BE en
a nn
Il
IR «
Ft:
|
\
j
> .
—
—
= =. 3 - —
=
Semilaſſo in Afrika.
Semilaſſos vorlegter Weltgang. IT. Th. ıte Abth.)
—
7. ® IN Ser 11. oda a 1.
y eb hon- — USMAV, Perman vawa "Meta o \
CH x
le» \
SGemilasso:
I vr ı.B ia,
A A
Algier.
Aus den Papieren des PVerftorbenen
Hiezu die Abbildung :
Anficht von Algier.
Mit Koͤnigl. Württemb, Privilegium.
Stuttgart,
Hallberger’fhe Verlagshandlung.
BET BA
1836,
HAF
PITTkse
582839
A.5.54
Inhalts-DVerzeichnits
erftien Theil,
Erfiter Brief.
| Seite 1.
Die armen Landragen im Bauch des Krokodils. Er—
wachfenen bringt das Wiegen Noth. Furor - anglo-
manus einer Schaufpielerin. Berlin-oüu est cela?
— — Ah, je comprends. Cultus der Druiden,
des Feuers und der Katholiken des Mittelalters neben
VI
einander. Aus den Wolken fallende Pudel. Großes
Feſt in Napoleons Geburtshaufe. Bildergalerie yon
Gafeerenfelaven, Welch unfhäßbares Gut muß doch
die Freiheit feyn, Portrait des berüchtigten Grafen
de St. Helene. Glänzende Lage, nur zum Diebs-
handwerk benußt. Die Hierifhen Infeln find nackte
Selfen. Der Theaterfelfen in dem ſchönen Hieres.
Gärten des Örafen Beauregard und des Herrn Fille.
Glorreiche Laufbahn eines Schneiders. Algier. Faft
taghelle Mondnacht in Afrika. Sommer im Winter.
Beilner’fche Porzellanöfen in Riefenhöhe. Stadt von
Biseuit. Mosquee chretienne — katholiſche Kirche.
Die Cassuba und Marienburg. Beitrag zur neueften
Ausgabe des Dietionaire de ’Academie: — coup
d’evantail: eine Ohrfeige. Pulvermagazin mitten in
der Nefidenz. Fünf Dey's und Ein Tag. Aloe-
bfüthenftengel als Brennholz. Das Bettlerconcert.
Pathetifche Würde der Krämer in Algier, Allgemeine
Ehrlichkeit der dortigen Gaffenjungen. Spazierriit
mit Heren von Baccuet. Ein zwanzigfähriges Pferd
voll unbändigen Feuers. Graf Erlon, der freund-
liche Greis von altem Schrot und Korn. General
Rapatel und Admiral Graf de la Bretonniere,
VII
Großes Feuerwerk auf dem Waſſer. Der berühmte
Juſſuf. Bruchftüde aus feiner Lebens-, Liebes- und
Leidensgeſchichte. Die gigantifche Verſtandesmaſchine:
Napoleon, Heirathsceremonieen. Zärtlichkeit ver
Türken gegen Geliebte, Pallaft des Gouverneurs.
Theater in Algier. Mißverftandene Oekonomie.
Keflerionen über ein erfolgreiches Civiliſationsproject
für Afrika. Locale Schwierigfeif der Exeurfionen.
Höfliche Balleinlapungspeputation.
Keifejpurmnal.
Seite 125.
‚Warnungstafel — als gültig vorausgefeßt — für die
Damen. Entdefungsreifen durch die Straßen von
Algier. Anfälle ver Ruffiani auf öffentlicher Straße.
Armefünderinnenregifter zu Don Juan. Neue Modelle
VIII
für Werther in der Schweiz. Die unbeweglichen
drei Götzenbilder, oder die Tabakrauchenden Schickſals—
ſchweſtern. Gloſſe über mauriſche Sprache. Faſt
Ariſtophaniſche ombres chinoises. Beneſizball des
Roi de Ribauds. Erinnerung beim Tanzen an bie
— Caroline. Originelle Weiſe, den
Schönen Geſchenke zu machen. Mauriſche Birtuofen.
Zahlung nach Belieben in den Caffee’8 zu Algier.
Intereffante Pifite beim Admiral Herrn de la Bre-
tonniere. Anefoote von Lord Wellington. Herrn
de la Bretonniere’8 calamitofe Conferenz mit dem
vorigen Dey. Kein Herrfcher ift glücklich durch feine
Macht. Ball ver Kaufmannfchaft. Zug nach Buf-
farik. Bortrefflichkeit der arabiſchen Miethpferde.
Duera. Eine vom Militair gebaute Landftraße.
Fort de l’Empereur. Die Colonie El- Ibrahim,
Erinnerung an die liebe Heimath. Die Suaven.
Ihre Waffen und zwedmäßige Tracht im Gegenfaß
der unmilitairifchen Ausftattung der Soldaten in
Europa. Landesproducte. Die elegante Spanierin zu
Roß. Diner en regle im Caffée de l’armee
d’Afrique. Sommernacht im Januar. Bis auf
Kinder verbreitete Sternfunde der Araber. Die
IX
vermeinte Schlange im Bufen, Capitain Bonorand,
ein großer Literatus. Dejeuner beim General Ra-
patel, Die Truppen der Expedition. Demologie.
Der Markt bei Buffarik. Raſirte Pferdeſchwänze.
Säbel, der um alles franzöfiiche Gold nicht feit ift.
Der biisfchnelle Doctor. Die nie fehenden Specu-
lanten. Projeet zur Wiederbelebung des Eurppäifchen
Mittelalters in Afrifa. Der gewandte Kopfabfchneider,
Keitereitelfeit. Taktif der arabifchen Gebürgspölfer.
Ein lahmer Heiliger. Nachzuahmende Pferdetränfen.
Hannöverſche Bekanntſchaft. Gelungene Vermittlung.
Fundgrube für Almanacserzählungen. Bruchſtücke
aus der Lebensgefhichte eines Mainzer Abenteurerg.
Lob des Clima's. Der Winde der Wüſte. Pradt
und Barbarei bei einer türfifchen Hochzeit. Reprä⸗
ſentationsdiner beim Gouverneur. Herr Lecoq.
Klage um die untergegangene goldne Zeit des
Prügelns und Spießens. „Wenn das Wort von
Silber iſt, fo iſt das Schweigen Gold.“ Rieſen—
mäßige Tabakpfeifen. Scheuleder hinter den Augen,
Gefahr, fih in Algier in einer Portechaife tragen
zu laſſen. Topographie von Algier. Mangelhaftigkeit
der Umgebungen. Producte. Aloe- und Cactus—
X
zäune. Gactusplantagen. Corhenillenzucht. Schlechte
Militaireafernen. Türkifhe Wafferleitung in römi-
ſchem Styl. Badöfen der Soldaten Garl des
Fünften. Landhaus des däniſchen Conſuls. Eng—
liſcher Park bei der Billa des Oberſten Bernelle.
La maison riche, Nirgends ſoll die Erde voll-
tommen feyn !
weiter Brief.
Seite 223.
St. Simonismus. Homöopathie. Gleichheit ver Häufer
in Algier. Bauvorfihläge zu einer bequemen Woh—
nung. Das Wunder in Nantes, Mufelmännifche
Frömmigkeit. Beſuch der Mofchee in Strümpfen.
Gelofreier Kirchenbefuh. Feier des Rhamadan.
Bekanntſchaft mit vier belgifchen Marineoffizieren
XI
auf dem Landhaufe ihres Gonfuls. Anfall von
Heimweh. Der Tiebenswürdige Amphidryon. Der
Dichter bis in die Fingerfpigen. Anekdote von Yord
Byron. Sendung des Herrn Lecoq nad) Marokko.
Die Reichen im Monde. Eroberung vieler Länder
ohne Blutvergießen. Sinnreicher Vergleich Belgiens
mit Algier. Argumentum ad hominem. Ein
Pröbhen von der Etikette am Maroffanifchen Hofe.
Staatscaroffe des Kaifers von Marokko. Bewun—
dernswerthe Negercavallerie. Der zu robufte Re-
buste. Landhaus des Herrn Lacrousse, Vornehmer
Eſel aus Tunis. Behaglichkeit der vrientalifchen
Lebensweife. Mauriſche Bäder. Lobensmwürbige
Ehrlichkeit der Badediener. Manier zu baden. Fa
bono? — Si, fa bono. Wohlfeilheit des Gebrauchs
ver Bäder. Prel- und Trugſucht der hiefigen
Europäer. Sold der fihlafenden Sicherheitswarhe.
Giviler Preis der famminen Hofen. Der politifche
Schneider und der Sattlergefell sans gene, Schreden-
erregendes Schaufpiel eines Sturmes. Schauerliche
Pracht des wüthenden Meeres. Der Robuste: von
vielen Schiffen das erfte Beifpiel der Zerftörung.
Heldentod des Herrn de Livois im flurmbewegten
xıE
Meere. Schätzung des vom Sturm angerichteten
Schadens. Der im Waffer ſchwimmend unabfolvirt
fterbende Abfolsift. Hartnäckiger Kampf des l’Eclai-
reur und einer feinen Govelette mit ven Wellen.
Beifpiele der faft unglaublichen Gewalt des Sturmes.
Aber felber die Alles verfchlingenden Wogen refpec-
tiren das Geld.
eritev Dr ver
An die Frau Fürſtin von PB... Mt...
Mittelländifches Meer,
den 12, Januar 1835.
Ich ſchreibe Dir, meine Herzensfreundin, aus
dem Bauche des Crocodil's, gerade auf halbem
Wege zwiſchen Frankreich und Algier, Port Mahon
mit ſeiner langgeſtreckten Inſel, uͤber die der hohe
Pik von Majorka hervorſchaut, im Angeſicht.
Schon wehen die Luͤfte ſuͤdlicher, aber wir armen
„Landratzen“« find alle krank. Denn das Meer
geht hoch. Sonderbar! man wiegt das Kind,
um es beſſer ſchlafen zu machen, und den Erz
mwachfenen bringt es fo viel Noth, che fie das
Semilaſſo in Afrika. I. 1
2
Mogen des Meeres vertragen lernen. Auch hierin,
wie in fo Vielem, ift die Kindheit das glüdliche
Alter. Mir aber bitte ich jeßt für ein Fleines
Dpfer, ja für einigen Heroismus anzurechnen,
daß ich troß Lord Byron’s Ausfpruch: Feine Liebe
widerftehe der Seekrankheit — dennoch Dir in
meiner Hangematte zu fchreiben die Kraft befiße.
Aufrichtig gefagt, geftern ware e8 mir unmodglich
gewefen, heute leide ich aber nur noch fehr wenig,
und daß ich diesmal fo fchnell genefe, ſchreibe ich
dem befolgten Regime zu, welches ic) Dir daher
zu Deinem und aller angehenden Seefahrer Nußen,
wenn ich noch etwas mehr Erfahrung darüber
gefammelt, nächftens ganz ausführlich mittheilen
werde; denn fo Fleinlich dies Manchem vorfommen
mag, Andern, die fih mit mir in gleicher Lage
befinden, wird es fehr willkommen erfcheinen.
Die erften Afrikaner, mit denen ich auf dem
Schiffe ſchon Bekanntſchaft gemacht habe, find
mehrere hunderttauferd Kleine Käfer von brauner
Farbe, die meine Cajuͤte bededen, und die
3
ich zuerft mit Schaudern für etwas noch weit
Schlimmeres anſah. Es find indeß ziemlich harm—
loſe Thierchen, die nur langſam kriechen, nicht
ſtechen, und weit entfernt, die zaͤhe Lebenskraft
eines Floh's z. B. zu beſitzen, ſchon durch eine
ſtarke Beruͤhrung getoͤdtet werden koͤnnen. Da ſie
aber in ſo großer Menge vorhanden ſind, und
uͤberall eindringen, in die Ohren, Augen, Naſe
u. ſ. w., ſo machen ſie ſich doch ziemlich un—
bequem. Als ich bei meinem frugalen Mittageſſen
eine weiße Serviette auf mein Bett gebreitet hatte,
war ſie ſchon in fuͤnf Minuten ganz ſchwarz
durch die kleinen Kaͤfer geworden, und ſo ſchnell
ich mein Mahl auch beendete, ſo blieb es doch
faſt unmoͤglich zu vermeiden, mit jeder Schuͤſſel
einige dieſer unſchuldigen Creaturen mit hinunter
zu ſchlingen.
Ehe wir nun, liebe Lucie, jenen andern Welt—
theil, von dem die um mich wimmelnden Scarabaͤen
mir die erſte Kunde bringen, ſelbſt erreichen, muß
ich noch einiges Europaͤiſche nachholen. Da meine
4
gute Mutter bei Dir ift, fo wirft Du meinen
legten Brief an fie aus Toulon ohne Zweifel ges
lefen haben. Sch beziehe mich daher auf diefen
und füge nur hinzu, was darin unerwähnt blieb.
Befümmert über alle die unglüclichen Nach-
richten, die ich erhalten, ging ich während meinem
fast zehntägigen Aufenthalt in Toulon wenig aus.
Auch kenne ich Faum eine Hafenftadt, die fo arm
lich und langweilig wäre. Das Theater, in Form
eines langen Darm's gebaut, ift das fchledhtefte,
was mir noch in Franfreich vorgefommen ift, und
das Publikum fo gemein, daß, fo oft ich es be
fuhte, auch immer regelmäßig eine Schlägerei
im Varterre ftattfand. Einmal führte mich mein
Unftern neben eine eben angefommene, neuengagirte
Schaufpielerin, die, mich für einen Engländer
haltend (eine Ehre, die mir fo oft widerfährt,
ohne daß ic) fie gehörig zu ſchaͤtzen wüßte), mich
auch in der Sprache diefer Nation anredete, was
jedoch unmöglich zu verfichen war. Nach mehreren
vergeblichen Verſuchen zwang fie mich in franz
m
0]
zöfifchen Worten, der Vertraute aller ihrer mannig-
fachen Schickfale zu werden, und nach Beendigung
des erſten Aftes bat fie mich aar, fie nach Haufe
zu führen. Da ich dies: jedoch ablehnte, meinte
fies wenn ich nur wüßte, wie fehr fie die Eng-
[ander liebe, würde ich nicht fo fier mit ihr ſeyn.
„Gewiß nicht,“ erwicderte ich; „da ich aber nur
ein fcheinbarer Englander bin, müffen Sie ſich
an einen Achten adreffiren,“ und dabei zeigte ich
ihr Lord Brougham, den ich eben, nicht weit von
mir in einer Ede verborgen, erblickt hatte, Sein
Genius muß ihm aber ohne Zweifel etwas von
der drohenden Gefahr zugeflüftert haben, denn
während meine ftarf nad) Grog duftende Nach:
barin bereits firategifche Operationen begann, um
fih ihm unvermerft zu nähern, verließ er das
Theater und Fam nicht wieder,
Unglaublich ift der Mangel an Handel und
Verkehr in diefer Stadt. Es war mir nicht ein:
mal möglich, leidlichen Thee Hier zu finden, Nur
die Apotheker verkauften etwas Aehnliches, was
6
die einzigen Abnchmer deffelben in Toulon, die
Kranken, gewiß noch Fränfer macht; denn ich fand
beim Abkochen Blätter von fünf bis fechs ver:
fhiedenen Pflanzen darin. Eben fo ging es mir
mit vielen anderen Bedürfniffen. Ich hatte mic)
hier für die Reife im Orient equipiren wollen,
und fand Nichts, was zu brauchen war. Aber
felbft um Etwas von bier nad) Deutfchland fort:
zufchicken, begegnete ich den lächerlichiten Schwierig—
keiten. Du darfft Dich, wein Du das Folgende
gelefen, nicht wundern, wenn ich auf meinen Briefs
adreffen zu Berlin noc) hinzufügte: „Royaume
de Prusse ;« denn in dem erften Diligence-Büreau,
an das ich mich wandte, frug man mit einem
air capable: „Berlin — ou est cela®%« „En
Prusse, Monsieur.“ „Ah, je comprends, en
Russie.“ Es ſchien mir zu bedenklich, mein Paket
diefem Bürcau anzuvertrauen, und ich ging daher
in ein anderes. Hier aber nahm man es gar
nicht an, „Comment voulez vous, que nous
nous chargions de cela,“ hieß es, „pouvez
7
vous nous garantir, quil y a des diligences
en Prusse? Dieu sait ce que ce paquet peut
devenir dans des pays inconnus, et s'il se
perd, nous serions oblige d’en payer la valeur.
Nous ne saurions encourir cette responsabilite.“
Um mic) aus der DVerlegenheit zu ziehen, blieb
nichts übrig, ald meine Kifte an den Preußifchen
Conſul nad) Marfetlle zu fchicken, und ihn um
die weitere Beforgung zu bitten.
Ich würde mich ganz verwaist in Toulon ges
fühlt haben, wenn nicht eine günftige Bourrasque
mir Herrn Dufillot, der fich bereits nach Corfifa
eingefchifft, wieder zurücgeführt hätte, Er war
von Ajaccio nur deshalb nach Toulon gefommen,
um zur See nach Baſtia, am andern Ende Cor:
fifa’S, zu gelangen, weil der Schnee den Weg
im Innern über das Gebürge momentan um
practicable gemacht hatte. Nachdem ihn nun
widrige Winde in Frankreich acht Tage aufgehalten,
warf ihn der Sturm zum zweitenmal auf unge
wiffe Zeit wieder hierher zurüc, während unterdeß
8
der Schnee in Corſika längft gefchmolzen war.
So unficher und neckend ift das falſche Meer!
Für mic) war indeß, wie gefagt, dies Er-
eigniß eine Gunft des Schickſals, und mancher
Abend ward angenehm verplaudert, mit Er:
zählungen von Corſika und dem romantifchen
Vaterlande Herrn Duftllot’S, der basse Bretagne,
wo noch fo feltfame Sitten berrfchen; wo neben
einander noch der Eultus der Druiden, der uralte
des Feuers und der Achtkatholifche des Mittel:
alters eriftirt, wo es von meift noch wohlerhaltenen
gothifchen Schloffern und Kirchen wimmelt, die
Leute gut, naiv und gläubig find, die Geiſter und
Gefpenfter noch leben, und jeder Landmann über;
zeugt ift, daß, fo wie ein Boͤſer firbt, ein Ger
witter am Himmel fich zufammenzieht, und aus
der fchwärzeften Wolfe deffelben ein Pudel herab:
fällt, in den alfobald des Böfen Seele fahren
muß, um in diefer Geſtalt bis zum jüngften
Tage die Seen im Gebürge von Garhair zu
umfreifen,
9
Gern hätte ich, wenn es meine Zeit erlaubti,
eine Excurſion nach Ajaccio gemacht, um Napo—
leon's Wiege zu fehen. Vor einigen Wochen fand
dort ein intereffantes Feft ftatt, was dem neuen
Gouverneur, dem General Lallemand, im Haufe
Napoleons gegeben wurde, Der General benußte
diefe Öelegenheit, in einer Nede, welche großen
Enthufiasmus hervorbrachte, eine Erzahlung feiner
Berhaltniffe zum Kaifer einzuflechten, die manches
Treue und Unerwartete enthalten haben fol. Man
fpeiste nachher in demfelben Zimmer, wo Napo—
leon geboren wurde. Die Corfen, welche ich hier
ſah, find mit Recht alle fehr ftolz auf ihren
Helden, der der größte Mann des neuen Europa’s
geworden; von den jeßt Lebenden aber tft der
Ambaffadeur, wie fie ihn nennen (Pozzo di Borgo),
der Gefeiertfie. ES fcheint auch, nad) ihren Aus-
fagen, daß er nicht nur große Befigungen auf
Corſika in Eultur feßt, fondern auch viel Groß—
muth gegen feine Landsleute ausübt, wovon mehrere
Beifpiele gerühmt wurden.
10
Das Aıfenal, diefe Welt im Kleinen, habe
ich noch mehreremal befucht, und immer etwas
Neues dort vorgefunden. Das Lettemal ſah ich,
bei einem der Commiffeirs, eine merkwürdige
Sammlung Bilder verfchiedener der berüchtigften
Öaleerenfelaven, nebft den mannigfachen Verfuchen,
die fie zu ihrer Rettung gemacht. Einer hatte
ich vierundzwanzig Stunden lang, bis an den
Mund im Waffer, zwifchen den Schiffen ver:
borgen; ein Anderer ſich gar bei lebendigem Leibe
mit Luftlöchern einmauern laffen und niehrere
Zage auf diefe Weife unftchtbar gemacht, bis
fih die ©elegenheit zur wirklichen Slucht darbot.
Welch’ unfchäßbares Gut muß doch die Freiheit
ſeyn, da man ihr folche heroifche Opfer zu bringen
im Stande ift!
Unter allen Portraits intereffirte mich das des
berüchtigten Grafen de St. Helene am meiften,
Dos Stehlen ift gewiß wie das Morden bei
manchen Menſchen eine ganz unbeftegbare Krank
heit; denn nachdem diefer Mann, von den Öalceren
11
entfprungen, mit unglaublicher Kühnheit und Ge—
wandtheit einen vornehmen Namen ufurpirt, dem
Marjchall Soult in Spanien wefentliche Dienfte
geleiftet, den Ruf eines ausgezeichneten Milttairs
fid) erworben, Chef de bataillon in der Garde
geworden war, und fich in vielen der angefehenften
Haufer in Paris, als ein Mann von hoher Ge—⸗
burt und als liebenswürdiger Sefellfchafter, wie
das Kind vom Haufe aufgenommen fand — ber
nutzte er diefe glänzende Lage doch nur, um fein
Diebeshandwerf fortzufegen, bis dies endlich zu
feiner Entdeckung führte Auch bier entrann er
noch einmal mit der größten Geiftesgegenwart,
ward aber bald darauf wieder ergriffen, und ift
jeßt, mit allen Zeitlebens Verurtheilten, in Breft;
wo er jedoch, wie man fagt, noch immer die
tournure und aisance eines Mannes von Stande
beibehalten heat, und fie felbft gegen feine Mitz
gefangenen, die er als weit unter fich betrachtet,
durchzufeßen weiß. Schade wahrlich um ein folches
Zalent! und es ift wohl ein großer Mangel unferer
12
Gefege und gefellfehaftlichen Verhältniffe, daß wir,
zu dem Endzwede der Befferung und Utilifirung
folcher Menfchen, nicht noch ganz andere Anftalten
befigen. )
Den lebten Tag meines Aufenthalts in Toulon
benußte ich zu einer Ausflucht nach Hieres.
Man hört immer von den Inſeln von Hieres
fprechen, ja ich erinnere mich fogar, in Reife:
befchreibungen von ihrer hesperifchen Orangenpracht
ausführlich gelefen zu haben. Ein ficherer Beweis,
daß diefe Neifenden nie da waren, denn die Inſeln
von Hieres find nichts als nackte Felfen, nament—
lich ohne einen einzigen Orangenbaum. Der Ort
mit den berühmten Gärten dagegen ift die Fleine
Stadt Hieres auf dem feften Lande, am Geftade
des Meeres gelegen, mit einer guten Rhede, vier
Lieues von Toulon.
*) Der Graf von St. Helene ift ſeitdem geftorben,
und hat bis zum letzten Augenblid behauptet, wirklich
der zu feyn, für den er fih ausgab.
13
Der Tag war außerordentlich ſchoͤn und füdlich
hell, zwar mit einem Falten Winde, aber heiß in
der Sonne. Die Fahlen, blaßgrauen und blendenden
Felſen, welche bis über die Mitte ihrer Höhe mit
fruchtbarem Boden und vielen hundert weißen
Baftiden bedeckt find, deren bunt glacirte Ziegel:
dacher glänzend in der Sonne funkeln — die
davor liegenden Hügel, denen unzählige, einzeln
aber dicht ſtehende Delbaume das Anfehn zierlich
gefräufelter Lockenhaͤupter geben — dunkelblaue
Berge in der Ferne mit zertruͤmmerten Schloͤſſern
— das weite Mittelmeer endlich mit ſeinen
ſchroffen, gezackten Kuͤſten, machen dieſen Weg,
auch im Winter, hoͤchſt genußreich. Jedoch nur
erſt, wenn man ſich Hieres naͤhert, zeigt Die
Sonne ihren ganzen Netz, und ſchon den deuts
lichen Anklang eines nahen andern MWelttheils;
denn die mit Millionen goldener Früchte bedeckten
Drangenhaine, die das Thal füllen; viele dreißig
bis vierzig Fuß hohe Palmen, welche in voller
Pracht mitten aus ihnen emporfteigen; die von
14
Feigen und Dclbaumen ftrogenden Vorgebürge,
die fich in den azurenen Sluthen wicderfpicgeln;
und endlicy der fabelhaft geformte gigantifche
Theaterfelfen, der ftch fenfrecht über dem Städtchen
erhebt, von Ruinen, Thuͤrmen und verfallenen
Mauern rings umfchlungen, bilden zufammen ein
Gemälde, wie kaum irgendwo Europa ein abnliches
darbietet. Man hat auf der hoͤchſten Spike des
erwähnten Selfens ein kleines rundes Lufthaus
aufgebaut, einfach weiß amgeftrichen und mit
einem Schieferdach verfehen. Viele ärgern fid)
darüber, und es fticht freilich feltfam mit den
nahen Nuinen und den übrigen Umgebungen ab,
nimmt ſich aber, meines Erachtens, bei alle dem,
jo barof auf feiner Höhe, nicht übel aus; und
wird Fünftig um fo mehr Verzeihung verdienen,
da man die Selfentreppen, die im Zickzack hinauf
führen, mit einer Allee junger Drangenbaume
bepflanzt hat, welche, wenn fie glüdlich fort
wachfen, einft den eigenthümlichften Effeet in diefer
Infrigen Region hervorbringen müffen,
15
Zu den berühmteften Gärten im Ort rechnet
man die des Grafen Beauregard und des Herru
Sille. Ich Faufte von dem Gärtner des Letztern
eine Sammlung Samereien aller Zterftraucher
und Pflanzen, die in der Gegend von Hières
einheimifch find. Er forderte SO Francs dafür,
ließ fie indeß für 40, eine fehr gewöhnliche Weife
bei den im Handel nicht allzu gawiffenhaften
Provencalen.
Die Terraffe vor dem Wohnhaufe war im
hohen Grade lieblich. Eine Menge wohlriechender
und fchön gelb beblumter Caſſiabaͤume, duftender
arabifcher Jasmin, blühende Roſenhecken, einige
hohe Palmen, Camellien in reicher Blüthe, nebft
vielen Geranien und andern Blumen breiteren
fid) zwiſchen netten Kiesgangen aus. In der
Mitte befand fih eine Marmorfontaine mit
Goldfiſchen, und von hier ward ein Stern mit
Strahlen von einer Viertelftunde Lange fichtbar,
welche durch ein Orangendiclicht, ganz mit Früchten
bedeckt, gehauen zu ſeyn fchienen. Sch fage ab-
16
fihtlich ein Dieficht, denn in ganz Hieères findeft
Du nicht einen einzigen fo ftarfen Orangenbaum-
ftamm, als wir deren fehr viele in unferem Ge-
wächshaufe befitzen. Während des großen Froftes
vor vierzehn Jahren erfroren alle Orangenbaͤume
ohne Ausnahme, fo daß man fie (und darunter
Veteranen, die mehrere Jahrhunderte gefehen)
fammtlich an der Wurzel abhauen mußte. Daher
haben jetzt faft alle Baume zwei bis fechs Stamm,
was ihnen mit der Zeit ein von dem ehemaligen
fehr verfcbiedenes, und gewiß nicht weniger ſchoͤnes
Anfehen geben wird, auch wegen der vermehrten
Größe ihrer Kronen einen erhöhten Ertrag vers
ſpricht. Schon jet erreichen die firauchartigen
Baunıchen zum Theil beinahe fo viel Fuß Höhe
als ſie Jahre zahlen. Die meiften find jedoch
niedriger geblieben. Man zeigte mir einige,
die von Natur ganz verfchtedenfarbige Blätter
und auch verfchteden geformte Früchte trugen,
worunter die pannafıhirten ſich am artigften aus:
nahmen.
17
Einen flüchtigen Befuch verdient auch der
Garten des Maire, welcher eine Enkelin des
reichen Schneidermeifters Stulz aus London ge:
heirathet hat. Diefer berühmte Mann befchloß
hier vor einigen Jahren feine glorreiche Laufbahn,
wovon ein Marmormonumtent auf dem Kirchhofe
die traurige Kunde giebt. Gewiß fcheint der
Lebenslauf des Verblichenen fehr verftandig. Ob:
gleich er das Unglück hatte, in Deutfchland das
Licht der Welt zu erblicen, befaß er dennoch
die Gefhiclichkeit, in England fteinreich zu
werden; und als das Leben ſich ihm zu entziehen
drohte, war er poetifch genug, in Hieres zu
fterben und fi) unter Pomeranzen begraben
zu laffen. Ohne Zweifel tft er jegt im Himmel,
und hat fo, von Stufe zu Stufe fleigend, das
Syſtem der Verfeetibilität auf eine fchöne Weiſe
illuftrirt, nach meinem Glauben, in folgender
Gradation Stein, Pflanze, Thier, Deutfcher,
englifcher Schneider, Poet, Engel. Gott habe
ihn felig ! {
Semilaffo in Afrika, J. 2
18
Als ich recht matt, müde und hungrig in den
Gaſthof zurückkehrte, läutete man eben zur table
d’höte. Denke Dir meine Ueberrafchung, dort
ungefahr fünfzehn bis ſechzehn Gäfte vorzufinden,
die fammtlich Deutfche waren, worunter drei
Damen. Gewiß ein feltfanes Zufammentreffen!
Sie waren mir Alle unbefannt, bis auf Eine
der genannten Damen, die ſich vor einigen Jahren
drei Monate im M.....er Bade aufhielt, eine
artige, angenchme Frau, deren Du Dich gewiß
erinnerft, und die (ein ficheres Mittel mir zu
gefallen) von Dir mit Enthuftasmus ſprach.
Alle Landsleute nahmen mich fehr freundlich auf,
wir gedachten herzlich) der, immer und überall
geliebten, Heimath, und erft fpät, bei hellem
Mondfchein, einem Kleinen Sturm und fehr Falten
Metter, fette ich mich, von einem großen Theil
der Gefellfchaft bis an den Wagen begleitet, in
meinen luftigen Zilbury.
Unterwegs raubte mir der Wind meinen
legten englifchen Hut, und obgleich ich à tout
— —
19
risque das allerdings ziemlich phlegmatifche
Roͤßlein mitten in der Straße ftchen ließ, um
. den Slüchtling wo möglich noch einzuholen, war
ic) doch nicht im Stande, feiner wieder habhaft
zu werden. Einen jahen Abhang hinabrollend
war er verfchwunden, als habe ihn ein necfender
Geift entführt. Es hätte nichts gefehlt, als daß
wie ich nach einer Viertelftunde vergeblichen
Suchens zurückehrte, auch mein Pferd davon
gelaufen ware, Nicht ohne Zagen ftellte ich mir,
während ich die Höhe wieder hinaufkletterte, dieſe
Moͤglichkeit vor, doc) das gute Thier hatte ſich
nicht gerührt, ja es fchien fogar ftchend eingefchlafen
zu ſeyn. Sch triumphirte demungeachtet zu früh,
denn es erwartete mich noch anderes, unvorhers
gefehenes Ungemadh. Halb erfroren, mit dem
Schlage Mitternacht am Thore angelangt, fand
ic) diefes verfchloffen. Trotz allen Rufens ließ
fi) Feine Seele fehen, und nad) einer halben
Stunde ganz unnüger Bemühungen jeder erdenk—
lichen Art, blicb mir nichts übrig, als mein Heil
20
am andern Thore zu verfuchen. Toulon hat
deren nur zwei: de ITItalie und de France.
Bei dieſem leßteren erblickte ich eine Schildwacht,
die auf dem Walle auf- und abging, und nad)
vielen Parlamentiren, wahrend dem ich mid)
für einen franzdfifchen Courier ausgab, gelang es
mir, diefen Nefruten zu bewegen, einen Augen:
blick feinen Poften zu verlaffen, um den Corporal
der Wache aufzufordern, zum Commandanten
zu ſchicken. Noch eine ewige Stunde mußte ich)
ſehnſuchtsvoll warten, da dffnete fich endlich die
Pforte und ein Offizier mit der halben Wache
fam heraus. Obgleich ich jet den Courier nicht
mehr fouteniren konnte, ließ mich der Offizier,
nach Nennung meines Namens und Vorweifung
meines Paffes, den man in Frankreich nie von
fih laffen darf, dennoch paſſiren. Sch dankte
Gott, denn bis 5 Uhr, wo die Thore dem
Publicum erft wieder geöffnet werden, in Der
eisfalten Nacht auf der Straße oder in dem
offenen Waͤgelchen bivouafiren zu müffen, war
21
Feine troftreiche Ausficht, ein anderes Unterfommnien
aber weit und breit nicht zu erfpähen.
Nun fand ich wenigftens eine warme Stube,
wenn auch Feine Ruhe; denn ich mußte noc)
einpacken und hundert Kleinigkeiten zum embar-
quement am andern Morgen felbft beforgen, da
mein Parifer Bediente nicht von der Art ift, um
ihm dergleichen allein überlaffen zu Fünnen, Er
würde die eine Hälfte vergeffen und die andere
confus beforgt haben.
Wind und Wetter waren günftig, als wir
den Morgen darauf Toulon verliehen, und die
herrliche Umgebung der Rhede ſich im fchönften
Sonnenglanz um uns her grugpirte, wahrend
von dem Admiralſchiff die befte Milttairmufif in
Frankreich uns das Geleit zu geben fehien. Sch
nahm dies für eine gute Vorbedentung an, und
obgleich nicht ganz wohl nach der fehlaflofen
Nacht, begann ich fehr heiter die Neife nach der
unbefannten Ferne und den unbefannten Schick—
falen, bis die Seekrankheit allen romantischen
22
Zraumen ein höchft triviales Ende machte. Als
es Abend geworden war und ich an der Edelcur
im Bette lag, hatte ich auf der einen Seite einen
Glüklichen neben mir, der, ganz vom allgemeinen
Uebel verfchont, eine Eigarre unter feiner Dede
rauchte und luftige Lieder dazu träalferte, wahrend
auf der andern ein noch weit fehlimmer als ich
Letdender, beinahe in Convulſionen verfchted. Es
war cin feltfamer Gontraft, wenn der Eine luftig
intonirte: „L'enfant cheri des Dames; je fus
en tous pays“ u. f. w. und alfobald der Zweite
mit einem wiürgenden Gebrüll einfallend, ein
ſchreckliches Accompagnement dazu lieferte, das
Mitleid in jedem Sinne erregte. Sch fehauderte;
doch nur Geduld, rief meine Philofophie, Alles
überfteht fich, auch dies wird bald vorüber ſeyn,
der Schmerz wird fchwinden ; aber fpäter — die
Freude leider auch!
Rhede von Nlgier, den 13.
um Mitternacht.
O, theure Lucie, welch ein wunderliches Bild
umgibt mich! Wir haben Anker geworfen auf
derfelben Stelle, von der Lord Ermourh Algier
bombardirte. Der Mond fcheint faft tageshell,
ein milder Sephyr fachelt meine Wangen und
füße MWohlgerüche dringen vom Ufer her. Es ıft
Alles wie mitten im Sommer, ruhig wie ein
Spiegel fehimmert das bläuliche Meer; links
erhebt ſich, noch mit Schnee bededit, der Atlas
mit dem gezadten mons serratus der Alten;
rechts dreht der hohe Leuchtthurm feine Feuer
und vor Dir liegt gefpenftifch von dret illuminirten
Minarets matt befchienen, eine fchlohweiße dicht
zufammenhangende Maffe, todtengleich an den
24
Bergen hingelagert. Nicht eine Stadt, nein — der
in ein unermeßliches Leichentuch gehuͤllte Geiſt einer
Stadt ſcheint dieſe ſeltſame Erſcheinung zu ſeyn.
Ohne die Minarets aber, die, gleich Candelabres am
Paradebett, daruͤber glaͤnzen, haͤtte ich es fuͤr einen
ungeheuren Marmorz oder Kalkbruch angefehen.
Wohl eine Stunde weidete ich mid) an dieſem
fremdartigen Schaufpiel und ftieg dann erft im
des Capitains elegante Cajüte hinab, um, während
alle Uebrigen um mich her in tiefem Schlaf be—
graben find, an den grünen Tifche fchreibend, auch)
Dir jetzt eine fanfte Ruhe zu wünfchen. Ich werde
Mühe haben, mich felbit ihr zu überlaffen; denn
reine alte Einbildungsfraft ift von Afrifa’s Küften
mit einem ganz neuen, frifchen Jugendfeuer ans
geftrahlt worden. Du wirft indeß nicht viel dabei
gewinnen, liebe Freundin. Wohl kann es fommen,
daß ich hier mehr genieße und weniger beobachte,
mehr lebe und weniger darüber reflectire.
Algier, den 16.
Um 9 Uhr am andern Morgen debarfirten
wir, Don Neuem ftaunte ich, am Tage wie in
der Nacht, beim Anblick der blendend weißen
Stadt ohne Daͤcher, die, ſo eng zuſammengebaut
daß wenig Straßen uͤber fuͤnf Fuß breit ſind,
eine einzige, ganz compacte, an den Berg gelehnte
Maſſe, ungefaͤhr in der Form eines oben abge—
brochenen Zuckerhutes, bildet. Da nun die Haͤuſer,
wie ihre Platformen, alle Jahr wenigſtens zweimal,
viele jeden Monat, friſch geweißt werden, ſo iſt
kaum hie und da auch nur ein Fleckchen von
einer andern Farbe zu erblicken. Die Minarets,
welche nicht ſchlank, und denen in der Tuͤrkei
daher ganz unaͤhnlich ſind, kann ich Dir nicht
26
treffender fchildern, als wenn ich fage: daß fie
vollfommen riefenmäßigen Feilnerfchen Porzellan-
dfen gleichen, oben fogar von einem ahnlichen
Dande bunter Kacheln und dem Kranz von
Schnörfeln darüber eingefaßt, als Aufſatz aber,
ftatt des Amor’s, Adler’s oder Vaſe, eine Zierrath
mit dem halben Monde tragen. Die Aehnlichkeit
ift vollftändig, jo wie die ganze Stadt, wenn fie
aus Biscuit beftünde, ebenfalls nicht im geringften
anders als jeßt ausfehen Fünnte.
Noch feltfamer für den Europäer erfcheint das
Innere derfelben, um fo mehr vielleicht grade
jeßt, wo neben dem Afrtfanifchen das Sranzöftfche
fih im curioſeſten Mifchmafch eingebürgert hat,
und dadurch den bizarren Effeft noch verdoppelt.
Sp wie wir den Fuß ans Land gefeßt hatten,
fielen hundert braune und ſchwarze Geftalten,
alle in urfprünglich weiße Bernus gefleidet (eine
Art wollener Mantel mit capuchon), die meiftens
in ſchmutzigen Lappen um fie herhingen, wie
Räuber über meine Coffers her, und pruͤgelten
27
fih untereinander, um fie für mich in den Gaft-
hof zu tragen. Ein Aengftlicher würde die Sachen
ſchon für geraubt und verloren angefehen haben,
und mein Parifer Badaud, den Alles, was cr
nicht in der Hauptftadt erlebt hat, aus der Faſſung
bringt, war auch ganz diefer Meinung. Dennoc)
ift eine DVeruntreuung bet folchen Gelegenheiten
bier faft beifpiellos., ES dauerte indeß eine gute
Diertelftunde, che endlich fünf bis fechs diefer
damonifchen MWefen ihrer Rivalen foweit Herr
geworden waren, daß diefe fie mit der fehr um
gleich vertheilten Bürde ruhig abziehen ließen.
Als wir vom Molo ans Thor gelangten,
entftand ein neuer Aufenthalt. Ein langer Zug
von Efeln, Maulthieren, und Kameelen drang
langfam daraus hervor, Voran ritt auf einem
arabifchen Schimmel eine nicht haßliche Negerin,
und allerlei wunderliches Gemengfel folgte. Wir
befanden uns, nachdem wir das Thor paffırt
hatten, in der breiteften Straße der Stadt, rechts
und links die Haufer halb in Ruinen, weil fie
28
die Franzofen zur Verbreiterung der Straße
abgeriffen haben. Ueberall lagen daher Schutt
und Steine umher, zwifchen denen das geranfchs
vollfte Gcwühl Feinen Augenblick abbrach. Die
Safttrager, oft fünf bis fechs für einen Gegenftand,
liefen meiftens im Trabe, und wer fich nicht genau
vorfah, Fonnte leicht umgeftoßen werden, befonders
von den langen Balken, die Einzelne auf dem
Kopfe trugen. Trachten aller Art umringten ung,
fhwarze Kabylen vom Atlas, in weißen Mänteln;
Mauren in ftattlicher bunter Kleidung; Neger
in wahren Harlefinsjaden, über und über mit
grell fchilfernden Blumen und Sternen geftickt ;
elegante franzofifche Offiziere; Suaven und Spahis
in orientalifchefrangöfifcher Uniform; Parifer Son:
bretten und maurifche Bürgerfrauen, die Letzteren
dergeftalt in Leinwand gehüllt, daß nur die Yugen
frei find, und fie ganz ciner Keiche gleichen, die
eben vom Zodtendett aufgeftanden ift, um fic)
noch einmal die Stadt zu beſehen; Juͤdinnen mit
nechten Beinen und Sandalen, aber dazu mit
29
Gold behangen und ein drei Fuß langes tuyau
von Drath geflochten auf dem Kopfe tragend —
alles das wimmelte, mit vielen Thieren untermifcht,
bunt durcheinander. Set ftanden wir vor einem
eingeriffenen Haufe, welches man uns als das Hotel
anfündigte. Sch erſchrack. Ueber den Schutt muͤh—
fam Eletternd, drängten wir uns durch ein enges,
halb demolirtes Gewölbe, traten dann feitwarts
in eine niedrige Thür, und — wie dur) Zauber —
war die Scene verwandelt. Ein eleganter maurifcher
Saal, mit Arcaden rings umgeben, die auf fehonen
gewundenen Marmorfäulen ruhten; die Bögen ziers
lic) mit farbigen Sayancetafeln ausgelegt, in der
Mitte ein wohlgarnirtes Büffet, mit einer nach
der neueften Mode gefleideten Pariſerin dahinter
thronend; eine Menge Heiner runder Tifche vol
dampfender Schüffeln, von luſtigen Gäften ums
ringt, und das Ganze durch den Duft einer guten
franzöfifchen Küche für Hungrige ſehr anzichend
gemacht — beruhigte unfere Sorge, die fich beim
Eintritt das Webelfte erwartet hatte.
30
Faft alle Haufer der Mauren, die man intact
gelaffen hat, find innerlich auf diefelbe, cben fo
zwedmäßige als gefällige Weife eingerichtet.
Zuerft findet man gewohnlich eine Fleine bedeckte
Halle mit Banfen an der Seite, und tritt dann
in einen mit Marmor oder Fließen gepflafterten
vieredfigen Hof, in deffen Mitte oft eine Fontaine
fprudelt, und welchen oben ein Zeltdach deckt,
das nad) Belieben abgenommen werden Fann.
Der. Drient ändert feine Sitten nicht, und der
Doctor Schaw bemerft ſchon, daß der Pſalmiſt
auf dieſe Zeltdecke anſpielt, wenn er ſagt: „Der
Herr breitet ſeine Himmel aus wie einen Vor—
hang.“ Gar viele Stellen der Bibel zeigen
übrigens deutlich, daß zu Chriſtus, wie in früheren
Zeiten, die Häufer der Orientalen vollkommen
den heutigen gleich waren; auch mit der römifchen
Bauart haben fie große Achnlichkeit. |
Doc um wieder auf den Säulenhof zurüd;
zufommen, den man nach unferm Sprachgebrauch
beffer einen Saal nennen würde, fo ift er ſtets
3
auf allen vier Seiten von zwei Stodwerfen Ar:
caden übereinander umgeben, wodurch zwei bedeckte
und geräumige alerieen rund umher gebildet
werden. Langs diefen Oalerteen laufen die Zimmer
hin, welche lang und fchmal find, aber durch große
Nifchen mehr Raum gewinnen, welche Marabuts
heiffen. Geflochtene Matten und Teppiche auf
dem Boden und Divans an den Wänden, mit
funftreichen Schranken, auf denen Vaſen und
dergleichen in Kleinen Blenden ftchen, machen faft
das ganze Ameublement aus. Kamine und Oefen
gab es, che die Franzofen fie einführten, fonft
nirgends hier. Die Fenfter und Thüren gehen
fämmtlich nach der Galerie und den Hof, find
aber vergittert; nach der Straße zu find nur in
der Höhe Fleine bunte Fenfterchen angebracht,
Blumen und dergleichen vorftellend, deren Farben
oft ganz das Feuer des gemalten Glafes in
mehreren gothifchen Kirchen erreichen.
Gewöhnlich führt eine fcymale Marmortreppe
in der Ede des Haufes von Galerie zu Galerie,
32
und auf die Terraſſe hinauf. Diefe mit einer
niedrigen Bruftwehr verfehen, tft der angenchmfte
Aufenthalt in der Abendkuͤhle; und da Algier an
einem fteilen Berge aufgebaut tft, hat man faft
son jedem Haufe die Ueberſicht der ganzen Stadt,
welches an einem Sommerabend, bet ſolchem all-
gemeinen Leben auf den Dächern, den feltfamften
Anblick gewähren muß. Zuweilen iſt er jedoch)
auc) von weniger angenehmer Art. Go erzahlte
mir ein Bekannuter, daß er Türzlic) fein Quartier
verlaffen habe, weil er alle Morgen vor dem
Senfter, an dem er fchlief, auf der Zerraffe des
Nebenhauſes von der Toilette einer Negerin habe
Augenzeuge ſeyn müffen, deren Details zu de
goutant gewefen wären, um ſich einem folchen
Schaufpiel langer auszufegen.
Durch die Gefälligkeit eines reichen Bretagner
Handelsmannes, mit dem etwas fonderbaren
Namen: Pied de Vache, war mein Quartier
bereits früher befiellt worden, und ich fand mich
bald recht bequem und behaglich, wenn gleich fehr
33
eng, eingerichtet, mit einem bhinlänglich großen
Schreibtifch und einem vortrefflichen Bett, durch
dichte Moustiquaires geſchuͤtzt; denn troß des
Winters gibt e$ bereit Moustiques, diefe abſcheu—
liche Mücenart, hier in ziemlicher Menge,
Wenn man vom Meere Fommt, iſt die darauf
folgende Mahlzeit auf dem Lande immer ein
kleines Feft. Unter fo angenehmen Aufpicien in
jeder Hinficht war fie eS uns doppelt; und Du
Fannft denken, daß ich nicht vergaß, mein erfies
Glas Champagner in Afrifa, wie früher an fo
manchen intereffanten Stellen Europa’s, auf
Deine Gefundheit zu leeren. Nach Tiſche führte
mich Herr Pied de Vache, der acht Tage in
Algier vor mir voraus hat, in der Stadt umher,
Es wird eine gute Weile dauern, ehe ich mich
in dieſem Labyrinth von, haufig mehrere hundert
Schritt lang überwölbten, Tußfteegen, die man
hier Straßen nennt, zurecht finden werde. Auf
beiden Seiten derfelben arbeiten in offenen Räumen,
oft ohne Fenfter und Thüren, die Mufelmänner
Semilaffo in Afrika, 1. 3
34
an verſchiedenen Handwerken, oder bieten in ftolzer
Ruhe ihre Waaren fell. Einige der Handwerker
find originell anzufchauen, z. B. die Goldfticer,
welche die langfamfte, aber vortrefflichfte Arbeit
liefern; die Weber, die alles noch mit den
Handen, ohne Mafchine und auf die feltfamfte
MWeife zu Stande bringen — einer von ihnen
faß, als ich vorbeiging, auf dem Dache und hielt
dort, unbeweglich wie eine Statüe, eine Spindel
hoch in der Luft empor, von der ein langer
Faden bis vor die Werkftatt herabhing, und dort
abgefponnen wurde; die Drechsler, welche mit
der einen Hand, vermoͤge einer Art Fidelbogen,
drehen, mit der andern den Meißel halten und mit
den Zchen des rechten Fußes den zu drechfelnden
Gegenftand handhaben, oder vielmehr fußhaben,
u. ſ. w. Jetzt begegneten wir im Gedrange einem
vornehmen Türken, Muftapha Paſcha, Sohn eines
früheren Dey, der ganz ohne Gefolge fich, gleich)
uns, durch die ihre Waaren ausbietenden Juden
drängte. Sch hörte ſpaͤter, daß er einen glänzenden
35
Harem unterhält, und mehrere franzöfifche Damen
haben dort mit fiinen Weibern Befanntfchaft
gemacht. Sie follen mitunter fehr fehon und
angenehm feyn, und die Meiften von ihnen nod)
nie ihre Wohnung verlaffen haben, ald um wohl
vermummt in's Bad getragen zu werden. Gie
fennen daher felbft Algier nur von der Ausficht
auf den Dachern her, find aber bei alledem außerft
heiter und zufrieden, und ohne Wunſch nad) einer
Aenderung ihres Schickſals, das ihnen im Gegens
theil dem der Europäifchen Damen fehr vorzuzichen
ſcheint.
Mit großem Intereſſe ſah ich die ſogenannte
Mosquée Chrétienne, eine Moſchee, die zur
katholiſchen Kirche umgeſchaffen worden iſt. Ein
herrlicher Tempel! gleichfalls in Form eines vier—
eckigen Saals, mit Arcaden rund umher, die im
zweiten Stock, von Saͤule zu Saͤule, immer eine
eigne kleine gewoͤlbte Capelle bilden, deren Decken
in der geſchmackvollſten Steinarbeit, und alle ver—
ſchieden, verziert find. Ein kunſtreicher bunter und
36
vergoldeter Dom det das Ganze, Fleine farbige
Senfter verbreiten überall ihr magifches Dunkel,
Teppiche fohmücen den Boden, und faft mit
Verwunderung beftet fich das Auge auf den haͤß—
lichen, affreus gefchnörfelten Hochaltar mit einer
hölzernen grob angeftrichenen Maria, nebit einem
verzerrten, gefreuzigten Chriftus, welche, mitten
unter arabischen Inſchriften und Stellen aus dem
Koran, die wundervolle Einheit und Zierlichkeit
des fonft untadelhaft fchonen Ganzen hier nur zu
foren fcheinen. Mon bemerkt übrigens an diefen
Gebäuden deutlich, wie vielfach die gothifche Baus
Funft aus der arabifchen entfproffen tft, und in
den Fatholifchen Klöftern, wo die Kreugesform
nicht wie bei den Kirchen de rigueur war, findet
man viele Bauwerke, die diefer Mofchee faft ganz
ahnlich find.
Diefeldbe Bemerfung machte ich, als wir die
Cassuba, die ehemalige Wohnung des Dey, welche
auf dem höchften Gipfel der Stadt liegt, erftiegen
hatten, und ich unter den verfchtedenen Palläften,
37
die, von einer hohen erenelirten Mauer umfchloffen,
dieſe Reſidenz bilden, einen fah, der im Fleineren
Verhältniffen ganz dem fchönften der Gebäude
Marienburgs glich. Leider ift die Cassuba, oder
Cassba, wie fie gewöhnlich genannt wird, uns
verantwortlich verheert, die Arcaden zugemanert,
die Gärten zerſtoͤrt worden, unt da fie jeßt als
Caferne für 1300 Mann, die Offiziere ungerechnet,
dient, ſo kann man daraus eben fo gut ihre im—
pofante Große abmeffen, als im Voraus errathen,
in welchem Zuftande der Unreinlichfeit und Ver:
nachlaßigung fie fich befindet. Alle die weiland
vergoldeten Kiosks, Die große Spiegelgalerie, die
fhönen paves von Marmor find nicht mehr;
felbft die bunten Porzellaintafeln, welche fich als
Banden zwifchen den Stockwerken, als Thuͤr—
und Fenftereinfaffungen u. ſ. w. fo zierlich aus:
nehmen, ſind metftens zerbrochen; die Terraſſen
mit wundervollen Ausfichten durch den efelhafteften
menschlichen Unrath gefchänder, und von den
mannigfaltigen Baͤumen nur noch cine riefenz
38
mäßige Platane und einige zwanzig bis dreißig
Fuß hohe Drangenbaume vorhanden. Kaum der
Schatten des alten Glanzes ift geblieben, und
dennoch erfcheint das Ganze noch impofant und
abenteuerlich in feinen fo entfichten Reſten! Ein
unbedeutendes Holzcabinet von Treillage, auf einer
der Galericen des inneren Hofes, in der Wohnung
des Dey, hat man verfchont: weil es in dieſem
war, wo die berühmte Confularohrfeige (von den
Franzoſen höflich »le coup d’Eventail“ genannt)
ertheilt wurde, und befanntlid dem Dey fein
Reich Eoftete. Er hätte fich des fchonen arabifchen
Spruch erinnern follen; der erfte Begleiter des
Zorns ift Thorheit, der zweite — Neue.
Der arme Mann befaß übrigens feine Macht
unter traurigen Bedingungen, und war fo jehr
fortwährend von ZTodesfurcht geplagt, daß er in
den legten neun Jahren nie fein Schloß und
feine Gärten zu verlaffen gewagt hatte — wahrlid)
fein beneidenswerthes Loos. Auch in der Cassuba
befindet fich eine ſchoͤne Mofchee, mit vorzüglich
39
foftbaren Marmorfaulen, jedoch ebenfalls nun
gänzlich verheert.
Charafteriftifch ift e8, daß ungeachtet der Ge—
fahr folder Nachbarfchaft, das Pulvermagazın,
in Form einer Rotunde mit bombenfeftem Stein:
dad), mitten in der Nefidenz fand, wo aud) eine
Gewehrfabrif und die Münze fich befand, fo wie
in den. Gärten die Pulverfabrik. Während der
furzen Belagerung foll der Dey mehrere Male
jich mit brennender Lunte in den Pulverdom haben
ftürzen wollen, um fich mit allen feinen Schaͤtzen vor
Ankunft der Sranzofen in die Luft zu fprengen.
Mir nahmen unfern Rüdweg außerhalb der
Stadt, den Berg hinab, auf einer ſchoͤnen Chauffee,
die Algier dem: Herzoge von Rovigo verdankt. Sie
führt unrer einem Gewirr von Cactus- und Aloe—
ftauden, mit einzelnen Feigen: und Mandelbaumen,
mitten durch viele Grabruinen, die ihr haben weichen
müffen. Unter diefen zeichneten fich fünf kleine
Gewölbe aus, welche die irdischen Ueberrefte von
fünf Dey's enthielten, die fammtlid) an ein und
40
demfelben Tage erwäahlt und umgebracht wurden.
Erft der Sechste wußte fih zu erhalten. Die
ausländifche Vegetation ergoͤtzte uns ungemein,
befonders fielen mir die Blüthenftengel der Aloe
auf, welche fich oft bis fünfzehn Fuß Höhe über
die Pflanze erheben, und fpater als Brennholz
abgehauen werden.
Am Thore empfing uns ein DBettlerconcert,
Einige Dußend diefer Beflagenswerthen von allen
Hautfarben, auf die Erde Hingefauert und in die
Lappen ihrer einft weißen Bernus gehülft, fiedelten,
trommelten, bliefen und fangen in fürchterlicher
Disharmonie, um auf dem Wege des Ohren
zerreißens die Mildthätigfeit der Vorübergehenden
zu erwecken. Dabei waren ſie jedoch nicht im
mindeften zudringlich und auch für das Wenigite
dankbar.
Sm Gewühl der Stadt wieder angelangt, be
nußten wir den Zufall, uns eben in der rue
Babazun, einer Straße voller Läden, zu befinden,
„to go shopping.“ Dies ift hier etwas Neues
41
in jeder Art, fowohl die Waaren als die Vers
Faufer betreffend. Die Würde der Kegreren, ihre
apathifche Nuhe, ihre oft außerordentliche Schöns
heit, ihre vornehmen und höflichen Manieren und
die fcheinbare Abwefenheit alles intereffirten Wefens
fiechen merkwürdig von den Boutiquiers anderer
Lander ab. Wir Fauften bei einen derfelben, dem
ein herrlicher fchwarzer Bart und fo gut foignirte
Hande als die eines englifchen Dandy’s das Ans
feben eines Prinzen gaben, der auf einer Maskerade
die Rolle eines Türken zu ſpielen uͤbernommen,
mehrere ſchoͤn in Gold geſtickte Muſſelintuͤcher,
Seidenzeug von Marokko, Strohkoͤrbe mit Tuch
durchflochten von Tombuktu, Roſen- und Jasmin—
eſſenz von Tunis, nebſt einigen Dutzend Pastilles
du Sérail, die einer Pfeife Tabak von Latakia
den Parfüm der beſten Raͤucherkerzen geben.
Als ich meinen Beutel öffnete, um zu bezahlen,
flieg mid) ein vorübergehender Laftträger an, und
fünf bis ſechs Napoleons fielen auf die Straße.
Der mauriſche Kaufmann, ohne fich weiter zu
42
rühren, winfte nur mit der Hand; und che ich
noch Zeit gefunden, mid) nach den verlorenen
Goldftücen zu bücden, hatten fie bereits mehrere
zerlumpte Gaffenjungen aufgehoben und über:
reichten fie mir freundlich lachend. Diefe Ehr—
lichfeit ift, wie man mid) verfichert, hier allgemein,
und bei fo viel Buden, in denen zum Theil die
Eoftbarften Sachen den ganzen Tag über ohne
allen Schuß, fo zu fagen, auf der Straße liegen,
freilich auch ganz unerläßlich. Dies hindert jedoch
nicht, daß man im Handel mit allem Anftande
derb übertheuert wird, wenn mar fich nicht in
Acht nimmt, und namentlich fchlagen faft alle
Kaufleute beinahe eben fo viel vor, als unfere
Herrnhuter à prix fixe,
Obgleich noch ſchwach und angegriffen von der
Seefrankheit, und wohl auch vom ungewohnten
Clima etwas afftcirt, unternahm ich dennoch am
andern Tage mit Herrn Baccuet, einem jungen
hiefigen Bangquier, an den ich recommandirt bin,
und der mich mit Artigfeit wahrhaft überhäuft,
43
einen weitläuftigen Spagzterritt in die Umgegend.
Herr Baceuet befißt, nebft mehreren ſchoͤnen andern
Pferden, einen ausgezeichneten Barber aus Marokko,
den er mir zu unferer Excurſion anbot. immer
hätte ich geglaubt, daß einem alten Reiter wie
mir, der fogar einige Neputation in diefer Hinficht
erlangt hat, gefchehen würde, was mir bevorftand.
Diefes wenigſtens zwanzig Jahr alte Pferd hatte
eine folche Kraft und ein fo unbändiges Feuer,
daß ich fchon nach einer halben Stunde, vor Er:
ſchoͤpfung mich ernftlich Frank fühlend, nicht im
Stande war es länger za regieren und mit einem
faſt unerträglichen Nervenfopfivch abfteigen mußte.
Dabei ift noch zu bemerken, daß unfer Weg
fortwährend zientlich fterl bergauf ging, und zwar
meiftens auf einer frifch mit zerfchlagenem Granit
befahrnen Straße. Aber Hufe und Beine diefes
Thieres waren wie von Eifen, feine Lunge fchien
unerſchoͤpflich, und fein Temperament halb toll,
Meine Arme waren noch mehrere Tage davon
wie zerfchlagen. Es ift wahr, daß der Nengft
44
fehr fchlecht gegauntt, und ich felbft, che ich ihn
befticg, fchon unwohl war, aber demungeachtet
hätte ich ein folches Nefultat kaum für moͤglich
gehalten, wenn man mir c8 vorher prophezeiht
hätte. Auch war ich ganz befhyamt darüber, doc)
deshalb nicht weniger entzuͤckt von der unbefiegbaren
Bravour diefes afrifanifchen Wildfangs, der eine
vortreffliche Acquiſition für unfere Geftüte feyn
würde. Die heftige Migraine, die ich ihm vers
dankte, und die mich vierundzwanzig Stunden
qualte, hinderte mich leider eben fo unfern Weg
weiter fortzufeßen, als an dem heitern dine Theil
zu nehmen, das nad) der Zuruͤckkunft bei Herrn
Baccuet ftatt fand.
Sch hatte cin Empfehlungsfchreiben des frans
zoͤſiſchen Gouvernements und einen Brief unferes
gütigen Freundes Breffon an den Gouverneur
von Algier, den ich, fobald ich mich hergeftellt
fühlte, abgab. Sch fand an dem Grafen Erlon,
der viel in Deutfchland gelebt, einen heiteren und
freundlichen Greis, von altem Schrot und Korn,
45
wie wir zu fagen pflegen. Er empfing mich mit
der größten Zuvorfommenheit und behielt mich zu
Tiſch. Dort lernte ich feine liebenswürdige Tochter,
die einer Deutfchen, und feine ſchoͤne Schwiegers
tochter, die einer Spanierin gleicht, Fennen, ferner
den brillanten General Rapatel und den Admiral
Grafen de la Bretonniere, der uns von Trafalgar
und Navarin erzählte, wo er befanntlich mit
dem Breslau, ohne erhaltene Ordre und auf eigne
Gefahr, Hildenmäthig ein ruffiihes Schiff auf
dem entgegengefeßten Flügel rettete, Mit dem
lebhafteſten Intereſſe hörte ich die pittoresfe Bes
ſchreibung jenes beifptellofen Feuerwerks an, als
die Mufelmanner gegen das Ende der Schlacht
einige zwanzig ihrer Schiffe felbft anzündeten, und
das Feuer, langfam fortfchreitend, ohne Menfchen:
hand die geladenen Kanonen abſchoß, bis eing
der brennenden Schiffe nach dem andern in die
Luft flog.
Als das Fremdartigfte zog mich jedoch in
diefer Gefellfchaft ein außerordentlich ſchoͤner Türke
46
an, prachtvoll gekleidet in violetten Sammt und
Gold mit ponceaurothem Turban, und mit dem
Kreuz der Ehrenlegion geſchmuͤckt. Es war der
berühmte Zuffuf, Commandant der franzöfifchen
Spahis in Bona, der, am Fieber leidend, zur
Herftellung feiner Geſundheit nach Algter gefommen
ift. Der eigentliche Urfprung diefes Mannes ift
unbefannt, und er felber außert fich nicht darüber,
vielleicht weil.er weiß, daß das Nathfelhafte immer
am meiſten anzieht. Einige behaupten, er fey ein
geraubtes Chriftenfind; Andere halten ihn für den
Sohn eines europaifchen Sclaven und einer vor—
nchmen Tuͤrkin. Man weiß nur fo viel gewiß,
daß er im Serail des Bey von Tunis erzogen
ward und dort eine Liebſchaft mit der Tochter
deffelben angefnüpft hatte, in deren Folge er nach
Algier entfloh, wo er, der franzöfifchen Sprache
mächtig, in hiefige Dienfte trat. Die Gefchichte
diefes Derhältniffes, wie der dadurch herbei
geführten Flucht, erfuhr ich ſpaͤter aus Juſſuf's
eignem Munde. Sie ift fo feltfam und roman:
47
haft, und erfchien mir fo chevaleresk, jo naiv in
den Ausdrücen diefes felbft bei den graufamften
Scenen immer Findlichen Orientalen, der mir wie
ein fentimentaler Loͤwe vorfam, daß ich mir nicht
das Vergnügen verfagen Fann, ihn Dir bier felbft
redend einzuführen. Da ich feine Worte augen:
bliclich nachher niederfchricb, bin ich gewiß, in
feinem wefentlichen Punkte von ihnen abzuweichen.
„Ich ward“, fagte Zuffuf, „als ein Faum
vierjähriges Kind auf dem Meere gefangen, und,
wie Sie wiffen, im Serail des Bey erzogen.
Bis zum zwölften Sabre lebte ich unter den
Weibern, und ſchon damals verband mich mit
der etwas jüngeren. Tochter des Bey die zärtlichfte
Kinderlicbe, welche von ihrer Mutter noch mehr
genahrt wurde, indem dieſe oft halb im Scherz
zu uns fagte, daß Niemand als ich einft Kab-
buhra *) zur. Srau erhalten follte. Nach dem
*) Wir bemerfen ein für allemal, daß zu den mit
Iateinifchen Leitern gedruckten arabiſchen Worten eine
48
zwölften Sabre werden in Tunis, wo mehr
Drdnung und Bildung als an andern türfifchen
Hofhaltungen herrfcht, die zu Mameluden bes
fiimmten Knaben meiner Art aus dem Harem
entfernt, und forgfältig für den Dienft des Paſcha
erzogen. Cie bilden die Hofleute des Gebieters,
verfehen die höchften Poften im Militair und
Civil, ja felbft der des Bey’s hat ihnen manchmal
nicht zu hoch gefchienen. Auch ich mußte mich,
ſolche Orthographie angenommen worden ift, die dem
Zon derfelben in deutſcher Ausfprache entfpricht, ohne
im geringften auf die arabifche felbft Rückſicht zu nehmen.
Denn fobald man die Worte einer fremden Sprache nicht
mit ihren eigenen Yettern, fondern nur nach) dem Klange
für unfer Ohr wiedergibt, muß natürlich jede Nation
ihre eigene Orthographie wählen. Sp frhreiben z. B. die
Engländer: Hammam -leef, und wir: Hammam -lief;
die Franzoſen: Gjebel, wir: Dschebel; u. f. w. Das
englifche th, fo wie dag graffäjirende r, welches beides
die Araber haben, können wir aber Teider im -Deutfchen
durch nichts ausdrücken.
49
diefer Einrichtung gemäß von meiner kleinen
Geliebten unter vielen Thranen trennen, aber wir
vergaßen uns nicht, und nach einigen Jahren
fanden wir Gelegenheit uns heimlich wieder:
zufehen.«
»Diefe feltenen Zufammenfünfte, über welche
die Mutter wahrfcheinlich die Augen zudrücdte,
hatten ber Anfang der Nacht auf der Zerraffe
meiner Geliebten ftatt, wo wir vor Ueberrafchung
ziemlich ficher waren, da Fein männliches Auge
fi) bei Strafe des Spiefens oder Verbrennens
dahin verirren durfte. Auf zwei der Dienerinnen
Kabbuhra’s aber, die fie immer begleiteten, und
ſich während unferes Zufammenfeyns disſcret
zurüczogen, Fonnten wir wie auf uns felbft rech-
nen. So vergingen wieder mehrere Sahre, in
denen ich immer mehr in der Gunft des Paſcha
ſtieg. Mein Liebesverhältniß mit feiner Tochter
war dabei noch ftets, wenigftens in der Haupt:
fache, unfchuldig geblieben. Bald trieben wir
ausgelaffene Scherze mit einander, bald weinten
Semilafjo in Afrika. I, 4
50
wir zufammen, fchmollten auch wohl zuweilen,
verfühnten uns wieder, und fanfen von Liebfofungen
ermattet, und von der Hite überwältigt, Eines
in des Andern Armen, in wollüftigen Schlummer,
bis die Dienerinnen uns wecten, und wir nad)
vielen zärtlichen Küffen uns bis zur nächften
Zufammenfunft trennen mußten. Dft fchrieben
wir uns, ich ihr nie anders als mit meinem
Blute, das ich mit Wonne für fie fließen fah,
wenn ich mir zu dieſem DBehuf mit meinem
Dolche eine Ader geöffnet. Ich Fünnte Ihnen
wohl zehn Wunden an nieinen Armen zeigen, die
ih) mir auf diefe Weiſe im verliebter Thorheit
beigebracht.“
„Unterdeffen hatte ich einen griechifchen Sclaven
gekauft, einen gewandten und brauchbaren Men—
ſchen von riefiger Geftalt, an den ich mich
fehr attafchirte, und ihm viele Freiheit geftattete.
Zuleßt war ich ihm fogar behülflich in den Dienft
des Paſcha überzugehen, bei dem ich ihm Die
bet uns angefehene Stelle feines Pfeifenftopfers
51
verfchaffte. Er ward jedoch in diefer neuen Lage
bald ziemlich übermüthig, und ließ fich in ver
fcehiedene zweideutige Intriguen ein, fo daß wir
auf einem weniger guten Fuß mit einander zu
ftehen anfingen. In dieſer Zeit ging ich, ftets
bang für die Sicherheit meiner Gelichten, und den
immer reger werdenden Neid meiner Camaraden
fürchtend, nie anders als auf das forgfaltigfte
bewaffnet zu ihr, und aufßerte oft gegen fie, daß,
wer ihr je ein Haar zu kruͤmmen wage, taufend
Tode von meiner Hand fterben ſolle. Auch fuͤhlte
ich mich, jedesmal wenn ich zu ihr hinaufſtieg,
wie ein junger Loͤwe, von aller Furcht fuͤr mich
frei und ledig, nur ſie beſorgt im Auge haltend;
ja ich erinnere mich, daß ich faſt den Tod fuͤr
ſie wuͤnſchte, und mir mit einer Art Entzuͤcken
das Bild ausmalte, wenn man meine Leiche unter
ihren Fenſtern hinaustragen, und fie mit Weh⸗
Hagen und Händeringen mir verzweiflungsvoll
nachweinen würde. An einem unglüdlichen Abend
jedoch, wo ich mich ganz ficher glaubte, vergaß
32
ich alle Vorficht, und ftieg wegen der druͤckenden
Hitze in leichter Kleidung, ganz unbewaffnet auf
die Terraffe. Der glühende Wind der Wuͤſte
wehte, und nach kurzem füßen Gefofe — denn
Bruft an Bruſt gedrüct uns innig zu umfchlingen,
dauchte uns damals noch immer der höchfte
Genug — überrafchte uns Beide der Schlaf.
Ploglich fühle ich mich von einer Rieſenfauſt
ergriffen, und bore einen lauten Nuf. Mid)
muͤhſam aufraffend, fehe ich den coloffalen Griechen
über mir, der mit der einen Hand mic) fefthalt
und die andere in Kabbuhra’s diamantenes breites
Armband dergeſtalt geſchlungen hat, daß er ſie
ebenfalls am Aufſtehen hindert, wozu er fort—
wahrend laut nad) Leuten ruft, um Zeugen unferes
Zuſammenſeyns herbeizuführen. Sch war vor
Wuth und Schrecden auffer mir, Kabbuhra lag
in tiefer Ohnmacht. Es blieb mir nichts übrig,
als den Griechen bei Gott und dem Propheten
zu befchworen, uns nicht zu verderben. Da die
Pracht unfrer Kleidung zu jener Zeit fehr aroß
53
war, fo trug ih Diamanten von bedeutenden
Werthe an mir, die ich alle nad) einander losrif
und dem verratherifchen Griechen aufdrang, der
ſich für Diefen enormen Preis endlich befanftigte.
Die Tochter des Bey, noch immer ohnmächtig,
ward von ihren entfeßten Frauen hinweggebracht,
ich aber eilte, felbft mehr todt als lebendig, mic)
in meiner Wohnung zu verbergen. Vor Schaam
und Verzweiflung fand ich mich, nad) einer
fhlaflofen Nacht, am andern Morgen ernftlich
trank; denn“, fagte Juſſuf in feiner lebhaften
Erzählungsart, und noch jeßt tief auffeufzend,
„ein Mann wird nicht. feines Yeuffern, fondern
nur feines Charakters und feines Muthes wegen
von den Frauen geliebt. Mußte ich nicht vor
Schande vergehen, ich, der ich hundertmal gefagt,
dag ich dem zermalmen würde, der Ihr nur einen
falfchen Blick zuzuwerfen wage — jetzt fie und
mich von einem Chriftenhund (wie ich damals
den Griechen betrachten mußte) gemißhandelt zu
fehben, und ſtatt des verdienten Todes ihm nur
54
gute Worte gegeben, ihn durch Bitten und Gefchenke
befänftigt, und uns fo von ihm losgefauft zu
haben !«
»Diefer peinigende Gedanke demoralifirte mich
ganzlic), ich fühlte mich nicht mehr wie ein Held,
fondern wie ein Jude *), und befchloß feft,
Kabbuhra nicht wieder zu fehen, ja, des Sonnen;
lichtes unwürdig, mein Bett nicht cher zu verlaffen,
bis ſich mein Schieffal gänzlich gewendet habe,“
„Am dritten Tage Fam der Grieche wieder
zu mir und redete mir gütlich zu, verfprach uns
verbrüchliche Verſchwiegenheit, wogegen er, feßte
er hinzu, auf meine fernere Großmuth rechne,
Ich folle mich durch das DVorgefallene nicht
abhalten laffen meine Sntriguen mit des Pafcha’s
Tochter fortzufegen, von ihm wenigftens habe ich
nichts mehr zu beforgen. Aber, erwiederte ich,
du haft jet den größten Theil meines Schmudes,
und auch das Armband Kabbuhra’s (welches
*) Man bittet zu bemerfen, daß hier ein Türke fpricht.
wm
0 757
der Schurfe ihr an jenem Abend von Arme
geriffen hatte). Das muß Furz oder lang zu
einer Entdeckung führen, die dir übrigens eben fo
fchlecht als uns befommen kann. Tarire felbjt
den Werth dieſer Sachen, ich werde dir ihn nad)
und nach bezahlen, und dafür die Steine wieder
einlofen, Der Grieche ging diefen Handel ein,
[hätte das Ganze ungefähr 40,000 Franken und
brachte mir auf die angegebene Weiſe meine
Pretiofen allmahlich wieder zurück, Meinem Vor:
ſatz getreu hatte ich meine Geliebte, ungeachtet
aller Beftürmungen ihrerfeits, nicht wieder gefehen,
und meine Stube eben fo wenig verlaffen, hin—
fichtlich des Griechen aber meinen Racheplan mit
großer DVorficht vorbereitet, Endlich Fam der
Tag, wo er mir das letzte Stuͤck, Kabbuhra’s
Armband, zurücdzubringen verfprochen. Sch lag
im Bett, mit einem breiten Gandfchar unter
der Dede verborgen, als er hereintrat. Der
Paſcha war mit feinem ganzen Gefolge ausgeritten,
und da wir uns im Nhamadan befanden, wo
56
das Geſetz vor Abend nichts zu genießen erlaubt,
fo durfte, nach der GEtiferte des Hofes, der
Pfeifenträger fi den Tag über nicht vor dem
Paſcha fehen kaffen, damit er ihn nicht unangenehm
an die nothwendige Entbehrung erinnere, Wir
waren daher ganz ungeftort. Sch fühle mich
heute recht Frank, Juan, fagte ich, als der Grieche
das bewußte Armband auf mein Bett legte, hier
ift der Schlüffel zu meinem Echranf, mache ihn
nur auf, du wirft einen offenen Sad mit Zechinen
darin finden, nimm die Summe, die Dir zufümmt,
felbft heraus. Der Thor eilte gierig in die Falle,
nahm den Sad und Fniete auf den Teppich nieder,
um das Geld darauf hinzuzählen. Das Herz
hämmerte mir im Bufen. Sch weiß nicht, fuhr
ich fort, was für eine fonderbare Krankheit das
ift, aber jeden Augenblid muß ich aufftchen, um
ein Bedürfniß zu befriedigen. Ber diefen Worten
erhob ich mich, die Bettdecke um mich gefchlagen,
als wollte ich nach) dem Nachttifche zugehen, wandte
mich aber plöglich, und den ©riechen bet feinem
57
langen fchwarzen Haarzopf faſſend, und ihn
wüthend auf den Boden niederreißend, ſchrie ich
ihm in’s Ohr: Haft du geglaubt, Hund, Juſſuf
fo wohlfeilen Kaufs zu meiftern? Nach diefen
Morten fiteß ich dem, vergebens um Hülfe
Nufenden, den Dolch mit folcher Gewalt in’s
Herz, daß er noch zwei Zoll in die Fugen des
Steinpflafters durch den Teppich eindrang. Noch
heute, wenn ich mich diefes Augenblickes erinnere,
fagte Zuffuf mit glänzenden Augen, fühle ic)
einen wonnevollen Schauer mir von den Fußſpitzen
bis ans Herz dringen. Doch hören Ste. weiter.
Ich hatte mir forgfam ein Faß Weingeift, Salz
und ungelöfchten Kalk, nebſt Allem, was nöthig
war, um eine Niſche verloren zuzumauern, ver:
ſchafft, und dies Material an verfchtedenen Orten
in meinen Zimmern verborgen. Mein erftes
Geſchaͤft war nun, den Körper in Heine Stüce
zu zerhaden, und in das Faß mit allen diefen
verzehrenden Ingredienzen zu thun, worauf ic)
das Ganze in die Nifhe am Bett vermauerte,
58
und die Draperie von Sammet, welche die
Waͤnde meiner Schlafftube dedte, darüber 309.
Nur die rechte Hand, die Augen und die Zunge
des Gricchen behielt ich, und nachdem ich fie
gleich dem Uebrigen praparirt hatte, that ich Die
erfte in eine Eoftbare Kaffette, die Augen in eine
Kleine, mit Diamanten befegte Schachtel voll Roſen—
effenz, und die Zunge in eine goldene Tabatiere.
In weniger als zwei Stunden war Alles vollbracht.
Set eilte ich in des Griechen Stube, zerbradh die
dort aufgeftellten Pfeifen des Paſcha, vffuete die
Koffer, in denen ich mein ganzes Geld noch ums
berührt wiederfand, und nahm zugleich ſaͤmmtliche
Effecten des Giaur's mit hinweg, die ich in eine
meiner Kiften verftecte, worauf ich mich von
einer Gentnerlaft befreit, ruhig, als fey nichts
vorgefallen, wieder zu Bett legte.“
„Sie koͤnnen ſich,“ fuhr Juſſuf fort, „den
Zorn des Bey denken, als er mit dem Schluß
der Faſtenſtunde zuruͤckkam, die Sklaven ſich
beeiferten ihm Erfriſchungen aller Art vorzuſetzen,
59
und nur die gelichte Pfeife ausblieb. Man ftürmte
nad) des Saumfeligen Wohnung, wo man aber
nur, erftaunt, die Verheerung entdeckte, die ich
dafelbft angerichtet, und da man zugleich alle
Koffer leer fand, zweifelte Niemand mehr an ciner
gluͤcklich bewerkftelligten Flucht des Griechen.
Meil nun auch fpater, aus guten Gründen, alle
Maafregeln feiner babhaft zu werden, fruchtlos
blieben, wurde er bald gänzlich vergeffen.“«
„In der nächften Nacht ſchon fah ich Kabbuhra,
die ich durch des Paſcha's Arzt, Lombard avertirt
hatte, zum erſtenmal ſeit der von mir erlittenen
Schmach, auf unſerer Terraſſe wieder, doch dieſes
Mal hatte ich ein beſſeres Gewiſſen!“
„Als fie mir jetzt Shluchzend in die Arme
fanf, bat ich fie ernfthaft, drei Gefchenfe von
mir anzunehmen, oder mich nie wieder zu fehen.
Mas foll ich mit diefen Dingen? rief fie verwundert,
und was bedeuten deine feltfanten Worte? Deffne,
erwiederte ich, und ſiehe. — Hier haft du die
Hand, die dich anzufaffen gewagt, hier die Augen,
60
die ung heimtüchifch belauſcht, und hier die Zunge,
die uns fchandlichen Verrath gedroht! Faft ware
Kabbuhra von Neuem in Ohnmacht gefunfen,
von Furcht bewegt, daß ihres Vaters Nache mid)
todtlich treffen würde, doch beruhigte ich fie bald
durch die genauere Erzählung des Gefchehenen ;
und von Liebe aufgelöst, noch zitternd über meine
Gefahr, war e8 erft in diefer Nacht, daß Die
Geliebte ganz mein ward, und wir, in feligem
Entzücen, die übrige Welt um uns vollig vers
geffend, des Paradieſes Wonne mit einander theilten.
De rief Juſſuf mit einem fchwarmerifchen Aufflug
der füßeften Erinnerung, „wer kann befchreiben,
welch ein himmlifches Wefen dieſes Madchen war,
welch unergründlicher Schaß von Gefühl, Klugheit
und Charafterftärfe in diefem zarten Bufen ruhte,
und welche unwiderftehlichen Reize diefe nur Liebe
athmende Seele umfchloffen !«
Er fchwieg eine Meile, wie verzuͤckt in der
Vergangenheit verloren, und feßte dann feine, die
gefpanntefte Aufmerkſamkeit meinerſeits immer
61
mehr in Anfpruch nehmende Erzählung alfo
fort;
„Ehe ich zu der furchtbaren Kataftrophe über:
gehe, die uns bevorftand, muß ich Ihnen einige
Localitaͤtn des Bardo (Reſidenz des Bey) ber
fhreiben, was zum Verſtaͤndniß des Folgenden
nöthig iſt.“
»Der Pafıha hat ungefähr achtzig bis hundert
Mamelucden in feinem Dienfte, welche in drei
verfchiedene Grade abgetheilt find, und alle unter
einem Chef fliehen, der damals zugleich erfter
Minifter war. Sie find durch ihren Einfluß bei
Meitem die angefehenfte Klare im. Lande, und
felbft die Türken zittern vor ihnen. Dabei fehlt
es ihnen an Nichts, was Reichthum gewähren
kann. Don den Schaßen, die in Tunis aufgehauft
find, fteht ihnen ein großer Theil zu Gebot, fie
haben die ſchoͤnſten Pferde, eine prächtige Wohnung,
Maffen firogend von Edelfteinen, und ein reiches
Leben in jeder Hinfiht, bis auf vier fchwere Ente
behrungen, denen fie unterworfen find. Ste müffen
62
dem Umgang mit Werbern entfagen, und werden
erfi im fünfundvierzigften Jahre verheirathet, wo
man fie als Invaliden anfiehtz dürfen nie die
Reſidenz anders als im Gefolge des Pafcha oder
auf feinen fpeciellen Befehl verlaffen, und außer:
dem nie weder Wein trinken noch felbft Tabak
rauchen. Weil fie allein für die Sicherheit und
den Dienft des Bey’s da find, fo hat man diefe
Verbote für nöthig erachtet; daß fie demungeachtet
alle häufig umgangen werden, ift gewiß, doch
wird eine Verfündigung diefer Art offictell befannt,
fo entgeht fie felten ihrer Strafe.“
„Ich habe gefagt, daß es den Manteluden
nie an Geld und Koftbarkeiten fehlte, mir jedod)
ftanden noch größere Mittel zu Gebote, da ich
das Amt eines Privatfchagmeifters verfah und
nur wenig Rechnung im Allgemeinen davon abs
zulegen brauchte, ohne in dem, was ich felbft zu
nehmen für gut fand, befonders befchranft zu
feyn. Dabei war mein Gefchäft leicht, denn bei
ung gibt es weder die Maffe Beamten, nod) die:
63
Maffe Schreiberei, wie in der Adminiſtration der
Franzoſen.“) So hatte ich, ohne eben gefeß-
widrig zu handeln, alle Mittel der Beftechung in
meiner Gewalt, durch die man zuletzt aud) das
Schwierigfte möglich macht. Demungeachtet blieb
jede Zufammenfunft mit meiner Geliebten ein hals—
brechendes Magftüc, da ich, um den ſchon rege
werdenden Verdacht und den immer zunehmenden
Neid meiner Camaraden nicht nod) mehr zu weden,
oft die feltfamftien Mittel ergreifen mußte, Zu—
weilen ließ ich mich in eine Waarenkiſte verbergen,
ein anderesmal einen Teppich um mic) wideln,
und fo bei dem Paſcha ſelbſt vorbeitragen. Einft
mußte ich), von ihm überrafcht, zwei Stunden
in dem Gehäufe einer Wanduhr verftecft bleiben,
worin ich zulegt dem Erſticken fehr nahe war.
Endlich vermochte ich mit einiger Sicherheit nur
noch auf folgendem Wege zur Prinzeffin zu ge
langen. Der Bardo, eine Art Citadelle und faft
*) Jufuf kennt die unfrige noch night.
64
ein Viertheil ſo groß wie ganz Algier, iſt auf
einem Labyrinth von Souterrains gebaut, die jetzt
groͤßtentheils voll Unrath und Waſſer ſind. In
dieſen unterirdiſchen Gaͤngen werden ſeit langen
Zeiten alle die, welche auf Befehl des Bey ihr
Leben im Bardo verlieren, hingerichtet, und die
entſeelten Koͤrper ſorglos darin zuruͤckgelaſſen. Die
Milde des jetzigen Gebieters hatte zwar in dieſen
Executionen einen langen Stillſtand eintreten laſſen;
halbverweste Leichname fanden ſich auch daher
nicht mehr vor, wie fruͤher, aber deſto mehr
Gerippe und Knochenhaufen aus aͤlteren und
unruhigeren Zeiten. Durch einen Theil dieſer Sou—
terrains nahm ich von nun an, an den Abenden,
wo mich Kabbuhra auf ihrer Terraſſe erwartete,
meinen Weg, und da ich nicht wagen durfte, mid)
einer Blendlaterne zu bedienen, fo blieb mir, um
mich nothdürftig zu orientiren, nichts weiter übrig,
als mir gewiffe Marken für das Betaſten mit
der Hand zu machen, und mit meinem Dolch
zuweilen aus den Quadern der ©eitenmanern
65
einen Funken zu fchlagen, der auf einen Augen—
blick die aͤgyptiſche Finfterniß um mich her wie
ein Blitz erhellte. Aus den Souterrains führte
eine niedrige Thür im einen Fleinen Blumengarten
des Paſcha, den er zu feinem Vrivatgebrauch hatte
anlegen laſſen. Auf diefen Garten gingen die
Fenſter feiner Wohnung, wie auf der andern Seite
die der Zimmer feiner Tochter, Der Gärtner
Andreas, ein Stalianer, und feine Frau Marta
ftanden zwar in meinem Solde, fo lange aber noch
Kicht in des Paſcha Zimmern fichtbar war, durfte
ich mic) nicht hinauswagen, und oft mußte ich fo
drei bis Hier Stunden in den unterirdifchen Ge:
wolben verharren, auf Knochen gelagert, wo ich
mir mehr als einmal die ZTodtenfchadel gleich
Kiffen bald da bald dort unterlegte, um bequemer
zu ruhen.“
„Hatte ich endlich die Lichter hinter den Fenſtern
verlöfchen fehen, und mic) auch überzeugt, daß
fein Mameluc auf der Brüftung der letztern, um
die Kühle zu genießen, ſchlafe, wie fie haufig zu
Semilaſſo in Afrika, 1. 5
65
thun pflegten, fo Hletterte ich mit Andrea’s Hülfe
an einer Mafferleitung hinauf, wo die arme Kab-
buhra die halbe Nacht meiner harrte. Nicht cher
als bis der Muedzin vom naben Minaret zum
Morgengebet rief, verließ ich fie, und Fehrte oft
zehnmal zurüd, um fie noch einmal an mein
Herz zu drüden, bis fie mid) felbft, entfeht vor
der Gefahr, die mir bevorftand, son ſich drängte,
Auch für mich war der Ruͤckweg ftets eine Marter,
denn zu ihr ging ich mit dem Gefühl, einer Welt
zu widerfichen, von ihr zaghaft und alle Kraft
im Herzen zerfnict.
„Ein halbes Jahr war auf diefe Weife ver-
gangen, als neue Sorgen mich beftürmten. Kab-
buhra fühlte fich fehwanger, und zu gleicher Zeit
qualte mich eine thorichte Eiferfucht.«
„Einer meiner Camaraden, ein eben fo ſchoͤner
als Fühner und unternehmender junger Mann,
der überdem in hohem Grade das Talent des
Gefanges befaß, hatte mid) jo weit belaufcht, daß
er, wenn auch nicht von der pofitiven Gcewißheit,
67
doch von der MWahrfcheinlichfeit unferes Verhälts
niffes überzeugt wurde, Mich zu verrathen Fonnte
er nicht wagen, denn ohne feine Ausfage auf der
Stelle beweifen zu Tonnen, ware er das erfte
Opfer derfelben geworden, Die gewonnene Kunde
ermuthigte ihn aber, mir felbft den Preis ftreitig
machen zu wollen, und mehrmals war ich Zeuge,
daß er in dem erwähnten Garten vor dem Fenfters
gitter meiner Geliebten zärtliche Kieder fang. Es
war hinläanglic), daß Kabbuhra aus Neugier
nur einmal ihnen zugehört hatte, um mich in die
wildefte Wuth zu verfegen. Am andern Tage
titten wir im Gefolge des Paſcha aus, ich näherte
mid) Muhammed, und obgleidy bei uns Duelle
kaum üblid) find, und überdem auch aufs Strengfte
verpont waren, fo demüthigte ich ihn doch fo fehr
durch entehrende Worte, daß er in einen Palmen:
wäldchen mit mir zurücdblich, und che ich noch
meinen Säbel ziehen Fonnte, mir mit zwei Streichen
den Turban zerhieb und zwei tiefe Wunden in
den Kopf beibrachte, Das Blut ftrömte mir über’s
68
Gefiht, und da er mir den Reſt gegeben zu haben
glaubte, fo wandte er fein Pferd um dem Paſcha
nachzueilen. Doc) Zorn und Liebe ließen mich nicht
unterliegen, ich wifchte mir das herabftrömende
Blut aus den Augen, raffte mich, ſchon halb
vom Pferde gefunfen, wieder auf, verfolgte meinen
Feind und mit einem gewaltigen Zuge Dieb ich
ihm den Theil des Hauptes mit einem Stüd
der Hirnfchale ab, auf dem wir einen Haarzopf
ftehen laffen, um eine Locke für unfere Geliebte
übrig zu behalten.“ Hier warf Suffuf, der im
Negligee auf einem Divan lag, feinen Turban
herab, und zeigte mir mit ausdrucsvollem Geftus
den Büfchel Haare, den alle Türfen auf ihrem
glatt gefchorenen Haupte tragen. „Kaum hatte
ich) meinen Rival ftürzen ſehen,“ fuhr er- fort,
„ſo begab ich mich, als habe ein plößliches Uebel:
befinden mich angewandelt, fogleih nach Haufe
und ließ mid) den Tag über nicht weiter fehen,
Doch konnte der Vorfall nicht verfchwiegen bleiben ;
man fand Muhammed Tschulak für todt unter
69
den Palmen liegen, und hörte, als er wieder zu
fi) Fam, das Gefchehene, noch möglichft zu
meinem Nachtheil entftellt, aus feinem Munde,
Der Paſcha, im größten Zorn, fchwur einen
fohweren Eid, daß wenn Muhammed ftürbe, ich
ihm augenblicklich nachfolgen folle. Kabbuhbra
gerieth bei diefer Nachricht in fo große Verzweiflung,
daß, ald am zweiten Tage cine lange Ohnmacht,
in die mein Gegner verfiel, die Nachricht feines
Todes im Serail verbreitet hatte, das belden:
müthige Mädchen mich nicht überleben wollte,
und fich in einem Moment der Raſerei an ihrem
eigenen Betthimmel aufhing. Ware nicht durch
einen glüdlichen Zufall Lombard, der ſchon erwähnte
Leibarzt des Bey und unfer Vertrauter, hinzuge—
kommen, als fie fehon mit den legten Krampfen
des Erſtickens rang, fo war ihr Tod unvermeidlich.
