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Full text of "Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse"

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I 


Sitzungsberichte 


der 


philosophisch  -  philologischen 

und  der 

historischen  Classe 


der 


k.  b.  Akademie  der  Wissenschaften 


zu  ÄdLünchen. 


Jahrgang   1894, 


JflLttttelieii 

Verlag   der  K.  Akademie 
1895. 

In  Gommission  des  6.  Frant'Bchen  Verlags  (J.  Roth). 


Inhalts  -  üebersicht. 


Die  mit  *  bezeichneten  Abbandlangen  sind  in  den  Sitzungsberichten  nieht  abgedmokt. 

OeffenÜiche  Sitzung  der  kgl.  Akademie  der  Wissenschaften  eur 
Feier  des  135,  Stiftungstages  am  28.  März  1894.      g^.^ 

V.  Pettenkofer:   Einleitende  Worte       149 

V.  Christ:   Nekrologe 149 

V.  Cornelius:   Nekrologe       165 

OeffenÜiche  Sitzimg  zu   Ehren  Seiner  Majestät  des  Königs  und 
Seiner  Königl.  Hoheit  des  Frinzregen/en  am  15.  November  1894. 

V.  Pettenkofer:    Eröffnungsrede    . 419 

Wahlen       426 


Philosophisch-philologische  Classe. 

Sitzung  vom  13.  Januar  1894» 
V.  Christ:  Das  Theater  des  Polyklet   in  Epidauros   in  seiner 


litterar-  und  kansthiatorischen  Bedeutung 


Sitzung  vom  3.  Februar  1894. 

H.  Paul:  Ueber  die  Aufgaben  der  wissenschaftlichen  Lexiko- 
graphie mit  besonderer  Rücksicht  auf  das  deutsche 
Wörterbuch       63 

Sitzung  vom  3.  März  1894. 
Wölfflin:  Die  neuen  Aufgaben  des  Thesaurus  lingnae  latinae      98 


IV 

Sitzung  vom  6,  Mai  1894. 

.   Seite 

Menrad:    Ueber    die    neuentdeckten   Genfer    Homerfragmente 

und  den  Wert  ihrer  Varianten       165 

*v.  Müller:    Ueber  Galen'a  verlorenes  Werk  vom  Beweis    .    .182 

Sitetmg  vom  U.  Jtmi  1894, 
*v.  Maurer:   Weitere  Bemerkungen  über  die  Huldar  Saga  183 

Sitzung  vom  7,  Juli  1894. 
Carriere:   Pichtes  Geistesentwickelung  in  den  Reden  über  die 

Bestimmung  des  Gelehrten 287 

Sitzung  vom  3,  November  1894. 

N.  Wecklein:    Die   Eompositions weise    des    Horaz   und    die 

epistula  ad  Pisones 879 

Sitzung  vom  1.  Dezember  1894. 

V.  Maurer:    Ein  neues  Bruchstück  von  Södermannalagen    .     .    427 
Krumbacher:    Michael  Glykas 891  (491) 


Historische  Classe. 

Sitzung  vom  13.  Januar  1894. 
Friedrich:    Ueber  die  Capitula  Angilramni 52 


*■ 


Sitzung  vom  3.  Februar  1894. 
*Stieve:   Ueber  Witteisbacher  Briefe,  Abteilung  VIU     ...      92 

Sitzung  vom  3.  März  1894. 

*y.  Hefner-Alteneck:    Ueber   die   Gr&ber   der  Fürsten    und 

Ritter  zu  Heilsbronn 124 

V.  Rockinger:  Zu  einer  handschriftlichen  Bezeichnung  des 
Landrechts  des  sogenannten  Schwabenspiegels  als  Nürn- 
berger Recht 124 


V 


Sitzung  vom  5.  Mai  1894. 

Seite 

*Qaidde:   Einiluss    Papst    Innocenz   IIL    auf   das    Recht    der 

deutschen  Eönigswahl 182 

*  Heigel:    Beiträge  zur  Geschichte  der  Wahl  Leopolds  IL  zum 

römischen  König 182 


Sitzung  vom  2.  Juni  1894. 

Dove:    Corsica   und    Sardinien   in    den   Schenkungen    an    die 

Päpste       183 

Sitzung  vorn  7,  Juli  1894, 

H.  Simonsfeld:    Die  Wahl  Friedrichs  L  Rothbart      ....     239 
V.  Oefele:    Traditionsnotizen  des  Klosters  Kühbach     ....     269 

SUzimg  vom  3.  November  1894. 

*LosBen:  Ueber  Nuntiaturberichte  und  andere  Akten  des  Vati- 
kanischen Archivs  als  Quellen  der  Geschichte  des  Kölnischen 
Kriegs 390  (490) 

Sitzung  vom  L  Dezember  1894. 

V.  Reber:  Ueber  die  Stilentwicklung  der  schwäbischen  Tafel- 
Malerei  im  14.  und  16.  Jahrhundert 343  (443) 

Einsendungen  von  Druckschriften 857,  561 

Register 583 


Sitzungsberichte 

der 

königl  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 


Philosophisch-philologische  Classe. 

Sitzung  Yom  18.  Januar  1894. 

Herr  v.  Christ  hielt  einen  Vortrag: 

„Das  Theater  des  Polyklet  in  Epidauros  in 
seiner  litterar-  und  kunsthistorischen  Be- 
deutung." 

Der  Perieget  Pausanias  ist  in  seinen  Angaben  über  The- 
ater ungewöhnlich  karg,  sei  es  dass  er  überhaupt  den  Stätten 
der  dionysischen  Kunst  weniger  Interesse  entgegenbrachte 
als  den  Tempeln  der  Götter,  sei  es  dass  mehrere  der  noch 
erhaltenen,  in  unserer  Zeit  wieder  ausgegrabenen  Theater, 
wie  die  von  Oropos,  Thorikos,  Eleusis,  in  den  Quellen,  von 
denen  unser  Perieget  abhing,  nicht  verzeichnet  waren.^)  Um 
so  mehr  Beachtung  verdient  das  ausnehmende  Lob,  das  er 
dem  Theater  des  Polyklet  in  Epidauros  spendet:  Zwar  über- 


1)  Denn  dass  dieselben  erst  in  der  Zeit  nach  Pausanias  ent- 
standen seien,  muss  schon  nach  ihrer  Anlage  als  ausgeschlossen 
gelten. 

1894.  PliUofl.*p]uloL  Q.  hist  Gl.  1.  1 


2  Sitzung  der  phüosrphüöl.  Clasae  vom  13.  Januar  1894, 

träfen  die  römischen  Theater  an  Glanz  un,d  Schmuck  alle 
anderen,  zwar  sei  auch  das  Theater  der  Arkadier  in  Megalo- 
polis  grösser,  aber  an  Ebenniass  und  Schönheit  komme  nichts 
dem  Theater  des  Polyklet  in  Epidauros  gleich.^)  Von  diesem 
berühmten  Theater  sahen  die  Reisenden  und  Kunstfreunde 
aus  der  Zeit  vor  Hellas^  Wiedergeburt,  wie  Chandler  und 
Leake,  nur  die  dürftigen  Reste,  die  über  den  Boden  empor« 
ragten,  und  es  gehört  daher  zu  den  grossen  Verdiensten  der 
archäologischen  Gesellschaft  zu  Athen,  dass  sie  vor  13  Jahren 
durch  Eabbadias  die  Ruinen  des  Theaters  wieder  aus- 
graben liess.  Durch  seine  Bemühungen  und  die  Nachprüfungen 
von  Dörpfeld  ist  uns  jetzt  ein  vollkommener  Einblick  in 
Anlage  und  Plan  des  gefeierten  Baus  erschlossen,  der  uns 
zugleich  eine  Vergleichung  mit  dem  älteren  Dionysos-Theater 
in  Athen  und  eine  Vorstellung  von  dem  Einflass  der  Schöpfung 
des  Polyklet  auf  die  jüngeren  Theaterbauten  ermöglicht.  Da 
ich  selbst  nicht  das  Glück  hatte,  init  eigenen  Augen  von  den 
Ausgrabungen  in  Epidauros  Kenntnis  zu  nehmen,  so  stütze 
ich  mich  auf  die  Mitteilungen  von  Kabbadias  in  den 
IlQa'ÄTr/.d  T^<;  aQx-  ^''^ctiQ-  1882  und  1884*)  und  von  Ka- 
verau  in  Baumeister 's  Denkmäler  des  klass.  Altertums 
in  Taf.  1814  und  1815.  Aus  diesen  Werken  wiederhole  ich 
auch  hier  auf  Taf.  1  zur  Bequemlichkeit  der  Leser  den  Plan 
des  Theaters. 

Ehe  ich  auf  die  Eigentümlichkeiten  der  Anlage  des  neu- 
entdeckten Theaters  und  die  Vergleichung  mit  anderen  The- 


1)  Paus.  II,  27,  5  'EjTidavQloig  de  eazi  ^eargov  iv  r(p  leQ<py  fidXiata 
ifioi  öoxeTv  ^iag  ä^iov'  ra  /nev  yäg  'Pco/nalcov  jtoXv  örj  xi  vjteQtJQxe  tcov 
Tiavraxov  rqJ  9€6a/iq},  fjieye^ei  de  'Agnadcov  to  iv  MeydXn  nokei '  äqfJLOviag 
Se  ^  xdXlovs  ivsxa  a^/<Tfxrcov  stoXog  ig  afiiXXav  JloXvxXehtp  ysvoix^  av 
d^iöxQSCog;  UoXvxXeizog  yoQ  xal  ^eaxgov  xovxo  xai  otxtffia  x6  negiq^egeg 
6  noif^oag  ^v. 

2)  Die  Berichte  und  Pläne  auch  bei  Gawadias,  Fouilles  d*£pi- 
daure,  Athen  1891. 


Christ:  Das  Theater  des  Polyklei  in  Epidauros.  3 

atem  eingehe,  sei  es  mir  gestattet,  ein  paar  Punkte  heraus- 
zuheben, welche  durch  die  neue  Entdeckung  Licht  erhalten 
haben. 

I. 

Durch  ein  Scholion  zu  dem  Rhetor  Aristides  III  535 
Dind.  erfahren  wir  von  zwei  Standbildern  in  den  Parodoi 
des  Theaters  zu  Athen :  dvo  elaiv  dvdQtdvueg  iv  ti^  l^&i^vrjat 
O-mTQiif,  6  fiiv  ix  de^iwv  QefnOTO'/Movg  ^  6  d'  i^  evwvvfiiov 
MikTiadav^  TtXrjaiov  di  airUv  eniaviqov  IliqaiqQ  mx/adi-iozog. 
Ferner  lesen  wir  zur  Stelle  des  Aristides  or.  XLVI  p.  161, 13 
Mikridäfjv  di  tov  iv  MaQai^iopi  nov  xoqov  rd^Ofiev  i]  rd^iv 
TiVa;  rj^diii^y  övi  trjv  TtQO  tov  x^edtQOv  xat  ov  naaiv  iv 
nahTi  %i\g  d'iag  earai;  TtXriv  /  oaov  om  oQioieQoatdvrjg 
avi^Q  fiaXlov  ^  tov  öe^iov  TOig  ^'EXkrjOi  xiQwg,  in  den  Scholien 
a.  a.  0.  folgende  Erklärung:  dfieirov  ovv  i]fjiQg  i^eQydaaad^ai 
(fort.  i^yrioaai^ai)y  ort  6  x^Q^S^  oie  elotjei  iv  rj  o^x^(Tr^^, 
fj  (§  V.  1.)  iact  x^vfuXrij  c§  dQiaieQwv  auTf^g  ciaij^/firo,  iW 
evQeO'^  ix  de^twv  tov  a^ovrog.  rovg  ovv  xakoig  %wv  xoqbv- 
Twv  kraiTOv  eiaiovisg  iv  Tolg  eavtviv  dgiotegolg^  'iva  evQei^dJai 
TrQog  TOV  äf^fiov  OQÜvTeg,  q)r]aiv  ovv  ovtcjg  *  td^ofiev  top  Mtk' 
TidÖTjv  fiQog  Ji^f  ^edTQqfj  o  iüxiv  dqiovtqov*  elta  ineidrl  t6 
oQiaTeQOv  iv  noXifn^  ovx  laxi  y^QT^losovy  d}Xd  x6  öe^iov  xak- 
hov  mal  ivpifiov  vevofiiozai  mal  dvägeiag  iovi  Texfitfiiovy 
q>Tfllv  oTi  iv  T4^  7toXifi(if  ovx  dQiOtEQOOxdrrig  7(v  6  Milriddrjg^ 
dlXd  TOV  de^iov  xi^tog  ijyclro  tolg  "EiXrjoiv.  Der  Rhetor 
Aristides  sagte  demnach  in  seiner  gesuchten  Manier:  wir 
werden  den  Miltiades  in  die  linke,  den  Augen  der  Zuschauer 
zugekehrte  Reihe  des  Chors  stellen,  wiewohl  er  im  Krieg 
nicht  den  linken,  sondern  den  rechten  Flügel  befehligte. 
Der  eine  der  Scholiasten  —  denn  wir  haben  in  den  Scholien 
offenbar  zwei  von  einander  abweichende  Erklärungen  —  er- 
höhte noch  die  Geschraubtheit  der  Stelle,  indem  er  die  Stand- 
bilder des  Miltiades  und  Themistokles  in  die  Erkärnng  herein« 

1* 


4  Sitzung  der  phüoa.'phüöl.  Glosse  vom  13,  Januar  1894, 

zog,  an  die  der  Rhetor  selbst  schwerlich  gedacht  hat.  Aber 
wenn  auch  der  Scholiast,  der  es  besser  zu  wissen  glaubte, 
nur  unnütze  Weisheit  auskramt ,  so  danken  wir  ihn)  doch 
die  wichtige  Notiz,  dass  in  der  Parodos  des  Theaters  sich 
rechts  und  links  (natürlich  vom  Zuschauer  aus)  die  Stand- 
bilder des  Themistokles  und  Miltiades  befanden.  Die  Statue 
wenigstens  des  einen  der  beiden  athenischen  Heerführer  stand 
aber  im  Theater  zu  Athen  schon  zur  Zeit  des  Andokides 
im  5.  Jahrh.  (415)  v.  Chr.  Das  ersehen  wir  aus  der  Rede 
des  Andokides  über  die  Mysterien  c.  38,  wo  der  Redner  den 
Anzeiger  Diokleides  Folgendes  aussagen  lässt:  dvaozag  de 
7tQ(fi  xpevad^etg  zfß  ägag  ßadl^eiv  eivai  de  navaeXrjvov*  ertel 
de  TtaQa  %6  Ttqojtvhxtov  to  Jhovvoov  ^v,  oq^v  dvl^Qiirvovg 
TtoiXovg  dno  tov  (pdeiov  xazaßaivovrag  eig  trjv  d^x^er^^av 
detaag  de  avrovg  elaei>&o)if  VTto  ttJv  amäv  xaO-il^ea&ai  fieta^v 
tov  xiovog  mat  ziig  (TTijAjyg,  ig)^  jj  6  OTQaTtjyog  kaziv  6  %aA- 
xovg.  Es  trat  also  Diokleides  in  die  westliche  Parodos  ein 
und  setzte  sich  an  der  südlichen  Seitenwand  des  Eingangs 
nieder.  Das  erste,  dass  er  in  die  westliche  Parodos  eintrat, 
folgt  daraus,  dass  die  Verschworenen  auf  der  anderen  Seite, 
von  dem  Odeon  des  Perikles  her,  hereinkamen,  das  Odeon 
aber  nach  dem  Zeugnis  des  Vitruv  V  9,  1  östlich  von  dem 
Theater  lag.  Es  war  also  die  Statue  des  Themistokles, 
zwischen  der  und  den  Säulen  der  Vorhalle  Diokleides  sich 
niedersetzte;  denn  diese  befand  sich  nach  dem  Scholiasten 
des  Aristides  an  der  rechten,  d.  i.  westlichen  Parodos.  Das 
zweite,  dass  sich  Diokleides  an  der  südlichen  Flankenwand 
der  Parodos  niedersetzte,  geht  aus  dem  Stand  des  Monds  und 
der  Lage  des  Theaters  am  Südabhang  der  Akropolis  hervor. 
Denn  zur  Zeit  des  Vollmondes  lag  eben  die  südliche,  nicht 
die   nördliche   Flankenwand    voll   im   Schatten.*)     Aber  wo 


1)  Von  derselben  südlichen  Flankenwand  heisst  es  in  Aristoph. 
Eccl.  496  alX^  da  SevQ^  im  axiäg  iX'&ovaa  nqog  xo  xeixlov. 


K 


Christ:  Das  Theater  des  PcUykUt  in  Epidauros.  5 

befand  sich  das  Pendant  zam  Standbild  des  Themistokles,  die 
Statue  des  Miltiades?  Man  kann  von  vornherein  ebenso  gut 
an  die  nördliche  Flanken  wand  der  gleichen  westlichen  Pa- 
rodos  denken  wie  an  die  südliche  Flankenwand  der  entgegen- 
gesetzten östlichen  Parodos.  Wieseler,  der  hochverdiente 
Begründer  der  scenischen  Archäologie,  entschied  sich  in  seiner 
letzten  Schrift,  Scaenica  in  Gott.  Nachr.  1890,  S.  6,  für 
die  letztere  Annahme.  Dass  er  damit  das  Rechte  traf,  lehren 
deutlich  die  Rainen  des  Theaters  von  Epidauros.  Dort  fand 
nämlich  Kabbadias  (Prakt.  1872  S.  18)  an  dem  Ende  der 
Analemmata  oder  der  Flankenwände  des  Zuschanerraumes  zu 
beiden  Seiten  je  eine  viereckige  Platte  (A  u.  A'  auf  dem  Plan), 
0,27  m  hoch,  0,80  breit,  0,82  dick,  auf  welchen  Platten,  wie  Kab- 
badias gleich  erkannte,  ehedem  Statuen  stunden.  Diesen  ent- 
sprachen genau  die  oben  besprochenen  Statuen  des  Miltiades 
und  Themistokles  im  Theater  von  Athen,  nur  dass  diese  sich 
näher  der  entgegengesetzten  Flankenwand  der  Parodos  be* 
funden  zu  haben  scheinen.^)  Es  verlohnt  sich  nach  dieser 
sachlichen  Aufklärung  kaum  mehr,  zu  fragen,  wie  sich  der 
verschrobene  Scholiast  des  Aristides  die  Sache  dachte.  Aber 
doch  kann  man  sich  noch  unschwer  in  seine  Vorstellung 
hifieinfinden;  er  verstand  unter  ^fiHrj  nach  dem  späteren 
Sprachgebrauch,  worüber  ich  bei  Fleckeisen  in  den  Jahrb. 
f.  class.  Phil.  1894  S.  31  f.  gehandelt  habe,  das  Gerüst,  auf 
dem  die  Schauspieler  spielten,  und  sagte  nun,  dass  der  Chor 
bei  dem  Einzug  in  die  Orchestra  links  von  der  Thymele  und 
rechts  von  dem  Archon  einherscbreite. 

Nebenbei  sei  auch  noch  bemerkt,  dass  nach  der  Ueber- 
lieferung  des  Scholiasten  des  Aristides  zur  Zeit  desselben 
noch  nicht  das  Proskenion  nach  römischer  Art  bis  zum  Mittel- 


1)  Das  ist  wenigstens  das  NatQrliche,  da  Diokleides,  der  sich 
im  Schatten  der  südlichen  Flankenwand  niedersetzte,  zwischen 
der  Säole  der  Vorhalle  und  der  Stele  des  Themistokles  sich  gesetzt 
haben  soll. 


6  Sitzung  der  phüo8,-phüöl,  CUtsae  vom  13.  Januar  1894. 

punkt  der  Orchestra  yorgerückt  war.  Denn  damit  mussten 
jene  Statuen  ihren  Platz  verlieren.  Wenn  daher  auch  Nero 
Neuerongen  in  dem  alten  Dionysostheater  vornahm,  so  hat 
er  doeh  noch  nicht  jene  totale  Veränderung  vorgenommen, 
welche  den  alten  Zierden  des  Theaters  ihren  richtigen  Platz 
nahm. 

Ein  zweiter  Punkt  wird  sich  kürzer  abthun  lassen.  In 
der  alten  Erklärung  von  Ov/iukr]  oder  ß(o/iidg  Jiovvaov  im 
Etym.  M.  u.  oxrjvt] '  eira  f^tera  tijV  OQX^oiQay  ßio/Aog  r^v  tov 
diovioov^  zerqdycüvov  oly,od6f.irjf4C[  xevov  int  tov  ^ioov^  o 
xakBitat  xhf^iXrj  naqd  ro  d^vetVy  hat  man  mit  nevov  nichts 
rechtes  anzufangen  gewusst  und  dasselbe  geradezu  in  das 
nichtssagende  xei/itevov  zu  ändern  gewagt.  Auch  hier  bringen 
die  neuen  Ausgrabungen  des  Theaters  in  Epidauros  Licht. 
Dort  fand  Kabbadias  genau  im  Mittelpunkt  der  Orchestra 
einen  runden  Stein,  0,71  m  im  Durchmes.^r,  in  dem  er  den 
Altar  oder  die  Thymele  erkannte.  Und  in  der  That,  wo 
anders  hätte  der  Altar  stehen  sollen  oder  welcher  andere 
von  den  aufgefundenen  Steinen  hätte  einen  gleichen  Anspruch 
auf  diesen  Ehrennamen?  In  der  Mitte  jenes  Steines  befindet 
sich  aber  ein  kreisrundes  tiefes  Loch,  worüber  Kabbadias: 
iv  Tip  mivTqf^  d'  avtov  hxti  ßad^elav  nsQt^eQrj  o/rijv,  ijzig 
ovTfog  elve  ro  'abvtqov  tov  olov  -Avxkov.  Da  haben  wir  ja 
das  Tievdv  int  tov  f.Uoov^  das  wir  suchten.  Was  es  für  eine 
Bedeutung  hatte,  das  ist  eine  andere  Frage,  über  die  sich 
nur  Vermutungen  aufstellen  lassen :  entweder  es  bezeichnete 
wirklich,  wie  Kabbadias  annahm,  den  genauen  Mittelpunkt 
des  Kreisrundes,  oder  es  diente,  wie  so  oft  derartige  Löcher, 
zum  Halt  für  das  auf  den  Stein  zu  stellende  Götterbild  oder 
den  auf  die  Basis  zu  setzenden  Altar. 

Drittens  sind  mir  noch  von  besonderer  Wichtigkeit  zur  Auf- 
klärung alter  Zweifel  die  beiden  Türen  (B  u.  B')  am  Ende  der 
vorderen  Flankenwand  der  beiden  Parodoi  gewesen.  In  den 
Fröschen    des   Aristophanes    spielt   nämlich    zwar   die    erste 


Christ:  Das  Theater  des  Polyklet  in  Epidauros.  7 

Scene  V.  1 — 196  oben  auf  der  Bühne  {inl  axijvijg).  Nach- 
dem aber  Dionysos  links  im  Hintergrund  der  Bühne  in  den 
Nachen  des  Charon  eingestiegen  war,  muss  eine  Aenderung 
der  Scenerie  eingetreten  sein,  mit  der  zugleich  eine  Aen- 
derung im  Spielplatz  der  Schauspieler  verbunden  war.  Nach- 
dem nämlich  Dionysos  Y.  270  aus  dem  Nachen  des  Gharon 
wieder  ausgestiegen  war,  befand  er  sich  nicht  mehr  auf  der 
Oberwelt,  sondern  in  der  Unterwelt.  Um  sich  das  leichter 
vorzustellen,  war  der  Phantasie  des  Zuschauers  ein  kleiner 
Behelf  gegeben  worden:  spielten  die  ersten  196  Verse  oben 
auf  der  Bühne,  so  befanden  sich  von  V.  270  an  (bis  V.  415) 
der  Gott  Dionysos  und  bald  darauf  auch  sein  Diener  Xan- 
thias  unten  in  der  Orchestra.  Das  haben  bereits  die  alten 
Grammatiker  erkannt  und,  wenn  auch  schwankend,  ange- 
merkt in  den  Scholien  zu  V.  181  i^XXoiwa^ai  x^ij  tiJv  axi^vijv 
xcti  elvai  xarcr  rijy  LdxB^valav  Xijiivtjv  rov  Tonov  eni  tov 
Xayeiov  tj  iTvt  r^g  o^i^azQagj  zu  V.  297  q)aivorcai  de  ovn 
eivai  i/tl  zov  koyeiov^  dXX'  irrt  ri^g  OQxriot^Qctg,  iv  jj  6  /tto- 
vvoog  iveßrj,  und  zu  V.  270  ^teraßißXfjvaL  ij  axrjvri  xat  /f- 
yovev  vnoyeiog.  Das  geht  aber  auch  ganz  unzweifelhaffc 
daraus  hervor,  dass  V.  297  der  Gott  Dionysos  in  seiner  Angst 
seinen  Priester  um  Hilfe  anruft:  leQev  öiaq)ihx^6v  ^\  %v'  c3 
aoi  ^vfjinoTrig.  Denn  der  Priester  des  Dionysos  sass  bekannt- 
lich mitten  in  der  ersten  Sitzreihe,  und  der  ganze  Witz  ging 
verloren,  wenn  sich  nicht  damals  Dionysos  in  seiner  un- 
mittelbaren Nähe  befand,  so  dass  er  sich  zur  Not  neben  ihn 
setzen  konnte,  wie  man  zum  Zechen  zusammensitzt.  Aber 
wo  befand  sich  Dionysos  vor  V.  270,  und  wo  stieg  er  aus 
dem  Nachep  ?  Dass  die  quakenden  Frösche  nicht  auf  der 
Bühne  gesehen  wurden,  sondern  hinter  der  Bühne,  verdeckt 
vor  den  Zuschauem,  ihr  Begleitlied  sangen,  ist  natürlich  und 
ist  richtig  schon  von  den  Scholiasten  angemerkt  zu  V.  209 
o^x  oqüvtai  Iv  Tqi  d^€QTQ(^  oi  ßaxQayipt  ovdi  6  x^Q^Sy  ^^^' 
Eüwd^ev   fiifiovvrai  rotg  ßazQaxovg.     Aber  auch  der  Nachen 


8  Sitzung  der  phüosrphüoh  Claase  vom  13,  Januar  1894, 

mit  Charon  und  Dionysos  wurde  schwerlich  quer  über  die 
Bühne  gezogen;  so  etwas  erforderte,  wenn  es  nicht  lächer- 
lich werden  und  alle  Illusion  stören  sollte,  grössere  tech^ 
nische  Hilfsmittel  als  die  alten  Bühnenmechanikef  damals 
und  überhaupt  jemals  im  Altertum  gehabt  haben.  Ich  be- 
haupte also,  dass  zwischen  V.  207  und  270  die  Bühne  leer 
blieb  und  die  Zuschauer  sich  denken  mussten,  dass  inzwischen 
Xanthias  aussen  um  den  See  herumlief  und  Dionysos  unten 
unter  der  Bühne  über  die  See  fuhr.  Aber  mit  V.  270  kommt 
Dionysos  wieder  zum  Vorschein,  indem  er  dem  Fährmann 
die  zwei  Obolen  gibt  und  aus  dem  Nachen  steigt.  Wo  ge- 
schah dieses?  Jedenfalls  in  der  Nähe  der  linken  Parodos; 
denn  dort  kommt  alsbald  auch  wieder  Xanthias  zum  Vor- 
schein, nachdem  er  inzwischen  aussen  ums  Theater  herum- 
gegangen war.  Den  Ort  genau  zeigt  uns  jetzt  die  Türe  B' 
in  der  inneren  Seitenwand  der  Parodos  des  Theaters  in  Epi- 
dauros.  Die  war  vermutlich  gerade  so  gross  wie  die  linke 
Seitentür  in  der  Rückwand  der  Bühne,  so  dass  Dionysos 
bequem  in  den  Nachen  ein-  und  aussteigen  konnte,  von  dem 
Nachen  selbst  aber  nichts  oder  nur  weniges  gesehen  wurde. 
Vielleicht  war  dieses,  um  das  noch  nebenbei  zu  be- 
merken, auch  die  Türe,  welche  der  Intrigant  Meidias  dem 
Demosthenes  vernagelte,  damit  dessen  Chor  nicht  auf  dem 
gewöhnlichen  Weg  aus  den  rückwärts  liegenden  Ankleide- 
zimniern  in  die  Orchestra  gelangen  konnte.  Im  allgemeinen 
sah  dieses  auch  richtig  der  Scholiast  Ulpian  zu  Demosth. 
Mid.  17:  vä  naQaoxi^via  q)QaTT(ov'  TOvrioTiv  Ci7i0(pqa%xtjv 
tag  Bnl  xijg  axijv^g  eloodovgy  %va  6  x^Q^S  dvayAQ^rjtai  neQi^ 
livai  dia  Tijg  e^coi^ev  elaodov  nat  ovtco  ßqaävvowog  exelvov 
ovfißaivT]  xaiayeXaa&ai  JrjiÄoa&evijv^  wiewohl  er  mit  dem 
Zusatz  inl  Trjg  OKr^v^g  eine  falsche  Vorstellung  einmischte. 
Indes  spreche  ich  über  die  Demosthenesstelle  nicht  mit  der 
gleichen  Zuversicht;  denn  in  Athen  konnte  vielleicht  auch 
weiter    rückwärts    in    der    Parodos    der   Chor    durch    eine 


Christ:  Das  Theater  des  PcHyMet  in  Epidawros.  d 

Seitentüre    zunächst  in   die   Parodos    und   dann  in  die  Or- 
chestra  gelangen. 

IL 

Pausanias  bewunderte  zumeist,  wie  wir  sahen,  an  dem 
Theater  des  Polyklet  die  Schönheit  und  Harmonie.  Die 
Schönheit  wird  sich  vornehmlich  in  dem  künstlerischen 
Schmuck  des  Baues,  in  den  Bildwerken  (ayaA^ara),  den  ge* 
schraackvoUen  Formen  der  Sessel  und  Lehnen  und  besonders 
in  der  Ausstattang  der  Skene  und  des  Proskenion  ausge- 
drückt haben.  Denn  auf  die  Ausschmückung  dieser  beiden 
Begrenzungen  der  Bühne,  der  hinteren  und  vorderen  Bühnen- 
wand (scaenae  frons  und  proscaenii  finitio)  verwandten  die 
Alten  die  meiste  Sorgfalt.  Von  der  Bühnenräckwand  können 
wir  nicht  viel  sagen,  da  uns  von  derselben  ausser  den  Fun- 
damenten nicht  viel  erhalten  ist;  auch  war  auf  dieselbe 
schwerlich  schon  jene  luxuriöse  Ausstattung  verwendet,  die 
an  den  römischen  Theatern  mehr  den  Blick  blendete  als 
einen  wohlthuenden,  aus  der  Uebereinstimmung  von  Zweck 
und  künstlerischem  Vermögen  entspringenden  Eindruck 
machte.  Aber  von  der  Vorderbühnenwand,  dem  Proskenion, 
ist  so  viel  erhalten,  dass  eine  vollständige  Rekonstruktion 
derselben  möglich  war  (s.  Kaverau  bei  Baumeister  n.  1815). 
Die  Verzierung  der  Wand  mit  jonischen  Halbsäulen,  die 
Gliederung  in  einen  langen  Mittelbau  und  zwei  schmale, 
leise  vorspringende  Flügel,  die  ebenmässige  Verteilung  der 
3  Türen  auf  die  3  Teile,  das  für  Hallenbauten  bestens 
passende  Verhältnis  von  ca.  27  m.  Länge  und  ca.  3,5  m. 
Höhe,  dieses  alles  macht  den  Eindruck  schöner  und  har- 
monischer Anlage.  So  etwas  hatte  das  alte  Theater  in  Athen 
nicht  aufzuweisen ;  dort  existierte  ein  vorderer  Abschluss  der 
Bühne  in  Stein  überhaupt  nicht,  und  auch  über  einen  künst- 
lerischen Abschluss  in  Holz  durch  eine  verzierte  Brüstung 
oder  geschmackvolle  Stufenanlage  ist  uns  kein  Anzeichen 
erhalten. 


10        Sitzung  der  phüosrphüol,  Glasse  tom  13,  Januar  1894. 

Wir  sind  schon  bei  der  Betrachtung  des  Proskenion  aus 
dem  Bereich  der  Schönheit  im  allgemeinen  in  die  engeren  Ver- 
hältnisse der  Harmonie  hinübergefuhrt  worden.  Die  aq^iovia 
hebt  Pausanias  an  erster  Stelle  hervor  und  sie  gab  über- 
haupt dem  Bau  des  Polyklet  sein  kfinstlerisches  Gepräge. 
Verfolgen  wir  das  im  einzelnen !  Da  haben  wir  vorerst  eine 
Gliederung  der  Gavea  in  2  Stockwerke  und  eine  Einteilung 
des  unteren  Stockwerkes  in  12,  des  oberen  in  22  Keile  (xc^- 
niäag)  vermittels  Rundgang  (dia^(o/.ia)  und  Treppen  (xA/- 
fdaxeg).  Dadurch,  dass  in  der  oberen  Abteilung  zwischen  je 
2  Treppen  der  unteren  Abteilung  eine  weitere  Treppe  in 
deren  Mitte  angebracht  war,  wurde  eine  ebenmässige  Breite 
der  einzelnen  Keile  erreicht,  die  wir  in  Athen  vermissen. 
Der  Umstand,  dass  oben  die  2  äussersten  Keile  wegblieben 
und  auf  solche  Weise  das  obere  Stockwerk  22  statt  24  Keile 
erhielt,  konnte  kaum  störend  wirken  und  entsprach  einem 
Gesichtspunkt  der  praktischen  Zweckmässigkeit,  da  in  jenen 
oberen  Flügeln  der  Blick  auf  die  Bühne  durch  die  Para- 
skenien  gehindert  war.  Die  Einteilung  des  unteren  Stock- 
werkes aber  in  12  Keile,  während  das  Theater  in  Athen  13 
hatte,  ergab  eine  ebenmässige  Verteilung  in  2  Hälften  von 
je  6  Keilen  und  Hess  die  mittlere  Treppe  in  eine  Linie  mit 
dem  Centrum  der  Orchestra,  der  Mitteltüre  der  Bühne  und 
dem  mittleren  Gebälkträger  des  hinter  der  Bühne  gelegenen 
Requisitenraumes  fallen.  Das  ergab  eine  besonders  hübsche 
Symmetrie,,  indem  so  durch  die  eben  beschriebene  Linie  das 
ganze  Theater  in  allen  seinen  Teilen  in  2  entsprechende 
Hälften  zerfiel.  Freilich  ob  die  Athener  jener  Harmonie  zu 
lieb  ihre  13  Keile  aufgegeben  hätten,  ist  mir  noch  sehr 
zweifelhaft.  Die  Symmetrie  hatte  nämlich  auch  ihre  Schatten- 
seite :  der  Mittelplatz  in  den  Sitzreihen  fiel  so  auf  die  Trep- 
pen, und  da  man  auf  die  Treppen  keinen  Sessel  stellen  konnte, 
so  konnte  man  in  Epidauros  nicht  wie  in  Athen  dem  Priester 
des  Gottes  Dionysos   den  Ehrensitz   gerade  in  der  Mitte  der 


Christ:  I><is  Theater  des  Pdyklet  in  Epidatvros»  H 

Throne  geben.  Vermutlich  war  dieses  in  Epidauros  nicht 
störend,  da  man  dort  kein  gleich  ausgebildetes  Staats-  and 
Priesterwesen  hatte,  wie  in  Athen,  und  da  der  Oberpriester 
des  Asklepios  auch  schwerlich  Lust  zeigte,  dem  Priester  des 
Dionysos  einen   besonderen  Ehrenplatz   anweisen   zu  lassen. 

In  der  Orchestra  finde  ich  die  Harmonie  nach  2  Seiten 
besonders  hübsch  gewahrt.  Der  Dionysosaltar  in  der  Mitte 
der  Orchestra  hatte  in  Athen,  wenn  uns  die  Definition  im 
Etym.  M.  TetQciytüvov  olxodrjfia  xevov  hrt  rov  ^iaov  und  das 
rautenartige  Mittelstück  im  Orchestrapflaster  einen  Schluss  ge- 
statten, die  Gestalt  eines  Vierecks,  in  Epidauros  war  er  rund. 
Das  gab  eine  sehr  schone  Harmonie,  da  auch  die  Orchestra 
rund  war  und  so  der  Rundung  der  Orchestraperipherie  die 
Rundung  der  Thymele  in  der  Mitte  der  Orchestra  entsprach. 
Das  Ebenmass  trat  noch  mehr  in  die  Augen,  wenn  um  den 
Altar  Chöre  ihre  Dithyramben  und  Päanen  sangen;  denn 
auch  die  kyklischen  Chöre  waren  bekanntlich  im  Kreise  auf- 
gestellt und  hatten  davon  den  Namen  nixhoi  xoqoi. 

Ein  zweiter  Punkt  betriflfl  die  Erweiterung  des  Orchestra- 
bogens  nach  dem  Proskenion  zu.  Auch  in  Epidauros  waren 
die  Sitzreihen  der  Zuschauer  um  ca.  2  X  15  Grad  über  den 
Halbkreis  hinaus  nach  vorn  weiter  gezogen,  so  dass  Orchestra 
und  Cavea  nicht  mehr  die  Form  eines  Halbkreises,  sondern 
eines  Hufeisens  hatten.  Das  war  in  Epidauros  wie  in  Athen 
offenbar  in  der  Absicht  geschehen,  Platz  für  eine  grössere 
Menge  von  Zuschauem  zu  schaffen.  Ebenso  wollte  man  in 
beiden  Städten  dadurch,  dass  man  die  Linie  jenseits  des 
Halbkreises  weiter  zurückzog,  verhindern,  dass  den  rückwärts 
Sitzenden  durch  die  Vordermänner  die  Aussicht  auf  die  Bdhne 
verkümmert  werde.  Aber  während  in  Athen  sich  die  Sitz- 
reihen jenseits  des  Diameters  in  sehr  unschöner  Linie  von 
der  ursprünglichen  Kreislinie  entfernen,  geschieht  dieses  in 
Epidauros  in  geringerem  und  deshalb  weit  weniger  die  Pro- 
portionen   störendem    Masse.      Der    amerikanische    Gelehrte 


12        Sitzung  der  phüosrphüol,  Glosse  vom  13.  Januar  1894, 

Capps  hat  bereits  in  dem  durch  die  Güte  des  Verfassers 
mir  zugeschickten  Aufsatz,  Yitruvius  and  the  Greek  sti^e 
(Studies  in  class.  philol.  of  the  university  of  Chicago  1893) 
p.  20  richtig  bemerkt,  dajss  so  die  Verhältnisse  des  Theaters 
inEpidauros  sich  mehr  der  Konstruktion  des  Vitrnv  nähern^), 
vorausgesetzt  dass  man,  wie  Capps  selbst  und  zuvor  auch  Weck- 
lein, Philol.  31, 438  undPetersen,  Wien.  Stud.VII(1885)  181 
empfohlen  haben,  nicht  den  Radius  (soOehmichen,  Griech. 
Theaterbau  S.  15  ff.  und  A.  Müller,  Hdb.  d.  gr.  Bühne 
S.  17),  sondern  den  Diameter  in  den  Zirkel  nimmt  und  mit 
ihm  von  den  Schnittpunkten  des  Diameters  und  der  Peripherie 
aus  Kreise  nach  dem  Proskenion  zieht.^)  Jedenfalls  hat 
die  Orchestra  und  im  Zusammenhang  damit  auch  die  Cavea 
in  jenem  über  den  Halbkreis  hinaus  verlängerten  Teile  in 
Epidauros  weit  schönere  und  harmonischere  Verhältnisse  als 
in  Athen. 

In  den  Seitenzugängen  der  Orchßstra  zeigt  das  Theater 
in  Epidauros  wesentlich   die   gleiche  Anlage  wie  in  Athen; 


1)  Vitr.  V  8  per  centrum  orchestrae  a  proscaenn  regione  paraJ- 
lelos  linea  descrihüur  et  qua  secat  circinationis  lineas  dextra  ac  st- 
nistra  in  cornibus  hemicycUi  ccntra  signantur  et  circino  conlocato  in 
äextro  cornu,  ab  intervdllo  sinistro  circumagitur  circinatio  ad  pro- 
scaenii  sinistram  parteni.  item  centro  conlocato  in  sinistro  cornu,  ab 
intervdllo  dextro  circumagitur  ad  proscaenii  dextram  partem, 

2)  Capps  hat  dabei,  ohne  zu  wissen,  dass  Petersen  a.  a.  0.  be- 
reits dasselbe  gethan,  als  Hauptbeweis  für  die  Richtigkeit  seinen  Eon- 
struktionsweise  das  angeführt,  dass  nur  so  dasjenige  erreicht  werde, 
was  Vitruv  als  die  Absicht  der  neuen  Ereisziehung  angibt :  ita  tribus 
centris  hac  descriptione  ampliorem  habent  orchestram  Graeci  et  scae- 
nam  recessiorem  minor eque  latitudine  pulpitum.  Denn  die  beiden 
letzten  Punkte,  die  geringere  Tiefe  und  die  weiter  zurückliegende 
Lage  der  Scene  des  griechischen  Theaters  hängen  von  dem  ursprüng- 
lichen Ereis  und  den  in  denselben  eingeschriebenen  Quadraten  ab; 
das  erste  aber,  die  grössere  Weite  der  Orchestra,  wird  erst  durch  die 
beiden  neuen  Kreise  erreicht,  aber  nur,  wenn  sie  mit  dem  Diameter, 
nicht  dem  Radius  geschlagen  werden. 


Christ:  Das  Theater  des  Poiyhlet  in  Epidauros,  13 

nea  beobachtet  wird  in  Epidaaros  nur  der  Verschloss  des 
Eingangs  auf  beiden  Seiten  durch  ein  Doppelthor,  das  nicht 
bloss  durch  seine  ungewöhnlich  gute  Erhaltung,  sondern  auch 
durch  seine  schönen  Verhältnisse  gleich  im  Anfang  die  Augen 
der  Entdecker  auf  sich  zog.  Auch  hier  zeigt  sich  das  Streben 
nach  harmonischer  Durchführung ;  es  ist  nicht  ein  einfaches 
Thor,  sondern  ein  Doppelthor,  dessen  beide  ganz  gleiche  Teile 
in  der  Mitte  durch  einen  Zwischenpilaster  getrennt  sind;  die 
zwei  Teile  der  Thore  entsprechen  den  zwei  Hauptteilen  des 
Theaters,  Skene  und  Gavea,  und  den  zwei  Arten  von  Per-* 
sonen,  die  zum  Spielen  oder  Sehen  ins  Theater  kamen,  und 
Ton  denen  die  einen  durch  das  linke  Thor  zur  Orchestra 
und  zu  den  Treppen  der  Cavea  gelangten,  die  andern  durch 
das  rechte  Thor  auf  einer  Rampe  zur  Bühne  hinauf- 
gingen. 

Von  der  Bühne  habe  ich  bereits  im  vorausgehenden 
Kapitel  die  ebenmässigen  Verhältnisse  der  Vorderwand,  die 
hübsche  Verteilung  der  drei  nach  der  Orchestra  sich  öffnen- 
den Türen  und  die  symmetrische  Anlage  von  zwei  in  die 
Parodoi  gehenden  Seitentüren  besprochen.  Aber  hier  handelt 
es  sich  um  eine  weit  wichtigere  Frage,  nämlich  darum,  wo 
denn  von  den  Schauspielern  gespielt  worden  sei,  ob  vor  dem 
Proskenion,  wie  Dörpfeld  will,  oder  auf  der  vorn  von  dem 
Proskenion,  rückwärts  von  der  Skene  begrenzten  Plattform^), 
wie  die  Anhänger  der  alten  Lehre  annehmen.  Um  in  dieser 
heftig  in  unseren  Tagen  diskutierten  Frage  ins  Reine  zu 
kommen,  ist  es  vor  allem  notwendig,  sich  über  das  Ver- 
hältnis der  Bühnenanlage  in  Epidauros  zu  dem  griechischen 
Logeion  des  Vitruv  klar  zu  werden.    Der  römische  Architekt 


1)  Mit  Skene  und  Proskenion  bezeichne  ich  der  Einfachheit 
wegen  und  im  Anschlnss  an  den  alten  Sprachgebrauch,  den  ich  in 
dem  Aufsatz  Bedeutungswechsel  einiger  auf  das  griech.  Theaterwesen 
bezüglichen  Ausdrücke  (Jahrb.  f.  class.  Phil.  1894  S.  38  ff.)  erörtert 
habe,  die  hintere  und  vordere  Bühnenwand. 


14       Sitzu^  der  phüöa.'phüal,  Glosse  vom  13,  JanUdr  1894, 

gibt  (V.8)  über  dieBdhne  folgende  Bestimmung:  ämpliorem  ha^ 
hent  orchestram  Graeci  et  scaetmm  recessioretn  minoregue  laii" 
tudine  pülpitum,  qiiod  loyelov  appellant^  ideo  qüod  eo  tragici 
et  eomici  aciores  in  scaena  peragunt^  reliqui  atUem  artiges 
suas  per  orchestram  praestant  actiones  itaqtie  ex  eo  scaenici 
et  ihynielici  graece  separatim  nominantur,  eins  logei  alH- 
iudo  fion  minus  debet  esse  pedum  decem,  non  plus  duodecim. 
Betrachtet  man  unbefangen  diese  Worte,  so  wird  jedermann 
sofort  die  grosse  Aehnlichkeit  des  vitruyischen  Logeion  mit 
dem  in  Epidauros  zwischen  Skene  und  Proskenipn  befind^ 
liehen,  ehedem  gedielten^)  Raumes  erkennen.  Der  Architekt 
von  Epidauros  gebrauchte  zwar  nicht  dieselben  Kreise  wie 
Yitruv,   wie   er  denn   auch   in  der  Zahl   der  Keile,   die  be-r 

• 

kanntlich  bei  Yitruv  von  den  in  den  Kreis  eingeschriebenen 
Dreiecken  und  Vierecken  abhängt,  von  dem  römischen  Ar- 
chitekten abwich;  aber  die  Hauptverhältnisse  sind  die  glei- 
chen. Zuerst  soll  die  Höhe  des  Proskenion  nach  Yitruv 
10 — 12'  betragen;  auf  12'  hat  aber  auch  Dörpfeld  die  Höhe 
des  Proskenion  in  Epidauros  berechnet.  Sodann  soll  das 
griechische  Logeion  nach  Yitruv  weiter  zurück  liegen  als  die 
römische  Bühne,  welche  bis  zum  Mittelpunkt  des  ursprüng- 
lichen Kreises  heranreichte;  das  trifft  bei  dem  Bühnengebäude 
in  Epidauros  derart  zu,  dass  das  Proskenion  sogar  noch  etwas 
weiter  zurück  liegt,  als  nach  der  Konstruktion  des  Yitruv. 
Drittens  soll  die  griechische  Bühne  nach  Yitruv  weniger  tief 
als  die  römische  sein,  das  ist,  nur  den  Raum  zwischen  der 
oberen  Seite  des  in  den  Kreis  eingeschriebenen  Quadrates  und  der 
mit  ihr  parallel  laufenden  Tangente  des  ursprünglichen  Kreises 
einnehmen;    auch   dieses  trifft   bei   der  Bühne  in  Epidauros 


1}  Von  den  Dielen  selbst  ist  natürlicli  nichts  erhalten,  wohl  aber 
sind  noch  in  dem  Geison  der  Proskenionmauer  die  Oefifnungen  für 
Aufnahme  der  die  Diele  tragenden  Balken  bemerkbar;  s.  Prakt.  1884 
S.  48  und  Tafel  II  5. 


Christ:  D4U  Theater  des  Pölyhlet  in  Epidauros,  15 

za ;  denn  die  Tiefe  derselben  beträgt  nicht  ganz  3  m^),  was 
zn  einem  Kreisdurchmesser  von  20  bis  24  m  ein  fast  glei* 
ches  Verhältnis  wie  bei  Yitruy  ergibt.  Wir  sind  also  voll 
berechtigt,  anzunehmen,  dass  der  Raum  zwischen  Proskenion 
und  Skene  in  Epidauros  im  wesentlichen  dem  Logeion  des 
Vitruv  entspricht.  » 

III. 

Vitruv  V  8  in  der  oben  ausgeschriebenen  Stelle  be- 
zeichnet den  Raum  zwischen  Skene  und  Proskenion  aus- 
drücklich als  Xoyeiov^  auf  dem  die  Schauspieler  im  grie- 
chischen Theater  spielten.  Konnte  der  römische  Architekt 
bei  dieser  bestimmten,  jede  Fehldeutung  ausschliessenden  An- 
gabe irren?  Ist  es  denkbar,  dass  er  den  Ort,  auf  dem  in 
einigen  Stücken  Götter  aufbraten,  mit  dem  Ort,  wo  gewöhn- 
lich gespielt  wurde,  verwechselte?  Ein  Irrtum  wäre  möglich, 
weun  Vitruv  ein  später  Grammatiker  gewesen  wäre,  der  ohne 
persönliche  Anschauung  seine  Weisheit  lediglich  aus  älteren 
Scholiastennotizen  zusammengelesen  halte.  Aber  Vitruv  war 
kein  Stubengelehrter,  der  ohne  Zusammenhang  mit  der  Welt 
bloss  in  Büchern  herumkramte ;  er  war  vielmehr  ein  Mann 
der  Praxis,  der,  wie  seine  von  Vulgarismen  wimmebde 
Sprache  zeigt,  sich  viel  besser  auf  sein  Handwerk,  als  auf  die 
Kunst  der  Grammatik  verstand.^)  Sodann  lebte  Vitruv  in 
einer  Zeit,  in  der  es  noch  griechische  Theater  gab  und  noch 
griechische  Dramen,  Tragödien  und  Komödien,  zur  Aufführung 
kamen,  ja  in  der  wahrscheinlich  noch  neue  Theater  in  Hellas 


1)  Angegeben  wird  eine  Distanz  der  Maaem  von  2,41  m;  dazu 
kommt  aber  für  die  Bühne  noch  die  ganze  Dicke  der  Vorder*  und 
eines  Teiles  der  Rückmauer. 

2)  Ich  kann  somit  von  vornherein  nicht  zustimmen,  wenn  mein 
junger  Freund  Weissmann,  Die  scenische  Auffährang  der  griech. 
Dramen  des  5.  Jahrh.  S.  78  den  Vitruv  durch  seine  'litterarischen 
Quellen*  sich  in  Irrtümer  verwickeln  l&sst. 


16        Siteung  der  phüosrphüöl.  Glosse  ww  13,  Januar  1894. 

tind  den  hellenischen  Städten  Kleinasiens  gebaut  wurden,  so 
dass  des  Architekten  Vorschriften  auch  noch  praktische  Be- 
deutung hatten,  wenn  sich  auch  bis  jetzt  noch  kein  grie- 
chisches Theater  gefunden  hat,  das  genau  nach  der  Regel 
des  Vitruv  gebaut  sei.  Keinesfalls  wenigstens  war  Vitruv, 
um  eine  Konstruktion  für  das  griechische  Theater  zu  ent- 
werfen, auf  Bücher  und  Notizen  aus  vergangener  Zeit  ange- 
wiesen: nicht  aus  Grammatiken,  sondern  aus  dem  Leben  der 
Gegenwart  zog  er  seine  Kenntnis.  Unter  solchen  Umständen 
ist  es  äusserst  unwahrscheinlich,  dass  Vitruv  in  einem  solchen 
Kardinalpunkt  sich  geirrt  hat,  oder  dass  er,  wenn  er  sich  ver- 
sehen hätte,  nicht  sofort,  noch  vor  Ausverkauf  seines  Buches 
auf  den  Irrtum  von  seinen  Zeitgenossen  aufmerksam  gemacht 
worden  wäre.  Die  Gegner  müssten  also  ganz  durchschlagende 
Gründe  vorbringen  können,  wenn  wir  uns  zu  einer  so  kühnen ^ 
fast  möchte  ich  sagen,  unerhörten  Annahme  verstehen  sollten. 
Sind  solche  vorgebracht  worden?     Wir  wollen  sehen! 

Man  sagt,  die  Bühne  ist  zu  schmal,  und  zieht  zur  Be- 
leuchtung dieses  Punktes  ausser  der  Bühne  von  Epidauros 
noch  die  von  Oropos  und  vom  Piräus^)  heran.  Der  Einwand 
wäre  schwerwiegend,  wenn  auf  der  Bühne  des  Vitruv  und 
der  genannten  Städte  die  Lysistrate  des  Aristophanes  oder 
die  Eumeniden  des  Aischylos  oder  auch  nur  der  König  Oedi- 
pus  des  Sophokles  hätten  gegeben  werden  sollen.  Chor  und 
Schauspieler  wären  auf  einer  so  schmalen  Bühne  arg  ins  Ge- 
dränge gekommen,  und  sicher  hätte  auf  derselben  ein  Chor  von 
24  Chorenten  keine  Tänze  aufführen  können.  Aber  abgesehen 
davon,  dass  es  doch  immer  nur  Ausnabmsfälle  waren,  wenn 
der  Chor  auf  der  Bühne  erschien  —  die  Fälle  sind  aufge- 
zählt und  sorgsam  besprochen  von  Bodensteiner,  Szenische 
Fragen  im  Jahrb.  f.  class.  Phil.,  Suppl.  XIX  684  flf.  —  der 


1)  Die  Distanz  der  Mauern  wird  im  Plräus  auf  2,17  m.  ange- 
geben von  Pbilios  UgaHT.  r.  agX'  h.  1881  p.  55. 


k 


Christ:  Bau  Theater  des  Polyklet  in  Epidatiros,  17 

Einwand  besteht  überhaupt  nur  für  das  Theater  des  5.  Jahr- 
hunderts V.  Chr.  und  nur  für  die  Zeit,  in  der  es  einen  Chor 
gab  und  der  Chor  einen  wesentlichen,  nicht  ablösbaren  Teil 
des  Dramas  bildete.  Das  lässt  sich  schon  nicht  mehr  voll 
für  das  4.  Jahrh.  behaupten,  noch  weniger  für  die  nach- 
folgenden Jahrhunderte  und  die  Zeit  des  Vitruv.  Sieht  man 
aber  von  dem  Chor  ab,  so  hatten  die  2 — 4  Schauspieler  des 
klassischen  Dramas  und  auch  die  2 — 5  des  Plautus  undTerenz 
hinlänglich  Platz  auf  der  3  m  tiefen  Bühne,  ja  umgekehrt 
es  stund  diese  geringe  Tiefe  mit  der  geringen  Zahl  der  Schau- 
spieler im  besten  Einklang,  zumal  auch  das  antike  Theater 
im  Gegensatz  zum  modernen  nur  eine  ganz  kleine  Anzahl 
von  Statisten  oder  stummen  Personen  zuliess.  Wollte  man 
dagegen  einwenden,  dass  Stücke  des  Aischylos,  Sophokles  und 
Euripides  auch  noch  nach  deren  Tod  und  auch  noch  zur  Zeit 
des  Vitruv  zur  Aufführung  kamen,  so  würde  ich  zuerst  nach 
Zeugen  für  die  Aufführung  der  Eumeniden  oder  der  Vögel 
oder  des  Orestes  in  der  Zeit  des  Vitruv  fragen,  dann  aber 
im  allgemeinen  bemerken,  dass  man  im  Altertum  so  gut  wie 
in  unserer  Zeit  verstanden  haben  wird,  alte  Stücke  so  zu  be- 
schneiden und  zurecht  zu  modeln,  dass  sie  für  die  gegebenen 
neuen  Bühnenverhältnisse  passten.  Man  wird  gewiss  auch 
nicht  bei  Aufführung  alter  Tragödien  die  Senatoren  aus  dem 
Parterre  der  Orchestra  vertrieben  haben,  damit  an  ihrer  Stelle 
der  Chor  Platz  habe  und  seine  Reigen  aufführe.  Mein  junger 
Freund  Pickard  wird  also  vieles  in  seiner  Dissertation,  The 
relative  position  of  actors  and  chorus  in  tbe  greek  theatre 
of  the  fifth  Century  (American  Journal  of  Philology  XIV) 
streichen  müssen,  wenn  er  Zustände  aus  der  Zeit  des  Aristo- 
phanes  und  der  drei  Klassiker  der  griechischen  Tragödie  für 
die  Theorie  Dörpfelds  und  somit  indirekt  gegen  Vitruv  ver- 
werten will.  Kurzum,  das  5.  Jahrh.  v.  Chr.  hat  vorerst, 
wenn  es  sich  darum  handelt,  ob  Vitruv  den  kolossalen  Irrtum 
begangen  habe  oder  nicht,    ganz  aus  dem  Spiel  zu  bleiben. 

1894.  Fhilos.-phjlol.  u.  bist.  Ol.  1.  2 


18         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  13,  Januar  1894. 

Damit  ist  auch  schon  dem  zweiten  Einwand  der  Dörpfel- 
dianer  die  Spitze  abgebrochen.  Sie  sagen,  die  Bühne  des 
Vitruv  sei  zu  hoch;  zu  was  diene  eine  Höhe  von  10 — 12' 
und  wie  könne  dabei  ein  Wechselverkehr  von  Chor  und 
Schauspielern  bestehen?  Der  Chor  darf  auch  hier  nicht  in 
die  Diskussion  gezogen  werden;  der  Fälle,  wo  Schauspieler 
mit  dem  Chor  abziehen  oder  sich  unter  den  Chor  mischen, 
sind  ausserdem  so  wenige,  dass  die  betreffenden  Stellen  leicht 
umgeändert  werden  konnten^),  zumal  Aristophanes,  der  die 
meisten  Fälle  bietet,  ganz  ausser  Betracht  bleiben  muss. 
Denn  davon,  dass  Stücke  der  alten  Komödie  noch  nach  dem 
Tode  der  grossen  alten  Meister  aufgeführt  wurden,  kann 
doch  gar  keine  Rede  sein.  Im  übrigen  hat  ja  in  der  That 
die  Höhe  von  10 — 12'  etwas  auffälliges;  denn  so  sehr  es 
uns  im  allgemeinen  passend  erscheint,  dass  der  Vortragende, 
mag  er  nun  Schauspieler  oder  Sänger  oder  Redner  sein, 
etwas  erhöht  steht,  so  ungewöhnlich  erscheint  uns  ein  Po- 
dium von  10 — 12'  Höhe.  Aber  ein  solches  Bedenken  ist  nicht 
kräftig  genug,  um  uns  in  der  gestellten  Frage  auf  die  Seite 
der  unwahrscheinlichsten  aller  Annahmen  zu  drängen.  Noch 
mehr  sogar  stösst  sich  mein  ästhetisches  Gefühl  an  der  un- 
verhältnismässigen Länge  der  Bühne  (ca.  20  m)  gegenüber 
der  geringen  Tiefe  (ca.  3  m);  aber  die  war  gefordert  durch 
die  Weite  des  Theaterrunds,  und  das  Missverhältnis  konnte 
leicht  durch  die  Dekoration  in  der  Weise  gemildert  werden, 
dass  nur  das  mittlere  Drittel  des  langen  schmalen  Raumes 
als  eigentliche  Bühne  oder  Vorplatz  des  königlichen  Palastes 
erschien.*)     Aehnlich    war  vielleicht   auch    die    grosse  Höhe 

1)  Wir  haben  noch  in  unseren  Texten  Verse,  welche  in  Folge 
der  geänderten  Verhältnisse  interpoliert  wurden,  wie  Aisch.  Eum.  405, 
Eur.  Orest.  1366  —  8,  aber  eine  Interpolation,  die  mit  der  Verhin- 
derung des  freien  Verkehrs  zwischen  Chor  und  Schauspieler  zusam- 
menhinge, habe  ich  bis  jetzt  nicht  aufätöbem  können. 

2)  Vielleicht  hängen  mit  jener  seitlichen  Begrenzung  auch  die 
ehernen  Gitter  (xaXxä  fcdysteXka)  zusammen,  von  denen  das  Etjm.  M- 


Christ:  Das  Theater  des  Polyklet  in  Epidaüros.  19 

des  Proskenion  in  Epidaüros  und  bei  Vitruv  in  besonderen 
Verhältnissen  des  griechischen  Theaters  begründet,  wovon 
gleich  mehr. 

Indirekt  hat  man  in  Verbindung  mit  der  Theorie  Her- 
manns Yon  der  vor  der  Bühne  aufzuschlagenden  Thymele 
gegen  die  Konstruktion  Vitruvs  den  Umstand  geltend  ge- 
macht, dass  das  Proskenion  in  Epidaüros  und  Oropos  in  der 
Mitte  eine  Türe  aufweist.  Diese  Türe  sagt  man,  sei  eben 
diejenige  gewesen,  aus  der  die  Schauspieler  heraustraten,  um 
auf  dem  ebenen  Platz  vor  dem  Proskenion  zu  spielen.  An 
diesem  Einwand  ist  das  richtig,  dass  schwerlich  je  unmittel- 
bar vor  dem  Proskenion  ein  mit  der  Bühne  in  Verbindung 
stehendes  Brettergerüst  (dvfiiXtj^  pulpitum)  errichtet  ward. 
Denn  damit  wäre  die  Türe  unnütz  geworden  und  hätte  der 
Prachtbau  des  Proskenion  mit  seinem  Säulen-  und  Bilder- 
schmuck seine  Bedeutung  verloren.  Aber  ein  solches  Gerüst 
hat  man  nur  für  den  Chor  angenommen,  mit  dem  Wegfall 
des  dramatischen  Chors  seit  dem  Ende  des  4.  Jahrb.  fiel 
auch  die  Notwendigkeit  eines  solchen  Gerüstes  weg.  Die 
Türe  an  und  für  sich  aber,  von  der  im  übrigen  Vitruv  nichts 
weiss,  spricht  noch  nicht  gegen  das  von  uns  angenommene 
Logeion;  sie  würde  erst  dagegen  sprechen,  wenn  sich  oben 
an  der  Skene  keine  Türen  befunden  hätten.  Nun  hat  man 
allerdings  weder  in  Epidaüros  noch  in  Oropos  oder  dem 
Piräus  Reste  von  Türen  oben  in  der  Skenenwand  ge- 
funden, da  von  der  Skene  eben  nur  noch  die  Fundamente 
oder  unteren  Maueransätze  erhalten  sind.  Es  konnten  aber 
recht  gut  Türen  unten  in  dem  Proskenion  und  oben  auf  der 


a.  oHfjy^  die  Bühne  seitlich  begrenzt  werden  läset.  Von  den  erhal- 
tenen Dramen  dentet  eine  Beschränkung  der  Bflhne  anf  ein  Drittel 
des  langgestreckten  Raumes  der  Eingang  der  Elektra  des  Sophokles 
an,  indem  auf  dem  rechten  Drittel  der  Bflhnenwand  der  Markt  von 
Argot,  auf  dem  linken  der  Tempel  der  Hera,  und  nur  auf  dem 
mittleren  die  Burg  von  Hykene  dargestellt  war. 

2* 


20        Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  13.  Januar  1894. 

Bühne  ihre  Stelle  und  ihren  Gebrauch  haben.  Die  Türe  im 
Proskenion  unten  erwies  sich  nämlich  als  sehr  zweckmässig 
für  die  Fälle,  wo  im  Theater  nicht  oben  auf  der  Bühne, 
sondern  unten  in  der  Orchestra  lyrische  und  anderartige 
Vorstellungen  gegeben  wurden.  Solche  Fälle  sind  aber  ge- 
nugsam bezeugt.  So  lesen  wir  bei  Athenaios  XIV  622®  von 
den  Phallophoren,  welche  in  der  weiten  Orchestra  ihr  necki- 
sches Spiel  aufführten^),  dass  sie  teils  durch  die  Parodos, 
teils  durch  die  mittleren  Türen  eintraten:  oi  öe  q>aXkoq)6QOi 
TtaQiq^ovxai  o\  fiiv  ex  naqodov  6i  de  TtaTa  fxiaag  rag 
^vqag  ßaivovreg  iv  ^vd-fxip  Tiat  Xiyovceg 

aoi^  Bdnx^j  'vctvde  (Jiovaav  dyXat^o^ev  x.  r.  X. 
elta  TtqoöTqexovTeg,  etci&a^ov  ovg  av  nQoekotvro^  Gzddrjv 
de  enqoLZTov.  Aehnliches  gilt  von  dem  Musiker  Asopo- 
doros^),  der  nach  der  Erzählung  des  Athenaios')  durch  das 
Hyposkenion  oder  das  Gelass  unter  der  Bühne  in  die  Or- 
chestra zu  einem  musikalischen  Agon  eintrat.^)  Nun  wird 
auch  erhellen,  wie  Pollux  dazu  kam,  jene  Vorderwand  vno- 
GKTjviov  statt  7tqoa/.r^viov  zu  nennen;  denn  wenn  man  mit 
der  Definition,  die  er  IV  124  von  dem  Hyposkenion  gibt 
TO  öe  vnoanr^viov  xioai  nat  dyaXfiaTioig  nexoafxrjTO  nqog 
TO  d-ifxTQOv  TevQafif^ivoig  ino  t6  koyeiov  xeif^evov^  die  mit 
Säulen  und  Bildern  geschmückte  Bühnenvorderwand  des  The- 
aters von  Oropos  zusammenstellt,  so  kann  man  nicht  zweifeln, 
dass  der  Grammatiker  unter  vnoonr^viov  im  wesentlichen  das- 

1)  Vgl.  Harpokration  u.  WvtpaXXoi, '  'Yjtegeidijg  iv  t(p  xax'  'ÄQxsotQa- 
tiöov'  ol  tovg  l^vtpdXXovg  iv  xfj  6Qxi]atQ(f  oQxovfxsvot. 

2)  Ueber  die  Lebenszeit  dieses  Asopodoros  siehe  Susemihl 
Lit.  d.  Alexandriner  II  577  An.  9. 

