensmwürdige Freunden, 
einen fo fchmeichelhaften gedrudten Brief in tie 
Fremde gefandt, daß ich wohl doppelt ſtrafbar 
bin, ihn noch nicht beantwortet zu haben; aber 
Sie wiffen, einem faumfeligen Knecht und cinem 
tragen Brieffchreiber fehlt es nie an Entſchul— 
digungen. Sch darf indeg mit Wahrheit anführen, 
dag Ihr Schreiben nur wie cin lieblicher Vogel 
an mir vorübergeglitten ift, kaum erblickt, wieder 
entſchwunden, fo daß ich nur den Totaleindruck, 


224 


Feineswegs den Inhalt behalten, eben fo wie es 
wahrfcheinlich mit unferm ganzen irdiſchen Leben 
gchen wird — denn das Buch mit fammt der 
halb ernſt- halb fchalfhaften Dedication ift mir 
beim Einpacken in Paris abhanden gefommen. 
Nun mochte ich nicht mehr antworten, ich wollte 
cs auch nicht in Europa, am wenigften im Winter. 
Unter Afrifa’s Frühlingsblüthen und Frühlings- 
träumen, die dort oft zu Wirklichkeiten werden, 
gedachte Ih Die Strausfeder erft von Neuem 
zu ergreifen, die Ihnen fo gut befannt ift. 

Und in diefen Traͤumen habe ic) Sie auch 
ſchon wieder gefchen, verehrte Freundin, und zwar 
wie Sie in der Kirche ſaßen und dort cine Oper 
componirten; wie der Held Ihres Gedichtes neben 
Shen fand, in dem wie Blürhenfchnee ſchim— 
mernden weißfeidnen arabifchen Heik, auf dem 
der übrige bunte Ehmuc mit Regenbogenfarben 
jpielte, vom Glanz der Waffen und der Edelfteine 
herrlich durchblitzt. Und nun fing eine myftifche 
Wechfelwirfung an, zwifchen Wachen und Traum, 





225 


zwifchen Ihnen als Autor und mir als Zuhörer, 
zwifchen den Helden ſelbſt und der eindringenden 
Außenwelt, und all dies wunderbare Gewirr ward 
fortwährend durchraufcht von den Tönen einer 
überirdifchen unbelannten Muſik, wie fie Beethoven 
und Gluck nur zuweilen geahnet — o welch ein 
Sammer, daß ich dieſe Sauberlaterne nicht länger 
in meiner Gewalt habe, als bis der Hahnenruf 
im benachbarten Hühnerhofe fie mir graufam 
zerbricht, ich würde Ihnen ein Buch fchieken, wie 
noch Feins gefchrieben worden ift, ein Buch ſo 
feltfam wie das Ihre, wo aber alles in einen 
Juwelengarten von Blüthen und Früchten mit 
Aladin’s Lampe im Hintergrunde überginge, was 
bei Ihnen noch in der jungfraulichen Knospe ruht, 
und von dem Morgenthau der Poeſie durchfchauert, 
das Entzuͤcken an der Natur in taufend melodifchen 
Variationen und unendlichen Sarbentönen wiederz 
fpiegelt. 

D wie traurig, ich wiederhole es, ift das 
Erwachen aus diefen Träumen befrer Welten, es 


Semilafio in Afrika. I. 15 


226 


bleibt ung nichts übrig, als die hiefige mit Augen 
anzufchen, die noch feucht vom Bade jener Zauber; 
quellen find, und das gelingt mir zuweilen. Doc) 
unvollkommen nur verſteh' ich Solches Andern 
mitzutheilen, und ſo reſigniren Sie ſich, liebe 
Freundin, von nun an wieder Proſa wie alle Tage 
zu hören; immer noch beſſer, jſose le dire (und 
ſelbſt mit einem franzoͤſiſchen Brocen), afrifantfche 
Profa, als Berliner Profaz denn die erften beiden 
Worte accoupliren fi) nur gelegentlich, die andern 
fommen mir vor wie Mann und Frau, und was 
gibt es langweiligeres wie Mann und Frau! Dies 
ift wenigftens die Meinung der biefigen ©t. Si— 
moniften, ich bin Fein ganz fo arger Keßer, wie 
Sie fchon wiffen. Apropos von St. Simoniften 
und dergleichen, ich hoffe Ihren Beifall zu 
verdienen, wenn ich Ihnen melde, daß ich hier 
als Apoſtel der in dieſen Negionen noch ganz 
unbekannten Homoͤopathie, die Sie fo feurig 
protegiren, aufgetreten bin, und bereits den 
commandirenden General mit einem mir felbft 


227 


unbefannten Milliontheil Stoff glüdlich von Magen; 
fhmerzen befreit habe. Eine firenge Diät ward 
dazu verordnet, denn ich bin noch von der alten 
Schule; die neuere tft überliberal, fie erlaubt ſogar 
an Kaffee zu riechen, was ich jedenfalls für zu 
gewagt anfehe. Mich felbit habe ich aber leider 
von einer ernftlichen climatifchen Krankheit nicht 
zu curiren verftanden, an der ich über eine Woche 
lang fchmerzlich gelitten; ic) meine die hier nur 
zu häufige Ophthalmie. Glüklicherweife war blos 
ein Auge ergriffen, fo daß ich, während man mir 
dieſes forgfältig verbunden hatte, mit dem andern 
fortwährend leſen konnte. Doch mußten allerhand 
ftarfe Mittel, Blutegel, Aderläffe, Senfpflafter 
u. f. w. angewandt werden, che das Webel weichen 
wollte, Dazu fam, daß, nachdem lange ein ewiger 
Frühling geherrfcht, nun doc) endlich mit fürmi- 
ſchem Wetter (der haͤßliche Africus blies) einige 
Tage lang fo empfindliche Kälte eingetreten ift, 
daß fie mich genöthigt hat, einen andern Gaſt— 
hof zu beziehen, der eine Stube mit Kamin 


228 


anfweifen kann, was in dem meinigen nicht zu 
finden war. 

Uebrigens ficht bier ein Haus dem andern fo 
asalih, daß ich kaum bemerfe, das meine verz 
ändert zu haben. Sie Fennen diefen freundlichen 
und heitern Bauſtyl aus Spanien; es wundert 
mich, daß man ihn nicht auch im übrigen Europa 
anwendet, Denn, fobald man das Zeltdac) über 
dent Hofe mit einem Glasdom erfeßt, ftatt einer 
fhmalen und dunklen Treppe zwei große und helle 
baut, die Zimmer etwas breiter halt und fie 
gehörig heizt, fo Fann ich mir, felbft in einen 
weit Falteren Clima als das hiefige, nichts 
Schöneres und Bequemeres für ein Wohnhaus 
denken. Und wie herrlich find diefe Locale zu 
Feſten aller Art! Welchen magifchen Effect bringt 
die Erleuchtung des Hofes mit den Öalericen 
und Zimmern hervor, die man, troß des großen 
Raumes, alle mit einem Blicke überfieht. Selbft 
in meinem beſcheidnen Gaſthofe ergüßt es mid) 
täglich, wenn die Gafte des Neftaurants verſammelt 


229 


find, aus dem nach innen gehenden Fenſter meiner 
Stube, von oben herab, ihr buntes Gewimmel 
zu betrachten, während die Lichter in den Saͤulen— 
ballen fo wunderbar fpielen, und die vielen dunklen 
Vertiefungen mich immer etwas Geheimnißvollee 
und Zauberartiges hinter ihnen verborgen ahnen 
laſſen. 

Doch wie prachtvoll wird dies Schauſpiel erſt, 
wenn der Gouverneur in ſeinem Palaſte einen 
Ball gibt, wo man, beilaͤufig geſagt, eine ſo große 
Menge reizender Damen in den recherchirteſten 
europaͤiſchen Toiletten ſieht, als Ste in Ihrem 
Berlin kaum aufzutreiben im Stande waͤren. 
Und dazu iſt man obendrein hier auch faſt eben 
fo fromm als dort. Eine der gefetertften Schon: 
heiten erzählte mir auf einem diefer Bälle, als 
fie nach fieben bis acht Tanzen zum erftenmal 
ausruhte, folgendes merkwürdige Wunder. Die 
Aermſte ward in Nantes, wahrend ihrer Schwanger: 
fchaft, von der Cholera im fchredlichften Grade 
überfallen. Naiv verficherte fie, daß fie lieber 


230 


wolle — faire deux cent enfans, als noch 
einmal dieſe über alle Befchreibung furchtbaren 
Schmerzen aushalten. Kurz, fie war ſchon ſchwarz, 
Fam Verfcheiden, als fie plößlich die heftigfte Be— 
gierde nach Eis au naturel fühlte. Man brachte 
ihr davon einen Eimer voll, das jedoch aͤußerſt 
fihmugig war. Demungeachtet verſchlang ſie ein 
Stüc nad) dem andern mit einer wahren Wuth, 
während man von außen ihren ganzen Körper mit 
glühend heißer Kleie bedeckt hatte. In kurzer Zeit 
ſpuͤrte ſie große Linderung. Da fiel es ihr ein, der 
Jungfrau eine Kerze mit ſilbernem Leuchter zu 
weihen, und ſie gab ſofort den Befehl, das Ge— 
luͤbde in Ausführung zu bringen. Von dieſem 
Augenblick an ging die Geneſung mit Rieſen— 
ſchritten vorwaͤrts, und als ihr Licht zum erſtenmal 
auf dem Altare brannte, verließ ſie auch zum 
erſtenmal ihr Bett, hatte kurz darauf die gluͤck— 
lichſte Niederkunft, und nicht die mindeſte Spur 
der Krankheit blieb zuruͤck. „Kann ich darnach 
noch,“ rief ſie, ihre glaͤnzenden Feueraugen auf 


231 


mic) richtend, „ohne die abfcheulichfte Undank— 
barkeit an der unmittelberen Hülfe der Jungfrau, 
und an der vollen Wirfung meines Gelübdes 
zweifeln ?“ 

„Das Eis,“ meinte ich zaghaft, „ſcheint auch 
Einiges zu Shrer Herftellung beigetragen zu 
haben.“ 

„O glauben Sie das nicht!« fagte fie und 
bliefte fchmachtend gen Himmel; „ohne die Jung— 
frau hätte alles das nichts mehr helfen Tonnen !« 

Am andern Tage befah ich mir mufelmannifche 
Frömmigkeit, Zuerft befachte ich den Mufti, einen 
hübjben alten Mann, der auf einem Divan lag, 
über dem in arabifcher Sprache mit großen 
Buchftaben die fchöne Inſchrift zu lefen war: 
„Der Anfang aller Weisheit liegt in der Liebe 
zu Gott!“ Er ftudirte, als ich eintrat, emfig 
in einem medicinifchen Buche, um darin ein Mittel 
wider die TZaubheit zu finden, an der er zu leiden 
anfängt, legte es jedoch fogleich bei Seite und 
empfing mich mit vieler Freundlichkeit, indem er 


232 


fagte: „er freue fih, einen Vornehmen aus 
fremden Landen zu fehen, der, wie er hore, nur 
um ſich zu umterrichten reife, und die vielen 
Beſchwerlichkeiten eines folchen mühfamen Unter: 
nehmens nicht ſcheue.“ Daß man aud) zu feinem 
Vergnügen reifen Tonne, davon fehien er Feinen 
Begriff zu haben. Nach einigen fernern gewed)- 
jelten Redensarten, gab er mir die Erlaubniß, 
in die Mosquée zu gehen. Ich zog meine Stiefel 
aus, und wanderte in Strümpfen mit dem Dol- 
metfcher weiter. Da der Boden überall mit 
dichten Matten und doppelten Zeppichen belegt 
war, welche felbft bis zur Bruſthoͤhe die Säulen 
und Pfeiler forgfäaltig umwickelten, fo bat dieſe 
Sitte nichts Unbequemes. Uebrigens frappirte 
mic) die große Einfachheit und Abweſenheit alles 
Prunfes im Tempel; hie und da brannten einige 
einfache Lampen, das war Alles. Deſto barofer 
erfchien mir der ottesdienft. Eine fo große 
Ehrfurcht ih auch für alle Arten von religiöfem 
Gultus, wenn er nur nicht in Unmenfchlichfeit 





233 


ausartet, fühle, jo ward es mir doch phyſiſch uns 
möglic) das Lachen zu unterdrüden, als ich nach der 
größten Stille mit einemmal eine doppelte Reihe 
von ungefahr ſechzig weißgekleideten Menfchen, 
den Mufti an der Spitze, unter einem entfeglichen 
Gebrülle zweter befonders dazu angeftellten Schreier 
der Truppe, mit einem halben Burzelbaume ficb, 
Mehlſäcken ahnlich, auf dem Teppich gegen die 
Wand hinrollen fah, worauf fie, das Sitztheil, 
welches durch die weiten Hofen befonders hervor— 
ragte, hoch gen Himmel gerichtet, cine Weile wie 
todt liegen blieben. Diefe feltfame Ceremonte, 
mit dem einzelnen Abfingen verfchtedner Verſe 
des Koran’s abwechfelnd, wurde zur fehwerften 
Uebung meiner Faffung, mehrmals wiederholt, 
ohne daß etwas Meiteres darauf folgte In 
einen Hofe danchen, in den man de plein pied 
aus der Mosquee trat, wuſchen ſich die Ankom— 
menden unter einer bedeckten Fontaine vor dem 
Gebet. Viele ließen ihre Pantoffeln vor der 
Thuͤre, die meiften behielten fie aber in der Hand, 


234 

und legten fie erſt fpater neben fih hin. Das 
Trinkgeld, welches ic) beim Weggehen dem Kirchen- 
Diener anbot, verweigerte er anzunehmen; eine 
Delicateffe, über die wir ſchon gluͤcklich hinweg 
find, und die auch bei uns an einem Orte lächerlich 
wäre, wo man Taufen und Abendmahl dem 
Priefter felbit baar zu bezahlen pflegt. 

Kurz Darauf endigte der Rhamadan, die 
lange Seftenzeit der Muhammedaner, und einige 
Tage lang fah man num die gewöhnlich zerlumpten, 
unreinlichen Mauren und Araber in großer Galla 
und den fchönften bunten Trachten in allen Straßen. 
Sobald fi) Bekannte begegnen, umarmen fie 
fih und kuͤſſen fi) die Schultern mit großer 
Herzlichkeit, die niedern Stände führen allerlei 
Tanze auf, und junge Leute fahren vor den Thoren, 
in einer Art Stuhlwagen, die allerliebften Kleinen, 
geputzten Mohrenknaben fpazieren, von denen es 
dann an diefen Orten wimmeltz; dies fchien mir 
eine rührende, licbliche Sitte, und für die Kinder 
gab es einen großen Subel. Der Gontraft war 


235 


auffallend mir dem ſchmutzigen, edelhaften Ge— 
dränge gewöhnlicher Tage, wo man zehn Augen 
haben möchte, um nicht bald von einem Eſel, 
bald von einen Gcmüfeforb, einer langen Bohle, 
oder einem gefchlachteten Hammel, was die Men— 
ſchen alles auf dem Kopfe tragen, umgerannt zu 
werden. Am tollften geht es jedoch im Juden— 
viertel zu, wo oft gar nicht durchzukommen ift. 
Hunderte diefer Kinder Sfraels bieten bier, von 
Unrath firoßend, unter ohrenbetäubendem Geſchrei, 
ihre Waaren, nicht allein in Buden, fondern auch 
perfonlich von oben bis unten damit behangen, 
aus; und Keiner ruft „gare!“ fondern dringt 
blindlings damit vorwärts, nach rechts oder links, 
gleich den Wandermäufen, die auch Feinen Gegen: 
ftande ausweichen. 

Alles Dies ungewohnte Treiben würde Ihnen 
wahrfcheinlich intereffant vorfommen, wenn Gie 
bier wären; entzüden aber müßte Sie gaviß die 
freie Natur, wohin ich Sie jet gleich zu führen 
gedenfe. Heute erft fchrieb ich an Julie: „Koͤnnteſt 


236 


Du nur diefe balfamifche Luft fühlen, dieſes 
Götterland fehen, das ſchon in Frühlingsgrün 
mitten im Winter fich Kleider, dieſe reizenden 
Dillen von Drangen, Palmen und Bananen un 
ringt, diefe duftenden Haiden voller Blumen und 
Wohlgeruch, diefen Hintergrund des Indigoblauen 
Meeres — Du würdeft Dich gleich mir ncu 
verjuͤngt fühlen !« 

Nun folgen Ste mir felbft, wenigftens, da es 
nicht anders feyn Tann, in Gedanken. 

Der belgifche Conſul hatte mich zum Fruͤhſtuͤck 
auf fein Landhaus geladen. Kin vortrefflicher 
Barber aus Dran, den er mir ſchickte, brachte 
mich im ſchnellen Galopp über die Ebene, und in 
wilden Zancaden den Berg hinauf. Dort holte 
ih vier Marine» Offiziere des Nobufte, eines 
geftern angefommenen belgifhen Schiffes, ein, 
iebſt einem Major der Landarmee, der diefe 
Gelegenheit zu einer Reife nach Aegypten benußt, 
wohin das Schiff beftimmt if. Ich ſtieg ab, 
und wir naherten uns bald, langfam weiter fteigend, 


237 


dem kleinen, blendend neu geweißten, maurtfchen 
Schloffe, das aus dem Laube dunkelgrün glanzender 
Garoubiers und rofig blühender Mandelbaͤume, 
gaſtlich bervorfchimmerte. Der Eonful hat erft 
kuͤrzlich dieſes lachende Sorgenfrei von cinem 
Eingebornen an ſich gebracht, das er, mit Talent, 
Mitteln und Willen dazu begabt, bald zu einem 
wahren Paradieſe zu fteigern verfpricht. Für 
mich war es, in der vollen Anlage begriffen und 
Haufer und Gärten überall von Arbeitern angefüllt, 
vielleicht noch anfprechender als vollendet, denn, 
Sie glauben es wohl, wo ich Induſtrie mit Ger 
ſchmack verbunden antreffe, Öffnet fih immer 
mein Herz der regften Theilnahme. 

Nachdem wir die mir Waffer reich verfehenen 
Orangengaͤrten befihtigt, die neuen Arbeiten 
revidirt, und auf dem nod) unberührt gebliebenen 
Berganger eine Menge unfrer, hier wildwachſenden 
Gartenblumen gepflüct, weideten wir unfre Augen 
an der Ausficht von der Terraſſe. In der Nabe 
hatten wir Felfen und bebuſchte Schluchten, aus 


238 


denen die Spitzen andrer Landhäuſer hervorblickten; 
dann unter dem jähen Abhang, zwei feſte Schlöffer 
am Meer, das Fort des Anglais und des vingt 
quatre heures; etwas entfernter zur Seite Algier 
mit der Burg der Cassba, und den finfenartigen 
Abſaͤtzen feiner crenelirten Mauer, die in langer 
Linie den hohen Berg bis zum Hafen heradfteigt, 
vor uns des Mittelmeeres endlofe Flache, bie 
nnd da nur cin einfames, weißes Segel fanft 
anf feinen Fluthen wiegend — ih war nahe 
daran, bei dem letzteren Anblick einen Anfall von 
Heimweh zu bekommen, wenn nicht eben Das 
Frühftüe angefagt worden wäre, und der Hunger 
(denn die hiefige Luft zehrt) alle weitern fenti- 
mentalen Gefühle fiegreich unterdrückt hätte. 
Den Küchenzettel erlaffe ich Ihnen diesmal, 
aber nicht die Unterhaltung. Der Conſul, welcyer 
viel von der Melt gefehen, und fi) in jeder 
Hinfiht als den Licbenswürdigften Amphitryon 
bewährte, erzählte uns von China, von Lord 
Byron und Trelawney, die er nach Griechenland 


239 


begleitet, und dann von feiner Sendung nad) 
Maroffo, Don Kord Byron ſprach er zwar mit 
Enthufiasmus, doch ohne Blindheit. Er gab zu, 
daß er voller Launen und Sonderbarkfeiten, und 
in folder Stimmung faft unerträglich gewefen 
fey; aber, fagte er, wir wußten dies einmal, und 
ließen ihn daher immer gehen, fobald er nur 
Waſſer trank, nichts ald Roquefort-Kaͤſe zum 
Mittagsmahl aß, und ohne Hemde im bloßen 
Schlafrock auf dem Verdeck fpazteren ging, ganz 
unbefämmert, wie indecent der Wind diefen auch 
umber wehen mochte; — Sobald er aber eine 
Bouteille Champagner oder Bordeaur verlangte, 
welches ſtets als cin Zeichen wiederfehrenden 
Sonnenſcheins galt, fuchte fogleich Altes in feine 
Nahe zu gelangen, und dann riß der liebenswuͤrdige 
Sterbliche, der Dichter bis in die Fingerfpißen, 
auch die Sleichgültigften, ja feldft feine erflärteften 
Antagoniften, wie die Falteften Naturen, zu Be 
wunderung und Genug unaufhaltfam mit ſich 
jort, 


2410 


Er lichte befanntlich die Englander nicht, liirte 
fid) aber leicht mit Individuen anderer Nationen, 
die ihm geftelen. Auf diefe Werfe ſah ihn auch 
Herr Lecog wahrend feines Aufenthaltes in Genua 
mit der ſchoͤnen Gräfin ©. in größter Familtarität. 
Nicht felten gab es hier häusliche Scenen, die, 
was man kaum vermuthen follte, Byrons ganz 
grundlofe Eiferfucht herbeiführte. Eines Tages, 
als ihm wahrend des Effens die arme Gräfin 
nicht fogleich fagen wollte, wo fie am vorigen 
Abend gewefen, ward er fo zoruig, daß er einen 
Dolch, den er ſtets im Gürtel trug, (denn er 
fleidete fi) damals faft wie ein Carmagnole) 
hervorriß, und in die Deffnung einer neben der 
Gräfin ftchenden Boutetlle fo heftig ftich, daß 
fie, zertrümmert, ihren ganzen Inhalt auf den 
Tiſch umberfprigte. „They are all the same !« 
rief er wüthend, firirte eine Weile die leichenblaf 
gewordene Frau, worauf er ganz ruhig eine andre 
Slafhe verlangte, und, ohne auf das Vorige 
zurüczufommen, als ſey Nichts vorgefallen, von 


241 


etwas Gleichgültigem zu fprechen anfing. Die 
Sendung nad) Maroffo verdiente dem Publikum 
weitläuftig befannt zu werden. Hier nur Einiges 
davon! Herr Lecoq wurde, kaum nad) der Geburt 
Belgiens, nah Marokko gefchickt, um fünf bis 
ſechs genommene Schiffe feiner Nation dafelbit 
zu veclamiren, Weberzeugt, daß der Kaifer, nebft 
allen feinen Dolmetfchern und Miniftern, von 
Belgien nicht viel mehr wiffen werde, als wir 
von den Reichen im Monde, Faufte er in Gibraltar 
eine Charte von Europa, und ließ fie dergeftalt 
illuminiren, daß Belgien einen guten Theil von 
Frankreich, Holland und Deutfchlend mit in 
fih aufnahm, und dann mit Riefenbuchftaben: 
Royaume de Belgique hineinfchreiben, Mit 
diefer wohlfeilen und unblutigen Eroberung in der 
Taſche, prafentirte er fi) Seiner Majeftät, und 
um die Revolution, welche Belgien das Leben 
gab, dem Kaifer auf eine plaufible und angenehme 
Weiſe zu erflären, bediente er fich kluͤglich des 
Beiſpiels von Algier „Die Holländer, fagte er 

Semilaſſo in Afrika. I. 16 


242 


namlich, „hätten früher die Belgier überrumpelt, 
wie die Franzofen Algier. Seht hätten die Belgier 
aber ihr Land wieder erobert und die Holländer 
fortgejagt, wie ohne Zweifel die Afrifaner es mit 
den Sranzofen über Furz oder lang auch machen, 
und Beide ſich dann in eben dem Verhaltniß zu 
einander befinden würden, wie die Belgier in dieſem 
Augenblick zuden Holländern.« Diefes argumentum 
ad hominem ward fo aut verfianden, und fand 
fo viel Beifall, daß der Conſul wirklich das gute 
Gluͤck hatte, feine Schiffe fammtlich wieder zu 
befommen, und obendrein befchenft und in großen 
Gnaden entlaffen ward. 

Uebrigens blieb feine ganze Audienz eine Zeit 
lang fehr ungewiß, denn nad) einer gar nicht übel 
erdadhten Etikette des Hofes zu Marokko, wird 
jeder fremde Gefandte zuerft in einen großen Hof 
geführt, in deffen Ede ein goldnes Gitter den 
Kaifer verbirgt. Diefer fieht fi) den Geſandten 
an, und convenirt er ihm nicht, fo gibt es Feine 
Audienz. Herrn Lecoq war jedoch gleich im erften 


2413 


Moment das Schieffal fo günftig, daß er ohne 
Verzug vorgelaffen wurde, 

Sonderbar ift die Equipage des Kaiſers. Der 
Eonful ſah ihn fpazieren fahren. Er faß in einem 
jener hohen und grob gearbeiteten Cabriolets ohne 
Federn, eigentlih nur ein Bock auf zwei hohen 
Raͤdern, deffen fich die Pferdehändler in Paris 
gewöhnlich bedienen, um junge oder widerfpenftige 
Pferde einzufahren. 

MWahrfcheinlich hatte man diefen Kaften einmal 
erbeutet, und der Kaifer ihn, vielleicht feiner großen 
Höhe wegen, für etwas befonders Vornehmes 
gehalten. Vor diefem Cabriolet waren zwölf der 
fchönften arabifchen Pferde, eins hinter dem andern, 
angefpannt, und jedes derfelben führten zwei Eoftbar 
geFleidete Stallleute, die daneben herliefen, 

Die Pferde bewunderte überhaupt der Conſul 
am meiften an diefem Hofe, und verficherte, die 
800 Mann ftarfe Neger » Cavallerie des Kaifers, 
die von piemontefifchen und franzöfifchen Emi— 
grirten commandirt wird, fey nicht nur die fchönfte 


244 


fondern auch bei weitem die befte, die er je gefehen 
habe. Die Neger find fammtlich ausgewählt große 
und fchöne Leute aus dem Innern Afrika's, reich 
bewaffnet und cben fo reich in Weiß und Gold 
gekleidet, ihre Pferde auserlefen, und fie felbft fo 
vollendete Reiter, daß fie mehr Gentauren als 
Menfchen zu Pferde gleichen follen. Dies macht 
aber auch den ganzen Kern der Fatferlichen Armee 
aus, da die Sinfanterie und übrige Cavallerie nur 
aus, zur Zeit des Gebrauchs zufammengerriebenen, 
Geſindel befteht. 

Unfere Seegäfte mußten, während der heitern 
Mahlzeit, einige Neckereien ertragen, über die 
Avariecen, die fie geftern wahrend ihrer Einfahrt 
in den fchlechten Hafen bei ftürmifchen und hohem 
Meer — nicht erlitten, fondern angerichtet hatten; 
obgleich fie fehr bündig bewicfen, daß dieß Feincs- 
wegs ihre Schuld, fondern allein die des Lootſen 
und ihrer Gegner felbft gewefen fey. Der Eonful 
meinte dennoch lachend, fie hatten nur den Namen 
ihres Schiffes (le Robuste) gleich mit der That 


245 


beweifen wollen, er aber komme am fchlimmiten 
dabei weg; denn kaum habe er fich heute früh 
auf der Straße blicken laffen, fo fey ihm ſchon 
fein griechifeher College mit den Worten entgegen 
gelommen: „Mon ami, il faut, que je vous 
fasse assigner, vous m’avez presque coule a 
fond un batiment de Nauplia,® Che er noch 
antworten koͤnnen, ſey Oeſterreichs Stellvertreter 
hinzu gekommen, um Erſatz von einigen tauſend 
Franken fuͤr einen beſchaͤdigten Trieſter zu fordern — 
und als er dieſen zu beſchwichtigen geſucht, habe ihn 
noch der neapolitaniſche Conſul eingeholt, um ſich 
zu beklagen, daß er ihm beinah zwei Leute getoͤdtet. 
„Uber, fette Herr Lecoq hinzu, „ſeyn Sie ruhig, 
meine Herren, der Robuste hat fich nichts vorzu- 
werfen, als zu robuste zu feyn, wenn auch nicht 
gegen vent et maree, doch gegen alle ungefchickt 
geführten Schiffe und unftatthafte Reclamationen 
der Conſuln.“ 

»Die machen mir auch nicht bange,“ erwiederte 
der Capitaine, „aber nach einer monatlichen Fahrt 


2416 


bin ich recht froh, im fichern Hafen angelangt, 
ein wenig das Land zu genießen und mein gutes 
Schiff wieder in Ordnung bringen zu koͤnnen.“ 
Der Hermfte ahnete nicht, was ihm bevorftand. 

Bei der maritimen Discuffion, die nun erfolgte, 
hatte ich mir nur ein befferes Gedaͤchtniß gewünfcht, 
denn es war vollftandige Gelegenheit da, alle 
technischen Seeausdruͤcke der franzofifchen Sprache 
auf einmal zu erlernen. 

Nach dem Effen ward eine zweite Promenade 
veranftaltet, die man etwas weiter als früher, nad) 
mehreren der benachbarten Landhaͤuſer richtete. In 
dem des Herrn Lacrouſſe fanden wir einen freien 
Hof, rund mit Oleanderbaumen von 12 bis 15 
Fuß Höhe umgeben, die eine elegante Marmorz 
fontaine umfchatteten. Ein Blumenparterre, deffen 
Gange Porccllainfließen deckten, bildete den Unter: 
grund diefes reizenden Flecks. Die Ausſicht von 
einer der Terraffen auf das Meer, und nichts als 
das Meer in ungeheurem Halbfreife, machte einen 
ganz fonderbaren Eindrud. In den Ställen zeigte 


247 


man uns eine rabenfchwarze Stute aus der 
Sahara, von außerordentlicher Schönheit, und 
ferner einen höchft vornchmen, großen Efel aus 
Tunis, der feine befcheidnen Camaraden in Europa 
fo fehr überflügelt, daß er alle Eigenfchaften eines 
vortrefflichen Neitpferdes befigt, Im Reiche der 
Vegetation erfreuten mich befonders die von Baum 
zu Baum fich fehlingenden Lianen, prachtvoll 
üppige Afanthuspflanzen, und ein chinefifcher, 
der guten Kaftanie ähnlicher, aber nur niedriger 
Baum, der wohlfchmedende Nüffe trägt, die 
traubenartig wachen und einen fehr artigen Anz 
blick gewähren, 

Bei unferer Zurüdfunft auf bebufchten fchattigen 
Fußſtegen, fanden wir frifch angefommene Journale 
vor. Jeder placirte fich fogleich nach Belieben, 
rauchend und Grog trinfend, um zu durchlaufen, 
was ihn am meiften intereffirte. Als ich für 
meine Perfon am Fuß eines Drangenbaums mich 
unter Veilchen, neben einer frifch fprudelnden Quelle 
niedergelaffen hatte, aus einer langen Pfeife mit 


248 


der wollüftigen Bernfteinfpige den Dampf wohl: 
riechenden Tabaks emporfteigen fah, und mir nun 
noc) den Himmel mit Huris angefüilt hinzudachte, 
gefiel mir das orientalifche Leben fo wohl, daß 
id), wäre es mir nur irgend möglich), meine 
preußifch chriftlichen Güter Io8 zu werden, große 
Gefahr liefe, hier ein Muhammedaner zu werden. 

Die Sonne war fehon hinter den Fahlen Scheitel 
de8 Budschariah gefunfen, als wir aufbrachen, 
und mein muthiger Hengft mich mit vermehrter 
Schnelle, wie im Fluge, nach Haufe trug. 

Sch benutzte den Abend zu einem maurifchen 
Bade, das ich fehr haufig nehme, und der 
Gefundheit, namentlich in diefem Clima, außer: 
ordentlich zuträglich finde. ES weicht von dem 
ruffifchen, jeßt bei uns fo gebräuchlichen, wefentlich 
ab und verdient eine Furze Befchreibung. Darf 
ich fie Ihnen adreffiren, liebe Freundin? Warum 
nicht, Sie find ja Feine Prüde, und überdem eine 
Künftlerin, die vor der Idee des Nackten nicht 
erfchriet, und daher auch ins Paradies kommen 





219 


wird, was bei einer Hebetiftin (vulgo Frömmlerin 
genannt) große Schwierigkeiten haben muß, wenn 
ihr der liebe Gott nicht einen Extras Schneider 
dort geftattet. 

Man tritt alfo zuerſt in den hier vollig bes 
deckten, maurifchen Hof, in deffen Mitte ſich cin 
großer Wafferbehälter befindet. Die umher Iaufende 
Colonnade ift im Innern mit einer Erhöhung ver— 
fehen, auf welche zwei Stufen führen. Auf diefe 
Efirade find Strohmatten gebreitet, und zwifchen 
den Säulen fieht man rund herum an Schnüren 
Badewaͤſche bangen, die fich, in der Temperatur 
von ungefähr 18 Grad Reaumür, immer gleich 
warm erhält, und (für Fremde, die es verlangen, 
wenigftens) fehr frifch und rein, auch fo reichlich, 
als man nur wünfhen Fann, geliefert wird. Man 
nimmt, um ſich auszuzicehen, nach Belieben cine 
der Matten in Beſitz, hinter welchen Hafen in 
der Wand mit darauf liegenden Brettern befeftigt 
find, die Kleider zu placiren. Ganz unbedenklich 
kann man feine Borfe, Bufennadel, Ringe und 


250 


dergleichen dem Hausherrn zum Aufheben über: 
reichen, der fie dann gewöhnlich mit den Seinigen 
erft neugierig beficht und unterfucht, che er fie in 
ein unverfchloffenes Sach thut. Dennoc gibt es 
fein Beifpiel, daß je etwas davon veruntreut 
worden ware. So vergaß ich einmal meine Ringe 
abzufordern, die mir am andern Morgen alle von 
einem zerlumpten Jungen in der bloßen Hand 
wiedergebracht wurden. Der Hausherr mit feiner 
Familie und den Badedienern liegt und wohnt 
auch innerhalb derfelben Eftrade auf Matten, und 
befitt, glaube ich, Feine andere Stube, Große 
Nifchen in den Wänden enthalten feine Sachen, 
und zur Ochlaftoilette haben diefe Leute nichts 
nöthig, als über ihre Kleidung, die fie auch des 
Nachts nicht ablegen, eine Bernus mit Capuchon 
zu ziehen, die fie ganz ummidelt. Damit legen 
fie fich auf derfelben Stelle nieder, welche fie auch 
am Tage nicht anders als Gefchäfte wegen verz 
laffen, und bringen die übrige Zeit mit Rauchen und 
behaglichem Ausſtrecken tm dolce far niente hin, 


251 


Aus diefem Grunde kann man aud) zu jeder 
Stunde der Naht wie des Tages baden. Hat 
man von außen an die Thüre geflopft und Einer 
im Innern es vernommen, wird auch ſogleich 
aufgethan, und da alles Noͤthige ſtets bereit iſt, 
die Heizung aber ununterbrochen fortdauert, fo 
findet nicht der mindefte Aufenthalt ftatt. 

Sobald man fih nun, oft in Geſellſchaft 
von vielen Leuten *), theils Badende theils 
Hausgenoſſen, ausgezogen hat, bindet einer der 
DBadediener (welches hier, nach einem gewiffen 
Schönheitsfinn diefes Volkes, faft immer wohl— 
gebildete Zünglinge von 16 bis 18 Jahren find, 
und junge hübfhe Mädchen für das weibliche 
Gefchleht) ein blaues Tuch um den Leib, wie 
er es felbft trägt, reicht Holgpantoffeln, und führt 
durd) eine etwas. warmere Galerie in ein ungefähr 
30 bis 35 Grad, nicht mehr, geheiztes weitläuftiges 

*) Man kann auch das Bad ganz für fih allein 
miethen, muß aber dann den fechsfachen Preis bezahlen. 


232 


Gewölbe, abermals mit einem fo großen Waſſer— 
behälter in der Mitte, daß man zur Noth darin 
fhwimmen Fünnte. Der Boden ift mit Stein 
platten belegt und glühend hei, daher die Holz- 
pantoffeln unentbehrlih, An den Seiten befinden 
fich mehrere Nifchen mit erhöhten, Fühleren Boden, 
und Fontainen an der Wand, wo die Badenden 
bearbeitet werden. Es find auch, wenn man hier 
nicht in Gefellfchaft bleiben will, Fleinere Gewölbe 
nebenan vorhanden, die ebenfalls mit einer Fontaine 
lauen Waſſers zum Abwafchen verfehen find, und 
nur für einen Badenden Naum haben. Nachdem 
man eine Meile, auf dem Nande des Baſſins 
fiend, transfpirirt hat, wird über den Fleck, den 
man dazu gewählt, ein großes Tuch ausgebreitet, 
auf das man ſich bald hinlegen, bald ſetzen, bald 
wieder aufftehen, bald wieder hinlegen muß, che 
alle Operationen des Reibens, Klatfchens, Aus _ 
renkens, Bürftens mit einer Art Pferdeftriegel, 
Einfeifens u. f. w. vollendet find. So unangenehm 
manche diefer Handhabungen auch werden, fo ift 


253 


es doch nicht ganz fo arg, als es viele Reife: 
befchreiber machen; gewiß iſt e8 aber, daß man 
nur fo den Körper vollfommen ätherifch reinigen 
Tann, und fich jedesmal nachher wie um mehrere 
Pfund eignen Gewichts erleichtert fühlt. 

Als ich das erfte Mal badete, hatte ich einen 
Diener, ein kaum fehzchnjähriger Knabe, aber 
von ſtarkem Körperbau, der nur wenige Worte 
der lingua franca radebrechte, welche aus allen 
europaifchen Sprachen zufammengefeßt, und dann 
noch im ein halb arabifches Gewand gefleidet ift. 
Das Meifte, was er fagte verfiand ich nicht, er 
ward aber hoͤchſt ungeduldig, wenn ich feinem 
Anrufe nicht fogleich Folge leiftete, was mir vor 
Lachen doch zuweilen Faum möglidy war; denn 
ä B. wenn ich mic) hinlegen follte, rief er mir 
jedesmal, wie wir einem Hunde, zu: couche! 
beim zweiten Mal gewöhnlich mit einem arabifchen 
Fluche begleitet; wenn ich mich feßen follte, fagte 
er: Sedi, und zum Auffichen: Alz, wahrfcheinlich 
von alzare. In den Zwifchenacten fang er zum 


254 


Reiben im Tacte eine fonderbar melancholifche 
Tationalmelodie ab, Als er mich über das Ge— 
ſicht firiegelte, und ich dabei etwas zucfte, lächelte 
er freundlich, und frug mit großer Selbftzufriedens 
heit: fa bono ? worauf er ſich dann aud) fogleic) 
felbft antwortete: si, fa bono, bono. 

Nachdem man zulest mit Seifenfchaum über: 
dedt und, wie cin Pferd in der Schwemme, 
durch Meberfiromen von lauem Waffer ganzlidy 
abgefpühlt ift, fetzt man fich wieder auf die Stein, 
bank, um noch ein wenig zu fchwißen, oder geht 
nach Belieben in dem großen und hohen Gewölbe 
auf und ab, in welchem jeder Schritt und jedes 
Wort mit lautem Echo wiederhallt. Dann koͤmmt 
der Diener mit einem ganzen Korb voll warmer 
Waͤſche, wickelt Einem mehrere Tücher zuerft als 
Zurban um den Kopf, trocdnet dann die übrigen 
Glieder mit großer Sorgfalt, und umhüllt zuletzt 
den ganzen Körper mit drei bis vier weichen Laken. 
In diefe eingemummt, wandelt man auf feine Matte 
im Gefellichaftsfaal wieder zurück, wo unterdeg 


259 
eine weiß übergogene Matrage mit Kopffiffen 
bereitet worden ift. Hier legt man fich nieder 
und wird von Neuem mit andern baumwollenen 
Tuͤchern, nicht mit wollenen Decken, zugededt; 
denn die Ubficht ift nicht, wie bei unfern ruffischen 
Badern, hier noch mehr zu fehwißen, fondern 
fih nur behaglich auszurufen. Jetzt erhalt man 
eine Pfeife, mit vortrefflihem Kaffee oder Sorbet, 
und bleibt fo lange liegen, ald man Luft hat. 
Gewöhnlich legt fi) Derfelbe, der im Bade be 
dient hat, nebft noch einem Andern, neben dem 
Bette nieder, und forgt für den Fremden, jedes 
Winks gewärtig, es fey nun um ihm Etwas zu 
bringen, oder ihm Auskunft zu geben, oder ein Tuch, 
das fich verfchiebt, zurecht zu legen, die Pfeife 
von Neuem zu ftopfen, die Kaffeetaffe abzunehmen 
u. ſ. w. Mährend dem wird man fortwährend, 
bald von dem Einen, bald vom Andern, fanft 
maſſirt, was nicht nur den Korper auf das Gründ- 
lichfte trodnet, und jede Verkaͤltung verhütet, 
fondern auch nad) und nach zu einem fanften 


256 


Schlummer einladet, der fehr erquickend if. Die 
vornehmen Türken laffen deßhalb täglich vor dem 
Einfchlafen diefe Operation von jungen Mame— 
lucken mit fi) vornehmen. Was mich betrifft, 
fo benußte ich diefe Zeit immer fehr zweckmaͤßig, 
um einige arabifche Worte zu erlernen, ohne es 
jedoch bis jeßt in diefer Sprache fehr weit ge 
bracht zu haben. Badete ich ſpaͤt, d. h. nad 
zehn Uhr, wo felten Einheimifche noch die Anftalt 
befuchen, fo wicelten fich die Hausgenoffen fogleich 
in ihre Mäntel und legten fich fehlafen, ohne weitere 
Notiz von mir zu nehmen. Wollte ic) dann, nachdem 
ich felbft eine Zeit lang gefchlafen, wieder aufftchen, 
fo wedte ich nur einen der Diener, zog mid) an 
und hinterließ alle Uebrigen fchnarchend. 

Mas Sie verwundern wird, ift, daß dieſe 
langen Dienftleiftungen (von denen ich auch in der 
That viele Worte gemadt), Kaffee, Waͤſche und 
Pfeife mit inbegriffen, nicht mehr als dreißig Sous 
foften, und da ich immer das Doppelte und 
Dreifache gebe, kuͤßt man mir die Hand dafür 


257 


wie einem Sultan. Die Einheimifchen felbft 
follen fogar nur zwanzig Sous bezahlen. Vor 
der europälfchen Zeit lebte man hier faft für 
Nichts, und auch jest noch ift der Aufenthalt 
nur in fofern theuer, als man den Europäern in 
die Hande fallen muß, die größtentheils ein Aus- 
wurf ihres refpectiven Waterlandes, mit einer 
Unverfchamtheit prellen und betrügen, welche alle 
Begriffe überfteigt. Sp wurden mir neulich für 
einen Rock von fchlehtem Tuch 220, und für 
zwei ciferne Nägel, um die Sporenlöcher in den 
Stiefelabfagen auszufüllen Cein Meubel, das 
Shnen liche Freundin, wohl fchwerlich fehr be- 
kannt ift, im Frangöfifchen aber bouche trou 
genannt wird), 15 Franken abgefordert, obgleich 
man in der theuerften Parifer Boutique nicht 
mehr als 20 Sous dafür geben würde. Es ift 
eines Reifenden Pflicht, fo etwas nicht mit Still: 
ſchweigen zu übergehen. 

Noch eines Gegenſtuͤckes hierzu muß ich ers 
wähnen. Als ich eines Abends fehr fpät nach 

Semilaffo in Afrika, I. 17 


258 


Haufe ging, fah ich auf der Stufe, die immer 
vor den Buden befindlich ift, einen Araber, wie 
eine vergeffene Leiche, daliegen. Er fchlief unbe: 
weglich, ungeachtet eines heftigen Platzregens. 
Diefer Mann war die Wache für die Bude; 
allerdings Feine fehr wirffame, aber der Lohn 
ftand dennoch damit in Feinem Verhältniffe, denn 
nad) der Verſicherung des mich begleitenden 
Mauren erhielt der Unglücliche dafür nicht mehr 
ald monatlich neun Sous. Dieß übertrifft 
noch die Sammethofen für vier Grofchen, welche 
einft die brandenburgifchen Stände ihrem Chur— 
fürften zum Geſchenk darbrachten. 

Die eingebornen Handwerker find aud) höflic), 
während die republifanifchen Manieren der Franz 
zofen Diefer Klaffe, fowohl in Frankreich wie 
bier, täglich mehr auf eine wahrhaft beluftigende 
Meife familiär werden. Neulich nahm ich früh 
meine arabifche Stunde noch) im Bett liegend, 
und der Profeffor faß an einem Tiſch daneben, 
ald mein Schneider mit einem angefertigten 


239 


Pantalon hereintrat. Den Hut auf dem Kopf 
behaltend, war das Erſte was er that, daß er dem 
Profeſſor die Hand druͤckte, und nachdem er ſich 
ſeiner Buͤrde entledigt, uns Beiden die Frage 
vorlegte: was es fuͤr politiſche Neuigkeiten gaͤbe, 
und ob das Miniſterium wirklich geſtuͤrzt ſey? 

Leider, ſetzte er hinzu, habe er ſich die Zeitungen, 
die mit dem heutigen Dampfſchiff angekommen, 
noch nicht verſchaffen koͤnnen, gewiß ſolle es aber 
ſeyn, daß der Kaiſer von Oeſtreich geſtorben und 
das Reich des Monsieur de Metternich nun aus 
ſey, u. ſ. w. Sch hatte alle Mühe, den guten 
Mann auf feinen Leiften zurüdzubringen und 
mich den fernern politifchen Ergießungen deffelben 
zu entziehen. In Toulon erlebte ich aber noch 
etwas Staͤrkeres diefer Art. Sch hatte einen 
Sattlergefellen beftellt, um einen Koffer machen 
zu laffen Ms cr Fam, war ich grade mit 
Schreiben befchäftigt, und ohne mich umzufchen, 
bat ich ihn ein wenig zu warten. Nach ungefähr 
fünf Minuten, wo meine Arbeit beendigt war, 


260 


ftche ih auf, um meine Beftellung zu machen, 
und finde den Menfchen - lang ausgeſtreckt auf 
einem feidenen Sopha liegen, wo er in der 
Schnelligkeit eingefchlafen war, und ich ihn erjt 
weden mußte, um ihn wieder los zu werden. 
Die Franzofen haben fich nur in der Reihenfolge 
verfehen, fie find zur Gleichheit vor der Freiheit 
gekommen. Umgekehrt würde beffer gewefen feyn. 
Seht müfen wir aber zu etwas Ernfterem 
übergehen, denn dieſe letzten Tage waren für Viele 
eine fürchterliche, für Alle eine fehmerzliche Zeit! 
Ein ungeheurer Sturm, wie ihn Niemand hier 
erlebt zu haben fich erinnert, verwüftete den Hafen, 
riß einen Theil des Molo ein, und zerfchmetterte 
achtzehn große und Kleine Schiffe, die hier vor 
Anker lagen. In Bone und Bougie ward faft Fein 
einziges in den beiden Rheden gerettet, eine große 
Menge Menfchen verunglüdten, und an der ganzen 
Küfte der Regence wüthete das gleiche Unwetter. 
Als ich, um das fihreckenerregende Schaufpiel 
naher zu betrachten, felbft nach dem Hafen ging, 





261 


und das Ende der Marineftraße beinahe erreicht 
hatte, ward ich durch eine Melle gänzlich durch— 
näßt, die uͤber die anſehnlichen Magazine, 
welche auf dieſer Seite den Hafen umgeben, hin— 
wegſchlug. Nur mit der größten Mühe vermochte 
man fich auf dem Hafendamme felbft gegen den 
Sturm und das auffprigende Waffer zu erhalten, 
und nicht ohne einige Gefahr gelangte ich endlich 
in eine Art von erhöhten Papillon, wo man 
trocknen Fußes ſtehen Fonnte, Hier wüthete das 
Meer in fchauerlicher Pracht. Unaufhoͤrlich brachen 
fi) die Wogencoloffe an dem ſchon halb nieder: 
geriffenen Molo, und hoben ſich mit donnerartigem 
Tofen, dampfend und fihaumend über zwanzig 
Fuß body empor, worauf man fie, weiß wie 
Mil, über die Plateform hinftürzen fah, Steine 
von mehreren taufend Pfund vor fic) herrollend, 
und flichende Menfchen voran, die, auf die höheren 
Stellen Eletternd, Rettung fuchten. Ber einer 
diefer ploßlichen Ueberflurhungen ward der Civil- 
Intendant, Herr Le Pasquier, der fich zu unvorfichtig 


262 


vorgewagt, umgeworfen, und war nahe daran, 
in den Fochenden Abgrund mit fortgeriffen zu 
werden. Im Hafen ſtieg die Verwirrung auf's 
Höchfte, jeden Augenblick hörte man einen Kabel 
oder eine Kette Äpringen, und wie im wilden 
Tanz wogten die Schiffe durcheinander und zer 
truͤmmerten ſich gegenfeitig. Das erfte Beifpiel 
diefer Art bot mir der arme Nobufte, mit deffen 
Offizieren wir noch vorgeftern fo harmlos über 
ihre Kleinen Unfälle bei der Ankunft gefcherzt 
hatten. Alle feine Maften fanfen auf einmal ins 
Meer, als er, von einer riefenmäßigen Gabarre 
angerannt, gegen die Kriegsforvette des franzoͤſiſchen 
Gouvernements, le Cygne, gefchleudert wurde, 
Deren Bogfpriet er zerbrach, und von dem ger 
waltigen Stoße felbft aus feinen Fugen wid). 
Mit großer Hingebung und ungeheurer Anftrengung 
der frangofifchen Befaßung, ward hier die ganze 
belgifche Equipage gerettet. ine Furze Zeit lang 
fümpfte das Wrack noch mit den Wellen, bis es 
gegen die Felſen trieb, und nach dem Ichten ver— 


* 


263 


geblichen MWiderftreben in mehrere Stüde zerborft. 
Bald folgte dem Robufte der San Salvador von 
Neapel; dann die Venus, ein großer ruffifcher 
Dreimafter, der Thrafybulos, ein ganz neues 
Fahrzeug, das feine erfte Neife machte; fo wie 
nah und nad) die Fleineren Schiffe alle, mit 
denen der Nobufte bei feiner Einfahrt, wie id) 
erzählt, in Contact gefommen war. Eines der 
letzteren ward fo gänzlich vertilgt, daß ich eine 
Zerftörung diefer Art kaum für möglich gehalten 
hätte; denn unter den Trümmern blicb auch nicht 
ein Stüd von nur fechs Ellen Länge übrig. Das 
ganze Meer war mit Kiften und Kaufmanns- 
waaren, Tuchballen, Eoftbaren Stoffen und Sachen 
aller Art bedeckt, die mit den Maften, Bretern 
und andern Trümmern vermifcht, von den Wellen 
umbhergeworfen wurden. 

Die Dffiziere und Paffagiere des. Noburfte 
verloren Alles, was fie nicht auf ſich trugen, 
felbft ihr im Schiff. zurüßfgeblicbenes baares 
Geld, zu dem man nicht mehr gelangen Fonnte. 


264 


Eine Embarcation der Venus mit zwolf Matrofen, 
die Uchnliches verfuchte, ſchlug um mund verfanf 
mit neun Mann, die übrigen Drei wurden durd) 
am Ufer ftehende Soldaten der Fremdenlegion 
gerettet. in franzöfifcher Artillerie-Dffizier, M. 
de Livois, ein junger hübfcher Mann, den ich) 
noch auf dem legten Balle des Gouverneurs als 
einen der eifrigften Taͤnzer bemerkt hatte, verlor 
gleichfalls fein Leben, ohne den edelmuͤthigen Zweck 
zu erreichen, der ihn angetrieben hatte, es aufs 
Spiel zu feßen. Um den Gapitain der Venus, 
der noch auf dem Schiff zuruͤckgeblieben war, 
als es ſchon ſcheiternd auf den Uferfelſen feſtſaß, 
wo moͤglich noch zu retten, ließ ſich Herr von 
Livois aus einem Fenſter des Hoſpitals auf 
die Klippen herab, von wo er ein anderes ge— 
fcheitertes Schiff, YImmaculata - Conception, 
erreichte, das ungefähr dreißig Fuß pon der 
Venus eingeflemmt war. Mit Hülfe einiger 
Seeleute wurde es nach mehreren vergeblichen 
Bemühungen doch möglich gemacht, zwei Stücke 


265 


von einem Schiff zum andern zu werfen und 
dort zu befeftigen. Auf diefem fuchte Herr von 
Livois hinüber zu Fommen Schon war das 
fühne Unternehmen dem Gelingen nahe, als eine 
wüthende Melle das eine Schiff faft ummwarf. 
Dadurch gaben die Stücke plößli nach, Herr 
von Livois verlor das Gleichgewicht und ver- 
fhwand augenbliflih in der Tiefe, ohne daß 
man feinen Körper wiedergefunden hat. 

Der Schaden, den diefe Tage verurfachten, 
wird auf verfchiedene Millionen angefchlagen, 
und vergebens boten Viele, die den Verluſt ihrer 
Habe vor Augen fahen, Tauſende für einen Dienft, 
den man ihnen fonft für ein gutes Wort geleifter 
haben würde, Niemand wagte das Geld zu ver- 
dienen. Auch fand fic) Fein fo erhabener Menfchen- 
freund, als jener geiftlihe Held, deffen Frau von 
Crequy in ihren unterhaltenden Memoiren erwähnt, 
welcher bei einem Schiffbruc an der chinefifchen 
Küfte von einem der Ertrinfenden zum andern 
ſchwamm, um fie — nicht zu retten, nein, aber 


266 


noch einmal emporzuheben und ihnen die. Abfolution 
zu ertheilen. Erft nachdem er neun Individuen 
auf diefe Art im Waffer befchieft, erfoff cr felbft. 
„Es war offenbar die allgütige Vorſehung,“ fett 
Frau von Crequy hinzu, „die den Martyrer in 
ver Ausübung feines heiligen Werkes bis zum 
Ende unterftügte, denn alle Zeugen kamen darin 
überein, daß er der Zehnte und Letzte war, der 
in den Wellen verfchwand.« Als ic) dem Türken 
Juſſuf diefe Anekdote erzählte, fagte der tolerante 
Mufelmann lächelnd: „Ma foi, on ne saurait 
mieux fair son metier.“ 

Wahrend fo fchredlicher Noth und Zerftorung 
fümpfte mitten in der Rhede das Dampffchiff 
’Eclaireur, von Oran fonımend, auf eine auffer: 
ordentliche Weiſe mit den Fluthen. Achtundvierzig 
Stunden lang hielt es fih auf feinen Anfern, 
allein durcy die Kraft feiner Räder bald in die 
Hohe gefchleudert, bald wieder herabgeriffen, aber 
immer beinahe auf derfelben Stelle feit, bis ihm 
die Kohlen ausgingen. Jetzt verfuchte eg, nachdem 


267 


fih der Sturm fehon bedeutend gelegt, den Hafın 
zu erreichen, fcheiterte aber dennod) an den hervor- 
ragenden Klippen feitwärts deffelben, angeblich weil 
fein Kabel mehr übrig war, um ihm denfelben 
zuzuwerfen. Mannfchaft und Ladung Ivar gerettet, 
das Schiff aber ſieht man für verloren am Noch 
wunderbarer hielt fic) den ganzen Sturm über 
im Bereich des Golfs eine Fleine englifche Goelette, 
die glei im Anfang aus dem Hafen fegelte, 
um das Weite zu gewinnen, ohne daß der Capitatn 
und fein noch nicht zehmjähriger Sohn dahin 
gebracht werden konnten, ihr Schiff zu verlaffen, 
obgleich ihr Untergang unvermeidlich ſchien. Als 
die Ruhe wicdergefehrt war, fehiefte ihnen die 
Hafendirektion die nöthige Hülfe. 

Wenn man das Unglüd vergeffen koͤnnte, was 
diefe ſchrecklichen Momente der Natur, in denen 
fie fich für die Gewalt, die wir ıhr taͤglich anthun, 
zornig rachen zu wollen fcheint, in ihrem Gefolge 
bringen, fo würde man den Anblick derfelden nur 
herrlich und erhaben nennen mäffen. Wunderbar 


268 


war befonders das Schaufptel in der Nacht, bei 
dem nur von Zeit zu Zeit durch die fchwarzen 
Molfen dringenden Mondfchein. Hier fchienen 
wirklic die an den Felfen in die Hohe Flimmenden, 
brülfenden weißen Gefpenfter ein wahres Leben 
zu befißen, wie Phantome aus dem Grunde des 
Meeres heraufbefchworen, um die Erde zu beun- 
ruhigen. Das Heulen des Windes glich ihrem 
Schlachtruf, und die langen Reihen gefräufelter 
Mogen, die pfeilfchnell aus der Ferne herandrangen, 
duͤnkten mir, immer neu fih fammelnde, unerz 
ſchoͤpfliche Hülfspölfer zum Verderben der Sterb- 
lichen nachgefandt. Mitten in dem tobenden 
Gewuͤhl aber ftand, wie eine verlöfchende Kerze, 
der ungewiß flacdernde Leuchtthurm, und warf 
fein trübes Licht nur noch auf Trümmer und ein 
aſchgrau ſchaͤumendes Meer. 

Ein eigner Zufall bei dieſem Sturm war es, 
daß er die einzige Stadtuhr in Algier, und viel— 
leicht an der ganzen Nordkuͤſte in Afrika, zum 
Stillſtehn brachte. Drei Tage vergingen, ehe man 


269 


fie wieder in Stand fegen konnte. Aberglaͤubiſche 
nahen dies für eine üble Vorbedeutung. Hoͤchſt 
merkwürdig find auch folgende zwei Begebenheiten, 
deren Schauplaß ich fpäter beaugenfcheinigt, und 
ihren Hergang aus des Admirals cignem Munde 
vernommen habe. Diefer thatige Seemann, der 
fich in den Tagen der Gefahr verdreifachte, und 
an allen Orten felbit zeigte, wo Hülfe noch möglich, 
war durchnaßt und aufs Aeußerſte ermüdet, gegen 
Abend gendthigt, ſich einen Augenblid zuruͤckzu— 
ziehen, un feine Kleider zu wechfeln und fich 
durch einige Erfrifchungen zu ſtaͤrken. Als cr 
nad) geringem Verweilen mit Einbrucdy der Nacht 
wieder ausging, nahm er, von Froft gefchüttelt, 
einen Mantel um, den er am Halfe mit der 
Agraffe zubäfelte. Um den Zürzeften Weg nach 
dem fchon erwähnten Pavillon zu nehmen, von 
wo er die ganze Umgebung überfeben und dent, 
allen Schrecden des Sturmes damals noch aus- 
gefeßten Eclaireur, die nöthigen Signale geben 
Fonnte, wagte er fich über eine ſchmale, abfchüßige 


270 


Stelle des Molo, gegen die die braufenden Wogen 
fih wie Schneeberge aufthürmten. In diefem 
Augenblick ergriff ihn ein MWindftoß, fing ſich in 
feinem Mantel nnd hob ihn ohne eine Möglichkeit 
des MWiderftandes empor, ihn unaufhaltfam nach 
dem toͤdtlichen Abgrunde hinführend. Er gab 
fi) verloren. Laͤngs des Molo find Kanonenläufe 
als Pfeiler eingemauert, ein Gluͤck im Unglüd 
warf ihn gegen einen derfelben. Inſtinctmaͤßig 
klammerte er fich mit beiden Armen daran feft, 
der Schlag an die Bruft und vielleicht die unver: 
meidliche Emotion einer fo furchtbaren Kataftrophe 
nahmen ihm die Befinnung, und von überfluthenden 
Wellen bedeckt, blieb er Frampfhaft die eiferne 
Stüße umfaffend, bewußtlos Liegen. Als er nach 
einigen Minuten wieder zu fi) Fam, fah er von 
der andern Seite einen Matrofen auf fich zu: 
fommen, den er, zerfchlagen wie er war, und faft 
unfähig fich zu rühren, um Hülfe anrief, Diefer 
hatte ihn Faum aufgerichtet, als der Chirurgien 
major der Marine, ein hoͤchſt thätiger Mann, der 





271 


gleich dem Admiral überall feyn wollte, ebenfalls 
hinzufam, und erftaunt, feinen Chef in diefer 
Sage zu finden, ihm fogleich alle nöthige Hülfe 
der Kunft angedeihen ließ. Es hat etwas be 
fonders Pikantes, daß es eine Kanone war, die 
dem Admiral, der fo viel und glorreich mit diefer 
Waffe zu thun gehabt hat, jet, gleichfam zur 
Dankbarkeit, das Leben rettete. Auch ift auf 
feinen Befehl, zur Erinnerung und Auszeichnung 
von den übrigen, eine Kugel auf ihren Kauf bes 
feftigt worden. 