Muhammed genaß nach langer Gefahr und mußte
von der Zeit an eine filberne Calotte tragen.“
„Hiermit ging der Sturm diefesmal an uns
anfcheinlich vorüber. Doch defto fchrecflicher drohte
70
ung die Entdefung des Zuftandes meiner Ge
liebten. Eine alte Negerin unternahm ces, fle
davon zu befreien, und obgleich das Wagſtuͤck,
durch Mittel, die nur im Orient befannt find,
gelang, fo fehwebte doch Kabbuhra von Neuem
mehrere Tage in Todesgefahr. Eine Furze Ruhe
folgte diefen mannichfachen Agitationen, und wir
glaubten endlich jede Gefahr überftanden zu haben,
als der unglüclichfte Zufall die rettungslofe Ent—
deckung alles Vergangenen herbeiführte.
„Waͤhrend ich auf einer Sendung des Paſcha
einige Tage abwefend war, bemerfte man Riſſe
in unferer Wohnung, die fich grade über meinem
Schlafzimmer befanden. Der befragte Architeft
entfchted, daß der alte Pfeiler abgeriffen und durch
einen neuen erfeßt werden müfe. Um dieß zu
bewerfftelligen ward ein Theil meiner Stube der
molirt, und das Unglück wollte, daß dies grade
derjenige war, wo ich den Griechen vor einem
Fahr vermauert hatte. Der zerhadte Körper
deffelben war zwar gänzlich durch die von mir
7
angewandten Mittel aufgelöst worden, Doc) er
kannte man ihn an dem ungewöhnlich langen
Zopf harter fchwarzer Haare, die mir fo gut
gedient hatten, um ihn zu Boden zu reißen, und
der leider ganz unverfehrt geblieben war.«
„Sie Fünnen fich meine Empfindungen denken,
als ich bei meiner Ruͤckkunft das Vorgefallene
erfuhr. Doc) durfte ich mir nichts merfen laffen,
und erfchten am andern Morgen, unbefangen an
meinem Poften. Der Etikette gemäß ftellten wir
uns namlich jeden Morgen, wenn der Paſcha aus
dem Harem fam, in einem großen Saale auf,
in zwei Gliedern eine Gaſſe bildend, durch die
er, uns mufternd, bis zu feinem thronartigen
Divan ging, auf dem er fih dann ntederließ,
und dort, feine Pfeife rauchend, Recht fpradı.
Mein Platz war an feiner linfen Seite, wo id)
ihm das goldene Becken reichte, oder fonft den im
Augenbli noͤthigen Dienft verrichtet. Schon
lange ſtets beforgt, pflegte ich immer gleich beim
Eintritt fein Geficht zu ftudiren, welche Laune
72
fi) wohl darauf abmale, heute aber war es finfter
wie ein ſchwarzer Gewitterhimmel. Kaum hatte
er Pat genommen, als er fich mit zufammen-
gezogenen Augenbraunen zu mir wandte und nic)
fragte, was der Fund in meinem Schlafzimmer
bedeute, in dem man den vor einem Jahr fo
feltfam abhanden gefommenen Griechen erfennen
wolle. Sch erwiederte mit möglichfter Faſſung,
Daß Ic) davon gar nichts wiffe, aber wohl erfahren,
wie man in Folge dieſes Fundes einen hochft
ungerechten Verdacht auf mich geworfen, Den
ungeachtet bate ich feine Hoheit zu berücfichtigen,
daß ich (wie ich leicht vorgeben Fonnte) früher
in einem andern Zimmer gefchlafen, und dieſes
erft feit des Griechen Verſchwinden gewählt habe,
es auch eine wahre Unmöglichkeit fey, daß, wenn
die vorgefundenen Ueberreſte die des Griechen wären,
fie in fo kurzer Zeit ſich total hätten zerfegen koͤnnen;
daß daher ohne Zweifel hier eine Begebenheit zum
Grunde liegen müffe, die fi) vor dreißig Jahren,
und che ich geboren, zugetragen babe. Daß
73
übrigens der vorhandene Zopf lang und ſchwarz
ware, wie der Grieche einen gehabt, ſey ein
fchwacher Beweis gegen mic), da es viele Leute
mit langen Zöpfen und fihwarzen Haaren gabe,
und von jeher gegeben habe,“
„Der Paſcha wandte fi ab ohne ein Wort
zu erwiedern, und ich fühlte mic) Feincswegs
beruhigt.“
„Indeſſen fiel nichts weiter am Tage vor,
und ich begann fchon einer beffern Hoffnung wieder
Kaum zu geben, als es um Mitternacht an meine
Thür klopfte. Sch öffnete, und Assin unfer Chef,
der Basch-Mameluck, den wir fehr liebten, weil
er fi) immer als ein wahrer Vater für ung
gezeigt, ftand vor mir. Bei diefem Anblick fühlte
ich wie einen Dolchftich im Herzen, denn unfere
Gebräuche zu gut Fennend, fah ich, daß nun mein
8008 entfchieden fey. Doch da es bei uns für
eine Schande gilt, vor dem Tode zu erblaffen,
oder fich in den letzten Augenblicken kleinmuͤthig
zu zeigen, fo gab mir Stolz und das allmächtige
74
Gefühl der Liebe für Kabbuhra ſchnell eine fo
unerſchuͤtterliche Faſſung wieder, dag von diefem
Moment an mid) Fein Gefühl der Schwäche mehr
überrafchen Tonnte, und ich mir im Gegentheil
mit wahrer Zufriedenheit dachte, diefer Verluſt
meines Lebens ſey nur ein heiliges Opfer der
Geliebten gebracht; denn die Liebe beherrfchte
damals meine ganze Seele faft ausſchließlich.
Juſſuf, fagte der Basch-Mameluck, ich habe
dich. oft gewarnt, aber umſonſt; Alles was du
gethan, iſt entdeckt — du mußt dich) zum Tode
bereiten. Cage mir deine legten Wünfche, und
lege mir die Beichte als deinem Freund und
Dater ab. — Wohlan, erwiederte ich ohne Zagen,
Kismet! (daS fatum) was gefchehen foll, muß
gejchehen, ich bin bereit! Nach einer ernften
Unterredung von einer Viertelftunde, in der als
der Letzten auf diefer Welt, noch Manches berührt
wurde, was ich” hier nicht wiederholen darf, folgte
ib dem Basch-Mameluck refignirt zu meiner
bevorftehenden Hinrichtung. Vor der Thür ftand
75
ein Sclave mit einer Laterne, und an die Mauer
gelehnt bemerkte ich noch mehrere Andere, in der
Dunkelheit verborgen, nur erfenntlih an den
DBligen ihrer gezogenen Jataghans. Wir fttegen
in die Souterrains hinab und machten Halt,
genau an der Stelle in dem mit Knochen ange
füllten Gewölbe, wo ich fo manche Nacht der
Stunde geharrt, die mich) in Kabbuhra’s Arme
führen ſollte. Sch kann verfichern, daß diefer
Umstand mich wie mit Wonne übergoß, und ic)
nicht die mindefte Furcht vor dem Tode in mir
fühlte
„Nach unfern Sitten darf, Fein Mann von
Bedeutung hingerichtet werden, ohne ihm vorher
zeit zu laffen, fein letztes Gebet zu verrichten, dem
eine Abwafchung vorhergeht. Ein Sclave hatte
zu diefem Behuf mein filbernes Mafchbecken mit
fi) genommen, und ein Anderer einen Teppich)
vor mir ausgebreitet, auf den er feine Laterne
ftellte. Sch wufch mich, kniete nieder, und
vertichtete genau, was unfere Religion gebietet.
76
Diefes legte Gebet iſt ziemlich lang und dauert
faſt eine Viertelſtunde. Bei feiner Beendigung
verlangt die Vorſchrift des Geſetzes die Ede des
Teppichs, auf dem man gefntet, umzufchlagen. —
Und nun bedenke man, was das Schieffal iſt!“
fubr Juſſuf nach einem augenblicklichen Still-
fhweigen fort. „Indem id) mechanisch und im
Begriff dem Todesftreich mein Haupt darzureichen,
die Ede des Teppiche umfchlage, werfe ich von
ungefähr, und ohne alle Abficht, die Laterne mit
um, deren Licht auf der Stelle verlifcht.«
„Was in diefem entfcheidenden Moment in
mir vorging, iſt ſchwer begreiflich zu machen.
Mein ganzes Wefen verzehnfachte ſich; das Leben,
vor einem Augenblicke faft noch eine Bürde, fchien
mir das unfchäßbarfte der Güter, und ehe ich
noch eines deutlichen Gedankens mir felbft bewußt
ward, hatte ich ſchon dem mir zunachft fiehenden
Sclaven den Jataghan entriffen, und war in der
Dunkelheit verfhwunden, aufs Gerathewohl in
den finftern Gewoͤlben forttappend. Bald gerierh
77
ich in tiefen Schlamm, und das Larmen und Rufen
meiner Begleiter hallte fchon immer fehwächer aus
der Ferne. Sch fiel, ich zerſchlug mir Hande und
Gefiht an den Steinen, doch Nichts hielt mich
auf. Bald ging mir das Waſſer bis über den
Gürtel, und endlicy bis an den Hals. Jet erſt
hielt ih an, und Grabesſchweigen umfing nic),
fein Laut war mehr hörbar. Tiefaufathmend
genoß ich zuerft das volle Entzüden der Freiheit,
des neugewonnenen Lebens, dann fuchte ich den
Ruͤckweg, um eine trocdene Stelle zu erreichen.
Doch ohne den Faden der Ariadne war hier an
fein Zurechtfinden zu denken, und Alles, was ich
thun Fonnte, war nur, immer wieder zurück
zufehren, wenn ich in einen Gang gerieth, der
zu hoch mit Waffer angefüllt war, und einen
feichteren aufzuſuchen; glücklich), wenn id) nur
zuweilen einen Stein fand, um darauf auszuruhen.
Sie werden es kaum glauben Fünnen, aber die
Folge hat es mir unumftöglich bewiefen (denn
während der Zeit felbft Fonnte ich ihre Dauer
78
nicht meffen, und Tag und Nacht nicht unters
fopeiden), daß ich drei Tage und drei Nächte in
Diefen Katafomben zugebracht habe, ohne eine
andere Nahrung als das efelhafte fchlammige
Waffer und eine Art Schwamme, die an den
feuchten Wanden wuchſen. Am Morgen des vierten
Tages trat ich, zum Tode ermattet, auf einen
langen Knochen, den die Ratten hierher gefchleppt
haben mochten, und wie eine Inſpiration ward
es mir deutlich, daß im diefer Nichtung das
Knochengewoͤlbe Liegen müffe, das zu meinem
Grabe beſtimmt gewefen und mir feit fo lange
innig befreundet war. Schon oft hatte ich mein
früheres Mittel Feuer zu fchlagen verfucht, aber
die fchlechte Schwache Klinge meiner geraubten
Waffe entſprach nie meinen Bemühungen. © Doch
betrog mic), auch ohne diefe Hülfe, meine Hoffnung
diesmal nicht. Nach wenigen Minuten ſank ich
mit unbefchreiblicher Wonne auf meinem alten
Ruhebette, den wohlbefannten Gerippen nieder,
die ich wie meine Erlöfer zärtlich an mich druͤckte.
79
Dabei zerriffen mir aber zugleidy die grauſamſten
Schmerzen die Eingeweide und ein wüthender
Hunger Lehrte mic) Martergefühle von einer
bisher ganz ungefannten Art, Kaum hatte ich
noch die Kraft mich wieder aufzurichten und dem
Drte zugutappen, wo ich die nach dem arten
führende Thür vermuthete, als cine rauhe Maffe
mich anfttc und ic) ein dumpfes Grunzen dicht
vor mir vernahm. Das Entfegen gab mir neue
Kräfte, ich filed mit dem Dolch nach dem un:
befannten Wefen, und etwas Schweres fiel auf
mic mit lautem Stoͤhnen; zugleich fühlte ic)
mich) mit warmem DBlute firommeis übergoffen.
In dieſem Augenblick glänzte mir ein Lichtſtrahl
entgegen, die Thuͤr ging auf und Andrea trat
herein, um einen am Abend vorher gefauften Efel
zu holen, den er einſtweilen hier die Nacht über
angebunden hatte, und der fich als das eben von
meiner Hand aefallene Ungethuͤm auswies. Andrea,
rief ich, um Öotteswillen rette mich! ich bin Juſſuf!
Doc) diefer jahlinge Anruf hatte bald mein Ver:
Ss)
derben herbeigeführt, denn Andrea, von aber:
glaubifcher Furcht durchbebt, brach in cin wahn—
wißiges Gefchrei aus, ftürzte aus der Thin, und
ſchlug fie Trachend wieder hinter ſich zu. Jetzt
erft verfiel ich im ganzliche Verzweiflung, mein
unglücfeliges Schickſal verwünfchend ; doch forderte
die Natur ihr Recht, und das Blut des gefallenen
Eſels, das ich gierig fchlürfte, bewahrte mich viels
leicht vor dem gäanzlichen Schwinden meiner leiten
Kräfte. Glüclicherweife hatte Andrea feiner Frau
erzählt, was ihm begegnet, und diefe, gefcheidter
als er, Fam nach einer halben Stunde mit Effenzen
und Erfrifchungen wieder, blieb jedoch ebenfalls
lange zaghaft an der Thür ſtehen, che fie fich
näher wagte und endlich mit Gewißheit ſich übers
zeugte, daß Tein Geift fie fheuche, fondern mein
wahres Fleisch und Bein dringend ihre Hülfe in
Anfpruch nehme. Andrea und feine Frau hatten
mir, was man in Europa Neichthümer nennen
würde, zu danken, denn fie waren mir zu nöthig,
um fie nicht mit Gold zu uͤberſchuͤtten. Sie
81
blieben mir auch jetzt getreu. Waͤhrend der Mann
mir in ſeiner Wohnung ein Bad bereitete und
friſche Kleider gab, benachrichtigte ſeine Frau —
Kabbuhra von meinem Leben und meiner wunder—
baren Rettung, fo daß ich ſchon in der folgenden
Nacht mich in ihren Armen und im ihrer eigenen
Mohnung ficher aufgenonmen fand.
„Das arme Kind glich einem Schatten, und
hatte in Verzweiflung über meinen Tod alle
Nahrung von fich gewiefen. Shre Freude grenzte
daher jeßt auch faſt an Tollheit, doch fehon nad)
den cerften Momenten der Ueberrafhung war fie
es wiederum, die für uns Alle zu denken und zu
handeln verſtand. Mehrere Tage blieb ich bei
ihr verborgen, während denen folgender Plan
durch ihre Thätigfeit und Geiftesgegenwart zur
Ausführung kam. Um diefen zu erflären muß
ich hier abermals einiges früher Geſchehene ein—
ſchalten.“
„Ein naher Verwandter des vorletzten, um—
gekommenen Bey's, der in der Armee diente, Ali
Gemilaffo in Afrika. I. 6
82
Ben Junnuss, hatte jchon fett geraumer Zeit die
Flucht ergriffen, in Algier Unterftügung gefucht
und gefunden, und war, von cinem Kleinen Heer
DBergbewohner gefolgt, von der Seite von Cons
ffantine aus in das tunefifche Gebiet eingefallen,
wo er bereits zweimal die Ihm entgegen gefchieften
Truppen mit einer Handvoll Leute gefchlagen hatte,
und jeßt in einer fehr vortheilhaften Pofition auf
dem Rüden des Gebürges einem dritten Corps
des Bey gegenüberftand, fo daß ein abermaliger
Echek fehr bedenklich für diefen werden konnte.“
„Es blieb mir nun die Wahl übrig, entweder
zu dem Empoͤrer überzugehen, oder durch eine
eflatante Handlung meinen Pardon zu verdienen.
Der Geliebte Kabbuhra’s fonnte nur das Leßtere
wählen.“
„An meinem Tode zweifelte übrigens Niemand,
der Bey felbft nicht, denn bei ung ift es nic üblich,
daß der, welcher mit einer folchen Hinrichtung
beauftragt wird, auch ihre Vollziehung meldet.
Dies verfteht fi) fo fehr von felbft, daß aus
83
einer Urt von Decorum der Sache nur dann
wieder erwahnt wird, wenn noch andere Befehle
einzuholen find. Hier aber hatte der Basch-
Mameluck ſich um fo mehr gehütet den un
erwarteten Ausgang zu erzählen, da er leicht
ſammt den nachlaßigen Sclaven ftatt meiner
dafür hatte büßen fünnen, und überdies die Rettung
aus den unterivdifchen Gewölben ſo unmoͤglich
ſchien, daß man nur glaubte, ich habe das
Ende durch den Dolch mit dem des Hungertodes
vertauſcht.“ |
„Noch war indeß über meine Habfeligfeiten
nicht3 verfügt worden, und der Bey, wie man
behauptete, unruhig und befümmert, hatte im
Gegentheil fichtlich vermieden, irgend etwas mich
Berreffendes zu erwähnen. Diefer Umftand gab
uns doppelt gute Hoffnung. Durch die Sorgfalt
Kabbuhra’8 wurde mein treuer Diener Rustan
von dem Gefchehenen unterrichtet, und ihm an:
befoplen, mit meinem Schlachtroß Sheitan kaila
(der heißefte Teufel, in wörtlicher Ueberfeung)
84
und meinen beften Waffen fich zur Abendftunde
mit noch zwei andern bewaffneten Dienern, Die
von Nichts wußten, im demfelben Wäldchen ein—
zufinden, in dent Muhammed von meiner Hand
gefallen war. Dies ward glücklich ausgeführt, ich
entfam unentdeeft über die Wälle und Mauern,
und mitten in der Nacht erreichte ich fchon das
Lager unferer Truppen. Hier campirte, etwas
von dem. gros des Korps abgefondert, mein
treuefter Freund und MWaffenbruder Roduin mit
vierhundert Suaven auserlefener Truppen. Auch
hier bei der Armee war bereits mein Tod befannt
geworden, zum Schmerz meiner Freunde und zur
Freude meiner Neider. Sch Fanın jedoch fagen,
daß ich immer noch mehr der Erften als der
Letztern zahlte. Mein Charakter war von Natur
wohlwollend und großmüthig, und da meine Lage
mir die Mittel gab, diefe Tugenden leicht zu üben,
fo hatte ich Vielen geholfen, und Keinen, der
mich nicht angriff, zu ſchaden gefucht. Dazu
fan, daß ich, verwegen und Fühnen Wagnıffen
85
hold, bisher in allen Unternehmungen von einem
außerordentlichen Glück begünfligt worden war,
Dies entfcheidet bei den Drientalen Alles, und
da fie nicht gern einer Fahne folgen, von der
mehreremale der Sieg gewichen, die meine aber
fhon von meinem fünfzehnten Jahre an kaum
je einen Sieger gefunden, fo genoß ich einer großen
und nicht ganz unverdienten Popularität bei den
Arabern. Viel hatte dazu noch beigetragen, daß
ich ihnen nie mein Wort gebrochen. Muth und
Wahrhaftigkeit find aber die am höchften von
ihnen geſchaͤtzten Eigenſchaften.“
„Rodums Erſtaunen war grenzenlos, als ich
in fein Zelt trat und durch eine Umarmung mein
Leben befundete. Sobald ich ihn Furz von dem
Vorhergehenden unterrichtet hatte, fagte ich, feine
Hand ergreifend: Seht, Roduin, ift der Augen—
blick gefommen, wo du mir alle Dienfte, die ic)
dir oft mit Gefahr meines Lebens erwieſen, vers
gelten follft. Du mußt mir den Befehl über
deine Suaven abtreten; du weißt, daß ich dir
86
im Kriege und Kampf überlegen bin, und bier
gilt es jeßt für mich Alles zu wagen, um Alles
zu gewinnen.“
„Ste werden fich vielleicht wundern, daß
Roduin diefem Gefuch ohne Weigern willfahrte,
aber zuerft herrfcht bei uns Faunı eine Spur von
der firengen Disciplin europaifcher Heere; zweitens
wenn wir viel Mangelhaftes im Bergleich mit
Ihnen haben, fo haben wir aud) Einiges voraus,
und dahin gehört ein ritterlicher, vomantifcher
Sinn, der der Liebe, der Freundichaft, ja of
einer bloßen YAufwallung der Großmuth, Alles
zum Opfer zu bringen fahig tft. Kurz, Boduin
gab meinem Wunfche ohne Befinnen nach, ich
hielt eine Traftige Anrede an feine Suaven, und
wenige Minuten nachher Elommen wir fchon den
Berg hinan zum Ueberfall des feindlichen Haupt:
corps, von dem wir wufiten, daß es nur aus
Fußvolk beftand, und zugleich vorausfeßten, daß
diefe wilden Horden, durch ihre letzten Siege wie
durch Die Unthäatigfeit unferer Truppen forglos
ee —— *
87
gemacht, wahrfcheinlich wenig auf ihrer Hut feyn
würden.
„Nur ich, Roduin, und meine drei Diener
waren zu Pferde, die Suaven folgten zu Fuß;
doch bald bemerkte ich Nachlaßigkeit und Un—
beftimmtheit bei den Truppen. Sch rief mehrere
male die Schausch (Art Offiziere) heran”), die
wohl einen Augenblick die Ordnung wieder herz
ftellten, welche jedoch Feine Dauer hatte.“
„Immer mehr Leute blieben zurüd, die
Dunkelheit der Nacht verhinderte es genau zu
bemerken, und als wir auf dem Nücen des Berges
anfamen, fanden wir Berittene uns faft allein,
Feſt entfchloffen für meine Berfon nicht zu weichen,
und durch irgend etwas Außerordentliches meine
Schuld zu tilgen, hielt ich einen Augenblid an,
bat Roduin, mich hier ruhig zu erwarten, fprang
vom Pferde, und ſchlich, mit meinem gefpannten
Tromblon in der Hand, leife dem Lager zu.
) 20 Mann ftehen gewöhnlich unter einem Schausch,
88
„Alles !Iag pele-mele im Dunkel und im
tiefften Schlafe; nur ein einziges Zelt, was offenbar
das des Anführers ſeyn mußte, ſchimmerte nicht
weit von mir mit dem ſchwachen Ecyein eines
einzelnen Lichtes durcy die Nacht. Sch kroch auf
Handen und Füßen heran, ‚und erblidte einen |
Mann darin liegen, der, in Sedanfen vertieft,
noch zu wachen ſchien; denn er wiegte fich fortz
während hin und her. *) Ich unging das Zelt,
hob leife eine Wand empor, drängte mich unten
hindurch, und wollte eben mein Gewehr losdruͤcken
— denn mit dem Tode des Chefs, war ich überzeugt,
dag an Feinen Widerfiand mehr zu denfen ſey,
und dann die nachfolgenden Suaven hinlanglich
zum vollfiandigen Eiege ſeyn würden — als ich
an einem Knopfe meines Vermels hängen blieb.
Bei der dadurch entftandenen Bewegung des Zeltes
ergriff der vor mir liegende Jummuss feinen Eabel,
*) Dies ift eine Mode der Orientafen, die mit ihrer
Art zu fihen in Verbindung ſteht.
89
und traf, erfchrocden nach mir hauend, mein
Gewehr in demfelben Augenblid, wo ic) es auf
ihn abdruͤckte. Pulverdampf erfüllte das Zelt,
und als cr ſich verzogen hatte, war Niemand
mehr darin zu fehen. Eine defto größere Anzahl
durch den Schuß Erweckte drangen dagegen von
allen Seiten herzu; ich nahm mir nur fo viel
Zeit den Stegelring des fremden Befehlshabers
zu mir zu ſtecken, der auf einem Fleinen Feldtiſch
mit feinen Maffen neben ihm lag, und cilte, den
Drt wieder zu erreichen, wo ich meine Begleiter
gelaffen. Kaum war ich jedoch einige Schritte
gelaufen, als ich ſchon mein Pferd wichern hörte,
das ſich losgeriffen hatte, als wolle es mich auf
fuchen. Es auffangend befand ic) mic) augen-
bielih im Sattel, aber ſchon war es zu fpat!
Eine folche Zahl von Menfchen umringte mic)
im Nu, daß aller Widerftand unmöglich ward.
Man entriß mir meine mit Juwelen befeßten
Waffen, ergriff die Zügel meines Pferdes, und
309 es fort, um mid im Triumph dem Chef
90
zuzuführen. Doch diefer war nirgends zu finden.
— Man fuchte ihn von allen Seiten mir immer
fteigender Beſorgniß, Doch jede Spur von ihm
(bien verfhwunden. Während man mich nun
fo ungewiß umherführte, und übrigens, da man
mic) nach der Pracht meiner Kleidung und
Waffen für einen Sohn des Bey von Tunis
hielt, mit einer Art Ehrfurcht behandelte, fiel
mir plöglich ein, ob ich mic) nicht durch ein
früher fchon einmal verfuchtes Manoͤver noch
retten koͤnnte. Gedacht, gethan. Mit cinem®
Zuge ſchob ich Sheitan’s Zügel und Kopfgeftell
über feine Ohren, fo daß Beides herabfiel, und
die, welche mic) führten, nur noch die Zügel ohne
Pferd in den Händen behielten. *) Die Ueber:
raſchung lahmte fie einen Augenblick, und als
verftche mich mein edles Roß, baumte es in
demfelben Moment hoch auf, fchlug mit den
Vorderfüßen um ſich, und indem es dann mit
*) Nur mit arabifcher Zaumung ift dies ausführbar,
9
einem ungeheuren Sage niederwarf, was ſich ihm
entgegen ftellte, rannte es mit Blißesfchnelle wald:
ein, forgfam jeden Baum vermeidend, und dann
inftinetmäßig denn Wege wieder zucilend, den wir
gefommen waren. Viele hundert Flintenfchüfe
wurden wahrend dem nad) mir abgefeuert, doch
die Liebe befchüßte mich ohne Zweifel, denn Feiner
davon traf fein Ziel, Wer bifchreibt aber meine
Sreude, als ich mit den erften Strahlen der auf:
gehenden Sonne Roduin mit feinen Suaven mir
entgegen kommen fahe. Set wandte fib die
Geftalt der Dinge, wir umzingelten fogleich den
in ein defile zufammengepreßten, ungefähr ſechs—
hundert Mann ftarfen Feind, und ich befahl, taub
für das Flehen der Beſiegten und ihr Anerbieten,
fich gefangen zu geben, ein Ende mit ihnen zu
machen. Sn einer guten halben Stunde war
Keiner von ihnen mehr unter den Lebenden, Ich
geftehe, daß diefe Metzelei etwas graufam genannt
werden mag; aber ich fühlte mich fo empört
über die erlittene Schmach, ich war damals fo
92
überzeugt, daß diefe barbarifchen Gebürgsvölfer
auch barbarifch behandelt werden müßten, und
hielt überdies, im Behuf meines eigenen Intereſſes,
einen blutigen Steg für ſo unerläßlich, daß ic)
Feiner weiten Veberlegung Naum gab. Als man
die Leichname plünderte, fanden fi auch meine
eignen Waffen wieder, und voll der lachendſten
Hoffnungen für die Zukunft, mit meinem Nacht:
werf wohl zufrieden, cilte ich, nachdem ich) Roduin
gehörig inftruirt, fchleunig die Stadt Keruan zu
erreichen, welche als cin geheiligtes Afyl gilt, in
dem Fein Flüchtling beunruhigt werden darf.“
„Als Roduin im Lager anfam, und meldete,
daß cr allein das von Ali Ben Junnuss felbft
befchligte Corps aus feiner ftarfen Poſition
vertrieben, und ihm fechshundert Mann getödter,
wollte der durch das Schießen am Morgen
allarmirte Befehlshaber kaum der Nachricht
Glauben beimeſſen. Doch Fonnte er fich nicht
lange der Evidenz verfihlichen, übernahm die
Verfolgung des Meberreftes, und fandte Roduin
93
mit der erfreulichen Nachricht fofort nach Tunis.
Nachdem dieſer dort für fein eigenmächtiges
Handeln nicht nur willige Verzeibung, fondern
hohe Belohnung erhalten, entdeckte er, dom Bey fich
zu Süßen werfend, daß diefer für die vaterlandifchen
Waffen fo glorreiche Steg nur dem, wie durch
ein Wunder auferflandenen, Juſſuf zu danken
fey. Der Bey, welcher längft Neue über meine
im erften Zorn von ihm anbefohlene Hinrichtung
gerühlt hatte, um fo mehr, da er Niemand fand,
mich ihm bei hundert Angelegenheiten, die er mir
allein anzuvertrauen pflegte, zu erſetzen, zeigte eine
unverholene Freude bei der unerwarteten Nachricht,
und fendete mir fogleic) einen Mamelucen mit
dem Perlenfranz nad) Keruan, deffen Beſitz die
vollftändige Verzeihung verbürgt. Ich benußte die
Gelegenheit, dem Bey einen nemen fehr bedentenden
Dienst zu leiſten. Hinter Keruan lebte namlich
auf einem hohen Berge der Schech Buttura, ein
Mann von großem Einfluß auf die Bergbewohner,
der fi Fürzlicdh gegen den Paſcha fehr feindlich
94
benommen, dann zwar wieder mit ihm verfohnt,
aber dennoch der Einladung des Pafcha nach
Tunis zu fommen, nicht hatte trauen wollen.
Ich wußte, wie viel wegen anderer Pläne dem
Bey daran gelegen war, mit Buttura feften Frieden
zu Schließen. Die glücliche Conjunctur benußend,
brachte ich daher Diefem den Rofenfranz von
Perlen, als fey er ihm gefchieft, und vermochte
den Schech, mid) zu begleiten.“
„Ein wahrer Triumphzug erwartete mich in
Tunis, und Sie Fünnen mein doppeltes Entzuͤcken
ſich vorftellen, da ich wußte, daß Kabbuhra Zeuge
davon feyn und alle Damen des Harems den
Sieger nach ihrer fchmeichelbaften Weife begrüßen
würden. Denn dies fahen wir immer als unfern
fchönften Lohn an, wenn nad) einer vollbrachten
braven That, aus den Fenftern des Harems
Blumen auf uns niedergeworfen wurden; oder,
ohne daß wir wußten, von wem die Gabe Fame,
irgend ein Juwel am Sattel unfres im Hofe
ftebenden Pferdes aufgehangen, oder dieſes mit
95
der Foftlichiten Nofeneffenz begoffen wurde. Oft,“
jagte Juſſuf lachend, „duftete mein Sheitan fo
ſtark danach, dag man es Taum im feiner Nähe
aushalten Fonnte.“
Mie fchön, dachte ich bei diefen Worten, haben
doc) die Mauren und Araber, welche wir Barbaren
fchelten, die alten chevaleresfen Sitten beibehalten,
die fie cinft von Spanien aus über ganz Europa
verbreiteten, wo fie jeßt nur noch eine halb ver:
geffene Tradition find!
„Der Pascha,“ erzählte Juſſuf weiter, „empfing
mich gnädig, aber ernft, und nicht cher fand ich
mich ganz unbeforgt, als bis er mic) am Abend
allein zu fich in den Harem rufen ließ. Hier,
von Kabbuhra hinter den Gittern gefeben, warf
ih mic) ihm zu Füßen, und weinend feine Hande
füffend, fchwur ich ibm zu, immer fein treuer
und danfbarer Sohn zu bleiben. Mein Betragen,
o Herr! feßte ich hinzu, verbürgt es dir wohl.“
„Hier fchliegt der erfte Act meines Drama’s,«
fagte Zuffuf, fi mit. der weißen beringten Hand
96
»
feinen prächtigen braunen Bart ftreichend (denn
Juſſuf ſpricht jet wie ein gebildeter Europäer)
„der zweite endete gewaltfamer, und änderte mein
ganzes zufünftiges Schickſal.“
„Drei Fahre vergingen in ungeftortem Frieden.
Der Paſcha konnte über das fortwährende Ver:
haltnig mit feiner Tochter nicht mehr in Zweifel
ſtehen, es war indeß hinlanglich, dag er «8 zu
ignoriren ſchien; doch mußte dabei faft Immer
dieselbe Dorficht angewendet werden, um Kab-®
buhra’s Ruf zu fohonen und Feinen Eclat herbei-
zuführen, der dem Pafcha felbft die Hande gebunden
haben würde, Cine Heirath war vermöge unferer
Geſetze nicht möglih, und mein Rang ihr aud)
vollig unangemeffen, da ich, nicht von prinzlichem
Blute, wenigftens erfter Mintfter und Chef der
Mamelucken hatte ſeyn müffen, um auf ihre
Hand hoffen zu dürfen, was meine zu große
Jugend unausführbar machte.“
„Dieſer fortwahrende Zwang fing daher an,
uns mit der Zeit ganz unerträglich zu werden,
97
und wir befchloffen endlich zu fliehen. Sch hatte
zu der Zeit einen Sclaven, mit Namen Antonto,
auf den ich mich ganz verlaffen zu Fonnen glaubte,
und dem ich mich daher auch rücffichtslos entdeckte.
Sch gab ihm 6000 PViafter, um unter der Hand
ein Schiff Faufen, und dies am beftimniten Tage
mit einer geringen Mannfchaft, die im Namen
eines Kaufmannes gemiethet werden follte, für
uns bereit halten zu laffen.“
„Der Hof begab ſich alle Frühjahr nad) einem
Luſtſchloß, Hammam-Lief genannt, wo ſich
mineralifche Bäder befinden, Diefe werden als
eine Art Reinigungscur gebraucht, der ſich Jeder,
der zum Hofftaat gehört, unterziehen muß. Das
Schloß liegt mitten in einer Plane, vom Meer
eine halbe Stunde entfernt, und durch eine fumpfige
Gegend voll hoher Binfen von diefem getrennt.
Don hier wollten wir unfere Flucht bewerfftelligen,
un Malta oder Sicilien zu erreichen, und, da
es uns an Schäßen nicht fehlte, in Europa ein
freies und glückliches Leben zu führen. Mit den
Semilaſſo in Afrika. I, 7
98
ſchoͤnſten Kuftfchlöffern bauten wir uns dieſe
Zufunft auf, in denen wir die füllen Freuden
einer ungeftorten Verbindung genießen wollten,
und Fein Zweifel am Gelingen ftorte die Zuverficht
unferer, leider zu vertrauenspollen Jugend.“
„Die feftgefette Nacht erſchien. Antonio, der
verficherte, daß Alles bereit fey, hatte mich ver—
loffen, um uns am Ufer zu erwarten, und ich
begab mich, froh endlic) am Ziele zu feyn, zu der
ängftlich meiner harrenden Geliebten, die in großer
Bewegung mit Thranen in meine Arme ſank.“
„Bald gelang es indeß meinen Liebkoſungen
und fenrigen Morten, die ihr das Bild unferes
nahen Glücdes mit allen glänzenden Karben einer
feit lange nur dahin gerichteten Eimbildungsfraft
ausmalten, fie zu beruhigen. Ein entfeßzliches
Gewitter mit Sturm und Wegen, wie es in diefer
Sahreszeit haufig eintritt, tobte vor unfern Fenſtern.
Nichts Fonnte ung günftiger feyn, denn eine Doppelte
Reihe von Zelten, mit Soldaten angefüllt, umgab
das Schloß. Dbgleich Einige von ihnen da, wo
99
wir durchdringen wollten, beftochen waren, fo
konnten leicht Andere uns entdecken. Das Zimmer,
in. dem wir uns befanden, war nicht alfzuboch
von Boden entfernt. Sch löste meine lange
goldene Säbelfchnur, befeftigte fie am Gitter,
und auf den Balkon hHinaustretend, Fletterte ich
zuerft an der im Winde flatternden Schnur hinab,
Kabbuhra, mir unverzagt und mit der Gefchidz
lichkeit eines Eichhörnchens nachfolgend. Als fie
aber unten angefommen war, überwaältigten fie
von Neuem ihre Gefühle. Sie wandte fich dem
Haufe noch einmal zu, fiel, in ihrer Meinung
den ewigen Abfchted nehmend, auf ihre Kniee
und fchluchzte laut. Doch unfere Zeit war zu
koſtbar, ich zog fie mit fanfter Gewalt hinweg, und
paffirte unangefochten mit ihr die Zelte, in welche
der fürchterliche Regen alle Krieger zuſammen—
gedrängt hatte, Unfer Weg zwifchen den Binfen
wurde aber immer befchwerlicher, und das Herz
blutet mir noch), wenn ich daran denfe, mit wie
viel Muth und Geduld dies zarte Weſen ihre
100
feine Haut an den Geftrüppen blutig ritzte, in
bloßen Füßen (denn ihre Vantoffeln waren nach
furzer Zeit im Sumpfe verloren gegangen) und
leichter Kleidung dem entfeglichften Unwetter aus:
gefeht blieb, und dennoch nie eine Klage über
ihre Lippen kommen lich. Sch trug fie, fo oft
ich Fonnte, aber Fürzlich erft von einer bedeutenden
Wunde in der Bruft genefen, die ich in einem
Gefecht erhalten, waren meine eignen Krafte Faım
zur Halfte wieder zurückgekehrt, und überdem
drücte mich die Laft großer Summen in Gold
und Juwelen, die ich niemand Andrem anzus
vertrauen gewagt, faft Darnteder. Endlich erreichten
wir, von Mattigfeit erfchöpft, das Meer; aber
wer fchildert unfer Entfegen! Fein Schiff war
weit und breit zu fehen. — Hier verließ mid) -
einen Augenblick alle Saffung, und nur Kabbuhra
zeigte eine wunderbare Standhaftigfeit. Warte
meiner bier, rief ich verftört, und laß mich fuchen,
Antonio muß in der Nahe ſeyn. Ueber cine
halbe Stunde irrte ich verzweiflungsvoll am Ufer
101
umher, doch nichts als einzeln die Luft durch—
freifende Seemoͤven zeigten ſich meinen ftarren
Blicken. Als ich zurüdfam, war auch Kabbuhra
verſchwunden. Eine aus den Binfen hervorbrechende
Schlange verfcheuchte fie; toͤdtlich geängftigt hatte
fie mich dann auf einer falfchen Seite aufgefucht,
und eine zweite bange halbe Stunde verftrich,
ehe wir, laut unfern Namen rufend, uns wieder
zufammenfanden,«
„Troſtlos fchlugen wir den Ruͤckweg nad) dem
Schloſſe ein; ich in dumpfer Verzweiflung, das
entfchloffene Mädchen mich mit allen Trugfchlüffen,
die ihr die Liebe eingab, vergebens zu tröften
verfuchend. O Kabbuhra! rief ich, cs bleibt uns
nichts Andres mehr übrig, wir müffen zuſammen
fterben! Sch bin bereit, erwiederte fie, dir zu
folgen, wohin du mich führft, auch in den Tod, —
Sm halben Wahnfinn drückte ich fie feft an meine
DBruft und zog meinen Dolch, doch verfagte mir
der Muth. Kabbuhra, begann id) zagend um
Zeit zu gewinnen, kuͤſſe mich, und richte felbft
102
die Waffe auf dein Herz — ift dein letter Seufzer
entflohn, fo zerfchmettert diefe Piftole mein fchuld;
bedecftes Haupt. O, fagte fie ſich fchaudernd
abwendend, laß uns vorher doc) noch das Aeußerfte
abwarten. Wie fchnell ift, che man uns ergreifen
fann, ein Dolchſtoß geführt; vielleicht ſchuͤtzt ung
Allah, und laßt ung durch ein Wunder das Schloß
wieder erreichen. Aber fie wußte nicht, daß meine
wenigen übrigen Kräfte mit jedem Momente
fhwanden. Meine Wunde war von Neuem aufz
gebrochen, ich fühlte mich mit Blut überftrömt,
und ſank ohnmaͤchtig im die Kniee. Als ich die
Yugen wieder auffchlug, fand ich das treue
Geſchoͤpf mit der größten Geiſtesgegenwart ber
fohaftigt, meine Wunde zu verbinden und mir
ſtarke Effenzen vorzuhalten, Die mid) mühfam
ins Leben zurücgebracht hatten, Wie, dachte ich
über mich felbft empört, dieſes zarte gebrechliche
Weſen zeigt folchen Muth und Du follteft neben
ihr erliegen? Eine überirdifche Kraft fehien bei
diefem Gedanken alle meine Nerven wunderbar
103
zu ftarken; ich vraffte mich gewaltfam auf, und
von Kabbuhra zärtlich) unterftüßt, nahten wir
zum zweitenmal den Zelten, Der Himmel ſchien
mit uns im Bunde und fironte noch immer
feine Sluthen wie einen Molfenbruch herab. —
Jeder Wahrfcheinlichfett zum Trotz waren in
wenigen Sekunden die Wachen glücklich hinter
uns, doc) die goldne Schnur, dachte ich mit
Schaudern, wenn fie bemerft worden und nicht
mehr da wäre! Doch das Unwetter hatte uns
gerettet; fchimmernd flatterte fie noch) im Winde
wie zupor. Kabbuhra ſchwang fich zuerft mit
ihrer Hülfe Hinauf, und gleich darauf verricth
mir ihr dreimaliges Klopfen, daß Niemand erwacht
fey, und ich ihr ficher folgen Tonne. Auf dem
gewohnten Wege fand ich meine Wohnung wieder,
und wenige Tage reichten hin, um die Folgen
diefer fchredlichen Nacht, der fchmerzlichften meines
Lebens, gänzlich zu verwifchen.«
„Doch nur eine Frift hatte uns das ver
ratherifche Schickfal vergunnt! Der Grund, warum
104
Antonio nicht erfchienen, war nicht Verrath, wie
ich befürchtete, fondern ein auf ihn gefallener
Verdacht der Behörde, weil er feinen Auftrag
mit zu wenig Vorficht verrichtet. Man hatte
fein Schiff angehalten, und da er Feine Auskunft
darüber geben wollte, ihm fünfhundert Stock—
fhläge aufzählen laffen. Nun nannte er einen
falfchen Namen, deffen Unwahrhett fich aber bald
auswies. So ward feine Marter verdoppelt,
und ohne Kraft fie länger auszuhalten, geftand er
Alles. — Der Paſcha, als er diefen Bericht erfuhr,
übte noch einmal Langmuth, und ftatt mich todten
zu laffen, wie ich erwarten mußte, wies er mir
einen feften Pallaſt in Tunis zum Gewahrfant
an, die Darlaola, wo von Negerinnen Alles
bereitet wird, defjen die Hofhaltung bedarf. Hier
ward ich übrigens anftändig behandelt, zuerft der
genauen Aufficht diefer alten Weiber übergeben,
einer gefährlicheren Wache als alle übrigen, außer;
dem aber umringten auch noch Soldaten das
Haus; und dennoch gelang es mir bald, mit
105
Hülfe des Arztes und der nicht zu firengen
Controle des Chefs der Mamelucken, ein folches
Beſtechungsſyſtem zu organifiren, daß, wahrend
des ganzen Jahres wo ich hier gefangen faß,
nur wenig Nächte vergingen, in denen ich nicht,
wenigftens einige felige Minuten, in Kabbuhra’s
Armen ruhte, obgleich mein Gefaͤngniß über eine
Stunde von der Refidenz entfernt war und ich
hundert Schwierigkeiten aller Art zu überwinden
hatte, che ich bis zu ihr dringen Fonnte, Meine
damalige Ausdauer, meine unerfchütterliche Zu—
verficht und meine gänzlidhe Verachtung jeder
Gefahr ift mir feitdem oft felbft faft ein Raͤthſel
geworden, und ich fühle wohl, daß ich des
Gleichen jetzt nicht mehr fähig ware.“
„Nach Verlauf diefes, troß feiner unaufhörlichen
Sorge, glüclichen Jahres trennte uns endlich das
grauſam mit uns fpielende Schieffal für immer!«
Der tiefe Kummer, der fi) hier über Juſſufs
Züge verbreitete, und die Heftigfeit feiner Ems
pfindung, die ihm auf einen Augenblick faft das
106
Athmen benahm, zeigten mir, wie fchmerzlich er
diefen DVerluft noch jet empfinde „Ich kann,“
fagte er an feine Bruft faffend, „dieſe Gefchichte
meines ftürmifchen Lebens nicht erzählen, ohne
auf das heftigfte davon ergriffen zu werden, und
hätten Sie mir nicht ein fo freundliches Intereſſe
gezeigt und fo lebhaft in mich gedrungen — id)
würde mich fchwer dazu entfchloffen haben. Sie
find der Erfte, dem ich fo ausführlich mitgetheilt,
was ich mich lange Zeit bei mir felbft zu über
denfen fcheute. Doc) wir find jetzt bald am Ende,
und Ihre Geduld«, feste er mit feinem unwider—
ftehlich licbenswürdigen Kacheln hinzu, „möge nicht
noch früher ermuͤden.“
„Um die angeführte Zeit hatte ich das Ungluͤck,
daß Assin, mein Befchüßer und zweiter Water,
wie überhaupt einer der ausgezeichnetften Männer,
in Ungnade fiel und mein größter Feind feine
Stelle als erfter Minifter und Chef der Mame-
lucken einnahm. Diefer, der genau meinen Schritten
gefolgt und von Allem unterrichtet war, machte
107
dem Pafıha einen fo umſtaͤndlichen Rapport dar—
über, daß der Dater mich nun endlich der Ehre
feiner Tochter aufopfern zu müffen glaubte.
„Lombard, der Leibarzt, befam den Auftrag,
mir in meinem Gefängniffe die Gifttaffe zu reichen,
die dem Leben der Verurtheilten ein fchnelles Ende
macht. Aber von Lombard hatte ich nichts zu
befürchten, und es ift wohl möglich, daß der Bey
felbft im Geheim darauf rechnete. Der Grund
diefer meiner Sicherheit war folgender. Als ich
noch ein Knabe von fünfzehn Sahren war, kam
Lombard zuerft nad) Tunis, wo er fich am beften
zu infinuiren glaubte, wenn er dem Schuß der
Conſuln entfagte und fich ganz unter die Juris—
diction des Bey begäbe. Diefer Schritt führte
ihn jedoch bei einem Haare feinem Untergange
zu. Eine Epidemie verbreitete fich in der Haupts
fiadt, welche Lombard für die Peft erklaͤrte. Da
Nichts dem Handel und unfern damaligen Vers
bältniffen nachtheiliger feyn Tonnte, wie eine offtciell
erflärte Peft, durch alle Hinderniffe welche fie in
108
den Verkehr mit Europa bringt, fo gerieth der
Paſcha in die höchfte Wuth über eine Behauptung,
der alle tunefischen Aerzte widerfprachen. Er befahl,
den allzufühnen Lombard fogleich herbeizuführen,
um ihm vor feinen Augen taufend Stocichläge
zu geben, welches einem Xodesurtheil aquivalent
ift. Die einnehmende Geſtalt und das würdige
Benehmen Lombard’s machte auf mich, der damals
ein verzogenes Kind des Paſcha war, einen folchen
Eindruck, daß ich in die bitterfien Thranen aus—
brach, mich dem Bey zu Füßen warf, und ihn
beſchwor: den graufamen Befehl zuruͤckzunehmen,
um doch erſt abzuwarten, ob der fremde Mann
nicht die Wahrheit gefagt. Der Paſcha, gerührt von
meiner Angſt, ftreichelte mir die Wangen und fagte
guͤtig: beruhige dich nur, es foll nad) deinem Wunfch
gefchehen! Lombard ward abgeführt, und als Turze
Zeit darauf fich vollftandig bewährte, was er
behauptet, machte ihm der Bey dffentlich eine Entz
ſchuldigung, befchenfte ihn reichlich, und ernannte
ihn mit einem hohen Gehalte zu feinem Leibarzt.“
109
„Als num derfelbe Mann, der mir Leben, Ehre
und Wohlſtand dankte, jetzt in der Nacht mit dem
Gifttranf bei mir erfchten, fagte er, mic) um—
armend: Ich ſchaͤtze mich glücklich, Zuffuf, endlich
vergelten zu Fünnen, was du einft an mir gethan,
Alles ift zu deiner Flucht mit LXeffeps (dem Sohne
des franzofifchen Conſuls) abgeredet, die Fregatte
Adonis *) Liegt fegelfertig auf der Goletta, um
zur Erpedition gegen Algier zu ftoßen, eine Ems
barfation wird vom früheften Morgen an am
Ufer auf dich warten, und zwei Pferde ftehen für
dic) und deinen Diener am Meeresthore bereit.
Es wird dir leicht werden, dich zur beftimmten
Stunde dort einzufinden, und du haft noch Zeit
alle gehörigen Vorbereitungen zu treffen, denn
vor Morgen wird Niemand nach dir fragen. Ein-
mal in Sicherheit, werden wir dann fehen, ob
noch etwas weiter für dich zu thun if. Mit
*) Der Name des Schiffs Eonnte nicht paffender für
den ausgefucht werden, den e8 tragen follte.
110
tieffter Rührung nahm ich von dem treuen Freunde
Abfchied, trug ihm taufend Liebesgrüße an meine
arme Kabbuhra auf, füllte dann eine Kifte mit
allen meinen Zuwelen, mehr als eine Million an
Merth, nähte davon für ungefähr Hunderttaufend
Franken einzelne Diamanten in meine Wefte (was
fpater ein großes Gluͤck für mid) war), und ver:
ließ, als Beduine vermummt und ganz unkenntfh,
auf die gewohnte Weife mein Gefängnig. Nachdem
ich Alles gefunden wie e8 mir Lombard angezeigt,
und das Meerufer glücklich erreicht, todtete ich
die Pferde und warf fie mit Hälfe Ruftan’s in
einen tiefen Brunnen, damit fie meine Flucht
nicht verrathen Fonnten, dann näherte ich mid)
mit der Morgendämmerung der bezeichneten Stelle.
Hier bot fi) meinen Bliden ein unerwartetes
Schaufpiel dar. Eine Patrouille war, vorbeis
gehend, den Matrofen der Embarkation begegnet,
die, felbft von nichts wiffend, als daß fie einen
Paſſagier aufnehmen und nach) dem Schiff bringen
follten, an's Ufer geftiegen waren um zu früßs
111
ftücen, an welchem Mahl nun die Soldaten der
Patrouille brüderlich Theil nahmen, Wahrend ich
ſchnell mein Morgengebet verrichtete, drangen die
Töne ihres Iuftigen Muthes mit Gelächter und
Scherzen bis zu mir herüber. Wahrfcheinlich hatte
diefer Laͤrm eine zweite Patrouille angezogen, die
ich bereits vom Gipfel des nahen Hügels herab:
ſteigen ſah. Ich gab fehleunig meinem Diener
die in einen weißen Shawl gewicelte Juwelen—
Tifte, befahl ihm, mir auf dem Fuße zu folgen,
und ging unbefangen anf die Gruppe zu. Hier
ward ich gewahr, daß die unbeforgten Soldaten,
um ihre Mahlzeit ungeftört zu genießen, ihre
Gewehre in dichter Reihe an eine Mauer gelehnt
batten, die an diefer Stelle das Meer einfaßt
und einen Vorfprung nach dem Waffer zu bilder,
auf dem die Kolben der Slinten ruhten, Mit
einem Sprunge war ich am aͤußerſten Ende
der Reihe, und das crfte Gewehr ergreifend, warf
ic) fie mit leichter Mühe alle mit einander raffelnd
ing Meer, Seht zog ich meinen Säbel, und
112
den Matrofen franzöfifch zurufend, daß ich der
erwartete Paffagier fey, und fie, wenn fie ihr Leben
fchätzten, über Hals über Kopf ihr Boot befteigen
follten, chargirte ich mit meinem Diener die über:
rafchten Soldaten, welche kaum wußten wie ihnen
geſchah.“
„Nachdem ich zwei davon niedergehauen, ergriff
mich einer beim Bund und fiel durchſtochen 3
meinen Füßen, einen Andern ftredfte meine Piſtole,
mit dem linken Arm abgefeuert, zu Boden, Auch
mein Diener Fampfte mit dem Muthe der Ver—
zweiflung, und ungeachtet der Uebermacht erreichten
wir glüdlic) das Boot, ehe noch die im Lauf
herbeieilende zweite Patrouille uns einholen Fonnte.
Schon mit einem Fuße in dem Fahrzeug hielt
mid) noch ein riefiger Albanefe an der Schulter
feft, was ihm jedoch übel bekam, denn ein glüde
licher Zug meines Damasceners trennte feine Fauft
fo glatt vom Arme, daß fie als Trophäe mit Ing
Boot herabfiel. Ste war nur ein fchlechter Taufch
für den herben Verluft, den ich zu gleicher Zeit
113
erlitt. In der Verwirrung des Kampfes, und
um fich die Hände frei zu machen, hatte naͤmlich
Ruftan die ihm übergebene Juwelenkiſte von ſich
geworfen, und feitdem nicht wieder daran gedacht.
Waͤhrend der Füfillade, die uns vom Ufer ver—
folgte, fab ich fie unverfehrt auf dem Strande
liegen. Einen Augenblick faßte ich den raſenden
Entſchluß, noch einmal nach ihr umzukehren, doch
die Vernunft gebot mir bald ihn wieder aufzugeben.
Spaͤter habe ich erfahren, daß dieſe Kiſte dem
Paſcha nach meiner Flucht richtig uͤberliefert
worden tft.“
„Wie ich nun in den franzöfifchen Dienft ges
langte, was ich dort auszuführen das Glücd hatte,
und wie ic) mit einer Sendung des Gouverneurs
‚von Algier mich noch einmal nach Tunis wagte,
erzähle ich Zhnen, wenn Sie c8 wünfchen, ein
anderes Mal; für heute haben wir wohl Beide
genug.“
Mit diefen Worten fchloß Zuffuf feinen felt
famen Bericht. Ich fee vor der Hand nur nod)
Semilafjo in Afrika, I, 8
114
hinzu, daß er ſich im franzofifchen Dienft durch
Gewandtheit und Unerſchrockenheit auf das Glan-
zendfte auszeichnete, durch das faft wunderbare
Magftüc der Einnahme der Citadelle von Bone
mit feinen Freunde d'Armandy aber die Augen
der ganzen Armee auf fich zog, wovon ich fpater
mehr zu fagen Gelegenheit finden werde.
Die neueften Lorbeeren bat er in der Affaire
gegen den Bey von Conftantine gewonnen, und
der Gouverneur wünfcht nichts mehr, als ihn
an die Stelle deffelben einfeen zu koͤnnen. Ueber
Tiſch Außerte er dies wie halb im Scherz: „Mais
mon General,“ antwortete Suffuf, „donnez moi
1200 hommes, et vous navez qu'à me laisser
partir, je m’entaillerais bien moi meme. La
route de Bone a Constantine est aussi facile
que celle de votre hötel à mon logement en
ville.“
Es ſchien dem jungen Türken nicht unangenehm
zu feyn, als ich ihm fagte, daß ich mich um fo
mehr gefreut habe, ihn Fennen zu lernen, da feine
115
Reputation bereits cine Europaifche geworden
fey, und ich in Paris aus manchem fchönen
Munde feinen Namen mit einem Enthuſiasmus
nennen gehört hätte, den fein Anblick gewiß nicht
entfräften würde, In der That, Juſſuf ift eine
Erfcheinung, die Jeden lebhaft intereffiren. muß,
doc) fpricht er meine Sndividualität vielleicht noch
mehr als irgend einen Andern an, und die Folge
hat mir gezeigt, Daß diefe Anziehung in einigem
Grade auch gegenfeitig war. Wir im alternden
Europa find faft Alle mehr oder weniger Denker
geworden; bier ſah ich einmal unfern Gegenfat,
einen Menfchen, der ganz Handlung if. Es ift
ein Achter Naturheld, und ſchoͤn, liebenswürdig,
menschlich vornehm, wie er fich darftellt, zugleic)
der Romanheld wie er feyn follte, Wir Civilifirte
find eine ausgemergelte, zehnmal ausgepreßte, bis
auf den letzten Grad geiftig ausgefogene Race,
die dergleichen nicht mehr liefern Tann, Nur
eine gigantifche Verftandesmafchine, wie Napoleon,
Fonnte als hoͤchſte Summe und Repräfentant
116
der Zeitfahigfeit noch bei ung möglidy werden —
aber eine primitive Natur, eine folche poösie en
action, wie diefer Türke, wird auf unferem Boden
nicht mehr wachfen. Iſt der Einfluß derfelben durch
Stellung und Umftande hier auch nur gering und
local, dem Kenner bleibt ihre Entfaltung immer
höchft merkwürdig. Wer fie ſich übrigens aug
hiſtoriſch und weltſtuͤrmend denken wollte, brauchte
ſie nur in ſeiner Phantaſie auf einen Thron Aſiens
zu ſetzen. Doch wir wollen zur Geſellſchaft unſeres
braven Gouverneurs zuruͤckkehren.
Das Geſpraͤch wandte ſich jetzt auf andere
Gegenſtaͤnde, namentlich auf eine nahe bevorſtehende
Heirath im Hauſe des ſchon von mir erwaͤhnten
Muſtapha Paſcha. Juſſuf beſchrieb uns die bei
ſolchen Gelegenheiten uͤblichen Ceremonien und
bemerkte, daß der Braͤutigam, ſo wie die Braut
entſchleiert wird (bei welcher Gelegenheit er ſie
zum erſtenmal zu ſehen bekommt), ſie auf die
Stirn kuͤſſe und ihr ſage: Ich nehme dich zu
meinem Weibe fuͤr dieſe und jene Welt,
117
„Ich denke, fiel ich ein, „in jener Welt find den
Öläubigen noch höhere Schönheiten beſchieden.“
„Allerdings, antwortete Juſſuf lachend, »erz
warten uns dann die Horris (ſo ſprach er das
Wort aus), aber der Prophet geftattet uns, eine
Frau, die wir befonders lieben, mit unter dieſe
aufnehmen laffen zu dürfen.“
„Die Türken,“ fuhr die Tochter des Gouverneurs
fort, „müffen übrigens weit zartlicherer Natur
ſeyn als die europätfchen Liebhaber, denn der
Braͤutigam verficherte mir bei unferm legten
Beſuch, daß ihm die Schnfucht nach feiner Braut
Tag und Nacht Feine Ruhe laffe, obgleich er fie
noch nie gefehen habe.“
»DBielleicht eben deßwegen;“ meinte der far;
Faftifche Hausarzt.
Das Denehmen Zuffufs wer eben fo fein
und hoͤflich, als impofant in feiner einfachen
Natürlichkeit, nicht ohne Stolz gegen die Männer,
vertraulic) und einfchmeichelnd gegen die Damen.
Doch war etwas Unheimliches wie im Othello
118
dabei, an deffen Charakter er mich oft erinnerte,
So fagte er einmal von einer ſchoͤnen, bier fehr
gefeierten Dame: „Je m’oserais pas laimer.
Comment pourrais-je le supporter, de lui
voir fair la cour par tout d’autres!« Er
hatte einen füperben perfifchen Candſchar im
Gürtel, den nach Tiſch die Geſellſchaft neugierig
betrachtete. Als die reizende Gräfin Erlon ihn
in die Hand nahm, fagte er mit dem ſanfteſten
Lächeln: „Madame, vous pouvez le toucher
hardiment, avec celui la je n’ai pas encore
coupe de tete.“
Der Pallaft des Gouverneurs gehörte früher
einem der reichften Mauren der Stadt, und ift
faft das einzige von Franzoſen bewohnte Gebäude,
was auch im Innern faſt ganz unverändert ges
blieben if. Wie in den übrigen Haͤuſern bildet
auch hier, nur in größeren Dimenfionen der mit
Säulengangen umgebene innere Hof die Haupt—
piece, Alle Zimmer find aber bier geräumiger,
und prächtig mit Vergoldung und bunten Farben
119
geſchmuͤckt; Treppen, Ihäreinfaffungen, Säulen
fammtlic) aus weißem Marmor, die Gapitale
und Fenftergitter vergoldet, die Waͤnde bis zur
Bruſthoͤhe mit Porzellaintafeln eingelegt, Plafonds
und Thüren Funftreich gefchnigt u. f. w. Diel
originelle Meubles fielen mir auf, unter andern
fehr bequeme, aber unfoͤrmlich große fauteuils,
wie auch eine feltfame Bettftelle in Grün und
Gold, mehr im Geſchmacke der Zeit Ludwig des
Vierzehnten, als im Charakter des Orients, vielleicht
noch eine gemachte Beute aus jener Epoche.
Ich begleitete den Gouverneur mit ſeiner Familie
ind Theater, wo une femme.de l’empire leidlich,
und nachher eine Farce, le divorce, beſſer gefpielt
wurde, als ich fie auf jrgend einem Provinzial-
theater in Frankreich gefehen habe. Das dritte
Stuͤck konnte nicht gegeben werden, weil die
Directrice ploglich erfranft war — man fagte:
in Folge der foudroyanten Nachricht, daß die
Municipalität ihr ftatt einer Zulage von zwölf
taufend Franken jährlich, wie fie fie bisher genoffen,
120
fortan nur die Hälfte geben wolle. Dies fcheint
mir eben fo mißverftandene Defonomie im Kleinen,
als fie das Goupernentent, durch die Kammern
gezwungen, auch bei Verwaltung der Angelegen—
heiten Ulgiers überhaupt im Großen anwendet.
Diele find 3. DB. der Meinnng, daß man mit
6000 Mann Truppen nıehr, alle wünfchenswerthe
Mefultate erreichen, und ſich dann weit genug
verbreiten Fonnen würde, um mit Öicherheit
folche Stellungen auf die Dauer einzunehmen,
welche eine wahre Herrfchaft über die Regence
begründen, und wenigftens die Cultivirung der
Ebene von Metidschia möglich machen würden.
— Die, welche die hiefigen Verhältniffe am
genaueften Fennen wollen, verfichern, daß, wäre
der Bey von Eonftantine befeitigt, aller Wider:
ftand der Araber von felbft aufhören würde, da
fein Beifptel und feine Sntriguen der Ießte Anker
find, der fie an dem alten Zuftend der Dinge
fefthalt. Dann, fagen fie, Fönnte ein wahres und
erfolgreiches Civilifattonsprojeet Afrifa’s beginnen,
121
wahrend bis jett alle angewandten Mittel und
Koften nur als Palliative wirkten. Noch andere
behaupten dagegen, man habe zu viel Truppen
und müffe nur im böchften Nothfall die Einge
bornen befriegen, ftatt deffen fie vielmehr durch)
Geld bearbeiten, und ihr Intereſſe trennend, nach
Macchiavel's Regel, Einen durch den Andern im
Zaum halten; wenn man aber einmal felbt aufträte,
dürfe man auch nicht die mindefte Schonung walten
laſſen, wozu nicht fowohl die vielen Truppen als eine
größere Energie nöthig fey. Ich kann über Alles
dieß nicht urtheilen, aber jeden Unpartetifchen muß
es in Verwunderung feßen, daß die Franzofen
nach vichährigem Befisthum, mit 15,000 Mann
Truppen und fo vielen angewandten Millionen
es noch nicht einmal dahin gebracht haben, daß
man vier Stunden von der Stadt fich ohne
Escorte hinauswagen darf, zwei- bis dreitaufend
Mann dazu gehören, um eine Ereurfion nach
dem acht Stunden entfernten Belida zu unter:
nehmen, der Atlas in gleicher Entfernung ganzlich
122
unzuganglicy geblieben ift, und die fruchtbare
Ebene von Metidschia, obgleich bereits faſt ganz
lich verfauft, dennoch wüft liegen bleibt, weil die
Colontften darauf weder ihres Eigenthums noch
ihres Lebens ficher find. Und dies ift um fo auf
fellender, wenn man bedenft, daß das türfifche
Goupernement früher mit 7000 QTürfen des
ganze weite Reich, von den Örenzen Maroktos
bis denen von Tunis, in Gehorſam hielt. Es
fcheint in der That, daß die Sranzofen, bei allen
ihren übrigen glänzenden Eigenfchaften, die Kunft
des Golonifirens entweder nur fchlecht verftchen,
oder das Gouvernement gar nicht die Abficht hat,
Algier für immer zu behalten, fich aber dem fo
enthuftaftifc ausgefprochenen Willen der Nation
nicht offen entgegen zu feßen wagt. Iſt dies
Lestere der Fall, fo glaube ich für mein Theil,
daß es vollkommen Recht bat, und daß vielleicht
ein Erabliffement, dem der alten Nitterorden von
Malta und Serufalem ahnlich, nach dem Zeit:
geifte motipirt, und unter den allgemeinen Schutz
123
der europaifchen Mächte geftellt, dem Zwecke beffer
entfprechen würde,
Aber das Poſtdampfſchiff ift im Begriff ab-
zufegeln, und ich muß fchließgen. Eben verläßt
mich eine Deputation des Handelsftandes, um
mich zu einem großen Balle einzuladen. Ich
muß ſchon mieiner Eitelkeit das Vergnügen goͤnnen,
zu fagen, daß der Sprecher der Herren mich mit
den Worten anredete: „La reputation, qui vous
a devance, m. P., nous fait vivement desirer,
que vous nous fassiez l’honneur d’assister a
notre petite fête.“ In Algier ift dies immer
recht artig für einen armen Lauſitzer Edelmann,
den die Natur nur beſtimmt hatte, zu Haufe Haafen
zu fchießen und Kohl zu pflanzen. Verzeih' der
Schwäche, die ich hier an den Tage lege, und
lahft Du mich ein bischen aus, fo gefchehe es
mit derfelben gutmüthigen und fchalfhaften Liebens-
würdigfeit, die Dir bei jeder Gelegenheit, Du
mochteft tadeln oder loben, mein Herz im Lauf
der Zeit Immer inniger zuführte,
124
Empfange, von diefer Wahrheit innig über:
zeugt, mit Liebe und Freundfchaft mein erftes
Lebewohl aus dem andern Welttheil.
Dein treuer
H. S
Rerse - Iaıue nal,
(Ber Sitten fhildern, und das wahre Bild eines
Landes, fo weit er es kennen und beurtheilen lernte, auf-
ftellen will, dem muß es auch erlaubt feyn, frei mit
der Sprache herauszutreten. Die zu ängftliche Decenz
und Zimperlichteit moderner, überwohlanftändiger Reiſe—
befohreiber bringt dadurch faft immer [im großen Gegenfaß
der fühneren Alten] nur ein verwäffertes undeutliches Ge—
mälde hervor, und wir fünnen daher Semilaffo , unferer
Anſicht nach, nicht tadeln, wenn er von ihnen abzumweichen
wagt, halten es aber zugleich für unfre Schuldigfeit, den
Damen zu ratben, daß fie den folgenden Tag überfchlagen
möchten.)
126
Algier, den 17. Januar 1835.
Es ift die Zeit des Rhamadan, wahrend dent,
um fich für das Faſten am Tage zu entfchadigen,
die Mufelmanner den Abend und die Nacht
durchſchwelgen. Als ein pflichtfchuldiger Reifender,
ein Opfer meines Handwerks, machte ich daher
diefen Abend mit einem jungen Franzoſen cite
Entdefungsreife in den gänzlich dunfeln, labyrinths
und höhlenartigen Straßer, nebft vielen feltfamen
öffentlichen und geheimen Orten der Stadt. Hatte
Diefes furchtfame, an Sclaverei gewühnte, unters
würfige Volk einen Banditen-, Diebes- oder
Uebercivilifationg = Charakter, gäbe es z. B. in
Italien oder England cin folches Stadtlocal wie
diefes, Ich möchte mich nicht, ohne bis an die
Zähne bewaffnet zu ſeyn, in dunkler Nacht hin;
einwagen. Hier iſt Dagegen durchaus nichts zu
fürchten, als höchftens von Seit zu Zeit In eine
Pfübe oder einen Kothhaufen zu treten, oder mit
dem Kopf an einen zu niedrigen Bogen, einen
127
hervorftchenden Balken und dergleichen anzurennen,
wenn nicht gerade cin vorübergehender Maure, mit
feiner hohen Papterlaterne die Straße momentan
erleuchtend, den Weg deutlicher erkennen läßt.
Man Fann, fobald es finfter geworden ift, nicht
fünf Minuten in der Stadt umhergehen, ohne
von einem Ruffiano, die hier meiftens junge
Knaben find, angefprochen zu werden, der Einen
dann im ziemlich verftändlichen Franzoͤſiſch Alles
anbietet, was der gefunde, wie ber verfehrtefte
Geſchmack nur verlangen Tann, als: reizende
Juͤdinnen, die meiftens verheiratbet und Feines:
wegs Freudenmadchen nach ceuropäifcher Urt find;
alte dicke maurifche Weiber, die, mit Gold und
Brimborions aller Art behangen, daliegen, und
aus einem großen Houkah rauchen, welcher einer
Schraube ohne Ende gleicht, aus dem fie den
Dampf durch Waffer widerlich fchnalzend ein-
ziehen; Negerinnen mit hängenden Brüften ; braune
Mädchen bis zum Alter von zehn Fahren herab,
mit gefärbten Nageln und Augenbraunen u. f. w.
128
Fa, ic weiß nicht, was einer verfchrobenen Ein—
bildungstraft nicht alles fonft noch auf Verlangen
hier vorgeführt werden möchte! Es verſteht ſich
von felbft, daß für einen Europäer die meiften
diefer Schaufpiele fo ungeheuer eckelhaft find, daß
man alle feine Reifepflicht zufanmennehmen muß,
um fih nur zu ihrem Anblick entfchließgen zu
konnen; doch machen zuweilen einzelne tableaux
auch eine vollftandige Ausnahme. Co Trfchien
mir folgendes fo frappant, daß ich es gewiß nie
vergeffen werde,
Mir wurden von unfern zwei Ruffiani, einem
fchönen, aber zerlumpt angezognen, fiebzehrjährigen
Juͤngling, und einem, in eine braune Capuze
gewickelten, ebenfalls recht hübfchen Knaben von
höchftens 12 Jahren, durch einen langen ſtock—
dunfeln Zrichter von Gaſſe Trepp auf Trepp ab
geführt, bis wir auf eine blendend vom Mond
erleuchtete Terraſſe kamen, die uns plößlich) das
Meer und die geifterbleiche Stadt überfehen lich.
Von hier verloren wir ung von Neuem in Adgyp-
129
tische Sinfterniß, und befanden ung nad) Erfteigung
weniger Stufen in einem ganz auftändigen, mit
ZTeppichen belegten Gemach. Hier faßen, wie
drei Gößenbilder unbeweglich, mit unterfchlagenen
Beinen, drei junge Mädchen, in verfchiedne Farben,
zwar reich, aber nach unfern Begriffen immer
mehr oder weniger ſchmutzig gefleidet. Sie waren
mit golduen und filbernen Ketten, Münzen u. f. w.
behangen, trugen eine Art Hufarenjaden mit gold-
nen Schnüren und Furzen offnen Aermeln, durch-
fihtigem Muslin über dem Bufen, die nur bie
an die Wade reichenden Beinkleider aus demfelben
Stoff, an den nadten Armen und Beinen große
Kinge, lange Gloden in den Ohren und einen
Shawlturban auf dem Kopfe. Zwei rauchten
aus dem Houkah, eine, mit aller Grazie eines
Pariſer Stugers, Cigarren. Sie grüßten uns
weder, noch nahmen fie fcheinbar irgend eine
Notiz von und. In der Ede fand, an die
Wand gelehnt, ein Franfer Wahnfinniger, in eine
zerriffene wollene Decke gehüllt, mit einem leichens
Semilaffo in Afrika, I. 9
130
Ahnlichen Antlitz. Zwei Banfe an der Thüre
waren leer. Wir feßten ung, müde von dem
langen Umpherfteigen, auf die eine, die Buffiani
auf die andre, und nun hatten wir alle Muße, die
uns noch immer fchweigend gegenüber vauchenden
Schickſalsſchweſtern auf das genauefte zu betrachten.
Sie waren alle drei huͤbſch, aber von dem ver—
fchtedenften Ausdruck, nur fi) ahnlich durch den
metallartigen Glanz der Augen, und die blendende
Weiße ihrer Zähne, wie durch die gleiche rothe
Farbung der Nägel und Fohlfchwarze der Augenz
braunen, die Ichtern noch durch einen Etrich in
eins zufammengezogen, was allerdings den Augen
einen erhöhten lustre zu geben fcheint.
Die, welche rechter Hand von uns faß, mochte
achtzehn Fahr alt feyn und war eine orientalifche
Schönheit, Das heißt fehr corpulent, aber dennod)
wohl proportionirt. Sie fah eben fo apathifch als
unmwohlwollend aus, und hatte, troß ihrer regelz
masigen Züge, etwas Gemeines und Charafterlofes.
Die Mittelfte, die ich höchftens fünfzehn Jahr
131
(hatte, zeigte ein wahres Ideal der Zungfranlich-
feit, im firengen griechifchen Styl, mit einer
ſchoͤnen jugendlichen Bruft nach derfelben Vor:
ſchrift. Sie blickte eisfalt, ernft und melancholifch.
Die Dritte, mit einem Stußnäschen und zterlich
aufgeworfnen Lippen, angenehmer Fülle und
fhalfhaft ausgelaffuer Miene, glich) ganz einer
Franzofin aus dem Süden, und war die Einzige,
die uns, obgleich immer noch ftillfchweigend,
mehrmals anlachte, und nach einiger Zeit endlich
dem Gelüfte über uns zu fpotten nachgebend,
ſich woahrfcheinli mit irgend einer boshaften
Bemerkung, zu der Dicken wandte, Die jedod)
nur mit einem erneuten quirlenden Zuge aus ihrem
Houkah antwortete. Die maurifche Sprache in
Algier ift angenehm, bis auf einen gewiffen Ton,
anferm Ch ähnlich, der haufig wiederfehrt und
fatal Elingt, Uebrigens hat fie etwas — wie foll
ic) fagen — von Natur Geziertes oder Affectirtes
(denn es gibt auch ein folhes im Gegenfaß
zu dem Mbfichtlichen), was jedoch im Munde
132
der Jugend nicht ohne Reiz ift. Nachdem alfo
die Kleine vergeblich ihre Gefährtinnen zum
Lachen oder in beffere Laune zu bringen gefucht,
und die Corpulente nur damit noch zorniger
gemacht zu haben ſchien, denn fie fprudelte etwas
einer Verwänfhung nahe Kommendes hervor,
wandte fie ſich an uns und frug in gebrochnem
Sranzöfifch mit italianifchen Worten untermifcht,
ob wir militairifche Chefs wären? So begann
endlich die Unterhaltung, die indeffen, fo weit
wir und gegenfeitig durch unfre Interpreten verz
ftandlich machen Tonnten, immer nur auf diefes
eine Mädchen beſchraͤnkt blieb. Auf unfre Bitte
ftand fie auf, und machte nachher wenig Umftände,
wie auf dem Sclavenmarkt, ihre Neize dem Anz
blick preiszugeben.
Als ich ihr meine Verwunderung Außerte, daß
fie ihre huͤbſchen Hände und Füße durch eine,
altem Mahagoniholz gleiche, braunrothe Farbe
fo serunftalten möge, meinte fie: das Fame blos
auf den Geſchmack an, unfre weißlichrothen Nagel
133
ſchienen ihr eben fo haͤßlich als uns die braunen,
und die Franken wüßten überhaupt gar nicht,
was fchon ware. Als wir darauf nicht viel zu
entgegnen fanden, fing fie an, mit anmutbiger
Stimme cin mehr als crotifches franzoͤſiſches
Lied zu fingen, von dem fie jedoch nur die erfien
Zeilen behalten hatte, die fie daher auf lacherliche
Meife immerwährend wiederholte, was ich bier,
felbft nicht einmal, nachzuahmen wage Go
willig diefe Schöne ſich nun zeigte, fo fpröde
war die jugendliche Mittlere, welche weit mehr
den Effect einer Priefterin der Veſta als der
Venus auf uns machte. Nur mit der größten
Mühe bewogen wir fie aufzufichen, und kaum
ließ fie uns ihre fchlanfe Taille einige Sekunden
bewundern, während die Dicke, wahrfcheinlidy er—
bittert, daß wir von ihr gar Feine Notiz zu nehmen
fchienen, und derb auszufchelten begann. Nachdent
wir, ohne darauf zu achten, noch cine Weile mit
der andern gefcherzt, frug die Kleine, indem fic
ihre Cigarre aus dem Munde nahm und uns
134
keck in die Augen bliefte: ob es nur unfre Abficht
fey, fie anzufchen? Der junge Franzoſe antwortete
mit der Lebhaftigfeit feines Alters: Que notre
intention sans doute n’allait pas plus loin;
mais qu'il la payerait bien, si’ elle voulait nous
donner avec le jeune homme, qui nous avait
amend, une scene de la tendresse moresque.
En entendant ces mots grossiers, que la tra-
duction de Jinterprete rendait encore plus
humiliants, le sang monta de colere au visage
de la jeune fille, qui, regardant avec une fierte
melde de mepris celui, qui Yavait offensee, dit;
Un Ruffiano est trop au dessous de moi; et
elle ajouta encore quelques mots, que nous ne
pouvons repeter littralement, mais qui ca-
ractérisent trop bien les moeurs des habitant«
de ce pays pour eire passes sous silence.
Le sens de sa phrase £tait que, si mon com-
pagnon était si curieux, il n’avait qu’ a se
charger de son röle aupres du jeune homme,
pour ©tre entierement satisfait. Diefe monftröfe
135
Abfertigung decontenaneirte den unvorfichtigen Anz
greifer dergeftalt, daß ihm alles fernere Spaßen
verging. Wir warfen darauf den drei Mädchen
einige fpanifche Piafter hin, was ihnen fehr viel
zu dünfen fchien. Die beiden Ruffiani, die wir
jet entliofen, erhielten SZeder 20 Sous, und
waren gleich dankbar dafür,
Mir begaben uns nun in eine Art Theater
der Mauren, wo Ombres chinoises vortreiflich
dargeftellt wurden. Hier aber überfticg die Ob—
feönträt alle Vorſtellung. Der Hauptheld des
berühmten Volksſtuͤckes war der Rieſe Carragus,
welcher einen Priape zur Schau trug, mit dem
er vor den Augen der gravitätifch rauchenden
Zufchauer ausführte, was in diefer Hinficht denk;
bar und (für uns) nicht denkbar ift. Das Ende
des Stuͤcks beftand darin, daß cin Piket franzöftfcher
Soldaten den Riefen gefangen nehmen wollte,
worauf er fi) des erwähnten Priape ald Waffe
bediente, und zulegt das Pifet damit glüdlich in
die Flucht fchlug.
136
Nach dem Schaufpiel befuchten wir einen
Maͤdchenball, der alle Monat zum Benefiz des
Meruar, Vorgeſetzten diefer Klaffe (ein fürmlicher
Roi des Ribauds, welcher für Ausübung diefer
Charge dem Gouvernement jährlich 20,000 Franken
zahlt), fatt findet. Die Mädchen, felfam und
phantaftifch wie Priefterinnen angezogen, tanzen
nicht zuſammen, fondern eine nach der andern
allein, indem fie mit Tüchern dazu wehem Die
Hauptbewegung bei dieſem Tanz beſteht in ganz
beſondern, hoͤchſt unſchicklichen Convulſionen, von
wolluͤſtigem Mienenſpiel begleitet, um den phyſiſchen
Genuß deutlich auszudruͤcken. Ungeachtet einige
dieſer Maͤdchen ſchoͤn und nicht ohne Grazie waren,
wirkte doch das Ganze auf Europaͤer gewiß nur
hoͤchſt widrig. Die maͤnnlichen Zuſchauer, welche
Gefallen an der Taͤnzerin finden, und dies durch
Geſchenke bethaͤtigen wollen, naͤhern ſich ihr mit
einem Zeichen, worauf ſie ihren Tanz unterbricht,
und ihr Geſicht, gegen den Galan gewandt, in
die Hoͤhe hebt. Dieſer nimmt mehrere Muͤnzen
137
in die Hand, die er. erſt mit feinem Speichel
befeuchtet, und fie ihr dann auf Stirn, Wangen
und Kinn aufflebt, worauf er fie kuͤßt. Sobald
dieß gefchehen, büct fie fich über einen Teppich
und fchüttelt den Kopf wie ein Pferd, damit die
Geldſtuͤcke herabfallen, die der Chef für fie in
Empfang nimmt. Man Fann fi) kaum etwas
MWiderfinnigeres und Edelhafteres denken als diefe
Operation, Wahrend die Eine tanzte, Fauerten die
übrigen neben ihr auf dem Boden und rauchten ;
die Tanzende felbft aber trank haufig (wie unfere
Vorleſer) Zuckerwaſſer. Daß auch alle anwefenden
Manner rauchten, braucht wohl Faum erwähnt
zu werden.
Wir befchloffen unfre, meiftens penible Tour,
mit DBefichtigung eines der angefehenften Caffee:
haufer, wo ein maurifches Concert viele Leute
verfammelte. Diefes bot uns wiederum ein fehr
originelles Charafterbild dar.
Auf einer mit Teppichen behangenen Eftrade
faßen auf ihren nadten Beinen, bunt und felbft
138
ziemlich reinlich gekleidet, vier Muſiker mit den
ausdrucdsvollften Geſichtern, die in ihrer Art
durchaus Feine ungefchieften Künftler waren. Zus
erſt links ein Fugelrunder unformlicd) dicker Neger
mit einem höchft gutmuͤthigen Mondfinfternißgeficht,
der mit rüßrenden Grimaſſen die Zither fpielte.
Neben ihm ein fchoner, alter Araber, mit langem
weißen Bart, welcher eine Art Geige ſtrich, und
mich, der nahe herangetreten war, auf das Freund—
lichſte, jedoch immer wuͤrdevoll anblickte. Ihm
folgte ein junger Maure von eben ſo hellem Teint
wie ein Europaͤer, der die Trommel ſchlug. Der
Letzte der kleinen Truppe war ein ſtarker Mann
von dunkelbrauner Geſichtsfarbe und wahrſcheinlich
gemiſchtem Blute, mit ſtruppigem ſchwarzen Bart,
und dieſer blies eine Art Floͤte. Die Muſik, welche
die Leute machten, hatte etwas Wildes, Abruptes
und Fremdartiges, war aber keineswegs unange—
nehm. Da mich das ganze Schauſpiel ſehr ergoͤtzte,
legte ich ein Fuͤnffrankenſtuͤck auf den Teppich,
worauf das Orcheſter ſogleich mit vieler Gewandt—
139
heit aus der Nativnalmufil einen Uebergang in
eine befannte europaifche Melodie bewerkſtelligte,
offenbar uns zu Ehren, weßhalb auch der Alte
mit dem weißen Bart mir mehrmals lächelnd
dabei zuwinkte, und feine kleinen Augen, die wie
ein paar Kohlen funkelten, Fomifch Dazu verdrehte.
Mir liegen uns jet Caffee geben, den in Fleinen
Zaffen ein Negerfnabe fehr reinlich ferpirte, und
auf Verlangen auch geftoßnen Candiszucker hinzu—
fügte, Obgleich mit dem Eat vermischt, fanden
wir doch Beide diefen Trank vortrefflich, und weit
beſſer als in den hiefigen franzöfifchen Caffechaͤuſern.
Eben fo gut war der türfifche Tabaf, von dem
ich, mitten unter den in ftolzer Ruhe hingelagerten
Mufelmannern, eine Pfeife mit Vergnügen rauchte,
Sonderbar ift die Mode, daß in diefen Häufern
fein Preis für das, was man darin genießt,
feſtſteht. Man zahlt wörtlih nach Belieben.
Denn man gebe noch fo wenig, es wird nichts
mehr verlangt, eine reichere Gabe jedoch mit vielem
Danke angenommmen.
140
Sp hatten wir denn au) unfern Rhamadan,
im Geift des Landes, freilich grotesk und für die
Augen zum Wehthun indecent, aber doch merk;
würdig und faftend gefeiert!
Den 1B.
Ich machte einige Vifiten. Unter andern eine
intereffante beim Admiral. Er ſprach während
derfelben mit vieler Anerkennung von den Eng:
ländern, und fagte im Verlauf der Unterhaltung:
es bliebe immer cine fehr angenehme Erinnerung
für ihn, gewiffermaßen Zeuge des erften Auf-
fproffens der großen Laufbahn des Herzogs von
Wellington gewefen zu feyn. Sch befand mich,
fuhr er fort, im Jahr 99 an der Tafel des
Gouverneurs Lord Melleslen in Galcutta, bei
dem fein Bruder Eir Arthur, wie er damals hieß,
als Oberſt Adjutantendienft verrichtet. Mean
wußte bereits, daß die Truppen gegen Zippo
Saib einen großen Echee erlitten hatten, und es
142
fiel daher Zedem auf, ald dem Gouverneur bet
Tiſch eine Depefche überbracht wurde, die er
fogleih, und mit deutlichen Zeichen der Unruhe
las. Sie enthielt, wie man nachher erfuhr, cin
hoͤchſt dringendes Geſuch des General en chef
um außerordentliche und ſchleunige Huͤlfe, widrigen—
falls er an dem Heil der Armee a muͤſſe.
Nachdem Lord Wellesley die Hiobspoſt wieder
zuſammengefaltet hatte, ſchickte er ſie ſeinem
Bruder. Dieſer ſah den Brief mit großem
Gleichmuth nur fluͤchtig durch, und legte ihn
unter ſeinen Teller, worauf das Diné auf die
gewoͤhnliche Weiſe verlief. Doch ſobald ſich die
Gaͤſte entfernt hatten, ward ſchleunig Kriegsrath
gehalten, in dem die Mehrheit einfach dafuͤr
ſtimmte, ohne allen Zeitverluſt alle disponibel zu
machenden Truppen der Armee zur Unterſtuͤtzung
zu ſenden. „Nein,“ ſagte der nachherige Mann
des Schickſals, „außerordentliche Zuſtaͤnde verlangen
auch außerordentliche Mittel. Der Gouverneur
muß thun, was vor ihm noch Fein anderer
143
Gouverneur getban hat. Er muß felbft, was
von Truppen zufammen zu raffen tft, ins Feld
führen, und fich auch damit nicht begnügen, fondern
augenblicklich durd Proclamationen alle Behörden
anfeuern, und alle treuen Unterthanen zur Hülfe
gegen den allgemeinen Feind aufrufen. Dies
geſchah; der größte. Enthuſiasmus ergriff alle
Klaffen, Tippo Saib, diefer gefahrlichfte Feind der
Engländer, ward in einem blutigen denfwürdigen
Kriege befiegt, und Wellington’s milttatrifcher
Ruhm begann von diefem Augenblife an feinen
immer fteigenden glanzenden Lauf, ohne daß felbfi
Napoleons allmächtiger Stern ihn zu hemmen
vermochte.
Mit Vergnügen börte ich auch den Admiral
über feine Verhaͤltniſſe zu dem vorigen Dey
fprechen, an den er vor der großen Kataftrophe
abgefendet wurde, um die legten Verſoͤhnungs—
verfuche zu machen. Der Dey, ein ernfter,
melancholifh ausfehender Mann, empfing ihn,
von einer prachtvollen Garde umgeben, die von
144
Gold und Zuwelen ftrogte, mir vieler Mürde,
und ſchien im Anfang fehr friedfertig. Bei der
zweiten Audienz hatte ſich Dies jedoc) durch fremden
Einfluß vollig geändert, und die Behandlung des
Admirals war fo feindlich), daß diefer faft jede
Ruͤckſicht bei Seite ſetzte, und merfwärdigermeife
den Dey Alles genau vorher prophezeite, was
ihm nachher wirklich widerfahren if. Als man
nah dem Hafen zurücgefehrt war, frug der
algierifche Admiral, deffen Einfluß die Sranzofen
immer befonders nachtheilig empfunden hatten,
und der fie mit wahrer Wuth haßte, was das
Endrefultat der Conferenz gewefen fiy. Es war
höchft wahrfcheinlih cin Gluͤck für Herrn de la
Bretonniere, daß er die Geiftesgegenwart befaß
zu antworten: Er ſey zufrieden und noch fiy
feineswegs die Hoffnung auf eine gütliche Aus—
gleichung verloren — ſonſt hätte, bei dem ex—
asperirten Zuftande der Zürfen, feinem geben
gewiß die hoͤchſte Gefahr gedroht, denn Taum
hatte er fiin Schiff erreicht, als er auch ſchon
145
immediat nach dem Bekanntwerden des ungünftigen
Reſultats feiner Conferenz eine volle Ladung von
allen Hafenbattericen erhielt, und da nur ein fehr
ſchwacher Wind wehte, blieb er diefem Feuer
eine geraume Zeit lang ausgeſetzt. Er hatte die
Seftigfeit und Kaltblütigkeir keinen Schuß zu
erwiedern, obgleich er einige Leute verlor und
fein Schiff nicht ohne Befchadigung blieb. Sehr
ergoglich fchilderte mir nachher einer der Conſuln
den Enthufiasmus, den diefes befonnene Benchnien
bei einem englifchen Capitain erregte, der mit
feiner Mannfchaft die Sache von den Wallen mit
anfah. Diefes Original unterhielt fich fortwährend
laut mit dem Admiral, als ob diefer ihn hören
fonnte. „Well, my boys,“ rief er, „don't fire.
Let the rascals alone! Haug them! Beauti-
fully behaved! An Englishman could’ ut do
better“ u, ſ. w.
In der That rettete der Admiral ohne Zweifel
fein Schiff durch jein Faltıs Blut, denn ab
gerechnet, Daß bei der geringften Erwiederung
Semilafio in Afrika, J. 10
146
das Feuer der Algierer noch weit mörderifcher
geworden feyn würde, waren auch alfe Seeleute
der Meinung, daß eine Kanonade vom Schiff
aus wahrfcheinlich den geringen Luftzug, der es
endlich glüdlicy aus der Nhede brachte, gebrochen,
und auf der Stelle, wo es fich befand, einen
völligen calme herbeigeführt haben würde,
Als das Zahr darauf der Dey entthront nach
Paris Fam, fügte es der Zufall, daß er auf der
Tribüne der Deputirtenfanmer bei feinem erften
Erfcheinen im Publifum mit Herren de la Bre—
tonniere zufammentraf. Der Admiral glaubte aus
Delicateffe die Bekanntſchaft nicht erneuern zu
müffen, doch ward der Dey feiner Faunt anfichtig,
als er ihm fogleic) feine Dofe ſchickte (eine orienta—
lifche Artigkeit), und ihn anftandig bitten ließ,
ihn fobald als möglich zu befuchen. Der Admiral
fügte fid) dem Wunfche mit Vergnügen und
ward vom Dey fehr freundlich empfangen. „Wir
würden ung,“ fagte er lächelnd, „hier nicht treffen,
wenn ich Ihren Rath befolgt und Ihrer Vorher
147
fagung beffern Glauben gefchenft hatte, Sie find
der Einzige, von dem ich je die volle Mahrheit
gehört, und darum rechne ich Ste auch zu meinen
beften Freunden, Uebrigens,“ feßte er hinzu,
„bedaure ich nicht allzufchr, was ich verloren,
denn ich war nie glücklich im Beſitz nreiner Macht !«
Das Letztere glaubt man heut zu Tage gern einem
jeden Herrfcher, in Afrika, wie in Europa! ;
Abends fand der große Ball der Kaufmann:
fhaft ftatt, welder, den maurifchen Salon
abgerechnet, den man hübfch mit bunten Lampen,
Blumen und Fahnen decorirt hatte, einem frans
zöfifchen in allen Dingen vollfommen aͤhnlich fah.
Höchitens gaben ihm einige mit Gold behangene
Juͤdinnen, die früher in Pantoffeln mit nacten
Beinen gingen, und jetzt auch fihon Strümpfe
tragen, etwas Tremdartiges. Die hübfehefte unter
ihnen war die Tochter des, chemals hier eine
große Rolle fpielenden, jeßt aber ruinirten Bacri,
des Rothſchilds von Algier, jedoch ohne das
Genie und das Gluͤck des europäifchen Heros.