8)  Athen.  XIV  631,  *Aa(on6d(OQog  6  ^Xidaiog  xgoraXt^ofjievov  noxe 
xivog  xcbv  avXfjxcbv  diaxQtßcov  avxog  sxt  iv  xtp  vjtoaxtjvlq),  xi  xom  ;  shtev, 
dfjXov  Sxi  fjtiya  xaxov  yeyovev. 

4)  Vollständig  zu  berichtigen  ist  also  Wieseler,  Griech.  Tbeat. 
253,  wo  es  heisst:  Der  im  Erdgeschoss  belegene  Raum  unter  der 
Bühne  stand  regelmässig  mit  anderen  Räumen  desselben  Geschosses, 
nie  aber  mit  der  Orchestra  unmittelbar  in  Verbindung. 


Christ:  Das  Theater  des  Poiyklet  in  Epidauros.  21 

selbe  versteht,  was  dort  inschrifUich  a]s  nqoaxriviov  bezeichnet 
ist.^)  Jetzt  wird  es  aber  auch  vielleicht  klar  werden,  warum 
Polyklet  in  Epidauros  dem  Proskenion  die  Höhe  von  12' 
gab.  Diese  Höhe  empfahl  sich  schon  von  künstlerischem 
Gesichtspunkt  aus,  weil  auf  solche  Weise  die  Höhe  der  hallen- 
artigen Vorderwand  in  das  richtige  Verhältnis  zu  ihrer  Länge 
kam;  sie  wurde  geradezu  notwendig,  wenn  der  Raum  unter 
dem  Logeion  als  Durchgang  fßr  diejenigen  Künstler  diente, 
welche  in  der  Orchestra  auftraten. 

Noch  einen  Punkt  muss  ich  hier  berühren,  auf  den  mich 
Prof.  Aug.  T  hier  seh  aufmerksam  machte.  Der  kundige 
Architekt,  der  aber  auch  von  seinem  Grossvater  die  Liebe 
zum  klassischen  Altertum  ererbt  hat,  und  dem  die  heimische 
Altertumskunde  schon  so  vieles,  wie  namentlich  die  Kenntnis 
des  römischen  Forums  in  Campodunum  verdankt,  hob  in  einem 
Gesellschaftsabend  der  Zwanglosen,  wo  ich  über  Dörpfelds 
Entdeckungen,  noch  in  übertriebenem  Glauben  an  die  neue 
Lehre,  sprach,  mit  Kennerblick  hervor,  dass  die  Türe  des  Pro- 
skenion in  Epidauros  zu  schmal  für  die  Mitteltüre  der  Bühne 
sei.*)  Für  gewöhnliche  Stücke  mochte  wohl  die  Breite  aus- 
reichen, aber  für  diejenigen  Stücke,  wo  durch  jene  Türe 
Personen  aus  dem  Gemach  hinter  der  Skene  herausgerollt 
wurden,  wie  in  Eur.  Herc.  1029  Herakles  selbst  mitsamt 
den  von  ihm  gemordeten  Kindern,  war  sie  entschieden  zu 
schmal.  Das  Ekkyklema  war  ja  überhaupt  nur  dadurch  ent- 
standen, dass  einerseits  die  geringe  Tiefe  der  Bühne  eine 
ausgedehnte  Anwendung  von  Coulissen  verbot,  und  anderseits 
keine  so  langen  Balken  zur  Verfügung  stunden,  um  das 
ganze  Gemach  rückwärts  der  Bühnenwand  den  Blicken   der 


1)  Vgl. meinen  oben  schon  erw ahnten  Aufsatz  in  Jahrb.  f.  cl.  Phil. 
1894  S.  42  nnd  IlQaxx.  t.  oqx.  kr.  1886  Taf.  III. 

2)  In  dem  Theater  des  Piräus  hat  die  Mitteltüre  eine  Weite 
von  2,10  m,  in  Epidauros  von  etwa  1,80  m,  im  Dionysostheater  in 
Athen  von  1,60  m. 


22        Sitzung  der  phüosrphüol.  Classe  vom.  13.  Januar  1694, 

Zuschauer  zeigen  zu  können;  aber  so  schmal  wird  man  nun 
doch  schwerlich  die  Türe  gemacht  haben,  dass  man  nicht 
bequem  dasjenige,  was  man  nachträglich  den  Zuschauern 
zeigen  wollte,  herausrollen   konnte. 

Dorpfeld  ist  aber  nicht  bei  der  Negation  stehen  ge- 
blieben, er  hat  für  jenen  Baum  zwischen  Skene  und  Pro- 
skenion, nachdem  er  ihm  seine  alte  Bestimmung  als  Logeion 
abgesprochen  hatte,  eine  neue  Bestimmung  ausgedacht;  er  soll 
nicht  als  loyeiov  ^  sondern  als  d-eokoyeiov  gedient  haben. 
Das  liesse  sich  hören,  wenn  die  Oötterbühne  eine  regelmässige 
Verwendung  im  alten  Theater  gehabt  hätte.  Nun  aber  haben 
wir  in  den  44  uns  erhaltenen  Dramen  nur  einen  einzigen 
Fall,  wo  eine  Götterbühne  vorkommt,  im  Frieden  des  Aristo- 
phanes  V.  180 — 727,  und  selbst  hier  ist  es  mir  zweifelhaft, 
ob  die  Scene  auf  dem  hohen  Proskenion  und  nicht  yielmehr  auf 
demDache  des  Bühnenhauses  gespielt  hat.^)  Auch  aus  der  grossen 
Zahl  der  übrigen  Stücke,  von  denen  uns  nur  Fragmente  er- 
halten sind,  wird  nur  eines  erwähnt,  das  eine  Götterbühne 
aufwies,  die  Wvxoataaia  des  Aischjlos,  worüber  wir  bei  Pol- 
lux  IV  130  lesen  :  and  de  %ov  d^eoloyeiov  ovrog  vneq  Tijr 
a%rjvi^v  iv  tipei  STti^aivovrai  -d-eot  log  6  2^g  xai  ol  ne^t  av- 
Tov  iv  Wvxoaxaai(f.  Und  wegen  dieser  zwei  Fälle,  die  oben- 
drein bei  denjenigen  Dichtern  vorkommen,  welche  den  ge- 
ringsten Einfluss  auf  die  spätere  Gestaltung  des  Dramas  ge- 
übt haben,  sollte  man  eine  beständige  Einrichtung  getroffen 
und  einen  Raum  geschaffen  haben,  der  in  der  Begel  ganz 
unbenutzt  blieb?  Geht  man  aber  weiter  und  nimmt  das  neu 
gewonnene  x^eoXoyeiov  für  alle  Göttererscheinungen,  auch  den 
deus  ex  machina  in  Anspruch,  so  setzt  man  sich  in  Wider- 
spruch mit  den  besten  und  bestimmtesten  Angaben  über  die 


1)  Die  Gründe  alle  anzugeben,  würde  zu  weit  führen;  ich  be- 
merke daher  nur,  dass  die  lange  Auffahrt  (V.  154—175)  und  die  Ver- 
legenheit des  Herabsteigens  (V.  725)  auf  eine  grössere  Höhe  als  die 
des  Logeion  schliessen  lassen. 


Christ:  Das  ThecUer  des  Polyklet  in  Epidauros.  23 

Göttermaschine  und  das  Erscheinen  des  deus  ex  machina. 
Pollax  IV  128  sagt  nämlich  ausdrücklich  ij  fitjxccyti  de  d^eoig 
deUwai  Hat  i^Qwg  tovq  sv  aept,  BelleQOipovtag  i)  Uegaeag^ 
xat  nehai  Tiara  trjv  aQiaveQav  Ttaqodov  vnsq  Tijv  oktiv^v  t6 
vipog.  Nun  ist  zwar  Pollux  nicht  so  zuverlässig  wie  Vitruv; 
er  lebte  schier  200  Jahre  später  und  war  kein  Praktiker, 
sondern  ein  Grammatiker,  der  seine  Kenntnis  wesentlich  aus 
litterarischen  Quellen  schöpfte.^)  Aber  eine  so  bestimmte 
Angabe  über  die  Lage  der  f^tix^^^'^  an  der  linken  Parodos 
über  der  Bühne  ist,  wenn  auch  nicht  völlig  für's  5.  Jahrh. 
giltig,  so  doch  sicher  nicht  aus  der  Luft  gegriffen.  Mit  ihr 
müssen  wir  um  so  mehr  rechnen,  als  auch  der  Name  firp^^avrj 
TQayiniq^  den  bereits  Ps.  Piaton,  Clitoph.  p.  407*  gebraucht, 
uns  verbietet,  bei  diesen  Göttererscheinungen  an  eine  feste 
Bühne,  ein  ^eoloyelovy  zu  denken.^) 

U  eberblicke  ich  nochmals  die  gegen  Dörpfeld  sprechen- 
den Momente,  so  werde  ich  nur  noch  mehr  in  der  üeber- 
zeugung  bestärkt,  dass  man  dem  Vitruv  schweres  Unrecht 
thut,  wenn  man  ihm  einen  so  kolossalen  Irrtum,  eine  so 
vollständige  Verkehrung  der  wirklichen  Verhältnisse  zumutet. 
Hoffentlich  sind  auch  die  achtsamen  Leser  zu  der  gleichen 
Ueberzengung  gekommen  und  werden  dann  auch  mit  mir 
annehmen,  dass  in  Epidauros  die  Schauspieler  nicht  vor  dem 
Proskenion  auf  ebener  Erde  spielten,  sondern  auf  der  er- 
höhten Bühne  zwischen  Proskenion  und  Skene. 


1)  Pollux  nennt  seine  Quellen  über  Bühnen  Verhältnisse  nicht; 
seine  Hanptquelle  reichte  wohl  ins  1.  oder  2.  Jahrh.  v.  Chr.  zurück; 
es  liegt  nahe,  an  Aristokle»,  den  Zeitgenossen  des  Strabon,  zu  denken, 
der  Aber  Ch5re  und  Musik  geschrieben  hatte,  aber  der  wird  selbst 
iUtere  Quellen,  wie  den  Eratosthenes  yregl  ägzalag  xtofiqfdüii  benfitzt 
haben. 

2)  Freilich  ist  die  fiTjx^vv  ^Qay^^v  des  Piaton  von  den  Lexiko- 
graphen (s.  Wiesel  er,  Griechisches  Theater,  bei  Ersch  u.  Gruber, 
S.  209  An.  38)  axipnj  xQaytx^  genannt,  aber  nur  in  Folge  einer  ün- 
genauigkeit  der  Grammatiker. 


24        Sitzung  der  phüos.'phüol.  Glosse  vom  13.  Januar  1894. 

Nun  können  wir  aber  auch  noch  positive  Zeugen  an- 
führen, welche  das  Spiel  auf  erhöhter  Bühne,  nicht  auf  dem 
Boden  der  Orchestra  bestätigen.  Bei  Wieseler,  Theater- 
gebäude und  Denkmäler  des  Bühnenwesens,  Taf.  IX  n.  15 
ist  eine  jetzt  in  Neapel  befindliche  Vase  des  unteritalischen 
Malers  Assteas  abgebildet,  welche  uns  ein  mit  5  Säulen  ge- 
ziertes Proskenion  zeigt,  auf  dem  oben  von  4  Schauspielern 
eine  Burleske,  vermutlich  eine  Parodie  des  auf  dem  Lager 
ausgerenkten  Prokrustes,  aufgeführt  wird.  Die  Vorderwand 
mit  den  Säulen  erinnert  unwillkürlich  an  das  Proskenion 
in  Epidauros.  Sodann  finden  sich  auf  mehreren  Vasenbildern 
Unteritaliens  (Wieseler  IX  13  u.  14,  Baumeister  n.  1828, 
Wien.  Vorlegebl.  B.  III  1,  III  2,  III  9)^)  Treppen  an  das 
Proskenion  gelehnt,  auf  denen  Schauspieler  auf  die  Bühne 
hinaufsteigen.  Dieselben  Treppen  zum  Hinaufsteigen  auf  die 
Bühne  finden  sich  aber  auch  erwähnt  bei  PoUux  IV  127 
Biaekd'OVTeg  dh  %ata  ziqv  oß;fij(;x'ßay  sttI  ziqv  aurjvijv  dvaßai- 
vovai  dia  xkifAGntov,  und  bei  dem  Mechaniker  Athenaios 
p.  29  Wesch.  xazeaKevaoav  de  ziveg  iv  TtohoQuiif  xXifio'ncjv 
yevrj  naqanXiloia  zolg  Ti&ejuevoig  sv  zolg  &eazQoig  TtQog  zd 
TtQoanr^via  zolg  VTtoxgizalg.  Die  letztere  Stelle  ist  besonders 
wichtig,  weil  sich  ihre  Abfassungszeit  annähernd  bestimmen 
lässt.  Es  lebte  nämlich  jener  Athenaios  um  180  v.Chr.,  nach 
Ktesibios,  auf  den  er  sich  beruft  (p.  29,  9  W.),  und  vor  Biton 
und  Heron,  von  denen  er  schweigt  und  deren  Erfindungen 
er  doch  hätte  erwähnen  müssen,  wenn  er  nach  ihnen  gelebt 
hätte.  Also  nicht  erst  in  der  römischen  Kaiserseit,  sondern 
schon  vor  Vitruv  gebrauchte  man  in  den  griechischen  The- 
atern Treppen  zum  Hinaufsteigen  auf  die  Bühne;  dass  diese 
aber  eine  hohe  Bühne  voraussetzen,  braucht  nicht  noch  erst 
besonders   gesagt  zu  werden.     Nach   allem  dem  werden  wir 


1)  Die  betreifenden  Denkmäler  sind  insgesamt  verzeichnet  von 
Heisch,  Ztsch.  f.  östr.  Gymn.  1887  S.  274  f. 


Christ:  Das  Theater  des  Polyklet  in  Epidauros.  25 

mit  vollem  Vertrauen  der  Nachricht  des  Vitruv  von  dem 
hohen  Logeion  des  griechischen  Theaters  Glauben  schenken 
müssen. 

IV. 

Nachdem  wir  für  das  Theater  in  Epidauros  die  Kon- 
struktion des  Bühnengebäudes  und  die  Lage  der  Bühne 
zwischen  Skene  und  Proskenion  festgestellt  haben,  können 
wir  nun  auch  zur  Frage  übergehen,  wann  und  für  welche 
Arten  von  Dramen  das  Theater  gebaut  worden  ist.  Da  die 
Bühne  nur  3  m  tief  war  und  der  Schmuck  des  Proskenion 
die  Verdeckung  desselben  durch  ein  unmittelbar  davor  er- 
richtetes Brettergerüst  ausschloss,  so  war  das  Theater  sicher 
nicht  für  die  Dramen  der  klassischen  Periode  oder  des  5.  Jahr- 
hunderts geschaffen.  Alle  uns  erhaltenen  Dramen  setzen  das 
Zusammenspielen  von  Chor-  und  Schauspieler  voraus ;  sie 
konnten  also  in  Epidauros  nur  verstümmelt  unter  Weglassung 
der  Chorgesänge  und  alP  der  Partien,  welche  auf  einem 
gegenseitigen  Verkehr  von  Chor  und  Schauspieler  beruhen, 
aufgeführt  werden.  Damit  soll  nicht  gesagt  sein,  dass  in 
Epidauros  gar  keine  Stücke  des  Sophokles  und  Euripides 
mehr  gegeben  wurden;  in  den  Stücken  des  Euripides  aus 
seiner  letzten  Entwicklungsperiode,  wie  z.  B.  in  den  Phö- 
nissen,  hängen  die  Chorpartien  so  wenig  mehr  mit  dem  Gang 
der  Handlung  zusammen,  dass  sie  leicht  weggelassen  oder  als 
blosse  Zwischenspiele  behandelt  werden  konnten.  Dass  man 
aber  in  der  That  eine  solche  Streichung  in  späterer  Zeit  sich 
erlaubte,  berichtet  uns  ausdrücklich  der  Rhetor  Dion  Chry- 
sostomos  or.  XIX  p.  487  R. :  rije  TQay({)diag  %a  fiiv  laxvqa 
cüg  koixe  ^evet^  Xiyw  de  za  iafißeia,  xal  tovtcov  liiqYj  die^i- 
aaiv  iv  töiq  d-eozQOig,  za  de  fjalaxwzeQa  s^eQQvrjyce  zd  Tteqt 
za  liiXr}.  Aber  natürlich  sind  doch  immer  für  eine  Bühne 
nicht  Stücke  geschrieben,  welche  auf  ihr  nur  verstümmelt 
aufgeführt  werden  konnten.     Nun  zeigt  aber  auch  die  Lit- 


26         Sitzung  der  phüos.-philoL  Glosse  vom  13.  Januar  1894, 

teratargeschichte,  dass  im  Laufe  des  4.  Jahrh.  der  Chor  all- 
mählich seine  Stellung  im  Drama  einbüsste  und  schliesslich 
ganz  verstummte.^)  Speciell  die  neuere  Komödie,  welche  seit 
Alexander  das  griechische  Theater  beherrschte,  hatte  keinen 
Chor  mehr,  und  schon  die  Dichter  der  mittleren  Komödie 
sahen  sich  genötigt,  den  Stoff  zu  wechseln,  weil  sie  keine 
Choregen  mehr  fanden,  welche  die  Kosten  der  Ausrüstung 
eines  Chores  zu  tragen  gewillt  waren.^)  In  der  Tragödie 
scheint  sich  der  Chor  etwas  länger  erhalten  zu  haben:  den 
Uebergang  zur  chorlosen  Tragödie  machten  diejenigen  Dichter, 
welche  nach  Aristoteles  poet.  18  p.  1456*  30  statt  der  Chor- 
gesänge nur  Zwischengesänge  {ifißohfia  piihfj\  welche  bald 
in  reine  Flötenpiecen  übergingen,  einzulegen  sich  erlaubten. 
An  der  Spitze  dieser  Neuerer  stund  nach  Aristoteles  bereits 
Agathon  am  Schlüsse  des  5.  Jahrh.  Solche  Zwischenlieder 
konnten  zur  Not  auch  auf  dem  Theater  in  Epidauros  ge- 
geben werden;  denn  diese  setzten  ja  keinen  Wechselverkehr 
zwischen  Chor  und  Bühne  voraus,  so  dass  weder  durch  das 
Erscheinen  des  Chors  auf  der  schmalen  Bühne  ein  Gedränge 
entstund,  noch  es  überhaupt  nötig  war,  Chor  und  Schau- 
spieler auf  demselben  Gerüste  oder  auch  nur  auf  zwei  unter 
sich  zusammenhängenden  Gerüsten  zu  postieren.  Ueberhaupt 
aber  verursachten  auf  der  neuen  schmalen  und  hohen  Bühne 
die  Chorgesänge  fast  geringere  Schwierigkeiten  als  diejenigen 
Partien,  in  denen  der  Chorführer  mit  den  Schauspielern  der 
Bühne  sprach.  Denn  man  denke  sich  nur  den  einen  der 
zwei  Gesprächführer  12'  niedriger  stehend  und  zu  dem  an- 
deren hinaufschauend :  welch'  ein  Verstoss  gegen  Natur  und 


1)  Höpken,  De  theatro  Attico  quinti  saeculi  p.  25  bringt  be- 
reits die  enge  Bühne  mit  dem  Verschwinden  des  Chors  in  Zusam- 
menhang. 

2)  Platonios  negl  dia(poQäg  xcofi<pdiag '  oi  ds  xfjg  jtieatjg  xco/nqydiag 
Ttoirjxal  xal  zag  vjtoMoEig  tjfieixpav  xal  ta  xoQixa  fiiXij  nagiXutoVf  ovx 
exovieg  rovg  x^QVY^^^  xovg  tag  öajidvag  toTg  x^gevtatg  naQ^x^vtag. 


Christ:  Das  Theater  des  Polyklei  in  Epidauros.  27 

Wahrheit!*)  Aber  wenn  auch  Tragödien  mit  Zwischenstücken 
ohne  grossen  Anstand  auch  auf  der  neuen  Bühne  gegeben 
werden  konnten,  so  wird  doch  gewiss  auch  in  Bezug  auf  den 
Chor  die  Tragödie  bald  dem  Vorgang  der  Komödie  gefolgt 
sein  und  den  Chor  ganz  weggelassen  haben.  Sicher  ist  kein 
lyrisches  Fragment  eines  Ghorgesanges  aus  einer  Tragödie 
nach  Alexander  auf  uns  gekommen.  Satyrspiele  zwar,  in 
denen  neben  den  agierenden  Personen  auch  Satyre  vor- 
kamen, schrieben  noch  zu  Beginn  des  3.  Jahrb.  Sositheos') 
und  Lykophron  (fr.  1 — 3);  auch  legen  die  Titel  von  drei 
Tragödien  des  Lykophron,  Ma^&wvioi  KaaoavdQeig  ^InhaL 
(vielleicht  auch  IleXonidaiy)  die  Vermutung  nahe,  dass  in 
ihnen  ein  Chor  oder  doch  eine  grössere  Anzahl  von  Mara- 
thonsbewohnern etc.  vorgekommen  sei;  aber  selbst  wenn 
diese  Bürger  zu  einem  Chor  zusammentraten,  so  werden  sie 
doch  nach  dem  Gang,  den  die  Tragödie  schon  zu  Aristoteles 
Zeiten  genommen  hatte,  schwerlich  etwas  anderes  als  Zwischen- 
lieder oder  Klagelieder  gesungen  haben,  die  nicht  ein  Auf- 
treten der  Schauspieler  und  des  Chors  auf  demselben  Podium 
oder  überhaupt  nur  in  unmittelbarer  Nähe  verlangten.  Das 
Letztere  muss  man  schon  daraus  abnehmen,  dass  bereits 
Aristoteles  poet.  12  und  die  peripatetischen  Verfasser  der 
Probleme  XIX  15.  30.  48  den  Ort,  wo  die  Schauspieler  auf- 

1)  Schwierigkeit  machten  auf  der  neuen  Bühne  auch  diejenigen 
Partien,  wo  sich  einer  in  der  Enge  (fauces)  der  Seiteneingänge  ver- 
stecken sollte,  wie  in  Aristoph.  Lysistr.  478,  Aisch.  Ghoeph.  20.  872, 
Eur.  Herc.  1081,  Hec.  1081;  aber  hier  konnte  man  sich  leicht  durch 
die  Seitenconlissen  helfen.  An  denjenigen  Stellen,  wo  jemand  aus 
der  unteren  Parodos  zur  Bühne  heraufkommen  sollte,  half  man  sich, 
wie  wir  oben  sahen,  mit  Treppen,  die  man  an  die  hohe  Vorderwand 
des  Proskenion  anlehnte.  Ob  solche  Stellen  bei  Plautus  und  Terenz 
vorkommen  ? 

2)  Vgl.  das  Epigramm  auf  Sositheos  A.  P.  VII  107: 

ixiaooq?ÖQrjae  yag  wvrjQ 
ä^ia   ^Xiaaifov^  >cal  fiä  /ogovg  SaxvQCOv. 

3)  Vgl.  Welcker,  Die  griech.  Tragödien  S.  1257  f. 


28         Sitzung  der  philosrphilol.  Classe  vom  13.  Januar  1894, 

treten,  von  dem  Standort  des  Chors  bestimmt  unterscheiden.  Ganz 
klar  aber  tritt  diese  Scheidung  in  einem  Epigramm  des  Simias 
aus  dem  Anfang  des  3.  Jahrh.  uns  entgegen,  A.  P.  VII  21. 

Tov  ae  xoQoig  fisXipavra  2oq>0'aX€a^  näida  2og)iiXov^ 
rov  TQayiwffi  fÄOvorjg  doteqa  KengoTiiov, 

'/roilaxig  ov  x^v/xilyaiv  xal  iv  ax,f]v^ai  Te&fjlujg 
ßXaioog  !t4%aQvii:rig  xiaoog  SQeifje  xofxrjv. 

Der  Verfasser  dieses  Epigramms  hatte  schon  so  wenig 
mehr  eine  Vorstellung  von  dem  Zusammenspiel  von  Chor 
und  Schauspieler  in  dem  alten  Drama,  dass  er  nun  selbst 
auch  bei  Sophokles  oxtivt^  und  xhjfiälrj^  Platz  der  Schau- 
spieler und  Platz  des  Chores,  vollständig  von  einander  schied. 
Als  Verfasser  des  Epigramms  aber  ist  in  der  Anthologie  von 
erster  Hand  Simmias  {2L(X(xiov)  genannt,  unter  dem  wir  mit 
Meineke  und  Susemihl  (Gesch.  d.  griech.  Litt,  der  Alexan- 
drinerzeit S.  180  An.  36)  den  bekannten  Dichter-Grammatiker 
Simmias  aus  Rhodos  verstehen.  Denn  der  Zusatz  Qrjßaiov 
in  2ifxfiiov  Orjßaiov  rührt  von  zweiter  Hand  her  und  hätte 
nicht  die  Billigung  von  Sternbach,  Melet.  graec.  Vindob. 
p.  116  verdient,  da  das  Epigramm  schon  wegen  der  be- 
rührten Theaterverhältnisse  nicht  in  die  Zeit  des  Sokratikers 
Simias  aus  Theben  passt;  dem  Interpolator  aber  war  begreif- 
licherweise aus  Piaton  der  Thebaner  Simias  geläufiger  als 
der  Grammatiker  Simias  aus  Rhodus,  so  dass  wir  hinter  dem 
Zusatz  nicht  ein  tieferes  Wissen  zu  suchen  brauchen.  Ist 
das  richtig,  so  hatte  man  schon  zu  Beginn  des  3.  Jahrh. 
die  Einsicht  in  das  innige  Ineinandergreifen  von  Schauspieler 
und  Chor  in  der  alten  Tragödie  und  Komödie  verloren  und 
war  an  das  gesonderte  Auftreten  der  Schauspieler  auf  der 
Bühne  und  der  Chöre  auf  der  Thymele  so  gewöhnt,  dass 
man  diese  Scheidung  auch  auf  Sophokles  übertrug.  Mit  dem 
Zurücktreten  und  Verschwinden  des  Chors  aus  der  Tragödie 
und  Komödie  war  nämlich  nicht  auch  der  Chor  überhaupt 
verschwunden.    Schon  in-  der  klassischen  Zeit  sah  man  nicht 


Christ:  Dcts  Theater  des  Polyklet  in  Epidauros.  29 

bloss  in  dem  Drama  Chöre,  sondern  auch  in  den  lyrischen 
Agonen,  welche  an  den  Dionysien  der  Aufführung  von  Dra- 
men vorausgingen;  ja  damals  schon  waren  diese  lyrischen 
Chöre  von  Knaben  und  Männern  (xoQog  naidtav  und  xoqoq 
dvd^v)  grösser  und  angesehener  als  die  tragischen.  Und 
als  nun  der  Chor  aus  der  Komödie  und  bald  darauf  auch 
aus  der  Tragödie  verschwand,  so  kamen  diese  lyrischen  Chöre 
mit  den  Zither-  und  Flötenspielern  erst  recht  zu  Ansehen. 
Der  Historiker  Polybios  IV  20  erzählt  uns  nur  von  Päanen 
und  Cantaten  (vofÄOi),  welche  von  den  Arkadiern  im  Theater 
aufgeführt  wurden,  und  noch  Plutarch,  praec.  ger.  reip.  21 
erwähnt  der  Choregen  oder  Chorleiter  an  den  Dionysien^), 
wiewohl  damals  Chöre  in  der  Komödie  und  Tragödie  längst 
nicht  mehr  gesehen  wurden. 

Nachdem  auf  solche  Weise  mit  dem  Wegfall  des  Chors 
im  Drama  und  mit  der  Beschränkung  der  chorischen  Agonen 
auf  die  Aufführungen  in  der  Orchestra  eine  wesentliche  Aen- 
derung  in  den  Spielen  des  Theaters  eingetreten  war,  haben 
es  die  erfinderischen  Künstler  der  Griechen  nicht  versäumt, 
auch  in  dem  Bau  des  Theaters  die  entsprechenden  Aende- 
rungen  vorzunehmen.  Den  neuen  Bedürfnissen  ist  unter 
gleichzeitiger  Berücksichtigung  der  künstlerischen  Rücksichten 
trefflich  angepasst  das  Theater  des  Polyklet  in  Epidauros. 
Wir  müssen  daher  auch  den  Erbauer  nicht  im  5.,  noch  in  der 
ersten  Hälfte  des  4.  Jahrb.,  sondern  in  der  Zeit  Alexanders 
oder  nach  Alexander  suchen.  Nun  gab  es  zwei  Künstler 
unter  dem  Namen  Polyklet.  Der  ältere  Polyklet,  der  jüngere 
Zeitgenosse  des  Phidias,  dessen  Blüte  Plinius  34,  49  in  die 
90.  Olympiade  setzt,   kann  nach  dem  Gesagten   der  Erbauer 


1)  Aehnlich  Maximus  Tyrius  VII  p.  104.  Auch  die  Agave  nee- 
dum  commissa  clioro  bei  Claudian  in  Eutr.  II  364  war  sicher  kein 
Dramai  sondern  ein  Singspiel. 


30        Sitzung  der  phUos.'phüol.  Clause  vom  13.  Januar  1894. 

nicht  gewesen  sein  ^) ;  zu  dessen  Zeit  hätte  ein  Theater  nicht 
entstehen  können,  das  nur  für  Dramen,  die  des  Chors  ent- 
behrten, geeignet  war.  Der  jängere  Polyklet  war  durch 
zwei  Generationen  Ton  dem  älteren  geschieden,  da  er  nach 
Pausanias  VI  6.  1  Schüler  des  Naukydes  war,  der  selbst 
wieder  bei  dem  älteren  Polyklet  in  die  Schule  gegangen  sein 
soll  und  von  Plinius  34,  50  in  die  95.  Olympiade  gesetzt 
wird.  Die  Thätigkeit  dieses  jüngeren  Polyklet  setzt  Ober- 
beck, Gesch.  d.  griech.  Plast.  S.  533*  zwischen  Ol.  102  und 
112.  Das  erste  Datum  wird  dadurch  gewonnen,  dass  Polyklet 
für  die  neugegründete  Stadt  Megalopolis  die  Statue  des  Zeus 
Philios  arbeitete  (Paus.  VIII  31,  4).*)  Dass  aber  auf  der  an- 
deren Seite  seine  Thätigkeit  in  die  Zeit  Alexanders  herab- 
reichte, erhellt  insbesondere  daraus,  dass  die  Autorschaft  der 
Statue  des  Hephästion,  des  Freundes  Alexanders,  zwischen  Lysipp 
und  Polyklet  strittig  war  (Plin.  34,  64).  Plinius  zwar,  der  den 
älteren  und  jüngeren  Polyklet  überhaupt  nicht  unterschied,  er- 
eifert sich  gegen  den  Anspruch  des  vermeintlich  100  Jahre  älteren 
Polyklet;  aber  heutzutage,  wo  wir  auf  einem  Stein  Thebens^) 


1)  Ich  mu88  mich  hier  also  in  Opposition  zu  Brunn,  Gesch.  d. 
fs^iech.  Künstl.  I  217  setzen,  der  das  Theater  und  Randgebäude  neben 
dem  Tempel  des  Asklepios  zu  Epidauros  von  dem  älteren  Polyklet 
gebaut  sein  lässt;  das  that  er  aber  auch,  als  man  von  dem  Theater 
in  Epidauros  noch  keine  genauere  Vorstellung  hatte. 

2)  Die  Statue  des  Zeus  philios  wird  er  aber  nicht  gleich  nach 
Gründung  der  Stadt  (Ol.  102,  3  =  369  v.  Chr.)  gearbeitet  haben;  wir 
können  daher  mit  dem  Anfangs-  und  Schlussdatum  der  Künstler- 
thätigkeit  Polyklcts  weiter* herabgehen,  so  dass  er  auch  das  Theater 
in  Epidauros  erst  gegen  Ende  des  4.  Jahrb.,  ein  Menschenalter  nach 
Lykurg,  gebaut  haben  kann. 

3)  Die  Epigramme  des  Steins,  die  dem  Schriftcharakter  nach 
der  2.  Hälfte  des  4.  Jahrh.  angehören,  sind  zuerst  veröffentlicht 
worden  von  Foucart,  Revue  archäol.  1875  p.  110  ff.;  für  die  Chrono- 
logie der  Polyklete  hat  sie  verwertet  Löschke  in  dem  Aufsatz  Po- 
lyklet der  Jüngere  und  Lysipp,  in  Arch.  Zeit.  1878  S.  10  ff.  Die 
Statuen,  zu  denen  die  Epigramme  gehören,  müssen  entweder  vor  der 


Christ:  Das  Theater  des  Polyklet  in  Epidauros.  31 

die  Namen  der  Künstler  Polykleifcos  und  Lysippos  neben- 
einander lesen,  kann  es  uns  nicht  mehr  befremdlich  er- 
scheinen, dass  dieselbe  Statue  von  den  einen  für  Lysipp,  von 
den  andern  für  Polyklet,  natürlich  den  jüngeren,  in  Anspruch 
genommen  wurde.  Dieser  jüngere  Polyklet  wird  nun  auch 
der  Erbauer  des  Theaters  in  Epidauros  gewesen  sein.  Seine 
Eünstlerthätigkeit  zur  Zeit  Alexanders  passt  ganz  für  die 
Anlage  des  Theaters  und  für  die  im  Laufe  des  4.  Jahrh. 
eingetretene  Umgestaltung  des  griechischen  Dramas.  Damals 
eben  war  aus  der  Komödie  der  Chor  schon  völlig  ver- 
schwunden, und  hatten  sich  auch  in  der  Tragödie  die  Chor- 
gesänge, wenn  sie  überhaupt  noch  bestanden,  von  der  eigent- 
lichen Handlung  völlig  losgelöst. 

Das  Theater  des  Polyklet  ist,  wie  es  dem  Charakter  des 
neuen  Dramas  bestens  angepasst  war,  so  auch  in  der  Folge- 
zeit Norm  für  den  griechischen  Theaterbau  geworden.  Das 
erkennt  man  am  besten  aus  Vitruv;  denn  dessen  Vorschriften 
über  Tiefe  und  Höhe  der  Bühne  stimmen  im  wesentlichen, 
wie  wir  im  3.  Kapitel  dargethan  haben,  mit  den  Verhält- 
nissen des  Theaters  von  Epidauros  überein.  Auch  die  Artikel 
des  Lexikographen  Pollux,  wenn  sie  uns  auch  keine  genauen 
Masse  angeben,  passen  doch  am  besten  auf  die  Anlage  und 
Teile  des  polykletischen  Baues.^)  Von  erhaltenen  Theatern 
zeigen  die  von  Oropos*),  Assos*),  Eretria*)  und  das  jüngere, 


Zerstörung  Thebens  (335  v.  Chr.)  oder  nach  dem  Wiederaufbau  der 
Stadt  (816  V.  Chr.)  errichtet  sein;  für  das  erste  entscheidet  sich  Löschte, 
för  das  zweite  Foucart  und  ich  mit  ihm. 

1)  Von  entscheidender  Bedeutung  sind  die  Angaben  des  Pollux 
über  imooxrjviov  IV  124,  loyeTov  und  isxrjvri  IV  123,   xXlfiaxeg  IV  127. 

2)  S.  ÜQaxx,  T.  OLQx.  h.  1886. 

3)  Dörpfeld  bei  A.  Müller  Hdb.  d.  gr.  Bühn.  23  An.  2  und 
Kaverau  bei  Baumeister  S.  1734. 

4)  Die  Zwischenräume  der  Halbsäulen  des  Proskenion  waren  in 
Eretria  wie  in  Oropos  zur  Aufnahme  von  nivaxsg  bestimmt;  s.  Pickard 
a.  0.  S.  9  und  Dörpfeld  Berl.  Philol.  Woch.  1891  S.  514  f. 


32        Sitzung  der  philosrphüoL  Glasse  vom  13.  Januar  1804. 

aus  der  makedonischen  Zeit  stammende  Theater  des  Piräus^) 
das  säulengeschmückte  Proskenion  und  damit  auch  die  Haupt- 
verhältnisse des  Theaters  von  Epidauros. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  aber  ist  der  Umbau  des 
Dionysostheaters  in  Athen.  Der  Stylobat  BB  des  Plans  (Taf.  II) 
gehört  nach  dem  Urteil  der  Techniker  einer  entschieden  jün- 
geren Periode  an  als  der  Bau  A  A  a  a  A'  A',  der  die  Bühne 
des  Lykurg  repräsentiert.  Auf  jenem  Stylobat  stunden  ehe- 
mals Säulen,  welche  mit  dem  Epistyl  eine  Höhe  von  ca.  12' 
hatten;  in  der  Mitte  befand  sich  eine  Türe,  1,60  m  breit, 
zwei  andere  in  den  beiden  Flügeln  rechts  und  links.  Der 
Stylobat  mit  seinen  Säulen  bildete  also  ofiFenbar  das  Pro- 
skenion; die  von  diesem  Proskenion  und  der  Skene  begrenzte 
Bühne  (loyeiov)  war  ca.  3  m  tief  und  demnach  schmäler 
als  der  ursprüngliche  Btihnenraum,  der  eine  Tiefe  von  5,70  m 
hatte.  Jedem  muss  die  grosse  Aehnlichkeit  dieses  Proskenion 
und  der  durch  dasselbe  begrenzten  Bühne  mit  dem  Proskenion 
und  Logeion  von  Epidauros  auffallen;  niemand  auch  wird 
leugnen  wollen,  dass  diese  Aehnlichkeit  nicht  auf  blossem 
Zufall  beruhe,  sondern  in  beabsichtigter  Nachahmung  ihren 
Grund  habe.     Aber  wer  hat  nachgeahmt,  Polyklet  oder  der 


1)  üeber  dieses  jüngere  Theater  im  Piräus  siehe  den  Au»gra* 
bnngsbericht  von  Philios  in  Ugoxt.  x.  clqx-  et.  1881  p.  47  —  61  und 
1886.  Schon  der  grössere  Zwischenraum  zwischen  den  Säulen  der 
Mitte,  der  offenbar  für  eine  Türe  bestimmt  war,  beweist  zur  Genüge, 
dass  der  erhaltene  Stylobat  (xgriJildwfxa)  von  27  Platten  hjmettischen 
Marmors  die  Säulen  des  Proskenion  zu  tragen  bestimmt  war  und 
nicht,  wie  andere  glaubten  (A.  Müller  Hdb.  d.  gr.  Bühne  S.  23,  An.  2, 
Curtius-Kaupert,  Karten  von  Attika  I  67),  runden  Stützen  des  Holz- 
baus zur  Unterlage  diente.  Auffällig  ist  an  dem  Theater  des  Piräus 
gegenüber  dem  des  Polyklet  nur  das  weite  (2,68  m)  Vorspringen  der 
beiden  Seitenflügel,  wodurch  es  sich,  ebenso  wie  in  den  18  Eeüen 
der  Cavea,  an  den  älteren  Bau  des  lykurgischen  Theaters  von  Athen 
anschliesst.  Die  Zeit  des  Baues  wird  nach  erhaltenen  Inschriften  von 
den  griechischen  Gelehrten  in  die  Jahre  210—160  v.  Chr.  gesetzt. 


Ghnst:  Das  Theater  des  FölyMet  in  Epidauros,  33 

anonyme  Architekt  des  athenischen  Umbaues?  Ich  denke, 
das  kann  nicht  zweifelhaft  sein:  in  Epidauros  haben  wir 
originale  Anlage  in  vollstem  Einklang  mit  dem  übrigen  Bau; 
in  Athen  einen  späteren  Umbau,  der  wie  etwas  Fremdes  in 
die  alten  Verhältnisse  hineingeschoben  ist.  Nehmen  wir 
hinzu,  dass  die  nachlässige  Bauart  des  athenischen  Proskenion 
auf  eine  jüngere  Periode  als  das  4.  Jahrh.  hinweist^),  so 
werden  wir  unbedenklich  anerkennen,  dass  die  Athener  den 
Musterbau  des  Polyklet  in  späterer  Zeit  nachgeahmt  und  zu 
diesem  Behufe  ihr  altes  Theater  nach  der  neuen  und  zur  da- 
mals herrschenden  Gattung  des  Dramas  besser  passenden 
Norm  umgebaut  haben.^)  Es  scheinen  eben  im  Altertum 
im  Bau  der  Theater  ähnliche  Verhältnisse  gewaltet  zu  haben 
wie  in  der  christlichen  Zeit  im  Bau  der  Kirchen  und  Dome. 

V. 

Die  Anlage  des  vorpolykletischen  Theaters  liegt  eigent- 
lich ausserhalb  der  mir  hier  gestellten  Aufgabe;  auch  sind 
der  schwierigen  und  dunklen  Punkte  hier  so  viele,  dass 
ich  mir  eine  völlige  Aufhellung  derselben  nicht  zutraue, 
am  wenigsten  in  einer  kurzen,  anhangsweisen  Erörterung. 
Gleichwohl  ist  es  zur  Würdigung  der  historischen  Stellung 
des    polykletischen    Theaters    von   Wichtigkeit,   einen  Blick 


1)  Pickard,  a.  a.  0.  p.  9  bemerkt  Dach  Dörpfeld :  Der  Stylobat  BB 
besteht  aus  einer  Schichte  Hymettus- Marmor,  aber  die  Grundlage 
ist  schlecht  gemauert  und  einige  Marmor  blocke  ruhen  direkt  auf  den 
rauhen  Breccia- Blöcken;  in  den  athenischen  Bauten  des  4.  Jahrh. 
kommt  dieses  niemals  vor,  man  findet  immer  eine  Schicht  Kalkstein 
zwischen  der  Breccia  und  dem  Marmor. 

2)  Aus  der  Schilderung  des  Plutarcb,  Demetr.  34  von  dem  Auf- 
treten des  Demetrius  Poliorketes  im  Theater  von  Athen  glaube  ich 
abnehmen  zu  können,  dass  damals  (307  v.  Chr.)  der  Umbau  noch 
nicht  stattgefunden  hatte.  Denn  die  geschilderten  Vorgänge  wollen 
nicht  recht  für  eine  schmale  Bühne  von  3  m  passen. 

18VJ4.  Philo8.-philol.  u.  hist.  Gl.  1.  3 


34        Sitzung  der  philos.-philol.  Glosse  vom  13.  Januar  1894. 

auch  noch  auf  das  zu  werfen,  was  der  Schöpfung  des  grossen 
Meisters  vorausging.  Es  kommt  dahei  fast  nur  das  Dionysos- 
Theater  Athens  in  Betracht*);  aber  dasselbe  hat  leider  durch  wie- 
derholte Umbauten  (4  oder  5)  derartige  Veränderungen  erlitten, 
dass  die  Erkenntnis  seiner  ursprünglichen  Anlage  ausserordent- 
lich erschwert  ist.  Und  wenn  auch  Archäologen  unserer  Zeit, 
namentlich  Julius  undDörpfeld,  die  Fundamente  der  ver- 
schiedenen Mauern  wieder  glücklich  aufgedeckt  und  in  den 
Wirrwarr  der  Scenen  bauten  Licht  und  Ordnung  gebracht 
haben,  so  bleibt  doch  noch  vieles  unaufgehellt,  zumal  man- 
ches, was  in  Epidauros  in  Stein  ausgeführt  war,  in  Athen 
aus  vergänglichem  Holzwerk  bestand,  von  dem  sich  auch  nicht 
einmal  die  Widerlager  und  Stützmauern  erhalten  haben. 
Und  doch  wird  gerade  auf  diesen  Holzbau  unsere  Unter- 
suchung wiederholt  zurückgehen  müssen. 

Wir  haben  also  in  Athen,  wie  bereits  am  Schlüsse  des 
vorausgehenden  Kapitels  gesagt  ist,  deutliche  Reste  einer 
älteren  Bühne  (A  A  a  a),  welche  tiefer  als  die  spätere  war 
und  des  vorderen  Abschlusses  durch  eine  steinerne  Mauer 
{7tqoo'A,rjviov)  entbehrte.  Dörpfeld  schreibt  sie  ebenso  wie 
die  Vorderbauten  der  Cavea,  die  sogenannten  Analemmata, 
dem  Lykurg  zu,  indem  er  annimmt,  dass  vor  Lykurg  sich 
die   Athener   mit   einem  jedes   Jahr    frisch    aufgeschlagenen 


1)  Berücksichtigung  verdient  ausserdem  das  Theater  von  Me- 
galopolis,  welches  dem  4.  Jahrb.  angehört  und  eine  Mittelstellung 
zwischen  dem  athenischen  und  epidaurischen  einzunehmen  scheint. 
Dasselbe  wurde  vor  ein  paar  Jahren  durch  die  Gesellschaft  der  eng- 
lischen Archäologen  ausgegraben,  aber  leider  konnten  eich  bis  jetzt 
die  Engländer  und  Dörpfeld  über  die  Deutung  der  erhaltenen  Reste 
und  namentlich  der  auf  3,  ursprünglich  5  Stufen  sich  erhebenden  Terrasse 
noch  nicht  einigen ;  s.  Journ.  of  Hell.  stud.  XI  297,  Class.  Review  V 
(1891)  238,  285,  Berl.  Phil.  Woch.  1891  S.  419  u.  673,  1027.  Das 
ältere,  bis  in  die  Zeit  des  Thukydides  VIII  93  hinaufreichende  The- 
ater des  Piräus  an  dem  Kastell  von  Munichia  ist  leider  zu  sehr  ver- 
schüttet und  überbaut;  s.  ÜQaxx.  t.  dgx-  et.  1881  p.  57  iF. 


Christ:  Das  Theater  des  Polyktet  in  Epiäauros.  35 

Sceneugebäude  aus  Holz  begnügten.  Als  Hauptbeweis  für 
diese  Meinung  führt  der  erfahrene  Architekt  die  Gleichheit 
der  Bauweise  an,  indem  in  den  Stützmauern  L  F  H  und  in 
den  Scenenmauern  A  A  A'  A'  das  gleiche  Material  und  die- 
selbe Struktur  sich  finde.  Darüber  kann  ich  nicht  urteilen, 
aber  verschiedene  Momente  machen  mich  sehr  misstrauisch 
gegen  die  ganze  Hypothese.  Die  Athener  sollen  schier 
150  Jahre  erst  nach  Erbauung  eines  steinernen  Theaters, 
erst  nach  dem  Verfall  der  tragischen  Kunst  dazu  gekommen 
sein,  für  die  Aufführung  der  schönsten  Werke  des  attischen 
Geistes  ein  festes  Bühnengebäude  herzurichten !  Sie  sollen 
sich  150  Jahre  lang  jedes  Jahr,  und  jedes  Jahr  zweimal,  an 
den  Lenäen  und  Dionysien,  die  grosse  Mühe  gegeben  haben, 
ein  Bühnenhaus  von  Holz  aufzuführen,  wo  ein  paar  aus  wohl- 
feilem Stein  erbaute  Mauern  für  alle  Zeit  genügten !  Die  Holz- 
bauten unserer  Circusse  führe  man  nicht  zu  Gunsten  Dörpfelds 
an;  die  werden  an  Plätzen  aufgeschlagen,  welche  während 
des  übrigen  Jahres  anderen  Zwecken  dienen;  in  Athen  war 
das  Theater  ein  heiliger  Platz,  der  eine  anderweitige  Verwen- 
dung ausschloss.  Und  wenn  man  den  Boden  des  Podiums,  der 
naturgemäss  aus  Brettern  bestand,  jedes  Jahr  frisch  aufzu- 
schlagen für  gut  fand,  wird  man  dann  das  Gleiche  auch  bei 
der  Skene  gethan  haben,  die  zur  sicheren  Handhabung  der 
Theatermaschinen  von  vornherein  einen  solideren  Bau  und 
demnach  einen  Bau  von  Stein  erforderte?  Das  wird  man 
so  leicht  nicht  bei  den  baulustigen  und  bauverständigen 
Athenern  annehmen  dürfen.  Auch  die  Zeugnisse,  welche 
uns  von  dem  Bau  des  Lykurg  berichten,  Hyperides  bei 
Apsines,  rhet.  gr.  ed.  Speng.  I  387  (^Jxo(Jo^?;a6  to  -d^iargov), 
Plut.  Vit.  dec.  or.  VII  4  =  CIA.  II  240  (ro  ^iazQov  zo 
Jiovvaiaytov  i^eigyaooTo)^  CIA  II  176  (tiji'  noirjoiv  zov  ata- 
öiov  %al  zov  d'ßdzQov  zov  Ilava&rpfaixov)^  reden  nur  von  dem 
Ausbau  des  Theaters  oder  Zuschauerraums;  und  wenn  man 
auch    das  Wort  &iazqov  im   weiteren    Sinn,    nicht   im  spe- 


36        Sitzung  der  phüosrphüol.  Classe  vom  13,  Januar  1694. 

ciellen  Sinn  von  Zuschauerraum  nehmen  will ,  so  nötigt,  ja 
berechtigt  uns  doch  keines  der  Zeugnisse,  dem  Lykurg  den 
vollständigen  Neubau  eines  steinernen  Bühnengebäudes  zu- 
zuschreiben. 

Dazu  kommen  verschiedene  Stellen,  welche  uns  von 
Bühnenmauem  und  Biihnengebäuden  aus  der  Zeit  vor  der 
Finanzverwaltung  des  Lykurg  (438 — 434)  berichten.  Dahin 
rechne  ich  zuerst  die  Verrammelung  der  Bühnennebengebände 
{TvaQaaxrvia)  durch  Meidias  i.  J.  348,  von  der  wir  durch 
Demosthenes,  Mid.  17  erfahren;  steinern  werden  freilich  dort 
nicht  ausdrücklich  die  Paraskenia  genannt,  aber  ist  es  nicht  am 
natürlichsten,  bei  dem  ganzen  Handel  an  ein  festes  Gebäude  zu 
denken?  Sodann  lesen  wir  bei  Aristoph.  Eccles.  (aufgeführt 
389  V.  Chr.)  V.  497  äXV  eia  devQ^  ini  a-KiSg  \  kkd-oiaa  nQog  ro 
i:ei%iov  \  nagaßke/tovaa  d-dreQip  |  Tidkiv  fAetaayceta^e  aavrr^v^ 
indem  der  Chorführer  die  Frauen  auffordert,  sich  hinter  der 
vorderen  Abschlussmauer  der  Paraskenia  umzukleiden,  damit 
sie  nicht  von  einem  auf  der  Bühne  gesehen  würden.  Frei- 
lich ist  auch  hier  die  Mauer  nicht  als  steinern  ausdrücklich 
bezeichnet,  aber  schon  das  Wort  Teiyjov  weist  nach  seinem 
gewöhnlichen  Gebrauch  auf  Material  von  Stein  hin.  Femer 
hören  wir  durch  Andokides  de  myst.  38  aus  dem  Jahre  415 
von  einer  aus  Säulen  gebildeten  Vorhalle  (jtQonvkaiov)  vor 
dem  Eingang  der  rechten  Parodos,  wozu  Wieseler,  Scaen. 
(Nachr.  d.  Gott.  Gesell.  1890)  S.  6  mit  Recht  bemerkt:  Da 
das  Propyläon  gewiss  nicht  aus  Holz  hergestellt  war,  so  darf 
man  wohl  voraussetzen,  dass  zu  der  Zeit  des  Andokides  auch 
der  Zuschauerraum  und  ein  Teil  des  Bühnengebäudes  aus 
Stein  bestanden.  Endlich  lässt  mich  auch  die  Erwähnung 
der  Athenestatue  auf  der  Götterbühne  im  Frieden  des  Ari- 
stophanes  V.  725,  ebenso  wie  die  Erwähnung  der  Bildsäule 
des  Themistokles  in  der  Parodos  bei  Andokides  de  myst.  38 
auf  einen  festen  Bau  des  Bühnenhauses  schliessen.  Denn 
die  Worte   des  Aristoplianes    Tjjdt  rtaq^  a\yir(i^   %tiv   &e6v  sc. 


Chnst:  Das  Theater  des  Poli/klet  in  Epidauros.  37 

xaraßriaei  enthalteD  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  einen  sce- 
nischen  Wink^)  und  sind  deshalb  nicht  von  der  Göttin  Eirene 
zu  verstehen,  von  der  man  gar  nicht  begriflfe,  wie  sie  hieher 
käme,  sondern  von  der  Athene-Statue  im  Theater,  auf  die 
bereits  der  kundige  Scholiast  z.  St.  hinweist.*)  Eine  solche 
Götterstatue  auf  oder  an  der  Rtickmauer')  setzt  aber  doch 
wohl  auch  einen  festen  Steinbau  voraus. 

Das  sind  die  Hauptgründe,  weshalb  wir  nicht  glauben 
können,  dass  es  vor  Lykurg  nur  improvisierte  Scenengebäude 
von  Holz  gegeben  habe.  Die  Thymele  oder  das  Podium,  auf 
dem  gespielt  wurde,  wird  von  Holz  gewesen  und  jedes  Jahr 
frisch  aufgeschlagen  worden  sein;  fär  die  Wände  des  Hinter- 
grundes {anrivr])  und  der  Seiten  (TragaaxijVia),  sowie  für  die 
Flanken  der  Eingänge  {naqodoC)  werden  wir  auch  im 
5.  Jahrh.  schon  stehenden  Bau    und  steinernes  Material  an- 


1)  Auf  solche  scenische  Winke  achteten  schon  die  alten  Er- 
klärer; vgl.  Schol.  zu  Soph.  El.  190  &6''  ifi(paivei  z6  ox^fia  z&v  vjio- 
xQirmVf  und  ähnlich  zu  0.  R.  80. 

2)  Nur  ganz  schüchtern  und  nur  hier  in  den  Noten  wage  ich 
die  Frage  aufzuwerfen,  ob  nicht  die  Figur  der  Athene,  welche  im 
Eingang  des  Aias  den  Odysseus  anredet,  ohne  von  ihm  gesehen  zu 
werden  (V.  15  xäv  änoTitog  ijg\  aber  nach  dem  Ausspruch  des  Scho- 
liasten  doch  da  war,  mit  der  Statue  der  Athene  im  Hintergrund  der 
Bühne  zusammenhängen  und  dem  Dichter  den  Gedanken  der  ganzen 
Situation  eingegeben  haben  könne. 

S)  Wenn  man  die  Phantasie  spielen  lassen  darf,  so  stunden  die 
Standbilder  des  Themistokles  und  Miltiades  zu  beiden  Seiten  der 
Orchestra,  da  wo  die  Parodoi  in  dieselbe  mündeten,  mit  der  Statue 
der  Athene  in  Verbindung.  Dann  werden  auch  im  Hintergrund  zur 
Seite  des  Mittelbaus  der  Skene,  der  in  der  Regel  einen  Tempel  oder 
Palast  vorstellt,  zwei  Götterbilder,  der  Athene  und  des  Poseidon  (?) 
gestanden  haben.  Diese  Ausschmückung  des  Theaters  fand  vor  415 
statt,  in  welches  Jahr  die  Hermenverstümmelung  fiel,  kaum  aber 
mehrere  Jahre  zuvor.  Denn  um  diese  Zeit  scheinen  auch  andere  Ver- 
besserungen im  Theater,  insbesondere  die  Göttermaschine  und  das 
erhöhte  Podium,  eingerichtet  worden  zu  sein. 


38        Sitzung  der  phüos.'phüol.  Glosse  vom  13.  Januar  1894. 

nehmen  dürfen.  Damit  will  ich  aber  nicht  gesagt  haben, 
dass  steinerne  Hinter-  und  Seitenwände  schon  zur  Zeit  der 
Einweihung  des  Theaters  i.  J.  472  vorhanden  waren.  Selbst 
eine  abschliessende  Rückmauer,  welche  das  dem  Zuschauer 
gegenüberliegende  Segment  des  Orchestrakreises  abschnitt, 
gab  es  anfangs  nicht.  Denn  mag  auch  Wilamowitz  in 
dem  Aufsatz,  die  Bühne  des  Äeschylus  (Herm.  XXI  597  fiF.), 
zu  weit  gegangen  sein,  das  bleibt  doch  jedenfalls  an  der  These 
des  ideenreichen  Forschers  bestehen,  dass  die  Schutzflehenden  des 
Äischylos  mehr  zu  einer  centralen  Anläge  der  Bühne  passen 
und  eine  Bühnenrückwand  nicht  voraussetzen.  Noch  weniger 
können  natürlich  dann  in  jener  ältesten  Zeit  schon  Seiten- 
wände (naQaaxT^via)  vorhanden  gewesen  sein;  erst  im  Laufe 
des  5.  Jahrh.  kamen,  und  zwar  erst  nach  und  nach,  wie  es 
scheint,  jene  festen  Umrahmungen  der  Bühne  auf.  Was  wir 
bezweifeln,  ist  zunächst  nur,  dass  erst  Lykurg  das  steinerne 
Bühnengebäude  geschaffen  habe.  Auf  der  anderen  Seite 
werden  indes  auch  wir  das  feste  Mauerwerk  A  A  A'  A'  unter 
dem  Namen  des  Lykurg  gehen  lassen,  weil  es  ja  sicherlich 
einen  Bestandteil  des  lykurgischen  Theaters  bildete,  und  weil 
wir  nicht  wissen,  in  welcher  Ausdehnung  die  einzelnen  Teile 
des  Baus  schon  vor  Lykurg  vorhanden  und  ausgebaut  waren. 

Auf  die  steinerne  Umrahmung  der  Bühne  werden  wir 
nachher  zurückkommen;  hier  wollen  wir  zuerst  den  anderen 
Teil  der  Ueberlieferung  vom  Theaterbau  des  Lykurg  be- 
sprechen, dass  nämlich  derselbe  die  Cavea  oder  das  eigent- 
liche d^iatQOv  ausgebaut  habe.  Danach  wird  die  alte  Cavea 
kleiner  gewesen  sein  und  vielleicht  nur  zehn,  der  Zahl  der 
Phylen  entsprechende  Keile  {y.€Q'/.ideg)  umfasst  haben,  so  dass 
die  vorderen  und  seitlichen  Stützmauern  erst  durch  Lykurg, 
zugleich  mit  der  Vermehrung  der  Keile  auf  13,  hinzukamen.^) 

1)  Die  ehedem  von  Benndorf,  Ztschr.  f.  Ost.  Gymn.  1876,  auf- 
gestellte und  mit  allgemeinem  Beifall  aufgenommene  Meinung,  dass 


Christ:  Das  Theater  des  Polyklet  in  Epidauros,  39 

Das  macht  auch  ein  Blick  auf  den  Plan  und  Umriss  des 
Theaters  wahrscheinlich.  Denn  in  unschöner  Weise  tritt  die 
Gavea  und  damit  auch  die  Orchestra  in  den  zwei  äussersten 
Keilen  aus  der  ursprünglichen  Kreislinie  heraus  (s.  S.  11), 
was  nur  bei  Annahme  eines  nachträglichen  Anbaus  einiger- 
massen  Erklärung  und  Entschuldigung  findet.  Bedenken 
könnten  nur  die  oben  S.  3  besprochenen  Statuen  des  Mil- 
tiades  und  Themistokles  erregen;  aber  die  konnten  ja  leicht 
bei  dem  späteren  Erweiterungsbau  nachgerückt  werden.  Er- 
streckte sich  nun  aber  vor  Lykurg  die  Gavea  nicht  so  weit 
nach  vom,  so  war  damit  auch  eine  grössere  Weite  der  Seiten- 
zugänge {naQodoi)  gegeben,  die  uns  aus  scenischen  Gründen 
sehr  erwünscht  kommt.  Die  Paraskenien  A  A  stehen  von 
den  gegenüberliegenden  Flankenmauern  der  jetzigen  Gavea 
nur  ca.  2,8  m  ab;  das  ist  etwas  wenig  zum  Einfahren  von 
Wägen,  namentlich  wenn,  wie  wir  später  wahrscheinlich 
machen  werden,  der  Bretterboden  noch  etwas  über  die  Front 
der  Paraskenien  hinausging.  In  mehreren  Stücken  nämlich, 
Aisch.  Pers.  150  (vgl.  607)  u.  1000,  Ag.  782,  Eur.  Troad. 
568,  El.  988,  Iph.  Aul.  590,  kommen  die  neu  auftretenden 
Personen  zu  Wagen  an ;  der  Wagen  konnte  aber  weder  quer 
an  dem  Seiteneingang  anfahren,  noch  in  demselben  sich 
wenden  und  umkehren;  dafür  war  unter  allen  Umständen 
die  Parodos  zu  eng.  Auch  ging  es  nicht  wohl  an,  dass  der 
Wagen  über  den  hohlen  Bretterboden  fuhr,  zumal  wenn  der- 


die  Zahl  der  13  Keile  im  Theater  zu  Athen  mit  der  anter  Hadrian 
auf  13  gebrachten  Zahl  der  attischen  Phylen  zusammenhänge,  lässt 
sich  jetzt  nicht  mehr  aufrecht  halten,  nachdem  nachgewiesen  ist,  dass 
die  18  Keile  zum  Bau  des  Lykurg  gehörten,  und  dass  auch  das  The- 
ater im  Piräus,  das  aus  der  makedonischen  Zeit  stammt,  13  Keile 
hatte.  Auch  erklärt  sich  die  12 -Zahl  der  Keile  in  Epidauros  am 
leichtesten,  wenn  das  ältere  Theater  in  Athen  schon  13  Keile  hatte 
und  Polyklet  dieselben  bloss  der  Symmetrie  zu  lieb  (s.  S.  10)  auf  12 
redncierte.  Aber  immerhin  scheint  der  Grundgedanke  Benndorfs 
richtig  zu  sein. 


40        Sitzung  der  phüos.'phüol.  Classe  vom  13.  Januar  1894. 

selbe  mehrere  Fuss  hoch  war,  so  dass  schon  das  Hinauf- 
und  Herabfahren  Verlegenheit  gebracht  hätte.  Ein  Esel 
konnte  ja,  wie  in  den  Fröschen  des  Aristophanes,  über  die 
Diele  trampeln,  aber  nicht  so  leicht  wird  man  das  Rasseln 
eines  mehrspännigen  Wagens  ertragen  haben.  Wir  werden 
also  annehmen  müssen,  dass  der  Wagen  an  dem  Podium  vor- 
bei vorn  quer  durch  die  Orchestra  fuhr.  In  den  Troades 
zumal  erheischt  dieses  die  ganze  Situation,  und  auch  im  Aga- 
memnon wird  dieses  durch  die  langen  Reden  bis  zum  Aus- 
steigen des  Königs  äusserst  wahrscheinlich  gemacht.^)  Sollten 
aber  die  Wägen  vollständig  in  die  Orchestra  ein-  und  aus- 
fahren, so  bedurfte  es  einer  etwas  weiteren  Parodos;  die  war 
dann  gegeben,  wenn  vor  Lykurg  die  letzten  Keile  der  Cavea 
noch  nicht  vorhanden  waren.*) 

Wir  kommen  zur  eigentlichen  Bühne,  indem  wir  die- 
selbe erst  an  und  für  sich  in  Bezug  auf  ihre  räumliche  Aus- 
dehnung betrachten,  ohne  auch  schon  ihre  Höhe  und  ihre 
Begrenzung  in  Erwägung  zu  ziehen.  Die  Bühne  also  musste 
für  die  Dramen  des  5.  Jahrh.  jedenfalls  so  tief  und  so  breit 
sein,  dass  auf  ihr  die  Schauspieler  und  der  Chor  Platz  finden 
konnten.  Es  mochte  wohl  schon  früh ,  schon  zur  Zeit  des 
Aischylos  der  Platz  unmittelbar  vor  der  Bühnenrückwand 
sich  als  eigentlicher  Spielplatz  der  Schauspieler  herausgebildet 
haben;  es  mochte  auch  schon  früh  dieser  Platz  durch  eine 
kleine  Erhöhung  von  1 — 2  Fuss  von  dem  grösseren,  für 
den  Chor  bestimmten  Platz  abgegrenzt  worden  sein;  jeden- 
falls aber  stunden  Chor  und  Schauspieler  in  den  Tragödien 
des  Aischylos,  Sophokles,  Euripides  und  in  den  Komödien  des 


1)  Ich  Dehme  demnach  an,  dass  Agamemnon,  nachdem  er  von 
der  Seite  eingefahren  war,  von  der  Mitte  der  Orchestra  aus  über  die 
Bretter  (pulpitum)  zum  Portal  des  Königspalastes  zog. 

2)  Indes  konnte  die  grössere  Weite  sich  auch  dadurch  ergeben, 
dass  die  Paraskenien  vor  Lykurg  kürzer  waren  und  etwa  nur  2  m  statt 
5  m  nach  vom  liefen. 


k 


Christ:  Das  Theater  des  Polyklet  in  Epidatiros.  41 

Aristophanes  wesentlich  auf  dem  gleichen  Niveau,  so  dass 
ohne  Hindernis  der  eine  auf  den  Platz  des  andern  übertreten 
konnte.  Das  halten  wir  für  das  sichere  Ergebnis  der  neueren 
Untersuchungen,  namentlich  von  Gapps,  The  stage  in  the 
Greek  theatre,  New  Haven  1891,  Pickard,  The  relative 
Position  of  actor  and  chorus  in  the  Greek  theatre,  Baltimore 
1893,  Weissmann,  Die  scenische  AuflPührung  der  griechi- 
schen Dramen  des  5.  Jahrhunderts,  München  1893,  Boden - 
st  ein  er,  Scenische  Fragen  über  den  Ort  des  Auftretens  und 
Abgehens  von  Schauspielern  und  Chor  im  griechischen  Drama, 
Jhrb.  f.  class.  Phil.  Suppl.  XIX  S.  639—808. 

Die  erforderliche  Ausdehnung  war  in  dem  Theater  des 
Lykurg  gegeben.  Denn  hier  stehen  die  Paraskenien  in  einer 
Distanz  von  20  m  von  einander  ab  und  haben  selbst  eine 
Länge  von  5  m.^)  Daraus  ergibt  sich  aber  ein  Spielplatz 
von  20  m  Breite  und  von  über  5  m  Tiefe.  Denn  an  der 
Front  der  Paraskenien  vorbei  zog  nicht  bloss  der  Chor 
in  der  Regel  ein,  sondern  traten  auch  die  Schauspieler  in 
air  den  Fällen  auf,  wo  sie  nicht  aus  dem  Tempel  oder  den 
Häusern  der  Rückwand  heraustraten.  Deshalb  musste  also  der 
Spielplatz  um  mehrere  Fuss  über  die  Front  der  Paraskenien 
hinaus  in  die  Orchestra  vorgehen  und  um  diesen  Raum  tiefer 
sein  als  die  Seitenmauern  lang  waren.  Von  einer  Mauer  aber, 
welche  wie  in  Epidauros  die  Buhne  nach  vorn  begrenzt  hätte, 
hat  sich  im  Lykurgos-Theater  zu  Athen  keine  Spur  gefunden. 