Un Ihnen den lebhafteften Begriff von der faft 
unglaublichen Gewalt diefes hier beifpiellofen Itatur- 
ereigniffes zu geben, hören Ste Folgendes. Der Ads 
miral führte mich auf das Dad) feines Haufes, das, 
beilaufig gefagt, früher auch der türfifche Admiral 
bewohnte, der in vergangenen Zeiten Herrn de la 
DBretonniere’s bitterfter Feind gewefen war. Das 
Haus liegt unmittelbar am Hafen, ift ungefähr 
30 Fuß hoch und auf der andern Seite über 
100 Fuß vom Meere entfernt, Auf dem Dad 


272 


befinden fi 5 bis 6 Kuppeln, unter denen das 
prachtvolle Dampfbad des algierifchen Minifters 
angebracht war. Zwifchen diefen Kuppeln hatte 
ih der Koch des Admirals placirt, um das 
Schaufpiel des Sturms zu betrachten, wozu er 
allerdings Feine vortheilhaftere Stelle hatten aus— 
fuchen fünnen. Er glaubte fid) ohne Zweifel bier 
ganz ficher, als mit einemmale eine thurmhohe 
Melle heranfam, die ganze Entfernung vom 
Meere bis zum Haufe durchfchritt, und den ent- 
festen Koch niederwerfend, weit über die Kuppeln 
hinweg fich in den Hafen ftürzte. 

Yuf einem guten Pferde, das mir der General 
Rapatel zu borgen die Güte hatte, ritt ic) am 
andern Tage über den noch naffen Meeresfand, 
dem Golfe entlang, zwifchen den Verheerungen 
der vergangenen Nacht Hin. Oft ward ich von 
den noch immer wild heranftromenden Grund— 
wellen gefaßt, die zuerft mein Pferd entfeßten, 
nad) und nad) e8 aber zu vergnügen fchienen. 
Es ift eine fonderbare Empfindung, wenn man fich 


273 


jo plöglich mitten im Meere ficht, und es Einem 
beim NRückweichen der Wogen vorfümmt, als 
müße man mit ihnen noch immer fortgeriffen 
werden. Auch fühlte ich immer dabei eine Fleine 
Anwandlung von Schwindel, wie bei der See— 
krankheit. Demungeachtet iſt es cin ergüßliches 
Spiel mit dem Bilde einer imaginairen Gefahr. 
Ueberall war der Strand voller Menfchen, die 
halb im Meere nah hergefhwenmtem Gute 
fiihten, und bis weit über Muftapha hinaus 
lagen Ueberrefte gefcheiterter Schiffe der ver: 
fchiedenften Art. Die Gefchichte eines der dorthin 
getriebenen Wracks ift nicht ohne Intereſſe. Es 
war ein fardinifches Kauffartheifchiff, das wahrend 
des geftrigen Sturmes vergebens in den Hafen 
einzulaufen verfucht hatte, die Nacht vor Bab- 
Azun Anfer geworfen, und am andern Morgen 
losgeriffen worden war. Nach) dem Berichte der 
Augenzeugen ward es, gleich dem Schiffe des 
fliegenden Holländers, mit einer fchaudererregenden 
Schnelligkeit der Küfte zugejagt und dort auf 
Semilaffo in Afrika. I. 13 


274 


den Strand gefchleudert. Noch war es gauz 
intact und in einer PBiertelftunde fchon blieb 
nichts als der einem Gerippe gleichende, im Sande 
feftgehaltene Kiel davon übrig. Einigen hundert 
Soldaten der Fremdenlegion, welche zur Hülfe 
herbeigeeilt waren, gelang es mit vieler Anz 
firengung, den Gapitain und die Mannfchaft, ſo 
wie einen großen Theil der Ladung, mitten aus 
der tobenden Sluth zu retten. Vieles trug nachher 
das befänftigte Meer noch von felbft an’s Ufer, 
und unter diefem fogar ein mit 10,000 Franken 
gefülltes Geldfäßchen, das der Gapitain ſchon 
früher, in der Angft des Augenblicks, oder von 
einer glücklichen Ahnung geleitet, über Bord ge: 
worfen hatte. Das Sciefal diefes armen Mannes 
war bedauernswerth. Zwanzig Jahre hatte er 
die See befahren, und Alles, was er fich in Diefer 
Zeit verdient, enthielt die Befrachtung feines 
Schiffes. Diefe einzige ungluͤckliche Nacht raubte 
ihm fo den fchwer erworbenen Preis eines ganzen 
mühevollen Lebens. 


275 


Der Himmel behüte uns, meine liebenswürdige 
Freundin, vor einem ähnlichen Loofe, und laffe 
unfer Lebensfchifflein immer fo glüclich fegeln, 
als Sie es verdienen, und tch es leider nur von 
der freien Gnade erwarten darf. Indeſſen habe 
ic) von jeher immer acht türfifch geglaubt: Es 
fomme wie es wolle, Allah ſey gelobt! 


Ihr 


treu ergebener 
Semilaſſo— 


Ende des erſten Theils. 


— — he DE RN, 
ud a Me mi va 
— ma 


— Be: wi 


2 ER 





Semilaſſo in Afrika. 


(Semilafjos vorlester Weltgang. II. Th. 2te Abth,) 





Semilasso 


Ber ze 


— — 


er 


Algier, Bougie, Bone. 


Aus den Papieren des Verſtorbenen. 
Hiezu die Abbildung: 


Bivouac in Khraſchna. 


Mit Koͤnigl. Wuͤrttemb. Privilegium, 


Stuttgart. 
Hallberger'ſche Verlagshandlung. 
1836. 


Fig 


TR ana ie 


> 


he 


ci 
J 


Kar FT BE, 17 20.007752 


art 
ij 


Hin 3 mu 





Die zu diefem zweiten Theil gehörende Abbildung 
Bivouge in Khraſchna 


wird, mit den übrigen Blättern zu den andern 


Theilen, in dem beſonderen Atlas mit dem Schluß des 
Werkes ausgegeben. 


Inhalts-Verzeichnits 
zum 


zweiten Theil, 


Dritter Brief, 


Geite 1. 
Sranzöfifche Generale. Franzöfifches Manöver. Unnüße 
Uebung auf dem Exercierplatz. Gefährlicher Gebrauch. 


Fremdenlegion. Baron Schaumburg. Der Deutſche 
mit den Streitäxrten. Galgencandidat. Wilhelm 


Tell zu Pferde. Der Sohn von Le Vaillant. 


fhöne Narina. Die Bai von Sidi Ferruch. Guter 
Dienft der Oppoſition. Ruinen von Torre Tschika. 
Grabmal des heiligen Maräbuts. Der zum Türken 
befehrte Spanier. Die wunderthätigen Sandalen. 
Wilde Kinder. Je bois a Berenger. Je bois à ta 
sante. Rieſenaloe. Sichere Pferde. Schluchten des 
Sahel. Altes Fort von Barbaroſſa. Exploſion des 
Pulvermagazind. GeneralBro. Das frhönfte Schau⸗ 


ſpiel auf Erden, Erwünſchtes Avancement. 


Vierter Brief. 


Seite 34. 

Fortſetzung von Juſſufs Geſchichte. Afrikaniſches Blut. 
Mädchen- u. Tänzerinnenfeſte des Paſcha. Galanterie: 

den Schönen Goldſtücke auf das Geſicht zu kleben. 


Mundfeim dazu, oder Rofen- und Jasmineffenz. 








Yu 


Eiferſucht: Feine andere Frau anzurühren, ober dem 
Balle zuzufehen. Kabburha’s Lager. Franzöfifche 
Pſyche. Der ſchwarze Eunuch. Mord um Rettung. 
Begräbnig des ermordeten Papa Bernus. Affen- 
Seetenruhe nachher. Nachficht eines Generalerben. 
Roduin. Verſchwörung. Geheime Gefellfhaft der 
Hissaviah. Gebräuche berfelben. Zugänglichkeit 
derfelben für Europäer, Erklärung des Namens. 
Perfonifieirtes Thier. Freiheit: alle Thiere nachzu— 
ahmen bis auf den Ochfen. Ein Lowe, wer will; 
ein Efel — wer muß. Roduin's Tod, Die gefangene 
Hochzeit. Die Eroberung Bone's. Herr d'Armandy. 


Ben Aissa. Befte Weife Spione zu vermeiden, 


VIII 


Chronik. 


Seite 85. 

Ali Ben Khasnadſchi. Seine Kriegstracht und ſein 
Gefolge. Habaiby; der Belgiſche Major und Herr 
Bellart. Reiſeverſuch auf eigne Hand. Frühſtück 
mit dem einäugigen Cäid, Eſelsgeduld im Sterben. 
Heimath des ariftofratifchen Princip's. Erfte Pflicht 
der Neifenden. Willkommner Empfang bei den 
Beduinen. Deren Freimüthigfeit. Kunft Cucussu 
zu fpeifen. Barbarifche Flöhe. Beitrag zur Natur- 
gefrhichte derfelben. Die Wüfte Sahara. Semilaffo’s 
Schlauheit. Arabifche Reiterkünſte. Das Abſchieds— 
mahl in Hadrah. Der devote Maräbut. Erklärung 
des Wortes: Maräbut. Säbelhandel und Säbelprobe. 
Keife auf den Kleinen Atlas. Semilaffo empfindet 
Gewiſſensbiſſe. Araby als Typus der Beduinen— 
Nationalität. Das transparente Nachtquartier. 


Ehrwürdigkeit ver arabifchen Küche, Mäßigfeitsverein 


IX 


der Beduinen. Guter Nath kommt über Nacht. 
Gelbe und graue Würgengel. Politik und Ueber— 
redungsfunft. Suk el Dschemma. Zusorfommenheit 
der Sabylen. Der Hammal. Unart der wilden 
Schweine. Das Thal von Tement-Nust. Der 
eolofiale Dschordschora. Die Ebene der Metidschia. 
Modell zum Herkules. Afrifanifcher Abfcheu vor 
Douceurs, Hyänenaugen als Zielfcheiben. Nektar 
aus Champagner zu machen. Thränen der Gaft- 
freundfihaft. Das Quiproquo. Ein Nachtftüf. Urs 
befand der Pferde und Pferdediät. Gemilaffo als 
Segenbringer. ardinaltugenden eines Domeftifen, 
Eine Carrifatur zu Efel. Cap Matafu. Coloni— 
fationsvorfchläge: da, divide et impera. Ruinen 
von Rustonium. Neminiscenz an Carl V. Doria 
und Cortez. Probe der beftien Heilmethode. Das 
Modell zu Abraham in der Bilverbibel. Borrang 
der Efel. Semilaſſo ruft um Hülfe. Der mit 
Fäuften zufchlagende Nettungsengel. Der unglüdliche 


Breitag. Die große Kanone. La maison quarree. 
Wirkliche Chamäleons im Buſen. Gang über ven 
Aratſch. Arabifhe Manier Gefchenfe zu empfan- 
gen, Semilaffo im Verdacht ver Schatzgräberei. 


Reiſejournal. 


(Bortfekung,) 


Seite 158. 

Reife des Herren Klimerathb im Auszug. Die bettelnde 
Escorte. Die Ebene von Labra. Kameele als 
Walprepräfentanten. Die Refivenz Mascara. Abdel- 
Käder. Krieg: ein Handwerk der Beduinen. Arabifche 
Stylprobe. Audienz bei Abdel-Käder, Reflexionen 
über Altertbumsforfhung. Aufklärung über den 


Stammbaum von Carl des Zweiten Hengften. Das 


XI 


Königreih Tafılet, Pferde A la Münchhaufen. 
Afrifanifche Hyperbel. Abfchied von Abdel-Käder. 
Herr Dorn aus Stettin. Die jeßigen Arbeiter an 
der Ausgrabung von Pompeji, Der englifche 
republifanifch - römifche Bürger. Fingerzeig für Re— 
doutenfreunde. Semilaſſo's Selbftanflage. Chambre 
des Pairs — chambre des meres. Semilaſſo der Held 
in Gedichten. Die ſchwarze Seite Algier's. Neue 
vortrefflihe Taſſen für Kaffeegefellfchaften. Der 
fpanifche Guerillafrieg. Anekpote von Zumalacarreguy 
und Mina. Dem Talent lächelt das Glüf. Cine 
ächt türkiſche Mahlzeit. Der den Lebendigen befriegende 
Todte. Die wunderhübfchen Wirthstöchter. Strategie 
der Hajuten. Unglück mit unbezahlten Sachen, 
Semilaffo’s Fortfihritte in der arabischen Grammatik. 
Profefior Pharao. Erfteigung der Cassba. Combat 
galant d’Ibrahim. Reponse modeste d’un Ture. 
ZTürfifche Freude bis zu Convulſionen über gutes 


Erereitium, Warnung vor europäifchen Handwerkern 


XI 


und Kaufleuten in Algier. Gewiffenhaftigfeit bes 
juge de paix dafelbft. Neife nad) Bone. Ehrenret— 
tung des Marfhall Bourmont. Admiral Duperre rettet 
die dreifarbige Kokarde. Semilaſſo's Reiſegeſellſchaft. 
Ankunft in Bougie. Noth macht erſinderiſch. Semi— 
laſſo auf dem unüberfehbaren Felde der Archäologie. 
Erfahrungsiehren. Tod aus Verzweiflung. Beſuch 
bei Herrn von Armandy. Beneidenswerthe Sorg— 
lofigfeit der Mauren im Contraft zur franzöfifchen 


Snduftrie. Art zu Bauen in Bone, | 


Fünfter Brief. 
Seite 222. 
Afrika, das Eldorado für Deconomen. Semilaſſo's 
TIhierliebhaberei. Der Nitter Pharamond. Neues 
Pferdelob. Die Ruinen von Hippone, Der Berg 


Bu-Hamrah, Kleiner Krieg ohne großes Blutver— 


XIII 


gießen, Immer vorwärts.  Grfter April. Die 
Spahis plagen gern. Neuefte Anwendung der Sol— 
daten zu Ochfentreibern. Der Efel zu Pferde, Der 
See Efzara. Ein wunderfhöner Blumenveean. Der 
endlich gefundene General. Loyale Behandlung des 
franzöſiſchen Militärs, Omelettes aufzubewahren. 
Kunft Kaffee zu brennen. Les chasseurs d’Afrique. 
Der Cavallerift, wie er feyn foll. Vergoldete Hügel. 
Merkwürdiger römifcher Canal. Unterhaltungen am 
Caminfeuer, Bereicherung der deutſchen Sprache. 
Eine Dame für drei Ochfen und ein Kalb. Reize 
Perſiens. Der ruffifche Eunuch. Semilaffo entwirft 
neue Reifepläne. Herrn von Armandy's erſte Tiger- 
jagd. Eine afrifanifhe Sauhetze. Skizze zu einem 
Liebesroman, Juſſuf's Villa, Semilaſſo's Hang 
zur Unabhängigfeit. 


XIV 


Sechster Brief. 


Seite 265. 

Semilaſſo's Iururiöfe Wohnung in Bone, Eine Berg- 
partie en gros. Die einem Tulpenbeet vergleichbare 
Escorte. Blumencatalog. Die graziös einander 
beißenden Pferde. Ingdabenteuerliches. Gefährlicher 
Aufenthalt in Bone. Unzugänglichfeit von Conſtan— 
tine. Der Berg mit vier Höckern. Conjeeturen über 
die Römer. Ein neuentdecktes Maräbut-Grab. Semi- 
Yaffo begeht ein Saerilegium. Unglaublich mäßige 
Menfchen. Das türfifhe Gefolge agirt eine Juden— 
ſchule. Stürzende Pferde auf pittoresfen Wegen. 
Werth ver Nomantit. Waghalfigkeiten. Die blau 
gefleckten Chriften. Die furchtbar fihönen Kohlen- 
brenner. Koftbarfeit einer guten Mahlzeit, Berlorener 
Dollond, verlorene Ferne. Semilaffo gibt Stoff zum 
Nachdenken. Neues Spyftem der Zoogonie. Aechter 
Urmenſch ift der Araber. Aus dem Araber kann jede 


| 
| 





XV 


Menfchenrace produeirt werden, Parallele zwifchen 
Menfchen und Vferden. Die Race der Bücherfchreiber 
fteht dem Typus des Menfchengefchlechts nicht am 
nächften, Semilaſſo muß wie ein primitiver Seide Leben, 
Rechtfertigung gegen die Befchuldigungen einer Ber- 
liner Dame. Progrefien in der Gaftronomie. Neues 
Kaffeereglement. Die wahre Diplomatie foll man in 
der Kochkunſt fuchen. Merkwürdiges Duell in Hemde— 
Ärmeln, Semilaflo inclinirt zum Fatalismus. Na— 
poleon: ein Held der Mythe im Orient. Feier des 
großen Bairamfeftes. Auffallendes franzöftfches Kriegs- 
fhiff. Expedition nach dem Cap rouge. Großer 
altrömifcher Marmorbrud. Grabmal des Maräbut 
Sidi Aissa. Berüdfihtigung guter Hausordnung. 
Väterlicher Rath an feinen Neffen, 


XVI 


Reiſejourmnal. 


Seite 309. 

Abſchied von Bone. Wahl: zu ſcheitern oder geſchlachtet 
zu werden. Lethargie. Die leere Küche und der 
ſchöne Türke. Die Inſel Tabarka. Myſtiſcher Strauch 
in der Ruine einer chriſtlichen Kirche. Zierliche Felſen. 
Ungeſtillte Neugier. Die verrufenen Beduinen. Ein 
reſpectabler Bart. Verkehr in einem mauriſchen 
Caffee. Der negocirende Barbier. Genuß in Be— 
trachtung ausdrucksvoller Kahlköpfe. Der halbe Koch. 
Der Menſch denkt, Gott Ienft. Unfreiwillige Diät 
oder: Hunger ift der befte Koch. Der rontraire Zephir. 
Berwünfchte Mameluckenhoſen. Geduldübungen. 
Anmuthige Reiſenachbarſchaft. Glückliche Fahrt nach 


Biserta. 


Dritter Drterf 


An den 8. P. Oberſten, Grafen 
von W..... zu. 9... 


Algier, den 22. Februar 1835. 
Lieber Freund! 


Mi: milttärifchen Befanntfchaften machen hier 
eine große Annehmlichkeit für mic) aus. Der 
Gouverneur und der commandirende General, 
Baron Rapatel, mit fehr gebildeten und unter- 
richteten Adjutanturen, die Generale Trezel und 
Bro; der Commandenr der Suaven La Moriffierc, 
der Dberft Bernelle, Befehlshaber der Fremden— 
legion, noch eins der Gardefinder Napoleons, 

Semilaffo in Afrika. IT. 1 


2 


der auch als militairiſcher Schriftfteller rühmlich 
befannte Oberft der Chasseurs d’Afrique, Baron 
Schaumburg; die Commandeure der Spahis, 
Oberſt Marey, Aga der Plaine, und der famofe 
Zürfe Zuffuf, nebft noch mehreren Andern, haben 
mich Alfe mit fo viel Artigfeit und Zuvorfommenheit 
behandelt, daß ich Algier nur voller Dankbarkeit 
für fie verlaffen Fann. 

Die hieſige franzoͤſiſche Infanterie (das 67. 
Lintenregiment und 10. und 13. Infanterie 
legere) bejteht groͤßtentheils aus Conferibirten, 
und da die Truppen (in gewiffer Hinficht fehr 
zweckmaͤßig) auch viel zu Straßenarbeiten ver— 
wendet werden, fo laßt ihr Mandoriren für ein 
an preußifche Genauigkeit gewöhntes Auge allers 
dings Einiges zu wünfchen übrig, befonders fand 
ic) ihre Bewegungen fehr langfanı. Am meiften 
wich ihre Chargirung von der unfrigen ab, Die 
Handgriffe wurden mit weniger Pünftlichfeit und 
Schnelle ausgeführt, wobei denn auch Stellung 
und Richtung, was weniger wefentlic) ift, fehr 


Er 





3 


aus der Acht gelaffen wird. Eben jo ungenirt 
ift das Marfchiren. Doc) um auf die Chargirung 
zurüdzufommen, fo verliert man hier bei diefer 
durch Niederfnicen und Miederaufftehen des erften 
Gliedes, durch das Auffchütten des Pulvers 
auf die Pfanne, Drehung des Ladeftodes und 
zweimaliges Hinunterftoßen deſſelben auf bie 
Ladung, welches Alles (bis auf das einfache 
Hinunterftoßen der Ladung) bei uns wegfallt, 
grade die doppelte Zeit, deren ein gut einerercirter 
preußifcher Soldat zu demſelben Zwecke bedarf. 
Man fagte mir, im Felde made man es eins 
facher; warum aber dann dieſe unnüße Uebung 
auf dem Exercirplatz? Webrigens müßten dann 
auch Gewehr und Ladeſtoͤcke gleich den unfrigen 
organifirt feyn. 

Ein fonderbarer Gebrauch ſcheint, ich weiß 
nicht, ob allgemein oder nur bei einzelnen Regi— 
mentern, im Lager zu berrfchen. Ein Offizier, 
aus deutſchem Dienft herübergefommen, erzählte 
mir, daß er im Auguft vorigen Jahres, bei 


4 


\ 


einem DBataillon der Aremdenlegion in Tuled 
Mandil, die geladnen Gewehre, je drei zu drei, 
15 bis 20 Schritt von den Zelten der Soldaten 
entfernt, vor der Front aufgeftellt fab, welche nur 
durch zwei factionnaires bewacht wurden. Wie 
böchft unzweckmaͤßig eine ſolche Einrichtung in 
einem ganz freien Lager, rings herum von Feinden 
umgeben, ift, fpringt in die Augen, Ohne Zweifel 
hat man feitdem einen fo gefahrlichen Gebrauch 
ganz abgefchafft ; daß er aber mehr als einmal 
jtatt gefunden, weiß ich mit Beftimmtbeit, 

Die erwähnte Fremdenlegion, bet der viel alte 
Soldaten find, beftehbt aus 6 DBaraillonen, wovon 
4 aus Deutfchen, 1 aus Volen und 1 aus 
Staltenern zufammengefeßt find. Das ftebente, 
aus Spaniern, ift zurücdbernfen worden. Die 
Truppe fol fich fehr gut fchlagen, birgt aber 
Abenteurer aller Art, ohne Zweifel auch viele 
Derbrecher, in ihrem Schooß. Wenigſtens werden 
haufig Individuen daraus von den Behoͤrden 
wiederperlangt und zumerlen in Ketten fort 


5 


transporfirt. Ein eigenthümlicher Vorfall trug 
fi) vor einiger Zeit hierbei zu. Ein deuticher 
Cavalleriſt, der, wie es fcheint, fchwere Handlungen 
auf feinem Gewiffen hatte, fich hier aber fo gut 
aufführte, und fo oft im Felde auszeichnete, daß 
ihn feine Oberen fehr wohl wollten, ward plößlich 
mit beigefchieftem genauen Signalement von einer 
deutfchen Negierung, wegen erwiefener todeswürs 
digen Schuld, zur fofortigen Auslieferung reclamirt. 
Das Signalement fchilderte den armen Teufel 
vollfommen richtig, es blieb nur noch übrig zu 
ermitteln, ob er auch, wie dies befagte, und 
befonders auf diefen Umftand appüpirte, auf dem 
rechten Arm zwer Säbel mit Pulver eingegraben 
babe. Durdy einen jener Glücsfälle, die einen 
Menfchen noch unter dem Galgen retten, batte 
fi) aber unfer Delinquent, weil er jeßt als 
Sapeur diente, vermöge einer neuen fchmerzhaften 
Operation, die Sabel in zwei ftattliche Streirarte 
umgewandelt. Diefer an fich fo geringfügige 
Umftand rettete ihm Leben und Ehre, denn da 


6 


feine Vorgeſetzten ihn als einen vortrefflichen 
Militair nicht gern verlieren wollten, fo benugte 
man fchnell den günftigen Zufall und antwortete 
kurz: Das überfchicte Stgnalement paffe nur 
unvollfonimen und theilweife auf das hicfige 
Individuum. 

Sehr intereſſant waren mir die Mandver der 
Spahis, die Oberſt Marey vor mir im Feuer 
exerciren ließ. Ihr Tirailliren war in der That 
bewundernswuͤrdig. Die Schnelligkeit und Sicher— 
heit der Pferde, die Kuͤhnheit und Geſchicklichkeit 
der Reiter, ihr ruhiges Schießen mit der Flinte 
im vollen Lauf, und die Gewandheit, mit der ſie 
ſich in der ſtaͤrkſten Carriere ſpielend auszuweichen 
und beizukommen wiſſen, befhämte unſere Caval— 
lerie. Ein Einziger ſtuͤrzte, ohne ſich jedoch den 
mindeſten Schaden zu thun, noch ſein Pferd los 
zu laſſen und war im Augenblick wieder im 
Sattel. Am meiſten zeichneten ſich zwei Schwarze 
aus, beide Deſerteurs von den Truppen des Bey 
von Conſtantine. Beim ſchnellſten und gehaltenſten 





7 


Lauf ihrer Pferde, halb in den Furzen Bügeln 
fichend, und mit der Flinte im Anfchlag, machte 
ihr Körper nicht mehr Bewegung, ald wenn er 
von Marmor gewefen ware. Im Morbeijagen 
drüdten fie ihre Gewehre uns faft auf der Bruft 
ab. Es gab, fagte mir der Oberft, einen fo geſchick— 
ten Chef in der Plaine, daß er einem feiner Leute, 
mit einer Pfeife in die Bernus geſteckt, welche 
nur fechs Zoll über deffen Kopf hervorragte,' vor 
ſich herrennen lieg, und ihn verfolgend ſelten 
die Pfeife mit der Flinte fehlte, Einmal foll 
jedoch diefer Wilhelm Tell zu Pferde, mit aller 
Verfidie der Araber, feinem Lieutenant, dem er 
nicht mehr traute, mit fcheinbarer UngefchidlichFeit 
auf diefe Weife den Kopf zerfchmettert haben. 
Die Art der Attaque beim Tirailliren ift folgende. 
Sie nehmen das Gewehr in die linfe Hand, ſetzen 
ihr Pferd in vollen Lauf, laffen den langen Zügel 
fallen und halten ihn nur noch am Ende mit 
dem Kleinen Finger derfelben Hand feft. Dann 
ihlagen fie an und find, halb in den Furzen 


8 


Bügeln ſtehend, wie ich ſchon erwähnt, fertig, 
nach vorn, nad) der Seite oder hinter fid), mit 
Sicherheit zu ſchießen. Sp wie fie abgedrüdt, 
greifen fie mit der rechten Hand in den Zügel 
um das Pferd anzuhalten, werfen die Flinte 
wieder über die Schulter oder unter den linken 
Arm, nehmen den Zügel ebenfalls fchnell in die 
linfe Hand und ziehen mit der jeßt freien Nechten 
den Sabel, der linfs unter dem Sattel am Pferde 
anliegt, nicht wie bei ung um den Leib gefchnallt 
getragen wird. Auch diefe Waffe führen fie mit 
großer Geſchicklichkeit und Energie. 

Die Piftolen tragen fie in einer goldgeftickten 
Zafche links, fo daß die Griffe an der Bruft 
herporragem An diefe iſt eine dünne um den 
Hals gefhlungene Schnur befeftigt, damit fie, 
wenn fie abgefchoffen, die Piftolen fogleich über 
die Schulter werfen mögen, ohne fie verlieren zu 
koͤnnen. Rechts hängt die Patrontafche. Dies 
ſcheint mir ungleich zweckmaͤßiger, als unfre Art 
die Piftolen am Sattel zu tragen, wo fie dem 





9 


Reiter beim WVerluft des Pferdes mit verloren 
find. Eben fo halte ic) ihre Sättel zum Kampf 
weit befjer eingerichtet, und ſicherer in vielerlei 
Gefahr, als die unfrigen. Die gefchloffenen 
Mandver find freilich die Sache dieſer Truppen 
nicht, doch ging es Damit weit leidlicher als ich 
erwartete. Die Araber jelbft haben cine faſt 
unbefiegbare Antipathie dagegen, wahrend fie das 
Zirailliren, befonders wenn fie dabei losſchießen 
dürfen, (was immer etwas bedenklich it, weil es 
oft vorkommt, daß fie in der Distracttion Kugeln 
einladen) mit wahrer Leidenfchaft (auszuführen 
fcheinen, 

Ueber ihre Tracht wollen fich die Spahis keine 
allgemeine Vorſchrift gefallen laſſen. Jeder kleidet 
ſich nach Belieben in den bunten Schmuck, der 
ihm am beſten anſteht; nur eine rothe Bernus 
ſollen fie zur Unterſcheidung von den’ Beduinen 
tragen, ich fand aber auc) damit faum die Halfte 
verfehen. Einige artificielle Araber waren troß 
des nachgeahmten Coſtuͤmes leicht zu erkennen. 


10 


Herr von La Moriffiere hatte ſich gätig erboten, 
mich nad) dem Kandungsplaße der franzofifchen 
großen Erpedition zu begleiten, und mir auf dem 
Terrain ihres Vorrüdens und der verfchtedenen 
darauf folgenden Gefechte zum Cicerone zu dienen. 
Fürchte nicht, lieber Freund, daß ich die Gelegen— 
beit benuße, um Dir hier cine der unzähligen 
Relationen dieſes Feldzugs abzufchreiben oder 
aufzuwärmen, nur die Erzahlung eines Spazier— 
rittes und hie und da cine verlorene Bemerfung 
will ich Dir zumuthen zu Iefen. 

Um acht Uhr früh verlieh ich mit einer Escorte 
der Chasseurs d’Afrique, und in Gefellfchaft 
des Herrn von Sarcelle, Adjutant des General 
Rapatel, des belgifchen Conſuls und des gefcheiter: 
ten Major Stockmann, die Stadt, um mich zuerft 
nach EI Ibrahim zu begeben, wohin uns der 
Commandenr der Suaven zum Fruͤhſtuͤck ein: 
geladen hatte. Schon cine Viertelftunde vom 
Camp, das in einer oͤden und wilden Gegend 
liegt, empfing uns der Hauptmann Manuel, ein 





11 


eleganter Offizier, der gleichfalls der Eroberung 
Algiers beigewohnt hat, jetzt aber eben von Paris 
zuruͤckkam; ein Contraft, der in diefer unwirthbaren 
Wildniß frappant feyn mochte, denn man Tann 
fagen, daß die Herren bier fortwährend nur 
bivouafiren. Demungeachtet war unfer Srühftüch, 
in einer ziemlich geraumigen Barake fervirt, fo 
reichlich als gut, und vor Allen ungemein heiter. 
Auf das Angenehmſte überrafcht ward ich noch 
überdies dadurch, daß ich erfuhr, mein zweiter 
Tiſchnachbar fiy ein Sohn des berühmten Reifenden 
Le Vaillant, der von feinem Dater die Liebe zur 
Naturgefchichte und Jagd in gleichem Grabe 
geerbt zu haben ſcheint. Wie er mir fagte, 
widmete er alle Zeit, die ihm der Dienft übrig 
laßt, mit dem beften Erfolg diefen beiden Gegen; 
ftänden, und die Damen Algiers, meinte er, 
pflegten jeden neugefchoffenen Vogel dis Sohnes 
mit eben fo vielem Sutereffe in Augenfchein zu 
nehmen, als weiland die fchöne Narina Die 
Sagdleute feines unermüdlichen Vaters. 


12 


Nach Tiſch begab man ich in eine andere 
Barake, le cafe du camp, wo wir den Mofa 
gemächlich fchlürfend, Billard fpielten, bis unfre 
Roffe gefattelt waren. Herr de la Morissiere 
hatte die Großmuth, mir ſtatt meines (diesmal 
veteftabeln) Mierhgauls eines feiner beften Pferde 
zu geben, und bald ſah man unfre ftolze Cavalcade 
durch Palmita’s und Arbutus den Abhang hinab- 
galoppiren, der wüften und Fahlen Ebene von 
Staoueli und Sidi Ferruch zu. 

Leider war das Wetter nichts weniger als 
sünftig. Früh hatte es fogar etwas gefroren, 
denn nad) dem Sturm, den wir ausgehalten, it 
die Witterung ungewöhnlich rauh geworden, und 
ein fcharfer eifiger Wind durchzog unfre Kleider 
mit empfindlicher Kalte. Für mic) war dies 
un fo umangenehmer, da ich, eher auf Hike 
rechnend, weder Ueberrod noch Mantel mitge— 
nommen hatte, und ich fühlte mich daher ernftlich 
unwohl, als wir in Torre Tschika, dem Tempel 
des heiligen Marabut, anfamen. Doc) ftellten mich 


13 


einige Schluc des, von Trelawney als die Panacee 
für alle Uebel angepriefenen Genevre, nebft freund- 
licher Darleihuug einer wärmenden Bernus, gluͤck— 
licherweife bald wieder her. 

Die Bat von Sidi Ferruch war allerdings 
ein vortrefflich gewählter Plag zur Landung, mi: 
der weit in die See vortretenden engen Landfpiße, 
welche fo fehnell durch einen tiefen Graben mit 
Bruftwehr, einigen Nedouten und Pallifaden an 
den Enden bis ins feichte Meer hinein, zu einem, 
für Araber unnehmbaren Lager umgeformt werden 
fonnte. Schwer zn begreifen bleibt es aber immer, 
da der Dey den Pan der Sranzofen durch alle 
Zeitungen vorher Fannte, daß er gar Feine Anftalten 
getroffen hatte, die Landung zu verhindern, wober 
ihn die Localität genug begünftigte, um fie zu 
einer fehr fchweren Aufgabe zu machen. Sch 
möchte faft der von Dielen gehegten Meinung 
beipflichten, daß das unverftandige Betragen der 
damaligen DOppofition bier dem Gouvernement 
einen unerwarteten Dienft geleitet hatte. Es foll 


14 


namlich im Rath des Dey der Verdacht allgemein 
gewefen feyn, daß diefe Aufdeckung des Operationd- 
planes in den Öffentlichen Blättern, bet einer fo 
fchlauen Nation wie die Frangofen wären, nur 
eine Kriegslift feyn Fonnte, und fie daher gewiß 
dem Wege Carls des Fünften folgen, oder bei Cap 
Matifoux debarkiren würden, nach welcher Vor— 
ausfegung dann die Vertheidigung von den Zürfen 
berechnet wurde. 

Det alledem iſt es fonderbar genug, daß die 
frangofifche Flotte, ehe noch ein großer Theil des 
Gefchüßes, der Lebensmittel und faft alle Pferde 
ausgefchifft waren, ein eben fo heftiger Sturm als 
wie Carl den Fünften überfiel, der, wenn er ſich 
nicht nach wenigen Stunden gelegt, ohne Zweifel 
der neuen Expedition ein ähnliches Ende, wie der 
älteren bereitet haben würde. 

Wir ruhten einige Zeit in den Nuinen von 
Torre Tschika aus und befahen die dortigen 
Reliquien nebft den Grabmahlern des heiligen 
Maräbnt’8 und feines Freundes, des Spaniers, 


w 


15 


den er daſelbſt befehrte. Die Gefchichte diefer 
Begebenbeit ift folgende. Der fpanifche Schiffs- 
herr war mit dem Marähut, den er hierher ges 
bracht, ans Kand gegangen, wo Beide, von der 
Hitze ermüdet, fih dem Schlafe überließen. Ale 
der Spanier zuerft wieder erwachte, biendete ihn 
der Bofe, den nod immer tiefen Schlaf feines 
Gefährten zu benußen, um unterdeß heimlich mit 
feinen Effecten abzufegeln. Er ſtach in die See, 


“ doch nie fonnte er aus der Bat herausfommen, 


ein Zauberwind trieb ihn vierundzwanzig Stunden 
lang fortwährend darin im Kreife umher, und 
warf ihn zulegt an derfelben Stelle ans Land, 
wo ber Maräbut noch ruhig dafaß und ihn freunds 
lich begrüßte. Voll Neue geftand der Spanier 
fein verrätherifches Beginnen, und lieferte die 
entführten Habfeligkeiten aus; worauf er, durch 
die Verzeihung des Heiligen geftärft, fich von 
Neuem einfchiffte. Doch daffelbe Schickſal er: 
wartete ihn noch einmal, und nach vierundzwanzig 
Stunden trieben ibn die Wogen wieder auf den 


16 


Strand. Laͤchelnd empfing ihn der Maräbut. 
Verzeih, fagte er, du hatteft meine Sandalen 
noch im Schiffsraume vergeffen, die ließen dich 
nicht fort. 

Dies legte Wunder erweichte des Unglaubigen 
Herz. Er ſank zu des Marabut’s Füßen nieder, 
bat um feinen Segen, ward ein Mufelmann, und 
ftarb als frommer Einfiedler an der Seite des 
Heiligen auf derfelben Stelle. 

Wir nahmen uns die Freiheit von dem bereits 
zerbrochenen und morfchen, einft vergoldeten Git- 
terwerf des gefeierten Grabes, nod) einige Stüd- 
hen mehr abzulofen und mitzunehmen, ohne daß 
uns der Raub fo übel befam, als weiland dem 
untreuen Spanier, 

Das Land, welches wir auf diefer Excurſion 
paffirten, beftand größtentheils aus einer mit 
verfchiedenen Hügelreiben durchzogenen Ebene, die 
zwar wüft, aber Feineswegs unfruchtbar, dicht mit 
Geſtruͤpp bedecft war. Eine Unzahl von Dleander, 
Arbutus, Granaten, Myrthen, Lavendel und vielen 





17 


Blumen überfleiden fie im Frühjahr mit dem 
bunteften Gewande, und grüne Wieſen wechfeln 
anmutbig mit den Gebüfchen ab. Einige römifche 
Ueberbleibfel machen ſich hie und da bemerkbar, 
doch find fie von wenig Bedeutung. Kurz vor 
El Ibrahim, wo die Srangofen nach der erften 
gewonnenen Schlacht Poſition nahmen, Andert 
fih die Gegend und zeigt ein coupirtes Terrain 
mit Baumen, Hecken und höherem Gebuͤſch im 
Ueberfluß verfehen. Seitwaͤrts liegen einige ara- 
bifche Dörfer, die erften, welche ich fah. Sie 
beftehen theils aus fehr armlichen Schilfhütten, 
theils aus ſchmutzigen Zelten von Cameelhaar, in 
denen fich halbnackte Kinder zufammen drängten, 
die ung mit Furcht und Schrecken anftaunten, und 
in Mienen und Gebehrden ganz als Wilde erfchies 
nen, Obgleich wir ihnen Geld zuwarfen, wollte 
ſich doch Feins derfelben herauswagen um es zu 
holen, dagegen nahmen die Erwachfenen nur wenig 
Notiz von und. Auf einer Wieſe daneben lag 
unter einem Baum, von zwei fichenden Kammerz 
Semilaffo in Afrika, II. 2 


18 


herren begleitet, der Chef der Tribus, der Schech 
Ben Omar ein uralter Dann mit langem, ſchloh— 
weißen Bart. Er und fein Hofftaat waren gleich 
zerlumpt. Dennoch verficherte man mic), daß der 
alte Geizhals ein Vermögen von mehr als 300,000 
Franken befaße. Ueberdies ſchien er fehr übler Laune 
und machte nicht die nrindeften Umftände mit den ihn 
umgebenden Refpeetsperfonen, Die Gegend, wo man 
fhon wieder einige verfallene Landhaͤuſer fieht, bietet 
viele malerische Puncte, namentlich zeichnete fich eine 
berrliche Schlucht mit einem frifchen Bache aus, atız 
gefüllt mit Joujoubiers, Orangen und andern, von 
Lianen umrankten, Baͤumen, nebft einer Art Schilf, 
deffen Stengel hier bis 20 Fuß Höhe erreichten, 
Dem Vorruͤcken der Truppen muß diefes Terrain 
in einem ganz unbefannten Lande mancherlei 
Schwierigkeiten entgegengefeßt Haben, auch zeigte 
man mir ein Dlivenwäldchen, in dem die Araber, 
verborgen und gefchüßt, mit ihren weit reichenden 
FSlinten den Franzofen viel Leute getödtet haben 
folfen, und weiterhin auf dem rechten Flügel einen 





19 


Ravin, in dem eine ganze Compagnie zufammen: 
gehauen wurde, weil fie auf die unglücdliche Idee 
gefommen war, ihre Gewehre zu pußen, 

Mit untergehender Sonne erft Famen wir in 
El Ibrahim an, wo wir ung fogleich zum Tuftigen 
Mahle der gafifreien Suaven niederfeßten, das 
heute uns zu Ehren bis tief in die Nacht ver 
längert wurde, Viele der Offiziere übten beim 
Deffert die huͤbſche und gefellige Sitte der Franz 
zofen, ernfte und leichtfertige Lieder beim ſpru— 
delnden Schaume des Champagners zu fingen, 
Sie wußten deren nicht wenig von allen Arten 
auswendig, fehlte es aber ja an einem neuen, fo 
dichtete dies der Eonful, dem man zu dieſem 
Endzwed Feder und Tinte gebracht hatte, mit 
eben der Leichtigkeit, wie man cine Adreſſe 
niederfchreibt. Kin folches Talent der Improvi— 
fation ift mir feit Stalten nicht wieder vorgekom— 
men, und erfihlen mir um fo auffallender, da 
diefe Productionen auch bei näherer Prüfung einen 
bleibenden Werth behaupten, 


20 


Hier Eins zur Probe, was zwar heute nicht 
gemacht wurde, fondern ſchon einige Monat alt 
ift, aber das doppelte Intereſſe gewährt, daß es 
eine noch unedirte fehr gracieufe Antwort Berengers 
hervorrief, dem einer der Zuhörer es heimlich 
zugefchickt hatte, Sch füge diefe gleichfalls hinzu, 
und hoffe, daß Du Dich cben fo wenig als ich 
darüber feandalifiren wirft, uns in der erften 
Chanfon als Vandalen aufgeführt zu finden, 
Man muß dem gefränften Nationalſtolz der 
Franzoſen Einiges verzeihen. 


Mr. Lecoo Ä BERENGER. 


Il est un dieu ! devant lui qu’on s’incline, 
Amis, ce dieu vous le connaissez tous. 
La France l’aime et V’histoire burine 
Son nom cheri de sages et des fous. 
Quand des tyrans pesaient sur la patrie, 
Ses vers magiques ont su nous consoler; 
Que de nectar ma coupe soit remplie, 

Je bois a Berenger, (bis.) 





21 


J’ai vu le nord vomissant ses vandales 
De nos hameaux oser troubler la paix 
Et du Volga les poudreuses cavales 
Fouler l’or pur de nos riches guerets ; 
Le cri plaintif de la France asservie 
Reveille alors le luth du Chansonnier ; 
Que de nectar ma coupe soit remplie, 


Je bois a Berenger. (bis.) 


Libre et poete, aux autels de l’empire 
ll n’alla point brüler un vil encens; 
Mais un jour vint qu’il suspendit sa Iyre 
Sur le tombeau de ces mänes-geants. 

Du laboureur la famille attendrie 
Redit ses chants a l’entour du foyer 
Que de nectar ma coupe soit remplie, 


Je bois a Berenger, (bis.) 


R&EPponsE DE BERENGER. 


L’Ai brillait, et ton tendre delire 
En doux accents a salue mon nom; 
Ces chants heureux echappes à ta lyre 


Un vent leger m’en a porte le son. 


22 


Gräce aux accords de ta Iyre badine 
J’aime sourir & ma divinite: 
Tu m’as fait dieu; devant toi je m’incline; 


Sans t’en vouloir je bois A ta sante, (bis.) 


Oui, j'ai pleure sur notre independance 
Quand du Volga les coursiers vagabonds 
Osaient fouler le beau sol de la France; 
Un saint transport inspira mes chansons, 
Mon luth alors sous mes doigts en delire 
Rendit des sons chers à la liberte ; 

Mais je suis vieux, je te le&gue ma Iyre; 


Sans t’en vouloir je bois a ta sante, (bis.) 


Celui qui dort aux rocs de St. Helene 
De sa grandeur effraya mes travaux; 
Mais il n’est plus et sa derniere haleine 
Vint en mourant effleurer mes pipeaux. 
Point ne par& de sa croix noble et fiere 
Ce pauvre habit qu’ai si long temps porte; 
Une autre croix brille a ta boutonnicre , 


Sans t’en vouloir je bois a ta sante, (bis,) 


23 


Die Nacht war wärmer geworden Bei 
hellem Mondfchein, der die weißen Willen 
grell beftrahlte, und das Meer bis an den 
Horizont. verfilberte, Fehrten wir, vor jeden 
Luftzuge durch die Dichten Bernus unfrer gütigen 
Wirthe geſchuͤtzt, erſt ſpaͤt nach Mitternacht heim, 
Gluͤcklicherweiſe befreite uns eine Ordre des 
Gouverneurs von der Beſorgniß, am Thore Baba- 
Zun eine aͤhnliche Quarantaine halten zu muͤſſen, 
wie mir vor einiger Zeit in Toulon zu Theil ward. 
Heitere Geſpraͤche verkuͤrzten uns den langen Weg, 
und immer werde ich den liebenswuͤrdigen Suaven 
fuͤr dieſen Tag vergnuͤgter Erinnerung verſchuldet 
bleiben. 

Auch allein und ohne Escorte, oder nur von 
J. .. begleitet, mache ich haufig kleine Ausflüge 
in die Umgegend, die immer Manches, einem 
Europäer Neues und Fremdartiges Darbieten, Doc) 
find in diefer Sahreszeit die ganz hellen Fernen, 
wo Feine Nebel das Gebuͤrge decken, ziemlich felten, 
und man darf nicht faumen fie forgfam zu benußen, 


24 


Als wir neulich an einen folchen günftigen 
Tage auf dem abfcheulichften Steindamm, viel 
leicht der Neft einer römischen Straße, lange durd) 
ein undurchdringliches Genifte von Rieſen-Aloe's, 
Binfen und Dornen uns durchgewunden hatten, 
wandten wir uns in eine tiefe Bergfchlucht, deren 
Charakter mir wilder als die bisher gefehenen, 
und faft fchweizerartig erſchien. Wir holten eine 
hübfche Staliänerin mit ihrer Schwefter ein, welche 
Beide mit vielem Muthe und Gefchielichkeit ihre 
Heinen Pferde jene, in Europa gewiß für Damen 
als unpaffirbar geltenden, Wege binauftrieben, 
die nach ihrem Landhaufe führten. Dort fanden 
wir den Ehegemahl in einer Bloufe vor dem 
Thore ftehend, einen Drangenbaum ſtutzend, und 
überhaupt, wie es fchien, der Kandwirthfchaft fehr 
ernftlich obliegend. Die Villa war fehr reizend 
gelegen, und bot von ihrer ZTerraffe einen reizenden 
Anblick auf mehrere bebufchte Bergthaler, mit 
einem Bach im Grunde, an dem ganz neuerlich 
Europaifche Coloniften vaterlandifche Mühlen aufs 


25 


gebaut hatten. Dergleichen ſieht man nie in der 
weiten Fremde ohne ein eignes, halbwehrs, halb: 
füßes Gefühl, Mühlen find aber ohnedics meine 
wahre Leidenfchaft von jeher gewefen, und da die 
meines DBegleiters fi) im Gegentheil auf die 
Stalianerin zu richten ſchien, fo benußte ich Bei— 
der lebhafte Unterhaltung, um unterdeß nach einer 
der genannten Mühlen hinabzureiten, Der gute 
Ehemann hatte zwar die Öefalligfeit mich bis auf 
den rechten Weg zu begleiten, als ich aber nachher 
an den jeßt ziemlich waſſerreichen Waldſtrom 
fam, mußte ich dennnch eine falfche Direetion 
eingefchlagen haben, denn ehe ich mir es verfah, 
befand ich mich auf einem, in der Regel wohl 
nur Ziegen zugänglichen, Fußpfade, und an einer 
fo gefährlichen Stelle, daß der mindefte Fehleritt 
mich unvermeidlich einige Funfzig Fuß in den 
Bach hinab erpedirt haben würde. Das Fatalſte 
war, daß eine Felfenwand zur Seite mich auch 
am Herabipringen vom Pferde hinderte, und Ich 
ohnedies befürchten mußte, durch jede Bewegung 


26 


dem Thiere das ihm fo nöthige Gleichgewicht zu 
rauben. An Umdrehen war gar nicht zu denken; 
es blieb alfo nichts übrig, als mich dem Kismet 
zu überlaffen, und zugleich zum Fallen zurecht zu 
machen, Glüclicherweife war die bedenkliche Stelle 
nur wenig Schritte lang, ein paar Gefunden 
brachten mich hinüber, und gleich dahinter vers 
breiterte fi der Felfenpfad bedeutend. Sch ftieg 
hier ab, um mir die halsbrechende Paſſage noch 
einmal zu befehen, und kann verfichern, daß neben 
der, in berabgefhwernmten Lehm eingedrückten, 
Hufipur des Pferdes Faum einige Zoll fefter 
Grund auf beiden Seiten übrig blieben. Aber 
ein hiefiges Pferd, das man, ohne es zu hindern, 
ſich felbft überlaßt, wird ficher über Wege Flettern, 
die viele Menfchen nicht zu Fuße zu paffiren im 
Stande find. Dagegen war feine meiner Reiter 
fünfte vermögend, das fonft fo willige Thierchen 
an das ihm unbefannte, und fein ftarres Entfeßen 
erregende Europäische Mühlenrad zu bringen. 
Schnarchend und am ganzen Leibe zitternd drehte 


27 


es um und machte Miene den Berg in grader 
Linie zu escaladiren, fo, daß ich mich genöthigt 
ſah, die idyllifche Scene, die ich in der Mühle 
vorausfeßte, aufzugeben, und auf einem Umwege 
der italienifchen Villa wieder zuzueilen, 

Nachdem ich Fe... bier abgeholt, irrten wir 
noch eine ziemliche Zeit in den verfchiedenen 
Schluchten des Sahel (allgemeiner Name des 
DBergfnotens um Algier) umher, bis wir wieder 
nach Meften an das Meer gelangten, und lange 
diefem unfern Weg nach der pointe de Pescade, 
dem aͤußerſten franzöfifchen Poften nach dieſer 
Seite hin, fortfigten. Dies iſt cine höchft roman— 
tifche Gegend, deren einſame, ernfte Ufer mich durch 
ihre fchwarzen, vom Meer zernagten Felſen, ihre 
jahen Abftürze mit Höhlen und Grotten, in denen 
die Fluthen fortwährend braufen und zifchen, 
lebhaft an die mir fo theuren, unvergeßlichen 
Irlaͤndiſchen Küften erinnerte, Auch fah ich 
hier zum erftenmal wieder folhe baumwollenartige 
Flocden trockenen Schaumes, die der Wind wie 


28 


in heitern Spiel bis auf die Berge heraufführt, 
Die Ruinen des alten Fort's auf einer weit ind 
Meer vordringenden fchmalen Felfenzunge, von 
dem berühmten Barbaroffa erbaut, gewähren eine 
eben fo fchöne Anficht, als von feinen verfalle: 
nen Zinnen eine großartige Ausſicht. Noch 
herrlicher ift diefe jedoch noch eine halbe Stunde 
weiter, wo ein Heer wunderbar geftalteter Klippen, 
gleich einem zauberifchen Seepallaſt, aus den 
Wellen hervortauchen. Unfere Pferde an einen 
einfamen Feigenbaun bindend, der ein Grab 
befchattete, Kletterten wir zu Fuß bis an die 
fhwindlichften Stellen, und ergößten uns an den 
Schaumwirbeln, die fich aus unterminirten Selfen- 
gewölben donnernd hervorftürgten, oder fich aus 
engen Deffnungen, wie Springbrunnen empor 
hoben. Ueberall Fochte das Meer, im fchönften 
Grün fhimmernd, wie in viclen Keffeln, und 
betäubte das Ohr mit einem feltfamen, bald 
pfeifenden, bald Frachenden Getofe. Hoch über 
diefem Gewühl bildeten Barbaroſſa's blendende 


29 


Schloßmauern, auf gradauffteigender, fehwarzer 
Selfenwand, den Mittelgrund, und noch höher 
darüber erfchten, mit den Wolken verfchwimmend, 
jenfeits der weiten Wafferfläche, wie auf feinem 
Throne ſitzend, des Gebürges ftolzer König, der 
weißgefcheitelte Dschordschora. 

Bis hierher, wohin man ohne Beforgniß vor 
den Beduinen gelangen Fann, fieht man immer 
noch einige Villen am Abhang der Küfte zerftreut, 
und forgfältige Cultur in ihrer Nähe Mir 
beobachteten einen alten Mauren, der mit feinem 
Sohn eine Hefe um feinen Garten pflanzte, Wie 
bequem hat man das hier! Er fted’te nur abge 
brochene Blattzweige der indianifchen Feige in 
die Erde, die der Knabe mit einer Gießkanne 
etwas befeuchtete, In zwei Jahren bilden diefe 
fchnell fortwachfenden Blätter ſchon eine undurch— 
dringliche mannshohe Befriedigung. 

Don den Klippen an ändert fi), wie abge 
fohnitten, die Gegend, zwar immer romantifch 
bleibend, aber wild und unwirthbar, Berg und 


30 


Thal mit dichtem Geftrüpp von Palmita’s bedeckt, 
der Boden fteinig, und Fein deutlicher Weg mehr 
anfzufinden. Wir wagten uns dennoch im Ddiefer 
Wildniß eine Stunde mühfam weiter, einen 
eigenthünlich geftalteten Berg in großer Entfer- 
nung vor uns, auf dem etwas Thurmartiges zu 
fiehen ſchien. Da ich indeß jeßt nicht allzuweit 
zwifchen dem Gebüfch einen auf uns zufommenden 
arabifchen Neiter zu erblicen glaubte, und nicht 
wußte was ihm nachfolgen Fonnte, fo hielt ich 
es für das Gerathenſte, fchleunig unfern Ruͤckweg 
anzutreten. 

Wir nahmen ihn feitwärts durch das Gebürge, 
und befchloffen unfere lange Promenade mit näs 
herer Befichtigung des fort V’Empereur, um die 
Zerftorung zu betrachten, welche hier, durch In— 
dieluftfprengung des Pulvermagazins, damals der 
Occupationsarmee ein fo ſchoͤnes Schaufpiel gab. 
Der Oberſt Marey hat noch einen Teppich vor 
feinen Bette liegen, der diefe Luftreife mitmachte 
und, bis auf einige Brandlocher, die man natürlich 





31 


forgfältig confersirt, unverfehrt wieder die Erde 
erreichte, obgleich in großer Entfernung von feinem 
Yusfluge, 

Die Franzofen haben das Fort zum Theil 
wieder in Stand gefeßt, es ift indeß, da es von 
mehreren nahen Hohen dominirt wird, nur. wenig 
zur Vertheidigung Algters, fondern mehr, um die 
Stadt Selbjt im Zaum zu halten, geeignet. Wir 
fanden den Commandanten unpaß im Schlafrod, 
und die Offiziere im bequemen Negligee ecarte 
fpielend; ein Sergeant führte ung umher, und ein 
prachtiger Sonnenuntergang über der erhabenen 
Yusfiht blieb als letzter Gewinn der heutigen 
reichen Ernte in unferm Gedaͤchtniß zurüd, 

Etwas fpat Fam ich noch eben zu einen dine 
beim General Bro zurecht, deffen Gemahlin, eine 
in jeder Hinficht ausgezeichnete Dame, zu meinen 
angenehmſten Befanntfchaften in Algier gehört, 
Der General, welcher, beiläufig gefagt, mit 15 
DBleffuren bedeckt das Schlachtfeld von Waterloo 
verließ, hat viel von der Welt gefehen und in 


32 


ihr erfahren. Als ich über Tiſch die erwahnte 
Scene auf dem Fort befchrieb, fagte er: „Ja 
diefe Momente find die höchften in der Natur, 
aber man muß noch weiter gehen, um zu wiffen, 
welche Eindrücde fie zu geben fahig find. Nie 
werde ich das fprachlofe Staunen vergeffen, in 
welches mich, als ich fie zum erftenmal fah, zwei 
Schaufpiele meines Lebens verſetzten, die dennoch 
nur alltäglich wiederfehrende find? — ich meine 
den Aufgang der Sonne über die in taufend 
Blüthenmaffen glühenden Wälder Columbiens, 
vom betaubenden Laͤrm unzahliger Thiere begleitet, 
die jubelnd des Tages Geftirn begrüßten — und 
ihren Untergang über den himmlifchen Feften der 
Anden, das blendende Weiß diefer Coloſſe bis 
zur Halfte ihrer Höhe herab in tiefes Kupferroth 
getaucht. Dies,“ ſetzte er hinzu, „laßt Alles 
weit hinter fi), was Europa und Afrika's Küften 
zu bieten im Stande find.“ 

un auch Dies hoffe ich, wollen wir einft 
ſehen, in der Erwartung nimm fürlieb mit dem, 





33 


was das befcheidene Algier reicht. Am Potsdamer 
Dfen hat es immer feinen Werth, und ich darf 
mir fehmeicheln,, die darbringende Freundeshand 
verringert dieſen nicht. 

Der Himmel behüte Dich, und fchenfe Dir 
Frohftnn und — Avancement. Agnes und Deinen 
Kindern taufend Schönes! 


Dein 
aufrichtig ergebener 


H. S. 


Semilaſſo in Afrika. II. 3 


Berer T 


An den Prinzen &.... 


Algier, ven 26. Februar 1835. 


Sie haben, verchrter Prinz, an der Mitteilung 
der Fata meines eben fo anmuthigen als furcht— 
baren Zürfen fo viel Gefallen gefunden, daß ich 
Sie felbft noch einmal, und zwar ziemlich aus: 
führlich von feinen Abentheuern unterhalten will. 
Manche angenehme Stunde habe ich mit ihm 
verplaudert, und hier wandre denn ein Theil 
davon übers Meer. 