148
Doc) bei weitem die intereffantefte Figur dieſes
Balles war wieder Zuffuf, der mit feinem trüb
und ftolz lächelnden Nomangeftcht, heute in ganz
fhwarze Mameluckentracht gehullt, einen Foftbaren
rothen Shaw! mit blauen Blumen um den Kopf
gewickelt, und einen großen Dianıant an feiner
weißen Hand, Byrons Corſaren, täufchend vers
gegenwärtigte. Eine Weile fah ich von der Galerie
walzen und galoppiren,, dann tödtete ich die Zeit
in einer Partie Wpift mit dem. Gouverneur,
machte unterfchiedliche neue Befanntfchaften, bes
wunderte viele frifche Toiletten, einige wenige
fhöne Frauen, drangte und ließ mich drangen,
und fühlte ein füßes Behagen — als ic) mid
wieder zu Haufe in meinen vier Pfahlen befand.
Den 19. Januar.
General Rapatel hatte mich evertirt, daß er mit
2000 Mann einen Zug nad) Buffarik unternehmen
würde, und mir angeboten, ihn zu begleiten, was
ih mir Eifer annahm. Es ward ausgemadt,
daß ich mid am andern Morgen im Camp
von Duera an die Truppen anfchliefen, und die
Tour bis dahin nad) meiner Bequemlichkeit zu:
rüclegen möge. Der General hatte die Artigfeit
mir eine Escorte anzubieten, die ich jedoch, da ic)
die Straße bis Duera in cinem folchen Augen:
blick als belebt genug vorausſetzen durfte, ausfchlug.
Um drei Uhr Nachmittags machte ich mich mit
dem Bretagner und Herrn Klimerath, einem
Neveu des General Rapp, der früher in der
150
Marine gedient, eine Zeitlang Corfar gewefen tft,
und ſeitdem faft die ganze Welt zu feinem Ver;
gnuͤgen durchftreift hat, alle wohlbewaffnet auf
den Meg. Ein arabifches Miethpferd ift, wie es
fcheint, einem europäifchen eben fo überlegen, als
ein Beduine der Wüfte einem unferer Stadtkinder.
Das meinige, obgleich fehr alt und einäugig, hat
fi) wenigftens in dem Lauf diefer zwei Tage als
eins der beften ausgewiefen, die ich je geritten.
Nach Allem, was ich hier fehe, fcheint mir über:
haupt die hiefige Pferderace, wenn auch mit der
acht arabifchen Aftens nicht zu vergleichen, dennod)
viele Vorzüge zu befien. Sie verräth überall
noch ihre frühere hohe Abftammung von den
Pferden der Wüfte, fpater mit den fpanifchen
gekreuzt, und hat dazu den Mortheil, den fie
vielleicht vandalifchen Pferdeblut verdankt, eben
fo wenig Wartung, Pflege und Futter als die
ruffifchen und Kofadenpferde zu bedürfen. Man
läßt die armen Thiere bier oft, mit Schaum
bedeeft, ohne Decke im Falten Winde ftehen, und
151
wirft ihnen, wenn fie noch außer Athem find,
fogleich Stroh und Gerfte vor, die fie mit Appetit
verzehren. Die Reinheit. ihrer Beine und die
BVortrefflichfeit ihrer Hufe, bet folcher Behandlung
und fo großen Strapazen, ift bewundernswürdig,
und in diefem Punkte ftchen ihnen felbft die erften
Pferde der Erde, die englifchen, bedeutend nad).
Schön find fie nie, doch auch felten ganz haßlich,
weil fie meiftens zwedmaßig für den Gebrauch
gebaut, d. h. weder zu lang noch zu hoch, und gut
ins Gleichgewicht geftellt find. Das Kreuz ift faft
immer etwas abfchüffig und auch den Schweif tragen
fie in der Regel nur wenig gehoben, doc) find fie
fräftig im Hintertheil. Ihr Temperament ift im
Allgemeinen feurig, befonders in Gefellfchaft, oder
wenn fie erft etwas animirt find. Auch haben
fie viel Dauer, Die Hengfte ficht man jeden
Augenblick Fampfluftig untereinander fich heraus;
fordern, und leicht nehmen fie, bei unzweckmaͤßiger
Behandlung, allerlei Unarten an, die ihnen nachher
wieder fchwer abzugewöhnen find, Weiß im
152
Segentheil der Reiter mit ihnen gut umzugehen,
fo attachiren. fie ſich auch an ihn, und zeigen,
wie alles edlere Blut, viel Ehrgefuͤhl. Das
Regiment der Türken hat auf die hiefige Pferdes
zucht den übelften Einfluß gehabt, weil fie jedes
ausgezeichnete Pferd, was ſie bei einem Einge—
bornen fanden, fogleich wegnabmenpund diefe daher
ſich bald nur auf folche befchranften, welche die
Habgier ihrer Unterdrücer nicht zu. reizen im
Stande waren.
Duera ift 6 Lieues von Algier entfernt, die wir
auf einer durch Militair verfertigten guten Lands
firaße in dritthalb Stunden gemächlich zurüdlegten.
Während der erſten Stunde kamen wir bei einer
großen Anzahl, zum Theil zerftörter, Villen vors
bei, alle weiß wie cararifcher Marmor, und da
das Wetter außerordentlich ſchoͤn war, genpßen
wir, die vielen Windungen des Weges langfam
empor ftetgend, mit wahrem Entzücen die ver—
fhiednen reichen Ausfichten, die ſich bald auf
diefe retzenden Landfige, und den darunter liegenden
153
Golf mit dem Aratsch, bald auf die Stadt mit
ihren verfchiedenen Forts und Minarets; oder
auf die weite Ebene von Metidschia, mit der
maison quarree, dem Fort de Yeau und den
ferner Cap Matifu eröffneten, Hinter der Plaine
lagerte fich majeftätifch der Atlas, aus dem der
mit Schnee bedeckte Dschordschora, in der
Sonne flitternd, emporftieg und mit ätherifchem
Silberglang das tief dunkelblau gefarbte Vor—
gebürge prachtvoll umftrahlte. In der Nähe fah
man von Zeit zu Zeit eine einzelne Palme, Cypreſſe,
oder einen Haufen Bananen, große herzfürmige,
und ſchoͤn violet gefärbte Blüthen tragend, aus dem
Gewirr der Cactus und Aloe’s heroorragen, und
die entlaubten großen Feigenftamme fchimmerten
anmuthig mit ihren weißgrauen Aeſten durch das
dunkle Laub und die goldnen Früchte der Orangen-
und Citronenbäume, Beim Fort de l’Empereur,
das an dem höchfien Punct der Straße erbaut,
und von den Algierern Carl dem Fünften zum
Hohn fo benannt wurde, ift der umfaffendfte Punct
154
für Diefe impofante Ausficht, welche der Oberftz
lieutenant Preaur, in feinem MWerfe über Algier,
felbft der von Eonftantinopel gleichftellen will.
Bei mehreren Blockhaͤuſern und einzelnen Fleinen
Redouten vorüberfommend, erreichten wir einige
Zeit darauf EI Ibrahim, eine neue Colonie, wo
wir das Vergnügen hatten, durch bettelnde euro⸗
paͤiſche Gaſſenjungen an die liebe Heimath erinnert
zu werden, Auf der Anhöhe ſtanden mehrere
Suaven, und ich bedauerte Feinen Zeichner bei
mir zu haben, um die malerifch ſchoͤne Stellung
diefer Schildwachen zu firiren, die mit e.nem Arm
auf ihr Gewehr gelehnt, den andern in die Seite
geftemmt, und einen Fuß nachlaͤßig über den andern
gefchlagen, in ihrer pittoresfen Tracht, wie ein Bild
fühner Ruhe in die Gegend hinausfchauten,
Die Suaven find eine orientalifch gefleidete
Infanterie, worunter jedoch nur ein Feiner Theil
Eingeborner des Landes von dem Stamme fich
befindet, der eigentlich den Namen Suaven führt.
Ihre Zracht erfcheint mir als ein Mufter von
155
Eleganz und Zwedmäßigkeit. Sie befteht aus
einem rothen Fez mit einem turbanartigen grünen
Bund darum gewunden, einer blauen tärkifchen
Jacke mit rothen Bandfchnüren, blauer MWefte mit
gleicher rother Befeßung, einen blauen türfifchen
Bund um den Leib, fehr weite kurze Hofen, die
unter dem Knie feftgehaft find, vom Knie bis auf
den Knöchel lederne feftanfchließende Gtiefletten,
kurze weißleinwandne Kamafchen und ftarfe Schuhe.
Fade und Wefte find nad) orientalifcher Manier
ohne Kragen oben rund gefchnitten, und der Hals
bloß. Iſt es Falt, fo tragen fie beliebig ein Tuch
lofe darum gefchlagen. Ihre Maffen find ein
Gewehr mit Bajonett, ein Furzes breites Schwert,
wie die Nömer führten, und die Patrontafche
tragen fie ſehr zweckmaͤßig vorn, über den Bund
um den Leib gefchnallt. Ihr fleiner Zornifter,
nur mit den allernöthigften Dingen gefüllt, wiegt
höchftens fünfzehn bis zwanzig Pfund, und wird,
nicht wie bei uns, mit dem unbequemen Bruft-
riemen, fondern an zwei fchmaleren Niemen über
156
die Schultern gehangen. In diefer Kleidung wird
jede Bewegung des Körpers leicht und ungehindert
ausgeführt, und fie ift warm und luftig zugleich.
Bei einem Fälteren Clima würde es nur nothig
feyn, noc) den Mantel hinzuzufügen. Hätte ich ein
Freicorps in Europa zu errichten, ich würde mir
feine allen militairifchen Zwecken "ntfprechendere
Tracht auszudenfen wiffen, denn ich habe nie
recht begreifen koͤnnen, was man bei uns mili—
tairifche Kleidung par excellence zu nennen
beliebt. Ein Soldat, der in feine Uniform, die
nie eng genug feyn kann, wie eine Welpe zus
fammengefchnürt ift, der einen fehweren und harten,
Augenkrankheit und Schmerz verurfachenden Czako
auf dem Kopfe tragt; außerdem Gewehr und
einen zu nichts ordentlich dienenden Sabel, der
ihn beim Marfchiren auf die Waden fchlägt, an
Mantel und ZTornifter (welcher letztere ihm die
Bruſt durd) die Art feiner Befeftigung noch ein:
klemmt) 42 Pfund zu ſchleppen hat — ein ſo
gemarterter Soldat, ſage ich, ſcheint mir hoͤchſt
157
unmilitairifch ausgeftattet zu ſeyn. Auch
erwies ſich dies mehrmals fchon im Frieden,
unter andern bei dem Marſch des 37. preußifchen
Snfanterieregiments im Sommer 1832 von Witten:
berg nach Eoblenz, wo unterwegs an einem fehr
heißen Tage blos vom 2. Bataillon diefes Regiments
fieben Leute an den Folgen ihres militairifchen
Coſtuͤms den Geift aufgaben. Einige von diefen
fürzten wahrend des Marfchirens auf der Stelle
todt nieder,
Von der Höhe EI Ibrahim’s verfolgten wir
mit dem Auge das Gebürge bis gegen Oran hin,
und erblickten zu unfern Füßen Sidi Ferruch,
wo die franzöfifche Expedition bekanntlich landete,
ohne faft irgend einen Widerftand zu finden.
Bon hier bis Duera ift die Gegend kahl, und
leider hat die franzöfifche Eroberung auf ihrem
Wege dem Lande überall viel alte Baume gekoſtet,
ja man foll in diefer Hinficht oft ganz unverant-
wortlid verfahren feyn. So behaupten Augen-
zeugen, daß bei Duera die fchönften Palmen
158
abgehauen wurden, um fie zur Schmüdung eines
Bivouaks wieder Alleenweife in die Erde zu
rammen. Die, dem Anfchein nach, Feineswegs
unfruchtbaren, fondern nur vernachläßigten Landes,
die fich hier unabfehbar hinziehen, find jett nur
mit Dornen, Staudengewächfen, Myrthen und
Palmita's (Phoenix humilis) "bedeckt, deren
MWurzelmarf eine fehr beliebte Speife ift und im
Geſchmack völlig unfern Hafelnüffen gleicht. Feld—
hühner, Haafen und wilde Schweine werden hier
häufig angetroffen.
Der erfte Gegenftand, dem wir im Camp
von Duera begegneten, war eine fpantfche galante
Dame, die von einem Offizier und zweit arabifchen
Spahis, in ihren weißen über den Kopf geftülpten
Bernus, escortirt, fpazieren ritt. Nach und nad)
wurden mehrere ausgeftellte Poſten, die ver
ſchiedenen Gebäude des feften Lagers, und die
Bretterbuden der Anfiedlerfichtbar. Wir galoppirten
ſchnell hindurch um von einem Hügel noch die
Sonne Hinter dem Atlas Hinabfinfen zu fehen,
159
und fuchten dann erft eim nicht fehr leicht zu
findendes Unterfommen Für die Pferde schaffte
man zwar bald Rath, indem man ihnen in der
Scheune eines Epiciers einen Platz anwies, für
uns felbft aber Fonnte nichts befferes als cine
Streu in dem Fleinen Schlaffabinet des Haus:
wirths ausgemittelt werden. Dagegen erwartete
uns in dem Caffe de l’Armee d’Afrique, wo
bereits ein Billard, Lefecabinet und Reftaurant
etablirt ift, ein dine en regle mit Bordeaur und
Champagner, der jedoch vom Kunftfenner fchwerlich
unter die Originale rangirt worden wäre,
Als wir nach aufgehobener Tafel hinaustraten,
umfing uns am 18. Januar die fihönfte warme
Sommernabt, mit einem Himmel voll gold:
glänzender Sterne, und dem cben Dunfelroth
herauffteigenden Monde, Lange irrten wir noc)
unter diefem prachtvollen Zelt im ftillen Lager
umher, nur von Zeit zu Zeit von einer bartigen
Wache angerufen, und philofophirten über Dieffeits
und Senfeits, über die Erde und über die Sterne,
160
unter welchen leßteren zu unferer Verwunderung
der manurifche Knabe, der uns zum Ueberfluß mit
einer Laterne vorleuchtete, fo gut Beſcheid wußte,
als habe er Aftronomie, wie wir, aus den lettres
a Emilie findirt. Nur mit Zögern Fonnten wir
uns entfchließen, dem ſchoͤnen Schaufpiel zu ent:
fagen, und unfere Schritte wiewe der mehr als
befchetonen Herberge zuzumwenden, wo man uns
obendrein mit fehr verdrüßlicher Miene empfing.
Der unbekannte Grund diefes Mißgeſchicks klaͤrte
ſich erft fpater auf eine drollige Weife auf. Wir
hatten nämlic) mehrere Brovifionen mitgenommen,
welche in eine alte Kifte gepackt worden waren,
auf der, ihrem früheren Inhalt gemäß, noch mit
großen Buchftaben gefchrieben fand: 350 chan-
delles. Der vierzehmahrige Sohn des Epicier
ermangelte nicht, nachdem wir das Haus verlaffen,
feinen Vater auf diefe inhaltfchweren Worte auf:
merffam zu machen, und es war nach Diefer
Entdekung der beftürzten Familie Fein Zweifel
übrig geblieben, daß fie hier mit einem formidablen
161
Rival zu thun befäme, und die Schlange felbft
im Buſen nähre, die damit umginge, den Kichter-
handel in Duera an ſich zu ziehen.
Glüdlicherweife hatte ich) noch Luſt einige
Drangen zu effen, wo denn der bei Auspadung
‚derfelben gegenwärtige Hauswirth, feinen Irrthum
erfennend, in der Freude feines Herzens uns
das eben Mitgetheilte aufrichtig offenbarte. Sch
mußte noch auf meiner Streu darüber lachen,
daß in meiner erften Rolle in Afrika das Schickſal
mic) als Lichterhaͤndler auftreten laffe — immer
‚beffer noch, dachte ich bei mir felbft, ald im
Daterlande die eines Lichtauspußers fpielen zu
müffen.
Schon um 5 Uhr am nachften Morgen Fam
ein Adjutant des Generals, Capitaine Bonprand,
um mich nebft meinen Begleitern zum Frühftüd
bein General einzuladen, nach dem fogleich aufs
gebrochen werden follte. Unfere Toilette dauerte
nicht lange, und in wenigen Minuten folgten wir
dem intereffanten Begleiter, den ich mit Erftaunen,
Semilaſſo in Afrika, I. 11
162
fhon während des Furzen Weges, in der deutfchen
und franzöfifchen Literatur beffer bewandert fand,
als ich mich es felbjt zu feyn rühmen darf; was
freilich nicht viel fagen will, aber bei einem franz
zöfifchen Offizier immer felten angetroffen werden
mag. Unfer Gefellfcehafter hats, mit liebens—⸗
würdiger Heiterkeit, im Morgennebel ſchon ein
Dutzend der fchönften Stellen aus Göthe, Schiller,
Dante und Taſſo, geſchickter als ein deutfcher
Declamator recitirt, als wir bei des Commans
direnden dampfender Gaffeefanne anfamen, der
diefer felbft gleich darauf folgte. Oeneral Ras
patel ift einer der ausgezeichnetften Generale der
frangofifchen Armee, und von eben fo angenehmen
Sitten ald einer Tapferkeit, die feine Camaraden
von ihm fagen ließ: „quwil avait jure de se
faire tuer a chaque affaire, sans pouvoir
jamais y reussir.« In feiner legten Expedition
gegen die Hajuten, an der meinen befcheidenen
Theil als meugteriger Reifender zu nehmen, ich
leider zu fpät gefommen bin, chargirte er von der
163
Spite feines Generalftabes in eigner Perfon die
wilden Bergbewohner, um cinen vom Pferde
gefallenen Spahi zu retten, dem man eben den
Hals abſchneiden wollte. Es gelang ihm aud),
und diefe chevaleresfe That riß felbft die jüngften
Conferibirten zu unaufhaltfamem Enthuſiasmus
mit fich fort.
Nach Furzem Aufenthalt feßte man fich zu
Pferde, und folgte den ſchon vorausgegangenen
Truppen, die wir mit dem Aufgang der Sonne
in dem defile einholten, das aus den Hügeln
nad) der weiten Ebene von Metidschia hinabführt,
und wo fpanifche Guerillas ung wahrfcheinlic)
ſchon unfanft empfangen haben würden. Das
Heine Corps beftand aus zwei Bataillonen regu—
lairer Snfanterie, meiftens junge Conferits, die
bei der letzten Expedition zum crftenmal im
Feuer gewefen waren, dem Bataillon der Suaven,
deffen Ruf unter dem Commando ihres ausge
zeichneten Anführers, de la Moriffiere, täglich fteigt,
zwei Schwadronen der Chasseurs d’Afrique,
154
einigen fünfzig arabifchen Spahis mit langen
fhwarzen Barten, faft wie alte Weiber gekleidet,
aber mit einer langen Flinte, Sataghan und
Piſtolen Friegerifch genug bewaffnet, und endlic)
einem Detafchement Artillerie mit vier leichten
Kanonen (pieces de montagne), deren jede auf
practicablen Wegen von zwei Maulefeln gezogen,
und wo es das Terrain nöthig macht, felbft
den Thieren aufgeladen werden Tonnen, Ein
Maulthier tragt dann die Kanone, das andre
die Lafette.
Man marfchirte mit großer Vorſicht und allen
Präcautionen, wie in eines unternehmenden Feindes
Land, vor deffen Ueberfall man ſich nie ganz ficher
halt. Eben fo forgfaltig war die Aufftellung der
Truppen vor Buffarik, als wir bei einer fchönen
Gruppe hoher Silberpappeln und einem chrwürz
digen, gewiß mehrere hundert Gahre zahlenden,
Delbaum Halt machten. Um uns her war die
ganze Ebene mit Dleanderfirauchern durchwebt,
die in der Blüthe einen prachtigen Anblick
165
gewähren muͤſſen, und einige Haufen von dichten
Gebuͤſch bildeten zierlicye Bouquets in der weiten
Flache. Auf dem nahen Atlas ſah man nichrere
Eignalfener der feindlichen Araber auffteigen,
während die befreundeten Stämme ruhig auf ihren
Kameelen, Pferden und Efeln zum Markte hers
beizogen, welcher auf diefem , Buffarik genannten
Plage alle Montag ftattfindet, feit der legten
Strafunterncehmung aber kaum zum Drittheil mehr
fo viel Zufpruch als früher hat, auch durch die
üble Stimmung der Gebürgsftamme fehr unficher
geworden ift.
Ein wohlberittener Trupp arabifcher Krieger
fam, als eine Art Deputation, dem General
entgegen, um ihm einige neue Raͤubereien der
Hajuten zu melden. Die Mannigfaltigkeit und
der fcharf gezeichnete Ausdruck diefer wilden Ger
fihter war mir hoͤchſt auffallend, um fo mehr,
da man eine fo große Ausbildung der Indivi—
dualität gewöhnlich nur einer langen Givilifation
zufchreibt. Uebrigens, wenn ich richtig in ihren
166
Seelen gelefen — und der Befehlehaber der Suaven,
der feit vier Jahren fie genau ftudirt, und mir
viel merfwürdige Details über fie mitgetheilt hat,
betätigt es — fo war Schlauheit, Fanatismus,
Stolz und Verachtung der Fremden darin am
deutlichften ausgeprägt, obglsich die Nothwendigkeit
fie jeßt zu momentaner Unterwerfung zwingt.
Herr von Moriffiere unterfchied übrigens den
Charakter der verfchiedenen Ueberbleibfel alter
Nationen, welche die hiefige Bevölkerung aus-
machen, eben fo beftimmt, als er verficherte,
diefe Abkunft fchon aus ihren aͤußern Formen
leicht zu erfennen. Die Kabylen hielt er für die
achten und nur wenig vermifchten alten Numidier,
die alteften uns befannten Herren diefes Bodens,
die Hajuten für Stämme von vandalifcher Ab-
kunft; Beduinen, Mauren, Neger, Juden fprechen
fi) beim erften Anblick felbft aus. Sie find
noch), was ſie waren,
Nachdem man auf den Cantinen fiend, ein
impropifirtes Mahl eingenommen, und dazu aus
167
ladirtem Leder ganz guten Wein getrunken hatte,
titten wir auf den, ungefahr noch eine Viertel
ftunde von unferm Lagerplaßge entfernten Markt.
Da alle dort Gegenwartige — es mochten ungefähr
an 1000 Seelen feyn — gleichmäßig in fchmußige,
weiße Mäntel und gleichfarbige Capuchons gehüllt
waren, fo gab das Ganze Feinen fehr abwed)-
felnden, aber einen deſto feltfameren Anblid.
Einige der anmwefenden Chefs hatten fehr gute
Pferde und Waffen, wollten fie aber nicht ver-
kaufen. Den meiften diefer Pferde waren die
Echwänze und Maͤhnen abrafirt, was ihnen faft
das Aufchen von Maulefeln gab, bei denjenigen aber,
wo die Haare fchon wieder etwas gewachfen waren,
gli) die Rübe ganz einem Schaaffchwanz, und
nahm ſich nichts weniger als elegant aus. Sch
bemerkte, daß cin Reiter, von wildem Anfehen,
ein ſehr fchönes langes Schwerdt von grader
Form, mit einer vergoldeten Scheide in erhabner
Arbeit und einem ganz eigenthümlichen Griff aus
Horn, vielleicht noch eine Waffe aus der Zeit
168
des griechifchen Kaiferthbums herftammend, an
feinem Sattel hängen hatte, und bat daher einen
franzoͤſiſchen Offizier, der arabifch ſprach, ihn zu
fragen, ob er es verfaufen wolle. Wider mein
Vermuthen war die Antwort bejahend, und die
Forderung fehr mäßig. Er ‚verlangte zehn Duros
(ſpaniſche Piafter, die einzige Münze, welche diefe
Leute bis jet annehmen wollen), dafür, Un—
glüclicherweife hatte ich Feine Piafter bei mir,
und vergebens bot ich ihm in frangöfifcher Gold:
münze doppelt fo viel als er verlangte, (denn
die Waffe war noch weit mehr werth) er wollte
kaum einen Bli der Verachtung auf mein Gold
werfen, ja er ſchien fogar durch das Anerbieten
deffelben wie beleidigt, verfteckte, nach wenig ges
wechfelten Worten, ſein Schwerdt unter den
Mantel, und ritt, indem er mehreremal mir dem
Kopf ſchuͤttelnd fehr nachdruͤcklich: No, no, no,
rief, in voller Earriere den Bergen zu, ohne wieder
zurücdzufchren. Sch fah ihm noch verdrieglich
nad), ale cin Gensd'armes herbeifam, und mir
169
eine Botfchaft vom Doctor des Gouverneurs
brachte, der mich einlud, zuzufehen, wie er den
Franfen Arabern Medicin austheile. Sch fand
den DOperirenden in einem verfchloßnen Zelt, vor
einer Kifte mit Paketen aller Art und einem Tifche
voller Slafchen ſitzen; neben ihm fand ein Dols
metfcher, und an der fchmalen Oeffnung des Zeltes
ein Diener, der auf einmal immer nur eine
Kranken hereinließ. Die meiften Patienten litten
am Magen, viele auch an fpphilitifchen Uebeln.
Der gute Doctor, der gewiß eine große Wohlthat
für diefe armen Leute ift, hatte auch vollkommen
die nöthige ſchnelle Entfchliegung bei folchen Ger
legenheiten, denn er fann nie eine Sekunde über
den vorgetragenen Fall nach. Ehe dem Dolmetfcher
noch das legte Wort entfallen und der Patient
die Zunge nur herausgeftreckt hatte, war auch
fhon die Entfcheidung erfolgt und die Medicin
in des Lebteren Händen. Sch glaube,.er hätte
auf diefe Weife in einer Woche halb Afrika curirt;
ob indeffen fowohl die Krankheitsgefchichte als
170
die ertheilte Inſtruction durch den Dolmetfcher in
diefer Schnelligkeit immer ganz richtig wieder:
gegeben wurde, mag der Himmel wiffen, jedod)
verficherte der Doctor, daß diefelben Individuen
felten wiederfämen, woraus er denn, mit einigem -
Opgptimismus, Schloß, daS fie ohne Zweifel aud)
geheilt feyn müßten.
Neben dent Zelt dieſes erpeditiven Aeskulaps
war ein anderes, der Themis gewidmetes, auf:
gefchlagen, wo der Cadi die Gerechtigkeit — vb
verfaufte oder nur handhabte, kann ich nicht ent:
fcheiden, denn er brach leider fchon auf, als ich
hinzukam. Ganz zufrieden geftellt mußte er indeß
Einige doch nicht haben, denn fie erfchtenen noch
nachträglich beim General, der fich aber auf nichts
einlaffen wollte, was den Civilfach angehore.
Wir überliegen nun den Markt feinem eigenen
Schickſal, und nahmen den Rückweg, der ungefähr
12 Lieues betrug, durch die Ebene zwifchen dem
Meere und den Bergen hin. Nur wenige Stellen
fanden wir fumpfig, der größte Theil war ein
171
fruchtbarer Lehmboden, haufig mit einer üppigen,
dichten und hohen Vegetation von Strauchern
verfcehtedener Art bedeckt. Viele Pläße waren
schon mit ziemlich gutem Grafe bewachfen und
vollig troden. Doch ift im Sommer die ganze
Ebene höchft ungefund, und die graffirenden Fieber
den Europäern fo todtlich), daß die meiften ſchon
bearbeiteten Vachthöfe in der Nahe des Meeres,
unter andern auch die vom Gouvernement an
gelegte ferme modele, wieder haben verlaffen
werden müffen. Demungeachtet hat fait alles
Terrain bis Belida hin, deffen weiße Haäufer
wir in der Ferne erblidten, und wohin fich Fein
Europaer anders als im Gefolge einer Fleinen
Armee wagen darf, Käufer gefunden. Es find
Speculanten, die. es meiftens nie mit Augen
gefehen und für ein Spottgeld erftanden haben,
und noch liegt diefes Land in unberührter Jung—
fräulichfeit da, Mein Begleiter, Herr Klimerath,
geftand mir lächelnd, felbft in diefe Falle gegangen
zu ſeyn, und jeht ſchon aus zweiter Hand ein
172
Haus mit einem. herrlichen DOrangengarten nebft
800 Morgen Aeder in Belida zu befitzen, das er
wahrfcheinlicy in feinem ganzen Leben eben fo
wenig fehen, als einen Pfennig Einkünfte davon
ziehen werde.
Sollten ſich indeſſen bie Umſtaͤnde andern, fo
fonnte alles dies dennoch bald eine ganz andere Ge—
ftalt gewinnen, ja wäre ich ein reicher Gapitalift, fo
würde ich Fein Bedenken tragen, mich hier nieder:
zulaffen. Mit einem bedeutenden Vermögen wäre
nichts leichter, als fich felbft, ganz ohne Hülfe des
Gouvernements, eine Feudaleriftenz wie im Mittel-
alter in Europa zu gründen. Man würde ein
großes Terrain nahe der Küfte Faufen, fich eine
befeftigte Burg bauen, die ganze Beſitzung leicht,
fchon durch einen bloßen tiefen Graben mit hohem
Yufwurf und einer Banquette dahinter, vielleicht
noch) von einigen Blockhaͤuſern oder Nedouten
flanfırt, vor den Angriffen der Araber fchüßen,
fünfzig bis Hundert Bewaffnete als Garnifon
in feinen Dienft nehmen, und mit den nächften
173
Stammen fich durch gelegentliche Gefchenfe in
ein gutes DVernehmen zu feßen fuchen. — Bald
würde man dann in vollfommener Sicherheit be-
deutende Revenüen, einen fehr großen Einfluß, ja
eine wahre Macht in der Gegend erlangen koͤnnen;
ein accidenteller Tleiner Krieg mit den wilden
Horden des Atlas ware aber im folcher Lage nur
ein intereffanter Lebensreiz mehr, und eine anz
muthige Uebung ferner Kräfte. Sp hätte man
auf der einen Seite Mittelalter und Fehde, auf
der andern moderne Civilifation mit gebildeter
europatfcher Gefellfchaft und vaterlandifchen Sitten,
überall aber eine Freiheit, fein Leben nach) Be—
lieben zu geftalten, eine Selbſtſtaͤndigkeit und
Unabhängigkeit, wie fte in Europa gar nicht mehr
möglich ift. Die Franzoſen find jedoch dergleichen
poetifchen Ideen nicht ſehr zugänglich, finden
daher fait allgemein ihre hiefige Eriftenz außerft
unangenehm, fehnen fich herzlich nach baldiger
Ruͤckkehr, und werden fehwerlich je eine irgend
bleibende Eolonifation hier zu Stande bringen.
174
Unterwegs erzahlte mir der General, als eben
einer unferer Spahis vorbeigaloppirte, daß diefer
Mann bei dem leßten Gefecht einen Beduinen,
der einen feiner Camaraden cerfchoffen, mit feinem
Säabel niedergehauen habe, worauf er ihm mit
der größten Schnelligkeit den Kopf abgefchnitten,
diefen nach hiefiger Art am Steigbügel in einen
Niemen gehängt (der unter dem Kinn durch
geftochen und durch den Mund gezogen wird), fo
im. vollen Galopp mit dem erbeuteten Kopf
zuruͤckgekommen ſey, und ihn als eine Öalanterie
dem General vor die Füße gerollt habe. Diefe
Dperation geht jo fchnell von ftatten, daß man
einzelne Neiter, oft fchon mit zwei bis drei Köpfen
an den Bügeln hangend, immer noch) weiter in
ihren menfchenfreundlichen Bemühungen fortfahren
fieht. Ein anderer Spahi ritt ein ausgezeichnetes
junges Pferd, dem ebenfalls, wie denen in Buffarik,
Schweif und Mähne abrafırt waren; und kaum
hatte er bemerkt, daß wir es lobten, als cr fogleich
anfing, es zum Garacoliren und Lancadenmachen
175
zu reizen, ganz jo wie ehemals unfere jungen
Offiziere gern zu thun pflegten, wenn fie bei den
Senftern ihrer Damen vorbeiritten. Die Araber
haben, alt und jung, alle diefe etwas Findifche
Eitelkeit, und ihre Pferde find fo fehr darauf
abgerichtet, daß man lange Zeit braucht, um
ihnen dieſes „Männchenmachen®, wie man es bet
uns nennt, wieder abzugewöhnen. Webrigens find
fie durchgehends vortreffliche Neiter und auf ihren
Pferden ganz zu Haufe. Ihre hohen Sättel, die
Stühlen gleichen, unterffüßen fie dabei fehr in
einem fefteren Sit und geben ihnen größere Br
quemlichkeit. Sch finde fie für den Krieg viel
zwedmäßiger ald die unfrigen, da fie beim
Stürzen und allen gefährlichen Paffagen dem
Keiter viel Hülfe gewähren, und ihm dadurd,
daß er faft aufrecht darin ftehen Fann, beim
Schießen und Hauen in vollem Galopp außer:
ordentlich nüßlich find. Es ift auch bequem, daß
die Bügel zugleich ald Sporen dienen und den
ganzen Fuß decken. Wegen ihrer Kürze und
176
Form ift es beifpicllos, daß Einer je darin hängen
geblieben wäre.
Sn Maffe ift die Fechtart der hiefigen Ge
bürgspolfer von wenig Wirkung, fo gefährlich fie
auch im Einzelnen find. Sie leiften faft nicht
eher Miderftand, als bis man fich zurüdzieht.
Dann verfolgen fie, forfwährend beunruhigend,
den Feind, ihn im Halbfreis umgebend. Wenn
man daher, nad) Maaßgabe des Zerrains, in
gehöriger Weite vom gros de corps ihnen eine
Schußwehr von Tirailleurs entgegenfeßt, fo Fünnen
die Colonnen ganz gededt vor einem allgemeinen
Angriff, ziemlich ficher außer dem Bertich ihrer
Kugeln marfchiren,
Als wir uns, um Algier zu erreichen, wieder
gegen die Bergregion wandten, Famen wir in einer
pittoresfen Gegend bei einem Blochaufe vorbei,
wo fich vor einiger Zeit 25 Mann drei Tage lang
gegen viele hundert Araber vertheidigten, ohne daß
ihnen dieſe das mindefte anhaben Fonnten. Bei
diefer Gelegenheit drang ein lahmer Maräbut (eine
177
Art Heiliger) bis an die Wande des Blodhaufes
vor, und fchlug mit feinen Krüden auf die zurüd-
weichenden Araber los, ohne daß ihn, als fey cr
wirklich gefeyt, eine einzige Kugel traf, obgleich
mehr als zwanzig derfelben faft a bout portant,
auf ihn abgefeuert wurden, Derfelbe Poften hat
feitdem wegen aria cattiva verlaffen werden
müffen.
Man ficht hier in der Ebene mehrere weiße,
einzeln ftchende Kleine Dome, die folchen Heiligen
zum Begraͤbniß dienen, und daher, gleich ihnen,
ebenfall$ Maräbut genannt werden. Sie haben
einige Aehnlichkeit mit unfern Backöfen. Wir
trafen viele Vichheerden in der Plaine, aber durch-
gangig elende, verhungert ausfchende Thiere, Faum
fo groß als die unfrer armen Wenden. Todte
Hunde und Schafals lagen mehr als einmal am
Mege. Drei Stunden von Algier begann wicder
die Negion der Landhäufer, welche haufig Kleinen
gothifchen Schloͤſſern glichen und mit ihren Garten
und Boskets die Landfchaft fehr belebten. Doch
Semilaſſo in Afrika, I. 12
178
ift nur an wenigen Stellen der Anbau ſo forg-
faltig mehr, als er es fonft gewefen zu feyn fcheint,
In einem tiefen Thal führte die Straße durch
einen ausgetrodneten Sumpf, der noch) vor zwet
Fahren fo grundlos war, daß man beim Marfch
ein verſunknes Stuͤck Vieh „nicht anders daraus
hervorziehen Fonnte, als indem man es auf der
Stelle fchlachtete und in Stüce zerfihnitt. Nach
einiger Zeit gelangten wir, mitten in Bufch und
Selen, an ein großes Kaffeehaus, der Brunnen
des Rais Zbrahim genannt. Ein Theil deffelben
war mit hohen gemauerten Wafferbehältern um:
geben, um die Pferde bequem faufen laffen zu
Tonnen, während die darauf fißenden Reiter ihren
Kaffee trinken, der unter zierlichen Arkaden faft
in freier Luft gemacht wird. Diefe Kaffeegefell:
ihaft von 20 Dffizieren auf ihren faufenden
Pferden, gab ein uns nicht wenig auffallendes
Genregemalde ab.
Um 6 Uhr Abends umfchloffen uns endlic)
wieder Algiers Mauern. Diesmal waren wir
179
von den Arabern ganzlich unangefochten geblieben,
fanden ung aber defto müder von einem zwölf:
ftündigen Ritte im ununterbrocdhnen Schritt, das
Fatiguantefte, was ich Fenne, wenn es nicht durd)
fo manches neue und intereffante Schaufpiel heute
reichlich aufgewogen worden wäre.
Den 20. Januar.
Dies war ein Schlafrocdstag, den ich der
Ruhe widmete, und dann tete A tele mit dem
Soldaten $.... von der deutfchen Legion
in meinem Gafthof zu Mittag aß. Der neuen
Befanntfchaft muß ich erwähnen. Als ich bei
meiner Ankunft in Algier den Crocodil verließ,
um in die Landungsbarfe zu fleigen, hörte ich
einen der mit uns übergefhifften 60 Mann
Soldaten, die mit wurmftichigem Zwieback genährt,
fortwährend auf dem Verdeck bivouafiren mußten,
zu einem Camaraden deutfch fprechen, wobei
mir feine ganze Art und Weiſe eire Bildung
über feinen Stand zu verrathen ſchien. Sch redete
ihn daher an, und forderte ihn auf, da ich jet
181
Feine Zeit hatte, in Näheres einzugehen, mic) in
dem afthofe zu befuchen, den ich ihm angab.
Einige Tage fpater erfchien er und theilte mir fein
Schickſal mit. Er legitimirte fich, einer angefehenen
Familie und reichen Verwandten aus dem Hannd-
verfchen anzugehören, hatte in B..... umd
BB... ſtudirt, dann in dem Lande, wo feine
Mutter jet anfaßig ift, eine Zeit lang im
Militair gedient und nach) gemachtem Dffiziere-
eramen feine Entlaffung genommen, um feine
Studien n Ho ........ 30 vollenden, Kaum
dort angefommen findet er einen Freund und
Schulcamaraden, der ihn inftändig bittet, ihn am
andern Morgen bei einem Piſtolendnell zu fefun-
diren. Er glaubt e8 nicht abfchlagen zu dürfen,
und der Gegner, ein Graf d......, wird
erfchoffen, Er muß mit feinem Freunde fliehen.
Sie erreichen glüdlih Holland und nehmen dort
Dienfte für Batavia, doch Faum inftallirt, laßt
ihnen der Oberft felbft rathen, ſich fo fchleunig
als möglich) aus dem Staube zu machen, da
182
er fie fonft ausliefern muͤſſe. Sie folgen natürlid)
der Meifung und engagiren fih nun bei der
Fremdenlegion; der Freund wird jedoch unterwegs
franf und bleibt im Lazareth zu Avignon zurüc,
FG... 0. allein koͤmmt auf demfelben Schiff mit
mir hier an, und wird ſegleich zur Straßenarbeit,
Graben nnd Alveausroden commandirt — aller
dings ein etwas hartes Loos für einen an luftiges
Leben gewohnten deutfchen Studenten, wiewohl
es meiner Anficht nach im höchiten Grade) zweck—
mäßig und nuͤtzlich ift, die Soldaten, gleich den
römifchen Legionen, zu gemeinnüßigen Arbeiten
zu verwenden, ftatt ihnen durch cwiges Ererziren
den Dienft zu verleiden, oder durch Müßiggang
Ausfchweifungen unter ihnen zu veranlaffen.
Der gute Muth und das gefällige Wefen des
jungen Mannes intereffirten mic), und ich ver:
fprach, mic) für ihn zu verwenden.
Sch kann e8 nicht anders als mit dem aufs
richtigften Danke rühmen, wie diefe Verwendung
aufgenomnien ward, Kaum hatte ich dem Oberften
183
Bernelle und dem commandirenden General
(Baron Rapatel) die erwähnten Umftände vor:
getragen, als 5... . fogleich von aller Hand:
arbeit befreit, und fehon den Tag darauf zum
titulairen Corporal ernannt ward, was ihm fchnell
eine ganz anftändige Stellung verfchaffte. Dies
gli) nur dem, was ich fo oft zu Napoleons
Zeiten kennen gelernt, aber es freute mic) bier
doppelt, theil8 um meines armen Landsmannes
willen, theils aus alter Achtung für das chemalige
gute Benehmen der franzöfifchen Armee in meinem
Daterlande Sachen, diefen Geift der Humanitaͤt
und Billigkeit auch hier in gleihem Maaße wieder
zu finden,
Seltſame Schickſale ſieht man im Diefer
Fremdenlegion zufammengewürfelt! Wer fie alle
kennte, würde hier eine wahre Fundgrube für
Almanahserzählungen erbeuten und das beliebte
Criminelle dabei auch nicht vermiffen. Hier eine
Beine Skizze: Bruchftüde aus der von dem Aben⸗
teurer felbft, und zwar nicht wenig naiv, auf
184
geſchriebnen Geſchichte, die man unter feinem
Nachlaß aufgefunden hat. |
Meine erfte Garnifon in Spanien war im
Escurial, ein fo abfcheulich großes Gebaͤude, daß
nach einem Jahr Aufenthalt dafelbft ich mich
immer noch nicht allein darin zurechtfinden Fonnte.
Die Commando’s, die wir von hier gaben, waren
haufig, doc) in der Regel nur fehwach, und meifteng
zur Sicherung der Straße nad) Madrid beftimmt.
Dft befand ich mich mit einem Staliäner dabei,
der als Sergeant bei meinem Negiment ftand,
und nicht felten, wenn wir dergeftalt unter ung
waren, daß er fih auf unfre Verſchwiegenheit
verlaffen zu koͤnnen glaubte, fielen einzelne Reifende
durch feinen Schuß oder feinen Dolch, die er
beide fo gefchickt zu dirigiren wußte, daß ich mid)
nie erinnere, auch nur einen Laut von den Opfern
vernommen zu haben. Geld, Kleidungsftüce und
jonftige Sachen, die man ſich auf diefe Weife
verfchaffte, wurden ſtets redlid CN vertheilt,
und meiftentheils in den erfien Tagen verjubelt,
185
Doch eines Tages, als er fchon in der Dämmerung
einen Vorübergehenden im Dickigt mit feiner
Flinte darniedergeftredt, fanden wir zu uufrer
größten Befhamung, daß es nur ein armer
Landmann war, der nicht mehr als neun Sous
nach unfrer Münze bei fich führte, Mein Gewiffen
machte mir hier zum erftenmal fo bittre Vorwürfe,
einem Nebenmenfchen um einer folchen Lappalie
willen das Leben genommen zu ſehen; daß ich
den Sergeanten deshalb hart anfuhr. Der Streit
erhißzte fich, ich fah, daß der bofe Teufel nad)
feinem Dolche griff, und in der Wuth ftich ich
ibm meinen Säbel dur) den Leib, Er fanf,
wie die, welche er früher getroffen, ohne einen
Laut zu Boden. Von Schreck ergriffen, floh ich
querfeldein 2...
Wir finden unfern gewiffenhaften Mainzer,
nach allerlei Schickſalen, bei der Nationalgarde
in Romain als Tambourmajor wieder, wo ihm,
wie er fagt, feine athletifche Figur, ein leidliches
| Geficht und fchöne Kleider viele genaue Bekannt—
186
ſchaften mir dem fchönen Geſchlecht verfchafften.
Er geräth in Schulden und bedauert mit vieler
NRechrlichkeit, daß er wohl leider nie im Stande
feyn werde, fie zu bezahlen. Da er nun zugleich
das Ungluͤck hat, auf ungefeglichem Wege, nad)
feinem fcherzhaften Andruck, der Schwiegerfohn
eines angefehenen Handelsherrn in Romain zu
werden, jo macht er fich bei erfter Gelegenheit
mit feinen fchönen Kleidern auf und davon, und
gedenft, der Freiheit fih widmend, den Polen
zu Hülfe zu eilen. Preußiſche Behörden ſetzen
ihn jedoch wahrend des ganzen Krieges feft. Er
entfommt endlich und reist mit einen polnifchen
Reitknecht, der ſich für einen Oberften ausgibt,
und die Mildthätigkeit der Polenfreunde auf alle
Meife ftark in Unfpruch nimmt, ganz gemächlic)
wieder nach Frankreich zurüd, Hier laßt er ſich
zur Veraͤnderung fuͤr Don Pedro nach Portugal
anwerben. Das ſchlechte Transportfahrzeug leidet
Schiffbruch, faſt die ganze Mannſchaft ertrinkt,
nur ihn nebſt zwei Camaraden rettet der nach—
187
fichtige Himmel. Er bettelt und ftiehlt fich nach
Mainz, denn lange ſchon, meint er, hat feine
Seele ein unbezwingliches Heimweh gequält. Doc)
entfpricht das Vaterland Feineswegs feinen Er—
wartungen. In Mainz, fahrt er fort, war damals
der Verdienft in jeder Hinficht fehlecht, allein
in einer Kneipe fand ic) einige meiner Jugend:
freunde fo froh und fo bedeutend zechen, daß mir
diefer Umftand um fo mehr auffiel, da mir ihre
Armuth hinlaͤnglich befannt war, Ich ward
herzlich aufgenommen, und noch an demfelben
Abend erfuhr ich, dag die ganze hier verfammelte
Geſellſchaft das einträgliche Gefchaft der Schmug—
gelet treibe. Ohne mich lange zu befinnen, trat
ich in ihren Bund und gewann Aller Herzen
durch Erzählung meiner Schidfale. Zu meinem
neuen Stande waren unumganglid ein paar
enorm weite Hofen und ein langes Meffer erforder-
lich. Beides erhielt ich von der zuporfommenden
Gefälligkeit meiner Camaraden ſchon am andern
Morgen, und fo, in diefem Anzuge, meldete ich
188
nich noch deffelben Tages auf der Polizei als
Arbeiter im Freihafen.
Kaufleute in allen Artikeln haben im Magazin
des Freihafens bedeutende Vorräthe lagern, und
ließen fie gewoͤhnlich durch uns umpaden, fäubern
u. f. w., um dann,trft beim Bedarf fie dort
abzuholen und zu verfteuern. Hierbei fand nun
das Schmuggeln ftatt, indem wir ung Seiden-
ſtoffe, Linnen, Spigen, kurz alle diefem ähnlichen
Waaren um Schenkel, Waden und Leib wicelten,
und vermöge unfrer weiten Beinkleider diefe Gegen—
ftande ftetd unangehalten den Kaufleuten in der
Stadt, gegen gute Procente überlieferten. Kaffee,
Zuder, Tabak und dergleichen wurden am Tage
hinter Steinen und fonftigen paffenden Orten
verborgen, und in der Nacht auf dem Rhein in
die Stadt gebracht. Oft fielen Schüffe auf uns,
oft wurden wir verfolgt, und manchesmal mußten
wir unfere Bürden abwerfen un beffer fliehen zu .
fonnen, allein nie ward Einer von uns ertappt.
Der Verdienft, den wir hatten, war groß genug,
159
um daß Jeder fich ungefähr auf 50 bis 60 Gulden
die Woche ftand. Sicher gemacht durch unfer
Glück trieben wir die Sache von Tage zu Tage
weiter, bis endlich die Douaniers verftarft wurden
und ihre Wachſamkeit fi) nun gleichfalls ver:
doppelte. Als ich eines Abends mit zwei Stücen
foftbaren Seidenftoffs um mich gewicelt, har m—
108 durchs Thor fchlenderte, ruft mich ein Douanter
mit den Morten an: „Mas haben Sie denn in
Ihren Hofen?« und tritt fchnell auf mich zu.
Sauz Faltblütig greife ich in die Taſche, ziehe
mein langes Meffer heraus und fage, es ihm
rafch vorhaltend: »Dies!« und der erblaffende
Zollbeamte laßt mich ruhig in die Stadt gehen.
Bald aber Fam es noch ernfter, Wir hatten einen
fehr bedeutenden Transport Kaffee und Zucker
einzufchmuggeln, allein ein von mir in der vorigen
Nacht wegen unztemlichen Betragens ftarf durch—
geprügelter ehrvergefiner Camarad hatte uns den
Douaniers verrathen, und diefe, um fich des
Transports defto gewiffer zu bemächtigen, waren
190
auf den unglüdlichen Gedanken gefommen, vom
preußischen 36. Infanterie-Negimente eine Der:
ftärfung zu requiriren. Nichts ahnend, gelangten
wir um Mitternacht, 20 Mann im Ganzen, je
vier und vier zufammengehend, und fchwer beladen,
in einiger Entfernung vom Raimundithore an,
als auf einmal auf mich und meine braven drei
Camaraden mehrere Schüffe fallen, und mit einem
entjeglihen Schrei mein befter Bufenfreund an
meiner Seite zu Boden ftürzt, In demfelben
Augenblid fpringen mehrere preußifche Soldaten
und Douaniers herbei, um ung zu fangen. Meine
noch übrigen beiden Begleiter gaben Ferfengeld,
ich, im Begriff daffelbe zu thun, werde bei der
Schulter ergriffen. Doch umfonft gab mir der
Himmel meine Niefenfräfte nicht! Mich um:
drehen, meinen Gegner mit aller‘ Gewalt der
Verzweiflung foffen und ihn vom hohen Wall,
© wir uns grade befanden, hinabfchleudern —
war das Werk einer Sefunde. Fürchterlich brüllte
der Hinabgeworfne, der, wie ich am Lederzeuge
191
fühlte, ein Soldat feyn mußte, und noch, als
ich durch einen Schlupfwinfel auf allen Vieren
in die Stadt kroch, hörte ich fein Flägliches Ge—
winfel. Unfere Waaren fielen faft fammtlich in
die Hande der Douanters, doc) außer dem Todten
ward Feiner von uns erwifcht. Als ich aber am
andern Morgen den von mir vom Wall hinab-
gefchleuderten Soldaten, fanft verfchieden mit
großem Wehklagen in die Stadt bringen fah, hielt
ih es für das Zweckmaͤßigſte, mein geliebtes
Baterland abermals mit einer andern Heimath
zu vertaufchen.
Zwei meiner Camaraden begleiteten mich und
wir begaben uns auf den Weg nach Straßburg.
Ein badenfcher Gensd’armes, der unhöflicherweife
uns für nicht ganz gut legitimirt anfehen wollte,
hielt uns im Walde auf einer fteilen Anhöhe an,
flieg vom Pferde und verlangte unfre Paͤſſe.
Sch winkte meinen Camaraden langfam voraus:
zugehen, welches auch der Gensd’armes zulich,
va ich ihm fagte, daß ich die Papiere für uns
192
alle Drei befaße, und ihn fogleich ganz contentiren
werde. So mit ihm fprechend, während er den
Zügel feines jungen und muthigen Pferdes forg-
fam um den Arm gewunden hatte, zog ich unbe—
merft mein treues Meffer aus der Tafche und
ſtieß 08 dem Pferde bis ans Heft ins Hintertheil,
jo daß Dies in ungeheuren Säßen den Berg
hinabfprang, und feinen fchreienden Neiter auf
eine Art mis fich fort fehleifte, daß es fehr zweifel—
haft ift, ob er es je wieder beftiegen hat.
In Straßburg ohne fernere Störung ange
langt, ließen wir ung bei der légion etrangere
engagiren, und erreichten in guter Gefundheit
Algier. Hier gefällt es mir recht wohl, und des
Umpherirrens müde, gedenfe ich bald eine meiner
Frauen nachfolgen zu laffen, zu denen ich, wahrend
meiner langen Reifen in verfchiedner Herren Länder,
fo gelegentlich gefommen bin,
Den 21. Januar.
Das Elima ift doch eine liebliche Sache hier!
Ich befie feinen Kamin in meiner Stube, welche
mit einer Glasthür und drei Fenftern verfehen
ift, die alle fchlecht fchliegen, und dennoch habe
ich es noch nie darin weder zu Fühl noch zu warm
gefunden. Bis jet regnete es nur felten, und
felbit ein ftarfes Gewitter außerte wenig Einfluß
auf die Temperatur, Nie erlebt man hier folche
Schneeftürme wie z. DB. häufig in dem, nicht
unter viel nördlicherer Breite liegenden Andalufien,
wo, wie mir noch neulich der Gouverneur erzählte,
diefer eimmal bei der drüdendften Hitze aus-
marfchirend, plöglid) von einem fo furcdhtbaren
Schneewetter überfallen wurde, daß 300 feiner
Semilaſſo in Afrika, IL. 13
194
Leute unterwegs liegen blieben und fiarben, und
faft eben fo viel noch in den nachften Tagen, an
den Folgen der entfeßlichen Erkaͤltung, ihr Leben
verloren. Selbſt Pferde erlagen diefem jählingen
Froſt. Hier gibt es nur eine Plage der Witterung,
der Wind der Wifte im Sommer, der jedoch
felten länger als vierundzwanzig Stunden anhält.
Nicht ſowohl die Hite, obgleich fie bis zu mehreren
dreißig Graden fteigt, als die außerordentliche
Trockenheit der Luft, follen eine ganz eigne, dem
Europäer faft unerträgliche Pein hervorbringen,
Niemand verlaßt feine Stube wenn diefer Wind
weht, und Viele verficherten mich, daß fie fich
nact auf die Fließen des Bodens geworfen hätten,
um fich nur einige Kühlung zu verfchaffen. Den
Soldaten tft es fogar anbefohlen, fich bei
Annäherung diefes Windes, felbft im Dienft, mit
dem Geficht auf die Erde zu werfen. Allerdings
wäre es übel, wenn die beffer gegen den Simum
abgehärteten Beduinen einmal einen ſolchen Mos
ment zum Angriff wählten,
195
Ich aß beim General Trezel zu Mittag, deffen
liebenswürdige Gemahlin uns eine fehr belebte
Beſchreibung von der türfifchen Hochzeit im Haufe
Muftapha Pafcha’s machte.
Pracht und Barbarei gingen dort treulich Hand
in Hand. So waren z. DB. die Zimmer bie zur
Bruſthoͤhe mit goldgeftidtem Cramoifi-Sammet
drappirt; die Teppiche von Smyrna und Perfien
außerft reich; die Ottomanen mit weißem Atlas,
auf dem große goldne Blumen prangten, über:
zogen, und mit Phantafiekiffen aller Farben, von
den geſchmackvollſten Deffeins belegt; die offnen
Thuͤren und Gitterfenfter mit prachtvollen Muffelins
fchleiern, deren Stickerei alles Europäifche dieſer
Art weit übertrifft, verhangen; Die gefchnitten
Plafonds, voll der Fünftlichften Arbeit, theils reich
vergoldet, theils in glänzend bunten Muftern ver;
ziert. — Ms Gegenfaß hierzu aber ſah man
unmittelbar über der Sammtdrapperte bis zu
dem koſtbaren Plafond nichts als die Fahle weiße
Wand; die ganze Erleuchtung beftand in einer
196
einzigen großen Kirchenterze, die man in der Mitte
des Zimmers auf einen Holzwürfel placirt hatte,
der mit Perlmutter ausgelegt war. Dazu rauchten
die türfifhen Damen aus Pfeifen mit Juwelen
befeßt.
Der Bräutigam, welcher zuletzt kam, war ganz
einfach gekleidet, die Braut aber mit einer unge
heuren, wie man fagt, bei folchen Gelegenheiten
von allen Bekannten und Freunden erborgten Maffe
von Schmud an Perlen, Edelfteinen und Gold
beladen. Damit noch nicht zufrieden, waren auch
mehrere Theile ihres Gefichts vergoldet, namentlic)
die Augenbraunen, fo daß man Faum von Ihrem
natürlichen Anfehn urtheilen Fonnte. Doch fchien
fie den fremden Damen huͤbſch, und von vieler
fraicheur.
Dbgleih der Beſuch beinahe zehn Stunden
dauerte, ward nichts als Caffee au musk und
Confttüren herumgereicht, wovon die von Quitten
und Cedrat als vortrefflich, alles Uebrige aber als
fehr widerlich gefchildert wurde.
197
Sch beſchloß meinen Abend beim Gouverneur,
und verlor zwei Partien Schad gegen feine
Tochter, nebft einer Partie Dame gegen feine
Schwiegertochter, nach welcher vollftändigen Nieder:
lage ich mich an meinen Schreibtifch retirirte, um
der Pflicht des Neifejournals zu genügen. Der
Gouverneur, welcher einen nicht zahlreichen, aber
ausgewählten Kreis alle Abend empfängt, macht
ein fehr angenehmes praätentionslofes Haus, das
auch für mic) eine große Reſſource tft.
Den 23. Januar.
4
Da der geftrige Tag faft ganz mit dem leidigen
Viſiten-Geben und Empfangen hinging, fo fahre
ich mit dem Schwamm darüber, Am heutigen
war ein Repraͤſentations-Diné beim Gouverneur,
wo unter andern auch die fämmtlichen fremden
Conſuln verfammelt waren, Ich machte mit dem
Belgiſchen, Herrn Lecoq, Befanntfchaft, an dent
ich einen hoͤchſt intereffanten Mann fand. Sch
dankte feiner Unterhaltung eine Menge nüßlicher
und pifanter Notizen, und gratulire jedem Fremden,
der Gelegenheit hat, mit ihm in nähere Verbindung
zu treten. Ein Mann diefer Art ift in fernen
Landen eine fo doppelt erfreuliche und Nutzen
dringende Erfcheinung, daß ich hoffe, Herrn
199
Lecoq's Befcheidenheit wird mir verzeihen, wenn
diefes individuelle Urtheil zur Deffentlichfeit kom—
men follte, was allerdings unter die Möglichkeiten
gehört. Sonft bot das Mahl nichts Merfwürdiges
dar, als grüne Erbfen aus dem freien Lande, und
einen ‚vortrefflichen Sifh, der 5 Fuß lang und
verhaltnigmaßig corpulent war. Da ich feit einigen
Tagen etwas an den Augen leide, begab ich mid)
fhon früh nad) Haufe, wo ich meinem Com—
miffionaire, einem ftattlichen Juden, Audienz gab,
der das vorübergefchwundene Regiment der Türken
fehr bedauert. „Es ift wahr, fagte er heute zu
mir, man hing und fpiefte uns zuweilen, und
prügelte ung ſehr, alles um wahrer Zappalien
willen, aber es war dennoch beffer als jetzt. Wir
galten mehr und verdienten zehnmal mehr Geld.
Die Türken, befter Herr, müffen Ste wiffen, find
faft wie die Engländer, grob, herrifch, aber genereus
und prachtlicbend. Der Türke fragte nie was eine
Sache Fofte und handelte nie, Wenn wir Geld
zu einem Gefchäftchen brauchten, fo ging man zu
200
jeinem Gönner, und fagtes Gib uns ſoviel taufend
Franken, fo und fo viel Procent vom Gewinnft
geben wir dir ab. Ohne Umftände auf unfer
bloßes Wort, erhielten wir dag Geld. Und in
der Zeit erft, ald der Sclavenhandel noch blühte,
o Mofes und die Propheten, was war das für
eine gute Zeit! Sehen Sie, die dummen Türken
und Mauren Fauften immer die ſtarken und robu-
ften Leute, und bezahlten fie theuer. Wir aber
ſahen nur nad) den Händen, Waren die weic)
und zart, oder gar noch) Spuren von abgenommenen
Ringen daran — hier ſah er faft fehnfüchtig nach
den meinen — „und die Perfon dazu delifat und
ſchwaͤchlich, die Waare nahmen wir fofort in
Beſchlag, und erhielten fie meiftens für ein Spott:
geld. Mancher Mann wurde da für 50 Piafter
gekauft, der fi nachher mit 10,000 Ioslöfen
mußte. Set ift es erbärmlich! Unter uns gefagt,
die Sranzofen verſtehen das Land nicht, und paffen
gar nicht hierher. Meit entfernt, daB man von
ihnen etwas verdienen Fonnte, will nur Jeder von
201
ihnen felbft hier schnell reich werden, und fie
knauſern ärger als wir geringgefchäßten Juden.
Uebrigens,“ feßte er pfiffig hinzu, „werden fie’s
wohl nicht zu lange mehr treiben. Seit faft fünf
Sahren find fie hier, und man kann ja noch nicht
vor's Thor hinausgehen, ohne zu riskiren, daß
Einem die Beduinen den Hals abſchneiden. Unſere
Tuͤrken waren andere Leute! Ich will's Ihnen
mit zwei Worten erklaͤren: die Tuͤrken nahmen
viel, aber ſie gaben auch viel; die Tuͤrken ſtraften
grauſam, aber ſie belohnten auch genereus. Daher
fuͤrchtete und achtete man ſie. Die Franzoſen
nehmen nichts und geben nichts; ſie ſtrafen nicht
und belohnen auch nicht. Daher....* „Aron,“
unterbrach ich ihn hier, „laß mich mit der Politik
ungeſchoren, und berichte lieber, ob du mir die
marokkaniſche Pfeife und das arabiſche Pferdezeug
erſtanden haſt.“
„Beides iſt bereits im Vorzimmer,“ erwiederte
er, und ich eilte neugierig, es zu beſichtigen. Dieſe
Pfeife, halb in geſchlagenem Silber, mit Pailetten
202
an Kettchen hangend, und Kernfprüce aus dent
Koran darauf gefchrieben, 3. B.: Wenn das Wort
von Silber ift, fo ift das Schweigen von Gold;
oder: Das Gut gehört nicht dem Geizigen, fondern
der Geizige dem —— u. ſ. w.; dieſe Pfeife, ſage
ich, deren uͤbriger Theil aus wohlriechendem,
glaͤnzenden Weichſelrohr, halb mit Sammt und
Goldſtickerei umwunden, einem Mundſtuͤck von
purpurrothen Corallen, und einem mit Goldblech
uͤberzogenen Kopfe beſteht; erklaͤrt der Student
ers. für das Schoͤnſte dieſer Art, was feine
Augen je auf einer deutfchen Univerfität erb.ickt,
obgleich er mit Stolz hinzufeßt: fie hätten auch dort
fhon Zürfenpfeifen von folcher Laͤnge befeffen,
daß, wenn man aus dem zweiten Stod heraus:
fhauend, daraus geraucht habe, fie auf der Straße
hätten geftopft werden müffen. Schade, daß der
felige Hoffmann, als er den jeßt ſchon vergeffenen
Klein⸗Zaches (o undankbares Vaterland!) fchrich,
dieſes mein Prachtftück nicht vorher zu fehen
bekam. Er würde es für immer verewigt haben.
203
Ueber den arabifchen Zaum aus Gold und
bunter Seide muß id) doc) auch noch ein Wort
verlieren. Er zeichnet fich vor ander Reitzaumen
befonders dadurch aus, daß er Scheuleder hat,
und — was das Ungewöhnliche iſt — Scheuleder
nicht vor, fondern hinter den Augen.) Dieß
koͤnnte einem gründlichen Philofophen viel zu denken
geben. Man würde fogar die feltfamften politifchen
Beziehungen damit in Verbindung zu bringen im
Stande feyn, wenn man diefe neue Zäumung in
Europa einführte. Sch bitte den armen Laube,
der mehr Wis hat wie ich, wenn er erft die
Berliner Hausvogtet (in der man doch Dichter
nicht fo lange martyrifiren follte) gleich den Scheu:
ledern hinter fich hat, diefes Kapitel ftatt meiner
zu bearbeiten. So viel fehe ich aber felbft fchon
ein, daß, da eine Ercellenz, die zufällig. Ober;
*) D. h. diefe Scheuleder decken das Auge nicht,
fondern reichen nur bis an daſſelbe, und Liegen hinter
ihm platt am Kopfe an,
204
berghauptmann ift, ein U...leder trägt, eine
andere Ercellenz, die zufällig Minifter ift, eben
fo wohl ein Scheuleder tragen koͤnnte. Ja es
foheint mir fogar, daß bei vielen europätfchen
Miniftern dies Scheuleder cine Hauptbedingung
ihrer Anftellung geworden ſey. Schöbe es nun
einer derfelben auf arabifche Weife zurück und
hinter feine Augen, wie übel koͤnnte dann das
viele Kicht auf ihn wirken, was fic) jeßt fo un-
befcheiden überall Luft machen will, und am Ende
fürchtete fich nachher ein folder Mann nicht ein
mal mehr vor der Freiheit, gefchweige denn vor
Liberalen und der leidigen Preffe.
Den 24.
Selbſt mit verbundnem Auge wie ein Bleffirter,
denn ich leide feit Kurzem an der Ophthalmie,
ritt ich dennoch den halben Tag in der Stadt
und Umgegend umher. Bei diefer Gelegenheit
will ich einiges Allgemeinere über Algier, zur
beffern Drientirung für mid) und den Lefer, hier
einfchalten. Nur eine Straße der Stadt, die von
Babazun, ift gepflaftert und zwar fehr fchlecht.
Die übrigen, aus Lchmboden beftehend, find im
Untertheile der Stadt häufig grundlos, und z. B.
jest durch zwei bis drei Negentage ſchon fo
Fothig geworden, daß man, um fic) Abends zu
einem Dine oder in andre Sefellfchaften zu begeben,
nothgedrungen eine Portechaife nehmen muß. Dies
206
ift aber hier ſtets mit der Gefahr einige Beulen
davon zu tragen verbunden, denn erftens find die
Vehikel felbft, buchftäblich nichts als große Holz-
Faften mit zwei Deffnungen (nicht immer durd)
Glasfenſter gefchloffen) ohne alle Auspolfterung,
noch fonftige Ziwde; zweitens gibt es nichts
Ungefchictteres als die hiefigen Träger, Da nun
überdies die Wege grundlos find und voll großer
Steine liegen, die Straßen fie) auch Feiner Art
von Erleuchtung erfreuen, fo kann man fich denken,
daß das Stolpern der maurifchen Heiducken fehr
haufig und das gänzliche Umwerfen nicht felten
ift. Beſſer geht es in den engen Fußwegen der
obern Stadt, von denen auch einige gepflaftert
find, und wo bei allen, ihrer Steile wegen, die
Feuchtigkeit fchnell abfließt.
Algier hat fünf Thore. Das neue, oben auf
dem Berge neben der Cassba, welches öftlich
nady dem Fort l’Empereur führt; das von
Babazun, durch welches man unten, dem © 'eer
entlang, in derfelben Richtung die Ebene von
207
Metidschia crreicht: das von Babaluet an der
entgegengefeten weftlichen Seite von der Stadt,
wodurd man zu den chemaligen Gärten des
Dey's, dem Berge Budscharia und, am Meere
hin, nach der pointe de Pescade gelangt; das
der Marine, um nach dem Arfenal und dem
Mole zu gehen; und endlic) das der Fiſcher, wo
die Schiffe debarfiren. Die ganze Stadt ift nach
dem Meere zu impofant mit Batterieen gefpict,
von denen aus einft der franzöfiiche Conful Le
Vacher, in die große Kanone geladen, und nad)
Duquesne’3s Admiralſchiff abgefchoffen wurde,
auf das, wie man fagt, wirklich einige blutige
Stüde des Leichnams flogen. Nach den drei
Landſeiten umgibt die Stadt ein breiter und
tiefer Graben, und eine hohe crenelirte Mauer
mit Kleinen Thürmchen, wodurd) das pittoreske
Anfehn diefes ehemaligen Raubneftes noch unge—
mein erhöht wird, um fo mehr, da der Graben
jest mit Cactus, Aloe und Epheu in wilder
Unordnung verwachfen if, Von den Thürmen
208
diefer Mauern wurden früher die Verbrecher auf
Haaken herabgeftürzt, wo fie bis zu ihrem qual-
vollen Ende hängen blieben, oder auf den Plate
formen gefpießt, allen Blicken zugänglic), als
fchaudervolles Beifpiel.
Sp reizend auch die Umgegend dem Europäer
erfcheint, fo fehlt es ihr doch leider fait ganz an
folchen großen und hohen Bäumen, wie unfre
Waͤlder fie darbietem Sch Habe bis jet nur
zwei dergleichen gefehen. Eine wenigftens SO Fuß
bohe Platane am Thor von Babazun und eine
ahnliche im Hofe der Cassba. Beide beweifen
wenigftens, daß an dem erwähnten Mangel nur
die Menfchen, nicht der Boden Schuld find. Was
man hauptfächli an Bäumen vorfindet, find
Sujubiers, Maulbeerz, Oel-, Mandel-, Apri—
fofenz, Pfirfih-, Birn-, Aepfel- und feine
Nußbaume, auch mehrere Pappelarten, Afazien,
Caroubiers, Orangen-, Citronenz und Feigenz
baume, Cypreſſen, Palmen, Bananen, Elsbeerz
und Bruftbeerbaume, und einige auslandifche im
209
Gärten, unter andern der prachtige perfifche wilde
Fliederbaum, der die Größe einer Akazie erreicht,
und deffen, unferm fpanifchen Flieder ganz ahnliche,
Bluͤthe ſtark nah Vanille riecht. Bluͤhende
Straucher und Blumen fieht man jest ſchon
haufig, und im Frühjahr follen fie eine große
Pracht über die Gegend verbreiten. Darunter
zeichnet fich die Agave aus, welche binnen zwei
Monaten oft einen Stengel von 30 Fuß Höhe
emporfchießt, der 5 bis 6000 Blumen, freilic)
nur von blaßgrüner Farbe tragt. Aloe und
Cactus find befonders für undurchdringliche und
ſchnell wachfende DBefriedigungen unfchäßbar , der
Boden aber überall dankbar, wo man nur Eultur
darauf verwenden will; und dabei fhmüden die
Menge immergrüner Sträucher und Baume hier
den Winter wie den Sommer.
Sch nahm Heute meine Richtung durch Das
Thor Babaluet nad) den Gärten des Dey. Der
Meg führt bei einigen malerifchen Forts vorbei,
die auf Felfen fiehen, an denen fich zu jeder
Semilaffo in Afrika, I. 14
210
Zeit das Meer mit weichen Schaume bricht.
Sein glanzend blauer Spiegel bietet von hier ein
herrliches Schaufpiel dar, während auf der linfen
Seite ein Amphitheater von Bergen, mit Villen
bedeckt, ein halbrundes Thal einschließt, in dem
der große Kirchhof der Juden, mit feltfam ge
ftalteten weißen MWürfeln befat, befonders hervors
fticht. Nahe dabei liegen die weitlauftigen, von
vielen Mauern umgebenen und durchfchnittenen,
vielleicht mit marmornen Kiosks verzierten Gärten
des Dey. Leider find fie jeßt in ein Lazareth
mit Gemüfegarten verwandelt, und die Gebäude
fiehen fchmußig und verfallen. Ein einziger
Drangenhain, mit nett gepflafterten Moſaikwegen,
it von dem alten Schmuck allein noch übrig,
nebft einigen Neften jener Tieblichen bedeckten
Gange von Wein, Roſen und Jasmin, welche
fonft jeden der einzelnen Gärten, langs den Mauern
bingeführt, umgaben, Der Jasmin wird hier
faft zum Baume, und größer als bei uns ber
Hafelnußftrauh, Ein Theil des Ganzen hat
211
man zu einer Cactusplantage für die Zucht der
Cochenille beftimmt. Es wird viel Mühe darauf
verwandt, man glaubt jedoch an Feinen fonderz
lichen Erfolg, da man im Winter die Thierchen
bier bedecken muß, was große Koften und einen
Aufwand von Leuten erfordert, der mit dem Profit
kaum gleichen Schritt halten möchte. Mein Pferd
Eletterte von hier nad) dem Budscharia, wie
eine Ziege, die. Felſen hinan, mit einer Ausdauer
und Sicherheit, die nur die Gewohnheit geben
kann. Als ich auf den wuͤſten Haiden oben an:
langte, blühten in diefer fchweigenden Wildniß
Tazetten, Myrthen und große blaue Iris um mic)
ber, und die fernen Berge felbft fehimmerten fo
piolet wie Blumen, Die Ausfiht vom Blockhaus
ift gewiß eine der fehönften in der Welt, wenn
man einen fo günftigen Tag trifft, als der heutige
war, Man befindet fich in bedeutender Höhe im
Mittelpunct des bergigen Landvorſprungs, den
Afrika hier bildet, und den die impofante Ebene
der Metidschia von Heinen Atlas trennt, welcher
212
in grader Linie von Horizont zu Horizont fich
zieht. Auf diefer unermeßlichen, auf drei Seiten
vom Meer umfchloffenen, die höchfte Abwechfelung
und die barofeften Küftenlinten bildenden Aus—
Dehnung, geftattet die klare Luft Millionen Gegen;
fände mit der größten Genauigkeit zu fehen, und
ein gutes Perſpectiv citirte mir felbft den Atlas
nahe vor das Auge, obgleich er über zwölf Stunden
entfernt ift. Es ſcheint unnöthig, einen folchen
Anblick zu befchreiben,, Feine Einbildungstraft ift
fo arm, daß fie ihn fich nicht felbft ausmalen
koͤnnte.
Lange, lange verweilte ich hier, dann nahm
ich, bei den vier Brunnen voruͤber, durch Hohlwege,
Schluchten und ausgeriſſene Regenrinnen, wie ich
die Direction nur zu finden glaubte, meinen
Ruͤckweg nach der andern Seite der Stadt; bis
id) die neue Straße von Duera erreichte, die in
fühnen Windungen nach dem Thor von Babazun
berabführt. Da ich noch einige Stunden Tag
vor mir hatte, und mein Pferd noch munter
213
war, zog ich vor, ftatt mich jet jchon nach Haufe
zu begeben, meinen Spazierritt noch einmal zu
erneuern, und fchlug zu dem Ende zuerft den Weg
nah Muftapha ein, wie die mit Villen angefüllte
Gegend füdöftlih von Algier, dem Golf entlang,
benannt wird. Auf diefer Seite wimmelt cs
fortwährend von Militair, was das Mohnen
dafelbjt theilmeife fehr unangenehm macht, wegen
des Laͤrmens und der Unreinlichfeir, die dieſe
Nachbarſchaft mit fich führt. Weberdem find im
Thal, über einen großen Raum hin abfcheuliche,
gefhmadlofe, weiße Kafernen aufgebaut worden,
welche, wie ein haßliches Pflafter auf einem fchönen
Geſicht, die fonft in hohem Grade lieblihe und
mannigfaltige Ausficht, faft von allen Landhaͤuſern
am Abhange der Berge, total zu Grunde gerichtet
haben. Es ift dies um fo mehr zu bedauern,
da die Lage befagter Kafernen obendrein ganz
ungefund und unzwecmäßig tft.
Der erfie Gegenftand, der meine Yufmerffan:
feit feffelte, war eine ſchoͤne Wafferleitung, die
214
zwei Selfen mit einander verbindet, im Styl der
Römer von den Türken erbaut. "Darunter ber
finden fich die gewölbten Defen, welche Carl der
Fünfte zum Brodbaden für feine Armee bier
errichten ließ, deren größtem Theil hier in der
That Furz darauf das letzte Brod gebacken ward.
Sie find fehr dünn und flach auf eine fehwierige
Weiſe gewölbt, und dennoch fo feft, daß der
jetige Befiger, der fie (etwas vandalifch) abreißen
laßt, um die Steine zu verfaufen, große Mühe
hat, fie zu demoliren. Sc) befah hierauf das
Innere einiger Landhaufer, deren Eigenthümer
ic) kenne, unter andern das des dänischen Confuls,
wo fich lange und dichte Hecken von 4 bis5 Fuß
Höhe aus blühenden Geraniun befinden. Sn
dem fogenannten Maräbut (Cabinet oder Nifche)
des obern Ealons ift ein großer Spiegel fehr
glücklich und überrafchend angebracht, um den
fchönften Theil der Gegend, der Ottomane gegen-
über, gleich einer camera obscura immer vor
Augen zu haben. Eine Cypreſſengruppe deckt von
215
diefem Puncte wenigftens die haͤßlichen Cafernen,
welche dagegen aus dem, im jeder andern Hinficht
anmuthigen Garten, überall ftörend fichtbar werden,
und nach ihrer eigenthümlichen Bauart, von fo
boch erblickt, einer colofalen Katrinenanftalt für
die ganze Armee gleichen.
Vortheilhafter fitwirt in dieſer Hinficht ift,
eine Viertelftunde weiter, tiefer im Thal, die
Billa des Oberſten Bernelle; deren bedeutendes
Terrain im Gefhmad eines fogenannten englifchen
Gartens, mit mehr Erfolg als gewöhnlich und
mit nicht geringen Koften arrangirt worden ift,
Diele Partien, namentlich die Blumengarten,
welche von außerordentlich fchönen alten Oliven-,
Mandel» und Granatbaumen befchattet find, und
in denen man die Baumwollenpflanzen jeßt ihre
weißen Flocken tragen fieht, waren ſchon in diefer
Sahreszeit Außerft reich und anzichend, und das
Haus allerliebft eingerichtet, mit verftändiger
Anwendung des europaifchen Comforts, ohne
doch die maurifche Phyſiognomie zu verwifchen,
216
was Viele mit großer Ungefchicklichkeit hier ins
Merk gefet, und dadurch die herrlichften poetifchen
Originale in gemeine Proſa überfet haben. Denn
ich wüßte mir Feine Architeftur zu denken, welche
eben für Landhaͤuſer paffender feyn koͤnnte. Pracht,
Eleganz, das höchft Pittoresfe, machen mit der
hoͤchſten Bequemlichkeit und Ruͤckſicht auf das
Elima, den Haupteharakter derfelben aus. Wie
bei den Gebäuden im gothifchen Styl, welche
die engliſchen Parks zieren, gewähren auch hier
die vor- und rüdfpringenden Linien mit tiefen
Winkeln, und die einzelnen Theile von ungleicher
Hohe mit ganz verfchiedenartigen Verbindungen,
eine malerifche Abwechfelung, der es dennoch nicht
an einer wohlthuenden Ruhe fehlt. Im Innern
aber verbreiten die mit Säulen umgebenen Höfe,
die Fontainen und Bäder, die Menge bunter
Arabesken, die fortwährende Verſchmelzung der
Heinen Gartenabtheilungen mit den Gebauden,
jo wie die gleichfalls zu arten umgefchaffnen
ZTerraffer über das Ganze einen unbefchreib-
217
lichen, in feiner Mannigfaltigfeit nie verfiegenden
Reiz.
Manche dieſer Villen, die reichen Leuten an—
gehoͤrten, erſchienen an Umfang und Pracht mehr
fuͤrſtlichen Schloͤſſern ahnlich, als beſcheidnen
Landhaͤuſern ungebildeter Barbaren, wie man
ihre einftigen Beier bet uns Flaffificiren würde.
Man fieht ihnen, wenn auch im geringern Maaß—
ftabe, noch immer an, daß fie von den Nachfommen
jener Mauren herrühren, denen Spanien die Al-
hambra und den Generalife,, wie fo viele andre
feiner ſchoͤnſten Monumente verdanft.
Gleich über der Befigung des Oberften Bernelle
dehnt fich eine ſolche Billa aus, welche die Fran—
zofen la maison riche getauft haben. Sie ift
noch das Eigenthum eines Mauren, aber feit
der Occupation an Europäer verpachtet und von
franzöfifchen Subalternoffizieren bewohnt. Die
Folgen davon däuchten mir wahrhaft tragifch,
und eine folche Verheerung binnen vier Fahren
kaum denkbar. Die Marmorfontainen, die eleganten,
218
mit Fayencetafeln belegten Treppen, waren überall
befchadigt und fo mit Koth bededt, daß man
fih ihren zu nahen fcheute. Die Orangenbaume,
wilde aus dem Porcellainpflafter weiter Höfe
hervorwuchſen, ſah man groͤßtentheils, aus Mangel
an Pflege abgeſtorben, und in den Volieren, einſt
mit Papagaien und Singvoͤgeln bevoͤlkert, liefen
jetzt Huͤhner und Schweine umher; die Terraſſen
waren zum Theil halb eingeſtuͤrzt, und die herrlichen
Wein- und Jasmingewoͤlbe, welche ſchattige Treil—
Iagegange zwiſchen ihnen bildeten, faft durchgängig
zerbrochen, und am vielen Ortca die baumftarfen
Pflanzen fchmählig eingegangen. Nur die majer
ftatifchen Cypreſſen ftanden noch in unverfehrten
Gruppen da, wie ernft und trauernd auf den
Unfug herabblickend, der fie umgab. Was aber
wäre dennoch aus diefem Befisthum zu machen,
wenn es im die rechten Hände Fame! Hundertmal
habe ich hier unfres Kronprinzen gedacht, der
grade für dieſe Art füplicher Architeftur und
Schmuckes fo viel Einn und Gefhmed an den
219
Tag legt, und ihm dies zu fehen und zu befitzen
gewänfcht. Wie die Dinge jeßt in Algier befchaffen
find, bezweifle ich, daß irgend Jemand den mög-
lichften Vortheil daraus zu ziehen je verfichen
wird. Selbſt die hiefigen Engländer fcheinen thre
Natur zu verändern, denn die Villa des Conſuls
diefer Nation z. B., obgleich wohl gelegen, tft
dennoch eben fo ſchmutzig und armlich, als die
meiften der übrigen, die fi) in europaifchen
Handen befinden.
Um nun noch einmal auf die maison riche
zurüczufommen, fo vereinigt fie mit ardis
teftonifchber Schönheit und grandiofem Anfehn,
auc) cine der reichften Ausfichten. Mit allen
ihren Galerieen, Höfen und weitlauftigen Gärten
ift fie an den ausgedehnten Halbeirfel der den
Golf umfchliefenden Bergkette, ungefähr in der
Mitte ihrer Höhe angelehnt, auf einem poröfen
Felſen fichend, den Tactus und Schlingpflanzen
faft ganz überzogen haben. Auf beiden Seiten
werden die Berge umher von unzähligen Villen
220
mit einer üppigen Vegetation bedeckt und laufen
links an Algier's ins Meer hinausragendem Leucht:
thurm, rechts, fich fenfend an dem weit vor:
fpringenden Gap Matifu aus. Gin großer Theil
des Atlas wird über ihnen noch fichtbar, und
zwifchen den Gärten und dem Meer zieht fich
ein langer grüner Wicfenplag hin, den die Manoͤ—
vers der Truppen täglich beleben, doch in gehöriger
Entfernung nur einen unterhaltenden Anblick ger
ftatten, ohne laftig zu werden.
Sch feste meinen Weg auf der fhönen neuen
Straße nach Birkhadem fort, verlich fie aber
nach einer halben Liene, um über Felfen und
Geroͤll in eine tiefe Schlucht Hinab zu rutfchen,
und an der andern Seite wieder hinauf zu klimmen,
und Fam bald darauf in eine wilde fehr coupirte
and einfame Gegend, wo fich nur noch cinige,
meiſtens zerſtoͤrte und verlaffene, Villen befanden.
Bei den wenigen nod) bewohnten ward dies blos
durch Hundegebell angefündigt, Fein Menfch lieg
fih fehen. Der Tag ſank, und ich hatte fehr
221
gewünfcht, Jemand auftreiben zu koͤnnen, um
mich einigermaßen zu orientiren, denn ich Fonnte
mic) ta dem Labyrinth von Ihalern und Höhen
durchaus nicht mehr zurechtfinden. Ueberdem
hatte ich vergeffen mich zu biwaffuen, was die
Klugheit bei Ereurfionen diefer Art, wenn fie
auch nur auf wenige Stunden ausgedehnt werden,
immer hier gebietet, da von Zeit zu Zeit Er—
merdungen, felbit in dieſem nahen Bezirk keines—
wegs felten find.
Ich schlug endlich einen Fußfteig, oder vielmehr
das ausgetrocnete Bett eines Baches ein, das
nit umher geworfnen Steinen ausgefüllt und
mit Aloe, Cactus, Eröbeerftrauchern und anderm
Immergruͤn oft fo dicht überwolbt war, daß hier
ſchon völliges Abenddunkel berrfchte. Ich würde
viel darum geben, eine folche Naturfcene in meinent
Park darftellen zu Fünnen, hier war es unter den
jeßtgen Umſtänden cben fein einladender Gegen-
fiand, und ich fühlte mid) fehr froh, als ich,
nach einer Viertelftunde möglichft ſchnellen Reitens,
222
auf eine freie und dominirende Anhöhe gelangte,
welche e8 mir endlicy möglich machte, die Richtung
nad) der Straße von Duera zu finden. Sch
erreichte fie foft an demfelben Puncte wieder, wo ich
fie zwei Stunden früher auf der andern Seite, vom
Budscharia aus, betreten hatte, und galoppirte
nun gemächlich der Stadt zu, obgleich die Nacht
fhon ihre Fittige über mich breitete, ehe ich noc)
am Thore anlangen konnte. Die Abenddaͤmmerung
dauert bier nicht fo lange wie bei ung, wodurd),
meines Erachtens, den hiefigen Climaten eine
große Annehmlichkeit entzogen wird. Vollkommen
hat die Erde nirgends feyn follen.
SWeLLerteaneef.
4
Un Frau von U... in Berlin.
Algier, den 18. Februar 1835.
Sie haben mir, meine liebensmwürdige Freunden,
einen fo fchmeichelhaften gedrudten Brief in tie
Fremde gefandt, daß ich wohl doppelt ſtrafbar
bin, ihn noch nicht beantwortet zu haben; aber
Sie wiffen, einem faumfeligen Knecht und cinem
tragen Brieffchreiber fehlt es nie an Entſchul—
digungen. Sch darf indeg mit Wahrheit anführen,
dag Ihr Schreiben nur wie cin lieblicher Vogel
an mir vorübergeglitten ift, kaum erblickt, wieder
entſchwunden, fo daß ich nur den Totaleindruck,
224
Feineswegs den Inhalt behalten, eben fo wie es
wahrfcheinlich mit unferm ganzen irdiſchen Leben
gchen wird — denn das Buch mit fammt der
halb ernſt- halb fchalfhaften Dedication ift mir
beim Einpacken in Paris abhanden gefommen.
Nun mochte ich nicht mehr antworten, ich wollte
cs auch nicht in Europa, am wenigften im Winter.
Unter Afrifa’s Frühlingsblüthen und Frühlings-
träumen, die dort oft zu Wirklichkeiten werden,
gedachte Ih Die Strausfeder erft von Neuem
zu ergreifen, die Ihnen fo gut befannt ift.
Und in diefen Traͤumen habe ic) Sie auch
ſchon wieder gefchen, verehrte Freundin, und zwar
wie Sie in der Kirche ſaßen und dort cine Oper
componirten; wie der Held Ihres Gedichtes neben
Shen fand, in dem wie Blürhenfchnee ſchim—
mernden weißfeidnen arabifchen Heik, auf dem
der übrige bunte Ehmuc mit Regenbogenfarben
jpielte, vom Glanz der Waffen und der Edelfteine
herrlich durchblitzt. Und nun fing eine myftifche
Wechfelwirfung an, zwifchen Wachen und Traum,
225
zwifchen Ihnen als Autor und mir als Zuhörer,
zwifchen den Helden ſelbſt und der eindringenden
Außenwelt, und all dies wunderbare Gewirr ward
fortwährend durchraufcht von den Tönen einer
überirdifchen unbelannten Muſik, wie fie Beethoven
und Gluck nur zuweilen geahnet — o welch ein
Sammer, daß ich dieſe Sauberlaterne nicht länger
in meiner Gewalt habe, als bis der Hahnenruf
im benachbarten Hühnerhofe fie mir graufam
zerbricht, ich würde Ihnen ein Buch fchieken, wie
noch Feins gefchrieben worden ift, ein Buch ſo
feltfam wie das Ihre, wo aber alles in einen
Juwelengarten von Blüthen und Früchten mit
Aladin’s Lampe im Hintergrunde überginge, was
bei Ihnen noch in der jungfraulichen Knospe ruht,
und von dem Morgenthau der Poeſie durchfchauert,
das Entzuͤcken an der Natur in taufend melodifchen
Variationen und unendlichen Sarbentönen wiederz
fpiegelt.
D wie traurig, ich wiederhole es, ift das
Erwachen aus diefen Träumen befrer Welten, es
Semilafio in Afrika. I. 15
226
bleibt ung nichts übrig, als die hiefige mit Augen
anzufchen, die noch feucht vom Bade jener Zauber;
quellen find, und das gelingt mir zuweilen. Doc)
unvollkommen nur verſteh' ich Solches Andern
mitzutheilen, und ſo reſigniren Sie ſich, liebe
Freundin, von nun an wieder Proſa wie alle Tage
zu hören; immer noch beſſer, jſose le dire (und
ſelbſt mit einem franzoͤſiſchen Brocen), afrifantfche
Profa, als Berliner Profaz denn die erften beiden
Worte accoupliren fi) nur gelegentlich, die andern
fommen mir vor wie Mann und Frau, und was
gibt es langweiligeres wie Mann und Frau! Dies
ift wenigftens die Meinung der biefigen ©t. Si—
moniften, ich bin Fein ganz fo arger Keßer, wie
Sie fchon wiffen. Apropos von St. Simoniften
und dergleichen, ich hoffe Ihren Beifall zu
verdienen, wenn ich Ihnen melde, daß ich hier
als Apoſtel der in dieſen Negionen noch ganz
unbekannten Homoͤopathie, die Sie fo feurig
protegiren, aufgetreten bin, und bereits den
commandirenden General mit einem mir felbft
227
unbefannten Milliontheil Stoff glüdlich von Magen;
fhmerzen befreit habe. Eine firenge Diät ward
dazu verordnet, denn ich bin noch von der alten
Schule; die neuere tft überliberal, fie erlaubt ſogar
an Kaffee zu riechen, was ich jedenfalls für zu
gewagt anfehe. Mich felbit habe ich aber leider
von einer ernftlichen climatifchen Krankheit nicht
zu curiren verftanden, an der ich über eine Woche
lang fchmerzlich gelitten; ic) meine die hier nur
zu häufige Ophthalmie. Glüklicherweife war blos
ein Auge ergriffen, fo daß ich, während man mir
dieſes forgfältig verbunden hatte, mit dem andern
fortwährend leſen konnte. Doch mußten allerhand
ftarfe Mittel, Blutegel, Aderläffe, Senfpflafter
u. f. w. angewandt werden, che das Webel weichen
wollte, Dazu fam, daß, nachdem lange ein ewiger
Frühling geherrfcht, nun doc) endlich mit fürmi-
ſchem Wetter (der haͤßliche Africus blies) einige
Tage lang fo empfindliche Kälte eingetreten ift,
daß fie mich genöthigt hat, einen andern Gaſt—
hof zu beziehen, der eine Stube mit Kamin
228
anfweifen kann, was in dem meinigen nicht zu
finden war.