Der  gleiche  Raum  stund  auch  in  der  Zeit  vor  Lykurg 
för  den  Spielplatz  zur  Verfügung,  auch  wenn  wir,  wie  billig, 
zugeben,  dass  durch  Lykurg  ein  und  das  andere  Mauerwerk 
bei  dem  Ausbau  verändert  wurde.  Ein  festes  Proskenion 
gab  es  natürlich  in  jener  älteren  Zeit  noch  viel  weniger, 
als  in  der  des  Lykurg;  eine  Verschiebung,  nicht  eine  blosse 
Ausschmückung   und   stärkere   Fundamentierung    der   Skene 


1)  So  üörpfeld  in  A.  Müllers  Hdb.  d.  gr.  Bühne  415. 


42        Sitzung  der  pUüosrphÜol.  Classe  vom  13.  Januar  1894. 

anzunehmen  hat  man  nicht  den  geringsten  Grund;  nur  in 
Bezug  auf  die  Paraskenien  kann  man  Zweifel  erheben,  ob 
sie  überhaupt  vor  Lykurg  schon  vorhanden  waren,  und  wenn, 
ob  sie  so  weit  vorgingen,  und  ob  sie  die  gleiche  Höhe  mit 
den  Paraskenien  des  Lykurg  hatten.  Ueber  den  letzten  Punkt 
kann  man  überhaupt  nicht  urteilen,  da  man  auch  von  der 
Höhe  der  Paraskenien  des  Lykurg  nichts  weiss  und  nur  aus 
der  Dicke  der  Grundmauern  einen  ungefähren  Schluss  ziehen 
kann.  Ueber  den  mittleren  Punkt  wage  ich  nur  so  viel  zu 
sagen,  dass  die  erhaltenen  Stücke  uns  nicht  nötigen,  so  weit 
(5  m)  vorspringende  Paraskenien  anzunehmen,  dass  solche  von 
2 — 3  m  Länge  vollständig  genügten,  ja  geeigneter  waren, 
wenn  denn  doch  der  Spielplatz  über  die  Stirne  der  Paraskenien 
hinaus  sich  weiter  nach  der  Orchestra  zu  ausdehnte.  Dass 
es  aber  überhaupt  Paraskenia  schon  vor  Lykurg  gab,  daran 
halte  ich  mit  aller  Bestimmtheit  fest.  Die  Stelle  im  Ein- 
gang der  sophokleischen  Elektra  V.  4 — 10,  wo  man  nicht 
bloss  Paraskenien,  sondern  auch  Dekorationen  von  Para- 
skenien annehmen  zu  dürfen  glaubte,  führe  ich  nicht  ins 
Treffen,  da  man  besser  thun  wird,  den  Atridenpalast,  den 
Heratempel  und  den  Markt  von  Argos  mit  dem  Apollo- 
tempel auf  drei  Abteilungen  der  Skene  zu  verteilen  (siehe 
S.  18  An.  2).  Aber  ein  ganz  sicheres,  wenn  auch  indirektes 
Zeugnis  für  Paraskenien  haben  wir  in  dem  Tei%iov  oder  der 
inneren  Flankenmauer  der  Parodos  in  Aristophanes  Ekklesia- 
zusen  V.  497,  von  der  ich  bereits  oben  S.  36  gehandelt 
habe.  Denn  dieses  TetxLov  und  die  Skene  können  nicht  ohne 
Verbindung  gewesen  sein;  das  verstiesse  gegen  alle  Regeln 
der  Baukunst.  . 

Das  reixiov  diente  in  den  Ekklesiazusen  dazu,  um  die  hinter 
demselben  stehenden  Personen  den  Blicken  der  Leute  auf  der 
Bühne  zu  entziehen;  nun  kommen  aber  noch  einige  andere 
Fälle  vor,  wo  jemand  von  den  Leuten  auf  der  Bühne  nicht 
gesehen  wird,   oder  um  sich  den  Blicken   derselben  zu  ent- 


Christ:  Das  Theater  des  Poiyklet  in  Epidauros.  43 

ziehen,  zur  Seite  tritt,  so  in  Eor.  Hec.  1054,  1109 — 1116.*) 
Herc.  1081—1109.»)  Aisch.  Choeph.  20.  872.  Soph.  Phil. 
16  ff.  Ai.  1044.')  Alle  diese  Stellen  lassen  yermuten,  wenn 
sie  auch  nicht  in  gleicher  Weise  wie  die  in  den  Ekklesia- 
zusen  der  Seitenmaner  ansdrficklich  Erwähnung  thun,  dass 
die  durch  die  Parodos  Eintretenden  Yor  dem  vollen  Eintritt 
durch  eine  Wand  den  Personen  der  Bühne  verdeckt  blieben, 
und  dass  Chor  und  Bühnenpersonen  sich  hinter  jene  Wand 
zurückziehen  konnten.  Daraus  schliessen  wir,  dass  schon  zu 
Aischylos^  Zeit  der  Stützmauer  des  Zuschauerraumes  gegen- 
über an  der  entgegengesetzten  Seite  der  beiden  Parodoi  eine 
solche  Mauer  hinlief,  und  dass  von  dieser  dann  eine  Verbin- 
dungsmauer  (nafaaxriviov)  zu  der  Skene  oder  Bühnenrück- 
wand führte.  Da  man  sich  hinter  der  Flankenmauer  verstecken 
konnte,  so  wird  sie  wenigstens  7  —  8'  hoch  gewesen  sein, 
was  dann  selbstverständlich  auch  von  den  Paraskenien  gelten 
muss.  Aber  wenn  einer  selbst  alle  diese  Schlüsse  nicht  gelten 
lassen  und  dem  Theater  vor  Lykurg  Seitenmauem  {rra^- 
oxijyia)  vollständig  absprechen  wollte,  so  bliebe  doch  unser 
Satz  von  der  grossen  Weite  der  Bühne  vor  Lykurg  zu  Recht 
bestehen;  denn  eine  Breite  von  20  m  war  schon  durch  die 
Entfernung  der  beiden  Enden  (comua)  des  Zuschauerraumes 
und  durch  die  Grösse  des  Durchmessers  des  Orchestrakreises 
für  alle  Fälle  unwandelbar  bestimmt. 

Wir  haben  damit  die  Umrisse  und  festen  Umrahmungen 
der  attischen  Bühne  des  5.  Jahrb.  wieder  gewonnen  und  da- 
bei uns  überzeugt,  dass  dieselbe  in  mehreren  Punkten,  ins- 
besondere  in   der   grösseren,   mindestens    doppelt  so  grossen 


1)  Vgl.  Weisamann  27  f.,  wogegen  Zweifel  erhebt  Bodensteiner  720. 

2)  Vgl.  Wilamowitz  in  Aasg.  za  V.  1109  und  Weissman  a.  a.  0. 
45.  Der  letztere  durfte  aber  nicht  anch  Eur.  El.  103  hieher  ziehen, 
da  Orestes  und  Pylades,  wie  V.  216  zeigt,  sich  vielmehr  hinter  den 
Stufen  des  Altars  versteckt  halten. 

3)  Vgl.  Bodensteiner  716. 


44        Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  13.  Januar  1894. 

Tiefe  und  in  dem  Mangel  eines  festen  Proskenion  von  der 
Bühne  des  Polyklet  und  Vitruv  sich  unterschied.  Wir  könnten 
eigentlich  mit  diesem  Teil  des  Rekonstruktionsversuches  uns 
begnügen,  da  derselbe  sämtliche  in  Stein  ausgeführten  Teile 
des  athenischen  Theaters  umfasst.  Da  aber  die  Eigentüm- 
lichkeit der  polykletischen  Bühne  nicht  zum  kleinsten  Teil 
in  der  grossen  Höhe  derselben  (12')  bestund,  so  wollen  wir 
doch  auch  noch  nach  der  Seite  hin  eine  Vergleichung  der 
beiden  Bühnen  versuchen,  wiewohl  wir  hier  für  das  athenische 
Dionysos-Theater  in  den  Monumenten  gar  keine,  und  in  den 
erhaltenen  Dramen  nur  ganz  schwache  Anhaltspunkte  haben. 
Ich  setze  nämlich  als  unbestritten  voraus,  dass  in  Athen  die 
Bühne,  worauf  Schauspieler  und  Chor  sich  bewegten,  von 
Holz  war,  wenn  überhaupt  eine  Bühne  vorhanden  war.  Das 
Letztere  leugnen  bekanntlich  Dörpfeld  und  seine  Anhänger, 
und  ich  bestreite  nicht,  dass  es  viele,  ja  sehr  viele  Stücke 
des  Aristophanes  und  der  Tragiker  gibt,  bei  denen  man  an 
und  für  sich  mit  der  Annahme  des  Spielens  auf  ebener  Erde 
vollständig  ausreicht.  Aber  trotzdem  halte  ich  an  der  alten 
Meinung  vom  Spiel  auf  den  Brettern  unverrückt  fest. 

Schon  die  alte  Erzählung  vom  Wagen  des  Thespis  und 
die  Herausbildung  der  Komödie  aus  den  OKCjfdfdaTa  aq)^ 
afAa^rjg  setzen  einen  erhöhten  Standplatz  der  Spieler  voraus. 
Sodann  behalten  die  Worte  A.  W.  Schlegels,  Vorl.  üb. 
dram.  Kunst  I  269  „aus  der  Natur  der  Sache  erhellt  und 
alle  Liebhaber  des  Tanzes  wissen,  dass  es  sich  auf  einer 
steinernen  Unterlage  unbequem  tanzt,  dass  hingegen  ein 
elastischer  und  unterhöhlter  Holzboden  den  Tänzer  hebt  und 
zu  raschen  Bewegungen  beflügelt*  auch  heute  noch  ihre 
volle  Geltung.  Drittens  brachte  es  in  Athen  schon  das  Ge- 
fäll des  Bodens  und  die  dadurch  veranlasste  Umrahmung  des 
alten  kreisrunden  Tanzplatzes  mit  einem  nach  Süden  bis  zu 
6'    ansteigenden   Mauerrand  (KNOR)^)  notwendig  mit  sich, 

1)  Pickard  a.  a.  0.  p.  6. 


k 


Christ:  Das  Theater  des  Polyklet  in  Epidauros.  45 

dass  man  den  hohlen  Innenraum  mit  Dielen  überdeckte, 
welche  auf  dem  Mauerrand  auflagen  und  auf  denen  der  Chor 
tanzte. 

Für  die  Erhöhung  des  Standplatzes  der  Schauspieler 
{Xoyelov)  haben  wir  sodann  mehrere,  ganz  ausdrückliche 
Zeugnisse.  Obenan  steht  die  Stelle  des  Piaton  im  Gastmahl 
p.  194**  avaßaivovTog  erct  tov  oxQißavva  fiezd  züjv  vrtOTLQiiüv 
xat  ßXeipavtog  ivavziov  tooovtov  x^ecitqov  ^iiXovxog  btcl- 
del^ea&ai  oavtov  loyovg.  Denn  wenn  auch  Rohde  Rh.  M. 
38,  255  mit  Recht  die  Worte  auf  den  im  Odeon  stattfinden- 
den Proagon  deutet,  so  spricht  doch  Piaton  so,  dass  er  keinen 
Unterschied  zwischen  Odeon  und  Theater  macht  und  wir  das 
Gestell  ipxqißavxa)  in  gleicher  Weise  für  das  Theater  wie 
für  das  Odeon  in  Anspruch  nehmen  können,  ja  müssen. 
Zweitens  lassen  die  Ausdrücke  avaßaiveiv  und  naraßaiveiv 
in  Aristoph.  Ritt.  149,  Wesp.  1342 1)  1514,  Ach.  732,  Eccl. 
1152,  Vög.  175  nur  eine  natürliche  Erklärung  zu,  nämlich 
die,  dass  der  Schauspieler,  wenn  er  von  der  Parodos  kam, 
aufsteigen,  und  wenn  er  durch  die  Parodos  hinausgehen 
wollte,  hinabsteigen  musste.  Die  vage  Deutung  von  dva- 
ßaiveiv  =  auftreten  und  xaTaßaivsiv  =  abtreten  wurde  aller- 
dings auch  schon  im  Altertum  aufgestellt*),  aber  weder  von 
den  alten,  noch  den  neueren  Gelehrten  irgendwie  ausreichend 
begründet.  Drittens  beklagen  sich  eintretende  Greise  an  drei 
Stellen,  Eur.  El.  489,  Ion  727  u.  738  flF.,  Herc.  119  (vgl. 
Aristoph.  Vög.  20  ff.  49  ff'.)  über  die  Beschwerden  des  steilen 


1)  Den  Vers  1342  dvdßaive  Sevgo  /^t/oo^T/Aoylov^toy  könnte  man 
auch  auf  die  Erhöbung  des  ganzen  Gerüstes,  nicht  bloss  des  Logeion 
beziehen.  Da  aber  Philokieon  schonr  V.  1325  da  ist  und  von  Xan- 
thias  gesehen  wird,  so  wird  man  doch,  wie  ich  in  einem  Artikel 
der  Jahrb.  f.  cl.  Phil,  darthue,  die  Worte  richtiger  auf  die  specielle 
Erhöhung  des  Logeion  deuten. 

2)  Schol.  zu  Aristoph.  Ritt.  149;  vgl.  meinen  Aufsatz,  Bedeu- 
tungswechsel, Jahrb.  f.  cl.  Phil.  1894  S.  47. 


46        Sitzung  der  phüo8.-2>hilol.  Classe  vom  13.  Januar  1894. 

Weges,  den  sie  zur  Bühne  hinansteigen  müssen.  Das  hatte 
gewiss  in  den  realen  Verhältnissen  des  Theaters  und  nicht 
in  der  blossen  Einbildungskraft  der  Zuschauer  seinen  Rück- 
halt. Es  sprechen  aber  diese  Stellen  nicht  bloss  für  die 
specielle  Erhöhung  des  eigentlichen  Logeion,  sondern  auch 
für  die  des  ganzen  Spielplatzes,  da  die  betreffenden  Verse 
von  den  Eintretenden  gleich  beim  ersten  Eintreten  gesprochen 
werden,  nicht  erst  nachdem  sie  bereits  eingetreten  sich  dem 
Palast  oder  Tempel  der  Rückwand  nahen.  Endlich  wird  in 
Aristoph.  Lysistr.  288  der  kleine  Anstieg  von  dem  Stand- 
platz des  Chors  zu  dem  Logeion  als  Buckel  (ro  aifiov)  be- 
zeichnet, und  führen  die  Scholien  z.  St.  noch  zwei  andere 
Verse,  aus  Aristophanes'  Babyloniern  und  Platon's  Nikai  an, 
in  denen  das  Wort  oif^ov  in  gleichem  Sinne  vorkam,  mit 
welchen  drei  Stellen  man  auch  noch  die  oben  schon  citierte 
Stelle  in  Aristoph.  Wesp.  1342  verbinden  kann.  Vielleicht 
darf  man  den  Buckel,  der  vom  Standplatz  des  Chors  zum 
Logeion  führt,  auch  wiedererkennen  in  der  steinernen  Um- 
friedigung (QVTinezQOv  ßijfia)  des  heiligen  Haines  der  Eume- 
niden,  auf  der  Oedipus  in  OC.  192  sich  niedersetzt.  Ebenso 
wird  man  sich  in  Euripides*  Ion  denken  müssen,  dass  die 
Terrasse  (yvala)  vor  dem  Tempel  höher  als  der  übrige  Platz 
gelegen  und  mit  einer  oder  einigen  Stufen  abgeschlossen  war 
(s.  Ion  220.  520).  Bodensteiner  S.  699  führt  auch  noch  die 
Stelle  Soph.  Phil.  29  an;  ich  will  dem  nicht  widersprechen, 
aber  sehr  schwer  ist  es  in  diesem  Stück  zu  sagen,  was  von 
den  geschilderten  Lokalitäten  in  Wirklichkeit  ausgeführt  und 
was  bloss  auf  der  Dekorationswand  dargestellt  war.  Aber 
da  Neoptolemos  und  Philoktet  in  die  hoch  am  Felsenhang 
befindliche  Höhle  (V.  16.  29)  selbst  hineingehen  (Phil.  32. 
674),  so  muss  jedenfalls  der  hintere  Teil  der  Bühne,  der 
eben  die  Höhlen wohnung  vorstellen  sollte,  höher  gelegen 
sein,  als  der  vordere,  den  Odysseus  und  Neoptolemos,  als  sie 
von   den   Schiffen   herkommen,   betreten.     Auf  der   anderen 


Christ:  Das  Theater  des  Polyklet  in  Epidauros,  47 

Seite  scheint  aber  auch  die  Bezeichnung  des  Spielplatzes  mit 
oxrij  ,Uferrand'  (Phil.  1)  darauf  hinzuweisen,  dass  wir  uns 
den  ganzen  Spielplatz  und  nicht  bloss  das  Logeion  oder  den 
rückwärts  liegenden  Teil  desselben  über  den  Boden  der  Or- 
chestra  erhöht  denken  müssen. 

Die  angeführten  Stellen  sind  indirekt  auch  beweis- 
kräftig für  die  Erhöhung  des  ganzen  Spielplatzes,  da  bei 
dem  lebhaften  Zusammenspiel  von  Schauspielern  und  Chor 
in  dem  klassischen  Drama  beide  Teile  durch  keine  den 
Verkehr  hindernde  Schranke  geschieden  sein  konnten  und 
daher  ein  erhöhter  Standpunkt  der  Schauspieler  auch 
einen  erhöhten  Standpunkt  des  Chors  bedingte.  Glück- 
licher Weise  zeugt  aber  auch  die  eine  der  Stellen  Eur.  Herc. 
119  ff.  geradezu  für  die  Erhöhung  des  Chor -Standplatzes, 
da  dort  nicht  ein  Schauspieler,  sondern  die  den  Chor  bilden- 
den Greise  sich  zum  kräftigen  Aufstieg  ermahnen  und  sich 
mit  dem  die  Höhe  mühsam  hinauffahrenden  Gespann  ver- 
gleichen.*) Ebenso  spricht  die  Situation  im  Eingang  der 
Frösche  laut  dafür,  dass  der  Spielplatz,  der  die  Unterwelt 
vorstellt,  oder  die  Orchestra  (V.  270  flF.)  tiefer  lag  als  die 
Bühne  (1 — 198),  welche  einen  Platz  vor  den  Thoren  Athens 
darstellte. 

Der  ganze  Spielplatz  also,  auf  dem  Chor  und  Schau- 
spieler ihren  Platz  hatten,  war  erhöht  und  mit  Dielen  be- 
legt.    Aber  wie  hoch  war  dieses  Gerüst?     Sicher  nicht  12' 


1)  Kein  Bedenken  darf  es  erregen,  dass  dieser  Anstieg  erst  in 
der  zweiten  Strophe  (V.  118  ff.)  erwähnt  wird,  nachdem  bereits  mit 
y.  114  der  Chor  die  Kinder  des  Herakles,  die  sich  vor  dem  Palast 
auf  der  Bühne  befinden,  angeredet  hatte.  Denn  dieses  erklärt  sich, 
wie  ich  bereits  Jahrb.  f.  class.  Phil.  1894  S.  28  f.  zeigte,  hinlänglich 
daraus,  dass  Strophe  und  Antistrophe  von  verschiedenen  Halbchören 
gesungen  werden.  Ebenso  zieht  in  Aristoph.  Fröschen  der  Chor  in 
zwei  Abteilungen  auf  den  Tanzplatz,  indem  jeder  beim  Eintreten  eine 
Strophe  singt  (324—336  u.  840—353). 


48        Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  13,  Januar  1894. 

wie  in  Epidauros;  denn  eine  solche  Höhe  war  einmal  nicht 
nötig,  sodann  hätte  dieselbe  das  Aussteigen  aus  dem  vom  vor- 
fahrenden Wagen  im  Agamemnon  (V.  947.  1070)  und  in  der 
Iphigenia  in  Aulis  (V.  616)  arg  behindert,  endlich,  und  das  ist 
die  Hauptsache,  ein  Teil  der  Zuschauer,  und  gerade  der  auf 
den  Ehrenplätzen  in  der  untersten  Reihe  sitzende  hätte  die 
Personen  im  Hintergrund  der  Bühne  nur  sehr  schlecht  ge- 
sehen.*) Jede  Höhe,  die  am  Vorderrand  des  Gerüstes  den 
Betrag  von  5  —  6'  überschritt,  wäre  in  Athen  gerade  so 
störend  für  die  Zuschauer  gewesen  wie  in  Rom.  Auf  der 
anderen  Seite  musste  man  für  die  aus  der  Unterwelt  empor- 
steigenden Schatten*)  und  für  die  Versenkungen  (dvamiGf^aza 
PoU.  IV  132)  einen  unterirdischen  Raum  haben,  hoch  ge- 
nug, dass  die  betreffenden  Personen  darin  stehen  konnten. 
In  derartigen  Stücken  also ,  wie  in  den  Eumeniden  des 
Aischylos  und  der  Hecuba  des  Euripides,  bedurfte  man  ent- 
weder unterirdischer  Gänge  ^),  oder  einer  Bühne,  die  wenig- 
stens im  Hintergrund,  wo  die  Schatten  aufstiegen,  6 — 7' 
hoch  war.*)  Ausserdem  setzen  die  Stücke,  in  denen  von  den 
Beschwerden  des  steilen  Aufstiegs  gesprochen  ist  (Eur.  Herc. 
El.  Ion),  schiefe  Ebenen  oder  Treppen   voraus,  die  von  den 


1)  Die  Schwierigkeit  ist  anschaulich  gemacht  von  Pickard 
a.  a.  0.  Taf.  2. 

2)  Siehe  Ettig,  Acheruntia.  Leipz.  Stud.  XIII. 

3)  Einen  solchen  hat  man  allerdings  in  Eretria  und  Sikyon  ge- 
fanden (s.  Pickard  15),  aher  in  Athen  noch  nicht;  eine  Untersuchung 
des  Orchestrabodens  des  Dionysos-Theaters  ist  daher,  wie  ich  schon 
an  einer  anderen  Stelle  ausgesprochen  habe,  im  Interesse  der  Wissen- 
schaft dringend  zu  wünschen. 

4)  Eine  Thymele  von  6'  hat,  wie  ich  aus  Pickard  und  Dörpfeld 
(Berl.  Phil.  Woch.  1890,  462  ff.)  ersehe,  Haigh,  Attic  theatre,  ange- 
nommen. Dürfen  wir  ein  Podium  von  ca.  2'  Höhe  für  den  Stand- 
platz der  Schauspieler  annehmen,  so  kommen  wir  in  die  willkom- 
mene Lage,  die  Höhe  des  für  den  Chor  bestimmten  Gerüstes  auf  4—5' 
verringern  zu  können. 


Christ:  Das  Theater  des  Polyklet  m  Epidauros,  49 

Parodoi  zu  beiden  Seiten  auf  das  Gerüst  führten.  Nach  vorn 
endlich  bedurfte  das  Gerüst  der  Ueberführung  in  die  Or- 
chestra  vermittelst  ein  paar  Stufen,  damit  in  Dramen,  wie 
dem  Frieden  des  Aristophanes  (V.  905),  Personen  der  Bühne 
leicht  von  der  Bühne  zu  Leuten  des  Zuschauerraumes  hinab- 
steigen konnten.*) 

Aber  waren  di&ses  alles  nun  stehende  Einrichtungen,  die 
wenn  auch  aus  Holz  gezimmert  und  bei  jedem  Dionysosfest 
von  neuem  aufgeschlagen,  doch  stets  dieselben  Proportionen 
zeigten,  oder  darf  man  sich  vorstellen,  dass  in  Athen  für 
jedes  Stück  eine  neue,  den  jedesmaligen  Verhältnissen  ange- 
passte  Bühne  hergerichtet  wurde,  so  dass  es  allgemeine  Nor- 
men überhaupt  nicht  gab?  Vor  der  letzteren  Meinung,  die 
man  oft  aussprechen  hört  und  die  allerdings  für  die  Forschung 
sehr  bequem  wäre,  muss  ich  entschieden  warnen.  Das  Gerüst 
war  kein  Pappenwerk,  das  man  im  Handumdrehen  hätte 
umformen  können.  In  wenigen  Minuten  liess  sich  allerdings 
durch  Herablassung  einer  neuen  Dekorationswand  (jtaqarte- 
Taafia)  ein  Tempel  in  ein  Haus  verwandeln.  Ebenso  rasch 
liess  sich  durch  Verhängung  der  Türen  und  Veränderung 
der  Dekoration  der  Hintergrund  zu  einem  Hain  oder  einer 
Felspartie  umgestalten.  Auch  der  Altar  mitsamt  seinen 
Stufen,  dem  wir  in  mehreren  Stücken  (Oed.  R.,  Herakles, 
Helena  etc.)  vor  dem  Portal  des  Königspalastes  begegnen, 
liess  sich  unschwer  jedesmal  vor  Beginn  der  Handlung  her- 
beischaffen. Selbst  die  Meinung  lehne  ich  nicht  unbedingt 
ab,  dass  die  Erhöhung  des  Logeion,  welche  einige  Komödien, 
wie  die  Lysistrate,  die  Ritter,  die  Wespen  und  die  Vögel 
des   Aristophanes   voraussetzen,    der   wir   aber   in    den  Tra- 


1)  Zam  Ducken,  um  vou  den  Choreuten  nicht  gesehen  zu  werden, 
genügten  in  Aristophanes  Fröschen  ¥.315  ein  paar  Stufen  ebenso 
gut  wie  eine  senkrechte  Brüstung,  wenn  man  nicht  gar  den  Dio- 
nysos wo  anders,  etwa  hinter  dem  Altar  der  Orchestra  sich  ver- 
stecken lässt. 

1804.   Phi]o8.-pbilol.  n.  hiat  Gl.  1.  4 


50        Sitzung  der  phüosrphilol.  Glosse  vom  13,  Januar  1894. 

gödien  ganz  entraten  können,  eigens  für  die  betreffenden 
Stücke  durch  Herbeibringung  eines  Podiums  hergestellt 
werden  konnte.  Aber  ein  Gerüst  von  120  Dm  wegzu- 
nehmen oder  nur  einige  Fuss  tiefer  zu  legen,  hätte  eine 
Arbeit  von  vielen  Stunden  gekostet;  so  viele  Zeit  hatte  man 
aber  nicht  zwischen  den  einzelnen  Stücken,  von  denen  immer 
vier  unmittelbar  oder  in  kurzen  Pausen  aufeinander  folgten. 
Höchstens  für  die  Komödien,  die  an  einem  anderen  Tage 
als  die  Tragödien  gegeben  wurden,  mochte  die  Nachtzeit  zur 
Not  genügen,  um  ein  anderes  Gerüst  aufzuschlagen  oder 
wesentliche  Aenderungen  an  demselben  anzubringen.  Es 
mussten  sich  deshalb  in  Athen,  auch  wenn  das  Material  von 
Holz  war,  bald  typische  Formen  für  die  Hauptumrisse  der 
Bühne  herausstellen,  so  dass  oft  ohne  alle  Aenderung  der 
Scenerie  das  nächstfolgende  Stück  gegeben  werden  konnte, 
jedenfalls  nur  leichte  Aenderungen  durch  Wechsel  der  Vor- 
hänge und  Herbeischaffung  einzelner  Satzstücke  notwendig 
waren.^) 

Eine  zweite  Schranke  war  in  der  Skenenwand  gegeben, 
namentlich  wenn  dieselbe,  wie  wir  oben  wahrscheinlich 
machten,  frühzeitig  von  Stein  aufgeführt  war  und  nicht 
nach  jedem  Fest  wieder  abgebrochen  wurde.  Denn  wurde 
dieselbe  auch  bei  den  einzelnen  Stücken  mit  einer  bemalten 
Draperie  (naga/TerdafiaTa)^)   verkleidet,  so  mussten  doch  in 

1)  So  typisch  indes  war  die  Scenerie  auch  in  den  Dramen  Athens 
nicht,  dass  die  Umrisse  der  Bühnenwand  an  sich  schon  auch  ohne 
Dekorationsvorhänge  genügten,  um  den  Ort,  wo  die  Handlung  spielte, 
darzustellen.  Die  Vorderwand  (jiqooxi^viov)  der  Bühne  konnte  in  allen 
Stücken  dieselbe  sein  und  bedurfte  keiner  weiteren  Dekoration,  nicht 
so  die  Rückwand  (axtjvi^).  Auch  dieses  spricht,  nachträglich  be- 
merkt, gegen  die  Theorie  Dörpfelds,  dass  das  Proskenion,  dessen 
Schmuck  keine  Verhüllung  duldete,  die  Wand  war,  vor  der  gespielt 
wurde. 

2)  Dieselben  hat  vielleicht  der  Grammatiker  bei  Gramer  an. 
Paris.  1 19  im  Auge,  wenn  er  dem  Aischylos  die  Erfindung  von  jiqo- 
axifivia  zuschreibt. 


^ 


Christ:  Das.  Theater  des  Polyklet  in  Epidauros,  51 

der  Wand  selbst  feste  und  stehende  Vorrichtungen  für  die 
Göttermaschine,  Balkone,  Fenster  und  insbesondere  für  die 
Portale  und  Eingänge  angebracht  sein.  Mit  andern  Worten, 
die  Wand  selbst  hatte  Türen  in  dem  alten  Theater  zu  Athen 
so  gut  wie  in  den  späteren  Theatern  der  römischen  Epoche, 
deren  Bühnenrückwand  mitsamt  den  3  oder  5  Türen  uns  noch 
erhalten  ist.  Diese  Türen  konnten  aber  begreiflicher  Weise 
nicht  so  leicht  wie  die  Dekorationen  und  Coulissen  verschoben 
werden.  Damit  bestimmte  sich  aber  auch,  wie  jedermann  sieht, 
die  Höhe  des  Podiums  vor  der  Skene  oder  dem  Bühnenhinter- 
grund. Das  will  ich  nicht  so  angesehen  haben,  als  ob  nun 
im  ganzen  5.  Jahrh.  die  Bühne  die  gleiche  Höhe  und  die 
gleichen  Umrisse  gehabt  habe.  Umgekehrt  denke  ich  mir 
eine  sehr  variable  Bühne  und  finde  ich  sogar  noch  in 
unseren  Dramen  Anzeichen  von  Aenderungen  und  Neuer- 
ungen im  Bau  der  Skene  und  des  davor  aufgeschlagenen 
Gerüstes.  Aber  im  Allgemeinen  werden  doch  in  den  letzten 
Jahrzehnten  des  5.  Jahrh.  für  Tiefe  und  Höhe  der  Bühne 
jene  Normen  massgebend  gewesen  sein,  die  wir  im  Voraus- 
gehenden kennen  gelernt  haben,  so  dass  also  die  in  einem 
Bretterboden  bestehende  Bühne  rückwärts  und  seitlich  von 
steinernen  Mauern  (axjyv^  und  nagoaxi^vta)  begrenzt  war 
und  eine  Tiefe  von  5 — 7  m  und  eine  Höhe  von  5  m  vorn 
und  7  m  rückwärts  hatte. 

Ueberblicken  wir  zum  Schluss  nochmals  den  durch- 
messenen  Raum,  so  werden  wir  an  die  Stelle  der  zwei  The- 
ater-Unterschiede des  Vitruv  drei  setzen:  es  unterschied  sich 
nicht  bloss  das  römische  Theater  vom  griechischen,  sondern 
es  bestanden  auch  im  griechischen  Theater  zwei  grosse  Unter- 
schiede; entsprechend  der  grossen  Veränderung,  die  im  grie- 
chischen Drama  durch  den  Wegfall  des  Chors  eingetreten 
war,  gab  es  auch  in  der  Anlage  der  griechischen  Bühne  zwei 
Formen,  von  denen  die  ältere  aus  der  ursprünglichen  Anlage 


k 


52         Sitzung  der  phüos.'phüöl.  Glosse  vom  13.  Januar  1894, 

des  Dionysos-Theaters  in  Athen  und  aus  den  Andeutungen  der 
uns  erhaltenen  Dramen  restauriert  werden  muss,  die  jüngere 
in  dein  Theater  des  Polyklet  uns  ausgeprägt  vorliegt.  Merk- 
würdig ist  dabei,  dass  das  römische  Theater  in  Folge  der 
ähnliehen  Bühnen  Verhältnisse  im  Wesentlichen  wieder  zum 
griechischen  Theater  des  5.  Jahrh.  zurückkehrte.  Denn  wie 
im  5.  Jahrh.  die  Bühne  Platz  haben  musste  für  Schauspieler 
und  Chor,  so  producierten  sich  auch  wieder  in  Rom  auf  der- 
selben Bühne  Schauspieler  und  pantomimische  Tänzer. 


Historische  Classe. 

Sitzung  vom  18.  Januar  1894. 

Herr  Friedrich  hielt  einen  Vortrag: 

,,Ueber  die  Gapitula  Angilramni**. 

Die  VeröfiPentlichung   und  die  Zeit   derselben  wird  vor- 
behalten. 


53 


Sitzung  vom  3.  Febraar  1894. 

Herr  Paul  hielt  einen  Vortrag: 

^üeber  die  Aufgaben  der  wissenschaftlichen 
Lexikographie  mit  besonderer  Rücksicht  auf 
das  deutsche  Wörterbuch.* 

Wenn  ich  es  unternehme,  über  die  Aufgaben  der  wissen- 
schaftlichen Lexikographie  zu  handeln,  so  ist  es  nicht  meine 
Absicht,  den  Gegenstand  nach  allen  Seiten  hin  zu  erschöpfen. 
Ich  gebe  insbesondere  hinweg  über  diejenigen  Anforderungen, 
die  als  allgemein  anerkannt  gelten  können,  und  die  bereits 
von  den  besseren  unter  den  vorhandenen  Wörterbüchern 
mehr  oder  weniger  erfüllt  werden.^)  Dagegen  möchte  ich 
die  Aufmerksamkeit  auf  einige  Ansprüche  lenken,  die  unbe- 
dingt erhoben  werden  müssen,  wenn  die  Wortforschung  zu 
einer  wirklichen  Wissenschaft  ausgestaltet  werden  soll,  wäh- 
rend dieselben  doch  bisher  von  den  Wörterbüchern  noch  gar 
nicht  oder  nur  in  ungenügender  Weise  befriedigt  werden. 
Ich  gehe  dabei  aus  von  Beobachtungen,  die  ich  an  dem  grossen 
Deutschen  Wörterbuche  gemacht  habe.  So  sehr  wir  auch 
den  Verfassern  desselben  für  ihre  mühselige  Arbeit  zu  Danke 


1)  Ueber  die  Reformbestrebnngen  auf  dem  Gebiete  der  lateini- 
Beben  Lexikographie  vgl.  Heerdegen  im  2.  Bande  von  Iw.  Müllers 
Handbuch  der  klassischen  AltertnmswissenBchaft. 


54        Sitzung  der  phüos.-phüoL  Glosse  vom  3,  Februar  1894, 

verpflichtet  sind  und  so  sehr  dieses  Werk  die  meisten  son- 
stigen Leistungen  auf  lexikalischem  Gebiete  tiberragt,  so 
kann  uns  das  doch  nicht  abhalten,  auf  die  Mängel  hinzu- 
weisen, die  dem  Werke  nichtsdestoweniger  anhaften,  und  die 
Mittel  und  Wege  anzuzeigen,  wie  sich  zu  einer  noch  voll- 
kommeneren Leistung  gelangen  lässt. 


1. 

Die  erste  Anforderung,  die  an  ein  Wörterbuch  gestellt 
werden  muss,  ist  natürlich  eine  genügende  Ausnutzung 
der  Quellen.  Unter  genügender  Ausnutzung  verstehe  ich 
aber  nicht  eine  möglichst  grosse  Häufung  von  Citaten  aus 
möglichst  vielen  Schriftstellern.  Vielmehr  muss  man  sich 
von  vornherein  klar  machen,  was  durch  das  Wörterbuch 
festgestellt  werden  soll,  und  dieser  Zweck  muss  bei  der  Samm- 
lung und  Sichtung  des  Materials  immerfort,  vorschweben. 
Handelt  es  sich  nur  darum,  das  Verständnis  von  Texten  zu 
vermitteln,  so  genügt  es,  dass  keine  Wörter  und  keine  Ver- 
wendungsweisen, die  einer  solchen  Vermittlung  bedürfen, 
übergangen  werden.  Dagegen  für  den  Aufbau  einer  wirk- 
lichen Wortgeschichte  muss  eine  möglichst  genaue  Abgren- 
zung der  Sphäre  des  Gebrauchs  für  jedes  Wort  und  jede 
Verwendungsweise  desselben  gefordert  werden. 

Es  bestehen  innerhalb  jedes  Volkes  eine  Anzahl  von 
Verkehrskreisen,  die  sich  durch  Uebereinstimmung  in  Eigen- 
heiten unter  sich  zusammenschliessen  und  gegen  ausserhalb 
Stehende  absondern.  Da  ist  zunächst  der  Gegensatz  zwischen 
Gemeinsprache  und  Mundart,  der  sich  dadurch  noch  ganz 
besonders  kompliziert  gestaltet,  dass  diese  beiden  Gegensätze 
sich  nicht  reinlich  gesondert  gegenüberstehen,  sondern  viel- 
mehr in  der  Regel  durch  eine  Menge  sehr  abgestufte  Misch- 
ungen unter  einander  vermittelt  werden.  Von  den  Ab- 
weichungen,  die   im  Wortgebrauche  zwischen  den  verschie- 


i 


PatU:  Aufgaben  der  wissenschaftlichen  Lexikographie,         55 

denen  Mundarten  besteben,  reicben  manche  durch  die  Mittel- 
stufen zwischen  Mundart  und  Oeineinsprache  bis  in  diese 
selbst  hinein.  So  sind  wir  in  Deutschland  noch  ziemlich 
weit  von  einer  völligen  Einheit  in  dieser  Hinsicht  entfernt, 
vielmehr  gibt  es  viele  Begriffe,  für  die  noch  keine  gemein- 
deutsche Bezeichnung  existiert,  sondern  nur  eine  süddeutsche 
und  eine  norddeutsche  oder  noch  mehr  als  zwei.  Die  früheren 
Perioden  bieten  natürlich  in  der  Literatursprache  noch  viel 
erheblichere  Verschiedenheiten.  So  ist  dem  Wörterbuche, 
auch  wenn  es  nicht  dazu  bestimmt  ist,  den  spezifisch  mund- 
artlichen Wortschatz  mit  aufzunehmen,  die  Aufgabe  gestellt, 
für  eine  Menge  von  Abweichungen  die  Abgrenzung  nach 
der  räumlichen  Erstreckung  und  nach  dem  Verhalten  der 
verschiedenen  Bildungsschichten  der  Bevölkerung  vorzunehmen. 
Andere  Unterschiede,  die  sich  mit  den  mundartlichen  kreu- 
zen, werden  durch  die  Verschiedenheit  des  Berufes  erzeugt. 
Es  bildete  sich  eine  besondere  technische  Sprache  für  die 
einzelnen  Gewerbe,  Künste  und  Wissenschaften,  deren  voll- 
ständige Beherrschung  durch  einen  gewissen  Grad  von  Sach- 
kenntnis bedingt  ist  und  darum  ebenso  wenig  wie  diese  all- 
gemein sein  kann,  die  aber  doch  andererseits  auch  den  ausser- 
halb des  engeren  Kreises  Stehenden  nicht  durchaus  fremd 
bleibt.  Es  müssen  daher  die  technischen  Ausdrücke  nicht 
nur  als  solche  bestimmt  werden,  sondern  es  ist  auch  zu 
untersuchen,  wie  weit  sie  noch  als  Gemeingut  der  Sprache 
überhaupt  oder  als  Eigentum  weiterer  Volksschichten  ange- 
sehen werden  können.  Aehnlicbe  Eigenheiten  wie  durch  die 
Verschiedenheit  der  Berufsarbeit  können  auch  durch  die  be- 
sonderen Einrichtungen  des  geselligen  Verkehrs  innerhalb 
einer  sich  mehr  oder  weniger  abschliessenden  Klasse  erzeugt 
werden.  Man  denke  hier  namentlich  an  die  Studentensprache. 
Es  besteht  ferner,  auch  abgesehen  von  etwaiger  grösserer 
oder  geringerer  mundartlicher  Beimischung,  ein  Unterschied 
zwischen  der  Umgangssprache  und  der  Sprache  der  Literatur, 


56        Sitzung  der  phüos.-pMdl.  Glosse  vom  3.  Februar  1694, 

und  wieder  zwischen  Poesie  und  Prosa,  und  weiter  zwischen 
den  einzelnen  prosaischen  und  poetischen  Gattungen,  wozu 
dann  endlich  die  Besonderheiten  des  einzelnen  Schriftstellers 
kommen,  die  teils  auf  eigentümlicher  Auswahl  aus  dem 
überkommenen  Stoffe,  teils  auf  origineller  Neugestaltung  be- 
ruhen können. 

Sind  so  schon  für  die  Beschreibung  eines  bestimmten 
Sprachzustandes  eine  Menge  Grenzen  zu  ziehen,  wieviel  mehr 
für  die  Darlegung  der  Entwicklung  innerhalb  einer  Periode. 
Selbstverständlich  muss  das  Entstehen  und  Vergehen  der 
Wörter  und  Wortbedeutungen  mit  besonderer  Aufmerksamkeit 
verfolgt  werden,  und  müssen  zu  diesem  Zwecke  vor  allem  die 
frühesten  und  spätesten  Belege  aufgespürt  werden.  Im  Zu- 
sammenhange damit  muss  auch  das  Häufiger-  oder  Seltener- 
werden verfolgt  werden,  aber  auch  alle  Verschiebungen  in 
Bezug  auf  die  Sphäre  des  Gebrauchs.  Da  wird  bald  ein 
Wort,  das  früher  auf  dem  ganzen  Sprachgebiete  üblich  war, 
auf  den  engeren  Kreis  einer  Mundart  beschränkt,  bald  er- 
weitert eins  seinen  Bezirk,  vielleicht  über  das  ganze  Gebiet; 
bald  erhalten  sich  alte  Wörter  nur  in  technischer  Sprache, 
bald  gewinnen  technische  Ausdrücke  Bürgerrecht  in  der  all- 
gemeinen Literatur-  und  Umgangssprache;  bald  wird  ein 
edles  Wort  gemein,  zuweilen  auch  ein  gemeines  wieder  edel; 
u.  s.  f. 

Es  ist  klar,  dass  eine  Feststellung  des  Wortgebrauches 
im  Deutschen,  die  den  hier  skizzierten  Anforderungen  ent- 
spricht, nur  durch  ein  planmässiges  Zusammenarbeiten  nicht 
weniger  Kräfte  zu  Stande  gebracht  werden  kann.  Für  das 
Deutsche  Wörterbuch  haben  allerdings  ausser  den  eigentlichen 
Bearbeitern  viele  Personen  Sammlungen  beigesteuert,  aber 
leider  die  meisten  ohne  eine  nur  annähernd  genügende  Vor- 
stellung von  dem ,  was  eigentlich  zu  leisten  ist.  Es  wurde 
zwar  vieles  Seltenere  und  vom  heutigen  Gebrauch  Abweichende 
verzeichnet,   aber  z.  B.  in  Bezug   auf  Entstehung  und  Ver- 


Pafä:  Aufgaben  der  wis»en8(hafÜid%en  Lexikographie,         57 

breituDg  der  heute  üblichen  Worter  und  Wortbedeutungen 
war  aus  diesen  Ansagen  so  gut  wie  nichts  zu  entnehmen. 
So  sahen  sich  die  Bearbeiter  für  den  wesentlichsten  Teil  ihrer 
Aufgabe  doch  auf  eigene  Sammlungen  angewiesen.  Aller 
Fleiss  des  Einzelnen  konnte  aber  zu  einer  Bewältigung  der 
oben  bezeichneten  Aufgabe  nicht  ausreichen,  selbst  wenn  der- 
selbe die  definitive  Ausarbeitung  noch  um  viele  Jahre  hätte 
hinausschieben  wollen,  was  ihm  doch  die  Umstände  nicht 
gestatteten.  Vielleicht  wäre  es  noch  nach  dem  Tode  J.  Grimms 
angezeigt  gewesen,  zunächst  von  neuem  umfassende  Material- 
sammlungen vorzunehmen,  wozu  damals  wohl  die  geeigneten 
Kräfte  zu  finden  gewesen  wären.  Jetzt,  wo  mehr  als  zwei 
Drittel  des  Stoffes  bearbeitet  ist,  dürfte  es  wohl  zu  spät  sein. 
Wir  können  die  Befriedigung  unserer  Wünsche  nur  von 
einem  ganz  neuen  Unternehmen  erwarten.  Ein  solches  ist 
schon  zum  Behufe  der  Ausschöpfung  des  Materiales^)  eine  un- 
abweisbare Notwendigkeit.  Wir  werden  gut  thun,  uns  dieses 
schon  jetzt  klar  zu  machen,  wenn  auch  vielleicht  noch  viele 
Jahre  vergehen  werden ,  bevor  man  ernstlich  daran  denken 
kann,  Hand  an's  Werk  zu  legen.  Die  erste  Bedingung  für 
das  Gelingen  dieses  Unternehmens  wird  sein,  dass  die  Samm- 
lung des  Materiales  in  ganz  systematischer  Weise  in  Angriff 
genommen  wird,  dass  sie  nur  sprachwissenschaftlich  wohl 
geschulten  Kräften  übertragen  wird,  die  unter  einer  zentralen 
Leitung  alle  Quellen  ausziehen,  die  für  die  Feststellung  des 
Sprachgebrauchs  von  Belang  sind,  und  zwar  nach  wohl- 
erwogenen Grundsätzen  und  unter  zweckmässiger  Verteilung 
der  verschiedenen  Gebiete.  Natürlich  würde  dabei  das  schon 
vorhandene  Deutsche  Wörterbuch  wesentliche  Dienste  leisten. 


1)  Hier  sei  anch  noch  daranf  hingewiesen,  dass  für  das  Denfcsche 
Wörterbuch  vielfach  unzulängliche  Ausgaben  benutzt  sind.  Die  Fort- 
schritte, welche  in  der  kritischen  Behandlung  neuhoolideutficber  Texte 
schon  gemacht  sind  und  noch  bald  gemacht  werden,  müssten  einem 
neuen  Wörterbuche  sehr  zu  gute  kommen. 


l/' 


58        Sitzung  der  phüosrphilöl,  Classe  vom  3.  Februar  1894, 

und  ein  gründliches  Studium  desselben  würde  in  erster  Linie 
zur  Vorbereitung  für  die  Mitarbeiterschaft  gehören. 

Freilich  darf  man  nicht  meinen,  dass  es  auch  mit  Hülfe 
der  vollständigsten  Ausbeutung  aller  Quellen  gelingen  kann, 
für  jedes  Wort  und  jede  Verwendungsweise  desselben  Alter 
und  Verbreitungsgebiet  in  zuverlässiger  Weise  zu  bestimmen. 
Für  diejenigen,  welche  aus  einer  Zeit  stammen,  aus  der  wir 
überhaupt  noch  keine  Quellen  haben,  sind  Altersbestimmungen 
natürlich  nur  eventuell  auf  indirektem  Wege  zu  gewinnen, 
namentlich  mit  Hülfe  der  Vergleichung  der  verwandten 
Sprachen,  zuweilen  auch  durch  die  Beobachtung  ihrer  Laut- 
form. Weiterhin  fliessen  zunächst  die  Quellen  spärlich,  aber 
selbst  wo  sie  schon  ziemlich  reichlich  sind,  hängt  es  von 
mancherlei  Zufälligkeiten  ab,  ob  ein  Wort  (respektive  eine 
Bedeutung)  bald,  nachdem  es  in  Gebrauch  gekommen  ist, 
auch  in  den  auf  uns  gekommenen  Denkmälern  Anwendung 
gefunden  hat.  Es  kommt  hierbei  in  Betracht,  dass  der  tra- 
ditionelle Charakter  der  Literatur  eine  gewisse  Beschränkt- 
heit des  darin  zur  Anwendung  kommenden  Wortschatzes  mit 
sich  bringt.  So  lässt  z.  B.  das  Volksepos  des  Mittelalters, 
die  höfische  ritterliche  Erzählung  und  vollends  der  Minne- 
sang eine  Menge  von  SprachstoflF  unbenutzt.  Die  grösste 
Mannigfaltigkeit  auf  lexikalischem  Gebiete  zeigt  die  Literatur 
des  sechzehnten  Jahrhunderts,  was  namentlich  eine  Folge 
der  Mannigfaltigkeit  der  behandelten  StoflFe  und  der  reali- 
stischen Art  der  Darstellung  ist.  Später  wird  der  Wort- 
schatz zunächst  wieder  einförmiger,  indem  die  mundartlichen 
Elemente  zurückgedrängt  werden  und  die  Literatur  sich 
wieder  mehr  in  einem  engen,  traditionellen  Kreise  bewegt. 
Wie  lange  ein  Wort  existieren  kann,  ohne  in  den  uns  er- 
haltenen Quellen  eine  Spur  zu  hinterlassen,  mag  man  aus 
einigen  Beispielen  ersehen,  bei  denen  die  Lautgestalt  ein 
Kriterium  für  die  Altersbestimmung  an  die  Hand  gibt. 
Unser  Wort  hübsch  =  mhd.  hübesch^  abgeleitet  aus  Hof  und 


Paul:  Aufgaben  der  wissenschaftlichen  Lexikographie,         59 

ursprünglich  mit  der  Bedeutung  , hofisch*,  ist  vor  dem 
12.  Jahrhundert  nicht  belegt.  Aber  die  Abweichung  des 
Wurzelvokals  von  dem  des  Orundwortes  zeigt,  dass  es  in 
einer  Zeit  gebildet  sein  muss,  wo  die  schon  gemeingerma- 
nische Spaltung  des  u  in  u  und  o  sich  noch  nicht  vollzogen 
hatte,  und  die  Abweichung  im  Konsonanten  beruht  auf  dem 
Vernerschen  Gesetz,  weist  also  das  Wort  in  die  Zeit  zurück, 
wo  noch  der  indogermanische  Accent  bestand.  Die  spezielle 
Bedeutung  des  Wortes  im  Mhd.  muss  allerdings  jüngeren 
Ursprungs  sein.  Für  das  noch  heute  in  der  Jägersprache 
übliche  Wort  Ricke  , weibliches  Reh*  bringt  das  Wörter- 
buch keinen  älteren  Beleg  als  aus  dem  18.  Jahrhundert, 
aber  das  lautliche  Verhältnis,  in  dem  dasselbe  zu  JReh  steht, 
weist  es  in  die  Zeit  vor  der  Wirkung  des  Vernerschen  Ge- 
setzes, ja  in  eine  Periode,  wo  für  die  ursprünglichen  Ab- 
lautsverhältnisse in  der  Wortbildung  noch  ein  sehr  lebendiges 
Gefühl  gewesen  sein  muss.  Die  Zeit  des  ältesten  Beleges 
gestattet  daher  kemeswegs  ohne  weiteres  einen  sicheren 
Schluss  auf  die  Zeit  der  Entstehung.  Reichen  schon  für  die 
Altersbestimmung  unsere  Quellen  keineswegs  immer  aus,  so 
noch  viel  weniger  zur  Umschreibung  der  Gebrauchssphäre 
in  den  verschiedenen  Perioden.  Die  verschiedenen  Gegenden 
eines  Landes  beteiligen  sich  ja  nicht  gleichmässig  an  der 
literarischen  Produktion,  manche  bleiben  längere  Zeit  hin- 
durch ganz  unvertreten.  Es  fehlt  vielfach  an  festen  An- 
haltspunkten dafür,  wie  weit  die  Schriftsteller  sich  ihres 
heimatlichen  Wortschatzes  bedienen,  wie  weit  sie  aus  andern 
literarischen  Vorbildern  entlehnen;  wozu  dann  noch  kommt, 
dass  wir  vielfach  ihre  Heimat  gar  nicht  kennen.  Es  bedarf 
erst  komplizierter  Untersuchungen,  um  in  dieser  Hinsicht 
überhaupt  etwas  zu  ermitteln,  und  auch  diese  führen  oft  zu 
keinem  Resultate. 

Es  gibt  nur  eine  Epoche,    für  welche   die  Grenzen  der 
Gebrauchssphäre   nach  allen  Richtungen   hin  vollständig  ge- 


60        Sitzung  der  phüosrphüol,  Glosse  vom  3,  Februar  1894. 

zogen  werden  können,  dass  ist  die  Gegenwart.  Nicht  zum 
mindesten,  wenn  aueh  nicht  bloss  aus  diesem  Grunde  ist  es 
von  höchster  Wichtigkeit  für  den  Aufbau  der  Wortgeschichte 
so  gut  wie  für  den  der  historischen  Grammatik,  die  Ver- 
hältnisse der  Gegenwart  auf  das  sorgfältigste  zu  untersuchen, 
sobald  überhaupt,  wie  es  beim  Deutschen  der  Fall  ist,  die 
Entwickelung  bis  zu  dieser  hinreicht.  Dadurch  erhält  man 
namentlich  die  sicherste  und  vollständigste  Grundlage  für  die 
Feststellung  der  mundartlichen  Differenzen.  Nach  sorgfal- 
tiger Vergleichung  der  älteren  Quellen  lässt  sich  davon  sehr 
Vieles  auf  frühere  Jahrhunderte  übertragen,  und  vielfach 
wird  es  möglich,  auf  der  Grundlage  der  heutigen  Zustände 
in  den  älteren  Quellen  das  Verhältnis  der  mundartlichen  Be- 
standteile zu  den  schriftsprachlichen  und  sonstigen  literari- 
schen Traditionen  zu  bestimmen.  In  dem  Deutschen  Wörter- 
buch sind  im  allgemeinen  die  vorhandenen  mundartlichen 
Wörterbücher  verwertet.  Aber  einerseits  haben  noch  lange 
nicht  alle  Mundarten  lexikalische  Bearbeitung  gefunden; 
anderseits  gehen  fast  alle  unsere  Idiotika  nicht  darauf  aus, 
die  Gesammtheit  des  mundartlichen  Wortschatzes  zu  ver- 
zeichnen, sie  führen  vielmehr  nur  die  von  der  Schriftsprache 
abweichenden  Eigenheiten  auf.  Man  kann  fast  nie  aus  ihnen 
ersehen,  was  von  dem  Bestände  der  Schriftsprache  in  der 
Mundart  nicht  vorhanden  ist,  und  so  sind  sie  z.  B.  für  die 
wichtige  Frage,  auf  welcher  mundartlichen  Unterlage  dieser 
Bestand  ruht,  nicht  zu  gebrauchen.  Eine  Anzahl  wirkliche 
Beschreibungen  mundartlichen  Wortvorrats  würde  einem  hi- 
storischen deutschen  Wörterbuche  wesentliche  Dienste  leisten. 
Für  viele  Fälle,  in  denen  die  Mundarten  in  der  Bezeichnung 
überall  ausgebildeter  Begriffe  in  charakteristischer  Weise 
auseinandergehen,  würde  sich  zur  Ermittelung  der  genauen 
Grenzen  das  Erkundigungsverfahren  empfehlen,  welches  sei- 
nerzeit für  den  Wenker'schen  Sprachatlas  in  Anwendung  ge- 
bracht ist.     Auch   empfiehlt  es  sich,   in  viel  ausgedehnterer 


Patd:  Aufgaben  der  wissenschaftlichen  Lexikographie,         61 

Weise,  als  es  bisher  geschehen  ist,  Aufzeichnungen  von 
lokalem  Charakter  heranzuziehen.  Schon  aus  der  gewöhn- 
lichen Tagespresse  liesse  sich  für  das  Wörterbuch  Manches 
entnehmen. 

Ist  bisher  von  einer  Quellenausnutzung  die  Rede  ge- 
wesen, die  als  Ideal  für  eine  vielleicht  ferne  Zukunft  vor- 
schweben muss,  so  muss  jetzt  auf  eine  Quelle  hingewiesen 
werden,  die  jeder  Bearbeiter  eines  Wörterbuchs  seiner  Mutter- 
sprache zur  Hand  hat,  und  die  mir  doch  im  Deutschen  Wör- 
terbuch nicht  die  genügende  Berücksichtigung  gefunden  zu 
haben  scheint.  Das  ist  das  eigene  Sprachgefühl.  AVas  von 
der  Verwertung  dieser  Quelle  abhält,  ist  wohl  nichts  anderes 
als  die  philologische  Angewohnung,  nichts  gelten  zu  lassen, 
als  was  durch  schriftliche  Belege  gestützt  ist.  Allein  das 
eigene  Sprachgefühl  ist  doch  auch  nichts  Willkürliches,  son- 
dern etwas  unter  bestimmten  geschichtlichen  Bedingungen 
Gewordenes,  welches  eben  darum  mit  dem  Sprachgefühl  so 
und  so  vieler  anderer  wesentlich  übereinstimmen  muss.  Es 
ist  auch  unvermeidlich,  dass  das  Sprachgefühl  des  Lexiko- 
graphen eine  grosse  Rolle  spielt,  indem  es  bei  dem  Verstehen 
und  Beurteilen  der  Beispiele  überall  mitspricht.  Aber  nicht 
bloss  diese  mehr  unbewusste,  darum  sogar  mitunter  irre- 
führende Mitwirkung  ist  es,  die  gefordert  werden  muss,  son- 
dern eine  wirklich  konsequente  und  methodische  Ausschöpfung 
seines  Inhaltes.  Einen  grossen  Vorteil  hat  das  Sprachgefühl 
zunächst  dadurch,  dass  darin  unmittelbar  die  usuelle  Bedeu- 
tung der  Wörter  und  Wortverbindungen  gegeben  ist,  wäh- 
rend in  den  Sprachdenkmälern  eine  occasionelle^)  Verwendung 
vorliegt,  aus  welcher  das  Usuelle  auszuscheiden  nicht  immer 
leicht,  mitunter  unmöglich  ist.  Nur  ältere  Wörterbücher 
suchen  direkt  die   usuelle  Bedeutung   zu   geben,   sind  aber 


1)  üeber  die  Begriffe  »uauell"  und  .occaaioneir  vgl.  meine  Prin- 
cipien^  S.  66. 


62        Sitzung  der  philos.'phüoh  Glosse  vom  3.  Februar  1894. 

natürlich,  wiewohl  sie  unbedenklich  benutzt  zu  werden  pflegen, 
nicht  so  zuverlässig,  als  das  richtig  beobachtete  eigene  Sprach- 
gefüLI.  Es  hängt  mit  diesem  Vorteil  ein  anderer  zusammen, 
dass  wir  mit  unserem  Sprachgefühl  experimentieren  können. 
Weiterhin  gibt  uns  dasselbe  die  Möglichkeit,  die  Art,  wie 
sich  die  auf  die  Sprache  bezüglichen  Vorstellungen  grup- 
pieren, auf  einem  viel  unmittelbareren  Wege  zu  erkennen 
als  durch  irgend  ein  anderes  Mittel.  Dass  man  freilich  seinem 
Sprachgefühl  gegenüber  Behutsamkeit  anwenden  muss,  dass 
man  namentlich  sich  durch  dasselbe  nicht  zu  vorschnellen 
Verallgemeinerungen  verführen  lassen  darf,  ist  selbstverständ- 
lich. Man  muss  eben  untersuchen,  wie  dasselbe  zu  Stande 
gekommen  ist,  wieweit  es  durch  die  Schriftsprache,  wieweit 
durch  die  bei  niemandem  fehlenden  mundartlichen  Einflüsse, 
wieweit  durch  individuelle  Gewöhnung  bestimmt  ist,  u.  s.  f. 
Man  hat  ja  aber  auch  reichliche  Gelegenheit  zu  kontrollieren, 
inwieweit  Uebereinstimmung  mit  fremdem,  sei  es  schrift- 
lichem oder  mündlichem  Sprachgebrauch  stattfindet.  Die 
Beobachtungen  an  fremden  Individuen  werden  eben  um  so 
fruchtbarer  sein,  je  mehr  das  eigene  Sprachgefühl  im  Mittel- 
punkt der  Betrachtung  steht  und  je  mehr  es  zu  klarem  Be- 
wusstsein  gebracht  ist. 

Es  ist  wünschenswert,  dass  die  räumlichen,  zeitlichen 
und  sonstigen  Grenzen  des  Sprachgebrauches  im  Wörter- 
buche mit  ausdrücklichen  Worten  angegeben  werden,  und 
dass  es  dem  Leser  nicht  überlassen  bleibt,  sie  nach  den  ge- 
gebenen Belegen  selbst  zu  finden.  Denn  er  kann  nicht  im- 
mer die  Heimat  und  das  Alter  aller  Quellen  gegenwärtig 
haben,  noch  weniger  wissen,  wie  dieselben  zwischen  Schrift- 
sprache und  Mundart  stehen,  welchen  be^ondern  Einwirkungen 
sie  ausgesetzt  gewesen  sind,  u.  s.  f.  Was  wir  hier  fordern, 
gehört  eben  zu  einer  wirklichen  Verarbeitung  des  Materiales. 
Sollte  übrigens  je  ein  Wörterbuch  auf  so  breiter  Grundlage  zu 
Stande   kommen,  wie   oben   gefordert  ist,    so  würde  es  sich 


PatU:  Aufgaben  der  wissenschaftlichen  Lexikographie.         63 

von  selbst  verbieten,  das  ganze  Material,  das  zur  Feststellung 
der  Grenzen  erforderlich  ist,  vollständig  mitzuteilen. 

Etwas,  was  nach  dieser  Seite  hin  schon  jetzt  zu  leisten 
wäre  und  doch  im  Deutschen  Wörterbuche  vermisst  wird, 
ist  die  durchgängige  Bestimmung  des  gegenwärtigen  gemeinen 
Sprachgebrauchs.  Der  Leser  erhält  in  vielen  Fällen  keine 
Aufklärung  darüber,  ob  eine  Gebrauchsweise  eines  Wortes, 
für  die  er  Belege  findet,  noch  jetzt  üblich  ist  oder  nicht. ^) 
Das  ist  entschieden  zu  missbilligen.  Denn  abgesehen  davon, 
dass  mancher  gerade  zu  dem  praktischen  Zwecke  nachschlägt, 
sich  darüber  zu  vergewissern,  so  gehört  doch  die  Gegenwart 
gerade  so  gut  zur  Geschichte  wie  jede  frühere  Epoche  und 
verlangt,  dass  man  in  Bezug  auf  sie  leiste,  was  man  kann. 
Dieser  Mangel  hängt  offenbar  zusammen  mit  dem  Mangel 
an  Beobachtung  des  Sprachgefühls. 

2. 

Wir  wenden  uns  nun  zu  der  wichtigen  technischen 
Frage:  in  welcher  Weise  ist  die  Bedeutung  der  Wör- 
ter anzugeben?  Das  älteste  und  roheste  Verfahren,  wel- 
ches noch  jetzt  in  unsern  gewöhnlichen  Handwörterbüchern 
allgemein  herrscht,  besteht  darin,  dass  man  Wörter  und 
Redensarten  einer  fremden  Sprache  in  eine  dem  Benutzer 
bekannte  Sprache  übersetzt,  wobei  man,  wenn  es  nötig  ist, 
mehrere  Uebersetzungen  neben  einander  stellt,  und  es  dann 
dem  Benutzer  öberlässt,  sich  diejenige  herauszusuchen,  welche 
fQr  den  Zusammenhang,  um  den  es  sich  handelt,  passt.  Es 
hängt  dabei  lediglich  von  dem  zufälligen  Verhalten  der  bei- 
den Sprachen  zu  einander  ab,  wie  viele  Bedeutungen  etwa 
unterschieden  werden ,  die  Unterscheidungen  fallen  daher 
auch  teilweise  anders  aus,   sobald  man  eine  andere  Sprache 


1)  Dasselbe  ^ilt  auch  von  dem  kleineren  Wörterbuch  von  Heyne. 


64       Sitzung  der  phüos.-phüöl.  Glosse  vom  3.  Februar  1894, 

für  die  Interpretation  wählt.  Da  die  als  Uebersetzungen  auf- 
geführten Wörter  sehr  häufig  nicht  nach  dem  ganzen  Um- 
fange ihrer  Bedeutung  derjenigen  des  fremden  Wortes  ent- 
sprechen, so  erhält  man  auf  diese  Weise  über  den  Umfang 
der  Bedeutung  des  letzteren  gar  keine  Auskunft.  Diese  rohe 
Interpretationsmethode  hat  nichtsdestoweniger  im  Deutschen 
Wörterbuche  noch  eine  gewisse  Anwendung  gefunden,  indem 
die  Wörter,  und  zwar  gerade  die  noch  jetzt  allgemein  üb- 
lichen, vielfach  zunächst  durch  ein  oder  mehrere  lateinische 
glossiert  werden.  Es  ist  nicht  einzusehen,  wem  damit  ge- 
dient sein  soll,  da  im  übrigen  doch  niemand  das  Werk  be- 
nützen kann,  der  nicht  gründlich  Deutsch  versteht,  und  da 
alles  Genauere  über  den  Gebrauch  sich  doch  erst  aus  den 
weiterhin  sich  anschliessenden  deutsch  abgefassten  Erörte- 
rungen oder  aus  den  aufgeführten  Beispielen  ergibt.  Eine 
solche  Beifügung  des  Lateinischen  ist  nur  angebracht,  wo 
es  sich  darum  handelt,  zufällig  gleich  lautende  Wörter  rasch 
auseinanderzuhalten. 