„Sie haben ‚“ fagte eines Abends Juſſuf zu 
mir — während cine huͤbſche Juͤdin die Fleine 


35 


glühende Kohle, mit filberner Zange, eben langfam 
auf feinen Pfeifenfopf gedrücdt hatte — -Sie 
haben meine fchöne Kabbuhra bisher nur als 
girrende Taube Fennen gelernt; aus dem, was 
ich Ihnen jetzt zu erzählen im Begriff bin, werden 
Sie aber bald fehen, daß auch in Ihren Adern 
Afrikanifches Blut rollte.“ 

»Der Pascha gab uns Mantelucken zuweilen glan- 
zende Fefte, zu denen viele hübfche Mädchen und 
Tänzerinnen aus der Stadt eingeladen wurden, denen 
wir dann auf diefelbe Art, wie Ste es hier gefehen, 
als Galanterie Geld auf das Geficht hefteten, nur 
mit dem Unterfchiede, daß cs ftatt Franken Zechinen 
waren, und diefe, flatt wie bier eckelhaft mit 
Speichel, dort mit Foftbarer Roſen- und Jasmin— 
effenz auf ihre Stirnen geheftet wurden. Auch den 
Damen des Harems ift es vergoͤnnt, dieſem 
Schaufpiel, aus wohl vergitterten Logen verfchletert 
zuzufehen, und im der Regel ift dies ein großes 
Ergögen für fie. Doch Kabbuhra, eiferfüchtig 
auf jede Berührung einer andern Frau durd) 


36 


mich, ließ mir schon am Tage vorher bei ihrem 
bochften Zorn verbieten, dieſem Balle beizuwohnen, 
auch fie werde fich Frank anfagen laffen, fügte fie 
hinzu, und da ic) leicht einen ähnlichen Vorwand 
finden würde, mic) in ihrem &artenfalon die 
Nacht erwarten, wo wir, wahrend Alles auf dem 
Feſte verſammelt fey, ficher vor Ueberraſchung 
eine geraume Zeit beifammen bleiben koͤnnten.“ 
„Ich erfihien zur beftimmten Stunde, und 
fand Kabbuhra’s Lager mit glänzenden Stoffen 
belegt, mir Blüthen überftreut und auf den reichen 
Teppichen des Bodens ausgebreitet. Zu den 
Süßen deffelben ſtand eine große franzöfifche 
Piyche mit zwei eleganten Bronzefäulen, und 
andere Spiegel an Dede und Wänden wiederholten 
vielfach jede zärtliche Stellung, der wir uns hing aben- 
Alles athmete hier Liebe, nur ein rofig durchſchim— 
mertes weiß fetdenes Gewand deckte Kabbuhra’s 
reizende Glieder, liebliche Düfte erfüllten das 
Zimmer; von dammernden Lampen verfchleierter 
Glanz ſtimmte die Sinne zu geheimnißvollem 








37 


Genuß, jeder Augenblick ſchien nur neue Wonne 
zu gebaren, und die einzige Schlange unter ſo 
vielen Blumen — war nur mein treuer Kandfchar, 
welcher Hinter den fchwellenden Kopfkiſſen ver: 
borgen lag. Im Vorzimmer hielt eine der uns 
ergebenen Damen der Fuͤrſtin Wache, und in 
vollſter Sicherheit brachten wir, beim fernen Schall 
der Muſik und dem wirren Getdſe des Feſtes, 
der Liebesgoͤttin ihre ſuͤßeſten Opfer. Da ſchreckt 
uns ploͤtzlich ein Geraͤuſch an der Thuͤre auf. 
Ich habe grade noch Zeit, mich hinter die Pſyche 
zu verbergen, als ein ſchwarzer Eunuche (welche 
das Recht haben, uͤberall im Harem nach Belieben 
umher zu gehen, und jede Thuͤre ohne Anklopfen 
zu oͤffnen, vor der nicht die Pantoffeln des Ge— 
bieters ftehen,) hereintritt, um ſich von Seiten 
des Paſcha nach feiner Tochter Befinden zu 
erfundigen. Doch Faum hatte er feine Phraſe 
begonnen, als er, woran ich unglüclicherweift 
gar nicht gedacht, ohne Zweifel meine Füße unter 
der nicht ganz bis auf den Boden gehenden Pſyche 


38 


gewahr wird, denn, entfeßt, verftummte er mitten 
in feiner Rede, und ohne einen fernern Laut von 
ſich zu geben, eilte er aus der Stube. In dem: 
felben Augenblick fehe ich Kabbuhra halb nadt 
auffpringen, meinen Kandfchar, ergreifen und mit 
Blitzes Schnelle ebenfalls in der Thüre vers 
ſchwinden. Jetzt hoͤre ich einen dumpfen Schrei, 
und gleich darauf ſtuͤrzt ſich mir die Geliebte, 
der ich nachgeeilt war, mit Blut bedeckt, den 
rothgefaͤrbten Dolch noch in der Rechten, halb 
bewußtlos in die Arme. Alles dies war das 
Werk weniger Sekunden.“ 

„Er iſt todt, ſagte ſie tiefaufſeufzend; als er 
im Begriff war die Treppe hinauf zu eilen, habe 
ich ihm zweimal den Dolch in ſeinen haͤßlichen 
ſchwarzen Leib geſtoßen! Es war unſre einzige 
Rettung, Juſſuf, und ich durfte mich nicht lange 
beſinnen. Jetzt hilf uns uͤberlegen, was zu thun 
iſt. Sie zog mich bei dieſen Worten in die 
Nebenſtube, wo der entſeelte Eunuch auf der Erde 
lag, jetzt von derſelben Frau wirklich bewacht, Die, 


39 


vorher eingefchlummert, feinen Eintritt nicht 
bemerft hatte. Wir fchlugen eine wollene Dede 
um ihn, um das Blut zu flillen, und wufchen den 
Marmorboden rein, der ganz Damit angefüllt war; 
dann mußten wir, denn Fein anders Mittel blieb 
übrig, uns anſchicken, den Körper fo fehnell als 
möglic) im nahen Garten zu verfcharren, wozu 
uns der Reſt eines eingeftürzten alten Gewoͤlbes 
fehr behülflidd war. Mit Hülfe eines andern 
Maͤdchens, die noch geweckt wurde, brachten wir, 
nad) einer in Angſt durchlebten Stunde, die 
ſchwere Arbeit glüdlicy zu Stande.“ 

Hier unterbreche ich Juſſuf, um es als höchft 
harakteriftifch hervorzuheben, daß das verliebt 
Paar mir größter Seelenruhe, fobald die Gefahr 
vorüber war, fich von Neuem in die Roſen der 
Liebe bettete, und erft mit der Morgendammerung 
fic) trennte. Papa Bernu, wie man ihn in Serail 
nannte, ward erft am naächſten Tage vermißt, weil 
der Paſcha nicht werter nach ihm gefragt; und Da 
er eine Befigung auf dem Kande hatte, die er oft 


40 


befuchte, fo glaubte man ihn auf dem Wege dahın 
von Raͤubern überfallen und ermordet, oder auf eine 
andere Urt verunglückt. Weberdies war er reich, 
der Pascha fein Erbe, Grund genug, um nicht 
allzu ſtreng nachzuforfchen. 

Ein anderesmal theilte mir Juſſuf die Urſach 
von Roduin's treuer Ergebenheit für ihn mit, 
von der Sie in feiner früheren Gefchichte gelefen. 

„Roduin hatte fi) mit mehreren andern 
Mamelucen nicht lange vor jener Zeit, in cine 
thörichte Verſchwoͤrung gegen den Bey eingelaffen, 
über deren eigentliche Triebfeder ich mich nicht 
auslaffen darf. Nur foviel muß ich bemerken, 
daß mein Frennd zu der geheimen Gefellfchaft der 
Hissaviah (die, wie ich glaube, einige Aehnlichkeit 
mit denen haben muß, welche auch in Europa 
verfchiedentlich exiftiren follen) gehörte. Der Stifter 
derfelben war Muhammed Ben Hissa ein Ma- 
roffaner, ihre Zwede aber geftalteren ſich wohl 
fehr verfchteden nach den verfchievdenen Ländern, 
in denen ſie einriß, und noch heute tft fie mächtig 


4 


an verfchiedenen Orten des muhammedanifchen 
Reichs, befonders aber unter den Mauren, Die 
Anhänger der Hissaviah haben feltfame Ge: 
brauche und Ceremonien. Sie eſſen das Fleifch 
aller verbotenen Thiere, zuweilen roh und nod) 
lebendig, und ſcheuen auch den Wein nicht; man 
behauptet fogar, daß Chriften darin mit aufge 
nommen werden fonnen, ja daß das Wort Hissavy 
fononym mit Jeſuit ſey, und Sacriſtan Chrifti 
bedeute. — Es ging ein Gerücht, daß der Pafıha 
felbft Hissavy ſey; ſoviel ift gewiß, daß er im 
Geheim die Mitglieder diefer Secte zu protigiren 
ſchien.“ 

„Das Sonderbarſte ihrer tumultuoͤſen Cere— 
monien, die oft im Orgien ausarteten, beſteht 
darin, daß ſie jeder ein beſondres Thier zu per— 
ſonificiren ſuchen, und wenn dieſe Art von Metem— 
pſychoſe ſtatt findet, welcher wilde Taͤnze voran— 
gehen, bemuͤht ſich Jeder, ſeine Rolle moͤglichſt 
natuͤrlich zu ſpielen, wo denn, durch den Fanatis— 
mus bis zur Wuth gereizt, oft die groͤßten Exceſſe 


42 


ftatt finden follen. Der Ochfe und die Kuh find 


allein von den vierfüßigen Thieren ausgefchloffen, und 
von den Vögeln nur der Straus geftattet. Löwen, 
Tiger, Schlangen und Raten find am belicbteften. 
Auch fürchten die Hissavy’s das Gift der Schlan- 
gen nicht, gegen deren Biß fie daffelbe Geheimniß, 
als die befannten Schlangenzahmer des Drients, 
zu befißen vorgeben.“ 

„Waͤhrend ihrer heiligen Tänze müffen fie die 
Augen fihließen, denn fie fupponiren, daß Ben 
Hissa dann ſich mitten unter fie mifche, den fie 
nicht von Angeficht zu Angeficht fchen dürfen. 

„Die Secte hat drei verfchiedene Grade — 

1) der Schech 
2) der Schaufch 
3) das einfache Mitglied.“ 

„Der Groß: Sched ift unbekannt, foll aber 
erblich in einer gewiffen Familie ſeyn; Die 
übrigen Schechs werden durd Stimmenmehrheit 
erwählt, und gewohnlih unter den Schauſch 
ausgeſucht.“ 


43 


„Des Schechs Sache iſt es, die phnfifchen 
Qualitäten der Mitglieder zu prüfen, und darnach 
ihre verfchiedenen XThierrollen zu beftimmen oder 
zu beftätigen — denn es ift nicht Köwe, wer will, 
und Efel nur — wer muß.“ 

Bei der Aufnahme fpeit der Sched) dem Afpi- 
vanten, welcher vor ihm kniet, im Namen des 
Stifters in den Mund, als Zeichen vollftändiger 
Bermifchung und zugleich Oberherrfchaft. 

»Das Erfennungszeichender Hissaviah iſt: · —, 
d. h. zwei kurze und eine lange, welche ſie ſich 
mit dem Indexr und Mittelfinger in die hohle 
Hand durch den Druck mittheilen.« 

„Roduin war Loͤwe in diefer Gefellfchaft, und 
wie ich zu diefer Kenntniß gefommen, bleibe 
unberührt. Es mochte ihn aber Diefe immer 
wiederkehrende Rolle ambitiofe Gedanken eingeflößt 
haben, und ich zweifle nicht, daß er thörichten 
Hoffnungen Raum gab. Che indeß die Sache 
noch zu irgend einer Reife gediehen, ward fie Dem 
Paſcha verrathen, und Diefer, deffen größter Lieb— 


44 


ling ich damals war, unterrichtete mich nicht nur 
genau von allen darüber erhaltenen Nachrichten, 
fondern auch von feiner Abſicht, ſogleich den 
Basch-Mameluck rufen zu laffen, um die Vers 
fchworer, welche, wie man wußte, eben zu Vieren 
in dem Zimmer des Melteften derfelben zu einer 
ihrer tollen Ceremonien verfammelt waren, fofort 
feftnehmen, und nach Ueberführung ihrer Schuld 
unfrer fchnellen Suftiz gemäß, auf der Stelle hinz 
richten zu laffen. Erſchrocken über die nahe Gefahr 
meines Freundes, übernahm ich es felbft, den Minifter 
zu holen, eilte aber gleich nachher — um Roduin, 
es Fofte was c8 wolle, zu retten — in größter 
Haft an den verrathenen Ort, wo ich auch die 
Pantoffeln der vier Umvorfichtigen fchon vor der 
Pforte ftehen ſah. Ich ließ die meinigen neben ihnen, 
drang hinein, und den tanzenden Löwen bet der 
Maͤhne faffend, rief ich ihm zu, auf der Stelle nad) 
feinem Zimmer zu eilen, wenn ihm fein Leben 
lieb fen, Fein Augenblick dürfe verloren werden ; 
für das Uebrige folle er mich forgen laſſen.“ 


45 


„Kaum hatte mein Freund beftürzt dieſer 
Weiſung gefolgt, als ich den Zurücgebliebenen 
mirtheilte, was gefchehen ſey, und ihnen Rettung 
verfprach, wenn fie mir ihr Wort gaben auf 
jeden Fall von Roduin's Gegenwart und Mit: 
wiffenfchaft zu ſchweigen. Dies allein, fagte ich, 
würde mich in den Stand feßen, die Gefahr noch 
von ihnen abzuwenden. Kaum hatte ich Zeit fic 
zu unterrichten, welche Wendung ich der Sache 


zu geben gedächte, und ihnen die nöthigen Ver— 


baltungsregeln einzufchärfen, als dir Basch- 
Mameluck crfchten, der, gleich mir, das Zeichen 
der Anwefenheit der vier Nädelsführer vor der 
Thuͤr erblidend, fie fiher zu faffen glaubte, und 
nicht wenig erftaunt war, mic) jeßt mitten unter 
ihnen im ruhigen Gefprac zu finden. Sch nahm 
ihn ſogleich bei Seite, erklärte, daß ich von Allem, 
wie er wife, durch den Paſcha in Kenntniß gefeßt, 
in deffelben Intereſſe hier fen, und mich jeßt, meiner 
ihon früheren Vermuthung gemäß, völlig über: 
zeugt habe, daß man hinfichtlich des Gegenftandes 


16 


diefer Verſchwoͤrung ganzlih im Irrthum ſey. 
Ich bate ihn daher inftändig, vorläufig nichts 
Ernftliches weiter zu unternehmen und fid) mit 
der Arretirung der Angefchuldigten zu begnügen, 
bis ich den Pafcha felbit gefprochen, und er hier: 
nach neue Befehle von ihm erhalten habe.“ 
„Jetzt eilte ich ohne Zögern zu dem Gebieter, 
berichtete ihm, daß ich, voll Beforgniß für fein 
theures Leben, nach dem, was er mir vertraut, 
den Entfchluß gefaßt, mich von dem Grunde der 
Sache perfünlich zu überzeugen. Sch ſey fogar 
foweit gegangen, mich felbft als gefränft und 
unzufrieden anzuftellen, um deſto ficherer Die 
Verräther in die Falle zu locken. Bald habe ich 
aber die fefte Gewißheit gewonnen, daß es ſich 
keineswegs um cine Verſchwoͤrung gegen den 
Paſcha, fondern nur um thörichte Ordensgeheim— 
niffe, und zugleich um eine Liebſchaft mit einer 
Dame des Scrails handle, (und an diefem Um: 
ftande war glücklicherweife etwas Wahres), die 
Eier der Unwefenden, den ich verfchweigen zu 


47 


dürfen bäte, feit einiger Zeit augefnüpft habe, 
Ich wife freilich, fuhr ich fort, daß auch dies 
fhon die bartefte Strafe verdiene, doch hoffte ich, 
dag der Pafcha Diesmal, um cines fo weit gerin— 
geren Vergehens willen, den Schuldigen Gnade 
für Recht angedeihen laffen werde. Was aber 
Roduin beträfe, fo müffe ohne Zweifel die Nachricht 
gänzlich falfch gewefen feyn, da ich diefen bei den 
Uebrigen gar nicht angetroffen, und auch von 
diefen nichts gehört, was ihn compromittiren 
koͤnne.“ 

„Der Paſcha, froh vielleicht, die ernſtere 
Gefahr verſchwinden zu ſehen, und ſtets fuͤr die 
Hissavy's mehr als milde geſtimmt, verzieh — 
und der Freund vergaß mir nie den mit eigener 
Lebensgefahr ihm geleiſteten Dienſt, um ſo mehr, 
da er bald darauf, nachdem ich ſelbſt in Ungnade 
gefallen, an meiner Stelle aufs Hoͤchſte in der Gunſt 
des Herrn ſtieg, eine Gunſt, die jedoch fpater, als ic) 
ſchon im Gefaͤngniß faß, die Urſach feines früh: 
zeitigen Todes ward.“ 


48 


„Es it nämlich das Verhaͤltniß des Bey zu 
den jungen Mamelucken ein ganz familienartiges 
und väterliches zu nennen, von den Europäifchen 
Sitten gänzlich verfchieden, und, wenn fie in 
Gunſt find, geftattet ihnen der Gebrauch eine 
große Vertraulichkeit. Ueberhaupt dürfen fie mit 
Bitten und Gefuchen ihrem Beherrfcher fic) auf 
eine Art naben, wie cs in Europa nicht thunlid) 
wäre. Menn ein Mamelud 3. B. Geld braucht, 
fo bittet er ohne Umftände den Bey, ihm ein 
Krongut zu Schenken, deffen Neventen er dann 
bezieht fo lange er Lebt, oder ihm einen Thiskera 
zu geben (ein Bon auf Staatsrevenüen) was 
faft nie verweigert wird. Die Lieblinge quälen 
ihn aber faft immer, wie Kinder, um Diefes oder 
Jenes, um ein fchönes Juwel, das er am Finger 
trägt, eine prächtige Kleidung oder Waffe, ein 
ausgezeichnetes Pferd das er befißt, oder Anderes 
dergleichen, und auch bier iſt es nur felten, daß 
er es abfchlüge. Freilich ft er immer wieder 
der Erbe feiner Mameluden, und daher diefe 


49 


Gaben größtentheils mehr geborgt als gefchenft. 
Um die Zeit als das Schickſal Roduin verderben 
wollte, hatte der Pafcha von einem Schech der 
Wüfte ein außerordentlich ſchoͤnes aber zugleich 
faft unzahmbares Pferd als Tribut erhalteit, 
Roduin verlangte e8 mit Ungeftüm. Der Bey 
ftellte ihm vergebens vor, c8 wenigftens erft bans 
digen zu laffen; Roduin ließ nicht nach und ward 
das Opfer feines Eigenfinnes, Es überfchlug fich 
mit ihm und ftieß ihm mit dem hohen Sattelfnopf 
die Bruft ein, fo daß er wenige Stunden darauf 
feinen Geiſt aufgab.« 

Die dortigen Sitten lebhaft fchildernd iſt fols 
gende Befchreibung aus Juffufs früheren Jahren. 
Er efinnerte ſich, einen fietlianifchen Großen, den 
man mit feiner ganzen Familie auf einer Luftfahrt, 
bei Gelegenheit der Verheirathung feiner Tochter, 
gefangen genommen hatte, in Tunis anfommen 
geſehen zu haben, Die ganze Gefellfchaft war im 
hochften Staat, der Duca felbft mit diamantenen 
Knöpfen und Orden in Juwelen bedeckt. Sp wurde 


Semilaffo in Afrika, I: 4 


50 


er, der alte Mann, dem Schred und üble Behandlung 
alle Kräfte geraubt hatten, in einem Seſſel in den 
Stall gebracht, wo der Paſcha eben feine Pferde 
mufterte, Dort zog man ihm und den übrigen 
Männern ohne Umftände ihre Eoftbaren Kleider 
aus und die Sclavenfittel dafür an, die Braut 
mit den Weibern aber brachte man in den Harem. 
Später ward lange über das Löfegeld unterhandelt, 
und nicht cher erhielten die Unglücklichen ihre 
Freiheit wieder, bis fie durch DVerfchreibung einer 
Million Franken fich Iosgefauft. 

Ohngefaͤhr zehn Fahre nach diefem Ereigniß 
ſchickte Holland oder Amerika, Zuffuf wußte nicht 
mehr genau welches, ſtatt des gewöhnlichen 
Suwelenz oder Geld-Gefchenfs ein Schiff mit 
den ſchoͤnſten und werthoollftien Modellen für 
Aderbau und Gewerbe aller Art her, in der Mei— 
nung, dem Bey dadurch) eine befondere Galmmterie 
zu erzeigen, Doc) diefer gerieth im ©egentheil 
in den größten Zorn über eine Sendung, die er 
als Spott aufnahm. Er befahl dem damals 


| 


51 


achtzehnjäahrigen Juſſuf, augenbliclic die Sahne 
von des Conſuls Haus abnehmen zu laſſen, drohte 
dieſen fortzujagen, und ließ ihm zugleich andeuten, 
ſeiner Regierung ohne Verzug zu berichten: daß, 
wenn ſie ſtatt der uͤberſandten Narrenspoſſen ihm 
nicht in kuͤrzeſter Zeit das gewoͤhnliche Geſchenk 
in gutem Golde uͤbermache, er dies ſofort als 
eine Kriegserklaͤrung anſehen werde. 

Welche Schande fuͤr Europa, eine ſolche 
Tyrannei von einer Handvoll Piraten ſo lange 
ertragen zu haben! 

Jetzt bin ich Ihnen noch, mein Prinz, die 
Geſchichte der Eroberung Bone's durch meinen 
jungen Helden, in Verbindung und zum Theil 
unter Leitung ſeines eben ſo außerordentlichen 
Freundes d'Armandy, ſchuldig, die zu merkwuͤrdig 
und zu hiſtoriſch begründet iſt, um fie mit Still— 
fhweigen zu übergehen. Dann wollen wir von 
Juſſuf Abſchied nehmen, denn Bilder auf Bilder 
drängen ſich in diefem reichen Lebenstanz, und 
fortwährend muß in der Welt das Alte, fen es 


52 


auch noch fo fehr der Aufmerkſamkeit würdig 
gewefen, dem Neuen wieder Pla machen. 

Als kurze Einleitung ſchicke ich nur mit wenig 
Morten voraus, daß, einige Zeit nach Algiers 
Eroberung der General Berthezene den Com— 
mandanten Duder und Capitain Bigot mit 150 
Suaven als Garnifon nach Bone geſchickt hatte, 
welche dort faft alle in einem Aufftande umfamen, 
der verrätherifch Durch den verjagten, und in Bone 
privatifirenden, ehemaligen Bey von Conftantine, 
Ibrahim, mit demfelben Gelde angeftiftet wurde, 
das ihm der zu vertrauenspolle Duder zu feinem 
Lebensunterhalt vorgefchoffen hatte. Die Stadt 
ward jedoch bald darauf von einem Corps Cons 
ftantinifcher Zruppen unter dem General Ben- 
Aissa belagert, und Ibrahim felbft durch weit 
überlegne Kräfte in der Citadelle bedroht, wohin 
er ſich mit 150 ZTürfen zurückgezogen hatte, und 
bereit8 an Subjiftenzmitteln Mangel zu leiden 
anfing. In diefer Noth ſchickte er einen Emiffair 
nach Algier, um fi) mit den Franzoſen auszu- 








53 


fühnen, und ihre Hülfe gegen den Bey von 
Conftantine zu erbitten, Dort war unterdeß der 
Herzog von Rovigo als neuer Gouverneur ange 
fommen, und während man berathichlagte, was 
zu thun ſey, erbot fi) Juſſuf, wenn man ihn 
mit den gehörigen Inſtructionen und Vollmachten 
verfehen wolle, die Negociation mit Ibrahim 
allein zu Stande zu bringen, wodurch er hoffe, 
dem Gouvernenient die Koften einer neuen Expe— 
dition großtentheils zu erfparen und vielleicht 
ſtaͤrkeres Blutvergießen ganz zu verhindern. Diefer 
fühne Vorfchlag, denn Ibrahim’s graufame Treus 
lofigkeit war binlänglich befannt, ward bereitwillig 
angenommen, und Juſſuf fchiffte ſich demnach 
auf der Bearnaise, commandirt von Capitain 
Freard, zu feinem gewagten Unternehmen ein. 
Mit vielem Mißtrauen erhielt er in Bone nur 
die Erlaubniß, für feine Perfon allein zu landen 
und ward auch auf der Cassba von Ibrahim mit 
zurücftoßendem Hochmuth und nichts weniger 
als freundlich empfangen, Doch wußte er fic 


54 


bald durch ein feftes und noch ftolzeres Benehmen 
mehr Achtung zu verfchaffen, wozu befonders der 
glückliche Umftand beitrug, daß er unter der 
Sarnifon einige zwanzig QTürfen antraf, die fchon 
früher unter feinen Befehlen geftanden, und jeßt 
ihr altes Attachement für feine Perfon fehr nach— 
drüdlich bei Ibrahim geltend machten. Dies, 
und der immer fühlbarer werdende Mangel an 
Lebensmitteln, welcher fhon manches Murren der 
Beſatzung veranlaßt, nöthigten daher den Bey, 
gelindere Saiten aufzuzichen. Das Endrefultat 
davon war ein fchriftliches Abkommen, durch 
welches Ibrahim zugeftand, fich fortan nur als 
ein von den Sranzofen abhängiger Befehlshaber 
in Bone zu betrachten, und im Fall cs verlangt 
würde, auc die Cassba franzoͤſiſchen Truppen 
ohne MWeigern einzuräumen. Dagegen verſprach 
Suffuf im Namen des Gouverneurs, die Gitadelle 
mit den mörhigen Lebensmitteln zu  verfehen, 
woran fie allein Mangel litt, und nad) dem 
Wunſche der Stadt einen frangofifchen Conſul 


55 


für die Handelsverbindungen in Bone inftalliren 
zu laffen. 

Der Herzog von Rovigo ratificirte diefen Ver— 
trag in allen Puncten und fandte fofort ein Schiff 
mit Proviant ab, escortirt von der Bearnaise, 
welche Suffuf, den Hauptmann Baron D’Armandy 
und drei Unteroffiziere dem Bey zuführten, um 
ihn fowohl in feiner Vertheidigung zu unterfiügen, 
als das franzoͤſiſche Intereſſe während des Kampfes 
der Parteien überall in Obacht zu nehmen, Es 
ift bier nöthig, einige Worte über Herrn d'Armandy 
einzufchalten, der, mit 35 Jahren, ſchon in meh— 
reren Welttheilen das abenteuervolle Leben eines 
Arioftifchen Helden geführt hatte. 

Die Reftauration fand d'Armandy als Haupt: 
mann der Artillerie. Seine jugendliche Leiden— 
ichaftlichfeir und fein unbegrenzter Enthuſiasmus 
für das Idol, dem fo lange Europa mit Staunen und 
Furcht Weiprauch geftreut hatte, waren Urfach, daß 
er nicht nur feinen Abfchied erhielt, fondern fogar 
unter Die Aufficht der hohen Polizei geftellt wurde, 


56 


Doc) wußte er fi ihr bald zu entziehen, und 
eilte nach) Aegypten, um dem dortigen Vicefünig 
feine Dienfte anzubieten. Da er jedoch Diefe 
Lage nicht nach feinem Geſchmack fand, begab 
er fi) nach Suez, fchiffte fih auf dem rotben 
Meere ein, und verfuchte fein Glück in Indien. 
Noch immer war ihm dies nicht günftig, denn 
kaum angefommen ward feines meuen Herrn 
Macht dur Englands disciplinirten Krieger auf 
ewig gebrochen, Er kehrte bis nach Maskat zuruͤck, 
der Hölle Aſiens, wo 40 Grad im Schatten eine 
gewöhnliche Temperatur if. Der Sultan gab 
ihm bier das Commando einer Fregatte, mit der 
er nothgedrungen fi) in Diefes fremde Fach zu 
finden fuchend, ein Jahr lang in dem perfifchen 
Golf mit ziemlich günftigem Erfolge Freuzte. 
Eine tödtliche Krankheit zwang ihn jedoch), auch 
diefes Verhaͤltniß wieder zu verlaffen, und als er 
nad) langen Leiden Faum halb genefen war, feßte 
er feine Srrfahrt nach Verfien fort. Sn Kermann- 
schah fand er bei dem ſich faft unabhängig 


57 


gemachten Sohne des Schade, Mehemed Ali 
Mirza, eine fehr zuvorfonmende Aufnahme, und 
in diefer Epoche fehien ihm das Echickfal am 
heiterften zu lächeln. Der Prinz behandelte ihn 
und cinige feiner Landsleute, franzofifche Offiziere 
die fich aus demſelben Grunde wie d'Armandy 
hier eingefunden hatten, mit der groͤßten Aus— 
zeichnung und fuͤrſtlicher Generoſitaͤt. D'Armandy 
hatte als Oberſt eines von ihm auf Europäifchen 
Fuß organifirten Negiments, außer den gelegent> 
lichen reichen Geſchenken, einen feften jährlichen 
Gehalt von 20,000 Franken, Er brachte zwei Jahre 
hier zu, während denen er mit dem großen perſi— 
fchen Sonnenorden, die Inſignien in Diamanten, 
decorirt, zum Khan erhoben wurde, und immer 
mehr in der Gunft feines Gebieters ftieg. Um 
diefe Zeit begann der Furze Krieg Perfiens gegen 
die Türkei; 30,000 Türken wurden in den glü- 
henden Ebenen von Bagdad, durch Hülfe der Euro- 
paifch disciplinirten Truppen, von einer halb fo 
großen Anzahl Perfer total in die Flucht gefchlagen. 


58 


D'Armandy rieth den Prinzen, den erften Schrecken 
des Feindes zu benußgen, um ohne Verweilen das 
vertheidigungslofe Bagdad zu erobern, Diefer 
hatte jedoch, nach Art der vornehmen Perfer dem 
Weine zu ſehr ergeben, troß der ungeheuren Hiße, 
die Freuden des Sieges durch eine Orgie gefeiert, 
an deren Folgen er den andern Morgen im Ungeftchte 
der bedrohten Stadt feinen Geiſt aufgab. Der ihm 
in der Herrfchaft folgende Sohn, unfriegerifch und 
das Gegentheil feines Vaters in jeder Hinficht, 
begann fogleich Friedensunterhandlungen, kehrte 
nach Kermannschah zuruͤck, und verabfebiedete 
bald darauf ſaͤmmtliche fremde Offiziere in feinem 
Dienft. 

Sp von Neuem ohne Afyl, faßt d' Armandy 
den Plan fih zu Runget-Sing zu begeben, Fühn 
fi) in die Wildniffe des Orients und unter balb 
barbarifche, uns fat unbefannte Voͤlker wagend. 
Es befam ihm übel; von den Sinds am Hindus 
bet Hyderabad ausgeplündert, feines Ordens in 
Diamanten, eines großen Theils feines Geldes 








59 


und feiner Effeeten beraubt, entging er mit genauer 
Noth dem Tode, Er rettete ſich über die englifchen 
Grenzen, und da man dort von feinen früheren 
Abfichten nichts wußte, ward er freundlich auf: 
genommen und verfchaffte fich die Mittel nad) 
Europa zurüczufehren Sm Sahre 1823 erreichte 
er Marfeille, von wo er den franzöfifchen Minifter 
um Paͤſſe bat, welche ihm diefer jedoch, weil er 
ohne Autortfation des Königs im Auslande gedient, 
verweigerte, Es blieb ihm daher nichts übrig, 
als mit feinem perfifchen Titel und feinen glück 
licherweife noch confervirten perfifchen Paͤſſen nad) 
Paris zu gehen, wo fein orirntalifches Coftün, 
von einer impofanten Geſtalt und ſchoͤnen Gefichts- 
zügen gehoben, damals nicht wenig Auffehen 
erregte. Doch war fein Aufenthalt hier nicht 
von Dauer, da Herr von Chateaubriand, der ihn 
ltebgewonnen, ihm feine Nechte als Franzofe 
wiedergab, und ihn zugleich zum Gonfular 
Agenten in Mokka ernannte. 

Herr von Armandy reifte fogleich ab, überftieg 


60 


die Alpen und heirathete unterwegs eine junge 
und liebenswürdige Staliänerin und embarquirte 
fih mit ihr für feine neue Beftimmung. Nachdem 
er in Mokka mehrere Fahre ruhig gelebt, com: 
promittirte ihn ein griechifcher Corfar im rothen 
Meer mit den arabifchen Autoritäten, Da man 
ihn offen anzugreifen fürchtete, verfuchte man, 
ihn und feine ganze Familie nebft dem englifchen 
Eonful, der fi) ihm angefchloffen hatte, zu ver— 
giften, Durch ihre ſtarke Conftitution und fchnelle 
Hülfe entging der Baron und feine Frau dem 
Tode, doch ihre Kleine Xochter unterlag den 
MWirfungen des Giftes. Er flüchtete fich auf eine 
englifche Fregatte, und wußte von bier aus fo 
energifche Maßregeln zu ergreifen, daß ihm das 
franzöfifche Gouvernement dafür durch Verleihung 
des weit beffern Eonfulats zu Damiette belohnte. 

Doch die Revolution von 1830 war ihm 
eben fo nachtheilig, als die von 1814. Das 
Confulat von Damiette ward aufgehoben und 
Herr von Armandy blieb ohne Entfchadigung, 


61 


bis endlich der Marfchall Soult fich bewegen ließ, 
ihn von Neuem in feinem alten Grade, als 
Hauptmann der Artillerie, anzuflellen, So fah 
er fi) denn, nach fo viel beftandenen Gefahren 
und Abenteuern, im fünfunddreißigften Sahre 
feines Lebens wieder auf demfelben Puncte anges 
langt, den er im zwanzigften, am Morgen nad) 
der Schlacht von Montmirail, zum erftenmale 
eingenommen hatte. 

Dies war der Mann, welcher in Verbindung 
mit feinem Freunde Zuffuf, die als ein Herz und 
eine Seele handelten, durch eine der auffallendften 
Thaten Bone für die Frangofen erobern follte, 

Sch kehre jet zu meiner Erzählung zuruͤck. 
Als die beiden Freunde in Bone anfamen, erftiegen 
fie fogleich die Cassba und wurden diesmal von 
Ibrahim wie Bundesgenoffen und Befreier aufge: 
nommen Herr von Armandy inftallirte fich als 
proviforifcher Confular » Agent und franzöfifcher 
Bevollmächtigter in dem anfehnlichften Haufe der 
Stadt, welches jeßt der commandirende General 


62 


bewohnt, und Juſſuf feßte auf der Bearnaise 
jenen Weg nad Tunis fort, wohin ihm der 
Herzog von Rovigo, dem feine früheren Schickſale 
dafelbft wenig befannt waren, einen Auftrag 
gegeben hatte, Es war Fein geringes Wagſtuͤck für 
ihn, der erft vor zwei Sahren, unter einem 
Zodesurtheil ſchwebend, aus Tunis entflohen war, 
fi) fobald wieder dort blicken zu laffen; doch 
rechnete er auf die Unverleßbarkeit eines franzoͤ— 
fifchen Gefandten. 

Der Bey, nicht wenig erfiaunt und erzürnt, 
verweigerte zwar ihn zu fehen, doch refpectirte er 
feinen Charakter. Juſſuf verweilte bereits über 
eine Woche in Tunis, vergebens fich aller erdenf- 
lichen Gefahr ausfegend um feine Geliebte zu 
fehen und war eben einem DVerfuch, feinem Leben 
heimlich ein Ende zu machen, mit genauer Noth 
entgangen, als die Hiobspoft von Bone ankam, 
daß die Truppen des Ben von Conſtantine die 
Stadt erobert hätten, und fein Freund D’Armandy 
nur mit Mühe fi) auf eine kleine franzöfifche 


63 


Felukke, die allein in der Rhede zurückgeblieben 
war, gerettet babe. Diefe Flucht hatte ’Armandy, 
ſich mit großer Geiftesgegenwart aus den Fenfter 
feiner Wohnung herablaffend, von den Flinten— 
ichüffen der Feinde verfolgt, auf einem kleinen 
Kahne bewerkitelligt. Kaum war er jedoch einige 
Stunden auf der Seluffe, fo erfchten ein Offizier 
von Ben-Aissa bei ihm, der ihn dringend einlud, 
ſich mit freiem Geleit zum General zu begeben, 
um Unterhandlungen mit ihm anfnüpfen zu fünnen, 
da diefer nichts mehr wünfche, als fid) mit den 
Franzofen in Güte zu verftändigen. Obgleich Feder 
ihm abrierh diefen Verſprechungen zu trauen, hielt 
es d'Armandy doch für feine Pflicht, der erhal: 
tenen Einladung zu folgen. Er ward auc in 
der That von Ben-Aissa höflich empfangen, und 
bewog den Konftantinifchen Befehlshaber, alle 
Feindfeligkeiten gegen die Citadelle fo lange einzu— 
ftellen, bis er fernere WVerhaltungsbefehle von 
Algier erhalten habe. So fanden die Sachen 
noch, als 22 Tage nach feiner Abreiſe Juſſuf 


64 


mit der Bearnaise wieder in Bone ceintraf, ohne 
dag man jedoch bis dahin die erfehnte Antwort 
von Algier erhalten hatte. Denfelben Morgen 
lie$ Ben-Aissa fagen, daß er nicht langer ale 
24 Stunden die eingegangenen Verbindlichkeiten 
refpectiren Tonne, und daß, wenn bis dahin Fein 
Reſultat erfolgt fey, er fich der Cassba, deren 
Uebergabe ihm von einem großen Theil der 
Beſatzung felbft Schon angeboten worden fey, 
ohnfehlbar in Güte oder Gewalt zu bemächtigen 
wiſſen werde. 

Die beiden Freunde eilten auf diefe Eröffnung 
fogleich zu Ibrahim, um fie ihm mitzutheilen 
und ihn aufzufordern, ihnen jet, vermöge des 
getroffenen Ablommens, das Kommando der 
Gitadelle zu übergeben. Der Bey empfing 
fie jedoch im der übelften Laune, verweigerte 
beftimmt die Uebergabe der Feftung, überhäufte 
fie mit den bitterften Vorwürfen, fagte, daß die 
Sranzofen abfichtlich ihn ohne Unterftügung gelaffen 
hatten, und fie nur hergeſchickt worden wären, 


65 


um ihn zu beträgen. D'Armandy verlor bet 
dieſem Benehmen alle Geduld, ja er erwiederte 
Ibrahim’s Invectiven mit herben Mabhrheiten, 
daß der Bey in feiner Wurh die neben ihm liegen: 
den Piftolen ergriff, und Faum durch d'Armandy's 
ftarfen Arm, mit dem er ihm die Hande fefthtelt, 
abgehalten werden Fonnte, der Unterhaltung ein 
blutiges Ende zu machen. Er drohte fie einfperren 
zu laffen, und da er wohl wiffe, daß er auch 
verloren ſey, ſich mit ihnen und der ganzen 
Cassba in die Luft zu fprengen Als ſich nach 
diefen Morten d'Armandy und Zuffuf zu ent— 
fernen fuchten, und bereits aus der Thuͤre 
getreten waren, ftürzte er ihnen, in jeder Hand 
eine Piſtole haltend, nah und fchten gleich 
einem Raſenden wirflih im Begriff, fie in 
das ganz nahe Pulvermagazin abzufeuern. Doch 
die Türken fielen ihm, felbft empört, im die 
Arme und brachten ihn gewaltfam in fein 
Zimmer zurück, wo fie ihn wie ein wildes Thier 
einfchloffen. 


Semilaffo in Afrika, I. 3 


66 


Die Freunde benußten den entfiandenen Tumult, 
das Thor zu gewinnen, und fich, in fteter Gefahr 
von Ben - Aissa’8 Poſten entdeckt zu werden, die 
ihr Leben feinen Augenblick geſchont haben würden, 
auf ihr Schiff zurüdzubegeben. Am frühen 

torgen darauf Fam ein Zürfe an diefes geſchwom— 
men, der ſchon von weitem bittende Zeichen machte, 
ihn aufzunehmen. Er brachte die Nachricht, Daß 
die Befaßung dur Mangel und Hunger aufs 
Aeußerſte gebracht, Ibrahim feftgenommen, dieſer 
aber in der Nacht entflohen ſey; ſie baͤten jetzt 
inſtaͤndig um Huͤlfe und Lebensmittel, bereit, ſich 
unter d'Armandy's Befehle zu ſtellen. Bald kamen 
noch mehrere Tuͤrken auf dieſelbe Weiſe heran, die 
das naͤmliche ausſagten, und man bemerkte viele 
Andere am Ufer. D'Armandy, die treuloſe Bande 
kennend, mit der er zu thun hatte, ließ ſich nur 
nach langem Zoͤgern bewegen ihrem Wunſche zu 
willfahren. Er begann damit, den Tuͤrken als 
erſten Beweis, daß ſie ſeinen Anordnungen Folge 
zu leiſten geſonnen waͤren, den Befehl zu geben, 








67 


ſich fammtlich wieder nach der Cassba zuruͤck— 
zuziehen und dort ruhig feine Ankunft zu erwarten, 
Hierauf fette er fih mit Zuffuf und zwei Kano— 
nieren in einen Kahn; Capitain Freard bot ihm 
mit Eifer 30 feiner Matrofen zur Begleitung an, 
doch Herr von Armandy, mit jenem ruhigen 
Heldenmuth, der ihn charafterifirt und auf feinen 
edlen Zügen fo deutlich ausgeprägt ift, erklaͤrte, 
daß, che er das Leben fo vieler tapfern Franzofen 
der Gefahr ausfige, er es für feine Pflicht Halte, 
fich zuvörderft mit feinem Freunde allein genau 
von dem wahren Stande der Sachen zu überzeugen. 
Der Kahn fiieß ab, und bald fah man das fich 
Devovirende Freundespaar mit fchnellen Schritten 
blos von den zwei Kanonieren gefolgt, den fteilen 
Berg von der Seefeite erſteigen und hierauf in 
herabgeworfenen Stricken die Mauern hinan— 
Eimmen Cine kurze Snfpection des Forts zeigte 
d'Armandy, daß es dort weder an Geſchuͤtz noc) 
hinlänglicher Munition, fondern nur an Lebens— 
mitteln fehle. Er bat daher Juſſuf, einfiweilen 


63 


das Commando zu Ubernehmen, und kehrte zum 
Schiff zurüd, um das noch Noͤthige felbft herbei— 
zufchaffen. Dort war noch eine hinlängliche 
Duantität Reis, Schiffszwicbad und geſalzenes 
Sleifch vorhanden, welches Alles ihm der Capitain 
der Bearnaise mit Vergnügen auslieferte und ihm 
zugleich die fchon früher angebotenen dreißig 
Matrofen überwies, um die Befaßung der Cassba 
zu verftarfen. In zwei Parteien, von denen nur 
die eine durch einige Vlänfler Ben - Aissa’s 
bemerkt, und ohne Erfolg angegriffen ward, erreichten 
dieſe Braven auf einer Stricleiter, die ihnen Juſſuf 
berabwerfen ließ, mit d'Armandy an ihrer Spige, 
und einen Theil der für die Garnifon beftimmten 
Lebensmittel unter fich vertheilt, die Cassba ; 
worauf fogleich die aufgezogene franzoͤſiſche Fahne 
dem erftaunten General des Bey von Conftantine 
die, wie im Traum der Nacht bewerfftelligte 
Eroberung der Eitadelle anzeigte. Im heftigften 
Zorn ließ er d'Armandy fagen, er habe ihn getäufcht 
und überliftet, aber er folle e8 bald bereuen; 


— — — — — — 


69 


zugleich begann er mehrere Demonſtrationen, die 
einen nahen allgemeinen Angriff vorausſetzen ließen. 
Unter andern bemerkte man Truppen, die die 
Communication mit der See zu unterbrechen 
ſuchten, uud ſah auf einem Hügel drei arabiſche 
Chefs fichen, welche dort mit einer Necognition 
befchäftigt fehienen. Der Marechal de logis 
Colon richtete auf fie, nad) d'Armandy's Befehl, 
einen alten Scchzchnpfünder, der ſich in ziemlich 
fhlechter Verfaffung befand. Der Schuß donnert 
herab, und ohnerachtet der weiten Entfernung ift 
das Gluͤck fo günftig, daß zwei der erwähnten 
Hauptlinge getroffen in den Staub ſinken. Man 
weiß, wie wenig dazu gehört, den Enthuſiasmus 
der Mufelmänner zu erwecen, und aud) zu vers 
löfchen. Die eben erprobte Gefchieflichkeit der franzoͤ— 
ſiſchen Kanoniere fcheint ihnen ein halbes Wunder, 
und bald ſieht man auf diefer Seite den Feind 
ganzlicy verfchwinden, und von noch einigen 
Kanonenfchüffen verfolge in voller Verwirrung 
in die Stadt zurücfehren. Die Communication 


70 


war wiederum frei, und unangefochten konnte 
man den Reſt der Proviſionen der, nun auf 
mehrere Wochen geſicherten Garniſon zufuͤhren. 
Juſſuf hielt hierauf den Tuͤrken folgende kurze, 
aber ausdrucksvolle Rede. „Muſelmaͤnner,“ ſagte 
er, „in der großen Gefahr, in der ihr euch befandet, 
habt ihr die Franzoſen zu Huͤlfe gerufen; ſie 
haben euch gerettet, ihr hungertet und ſie haben 
euch geſpeist, von num an aber iſt dieſe Feſtung 
frangofifch; und wenn Einer von euch damit nicht 
zufrieden tft, Taffe ich ihm den Kopf abfchlagen.« 
Herr von Armandy fehicte folgenden Rapport 
nach Algier: »Oeneral, der Hauptmann Juſſuf 
und ich find an der Spitze von 30 Matrofen 
der Bearnaise in die Cassba eingerüdit; wir 
haben als Hülfstruppen 150 Zürfen, wovon eine 
große Zahl hoͤchſt unficher find, und zu Feinden 
5000 Mann unter dem Befehl des Generals 
Ben-Aissa, aber wir werden nichts defto weniger 
die Gitadelle Sranfreich erhalten oder darin unfern 


Tod finden,“ 





71 


Am andern Morgen gewahrte man, ftatt dee 
erwarteten neuen Kampfs, cine nod) traurigerc 
Scene. Ben-Aissa hatte es aufgegeben, gegen 
die Franzofen zu Friegen, doch, um feine Rache 
zu fühlen, führte er die ganze Bevölkerung von 
Bone, Greife, Weiber und Kinder, in die Sclaveret 
mit fich fort. Die Beſatzung fah, wie fie mit 
Schlägen von den Arabern, gleich dem Vieh, 
zwifchen Ochfen. und Schaafherden fortgetrieben 
wurden, und ihr Geſchrei, ihr Wehklagen, tönte 
bis zur Cassba hinauf. „Man glaubte, fagt 
der Verfaffer des Buchs: la Bearnaise, deffen 
Bericht ich hier zum Theil mir benußt habe, 
„man glaubte, die Horden Genſerichs wieder zu 
erblicken, gegen die der heilige Auguftin einft die 
Bevolferung diefer nämlichen Hippone vergebens 
aufrief. Drei Tage lang dauerten diefe Gräucl, 
ohne daß die Franzofen fie hindern Fonnten. 
Gegen Abend erblidte man hohe Nauchwolfen 
aus allen Eden der Stadt emporfteigen. Viele 
Häuſer fürzten krachend zufammen, und Die 


72 


Zürfen der Garniſon allein betrachteten mit 
mufelmannifchem Gleihmuth ihr Eigenthum von 
den Flammen verzehren, und ihre Weiber in die 
Öefangenfchaft treiben. 

Indeſſen ward ihre Stimmüng pon diefem 
Augenblid an immer unzuverläßiger. So lange 
5000 Feinde fie im Zaume hielten, zähmte fie die 
Noth, doc feit dem Abmarſch Ben- Aissa’g 
fühlten fie ihre Ucbermacht gegen dreißig Franz 
zofen, die ihnen Geſetze vorfchrieben. D’Armandy 
und Juſſuf nahmen zwar alle Maßregeln, welche 
ihre eritifche Lage erheifchte, man feste ſich felbft 
zu Tiſch nicht anders als vom Kopf bis zum Fuße 
bewaffnet, der Nachtdienft wurde ftets von ihnen 
felbft abwechfelnd commandirt, und die Wachen 
fo eingerheilt, daß Fein Zürfe über die Malle 
mit den umbherfchwärnenden Nrabern der Um— 
gegend ſich in ein Gefprac einlaffen Fonnte, ohne 
ſogleich bemerft zu werden. Demohngeachtet 
erschien das Betragen der Türfen täglich bedenk— 
licher, und man durfte nicht vergeffen,, daß es 





73 


diefelben waren, die mit dem wilden Ibrahim 
an ihrer Spitze hinterliftig Ouder und feine treue 
Schaar ermordet hatten. 

Endlich ward am 30. März ein Zürfe über; 
rafcht, der mit einem Araber verkehrte; drei Zeugen 
bifraftigten, daß fie ihn fagen gehört hätten, die 
Citadelle fey durch Juden übergeben worden, es 
gabe aber noch kuͤhne Mufelmänner darin, die 
fih zu rächen wiffen würden. „Hier,“ fehrie 
Suffuf, indem er auf den Verräther zuflürzte, 
„bier nimm etwas von den Juden in Empfang !« 
und mit gefpaltenem Kopfe ſtreckte er ihn todt 
zu feinen Füßen nieder. Zwei Andere hatten fich 
gleichfalls in hohem Grade als Raͤdelsfuͤhrer 
verdächtig gemacht. Juſſuf, wohl wiſſend, 
wie man feine Landsleute behandeln müffe, 
riß fie felbft aus dem Haufen der Uebrigen 
hervor, und befahl augenblidlih ihre Hin- 
richtung vor den Augen der zitternden Menge, 
die nach dieſem ſchreckenerregenden Beiſpiel fchnell 
zum Gehorſam, und fpater ſelbſt zum Enthur 


74 


fiasmus für ihre furchtlofen jungen Anführer 
überging. 

Während Died in der Cassba vorging, hatte 
fid) die ganze Plaine mit den arabifchen Stämmen 
aus den benachbarten Bergen angefüllt, um bie 
Ueberrefte der Stadt zu plündern D’Urmandy 
beſchloß, den günftigen Augenblick zu benugen, 
diefen Horden eine nachdrüdliche Lection zu geben. 
Die Tribu von Sen-Hadscha war eben in den 
Straßen Bone’s zerftreut, als er 50 Tuͤrken 
befahl, fi) des Thores von Conftantine zu ber 
mächtigen, während das der Marine durch dag 
große Canot der Bearnaise blofirt ward. Setzt 
läßt er von der Cassba einen Schauer Kartätfchen 
auf die erfchrocenen Araber niederregnen, die in 
wilder Flucht fi) nach der Marine drängen, 
wo eine neue Salve fie empfängt. Eben fo 
vergebens verfuchen fie die Flucht durd) das 
andere Thor, und fallen dort unter den 
Sibeln der Türken. Diefer Tag verleidete 
ihnen alle fernere Nachbarſchaft mit den Fra 


| 


75 


zoſen, und ſie hielten ſich fortan meiſtens ruhig 
in ihren Bergen. 

Die erwähnte Expedition hatte den Tuͤrken fo 
wohl gefallen, daß man ſeitdem etwas zuverläßiger 
auf ihre Treue rechnen zu dürfen glaubte, und 
Suffuf erbot fih, um alle fernern Angriffe der 
Araber auf einmal zu verhindern, mit den Türfen 
allein die Stadt zu befegen. Vergebens machte 
ihm d'Armandy freundfchaftlihe Vorſtellungen 
über ein Wagſtuͤck, das fein Leben ganz in die 
Hande diefer noch vor wenig Tagen aufrührifchen, 
von fo verfchiedenen Elementen zufanmengefeßten 
Truppe gabe; Juſſuf erwiederte, er wiffe die 
Türfen zu behandeln und fein Entſchluß fen 
unveränderlich. D’Armandy bleibt alfo mit einigen 
dreißig Franzofen als ganze Beſatzung in der 
Cassba, und Zuffuf feige zu Pferde, um mit 
dem Troß der Türfen in die Stadt hinabzuzichen. 
Am Thore angefommen, läßt er Halt machen, 
und eröffnet feinen Soldaten, daß Seder, der es 
wage, das Geringfte aus einem der verlaffenen 


76 


Haͤuſer zu entwenden, augenblidlid den Tod zu 
erwarten habe. Hierauf läßt er die dreifarbige 
Fahne auf die Stadtmauer pflanzen, und beftehlt 
eine allgemeine Salve ihr zu Ehren. Mit feinem 
Adlerblick bemerkt er, daß Einer der Türfen fein 
Gewehr nicht abſchießt. „Warum haft du den 
Befehl nicht befolgt ?“ fragt Zuffuf ernft. „Meine 
Flinte wollte nicht losgehen,“ antwortete der Tuͤrke 
muͤrriſch. „In der That ?« fagt Juſſuf, auf ihn 
zugehend; „laß mich doch fehen, woran es liegt,“ 
und Faltblütig das Gewehr dem Troßenden auf 
die Bruſt feßend, drüdt er los und jagt ihm 
feine eigene Kugel durchs Herz. Noch einigemal 
ſah er fich zu ähnlichen Executionen gendthigt, 
denen er, feinem ſeltſamen Charakter nach, immer 
ein gewiffes Dramatifches Intereſſe beizumifchen 
wußte, So hatte Einer ein Haus ausgeräumt, 
und behauptete, ald man ihn auf der That ertappte, 
er habe nur aus der daſelbſt befindlichen Eifterne 
irinfen wollen, „Wohlan,“ fagte Sufluf, „ſo foll 
er trinken, bis er genug hat,“ und ließ ihn Hinz 





«7 


einftürzen. Ein dritter hatte feinen Poften verlaffen. 
Juſſuf befahl ihn zuruͤckzuholen und ihn an derfelben 
Stelle aufzuhängen, damit er, fagte er, den 
Andern Fünftig ein befferes Beifpiel gabe. Diefe, 
uns graufam fcheinende, Disciplin hatte dennoc) 
die gewänfchte Wirkung, tödtliche Furcht und 
blinden Gehorfam in feiner Truppe zu verbreiten, 
ohne die er nie ihrer Herr zu werden hoffen durfte, 
Und man muß übrigens geftehen, daß, wenn er 
auch umnerbittlih fireng war, er ſich doch nie 
ungerecht zeigte , und fogar nichts von feinen Unter- 
gebenen verlangte, was er nicht felbft leiftete. Denn 
Tag und Nacht fah man ihn auf den Wällen; 
er war im wahren Sinne des Wortes überall und 
nirgends, und überließ fich felbft des Nachts nur 
bald da bald dort einer kurzen, ungeregelten Ruhe, 
Einmal hatte ihn, neben einem Poſten, vor über- 
großer Mattigkeit der Schlaf überwältigt, als er, 
erwachend, den Arm eines Menfchen um fic 
gefchlungen fühlt. Auffpringend zieht er feinen 
Dolch, und erblidt den Tapferften feiner Türken, 


78 


der ihm zuruft: „Verziehe einen Augenblick, che 
du deine Waffe auf mich richteft. Sch fah dich 
unbewacht fchlafen und nahm dich in meinen 
Arm, denn deine Jugend hat fo glorreich unferm 
Alter vorgeleuchtet, daß dein Leben Foftbarer für 
uns geworden ift, ald jene glänzenden Sterne, die 
hier am Himmel über uns flimmern Schlafe 
alfo ruhig an meiner Bruft — wo Alt für dich 
wacht, foll Fein Schatten von Gefahr fich dir 
nahen.“ Juſſuf, der vielleicht mit Faltem Blute 
feinen Stahl in dem Herzen eined Verräthers 
umgekehrt haben würde, fühlte jet bei den 
ſchmuckloſen Worten diefes Getreuen eine tiefe 
Kührung, und, den Alten auf die Schulter Füffend, 
entfchlief er forglos in feinen Armen. 

Kurz darauf meldete mon ihm die Gegenwart 
eines Spions des Bey von Eonftantine, der als 
ein befreundeter Beduine der Umgegend verkleidet, 
fi) in die Stadt gefchlichen hatte, Juſſuf fand 
e8 zu gewöhnlich und von zu wenig Wirkung, 
ihn todtfchießen zu laffen. Den guten Zuftand 


79 


feiner Vertheidigungsmittel kennend, beſchloß er, 
fi) bei diefer ©elegenheit ganz anders zu be 
nehmen. Er ließ den Pſeudo-Beduinen zu fich 
bringen und lud ihn ein ihm zu folgen. Setzt 
führte er ihm felbft in der ganzen Stadt umher, 
zeigte ihm alle gemachten Verthetdigungsanftalten, 
die wohl verfehenen Magazine und die zwar 
wenigen, aber auserlefenen, und ihre dreifache 
Zahl geltenden Truppen. „Habt ihr euch nun 
Alles wohl gemerft, was ihr gefehen ?« fragte er 
den ſich fchon für verloren gebenden Kundfchafter. 
Diefer begabte ſtammelnd. „Gut, fo eilt, was 
ihr koͤnnt und meldet Ulles was ihr erfahren 
dem Bey von Conſtantine; es foll mich freuen, 
wenn ihr im Stande feyd ihn zu vermögen, mir 
bald felbft einen Befuch zu machen.“ 

Kein Spion ließ fich feitdem in Bone wieder 
ſehen, und wenn Juſſuf bier einen alten Spartaner 
nachgeahmt hat, fo Fann man dod) mit Gewißheit 
annehmen, daß dieſer ihm nicht zum Vorbilde 


diente, mais les beaux Esprits se rencontrent. 


su 


Mitte April langten endlich 100 Grenadiere 
von Algier in der Cassba an, und den nächften 
Tag folgten 300 Mann der übrigen Infanterie 


mit einem Commandanten, dem Suffuf von nun _ 


an das Commando in der Stadt übergab. Eine 
Zeit lang blieb jeßt für unfern jungen Krieger 
wenig zu thun übrig, bis ein eigner Vorfall ihm 
noch eine Nachlefe zu dem bisher Gefchehenen 
verfchaffte. Man hatte in der Ebene vor der 
Stadt, welche ſich nad) den Bergen zu ausbreitet, 
einen Viehpark zu Verproviantirung der Truppen 
etablirt. Eines Abends, ald Herr von Armandy 
die Cassba eben verlaffen um in die Stadt hinab- 
zugehen, fieht feine lebhafte und refolute Frau, 
welche noch auf der Terraffe fpazieren ging, einen 
Trupp Beduinen über diefen Park berfallen, und 
fo viel Vieh, als fie erreichen koͤnnen, fort 
treiben. Sie felbft ruft den Kanonieren zu, ihr 
Geſchuͤtz auf das Gefindel zu richten, doc) find 
fie fchon zu entfernt, um ihnen einen bedeutenden 
Schaden zufügen zu fönnen, und ehe die Nachricht 


si 


ſich in der Stadt verbreitet, verfchwinden ſie hinter 
den Bergen, Doch in derfelben Nacht noch fett 
ihnen Juſſuf mit feinen Türken nad), durchzieht 
bis acht Stunden von der Stadt eine Menge 
friedlicher Stamme, überrafcht endlich die fich 
fchon in Sicherheit glaubenden Raͤuber, ſchlaͤgt 
fie in die Flucht, nimmt ihnen die dreifache Anzahl 
der entwwendeten Heerde ab, und folgt, während 
er das Vieh mit einem Detachement vorausfchickt, 
feinen ermatteten Leuten einige Ruhe gonnend, 
langfam nad). Unterdeffen hatten jedoch mehrere der 
übrigen feindlich gefinnten Stämme ihm bei einem 
defile, das er paffiren mußte, einen Hinterhalt 
gelegt, und überftelen ihn bier unverfehens mit 
weit überlegenen Kräften. Man Fonnte von der 
Cassba einen Theil des Gefechts wahrnehmen, 
und D’Armandy hatte bereits, beforgt für feinen 
Freund, eine Compagnie Infanterie zu feiner 
Hülfe ausmarfchiren laſſen. Doch blieben diefe 
Zruppen nur entfernte Zufchauer der Tapferkeit 
Juſſufs, der, den Säbel im Munde und eine 


Semilaffo in Afrika, IL. 6 


32 


Piftole in jeder Hand, feinen tuͤrkiſchen Neitern 
voronfprengend, Alles vor fich niederwarf, was 
fic) ihm entgegen zu ftellen wagte, 

Dies war der legte Akt einer Reihe ruhm— 
würdiger Thaten, welche das franzofifche Gouver— 
nement durch Verleihung des Offizierkreuzes der 
Ehrenlegion und Avancement in ipren miltairifchen 
Graden für d'Armandy und Zuffuf ſich zu erkennen 
beeilte. Der Erfte commandirt jeßt die Artillerie 
in Bone, wo einer der Stadtpläße nach ihm 
benannt ift, und der Zweite die dortigen Spahis, 
unter welchen die 150 ZQürfen der Cassba mit 
einrangirt ſind.) Beide aber genießen in der 


*) Sp eben erfahren wir, daß die glänzende Zukunft, 
welche Semilaffo für den mit foviel Liebe von ihm gefchil- 
derten, myfterieufen Türfen Juſſuf vorhergeſagt, in Erfül- 
lung geht. Er ift unter franzöfifcher Hoheit zum ſouverainen 
Bey von Conftantine ernannt, Das zu erobern er an der 
Spite einer Fleinen Armee bereits ausgezogen iftz eine 
Expedition, deren Erfolg unter den obwaltenden Umſtän— 
den als unzweifelhaft angefehen werden fann, und Die 








33 


Armee ganz den hohen Ruf, der. ihren feltenen 
Verdienſten fo angemeffen tft. 

Aber es wird Zeit, mein Prinz, diefen faft zu 
einem miltteirifchen Bulletin gewordenen Brief 
abzubrechen, der Ste leicht weniger intereffiren 
koͤnnte, als mich, obgleich der ſchoͤne Zuffuf auf 
feinem berühmten Schimmel in natura gewiß 
für Sie, wie für Alle, das Romantifche liebende 
Frauen, ein fehr anziehender Gegenftand feyn 
würde, Malen Sie ihn fich nach Ihrem Belieben 
mit Shrer Phantafie aus, und danfen cs mir, 








den fo wunderbar von der Natur ausgeftatteten Aben- 
teurer in den Beſitz eines der fohönften und romantifche- 
fien Länder des Erdbodens feßt, deſſen Umfang vier 
Heinen deutfchen Königreichen gleihfömmt. Die Nefte 
antiker Sceulptur, welche es in feinem Schooße birgt, 
hält man für die zahlreichften, ausgedehnteften und am 
beften eonfervirten in Afrifa (nur Aegypten ausgenom— 
men). Doch fein Europäer hat fie noch je befchrieben, 
vielleicht Keiner fie je gefehen, Hier öffnet ſich das reichfte 
Feld für neuere Reiſende. 