Uebrigens ficht bier ein Haus dem andern fo
asalih, daß ich kaum bemerfe, das meine verz
ändert zu haben. Sie Fennen diefen freundlichen
und heitern Bauſtyl aus Spanien; es wundert
mich, daß man ihn nicht auch im übrigen Europa
anwendet, Denn, fobald man das Zeltdac) über
dent Hofe mit einem Glasdom erfeßt, ftatt einer
fhmalen und dunklen Treppe zwei große und helle
baut, die Zimmer etwas breiter halt und fie
gehörig heizt, fo Fann ich mir, felbft in einen
weit Falteren Clima als das hiefige, nichts
Schöneres und Bequemeres für ein Wohnhaus
denken. Und wie herrlich find diefe Locale zu
Feſten aller Art! Welchen magifchen Effect bringt
die Erleuchtung des Hofes mit den Öalericen
und Zimmern hervor, die man, troß des großen
Raumes, alle mit einem Blicke überfieht. Selbft
in meinem beſcheidnen Gaſthofe ergüßt es mid)
täglich, wenn die Gafte des Neftaurants verſammelt
229
find, aus dem nach innen gehenden Fenſter meiner
Stube, von oben herab, ihr buntes Gewimmel
zu betrachten, während die Lichter in den Saͤulen—
ballen fo wunderbar fpielen, und die vielen dunklen
Vertiefungen mich immer etwas Geheimnißvollee
und Zauberartiges hinter ihnen verborgen ahnen
laſſen.
Doch wie prachtvoll wird dies Schauſpiel erſt,
wenn der Gouverneur in ſeinem Palaſte einen
Ball gibt, wo man, beilaͤufig geſagt, eine ſo große
Menge reizender Damen in den recherchirteſten
europaͤiſchen Toiletten ſieht, als Ste in Ihrem
Berlin kaum aufzutreiben im Stande waͤren.
Und dazu iſt man obendrein hier auch faſt eben
fo fromm als dort. Eine der gefetertften Schon:
heiten erzählte mir auf einem diefer Bälle, als
fie nach fieben bis acht Tanzen zum erftenmal
ausruhte, folgendes merkwürdige Wunder. Die
Aermſte ward in Nantes, wahrend ihrer Schwanger:
fchaft, von der Cholera im fchredlichften Grade
überfallen. Naiv verficherte fie, daß fie lieber
230
wolle — faire deux cent enfans, als noch
einmal dieſe über alle Befchreibung furchtbaren
Schmerzen aushalten. Kurz, fie war ſchon ſchwarz,
Fam Verfcheiden, als fie plößlich die heftigfte Be—
gierde nach Eis au naturel fühlte. Man brachte
ihr davon einen Eimer voll, das jedoch aͤußerſt
fihmugig war. Demungeachtet verſchlang ſie ein
Stüc nad) dem andern mit einer wahren Wuth,
während man von außen ihren ganzen Körper mit
glühend heißer Kleie bedeckt hatte. In kurzer Zeit
ſpuͤrte ſie große Linderung. Da fiel es ihr ein, der
Jungfrau eine Kerze mit ſilbernem Leuchter zu
weihen, und ſie gab ſofort den Befehl, das Ge—
luͤbde in Ausführung zu bringen. Von dieſem
Augenblick an ging die Geneſung mit Rieſen—
ſchritten vorwaͤrts, und als ihr Licht zum erſtenmal
auf dem Altare brannte, verließ ſie auch zum
erſtenmal ihr Bett, hatte kurz darauf die gluͤck—
lichſte Niederkunft, und nicht die mindeſte Spur
der Krankheit blieb zuruͤck. „Kann ich darnach
noch,“ rief ſie, ihre glaͤnzenden Feueraugen auf
231
mic) richtend, „ohne die abfcheulichfte Undank—
barkeit an der unmittelberen Hülfe der Jungfrau,
und an der vollen Wirfung meines Gelübdes
zweifeln ?“
„Das Eis,“ meinte ich zaghaft, „ſcheint auch
Einiges zu Shrer Herftellung beigetragen zu
haben.“
„O glauben Sie das nicht!« fagte fie und
bliefte fchmachtend gen Himmel; „ohne die Jung—
frau hätte alles das nichts mehr helfen Tonnen !«
Am andern Tage befah ich mir mufelmannifche
Frömmigkeit, Zuerft befachte ich den Mufti, einen
hübjben alten Mann, der auf einem Divan lag,
über dem in arabifcher Sprache mit großen
Buchftaben die fchöne Inſchrift zu lefen war:
„Der Anfang aller Weisheit liegt in der Liebe
zu Gott!“ Er ftudirte, als ich eintrat, emfig
in einem medicinifchen Buche, um darin ein Mittel
wider die TZaubheit zu finden, an der er zu leiden
anfängt, legte es jedoch fogleich bei Seite und
empfing mich mit vieler Freundlichkeit, indem er
232
fagte: „er freue fih, einen Vornehmen aus
fremden Landen zu fehen, der, wie er hore, nur
um ſich zu umterrichten reife, und die vielen
Beſchwerlichkeiten eines folchen mühfamen Unter:
nehmens nicht ſcheue.“ Daß man aud) zu feinem
Vergnügen reifen Tonne, davon fehien er Feinen
Begriff zu haben. Nach einigen fernern gewed)-
jelten Redensarten, gab er mir die Erlaubniß,
in die Mosquée zu gehen. Ich zog meine Stiefel
aus, und wanderte in Strümpfen mit dem Dol-
metfcher weiter. Da der Boden überall mit
dichten Matten und doppelten Zeppichen belegt
war, welche felbft bis zur Bruſthoͤhe die Säulen
und Pfeiler forgfäaltig umwickelten, fo bat dieſe
Sitte nichts Unbequemes. Uebrigens frappirte
mic) die große Einfachheit und Abweſenheit alles
Prunfes im Tempel; hie und da brannten einige
einfache Lampen, das war Alles. Deſto barofer
erfchien mir der ottesdienft. Eine fo große
Ehrfurcht ih auch für alle Arten von religiöfem
Gultus, wenn er nur nicht in Unmenfchlichfeit
233
ausartet, fühle, jo ward es mir doch phyſiſch uns
möglic) das Lachen zu unterdrüden, als ich nach der
größten Stille mit einemmal eine doppelte Reihe
von ungefahr ſechzig weißgekleideten Menfchen,
den Mufti an der Spitze, unter einem entfeglichen
Gebrülle zweter befonders dazu angeftellten Schreier
der Truppe, mit einem halben Burzelbaume ficb,
Mehlſäcken ahnlich, auf dem Teppich gegen die
Wand hinrollen fah, worauf fie, das Sitztheil,
welches durch die weiten Hofen befonders hervor—
ragte, hoch gen Himmel gerichtet, cine Weile wie
todt liegen blieben. Diefe feltfame Ceremonte,
mit dem einzelnen Abfingen verfchtedner Verſe
des Koran’s abwechfelnd, wurde zur fehwerften
Uebung meiner Faffung, mehrmals wiederholt,
ohne daß etwas Meiteres darauf folgte In
einen Hofe danchen, in den man de plein pied
aus der Mosquee trat, wuſchen ſich die Ankom—
menden unter einer bedeckten Fontaine vor dem
Gebet. Viele ließen ihre Pantoffeln vor der
Thuͤre, die meiften behielten fie aber in der Hand,
234
und legten fie erſt fpater neben fih hin. Das
Trinkgeld, welches ic) beim Weggehen dem Kirchen-
Diener anbot, verweigerte er anzunehmen; eine
Delicateffe, über die wir ſchon gluͤcklich hinweg
find, und die auch bei uns an einem Orte lächerlich
wäre, wo man Taufen und Abendmahl dem
Priefter felbit baar zu bezahlen pflegt.
Kurz Darauf endigte der Rhamadan, die
lange Seftenzeit der Muhammedaner, und einige
Tage lang fah man num die gewöhnlich zerlumpten,
unreinlichen Mauren und Araber in großer Galla
und den fchönften bunten Trachten in allen Straßen.
Sobald fi) Bekannte begegnen, umarmen fie
fih und kuͤſſen fi) die Schultern mit großer
Herzlichkeit, die niedern Stände führen allerlei
Tanze auf, und junge Leute fahren vor den Thoren,
in einer Art Stuhlwagen, die allerliebften Kleinen,
geputzten Mohrenknaben fpazieren, von denen es
dann an diefen Orten wimmeltz; dies fchien mir
eine rührende, licbliche Sitte, und für die Kinder
gab es einen großen Subel. Der Gontraft war
235
auffallend mir dem ſchmutzigen, edelhaften Ge—
dränge gewöhnlicher Tage, wo man zehn Augen
haben möchte, um nicht bald von einem Eſel,
bald von einen Gcmüfeforb, einer langen Bohle,
oder einem gefchlachteten Hammel, was die Men—
ſchen alles auf dem Kopfe tragen, umgerannt zu
werden. Am tollften geht es jedoch im Juden—
viertel zu, wo oft gar nicht durchzukommen ift.
Hunderte diefer Kinder Sfraels bieten bier, von
Unrath firoßend, unter ohrenbetäubendem Geſchrei,
ihre Waaren, nicht allein in Buden, fondern auch
perfonlich von oben bis unten damit behangen,
aus; und Keiner ruft „gare!“ fondern dringt
blindlings damit vorwärts, nach rechts oder links,
gleich den Wandermäufen, die auch Feinen Gegen:
ftande ausweichen.
Alles Dies ungewohnte Treiben würde Ihnen
wahrfcheinlich intereffant vorfommen, wenn Gie
bier wären; entzüden aber müßte Sie gaviß die
freie Natur, wohin ich Sie jet gleich zu führen
gedenfe. Heute erft fchrieb ich an Julie: „Koͤnnteſt
236
Du nur diefe balfamifche Luft fühlen, dieſes
Götterland fehen, das ſchon in Frühlingsgrün
mitten im Winter fich Kleider, dieſe reizenden
Dillen von Drangen, Palmen und Bananen un
ringt, diefe duftenden Haiden voller Blumen und
Wohlgeruch, diefen Hintergrund des Indigoblauen
Meeres — Du würdeft Dich gleich mir ncu
verjuͤngt fühlen !«
Nun folgen Ste mir felbft, wenigftens, da es
nicht anders feyn Tann, in Gedanken.
Der belgifche Conſul hatte mich zum Fruͤhſtuͤck
auf fein Landhaus geladen. Kin vortrefflicher
Barber aus Dran, den er mir ſchickte, brachte
mich im ſchnellen Galopp über die Ebene, und in
wilden Zancaden den Berg hinauf. Dort holte
ih vier Marine» Offiziere des Nobufte, eines
geftern angefommenen belgifhen Schiffes, ein,
iebſt einem Major der Landarmee, der diefe
Gelegenheit zu einer Reife nach Aegypten benußt,
wohin das Schiff beftimmt if. Ich ſtieg ab,
und wir naherten uns bald, langfam weiter fteigend,
237
dem kleinen, blendend neu geweißten, maurtfchen
Schloffe, das aus dem Laube dunkelgrün glanzender
Garoubiers und rofig blühender Mandelbaͤume,
gaſtlich bervorfchimmerte. Der Eonful hat erft
kuͤrzlich dieſes lachende Sorgenfrei von cinem
Eingebornen an ſich gebracht, das er, mit Talent,
Mitteln und Willen dazu begabt, bald zu einem
wahren Paradieſe zu fteigern verfpricht. Für
mich war es, in der vollen Anlage begriffen und
Haufer und Gärten überall von Arbeitern angefüllt,
vielleicht noch anfprechender als vollendet, denn,
Sie glauben es wohl, wo ich Induſtrie mit Ger
ſchmack verbunden antreffe, Öffnet fih immer
mein Herz der regften Theilnahme.
Nachdem wir die mir Waffer reich verfehenen
Orangengaͤrten befihtigt, die neuen Arbeiten
revidirt, und auf dem nod) unberührt gebliebenen
Berganger eine Menge unfrer, hier wildwachſenden
Gartenblumen gepflüct, weideten wir unfre Augen
an der Ausficht von der Terraſſe. In der Nabe
hatten wir Felfen und bebuſchte Schluchten, aus
238
denen die Spitzen andrer Landhäuſer hervorblickten;
dann unter dem jähen Abhang, zwei feſte Schlöffer
am Meer, das Fort des Anglais und des vingt
quatre heures; etwas entfernter zur Seite Algier
mit der Burg der Cassba, und den finfenartigen
Abſaͤtzen feiner crenelirten Mauer, die in langer
Linie den hohen Berg bis zum Hafen heradfteigt,
vor uns des Mittelmeeres endlofe Flache, bie
nnd da nur cin einfames, weißes Segel fanft
anf feinen Fluthen wiegend — ih war nahe
daran, bei dem letzteren Anblick einen Anfall von
Heimweh zu bekommen, wenn nicht eben Das
Frühftüe angefagt worden wäre, und der Hunger
(denn die hiefige Luft zehrt) alle weitern fenti-
mentalen Gefühle fiegreich unterdrückt hätte.
Den Küchenzettel erlaffe ich Ihnen diesmal,
aber nicht die Unterhaltung. Der Conſul, welcyer
viel von der Melt gefehen, und fi) in jeder
Hinfiht als den Licbenswürdigften Amphitryon
bewährte, erzählte uns von China, von Lord
Byron und Trelawney, die er nach Griechenland
239
begleitet, und dann von feiner Sendung nad)
Maroffo, Don Kord Byron ſprach er zwar mit
Enthufiasmus, doch ohne Blindheit. Er gab zu,
daß er voller Launen und Sonderbarkfeiten, und
in folder Stimmung faft unerträglich gewefen
fey; aber, fagte er, wir wußten dies einmal, und
ließen ihn daher immer gehen, fobald er nur
Waſſer trank, nichts ald Roquefort-Kaͤſe zum
Mittagsmahl aß, und ohne Hemde im bloßen
Schlafrock auf dem Verdeck fpazteren ging, ganz
unbefämmert, wie indecent der Wind diefen auch
umber wehen mochte; — Sobald er aber eine
Bouteille Champagner oder Bordeaur verlangte,
welches ſtets als cin Zeichen wiederfehrenden
Sonnenſcheins galt, fuchte fogleich Altes in feine
Nahe zu gelangen, und dann riß der liebenswuͤrdige
Sterbliche, der Dichter bis in die Fingerfpißen,
auch die Sleichgültigften, ja feldft feine erflärteften
Antagoniften, wie die Falteften Naturen, zu Be
wunderung und Genug unaufhaltfam mit ſich
jort,
2410
Er lichte befanntlich die Englander nicht, liirte
fid) aber leicht mit Individuen anderer Nationen,
die ihm geftelen. Auf diefe Werfe ſah ihn auch
Herr Lecog wahrend feines Aufenthaltes in Genua
mit der ſchoͤnen Gräfin ©. in größter Familtarität.
Nicht felten gab es hier häusliche Scenen, die,
was man kaum vermuthen follte, Byrons ganz
grundlofe Eiferfucht herbeiführte. Eines Tages,
als ihm wahrend des Effens die arme Gräfin
nicht fogleich fagen wollte, wo fie am vorigen
Abend gewefen, ward er fo zoruig, daß er einen
Dolch, den er ſtets im Gürtel trug, (denn er
fleidete fi) damals faft wie ein Carmagnole)
hervorriß, und in die Deffnung einer neben der
Gräfin ftchenden Boutetlle fo heftig ftich, daß
fie, zertrümmert, ihren ganzen Inhalt auf den
Tiſch umberfprigte. „They are all the same !«
rief er wüthend, firirte eine Weile die leichenblaf
gewordene Frau, worauf er ganz ruhig eine andre
Slafhe verlangte, und, ohne auf das Vorige
zurüczufommen, als ſey Nichts vorgefallen, von
241
etwas Gleichgültigem zu fprechen anfing. Die
Sendung nad) Maroffo verdiente dem Publikum
weitläuftig befannt zu werden. Hier nur Einiges
davon! Herr Lecoq wurde, kaum nad) der Geburt
Belgiens, nah Marokko gefchickt, um fünf bis
ſechs genommene Schiffe feiner Nation dafelbit
zu veclamiren, Weberzeugt, daß der Kaifer, nebft
allen feinen Dolmetfchern und Miniftern, von
Belgien nicht viel mehr wiffen werde, als wir
von den Reichen im Monde, Faufte er in Gibraltar
eine Charte von Europa, und ließ fie dergeftalt
illuminiren, daß Belgien einen guten Theil von
Frankreich, Holland und Deutfchlend mit in
fih aufnahm, und dann mit Riefenbuchftaben:
Royaume de Belgique hineinfchreiben, Mit
diefer wohlfeilen und unblutigen Eroberung in der
Taſche, prafentirte er fi) Seiner Majeftät, und
um die Revolution, welche Belgien das Leben
gab, dem Kaifer auf eine plaufible und angenehme
Weiſe zu erflären, bediente er fich kluͤglich des
Beiſpiels von Algier „Die Holländer, fagte er
Semilaſſo in Afrika. I. 16
242
namlich, „hätten früher die Belgier überrumpelt,
wie die Franzofen Algier. Seht hätten die Belgier
aber ihr Land wieder erobert und die Holländer
fortgejagt, wie ohne Zweifel die Afrifaner es mit
den Sranzofen über Furz oder lang auch machen,
und Beide ſich dann in eben dem Verhaltniß zu
einander befinden würden, wie die Belgier in dieſem
Augenblick zuden Holländern.« Diefes argumentum
ad hominem ward fo aut verfianden, und fand
fo viel Beifall, daß der Conſul wirklich das gute
Gluͤck hatte, feine Schiffe fammtlich wieder zu
befommen, und obendrein befchenft und in großen
Gnaden entlaffen ward.
Uebrigens blieb feine ganze Audienz eine Zeit
lang fehr ungewiß, denn nad) einer gar nicht übel
erdadhten Etikette des Hofes zu Marokko, wird
jeder fremde Gefandte zuerft in einen großen Hof
geführt, in deffen Ede ein goldnes Gitter den
Kaifer verbirgt. Diefer fieht fi) den Geſandten
an, und convenirt er ihm nicht, fo gibt es Feine
Audienz. Herrn Lecoq war jedoch gleich im erften
2413
Moment das Schieffal fo günftig, daß er ohne
Verzug vorgelaffen wurde,
Sonderbar ift die Equipage des Kaiſers. Der
Eonful ſah ihn fpazieren fahren. Er faß in einem
jener hohen und grob gearbeiteten Cabriolets ohne
Federn, eigentlih nur ein Bock auf zwei hohen
Raͤdern, deffen fich die Pferdehändler in Paris
gewöhnlich bedienen, um junge oder widerfpenftige
Pferde einzufahren.
MWahrfcheinlich hatte man diefen Kaften einmal
erbeutet, und der Kaifer ihn, vielleicht feiner großen
Höhe wegen, für etwas befonders Vornehmes
gehalten. Vor diefem Cabriolet waren zwölf der
fchönften arabifchen Pferde, eins hinter dem andern,
angefpannt, und jedes derfelben führten zwei Eoftbar
geFleidete Stallleute, die daneben herliefen,
Die Pferde bewunderte überhaupt der Conſul
am meiften an diefem Hofe, und verficherte, die
800 Mann ftarfe Neger » Cavallerie des Kaifers,
die von piemontefifchen und franzöfifchen Emi—
grirten commandirt wird, fey nicht nur die fchönfte
244
fondern auch bei weitem die befte, die er je gefehen
habe. Die Neger find fammtlich ausgewählt große
und fchöne Leute aus dem Innern Afrika's, reich
bewaffnet und cben fo reich in Weiß und Gold
gekleidet, ihre Pferde auserlefen, und fie felbft fo
vollendete Reiter, daß fie mehr Gentauren als
Menfchen zu Pferde gleichen follen. Dies macht
aber auch den ganzen Kern der Fatferlichen Armee
aus, da die Sinfanterie und übrige Cavallerie nur
aus, zur Zeit des Gebrauchs zufammengerriebenen,
Geſindel befteht.
Unfere Seegäfte mußten, während der heitern
Mahlzeit, einige Neckereien ertragen, über die
Avariecen, die fie geftern wahrend ihrer Einfahrt
in den fchlechten Hafen bei ftürmifchen und hohem
Meer — nicht erlitten, fondern angerichtet hatten;
obgleich fie fehr bündig bewicfen, daß dieß Feincs-
wegs ihre Schuld, fondern allein die des Lootſen
und ihrer Gegner felbft gewefen fey. Der Eonful
meinte dennoch lachend, fie hatten nur den Namen
ihres Schiffes (le Robuste) gleich mit der That
245
beweifen wollen, er aber komme am fchlimmiten
dabei weg; denn kaum habe er fich heute früh
auf der Straße blicken laffen, fo fey ihm ſchon
fein griechifeher College mit den Worten entgegen
gelommen: „Mon ami, il faut, que je vous
fasse assigner, vous m’avez presque coule a
fond un batiment de Nauplia,® Che er noch
antworten koͤnnen, ſey Oeſterreichs Stellvertreter
hinzu gekommen, um Erſatz von einigen tauſend
Franken fuͤr einen beſchaͤdigten Trieſter zu fordern —
und als er dieſen zu beſchwichtigen geſucht, habe ihn
noch der neapolitaniſche Conſul eingeholt, um ſich
zu beklagen, daß er ihm beinah zwei Leute getoͤdtet.
„Uber, fette Herr Lecoq hinzu, „ſeyn Sie ruhig,
meine Herren, der Robuste hat fich nichts vorzu-
werfen, als zu robuste zu feyn, wenn auch nicht
gegen vent et maree, doch gegen alle ungefchickt
geführten Schiffe und unftatthafte Reclamationen
der Conſuln.“
»Die machen mir auch nicht bange,“ erwiederte
der Capitaine, „aber nach einer monatlichen Fahrt
2416
bin ich recht froh, im fichern Hafen angelangt,
ein wenig das Land zu genießen und mein gutes
Schiff wieder in Ordnung bringen zu koͤnnen.“
Der Hermfte ahnete nicht, was ihm bevorftand.
Bei der maritimen Discuffion, die nun erfolgte,
hatte ich mir nur ein befferes Gedaͤchtniß gewünfcht,
denn es war vollftandige Gelegenheit da, alle
technischen Seeausdruͤcke der franzofifchen Sprache
auf einmal zu erlernen.
Nach dem Effen ward eine zweite Promenade
veranftaltet, die man etwas weiter als früher, nad)
mehreren der benachbarten Landhaͤuſer richtete. In
dem des Herrn Lacrouſſe fanden wir einen freien
Hof, rund mit Oleanderbaumen von 12 bis 15
Fuß Höhe umgeben, die eine elegante Marmorz
fontaine umfchatteten. Ein Blumenparterre, deffen
Gange Porccllainfließen deckten, bildete den Unter:
grund diefes reizenden Flecks. Die Ausſicht von
einer der Terraffen auf das Meer, und nichts als
das Meer in ungeheurem Halbfreife, machte einen
ganz fonderbaren Eindrud. In den Ställen zeigte
247
man uns eine rabenfchwarze Stute aus der
Sahara, von außerordentlicher Schönheit, und
ferner einen höchft vornchmen, großen Efel aus
Tunis, der feine befcheidnen Camaraden in Europa
fo fehr überflügelt, daß er alle Eigenfchaften eines
vortrefflichen Neitpferdes befigt, Im Reiche der
Vegetation erfreuten mich befonders die von Baum
zu Baum fich fehlingenden Lianen, prachtvoll
üppige Afanthuspflanzen, und ein chinefifcher,
der guten Kaftanie ähnlicher, aber nur niedriger
Baum, der wohlfchmedende Nüffe trägt, die
traubenartig wachen und einen fehr artigen Anz
blick gewähren,
Bei unferer Zurüdfunft auf bebufchten fchattigen
Fußſtegen, fanden wir frifch angefommene Journale
vor. Jeder placirte fich fogleich nach Belieben,
rauchend und Grog trinfend, um zu durchlaufen,
was ihn am meiften intereffirte. Als ich für
meine Perfon am Fuß eines Drangenbaums mich
unter Veilchen, neben einer frifch fprudelnden Quelle
niedergelaffen hatte, aus einer langen Pfeife mit
248
der wollüftigen Bernfteinfpige den Dampf wohl:
riechenden Tabaks emporfteigen fah, und mir nun
noc) den Himmel mit Huris angefüilt hinzudachte,
gefiel mir das orientalifche Leben fo wohl, daß
id), wäre es mir nur irgend möglich), meine
preußifch chriftlichen Güter Io8 zu werden, große
Gefahr liefe, hier ein Muhammedaner zu werden.
Die Sonne war fehon hinter den Fahlen Scheitel
de8 Budschariah gefunfen, als wir aufbrachen,
und mein muthiger Hengft mich mit vermehrter
Schnelle, wie im Fluge, nach Haufe trug.
Sch benutzte den Abend zu einem maurifchen
Bade, das ich fehr haufig nehme, und der
Gefundheit, namentlich in diefem Clima, außer:
ordentlich zuträglich finde. ES weicht von dem
ruffifchen, jeßt bei uns fo gebräuchlichen, wefentlich
ab und verdient eine Furze Befchreibung. Darf
ich fie Ihnen adreffiren, liebe Freundin? Warum
nicht, Sie find ja Feine Prüde, und überdem eine
Künftlerin, die vor der Idee des Nackten nicht
erfchriet, und daher auch ins Paradies kommen
219
wird, was bei einer Hebetiftin (vulgo Frömmlerin
genannt) große Schwierigkeiten haben muß, wenn
ihr der liebe Gott nicht einen Extras Schneider
dort geftattet.
Man tritt alfo zuerſt in den hier vollig bes
deckten, maurifchen Hof, in deffen Mitte ſich cin
großer Wafferbehälter befindet. Die umher Iaufende
Colonnade ift im Innern mit einer Erhöhung ver—
fehen, auf welche zwei Stufen führen. Auf diefe
Efirade find Strohmatten gebreitet, und zwifchen
den Säulen fieht man rund herum an Schnüren
Badewaͤſche bangen, die fich, in der Temperatur
von ungefähr 18 Grad Reaumür, immer gleich
warm erhält, und (für Fremde, die es verlangen,
wenigftens) fehr frifch und rein, auch fo reichlich,
als man nur wünfhen Fann, geliefert wird. Man
nimmt, um ſich auszuzicehen, nach Belieben cine
der Matten in Beſitz, hinter welchen Hafen in
der Wand mit darauf liegenden Brettern befeftigt
find, die Kleider zu placiren. Ganz unbedenklich
kann man feine Borfe, Bufennadel, Ringe und
250
dergleichen dem Hausherrn zum Aufheben über:
reichen, der fie dann gewöhnlich mit den Seinigen
erft neugierig beficht und unterfucht, che er fie in
ein unverfchloffenes Sach thut. Dennoc gibt es
fein Beifpiel, daß je etwas davon veruntreut
worden ware. So vergaß ich einmal meine Ringe
abzufordern, die mir am andern Morgen alle von
einem zerlumpten Jungen in der bloßen Hand
wiedergebracht wurden. Der Hausherr mit feiner
Familie und den Badedienern liegt und wohnt
auch innerhalb derfelben Eftrade auf Matten, und
befitt, glaube ich, Feine andere Stube, Große
Nifchen in den Wänden enthalten feine Sachen,
und zur Ochlaftoilette haben diefe Leute nichts
nöthig, als über ihre Kleidung, die fie auch des
Nachts nicht ablegen, eine Bernus mit Capuchon
zu ziehen, die fie ganz ummidelt. Damit legen
fie fich auf derfelben Stelle nieder, welche fie auch
am Tage nicht anders als Gefchäfte wegen verz
laffen, und bringen die übrige Zeit mit Rauchen und
behaglichem Ausſtrecken tm dolce far niente hin,
251
Aus diefem Grunde kann man aud) zu jeder
Stunde der Naht wie des Tages baden. Hat
man von außen an die Thüre geflopft und Einer
im Innern es vernommen, wird auch ſogleich
aufgethan, und da alles Noͤthige ſtets bereit iſt,
die Heizung aber ununterbrochen fortdauert, fo
findet nicht der mindefte Aufenthalt ftatt.
Sobald man fih nun, oft in Geſellſchaft
von vielen Leuten *), theils Badende theils
Hausgenoſſen, ausgezogen hat, bindet einer der
DBadediener (welches hier, nach einem gewiffen
Schönheitsfinn diefes Volkes, faft immer wohl—
gebildete Zünglinge von 16 bis 18 Jahren find,
und junge hübfhe Mädchen für das weibliche
Gefchleht) ein blaues Tuch um den Leib, wie
er es felbft trägt, reicht Holgpantoffeln, und führt
durd) eine etwas. warmere Galerie in ein ungefähr
30 bis 35 Grad, nicht mehr, geheiztes weitläuftiges
*) Man kann auch das Bad ganz für fih allein
miethen, muß aber dann den fechsfachen Preis bezahlen.
232
Gewölbe, abermals mit einem fo großen Waſſer—
behälter in der Mitte, daß man zur Noth darin
fhwimmen Fünnte. Der Boden ift mit Stein
platten belegt und glühend hei, daher die Holz-
pantoffeln unentbehrlih, An den Seiten befinden
fich mehrere Nifchen mit erhöhten, Fühleren Boden,
und Fontainen an der Wand, wo die Badenden
bearbeitet werden. Es find auch, wenn man hier
nicht in Gefellfchaft bleiben will, Fleinere Gewölbe
nebenan vorhanden, die ebenfalls mit einer Fontaine
lauen Waſſers zum Abwafchen verfehen find, und
nur für einen Badenden Naum haben. Nachdem
man eine Meile, auf dem Nande des Baſſins
fiend, transfpirirt hat, wird über den Fleck, den
man dazu gewählt, ein großes Tuch ausgebreitet,
auf das man ſich bald hinlegen, bald ſetzen, bald
wieder aufftehen, bald wieder hinlegen muß, che
alle Operationen des Reibens, Klatfchens, Aus _
renkens, Bürftens mit einer Art Pferdeftriegel,
Einfeifens u. f. w. vollendet find. So unangenehm
manche diefer Handhabungen auch werden, fo ift
253
es doch nicht ganz fo arg, als es viele Reife:
befchreiber machen; gewiß iſt e8 aber, daß man
nur fo den Körper vollfommen ätherifch reinigen
Tann, und fich jedesmal nachher wie um mehrere
Pfund eignen Gewichts erleichtert fühlt.
Als ich das erfte Mal badete, hatte ich einen
Diener, ein kaum fehzchnjähriger Knabe, aber
von ſtarkem Körperbau, der nur wenige Worte
der lingua franca radebrechte, welche aus allen
europaifchen Sprachen zufammengefeßt, und dann
noch im ein halb arabifches Gewand gefleidet ift.
Das Meifte, was er fagte verfiand ich nicht, er
ward aber hoͤchſt ungeduldig, wenn ich feinem
Anrufe nicht fogleich Folge leiftete, was mir vor
Lachen doch zuweilen Faum möglidy war; denn
ä B. wenn ich mic) hinlegen follte, rief er mir
jedesmal, wie wir einem Hunde, zu: couche!
beim zweiten Mal gewöhnlich mit einem arabifchen
Fluche begleitet; wenn ich mich feßen follte, fagte
er: Sedi, und zum Auffichen: Alz, wahrfcheinlich
von alzare. In den Zwifchenacten fang er zum
254
Reiben im Tacte eine fonderbar melancholifche
Tationalmelodie ab, Als er mich über das Ge—
ſicht firiegelte, und ich dabei etwas zucfte, lächelte
er freundlich, und frug mit großer Selbftzufriedens
heit: fa bono ? worauf er ſich dann aud) fogleic)
felbft antwortete: si, fa bono, bono.
Nachdem man zulest mit Seifenfchaum über:
dedt und, wie cin Pferd in der Schwemme,
durch Meberfiromen von lauem Waffer ganzlidy
abgefpühlt ift, fetzt man fich wieder auf die Stein,
bank, um noch ein wenig zu fchwißen, oder geht
nach Belieben in dem großen und hohen Gewölbe
auf und ab, in welchem jeder Schritt und jedes
Wort mit lautem Echo wiederhallt. Dann koͤmmt
der Diener mit einem ganzen Korb voll warmer
Waͤſche, wickelt Einem mehrere Tücher zuerft als
Zurban um den Kopf, trocdnet dann die übrigen
Glieder mit großer Sorgfalt, und umhüllt zuletzt
den ganzen Körper mit drei bis vier weichen Laken.
In diefe eingemummt, wandelt man auf feine Matte
im Gefellichaftsfaal wieder zurück, wo unterdeg
259
eine weiß übergogene Matrage mit Kopffiffen
bereitet worden ift. Hier legt man fich nieder
und wird von Neuem mit andern baumwollenen
Tuͤchern, nicht mit wollenen Decken, zugededt;
denn die Ubficht ift nicht, wie bei unfern ruffischen
Badern, hier noch mehr zu fehwißen, fondern
fih nur behaglich auszurufen. Jetzt erhalt man
eine Pfeife, mit vortrefflihem Kaffee oder Sorbet,
und bleibt fo lange liegen, ald man Luft hat.
Gewöhnlich legt fi) Derfelbe, der im Bade be
dient hat, nebft noch einem Andern, neben dem
Bette nieder, und forgt für den Fremden, jedes
Winks gewärtig, es fey nun um ihm Etwas zu
bringen, oder ihm Auskunft zu geben, oder ein Tuch,
das fich verfchiebt, zurecht zu legen, die Pfeife
von Neuem zu ftopfen, die Kaffeetaffe abzunehmen
u. ſ. w. Mährend dem wird man fortwährend,
bald von dem Einen, bald vom Andern, fanft
maſſirt, was nicht nur den Korper auf das Gründ-
lichfte trodnet, und jede Verkaͤltung verhütet,
fondern auch nad) und nach zu einem fanften
256
Schlummer einladet, der fehr erquickend if. Die
vornehmen Türken laffen deßhalb täglich vor dem
Einfchlafen diefe Operation von jungen Mame—
lucken mit fi) vornehmen. Was mich betrifft,
fo benußte ich diefe Zeit immer fehr zweckmaͤßig,
um einige arabifche Worte zu erlernen, ohne es
jedoch bis jeßt in diefer Sprache fehr weit ge
bracht zu haben. Badete ich ſpaͤt, d. h. nad
zehn Uhr, wo felten Einheimifche noch die Anftalt
befuchen, fo wicelten fich die Hausgenoffen fogleich
in ihre Mäntel und legten fich fehlafen, ohne weitere
Notiz von mir zu nehmen. Wollte ic) dann, nachdem
ich felbft eine Zeit lang gefchlafen, wieder aufftchen,
fo wedte ich nur einen der Diener, zog mid) an
und hinterließ alle Uebrigen fchnarchend.
Mas Sie verwundern wird, ift, daß dieſe
langen Dienftleiftungen (von denen ich auch in der
That viele Worte gemadt), Kaffee, Waͤſche und
Pfeife mit inbegriffen, nicht mehr als dreißig Sous
foften, und da ich immer das Doppelte und
Dreifache gebe, kuͤßt man mir die Hand dafür
257
wie einem Sultan. Die Einheimifchen felbft
follen fogar nur zwanzig Sous bezahlen. Vor
der europälfchen Zeit lebte man hier faft für
Nichts, und auch jest noch ift der Aufenthalt
nur in fofern theuer, als man den Europäern in
die Hande fallen muß, die größtentheils ein Aus-
wurf ihres refpectiven Waterlandes, mit einer
Unverfchamtheit prellen und betrügen, welche alle
Begriffe überfteigt. Sp wurden mir neulich für
einen Rock von fchlehtem Tuch 220, und für
zwei ciferne Nägel, um die Sporenlöcher in den
Stiefelabfagen auszufüllen Cein Meubel, das
Shnen liche Freundin, wohl fchwerlich fehr be-
kannt ift, im Frangöfifchen aber bouche trou
genannt wird), 15 Franken abgefordert, obgleich
man in der theuerften Parifer Boutique nicht
mehr als 20 Sous dafür geben würde. Es ift
eines Reifenden Pflicht, fo etwas nicht mit Still:
ſchweigen zu übergehen.
Noch eines Gegenſtuͤckes hierzu muß ich ers
wähnen. Als ich eines Abends fehr fpät nach
Semilaffo in Afrika, I. 17
258
Haufe ging, fah ich auf der Stufe, die immer
vor den Buden befindlich ift, einen Araber, wie
eine vergeffene Leiche, daliegen. Er fchlief unbe:
weglich, ungeachtet eines heftigen Platzregens.
Diefer Mann war die Wache für die Bude;
allerdings Feine fehr wirffame, aber der Lohn
ftand dennoch damit in Feinem Verhältniffe, denn
nad) der Verſicherung des mich begleitenden
Mauren erhielt der Unglücliche dafür nicht mehr
ald monatlich neun Sous. Dieß übertrifft
noch die Sammethofen für vier Grofchen, welche
einft die brandenburgifchen Stände ihrem Chur—
fürften zum Geſchenk darbrachten.
Die eingebornen Handwerker find aud) höflic),
während die republifanifchen Manieren der Franz
zofen Diefer Klaffe, fowohl in Frankreich wie
bier, täglich mehr auf eine wahrhaft beluftigende
Meife familiär werden. Neulich nahm ich früh
meine arabifche Stunde noch) im Bett liegend,
und der Profeffor faß an einem Tiſch daneben,
ald mein Schneider mit einem angefertigten
239
Pantalon hereintrat. Den Hut auf dem Kopf
behaltend, war das Erſte was er that, daß er dem
Profeſſor die Hand druͤckte, und nachdem er ſich
ſeiner Buͤrde entledigt, uns Beiden die Frage
vorlegte: was es fuͤr politiſche Neuigkeiten gaͤbe,
und ob das Miniſterium wirklich geſtuͤrzt ſey?
Leider, ſetzte er hinzu, habe er ſich die Zeitungen,
die mit dem heutigen Dampfſchiff angekommen,
noch nicht verſchaffen koͤnnen, gewiß ſolle es aber
ſeyn, daß der Kaiſer von Oeſtreich geſtorben und
das Reich des Monsieur de Metternich nun aus
ſey, u. ſ. w. Sch hatte alle Mühe, den guten
Mann auf feinen Leiften zurüdzubringen und
mich den fernern politifchen Ergießungen deffelben
zu entziehen. In Toulon erlebte ich aber noch
etwas Staͤrkeres diefer Art. Sch hatte einen
Sattlergefellen beftellt, um einen Koffer machen
zu laffen Ms cr Fam, war ich grade mit
Schreiben befchäftigt, und ohne mich umzufchen,
bat ich ihn ein wenig zu warten. Nach ungefähr
fünf Minuten, wo meine Arbeit beendigt war,
260
ftche ih auf, um meine Beftellung zu machen,
und finde den Menfchen - lang ausgeſtreckt auf
einem feidenen Sopha liegen, wo er in der
Schnelligkeit eingefchlafen war, und ich ihn erjt
weden mußte, um ihn wieder los zu werden.
Die Franzofen haben fich nur in der Reihenfolge
verfehen, fie find zur Gleichheit vor der Freiheit
gekommen. Umgekehrt würde beffer gewefen feyn.
Seht müfen wir aber zu etwas Ernfterem
übergehen, denn dieſe letzten Tage waren für Viele
eine fürchterliche, für Alle eine fehmerzliche Zeit!
Ein ungeheurer Sturm, wie ihn Niemand hier
erlebt zu haben fich erinnert, verwüftete den Hafen,
riß einen Theil des Molo ein, und zerfchmetterte
achtzehn große und Kleine Schiffe, die hier vor
Anker lagen. In Bone und Bougie ward faft Fein
einziges in den beiden Rheden gerettet, eine große
Menge Menfchen verunglüdten, und an der ganzen
Küfte der Regence wüthete das gleiche Unwetter.
Als ich, um das fihreckenerregende Schaufpiel
naher zu betrachten, felbft nach dem Hafen ging,
261
und das Ende der Marineftraße beinahe erreicht
hatte, ward ich durch eine Melle gänzlich durch—
näßt, die uͤber die anſehnlichen Magazine,
welche auf dieſer Seite den Hafen umgeben, hin—
wegſchlug. Nur mit der größten Mühe vermochte
man fich auf dem Hafendamme felbft gegen den
Sturm und das auffprigende Waffer zu erhalten,
und nicht ohne einige Gefahr gelangte ich endlich
in eine Art von erhöhten Papillon, wo man
trocknen Fußes ſtehen Fonnte, Hier wüthete das
Meer in fchauerlicher Pracht. Unaufhoͤrlich brachen
fi) die Wogencoloffe an dem ſchon halb nieder:
geriffenen Molo, und hoben ſich mit donnerartigem
Tofen, dampfend und fihaumend über zwanzig
Fuß body empor, worauf man fie, weiß wie
Mil, über die Plateform hinftürzen fah, Steine
von mehreren taufend Pfund vor fic) herrollend,
und flichende Menfchen voran, die, auf die höheren
Stellen Eletternd, Rettung fuchten. Ber einer
diefer ploßlichen Ueberflurhungen ward der Civil-
Intendant, Herr Le Pasquier, der fich zu unvorfichtig
262
vorgewagt, umgeworfen, und war nahe daran,
in den Fochenden Abgrund mit fortgeriffen zu
werden. Im Hafen ſtieg die Verwirrung auf's
Höchfte, jeden Augenblick hörte man einen Kabel
oder eine Kette Äpringen, und wie im wilden
Tanz wogten die Schiffe durcheinander und zer
truͤmmerten ſich gegenfeitig. Das erfte Beifpiel
diefer Art bot mir der arme Nobufte, mit deffen
Offizieren wir noch vorgeftern fo harmlos über
ihre Kleinen Unfälle bei der Ankunft gefcherzt
hatten. Alle feine Maften fanfen auf einmal ins
Meer, als er, von einer riefenmäßigen Gabarre
angerannt, gegen die Kriegsforvette des franzoͤſiſchen
Gouvernements, le Cygne, gefchleudert wurde,
Deren Bogfpriet er zerbrach, und von dem ger
waltigen Stoße felbft aus feinen Fugen wid).
Mit großer Hingebung und ungeheurer Anftrengung
der frangofifchen Befaßung, ward hier die ganze
belgifche Equipage gerettet. ine Furze Zeit lang
fümpfte das Wrack noch mit den Wellen, bis es
gegen die Felſen trieb, und nach dem Ichten ver—
*
263
geblichen MWiderftreben in mehrere Stüde zerborft.
Bald folgte dem Robufte der San Salvador von
Neapel; dann die Venus, ein großer ruffifcher
Dreimafter, der Thrafybulos, ein ganz neues
Fahrzeug, das feine erfte Neife machte; fo wie
nah und nad) die Fleineren Schiffe alle, mit
denen der Nobufte bei feiner Einfahrt, wie id)
erzählt, in Contact gefommen war. Eines der
letzteren ward fo gänzlich vertilgt, daß ich eine
Zerftörung diefer Art kaum für möglich gehalten
hätte; denn unter den Trümmern blicb auch nicht
ein Stüd von nur fechs Ellen Länge übrig. Das
ganze Meer war mit Kiften und Kaufmanns-
waaren, Tuchballen, Eoftbaren Stoffen und Sachen
aller Art bedeckt, die mit den Maften, Bretern
und andern Trümmern vermifcht, von den Wellen
umbhergeworfen wurden.
Die Dffiziere und Paffagiere des. Noburfte
verloren Alles, was fie nicht auf ſich trugen,
felbft ihr im Schiff. zurüßfgeblicbenes baares
Geld, zu dem man nicht mehr gelangen Fonnte.
264
Eine Embarcation der Venus mit zwolf Matrofen,
die Uchnliches verfuchte, ſchlug um mund verfanf
mit neun Mann, die übrigen Drei wurden durd)
am Ufer ftehende Soldaten der Fremdenlegion
gerettet. in franzöfifcher Artillerie-Dffizier, M.
de Livois, ein junger hübfcher Mann, den ich)
noch auf dem legten Balle des Gouverneurs als
einen der eifrigften Taͤnzer bemerkt hatte, verlor
gleichfalls fein Leben, ohne den edelmuͤthigen Zweck
zu erreichen, der ihn angetrieben hatte, es aufs
Spiel zu feßen. Um den Gapitain der Venus,
der noch auf dem Schiff zuruͤckgeblieben war,
als es ſchon ſcheiternd auf den Uferfelſen feſtſaß,
wo moͤglich noch zu retten, ließ ſich Herr von
Livois aus einem Fenſter des Hoſpitals auf
die Klippen herab, von wo er ein anderes ge—
fcheitertes Schiff, YImmaculata - Conception,
erreichte, das ungefähr dreißig Fuß pon der
Venus eingeflemmt war. Mit Hülfe einiger
Seeleute wurde es nach mehreren vergeblichen
Bemühungen doch möglich gemacht, zwei Stücke
265
von einem Schiff zum andern zu werfen und
dort zu befeftigen. Auf diefem fuchte Herr von
Livois hinüber zu Fommen Schon war das
fühne Unternehmen dem Gelingen nahe, als eine
wüthende Melle das eine Schiff faft ummwarf.
Dadurch gaben die Stücke plößli nach, Herr
von Livois verlor das Gleichgewicht und ver-
fhwand augenbliflih in der Tiefe, ohne daß
man feinen Körper wiedergefunden hat.
Der Schaden, den diefe Tage verurfachten,
wird auf verfchiedene Millionen angefchlagen,
und vergebens boten Viele, die den Verluſt ihrer
Habe vor Augen fahen, Tauſende für einen Dienft,
den man ihnen fonft für ein gutes Wort geleifter
haben würde, Niemand wagte das Geld zu ver-
dienen. Auch fand fic) Fein fo erhabener Menfchen-
freund, als jener geiftlihe Held, deffen Frau von
Crequy in ihren unterhaltenden Memoiren erwähnt,
welcher bei einem Schiffbruc an der chinefifchen
Küfte von einem der Ertrinfenden zum andern
ſchwamm, um fie — nicht zu retten, nein, aber
266
noch einmal emporzuheben und ihnen die. Abfolution
zu ertheilen. Erft nachdem er neun Individuen
auf diefe Art im Waffer befchieft, erfoff cr felbft.
„Es war offenbar die allgütige Vorſehung,“ fett
Frau von Crequy hinzu, „die den Martyrer in
ver Ausübung feines heiligen Werkes bis zum
Ende unterftügte, denn alle Zeugen kamen darin
überein, daß er der Zehnte und Letzte war, der
in den Wellen verfchwand.« Als ic) dem Türken
Juſſuf diefe Anekdote erzählte, fagte der tolerante
Mufelmann lächelnd: „Ma foi, on ne saurait
mieux fair son metier.“
Wahrend fo fchredlicher Noth und Zerftorung
fümpfte mitten in der Rhede das Dampffchiff
’Eclaireur, von Oran fonımend, auf eine auffer:
ordentliche Weiſe mit den Fluthen. Achtundvierzig
Stunden lang hielt es fih auf feinen Anfern,
allein durcy die Kraft feiner Räder bald in die
Hohe gefchleudert, bald wieder herabgeriffen, aber
immer beinahe auf derfelben Stelle feit, bis ihm
die Kohlen ausgingen. Jetzt verfuchte eg, nachdem
267
fih der Sturm fehon bedeutend gelegt, den Hafın
zu erreichen, fcheiterte aber dennod) an den hervor-
ragenden Klippen feitwärts deffelben, angeblich weil
fein Kabel mehr übrig war, um ihm denfelben
zuzuwerfen. Mannfchaft und Ladung Ivar gerettet,
das Schiff aber ſieht man für verloren am Noch
wunderbarer hielt fic) den ganzen Sturm über
im Bereich des Golfs eine Fleine englifche Goelette,
die glei im Anfang aus dem Hafen fegelte,
um das Weite zu gewinnen, ohne daß der Capitatn
und fein noch nicht zehmjähriger Sohn dahin
gebracht werden konnten, ihr Schiff zu verlaffen,
obgleich ihr Untergang unvermeidlich ſchien. Als
die Ruhe wicdergefehrt war, fehiefte ihnen die
Hafendirektion die nöthige Hülfe.
Wenn man das Unglüd vergeffen koͤnnte, was
diefe ſchrecklichen Momente der Natur, in denen
fie fich für die Gewalt, die wir ıhr taͤglich anthun,
zornig rachen zu wollen fcheint, in ihrem Gefolge
bringen, fo würde man den Anblick derfelden nur
herrlich und erhaben nennen mäffen. Wunderbar
268
war befonders das Schaufptel in der Nacht, bei
dem nur von Zeit zu Zeit durch die fchwarzen
Molfen dringenden Mondfchein. Hier fchienen
wirklic die an den Felfen in die Hohe Flimmenden,
brülfenden weißen Gefpenfter ein wahres Leben
zu befißen, wie Phantome aus dem Grunde des
Meeres heraufbefchworen, um die Erde zu beun-
ruhigen. Das Heulen des Windes glich ihrem
Schlachtruf, und die langen Reihen gefräufelter
Mogen, die pfeilfchnell aus der Ferne herandrangen,
duͤnkten mir, immer neu fih fammelnde, unerz
ſchoͤpfliche Hülfspölfer zum Verderben der Sterb-
lichen nachgefandt. Mitten in dem tobenden
Gewuͤhl aber ftand, wie eine verlöfchende Kerze,
der ungewiß flacdernde Leuchtthurm, und warf
fein trübes Licht nur noch auf Trümmer und ein
aſchgrau ſchaͤumendes Meer.
Ein eigner Zufall bei dieſem Sturm war es,
daß er die einzige Stadtuhr in Algier, und viel—
leicht an der ganzen Nordkuͤſte in Afrika, zum
Stillſtehn brachte. Drei Tage vergingen, ehe man
269
fie wieder in Stand fegen konnte. Aberglaͤubiſche
nahen dies für eine üble Vorbedeutung. Hoͤchſt
merkwürdig find auch folgende zwei Begebenheiten,
deren Schauplaß ich fpäter beaugenfcheinigt, und
ihren Hergang aus des Admirals cignem Munde
vernommen habe. Diefer thatige Seemann, der
fich in den Tagen der Gefahr verdreifachte, und
an allen Orten felbit zeigte, wo Hülfe noch möglich,
war durchnaßt und aufs Aeußerſte ermüdet, gegen
Abend gendthigt, ſich einen Augenblid zuruͤckzu—
ziehen, un feine Kleider zu wechfeln und fich
durch einige Erfrifchungen zu ſtaͤrken. Als cr
nad) geringem Verweilen mit Einbrucdy der Nacht
wieder ausging, nahm er, von Froft gefchüttelt,
einen Mantel um, den er am Halfe mit der
Agraffe zubäfelte. Um den Zürzeften Weg nach
dem fchon erwähnten Pavillon zu nehmen, von
wo er die ganze Umgebung überfeben und dent,
allen Schrecden des Sturmes damals noch aus-
gefeßten Eclaireur, die nöthigen Signale geben
Fonnte, wagte er fich über eine ſchmale, abfchüßige
270
Stelle des Molo, gegen die die braufenden Wogen
fih wie Schneeberge aufthürmten. In diefem
Augenblick ergriff ihn ein MWindftoß, fing ſich in
feinem Mantel nnd hob ihn ohne eine Möglichkeit
des MWiderftandes empor, ihn unaufhaltfam nach
dem toͤdtlichen Abgrunde hinführend. Er gab
fi) verloren. Laͤngs des Molo find Kanonenläufe
als Pfeiler eingemauert, ein Gluͤck im Unglüd
warf ihn gegen einen derfelben. Inſtinctmaͤßig
klammerte er fich mit beiden Armen daran feft,
der Schlag an die Bruft und vielleicht die unver:
meidliche Emotion einer fo furchtbaren Kataftrophe
nahmen ihm die Befinnung, und von überfluthenden
Wellen bedeckt, blieb er Frampfhaft die eiferne
Stüße umfaffend, bewußtlos Liegen. Als er nach
einigen Minuten wieder zu fi) Fam, fah er von
der andern Seite einen Matrofen auf fich zu:
fommen, den er, zerfchlagen wie er war, und faft
unfähig fich zu rühren, um Hülfe anrief, Diefer
hatte ihn Faum aufgerichtet, als der Chirurgien
major der Marine, ein hoͤchſt thätiger Mann, der
271
gleich dem Admiral überall feyn wollte, ebenfalls
hinzufam, und erftaunt, feinen Chef in diefer
Sage zu finden, ihm fogleich alle nöthige Hülfe
der Kunft angedeihen ließ. Es hat etwas be
fonders Pikantes, daß es eine Kanone war, die
dem Admiral, der fo viel und glorreich mit diefer
Waffe zu thun gehabt hat, jet, gleichfam zur
Dankbarkeit, das Leben rettete. Auch ift auf
feinen Befehl, zur Erinnerung und Auszeichnung
von den übrigen, eine Kugel auf ihren Kauf bes
feftigt worden.
Un Ihnen den lebhafteften Begriff von der faft
unglaublichen Gewalt diefes hier beifpiellofen Itatur-
ereigniffes zu geben, hören Ste Folgendes. Der Ads
miral führte mich auf das Dad) feines Haufes, das,
beilaufig gefagt, früher auch der türfifche Admiral
bewohnte, der in vergangenen Zeiten Herrn de la
DBretonniere’s bitterfter Feind gewefen war. Das
Haus liegt unmittelbar am Hafen, ift ungefähr
30 Fuß hoch und auf der andern Seite über
100 Fuß vom Meere entfernt, Auf dem Dad
272
befinden fi 5 bis 6 Kuppeln, unter denen das
prachtvolle Dampfbad des algierifchen Minifters
angebracht war. Zwifchen diefen Kuppeln hatte
ih der Koch des Admirals placirt, um das
Schaufpiel des Sturms zu betrachten, wozu er
allerdings Feine vortheilhaftere Stelle hatten aus—
fuchen fünnen. Er glaubte fid) ohne Zweifel bier
ganz ficher, als mit einemmale eine thurmhohe
Melle heranfam, die ganze Entfernung vom
Meere bis zum Haufe durchfchritt, und den ent-
festen Koch niederwerfend, weit über die Kuppeln
hinweg fich in den Hafen ftürzte.
Yuf einem guten Pferde, das mir der General
Rapatel zu borgen die Güte hatte, ritt ic) am
andern Tage über den noch naffen Meeresfand,
dem Golfe entlang, zwifchen den Verheerungen
der vergangenen Nacht Hin. Oft ward ich von
den noch immer wild heranftromenden Grund—
wellen gefaßt, die zuerft mein Pferd entfeßten,
nad) und nad) e8 aber zu vergnügen fchienen.
Es ift eine fonderbare Empfindung, wenn man fich
273
jo plöglich mitten im Meere ficht, und es Einem
beim NRückweichen der Wogen vorfümmt, als
müße man mit ihnen noch immer fortgeriffen
werden. Auch fühlte ich immer dabei eine Fleine
Anwandlung von Schwindel, wie bei der See—
krankheit. Demungeachtet iſt es cin ergüßliches
Spiel mit dem Bilde einer imaginairen Gefahr.
Ueberall war der Strand voller Menfchen, die
halb im Meere nah hergefhwenmtem Gute
fiihten, und bis weit über Muftapha hinaus
lagen Ueberrefte gefcheiterter Schiffe der ver:
fchiedenften Art. Die Gefchichte eines der dorthin
getriebenen Wracks ift nicht ohne Intereſſe. Es
war ein fardinifches Kauffartheifchiff, das wahrend
des geftrigen Sturmes vergebens in den Hafen
einzulaufen verfucht hatte, die Nacht vor Bab-
Azun Anfer geworfen, und am andern Morgen
losgeriffen worden war. Nach) dem Berichte der
Augenzeugen ward es, gleich dem Schiffe des
fliegenden Holländers, mit einer fchaudererregenden
Schnelligkeit der Küfte zugejagt und dort auf
Semilaffo in Afrika. I. 13
274
den Strand gefchleudert. Noch war es gauz
intact und in einer PBiertelftunde fchon blieb
nichts als der einem Gerippe gleichende, im Sande
feftgehaltene Kiel davon übrig. Einigen hundert
Soldaten der Fremdenlegion, welche zur Hülfe
herbeigeeilt waren, gelang es mit vieler Anz
firengung, den Gapitain und die Mannfchaft, ſo
wie einen großen Theil der Ladung, mitten aus
der tobenden Sluth zu retten. Vieles trug nachher
das befänftigte Meer noch von felbft an’s Ufer,
und unter diefem fogar ein mit 10,000 Franken
gefülltes Geldfäßchen, das der Gapitain ſchon
früher, in der Angft des Augenblicks, oder von
einer glücklichen Ahnung geleitet, über Bord ge:
worfen hatte. Das Sciefal diefes armen Mannes
war bedauernswerth. Zwanzig Jahre hatte er
die See befahren, und Alles, was er fich in Diefer
Zeit verdient, enthielt die Befrachtung feines
Schiffes. Diefe einzige ungluͤckliche Nacht raubte
ihm fo den fchwer erworbenen Preis eines ganzen
mühevollen Lebens.
275
Der Himmel behüte uns, meine liebenswürdige
Freundin, vor einem ähnlichen Loofe, und laffe
unfer Lebensfchifflein immer fo glüclich fegeln,
als Sie es verdienen, und tch es leider nur von
der freien Gnade erwarten darf. Indeſſen habe
ic) von jeher immer acht türfifch geglaubt: Es
fomme wie es wolle, Allah ſey gelobt!
Ihr
treu ergebener
Semilaſſo—
Ende des erſten Theils.
— — he DE RN,
ud a Me mi va
— ma
— Be: wi
2 ER
Semilaſſo in Afrika.
(Semilafjos vorlester Weltgang. II. Th. 2te Abth,)
Semilasso
Ber ze
— —
er
Algier, Bougie, Bone.
Aus den Papieren des Verſtorbenen.
Hiezu die Abbildung:
Bivouac in Khraſchna.
Mit Koͤnigl. Wuͤrttemb. Privilegium,
Stuttgart.
Hallberger'ſche Verlagshandlung.
1836.
Fig
TR ana ie
>
he
ci
J
Kar FT BE, 17 20.007752
art
ij
Hin 3 mu
Die zu diefem zweiten Theil gehörende Abbildung
Bivouge in Khraſchna
wird, mit den übrigen Blättern zu den andern
Theilen, in dem beſonderen Atlas mit dem Schluß des
Werkes ausgegeben.
Inhalts-Verzeichnits
zum
zweiten Theil,
Dritter Brief,
Geite 1.
Sranzöfifche Generale. Franzöfifches Manöver. Unnüße
Uebung auf dem Exercierplatz. Gefährlicher Gebrauch.
Fremdenlegion. Baron Schaumburg. Der Deutſche
mit den Streitäxrten. Galgencandidat. Wilhelm
Tell zu Pferde. Der Sohn von Le Vaillant.
fhöne Narina. Die Bai von Sidi Ferruch. Guter
Dienft der Oppoſition. Ruinen von Torre Tschika.
Grabmal des heiligen Maräbuts. Der zum Türken
befehrte Spanier. Die wunderthätigen Sandalen.
Wilde Kinder. Je bois a Berenger. Je bois à ta
sante. Rieſenaloe. Sichere Pferde. Schluchten des
Sahel. Altes Fort von Barbaroſſa. Exploſion des
Pulvermagazind. GeneralBro. Das frhönfte Schau⸗
ſpiel auf Erden, Erwünſchtes Avancement.
Vierter Brief.
Seite 34.
Fortſetzung von Juſſufs Geſchichte. Afrikaniſches Blut.
Mädchen- u. Tänzerinnenfeſte des Paſcha. Galanterie:
den Schönen Goldſtücke auf das Geſicht zu kleben.
Mundfeim dazu, oder Rofen- und Jasmineffenz.
Yu
Eiferſucht: Feine andere Frau anzurühren, ober dem
Balle zuzufehen. Kabburha’s Lager. Franzöfifche
Pſyche. Der ſchwarze Eunuch. Mord um Rettung.
Begräbnig des ermordeten Papa Bernus. Affen-
Seetenruhe nachher. Nachficht eines Generalerben.
Roduin. Verſchwörung. Geheime Gefellfhaft der
Hissaviah. Gebräuche berfelben. Zugänglichkeit
derfelben für Europäer, Erklärung des Namens.
Perfonifieirtes Thier. Freiheit: alle Thiere nachzu—
ahmen bis auf den Ochfen. Ein Lowe, wer will;
ein Efel — wer muß. Roduin's Tod, Die gefangene
Hochzeit. Die Eroberung Bone's. Herr d'Armandy.
Ben Aissa. Befte Weife Spione zu vermeiden,
VIII
Chronik.
Seite 85.
Ali Ben Khasnadſchi. Seine Kriegstracht und ſein
Gefolge. Habaiby; der Belgiſche Major und Herr
Bellart. Reiſeverſuch auf eigne Hand. Frühſtück
mit dem einäugigen Cäid, Eſelsgeduld im Sterben.
Heimath des ariftofratifchen Princip's. Erfte Pflicht
der Neifenden. Willkommner Empfang bei den
Beduinen. Deren Freimüthigfeit. Kunft Cucussu
zu fpeifen. Barbarifche Flöhe. Beitrag zur Natur-
gefrhichte derfelben. Die Wüfte Sahara. Semilaffo’s
Schlauheit. Arabifche Reiterkünſte. Das Abſchieds—
mahl in Hadrah. Der devote Maräbut. Erklärung
des Wortes: Maräbut. Säbelhandel und Säbelprobe.
Keife auf den Kleinen Atlas. Semilaffo empfindet
Gewiſſensbiſſe. Araby als Typus der Beduinen—
Nationalität. Das transparente Nachtquartier.
Ehrwürdigkeit ver arabifchen Küche, Mäßigfeitsverein
IX
der Beduinen. Guter Nath kommt über Nacht.
Gelbe und graue Würgengel. Politik und Ueber—
redungsfunft. Suk el Dschemma. Zusorfommenheit
der Sabylen. Der Hammal. Unart der wilden
Schweine. Das Thal von Tement-Nust. Der
eolofiale Dschordschora. Die Ebene der Metidschia.
Modell zum Herkules. Afrifanifcher Abfcheu vor
Douceurs, Hyänenaugen als Zielfcheiben. Nektar
aus Champagner zu machen. Thränen der Gaft-
freundfihaft. Das Quiproquo. Ein Nachtftüf. Urs
befand der Pferde und Pferdediät. Gemilaffo als
Segenbringer. ardinaltugenden eines Domeftifen,
Eine Carrifatur zu Efel. Cap Matafu. Coloni—
fationsvorfchläge: da, divide et impera. Ruinen
von Rustonium. Neminiscenz an Carl V. Doria
und Cortez. Probe der beftien Heilmethode. Das
Modell zu Abraham in der Bilverbibel. Borrang
der Efel. Semilaſſo ruft um Hülfe. Der mit
Fäuften zufchlagende Nettungsengel. Der unglüdliche
Breitag. Die große Kanone. La maison quarree.
Wirkliche Chamäleons im Buſen. Gang über ven
Aratſch. Arabifhe Manier Gefchenfe zu empfan-
gen, Semilaffo im Verdacht ver Schatzgräberei.
Reiſejournal.
(Bortfekung,)
Seite 158.
Reife des Herren Klimerathb im Auszug. Die bettelnde
Escorte. Die Ebene von Labra. Kameele als
Walprepräfentanten. Die Refivenz Mascara. Abdel-
Käder. Krieg: ein Handwerk der Beduinen. Arabifche
Stylprobe. Audienz bei Abdel-Käder, Reflexionen
über Altertbumsforfhung. Aufklärung über den
Stammbaum von Carl des Zweiten Hengften. Das
XI
Königreih Tafılet, Pferde A la Münchhaufen.
Afrifanifche Hyperbel. Abfchied von Abdel-Käder.
Herr Dorn aus Stettin. Die jeßigen Arbeiter an
der Ausgrabung von Pompeji, Der englifche
republifanifch - römifche Bürger. Fingerzeig für Re—
doutenfreunde. Semilaſſo's Selbftanflage. Chambre
des Pairs — chambre des meres. Semilaſſo der Held
in Gedichten. Die ſchwarze Seite Algier's. Neue
vortrefflihe Taſſen für Kaffeegefellfchaften. Der
fpanifche Guerillafrieg. Anekpote von Zumalacarreguy
und Mina. Dem Talent lächelt das Glüf. Cine
ächt türkiſche Mahlzeit. Der den Lebendigen befriegende
Todte. Die wunderhübfchen Wirthstöchter. Strategie
der Hajuten. Unglück mit unbezahlten Sachen,
Semilaffo’s Fortfihritte in der arabischen Grammatik.
Profefior Pharao. Erfteigung der Cassba. Combat
galant d’Ibrahim. Reponse modeste d’un Ture.
ZTürfifche Freude bis zu Convulſionen über gutes
Erereitium, Warnung vor europäifchen Handwerkern
XI
und Kaufleuten in Algier. Gewiffenhaftigfeit bes
juge de paix dafelbft. Neife nad) Bone. Ehrenret—
tung des Marfhall Bourmont. Admiral Duperre rettet
die dreifarbige Kokarde. Semilaſſo's Reiſegeſellſchaft.
Ankunft in Bougie. Noth macht erſinderiſch. Semi—
laſſo auf dem unüberfehbaren Felde der Archäologie.
Erfahrungsiehren. Tod aus Verzweiflung. Beſuch
bei Herrn von Armandy. Beneidenswerthe Sorg—
lofigfeit der Mauren im Contraft zur franzöfifchen
Snduftrie. Art zu Bauen in Bone, |
Fünfter Brief.
Seite 222.
Afrika, das Eldorado für Deconomen. Semilaſſo's
TIhierliebhaberei. Der Nitter Pharamond. Neues
Pferdelob. Die Ruinen von Hippone, Der Berg
Bu-Hamrah, Kleiner Krieg ohne großes Blutver—
XIII
gießen, Immer vorwärts. Grfter April. Die
Spahis plagen gern. Neuefte Anwendung der Sol—
daten zu Ochfentreibern. Der Efel zu Pferde, Der
See Efzara. Ein wunderfhöner Blumenveean. Der
endlich gefundene General. Loyale Behandlung des
franzöſiſchen Militärs, Omelettes aufzubewahren.
Kunft Kaffee zu brennen. Les chasseurs d’Afrique.
Der Cavallerift, wie er feyn foll. Vergoldete Hügel.
Merkwürdiger römifcher Canal. Unterhaltungen am
Caminfeuer, Bereicherung der deutſchen Sprache.
Eine Dame für drei Ochfen und ein Kalb. Reize
Perſiens. Der ruffifche Eunuch. Semilaffo entwirft
neue Reifepläne. Herrn von Armandy's erſte Tiger-
jagd. Eine afrifanifhe Sauhetze. Skizze zu einem
Liebesroman, Juſſuf's Villa, Semilaſſo's Hang
zur Unabhängigfeit.
XIV
Sechster Brief.
Seite 265.
Semilaſſo's Iururiöfe Wohnung in Bone, Eine Berg-
partie en gros. Die einem Tulpenbeet vergleichbare
Escorte. Blumencatalog. Die graziös einander
beißenden Pferde. Ingdabenteuerliches. Gefährlicher
Aufenthalt in Bone. Unzugänglichfeit von Conſtan—
tine. Der Berg mit vier Höckern. Conjeeturen über
die Römer. Ein neuentdecktes Maräbut-Grab. Semi-
Yaffo begeht ein Saerilegium. Unglaublich mäßige
Menfchen. Das türfifhe Gefolge agirt eine Juden—
ſchule. Stürzende Pferde auf pittoresfen Wegen.
Werth ver Nomantit. Waghalfigkeiten. Die blau
gefleckten Chriften. Die furchtbar fihönen Kohlen-
brenner. Koftbarfeit einer guten Mahlzeit, Berlorener
Dollond, verlorene Ferne. Semilaffo gibt Stoff zum
Nachdenken. Neues Spyftem der Zoogonie. Aechter
Urmenſch ift der Araber. Aus dem Araber kann jede
|
|
XV
Menfchenrace produeirt werden, Parallele zwifchen
Menfchen und Vferden. Die Race der Bücherfchreiber
fteht dem Typus des Menfchengefchlechts nicht am
nächften, Semilaſſo muß wie ein primitiver Seide Leben,
Rechtfertigung gegen die Befchuldigungen einer Ber-
liner Dame. Progrefien in der Gaftronomie. Neues
Kaffeereglement. Die wahre Diplomatie foll man in
der Kochkunſt fuchen. Merkwürdiges Duell in Hemde—
Ärmeln, Semilaflo inclinirt zum Fatalismus. Na—
poleon: ein Held der Mythe im Orient. Feier des
großen Bairamfeftes. Auffallendes franzöftfches Kriegs-
fhiff. Expedition nach dem Cap rouge. Großer
altrömifcher Marmorbrud. Grabmal des Maräbut
Sidi Aissa. Berüdfihtigung guter Hausordnung.
Väterlicher Rath an feinen Neffen,
XVI
Reiſejourmnal.
Seite 309.
Abſchied von Bone. Wahl: zu ſcheitern oder geſchlachtet
zu werden. Lethargie. Die leere Küche und der
ſchöne Türke. Die Inſel Tabarka. Myſtiſcher Strauch
in der Ruine einer chriſtlichen Kirche. Zierliche Felſen.
Ungeſtillte Neugier. Die verrufenen Beduinen. Ein
reſpectabler Bart. Verkehr in einem mauriſchen
Caffee. Der negocirende Barbier. Genuß in Be—
trachtung ausdrucksvoller Kahlköpfe. Der halbe Koch.
Der Menſch denkt, Gott Ienft. Unfreiwillige Diät
oder: Hunger ift der befte Koch. Der rontraire Zephir.
Berwünfchte Mameluckenhoſen. Geduldübungen.
Anmuthige Reiſenachbarſchaft. Glückliche Fahrt nach
Biserta.
Dritter Drterf
An den 8. P. Oberſten, Grafen
von W..... zu. 9...
Algier, den 22. Februar 1835.
Lieber Freund!
Mi: milttärifchen Befanntfchaften machen hier
eine große Annehmlichkeit für mic) aus. Der
Gouverneur und der commandirende General,
Baron Rapatel, mit fehr gebildeten und unter-
richteten Adjutanturen, die Generale Trezel und
Bro; der Commandenr der Suaven La Moriffierc,
der Dberft Bernelle, Befehlshaber der Fremden—
legion, noch eins der Gardefinder Napoleons,
Semilaffo in Afrika. IT. 1
2
der auch als militairiſcher Schriftfteller rühmlich
befannte Oberft der Chasseurs d’Afrique, Baron
Schaumburg; die Commandeure der Spahis,
Oberſt Marey, Aga der Plaine, und der famofe
Zürfe Zuffuf, nebft noch mehreren Andern, haben
mich Alfe mit fo viel Artigfeit und Zuvorfommenheit
behandelt, daß ich Algier nur voller Dankbarkeit
für fie verlaffen Fann.
Die hieſige franzoͤſiſche Infanterie (das 67.
Lintenregiment und 10. und 13. Infanterie
legere) bejteht groͤßtentheils aus Conferibirten,
und da die Truppen (in gewiffer Hinficht fehr
zweckmaͤßig) auch viel zu Straßenarbeiten ver—
wendet werden, fo laßt ihr Mandoriren für ein
an preußifche Genauigkeit gewöhntes Auge allers
dings Einiges zu wünfchen übrig, befonders fand
ic) ihre Bewegungen fehr langfanı. Am meiften
wich ihre Chargirung von der unfrigen ab, Die
Handgriffe wurden mit weniger Pünftlichfeit und
Schnelle ausgeführt, wobei denn auch Stellung
und Richtung, was weniger wefentlic) ift, fehr
Er
3
aus der Acht gelaffen wird. Eben jo ungenirt
ift das Marfchiren. Doc) um auf die Chargirung
zurüdzufommen, fo verliert man hier bei diefer
durch Niederfnicen und Miederaufftehen des erften
Gliedes, durch das Auffchütten des Pulvers
auf die Pfanne, Drehung des Ladeftodes und
zweimaliges Hinunterftoßen deſſelben auf bie
Ladung, welches Alles (bis auf das einfache
Hinunterftoßen der Ladung) bei uns wegfallt,
grade die doppelte Zeit, deren ein gut einerercirter
preußifcher Soldat zu demſelben Zwecke bedarf.
Man fagte mir, im Felde made man es eins
facher; warum aber dann dieſe unnüße Uebung
auf dem Exercirplatz? Webrigens müßten dann
auch Gewehr und Ladeſtoͤcke gleich den unfrigen
organifirt feyn.
Ein fonderbarer Gebrauch ſcheint, ich weiß
nicht, ob allgemein oder nur bei einzelnen Regi—
mentern, im Lager zu berrfchen. Ein Offizier,
aus deutſchem Dienft herübergefommen, erzählte
mir, daß er im Auguft vorigen Jahres, bei
4
\
einem DBataillon der Aremdenlegion in Tuled
Mandil, die geladnen Gewehre, je drei zu drei,
15 bis 20 Schritt von den Zelten der Soldaten
entfernt, vor der Front aufgeftellt fab, welche nur
durch zwei factionnaires bewacht wurden. Wie
böchft unzweckmaͤßig eine ſolche Einrichtung in
einem ganz freien Lager, rings herum von Feinden
umgeben, ift, fpringt in die Augen, Ohne Zweifel
hat man feitdem einen fo gefahrlichen Gebrauch
ganz abgefchafft ; daß er aber mehr als einmal
jtatt gefunden, weiß ich mit Beftimmtbeit,
Die erwähnte Fremdenlegion, bet der viel alte
Soldaten find, beftehbt aus 6 DBaraillonen, wovon
4 aus Deutfchen, 1 aus Volen und 1 aus
Staltenern zufammengefeßt find. Das ftebente,
aus Spaniern, ift zurücdbernfen worden. Die
Truppe fol fich fehr gut fchlagen, birgt aber
Abenteurer aller Art, ohne Zweifel auch viele
Derbrecher, in ihrem Schooß. Wenigſtens werden
haufig Individuen daraus von den Behoͤrden
wiederperlangt und zumerlen in Ketten fort
5
transporfirt. Ein eigenthümlicher Vorfall trug
fi) vor einiger Zeit hierbei zu. Ein deuticher
Cavalleriſt, der, wie es fcheint, fchwere Handlungen
auf feinem Gewiffen hatte, fich hier aber fo gut
aufführte, und fo oft im Felde auszeichnete, daß
ihn feine Oberen fehr wohl wollten, ward plößlich
mit beigefchieftem genauen Signalement von einer
deutfchen Negierung, wegen erwiefener todeswürs
digen Schuld, zur fofortigen Auslieferung reclamirt.
Das Signalement fchilderte den armen Teufel
vollfommen richtig, es blieb nur noch übrig zu
ermitteln, ob er auch, wie dies befagte, und
befonders auf diefen Umftand appüpirte, auf dem
rechten Arm zwer Säbel mit Pulver eingegraben
babe. Durdy einen jener Glücsfälle, die einen
Menfchen noch unter dem Galgen retten, batte
fi) aber unfer Delinquent, weil er jeßt als
Sapeur diente, vermöge einer neuen fchmerzhaften
Operation, die Sabel in zwei ftattliche Streirarte
umgewandelt. Diefer an fich fo geringfügige
Umftand rettete ihm Leben und Ehre, denn da
6
feine Vorgeſetzten ihn als einen vortrefflichen
Militair nicht gern verlieren wollten, fo benugte
man fchnell den günftigen Zufall und antwortete
kurz: Das überfchicte Stgnalement paffe nur
unvollfonimen und theilweife auf das hicfige
Individuum.
Sehr intereſſant waren mir die Mandver der
Spahis, die Oberſt Marey vor mir im Feuer
exerciren ließ. Ihr Tirailliren war in der That
bewundernswuͤrdig. Die Schnelligkeit und Sicher—
heit der Pferde, die Kuͤhnheit und Geſchicklichkeit
der Reiter, ihr ruhiges Schießen mit der Flinte
im vollen Lauf, und die Gewandheit, mit der ſie
ſich in der ſtaͤrkſten Carriere ſpielend auszuweichen
und beizukommen wiſſen, befhämte unſere Caval—
lerie. Ein Einziger ſtuͤrzte, ohne ſich jedoch den
mindeſten Schaden zu thun, noch ſein Pferd los
zu laſſen und war im Augenblick wieder im
Sattel. Am meiſten zeichneten ſich zwei Schwarze
aus, beide Deſerteurs von den Truppen des Bey
von Conſtantine. Beim ſchnellſten und gehaltenſten
7
Lauf ihrer Pferde, halb in den Furzen Bügeln
fichend, und mit der Flinte im Anfchlag, machte
ihr Körper nicht mehr Bewegung, ald wenn er
von Marmor gewefen ware. Im Morbeijagen
drüdten fie ihre Gewehre uns faft auf der Bruft
ab. Es gab, fagte mir der Oberft, einen fo geſchick—
ten Chef in der Plaine, daß er einem feiner Leute,
mit einer Pfeife in die Bernus geſteckt, welche
nur fechs Zoll über deffen Kopf hervorragte,' vor
ſich herrennen lieg, und ihn verfolgend ſelten
die Pfeife mit der Flinte fehlte, Einmal foll
jedoch diefer Wilhelm Tell zu Pferde, mit aller
Verfidie der Araber, feinem Lieutenant, dem er
nicht mehr traute, mit fcheinbarer UngefchidlichFeit
auf diefe Weife den Kopf zerfchmettert haben.
Die Art der Attaque beim Tirailliren ift folgende.
Sie nehmen das Gewehr in die linfe Hand, ſetzen
ihr Pferd in vollen Lauf, laffen den langen Zügel
fallen und halten ihn nur noch am Ende mit
dem Kleinen Finger derfelben Hand feft. Dann
ihlagen fie an und find, halb in den Furzen
8
Bügeln ſtehend, wie ich ſchon erwähnt, fertig,
nach vorn, nad) der Seite oder hinter fid), mit
Sicherheit zu ſchießen. Sp wie fie abgedrüdt,
greifen fie mit der rechten Hand in den Zügel
um das Pferd anzuhalten, werfen die Flinte
wieder über die Schulter oder unter den linken
Arm, nehmen den Zügel ebenfalls fchnell in die
linfe Hand und ziehen mit der jeßt freien Nechten
den Sabel, der linfs unter dem Sattel am Pferde
anliegt, nicht wie bei ung um den Leib gefchnallt
getragen wird. Auch diefe Waffe führen fie mit
großer Geſchicklichkeit und Energie.
Die Piftolen tragen fie in einer goldgeftickten
Zafche links, fo daß die Griffe an der Bruft
herporragem An diefe iſt eine dünne um den
Hals gefhlungene Schnur befeftigt, damit fie,
wenn fie abgefchoffen, die Piftolen fogleich über
die Schulter werfen mögen, ohne fie verlieren zu
koͤnnen. Rechts hängt die Patrontafche. Dies
ſcheint mir ungleich zweckmaͤßiger, als unfre Art
die Piftolen am Sattel zu tragen, wo fie dem
9
Reiter beim WVerluft des Pferdes mit verloren
find. Eben fo halte ic) ihre Sättel zum Kampf
weit befjer eingerichtet, und ſicherer in vielerlei
Gefahr, als die unfrigen. Die gefchloffenen
Mandver find freilich die Sache dieſer Truppen
nicht, doch ging es Damit weit leidlicher als ich
erwartete. Die Araber jelbft haben cine faſt
unbefiegbare Antipathie dagegen, wahrend fie das
Zirailliren, befonders wenn fie dabei losſchießen
dürfen, (was immer etwas bedenklich it, weil es
oft vorkommt, daß fie in der Distracttion Kugeln
einladen) mit wahrer Leidenfchaft (auszuführen
fcheinen,
Ueber ihre Tracht wollen fich die Spahis keine
allgemeine Vorſchrift gefallen laſſen. Jeder kleidet
ſich nach Belieben in den bunten Schmuck, der
ihm am beſten anſteht; nur eine rothe Bernus
ſollen fie zur Unterſcheidung von den’ Beduinen
tragen, ich fand aber auc) damit faum die Halfte
verfehen. Einige artificielle Araber waren troß
des nachgeahmten Coſtuͤmes leicht zu erkennen.
10
Herr von La Moriffiere hatte ſich gätig erboten,
mich nad) dem Kandungsplaße der franzofifchen
großen Erpedition zu begleiten, und mir auf dem
Terrain ihres Vorrüdens und der verfchtedenen
darauf folgenden Gefechte zum Cicerone zu dienen.
Fürchte nicht, lieber Freund, daß ich die Gelegen—
beit benuße, um Dir hier cine der unzähligen
Relationen dieſes Feldzugs abzufchreiben oder
aufzuwärmen, nur die Erzahlung eines Spazier—
rittes und hie und da cine verlorene Bemerfung
will ich Dir zumuthen zu Iefen.
Um acht Uhr früh verlieh ich mit einer Escorte
der Chasseurs d’Afrique, und in Gefellfchaft
des Herrn von Sarcelle, Adjutant des General
Rapatel, des belgifchen Conſuls und des gefcheiter:
ten Major Stockmann, die Stadt, um mich zuerft
nach EI Ibrahim zu begeben, wohin uns der
Commandenr der Suaven zum Fruͤhſtuͤck ein:
geladen hatte. Schon cine Viertelftunde vom
Camp, das in einer oͤden und wilden Gegend
liegt, empfing uns der Hauptmann Manuel, ein
11
eleganter Offizier, der gleichfalls der Eroberung
Algiers beigewohnt hat, jetzt aber eben von Paris
zuruͤckkam; ein Contraft, der in diefer unwirthbaren
Wildniß frappant feyn mochte, denn man Tann
fagen, daß die Herren bier fortwährend nur
bivouafiren. Demungeachtet war unfer Srühftüch,
in einer ziemlich geraumigen Barake fervirt, fo
reichlich als gut, und vor Allen ungemein heiter.
Auf das Angenehmſte überrafcht ward ich noch
überdies dadurch, daß ich erfuhr, mein zweiter
Tiſchnachbar fiy ein Sohn des berühmten Reifenden
Le Vaillant, der von feinem Dater die Liebe zur
Naturgefchichte und Jagd in gleichem Grabe
geerbt zu haben ſcheint. Wie er mir fagte,
widmete er alle Zeit, die ihm der Dienft übrig
laßt, mit dem beften Erfolg diefen beiden Gegen;
ftänden, und die Damen Algiers, meinte er,
pflegten jeden neugefchoffenen Vogel dis Sohnes
mit eben fo vielem Sutereffe in Augenfchein zu
nehmen, als weiland die fchöne Narina Die
Sagdleute feines unermüdlichen Vaters.
12
Nach Tiſch begab man ich in eine andere
Barake, le cafe du camp, wo wir den Mofa
gemächlich fchlürfend, Billard fpielten, bis unfre
Roffe gefattelt waren. Herr de la Morissiere
hatte die Großmuth, mir ſtatt meines (diesmal
veteftabeln) Mierhgauls eines feiner beften Pferde
zu geben, und bald ſah man unfre ftolze Cavalcade
durch Palmita’s und Arbutus den Abhang hinab-
galoppiren, der wüften und Fahlen Ebene von
Staoueli und Sidi Ferruch zu.
Leider war das Wetter nichts weniger als
sünftig. Früh hatte es fogar etwas gefroren,
denn nad) dem Sturm, den wir ausgehalten, it
die Witterung ungewöhnlich rauh geworden, und
ein fcharfer eifiger Wind durchzog unfre Kleider
mit empfindlicher Kalte. Für mic) war dies
un fo umangenehmer, da ich, eher auf Hike
rechnend, weder Ueberrod noch Mantel mitge—
nommen hatte, und ich fühlte mich daher ernftlich
unwohl, als wir in Torre Tschika, dem Tempel
des heiligen Marabut, anfamen. Doc) ftellten mich
13
einige Schluc des, von Trelawney als die Panacee
für alle Uebel angepriefenen Genevre, nebft freund-
licher Darleihuug einer wärmenden Bernus, gluͤck—
licherweife bald wieder her.
Die Bat von Sidi Ferruch war allerdings
ein vortrefflich gewählter Plag zur Landung, mi:
der weit in die See vortretenden engen Landfpiße,
welche fo fehnell durch einen tiefen Graben mit
Bruftwehr, einigen Nedouten und Pallifaden an
den Enden bis ins feichte Meer hinein, zu einem,
für Araber unnehmbaren Lager umgeformt werden
fonnte. Schwer zn begreifen bleibt es aber immer,
da der Dey den Pan der Sranzofen durch alle
Zeitungen vorher Fannte, daß er gar Feine Anftalten
getroffen hatte, die Landung zu verhindern, wober
ihn die Localität genug begünftigte, um fie zu
einer fehr fchweren Aufgabe zu machen. Sch
möchte faft der von Dielen gehegten Meinung
beipflichten, daß das unverftandige Betragen der
damaligen DOppofition bier dem Gouvernement
einen unerwarteten Dienft geleitet hatte. Es foll
14
namlich im Rath des Dey der Verdacht allgemein
gewefen feyn, daß diefe Aufdeckung des Operationd-
planes in den Öffentlichen Blättern, bet einer fo
fchlauen Nation wie die Frangofen wären, nur
eine Kriegslift feyn Fonnte, und fie daher gewiß
dem Wege Carls des Fünften folgen, oder bei Cap
Matifoux debarkiren würden, nach welcher Vor—
ausfegung dann die Vertheidigung von den Zürfen
berechnet wurde.
Det alledem iſt es fonderbar genug, daß die
frangofifche Flotte, ehe noch ein großer Theil des
Gefchüßes, der Lebensmittel und faft alle Pferde
ausgefchifft waren, ein eben fo heftiger Sturm als
wie Carl den Fünften überfiel, der, wenn er ſich
nicht nach wenigen Stunden gelegt, ohne Zweifel
der neuen Expedition ein ähnliches Ende, wie der
älteren bereitet haben würde.
Wir ruhten einige Zeit in den Nuinen von
Torre Tschika aus und befahen die dortigen
Reliquien nebft den Grabmahlern des heiligen
Maräbnt’8 und feines Freundes, des Spaniers,
w
15
den er daſelbſt befehrte. Die Gefchichte diefer
Begebenbeit ift folgende. Der fpanifche Schiffs-
herr war mit dem Marähut, den er hierher ges
bracht, ans Kand gegangen, wo Beide, von der
Hitze ermüdet, fih dem Schlafe überließen. Ale
der Spanier zuerft wieder erwachte, biendete ihn
der Bofe, den nod immer tiefen Schlaf feines
Gefährten zu benußen, um unterdeß heimlich mit
feinen Effecten abzufegeln. Er ſtach in die See,
“ doch nie fonnte er aus der Bat herausfommen,
ein Zauberwind trieb ihn vierundzwanzig Stunden
lang fortwährend darin im Kreife umher, und
warf ihn zulegt an derfelben Stelle ans Land,
wo ber Maräbut noch ruhig dafaß und ihn freunds
lich begrüßte. Voll Neue geftand der Spanier
fein verrätherifches Beginnen, und lieferte die
entführten Habfeligkeiten aus; worauf er, durch
die Verzeihung des Heiligen geftärft, fich von
Neuem einfchiffte. Doch daffelbe Schickſal er:
wartete ihn noch einmal, und nach vierundzwanzig
Stunden trieben ibn die Wogen wieder auf den
16
Strand. Laͤchelnd empfing ihn der Maräbut.
Verzeih, fagte er, du hatteft meine Sandalen
noch im Schiffsraume vergeffen, die ließen dich
nicht fort.
Dies legte Wunder erweichte des Unglaubigen
Herz. Er ſank zu des Marabut’s Füßen nieder,
bat um feinen Segen, ward ein Mufelmann, und
ftarb als frommer Einfiedler an der Seite des
Heiligen auf derfelben Stelle.
Wir nahmen uns die Freiheit von dem bereits
zerbrochenen und morfchen, einft vergoldeten Git-
terwerf des gefeierten Grabes, nod) einige Stüd-
hen mehr abzulofen und mitzunehmen, ohne daß
uns der Raub fo übel befam, als weiland dem
untreuen Spanier,
Das Land, welches wir auf diefer Excurſion
paffirten, beftand größtentheils aus einer mit
verfchiedenen Hügelreiben durchzogenen Ebene, die
zwar wüft, aber Feineswegs unfruchtbar, dicht mit
Geſtruͤpp bedecft war. Eine Unzahl von Dleander,
Arbutus, Granaten, Myrthen, Lavendel und vielen
17
Blumen überfleiden fie im Frühjahr mit dem
bunteften Gewande, und grüne Wieſen wechfeln
anmutbig mit den Gebüfchen ab. Einige römifche
Ueberbleibfel machen ſich hie und da bemerkbar,
doch find fie von wenig Bedeutung. Kurz vor
El Ibrahim, wo die Srangofen nach der erften
gewonnenen Schlacht Poſition nahmen, Andert
fih die Gegend und zeigt ein coupirtes Terrain
mit Baumen, Hecken und höherem Gebuͤſch im
Ueberfluß verfehen. Seitwaͤrts liegen einige ara-
bifche Dörfer, die erften, welche ich fah. Sie
beftehen theils aus fehr armlichen Schilfhütten,
theils aus ſchmutzigen Zelten von Cameelhaar, in
denen fich halbnackte Kinder zufammen drängten,
die ung mit Furcht und Schrecken anftaunten, und
in Mienen und Gebehrden ganz als Wilde erfchies
nen, Obgleich wir ihnen Geld zuwarfen, wollte
ſich doch Feins derfelben herauswagen um es zu
holen, dagegen nahmen die Erwachfenen nur wenig
Notiz von und. Auf einer Wieſe daneben lag
unter einem Baum, von zwei fichenden Kammerz
Semilaffo in Afrika, II. 2
18
herren begleitet, der Chef der Tribus, der Schech
Ben Omar ein uralter Dann mit langem, ſchloh—
weißen Bart. Er und fein Hofftaat waren gleich
zerlumpt. Dennoch verficherte man mic), daß der
alte Geizhals ein Vermögen von mehr als 300,000
Franken befaße. Ueberdies ſchien er fehr übler Laune
und machte nicht die nrindeften Umftände mit den ihn
umgebenden Refpeetsperfonen, Die Gegend, wo man
fhon wieder einige verfallene Landhaͤuſer fieht, bietet
viele malerische Puncte, namentlich zeichnete fich eine
berrliche Schlucht mit einem frifchen Bache aus, atız
gefüllt mit Joujoubiers, Orangen und andern, von
Lianen umrankten, Baͤumen, nebft einer Art Schilf,
deffen Stengel hier bis 20 Fuß Höhe erreichten,
Dem Vorruͤcken der Truppen muß diefes Terrain
in einem ganz unbefannten Lande mancherlei
Schwierigkeiten entgegengefeßt Haben, auch zeigte
man mir ein Dlivenwäldchen, in dem die Araber,
verborgen und gefchüßt, mit ihren weit reichenden
FSlinten den Franzofen viel Leute getödtet haben
folfen, und weiterhin auf dem rechten Flügel einen
19
Ravin, in dem eine ganze Compagnie zufammen:
gehauen wurde, weil fie auf die unglücdliche Idee
gefommen war, ihre Gewehre zu pußen,
Mit untergehender Sonne erft Famen wir in
El Ibrahim an, wo wir ung fogleich zum Tuftigen
Mahle der gafifreien Suaven niederfeßten, das
heute uns zu Ehren bis tief in die Nacht ver
längert wurde, Viele der Offiziere übten beim
Deffert die huͤbſche und gefellige Sitte der Franz
zofen, ernfte und leichtfertige Lieder beim ſpru—
delnden Schaume des Champagners zu fingen,
Sie wußten deren nicht wenig von allen Arten
auswendig, fehlte es aber ja an einem neuen, fo
dichtete dies der Eonful, dem man zu dieſem
Endzwed Feder und Tinte gebracht hatte, mit
eben der Leichtigkeit, wie man cine Adreſſe
niederfchreibt. Kin folches Talent der Improvi—
fation ift mir feit Stalten nicht wieder vorgekom—
men, und erfihlen mir um fo auffallender, da
diefe Productionen auch bei näherer Prüfung einen
bleibenden Werth behaupten,
20
Hier Eins zur Probe, was zwar heute nicht
gemacht wurde, fondern ſchon einige Monat alt
ift, aber das doppelte Intereſſe gewährt, daß es
eine noch unedirte fehr gracieufe Antwort Berengers
hervorrief, dem einer der Zuhörer es heimlich
zugefchickt hatte, Sch füge diefe gleichfalls hinzu,
und hoffe, daß Du Dich cben fo wenig als ich
darüber feandalifiren wirft, uns in der erften
Chanfon als Vandalen aufgeführt zu finden,
Man muß dem gefränften Nationalſtolz der
Franzoſen Einiges verzeihen.