Anders  war  schon  Adelung  verfahren.  Er  bedient  sich 
nicht  der  Yermittelung  des  Lateinischen  oder  einer  anderen 
fremden  Sprache,  sondern  versucht  ausführliche  Definitionen 
in  deutscher  Sprache.  J.  Grimm  verwirft  dies  Verfahren  in 
der  Vorrede  (S.  XL)  als  zu  umständlich.  Aber  die  Um- 
ständlichkeit wäre  kein  Grund  zur  Verwerfung,  wenn  mit 
Hülfe  derselben  unsere  Einsicht  gefördert  würde.  Adelung 
war  gewiss  von  einem  richtigen  Gefühle  geleitet.  Mit  der 
blossen  Glossierung  überhebt  man  sich  der  Mühe  einer  Ana- 
lyse der  Bedeutung.  Es  ist  zweifellos  eine  der  ersten  Pflichten 
des  Lexikographen,  sich  den  Vorstellungsinhalt,  der  die  Be- 
deutung eines  Wortes  ausmacht,  in  allen  seinen  einzelnen 
Momenten  klar  zu  machen.  Ebenso  zweifellos  wäre  es  zu 
wünschen,  dass  er  die  von  ihm  gewonnene  Klarheit  über  die 
einzelnen  Momente,  aus  denen  sich  die  Bedeutung  zusammen- 
setzt, auf  die  Leser  übertrüge.    Es  fragt  sich  nur,  ob  er  dies 


k 


Paul:  Aufgaben  der  wissenschaftlichen  Lexikographie.         65 

überall  kann,  und  ob  in  der  Form  einer  Definition  nach  der 
Aristotelischen  Logik.  Bei  der  natürlichen  Erlernung  der 
Muttersprache  wird  der  Vorstelhingsinhalt,  der  sich  als  Be- 
deutung mit  den  einzelnen  Wörtern  verknüpft,  durch  die 
sinnliche  Anschauung  teils  direkt  gegeben,  teils  indirekt  ver- 
mittelt. Das  Wörterbuch  vermag  diese  Anschauungen  nicht 
zu  geben.  Es  erklärt  die  Wörter  nur  wieder  durch  Worte. 
Mit  Worten  aber  kann  man  auf  die  Seele  des  Hörenden 
oder  Lesenden  nichts  anderes  wirken,  als  dass  man  Vorstel- 
lungen, die  sich  schon  früher  in  derselben  gebildet  und  mit 
den  betreflfenden  Worten  assoziiert  haben,  in  das  Bewusst- 
sein  zurückruft  und  dabei  etwa  durch  eine  neue  Verbindung 
der  Worte  eine  neue  Verbindung  unter  den  entsprechenden 
Vorstellungen  erzeugt.  Es  gibt  Wörter,  deren  Bedeutung 
man  überhaupt  auf  keine  Weise  jemandem  durch  andere 
Wörter  beibringen  kann,  bei  denen  eine  Definition  ein  Un- 
ding ist,  so  namentlich  alle  diejenigen,  die  eine  einfache  Vor- 
stellung ausdrücken,  wie  rot^  Waw,  süss^  bitter  etc.  Von 
der  Bedeutung  vieler  Wörter  lässt  sich  zwar  mit  Hülfe  an- 
derer Wörter  eine  gewisse  Vorstellung  geben,  doch  ohne  dass 
diese,  auch  trotz  grosser  Umständlichkeit,  die  durch  Anschau- 
ung zu  gewinnende  vollständig  ersetzt.  Die  Bedeutung  von 
Tier-  und  Pflanzenbezeichnungen  erklärt  man  wohl  in  den 
Wörterbüchern  durch  naturwissenschaftliche  Definitionen  mit 
Angabe  der  Klasse  etc.  Nehmen  wir  aber  z.  B.  eine  solche 
zoologisch  ganz  korrekte  Definition  von  Hund^  so  sind  wir 
weit  entfernt  davon,  damit  diejenige  Vorstellung  von  einem 
Hunde  zu  haben,  die  in  dem  allgemeinen  Volksbewusstsein 
lebt,  und  diese  ist  es  doch,  welche  die  Bedeutung  des  Wortes 
ausmacht.  Am  wenigsten  aber  hat  es  Sinn,  wenn  man,  um 
nur  überhaupt  eine  Umschreibung  zu  haben,  Wortbedeu- 
tungen umschreibt,  von  denen  man  doch  voraussetzen  muss, 
dass  sie  jedem  der  Sprache  Kundigen  ebenso  geläufig,  wo 
nicht  geläufiger  sind,  als  die  Bedeutung  der  zur  Umschreibung 

1894.  PbUo8.-philoI.  a.  bist.  Gl.  1.  6 


66        Siteung  der  phüos.'phäol.  Glosse  vom  3.  F^ruar  1894. 

angewendeten  Wörter.     Es  kann  dabei  auch  gar  nicht  aus- 
bleiben,  dass  man  sich  in  einem  Kreise   herumdreht,    indem 
bald  A  zur  Erläuterung  von  B,  bald  B  zur  Erläuterung  von 
A  dienen   muss.     Adelung   ist   bei   seinen   Definitionen   sehr 
sorgföltig  verfahren,  aber  er  hat  die  hier  angedeuteten  Uebel- 
stände  nicht  vermeiden    können,    woraus  es  sich  denn  auch 
zum  Teil  erklärt,  dass  J.  Grimm  ihm  hierin  nicht  hat  folgen 
mögen.     In   neuester   Zeit    hat  Heyne   in   seinem   kleineren 
Wörterbuch   das  Adelung'sche  Verfahren   angewendet,   aber 
mit  dem  Unterschied,    dass  er   sich  kürzer  zu  sein  bemüht, 
und  dass  er  sich  insofern  an  das  grosse  Deutsche  Wörterbuch 
anschliesst,  als  er  seine  Umschreibungen  wie  dieses  die  latei- 
nischen üebersetzungen  der  Erörterung  des  Einzelnen  voran- 
stellt, um  damit  die  Gesamtbedeutung  oder  die  Hauptbedeu- 
tung  anzugeben.     Was   dabei   herausgekommen   ist,    mögen 
einige  Beispiele   zeigen.     Massehhaft   sind   Tautologieen   wie 
Haarlocke  „Locke  des  Haares^,  Armspange  „Spange  um  den 
Arm'*  und  so  gewöhnlich  bei  Zusammensetzungen.    Beispiele, 
wie    man    sich    dabei    im   Kreise   herumdrehen   kann:    Bau 
„Handlung  des  Bauens  und  Gebautes'   —  bauen  „Bau  haben 
oder  beginnen",  Köhler  „der  berufsmässig  Kohlen  brennt"  — 
KohUnhrenner  „Köhler".     Sehr  gewöhnlich  sind  unvollkom- 
mene Definitionen,    die   gerade  so   gut   noch  auf  so   und  so 
viele   andere  Wörter   passen    und  mit  denen  niemandem  ge- 
dient sein  kann:    Affe  „das  bekannte  Tier",  Hund  „das  be- 
kannte Haustier",  Habicht  „Name  eines  Raubvogels",  Huhn 
„Angehöriges    einer    bestimmten    Vogelart".     Oder    es    wird 
eine  beliebige  Eigenschaft  willkürlich   herausgegriffen :    Blei 
„Name  des  schwersten  unedlen  Metalles".     Oft  sind  die  Er- 
klärungen   schwerfällig   und   geschraubt:    Hand   „Greifglied 
des  Menschen",  Arm  „das   umfangende  Glied  des  Oberkör- 
pers",   Luft    „das    unsern   Dunstkreis    erfüllende    Element", 
leben  »aus*  innerlicher  Kraft  ein  Dasein   fortführen'  ;    nicht 
selten  ausserdem  auch  direkt  falsch:   Kohle  „glühender  oder 


k 


PatU:  Aufgaben  der  wissenschaftlichen  Lexikographie,         67 

ausgeglühter  Rest  verbrennender  Körper",  bei  welcher  De- 
finition, die  doch  nicht  auf  Stein-  oder  Braunkohle  passt, 
und  die  ausserdem  eine  contradictio  in  adjecto  enthält, 
man  wohl  eher  an  Asche  als  an  Kohle  denken  würde ; 
schreiben  , Worte  zu  Papier  bringen*,  als  ob  man  nicht  auch 
einzelne  Buchstaben,  auch  Ziffern,  und  als  ob  man  nicht  auch 
auf  etwas  anderes  als  Papier  schreiben  könnte.  Solche  un- 
glücklichen Umschreibungen  sind  freilich  nicht  alle  eine  not- 
wendige Folge  aus  dem  eingeschlagenen  Verfahren,  dennoch 
dürfte  es  klar  sein,  dass  dabei  nichts  Erspriessliches  heraus- 
kommen kann. 

Es  wird  zwar  immer  Fälle  geben,  in  denen  der 
Lexikograph  zu  Definitionen  genötigt  ist,  aber  er  wird 
darauf  verzichten  müssen,  die  Vorstellungskomplexe,  welche 
die  Bedeutungen  der  Wörter  ausmachen,  in  jedem  Falle 
in  der  Seele  des  Lesers  erst  neu  zu  erzeugen,  er  wird  viel- 
mehr mit  den  bereits  gebildeten  und  an  bestimmte  Wörter 
angeknüpften  in  zweckmässiger  Weise  operieren.  Wer  ein 
Wöi*terbuch  der  deutschen  Sprache  zunächst  für  Deutsche 
schreibt,  der  setze  doch  getrost  den  in  der  Gegenwart  all- 
gemeinen Sprachgebrauch  als  bekannt  voraus;  denn  er  kann 
doch  nicht  umhin,  dies  zu  thun.  Es  hat  für  ihn  gar  keinen 
Zweck,  den  eigentlichen  normalen  Sinn  von  Wörtern,  wie 
roiy  süss,  Affe^  Handy  schreiben  und  von  vielen  andern  irgend- 
wie zu  umschreiben.  Erläuterungen  werden  zunächst  nötig, 
wo  es  sich  um  etwas  handelt,  was  nicht  mehr  oder  nicht 
allgemein  üblich  ist.  Handelt  es  sich  um  ein  Wort,  welches 
der  allgemeinen  Sprache  der  Gegenwart  fehlt,  so  wird  man 
es  in  der  Regel  zunächst  durch  eines  aus  dieser  erklären, 
aber  dabei  nicht  versäumen  dürfen,  sobald  sich  beide  Wörter 
nicht  vollständig  decken,  durch  eine  weitere  Erläuterung  die 
Grenzen  zu  bestimmen,  innerhalb  deren  sie  sich  entsprechen. 
Ein   analoges  Verfahren    wird   durchweg   einzuschlagen  sein 

in  Wörterbüchern    wie  z.  B.  einem   lateinisch -deutschen,  in 

5* 


68        Sitzung  der  phüos.'phüol,  Glosse  vom  3.  Februar  1894, 

denen  die  zur  Erläuterung   verwendete  Sprache  von  der  be- 
handelten verschieden  ist.    Handelt  es  sich  dagegen  um  eine 
abweichende  Bedeutung  eines  sonst  noch  allgemein  üblichen 
Wortes,   so  empfiehlt  es  sich,   neben   andern  Arten   der  Er- 
läuterung, die  etwa  angezeigt  sind,   genau  anzugeben,  worin 
diese  Abweichung  besteht.    Diese  vergleichende  Art  der  Er- 
läuterung ist  nun  überhaupt  die  einzig  richtige  für  ein  wissen- 
schaftliches Wörterbuch.    Sie  muss  überall  angewendet  wer- 
den, wo  es  sich  um   die  Bestimmung  der  verschiedenen  Be- 
deutungen eines  Wortes  handelt,  sei  es,  dass  dieselben  gleich- 
zeitig neben  einander  bestehen,   sei  es,   dass  sie   zeitlich  auf 
einander   folgen.     Ueberall    muss    der    Verfasser    sich    klar 
machen    und    dann    den  Leser   darauf  hinweisen,    worin  die 
üebereinstimmung    und    worin    die   Verschiedenheit   besteht. 
Denn  damit  ist  schon  etwas  Wesentliches,   oft   das  Wesent- 
lichste geleistet  für  das  Verständnis  der  Entwickelung  einer 
Bedeutung  aus  der  anderen  oder  mehrerer  aus  einer  gemein- 
samen Grundlage.     Dagegen   wird   unsere   Erkenntnis   nicht 
gefördert,  wenn  man,  wie  dies  häufig  geschieht,  die  einzelnen 
Bedeutungen    für   sich    durch    andere   Ausdrücke   umschreibt 
oder  übersetzt.    So  heisst  es  z.  B.  im  Deutschen  Wörterbuch 
unter  vergebens:  ,1.  ohne  Erfolg  frustra'^^  weiterhin  ,ohne 
Vergeltung,  ohne  Bezahlung*   (d.  h.  also  lat.  gratis).    Indem 
das  Verhältnis  dieser  beiden  Verwendungsweisen  zu  einander 
nicht  bestimmt  wird,  ist  damit  von  vornherein  jeder  Versuch 
zur  Ermittelung  der  Bedeutungsentwickelung  abgeschnitten; 
daran  liegt   dann  auch  die  Schuld,   dass  die  abgeleitete  Be- 
deutung der  ursprünglichen  vorangestellt  ist.    Ebenso  wenig 
istetwas  für  das  Verständnis  der  Entwickelung  gethan,  wenn 
angegeben  wird,    dass  je  in  der  älteren  Sprache    (in  Resten 
auch  in  der  neueren)  die  Bedeutung  „zu  aller  Zeit,  immer'* 
hat.     Hier    wäre   zunächst   festzustellen   gewesen,    was  auch 
unter  immer  nicht  geschehen  ist,  dass  unser  immer  zwei  ver- 
schiedene Funktionen  hat,  indem  es  entweder  auf  etwas  un- 


k 


Paul:  Aufgäben  der  wUsenschaftUchen  Lexikographie,         69 

unterbrochen  Fortdauerndes  geht  (vgl.  ich  werde  immer  in 
Deutschland  bleiben)  oder  auf  etwas  unter  bestimmten  Be- 
dingungen sich  jedesmal  Wiederholendes  (vgl.  er  schreit  im- 
merj  wenn  man  ihn  anrührt).  Mit  der  letzteren  berührt  sich 
zunächst  die  Bedeutung  unseres  je.  Das  Gemeinsame  besteht 
darin,  dass  beide  die  Beziehung  auf  einen  beliebigen  Zeit- 
punkt enthalten,  ausdrücken,  dass  kein  Zeitpunkt  ausge- 
schlossen ist;  der  Unterschied  ist,  dass  immer^)  gebraucht 
wird,  wenn  dieser  beliebige  Zeitpunkt  als  eingetreten  voraus- 
gesetzt wird,  je,  wenn  er  als  ein  möglicherweise  eintretender 
gedacht  wird.  Wenn  man  sich  dieses  Verhältnis  klar  ge- 
macht hat,  wird  man  auch  dazu  gelangen,  den  Wandel  im 
Gebrauch  von  je  und  immer  zu  verstehen. 

3. 

Was  alles  bei  der  Darstellung  der  Bedeutung  eines 
einzelnen  Wortes  zu  beobachten  ist,  will  ich  hier  nicht 
unternehmen,  mit  annähernder  Vollständigkeit  auseinander- 
zusetzen, da  sich  der  Stoff  kaum  erschöpfen  lässt,  und  da 
ich  ausserdem  nicht  alles  wiederholen  möchte,  was  ich  in 
den  Principien  der  Sprachgeschichte  schon  erörtert  habe, 
oder  was  ich  in  einer  neuen  Auflage  derselben  zu  erörtern 
gedenke.  Nur  auf  einige  praktisch  wichtige  Punkte  möchte 
ich  hinweisen. 

Wie  schon  angedeutet,  ist  es  notwendig,  das  Occasionelle 
in  der  Bedeutung,  welches  den  Belegstellen  anhaftet,    loszu- 

_  r 

lösen  und  das  wirklich  Usuelle  festzustellen.  Es  ist  das 
keineswegs  immer  so  leicht,  und  darum  ist  es  auch  ein  nicht 
seltener  Fehler,  dass  eine  blos  occasionelle  Bedeutung  unter- 
schiedslos neben  usuellen  aufgeführt  wird. 


1)  Es  ist  hier  nur  auf  die  Hauptfunktion  von  immer  Rücksicht 
genommen,  nicht  auf  die  Verwendung  in  verallgemeinernden  Relativ- 
sätzen (wer  immer,  wo  immer  etc.). 


70         Sitzung  der  phüos.'philol,  Classe  vom  3.  Februar  1694, 

Die  verschiedenen  Bedeutungen  eines  Wortes  müssen  so 
geschieden  werden,  wie  sie  das  Sprachgefühl  scheidet,  nicht 
nach  logischen  Kategorieen.  Es  ist  selbstverständlich  ein 
Fehler,  wenn  man  Unterscheidungen  zu  machen  versäumt, 
wovon  wir  oben  ein  Beispiel  bei  immer  gehabt  haben.  Man 
kann  aber  auch  in  den  entgegengesetzten  Fehler  verfallen, 
dass  man  zu  viele  Bedeutungen  ansetzt,  indem  man  Unter- 
schiede, die  sich  von  rein  logischem  Standpunkte  aus  machen 
lassen,  ohne  Not  als  sprachliche  Unterschiede  behandelt.  So 
ist  es  beispielsweise  gewiss  nicht  als  Verschiedenheit  der  Be- 
deutung anzusetzen,  ob  gehen  von  Menschen  oder  Tieren  und 
weiterhin  vom  Vieh  oder  von  Pferden  oder  vom  Wilde  ge- 
braucht wird;  dagegen  liegt  eine  Verschiedenheit  von  der 
Grundbedeutung  vor  in  der  Eisenbahnzug  geht  nach  Berlin^ 
weil  hier  von  dieser  nur  die  Vorstellung  der  Fortbewegung 
übrig  geblieben,  die  des  Schreitens  mit  den  Beinen  ge- 
schwunden ist.  Die  verschiedenen  Bedeutungen  entsprechen 
auch  in  der  Regel  nicht  logischen  Teilungen  eines  allge- 
meinen BegriflFes.  Häufig  steht  eine  Spezialisiruug  selb- 
ständig neben  einer  allgemeineren  Bedeutung,  vgl.  Schirm 
als  Regen-  oder  Sonnenschirm  zu  Schirm  als  nomen  actionis 
zu  schirmen,  Oder  es  steht  umgekehrt  neben  der  specielleren 
Grundbedeutung  eine  abgeleitete,  die  ein  in  jener  enthaltenes 
Moment  eingebüsst  hat  und  darum  allgemeiner  geworden  ist, 
vgl.  das  soeben  angeführte  gehen.  Nicht  selten  lassen  sich 
Scheidungen  nach  verschiedenen  Gesichtspunkten  machen,  so 
dass  diese  Scheidungen  sich  durchkreuzen. 

Die  verschiedenen  Bedeutungen,  die  sich  unterscheiden 
lassen,  haben  nicht  alle  den  gleichen  Grad  von  Selbständig- 
keit. So  kann  in  einer  Ableitung  der  Zusammenhang  mit 
der  Grundbedeutung  noch  lebhafter  empfunden  werden  als 
in  einer  andern.  Dies  ist,  so  weit  als  möglich,  auch  im 
Wörterbuche  festzustellen.  Es  ist  z.  B.  zu  untersuchen,  wie- 
weit  eine   Metapher,   soweit  sie   nicht  überhaupt  nur  occa- 


^ 


/ 


Paul:  Aufgaben  der  wisaenschaftUchen  Lexikographie.         71 

sionell  ist,  noch  als  solche  empfunden  oder  schon  verblasst 
ist.  Häufig  sind  wir  nicht  in  der  Lage,  dies  zu  entscheiden, 
da  sich  nicht  immer  Belegstellen  darbieten,  die  dazu  ver- 
helfen. Um  so  sorgföltiger  müssen  solche  beachtet  werden. 
Zu  den  Kriterien,  die  dabei  benutzt  werden  können,  gehört 
unter  andern  eine  Veränderung  der  Konstruktion.  In  Millers 
Siegwart  lesen  wir  noch  Abneigung  von  lÄm,  der  zu  Grunde 
liegenden  sinnlichen  Anschauung  entsprechend;  wenn  wir 
jetzt  sagen  Abneigung  gegen  ihn,  so  würde  dies  ein  ge- 
nügender Beweis  sein,  auch  wenn  es  nicht  durch  unser  Sprach- 
gefühl bestätigt  würde,  dass  uns  die  sinnliche  Grundanschau- 
ung nicht  mehr  lebendig  ist.  Aehnlich  verhält  es  sich,  wenn 
wir  jetzt  sagen  sich  um  etwas  bekümmern  gegen  älteres 
sich  mit  etwas  bekümmern^  oder  vergnügt  über  etwas  statt 
älterem  mit  etwas^  oder  Einfluss  auf  etwas  statt  älterem  in 
etwas  y) 

Wortverbindungen  können  durch  eine  besondere  Ent- 
wickelung  ihrer  Bedeutung  eine  grössere  oder  geringere  Selb- 
ständigkeit gegenüber  dem  einfachen  Worte  erlangen  und 
müssen  dann  notwendig  aufgeführt  und  charakterisiert  werden. 
Ein  wichtiger  Unterschied  ist  dabei  zu  beachten,  ob  eine 
Wendung  von  dem  eigentlichen  Sinne  des  einfachen  Wortes 
ausgeht  und  erst  als  Ganzes  uneigentlich  gebraucht  wird, 
oder  ob  schon  das  einfache  Wort  in  uneigentlichem  Sinne 
genommen  wird,  vgl.  z.  B.  er  sticht  in  ein  Wespennest  — 
der  Fürwita  sticht  ihn^  er  steht  auf  eigenen  Füssen  —  er 
steht  in  seinem  vierzigsten  Jahre.  Verbindungen  der  ersteren 
Art  gehören  notwendig  hierher,  nicht  die  der  zweiten.  Ein 
anderer  Grund,  weswegen  Verbindungen  aufgeführt  werden 
müssen,  ist  der,  dass  Wörter  überhaupt  nur  in  den  betreffen- 
den Verbindungen  vorkommen  (vgl.  gewahr  werden,  schadlos 
halten)^  oder  dass  sie  in  gewissem  Sinne  auf  bestimmte  Ver- 


1)  Vgl.  Principlen  der  Sprachg.  S.  197. 


72        SUfUHg  der  philos.-philol.  ClatsA  oom  3.  Februar  1894. 

bindungen    beschränkt  sind,   die   dann   in    der   Regel   Reste 
einer  früheren  allgemeineren  Gebrauchsweise  sind. 

Für  die  historische  Entwickelung  der  versehie- 
'  denen  Bedeutungen  eines  Wortes  bilden  natürlich  die 
Ermittelungen  darüber,  wann  und  wo  dieselben  zuerst  vor- 
komnien,  eine  unentbehrliche  Grundlage,  ohne  die  man  leicht 
fehl  greifen  kann.  Selbstverständlich  kommt  die  Etymologie 
hinzu,  um  den  Ausgangspunkt  festzustellen.  Als  eine  weitere 
Vorarbeit  haben  wir  bereits  die  Feststellung  des  logischen 
'  Verhältnisses  der  einzelnen  Bedeutungen  zu  einander  be- 
zeichnet. Um  auszufinden,  wie  man  sich  den  Gang  der  Ent- 
wickelung  vorzustellen  hat,  müssen  die  anal<^en  Fälle  dazu 
dienen,  sich  gegenseitig  aufzuhellen.  Es  ist  Aufgabe  der 
Prinzipien  lehre ,  die  verschiedenen  Kategorien  des  Bedeu- 
tungswandels aus  den  einzelnen  Fällen  zu  abstrahieren,  Viel- 
ach  wird  es  nötig  sein,  üebergangsstufen  zu  finden,  die  von 
liner  Bedeutung  -zur  andern  hinüberleiten.  Das  Günstigste 
st  natürlich,  wenn  man  solche  Uehergangsstufen  direkt  be- 
egen  kann,  und  darauf  niuss  man  überall  bei  der  Materialien- 
ammlung  ausgehen.  In  vielen  Fällen  aber  ist  man  darauf 
ingewiesen,  diese  Uehergangsstufen  zu  erschliessen,  wobei  es 
laranf  ankommt,  sich  die  verschiedenen  Möglichkeiten  klar 
;u  machen  tmd  dann,  gestutzt  auf  Analogieen,  die  wahr- 
scheinlichste darunter  herauszufinden.  Auf  einige  Gesichts- 
ninkte,  die  dabei  in  Betracht  kommen,  sei  hier  besonders 
lingewiesen.  Die  eine  Hauptart  des  Bedeutungswandels,  die 
larin  besteht,  dass  ein  neues  Moment  in  die  Bedeutung  ein- 
.ritt,  geht  aus  von  solchen  Fällen,  in  denen  dieses  Moment 
lieh  nur  occasioiietl  einstellt,  nicht  eigentlich  durch  das  be- 
,reffende  Wort  ausgedruckt  ist.  Die  andere  Hauptart,  die 
larin  besteht,  dass  gewisse  Momente,  die  in  der  älteren  Be- 
leutung  vorhanden  sind,  schwinden,  nimmt  ihren  Ausgang 
n  der  Regel  von  bildlicher  Anwendung,  worauf  weiter  ein- 
zugehen   nicht   erforderlich  ist,    nicht  selten    aber  auch  von 


Paul:  Aufgaben  der  wissenschaflttehen  LtxilMgraphie.         73 

solchen  Fällen,  auf  die  das  Wort  noch  in  der  Älteren  Be- 
deutung nach  allen  ihren  Momenten  anwendbar  ist,  so  aber, 
dass  davon  nur  ein  Teil  für  den  Sprechenden  und  Hörenden 
wesentlich,  der  andere  unwesentlich  ist.  Dies  ist  also  auch 
zunächst  etwas  Occasionelles.  E 
wandeis  folgen  nicM  selten  anfe 
ursprünglich  nur  die  Gleichzeit 
ilera  des  regierenden  Satzes.  Das 
Zusammenhang  stattfindet,  liegt 
der  Sache,  und  erst  allmählich 
die  Vorstellung  aus,  dass  dieses 
mit  ausgedrQckt  ist.  Nun  bezei 
zeitigkeit  und  Kausalität  zusamu 
Kausalyerhältnis  als  das  Wesenl 
langt  man  schliesslich  dazu,  wei 
gebraticheu,  wo  gar  keine  Gleicl 
För  die  zweite  Art  des  Bedeutun 
auf  fertig.  Dieses  kommt  von  j 
lieh  ,in  einem  zur  Fahrt,  zum 
stände  befindlich".  Wenn  jema 
aufgefordert  ihn  zu  begleiten,  sx 
fertiff  mache»,  so  bleibt  er  dami 
brauchssphäre  des  Wortes,  aber 
ein  anderer.  Es  ist  zunächst  { 
grund  getreten,  dass  man  mit  d( 
bruch  zu  Ende  gekommen  ist,  ti 
den  Sinn  angenommen  .mit  den 
dann  überhaupt  ,mit  einer  Be 
kommen*. 

Nicht  selten  vollzieht  sich 
nächst  in  einer  bestimmten  Verbii 
lieh  ist,  und  gelangt  dadurch  zu 
da  aus  Uehertragung  auf  andet 
Unser   uvffeföhr  ist   aus  älterem 


74       Sitzung  der  phüoa.'pMol,  Claaae  vom  3,  Februar  1894. 

=  mhd.  äne  gevoere^  d.  h.  eigentlich  ^ohne  feindselige  Ab- 
sicht". So  könnten  wir  es  noch  fassen,  wenn  es  z.  B.  bei 
Luther  heisst  wenn  er  ihn  ohngefähr  stösst  ohne  Feindschaft. 
Indem  aber  in  einem  solchen  Falle  schon  durch  das  Verb, 
eine  Schädigung  ausgedruckt  wurde,  trat  in  ohngefähr  nur 
noch  die  Vorstellung  der  Absicht  hervor,  nicht  die  der  Ab- 
sicht des  Schädigens,  und  es  wurde  dann  weiterhin  in  dem 
Sinne  „ohne  Absicht",  , zufällig*  auch  in  solchen  Fällen 
verwendet,  wo  es  sich  gar  nicht  um  ein  Schädigen  handelt, 
so  schon  bei  Luther  es  begab  sich  ohngefähr^  dass  ein  Priester 
dieselbige  Strasse  hinabgog.  Unser  arg  ist  früher  =  schlimm. 
Wie  dieses  tritt  es  verstärkend  zu  Wörtern,  die  an  sich 
etwas  Böses,  Unangenehmes  bezeichnen,  vgl.  ein  arges  Un- 
wetter^ eine  arge  Bosheit,  ein  arger  Sünder,  er  hat  sich  arg 
vergangen.  Eben,  weil  die  Vorstellung  von  etwas  Schlimmen 
schon  in  den  Wörtern,  denen  es  beigefügt  wird,  liegt,  er- 
scheint arg  wesentlich  nur  als  eine  Verstärkung.  Ein  wei- 
terer Schritt  war  dann,  dass  arg  in  süddeutscher  Umgangs- 
sprache auch  neben  etwas  Gutem,  Angenehmem  als  Ver- 
stärkung verwendet  wurde:  sie  ist  arg  schön,  es  hat  mich 
arg  gefreut.  Auf  ähnliche  Weise  sind  eine  ganze  Anzahl 
von  Wörtern  zu  blossen  Verstärkungen  geworden ,  vgl. 
schrecklich,  furchtbar,  entsetzlich,  schmählich,  höllisch,  ver^ 
dämmt  u.  a.;  auch  sehr  gehört  hierher,  denn  es  bedeutet 
ursprünglich  „schmerzlich".  Für  einen  etwas  anders  ge- 
arteten Vorgang  mag  streben  als  Beispiel  dienen.  Im  Mhd. 
hat  es  die  Bedeutung  „sich  mühen,  anstrengen",  worauf 
Mix^e.r  widerstreben  direkt  zurückzuführen  ist;  die  jetzige  Be- 
deutung hat  es  durch  die  Verbindung  mit  wacA,  eu  oder 
andern  Richtungsbezeichuungen  erhalten ;  die  ursprünglich 
nur  in  dieser  Verbindung  ausgedrückte  Beziehung  auf  ein 
Ziel  ist  mit  in  die  Bedeutung  des  Wortes  an  sich  aufge- 
nommen. Aehnlich  verhält  es  sich  mit  trachten,  welches 
ursprünglich  , überlegen"  bedeutet,  mit  sich  sehnen  (ursprüng- 


Patd:  Aufgaben  der  lüisaenschaftUchen  Lexikographie,         75 

lieh  »Schmerz  empfinden*'),  ferner  mit  schicken^  ein  Paquet 
nach  Wien  schicken  war  ursprünglich  eine  Breviloquenz,  es 
bedeutete  eigentlich  „ein  Paquet  zurecht  machen,  damit  es 
nach  Wien  geschafft  werde" ;  aber  jetzt  ist  schicken  mit 
senden  synonym  geworden. 

Eine  verwandte,  aber  doch  verschiedene  Erscheinung  ist 
es,  wenn  ein  Wort  eine  Bedeutung,  die  es  erst  zusammen 
mit  einem  andern  Worte  hat,»  auch  nach  Fortbleiben  des- 
selben behält.  Unser  kein  hat  ursprünglich  die  Bedeutung 
des  lateinischen  ullus  und  erst  mit  der  Negation  mhd.  en- 
vor  dem  Verbum  bedeutet  es  nullus.  Da  es  aber  in  Be- 
hauptungssätzen immer  nur  in  Verbindung  mit  der  Negation 
vorkam,  so  heftete  sich  der  negative  Sinn  daran,  und  man 
Hess  en-  daneben  weg  wie  neben  den  von  Hause  aus  die 
Negation  enthaltenden  nichts  nieman  etc.  Aehnlich  verhält 
es  sich  mit  franz.  pas^  point^  riens^  plus.  Auch  in  der  Be- 
deutungsentwickelung von  nur  spielt  dieser  Vorgang  eine 
Rolle,  was  bisher  nicht  beachtet  ist.  Es  ist  entstanden  aus 
mhd.  newoere  in  dem  Sinne  „es  wäre  denn*  und  ist  zunächst 
an  die  Stelle  des  älteren  wan  getreten,  dient  also  dazu,  an 
eine  Behauptung  eine  Einschränkung  anzuknüpfen,  so  noch 
in  nur  dass  =  mhd.  wan  dae^  ferner  auch  in  Hauptsätzen, 
vgl.  ich  hin  mit  ihm  eu frieden,  nur  müsste  er  etwas  auf- 
merksamer sein.  Jedoch  die  normale  Bedeutung  von  nur 
für  unser  jetziges  Sprachgefühl  ist  „nicht  (nichts,  nie,  nir- 
gends etc.)  ausser*.  Ursprünglich  konnte  nur  diese  Bedeu- 
tung bloss  durch  die  Verbindung  mit  einer  vorhergehenden 
Negation  haben.  Ein  Satz  wie  ich  habe  ihn  nur  einmal  ge- 
sehen ist  also  hervorgegangen  aus  einem  älteren  ich  habe 
ihn  nie  gesehen ,  nur  einmal.  So  vertritt  denn  auch  nur  in 
diesem  Sinne  mhd.  niwan.  Der  Unterschied  von  nur  =  wan 
und  nur  =  niwan  kommt  uns  jetzt  nicht  mehr  zum  Be- 
wusstsein. 


76        Sitzung  der  philosrphÜol.  Classe  vom  3,  Februar  1894, 

Mit  der  Darstellung,  wie  eine  Bedeutung  aus  der  andern 
sich  ursprünglich  entwickelt  hat,  ist  es  nicht  immer  gethan. 
Es  finden  sich  sekundäre  Verschiebungen  in  dem  Ver- 
hältnis der  Bedeutungen  eines  Wortes  zu  einander, 
die  dann  auch  eine  ümdeutung  zur  Folge  haben  können.  Die.<e 
Erscheinung  ist  mit  den  Verschiebungen  im  Verhältnis  mehrerer 
Wörter  zu  einander  zu  vergleichen,  die  man  als  Volksety- 
mologie bezeichnet.  Es  waltet  auch  hier  die  Tendenz,  das 
Vereinzelte  durch  Anlehnung  in  einen  grösseren  Zusammen- 
hang zu  bringen.  Hülle  und  Fülle  bedeutet  ursprünglich 
„Hüllung  und  Füllung",  d.  h.  „Kleidung  und  Nahrung**  und 
daher  „was  man  zum  Lebensunterhalt  nötig  hat";  so  sagt 
Luther :  dass  wir  nicht  Überleng  (überflüssig)  haben^  sondern 
nur  HüUe  und  Fülle.  Unter  Anlehnung  an  die  gewöhnliche 
Bedeutung  von  Fülle  ist  die  jetzige  Bedeutung  der  Verbin- 
dung entstanden,  wobei  man  mit  Hiäle  keine  klare  Vor- 
stellung verbindet.  Insbesondere  mag  auf  einen  nicht  seltenen 
Vorgang  hingewiesen  werden.  Gewöhnlich  kann  man  bei 
Wörtern,  die  eine  mehrfache  Bedeutung  haben,  doch  eine 
als  die  eigentliche  Hauptbedeutung  bezeichnen.  Es  ist  die- 
jenige, die,  wenn  das  Wort  ausser  Zusammenhang  ausge- 
sprochen wird  und  ohne  eine  besondere  Disposition  des  Hören- 
den, zunächst  in^s  Bewusstsein  tritt.  Meistens  ist  sie  mit  der 
Grundbedeutung  identisch,  jedoch  keineswegs  immer,  indem 
diese  öfters  seltener  geworden  ist,  mitunter  sich  nur  in  be- 
stimmten Formeln  erhalten  hat.  Es  macht  sich  nun  die 
Tendenz  geltend,  solche  vereinzelte  Reste  älterer  Bedeutung 
an  eine  jüngere  anzulehnen.  Tadel  bedeutet  ursprünglich 
„Fehler",  „Gebrechen";  in  ohne  Tadel  haben  wir  eine  direkte 
Fortsetzung  der  alten  Gebrauchsweise,  aber  unser  heutiges 
Sprachgefühl  erklärt  sich  auch  diese  Verbindung  aus  der 
jetzigen  Bedeutung  von  Tadel.  Die  Grundbedeutung  von 
Kopf  „Napf"  liegt  zu  Grunde  den  Zusammensetzungen 
Tassenkopf  Schröpfkopf^  Pfeifenkopf,  niemand  empfindet  sie 


k 


PatU:  Aufgaben  der  wissensehaftlichen  Lexikographie.         77 

aber  mehr  darin,  man  wird  vielmehr  an  eine  uneigenUiche 
Verwendung  von  Kopf  in  dem  uns  geläufigen  Sinne  denken. 
Rat  bezeichnet  ursprünglich  »was  jemandem  an  Mitteln  zur 
Befriedigung  seiner  Bedürfnisse  und  zur  Ausführung  seiner 
Zwecke  zu  Gebote  steht**,  so  noch  in  Vorrat^  Hausrat^  ferner 
aber  auch  in  Wendungen  wie  £u  Rate  halten,  Rat  schaffen^ 
dazu  kann  Rat  werden,  aber  dem  Sprachgefühl  fällt  es  nicht 
ein,  dass  hier  etwas  anderes  als  die  jetzt  übliche  Bedeutung 
zu  Grunde  liegt.  Solche  und  ähnliche  Umdeutungen  sind 
im  Wörterbuch  zu  berücksichtigen. 


4. 

Ich  komme  jetzt  auf  ein  Gebiet,  in  dem  das  Deutsche 
Wörterbuch  ganz  besonders  zu  wünschen  übrig  lässt.  Die 
Aufgaben  der  Wortforschung  sind  nicht  erfüllt,  so 
lange  die  Behandlung  der  einzelnen  Wörter  eine 
isolierte  bleibt.  Soweit  ein  Zusammenhang  in  der  Ent- 
wickelung  besteht,  muss  derselbe  auch  dargelegt  werden. 
Zunächst  muss  der  etymologische  Zusammenhang  durchweg 
zum  Ausdruck  kommen.  Die  alphabetische  Reihenfolge  lässt 
denselben  nicht  ohne  Weiteres  erkennen.  Verschiedene  Wör- 
terbücher der  älteren  germanischen  Dialekte  haben  daher 
statt  derselben  geradezu  eine  Anordnung  nach  Wurzeln  durch- 
geführt. J.  Grimm  erklärt  sich  entschieden  dagegen,  einer- 
seits weil  dadurch  das  Auffinden  erschwert  wird,  anderseits 
weil  die  etymologischen  Anschauungen  mit  der  Zeit  wechseln 
und  dadurch  auch  die  Anordnung  antiquiert  wird.  Wenn 
es  sich  nun  aber  auch  aus  praktischen  Gründen  empfiehlt, 
bei  der  alphabetischen  Ordnung  stehen  zu  bleiben,  so  bleibt 
darum  immer  die  Möglichkeit,  den  etymologischen  Zusammen- 
hang durch  Verweise  erkennen  zu  lassen.  Dafür  ist  im 
Deutschen  Wörterbuche  nur  ungenügend  und  ohne  Eon- 
sequenz gesorgt,   was   zum  Teil   eine  Folge  der   Isolierung 


78        Sitzung  der  pküos.-philol,  Glosse  «am  3,  Februar  1894, 

der  einzelnen  Mitarbeiter  gegen  einander  ist.  För  selbst- 
verständlich sollte  man  es  halten,  dass  jedes  Wort  im  Zu- 
sammenhange behandelt  und  dass  nicht  die  verschiedenen 
mundartlichen  und  orthographischen  Varianten  desselben  aus- 
einander gerissen  werden.  Aber  selbst  hiergegen  ist  oft  Ver- 
stössen. J.  und  W.  Grimm  haben  es  sich  fast  geradezu  zum 
Prinzip  gemacht,  die  Wörter  nach  der  zufällig  überlieferten 
Lautgestalt  einzuordnen.  So  kommt  es  z.  B.,  dass  viele  mit 
t  anlautende  Wörter  schon  unter  d  einmal  behandelt  sind, 
weil  sie  in  den  älteren  Quellen  auch  mit  d  geschrieben  vor- 
kommen. Erbse  ist  an  sechs  verschiedenen  Stellen  behandelt: 
Arheiss^  Erbeiss^  Erbes  ^  Erbis^  Erbse  ^  Erweiss,  um  den 
etymologischen  Zusammenhang  überblicken  zu  können,  müssen 
an  einer  bestimmten  Stelle  (unter  dem  Grundwort,  wenn  ein 
solches  vorhanden  ist)  alle  aus  der  gleichen  Wurzel  abge- 
leitete Wörter  aufgeführt  und  bei  diesen  muss  dann  auf  die 
betreffende  Stelle  verwiesen  werden.  Dessgleichen  sind  die 
Zusammensetzungen  auch  unter  dem  zweiten  Bestandteil  auf- 
zuführen. 

Es  ist  aber  nicht  damit  gethan,  dass  man  überhaupt 
das  Zusammengehörige  überblicken  kann;  die  Behandlung 
desselben  muss  auch  eine  zusammenhängende  sein.  Man  muss 
z.  B.  ersehen,  wieweit  die  verschiedenen  Gebrauchsweisen 
einer  Ableitung  denen  des  Grundwortes  entsprechen,  ob  sie 
vollständig  sich  decken  oder  ob  die  Ableitung  nur  zu  einem 
Teile  der  Verwendungsweisen  des  Grundwortes  Änalogieen 
aufweist,  oder  ob  sie  diesem  gegenüber  eine  eigentümliche 
Bedeufcungsentwickelung  gehabt  hat,  u.  s.  w.  Das  Entspre- 
chende gilt  von  den  Zusammensetzungen.  Die  konsequente 
Durchführung  einer  solchen  Behandlung  ist  notwendig  zur 
Erkenntnis  der  historischen  Entwickelung.  Sie  hat  auch 
einen  nicht  zu  unterschätzenden  heuristischen  Wert,  indem 
bei  einem  unter  mehreren  verwandten  Wörtern  gewisse  doch 
gemeinsame    Züge    leichter    und    deutlicher   in    die    Augen 


i 


Paul:  Aufgaben  der  icissefischafUichen  Lexikographie.         79 

springen  als  bei  andern.  Sie  trägt  endlich  sehr  zur  Ver- 
einfachung der  Darstellung  bei,  indem  das  den  verwandten 
Wörtern  Gemeinsame  nur  einmal  auseinandergesetzt  zu  wer- 
den braucht  und  an  andern  Stellen  einfache  Verweise  ge- 
nügen, während  jetzt  viel  Raum  durch  unnütze  Wieder- 
holungen fortgenommen  wird. 

Eine  zusammenhängende  Darstellung  bedarf  insbesondere 
vielfach  der  Gebrauch  von  Wörtern  in  Zusammensetzungen, 
da  dabei  Verhältnisse  zu  berücksichtigen  sind,  die  bei  dem 
einfachen  Worte  nicht  vorkommen.  Hauptsächlich  gilt  dies 
von  den  Partikeln  in  festen  und  unfesten  Zusammensetzungen. 
Was  in  dieser  Beziehung  im  Deutschen  Wörterbuche  ge- 
schehen ist,  genügt  mit  wenigen  Ausnahmen  nicht.  Es  gilt 
dabei  auch  die  Beziehungen  der  beiden  Bestandteile  zu  ein- 
ander und  zu  den  übrigen  Satzteilen  zu  bestimmen.  Um  an 
einem  Beispiele  zu  zeigen,  was  für  bisher  vernachlässigte 
Verhältnisse  zu  berücksichtigen  sind,  halte  ich  mich  an  die 
verbalen  Verbindungen  mit  ein.  Die  Bedeutung  dieses  Adv. 
an  sich  ist  sehr  einfach.  Die  räumliche  Beziehung,  die 
darin  liegt,  winl  auf  die  Zeit  und  auf  Zustände  übertragen. 
Es  handelt  sich  aber  auch  um  die  Faktoren,  die  durch  ein 
in  Beziehung  zu  einander  gesetzt  werden,  und  um  die  Art, 
wie  dies  geschieht.  Es  kommen  drei  in  Betracht:  erstens 
das,  was  zum  Innern  gemacht,  hineingebracht  wird;  zweitens 
das,  was  zum  Aeussern,  zur  Umgebung  gemacht  wird ;  drit- 
tens das  den  Vorgang  bewirkende  Subjekt.  Diese  drei  Fak- 
toren sind  nicht  immer  drei  verschiedene  Gegenstände.  Bei 
allen  intransitiven  Verben  fallt  natürlich  das  Subjekt  mit 
dem  Hineingebrachten  zusammen:  er  tritt  ein.  Neben  den 
transitiven  ist  das  Hineingebrachte  grammatisches  Objekt. 
Es  kann  dabei  das  Subjekt  mit  dem  zur  Umgebung  Ge- 
machten zusammenfallen.  Dies  wird  in  einigen  Fällen  ohne 
nähere  Angabe  als  selbstverständlich  empfunden,  ein  bedeutet 
also   yin  das  Innere   des  Subjekts   hinein",   entweder  in  das 


80        Sitzung  der  phüosrphüoh  Clcksse  vom  5.  Februar  1894, 

körperliche,  vgl.  einatmen^  -saugefi,  -schlucken^  -schlürfen  u.  a., 
oder  in  das  geistige,  vgl.  einlernen^  -studieren ,  -üben  u.  a. 
In  andern  Fällen  drückt  es  wenigstens  die  Richtung  auf  das 
Subjekt  aus,  es  liegt  in  ihm  eine  Vorstellung  wie  „in  die 
Tasche,  die  Kasse,  das  Haus  des  Subjekts*,  vgl.  einstecken, 
-kassieren,  -fordern,  -heimsen,  -ernten,  -sammeln,  -kaufen, 
-handeln,  -tauschen,  -wechseln,  4ösen,  -laden,  -berufen  u.  a. 
Meistens  aber  liegt  in  em  keine  solche  Spezialisierung,  und 
es  kann  die  Richtung  auf  einen  beliebigen  dritten  Gegen- 
stand bezeichnen.  Es  macht  dann  noch  einen  Unterschied, 
ob  die  Thätigkeit  sich  direkt  auf  das  grammatische  Objekt 
erstreckt,  welches  dann  in  etwas  schon  vorher  Fertiges  hinein- 
gebracht wird,  oder  ob  sie  vielmehr  erst  das  Aeussere  her- 
stellt, resp.  einen  Gegenstand  derart  modifiziert  oder  gestaltet, 
dass  er  im  Verhältnis  zum  Objekt  etwas  Umgebendes  wird. 
Beispiele  für  den  ersten  Fall  sind  einblase^i,  -binden,  -bohren, 
-drücken,  -flicken,  -flössen,  -flüstern,  -führen,  -giessen,  -hängen, 
-hauchen,  -hauen,  -jagen^  -legen,  -mengen,  -misclien,  -pressen, 
-rammen,  -reichen,  -schenken,  -schieben,  -schicken,  -schleifen, 
-schleppest ,  -schneiden ,  -schmuggeln ,  -schreiben ,  -schütten-, 
-senden,  -seieen,  -sprit/sen,  -stechen,  -tauchen,  -verleiben',  für 
den  zweiten  Fall  eindämmen ,  -fassen ,  -hüllen ,  -kleiden, 
-schnüren,  -siegeln,  -unckeln^  auch  -engen.  Allerdings  kann 
auch  bei  solchen  Verben  das  Umgebende  mit  dem  Subjekt 
identisch  sein ;  das  bedarf  dann  aber  eines  besonderen  Aus- 
druckes durch  das  Reflexivpron.,  z.  B.  sie  hängt  sich  Ohr- 
ringe ein.  In  den  angeführten  Fällen  könnte  der  Acc. 
auch  neben  dem  einfachen  Verbum  stehen.  Aber  wie  andere 
Richtungsbezeichnungen  hat  ein  die  Kraft,  ein  an  sich  in- 
transitives Verbum  transitiv  zu  machen  oder  aber  ein  tran- 
sitives Verbum  eine  andere  Art  von  Acc.  regieren  zu  lassen, 
vgl.  einbleuen,  -pauken,  -prügeln,  -sprechen  (z.  B.  Trost), 
-singen,  -lullen,  -mauern,  -naiven,  -riegeln,  -schliessen,  -spin- 
nen, -wehen.  Besonders  häufig  ist  ein  derartiger  reflexiver  Acc, 


^ 


Patd:  Aufgaben  der  wissenschaftlichen  Lexikographie.         81 

vgl.  sich  einarbeiten,  -heissen,  -fressen^  -kaufen^  -leben^  -lesen^ 
-saugen,  schmeicheln^  -stehlen;  daraus  ergeben  sich  dann 
Partizipia  wie  eingearbeitet.  Mitunter  ist  das,  was  zur  Um- 
gebung gemacht  wird,  im  Verb,  direkt  ausgedrückt,  indem 
dasselbe  eine  Ableitung  aus  einem  Subst.  ist,  vgl.  einbalsa- 
mieren^  -feiten^  -ölen,  -sahen.  Wo  es  einen  besondern  Aus- 
druck findet,  kann  in  vielen  Fällen  ein  von  ein  abhängiger 
Dat.  verwendet  werden,  aber  fast  nur  von  Personen,  vgl. 
iJtm  fällt,  geht,  leuchtet  ein;  transitiv  einem  einprägen, 
-schärfen y  -jagen,  -hauchen,  -flössen,  -wenden,  -werfen  etc. 
Gewöhnlich  wird  pleonastisch  eine  Präp.  verwendet. 

In  ähnlicher  Weise  sind  bei  den  Zusammensetzungen 
mit  mit  verschiedene  logische  Beziehungen  zu  unterscheiden. 
Neben  intransitiven  Verben  bezeichnet  mit,  dass  das  Subjekt 
dasselbe  thut  wie  eine,  resp.  mehrere  Personen  oder  Sachen, 
vgl.  mitfahren,  -gehen,  -fallen,  -essen  etc.  Neben  transitiven 
ist  die  gleiche  Beziehung  möglich,  vgl.  mitmachen,  -thun, 
-tragen,  -bewohnen,  -gemessen,  -empfinden  etc.  Selten  geht 
die  Beziehung  auf  das  Objekt,  vgl.  mitschicken,  daher  bei 
Umsetzung  ins  Pass.  auf  das  Subj.,  vgl.  mitgebohren,  sub- 
stantiviert Mitgefangener,  -angeklagter.  In  andern  Fällen 
drückt  mit  aus,  dass  das  Objekt  die  Bewegung  des  Subjekts 
mitmacht,  es  könnte  durch  mit  sich  ersetzt  werden,  vgl.  mit- 
bringen, -führen,  -nehmen^  -bekommen,  -kriegen.  In  einem 
etwas  mitgeben  bezieht  sich  mit  auf  das  Verhältnis  des  Ob- 
jekts zu  dem  Dativ. 

Zur  wissenschaftlichen  Wortforschung  gehört  natürlich 
auch  eine  Darstellung  der  Bedeutungsentwickelung  der  Suf- 
fixe und  der  Ableitungsweisen.  Man  verweist  dieselbe  frei- 
lich in  die  Grammatik  unter  die  Wortbildungslehre.  Aber 
da  man  im  Wörterbuch  die  einzelnen  Fälle  zu  behandeln 
hat,  welche  unter  die  in  der  Wortbildungslehre  aufzustellen- 
den allgemeinen  Kategorieen  gehören,  so  muss  man  auch 
mit  diesen  Kategorieen  operieren.     Man  muss  dieselben  also 

1894.  Philos.-philol.  u.  hist.  01.  1.  6 


82        Sitzung  der  phüoarphÜoh  Glosse  vom  3.  Februar  1894. 

im  Wörterbache  behandeln,  falls  man  nicht  bereits  auf  eine 
genügend  ausgebildete  Wortbildungslehre  verweisen  und  sich 
stützen  kann.  Sonst  fehlt  der  Zusammenhang  und  man  ist 
zu  endlosen  Wiederholungen  genötigt. 

Doch  nicht  bloss  zwischen  dem  etymologisch  Zusammen- 
gehörigen muss  der  Zusammenhang  hergestellt  werden.  Selbst- 
verständlich müssen  die  sekundären  Anlehnungen  behandelt 
werden,  die  sich  zwischen  nicht  verwandten  Wörtern  voll- 
ziehen, also  das,  was  man  gewöhnlich  Volksetymologie  nennt. 
Es  müssen  aber  auch  alle  diejenigen  Zusammenhänge  auf- 
gedeckt werden,  die  nicht  auf  der  lautlichen  Seite  der  Wörter 
beruhen,  sondern  nur  auf  der  begrifflichen.  Das  Ideal  des 
Wörterbuches  wie  der  Wortbildungslehre  und  der  Syntax 
wäre  eigentlich  eine  doppelte  Darstellung,  die  eine  nach  den 
zur  Verfügung  stehenden  lautlichen  Mitteln,  die  andere  nach 
dem  zum  Ausdruck  kommenden  Vorstellungsinhalt.  Die 
Durchführung  aber  der  letzteren,  die  auf  grammatischem 
Gebiete  wohl  möglich  ist,  stösst  hinsichtlich  des  Wortschatzes 
auf  unüberwindliche  Schwierigkeiten.  Es  lässt  sich  kein 
Prinzip  denken,  nach  dem  sich  die  ganze  Masse  der  zum 
Ausdruck  kommenden  Vorstellungen  ordnen  liesse,  nur  eine 
Anzahl  von  Gruppen  Hessen  sich  bilden;  und,  was  die  Haupt- 
sache ist,  diese  Vorstellungen,  die  wir  zunächst  als  etwas 
vom  sprachlichen  Ausdruck  unabhängiges  aufstellen  müssten, 
lassen  sich  als  solche  gar  nicht  mitteilen,  es  ist  nur  eine 
indirekte,  bereits  an  die  Sprache  gebundene  Mitteilung  mög- 
lich. Man  kann  aber  doch  versuchen,  wenigstens  einen  Teil 
der  Aufgabe  zu  lösen,  und  dies  kann  auch  in  einem  alpha- 
betisch geordneten  Wörterbuch  geschehen,  indem  bei  der 
Bearbeitung  der  einzelnen  Wörter  immer  auf  diejenigen  an- 
dern Rücksicht  genommen  wird,  die  zu  ihnen  in  einer  be- 
grifflichen Beziehung  stehen. 

Zunächst  kommt  hier  die  Thatsache  in  Betracht,  dass 
mehrere  Wörter   die  gleiche  Bedeutung  haben  können,  ent- 


PaiU:  Aufgaben  der  wissenschaftlichen  Lexikographie.         83 

weder  so ,  dass  sich  der  ganze  Inhalt  der  Bedeutung .  des 
einen  mit  dem  ganzen  Inhalt  der  Bedeutung  des  andern 
deckt,  oder,  was  viel  häufiger  ist,  dass  beide  nur  teilweise 
in  ihrer  Bedeutung  zusammen-,  in  einem  andern  Teil  aus- 
einander fallen.  Hierbei  ist  es  schon  an  sich  interessant  zu 
konstatieren,  dass  für  eine  Vorstellung  mehrere  Ausdrucks- 
weisen zu  Gebote  stehen,  und  es  ist  wichtig,  genau  die 
Grenzen  zu  bestimmen,  innerhalb  deren  es  der  Fall  ist.  Die 
völlige  oder  teilweise  Kongruenz  der  Bedeutung  gewinnt  aber 
noch  ein  ganz  besonderes  Interesse,  wenn  wir  die  geschicht- 
liche Entwickelung  verfolgen.  So  häufig  ein  derartiger  Luxus 
entsteht,  so  selten  pflegt  er  sich  auf  die  Dauer  zu  halten. 
Die  eine  Ausdrucksweise  drängt  die  andere  allmählich  zurück 
und  verdrängt  sie  schliesslich  ganz.  So  kommt  es,  dass  ein 
Wort  entweder  ganz  ausstirbt,  weil  ein  gleichbedeutendes 
sich  daneben  gestellt  hat,  oder  dass  es  wenigstens  einen  Teil 
seiner  Funktion  einbüsst,  weil  dieselbe  von  einem  andern 
Worte  besorgt  wird.  Endlich  geschieht  es  auch,  dass  von 
zwei  Wörtern  ein  jedes  das  andere  aus  einem  Teile  der  ihnen 
gemeinsamen  Funktion  herausdrängt  und  so  eine  Bedeutungs- 
dififerenzierung  eintritt.  Ich  habe  über  diese  Erscheinungen 
in  Cap.  XIV  meiner  Prinzipien  der  Sprachgeschichte  ge- 
handelt. Ist  die  Verdrängung  eine  einseitige,  so  ist  es  in 
der  Regel  ein  in  jüngerer  Zeit  aufgekommener  Ausdruck, 
der  einen  älteren  verdrängt.  Wo  für  eine  Vorstellung  in 
einer  späteren  Zeit  ein  anderer  Ausdruck  besteht  als  in  einer 
früheren,  da  liegt  in  der  Regel  eine  Epoche  dazwischen,  in 
welcher  beide  neben  einander  gebraucht  werden.  Das  Auf- 
kommen des  neuen  Ausdruckes  und  das  Verschwinden  des 
älteren  müssen  daher,  was  im  Deutschen  Wörterbuche  meist 
versäumt  ist,  im  Zusammenhange  behandelt  werden;  sonst 
fehlt  ein  ganz  wesentliches  Moment  für  die  Erkenntnis  des 
Kausalzusammenhangs  in  der  Wortgeschichte.  Es  ist  dann 
weiter   zu  untersuchen,   ob   sich   noch   spezielle  Gründe   er- 

6* 


84        Sitzung  der  phüos.'phüol.  Claase  vom  3,  Februar  1894, 

miti^ln   lassen,    warum  gerade   der  eine  Ausdruck   unterge- 
gangen ist,  der  andere  sich  behauptet  hat. 

Seltener  ist  der  Fall,  der  natürlich  gleichfalls  im  Wörter- 
buch behandelt  werden  muss,  dass  ein  Ausdruck  untergeht, 
bevor  ein  neuer  für  die  betreffende  Vorstellung  geschaffen 
wird,  so  dass  also  der  Untergang  des  alten  eine  Veranlassung 
zur  Entstehung  des  neuen  wird,  während  in  dem  vorher  be- 
sprochenen Falle   das  Eausalverhältnis    ein  umgekehrtes  ist. 

Doch  nicht  bloss  die  Uebereinstimmung  der  Bedeutung, 
die  zwischen,  neben  und  nach  einander  bestehenden  Wör- 
tern stattfindet,  ist  eine  Veranlassung,  dieselben  im  Zusam- 
menhange zu  betrachten,  sondern  auch  schon  eine  gewisse 
Entsprechung  der  Bedeutungen^  die  zwischen  unverwandten 
Wörtern  zuweilen  in  analoger  Weise  erscheint  wie  zwischen 
verwandten.  Es  kommt  vor,  dass  sich  Formen  aus  ver- 
schiedenen Stämmen  zu  einem  Paradigma  ergänzen,  vgl.  er 
—  sie,  ich  —  mich  —  mr,  stehn  —  gestanden^  gehn  —  ge- 
gangen^ hin  —  ist  —  war  etc.  In  diesem  Falle  ist  es  üb- 
lich, die  betreffenden  Formengruppen  im  Wörterbuche  wie 
ein  Wort  zu  behandeln.  Aehnlich  pflegt  man  zu  verfahren, 
wenn  sich  ein  Positiv  und  Steigerungsformen  aus  verschie- 
denen Stämmen  gegenseitig  ergänzen  {gut  —  hesser  etc.). 
Es  stehen  nun  aber  auch  nicht  selten  mehrere  Wörter  in 
einem  solchen  Verhältnis  zu  einander,  dass  bei  der  Behand- 
lung  des  einen  Rücksichtnahme  auf  das  andere  mit  dem- 
selben Recht  gefordert  werden  muss,  wie  wir  dies  für  ety- 
mologisch verwandte  Wörter  gefordert  haben.«  Eine  Anzahl 
von  Beispielen  mag  dies  veranschaulichen.  Leute  bildet  in 
vielen  Zusammensetzungen  den  Plur.  zu  Mann  {Kaufmann  etc.). 
Entsprechend  wie  Hahn  —  Henne ^  König  —  Königin^  wo 
die  Bezeichnung  des  weiblichen  Wesens  aus  der  des  männ- 
lichen durch  ein  SuCßx  abgeleitet  ist,  verhalten  sich  Ochse 
{Stier)  —  JffwÄ,  Eher  —  Saw,  Mann  —  Weih^  Vater  — 
Mutter^  Sohn  —  Tochter,  Brt^er  —  Schwester,  Knahe  — 


L 


PatU:  Aufgaben  der  wissenschaftlichen  Lexikographie,         85 

Mädchen^  Knecht  —  Magd^  Mönch  —  Nonne ^  mhd.  herre 
—  frouwe  u.  a.  Tod  kann  als  nomen  actionis  zu  sterben 
betrachtet  werden.  Wie  legen  zu  liegen^  fällen  zu  fallen^ 
80  fungiert  stellefi  als  Eausativum  zu  siehn^  machen  zu  sein 
und  werden^  bringen  zu  kommen,  lassen  zu  bleiben,  auch 
heben  zu  steigen,  töten  zu  sterben;  ferner  die  Verbindungen 
£u  Grunde  richten  zu  zu  Grrunde  gehen,  eufrieden  stellen  zu 
sich  eufrieden  geben.  Analog  wie  sitzen  zu  sich  setzen, 
liegen  zu  sich  legen  verhält  sich  sein  zu  werden,  stehn  zu 
treten,  schweigen  zu  verstummen.  Mit  dem  Verhältnis  von 
erwarmen,  wärmen  zu  u;arm  lässt  sich  das  von  steigen  (er)- 
heben  zu  hoch,  das  von  sinken,  senken  zu  W^/^  vergleichen. 
Während  sonst  ein  und  dasselbe  Wort  als  Adv.  und  als 
Präp.  dient,  ergänzen  sich  ab  und  von  derart,  dass  letzteres 
die  präpositionale  Funktion  zu  der  entsprechenden  adverbialen 
des  ersteren  hat.  Eine  stattliche  Zahl  von  Paaren,  die  eine 
gegenseitige  Rücksichtnahme  verlangen,  bilden  die  Gegen- 
sätze, durch  deren  Vergleichung  man  auf  manches  aufmerk- 
sam wird,  was  sonst  leicht  übersehen  wird.  Hierbei  ergibt 
sich,  dass  mitunter  auf  der  einen  Seite  ein  Wort,  auf  der 
anderen  mehrere  stehen,  wodurch  verschiedene  Bedeutungs- 
sphären des  ersteren  gegen  einander  abgehoben  werden, 
vgl.  alt  —  neu,  jung;  dünn  —  dick,  dicht;  hoch  —  niedrig, 
tief;  tief  —  hoch,  flach  oder  seicht.  Mittelstufen  haben  Ge- 
gensätze nach  zwei  Richtungen,  vgl.  warm  —  lau  —  kalt; 
ihre  Bedeutung  modifiziert  sich,  je  nachdem  der  Gegensatz 
zu  der  einen  oder  zu  der  andern  Richtung  hervorgehoben 
wird.  Viele  Wörter  haben  keinen  Gegensatz,  der  dem  ganzen 
Umfang  ihrer  Bedeutung  entspricht,  dagegen  mehrere  par- 
tielle. Derjenige  Teil  ihrer  Bedeutung,  in  Bezug  auf  den 
sie  im  Gegensatz  zu  einem  anderen  Worte  gestellt  werden, 
ist  der  für  den  Sprechenden  und  Hörenden  wesentliche,  hinter 
dem,  wie  oben  bemerkt,  die  übrigen  ganz  zurücktreten  kön- 
nen, wodurch  eine  Bedeutungsveränderung  entsteht.    So  bildet 


86        Sitzung  der  philoa.-phüol,  Glosse  vom  3,  Februar  1894, 

stehen  in  seiner  Grundbedeutung  sowohl  einen  Gegensatz  zu 
gehen  und  den  anderen  Verben  der  Bewegung,  als  zu  den 
Verben,  die  eine  Ruhelage  ausdrücken  wie  sitzen^  liegen^ 
hangen.  Der  eine  oder  der  andere  Gegensatz  kann  hervor- 
gekehrt werden,  ohne  dass  das  Wort  etwas  von  dem  ur- 
sprünglichen Inhalt  seiner  Bedeutung  einbüsst.  Jedoch  die 
einseitige  Hervorhebung  des  Gegensatzes  zu  den  Verben  der 
Bewegung  ist  die  Veranlassung  geworden,  dass  stehen  auch 
zur  Bezeichnung  des  Ruhens  oder  des  Sichbefindens  an  einem 
Orte  gebraucht  wird  für  Gegenstände,  auf  die  es  in  der 
eigentlichen  Bedeutung  nicht  anwendbar  ist,  vgl.  die  Uhr 
steht^  Wolken  stehn  am  Himmel.  Entsprechend  kann  gehn 
Gegensatz  zu  andern  Verben  der  Bewegung  sein  (fahren^ 
reiten  etc.)i  es  kann  aber  auch  einseitig  zu  stehn  und  andern 
Verben  der  Ruhe  in  Gegensatz  treten,  und  daraus  entspringt 
die  schon  oben  erwähnte  verallgemeinerte  Bedeutung  (der 
Wind  geht^  ich  gehe  mit  der  Post^  eu  Schiffe  etc.).  Eine 
andere  Bedeutung  von  gehen  charakterisiert  sich  durch  den 
Gegensatz  zu  kommen;  sie  geht  aus  von  der  Verwendung 
des  Verbums  für  den  Eintritt  der  Handlung.  Bei  den  Wör- 
tern, die  das  Geraten  in  einen  Zustand  ausdrücken,  kommt 
der  Gegensatz  zu  dem  vorausgehenden  Zustand  in  Betracht. 
Wo  dieser  ein  verschiedener  sein  kann,  ergeben  sich  ver- 
schiedene Schattierungen  der  Bedeutung.  Stehen^  das  jetzt 
einen  schon  vorhandenen  Zustand  ausdrückt,  konnte  ursprüng- 
lich auch  den  Eintritt  desselben  bezeichnen,  so  noch  in  man- 
chen Zusammensetzungen.  Bei  aufstehen  nun  wird  ein  vor- 
hergegangenes Liegen  oder  Sitzen  vorausgesetzt,  dagegen  bei 
stül  stehen  eine  vorhergegangene  Bewegung;  das  letztere  ist 
im  Mhd.  auch  bei  einfachem  stän  möglich  (z.  B.  Tristan 
11805  diu  scheine  strebete  allen  wider  und  stuont  an  iege- 
Itchem  trite). 