84 
wenn Sie finden, daß ich Ihnen die Farben dazu 
nicht zu matt ausgewählt habe. 
Ihr 
treuer Verehrer 
H. S. 





Chronik 


Man zählt den 27, Februar im Jahre des 
Herren achtzehnhundert fünf und dreißig. Ein 
goldener ätherblau emaillirter Himmel ift über 
den, noch immer den Franken unzugänglichen, 
geheimnißvollen Vorhang des Atlas gefpannt, 
Yuf einem rauhen Felfenwege windet ſich an feinen 
porderften Bergen ein Zug von ohngefähr zwanzig 
wohlbewaffneten Arabern hinan, die einzigen 
lebenden Wefen, die im Gebürge wie in der weit 
hingeftrecften Ebene der Metidschiah , fichtbar 
werden, Woran reitet Ali Ben Khasnadschi, 
früher ein berühmter Räuber, jet ein von dem 
Gouverneur zu Algier eingefegter Cäid der Stämme 


86 


von Beni-Mussa, der an 4000 waffenfähige 
Krieger befehligt. Er ift in feine reichfte arabifche 
Tracht gekleidet. Zuerft umfchließt ihn der geftreifte 
weißferdene Heif, eine Art Shawlhemde aus einem 
Stüf, das bis zu den Füßen bherabgeht, vorn 
aufgebunden ift, und oben zugleich als Mütze den 
Kopf bedeckt, wo es eine die Schnur von 
Kameclhaar turbanartig umwickelt. Der Theil, 
welcher den Hals umgiebt, dient zugleich, um, 
wenn die Ubendfälte eintritt, vor den Mund 
gezogen zu werden. Um den Leib hält dies lange 
Gewand ein vother goldgeftickter Sammtguͤrtel 
zuſammen, aus dent zwei mit Gilber eingelegte 
Piftolen hervorbligen, Eine ebenfalls mit Gold 
reichgeftickte Cartouche enthält die nöthigen Pa— 
tronen, der Pulver- und Schrotbeutel hangt noch 
daneben; und diefe Bewaffnung, wie der fehwarze 
Dart, und das martialifch braune Geſicht des 
Neiters, zeigen binlänglih an, daß in dem 
befchriebenen Weiberrock ein formidabler Krieger 
ſteckt. Eine offene Jade von Cramoiſi-Tuch, 








87 


mit blauer Seide und goldenen Treffen verziert, 
wird faft nur durch die aufgefchlißten Aermel 
mit runden filbernen Knöpfen fichtbar, da die 
Bernus aus feiner weißer Wolle, die mit Frangen 
befeßt ift, und vermöge einer runden Deffnung 
in der Mitte den Kopf frei laßt — einen großen 
Theil der übrigen Kleidung verdeckt; von der 
Bruſt an ift fie vorn offen, fo daß fie beim 
Gefecht über die Schultern geworfen werden Fann 
und dann die Arme ungehindert ihre Arbeit zu 
verrichten im Stande find. Ueber dieſe weiße 
Bernus, hängt noch eine ahnliche fchwarze, von 
dicken, dem Negen faft undurchdringlichen Zeuge, 
mit rothfeidener, goldeingefaßter Agraffe, und 
Duaften, Weite, nur bis über das Knie gehende, 
blaue Hofen, rothe lange Stiefelfträmpfe von 
Safftan mit Furzen Ueberſtiefeln von gleicher 
Farbe, ganz denen der alten Nitter ähnlich, an 
welchen Sporen von der Größe Kleiner Spieße 
befeftigt find, vollenden die Kriegstracht des Cäid. 
Seinen feurigen Hengft ſchmuͤckt ein über und 


88 


über mit Gold durchwirfter Sattel, dem eine Art 
Stuhllchne hinten, und ein eben fo hoher, abwarts 
gebogener Sattelfnopf vorn, die größte Bequem 
lichfeit geben. Die mit Silber und Corallen 
eingelegte Flinte, welcye ein halbmal fo lang als 
die unfrige ift, wie das Schloß noch einmal fo 
groß, trägt nebft dem Säabel in filberner Scheide 
fein Leibdiener, der unmittelbar hinter ihm reitet. 
Jeder der folgenden Araber ift ebenfalls mit 
Piftolen, Flinte und Dolch, nur die Vornehmern 
auch mit einem Säbel bewaffnet, den fie jedoch 
nicht am Xeibe, wie wir, fondern unter dem 
Sattel, an der linken Seite befeftigt, tragen. Ihre 
Pferde von geringem Anfchn, find deshalb nicht 
minder dauerhaft, fihnell und gewandt, wenn 
es gilt. Ein schlechter Neiter aber wird unter 
den Arabern nicht gefunden. 

In der Mitte Des Zugs erblicken wir einige, 
diefem Erdtheil etwas fremdartigere Geſtalten. 
Zuerft den von ruhiger Neugier raſtlos getriebenen 
Reifenden, dem die erwähnten Kinder der Wüfte 








89 


zur Escorte dienen, und den wir leicht für einen 
inlandifchen Chef balten Fünnten, wenn er uns nicht 
fattfanı genauer befannt ware; denn bis auf den 
MWeiberrod, den er die weite Mameluckentracht 
vor zezogen hat, iſt er im Uebrigen dem Cäid 
ziemlich ähnlich gekleidet, nur feiner noch feine 
fhlohweiße Bernus aus Tunis mit himmelblaueu 
Frangen, noch Foftbarer die Stickerei feines Gürtels, 
wie der Schmuck feines Pferdes, das von Silber 
und Gold in der Sonne fhimmernd, unermüdlich 
caracolirt und Enirfchend fein Gebig mit Schaum 
bedeckt. Hinter Semilaſſo reitet in franzdfifcher 
Uniform Abaiby, ein Adjutant des Gouverneurs, 
der, von fprifcher Abkunft, das Arabifihe geläufig 
fpricht, und unferm Freunde als Dolmetfcher 
mitgegeben worden iſt. Ihm folgt der belgifche 
Major vom gefcheiterten Robuste, ein junger 
Krieger ohne Furcht und ohne Tadel, der fich dem 
deutschen Abenteurer, von dem wir das Publikum 
fo oft und gern unterhalten, ebenfalls angefchloffen 
hat. Hinter dom Major wird ein Banquier aus 


90 


Algier, Herr Bellart, bemerkbar, in feiner Tracht 
ganz einem Beduinen von Maskara gleichend, den 
dort üblichen großen Strohhut mit bunten Quaften 
auf dem Kopfe, und auf einem Toftbaren Pferde 
aus Tittery reitend, Neben ihm fehen wir den 
rüftigen, ſtets beiteren Studiofus Fer. aus 
H...., der für diefe Tour als Semilaffo’s Seeretair 
und auch als fern Vertheidiger, wenn es Noth 
thun follte, fungirt. Die zweite Halfte der Araber, 
ein junger Neger und ein Maure, auf bepacdten 
Maulefeln fizend, complettiren den Zug, der fich 
eben durch eine enge Schlucht tiefer ins Gebürge 
hinein drängt, und jet in einem dichten Gebüfch 
von hohem Strauchholz langfam unfern Blicken 
verfchwindet. 

Wir verlaffen ihn bier für eine kurze Zeit, um 
zu erzählen, was ihn veranlaßte. 

Da Semilaffo vergebens in Algier auf eine 
militairiſche Erpedition gewartet hatte, der er fich 
anfchließen Fönnte, um wenigftens etwas vom Sn; 
nern des Atlas zu sehen, fo befchloß er es nun, 











9 


auf feine Hand zu verfuchen. Man verficherte 
ihm zwar: dies fey ohne 2000 Mann nicht moͤg— 
lich, und Jeder, der fich allein dahin wage, Fünne 
ficher feyn, daß ihm der Hals abgefchnitten werde 
— unſer Freund ift aber befanntlich ein fo geſchwor— 
ner Zweifler an Unmöglichkeiten, daß er auch 
diesmal nicht allzuviel auf diefe Behauptungen 
gab, obgleich fie in der That ganz allgemein waren. 

Er bat daher den ſtets für ihn fo gefälligen 
und gütigen Gouverneur, die Cäiden von Beni- 
Mussa und Khraschna vorläufig nur auffordern 
zu laffen, einen Fremden von Diftincetion, der 
unter dem Schuß des franzoͤſiſchen Goupernements 
fiche, durch die Ebene von Metidschiah, im Be 
veich ihrer refpectiven Tribus, zu begleiten, und 
nach beften Kräften für feine Sicherheit zu forgen. 

In Folge diefes Befehls, mit deffen Yusfüh- 
rung der von den Franzoſen gefete Aga der Plaine, 
der Oberft Marey, beauftragt wurde, — ein fehr 
verdienter Offizier und fchon dadurch ungemein 
intereffant, daß er Sprade und Gitten der 


92 


Araber, die er befehligt, auf täufchende Meife fich 
felbft angeeignet Hat, — erfchten der Caid von 
Beni-Mussa mit einer Escorte feiner Araber 
an einem Freitag früh, (denn der Zufall will, 
wie es fcheint, Semilaſſo von allem Aberglauben 
heilen), um ihn zu der vorhabenden Excurſion 
abzuholen. Unfer Freund fing damit an, dem 
einaugigen Caäid, nebft feinem Bruder und feinem 
erften Lieutenant, cin europälfches Fruͤhſtuͤck an— 
zubieten, das durch dieſe etwas wilden Gäfte einen 
nicht wenig originellen Anftrich erhielt. Die Os— 
manli's tranfen übrigens dabei Champagner, und 
aßen von einem wilden Schweinsfopf, mit aller 
Zuverficht der beften Chriften; waren auch, als 
nach beendigtem Mahle die ganze Gefellfchaft zu 
Pferde ftieg, fo animirt, daß fie Faum das Thor 
hinter fich hatten und auf dem Meeresftrande ans 
gefommen waren, als fie fchon, nach arabifcher 
Weiſe, ihre Pferde, wie im fingirten Kampf, toll 
umbherfprengten, und es darin Einer dem Andern 
zuvor zu thun fuchten, Der Oberſt Marey hatte 





93 


die große Gefalligfeit gehabt, Semilaffo fein Streit: 
roß mit allem orientalifhen Schmuck, der dem 
Aga zukommt, für die Zeit der Expedition zu lei— 
hen, und er war daher fo gut wie irgend Einer 
beritten. Doc mißbrauchte man nicht zu lange 
die Bereitwilligkeit der feurigen Thiere, und bald 
ordnete fich auf dem fchlechten Steinpflafter der 
alten römifchen Straße die Cavalfade im bedäch- 
tigen Schritt. Man zog zwifchen fo hohen Hecken 
indianifcher Feigen hin, daß fie den Reitern voll 
fommenen Schatten gewährten, eine große Wohl— 
that bei der fchon mächtig waltenden Hitze. Nach 
einigen Stunden gelangte man an die leßten franz 
zöfifchen Blodhaufer und den Aratsch, den man 
in einer ziemlich tiefen Furt paffirte, Hier wurde 
einige Minuten Halt gemacht, um die Pferde trinz 
Een zu laffen, und auf Einen der Gefellfchaft zu 
warten, der etwas zurücgeblichen war. Bet die 
fer Gelegenheit durchritten von der andern Geite 
auch mehrere Araber, meift auf kleinen, ſchwerbe— 
packten Efeln fißend, den Fluß, was mit allen 


94 


diefen verfchtedenen Gruppen ein eigenthümliches 
Genre-Bild abgegeben haben würde; befonders als 
des letzten Beduinen armes Thier mitten im tief 
fien Strom unter feiner Bürde erlag, und mit 
wahrer Engels> oder Efelsgeduld, nur zuweilen, 
gleich einem Karpfen noch den Kopf über das 
Waſſer ftrecdend, nach Luft fchnappte, dann fich 
ruhig finken ließ, und ohne einen Laut von fic) 
gegeben zu haben, erfoff. Erſt nach vieler Mühe 
und Zeit gelang es den Arabern, die Effeeten aus 
dem Waffer zu ziehen; den ſich nicht mehr rüber 
renden Efel ſchwemmten die Sluthen mit fich fort, 

Vom Aratsch an begann die Ebene fich fanft, 
aber fortwährend, gegen die Berge zu erheben, 
und bot ein durchaus trockenes Terrain dar, zur 
weilen mit etwas Sand untermifcht, aber meiftens 
aus fruchtbarem Lehm oder ſchwarzer Dammerde 
beftehend, überall entweder mit grünem Gras oder 
niedrigem Strauchwerk bedeckt. Gegen Abend 
erreichte die Garavane wohlbehalten Beni-Mussa, 
zwei Stunden von Atlas entfernt, wo der Cäid 


95 


feinen Hautch, eine Art Hof mit fieinernen, 
fehr elenden, Gebäuden umgeben befißt, die bei 
feinem früheren Handwerk vielleicht dazu beſtimmt 
waren, den gemachten Naub in Sicherheit zu brin— 
gen. Ein fchlecht gehaltener DOrangengarten, mit 
einer undurchdringlichen Hecke von Aloe umgeben, 
fchloß fich auf der einen Seite an das Gebäude, 
und nicht weit davon entfernt, breitete fich auf 
der andern ein hübfches Waldchen von wilden 
Dlivenbäumen, Caroubiers, und hohem Strauchz 
werf aus, in dem ein Dorf liegt, das jedod) der 
emporfteigende Rauch allein verrieth. Diefer Vor— 
grund, mit dem dunfelblauen Gebürge dahinter, 
bildete eine zwar wilde, aber anziehende Landfchaft. 

Zwanzig bis dreißig Araber ſaßen bei Ankunft 
der Neifenden vor dem Haufe auf dem feuchten 
Raſen, und neben ihnen lagen ein halbes Dutzend 
wilde Schweine, die fie fo eben erlegt, von denen 
fie aber nur die Haute gebrauchen, das Fleiſch 
aber, deffen Genuß ihre Religion verbietet, ins 
nahe Gebüfch werfen, und dort verfaulen laffen, 


96 


Sie nahmen von den Fremden wenig Notiz, kuͤß— 
ten ihrem Cäid dagegen refpectvoll die Hand; 
denn das ariftofratifche Prinzip herrfcht hier noch 
in feiner ganzen Kraft, wie wohl cs fich, den Sitten 
des Landes gemäß, auf eine ganz andere Art Außert 
als bei und. Diefe Sitten find noch ganz die 
nämlichen wie fie uns die Bibel fehildert, und 
der vornehmfte Chef (der fich auch im gewoͤhnli— 
chen Leben faft durch nichts in feiner Tracht von 
den Uebrigen unterfcheidet, und im Haufe gleich 
ihnen barfuß geht,) glaubt fich nichts zu vergeben, 
wenn er das für feine Säfte beftiimmte Lamm 
felbft aus der Hecrde holt, fchlachtet und dann 
den Weibern zur fernern Zubereitung überliefert. 

Das erfte Gefchäft der Araber, und in der 
That die erfte Pflicht jedes vernünftigen Reifenden 
in gleicher Lage ift, bei der Ankunft fogleich die 
Pferde zu beforgen. Ste werden hier fammtlich 
an eine lange, auf der Erde fortlaufende, Leine, 
an die fie mit Fußſchlingen befeftigt find, gereiht, 
und müffen folglic) ftehend, oder wenn fie zum 


| 





97 


Liegen kommen, wenigſtens in einer hoͤchſt unbe— 
quemen Lage, ſchlafen. 

Sobald alſo dies abgethan und den Thieren 
Gerſte mit gehacktem Stroh vorgeworfen worden 
war, bereitete ſich Semilaſſo mit ſeinen Gefaͤhrten, 
die letzte Abendſtunde noch zu einer Fußpromenade 
in die Umgegend zu benutzen. Nachdem man 
eine Weile in dem duftenden und blumigen Waͤld— 
chen umhergeirrt, kuͤndigte ein fuͤrchterliches Hunde— 
gebell die Naͤhe des Dorfes an. Gegen fuͤnfzig 
dieſer wolfaͤhnlichen Beſtien ſtuͤrzten hervor und 
machten das weitere Vordringen ſtreitig, ohne 
jedoch zu einem ernſtlichen Angriff zu ſchreiten. 
Aus den, einem großen freien Plaß umzingelnden, 
fhwarzen Zelten, dicht aus Kameelhaar gewoben, 
flüchteten fi) einige nacfte Kinder bei der Annaͤ—⸗ 
herung unbefannter Männer, und ohngefähr ein 
Dutzend bärtige Beduinen Famen eilig herbeige- 
laufen, um die unerwarteten Eindringlinge abzu- 
wehren. Einer von ihnen, der ihr Oberhaupt zu 
ſeyn fehien, rief den Fremden ſehr zornig zu, fich 


Semilaſſo in Afrika, II: 7 


98 


augenblicklic) fortzupacken. „Seht ihr denn nicht,“ 
fagte er, „daß ihr die Kinder erfchredt? Was 
wollt ihr hier? Semilaſſo's Dolmetfcher hatte 
alle Mühe ihn zu befänftigen, bis einige Münze, 
den einzeln wieder herbeigefommenen Kindern zus 
geworfen, die Miene des Schwarzbartes etwas 
glättete, Das Elend und der Schmuß in diefen 
Zelten überftieg nicht — denn das ift unmöglich 
— aber glich) wenigftens vollfonimen dem der 
irländifchen Bauern, nur daß die Hiefigen nod) 
den Vortheil über Sene behaupteten, gefünder und 
beffer genahrt zu erfcheinen. Im Verfolg der 
Promenade ſchoß man einige fette Kerchen, fehlte 
ein paar Befaffinen, und befehloß die Ereurfion 
mit genauerer Befichtigung des erwahnten Gartens, 
in dem eine lange und regelmäßig gepflanzte 
Allee hoher Drangenbäume voller Früchte mitten 
in diefer MWüfte, unferm Parkomanen ein tiefes 
Bedauern einflüßte, daß das Klima feiner Heis 
math nicht mit gleicher Milde den armen Sterb- 
lichen zu Hülfe Fomme, Neben dem Garten brei- 








99 


tete fich ein Feines Kameelgeſtuͤt, mit fruchtbaren 
und wohlbewafferten Wiefen, längs den Bergen 
aus. Die jungen Thiere fprangen Fuftig umher; 
und glichen faft Giraffenz die alten waren Horn 
gefeffelt, und hüpften daher nur fehr ungefchickt 
und langfam vorwärts. Die biefigen Kameele 
haben fanmtlich nur einen Hoͤcker, ohne deshalb 
Dromedare zu ſeyn; im Gegentheil ift es eine 
Feine und armliche Nace, gleich allem übrigen Vieh 
diefer Gegenden, die Pferde allein ausgenommen 

Als die Spazierganger mit einbrechender Dunz 
felheit wieder dem Haufe zufchritten, ertünte von 
daher ein wildes Gefchrei, das einen Yugenblid 
Beforgniß erregte. Eine große Anzahl Beduinen 
faßen um den Cäid gruppirt, der wahrfcheinlich 
vor Nacht nod) die während feiner Abwefenheit 
vorgefallenen Streitigkeiten fchlichtete. Der größte 
Schreier war derfelbe bärtige Mann, der den 
Eintritt in fein Dorf fo üblen Humors verweigert 
hatte, und der, wie e8 fchien beim Caid Klage 
gegen die Chriften geführt, ohne Zweifel aber auch 


100 


fihon zurecht gewiefen worden war, denn beim 
Anblic® der herbeieilenden Fremden verftummte 
fchnell aller Laͤrm, obgleich die Gefichter der Ge— 
fellfchaft durchaus Fein Wohlwollen verriethen. 
Als Scmilaffo dies bemerkte, feßte er ſich neben 
einen alten Schech mit fohlohweißem Bart auf 
den Boden nieder, und fing, vermöge des Dolmet: 
fhers, ein freundliches Gefprach mit ihm an. 
Nach wenig gewechfelten Worten ergriff der Alte 
unferes Freundes feine Bernus, und bat fie fich 
ohne Umftände als Geſchenk aus, Als dies ver- 
weigert wurde, langte er nach einem rothfeidenen 
ZTafchentuche, das, nach Gewohnheit der Araber, 
an Semilaſſo's Dolch befeftigt war, und fo noch 
unverfhämt nach mehreren Dingen, bis diefer fich 
endlich von der Zudringlichkeit des alten Sünders 
durch das Gefchenf eines fpanifchen Piaſters los— 
Faufte, und dem Haufe zuging, wo ihn das erfte 
Beduinenmahl erwartete, 

In einer langen Kanımer, die einen offenen 
Taubenſchlag zur Dede hatte, waren Strohmatten 





101 


und darüber Teppiche gebreitet, auf denen man 
fauernd in der Runde Plaß nahm. Jetzt brachten 
einige Diener, die barfuß, in ihre weißen Bernus 
faltenreih drappirt, taufhend den Abbildungen 
römischer Sclaven glichen, ungeheure hölzerne 
Schüffeln, von. gefälliger, ebenfalls antifer Form, 
mit Cuscussu und Pilau gefüllt, herbei, fo wie 
gleich fchon geformte irdene Waſſerkruͤge. Man 
wufch fih, und das Mahl begann auf folgende 
MWeife. Im Cuscussu ward in der Mitte ein 
tiefes Loch gemacht und eine Art Milchfäure Hinz 
eingegoffen, von der Seder, wie bei Wieſenbe— 
wäfferungen, einen Eleinen Canal nach feiner Ecke 
leitete; ald Auszeichnung hatten die Fremden 
huͤbſch geſchnitzte Holzlöffel erhalten, die andern 
bedienten fich allein ihrer Hande. Eine Schüffel 
gebratener Hühner tranchirte der Cäid fchnell und 
geſchickt auf diefelbe Weife, und das ſchon zerftückt 
hereingebrachte Lammfleifch des Pilau, von dent 
unfer Freund übrigens beifällig verfichert, daß 
er nie Schmachafteres genoffen, theilte cr eben; 


102 


falls mit feiner Friegerifchen Fauft aus. Den 
Beſchluß machten harte Eier mit Salz und Pfeffer. 

Die Ueberrefte der reichlichen Mahlzeit, zu der 
man frifch gemolfene Milch trank, fattigte, nad) 
den Herren, auch die Diener, Dann erfchien von 
Neuem das Mafchbeden, ein und das nämliche 
für die ganze Gefellfchaft, was faft eben fo eckel— 
haft ift als unfere Mode, fih bei Tiſch den 
Mund auszufpühlen. 

Wahrend man den Kaffee bereitete, den die 
biefigen vornehmen Beduinen nun auch anfangen, 
wie die Franzoſen, mit Zuder zu trinken, offerirte 
Semilaffo dem Cäid und feinem Sieutenant, 
Deffert und Champagner aus feinem eigenen 
Vorrath, welche Gaben aud) Feineswegs verz 
fhmähet wurden; doa, mußte man ihnen des 
Decorums wegen, vor den Andern verfichern, daß 
dieß Fein Mein, fondern ein unfchuldiges Getranf 
aus Aepfeln gebraut ſey. Semilaffo zweifelte 
übrigens nicht, daß er hiermit nur die reinfte 
Mahrheit verfichert habe. 





103 


Nah dem Kaffee und zwei bie drei Pfeifen, 
die man ſich als HöflichFeitszeichen gegenfeitig 
zu einigen Zügen gereicht und wieder genommen, 
wickelte fi) nad) und nach Einer nad) dem Andern 
in feine doppelten Mäntel, 309g den Cappuchon 
über die Ohren und fuchte auf derfelben Matte 
oder Teppich, wo er früher gefpeist, den Schlaf. 
Doh war der Erfolg nicht glüdlich, denn da 
Feder wenigftens von einigen hundert Slöhen mit 
barbarifcher Blutgier angefallen wurde, denen 
die feinere fremde Haut befonders einladend 
dünfen mochte, fo war an Feine Nuhe zu denfen. 
Ueberdieß bellten fortwährend die Hunde, einiges 
mal mußte man in den Stall laufen, weil fich 
ein Hengft losgeriffen hatte und die andern ſchlug 
und biß; in der Kammer felbft aber hörten die, 
durch die Lampe wach erhaltenen, KLachtauben, 
feinen Augenblick auf, ihr feltfames Kehlgerolle 
hören zu laffen, und gaben außerdem ihre An: 
weſenheit noch auf eine unangenehmere Weiſe 
fortwährend zu erkennen, 


104 


Mir Freuden begrüßte man daher den erften 
Sonnenftrahl am Morgen, der durch die offene 
Thüre fehr bequem hereindrang, tauchte Hände 
und Geficht in frifches Waſſer, Tagerte fich um 
die dampfende Kaffeefanne, deren Inhalt, obgleich 
chofolatenartig dick, hier immer fehr gut ift, und 
brannte dann mit großem MWohlbehagen die erfte 
Pfeife an. Die Flöhe aber fehlafen am Tage, 
wenigftens in der Ebene von Metidschiah , denn 
Semilaſſo, dem wir Ddiefen Bericht verdanken, 
hat früher, wie es fcheint, nie Gelegenheit gehabt, 
ihre Sitten fo genau zu fludiren. 

Der Caäid, unterrichtet, daß es den Reifenden 
hauptfächlih darum zu thun fey, einen Theil des 
Atlas und folche Gegenden zu feben, wo feit der 
Einnahme Algiers noch Fein Europaer hingefom: 
men fey, hatte geftern mehrere Boten zu Pferde 
an die benachbarten Stämme der Kabylen ge 
ſchickt, um fie zu verhindern, etwas Feindliches 
zu unternehmen, wenn er mit den Fremden auf 
ihrem Grund und Boden erfchiene, Auf jeden 








105 


Fall begleitete indeß eine Escorte von 15 bis 16 
Neitern, den tapfern Caäid an der Spike, Die 
fünf gleichfalls fehr wohl bewaffneten und nicht 
weniger entfchloffenen Fremden, welche zufällig 
vier verfchiedenen Nationen angehörten, 

Jemehr man fi), vom heiterften Wetter be- 
günftigt, dem Fuß des Atlas näherte, je reicher 
ward die Vegetation; und die grünen Abhaͤnge 
der Berge, voll baumumfchatteter Dörfer, Wicfen, 
Felder und lieblicher Gebüfche, unterfchieden fich 
wenig vom Anblick europäifchen Anbaus. Den: 
noch wohnen hier die wilden, fo fehr gefürchteten 
Kabylen und Hajuten, von denen, wie der Cäid 
bemerkte, der majeftätifche Berg von Bona ralıssa, 
der fich rechts von den Reiſenden erhob, allein 
2000 Streiter Tiefer, Am Bergftrom Oueld 
Dschemma kam der Garavane ein fehr reinlich 
gefleideter, ſchoͤner Mann, auf einem vortrefflichen 
Pferde und mit einem Gefolge von zwei Dienern 
entgegen, der fich mit dem Cäid eine Zeitlang 
heimlich unterredete, und, wie man nachher erfuhr, 


106 


ein Thaleb (Schriftgelehrter) war, der durch 
fein Anfehn die angrenzenden Stamme des Ge 
bürges vermocht, Feine Notiz von den Ehriften 
zu nehmen. Er fchloß fi) an die Caravane an, 
und verließ fie nicht cher als im Gefolge des Cäid, 

Nachdem man, mit vielfach abwechfelnden 
Anfichten der vorliegenden Berge, einige Stunden 
weiter geritten war, und zwar nicht felten durd) 
Diefichte, wo ein Ueberfall höchft gefährlich gewefen 
wäre, gelangte man an die Stelle, an welcher der 
Fluß, den man fchon einmal weiter unten paffirt, 
aus einer tiefen und romantifchen Bergfchlucht 
hervordringt, und fein, jeßt größtentheils trocdenes, 
Bett, über taufend Schritte breit mit Steingerölle 
und Felsblöden bedeckt hatte. An feinen Ufern 
befanden fih mehrere brennende Kohlenmeiler, 
die hier eben fo wie in den deutfchen Wäldern 
behandelt zu werden fcheinen; Fein Eingeborner 
ließ ſich aber dabei fehen. 

Nicht weit von diefem Drt kam der Zug auf 
einen fehr ſchoͤnen Platz, Suk el Arba genannt, 











107 


bis wohin, fo wie im ganzen übrigen Bereich des 
heutigen Weges, feit der Eroberung Algiers noch 
fein Europäer vorgedrungen iſt; denn eine mili— 
tairifche Erpedition ift nach diefer Seite nicht 
gerichtet worden. Defto mehr wird aber eben 
deswegen diefer Markt von den Arabern befucht, 
wie man an der großen Anzahl eleganter und 
wohlerhaltener Strauchlauben feben Fonnte, Die 
bier fortwährend aufgefchlagen bleiben, obgleich 
die Befitzer fie nur am Mittwoch benußen. Dicht 
am Fuße hoher Berge gelegen, mit dem Bli in 
eine tiefe Schlucht, durch einen filberhellen Bach 
bewäffert, nach der Ebene hin durch dichte Aloe; 
hecken und Gebüfche blühender Sträucher gefchüßt, 
und von einem chrwürdigen Dlivenhaine befchattet, 
in den es faum einen Baum gibt, der feinem 
Ausfehen nach, weniger als 2 bis 300 Sabre 
zahlen kann, bildet diefes Grundftüc gewiß einen 
der originellften und auffallendftien Marktplaͤtze, 
die irgendwo gefunden werden möchten. Am 
Ende des erwähnten Haines fteht unter Palmen 


108 


das fleinerne Grab eines Maräbut, und Heiligt 
dadurch die umliegenden Gefilde. Daneben führt 
die große Straße über Hamsa nad der Wüfte 
Saharah , die fih, dem Flußbette folgend, fo 
verführerifch in die ſchwarze Felſenſchlucht verlor, 
daß Semilaffo alle Ueberredungsfunft aufbot, 
den Cäid und den Thaleb zu bewegen, dieſen 
Meg wenigftens eine Stunde weit zu verfolgen. 
Nachdem man jedoch Faum einige Minuten dar; 
auf vorwärts gefommen war, erklärten Beide 
fhon mißmuthig: weiter ginge es nicht als an 
der Spiße von 2000 Mann; fie dürften die Ge 
fellfchaft diefer Gefahr nicht ausfeßen, und 
überdieß, fügte Kasnadschi hinzu, reiche die Zeit 
nicht hin, da er die ihm AUnbefohlenen noch vor 
Naht dem Caäid von Kk .schna überlicfern 
müffe, denn fo habe es ihm der Aga vorgefchrieben, 
ein Paar Stunden weiter hin werde er aber, nad) 
dem Fruͤhſtuͤck, die Fremden noch tiefer als jetzt 
in den Atlas führen, und zwar fo weit als c8 möglich 
fen, mehr aber müffe man nicht von ihm verlangen, 


| 


109 


Es wäre unflug gewefen, fich feinem Willen 
offen zu widerfeßen, und unfer Freund gab um 
fo lieber nach, da ihm die Perfon diefes einaugigen 
Raͤubers und die ganze Art feines Benehmens 
nicht allzuviel Vertrauen einflößte. Er hoffte, 
wie wir fehen werden, nicht mit Unrecht, fpäter 
auf eine beffere Gelegenheit. 

Man fuhr alfo fort am Saum der Berge 
binzuziehen, wahrend die Araber mehrmals ihre 
Pferde, mit großer Dreiftigfeit und ungemeiner 
Geſchicklichkeit, im fchnellften Lauf über ein 
fehwieriges Terrain hinfprengten, und alle ihre 
Reiterfünfte zeigten, welche von den Europäern 
nicht immer mit gleichem Gluͤck nachgeahmt 
wurden. Nach einiger Zeit gelangte man, in der 
lachendften Gegend, an einen prachtvollen und, 
jo viel man davon außerhalb gewahr werden 
konnte, forgfältig gepflegten Orangengarten, den 
malerifch geformte, alte Delbäume, mit einem 
Dickicht von indianifchen Feigen und rothblühenden 
Sträuchern umgaben; aus der Mitte hoben fich, 


110 


gleich der Federfrönung eines Baldachins drei 
hoͤhe Palmen empor. Der gefhmadvollfte Park 
koͤnnte Feine einzelne Partie von fchöneren Effect 
darbieten. Vielleicht hatte Das Innere weniger 
angefprochen, doch blieb dieß unbekannt, denn der 
Caid wollte die nähere DBefichtigung durchaus 
nicht geftatten, fondern ließ nur durch einige feiner 
Leute Drangen aus dem ©arten holen, deren 
Größe, Saftreichthfum und koͤſtlicher Parfum Alles 
weit übertraf, was man folcher Art in Europa findet. 
Nachdem fi) die ganze Sefellfchaft an  diefen 
wundervollen Früchten erquickt und abgekühlt hatte, 
denn die Hige war fehr empfindlich geworden, 
ward der Weg mit erneuten Kräften durch ein fo 
gut bebautes Land fortgefeßt, Daß man unter 
ondern dafelbft ein Feld Bohnen gewahr ward, 
die bereits drei Fuß Höhe erlangt hatten, Am 
Ende diefes Landftrichs, und auf der andern Scite, 
‚dicht an fieinige, dürre Berge gelchnt, lag eine 
Meierei des Cäid, Hadrah, wo er feinen Gäften 
das Abſchiedsmahl hatte bereiten leffen, Dies 


111 


war ganz europäifch ländlich arrangirt, Teppiche, 
auf grünen Rafen unter blühenden Mandelbäumen 
hingebreitet, eine Matte gegen die Strahlen der 
Sonne aufgehangen, Schüffeln mit Mil), Cus- 
cussu (unferer Grüße nahe verwandt) und eine 
Art trockener Plinſen daneben geftellt; dazu rund 
umber ein Obftgarten, wovon einige Quartiere 
mit Gemüfe bebaut waren, — man würde fich 
bei einem unferer Pächter geglaubt haben, wenn 
nicht die coloffalen Alveheden, und die wilden 
Beduinen ſelbſt mit dem Caid in feinem Friegert> 
ſchen Schmud, zu deutlich an fernere Zonen 
erinnert hatten, nad) denen Intereſſe oder Neu: 
gierde nur die ſtets unruhigen Europäer treibt. 
Wahrend dem Fruͤhſtuͤck Fam ein fehwarzer, 
ganz nackter, fcheußlich haͤßlicher und blodfinniger, 
junger Maräbut herbei, der Brodfrumen, DOrangen- 
fchalen, die harte Krufte einer Paſtete und andern 
Abraum, mit den devoteften Handküffen empfing, 
und dann, wie ein wildes Thier, freudig damit 
feiner Höhle wieder zueilte., Das Wort Maräbut 


112 


bat bier faft eben fo viel Bedeutung, als das 
Wort gentleman in England, und auch eine 
gewiffe Analogie in feiner Anwendung. Alle 
Menfchen, die nach der Anficht der Araber Gottes 
beſonderer Gnade genießen, heißen Maräbuts. 
Dahin gehören die Heiligen durch ihre Wunder 
und Frömmigkeit, aber auch die ganz und halb 
Zollen, die Blödfinnigen, zuweilen auch Zauberer, 
Helden, Märtyrer u. ſ. w. Wollte man Maräbut 
durchaus mit einem Wort überfegen, fo würde 
„Narr“ Das ficherfte feyn, da allen erwähnten 
Kategorien eine ftarfe Dofis diefes Charakters 
nothwendig beigefügt feyn muß. 

Unterdeffen hatte Semilaffo mit einem ber 
Beduinen um feinen Saͤbel zu handeln angefangen. 
Der Cäid, dem das haufig genoffene Aepfelwaſſer 
zu Kopfe geftiegen war, fprang auf und fagte, man 
müffe alle Säbel probiren, um zu ſehen, welche 
Klinge darunter die befte ſey. Dies fand Beifall, 
und ward ausgeführt, indem man fich gegen 
einander überftellte und gegenfeitig auf die Klingen 





m — — — 


113 


hieb. Der im Handel ſtehende Saͤbel zeigte ſich 
dabei ſchlecht, aber der des Caid verſetzte allen 
uͤbrigen tiefe Scharten, ohne ſelbſt eine einzige 
davon zu tragen. Man konnte keine ſchoͤnere 
Expoſition ſehen, als dieſes wilden Barbaren, der 
fruͤher das Soldatenhandwerk bei den Tuͤrken 
erlernt, in ſeiner Fechterſtellung; der beſte Acteur 
Franconi's blieb weit hinter ihm zuruͤck. 

Jetzt, ſagte er vergnuͤgt, wolle er ſeine Freunde 
noch ein Stuͤck in den Atlas fuͤhren, dann uͤber— 
liefere er fie dem Caid von Khraschna, und nachher 
habe er fih um nichts mehr zu befümmern, Die 
Pferde wurden vorgeführt, und im Galopp ging 
es über die lofen Steine, durch niedrige Palmita’s 
ohne Weg und Steg, die Anhöhe hinan, bis 
man nur noch langfam auf einer fchmalen Kante, 
wie auf einer Selfentreppe empor klimmen konnte. 
Hier war die Gegend höchft oͤde und faft ohne 
Vegetation; immer fchöner aber breitete ſich in 
der Tiefe die ungeheure Ebene Metidschiah aus, 
welche zwanzig lieues lang, acht breit ift, und von 

Semilaſſo in Afrika, IL 8 


114 


bier auf drei Seiten von hohen Bergen eingefchloffen 
erfchten, auf der vierten vom endlofen Meere 
allein begrenzt, Im taufend Windungen durch— 
firönt fie der Aratsch, die Hamyse und viele 
andere Fleine Bergbäche, an deren Ufern Dafen 
dichten Gebüfches, bouquetweiſe vertheilt find, 
Nach einer halben Stunde ſtieß man, mitten 
in dem wuͤſten Steingerdll, auf einen verwilderten 
Drangengarten mit den Ruinen eines anfehnlichen 
Gebäudes, die einftige Wohnung eines verftorbenen 
Maräbut , die hier fo häufig find, wie bei uns 
einft die Kloͤſter. Weiterhin befand fi ein 
Brummen, den hohe und dichte Baume in ein 
geheimmnißvolles Dunkel hülften, und von hier 
wandte man fich ſchon wieder abwärts, Da 
Kasnadschi, eitel auf feine Fühne GefchicklichFeit, 
einen Theil diefes ſteinigen Weges, der fchon im 
Schritt muͤhſam war, im vollen Lauf hinabjagte, 
fo glaubte Semilaffo, dem es an Eitelkeit weder 
ein Barbar, noch ein Europaer leicht zuvor thut, 
feinem Beifpiel folgen zu muͤſſen, obgleich wir 








115 


aus fernen Noten erfehen, daß er nachher Gewiffens- 
biffe empfand, ein geborgtes Pferd nicht beffer 
gefchont zu haben. 

Sm Thale wieder angelangt, fah man fchon 
von Weitem Araby, den Cäid von Khraschna, 
mit feinem Gefolg herankommen, um zur vorherz 
befiimmten Stunde die weitere Escorte Der 
Reifenden zu übernehmen. Diefer Mann flößte 
auf den erften Blick großes Vertrauen ein, Lang, 
mager, musculös, mit einem ernften wohlwollenden 
Geficht, feurigen aber zugleich fanften Augen, 
dünnen Lippen, weißen Zähnen, einem freundlichen 
und würdevollen Lächeln, nebft einem fchwarzen 
prächtigen Bart, erfchien er als der wahre Typus 
eines Beduinen in feiner vollftien Nationalität. 

Nach einigen ausgetaufchten HöflichFeiten ward 
der bisherige Befchüßer mit Gefchenken entlaffen *), 


*) Kasnadschi ward 8 Monat fpäter, nebft feinem 
Bruder don denfelben Tribus, deren Gebiet unfere Aben— 
teurer heute befucht hatten, verrätherifcherweife ermordet. 


116 


und man wandte fich mit dem neuen Chef quer 
Durch die Ebene, dem Nachtlager zu. Zwei 
Stunden fpäter erreichte man das Dorf des Cäid, 
der, obgleich er an 20,000 waffenfähige Männer 
befehligt, dennoch nicht einmal ein fteinernes Haus 
befitt, fondern mit feinen Weibern nur in Zelten 
wohnt. Für die Säfte war eine große Hütte, 
transparent aus Aeften geflochten, bereitet, mit 
Teppichen ausgelegt, und Semilaſſo's Lager 
zur Auszeichnung rund umher mit Strohmatten 
umbangen, welche den Auftzug etwas beffer 
abhielten, Eine große Menge Beduinen, die fich, 
gleich ihrem Chef, ſehr vortheilhaft von den 
Vorigen auszeichneten, empfingen die Heine Cara 
vane mit großer Herzlichfeit und freundlicher 
Neugier. „Meiner Hütte vorderfährt Ehre durch 
Eure Ankunft,“ fagte der Caid, an feine Bruft 
foffend, zu unfern Freunde; „der Herr fegne 
Euern Eingang und Ausgang, und möge der 
letzte fo fpat als möglich erfolgen.“ Hierauf 
ward der Kaffee fervirt, man fette fich nieder, 








117 


rauchte, unterhielt fich, und kurz nachher brachten 
5 bis 6 Diener ein weit reichlicheres Gaſtmahl, 
als das geftrige war, berbeigetragen, Bei diefem 
zeichnete fich, als der arabifchen Küche die größte 
Ehre machend, eine Schüffel faftiges Lammfleifch 
mit dem weichen Theil der Artifchocden, in einer 
fauerlichen Sauce von Milch, Eiern und Citronen- 
faft (der ruffifchen Kohlfuppe etwas ahnlich), fehr 
aus, fo wie gleichfalls farcirtes Kraut mit Neis 
und gehackten: Hühnerfleifch, auch noch ein drittes 
Gericht gebratenen Hammelfleifches mit Mandeln, 
Maronen und Nofinen, alle drei gewiß nach 
Traditionen altromifcher Küche bereitet. Im 
Uebrigen war alles Ceremontell dem früheren 
gleich, nur mit dem Unterfchtede, daß nichts diefen 
Cäid und feine Leute bewegen Fonnte, weder vom 
angeblichen Aepfel- noch andrem Weine oder 
Liqueur das ©eringfte zu fich zu nehmen; eine 
Pflichtbeobachtung,, die immer eine günftige Meiz 
nung von dem Charakter derjenigen giebt, die 
ohne Affectation fo gewiffenhaft find. 


118 


Unfer Freund hatte während des Tages oft 
feine Blicke mit Verlangen nach einem majeflätt- 
fchen Berge, Hammal genannt, gerichtet, der hoc) 
über die andern emporftieg, und deffen ſchoͤn ger 
zackte Form fich fchon von Algier aus im ganzen 
Gebürge auszeichnet. Er benußte jeßt die trau 
liche Stunde nad Tiſch, um den Cäid durch 
Lieutenant Abaiby über diefen Berg auszuforfchen, 
und ihn zugleich zu fondiren, ob er es wohl über: 
nehmen wolle, die Fremden dahin zu führen. Der 
Caäid wies dies jedoch beftimmt von fi). „Seit 
Du unfre Schwelle betreten,® fagte er zu Semi— 
laffo, »ift die Schmach, die Dir widerfährt, die 
unfrige, der Schaden, den Du leideft, trifft uns, 
Dein Wohl ift das meinige — ich darf Dich 
feiner Gefahr ausfegen.« Guter Rath Fommt 
über Nacht, dachte Semilaſſo, und legte fich zur 
Ruhe; doc) die böfen Geifter der Ebene in Floh: 
geftalt verfagten ihm, fo müde er war, abermals 
den füßen Schlaf. Es gab hier fogar von dieſen 
Würgengeln ganz neue Arten, nicht nur fchwarze, 











119 


fondern auch gelbe und graue, von denen die gel; 
ben die unbarmherzigften waren. Am Morgen 
fab jeder Keidende feinen Korper roth getiegert, 
wie beim Neffelftieber, aber auch heute trat mit 
der Sonne wieder vollige Ruhe ein, Die Natur 
ift gütig, felbft in ihrem Zorn, 

Der Caid hatte bei feinen Frauen gefchlafen, 
und als er früh erfchien, mußte ihn Herr Abaiby 
von Neuen, binfichtlich des Berges bearbeiten, 
doch mit eben fo ſchlechtem Erfolge ale am vo— 
rigen Abend. „Wir muͤſſen uns in die Nothwen— 
digkeit fügen,“ fagte der junge Offizier, Semilaffo 
Rapport abftattend, „der Caid verfichert, wie ge: 
ftern der von Beni-Mussa, dahin koͤnne man nur 
mit 2000 Mann den Weg unternehmen, und cr 
e8 daher durchaus nicht verantworten, wenn er 
ſich überreden ließe unferm Wunfche nachzugeben.« 
Doch unfer Freund gab noch weniger nad). Er 
fupponirte ganz natürlich), daß Herr Abaiby, 
feine eigene VerantwortlicyFeit beim Gouverneur 
im Auge, nicht allzu ernft in den Caid habe 


120 


dringen mögen, und da er einen Neger mit fich 
hatte, der ebenfalls geläufig arabifch fprach, fo 
nahm er fich vor, noch einmal allein mit diefent, 
fein Heil bei dem Caid zu verſuchen. Er fing 
damit an, ihm zu erzaͤhlen, daß er in einem 
Reiche geboren ſey, welches einſt die Araber 
erobert und lange beſeſſen, ſo daß ſein halbes 
Blut den Arabern angehoͤre, er auch die weite 
Reiſe nur unternommen, um, ſo viel er koͤnne, 
mit ſeinen Beduiniſchen Bruͤdern zu verkehren, 
und ſich ihr ſchoͤnes Land genau zu betrachten. 
Aus dieſem Grunde wolle er jetzt auf des Berges 
Spitze ſteigen, um weit und breit hinauszuſchauen, 
und fuͤr das Wohl ſeiner Freunde dort zu Allah zu 
beten. Deshalb auch fuͤrchte er keine Gefahr, 
und was die Verantwortung beim Gouverneur 
betraͤfe, ſo nehme er feierlich Alles auf ſich ſelbſt, 
und verbuͤrge dem Cäid, deſſen Weigerung 
bhinlänglich feine gute Abſicht bewiefen, bei 
jedwedem Ausgang Die Anerkennung völliger 
Schulölofigkeit. 


121 


Als er, nach diefen und ähnlichen Neden, den 
guten Araby fehwanfend werden fah, bediente er 
fich noch einiger magnetifcher Mittel, deren Geheim— 
niffe er uns nicht verrathen hat, die jedoch keines— 
wegs in Gelde beftanden — und nad) langem 
Zögern erreichte er endlich feinen Willen. 

„Wohlan!“ fagte der Chef, „es fey darum, 
jedenfalls werde ich vor Dir fierben, wenn es 
dazu Fommen follte, Indeſſen fürchte ich weniger 
einen Angriff feindlicher Krieger in jener Gegend 
obgleich der junge Ben-Samün (einer der wilde 
ften und blutgierigften Feinde der Sranzofen) feine 
Streifzüge zuweilen bis dahin ausdehnt, als 
vielmehr einzelne Räuber, von denen ich erft 
fürzlich einige beftraft, und die leicht aus den 
Gebüfchen uns einen mörderifchen Schuß nach— 
fenden koͤnnen. Doch Du willft es, und fo gefchehe 
es; eile aber num, daß wir zu Pferde fleigen, denn 
wir haben einen Marſch von acht Stunden vor ung,“ 

In wenigen Minuten war Alles in Ordnung 
und der Zug feßte fich in rafche Bewegung. Er 


122 


beftand aus demfelben Perſonale wie geftern, mit 
Ausnahme des Banquiers, der nach Algier zu: 
rückgefehrt war, und für etwaigen Kampf durch 
zwei der GEscorte noch Hinzugefügte Beduinen 
reichlich erſetzt wurde, 

Als erfter intereffanter Yunet bot fid) Suk- 
el-Dschemma (Sreitagsmarft) am Ufer der 
Hamyse dar, rund von grünen Bergen umgeben, 
mit dem majeftätifchen Hammal im Hintergrunde, 
Nachdem man den Fluß zweimal paflırt, Fam 
man in immer fchwierigeres Terrain, das jedoc) 
an vielen Orten forgfältig angebaut war. In 
der Ferne flieg der Rauch aus mehreren Dächern 
auf und hie und da fah man pflügende Kabylen, 
die wenig Notiz von den Neitern zu nehmen 
fchienen, Ein hoher Berg ward muͤhſam erflettert 
und nun zeigte fi) den Neifenden ein fchon 
bewaldetes Thal, mit einem Bergbach im tiefen 
Grunde, das vorne wilde Felſen überragten, und 
aus dem feitwärts mehrere weite Schluchten fich 
nach verfchtedenen Gegenden hinzogen. Man 





123 


mußte auf wahren Ziegenpfaden bis an das 
MWaffer hinab, und auf der andern Seite noch 
höher wieder hinaufreiten. Der Wald beftand 
weniger aus Stämmen, als aus Sträuchern von 
12 bis 15 Fuß Höhe, zum Theil mit rothen 
Blüthen geſchmuͤckt; viele davon waren fo gleich 
und dicht gewachfen, als feyen fie mit der Scheere 
befchnitten, und einen Theil des Strombettes 
füllte weithin nichts als Dleander von ungewöhns 
licher Größe, Auf den einzelnen grünen Abhängen 
dazwifchen weideten zahlreiche Heerden fcehwarzer 
Ziegen, die luſtig von Fels zu Selfen fprangen ; 
aud) viel Geflügel ward aus den Sträuchern 
gejagt, doch. verfagte man ſich allee Schießen, 
um feinen unnüßen Alarm zu verurfachen, 
Einige Stunden lang behielt das Land ziemlich 
denfelben Anſtrich, mit immer befchwerlicher 
werdenden Wegen, bis man endlic) am Fuße des 
Hammal und des Eberfluffes anfam, wo in eben 
fo furchtbarer, als romantifcher Gegend, zwei 
Dörfer, deren geflochtene Hütten größer und dichter 


124 


als die bisher gefehenen erfchtenen, einander gegen; 
über lagen. Hier ward auf einem grünen Hügel 
Halt gemacht und vom Cäid die Öaftfreundfchaft 
eines Schechs der Kabylen angefprochen, der, weit 
entfernt, fich feindlich zu zeigen, im Gegentheil 
die Geſellſchaft mit der herzlichſten Bereitwilligkeit 
empfing. 

Man lagerte fih unter einigen uralten 
Caroubiers, im Nücden das Dorf Barel-Barud, 
mit Gärten am Abhang über fich, vorn im 
Grunde den Fluß, an deffen gegenüber liegender 
Seite der erfie Abſatz des Hammal fich erhob, 
mit einer prächtigen Höhle an feinem Fuß, deren 
kohlſchwarzes Gewölbe gegen die weißen Kalk 
felfen wunderfam abftach. 

Die Türken follen in diefer Höhle Pulver 
bereitet haben, und bei ihrer näheren Befichtigung 
zeigte der Schech eine Art natürlichen, gewundenen 
Schornfteins in der Ede, durch den man mit 
Hülfe einer brennenden Fackel bis zu einem Plaß 
in bedeutender Höhe hinanklimmen Fonnte, wo 





125 


früher ein Maräbut als heiliger Einftedler lebte. 
Kein anderer Zugang als diefer führte zu feiner 
Mohnung, fo daß wohl nie eine Einfiedelet zweck 
mäßiger angelegt worden ift. 

Nach Furzer Ruhe ſchickten fich die Neifenden 
zur Erfteigung des Berges an, nur von einem 
Diener des Schebs vom Stamme Telamendil 
begleitet, da man fich von bier aus der Pferde 
nicht mehr bedienen Fonnte, Eine Zeit lang zeigte 
fi) noch immer forgfäaltiger Anbau, dem bie und 
da die wilden Schweine übel mitgefpielt hatten, 
doch bald verſchwand er, gleich allem Strauchwerf, 
in einem fleinigen Boden voller Geroͤlle. Mühfan 
ward eine Höhe nach der andern erklommen, 
welche faſt alle denſelben Charakter darboten, 
coniſch zugeſpitzt, und wie mit Felsbloͤcken geſpickt, 
die in allen Formen aus einem hohen Riedgras 
hervordrangen. Sie beſtanden aus weißem Kalk— 
ſtein, viele waren Muſcheln gleich geſtaltet, einige 
durchloͤchert, und die meiſten oben mit einer 
fo fcharfen Kante verfehen, und fo glatt, daß 


126 


man fich beim UWeberklettern derſelben fehr vor 
dem Fallen in Acht nehmen mußte, um fich nicht 
gefährlich zu verlegen. Dazu Fam ein heftiger 
Mind, der fich erhoben, und mit eifiger Kalte bier 
in der Höhe fauste. Semilaffo, der im Anfang 
der Ermottetfte gewefen, trieb zuleßt am eifrigften 
an, nicht nachzulaffen, denn unfer Freund erreicht 
mehr durch moralifche als phyfiihe Kraft, der 
Major war aber der Erfte, welcher denjenigen 
Gipfel des Gebürges betrat, welchen uns die 
Zeit zu erreichen erlaubte, und der noch nicht der 
höchfte war. 

Oft ift es in dieſem Buche ausgefprochen 
worden, daß jedes Gebürge feinen befondern, 
deutlich ausgeprägten Charakter an ſich trage, 
Der des Atlas ift hier durchaus ernft und maje 
ſtaͤtiſch, vielleicht weniger manntgfaltig, friſch und 
reizend, als andere, aber dennoch die Seele mit 
einer fanften und tiefen Ruͤhrung ergreifend, wie 
der Herbft oder das Alter, Die Ausficht von dem 
Puncte, auf dem die Reifenden fanden, war 





127 


grenzenlos und erhaben, ohne doch eigentlich ver: 
haltnigmaßig reich) genannt werden zu koͤnnen; 
denn fo weit das Auge reichte, fah man nach drei 
Seiten hin nichts als Berge über Berge gethürmt, 
meiftens Fahl, bis an die Grenzen der Wüfte hin, 
in welcher Nichtung einige Schneegipfel, deren 
Entfernung wenigftens vierzig bis fünfzig Stunden 
betragen mußte, wahrfcheinlich dem großen Atlas, 
deffen Lage noch fo unbeftimmt ift, angehörten, 
Der coloffale, ganz mit Schnee bedeckte Dschor- 
dschora ward von einer andern Bergſpitze leider 
großentheils gedeckt, und eben fo die dazwifchen 
vorausgefigte Ebene durch andere vorliegende 
Berge von minderer Höhe, dem Auge entgegen. 
Am mannigfaltigften erfchten die Ausficht gegen 
Norden Hier erblidte man zuerft feitwärts 
mehrere üppige Thäler, mit glatt geebneten Wiefen 
und bufchigen Abhängen, nad) dem Meere zu 
allmahlig auslaufend, unter denen fich das Thal 
von Tement-Nust, mit den Nuinen eines 
türfifchen Forts, befonders auszeichnete; vorn 


128 


breitete fich die wellenformige Plaine der Meti- 
dschiah, von Sidi-Ferruch bis Cap Matifu, 
wie eine Landcharte über die Erde hin, auf der 
Seite des Defchauers vom Atlas, auf der entgegenz 
gefeßten vom Sahel eingefaßt, an deffen fernftent 
Vorgebürge Algier, wie ein Kleiner Kreidefelfen, 
in der Sonne glaͤnzte. Links ſtieg ein dunfelvioletter 
Berg einzeln empor, wo fich das, leider noch immer 
unbefuchte, Denkmal deutlich gegen den Horizont 
abzeichnete, welches die Araber Cobur er Runnia 
nennen, und einer Europaifchen Königin zufchreiz 
ben; auf dem blau und grün fehillernden Meere 
aber weidete Pofeidon fchon feine, vom anrücenden 
Sturme heraufgetriebne, weißflodige Heerde. 

Es ift bemerfenswerth, daß beim Erfteigen 
des Berges unfere Abenteurer noch zwei Kabylen 
begegneten, fchönen Männern, von denen befonders 
der eine das Modell zu einer Herkulesſtatuͤe hätte 
abgeben koͤnnen, Berde mit Aexten verfehen, die 
fie zu ihrer Arbeit gebraucht — daß ferner diefe 
Leute fich der Partie anfchloffen, neugierig mehrere 


129 


Fragen an die Fremden richteten und bald fo gut 
befannt mit ihnen wurden, daß die Herrn Abaiby 
und F...., ermüdet wie fie waren, ihnen ihre 
Slinten zu tragen gaben. So langte die Gefell; 
fchaft oben an, und flieg auch den größten Theil 
des Berges fo wieder herab. Wenn man ſich nun 
erinnert, daß dies dieſelben gefürchteten Kabylen 
find, von denen man in Algier vorausfeßt, daß 
fie jedem Chriſten der ohne hinlängliche Verthei— 
digungsmittel in ihre Hände fallt, Habe und 
Leben nehmen, fo ſteht wenigftens der Neifenden 
Erfahrung, wie ihr bier gezeigtes Vertrauen, mit 
diefer Anficht in ftarfem Widerſpruch. Die guten 
Leute warteten nicht einmal auf cine Gabe für 
ihre gehabte Mühe, fondern als fie wieder an 
die Stelle gekommen waren, von wo fie ausge 
gangen, begannen fie nach Abgabe der Tlinten 
von Neuem ihre Arbeit, ohne fi) weiter nach 
den Fremden umzufehen. 

Wie der Diener des Schechs verficherte, giebt 
es hier bereits Löwen und noch häufiger Panther, 
Semilaſſo in Afrika, I: 9 


130 


Eine Hyaͤne erblidten wir von Weitem durch 
die Büfche fchleichen, ohne jedoch zum Schuß 
fommen zu fünnen, Diefe Naubthiere finden ſich 
auch um Algier in fo großer Anzahl, daß der 
belgifche Conful einmal des Nachts in feinem 
Drangengarten eins der größten berfelben ſchoß, 
deffen wie Kohlen glanzende Augen ihm zur 
Zielfcheibe dienten Schakals, ‚wilde Tauben, 
Feldhühner und Hafen, bevölferten ebenfalls reich- 
lih den Hammal, und einer der leßten, nebft 
verfchiedenem Geflügel ward für Die Küche erlegt. 

In hohem Grade erfchöpft, Fam man, nach 
ohngefähr 4 Stunden, wieder im Lager an, wo 
der mitgenommene Champagner zum wahren 
Nektar ward. Man Ieerte diesmal die Flafche zu 
Ehren des würdigen Gouverneurs und des Ham- 
mal zugleich, indem man dem Erften wie der 
ganzen franzöfifchen Nation, eine eben fo folide 
Conſtitution wünfchte, als fich diefe Bergfefte der 
Erde zu erfreuen hat. Dann wurde aufgebrochen, 
obgleich der Echech, welcher fich entfernt hatte, 


131 


um in feine Behaufung zu gehen, als die Reifens 
den fchon forttrabten, ihnen nachgelaufen Fanı, 
und dem Taid Hande und Füße Füffend, faft mit 
Tränen im Auge bat, ihm doch nicht die Schmach 
anzuthun, Furz vor Sonnenuntergang feine gaft- 
liche Hütte zu verlaffen, Schon fey das Lamm 
und die Hühner gefchlachtet, der Cuscussu ſtehe 
am Feuer, und die Teppiche feyen ausgebreitet, 
Man hielt indeß längeres Verweilen für zu unficher 
(der Kefer wird weiter unten fehen, mit wie vie 
lem Recht) und wünfchte zu fehr noch vor dem 
Einbruch völliger Nacht aus den fchwierigften 
Paffagen des Gebürges zu kommen, um diefen 
wohlgemeinten Bitten nachgeben zu koͤnnen. Denz 
noch wurde der Zweck nicht ganz erreicht, und es 
war fehon ganz finfter geworden, als man noch 
in den halsbrechenden Selfenftegen umherkletterte. 
Die Frühlingsnacht war feltfam! Statt dem 
Geſumme der Grafemücen und dem Gezirpe der 
Grillen, heulten die Schafals zu hunderten rund 
umher; von Zeit zu Zeit brach ein Eber durch 


132 


das Dieficht, und ald man endlich die Flüffe paſ— 
firt und die Ebene wieder erreicht hatte, erlebten 
die Europäer noch einen fremdartigen Auftritt. 
Die fchniale Mondfichel war durch die den 
ganzen Himmel bededfenden fehwarzen Wolfen 
eben mühfam hervorgedrungen, als man bei einem 
Klump von Aloe und andrem wüften Geftripp 
vorüberfam, Plöslich ertönt aus dieſem Schlupf: 
winfel ein fo furchtbares Gebrüll in die fille 
Naht hinaus, Daß Seder nad) feinen Waffen 
greift und fich fertig macht, irgend einem coloffalen 
Löwen oder Pantherthier die Spitze zu bieten, 
Abaiby fprengt zum Cäid, und frägt haftia, 
welches Unthier er nach diefem Gebrüll erwarte? 
„O,“ erwiederte diefer lachend, „das Fommt nicht 
heraus, denn cs ift nur ein Kameel).“ Diefes 


*) Wer je das Gefrhrei der Kameele, wenn ſie in der 
Brunſt ſind, vernommen, weiß, daß es ua mit feinem 
graufig durchdringenden Tone, fchauerlicher als felbft das 
Gebrüll des Löwen Hingt. 