Mr. Lecoo Ä BERENGER.
Il est un dieu ! devant lui qu’on s’incline,
Amis, ce dieu vous le connaissez tous.
La France l’aime et V’histoire burine
Son nom cheri de sages et des fous.
Quand des tyrans pesaient sur la patrie,
Ses vers magiques ont su nous consoler;
Que de nectar ma coupe soit remplie,
Je bois a Berenger, (bis.)
21
J’ai vu le nord vomissant ses vandales
De nos hameaux oser troubler la paix
Et du Volga les poudreuses cavales
Fouler l’or pur de nos riches guerets ;
Le cri plaintif de la France asservie
Reveille alors le luth du Chansonnier ;
Que de nectar ma coupe soit remplie,
Je bois a Berenger. (bis.)
Libre et poete, aux autels de l’empire
ll n’alla point brüler un vil encens;
Mais un jour vint qu’il suspendit sa Iyre
Sur le tombeau de ces mänes-geants.
Du laboureur la famille attendrie
Redit ses chants a l’entour du foyer
Que de nectar ma coupe soit remplie,
Je bois a Berenger, (bis.)
R&EPponsE DE BERENGER.
L’Ai brillait, et ton tendre delire
En doux accents a salue mon nom;
Ces chants heureux echappes à ta lyre
Un vent leger m’en a porte le son.
22
Gräce aux accords de ta Iyre badine
J’aime sourir & ma divinite:
Tu m’as fait dieu; devant toi je m’incline;
Sans t’en vouloir je bois A ta sante, (bis.)
Oui, j'ai pleure sur notre independance
Quand du Volga les coursiers vagabonds
Osaient fouler le beau sol de la France;
Un saint transport inspira mes chansons,
Mon luth alors sous mes doigts en delire
Rendit des sons chers à la liberte ;
Mais je suis vieux, je te le&gue ma Iyre;
Sans t’en vouloir je bois a ta sante, (bis.)
Celui qui dort aux rocs de St. Helene
De sa grandeur effraya mes travaux;
Mais il n’est plus et sa derniere haleine
Vint en mourant effleurer mes pipeaux.
Point ne par& de sa croix noble et fiere
Ce pauvre habit qu’ai si long temps porte;
Une autre croix brille a ta boutonnicre ,
Sans t’en vouloir je bois a ta sante, (bis,)
23
Die Nacht war wärmer geworden Bei
hellem Mondfchein, der die weißen Willen
grell beftrahlte, und das Meer bis an den
Horizont. verfilberte, Fehrten wir, vor jeden
Luftzuge durch die Dichten Bernus unfrer gütigen
Wirthe geſchuͤtzt, erſt ſpaͤt nach Mitternacht heim,
Gluͤcklicherweiſe befreite uns eine Ordre des
Gouverneurs von der Beſorgniß, am Thore Baba-
Zun eine aͤhnliche Quarantaine halten zu muͤſſen,
wie mir vor einiger Zeit in Toulon zu Theil ward.
Heitere Geſpraͤche verkuͤrzten uns den langen Weg,
und immer werde ich den liebenswuͤrdigen Suaven
fuͤr dieſen Tag vergnuͤgter Erinnerung verſchuldet
bleiben.
Auch allein und ohne Escorte, oder nur von
J. .. begleitet, mache ich haufig kleine Ausflüge
in die Umgegend, die immer Manches, einem
Europäer Neues und Fremdartiges Darbieten, Doc)
find in diefer Sahreszeit die ganz hellen Fernen,
wo Feine Nebel das Gebuͤrge decken, ziemlich felten,
und man darf nicht faumen fie forgfam zu benußen,
24
Als wir neulich an einen folchen günftigen
Tage auf dem abfcheulichften Steindamm, viel
leicht der Neft einer römischen Straße, lange durd)
ein undurchdringliches Genifte von Rieſen-Aloe's,
Binfen und Dornen uns durchgewunden hatten,
wandten wir uns in eine tiefe Bergfchlucht, deren
Charakter mir wilder als die bisher gefehenen,
und faft fchweizerartig erſchien. Wir holten eine
hübfche Staliänerin mit ihrer Schwefter ein, welche
Beide mit vielem Muthe und Gefchielichkeit ihre
Heinen Pferde jene, in Europa gewiß für Damen
als unpaffirbar geltenden, Wege binauftrieben,
die nach ihrem Landhaufe führten. Dort fanden
wir den Ehegemahl in einer Bloufe vor dem
Thore ftehend, einen Drangenbaum ſtutzend, und
überhaupt, wie es fchien, der Kandwirthfchaft fehr
ernftlich obliegend. Die Villa war fehr reizend
gelegen, und bot von ihrer ZTerraffe einen reizenden
Anblick auf mehrere bebufchte Bergthaler, mit
einem Bach im Grunde, an dem ganz neuerlich
Europaifche Coloniften vaterlandifche Mühlen aufs
25
gebaut hatten. Dergleichen ſieht man nie in der
weiten Fremde ohne ein eignes, halbwehrs, halb:
füßes Gefühl, Mühlen find aber ohnedics meine
wahre Leidenfchaft von jeher gewefen, und da die
meines DBegleiters fi) im Gegentheil auf die
Stalianerin zu richten ſchien, fo benußte ich Bei—
der lebhafte Unterhaltung, um unterdeß nach einer
der genannten Mühlen hinabzureiten, Der gute
Ehemann hatte zwar die Öefalligfeit mich bis auf
den rechten Weg zu begleiten, als ich aber nachher
an den jeßt ziemlich waſſerreichen Waldſtrom
fam, mußte ich dennnch eine falfche Direetion
eingefchlagen haben, denn ehe ich mir es verfah,
befand ich mich auf einem, in der Regel wohl
nur Ziegen zugänglichen, Fußpfade, und an einer
fo gefährlichen Stelle, daß der mindefte Fehleritt
mich unvermeidlich einige Funfzig Fuß in den
Bach hinab erpedirt haben würde. Das Fatalſte
war, daß eine Felfenwand zur Seite mich auch
am Herabipringen vom Pferde hinderte, und Ich
ohnedies befürchten mußte, durch jede Bewegung
26
dem Thiere das ihm fo nöthige Gleichgewicht zu
rauben. An Umdrehen war gar nicht zu denken;
es blieb alfo nichts übrig, als mich dem Kismet
zu überlaffen, und zugleich zum Fallen zurecht zu
machen, Glüclicherweife war die bedenkliche Stelle
nur wenig Schritte lang, ein paar Gefunden
brachten mich hinüber, und gleich dahinter vers
breiterte fi der Felfenpfad bedeutend. Sch ftieg
hier ab, um mir die halsbrechende Paſſage noch
einmal zu befehen, und kann verfichern, daß neben
der, in berabgefhwernmten Lehm eingedrückten,
Hufipur des Pferdes Faum einige Zoll fefter
Grund auf beiden Seiten übrig blieben. Aber
ein hiefiges Pferd, das man, ohne es zu hindern,
ſich felbft überlaßt, wird ficher über Wege Flettern,
die viele Menfchen nicht zu Fuße zu paffiren im
Stande find. Dagegen war feine meiner Reiter
fünfte vermögend, das fonft fo willige Thierchen
an das ihm unbefannte, und fein ftarres Entfeßen
erregende Europäische Mühlenrad zu bringen.
Schnarchend und am ganzen Leibe zitternd drehte
27
es um und machte Miene den Berg in grader
Linie zu escaladiren, fo, daß ich mich genöthigt
ſah, die idyllifche Scene, die ich in der Mühle
vorausfeßte, aufzugeben, und auf einem Umwege
der italienifchen Villa wieder zuzueilen,
Nachdem ich Fe... bier abgeholt, irrten wir
noch eine ziemliche Zeit in den verfchiedenen
Schluchten des Sahel (allgemeiner Name des
DBergfnotens um Algier) umher, bis wir wieder
nach Meften an das Meer gelangten, und lange
diefem unfern Weg nach der pointe de Pescade,
dem aͤußerſten franzöfifchen Poften nach dieſer
Seite hin, fortfigten. Dies iſt cine höchft roman—
tifche Gegend, deren einſame, ernfte Ufer mich durch
ihre fchwarzen, vom Meer zernagten Felſen, ihre
jahen Abftürze mit Höhlen und Grotten, in denen
die Fluthen fortwährend braufen und zifchen,
lebhaft an die mir fo theuren, unvergeßlichen
Irlaͤndiſchen Küften erinnerte, Auch fah ich
hier zum erftenmal wieder folhe baumwollenartige
Flocden trockenen Schaumes, die der Wind wie
28
in heitern Spiel bis auf die Berge heraufführt,
Die Ruinen des alten Fort's auf einer weit ind
Meer vordringenden fchmalen Felfenzunge, von
dem berühmten Barbaroffa erbaut, gewähren eine
eben fo fchöne Anficht, als von feinen verfalle:
nen Zinnen eine großartige Ausſicht. Noch
herrlicher ift diefe jedoch noch eine halbe Stunde
weiter, wo ein Heer wunderbar geftalteter Klippen,
gleich einem zauberifchen Seepallaſt, aus den
Wellen hervortauchen. Unfere Pferde an einen
einfamen Feigenbaun bindend, der ein Grab
befchattete, Kletterten wir zu Fuß bis an die
fhwindlichften Stellen, und ergößten uns an den
Schaumwirbeln, die fich aus unterminirten Selfen-
gewölben donnernd hervorftürgten, oder fich aus
engen Deffnungen, wie Springbrunnen empor
hoben. Ueberall Fochte das Meer, im fchönften
Grün fhimmernd, wie in viclen Keffeln, und
betäubte das Ohr mit einem feltfamen, bald
pfeifenden, bald Frachenden Getofe. Hoch über
diefem Gewühl bildeten Barbaroſſa's blendende
29
Schloßmauern, auf gradauffteigender, fehwarzer
Selfenwand, den Mittelgrund, und noch höher
darüber erfchten, mit den Wolken verfchwimmend,
jenfeits der weiten Wafferfläche, wie auf feinem
Throne ſitzend, des Gebürges ftolzer König, der
weißgefcheitelte Dschordschora.
Bis hierher, wohin man ohne Beforgniß vor
den Beduinen gelangen Fann, fieht man immer
noch einige Villen am Abhang der Küfte zerftreut,
und forgfältige Cultur in ihrer Nähe Mir
beobachteten einen alten Mauren, der mit feinem
Sohn eine Hefe um feinen Garten pflanzte, Wie
bequem hat man das hier! Er fted’te nur abge
brochene Blattzweige der indianifchen Feige in
die Erde, die der Knabe mit einer Gießkanne
etwas befeuchtete, In zwei Jahren bilden diefe
fchnell fortwachfenden Blätter ſchon eine undurch—
dringliche mannshohe Befriedigung.
Don den Klippen an ändert fi), wie abge
fohnitten, die Gegend, zwar immer romantifch
bleibend, aber wild und unwirthbar, Berg und
30
Thal mit dichtem Geftrüpp von Palmita’s bedeckt,
der Boden fteinig, und Fein deutlicher Weg mehr
anfzufinden. Wir wagten uns dennoch im Ddiefer
Wildniß eine Stunde mühfam weiter, einen
eigenthünlich geftalteten Berg in großer Entfer-
nung vor uns, auf dem etwas Thurmartiges zu
fiehen ſchien. Da ich indeß jeßt nicht allzuweit
zwifchen dem Gebüfch einen auf uns zufommenden
arabifchen Neiter zu erblicen glaubte, und nicht
wußte was ihm nachfolgen Fonnte, fo hielt ich
es für das Gerathenſte, fchleunig unfern Ruͤckweg
anzutreten.
Wir nahmen ihn feitwärts durch das Gebürge,
und befchloffen unfere lange Promenade mit näs
herer Befichtigung des fort V’Empereur, um die
Zerftorung zu betrachten, welche hier, durch In—
dieluftfprengung des Pulvermagazins, damals der
Occupationsarmee ein fo ſchoͤnes Schaufpiel gab.
Der Oberſt Marey hat noch einen Teppich vor
feinen Bette liegen, der diefe Luftreife mitmachte
und, bis auf einige Brandlocher, die man natürlich
31
forgfältig confersirt, unverfehrt wieder die Erde
erreichte, obgleich in großer Entfernung von feinem
Yusfluge,
Die Franzofen haben das Fort zum Theil
wieder in Stand gefeßt, es ift indeß, da es von
mehreren nahen Hohen dominirt wird, nur. wenig
zur Vertheidigung Algters, fondern mehr, um die
Stadt Selbjt im Zaum zu halten, geeignet. Wir
fanden den Commandanten unpaß im Schlafrod,
und die Offiziere im bequemen Negligee ecarte
fpielend; ein Sergeant führte ung umher, und ein
prachtiger Sonnenuntergang über der erhabenen
Yusfiht blieb als letzter Gewinn der heutigen
reichen Ernte in unferm Gedaͤchtniß zurüd,
Etwas fpat Fam ich noch eben zu einen dine
beim General Bro zurecht, deffen Gemahlin, eine
in jeder Hinficht ausgezeichnete Dame, zu meinen
angenehmſten Befanntfchaften in Algier gehört,
Der General, welcher, beiläufig gefagt, mit 15
DBleffuren bedeckt das Schlachtfeld von Waterloo
verließ, hat viel von der Welt gefehen und in
32
ihr erfahren. Als ich über Tiſch die erwahnte
Scene auf dem Fort befchrieb, fagte er: „Ja
diefe Momente find die höchften in der Natur,
aber man muß noch weiter gehen, um zu wiffen,
welche Eindrücde fie zu geben fahig find. Nie
werde ich das fprachlofe Staunen vergeffen, in
welches mich, als ich fie zum erftenmal fah, zwei
Schaufpiele meines Lebens verſetzten, die dennoch
nur alltäglich wiederfehrende find? — ich meine
den Aufgang der Sonne über die in taufend
Blüthenmaffen glühenden Wälder Columbiens,
vom betaubenden Laͤrm unzahliger Thiere begleitet,
die jubelnd des Tages Geftirn begrüßten — und
ihren Untergang über den himmlifchen Feften der
Anden, das blendende Weiß diefer Coloſſe bis
zur Halfte ihrer Höhe herab in tiefes Kupferroth
getaucht. Dies,“ ſetzte er hinzu, „laßt Alles
weit hinter fi), was Europa und Afrika's Küften
zu bieten im Stande find.“
un auch Dies hoffe ich, wollen wir einft
ſehen, in der Erwartung nimm fürlieb mit dem,
33
was das befcheidene Algier reicht. Am Potsdamer
Dfen hat es immer feinen Werth, und ich darf
mir fehmeicheln,, die darbringende Freundeshand
verringert dieſen nicht.
Der Himmel behüte Dich, und fchenfe Dir
Frohftnn und — Avancement. Agnes und Deinen
Kindern taufend Schönes!
Dein
aufrichtig ergebener
H. S.
Semilaſſo in Afrika. II. 3
Berer T
An den Prinzen &....
Algier, ven 26. Februar 1835.
Sie haben, verchrter Prinz, an der Mitteilung
der Fata meines eben fo anmuthigen als furcht—
baren Zürfen fo viel Gefallen gefunden, daß ich
Sie felbft noch einmal, und zwar ziemlich aus:
führlich von feinen Abentheuern unterhalten will.
Manche angenehme Stunde habe ich mit ihm
verplaudert, und hier wandre denn ein Theil
davon übers Meer.
„Sie haben ‚“ fagte eines Abends Juſſuf zu
mir — während cine huͤbſche Juͤdin die Fleine
35
glühende Kohle, mit filberner Zange, eben langfam
auf feinen Pfeifenfopf gedrücdt hatte — -Sie
haben meine fchöne Kabbuhra bisher nur als
girrende Taube Fennen gelernt; aus dem, was
ich Ihnen jetzt zu erzählen im Begriff bin, werden
Sie aber bald fehen, daß auch in Ihren Adern
Afrikanifches Blut rollte.“
»Der Pascha gab uns Mantelucken zuweilen glan-
zende Fefte, zu denen viele hübfche Mädchen und
Tänzerinnen aus der Stadt eingeladen wurden, denen
wir dann auf diefelbe Art, wie Ste es hier gefehen,
als Galanterie Geld auf das Geficht hefteten, nur
mit dem Unterfchiede, daß cs ftatt Franken Zechinen
waren, und diefe, flatt wie bier eckelhaft mit
Speichel, dort mit Foftbarer Roſen- und Jasmin—
effenz auf ihre Stirnen geheftet wurden. Auch den
Damen des Harems ift es vergoͤnnt, dieſem
Schaufpiel, aus wohl vergitterten Logen verfchletert
zuzufehen, und im der Regel ift dies ein großes
Ergögen für fie. Doch Kabbuhra, eiferfüchtig
auf jede Berührung einer andern Frau durd)
36
mich, ließ mir schon am Tage vorher bei ihrem
bochften Zorn verbieten, dieſem Balle beizuwohnen,
auch fie werde fich Frank anfagen laffen, fügte fie
hinzu, und da ic) leicht einen ähnlichen Vorwand
finden würde, mic) in ihrem &artenfalon die
Nacht erwarten, wo wir, wahrend Alles auf dem
Feſte verſammelt fey, ficher vor Ueberraſchung
eine geraume Zeit beifammen bleiben koͤnnten.“
„Ich erfihien zur beftimmten Stunde, und
fand Kabbuhra’s Lager mit glänzenden Stoffen
belegt, mir Blüthen überftreut und auf den reichen
Teppichen des Bodens ausgebreitet. Zu den
Süßen deffelben ſtand eine große franzöfifche
Piyche mit zwei eleganten Bronzefäulen, und
andere Spiegel an Dede und Wänden wiederholten
vielfach jede zärtliche Stellung, der wir uns hing aben-
Alles athmete hier Liebe, nur ein rofig durchſchim—
mertes weiß fetdenes Gewand deckte Kabbuhra’s
reizende Glieder, liebliche Düfte erfüllten das
Zimmer; von dammernden Lampen verfchleierter
Glanz ſtimmte die Sinne zu geheimnißvollem
37
Genuß, jeder Augenblick ſchien nur neue Wonne
zu gebaren, und die einzige Schlange unter ſo
vielen Blumen — war nur mein treuer Kandfchar,
welcher Hinter den fchwellenden Kopfkiſſen ver:
borgen lag. Im Vorzimmer hielt eine der uns
ergebenen Damen der Fuͤrſtin Wache, und in
vollſter Sicherheit brachten wir, beim fernen Schall
der Muſik und dem wirren Getdſe des Feſtes,
der Liebesgoͤttin ihre ſuͤßeſten Opfer. Da ſchreckt
uns ploͤtzlich ein Geraͤuſch an der Thuͤre auf.
Ich habe grade noch Zeit, mich hinter die Pſyche
zu verbergen, als ein ſchwarzer Eunuche (welche
das Recht haben, uͤberall im Harem nach Belieben
umher zu gehen, und jede Thuͤre ohne Anklopfen
zu oͤffnen, vor der nicht die Pantoffeln des Ge—
bieters ftehen,) hereintritt, um ſich von Seiten
des Paſcha nach feiner Tochter Befinden zu
erfundigen. Doch Faum hatte er feine Phraſe
begonnen, als er, woran ich unglüclicherweift
gar nicht gedacht, ohne Zweifel meine Füße unter
der nicht ganz bis auf den Boden gehenden Pſyche
38
gewahr wird, denn, entfeßt, verftummte er mitten
in feiner Rede, und ohne einen fernern Laut von
ſich zu geben, eilte er aus der Stube. In dem:
felben Augenblick fehe ich Kabbuhra halb nadt
auffpringen, meinen Kandfchar, ergreifen und mit
Blitzes Schnelle ebenfalls in der Thüre vers
ſchwinden. Jetzt hoͤre ich einen dumpfen Schrei,
und gleich darauf ſtuͤrzt ſich mir die Geliebte,
der ich nachgeeilt war, mit Blut bedeckt, den
rothgefaͤrbten Dolch noch in der Rechten, halb
bewußtlos in die Arme. Alles dies war das
Werk weniger Sekunden.“
„Er iſt todt, ſagte ſie tiefaufſeufzend; als er
im Begriff war die Treppe hinauf zu eilen, habe
ich ihm zweimal den Dolch in ſeinen haͤßlichen
ſchwarzen Leib geſtoßen! Es war unſre einzige
Rettung, Juſſuf, und ich durfte mich nicht lange
beſinnen. Jetzt hilf uns uͤberlegen, was zu thun
iſt. Sie zog mich bei dieſen Worten in die
Nebenſtube, wo der entſeelte Eunuch auf der Erde
lag, jetzt von derſelben Frau wirklich bewacht, Die,
39
vorher eingefchlummert, feinen Eintritt nicht
bemerft hatte. Wir fchlugen eine wollene Dede
um ihn, um das Blut zu flillen, und wufchen den
Marmorboden rein, der ganz Damit angefüllt war;
dann mußten wir, denn Fein anders Mittel blieb
übrig, uns anſchicken, den Körper fo fehnell als
möglic) im nahen Garten zu verfcharren, wozu
uns der Reſt eines eingeftürzten alten Gewoͤlbes
fehr behülflidd war. Mit Hülfe eines andern
Maͤdchens, die noch geweckt wurde, brachten wir,
nad) einer in Angſt durchlebten Stunde, die
ſchwere Arbeit glüdlicy zu Stande.“
Hier unterbreche ich Juſſuf, um es als höchft
harakteriftifch hervorzuheben, daß das verliebt
Paar mir größter Seelenruhe, fobald die Gefahr
vorüber war, fich von Neuem in die Roſen der
Liebe bettete, und erft mit der Morgendammerung
fic) trennte. Papa Bernu, wie man ihn in Serail
nannte, ward erft am naächſten Tage vermißt, weil
der Paſcha nicht werter nach ihm gefragt; und Da
er eine Befigung auf dem Kande hatte, die er oft
40
befuchte, fo glaubte man ihn auf dem Wege dahın
von Raͤubern überfallen und ermordet, oder auf eine
andere Urt verunglückt. Weberdies war er reich,
der Pascha fein Erbe, Grund genug, um nicht
allzu ſtreng nachzuforfchen.
Ein anderesmal theilte mir Juſſuf die Urſach
von Roduin's treuer Ergebenheit für ihn mit,
von der Sie in feiner früheren Gefchichte gelefen.
„Roduin hatte fi) mit mehreren andern
Mamelucen nicht lange vor jener Zeit, in cine
thörichte Verſchwoͤrung gegen den Bey eingelaffen,
über deren eigentliche Triebfeder ich mich nicht
auslaffen darf. Nur foviel muß ich bemerken,
daß mein Frennd zu der geheimen Gefellfchaft der
Hissaviah (die, wie ich glaube, einige Aehnlichkeit
mit denen haben muß, welche auch in Europa
verfchiedentlich exiftiren follen) gehörte. Der Stifter
derfelben war Muhammed Ben Hissa ein Ma-
roffaner, ihre Zwede aber geftalteren ſich wohl
fehr verfchteden nach den verfchievdenen Ländern,
in denen ſie einriß, und noch heute tft fie mächtig
4
an verfchiedenen Orten des muhammedanifchen
Reichs, befonders aber unter den Mauren, Die
Anhänger der Hissaviah haben feltfame Ge:
brauche und Ceremonien. Sie eſſen das Fleifch
aller verbotenen Thiere, zuweilen roh und nod)
lebendig, und ſcheuen auch den Wein nicht; man
behauptet fogar, daß Chriften darin mit aufge
nommen werden fonnen, ja daß das Wort Hissavy
fononym mit Jeſuit ſey, und Sacriſtan Chrifti
bedeute. — Es ging ein Gerücht, daß der Pafıha
felbft Hissavy ſey; ſoviel ift gewiß, daß er im
Geheim die Mitglieder diefer Secte zu protigiren
ſchien.“
„Das Sonderbarſte ihrer tumultuoͤſen Cere—
monien, die oft im Orgien ausarteten, beſteht
darin, daß ſie jeder ein beſondres Thier zu per—
ſonificiren ſuchen, und wenn dieſe Art von Metem—
pſychoſe ſtatt findet, welcher wilde Taͤnze voran—
gehen, bemuͤht ſich Jeder, ſeine Rolle moͤglichſt
natuͤrlich zu ſpielen, wo denn, durch den Fanatis—
mus bis zur Wuth gereizt, oft die groͤßten Exceſſe
42
ftatt finden follen. Der Ochfe und die Kuh find
allein von den vierfüßigen Thieren ausgefchloffen, und
von den Vögeln nur der Straus geftattet. Löwen,
Tiger, Schlangen und Raten find am belicbteften.
Auch fürchten die Hissavy’s das Gift der Schlan-
gen nicht, gegen deren Biß fie daffelbe Geheimniß,
als die befannten Schlangenzahmer des Drients,
zu befißen vorgeben.“
„Waͤhrend ihrer heiligen Tänze müffen fie die
Augen fihließen, denn fie fupponiren, daß Ben
Hissa dann ſich mitten unter fie mifche, den fie
nicht von Angeficht zu Angeficht fchen dürfen.
„Die Secte hat drei verfchiedene Grade —
1) der Schech
2) der Schaufch
3) das einfache Mitglied.“
„Der Groß: Sched ift unbekannt, foll aber
erblich in einer gewiffen Familie ſeyn; Die
übrigen Schechs werden durd Stimmenmehrheit
erwählt, und gewohnlih unter den Schauſch
ausgeſucht.“
43
„Des Schechs Sache iſt es, die phnfifchen
Qualitäten der Mitglieder zu prüfen, und darnach
ihre verfchiedenen XThierrollen zu beftimmen oder
zu beftätigen — denn es ift nicht Köwe, wer will,
und Efel nur — wer muß.“
Bei der Aufnahme fpeit der Sched) dem Afpi-
vanten, welcher vor ihm kniet, im Namen des
Stifters in den Mund, als Zeichen vollftändiger
Bermifchung und zugleich Oberherrfchaft.
»Das Erfennungszeichender Hissaviah iſt: · —,
d. h. zwei kurze und eine lange, welche ſie ſich
mit dem Indexr und Mittelfinger in die hohle
Hand durch den Druck mittheilen.«
„Roduin war Loͤwe in diefer Gefellfchaft, und
wie ich zu diefer Kenntniß gefommen, bleibe
unberührt. Es mochte ihn aber Diefe immer
wiederkehrende Rolle ambitiofe Gedanken eingeflößt
haben, und ich zweifle nicht, daß er thörichten
Hoffnungen Raum gab. Che indeß die Sache
noch zu irgend einer Reife gediehen, ward fie Dem
Paſcha verrathen, und Diefer, deffen größter Lieb—
44
ling ich damals war, unterrichtete mich nicht nur
genau von allen darüber erhaltenen Nachrichten,
fondern auch von feiner Abſicht, ſogleich den
Basch-Mameluck rufen zu laffen, um die Vers
fchworer, welche, wie man wußte, eben zu Vieren
in dem Zimmer des Melteften derfelben zu einer
ihrer tollen Ceremonien verfammelt waren, fofort
feftnehmen, und nach Ueberführung ihrer Schuld
unfrer fchnellen Suftiz gemäß, auf der Stelle hinz
richten zu laffen. Erſchrocken über die nahe Gefahr
meines Freundes, übernahm ich es felbft, den Minifter
zu holen, eilte aber gleich nachher — um Roduin,
es Fofte was c8 wolle, zu retten — in größter
Haft an den verrathenen Ort, wo ich auch die
Pantoffeln der vier Umvorfichtigen fchon vor der
Pforte ftehen ſah. Ich ließ die meinigen neben ihnen,
drang hinein, und den tanzenden Löwen bet der
Maͤhne faffend, rief ich ihm zu, auf der Stelle nad)
feinem Zimmer zu eilen, wenn ihm fein Leben
lieb fen, Fein Augenblick dürfe verloren werden ;
für das Uebrige folle er mich forgen laſſen.“
45
„Kaum hatte mein Freund beftürzt dieſer
Weiſung gefolgt, als ich den Zurücgebliebenen
mirtheilte, was gefchehen ſey, und ihnen Rettung
verfprach, wenn fie mir ihr Wort gaben auf
jeden Fall von Roduin's Gegenwart und Mit:
wiffenfchaft zu ſchweigen. Dies allein, fagte ich,
würde mich in den Stand feßen, die Gefahr noch
von ihnen abzuwenden. Kaum hatte ich Zeit fic
zu unterrichten, welche Wendung ich der Sache
zu geben gedächte, und ihnen die nöthigen Ver—
baltungsregeln einzufchärfen, als dir Basch-
Mameluck crfchten, der, gleich mir, das Zeichen
der Anwefenheit der vier Nädelsführer vor der
Thuͤr erblidend, fie fiher zu faffen glaubte, und
nicht wenig erftaunt war, mic) jeßt mitten unter
ihnen im ruhigen Gefprac zu finden. Sch nahm
ihn ſogleich bei Seite, erklärte, daß ich von Allem,
wie er wife, durch den Paſcha in Kenntniß gefeßt,
in deffelben Intereſſe hier fen, und mich jeßt, meiner
ihon früheren Vermuthung gemäß, völlig über:
zeugt habe, daß man hinfichtlich des Gegenftandes
16
diefer Verſchwoͤrung ganzlih im Irrthum ſey.
Ich bate ihn daher inftändig, vorläufig nichts
Ernftliches weiter zu unternehmen und fid) mit
der Arretirung der Angefchuldigten zu begnügen,
bis ich den Pafcha felbit gefprochen, und er hier:
nach neue Befehle von ihm erhalten habe.“
„Jetzt eilte ich ohne Zögern zu dem Gebieter,
berichtete ihm, daß ich, voll Beforgniß für fein
theures Leben, nach dem, was er mir vertraut,
den Entfchluß gefaßt, mich von dem Grunde der
Sache perfünlich zu überzeugen. Sch ſey fogar
foweit gegangen, mich felbft als gefränft und
unzufrieden anzuftellen, um deſto ficherer Die
Verräther in die Falle zu locken. Bald habe ich
aber die fefte Gewißheit gewonnen, daß es ſich
keineswegs um cine Verſchwoͤrung gegen den
Paſcha, fondern nur um thörichte Ordensgeheim—
niffe, und zugleich um eine Liebſchaft mit einer
Dame des Scrails handle, (und an diefem Um:
ftande war glücklicherweife etwas Wahres), die
Eier der Unwefenden, den ich verfchweigen zu
47
dürfen bäte, feit einiger Zeit augefnüpft habe,
Ich wife freilich, fuhr ich fort, daß auch dies
fhon die bartefte Strafe verdiene, doch hoffte ich,
dag der Pafcha Diesmal, um cines fo weit gerin—
geren Vergehens willen, den Schuldigen Gnade
für Recht angedeihen laffen werde. Was aber
Roduin beträfe, fo müffe ohne Zweifel die Nachricht
gänzlich falfch gewefen feyn, da ich diefen bei den
Uebrigen gar nicht angetroffen, und auch von
diefen nichts gehört, was ihn compromittiren
koͤnne.“
„Der Paſcha, froh vielleicht, die ernſtere
Gefahr verſchwinden zu ſehen, und ſtets fuͤr die
Hissavy's mehr als milde geſtimmt, verzieh —
und der Freund vergaß mir nie den mit eigener
Lebensgefahr ihm geleiſteten Dienſt, um ſo mehr,
da er bald darauf, nachdem ich ſelbſt in Ungnade
gefallen, an meiner Stelle aufs Hoͤchſte in der Gunſt
des Herrn ſtieg, eine Gunſt, die jedoch fpater, als ic)
ſchon im Gefaͤngniß faß, die Urſach feines früh:
zeitigen Todes ward.“
48
„Es it nämlich das Verhaͤltniß des Bey zu
den jungen Mamelucken ein ganz familienartiges
und väterliches zu nennen, von den Europäifchen
Sitten gänzlich verfchieden, und, wenn fie in
Gunſt find, geftattet ihnen der Gebrauch eine
große Vertraulichkeit. Ueberhaupt dürfen fie mit
Bitten und Gefuchen ihrem Beherrfcher fic) auf
eine Art naben, wie cs in Europa nicht thunlid)
wäre. Menn ein Mamelud 3. B. Geld braucht,
fo bittet er ohne Umftände den Bey, ihm ein
Krongut zu Schenken, deffen Neventen er dann
bezieht fo lange er Lebt, oder ihm einen Thiskera
zu geben (ein Bon auf Staatsrevenüen) was
faft nie verweigert wird. Die Lieblinge quälen
ihn aber faft immer, wie Kinder, um Diefes oder
Jenes, um ein fchönes Juwel, das er am Finger
trägt, eine prächtige Kleidung oder Waffe, ein
ausgezeichnetes Pferd das er befißt, oder Anderes
dergleichen, und auch bier iſt es nur felten, daß
er es abfchlüge. Freilich ft er immer wieder
der Erbe feiner Mameluden, und daher diefe
49
Gaben größtentheils mehr geborgt als gefchenft.
Um die Zeit als das Schickſal Roduin verderben
wollte, hatte der Pafcha von einem Schech der
Wüfte ein außerordentlich ſchoͤnes aber zugleich
faft unzahmbares Pferd als Tribut erhalteit,
Roduin verlangte e8 mit Ungeftüm. Der Bey
ftellte ihm vergebens vor, c8 wenigftens erft bans
digen zu laffen; Roduin ließ nicht nach und ward
das Opfer feines Eigenfinnes, Es überfchlug fich
mit ihm und ftieß ihm mit dem hohen Sattelfnopf
die Bruft ein, fo daß er wenige Stunden darauf
feinen Geiſt aufgab.«
Die dortigen Sitten lebhaft fchildernd iſt fols
gende Befchreibung aus Juffufs früheren Jahren.
Er efinnerte ſich, einen fietlianifchen Großen, den
man mit feiner ganzen Familie auf einer Luftfahrt,
bei Gelegenheit der Verheirathung feiner Tochter,
gefangen genommen hatte, in Tunis anfommen
geſehen zu haben, Die ganze Gefellfchaft war im
hochften Staat, der Duca felbft mit diamantenen
Knöpfen und Orden in Juwelen bedeckt. Sp wurde
Semilaffo in Afrika, I: 4
50
er, der alte Mann, dem Schred und üble Behandlung
alle Kräfte geraubt hatten, in einem Seſſel in den
Stall gebracht, wo der Paſcha eben feine Pferde
mufterte, Dort zog man ihm und den übrigen
Männern ohne Umftände ihre Eoftbaren Kleider
aus und die Sclavenfittel dafür an, die Braut
mit den Weibern aber brachte man in den Harem.
Später ward lange über das Löfegeld unterhandelt,
und nicht cher erhielten die Unglücklichen ihre
Freiheit wieder, bis fie durch DVerfchreibung einer
Million Franken fich Iosgefauft.
Ohngefaͤhr zehn Fahre nach diefem Ereigniß
ſchickte Holland oder Amerika, Zuffuf wußte nicht
mehr genau welches, ſtatt des gewöhnlichen
Suwelenz oder Geld-Gefchenfs ein Schiff mit
den ſchoͤnſten und werthoollftien Modellen für
Aderbau und Gewerbe aller Art her, in der Mei—
nung, dem Bey dadurch) eine befondere Galmmterie
zu erzeigen, Doc) diefer gerieth im ©egentheil
in den größten Zorn über eine Sendung, die er
als Spott aufnahm. Er befahl dem damals
|
51
achtzehnjäahrigen Juſſuf, augenbliclic die Sahne
von des Conſuls Haus abnehmen zu laſſen, drohte
dieſen fortzujagen, und ließ ihm zugleich andeuten,
ſeiner Regierung ohne Verzug zu berichten: daß,
wenn ſie ſtatt der uͤberſandten Narrenspoſſen ihm
nicht in kuͤrzeſter Zeit das gewoͤhnliche Geſchenk
in gutem Golde uͤbermache, er dies ſofort als
eine Kriegserklaͤrung anſehen werde.
Welche Schande fuͤr Europa, eine ſolche
Tyrannei von einer Handvoll Piraten ſo lange
ertragen zu haben!
Jetzt bin ich Ihnen noch, mein Prinz, die
Geſchichte der Eroberung Bone's durch meinen
jungen Helden, in Verbindung und zum Theil
unter Leitung ſeines eben ſo außerordentlichen
Freundes d'Armandy, ſchuldig, die zu merkwuͤrdig
und zu hiſtoriſch begründet iſt, um fie mit Still—
fhweigen zu übergehen. Dann wollen wir von
Juſſuf Abſchied nehmen, denn Bilder auf Bilder
drängen ſich in diefem reichen Lebenstanz, und
fortwährend muß in der Welt das Alte, fen es
52
auch noch fo fehr der Aufmerkſamkeit würdig
gewefen, dem Neuen wieder Pla machen.
Als kurze Einleitung ſchicke ich nur mit wenig
Morten voraus, daß, einige Zeit nach Algiers
Eroberung der General Berthezene den Com—
mandanten Duder und Capitain Bigot mit 150
Suaven als Garnifon nach Bone geſchickt hatte,
welche dort faft alle in einem Aufftande umfamen,
der verrätherifch Durch den verjagten, und in Bone
privatifirenden, ehemaligen Bey von Conftantine,
Ibrahim, mit demfelben Gelde angeftiftet wurde,
das ihm der zu vertrauenspolle Duder zu feinem
Lebensunterhalt vorgefchoffen hatte. Die Stadt
ward jedoch bald darauf von einem Corps Cons
ftantinifcher Zruppen unter dem General Ben-
Aissa belagert, und Ibrahim felbft durch weit
überlegne Kräfte in der Citadelle bedroht, wohin
er ſich mit 150 ZTürfen zurückgezogen hatte, und
bereit8 an Subjiftenzmitteln Mangel zu leiden
anfing. In diefer Noth ſchickte er einen Emiffair
nach Algier, um fi) mit den Franzoſen auszu-
53
fühnen, und ihre Hülfe gegen den Bey von
Conftantine zu erbitten, Dort war unterdeß der
Herzog von Rovigo als neuer Gouverneur ange
fommen, und während man berathichlagte, was
zu thun ſey, erbot fi) Juſſuf, wenn man ihn
mit den gehörigen Inſtructionen und Vollmachten
verfehen wolle, die Negociation mit Ibrahim
allein zu Stande zu bringen, wodurch er hoffe,
dem Gouvernenient die Koften einer neuen Expe—
dition großtentheils zu erfparen und vielleicht
ſtaͤrkeres Blutvergießen ganz zu verhindern. Diefer
fühne Vorfchlag, denn Ibrahim’s graufame Treus
lofigkeit war binlänglich befannt, ward bereitwillig
angenommen, und Juſſuf fchiffte ſich demnach
auf der Bearnaise, commandirt von Capitain
Freard, zu feinem gewagten Unternehmen ein.
Mit vielem Mißtrauen erhielt er in Bone nur
die Erlaubniß, für feine Perfon allein zu landen
und ward auch auf der Cassba von Ibrahim mit
zurücftoßendem Hochmuth und nichts weniger
als freundlich empfangen, Doch wußte er fic
54
bald durch ein feftes und noch ftolzeres Benehmen
mehr Achtung zu verfchaffen, wozu befonders der
glückliche Umftand beitrug, daß er unter der
Sarnifon einige zwanzig QTürfen antraf, die fchon
früher unter feinen Befehlen geftanden, und jeßt
ihr altes Attachement für feine Perfon fehr nach—
drüdlich bei Ibrahim geltend machten. Dies,
und der immer fühlbarer werdende Mangel an
Lebensmitteln, welcher fhon manches Murren der
Beſatzung veranlaßt, nöthigten daher den Bey,
gelindere Saiten aufzuzichen. Das Endrefultat
davon war ein fchriftliches Abkommen, durch
welches Ibrahim zugeftand, fich fortan nur als
ein von den Sranzofen abhängiger Befehlshaber
in Bone zu betrachten, und im Fall cs verlangt
würde, auc die Cassba franzoͤſiſchen Truppen
ohne MWeigern einzuräumen. Dagegen verſprach
Suffuf im Namen des Gouverneurs, die Gitadelle
mit den mörhigen Lebensmitteln zu verfehen,
woran fie allein Mangel litt, und nad) dem
Wunſche der Stadt einen frangofifchen Conſul
55
für die Handelsverbindungen in Bone inftalliren
zu laffen.
Der Herzog von Rovigo ratificirte diefen Ver—
trag in allen Puncten und fandte fofort ein Schiff
mit Proviant ab, escortirt von der Bearnaise,
welche Suffuf, den Hauptmann Baron D’Armandy
und drei Unteroffiziere dem Bey zuführten, um
ihn fowohl in feiner Vertheidigung zu unterfiügen,
als das franzoͤſiſche Intereſſe während des Kampfes
der Parteien überall in Obacht zu nehmen, Es
ift bier nöthig, einige Worte über Herrn d'Armandy
einzufchalten, der, mit 35 Jahren, ſchon in meh—
reren Welttheilen das abenteuervolle Leben eines
Arioftifchen Helden geführt hatte.
Die Reftauration fand d'Armandy als Haupt:
mann der Artillerie. Seine jugendliche Leiden—
ichaftlichfeir und fein unbegrenzter Enthuſiasmus
für das Idol, dem fo lange Europa mit Staunen und
Furcht Weiprauch geftreut hatte, waren Urfach, daß
er nicht nur feinen Abfchied erhielt, fondern fogar
unter Die Aufficht der hohen Polizei geftellt wurde,
56
Doc) wußte er fi ihr bald zu entziehen, und
eilte nach) Aegypten, um dem dortigen Vicefünig
feine Dienfte anzubieten. Da er jedoch Diefe
Lage nicht nach feinem Geſchmack fand, begab
er fi) nach Suez, fchiffte fih auf dem rotben
Meere ein, und verfuchte fein Glück in Indien.
Noch immer war ihm dies nicht günftig, denn
kaum angefommen ward feines meuen Herrn
Macht dur Englands disciplinirten Krieger auf
ewig gebrochen, Er kehrte bis nach Maskat zuruͤck,
der Hölle Aſiens, wo 40 Grad im Schatten eine
gewöhnliche Temperatur if. Der Sultan gab
ihm bier das Commando einer Fregatte, mit der
er nothgedrungen fi) in Diefes fremde Fach zu
finden fuchend, ein Jahr lang in dem perfifchen
Golf mit ziemlich günftigem Erfolge Freuzte.
Eine tödtliche Krankheit zwang ihn jedoch), auch
diefes Verhaͤltniß wieder zu verlaffen, und als er
nad) langen Leiden Faum halb genefen war, feßte
er feine Srrfahrt nach Verfien fort. Sn Kermann-
schah fand er bei dem ſich faft unabhängig
57
gemachten Sohne des Schade, Mehemed Ali
Mirza, eine fehr zuvorfonmende Aufnahme, und
in diefer Epoche fehien ihm das Echickfal am
heiterften zu lächeln. Der Prinz behandelte ihn
und cinige feiner Landsleute, franzofifche Offiziere
die fich aus demſelben Grunde wie d'Armandy
hier eingefunden hatten, mit der groͤßten Aus—
zeichnung und fuͤrſtlicher Generoſitaͤt. D'Armandy
hatte als Oberſt eines von ihm auf Europäifchen
Fuß organifirten Negiments, außer den gelegent>
lichen reichen Geſchenken, einen feften jährlichen
Gehalt von 20,000 Franken, Er brachte zwei Jahre
hier zu, während denen er mit dem großen perſi—
fchen Sonnenorden, die Inſignien in Diamanten,
decorirt, zum Khan erhoben wurde, und immer
mehr in der Gunft feines Gebieters ftieg. Um
diefe Zeit begann der Furze Krieg Perfiens gegen
die Türkei; 30,000 Türken wurden in den glü-
henden Ebenen von Bagdad, durch Hülfe der Euro-
paifch disciplinirten Truppen, von einer halb fo
großen Anzahl Perfer total in die Flucht gefchlagen.
58
D'Armandy rieth den Prinzen, den erften Schrecken
des Feindes zu benußgen, um ohne Verweilen das
vertheidigungslofe Bagdad zu erobern, Diefer
hatte jedoch, nach Art der vornehmen Perfer dem
Weine zu ſehr ergeben, troß der ungeheuren Hiße,
die Freuden des Sieges durch eine Orgie gefeiert,
an deren Folgen er den andern Morgen im Ungeftchte
der bedrohten Stadt feinen Geiſt aufgab. Der ihm
in der Herrfchaft folgende Sohn, unfriegerifch und
das Gegentheil feines Vaters in jeder Hinficht,
begann fogleich Friedensunterhandlungen, kehrte
nach Kermannschah zuruͤck, und verabfebiedete
bald darauf ſaͤmmtliche fremde Offiziere in feinem
Dienft.
Sp von Neuem ohne Afyl, faßt d' Armandy
den Plan fih zu Runget-Sing zu begeben, Fühn
fi) in die Wildniffe des Orients und unter balb
barbarifche, uns fat unbefannte Voͤlker wagend.
Es befam ihm übel; von den Sinds am Hindus
bet Hyderabad ausgeplündert, feines Ordens in
Diamanten, eines großen Theils feines Geldes
59
und feiner Effeeten beraubt, entging er mit genauer
Noth dem Tode, Er rettete ſich über die englifchen
Grenzen, und da man dort von feinen früheren
Abfichten nichts wußte, ward er freundlich auf:
genommen und verfchaffte fich die Mittel nad)
Europa zurüczufehren Sm Sahre 1823 erreichte
er Marfeille, von wo er den franzöfifchen Minifter
um Paͤſſe bat, welche ihm diefer jedoch, weil er
ohne Autortfation des Königs im Auslande gedient,
verweigerte, Es blieb ihm daher nichts übrig,
als mit feinem perfifchen Titel und feinen glück
licherweife noch confervirten perfifchen Paͤſſen nad)
Paris zu gehen, wo fein orirntalifches Coftün,
von einer impofanten Geſtalt und ſchoͤnen Gefichts-
zügen gehoben, damals nicht wenig Auffehen
erregte. Doch war fein Aufenthalt hier nicht
von Dauer, da Herr von Chateaubriand, der ihn
ltebgewonnen, ihm feine Nechte als Franzofe
wiedergab, und ihn zugleich zum Gonfular
Agenten in Mokka ernannte.
Herr von Armandy reifte fogleich ab, überftieg
60
die Alpen und heirathete unterwegs eine junge
und liebenswürdige Staliänerin und embarquirte
fih mit ihr für feine neue Beftimmung. Nachdem
er in Mokka mehrere Fahre ruhig gelebt, com:
promittirte ihn ein griechifcher Corfar im rothen
Meer mit den arabifchen Autoritäten, Da man
ihn offen anzugreifen fürchtete, verfuchte man,
ihn und feine ganze Familie nebft dem englifchen
Eonful, der fi) ihm angefchloffen hatte, zu ver—
giften, Durch ihre ſtarke Conftitution und fchnelle
Hülfe entging der Baron und feine Frau dem
Tode, doch ihre Kleine Xochter unterlag den
MWirfungen des Giftes. Er flüchtete fich auf eine
englifche Fregatte, und wußte von bier aus fo
energifche Maßregeln zu ergreifen, daß ihm das
franzöfifche Gouvernement dafür durch Verleihung
des weit beffern Eonfulats zu Damiette belohnte.
Doch die Revolution von 1830 war ihm
eben fo nachtheilig, als die von 1814. Das
Confulat von Damiette ward aufgehoben und
Herr von Armandy blieb ohne Entfchadigung,
61
bis endlich der Marfchall Soult fich bewegen ließ,
ihn von Neuem in feinem alten Grade, als
Hauptmann der Artillerie, anzuflellen, So fah
er fi) denn, nach fo viel beftandenen Gefahren
und Abenteuern, im fünfunddreißigften Sahre
feines Lebens wieder auf demfelben Puncte anges
langt, den er im zwanzigften, am Morgen nad)
der Schlacht von Montmirail, zum erftenmale
eingenommen hatte.
Dies war der Mann, welcher in Verbindung
mit feinem Freunde Zuffuf, die als ein Herz und
eine Seele handelten, durch eine der auffallendften
Thaten Bone für die Frangofen erobern follte,
Sch kehre jet zu meiner Erzählung zuruͤck.
Als die beiden Freunde in Bone anfamen, erftiegen
fie fogleich die Cassba und wurden diesmal von
Ibrahim wie Bundesgenoffen und Befreier aufge:
nommen Herr von Armandy inftallirte fich als
proviforifcher Confular » Agent und franzöfifcher
Bevollmächtigter in dem anfehnlichften Haufe der
Stadt, welches jeßt der commandirende General
62
bewohnt, und Juſſuf feßte auf der Bearnaise
jenen Weg nad Tunis fort, wohin ihm der
Herzog von Rovigo, dem feine früheren Schickſale
dafelbft wenig befannt waren, einen Auftrag
gegeben hatte, Es war Fein geringes Wagſtuͤck für
ihn, der erft vor zwei Sahren, unter einem
Zodesurtheil ſchwebend, aus Tunis entflohen war,
fi) fobald wieder dort blicken zu laffen; doch
rechnete er auf die Unverleßbarkeit eines franzoͤ—
fifchen Gefandten.
Der Bey, nicht wenig erfiaunt und erzürnt,
verweigerte zwar ihn zu fehen, doch refpectirte er
feinen Charakter. Juſſuf verweilte bereits über
eine Woche in Tunis, vergebens fich aller erdenf-
lichen Gefahr ausfegend um feine Geliebte zu
fehen und war eben einem DVerfuch, feinem Leben
heimlich ein Ende zu machen, mit genauer Noth
entgangen, als die Hiobspoft von Bone ankam,
daß die Truppen des Ben von Conſtantine die
Stadt erobert hätten, und fein Freund D’Armandy
nur mit Mühe fi) auf eine kleine franzöfifche
63
Felukke, die allein in der Rhede zurückgeblieben
war, gerettet babe. Diefe Flucht hatte ’Armandy,
ſich mit großer Geiftesgegenwart aus den Fenfter
feiner Wohnung herablaffend, von den Flinten—
ichüffen der Feinde verfolgt, auf einem kleinen
Kahne bewerkitelligt. Kaum war er jedoch einige
Stunden auf der Seluffe, fo erfchten ein Offizier
von Ben-Aissa bei ihm, der ihn dringend einlud,
ſich mit freiem Geleit zum General zu begeben,
um Unterhandlungen mit ihm anfnüpfen zu fünnen,
da diefer nichts mehr wünfche, als fid) mit den
Franzofen in Güte zu verftändigen. Obgleich Feder
ihm abrierh diefen Verſprechungen zu trauen, hielt
es d'Armandy doch für feine Pflicht, der erhal:
tenen Einladung zu folgen. Er ward auc in
der That von Ben-Aissa höflich empfangen, und
bewog den Konftantinifchen Befehlshaber, alle
Feindfeligkeiten gegen die Citadelle fo lange einzu—
ftellen, bis er fernere WVerhaltungsbefehle von
Algier erhalten habe. So fanden die Sachen
noch, als 22 Tage nach feiner Abreiſe Juſſuf
64
mit der Bearnaise wieder in Bone ceintraf, ohne
dag man jedoch bis dahin die erfehnte Antwort
von Algier erhalten hatte. Denfelben Morgen
lie$ Ben-Aissa fagen, daß er nicht langer ale
24 Stunden die eingegangenen Verbindlichkeiten
refpectiren Tonne, und daß, wenn bis dahin Fein
Reſultat erfolgt fey, er fich der Cassba, deren
Uebergabe ihm von einem großen Theil der
Beſatzung felbft Schon angeboten worden fey,
ohnfehlbar in Güte oder Gewalt zu bemächtigen
wiſſen werde.
Die beiden Freunde eilten auf diefe Eröffnung
fogleich zu Ibrahim, um fie ihm mitzutheilen
und ihn aufzufordern, ihnen jet, vermöge des
getroffenen Ablommens, das Kommando der
Gitadelle zu übergeben. Der Bey empfing
fie jedoch im der übelften Laune, verweigerte
beftimmt die Uebergabe der Feftung, überhäufte
fie mit den bitterften Vorwürfen, fagte, daß die
Sranzofen abfichtlich ihn ohne Unterftügung gelaffen
hatten, und fie nur hergeſchickt worden wären,
65
um ihn zu beträgen. D'Armandy verlor bet
dieſem Benehmen alle Geduld, ja er erwiederte
Ibrahim’s Invectiven mit herben Mabhrheiten,
daß der Bey in feiner Wurh die neben ihm liegen:
den Piftolen ergriff, und Faum durch d'Armandy's
ftarfen Arm, mit dem er ihm die Hande fefthtelt,
abgehalten werden Fonnte, der Unterhaltung ein
blutiges Ende zu machen. Er drohte fie einfperren
zu laffen, und da er wohl wiffe, daß er auch
verloren ſey, ſich mit ihnen und der ganzen
Cassba in die Luft zu fprengen Als ſich nach
diefen Morten d'Armandy und Zuffuf zu ent—
fernen fuchten, und bereits aus der Thuͤre
getreten waren, ftürzte er ihnen, in jeder Hand
eine Piſtole haltend, nah und fchten gleich
einem Raſenden wirflih im Begriff, fie in
das ganz nahe Pulvermagazin abzufeuern. Doch
die Türken fielen ihm, felbft empört, im die
Arme und brachten ihn gewaltfam in fein
Zimmer zurück, wo fie ihn wie ein wildes Thier
einfchloffen.
Semilaffo in Afrika, I. 3
66
Die Freunde benußten den entfiandenen Tumult,
das Thor zu gewinnen, und fich, in fteter Gefahr
von Ben - Aissa’8 Poſten entdeckt zu werden, die
ihr Leben feinen Augenblick geſchont haben würden,
auf ihr Schiff zurüdzubegeben. Am frühen
torgen darauf Fam ein Zürfe an diefes geſchwom—
men, der ſchon von weitem bittende Zeichen machte,
ihn aufzunehmen. Er brachte die Nachricht, Daß
die Befaßung dur Mangel und Hunger aufs
Aeußerſte gebracht, Ibrahim feftgenommen, dieſer
aber in der Nacht entflohen ſey; ſie baͤten jetzt
inſtaͤndig um Huͤlfe und Lebensmittel, bereit, ſich
unter d'Armandy's Befehle zu ſtellen. Bald kamen
noch mehrere Tuͤrken auf dieſelbe Weiſe heran, die
das naͤmliche ausſagten, und man bemerkte viele
Andere am Ufer. D'Armandy, die treuloſe Bande
kennend, mit der er zu thun hatte, ließ ſich nur
nach langem Zoͤgern bewegen ihrem Wunſche zu
willfahren. Er begann damit, den Tuͤrken als
erſten Beweis, daß ſie ſeinen Anordnungen Folge
zu leiſten geſonnen waͤren, den Befehl zu geben,
67
ſich fammtlich wieder nach der Cassba zuruͤck—
zuziehen und dort ruhig feine Ankunft zu erwarten,
Hierauf fette er fih mit Zuffuf und zwei Kano—
nieren in einen Kahn; Capitain Freard bot ihm
mit Eifer 30 feiner Matrofen zur Begleitung an,
doch Herr von Armandy, mit jenem ruhigen
Heldenmuth, der ihn charafterifirt und auf feinen
edlen Zügen fo deutlich ausgeprägt ift, erklaͤrte,
daß, che er das Leben fo vieler tapfern Franzofen
der Gefahr ausfige, er es für feine Pflicht Halte,
fich zuvörderft mit feinem Freunde allein genau
von dem wahren Stande der Sachen zu überzeugen.
Der Kahn fiieß ab, und bald fah man das fich
Devovirende Freundespaar mit fchnellen Schritten
blos von den zwei Kanonieren gefolgt, den fteilen
Berg von der Seefeite erſteigen und hierauf in
herabgeworfenen Stricken die Mauern hinan—
Eimmen Cine kurze Snfpection des Forts zeigte
d'Armandy, daß es dort weder an Geſchuͤtz noc)
hinlänglicher Munition, fondern nur an Lebens—
mitteln fehle. Er bat daher Juſſuf, einfiweilen
63
das Commando zu Ubernehmen, und kehrte zum
Schiff zurüd, um das noch Noͤthige felbft herbei—
zufchaffen. Dort war noch eine hinlängliche
Duantität Reis, Schiffszwicbad und geſalzenes
Sleifch vorhanden, welches Alles ihm der Capitain
der Bearnaise mit Vergnügen auslieferte und ihm
zugleich die fchon früher angebotenen dreißig
Matrofen überwies, um die Befaßung der Cassba
zu verftarfen. In zwei Parteien, von denen nur
die eine durch einige Vlänfler Ben - Aissa’s
bemerkt, und ohne Erfolg angegriffen ward, erreichten
dieſe Braven auf einer Stricleiter, die ihnen Juſſuf
berabwerfen ließ, mit d'Armandy an ihrer Spige,
und einen Theil der für die Garnifon beftimmten
Lebensmittel unter fich vertheilt, die Cassba ;
worauf fogleich die aufgezogene franzoͤſiſche Fahne
dem erftaunten General des Bey von Conftantine
die, wie im Traum der Nacht bewerfftelligte
Eroberung der Eitadelle anzeigte. Im heftigften
Zorn ließ er d'Armandy fagen, er habe ihn getäufcht
und überliftet, aber er folle e8 bald bereuen;
— — — — — —
69
zugleich begann er mehrere Demonſtrationen, die
einen nahen allgemeinen Angriff vorausſetzen ließen.
Unter andern bemerkte man Truppen, die die
Communication mit der See zu unterbrechen
ſuchten, uud ſah auf einem Hügel drei arabiſche
Chefs fichen, welche dort mit einer Necognition
befchäftigt fehienen. Der Marechal de logis
Colon richtete auf fie, nad) d'Armandy's Befehl,
einen alten Scchzchnpfünder, der ſich in ziemlich
fhlechter Verfaffung befand. Der Schuß donnert
herab, und ohnerachtet der weiten Entfernung ift
das Gluͤck fo günftig, daß zwei der erwähnten
Hauptlinge getroffen in den Staub ſinken. Man
weiß, wie wenig dazu gehört, den Enthuſiasmus
der Mufelmänner zu erwecen, und aud) zu vers
löfchen. Die eben erprobte Gefchieflichkeit der franzoͤ—
ſiſchen Kanoniere fcheint ihnen ein halbes Wunder,
und bald ſieht man auf diefer Seite den Feind
ganzlicy verfchwinden, und von noch einigen
Kanonenfchüffen verfolge in voller Verwirrung
in die Stadt zurücfehren. Die Communication
70
war wiederum frei, und unangefochten konnte
man den Reſt der Proviſionen der, nun auf
mehrere Wochen geſicherten Garniſon zufuͤhren.
Juſſuf hielt hierauf den Tuͤrken folgende kurze,
aber ausdrucksvolle Rede. „Muſelmaͤnner,“ ſagte
er, „in der großen Gefahr, in der ihr euch befandet,
habt ihr die Franzoſen zu Huͤlfe gerufen; ſie
haben euch gerettet, ihr hungertet und ſie haben
euch geſpeist, von num an aber iſt dieſe Feſtung
frangofifch; und wenn Einer von euch damit nicht
zufrieden tft, Taffe ich ihm den Kopf abfchlagen.«
Herr von Armandy fehicte folgenden Rapport
nach Algier: »Oeneral, der Hauptmann Juſſuf
und ich find an der Spitze von 30 Matrofen
der Bearnaise in die Cassba eingerüdit; wir
haben als Hülfstruppen 150 Zürfen, wovon eine
große Zahl hoͤchſt unficher find, und zu Feinden
5000 Mann unter dem Befehl des Generals
Ben-Aissa, aber wir werden nichts defto weniger
die Gitadelle Sranfreich erhalten oder darin unfern
Tod finden,“
71
Am andern Morgen gewahrte man, ftatt dee
erwarteten neuen Kampfs, cine nod) traurigerc
Scene. Ben-Aissa hatte es aufgegeben, gegen
die Franzofen zu Friegen, doch, um feine Rache
zu fühlen, führte er die ganze Bevölkerung von
Bone, Greife, Weiber und Kinder, in die Sclaveret
mit fich fort. Die Beſatzung fah, wie fie mit
Schlägen von den Arabern, gleich dem Vieh,
zwifchen Ochfen. und Schaafherden fortgetrieben
wurden, und ihr Geſchrei, ihr Wehklagen, tönte
bis zur Cassba hinauf. „Man glaubte, fagt
der Verfaffer des Buchs: la Bearnaise, deffen
Bericht ich hier zum Theil mir benußt habe,
„man glaubte, die Horden Genſerichs wieder zu
erblicken, gegen die der heilige Auguftin einft die
Bevolferung diefer nämlichen Hippone vergebens
aufrief. Drei Tage lang dauerten diefe Gräucl,
ohne daß die Franzofen fie hindern Fonnten.
Gegen Abend erblidte man hohe Nauchwolfen
aus allen Eden der Stadt emporfteigen. Viele
Häuſer fürzten krachend zufammen, und Die
72
Zürfen der Garniſon allein betrachteten mit
mufelmannifchem Gleihmuth ihr Eigenthum von
den Flammen verzehren, und ihre Weiber in die
Öefangenfchaft treiben.
Indeſſen ward ihre Stimmüng pon diefem
Augenblid an immer unzuverläßiger. So lange
5000 Feinde fie im Zaume hielten, zähmte fie die
Noth, doc feit dem Abmarſch Ben- Aissa’g
fühlten fie ihre Ucbermacht gegen dreißig Franz
zofen, die ihnen Geſetze vorfchrieben. D’Armandy
und Juſſuf nahmen zwar alle Maßregeln, welche
ihre eritifche Lage erheifchte, man feste ſich felbft
zu Tiſch nicht anders als vom Kopf bis zum Fuße
bewaffnet, der Nachtdienft wurde ftets von ihnen
felbft abwechfelnd commandirt, und die Wachen
fo eingerheilt, daß Fein Zürfe über die Malle
mit den umbherfchwärnenden Nrabern der Um—
gegend ſich in ein Gefprac einlaffen Fonnte, ohne
ſogleich bemerft zu werden. Demohngeachtet
erschien das Betragen der Türfen täglich bedenk—
licher, und man durfte nicht vergeffen,, daß es
73
diefelben waren, die mit dem wilden Ibrahim
an ihrer Spitze hinterliftig Ouder und feine treue
Schaar ermordet hatten.
Endlich ward am 30. März ein Zürfe über;
rafcht, der mit einem Araber verkehrte; drei Zeugen
bifraftigten, daß fie ihn fagen gehört hätten, die
Citadelle fey durch Juden übergeben worden, es
gabe aber noch kuͤhne Mufelmänner darin, die
fih zu rächen wiffen würden. „Hier,“ fehrie
Suffuf, indem er auf den Verräther zuflürzte,
„bier nimm etwas von den Juden in Empfang !«
und mit gefpaltenem Kopfe ſtreckte er ihn todt
zu feinen Füßen nieder. Zwei Andere hatten fich
gleichfalls in hohem Grade als Raͤdelsfuͤhrer
verdächtig gemacht. Juſſuf, wohl wiſſend,
wie man feine Landsleute behandeln müffe,
riß fie felbft aus dem Haufen der Uebrigen
hervor, und befahl augenblidlih ihre Hin-
richtung vor den Augen der zitternden Menge,
die nach dieſem ſchreckenerregenden Beiſpiel fchnell
zum Gehorſam, und fpater ſelbſt zum Enthur
74
fiasmus für ihre furchtlofen jungen Anführer
überging.
Während Died in der Cassba vorging, hatte
fid) die ganze Plaine mit den arabifchen Stämmen
aus den benachbarten Bergen angefüllt, um bie
Ueberrefte der Stadt zu plündern D’Urmandy
beſchloß, den günftigen Augenblick zu benugen,
diefen Horden eine nachdrüdliche Lection zu geben.
Die Tribu von Sen-Hadscha war eben in den
Straßen Bone’s zerftreut, als er 50 Tuͤrken
befahl, fi) des Thores von Conftantine zu ber
mächtigen, während das der Marine durch dag
große Canot der Bearnaise blofirt ward. Setzt
läßt er von der Cassba einen Schauer Kartätfchen
auf die erfchrocenen Araber niederregnen, die in
wilder Flucht fi) nach der Marine drängen,
wo eine neue Salve fie empfängt. Eben fo
vergebens verfuchen fie die Flucht durd) das
andere Thor, und fallen dort unter den
Sibeln der Türken. Diefer Tag verleidete
ihnen alle fernere Nachbarſchaft mit den Fra
|
75
zoſen, und ſie hielten ſich fortan meiſtens ruhig
in ihren Bergen.
Die erwähnte Expedition hatte den Tuͤrken fo
wohl gefallen, daß man ſeitdem etwas zuverläßiger
auf ihre Treue rechnen zu dürfen glaubte, und
Suffuf erbot fih, um alle fernern Angriffe der
Araber auf einmal zu verhindern, mit den Türfen
allein die Stadt zu befegen. Vergebens machte
ihm d'Armandy freundfchaftlihe Vorſtellungen
über ein Wagſtuͤck, das fein Leben ganz in die
Hande diefer noch vor wenig Tagen aufrührifchen,
von fo verfchiedenen Elementen zufanmengefeßten
Truppe gabe; Juſſuf erwiederte, er wiffe die
Türfen zu behandeln und fein Entſchluß fen
unveränderlich. D’Armandy bleibt alfo mit einigen
dreißig Franzofen als ganze Beſatzung in der
Cassba, und Zuffuf feige zu Pferde, um mit
dem Troß der Türfen in die Stadt hinabzuzichen.
Am Thore angefommen, läßt er Halt machen,
und eröffnet feinen Soldaten, daß Seder, der es
wage, das Geringfte aus einem der verlaffenen
76
Haͤuſer zu entwenden, augenblidlid den Tod zu
erwarten habe. Hierauf läßt er die dreifarbige
Fahne auf die Stadtmauer pflanzen, und beftehlt
eine allgemeine Salve ihr zu Ehren. Mit feinem
Adlerblick bemerkt er, daß Einer der Türfen fein
Gewehr nicht abſchießt. „Warum haft du den
Befehl nicht befolgt ?“ fragt Zuffuf ernft. „Meine
Flinte wollte nicht losgehen,“ antwortete der Tuͤrke
muͤrriſch. „In der That ?« fagt Juſſuf, auf ihn
zugehend; „laß mich doch fehen, woran es liegt,“
und Faltblütig das Gewehr dem Troßenden auf
die Bruſt feßend, drüdt er los und jagt ihm
feine eigene Kugel durchs Herz. Noch einigemal
ſah er fich zu ähnlichen Executionen gendthigt,
denen er, feinem ſeltſamen Charakter nach, immer
ein gewiffes Dramatifches Intereſſe beizumifchen
wußte, So hatte Einer ein Haus ausgeräumt,
und behauptete, ald man ihn auf der That ertappte,
er habe nur aus der daſelbſt befindlichen Eifterne
irinfen wollen, „Wohlan,“ fagte Sufluf, „ſo foll
er trinken, bis er genug hat,“ und ließ ihn Hinz
«7
einftürzen. Ein dritter hatte feinen Poften verlaffen.
Juſſuf befahl ihn zuruͤckzuholen und ihn an derfelben
Stelle aufzuhängen, damit er, fagte er, den
Andern Fünftig ein befferes Beifpiel gabe. Diefe,
uns graufam fcheinende, Disciplin hatte dennoc)
die gewänfchte Wirkung, tödtliche Furcht und
blinden Gehorfam in feiner Truppe zu verbreiten,
ohne die er nie ihrer Herr zu werden hoffen durfte,
Und man muß übrigens geftehen, daß, wenn er
auch umnerbittlih fireng war, er ſich doch nie
ungerecht zeigte , und fogar nichts von feinen Unter-
gebenen verlangte, was er nicht felbft leiftete. Denn
Tag und Nacht fah man ihn auf den Wällen;
er war im wahren Sinne des Wortes überall und
nirgends, und überließ fich felbft des Nachts nur
bald da bald dort einer kurzen, ungeregelten Ruhe,
Einmal hatte ihn, neben einem Poſten, vor über-
großer Mattigkeit der Schlaf überwältigt, als er,
erwachend, den Arm eines Menfchen um fic
gefchlungen fühlt. Auffpringend zieht er feinen
Dolch, und erblidt den Tapferften feiner Türken,
78
der ihm zuruft: „Verziehe einen Augenblick, che
du deine Waffe auf mich richteft. Sch fah dich
unbewacht fchlafen und nahm dich in meinen
Arm, denn deine Jugend hat fo glorreich unferm
Alter vorgeleuchtet, daß dein Leben Foftbarer für
uns geworden ift, ald jene glänzenden Sterne, die
hier am Himmel über uns flimmern Schlafe
alfo ruhig an meiner Bruft — wo Alt für dich
wacht, foll Fein Schatten von Gefahr fich dir
nahen.“ Juſſuf, der vielleicht mit Faltem Blute
feinen Stahl in dem Herzen eined Verräthers
umgekehrt haben würde, fühlte jet bei den
ſchmuckloſen Worten diefes Getreuen eine tiefe
Kührung, und, den Alten auf die Schulter Füffend,
entfchlief er forglos in feinen Armen.
Kurz darauf meldete mon ihm die Gegenwart
eines Spions des Bey von Eonftantine, der als
ein befreundeter Beduine der Umgegend verkleidet,
fi) in die Stadt gefchlichen hatte, Juſſuf fand
e8 zu gewöhnlich und von zu wenig Wirkung,
ihn todtfchießen zu laffen. Den guten Zuftand
79
feiner Vertheidigungsmittel kennend, beſchloß er,
fi) bei diefer ©elegenheit ganz anders zu be
nehmen. Er ließ den Pſeudo-Beduinen zu fich
bringen und lud ihn ein ihm zu folgen. Setzt
führte er ihm felbft in der ganzen Stadt umher,
zeigte ihm alle gemachten Verthetdigungsanftalten,
die wohl verfehenen Magazine und die zwar
wenigen, aber auserlefenen, und ihre dreifache
Zahl geltenden Truppen. „Habt ihr euch nun
Alles wohl gemerft, was ihr gefehen ?« fragte er
den ſich fchon für verloren gebenden Kundfchafter.
Diefer begabte ſtammelnd. „Gut, fo eilt, was
ihr koͤnnt und meldet Ulles was ihr erfahren
dem Bey von Conſtantine; es foll mich freuen,
wenn ihr im Stande feyd ihn zu vermögen, mir
bald felbft einen Befuch zu machen.“
Kein Spion ließ fich feitdem in Bone wieder
ſehen, und wenn Juſſuf bier einen alten Spartaner
nachgeahmt hat, fo Fann man dod) mit Gewißheit
annehmen, daß dieſer ihm nicht zum Vorbilde
diente, mais les beaux Esprits se rencontrent.
su
Mitte April langten endlich 100 Grenadiere
von Algier in der Cassba an, und den nächften
Tag folgten 300 Mann der übrigen Infanterie
mit einem Commandanten, dem Suffuf von nun _
an das Commando in der Stadt übergab. Eine
Zeit lang blieb jeßt für unfern jungen Krieger
wenig zu thun übrig, bis ein eigner Vorfall ihm
noch eine Nachlefe zu dem bisher Gefchehenen
verfchaffte. Man hatte in der Ebene vor der
Stadt, welche ſich nad) den Bergen zu ausbreitet,
einen Viehpark zu Verproviantirung der Truppen
etablirt. Eines Abends, ald Herr von Armandy
die Cassba eben verlaffen um in die Stadt hinab-
zugehen, fieht feine lebhafte und refolute Frau,
welche noch auf der Terraffe fpazieren ging, einen
Trupp Beduinen über diefen Park berfallen, und
fo viel Vieh, als fie erreichen koͤnnen, fort
treiben. Sie felbft ruft den Kanonieren zu, ihr
Geſchuͤtz auf das Gefindel zu richten, doc) find
fie fchon zu entfernt, um ihnen einen bedeutenden
Schaden zufügen zu fönnen, und ehe die Nachricht
si
ſich in der Stadt verbreitet, verfchwinden ſie hinter
den Bergen, Doch in derfelben Nacht noch fett
ihnen Juſſuf mit feinen Türken nad), durchzieht
bis acht Stunden von der Stadt eine Menge
friedlicher Stamme, überrafcht endlich die fich
fchon in Sicherheit glaubenden Raͤuber, ſchlaͤgt
fie in die Flucht, nimmt ihnen die dreifache Anzahl
der entwwendeten Heerde ab, und folgt, während
er das Vieh mit einem Detachement vorausfchickt,
feinen ermatteten Leuten einige Ruhe gonnend,
langfam nad). Unterdeffen hatten jedoch mehrere der
übrigen feindlich gefinnten Stämme ihm bei einem
defile, das er paffiren mußte, einen Hinterhalt
gelegt, und überftelen ihn bier unverfehens mit
weit überlegenen Kräften. Man Fonnte von der
Cassba einen Theil des Gefechts wahrnehmen,
und D’Armandy hatte bereits, beforgt für feinen
Freund, eine Compagnie Infanterie zu feiner
Hülfe ausmarfchiren laſſen. Doch blieben diefe
Zruppen nur entfernte Zufchauer der Tapferkeit
Juſſufs, der, den Säbel im Munde und eine
Semilaffo in Afrika, IL. 6
32
Piftole in jeder Hand, feinen tuͤrkiſchen Neitern
voronfprengend, Alles vor fich niederwarf, was
fic) ihm entgegen zu ftellen wagte,
Dies war der legte Akt einer Reihe ruhm—
würdiger Thaten, welche das franzofifche Gouver—
nement durch Verleihung des Offizierkreuzes der
Ehrenlegion und Avancement in ipren miltairifchen
Graden für d'Armandy und Zuffuf ſich zu erkennen
beeilte. Der Erfte commandirt jeßt die Artillerie
in Bone, wo einer der Stadtpläße nach ihm
benannt ift, und der Zweite die dortigen Spahis,
unter welchen die 150 ZQürfen der Cassba mit
einrangirt ſind.) Beide aber genießen in der
*) Sp eben erfahren wir, daß die glänzende Zukunft,
welche Semilaffo für den mit foviel Liebe von ihm gefchil-
derten, myfterieufen Türfen Juſſuf vorhergeſagt, in Erfül-
lung geht. Er ift unter franzöfifcher Hoheit zum ſouverainen
Bey von Conftantine ernannt, Das zu erobern er an der
Spite einer Fleinen Armee bereits ausgezogen iftz eine
Expedition, deren Erfolg unter den obwaltenden Umſtän—
den als unzweifelhaft angefehen werden fann, und Die
33
Armee ganz den hohen Ruf, der. ihren feltenen
Verdienſten fo angemeffen tft.
Aber es wird Zeit, mein Prinz, diefen faft zu
einem miltteirifchen Bulletin gewordenen Brief
abzubrechen, der Ste leicht weniger intereffiren
koͤnnte, als mich, obgleich der ſchoͤne Zuffuf auf
feinem berühmten Schimmel in natura gewiß
für Sie, wie für Alle, das Romantifche liebende
Frauen, ein fehr anziehender Gegenftand feyn
würde, Malen Sie ihn fich nach Ihrem Belieben
mit Shrer Phantafie aus, und danfen cs mir,
den fo wunderbar von der Natur ausgeftatteten Aben-
teurer in den Beſitz eines der fohönften und romantifche-
fien Länder des Erdbodens feßt, deſſen Umfang vier
Heinen deutfchen Königreichen gleihfömmt. Die Nefte
antiker Sceulptur, welche es in feinem Schooße birgt,
hält man für die zahlreichften, ausgedehnteften und am
beften eonfervirten in Afrifa (nur Aegypten ausgenom—
men). Doch fein Europäer hat fie noch je befchrieben,
vielleicht Keiner fie je gefehen, Hier öffnet ſich das reichfte
Feld für neuere Reiſende.
84
wenn Sie finden, daß ich Ihnen die Farben dazu
nicht zu matt ausgewählt habe.
Ihr
treuer Verehrer
H. S.
Chronik
Man zählt den 27, Februar im Jahre des
Herren achtzehnhundert fünf und dreißig. Ein
goldener ätherblau emaillirter Himmel ift über
den, noch immer den Franken unzugänglichen,
geheimnißvollen Vorhang des Atlas gefpannt,
Yuf einem rauhen Felfenwege windet ſich an feinen
porderften Bergen ein Zug von ohngefähr zwanzig
wohlbewaffneten Arabern hinan, die einzigen
lebenden Wefen, die im Gebürge wie in der weit
hingeftrecften Ebene der Metidschiah , fichtbar
werden, Woran reitet Ali Ben Khasnadschi,
früher ein berühmter Räuber, jet ein von dem
Gouverneur zu Algier eingefegter Cäid der Stämme
86
von Beni-Mussa, der an 4000 waffenfähige
Krieger befehligt. Er ift in feine reichfte arabifche
Tracht gekleidet. Zuerft umfchließt ihn der geftreifte
weißferdene Heif, eine Art Shawlhemde aus einem
Stüf, das bis zu den Füßen bherabgeht, vorn
aufgebunden ift, und oben zugleich als Mütze den
Kopf bedeckt, wo es eine die Schnur von
Kameclhaar turbanartig umwickelt. Der Theil,
welcher den Hals umgiebt, dient zugleich, um,
wenn die Ubendfälte eintritt, vor den Mund
gezogen zu werden. Um den Leib hält dies lange
Gewand ein vother goldgeftickter Sammtguͤrtel
zuſammen, aus dent zwei mit Gilber eingelegte
Piftolen hervorbligen, Eine ebenfalls mit Gold
reichgeftickte Cartouche enthält die nöthigen Pa—
tronen, der Pulver- und Schrotbeutel hangt noch
daneben; und diefe Bewaffnung, wie der fehwarze
Dart, und das martialifch braune Geſicht des
Neiters, zeigen binlänglih an, daß in dem
befchriebenen Weiberrock ein formidabler Krieger
ſteckt. Eine offene Jade von Cramoiſi-Tuch,
87
mit blauer Seide und goldenen Treffen verziert,
wird faft nur durch die aufgefchlißten Aermel
mit runden filbernen Knöpfen fichtbar, da die
Bernus aus feiner weißer Wolle, die mit Frangen
befeßt ift, und vermöge einer runden Deffnung
in der Mitte den Kopf frei laßt — einen großen
Theil der übrigen Kleidung verdeckt; von der
Bruſt an ift fie vorn offen, fo daß fie beim
Gefecht über die Schultern geworfen werden Fann
und dann die Arme ungehindert ihre Arbeit zu
verrichten im Stande find. Ueber dieſe weiße
Bernus, hängt noch eine ahnliche fchwarze, von
dicken, dem Negen faft undurchdringlichen Zeuge,
mit rothfeidener, goldeingefaßter Agraffe, und
Duaften, Weite, nur bis über das Knie gehende,
blaue Hofen, rothe lange Stiefelfträmpfe von
Safftan mit Furzen Ueberſtiefeln von gleicher
Farbe, ganz denen der alten Nitter ähnlich, an
welchen Sporen von der Größe Kleiner Spieße
befeftigt find, vollenden die Kriegstracht des Cäid.
Seinen feurigen Hengft ſchmuͤckt ein über und
88
über mit Gold durchwirfter Sattel, dem eine Art
Stuhllchne hinten, und ein eben fo hoher, abwarts
gebogener Sattelfnopf vorn, die größte Bequem
lichfeit geben. Die mit Silber und Corallen
eingelegte Flinte, welcye ein halbmal fo lang als
die unfrige ift, wie das Schloß noch einmal fo
groß, trägt nebft dem Säabel in filberner Scheide
fein Leibdiener, der unmittelbar hinter ihm reitet.
Jeder der folgenden Araber ift ebenfalls mit
Piftolen, Flinte und Dolch, nur die Vornehmern
auch mit einem Säbel bewaffnet, den fie jedoch
nicht am Xeibe, wie wir, fondern unter dem
Sattel, an der linken Seite befeftigt, tragen. Ihre
Pferde von geringem Anfchn, find deshalb nicht
minder dauerhaft, fihnell und gewandt, wenn
es gilt. Ein schlechter Neiter aber wird unter
den Arabern nicht gefunden.
In der Mitte Des Zugs erblicken wir einige,
diefem Erdtheil etwas fremdartigere Geſtalten.
Zuerft den von ruhiger Neugier raſtlos getriebenen
Reifenden, dem die erwähnten Kinder der Wüfte
89
zur Escorte dienen, und den wir leicht für einen
inlandifchen Chef balten Fünnten, wenn er uns nicht
fattfanı genauer befannt ware; denn bis auf den
MWeiberrod, den er die weite Mameluckentracht
vor zezogen hat, iſt er im Uebrigen dem Cäid
ziemlich ähnlich gekleidet, nur feiner noch feine
fhlohweiße Bernus aus Tunis mit himmelblaueu
Frangen, noch Foftbarer die Stickerei feines Gürtels,
wie der Schmuck feines Pferdes, das von Silber
und Gold in der Sonne fhimmernd, unermüdlich
caracolirt und Enirfchend fein Gebig mit Schaum
bedeckt. Hinter Semilaſſo reitet in franzdfifcher
Uniform Abaiby, ein Adjutant des Gouverneurs,
der, von fprifcher Abkunft, das Arabifihe geläufig
fpricht, und unferm Freunde als Dolmetfcher
mitgegeben worden iſt. Ihm folgt der belgifche
Major vom gefcheiterten Robuste, ein junger
Krieger ohne Furcht und ohne Tadel, der fich dem
deutschen Abenteurer, von dem wir das Publikum
fo oft und gern unterhalten, ebenfalls angefchloffen
hat. Hinter dom Major wird ein Banquier aus
90
Algier, Herr Bellart, bemerkbar, in feiner Tracht
ganz einem Beduinen von Maskara gleichend, den
dort üblichen großen Strohhut mit bunten Quaften
auf dem Kopfe, und auf einem Toftbaren Pferde
aus Tittery reitend, Neben ihm fehen wir den
rüftigen, ſtets beiteren Studiofus Fer. aus
H...., der für diefe Tour als Semilaffo’s Seeretair
und auch als fern Vertheidiger, wenn es Noth
thun follte, fungirt. Die zweite Halfte der Araber,
ein junger Neger und ein Maure, auf bepacdten
Maulefeln fizend, complettiren den Zug, der fich
eben durch eine enge Schlucht tiefer ins Gebürge
hinein drängt, und jet in einem dichten Gebüfch
von hohem Strauchholz langfam unfern Blicken
verfchwindet.
Wir verlaffen ihn bier für eine kurze Zeit, um
zu erzählen, was ihn veranlaßte.
Da Semilaffo vergebens in Algier auf eine
militairiſche Erpedition gewartet hatte, der er fich
anfchließen Fönnte, um wenigftens etwas vom Sn;
nern des Atlas zu sehen, fo befchloß er es nun,
9
auf feine Hand zu verfuchen. Man verficherte
ihm zwar: dies fey ohne 2000 Mann nicht moͤg—
lich, und Jeder, der fich allein dahin wage, Fünne
ficher feyn, daß ihm der Hals abgefchnitten werde
— unſer Freund ift aber befanntlich ein fo geſchwor—
ner Zweifler an Unmöglichkeiten, daß er auch
diesmal nicht allzuviel auf diefe Behauptungen
gab, obgleich fie in der That ganz allgemein waren.
Er bat daher den ſtets für ihn fo gefälligen
und gütigen Gouverneur, die Cäiden von Beni-
Mussa und Khraschna vorläufig nur auffordern
zu laffen, einen Fremden von Diftincetion, der
unter dem Schuß des franzoͤſiſchen Goupernements
fiche, durch die Ebene von Metidschiah, im Be
veich ihrer refpectiven Tribus, zu begleiten, und
nach beften Kräften für feine Sicherheit zu forgen.
In Folge diefes Befehls, mit deffen Yusfüh-
rung der von den Franzoſen gefete Aga der Plaine,
der Oberft Marey, beauftragt wurde, — ein fehr
verdienter Offizier und fchon dadurch ungemein
intereffant, daß er Sprade und Gitten der
92
Araber, die er befehligt, auf täufchende Meife fich
felbft angeeignet Hat, — erfchten der Caid von
Beni-Mussa mit einer Escorte feiner Araber
an einem Freitag früh, (denn der Zufall will,
wie es fcheint, Semilaſſo von allem Aberglauben
heilen), um ihn zu der vorhabenden Excurſion
abzuholen. Unfer Freund fing damit an, dem
einaugigen Caäid, nebft feinem Bruder und feinem
erften Lieutenant, cin europälfches Fruͤhſtuͤck an—
zubieten, das durch dieſe etwas wilden Gäfte einen
nicht wenig originellen Anftrich erhielt. Die Os—
manli's tranfen übrigens dabei Champagner, und
aßen von einem wilden Schweinsfopf, mit aller
Zuverficht der beften Chriften; waren auch, als
nach beendigtem Mahle die ganze Gefellfchaft zu
Pferde ftieg, fo animirt, daß fie Faum das Thor
hinter fich hatten und auf dem Meeresftrande ans
gefommen waren, als fie fchon, nach arabifcher
Weiſe, ihre Pferde, wie im fingirten Kampf, toll
umbherfprengten, und es darin Einer dem Andern
zuvor zu thun fuchten, Der Oberſt Marey hatte
93
die große Gefalligfeit gehabt, Semilaffo fein Streit:
roß mit allem orientalifhen Schmuck, der dem
Aga zukommt, für die Zeit der Expedition zu lei—
hen, und er war daher fo gut wie irgend Einer
beritten. Doc mißbrauchte man nicht zu lange
die Bereitwilligkeit der feurigen Thiere, und bald
ordnete fich auf dem fchlechten Steinpflafter der
alten römifchen Straße die Cavalfade im bedäch-
tigen Schritt. Man zog zwifchen fo hohen Hecken
indianifcher Feigen hin, daß fie den Reitern voll
fommenen Schatten gewährten, eine große Wohl—
that bei der fchon mächtig waltenden Hitze. Nach
einigen Stunden gelangte man an die leßten franz
zöfifchen Blodhaufer und den Aratsch, den man
in einer ziemlich tiefen Furt paffirte, Hier wurde
einige Minuten Halt gemacht, um die Pferde trinz
Een zu laffen, und auf Einen der Gefellfchaft zu
warten, der etwas zurücgeblichen war. Bet die
fer Gelegenheit durchritten von der andern Geite
auch mehrere Araber, meift auf kleinen, ſchwerbe—
packten Efeln fißend, den Fluß, was mit allen
94
diefen verfchtedenen Gruppen ein eigenthümliches
Genre-Bild abgegeben haben würde; befonders als
des letzten Beduinen armes Thier mitten im tief
fien Strom unter feiner Bürde erlag, und mit
wahrer Engels> oder Efelsgeduld, nur zuweilen,
gleich einem Karpfen noch den Kopf über das
Waſſer ftrecdend, nach Luft fchnappte, dann fich
ruhig finken ließ, und ohne einen Laut von fic)
gegeben zu haben, erfoff. Erſt nach vieler Mühe
und Zeit gelang es den Arabern, die Effeeten aus
dem Waffer zu ziehen; den ſich nicht mehr rüber
renden Efel ſchwemmten die Sluthen mit fich fort,
Vom Aratsch an begann die Ebene fich fanft,
aber fortwährend, gegen die Berge zu erheben,
und bot ein durchaus trockenes Terrain dar, zur
weilen mit etwas Sand untermifcht, aber meiftens
aus fruchtbarem Lehm oder ſchwarzer Dammerde
beftehend, überall entweder mit grünem Gras oder
niedrigem Strauchwerk bedeckt. Gegen Abend
erreichte die Garavane wohlbehalten Beni-Mussa,
zwei Stunden von Atlas entfernt, wo der Cäid
95
feinen Hautch, eine Art Hof mit fieinernen,
fehr elenden, Gebäuden umgeben befißt, die bei
feinem früheren Handwerk vielleicht dazu beſtimmt
waren, den gemachten Naub in Sicherheit zu brin—
gen. Ein fchlecht gehaltener DOrangengarten, mit
einer undurchdringlichen Hecke von Aloe umgeben,
fchloß fich auf der einen Seite an das Gebäude,
und nicht weit davon entfernt, breitete fich auf
der andern ein hübfches Waldchen von wilden
Dlivenbäumen, Caroubiers, und hohem Strauchz
werf aus, in dem ein Dorf liegt, das jedod) der
emporfteigende Rauch allein verrieth. Diefer Vor—
grund, mit dem dunfelblauen Gebürge dahinter,
bildete eine zwar wilde, aber anziehende Landfchaft.
Zwanzig bis dreißig Araber ſaßen bei Ankunft
der Neifenden vor dem Haufe auf dem feuchten
Raſen, und neben ihnen lagen ein halbes Dutzend
wilde Schweine, die fie fo eben erlegt, von denen
fie aber nur die Haute gebrauchen, das Fleiſch
aber, deffen Genuß ihre Religion verbietet, ins
nahe Gebüfch werfen, und dort verfaulen laffen,
96
Sie nahmen von den Fremden wenig Notiz, kuͤß—
ten ihrem Cäid dagegen refpectvoll die Hand;
denn das ariftofratifche Prinzip herrfcht hier noch
in feiner ganzen Kraft, wie wohl cs fich, den Sitten
des Landes gemäß, auf eine ganz andere Art Außert
als bei und. Diefe Sitten find noch ganz die
nämlichen wie fie uns die Bibel fehildert, und
der vornehmfte Chef (der fich auch im gewoͤhnli—
chen Leben faft durch nichts in feiner Tracht von
den Uebrigen unterfcheidet, und im Haufe gleich
ihnen barfuß geht,) glaubt fich nichts zu vergeben,
wenn er das für feine Säfte beftiimmte Lamm
felbft aus der Hecrde holt, fchlachtet und dann
den Weibern zur fernern Zubereitung überliefert.
Das erfte Gefchäft der Araber, und in der
That die erfte Pflicht jedes vernünftigen Reifenden
in gleicher Lage ift, bei der Ankunft fogleich die
Pferde zu beforgen. Ste werden hier fammtlich
an eine lange, auf der Erde fortlaufende, Leine,
an die fie mit Fußſchlingen befeftigt find, gereiht,
und müffen folglic) ftehend, oder wenn fie zum
|
97
Liegen kommen, wenigſtens in einer hoͤchſt unbe—
quemen Lage, ſchlafen.