Es  gibt  endlich  eine  Reihe  von  grösseren,  zum  Teil  sehr 
umfänglichen  Wortgruppen,    die   durch    einen   gewissen  Pa- 


Paul:  Aufgäben  der  wissenschaftlichen  Lexikographie.         87 

rallelismus  in  der  Funktion  zusammengehalten  werden.  Einige 
davon  pflegen  auch  in  den  Grammatiken  aufgeführt  zu  wer- 
den, teils  weil  sie  auch  durch  etymologische  Verwandtschaft 
in  Wurzel  oder  Suffix  zusammengehalten  werden,  teils  weil 
das  Gemeinsame  in  ihrer  Funktion  etwas  Syntaktisches  ist. 
Hieher  gehören  z.  B.  die  verschiedenen  Gruppen  der  Pro- 
nomina: Demonstrativa,  Belativa,  Interrogativa,  Indefinita, 
bei  denen  zum  Teil  wieder  Unterabteilungen  zu  unterscheiden 
sind.  Selbst  bei  diesen  vermisst  man  die  Berücksichtigung 
des  Parallelismus  im  Deutschen  Wörterbuch  wie  in  anderen 
Werken.  Dieselbe  Gruppierung  geht  auch  durch  die  Adverbia 
hindurch  und  muss  mit  derjenigen  der  Pronomina  in  Zu- 
sammenhang gebracht  werden.  So  findet  sich  z.  B.  im 
Deutschen  ursprünglich  auf  adverbialem  Gebiete  so  gut  wie 
auf  pronominalem  die  Scheidung  von  zwei  Keihen  soge- 
nannter Indefinita,  die  ich  in  meiner  Mittelhochdeutschen 
Grammatik  §  304  besprochen  habe,  und  auf  beiden  Gebieten 
ist  gleichmässig  im  Nhd.  Vermischung  eingetreten,  nur  je 
hat  dieselbe  nicht  mitgemacht.  Natürlich  haben  auch  die 
Possessiva  alle  etwas  Gemeinsames,  was  an  einer  Stelle  des 
Wörterbuches  eingehend  zu  behandeln  und  worauf  an  den 
andern  Stellen  zu  verweisen  wäre.  Dabei  wären  dann  auch 
die  Beziehungen  festzustellen,  welche  dieselben  zur  Funktion 
des  Gen.  haben.  Es  bestehen  aber  auch  Beziehungen  zwischen 
dem  Gebrauche  der  Possessiva  und  dem  des  Objekts  neben 
den  Verben  haben,  geben,  nehmen.  Zu  den  Gruppen,  die 
sich  durch  gemeinsame  Eigenheiten  auszeichnen,  gehören 
ferner  die  Adjektiva,  die  eine  Quantitätsbestimmung  neben 
sich  zulassen;  es  ist  ihnen  gemeinsam  eigen,  dass  sie  mit 
einer  solchen  Bestimmung  ein  relatives,  daneben  ohne  eine 
solche  ein  hohes  Mass  bezeichnen,  vgl.  (drei  Ftiss)  lang, 
{ein  Pfund)  schwer,  (2  Jahr)  alt  etc.  Es  haben  sogar  sämt- 
liche auf  Raumverhältnisse  bezügliche  Wörter  etwas  Gemein- 
sames,  und   unter   denselben  wieder  einige  eine  nähere  Be- 


88        Sitzung  der  phüos.-phüöl.  Classe  vom  3.  Februar  1894, 

Ziehung  zu  einander.  Die  TJebereinstimmung  zeigt  sich  dabei 
namentlich  auch  in  der  Art,  wie  Uebertragung  auf  zeitliche, 
psychologische,  kausale  Verhältnisse  etc.  stattfindet.  In  allen 
derartigen  Fällen  muss  man  auf  eine  vergleichende  Zusam- 
menfassung ausgehen. 

Ich  habe  oben  angedeutet,  dass  eine  Wortbildungslehre 
möglich  wäre,  die  von  der  Funktion  ausginge.  Auch  zu 
dieser  müsste  natürlich  das  Wörterbuch  in  Beziehung  gesetzt 
werden.  In  der  Flexionslehre  ordnet  man  schon  länge  nach 
der  Funktion,  man  reiht  Formen  als  Genitive,  Dative  etc. 
zusammen,  auch  wenn  sie  mit  verschiedenen  Suffixen  gebildet 
sind.  In  der  Wortbildungslehre  pflegt  man  dagegen  in  der 
Regel  von  den  einzelnen  Suffixen  und  Bildungstypen  auszu- 
gehen, weil  die  Verhältnisse  viel  mannigfaltiger  und  unregel- 
mässiger sind,  und  weil  sich  die  Scheidung  von  Kategorieen 
nach  der  Funktion  nicht  so  vollständig  und  reinlich  durch- 
führen lässt.  Es  liesse  sich  aber  doch  Manches  nach  dieser 
Richtung  hin  leisten.  Wir  bedürften  namentlich  einer  voll- 
ständiger und  feiner  ausgebildeten  Terminologie,  welche  sehr 
dazu  beitragen  würde,  das  Zusammengehörige  als  solches  er- 
kennen zu  lassen  und  die  Darstellung  in  den  Wörterbüchern 
zu  vereinfachen.  Die  wenigen  allgemeinen  Termini  wie 
nomen  agentis,  nomen  actionis,  causativum  reichen  bei  weitem 
nicht  aus. 

Einige  Beispiele  mögen  veranschaulichen,  was  ich  hier 
im  Sinne  habe.  Wir  haben  einige  intransitive  Verba,  denen 
daraus  abgeleitete  transitive  als  Kausativa  gegenüber  stehen, 
vgl.  siizen  —  setsen^  liegen  —  legen^  fallen  —  fällen^  sinken 

—  senken^  erlöschen  (stark)  —  löschen  (schwach),  (er)trinken 

—  {er)tränken^  ersaufen  —  ersäufen.  Die  Zahl  solcher  Paare 
war  früher  viel  grösser  und  ist  dadurch  verringert,  dass  ent- 
weder das  eine  von  den  beiden  Wörtern  untergegangen 
ist,  vgl.  einerseits  mhd.  ntgen  —  neigen^  anderseits  swlgen 
(=  nhd.  schweigen)  —  sweigen   (noch   mundartlich  Kinder 


Paul:  Aufgaben  der  wissefischaftlichen  Lexikographie.         89 

schweigen),  oder  dass  durch  eine  abweichende  Bedeutungs- 
entwicklung der  beiden  das  ursprüngliche  Verhältnis  zerstört 
ist,  vgl.  fahren  —  führen,  rinnen  —  rennen,  genesen  — 
nähren.  Entsprechend  können  sich  zwei  verschiedene  Ab- 
leitungen aus  einem  Adj.  verhalten :  erwarmen  —  erwärmen, 
erstarken  —  stärken;  auch  diese  Fälle  waren  früher  viel 
häufiger.  £in  anderes  Mittel,  solche  Paare  zu  schaffen,  die 
sich  in  ihrer  Funktion  ganz  analog  verhalten,  besteht  darin, 
dass  man  einem  transitiven  Verb,  die  Verbindung  mit  dem 
Reflexivum  gegenüberstellt.  Das  Verhältnis  von  sich  wenden 
zu  wenden  steht  mit  dem  von  sinken  zu  senken  durchaus 
auf  gleicher  Linie.  Diese  intransitiv  funktionierenden  Re- 
flexiva  sind  durchaus  zu  sondern,  was  im  Deutschen  Wör- 
terbuch nicht  geschehen  ist,  von  solchen  Fällen,  wo  das 
Beflexivum  sich  nicht  anders  verhält  als  ein  anderer  Objektsacc, 
vgl.  z.  B.  sein  Auge  (der  Kelch  der  Blume)  schloss  sich 
gegen  er  schloss  sich  in  sein  Zimmer  ein,  der  Flt4ss  bedeckte 
sich  mit  Nebel  gegen  der  Mann  bedeckte  sich  mit  seinem 
Mantel;  so  unterscheiden  sich  auch  sich  ertränken,  sich 
ersäufen  von  ertrinken,  ersaufen.  Vgl.  ferner  (sich)  stellen, 
bewegen,  {er)heben,  ändern,  verbessern,  ärgern  und  viele  an- 
dere. Man  bildet  auch  sich  seteen,  sich  legen,  weil  liegen 
und  siteen  in  der  Schriftsprache  nicht  mehr  das  Eintreten 
eines  Zustandes,  sondern  das  Dauern  eines  solchen  bezeichnen. 
Drittens  gibt  es  viele  Fälle,  in  denen  ein  und  dasselbe  Verb, 
beide  Funktionen  hat,  was  zum  Teil  auf  sekundärer  Ver- 
mischung beruht,  vgl.  heissen,  brennen,  verderben,  heilen, 
scheiden,  stürzen,  reissen,  spriteen  etc.  Ausser  diesen  grös- 
seren Eategorieen  gibt  es  vereinzelte  Fälle,  in  denen  die 
Paare  auf  eine  besondere  Weise  hergestellt  werden:  gebohren 
werden  ist  mit  Verlust  des  passiven  Charakters  Intransitivum 
zu  gebohren;  zu  verlieren  fungiert  entsprechend  verloren 
gehn.     Fälle,   in  denen  sich   ganz   verschiedene  Stämme   so 


90        Sitzung  der  phüos.-pMol.  Glosse  vom  3,  Februar  1894. 

ergänzen,  sind  oben  aufgeführt.    Analoge  Erscheinungen  im 
Griechischen  und  Lateinischen  ergeben  sich  leicht. 

Die  verschiedenen  Bildungsweisen  der  nomina  actionis 
zeigen  gemeinsame  Züge  in  Bezug  auf  ihre  Bedeutungsent- 
wickelung. Viele  entsprechen  in  ihrer  Funktion  den  soeben 
behandelten  Reflexiven  mit  intransitiver  Funktion,  entweder 
ausschliesslich,  oder  so,  dass  sie  daneben  auch  der  transitiven 
Funktion  des  betreifenden  Yerbums  entsprechen,  vgl.  von 
substantivierten  Infinitiven  Befinden^  Benehmen^  Betragen^ 
Verhalten^  Bestreben^  Bemühen^  von  Bildungen  mit  -ung: 
Stellung^  Verstellung,  Bewegung,  Regung,  Haltung,  Wand- 
lung, Wendung,  Windung,  Versammlung,  Anstrengung,  Be- 
mühung, Verpflichtung,  Hingehung,  Erholung,  Besinnung, 
Versündigung,  von  andern  Verhältnis,  Hingale.  Der  Unter- 
schied zeigt  sich  z.  B.,  wenn  man  mit  einander  vergleicht 
die  Erhebung  Müllers  in  den  Adelstand  und  die  Erhebung 
Preuss&ns  gegen  Napoleon.  Zu  den  intransitiv  fungierenden 
Reflexiven  stellen  sich  vielfach  die  Participia  in  ein  ähnliches 
Verhältnis  wie  zu  wirklichen  Intransitiven  mit  Aufgabe  des 
passiven  Charakters.  Die  Folge  davon  ist,  dass  auch  die 
nomina  actionis  in  ein  näheres  Verhältnis  zu  den  Participien 
treten.  Sie  stehen  diesen  in  der  Bedeutung  näher  als  den 
Reflexiven,  wenn  sie  im  Gegensatz  zu  diesen  nicht  das  Ein- 
treten, sondern  die  Dauer  eines  Zustandes  bezeichnen,  vgl. 
2.  B.  Fassung  —  gefasst  —  sich  fassen.  Manche  entsprechen 
sogar  nur  den  adjektivisch  gebrauchten  Partizipien,  indem 
die  betreffenden  Reflexiva  fehlen  oder  im  Sinne  nicht  kor- 
respondiren,  vgl.  vergnügt  —  Vergnügen,  gestimmt  —  Stim- 
mung, entzückt  —  Entzückung,  befriedigt  —  Befriedigung, 
Ein  anderer  Gesichtspunkt  von  erheblicher  Tragweite  ergibt 
sich,  wenn  wir  z.  B.  mit  einander  vergleichen  die  Verhand- 
lungen sind  im  Gange  und  er  berichtete  über  den  Gang  der 
Verhandlungen.  Im  ersteren  Falle  bezeichnet  Gang  das 
Gehen,  die  Bewegung  an  sich  im  Gegensatz  zum  Stillstand, 


Paul:  Aufgaben  der  lüissenschaftlichen  Lexikographie.         91 

im  letzteren  bezieht  es  sieb  auf  die  Art  und  Weise  des 
Gehens;  im  ersteren  Falle  entspricht  es  der  Funktion  des 
Verbums  gehen  als  logischen  Prädikates  (vgl.  die  Uhr  geht 
gegen  8teht\  im  letzteren  der  Funktion  des  Verbums  als 
Bindeglieds  zwischen  dem  Subjekt  und  dem  eigentlichen  lo- 
gischen Prädikat  (vgl.  die  Uhr  geht  eu  langsam^  s.  Prin- 
cipien  S.  237).  Andere  Wörter,  die  teilweise  oder  durchaus 
nicht  mit  Beziehung  auf  den  Vorgang  an  sich,  sondern  auf 
die  Art  und  Weise  des  Vorgangs  gebraucht  werden,  sind 
Stande  Lauf,  Verlaufs  Fall  (in  diesem  Falle  etc.),  Schlag^ 
{Männer  von  solchem  Schlage)^  Hang,  Lage,  Stellung,  Hal- 
tung, Verhältnis,  Verhalten,  Benehmen,  Betragen,  Befinden, 
Leben,  Weiterhin  kommen  die  verschiedenen  Arten  in  Be- 
tracht, wie  nomina  actionis  zu  Ding-  und  Personalbezeich- 
nungen werden  (s.  Principien  S.  81.  82).  Es  ist  klar,  wie 
wertvoll  es  sein  würde,  wenn  man  über  solche  sich  immer 
wiederholende  Verhältnisse  eine  feste  Terminologie  hätte, 
mit  Hülfe  deren  man  die  verschiedenen  Verwendungsweisen 
jedes  einzelnen  Wortes  leicht  klassifizieren  könnte. 

Man  könnte  mir  einwenden,  dass  durch  Erfüllung  der 
hier  gestellten  Fordeningen  das  Wörterbuch  sich  dem  Cha- 
rakter eines  systematischen  Werkes  nähern  müsste,  wobei 
dann  die  alphabetische  Anordnung  der  Wörter  mehr  und 
mehr  nur  noch  als  Index  fungieren  würde.  Aber,  abgesehen 
davon,  dass  doch  noch  bei  sehr  vielen  Wörtern  die  Behand- 
lung eine  ganz  oder  überwiegend  isolierte  bleiben  müsste, 
so  hat  dieser  Einwand  keine  Berechtigung.  Wenn  man  ein- 
mal anerkennt,  dass  das  Wörterbuch  ein  Werk  von  selb- 
ständigem wissenschaftlichen  Wert  sein  soll,  nicht  ein  blosses 
Hilfsmittel  zum  Nachschlagen  bei  der  Lektüre,  so  muss  man 
alles  nur  als  Fortschritt  begrüssen,  was  von  der  äusserlichen, 
zufalligen  alphabetischen  Anordnung  zu  einer  dem  realen  Zu- 
sammenhange entsprechenden  Gruppierung  hinüberführt. 


92 


Historische  Classe. 

Sitzung  vom  8.  Februar  1894. 

Herr  Stieve  hielt  einen  Vortrag: 

„Ueber  Witteisbacher  Briefe 
Abteilung  Vni.«^ 

Derselbe    wird    in    den    „Abhandlungen"    veröflFentlicht 
werden. 


93 


Philosophisch-philologische  Classe. 

SitzuDg  vom  3.  März  1894. 

Herr  Wölfflin  hielt  einen  Vortrag: 

^Die   neuen  Aufgaben   des  Thesaurus  linguae 
latinae/ 

Wenn  an  den  Entdeckungen  und  Erfindungen,  welche 
als  der  Ruhm  der  Neuzeit  betrachtet  werden,  die  historischen 
Wissenschaften  nur  geringen  Antheil  haben  können,  so  ist 
ein  neuer  Standpunct,  von  dem  aus  man  das  längst  Bekannte 
betrachtet,  wissenschaftlich  gemessen  doch  nicht  viel  geringer 
anzuschlagen.  Zugegeben,  dass  die  Erfindungen  neuer  Ge- 
wehre so  rasch  aufeinander  folgen,  dass  jeweilen  nach  voll- 
zogener Einftihning  eine  bessere  WaflFe  sich  darbietet,  so 
sind  wir  doch  in  der  classischen  Philologie  lange  nicht  so 
conservativ,  als  man  glauben  möchte.  Wir  wollen  nicht  auf 
die  paar  Autoren  oder  Schrifben  hinweisen,  die  man  denn 
doch  in  den  letzten  Jahrzehnten  aufgefunden  hat;  wir  wollen 
auch  nicht  stolz  darauf  sein,  dass  es  dem  Lexikographen  mit 
angestrengtem  Fleisse  gelingt,  ein  paar  hundert  oder  tausend 
neuer  lateinischer  Worte  zu  sammeln,  bezw.  Wortbedeutungen 
nachzuweisen :  viel  wichtiger  ist  der  Gesichtspunct,  unter 
welchem  uns  jeder  Lexikonartikel  erscheint.  Und  da  kann 
man  denn  doch  im  Laufe  der  Jahrhunderte  einen  Fortschritt 


94  Sitzung  der  phüos.'phüöl.  Glosse  vom  3.  März  1894. 

constatieren.  Die  alten  lateinischen  Glossare  stellten  nur  die 
seltenen  und  umstrittenen  Worte  zusammen,  welche  der  Er- 
klärung bedürftig  waren;  wenn  die  bekannteren  namentlich 
durch  den  metaphorischen  Gebrauch  bei  Dichtern  verschie- 
dene Bedeutungen  annahmen,  so  wurde  diess  zwar  verzeichnet, 
wie  denn  tenet  nach  Nonius  p.  412  an  f&nf  Virgilstellen 
tegit,  prohibet,  compescit,  comprehendit,  inhabitat  bedeutet, 
ohne  dass  indessen  eine  Entwicklung  aus  der  Grundbedeutung 
versucht  worden  wäre.  Der  Thesaurus  von  Stephanus  suchte 
eine  Uebensicht  über  den  gesammten  Wortschatz  zu  geben 
und  zog  nicht  nur  für  Worte  wie  für  Bedeutungen  die  Au- 
toren zweiten  und  dritten  Ranges  heran,  welche  die  älteren 
Grammatiker  bei  Seite  gelassen  hatten,  sondern  gab  auch 
die  Verbindungen,  um  dem  Lateinschreibenden  eine  Samm- 
lung guter  Phrasen  an  die  Hand  zu  geben.  Der  von  Ritschi 
und  Halm  geplante  Thesaurus  wollte  noch  mehr  bieten  als 
die  Vermittlung  einer  richtigen  Uebersetzung ;  er  wollte  den 
Gebrauch  jedes  lateinischen  Wortes  so  vollständig  zur  Dar- 
stellung bringen,  dass  die  Unterschiede  zwischen  archaischem, 
goldenem,  silbernem  und  Spätlatein  zu  Tage  treten  sollten, 
dass  man  bei  dem  Schwanken  der  handschriftlichen  Ueber- 
lieferung  oder  bei  Versuchen,  verdorbene  Stellen  durch  Con- 
jecturen  zu  heilen,  sofort  hätte  ersehen  können,  ob  eine  la- 
teinische Redensart  zu  einer  gewissen  Zeit  existiert  habe  oder 
nicht,  und  ob  sie  zu  einem  bestimmten  Autor  passe  oder 
ihm  widerspreche.  War  die  ganze  Thätigkeit  Halms  auf 
die  Herstellung  zuverlässiger  Texte  gerichtet,  wie  das  über- 
haupt die  Signatur  jener  Periode  war,  so  sollte  auch  der 
Thesaurus  ein  Hilfsmittel  für  den  Kritiker  werden,  und  nicht 
nur  für  die  Textkritik,  sondern  auch  für  die  Aechtheitskritik. 
Man  bedauert«  damals,  dass  es  der  Philologie  nicht  vergönnt 
war,  diesen  Schritt  vorwärts  zu  machen,  und  doch  wäre  es 
nur  ein  halber  Schritt  gewesen,  so  dass  wir  uns  über  das 
Unterbleiben  eher  freuen  müssen. 


Wölfflin:  Aufgaben  des  Thesaurus  linguae  latinae,  95 

Wenn  man  auch  im  Verlaufe  der  Arbeit  darauf  ge- 
kommen wäre,  zu  untersuchen,  ob  ein  Wort  in  der  Schrift- 
oder in  der  Volkssprache  gelebt  habe,  so  treten  doch  heute 
die  Unterschiede  zwischen  Litteratur  und  Vulgärlatein 
viel  schärfer  hervor.  Aber  sicher  dachte  damals  noch  nie- 
mand an  die  Möglichkeit,  einem  nach  Ländern  provinciell 
gefärbten  Latein,  einer  den  romanischen  Sprachen  entsprechen- 
den Veränderung  des  lateinischen  Sprachschatzes  in  Spanien, 
Frankreich,  Italien  auf  die  Spur  zu  kommen,  während  heute 
durch  eine  grosse  Anzahl  sicherer  Beobachtungen  diese  Be- 
trachtung nicht  nur  als  möglich,  sondern  als  wissenschaft- 
lich nothwendig  erscheint.  Somit  ist  die  lokale  Verschie- 
denheit der  Sprache  ein  neu  gewonnener  Gesichtspunct. 
Noch  viel  weniger  hatte  man  damals  eine  Ahnung  davon, 
dasa  man  nicht  nur  das  Vorkommen,  sondern  auch  das 
Fehlen  der  Wörter  beobachten  müsse,  und  doch  liegt  es 
eigentlich  nahe,  neben  dem  Zugange  neuer  Wörter  auch  den 
Abgang  und  das  Absterben  der  alten  zu  controlieren,  da  ja 
der  Romanist  sich  oft  darüber  klar  werden  muss,  ob  ein 
lateinisches  Wort  in  einer  gewissen  Periode  noch  oder  schon 
gelebt  habe.  Dass  diese  Forschungsmethode,  wenn  sie  auch 
mit  besondern  Schwierigkeiten  verbunden  ist,  doch  bei  vor- 
sichtiger Anwendung  zu  sichern  Ergebnissen  führt,  glaube 
ich  an  zahlreichen  Beispielen  erwiesen  zu  haben. 

Durch  diese  drei  neuen  Oesichtspuncte  wird  aber  der 
Thesaurus  etwas  ganz  Anderes,  als  er  vor  35  Jahren  hätte 
werden  müssen.  Er  wird  nicht  nur  ein  Hilfsmittel  sein, 
wie  etwa  die  Logarithmen  Vegas,  sondern  ein  Werk,  welches 
seinen  Zweck  und  sein  Interesse  in  sich  selbst  trägt,  und  da- 
mit wird  die  Lexikographie  aus  einer  Magd  eine  selbst- 
ständige Wissenschaft,  welche  das  Leben  jedes  einzelnen 
Wortes  und  damit  die  Geschichte  der  lateinischen  Sprache 
vor  unseren  Augen  entrollt.  Die  Wörter  leben  und  sterben 
wie   andere   Organismen,   wie  die  Blätter  am  Baume,   nach 


96  Sitzung  der  phüosrphüoL  Glosse  vom  3.  März  1894, 

dem  horazischen  Bude,  mit  dem  Unterschiede  freilich,  dass 
manche  Winter  um  Winter  überdauern,  selbst  Jahrhunderten 
und  Jahrtausenden  trotzen,  wenn  sie  auch  Form  und  Be- 
deutung verändern.  Viele  sterben  ab,  doch  so,  dass  der  Ab- 
gang durch  jungen  Nachwuchs  gedeckt  wird.  Aber  hier 
sorgt  nicht,  wie  bei  den  Pflanzen,  die  Mutter  Natur  für  die 
Ausgleichung,  sondern  der  Menschengeist  hat  durch  Ein- 
nahmen in  dem  Betrage  der  Ausgaben  die  Bilanz  zu  er- 
halten, eine  nationalökonomische  Aufgabe,  wie  sie  kein  Finanz- 
minister besser  löst.  Wir  stehen  vor  einem  grossen  biolo- 
gischen Probleme,  welches  in  der  Seele  des  Volkes  und  unter 
Mitwirkung  hervorragender  Denker  gelöst  wird;  in  der  Lö- 
sung selbst  erkennen  wir  das  nationale  Fühlen  und  Denken. 
Dieses  ist  eine  wissenschaftliche  Aufgabe,  des  Schweisses  der 
Edlen  werth.  Welche  Worte  tragen  den  Keim  des  Todes 
in  sich  und  welche  nicht?  Welche  äusseren  Umstände  be- 
dingen die  Erhaltung  oder  den  Untergang?  Welche  Mittel 
besitzt  die  Sprache,  die  entstandenen  Lücken  auszufüllen? 
Wie  hat  griechische  Sprache  und  Litteratur,  wie  das  Ghristen- 
thum  auf  das  Lateinische  gewirkt?  Wenn  wir  die  Aufgabe 
so  fassen,  so  brauchen  wir  nicht  die  Einwendung  zu  be- 
fürchten, man  besitze  bereits  mehrere  grössere  Wörterbücher 
der  lateinischen  Sprache,  denn  wir  wollen  sie  nicht  in  ver- 
mehrter und  verbesserter  Auflage  erscheinen  lassen,  sondern 
sie  mit  neuem  Geiste  erfüllen.  Je  weniger  aber  einem  Ein- 
zelnen wird  beschieden  sein,  das  Werk  zu  Ende  zu  führen, 
desto  mehr  werde  ich  an  die  Worte  des  Polyb  3,  5,  8  er- 
innert: „es  muss  die  Gunst  des  Schicksals  hinzutreten,  damit 
unsere  Lebensfrist  ausreiche;  wiewohl  ich  die  Ueberzeugung 
hege,  dass,  wenn  mir  auch  etwas  Menschliches  begegnen 
sollte,  die  Aufgabe  nicht  ungelöst  bliebe,  sondern  wegen  ihrer 
Schönheit  von  Vielen  aufgenommen  würde."  In  grossen 
Dingen  aber  genügt  es,  den  rechten  Weg  gezeigt  zu  haben 
und  ihn  ein  Stück  weit  zu  gehen. 


Wölfflin:  Aufgaben  des  Thesaurus  linguae  laHnae,  Ö7 

Indem  wir  an  anderer  Stelle  (Archiv  für  lat.  Lexikogr. 
IX.  S.  1  ff.)  auseinanderzusetzen  gedenken,  was  besser  ge* 
macht  werden  kann,  wenden  wir  uns  gleich  zu  dem,  was  zu 
dem  alten  Materiale  neu  hinzukommen  soll,  und  man  wird 
dahin  zunächst  die  Wörter  rechnen,  welche  in  den  bisherigen 
Lexicis  ganz  fehlen.  Bisher  unbekannte  Worte  gewinnt  man 
theils  aus  der  Leetüre  spätlateinischer  Autoren,  die  noch  nicht 
vollständig  ausgebeutet  sind,  theils  aus  neuentdeckten  Schrift- 
stellern, theils  auch  aus  bisher  nichtbenützten  Handschriften 
bekannter  Texte  oder  durch  Conjecturalkritik.  Beispielsweise 
findet  sich  in  den  Handschriften  der  von  Prof.  Karl  Sittl 
soeben  herausgegebenen  Astrologie  des  Firmicus  Maternus  3, 
4,  1  das  in  den  gedruckten  Ausgaben  übersprungene  Wort 
nigraster,  schwärzlich,  welches,  verbunden  mit  dem  aus 
Glossaren  bekannt  gewordenen  canaster  (Arch.  VIII  372), 
aschgrau,  beweist,  dass  die  in  den  romanischen  Sprachen  so 
häufigen  Farbenbenennungen  wie  biancastro,  rossastro,  ver- 
dastro,  franz.  blanchätre,  verdätre,  rougeätre  ihre  lateinischen 
Vorläufer  hatten.  Da  wir  bisher  das  einzige  fulvaster  aus 
einer  einzigen  Stelle  kannten,  so  wird  man  nunmehr,  nach- 
dem drei  Beispiele  gesichert  sind,  vermuthen  dürfen,  dass 
die  spätlateinische  Volkssprache  auch  Bildungen  wie  rufaster 
(rubeaster,  russaster)  gekannt  habe,  und  dass  uns  nur  zu- 
fallig kein  Beleg  aus  der  Litteratur  erhalten  ist. 

Können  so  zwei  neue  Beispiele  ein  Kapitel  der  Sprach- 
geschichte aufhellen,  so  vermag  ein  glücklicher  Fund  sogar 
zur  Kenntniss  der  Sittengeschichte  beizutragen.  In  einer 
spanischen,  von  dem  brittischen  Museum  erworbenen  Hand- 
schrift hat  sich  eine  Predigt  Augustins  gefunden,  in  welcher 
von  der  Himmelfahrt  Christi  und  dem,  was  er  uns  hinter- 
lassen habe,  die  Rede  ist.  Der  Redner  vergleicht  dieses  Ver- 
mächtniss  mit  dem  Geldstücke  der  itoria  (nämlich  pecunia), 
welche  der  in  die  Fremde  Ziehende  seinen  ihn  geleitenden 
Freunden  hinterlässt,  damit  sie  sich  gütlich  thun  und  seiner 

1894.   Plulo8.-pbilol.  u.  hlBt.  Gl.  1.  7 


98  Sitzung  der  phüoa.-philöl.  Glosse  vom  3,  März  1894, 

gedenken  sollen.  Nach  den  beigefügten  Worten  sicut  dici 
solet  muss  diese  nns  nicht  bekannte  itoria,  wenigstens  in 
Afrika,  etwas  ganz  Gewöhnliches  gewesen  sein.  Zur  Be- 
stätigung schreibt  der  afrikanische  Bischof  Optatus  gegen  die 
Donatisten  1, 1, 1:  antequam  in  caelum  ascenderet,  christianis 
nobis  Omnibus  itoriam  per  apostolos  pacem  dereliquit;  denn 
so  muss  ohne  Zweifel  nach  der  ältesten  Petersburger  Hand- 
schrift geschrieben  werden  statt  des  noch  1893  von  Ziwsa 
aufgenommenen  storiam  der  jüngeren  Handschriften,  welches 
als  Nebenform  von  storea,  abgeleitet  von  OTOQSwvfiv^  mit 
Matte,  Schutzdecke,  Schutzwehr  erklärt  wird.  Vgl.  Arch.  VHI 
139  und  C.  Weyman  in  Arch.  IX  52. 

Fehlen  nigr&ster  und  itoria  in  unseren  Wörterbüchern, 
so  trägt  die  Schuld  nur  die  menschliche  Schwachheit;  schlim- 
mer steht  es,  wo  die  Einsicht  gefehlt  hat. 

Wollen  wir  das  Leben  und  die  Geschichte  eines 
Wortes  kennen  lernen,  so  werden  wir,  wie  eine  Biographie 
mit  dem  Geburtstage  beginnt  und  dem  Todestage  schliesst, 
das  erste  Auftreten  und  das  letzte  Vorkommen  zu  be- 
stimmen haben,  und  wenn  auch  Beides  in  vielen  Fällen  un- 
möglich ist,  so  muss  doch  unter  allen  Umständen  geleistet 
werden,  was  mit  unsern  Mitteln  geleistet  werden  kann.  Wohl 
wird  sich  die  älteste  Belegstelle  in  der  uns  zufällig  erhal- 
tenen Litteratur  ermitteln  lassen,  allein  wer  kann  verbürgen, 
dass  das  Wort  nicht  schon  in  älteren  uns  verlorenen  Schriften 
gebraucht  wurde?  Und  wenn  wir  sogar  sicher  sein  dürften, 
das  älteste  Litteraturbeispiel  gefunden  zu  haben,  so  bleibt 
noch  die  Möglichkeit,  dass  ein  Wort  lange  in  der  Volks- 
sprache gelebt  habe,  bevor  es  in  die  Litteratursprache  auf- 
genommen wurde.  So  kennen  wir  die  Nebenform  von  scriba, 
scribo  scribonis  erst  aus  Gregor  dem  Grossen;  sie  nützt  uns 
für  die  romanischen  Sprachen  nicht  viel,  da  diese  von  scri- 
banus  franz.  ecrivain,  ital.  scribano  gebildet  haben,  aber  sie 
muss  viele  Jahrhunderte   älter  sein,   da  der  Name   der  gens 


Wölfflin:  Aufgäben  des  Thesaurus  Unguae  latinae,  99 

Scribonia  nur  von  scribo  abgeleitet  sein  kann.  Vermuthlich 
nannten  die  Soldaten  ihre  Fouriere  und  das  Volk  die  Kanz- 
listen scribones  mit  dem  voller  klingenden,  dem  gemeinen 
Manne  darum  immer  sympathischeren  Suffixe,  während  die 
Litteratursprache  an  seriba  festhielt. 

Konnten  wir  so  in  der  Bestimmung  des  Alters  um  mehr 
als  ein  halbes  Jahrtausend  irren,  so  kann  es  allerdings  unter 
günstigen  umständen  gelingen,  den  Geburtsact  zu  consta- 
tieren.  Wenn  Cicero  Begriffe  der  griechischen  Philosophie 
lateinisch  wiedergiebt  und  zwar  mit  neugebildeten  lateinischen 
Wörtern,  so  erkennen  wir  in  ihm  den  Sprachbildner;  oder 
wenn  Lucretius  und  Virgil  Formen  schaffen,  welche  sie  allein 
in  den  Hexameter  bringen,  wie  maximitas  für  magnitudo, 
nominito  für  nomino,  so  sind  siedle  personlichen  Schöpfer, 
mit  der  Einschränkung  freilich,  dass  man  nicht  genau  weiss, 
ob  ihnen  darin  nicht  etwa  schon  Ennius  vorangegangen 
war.  So  hat  supervacuus  statt  des  in  der  älteren  Prosa 
üblichen  supervacaneus  seine  Ausbreitung  offenbar  durch  die 
hexametrischen  Dichter,  namentlich  Horaz  und  Ovid,  ge- 
funden, obschon  wir  den  Autor,  welcher  diesen  Schritt  that, 
nicht  mit  Namen  nennen  können.  Vgl.  Arch.  VIII  561. 
Pacalis  von  pax,  wie  legalis  von  lex,  hat  allem  Anscheine 
nach  Ovid  zuerst  gebildet,  ohne  indessen  Anklang  zu  finden, 
aber  nicht  metri  causa,  sondern  weil  den  kriegsliebenden 
Römern  überhaupt  ein  Adiectiv  ,friedlich*  fehlte.  Adorare 
anbeten  verdankt  man  wahrscheinlich  dem  Virgil  Georg.  1, 
343.     Heerdegen,  Semasiol.  Unters.  Heft  3,  S.  101. 

Andere  Neubildungen  sind  auf  Rechnung  des  Christen- 
thums  zu  setzen,  und  so  gut  Cicero  das  Unfassliche,  das 
d%ardi.rj7tTov  mit  incomprehendibile  übersetzte,  so  gut  er- 
zwang der  aoßvriQ  und  der  fieaiTtjg  des  neuen  Testamentes 
den  salvator  und  den  mediator  (Mittler),  nachdem  ältere 
üebersetzer  jenen  mit  servator,  conservator,  salutaris,  saluti- 
ficator,    salvificator,    diesen    minder    genau    mit   Sequester, 


100        Sitzung  der  pMos^-pMoL  Glosse  vom  3,  März  1894. 

arbiter,  Sponsor,  interventor  wiedergegeben  hatten.  Arch. 
VIII  592.  Münchner  Sitz.-Ber.  6.  Mai  1893.  S.  263  ff.  Es 
gehört  übrigens  mit  zur  Geschichte  der  Entwicklung,  dass 
ein  so  schönes  Wort  wie  mediator  bald  auf  die  Bedeutung 
von  ,leno'  herabsinken  konnte.     Corp.  gloss.  vol.  V. 

Aber  wenn  wir  auch  nicht  zu  dem  muthmasslichen 
Schöpfer  eines  Wortes  aufsteigen  oder  doch  etwa  das  Jahr- 
zehnt des  Entstehens  bezeichnen  können,  so  müssen  wir  um 
so  sorgfaltiger  aufzeichnen,  wo  uns  ein  Wort  zufällig  in  der 
erhaltenen  Litteratur  zuerst  begegnet,  und  das  leisten  unsere 
Wörterbücher  an  hundert  und  tausend  Stellen  noch  nicht. 
Vesper,  der  Abendstern,  kommt  nicht  zuerst  bei  Virgil  \ind 
Horaz  vor,  sondern  schon  bei  CatuU  62,  1;  aquilo,  der 
Nordwind,  nicht  bei  Cicero,  sondern  zwei  Jahrhunderte  früher 
bei  Naevius  trag.  19  R. ;  prognatus  nicht  bei  Plautus,  son- 
dern bei  Naevius  in  dem  saturnischen  Halbverse  sanctüs  Jove 
prognatus,  was  man  wissen  muss,  um  den  Vers  der  Scipionen- 
inschrifb  Gnaivdd  patre  prognatus  richtig  zu  würdigen, 
Eximo  und  supplico  belegen  unsere  Lexica  zuerst  mit  Plau- 
tus, obwohl  sie  schon  auf  der  Columna  rostrata  und  im  Car- 
men saliare  vorkommen. 

Die  letzte  Stelle  aber  anzugeben,  selbst  bei  Wörtern, 
welche  in  den  romanischen  Sprachen  untergegangen  sind, 
hat  für  uns  nur  untergeordneten  Werth.  Wenn  nämlich  ge- 
wisse Wörter  in  der  Volkssprache  zurücktreten  und  schliess- 
lich absterben,  so  erhalten  sie  sich  immer  noch  in  den 
Schriften  gelehrter  Autoren,  bei  welchen  sie,  weil  diese  die 
alten  Klassiker  studieren,  fortleben.  Durch  diese  Vegetation 
im  Treibhause  dürfen  wir  uns  nicht  tauschen  lassen,  und  es 
erwächst  uns  daher  die  neue,  schwierige  Pflicht,  dem  Unter- 
gange  der  Wörter  in  der  lebendigen  Umgangssprache  nach- 
zuforschen. Hier  gelten  die  ungebildeten  Autoren  mehr  als 
die  gebildeten ;  denn  sie  allein  geben  die  Sprache  ihrer  Zeit 
wieder,  während  diejenigen,  welche  eine  gute  Schule  durch- 


k 


WcUfflin:  Aufgäben  des  Thesaurus  linguae  latinae.         101 

gemacht  haben,  und  Männer  der  Wissenschaft,  welche  lit- 
terarische Quellen  benützen,  durch  ihren  Unterricht  und  ihre 
Lectüre  beeinfiusst  sind.  Wo  die  Quellen  noch  erhalten  sind, 
wie  bei  Solin  die  Naturgeschichte  des  Plinius,  bei  Orosius 
die  Weltgeschichte  des  Justin  und  andere  historische  Werke, 
da  lässt  sich  die  Sprache  eines  Autors  scheiden  in  seine  eigene 
und  die  von  Vorgängern  übernommene;  in  den  meisten  Fällen 
ist  diess  jedoch  nicht  mehr  möglich.  Apuleius  und  Ammian 
haben  so  viel  gelesen,  dass  wir  namentlich  bei  dem  ersten 
oft  nicht  entscheiden  können,  ob  ein  Wort  dem  afrikanischen 
Latein  angehört  oder  aus  einem  alten  für  uns  verlorenen 
Autor  gezogen  ist.  Durch  genaue  Beobachtungen,  wie  sie 
freilich  zur  Zeit  noch  nicht  gemacht  sind,  kann  es  indessen 
gelingen,  das  Absterben  eines  Wortes  nachzuweisen.  Saepe 
ist  nicht  nur  in  den  romanischen  Sprachen  spurlos  ver- 
schwunden, es  muss  schon  in  der  römischen  Kaiserzeit  auf- 
fallend zurückgegangen  sein  und  durch  subinde  (souvent), 
frequenter  u.  a.  verdrängt  worden  sein.  Denn  wenn  man 
bedenkt,  dass  bei  Pomponius  Mela  auf  3  saepe  ein  Dutzend 
subinde  treffen,  in  den  4  ersten  Büchern  der  Astrologie  des 
Firmicus  Maternus  auf  etwa  3  saepe  annähernd  60  frequenter, 
bei  Cassius  Felix  auf  3  saepe  mehr  als  70  frequenter,  ein 
Adverb,  welches  Cäsar,  Sallust  u.  A.  gar  nie  gebraucht  haben, 
so  zeigt  diess  doch  wohl,  dass  saepe  keine  festen  Wurzeln 
mehr  hatte,  mögen  es  auch  gelehrte  Autoren  noch  so  oft 
gebrauchen.  Oder  wenn  diu  bei  Caelins  Aurelianus  fehlt, 
wie  in  den  romanischen  Sprachen,  so  erkennen  wir  auch 
darin  eine  Bestätigung  davon,  dass  die  sogenannten  romani- 
schen Veränderungen  im  Sprachbestande  viel  weiter  hinauf- 
reichen. Um  indessen  sicher  zu  gehen,  wird  man  Beobach- 
tungen aus  verschiedenen  Autoren  haben  müssen,  die  sich 
gegenseitig  unterstützen. 

Wir  kommen  auf  die  lokale  Verbreitung.    Wie  uns 
die   Botanik   lehrt,   wo   gewisse  Pflanzen   gedeihen    und   wo 


102        Sitzung  der  phüoa.'phtlol.  Classe  vom  3,  März  1894, 

nicht,  wo  sie  wild  wachsen  und  wo  nicht,  so  hat  auch  die 
Sprachgeschichte  die  Grenzen  des  Wortgebrauches  festzu- 
stellen, wenn  mögh'ch,  mit  Unterscheidung  von  Volkssprache 
und  Schriftsprache.  Man  hüte  sich  wohl,  anzunehmen,  dass 
das  Lateinische  in  allen  Theilen  des  römischen  Reiches  gleich 
gesprochen  worden  sei;  im  Gegen theile,  so  sicher  es  zeitliche 
Unterschiede  in  der  Latinität  giebt,  ebenso  sicher  örtliche, 
wie  schon  Hieronymus  beobachtet  hat  im  Commentare  zum 
Galaterbriefe  2,  3 :  cum  et  ipsa  latinitas  et  regionibus  cotidie 
mutetur  et  tempore.  Schon  seit  vielen  Jahrzehnten  spricht 
man  von  der  Africitas  des  Apuleius,  TertuUian,  Cyprian, 
Arnobius  u.  A.  und  der  Name  klingt  uns  heute  so  bekannt, 
als  ob  er  von  den  Alten  zur  Bezeichnung  einer  dialectischen 
Verschiedenheit  gebraucht  wäre,  obschon  Spartian  nur  von 
der  afrikanischen  Aussprache  des  Septimius  Severus  (cp.  19,  9) 
berichtet,  nicht  von  Wörtern  oder  Structuren,  welche  dem 
afrikanischen  Latein  eigenthümlich  gewesen  wären.  Rechnen 
wir  dazu  den  Rhetor  Fronto  aus  Cirta,  so  besitzen  wir  aus  dem 
2.  und  3.  Jahrhundert,  von  dem  vierten  gar  nicht  zu  reden, 
eine  solche  Anzahl  von  bedeutenden  Schriftstellern  afrika- 
nischer Herkunft,  dass  es  leicht  scheint,  aus  einem  so  reichen 
Stoffe  ein  Lexikon  und  eine  Grammatik  des  afrikanischen 
Lateins  zu  construieren ;  eine  Gefahr  aber  besteht  darin,  dass 
uns  Italien,  Gallien,  Hispanien  nicht  eine  ähnliche  Litteratur 
darbietet,  um  eine  Vergleichung  anzustellen,  und  eine  zweite 
darin,  dass  die  grosse  Bedeutung  der  genannten  Autoren  eine 
Einwirkung  auf  das  Latein  Europas  wahrscheinlich  macht; 
endlich  hat  sich  in  Afrika  keine  romanische  Sprache  ge- 
bildet, welche  durch  ihre  Abweichungen  von  dem  Italiäni- 
schen.  Französischen,  Spanischen  die  Eigenthöralichkeiten  des 
afrikanischen  Lateins  erkennen  Hesse.  Und  doch  kann  die 
Africitas,  wenn  sie  auch  noch  nicht  herausdestilliert  ist,  un- 
möglich geläugnet  werden,  weil  die  punische  Landessprache 
nothwendig   dem   importierten  Latein   etwas  von  ihrem  Ge- 


WÖlfflin:  Aufgaben  des  Thesaunns  linguae  laünae.         103 

präge  aufdrücken  musste.  Dass  Ausdrücke  wie  in  saecula 
saeculorum,  caeli  caelorum  aus  den  hebräischen  Psalmen 
stammen,  wird  niemand  bestreiten  und  daher  auch  vanitas 
vanitatum  bei  Augustin,  welches  Göthe  gebrauchte,  nicht 
auffallend  finden;  wenn  wir  nun  aber  namentlich  bei  Apu- 
leius  und  Arnobius  sogenannte  identische  Genitive  finden,  wie 
cupiditates  libidinum,  superbiae  fastus,  imperii  iussio,  was 
sind  sie  anders  als  lateinische  Punismen  oder  Semitismen, 
mit  dem  Unterschiede,  dass  statt  der  Wiederholung  d&sselben 
Substantivs  ein  Synonymum  vorgezogen  wird,  wie  bei  proe- 
lium  pugnare  statt  pugnam  pugnare?  Oder  wenn  die  semi- 
tischen Sprachen  statt  des  Gomparativs  den  Positiv  mit  der 
Präposition  fnin  ==  lat.  ah  gebrauchen  und  man  im  afrika- 
nischen Latein  statt  des  Ablativus  comparationis  doctior  illo 
sagt  doctior  ab  illo,  was  später  auch  Europa  annahm,  so 
kann  jener  Ausdruck  allerdings  die  lateinische  Umschreibung 
begünstigt  haben.  Mehr  möchten  wir  allerdings  darum  nicht 
behaupten,  weil  die  strenge  Uebertragung  doctus  ab  ali- 
quo  verlangt  hätte,  und  weil  der  Ablativ  (Separativ)  ebenso 
durch  ab  verdeutlicht  werden  konnte,  wie  der  Genitiv  durch 
de  aufgelöst  worden  ist.  Den  Einfiuss  nehmen  wir  an,  weil 
doctior  ab  illo  zuerst  in  Afrika  auftritt;  dass  man  aber 
auch  ausserhalb  Afrika  auf  das  Nämliche  verfallen  konnte, 
beweist  das  mittel-  und  neugriechische  TvXovaicitBQog  ano 
Tivog.  Vgl.  P.  Geyer  in  den  Bl.  f.  bayr.  Gymn.  W.  1891. 
158.  H.  Ziemer,  Gomparation  S.  103.  Donat  Gr.  lat.  IV  433, 
18  quando  dico  doctior  illo  et  doctior  ab  illo,  re  vera  eadem 
invenitur  elocutio.  Damit  hätten  wir  einen  ganzen  und  einen 
halben  Punismus  in  dem  Sinn,  wie  wir  im  Lateinischen  von 
Gräcismen  sprechen,  oder  wie  TLaxayqafpEtv  azQdTevfia  bei 
Polyb  (conscribere)  statt  des  gutgriechischen  Kotaleyeiv  ein 
Latinismus  ist.  Mag  also  nicht  Alles  Africismus  sein,  was 
man  dafür  ausgegeben  hat,  an  der  Existenz  der  Africismen 
zu  zweifeln  ist  unmöglich.     Vgl.  Arch.  VIII  237. 


104        Sitzung  der  pMosrphüoL  Glosse  vom  3,  Märe  1894. 

In  neuerer  Zeit  hat  namentlich  Paulus  Geyer  mit  Er- 
folg die  Aufmerksamkeit  auf  die  lateinischen  Gallicismen 
gelenkt.  Arch.  II  25.  VII  461.  VIII  469.  Doch  lässt  sich 
nur  ausnahmsweise  eine  Anlehnung  an  das  Keltische  ver- 
muthen  (VIII  482);  in  der  Regel  gewinnt  von  lateinischen 
Concurrenzausdrücken  einer  die  Oberhand  in  Gallien,  ohne 
dass  man  sagen  konnte,  warum,  oder  das  Land  bildet  aus 
lateinischen  Elementen  an  die  Stelle  eines  absterbenden 
Wortes  ein  neues.  Nur  im  gallischen  Latein  hat  apud  die 
Bedeutung  von  cum  angenommen,  woraus  sich  das  franzö- 
sische avec  =  apud  hoc  erklärt.  Also  le  roi  avec  la  reine 
==  der  König,  dabei  (dazu)  die  Konigin.  Dass  man  in  Gal- 
lien, wie  auch  in  Italien  und  überhaupt  im  Osten  den  Gom- 
parati?  mit  plus  umschrieb,  statt  mit  magis,  woran  Spanien 
festhält,  konnte  jeder  Romanist  sehen;  ich  habe  zuerst  als 
Latinist  nachgewiesen,  dass  schon  im  5.  Jahrh.  Sidonius 
ApoUinaris  von  Lyon  und  Alcimus  Avitus  von  Vienne  plus 
in  diesem  Sinne  gebrauchen,  im  Gegensatze  zu  dem  Spanier 
Orosius,  welcher  magis  schreibt.  Aber  warum  der  Wechsel! 
In  Gallien  und  Italien  nahm  magis  die  Bedeutung  einer  Ad- 
versativpartikel ,vielmehr,  aber'  an,  wie  franz.  mais  und  ital. 
ma  zeigen;  um  der  Collision  zu  entgehen,  wählte  man  für 
den  Comparativ  plus,  während  Spanien  die  Doppelbelastung 
duldete,  was  sonst  nicht  im  Geiste  der  romanischen  Sprachen 
ist,  und  raas  sowohl  adversativ  als  comparativ  verwendete. 
Oder  wenn  wir  das  lateinische  quare  mit  wenig  veränderter 
Bedeutung  im  Provenzalischen  zu  quar,  im  Französischen  zu 
car  (denn)  verkürzt  finden,  im  Italiänischen  aber  nicht,  so 
werden  wir  die  Schlussfolgerung  wagen  dürfen,  schon  im 
gallischen  Latein  habe  quare  die  nämliche  Function  über- 
nommen, wie  ähnlich  quippe  ,denn*  und  ,weiP,  quamquam 
,allerdings'  und  ,obschon'  bedeutet,  also  sowohl  einen  Haupt- 
satz als  einen  Nebensatz  einleiten  kann.  Und  wirklich  heisst 
es  in  einer  Stelle   der  Aquitanierin  Silvia,  peregrin.,  welche 


Wälfflin:  Aufgaben  des  Thesaurus  linguae  latinae,         105 

der.  Excerptor  Petrus  Diaconus  p.  33  Riant  erhalten  hat : 
naves  ibi  multae  sunt;  quare  portus  famosus  est  pro  ad- 
venientibus  ibi  mercatoribus  de  ladia.  Ebenso  in  den  For- 
mulae  Senon.  (Monum.  Germ.  bist.  Y  222,  25:  qui  mihi 
tninime  credit  |  Facta  tua  vidit.  |  Illum  tibi  necesse  desidero, 
I  Quare  non  amas  Deo.     (Denn  Du  liebst  Gott  nicht.) 

Irrthümlich  haben  dem  gallischen  Latein  das  wegen 
seiner  Bedeutungsentwicklung  interessante  -Wort  baro  (Baron) 
Diez,  Settegast  (in  YollmöUers  Roman.  Forschungen  I  240), 
Körting  u.  A.  zugewiesen  und  zwar  auf  Grund  einer  Notiz 
der  Persiusscholien  zu  sat.  5,  138:  lingua  Gallorum  barones 
vel  yarones  dicuntur  servi  militum ,  qui  utique  stultissinii 
sunt.  Allein  die  Worte  ,lingua  Gallorum^  finden  sich  nicht 
in  den  Handschriften,  sondern  sind  erklärender  Zusatz  des 
Herausgebers  Pithoeus,  welcher  die  Scholien  nicht  nur  in 
das  karolingische  Zeitalter,  sondern  nach  Frankreich  setzte, 
weil  er  eine  Handschrift  von  Montpellier  benützte.  Dieser 
lokalen  Beschränkung  steht  die  Thatsache  gegenüber,  dass 
das  Wort  sich  ebensowohl  im  Italiänischen  als  im  Spanischen 
findet,  und  im  Lateinischen  mindestens  schon  bei  Cicero. 
Der  von  Diez  und  Müllenhof  (zur  Lex  Salica  279)  versuchten 
Ableitung  vom  deutschen  heran  (q>OQeiv^  tragen)  haben  wir 
im  Archiv  f.  latein.  Lexikographie  IX  13  eine  einfachere 
entgegengestellt,  indem  wir  als  Ausgangspuuct  für  das  mo- 
derne Baron  nicht  lat.  baro  =  Tölpel,  Pinsel,  Klotz,  sondern 
als  =  Mann  mit  vorwiegend  entwickelter  Körperkraft  nach- 
wiesen bei  Cic.  divin.  2,  144.  Petron  53;  63,  wo  Schnell- 
läufer und  Athleten  so  genannt  werden.  Die  Erklärung  im 
Corpus  glossarum  vol.  H  27,  54  baro:  avriQ  zeigt  uns  den 
Weg,  wie  im  Spanischen  varone  geradezu  die  Bedeutung 
von  ,Mann^  annehmen  konnte,  wie  schon  in  der  lex  Ripuaria 
tam  baronem  quam  feminam.  Dass  das  Wort  im  Italiänischen 
(baro,  barro)  auch  den  ,Betrüger,  Falschspieler^  bezeichnet, 
im  Franzosischen  den  ,Schwindler',  müssen  wir,  die  Identität 


106       SUeung  der  phÜ08rphMi,  Glosse  mm  3.  März  1894, 

vorausgesetzt,  an  der  übrigens  kaum  zu  zweifeln  ist,  geduldig 
hinnehmen;  für  die  Semasiologie  und  Völkerpsychologie  aber 
bleibt  es  höchst  merkwürdig,  wie  ein  und  dasselbe  Wort  im 
Verlaufe  der  Jahrhunderte  und  in  verschiedenen  Ländern, 
Querkopf  (varo  bei  Lucilius  frgm.  ine.  108  M.),  Lastträger, 
tapferer  Mann,  Freigeborener  (lex  Salica),  Vasall  (=  pro- 
ceres,  in  den  Kapitularien  Karls  des  Kahlen)  und  Betrüger 
bezeichnen  konnte. 

Kaum  hat  man  bisher  versucht,  hispanisches  Latein 
zu  erforschen,  und  doch  verdient  das  Land  um  so  mehr  Be- 
rücksichtigung, als  es  vor  Gallien  der  römischen  Herrschaft 
unterworfen  worden  ist.  Auch  ist  die  Gebirgsscheide  der 
Pyrenäen  eine  so  starke,  dass  zahlreiche  lateinische  Ausdrücke 
sich  bloss  auf  der  hiberischen  Halbinsel  erhalten  haben.  Nur 
in  Spanien  heisst  das  Gesicht  rostrum  (Schnabel),  das  Bein 
pema  (Schinken),  der  Bruder  germanus,  essen  comedere  statt 
manducare.  In  rostrum,  welches  wir  aus  Plautus  und  Lu- 
cilius kennen,  in  dem  ennianischen  pema  steckt  wohl  altes 
Latein,  welches  die  Legionäre  der  Scipionen  über  die  Pyre- 
näen getragen  haben  mögen.  Einer  der  ältesten  Vertreter 
Hispaniens  in  der  römischen  Litteratur,  der  Verf.  de  re  rustica, 
Golumella,  nennt  uns  z.  B.  12,  39,  2  brisa  =  Weintrester  als 
Landesausdruck,  welcher  sich  denn  auch  heute  noch  erhalten 
hat;  ja  sein  Name  selbst,  Golumella,  bei  Varro  Stockzahn, 
ist  acht  spanisch,  verkürzt  aus  columnella,  kleine  Säule, 
spanisch  colmillo,  Augzahn,  wozu  schon  Isidor  von  Sevilla, 
orig.  11,  1,  52  bemerkt:  dentes  caninos  pro  longitudine  et 
rotunditate  vulgus  colomellos  vocant.  Die  Römer  haben  solche 
Leute  Dentatus  oder  Dento  genannt.  Nur  im  Spanischen 
und  Portugiesischen  heisst  der  Roggen,  sonst  secale,  Schnitt- 
korn, Sichelkorn  im  Gegensatz  zum  gemähten,  ceutenum, 
vielleicht,  schreibt  Körting  1891,  weil  er  hundertfaltige  Frucht 
giebt.  Nein,  ganz  gewiss;  denn  im  Edictum  Diocletiani  de 
pretiis   rerum  venalium  l,  3  heisst  es  centenum  sive  sicale. 


WÖlffUn:  Auf  gaben  des  Thesaurus  linguae  latinae,         107 

and  Plinius  n.  h.  18,  40  sagt  uns,  das  secale  trage  hundert- 
faltige Frucht. 

Natürlich  hat  auch  Italien  Manches  theils  selbst  ge- 
schaffen, theils  allein  erhalten.  Dahin  dürfte  beispielsweise 
das  bei  Diez  und  Körting  nicht  genügend  erklärte  Wort 
balzano,  weissgezeichnetes  Pferd  (das  neufranzosische  balzan 
ist  Lehnwort  aus  dem  Italiänischen),  gehören.  Es  bedurfte 
hier  nicht  des  Arabischen  zur  Erklärung;  denn  Balios  ist 
nicht  nur  ein  auf  griechischen  Vasen  vorkommender  Pferde- 
name, sondern  schon  aus  Homers  Ilias  16, 149.  19,  400  sind 
uns  die  beiden  nach  der  Farbe  benannten  Pferde  Savd'og  aal 
BaXiog  bekannt.  Zu  Anfang  des  sechsten  Jahrhunderts  machte 
der  Bischof  von  Pavia,  Ennodius,  ein  Gedicht  De  equo  badio 
(kastanienbraun)  et  balane  (Vogel  CCCLV  =  carm.  II  136 
Hartel),  in  welcher  Form,  mag  sie  auch  verdorben  sein, 
jedenfalls  eine  Weiterbildung  mit  dem  Suffixe  -an  steckt. 
Nach  Prokop  bell.  Goth.  1,  18  hatte  Belisar  ein  farbiges 
((paiog  ist  vieldeutig),  am  Kopfe  aber  weisses  Pferd,  ,welches 
die  Griechen  Oaliov,  die  Barbaren  (Gothen)  Bdkav  nennend 
Vgl.  Thielmann  im  Arch.  f.  lat.  Lexlkogr.  IV  601.  Aus 
Plautus  Poen.  5,  5,  22  (baliolum)  möchte  man  auf  eine  Form 
^balianus  schliessen. 

Endlich  die  Hauptsache:  Der  Ersatz  der  untergehenden 
Wörter.  Konnte  man  bisher  durch  den  Thesaurus  nicht  ein- 
mal das  Absterben  eines  Wortes  constatieren ,  so  noch  viel 
weniger,  was  an  dessen  Stelle  getreten  sei,  weil  die  einzelnen 
Vokabeln  nach  amerikanischem  Zellensystem  abgesperrt  und 
in  keine  Verbindung  miteinander  gebracht  wurden,  obwohl 
sie  doch  nicht  als  Junggesellen,  sondern  in  Familiengemein- 
schaft leben.  Und  doch  ist  neben  der  Production  der  ersten 
Wörter  für  die  einzelnen  Begriife,  also  gewissermasseu  der 
Ursprache,  die  Ausfüllung  der  entstehenden  Lücken  eine  der 
grossartigsten  Leistungen  der  Sprache,  deren  Sorge  einem 
Kriegsministeriura  gleicht,  welches  nicht  nur  die  Gefallenen 


108        Sitzung  der  philos.'phüoL  Glosse  vom  3.  März  1894. 

durch  Nachschub  ersetzt,  sondern  auch  sich .  alle  Mühe  giebt, 
die  Kranken  und  Verwundeten  am  Leben  zu , erhalten. 

Die  Wörter  werden  krank  durch  den  häufigen  Gebrauch, 
wie  die  Münzen  durch  das  Abschleifen.  Auslautende  Con- 
sonanten  verstamtnen,  Endsilben  fallen  ab,  kurze  Vokale  im 
Inlaute  werden  hinausgequetscht.  So  wurde  das  viersilbige 
griechische  ^Icodvvrjg  durch  Aufgeben  des  vokalischen  J  la- 
teinisch dreisilbig  Johannes,  zweisilbig  mit  abgeworfener  En- 
dung Johann,  einsilbig  Hans  oder  französisch  Jean.  Wenn 
es  aber  allen  Wörtern  ähnlich  gienge,  so  bekäme  die  Sprache 
zu  viel  Einsilbler,  die  sich  als  vielfach  homonym  nicht  alle 
nebeneinander  halten  könnten.  Die  Sprache  begegnet  dieser 
Einschrumpfang  durch  Ansetzung  von  Suffixen,  nament- 
lich der  sogenannten  Deminutiv-  und  Augmentativendungen. 
Hatten  diese  in  der  klassischen  Zeit  den  Zweck,  das  Nomen 
in  die  Sphäre  des  Kleinen,  Zierlichen,  Qemüthlichen  zu  rücken 
oder  auch  unter  ein  Vergrösserungsglas  zu  bringen,  so  dienen 
sie  im  Spätlatein  wesentlich  dazu,  das  Wort  ohne  Veränderung 
des  Sinnes  länger  zu  machen.  Auricula  muss  ursprünglich 
ein  kleines  Ohr  bezeichnet  haben,  aber  der  Arzt  Marcellus 
Empiricus  benützt  die  Form,  während  er  an  den  dreisilbigen 
Genetiven  und  Dativen  aurium  und  auribus  festhält,  um  den 
zweisilbigen  Formen,  wie  dem  Dativ  Singular  auri,  durch 
auriculae  aufzuhelfen  (Arch.  VIU  591)  und  schliesslich  heissen 
bei  den  Franzosen  alle  Ohren  oreilles. 

Furo,  furonis  muss  als  Schimpfwort  ursprünglich  einen 
,Erzdieb'  bezeichnet  haben,  wovon  weiter  furunculus  ,ge- 
meiner  Dieb',  auch  in  der  übertragenen  Bedeutung  von  ,eiterndes 
Geschwür*,  weil  es  die  Gesundheitssäfte  heimlich  entzieht 
(nicht  =  furvunculus ,  von  furvus  schwarz ,  wie  Georges 
glaubt),  abgeleitet  worden  ist.  Aber  in  der  St.  Galler  Epi- 
tome  des  Codex  Theodosianus  entspricht  furone  dem  ein- 
fachen für  der  Quelle,  ist  also  ohne  Bedeutungssteigerung 
bloss  verlängerte  Form,  wofür  auch  Du  Gange  s.  v.  weitere 


WÖlfflin:  Aufgaben  des  Thesaurus  Unguae  latinae.         109 

Beispiele  aus  späteren  Gesetzbüchern  anführt,  und  das  Frett- 
chen, welches  die  Italiäner  mit  Deminutivsuffix  furetto  nen- 
nen, heisst  bei  Isidor  orig.  12,  2,  39  mit  Augmentatiysuffix 
furo.     Vgl.  über  cardus  (Distel)  und  cardo  Arch.  IX  6. 

Man  konnte  aber  nicht  nur  taurus  zu  taurulus  yer- 
längem  (Petron  39),  man  konnte  aus  ager,  ager(u)lus,  agel- 
lus  durch  Analogie  ein  kräftigeres  Suffix  -ellus  gewinnen, 
welches  lange  Pannultima  bot,  und  so  ist  denn  das  franzo- 
sische taureau  aus  taurellus  hervorgegangen,  ohne  dass 
darum  das  Thier  kleiner  geworden  wäre.  Ja  man  konnte 
durch  Combination  mehrerer  Suffixe,  wie  -co,  -lo  weiteren 
Silbenzuwachs  schaffen,  wie  sol,  soliculus,  ursprünglich  die 
liebe  Sonne,  aber  im  Französischen  (soleil)  die  Sonne  über- 
haupt. Da  nun  auch  die  Adiectiva  Suffixe  anhängen,  so  bot 
sich  nicht  nur  die  Möglichkeit,  medius  zumedianus  (moyen), 
aetemus  zu  aeternalis  (eternel)  zu  entwickeln,  sondern  die 
kräftigeren  Adiectiyformen  konnten  zu  Substantiven  erhoben 
werden,  z.  B.  mons,  montana,  montagne;  hiems,  hiber- 
num  (hibemus)  hiver;  medicus,  medicinus,  medecin;  pectns, 
pectorina,  poitrine.  Aehnlich  wurden  kurze  Adverbia  durch 
die  Comparativ(Superlativ)form  über  Wasser  gehalten,  diu 
durch  diutius,  saepe  durch  saepius  oder  saepissime, 
welche  sich  an  diutule  (oft  in  den  Saturnalien  des  Macrobius), 
diutume,  saepicule,  saepenumero  änschliessen. 

Für  die  Yerba  war  das  ;  lebenserhaltende  Element  die 
Frequentativ-  oder  Intensivform.  Auch  hier  verblasste 
der  Begriff  der  wiederholten  oder  der  gesteigerten  Thätig- 
keit  immer  mehr,  und  schon  zu  Plautus  Zeit  zog  der  gemeine 
Mann  die  volleren  Formen  auf  -äre  denen  auf  -ere  vor; 
denn  während  die  Klassiker  sagen  tibiis  c  an  ere,  wie  fidi- 
bus  c,  finden  wir  bei  Plautus,  Nepos,  Gellius  und  in  der 
Vulgata  zu  Lucas  7,  32  tibiis  cantare,  offenbar  ohne  Be- 
deutungsunterschied. Ein  solcher  wird  ja  dadurch  zur  Un- 
möglichkeit,  dass  die  Yerba   der  dritten   Conjugation   ganz 


110        Sitzung  der  phüos.'phüöl.  Glosse  %om  3,  März  1894, 

abstarben,  wie  die  romanischen  Sprachen  zeigen:  chanter 
(canere),  casser  (quassare,  qiiatere),  jeter  (iactare,  iacere); 
meriter  (meritare,  merere),  dieses  mit  Silbenzuwachs.  Dazu 
kam,  dass  in  den  Zeiten  der  Völkerwanderang  für  die  das 
römische  Reich  überschwemmenden  Fremden  die  regelmässige 
erste  Conjugation  leichter  zu  handhaben  war  als  die  unregel- 
mässige dritte. 