133 


fomifche Quiproquo gab Stoff zu unerfchopflichen 
Neckereien, die faft bis Khraschna andauerten, 
welches man, zwar bis zum Schmerz ermüdet, 
aber dennoch voll Freude über die fo glücklid) 
überftandene Unternehmung, gegen Mitternacht 
erreichte, und jetzt mit wahrer Dankbarkeit die 
Saftfreundfchaft der arabifchen Naturfühne in 
AUnfpruch nahm, 

Doch fand den fo Zufriedenen viel Ungemach 
nahe bevor. — Kaum hatte man fich niedergelegt, 
als Sturm und Regen, die bereits während des 
Heimritts fich von Zeit zu Zeit bemerkbar gemacht, 
immer heftiger zu werden anfingen, und gegen 
Morgen ſich das Wetter in einen formlichen Orkan 
ummwandelte. Ueber dreißig Stunden hielt es in 
diefer Stärfe an, mit adwechfelnden Negenftrömen, 
wie fie nur diefem Clima eigen find, wo die Tropfen 
wie Hafelnäffe groß bherabfallen, Bald waren 
Matten, Teppiche, Bernus und Wolldecken, mit 
denen man fich vergebens zu fchüßen fuchte, durch— 
drungen und durchweicht, denn die von Reifern 


. 134 


geflochtene Hütte konnte ſolchen Waffergüffen nur 
wenig MWiderftand leiften. Gluͤcklicherweiſe war fie 
auf einer Anhöhe erbaut worden, fonft würden die 
bhülflofen Fremdlinge bald in einem Teiche gelegen 
haben, zu dent der niedrige Grasplatz umher, wohin 
nach und nach alles Waffer abfloß, am Abend 
des folgenden Tages ſchon vollftändig geworden 
war, Sn der Nacht darauf fteigerte noch ein 
Gewitter, mit aller Wuth der afrifanifchen Zone, 
das graßlic Erhabene diefer Scene, Das ganze 
Gebürge fihien in Flammen zu fiehen, und der 
Donner rolfte wie ein unaufhörliches Kanonenfeuer. 
Jeden Augenblick erwartete man, die ſchon halb 
vom Sturm abgededte Bude gänzlich zuſammen— 
ftürzen zu fehen, und vor Froft zitternd, kauerten 
Alle in der gefchüßteften Ede, wo man mit großer 
Mühe ein ſchwach glimmend.s Feuer in einer. 
Grube zu erhalten fuchte. 

Es war in der That die höchfte Zeit, als nach 
dem Gewitter endlich die Natur ausgetobt zu 
baben fchien, und ein fanfter warmer Regen den 


— —— — — 





135 


Uebergang zu einem heitern Tage begann. Die 
grade der Thuͤr gegenuͤber, wie eine gluͤhende 
Kugel aufgehende Sonne, ward jubelnd begruͤßt, 
und eben ſo ſchnell als ſie gekommen, verliefen 
ſich auch die Gewaͤſſer wieder, ſo daß man ſchon 
um ſieben Uhr fruͤh die durchnaͤßten Kleider und 
Decken, an den wohlthaͤtigen Strahlen des wieder 
aufgelebten Tagesgeſtirns zu trocknen im Stande 
war. 

Man kann ſich denken, was bei dieſem Unwetter 
die armen Pferde erſt leiden mußten, welche es 
ſaͤmmtlich, ſowohl die der Fremden als der dw 
duinen, am Boden angefeffelt und bis an die Kniee 
im Waffer, ganz ohne Obdach und größtentheils 
auch ohne Decken, die ihnen auch nicht viel helfen 
Fonnten, hatten überfteben müffen, Nur hiefige 


Pferde vermögen vielleicht dergleichen auszuhalten, 


weil fie von Jugend auf an jede Art von Strapaze, 
jeden Mangel forgfaltiger Wartung, an Naͤſſe und 
Hitze, Hunger und Durft gewöhnt find. Denn 
ihr Sutter befteht meift nur aus Gras oder gehackten 


135 


Stroh mit etwas Serfte, wenn die leßtere zu haben 
if. Nur früh und Abends wird ihnen Nahrung 
gereicht, während des Tages befonimen fie nie 
etwas, im Fall man nicht grade auf einer Wieſe 
Halt macht, wo man fie dann fo lange grafen 
läßt. Eben fo verhält es fich mit dem Saufen, 
Demohngeachtet fpürt man während der ſtarken 
Maͤrſche Feine Müdigkeit bet ihnen, im Gegentheil 
war zu Ende wie beim Anfang, die geringfte 
Anreizung immer hinlänglid), ihr natürliches Feuer 
wieder hervorzurufenz; und man mußte fich zu jeder 
Zeit fehr vor ihrer Kampfluft in Acht nehmen, 
da fie voller Eiferfucht gegen einander find, und 
ehe man fich es verficht, mit Blißesfchnelle aus— 
fchlagen, oder, ſich baumınd, das Nachbarpferd 
zu beiffen fuchen, wobei fie auch nicht felten ihre 
Reiter befchädigen, oder in Gefahr bringen. Dies 
würde noch öfter der Fall feyn, wenn man fie 
nicht faft allgemein ganz, oder wentaftens hinten 
unbeſchlagen ließe. 

Gegen Mittag waren die Folgen des harten 


137 


Bivouak's fo ziemlich wieder ausgeglichen, und 
die gute Laune völlig wicdergewonnen, welche auch 
vorher den Neifenden nie ganz ausgegangen war, 
Mas die Beduinen betrifft, fo fehienen diefe zwifchen 
Regen und Sonnenfchein Faunt einen Unterfchied 
zu machen, ja der Caid verficherte fogar Semi: 
laffo mehreremal, feine Gegenwart bringe ihm in 
jeder Hinfiht Heil und Segen, denn das herrliche 
Unwetter verbürge ihrem Feldban wie den Wiefen 
das günftigfte Gedeihen. Einer feiner Leute ward, 
mitten im größten Toben der Elemente, auf einem 
Maͤuleſel nach der 12 Stunden entfernten Stadt 
abgefendet, um dafelbft einige ausgegangene Pro- 
vifionen für die Gäfte zu holen, und verzog Feine 
Mine bei diefem Auftrag. Als er zurüdfan, 
erzählte er gefprächsweife dem Neger, er habe in 
der Stadt von Semilaſſo's Kammerdiener ſich für 
einige Sons Schnupftabat (den die Beduinen 
fehr lieben) ausgebeten, diefer ihm aber denfelben 
verweigert, weil er Teinen Befehl zu diefer Aus— 
gabe im feines Herrn Briefe finde, „Und warum,“ 


138 


rief unfer Freund entrüftet, „warum haft du nicht, 
als du wegritteft, gleich von mir Geld zum Ankauf 
deines Tabafs verlangt ?* „Herr, erwiederte er, 
„wir nehmen von dir wohl ein Geſchenk mit 
Dank an, aber wir find nicht dazu erzogen, es 
im Voraus zu erbetteln.“ 

Der junge Neger, Ali mit Namen, deffen wir 
ſchon einigemal erwahnt, ſcheint viel zur Erheis 
terung der Geſellſchaft beigetragen zu haben, der 
er als eine Art Iuftiger Perſon diente. eine 
Nachlaßigkeit, Vergeßlichkeit, Faulheit und Wind— 
beutelei, die er nie unterließ mit feiner parole 
d’homneur zu befräftigen, waren claffifch zu nen: 
nen, und feine naive Zuverficht und Vertraulichkeit 
oft in hohem Grade komiſch. Er fprach gelaͤufig, 
aber fchlecht franzöfifch, was er dazu benußte, 
fid) sans facon in jedes Gefprach feiner Gebieter 
zu mifchen, wenn es auch noch fo fehr über feine 
portee war, Beim Effen langte er unbedenklich 
am Herrenz, wie am Leutetifche, fich die beften 
Biſſen zuerit heraus, und wenn man fich Abends 








139 


fhlafen legte, war man nicht wenig verwundert, 
fein Kopffiffen plöglich von Alt mit eingenommen 
zu fehen. Gab man ihm irgend einen Befehl, 
fo wußte er es unter zchnmalen gewiß neunmal 
durch Verzögerung, Schwagen nnd alle mögliche 
Lift fo einzuleiten, daß ihn ein Anderer für ihn 
ausrichten mußte; und mit der größten Unvers 
ſchaͤmtheit wahlte er dazu meiſt den, voller Gaft- 
freiheit ftets berettwilltgen Caid, oder einen der 
Fremden felbft, zu deren Dienft er mitgenommen 
worden war. Ein Anderer hätte für ein folches 
Benehmen leicht Prügel davon getragen, da er 
aber alle ſeine „Tricks“ mit foviel Laune, Schlauheit 
und Verftand auszuführen wußte, und immer eine 
drollige Entfchuldigung bet der Hand hatte; fo 
brachte er es dahin, daß man fich Alles von ihm 
gefallen ließ, und ihn zur Compenſation nur fort 
während neckte und auf alle Weife in den April 
zu ſchicken ſuchte. Befonders beftrebte man fich 
ihn böfe zu machen, was man fogleich erkennen 
fonnte, wenn er mit ganz feiner, beiferer Stimme, 


140 


mit den leidenfchaftlichften Geften, und einer 
unglaublichen Volubilität der Zunge zu Herrn 
Abaiby oder zu dem Caid arabifch zu ſprechen 
anfing. Er fah hierbei einem Affen fo täufchend 
aͤhnlich, dag felbft die eruften Bedumen fich des 
Lachens nicht enthalten Fonnten. 

Als fein entfchiedenfter Gegenfaß trat der Maure 
auf, der den andern Packeſel der Garavane beforgte. 
Dieſer Menfch war von einer folchen Unbeholfenheit 
und Apathie, daß er unter andern faft zwei Tage 
lang nichts zu effen befam, weil er fi) nie weder 
etwas felbft genommen, noch etwas verlangt hatte, 
fondern fortwährend Tabak Fauend in einer Ede faß, 
wo er endlich gegen Ali erklärte, daß er es nun 
vor Hunger nicht langer aushalten koͤnne. Er 
trug einen fpigen Strohhut, wie ein Chinefe, der 
vortreffiich zu feinem dummen, phlegmatifchen 
Gefichte paßte, und bot fo, befonders wenn er 
mit untergefchlagenen Beinen mitten auf dem 
Gepack feines fchwer beladenen Efels thronte, 
Semilaffo’s Schreibelaterne in der Hand haltend, 


141 


Die außerdem noch mit einer Schnur um feinen 
Leib befeftigt war, wirklich eine der ergößlichiten 
Garifaturen dar, Man hatte ihn wegen der 
Zaterne Diogenes getauft, und Ali erholte fich 
an diefem Unglüclichen von allen den Nedereten, 
die er von der übrigen Gefellfchaft erdulden mußte, 
Man hätte glauben mögen, daß er ihm einen 
Schlaftrunf beigebracht, denn an einem einzigen 
Tage fiel der Kerl dreimal im fanfteften Schritt 
feines geduldigen Efels, wie cin Mehlfad zur 
Erde, immer ein andres Glas der Laterne zerbrer 
chend, fo daß diefe fi) am Abend ganzlich außer 
Dienft gefeßt befand. Es ift wahr, daß Alı, 
ohngeachtet aller Verbote, die Kataftrophe jedesmal, 
unter wieherndem Gelächter, durch einen Piftolen- 
fchuß herbeiführte, den er dem felig fchlafenden 
Mauren hart am Ohre abfeuerte, 

Die heutige Excurſion richtete fi nach dem 
Cap Matifu, der aͤußerſten Spiße einer, mehrere 
Stunden weit in das Meer hervortretenden, Lands 
zunge der Ebene von Metidschiah. Man Fam 


142 


dur) anmuthige Gegenden, weldye ungemein 
reizende MWellenlinien des Terrains, mit anfehns 
lichen Seen untermifcht, bildeten, und die herr— 
lichften Gefichtspuncte, fowohl nach dem Gebuͤrge 
als dem Meere hin, gewährten. Nicht leicht möchte 
fi) irgendwo eine günftigere Lage für Anlage 
größerer Landfchaftsgärten finden, Nur weniger 
Anpflanzungen von Baumgruppen bedürfte es, 
um die mannigfaltigften und zierlichften Bilder 
in Menge hervor zu rufen; und man muß c8 
bejammtern, einen fo Foftlichen Landſtrich in jeder 
Hinſicht, mit dem vortrefflichften Boden, der Alles 
hervorzubringen im Stande ift, nur als eine 
endlofe Wüfte vor fich zu fehen. Demohngeachtet 
ift nicht zu zweifeln, daß einige Haupteanäle 
mit verfchtednen kleinern Abtheilungen, theils in 
das Meer, theils in ſchon vorhandene oder leicht 
zu bildende Landſeen geführt, vorzüglich aber 
reichlihe Baumpflanzungen und Anbau, bald 
Diefes ganze unermeßliche Terrain von den unge 
funden Nuspünftungen befreien würden, Die es 





143 


jetzt, namentlich für Europäer, faft unbewohnbar 
machen. Theilweiſe ift allerdings die Ausführung 
dDiefes Planes unmöglich, aber ein Capital von 
10 bis 12 Millionen Franfen, würde, wie 
man nicht ohne Grund annehmen kann, von 
Anfang an, für das Ganze hinreichend gewefen 
ſeyn, und fich fpäter zu ungeheuren Zinfen ver— 
intereffirt haben, Es fcheint daher fehr unzweck— 
mäßig, daß das Gouvernement, ohne felbjt etwas 
zu thun, bereits den größten Theil der Metidschiah 
an Einzelne für ein Spottgeld verkauft bar; 
denn dieſe koͤnnen eben einzeln nichts von Erfolg 
unternehmen, und follte es fpäter das Gouverne— 
ment oder eine Compagnie noch thun wollen, fo 
werden die jegigen Beſitzer nicht ermangeln, 
übertriebene, aber ganz legale Entfchädigungsfor: 
derungen zu machen. Was dagegen die Unficher: 
heit, hinfichtlich der Beduinen, betrifft, fo glauben 
unfere Neifenden nad) den an Ort und Stelle 
gemachten Erfahrungen mit Beftimmtheit, daß 
durch ein zweckmaͤßiges Benehmen der Eoloniften, 


144 


und einige (verhaͤltnißmaͤßig immer hoͤchſt geringe) 
im Anfang als Geſchenk dargebrachte Geldopfer, 
dieſes Hinderniß fehr fchnell ganz und gar ver— 
ſchwinden würde. Da, divide et impera, follte 
der Wahlfpruch jeder Behörde feyn, die mit den 
Urabern zu thun bat. 

Ehe man das Meerufer erreicht, windet fich ein 
fhmaler Tußfteig durch eine mehrere Stunden im 
Umfang baltende, faſt undurchdringlich Dichte 
Remiſe niedrigen Strauchwerks, in denen fich 
eine Menge wilder Schweine und anderes Wild: 
pret aufhaͤlt. Hier giebt es für den Jagdliebhaber 
eine reiche Ausbeute, Schon von weitem erblickt 
man die Ruinen des alten Rustonium oder Rus- 
gunia, die zwor einen fehr großen Raum einnehmen, 
aber nur an manchen Orten noch, aus dem dor: 
nigen Geſtruͤpp, über den Boden hervorragen ; 
auch haben die bisher gemachten Nachgrabungen 
nur wenig Ausbeute gegeben. Am malerifchften 
find die Reſte alter Befeftigungswerfe am Meere, 
zwiſchen deren herabgefallenen Mauerftücen fic) 


145 


die Wogen fchaumend brechen. Eine Viertelftunde 
weiter ſteht das jeßt verlaffene türfifche Fort, ein 
fhönes Gebäude, das mit der Menge zerftreut 
daliegender Kugeln, und 23 auf feiner Terraffe 
umher geworfenen, eifernen Vierundzwanzigpfuͤn— 
dern, die größtentheils vernagelt find, einen höchft 
auffallenden Eindruck zurüdläßt. Das noch immer 
vom vergangenen Sturme fehr bewegte Meer 
fhwemmte, wahrend die Neifenden an ihm hin 
zogen, mehrere Reſte von wahrfcheinlicy in der 
vergangenen Nacht gefcheiterten Fahrzeugen auf 
feinen Fluthen heran, und in einer Bucht fand 
man drei Handelsbarfen mit ihrer geringen 
Mannfchaft auf den Eand geworfen, die, von 
Dellis fommend, fih bicher mit genauer Noth 
gerettet hatten. 

Man fann Cap Matifu nicht befuchen, ohne 
der unglücklichen Wintererpedition Carl des Fünften 
lebhaft zu gedenken, der bier, mitten im Siege, 
den Elementen unterlag, obgleih ihm Dorta 
vorhergefagt, Daß es an den Küften der Barbarei 

Semilaffo in Afrika. II. 10 


146 


nur zwei fichere Hafen gabe, nanılid) die Monate 
Juni und Juli. Auch der große Cortez Fampfte 
befanntlich hier vergebens, und empört rief der 
Kaifer als er fich einfchiffte: „das Glück ift eine 
H..., die nur von jungen Leuten careffirt ſeyn 
will.e Wie charafteriftifch ft es, daß, obgleich 
e8 ihm leicht gewefen wäre, wenige Zeit darauf 
den Angriff mit böchfter Wahrfcheinlichkeit des 
Gelingens zu erneuern, wozu fi) Doria und 
Cortez eifrig erboten, der eitle Carl es dennoch 
nicht zugeben wollte, weil ein anderer da nicht 
fiegen folle, wo er gefcheitert. 

Nachdem die Sefellfchaft das Cap umritten und 
nach Dellis hinübergefchaut, ward derfelbe Weg 
zum Nachtlager wieder eingefchlagen, welches bit 
dem, dem Caid von Khraschna untergebenen Schech, 
Omar-Belvedivi, von der Tribu Hedschira, 
einem chemaligen Stallmeifter des Dey, bercitet 
worden war, Man erreichte noch vor Sonnen: 
untergang das dicht umbufchte Dorf, welches cr 
bewohnt, und fand eine ahnliche, noch größere 


147 


Hütte als in Khraschnah aufgefchlagen, die jedoch 
beute außer den Neifenden, welche nur eine Seite 
derfelben einnahmen, auf der andern auch ihre 
Roſſe beherbergen mußte. 

Das ſich ſtets ziemlich gleiche Abendmahl 
ward, bei immer genauer fi) anfnüpfender 
Befanntfchaft, mit noch größerer Fröhlichkeit ale 
die übrigen eingenommen und bis lange in die 
Nacht hinausgedehnt. Der arme Ali war dabei 
wie gewöhnlich das Stichblatt. Da er mit feiner 
unnachahmlichen Sorglofigfeit unterwegs einen 
Teppich und eine Bernus, an fich nicht werthlofe, 
jeßt aber doppelt koſtbare, Gegenftände verloren, 
fo war er etwas ernftlich dafür angelaffen worden, 
und fogar nahe daran gewefen, eine fühlbare 
Züchtigung zu erhalten. Halb aus Zorn und halb 
aus Furcht, oder auch um feine Herrfchaft beffer 
zu rühren, fingivte er krank zu feyn, und bemühte 
fich auf grotesfe Weife, ein Sieber darzuftellen, 
Als jedoch das Effen aufgetragen ward, hielt er 
es für rathſam, ſchnell in eine fichtliche Befferung 


148 


über zu gehen; doc) der Major, welcher erklärte, 
früher Medicin ftudirt zu haben, fühlte ihm gras 
pitätifch an den Puls und entfchied, daß er bei 
Lebensgefahr in 24 Stunden nichts mehr zu fich 
nehmen dürfe. Dies erfchbien dem wie vom 
Donner gerührten Ali außer allem Spaß, nie 
hatte er mit einer dectdirteren Gaftratenftimme 
arabijch gefprochen als diesmal, und ſich debat- 
tirend, und geftteulirend, wie ein Wahnfinniger, 
ſchwur er zehnmal bei feiner Ehre, daß fich nie 
das Fieber bet ihm anders, als durch eine Art 
Heißhunger löfe, und daß er gewiß fterben würde, 
wenn man ihm nicht fogleich zu effen gabe. Er 
wurde lange gequalt und von den dampfenden 
Schuͤſſeln mit Gewalt abgehalten, bis cr endlich 
feinen Vortheil erſah, ſich mit der Gewandtheit 
einer Kaße eines gebratenen Huhnes und eines 
halben Dutzend harter Eier bemächtigte, und damit 
fchleunig in eine Ede flüchtend, dort unter den 
fortwährenden Sarcasmen feiner Peiniger fein 
Fieber bald gründlich curirt hatte, 











149 


Eine neue Erfceheinung bei diefem Mahl waren 
mehrere ausgezeichnet fchöne Windhunde, die man 
gegen die Falte Witterung mit vorn auf der Bruft 
anfchließenden wollenen Decken, wie die der Pferde 
bei uns, verfehen hatte. Man gewöhnt fi an 
Alles, auch an die Flöhe. Zum erftenmal fchlief 
Semilaffo ungeftört und fanft, an feiner rechten 
Seite der Caid, an feiner linken des feligen Diy’s 
Stallmeifter, eine wahre Figur des Alterthums, 
dem Abraham in der, großen Bilderbibel zu 
M..... fo täufchend ahnlich, als wenn der Schech 
dem Maler dazu Modell gefeifen hätte. 

Der fchönfte Sonnenfchein, der Flarfte Eryſtall— 
himmel begrüßte am ziemlich ſpaͤten Morgen die 
Kangfchlafer, worauf die ftets fertige Pfeife, mit 
der aromatischen Bohne von Moffa, noch eine 
andere Stunde hinnahm; und da die legte Tour 
der, gern noch aufgefchobenen, Nückkehr nicht lang 
war, brach man erſt gegen Mittag auf. Man 
hatte die Abſicht, dem letzten Cäid der Ebene, 
Ben - Zegri, der mitt einigen hundert Spahis im 


150 


Eold des franzdfifchen Gouvernements fteht, und 
das fort de l'eau befetst halt, einen Befuch zu 
machen. 

Eine Zeit lang dem Meere folgend, kam man 
bald an die vom Gewitrerregen in einen heftigen 
Strom verwandelte Hamyse. Die Beduinen 
probirten geraume Zeit, che fie eine fichere Furt 
auffanden, Man brachte nun die Efel zuerft 
hinüber, welche mehrere Araber führten, Einige 
der Geſellſchaft folgten. 

Die Gegend betrachtend, hatte unfer Freund 
fih noch am Ufer verhalten, und ritt jeßt in der 
Zerfireuung, ohne Beforgniß unter der Furt in 
den Fluß. Weiter vordringend hörte er zwar 
hinter fich den zurücgeblicbenen Caid laut rufen, 
da er aber die Sprache nicht verfteht, glaubte er, 
es gälte den übrigen Urabern, als plößlich fein 
Pferd in ein Triebfandloch gerierh, und bis an 
den Sattel verfanf, fo daß es weder mehr vor 
wärts noch ruͤckwaͤrts konnte. Da zugleich die 
Fluth auf das heftigfie an das faft bewegungsloſe 








151 


Ihier anftieß, jo fühlte fein Weiter, daß es im 
Begriff war, umgeworfen zu werden. Er wollte 
abfpringen, feine beiden Bernus hatten fid) aber 
fo um die Piftolenhalfter gewickelt, daß fie ihn 
feftpielten, und er wäre ohne Zweifel unter das 
Pferd gerathen, und dann wahrfcheinlich verloren 
gewefen, wenn Diefes fich nicht hatte länger aufrecht 
erhalten koͤnnen. Hier bewährte fich die treue Geſin— 
nung des Caid auf eine wahrhaft rührende Weiſe. 
Semilaffo, der ſich felbft nichts weniger als in 
angenehmer Gemüthsbewegung befand, und fic) 
Hülfe herbeirufend umgewender hatte, erblickte ihn 
ganz verftürt am Ufer, wie er feine Beduinen mit 
Fauften fchlug, um fie anzutreiben, fich in den 
Fluß zu werfen und das Pferd am Zügel zu 
ergreifen. Vier bis fünf befolgten auch augen- 
blieflih den energifchen Befehl und kamen wahrlid) 
zur gelegenen Zeit, denn fie hatten die größte 
Anftrengung nörhig, um das geangftete Thier aus 
dem Triebfand loszumachen, und wieder in Die 
vechte Furt bineinzubringen. Semilaſſo fam auf 


152 + 


Diefe Art mit einem bloßen Falten Bade davon, 
und da cine glüclic) überftandene Gefahr im— 
mer zu den angenchmften Begebenheiten gehört, 
glaubte er feinem Kismet nur Danf dafür 
fchuldig zu ſeyn; doch ermangelte er nicht, Diefe 
Bigebenheit auf den unglüdlichen Freitag zu 
ſchieben, deſſen unheilvolle Wirkung ſich noch 
zuletzt geltend machen ſollte. Beſonders malicioͤs 
fand er es aber von dieſer unbekannten Macht, 
daß fie fo ironiſch damit begonnen hatte, vor 
finen Augen einen Efel erfaufen zu laffen, und 
am Ende der Fahrt ihm felbft ein gleiches Schickſal 
bereiten zu wollen fcbien. 

Man gelangte jegt in eine lachende, wicfen: 
reiche Gegend, wo mehrere verfallene Gebäude auf 
den Hügeln die Rassuta genannt, cine ehemalige 
Stutterei des Dey, das Pittorcsfe der Scene unge 
mein vermehrten. Seitwaͤrts lagerte in fehwarzen 
Zelten, gleih Köhlerhütten, der Stamm der 
Herriby, die ſich um die Reifenden verfanmelten, 
und ihnen unentgeltlich frifche Milch und fehr 





153 


guten Rahmkaͤſe anboten, Zugleich langten zwei 
Epahis von Ben-Zegri an, und meldeten, daß 
ihr Chef feine Gafte bis geftern mit großer Schn- 
fucht erwartet, heute aber in Dienftgefchäften nach 
der Stadt gerufen worden fiy. 

Man hielt fih alfo im fort de l’eau nicht 
langer auf, als nöthig war, um es, nebft einer 
coloffalen türfischen Kanone voll arabifcher Cha- 
raftere, flüchtig zu befichtigen, und feßte dann 
feinen Weg bis zur maison quarree fort. Dies 
ift ein praͤchtiges Gebaude in der febönften Lage, 
deſſen Erbauung, wie man erzählt, dem Aga, 
der fie unternahm, den Kopf Foftete, weil man 
ibn ambitiofer Projecte dabei befchuldigte, Es 
dilder ein großes Viereck, deſſen Terraſſe die 
ganze umliegende Gegend beherrfcht. Der große 
Hof, mit Soldaten der Fremdenlegion angefüllt, 
bot einen impofanten Anblick, und die Promenade 
auf der erwähnten Terraſſe gewährte den Nück 
kehrenden, nod) zum Abfchied, einen legten reizenden 


Spaziergang. Su der Nähe von der maison 


154 


quarree werden eine große Menge Chamalcons 
gefunden, welche die Soldaten zähmen und in 
dem Bufen mit fich herumzutragen pflegen. 
Nachdem der Commandant fehr artig Die 
honneurs feines Schloffes gemacht, wandte man 
fic) dann auf dem Meeresftrande, halb in den fpie- 
lenden Wellen reitend, dem von fern her blendend 
Ihimmernden, weisen Algier wieder zu. Semilaſſo 
hatte den Caid mit feinem Lieutenant, zu geringer 
Vergeltung der genoffenen Oaftfreundfchaft, auf 
einige Tage dorthin eingeladen, wahrend die übrige 
Escorte fehr reichlich befchenft von hier aus ent: 
laffen ward. Bei diefer Gelegenheit ift zu erwähnen, 
daß die Araber, Vornehme und Geringe, alle 
Gefchenfe, die ihnen gemacht werden, auf eine von 
Europaͤern fehr verfchiedene Art annehmen. Sie 
bezeigen ernfthaft ihre Zufriedenheit, aber ohne alle 
Danfbezeugung. Sa ihre Sprache felbft befißt 
das Wort „danken gar nicht, und ftatt: ich 
danfe, fagt man: Kattar Khairak, überfeßt: 
Dein Glück vermehre ſich. Ste fcheinen alfo kaum 


155 


den Begriff eines freien Geſchenks, fondern viel 
mehr nur immer den eines Dienftes in Verbindung 
mit der Vergeltung, alfo einen Austauſch im 
Sinne zu haben; es fey nun im materiellen oder 
moralifchen Bezuge, 

So war denn eine Expedition glüclich zu 
Ende gebracht, die in Algier, ihrer gewagten 
Neuheit wegen, viel Auffehen machte, dem Unter: 
nehmer aber ftetS eine der liebjten Erinnerungen 
feines Lebens bleiben wird, Doc war die Gefahr 
derfelben Eeineswegs fo Imaginair, als Scmilaffo 
und feine Gefährten cine Zeit lang glaubten. 
Denn wenig Zage nachher erhielt der Oberft 
Marey einen officiellen Rapport, des Inhalts: 
daß die Befichtigung des Hammal durch unbe- 
kannte Fremde, fchon an demfelben Tage die 
ganze Gegend in Unruhe gebracht habe. Schnell 
hatte fi) die Sage verbreitet, daß einer der 
Chriſten geraume Zeit in einer Höhle des Berges 
verweilt, um einen Schatz zu heben (das ewige 
Maͤhrchen der Araber), und fpäter, alle Taſchen 


156 


voll Gold und Yuwelen, daraus hervorgefommen 
fey. Bei diefer Nachricht war fogleich der 
Stamm Beni-Khalfun, 30 Reiter ftarf, zu 
Pferde geftiegen, und deffelben Abends in Barel- 
Barud crfchienen, um die Fremden zu fangen, 
und ihnen den geraudten Schaß, vielleicht mit 
dem Leben wieder abzunehmen. Zugleich ſetzt 
der Oberft hinzu, Semilaffo dürfe fich nicht 
wundern, im Dorfe bei Beni- Mussa fo übel 
empfangen worden zu ſeyn, da fich jetzt erſt 
entdect habe, daß wenige Wochen vorher ſechs 
Deferteuren der Fremdenlegion dort der Hals 
abgefchnitten worden ſey. Die Keichname lagen 
noch fammtlich in einen ausgetrodneten Bruns 
nen, und die Thäter fürchteten, daß die Fremden 
nur deshalb zu ihnen gefommen wären, um 
diefem Morde nachzuforfchen — denn von den 
Motiven der Neugierde europätfcher Neifenden 
haben die Araber wenig Begriff. Uebrigens tft 
diefe Blutgier um fo auffallender, da auf die 
Ruͤckbringung eines Deferteurs die Pramie von 





157 


25 Franken gefeßt, und diefe Barbaren daher 
das Vergnügen ihrer Mordluft höher angefchlagen 
haben müffen, als den Gewinn einer für fie fo 
bedeutenden Summe, 


Neise- Journal 


(Fortfeßung.) 


Algier, den 10. März 1835. 


Mährend ich auf dem Hammal mit den 
Arabern des Oſtens verkehrte, hat mein guter 
Freund, Herr Klimerath, fie auf nicht minder 
intereffante Weife im Werten aufgefucht, und 
dem gefürchteten Abdel-Kader feine Ehrfurcht 
in Mascara bezeigt. Er theilte mir folgenden 
Furzen Auszug feiner Neife mit, der mir des 
Aufzeichnens werth fcheint. 

Nachdem er fih einige Tage in Dran auf 
gehalten, welches verfallen und in einer baumlofen 





159 


Gegend nicht viel Merkwuͤrdiges darzubieten fcheint, 
ging er mit Herrn Lepelliffier nach Arfoe, dem 
alten Arfinaria, wo diefer ein Handelshaus zu 
etabliren die Abficht Hat. Da er zu diefem Behuf 
eine Unterredung mit Abdel-Kader zu haben 
wünfchte, hatte er fich von ihm die Erlaubniß, 
ihm aufzuwarten, und ficheres Geleit na Mas: 
cara ausbitten laffen. Sie fanden daher aud) 
ſchon einen arabifchen Chef in Arſoe vor, der 
ihnen eine genchmigende Antwort brachte und 
ihre Begleitung übernahm. Es war ein berühmter 
Krieger, aber von üblem Ausfchn, hHinterliftigen 
und niedrigen Zügen, der ihnen unter andern 
Umftanden fehr wenig Vertrauen eingefloßt haben 
würde, und als ein wahrer Wilder damit anfing, 
ihnen Strümpfe, QTücher u. ſ. w. abzubetteln. 
Am andern Morgen brach man fehon vor Tages 
Anbruch auf, um einen Theil des Weges zur 
See zurüdzulegen, und 309 dann fechs Stunden 
lang durch die Ebene von Labra, welche einen 
noch weit bedeutenderen Umfang als die der 


i60 


Metidschiah haben fol. Die Reifenden fahen 
viele schöne Wieſen und viel gut bebautes Land, 
doc) fo weit das Auge reichte, Faum einen einzelnen 
Strauh. Während drei Viertelftunden mußten 
fie mitten durch einen Teich reiten, deffen Waffer 
oft bis an die Sattelgurte ging, auf welchem fie 
haufig ganze Schaaren von Störchen und andrem 
Geflügel aufjagten. Sn der Ferne erblicten fie 
etwas, was fie lange für einen Wald hielten, 
nachher aber zu ihrer nicht geringen Verwunderung 
als eine umermeßliche Heerde von Kameelen ers 
kannten. Später indeß führte fie ihr Weg durch 
einen wirklichen Wald, der aus ziemlich” hohen 
Bäumen beftand, und, wie es fchien, mit großer 
Unordnung und Holzverwüftung von den Arabern 
benugt wurde. Sie wandten fi) jetzt in das 
Gebürge, fortwährend in engen Schluchten an- 
fteigend, die fehr dicht mit Bufchwerf von mittlerer 
Höhe bedeckt waren, welches meiftens aus Immer— 
grün unter andern vielen Arten Tuja's beftand. 
Erſt um 9 Uhr Abends erreichten fie Mascara, 


161 


die Reſidenz Abdel-Kader’s, auf einer Hoc- 
plaine liegend, aus einſtoͤckigen Haufern beftehend, 
und ohngefähr 9000 Einwohner zahlende. Die 
es umgebende erenclirte Mauer wird durch fechs 
Kanonen vertheidigt. Die Herren nahmen ihre 
Mohnung bei dem franzofifchen Conful, der fie 
mit vieler Oaftfreiheit empfing, und auf ihre 
Anfrage bei Hofe, wurden fie zum andern Morgen 
um 10 Uhr zu dem Emir oder Sultan, wie er 
fi) manchmal fchon jeßt zu nennen anfängt, 
befchieden. Abdel-Kader, der noch vor Kurzem 
ziemlicdy) unbedeutende Sohn eines Maräbut, hat 
fih durch ein cben fo fchlaues als tapferes und 
feftes Benehmen, einen fo großen Anhang zu 
verfchaffen gewußt, daß er in einem Alter von 
einigen zwanzig Jahren fi) zum Häuptling des 
ganzen Weftens der Negence, mit dem einzigen 
Ausfhluß von Dran und Zubehör emporge 
ſchwungen. 

Die Franzoſen, nachdem ſie ihn fruͤher, nicht 
immer mit Gluͤck, bekriegt, haben es jetzt vorgezogen, 

Semilaſſo in Afrika, IL 11 


162 


ihn als Souverain anzuerkennen, und fich mit 
einer ziemlich nominellen und unbeſtimmten Schein 
fuperiorität über ihn zu begnügen. Er ftellt ſeitdem 
eine große Anhänglichkeit für diefelben zur Schau, 
doch ift man feinetwegen nicht ganz ohne DBeforg- 
niß, da er Fein Mittel verfaumt, feine Macht 
fortwährend zu vermehren und zu confolidiren. *) 
Als er noch mit den Franzofen in ungewiffen 
Verhältniffen lebte, fandte einft der in Dran 
fommandirende General ihm ein Schreiben, worin 
er, im Fall Abdel-Kader ſich nicht den ihm 
vorgefchriebenen Bedingungen fügen wolle, denfelben 
unverzüglich mit einem allgemeinen Vertilgungs> 
krieg zu überziehen drohte, „O was denkſt Du,“ 
fehrieb der Fühne Araber zuruͤck, „was ftellft Du 
Dir vor, uns mit Krieg als einem Ungemach zu 
bedrohen! Wiſſe, Chriſt: Krieg ift des Beduinen 
Handwerk und fein höchftes Gluͤck. Bei dem 

=) Seitdem hat er befanntlich den Franzofen bei 


Dran, unter einem ihrer gefchiekteften Generale eine ſchwere 
Niederlage beigebracht. 





163 


Morte Krieg wichern freudig unfre Roffe, und 
unfere Weiber und Kinder fehen ihm jubelnd 
entgegen. Komm alfo mit allen Deinen Soͤldnern, 
und der Schlachtruf freier Männer wird Dir 
antworten. Willft Du aber Frieden, fo drohe 
nicht. Sch bin bereit, mich mit Dir zu verftändigen, 
und treu zu halten was ich gelobe, wenn unfer 
beiderfeitiger Vortheil fih in Frieden vereinen 
kann.“ 

Der Styl diefer Leute iſt überhaupt voller 
Energie und Kraft. Neulich fchrieben die. Araber 
einer Tribu hinter Dellis, die mehrere Schiff— 
brüchige zu Gefangenen gemacht hatte, im diefer 
Angelegenheit an den Gouverneur, und adreffirten 
ihren Brief folgendermaaßen: „An den Gouverneur 
von Algier, der fo weit regiert, als er Herr ift, 
die freien Leute von Dellis, die ihre eigenen 
Herren find,“ 

Als die Reifenden ſich dem Valafte näherten, 
der ebenfalls nur einftücig, aber von großem 
Umfange war, traten fie zuerft in einen geräumigen 


164 


Hof, in dem abermals fechs Kanonen aufgepflanzt 
waren, fo daß die ganze Artillerie des Sultans 
aus einem Dußend zu beftehen fcheint. 

Man führte fie durch einige Vorzimmer, in 
denen verfchiedene Cäiden und andere Chefs 
ehrerbietig auf eine Audienz warteten, und zum 
Theil etwas mißvergnügt fchienen, daß die Fremden 
zuerft vorgelaffen wurden. Diefe fanden Abdel- 
Kader, einen fohönen, etwas blaffen Juͤngling, 
ohne Bart, ganz in eine violette feine Bernus 
gehülft, (die er, als ein halber Heiliger und 
Sultan, zu einer ihn von allen Andern aus 
zeichnenden Tracht gewählt hat) auf einen Foftbaren 
Teppich gefauert, am Boden ſitzend. Er begrüßte, 
ohne eine andere Bawegung zu machen, die fremden 
nur mit einem freundlichen Kopfniden, und deutete 
ihnen an, fi auf ein europäifches Sopha zu 
fegen, welches in feiner Nähe ftand, Man begann 
damit, ihm die üblichen Gefchenfe zu übergeben, 
die er felbft im Empfang nahm und neben fich 
legte. Die Unterhaltung ward hierauf fehr lebhaft, 


165 


und ohne die geringfte gene fortgefeßt, wobet 
Alle die Promptheit, Amonität und Feinheit der 
Antworten des Sultans bewundern mußten, Herr 
Klimerath fagte, daß Abdel-Kader auf ihn viel- 
mehr den Effect eines fchlauen und gewandten 
europäifchen Diplomaten, als den eines gefürchteten 
arabifchen Kriegers gemacht habe. Sch übergehe 
feine politifchen Yeußerungen und das Handels 
geſpraͤch. Dagegen frappirte mich Folgendes : 
vor wenig Tagen erft, fagte der Sultan, habe 
ihn ein Thaleb verlaffen, der fich erboten, wenn 
bei feiner Wiederfunft ein Franzofe fich fände, 
der im jene Gegenden zu reifen wünfchte, er ihn 
gern mitnehmen, und mit feinem Kopfe für feine 
völlige Sicherheit ftchen wolle, Herr Klimerath 
bedauerte um fo mehr die bereits erfolgte Abreife 
diefes Mannes, da er überdies geäußert, daß, da 
die Europäer fo begierig nach Alterthümern 
wären, er ihnen nicht weit vom Wege nach feiner 
Heimath, eine uralte Stadt zeigen Fonne, von 
einem unbekannten Volke aufgeführt, die mit 


166 


Tempeln voll Säulen und andern anfehnlichen 
Gebäuden ſich faft ganz erhalten habe. 

Ich laffe es dahingeftellt feyn, in wiefern dieſe 
Ausfage Glauben verdient, unbegreiflich bleibt 
es aber immer, daß die Franzoſen ihren hiefigen 
Aufenthalt nicht beffer benugen, um dergleichen 
Notizen gründlich aufzuklären, oder überhaupt 
nur irgend etwas für die Wiffenfchaft zu thun. 
Man macht alle Augenblicke militairiſche Er- 
peditionen mit mehreren Qaufenden um einer 
befreundeten Tribu einige geftohlene Ochfen mit 
den Intereſſen wiederzuholen; wäre es nicht unfrer 
Civilifatton angemeffener, auch etwas weniger 
materielle Oegenftände dabei ins Auge zu faflen ? 
So iſt man neulich nahe an dem von mir er; 
wähnten, höchjt merfwürdigen, noch ganz unbe: 
kannten Monument, dem Cobur-er-Bunnia ruhig 
vorbeimarfchirt, nnd hat nicht einmal daran gedacht, 
es näher unterfuchen zu laffen. Wie intereffant 
und erfolgreidy würde eine Erpedition nach dem 
nur 20 Stunden entfernten Dschordschora, dem 


167 


böchften Berge des Fleinen Atlas, feyn, die jeden 
Augenbli® mit 1000 Mann und einigem Berg- 
geſchuͤtz ohne alle Gefahr zu unternehmen wäre; 
und nad) dem, wovon ich mich bei meinem 
Privatzuge nach dem Hammal überzeugt, müßte 
man dort ohne Zweifel endlich etwas Gewiſſes 
über die Lage des großen Atlas zu beftimmen 
im Stande feyn, denn noch immer die Gcographen 
wie ein Phantafteftük, als anmuthige Arabeske, 
auf ihren Charten verzeichnen, und ihm mitten 
in der MWüfte feinen langen Lauf anweifen, was 
Doch gegen die Analogie aller andern Gebürgsfetten 
fireitet. Eben fo bedauernswürdig ift es, daß 
die Provinz Conftantine, die in der römischen Zeit 
fo blühend war, daß fie allein zu der Kirchen: 
verfammlung in Hippone 400 Bifchöffe fandte, 
und die notorifch voll der wohlerhaltenften und 
merfwürdigften Alterthuͤmer tft, den Franzofen 
noch immer eine terra incognita bleibt, obgleich 
ihre Eroberung fehr leicht gewefen wäre, einzelnen 
Keifenden aber der graufame Charafter Achmet- 


168 


Bey’s jet ihre Exploration ganz unmoͤglich 
macht. 

Ich muß bei diefer Gelegenheit noch einer 
Notiz erwähnen, die einem der Neifenden in 
Mascara mitgetheilt ward. 

Schon einige alte Neifebefchreiber, und neulich 
wieder der unermüdliche Zander, haben von einer 
ganz befonders ausgezeichneten und in Europa 
noch unbekannten Pferderace im Innern Afrika’s 
gefprochen, und Einige wollen fogar behaupten, 
daß jene berühmten Hengfte und Stuten, welche 
Carl der Zweite kommen ließ, und die, wie man 
gewiß weiß, weder aus Syrien noch dem glücklichen 
Arabien herftanımten, fondern auf dem Wege der 
Barbarei nach England gelangten, von diefer Race 
fi) herfehrieben, und fo die Stammaltern der 
jeßt vorzüglichften Pferde Europa’s geworden find, 

In Tremesen, einer Stadt hinter Mascara, 
von der die Caravanen nad) Tombuctu abgehen, 
und wo, wenn ich nicht irre, Roentgen ermordet 
wurde, herrfcht eine ähnliche Sage, die dort von 


169 


Niemand bezweifelt wird, Das Königreid) Tafilet 
foll der Ort ſeyn, wo diefe Pferde fich vorfinden, 
von deren Ausdauer und Schnelligkeit man wahre 
MWunderdinge erzähle Man geht fo weit, zu 
behaupten, daß einige von ihnen nur gebraucht 
werden fünnen, wenn die Reife von ſehr langer 
Dauer ift, da man fie, einmal laneirt, nicht cher 
als nach einigen Tagen in ihrem Laufe aufzuhalten 
vermag, eine NReifcart, den Mährchen Arabiens 
angemeffen, die freilich auch nur in der Wuͤſte, 
wo dem Nenner Fein Hindernig in den Weg tritt, 
ausführbar ſeyn möchte, Den edelften dieſer 
Thiere werden Ninge von gediegenem Gold durch 
die Nafenlöcher gezogen, und auch Armbänder an 
den Beinen befeftigt, welches Keßtere übrigens die 
Bewohner von Conftantine bei koſtbaren Pferden 
ebenfalls zu thun pflegen, Gold ift in Tafilet 
fehr haufig, und die Art es zu gewinnen, wurde 
folgenderweife romanhaft befchrieben, Da angeb— 
lich in Maffen Goldftaub im Sande in der Müfte 
legt, und am Tage ſchwer zu unterfcheiden iſt, 


170 


fo reitet man des Nachts, mit einer brennenden 
Fackel und einem Sad Aſche umber, wo es dem 
Suchenden im Schein des Feuers entgegen blißt. 
Sobald er e8 bemerft hat, wirft er ein Hänfchen 
Arche anf den Fleck, bis fein Sack leer geworden 
ift. Am folgenden Tag findet er nun leicht Die 
fo bezeichneten Stellen wieder und grabt Das 
Gold gemächlich aus, es in Fleinere Saͤcke von 
einem beftimmten Gewicht füllend, Ein folcher 
Beutel gilt im Handel mit den Europäern 200 
fpanifibe Piaſter, hat aber in der Wirklichkeit 
bald mehr, bald weniger Werth, Die erwähnten 
Fackeln dienen indeß nicht ganz allein blos, um 
das Gold zu finden, fondern auch die Boafchlangen 
von fürchterlicher Größe abzuhalten, welche diefe 
Gegend verpeften, und nach der byperbolifchen 
Sprache dieſer Neger oft Roß und Reiter mit; 
einander verfchlingen follen, 

Sc kehre jetzt zur Audienz nad) Mascara 
zurüd. Als Abdel-Kader fie beenden wollte, 
zeigte er der Geſellſchaft mit Würde und Orazie 














171 


durch einen Wink mit der Hand an, daß fie ſich 
jeßt entfernen dürfe, worauf die vornehmſten der 
draußen Martenden eingelaffen wurden, Da der 
Sultan erfahren hatte, daß die Fremden fchon am 
andern Tage feine Hauptftadt wieder zu verlaffen 
gedachten, ließ er fie, nachden er ihnen ebenfalls 
einige unbedeutende Geſchenke gefandt, noch einmal 
des Morgens zu ficb holen, um Abjchied von 
ihnen zu nehmen. Diesmal fanden fie den Hof 
mit einer fchr barof ausfehenden, und nod) barofere 
Tone von fich gebenden, fogenannten Sanitfcharen- 
muſik angefüllt, welche der der Franzofen mit 
wenig Glück nachgeahmt war, Sie durchſchritten 
einen Saal, der vol Waaren lag, die nur zu 
Geſchenken, die der Sultan macht, beftimmt find, 
aus welchem Vorrath auch die, welche fie erhalten 
hatten, gefchöpft worden waren, Das Ceremontel 
blieb daffelbe wie geftern, mit Herrn Lepelliffier 
wurden einige vortheilhafte Handelsverbindungen 
abgefchloffen, und die Fremden verließen Abdel- 
Kader, eben fo zufrieden mit feiner geiftreichen 


172 


Unterhaltung als mit der Herablaffung feines 
Benehmens Er ließ ihnen zuleßt noch eine Art 
von Firman überreichen, und fette hinzu, daß 
fie auf Vorzeigung diefes bei jedem Chef, wie in 
jeder Hütte, die freundlichfte Bewirthung finden 
würden, welches fie auch auf ihrer Ruͤckreiſe vollz 
ftändig erprobten. 

Herr Klimerath ftellte mir bei feinem DBefuch 
einen jungen Herrn Dorn aus Ötettin vor, den 
ic) vor zweit Sahren in den mir immer theuer 
bleibenden Hamburg gefehen hatte, und mit 
Freuden diefes liebe Andenken wieder anfnüpfte, 
Er kam aus Neapel, wo, wie er launig fagte, an 
der Ausgrabung von Pompeji jest nur noch 30 
Individuen arbeiteten, namlich 15 Maulefel und 
15 Kinder. Ein Engländer hatte fic) neulich vom 
Dafigen Gouvernement die Erlaubniß erbeten und 
erhalten, 14 Zage in einem der von Neuem 
zum Tageslicht gebrachten altrömifchen Häufer 
Pompeji's wohnen zu dürfen, hatte es mit vielen 
Meublen und Utenfilien im antifen Styl (wahrs 





173 


fcheinlih nah Herrn Hope's Zeichnungen) in 
Stand geſetzt, fich, feine Familie und ſaͤmmtliche 
Dienerfchaft ſtreng altrömifch befleidet, und brachte 
nun feine 14 Tage, mit der Küche aus Peregrine 
Pickle, und der Lektuͤre fammtlicher Glaffifer in 
guter Ueberſetzung, mit der ängftlichften Sorgfalt, 
als Achter republifanifch-romifcher Bürger zu. 
Gewiß, andere Leute Fonnen auch auf eine 
folche geniale Jdee Fommen, aber nu. ein Eng— 
länder führt fie in ihrer ganzen Länge materiell 
aus. MWie gern hätte ich einen halben Tag, das 
roͤmiſche Mahl mit eingefchloffen, bei dem edlen 
Märtyrer zugebracht; und recht überlegt, daͤucht 
mir, Fönnte diefer burlesfe Gedanke vielleicht mit 
Succeß bei der Arrangirung irgend eines Feftes 
zu einer intereffanteren Masferade benußt werden, 
als die gewöhnlichen find, welche wegen ihrer zu 
leeren Abgeſchmacktheit leider Niemand mehr 
befuchen noch geben will. 


Den 11. März. 


Ich muß mich bei mir felbft anflagen, nie 
mein Reifejournal fo nachlaͤßig als hier geführt 
zu haben. Es find fogar der größte Theil der 
Dines, denen ich beigewohnt, und alle die, welche 
ich felbft gegeben, ſchmaͤhlich von mir übergangen 
worden! Sie hätten doch manches Erwähnungs- 
werthe dargeboten; jetzt erinnere ich mich nur 
noch, daß der gute Gouverneur mir einmal die 
Ehre erzeigt bat bei mir zu fpeifen, bei welcher 
Gelegenheit einer der Säfte den drolligen Einfall 
hatte, zu behaupten: die chambre des Pairs würde 
bei der geringen Mannhaftigkeit die ihre traurige 
Berfaffung jet noch verftatte, weit beffer thun, 





175 


Fünftig den Namen der chambre des meres an- 
zunehmen; ferner ift mir noch gegenwärtig, daß 
wahrend einer andern Mahlzeit bei mir der 
liebenswürdige Konful Belgiens vier bis fünf 
Gedichte mit der Schnelligkeit eines Stenographen 
beim Schaumen des Champagners niederfchrieb, 
wovon zwei nichts Geringeres als mich felbft 
zum Gegenſtande hatten; und endlich), daß Herr 
Gouſſet (ein ominoͤſer Name für einen Wirth) der 
jetzige Gaſtgeber im hötel de Paris, ein früherer 
maitre d’hötel des großen Banquiers Schickler 
in Paris, Alles aufbot, die fehlechte Qualität der 
algierifchen Eßelemente zu leidlich genießbaren 
Ragouts zufammen zu brauen, In der That 
ift alfes Fleiſch ohne Ausnahme, Butter, Milch, 
felbft Sifhe und Hummer, hier nur in höchft 
mittelmaßiger Qualität aufzutreiben, eine fehr 
fhwarze Seite Ulgiers, deren Erwähnung ich abs 
fihtlich bis zulegt gelaffen habe, um meinen 
geiftreichen Lefern nicht zu früh einen Degout vor 
diefeom Ort beizubringen, Doc zwingt mich 


176 


Gerechtigfeitsliebe hinzuzufeßen, daß frifche Eier 
und Gemüfe eine glorreiche Ausnahme von dem 
bisher Geſagten machen, und die Orangen von 
Blida den beften maltefifchen wenigftens gleich— 
fommen, 

Auch eines fplendiden Balles bei Herrn Baccuet, 
wo eine Flora der lieblichften Danıen verfammelt 
war, und Herr Dorn die Gefellfchaft mit Gefangen 
in allen Sprachen erfreute, nebft einem fehr heitern 
Sefte bei dem licbenswürdigen Staliäner Garavini 
muß ich noc) erwähnen. Ber dem Lebteren tranfen 
wir, auf einer Collection von Loͤwen- und Tiger: 
haͤuten fiend, den Kaffee aus einem genuefifchen 
Service von Feigenholz, das fo leicht wie Flaum— 
federn ift, fehr elegant ausfieht, und den Vorzug 
bat, daß man fich bei zu heißem Inhalt nie 
die Finger daran verbrennen Tann. Die mit 
Stroh beflochtenen Stühle in dem Galon 
waren von Ddemfelben Holz gefertigt, und ein 
Dußend davon hatten Faum das Gewicht eines 
einzigen der gewöhnlichen Art, Ein anweſender 


177 


Spanier berichtete verfchiedenes mir Neue über 
den jeßigen Guerilla-Krieg in feinem Vaterlande, 
So fagte er unter andern, daß Zumalacarreguy, 
während der früheren fo Furzen und unglüdlichen 
Invaſion Mina’s, Adjutant diefes Generals ge— 
wefen ſey, und fonderbarerweife jeßt Mina grade 
diefelben Truppen commandire, und dieſelben 
Leute um fich habe, gegen welche er damals ge 
kaͤmpft; und umgefehrt Zumalacarreguy wiederum 
die damaligen Bundesgenoffen Mina’s unter feinen 
Sahnen verfammelt halte. Wenn Jener nun eine 
Proclamation gegen Mina erlaffe, fo mache er 
diefe niemals felbft, fondern benuße immer 
eine oder die andere, von Mina in jener Zeit 
eigenhändig verfaßten, nur mit geringer Ab— 
Anderung der Localitäten — welches den alten 
Feldherrn von allen ihm gefpielten Streichen 
Zumalacarreguy’8 am meiften ärgern foll. Das 
Gigenthümlichfte beit dieſer factifchen Umwech— 
felung fcheint mir, daß dennoch weder Mina 
noch Zumalacarreguy im Grunde ihre Prinzipien 


Semilaffo in Afrita. I. 12 


178 


geändert haben, und gewiß Fann eine ahnliche Vers 
wirrung aller Verhaͤltniſſe, nur in einer fo coloffal 
grotesfen politifchen Zeit, wie die unfre ift, dent 
bar werden! 

Unfer Wirth, der feit Kurzem ameritanifcher 
Conſul geworden ift, und deifen Talent das Gluͤck 
freundlich lächelt, theilte uns einen feltenen Beweis 
hiervon mit. Der dem entfeßlichen Sturm, der 
neulich Alles im Hafen zu vernichten drohte, und 
auch wirklich vernichtet haben würde, wenn die große 
Gabarre, la Marne, ſich losgeriffen hätte, die 
gleich einem furchtbaren Niefen umberfchwanfte 
und am Ende nur noch an einem einzigen, legten 
Sabel hing, der in den Magazinen noch vorrathig 
gewefen war — befanden fich) von Herrn Garavini 
fehs Schiffe im Hafen, wovon drei leer und 
hoch affecurirt, drei andere zur Abfahrt friſch 
beladen, und noch nicht verfichert waren. Der 
Sturm zertrümmerte die Halfte diefer Fahrzeuge 
und das gut gelaunte Glück richtete es fo ein, 
daß dieß grade die leeren waren, die übrigen 


179 


blieben unverfehrt,; ein Umftand, der Garapini 
zu dem einzigen machte, weicher von der allge- 
meinen Calamität vielleicht fogar noch einigen 
Vortheil zog. 


Den 14. März. 