Sobald alſo dies abgethan und den Thieren
Gerſte mit gehacktem Stroh vorgeworfen worden
war, bereitete ſich Semilaſſo mit ſeinen Gefaͤhrten,
die letzte Abendſtunde noch zu einer Fußpromenade
in die Umgegend zu benutzen. Nachdem man
eine Weile in dem duftenden und blumigen Waͤld—
chen umhergeirrt, kuͤndigte ein fuͤrchterliches Hunde—
gebell die Naͤhe des Dorfes an. Gegen fuͤnfzig
dieſer wolfaͤhnlichen Beſtien ſtuͤrzten hervor und
machten das weitere Vordringen ſtreitig, ohne
jedoch zu einem ernſtlichen Angriff zu ſchreiten.
Aus den, einem großen freien Plaß umzingelnden,
fhwarzen Zelten, dicht aus Kameelhaar gewoben,
flüchteten fi) einige nacfte Kinder bei der Annaͤ—⸗
herung unbefannter Männer, und ohngefähr ein
Dutzend bärtige Beduinen Famen eilig herbeige-
laufen, um die unerwarteten Eindringlinge abzu-
wehren. Einer von ihnen, der ihr Oberhaupt zu
ſeyn fehien, rief den Fremden ſehr zornig zu, fich
Semilaſſo in Afrika, II: 7
98
augenblicklic) fortzupacken. „Seht ihr denn nicht,“
fagte er, „daß ihr die Kinder erfchredt? Was
wollt ihr hier? Semilaſſo's Dolmetfcher hatte
alle Mühe ihn zu befänftigen, bis einige Münze,
den einzeln wieder herbeigefommenen Kindern zus
geworfen, die Miene des Schwarzbartes etwas
glättete, Das Elend und der Schmuß in diefen
Zelten überftieg nicht — denn das ift unmöglich
— aber glich) wenigftens vollfonimen dem der
irländifchen Bauern, nur daß die Hiefigen nod)
den Vortheil über Sene behaupteten, gefünder und
beffer genahrt zu erfcheinen. Im Verfolg der
Promenade ſchoß man einige fette Kerchen, fehlte
ein paar Befaffinen, und befehloß die Ereurfion
mit genauerer Befichtigung des erwahnten Gartens,
in dem eine lange und regelmäßig gepflanzte
Allee hoher Drangenbäume voller Früchte mitten
in diefer MWüfte, unferm Parkomanen ein tiefes
Bedauern einflüßte, daß das Klima feiner Heis
math nicht mit gleicher Milde den armen Sterb-
lichen zu Hülfe Fomme, Neben dem Garten brei-
99
tete fich ein Feines Kameelgeſtuͤt, mit fruchtbaren
und wohlbewafferten Wiefen, längs den Bergen
aus. Die jungen Thiere fprangen Fuftig umher;
und glichen faft Giraffenz die alten waren Horn
gefeffelt, und hüpften daher nur fehr ungefchickt
und langfam vorwärts. Die biefigen Kameele
haben fanmtlich nur einen Hoͤcker, ohne deshalb
Dromedare zu ſeyn; im Gegentheil ift es eine
Feine und armliche Nace, gleich allem übrigen Vieh
diefer Gegenden, die Pferde allein ausgenommen
Als die Spazierganger mit einbrechender Dunz
felheit wieder dem Haufe zufchritten, ertünte von
daher ein wildes Gefchrei, das einen Yugenblid
Beforgniß erregte. Eine große Anzahl Beduinen
faßen um den Cäid gruppirt, der wahrfcheinlich
vor Nacht nod) die während feiner Abwefenheit
vorgefallenen Streitigkeiten fchlichtete. Der größte
Schreier war derfelbe bärtige Mann, der den
Eintritt in fein Dorf fo üblen Humors verweigert
hatte, und der, wie e8 fchien beim Caid Klage
gegen die Chriften geführt, ohne Zweifel aber auch
100
fihon zurecht gewiefen worden war, denn beim
Anblic® der herbeieilenden Fremden verftummte
fchnell aller Laͤrm, obgleich die Gefichter der Ge—
fellfchaft durchaus Fein Wohlwollen verriethen.
Als Scmilaffo dies bemerkte, feßte er ſich neben
einen alten Schech mit fohlohweißem Bart auf
den Boden nieder, und fing, vermöge des Dolmet:
fhers, ein freundliches Gefprach mit ihm an.
Nach wenig gewechfelten Worten ergriff der Alte
unferes Freundes feine Bernus, und bat fie fich
ohne Umftände als Geſchenk aus, Als dies ver-
weigert wurde, langte er nach einem rothfeidenen
ZTafchentuche, das, nach Gewohnheit der Araber,
an Semilaſſo's Dolch befeftigt war, und fo noch
unverfhämt nach mehreren Dingen, bis diefer fich
endlich von der Zudringlichkeit des alten Sünders
durch das Gefchenf eines fpanifchen Piaſters los—
Faufte, und dem Haufe zuging, wo ihn das erfte
Beduinenmahl erwartete,
In einer langen Kanımer, die einen offenen
Taubenſchlag zur Dede hatte, waren Strohmatten
101
und darüber Teppiche gebreitet, auf denen man
fauernd in der Runde Plaß nahm. Jetzt brachten
einige Diener, die barfuß, in ihre weißen Bernus
faltenreih drappirt, taufhend den Abbildungen
römischer Sclaven glichen, ungeheure hölzerne
Schüffeln, von. gefälliger, ebenfalls antifer Form,
mit Cuscussu und Pilau gefüllt, herbei, fo wie
gleich fchon geformte irdene Waſſerkruͤge. Man
wufch fih, und das Mahl begann auf folgende
MWeife. Im Cuscussu ward in der Mitte ein
tiefes Loch gemacht und eine Art Milchfäure Hinz
eingegoffen, von der Seder, wie bei Wieſenbe—
wäfferungen, einen Eleinen Canal nach feiner Ecke
leitete; ald Auszeichnung hatten die Fremden
huͤbſch geſchnitzte Holzlöffel erhalten, die andern
bedienten fich allein ihrer Hande. Eine Schüffel
gebratener Hühner tranchirte der Cäid fchnell und
geſchickt auf diefelbe Weife, und das ſchon zerftückt
hereingebrachte Lammfleifch des Pilau, von dent
unfer Freund übrigens beifällig verfichert, daß
er nie Schmachafteres genoffen, theilte cr eben;
102
falls mit feiner Friegerifchen Fauft aus. Den
Beſchluß machten harte Eier mit Salz und Pfeffer.
Die Ueberrefte der reichlichen Mahlzeit, zu der
man frifch gemolfene Milch trank, fattigte, nad)
den Herren, auch die Diener, Dann erfchien von
Neuem das Mafchbeden, ein und das nämliche
für die ganze Gefellfchaft, was faft eben fo eckel—
haft ift als unfere Mode, fih bei Tiſch den
Mund auszufpühlen.
Wahrend man den Kaffee bereitete, den die
biefigen vornehmen Beduinen nun auch anfangen,
wie die Franzoſen, mit Zuder zu trinken, offerirte
Semilaffo dem Cäid und feinem Sieutenant,
Deffert und Champagner aus feinem eigenen
Vorrath, welche Gaben aud) Feineswegs verz
fhmähet wurden; doa, mußte man ihnen des
Decorums wegen, vor den Andern verfichern, daß
dieß Fein Mein, fondern ein unfchuldiges Getranf
aus Aepfeln gebraut ſey. Semilaffo zweifelte
übrigens nicht, daß er hiermit nur die reinfte
Mahrheit verfichert habe.
103
Nah dem Kaffee und zwei bie drei Pfeifen,
die man ſich als HöflichFeitszeichen gegenfeitig
zu einigen Zügen gereicht und wieder genommen,
wickelte fi) nad) und nach Einer nad) dem Andern
in feine doppelten Mäntel, 309g den Cappuchon
über die Ohren und fuchte auf derfelben Matte
oder Teppich, wo er früher gefpeist, den Schlaf.
Doh war der Erfolg nicht glüdlich, denn da
Feder wenigftens von einigen hundert Slöhen mit
barbarifcher Blutgier angefallen wurde, denen
die feinere fremde Haut befonders einladend
dünfen mochte, fo war an Feine Nuhe zu denfen.
Ueberdieß bellten fortwährend die Hunde, einiges
mal mußte man in den Stall laufen, weil fich
ein Hengft losgeriffen hatte und die andern ſchlug
und biß; in der Kammer felbft aber hörten die,
durch die Lampe wach erhaltenen, KLachtauben,
feinen Augenblick auf, ihr feltfames Kehlgerolle
hören zu laffen, und gaben außerdem ihre An:
weſenheit noch auf eine unangenehmere Weiſe
fortwährend zu erkennen,
104
Mir Freuden begrüßte man daher den erften
Sonnenftrahl am Morgen, der durch die offene
Thüre fehr bequem hereindrang, tauchte Hände
und Geficht in frifches Waſſer, Tagerte fich um
die dampfende Kaffeefanne, deren Inhalt, obgleich
chofolatenartig dick, hier immer fehr gut ift, und
brannte dann mit großem MWohlbehagen die erfte
Pfeife an. Die Flöhe aber fehlafen am Tage,
wenigftens in der Ebene von Metidschiah , denn
Semilaſſo, dem wir Ddiefen Bericht verdanken,
hat früher, wie es fcheint, nie Gelegenheit gehabt,
ihre Sitten fo genau zu fludiren.
Der Caäid, unterrichtet, daß es den Reifenden
hauptfächlih darum zu thun fey, einen Theil des
Atlas und folche Gegenden zu feben, wo feit der
Einnahme Algiers noch Fein Europaer hingefom:
men fey, hatte geftern mehrere Boten zu Pferde
an die benachbarten Stämme der Kabylen ge
ſchickt, um fie zu verhindern, etwas Feindliches
zu unternehmen, wenn er mit den Fremden auf
ihrem Grund und Boden erfchiene, Auf jeden
105
Fall begleitete indeß eine Escorte von 15 bis 16
Neitern, den tapfern Caäid an der Spike, Die
fünf gleichfalls fehr wohl bewaffneten und nicht
weniger entfchloffenen Fremden, welche zufällig
vier verfchiedenen Nationen angehörten,
Jemehr man fi), vom heiterften Wetter be-
günftigt, dem Fuß des Atlas näherte, je reicher
ward die Vegetation; und die grünen Abhaͤnge
der Berge, voll baumumfchatteter Dörfer, Wicfen,
Felder und lieblicher Gebüfche, unterfchieden fich
wenig vom Anblick europäifchen Anbaus. Den:
noch wohnen hier die wilden, fo fehr gefürchteten
Kabylen und Hajuten, von denen, wie der Cäid
bemerkte, der majeftätifche Berg von Bona ralıssa,
der fich rechts von den Reiſenden erhob, allein
2000 Streiter Tiefer, Am Bergftrom Oueld
Dschemma kam der Garavane ein fehr reinlich
gefleideter, ſchoͤner Mann, auf einem vortrefflichen
Pferde und mit einem Gefolge von zwei Dienern
entgegen, der fich mit dem Cäid eine Zeitlang
heimlich unterredete, und, wie man nachher erfuhr,
106
ein Thaleb (Schriftgelehrter) war, der durch
fein Anfehn die angrenzenden Stamme des Ge
bürges vermocht, Feine Notiz von den Ehriften
zu nehmen. Er fchloß fi) an die Caravane an,
und verließ fie nicht cher als im Gefolge des Cäid,
Nachdem man, mit vielfach abwechfelnden
Anfichten der vorliegenden Berge, einige Stunden
weiter geritten war, und zwar nicht felten durd)
Diefichte, wo ein Ueberfall höchft gefährlich gewefen
wäre, gelangte man an die Stelle, an welcher der
Fluß, den man fchon einmal weiter unten paffirt,
aus einer tiefen und romantifchen Bergfchlucht
hervordringt, und fein, jeßt größtentheils trocdenes,
Bett, über taufend Schritte breit mit Steingerölle
und Felsblöden bedeckt hatte. An feinen Ufern
befanden fih mehrere brennende Kohlenmeiler,
die hier eben fo wie in den deutfchen Wäldern
behandelt zu werden fcheinen; Fein Eingeborner
ließ ſich aber dabei fehen.
Nicht weit von diefem Drt kam der Zug auf
einen fehr ſchoͤnen Platz, Suk el Arba genannt,
107
bis wohin, fo wie im ganzen übrigen Bereich des
heutigen Weges, feit der Eroberung Algiers noch
fein Europäer vorgedrungen iſt; denn eine mili—
tairifche Erpedition ift nach diefer Seite nicht
gerichtet worden. Defto mehr wird aber eben
deswegen diefer Markt von den Arabern befucht,
wie man an der großen Anzahl eleganter und
wohlerhaltener Strauchlauben feben Fonnte, Die
bier fortwährend aufgefchlagen bleiben, obgleich
die Befitzer fie nur am Mittwoch benußen. Dicht
am Fuße hoher Berge gelegen, mit dem Bli in
eine tiefe Schlucht, durch einen filberhellen Bach
bewäffert, nach der Ebene hin durch dichte Aloe;
hecken und Gebüfche blühender Sträucher gefchüßt,
und von einem chrwürdigen Dlivenhaine befchattet,
in den es faum einen Baum gibt, der feinem
Ausfehen nach, weniger als 2 bis 300 Sabre
zahlen kann, bildet diefes Grundftüc gewiß einen
der originellften und auffallendftien Marktplaͤtze,
die irgendwo gefunden werden möchten. Am
Ende des erwähnten Haines fteht unter Palmen
108
das fleinerne Grab eines Maräbut, und Heiligt
dadurch die umliegenden Gefilde. Daneben führt
die große Straße über Hamsa nad der Wüfte
Saharah , die fih, dem Flußbette folgend, fo
verführerifch in die ſchwarze Felſenſchlucht verlor,
daß Semilaffo alle Ueberredungsfunft aufbot,
den Cäid und den Thaleb zu bewegen, dieſen
Meg wenigftens eine Stunde weit zu verfolgen.
Nachdem man jedoch Faum einige Minuten dar;
auf vorwärts gefommen war, erklärten Beide
fhon mißmuthig: weiter ginge es nicht als an
der Spiße von 2000 Mann; fie dürften die Ge
fellfchaft diefer Gefahr nicht ausfeßen, und
überdieß, fügte Kasnadschi hinzu, reiche die Zeit
nicht hin, da er die ihm AUnbefohlenen noch vor
Naht dem Caäid von Kk .schna überlicfern
müffe, denn fo habe es ihm der Aga vorgefchrieben,
ein Paar Stunden weiter hin werde er aber, nad)
dem Fruͤhſtuͤck, die Fremden noch tiefer als jetzt
in den Atlas führen, und zwar fo weit als c8 möglich
fen, mehr aber müffe man nicht von ihm verlangen,
|
109
Es wäre unflug gewefen, fich feinem Willen
offen zu widerfeßen, und unfer Freund gab um
fo lieber nach, da ihm die Perfon diefes einaugigen
Raͤubers und die ganze Art feines Benehmens
nicht allzuviel Vertrauen einflößte. Er hoffte,
wie wir fehen werden, nicht mit Unrecht, fpäter
auf eine beffere Gelegenheit.
Man fuhr alfo fort am Saum der Berge
binzuziehen, wahrend die Araber mehrmals ihre
Pferde, mit großer Dreiftigfeit und ungemeiner
Geſchicklichkeit, im fchnellften Lauf über ein
fehwieriges Terrain hinfprengten, und alle ihre
Reiterfünfte zeigten, welche von den Europäern
nicht immer mit gleichem Gluͤck nachgeahmt
wurden. Nach einiger Zeit gelangte man, in der
lachendften Gegend, an einen prachtvollen und,
jo viel man davon außerhalb gewahr werden
konnte, forgfältig gepflegten Orangengarten, den
malerifch geformte, alte Delbäume, mit einem
Dickicht von indianifchen Feigen und rothblühenden
Sträuchern umgaben; aus der Mitte hoben fich,
110
gleich der Federfrönung eines Baldachins drei
hoͤhe Palmen empor. Der gefhmadvollfte Park
koͤnnte Feine einzelne Partie von fchöneren Effect
darbieten. Vielleicht hatte Das Innere weniger
angefprochen, doch blieb dieß unbekannt, denn der
Caid wollte die nähere DBefichtigung durchaus
nicht geftatten, fondern ließ nur durch einige feiner
Leute Drangen aus dem ©arten holen, deren
Größe, Saftreichthfum und koͤſtlicher Parfum Alles
weit übertraf, was man folcher Art in Europa findet.
Nachdem fi) die ganze Sefellfchaft an diefen
wundervollen Früchten erquickt und abgekühlt hatte,
denn die Hige war fehr empfindlich geworden,
ward der Weg mit erneuten Kräften durch ein fo
gut bebautes Land fortgefeßt, Daß man unter
ondern dafelbft ein Feld Bohnen gewahr ward,
die bereits drei Fuß Höhe erlangt hatten, Am
Ende diefes Landftrichs, und auf der andern Scite,
‚dicht an fieinige, dürre Berge gelchnt, lag eine
Meierei des Cäid, Hadrah, wo er feinen Gäften
das Abſchiedsmahl hatte bereiten leffen, Dies
111
war ganz europäifch ländlich arrangirt, Teppiche,
auf grünen Rafen unter blühenden Mandelbäumen
hingebreitet, eine Matte gegen die Strahlen der
Sonne aufgehangen, Schüffeln mit Mil), Cus-
cussu (unferer Grüße nahe verwandt) und eine
Art trockener Plinſen daneben geftellt; dazu rund
umber ein Obftgarten, wovon einige Quartiere
mit Gemüfe bebaut waren, — man würde fich
bei einem unferer Pächter geglaubt haben, wenn
nicht die coloffalen Alveheden, und die wilden
Beduinen ſelbſt mit dem Caid in feinem Friegert>
ſchen Schmud, zu deutlich an fernere Zonen
erinnert hatten, nad) denen Intereſſe oder Neu:
gierde nur die ſtets unruhigen Europäer treibt.
Wahrend dem Fruͤhſtuͤck Fam ein fehwarzer,
ganz nackter, fcheußlich haͤßlicher und blodfinniger,
junger Maräbut herbei, der Brodfrumen, DOrangen-
fchalen, die harte Krufte einer Paſtete und andern
Abraum, mit den devoteften Handküffen empfing,
und dann, wie ein wildes Thier, freudig damit
feiner Höhle wieder zueilte., Das Wort Maräbut
112
bat bier faft eben fo viel Bedeutung, als das
Wort gentleman in England, und auch eine
gewiffe Analogie in feiner Anwendung. Alle
Menfchen, die nach der Anficht der Araber Gottes
beſonderer Gnade genießen, heißen Maräbuts.
Dahin gehören die Heiligen durch ihre Wunder
und Frömmigkeit, aber auch die ganz und halb
Zollen, die Blödfinnigen, zuweilen auch Zauberer,
Helden, Märtyrer u. ſ. w. Wollte man Maräbut
durchaus mit einem Wort überfegen, fo würde
„Narr“ Das ficherfte feyn, da allen erwähnten
Kategorien eine ftarfe Dofis diefes Charakters
nothwendig beigefügt feyn muß.
Unterdeffen hatte Semilaffo mit einem ber
Beduinen um feinen Saͤbel zu handeln angefangen.
Der Cäid, dem das haufig genoffene Aepfelwaſſer
zu Kopfe geftiegen war, fprang auf und fagte, man
müffe alle Säbel probiren, um zu ſehen, welche
Klinge darunter die befte ſey. Dies fand Beifall,
und ward ausgeführt, indem man fich gegen
einander überftellte und gegenfeitig auf die Klingen
m — — —
113
hieb. Der im Handel ſtehende Saͤbel zeigte ſich
dabei ſchlecht, aber der des Caid verſetzte allen
uͤbrigen tiefe Scharten, ohne ſelbſt eine einzige
davon zu tragen. Man konnte keine ſchoͤnere
Expoſition ſehen, als dieſes wilden Barbaren, der
fruͤher das Soldatenhandwerk bei den Tuͤrken
erlernt, in ſeiner Fechterſtellung; der beſte Acteur
Franconi's blieb weit hinter ihm zuruͤck.
Jetzt, ſagte er vergnuͤgt, wolle er ſeine Freunde
noch ein Stuͤck in den Atlas fuͤhren, dann uͤber—
liefere er fie dem Caid von Khraschna, und nachher
habe er fih um nichts mehr zu befümmern, Die
Pferde wurden vorgeführt, und im Galopp ging
es über die lofen Steine, durch niedrige Palmita’s
ohne Weg und Steg, die Anhöhe hinan, bis
man nur noch langfam auf einer fchmalen Kante,
wie auf einer Selfentreppe empor klimmen konnte.
Hier war die Gegend höchft oͤde und faft ohne
Vegetation; immer fchöner aber breitete ſich in
der Tiefe die ungeheure Ebene Metidschiah aus,
welche zwanzig lieues lang, acht breit ift, und von
Semilaſſo in Afrika, IL 8
114
bier auf drei Seiten von hohen Bergen eingefchloffen
erfchten, auf der vierten vom endlofen Meere
allein begrenzt, Im taufend Windungen durch—
firönt fie der Aratsch, die Hamyse und viele
andere Fleine Bergbäche, an deren Ufern Dafen
dichten Gebüfches, bouquetweiſe vertheilt find,
Nach einer halben Stunde ſtieß man, mitten
in dem wuͤſten Steingerdll, auf einen verwilderten
Drangengarten mit den Ruinen eines anfehnlichen
Gebäudes, die einftige Wohnung eines verftorbenen
Maräbut , die hier fo häufig find, wie bei uns
einft die Kloͤſter. Weiterhin befand fi ein
Brummen, den hohe und dichte Baume in ein
geheimmnißvolles Dunkel hülften, und von hier
wandte man fich ſchon wieder abwärts, Da
Kasnadschi, eitel auf feine Fühne GefchicklichFeit,
einen Theil diefes ſteinigen Weges, der fchon im
Schritt muͤhſam war, im vollen Lauf hinabjagte,
fo glaubte Semilaffo, dem es an Eitelkeit weder
ein Barbar, noch ein Europaer leicht zuvor thut,
feinem Beifpiel folgen zu muͤſſen, obgleich wir
115
aus fernen Noten erfehen, daß er nachher Gewiffens-
biffe empfand, ein geborgtes Pferd nicht beffer
gefchont zu haben.
Sm Thale wieder angelangt, fah man fchon
von Weitem Araby, den Cäid von Khraschna,
mit feinem Gefolg herankommen, um zur vorherz
befiimmten Stunde die weitere Escorte Der
Reifenden zu übernehmen. Diefer Mann flößte
auf den erften Blick großes Vertrauen ein, Lang,
mager, musculös, mit einem ernften wohlwollenden
Geficht, feurigen aber zugleich fanften Augen,
dünnen Lippen, weißen Zähnen, einem freundlichen
und würdevollen Lächeln, nebft einem fchwarzen
prächtigen Bart, erfchien er als der wahre Typus
eines Beduinen in feiner vollftien Nationalität.
Nach einigen ausgetaufchten HöflichFeiten ward
der bisherige Befchüßer mit Gefchenken entlaffen *),
*) Kasnadschi ward 8 Monat fpäter, nebft feinem
Bruder don denfelben Tribus, deren Gebiet unfere Aben—
teurer heute befucht hatten, verrätherifcherweife ermordet.
116
und man wandte fich mit dem neuen Chef quer
Durch die Ebene, dem Nachtlager zu. Zwei
Stunden fpäter erreichte man das Dorf des Cäid,
der, obgleich er an 20,000 waffenfähige Männer
befehligt, dennoch nicht einmal ein fteinernes Haus
befitt, fondern mit feinen Weibern nur in Zelten
wohnt. Für die Säfte war eine große Hütte,
transparent aus Aeften geflochten, bereitet, mit
Teppichen ausgelegt, und Semilaſſo's Lager
zur Auszeichnung rund umher mit Strohmatten
umbangen, welche den Auftzug etwas beffer
abhielten, Eine große Menge Beduinen, die fich,
gleich ihrem Chef, ſehr vortheilhaft von den
Vorigen auszeichneten, empfingen die Heine Cara
vane mit großer Herzlichfeit und freundlicher
Neugier. „Meiner Hütte vorderfährt Ehre durch
Eure Ankunft,“ fagte der Caid, an feine Bruft
foffend, zu unfern Freunde; „der Herr fegne
Euern Eingang und Ausgang, und möge der
letzte fo fpat als möglich erfolgen.“ Hierauf
ward der Kaffee fervirt, man fette fich nieder,
117
rauchte, unterhielt fich, und kurz nachher brachten
5 bis 6 Diener ein weit reichlicheres Gaſtmahl,
als das geftrige war, berbeigetragen, Bei diefem
zeichnete fich, als der arabifchen Küche die größte
Ehre machend, eine Schüffel faftiges Lammfleifch
mit dem weichen Theil der Artifchocden, in einer
fauerlichen Sauce von Milch, Eiern und Citronen-
faft (der ruffifchen Kohlfuppe etwas ahnlich), fehr
aus, fo wie gleichfalls farcirtes Kraut mit Neis
und gehackten: Hühnerfleifch, auch noch ein drittes
Gericht gebratenen Hammelfleifches mit Mandeln,
Maronen und Nofinen, alle drei gewiß nach
Traditionen altromifcher Küche bereitet. Im
Uebrigen war alles Ceremontell dem früheren
gleich, nur mit dem Unterfchtede, daß nichts diefen
Cäid und feine Leute bewegen Fonnte, weder vom
angeblichen Aepfel- noch andrem Weine oder
Liqueur das ©eringfte zu fich zu nehmen; eine
Pflichtbeobachtung,, die immer eine günftige Meiz
nung von dem Charakter derjenigen giebt, die
ohne Affectation fo gewiffenhaft find.
118
Unfer Freund hatte während des Tages oft
feine Blicke mit Verlangen nach einem majeflätt-
fchen Berge, Hammal genannt, gerichtet, der hoc)
über die andern emporftieg, und deffen ſchoͤn ger
zackte Form fich fchon von Algier aus im ganzen
Gebürge auszeichnet. Er benußte jeßt die trau
liche Stunde nad Tiſch, um den Cäid durch
Lieutenant Abaiby über diefen Berg auszuforfchen,
und ihn zugleich zu fondiren, ob er es wohl über:
nehmen wolle, die Fremden dahin zu führen. Der
Caäid wies dies jedoch beftimmt von fi). „Seit
Du unfre Schwelle betreten,® fagte er zu Semi—
laffo, »ift die Schmach, die Dir widerfährt, die
unfrige, der Schaden, den Du leideft, trifft uns,
Dein Wohl ift das meinige — ich darf Dich
feiner Gefahr ausfegen.« Guter Rath Fommt
über Nacht, dachte Semilaſſo, und legte fich zur
Ruhe; doc) die böfen Geifter der Ebene in Floh:
geftalt verfagten ihm, fo müde er war, abermals
den füßen Schlaf. Es gab hier fogar von dieſen
Würgengeln ganz neue Arten, nicht nur fchwarze,
119
fondern auch gelbe und graue, von denen die gel;
ben die unbarmherzigften waren. Am Morgen
fab jeder Keidende feinen Korper roth getiegert,
wie beim Neffelftieber, aber auch heute trat mit
der Sonne wieder vollige Ruhe ein, Die Natur
ift gütig, felbft in ihrem Zorn,
Der Caid hatte bei feinen Frauen gefchlafen,
und als er früh erfchien, mußte ihn Herr Abaiby
von Neuen, binfichtlich des Berges bearbeiten,
doch mit eben fo ſchlechtem Erfolge ale am vo—
rigen Abend. „Wir muͤſſen uns in die Nothwen—
digkeit fügen,“ fagte der junge Offizier, Semilaffo
Rapport abftattend, „der Caid verfichert, wie ge:
ftern der von Beni-Mussa, dahin koͤnne man nur
mit 2000 Mann den Weg unternehmen, und cr
e8 daher durchaus nicht verantworten, wenn er
ſich überreden ließe unferm Wunfche nachzugeben.«
Doch unfer Freund gab noch weniger nad). Er
fupponirte ganz natürlich), daß Herr Abaiby,
feine eigene VerantwortlicyFeit beim Gouverneur
im Auge, nicht allzu ernft in den Caid habe
120
dringen mögen, und da er einen Neger mit fich
hatte, der ebenfalls geläufig arabifch fprach, fo
nahm er fich vor, noch einmal allein mit diefent,
fein Heil bei dem Caid zu verſuchen. Er fing
damit an, ihm zu erzaͤhlen, daß er in einem
Reiche geboren ſey, welches einſt die Araber
erobert und lange beſeſſen, ſo daß ſein halbes
Blut den Arabern angehoͤre, er auch die weite
Reiſe nur unternommen, um, ſo viel er koͤnne,
mit ſeinen Beduiniſchen Bruͤdern zu verkehren,
und ſich ihr ſchoͤnes Land genau zu betrachten.
Aus dieſem Grunde wolle er jetzt auf des Berges
Spitze ſteigen, um weit und breit hinauszuſchauen,
und fuͤr das Wohl ſeiner Freunde dort zu Allah zu
beten. Deshalb auch fuͤrchte er keine Gefahr,
und was die Verantwortung beim Gouverneur
betraͤfe, ſo nehme er feierlich Alles auf ſich ſelbſt,
und verbuͤrge dem Cäid, deſſen Weigerung
bhinlänglich feine gute Abſicht bewiefen, bei
jedwedem Ausgang Die Anerkennung völliger
Schulölofigkeit.
121
Als er, nach diefen und ähnlichen Neden, den
guten Araby fehwanfend werden fah, bediente er
fich noch einiger magnetifcher Mittel, deren Geheim—
niffe er uns nicht verrathen hat, die jedoch keines—
wegs in Gelde beftanden — und nad) langem
Zögern erreichte er endlich feinen Willen.
„Wohlan!“ fagte der Chef, „es fey darum,
jedenfalls werde ich vor Dir fierben, wenn es
dazu Fommen follte, Indeſſen fürchte ich weniger
einen Angriff feindlicher Krieger in jener Gegend
obgleich der junge Ben-Samün (einer der wilde
ften und blutgierigften Feinde der Sranzofen) feine
Streifzüge zuweilen bis dahin ausdehnt, als
vielmehr einzelne Räuber, von denen ich erft
fürzlich einige beftraft, und die leicht aus den
Gebüfchen uns einen mörderifchen Schuß nach—
fenden koͤnnen. Doch Du willft es, und fo gefchehe
es; eile aber num, daß wir zu Pferde fleigen, denn
wir haben einen Marſch von acht Stunden vor ung,“
In wenigen Minuten war Alles in Ordnung
und der Zug feßte fich in rafche Bewegung. Er
122
beftand aus demfelben Perſonale wie geftern, mit
Ausnahme des Banquiers, der nach Algier zu:
rückgefehrt war, und für etwaigen Kampf durch
zwei der GEscorte noch Hinzugefügte Beduinen
reichlich erſetzt wurde,
Als erfter intereffanter Yunet bot fid) Suk-
el-Dschemma (Sreitagsmarft) am Ufer der
Hamyse dar, rund von grünen Bergen umgeben,
mit dem majeftätifchen Hammal im Hintergrunde,
Nachdem man den Fluß zweimal paflırt, Fam
man in immer fchwierigeres Terrain, das jedoc)
an vielen Orten forgfältig angebaut war. In
der Ferne flieg der Rauch aus mehreren Dächern
auf und hie und da fah man pflügende Kabylen,
die wenig Notiz von den Neitern zu nehmen
fchienen, Ein hoher Berg ward muͤhſam erflettert
und nun zeigte fi) den Neifenden ein fchon
bewaldetes Thal, mit einem Bergbach im tiefen
Grunde, das vorne wilde Felſen überragten, und
aus dem feitwärts mehrere weite Schluchten fich
nach verfchtedenen Gegenden hinzogen. Man
123
mußte auf wahren Ziegenpfaden bis an das
MWaffer hinab, und auf der andern Seite noch
höher wieder hinaufreiten. Der Wald beftand
weniger aus Stämmen, als aus Sträuchern von
12 bis 15 Fuß Höhe, zum Theil mit rothen
Blüthen geſchmuͤckt; viele davon waren fo gleich
und dicht gewachfen, als feyen fie mit der Scheere
befchnitten, und einen Theil des Strombettes
füllte weithin nichts als Dleander von ungewöhns
licher Größe, Auf den einzelnen grünen Abhängen
dazwifchen weideten zahlreiche Heerden fcehwarzer
Ziegen, die luſtig von Fels zu Selfen fprangen ;
aud) viel Geflügel ward aus den Sträuchern
gejagt, doch. verfagte man ſich allee Schießen,
um feinen unnüßen Alarm zu verurfachen,
Einige Stunden lang behielt das Land ziemlich
denfelben Anſtrich, mit immer befchwerlicher
werdenden Wegen, bis man endlic) am Fuße des
Hammal und des Eberfluffes anfam, wo in eben
fo furchtbarer, als romantifcher Gegend, zwei
Dörfer, deren geflochtene Hütten größer und dichter
124
als die bisher gefehenen erfchtenen, einander gegen;
über lagen. Hier ward auf einem grünen Hügel
Halt gemacht und vom Cäid die Öaftfreundfchaft
eines Schechs der Kabylen angefprochen, der, weit
entfernt, fich feindlich zu zeigen, im Gegentheil
die Geſellſchaft mit der herzlichſten Bereitwilligkeit
empfing.
Man lagerte fih unter einigen uralten
Caroubiers, im Nücden das Dorf Barel-Barud,
mit Gärten am Abhang über fich, vorn im
Grunde den Fluß, an deffen gegenüber liegender
Seite der erfie Abſatz des Hammal fich erhob,
mit einer prächtigen Höhle an feinem Fuß, deren
kohlſchwarzes Gewölbe gegen die weißen Kalk
felfen wunderfam abftach.
Die Türken follen in diefer Höhle Pulver
bereitet haben, und bei ihrer näheren Befichtigung
zeigte der Schech eine Art natürlichen, gewundenen
Schornfteins in der Ede, durch den man mit
Hülfe einer brennenden Fackel bis zu einem Plaß
in bedeutender Höhe hinanklimmen Fonnte, wo
125
früher ein Maräbut als heiliger Einftedler lebte.
Kein anderer Zugang als diefer führte zu feiner
Mohnung, fo daß wohl nie eine Einfiedelet zweck
mäßiger angelegt worden ift.
Nach Furzer Ruhe ſchickten fich die Neifenden
zur Erfteigung des Berges an, nur von einem
Diener des Schebs vom Stamme Telamendil
begleitet, da man fich von bier aus der Pferde
nicht mehr bedienen Fonnte, Eine Zeit lang zeigte
fi) noch immer forgfäaltiger Anbau, dem bie und
da die wilden Schweine übel mitgefpielt hatten,
doch bald verſchwand er, gleich allem Strauchwerf,
in einem fleinigen Boden voller Geroͤlle. Mühfan
ward eine Höhe nach der andern erklommen,
welche faſt alle denſelben Charakter darboten,
coniſch zugeſpitzt, und wie mit Felsbloͤcken geſpickt,
die in allen Formen aus einem hohen Riedgras
hervordrangen. Sie beſtanden aus weißem Kalk—
ſtein, viele waren Muſcheln gleich geſtaltet, einige
durchloͤchert, und die meiſten oben mit einer
fo fcharfen Kante verfehen, und fo glatt, daß
126
man fich beim UWeberklettern derſelben fehr vor
dem Fallen in Acht nehmen mußte, um fich nicht
gefährlich zu verlegen. Dazu Fam ein heftiger
Mind, der fich erhoben, und mit eifiger Kalte bier
in der Höhe fauste. Semilaffo, der im Anfang
der Ermottetfte gewefen, trieb zuleßt am eifrigften
an, nicht nachzulaffen, denn unfer Freund erreicht
mehr durch moralifche als phyfiihe Kraft, der
Major war aber der Erfte, welcher denjenigen
Gipfel des Gebürges betrat, welchen uns die
Zeit zu erreichen erlaubte, und der noch nicht der
höchfte war.
Oft ift es in dieſem Buche ausgefprochen
worden, daß jedes Gebürge feinen befondern,
deutlich ausgeprägten Charakter an ſich trage,
Der des Atlas ift hier durchaus ernft und maje
ſtaͤtiſch, vielleicht weniger manntgfaltig, friſch und
reizend, als andere, aber dennoch die Seele mit
einer fanften und tiefen Ruͤhrung ergreifend, wie
der Herbft oder das Alter, Die Ausficht von dem
Puncte, auf dem die Reifenden fanden, war
127
grenzenlos und erhaben, ohne doch eigentlich ver:
haltnigmaßig reich) genannt werden zu koͤnnen;
denn fo weit das Auge reichte, fah man nach drei
Seiten hin nichts als Berge über Berge gethürmt,
meiftens Fahl, bis an die Grenzen der Wüfte hin,
in welcher Nichtung einige Schneegipfel, deren
Entfernung wenigftens vierzig bis fünfzig Stunden
betragen mußte, wahrfcheinlich dem großen Atlas,
deffen Lage noch fo unbeftimmt ift, angehörten,
Der coloffale, ganz mit Schnee bedeckte Dschor-
dschora ward von einer andern Bergſpitze leider
großentheils gedeckt, und eben fo die dazwifchen
vorausgefigte Ebene durch andere vorliegende
Berge von minderer Höhe, dem Auge entgegen.
Am mannigfaltigften erfchten die Ausficht gegen
Norden Hier erblidte man zuerft feitwärts
mehrere üppige Thäler, mit glatt geebneten Wiefen
und bufchigen Abhängen, nad) dem Meere zu
allmahlig auslaufend, unter denen fich das Thal
von Tement-Nust, mit den Nuinen eines
türfifchen Forts, befonders auszeichnete; vorn
128
breitete fich die wellenformige Plaine der Meti-
dschiah, von Sidi-Ferruch bis Cap Matifu,
wie eine Landcharte über die Erde hin, auf der
Seite des Defchauers vom Atlas, auf der entgegenz
gefeßten vom Sahel eingefaßt, an deffen fernftent
Vorgebürge Algier, wie ein Kleiner Kreidefelfen,
in der Sonne glaͤnzte. Links ſtieg ein dunfelvioletter
Berg einzeln empor, wo fich das, leider noch immer
unbefuchte, Denkmal deutlich gegen den Horizont
abzeichnete, welches die Araber Cobur er Runnia
nennen, und einer Europaifchen Königin zufchreiz
ben; auf dem blau und grün fehillernden Meere
aber weidete Pofeidon fchon feine, vom anrücenden
Sturme heraufgetriebne, weißflodige Heerde.
Es ift bemerfenswerth, daß beim Erfteigen
des Berges unfere Abenteurer noch zwei Kabylen
begegneten, fchönen Männern, von denen befonders
der eine das Modell zu einer Herkulesſtatuͤe hätte
abgeben koͤnnen, Berde mit Aexten verfehen, die
fie zu ihrer Arbeit gebraucht — daß ferner diefe
Leute fich der Partie anfchloffen, neugierig mehrere
129
Fragen an die Fremden richteten und bald fo gut
befannt mit ihnen wurden, daß die Herrn Abaiby
und F...., ermüdet wie fie waren, ihnen ihre
Slinten zu tragen gaben. So langte die Gefell;
fchaft oben an, und flieg auch den größten Theil
des Berges fo wieder herab. Wenn man ſich nun
erinnert, daß dies dieſelben gefürchteten Kabylen
find, von denen man in Algier vorausfeßt, daß
fie jedem Chriſten der ohne hinlängliche Verthei—
digungsmittel in ihre Hände fallt, Habe und
Leben nehmen, fo ſteht wenigftens der Neifenden
Erfahrung, wie ihr bier gezeigtes Vertrauen, mit
diefer Anficht in ftarfem Widerſpruch. Die guten
Leute warteten nicht einmal auf cine Gabe für
ihre gehabte Mühe, fondern als fie wieder an
die Stelle gekommen waren, von wo fie ausge
gangen, begannen fie nach Abgabe der Tlinten
von Neuem ihre Arbeit, ohne fi) weiter nach
den Fremden umzufehen.
Wie der Diener des Schechs verficherte, giebt
es hier bereits Löwen und noch häufiger Panther,
Semilaſſo in Afrika, I: 9
130
Eine Hyaͤne erblidten wir von Weitem durch
die Büfche fchleichen, ohne jedoch zum Schuß
fommen zu fünnen, Diefe Naubthiere finden ſich
auch um Algier in fo großer Anzahl, daß der
belgifche Conful einmal des Nachts in feinem
Drangengarten eins der größten berfelben ſchoß,
deffen wie Kohlen glanzende Augen ihm zur
Zielfcheibe dienten Schakals, ‚wilde Tauben,
Feldhühner und Hafen, bevölferten ebenfalls reich-
lih den Hammal, und einer der leßten, nebft
verfchiedenem Geflügel ward für Die Küche erlegt.
In hohem Grade erfchöpft, Fam man, nach
ohngefähr 4 Stunden, wieder im Lager an, wo
der mitgenommene Champagner zum wahren
Nektar ward. Man Ieerte diesmal die Flafche zu
Ehren des würdigen Gouverneurs und des Ham-
mal zugleich, indem man dem Erften wie der
ganzen franzöfifchen Nation, eine eben fo folide
Conſtitution wünfchte, als fich diefe Bergfefte der
Erde zu erfreuen hat. Dann wurde aufgebrochen,
obgleich der Echech, welcher fich entfernt hatte,
131
um in feine Behaufung zu gehen, als die Reifens
den fchon forttrabten, ihnen nachgelaufen Fanı,
und dem Taid Hande und Füße Füffend, faft mit
Tränen im Auge bat, ihm doch nicht die Schmach
anzuthun, Furz vor Sonnenuntergang feine gaft-
liche Hütte zu verlaffen, Schon fey das Lamm
und die Hühner gefchlachtet, der Cuscussu ſtehe
am Feuer, und die Teppiche feyen ausgebreitet,
Man hielt indeß längeres Verweilen für zu unficher
(der Kefer wird weiter unten fehen, mit wie vie
lem Recht) und wünfchte zu fehr noch vor dem
Einbruch völliger Nacht aus den fchwierigften
Paffagen des Gebürges zu kommen, um diefen
wohlgemeinten Bitten nachgeben zu koͤnnen. Denz
noch wurde der Zweck nicht ganz erreicht, und es
war fehon ganz finfter geworden, als man noch
in den halsbrechenden Selfenftegen umherkletterte.
Die Frühlingsnacht war feltfam! Statt dem
Geſumme der Grafemücen und dem Gezirpe der
Grillen, heulten die Schafals zu hunderten rund
umher; von Zeit zu Zeit brach ein Eber durch
132
das Dieficht, und ald man endlich die Flüffe paſ—
firt und die Ebene wieder erreicht hatte, erlebten
die Europäer noch einen fremdartigen Auftritt.
Die fchniale Mondfichel war durch die den
ganzen Himmel bededfenden fehwarzen Wolfen
eben mühfam hervorgedrungen, als man bei einem
Klump von Aloe und andrem wüften Geftripp
vorüberfam, Plöslich ertönt aus dieſem Schlupf:
winfel ein fo furchtbares Gebrüll in die fille
Naht hinaus, Daß Seder nad) feinen Waffen
greift und fich fertig macht, irgend einem coloffalen
Löwen oder Pantherthier die Spitze zu bieten,
Abaiby fprengt zum Cäid, und frägt haftia,
welches Unthier er nach diefem Gebrüll erwarte?
„O,“ erwiederte diefer lachend, „das Fommt nicht
heraus, denn cs ift nur ein Kameel).“ Diefes
*) Wer je das Gefrhrei der Kameele, wenn ſie in der
Brunſt ſind, vernommen, weiß, daß es ua mit feinem
graufig durchdringenden Tone, fchauerlicher als felbft das
Gebrüll des Löwen Hingt.
133
fomifche Quiproquo gab Stoff zu unerfchopflichen
Neckereien, die faft bis Khraschna andauerten,
welches man, zwar bis zum Schmerz ermüdet,
aber dennoch voll Freude über die fo glücklid)
überftandene Unternehmung, gegen Mitternacht
erreichte, und jetzt mit wahrer Dankbarkeit die
Saftfreundfchaft der arabifchen Naturfühne in
AUnfpruch nahm,
Doch fand den fo Zufriedenen viel Ungemach
nahe bevor. — Kaum hatte man fich niedergelegt,
als Sturm und Regen, die bereits während des
Heimritts fich von Zeit zu Zeit bemerkbar gemacht,
immer heftiger zu werden anfingen, und gegen
Morgen ſich das Wetter in einen formlichen Orkan
ummwandelte. Ueber dreißig Stunden hielt es in
diefer Stärfe an, mit adwechfelnden Negenftrömen,
wie fie nur diefem Clima eigen find, wo die Tropfen
wie Hafelnäffe groß bherabfallen, Bald waren
Matten, Teppiche, Bernus und Wolldecken, mit
denen man fich vergebens zu fchüßen fuchte, durch—
drungen und durchweicht, denn die von Reifern
. 134
geflochtene Hütte konnte ſolchen Waffergüffen nur
wenig MWiderftand leiften. Gluͤcklicherweiſe war fie
auf einer Anhöhe erbaut worden, fonft würden die
bhülflofen Fremdlinge bald in einem Teiche gelegen
haben, zu dent der niedrige Grasplatz umher, wohin
nach und nach alles Waffer abfloß, am Abend
des folgenden Tages ſchon vollftändig geworden
war, Sn der Nacht darauf fteigerte noch ein
Gewitter, mit aller Wuth der afrifanifchen Zone,
das graßlic Erhabene diefer Scene, Das ganze
Gebürge fihien in Flammen zu fiehen, und der
Donner rolfte wie ein unaufhörliches Kanonenfeuer.
Jeden Augenblick erwartete man, die ſchon halb
vom Sturm abgededte Bude gänzlich zuſammen—
ftürzen zu fehen, und vor Froft zitternd, kauerten
Alle in der gefchüßteften Ede, wo man mit großer
Mühe ein ſchwach glimmend.s Feuer in einer.
Grube zu erhalten fuchte.
Es war in der That die höchfte Zeit, als nach
dem Gewitter endlich die Natur ausgetobt zu
baben fchien, und ein fanfter warmer Regen den
— —— — —
135
Uebergang zu einem heitern Tage begann. Die
grade der Thuͤr gegenuͤber, wie eine gluͤhende
Kugel aufgehende Sonne, ward jubelnd begruͤßt,
und eben ſo ſchnell als ſie gekommen, verliefen
ſich auch die Gewaͤſſer wieder, ſo daß man ſchon
um ſieben Uhr fruͤh die durchnaͤßten Kleider und
Decken, an den wohlthaͤtigen Strahlen des wieder
aufgelebten Tagesgeſtirns zu trocknen im Stande
war.
Man kann ſich denken, was bei dieſem Unwetter
die armen Pferde erſt leiden mußten, welche es
ſaͤmmtlich, ſowohl die der Fremden als der dw
duinen, am Boden angefeffelt und bis an die Kniee
im Waffer, ganz ohne Obdach und größtentheils
auch ohne Decken, die ihnen auch nicht viel helfen
Fonnten, hatten überfteben müffen, Nur hiefige
Pferde vermögen vielleicht dergleichen auszuhalten,
weil fie von Jugend auf an jede Art von Strapaze,
jeden Mangel forgfaltiger Wartung, an Naͤſſe und
Hitze, Hunger und Durft gewöhnt find. Denn
ihr Sutter befteht meift nur aus Gras oder gehackten
135
Stroh mit etwas Serfte, wenn die leßtere zu haben
if. Nur früh und Abends wird ihnen Nahrung
gereicht, während des Tages befonimen fie nie
etwas, im Fall man nicht grade auf einer Wieſe
Halt macht, wo man fie dann fo lange grafen
läßt. Eben fo verhält es fich mit dem Saufen,
Demohngeachtet fpürt man während der ſtarken
Maͤrſche Feine Müdigkeit bet ihnen, im Gegentheil
war zu Ende wie beim Anfang, die geringfte
Anreizung immer hinlänglid), ihr natürliches Feuer
wieder hervorzurufenz; und man mußte fich zu jeder
Zeit fehr vor ihrer Kampfluft in Acht nehmen,
da fie voller Eiferfucht gegen einander find, und
ehe man fich es verficht, mit Blißesfchnelle aus—
fchlagen, oder, ſich baumınd, das Nachbarpferd
zu beiffen fuchen, wobei fie auch nicht felten ihre
Reiter befchädigen, oder in Gefahr bringen. Dies
würde noch öfter der Fall feyn, wenn man fie
nicht faft allgemein ganz, oder wentaftens hinten
unbeſchlagen ließe.
Gegen Mittag waren die Folgen des harten
137
Bivouak's fo ziemlich wieder ausgeglichen, und
die gute Laune völlig wicdergewonnen, welche auch
vorher den Neifenden nie ganz ausgegangen war,
Mas die Beduinen betrifft, fo fehienen diefe zwifchen
Regen und Sonnenfchein Faunt einen Unterfchied
zu machen, ja der Caid verficherte fogar Semi:
laffo mehreremal, feine Gegenwart bringe ihm in
jeder Hinfiht Heil und Segen, denn das herrliche
Unwetter verbürge ihrem Feldban wie den Wiefen
das günftigfte Gedeihen. Einer feiner Leute ward,
mitten im größten Toben der Elemente, auf einem
Maͤuleſel nach der 12 Stunden entfernten Stadt
abgefendet, um dafelbft einige ausgegangene Pro-
vifionen für die Gäfte zu holen, und verzog Feine
Mine bei diefem Auftrag. Als er zurüdfan,
erzählte er gefprächsweife dem Neger, er habe in
der Stadt von Semilaſſo's Kammerdiener ſich für
einige Sons Schnupftabat (den die Beduinen
fehr lieben) ausgebeten, diefer ihm aber denfelben
verweigert, weil er Teinen Befehl zu diefer Aus—
gabe im feines Herrn Briefe finde, „Und warum,“
138
rief unfer Freund entrüftet, „warum haft du nicht,
als du wegritteft, gleich von mir Geld zum Ankauf
deines Tabafs verlangt ?* „Herr, erwiederte er,
„wir nehmen von dir wohl ein Geſchenk mit
Dank an, aber wir find nicht dazu erzogen, es
im Voraus zu erbetteln.“
Der junge Neger, Ali mit Namen, deffen wir
ſchon einigemal erwahnt, ſcheint viel zur Erheis
terung der Geſellſchaft beigetragen zu haben, der
er als eine Art Iuftiger Perſon diente. eine
Nachlaßigkeit, Vergeßlichkeit, Faulheit und Wind—
beutelei, die er nie unterließ mit feiner parole
d’homneur zu befräftigen, waren claffifch zu nen:
nen, und feine naive Zuverficht und Vertraulichkeit
oft in hohem Grade komiſch. Er fprach gelaͤufig,
aber fchlecht franzöfifch, was er dazu benußte,
fid) sans facon in jedes Gefprach feiner Gebieter
zu mifchen, wenn es auch noch fo fehr über feine
portee war, Beim Effen langte er unbedenklich
am Herrenz, wie am Leutetifche, fich die beften
Biſſen zuerit heraus, und wenn man fich Abends
139
fhlafen legte, war man nicht wenig verwundert,
fein Kopffiffen plöglich von Alt mit eingenommen
zu fehen. Gab man ihm irgend einen Befehl,
fo wußte er es unter zchnmalen gewiß neunmal
durch Verzögerung, Schwagen nnd alle mögliche
Lift fo einzuleiten, daß ihn ein Anderer für ihn
ausrichten mußte; und mit der größten Unvers
ſchaͤmtheit wahlte er dazu meiſt den, voller Gaft-
freiheit ftets berettwilltgen Caid, oder einen der
Fremden felbft, zu deren Dienft er mitgenommen
worden war. Ein Anderer hätte für ein folches
Benehmen leicht Prügel davon getragen, da er
aber alle ſeine „Tricks“ mit foviel Laune, Schlauheit
und Verftand auszuführen wußte, und immer eine
drollige Entfchuldigung bet der Hand hatte; fo
brachte er es dahin, daß man fich Alles von ihm
gefallen ließ, und ihn zur Compenſation nur fort
während neckte und auf alle Weife in den April
zu ſchicken ſuchte. Befonders beftrebte man fich
ihn böfe zu machen, was man fogleich erkennen
fonnte, wenn er mit ganz feiner, beiferer Stimme,
140
mit den leidenfchaftlichften Geften, und einer
unglaublichen Volubilität der Zunge zu Herrn
Abaiby oder zu dem Caid arabifch zu ſprechen
anfing. Er fah hierbei einem Affen fo täufchend
aͤhnlich, dag felbft die eruften Bedumen fich des
Lachens nicht enthalten Fonnten.
Als fein entfchiedenfter Gegenfaß trat der Maure
auf, der den andern Packeſel der Garavane beforgte.
Dieſer Menfch war von einer folchen Unbeholfenheit
und Apathie, daß er unter andern faft zwei Tage
lang nichts zu effen befam, weil er fi) nie weder
etwas felbft genommen, noch etwas verlangt hatte,
fondern fortwährend Tabak Fauend in einer Ede faß,
wo er endlich gegen Ali erklärte, daß er es nun
vor Hunger nicht langer aushalten koͤnne. Er
trug einen fpigen Strohhut, wie ein Chinefe, der
vortreffiich zu feinem dummen, phlegmatifchen
Gefichte paßte, und bot fo, befonders wenn er
mit untergefchlagenen Beinen mitten auf dem
Gepack feines fchwer beladenen Efels thronte,
Semilaffo’s Schreibelaterne in der Hand haltend,
141
Die außerdem noch mit einer Schnur um feinen
Leib befeftigt war, wirklich eine der ergößlichiten
Garifaturen dar, Man hatte ihn wegen der
Zaterne Diogenes getauft, und Ali erholte fich
an diefem Unglüclichen von allen den Nedereten,
die er von der übrigen Gefellfchaft erdulden mußte,
Man hätte glauben mögen, daß er ihm einen
Schlaftrunf beigebracht, denn an einem einzigen
Tage fiel der Kerl dreimal im fanfteften Schritt
feines geduldigen Efels, wie cin Mehlfad zur
Erde, immer ein andres Glas der Laterne zerbrer
chend, fo daß diefe fi) am Abend ganzlich außer
Dienft gefeßt befand. Es ift wahr, daß Alı,
ohngeachtet aller Verbote, die Kataftrophe jedesmal,
unter wieherndem Gelächter, durch einen Piftolen-
fchuß herbeiführte, den er dem felig fchlafenden
Mauren hart am Ohre abfeuerte,
Die heutige Excurſion richtete fi nach dem
Cap Matifu, der aͤußerſten Spiße einer, mehrere
Stunden weit in das Meer hervortretenden, Lands
zunge der Ebene von Metidschiah. Man Fam
142
dur) anmuthige Gegenden, weldye ungemein
reizende MWellenlinien des Terrains, mit anfehns
lichen Seen untermifcht, bildeten, und die herr—
lichften Gefichtspuncte, fowohl nach dem Gebuͤrge
als dem Meere hin, gewährten. Nicht leicht möchte
fi) irgendwo eine günftigere Lage für Anlage
größerer Landfchaftsgärten finden, Nur weniger
Anpflanzungen von Baumgruppen bedürfte es,
um die mannigfaltigften und zierlichften Bilder
in Menge hervor zu rufen; und man muß c8
bejammtern, einen fo Foftlichen Landſtrich in jeder
Hinſicht, mit dem vortrefflichften Boden, der Alles
hervorzubringen im Stande ift, nur als eine
endlofe Wüfte vor fich zu fehen. Demohngeachtet
ift nicht zu zweifeln, daß einige Haupteanäle
mit verfchtednen kleinern Abtheilungen, theils in
das Meer, theils in ſchon vorhandene oder leicht
zu bildende Landſeen geführt, vorzüglich aber
reichlihe Baumpflanzungen und Anbau, bald
Diefes ganze unermeßliche Terrain von den unge
funden Nuspünftungen befreien würden, Die es
143
jetzt, namentlich für Europäer, faft unbewohnbar
machen. Theilweiſe ift allerdings die Ausführung
dDiefes Planes unmöglich, aber ein Capital von
10 bis 12 Millionen Franfen, würde, wie
man nicht ohne Grund annehmen kann, von
Anfang an, für das Ganze hinreichend gewefen
ſeyn, und fich fpäter zu ungeheuren Zinfen ver—
intereffirt haben, Es fcheint daher fehr unzweck—
mäßig, daß das Gouvernement, ohne felbjt etwas
zu thun, bereits den größten Theil der Metidschiah
an Einzelne für ein Spottgeld verkauft bar;
denn dieſe koͤnnen eben einzeln nichts von Erfolg
unternehmen, und follte es fpäter das Gouverne—
ment oder eine Compagnie noch thun wollen, fo
werden die jegigen Beſitzer nicht ermangeln,
übertriebene, aber ganz legale Entfchädigungsfor:
derungen zu machen. Was dagegen die Unficher:
heit, hinfichtlich der Beduinen, betrifft, fo glauben
unfere Neifenden nad) den an Ort und Stelle
gemachten Erfahrungen mit Beftimmtheit, daß
durch ein zweckmaͤßiges Benehmen der Eoloniften,
144
und einige (verhaͤltnißmaͤßig immer hoͤchſt geringe)
im Anfang als Geſchenk dargebrachte Geldopfer,
dieſes Hinderniß fehr fchnell ganz und gar ver—
ſchwinden würde. Da, divide et impera, follte
der Wahlfpruch jeder Behörde feyn, die mit den
Urabern zu thun bat.
Ehe man das Meerufer erreicht, windet fich ein
fhmaler Tußfteig durch eine mehrere Stunden im
Umfang baltende, faſt undurchdringlich Dichte
Remiſe niedrigen Strauchwerks, in denen fich
eine Menge wilder Schweine und anderes Wild:
pret aufhaͤlt. Hier giebt es für den Jagdliebhaber
eine reiche Ausbeute, Schon von weitem erblickt
man die Ruinen des alten Rustonium oder Rus-
gunia, die zwor einen fehr großen Raum einnehmen,
aber nur an manchen Orten noch, aus dem dor:
nigen Geſtruͤpp, über den Boden hervorragen ;
auch haben die bisher gemachten Nachgrabungen
nur wenig Ausbeute gegeben. Am malerifchften
find die Reſte alter Befeftigungswerfe am Meere,
zwiſchen deren herabgefallenen Mauerftücen fic)
145
die Wogen fchaumend brechen. Eine Viertelftunde
weiter ſteht das jeßt verlaffene türfifche Fort, ein
fhönes Gebäude, das mit der Menge zerftreut
daliegender Kugeln, und 23 auf feiner Terraffe
umher geworfenen, eifernen Vierundzwanzigpfuͤn—
dern, die größtentheils vernagelt find, einen höchft
auffallenden Eindruck zurüdläßt. Das noch immer
vom vergangenen Sturme fehr bewegte Meer
fhwemmte, wahrend die Neifenden an ihm hin
zogen, mehrere Reſte von wahrfcheinlicy in der
vergangenen Nacht gefcheiterten Fahrzeugen auf
feinen Fluthen heran, und in einer Bucht fand
man drei Handelsbarfen mit ihrer geringen
Mannfchaft auf den Eand geworfen, die, von
Dellis fommend, fih bicher mit genauer Noth
gerettet hatten.
Man fann Cap Matifu nicht befuchen, ohne
der unglücklichen Wintererpedition Carl des Fünften
lebhaft zu gedenken, der bier, mitten im Siege,
den Elementen unterlag, obgleih ihm Dorta
vorhergefagt, Daß es an den Küften der Barbarei
Semilaffo in Afrika. II. 10
146
nur zwei fichere Hafen gabe, nanılid) die Monate
Juni und Juli. Auch der große Cortez Fampfte
befanntlich hier vergebens, und empört rief der
Kaifer als er fich einfchiffte: „das Glück ift eine
H..., die nur von jungen Leuten careffirt ſeyn
will.e Wie charafteriftifch ft es, daß, obgleich
e8 ihm leicht gewefen wäre, wenige Zeit darauf
den Angriff mit böchfter Wahrfcheinlichkeit des
Gelingens zu erneuern, wozu fi) Doria und
Cortez eifrig erboten, der eitle Carl es dennoch
nicht zugeben wollte, weil ein anderer da nicht
fiegen folle, wo er gefcheitert.
Nachdem die Sefellfchaft das Cap umritten und
nach Dellis hinübergefchaut, ward derfelbe Weg
zum Nachtlager wieder eingefchlagen, welches bit
dem, dem Caid von Khraschna untergebenen Schech,
Omar-Belvedivi, von der Tribu Hedschira,
einem chemaligen Stallmeifter des Dey, bercitet
worden war, Man erreichte noch vor Sonnen:
untergang das dicht umbufchte Dorf, welches cr
bewohnt, und fand eine ahnliche, noch größere
147
Hütte als in Khraschnah aufgefchlagen, die jedoch
beute außer den Neifenden, welche nur eine Seite
derfelben einnahmen, auf der andern auch ihre
Roſſe beherbergen mußte.
Das ſich ſtets ziemlich gleiche Abendmahl
ward, bei immer genauer fi) anfnüpfender
Befanntfchaft, mit noch größerer Fröhlichkeit ale
die übrigen eingenommen und bis lange in die
Nacht hinausgedehnt. Der arme Ali war dabei
wie gewöhnlich das Stichblatt. Da er mit feiner
unnachahmlichen Sorglofigfeit unterwegs einen
Teppich und eine Bernus, an fich nicht werthlofe,
jeßt aber doppelt koſtbare, Gegenftände verloren,
fo war er etwas ernftlich dafür angelaffen worden,
und fogar nahe daran gewefen, eine fühlbare
Züchtigung zu erhalten. Halb aus Zorn und halb
aus Furcht, oder auch um feine Herrfchaft beffer
zu rühren, fingivte er krank zu feyn, und bemühte
fich auf grotesfe Weife, ein Sieber darzuftellen,
Als jedoch das Effen aufgetragen ward, hielt er
es für rathſam, ſchnell in eine fichtliche Befferung
148
über zu gehen; doc) der Major, welcher erklärte,
früher Medicin ftudirt zu haben, fühlte ihm gras
pitätifch an den Puls und entfchied, daß er bei
Lebensgefahr in 24 Stunden nichts mehr zu fich
nehmen dürfe. Dies erfchbien dem wie vom
Donner gerührten Ali außer allem Spaß, nie
hatte er mit einer dectdirteren Gaftratenftimme
arabijch gefprochen als diesmal, und ſich debat-
tirend, und geftteulirend, wie ein Wahnfinniger,
ſchwur er zehnmal bei feiner Ehre, daß fich nie
das Fieber bet ihm anders, als durch eine Art
Heißhunger löfe, und daß er gewiß fterben würde,
wenn man ihm nicht fogleich zu effen gabe. Er
wurde lange gequalt und von den dampfenden
Schuͤſſeln mit Gewalt abgehalten, bis cr endlich
feinen Vortheil erſah, ſich mit der Gewandtheit
einer Kaße eines gebratenen Huhnes und eines
halben Dutzend harter Eier bemächtigte, und damit
fchleunig in eine Ede flüchtend, dort unter den
fortwährenden Sarcasmen feiner Peiniger fein
Fieber bald gründlich curirt hatte,
149
Eine neue Erfceheinung bei diefem Mahl waren
mehrere ausgezeichnet fchöne Windhunde, die man
gegen die Falte Witterung mit vorn auf der Bruft
anfchließenden wollenen Decken, wie die der Pferde
bei uns, verfehen hatte. Man gewöhnt fi an
Alles, auch an die Flöhe. Zum erftenmal fchlief
Semilaffo ungeftört und fanft, an feiner rechten
Seite der Caid, an feiner linken des feligen Diy’s
Stallmeifter, eine wahre Figur des Alterthums,
dem Abraham in der, großen Bilderbibel zu
M..... fo täufchend ahnlich, als wenn der Schech
dem Maler dazu Modell gefeifen hätte.
Der fchönfte Sonnenfchein, der Flarfte Eryſtall—
himmel begrüßte am ziemlich ſpaͤten Morgen die
Kangfchlafer, worauf die ftets fertige Pfeife, mit
der aromatischen Bohne von Moffa, noch eine
andere Stunde hinnahm; und da die legte Tour
der, gern noch aufgefchobenen, Nückkehr nicht lang
war, brach man erſt gegen Mittag auf. Man
hatte die Abſicht, dem letzten Cäid der Ebene,
Ben - Zegri, der mitt einigen hundert Spahis im
150
Eold des franzdfifchen Gouvernements fteht, und
das fort de l'eau befetst halt, einen Befuch zu
machen.
Eine Zeit lang dem Meere folgend, kam man
bald an die vom Gewitrerregen in einen heftigen
Strom verwandelte Hamyse. Die Beduinen
probirten geraume Zeit, che fie eine fichere Furt
auffanden, Man brachte nun die Efel zuerft
hinüber, welche mehrere Araber führten, Einige
der Geſellſchaft folgten.
Die Gegend betrachtend, hatte unfer Freund
fih noch am Ufer verhalten, und ritt jeßt in der
Zerfireuung, ohne Beforgniß unter der Furt in
den Fluß. Weiter vordringend hörte er zwar
hinter fich den zurücgeblicbenen Caid laut rufen,
da er aber die Sprache nicht verfteht, glaubte er,
es gälte den übrigen Urabern, als plößlich fein
Pferd in ein Triebfandloch gerierh, und bis an
den Sattel verfanf, fo daß es weder mehr vor
wärts noch ruͤckwaͤrts konnte. Da zugleich die
Fluth auf das heftigfie an das faft bewegungsloſe
151
Ihier anftieß, jo fühlte fein Weiter, daß es im
Begriff war, umgeworfen zu werden. Er wollte
abfpringen, feine beiden Bernus hatten fid) aber
fo um die Piftolenhalfter gewickelt, daß fie ihn
feftpielten, und er wäre ohne Zweifel unter das
Pferd gerathen, und dann wahrfcheinlich verloren
gewefen, wenn Diefes fich nicht hatte länger aufrecht
erhalten koͤnnen. Hier bewährte fich die treue Geſin—
nung des Caid auf eine wahrhaft rührende Weiſe.
Semilaffo, der ſich felbft nichts weniger als in
angenehmer Gemüthsbewegung befand, und fic)
Hülfe herbeirufend umgewender hatte, erblickte ihn
ganz verftürt am Ufer, wie er feine Beduinen mit
Fauften fchlug, um fie anzutreiben, fich in den
Fluß zu werfen und das Pferd am Zügel zu
ergreifen. Vier bis fünf befolgten auch augen-
blieflih den energifchen Befehl und kamen wahrlid)
zur gelegenen Zeit, denn fie hatten die größte
Anftrengung nörhig, um das geangftete Thier aus
dem Triebfand loszumachen, und wieder in Die
vechte Furt bineinzubringen. Semilaſſo fam auf
152 +
Diefe Art mit einem bloßen Falten Bade davon,
und da cine glüclic) überftandene Gefahr im—
mer zu den angenchmften Begebenheiten gehört,
glaubte er feinem Kismet nur Danf dafür
fchuldig zu ſeyn; doch ermangelte er nicht, Diefe
Bigebenheit auf den unglüdlichen Freitag zu
ſchieben, deſſen unheilvolle Wirkung ſich noch
zuletzt geltend machen ſollte. Beſonders malicioͤs
fand er es aber von dieſer unbekannten Macht,
daß fie fo ironiſch damit begonnen hatte, vor
finen Augen einen Efel erfaufen zu laffen, und
am Ende der Fahrt ihm felbft ein gleiches Schickſal
bereiten zu wollen fcbien.
Man gelangte jegt in eine lachende, wicfen:
reiche Gegend, wo mehrere verfallene Gebäude auf
den Hügeln die Rassuta genannt, cine ehemalige
Stutterei des Dey, das Pittorcsfe der Scene unge
mein vermehrten. Seitwaͤrts lagerte in fehwarzen
Zelten, gleih Köhlerhütten, der Stamm der
Herriby, die ſich um die Reifenden verfanmelten,
und ihnen unentgeltlich frifche Milch und fehr
153
guten Rahmkaͤſe anboten, Zugleich langten zwei
Epahis von Ben-Zegri an, und meldeten, daß
ihr Chef feine Gafte bis geftern mit großer Schn-
fucht erwartet, heute aber in Dienftgefchäften nach
der Stadt gerufen worden fiy.
Man hielt fih alfo im fort de l’eau nicht
langer auf, als nöthig war, um es, nebft einer
coloffalen türfischen Kanone voll arabifcher Cha-
raftere, flüchtig zu befichtigen, und feßte dann
feinen Weg bis zur maison quarree fort. Dies
ift ein praͤchtiges Gebaude in der febönften Lage,
deſſen Erbauung, wie man erzählt, dem Aga,
der fie unternahm, den Kopf Foftete, weil man
ibn ambitiofer Projecte dabei befchuldigte, Es
dilder ein großes Viereck, deſſen Terraſſe die
ganze umliegende Gegend beherrfcht. Der große
Hof, mit Soldaten der Fremdenlegion angefüllt,
bot einen impofanten Anblick, und die Promenade
auf der erwähnten Terraſſe gewährte den Nück
kehrenden, nod) zum Abfchied, einen legten reizenden
Spaziergang. Su der Nähe von der maison
154
quarree werden eine große Menge Chamalcons
gefunden, welche die Soldaten zähmen und in
dem Bufen mit fich herumzutragen pflegen.
Nachdem der Commandant fehr artig Die
honneurs feines Schloffes gemacht, wandte man
fic) dann auf dem Meeresftrande, halb in den fpie-
lenden Wellen reitend, dem von fern her blendend
Ihimmernden, weisen Algier wieder zu. Semilaſſo
hatte den Caid mit feinem Lieutenant, zu geringer
Vergeltung der genoffenen Oaftfreundfchaft, auf
einige Tage dorthin eingeladen, wahrend die übrige
Escorte fehr reichlich befchenft von hier aus ent:
laffen ward. Bei diefer Gelegenheit ift zu erwähnen,
daß die Araber, Vornehme und Geringe, alle
Gefchenfe, die ihnen gemacht werden, auf eine von
Europaͤern fehr verfchiedene Art annehmen. Sie
bezeigen ernfthaft ihre Zufriedenheit, aber ohne alle
Danfbezeugung. Sa ihre Sprache felbft befißt
das Wort „danken gar nicht, und ftatt: ich
danfe, fagt man: Kattar Khairak, überfeßt:
Dein Glück vermehre ſich. Ste fcheinen alfo kaum
155
den Begriff eines freien Geſchenks, fondern viel
mehr nur immer den eines Dienftes in Verbindung
mit der Vergeltung, alfo einen Austauſch im
Sinne zu haben; es fey nun im materiellen oder
moralifchen Bezuge,
So war denn eine Expedition glüclich zu
Ende gebracht, die in Algier, ihrer gewagten
Neuheit wegen, viel Auffehen machte, dem Unter:
nehmer aber ftetS eine der liebjten Erinnerungen
feines Lebens bleiben wird, Doc war die Gefahr
derfelben Eeineswegs fo Imaginair, als Scmilaffo
und feine Gefährten cine Zeit lang glaubten.
Denn wenig Zage nachher erhielt der Oberft
Marey einen officiellen Rapport, des Inhalts:
daß die Befichtigung des Hammal durch unbe-
kannte Fremde, fchon an demfelben Tage die
ganze Gegend in Unruhe gebracht habe. Schnell
hatte fi) die Sage verbreitet, daß einer der
Chriſten geraume Zeit in einer Höhle des Berges
verweilt, um einen Schatz zu heben (das ewige
Maͤhrchen der Araber), und fpäter, alle Taſchen
156
voll Gold und Yuwelen, daraus hervorgefommen
fey. Bei diefer Nachricht war fogleich der
Stamm Beni-Khalfun, 30 Reiter ftarf, zu
Pferde geftiegen, und deffelben Abends in Barel-
Barud crfchienen, um die Fremden zu fangen,
und ihnen den geraudten Schaß, vielleicht mit
dem Leben wieder abzunehmen. Zugleich ſetzt
der Oberft hinzu, Semilaffo dürfe fich nicht
wundern, im Dorfe bei Beni- Mussa fo übel
empfangen worden zu ſeyn, da fich jetzt erſt
entdect habe, daß wenige Wochen vorher ſechs
Deferteuren der Fremdenlegion dort der Hals
abgefchnitten worden ſey. Die Keichname lagen
noch fammtlich in einen ausgetrodneten Bruns
nen, und die Thäter fürchteten, daß die Fremden
nur deshalb zu ihnen gefommen wären, um
diefem Morde nachzuforfchen — denn von den
Motiven der Neugierde europätfcher Neifenden
haben die Araber wenig Begriff. Uebrigens tft
diefe Blutgier um fo auffallender, da auf die
Ruͤckbringung eines Deferteurs die Pramie von
157
25 Franken gefeßt, und diefe Barbaren daher
das Vergnügen ihrer Mordluft höher angefchlagen
haben müffen, als den Gewinn einer für fie fo
bedeutenden Summe,
Neise- Journal
(Fortfeßung.)
Algier, den 10. März 1835.
Mährend ich auf dem Hammal mit den
Arabern des Oſtens verkehrte, hat mein guter
Freund, Herr Klimerath, fie auf nicht minder
intereffante Weife im Werten aufgefucht, und
dem gefürchteten Abdel-Kader feine Ehrfurcht
in Mascara bezeigt. Er theilte mir folgenden
Furzen Auszug feiner Neife mit, der mir des
Aufzeichnens werth fcheint.
Nachdem er fih einige Tage in Dran auf
gehalten, welches verfallen und in einer baumlofen
159
Gegend nicht viel Merkwuͤrdiges darzubieten fcheint,
ging er mit Herrn Lepelliffier nach Arfoe, dem
alten Arfinaria, wo diefer ein Handelshaus zu
etabliren die Abficht Hat. Da er zu diefem Behuf
eine Unterredung mit Abdel-Kader zu haben
wünfchte, hatte er fich von ihm die Erlaubniß,
ihm aufzuwarten, und ficheres Geleit na Mas:
cara ausbitten laffen. Sie fanden daher aud)
ſchon einen arabifchen Chef in Arſoe vor, der
ihnen eine genchmigende Antwort brachte und
ihre Begleitung übernahm. Es war ein berühmter
Krieger, aber von üblem Ausfchn, hHinterliftigen
und niedrigen Zügen, der ihnen unter andern
Umftanden fehr wenig Vertrauen eingefloßt haben
würde, und als ein wahrer Wilder damit anfing,
ihnen Strümpfe, QTücher u. ſ. w. abzubetteln.
Am andern Morgen brach man fehon vor Tages
Anbruch auf, um einen Theil des Weges zur
See zurüdzulegen, und 309 dann fechs Stunden
lang durch die Ebene von Labra, welche einen
noch weit bedeutenderen Umfang als die der
i60
Metidschiah haben fol. Die Reifenden fahen
viele schöne Wieſen und viel gut bebautes Land,
doc) fo weit das Auge reichte, Faum einen einzelnen
Strauh. Während drei Viertelftunden mußten
fie mitten durch einen Teich reiten, deffen Waffer
oft bis an die Sattelgurte ging, auf welchem fie
haufig ganze Schaaren von Störchen und andrem
Geflügel aufjagten. Sn der Ferne erblicten fie
etwas, was fie lange für einen Wald hielten,
nachher aber zu ihrer nicht geringen Verwunderung
als eine umermeßliche Heerde von Kameelen ers
kannten. Später indeß führte fie ihr Weg durch
einen wirklichen Wald, der aus ziemlich” hohen
Bäumen beftand, und, wie es fchien, mit großer
Unordnung und Holzverwüftung von den Arabern
benugt wurde. Sie wandten fi) jetzt in das
Gebürge, fortwährend in engen Schluchten an-
fteigend, die fehr dicht mit Bufchwerf von mittlerer
Höhe bedeckt waren, welches meiftens aus Immer—
grün unter andern vielen Arten Tuja's beftand.
Erſt um 9 Uhr Abends erreichten fie Mascara,
161
die Reſidenz Abdel-Kader’s, auf einer Hoc-
plaine liegend, aus einſtoͤckigen Haufern beftehend,
und ohngefähr 9000 Einwohner zahlende. Die
es umgebende erenclirte Mauer wird durch fechs
Kanonen vertheidigt. Die Herren nahmen ihre
Mohnung bei dem franzofifchen Conful, der fie
mit vieler Oaftfreiheit empfing, und auf ihre
Anfrage bei Hofe, wurden fie zum andern Morgen
um 10 Uhr zu dem Emir oder Sultan, wie er
fi) manchmal fchon jeßt zu nennen anfängt,
befchieden. Abdel-Kader, der noch vor Kurzem
ziemlicdy) unbedeutende Sohn eines Maräbut, hat
fih durch ein cben fo fchlaues als tapferes und
feftes Benehmen, einen fo großen Anhang zu
verfchaffen gewußt, daß er in einem Alter von
einigen zwanzig Jahren fi) zum Häuptling des
ganzen Weftens der Negence, mit dem einzigen
Ausfhluß von Dran und Zubehör emporge
ſchwungen.
Die Franzoſen, nachdem ſie ihn fruͤher, nicht
immer mit Gluͤck, bekriegt, haben es jetzt vorgezogen,
Semilaſſo in Afrika, IL 11
162
ihn als Souverain anzuerkennen, und fich mit
einer ziemlich nominellen und unbeſtimmten Schein
fuperiorität über ihn zu begnügen. Er ftellt ſeitdem
eine große Anhänglichkeit für diefelben zur Schau,
doch ift man feinetwegen nicht ganz ohne DBeforg-
niß, da er Fein Mittel verfaumt, feine Macht
fortwährend zu vermehren und zu confolidiren. *)
Als er noch mit den Franzofen in ungewiffen
Verhältniffen lebte, fandte einft der in Dran
fommandirende General ihm ein Schreiben, worin
er, im Fall Abdel-Kader ſich nicht den ihm
vorgefchriebenen Bedingungen fügen wolle, denfelben
unverzüglich mit einem allgemeinen Vertilgungs>
krieg zu überziehen drohte, „O was denkſt Du,“
fehrieb der Fühne Araber zuruͤck, „was ftellft Du
Dir vor, uns mit Krieg als einem Ungemach zu
bedrohen! Wiſſe, Chriſt: Krieg ift des Beduinen
Handwerk und fein höchftes Gluͤck. Bei dem
=) Seitdem hat er befanntlich den Franzofen bei
Dran, unter einem ihrer gefchiekteften Generale eine ſchwere
Niederlage beigebracht.
163
Morte Krieg wichern freudig unfre Roffe, und
unfere Weiber und Kinder fehen ihm jubelnd
entgegen. Komm alfo mit allen Deinen Soͤldnern,
und der Schlachtruf freier Männer wird Dir
antworten. Willft Du aber Frieden, fo drohe
nicht. Sch bin bereit, mich mit Dir zu verftändigen,
und treu zu halten was ich gelobe, wenn unfer
beiderfeitiger Vortheil fih in Frieden vereinen
kann.“
Der Styl diefer Leute iſt überhaupt voller
Energie und Kraft. Neulich fchrieben die. Araber
einer Tribu hinter Dellis, die mehrere Schiff—
brüchige zu Gefangenen gemacht hatte, im diefer
Angelegenheit an den Gouverneur, und adreffirten
ihren Brief folgendermaaßen: „An den Gouverneur
von Algier, der fo weit regiert, als er Herr ift,
die freien Leute von Dellis, die ihre eigenen
Herren find,“
Als die Reifenden ſich dem Valafte näherten,
der ebenfalls nur einftücig, aber von großem
Umfange war, traten fie zuerft in einen geräumigen
164
Hof, in dem abermals fechs Kanonen aufgepflanzt
waren, fo daß die ganze Artillerie des Sultans
aus einem Dußend zu beftehen fcheint.
Man führte fie durch einige Vorzimmer, in
denen verfchiedene Cäiden und andere Chefs
ehrerbietig auf eine Audienz warteten, und zum
Theil etwas mißvergnügt fchienen, daß die Fremden
zuerft vorgelaffen wurden. Diefe fanden Abdel-
Kader, einen fohönen, etwas blaffen Juͤngling,
ohne Bart, ganz in eine violette feine Bernus
gehülft, (die er, als ein halber Heiliger und
Sultan, zu einer ihn von allen Andern aus
zeichnenden Tracht gewählt hat) auf einen Foftbaren
Teppich gefauert, am Boden ſitzend. Er begrüßte,
ohne eine andere Bawegung zu machen, die fremden
nur mit einem freundlichen Kopfniden, und deutete
ihnen an, fi auf ein europäifches Sopha zu
fegen, welches in feiner Nähe ftand, Man begann
damit, ihm die üblichen Gefchenfe zu übergeben,
die er felbft im Empfang nahm und neben fich
legte. Die Unterhaltung ward hierauf fehr lebhaft,
165
und ohne die geringfte gene fortgefeßt, wobet
Alle die Promptheit, Amonität und Feinheit der
Antworten des Sultans bewundern mußten, Herr
Klimerath fagte, daß Abdel-Kader auf ihn viel-
mehr den Effect eines fchlauen und gewandten
europäifchen Diplomaten, als den eines gefürchteten
arabifchen Kriegers gemacht habe. Sch übergehe
feine politifchen Yeußerungen und das Handels
geſpraͤch. Dagegen frappirte mich Folgendes :
vor wenig Tagen erft, fagte der Sultan, habe
ihn ein Thaleb verlaffen, der fich erboten, wenn
bei feiner Wiederfunft ein Franzofe fich fände,
der im jene Gegenden zu reifen wünfchte, er ihn
gern mitnehmen, und mit feinem Kopfe für feine
völlige Sicherheit ftchen wolle, Herr Klimerath
bedauerte um fo mehr die bereits erfolgte Abreife
diefes Mannes, da er überdies geäußert, daß, da
die Europäer fo begierig nach Alterthümern
wären, er ihnen nicht weit vom Wege nach feiner
Heimath, eine uralte Stadt zeigen Fonne, von
einem unbekannten Volke aufgeführt, die mit
166
Tempeln voll Säulen und andern anfehnlichen
Gebäuden ſich faft ganz erhalten habe.
Ich laffe es dahingeftellt feyn, in wiefern dieſe
Ausfage Glauben verdient, unbegreiflich bleibt
es aber immer, daß die Franzoſen ihren hiefigen
Aufenthalt nicht beffer benugen, um dergleichen
Notizen gründlich aufzuklären, oder überhaupt
nur irgend etwas für die Wiffenfchaft zu thun.
Man macht alle Augenblicke militairiſche Er-
peditionen mit mehreren Qaufenden um einer
befreundeten Tribu einige geftohlene Ochfen mit
den Intereſſen wiederzuholen; wäre es nicht unfrer
Civilifatton angemeffener, auch etwas weniger
materielle Oegenftände dabei ins Auge zu faflen ?
So iſt man neulich nahe an dem von mir er;
wähnten, höchjt merfwürdigen, noch ganz unbe:
kannten Monument, dem Cobur-er-Bunnia ruhig
vorbeimarfchirt, nnd hat nicht einmal daran gedacht,
es näher unterfuchen zu laffen. Wie intereffant
und erfolgreidy würde eine Erpedition nach dem
nur 20 Stunden entfernten Dschordschora, dem
167
böchften Berge des Fleinen Atlas, feyn, die jeden
Augenbli® mit 1000 Mann und einigem Berg-
geſchuͤtz ohne alle Gefahr zu unternehmen wäre;
und nad) dem, wovon ich mich bei meinem
Privatzuge nach dem Hammal überzeugt, müßte
man dort ohne Zweifel endlich etwas Gewiſſes
über die Lage des großen Atlas zu beftimmen
im Stande feyn, denn noch immer die Gcographen
wie ein Phantafteftük, als anmuthige Arabeske,
auf ihren Charten verzeichnen, und ihm mitten
in der MWüfte feinen langen Lauf anweifen, was
Doch gegen die Analogie aller andern Gebürgsfetten
fireitet. Eben fo bedauernswürdig ift es, daß
die Provinz Conftantine, die in der römischen Zeit
fo blühend war, daß fie allein zu der Kirchen:
verfammlung in Hippone 400 Bifchöffe fandte,
und die notorifch voll der wohlerhaltenften und
merfwürdigften Alterthuͤmer tft, den Franzofen
noch immer eine terra incognita bleibt, obgleich
ihre Eroberung fehr leicht gewefen wäre, einzelnen
Keifenden aber der graufame Charafter Achmet-
168
Bey’s jet ihre Exploration ganz unmoͤglich
macht.
Ich muß bei diefer Gelegenheit noch einer
Notiz erwähnen, die einem der Neifenden in
Mascara mitgetheilt ward.
Schon einige alte Neifebefchreiber, und neulich
wieder der unermüdliche Zander, haben von einer
ganz befonders ausgezeichneten und in Europa
noch unbekannten Pferderace im Innern Afrika’s
gefprochen, und Einige wollen fogar behaupten,
daß jene berühmten Hengfte und Stuten, welche
Carl der Zweite kommen ließ, und die, wie man
gewiß weiß, weder aus Syrien noch dem glücklichen
Arabien herftanımten, fondern auf dem Wege der
Barbarei nach England gelangten, von diefer Race
fi) herfehrieben, und fo die Stammaltern der
jeßt vorzüglichften Pferde Europa’s geworden find,
In Tremesen, einer Stadt hinter Mascara,
von der die Caravanen nad) Tombuctu abgehen,
und wo, wenn ich nicht irre, Roentgen ermordet
wurde, herrfcht eine ähnliche Sage, die dort von
169
Niemand bezweifelt wird, Das Königreid) Tafilet
foll der Ort ſeyn, wo diefe Pferde fich vorfinden,
von deren Ausdauer und Schnelligkeit man wahre
MWunderdinge erzähle Man geht fo weit, zu
behaupten, daß einige von ihnen nur gebraucht
werden fünnen, wenn die Reife von ſehr langer
Dauer ift, da man fie, einmal laneirt, nicht cher
als nach einigen Tagen in ihrem Laufe aufzuhalten
vermag, eine NReifcart, den Mährchen Arabiens
angemeffen, die freilich auch nur in der Wuͤſte,
wo dem Nenner Fein Hindernig in den Weg tritt,
ausführbar ſeyn möchte, Den edelften dieſer
Thiere werden Ninge von gediegenem Gold durch
die Nafenlöcher gezogen, und auch Armbänder an
den Beinen befeftigt, welches Keßtere übrigens die
Bewohner von Conftantine bei koſtbaren Pferden
ebenfalls zu thun pflegen, Gold ift in Tafilet
fehr haufig, und die Art es zu gewinnen, wurde
folgenderweife romanhaft befchrieben, Da angeb—
lich in Maffen Goldftaub im Sande in der Müfte
legt, und am Tage ſchwer zu unterfcheiden iſt,
170
fo reitet man des Nachts, mit einer brennenden
Fackel und einem Sad Aſche umber, wo es dem
Suchenden im Schein des Feuers entgegen blißt.
Sobald er e8 bemerft hat, wirft er ein Hänfchen
Arche anf den Fleck, bis fein Sack leer geworden
ift. Am folgenden Tag findet er nun leicht Die
fo bezeichneten Stellen wieder und grabt Das
Gold gemächlich aus, es in Fleinere Saͤcke von
einem beftimmten Gewicht füllend, Ein folcher
Beutel gilt im Handel mit den Europäern 200
fpanifibe Piaſter, hat aber in der Wirklichkeit
bald mehr, bald weniger Werth, Die erwähnten
Fackeln dienen indeß nicht ganz allein blos, um
das Gold zu finden, fondern auch die Boafchlangen
von fürchterlicher Größe abzuhalten, welche diefe
Gegend verpeften, und nach der byperbolifchen
Sprache dieſer Neger oft Roß und Reiter mit;
einander verfchlingen follen,
Sc kehre jetzt zur Audienz nad) Mascara
zurüd. Als Abdel-Kader fie beenden wollte,
zeigte er der Geſellſchaft mit Würde und Orazie
171
durch einen Wink mit der Hand an, daß fie ſich
jeßt entfernen dürfe, worauf die vornehmſten der
draußen Martenden eingelaffen wurden, Da der
Sultan erfahren hatte, daß die Fremden fchon am
andern Tage feine Hauptftadt wieder zu verlaffen
gedachten, ließ er fie, nachden er ihnen ebenfalls
einige unbedeutende Geſchenke gefandt, noch einmal
des Morgens zu ficb holen, um Abjchied von
ihnen zu nehmen. Diesmal fanden fie den Hof
mit einer fchr barof ausfehenden, und nod) barofere
Tone von fich gebenden, fogenannten Sanitfcharen-
muſik angefüllt, welche der der Franzofen mit
wenig Glück nachgeahmt war, Sie durchſchritten
einen Saal, der vol Waaren lag, die nur zu
Geſchenken, die der Sultan macht, beftimmt find,
aus welchem Vorrath auch die, welche fie erhalten
hatten, gefchöpft worden waren, Das Ceremontel
blieb daffelbe wie geftern, mit Herrn Lepelliffier
wurden einige vortheilhafte Handelsverbindungen
abgefchloffen, und die Fremden verließen Abdel-
Kader, eben fo zufrieden mit feiner geiftreichen
172
Unterhaltung als mit der Herablaffung feines
Benehmens Er ließ ihnen zuleßt noch eine Art
von Firman überreichen, und fette hinzu, daß
fie auf Vorzeigung diefes bei jedem Chef, wie in
jeder Hütte, die freundlichfte Bewirthung finden
würden, welches fie auch auf ihrer Ruͤckreiſe vollz
ftändig erprobten.
Herr Klimerath ftellte mir bei feinem DBefuch
einen jungen Herrn Dorn aus Ötettin vor, den
ic) vor zweit Sahren in den mir immer theuer
bleibenden Hamburg gefehen hatte, und mit
Freuden diefes liebe Andenken wieder anfnüpfte,
Er kam aus Neapel, wo, wie er launig fagte, an
der Ausgrabung von Pompeji jest nur noch 30
Individuen arbeiteten, namlich 15 Maulefel und
15 Kinder. Ein Engländer hatte fic) neulich vom
Dafigen Gouvernement die Erlaubniß erbeten und
erhalten, 14 Zage in einem der von Neuem
zum Tageslicht gebrachten altrömifchen Häufer
Pompeji's wohnen zu dürfen, hatte es mit vielen
Meublen und Utenfilien im antifen Styl (wahrs
173
fcheinlih nah Herrn Hope's Zeichnungen) in
Stand geſetzt, fich, feine Familie und ſaͤmmtliche
Dienerfchaft ſtreng altrömifch befleidet, und brachte
nun feine 14 Tage, mit der Küche aus Peregrine
Pickle, und der Lektuͤre fammtlicher Glaffifer in
guter Ueberſetzung, mit der ängftlichften Sorgfalt,
als Achter republifanifch-romifcher Bürger zu.
Gewiß, andere Leute Fonnen auch auf eine
folche geniale Jdee Fommen, aber nu. ein Eng—
länder führt fie in ihrer ganzen Länge materiell
aus. MWie gern hätte ich einen halben Tag, das
roͤmiſche Mahl mit eingefchloffen, bei dem edlen
Märtyrer zugebracht; und recht überlegt, daͤucht
mir, Fönnte diefer burlesfe Gedanke vielleicht mit
Succeß bei der Arrangirung irgend eines Feftes
zu einer intereffanteren Masferade benußt werden,
als die gewöhnlichen find, welche wegen ihrer zu
leeren Abgeſchmacktheit leider Niemand mehr
befuchen noch geben will.
Den 11. März.