Am  wenigsten  war  den  einsilbigen  Partikeln  zu  helfen 
und  sie  haben  daher  auch  die  grössten  Verluste  erlitten: 
cum  als  Gonjunction  wie  als  Präposition,  die  zahlreichen  und 
vieldeutigen  ut,  die  Präpositionen  ab,  ob  und  ex,  ac,  vel  und 
seu,  sed  und  at,  quin  und  nam  sind  so  gut  wie  spurlos  ver- 
schwunden, daneben  auch  manche  zweisilbige,  wie  autero, 
enim,  quia,  ergo,  nisi,  selbst  dreisilbige  wie  igitur  und  itaque. 

Liess  sich  hinten  kein  passendes  Suffix  anhängen,  so 
konnte  vorn  durch  die  ursprünglich  verstärkende,  aber  nun- 
mehr abgeschwächte  Präpositionalzusammensetzungeine 
Silbe  gewonnen  werden.  In  consoler  gegenüber  solari,  de- 
pouiller  neben  spoliare,  conduire  neben  ducere,  annoncer 
neben  nuntiare  sind  die  Präpositionen  nahezu  zu  Impondera- 
bilien herabgesunken;  sie  können  keine  Wirksamkeit  mehr 
entfalten,  weil  die  Simplicia  abgestorben  und  die  Composita 
in  ihre  Stelle  eingerückt  sind.  Natürlich  ist  diese  Ent- 
werthung  schon  im  Lateinischen  vorbereitet  oder  vollzogen, 
namentlich  ist  aus  con  der  Sinn  der  Gemeinschaftlichkeit 
verschwunden,  so  wenn  Megaronides  im  Trinummus  des  Plau- 
tus  V.  23  ff.  sagt.  Freunde  zurechtzuweisen,  sei  ein  undank- 
bares Geschäft  (amicum  castigare  ob  meritam  noxiam),  gleich- 
wohl werde  er  aber  diessmal  ihm  ,tüchtig^  den  Kopf  waschen 
(concastigabo  pro  com.merita  noxia).  So  schreibt  der  Ver- 
fasser des  bellum  Africum  an  neun  Stellen  nur  convulnerare 
wie  der  klassischere  Caesar  constant  nur  vulnerare.  Auch 
hatte  schon  Lucilius  deraagis  gebraucht,  welches  die  Spanier 
geschickt  benützt  haben,   um   das  Compositum  (demas)  von 


^ 


Wolfflin:  Aufgaben  des  Thesaurus  Unguae  latinae.         Hl 

dem  Simplex  (mas)  za  differenzieren.  In  die  Reihe  der  Prä- 
positionen ist  auch  das  uns  oft  fast  unverständliche  re  ein- 
zufügen, da  ja  nach  dem  Absterben  von  linquo  das  zusam- 
mengesetzte relinquo  dem  griechischen  XeiTtcj  entsprach; 
ebenso  gebrauchten  Dichter  gelegentlich  recurvus  statt  cur- 
▼ns,  wenn  ihnen  eine  Silbe  fehlte.  Nach  dem  allgemein  ge- 
billigten Vorgange,  dass  man  reddere  felicem  gebrauchen 
konnte,  auch  wenn  der  Betreffende  nicht  schon  früher  ein- 
mal glücklich  gewesen  war,  gewöhnte  sich  das  Spätlatein 
daran,  re  einfach  als  Vorspann  zu  betrachten,  wenn  auch 
seit  dem  Abfalle  des  schliessenden  d  (red,  redoperio  noch  bei 
Ambrosius,  Arch.  VIII  278)  vor  folgendem  Vokale  die  Silbe 
durch  Contraction  verloren  ging :  implere,  reimplere,  remplir, 
welches  durchaus  nicht  , wieder  füllen^  bedeutet,  invertere, 
inversare,  reinversare,  renverser. 

Als  drittes  Mittel  stand  die  Umschreibung  oder  die 
Auflösung  in  zwei  Worte  zu  Gebote,  wie  longo  tempore 
(franz.  longtemps)  für  diu,  vereinzelt  mindestens  seit  Gatull, 
der  regelmässige  Stellvertreter  bei  Gaelius  Aurelianus,  multo 
tempore  für  saepe,  altfranz.  multemps,  medio  tempore, 
mittlerweile  statt  interim,  und  Anderes  der  Art,  Arch.  VIII 
595  f.  Primum  tempus  statt  ver,  Frühling  hat  sich  im 
Französischen  (printemps)  erhalten,  vernum  tempus  (neben 
aestas,  autumnus  und  hiems  bei  Augustin  de  gen.  ad  litt, 
lib.  imperf.  13,  pg.  487,  20  Zycha)  mit  Abwerfung  des  Sub- 
stantivs im  Italiänischen ,  der  Plural  prima  vera  (Ephem. 
epigraph.  II  310,  N.  409)  als  Femininum  sing,  gleichfalls 
im  Italiänischen,  hibernum  (tempus)  ist  gemeinromanisch. 
An  die  Stelle  von  semper  ist  im  Französischen  toujours  ge- 
treten, an  die  Stelle  von  medietas  Mitte  medius  locus, 
milieu,  wie  auch  im  Italiänischen  und  sonst. 

Wenn  aber  alle  diese  Mittel  versagen,  so  muss  die  Sprache 
unter  den  Synonymen  Umschau  halten,  ob  eines  abkömm- 
lich sei  und  einspringen  könne,  allerdings  nicht  nur  vorüber- 


112        Sitzung  der  phüosrjphildl,  Classe  vom  3.  März  1894, 

gehend,  sondern  für  immer,  wodurch  sie  dazu  geführt  wird, 
entweder  einem  Worte  doppelte  Pflichten  aufzuerlegen,  eine 
neue  zu  der  alten,  was  möglichst  vermieden  wird,  oder  durch 
andere  Geschäftsvertheilung  unter  weiteren  Verwandten  einen 
Ausgleich  zu  Stande  zu  bringen.  Wie  das  Recht  bestimmte 
Erben  einsetzt  oder  bestimmte  Personen,  welche  Vaterstelle 
zu  vertreten  haben,  so  greift  auch  die  sprachliche  Logik  auf 
die  nächste  Nachbarschaft,  auf  das  Allgemeinere  oder  das 
Besondere,  auf  das  genus  oder  die  species.  Passt  dem  Dichter 
gladius  nicht,  so  hilft  er  sich  mit  ferrum  oder  mit 
mucro,  Schwertspitze,  Klinge,  indem  er  den  Theil  für  das 
Ganze  setzt. 

Die  in  den  romanischen  Sprachen  untergegangenen  Sub- 
stantiva  urbs  und  oppidum  hatten  schon  von  Plautus  an 
(Merc.  645  civ.  Eretriam,  Corinthum)  Concurrenz  an  civi- 
tas,  obschon  diess  weder  Caesar  noch  Cicero  gutbeissen 
wollten.  Cicero  versteht  unter  civitates  Gemeinwesen,  unter 
urbes  aneinandergebaute  Häuser  (pro  Sestio  91)  und  ent- 
sprechend nennt  Caesar  sowohl  die  monarchisch  regierten  als 
die  republikanischen  Kleinstaaten  Galliens  nur  civitates,  nie 
so  die  Städte,  aber  jene  auch  nie  res  publica,  welchen  Ehren- 
namen er  für  Rom  reservirt.  Doch  musste  diesem  strengeren 
Sprachgebrauche  zu  Trotz  ein  Grammatiker  der  augusteischen 
Zeit,  Verrius  Flaccus,  zugeben,  dass  civitas  sowohl  die  Stadt 
als  auch  das  Bürgerrecht  (ins  civium)  oder  die  Bürgerschaft 
bedeuten  könne.  Gellius  18,  7,  5.  Wie  das  Italiänische  und 
das  Spanische  beweist,  fiel  dem  Worte  civitas  die  rechtliche 
Nachfolge  von  urbs  zu.  Anders  in  Frankreich  seit  der  Zeit, 
wo  man  die  Landhäuser  vor  den  Thoren,  die  villae,  in  den 
erweiterten  Stadtrayon  hineinzuziehen  begann;  denn  durch 
diese  Einverleibung  der  Vorstädte  konnte  nun  auch  villa  zu 
der  Bedeutung  von  Stadt  aufsteigen,  mit  der  Beschränkung 
freilich,  dass  die  Altstadt  oder  die  Innenstadt  immer  noch 
civitas  hiess,  die  cite  von  Paris,  die  city  von  London. 


k 


WÖlfflin:  Aufgaben  des  Thesaurus  linguae  latinae,         113 

So  haben  wir  denn  nicht  nur  verschiedene  Lösungen  der 
Probleme  nach  den  verschiedenen  Ländern,  sondern  auch  ver- 
schiedene in  verschiedenen  Zeiten,  und  gar  oft  liegt  zwischen 
den  klassisch  lateinischen  und  den  vulgär  romanischen  Aus- 
drucken mancherlei  in  der  Mitte,  was  über  den  Versuch 
nicht  hinausgekommen  und  für  die  heutige  Lexikographie 
in  Vergessenheit  begraben  ist.  Zwischen  parvus  und  dem 
italiänischen  piccolo  (franz.  petit)  liegen  minor,  minimus, 
minutus,  dann  modicus,  exiguus,  pusillus,  wie  sich  am 
bequemsten  aus  der  Uebersetzungslitteratur  nachweisen  lässt, 
gerade  wie  zwischen  magnus  und  grandis  Wörter  wie  in- 
gens,  enormis,  immensus.  Vgl.  Rönsch,  semasiologische 
Beiträge  II  3,  und  Archiv  f.  lat.  Lexikogr.  IX  93.  Die 
Gründe  dieses  immerwährenden  Wechsels  im  Sprachschatze 
sind  sehr  verschieden,  wenn  auch  Kürze  des  Wortes  und  Zu- 
sammenfallen mit  einem  Homonymum  die  hauptsächlichsten. 

Wenn  mus,  muris  die  Maus  untergieng,  so  kann  man 
ebenso  gut  auf  die  Collision  mit  murus  die  Mauer,  als  auf 
den  einsilbigen  Nominativ  verweisen;  dass  das  r  der  casus 
obliqui  missfiel,  beweist  die  Neubildung  für  Katze,  musio^ 
welche  bei  Georges  fehlt,  durch  Papias  aber  und  Isidor 
orig.  12,  2,  38  bezeugt  ist:  musio  appellatus,  quod  muribus 
infestus  sit;  hunc  vulgus  catum  .  .  .  vocant.  Die  Deminutiv- 
form, welche  zu  dem  kleinen  Thiere  gut  gepasst  hätte,  war 
nicht  mehr  frei,  weil  musculus  bereits  doppelt,  als  Muskel 
und  als  Muschel  in  Beschlag  genommen  war.  So  wählten 
denn  die  Franzosen  die  Species  Spitzmaus,  sorex,  souris; 
die  Italiäner  griffen  sogar  in  der  Verzweiflung  auf  talpa, 
der  Maulwurf,  ital.  topo,  und  die  Spanier  nennen  alle  Mäuse 
Ratten. 

Andererseits  sieht  man  von  formeller  Seite  aus  kaum 
recht  ein,  warum  das  Wort  für  Krankheit,  morbus,  nicht 
auf  das  Italiänische  und  die  romanischen  Sprachen  überge- 
gangen ist.     Der  Arzt   vermied    eben   das   Wort,    um   den 

1884.  PhUc^-philol.  n.  bist.  OL  1.  6 


114        Sitzung  der  phüosrphüol.  Classe  vofn  3,  März  1894. 

Kranken  nicht  zu  erschrecken;  er  sprach  lieber  von  einem 
Schwächezostande ,  einer  infirmitas  (altfranz.,  ital..,  span.), 
oder  einem  schmerzhaften  Leiden,  einer  ^dolentia  (portug.), 
oder  einem  Uebelbefinden,  einer  xaxe^ia  (maladie  franz.  von 
male  habitus).  Das  Latein  der  späteren  Aerzte  hat  aber 
ausserdem  noch  die  Ausdrücke  passio,  aegritudo,  vitium, 
welche  bereits  in  der  Mitte  des  vierten  Jahrhunderts  der 
Astrolog  Firmicus  Maternus  stark  anspannt;  hie  und  da  wird 
auch  causa  geradezu  für  Krankheit  gebraucht.  Muss  nun 
der  Artikel  morbus  bei  Forcellini  ohne  Ausblick  in  die  Zu- 
kunft schliessen,  so  wäre  doch  wohl  zu  wünschen,  dass  der 
neue  Thesaurus  am  Schlüsse,  nachdem  das  Absterben  von 
morbus  durch  einige  schlagende  Angaben  constatiert  ist,  auf 
alle  Concurrenzwörter  verwiese,  aus  welchen  man  dann  die 
Geschichte  der  Bezeichnungen  des  ,BegrifFes^  zusammensetzen 
könnte.  Vgl.  Münchner  Sitz.-Ber.  3,  JuU  1880,  S.  386—394. 
Wie  der  Seespiegel,  wenn  ein  Stein  hineingeworfen  wird, 
Kreis  um  Kreis  zieht,  bis  die  Lücke  sich  wieder  ausgleicht, 
so  die  Sprache:  der  Verlust  des  einsilbigen  res  wurde  durch 
causa  (chose)  gedeckt,  dann  konnte  aber  causa  nicht  mehr 
den  Grund  bedeuten  (cause  ist  mot  savant)  und  wurde  durch 
ratio,  raison  ersetzt;  dieses  selbst  musste  die  Bedeutung  von 
Art  und  Weise  aufgeben  und  erhielt  modus  (maniäre)  zum 
Nachfolger;  endlich  wurde  dadurch  modus  im  Sinne  von 
,Mas8^  unbrauchbar  und  durch  mensura  (mesure)  vertreten. 
Es  ist  Aufgabe  der  Semasiologie,  wenn  sie  dereinst  entwickelt 
sein  wird,  in  dieser  Hinsicht  der  Lexikographie  zu  Hülfe  zu 
kommen ;  einstweilen  aber  genüge  es  darauf  hingewiesen  zu 
haben,  dass  die  Wörter  nicht  isoliert,  sondern  im  Zusammen- 
hange mit  ihrer  Verwandtschaft  zu  behandeln  sind. 


k 


WÖlfflin:  Aufgäben  des  Thesaums  Ungtiae  latinae.         115 

Um  noch  an  einem  Beispiele  zu  zeigen,  was  wir  Alles 
zu  leisten  haben,  so  wählen  wir  das  Wort  ?dere  essen. 
Form  wie  Etymologie  sind  durchsichtig,  denn  es  entspricht 
dem  griechischen  idw^  womit  auch  die  Quantität  gegeben  ist 
im  Gegensatze  zu  edo  =  exdo,  herausgeben. 

Ob  man  nun  die  sogenannten  unregelmässigen  Formen 
esse  =  edere,  essem  =  ederem,  est  =  edit,  estur  =  editur, 
edim  =  edam,  eserim  oder  esserim  =  ederim,  edundo  =  edendo 
im  Thesaurus  nochmals  aufführen  solle,  während  sie  doch 
bereits  in  der  Formenlehre  zu  finden  sind,  ob  alle  Belege 
beizuschreiben  seien  oder  nur  ausgewählte,  ob  nur  die  Namen 
der  Autoren  oder  auch  die  Buch-,  Kapitel-  und  Paragraphen- 
zahlen, ob  diess  in  einem  besonderen,  den  Wortformen  von 
Georges  entsprechenden  Buche  zusammenzustellen  sei,  dar- 
über kann  man  verschiedener  Ansicht  sein;  nothwendiger 
ist  jedenfalls,  dass  die  Erklärungen  der  Bedeutungen  aus 
lateinischen  Glossaren  zusammengefasst  werden,  da  diess  bis- 
her fehlt. 

Dann  wird  der  intransitive  Gebrauch  als  der  ältere  an 
den  Anfang  zu  setzen  und  mit  den  ältesten  Beispielen  zu 
belegen  sein,  z.  B.  mit  Plautus  bibite,  este,  namentlich  mit 
denjenigen,  wo  durch  Gegensätze  oder  Synonyma  die  Be- 
deutung besonders  klar  hervortritt;  auch  Cicero  wird  nicht 
fehlen  dürfen,  z.  B.  edit  et  bibit  iucunde.  Aber  ebenso  wäre 
der  bekannte  Spruch  des  Socrates  aufzunehmen :  non  ut  edam 
vivo,  sed  ut  vivam  edo,  theils  weil  hier  das  Verbum  einen 
anderen  Gegensatz  hat,  theils  weil  Beispiele  mit  abge- 
schlossenem Sinne  den  erst  aus  dem  Zusammenhange  ver- 
ständlichen vorzuziehen  sind  und  in  sprichwörtlichen  Redens- 
arten das  Gemeinlatein,  befreit  von  jeder  individuellen  Fär- 
bung, zum  Ausdrucke  zu  gelangen  pflegt.  Klotz  und  Mühl- 
mann, welche  das  Beispiel  haben,  führen  es  aus  dem  Gitate 
bei  Quintilian  9,  3,  85  an,  wo  auch  Halm  keine  ältere  Quelle 

8* 


116        Sitzung  der  phüos.'phtlol.  Glosse  vom  3,  März  1894. 

nachweist,  während  wir  besser  auf  den  nahezu  zwei  Jahr- 
hunderte älteren  Cornificius  4,  28,  39  zurückgreifen  werden. 

Nach  einer  neuerdings  beliebten  Methode  würden  nun 
die  Subjecte  zu  unterscheiden  sein:  puella,  miles,  Jupiter 
edit  u.  ä.,  allein  diess  hat  für  den  wissenschaftlichen  Lexiko- 
graphen durchaus  keine  Bedeutung,  wohl  aber  hat  der  The- 
saurus, was  noch  nicht  geschehen  ist,  anzugeben,  wie  weit, 
abgesehen  von  den  Menschen,  das  Wort  edere  auf  Thiere 
Anwendung  findet.  Edere  und  essen  im  Gegensatze  zu  fressen 
decken  sich  nicht,  da  die  Thiere,  welche  grünes  Futter  fressen 
(pabulum,  pasci)  doch  nur  einen  Theil  bilden ;  Mäuse  oder 
Raben,  welche  sonst  für  Menschen  bestimmte  Speisen  ge- 
niessen,  haben  im  Lateinischen  Antheil  an  dem  edere.  Ja 
in  den  Prodigialaufzeichnungen  wurde  nach  Liv.  30,  2,  9 
von  Raben  berichtet:  aurum  edisse. 

Bei  der  Darstellung  des  transitiven  Gebrauches  spielen 
selbstverständlich  die  Objecte  die  Hauptrolle;  indessen  kann 
es  doch  kaum  unsere  Aufgabe  sein,  alle  Speisen,  welche  ge- 
gessen wurden,  in  einer  alphabetischen  oder  historischen 
Reihenfolge  aufzuzählen.  Beispiele  der  verschiedenen  Arten 
von  Nahrungsmitteln,  wie  edere  panem,  caseum,  carnem, 
pisces,  ova,  mala  werden  genügen,  da  eine  Uebersicht  der 
Reichhaltigkeit  römischer  Menüs  in  die  Privat-  oder  Koch- 
alterthtimer  gehört.  Allenfalls  mögen  aus  culturhistorischen 
Rücksichten  Delicatessen,  welche  erst  die  Kaiserzeit  culti viert 
hat,  wie  muraenas  edere  bei  Sen.  dem.  18,  2,  boletos  (Cham- 
pignons) bei  Juvenal  und  Martial,  durch  die  früheste  Stelle 
des  Vorkommens  zu  markieren  sein ;  oder  es  mögen  Gerichte, 
welche  halb  fest,  halb  flüssig  sind  (sorbilia),  wie  weich  ge- 
sottene Eier,  in  den  Lexikonartikel  Aufnahme  finden,  weil 
hier  edere  mit  sorbere  concurrieren  kann,  möglicher  Weise 
ein  Brei  (puls)  in  verschiedenen  Jahrhunderten  verschieden 
zubereitet  sein  kann,  wodurch  sich  das  Verbum  verändert. 
Nur  der  noch  nicht  ganz   ausgerotteten  Vorstellung,   als  ob 


WÖlfflin:  Aufgaben  des  Thesaurus  linguae  latinae.         117 

es  ein  Verdienst  und  eine  Erweiterung  der  Philologie  sei, 
zu  zwei  Belegen  von  caseum  edere  einen  dritten  hinzu- 
zufügen, müssen  wir  mit  aller  Entschiedenheit  entgegen- 
treten. 

Bei  dem  bildlichen  Gebrauche  des  Verbums  wird  vor 
Allem  darauf  zu  achten  sein,  ob  der  Tropus  im  Lateinischen 
zuerst  auftritt  oder  ob  er  im  Griechischen  vorgebildet  ist, 
wie  sich  das  horazische  si  quid  est  animum  (animam  bei  Ge- 
orges scheint  Druckfehler)  offenbar  an  Homer  anschliesst, 
zumal  schon  Cicero  Tusc.  3,  63  das  homerische  ov  dvfjidv 
xaridwv  mit  ipse  suum  cor  edens  übersetzt  hatte.  Hier  ist 
es  ein  Vorrecht  der  Dichter,  den  Sprachgebrauch  zu  er- 
weitern, wie  es  Virgil,  Horaz  und  Ovid  gethan  haben,  und 
darum  mü&sen  auch  die  Belege  zahlreicher  sein  als  bei  dem 
allgemein  üblichen  Gebrauche,  weil  hier  Individuelles  her- 
vortritt. Wenn  also  unsere  Lexika  die  Phrase  des  Virgil 
Äen.  4,  66  est  moUis  flamma  medullas  von  der  Liebe  der 
Dido  zu  Aeneas  anführen,  so  fehlt  zweierlei,  einmal  dass  die- 
selbe dem  älteren  CatuU  gehört  (35,  14.  66,  23),  welcher 
auch  medullas  an  das  Ende  des  Hexameters  gestellt  hat, 
zweitens  dass  das  Vorbild  bei  den  Griechen  zu  suchen  ist, 
wie  bei  Theokrit  30,  21  6  no&og  %6v  eaio  ^vtkov  ea&iei. 

War  das  Bisherige  nur  Kritik  der  bestehenden  Lexiko- 
graphie, so  haben  wir  noch  auf  unsere  zukünftigen  Aufgaben 
einzugehen.  Ueber  das  erste  Auftreten  des  Wortes  können 
wir  uns  kurz  fassen,  da  es  so  alt  ist  als  die  lateinische  Sprache 
und  bereits  bei  Naevius  vorkommt ;  dagegen  ist  es  schwierig 
und  darum  auch  noch  nicht  versucht,  das  Ableben  zu  beob- 
achten. Abgestorben  ist  edere  sicherlich,  da  es  in  sämmt- 
liehen  romanischen  Sprachen  fehlt;  es  fragt  sich  nur,  wann 
und  warum,  und  wie  wir  das  beweisen  sollen. 

Nun  fehlt  sowohl  in  der  um  525  geschriebenen  Diätetik 
des  Anthimus  als  auch  in  den  acht  Büchern  des  afrikanischen 
Arztes  Caelius  Aurelianus,    welcher  im  fünften  Jahrhundert 


118       SUeung  der  phüos.-phüol,  Glosse  vom  3,  März  1894, 

nach  Chr.  schrieb,  das  Wort  gänzlich,  was  unmöglich  auf 
Zufall  beruhen  kann.  Denn  wenn  auch  Gaelius  als  prak- 
tischer Arzt  bei  der  Regulierung  der  Diät  meist  von  dem 
fVerordnen^  der  Speisen  spricht  (dandus  cibus,  dandi  porcini 
pedes,  dabimus  ostrea  u.  ä.),  nicht  von  dem  Genüsse  seitens 
des  Kranken,  so  kommt  doch  der  Begriff  ,essen^  an  Dutzenden 
von  Stellen  vor,  ohne  dass  er  übrigens  je  mit  edere  ausge- 
drückt wäre.  Bei  Anthimus  wird  vollends  gegen  60  mal  vom 
Essen  gesprochen.  Aber  schon  in  der  um  385  gaschriebenen 
Reisebeschreibung  der  Silvia  nach  Jerusalem,  in  der  doch 
oft  von  Essen  die  Rede  ist,  wird  man  das  Wort  vergeblich 
suchen,  was  so  viel  bedeutet,  als  dass  es  in  der  Umgangs- 
sprache Galliens  fehlte,  während  der  gelehrtere  Gregor  von 
Tours,  welcher  Litteratur-  und  Volkssprache  mischt  und  da- 
her als  Massstab  weniger  in  Betracht  kommt,  das  Yerbum 
mehrfach  verwendet  hat.  Noch  bedeutsamer  indessen  ist  das 
auffallende  Zurücktreten  in  den  um  200  entstandenen  latei- 
nischen Bibelübersetzungen.  Denn  obschon  das  ia&io)  der 
Septuaginta  (welches  freilich  auch  frühzeitig  durch  TQwynD, 
nagen,  zurückgedrängt  worden  ist)  und  des  neuen  Testa- 
mentes das  lateinische  edere  schützen  musste,  weil  man  es 
liebte,  griechische  Wörter  mit  lateinischen  desselben  Stammes 
wiederzugeben  (vgl.  Arch.  IX  83),  so  ist  doch  edere  viel 
seltener  als  man  glauben  sollte,  und  wo  es  in  einzelnen  Re- 
censionen  auftritt,  bieten  andere  Varianten  und  Goncurrenz- 
ausdrücke.  Die  Vulgata  des  alten  Testamentes  hat  edere 
kaum  30 mal,  comedere  über  500 mal,  und  nicht  selten  als 
Gegensatz  zu  bibere. 

Es  giebt  übrigens  noch  andere  Mittel  und  Wege,  den 
Krebsgang  eines  Wortes  zu  constatieren.  Wenn  der  bekannte 
Ausspruch  des  Appius  Claudius  Pulcher,  als  er  die  Hühner 
der  Auguren  ersäufen  Hess,  lautete:  ut  biberent,  quoniam 
esse  noUent,  nach  Gic.  nat.  d.  2,  7  (die  Stelle  fehlt  bei 
Merguet  s.  v.  edo,  weil  der  Sammler  esse  von  sum  ableitete). 


Wölfflin:  Aufgaben  des  Thesaurus  linguae  latinae.         119 

Yal.  Max.  1,  4,  3,  Suet.  Tib.  2,  in  der  etwa  dem  dritten 
Jahrhundert  angehorigen  Periocha  Liyii  19  aber:  pullos,  qui 
cibari  nolebant  etc.,  so  kann  der  Verfasser  von  der  stehen- 
den üeberlieferung  nur  abgegangen  sein,  weil  ffir  seine  Leser 
esse  nicht  mehr  recht  verständlich  war.  Auch  muss  es  ja 
befremden,  dass  in  Glossaren  edere  und  die  davon  abge- 
leiteten Worter  so  oft  erklärt  werden,  so  Corp.  gloss.  Y  164, 
21  ff.  esus,  esnm  (Particip),  192,  7  edulinm.  Dieses  und 
Aehnliches  unter  Yorf&hrung  des  Sprachgebrauches  anderer 
Autoren  statistisch-tabellarisch  darzustellen  kann  hier  nicht 
unsere  Absicht  sein;  wir  müssen  uns  vielmehr  mit  der  That- 
sache  begnügen. 

Nun  besass  das  einen  Tribrachys  bildende  edere  nicht 
die  nothigen  Eigenschaften  zum  Fortleben;  im  Spanischen 
wäre  es  zu  ,er^  zusanmien  geschmolzen,  da  ja  aus  comedere 
geworden  ist  comer;  zudem  aber  coUidierte  es,  seitdem  man 
im  dritten  Jahrhundert  die  Quantität  zu  vernachlässigen  be- 
gonnen hatte,  mit  dem  dactylischen  edere;  endlich  hatte  es 
Nebenformen  ohne  Bindevokal,  es,  est,  esse,  essem,  welche 
mit  sum  zusammen  fielen :  Grundes  genug,  ein  so  trügerisches 
Wort  aufeugeben. 

Den  nächsten  Ersatz  hätte  das  Frequentativum  esitare 
bieten  können,  wie  ja  auch  cantare  (chanter)  an  die  Stelle 
von  canere  trat,  iactare  (jeter)  an  die  von  iacere,  und  zwar 
ohne  Unterschied  der  Bedeutung.  Allein  esitare  hat,  wenn 
es  schon  behauptet  wird,  doch  nie  seine  frequentative  Be- 
deutung ganz  abgelegt  und  ist  überhaupt  zu  selten  ge- 
braucht worden,  als  dass  es  zum  Ersätze  hätte  können  heran- 
gezogen werden. 

Lieber  griff  man  auf  das  unschuldige  Compositum 
comedere,  ursprünglich  zusammenessen,  aufessen,  so  dass 
nichts  übrig  bleibt.  Die  Volkssprache,  welche  gern  über- 
treibt, macht  von  solchen  verstärkenden  Zusammensetzungen 


120        Sitzung  der  phüos.-phUol,  Glosse  vom  3.  März  1894, 

so  unmässigen  Gebrauch,  dass  sie  dadurch  au  Werth  sinken, 
und  wie  den  Franzosen  conduire  nichts  anderes  ist  als  ein 
verlängertes  ducere,  ohne  Betonung  des  Begriffes  der  Gemein- 
schaft, gerade  so  konnte  comedere  an  die  Stelle  von  edere 
treten.  Und  siegreich  durchgedrungen  ist  es  in  Spanien  und 
Portugal  mit  comer,  und  schon  dem  Bischof  von  Sevilla, 
dem  gelehrten  Isidor,  fühlt  man  es  nach,  dass  für  ihn,  wenn 
er  auch  gelegentlich  das  klassische  edere  gebraucht,  doch 
comedere  der  Normalausdruck  ist,  schreibt  er  doch  Orig.  20, 
1,  1  a  comesu  mensa  (spanisch  ohne  Nasal  mesa);  20,  1,  21 
coctum  usui  comestionis  aptum;  20,  2,  37  favum  comeditur 
magis  quam  bibitur;  q)ayelv  (woher  er  favum  ableitete) 
enim  comedere  10,  58;  und  aus  dem  von  ihm  zuerst  ge- 
brauchten comestibilis,  essbar,  hat  die  gelehrte  Sprache  des 
XVI.  und  XVII.  Jahrhunderts  franz.  comestibles,  span.  co- 
mestibles  abgeleitet.  So  stimmt  das  spanische  Latein  mit 
dem  modernen  Spanisch.  Es  wäre  übrigens  ein  Irrfchum  zu 
glauben,  dass  nur  auf  der  iberischen  Halbinsel  dieses  Wort 
als  Ersatz  benützt  worden  sei,  vielmehr  tritt  es  auch  bei 
Anthimus  und  andern  Autoren  kräftig  auf,  und  wer  darüber 
mehr  zu  wissen  wünscht,  vergleiche  nur  die  alten  lateinischen 
Uebersetzungen  des  Irenäus,  des  Hirten  des  Hermas,  des  Cle- 
mensbriefes an  die  Korinther  (Arch.  IX  81  ff.)  mit  den  grie- 
chischen Originalen,  um  den  Gebrauch  und  den  Werth  von 
comedere  kennen  zu  lernen. 

Durchgedrungen  ist  comedere  nördlich  der  Pyrenäen 
allerdings  nicht,  sondern  diese  Länder  haben  das  Problem 
auf  anderem  Wege  gelöst.  Das  ,essen*  zerfällt  nämlich  in 
drei  Acte:  das  Beissen,  was  zunächst  in  edere  lag,  nach 
dens  =  edens  =  odovg^  der  Zahn ;  das  Kauen  oder  Mischen  mit 
Speichel,  endlich  das  Schlucken.  Aufgabe  war  es,  eine  Be- 
zeichnung eines  Theilbegriffes  frei  zu  machen  und  mit  der 
Figur  pars  pro  toto  zum  Ganzen  zu  erheben.  Mordere  konnte 
nicht  aushelfen,  da  es  seinen  ursprünglichen  Platz  zu  schützen 


Wölfflin:  Aufgäben  des  Thesaurtis  Unguae  latinae,         121 

hatte  und  auch  in  den  romanischen  Sprachen  f(ir  ,beissen^ 
erhalten  ist. 

Dafür  war  ,kauen^  mindestens  doppelt  besetzt,  durch 
m andere  und  das  von  manducus  (vgl.  cadere  caducus)  ab- 
geleitete manducare,  und  dieses  letztere  ist  durch  Bedeu- 
tungserweiterung der  Erbe  von  edere  geworden,  ital.  man- 
giare,  franz.  manger.  Diese  Verba,  zu  denen  noch  die  Com- 
posita  commandere  und  commanducare  hinzu  kommen,  identisch 
mit  griech.  ^aadofiai^  kauen,  essen,  sind  übrigens  nicht  erst 
zur  Zeit  des  Absterbens  von  edere  zur  Ausfüllung  der  Lücke 
herangezogen  worden,  sondern  schon  die  alte  Volkssprache 
muss  sie  in  diesem  Sinne  gebraucht  haben,  wie  mando,  man- 
donis  bei  Lucilius  beweist ;  desshalb  besass  auch  das  Siniplex 
mandere  die  gleichen  Erbschaftsansprüche.  Beispielsweise  hat 
der  oben  genannte  Caelius  Aurelianus  mandere  für  essen« 
manducare  gar  nicht,  und  für  kauen  das  jüngere  masti- 
care.  So  blieb  den  einzelnen  Autoren  ein  grosser  Spiel- 
raum übrig,  die  Wahl  in  Uebereinstimmung  mit  dem  Sprach- 
gebrauche ihres  Landes  und  ihrer  Zeit  zu  treffen ;  doch  sind 
die  beiden  vulgären  Worte  für  essen  erst  in  der  Kaiser- 
zeit in  die  gute  Litteratur  eingedrungen.  Wenn  Augustus 
(Suet.  76)  schrieb  duas  bucceas  manducare,  so  geschah  diess 
eben  in  einem  Briefe,  dessen  volksthümliche  Färbung  auch 
buccea  verbürgt,  und  mit  derselben  Freiheit,  mit  welcher 
er  in  einem  andern  Briefe  comedere  für  edere  gebrauchte; 
aber  bei  dem  Naturforscher  Plinius  wird  mandere  mehr- 
fach von  dem  Essen  zubereiteter  Speisen  gebraucht  (8,  210. 
22,  92),  wie  bei  Anderen  umgekehrt  von  dem  nicht  Ge- 
kochten. Siegreich  ist  manducare  beispielsweise  in  den  vor- 
hieronymianischen  Uebersetzungen  des  neuen  Testamentes  und 
bei  der  Silvia. 

Von  den  Verben  -des  Schluckens  konnten  gluttire  und 
[dejvorare  in  Betracht  kommen  und  sind  wohl  auch  ver- 
einzelt und  versuchsweise  als  Stellvertreter  eingerückt;  schon 


122        Sitzung  der  phüos.-phüöl.  Classe  vom  3,  März  1894, 

Cicero  sagte  nat.  d.  2,  122  von  den  Thieren:  alia  carpunt, 
alia  vorant,  alia  mandunt;  doch  behielten  die  Worte  in  den 
romanischen  Sprachen  die  ursprüngliche  Nuance  ihrer  Be- 
deutung, wie  auch  Caelius  Aurelianus  den  letzten  Act  mit 
transYorare  bezeichnet. 

Wenn  wir  nun  in  den  romanischen  Sprachen  den  sau- 
beren Rechnungsabschluss  vor  Augen  haben,  indem  comedere 
westlich  und  südlich  der  Pyrenäen  fortlebt,  manducare  im 
Osten,  so  ist  doch  damit  das  Ringen  der  Sprache  von  ferne 
nicht  zur  Anschauung  gebracht.  Wir  wollen  nicht  von 
gustare,  yevea&ai^  sprechen,  welches  eine  Specialität  des 
Essens,  unser  ,kosten\  ,mit  Genuss  essen^  bezeichnet,  auch 
nicht  von  Wörtern  wie  prandere,  cenare,  merendare  (Isidor, 
orig.  20,  2,  12,  eigentlich  von  dem  Abendbrote,  welches 
hian  erst  durch  die  Tagesarbeit  verdienen  muss).  Die  Volks- 
sprache hat  auch,  wie  wir  oben  sahen,  auf  cibare  ge- 
griffen, mit  welchem  Worte  der  Bauer  das  Futtern  des 
Viehes  bezeichnete.  Es  hatte  ja  grundsätzlich  keinen  An- 
stand, die  Ausdrücke  für  die  Thierwelt  auf  die  Menschen 
zu  übertragen,  wie  ja  auch  dorsum  Thierrücken  (im  Gegen- 
satze zu  tergum)  schon  im  Lateinischen  und  darnach  im 
Französischen  (le  dos)  über  die  alten  Grenzen  ausgedehnt 
worden  ist,  und  so  heisst  die  Essenszeit  für  den  Kranken 
bei  Caelius  Aurelianus  acut.  2,  204.  207.  chron.  1,  171 
tempus  cibandi,  und  schon  früher  sagte  Gommodian  instr. 
2,  20,  19  laute  cibatum  für  laute  cenatum,  wie  die  Stu- 
denten in  ihrer  Sprache  heute  noch  von  ,futtern'  sprechen. 
Ein  vulgäres  Wort  war  auch,  weil  es  nur  bei  Plautus  und 
Persius  vorkommt,  pappare,  welches  im  Corp.  gloss.  II 
141,  53  mit  f^aaaTai^)  (kauen)  erklärt  wird,  und  in  den 
romanischen  Sprachen  (Italienisch,  Spanisch)  zwischen  ,essen* 


1)  Vgl.  Varro  de  liberis  educandis  bei  Nonius  61,  3:  cum  cibum 
ac  potionem  pappas  ac  buas  vocent. 


Woifflin:  Aufgaben  des  Thesaurus  linguae  latinae,         123 

und  ,fressen^  schwankt.  Wir  wollten  mit  diesem  einen  Bei- 
spiele nur  darthun,  wie  verschlungen  die  Wege  und  wie 
manigfaltig  die  Mittel  der  Sprache  sind,  wie  viel  wir  daher 
noch  zu  beobachten  haben,  um  von  den  Vorgängen  der 
Sprachgeschichte  auch  nur  eine  oberflächliche  Vorstellung 
zu  gewinnen.  Eines  aber  glauben  wir  jetzt  schon  voraus- 
zusehen, dass  ein  grosser  Theil  dessen,  was  man  romanisch 
zu  nennen  pflegt,  sich  als  vulgäres  Spätlatein  herausstellen 
wird. 


124 


Historische  Classe. 

Sitzung  vom  S.  März  1894. 

Herr  v.  Hefner-Alteneck  hielt  einen  Vortrag: 

^TJeber  die  Gräber  der  Fürsten   und  Ritter  zu 
Heilsbronn.* 


Herr  v.  Rockinger  hielt  einen  Vortrag: 

„Zu  einer  handschriftlichen  Bezeichnung  des 
Landrechts  des  sogenannten  Schwabenspie- 
gels als  Nürnberger  Recht.* 

Nennt  sich  das  kaiserliche  Land-  und  Lehenrecht  in 
seinem  Texte  selbst  kurzweg  Landrechtsbuch  oder  Lehen- 
rechtsbuch wie  auch  Lehenbuch,  ja  auch  für  das  Ganze  ohne 
eigene  Rücksichtnahme  auf  diese  beiden  T heile  einfach  Land- 
rechtsbuch ;  führt  es  sozusagen  als  Titel  des  Werkes  in  seinen 
zahlreichen  Handschriften  theils  wieder  diese  Bezeichnungen, 
theils  im  Hinblicke  auf  das  darin  enthaltene  Recht  als  ge- 
meines Recht  des  mittelalterlichen  Kaiserreichs,  als  kaiser- 
liches oder  wenn  man  will  allgemein  im  Reiche  gang  und 
gäbes  Recht,  die  des  Kaiserrechts,  nämlich  als  gewisser- 
massen  grosses  Kaiserrecht  gegenüber  dem  bekannten  kleinen 
oder  lütteken  Kaiserrechte,  theils  in  naheliegender  Beziehung 
gleich  auf  eine  bestimmte  da  namentlich  hervorragende  Per- 
sönlichkeit die  des  Land-  und  Lehenrechtsbuches  des  Kaisers 


Bockinger:  Der  sog.  Schwabenspiegel  als  Nürnberger  Becht     125 

Karl  des  Grossen :  so  trifft  es  sich  auch  mehrfach,  dass  diese 
und  jene  Handschriften  sich  noch  in  der  Namhaftmachung 
eines  ganz  besonderen  Geltungsgebietes  gefallen.  So 
etwa,  wenn  die  Num.  102,  die  Handschrift  D.  32  der  Lan- 
desbibliothek in  Fulda,  für  das  Lehenrechtsbiich  die  Bezeich- 
nung als  „payrische  Recht*  hat;  oder  die  Num.  403,  die 
Num.  7702  der  Hofbibliothek  in  Wien,  dasselbe  als  das 
„Lehenpuch  des  loblichen  hausz  Österreichs''  bezeichnet;  oder 
die  Num.  420,  einst  in  der  gräfl.  v.  Windhaag'schen  Biblio- 
thek, die  gleichzeitige  üeberschrift  „Steyerisches  Landrecht* 
trug.  Eigen thümlich  erscheint  weiter  „das  Registrieren  des 
kayserlichen  Landtrecht  Puches  z&  Swaben  Artickelle"  nach 
dem  Texte  der  Num.  29,  des  Manuscr.  germ.  in  Folio  749 
in  der  Bibliothek  zu  Berlin.  Am  auffallendsten  ist  wohl  die 
Taufe  auf  „Nueren  pergisch  Recht*  in  dem  Verzeich- 
nisse der  Artikel  gleich  an  der  Spitze  der  Num.  172^»,  der 
prächtigen  Pergamenthandschrifb  in  Folio  aus  dem  14.  Jahr- 
hunderte, früher  im  Archive  der  Stadt  Hermannstadt  und 
der  sächsischen  Nation,  jetzt  unter  den  Schätzen  der  freiherrl. 
y.  Bruckentharschen  Bibliothek  daselbst. 

Deber  ihre  Heimat  ist,  wie  es  den  Anschein  hat,  nichts 
bekannt.  Nach  der  einlässlichen  Beschreibung,  welche  Prof. 
Dr.  Gustav  Lindner  im  Bande  VI  der  Zeitschrift  der  Savigny- 
stiftung  für  Rechtsgeschichte  S.  113 — 119  mitgetheilt  hat, 
ist  hoch  oben  auf  der  Innenseite  des  Vorderdeckels  der  Name 
eines  alten  früheren  Besitzers  wegradirt  und  schlechterdings 
nicht  mehr  zu  entziffern,  wie  auf  der  Innenseite  des  Rück- 
deckels die  Jahrzahl  1453  zu  lesen.  Nach  einer  Bemer- 
kung am  Schlussblatte  der  Handschrift  selbst  gelangte  sie 
im  Jahre  1481  durch  den  Bürgermeister  und  Stadtkämmerer 
wie  Königsrichter  Magister  Thomas  Altemberger^),  auch 
Literatus  genannt,  nach  Hermannstadt,  wo  sie  nach  Aus- 


1)  Vgl.  über  ihn  Lindner  a  a.  0.  S.  105-108. 


126  Sitzung  der  histar.  Clasae  vom  3,  Mars  1894, 

weis  der  auf  dem  Schlussblatte  ^)  zwischen  dem  Bilde  des 
gekreuzigten  Heilands  in  Mitte  zweier  unten  stehenden  Frauen 
und  dem  Wappen  der  Stadt  befindlichen  bei  Beeidigung  der 
Rathsherren  benützten  Formel,  in  welcher  später  die  auf  die 
Himmelskönigin  Maria  und  die  Heiligen  bezüglichen  Worte 
gestrichen  erscheinen,  auch  nach  Einführung  der  Reforma- 
tion, also  nach  dem  Jahre  1536,  als  Subsidiarquelle  im  rich- 
terlichen Gebrauche  gestanden  ist. 

Den  Inhalt  bildet  —  nach  einem  auf  nicht  eigens  ge- 
zählten Blättern  an  der  Spitze  befindlichen  Verzeichnisse  der 
Artikel  der  drei  Theile  des  Bandes  —  zunächst  das  Land- 
recht  des  sogenannten  Schwabenspiegels  von  Fol.  1 
bis  106,  um  so  mehr  von  Werth,  als  dasselbe  jener  Familie 
angehört,  welche  das  vollständige  Werk  in  seiner  ältesten 
zur  Zeit  bekannten  Gestalt  enthält,  dann  das  Magdeburger 
Weichbildrecht  von  Fol.  107 — 131,  endlich  das  Iglauer 
Stadt-  und  Bergrecht  von  Fol.  132  bis  an  den  Schluss 
der  im  Ganzen  aus  184  Blättern  bestehenden  Handschrift. 
Den  Text  dieser  drei  Theile  —  mit  Ausnahme  des  bemerkten 
Verzeichnisses  der  Artikel  —  hat  auf  Vermittlung  der  philo- 
sophisch-philologisch-historischen Sektion  des  sieben  bürgischen 
Museumsvereins  wieder  Lindner  durch  den  Druck*)  zugäng- 
lich gemacht.  Schade,  dass  in  ihm  einer  solchen  Häufung 
von  Künsteleien  Platz  eingeräumt  worden  ist,  dass  der  Her- 
ausgeber selbst  sich  zur  .Hinzufügung  eines  etwas  lang- 
athmigen  Druckfehlerverzeichnisses"  von  S.  (300) — (304)  hat 
enischliessen  müssen,  und  man  für  diese  und  jene  Einzel- 
heiten ohne  die  Beiziehung  der  Vergleichungen  mit  dem  Ori- 
ginale, wodurch  uns  «X*  in  der  Num.  5  des  Jahrganges  VIII 


1)  Vgl.  a.  a.  0.  S.  113/114  in  der  Note  3  und  insbesondere  die 
Lichtdrucknachbildung  in  der  nachher  in  Note  2  erwähnten  Druck- 
ansgabe. 

2)  Der  Codex  Altenberger,  Textabdruck  der  Hermannstädter 
Handschrift.    Elausenburg,  1885,  8. 


Bockinger:  Der  sog,  Schwabenspiegel  als  Nürnberger  Becht,     127 

des  Eorrespondenzblattes  des  Vereins  für  siebenbürgische  Lan- 
deskunde von  S.  53 — 62  zu  Dank  yerpflichiet  hat,  nicht 
durchkommt. 

Gleich  der  Anfang  des  —  wie  schon  bemerkt  —  an  der 
Spitze  des  ganzen  Bandes  befindlichen  Verzeichnisses  der  Ar- 
tikel ^),  welches  in  römischen  Zahlen  am  Rande  das  jeweilige 
Blatt  angibt,  auf  welchem  sie  stehen,  spricht  von  dem  Buche 
ydaz  da  heizet  nueren  pergisch  Recht/  Kann  hievou 
so  wenig  für  den  zweiten  als  für  den  dritten  Theil,  das 
Magdeburger  Weichbildrecht  wie  das  Iglauer  Stadt-  und  Berg- 
recht, eine  Rede  sein,  so  bleibt  eben  nichts  übrig,  als  hier 
eine  ganz  eigenthümliche  Bezeichnung  für  den  ersten  Theil, 
das  kaiserliche  Landrecht,  zu  sehen. 

Ist  man  doch  einmal  so  neugierig  und  mochte  gern 
etwas  Näheres  hierüber  wissen,  welche  Bewandtniss  kann  es 
hiemit  haben? 

Ist  nicht  zu  bestreiten,  dass  das  kaiserliche  Landrecht 
wie  anderwärts  so  auch  in  Nürnberg  und  im  Gebiete  der 
Reichsstadt  in  Geltung  gestanden,  liegt  es  da  nicht  vielleicht 
nicht  ferne,  insbesondere  wenn  man  beachtet,  dass  sich  noch 
Zusätze  von  Art.  534 — 565  einschliesslich  daran  reihen,  auf 
die  Muthmassung  zu  kommen,  es  wolle  unter  dem  Buche 
„daz  da  heizet  nueren  pergisch  Recht*  nichts  anderes  als 
einfach  gewissermassen  ein  Handbuch  eben  des  in  Nürnberg 
l^eltenden  Rechts  verstanden  sein?  Doch  erregt  manches 
hiegegen  Bedenken.  So  gleich,  dass  in  seinem  ganzen  Um- 
fange auch  das  Staats-  und  öffentliche  Recht  in  eine  Zu- 
sammenstellung von  Sätzen  für  ein  Stadtrecht  aufgenommen 
erscheint.  Nicht  schwer  wäre  seine  Ausscheidung  nach  zwei 
Handschriften  wieder  des  14.  Jahrhunderts  gewesen,  welche 
gleichfalls  ausser   dem   kaiserlichen  Landrechte   das  Magde- 


1)  Swer  an  disem  puech  daz  da  heizet  nneren  pergisch  recht 
icht  raechen  wil,  der  schol  sich  richten  nach  diser  schrill  u.  s.  w. 


128  Sitzung  der  histor.  Glosse  vom  3.  März  1894. 

burger  und  das  Iglauer  Recht  enthalten,  die  prächtige  Hand- 
schrift des  Stadtarchivs  in  Brunn  und  eine  andere  im  Stadt- 
archive von  Danzig,  welche  beide  unter  sich  im  kaiserlichen 
Landrechte  insbesondere  auch  noch  darin  übereinstimmen, 
dass  gerade  der  Abschnitt  jjer  staatsrechtlichen  Bestimmungen, 
genauer  die  Art.  LZ.  118 — 142,  sich  in  ihnen  nicht  an  dem 
sonst  gewöhnlichen  Platze  findet,  sondern  den  Schluss  bildet^), 
also  mit  Leichtigkeit  in  Wegfall  hätte  gebracht  werden 
können.  Aber  einmal  zeigt  die  Fassung  des  kaiserlichen 
Landrechts  in  diesen  beiden  Handschriften  mit  der  von  Her- 
mannstadt keinen  näheren  Zusammenhang,  und  gerade  in  ihr 
steht  der  berührte  für  ein  Stadtrecht  doch  keineswegs  nöthige 
Bestandtheil  an  seinem  regelmässigen  Orte.  Abgesehen  da- 
von, ist  es  wohl  wahrscheinlich,  dass  in  einem  Stadtrechte 
wiederholt  an  verschiedenen  Stellen  Artikel  eines  und  des- 
selben Betreffes*)  in  verschiedenem  Wortlaute  entgegentreten, 
zunächst  im  vorangehenden  kaiserlichen  Landrechte  in  der 
sonst  diesem  Werke  eigenthümlichen  meist  weiteren  Fassung, 
dann  aber  in  den  Zusätzen  zu  demselben  in  einer  anderen 
meist  kürzeren?  Insbesondere  aber  wird  auch  gerade  der 
Ausdruck  »heissen*  nicht  aus  dem  Auge  zu  verlieren  sein. 
Da  handelt  es  sich  doch  um  eine  technische  Bezeichnung, 
eine  eigene  sonst  nicht  zuständige  Benennung,  mit  einem 
Worte   um    etwas    was   einen    ganz    bestimmten   besonderen 


1)  Näheres  hierüber  findet  sich  im  Bande  LXXV  der  Sitzungs-' 
berichte  der  philosophisch -historischen  Klasse   der  kaiserlichen  Aka- 
demie der  Wissenschaften  in  Wien  S.  63 — 132. 

2)  So  der  Art.  167  des  kaiserlichen  Landrechts  und  der  Art.  641 
des  Anhangs,  der  Art.  247  dort  und  der  Art.  557  da,  der  Art.  286 
dort  und  die  Art.  548  und  549  da,  die  Art.  288-291  dort  und  die 
Art.  550-  556  da,  der  Art.  420  dort  und  der  Art.  547  da,  der  Art.  421 
dort  und  der  Art.  544  da. 

Zu  den  Art.  551 — 556  des  Anhangs  mag  auch  noch  der  Art.  398 
§  1  und  2,  §  3  und  4,  §  5  und  6,  §  7— 10,  §  12  und  13  verglichen 
werden. 


Eockinger:  Der  sog,  Schwabenspiegel  als  Nürnberger  Becht.     129 

Namen  hat.  Gewiss  kann  dieser  Ausdruck  »heissen*  bei- 
spielsweise für  das  Iglauer  Berg-  wie  Stadtrecht  ohne  Be- 
denken gebraucht  werden,  da  es  sich  hiebei  wirklich  um  das 
besondere  Iglauer  Recht  handelt,  nicht  blos  im  allgemeinen 
um  irgend  ein  Recht,  das  nur  sonst  auch  in  Iglau  Geltung 
gehabt  haben  mag.  Wenn  daher  von  dem  Buche  ,daz  da 
heizet  nueren  pergisch  Recht"  gesprochen  wird,  so  lässt  sich 
hier  ohne  gewaltigen  Zwang  an  nichts  anderes  denken,  als 
an  das  besondere  Nürnberger  Recht,  nicht  blos  im  allge- 
meinen an  irgend  ein  Recht,  das  nur  sonst  auch  in  Nürn- 
berg Geltung  gehabt  hat,  wie  allerdings  beim  sogenannten 
Schwabenspiegel  der  Fall  ist,  der  aber  gemeines  Land-  und 
Lehenrecht  ist  und  mit  allem  Grunde  so  oder  Eaiserrecht 
oder  wie  immer  heisst,  der  als  solches  allerdings  wie  ander- 
wärts auch  in  Nürnberg  und  dessen  Gebiet  in  Geltung  stand, 
aber  nicht  Nürnberger  Recht  genannt  werden,  nicht  Nürn- 
berger Recht  ,,heissen''  konnte. 

Woher  denn  dann  doch  diese  Bezeichnung  ?  Der  nächste 
Gedanke  fällt  wohl  auf  den  bekannten  glanzvollen  Reichs- 
tag zu  Nürnberg  vom  Jahre  1298,  den  ersten  unter 
König  Albrecht,  an  welchen  ja  -hier  und  dort  eine  Bestä- 
tigung des  kaiserlichen  Land-  und  Lehenrechts  ge- 
knüpft worden  ist.  Aber  es  dürfte  doch  schwer  fallen,  aus 
den   alten   Nachrichten,    welche   über   diesen  Tag^)  auf  uns 


1)  In  der  Chronik  des  Ellenhard  von  Strassbarg,  Monum. 
Germ,  histor.  Script,  tom.  XVII  S.  140  am  Schlüsse:  Convocavit  Al- 
bertos Romanorum  rez  principes  tarn  clericos  quam  laycos  apud 
Nuerenberg,  et  de  ipsonim  consensu  mnlta  bona  statuta  statuit,  per 
Alsaciam  Sweviam  et  totam  terram  Alamaniae  publicari  jussit,  quae 
omnia  utilia  et  necessaria  fuerunt. 

In  der  Begensburger  Fortsetzung  der  Niederaltacher 
Annalen  des  Abtes  Hermann,  ebendort  S.  419/420:  Albertus 
rez  Romanorum  celebravit  curiam  sollempnem  cum  principibus  Ala- 
maniae apud  Numberch.  Cui  interfuemnt  Golonienais,  Treverensis, 
MogunÜnus  et  Salzpurgensis   archiepiscopi,  et  Ratisponensis ,   Pata- 

1894.   PliUo8.-phUol.  u.  hist.  Gl.  1.  9 


130  Sitzung  der  histor.  Glosse  vom  3,  März  1894, 

gelangt  sind,  aus  dem  Aasdrucke  statuta  statuere  des  Ellen- 
hard  von  Strassburg  oder  aus  dem  Ausdrucke  leges  edicere 
in  der  Regensburger  Fortsetzung  der  Annalen  des  Abtes 
Hermann  von  Niederaltach,  etwas  anderes  als  den  Erlass 
von  Bestimmungen  hauptsächlich  in  Bezug  auf  den  Land- 
frieden, die  bekannte  Erneuerung  des  berühmten  Mainzer 
Reichsgesetzes  aus  dem  Jahre  1235  und  wenn  man  will  des 
Landfriedens  des  Königs  Rudolf  vom  24.  März  1287,  heraus- 
zudeutein, welche  eben  auf  dem  Tage  von  Nürnberg  im  No- 
vember 1298  erfolgt  ist.  Sie  kennt  man  ja  auch  zur  Ge- 
nüge. Und  wenn  in  der  berührten  Fortsetzung  der  Nieder- 
altacher  Annalen  bemerkt  ist,  dass  eben  die  Leges,  welche 
König  Albrecht  erliess,  dortselbst  unten  aufgenommen  sind, 
so  dürfte  wohl  Niemand  hierin  etwas  stark  Befremdendes 
finden,  denn  einen  ganz  ausserordentlich  ungewöhnlichen 
Raum  beansprucht  der  neue  Reichslandfriede,  der  doch  wohl 
allein  gemeint  ist,  gerade  nicht ;  aber  wird  im  Ernste  Jemand 
glauben  wollen,  dass  so  etwas  mit  dem  in  Süd-  und  Mittel- 
deutschland seit  beinahe  40  Jahren  verbreiteten  umfangreichen 
kaiserlichen  Land-  und  Lehenrechte  so  gewissermassen  an- 
hangsweise beabsichtigt  gewesen  sein  könnte? 

Soll  neben  diesen  alten  Nachrichten  noch  einer  Mit- 
theilung aus  den  erst  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhun- 
derts entstammenden  Augsburger  Annalen  des  Achilles  Pir- 
min  Gasser  von  Lindau^)  gedacht  werden,  einer  insbesondere 

vienais,  Frisingensis  et  alii  episcopi  multi;  item  rex  Boemiae,  duz 
Bawariae,  Radolfos  comes  palatinns  Rani,  duces  Karinthiae,  et  alii 
nobiles  multi.  Et  in  eadem  curia  edixit  leges,  quae  inferius  conti- 
nentur.  Das  ist  aber  leider  nicht  der  Fall.  Neque  vero  leguntur  in 
codice,  ist  in  der  Note  zur  Stelle  selbst  bemerkt. 

Wiederholungen  dieser  Nachricht,  dass  der  König  auf  dem  Nürn- 
berger Tage  im  Jahre  1298  edixit  leges,  finden  sich  weiter  in  den 
Annalen  von  Osterhofen,  ebendort  S.  553,  und  in  denen  des  Archi- 
diakons  Eberhard  von  Begensburg,  ebendort  S.  597. 

1)  Er  bemerkt  ~  in  Mencken^s  Scriptores  rerum  Germanicarum 


BocUnger:  Der  sog,  Schwabenspiegel  als  Nürnberger  Becht     131 

wegen  der  Bezeichnung  Jus  provinciale  und  wegen  der  un- 
zweifelhaften Bezugnahme  auf  den  Schluss  des  Art.  LZ.  3, 
dass  der  Papst  am  uralten  deutschen  Land-  und  Lehenrechte 
nichts  zu  ändern  vermöge,  in  hohem  Grade  interessanten 
MittheiluDg  über  die  fragliche  Bestätigung  auf  dem  Nürn- 
berger Tage  von  1298,  so  ist  sie  für  uns  wieder  ohne  Be- 
lang. Es  ist  wenigstens  bisher  nicht  nachgewiesen  worden, 
dass  sie  auf  anderen  als  den  schon  bemerkten  Quellen  be- 
ruht, und  wir  haben  es  demnach  mit  nichts  anderem  zu 
thun,  als  mit  einer  persönlichen  Anschauung  6asser*s,  die 
freilich  in  jener  Zeit  ungleich  verzeihlicher  ist,  als  heute 
etwa  die  gleichfalls  nur  persönlichen  Anschauungen  Stobbes*), 
und  darauf  gestützt  Franklin 's*)  wie  Lindner 's.') 

Indessen  —  lässt  sich  am  Ende  doch  einwenden  —  neh- 
men ja  gerade  Handschriften  unseres  Rechtsbuches 
selbst  in  der  unzweideutigsten  Weise  auf  einen  Nürn- 
berger Reichstag  und  wohl  keinen  anderen  als  den 
von  1298  Bezug.  Diese  Auslassungen  sind  vielleicht  nicht 
so  einfach  zu  beseitigen.  Und  doch  möchte  es  nicht  schwer 
fallen,  ihre  ünhaltbarkeit  darzuthun,  denn  sie  beschränken 
sich  nicht  auf  eine  Bestätigung  des  Rechtsbuches  auf  dem- 
selben, sondern  sprechen  ohne  weiteres  von  seiner  Abfassung 
daselbst,  woran  gewiss  jetzt  Niemand  mehr  glauben  kann. 
Wie   verhält  es  sich    denn   überhaupt   um  die  Sache?     Auf 


I.  Sp.  1468  —  bei  Gelegenheit  der  Erwähnung,  dass  die  «liberae 
civitates  per  totam  Sueviam'  auf  Albrechts  Seite  gestanden :  cui  terrae 
jam  dictuB  Caesar,  imperata  inviolabiliter  servanda  pace,  privatas 
IßgeB,  qnas  vulgo  provinciale  jus  vocant,  ad  qaod  infringendnm  nee 
ipsum  papam  posse  leges  ferre  expressis  verbis  cautom  est,  non  tarn 
de  novo  tulerat  quam  multis  jam  saecalis  reeeptas  confirmaverat. 

1)  Geschichte  der  deutseben  Rechtsquellen  I  S.  347/348. 

2)  Beiträge  zur  Geschichte  der  Reception  des  römischen  Rechts 
in  Dentachland  S.  36/86. 

8)  A.  a.  0.  S.  112. 

9* 


132  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  3,  März  1894. 

eine  Vorlage  —  allerdings  zunächst  nicht  aus  dem  Jahre  1298, 
sondern  —  aus  dem  Jahre  1288  führt  die  Num.  19  zurück, 
die  Handschrift  C  IV  15  der  Universitätsbibliothek  von  Basel, 
während  in  der  Num.  336,  der  Handschrift  des  weiland  Prof. 
Dr.  August  Ludwig  Reyscher  in  der  jetzigen  üniversitäts- 
und  Landesbibliothek  von  Strassburg,  diese  Jahreszahl  ohne 
Zweifel  durch  einen  Ausfall  „thusent  jn  dem  achtesten  jare" 
lautet,  in  der  verlorenen  Num.  362,  ehemals  im  Stadtarchive 
und  später  in  der  Stadtbibliothek  von  Strassburg:  tusen  ior 
in  dem  achten  jore.  Der  Schluss  der  Stelle  in  der  Num.  19 
ist :  Und  wart  es  —  nämlich  dis  buch  —  gemacht  und  vollen- 
braht  ze  N&remberg  in  eim  beruffnem  hofe,  do  man  zalt  von 
gottes  geburt  tusent  zweih&ndert  und  acht  und  achzig  jor. 
Wohl  handelt  es  sich  hier  einmal  überhaupt  um  eine  falsche 
Beziehung,  weiter  aber  auch  wahrscheinlich  um  einen  Fehler 
in  der  Jahrzahl.  Die  ganze  Fassung,  wenigstens  in  den 
Num.  336  und  362,  deutet  ohne  weiteres  auf  eine  Urkunde, 
deren  Ausstellungsort  Nürnberg,  deren  Zeit  ein  königlicher 
Hoftag  nach  der  Num.  19  vom  Jahre  1288,  nach  den  Num. 
336  und  362  genauer  am  Montage  nach  Martini  1008  be- 
ziehungsweise 1080,  im  ersten  Regierungsjabre  des  betreffen- 
den Königs^)  ist.  Diese  letzte  Bestimmung  passt  nun  frei- 
lich für  keines  der  drei  Jajire.*)  Dagegen  stimmt  sie  voll- 
kommen zu  dem  bekannten  Reichslandfrieden  des  Königs 
Albrecht  von  diesem  Tage  des  Jahres  1298.  Sein  Schluss 
lautet   beispielsweise   in  der   alten  Abschrift  im  Nürnberger 


1)  Disze  aatzunge  und  dis  reht  als  bievor  geschriben  ist  ge- 
schach  zu  Nuerenberg  in  dem  gebotten  hofe  an  dem  mentage  nach 
sant  Martins  tag  des  bischofFs  do  men  zalte  von  gottes  geburte  tusen 
ior  in  dem  achten  yore  —  in  der  Num.  336 :  thusent  jn  dem  achtesten 
jare  —  des  ersten  jores  unsers  richs. 

2)  Vgl,  Reyscher  in  der  Vorrede  zu  der  von  ihm  vollendeten 
Ausgabe  des  sogenannten  Schwabenspiegels  des  Freiherm  Friedrich 
V.  Lassberg  S.  18/19. 