Der ehemalige Bey von Tittery hatte mic) 
auf fein Landhaus eingeladen, was ic) um fo 
lieber annahm, da ich begierig war, einer Acht 
türfifchen Mahlzeit im hoheren Styl beizuwohnen. 
Oberſt Marey, Herr Klimerarb, und Herr Bellart, 
nebft einem jungen, eben angefommenen Marfeiller, 
waren die übrigen Säfte, Der freundliche und 
biedere Gaftgeber empfing ung, von zwet ftattlic) 
gefleideten Negern begleitet, am Thor feines 
Drangengartend. Ich fand feine Villa fehr artig 
eingerichtet;  befonders reizend war der mit 
Porcellanfließen gepflafterte, mit Waſſerbecken 
und Fontainen gezierte Hof, den Iuftige und 





181 


zierliche Sommerfalons von ungewöhnlicher Größe 
umgaben, und einige ſchoͤne Bäume befchatteren, 
Das geräumige Zimmer im erften Stod, wohin 
man uns heraufführte, war mit einem in brens 
nenden Karben geftreiften Teppich belegt, deren 
gleichen, wie er mir fagte, nur im der Wuͤſte 
verfertigt wird. Niedrige Divans, mit zum Theil 
in Gold geftickten Kiffen, ftanden an den Wänden. 
Eine auserlefene Sammlung mit Silber und 
Steinen ausgelegter Waffen hing auf der andern 
Seite, und einige alterrhümliche venetianifche 
Spiegel, nebft zwei maffiven Tiſchen, vollendeten 
das Anmeublement der Stube. Wir wurden 
fogleih mit Kaffe und Pfeifen bewirthet, nebjt 
ſeltſamen Eonfttüren von Kartoffeln und Kürbis. 
Ein großes filbernes Becken ward vor uns auf 
den Boden gefeßt, um die Fleinen Kohlen, welche 
man hier fehr zweckmaͤßig zur Anbrennung der 
Pfeifen auf den Tabak legt, nachdem fie ihren 
Zweck erfüllt, darein wieder abzuwerfen. Zur 
Placirung der Kaffeetaffen und Confttüren, fette 


182 


man Kleine, nur einen Fuß hohe, fehr niedliche 
Gueridons, aus Foftbarem Holz und VPerlmurter 
gefertigt, neben und. Man unterhielt fich in 
italiänifcher Sprache, welche dem Bey ziemlich 
gelaufig war. Ber diefer Gelegenheit erzählte uns 
der Oberſt manche pifante Anekdote von dem 
Kriege mit den Arabern während feines Hierfeyns. 
Nach einem gluͤcklich beftandenen Gefecht, wo 
mehrere der feindlichen Beduinen, anfcheinend 
todt umberlagen, wollte einer feiner Spabis, ein 
fehr tapferer Neger, dem zunächt Liegenden, einem 
fhönen jungen Mann, deffen glaferne Augen ihn 
bemegungslos anftarıten, zu größerer Sicherheit 
den Kopf abfchnetden, und zog bereits zu Diefem 
Behuf feinen Jataghan. Wozu willft du dir 
die unnüge Mühe machen, dem Todten den Kopf 
zu nehmen?“ fagte einer feiner Camaraden, ver 
drießlich auf den Oberft blickend, „man bezahlt 
ung Ja die Köpfe nicht niehr.“ „Du haft aud) 
Recht, erwiederte der Neger, ſteckte feinen 
Jataghan wieder cin und ritt Davon, Nach einem 


| 


133 


Jahre meldet fich bei Marey, als gerade zufällig 
derfelbe Neger wieder bet ihm fteht, ein Ueber; 
laufer des Bey von Eonftantine, der um Aufnahme 
unter die frangofifchen Spahis bittet. „Du koͤmmſt 
mir befannt vor,“ fagte der Oberſt, „warft Du 
vielleicht früher fehon in franzoͤſiſchem Dienft ?“ 
„Nein,“ erwiederte der Araber lachelnd, „aber 
der da neben Ihnen wollte mir einmal den Kopf 
abjchneiden, als ich mid) todt geftellt hatte; gluͤck— 
licherwetfe aber ward er wieder anderes Sinnes.“ 
Der Neger Fonnte fi) anfangs Faum darüber 
zufrieden geben, fo angeführt worden zu feyn; 
„jetzt aber,“ fuhr der Oberft fort, „find Beide 
gute Freunde und meine beften Leute. Es find 
diefelben, auf deren Gefchicklichfeit ich Sie bei 
dem neulichen Manoͤver befonders aufmerffam 
machte.“ 

Ein bereingebrachter Tiſch, ebenfalls nur von 
einem Fuß Höhe, mit  fremdartigen Speifen 
beladen, dem noch zwei mauriſche Gafte von der 
Familie folgten, unterbrach uns hier, und wir 


184 


nahmen auf niedrigen Kiffen Plaß, alle türkisch 
auf unfern Beinen fiend, woran ich fchon ziemlich 
gewöhnt bin, was aber den jungen Marfeiller 
nach Furzer Zeit in eine wahre Leidensgeftalt vers 
wandelte. Sn der Mitte des Tifches fand 
eine große Schüffel Nudeln in Bouillon gefocht, 
aus der Alle mit fchon gefchnitten hölzernen 
Löffeln fuppen mußten. Außerdem befanden fich 
vor jedem Saft einige Fleine Affietten, mit den 
heterogenften Gegenftanden angefüllt, als füßer 
Rahm, Aljoli (mit Eiern abgeriebener Knoblauch) 
faure Milch mit Zucer, Radieschen, Eonfitüren, 
faure Surfen, in Oel marintrte Sachen u. f. w., 
in welche, im Verfolg des diné's, nach Belteben, 
bald von Diefem u bald von Jenem mit den 
Fingern Hineingefahren und davon zugelangt 
wurde, Eine Servictte, lang wie ein Vorhang, 
reichte um den ganzen Tiſch, und diente Allen 
gemeinfchaftlih. Nach der Suppe erfchien eine 
Art dünner vol au vent, oder warne Vaftete, 
die ich nie beffer gegeffen habe. Die Art und 


185 


Weiſe aber, wie mit den von Fett glänzenden 
Fingern, von den unappetitlichften Fauften, bei 
jedem Biffen, den man nabm, fortwährend darin 
umbergewühlt wurde, war für einen Europäer 
fhwer ohne Edel zu ertragen. Nun folgte ein 
ebenfalls vortrefflich zubereiteter gebackner Fiſch, 
zu dem hauptfächlidy das erwähnte Aljoli genoffen 
wurde, dann ein fehr feiner Cuscussu mit Manz 
deln, Zuder und frifchem dien Rahm; nad) 
dieſem ein faftiger Schöpfenbraten mit Knoblauch 
affaifonirt; dann gebratene Hühner, und zuleßt 
ein Milchreis mit Eonfttüren, deffen Delicateſſe 
und Zartheit in der That nichts zu wünfchen 
übrig lich. Das Deffert war gleich vorzüglich ; 
Rofinen von Smyrna, Datteln aus der MWüfte, 
die fchonften grünen Piſtazien, füße Bananen und 
die berrlichiten Drangen, mit vielen eingemachten 
Früchten, zierten würdig den Tiſch. Wir waren 
jedoch Alle froh, als das filberne Wafchgefchirr 
mit wohlriechenden Waffern und feinen Shawls 
fervietten erfchien, um uns von der unbequem 


186 


gezwungenen Lage unferer Beine zu befreien. Der 
Marfeiller geftand, daß, wenn es noch fünf Minuten 
länger gedauert hätte, er ohne Zweifel in Krämpfe 
verfallen wäre, und da er, mit den biefigen 
Sitten noch ganz unbekannt, aus Surcht zu belei— 
digen, auch von Allen, was der Wirth ung 
dringend einnoͤthigte, fehr reichlich gegeffen hatte, 
wozu es nichts als Waſſer und Milch zu trinken 
gab, fo fah er überdies einer peinigenden In— 
digeftton unfehldar entgegen. Sch hatte mir die 
Freiheit genommen, meine Sefundheit vorfchüßend, 
eine Bouteille Bordeaur mitzubringen, welche die 
Andern, wie es mir fcheint, aus zu großer Ruͤck— 
fiht, nicht mit mir theilen wollten. 

Nach Tiſch wurde wieder zum Kaffee und 
den Pfeifen übergegangen, wobei uns der gefällige 
Wirth feine beiden wunderhübfchen Tochter von 
10 und 12 Fahren prafentirte, die in weiten 
Hoſen und Faden wie Knaben angezogen waren, 
und deren fchone rabenfchwarze Haarzoͤpfe, Fünftlich 
geflochten, big auf die Knoͤchel hinabreichten. Ein 





187 


Spaziergang in den verfchtedenen Garten befchloß 
den Tag, worauf wir und zu Pferde feßten, und 
fehr zufrieden mit diefem Echantillon türfifcher 
Saftfreundfchaft, in der Abenddaͤmmerung Algter 
wieder erreichten. 


Den 16. März. 


Die Stadt befand fich dieſer Tage in einigem 
Allarm, weil die Hajuten mit großer Srechheit 
vier bis fünf Keute auf der Straße nad) Duera, 
nur zwei Stunden von Algter entfernt, ermordet 
hatten. Es war ein Fomifches Zufammentreffen, 
daß grade den Tag vorher ein Befehl des Gou— 
verneurs erfchten, der verbot ohne Autorifation 
Waffen zu tragen, und zugleich die Etablirung 
einer Ambülance für die Bequemlichkeit der Rei— 
fenden zwifchen Algier und Ducra angefündigt 
worden war, welche jeßt fchwerlich viele Paſſagiere 
zu erwarten haben möchte. Man kann nicht 
leugnen, daß die Hajuten thre Unternehmung mit 





nn — nn nn — — — — — —— — — 


189 


vieler Liſt und Kuͤhnheit bewerkſtelligt hatten, denn 
waͤhrend die Franzoſen, 1200 Mann ſtark, zu 
einer Expedition uͤber Buſſarick und zur Recog— 
noscirung der verſchiedenen Furthen uͤber den 
Mazafran ausgezogen waren, paſſirten ſie ſelbſt 
mit 300 Mann Fußvolk und einigen 80 Reitern 
durch die naͤmlichen Furthen den Fluß, attakirten 
die bei Staoueli wohnenden, den Franzoſen 
befreundeten Tribus, raubten ihnen 100 Stuͤck 
Vieh, toͤdteten ihnen mehrere Leute nebſt den 
ungluͤcklichen Chriſten, die ſie auf der Straße 
fanden, und waren ſchon wieder auf demſelben 
Weg zuruͤckgekehrt, als die Expedition erſt am 
Fluſſe ankam. Hätte dies nur um einige Stunden 
früher gefchehen Tonnen, was bei richtigeren und 
fchnelleren Nachrichten fehr leicht möglich gewefen 
ware, fo würden Wenige der Araber entkommen 
ſeyn. Es ſcheint aber, daß die Spione den Leßteren 
bei diefer Gelegenheit beffer gedient hatten, als 
den Franzoſen. Wie ich hörte beträgt der Fond, 
welcher für  Diefes Departement ausgefeßt iſt, 


130 


monaqlich nur 200 Franken, wofür freilich nicht 
viel Auskunft zu erhalten ift. 

Don der Faltblürigen Kühnheit der Hajuten 
giebt folgendes einen Begriff. Zwei franzöfifche 
Gensd'armes ritten an diefem Tage, mit Kara- 
biner, Sabel und Piftolen bewaffnet, nad) Duera. 
Nur no) 500 Schritt vom Camp entfernt, 
bemerkt der Eine, daß ihnen zwei Araber im 
langfamen Schritt zu Pferde folgen. Er macht 
feinen Camaraden aufmertfam darauf. „O die 
find von unfern Spahis ze erwiedert diefer. „Mir 
wollen fie aber doch licher vorausreiten laffın,« 
meint der Erfte. Die Gensd’armes halten an und 
rufen den Arabern zu, bei ihnen vorbeizureiten. 
Diefe antworteten bejahend, fommen ganz unbefan: 
gen heran, und wie fie neben ihnen find, ſchießt 
der Vorderfte mit feiner Piftole den naͤchſten ver 
Gensd’armes nieder. Sein Camarad verliert den 
Kopf und jagt unangefochten nach Duera herein. 
Unterdeffen ward der Verwundete von den Arabern 
ganz gemächlich vollends getddtet und beraubt. 


191 


Mein Arzt erzahlte mir, daß vor ohngefähr 
vier Wochen ein Hajute mit zerfcehmetterter Hand 
zu ihm Fam, und fich diefelbe im Gelenk von ihm 
abnehmen ließ; bei welcher Operation er Feine 
Miene verzog, fondern nur fortwährend Gebete 
aus dem Koran leife vor fih binmurmelte. Er 
fagte aus, daß er vom Sohne des Maräbut von 
Kolea ein paar Piftolen gekauft gehabt habe, die 
er fi nachher zu bezahlen geweigert. Der Maräbut 
machte ihm bierüber die bitterften Vorwürfe, und 
als dies nichts half, fagte er zu ihm: Die Strafe 
wird nicht ausbleiben, und der Himmel dir die 
trenlofe Hand rauben, welche die eingegangene 
Berbindlichfeit nicht erfüllen will. Am andern 
Tage fchießt er mit denfelben Piftolen bei Gele: 
genheit eines Feſtes; Die eine zerfpringt und zer: 
ſchmettert ihm wirklich die Hand. Won abergläu: 
biſchem Schrecken ergriffen, tilgt er fogleich feine 
Schuld, und eilt dann erft, um Hülfe zu fuchen 
in die Stadt. Nach einigen Mochen entließ ihn 
der Arzt, nachdem er noch eine Fünftliche eiferne 


192 


Hand für ihn beftellt hatte, die, der Abrede 
gemäß, der Araber nach) beftimmter Zeit abholen 
follte. Er Fam jedoch nicht wieder, und als geftern 
der Doctor einen der Camaraden deffelben, dem 
er zufällig in der Straße begegnete, fing, was 
denn aus Jakub geworden fiy, daß er feine Hand 
nicht hole, antwortete dieſer: D, der braucht 
Eure Hand nicht mehr, denn er hat feitdem 
ſchon wieder mit der andern, zur Sühne feiner 
Sünden, drei Chriften in der letzten Affaire 
ungebracht. 


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Den 20. März. 


Wie fchwer es ift, Sprachen zu erlernen, wenn 
die Sonnenfeite des Lebens von Einem zu weichen 
anfängt, empfinde ich jett, da ich nod) immer nur 
hoͤchſt imperceptible SFortfchritte im Arabiſchen 
mache, obgleich ich wüchentlich mehrere Stunden bei 
dent vortrefflichen Profeffor Pharao nehme, einem 
fehr wiffenfchaftlich gebildeten Uegyptier, der, wenn 
er auch nicht von den Pharaonen abftammt, wenigs 
ftens einer fehr guten Familie jenes Landes angehört, 
Früher Instructeur in der Armee des Vicekoͤnigs 
machte er einen Theil der Campagne Ismael’s gegen 
die Wechabiten mit, befeclte fpater in Paris haupt: 
fachlich den Unterricht der von dem Pafcha dahin 
gefendeten jungen Aegyptier, und ift jet Secretairs 

Semilaffo in Afrika, II. 13 


194 


Interpret des Gouverneurs, fo wie Profeffor der 
arabifchen Sprache in Algier. Sch habe diefe 
Details hier aufgeführt, weil Herr Pharao fo cben 
in franzöfifcher Sprache ein höchft merfwürdiges 
Werk über die arabifche und maurifche Geſetz— 
gebung in Afrika herausgegeben hat, was bisher 
in der europäifchen Literatur fo gut wie ganz 
fehlte, und nach allem, was ich in dem fehr 
unterhaltenden Manuferipte gelefen, zu urtheilen, 
auch unfern deutfchen Zuriften gewiß fehr wills 
kommen feyn wird. Gern hätte ich mir einige 
Auszüge erlaubt, wenn der Gegenftand nicht zu 
ernft für meine befcheidene Zwecke ware, und 
überdies das Ganze bald dem Publifum zur 
eigenen Anficht vorgelegt werden fol, Es ift 
genug hier darauf aufmerkffam gemacht zu haben. 

Da meine Abreife herannaht, und das Wetter 
ungemein klar war, ftieg ich noch einmal auf die 
höchften Zinnen der Cassba, von wo die Ausficht, 
des ganz eigenthümlichen Effefts wegen, welchen 
diefe hunderte von Terraffen der Stadt darbieten, 





195 


mir faft noch dem Panorama, das man vom Fort 
l’Empereur erblickt, vorzuziehen zu feyn fcheint, 
Ich pflege gern auf folche Weife den letzten Abfchied 
von einem Drte zu nehmen, befonders einem wie 
Algier, der mir fo vielfältige Erinnerungen zuruͤck— 
laßt. Noch einmalruhten nun meine Augen mit 
MWohlgefallen auf dem einfamen Blocdhaufe des 
hohen Budschariah, wie auf jenem Heere 
freundlicher Villen, in deren manchen ich die 
liebenswürdigfte Gaftfreundfchaft genoſſen; und 
als meine Blicke über die Ebene fchweiften, Die 
ich fo vielfach durchgezogen, zeigten ſich mir auch 
der Hammal noch einmal, fo deutlich, daß ich 
mit meinem Glaſe den ganzen Weg bis zu feinem 
Gipfel, den ich zurückgelegt, genau verfolgen 
fonnte. Ein franzdfifcher Hauptmann, der ung 
begleitete, und den Feldzug in Griechenland mits 
gemacht hatte, unterhielt ung während dem mit 
allerlei drolligen Anefooten von Ibrahim und feiner 
Umgebung. Indem ich eine davon hier nach» 
erzahle, erfuche ich mit meiner gewöhnlichen 


196 


Gewiffenhaftigkeit alle Damen, denen Dies in Die 
Hände fallen follte, befagte Anekdote forgfältig 
zu überfchlagen. Thun fie es nicht, fo waſche ich 
meine Hände in Unfchuld. 

Ibrahim liebte den Champagner fehr, und 
wurde dadurch oft bei den Feften, die ihm die 
franzöfifchen Generale und die Admirale der 
vereinigten Flotte um die Wette gaben, in Die 
heiterfte Stimmung verfeßt. Einmal fagte ihm 
bei einer folchen Gelegenheit ein fremder Admiral: 
„Mais votre Altesse a reellement trop de 
femmes; il est impossible que vous puissiez 
toutes les satisfaire.“ Ibrahim, welcher einen 
franzöfifchen Offizier als Dollmetfcher bei fich hat, 
der ihn überall begleitet und vor dem er Fein Ceheim— 
niß zu haben fcheint, befahl etwas piquirt diefem, 
dent Admiral zu antworten, quil lui proposait 
un pari de 20,000 sequins, qu’en presence de 
tout les convives, il lui prouverait avec six de 
ses femmes l’une apres lTautre, quil n’etait 


pas leur mari de nom seulement. Mais qu’en 





197 


suite, lamiral devrait faire la meme chose: 
et que pour cela, il lui offrait, quoique Ture, 
de choisir parmi toutes les femmes de son 
harem celles qui lui plairaient le mieux. Et 
que celui qui resterait court dans le combat, 
paierait la gageure.. Da nun der Admiral 
ein fo braver Seemann er aud) tft, Doch dieſes 
Anerbieten fich nicht anzunehmen getraute, fo 
mußte er manche Scherze auf feine Koften 
erdulden, in welche Ibrahim am thätigften eins 
fiimmte. 

Einer Dame in Algier gefchah etwas ähnliches 
mit einem dortigen vornehmen Zürfen, der fid) 
jedoch nicht ganz fo Fühn wie Ibrahim zeigte. 
Es entfuhr ihr namlich der naive Yusruf: „Mon 
dieu, Monsieur, que pouvez vous faire avec 
toutes ces femmes ?“* 

„Madame,“ antwortete der Türfe grapitätifch, 
„je ne fais jamais qu’avec deux ou trois dans 
le m&me jour.“ Hier wären auch Betrachtungen 
über die guten und fehlimmen Folgen der 


198 


Civilifatton zu machen! Den europäifhen Ehe 
männern fchadet ohne Zweifel das zu viel 
Denken. — | 

Ibrahim legte überall eine wahre Herzens— 
neigung für die Franzoſen an den Tag, Die 
Engländer ſchien er weniger zu lieben, und bie 
Nuffen noch weniger. Ueber die Manöver der 
franzoͤſiſchen Cavallerie war er oft fo entzüdt, 
daß er vor Freuden in lautes conpulfinifches 
Lachen ausbrach, und mehrmals ausriefs „Ihr 
feyd die wahren Kinder Napoleons, mit folchen 
Soldaten eroberte ich die Welt!“ Seinem großen 
Borbilde ähnlich erfihien auch Ibrahim ftets 
hoͤchſt einfach gefletvet, wogegen fein Gefolge 
immer mit Gold und Juwelen bedeckt war. 

Die Nacht brach fchon ein, als ich die Geſell— 
ſchaft verlieh und, einen großen Umweg nehmend, 
nah Haufe ging. Welche andere Gefühle beherr: 
fchen doch wiederum den Menfchen, wenn der 
Tag geſunken, und die ftille Nacht mit ihrem 
geheimnißvollen Schweigen ihn von Neuem 


199 


umfängt. So oft ich mic) in der Betrachtung 
des Sternenhimmels verliere, werden mir immer 
alle Arten von Schwärmerei Far. Mas find fie 
anders, als die innigfte Begierde, fich auf eine 
oder die andere Weife der unfichtbaren unendlichen 
Macht zu nähern, die über allen diefen Welten 
thront, 


Den 24. März. 


Ehe ich Algier verlaffe, halte ich es noch für 
eine wahre Schuldigfeit, alle Fremden vor den 
hiefigen europätfchen Handwerkern und Kaufleuten 
zu warnen, In meinem ganzen Leben bin ich 
nirgends fo ſchamlos fortwährend übertheuert und 
angeführt worden. Die Details gehen ins Unglaub- 
liche, und da ich einige Fälle diefer Art zu empoͤ— 
rend fand, um mid) ruhig darein zu ergeben, 
wandte ich mic) an den juge de paix, der mir 
nicht nur vollfommen Recht gab, fondern mich 
auch noch durch ein befonderes Billet darin ber 
ftarfte, wegen der Gerechtigfeit meiner Sache 
nicht nachzugeben. Demohngeachtet war das Ru 
fultat das gewöhnliche, d. h. das Urtheil deffelben 





201 


Nichters mobderirte zwar die Forderung, jedoch 
unverhältnißmäßig gering, und die eben fo übers 
triebenen Gerichtsfoften, mit denen des Advokaten 
vereinigt, überftiegen daher noch die erfte 
Summe der gewiffenlofen Rechnung. Freilich 
war die Frau des Advokaten meines Gegners 
eine der hübfcheften in Algier, und Gott weiß, ob 
der Handwerker den das Geſetz fo milde behandelte, 
nicht auch für das Zuftizperfonal billiger als für 
mich arbeitet. Kurz als mir mein Advokat den 
allerdings unerwarteten Ausgang meldete, und 
feine Liquidation beifügte, machte er fich felbft 
mit der heiterften Laune über das Flägliche denoue- 
ment luftig, indem er naiv verficherte: die alte 
Gefchichte von der Auſter wiederhole fich noch 
immer, und, wie ich jeßt lerne, in Afrika fo gut 
wie in Europa, 

Da alfo weiter Fein Ausweg übrig zu bleiben 
fcheint, fo rathe ich wohlmeinend jedem Fremden 
in AUlgter, nie Etwas irgend einer Art, das Geld 
Foftet, zu Faufen, zu micthen, oder zu beftellen, 


202 


ohne vorher den Betrag genau zu firiren, NB., 
wenn er mit Chriften zu thun hat, denn die Mufels 
männer und Juden betrügen hier entweder gar 
nicht, oder wenigftens decent. Sch bin überzeugt, 
daß Feder, der diefer Warnung folgt, mir nach 
einiger Zeit aufrichtigen Dank dafür fagen wird. 


Bone, den 23. März. 


Nachdem ich allen Pflichten eines höflichen 
Reifenden genügt, namlich alle Abfchiedspifiten 
gemacht, die Abfchtedsmahlzeiten eingenommen 
und dabei Manche meiner algierifchen Freunde 
und Gönner wirklich mit wahrem Bedauern ver: 
laffen hatte, befchloß ich, mich den 25, gegen 
Abend auf dem Dampfboot des Gouvernements, 
le Brasier, nad) Bougie einzufchiffen,. Mit dem 
mir folgenden Perfonal war eine Kleine Veraͤnde— 
rung vorgegangen. Der junge J.... begleitet 
mich als Secretair, und die Stelle des Varifer 
Kammerdieners, der fich in die arabifchen Länder 
nicht mehr zu finden vermochte, hat ein achtzehn: 
jähriger Maure eingenommen, deffen Mangel an 


204 


Erfahrung durch guten Willen und Luft zum 
Reifen hinlänglich aufgewogen wird. Da überdem 
das Urabifche feine Mutterfprache ift, und er das 
FSranzonfche geläufig, das Staliänifche leidlich 
fpricht, fo dient er mir zugleich bequem als Dol— 
metfcher. 

Der Admiral hatte die Artigfeit, mir vor dem 
Embarfiren noch eine Collation bei fich anzubieten, 
welche Durch die angenehmſte Unterhaltung gewürzt 
wurde. Sch hörte hier von mehreren unparteii— 
fhen Autoritäten eine genaue Grörterung über 
den fo viel befprochnen, in der Cassba gefundenen 
Schatz, und alle famen darin überein, daß der 
Marfchall Bourmont, wie ein Theil der Armee, 
auf das ungerantwortlichfte und abgefchmacktefte 
in dieſer Hinficht verlaumdet worden wären. 
Die genauften und nichts weniger als fchonen:- 
den Unterfuchungen haben dies zur Evidenz er— 
wieſen. 

Man ging ſo weit, auf eine wahrhaft empoͤ— 
rende Weiſe, den Leichnam des gebliebenen, jungen 





205 


Bourmont in Zoulon aufzuhalten, den Sarg zu 
öffnen, und alle Glieder der Leiche zu unterfuchen, 
ob nicht irgendwo Edelſteine verborgen worden 
ſeyen. Der Marfchall felbit fuhr in einem Fleinen 
Trieſter Handelsfchiffe, mit nicht mehr als zwei 
Cantinen, als fein ganzes Gepad, von bier 
ab, ein trauriges Refultat für den Eroberer von 
Algier, den die Nemefis, für feine früheren Sün- 
den gegen Napoleon, ohne Zweifel dadurch beftrafte, 
der aber für fein hiefiges Betragen nur Ruhm 
und Feine Vorwürfe verdient hat. 

Nicht fehr bekannt ift es geworden, daß bei 
der angelangten Nachricht von der Juli-Revolu— 
tion, in dem zufammen berufenen Kriegsrath 
unanimiter beichloffen wurde: mit der weißen 
Cocarde nach Frankreich abzufegeln und daß nur 
der Admiral Duperre, durch feine beftinmte 
Meigerung, die Ausführung diefes Projects ums 
möglich machte, und einige Tage fpäter, als neue 
Depefchen den Willen der Nation noch deutlicher 
fund thaten, auch die Landarmee zur Annahme 


206 


der dreifarbigen Cocarde und Unterwerfung unter 
die Ießte Ordnung der Dinge bewog. *) 

In dem elegant mit blau und rothen Tuch— 
decken belegten Canot des Admirals gelangte ich 
nach dem Dampfſchiff, wo ich in einer Fleinen, 
luftigen Cajüte des Capitains, oben auf dem Vers 
deck, placirt wurde. Ste war voller Snftrumente, 
Feilen, Bohrer, Hammer, Zangen, Amboße u. f. w., 
denn der Gapitain des Brasier ift ein fo paſſio— 
nirter Mechaniker, daß er alle nöthigen Nepara- 
turen an feiner Mafchine felbft ausführt. Da 
mein Bett fich grade über den Rädern des Schiffes 


*) Als ich fpäter Sir G. Temple’s Neife nach Algier 
und Tunis las, fand ich die DBemerfung darin, „daß 





feine Beute der englifchen Armeen in Indien der gleich 
gekommen wäre, welche ver Schab in Algier ver franzö— 
fifhen Armee geliefert.” 

Er hätte aber den wichtigen Unterſchied dabei nicht 
übergehen follen, daß die indifche Beute unter die englifche 
Armee, die fie erobert, vertheilt wurde — die franzöfifche 
Armee aber faft nichts davon befommen bat. 





207 


befand, fo hatte ich volllommen die Empfindung 
in einer weniger al8 gewoͤhnlich ftoßenden, und 
mehr als gewöhnlich ſchwankenden Diligence zu 
fahren. Im Anfang war das ununterbrochene 
leife Schüttern, ſo wie der eigne Ton der ſich 
umwaͤlzenden Nader, dennoch etwas ftorend, nad) 
und nach gewohnte ich mich aber fo gut daran, 
daß ich noch nic auf einem Schiffe beffer gefchlafen 
habe. Auch war dies meine erfte Seereife, auf 


der ich nicht ſeekrank geworden bin, obgleich das 


ziemlich Feine Fahrzeug bei ſtets contrairent, 
ſtarkem Winde fortwährend gewaltig fchaufelte, 
Ich fchliege daraus, daß Allah mich noch zu 
mehreren und größeren Reifen diefer Art beſtimmt 
hat. Es war eine angenehme Ueberrafchung für 
mich, unter den übrigen Paſſagieren auch Herrn 
Klimerath zu finden, deffen Unterhaltung immer 
fo unterrichtend und mannigfaltig ift. Außer ihm 
waren auch) einige intereffante Damen aus Konz 
ftantinopel auf dem Schiff, die Frau des fran- 
zöfifchen Civil» Intendanten in Bone mit ihrer 


208 


Tochter, die nach langer Trennung wieder in die 
Arme ihres Gatten eilte, und auf dem uns wohl 
befannten Erocodil den großen Sturm ausgehalten 
hatte, wo fie am Ende einer Marterwoche, fich 
dem Hungertode eben fo nahe als dem in den 
Wellen befand. Nur mit genauer. Noth rettete 
ſich das Schiff zuletzt im elendeften Zuftande nach 
Port Mahon. 

Die übrigen Figuren der Equipage und Paſſa— 
giere blieben mir unbefannt. 

Wir langten in Bougie, arabifd) Budscheya, 
(dem alten Saldae) erſt am andern Tage um 
fünf Uhr Abends an. Die Lage diefes Ortes iſt 
außerordentlich pittoresk. Hohe und fehroffe Selfen 
von den fonderbarften Formen fleigen fenfrecht, 
unmittelbar aus den Fluthen empor; einer bildet 
ein weites Thor, das mit der perfpectivifchen 
Ferne dahinter, und dem fmaragdenen Waffer- 
grunde darunter, einen magifchen Effect hervor— 
brachte. Auf dem höchften diefer Steinberge haben 
die Franzofen ein Fort erbaut, das von unten 











209 


kaum zu erkennen tft, fondern vielmehr nur einer 
Mauerfrone gleicht, die man dem Fahlen Selfen- 
Scheitel aufgedräcdt. Bougie felbft, von großem Um— 
fang, und überall faft nichts als Ruinen alter 
und neuer Zeit darbietend, die von Gärten voll 
hoher Bäume lieblich durchflochten find, daͤuchte 
mir eine alte verlaffene italiänifche Stadt, und 
erweckte mein lebhafteftes Bedauern, kaum andert: 
halb Stunden Zeit zu ihrer Betrachtung zu haben 

Ein vortrefflicher, kuͤrzlich vollendeter Weg, 
den man gemächlich hinaufreiten kann, führt, von 
Mauern geftüßt, in weiten Windungen bis zum 
erwähnten Fort; es war mir indeß unmöglich, 
mehr als ein Drittheil davon zu erfteigen, che die 
Nacht einbrach. Wenigftens fah ich von diefem 
Standpunkte aus das fchöne grüne Thal mit 
feinent bedeutenden Fluß, den Ptolemaeus 
Nasava nennt, und der fich hier in das Meer 
mündet, den es umgebenden Kranz jeßt größten: 
theils befchneiter Bergfpigen, und den ganzen bedeu— 
tenden Umfang der Stadt, mit zwei bis drei feften 

Semilaffo in Afrika, II 14 


210 


Schlöffern, und mehreren Blockhaͤuſern, welche, 
ohngeachtet ihrer Nähe die Araber fchon mehrere 
male attafirt haben, und nur mit Mühe durch 
Kartätfchen davon zurücgetrieben werden Fonnten, 
Die Noth hat daher eine hübfche Vorrichtung 
erfinden laffen, vermöge der diefe Blochäufer in 
wenigen Sefunden von oben bis unten ilfuminirt, 
und die Lichter eben fo fehnell wieder verlöfcht 
werden koͤnnen. Die erfte Idee dazu gab ein 
Blockhaus, das die Araber während der Nacht 
in Brand ftedten, was ihnen an hundert Mens 
fehen Foftete, da man beim Schein der Flamme 
vortrefflih auf fie zielen Fonnte, Die Garnifon 
befand fich in Bougie lange in einem fürmlichen 
Dlofadezuftande, und konnte nicht einmal wagen, 
vor den Thoren Holz in der Plaine zu fällen, 
ohne fogleich angegriffen zu werden. Die lebten 
Affairen haben jedoch, wie es fcheint, den Feind 
etwas eingefchüchtert, der hauptfächlich von feinen 
Prieftern und Maräbuts fo aufgehett werden foll, 
welche hierbei wahrfcheinlich ein Privatvortheil leitet. 





211 


Man war in Bougie feit vielen Wochen ohne 
Nachrichten aus Europa, und empfing daher die 
Neuigkeiten, die wir mitbrachten, als die Ernen: 
nung des Herrn von Broglie zum Prafidenten des 
Eonfeils, den Tod des Kaifers von Defterreich u. ſ. w. 
mit großem Intereſſe. Die Herren, an welche ich 
Briefe hatte, befuchten mich fämmtlich in dem 
elenden Reftaurant, wo ich abgefttegen war, um 
eine glüclicherweife mitgenommene Paſtete zu 
verzehren, aber Keiner Fonnte mir etwas Mate: 
riclles anbieten, weil eine ſolche Difette an Provi— 
fionen hier herrfchte, daß dem Anfcheine nach der 
Commandant superieur, an den ich zufällig kei— 
nen Brief hatte, der Einzige war, welcher eine 
Art von Tafel hielt. 

Der Befehlshaber der Artillerie gab mir einige 
Notizen über die hiefigen romifchen Alterthümer, 
die nicht unbedeutend zu feyn fcheinen, und feine 
Anrifenfammlung, wie er mir fagte, bereits vicl- 
fach bereichert haben. Man ficht daraus, daß 
die Römer hier in ungeftörterer Ruhe gelebt haben 


212 


müffen, als den Franzofen zu Theil wird, und 
auch das verrufene Clima damals wahrfcheinlic) 
beffer gewefen tft, denn der Commandant befißt 
die Grabfteine eines Terentius, der 80, eines 
Sempronius, der 88, und Eines aus der Familie 
Scipio, der gar 95 Jahr alt geworden ift. Seht 
raffen epidemifche Fieber und eine unerträgliche 
Hitze im Sommer die Menfchen noch häufiger 
als die Kugeln und der Sataghan der Araber 
dahin, 

Bei aller diefer Noth, Verfallenheit und 
Zerſtoͤrung gewährte Bougie doch ein herrliches 
Schaufpiel, als ich) es in meiner Gondel um 
11 Uhr wieder verließ, und auf dem fchwarzen 
Grunde der Nacht viele glänzende Lichter von den 
Bergen und aus den alten Schlöffern auf ung 
herabfcehimmerten, Beſonders ſchoͤn nahm fich ein 
Kaffeehaus, auf einem ifolirten Selfen ftehend, aus, 
deffen Fenfter mit dunfelrothen VBorhängen, großen 
chinefifchen Laternen glichen. Unter uns leuchtete 
auch an vielen Stellen das Meer, und jeder 


* * * 
— ————————————————— ——— 








213 


Ruderſchlag, ſo wie die lange Bahn des Schiffs— 
kiels, ſchienen tauſend Funken zu ſpruͤhen. 

Den andern Tag brachte ich, da nur einfoͤrmige 
Kuͤſten zu ſehen waren, ruhig in meinem Bette zu, 
las, dictirte, aß mit wahrem Salzwaſſer-Appetit 
von der ſehr guten Kuͤche des Capitains und ſchlief 
die Nacht darauf vortrefflich. Die neuere Erfahrung 
beſtaͤtigt mir mein ſchon fruͤher daraus abſtrahirtes 
Seeregime immer mehr, naͤmlich: kurz vor der 
Embaͤrkation immer eine conſiſtente Mahlzeit zu 
mir zu nehmen, dann aber auf dem Schiff 
durchaus nicht cher etwas zu cffen, als bis man 
Hunger fühlt, in diefem Falle aber auch, felbft 
wenn die Webelfeit noch nicht vorüber ift, dem 
angezeigten Bedürfniß zu folgen. Um den Durft 
zu löfchen, ift Drangeade das Beſte, und gegen 
Uebelkeit ein gutes Mittel, die Stirn haufig mit 
einer Citrone zu neßen und in eau de Cologne 
getauchtes Lofchpapier wie ein Kataplasma, auf 
den Magen zu legen. Ber ftarfem Kopffchmerz 
thut Effigather, auf den leidenden Theil applieirt, 


214 


fehr gute Dienfte, Denn die Seekrankheit iſt offen 
bar eine Affection des Gehirns, und der Magen 
leidet nur per consensum, weshalb auch die 
horizontale Lage, bei welcher der Kopf feſt auf den 
Kiffen ruht, Allen fo wohlthätig iſt. Viele haben 
mir gefagt, man muͤſſe den rothen Wein, den 
Kaffee, Süßigkeiten u, ſ. w. vermeiden, was ich 
Alles, auf mid) wenigftens nicht anwendbar finde, 
Es war ganz gleichgültig, was ich genoß, wenn 
es nur im genauen Verhältnig mit der Luft dazu 
abgenieffen wurde. Daß übrigens möglichft frifehe 
Luft und reine Athmoſphaͤre immer zu erhalten 
gefucht werden müffe, wobei in der Gajüte mir 
das Näuchern mit Effig wohlthat, verſteht fich 
fhon von felbft, Ber dem ftarfen Schaufeln des 
Schiffs babe ich immer mehr Erleichterung 
gefunden, ſtatt es durch feftes Anklammern an 
mein Lager zu vermindern zu fuchen, int Gegentheil 
den Bewegungen des Schiffes mit dem Körper 
freiwillig zu folgen, wie man 3. B. beim Trabreiten 
auf englifhe Art, den Bewegungen des Pferdes 








215 


gewiffermaßen noch zu Hülfe kommt. Auf diefe 
Weiſe gelangte ich zulegt fo weit, daß mir das 
Hinz und Herwiegen, wenn e8 nicht ins Extrem 
überging, faft zu einer angenehmen Empfindung 
ward; ein Nefultat, das ich früher zu erreichen 
nie gehofft haben würde, 

Als wir in die herrliche Rhede von Bone einfuh— 
ren, die eine entzückende Landfchaft umgiebt, fahen 
wir darin noch die Nudera von 16, wahrend des 
legten großen Sturmes gefcheiterten Schiffen, 
theils aus den Wellen, theils aus dem Uferfande 
bervorragen — ein fihauerlicher Anblick! Wie 
viel Todesangſt, welche Maſſe von Elend, welche 
Empfindungen, zu graͤßlich fuͤr die Beſchreibung, 
moͤgen hier die von einer unbekannten Macht 
auserwaͤhlten Opfer gemartert haben, ehe ein 
wohlthaͤtiger Tod ſie in Vergeſſenheit begrub. 

Ein Augenzeuge der Kataſtrophe ſagte mir, 
daß von mehreren Schiffen nur wenige der 
Paſſagiere gerettet werden konnten, und eins mit 
Allen, die ſich auf ihm befanden, unterging. Ein 


216 


dfterreichifcher Gapitain, der lange mit dem Sturme 
kaͤmpfte, hatte feine fchöne junge Frau mit zwei 
lieblichen Kindern hoch am Mafte angebunden, 
wo man fie mehrere Stunden ganz nahe zwifchen 
Tod und Leben frhweben fah, ohne daß vom Ufer 
aus, felbft auf Die geringfte Diftance, bei der 
entfeßlichen Wuth des Meeres irgend eine Hülfe 
möglid war, So nahte fi) das Schiff bis 
auf 10 Schritt dem Strande, und man hoͤrte 
den Gapitain durch den heulenden Wind rufen: er 
böte 10,000 Franken, fein ganzes Vermögen 
dem, wer feine Frau und Kinder rette — als 
eine furchtbare Welle, wie mit höhnender Ironie 
majeſtaͤtiſch heranwogte, den Maft gleich einem 
Rohrſtaͤngel knickte, und fogleich mit feiner unfchäß- 
baren Laft gierig verfchlang. Diefelbe Welle warf 
einige mit weggeſchwemmte Matrofen, als fey diefe 
Beute zu gering für fie, unbefchädigt wieder auf 
des Ufers Rand, auch der Capitain hätte fich 
vielleicht mir ihr retten Fonnen, doch für ihn ſchien 
das Keben Feinen Werth mehr zu befigen, man 











217 


fah ihn noch einen Augenblic mit dem linken 
Arm feſt an den Stumpf des abgefplitterten 
Maftes geflammert, den rechten wie drohend gen 
Himmel heben — dann fprang er, mit Morten 
auf feinen Lippen, die uur der Sturm vernommen, 
freiwillig feinen Lieben nach in die Tiefe, und 
bald war er gleich ihnen in der tobenden See 
verſchwunden. 

Mit zehnfachem Intereſſe betrachtete ich die 
ſeitwaͤrts der Stadt ſich erhebende Cassba, wo 
die dreifarbige Fahne neben einer einzelnen Palme 
flatterte, weil ſie Juſſuf mir ſo treu beſchrieben 
und ich mit ihrem zweiten kuͤhnen Helden jetzt bald 
in naͤhere Beruͤhrung treten ſollte; denn ein Brief 
Juſſuf's, den ich ſorgfaͤltig in meiner Brieftaſche 
verwahrte, empfahl mich dringend ſeinem Freunde. 
Mein erſter Gang war daher auch zu Herrn von 
Armandy, den ich in einem Salon, deſſen Thuͤre 
nach dem Hofe zu offen ſtand, um dem Duft 
eines Orangenbaumes freien Einlaß zu gewaͤhren, 
feiner Frau vorleſend, am Kaminfeuer ſitzen fand. 


* 


218 


Herr von Armandy ift ein ftattlicher ſchoͤner 
Mann mit jener edlen Ruhe in feinen Manieren, 
die am ficherften einen hohen Charakter ausfpricht, 
und mit dem glüclichen Ausdruck der Phyfiognos 
mie, der auf den erften Blick alle Herzen gewinnt. 
Mit wenig Worten hatte ich mich bei dem Haus: 
herren eingeführt, mich feiner, die Güte und 
Sreundlichfeit felbft perfonifteirenden Gemahlin 
vorgeftellt, und die DBefanntfchaft eines zweiten 
höchft anztehenden Mannes, der mit der Familie 
im engften SFreundfchaftsverhältniß lebte, des 
hiefigen Militär Intendanten Herrn von St. Leon 
gemacht; ja, ich darf ohne alle Uebertreibung 
fagen, daß ich mich nach zchn Minuten hier, wie 
ein alter Freund des Haufes fühlte und aufge 
genommen fand. Auch ward ic) in der That, 
wenigftens für einige Zeit, ein volliges Mitglied 
deffelben, da Herr von Armandy mit fo liebens; 
würdiger und aufrichtig gemeinter Gaſtfreund— 
lichFeit im mich drang, bei ihm zu leben, fo lange 
ich in Bone verweilte, daß ich es nicht abzu— 


219 


fchlagen vermocht hätte. Ueberdem war bdiefes 
Anerbieten hier eine wahre Wohlthat, da nur ein 
einziger, bhöchft elender und ſchmutziger Gafthof 
in Bone eriftirt, welche Stadt überhaupt, fo 
malerifch fie fich, vom Meere gefehen, ausnimmt, 
nur ein elendes verfallenes Neft ift, in dem «8 
weder eine gepflafterte Straße giebt, noch ein 
Haus ganz zu feyn fiheint, was nicht von Franz 
zofen bewohnt wird, Es ift höchit auffallend für 
einen Europäer, alle Afrifanifchen Städte der 
Regence fo delabrirt zu fehen, daß wenigfteng 
einzelne Theile davon immer einem Ruinenhaufen 
gleichen. Es erklärt fich aber leicht dadurd), daß 
die Mauren mit ihrer beneidenswerthen Sorg— 
lofigkeit faft nie Etwas repariren, ſondern fo 
lange ihnen das Dad) nicht wörtlich auf den 
Kopf fallt, fih mit den unbedeutendften Pallia- 
tiven zu helfen wiſſen. Daher find auch alle 
Hausmauern üppig bewachfen und manchmal ſah 
ich, wo der Schornftein eingefallen war, cin Loc) 
in die Wand gebrochen, um dem Rauc) einen 


220 


Ausgang zu laffen. Dagegen beginnen fie leicht 
einen neuen Ban, fobald fie fich im Beſitz einigen 
Geldes befinden, und laffen ihn dann eben fo 
forglos halb vollendet wieder liegen, wenn das 
Geld zu früh ausgeht. Weit entfernt ift dies von 
der feltfamen Induſtrie der Franzofen in Algier, 
welche, oft mit eben fo geringen Mitteln verfehen, 
dort europaifche Palaͤſte zu errichten anfangen, 
und wenn der erfte Stock vollendet ift, diefen 
verfaufen, um von dem Erlös den zweiten auf- 
führen zu koͤnnen. Man hat mich verfichert, die 
Abneigung der Mauren gegen Neparaturen, und 
ihr Ddesfallfiger Aberglaube, daß fie Unglüd 
bringen, ſey fo groß, daß, wenn ein Familien 
vater ftirbt, und feine Wohnung unvollendet oder 
in zu fehlechrem Zuftande hinterläßt, der Sohn, 
wenn es ihm irgend möglich ift, immer eine neue 
aufführt, und auch niemand Anders mehr die 
alte benutzt, welche dann bald zur vollfommenen 
Ruine zerfällt. Da nun auch noch die Sranzofen, 
zu größerer Zweckmaͤßigkeit oder Verfchönerung, 








221 


ganze Straßen einreißen, und diefe Plane eben: 
falls aus verfchiedenen Urfachen fpäter wieder in 
Stocden gerathen, fo wird e8 lange dauern, che 
hier die freundliche Ordnung und Nettigkeit Statt 
finden kann, welche lange Givilifation in dem 
größten Theile von Europa zum Normalzuftande 
erhoben hat. Algier machte früher hiervon eine 
vortheilhafte Ausnahme, weil die dortige Polizei, 
mit der nicht zu fpaßen war, die Erhaltung der 
Gebäude, und einen, alfe drei Monat erneuten 
frifchen Anftrich derfelben, erzwang, weshalb Algier 
auch im Arabifchen den Zunamen des »prächtigen« 
erhalten hatte, 


Sünfter Brief. 


Un den Herrn Baron von VBogbt in 
Hamburg. 


Bone, den 4, April 1835, 


Sie haben lange nichts von mir gehört, theuerz 
fier Baron, und ic) muß fogar damit anfangen, 
mic) bei Ihnen eines ftrafbaren Vergehens anzu 
klagen; denn vor mehreren Monaten fehon trug 
mir Ihre liebenswürdige Freundin, der noch im— 
mer die Grazien dienende Schweftern geblieben, 
— Sie errathen, daß ich von Madame Recamier 
fprechen will — die dringendften Grüße an den 
alten Freund auf, die jeßt erft von den Küften 








223 


der- Barbarei, aber nun auch gleich gedruckt, an 
Sie gelangen, Vergeben Ste dem reuigen Sünder; 

Wenn ich nöthig hätte an Sie erinnert zu 
werden, deffen Andenken Jedem, der das Glüc 
hatte Sie kennen zu lernen, fo theuer bleibt, fo 
würden zwet Dinge hier es befonders aufgefrifcht 
haben. Zuerft mußte ich in einem Lande, das der 
Eultur die höchfte Ausbeute Darbietet, ohne doch im 
geringften benußt zu werden, ganz natürlich eines 
der berühmteften Ocfonomen und Philanthropen 
Europa’s gedenken, deffen weife Erfahrung ich hier 
an der Spitze der Colonifatton zu fehen wünfchte, 
welche bis jeßt dem franzöfifchen Gouvernement 
durchaus nicht gelingen will. Zweitens erwect 
die vortreffliche Familie, in deren Mitte ich hier 
patriarchalifch lebe, die Erinnerung an den ehr— 
würdigen, ftetS jugendlichen Greis, der mehr wie 
irgend Jemand Sinn für die edlern Empfindungen 
der Seele und für das rein Menfchliche hat . » 


Vebrigens glauben Sie nur, daß wir auch 
außer den häuslichen Annehmlichkeiten uns in 
Bone auf das DBefte zu amüfiren wiffen, und ich 
wünfche, daß die Erzählung davon wenigftens 
nicht den entgegengefeßten Effect auf Sie, mein 
nachfichtiger Gönner, hervorbringen möge. 

Bor allen Dingen kann man bier in jeder 
Richtung einige Stunden, ohne Gefahr des Kopfz 
abfchneidens, in das Land hineinreiten, welches in 
ſaͤmmtlichen übrigen Städten des franzöfifchzafriz 
kan iſchen Reichs Feineswegs der Fall ift, und größe 
tentheils dem zweckmaͤßigen, eben fo liebevollen als 


*) Wir haben, um unnüße Wiederholung zu vermei— 
den, bier eine Stelle, nur Seren von Armandy und 
fein Haus betreffend, unterdrückt. 

2.98%. 6. 





225 


wo es Noth thut, energifch firengen Benehmen des 
Commandirenden, Vicomte d’Uzer, zugefchrieben 
werden muß. Diefer Eriegerifche General, der jeden 
Augenblick Conftantine erobern würde, wenn ihm 
das Gouvernement die Vollmacht dazu ertheilte, 
(was, beiläufig geſagt, wohl nicht nur als wüns 
fchenswerth, fondern als dringend nothwendig 
erfcheint, um mit einem Hauptfchlage dem, an 
allen Enden noch ftattfindenden Feuer des Widers 
ftandes jede Nahrung zu benehmen) ift zugleich 
der gutmüthigfte und freundlichfte Mann im 
gemeinen Leben, wie ihn folgender, ganz idylliſche 
Vorgang charakteriftifch ſchildert. Er hatte mich, 
gleich nach meiiter Ankunft, zum Effen eingeladen, 
und als ich in den, nach dem Hofe hin offenen 
Salon trat, wo fih die Geſellſchaft gewöhnlich 
aufhält, bemerkte ich) mit DVerwunderung an der 
Corniche des Zimmers ein angefangenes Schwal- 
benneft, und gegenüber auf einem Pfoften in der 
Wand die Fleine Werfertigerin deſſelben felbft 
ſitzen, die fic) hier ganz furchtlos und heimiſch 
Semilaffo in Afrika, II. 15 


226 


benahm, abs und zuflog, und bald allein bald in 
Geſellſchaft ihres Maͤnnchens am Nefte fortbaute, 
das der General auf das Strengſte zu zerftören 
verboten hatte. Sch habe immer eine Wrädilcetion 
für Leute gehabt, welche die Thiere lieben, weil 
ich felbft den nämlichen Sinn hege und bin daher 
fehr erfreut, daß auch bei Herrn von Armandy 
fi eine fehr anmuthige Sammlung davon bes 
findet. Zuerft der Neftor der Gefellfchaft, Cham- 
pagne, ein chrwürdiger Pudel aus Mokka, der 
zehn Sahre lang die Irrfahrten, Freuden und 
Leiden der Familie getheilt bat, und den Alles 
mit Reſpect behandelt, außer ein muthwilliges 
Aeffchen, dasihm oft, ehe er es fich verſieht, feine 
Suppe gefreffen hat; dann eine wunderliebliche 
Gazelle mit glänzend fchwarzen Augen, Die 
Morgens und Abends mit einem frifchen Blumen 
bougquet gefüttert wird, und dennoch nie ermangelt, 
wenn wir abgegeffen haben, an den Tiſch herauf 
zu baͤumen, um die übrig gebliebenen Sruchtfchalen 
befchetden von den Tellern zu leſen; drittens zwei 


227 


fortwährend im Hofe fpielende Hühnerhunde, deren 
Luſtigkeit zuweilen felbft den alten Champagne 
zu ungewohnten Gambaden hinreißt; und endlic) 
zwei prächtige rabenfchwarze Kaßen mit grünen 
Augen, Negre und Negresse, von denen Die 
letzte fich in gefegneten Leibesumftanden fühlt, und 
die erfte ihres Gefchlechts iſt, von der ich fehe, 
daß fie die ganze Folgſamkeit eines wohlgezogenen 
Schooßhundes befit. Auch ift fie der Liebling 
der Frau von Armandy, und im Genuß fo gro: 
Fer Vorrechte, daß fie unter andern ihre Teßte 
Progenitur in den Caſchemirſhawl ihrer Gebieterin 
niedergelegt hat, und man ſchwebt noch in banger 
Erwartung, welches Kindbett fie ſich diesmal aus— 
zumwählen für gut finden werde, 

Sch hoffe, liebfter Baron, daß Sie mir dieſe 
einfachen Naturfreuden fchon für ein Amüfement 
gelten laſſen; wir haben deren aber auch noch 
andere. Gleich den zweiten Tag nach meiner 
Ankunft machten wir, die Herren von Armandy, 
von St. Leon, ein Offizier der Chasseurs d’Afrique 


223 


mit dem feit der Tafelrunde berühmten Namen 
Pharamond, mein Secretair Herr 5... +, und 
ich, einen herrlichen Spazierritt in die Umgegend. 
So leicht folche in befannter Umgebung langweilig 
werden, eine fo unverfiegbare Quelle des Vergnuͤ— 
gens find fie, wo immer neue Gegenftände fi) 
darbieten, und ich werde Sie daher noch von eint- 
gen zu unterhalten fo frei feyn. Ueberdem haben 
wir hier eine foldye Auswahl vortrefflicher Pferde, 
die mir bald der General, bald meine gütigen 
Hauswirthe, bald das Chasseur- Regiment liefern, 
und die man fo wenig zu fehonen braucht, daß 
unfere Ausflüge immer zur Hälfte in Wettrennen 
beftehen, ein Umftand, der für einen muntern 
Reiter, wie ich bin, fein AUngenehmes hat. Unfer 
Meg führte uns heute zuerft, auf ziemlich grund: 
loſer Straße, durch Die naſſe Plaine des frucht- 
barften aber meift uͤberſchwemmten Gartenbodeng 
nahe der Stadt, den in vergangener Zeit wahrs 
fcheinli das Meer einnahm, bis wir an den 
reizend grünen, ifolirten Berg, mit den Ruinen 





229 


des alten Hippone, kamen. Es ift faft nichts 
mehr von diefer Stadt übrig als ein grandiofes 
Gebäude von mehreren Bogenetagen über einander 
und weiten Räumen in der Tiefe, wahrfcheinlich 
einft eine Eifterne, über welcher irgend ein großer 
Palaft find. Das Ganze ift prachtvoll über- 
bangen und dDurchwachfen mit üppigen Sträuchern, 
Clematis, Lianen und unzähligen bunten Blumen. 
Rechts durchzieht das Thal ein zerſtoͤrter Aquaduct 
von einigen taufend Fuß Lange, und links fieht 
man die Ueberrefte des alten Quai der Stadt 
Hippone am Ufer der Seybuse, (chemals Armua) 
ein bedeutender Fluß, der, in den fchönften Wellen— 
linien aus dem fernen Gebürge von Oſten herz 
fommend, die Ebene durchftrömt. Gegen Werften 
erblidt man aus den Schluchten des Dschebel- 
Derugh vordringend, einen andern Fluß, die 
Bujgima, von etwas geringerer Größe, ſich durch 
das Thal ſchlaͤngeln, die fich dicht unter den 
Ruinen mit der Seybuse vereinigt und deren 
Bette überall emaillirte Wiefen in den blendendſten 


230 


Farben umfchliegen Diele Gruppen alter Oel⸗ 
baume und Caroubiers, bie und da eine einzelne 
Palme, abwechſelnd mit tinfelartigen Bosquets, 
die man hier Dafen nennt, vermannigfachen und 
beleben die Scene. Bone, darüber die Cassba, noch 
weiterhin das fort genois am Raz-el-Hamrhah, 
(Cap rouge, das Hippi promontorium der 
Alten) daneben ein freier Selfen im Meer, der 
Löw: genannt, weil er die Form eines ruhenden 
Sphynx taufchend nachahmt, die Rhede mit eint> 
gen Dutzend Schiffen und faft einer gleichen 
Anzahl geſcheiterter Wrads, viele einzelne Block— 
haufer nach allen Seiten auf den Höhen zerftreut, 
drei bis vier Reiben fich übereinander thürmender 
Bergketten, mehrere Zeltlager der Beduinen in 
der Ebene und einige Maräbuts (weiße Domartige 
Gräber der Heiligen) bilden, mit einer glänzenden 
afrikaniſchen Sonne, die übrigen Hauptzüge des 
reichen Gemaͤldes. 

Nachdem wir hier eine geraume Zeit verweilt, 
vitten wir wohl cine halbe Stunde lang quer 





231 


durch einen Sumpf und erfliegen dann, unter dem 
Schatten hoher Baume, einen bedeutenden und 
fehr fteilen Berg, auf deffen Gipfel wir, als 
Zugabe zu der eben befchriebenen Ausficht, noch 
den bisher verdeckten Theil der großen Ebene und 
in der Ferne den See Efzara entdeckten. Man 
überzeugt fich von diefem Punkte aus, wo man 
das ganze Panorama Bone’s überfieht, mit wie 
wenig Schwierigkeiten die Austroduung dieſer 
Gegend zu bewerkfichligen feyn wide, im Ders 
haltniß zu der unerfchöpflihen Fundgrube ber 
folideften Reichthuͤmer, die nothwendig daraus 
erwachſen müßten. Eine leicht ausführbare Ders 
legung des Slußbettes der Bujgima, da, wo fie 
fid) in die Seybuse ergießt, und cin längs des 
Meeres gezogener Danımı von Bone bis zum 
Mammelon d’Hippone, nebft den nöthigen Fleineren 
Abzugsgraͤben, würde vollfommen hinreichen, und 
faum mehr als ein Capital von einigen Millionen 
Franken erfordern. 

Der Berg, auf dem wir ftanden, heißt in der 


232 


bilderreichen Sprache der Araber Bu-Hamrhah, 
in der Ücberfegung : Vater des Nothen, weil der 
eifenhaliige Stein des Berges diefe Farbe hat. 
Beim Herabfteigen paffirten wir einige Pläße, 
die mit folchen Maffen gelber, rother, wioletter 
und blauer, orange und rofenfarbiger Blumen 
in allen Nüancen bedeckt waren, dag mir Faum 
in dem fchönften englifchen flower garden je ein 
ähnlicher Effekt vorgefommen if. Wir wandten 
und nun den Wicfen zu, und feßten unfre tour 
am ruisseau d’or, längs der weftlichen Bergkette 
fort, wo wir zuerft ein hübfches Kleines Vorwerk 
des General d’Uzer, nad) europäifcher Weiſe 
eingerichtet, befichtigten, dann einen großen Block 
hauspoften, am Bach der Lorbeeren gelegen, und 
de la source benannt, befuchten, und zuleßt die 
lange Promenade mit Erfteigung der Cassba 
(Eitadelle) befchloffen, wo mir d'Armandy an 
Drt und Stelle die interffante Gefchichte der 
Einnahme diefer Tefte dur) ihn und den Türfen 
Juſſuf verdeutlichte. 





233 


Nun führe ich Site in den Fleinen Krieg, befter 
Baron, bei dem jedoch nicht viel Blut fließen wird. 

Der General hatte mir fpat Abends fagen 
laffen, daß er im einer Stunde zu einer Expedition 
gegen einige rebellifche Stamme ausmarfchire, ich 
aber zeitig genug anfonımen würde, wenn ich ihm 
um 5 Uhr am andern Morgen mit den Com- 
mandant d'Armandy folgte, um welche Zeit 
zwanzig Spahis und zwei Pferde für mic) und 
meinen Secretair fi) einfinden würden. 

Wir waren auch mit dem Schlage 5 Uhr 
bereit, zu welchem Endzweck ich, der, wie Sie 
wiffen, das Srähaufftehen nicht liebt, mich gar 
nicht zu Bett gelegt hatte, fanden jedoch nur die 
für ung beftimmten Pferde, aber Feine Escorte 
an unferm Thore vor, 

Ueberzeugt, fpäter etwas zu erfahren, machten 
wir uns demoßngeachtet, noch durch Herrn von 
St. Leon verftäarft, auf den Weg, und Famen 
nad) einer Stunde beim pont de Constantine 
an, deffen Erbauung Einige den Roͤmern, Andere 


234 


fogar den Carthagern, zufchreiben, der aber wahr, 
foheinlich fpäteren Urſprungs iſt. Hier holten 
wir die Infanterie und d'Armandy's Artillerie 
ein, welche einen Außerft befehwerlichen Marfch 
durch tiefe Lehm und Sumpflöcher gehabt hatten. 
Es war mir auffallend, die Infanterie fo forglos 
und höchft unordentlich, wie c8 bei uns kaum 
auf einem Etappenmarſch im tiefften Frieden 
geftattet feyn würde, ohne Bajonetts auf den 
Gewehren, und ein Drittheil ald Traineurs über 
die Ebene zerſtreut, marfchiren zu ſehen. Wären 
400 Reiter aus den die Straße bordirenden 
Bergen hier hervorgebrochen und hätten diefe drei 
incompleten Bataillone mit Schnelligfeit in der 
Slanfe angegriffen, fo bin ich überzeugt, fie wären 
ganzlich zerfprengt worden und europäifche Caval— 
lerie mochte fich dabei fogar leicht auch der 
Kanonen bemächtigt haben. 

Don der Escorte war immer noch nichts zu 
hören und zu fehen. Die Truppen machten jebt 
Halt, und unfere Begleiter, Herr von Armandy 


235 


und von St. Leon, mußten von nun an bei ihren 
refpeftiven Corps der Artillerie und Ambülance 
verbleiben; es fand ſich aber unglücklicherweife 
Fein einziger Berittener weiter vor der den Weg 
nach dem noch zwei Stunden entfernten Hügel 
Ben-Jakub Fannte, wo man den General ver: 
muthete, Weberdies erklärten mir alle Offiziere, 
dag ohne Esforte, befenders in einem Augen— 
bie, wo man die Truppen des Bey von Eon: 
ftantine in der Nahe glaube, und der General 
einen Angriff beabfichtige, es durchaus nicht 
rathſam fen, fi) allein fo weit in die Plaine zu 
wagen. Ueberdem wäre es ganz ungewiß, ob der 
General noch auf Ben-Jakub verweile, und im 
Gegentheil viel wahrfcheinlicher, daß er fehon 
mehrere Stunden weiter in die Berge vorgedrun— 
gen fey; fo, daß, wenn wir dort auch glüdlich 
anfamen, wir doch immer gezwungen feyn würden, 
mit fehr vermehrter Gefahr wieder umzufehren. 
Es war eine unbequeme Alternative — indeß der 
General hatte mich felbit zu feiner Begleitung 


236 


eingeladen und ich hielt es demnach durchaus 
nicht für thunlich, zurüdzubleiben. Unterdeffen 
war ih mit 3... langfam bis zum außerften 
Poften vorgeritten, wo fich eine Gruppe Soldaten 
auf den Rafen gelagert hatte. Hier fanden wir 
Herrn Klimerath, der ſchon eine Kleine Recogni— 
tion vorgenommen hatte, und jeßt zuruͤckkommend, 
ung meldete, man höre eine ftarfe Fuͤſillade, die 
faum eine Stunde entfernt feyn koͤnne. Ich 
proponirte ihm, vorfichtig dem Schalle nachzu: 
reiten, da er aber eine fchlechte, noch obendrein 
trachtige Miethftute ritt, und überdem feinen 
Beruf hatte, ſich mit den Arabern herumzufchla- 
gen, fo that er fehr recht, bet dem gros der 
Truppen zu verbleiben. 