Ich muß mich bei mir felbft anflagen, nie
mein Reifejournal fo nachlaͤßig als hier geführt
zu haben. Es find fogar der größte Theil der
Dines, denen ich beigewohnt, und alle die, welche
ich felbft gegeben, ſchmaͤhlich von mir übergangen
worden! Sie hätten doch manches Erwähnungs-
werthe dargeboten; jetzt erinnere ich mich nur
noch, daß der gute Gouverneur mir einmal die
Ehre erzeigt bat bei mir zu fpeifen, bei welcher
Gelegenheit einer der Säfte den drolligen Einfall
hatte, zu behaupten: die chambre des Pairs würde
bei der geringen Mannhaftigkeit die ihre traurige
Berfaffung jet noch verftatte, weit beffer thun,
175
Fünftig den Namen der chambre des meres an-
zunehmen; ferner ift mir noch gegenwärtig, daß
wahrend einer andern Mahlzeit bei mir der
liebenswürdige Konful Belgiens vier bis fünf
Gedichte mit der Schnelligkeit eines Stenographen
beim Schaumen des Champagners niederfchrieb,
wovon zwei nichts Geringeres als mich felbft
zum Gegenſtande hatten; und endlich), daß Herr
Gouſſet (ein ominoͤſer Name für einen Wirth) der
jetzige Gaſtgeber im hötel de Paris, ein früherer
maitre d’hötel des großen Banquiers Schickler
in Paris, Alles aufbot, die fehlechte Qualität der
algierifchen Eßelemente zu leidlich genießbaren
Ragouts zufammen zu brauen, In der That
ift alfes Fleiſch ohne Ausnahme, Butter, Milch,
felbft Sifhe und Hummer, hier nur in höchft
mittelmaßiger Qualität aufzutreiben, eine fehr
fhwarze Seite Ulgiers, deren Erwähnung ich abs
fihtlich bis zulegt gelaffen habe, um meinen
geiftreichen Lefern nicht zu früh einen Degout vor
diefeom Ort beizubringen, Doc zwingt mich
176
Gerechtigfeitsliebe hinzuzufeßen, daß frifche Eier
und Gemüfe eine glorreiche Ausnahme von dem
bisher Geſagten machen, und die Orangen von
Blida den beften maltefifchen wenigftens gleich—
fommen,
Auch eines fplendiden Balles bei Herrn Baccuet,
wo eine Flora der lieblichften Danıen verfammelt
war, und Herr Dorn die Gefellfchaft mit Gefangen
in allen Sprachen erfreute, nebft einem fehr heitern
Sefte bei dem licbenswürdigen Staliäner Garavini
muß ich noc) erwähnen. Ber dem Lebteren tranfen
wir, auf einer Collection von Loͤwen- und Tiger:
haͤuten fiend, den Kaffee aus einem genuefifchen
Service von Feigenholz, das fo leicht wie Flaum—
federn ift, fehr elegant ausfieht, und den Vorzug
bat, daß man fich bei zu heißem Inhalt nie
die Finger daran verbrennen Tann. Die mit
Stroh beflochtenen Stühle in dem Galon
waren von Ddemfelben Holz gefertigt, und ein
Dußend davon hatten Faum das Gewicht eines
einzigen der gewöhnlichen Art, Ein anweſender
177
Spanier berichtete verfchiedenes mir Neue über
den jeßigen Guerilla-Krieg in feinem Vaterlande,
So fagte er unter andern, daß Zumalacarreguy,
während der früheren fo Furzen und unglüdlichen
Invaſion Mina’s, Adjutant diefes Generals ge—
wefen ſey, und fonderbarerweife jeßt Mina grade
diefelben Truppen commandire, und dieſelben
Leute um fich habe, gegen welche er damals ge
kaͤmpft; und umgefehrt Zumalacarreguy wiederum
die damaligen Bundesgenoffen Mina’s unter feinen
Sahnen verfammelt halte. Wenn Jener nun eine
Proclamation gegen Mina erlaffe, fo mache er
diefe niemals felbft, fondern benuße immer
eine oder die andere, von Mina in jener Zeit
eigenhändig verfaßten, nur mit geringer Ab—
Anderung der Localitäten — welches den alten
Feldherrn von allen ihm gefpielten Streichen
Zumalacarreguy’8 am meiften ärgern foll. Das
Gigenthümlichfte beit dieſer factifchen Umwech—
felung fcheint mir, daß dennoch weder Mina
noch Zumalacarreguy im Grunde ihre Prinzipien
Semilaffo in Afrita. I. 12
178
geändert haben, und gewiß Fann eine ahnliche Vers
wirrung aller Verhaͤltniſſe, nur in einer fo coloffal
grotesfen politifchen Zeit, wie die unfre ift, dent
bar werden!
Unfer Wirth, der feit Kurzem ameritanifcher
Conſul geworden ift, und deifen Talent das Gluͤck
freundlich lächelt, theilte uns einen feltenen Beweis
hiervon mit. Der dem entfeßlichen Sturm, der
neulich Alles im Hafen zu vernichten drohte, und
auch wirklich vernichtet haben würde, wenn die große
Gabarre, la Marne, ſich losgeriffen hätte, die
gleich einem furchtbaren Niefen umberfchwanfte
und am Ende nur noch an einem einzigen, legten
Sabel hing, der in den Magazinen noch vorrathig
gewefen war — befanden fich) von Herrn Garavini
fehs Schiffe im Hafen, wovon drei leer und
hoch affecurirt, drei andere zur Abfahrt friſch
beladen, und noch nicht verfichert waren. Der
Sturm zertrümmerte die Halfte diefer Fahrzeuge
und das gut gelaunte Glück richtete es fo ein,
daß dieß grade die leeren waren, die übrigen
179
blieben unverfehrt,; ein Umftand, der Garapini
zu dem einzigen machte, weicher von der allge-
meinen Calamität vielleicht fogar noch einigen
Vortheil zog.
Den 14. März.
Der ehemalige Bey von Tittery hatte mic)
auf fein Landhaus eingeladen, was ic) um fo
lieber annahm, da ich begierig war, einer Acht
türfifchen Mahlzeit im hoheren Styl beizuwohnen.
Oberſt Marey, Herr Klimerarb, und Herr Bellart,
nebft einem jungen, eben angefommenen Marfeiller,
waren die übrigen Säfte, Der freundliche und
biedere Gaftgeber empfing ung, von zwet ftattlic)
gefleideten Negern begleitet, am Thor feines
Drangengartend. Ich fand feine Villa fehr artig
eingerichtet; befonders reizend war der mit
Porcellanfließen gepflafterte, mit Waſſerbecken
und Fontainen gezierte Hof, den Iuftige und
181
zierliche Sommerfalons von ungewöhnlicher Größe
umgaben, und einige ſchoͤne Bäume befchatteren,
Das geräumige Zimmer im erften Stod, wohin
man uns heraufführte, war mit einem in brens
nenden Karben geftreiften Teppich belegt, deren
gleichen, wie er mir fagte, nur im der Wuͤſte
verfertigt wird. Niedrige Divans, mit zum Theil
in Gold geftickten Kiffen, ftanden an den Wänden.
Eine auserlefene Sammlung mit Silber und
Steinen ausgelegter Waffen hing auf der andern
Seite, und einige alterrhümliche venetianifche
Spiegel, nebft zwei maffiven Tiſchen, vollendeten
das Anmeublement der Stube. Wir wurden
fogleih mit Kaffe und Pfeifen bewirthet, nebjt
ſeltſamen Eonfttüren von Kartoffeln und Kürbis.
Ein großes filbernes Becken ward vor uns auf
den Boden gefeßt, um die Fleinen Kohlen, welche
man hier fehr zweckmaͤßig zur Anbrennung der
Pfeifen auf den Tabak legt, nachdem fie ihren
Zweck erfüllt, darein wieder abzuwerfen. Zur
Placirung der Kaffeetaffen und Confttüren, fette
182
man Kleine, nur einen Fuß hohe, fehr niedliche
Gueridons, aus Foftbarem Holz und VPerlmurter
gefertigt, neben und. Man unterhielt fich in
italiänifcher Sprache, welche dem Bey ziemlich
gelaufig war. Ber diefer Gelegenheit erzählte uns
der Oberſt manche pifante Anekdote von dem
Kriege mit den Arabern während feines Hierfeyns.
Nach einem gluͤcklich beftandenen Gefecht, wo
mehrere der feindlichen Beduinen, anfcheinend
todt umberlagen, wollte einer feiner Spabis, ein
fehr tapferer Neger, dem zunächt Liegenden, einem
fhönen jungen Mann, deffen glaferne Augen ihn
bemegungslos anftarıten, zu größerer Sicherheit
den Kopf abfchnetden, und zog bereits zu Diefem
Behuf feinen Jataghan. Wozu willft du dir
die unnüge Mühe machen, dem Todten den Kopf
zu nehmen?“ fagte einer feiner Camaraden, ver
drießlich auf den Oberft blickend, „man bezahlt
ung Ja die Köpfe nicht niehr.“ „Du haft aud)
Recht, erwiederte der Neger, ſteckte feinen
Jataghan wieder cin und ritt Davon, Nach einem
|
133
Jahre meldet fich bei Marey, als gerade zufällig
derfelbe Neger wieder bet ihm fteht, ein Ueber;
laufer des Bey von Eonftantine, der um Aufnahme
unter die frangofifchen Spahis bittet. „Du koͤmmſt
mir befannt vor,“ fagte der Oberſt, „warft Du
vielleicht früher fehon in franzoͤſiſchem Dienft ?“
„Nein,“ erwiederte der Araber lachelnd, „aber
der da neben Ihnen wollte mir einmal den Kopf
abjchneiden, als ich mid) todt geftellt hatte; gluͤck—
licherwetfe aber ward er wieder anderes Sinnes.“
Der Neger Fonnte fi) anfangs Faum darüber
zufrieden geben, fo angeführt worden zu feyn;
„jetzt aber,“ fuhr der Oberft fort, „find Beide
gute Freunde und meine beften Leute. Es find
diefelben, auf deren Gefchicklichfeit ich Sie bei
dem neulichen Manoͤver befonders aufmerffam
machte.“
Ein bereingebrachter Tiſch, ebenfalls nur von
einem Fuß Höhe, mit fremdartigen Speifen
beladen, dem noch zwei mauriſche Gafte von der
Familie folgten, unterbrach uns hier, und wir
184
nahmen auf niedrigen Kiffen Plaß, alle türkisch
auf unfern Beinen fiend, woran ich fchon ziemlich
gewöhnt bin, was aber den jungen Marfeiller
nach Furzer Zeit in eine wahre Leidensgeftalt vers
wandelte. Sn der Mitte des Tifches fand
eine große Schüffel Nudeln in Bouillon gefocht,
aus der Alle mit fchon gefchnitten hölzernen
Löffeln fuppen mußten. Außerdem befanden fich
vor jedem Saft einige Fleine Affietten, mit den
heterogenften Gegenftanden angefüllt, als füßer
Rahm, Aljoli (mit Eiern abgeriebener Knoblauch)
faure Milch mit Zucer, Radieschen, Eonfitüren,
faure Surfen, in Oel marintrte Sachen u. f. w.,
in welche, im Verfolg des diné's, nach Belteben,
bald von Diefem u bald von Jenem mit den
Fingern Hineingefahren und davon zugelangt
wurde, Eine Servictte, lang wie ein Vorhang,
reichte um den ganzen Tiſch, und diente Allen
gemeinfchaftlih. Nach der Suppe erfchien eine
Art dünner vol au vent, oder warne Vaftete,
die ich nie beffer gegeffen habe. Die Art und
185
Weiſe aber, wie mit den von Fett glänzenden
Fingern, von den unappetitlichften Fauften, bei
jedem Biffen, den man nabm, fortwährend darin
umbergewühlt wurde, war für einen Europäer
fhwer ohne Edel zu ertragen. Nun folgte ein
ebenfalls vortrefflich zubereiteter gebackner Fiſch,
zu dem hauptfächlidy das erwähnte Aljoli genoffen
wurde, dann ein fehr feiner Cuscussu mit Manz
deln, Zuder und frifchem dien Rahm; nad)
dieſem ein faftiger Schöpfenbraten mit Knoblauch
affaifonirt; dann gebratene Hühner, und zuleßt
ein Milchreis mit Eonfttüren, deffen Delicateſſe
und Zartheit in der That nichts zu wünfchen
übrig lich. Das Deffert war gleich vorzüglich ;
Rofinen von Smyrna, Datteln aus der MWüfte,
die fchonften grünen Piſtazien, füße Bananen und
die berrlichiten Drangen, mit vielen eingemachten
Früchten, zierten würdig den Tiſch. Wir waren
jedoch Alle froh, als das filberne Wafchgefchirr
mit wohlriechenden Waffern und feinen Shawls
fervietten erfchien, um uns von der unbequem
186
gezwungenen Lage unferer Beine zu befreien. Der
Marfeiller geftand, daß, wenn es noch fünf Minuten
länger gedauert hätte, er ohne Zweifel in Krämpfe
verfallen wäre, und da er, mit den biefigen
Sitten noch ganz unbekannt, aus Surcht zu belei—
digen, auch von Allen, was der Wirth ung
dringend einnoͤthigte, fehr reichlich gegeffen hatte,
wozu es nichts als Waſſer und Milch zu trinken
gab, fo fah er überdies einer peinigenden In—
digeftton unfehldar entgegen. Sch hatte mir die
Freiheit genommen, meine Sefundheit vorfchüßend,
eine Bouteille Bordeaur mitzubringen, welche die
Andern, wie es mir fcheint, aus zu großer Ruͤck—
fiht, nicht mit mir theilen wollten.
Nach Tiſch wurde wieder zum Kaffee und
den Pfeifen übergegangen, wobei uns der gefällige
Wirth feine beiden wunderhübfchen Tochter von
10 und 12 Fahren prafentirte, die in weiten
Hoſen und Faden wie Knaben angezogen waren,
und deren fchone rabenfchwarze Haarzoͤpfe, Fünftlich
geflochten, big auf die Knoͤchel hinabreichten. Ein
187
Spaziergang in den verfchtedenen Garten befchloß
den Tag, worauf wir und zu Pferde feßten, und
fehr zufrieden mit diefem Echantillon türfifcher
Saftfreundfchaft, in der Abenddaͤmmerung Algter
wieder erreichten.
Den 16. März.
Die Stadt befand fich dieſer Tage in einigem
Allarm, weil die Hajuten mit großer Srechheit
vier bis fünf Keute auf der Straße nad) Duera,
nur zwei Stunden von Algter entfernt, ermordet
hatten. Es war ein Fomifches Zufammentreffen,
daß grade den Tag vorher ein Befehl des Gou—
verneurs erfchten, der verbot ohne Autorifation
Waffen zu tragen, und zugleich die Etablirung
einer Ambülance für die Bequemlichkeit der Rei—
fenden zwifchen Algier und Ducra angefündigt
worden war, welche jeßt fchwerlich viele Paſſagiere
zu erwarten haben möchte. Man kann nicht
leugnen, daß die Hajuten thre Unternehmung mit
nn — nn nn — — — — — —— — —
189
vieler Liſt und Kuͤhnheit bewerkſtelligt hatten, denn
waͤhrend die Franzoſen, 1200 Mann ſtark, zu
einer Expedition uͤber Buſſarick und zur Recog—
noscirung der verſchiedenen Furthen uͤber den
Mazafran ausgezogen waren, paſſirten ſie ſelbſt
mit 300 Mann Fußvolk und einigen 80 Reitern
durch die naͤmlichen Furthen den Fluß, attakirten
die bei Staoueli wohnenden, den Franzoſen
befreundeten Tribus, raubten ihnen 100 Stuͤck
Vieh, toͤdteten ihnen mehrere Leute nebſt den
ungluͤcklichen Chriſten, die ſie auf der Straße
fanden, und waren ſchon wieder auf demſelben
Weg zuruͤckgekehrt, als die Expedition erſt am
Fluſſe ankam. Hätte dies nur um einige Stunden
früher gefchehen Tonnen, was bei richtigeren und
fchnelleren Nachrichten fehr leicht möglich gewefen
ware, fo würden Wenige der Araber entkommen
ſeyn. Es ſcheint aber, daß die Spione den Leßteren
bei diefer Gelegenheit beffer gedient hatten, als
den Franzoſen. Wie ich hörte beträgt der Fond,
welcher für Diefes Departement ausgefeßt iſt,
130
monaqlich nur 200 Franken, wofür freilich nicht
viel Auskunft zu erhalten ift.
Don der Faltblürigen Kühnheit der Hajuten
giebt folgendes einen Begriff. Zwei franzöfifche
Gensd'armes ritten an diefem Tage, mit Kara-
biner, Sabel und Piftolen bewaffnet, nad) Duera.
Nur no) 500 Schritt vom Camp entfernt,
bemerkt der Eine, daß ihnen zwei Araber im
langfamen Schritt zu Pferde folgen. Er macht
feinen Camaraden aufmertfam darauf. „O die
find von unfern Spahis ze erwiedert diefer. „Mir
wollen fie aber doch licher vorausreiten laffın,«
meint der Erfte. Die Gensd’armes halten an und
rufen den Arabern zu, bei ihnen vorbeizureiten.
Diefe antworteten bejahend, fommen ganz unbefan:
gen heran, und wie fie neben ihnen find, ſchießt
der Vorderfte mit feiner Piftole den naͤchſten ver
Gensd’armes nieder. Sein Camarad verliert den
Kopf und jagt unangefochten nach Duera herein.
Unterdeffen ward der Verwundete von den Arabern
ganz gemächlich vollends getddtet und beraubt.
191
Mein Arzt erzahlte mir, daß vor ohngefähr
vier Wochen ein Hajute mit zerfcehmetterter Hand
zu ihm Fam, und fich diefelbe im Gelenk von ihm
abnehmen ließ; bei welcher Operation er Feine
Miene verzog, fondern nur fortwährend Gebete
aus dem Koran leife vor fih binmurmelte. Er
fagte aus, daß er vom Sohne des Maräbut von
Kolea ein paar Piftolen gekauft gehabt habe, die
er fi nachher zu bezahlen geweigert. Der Maräbut
machte ihm bierüber die bitterften Vorwürfe, und
als dies nichts half, fagte er zu ihm: Die Strafe
wird nicht ausbleiben, und der Himmel dir die
trenlofe Hand rauben, welche die eingegangene
Berbindlichfeit nicht erfüllen will. Am andern
Tage fchießt er mit denfelben Piftolen bei Gele:
genheit eines Feſtes; Die eine zerfpringt und zer:
ſchmettert ihm wirklich die Hand. Won abergläu:
biſchem Schrecken ergriffen, tilgt er fogleich feine
Schuld, und eilt dann erft, um Hülfe zu fuchen
in die Stadt. Nach einigen Mochen entließ ihn
der Arzt, nachdem er noch eine Fünftliche eiferne
192
Hand für ihn beftellt hatte, die, der Abrede
gemäß, der Araber nach) beftimmter Zeit abholen
follte. Er Fam jedoch nicht wieder, und als geftern
der Doctor einen der Camaraden deffelben, dem
er zufällig in der Straße begegnete, fing, was
denn aus Jakub geworden fiy, daß er feine Hand
nicht hole, antwortete dieſer: D, der braucht
Eure Hand nicht mehr, denn er hat feitdem
ſchon wieder mit der andern, zur Sühne feiner
Sünden, drei Chriften in der letzten Affaire
ungebracht.
|
|
Den 20. März.
Wie fchwer es ift, Sprachen zu erlernen, wenn
die Sonnenfeite des Lebens von Einem zu weichen
anfängt, empfinde ich jett, da ich nod) immer nur
hoͤchſt imperceptible SFortfchritte im Arabiſchen
mache, obgleich ich wüchentlich mehrere Stunden bei
dent vortrefflichen Profeffor Pharao nehme, einem
fehr wiffenfchaftlich gebildeten Uegyptier, der, wenn
er auch nicht von den Pharaonen abftammt, wenigs
ftens einer fehr guten Familie jenes Landes angehört,
Früher Instructeur in der Armee des Vicekoͤnigs
machte er einen Theil der Campagne Ismael’s gegen
die Wechabiten mit, befeclte fpater in Paris haupt:
fachlich den Unterricht der von dem Pafcha dahin
gefendeten jungen Aegyptier, und ift jet Secretairs
Semilaffo in Afrika, II. 13
194
Interpret des Gouverneurs, fo wie Profeffor der
arabifchen Sprache in Algier. Sch habe diefe
Details hier aufgeführt, weil Herr Pharao fo cben
in franzöfifcher Sprache ein höchft merfwürdiges
Werk über die arabifche und maurifche Geſetz—
gebung in Afrika herausgegeben hat, was bisher
in der europäifchen Literatur fo gut wie ganz
fehlte, und nach allem, was ich in dem fehr
unterhaltenden Manuferipte gelefen, zu urtheilen,
auch unfern deutfchen Zuriften gewiß fehr wills
kommen feyn wird. Gern hätte ich mir einige
Auszüge erlaubt, wenn der Gegenftand nicht zu
ernft für meine befcheidene Zwecke ware, und
überdies das Ganze bald dem Publifum zur
eigenen Anficht vorgelegt werden fol, Es ift
genug hier darauf aufmerkffam gemacht zu haben.
Da meine Abreife herannaht, und das Wetter
ungemein klar war, ftieg ich noch einmal auf die
höchften Zinnen der Cassba, von wo die Ausficht,
des ganz eigenthümlichen Effefts wegen, welchen
diefe hunderte von Terraffen der Stadt darbieten,
195
mir faft noch dem Panorama, das man vom Fort
l’Empereur erblickt, vorzuziehen zu feyn fcheint,
Ich pflege gern auf folche Weife den letzten Abfchied
von einem Drte zu nehmen, befonders einem wie
Algier, der mir fo vielfältige Erinnerungen zuruͤck—
laßt. Noch einmalruhten nun meine Augen mit
MWohlgefallen auf dem einfamen Blocdhaufe des
hohen Budschariah, wie auf jenem Heere
freundlicher Villen, in deren manchen ich die
liebenswürdigfte Gaftfreundfchaft genoſſen; und
als meine Blicke über die Ebene fchweiften, Die
ich fo vielfach durchgezogen, zeigten ſich mir auch
der Hammal noch einmal, fo deutlich, daß ich
mit meinem Glaſe den ganzen Weg bis zu feinem
Gipfel, den ich zurückgelegt, genau verfolgen
fonnte. Ein franzdfifcher Hauptmann, der ung
begleitete, und den Feldzug in Griechenland mits
gemacht hatte, unterhielt ung während dem mit
allerlei drolligen Anefooten von Ibrahim und feiner
Umgebung. Indem ich eine davon hier nach»
erzahle, erfuche ich mit meiner gewöhnlichen
196
Gewiffenhaftigkeit alle Damen, denen Dies in Die
Hände fallen follte, befagte Anekdote forgfältig
zu überfchlagen. Thun fie es nicht, fo waſche ich
meine Hände in Unfchuld.
Ibrahim liebte den Champagner fehr, und
wurde dadurch oft bei den Feften, die ihm die
franzöfifchen Generale und die Admirale der
vereinigten Flotte um die Wette gaben, in Die
heiterfte Stimmung verfeßt. Einmal fagte ihm
bei einer folchen Gelegenheit ein fremder Admiral:
„Mais votre Altesse a reellement trop de
femmes; il est impossible que vous puissiez
toutes les satisfaire.“ Ibrahim, welcher einen
franzöfifchen Offizier als Dollmetfcher bei fich hat,
der ihn überall begleitet und vor dem er Fein Ceheim—
niß zu haben fcheint, befahl etwas piquirt diefem,
dent Admiral zu antworten, quil lui proposait
un pari de 20,000 sequins, qu’en presence de
tout les convives, il lui prouverait avec six de
ses femmes l’une apres lTautre, quil n’etait
pas leur mari de nom seulement. Mais qu’en
197
suite, lamiral devrait faire la meme chose:
et que pour cela, il lui offrait, quoique Ture,
de choisir parmi toutes les femmes de son
harem celles qui lui plairaient le mieux. Et
que celui qui resterait court dans le combat,
paierait la gageure.. Da nun der Admiral
ein fo braver Seemann er aud) tft, Doch dieſes
Anerbieten fich nicht anzunehmen getraute, fo
mußte er manche Scherze auf feine Koften
erdulden, in welche Ibrahim am thätigften eins
fiimmte.
Einer Dame in Algier gefchah etwas ähnliches
mit einem dortigen vornehmen Zürfen, der fid)
jedoch nicht ganz fo Fühn wie Ibrahim zeigte.
Es entfuhr ihr namlich der naive Yusruf: „Mon
dieu, Monsieur, que pouvez vous faire avec
toutes ces femmes ?“*
„Madame,“ antwortete der Türfe grapitätifch,
„je ne fais jamais qu’avec deux ou trois dans
le m&me jour.“ Hier wären auch Betrachtungen
über die guten und fehlimmen Folgen der
198
Civilifatton zu machen! Den europäifhen Ehe
männern fchadet ohne Zweifel das zu viel
Denken. — |
Ibrahim legte überall eine wahre Herzens—
neigung für die Franzoſen an den Tag, Die
Engländer ſchien er weniger zu lieben, und bie
Nuffen noch weniger. Ueber die Manöver der
franzoͤſiſchen Cavallerie war er oft fo entzüdt,
daß er vor Freuden in lautes conpulfinifches
Lachen ausbrach, und mehrmals ausriefs „Ihr
feyd die wahren Kinder Napoleons, mit folchen
Soldaten eroberte ich die Welt!“ Seinem großen
Borbilde ähnlich erfihien auch Ibrahim ftets
hoͤchſt einfach gefletvet, wogegen fein Gefolge
immer mit Gold und Juwelen bedeckt war.
Die Nacht brach fchon ein, als ich die Geſell—
ſchaft verlieh und, einen großen Umweg nehmend,
nah Haufe ging. Welche andere Gefühle beherr:
fchen doch wiederum den Menfchen, wenn der
Tag geſunken, und die ftille Nacht mit ihrem
geheimnißvollen Schweigen ihn von Neuem
199
umfängt. So oft ich mic) in der Betrachtung
des Sternenhimmels verliere, werden mir immer
alle Arten von Schwärmerei Far. Mas find fie
anders, als die innigfte Begierde, fich auf eine
oder die andere Weife der unfichtbaren unendlichen
Macht zu nähern, die über allen diefen Welten
thront,
Den 24. März.
Ehe ich Algier verlaffe, halte ich es noch für
eine wahre Schuldigfeit, alle Fremden vor den
hiefigen europätfchen Handwerkern und Kaufleuten
zu warnen, In meinem ganzen Leben bin ich
nirgends fo ſchamlos fortwährend übertheuert und
angeführt worden. Die Details gehen ins Unglaub-
liche, und da ich einige Fälle diefer Art zu empoͤ—
rend fand, um mid) ruhig darein zu ergeben,
wandte ich mic) an den juge de paix, der mir
nicht nur vollfommen Recht gab, fondern mich
auch noch durch ein befonderes Billet darin ber
ftarfte, wegen der Gerechtigfeit meiner Sache
nicht nachzugeben. Demohngeachtet war das Ru
fultat das gewöhnliche, d. h. das Urtheil deffelben
201
Nichters mobderirte zwar die Forderung, jedoch
unverhältnißmäßig gering, und die eben fo übers
triebenen Gerichtsfoften, mit denen des Advokaten
vereinigt, überftiegen daher noch die erfte
Summe der gewiffenlofen Rechnung. Freilich
war die Frau des Advokaten meines Gegners
eine der hübfcheften in Algier, und Gott weiß, ob
der Handwerker den das Geſetz fo milde behandelte,
nicht auch für das Zuftizperfonal billiger als für
mich arbeitet. Kurz als mir mein Advokat den
allerdings unerwarteten Ausgang meldete, und
feine Liquidation beifügte, machte er fich felbft
mit der heiterften Laune über das Flägliche denoue-
ment luftig, indem er naiv verficherte: die alte
Gefchichte von der Auſter wiederhole fich noch
immer, und, wie ich jeßt lerne, in Afrika fo gut
wie in Europa,
Da alfo weiter Fein Ausweg übrig zu bleiben
fcheint, fo rathe ich wohlmeinend jedem Fremden
in AUlgter, nie Etwas irgend einer Art, das Geld
Foftet, zu Faufen, zu micthen, oder zu beftellen,
202
ohne vorher den Betrag genau zu firiren, NB.,
wenn er mit Chriften zu thun hat, denn die Mufels
männer und Juden betrügen hier entweder gar
nicht, oder wenigftens decent. Sch bin überzeugt,
daß Feder, der diefer Warnung folgt, mir nach
einiger Zeit aufrichtigen Dank dafür fagen wird.
Bone, den 23. März.
Nachdem ich allen Pflichten eines höflichen
Reifenden genügt, namlich alle Abfchiedspifiten
gemacht, die Abfchtedsmahlzeiten eingenommen
und dabei Manche meiner algierifchen Freunde
und Gönner wirklich mit wahrem Bedauern ver:
laffen hatte, befchloß ich, mich den 25, gegen
Abend auf dem Dampfboot des Gouvernements,
le Brasier, nad) Bougie einzufchiffen,. Mit dem
mir folgenden Perfonal war eine Kleine Veraͤnde—
rung vorgegangen. Der junge J.... begleitet
mich als Secretair, und die Stelle des Varifer
Kammerdieners, der fich in die arabifchen Länder
nicht mehr zu finden vermochte, hat ein achtzehn:
jähriger Maure eingenommen, deffen Mangel an
204
Erfahrung durch guten Willen und Luft zum
Reifen hinlänglich aufgewogen wird. Da überdem
das Urabifche feine Mutterfprache ift, und er das
FSranzonfche geläufig, das Staliänifche leidlich
fpricht, fo dient er mir zugleich bequem als Dol—
metfcher.
Der Admiral hatte die Artigfeit, mir vor dem
Embarfiren noch eine Collation bei fich anzubieten,
welche Durch die angenehmſte Unterhaltung gewürzt
wurde. Sch hörte hier von mehreren unparteii—
fhen Autoritäten eine genaue Grörterung über
den fo viel befprochnen, in der Cassba gefundenen
Schatz, und alle famen darin überein, daß der
Marfchall Bourmont, wie ein Theil der Armee,
auf das ungerantwortlichfte und abgefchmacktefte
in dieſer Hinficht verlaumdet worden wären.
Die genauften und nichts weniger als fchonen:-
den Unterfuchungen haben dies zur Evidenz er—
wieſen.
Man ging ſo weit, auf eine wahrhaft empoͤ—
rende Weiſe, den Leichnam des gebliebenen, jungen
205
Bourmont in Zoulon aufzuhalten, den Sarg zu
öffnen, und alle Glieder der Leiche zu unterfuchen,
ob nicht irgendwo Edelſteine verborgen worden
ſeyen. Der Marfchall felbit fuhr in einem Fleinen
Trieſter Handelsfchiffe, mit nicht mehr als zwei
Cantinen, als fein ganzes Gepad, von bier
ab, ein trauriges Refultat für den Eroberer von
Algier, den die Nemefis, für feine früheren Sün-
den gegen Napoleon, ohne Zweifel dadurch beftrafte,
der aber für fein hiefiges Betragen nur Ruhm
und Feine Vorwürfe verdient hat.
Nicht fehr bekannt ift es geworden, daß bei
der angelangten Nachricht von der Juli-Revolu—
tion, in dem zufammen berufenen Kriegsrath
unanimiter beichloffen wurde: mit der weißen
Cocarde nach Frankreich abzufegeln und daß nur
der Admiral Duperre, durch feine beftinmte
Meigerung, die Ausführung diefes Projects ums
möglich machte, und einige Tage fpäter, als neue
Depefchen den Willen der Nation noch deutlicher
fund thaten, auch die Landarmee zur Annahme
206
der dreifarbigen Cocarde und Unterwerfung unter
die Ießte Ordnung der Dinge bewog. *)
In dem elegant mit blau und rothen Tuch—
decken belegten Canot des Admirals gelangte ich
nach dem Dampfſchiff, wo ich in einer Fleinen,
luftigen Cajüte des Capitains, oben auf dem Vers
deck, placirt wurde. Ste war voller Snftrumente,
Feilen, Bohrer, Hammer, Zangen, Amboße u. f. w.,
denn der Gapitain des Brasier ift ein fo paſſio—
nirter Mechaniker, daß er alle nöthigen Nepara-
turen an feiner Mafchine felbft ausführt. Da
mein Bett fich grade über den Rädern des Schiffes
*) Als ich fpäter Sir G. Temple’s Neife nach Algier
und Tunis las, fand ich die DBemerfung darin, „daß
feine Beute der englifchen Armeen in Indien der gleich
gekommen wäre, welche ver Schab in Algier ver franzö—
fifhen Armee geliefert.”
Er hätte aber den wichtigen Unterſchied dabei nicht
übergehen follen, daß die indifche Beute unter die englifche
Armee, die fie erobert, vertheilt wurde — die franzöfifche
Armee aber faft nichts davon befommen bat.
207
befand, fo hatte ich volllommen die Empfindung
in einer weniger al8 gewoͤhnlich ftoßenden, und
mehr als gewöhnlich ſchwankenden Diligence zu
fahren. Im Anfang war das ununterbrochene
leife Schüttern, ſo wie der eigne Ton der ſich
umwaͤlzenden Nader, dennoch etwas ftorend, nad)
und nach gewohnte ich mich aber fo gut daran,
daß ich noch nic auf einem Schiffe beffer gefchlafen
habe. Auch war dies meine erfte Seereife, auf
der ich nicht ſeekrank geworden bin, obgleich das
ziemlich Feine Fahrzeug bei ſtets contrairent,
ſtarkem Winde fortwährend gewaltig fchaufelte,
Ich fchliege daraus, daß Allah mich noch zu
mehreren und größeren Reifen diefer Art beſtimmt
hat. Es war eine angenehme Ueberrafchung für
mich, unter den übrigen Paſſagieren auch Herrn
Klimerath zu finden, deffen Unterhaltung immer
fo unterrichtend und mannigfaltig ift. Außer ihm
waren auch) einige intereffante Damen aus Konz
ftantinopel auf dem Schiff, die Frau des fran-
zöfifchen Civil» Intendanten in Bone mit ihrer
208
Tochter, die nach langer Trennung wieder in die
Arme ihres Gatten eilte, und auf dem uns wohl
befannten Erocodil den großen Sturm ausgehalten
hatte, wo fie am Ende einer Marterwoche, fich
dem Hungertode eben fo nahe als dem in den
Wellen befand. Nur mit genauer. Noth rettete
ſich das Schiff zuletzt im elendeften Zuftande nach
Port Mahon.
Die übrigen Figuren der Equipage und Paſſa—
giere blieben mir unbefannt.
Wir langten in Bougie, arabifd) Budscheya,
(dem alten Saldae) erſt am andern Tage um
fünf Uhr Abends an. Die Lage diefes Ortes iſt
außerordentlich pittoresk. Hohe und fehroffe Selfen
von den fonderbarften Formen fleigen fenfrecht,
unmittelbar aus den Fluthen empor; einer bildet
ein weites Thor, das mit der perfpectivifchen
Ferne dahinter, und dem fmaragdenen Waffer-
grunde darunter, einen magifchen Effect hervor—
brachte. Auf dem höchften diefer Steinberge haben
die Franzofen ein Fort erbaut, das von unten
209
kaum zu erkennen tft, fondern vielmehr nur einer
Mauerfrone gleicht, die man dem Fahlen Selfen-
Scheitel aufgedräcdt. Bougie felbft, von großem Um—
fang, und überall faft nichts als Ruinen alter
und neuer Zeit darbietend, die von Gärten voll
hoher Bäume lieblich durchflochten find, daͤuchte
mir eine alte verlaffene italiänifche Stadt, und
erweckte mein lebhafteftes Bedauern, kaum andert:
halb Stunden Zeit zu ihrer Betrachtung zu haben
Ein vortrefflicher, kuͤrzlich vollendeter Weg,
den man gemächlich hinaufreiten kann, führt, von
Mauern geftüßt, in weiten Windungen bis zum
erwähnten Fort; es war mir indeß unmöglich,
mehr als ein Drittheil davon zu erfteigen, che die
Nacht einbrach. Wenigftens fah ich von diefem
Standpunkte aus das fchöne grüne Thal mit
feinent bedeutenden Fluß, den Ptolemaeus
Nasava nennt, und der fich hier in das Meer
mündet, den es umgebenden Kranz jeßt größten:
theils befchneiter Bergfpigen, und den ganzen bedeu—
tenden Umfang der Stadt, mit zwei bis drei feften
Semilaffo in Afrika, II 14
210
Schlöffern, und mehreren Blockhaͤuſern, welche,
ohngeachtet ihrer Nähe die Araber fchon mehrere
male attafirt haben, und nur mit Mühe durch
Kartätfchen davon zurücgetrieben werden Fonnten,
Die Noth hat daher eine hübfche Vorrichtung
erfinden laffen, vermöge der diefe Blochäufer in
wenigen Sefunden von oben bis unten ilfuminirt,
und die Lichter eben fo fehnell wieder verlöfcht
werden koͤnnen. Die erfte Idee dazu gab ein
Blockhaus, das die Araber während der Nacht
in Brand ftedten, was ihnen an hundert Mens
fehen Foftete, da man beim Schein der Flamme
vortrefflih auf fie zielen Fonnte, Die Garnifon
befand fich in Bougie lange in einem fürmlichen
Dlofadezuftande, und konnte nicht einmal wagen,
vor den Thoren Holz in der Plaine zu fällen,
ohne fogleich angegriffen zu werden. Die lebten
Affairen haben jedoch, wie es fcheint, den Feind
etwas eingefchüchtert, der hauptfächlich von feinen
Prieftern und Maräbuts fo aufgehett werden foll,
welche hierbei wahrfcheinlich ein Privatvortheil leitet.
211
Man war in Bougie feit vielen Wochen ohne
Nachrichten aus Europa, und empfing daher die
Neuigkeiten, die wir mitbrachten, als die Ernen:
nung des Herrn von Broglie zum Prafidenten des
Eonfeils, den Tod des Kaifers von Defterreich u. ſ. w.
mit großem Intereſſe. Die Herren, an welche ich
Briefe hatte, befuchten mich fämmtlich in dem
elenden Reftaurant, wo ich abgefttegen war, um
eine glüclicherweife mitgenommene Paſtete zu
verzehren, aber Keiner Fonnte mir etwas Mate:
riclles anbieten, weil eine ſolche Difette an Provi—
fionen hier herrfchte, daß dem Anfcheine nach der
Commandant superieur, an den ich zufällig kei—
nen Brief hatte, der Einzige war, welcher eine
Art von Tafel hielt.
Der Befehlshaber der Artillerie gab mir einige
Notizen über die hiefigen romifchen Alterthümer,
die nicht unbedeutend zu feyn fcheinen, und feine
Anrifenfammlung, wie er mir fagte, bereits vicl-
fach bereichert haben. Man ficht daraus, daß
die Römer hier in ungeftörterer Ruhe gelebt haben
212
müffen, als den Franzofen zu Theil wird, und
auch das verrufene Clima damals wahrfcheinlic)
beffer gewefen tft, denn der Commandant befißt
die Grabfteine eines Terentius, der 80, eines
Sempronius, der 88, und Eines aus der Familie
Scipio, der gar 95 Jahr alt geworden ift. Seht
raffen epidemifche Fieber und eine unerträgliche
Hitze im Sommer die Menfchen noch häufiger
als die Kugeln und der Sataghan der Araber
dahin,
Bei aller diefer Noth, Verfallenheit und
Zerſtoͤrung gewährte Bougie doch ein herrliches
Schaufpiel, als ich) es in meiner Gondel um
11 Uhr wieder verließ, und auf dem fchwarzen
Grunde der Nacht viele glänzende Lichter von den
Bergen und aus den alten Schlöffern auf ung
herabfcehimmerten, Beſonders ſchoͤn nahm fich ein
Kaffeehaus, auf einem ifolirten Selfen ftehend, aus,
deffen Fenfter mit dunfelrothen VBorhängen, großen
chinefifchen Laternen glichen. Unter uns leuchtete
auch an vielen Stellen das Meer, und jeder
* * *
— ————————————————— ———
213
Ruderſchlag, ſo wie die lange Bahn des Schiffs—
kiels, ſchienen tauſend Funken zu ſpruͤhen.
Den andern Tag brachte ich, da nur einfoͤrmige
Kuͤſten zu ſehen waren, ruhig in meinem Bette zu,
las, dictirte, aß mit wahrem Salzwaſſer-Appetit
von der ſehr guten Kuͤche des Capitains und ſchlief
die Nacht darauf vortrefflich. Die neuere Erfahrung
beſtaͤtigt mir mein ſchon fruͤher daraus abſtrahirtes
Seeregime immer mehr, naͤmlich: kurz vor der
Embaͤrkation immer eine conſiſtente Mahlzeit zu
mir zu nehmen, dann aber auf dem Schiff
durchaus nicht cher etwas zu cffen, als bis man
Hunger fühlt, in diefem Falle aber auch, felbft
wenn die Webelfeit noch nicht vorüber ift, dem
angezeigten Bedürfniß zu folgen. Um den Durft
zu löfchen, ift Drangeade das Beſte, und gegen
Uebelkeit ein gutes Mittel, die Stirn haufig mit
einer Citrone zu neßen und in eau de Cologne
getauchtes Lofchpapier wie ein Kataplasma, auf
den Magen zu legen. Ber ftarfem Kopffchmerz
thut Effigather, auf den leidenden Theil applieirt,
214
fehr gute Dienfte, Denn die Seekrankheit iſt offen
bar eine Affection des Gehirns, und der Magen
leidet nur per consensum, weshalb auch die
horizontale Lage, bei welcher der Kopf feſt auf den
Kiffen ruht, Allen fo wohlthätig iſt. Viele haben
mir gefagt, man muͤſſe den rothen Wein, den
Kaffee, Süßigkeiten u, ſ. w. vermeiden, was ich
Alles, auf mid) wenigftens nicht anwendbar finde,
Es war ganz gleichgültig, was ich genoß, wenn
es nur im genauen Verhältnig mit der Luft dazu
abgenieffen wurde. Daß übrigens möglichft frifehe
Luft und reine Athmoſphaͤre immer zu erhalten
gefucht werden müffe, wobei in der Gajüte mir
das Näuchern mit Effig wohlthat, verſteht fich
fhon von felbft, Ber dem ftarfen Schaufeln des
Schiffs babe ich immer mehr Erleichterung
gefunden, ſtatt es durch feftes Anklammern an
mein Lager zu vermindern zu fuchen, int Gegentheil
den Bewegungen des Schiffes mit dem Körper
freiwillig zu folgen, wie man 3. B. beim Trabreiten
auf englifhe Art, den Bewegungen des Pferdes
215
gewiffermaßen noch zu Hülfe kommt. Auf diefe
Weiſe gelangte ich zulegt fo weit, daß mir das
Hinz und Herwiegen, wenn e8 nicht ins Extrem
überging, faft zu einer angenehmen Empfindung
ward; ein Nefultat, das ich früher zu erreichen
nie gehofft haben würde,
Als wir in die herrliche Rhede von Bone einfuh—
ren, die eine entzückende Landfchaft umgiebt, fahen
wir darin noch die Nudera von 16, wahrend des
legten großen Sturmes gefcheiterten Schiffen,
theils aus den Wellen, theils aus dem Uferfande
bervorragen — ein fihauerlicher Anblick! Wie
viel Todesangſt, welche Maſſe von Elend, welche
Empfindungen, zu graͤßlich fuͤr die Beſchreibung,
moͤgen hier die von einer unbekannten Macht
auserwaͤhlten Opfer gemartert haben, ehe ein
wohlthaͤtiger Tod ſie in Vergeſſenheit begrub.
Ein Augenzeuge der Kataſtrophe ſagte mir,
daß von mehreren Schiffen nur wenige der
Paſſagiere gerettet werden konnten, und eins mit
Allen, die ſich auf ihm befanden, unterging. Ein
216
dfterreichifcher Gapitain, der lange mit dem Sturme
kaͤmpfte, hatte feine fchöne junge Frau mit zwei
lieblichen Kindern hoch am Mafte angebunden,
wo man fie mehrere Stunden ganz nahe zwifchen
Tod und Leben frhweben fah, ohne daß vom Ufer
aus, felbft auf Die geringfte Diftance, bei der
entfeßlichen Wuth des Meeres irgend eine Hülfe
möglid war, So nahte fi) das Schiff bis
auf 10 Schritt dem Strande, und man hoͤrte
den Gapitain durch den heulenden Wind rufen: er
böte 10,000 Franken, fein ganzes Vermögen
dem, wer feine Frau und Kinder rette — als
eine furchtbare Welle, wie mit höhnender Ironie
majeſtaͤtiſch heranwogte, den Maft gleich einem
Rohrſtaͤngel knickte, und fogleich mit feiner unfchäß-
baren Laft gierig verfchlang. Diefelbe Welle warf
einige mit weggeſchwemmte Matrofen, als fey diefe
Beute zu gering für fie, unbefchädigt wieder auf
des Ufers Rand, auch der Capitain hätte fich
vielleicht mir ihr retten Fonnen, doch für ihn ſchien
das Keben Feinen Werth mehr zu befigen, man
217
fah ihn noch einen Augenblic mit dem linken
Arm feſt an den Stumpf des abgefplitterten
Maftes geflammert, den rechten wie drohend gen
Himmel heben — dann fprang er, mit Morten
auf feinen Lippen, die uur der Sturm vernommen,
freiwillig feinen Lieben nach in die Tiefe, und
bald war er gleich ihnen in der tobenden See
verſchwunden.
Mit zehnfachem Intereſſe betrachtete ich die
ſeitwaͤrts der Stadt ſich erhebende Cassba, wo
die dreifarbige Fahne neben einer einzelnen Palme
flatterte, weil ſie Juſſuf mir ſo treu beſchrieben
und ich mit ihrem zweiten kuͤhnen Helden jetzt bald
in naͤhere Beruͤhrung treten ſollte; denn ein Brief
Juſſuf's, den ich ſorgfaͤltig in meiner Brieftaſche
verwahrte, empfahl mich dringend ſeinem Freunde.
Mein erſter Gang war daher auch zu Herrn von
Armandy, den ich in einem Salon, deſſen Thuͤre
nach dem Hofe zu offen ſtand, um dem Duft
eines Orangenbaumes freien Einlaß zu gewaͤhren,
feiner Frau vorleſend, am Kaminfeuer ſitzen fand.
*
218
Herr von Armandy ift ein ftattlicher ſchoͤner
Mann mit jener edlen Ruhe in feinen Manieren,
die am ficherften einen hohen Charakter ausfpricht,
und mit dem glüclichen Ausdruck der Phyfiognos
mie, der auf den erften Blick alle Herzen gewinnt.
Mit wenig Worten hatte ich mich bei dem Haus:
herren eingeführt, mich feiner, die Güte und
Sreundlichfeit felbft perfonifteirenden Gemahlin
vorgeftellt, und die DBefanntfchaft eines zweiten
höchft anztehenden Mannes, der mit der Familie
im engften SFreundfchaftsverhältniß lebte, des
hiefigen Militär Intendanten Herrn von St. Leon
gemacht; ja, ich darf ohne alle Uebertreibung
fagen, daß ich mich nach zchn Minuten hier, wie
ein alter Freund des Haufes fühlte und aufge
genommen fand. Auch ward ic) in der That,
wenigftens für einige Zeit, ein volliges Mitglied
deffelben, da Herr von Armandy mit fo liebens;
würdiger und aufrichtig gemeinter Gaſtfreund—
lichFeit im mich drang, bei ihm zu leben, fo lange
ich in Bone verweilte, daß ich es nicht abzu—
219
fchlagen vermocht hätte. Ueberdem war bdiefes
Anerbieten hier eine wahre Wohlthat, da nur ein
einziger, bhöchft elender und ſchmutziger Gafthof
in Bone eriftirt, welche Stadt überhaupt, fo
malerifch fie fich, vom Meere gefehen, ausnimmt,
nur ein elendes verfallenes Neft ift, in dem «8
weder eine gepflafterte Straße giebt, noch ein
Haus ganz zu feyn fiheint, was nicht von Franz
zofen bewohnt wird, Es ift höchit auffallend für
einen Europäer, alle Afrifanifchen Städte der
Regence fo delabrirt zu fehen, daß wenigfteng
einzelne Theile davon immer einem Ruinenhaufen
gleichen. Es erklärt fich aber leicht dadurd), daß
die Mauren mit ihrer beneidenswerthen Sorg—
lofigkeit faft nie Etwas repariren, ſondern fo
lange ihnen das Dad) nicht wörtlich auf den
Kopf fallt, fih mit den unbedeutendften Pallia-
tiven zu helfen wiſſen. Daher find auch alle
Hausmauern üppig bewachfen und manchmal ſah
ich, wo der Schornftein eingefallen war, cin Loc)
in die Wand gebrochen, um dem Rauc) einen
220
Ausgang zu laffen. Dagegen beginnen fie leicht
einen neuen Ban, fobald fie fich im Beſitz einigen
Geldes befinden, und laffen ihn dann eben fo
forglos halb vollendet wieder liegen, wenn das
Geld zu früh ausgeht. Weit entfernt ift dies von
der feltfamen Induſtrie der Franzofen in Algier,
welche, oft mit eben fo geringen Mitteln verfehen,
dort europaifche Palaͤſte zu errichten anfangen,
und wenn der erfte Stock vollendet ift, diefen
verfaufen, um von dem Erlös den zweiten auf-
führen zu koͤnnen. Man hat mich verfichert, die
Abneigung der Mauren gegen Neparaturen, und
ihr Ddesfallfiger Aberglaube, daß fie Unglüd
bringen, ſey fo groß, daß, wenn ein Familien
vater ftirbt, und feine Wohnung unvollendet oder
in zu fehlechrem Zuftande hinterläßt, der Sohn,
wenn es ihm irgend möglich ift, immer eine neue
aufführt, und auch niemand Anders mehr die
alte benutzt, welche dann bald zur vollfommenen
Ruine zerfällt. Da nun auch noch die Sranzofen,
zu größerer Zweckmaͤßigkeit oder Verfchönerung,
221
ganze Straßen einreißen, und diefe Plane eben:
falls aus verfchiedenen Urfachen fpäter wieder in
Stocden gerathen, fo wird e8 lange dauern, che
hier die freundliche Ordnung und Nettigkeit Statt
finden kann, welche lange Givilifation in dem
größten Theile von Europa zum Normalzuftande
erhoben hat. Algier machte früher hiervon eine
vortheilhafte Ausnahme, weil die dortige Polizei,
mit der nicht zu fpaßen war, die Erhaltung der
Gebäude, und einen, alfe drei Monat erneuten
frifchen Anftrich derfelben, erzwang, weshalb Algier
auch im Arabifchen den Zunamen des »prächtigen«
erhalten hatte,
Sünfter Brief.
Un den Herrn Baron von VBogbt in
Hamburg.
Bone, den 4, April 1835,
Sie haben lange nichts von mir gehört, theuerz
fier Baron, und ic) muß fogar damit anfangen,
mic) bei Ihnen eines ftrafbaren Vergehens anzu
klagen; denn vor mehreren Monaten fehon trug
mir Ihre liebenswürdige Freundin, der noch im—
mer die Grazien dienende Schweftern geblieben,
— Sie errathen, daß ich von Madame Recamier
fprechen will — die dringendften Grüße an den
alten Freund auf, die jeßt erft von den Küften
223
der- Barbarei, aber nun auch gleich gedruckt, an
Sie gelangen, Vergeben Ste dem reuigen Sünder;
Wenn ich nöthig hätte an Sie erinnert zu
werden, deffen Andenken Jedem, der das Glüc
hatte Sie kennen zu lernen, fo theuer bleibt, fo
würden zwet Dinge hier es befonders aufgefrifcht
haben. Zuerft mußte ich in einem Lande, das der
Eultur die höchfte Ausbeute Darbietet, ohne doch im
geringften benußt zu werden, ganz natürlich eines
der berühmteften Ocfonomen und Philanthropen
Europa’s gedenken, deffen weife Erfahrung ich hier
an der Spitze der Colonifatton zu fehen wünfchte,
welche bis jeßt dem franzöfifchen Gouvernement
durchaus nicht gelingen will. Zweitens erwect
die vortreffliche Familie, in deren Mitte ich hier
patriarchalifch lebe, die Erinnerung an den ehr—
würdigen, ftetS jugendlichen Greis, der mehr wie
irgend Jemand Sinn für die edlern Empfindungen
der Seele und für das rein Menfchliche hat . »
Vebrigens glauben Sie nur, daß wir auch
außer den häuslichen Annehmlichkeiten uns in
Bone auf das DBefte zu amüfiren wiffen, und ich
wünfche, daß die Erzählung davon wenigftens
nicht den entgegengefeßten Effect auf Sie, mein
nachfichtiger Gönner, hervorbringen möge.
Bor allen Dingen kann man bier in jeder
Richtung einige Stunden, ohne Gefahr des Kopfz
abfchneidens, in das Land hineinreiten, welches in
ſaͤmmtlichen übrigen Städten des franzöfifchzafriz
kan iſchen Reichs Feineswegs der Fall ift, und größe
tentheils dem zweckmaͤßigen, eben fo liebevollen als
*) Wir haben, um unnüße Wiederholung zu vermei—
den, bier eine Stelle, nur Seren von Armandy und
fein Haus betreffend, unterdrückt.
2.98%. 6.
225
wo es Noth thut, energifch firengen Benehmen des
Commandirenden, Vicomte d’Uzer, zugefchrieben
werden muß. Diefer Eriegerifche General, der jeden
Augenblick Conftantine erobern würde, wenn ihm
das Gouvernement die Vollmacht dazu ertheilte,
(was, beiläufig geſagt, wohl nicht nur als wüns
fchenswerth, fondern als dringend nothwendig
erfcheint, um mit einem Hauptfchlage dem, an
allen Enden noch ftattfindenden Feuer des Widers
ftandes jede Nahrung zu benehmen) ift zugleich
der gutmüthigfte und freundlichfte Mann im
gemeinen Leben, wie ihn folgender, ganz idylliſche
Vorgang charakteriftifch ſchildert. Er hatte mich,
gleich nach meiiter Ankunft, zum Effen eingeladen,
und als ich in den, nach dem Hofe hin offenen
Salon trat, wo fih die Geſellſchaft gewöhnlich
aufhält, bemerkte ich) mit DVerwunderung an der
Corniche des Zimmers ein angefangenes Schwal-
benneft, und gegenüber auf einem Pfoften in der
Wand die Fleine Werfertigerin deſſelben felbft
ſitzen, die fic) hier ganz furchtlos und heimiſch
Semilaffo in Afrika, II. 15
226
benahm, abs und zuflog, und bald allein bald in
Geſellſchaft ihres Maͤnnchens am Nefte fortbaute,
das der General auf das Strengſte zu zerftören
verboten hatte. Sch habe immer eine Wrädilcetion
für Leute gehabt, welche die Thiere lieben, weil
ich felbft den nämlichen Sinn hege und bin daher
fehr erfreut, daß auch bei Herrn von Armandy
fi eine fehr anmuthige Sammlung davon bes
findet. Zuerft der Neftor der Gefellfchaft, Cham-
pagne, ein chrwürdiger Pudel aus Mokka, der
zehn Sahre lang die Irrfahrten, Freuden und
Leiden der Familie getheilt bat, und den Alles
mit Reſpect behandelt, außer ein muthwilliges
Aeffchen, dasihm oft, ehe er es fich verſieht, feine
Suppe gefreffen hat; dann eine wunderliebliche
Gazelle mit glänzend fchwarzen Augen, Die
Morgens und Abends mit einem frifchen Blumen
bougquet gefüttert wird, und dennoch nie ermangelt,
wenn wir abgegeffen haben, an den Tiſch herauf
zu baͤumen, um die übrig gebliebenen Sruchtfchalen
befchetden von den Tellern zu leſen; drittens zwei
227
fortwährend im Hofe fpielende Hühnerhunde, deren
Luſtigkeit zuweilen felbft den alten Champagne
zu ungewohnten Gambaden hinreißt; und endlic)
zwei prächtige rabenfchwarze Kaßen mit grünen
Augen, Negre und Negresse, von denen Die
letzte fich in gefegneten Leibesumftanden fühlt, und
die erfte ihres Gefchlechts iſt, von der ich fehe,
daß fie die ganze Folgſamkeit eines wohlgezogenen
Schooßhundes befit. Auch ift fie der Liebling
der Frau von Armandy, und im Genuß fo gro:
Fer Vorrechte, daß fie unter andern ihre Teßte
Progenitur in den Caſchemirſhawl ihrer Gebieterin
niedergelegt hat, und man ſchwebt noch in banger
Erwartung, welches Kindbett fie ſich diesmal aus—
zumwählen für gut finden werde,
Sch hoffe, liebfter Baron, daß Sie mir dieſe
einfachen Naturfreuden fchon für ein Amüfement
gelten laſſen; wir haben deren aber auch noch
andere. Gleich den zweiten Tag nach meiner
Ankunft machten wir, die Herren von Armandy,
von St. Leon, ein Offizier der Chasseurs d’Afrique
223
mit dem feit der Tafelrunde berühmten Namen
Pharamond, mein Secretair Herr 5... +, und
ich, einen herrlichen Spazierritt in die Umgegend.
So leicht folche in befannter Umgebung langweilig
werden, eine fo unverfiegbare Quelle des Vergnuͤ—
gens find fie, wo immer neue Gegenftände fi)
darbieten, und ich werde Sie daher noch von eint-
gen zu unterhalten fo frei feyn. Ueberdem haben
wir hier eine foldye Auswahl vortrefflicher Pferde,
die mir bald der General, bald meine gütigen
Hauswirthe, bald das Chasseur- Regiment liefern,
und die man fo wenig zu fehonen braucht, daß
unfere Ausflüge immer zur Hälfte in Wettrennen
beftehen, ein Umftand, der für einen muntern
Reiter, wie ich bin, fein AUngenehmes hat. Unfer
Meg führte uns heute zuerft, auf ziemlich grund:
loſer Straße, durch Die naſſe Plaine des frucht-
barften aber meift uͤberſchwemmten Gartenbodeng
nahe der Stadt, den in vergangener Zeit wahrs
fcheinli das Meer einnahm, bis wir an den
reizend grünen, ifolirten Berg, mit den Ruinen
229
des alten Hippone, kamen. Es ift faft nichts
mehr von diefer Stadt übrig als ein grandiofes
Gebäude von mehreren Bogenetagen über einander
und weiten Räumen in der Tiefe, wahrfcheinlich
einft eine Eifterne, über welcher irgend ein großer
Palaft find. Das Ganze ift prachtvoll über-
bangen und dDurchwachfen mit üppigen Sträuchern,
Clematis, Lianen und unzähligen bunten Blumen.
Rechts durchzieht das Thal ein zerſtoͤrter Aquaduct
von einigen taufend Fuß Lange, und links fieht
man die Ueberrefte des alten Quai der Stadt
Hippone am Ufer der Seybuse, (chemals Armua)
ein bedeutender Fluß, der, in den fchönften Wellen—
linien aus dem fernen Gebürge von Oſten herz
fommend, die Ebene durchftrömt. Gegen Werften
erblidt man aus den Schluchten des Dschebel-
Derugh vordringend, einen andern Fluß, die
Bujgima, von etwas geringerer Größe, ſich durch
das Thal ſchlaͤngeln, die fich dicht unter den
Ruinen mit der Seybuse vereinigt und deren
Bette überall emaillirte Wiefen in den blendendſten
230
Farben umfchliegen Diele Gruppen alter Oel⸗
baume und Caroubiers, bie und da eine einzelne
Palme, abwechſelnd mit tinfelartigen Bosquets,
die man hier Dafen nennt, vermannigfachen und
beleben die Scene. Bone, darüber die Cassba, noch
weiterhin das fort genois am Raz-el-Hamrhah,
(Cap rouge, das Hippi promontorium der
Alten) daneben ein freier Selfen im Meer, der
Löw: genannt, weil er die Form eines ruhenden
Sphynx taufchend nachahmt, die Rhede mit eint>
gen Dutzend Schiffen und faft einer gleichen
Anzahl geſcheiterter Wrads, viele einzelne Block—
haufer nach allen Seiten auf den Höhen zerftreut,
drei bis vier Reiben fich übereinander thürmender
Bergketten, mehrere Zeltlager der Beduinen in
der Ebene und einige Maräbuts (weiße Domartige
Gräber der Heiligen) bilden, mit einer glänzenden
afrikaniſchen Sonne, die übrigen Hauptzüge des
reichen Gemaͤldes.
Nachdem wir hier eine geraume Zeit verweilt,
vitten wir wohl cine halbe Stunde lang quer
231
durch einen Sumpf und erfliegen dann, unter dem
Schatten hoher Baume, einen bedeutenden und
fehr fteilen Berg, auf deffen Gipfel wir, als
Zugabe zu der eben befchriebenen Ausficht, noch
den bisher verdeckten Theil der großen Ebene und
in der Ferne den See Efzara entdeckten. Man
überzeugt fich von diefem Punkte aus, wo man
das ganze Panorama Bone’s überfieht, mit wie
wenig Schwierigkeiten die Austroduung dieſer
Gegend zu bewerkfichligen feyn wide, im Ders
haltniß zu der unerfchöpflihen Fundgrube ber
folideften Reichthuͤmer, die nothwendig daraus
erwachſen müßten. Eine leicht ausführbare Ders
legung des Slußbettes der Bujgima, da, wo fie
fid) in die Seybuse ergießt, und cin längs des
Meeres gezogener Danımı von Bone bis zum
Mammelon d’Hippone, nebft den nöthigen Fleineren
Abzugsgraͤben, würde vollfommen hinreichen, und
faum mehr als ein Capital von einigen Millionen
Franken erfordern.
Der Berg, auf dem wir ftanden, heißt in der
232
bilderreichen Sprache der Araber Bu-Hamrhah,
in der Ücberfegung : Vater des Nothen, weil der
eifenhaliige Stein des Berges diefe Farbe hat.
Beim Herabfteigen paffirten wir einige Pläße,
die mit folchen Maffen gelber, rother, wioletter
und blauer, orange und rofenfarbiger Blumen
in allen Nüancen bedeckt waren, dag mir Faum
in dem fchönften englifchen flower garden je ein
ähnlicher Effekt vorgefommen if. Wir wandten
und nun den Wicfen zu, und feßten unfre tour
am ruisseau d’or, längs der weftlichen Bergkette
fort, wo wir zuerft ein hübfches Kleines Vorwerk
des General d’Uzer, nad) europäifcher Weiſe
eingerichtet, befichtigten, dann einen großen Block
hauspoften, am Bach der Lorbeeren gelegen, und
de la source benannt, befuchten, und zuleßt die
lange Promenade mit Erfteigung der Cassba
(Eitadelle) befchloffen, wo mir d'Armandy an
Drt und Stelle die interffante Gefchichte der
Einnahme diefer Tefte dur) ihn und den Türfen
Juſſuf verdeutlichte.
233
Nun führe ich Site in den Fleinen Krieg, befter
Baron, bei dem jedoch nicht viel Blut fließen wird.
Der General hatte mir fpat Abends fagen
laffen, daß er im einer Stunde zu einer Expedition
gegen einige rebellifche Stamme ausmarfchire, ich
aber zeitig genug anfonımen würde, wenn ich ihm
um 5 Uhr am andern Morgen mit den Com-
mandant d'Armandy folgte, um welche Zeit
zwanzig Spahis und zwei Pferde für mic) und
meinen Secretair fi) einfinden würden.
Wir waren auch mit dem Schlage 5 Uhr
bereit, zu welchem Endzweck ich, der, wie Sie
wiffen, das Srähaufftehen nicht liebt, mich gar
nicht zu Bett gelegt hatte, fanden jedoch nur die
für ung beftimmten Pferde, aber Feine Escorte
an unferm Thore vor,
Ueberzeugt, fpäter etwas zu erfahren, machten
wir uns demoßngeachtet, noch durch Herrn von
St. Leon verftäarft, auf den Weg, und Famen
nad) einer Stunde beim pont de Constantine
an, deffen Erbauung Einige den Roͤmern, Andere
234
fogar den Carthagern, zufchreiben, der aber wahr,
foheinlich fpäteren Urſprungs iſt. Hier holten
wir die Infanterie und d'Armandy's Artillerie
ein, welche einen Außerft befehwerlichen Marfch
durch tiefe Lehm und Sumpflöcher gehabt hatten.
Es war mir auffallend, die Infanterie fo forglos
und höchft unordentlich, wie c8 bei uns kaum
auf einem Etappenmarſch im tiefften Frieden
geftattet feyn würde, ohne Bajonetts auf den
Gewehren, und ein Drittheil ald Traineurs über
die Ebene zerſtreut, marfchiren zu ſehen. Wären
400 Reiter aus den die Straße bordirenden
Bergen hier hervorgebrochen und hätten diefe drei
incompleten Bataillone mit Schnelligfeit in der
Slanfe angegriffen, fo bin ich überzeugt, fie wären
ganzlich zerfprengt worden und europäifche Caval—
lerie mochte fich dabei fogar leicht auch der
Kanonen bemächtigt haben.
Don der Escorte war immer noch nichts zu
hören und zu fehen. Die Truppen machten jebt
Halt, und unfere Begleiter, Herr von Armandy
235
und von St. Leon, mußten von nun an bei ihren
refpeftiven Corps der Artillerie und Ambülance
verbleiben; es fand ſich aber unglücklicherweife
Fein einziger Berittener weiter vor der den Weg
nach dem noch zwei Stunden entfernten Hügel
Ben-Jakub Fannte, wo man den General ver:
muthete, Weberdies erklärten mir alle Offiziere,
dag ohne Esforte, befenders in einem Augen—
bie, wo man die Truppen des Bey von Eon:
ftantine in der Nahe glaube, und der General
einen Angriff beabfichtige, es durchaus nicht
rathſam fen, fi) allein fo weit in die Plaine zu
wagen. Ueberdem wäre es ganz ungewiß, ob der
General noch auf Ben-Jakub verweile, und im
Gegentheil viel wahrfcheinlicher, daß er fehon
mehrere Stunden weiter in die Berge vorgedrun—
gen fey; fo, daß, wenn wir dort auch glüdlich
anfamen, wir doch immer gezwungen feyn würden,
mit fehr vermehrter Gefahr wieder umzufehren.
Es war eine unbequeme Alternative — indeß der
General hatte mich felbit zu feiner Begleitung
236
eingeladen und ich hielt es demnach durchaus
nicht für thunlich, zurüdzubleiben. Unterdeffen
war ih mit 3... langfam bis zum außerften
Poften vorgeritten, wo fich eine Gruppe Soldaten
auf den Rafen gelagert hatte. Hier fanden wir
Herrn Klimerath, der ſchon eine Kleine Recogni—
tion vorgenommen hatte, und jeßt zuruͤckkommend,
ung meldete, man höre eine ftarfe Fuͤſillade, die
faum eine Stunde entfernt feyn koͤnne. Ich
proponirte ihm, vorfichtig dem Schalle nachzu:
reiten, da er aber eine fchlechte, noch obendrein
trachtige Miethftute ritt, und überdem feinen
Beruf hatte, ſich mit den Arabern herumzufchla-
gen, fo that er fehr recht, bet dem gros der
Truppen zu verbleiben.
Nun, lieber J....,“ fagte ich gu meinem
Gefährten, „es bleibt uns nichts andres übrig,
da uns der General mit feiner Escorte im Stich
gelaffen, müffen wir ihn fchon allein auffuchen.“«
„So iſt es recht!“ erwiederte diefer vergnügt;
„immer vorwaͤrts iſt ja der Preußen Wahlſpruch!
237
Wie wird es aber mit dem Aberglauben ? Es ift
heute der erfte April!“
„O defto beſſer!“ vief ich lachend; „das ift
ein günftiger Tag für alle Thoren, deren Orden
ich gefehworen habe nicht cher, als im fechzigften
Sabre untreu zu werden; denn ihrer, wie der
Kinder, ift jenfeits das Himmelreich, und hier in
Afrika macht man fie zu heiligen Maräbut’g,«
So gaben wir unfern Pferden die Sporen und
galoppirten auf der weichen, trodenen Peloufe
munter weiter, Don Zeit zu Zeit hörten wir
Schüffe rechts, auf die der breitgetretene Fußweg,
dem wir folgten, grade hinführte. Rach Kurzem
ertönten aber auch Schüffe links, und wir fingen
nun fchon an zu vermuthen, daß hier Fein Gefecht,
welches fi) unmöglidy über die ganze Plaine
verbreiten Fonnte, fondern nur die Lieblings:
gewohnheit der Spahis, bei jeder Gelegenheit in
die Luft zu plaßen, der Grund diefer häufigen
Schuͤſſe ſey. Die Ungewißheit war jedoch immer
nicht ganz angenehm, denn obgleich gut bewaffnet,
238
(ich hatte einen vortrefflichen Kriegsfäabel, den mir
General Bro in Algier abgelaffen, meine guten
Piftolen am Sattel, und zwei Terzerole in der
Tafche, J.... eine Doppelflinte und Sabel,
den er mit Göttinger und Hallenfer Finten vor;
trefflich zu führen verfteht,) wäre ein zahlreicher
Trupp Beduinen doch immer zu far? für uns
geworden — indeß das Gluͤck war uns günftig.
Ehe eine Viertelftunde verging, fahen wir zwei
Chasseurs d’Afrique, die in der Nacht von ihrer
Schwadron verfprengt worden waren, aus den
Bergen hervorfommen Sch rief fie fogleich an,
ung zu begleiten und den General auffuchen zu
helfen, welcher Aufforderung fie, ebenfalls froh,
nicht allein zu bleiben, bereitwillig folgten.
En war es noch eine Weile fehnell vorwärts
gegangen, als wir von fern 6 bis 7 Spahis
erblickten, die Rindvieh vor fich hertrieben. Ihre
rothen Kopfbinden zeigten uns fogleich an, daß
fie von den Unfrigen waren, und die Kühe, daß
ſie mit Beute nach Haus eilten. Von nun an
239
war nicht viel mehr zu befürchten, denn obgleich
Niemand wußte, wo der General fey, noch ung
weiter führen wollte, fo begeaneten wir doch von
allen Seiten fortwährend Haufen diefer viehtrei-
benden türfifchen Truppen, nebft vielen Arabern
der befreundeten Stämme, die ihre geplünderten
Schaͤtze in Sicherheit brachten, uns, fehr vergnügt
über ihr gutes Glück, luſtig zuriefenz „bono,
bono, franeiss!« Die heterogenften Gegenftände
fchleppten fie mit fich fort, und man wird es bei
Ihnen für eine Fabel halten, wenn ich erzähle,
daß wir zwei Kerls diefer Art fahen, von denen
der eine auf feiner elenden Maͤhre höher vor fich
aufgethürmt, als er felbft war, Schläuche mit
Butter, Teppiche, ein Zelt, und über alles dieſes
noch einen lebendigen Efel aufgepadt hatte, deffen
Kopf und Vorderbeine arf der einen, und Die
Hinterbeine auf der andern Seite herabhiengen.
Ein Zweiter führte ein Kalb faft auf diefelbe
Weiſe mit ſich fort, und wir zählten, che wir
unfer Ziel erreichten, an 3000 Stuͤck, mitunter
240
aͤußerſt ſchoͤnes Vieh, das man feindlichen Staͤm—
men abgenommen, welches ihnen jedoch gewöhnlich
wieder gegeben wird, wenn fie fi) unbedingt
unterwerfen, Dies Gefchäft hatte die 400 Spahis
fo vollfommen abforbirt, daß wir fpäter ihre Fahne
von militairifcher Begleitung ganz verlaffen und
allein antrafen; da der Fahnenträger fich aber
gleichfall8 einer großen Viehheerde angefchloffen
hatte, fo hielten wir das Ganze cine geraume
Zeit lang falfchlih für das erfehnte franzöfifche
Corps; denn damals waren wir noch weit davon
entfernt, vom General irgend eine Nachricht erhals
ten zu koͤnnen. Einer wies in diefe Gegend, der
Andere in jene. Endlich) bewog ich durd) Geld
einige Spahis, die ich an den Ruinen eines
römischen Tempels, ihre Pferde im hohen Grafe
weidend, malerifch hingelagert antraf, uns als
Führer zu dienen. Diefe Leute finden, gleich den
Kofafen, am Ende immer ficher was fie fuchen.
Wir dirigirten uns fogleich vom Fußwege ab und
durch balbeftundenlange Sümpfe, die, fo gefährlich
241
fie auch ausfehen, doch hier durchgängig einen
feften Untergrund haben, nach dem Eee Efzara
zu. Diefer auf drei Seiten von Bergen umfchloffen,
gewährte den fchönften Anblick, während wir,
gewiß eine DViertelmeile weit, bis an den Bauch
der Pferde in einen wahren Ocean von Blumen
aller Farben begraben, an Seinen Ufern hingalop—
pirten,
Gegen Mittag endlich, nachdem wir der Kreuz
und Queere ohngefäahr zehn lieues zurückgelegt
haben mochten, entdecten wir, am Fuß einer
Bergkette, die den General begleitenden drei Schwa-
dronen des dritten Regiments der Chasseurs
d’Afrique, welche noch in undentlicher Ferne
langfam einherzogen, und fihon auf dem Nückweg
begriffen zu feyn ſchienen. Noch ein endlos
langer Sumpf wurde durchwatet, und wir hatten
fie erreicht. Der General war fehr verwundert,
als er erfuhr, daß die von ihm angeordnete Es—
orte und fo feltfanerwerfe faux-bond gemacht
hatte. Mit aller der Courtoifie, die ihn, und
Semilaſſo in Afrika, I. 15
242
man fanın wohl fagen, faft ſaͤmmtliche franzoͤſiſche
Generäle, auszeichnet, machte er mir die artigften
Entfcehuldigungen, und wandte fich ſehr ernft an
den Offizier, der den erhaltenen Befehl, dem An—
fiheine nach, ganz außer Acht gelaffen hatte, Die
einfache Vertheidigung deffelben, daß er den Ge—
neral mißverftanden, was die Sache abmachte,
würde bei uns nicht fo leicht durchgegangen ſeyn;
aber man muß geftehen, wenn man nicht ſchmei—
cheln will, daß die Subordination in der franzoͤ—
fiichen Armee ungemein fchwac im Vergleich
mit den Napoleonifchen Zeiten geworden iſt. Daß
indeß bier nicht einmal ein ernftlicher Verweis
erfolgte, Fonnte mir, als dem einzigen leidenden
Theil, nur fehr angenehm feyn.
Die Eovallerie hatte in der Nacht ein arabie
ſches Duar (Zeltdvorf) angegriffen, *) in Brand
*) Ein Duar befteht gewöhnlih aus zwanzig bis
dreißig (auch mehr oder weniger) fohwärzlichen Zelten
von Kameelhaar, Die einen Kreis formiren. Der Platz
243
geſteckt, und dem im Echlaf überrafchten Feinde
ohngefaͤhr 30 Mann theils getödtet, theils ver:
wunder. Der Verluſt ihrerfeits beftand nur aus
zwei bleffirten Pferden, und einem in die Hand
gefchoffenen jungen Araber von einer befreundeten
tribu, der die Amputation mit vieler Gleichgül-
tigfeit überftanden hat.
Bei der Furth Nizez-er-rassul (le gu& du
Prophete) genannt, machten wir Halt um zu
frühftücen, wobet ich eine neue Feldinduftrie
erlernte, nämlich fehr gute Omelettes aux fines
herbes in einem ausgehöhlten Brode zu trang-
portiren. Während des langfamen Ruͤckmarſches
betrachtete ich mir die drei fchwachen Echwadronen
des Negiments etwas genauer, die mir außerorz
in der Mitte ift von Gras und Unkraut gereinigt, und
dient des Nachts Pferden und Vieh zum fihern Ruheplatz
unter freiem Simmel, Sn jedem Zelt lebt eine Familie,
und ein befonders werthvolles Pferd findet zuweilen auch
feinen Matz darin nebft den Fleinen Hausthieren.
244
dentlich gefielen. Die Leute hatten «ine freie,
gewandte und Friegerifche Haltung, die bloßer
Dreffur weit überlegen iſt; Zaumung und Das
ganze Pferdeajüftement war weit beffer in Ord—
nung, als wir c8 fonft bei franzöfifcher Cavallerie
wohl antrafen; die Pferde durchgängig, obgleich
Kein, doch ftarf, feurig, leicht lenkſam und von
der, nur den Pferden dieſer Kander eigenthümlichen
Ausdauer und Härte. Nach Alten, was ic) von
diefem Regiment, deffen Offiziercorps ebenfalls
ſehr ausgezeichnet ift, wahrend meines hiefigen
Aufenthalts gefehen und gehört habe, halte ich es,
wie es jcht beſchaffen ift, für eins, mit dem man
Alles unternehmen kann, was irgend ein anderes,
gleicher Stärfe, auszuführen im Stande ift; und
ih wünfchte dem tapfern General nur 1000
folyer Chasseurs und freie Hand — wir würden
bald intereffantere Nachrichten aus diefem Theile
Afrika's in den Zeitungen leſen. Beilaͤufig muß
ich hier doch erwähnen, daß der Oberſt der
Chasseurs, Baron Rigau, ein Cavallerift wie
245
er ſeyn fol, dem Grafen Pappenheim, den Sie
kennen, fo auffallend ahnlich iſt, als ſeyen fie
Zwillinge. Obgleich) durch einen Sturz ſchwer
verlegt und nur halb hergeftelft, war der Obrift
dennoch gegenwärtig, und hatte die Attaque der
Nacht, wie der General fagte, gleich einem
Juͤngling commandirt.
Es dauerte lange, und wurde in der einfürz
migen Plaine, troß aller Pracht der Wieſen und
der Unermeßlichfeit der Blumenmaffen, welche oft
ganze Hügel mit gelbem Glanze vergoldeten, und
die Suͤmpfe mit einem filberweißen Tuche über:
zogen zu haben fchienen, dennoch etwas ermüdend,
fo im langfamen Schritt fehs Stunden lang
durch das nie endende Gras zu reiten. Von den
wenigen antifen Ueberreften, welche die Ebene
noch enthält, ift das Bette eines roͤmiſchen
Austrocknungscanals bemerfenswerth, den der
General nächftens wieder herzuftellen beabfich:
tigt, fobald er Arme genug dazu zu miffen
vermag.
216
So fchloß, wie Ste fehen, höchft friedlich meine
kurze Boner Campagne. —
Wie wünfchte ih Sie, der Sie ein eben fo
liebenswürdiger Geſellſchafter als Zuhörer find,
Abends mit an unfrem Kamine zu fehen, wenn
Herr von Armandy von feinen merfwürdigen
Reiſen im Orient (die er, wie ich hoffe, nicht
immer dem Publikum vorenthalten wird) und
Herr von St. Leon von der Wiener Kongreß:
Chronik erzählt, wo er zu jener Zeit als Gefandter
Murat's hingefchieft worden war. Er follte damals
die Herzogin von ©.... heirathen, was aus
einer übel verftandenen Delicateffe feinerfeits
rücgäangig ward. Mir thut dies fehr leid, denn
er ware fonft mein Nachbar in M..... geworden,
wo ich der liebenswärdigen Nachbarn nicht zu
viele habe. Er fpricht fehr gut deutſch, und es
unterhielt mich ungemein, feine VBerwunderung
darüber zu vernehmen, daß man in Deutfchland
fo fehr frangofirt fey. „Gleich im Anfange meines
Aufenthalts in Wien,“ fagte er, „befahl ich einmal
247
meinem Jaͤger mir den Regenſchirm nachzubringen,
Da ich bemerkte, daß er in Verlegenheit gericth,
weil er mich nicht verftand, glaubte ich ein unrechtes
Wort gewahlt zu haben und zeigte ihm daher den
Gegenftand ſelbſt. Ah, rief er vergnügt, jet
verftcehe ih Ewr, Gnaden fehr wohl, d. h. auf
Deutfch ein Parapluie.“ „Ein andersmal,«
fuhr er fort, trat ich in ein Kaffeehaus auf dem
Graben und verlangte, nach dem Kellner rufend,
Caffee mit Obbes — denn ich wußte fchon, daß
das hochdeutfche Wort Nahım hier nicht üblich
ſey. Demohngeachtet fah ich einen Offizier neben
mir lächeln. Sie find gewiß ein Fremder, fing
er an, darf ich fragen, ob ein Franzos oder ein
Engländer? — Habe ich mich vielleicht nicht
ganz richtig ausgedrüdt? erwicderte ich verlegen.
Nein, nein, nicht falfch, nur nicht ganz deutſch,
wenn Ste erlauben. Denn, fchauen Ste, unfereing
würde blos gerufen haben: Marqueur, Melange !«
Don den Wiener Frauen bat er ein fehr zärt-
liches Andenken behalten, und fchlägt fie wahr:
248
ſcheinlich höher an, als die hiefigen Araber die
franzoͤſiſchen Echönheiten. Diefe Naturtinder
führen wirklich einen originellen Maßſtab, denn
als neulich einer ihrer Schechs die liebliche Frau
von Der... fah, gerieth er in .ein großes
Entzücden über ihre Reize. „Mas gabft du wohl
für diefe Dame ?“ frug ihn einer der gegenwärtigen
Offiziere. „Beim Propheten «rief der Schech
enthuftaftifh, „drei Ochfen und ein Kalb! — “
eine Schmeichelei, welche übrigens die gefeterte
Schöne ganz im Ernft bitter und böfe machte,
Herr von Armandy entwarf uns ein reizendes
Gemälde von Perfien, das er allen andern Ländern
vorzieht. Er kann nicht genug die Schönheit der
Gegenden, die Urbanität der Bewohner und die
Annehmlichkeit des dortigen Lebens ruͤhmen; und,
meinte er, wenn er auch bet uns die Freiheit
liebe, fo müffe er doch geftehen, daß der Fremde
unter dem perfifchen Despotismus unabhängiger,
als irgend wo in dem liberalften Reiche Europa’s
ſich befinde. Er diente geraume Zeit, unter ſehr
249
angenehmen Verhältniffen, beim Prinzen Mehe-
med Ali Mirza in Kermanschah, wo er zum
Chan erhoben und mit dem großen Sonnen—
orden Ddecorirt wurde. Sch mußte lachen, als
er mir erzählte, daß er dort fehr Hirt mit
einem dien ruffifchen Major gewefen, der den
Poſten als erſter Eunuche bei der Prinzeffin
befleidete. Diefes ungünftige Schieffal war dem
armen Teufel zu Theil geworden, weil er als
Gefangener mit zwölfen feiner Landsleute die
Flucht verfucht hatte. Da die Operation voll-
ſtaͤndig und ohne viele chirurgiſche Kunft vollzogen
wurde, fo überfiand er fie nur allein von allen
Dreizschn, und weder fein ftarfer Appetit noch
feine gute Laune wurden dadurch vermindert, ja
er ward zuletzt noch eine Art Liebling des Prinzen,
auf deffen Befehl er früher entmannt worden war.
Man muß eine gute Portion Sclavenfinn mit
auf die Melt gebracht haben, um ein folches
Schirffal erleben zu koͤnnen.
Der Wein, die Roſen und die Weiber von
250
Schiras follen gleich entzuͤckend, ja felbit "die
perfifche Küche nicht zu verachten ſeyn; Alles
aber übertrifft das dortige Sagdvergnügen und
die turfomanifchen Pferde — kurz Herr von
Armandy hat den Plan bei mir zur Reife gebracht,
von Aegypten nach) Syrien, mit dem Kleinen
Umweg über Bombay, Perfien und Bagdad zu
reifen; und da jeßt ein englifches Dampfichiff
von Kosseir regelmäßig nach) Bombay geht, fo iſt
die Ausführung ohne große Schwierigkeit. Sch
fürchte blos in die Verſuchung zu gerathen, mich
von dort im Palankin nach Calcutta tragen zu
loffen, wäre e8 auch nur, um unterwegs eine
Tigerjagd auf dem Ruͤcken eines GElephanten
mitzumachen, oder dem neuentdecten Drachen zu
begegnen, den neulich eine englifche Zeitung, als
Feineswegs fabelhaft, fondern nun im Himmalajah-
Gebürge wirklich aufgefunden erklärte, Auf diefem
Wege befand Herr von Armandy feine erfte
Tigerjagd auf feltfame Weiſe. Er reiste mit einem
Freunde, der eben fo wenig wie er noch je einen
251
bengalifchen Ziger geſehen hatte, Wenig an
dieſes Unthier denkend, fuchten Beide deſto emfiger
ſich Gegenſtaͤnde für die Küche zu verfchaffen, an
denen fie dfters Mangel litten. Eines Abends
erblicken fie, fchon in der Danımerung, ein Thier
fhwerfällig durdy die Binfen fpringen, das fie
feiner allure nah für ein großes Kalb halten;
denn der Tiger zeigt nur ungeheure Kraft und
Gefchieflichkeit, wenn er fich zufammenzieht, um
auf feine Beute zu fpringen, wo er Saͤtze von
30 bis AO Fuß machen foll; fein gewöhnlicher
Galopp ift langſam und unbeholfen. In der
Meinung alfo, es ſey cin Kalb, ſchießt d'Aarmandy
feine Slinte auf das Thier ab, und zerfchmettert
ihm die eine Vordertatze; der getroffene Tiger
nimmt wüthend feinen Eprung und ftürzt, durch
die Bleffur gehindert, wenig Schritte vor beiden
erfchrocdenen Fagern nieder. Zu ihrem Heil hatte
d'Armandy's Freund die Geiftesgegenwart, ihm
mit feiner Doppelflinte zwei Kugeln durch den
Kopf zu jagen, die ihn auf der Stelle tödteten,
232
Sie transportirten mit vieler Mühe das erlegte
Naubthier bis zum Nachtlager, und d'Armandy
hat lange das geftreifte Fell feines formidablen
Antagoniften als Reiſeteppich mit fich geführt.
Doch da wir einmal auf das Capitel der
Jagd gefonmen find, und ich Ihnen fo vornehmes
Wildpret nicht vorführen kann, fo will ich Ihnen
wenigftens, che ich meinen Brief fchließe, eine
hiefige Sauhetze befchreiben, die Sie auch nicht
ganz ohne Intereſſe finden werden.
Der gefallige General hatte mir zu derfelben
wieder 20 Spahis — die diesmal auch wirklich
erfchienen — und 3 fcehöne Hunde überlaffen, mit
denen wir um 11 Uhr früh nach der Plaine
auszogen, Meine Begleiter waren an diefem
Tage, außer meinem Gecretair, dem rüftigftn
Jäger, der Commandant d’Acher und der Lieute—
nant Pharamond von den Chasseurs d’Afrique,
nebjt drei bis vier andern Offizieren der Garnifon.
Nachdem wir Hippone paffirt hatten, feßten wir
unfern Weg längs dem breiten Strome der
253
Seybuse fort, deren hier ſchroff abgeriffene Ufer
bis auf den Warferfptegel von einen Geflecht
üppiger Vegetation überhangen waren; doch nicht
früher als eine gute Stunde von der Stadt, hinter
der großen Oaſis, ftörten wir die erfte Sau aus
einem verworrenen Pflanzendidicht auf, und
fo fchnell die Pferde laufen Fonnten, folgte nun,
unter dem betäubenden. Geſchrei der Araber, der
ganze Troß, die gefpannten Slinten oder Piftolen
in der Hand baltend.
Ohne arabifche Pferde, deren Sicherheit, Aus—
dauer und Gewandtheit fo fehr die der unfrigen,
wenigftens im Allgemeinen übertrifft iſt cine
jolhe Jagd ganz unmöglih. Ich muß Ihnen
mit wenig Worten das Terrain bezeichnen, das
wir vor uns hatten, Denfen Sie fih eine
im Halbfreis fortlaufende Ebene von zwolf
Stunden Lange, und ohngefahr, nach mittlerem
Maaßſtabe, vier Stunden Breite, die von hohen
Bergen und dem Meere eingefchloffen tft. Sie
befieht entweder aus Wieſenboden oder aus
254
Sumpf, der jedoch, wie ich fehon früher erwähnt,
überall einen fo feften Untergrund hat, daß die
Pferde nie weiter, als böchftens bis zum Knie
einfinfen koͤnnen. Diefe Sümpfe ftehen voller
MWafferpflanzen und Binfen, die oft die Höhe des
Keiters noch überragen, zuweilen find fie aber
auch nur mit niedrigen Schilfblumen bewachfen.
Ebenfo find die Wieſen theils mit fchönen blu:
migen Gras, theils mit Difteln und aus andern
aufgeſchoſſenen Pflanzen geformten Dieichten be>
deckt, welche haufig diefelbe Höhe, als die Binfen
erreichen, fo daß man darin nicht fünf Schritte
weit vor fich fehen kann, von der Befchaffenheit
des Bodens aber über den man reitet, gar nichts
erblickt. Wenn Sie nun berüdfichtigen, wie
unegal diefer durch Löcher und Hügel, von Thieren
aller Art herrührend, geworden ift, fo Fünnen Sie
ſich leicht vorftellen, welche Sicherheit eines Pferdes
beim fchnellften Lauf durch dieſe Wildniß erfor
dert wird. Die größte Schwierigkeit liegt aber
darin, daß die bier wohnenden tribus, entweder
259
zu FSallgruben, oder um Ihre Getreide aufzuheben,
an verfchiedenen unbekannten Orten, Deffnungen
von 6 bis 8 Fuß im Quarree graben, die fie fich
nie die Mühe geben wieder zuzufüllen, Die fo
geil wuchernde Vegetation verdedlt fie dem Auge
ſchnell, und es ift unmöglich, eine folche Grube eher
gewahr zu werden, als bis man fchon darin liegt,
und vft hat man bei einen folchen Sturze fogar
viele Mühe, das Pferd wieder heranszubringen,
Es war durch einen ähnlichen Unglücsfall, daß
fich der Oberft der Chasseurs das Bein in der
Kugel ausrenfte, und nach unfäglichen Schmerzen
wahrfcheinlich auf Zeitlebens erlahmt iſt. Auch
heute fiel ein Araber auf diefe Weife, und über;
fchlug ſich wie ein Seiltaͤnzer in der Luft, doch
ohne Schaden zu nehmen.
Man hatte mir ein Pferd gegeben, das in dem
letsten hiefigen Nennen den Preis gewonnen, und
ich Fonnte mich über feine Schnelligkeit und Güte
nicht befchweren, wohl aber über feine Lenkſamkeit;
denn fo wie es das Schwein anfichtig wurde,
256
folgte e8 ihm auf dem Fuße und überholte es
bald, aber ohne fich mehr regieren zu laffen, was
hauptfächlich daraus entftand, daß es fehr fchlecht
gezaumt war. Unterdeffen war einer der Hunde
berangefommen, hatte das Schwein geftellt und
hielt es ganz allein mit folcher Bravour, daß es
fich nicht mehr loszumachen vermochte. J....,
der dicht neben mir war, und noch wenig Uebung
im Reiten, aber defto mehr Muth hat, fiel hier
vom Pferde, während das meinige unaufhaltbar
noch eiter fortfchoß. Er benußte jedoch den
Zufall fo glücklich, daß er fich kaum aufgerichter
und fich der neben ihm gefallenen Flinte wieder
bemächtigt hatte, als ich auch fchon feine zwei
Schüffe hinter mir hörte. Endlich meines Pferdes
Herr werdend, fab ich im Umwenden den Keiler
bereits im Derfcheiden, nachdem er vorher jedoch
den armen Hund noch am Beine ftark bleffirt
hatte. Unterdeffen war auf der andern Ceite
bereits eine zweite Jagd begonnen worden, die
weit von ung faft eben fo fchnell beendigt wurde.