Bockinger:  Der  sog.  Schwabenspiegel  als  Nürnberger  Becht,     133 

Stadtbuche  des  Ereisarchiyes  von  Mittelfranken  —  S.  14,  K.  1, 
Num.  314  —  aus  dem  Schlüsse  des  13.  bis  in  das  zweite 
Viertel  des  14.  Jahrhunderts  auf  den  jetzigen  Pol.  107' — 111 
Sp.  1 :  Die^)  satzunge  dises  frides  und  dises  rehtes  die  sol 
man  in  allen  steten  behalten  und  sol  auch  dar  nach  ribten, 
wan  sie  von  alter  her  komen  sint  und  mit  reht  und  mit  gunst  * 
und  mit  rate  der  churfursten  alle  gesetzet  sint.  Dirr  brif 
und  disiu  satzunge  als  da  vorgeschriben  ist  geschacb  datz 
Nurenperch  in  dem  gepotten  hove  an  dem  mentage  nach 
sende  Martines  tag  do  man  zalte  von  Christes  gepurte  zwelf 
hundert  jar  nenntzik  iar  und  in  dem  ahten  iare,  des  ersten 
iares  unsers  riches.  Finden  sich  häufig  gerade  in  Hand- 
schriften des  sogenannten  Schwabenspiegels  diese  und  jene 
Reichs-  wie  andere  Landfrieden  gewissermassen  als  ergän- 
zender Anhang  beigefügt,  wie  in  den  Num.  34,  121,  151, 
.235,  257,  293,  308,  313  u.  a.  der  des  Königs  Rudolf  vom 
Jabre  1287,  so  begegnet  auch  der  des  Königs  Albrecht  von 
1298,  der  ja  sozusagen  eine  eigene  Geschichte^)  hat,  in  diesen 
und  jenen  Handschriften,  wie  in  den  Num.  251  oder  254. 
Wurden  bei  einer  Abschrifbnahme  dergleichen  Zuthaten  weg- 
gelassen, so  konnte  immerhin  ein  Schreiber  gerade  den  be- 
treffenden Schluss  anstatt  lediglich  auf  den  Landfrieden  auf 
das  Recbtsbuch  selbst  beziehen,  und  so  demselben  auch  ohne 
den  Landfrieden  einen  Platz  anweisen.  War  in  der  Vorlage 
der  Num.  19  etwa  die  SchlusszabI  als  xxxxviij  geschrieben, 
so  ist  beim  Uebersehen  eines  x  deren  Anführung  von  1288 
einfach  genug  erklärt.  Haben  die  beiden  Num.  336  und  362 
noch  gerade  die  nähere  ganz  und  gar  zutrefi^ende  Tages- 
bestimmung,  so  ergibt  sich   in  ihrer  Zahl   ein  Ausfall,  ihre 


1)  In  der  Handschrift  steht :  Dise.  Aber  unter  dem  s  ist  der  Til- 
ganf^punkt  sichtbar. 

2)  Vgl.  Dr.  Ungo  Böhlaa,  Nove  Constitvtiones  Domini  Alberti, 
d.  i.  der  Landfriede  v.  J.  1285,  mit  der  Glosse  des  Nicolaus  Wurm, 
Weimar  1868. 


134  Sitzung  der  Jdstor,  Glosse  vom  3,  März  1894, 

weitere  Anführung  des  ersten  Begierungsjahres  aber  stimmt 
wieder  vollkommen  zu  König  Albrecht  und  dem  Jahre  1298. 
Abgesehen  von  der  Jahrzahl,  aber  mit  Bezug  auf  den  Tag 
von  Nürnberg  heisst  es  auch  in  der  rothen  üeberschrift  vor 
dem  Landrechte  der  Num.  379,  der  zweitheiligen  Num.  852 
der  Stadtbibliothek  von  Trier:  das  keiser  recht  buch  und 
das  lantreht  und  das  rechtbuch,  das  der  konig  zu  Nfiren- 
berg  mit  den  f&rsten  bestetiget  hett. 

Nach  allem  was  bemerkt  worden  ist  findet  sich  keiner- 
lei Handhabe  für  die  Berechtigung  einer  Beziehung 
auf  den  Nürnberger  Reichstag  im  November  1298. 
Und  was  hätte  denn  auch  allenfalls  durch  eine  Bestätigung  da- 
selbst bezweckt  werden  wollen  ?  Fassen  wir  nur  einige  ganz 
nahe  liegende  Fragen  ins  Auge.  Von  wem  hätte  eine  Anregung 
hiezu  ausgehen  sollen  ?  Wäre  sie  aus  dem  deutschen  Süden 
erfolgt,  würde  für  den  Sachsenspiegel,  dessen  weites  Geltungs- 
gebiet im  Norden  bekannt  ist,  nicht  auch  von  irgend  einer 
Seite  her  etwas  solches  beansprucht  worden  sein  ?  Und  wenn 
in  Wirklichkeit  nicht,  hätte  man  vou  Reichs  wegen  einseitig 
eine  Bestätigung  gerade  nur  des  sogenannten  Schwaben- 
spiegels vornehmen  wollen  oder  können  ?  Ganz  abgesehen 
davon,  hätte  man  von  Reichs  wegen  ohne  weiteres  Sätze  des 
bekanntermassen  neben  dem  Civil-  und  Strafrechte  wie  dem 
gerichtlichen  Verfahren  im  Rechtsbuche  auch  ausführlich  be- 
handelten Reichs-  und  öffentlichen  Rechts,  die  natürlich  den 
Zuständen  der  Zeit  seiner  Entstehung  nicht  gar  lange  nach 
der  verhängnissvollen  Doppelwahl  des  Jahres  1257  entspre- 
chen, sich  schon  bei  der  Wahl  des  Königs  Rudolf  und  wäh- 
rend seiner  Regierung  wie  weiterhin  mehr  oder  minder  ge- 
ändert haben,  im  November  1298  bestätigen,  gewissermassen 
als  zu  Recht  bestehend  gesetzlich  anerkennen  können?  Hat 
beispielsweise  der  Verfasser  des  sogenannten  Schwabenspiegels 
ganz  nach  den  Verhältnissen  seiner  Zeit  im  Art.  120  in  der 
bestimmtesten  Abänderung  des  Wortlautes  des  Sachsen-  wie 


BocUnger:  Der  sog,  Schtoabenspiegel  als  Nürnberger  Becht.     135 

des  Deutschenspiegels  von  den  vier  deutschen  Hauptlandern 
als  Herzogthümem  sprechen  können,  darunter  von  Schwaben, 
was  ja  eben  nach  dem  Tode  des  Königs  Eonrad  IV.  in  so 
starkem  Hervortreten  gegenüber  den  Zuständen  bis  daher 
unter  seinem  Sohne  Eonradin  wieder  bis  zu  seinem  traurigen 
Ende  am  29.  Oktober  1268  seine  vollste  Richtigkeit^)  hatte, 
würde  30  Jahre  nach  der  allbekannten  Zersplitterung  dieses 
Herzogthums  im  November  1298  das  Jemand  noch  als  zu- 
treffend zu  erkennen  oder  gar  von  Reichs  wegen  zu  bestä- 
tigen vermocht  haben?  Oder  wenn  nach  demselben  Artikel 
jedes  von  jenen  vier  Stammländern  einen  Pfalzgrafen  ^)  hat, 
wo  war  dann  am  Schlüsse  des  13.  Jahrhunderts  etwa  der 
von  Baiern?  Wenn  im  Art.  121b  die  Theilungen  von  Für- 
stenthümern  als  unzulässig  gebrandmarkt  sind,  hat  das  nach 
den  verschiedenen  Fällen,  welche  dem  entgegen  vorzugsweise 
in  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts^)  vorgekommen 
waren,  an  dessen  Ende  durch  den  Eönig  als  geltendes  Recht 
erklärt  werden  können?  Wenn  dann  der  Art.  130a  die  Ein- 
ladung zu  den  Eönigswahlen  ausser  an  die  sieben  hiezu  be- 
vorrechteten Fürsten  auch  noch  an  andere^)  ergehen  lässt, 
so  war  hievon  schon  bei  der  nächsten  Wahl  Rudolfs  und 
seit  ihr  keine  Rede  mehr.  Bleiben  wir  noch  einen  Augen- 
blick gleich  bei  den  Eönigswahlen  selbst  stehen,  wenn  überall 
im  ganzen  kaiserlichen  Land-  und  Lehenrechte  einzig  und 
allein  die  Verhältnisse  bei  der  bereits  berührten  vom  13.  Jän- 
ner und  1.  April  1257  uns  eni^egentreten,  dem  Verfasser  des 
Rechtsbuches  die  nächste  des  Eönigs  Rudolf  noch  ganz  und 
gar  unbekannt  ist,   wie   sollen  jene  nichts   weniger  als  er- 


1]  Vgl.  Rock  in  ger,  über  die  Abfassung  des  kaiserlichen  Land- 
und  Lehenrecbts  in  den  Abhandlungen  der  historischen  Klasse  der 
Akademie  der  Wissenschaften  Band  18  S.  584 — 687. 

2)  Ebendort  S.  649—651. 

3)  Ebendort  S.  667. 

4)  Ebendort  S.  623/624. 


136  Sitzung  der  histar,  Glosse  w)m  3.  März  1894, 

hebenden  Verhältnisse  am  Anfange  des  Jahres  1257  nach  den 
inzwischen  erfolgten  ganzlich  anders  gestalteten  Wahlen  Ru- 
dolfs, Adolfs,  Albrechts  selbst  durch  diesen  bestötigt  worden 
sein?  Wenn  im  sogenannten  Schwabenspiegel  Baiem  eine 
Kurstimme  und  das  Schenkenamt ^)  hat,  so  ist  ja  kein  6e- 
heimniss,  dass  König  Rudolf,  nachdem  ihm  mehr  als  an 
Baiem  an  Böhmen  gelegen  gewesen,  gerade  an  dieses  am 
4.  März  1289  beziehungsweise  26.  September  1290  die  Kur- 
stimme und  das  Schenkenamt  vergab,  und  dass  gerade  zu 
Nürnberg  im  Jahre  1298  König  Wenzel  IL  persönlich  in 
der  denkbar  höchsten  Pracht*)  das  berührte  Ehrenamt  ver- 
sah. Oder  will  man  daran  denken,  dass  das  kaiserliche 
Landrecht  nicht  an  einer  Stelle,  sondern  an  verschiedenen 
Orten  das  Verhältniss  der  unmittelbaren  Folge  der  Acht  auf 
den  Bann  und  umgekehrt  nach  Umlauf  von  6  Wochen  und 
1  Tage^)  nach  dem  früheren  Rechte  betont,  so  wissen  wir 
wieder,  dass  Rudolf  in  der  Bestätigung  der  sogenannten  Con- 
foederatio  cum  principibus  ecclesiasticis  am  13.  März  1275  ge- 
rade die  dahin  zielende  Bestimmung  ausdrücklich  ausgenom- 
men hat.  Von  einer  nachträglichen  Wiederaufnahme  des  da- 
mals für  anstössig  befundenen  Satzes  ist  nichts  bekannt.  Soll 
vielleicht  jetzt  der  Sohn  durch  ein  Hinterthürchen,  eine  Be- 
stätigung des  sogenannten  Schwabenspiegels,  auf  dem  aller- 
dings einfachen  Wege  eines  stillschweigenden  Zugeständnisses 
das  alte  Recht  wieder  haben  aufleben  lassen  wollen?  Und 
bei  solchen  wie  anderen  Verschiedenheiten  des  Rechts  nicht 
lange  nach  dem  Beginn  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahr- 
hunderts und  dem  Ausgange  derselben  soll  auf  einem  Reichs- 
tage  kurzweg   eine   Bestätigung   eines  Rechtsbuches    erfolgt 


1)  Rockinger  a.  a.  0.  S.  629—636. 

2)  Vgl.  die  Chronik  von  Colmar  in  den  Monum.  German.  histor. 
Script.  Tom.  XVII  S.  267:  Cum  pretiosissima  veste  et  aquo  qui  ad 
mille  marcas  aestimabatur  sedens  vinum  in  scypho   aureo  porrexit. 

3)  Vg].  Rockinger  a.  a.  0.  S.  658/659. 


Eockinger:  Der  sog,  Schwabenspiegel  als  Nürnberger  Recht,     137 

sein,  welches  jene  zur  Zeit  seiner  Abfassung  in  Geltung 
gewesenen  Zustande  schildert,  selbstverständlich  keine  andern 
schildern  kann? 

Und  was  sollte  denn  auch  überhaupt  eine  dergleichen 
Bestätigung  bei  deutschen  Rechtsbüchern  für  einen  Sinn 
haben?  schriftstellerischen  Darstellungen  des  Rechts,  gegen- 
über den  Yon  der  öffentlichen  Gewalt  gegebenen  Ordnungen, 
wobei  ferner  vorausgesetzt  ist,  dass  sie  auf  ganze  Rechtsge- 
biete, nicht  auf  einzelne  Lehren  sich  erstrecken,  nicht  minder 
dass  sie  von  ihren  Verfassern  zu  allgemeiner  Belehrung  be- 
stimmt waren,  also  bei  Privatarbeiten,  über  deren  „wunder- 
baren Erfolg"  so  unvergleichlich  der  Altmeister  auf  diesem 
Felde  äusserte: 

In  zahllosen  Abschriften,  selbst  über  das  Gebiet  der 
deutschen  Zunge  hinaus  verbreitet,  leiten  und  lenken  diese 
Bücher  die  üeberzeugungen  des  Volkes,  die  Pindung  des 
Rechtes.  So  vermögen  sie  den  Mangel  ihrer  Zeit  an  ein- 
heimischen umfangreichen  Reichs-  oder  Landesgesetzen, 
wenn  gleich  in  zwangloserer  Weise  zu  decken;  so  ver- 
binden sie  überhaupt  Eigenschafben,  welche  bei  unsem 
sonstigen  Hauptrechtsquellen  nie  zusammen  wiederkehren. 
Vor  dem  fremden  geschriebenen  Recht  haben  sie  den  hei- 
mathlichen  Boden  und  Laut,  vor  den  deutschen  Reichs- 
gesetzen die  Ausdehnung  des  Stoffes,  vor  den  neueren 
Codificationen  endlich  eine  Geltung  voraus  welche  durch 
politische  Gränzen  nirgends  gehemmt  wird. 

Diese  grossartigen  deutschen  Rechtsdenkmäler,  welchen 
Homeyer^)  ein  solches  Zeugniss  hat  ausstellen  können,  dar- 
unter nicht  an  letzter  Stelle  unser  kaiserliches  Land-  und 
Lehenrecbt,   dessen  Verfasser   neben  dem  Gewohnheitsrechte 


1)  Die  Genealogie  der  Handschriften  des  Sachsenspiegels,  in  den 
Abhandlungen  der  philosophisch-historischen  Klasse  der  Akademie  der 
Wissenschaften  in  Beriin  1869  S.  83. 


138  Sitzung  der  histor.  Glosse  vom  3.  März  1894, 

aus  den  hervorragendsten  Gesetzgebungen,  der  mosaischen, 
der  justinianischen,  der  karolingischen ,  das  gemeine  Recht 
seiner  Zeit^)  darzustellen  unternommen  hat,  sollen  einer  Be- 
stätigung durch  die  schwindsüchtige  Eönigsmacht  und  die 
verkommene  Reichsgewalt  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahr- 
hunderts bedurft  haben? 

Steht  also  für  eine  Bezugnahme  auf  den  Nürnberger 
Reichstag  vom  Jahre  1298  nichts  zu  Gebot,  darf  man  viel- 
leicht daran  denken,  es  möge  ein  'ahnliches  Verhältniss 
obwalten,  wie  wir  es  beim  Rechte  der  Altstadt  Prag 
kennen  ?  In  einer  grossen  Sammlung  von  Quellen  des  Land- 
und  Lehen-  wie  des  Stadt-  Berg-  und  Judenrechts  u.  s.  w. 
in  Böhmen  und  seiner  Hauptstadt  aus  dem  13.  und  14.  Jahr- 
hunderte, welche  die  auf  Veranlassung  des  Schöffenhofes  der 
Altstadt  Prag  gefertigte  Pergamenthandschrift  IV  1  des  dor- 
tigen  Stadtarchives   enthält,   findet   sich   von  Fol.  97' — 148 


1)  In  der  Aafzftblung  der  Könige  und  Kaiser  .die  ir  herze  und 
ir  sin  mit  allem  vllze  und  mit  ganzen  triwen  stalten  nach  rehtem 
gerihte  also  daz  ez  got  lobelich  weere  und  den  lüten  nuzlich  an  libe 
und  an  gute  und  an  allen  seelden*  sind  hauptsächlich  genannt:  der 
edel  keiser  Justinian,  nnde  der  heilig  und  der  werde  keiser  Karle, 
und  Bin  sun  der  werde  keiser  Ludewich,  und  des  sun  der  edel  Leutber. 
die  minten  und  vorhten  got.  und  dar  umme  sazien  si  mit  wol  ver- 
dähtem  sinne  und  mit  wlser  meister  Idre  elliu  diu  lantrebt  und  elliu 
diu  Idbenreht  dia  an  disem  buche  sint. 

Und  also  —  heisst  es  dann  —  stet  onch  an  disem  buche  keiner- 
slahte  lantrebt  noch  l^henrebt  noch  keinerslahte  urteil  wan  als  ez 
von  dirre  getriwen  keiser  geböte  unde  von  römischer  phahte  ge- 
nomen  ist. 

Unde  euch  elliu  reht  diu  an  disem  buche  stönt  diu  habent  die 
keiser  unde  die  kunge  also  gesezzet,  daz  si  über  ellin  laut  reht  unde 
gewaer  suln  s!n.  wan  swer  et  römisch  keiser  und  kunc  ist,  dem  sint 
euch  von  rehte  elliu  lant  undertän  diu  cristenllchen  gelouben  hänt. 

Unde  swaz  euch  die  römischen  keiser  und  kunge  lantrebt  und 
löhenreht  gesezset  nnde  geboten  habent,  diu  suln  ouch  von  rehte 
gemeine  und  gewönlich  sin  in  allen  den  landen  diu  under  in  sint. 


Bockinger:  Der  sog,  Schwabenspiegel  als  Nürnberger  Becht.    139 

ak  Prawa  myesta  Praiskeho  wetdiho,  Recht  der  grösseren 
oder  der  Altstadt  Prag,  die  böhmische  Bearbeitung  des  kaiser- 
lichen Landrechts  vom  Art.  LZ  160  angefangen  bis  377  be- 
ziehungsweise 377  IL  Genaueres  hierüber  ist  aus  Vorträgen 
des  ersten  Präsidenten  des  Vereins  für  Geschichte  der  Deutschen 
in  Böhmen  zu  Prag,  Landesadvokaten  Dr.  Franz  Pelzel,  aus 
dem  Anfange  der  Sechzigerjahre,  im  Besitze  des  genannten 
historischen  Vereins,  in  den  Sitzungsberichten  der  philo- 
sophisch-historischen Klasse  der  kaiserlichen  Akademie  der 
Wissenschaften  in  Wien,  Band  121,  Abhandl.  I  S.  30-58 
mii^etheilt,  worauf  nur  in  Kürze  verwiesen  sein  mag.  Auch 
in  zahkeichen  sonstigen  Handschriften  in  Prag  findet  sich 
dieses  Recht  der  dortigen  Altstadt,  wie  nicht  minder  Hand- 
schriften in  Königgräz,  Leitmeritz,  Pilsen,  Wien,  Wittingau 
es  enthalten.  Liegt  da  eine  Her  Übernahme  des  berührten 
Theiles  unseres  Landrechts  als  Recht  der  Altstadt  Prag  vor, 
so  ist  ähnliches  in  Bezug  auf  das  Recht  von  Nürn- 
berg nicht  bekannt. 

Ebensowenig  weiss  man,  was  eine  Mittheilung  ge- 
rade des  letzten  im  Jahre  1481  auf  Veranlassung 
eben  des  Thomas  Altenberger  nach  Hermannstadt^) 
betrifft,  womit  sogar  die  Handschrift  selbst  in  Verbindung 
gebracht  worden  ist,  in  Wirklichkeit  etwas  hierüber.  Aber 
selbst  angenommen,  es  wäre  eine  dergleichen  Rechtsmitthei- 
lung von  Nürnberg  nach  Hermannstadt  ergangen,  worin  an 
sich  einmal  nichts  auffallendes  liegen  würde,  und  was  auf  der 
andern  Seite  im  Jahre  1288  an  die  Reichsstadt  Weissenburg 
über  die  Behandlung  von  Rechtsverhältnissen  zwischen  Christen 
und  Juden')  geschehen  ist,  so  hätte  sie  ja  doch  nur  das  in 
der  Reichsstadt  Nürnberg  und  ihrem   Gebiete  geltende  be- 


1)  Schaler    von   Libloy,    siebenbürgische   Rechtsgeschichte 
(2.  Auflage)  I  S.  129.    Hiegegen  Lindner  a.  a.  0.  S.  111/112. 

2)  Archivalische  Zeitschrift,  neue  Folge  Y  S.  98-101. 


140  Sitzung  der  histor.  Glosse  vom  3.  März  1894. 

sondere  Recht  zam  Gegenstände  haben  können,  nicht  das 
seit  zwei  Jahrzehnten  über  zwei  Jahrhunderte  in  Süd-  wie 
Mitteldeutschland  verbreitete  und  auch  im  Norden  nicht  un- 
bekannte kaiserliche  Landrecht,  von  welchem  ja  sogar  auch 
eine  französische  und  eine  lateinische  Bearbeitung  im  14.  Jahr- 
hunderte entstanden  war,  einer  der  böhmischen  üebertra- 
gungen  bereits  Erwähnung  geschehen  ist. 

Führen  die  bisher  in  Erwägung  gezogenen  Möglichkeiten 
zu  keinem  annehmbaren  Ergebnisse,  hat  man  nun  die  Hände 
in  den  Schoss  zu  legen,  oder  was  lässt  sich  denn  sonst  etwa 
für  eine  Lösung  der  Frage  der  eben  einmal  vorhandenen 
Bezeichnung  unseres  Landrechts  als  Nürnberger 
Recht  geltend  machen? 

Wie  schon  angeführt  ist,  findet  sie  sich  nur  am  Be- 
ginne des  an  der  Spitze  der  Handschrift  stehenden 
Verzeichnisses  der  Artikel  ihrer  drei  Theile.  Kann  hie- 
von  für  den  zweiten  und  dritten  keine  Rede  sein,  so  weiss 
aber  auch  der  Text  des  ersten,  des  kaiserlichen  Land- 
rechts, selbst  nichts  hievon.  Fasst  man  es  genauer  ins 
Äuge,  so  endet  es  in  vollem  Einklänge  mit  anderen 
Handschriften  mit  dem  Art.  533.  Hieran  reihen  sich  dann 
noch  ohne  äusserlich  sichtbare  Unterbrechung  die  Art.  534 
bis  562  einschliesslich.  Dass  sie  zu  dem  Landrechte  des 
sogenannten  Schwabenspiegels  selbst  in  keinerlei  Beziehung 
stehen,  würde  sich  einfach  schon  daraus  ergeben,  dass  sie 
zum  Theile  nichts  als  etwas  sind  was  bereits  an  anderer 
Stelle  ausführlicher  dortselbst  aufgenommen  ist,  wie  etwa 
die  Bestimmungen  über  Verpflichtungen  der  Hirten  und  an- 
deres.^) Abgesehen  davon  aber  handelt  es  sich  bei  all'  den 
betreffenden  Artikeln  überhaupt  nicht  um  den  sogenannten 
Schwabenspiegel,  sondern  es  liegt  in  ihnen  nichts  vor 
als  eine   eigene  Zusammenstellung   von  Artikeln   sächsischen 


1)  Vgl.  oben  S.  128  mit  der  Note  2. 


Rockinger:  Der  sog,  Schwabenspiegel  als  Nürnberger  Recht,     141 

Land-  wie  Weichbildrechts.  Ihre  nur  allgemeine  Vergleichung 
mit  dem  Sachsenspiegel  =  I,  dem  sächsischen  Weichbildrechte 
des  Cod.  palat.  461  der  Universitätsbibliothek  von  Heidel- 
berg^) in  dem  Drucke  des  Freiherrn  v.  Thüngen  (Heidel- 
berg 1837)  =  n,  dem  Deutschenspiegel  =  III,  dem  soge- 
nannten Schwabenspiegel  LZ  =  IV  hebt  das  über  allen 
Zweifel: 


I 

11 

TU 

IV 

5342) 

III  Art.  78  §  6 

129 

341 

151c 

6358) 

„   „   84  §  2 

130 

636*) 

»   M   84  §  3 

131 

6376) 

,,   „   90  §  1 

167 

638«) 

»   „   90  §  2 

168 

639'') 

„   „   90  §  3 

169 

1)  Er  enthält  ausser  aDderem,  worunter  eben  das  sächsische 
Weichbildrecht,  auch  das  Iglauer  Recht.  Freiherr  v.  Thüngen  äussert 
bezüglich  des  Inhaltes  überhaupt  in  der  Einleitung  S.  12,  er  sei  als 
eine  Privatarbeit  zu  betrachten,  welche  zu  dem  Zwecke  verfertigt 
wurde,  um  die  Hauptquellen  des  in  Iglau  geltenden  Rechts  in  einer 
einzigen  Zusammenstellung  beisammen  zu  haben. 

Der  merkwürdig  kurze  Auszug  aus  dem  Landrechte  des  soge- 
nannten Schwabenspiegels,  welchen  ZOpfl  in  seinen  Alterthümern  des 
deutschen  Reichs  und  Rechts  II  S.  414 — 430  als  .das  kleinste  Kaiser- 
recht* veröffentlicht  hat,  ist  einer  Handschrift  entnommen,  welche, 
wie  die  von  Hermannstadt,  jener  Familie  angehört,  die  das  voll- 
ständige Werk  in  seiner  ältesten  zur  Zeit  bekannten  Gestalt  enthält. 

2)  Der  sinen  herren  czu  tode  an  der  not  wer  seines  leibes  siecht. 
8)  Swelcher  man  sinen  herren  tötet,  waz  der  verwurket. 

4)  Der  seinen  man  oder  seinen  mag  tötet,  des  eigens  oder  lehens 
er  wartunde  ist. 

5)  Swelcher  man  einen  menschen  tötet  uf  dem  velde. 

6)  Ob  einem  manne  sin  freunt  oder  sin  mag  erslagen  wiert,  ob 
man  den  pegraben  schulle  an  gerichte  oder  nicht. 

7)  Ervellet  sich  ein  man,  oder  wiert  er  wunt  an  dem  wege  daz 
er  czu  dem  dorfe  nicht  komen  mag. 


142 


Sitzung  der  histor.  Glaste  vom  3.  Märe  1894. 


I 

II 

ni 

IV 

6401) 

m  Art.  91  §  1 

170«) 

541») 

,,      „     78  §7 

1712) 

342 

152 

542*) 

II  Art.  68 

250 

189 

202 

543  ß) 

»     M     40§5 

256 

644«) 

III  Art.  87  §  4 

258 

267 

302 

545  T) 

II  Art.  46  §  4 

257? 

1688) 

646») 

I  Art.  54  §  5 

252 

547  W) 

III  Art.  37  §  3 

259 

266 

301 

548") 
549  W) 

II  Art.  47  §  1,  2 
,.      n      47  §  3 

j     159 

\     212 

55018) 

„     „     48  §  1 

1     260 

161 ") 

551 «) 

»       n        54   §    1 

] 

55218) 

,,     „      54  §2,3 

261 

\     164 

653  J3) 

n     »      54  §4 

262 

J 

>     213 

55413) 

„     „      54  §5 

) 

555 1«) 
556") 

}     n      „      54  §6 

1     263 

>      165 

1)  Ob  ein  man  leate  herberget,  und  ir  einer  siecht  den  andern 
cza  tode  in  dem  hus. 

2)  Der  Anfang  des  Art.  171  ist  noch  an  den  Schluss  von  Art.  170 
gerathen,  worauf  dieser  mit  einem  Ausfalle  folgt. 

3)  Daz  ein  iglich   mensche   seinem  wekvertigen   gesellen   und 
seinem  wiert  unrechtes  gewaldes  helfen  schol. 

4)  Daz  ein  wekvertiger  man  mag  wol  sinem   mueden  pherde 
körn  abe  sneiden. 

5)  Ob  ein  gepuer  sines  nachgepures  körne  oder  sat  ab  vreczet 
mit  swinen  oder  mit  gensen. 

6)  Swer  des  andern  kom  ab  snidet,  und  went  daz  ez  sei  syn. 

7)  Swer  eines  mannes  velt  daz  peset  ist  um  eret. 

8)  Nur  der  erste  Satz. 

9)  Daz  kein  czins  man  schol  nicht  stein  gruben  oder  leim  gruben 
graben. 

10)  Der  seines  nachgepures  vihe  intreibt  mit  dem  seinen. 

11)  Swer  daz  vihe  tribet  uf  eines  andern  mannes  körn  oder  graz. 

12)  Ob    daz  vihe  daz  uf  dem  kom  gegangen    ist  ist  gewesen 
reinische  pherde  gens  oder  peren. 

18)  Die    Art.  550—556   einschliesslich   handeln   von   den   Hirten 
und  dem  ihrer  Hut  anvertrauten  Yiehe. 
14)  Der  erste  Satz. 


Bockinger:  Der  sog,  Schwabenspiegel  als  Nürnberger  Eecht,     148 


6671) 
558») 
559*) 
560«) 
661«) 
5628) 


} 


I 

n 

in 

IV 

II  Art.  28  §  8 

187 

197  a 

II     II     29 

210«) 

III  Art.  22 

238 

II  Art.  87           { 

206 
207 

} 

147 

817  ■'j 

III  Art.  89 

Fasst  man  hiezu  noch  insbesondere  den  Wortlaut  dieser  Ar- 
tikel ins  Auge,  so  muss  jeder  Gedanke  an  den  —  Deutschen- 
Spiegel  beziehungsweise  hauptsachlich  den  —  sogenannten 
Schwabenspiegel,  der  allein  fQr  uns  in  Betracht  kommt,  als 
etwaige  Quelle  schwinden. 

Steht  somit  der  in  Rede  befindliche  Anhang,  wie  man 
ihn  wohl  nennen  darf,  in  keinem  unmittelbaren  inneren 
Znsammenhange  mit  unserem  Rechtsbuche  wie  man 
es  allgemein  kennt,  sondern  ist  thatsächlich  nur  in  zu- 
fällige Verbindung  hiemit  gebracht,  so  steht  dieses 
auch  nicht  vereinzelt  da.  In  der  Nummer  65,  der  Hand- 
schrift M  21a  der  Bibliothek  in  Dresden,  schliesst  sich  an 
den  dem  Art.  LZ  377  II  entsprechenden  Artikel  ,daz  ist 
von  der  ee"  als  Art.  369  ein  Judeneid  an  =  LZ  263,  wo- 
rauf als  Art.  370  und  871  noch  zwei  Judeneide  folgen, 
während  nun  an  einen  nicht  gezählten  Artikel  unter  der 
Ueberschrift    ,hic  incipiunt   statuta   imperatoris'    ans    dem 


1)  Ob  ein  man  gehowen  graz  stilt. 

2)  Ob  einem  manne  des  andern  habe  cznflenzet  in  dem  wazzer. 
8)  Nar  der  erste  Satz. 

4)  Ob  ein  man  dem  andern  leihet  pherde  oder  vihe  oder  kleider 
[czu]  pescheiden  tagen. 

5)  Ob  ein  man  loakent  des  daz  er  fanden  hat. 

6)  Ob  ein  man  ronbem  oder  denben  icht  abiagt,  wy  er  daz 
Bchol  pieten  in  der  kirchen. 

7)  Gegen  den  Schluss. 

8)  Ob  ein  man  czu  der  padenstuben  get,  und  nimpt  eines  andern 
mannes  padelachen  oder  swert  oder  anders  icht. 


144  Sitzung  der  histor,  Glosse  vom  3.  März  1894, 

Landfrieden  des  Königs  Rudolf  vom  Jahre  1278  sich  endlich 
noch  Art.  372  »von  selbgerichte"  ebendorther  reiht.  Aach 
dem  eigentlichen  Schlussartikel  322  des  nur  den  ersten  Theil 
bis  einschliesslich  Art.  LZ  318  von  den  Ketzern  enthaltenden 
Landrechts  der  Num.  214,  der  Bruchstücke  aus  dem  Michaelis- 
kloster in  Lüneburg,  in  oberdeutscher  Sprache,  sind  wieder 
in  fortlaufender  Zählung  als  Art.  323  und  324  zwei  anders- 
woher gezogene  in  niederdeutscher  Fassung  unmittelbar  an- 
geknüpft. Bekannt  genug  ist  weiter  das  von  Scherz  im 
zweiten  Bande  von  Schilter's  Thesaurus  antiquitatum  teutoni- 
carum  etc.  herausgegebene  Landrecht  der  Num.  109,  der  so- 
genannten Krafft'schen  Handschrift  der  Universitätsbibliothek 
von  Giessen  Num.  972,  worin  an  den  Art.  366  =  LZ  377 
ein  Anhang  von  Art.  367 — 399  geknüpft  ist,  zunächst  von 
Art.  367 — 377  nur  Nachholungen  von  früher  übergangen 
gewesenen  Artikeln  des  sogenannten  Schwabenspiegels  selbst, 
dann  aber  von  378  an  solche  aus  einer  selbständigen  Bear- 
beitung einer  Reihe  von  Artikeln  des  Sachsenspiegels,  wobei 
möglicherweise  der  Deutschenspiegel  zugezogen  erscheint. 
Verräth  in  der  Num.  65  noch  die  bei  einem  nicht  gezählten 
Artikel  erhaltene  Ueberschrift  „hie  incipiunt  statuta  impera- 
toris*  den  fremden  Ursprung,  und  reiht  sich  hieran  dann 
Art.  372  ebendaher,  so  ist  in  den  beiden  anderen  Fällen 
der  Anhang  ohne  irgend  welche  Bemerkung  ohne  weiteres 
mit  den  Artikeln  des  vorangehenden  Rechtsbuches  selbst 
durchgezählt.  Ist  ein  solches  Verhältniss  nicht  auch  beim 
Codex  Altemberger  denkbar?  Tritt  die  Bezeichnung  als 
Nürnberger  Recht  so  bestimmt  entgegen,  so  liegt  die 
Annahme  gewiss  nicht  ferne,  dass  in  der  Stammhandschrift 
eben  bei  dem  Anhange  die  Bemerkung  „nueren  pergisch 
Recht**  gestanden  war,  welche  bei  der  in  der  Abschrift  vor- 
genommenen unmittelbaren  Fortzählung  der  Artikel  dann 
hier  weggelassen,  aber  doch  in  dem  an  die  Spitze  gestellten 
Verzeichnisse   der   Artikel   noch   beibehalten  worden 


Bockinger:  Der  sog.  Schwäbensptegel  ah  Nürnberger  Becht.     145 

ist,  freilich  jetzt  nicht  mehr  in  der  richtigen  Beziehung 
blos  auf  den  ursprünglichen  Anhang,  sondern  als  Be- 
zeichnung für  das  durchgezählte  Ganze. 

Ergibt  sich  hiefür  etwas  vielleicht  aus  der  Heimat  der 
Handschrift?  Gerade  in  dieser  Beziehung  fehlen  nach 
S.  125/126  Nachrichten  aus  älterer  Zeit.  Der  Name  eines 
früheren  Besitzers  ist  gründlich  getilgt.  Zum  Jahre  1453 
auf  der  Innenseite  des  Rückdeckels  ist  weiter  nichts  bemerkt. 
Seit  dem  Jahre  1481  ist  sie  in  Hermannstadt  zu  Hause.  Ge- 
stattet sonst  irgend  etwas  einen  Schluss?  In  Lindner 's  Be- 
schreibung a.  a.  0.  S.  116  ist  in  der  Note  1  bemerkt,  dass 
die  erste  Initiale  S  des  ganzen  Bandes,  in  welcher  neben 
dem  Kaiser,  der  das  Scepter  in  der  Linken  und  den  Reichs- 
apfel in  der  Rechten  hält,  wie  es  scheint  der  Pabst^)  sitzt, 
oben  in  den  rothen  Kopf  eines  Esels  ausläuft,  dem  ein  gleich- 
falls rothes  Kleeblatt  aus  dem  Maule  hängt.  Hierin  wird 
man  doch  schwerlich  eine  bösartige  Anspielung  auf  die  beiden 
Häupter  des  Reiches  und  der  Kirche  finden  dürfen.  Gestattet 
sich  allerdings  der  Maler  der  Handschrift  einen  ziemlich 
weiten  Spielplatz  für  seine  Darstellungen,  wie  gleich  aus  der 
ersten  Seite  des  Landrechts^)  zur  Genüge  ersichtlich  ist,  das 
wird  man  ihm  doch  nicht  ohne  weiteres  zutrauen  dürfen, 
dass  er  in  dem  Auslaufe  des  berührten  Buchstabens  S  die 
Gränzen,  welche  hier  eben  einmal  gezogen  gewesen,  in  so 
anstössiger  Weise  nicht  beachtet  haben  sollte.  Man  wird 
also,  vorausgesetzt  dass  es  sich  überhaupt  hier  nicht  blos 
um  einen  beliebigen  Zufall  handelt,  eine  passendere  Beziehung 


1)  Im  Hintergrande,  beiden  Gestalten  zu  Häupten,  sieht  man 
rhombische  roth-blau-goldene  Felder. 

Die  untere  Randverzierung  des  Blattes  stellt  eine  Jagdscene 
dar,  in  welcher  ein  Jäger,  das  Hifthorn  blasend  und  einen  Hund  an 
der  Leine  führend,  einen  Hasen  hetzt,  welchen  ein  zweiter  Hund 
verfolgt. 

2)  Vgl.  deren  Lichtdruckwiedergabe  in  der  Ausgabe  Lind ner 's. 

1894.    Phüos.-phUol.  u.  hiBt.  Gl.  1.  10 


146  Sitzung  der  histor.  Glosse  vom  3,  März  1894, 

zu  suchen  haben.  So  liegt  denn  auch  wohl  der  Gedanke 
an  ein  Wappenbild  des  Besitzers  der  Handschrift  nicht  zu 
weit  ab.  Für  Nürnberg,  um  welches  es  sich  zunächst  han- 
deln dürfte,  könnte  da  das  Geschlecht  der  Eseler  in  Frage 
kommen.  Aber  ihm  ist  ein  ganzer  schwarzer  Esel,  bald 
rechts  und  bald  links  schreitend,  auf  rothem  Balken  in  gol- 
denem Schilde  eigen,  während  die  Helmzier  ein  wieder 
schwarzer  Eselskopf  bildet,  entweder  rechts  oder  links  ge- 
wendet, aber  stets  ohne  Fressgegenstand.  Am  nächsten 
unter  den  Eselswappen  kommt  unserem  Bilde,  abgesehen 
von  der  Farbe,  die  ja,  wie  vielleicht  auch  die  Fressalie,  auf 
Liebhaberei  des  Malers  zurückzuführen  sein  kann,  das  der 
Familie  Riedesel,  nämlich  ein  schwarzer  Eselskopf  mit  grüner 
Distel  im  Maule  in  silbernem  oder  goldenem  Schilde.  Aber 
dieses  Geschlecht  ist  nach  Mittheilungen,  welche  dem  Vor- 
tragenden durch  das  Ereisarchiv  in  Nürnberg  aus  seinen 
Beständen  wie  aus  denen  des  Stadtarchives  und  der  Stadt- 
bibliothek dortselbst  und  weiter  des  germanischen  National- 
museums zugegangen  sind,  in  Nürnberg  im  13.  und  14.  Jahr- 
hunderte nicht  nachweisbar.  Wäre  allerdings  immerhin  noch 
denkbar,  dass  doch  für  dasselbe  die  Handschrift  eben  in 
Nürnberg  gefertigt  worden  sein  könnte,  ein  irgendwie  ver- 
lässiger Grund  für  solche  Annahme  liegt  nicht  vor. 

Lässt  sich  nun  endlich  vielleicht  aus  dem  Inhalte  des 
Anhanges  von  Art.  534 — 562  ein  Schluss  auf  Nürnberger 
Recht  ziehen?  Habe  ich  über  dieses  im  13.  und  14.  Jahr- 
hunderte keine  nähere  Kunde,  so  vermag  ich  jene  Frage 
weder  mit  Ja  noch  mit  Nein  sicher  zu  beantworten.  Auch 
ist  von  einem  eigentlichen  grösseren  Stadtrechte  hiebei  keine 
Rede,  sondern  mehr  nur  von  einer  Reihe  strafrechtlicher 
und  polizeilicher  Bestimmungen,  worunter  die  über  Beschädi- 
gungen durch  Vieh  und  über  dessen  Hut  durch  den  Hirten 
allein  die  Art.  548 — 556  bilden.  Während  vorher  der  Art.  546 
das  Anlegen  von  Stein-   und   Leimgruben   durch   Zinsleute 


k 


Bockinger:  Der  sog,  Schwabenspieget  als  Nürnberger  Becht,        147 

ohne  Erlaubniss  des  Herrn  verbietet,  handelt  der  Schluss- 
artikel 562  vom  Entfernen  fremder  Gegenstände  aus  den 
Badstuben.  Wirft  man  einen  flüchtigen  Blick  in  die  Nürn- 
berger Polizeiordnungen  aus  dem  13.  bis  15.  Jahrhunderte, 
welche  Baader  im  63.  Bande  der  Bibliothek  des  literarischen 
Vereins  in  Stuttgart  veröffentlicht  hat,  so  betriflft  dort  aller- 
dings unter  den  Bestimmungen  über  die  Baupolizei  im  13. 
und  14.  Jahrhunderte  die  Ziff.  7  S.  291  das  Leimgraben, 
unter  denen  über  Gesundheits-  und  Reinlichkeitspolizei  Ziff.  1 
8.  275  die  Badestuben,  und  handelt  gegen  den  Schluss  Ziff.  1 
S.  329  von  Beschädigungen  „durch  sich  selbst,  seine  Ehe- 
halten oder  Vieh**  an  fremden  Gärten,  Wiesen,  Aeckern, 
Bäumen,  Holz  u.  s.  w.  bei  Tag  oder  Nacht.  Aber  für  einen 
näheren  Zusammenhang  mit  diesen  oder  jenen  der  bemerkten 
Artikel  fehlen  doch  Anhaltspunkte.  Es  muss  daher  eine 
Entscheidung  über  sie  als  Nürnberger  Recht  erst  den  For- 
schem auf  diesem  Gebiete  überlassen  bleiben. 

Zur  Zeit  mag  also,  da  die  Bezeichnung  des  Nürn- 
berger Rechts  wenigstens  im  Verzeichnisse  der  Artikel 
der  Handschrift  von  Hermannstadt  so  entschieden  auftritt, 
bis  auf  weiteres  das  Ergebniss  von  S.  140 — 145  genügen,  dass 
ein  ursprünglich  bei  dem  mehr  besprochenen  An- 
hange angebracht  gewesener  Hinweis  auf  Nürnberger 
Recht  später  da  weggefallen  ist,  sich  aber  doch  noch  eben 
im  Verzeichnisse  der  Artikel  nicht  mehr  in  der  anfangs 
richtigen  Beziehung  blos  auf  die  Art.  534 — 562  einschliesslich 
gleich  für  das  fortlaufend  durchgezählte  Ganze  er- 
halten hat.  Es  wird  somit  nur  an  ein  rein  äusserliches  Ver- 
bältniss  zu  denken  sein,  liegt  ein  irgendwie  innerer 
Zusammenhang  nicht  vor. 


Dionysostfieater  zu  ^Ihen. 

DtnkiJiäUr,Fi^  lälöu.Cunius.  3cadigfcck.v.^0ien.FLgJS. 


Sitzungsberichte 

der 

königl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 


Oeflfentliche  Sitzung 

zur  Feier  des   135.  Stiftungstages 
am  28.  März  1894. 


Die  Sitzung  wurde  von  dem  Präsidenten  Herrn  v.  Petten- 
kofer  eröffnet.  Sodann  gedachte  der  stellvertretende  Sekretär 
der  philosophisch-philologischen  Classe  der  Verluste,  welche 
dieselbe  im  letztverflossenen  Jahre  zu  beklagen  hatte. 

Biidolf  Scholl^  der  unserer  Akademie  seit  1885  als 
Mitglied  angehörte,  wurde  am  10.  Juni  1893  durch  eine 
höhere  Macht  nur  allzufrüh  unserem  Kreis  entrissen.  Der 
Verewigte,  geboren  am  1.  September  1844,  war  ein  Sobn 
des  ehemaligen  Hallenser  Professors  und  späteren  Direktors 
der  Weimarischen  Bibliothek  Adolf  Scholl.  Von  dem  väter- 
lichen Hause  und  der  geistigen  Luft  der  Weimarer  Kreise 
hatte  er  neben  der  begeisterten  Liebe  zu  den  klassischen 
Studien  ein  lebhaftes  Interesse  für  die  Kunst  und  schöne 
Litteratur  und  einen  aufgeklärten,  weitblickenden  Horizont 
des  Geistes  ererbt.  Seine  philologischen  Studien  betrieb  er 
unter  den  ersten  Meistern  des  Faches  in  Göttingen  und  Bonn; 

1894.  FhUoa.-philol.  n.  bist.  GL  2.  11 


150  Oeff entliehe  Sitzung  vom  28.  März  1894. 

besonders  war  es  Hermann  Sauppe,  dessen  Tod  gleichfalls 
in  diesem  Jahre  unsere  Akademie  betrauert,  der  bestimmen- 
den Einfluss  auf  die  Richtung  seiner  Studien  übte  und  dem 
er  zeitlebens  mit  warmer  Pietät  anhing.  Später  setzte  er 
in  einem  mehrjährigen  Aufenthalt  in  Italien  und  auf  einer 
zweimaligen  Reise  nach  Griechenland  in  den  Bibliotheken 
und  Museen  der  klassischen  Länder  seine  Lehrjahre  fort. 

Seine  litterarische  Thätigkeit  begann  er  mit  einer  kri- 
tischen Neubearbeitung  der  Reste  der  Zwölftafelgesetzgebung 
(1866),  die  durch  eine  von  ihm  gelöste  Preisaufgabe  der 
Bonner  Universität  hervorgerufen  wurde.  Dem  Gebiete  des 
alten  Rechts  und  der  griechisch-römischen  Staatsverfassung 
gehörten  auch  mehrere  seiner  späteren  Arbeiten  an ;  dieselben 
erfreuten  sich  so  allgemeiner  Anerkennung,  dass  er  von  der 
Heidelberger  Universität  zum  Doctor  iuris  honoris  causa  im 
Jahre  1886  ernannt  und  von  Mommsen  zur  kritischen  Bear- 
beitung der  Novellen  Justinians  herangezogen  wurde.  Auf 
dem  speciellen  Gebiete  der  Philologie  und  der  Litteratur- 
geschichte  bewegte  er  sich  in  der  zusammen  mit  Kiessling 
besorgten  Neuausgabe  der  Scholien  des  Asconius  zu  fünf 
Reden  Ciceros  (1875),  der  editio  princeps  des  Commentars 
des  Neuakademikers  Proclus  zu  Piatos  Republik,  den  Mit- 
theilungen aus  Handschriften  zu  Lysias,  Aristophanes,  Phry- 
nichus  u.  a.  Seine  Hauptstärke  indes  lag  in  der  Kenntnis  der 
griechischen  Staatsalterttimer  und  Inschriften.  Obwohl  es 
ihm  nicht  mehr  vergönnt  war,  mit  einem  grösseren  Werke 
hervorzutreten  (der  Contract  zu  einem  Handbuch  der  griech- 
ischen Epigraphik  war  bereits  abgeschlossen),  so  sind  doch 
seine  zahlreichen  Abhandlungen,  meist  in  unserer  Akademie 
gehaltene  Vorträge,  vor  allem  der  über  attische  Gesetzgebung, 
voll  sicherer  und  weittragender  Ergebnisse.  Er  beherrschte 
den  Stoff  in  seinem  ganzen  Umfange,  die  litterarischen  Quellen 
(namentlich  die  Redner  und  Historiker),  wie  die  inschrift- 
lichen;   er    verband    in    mustergiltiger    Weise    Akribie   mit 


V.  Christ:  Nekrolog  auf  Rudolf  SchölL  151 

Schärfe  des  Urteils.  Das  Wesen  der  Phratrien  hat  er 
richtig  erfasst,  die  Echtheit  der  Urkunden  und  Gesetze 
in  der  Timocratea  des  Demosthenes  gegen  Westermann 
glänzend  erwiesen ,  das  Verfahren  bei  der  Gesetzgebung 
rekonstruiert  und  noch  die  Freude  erlebt,  dass  ihm  die  Ent- 
deckung der  aristotelischen  Schrift  über  den  Staat  der  Athener 
Becht  gab;  den  Wert  dieses  grossartigen  litterarischen  Fundes 
der  Neuzeit  hat  er  von  Anfang  an  richtig  erkannt,  ohne 
ihn  zu  überschätzen,  und  hat  in  die  Untersuchungen  über 
Anlage  und  Quellen  der  Schrift  vielfach  teils  selbst,  teils 
durch  Arbeiten  seiner  Schüler  entscheidend  eingegriffen. 

Auch  sein  äusserer  Lebensgang  war  eine  ununterbrochene 
Reihe  von  Erfolgen.  In  Berlin  habilitiert  (1871),  kam  er 
schon  nach  einem  Jahr  als  Extraordinarius  nach  Greifswald, 
stieg  daselbst  in  Folge  einer  Anfrage  von  Innsbruck  zum 
Ordinarius  auf,  folgte  dann  einem  Rufe  nach  Jena,  später 
nach  Strassburg,  zuletzt  nach  München  an  unsere  Ludovico- 
Maximilianea;  einen  im  Jahre  1890  von  der  Universität 
Bonn  an  ihn  ergangenen  Ruf  hat  er  in  treuer  Anhänglich- 
keit an  unsere  Universität  und  die  wissenschaftlichen  wie 
künstlerischen  Kreise  unserer  Stadt  abgelehnt.  Dem  Rudolf 
gelingt  Alles,  pflegte  der  Vater  zu  sagen,  er  erreicht  immer, 
was  er  erstrebt. 

Aber  die  äusserlichen  Erfolge  traten  in  seinem  Leben 
weit  zurück  hinter  den  nachhaltigeren  Erfolgen,  welche  er 
als  scharfsinniger  Forscher,  als  anregender  Lehrer  und  opfer- 
bereiter Berater  jüngerer  Gelehrter,  und  als  Mensch  durch 
die  Geradheit  und  Liebenswürdigkeit  seines  ganzen  Wesens 
erzielte.  Ob  Norddeutschland,  Süddeutschland,  Italien,  über- 
all fühlte  er  sich  daheim,  und  der  ihm  zum  Lebensbe- 
dürfnis gewordene  Umgang  mit  Menschen  beschränkte  sich 
nicht  auf  Gelehrte  aller  Wissenschaften,  sondern  dehnte  sich 
auch   auf  Künstler,    Dichter   und  Kunstfreunde   aus.     Auch 

in   die  Politik   hatte   er   im  Jahre  1868  eingegriffen,  indem 

11* 


152  Oe  ff  entliche  Sitzung  vom  28.  März  1894, 

er,  damals  Privatsecretär  des  preussischen  Gesandten  in 
Florenz,  die  anonym  erschienene  Broschüre  schrieb,  Gene- 
ral La  Marmora  und  die  preussisch-italienische  Allianz,  in 
welcher  er  die  Anklagen  des  italienischen  Heerführers  glän- 
zend zurückwies.  Moltke  sagte  von  derselben,  er  habe  in 
seinem  Leben  nichts  Feineres  im  Gebiete  politischer  Flug- 
schriilen  gelesen,  ein  Urteil,  welches  uns  erst  nach  Schöll^s 
Tod  durch  einen  Brief  an  ihn  bekannt  geworden  ist.  Den 
nachmaligen  Kaiser  Friedrich  begleitete  er  als  Kronprinzen 
durch  Italien,  und  dieser  war  von  seinem  Cicerone  so  sehr 
entzückt,  dass  er  ihn  nicht  nur  bei  einer  zweiten  Reise 
wieder  kommen  Uess,  sondern  ihm  auch  zum  Danke  die 
Mittel  zu  einer  Reise  nach  Griechenland  gewährte.  So  wird 
der  weite  Kreis  der  Fachgenossen  und  Nicht-Fachgenossen 
den  teueren  Freund  schmerzlich  vermissen;  die  Wissenschaft 
aber  wird  trauern,  dass  er  einen  reichen  Teil  seines  Wissens 
nicht  mehr  schriftstellerisch  zum  Nutzen  der  Nachwelt  ver- 
werten konnte,  sondern  in  sein  frühes  Grab  mitnehmen  musste. 

Herm.  Sauppe,  geboren  in  Wesenstein  bei  Dresden  den 
9.  December  1809,  gestorben  den  15.  September  1893  in 
Göttingen,  gehörte  unserer  Akademie  seit  dem  Jahre  1852 
an.  Hervorgegangen  war  Sauppe  aus  der  Schule  Gottfr.  Her- 
mann^s,  den  er  in  der  berühmten  Epistola  critica  ad  Hermannum 
(1841)  als  den  principem  philologorum  preist.  Seine  ent- 
scheidenden Lebensjahre  fielen  in  eine  Zeit,  in  der  noch 
keine  Scheidewand  zwischen  Gymnasium  und  Universität 
aufgerichtet  war  und  noch  nicht  landsmännische  Abgeschlos- 
senheit und  Eifersucht  den  freien  Verkehr  der  Geister  hemmte. 
So  fand  er,  der  geborene  Sachse,  seine  erste  Anstellung  in 
Zürich  als  Oberlehrer  an  der  Gantonschule  und  Privatdocent 
an  der  Universität  (1833 — 1845),  ward  dann  1845  noch  als 
junger  Mann  zum  Gymnasial-Direktor  nach  Weimar  berufen, 
und  wirkte  zuletzt,   seit  1856,  als  Professor  der  klassischen 


V.  Christ:  Nekrolog  auf  Herrn,  Sauppe,  153 

Philologie  in  Göttingen;  der  Georgia-Augusta  blieb  er  als 
eine  ihrer  ersten  Zierden  treu  bis  an  seinen  Lebensabend, 
nachdem  er  1865  den  ehrenvollen  Ruf,  in  Bonn  an  der  Seite 
von  0.  Jahn  und  Ritschl  zu  wirken,  nach  kurzem  Bedenken 
abgelehnt  hatte.  Die  litterarische  Thätigkeit  Sauppe^s  galt 
vorzüglich  der  Texteskritik  der  klassischen  Autoren;  die 
Griechen  und  namentlich  die  attischen  Redner  standen  ihm 
ipi  Vordergrund ;  aber  auch  Plautus,  Lucrez,  Cicero,  Velleius, 
Florus  verdanken  seinem  Scharfsinn  glänzende  Verbesserungen. 
Sein  monumentales  Werk  ist  die  gemeinsam  mit  Baiter  be- 
sorgte Gesamtausgabe  der  Oratores  Attici  (1839 — 1850),  in 
der  er  sich  ebenso  durch  die  Herstellung  des  unverfälschten 
Textes  wie  durch  die  vollständige  Sammlung  der  Fragmente 
dauernde  Verdienste  erwarb.  Dieser  grossen  Leistung  gingen 
teils  zur  Seite,  teils  folgten  nach  die  Bearbeitung  der  neu- 
aufgefundenen Reden  des  Hyperides,  die  Ausgabe  des  Philodem 
de  vitiis,  die  zahlreichen  kritischen  Beiträge  zu  fast  allen 
griechischen  Autoren,  insbesondere  zu  Antiphon,  Plutarch 
und  zur  Rhetorik  des  Aristoteles.  Die  Beschäftigung  mit 
den  Reden  führte  ihn  zu  Studien  über  die  Staatsverfassung 
der  Griechen  und  die  Hauptquelle  unserer  Kenntnis  derselben, 
die  Inschriften.  Er  hat  zwar  auf  diesem  Gebiet  kein  zu- 
sammenfassendes Werk  geschrieben;  aber  seine  meist  in 
den  Indices  lectionum  Gott,  niedergelegten  Untersuchungen 
über  einzelne  Institutionen  und  Inschriften  haben  mehr  wie 
dickleibige  Bände  zur  Aufhellung  dieser  Gebiete  beigetragen. 
Ausgezeichneter  Forscher  und  trefflicher  Schulmann  zugleich 
war  er  auch  wie  kein  Zweiter  zur  Herstellung  tüchtiger 
Schulausgaben  geschaffen,  und  so  trat  er  1848  zusammen 
mit  Haupt  an  die  Spitze  des  grossen  Unternehmens  der 
Weidmannischen  Sammlung  griechischer  und  lateinischer 
Schriftsteller,  in  welcher  Sammlung  er  selbst  den  Protagoras 
des  Piaton  in  mustergiltiger  Weise  bearbeitete.  Auch  über 
das  Altertum  hinaus  ging  seine  kritische  Thätigkeit;  in  den 


15i:  Oeff entliche  Siteung  vom  28.  Mars  1894, 

Monumenta  Germaniae  historica  bearbeitete  er  des  Eugippius 
Vita  S.  Severini,  und  in  seinen  Goethiana  bewies  er  in  über- 
raschender Weise,  dass  auch  bei  unseren  eigenen  Autoren  es 
sich  verlohne,  scharf  auf  den  Text  zu  sehen  und  nicht  ge- 
dankenlos über  offenbare  Verderbnisse  weg  zu  lesen.  Aber 
so  gross  auch  der  Scharfsinn  und  die  kritische  Geschicklich- 
keit Sauppe's  war,  mehr  Anerkennung  noch  verdient  sein 
unbestochener  Wahrheiissinn,  seine  nationale  Gesinnung  und 
sein  nie  erlahmendes  Streben,  die  klassischen  Werke  des 
Altertums  für  die  Heranbildung  der  Jugend  und  für  die 
Förderung  reiner  Humanität  fruchtbar  zu  machen. 

Johann  Fritzner,  geboren  am  9.  April  1812  in  der 
Nähe  von  Bergen,  wirkte  zuerst  dort  als  Adjunkt  an  der 
gelehrten  Schule,  später  als  Pfarrer  und  Probst  in  Ostfinn- 
marken und  in  Südnorwegen.  Seit  1877  lebte  er,  auf  sein 
Ansuchen  pensioniert,  ganz  seinen  Studien.  Die  beiden  Ge- 
biete, auf  denen  sich  seine  litterarische  Thätigkeit  bewegte, 
waren  Sprache  und  Sitten  der  Lappländer  und  die  altnor- 
dischen Sprachen.  Sein  Hauptwerk  ^Wörterbuch  über  die 
altnordische  Sprache*  erschien  in  erster  Auflage  1862  —  1867. 
Es  ist  in  verbesserter  zweiter  Auflage  jetzt  bis  zur  Mitte  des 
3.  Bandes  gediehen,  die  Vollendung  durch  Freundeshand 
gesichert.  Ausgezeichnet  durch  vollständige  Verwertung  der 
Quellen,  einschliesslich  der  Urkunden,  durch  umfassende  Be- 
nützung der  neueren  Litteratur,  auch  der  in  Zeitschriften 
zerstreuten  und  deshalb  schwerzugänglichen  und  durch  sorg- 
same Berücksichtigung  der  Realien  bildet  es  eine  reiche 
Fundgrube  des  zuverlässigsten  Wissens. 

Fritzner  war  seit  1864  Mitglied  der  wissenschaftlichen 
Gesellschaft  in  Christiania,  seit  1879  Ehrendoktor  der  Philo- 
sophie der  Eopenhagener  Universität  und  seit  1887  auswär- 
tiges Mitglied  unserer  Akademie. 

Er  starb  am  17.  Dezember  1893  in  Christiania. 


V.  Cornelius:  Nekrolog  auf  Wühelm  v,  Lubke.  155 


Ueber  die  Verluste  der  kistorischen  Classe  machte  der 
Classen secretär  Herr  v.  Cornelias  die  folgenden  Mittheilnngen : 

Am  5.  April  1893  starb  zu  Karlsruhe  der  geheime  Rat 
Wilhelm  von  Lübke»  Professor  der  Kunstgeschichte  an  der 
dortigen  technischen  Hochschule.  Seit  1870  war  er  Corre- 
spondent  unserer  Akademie. 

Am  17.  Januar  1826  zu  Dortmund  geboren,  empfing 
er  den  ersten  Unterricht  von  seinem  Vater,  der  Lehrer  und 
Oi^anist  der  katholischen  Gemeinde  (zu  Dortmund)  war,  und 
machte  namentlich  in  der  Musik  so  rasche  Fortschritte,  dass 
er  schon  im  zwölften  Lebensjahre  die  Orgel  an  des  Vaters 
Stelle  übernehmen  konnte.  Vom  Dortmunder  Gymnasium 
giug  er  1845  an  die  Universität,  nach  Bonn  und  Berlin,  zum 
Studium  der  Philologie  und  Geschichte.  Zu  Berlin  machte 
er  sein  Probejahr,  uud  sollte  dann  sofort  in  ein  Gymnasial- 
lehramt eintreten.  Aber  die  Vorlesungen  Kinkels  in  Bonn 
und  der  Umgang  mit  Jakob  Burckhardt  in  Berlin  hatten 
ihn  für  die  Kunstgeschichte  gewonnen,  und  er  entschloss 
sich,  sein  Leben  ihr  zu  weihen.  Durch  Privatunterricht  und 
Zeitungsarbeit  musste  er  den  Unterhalt  sich  verschaffen.  Sein 
Glück  schuf  ihm  das  entscheidende  Eingreifen  seines  Lands- 
mannes Wilhelm  Junkmann,  der  damals  in  Berlin  als  Ab- 
geordneter weilte:  dieser  wies  ihn  auf  die  Erforschung  der 
KuDstdenkmale  der  Heimat  und  schaffte  ihm  die  Reisekosten. 
So  entstand  das  Buch  über  ,die  Kunst  des  Mittelalters  in 
Westfalen*^  1853,  welches  von  Schnaase  als  Muster  einer 
Provinzialgeschichte  bezeichnet  wurde  und  seinen  wissen- 
schaftlichen Ruf  begründete.  In  weiten  Kreisen  wurde  er  dann 
vorteilhaft  bekannt  durch  die  Ausführung  des  zeitgemässen 
Gedankens,  ein  Handbuch  der  Architekturgeschichte  zu 
schreiben  und  mit  Holzschnitten   zu  illustrieren.     Das  Buch 


156  Oeff entliche  Sitzung  vom  28.  März  1894. 

erschien  1855  und  erlebte  eine  Reihe  von  Auflagen  und 
mehrfache  Uebersetzungen.  1857  erlangte  er  eine  amtliche 
Stellung,  als  Nachfolger  Stier's  an  der  Bauakademie,  wo  er 
durch  klaren  und  lebendigen  Vortrag  und  durch  seine  Fer- 
tigkeit im  Zeichnen  sich  als  anziehender  und  erfolgreicher 
Lehrer  erwies.  Hiermit  war  sein  Lebensweg  geebnet:  er  kam 
1860  nach  Zürich,  1866  nach  Stuttgart,  1885  nach  Karls- 
ruhe, an  allen  drei  Orten  als  Professor  der  Kunstgeschichte 
an  technischen  Hochschulen.  Ausgedehnte  Reisen  im  In- 
und  Ausland  lieferten  ihm  den  Stoff  zu  einer  ununterbro- 
chenen Reihe  grosser  und  kleiner  Arbeiten  in  seinem  wissen- 
schaftlichen Gebiet. 

Ein  jüngerer  Fachgenosse  urteilt  über  den  Verstorbenen : 
„In  einer  Zeit,  da  das  Interesse  für  Kunstgeschichte  weitere 
„Kreise  zu  ergreifen  anfieng,  trat  Lübke  als  ein  geschickter 
„und  gewissenhafter  Vulgarisator  auf,  und  er  ist  in  Wahr- 
„heit,  wie  er  wohl  sich  gerühmt  hat,  „Führer  für  Tausende* 
„geworden.  Unter  den  hierher  gehörigen  Büchern  sind  die 
„besten  die  Geschichte  der  Architektur  und  die  Geschichte 
„der  Plastik.  Man  kann  wohl  sagen,  dass  die  Litteratur 
„der  anderen  Nationen  nichts  Gleichartiges  besitzt.  Sein 
„Verdienst  ist  umsichtige  Zusammenfassung  und  gefällige 
„Darstellung  des  jeweiligen  Standes  der  Forschung.  Energie 
„des  Forschungstriebs  fehlte  ihm.  Dagegen  besass  er  neben 
„grossem  Fleiss  einen  ächten  und  freien  Sinn  für  das  Künst- 
lerische. Auch  war  sein  Streben  stets  von  einer  edlen  und 
humanen  Gesinnung  geleitet.  Seine  wichtigsten  selbstän- 
digen Arbeiten  sind  die  mittelaltrige  Kunst  in  Westfalen 
und  die  Geschichte  der  deutschen  Renaissance-Architektur; 
auch  diese  beiden  mehr  durch  Fleiss  als  durch  Tiefe 
ausgezeichnet;  aber  beide  Gegenstände  waren  ihrer  Zeit 
ziemlich  terra  vergine,  so  dass  er  durch  seine  Bearbeitung 
unserem  Wissen  eine  wirkliche  Bereicherung  verschafft  hat.* 

Wilhelm  Lübke,  Lebeneerinnerungen.  1891.  — 
Lemke,  Wilh.  v.  Lübke  in  der  Beilage  zur  Allgem.  Zei- 
tung 1898,  19.  Juli. 


n 


9 


V.  Cornelius:  Nekrolog  auf  August  v.  Kluckhohn.  157 

Am  19.  Mai  1893  starb  zu  München  August  v.  Eluck- 
hohn,  Professor  der  Geschichte  an  der  Universität  Göttiugen. 
Er  war  seit  1865  ausserordentliches,  seit  1869  ordentliches 
Mitglied  der  Akademie. 