Nun, lieber J....,“ fagte ich gu meinem 
Gefährten, „es bleibt uns nichts andres übrig, 
da uns der General mit feiner Escorte im Stich 
gelaffen, müffen wir ihn fchon allein auffuchen.“« 

„So iſt es recht!“ erwiederte diefer vergnügt; 
„immer vorwaͤrts iſt ja der Preußen Wahlſpruch! 








237 


Wie wird es aber mit dem Aberglauben ? Es ift 
heute der erfte April!“ 

„O defto beſſer!“ vief ich lachend; „das ift 
ein günftiger Tag für alle Thoren, deren Orden 
ich gefehworen habe nicht cher, als im fechzigften 
Sabre untreu zu werden; denn ihrer, wie der 
Kinder, ift jenfeits das Himmelreich, und hier in 
Afrika macht man fie zu heiligen Maräbut’g,« 

So gaben wir unfern Pferden die Sporen und 
galoppirten auf der weichen, trodenen Peloufe 
munter weiter, Don Zeit zu Zeit hörten wir 
Schüffe rechts, auf die der breitgetretene Fußweg, 
dem wir folgten, grade hinführte. Rach Kurzem 
ertönten aber auch Schüffe links, und wir fingen 
nun fchon an zu vermuthen, daß hier Fein Gefecht, 
welches fi) unmöglidy über die ganze Plaine 
verbreiten Fonnte, fondern nur die Lieblings: 
gewohnheit der Spahis, bei jeder Gelegenheit in 
die Luft zu plaßen, der Grund diefer häufigen 
Schuͤſſe ſey. Die Ungewißheit war jedoch immer 
nicht ganz angenehm, denn obgleich gut bewaffnet, 


238 


(ich hatte einen vortrefflichen Kriegsfäabel, den mir 
General Bro in Algier abgelaffen, meine guten 
Piftolen am Sattel, und zwei Terzerole in der 
Tafche, J.... eine Doppelflinte und Sabel, 
den er mit Göttinger und Hallenfer Finten vor; 
trefflich zu führen verfteht,) wäre ein zahlreicher 
Trupp Beduinen doch immer zu far? für uns 
geworden — indeß das Gluͤck war uns günftig. 
Ehe eine Viertelftunde verging, fahen wir zwei 
Chasseurs d’Afrique, die in der Nacht von ihrer 
Schwadron verfprengt worden waren, aus den 
Bergen hervorfommen Sch rief fie fogleich an, 
ung zu begleiten und den General auffuchen zu 
helfen, welcher Aufforderung fie, ebenfalls froh, 
nicht allein zu bleiben, bereitwillig folgten. 

En war es noch eine Weile fehnell vorwärts 
gegangen, als wir von fern 6 bis 7 Spahis 
erblickten, die Rindvieh vor fich hertrieben. Ihre 
rothen Kopfbinden zeigten uns fogleich an, daß 
fie von den Unfrigen waren, und die Kühe, daß 
ſie mit Beute nach Haus eilten. Von nun an 











239 


war nicht viel mehr zu befürchten, denn obgleich 
Niemand wußte, wo der General fey, noch ung 
weiter führen wollte, fo begeaneten wir doch von 
allen Seiten fortwährend Haufen diefer viehtrei- 
benden türfifchen Truppen, nebft vielen Arabern 
der befreundeten Stämme, die ihre geplünderten 
Schaͤtze in Sicherheit brachten, uns, fehr vergnügt 
über ihr gutes Glück, luſtig zuriefenz „bono, 
bono, franeiss!« Die heterogenften Gegenftände 
fchleppten fie mit fich fort, und man wird es bei 
Ihnen für eine Fabel halten, wenn ich erzähle, 
daß wir zwei Kerls diefer Art fahen, von denen 
der eine auf feiner elenden Maͤhre höher vor fich 
aufgethürmt, als er felbft war, Schläuche mit 
Butter, Teppiche, ein Zelt, und über alles dieſes 
noch einen lebendigen Efel aufgepadt hatte, deffen 
Kopf und Vorderbeine arf der einen, und Die 
Hinterbeine auf der andern Seite herabhiengen. 
Ein Zweiter führte ein Kalb faft auf diefelbe 
Weiſe mit ſich fort, und wir zählten, che wir 
unfer Ziel erreichten, an 3000 Stuͤck, mitunter 


240 


aͤußerſt ſchoͤnes Vieh, das man feindlichen Staͤm— 
men abgenommen, welches ihnen jedoch gewöhnlich 
wieder gegeben wird, wenn fie fi) unbedingt 
unterwerfen, Dies Gefchäft hatte die 400 Spahis 
fo vollfommen abforbirt, daß wir fpäter ihre Fahne 
von militairifcher Begleitung ganz verlaffen und 
allein antrafen; da der Fahnenträger fich aber 
gleichfall8 einer großen Viehheerde angefchloffen 
hatte, fo hielten wir das Ganze cine geraume 
Zeit lang falfchlih für das erfehnte franzöfifche 
Corps; denn damals waren wir noch weit davon 
entfernt, vom General irgend eine Nachricht erhals 
ten zu koͤnnen. Einer wies in diefe Gegend, der 
Andere in jene. Endlich) bewog ich durd) Geld 
einige Spahis, die ich an den Ruinen eines 
römischen Tempels, ihre Pferde im hohen Grafe 
weidend, malerifch hingelagert antraf, uns als 
Führer zu dienen. Diefe Leute finden, gleich den 
Kofafen, am Ende immer ficher was fie fuchen. 
Wir dirigirten uns fogleich vom Fußwege ab und 
durch balbeftundenlange Sümpfe, die, fo gefährlich 





241 


fie auch ausfehen, doch hier durchgängig einen 
feften Untergrund haben, nach dem Eee Efzara 
zu. Diefer auf drei Seiten von Bergen umfchloffen, 
gewährte den fchönften Anblick, während wir, 
gewiß eine DViertelmeile weit, bis an den Bauch 
der Pferde in einen wahren Ocean von Blumen 
aller Farben begraben, an Seinen Ufern hingalop— 
pirten, 

Gegen Mittag endlich, nachdem wir der Kreuz 
und Queere ohngefäahr zehn lieues zurückgelegt 
haben mochten, entdecten wir, am Fuß einer 
Bergkette, die den General begleitenden drei Schwa- 
dronen des dritten Regiments der Chasseurs 
d’Afrique, welche noch in undentlicher Ferne 
langfam einherzogen, und fihon auf dem Nückweg 
begriffen zu feyn ſchienen. Noch ein endlos 
langer Sumpf wurde durchwatet, und wir hatten 
fie erreicht. Der General war fehr verwundert, 
als er erfuhr, daß die von ihm angeordnete Es— 
orte und fo feltfanerwerfe faux-bond gemacht 
hatte. Mit aller der Courtoifie, die ihn, und 


Semilaſſo in Afrika, I. 15 


242 


man fanın wohl fagen, faft ſaͤmmtliche franzoͤſiſche 
Generäle, auszeichnet, machte er mir die artigften 
Entfcehuldigungen, und wandte fich ſehr ernft an 
den Offizier, der den erhaltenen Befehl, dem An— 
fiheine nach, ganz außer Acht gelaffen hatte, Die 
einfache Vertheidigung deffelben, daß er den Ge— 
neral mißverftanden, was die Sache abmachte, 
würde bei uns nicht fo leicht durchgegangen ſeyn; 
aber man muß geftehen, wenn man nicht ſchmei— 
cheln will, daß die Subordination in der franzoͤ— 
fiichen Armee ungemein fchwac im Vergleich 
mit den Napoleonifchen Zeiten geworden iſt. Daß 
indeß bier nicht einmal ein ernftlicher Verweis 
erfolgte, Fonnte mir, als dem einzigen leidenden 
Theil, nur fehr angenehm feyn. 

Die Eovallerie hatte in der Nacht ein arabie 
ſches Duar (Zeltdvorf) angegriffen, *) in Brand 





*) Ein Duar befteht gewöhnlih aus zwanzig bis 
dreißig (auch mehr oder weniger) fohwärzlichen Zelten 
von Kameelhaar, Die einen Kreis formiren. Der Platz 











243 


geſteckt, und dem im Echlaf überrafchten Feinde 
ohngefaͤhr 30 Mann theils getödtet, theils ver: 
wunder. Der Verluſt ihrerfeits beftand nur aus 
zwei bleffirten Pferden, und einem in die Hand 
gefchoffenen jungen Araber von einer befreundeten 
tribu, der die Amputation mit vieler Gleichgül- 
tigfeit überftanden hat. 

Bei der Furth Nizez-er-rassul (le gu& du 
Prophete) genannt, machten wir Halt um zu 
frühftücen, wobet ich eine neue Feldinduftrie 
erlernte, nämlich fehr gute Omelettes aux fines 
herbes in einem ausgehöhlten Brode zu trang- 
portiren. Während des langfamen Ruͤckmarſches 
betrachtete ich mir die drei fchwachen Echwadronen 
des Negiments etwas genauer, die mir außerorz 


in der Mitte ift von Gras und Unkraut gereinigt, und 
dient des Nachts Pferden und Vieh zum fihern Ruheplatz 
unter freiem Simmel, Sn jedem Zelt lebt eine Familie, 
und ein befonders werthvolles Pferd findet zuweilen auch 
feinen Matz darin nebft den Fleinen Hausthieren. 


244 


dentlich gefielen. Die Leute hatten «ine freie, 
gewandte und Friegerifche Haltung, die bloßer 
Dreffur weit überlegen iſt; Zaumung und Das 
ganze Pferdeajüftement war weit beffer in Ord— 
nung, als wir c8 fonft bei franzöfifcher Cavallerie 
wohl antrafen; die Pferde durchgängig, obgleich 
Kein, doch ftarf, feurig, leicht lenkſam und von 
der, nur den Pferden dieſer Kander eigenthümlichen 
Ausdauer und Härte. Nach Alten, was ic) von 
diefem Regiment, deffen Offiziercorps ebenfalls 
ſehr ausgezeichnet ift, wahrend meines hiefigen 
Aufenthalts gefehen und gehört habe, halte ich es, 
wie es jcht beſchaffen ift, für eins, mit dem man 
Alles unternehmen kann, was irgend ein anderes, 
gleicher Stärfe, auszuführen im Stande ift; und 
ih wünfchte dem tapfern General nur 1000 
folyer Chasseurs und freie Hand — wir würden 
bald intereffantere Nachrichten aus diefem Theile 
Afrika's in den Zeitungen leſen. Beilaͤufig muß 
ich hier doch erwähnen, daß der Oberſt der 
Chasseurs, Baron Rigau, ein Cavallerift wie 





245 


er ſeyn fol, dem Grafen Pappenheim, den Sie 
kennen, fo auffallend ahnlich iſt, als ſeyen fie 
Zwillinge. Obgleich) durch einen Sturz ſchwer 
verlegt und nur halb hergeftelft, war der Obrift 
dennoch gegenwärtig, und hatte die Attaque der 
Nacht, wie der General fagte, gleich einem 
Juͤngling commandirt. 

Es dauerte lange, und wurde in der einfürz 
migen Plaine, troß aller Pracht der Wieſen und 
der Unermeßlichfeit der Blumenmaffen, welche oft 
ganze Hügel mit gelbem Glanze vergoldeten, und 
die Suͤmpfe mit einem filberweißen Tuche über: 
zogen zu haben fchienen, dennoch etwas ermüdend, 
fo im langfamen Schritt fehs Stunden lang 
durch das nie endende Gras zu reiten. Von den 
wenigen antifen Ueberreften, welche die Ebene 
noch enthält, ift das Bette eines roͤmiſchen 
Austrocknungscanals bemerfenswerth, den der 
General nächftens wieder herzuftellen beabfich: 
tigt, fobald er Arme genug dazu zu miffen 
vermag. 


216 


So fchloß, wie Ste fehen, höchft friedlich meine 
kurze Boner Campagne. — 

Wie wünfchte ih Sie, der Sie ein eben fo 
liebenswürdiger Geſellſchafter als Zuhörer find, 
Abends mit an unfrem Kamine zu fehen, wenn 
Herr von Armandy von feinen merfwürdigen 
Reiſen im Orient (die er, wie ich hoffe, nicht 
immer dem Publikum vorenthalten wird) und 
Herr von St. Leon von der Wiener Kongreß: 
Chronik erzählt, wo er zu jener Zeit als Gefandter 
Murat's hingefchieft worden war. Er follte damals 
die Herzogin von ©.... heirathen, was aus 
einer übel verftandenen Delicateffe  feinerfeits 
rücgäangig ward. Mir thut dies fehr leid, denn 
er ware fonft mein Nachbar in M..... geworden, 
wo ich der liebenswärdigen Nachbarn nicht zu 
viele habe. Er fpricht fehr gut deutſch, und es 
unterhielt mich ungemein, feine VBerwunderung 
darüber zu vernehmen, daß man in Deutfchland 
fo fehr frangofirt fey. „Gleich im Anfange meines 
Aufenthalts in Wien,“ fagte er, „befahl ich einmal 





247 


meinem Jaͤger mir den Regenſchirm nachzubringen, 
Da ich bemerkte, daß er in Verlegenheit gericth, 
weil er mich nicht verftand, glaubte ich ein unrechtes 
Wort gewahlt zu haben und zeigte ihm daher den 
Gegenftand ſelbſt. Ah, rief er vergnügt, jet 
verftcehe ih Ewr, Gnaden fehr wohl, d. h. auf 
Deutfch ein Parapluie.“ „Ein andersmal,« 
fuhr er fort, trat ich in ein Kaffeehaus auf dem 
Graben und verlangte, nach dem Kellner rufend, 
Caffee mit Obbes — denn ich wußte fchon, daß 
das hochdeutfche Wort Nahım hier nicht üblich 
ſey. Demohngeachtet fah ich einen Offizier neben 
mir lächeln. Sie find gewiß ein Fremder, fing 
er an, darf ich fragen, ob ein Franzos oder ein 
Engländer? — Habe ich mich vielleicht nicht 
ganz richtig ausgedrüdt? erwicderte ich verlegen. 
Nein, nein, nicht falfch, nur nicht ganz deutſch, 
wenn Ste erlauben. Denn, fchauen Ste, unfereing 
würde blos gerufen haben: Marqueur, Melange !« 

Don den Wiener Frauen bat er ein fehr zärt- 
liches Andenken behalten, und fchlägt fie wahr: 


248 


ſcheinlich höher an, als die hiefigen Araber die 
franzoͤſiſchen Echönheiten. Diefe Naturtinder 
führen wirklich einen originellen Maßſtab, denn 
als neulich einer ihrer Schechs die liebliche Frau 
von Der... fah, gerieth er in .ein großes 
Entzücden über ihre Reize. „Mas gabft du wohl 
für diefe Dame ?“ frug ihn einer der gegenwärtigen 
Offiziere. „Beim Propheten «rief der Schech 
enthuftaftifh, „drei Ochfen und ein Kalb! — “ 
eine Schmeichelei, welche übrigens die gefeterte 
Schöne ganz im Ernft bitter und böfe machte, 
Herr von Armandy entwarf uns ein reizendes 
Gemälde von Perfien, das er allen andern Ländern 
vorzieht. Er kann nicht genug die Schönheit der 
Gegenden, die Urbanität der Bewohner und die 
Annehmlichkeit des dortigen Lebens ruͤhmen; und, 
meinte er, wenn er auch bet uns die Freiheit 
liebe, fo müffe er doch geftehen, daß der Fremde 
unter dem perfifchen Despotismus unabhängiger, 
als irgend wo in dem liberalften Reiche Europa’s 
ſich befinde. Er diente geraume Zeit, unter ſehr 








249 


angenehmen Verhältniffen, beim Prinzen Mehe- 
med Ali Mirza in Kermanschah, wo er zum 
Chan erhoben und mit dem großen Sonnen— 
orden Ddecorirt wurde. Sch mußte lachen, als 
er mir erzählte, daß er dort fehr Hirt mit 
einem dien ruffifchen Major gewefen, der den 
Poſten als erſter Eunuche bei der Prinzeffin 
befleidete. Diefes ungünftige Schieffal war dem 
armen Teufel zu Theil geworden, weil er als 
Gefangener mit zwölfen feiner Landsleute die 
Flucht verfucht hatte. Da die Operation voll- 
ſtaͤndig und ohne viele chirurgiſche Kunft vollzogen 
wurde, fo überfiand er fie nur allein von allen 
Dreizschn, und weder fein ftarfer Appetit noch 
feine gute Laune wurden dadurch vermindert, ja 
er ward zuletzt noch eine Art Liebling des Prinzen, 
auf deffen Befehl er früher entmannt worden war. 
Man muß eine gute Portion Sclavenfinn mit 
auf die Melt gebracht haben, um ein folches 
Schirffal erleben zu koͤnnen. 

Der Wein, die Roſen und die Weiber von 


250 


Schiras follen gleich entzuͤckend, ja felbit "die 
perfifche Küche nicht zu verachten ſeyn; Alles 
aber übertrifft das dortige Sagdvergnügen und 
die turfomanifchen Pferde — kurz Herr von 
Armandy hat den Plan bei mir zur Reife gebracht, 
von Aegypten nach) Syrien, mit dem Kleinen 
Umweg über Bombay, Perfien und Bagdad zu 
reifen; und da jeßt ein englifches Dampfichiff 
von Kosseir regelmäßig nach) Bombay geht, fo iſt 
die Ausführung ohne große Schwierigkeit. Sch 
fürchte blos in die Verſuchung zu gerathen, mich 
von dort im Palankin nach Calcutta tragen zu 
loffen, wäre e8 auch nur, um unterwegs eine 
Tigerjagd auf dem Ruͤcken eines GElephanten 
mitzumachen, oder dem neuentdecten Drachen zu 
begegnen, den neulich eine englifche Zeitung, als 
Feineswegs fabelhaft, fondern nun im Himmalajah- 
Gebürge wirklich aufgefunden erklärte, Auf diefem 
Wege befand Herr von Armandy feine  erfte 
Tigerjagd auf feltfame Weiſe. Er reiste mit einem 
Freunde, der eben fo wenig wie er noch je einen 





251 


bengalifchen Ziger geſehen hatte, Wenig an 
dieſes Unthier denkend, fuchten Beide deſto emfiger 
ſich Gegenſtaͤnde für die Küche zu verfchaffen, an 
denen fie dfters Mangel litten. Eines Abends 
erblicken fie, fchon in der Danımerung, ein Thier 
fhwerfällig durdy die Binfen fpringen, das fie 
feiner allure nah für ein großes Kalb halten; 
denn der Tiger zeigt nur ungeheure Kraft und 
Gefchieflichkeit, wenn er fich zufammenzieht, um 
auf feine Beute zu fpringen, wo er Saͤtze von 
30 bis AO Fuß machen foll; fein gewöhnlicher 
Galopp ift langſam und unbeholfen. In der 
Meinung alfo, es ſey cin Kalb, ſchießt d'Aarmandy 
feine Slinte auf das Thier ab, und zerfchmettert 
ihm die eine Vordertatze; der getroffene Tiger 
nimmt wüthend feinen Eprung und ftürzt, durch 
die Bleffur gehindert, wenig Schritte vor beiden 
erfchrocdenen Fagern nieder. Zu ihrem Heil hatte 
d'Armandy's Freund die Geiftesgegenwart, ihm 
mit feiner Doppelflinte zwei Kugeln durch den 
Kopf zu jagen, die ihn auf der Stelle tödteten, 


232 


Sie transportirten mit vieler Mühe das erlegte 
Naubthier bis zum Nachtlager, und d'Armandy 
hat lange das geftreifte Fell feines formidablen 
Antagoniften als Reiſeteppich mit fich geführt. 

Doch da wir einmal auf das Capitel der 
Jagd gefonmen find, und ich Ihnen fo vornehmes 
Wildpret nicht vorführen kann, fo will ich Ihnen 
wenigftens, che ich meinen Brief fchließe, eine 
hiefige Sauhetze befchreiben, die Sie auch nicht 
ganz ohne Intereſſe finden werden. 

Der gefallige General hatte mir zu derfelben 
wieder 20 Spahis — die diesmal auch wirklich 
erfchienen — und 3 fcehöne Hunde überlaffen, mit 
denen wir um 11 Uhr früh nach der Plaine 
auszogen, Meine Begleiter waren an diefem 
Tage, außer meinem Gecretair, dem rüftigftn 
Jäger, der Commandant d’Acher und der Lieute— 
nant Pharamond von den Chasseurs d’Afrique, 
nebjt drei bis vier andern Offizieren der Garnifon. 
Nachdem wir Hippone paffirt hatten, feßten wir 
unfern Weg längs dem breiten Strome der 


253 


Seybuse fort, deren hier ſchroff abgeriffene Ufer 
bis auf den Warferfptegel von einen Geflecht 
üppiger Vegetation überhangen waren; doch nicht 
früher als eine gute Stunde von der Stadt, hinter 
der großen Oaſis, ftörten wir die erfte Sau aus 
einem verworrenen Pflanzendidicht auf, und 
fo fchnell die Pferde laufen Fonnten, folgte nun, 
unter dem betäubenden. Geſchrei der Araber, der 
ganze Troß, die gefpannten Slinten oder Piftolen 
in der Hand baltend. 

Ohne arabifche Pferde, deren Sicherheit, Aus— 
dauer und Gewandtheit fo fehr die der unfrigen, 
wenigftens im Allgemeinen übertrifft iſt cine 
jolhe Jagd ganz unmöglih. Ich muß Ihnen 
mit wenig Worten das Terrain bezeichnen, das 
wir vor uns hatten, Denfen Sie fih eine 
im Halbfreis fortlaufende Ebene von zwolf 
Stunden Lange, und ohngefahr, nach mittlerem 
Maaßſtabe, vier Stunden Breite, die von hohen 
Bergen und dem Meere eingefchloffen tft. Sie 
befieht entweder aus Wieſenboden oder aus 


254 


Sumpf, der jedoch, wie ich fehon früher erwähnt, 
überall einen fo feften Untergrund hat, daß die 
Pferde nie weiter, als böchftens bis zum Knie 
einfinfen koͤnnen. Diefe Sümpfe ftehen voller 
MWafferpflanzen und Binfen, die oft die Höhe des 
Keiters noch überragen, zuweilen find fie aber 
auch nur mit niedrigen Schilfblumen bewachfen. 
Ebenfo find die Wieſen theils mit fchönen blu: 
migen Gras, theils mit Difteln und aus andern 
aufgeſchoſſenen Pflanzen geformten Dieichten be> 
deckt, welche haufig diefelbe Höhe, als die Binfen 
erreichen, fo daß man darin nicht fünf Schritte 
weit vor fich fehen kann, von der Befchaffenheit 
des Bodens aber über den man reitet, gar nichts 
erblickt. Wenn Sie nun berüdfichtigen, wie 
unegal diefer durch Löcher und Hügel, von Thieren 
aller Art herrührend, geworden ift, fo Fünnen Sie 
ſich leicht vorftellen, welche Sicherheit eines Pferdes 
beim fchnellften Lauf durch dieſe Wildniß erfor 
dert wird. Die größte Schwierigkeit liegt aber 
darin, daß die bier wohnenden tribus, entweder 


259 


zu FSallgruben, oder um Ihre Getreide aufzuheben, 
an verfchiedenen unbekannten Orten, Deffnungen 
von 6 bis 8 Fuß im Quarree graben, die fie fich 
nie die Mühe geben wieder zuzufüllen, Die fo 
geil wuchernde Vegetation verdedlt fie dem Auge 
ſchnell, und es ift unmöglich, eine folche Grube eher 
gewahr zu werden, als bis man fchon darin liegt, 
und vft hat man bei einen folchen Sturze fogar 
viele Mühe, das Pferd wieder heranszubringen, 
Es war durch einen ähnlichen Unglücsfall, daß 
fich der Oberft der Chasseurs das Bein in der 
Kugel ausrenfte, und nach unfäglichen Schmerzen 
wahrfcheinlich auf Zeitlebens erlahmt iſt. Auch 
heute fiel ein Araber auf diefe Weife, und über; 
fchlug ſich wie ein Seiltaͤnzer in der Luft, doch 
ohne Schaden zu nehmen. 

Man hatte mir ein Pferd gegeben, das in dem 
letsten hiefigen Nennen den Preis gewonnen, und 
ich Fonnte mich über feine Schnelligkeit und Güte 
nicht befchweren, wohl aber über feine Lenkſamkeit; 
denn fo wie es das Schwein anfichtig wurde, 


256 


folgte e8 ihm auf dem Fuße und überholte es 
bald, aber ohne fich mehr regieren zu laffen, was 
hauptfächlich daraus entftand, daß es fehr fchlecht 
gezaumt war. Unterdeffen war einer der Hunde 
berangefommen, hatte das Schwein geftellt und 
hielt es ganz allein mit folcher Bravour, daß es 
fich nicht mehr loszumachen vermochte. J...., 
der dicht neben mir war, und noch wenig Uebung 
im Reiten, aber defto mehr Muth hat, fiel hier 
vom Pferde, während das meinige unaufhaltbar 
noch eiter fortfchoß. Er benußte jedoch den 
Zufall fo glücklich, daß er fich kaum aufgerichter 
und fich der neben ihm gefallenen Flinte wieder 
bemächtigt hatte, als ich auch fchon feine zwei 
Schüffe hinter mir hörte. Endlich meines Pferdes 
Herr werdend, fab ich im Umwenden den Keiler 
bereits im Derfcheiden, nachdem er vorher jedoch 
den armen Hund noch am Beine ftark bleffirt 
hatte. Unterdeffen war auf der andern Ceite 
bereits eine zweite Jagd begonnen worden, die 
weit von ung faft eben fo fchnell beendigt wurde. 


257 


Ich ließ jetzt einen arabifchen Zaum auf Biscuit 
(jo bieß mein Fleiner Bucephalus) legen, mit dem 
man auch das widerfpenftigfte Pferd bandigt, und 
fand mich nun in dieſer Hinficht ficher. Den 
ungeachtet war mir auch die dritte Hehe nicht 
gänftig, denn obgleich unter den Erften voran, 
verfagte meine Piftole. Ich fprang ab, zog mit 
rubmwürdigem Sagdeifer meinen Saͤbel, und 
fuchte das Schwein, welches abermals nur von 
einem Hunde gehalten wurde, mit der blanfen 
Waffe zu erlegen, mich möglichft vor feinen Fangen 
hütend, konnte aber, als ziemlich unerfahrener 
Jaͤger wahrfcheinlich den rechten Fleck nicht treffen; 
denn obfchon ich fechs> bis fiebenmal ſtach, was 
fih, wie 3.... behauptet, fehr lächerlich von 
fern ausgenommen haben foll, drang meine 
krumme Klinge doch immer nur kaum einen halben 
Zoll tief in des erboßten Thieres allzuharte Haut. 
Sch wäre zuleßt gar vielleicht von ihm überrannt 
worden, wenn nicht noch während meinen frucht- 
lofen Bemühungen mehrere der Uebrigen herbeis 
Semilaffo in Afrika. II 17 


258 


gefommen wären, wobe G.... wieder die Ehre 
hatte, das Thier durch einen Schuß zu erlegen. 
Bon jeßt an ritten wir eine Zeit lang, rechts 
und linfs fuchend, umher, ohne etwas anzutreffen, 
und ich hatte mich eben ganz allein ziemlich weit 
von der Gefellfchaft entfernt, als ich hinter mir 
lautes Gefchrei hörte, und ein colofjales Thier 
über die Ebene feen fahb, dem die ganze Jagd 
mit möglichfter Schnelligkeit folgte, aber durch 
einen Haaken, den die Sau im Pflanzendicicht 
fhlug, eine falfche Nichtung nahm; denn es ift 
nichts leichter, als in diefem dichten Gewirr von 
mannshohen Difteln und Neffeln fein Wildpret 
aus den Augen zu verlieren. Set brach) das 
Schwein durch, und Fam gerade vor mir auf eine 
weite und ganz freie Wiefe heraus, Kein Hund 
war zu fehen. Sch coupirte es fo glücklich, dag 
ich) wohl eine halbe Minute allein neben ihm herz 
ritt, al8 wenn wir einen Wettlauf zufammen ab- 
gehalten hätten; wobei ich, ohngeachtet des rapiden 
Jagens alle Muße fand, es genau auf das Korn 











259 


meiner fchon dfters glücklichen Piftole zu nehmen, 
und als eben’ der Chef der Spahis nahe hörbar 
ward, drüdte ich los, Der Eber machte noch 
zwei Sprünge, und flürzte danır, ohne auch nur 
ein Glied mehr zu rühren, Fopfüber ins Gras. 
Ich hatte ihn, wie wir nachher fahen, grade Durchs 
Herz getroffen. Um dies mein Erploit, auf das 
ic) mir nicht wenig einbilde, nicht in den üblen 
Verdacht gebracht zu fehen, der gewöhnlich, wenn 
man zu Haufe kommt, und fid feiner Thaten 
ruͤhmt, die Erzählungen der Jagdavantuͤren be 
gleitet, war es fehr glüclich für mid), daß außer 
den Spahis auch die beiden genannten Chasseurs- 
Dffiziere zur felben Zeit berbeifamen, um mir 
gleich in Bone als Zeugen meines wohlerworbenen 
Rechts an dieſem ftattlichen Ketler zu dienen. Er 
blicb indeß auch meine einzige Trophäe, denn von 
den übrigen dreien, welchen wir ferner das Leben 
nahmen, Famen noch zwei auf des unermüdlichen 
J . .. .'s Rechnung, und der dritte ward von 
einem der Offiziere getödtet, 


260 


Es fchien mir ganz fündlich, daß man die 
feiften Iohiere auf den Kampfplaß liegen ließ, 
denn die Araber effen, ihrer Neligion wegen das 
Sleifch nicht, und die hiefigen Europäer haben fo 
viel davon gegeffen, daß fie eben fo fehr davon 
degoutirt find, als die Deffauer Dienftmädchen 
vom Elblachs. Als indeß am andern Tage der 
General denfelben Weg paffırte, um die Unter- 
werfung einiger Schechs feierlich entgegen zu 
nehmen, ſah man, daß fi) andere Liebhaber zu 
dem Ochweinebraten gefunden hatten; denn Die 
Fährte eines enormen Loͤwenpaares, das fich fchon 
feit einem Monat in der Gegend von Bone auf: 
hält, ohne daß man bisher feiner habhaft werden 
fonnte, waren in dem weichen Boden deutlich zu 
verfolgen, und die Leichname der Sauen ſaͤmmt—⸗ 
lich verfchwunden, 

Auf dem Rückweg kamen wir bei zwei großen 
Duars der Käresas vorbei, die fich erft Fürzlich, 
durch das kluge und väterlihe Benehmen des 
Generals d'Dzer gewonnen, hier vertrauenspoll 


rn. 


261 


angefiedelt haben. Ihre Hunde find noch nicht 
fo freundlich gefinnt, denn mehrere Dußend der— 
felben verfolgten uns mit wüthendem Gebell, Ich 
war mit J.... fehr fchnell vorausgeritten, und 
als wir bei dem legten Duar anfanıen, nur noch 
von einem Genieoffizier begleitet, der mich auf 
ein fehr hübfches und ungewöhnlich reinlich geklei— 
detes Mädchen aufmerffan machte, die in einem 
der Zelte ſtand. ) Ich erfuhr zu meiner Der: 
wunderung, daß fie, obgleich eine Verwandte des 
Schechs, doc die Geliebte eines franzofifchen 
Dffiziers fey, der ihren Vater fo zu gewinnen 
gewußt hat, daß er mit feiner Erlaubniß oft die 


*) Das mahomedaniſche Geſetz verbietet zwar ben 
Weibern fich unverfchleiert zu zeigen, und in den Städten 
wird dies auch ftreng befolgt, in den Hütten und Zelten 
auf dem Lande ift es aber anders, und wir fahen häufig 
unverfchleierte Weiber ohne Scheu daraus herbortreten. 
Dft tragen fie filberne Ohrringe und Bracelets über 
ihren nadten Fußknöcheln. 


262 


achte bei der Tochter im Geheimniß ihres 
f[hwarzen Zeltes oder des verfchwiegenen nahen 
Waldes zubringen darf. Er fprach fchon früher 
etwas Arabifch, was zuerft Gelegenheit zu ihrer 
näheren Befanntfchaft gab; denn als das Mädchen 
ihn in ihrer Mundart reden hörte, fagte fie mit 
naivem Erſtaunen zu ihrem Vaters „Sich nur, 
das fpricht auch!« *) 

Nicht weit von diefem Dorf, in der Gegend, 
die man le camp de Benatissa nennt, weil hier 
der Conftantinifche General lange fein Lager auf: 
gefchlagen hatte, che er Bone eroberte, liegt des 
berühmten Zürfen Juſſuf's freundliche Villa mit 
einem prächtigen weiblichen Palmbaum, dem 
fhönften, den ich noch in Afrika gefehen, der aber 


*) Diefes Verhältniß endete fpäter fehr tragifh. Es 
ward ber tribu verrathen, der erfaufte Vater hart beftraft 
und das arme Mädchen vergiftet, während zu derfelben 
Zeit ihr Liebhaber, um ihn an der Fortfeßung feiner 
befannt gewordenen Intrigue zu hindern, vom General 
in Arreft gefeßt worden war, 











263 


nur leere und unvollfommtene Früchte trägt, weil 
fein männlicher, ihn zu befruchten, in der Nähe 
iſt; ein wahrer Nepräfentant des ganzen hiefigen 
Landes, dem es auch nur an dem rechten Befruch- 
ter fehlt. 

Sch denke, Sie haben jeßt, liebfter Baron, 
ein ziemlich anfchauliches Bild von dem Xeben, 
das ich hier führe, vor fih. Es diene Ihnen als 
Antwort auf die Stelle eines Ihrer Briefe, worin 
Sie die Güte hatten, fi zu wundern, daß mein 
Gouvernement mich nicht für feinen Dienft zu 
utilifiren fuche, Wer fo viel Vergnügen an der 
Freiheit findet wie ich, und fein Leben aus eignen 
Antrieb zu einem bunten Spaziergang durch die 
Melt gemacht hatz der danft dem Himmel, wenn 
man ihn zu Haufe nicht gebraucht, und Klügere 
und Gefchicktere in Fülle an feiner Stelle hat. 
Meit mehr würde ich wünfchen, Ihnen, mein vers 
ehrter Freund, nachahmen zu koͤnnen, doch nicht 
Jedem ift es gegeben, ein fo hohes Ziel zu erreiz 
chen, Sehen Site von diefer Schönen und lichten 


264 


Region nachfichtig auf mich herab, und gebenfen 
Sie ftets mit freundlihen Mohlwollen 
Ihres 


treuergebenen 


9%, 











Sehster Brief. 


An den Herrn Grafen Lonis v. P..... 
in Berlin. 


Bone, den 10. April 1835. 


Lieber Lonis! 


Es ift jammerſchade, daß die Eifenbahnen 
und Dampffchiffe noch nicht fo weit find, wie es 
Derfins von den erften verfprochen, namlic) 100 
englifche Meilen damit in einer Stunde zuruͤckzu— 
legen. Sonſt hätte ich Dich zu den Dfterferten 
hierher Fommen laffen, wo Du Dich gewiß 
ganz in Deinem Element befandeft, denn wir 
fommen nicht von den Pferden herab und hier 


266 


würdeft Du Dir ohne Zweifel vergebene Mühe 
geben, dem nachfichtigen Onfel eines davon lahm 
zu reiten. Sch will Dich jetzt, wenigftens in 
Gedanken, mitnehmen, und Dir erzahlen, wie 
wir hier, troß einem DBraufewind wie Du, auch 
noch die jungen Leute fpielen. Sch weiß zwar, 
daß Du genug meiner Briefe an die Tante und 
tutti quanti der Familie lieft, Du follft aber die 
Ehre meines cigenen haben, tel est notre plaisir. 

Beſuche mid) alfo zupörderft in meiner Woh— 
nung, ohne Zwetfel der beften und bequemften, 
die einem Sremden in Bone zu Theil werden 
fann und die dennoch in Europa mein Kammer: 
Diener viel zu fchlecht für fich halten würde. Du 
findeft nichts, als eine lange weißgetünchte Kam— 
mer, ohne Fenfter, deren einzige Oeffnung alfo 
in der Thüre befteht, die des Kichtes wegen am 
Tage ſtets geöffnet bleiben muß. Der Pla: 
fond iſt unbekleidetes Rohr, durch lange rohe 
Knuͤppel feftgebalten. Auf jeder Seite der 
Kammer bifindet fih ein unangeftrichener Ver— 





267 


fhlag von europaͤiſchen Kieferbrettern, hinter 
deren jedem ein Bett fteht, das eine für mich, 
das andere für meinen Secretair. Da 08 auf 
der Zerraffe über uns zuweilen durchregnet, fo 
ift an manchen Orten die Wand noch fortwährend 
naß, der Fußboden von ſtark ausgetretenem 
Kalfmörtel, ift mit drei fiattlichen Teppichen 
bedect, die ich, fo wie cin Bett und eine porta— 
tive Küche, im diefen Regionen ſtets mit mir 
führe. Eine Menge Koffer und Kiften füllen 
eine große Nifche der Thüre gegenüber, und 
laffen in den Reft der Kammer noch Raum für 
zwei ungehobelte Zifche, deren einer zur Toilette, 
der andere zum Schreiben und Frühftück dient; 
und auf der andern Seite der Nifche Fannft Du 
Dich ganz bequem auf einer hölzernen Sophabanf 
niederlaffen, die mit einer Matratze belegt ift. 
Stiefel, Kleider, Mantel u. f. w. finden noch) 
Platz, an den Wänden umher vertbeilt. Wie 
lururids ift diefes Appartement gegen das meines 
Freundes Klinerath, der bei dem Korrefpondenten 


268 


feines Banquiers in einem Fleinen Magazin mit 
zwanzig Branntweinfaffern zufammen wohnt, und 
ftatt aller Meublen nichts als ein Feldbette, zwei 
Schemel und einen Fleinen wacelichen Tiſch auf: 
zuweifen bat. 

Dies alles wird euch verwoͤhnten Mutterföhnen 
wohl eine große Entbehrung fcheinen,, wie leicht 
findet man fich aber darein! und es giebt überdem 
Entfhadigung. Denn wenn ich auf die freie 
Zerraffe vor meine Stube hinaustrete, umfängt 
mich eine milde laue Luft, und über alle dachlofen 
Häufer hin blicke ich in die reizendfte Kandfchaft. 
Steige ich hinab, fo empfängt mich der freundliche 
Haͤndedruck der Tiebenswertheften Wirthe, und 
verlaffe ich das Haus, fo erwartet mich jeden 
Tag eine neue anmuthige Ueberraſchung. Als 
Probe nimm die Befchreibung des dritten Tages 
diefes Monats. | 

Wieder war c8 cin Freitag, und grade fünf 
Wochen feit meiner Ybreife zum Hammal verfloffen, 
als ich hier eine ähnliche Expedition, die Erſtei— 


269 


gung des Berges der fteben Fontainen, des 
Dschebel-Derugh und des Pif Mertschia, die 
höchfte Spitze des hiefigen Gebürges , unternahm, 
Das Metter, bisher zwar immer warm, aber 
unficher, war heute ohne irgend eine Wolfe am 
Himmel, und demungeachter cher luftig als heiß. 
Um fechs Uhr früh verließ ich mit meinem 
Secretair die Stadt, in Geſellſchaft Herrn Klimez 
rath’s, des Hauptmanns d’Oudaja von den 
Chasseurs , zwei Reitern diefes Regiments, und 
einer Escorte von 40 türkischen Spahis, in gelben, 
meergrünen, bhimmelblauen und yponceaurothen 
Jacken, einem fchon etwas abgeblühten Tulpenbeet 
vergleichbar. Wir waren Alle vortrefflich beritten, 
befonders der Chef der Türken und ich, Dank der 
Güte des Oberft von Rigau; es war aber auch 
nöthig bei den Wegen, die uns bevorftanden, und 
ich wünfchte unfern europäifchen Freunden nur 
einmal eine folche Tour mitzumachen, um fic) 
zu überzeugen, was Pferde überhaupt zu leiften 
im Stande find, weit mehr als ich in der Schweiz 


270 


und Stalien, was fihwierige Stellen betrifft, je 
Maulefeln habe zumuthen fehen, Wir dirigirten 
ung durch das Thor von Damremont nach dem 
Blochaus de la Source, von dem an wir fogleich 
zu ftetgen anfingen, und bald in ein wunderſchoͤnes, 
aber hoͤchſt befchwerlich zu paffirendes Gehoͤlz 
gelangten, das voll alter Dlivenbaunte, deren Grün 
hier weit fafttger und dunkler als in Europa ift, 
prächtig blühender, wilder Pfirfih >, Aprikoſen— 
und Sohannisbrotbaume, einer Menge goldbedeckter 
Cytisus, Crataegus und anderer Dornarten, 
mannshoher Erifen, in allen Nuͤangen, Myrthen 
und unzähliger Blumen war, die nur zuweilen 
mit einem Furzen Dichten Nafen abwechfelten, 
Nach und nach entfaltete ſich Die Ebene, Die 
gegenüber drei- bis vierfache Bergkraͤnze umzins 
gelten, immer mehr dem Auge, umd zeigte — 
jeden Augenblick durch die Baumfronen verfchies 
den eingefaßt — die lieblichften Niniaturbilder in 
dem großen Landſchaftsgemaͤlde. Bald fahen wir, 
auf einem grünen Vergplateau angelangt, Bone 








271 


nur noch wie ein Nelief aus Kork geformt unter 
uns liegen, und den Berg von Sedi-Aissa, der 
uns aus der Stadt fo groß erfcheint, wie einen Flei- 
nen Hügel fich kaum über die Meeresfläche erheben; 
coloſſal aber ſtreckte fich jeßt die Ebene vor ung 
bin, während auf unferer rechten Seite immer 
neue Vorgebürge und tiefe Seebuchten fichtbar 
wurden. Nach einem langen Marfch durch Ginfter 
und Geftrüpp erreichten wir einen Wald von 
Korkbaͤumen, deffen Boden einen eigenthümlichen 
Anbli gab, da er auf das Dichtefte blos mit 
Erifen und einer hellblauen Blume bedect war, 
die beide allein in unglaublicher Fülle wucherten, 
Man folgte, ftatt eines Weges, tiefen und felfigen 
MWafferrinnen, geraume Zeit auf einem horizon— 
talen Terrain, ſenkte fich hierauf in einen tiefen 
Keffel hinab, flieg dann wieder, aufwärts und 
plößlich befanden wir uns über einem weiten 
Thal, deffen fanfte Abhänge wir zu unferer freus 
digen Ueberrafchung, mit einem lange nicht mehr 
erblickten hohen Eichwalde bewachfen fahen, der 


272 


fi eben mit jungen zarten Blättern zu überziehen 
anfing. Viele diefer majeftatifchen Baume hatten 
einen glatten Stamm von 30 Fuß Höbe, ebe ihr 
Laubdach begann, andere breiteten fich fchon von 
unten an mit Riefenäften von gleicher Lange aus, 
mehrere batte der DBlig gefpalten und ſchwarz 
gebrannt, eine Menge waren mit Epheu und 
andern ranfenden Gewächfen behangen, und ob» 
gleich die Eichenart, aus der diefer Wald beftand, 
von der unferigen in der Form der Blätter und 
Größe der Eicheln, die Pflaumen gleichen, unter: 
ſcheidet, jo hätte man fich doch nach ihrem übrigen 
Ausſehn in einer Gegend des lieben DVaterlandes 
glauben Fonnen, wenn der mit Goldregen, andern 
Zierfträuchern und fremden Blumen gefehmädte 
Unterbufch nicht das wärmere Clima verratben 
bätte. Doch war es unferm befcheidenen Veilchen 
pergönnt worden, ſich ebenfalls hier anzufiedeln, 
und ich pflücdte einen Strauß davon für unfere 
beiderfeitige Gönnerin. In diefem reizenden Wald: 
revier, das fich fpater auch mit Kaſtanien und 


273 


weit höheren Korfbaumen als wir bisher ange 
troffen, mifchte, welchen leßteren die Eingebornen 
ohne alle Ordnung und Sorgfalt die Rinde ab- 
ſchaͤlen und viele unnüß dadurch toͤdten, marfchirten 
wir einige Stunden im wohlthätigen Schatten 
weiter, bis wir grotesfe Selfenmaffen aus einer 
grünen Alp hervorfteigen fahen, wo fieben Quellen 
falten vortrefflichen Waſſers aus dem Boden 
fprudeln. Als wir die Höhe, vermöge langge— 
dehnter Zickzackpfade, auf welchen ſich die Reihe 
der bunten Tuͤrken hinter uns herrlich ausnahm, 
erreicht hatten, fanden wir oben die anfehnlichfte 
der Quellen zierlich mit Steinen eingefaßt, und 
zur Bequemlichkeit der Trinker eine große Kork; 
mufchel darauf liegen. Breitblättrige Bornfreffe 
verniehrte das frifche und einladende Anfehn des 
geräumigen Baſſins, aus dem Menfchen und 
Pferde ſtch begierig labten, denn das gute Waffer 
ift hier nichts weniger als häufig. 

Eine halbe Stunde weiter liegt ein ifolirtes 
Selfenftüh, das man, che es näher unterfucht 

Semilaffo in Afrika, IT. 18 


274 


wurde, lange für eine römifche Ruine anfah, der 
es auch von Weiten täufchend gleicht. Der 
Block mag 50 Fuß Höhe haben und Fann, feiner 
glatten abſchuͤſſigen Fläche wegen, nur wenn man 
wie eine Schlange auf dem Leibe Friecht, erftiegen 
werden. Bevor wir heranfamen ftanden einige 
jener Niefengeier mit weißem Kopfe, die den 
Adler an Größe übertreffen, auf feiner Spiße. 
Mir hielten fie Alle aus der Ferne für Menfchen, 
und erftaunten nicht wenig als fie fich mit einem— 
male in die Lüfte erhoben. Auch ganz weiße der 
Art giebt es, von denen einer grade in dem 
Augenblik über dem Eichwalde fchwebte, als wir 
diefen zuerft anfichtig wurden. 

Wir lagerten uns neben dem Felſen, an deffen 
Fuß wir uns vor dem bier fchon unangenehm 
Falten Winde hinlaͤnglich geſchuͤtzt fanden, zum 
Fruͤhſtuͤck. Es war ein fehr unterhaltendes 
Schauſpiel, wie jeßt allen Pferden die Zäume 
abgenommen und an den Sätteln befeftigt wurden, 
um fie unbeforgt um uns her grafen zu laffen. 





———— — — — —— 





275 


Keins davon dachte daran zu entlaufen, oder ſich, 
wenn man es wieder aufzaͤumen wollte, nicht 
fangen zu laſſen, ſondern alle folgten im Gegen— 
theil gleich Hunden, der Stimme ihrer Reiter; 
nur unter ſich bekamen ſie haͤufig Streit, der 
jedoch durch barſches Zurufen oder eine drohende 
Geberde Leicht gefchlichtet wurde. Da die Thiere 
überdies hinten nur felten befchlagen find, Fünnen 
fie fich feinen großen Schaden thun, und das 
Beißen, welches fo gracteus ausfieht, wenn fie 
gegen einander aufbaumen, wird nie fehr ernftlich, 

Zwei Offiziere, determinirte Jaͤger, die ſo 
raſtlos hier in der Gegend umherſtreichen, daß 
ſie von ihren Camaraden den Beinamen der 
rats de Bone erhalten haben, geſellten ſich bier 
zu uns, und erheiterten durch Erzählung ihrer 
Sagdabentener unfer Mahl, Der Eine war vor 
Kurzem unvermuthet dem die Gegend beunruhi— 
genden Loͤwenpaar begegnet. Die Loͤwin war 
fogleich geflohen, in Bogenfägen und mit erhobenem 
Schweife durch das Geftrüpp fpringend, der Loͤwe 


276 


aber blicb ftehen und wies knurrend die Zähne, 
bei welchem Anbli der Jäger, der nur Schrot 
in feiner Flinte hatte, wie er uns lachend ver- 
ficherte, ſich noch fchneller als die Loͤwin entfernte. 
Heute hätten wir das Unthier fchon beffer em— 
pfangen Fonnen, leider aber waren wir nicht fo 
glüklih, auch nur die geringfte Spur davon 
anzutreffen; e8 blieb bei den gewöhnlichen perdrix 
rouges, Haafen und Schafals. 

Wir hatten nun nur noch einen mäßigen 
Marfh bis zu der an Höhe zweiten Bergfpiße 
diefer Kette, die aber wegen ihrer günftigen Lage 
die fchönfte Ausficht gewährt. Es ift ein rauf 
gezacter Granitkegel, von dem man die beiden 
großen Plainen, die fih im Halbfreis von Meer 
zu Meer erftredken, mit dem Vorhang eines unab- 
fehbaren Gebürges dahinter und dem See Efzara 
in ihrer Mitte, der ungefähr 10 Stunden im 
Umfange hat, überfchaut. Sc Fonnte, felbft von 
diefer Höhe herab noch deutlich das Blumenmeer 
unterfcheiden, in dem ich erft vor wenigen 











277 


Tagen umher galoppirt war. Wie Schade, 
daß unter diefem felben Blumenreichthum, der die 
Gegend von Bone vicleicht in ganz Afrika aus; 
zeichnet, der Tod verborgen laufcht; denn eben 
die Feuchtigkeit und Ueberfruchtbarfeit des Bodens, 
welche die einen hervorbringt, fcheint auch den 
andern herbeizuloden. In den heißen Sommer» 
monaten liegt oft die Halfte der Garnifon im 
Spital, nnd gar viele davon verlaffen es nicht 
lebend wieder, aber die Geneſenen felbft tragen 
noch Jahre lang die Folgen der Krankheit, und 
oft den Keim des fpäteren Todes, mit fich herum. 
Ein fonderbarer Umftand ift es, Daß vor der 
Sranzofenzeit Bone gar nicht in dem Ruf eines 
ungefunden Clima's ftand, und die Eingeborenen 
find feft überzeugt, daß nur die Oeffnung alter, 
verfchütteter Candle um den Unrath abzuführen, 
wie einiger verfallenen Cifternen, der Grund der 
Miasmen fey, die jeßt den Aufenthalt in Bone 
fo gefährlich machen. 

In der Richtung von Conftantine, das nur 


273 


30 Stunden von hier entfernt ft, und das man 
dennocd) wegen der Blutgier und Treulofigkeit 
des jetzigen Bey's, als Neifender nicht befuchen 
kann, bemerften wir einen feltfam geftalteten Berg 
mit vier Höcern, gleich denen eines Cameels, und 
weiter rechts zwei Spißen, die regelmäßige Pyra— 
miden zu feyn ſchienen. Nach der Gegend von 
Algier zu bietet fich, mit ſchoͤn geformten Selfen, 
das Cap de fer, Collo, das Cap Bugaroni 
und die Bai von Stora dar. In der Nähe des 
erften Cap's glaubt man, daß die Roͤmer Eifen- 
werfe befaßen, und wahrfcheinlich war zu Diefer 
Zeit der größte Theil des biefigen Gebürges mit 
ſolchen Eichwaldern bewachfen, als wir heute 
aufgefunden. Zu Brennmaterial ohne Nachpflan- 
zung benußt, mögen fie nach und nad) ver; 
fhwunden feyn, wie auch Srland durch die 
graufame Nachläffigfeit der Engländer in früherer 
Zeit auf diefelbe Weiſe aller feiner Wälder beraubt 
worden tft. 

Einer der Offiziere, F.... und ich beftiegen 








279 


nachher auc noch den höchften Pif, der mit 
wunderbar umher geworfenen Steinmaffen befaet 
ift, und wo wir ein von den Franzoſen noch nicht 
gefanntes Maräbut-Grab entdedten, das wir 
fogar einen Augenblick für ein römifches hielten, 
da einige vermoderte Lampen, Lacrimatorien 
u. ſ. w. darin, vollkommne antife Formen zeigten, 
welche die Handwerker des Landes, wie man 
fieht, feit 2000 Sahren durchaus nicht geändert 
haben. Denn der efelhafte, noch nicht einmal 
ganz verfaulte menfchliche Inhalt einiger größeren 
diefer Gefaße überzeugte ung bald, daß wir nur 
etwas Modernes Hor uns hatten, und überdem 
durch Störung der heiligen Ueberrefte ein großes 
Sacrilegium begangen, was ung bei einem minder 
gut escortirten Befuche leicht ſchlecht hatte bes 
kommen Fünnen. 

Als ſich alle Zerfireute, denn die Jaͤger waren 
unterdeß auc) ihrem Berufe gefolgt, bei den fieben 
Quellen wieder zufammen gefunden, wo bie 
Pferde getranft wurden, und die Türken aus der 


230 


Erde geriffene füße Wurzeln nebft einer Art 
wilder Artifchofen (das einzige Mahl diefer uns 
glaublicy mäßigen Menfchen am heutigen Tage) 
gefpeist hatten, Außerte ich den Wunſch, den 
Ruͤckweg wo möglich feitwärts durch den Hoch— 
wald zu nehmen, um diefen noch genauer befich- 
tigen zu Fünnen, Die Spahis, mit denen wir 
und aus Mangel eines Dolmetfchers nur fehr 
unvollfommen verftandigen konnten, erflärten 
fogleich, daß dies unmöglich fey; der eine Zager, 
Lieutenant Guilmot vom Geniecorps, behauptete 
aber, er kenne diefe Gegend fehr genau, die Araber 
machten zwar ewig Umftände, wenn man nur 
im Öeringften aus dem gewöhnlichen Gleife weiche, 
und fürchteten ſich wahrfcheinlich vor dem nahen 
Kabylen, ich möchte ihm nur getroft folgen, er 
werde mich den berrlichften pittoresfeften Weg 
führen, den ich mir wünfchen koͤnne. 

Ich ließ mic) Teichtgläubig überreden, die 
Türfen mußten endlich folgen, doch gefchah es nur 
ſich weigernd und zugernd, wobei fie wie in einer 


281 


Judenſchule unter fich fchrieen und geftifulirten. 
Im Anfange ging Alles fehr Teidlich, und die 
Natur ward in der That mit jedem Schritte 
fhöner, etwas einen Weg zu Nennendes war 
aber nirgends zu entdecken, und oft Fonnten die 
Pferde Faum das dicht verfchlungene Dorngeftrüpp 
unter den hohen Baumen durchbrechen. Immer 
entjchtedener nahm die Umgebung den Charakter 
eines von Menfchen faft nie betretenen Urwaldes 
an, in dem ſich von den verrotteten Stämmen 
mehrere Fuß hohe, fchwarze und lockere Dammerde, 
überall mit Pflanzen bedeckt, nach und nad) ans 
gehäuft hatte. Wir famen nun an einen breiten 
und Außerft fteilen Abhang, an welchem ungeheure 
Baume aufgefchoffen waren. Die Araber verfagten 
immer energifcher weiter vorzudringen, wir blieben 
aber bei unferm Willen, und begannen, ein Theil 
noch reitend, der andere feine Pferde führend, 
getroft Hinabzurutfchen. Die weiche Erde, und 
die oft von Dornen fo überfponnenen glatten 
Selfen, daß man ihr Daſeyn gar nicht ahnete, 


282 


verurfachten bereit8 kleine Unglüdsfalle, unter 
andern ftürzte J....' s Pferd und riß ihn eine 
Strede mit fich fort, worauf er gefährlich darunter 
zu liegen Fam, ohne fich jedoch irgend wehe zu 
thun. Nach vielen Umftanden langten wir endlich 
unten an, wo ein felfiger Bach mit noch größerer 
Mühe und einigen von Neuem ftürzenden Pferden 
paffirt wurde Vor uns lag jeßt eine fumpfige 
Wildniß, die fich als ganz impracticabel zeigte, 
und rechts ein felfiger Abhang, gleich dem eben 
herabgelommenen, den wir nothgedrungen mit 
immer vermehrter Schwierigkeit erflimmen muß— 
ten. Das Reiten wurde nun unmöglich, und die 
Türken, deren Kleidung, mit großen rothen 
Ritterſtiefeln, ſechs Zoll langen Sporfpteßen und 
doppelten Bernus-Maͤnteln, fehr übel zum Fuß— 
gehen eingerichtet ift, verloren gänzlich die Geduld, 
und fchienen und in ihrer Sprache zu allen 
Teufeln zu wünfchen Uns hielt die Romantik 
aufrecht, doc) fahen wir ſaͤmmtlich von der übers 
mäßigen Erhigung dunkelroth wie gefochte Krebſe 





283 


aus, und wurden oft zu einem langen Halt gend- 
thigt, um nur wieder zu Athem zu kommen. So 
irrten wir noch geraume Zeit auf und ab, und 
rechts und linfs umher, bis wir uns in eine tiefe 
gorge eingeflammert fanden, und einen reißenden 
Waldſtrom vor uns fahen, der zwar zwei fehöne 
Mafferfalle bildete, und in jeder Hinficht unfere 
Augen erfreute, aber nirgends einen Durchgang 
darbot, den Pferde pafliren zu koͤnnen ſchienen. 
Es blieb indeß Fein anderer Ausweg übrig, denn 
die Rückkehr zu verfuchen hatte die Zeit nicht 
zugereicht, und das Unternehmen mußte alio 
gewagt werden. Seitdem ich diefen Uebergang 
geſehen, und felbft mit bewerfftelligt, möchte ich 
faft glauben, daß arabifche Pferde auch Feſtungs— 
werfe erflettern Fünnen, In der That fielen faft 
alle der armen Gefchöpfe eins oder mehreremale, 
aber eins nur, Das eines türfifchen Schaufch, 
brach den Hals, und blieb unter dem lauten 
MWehflagen der Araber, die eine halbe Stunde 
brauchten um es zu entkleiden, auf einem hervor— 


284 


ragenden Felfen des MWaldftroms Liegen. Die 
großen Geier werden es fich zu Nuße gemacht 
haben. Wir Chriften waren aud) nicht ohne blaue 
Flecke und Nitze geblieben, doch litten die armen 
Türken wegen ihrer erwähnten unbeholfenen Tracht 
am meiften. Erfchöpft lagerten fie ſich, als wir 
und wieder zufammen gefunden hatten, neben 
ihren Pferden auf dem weichen Boden, und nichts 
konnte fie vermögen, vor einer guten Stunde 
wieder aufzubrechın. Die Noth war jedoch nun 
überftanden, denn in Kurzem gelangten wir wieder 
auf den am Morgen eingefchlagenen Weg, und 
hatten doch unfern Zweck erreicht: einen afrika— 
nifchen Urwald gründlich Fennen gelernt zu haben. 
Biel Zeit war aber darüber vergangen, was mich 
um fo mehr contrartirte, da mich der General 
zum Effen erwartete, und ich die UnthunlichFeit 
vorausfah, mic) noch zur rechten Stunde dabei 
einfinden zu Fünnen, 

Bon den hier in der Naͤhe "wohnenden feind- 
lichen Tribus hatten wir nichts zu fchen befommen, 








285 


Erft auf dem Ruͤckweg trafen wir drei Individuen 
derfelben an, die, faft ganz nadt gehend, Kohlen 
brannten. Es waren fchön gebaute große Menfchen, 
doc) von einem häßlichen und graufamen Geſichts— 
ausdruck, und ich zweifle nicht, daß die Mordthaten, 
welche man ihnen zufchreibt, gegrünsrt feyn mögen, 
Doc attafiren fie nie ohne decidirte Webermacht 
und mit höchiter Wahrfcheinlichkeit des Erfolgs, 
überhaupt nicht leicht gut Bewaffnete, Sobald 
wir ganz aus ihrem Bereich waren, eilte ich 
voraus und trieb mein Pferd an, den befchwerlichen 
Weg durch den Dlivenwald im Trabe mehr hinab 
zu glitfchen als zu laufen, und in der Ebene 
angelangt ließ ich das Foftliche und ganz uner— 
müdliche Thier die leßte halbe Stunde bis zur 
Stadt im vollfien Rennen zurüclegen. Es 
bewerfftelligte dies durchaus mit demfelben Feuer 
wie beim Ausmarfch vor dreizehn Stunden, und 
ich hatte fogar Mühe, e8 vor dem Thore, wo der 
Weg voller Köcher und fehr fchlecht ift, erhalten 
zu Fonnen, Nur die edelften englifchen Pferde find 


286 


Gleiches zu thun im Stande. Ungeachtet aller 
diefer Eile und einer eben fo haſtigen Toilette, 
hatte der zu gütige General dennoch zwei Stunden 
mit dem dine auf mic) gewartet, eine wahrhaft 
großmüthige Attention, die ic) um fo danfbarer 
erkennen mußte, da ich ohne fie bet fo fpäter 
Tageszeit in Bone nirgends mehr etwas einer 
regelmäßigen Mahlzeit Aehnliches hätte vorfinden 
Tonnen; und es ift ohne Zweifel erlaubt, nad) 
einer fatigue wie die unfrige, den gehörigen Werth 
auf einen folchen Gegenftand zu feßen. Der 
haßlichfte Schatten, den der boͤſe Freitag auf 
meine heutige Unternehmung warf, war ber 
Verluſt eines ſchoͤnen Dollond, den ich ſeit 20 
Jahren beſitze, und welchen kuͤnftig entbehren zu 
muͤſſen, mir ſehr nahe geht! 