257
Ich ließ jetzt einen arabifchen Zaum auf Biscuit
(jo bieß mein Fleiner Bucephalus) legen, mit dem
man auch das widerfpenftigfte Pferd bandigt, und
fand mich nun in dieſer Hinficht ficher. Den
ungeachtet war mir auch die dritte Hehe nicht
gänftig, denn obgleich unter den Erften voran,
verfagte meine Piftole. Ich fprang ab, zog mit
rubmwürdigem Sagdeifer meinen Saͤbel, und
fuchte das Schwein, welches abermals nur von
einem Hunde gehalten wurde, mit der blanfen
Waffe zu erlegen, mich möglichft vor feinen Fangen
hütend, konnte aber, als ziemlich unerfahrener
Jaͤger wahrfcheinlich den rechten Fleck nicht treffen;
denn obfchon ich fechs> bis fiebenmal ſtach, was
fih, wie 3.... behauptet, fehr lächerlich von
fern ausgenommen haben foll, drang meine
krumme Klinge doch immer nur kaum einen halben
Zoll tief in des erboßten Thieres allzuharte Haut.
Sch wäre zuleßt gar vielleicht von ihm überrannt
worden, wenn nicht noch während meinen frucht-
lofen Bemühungen mehrere der Uebrigen herbeis
Semilaffo in Afrika. II 17
258
gefommen wären, wobe G.... wieder die Ehre
hatte, das Thier durch einen Schuß zu erlegen.
Bon jeßt an ritten wir eine Zeit lang, rechts
und linfs fuchend, umher, ohne etwas anzutreffen,
und ich hatte mich eben ganz allein ziemlich weit
von der Gefellfchaft entfernt, als ich hinter mir
lautes Gefchrei hörte, und ein colofjales Thier
über die Ebene feen fahb, dem die ganze Jagd
mit möglichfter Schnelligkeit folgte, aber durch
einen Haaken, den die Sau im Pflanzendicicht
fhlug, eine falfche Nichtung nahm; denn es ift
nichts leichter, als in diefem dichten Gewirr von
mannshohen Difteln und Neffeln fein Wildpret
aus den Augen zu verlieren. Set brach) das
Schwein durch, und Fam gerade vor mir auf eine
weite und ganz freie Wiefe heraus, Kein Hund
war zu fehen. Sch coupirte es fo glücklich, dag
ich) wohl eine halbe Minute allein neben ihm herz
ritt, al8 wenn wir einen Wettlauf zufammen ab-
gehalten hätten; wobei ich, ohngeachtet des rapiden
Jagens alle Muße fand, es genau auf das Korn
259
meiner fchon dfters glücklichen Piftole zu nehmen,
und als eben’ der Chef der Spahis nahe hörbar
ward, drüdte ich los, Der Eber machte noch
zwei Sprünge, und flürzte danır, ohne auch nur
ein Glied mehr zu rühren, Fopfüber ins Gras.
Ich hatte ihn, wie wir nachher fahen, grade Durchs
Herz getroffen. Um dies mein Erploit, auf das
ic) mir nicht wenig einbilde, nicht in den üblen
Verdacht gebracht zu fehen, der gewöhnlich, wenn
man zu Haufe kommt, und fid feiner Thaten
ruͤhmt, die Erzählungen der Jagdavantuͤren be
gleitet, war es fehr glüclich für mid), daß außer
den Spahis auch die beiden genannten Chasseurs-
Dffiziere zur felben Zeit berbeifamen, um mir
gleich in Bone als Zeugen meines wohlerworbenen
Rechts an dieſem ftattlichen Ketler zu dienen. Er
blicb indeß auch meine einzige Trophäe, denn von
den übrigen dreien, welchen wir ferner das Leben
nahmen, Famen noch zwei auf des unermüdlichen
J . .. .'s Rechnung, und der dritte ward von
einem der Offiziere getödtet,
260
Es fchien mir ganz fündlich, daß man die
feiften Iohiere auf den Kampfplaß liegen ließ,
denn die Araber effen, ihrer Neligion wegen das
Sleifch nicht, und die hiefigen Europäer haben fo
viel davon gegeffen, daß fie eben fo fehr davon
degoutirt find, als die Deffauer Dienftmädchen
vom Elblachs. Als indeß am andern Tage der
General denfelben Weg paffırte, um die Unter-
werfung einiger Schechs feierlich entgegen zu
nehmen, ſah man, daß fi) andere Liebhaber zu
dem Ochweinebraten gefunden hatten; denn Die
Fährte eines enormen Loͤwenpaares, das fich fchon
feit einem Monat in der Gegend von Bone auf:
hält, ohne daß man bisher feiner habhaft werden
fonnte, waren in dem weichen Boden deutlich zu
verfolgen, und die Leichname der Sauen ſaͤmmt—⸗
lich verfchwunden,
Auf dem Rückweg kamen wir bei zwei großen
Duars der Käresas vorbei, die fich erft Fürzlich,
durch das kluge und väterlihe Benehmen des
Generals d'Dzer gewonnen, hier vertrauenspoll
rn.
261
angefiedelt haben. Ihre Hunde find noch nicht
fo freundlich gefinnt, denn mehrere Dußend der—
felben verfolgten uns mit wüthendem Gebell, Ich
war mit J.... fehr fchnell vorausgeritten, und
als wir bei dem legten Duar anfanıen, nur noch
von einem Genieoffizier begleitet, der mich auf
ein fehr hübfches und ungewöhnlich reinlich geklei—
detes Mädchen aufmerffan machte, die in einem
der Zelte ſtand. ) Ich erfuhr zu meiner Der:
wunderung, daß fie, obgleich eine Verwandte des
Schechs, doc die Geliebte eines franzofifchen
Dffiziers fey, der ihren Vater fo zu gewinnen
gewußt hat, daß er mit feiner Erlaubniß oft die
*) Das mahomedaniſche Geſetz verbietet zwar ben
Weibern fich unverfchleiert zu zeigen, und in den Städten
wird dies auch ftreng befolgt, in den Hütten und Zelten
auf dem Lande ift es aber anders, und wir fahen häufig
unverfchleierte Weiber ohne Scheu daraus herbortreten.
Dft tragen fie filberne Ohrringe und Bracelets über
ihren nadten Fußknöcheln.
262
achte bei der Tochter im Geheimniß ihres
f[hwarzen Zeltes oder des verfchwiegenen nahen
Waldes zubringen darf. Er fprach fchon früher
etwas Arabifch, was zuerft Gelegenheit zu ihrer
näheren Befanntfchaft gab; denn als das Mädchen
ihn in ihrer Mundart reden hörte, fagte fie mit
naivem Erſtaunen zu ihrem Vaters „Sich nur,
das fpricht auch!« *)
Nicht weit von diefem Dorf, in der Gegend,
die man le camp de Benatissa nennt, weil hier
der Conftantinifche General lange fein Lager auf:
gefchlagen hatte, che er Bone eroberte, liegt des
berühmten Zürfen Juſſuf's freundliche Villa mit
einem prächtigen weiblichen Palmbaum, dem
fhönften, den ich noch in Afrika gefehen, der aber
*) Diefes Verhältniß endete fpäter fehr tragifh. Es
ward ber tribu verrathen, der erfaufte Vater hart beftraft
und das arme Mädchen vergiftet, während zu derfelben
Zeit ihr Liebhaber, um ihn an der Fortfeßung feiner
befannt gewordenen Intrigue zu hindern, vom General
in Arreft gefeßt worden war,
263
nur leere und unvollfommtene Früchte trägt, weil
fein männlicher, ihn zu befruchten, in der Nähe
iſt; ein wahrer Nepräfentant des ganzen hiefigen
Landes, dem es auch nur an dem rechten Befruch-
ter fehlt.
Sch denke, Sie haben jeßt, liebfter Baron,
ein ziemlich anfchauliches Bild von dem Xeben,
das ich hier führe, vor fih. Es diene Ihnen als
Antwort auf die Stelle eines Ihrer Briefe, worin
Sie die Güte hatten, fi zu wundern, daß mein
Gouvernement mich nicht für feinen Dienft zu
utilifiren fuche, Wer fo viel Vergnügen an der
Freiheit findet wie ich, und fein Leben aus eignen
Antrieb zu einem bunten Spaziergang durch die
Melt gemacht hatz der danft dem Himmel, wenn
man ihn zu Haufe nicht gebraucht, und Klügere
und Gefchicktere in Fülle an feiner Stelle hat.
Meit mehr würde ich wünfchen, Ihnen, mein vers
ehrter Freund, nachahmen zu koͤnnen, doch nicht
Jedem ift es gegeben, ein fo hohes Ziel zu erreiz
chen, Sehen Site von diefer Schönen und lichten
264
Region nachfichtig auf mich herab, und gebenfen
Sie ftets mit freundlihen Mohlwollen
Ihres
treuergebenen
9%,
Sehster Brief.
An den Herrn Grafen Lonis v. P.....
in Berlin.
Bone, den 10. April 1835.
Lieber Lonis!
Es ift jammerſchade, daß die Eifenbahnen
und Dampffchiffe noch nicht fo weit find, wie es
Derfins von den erften verfprochen, namlic) 100
englifche Meilen damit in einer Stunde zuruͤckzu—
legen. Sonſt hätte ich Dich zu den Dfterferten
hierher Fommen laffen, wo Du Dich gewiß
ganz in Deinem Element befandeft, denn wir
fommen nicht von den Pferden herab und hier
266
würdeft Du Dir ohne Zweifel vergebene Mühe
geben, dem nachfichtigen Onfel eines davon lahm
zu reiten. Sch will Dich jetzt, wenigftens in
Gedanken, mitnehmen, und Dir erzahlen, wie
wir hier, troß einem DBraufewind wie Du, auch
noch die jungen Leute fpielen. Sch weiß zwar,
daß Du genug meiner Briefe an die Tante und
tutti quanti der Familie lieft, Du follft aber die
Ehre meines cigenen haben, tel est notre plaisir.
Beſuche mid) alfo zupörderft in meiner Woh—
nung, ohne Zwetfel der beften und bequemften,
die einem Sremden in Bone zu Theil werden
fann und die dennoch in Europa mein Kammer:
Diener viel zu fchlecht für fich halten würde. Du
findeft nichts, als eine lange weißgetünchte Kam—
mer, ohne Fenfter, deren einzige Oeffnung alfo
in der Thüre befteht, die des Kichtes wegen am
Tage ſtets geöffnet bleiben muß. Der Pla:
fond iſt unbekleidetes Rohr, durch lange rohe
Knuͤppel feftgebalten. Auf jeder Seite der
Kammer bifindet fih ein unangeftrichener Ver—
267
fhlag von europaͤiſchen Kieferbrettern, hinter
deren jedem ein Bett fteht, das eine für mich,
das andere für meinen Secretair. Da 08 auf
der Zerraffe über uns zuweilen durchregnet, fo
ift an manchen Orten die Wand noch fortwährend
naß, der Fußboden von ſtark ausgetretenem
Kalfmörtel, ift mit drei fiattlichen Teppichen
bedect, die ich, fo wie cin Bett und eine porta—
tive Küche, im diefen Regionen ſtets mit mir
führe. Eine Menge Koffer und Kiften füllen
eine große Nifche der Thüre gegenüber, und
laffen in den Reft der Kammer noch Raum für
zwei ungehobelte Zifche, deren einer zur Toilette,
der andere zum Schreiben und Frühftück dient;
und auf der andern Seite der Nifche Fannft Du
Dich ganz bequem auf einer hölzernen Sophabanf
niederlaffen, die mit einer Matratze belegt ift.
Stiefel, Kleider, Mantel u. f. w. finden noch)
Platz, an den Wänden umher vertbeilt. Wie
lururids ift diefes Appartement gegen das meines
Freundes Klinerath, der bei dem Korrefpondenten
268
feines Banquiers in einem Fleinen Magazin mit
zwanzig Branntweinfaffern zufammen wohnt, und
ftatt aller Meublen nichts als ein Feldbette, zwei
Schemel und einen Fleinen wacelichen Tiſch auf:
zuweifen bat.
Dies alles wird euch verwoͤhnten Mutterföhnen
wohl eine große Entbehrung fcheinen,, wie leicht
findet man fich aber darein! und es giebt überdem
Entfhadigung. Denn wenn ich auf die freie
Zerraffe vor meine Stube hinaustrete, umfängt
mich eine milde laue Luft, und über alle dachlofen
Häufer hin blicke ich in die reizendfte Kandfchaft.
Steige ich hinab, fo empfängt mich der freundliche
Haͤndedruck der Tiebenswertheften Wirthe, und
verlaffe ich das Haus, fo erwartet mich jeden
Tag eine neue anmuthige Ueberraſchung. Als
Probe nimm die Befchreibung des dritten Tages
diefes Monats. |
Wieder war c8 cin Freitag, und grade fünf
Wochen feit meiner Ybreife zum Hammal verfloffen,
als ich hier eine ähnliche Expedition, die Erſtei—
269
gung des Berges der fteben Fontainen, des
Dschebel-Derugh und des Pif Mertschia, die
höchfte Spitze des hiefigen Gebürges , unternahm,
Das Metter, bisher zwar immer warm, aber
unficher, war heute ohne irgend eine Wolfe am
Himmel, und demungeachter cher luftig als heiß.
Um fechs Uhr früh verließ ich mit meinem
Secretair die Stadt, in Geſellſchaft Herrn Klimez
rath’s, des Hauptmanns d’Oudaja von den
Chasseurs , zwei Reitern diefes Regiments, und
einer Escorte von 40 türkischen Spahis, in gelben,
meergrünen, bhimmelblauen und yponceaurothen
Jacken, einem fchon etwas abgeblühten Tulpenbeet
vergleichbar. Wir waren Alle vortrefflich beritten,
befonders der Chef der Türken und ich, Dank der
Güte des Oberft von Rigau; es war aber auch
nöthig bei den Wegen, die uns bevorftanden, und
ich wünfchte unfern europäifchen Freunden nur
einmal eine folche Tour mitzumachen, um fic)
zu überzeugen, was Pferde überhaupt zu leiften
im Stande find, weit mehr als ich in der Schweiz
270
und Stalien, was fihwierige Stellen betrifft, je
Maulefeln habe zumuthen fehen, Wir dirigirten
ung durch das Thor von Damremont nach dem
Blochaus de la Source, von dem an wir fogleich
zu ftetgen anfingen, und bald in ein wunderſchoͤnes,
aber hoͤchſt befchwerlich zu paffirendes Gehoͤlz
gelangten, das voll alter Dlivenbaunte, deren Grün
hier weit fafttger und dunkler als in Europa ift,
prächtig blühender, wilder Pfirfih >, Aprikoſen—
und Sohannisbrotbaume, einer Menge goldbedeckter
Cytisus, Crataegus und anderer Dornarten,
mannshoher Erifen, in allen Nuͤangen, Myrthen
und unzähliger Blumen war, die nur zuweilen
mit einem Furzen Dichten Nafen abwechfelten,
Nach und nach entfaltete ſich Die Ebene, Die
gegenüber drei- bis vierfache Bergkraͤnze umzins
gelten, immer mehr dem Auge, umd zeigte —
jeden Augenblick durch die Baumfronen verfchies
den eingefaßt — die lieblichften Niniaturbilder in
dem großen Landſchaftsgemaͤlde. Bald fahen wir,
auf einem grünen Vergplateau angelangt, Bone
271
nur noch wie ein Nelief aus Kork geformt unter
uns liegen, und den Berg von Sedi-Aissa, der
uns aus der Stadt fo groß erfcheint, wie einen Flei-
nen Hügel fich kaum über die Meeresfläche erheben;
coloſſal aber ſtreckte fich jeßt die Ebene vor ung
bin, während auf unferer rechten Seite immer
neue Vorgebürge und tiefe Seebuchten fichtbar
wurden. Nach einem langen Marfch durch Ginfter
und Geftrüpp erreichten wir einen Wald von
Korkbaͤumen, deffen Boden einen eigenthümlichen
Anbli gab, da er auf das Dichtefte blos mit
Erifen und einer hellblauen Blume bedect war,
die beide allein in unglaublicher Fülle wucherten,
Man folgte, ftatt eines Weges, tiefen und felfigen
MWafferrinnen, geraume Zeit auf einem horizon—
talen Terrain, ſenkte fich hierauf in einen tiefen
Keffel hinab, flieg dann wieder, aufwärts und
plößlich befanden wir uns über einem weiten
Thal, deffen fanfte Abhänge wir zu unferer freus
digen Ueberrafchung, mit einem lange nicht mehr
erblickten hohen Eichwalde bewachfen fahen, der
272
fi eben mit jungen zarten Blättern zu überziehen
anfing. Viele diefer majeftatifchen Baume hatten
einen glatten Stamm von 30 Fuß Höbe, ebe ihr
Laubdach begann, andere breiteten fich fchon von
unten an mit Riefenäften von gleicher Lange aus,
mehrere batte der DBlig gefpalten und ſchwarz
gebrannt, eine Menge waren mit Epheu und
andern ranfenden Gewächfen behangen, und ob»
gleich die Eichenart, aus der diefer Wald beftand,
von der unferigen in der Form der Blätter und
Größe der Eicheln, die Pflaumen gleichen, unter:
ſcheidet, jo hätte man fich doch nach ihrem übrigen
Ausſehn in einer Gegend des lieben DVaterlandes
glauben Fonnen, wenn der mit Goldregen, andern
Zierfträuchern und fremden Blumen gefehmädte
Unterbufch nicht das wärmere Clima verratben
bätte. Doch war es unferm befcheidenen Veilchen
pergönnt worden, ſich ebenfalls hier anzufiedeln,
und ich pflücdte einen Strauß davon für unfere
beiderfeitige Gönnerin. In diefem reizenden Wald:
revier, das fich fpater auch mit Kaſtanien und
273
weit höheren Korfbaumen als wir bisher ange
troffen, mifchte, welchen leßteren die Eingebornen
ohne alle Ordnung und Sorgfalt die Rinde ab-
ſchaͤlen und viele unnüß dadurch toͤdten, marfchirten
wir einige Stunden im wohlthätigen Schatten
weiter, bis wir grotesfe Selfenmaffen aus einer
grünen Alp hervorfteigen fahen, wo fieben Quellen
falten vortrefflichen Waſſers aus dem Boden
fprudeln. Als wir die Höhe, vermöge langge—
dehnter Zickzackpfade, auf welchen ſich die Reihe
der bunten Tuͤrken hinter uns herrlich ausnahm,
erreicht hatten, fanden wir oben die anfehnlichfte
der Quellen zierlich mit Steinen eingefaßt, und
zur Bequemlichkeit der Trinker eine große Kork;
mufchel darauf liegen. Breitblättrige Bornfreffe
verniehrte das frifche und einladende Anfehn des
geräumigen Baſſins, aus dem Menfchen und
Pferde ſtch begierig labten, denn das gute Waffer
ift hier nichts weniger als häufig.
Eine halbe Stunde weiter liegt ein ifolirtes
Selfenftüh, das man, che es näher unterfucht
Semilaffo in Afrika, IT. 18
274
wurde, lange für eine römifche Ruine anfah, der
es auch von Weiten täufchend gleicht. Der
Block mag 50 Fuß Höhe haben und Fann, feiner
glatten abſchuͤſſigen Fläche wegen, nur wenn man
wie eine Schlange auf dem Leibe Friecht, erftiegen
werden. Bevor wir heranfamen ftanden einige
jener Niefengeier mit weißem Kopfe, die den
Adler an Größe übertreffen, auf feiner Spiße.
Mir hielten fie Alle aus der Ferne für Menfchen,
und erftaunten nicht wenig als fie fich mit einem—
male in die Lüfte erhoben. Auch ganz weiße der
Art giebt es, von denen einer grade in dem
Augenblik über dem Eichwalde fchwebte, als wir
diefen zuerft anfichtig wurden.
Wir lagerten uns neben dem Felſen, an deffen
Fuß wir uns vor dem bier fchon unangenehm
Falten Winde hinlaͤnglich geſchuͤtzt fanden, zum
Fruͤhſtuͤck. Es war ein fehr unterhaltendes
Schauſpiel, wie jeßt allen Pferden die Zäume
abgenommen und an den Sätteln befeftigt wurden,
um fie unbeforgt um uns her grafen zu laffen.
———— — — — ——
275
Keins davon dachte daran zu entlaufen, oder ſich,
wenn man es wieder aufzaͤumen wollte, nicht
fangen zu laſſen, ſondern alle folgten im Gegen—
theil gleich Hunden, der Stimme ihrer Reiter;
nur unter ſich bekamen ſie haͤufig Streit, der
jedoch durch barſches Zurufen oder eine drohende
Geberde Leicht gefchlichtet wurde. Da die Thiere
überdies hinten nur felten befchlagen find, Fünnen
fie fich feinen großen Schaden thun, und das
Beißen, welches fo gracteus ausfieht, wenn fie
gegen einander aufbaumen, wird nie fehr ernftlich,
Zwei Offiziere, determinirte Jaͤger, die ſo
raſtlos hier in der Gegend umherſtreichen, daß
ſie von ihren Camaraden den Beinamen der
rats de Bone erhalten haben, geſellten ſich bier
zu uns, und erheiterten durch Erzählung ihrer
Sagdabentener unfer Mahl, Der Eine war vor
Kurzem unvermuthet dem die Gegend beunruhi—
genden Loͤwenpaar begegnet. Die Loͤwin war
fogleich geflohen, in Bogenfägen und mit erhobenem
Schweife durch das Geftrüpp fpringend, der Loͤwe
276
aber blicb ftehen und wies knurrend die Zähne,
bei welchem Anbli der Jäger, der nur Schrot
in feiner Flinte hatte, wie er uns lachend ver-
ficherte, ſich noch fchneller als die Loͤwin entfernte.
Heute hätten wir das Unthier fchon beffer em—
pfangen Fonnen, leider aber waren wir nicht fo
glüklih, auch nur die geringfte Spur davon
anzutreffen; e8 blieb bei den gewöhnlichen perdrix
rouges, Haafen und Schafals.
Wir hatten nun nur noch einen mäßigen
Marfh bis zu der an Höhe zweiten Bergfpiße
diefer Kette, die aber wegen ihrer günftigen Lage
die fchönfte Ausficht gewährt. Es ift ein rauf
gezacter Granitkegel, von dem man die beiden
großen Plainen, die fih im Halbfreis von Meer
zu Meer erftredken, mit dem Vorhang eines unab-
fehbaren Gebürges dahinter und dem See Efzara
in ihrer Mitte, der ungefähr 10 Stunden im
Umfange hat, überfchaut. Sc Fonnte, felbft von
diefer Höhe herab noch deutlich das Blumenmeer
unterfcheiden, in dem ich erft vor wenigen
277
Tagen umher galoppirt war. Wie Schade,
daß unter diefem felben Blumenreichthum, der die
Gegend von Bone vicleicht in ganz Afrika aus;
zeichnet, der Tod verborgen laufcht; denn eben
die Feuchtigkeit und Ueberfruchtbarfeit des Bodens,
welche die einen hervorbringt, fcheint auch den
andern herbeizuloden. In den heißen Sommer»
monaten liegt oft die Halfte der Garnifon im
Spital, nnd gar viele davon verlaffen es nicht
lebend wieder, aber die Geneſenen felbft tragen
noch Jahre lang die Folgen der Krankheit, und
oft den Keim des fpäteren Todes, mit fich herum.
Ein fonderbarer Umftand ift es, Daß vor der
Sranzofenzeit Bone gar nicht in dem Ruf eines
ungefunden Clima's ftand, und die Eingeborenen
find feft überzeugt, daß nur die Oeffnung alter,
verfchütteter Candle um den Unrath abzuführen,
wie einiger verfallenen Cifternen, der Grund der
Miasmen fey, die jeßt den Aufenthalt in Bone
fo gefährlich machen.
In der Richtung von Conftantine, das nur
273
30 Stunden von hier entfernt ft, und das man
dennocd) wegen der Blutgier und Treulofigkeit
des jetzigen Bey's, als Neifender nicht befuchen
kann, bemerften wir einen feltfam geftalteten Berg
mit vier Höcern, gleich denen eines Cameels, und
weiter rechts zwei Spißen, die regelmäßige Pyra—
miden zu feyn ſchienen. Nach der Gegend von
Algier zu bietet fich, mit ſchoͤn geformten Selfen,
das Cap de fer, Collo, das Cap Bugaroni
und die Bai von Stora dar. In der Nähe des
erften Cap's glaubt man, daß die Roͤmer Eifen-
werfe befaßen, und wahrfcheinlich war zu Diefer
Zeit der größte Theil des biefigen Gebürges mit
ſolchen Eichwaldern bewachfen, als wir heute
aufgefunden. Zu Brennmaterial ohne Nachpflan-
zung benußt, mögen fie nach und nad) ver;
fhwunden feyn, wie auch Srland durch die
graufame Nachläffigfeit der Engländer in früherer
Zeit auf diefelbe Weiſe aller feiner Wälder beraubt
worden tft.
Einer der Offiziere, F.... und ich beftiegen
279
nachher auc noch den höchften Pif, der mit
wunderbar umher geworfenen Steinmaffen befaet
ift, und wo wir ein von den Franzoſen noch nicht
gefanntes Maräbut-Grab entdedten, das wir
fogar einen Augenblick für ein römifches hielten,
da einige vermoderte Lampen, Lacrimatorien
u. ſ. w. darin, vollkommne antife Formen zeigten,
welche die Handwerker des Landes, wie man
fieht, feit 2000 Sahren durchaus nicht geändert
haben. Denn der efelhafte, noch nicht einmal
ganz verfaulte menfchliche Inhalt einiger größeren
diefer Gefaße überzeugte ung bald, daß wir nur
etwas Modernes Hor uns hatten, und überdem
durch Störung der heiligen Ueberrefte ein großes
Sacrilegium begangen, was ung bei einem minder
gut escortirten Befuche leicht ſchlecht hatte bes
kommen Fünnen.
Als ſich alle Zerfireute, denn die Jaͤger waren
unterdeß auc) ihrem Berufe gefolgt, bei den fieben
Quellen wieder zufammen gefunden, wo bie
Pferde getranft wurden, und die Türken aus der
230
Erde geriffene füße Wurzeln nebft einer Art
wilder Artifchofen (das einzige Mahl diefer uns
glaublicy mäßigen Menfchen am heutigen Tage)
gefpeist hatten, Außerte ich den Wunſch, den
Ruͤckweg wo möglich feitwärts durch den Hoch—
wald zu nehmen, um diefen noch genauer befich-
tigen zu Fünnen, Die Spahis, mit denen wir
und aus Mangel eines Dolmetfchers nur fehr
unvollfommen verftandigen konnten, erflärten
fogleich, daß dies unmöglich fey; der eine Zager,
Lieutenant Guilmot vom Geniecorps, behauptete
aber, er kenne diefe Gegend fehr genau, die Araber
machten zwar ewig Umftände, wenn man nur
im Öeringften aus dem gewöhnlichen Gleife weiche,
und fürchteten ſich wahrfcheinlich vor dem nahen
Kabylen, ich möchte ihm nur getroft folgen, er
werde mich den berrlichften pittoresfeften Weg
führen, den ich mir wünfchen koͤnne.
Ich ließ mic) Teichtgläubig überreden, die
Türfen mußten endlich folgen, doch gefchah es nur
ſich weigernd und zugernd, wobei fie wie in einer
281
Judenſchule unter fich fchrieen und geftifulirten.
Im Anfange ging Alles fehr Teidlich, und die
Natur ward in der That mit jedem Schritte
fhöner, etwas einen Weg zu Nennendes war
aber nirgends zu entdecken, und oft Fonnten die
Pferde Faum das dicht verfchlungene Dorngeftrüpp
unter den hohen Baumen durchbrechen. Immer
entjchtedener nahm die Umgebung den Charakter
eines von Menfchen faft nie betretenen Urwaldes
an, in dem ſich von den verrotteten Stämmen
mehrere Fuß hohe, fchwarze und lockere Dammerde,
überall mit Pflanzen bedeckt, nach und nad) ans
gehäuft hatte. Wir famen nun an einen breiten
und Außerft fteilen Abhang, an welchem ungeheure
Baume aufgefchoffen waren. Die Araber verfagten
immer energifcher weiter vorzudringen, wir blieben
aber bei unferm Willen, und begannen, ein Theil
noch reitend, der andere feine Pferde führend,
getroft Hinabzurutfchen. Die weiche Erde, und
die oft von Dornen fo überfponnenen glatten
Selfen, daß man ihr Daſeyn gar nicht ahnete,
282
verurfachten bereit8 kleine Unglüdsfalle, unter
andern ftürzte J....' s Pferd und riß ihn eine
Strede mit fich fort, worauf er gefährlich darunter
zu liegen Fam, ohne fich jedoch irgend wehe zu
thun. Nach vielen Umftanden langten wir endlich
unten an, wo ein felfiger Bach mit noch größerer
Mühe und einigen von Neuem ftürzenden Pferden
paffirt wurde Vor uns lag jeßt eine fumpfige
Wildniß, die fich als ganz impracticabel zeigte,
und rechts ein felfiger Abhang, gleich dem eben
herabgelommenen, den wir nothgedrungen mit
immer vermehrter Schwierigkeit erflimmen muß—
ten. Das Reiten wurde nun unmöglich, und die
Türken, deren Kleidung, mit großen rothen
Ritterſtiefeln, ſechs Zoll langen Sporfpteßen und
doppelten Bernus-Maͤnteln, fehr übel zum Fuß—
gehen eingerichtet ift, verloren gänzlich die Geduld,
und fchienen und in ihrer Sprache zu allen
Teufeln zu wünfchen Uns hielt die Romantik
aufrecht, doc) fahen wir ſaͤmmtlich von der übers
mäßigen Erhigung dunkelroth wie gefochte Krebſe
283
aus, und wurden oft zu einem langen Halt gend-
thigt, um nur wieder zu Athem zu kommen. So
irrten wir noch geraume Zeit auf und ab, und
rechts und linfs umher, bis wir uns in eine tiefe
gorge eingeflammert fanden, und einen reißenden
Waldſtrom vor uns fahen, der zwar zwei fehöne
Mafferfalle bildete, und in jeder Hinficht unfere
Augen erfreute, aber nirgends einen Durchgang
darbot, den Pferde pafliren zu koͤnnen ſchienen.
Es blieb indeß Fein anderer Ausweg übrig, denn
die Rückkehr zu verfuchen hatte die Zeit nicht
zugereicht, und das Unternehmen mußte alio
gewagt werden. Seitdem ich diefen Uebergang
geſehen, und felbft mit bewerfftelligt, möchte ich
faft glauben, daß arabifche Pferde auch Feſtungs—
werfe erflettern Fünnen, In der That fielen faft
alle der armen Gefchöpfe eins oder mehreremale,
aber eins nur, Das eines türfifchen Schaufch,
brach den Hals, und blieb unter dem lauten
MWehflagen der Araber, die eine halbe Stunde
brauchten um es zu entkleiden, auf einem hervor—
284
ragenden Felfen des MWaldftroms Liegen. Die
großen Geier werden es fich zu Nuße gemacht
haben. Wir Chriften waren aud) nicht ohne blaue
Flecke und Nitze geblieben, doch litten die armen
Türken wegen ihrer erwähnten unbeholfenen Tracht
am meiften. Erfchöpft lagerten fie ſich, als wir
und wieder zufammen gefunden hatten, neben
ihren Pferden auf dem weichen Boden, und nichts
konnte fie vermögen, vor einer guten Stunde
wieder aufzubrechın. Die Noth war jedoch nun
überftanden, denn in Kurzem gelangten wir wieder
auf den am Morgen eingefchlagenen Weg, und
hatten doch unfern Zweck erreicht: einen afrika—
nifchen Urwald gründlich Fennen gelernt zu haben.
Biel Zeit war aber darüber vergangen, was mich
um fo mehr contrartirte, da mich der General
zum Effen erwartete, und ich die UnthunlichFeit
vorausfah, mic) noch zur rechten Stunde dabei
einfinden zu Fünnen,
Bon den hier in der Naͤhe "wohnenden feind-
lichen Tribus hatten wir nichts zu fchen befommen,
285
Erft auf dem Ruͤckweg trafen wir drei Individuen
derfelben an, die, faft ganz nadt gehend, Kohlen
brannten. Es waren fchön gebaute große Menfchen,
doc) von einem häßlichen und graufamen Geſichts—
ausdruck, und ich zweifle nicht, daß die Mordthaten,
welche man ihnen zufchreibt, gegrünsrt feyn mögen,
Doc attafiren fie nie ohne decidirte Webermacht
und mit höchiter Wahrfcheinlichkeit des Erfolgs,
überhaupt nicht leicht gut Bewaffnete, Sobald
wir ganz aus ihrem Bereich waren, eilte ich
voraus und trieb mein Pferd an, den befchwerlichen
Weg durch den Dlivenwald im Trabe mehr hinab
zu glitfchen als zu laufen, und in der Ebene
angelangt ließ ich das Foftliche und ganz uner—
müdliche Thier die leßte halbe Stunde bis zur
Stadt im vollfien Rennen zurüclegen. Es
bewerfftelligte dies durchaus mit demfelben Feuer
wie beim Ausmarfch vor dreizehn Stunden, und
ich hatte fogar Mühe, e8 vor dem Thore, wo der
Weg voller Köcher und fehr fchlecht ift, erhalten
zu Fonnen, Nur die edelften englifchen Pferde find
286
Gleiches zu thun im Stande. Ungeachtet aller
diefer Eile und einer eben fo haſtigen Toilette,
hatte der zu gütige General dennoch zwei Stunden
mit dem dine auf mic) gewartet, eine wahrhaft
großmüthige Attention, die ic) um fo danfbarer
erkennen mußte, da ich ohne fie bet fo fpäter
Tageszeit in Bone nirgends mehr etwas einer
regelmäßigen Mahlzeit Aehnliches hätte vorfinden
Tonnen; und es ift ohne Zweifel erlaubt, nad)
einer fatigue wie die unfrige, den gehörigen Werth
auf einen folchen Gegenftand zu feßen. Der
haßlichfte Schatten, den der boͤſe Freitag auf
meine heutige Unternehmung warf, war ber
Verluſt eines ſchoͤnen Dollond, den ich ſeit 20
Jahren beſitze, und welchen kuͤnftig entbehren zu
muͤſſen, mir ſehr nahe geht!
Da Du ein angehender Gelehrter biſt, ſo will
ich Dich nicht blos von Allotrien unterhalten,
ſondern Dir jetzt zu weiterem Nachdenken mit
Deinem vortrefflichen Studiendirector, dem ich
mich bei dieſer Gelegenheit angelegentlich zu
237
empfehlen bitte, die Furze Anficht eines neuen und
ziemlich auffallenden zoognofifchen Syftems geben,
das mein biefiger Freund, Herr von St. Leon,
auf langes Studium der Natur gegründet und
in Kurzem befannt zu machen die Abficht bat.
Sein gewahltes Epigraph ift folgendes: „Meil
alle Modiftcationen der Gattungen vollfommen
durch die verfchiedenen Einflüffe des Alterns (dem
alles in der Zeit Lebende unterworfen ift,) des
Bodens und der Temperatur hinlänglic) erklärt
werden fünnen, fo darf man mit gutem Grunde
zweifeln, daß die Natur verfchtedene Racen
geſchaffen. Ste procedirt alfo Teineswegs durd)
Vervollkommnung — fie Schafft auch von Haufe
aus Feine Degradation d. h. Feine Gattung in
verſchiednen abfallenden Nüancen.«
„Dies,“ fahrt er fort, »ift die Grundlage einer
Menge Beobachtungen, welche alle die Einheit
der Schöpfung jeder Gattung und die Einheit
des Ortes derfelben darthun werden. Die moras
liſche Welt mag andere Gefege haben, und Diefe
258
laffen wir bier ganz aus dem Spiele, wir haben
es nur mit der phyfifchen zu thun. Zudem man
Diejenigen Gegenden bei Seite fett, welche primitiv
nicht durch Menfchen haben bevölkert feyn Fünnen,
erkennt man, daß in faft ganz Afrifa, wie dem
öftlichen und nördlichen Theil Aftens, diefe Gattung
ſchon im Laufe der Zeit zu tiefer Degradatiou
herabfteigt, daß fie in Amerika ebenfalls fchon
weit von ihrer erften Reinheit entfernt ift, und
daß fie in Europa am meiften faft alle ihre
inftinetiven Qualitäten verloren bat. Sch bin
daher überzeugt, daß in den Ländern die fich
zwifchen Perfien und Aegypten befinden, die Wiege
des Menfchengefchlehts zu fuchen ſey. Man
wird zu diefer Conjectur hauptfächlich durch die
Entdeckung mehrerer Geſetze der phyfifchen Ord—
nung geleitet, namentlich durch dasjenige: daß
der Verluſt an fpecififcher Schwere des Knochens
und Muskelgewebes bei allen Individuen die
verhältnißmäßige Entfernung vom Typus anzeigt.
Da nun bei Feiner andern Nace die Schwere des—
— — —
289
ſelben ſtaͤrker iſt als bei den Arabern, keine Indi—
viduen andrer Staͤmme in hoͤherem Grade, als ſie,
auch die uͤbrigen Normaleigenſchaften beſitzen, ſo
laͤßt Alles glauben, daß der Araber der Urmenſch
iſt, und zwar der zwiſchen Syrien und Aegypten
Lebende, woraus folgt, daß man mit dem Araber
dieſer Gegenden, durch Huͤlfe des veraͤnderten
Bodens und Clima's alle Racen des Globus
hervorbringen kann; ganz auf dieſelbe Weiſe, wie
man von dem gleichen Ausgangspunct und durch
dieſelben Mittel dahin gekommen iſt, alle verſchie—
denen Pferderacen hervorzubringen, weshalb es
heut zu Tage nicht viel ſchwerer iſt, ein Pferd von
dieſer oder jener Guͤte, dieſer oder jener Schnellig—
keit, dieſer oder jener Kraft zu machen, als
einen Liqueur zu dieſem oder jenem Grade der
Stärke zu alkoholiſiren.“*)
Meine Discretion erlaubt mir nicht, noc) tiefer
*) Diefe Analogie ver Menfchen mit meinen Lieblin-
gen, den arabifchen Pferden, ift mir fehr willfommen,
Semitaffo in Afrika, I. 9
290
in die Details. der Zeichen einzugehen, wodurch
nad) Herrn von St. Leon der Prototypus der
Menfchheit erfannt werden Fann, mannigfache
Betrachtungen, wie es mir fcheint, neuer Art,
wird ſchon das Vorhergehende erwecken, auf deffen
Baſen vielleicht einft ein von dem unſern ganz
abweichender gefellfchaftlicher Zuftand gegründet
werden kann, und felbft auf rein materiellem Wege
die Verfectibilität gewonnen, d. h. durch Kunft
die Folgen der Degradation der Zeit aufgehoben,
und die Menfchheit wieder zum Typus zuruͤckge⸗
führt werden mag.
Alle weiteren Nachforfchungen in der Sache
müffen fi) aber immer auf die Weberzeugung
des Herrn von St. Leon gründen, (die übrigens
die Bibel beftätigt, weshalb Du ohne Frevel Dich
ihr überlaffen Fannft), daß die erften Wefen jeder
Gattung mit der hoͤchſten Summe ihres Inſtinkts
gefchaffen wurden, daß die Vollfommenheit diefes
Inſtinkts zugleich die aller andern Agentien erfordert
— daß man alfo jeßt, als vom Privilegium der
291
Primitivität beraubt, alle diejenigen Racen anfehen
muß, bei denen die perceptiven Organe zu weit
vom erften Reichthum der Schöpfung entfernt
find. Mir müffen daher, fo fchwer es unferm
Stolze vorfommen mag, hiernach annchmen, dag
nicht diejenige Nace dem Typus am nächften
ift, welche die meiften Bücher fchreibt, und am
meiften politifirt, welches vielmehr, fürchte ich,
ſchon überhandgenommene Verwirrung und Kranf-
haftigkeit anzeigt, fondern ganz einfach die, deren
Subjecte am beften fehen, hören, fchmecen,
fühlen und empfinden. Hierbei ift dennoch nicht
unnüß zu bemerken, daß, da die Nerven eine
der erften Rollen in den Perceptionen fpielen, eine
Drganifation auch deshalb um fo weniger
primitiv feyn wird, als das Nervenſyſtem weniger
ausgebildet if. Die armen Flamlaͤnder hält
Herr von St. Leon deshalb für die dent Para-
dies entferntefte Nace, weil er der Meinung ift,
daß fie von allen Menſchen am wenigften nervös
und vom ſchwammigſten Knochenbau find,
292
Eine große Entbehrung hier in Bone ift für
mich), daß es Feine chriftliche Kirche giebt; man
muß wie ein primitiver Heide leben, da man
felbft in die Mofcheen nicht hinein darf, wenn
man eine Anwandlung von Zslamismus verfpüren
follte, Die biefigen Franzofen fcheinen in der
That alle ihre Religion in Paris gelaffen zu haben.
Glücdlicherweife hat der liebe Gott einen deſto
fhöneren Tempel um uns ber aufgerichtet. —
ch darf mic) aber den frommen Dingen, die
ſchon auf meiner Zunge fchweben, in einem ges
druckten Briefe gar nicht mehr überlaffen, feit
eine Berliner Dame, die mich recenfirt, und noch
nicht zu den Schlimmften gehört, erflärt hat,
nichts fey ihr widerlicher, als wenn ich anfinge
in geheuchelte Religiofität oder in Lobeserhebungen
auf unfern König auszubrechen, wovon eins wie
das andere nur Affectation wäre, Gluͤcklicherweiſe
fennft Du, obgleich zu Deinem Heile ebenfalls
viel rechtgläubiger als ich, mich dennoch beffer,
mein guter Louis, und Gott und der König wer—
293
den hoffentlich auch eine weniger harte Meinung
von mir hegen, *)
*) Indem ich den obigen Brief nach feiner Abfendung
wieder durchlefe, halte ich es nicht für unzweckmäßig, dem
Publikum mitzutheilen, was über biefen Punkt mein
armer Doppelgänger äußerte, als er durch magifche Ge-
walt gezwungen, fih in meine Seele verfegen mußte.
„Es ift dringend nöthig,“ fagte er, „daß ich mich
einmal deutlich — wenn auch noch keineswegs ausführlich
— über einen Gegenftand ausfpreche, der meinen Freun—
den eine unrichtige Meinung von mir, und meinen
Feinden eine neue vergiftete Waffe gegen mich in bie
Hand geben könnte.“
„Bott und die Welt find Cwenigftens für unfere
irdiſche Capacität) zwei fehr verſchiedne Dinge. In der
Welt giebt es viel Dummes, Schlechtes, ja Empörendes,
und mit der Religion ſelbſt, die Gott in dieſer Welt am
nächſten zu ſtehen ſcheint, wird der niederträchtigſte Unfug
getrieben. Wenn ich nun die Dinge dieſer Kategorie
angreife, bin ich deshalb ein Feind Gottes?“
„Mutatis mutandis wird es mit König und Gou-
294
Im Fache der Gaftronomie bin ich hier nicht
ganz ohne vermehrte Kenntniffe geblieben, Zuerft
vernement eine ähnliche Bewandtniß haben, denn welcher
Monarch kann heut zu Tage mehr in dem Grade regieren,
als es früher möglich und angemefien war. Wie es
taufendmal gefagt worden ift, die Dinge find ftärfer ge-
worden, als die Perfonen, was mit andern Worten nichts
anders heißt, als: die Pluralität, die allgemeine Meis
nung herrſcht mächtiger als der einzelne Wille — und
wenn ehemals ein Spuverain ſich in diefer Hinſicht zu—
weilen vom Netz feiner Hofleute umſtrickt fah, fo ift heute
das Beamtengewebe um ihn her noch weit mächtiger und
undurkdringlicher geworben. Gelbft was er einfieht,
fann er oft mit dem beften und fefteften Willen nicht
ändern, gefchweige was ihm unbefannt bleibt, oder was
ihm unmöglich gemacht wird, anders als einfeitig zu
feyn, Er müßte felbit ein Gott feyn, um alle Diefem
begegnen zu können.“
„Was nun die, in jeder biedern Gefinnung geheiligte
Perfon unferes eignen Monarchen betrifft, fo habe ich es
vielleicht fehon früher geäußert, und denke es heute wie
295
hat mich Frau von Armandy gelehrt, den Achten
indifchen Kary zu verfertigen, wobei die Haupt:
bamald, daß es nur wenig Menfchen geben fann, bie
unferm König nicht von Herzen zugethban wären, nicht
allein, weil er König ift, fondern wegen feiner Menfchen-
würde, Güte, Milde und Gereshtigfeitsliebe. Mir felbft
bat des Königs Majeftät nie etwas anderes ald Freund
lichkeit und Gnade erzeigt, und Manches, was ich von
andrer Seite fchwer zu leiden hatte, dadurch großmüthig
zu verfüßen gefucht, ja einigemal Selbſt in die Speichen
gegriffen, wo es Seiner Gerechtigfeit unerläßlich erfchien.
Sch babe alfo auch perfönlich nur Urfach, meinen König
zu lieben und Ihm von ganzem Herzen dankbar zu feyn,
fo daß die Pflicht, Ihm treu und innig anzuhängen, mir
in jeder Hinfiht nur zur Freude und Genugthuung ges
reichen fann. Doch wäre dies auch nicht der Fall, fo
bin ich von zu altem deutfchen Stamme, und zu fehr in
den Grundfäßen deffelben erzogen, um nicht ftets bereit-
willig den Testen Blutstropfen für den angebornen König
zu vergießen, Er behandle mih wie Er wolle; fo wie
denn auch, Gott Lob! nie einer meiner Borfahren bie
296
fache ift, den Neis fo zu Fochen, daß er croquant
bleibt, und mir zugleich das Recept zum Kaffee
machen beftätigt, welches ich, wie Du Did) wohl
noch erinnerft, meinem Freunde Wulffen aus
Freiberg, überfandt habe. Leider aber fette fie
hinzu, daß man fo edles Getränk nur im Lande
felbft genießen Fonne, da der Moffa Kaffee, fo wie
er übers Meer reife, feine Haupteigenfchaften fo fehr
verliere, daß fie in Paris mit den beften Bohnen, die
fie felbft mitgenommen hatte, doch nie im Stande
gewefen fey, etwas Achnliches hervorzubringen, ob-
gleich e8 immer noch weit befferer Kaffee als aller
übrige geblichen wäre. Ein befonderes Raffinement
feinem Monarchen nach altem Vorrecht durch Handfıhlag
feierlich gelobte Bafallentreue je gebrochen hat.“
„Das Uebrige aber ift andrer Natur... .. Hier
bob ich den Zauber auf, mich an Fontenelle erinnernd,
der zu fagen pflegte: Wenn ich alle Wahrheiten der Welt
in meiner gefchloffenen Hand bielte, ich würde mich wohl
hüten, diefe Hand zu öffnen.“
297
gab fie mir noch an, nämlich die Vorfchrift, die
Bohnen, fo wie fie hinlänglich gebrannt, fogleich auf
eine Marmortafel oder andern Falten Stein aus—
zubreiten, damit das Verfliegen des reinften Aroma
ſchnell unterdrücdt werde, Von Herrn von St.
Leon, dem Naturforfcher, profitirte ich die Kunde,
daß man Fifch nie mit Del und Effig, fondern
immer mit Del und Citronen effen müffe, was
ich fehr richtig finde, und zugleich) bemerft habe,
daß ſich dann Harvey sauce weit beffer und
ſchmackhafter damit verbindet, Ferner liefert
Bone eine Art Fleinen dunfelgrünen, wilden Sparz
geld, der vortrefflich if. Mehr kann ich von
diefem Thema nicht anführen, aber Du wirft
Did) wenigftens dadurch überzeugen, daß ich Feine
Gelegenheit verfaume, Did) in der Diplomatie zu
unterrichten, die, wie der alte Graf Stacelberg
behauptete, in der Kochkunſt hauptfächlich zu
fuchen ſey.
Um aber wieder auf etwas Anderes zu kom—
men — denn eine gute Converfation foll ja nichts
298
approfondiren — fo muß ic) Dir von einem der
fonderbarften Duclle erzählen, von denen ich je
gehört, und das vor einigen Monaten hier ftatt
gefunden hat. Ein Gapitain von den Chasseurs
d’Afrique, und ein Marines Offizier fchoffen fich
auf zwei Schritt Diftance in Hemdärmeln, ver—
möge zweier Commißpiftolen, von denen, dem
Abkommen gemäß, nur eine geladen war; das
erftemal, wo dem Cavallerie-Dffizier die geladene
Piftole zufiel, ging der Schuß dem Marine⸗Offi—
zier neben den Beinen vorbei, während das zu
fiarf geladene Gewehr dem Losſchießenden fo
heftig an die Stirne ſchlug, daß er faft umfiel;
das ziweitemal, wo der Andere die Todeswaffe ers
griff, fuhr dem Chaſſeurs-Capitain die Kugel
zwifchen den Beinen hindurch. Diefes außer:
ordentliche Glük, bei einer Entfernung von nur
zwei Schritten, ift um fo bewunderungswärdiger,
da beide Gegner anerkannt höchft brave und Falt:
blütige Leute find; aber die Mahomedaner haben
vollfommen rechts es giebt ein unbezwingliches
299
Schickſal, und werfen Stunde nicht gekommen ift,
der ift Hicb> Stich» und Kugelfeft. Sit es nicht
fo mit allen großen Feldhern? War Napoleon
nicht fein ganzes Leben lang gefeiet, weil er, cine
Lehre für Fürften und Voͤlker, in Helena fterben
follte! Was diefen betrifft, fo ift es übrigens
eine eigene Erfcheinung, daß, wahrend in Europa
jeßt fo viele Kleine ihn nad) fi meffen wollen,
er im Drient faft ein fabelhafter Held geworden
ift, und fein Ruhm vielleicht am meiften dazu
beigetragen hat, die frühere Verachtung der Euro;
päacr in Bewunderung umzuwandeln, So erzählte
mir geftern d'Armandy, daß er felbft gegemwärtig
war, als man dem Sultan von Mascat unter
mehreren Gefchenfen des franzöfifchen Gouvernes
ments auch das Portrait Ludwigs des Achzehnten
überreichte. Der Sultan frug, was es bedeute?
Den Herrfcher der Franzoſen, erwicderte man,
Das ift unmöglich, fagte der Sultan, den Fennen
wir zu gut, und ich will ihn Euch fogleich zeigen.
Darauf ließ er ein ſchoͤnes Oelgemaͤlde Napoleons
300
bereintragen, zu dem er, der Himmel weiß wie,
gefommen war, Hier ift der Sultan der Fran
zofen, rief er, und der fieht auch darnach aus;
das dicke Seficht da aber muß Jemand Andern
vorftellen; und als fey Napoleon auch phyſiſch
unfterblich, ließ er fih nie von feiner Meinung
abbringen,
Da fi) meine AUbreife nach Tunis wegen
widriger Winde von Tage zu Tage verzieht, habe
ich noch Gelegenheit gehabt, den FeierlichFeiten
des großen Bairam-Feftes hier beizuwohnen. Nach
einem fortwährenden Kanonieren, denn den Laͤrm
des Schießens lieben die Araber über Alles,
verfammelten fich die Spahis und eine Menge
Beduinenchefs, mitunter auf vortrefflichen Pferden
und in ihrem böchften Staate, auf einer großen
Wieſe nahe bei der Stadt, um welche die Popu—
lation von Bone einen weiten Kreis gefchloffen
hatte, in deſſen Mitte zwei Zelte für den
Commandirenden und feinen Generalftab aufge
fhlagen waren. Auf das gegebene Zeichen eines
301
letzten Kanonenfchuffes begannen, gleich einem
Turnier, die Araber ihre Friegerifchen Uebungen
und Spiele, ficy weidlich auf dem grünen Plan
umhertummelnd. Ber diefer Oelegenheit hatte
wieder ein Schaufch, der mich noch vor einigen
Tagen auf der Saujagd begleitete, das Unglück,
daß fein fchönes Pferd im vollen Laufe fich in
den Eifen fing und fo gewaltig ftürzte, daß es
auf der Stelle todt liegen blieb. Nachdent ich eine
Meile die Sache in der Nähe mit angefehen,
erftieg ich den nahen Hügel von Hippone, von
wo das Schaufptel fich noch malerifcher entfaltete,
und nahm zugleich einen legten Abſchied von den
herrlichen Ruinen, die ich wohl fchwerlich in
diefem Leben wiederfchen werde, Dann Fehrte ich
auf dem Waſſer zurüd, um die gefcheiterten Schiffe
in der Rhede an Drt und Stelle zu befichtigen.
Befonders fiel mir ein franzöfifches Kriegsfchiff
auf, von dem, weit vom Ufer entfernt, nur zwei
kafte und ein Theil des Schnabels aus den
Wellen hervorragten, Einige einzelne Stricke und
302
der Feine Reft einer Slagge, die melancholiſch im
Winde flatterten, waren die einzigen Weberrefte
des ftolzen Fahrzeugs. Der Anblid hatte in der
ſtillen Einſamkeit etwas tief Ergreifendes, und
wäre ein erregender Gegenftend für den Dichter
gewefen, wenn ich ein folcher zu feyn das Gluͤck
hätte. Ich lieg mich nach dem Fort Cigogne
rudern, wo ich ausftieg. Mitten in diefer Ruine,
die einen fchroffen Selfen Front, ficht cin uralter
Delbaum, der vicheicht noch ein Zeitgenoffe der
erften türfifchen Herrfchaft über Afrika ift. Ori—
ginell nahmen fich zwifchen den zerbrochenen
Fenfteröffuungen der alten Mauern, wie in Rah—
men gefaßt, die verfchiedenen Theile der Stadt
aus, welche faſt ausgeftorben erfchien, da ihre
Bewohner alle dem Feſte zugeftrömt waren.
Nun, mein ſchoͤner Neffe, noch einmal zu
Roß und dann Eehre nach Berlin zurück, Wir
reiten nach dent Cap rouge, um zu dem Grabe
des großen Maräbut von Sidi- Aissa zu wall-
fahrten.
Ange ———
— — — —
303
Nicht leicht konnte man ſich einen romantiſchern
Beſtattungsort ausſuchen. In dem Abhange
eines kegelfoͤrmigen Berges am Meer befindet ſich,
nahe dem Gipfel, ein roͤmiſcher Marmorbruch,
der eine 200 Fuß tiefe und 500 Fuß im Umfang
haltende Aushoͤhlung bildet. Die ſenkrechten, oft
oben uͤberſtehenden Waͤnde ſind ſchoͤn geadert,
und in langen Feſtons haͤngen Weinreben, Cactus,
Epheu und Lianen im Schmucke vieler Bluͤthen
und Blumen daruͤber herab. Der untere Boden
iſt grünes Gras, auf dem einige uralte Feigen—
baume, die fchon voller Fleiner Früchte waren,
ein foldyes Laubgewoͤlbe ausbreiteten, daß mehrere
Hütten unter ihnen Pla gefunden haben würden,
und einladend wäre dies auch für einen Einfiedler
gewefen, fo zu den Füßen feines Heiligen felbft
gebettet zu feynz denn Sidi-Aissa liegt nicht im
Grunde, fondern in einer ausgehauenen Kammer
in der Mitte der einen Marmorwand begraben,
zu der man auf allerlei mit Dornen überwachfenen
Schutt hinanklettert, Ein Baldadhin ift über dem
304
Kaften aufgerichtet, in dem feine irdifchen Ueber:
refte ruhen. Diefen bedeckt eine fhawlartige, weite
Dede, und ein Kranz halbvermoderter Fahnen
hangt rund umher. So ftreng der General gebo—
ten hat, diefes Grab zu refpectiren, fo hat doc)
die Neugierde der Chriften ihm verfchiedentlich
übel mitgefpielt. Wir hielten uns jedoch diesmal,
noch die Sünde der vergangenen Tage auf dem
Gewiffen, von allem Srevel fern, An den impo—
fanten SFelfenwäanden erblict man deutlich die
legten Spuren der Werkzeuge, deren fich die
Roͤmer hier bedienten, als hätten die Arbeiter
eben erft den Bruch verlaffen, und da, wo fie,
mit dem Pulver unbekannt, die mächtigen Hebel
zum Sprengen der Steine anſtemmten, find die
aus großen Blöcen geformten Widerlagen noch
ganz intact.
Nachdem wir den Abgrund verlaffen hatten,
un von dem oberften Rande das Vergnügen des
fhwindelerregenden Hinabſchauens in die Tiefe
zu genießen, erftiegen wir auf einer natürlichen,
305
aber deshalb auch fehr unbequemen Marmortreppe,
die mit unzähligen Sorten mannigfaltig blühender
Erifen, Smmortellen, Narziffen, Sris u. f. w.
eingefaßt war, die Spitze des Berges, wo noch
ein anderer, aber weniger vornehme Maräbut fein
lestes Lager gefunden hat. Von dem rohen Stein-
haufen über feinem Leichnam überfieht man die
beiden Buchten rechts und linfs, mit Felſen—
gebilden jeder Form, einem unermeßlichen Meeres;
fpiegel und auf der Landſeite des Gebürges
majeftatifche Neihen bis gegen Tunis him,
Diefer Theil der Küfte, der fi) von Bone
nach Norden erftrecft, ift volllommen gefund, und
Herr von Armandy hat fehr zweckmaͤßig vorge:
fchlagen, den alten halbverfallenen Schutthaufen
Bone’s völlig zu verlaffen, und ftatt ihn Fofiypielig
zu erneuern, die Stadt ganz und gar hierher zu
verlegen, wo auc eine geräumige Bucht fic)
befindet, die den Schiffen einen weit fichreren
Anferpla gewähren würde, als die jeßige zu
offene und zu coloffale Rhede. Der letzte Sturm,
Semilaffo in Afrika, II. 20
306
wo der Stationaire , der fich glüclicherweife bier
befand, ganz unbefchädigt blieb, hat dies bins
laͤnglich bewiefen.
Als die Some ſchon Hinter dem hoben
Dschebel - Derugh hinabfanf, eilten wir, dem ger
fälligen Commandanten des in der Nähe liegenden
Forts genois, der und mit der größten Artigfeit
überall hingeführt, taufend Dank fagend, nad)
Haufe; und wo es nur der fleinige Weg erlaubte,
ging es Berg auf und Berg ab im fchnellften
Galopp, um Frau von Armandy nicht zu fehr
in ihrer Hausordnung zu ftoren, die ohnedies
feit meinem Hierſeyn nur allzubäufig verkehrt
worden ift. Auch nehme ich von der nie fich
verläugnenden Güte meiner Wirthe, und der herz
lichen, liebenswürdigen Weife, mit der fie mich
fortwährend behandelten, ein unerlöfchliches Anz
denken mit mir fort.
Wir find am Ende, licher Louis, empfange
jet meinen letzten Gruß aus dem afrifanifchen
Bone, dem alten Aphrodisium , und meine
307
beften Wuͤnſche für das deutfche Bonn, wo ich
Di) dem Cultus der Aphrodite nicht zu fehr
hinzugeben bitte, und wohin id) Dir überhaupt
zu Deiner Univerfitätsfahrt noch eine lange,
vaterliche Verhaltungsepiftel nachzufenden denke,
Du wirft fie vielleicht noch trodener als diefen
Brief finden, aber dennoch muß id Dir ihre
Beherzigung weit angelegentlicher anempfehlen ;
denn Du darfft nicht vergeffen, daß jeßt Die
Zeit des Sammelns für Dih ift, und das
dauernde und verbürgte Wohlfeyn Fünftiger Tage
von der möglichft beiten Benußung Deiner
Jugend abhängen wird. Sch wünfche fehnlich,
daß Du bierin Deinen Onkel weit übertreffen
magft, und Du Fannft mid) dabei immer etwas
in die Kategorie der Prediger ſetzen, an deren
Lehren man fich oft beffer halt, ale an ihr
Beifpiel. Folge diefem leßteren nur da, wo ich
Did) dazu auffordere, in Uebrigen bleibe Deiner
Natur und Deinen eigenen Anſichten getreu.
Die Menfchen Fonnen fich nicht gleichen, aber
308
Jeder kann in feiner Art, wenn er felbft an feiner
Bildung arbeiten will, etwas Tuͤchtiges und
Ganzes werden.
Dein
Dich Tiebender treuer Onfel
5. ©,
Neise-Iournal,
(Bortfeßung.)
Tabarka, ven 13. April 1835.
Am zehnten um zehn Uhr Abends embarkirte
ich mich in einem Kleinen Genuefifchen Handels:
fehifflein, Vittoria genannt, mit nur einem Maft
verfehen, und ungefähr von der Größe eines
mittleren Elbkahns. D’Armandy, Herr von
St. Leon und Juſſuf, der noch mit dem. Iehten
Kanonenfchuß des Bairam’s, von Algier kommend,
wo ihn eine neue Kabbuhra fo lange zurüdgehalten
hatte, bei mir eingetreten war, begleiteten mich
310
bis an den Hafen, und ic) nahm nicht ohne
Ruͤhrung von diefen fo verfchiedenen, und dennoch
fo gleich intereffanten Männern Abſchied. Der
Wind war gut, aber heftig, und fo wie wir aus
der Bay ins hohe Meer Famen, ward das Dimi-
nuttofchtff gleich einem Ball darauf umher geworfen.
Dazu ſchien unfer Capitain, wie feine geringe
Schiffmannfchaft, fehr wenig erfahren; denn alle
veränderte Evolutionen gingen nur mit verworres
nem Geſchrei und fo unbeholfen von Statten, daß
einmal, beim Umlegen des Segels, der Matrofe,
welcher das Tau in der Hand hielt, davon fort
geriffen hinfiel und wir felbft noch ſchnell mit
eingreifen mußten, widrigenfalls die -Segelftange
leicht hätte brechen, oder das ganze Schiff gleich
zum Anfange umgeworfen werden koͤnnen. Wir
vermochten nicht lange auf dem Verdecke auszu:
halten, weil die Wellen e8 fortwährend überfprißten,
und wurden nachher unten Alle elend Franf. Im
Laufe des folgenden Tages fing es an noch ſchlim—
mer zu werden; der Wind fehlug plöglich) um,
311
und das Meer tobte fo wild, daß unfer Kahrzeug
bald haushoch in der Höhe fchwebte, bald eben
fo tief wieder hinabfuhr. Wir befanden uns in
einer um fo unangenehmeren Alternative, da wir
linf3 die unbewohnte Felfeninfel Galita, welche
mit drei bis vier obelisfenartigen Pils im falben
Mondenfchein aus den Fluthen hervorftieg, rechts
aber das gefährliche Ufer der Küfte des Continents
neben uns hatten, und leicht von dem haufig
wechfelnden Winde auf eine oder die andere Seite
geworfen werden konnten. In dieſem Falle würde
uns nicht viel Anderes bevorgeftanden haben, als
an unmwirthbaren Felfen zu fcheitern, oder auf den
Sand der Küfte zu laufen, wo die hier fehr boͤs—
artigen und faft unabhängigen Araber felten den
Schiffbruͤchigen das Leben laſſen. Diefe üble
Befchaffenheit und gleiche Treulofigkeit der Winde,
des Meeres und der Menfchen, machen daher auch
für die Kleinen Handelsfchiffe die Fahrt bier fo
unficher, dag fortwährend Unglüdsfalle an der
Tagesordnung find. So erhielten wir erft vor
312
acht Tagen in Bone die Nachricht, daß bei einem
nur fchwachen Unwetter ein Schiff, das wir noch
felbft abfegeln gefehen hatten, kurz vor Biserta
gefcheitert war, wobei fünf Neifende ihr Leben
verloren, unter denen feltfamerweife derfelbe Offizier
fih befinden foll, deffen romantifche Liebſchaft
mit dem Beduinenmadchen ich erzahlt habe.
So beforglich daher die Lage war, in der wir
bis zum Einbrudy der Nacht, abwechfelnd da und
dorthin umhergetrieben, verblieben, fo macht doch
die Scefranfheit, wenn fie jenen hohen Grad
erreicht hat, der faft unerträglich zu nennen ift,
gegen Alles vollfommen gleichgültig, und in dieſem
Zuftande befanden wir uns beinahe fanımtlicd),
Glüclicherweife wurden einige Nothzeichen, die
unfer Capitain gab, in dem nicht weit rückwärts
gelegenen unbedeutenden Hafen von Tabarka
bemerkt, wo fich einige zwanzig Oenuefifche Bar:
fen zur Gorallenfifcherei anfhielten. Eine derfelben
fam, da wir wegen Höhe der Wellen in den
Hafen einzulaufen nicht im Stande waren, uns
313
zu Hülfe und ruderten das Schiff, im Tau ge
nommen, herein.
Die Ruhe. im Hafen that uns fehr wohl,
und fobald es Tag geworden war, eilten wir
begierig ans Land, um uns bei dem tunefifchen
Aga zu melden, der uns freundlich) empfing und
zugleich für einige frifche Lebensmittel zu forgen
verfprach; denn in der Meinung, höchftens nur
achtzehn Stunden auf dem Meere zuzubringen,
hatte ich mich zwar mit meiner portativen Küche,
aber mit nichts darin zum Kochen verfehen. Der
türfifche Befehlshaber war ein riefenmäßig ge
bauter, ſchoͤner Kriegsmann, mit einem langen
fhwarz und weiß gefprenfelten Bart. Seine
Kleidung erfchien uns Armlich, fo wie feine ordi-
naire Pfeife, die nicht einmal cine Spige hatte,
und er trug zu meiner Verwunderung gar Feine
Waffe. So gering er indeß bezahlt feyn, und
fo Fümmerlich er leben mochte, fo würdevoll und
grandios blieb fortwährend fein Benehmen. Auch
verweigerte er ung ſtets mit wichtiger Miene die
314
mehrmals nachgefuchte Erlaubniß, das Innere
des alten gothifchen Forts zu beſehen, das dems
ungeachtet in zu elender Berfaffung ift, um
Europaern irgend einen ernftlihen Widerftand
leiften zu koͤnnen. Er nahm mit Wohlgefallen,
aber wie immer ohne Dank, das Gefchenf einiger
Pfunde Ievantifchen Tabaks an, und bat noch)
dringend um etwas Schroot zur Jagd, das mit
dem Pulver das Koftbarfte an diefen Kuüften ift.
Denn für Pulver und Blei, glaube ich, vers
fauften die biefigen Kingebornen Vater und
Mutter.
Die Inſel Tabarka liegt nur einen Büchfen:
fhuß vom Ufer, und beftcht aus einen malerifch
geformten, mit Felfen ſchoͤn verzierten Berge, über
und über bededt mit den Ruinen der alten
Stadt gleihen Namens, Auf einige ihrer Grunds
mauern haben die Genueſer da, wo fich eine
Selfenwand mehrere hundert Fuß jahlings in das
Meer herabftürzt, ein großes und ſchoͤnes Schloß
erbaut, welches jegt von zehn bis zwölf fchlechten
315
eifernen Kanonen vertheidigt wird, von Denen
einige überdies noch, wie Fernröhre, gen Himmel
gerichtet waren. Mehrere Eleine Befeftigungswerfe
find auch) ſchon wieder eingefallen, fo wie die
hriftliche Kirche, in welcher ein befonderer Um—
ftand als merkwürdig erfcheint. Auf derfelben
Stelle nämlich, wo, wie man noch deutlich fehen
kann, der Hochaltar fich einft befand, ift jeßt ein
dichter Binfenftrauch von bedeutendem Umfange
emporgefchoffen, und das Myftifche bei der Sache
ift, daß auf der ganzen Inſel, fo wie felbft auf
den gegenüberliegenden Uferbergen, die fi) um
diefelbe ziehen, und fo den Hafen von Tabarka
bilden, nach Ausfage der Bewohner, Fein einziger
Strauch diefer Art weiter angetroffen wird. Auf
dem vorderften der erwähnten Berge ſieht man
noch ein anderes chemals genuefifches Fort, das
gleichfalls den Hafen beherrfcht.
Die Hauptvegetation des Eilandes befteht
aus Cactus und vielen andern Fettpflanzen diefer
Gattung, welche in allen Richtungen die Felfen
316
befranzen, auc einige Feigen- und wilde Pfirſich—
baume beugen hier und da ihre Aeſte über das
an unzähligen Klippen bier ewig hoch auffchäaus
mende Meer. Die Wirkungen, welche diefe
fortwährende Brandung auf mehreren der dortigen
Sandfteine hervorgebracht hat, ift im hohen Grade
überrafchend. Ganze Selfenplatten fehen täufchend
fo aus, ald wenn fie mit Hieroglyphen bededt,
oder Nefte Fünftlicher Bauzierrathen wären, nament:
lic) in jener Art, wie fie die Mauren fo häufig
an ihren Plafonds anzubringen pflegen. Dies
Naturfpiel ift dennoch blos daraus entftanden, daß
das Waſſer die härteren Steinadern fo Fünftlich
ausgefpart und die weichere Maffe darunter ver;
zehrt hat, daß eiferner Fleiß und der gefchicktefte
Meiffel Faum Zierlicheres hervorbringen koͤnnten.
Der Spaziergang zwifchen diefen Steinlabyrinthen
rund um die Inſel, war daher in jeder Hinficht
ungemein intereffant für ung, obgleich an manchen
Orten fehr befehwerlich. Drei bis vier Matrofen
von den Gorallenfchiffen halfen mir, von der
317
Seekrankheit ganz Ermattetem, über die fchwieris
gen Stellen; FG... . ſchoß ein Nebhuhn und
eine wilde Zaube für unfere Tafel, und die
Uebrigen fammelten wilde Blumen für mic),
unter denen ſich auch ſchoͤne Gartenaftern vor;
fanden, die bei ung, fo viel ich weiß, nur im
Herbfte blühen. Die Ausficht vom Gipfel zeigte
ung gegen Süden, nach dem Ufer gewandt, ein
frifches MWiefenthal, das zwei kleine Flüffe — von
denen der größte Zain genannt wird und chemals
Tusca hieß — anmuthig durchftröomten und
viele Vichheerden belebten; die fic) daran fchließen-
den Berge waren bis an ihre nackten Selfenfamme
theils mit junger grüner Saat, theils in den
tiefen Schluchten und über mehrere Abhange hin,
mit berrlihen Eichenwäldern durchwebt, aus
denen viel Holz für die tuneſiſche Marine gezogen
wird. Mehr weftlich entfaltete fich Dagegen fchon eine
Heine Probe der Müfte, Fahler, gelber, fchauerlicher
Sand, der fid) weit in das Land hinein, bis an
den Fuß blauer, mit dem Himmel verfchwebender
318
Berge zu erftreden fchien. Gegen Norden glänzte
im Sonnenfchein nur der, und aus der Nacht
ominds befannte, Selfenfegel von Galita, und
des Meeres azurne Flaͤche, auf der die vielen
Corallenſchiffchen mit ihren flügelartig ausgebreiz
teten zwei fpigen Segeln, gleih Waſſernymphen,
umher gaufelten, Auf der vierten Seite ſchloß
der dunkle Vorhang der Hafenberge, auf dem
oben das Genuefer - Schloß, unten römifche
Ruinen erfchienen‘, jeden weitern Bli in die
Berne.
So ſchoͤn und wolfenlos der Himmel war, fo
ungünftig blieb der Wind, und vor der Hand
fchien an Feine Abreife zu denfen, Dies war um
fo unangenehmer, da der Aga auf mein Befragen
jede Ercurfion im Innern außerhalb der Inſel
für unthunlich erklärte und auch Niemand zu
diefem Behuf mitgeben wollte, Es iſt eigenthuͤm⸗
lich genug, fo ganz nahe vor fich ein üppig ſchoͤnes
Land zu fehen, nad) dem uns überdies nod)
mehrere weitläufige, und offenbar antife Ruinen
319
der alten Stadt Tabarka lockten, in deren Spalten
ein prachtiger Palmbaum aufgefchoffen war —
und doch nicht hinüber zu koͤnnen, weil die Neus
gier leicht allzu übel beftraft werden ‚möchte. Die
dortigen Beduinen, die Zenati, zu jeder Zeit ein
verrufener Stamm, find dem Bey von Tunis
nur in fo fern unterthänig, als fie ihm einen
wenig bedeutenden Tribut zahlen, der alljährlich)
durch eine bewaffnete Expedition, welche in der
Provinz umbherzicht, eingetrieben werden muß.
In diefem Augenblick ſcheinen fie fich aber in
einer Art von Rebellion zu befinden, denn bei
ihrem legten Markt, der gerade unter dem er-
wähnten Palmbaum ſtatt findet, haben fie, wie
wir hörten, allen Reſpekt für den mit einigen
feiner Türken gegenwärtigen Aga fo fehr aus den
Augen gefeßt, daß er fich zu einem eiligen Ruͤckzug
gezwungen fah. Einer der Topschi (Kanpniere),
ein fchöner junger Mann mit cinem faft eine
halbe Elle meffenden blonden Schnurrbat, wies
ung feine von zwei Kugeln durchlöcherte Bernus
320
vor, indem er erzählte: daß er crft am Tage vor
unferer Ankunft diefen Denkfzettel davon getragen
habe, als er Abends den jenfeits des Hafens
ltegenden Berg hinangeftiegen fey, um eine Bot:
fhaft des Commandanten nach dem dortigen Fort
zu bringen.
Yuf ganz Tabarka befindet fih, außer dem
Schloß, Fein Haus, das irgend Jemand zu
beherbergen im Stande wäre, Die einzige Art
von Unterfommen gewährt ein zu Staͤllen und
einigen dürftigen Soldatenwohnungen eingerichteter
Ruinenhaufen am Ufer, vor welchem unter einem
Strohdach ein maurifcher cafe etablirt war. Hier
ftanden rohe Steinbanfe umher, und der ga,
wie fammtliche zerlumpte Krieger der Garnifon,
nebft einigen chriftlichen Matrofen, brachten bier
ihren Tag mit Tabafrauchen und Kaffetrinfen zu.
Auch ich war genöthigt, um dem Schaufeln des
Schiffs fo viel als möglich) zu entgehen, bier
meinen temporären Aufenthalt alle Tage zu wäh
len, und hatte zu dem Endzweck mit 5... Die
321
eine ganze Banf in Befchlag genommen. Hier
frübftückten wir, aßen zu Mittag, lafen und
fchrieben, welches Keßtere immer viel Neugier
erregte, den Tuͤrken aber, ihren verdrüßlichen
Mienen nach, nicht fonderlich zu gefallen fchien,
Unter dem bedeckten Thorweg des Gemaͤuers
hatte fich ein Barbier im freien Durchzug der
Luft angefiedelt, der zugleich einen Handel mit
Pfeifenröhren, Rauch- und Schnupftabaf und
dergleichen trieb. Sein ganzes Ameublement
beftand aus einem Tifch, einer Banf, auf der
er fchlief, und einen von kleinen Knüppeln zuſam—
mengefügten Tabouret, auf das feine Kunden fic)
fegten, einem halben Dutzend ſchmutziger Meffer,
die wie Grasſicheln ausfahen, und einem hiervon
fehr abftechenden eleganten Handfpiegel, der mit
Perlmutter reich) ausgelegt war. Es bot ein
unterhaltendes Schaufpiel dar, alle die verfchiede:
nen oft fehr ausdrudsvollen Kahlkoͤpfe zu betrach—
ten, welche er nach und nad) unter fein Meffer
befam, und bei denen er immer damit anfing,
Semilaffo in Afrika. II. 21
322
nit einem großen Pferdefamm forgfaltig den
langen Zopf zu Fammen, den die Mufelmanner
auf der Mitte des Scheitels ſtehen laffen.
Zu haben war übrigens hier auf ganz Tabarka
Nichts, als Kaffee ohne Zucer, Eier, Milk,
fchlechte Butter voller Haare und Unrath, Hühner
und vortreffliches Waffer, von dem über ein
Dusend, zum Theil antike, Brunnen auf der Inſel
gefunden werden.
Aus diefen Ingredienzen, verbunden mit dem
Wenigen, was wir noch mit uns hatten, und was
die Jagd gewährte, wußte uns jedoch mein junger
Maure Muftapha, der, wie ich zu meinem großen
Vergnügen jeßt erfahre, ein halber Koch ift, ganz
leidlich zu bewirthen.
i
Huf dem Mieere, den-16. April 1835.
Der Menſch denft, Gott lenkt! Als wir
von Bone mit dem beften Winde auf dem leichten
Schiffchen abfegelten, das der Capitain obendrein
für einen Schnellfegler ausgab, erwarteten wir,
höchftens einen Tag unterwegs zu feyn, und heute,
nach faft einer Moche, wiegt uns, nad) wie vor,
noch immer das Meer, während wir Faum Die
Hälfte unferer Reife zurückgelegt haben, auch von
Tabarka aus wieder vierzig Stunden auf dem
Waſſer zubringen, und noch Feine Hoffnung des
Bofferwerdens uns lächelt. Schon fehlt es uns
ganz an Brod, für das der oͤlig ſchmeckende
Schiffszwiebad ein elendes Surrogat ift, an Zuder,
324
Butter, Gemüfe und frifhem Echlachrfleifch; die
luxurioſen Dinge find längft ausgegangen, worun—
ter auch leider die Drangen. Seit geftern tft
alfo die Tafel auf ein, in Waſſer gefochtes, altes
Huhn mit dem feinharten Zwieback redueirt, und
die Entbehrung ift defto empfindlicher, da wir bei
allem Unglück diesmal fo glücklich find, nicht
ſeekrank zu feyn.
Am 14. Morgens, nach einem wunderfchönen
Sonnenuntergang und Mondaufgang, welche die
Felfenfpigen am Meer und die Ruinen des altın
Hafens (unter denen fic) ein noch hervorragendes
Stuͤck Saͤulenſchaft erhalten, an welches die Schiffe
angebunden werden) abwechfelnd in Blutfchein
und Silberlicht getaucht — hatte fich ein frifcher
Landwind erhoben, den der Kapitain fchnell
benußte, um unfer unfreiwilliges Exil endlich zu
verlaffen. Kaum aber hatten wir fünf Seeftunden
zurückgelegt, als eine totale Windftille uns, todten
Sandbergen gegenüber, wie mit Polypenarmen
fefthielt. Einige zwanzig Stunden brachten wir
325
auf dieſem Fleck zu, dann trieb ung ein contrairer
Zephyr wieder einige Stunden abwärts, wozu
wir abermals einen halben Tag gebrauchten.
Seitdem löften fich Linde Lüftchen von allen Seiten
der Windrofe ab, und bald da, bald dorthin,
fchnecdenmäßig fortgeweht, fanden wir uns heute,
ungefähr zwei Stunden vor Sonnenuntergang,
wieder am Fuße der mwüften Selfeninfel Galita.
Auf einer Tieſe, wo erſt nad) dem fünften oder
fechften Verſuch das Senkblei Grund fand, ward,
eine gute DViertelftunde von der Inſel entfernt,
Anker geworfen, Nie habe ich eine folche Farbe
des Meeres gefehen, als es hier darbot, durchfichtig
wie Eryftall, und von einem über alle Befchreibung
fhonen Blau, das die reichte Auflöfung von
Ultramarin nicht vollfaftiger und fchimmernder
hätte hervorbringen koͤnnen. Die bloße Tiefe
konnte unmöglich die Urſach einer fo prachtvollen
Farbe feyn, und es muß daher ein anderer ganz
fpecteller Grund dazu an diefer Inſel ſich vor:
finden. r
326
Sch ließ mich mir $.... und acht der übrigen
Paffagiere (es waren deren, Chriften und Maho—
medaner, außer uns und der Mannfchaft, überhaupt
noch fechzehn in dem Kleinen Echiff) nach dem
Sande rudern, theils um frifches Waſſer einzu—
nehmen, theils um wilde Siegen und Kaninchen
zu fchießen, deren wir mit einem Fleinen Taſchen—
perfpectiv fchon von weitem mehrere an den
Abhaͤngen der fchroffen Felſen entdeckt hatten.
Wir waren Faum gelandet, und hatten angefangen
auf Steingerölle, mit hohem Binfengras unters
miſcht, emporzuflettern, als der Himmel ſich
perfinfterte und der fo lang erfehnte Wind, von
einem dichten Negen begleitet, plößlich in ftärferem
Maaße als wir ihn gebrauchen Fonnten, über ung
Hinzufaufen begann, Wir eilten deshalb um fo
mehr, die andere Seite der Inſel zu gewinnen,
die wenigftens mit Strauchwerf bededt feyn foll,
während die vorliegende nur Grauſen erregende
Fahle Wände darbot, mit wenigen grünen Dafen,
auf welchen wir zwifchen dem Gras blühende
f
wi
rn
327
Melonenronfen und ftarfriechenden Salbei fanden.
Auch glaubten wir auf einer Spitze vomifche
Nuinen zu erblicken, was nicht unmöglich ift,
da man die Inſel auf den alten Charten unter
dem wenig veranderten Namen Galata fchon
verzeichnet findet, Ehe wir indeß den niedrigften
Theil des Kanımes erreichen fonnten, fahen wir
unfer Schiff Zeichen geben, fchleunig zuruͤckzukom—
men, und wir bemerften nicht ohne Unruhe, daß
es feine ganze Lage verändert hatte, und von der
Bourrasque, die es zwifchen der großen und
Heinen Inſel mit ihrer vollen Gewalt traf, heftig
hin und her geworfen wurde. Der im Kahn
gebliebene Matrofe ſchrie uns jeßt durch die zum
Sprachrohr geformten Hände mit hohler Stimme
zus Der Anker ſey im Begriff zu reiffen, wir
follten um des Himmels willen eilen herabzufoms
men. Es war jedoch nicht fo leicht, die fteilen
Abhange mit lofen Steinen, glatten Felfen und
vom Regen fchlüpfrig gewordenen Binfen im
Fluge hinabzuklettern, und ich verwünfchte, feit
328
Bone als halber Türfe gefleidet, meine weiten
Mameluckenhoſen, die zum Reiten, zum gravi—
tätifchen orientalifchen Schritt, und auf der
Dttomane oder feinen untergefchlagenen Beinen
fitgend, fo behaglich find, hier aber mich, wie Kunz
von Kauffungen einft feine Sporen, mehrmals
faft ind Unglüd gebracht hatten. Obgleich die
Beſorgniß unfern Matrofen doppelte Kräfte gab
— denn ward des Schiffes Anfer wirklich los—
geriffen und trieb der Wind es fort, fo mußten
wir uns auf Robinfons Schicfal für wenigftens acht
Tage gefaßt machen, che ein anderes Schiff ung
wieder hätte befreien koͤnnen — fo waren fie doch
nicht fahig, die mit zehn Menfchen gefüllte
Gondel anders als fehr langfam durch die heftig
widerwogenden hohen Wellen hindurd) zu arbei-
ten, und die Zeit daͤuchte uns ewig, wahrend der
wir in fo bedrohlicher Ungewißheit fchwebten.
Kaum aber hatten wir nach unfäglicher Mühe
das Schiff erreicht, fo legte fih, wie uns zum
Hohne, auch faft augenblicklich dic Rafale wicher,
—
329
und ich war noch nicht vollftandig ausgezogen
um mich ins Bett zu begeben, das ich auf dem
Schiffe fo wenig wie möglich verlaffe, als das
Meer zwar noch hoc) ging, aber die alte Wind;
ftille auch ſchon wieder in der Ruftregion herrichte.
Jetzt liege ich num, die wohlthätige Geduld übend,
auf meinem Kopffiffen, dietire $.... mein
Tagebuch, und fehe durch die ftets offen bleibende
Klappe der Cajüte die Eonne untergehen. Cie
vergoldet des, zwifchen ihr und mir fienden,
Steuermanns buntes Gewand, das aus hundert
Lappen zufammengefegt ift. Meben den vielen
Löchern feiner Harlefinsbeinfleider, die ſich noch
in defolateren Umftäanden als das Oberkleid
befinden, feet die leßte Henne am Bord ihren
rothen Kamm hervor, und camaradfchaftlid ruht
neben ihr ein Eleines getigertes wildes Schweinchen
aus Bone, das durch) feine Affenpoffen der Liebling,
und zugleich der unglüdliche Spielball der ganzen
Sciffsgefellfchaft geworden ifi.
Eben heißt es, feit die fenrige Kugel hinter
330
Galita binabgefunfen, erbebe ſich ein günftigır
Wind, Der Himmel gebe, daß er uns endlicd)
am morgenden Charz Freitag erlöfen, und nad)
dem unerreichbaren Biferta hinführen möge!
Biferta, den 17. April 1835.
Neptun hatte ung wirklich genug geneckt.
Mit frifcher Brife fegelten wir bei Cap blanc,
Dem promontorium candidum des Plinius, vorz
über, und diesmal hielt des Gottes gnadige Laune
bis Biferta aus, deffen weiße Mauern wir mit
großer Freude gegen Mittag erblichten, die üble
Stile, wo unfer leßter Vorgänger gefcheitert,
gluͤcklich mit einem Lootfen paffirten, und alles
ausgeftandene Ungemach vergeffend, froh und
guter Dinge in den Hafen einführen.
Ende des zweiten Theils.
*
*
In unferm Verlage ift erfchienen ;
TSavabecder.
Novellen von Leopold Schefer.
2 Bände. 8. br. A The, oder 7 fl. 12 Er.
Ueber den geiftreichen Verfaſſer diefer Novellen
lefen wir in der Hall, KiteratursZettung: „Leopold
Schefer ift einer unferer ausgezeichnetften Erz
zahler und erlangte diefen Ruhm hauptjachlic)
durch einen überaus großen Neichthum an Ges
danken, durch Zartheit und Tiefe der Empfindung
und durch eine herrlich blühende Phantaſie. Er
verfhmähte es, dem Geſchmacke des Publifums
das nicht immer das Gediegene fordert und lobt,
zu huidigen, und hielt ſich fern von einer leeren
Nachahmerei der Engländer, von der auch beffere
Geiſter nicht frei blieben, wie Dan der Velde,
Es lief oft auf ein oberflachliches Skizziren großer
biftorifcher Charaftere und auf ein genaues Aus—
malen von Dertlichfeiten und felbft Kleidungsitücken
hinaus. Der Geift aber fehlte. Dies iſt ganz
anders bei Schefer und wo er aus der Ge—
föhichte den Stoff nimmt, da gefchicht es mit
großer Freiheit und Selbftftändigfeit der dichtenden
Kraft in ihm. Sein gerühmter Gedanfenreich-
thum gibt feinen Schöpfungen eine eigenthümliche
Mannigfaltigkeit in Erfindung und Ausführung.
Sein Styl ift glänzend und ungemein lebhaft
und ein fortwährendes Intereſſe begleitet den Leſer
durch alle feine Erzählungen.
Biograpbifch-hiftorifche
HR Brian
von
Ernftt Münch.
2 Bände, 8. br. 3 Thlr. 12 gr. oder 6 fl.
Inhalt des erften Bandes: 1. Sir Walter
Raleigh. — 2. Die Liebe Pfalzgraf Friedrich III., und
Leonorens von Deftreih. — 3. König Chriftiern II.,
das Täubchen von Amfterdam und Mutter Sigbrit. —
4. Giulio Ceſare (Lueilio) Vanini. — 5. Die Aqua
Tofana in Nom unter Papft Aferander VIL, und der
Todtengräber zu Gürau in Nieverfchlefien. — Nachtrag
zur Biographie Walter Naleighs.
Inhalt des zweiten Bandes: 1. Siftorifche
Parallelen und Zeitſtimmen, Belgien und die Belgier
betreffend. — 2. Zur Gefihichte des Lebens, des Cha-
vafters und der Negierung König Wilhelms 1. der
Niederlande. — 3. Die Ereigniffe zu Brüffel im Sep—
tember 1830. — 4 Bruchſtücke einer Biographie des
Dempfthenes. — 5. Ferdinand Wanfer, Profeffor der
Moral und defignirter Erzbifchof von Freiburg. 5 b Habs-
burg; die Schickſale der Burg und des Gefchlechts in
gedrängtem Umriß. — 6. Stefano Porcaro. — 7. Vit—
toria Accoramboni. — 8. Beiträge zur Gefchichte der
Meerfahrt König Philipps des Schönen im Jahr 1500.—
9, Floris von Montmorency, Herr von Montigny.
In diefen Sammlungen wird eine Reihe ber
rühmter Charactere und anziehender Erfcheinungen
aus verfcbiedenem Zeitraum der Gefchichte, bear:
beitet nach Quellen, dargeboten, wie fie nach Zeit,
Muße und Luſt aus der Feder des Verfaſſers,
theils zum erftenmale hervorgegangen, theils nach
früheren Skizzen und Verfuchen vollig umge
ftaltet von ihm zu Tage gefordert worden find,
Bei weitem der größere Theil ift neu.
Die Witteisbacher.
Balladın von Eduard Duller,
8. br 1 EB nner + 1 HEIST;
Die Gefchichte der treuen und nie wechfelnden
Liebe zwischen dem baterifchen Volke und feinen
FSürften, welche ſich bier als ein durchgehender
Zug zeigt, tft für Fein anderes deutfches Yand von
volfsthümlichen Gefchichtfchreibern fo glücklich
hervorgehoben worden. Der Verfaffer diefer Bal-
laden hat nicht nur die hohen und edeln Thaten
der Baiern und ihrer Fürften hier mit dem Reize
des Verſes ausgeftatter, er hat fie auch poetifch
verflärt und gewähret durch feine gelungene
dichteriſche Umgeftaltung biftorifcher Stoffe eben
fo viel Vergnügen, ale gabe er reine, aus dichte:
riſchem Gefichtspunft aufgefaßte Empfindungen.
Erzählungen
und
Phantasiestücke
von
Ludwig Bechſtein.
4 Bände 12. br. 6 Thlr. oder 10 fl. 48 Fr.
Erfter Band: Die Opfer des Wahns. — Der
Mastenball. — Des Schickſals Walten. — Die arme
Seele. —
Zweiter Band: Manoel. — Der Pedell. —
Die Viſion. —
Dritter Band: Zettelträgers felige Nächte. —
Die beiden Rofen. — Die Singftube. —
Bierter Band: Die Babenberger. — Der Mind. —
Der Naturforfiher. —
Der Verfaffer diefer Erzählungen und Phan—
taſieſtuͤcke hat mit denfelben der Kefewelt ohne
Zweifel ein angenehmes Gefchenf gemacht. Was
diefe am meiften zu fchaßen pflegt, findet fie hier
wieder, und der gebildete Lefer noch mehr, Phan—
tafie, eine anmuthige, klare Darftellung, Charak—
teriftif, eine eindringliche Schilderung der Leiden—
fchaften, fo wie ein leichter, fließender Styl find
Talente, die den Verfaffer auszeichnen, und die
er in diefen Erzählungen vollfonmen geltend zu
machen wußte.
Stuttgart.
Hallberger’iche Verlagshandlung.
En
=
*
=
Ss
=
==
=
—
=
| "2; T’A *syrıjy uf osseTrTueg |
| um 8674L6d
FSAnd “yorılufsy ITapnT usuısy neysny -asTyond JVH
6€. 8285
Bands
— —
— — ——
——
— —
een
—— —
— — —
en
—
— —