Da Du ein angehender Gelehrter biſt, ſo will 
ich Dich nicht blos von Allotrien unterhalten, 
ſondern Dir jetzt zu weiterem Nachdenken mit 
Deinem vortrefflichen Studiendirector, dem ich 
mich bei dieſer Gelegenheit angelegentlich zu 





237 


empfehlen bitte, die Furze Anficht eines neuen und 
ziemlich auffallenden zoognofifchen Syftems geben, 
das mein biefiger Freund, Herr von St. Leon, 
auf langes Studium der Natur gegründet und 
in Kurzem befannt zu machen die Abficht bat. 

Sein gewahltes Epigraph ift folgendes: „Meil 
alle Modiftcationen der Gattungen vollfommen 
durch die verfchiedenen Einflüffe des Alterns (dem 
alles in der Zeit Lebende unterworfen ift,) des 
Bodens und der Temperatur hinlänglic) erklärt 
werden fünnen, fo darf man mit gutem Grunde 
zweifeln, daß die Natur verfchtedene Racen 
geſchaffen. Ste procedirt alfo Teineswegs durd) 
Vervollkommnung — fie Schafft auch von Haufe 
aus Feine Degradation d. h. Feine Gattung in 
verſchiednen abfallenden Nüancen.« 

„Dies,“ fahrt er fort, »ift die Grundlage einer 
Menge Beobachtungen, welche alle die Einheit 
der Schöpfung jeder Gattung und die Einheit 
des Ortes derfelben darthun werden. Die moras 
liſche Welt mag andere Gefege haben, und Diefe 


258 


laffen wir bier ganz aus dem Spiele, wir haben 
es nur mit der phyfifchen zu thun. Zudem man 
Diejenigen Gegenden bei Seite fett, welche primitiv 
nicht durch Menfchen haben bevölkert feyn Fünnen, 
erkennt man, daß in faft ganz Afrifa, wie dem 
öftlichen und nördlichen Theil Aftens, diefe Gattung 
ſchon im Laufe der Zeit zu tiefer Degradatiou 
herabfteigt, daß fie in Amerika ebenfalls fchon 
weit von ihrer erften Reinheit entfernt ift, und 
daß fie in Europa am meiften faft alle ihre 
inftinetiven Qualitäten verloren bat. Sch bin 
daher überzeugt, daß in den Ländern die fich 
zwifchen Perfien und Aegypten befinden, die Wiege 
des Menfchengefchlehts zu fuchen ſey. Man 
wird zu diefer Conjectur hauptfächlich durch die 
Entdeckung mehrerer Geſetze der phyfifchen Ord— 
nung geleitet, namentlich durch dasjenige: daß 
der Verluſt an fpecififcher Schwere des Knochens 
und Muskelgewebes bei allen Individuen die 
verhältnißmäßige Entfernung vom Typus anzeigt. 
Da nun bei Feiner andern Nace die Schwere des— 








— — — 


289 


ſelben ſtaͤrker iſt als bei den Arabern, keine Indi— 
viduen andrer Staͤmme in hoͤherem Grade, als ſie, 
auch die uͤbrigen Normaleigenſchaften beſitzen, ſo 
laͤßt Alles glauben, daß der Araber der Urmenſch 
iſt, und zwar der zwiſchen Syrien und Aegypten 
Lebende, woraus folgt, daß man mit dem Araber 
dieſer Gegenden, durch Huͤlfe des veraͤnderten 
Bodens und Clima's alle Racen des Globus 
hervorbringen kann; ganz auf dieſelbe Weiſe, wie 
man von dem gleichen Ausgangspunct und durch 
dieſelben Mittel dahin gekommen iſt, alle verſchie— 
denen Pferderacen hervorzubringen, weshalb es 
heut zu Tage nicht viel ſchwerer iſt, ein Pferd von 
dieſer oder jener Guͤte, dieſer oder jener Schnellig— 
keit, dieſer oder jener Kraft zu machen, als 
einen Liqueur zu dieſem oder jenem Grade der 
Stärke zu alkoholiſiren.“*) 

Meine Discretion erlaubt mir nicht, noc) tiefer 


*) Diefe Analogie ver Menfchen mit meinen Lieblin- 
gen, den arabifchen Pferden, ift mir fehr willfommen, 
Semitaffo in Afrika, I. 9 


290 


in die Details. der Zeichen einzugehen, wodurch 
nad) Herrn von St. Leon der Prototypus der 
Menfchheit erfannt werden Fann, mannigfache 
Betrachtungen, wie es mir fcheint, neuer Art, 
wird ſchon das Vorhergehende erwecken, auf deffen 
Baſen vielleicht einft ein von dem unſern ganz 
abweichender gefellfchaftlicher Zuftand gegründet 
werden kann, und felbft auf rein materiellem Wege 
die Verfectibilität gewonnen, d. h. durch Kunft 
die Folgen der Degradation der Zeit aufgehoben, 
und die Menfchheit wieder zum Typus zuruͤckge⸗ 
führt werden mag. 

Alle weiteren Nachforfchungen in der Sache 
müffen fi) aber immer auf die Weberzeugung 
des Herrn von St. Leon gründen, (die übrigens 
die Bibel beftätigt, weshalb Du ohne Frevel Dich 
ihr überlaffen Fannft), daß die erften Wefen jeder 
Gattung mit der hoͤchſten Summe ihres Inſtinkts 
gefchaffen wurden, daß die Vollfommenheit diefes 
Inſtinkts zugleich die aller andern Agentien erfordert 
— daß man alfo jeßt, als vom Privilegium der 





291 


Primitivität beraubt, alle diejenigen Racen anfehen 
muß, bei denen die perceptiven Organe zu weit 
vom erften Reichthum der Schöpfung entfernt 
find. Mir müffen daher, fo fchwer es unferm 
Stolze vorfommen mag, hiernach annchmen, dag 
nicht diejenige Nace dem Typus am nächften 
ift, welche die meiften Bücher fchreibt, und am 
meiften politifirt, welches vielmehr, fürchte ich, 
ſchon überhandgenommene Verwirrung und Kranf- 
haftigkeit anzeigt, fondern ganz einfach die, deren 
Subjecte am beften fehen, hören, fchmecen, 
fühlen und empfinden. Hierbei ift dennoch nicht 
unnüß zu bemerken, daß, da die Nerven eine 
der erften Rollen in den Perceptionen fpielen, eine 
Drganifation auch deshalb um fo weniger 
primitiv feyn wird, als das Nervenſyſtem weniger 
ausgebildet if. Die armen Flamlaͤnder hält 
Herr von St. Leon deshalb für die dent Para- 
dies entferntefte Nace, weil er der Meinung ift, 
daß fie von allen Menſchen am wenigften nervös 
und vom ſchwammigſten Knochenbau find, 


292 


Eine große Entbehrung hier in Bone ift für 
mich), daß es Feine chriftliche Kirche giebt; man 
muß wie ein primitiver Heide leben, da man 
felbft in die Mofcheen nicht hinein darf, wenn 
man eine Anwandlung von Zslamismus verfpüren 
follte, Die biefigen Franzofen fcheinen in der 
That alle ihre Religion in Paris gelaffen zu haben. 
Glücdlicherweife hat der liebe Gott einen deſto 
fhöneren Tempel um uns ber aufgerichtet. — 
ch darf mic) aber den frommen Dingen, die 
ſchon auf meiner Zunge fchweben, in einem ges 
druckten Briefe gar nicht mehr überlaffen, feit 
eine Berliner Dame, die mich recenfirt, und noch 
nicht zu den Schlimmften gehört, erflärt hat, 
nichts fey ihr widerlicher, als wenn ich anfinge 
in geheuchelte Religiofität oder in Lobeserhebungen 
auf unfern König auszubrechen, wovon eins wie 
das andere nur Affectation wäre, Gluͤcklicherweiſe 
fennft Du, obgleich zu Deinem Heile ebenfalls 
viel rechtgläubiger als ich, mich dennoch beffer, 
mein guter Louis, und Gott und der König wer— 





293 


den hoffentlich auch eine weniger harte Meinung 
von mir hegen, *) 


*) Indem ich den obigen Brief nach feiner Abfendung 
wieder durchlefe, halte ich es nicht für unzweckmäßig, dem 
Publikum mitzutheilen, was über biefen Punkt mein 
armer Doppelgänger äußerte, als er durch magifche Ge- 
walt gezwungen, fih in meine Seele verfegen mußte. 

„Es ift dringend nöthig,“ fagte er, „daß ich mich 
einmal deutlich — wenn auch noch keineswegs ausführlich 
— über einen Gegenftand ausfpreche, der meinen Freun— 
den eine unrichtige Meinung von mir, und meinen 
Feinden eine neue vergiftete Waffe gegen mich in bie 
Hand geben könnte.“ 

„Bott und die Welt find Cwenigftens für unfere 
irdiſche Capacität) zwei fehr verſchiedne Dinge. In der 
Welt giebt es viel Dummes, Schlechtes, ja Empörendes, 
und mit der Religion ſelbſt, die Gott in dieſer Welt am 
nächſten zu ſtehen ſcheint, wird der niederträchtigſte Unfug 
getrieben. Wenn ich nun die Dinge dieſer Kategorie 
angreife, bin ich deshalb ein Feind Gottes?“ 

„Mutatis mutandis wird es mit König und Gou- 


294 


Im Fache der Gaftronomie bin ich hier nicht 
ganz ohne vermehrte Kenntniffe geblieben, Zuerft 


vernement eine ähnliche Bewandtniß haben, denn welcher 
Monarch kann heut zu Tage mehr in dem Grade regieren, 
als es früher möglich und angemefien war. Wie es 
taufendmal gefagt worden ift, die Dinge find ftärfer ge- 
worden, als die Perfonen, was mit andern Worten nichts 
anders heißt, als: die Pluralität, die allgemeine Meis 
nung herrſcht mächtiger als der einzelne Wille — und 
wenn ehemals ein Spuverain ſich in diefer Hinſicht zu— 
weilen vom Netz feiner Hofleute umſtrickt fah, fo ift heute 
das Beamtengewebe um ihn her noch weit mächtiger und 
undurkdringlicher geworben. Gelbft was er einfieht, 
fann er oft mit dem beften und fefteften Willen nicht 
ändern, gefchweige was ihm unbefannt bleibt, oder was 
ihm unmöglich gemacht wird, anders als einfeitig zu 
feyn, Er müßte felbit ein Gott feyn, um alle Diefem 
begegnen zu können.“ 

„Was nun die, in jeder biedern Gefinnung geheiligte 
Perfon unferes eignen Monarchen betrifft, fo habe ich es 
vielleicht fehon früher geäußert, und denke es heute wie 





295 


hat mich Frau von Armandy gelehrt, den Achten 
indifchen Kary zu verfertigen, wobei die Haupt: 


bamald, daß es nur wenig Menfchen geben fann, bie 
unferm König nicht von Herzen zugethban wären, nicht 
allein, weil er König ift, fondern wegen feiner Menfchen- 
würde, Güte, Milde und Gereshtigfeitsliebe. Mir felbft 
bat des Königs Majeftät nie etwas anderes ald Freund 
lichkeit und Gnade erzeigt, und Manches, was ich von 
andrer Seite fchwer zu leiden hatte, dadurch großmüthig 
zu verfüßen gefucht, ja einigemal Selbſt in die Speichen 
gegriffen, wo es Seiner Gerechtigfeit unerläßlich erfchien. 
Sch babe alfo auch perfönlich nur Urfach, meinen König 
zu lieben und Ihm von ganzem Herzen dankbar zu feyn, 
fo daß die Pflicht, Ihm treu und innig anzuhängen, mir 
in jeder Hinfiht nur zur Freude und Genugthuung ges 
reichen fann. Doch wäre dies auch nicht der Fall, fo 
bin ich von zu altem deutfchen Stamme, und zu fehr in 
den Grundfäßen deffelben erzogen, um nicht ftets bereit- 
willig den Testen Blutstropfen für den angebornen König 
zu vergießen, Er behandle mih wie Er wolle; fo wie 
denn auch, Gott Lob! nie einer meiner Borfahren bie 


296 


fache ift, den Neis fo zu Fochen, daß er croquant 
bleibt, und mir zugleich das Recept zum Kaffee 
machen beftätigt, welches ich, wie Du Did) wohl 
noch erinnerft, meinem Freunde Wulffen aus 
Freiberg, überfandt habe. Leider aber fette fie 
hinzu, daß man fo edles Getränk nur im Lande 
felbft genießen Fonne, da der Moffa Kaffee, fo wie 
er übers Meer reife, feine Haupteigenfchaften fo fehr 
verliere, daß fie in Paris mit den beften Bohnen, die 
fie felbft mitgenommen hatte, doch nie im Stande 
gewefen fey, etwas Achnliches hervorzubringen, ob- 
gleich e8 immer noch weit befferer Kaffee als aller 
übrige geblichen wäre. Ein befonderes Raffinement 


feinem Monarchen nach altem Vorrecht durch Handfıhlag 
feierlich gelobte Bafallentreue je gebrochen hat.“ 

„Das Uebrige aber ift andrer Natur... .. Hier 
bob ich den Zauber auf, mich an Fontenelle erinnernd, 
der zu fagen pflegte: Wenn ich alle Wahrheiten der Welt 
in meiner gefchloffenen Hand bielte, ich würde mich wohl 
hüten, diefe Hand zu öffnen.“ 








297 


gab fie mir noch an, nämlich die Vorfchrift, die 
Bohnen, fo wie fie hinlänglich gebrannt, fogleich auf 
eine Marmortafel oder andern Falten Stein aus— 
zubreiten, damit das Verfliegen des reinften Aroma 
ſchnell unterdrücdt werde, Von Herrn von St. 
Leon, dem Naturforfcher, profitirte ich die Kunde, 
daß man Fifch nie mit Del und Effig, fondern 
immer mit Del und Citronen effen müffe, was 
ich fehr richtig finde, und zugleich) bemerft habe, 
daß ſich dann Harvey sauce weit beffer und 
ſchmackhafter damit verbindet, Ferner liefert 
Bone eine Art Fleinen dunfelgrünen, wilden Sparz 
geld, der vortrefflich if. Mehr kann ich von 
diefem Thema nicht anführen, aber Du wirft 
Did) wenigftens dadurch überzeugen, daß ich Feine 
Gelegenheit verfaume, Did) in der Diplomatie zu 
unterrichten, die, wie der alte Graf Stacelberg 
behauptete, in der Kochkunſt hauptfächlich zu 
fuchen ſey. 

Um aber wieder auf etwas Anderes zu kom— 
men — denn eine gute Converfation foll ja nichts 


298 


approfondiren — fo muß ic) Dir von einem der 
fonderbarften Duclle erzählen, von denen ich je 
gehört, und das vor einigen Monaten hier ftatt 
gefunden hat. Ein Gapitain von den Chasseurs 
d’Afrique, und ein Marines Offizier fchoffen fich 
auf zwei Schritt Diftance in Hemdärmeln, ver— 
möge zweier Commißpiftolen, von denen, dem 
Abkommen gemäß, nur eine geladen war; das 
erftemal, wo dem Cavallerie-Dffizier die geladene 
Piftole zufiel, ging der Schuß dem Marine⸗Offi— 
zier neben den Beinen vorbei, während das zu 
fiarf geladene Gewehr dem Losſchießenden fo 
heftig an die Stirne ſchlug, daß er faft umfiel; 
das ziweitemal, wo der Andere die Todeswaffe ers 
griff, fuhr dem Chaſſeurs-Capitain die Kugel 
zwifchen den Beinen hindurch. Diefes außer: 
ordentliche Glük, bei einer Entfernung von nur 
zwei Schritten, ift um fo bewunderungswärdiger, 
da beide Gegner anerkannt höchft brave und Falt: 
blütige Leute find; aber die Mahomedaner haben 
vollfommen rechts es giebt ein unbezwingliches 


299 


Schickſal, und werfen Stunde nicht gekommen ift, 
der ift Hicb> Stich» und Kugelfeft. Sit es nicht 
fo mit allen großen Feldhern? War Napoleon 
nicht fein ganzes Leben lang gefeiet, weil er, cine 
Lehre für Fürften und Voͤlker, in Helena fterben 
follte! Was diefen betrifft, fo ift es übrigens 
eine eigene Erfcheinung, daß, wahrend in Europa 
jeßt fo viele Kleine ihn nad) fi meffen wollen, 
er im Drient faft ein fabelhafter Held geworden 
ift, und fein Ruhm vielleicht am meiften dazu 
beigetragen hat, die frühere Verachtung der Euro; 
päacr in Bewunderung umzuwandeln, So erzählte 
mir geftern d'Armandy, daß er felbft gegemwärtig 
war, als man dem Sultan von Mascat unter 
mehreren Gefchenfen des franzöfifchen Gouvernes 
ments auch das Portrait Ludwigs des Achzehnten 
überreichte. Der Sultan frug, was es bedeute? 
Den Herrfcher der Franzoſen, erwicderte man, 
Das ift unmöglich, fagte der Sultan, den Fennen 
wir zu gut, und ich will ihn Euch fogleich zeigen. 
Darauf ließ er ein ſchoͤnes Oelgemaͤlde Napoleons 


300 


bereintragen, zu dem er, der Himmel weiß wie, 
gefommen war, Hier ift der Sultan der Fran 
zofen, rief er, und der fieht auch darnach aus; 
das dicke Seficht da aber muß Jemand Andern 
vorftellen; und als fey Napoleon auch phyſiſch 
unfterblich, ließ er fih nie von feiner Meinung 
abbringen, 

Da fi) meine AUbreife nach Tunis wegen 
widriger Winde von Tage zu Tage verzieht, habe 
ich noch Gelegenheit gehabt, den FeierlichFeiten 
des großen Bairam-Feftes hier beizuwohnen. Nach 
einem fortwährenden Kanonieren, denn den Laͤrm 
des Schießens lieben die Araber über Alles, 
verfammelten fich die Spahis und eine Menge 
Beduinenchefs, mitunter auf vortrefflichen Pferden 
und in ihrem böchften Staate, auf einer großen 
Wieſe nahe bei der Stadt, um welche die Popu— 
lation von Bone einen weiten Kreis gefchloffen 
hatte, in deſſen Mitte zwei Zelte für den 
Commandirenden und feinen Generalftab aufge 
fhlagen waren. Auf das gegebene Zeichen eines 


301 


letzten Kanonenfchuffes begannen, gleich einem 
Turnier, die Araber ihre Friegerifchen Uebungen 
und Spiele, ficy weidlich auf dem grünen Plan 
umhertummelnd. Ber diefer Oelegenheit hatte 
wieder ein Schaufch, der mich noch vor einigen 
Tagen auf der Saujagd begleitete, das Unglück, 
daß fein fchönes Pferd im vollen Laufe fich in 
den Eifen fing und fo gewaltig ftürzte, daß es 
auf der Stelle todt liegen blieb. Nachdent ich eine 
Meile die Sache in der Nähe mit angefehen, 
erftieg ich den nahen Hügel von Hippone, von 
wo das Schaufptel fich noch malerifcher entfaltete, 
und nahm zugleich einen legten Abſchied von den 
herrlichen Ruinen, die ich wohl fchwerlich in 
diefem Leben wiederfchen werde, Dann Fehrte ich 
auf dem Waſſer zurüd, um die gefcheiterten Schiffe 
in der Rhede an Drt und Stelle zu befichtigen. 
Befonders fiel mir ein franzöfifches Kriegsfchiff 
auf, von dem, weit vom Ufer entfernt, nur zwei 

kafte und ein Theil des Schnabels aus den 
Wellen hervorragten, Einige einzelne Stricke und 


302 


der Feine Reft einer Slagge, die melancholiſch im 
Winde flatterten, waren die einzigen Weberrefte 
des ftolzen Fahrzeugs. Der Anblid hatte in der 
ſtillen Einſamkeit etwas tief Ergreifendes, und 
wäre ein erregender Gegenftend für den Dichter 
gewefen, wenn ich ein folcher zu feyn das Gluͤck 
hätte. Ich lieg mich nach dem Fort Cigogne 
rudern, wo ich ausftieg. Mitten in diefer Ruine, 
die einen fchroffen Selfen Front, ficht cin uralter 
Delbaum, der vicheicht noch ein Zeitgenoffe der 
erften türfifchen Herrfchaft über Afrika ift. Ori— 
ginell nahmen fich zwifchen den zerbrochenen 
Fenfteröffuungen der alten Mauern, wie in Rah— 
men gefaßt, die verfchiedenen Theile der Stadt 
aus, welche faſt ausgeftorben erfchien, da ihre 
Bewohner alle dem Feſte zugeftrömt waren. 

Nun, mein ſchoͤner Neffe, noch einmal zu 
Roß und dann Eehre nach Berlin zurück, Wir 
reiten nach dent Cap rouge, um zu dem Grabe 
des großen Maräbut von Sidi- Aissa zu wall- 
fahrten. 


Ange ——— 


— — — — 





303 


Nicht leicht konnte man ſich einen romantiſchern 
Beſtattungsort ausſuchen. In dem Abhange 
eines kegelfoͤrmigen Berges am Meer befindet ſich, 
nahe dem Gipfel, ein roͤmiſcher Marmorbruch, 
der eine 200 Fuß tiefe und 500 Fuß im Umfang 
haltende Aushoͤhlung bildet. Die ſenkrechten, oft 
oben uͤberſtehenden Waͤnde ſind ſchoͤn geadert, 
und in langen Feſtons haͤngen Weinreben, Cactus, 
Epheu und Lianen im Schmucke vieler Bluͤthen 
und Blumen daruͤber herab. Der untere Boden 
iſt grünes Gras, auf dem einige uralte Feigen— 
baume, die fchon voller Fleiner Früchte waren, 
ein foldyes Laubgewoͤlbe ausbreiteten, daß mehrere 
Hütten unter ihnen Pla gefunden haben würden, 
und einladend wäre dies auch für einen Einfiedler 
gewefen, fo zu den Füßen feines Heiligen felbft 
gebettet zu feynz denn Sidi-Aissa liegt nicht im 
Grunde, fondern in einer ausgehauenen Kammer 
in der Mitte der einen Marmorwand begraben, 
zu der man auf allerlei mit Dornen überwachfenen 
Schutt hinanklettert, Ein Baldadhin ift über dem 


304 


Kaften aufgerichtet, in dem feine irdifchen Ueber: 
refte ruhen. Diefen bedeckt eine fhawlartige, weite 
Dede, und ein Kranz halbvermoderter Fahnen 
hangt rund umher. So ftreng der General gebo— 
ten hat, diefes Grab zu refpectiren, fo hat doc) 
die Neugierde der Chriften ihm  verfchiedentlich 
übel mitgefpielt. Wir hielten uns jedoch diesmal, 
noch die Sünde der vergangenen Tage auf dem 
Gewiffen, von allem Srevel fern, An den impo— 
fanten SFelfenwäanden erblict man deutlich die 
legten Spuren der Werkzeuge, deren fich die 
Roͤmer hier bedienten, als hätten die Arbeiter 
eben erft den Bruch verlaffen, und da, wo fie, 
mit dem Pulver unbekannt, die mächtigen Hebel 
zum Sprengen der Steine anſtemmten, find die 
aus großen Blöcen geformten Widerlagen noch 
ganz intact. 

Nachdem wir den Abgrund verlaffen hatten, 
un von dem oberften Rande das Vergnügen des 
fhwindelerregenden Hinabſchauens in die Tiefe 
zu genießen, erftiegen wir auf einer natürlichen, 





305 


aber deshalb auch fehr unbequemen Marmortreppe, 
die mit unzähligen Sorten mannigfaltig blühender 
Erifen, Smmortellen, Narziffen, Sris u. f. w. 
eingefaßt war, die Spitze des Berges, wo noch 
ein anderer, aber weniger vornehme Maräbut fein 
lestes Lager gefunden hat. Von dem rohen Stein- 
haufen über feinem Leichnam überfieht man die 
beiden Buchten rechts und linfs, mit Felſen— 
gebilden jeder Form, einem unermeßlichen Meeres; 
fpiegel und auf der Landſeite des Gebürges 
majeftatifche Neihen bis gegen Tunis him, 
Diefer Theil der Küfte, der fi) von Bone 
nach Norden erftrecft, ift volllommen gefund, und 
Herr von Armandy hat fehr zweckmaͤßig vorge: 
fchlagen, den alten halbverfallenen Schutthaufen 
Bone’s völlig zu verlaffen, und ftatt ihn Fofiypielig 
zu erneuern, die Stadt ganz und gar hierher zu 
verlegen, wo auc eine geräumige Bucht fic) 
befindet, die den Schiffen einen weit fichreren 
Anferpla gewähren würde, als die jeßige zu 
offene und zu coloffale Rhede. Der letzte Sturm, 
Semilaffo in Afrika, II. 20 


306 


wo der Stationaire , der fich glüclicherweife bier 
befand, ganz unbefchädigt blieb, hat dies bins 
laͤnglich bewiefen. 

Als die Some ſchon Hinter dem hoben 
Dschebel - Derugh hinabfanf, eilten wir, dem ger 
fälligen Commandanten des in der Nähe liegenden 
Forts genois, der und mit der größten Artigfeit 
überall hingeführt, taufend Dank fagend, nad) 
Haufe; und wo es nur der fleinige Weg erlaubte, 
ging es Berg auf und Berg ab im fchnellften 
Galopp, um Frau von Armandy nicht zu fehr 
in ihrer Hausordnung zu ftoren, die ohnedies 
feit meinem Hierſeyn nur allzubäufig verkehrt 
worden ift. Auch nehme ich von der nie fich 
verläugnenden Güte meiner Wirthe, und der herz 
lichen, liebenswürdigen Weife, mit der fie mich 
fortwährend behandelten, ein unerlöfchliches Anz 
denken mit mir fort. 

Wir find am Ende, licher Louis, empfange 
jet meinen letzten Gruß aus dem afrifanifchen 
Bone, dem alten Aphrodisium , und meine 











307 


beften Wuͤnſche für das deutfche Bonn, wo ich 
Di) dem Cultus der Aphrodite nicht zu fehr 
hinzugeben bitte, und wohin id) Dir überhaupt 
zu Deiner Univerfitätsfahrt noch eine lange, 
vaterliche Verhaltungsepiftel nachzufenden denke, 
Du wirft fie vielleicht noch trodener als diefen 
Brief finden, aber dennoch muß id Dir ihre 
Beherzigung weit angelegentlicher anempfehlen ; 
denn Du darfft nicht vergeffen, daß jeßt Die 
Zeit des Sammelns für Dih ift, und das 
dauernde und verbürgte Wohlfeyn Fünftiger Tage 
von der möglichft beiten Benußung Deiner 
Jugend abhängen wird. Sch wünfche fehnlich, 
daß Du bierin Deinen Onkel weit übertreffen 
magft, und Du Fannft mid) dabei immer etwas 
in die Kategorie der Prediger ſetzen, an deren 
Lehren man fich oft beffer halt, ale an ihr 
Beifpiel. Folge diefem leßteren nur da, wo ich 
Did) dazu auffordere, in Uebrigen bleibe Deiner 
Natur und Deinen eigenen Anſichten getreu. 
Die Menfchen Fonnen fich nicht gleichen, aber 


308 


Jeder kann in feiner Art, wenn er felbft an feiner 
Bildung arbeiten will, etwas Tuͤchtiges und 
Ganzes werden. 

Dein 


Dich Tiebender treuer Onfel 
5. ©, 














Neise-Iournal, 


(Bortfeßung.) 


Tabarka, ven 13. April 1835. 


Am zehnten um zehn Uhr Abends embarkirte 
ich mich in einem Kleinen Genuefifchen Handels: 
fehifflein, Vittoria genannt, mit nur einem Maft 
verfehen, und ungefähr von der Größe eines 
mittleren Elbkahns. D’Armandy, Herr von 
St. Leon und Juſſuf, der noch mit dem. Iehten 
Kanonenfchuß des Bairam’s, von Algier kommend, 
wo ihn eine neue Kabbuhra fo lange zurüdgehalten 
hatte, bei mir eingetreten war, begleiteten mich 


310 


bis an den Hafen, und ic) nahm nicht ohne 
Ruͤhrung von diefen fo verfchiedenen, und dennoch 
fo gleich intereffanten Männern Abſchied. Der 
Wind war gut, aber heftig, und fo wie wir aus 
der Bay ins hohe Meer Famen, ward das Dimi- 
nuttofchtff gleich einem Ball darauf umher geworfen. 
Dazu ſchien unfer Capitain, wie feine geringe 
Schiffmannfchaft, fehr wenig erfahren; denn alle 
veränderte Evolutionen gingen nur mit verworres 
nem Geſchrei und fo unbeholfen von Statten, daß 
einmal, beim Umlegen des Segels, der Matrofe, 
welcher das Tau in der Hand hielt, davon fort 
geriffen hinfiel und wir felbft noch ſchnell mit 
eingreifen mußten, widrigenfalls die -Segelftange 
leicht hätte brechen, oder das ganze Schiff gleich 
zum Anfange umgeworfen werden koͤnnen. Wir 
vermochten nicht lange auf dem Verdecke auszu: 
halten, weil die Wellen e8 fortwährend überfprißten, 
und wurden nachher unten Alle elend Franf. Im 
Laufe des folgenden Tages fing es an noch ſchlim— 
mer zu werden; der Wind fehlug plöglich) um, 








311 


und das Meer tobte fo wild, daß unfer Kahrzeug 
bald haushoch in der Höhe fchwebte, bald eben 
fo tief wieder hinabfuhr. Wir befanden uns in 
einer um fo unangenehmeren Alternative, da wir 
linf3 die unbewohnte Felfeninfel Galita, welche 
mit drei bis vier obelisfenartigen Pils im falben 
Mondenfchein aus den Fluthen hervorftieg, rechts 
aber das gefährliche Ufer der Küfte des Continents 
neben uns hatten, und leicht von dem haufig 
wechfelnden Winde auf eine oder die andere Seite 
geworfen werden konnten. In dieſem Falle würde 
uns nicht viel Anderes bevorgeftanden haben, als 
an unmwirthbaren Felfen zu fcheitern, oder auf den 
Sand der Küfte zu laufen, wo die hier fehr boͤs— 
artigen und faft unabhängigen Araber felten den 
Schiffbruͤchigen das Leben laſſen. Diefe üble 
Befchaffenheit und gleiche Treulofigkeit der Winde, 
des Meeres und der Menfchen, machen daher auch 
für die Kleinen Handelsfchiffe die Fahrt bier fo 
unficher, dag fortwährend Unglüdsfalle an der 
Tagesordnung find. So erhielten wir erft vor 


312 


acht Tagen in Bone die Nachricht, daß bei einem 
nur fchwachen Unwetter ein Schiff, das wir noch 
felbft abfegeln gefehen hatten, kurz vor Biserta 
gefcheitert war, wobei fünf Neifende ihr Leben 
verloren, unter denen feltfamerweife derfelbe Offizier 
fih befinden foll, deffen romantifche Liebſchaft 
mit dem Beduinenmadchen ich erzahlt habe. 

So beforglich daher die Lage war, in der wir 
bis zum Einbrudy der Nacht, abwechfelnd da und 
dorthin umhergetrieben, verblieben, fo macht doch 
die Scefranfheit, wenn fie jenen hohen Grad 
erreicht hat, der faft unerträglich zu nennen ift, 
gegen Alles vollfommen gleichgültig, und in dieſem 
Zuftande befanden wir uns beinahe fanımtlicd), 
Glüclicherweife wurden einige Nothzeichen, die 
unfer Capitain gab, in dem nicht weit rückwärts 
gelegenen unbedeutenden Hafen von Tabarka 
bemerkt, wo fich einige zwanzig Oenuefifche Bar: 
fen zur Gorallenfifcherei anfhielten. Eine derfelben 
fam, da wir wegen Höhe der Wellen in den 
Hafen einzulaufen nicht im Stande waren, uns 





313 


zu Hülfe und ruderten das Schiff, im Tau ge 
nommen, herein. 

Die Ruhe. im Hafen that uns fehr wohl, 
und fobald es Tag geworden war, eilten wir 
begierig ans Land, um uns bei dem tunefifchen 
Aga zu melden, der uns freundlich) empfing und 
zugleich für einige frifche Lebensmittel zu forgen 
verfprach; denn in der Meinung, höchftens nur 
achtzehn Stunden auf dem Meere zuzubringen, 
hatte ich mich zwar mit meiner portativen Küche, 
aber mit nichts darin zum Kochen verfehen. Der 
türfifche Befehlshaber war ein riefenmäßig ge 
bauter, ſchoͤner Kriegsmann, mit einem langen 
fhwarz und weiß gefprenfelten Bart. Seine 
Kleidung erfchien uns Armlich, fo wie feine ordi- 
naire Pfeife, die nicht einmal cine Spige hatte, 
und er trug zu meiner Verwunderung gar Feine 
Waffe. So gering er indeß bezahlt feyn, und 
fo Fümmerlich er leben mochte, fo würdevoll und 
grandios blieb fortwährend fein Benehmen. Auch 
verweigerte er ung ſtets mit wichtiger Miene die 


314 


mehrmals nachgefuchte Erlaubniß, das Innere 
des alten gothifchen Forts zu beſehen, das dems 
ungeachtet in zu elender Berfaffung ift, um 
Europaern irgend einen ernftlihen Widerftand 
leiften zu koͤnnen. Er nahm mit Wohlgefallen, 
aber wie immer ohne Dank, das Gefchenf einiger 
Pfunde Ievantifchen Tabaks an, und bat noch) 
dringend um etwas Schroot zur Jagd, das mit 
dem Pulver das Koftbarfte an diefen Kuüften ift. 
Denn für Pulver und Blei, glaube ich, vers 
fauften die biefigen Kingebornen Vater und 
Mutter. 

Die Inſel Tabarka liegt nur einen Büchfen: 
fhuß vom Ufer, und beftcht aus einen malerifch 
geformten, mit Felfen ſchoͤn verzierten Berge, über 
und über bededt mit den Ruinen der alten 
Stadt gleihen Namens, Auf einige ihrer Grunds 
mauern haben die Genueſer da, wo fich eine 
Selfenwand mehrere hundert Fuß jahlings in das 
Meer herabftürzt, ein großes und ſchoͤnes Schloß 
erbaut, welches jegt von zehn bis zwölf fchlechten 











315 


eifernen Kanonen vertheidigt wird, von Denen 
einige überdies noch, wie Fernröhre, gen Himmel 
gerichtet waren. Mehrere Eleine Befeftigungswerfe 
find auch) ſchon wieder eingefallen, fo wie die 
hriftliche Kirche, in welcher ein befonderer Um— 
ftand als merkwürdig erfcheint. Auf derfelben 
Stelle nämlich, wo, wie man noch deutlich fehen 
kann, der Hochaltar fich einft befand, ift jeßt ein 
dichter Binfenftrauch von bedeutendem Umfange 
emporgefchoffen, und das Myftifche bei der Sache 
ift, daß auf der ganzen Inſel, fo wie felbft auf 
den gegenüberliegenden Uferbergen, die fi) um 
diefelbe ziehen, und fo den Hafen von Tabarka 
bilden, nach Ausfage der Bewohner, Fein einziger 
Strauch diefer Art weiter angetroffen wird. Auf 
dem vorderften der erwähnten Berge ſieht man 
noch ein anderes chemals genuefifches Fort, das 
gleichfalls den Hafen beherrfcht. 

Die Hauptvegetation des Eilandes befteht 
aus Cactus und vielen andern Fettpflanzen diefer 
Gattung, welche in allen Richtungen die Felfen 


316 


befranzen, auc einige Feigen- und wilde Pfirſich— 
baume beugen hier und da ihre Aeſte über das 
an unzähligen Klippen bier ewig hoch auffchäaus 
mende Meer. Die Wirkungen, welche diefe 
fortwährende Brandung auf mehreren der dortigen 
Sandfteine hervorgebracht hat, ift im hohen Grade 
überrafchend. Ganze Selfenplatten fehen täufchend 
fo aus, ald wenn fie mit Hieroglyphen bededt, 
oder Nefte Fünftlicher Bauzierrathen wären, nament: 
lic) in jener Art, wie fie die Mauren fo häufig 
an ihren Plafonds anzubringen pflegen. Dies 
Naturfpiel ift dennoch blos daraus entftanden, daß 
das Waſſer die härteren Steinadern fo Fünftlich 
ausgefpart und die weichere Maffe darunter ver; 
zehrt hat, daß eiferner Fleiß und der gefchicktefte 
Meiffel Faum Zierlicheres hervorbringen koͤnnten. 
Der Spaziergang zwifchen diefen Steinlabyrinthen 
rund um die Inſel, war daher in jeder Hinficht 
ungemein intereffant für ung, obgleich an manchen 
Orten fehr befehwerlich. Drei bis vier Matrofen 
von den Gorallenfchiffen halfen mir, von der 





317 


Seekrankheit ganz Ermattetem, über die fchwieris 
gen Stellen; FG... . ſchoß ein Nebhuhn und 
eine wilde Zaube für unfere Tafel, und die 
Uebrigen fammelten wilde Blumen für mic), 
unter denen ſich auch ſchoͤne Gartenaftern vor; 
fanden, die bei ung, fo viel ich weiß, nur im 
Herbfte blühen. Die Ausficht vom Gipfel zeigte 
ung gegen Süden, nach dem Ufer gewandt, ein 
frifches MWiefenthal, das zwei kleine Flüffe — von 
denen der größte Zain genannt wird und chemals 
Tusca hieß — anmuthig durchftröomten und 
viele Vichheerden belebten; die fic) daran fchließen- 
den Berge waren bis an ihre nackten Selfenfamme 
theils mit junger grüner Saat, theils in den 
tiefen Schluchten und über mehrere Abhange hin, 
mit berrlihen Eichenwäldern durchwebt, aus 
denen viel Holz für die tuneſiſche Marine gezogen 
wird. Mehr weftlich entfaltete fich Dagegen fchon eine 
Heine Probe der Müfte, Fahler, gelber, fchauerlicher 
Sand, der fid) weit in das Land hinein, bis an 
den Fuß blauer, mit dem Himmel verfchwebender 


318 


Berge zu erftreden fchien. Gegen Norden glänzte 
im Sonnenfchein nur der, und aus der Nacht 
ominds befannte, Selfenfegel von Galita, und 
des Meeres azurne Flaͤche, auf der die vielen 
Corallenſchiffchen mit ihren flügelartig ausgebreiz 
teten zwei fpigen Segeln, gleih Waſſernymphen, 
umher gaufelten, Auf der vierten Seite ſchloß 
der dunkle Vorhang der Hafenberge, auf dem 
oben das Genuefer - Schloß, unten römifche 
Ruinen erfchienen‘, jeden weitern Bli in die 
Berne. 

So ſchoͤn und wolfenlos der Himmel war, fo 
ungünftig blieb der Wind, und vor der Hand 
fchien an Feine Abreife zu denfen, Dies war um 
fo unangenehmer, da der Aga auf mein Befragen 
jede Ercurfion im Innern außerhalb der Inſel 
für unthunlich erklärte und auch Niemand zu 
diefem Behuf mitgeben wollte, Es iſt eigenthuͤm⸗ 
lich genug, fo ganz nahe vor fich ein üppig ſchoͤnes 
Land zu fehen, nad) dem uns überdies nod) 
mehrere weitläufige, und offenbar antife Ruinen 








319 


der alten Stadt Tabarka lockten, in deren Spalten 
ein prachtiger Palmbaum aufgefchoffen war — 
und doch nicht hinüber zu koͤnnen, weil die Neus 
gier leicht allzu übel beftraft werden ‚möchte. Die 
dortigen Beduinen, die Zenati, zu jeder Zeit ein 
verrufener Stamm, find dem Bey von Tunis 
nur in fo fern unterthänig, als fie ihm einen 
wenig bedeutenden Tribut zahlen, der alljährlich) 
durch eine bewaffnete Expedition, welche in der 
Provinz umbherzicht, eingetrieben werden muß. 
In diefem Augenblick ſcheinen fie fich aber in 
einer Art von Rebellion zu befinden, denn bei 
ihrem legten Markt, der gerade unter dem er- 
wähnten Palmbaum ſtatt findet, haben fie, wie 
wir hörten, allen Reſpekt für den mit einigen 
feiner Türken gegenwärtigen Aga fo fehr aus den 
Augen gefeßt, daß er fich zu einem eiligen Ruͤckzug 
gezwungen fah. Einer der Topschi (Kanpniere), 
ein fchöner junger Mann mit cinem faft eine 
halbe Elle meffenden blonden Schnurrbat, wies 
ung feine von zwei Kugeln durchlöcherte Bernus 


320 


vor, indem er erzählte: daß er crft am Tage vor 
unferer Ankunft diefen Denkfzettel davon getragen 
habe, als er Abends den jenfeits des Hafens 
ltegenden Berg hinangeftiegen fey, um eine Bot: 
fhaft des Commandanten nach dem dortigen Fort 
zu bringen. 

Yuf ganz Tabarka befindet fih, außer dem 
Schloß, Fein Haus, das irgend Jemand zu 
beherbergen im Stande wäre, Die einzige Art 
von Unterfommen gewährt ein zu Staͤllen und 
einigen dürftigen Soldatenwohnungen eingerichteter 
Ruinenhaufen am Ufer, vor welchem unter einem 
Strohdach ein maurifcher cafe etablirt war. Hier 
ftanden rohe Steinbanfe umher, und der ga, 
wie fammtliche zerlumpte Krieger der Garnifon, 
nebft einigen chriftlichen Matrofen, brachten bier 
ihren Tag mit Tabafrauchen und Kaffetrinfen zu. 
Auch ich war genöthigt, um dem Schaufeln des 
Schiffs fo viel als möglich) zu entgehen, bier 
meinen temporären Aufenthalt alle Tage zu wäh 
len, und hatte zu dem Endzweck mit 5... Die 





321 


eine ganze Banf in Befchlag genommen. Hier 
frübftückten wir, aßen zu Mittag, lafen und 
fchrieben, welches Keßtere immer viel Neugier 
erregte, den Tuͤrken aber, ihren verdrüßlichen 
Mienen nach, nicht fonderlich zu gefallen fchien, 
Unter dem bedeckten Thorweg des Gemaͤuers 
hatte fich ein Barbier im freien Durchzug der 
Luft angefiedelt, der zugleich einen Handel mit 
Pfeifenröhren, Rauch- und Schnupftabaf und 
dergleichen trieb. Sein ganzes Ameublement 
beftand aus einem Tifch, einer Banf, auf der 
er fchlief, und einen von kleinen Knüppeln zuſam— 
mengefügten Tabouret, auf das feine Kunden fic) 
fegten, einem halben Dutzend ſchmutziger Meffer, 
die wie Grasſicheln ausfahen, und einem hiervon 
fehr abftechenden eleganten Handfpiegel, der mit 
Perlmutter reich) ausgelegt war. Es bot ein 
unterhaltendes Schaufpiel dar, alle die verfchiede: 
nen oft fehr ausdrudsvollen Kahlkoͤpfe zu betrach— 
ten, welche er nach und nad) unter fein Meffer 
befam, und bei denen er immer damit anfing, 


Semilaffo in Afrika. II. 21 


322 


nit einem großen Pferdefamm  forgfaltig den 
langen Zopf zu Fammen, den die Mufelmanner 
auf der Mitte des Scheitels ſtehen laffen. 

Zu haben war übrigens hier auf ganz Tabarka 
Nichts, als Kaffee ohne Zucer, Eier, Milk, 
fchlechte Butter voller Haare und Unrath, Hühner 
und vortreffliches Waffer, von dem über ein 
Dusend, zum Theil antike, Brunnen auf der Inſel 
gefunden werden. 

Aus diefen Ingredienzen, verbunden mit dem 
Wenigen, was wir noch mit uns hatten, und was 
die Jagd gewährte, wußte uns jedoch mein junger 
Maure Muftapha, der, wie ich zu meinem großen 
Vergnügen jeßt erfahre, ein halber Koch ift, ganz 
leidlich zu bewirthen. 





i 





Huf dem Mieere, den-16. April 1835. 


Der Menſch denft, Gott lenkt! Als wir 
von Bone mit dem beften Winde auf dem leichten 
Schiffchen abfegelten, das der Capitain obendrein 
für einen Schnellfegler ausgab, erwarteten wir, 
höchftens einen Tag unterwegs zu feyn, und heute, 
nach faft einer Moche, wiegt uns, nad) wie vor, 
noch immer das Meer, während wir Faum Die 
Hälfte unferer Reife zurückgelegt haben, auch von 
Tabarka aus wieder vierzig Stunden auf dem 
Waſſer zubringen, und noch Feine Hoffnung des 
Bofferwerdens uns lächelt. Schon fehlt es uns 
ganz an Brod, für das der oͤlig ſchmeckende 
Schiffszwiebad ein elendes Surrogat ift, an Zuder, 


324 


Butter, Gemüfe und frifhem Echlachrfleifch; die 
luxurioſen Dinge find längft ausgegangen, worun— 
ter auch leider die Drangen. Seit geftern tft 
alfo die Tafel auf ein, in Waſſer gefochtes, altes 
Huhn mit dem feinharten Zwieback redueirt, und 
die Entbehrung ift defto empfindlicher, da wir bei 
allem Unglück diesmal fo glücklich find, nicht 
ſeekrank zu feyn. 

Am 14. Morgens, nach einem wunderfchönen 
Sonnenuntergang und Mondaufgang, welche die 
Felfenfpigen am Meer und die Ruinen des altın 
Hafens (unter denen fic) ein noch hervorragendes 
Stuͤck Saͤulenſchaft erhalten, an welches die Schiffe 
angebunden werden) abwechfelnd in Blutfchein 
und Silberlicht getaucht — hatte fich ein frifcher 
Landwind erhoben, den der Kapitain fchnell 
benußte, um unfer unfreiwilliges Exil endlich zu 
verlaffen. Kaum aber hatten wir fünf Seeftunden 
zurückgelegt, als eine totale Windftille uns, todten 
Sandbergen gegenüber, wie mit Polypenarmen 
fefthielt. Einige zwanzig Stunden brachten wir 





325 


auf dieſem Fleck zu, dann trieb ung ein contrairer 
Zephyr wieder einige Stunden abwärts, wozu 
wir abermals einen halben Tag gebrauchten. 
Seitdem löften fich Linde Lüftchen von allen Seiten 
der Windrofe ab, und bald da, bald dorthin, 
fchnecdenmäßig fortgeweht, fanden wir uns heute, 
ungefähr zwei Stunden vor Sonnenuntergang, 
wieder am Fuße der mwüften Selfeninfel Galita. 
Auf einer Tieſe, wo erſt nad) dem fünften oder 
fechften Verſuch das Senkblei Grund fand, ward, 
eine gute DViertelftunde von der Inſel entfernt, 
Anker geworfen, Nie habe ich eine folche Farbe 
des Meeres gefehen, als es hier darbot, durchfichtig 
wie Eryftall, und von einem über alle Befchreibung 
fhonen Blau, das die reichte Auflöfung von 
Ultramarin nicht vollfaftiger und fchimmernder 
hätte hervorbringen koͤnnen. Die bloße Tiefe 
konnte unmöglich die Urſach einer fo prachtvollen 
Farbe feyn, und es muß daher ein anderer ganz 
fpecteller Grund dazu an diefer Inſel ſich vor: 
finden. r 


326 


Sch ließ mich mir $.... und acht der übrigen 
Paffagiere (es waren deren, Chriften und Maho— 
medaner, außer uns und der Mannfchaft, überhaupt 
noch fechzehn in dem Kleinen Echiff) nach dem 
Sande rudern, theils um frifches Waſſer einzu— 
nehmen, theils um wilde Siegen und Kaninchen 
zu fchießen, deren wir mit einem Fleinen Taſchen— 
perfpectiv fchon von weitem mehrere an den 
Abhaͤngen der fchroffen Felſen entdeckt hatten. 
Wir waren Faum gelandet, und hatten angefangen 
auf Steingerölle, mit hohem Binfengras unters 
miſcht, emporzuflettern, als der Himmel ſich 
perfinfterte und der fo lang erfehnte Wind, von 
einem dichten Negen begleitet, plößlich in ftärferem 
Maaße als wir ihn gebrauchen Fonnten, über ung 
Hinzufaufen begann, Wir eilten deshalb um fo 
mehr, die andere Seite der Inſel zu gewinnen, 
die wenigftens mit Strauchwerf bededt feyn foll, 
während die vorliegende nur Grauſen erregende 
Fahle Wände darbot, mit wenigen grünen Dafen, 
auf welchen wir zwifchen dem Gras blühende 








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327 


Melonenronfen und ftarfriechenden Salbei fanden. 
Auch glaubten wir auf einer Spitze vomifche 
Nuinen zu erblicken, was nicht unmöglich ift, 
da man die Inſel auf den alten Charten unter 
dem wenig veranderten Namen Galata fchon 
verzeichnet findet, Ehe wir indeß den niedrigften 
Theil des Kanımes erreichen fonnten, fahen wir 
unfer Schiff Zeichen geben, fchleunig zuruͤckzukom— 
men, und wir bemerften nicht ohne Unruhe, daß 
es feine ganze Lage verändert hatte, und von der 
Bourrasque, die es zwifchen der großen und 
Heinen Inſel mit ihrer vollen Gewalt traf, heftig 
hin und her geworfen wurde. Der im Kahn 
gebliebene Matrofe ſchrie uns jeßt durch die zum 
Sprachrohr geformten Hände mit hohler Stimme 
zus Der Anker ſey im Begriff zu reiffen, wir 
follten um des Himmels willen eilen herabzufoms 
men. Es war jedoch nicht fo leicht, die fteilen 
Abhange mit lofen Steinen, glatten Felfen und 
vom Regen fchlüpfrig gewordenen Binfen im 
Fluge hinabzuklettern, und ich verwünfchte, feit 


328 


Bone als halber Türfe gefleidet, meine weiten 
Mameluckenhoſen, die zum Reiten, zum gravi— 
tätifchen orientalifchen Schritt, und auf der 
Dttomane oder feinen untergefchlagenen Beinen 
fitgend, fo behaglich find, hier aber mich, wie Kunz 
von Kauffungen einft feine Sporen, mehrmals 
faft ind Unglüd gebracht hatten. Obgleich die 
Beſorgniß unfern Matrofen doppelte Kräfte gab 
— denn ward des Schiffes Anfer wirklich los— 
geriffen und trieb der Wind es fort, fo mußten 
wir uns auf Robinfons Schicfal für wenigftens acht 
Tage gefaßt machen, che ein anderes Schiff ung 
wieder hätte befreien koͤnnen — fo waren fie doch 
nicht fahig, die mit zehn Menfchen gefüllte 
Gondel anders als fehr langfam durch die heftig 
widerwogenden hohen Wellen hindurd) zu arbei- 
ten, und die Zeit daͤuchte uns ewig, wahrend der 
wir in fo bedrohlicher Ungewißheit fchwebten. 
Kaum aber hatten wir nach unfäglicher Mühe 
das Schiff erreicht, fo legte fih, wie uns zum 
Hohne, auch faft augenblicklich dic Rafale wicher, 


— 








329 


und ich war noch nicht vollftandig ausgezogen 
um mich ins Bett zu begeben, das ich auf dem 
Schiffe fo wenig wie möglich verlaffe, als das 
Meer zwar noch hoc) ging, aber die alte Wind; 
ftille auch ſchon wieder in der Ruftregion herrichte. 
Jetzt liege ich num, die wohlthätige Geduld übend, 
auf meinem Kopffiffen, dietire $.... mein 
Tagebuch, und fehe durch die ftets offen bleibende 
Klappe der Cajüte die Eonne untergehen. Cie 
vergoldet des, zwifchen ihr und mir fienden, 
Steuermanns buntes Gewand, das aus hundert 
Lappen zufammengefegt ift. Meben den vielen 
Löchern feiner Harlefinsbeinfleider, die ſich noch 
in defolateren Umftäanden als das Oberkleid 
befinden, feet die leßte Henne am Bord ihren 
rothen Kamm hervor, und camaradfchaftlid ruht 
neben ihr ein Eleines getigertes wildes Schweinchen 
aus Bone, das durch) feine Affenpoffen der Liebling, 
und zugleich der unglüdliche Spielball der ganzen 
Sciffsgefellfchaft geworden ifi. 

Eben heißt es, feit die fenrige Kugel hinter 


330 


Galita binabgefunfen, erbebe ſich ein günftigır 
Wind, Der Himmel gebe, daß er uns endlicd) 
am morgenden Charz Freitag erlöfen, und nad) 
dem unerreichbaren Biferta hinführen möge! 








Biferta, den 17. April 1835. 


Neptun hatte ung wirklich genug geneckt. 
Mit frifcher Brife fegelten wir bei Cap blanc, 
Dem promontorium candidum des Plinius, vorz 
über, und diesmal hielt des Gottes gnadige Laune 
bis Biferta aus, deffen weiße Mauern wir mit 
großer Freude gegen Mittag erblichten, die üble 
Stile, wo unfer leßter Vorgänger gefcheitert, 
gluͤcklich mit einem Lootfen paffirten, und alles 
ausgeftandene Ungemach vergeffend, froh und 
guter Dinge in den Hafen einführen. 


Ende des zweiten Theils. 














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In unferm Verlage ift erfchienen ; 


TSavabecder. 


Novellen von Leopold Schefer. 
2 Bände. 8. br. A The, oder 7 fl. 12 Er. 


Ueber den geiftreichen Verfaſſer diefer Novellen 
lefen wir in der Hall, KiteratursZettung: „Leopold 
Schefer ift einer unferer ausgezeichnetften Erz 
zahler und erlangte diefen Ruhm hauptjachlic) 
durch einen überaus großen Neichthum an Ges 
danken, durch Zartheit und Tiefe der Empfindung 
und durch eine herrlich blühende Phantaſie. Er 
verfhmähte es, dem Geſchmacke des Publifums 
das nicht immer das Gediegene fordert und lobt, 
zu huidigen, und hielt ſich fern von einer leeren 
Nachahmerei der Engländer, von der auch beffere 
Geiſter nicht frei blieben, wie Dan der Velde, 
Es lief oft auf ein oberflachliches Skizziren großer 
biftorifcher Charaftere und auf ein genaues Aus— 
malen von Dertlichfeiten und felbft Kleidungsitücken 
hinaus. Der Geift aber fehlte. Dies iſt ganz 
anders bei Schefer und wo er aus der Ge— 
föhichte den Stoff nimmt, da gefchicht es mit 
großer Freiheit und Selbftftändigfeit der dichtenden 
Kraft in ihm. Sein gerühmter Gedanfenreich- 
thum gibt feinen Schöpfungen eine eigenthümliche 
Mannigfaltigkeit in Erfindung und Ausführung. 
Sein Styl ift glänzend und ungemein lebhaft 
und ein fortwährendes Intereſſe begleitet den Leſer 
durch alle feine Erzählungen. 


Biograpbifch-hiftorifche 
HR Brian 


von 


Ernftt Münch. 
2 Bände, 8. br. 3 Thlr. 12 gr. oder 6 fl. 


Inhalt des erften Bandes: 1. Sir Walter 
Raleigh. — 2. Die Liebe Pfalzgraf Friedrich III., und 
Leonorens von Deftreih. — 3. König Chriftiern II., 
das Täubchen von Amfterdam und Mutter Sigbrit. — 
4. Giulio Ceſare (Lueilio) Vanini. — 5. Die Aqua 
Tofana in Nom unter Papft Aferander VIL, und der 
Todtengräber zu Gürau in Nieverfchlefien. — Nachtrag 
zur Biographie Walter Naleighs. 


Inhalt des zweiten Bandes: 1. Siftorifche 
Parallelen und Zeitſtimmen, Belgien und die Belgier 
betreffend. — 2. Zur Gefihichte des Lebens, des Cha- 
vafters und der Negierung König Wilhelms 1. der 
Niederlande. — 3. Die Ereigniffe zu Brüffel im Sep— 
tember 1830. — 4 Bruchſtücke einer Biographie des 
Dempfthenes. — 5. Ferdinand Wanfer, Profeffor der 
Moral und defignirter Erzbifchof von Freiburg. 5 b Habs- 
burg; die Schickſale der Burg und des Gefchlechts in 
gedrängtem Umriß. — 6. Stefano Porcaro. — 7. Vit— 
toria Accoramboni. — 8. Beiträge zur Gefchichte der 
Meerfahrt König Philipps des Schönen im Jahr 1500.— 
9, Floris von Montmorency, Herr von Montigny. 


In diefen Sammlungen wird eine Reihe ber 
rühmter Charactere und anziehender Erfcheinungen 
aus verfcbiedenem Zeitraum der Gefchichte, bear: 
beitet nach Quellen, dargeboten, wie fie nach Zeit, 
Muße und Luſt aus der Feder des Verfaſſers, 





theils zum erftenmale hervorgegangen, theils nach 
früheren Skizzen und Verfuchen vollig umge 
ftaltet von ihm zu Tage gefordert worden find, 
Bei weitem der größere Theil ift neu. 


Die Witteisbacher. 


Balladın von Eduard Duller, 


8. br 1 EB nner + 1 HEIST; 


Die Gefchichte der treuen und nie wechfelnden 
Liebe zwischen dem baterifchen Volke und feinen 
FSürften, welche ſich bier als ein durchgehender 
Zug zeigt, tft für Fein anderes deutfches Yand von 
volfsthümlichen Gefchichtfchreibern fo glücklich 
hervorgehoben worden. Der Verfaffer diefer Bal- 
laden hat nicht nur die hohen und edeln Thaten 
der Baiern und ihrer Fürften hier mit dem Reize 
des Verſes ausgeftatter, er hat fie auch poetifch 
verflärt und gewähret durch feine gelungene 
dichteriſche Umgeftaltung biftorifcher Stoffe eben 
fo viel Vergnügen, ale gabe er reine, aus dichte: 
riſchem Gefichtspunft aufgefaßte Empfindungen. 


Erzählungen 


und 
Phantasiestücke 
von 


Ludwig Bechſtein. 
4 Bände 12. br. 6 Thlr. oder 10 fl. 48 Fr. 


Erfter Band: Die Opfer des Wahns. — Der 
Mastenball. — Des Schickſals Walten. — Die arme 


Seele. — 

Zweiter Band: Manoel. — Der Pedell. — 
Die Viſion. — 

Dritter Band: Zettelträgers felige Nächte. — 
Die beiden Rofen. — Die Singftube. — 

Bierter Band: Die Babenberger. — Der Mind. — 
Der Naturforfiher. — 


Der Verfaffer diefer Erzählungen und Phan— 
taſieſtuͤcke hat mit denfelben der Kefewelt ohne 
Zweifel ein angenehmes Gefchenf gemacht. Was 
diefe am meiften zu fchaßen pflegt, findet fie hier 
wieder, und der gebildete Lefer noch mehr, Phan— 
tafie, eine anmuthige, klare Darftellung, Charak— 
teriftif, eine eindringliche Schilderung der Leiden— 
fchaften, fo wie ein leichter, fließender Styl find 
Talente, die den Verfaffer auszeichnen, und die 
er in diefen Erzählungen vollfonmen geltend zu 
machen wußte. 


Stuttgart. 
Hallberger’iche Verlagshandlung. 





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