Er  ist  geboren  1832  zu  Bavenhausen  in  Lippe- Detmold. 
Sohn  eines  Bauern,  aber  durch  seine  Begabung  über  die 
heimatliche  Umgebung  erhoben,  hat  er  früh  sich  an  den 
harten  Kampf  des  Lebens  gewöhnt  und  durch  rastlosen  Fleiss 
und  nie  versagenden  Mut  damals  und  später  seine  Ziele  erreicht. 
Von  dem  Gymnasium  zu  Lemgo  gieng  er  nach  Heidelberg, 
wo  Häusser  ihn  für  die  historischen  Studien  gewann,  dann 
zu  Waitz  nach  Göttingen.  Er  hatte  bereits  den  akademischen 
Lehrstuhl  zu  Heidelberg  bestiegen,  als  Sybel  ihn  nach 
München  berief,  wo  er  durch  seinen  Gönner  zuerst  in  die 
Redaction  der  historischen  Zeitschrift,  dann  zu  den  Arbeiten 
der  historischen  Commission  gezogen  wurde.  Von  1859  bis 
zu  seinem  Lebensende  hat  er,  zuerst  als  Mitarbeiter  Sybels, 
dann  als  ausserordentliches,  zuletzt  als  ordentliches  Mitglied, 
der  historischen  Commission  angehört  und  ihr  den  grössten 
und  den  bedeutendsten  Teil  seiner  wissenschaftlichen  Thätig- 
keit  gewidmet.  Für  die  Abteilung  der  Witteisbacher  Corre- 
spondenzen  gab  er  die  seit  1867  erschienenen  „Briefe  Fried- 
richs in.,  Churfürsten  von  der  Pfalz*  heraus,  welchen  sich 
1879  ein  darstellendes  Werk,  „Friedrich  der  Fromme,  Chur- 
fürst  von  der  Pfalz,  der  Schützer  der  reformierten  Kirche" 
anschloss.  Einige  Jahre  später  übernahm  er  auf  Sybels  Auf- 
forderung die  Herausgabe  der  jüngeren  Abteilung  der  deutschen 
Reichstagsakten,  und  stellte  vor  seinem  Tod  den  ersten  Band 
dieses  Werkes  fertig.  Zahlreiche  andere,  kleinere  und  grössere, 
Schriften  sind  der  deutschen  und  vornehmlich  der  bayerischen 
Geschichte  gewidmet.  Er  war  damit  beschäftigt,  eine  um- 
fassende Sammlung  von  Akten  zur  Geschichte  des  deutschen 
Bauernkriegs  vorzubereiten,  als  ihn  der  Tod  ereilte. 

Er  war  1861  als  Privatdozent  an  der  Münchener  Univer- 


158  Oeff entliche  Sitzung  vom  28,  März  1894. 

sität  eingetreten,  wurde  1866  ausserordentlicher  Professor  an 
derselben,  1869  ordentlicher  Professor  an  der  technischen 
Hochschule,  deren  Director  er  1877  für  einige  Jahre  wurde. 
1883  folgte  er  einem  Ruf  an  die  Universität  Göttingen,  doch 
blieben  in  den  letzten  zehn  Jahren  die  jährlichen  Besuche 
in  München  die  Feiertage  seines  Lebens. 

Stieve.    Aug.  y.  Eluckhohn,   in  der  Beilage  zur 
Allgem.  Zeitung  1893,  10.  Juli. 

Am  19.  Juni  1898  starb  zu  Strassburg  Hermann  Batim- 
garten«  Professor  der  Geschichte  an  der  dortigen  Universität. 
Er  war  seit  1872  correspondierendes,  seit  1887  ordentliches 
Mitglied  der  Akademie. 

Er  war  Sohn  eines  Pfarrers,  geboren  zu  Jesse  bei  Wolfen- 
büttel, wurde  erzogen  von  seinem  Vater  im  Heimatsdorf, 
dann  auf  dem  Gymnasium  zu  Wolfenbüttel.  Seine  Studien- 
zeit zu  Jena,  Halle,  Bonn,  Göttingen  dauerte  von  1842  bis 
1847,  unterbrochen  durch  akademischen  Sturm  und  polizei- 
liches Unwetter,  dann  durch  Krankheit.  Die  beginnende 
Gymnasiallehrerlaufbahn,  zu  Braunschweig,  wurde  durch  die 
Bewegung  des  Jahres  1848  vielfach  gestört,  dann  durch 
den  Uebertritt  zur  Publicistik  abgebrochen.  Er  übernahm 
die  Leitung  der  dortigen  Reichszeitung  und  vereinigte  eine 
Anzahl  von  Führern  der  ehemaligen  erbkaiserlichen  Partei 
zur  Mitarbeit.  Als  er  der  Reaction  weichen  musste  1852, 
fand  er  bei  Gervinus  in  Heidelberg  Zuflucht.  Hier  begannen, 
im  engen  Anschluss  an  Gervinus,  seine  historischen  Studien. 
1854  wurde  ihm  die  Rückkehr  zu  der  Schullaufbahn  in  der 
Heimat  verweigert,  und  er  musste  versuchen,  für  längere 
Dauer  seine  Existenz  auf  historische  und  politische  Arbeiten 
zu  gründen.  Er  lebte  jetzt  hauptsächlich  in  München,  zuerst  als 
Hülfsarbeiter  von  Gervinus  für  dessen  Geschichte  des  19.  Jahr- 
hunderts, dann  in  selbständiger  Arbeit  für  die  spanische  Ge- 
schichte in  Hirzels  Sammlung;  daneben  politisch  tätig  in 
kleindeutschem  Sinn  unter  Sybels  Einfluss  und  im  Anschluss 


V,  Cornelius:  Nekrolog  auf  Hermann  Baumgarten,       159 

an  Brater;  eine  Tätigkeit,  die  in  Berlin,  wohin  1859  die 
neue  Aera  ihn  rief,  sich  übermässig  steigerte,  ohne  befrie- 
digenden Erfolg  zu  gewähren.  Endlich  1861  gelang  es,  ihm 
Amt  und  Ruhe  zu  verschaffen,  durch  eine  Professur  der 
Geschichte  an  der  technischen  Hochschule  zu  Karlsruhe. 
Hier  brachte  er  seine  Werke  über  spanische  Geschichte  zur 
Vollendung:  Geschichte  Spaniens  zur  Zeit  der  französischen 
Revolution  1861;  Geschichte  Spaniens  vom  Ausbruch  der 
französischen  Revolution  bis  auf  unsere  Tage,  1865 — 1871. 
Zugleich  aber  begleitete  er  die  grossen  Ereignisse  des  Jahr- 
zehntes mit  einer  Reihe  politischer  Schriften,  die  ihm  ein 
bleibendes  Andenken  in  der  Zeitgeschichte  sichern.  Es  war 
eine  schöne  Fügung,  dass  die  Erfüllung  der  hohen  Geschicke 
Deutschlands,  denen  er  in  treuester  Hingebung  von  Jugend 
auf  gedient  hatte,  ihm  zugleich  die  Erfüllung  seiner  eigen- 
sten Wünsche  brachte,  indem  er  an  die  neue  Universität 
zu  Strassburg  berufen  wurde.  Auf  der  Höhe  des  Lebens 
angelangt,  durfte  er  zum  ersten  Mal  die  gesammelte  Kraft 
auf  Lehre  und  Gelehrsamkeit  werfen,  an  einer  Stelle,  wo 
diese  Wirksamkeit  von  selbst  eine  eigentümliche  patriotische 
Färbung  erhalten  musste,  wie  sie  seinem  Wesen  entsprach. 
Seine  Aufmerksamkeit  richtete  sich  auf  Strassburgs  hervor- 
ragende Bedeutung  im  Reformationszeitalter;  von  Strassburg 
aus  griff  er  dann  auf  deutsche  und  französische  Geschichte 
des  16.  Jahrhunderts,  schrieb  das  siegreiche  Buch  »Vor  der 
Bartholomäusnacht''«  und  stellte  sich  zuletzt  die  höchste  Auf- 
gabe, die  Geschichte  Karls  V.  Dieses  Werk,  nicht  unwürdig 
der  Vergleichung  mit  dem  grossen  Vorgänger,  dem  es  nicht 
bloss  im  Stoff  sich  annähert,  sichert,  obwohl  zu  allgemeinem 
Bedauern  nicht  zu  Ende  gediehen,  dem  Namen  des  Verfassers 
für  immer  einen  hervorragenden  Platz  in  der  deutschen  Ge- 
schichtsschreibung. 

Erich  Marcks  über  H.  Baamgarten ,  in  der  von 
ihm  herausgegebenen  Sammlung  von  ßaumgartens  klei- 
neren politischen  and  historischen  Schriften. 


160  Oeffentliche  Sitzung  votn  38,  März  1894. 

Am  2.  Juli  1893  starb  zu  Hermanstadt  der  Doctor  der 
Theologie,  Rechte  xmd  Philosophie,  Qeorg  Daniel  Teutsch, 
Bischof  der  evangelischen  Landeskirche  Augsburgischen  Be- 
kenntnisses in  den  Siebenbürgischen  Landesteilen  Ungarns. 
Er  war  seit  1874  auswärtiges  Mitglied  der  Akademie. 

Gebojen  zu  Schässburg  1817  12.  Dez.,  gut  vorgebildet 
an  dem  dortigen  Gymnasium,  hat  er  seine  Studien  in  Theo- 
logie, Philologie  und  Geschichte  vornehmlich  in  Berlin  unter 
Neander,  Ranke,  Ritter,  Böckh,  Bopp  u.  a.  gemacht.  Schon 
1842  am  Schässburger  Gymnasium  angestellt,  wurde  er  1850 
zum  Rektor  desselben  gewählt;  dann  wurde  er  1863  zum 
Pfarrer  in  Agnetheln,  1867  von  der  Landeskirchenversamm- 
lung zum  Bischof  gewählt. 

Die  hart  bedrängte  Lage  der  kleinen  deutschen  Colonie 
im  Karpathenland  bringt  es  mit  sich,  dass  jedes  lebendige 
Glied  des  Stammes  ein  Kämpfer  für  Recht  und  Existenz  der 
Siebenbürgischen  Sachsen  wird;  vor  allen  die  Schulmänner 
und  Geistlichen.  Nachdem  das  Recht  des  Volks  der  Gewalt 
unterlegen  ist,  bleibt  es  ihre  Sorge,  den  Besitz  des  Volkes 
in  Sprache  und  Bildung  durch  eifrige  Arbeit  und  durch  zeit- 
gemässe  Reformen  in  Schule  und  Kirche  zu  erhalten.  Teutsch 
ist  von  Anfang  an  in  die  Reihe  der  Kämpfer  getreten,  hat 
auf  dem  Klausenburger  Landtag,  im  Wiener  Reichstag,  im 
ungarischen  Reichstag,  zuletzt  als  Bischof  im  Magnatenhaus 
die  Achtung  der  Gegner  erzwungen,  ist  in  der  inneren  Ar- 
beit allmählich  an  die  Spitze  gekommen,  als  Bischof  der 
Kirche  und  als  geistiger  Führer  seines  Volkes,  allgemein  als 
solcher  anerkannt  und  verehrt,  in  Siebenbürgen  sowohl  als 
im  deutschen  Mutterlande.  Ein  ausgezeichneter  Teil  seines 
patriotischen  Lebenswerkes  war  die  vaterländische  Forschung 
und  Geschichtschreibung.  Seine  „Sachsengeschichte*  ist  1852, 
in  zweiter  Ausgabe  1874  erschienen. 

SiebenbürgiBchdeutsches  Tagesblatt  1893,  4.  Jali  — 
Mitteil,  des  allgem.  deutschen  Schalvereins  1894  Januar: 
Vonneng,  Gedächtnissr.  f.  Teutsch;  Wattenbach,  Ansprache. 


V.  Cornelius:  Kehrolog  auf  BidMrd  Böpeü,  161 

Am  4.  Noyember  1893  starb  zu  Breslau  der  Geh.  Re- 
gierungsrat Richard  BOpell,  Professor  der  Geschichte  an 
der  dortigen  Cniyersitat.  Er  gehörte  seit  1876  als  auswär- 
tiges Mitglied  unserer  Akademie  an. 

Sohn  eines  Rechtsanwalts,  geboren  zu  Danzig  am  4.  No- 
vember 1808,  erhielt  er  seine  gelehrte  Erziehung  am  Gym- 
nasium seiner  Vaterstadt,  von  wo  er  1830  zum  Studium  der 
Philologie  und  Geschichte  nach  Halle  gieng.  Dort  durch 
Leo  fQr  die  historischen  Studien  gewonnen,  war  er  schon 
1832  im  Stande,  eine  Schrift  urkundlicher  Forschung,  die 
Grafen  von  Habsburg,  erscheinen  zu  lassen.  In  Berlin  wurde 
er  ein  eifriger  Schüler  Rankes.  1834  nach  Halle  zurück- 
gekehrt, habilitierte  er  sich  als  Dozent  der  G^chichte  mit 
einer  Schrift  über  den  Verrat  Wallensteins.  Auf  Friedrich 
Perthes  Aufforderung  unternahm  er  eine  Geschichte  Polens 
für  die  Heeren -ükert'sche  Sammlung.  Der  erste  Band  er- 
schien 1840  und  fand  allgemeine  Anerkennung.  In  Folge 
des  ward  er  1841  als  ausserordentlicher  Professor  der  Ge- 
schichte an  die  Hochschule  zu  Breslau  berufen. 

Hier  liess  er  die  Fortsetzung  der  Geschichte  Polens 
fallen,  die  später  in  andere  Hände  übergegangen  ist.  Es 
galt  ihm,  neben  dem  hochberühmten  Meister  Stenzel  sich 
eine  Stellung  an  der  Universität  zu  schaffen,  und  dies  ge- 
lang, indem  er  alle  Kraft  auf  seine  Vorlesungen  wandte. 
Der  Erfolg  führte  zu  anderen  Vorlesungen  für  ein  reiferes 
Publikum  und  er  gewann  auch  hier  den  Ruhm  der  Meister- 
schaft in  klarem  und  gewandtem,  geist-  und  kenntnissreichem 
Vortrag.  Dann  führte  ihn  sein  Talent  als  Redner  und  Po- 
litiker in  das  Erfurter  Parlament,  auch  in  den  preussischen 
Landtag,  später  ins  Herrenhaus.  Auch  in  den  städtischen 
Angelegenheiten  war  er  als  Stadtverordneter  tätig.  Er  ver- 
nachlässigte darum  keineswegs  die  historischen  Studien.  Neben 
seiner  fortdauernden  hervorragenden  Tätigkeit  an  der  Uni- 
versität hat  er  der  Gesellschaft  für  vaterländische  Cultur  und 


162  Oeff entliche  Sitzung  vom  28.  März  1894. 

nach  Stenzels  Tod  dem  Verein  für  Schlesische  Geschichte 
eine  Reihe  von  Jahren  aufopfernde  Mühe  gewidmet,  und  eine 
nicht  geringe  Anzahl  schriftstellerischer  Leistungen  zeugt 
von  seiner  eingehenden  und  fruchtbaren  Beschäftigung  mit 
allgemeiner  Geschichte,  wie  die  glänzende  Studie  über  die 
orientalische  Frage  in  ihrer  geschichtlichen  Entwickelung 
1774 — 1830,  oder  mit  spezifisch  preussischen  Fragen  wie 
seine  Arbeiten  über  die  Jahre  1806 — 1812.  Auch  zu  Polen 
kehrte  er  zurück,  in  seinem  bedeutenden  Buch  über  Polen 
um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts.  Aber  zu  grossen  und 
umfassenden  Arbeiten  ist  er  nicht  mehr  gelangt.  Dagegen 
blieb  er,  von  seiner  Ernennung  zum  ordentlichen  Professor 
1855  nach  Stenzels  Tod  bis  in  sein  hohes  Alter,  fast  vierzig 
Jahre  lang,  Haupt  und  Mittelpunkt,  Anreger,  Förderer  und 
Führer  der  historischen  und  verwandten  Studien  für  die  jüngeren 
Kräfte  der  Universität  und  der  Schlesischen  Hauptstadt. 

Nekrolog  Röpells  voii  £.  Reimann  in  der  Zeitachrift 
für  Geschichte  und  Alterthum  Schlesiens,  Band  28.  1894. 

Am  16.  Dezember  1893  starb  zu  Montreux  Sir  Robert 
Barnett  David  Morier,  Englischer  Botschafter  zu  Peters- 
burg; seit  1876  auswärtiges  Mitglied  der  Akademie. 

Geboren  1 826,  war  er  seit  1852  in  diplomatischem  Dienst 
beschäftigt,  und  zwar  in  Deutschland  mit  kurzen  Unter- 
brechungen bis  1876,  zuletzt  in  München;  dann  wurde  er 
Gesandter  Grossbritanniens  in  Lissabon,  Madrid  und  Peters- 
burg. Während  seines  langen  Aufenthaltes  in  Deutschland 
wurde  er  ein  Kenner  der  deutschen  Zustände  und  machte 
sich  vertraut  mit  deutscher  Literatur  und  Wissenschaft.  Er 
wurde  ein  Freund  Deutschlands.  Namentlich  schloss  er  sich 
mit  Vorliebe  den  gelehrten  Kreisen  an.  Auf  Grund  seiner 
Schrift  Local  government  considered  in  its  historical  develop- 
ment  in  Germany  and  England,  welche  eine  vergleichende 
Darstellung  der  alten   deutschen   und   englischen  Verfassung 


k 


r.  Cornelius:  Nehmiog  auf  Georg  von  Wyss,  163 

und  ihrer  spateren  EntwickTangen  unter  dem  Gesichtspunkt 
der  Selbstregierung  gibt  und  bis  zu  den  Zustanden  und  Re- 
formen der  Gegenwart  führt,  beantragte  der  Rechtshistoriker 
Paul  von  Roth  seine  Wahl  zum  auswärtigen  Mitglied  der 
Akademie. 

Am  17.  Dezember  1893  starb  zu  Zürich  Georg  von 
Wyss,  Professor  der  Geschichte  an  der  dortigen  Universität. 
Seit  1875  war  er  Correspondent,  seit  1886  auswärtiges  Mit- 
glied der  Akademie. 

Er  geborte  einer  alten  Züricher  Familie  an:  sein  Vater 
war  der  Bürgermeister  David  von  Wyss.  Er  ist  geboren 
am  31.  März  1816  zu  Zürich.  Von  dem  Gymnasium  der 
Vaterstadt  gieng  er  zum  Studium  der  Mathematik  und  Physik 
auf  die  Universitäten  Zürich,  Genf  und  Berlin.  Durch  den 
Umschwung  vom  September  1839  zur  Politik  geführt,  trat 
er  in  der  Presse  für  die  conservative  Partei  in  die  Schranke, 
wurde  Sekretär  des  grossen  Rats  und  1842  zweiter  Staats- 
schreiber. 1847  zwang  ihn  die  unterdes  eingetretene  Aen- 
derung  der  politischen  Lage,  ins  Privatleben  zurückzutreten. 
Die  politische  Beschäftigung  hatte  ihn  zur  Geschichte  seiner 
Vaterstadt  und  mit  ihr  zur  Geschichte  der  Schweiz  über- 
haupt geführt,  und  diese  blieb  fortan  seine  Hauptsorge  und 
wurde  der  Hauptinhalt  seines  Lebens.  1850  habilitierte  er 
sich  als  Privatdocent  an  der  Universität,  1851  begann  seine 
Geschichte  der  Abtei  Zürich,  die  man  wohl  als  sein  Haupt- 
werk bezeichnen  darf,  zu  erscheinen.  Für  die  von  der  Can- 
tonsregierung  über  Gebühr  verzögerte  Beförderung  —  erst 
1870  wurden  ihm  die  vollen  Rechte  eines  ordentlichen  Pro- 
fessors der  Schweizergeschichte  zugesprochen  —  entschädigte 
ihn  die  Anerkennung  der  Fachgenossen,  die  ihn  schon  1854 
zum  Präsidenten  der  allgemeinen  geschichtsforschenden  Ge- 
sellschaft der  Schweiz  erhoben  und  bis  zu  seinem  Tod,  vierzig 
Jahre  lang,  in  dieser  Stellung  erhielten. 


164  Oeffentliche  Sitzung  vom  28,  März  1894, 

Niemand  hat  je  bescheidener  von  der  eigenen  wissen- 
schaftlichen Bedeutung  gedacht  als  Georg  von  Wyss:  er  hat 
sich  stets  unterschätzt.  In  zahlreichen,  gründlichen  und  gut- 
geschriebenen Arbeiten  hat  er  sich  als  den  besten  Kenner 
der  Schweizergeschichte  erwiesen.  Als  Repräsentanten  der 
historischen  Wissenschaften  in  der  Schweiz  hat  ihn  Waitz 
zum  Nachfolger  Wackernagels  in  der  deutschen  historischen 
Commission  yorgeschlagen.  Aber  allerdings  liegt  seine  Be- 
deutung nicht  so  sehr  in  dem,  was  er  schrieb,  als  in  dem, 
was  er  war.  Fromm  und  liebreich,  überall  hilfbereit,  seinem 
Vaterland  so  warm  ergeben,  dass  er  alles  Widrige  im  öffent- 
lichen Leben  wie  eine  Wunde  am  eignen  Leib  empfand, 
pflichtgetreu  bis  zur  Selbstvergessenheit,  heiter  und  weise, 
waltete  er  unter  seinen  Landsleuten  und  Fachgenossen,  Wel- 
schen und  Deutschen,  wie  ein  Vater.  Im  Tode  hinterlässt 
er,  sagt  sein  Genfer  Freund,  in  allen  Herzen  ein  tiefes  Ge- 
fühl ehrerbietiger  und  kindlicher  Zuneigung. 

Zum  Andenken  an  Professor  Dr.  G.  von  Wyss  und 
dessen  Gattin,  Zürich  1894,  insbesondere  Rede  von  Gerold 
Meyer  von  Enonau;  und  das  .Nachwort*.  —  George  de 
Wiss,  Simples  notes  par  Pierre  Vaucher,  Genf  1894.  — 
von  Weech,  G.  von  Wyss,  in  der  Beilage  der  Allgem. 
Zeitung  1894,  20.  März. 


k 


165 


Philosophisch-philologische  Classe. 

Sitzung  vom  5«  Mai  1894. 

Herr  von  Christ  legt  eine  Abhandlung  des  Herrn 
Dr.  Menrad  vor: 

^TJeber    die    neuentdeckten    Genfer    Homer- 
fragmente  und    den  Wert   ihrer  Varianten." 

Jules  Nicole,  der  sich  durch  die  Herausgabe  der  Ilias- 
scholien  des  codex  Genevensis  44  auf  dem  Gebiete  der  Homer- 
litteratur  ein  beachtenswertes  Verdienst  erworben  hat,  ver- 
öffentlicht in  der  1.  Lieferung  des  18.  Jahrganges  (1894) 
der  Pariser  Revue  de  Philologie  einige  für  die  Genfer  Bi- 
bliothek angekaufte  ägyptische  Papyri  mit  mehr  oder  minder 
vollständig  erhaltenen  Homerfragmenten,  deren  Entdeckung 
schon  Ende  vorigen  Jahres  sensationell  durch  die  Tageblätter 
lief.  Sie  gehören  den  Gesängen  ^,  J^  Z,  ^,  M^  y  an  und 
sind  von  J.  Nicole  mit  rühmenswerter  Akribie  in  Hinsicht  auf 
paläographisches  Detail  und  Hervorhebung  der  von  der  Vul- 
gata  abweichenden  Lesarten  behandelt;  besondere  Anerken- 
nung verdient  seine  Geschicklichkeit  und  Findigkeit  in  der 
Rekonstruktion  mehrerer  nur  in  unscheinbaren  Bruchstücken 
erhaltener,  bisher  völlig  unbekannter  Verse.  Im  übrigen  be- 
gnügte sich  Nicole  mit  der  exakten  Darstellung  des  That- 
bestandes  und  fällt  nur  hie  und  da  ein  Urteil  über  Wert 
oder  Unwert   der  neuen   Varianten   sowie   der   neuen  Verse, 

1894.  PhiIo8.-philo].  u.  hist.  Gl.  2.  12 


166         Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  5.  Mai  1894, 

so  dass  es  sich  der  Mühe  lohnt,  diese  vom  Verfasser  noch 
ofiFen  gelassene  Frage  einer  näheren  Prüfung  zu  unterziehen; 
denn  nicht  mit  Unrecht  meint  der  Entdecker  dieser  Frag- 
mente, dieselben  würden  binnen  kurzem  ein  ähnliches  Auf- 
sehen erregen  wie  vor  drei  Jahren  die  Entdeckung  der 
Dubliner  Fragmente.^) 

Im  folgenden  ist  eine  kritische  Würdigung  der  Varianten 
und  neuen  Verse  versucht,  wobei  der  Uebersicht  wegen  zwei 
Gruppen  gebildet  wurden,  deren  eine  die  sachlichen  Varianten 
bezw.  die  neuen  Verse  enthält,  während  die  andere  bloss  ortho- 
graphisch-phonetische Eigentümlichkeiten  in  sich  begreift. 

L   Sachliche  Tarianten. 

Fragment  I  und  11  (y  364—375  und  384—402)  ent- 
halten folgendes  Bemerkenswerte,     y  372  lautet: 

qp[rj]v[j  e]ldofi€vrj'  &a(.ißrjae  de  Xaog  IdxaioJv^ 

während  unsere  Texte  ^t^df^ßog  d'  ele  ridvzag  Idoviag  bieten; 
Tzetzes  hat  c^fi  statt  Ja«,  wohl  um  das  374  wiederkehrende 
VXb  zu  variieren,  wie  Nicole  annimmt;  statt  Idoviag^  das 
nur  HPQS  haben,  findet  sich  lixaioig  in  den  übrigen  Hand- 
schriften. Fragen  wir  den  Autor  selbst,  so  finden  wir  F  342, 
J  79,  ß  482  das  Hemistich  &a^ßog  ö'  t^ev  elaoQoovrag^  da- 
gegen 4^815  0^.  ö'  e\  navrag  !Axaiovg.  Der  Ausdruck  Xaog 
Idxaiwv  unseres  Fragmentes  jedoch  ist  mit  Entschiedenheit 
als  verfehlt  abzuweisen,  da  derselbe  nur  der  Ilias  eigen  ist 
und  das  'gerüstete  Achäerheer^  bedeutet,  nicht  also  in  der 
Odyssee,  zumal  nicht  an  unserer  Stelle,  wo  von  dem  fried- 
lichen Pyliervolke  die  Rede  ist,  statthaft  sein  kann.  Zu 
einer  Aenderung  wegen  des  gedoppelten  ele  war  kein  stich- 


1)  Vgl.  über  diese  des  Vs.  Aufsatz'  in  den  Sitzungsber.  1891, 
H.  4,  p.  539  sq.;  A.  Lud  wich  im  Sommer-Lektionskatalog  der  Univ. 
Königsberg  1892;  J.  v.  Leeuwen  jr.  in  der  Mnemosyne  nov.  ser. 
vol.  XX,  p.  1  sq. 


Memrad:  Die  nemet^detkitn  Gtmfer  How^erfnußmtmte.        107 

haltiger   Grand    Torhanden,    da   dasselbe   O  515/6   in   uoch 
näherer  Nachbarschaft  sich  findet 

y  394  lautet  die  Vulgata:  .  .  noXXa  d'  -^^j^'S  e?x«r* 
anoönirdiay,  xovQg  Jtog  alytoxoio.  SUtt  der  2.  HfilfW 
des  letzteren  Verses  bietet  das  Fragment  * — /u€l4i;d^a  olrov 
i^'^Qor^  so  dass  y  394**  =  i  208*^.  Aber  an  letzterer  Stelle 
ist  die  nachdruckliche  Herrorhebung  der  Güte  des$  Weines 
durch  zwei  Epitheta  ganz  anders  am  Platze  als  in  y:  handelt 
es  sich  doch  dort  um  den  Wein,  den  Odysseus  Ton  Maren 
zum  Geschenke  erhalten  hatte  und  der  nun  zur  Berauschung 
des  Poljphem  dienen  soll:  mit  echt  homerischer  Kunst  winl 
die  Wirkung  des  Getränkes  durch  eine  detailierte  Angabe 
seiner  Herkunft  oder  Etiquette  yorbereitet.  An  unserer  Stelle 
hingegen  empfangt  Athene,  deren  leibhafte  Anwesenheit  eben 
die  Anwesenden  in  ahnungsyoUen  Schauer  versetzt  hatte, 
eine  ehrenvolle  Libation.  Dazu  kommt,  dass  anoanivdio  an 
den  beiden  übrigen  Stellen  §  331  =  ^  288  absolut  gebraucht 
sich  findet,    ebenso  in  der  Regel  das  viel  h&ufigere  a/revdco. 

y  400  ist  die  La.  naq  ä'  ol  für  naQ  d*  ag'  wegen  des 
vernachlässigten  Digammas  und  der  Wiederkehr  von  ol  im 
folgenden  Verse  völlig  wertlos. 

Während  fr.  III  (^  44 — CO)  keine  Varianten  aufweist, 
finden  sich  in  fr.  IV  und  V  {J  82-95  und  Z  827-^53)  nur 
solche  orthographischen  Charakters,  worüber  in  Teil  II  ge- 
handelt werden  soll. 

Von  ganz  besonderem  Interesse  ist  hingegen  das  auch 
dem  Umfange  nach  bedeutendste  Fragment  VI,  das  3  aufein- 
anderfolgende Seiten  (aeXideg)  umfusste,  von  deren  erster  nur 
noch  die  Endbuchstaben  entziflfert  werden  konnten,  ebenso 
wie  von  der  dritten  nur  noch  die  Anfänge,  während  die  in 
der  Mitte  liegende  Kolonne  sich  einer  seltenen  Integrität  er- 
freut und  namentlich  durch  gute  Ueberlieferung  völlig 
neuer  Verse  uns  einen  äusserst  schätzbaren  Eindruck  in 
die  Mache  dieser  bei  dem  Dubliner  Fragment  noch  ho  riltsel- 

12* 


168         Sitzung  der  phüos.-philol,  Glosse  vom  5.  Mai  1694, 

haften  Gebilde  thun  lässt.  Dieses  Bruchstück  umfasst  den 
Ausgang  des  Buches  ^  und  Anfangsbuchstaben  der  ersten 
12  Verse  von  M.  Der  2.  Teil  des  Buches  -ri,  die  ofAiXla 
NiaroQog  nat  IlaTQOxXov^  enthält  bekanntlich  gegen  den 
Schluss  der  langatmigen  Rede  des  Nestor  die  Aufforderung 
desselben  an  Patroklos,  entweder  Achill  für  die  Wiederauf- 
nahme des  Kampfes  zu  gewinnen  oder  wenigstens  an  Stelle 
des  Freundes  selbst,  mit  dessen  Waffen  angethan,  zu  Hilfe 
zu  kommen.  Ohne  eigentliche  Zusage,  aber  innerlich  tief 
erregt,  entfernt  sich  Patroklos,  um  zu  Achill,  der  ihn  ent- 
sandt hatte,  zurückzukehren:  auf  halbem  Wege  trifft  er  mit 
dem  verwundeten  Eurypylos  zusammen,  den  er  nach  kurzer 
Zwiesprache  über  den  Stand  des  Kampfes  ins  Zelt  trägt,  um 
ihn  dort  zu  pflegen.  Es  sind  warmempfundene,  von  einem 
gewissen  natürlichen  Pathos  getragene  Verse,  welche,  mögen 
sie  auch  nicht  zu  den  alten  Bestandteilen  des  Epos  gehören, 
wie  man  anzunehmen  berechtigt  ist,  doch  einen  wohlge- 
lungenen Abschluss  des  Buches  ^  bilden. 

Betrachten  wir  nun  dieselben  in  der  uns  von  dem  Frag- 
mente gebotenen  Form,  so  zeigt  sich  zu  unserer  Ueberraschung 
eine  so  bedeutende  Anzahl  von  Veränderungen  tiefeingreifen- 
der Art,  dass  wir  verwundert  fragen:  wie  kommt  es,  dass 
unsere  Handschriften  und  Scholien  von  der  Existenz  eines 
solchen  Textes  kaum  etwas  ahnen  lassen? 

-«^791  (tavt^  eiTcoig  LdiiXi^i  ödtipqovi^  cu  x«  nid'ifjTai) 
endigte  in  der  Hs.  des  Papyrus  auf  oov  (mit  kaum  les- 
barem a).  Nicole  sieht  darin  mit  grosser  Wahrscheinlich- 
keit die  Reste  eines  imper.  aor.  act.  und  vermutet 

tavT^  elftcuv  l4xiXrii  öatq)QOvi  devQO  xciXbooov. 

Da  jedoch  devgo  auf  das  Zelt  des  Nestor  gehen  könnte,  wäre 
vielleicht  die  Fassung 

TavT^  ehctüv  lAxiXrii  q^iXio  noXei^iovöe  xdXeoaov 


k 


Menrad:  Die  neuentdeckten  Genfer  Homerfragmente,        169 

Yorzuziefaen,  wenn  nicht  der  Ausgangspunkt,  die  Buchstaben- 
reste oov^  überhaupt  eine  zu  schwache  Stütze  für  jede  Kon- 
jektur bieten  würden,  so  dass  wir  uns  ein  Urteil  über  Wert 
oder  Unwert  der  Variante  versagen  müssen. 

Nach  V.  795  (xa/  riva  oi  naq  Ztjvog  en€q>Qade  norvia 
fir^TTjo)  stand  ein  Vers  mit  dem  Ausgang  oyeQOvtog^  worin 
Nicole  mit  Sicherheit  eine  Wiederholung  von  ^  538  (556  etc.) 

aQyvQOTie^a  &€Tig,  d^vyaxrjq  aXloio  yi^ovrog 

erkannt  hat:  ein  müssiger,  den  Fortgang  des  ohnehin  8  Verse 
umspannenden  Gedankens  hemmender  Zusatz. 

Doch  nicht  genug!     Vor  v.  796  unserer  Texte 
dXld  ai  neQ  nqohu)^  Sfia  d^  iilkog  kaog  iniö^ui 

stand  im  Papyrus  schon  wieder  ein  weiterer  eingeschoben, 
dessen  Reste  —  lovil^oamv  Nicole  ebenso  schön  als  über- 
zeugend nach  n  239  und  .^421  rekonstruiert  hat: 

avTog  ixev  fievatio  vrjwv  ev  dycivi  O-odwv, 

Trotzdem  werden  wir  schwerlich  hierin  eine  schätzbare  Be- 
reicherung unserer  Vulgata  erblicken  können.  Er  trägt  den 
Stempel  eines  Rhapsodenfabrikates  nur  zu  deutlich  auf  der 
Stirne:  der  prägnante  Gebrauch  von  dXXd  (at)  am  Anfange 
einer  adversativen  Apodosis  war  einem  Sänger,  wie  es  scheint, 
etwas  Befremdendes,  Ungewohntes,  wiewohl  derselbe  in  der 
Ilias  sich  5  mal  (^  82,  K  226,  T  165,  0  577,  X  192)  findet; 
er  interpolierte  also  einen  naheliegenden,  schon  in  der  kon- 
ditionalen Protasis  involvierten  Gedanken. 

V.  796  endigt  nicht  ofia  d'  ailog  Xacg  iniadu)^  sondern 
.  .  .  hxov  dvw%&fo,  Nicoles  Ergänzung  ^tov  d'  aXXov  Xaov 
dv(ü%&(jj  (sc.  ^nia^aii)^  die  er  nach  yt  189  für  ausgemacht 
('certainement')  hält,  dürfte  doch  wegen  der  durchaus  nicht 
so  einfachen  Ellipse  des  Infinitivs   tntö^av  auf  Schwierig- 


170         Sitzimg  der  phüosrphüol.  Glosse  voni  5.  Mai  1894, 

keiten  stossen;  an  der  beigezogenen  Stelle  folgt  (.laqvaaS-ai 
nach.^)     Daher  möchte  ich  die  Fassung  vorziehen 

aXka  ai  7teq  nqoeTO)^  Tiat  ercead-ai  Xaov  avcux^io, 

da  hiedurch  jene  Schwierigkeit  beseitigt  würde.  Jedoch  auch 
in  dieser  Fassung  könnte  ein  Vorzug  vor  der  üeberlieferung 
schwerlich  erkannt  werden. 

V.  798  xa/  toi  zevxsa  xaXd  dozco  rroXef^iovde  q)eqeodai 
endigte  im  Papyrus  mit  ri(?)Qr]xd'fivai,  doch  wohl  nur  der 
Rest  von  ^w^ijx^^^ai,  wie  Nicole  erkannt  hat,  der  ent- 
weder die  Rekonstruktion 

aol  öi  öoTco  cofXQiq  tol  a  zevx^^  d-coQijxOijiyai^  oder 
xal  öotw  wf.wuv  Ttt  a  r,  d-, 

vorschlägt.  Hievon  verdient  die  letztere  den  Vorzug,  da  der 
verkürzte  Dativ  cl^oig  in  ersterer  nicht  unbedenklich  ist.*) 
Wiederum  aber  steht  eine  solche  Fassung  hinter  der  unserer 
Handschriften  zurück:  während  der  Ausgang  &coQi]x^iVav 
(—  fflav^  —  eV^fig)  13  mal  bei  Homer  vorkommt,  ist  TtoXe- 
(lovde  q)€QEöd^(XL  eine  originelle,  nur  hier  sich  findende  Ver- 
bindung. 

V.  804  sq.  Ohne  ein  Wort  zu  erwidern,  doch  in  tiefer 
Erregung,  hat  Patroklos  der  Rede  Nestors  gelauscht:  sogleich 
macht  er  sich  auf,  um  Achill  Bericht  über  das  Gesehene 
und  Gehörte  zu  erstatten.  In  echt  epischer  Einfachheit  be- 
gnügt sich  zum  Ausdruck  dieses  Gedankens  die  Vulgata  der 
2  Verse: 

wg  qpaTO,  T^T  d'  aqa  S^v(xdv  Ivi  ötr^S^eoaiv  oqive^ 
ßr^  öi  d-ieiv  naqa  vxfig  67C^  u^lanlöfjv  IdxOJifl" 


1)  Di  eis  in  seinem  trefflichen  Aufsatze  über  dieses  Fragment 
(in  denSitzber.  d.  k.  pr.  Akad.  d.  W.  1894,  XIX)  setzt  dieses  /wa^- 
vaa&ai  statt  des  im  folgenden  V.  707  sich  findenden  MvQfiiÖövwv  ein. 

2)  Diels  a.  a.  0.  hat  sich  jedoch  für  die  letztere  entschieden. 


Menrad:  Die  neuentdeckten  Genfer  Homerfragmente,        171 

Die  Hs.  unseres  Papyrus  war  damit  nicht  zufrieden:  nach 
beiden  Versen  hatte  sie  noch  je  einen  aufzuweisen.  Der 
Rest  von  804'  *>taxi?a«(Je^t;/io.*  wird  von  Nicole  glücklich 
ergänzt  zu 

TeiQB  yaQ  aivov  axog  nQadlijv,  dxdxrjoe  de  &v^6y 

im  Stile  von  Tl  52.  Man  kann  gegen  diese  Erweiterung 
allerdings  nur  das  schon  gestreifte  ästhetische  Moment  ein- 
wenden: der  Vers  war  nicht  notwendig  oder  wohl  entbehrlieh 
und  läuft  dem  'semper  ad  eventum  festinat*  des  Horaz  ent- 
gegen.*) Um  so  schlimmer  steht  es  mit  805',  in  dessen 
freilich  sehr  geringen  Ueberbleibseln 

vo a  .  .  a  .  . 

Nicole  dennoch  den  Halbvers 

zu  finden  das  Glück  hatte.  Wenn  er  aber  den  Vers  nach 
2  3  ergänzt 

%6v  d*  evQe  TTQOTcdqoid^s  vewv  OQ&oxQaiQawv 

und  hierein  eine  Anticipation  sehen  will,  so  kann  ich  aus 
sachlichem  Grunde  nicht  beipflichten.  Patroklos  macht  sich 
(v.  805)  auf,  geht  v.  806  an  den  bekanntlich  in  der  Mitte 
des  Lagers  liegenden  Schiffen  des  Odysseus  vorbei  und  trifft 
hier  mit  dem  verwundeten  Eurypylos  zusammen:  und  in  dem 
dazwischen  liegenden  Verse  soll  er  schon  bei  Achill,  dessen 
Gezelt  am  entgegengesetzten  andern  Ende  des  Lagers  war, 
angekommen  sein?  —  Eher  mochte  der  verloren  gegangene 
Vers  das  ungeduldige  Warten  Achills  bezeichnen,  also  etwa 

dtjd^tJvovTa  noqoid'B  veüv  OQ&oxQaiqdcov. 


1)  Auch  Di  eis  findet  den  Vers    , wider  den  homerischen  Stil 
zugefügt*. 


172         Sitzung  der  phüosrphüol.  Clasae  vom  5,  Mai  1894, 

Indes  gilt  von  805'  wie  von  804'  ein  *parum  liquet'.  Eine 
Zierde  bildete  aber  auch  ein  solcher  Vers  nicht,  schon  weil 
in  3  aufeinanderfolgenden  Versen  das  Wort  vrjeg  sich  breit- 
macht. ^) 

Nach  V.  807  (I§€  &io}v  IldtQOKkog^  IW  aqi^  dyoQiq  tb 
0'i(Äig  re)  findet  sich  wieder  ein  Neuling,  gleichfalls  mit 
dem  Ausgange  ^oxQaiQawv.     Nicole  ergänzt  ihn  zu 

Hat  liXialai,  nQonaQOi&e  vewv  OQ^oxQaiQawv 

mit  Aenderung  von  i^rjv  (808)  in  f^aav,^)  Vielleicht  w^ar  der 
Hinweis  darauf,  dass  dieser  'Versammlungsplatz'  und  diese 
^Malstatt'  in  der  Mitte  des  Schiffslagers,  eben  in  der  Nähe  der 
Zelte  des  Odysseus,  lag,  in  unserm  Verse  markiert,  also  etwa 

.  .  iva  Gcp^  dyoQT^  re  S^ifiig  te 
iv  fAeaaij}  did^riTO  vewv  oQxyoKQaiQaiov 

und  die  Hs.  unseres  Papyrus  fuhr  dann  mit  Vermeidung  des 
sprachlich  verdächtigen,  in  der  Ilias  singulären  7^r]v  und  des 
unschönen  Rhythmus  von  808  (jjrjv  \  tj  ör]  \  . .)  etwa  folgender- 
massen  fort: 

Wiederum  stehen  wir  vor  einem  Rätsel.  Nur  das  Eine 
steht  fest,  dass,  falls  die  Ergänzung  von  OQ&oxQaiQdwv  (805') 
richtig  ist,  die  Wiederholung  desselben  Wortes  in  807'  un- 
erträglich ist,  mag  man  den  ^disiectis  membris*  der  beiden 
Verse  noch  so  viel  Leben  einhauchen  wollen. 


1)  Di  eis    hingegen    will    auf   der    Photographie    die    Reste 

€NAYN6c|)AAA   erkennen,   woraus   er  mit  Hilfe  von  S  855  er- 

•    .  *   .  • 

gänzt  dyyeXitjv  igicov  avxig  x  evdvve  <pdXayyag ,  muss  aber  zuge- 
stehen, dass  srdvve  in  diesem  Sinne  unhomerisch  ist.  Die  Anknüpfung 
eines  neuen  Gedankens  mit  rs  scheint  mir  bedenklich. 

2)  Di  eis  rekonstruierte:  jiaodwv  ngonagoi^e  v.  o. 


k 


Menrad:  Die  neuentdeckten  Genfer  Hotnerfragmente.        173 

V.  809  bietet  die  barbarische  Form  dvtefAoktiae  für 
dvreßokrjoe:  sie  scheint  sich  der  Schreiber,  dem  dvrißokeiv 
unverständlich  war,  aus  f^okeiv  zurechtgelegt  zu  haben.  Auch 
Apollonios  Sophista  fingierte  diese  Form.^) 

Die  Variante  and  di  wotiog  ^iev  i[dQcug]  in  v.  811 
für  xazd  di  ,  .  ,  —  so  einstimmig  die  Handschriften  an  der 
Parallelstelle  'F  715  —  scheint  nur  ein  Irrtum  des  Schreibers 
zu  seih,  dem  arto  der  nächsten  Zeile  bereits  yorschwebte. 
(lieber  woviog  s.  u.  IL) 

V.  814  heisst  Patroklos  Mevoitiov  dyXaog  viog  in 
unserm  Papyrus,  eine  Variante,  die  merkwürdigerweise  auch 
der  Vratislaviensis  b  kennt.  Sie  ist  gänzlich  wertlos:  der 
Held  führt  unbestritten  an  11  andern  Stellen  das  ^kräftige* 
Beiwort  ^aXm^og^  während  das  ungleich  schwächere  ^dyXcLog 
v\6g  26  mal,  auch  von  Helden  letzter  Grösse  in  der  Ilias 
gebraucht  wird.  Die  Aenderung  erklärt  sich  daraus,  dass 
dem  Schreiber  aXyn/Aog  unverständlich  war,  da  er  ja  auch 
V.  823  qIkoq  l^xaiwv  nicht  mehr  verstand  und  in  ein  täp- 
pisches ^jtia^  !/4xai<Jüv  verschlimmerte,  wobei  ihm  ein  ^^ene 
d'  aiöifxov  fi^aq  !Axaiwv  (0  72)  nebelhaft  vorschweben 
mochte. 

Statt  des  stabilen  Verses  815 

xat  ^'  oXoqrvQO^evog  enea  meQoevta  nqoorjvöa 

hat  der  Papyrus  den  gleichfalls  stabilen 

iv  (}'  aqa  oi  q>v  xsiQi,  tnog  z^  eq^az^  Ix  r'  ovofia^ev 

Was  den  Vorzug  verdiene,  lässt  sich  nur  einigermassen, 
aber  nicht  entscheidend  durch  Erwägung  des  ästhetischen 
Moments  bestimmen,  dass  der  erstere  Vers  bei  heftiger, 
schmerzvoller  Gemütserregung  gebraucht  wird,   hier  also  im 


1)  ed.   Bekk.   p.  31,  31 :    avxißoXijaai  .  .  .    laxlv    oTov    dvri/LioXfjoat, 
dvxtfioXtiv.    Auch  ist  es  nach  Scbol.  Yen.  A  La.  su  //  114. 


174         Sitzung  der  philos.-phüol,  Classe  vom  5.  Mai  1894, 

Anscbluss  an  das  vorhergehende  ^inteiQe  passend  erscheint, 
während  letzterer  mehr  einer  gemütvollen  Teilnahme  ent- 
spricht und  nicht,  wie  hier,  von  einem  Ausrufe  gefolgt  zu 
werden  pflegt. 

V.  822  kommt  Eurypylos  zu  dem  unverdienten  Epi- 
theton TTBTivv^ivog  durch  unsem  Papyrus,  dem  wieder  2  Hand- 
schriften, C  und  L,  beipflichten,  und  was  weit  wichtiger  ist, 
ein  Scholion  intermarginale  des  Yen.  A  notiert  diese  La.  als 
in  einem  Exemplar  vorhanden:  ^ev  aXh^  neTtvvfiivog ,  Offen- 
bär war  dieses  identisch  oder  verwandt  mit  dem  Exemplar, 
dem  unsere  Papyri  angehörten.  Die  Urheberschaft  der  Va- 
riante scheint  diesmal  einen  Rhapsoden  zu  treffen,  der  das 
ßeßXrjfiivog^  das  schon  809  sich  findet,  variieren  zu  müssen 
glaubte.  Mit  Unrecht.  Homer  war,  abgesehen  von  Tele- 
machos  (46  mal)  und  Antilochos  (2  mal)  mit  dem  Beiwort 
ne7tw^ivog  jüngeren  Leuten  gegenüber  nicht  verschwende- 
risch, wohl  aber  erteilt  er  es  dem  ehrwürdigen  Greisenalter, 
einem  Antenor,  Pulydamas,  Laertes,  oder  Herolden,  die  es 
ja  sein  müssen,  endlich  dem  im  gereiften  Mannesalter  stehen- 
den Meriones. 

Und  nun  die  umfangreichste  Variante  der  neuen  Funde ! 
Statt  des  einen  Verses  827 

(.  .  xiarai  ßeßi.rjiaf,voi  oirdfievol  tb) 
Xegatv  vnd  Tqcocov  tcov  öe  ad-ivog  OQvvTai  aliv^ 

weist  ,der  Papyrus  nicht  weniger  als  3  bisher  völlig  unbe- 
kannte auf: 

'zov  de  o&evog  aev  oqioqb 

827'   eyitOQog  og  zaxcc  vrjag  ePinXeior]  nvqi  lirjXeuo 
827"  drjicoaag  Javaovg  naqa  &iv  aXog  avraq  ^xilX^vg 
827"'  [Bo'l^Xog  e\(.ov\  Javaiov  ov  xtjderai  ovd  eXeaiQei, 

Mit  Recht  macht  Nicole  darauf  aufmerksam,  dass  durch 
diese    Ausführung   ein   lobenswerter    Parallelismus    zwischen 


k 


Menrad:  Die  neuentdecJcten  Genfer  Homer fragmente.        175 

Frage  und  Antwort  hergestellt  wird:  hatte  doch  Patroklos 
sich  mehr  nach  den  Erfolgen  Hektors  als  denen  der  Troer 
erkundigt,  820/1 

Ti  ^'  ktv  7T0V  axT^oovoi  TtehjQiov  "ExtoQ^  !dxaiqi^ 
ij  ijdi/  q)d'iaovTai  vn^  avrov  Sovqi  dafievreg. 

Und  dennoch  vermag  uns  die  Durchführung  dieses  Paral- 
lelismus wenig  zu  erbauen:  827'  ist  im  Stile  von  0  507 
(0  235  ist  wahrscheinlich  unecht).  Und  soll  hier  der  Hin- 
weis auf  eine  That  Hektors,  die  erst  im  Buche  0  erzählt 
wird,  besonders  glücklich  sein  au  Stelle  der  Erwähnung 
seiner  gegenwärtigen  Heldenthaten?  827"  und  827'"  aber 
tragen  den  Stempel  stümperhafter  Mache  so  sehr  au  der 
Stirne,  dass  es  genügt  darauf  hinzuweisen,  dass  die  Worte 
avTOQ—ileaiQei  geschmacklos  aus  v.  664/5  an  die  hier  noch 
geschmacklosere  Phrase  ^jiaQcc  i^iv^  älog^  (aus  v.  622)  ange- 
kleistert sind.  Würde  also  im  Papyrus  die  im  Grunde  an- 
erkennenswerte Idee,  einen  Parallelismus  zwischen  Frage  und 
Antwort  herzustellen,  kräftig  und  originell  durchgeführt  sein, 
so  müsste  diese  Fassung  fast  den  Vorzug  verdienen,  so  aber 
verrät  sich  der  Interpolator  nur  allzu  deutlich  selbst.  Hiezu 
kommt  noch  ein  ästhetisches  Moment:  für  den  verwundeten, 
hilfebedürftigen  Eurypylos  ist  ein  längeres  Verweilen  bei  dem 
Kampf  berichte  durchaus  unpassend;  er  thut  recht,  wenn  er 
möglichst  bald  auf  seine  eigene  Angelegenheit  zu  sprechen 
kommt. 

Es  erübrigt  nur  noch  die  Variante  naoacov  für  ndaae 
(v.  830):  Nicole  sucht  dies  Bätsei  dadurch  zu  lösen,  dass 
er  831 — 836  für  einen  Zwischensatz  hält  und  die  Fortsetzung 
zu  ncaowv  in  dem  Baume  von  2  Zeilen  vermutet,  die  zwischen 
836/7  gestanden  haben,  aber  spurlos  verschwunden  sind.  Auch 
angenommen,  dass  diese  Parenthese  ohne  weiteres  zulässig 
wäre,  so  würde  nun  die  ohnehin  9  Verse  umspannende  Periode 
(828—836)  noch  durch  das  Bleigewicht  zweier  Verse  beschwert 


176         Sitzung  der  phüos.-phüöl,  Classe  vom  5,  Mai  1894, 

werden,  gewiss  kein  empfehlenswerter  Äbschluss  einer  Rede 
im  Munde  eines  verwundeten  Kriegers.^) 

Endlich  ist  noch  v.  848  l'ax'  oövvag  für  sax'  6.  unserer 
Handschriften  zu  erwähnen:  das  Tempus  (sedavit,  nicht  se- 
dabat)  spricht  entschieden  für  die  Vulgata. 

II.   Orthographiseh-phonetische  Yarianteii. 

a)  Konsonanten.  Fragment  I  bietet  die  Assimilation 
ifj,  ^eyaQOiai  (y  401),  einen  durch  inschriftliche  Zeugnisse 
(z.  B.  sf,i  MeXitri  CIA.  I  324a)  hinlänglich  bekannten  Vor- 
gang. Von  ganz  besonderem  Interesse  ist  die  Gemination 
anlautender  Liquida  2  mal  in  fr.  VI:  de  vvoriog  {A  811)  und 
vdaxL  U.ieQ(p  (830),  eine  treflfliche  Illustration  zu  dem  be- 
kanntlich von  Hartel  in  seinen  homerischen  Studien  (I) 
fixiertem  Gesetze,  dass  die  Längung  kurzer  Vokale  in  der 
Arsis  in  den  weitaus  meisten  Fällen  durch  die  dynamische 
Wirkung  des  folgenden  Dauerlautes  zu  erklären  sei. 

b)  Vokale.  Fragment  IV  und  V  sind  hierin  scharf  von 
fr.  VI  zu  scheiden:  während  die  beiden  ersten  nur  den  in 
Handschriften  so  gewöhnlichen  Itacismus,  die  Vertauschung 
der  I-Laute  (fr.  IV  ofiedov  Z  86,  fr.  V  d^(pi}di6r]B  Z  329, 
^idixioioi  343)  und  die  gleichfalls  handschriftlich  und  in- 
schriftlich übliche  Verwechslung  von  ai  und  e  (fr.  V  (.layai'- 
aaio  Z  329)  aufzuweisen  haben,  zeigt  fr.  VI  in  dem  3 maligen 
Gebrauch  von  ei  =  ?;  (L^xi^i^Hog  A  831,  uüav  825,  6vt- 
iiXeiarj  827)  sowie  3  mal  umgekehrt  tj  ^=  ei  (evinleiatj^  Tlo- 
dalr^Qiog  833,  /Zar^oxAi^g  824)  zwei  graphische  Besonder- 
heiten von  Bedeutung.  In  der  ersteren  haben  wir  nicht 
den  Diphthong  ci,  sondern  nur  einen  orthographischen  Aus- 
druck für  geschlossenes  e  zu  erkennen,  der  im  Jonischen  und 
Attischen  sehr  gebräuchlich  war.  Die  zweite  Besonderheit 
mag  wohl  auch  auf  den  Itacismus  zurückgehen. 

1)  Di  eis  hingegen  hält  Jidoocov  für  ein  Versehen  statt  des 
Imperativischen)  Infinitivs  ndaaeiv. 


V 


Mewrad:  Die  neutntdeehlen  Genfer  Uomerfragmente,        177 

Die  übrigen  Varianten  der  Papyri  sind  teils  metrische 
Verstösse  {h  lixeaai  y  399,  oSefey  ij  xa^iri  392,  x^av^aoev 
—  «  —  373,  xi]Xel(^  A  827'),  teils  Irriiümer  grober  Art  wie 
In!)  A  830,  fieriivTa  Z  330,  dr]  vn  (=dj;rr'?  Diels) 
=  d'  avr'  A  828,  qi&eitai  =  q>^eiaovTai  821  [mit  €t  für  *, 
cf.  Hesych.,  Apoll.  Rh.  3,  465,  Or.  Sibyll.  3,  400,  Variante 
Od.  o  354],  svinXelarj  =  hingi^aei  A  S27\  alle  ohne  Belang 
für  die  Textkritik.     Die  Verschreibong  J  85  in  fr.  4 

axai 

(og  aoa  %ig  eXTteoxev  idiovwv 

•  •  • . 

rührt  von  der  Reminiscenz  an  das  bekannte  Hemistich  ^idwv 
ig  TrXrjaiov  a)Jkoy    her. 

Um  einen  Ueberblick  über  das  nunmehr  rekonstruierte 
Fragment  VI  zu  bieten,  lasse  ich  es  hier  mit  sämtlichen  Va- 
rianten (im  Drucke  gesperrt)  und  Ergänzungen  (in  Klammern) 
folgen. 

A)  Linke  Kolonne. 

788  [aXk^  iv  oi  q)dax^at  nvnirov  enog  ijd'  V7T]o&ead[ai] 

789  [xai  oi  arjfiaiveiv  •   6  di  Treiaerai  elg  Q]yad'6v  neq, 

790  [Slg  BTteteiX  6  yeqwv,    av  de  Xr^dtai,    d}]X*  eti  xai  vvv 

791  [ravT    eItiwv  idxcXfji  cpiXi^  nolef^iovöe  y,dXea]aov, 

792  [rig  oid\  ii  %iv  oi  avv  daif.iovi  xh^jfiov  oqlvaig 

793  [Ttageincüv;  dya^ri  de  naq(xiq)aoig  e]ai;iv  eraiqov. 

794  [ei  de  ziva  (pgeol  j^ai  ^eoTTQonirjv]  dXeivei 

795  [xa/  Tivd  oi  naq  Ztjvog  entq^olaäe  noxvia  f^^xtjQ 
795'  [aQyvQOTte^a  Qetig^  x^vydrtjQ  QXioi]o  yeQOvzog^ 
795''[ai;T0g  /aev  vrjiov  ^eveTW  ev  dy]iivL  d-odwv 

796  [dXXd  ae  7reQ  ngoirio^  xat  ynead'ai]  Xaov  dvwxS-u) 

791  aupplevL  ego,  Nicoleum  secutus  qui  xavx  ehimv  'Axt^^o.  dattpQova 
devQO  xdXeaaov tenta,t;Tavt'  etkois'Axt^^t  SatqpQOvif  aixs  m-^xai  vulg, 

794    fort.  aXstvei  =  aXeslvBil 

795'  et  795"  suppl.  Nicole. 

796^  supplevi  ego;  .  .  äfia  S"  äXXog  Xaog  ejiea{^(o  vulg. ;  rov  <5*  äXXov 
Xaov  dva>x^<o  Nicole;  item  Diels,  qui  in  v.  797  fidgraa^ai  pro 
MifQfiidor(or  subRtituit. 


178         Sitzung  der  2^hilo8.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1894, 

797  [MuqiiidovLov^  ei  %bv  ri  q>aog  //avao7a]i  yivrjar 

798  [xat  dotco  üfioiiv  tcc  a  xevxea  ^]cü^ij;f^-^>'a£, 

799  [cu  na  ae  t^5  YoKOvreg  dn6aywvT]o{^)  noXifioio 

800  [TQCüsg,  dva/tveiawai  d^  dqi^ioi  vleg  l4y\aiiöv 

801  [TBiQOfiBvoL'    oXiyrj  de  t'  dvQ7(vevGig  no]li/AOio, 

802  [^eia  de  x'  oxfi^reg:  y^exfirjovag  av]dQag  dvzy 

803  [waaiad-e  ttqozI  oatv  vewv  ano  xat  xXia]idcov. 

804  [Sg  q^dzo,  TtTt  d'  aqa  &v^dv  ivl  aTriO]eaaiv  OQivev. 
804'  [relQe  ydg  alvov  oyog  XQaölijVf  d]y.dxt]oe  de  O'vinolv], 

805  [ßrj  di  d-eeiv  Ttaqd  vi^ag  in''  ^iaxtdri]v  l^xiXr^a, 
805'  [drjd-vvovza  ndqoi&e  veto\v  6[Q^oy,Q]a[iQ\d[iOv\, 

806  [dXV  OTB  dri  xarcf  vffig  ^05vaari\og  ^eioio 

807  [Iffi  ^ecov  TldtQonXogy  'iva  a<p'  dyoQi^]  re  d^e/iig  T€ 
807'  [ev  ^eoo(j)  öid/urjTo  vecov  dQ^]o7iQaiQdtov^ 

808  [?Tj  dr)  xai  aq*i  x^ewv  KjieqoiT^  hB]tEvyato  ßio/joi, 

809  [tvt^a  Ol  EiqvnvXog  ßeßXrj^Uvog]  dvrejuolrjoev 

B)  Mittlere  Kolonne. 

810  öioyevrig  Evai/40v[idrjg^  xa]ra  f^ijgov  6iat<^^ 

811  axc^cjv  €x  7toXefi[ov]'   dno  öe  vvoriog  ^iev  t[SQ€ug] 

812  äfiwv  xö[t  xjcyaA^g,  dno  d'  l%Ti€og  dqyaXeoio 

813  alf/a  /u6[Aay]  xeXaQv^e'    voog  ye  fxiv  efineöog  {^bp]» 

814  Tov  ö[i]  iöcüv  wxtbiqb  MBvoii[io]u  dyXaog  vwg, 

815  €v  T  aqa  oi  g)v  /fi/^t  enog  x  tfpar'  ex  t  ovof.iaQB[v]' 

798    suppl.  Nicole;  xai  toi  xe-öx^o.  xaXa  Soico  TtokefiovSe  (pegea^at  vulg. 

804'  Buppl.  Nicole. 

806'  flupplevi;   tov   6^  evgs  Jigonagoi^e  vecov  6o-&oxQatQd(ov    Nicole; 

Diel 8,  qui  evdyveqpaXa  perspicere  sibi  videtur,  Q\i^p\e\\i  dyyeXitjv 

igicjv  avxig  t'  svövve  tpdXayyag. 
807'  supplevi;  xal  nktaiai,  ngonagoi^e  v.  <5.  Nicole;  naoaiov  n.  v.  6. 

Diels. 

808  TJTjv,  xfj  örj  xai  ofpt  ^.  i.  ß.  vulgo  snspecte  traditur. 

809  ävTEßöXrjoe  vulg. 

811    vöxtog  vulg.;  cf.  infra  830. 

814  äXxi^wg  vulg.,  äyXaog  Vratisl.  b. 

815  xai  ^'  6Xoq)vg6ftsvog  fjiea  Trxsgosrxa  jrgoatjvda  vulg. 


k 


Menrad:  Die  neuentdeckten  Genfer  Homerfragmente,        179 

816  o  deiXoi  [J]ava(jiv  ijyijtropcg  r^de  fiidovreg, 

817  (og  OQ^  I^UXbxb  t^Ac  (plkwv  xal  narqldog  curjq 

818  aOEiv  Iv  TqoiTj  xaxiag  xtvag  dqyeTi  (Jjjjwij). 

819  diX  aye  fxot  xode  eini,  [ä]iOTQEq)ig  Evqvnv)!  r,Qwg^ 

820  ^  Q^  eil  nov  oxf]O0voi  neXcoQiov  ^'Extoq^  i^;fai[o]/ 

821  [fj]  i]dr]   q>l>BiTai   (i.  e.   rpd^eiaovtat)   vtc^   avrov  dovqt 
dafievzeg, 

822  Tov  dr]  vre  EvQV7[v[Xo]g  nerrw^ivog  dvxiov  rfvda' 

823  oixhi  dioysveg  /I[a]r^oxAr;g,  ^juag  idf^a/cSy 

824  [elaasrai^  d[X]k'  ev  vr^val  [iie\Xaivrjaiv  Tteaeovzai, 

825  [oi]  i^iv  ydg  ör]  ndvreg^  oaoi  ndqog  eJaav  ogtaroi^ 

826  iv  vrj[vGi]v  yJarai  ß[e]ßl7]fievoi  ovrdf^evoi  te 

827  x^pcrtV  i-Tro  Tqcüwv  tov  de  o^evog  div  oQiOQe 
827'^'ExTOQog^  og  td^a  vf^ag  ivinXetOf)  nvql  xrjXeUo 
827" öfjiioaag  Javaovg  naqd  &lv^  aXog*  airdq  l/i^iX- 

levg 
S28"'[io]d'X6g  i[cüv]  Javatov  oi  xtjcJcrai  ovd'*  sXeaiQei, 

828  [a]AA'  [e/j]e  fiiv  av  adiooov  aywv  eni  vr^a  fxiXatvav^ 

829  [f,iriqov  S*  e]yLTafx*  oiaicv,  oV'  avtou  d'  alfia  7teXaip[6v] 

830  [v/C  v]daTi  XXieqqj,  inv  J'  7i7fia  q^dqf.iaxa  ndaoiav 

831  [lax^Xdy  td  ac]  nqoti  q>aalv  l4xiXXelog  dedtddx&ai^ 

832  [ov  Xüqtt)\v  edlöa^e^  dmaiOTaTog  Kevraiqiov. 

833  [ir]Tqol  fniv  ydq  noda]Xi^qiog  r^di  Maxdiov 

834  [tov  f.iev  evi  xXiol7]]aiv  oiofiai  i'Xxog  s'xovta  —  — 

835  et  836  evanuerunt.     Sequitur  l«icuna  duorum  versuum. 


821  (p&iöovxai  vulg. 

822  8*  avT*  et  ßeßXijfiivog  vulg.;  nenvvfievog  C,  L,  var.  1.  achol.  A. 

823  UatQOicXetg,  aXxag  vulg. 

827  /fßoiV  V7i6  Tqoxov'   rdiv  de  o'&ivog  SQVvrai  alel  vulg. 

830  XtaQfp,  im  et  sidaae  vulg. 

831  'AzdXrjog  vulg. 
833  IIodaXEiQiog  vulg. 


180         Sitzung  der  phüoa.'phüöl.  Glosse  vom  5,  Mai  1894. 

C)  Rechte  Kolonne. 
Post  V.  838  Tc[ü)g  yiev  eoi  Tade  CQya;  tl  ^i^ofdev,   EvqvtivX'' 

838' prorsus  evanuit:  Nicole  supplevit 

aldoiog  veftearjTog  o  fie  nqoer^'Ke  nvd'ia&ai  (=  649) 
848  Yax'  od[vvag  . . .] :  lax'  odvvag  vulg. 

Geterum  praeter  litteras  initiales  versuum  nihil  servatur. 

Werfen  wir  nun  nochmals  einen  Blick  auf  die  erstaun- 
liche Fülle  des  uns  in  den  verhältnismässig  geringen  Frag- 
menten Neugebotenen,  so  müsste  uns  in  Bezug  auf  unsere 
bisherige  Ueberlieferung  mit  Recht  das  Gefühl  einer  bangen 
Ratlosigkeit  oder  Skepsis  beschleichen,  wenn  das  Neue  auch 
ebenso  gut  wäre.  Dass  dies  nicht  der  Fall  sei,  dass  selbst 
der  einzige  anerkennenswerte  Ansatz  {^  827  %ov  ie  o&evog 
dev  oQWQe)  durch  die  ungeschickte  Hand  des  Interpolators 
selbst  sich  als  Contrebande  erweist,  glaube  ich  im  Vor- 
stehenden dargethan  zu  haben.  Eines  aber,  das  schon  in 
dem  Dubliner  Fragmente  als  hochwichtiges  Moment  für  die 
Geschichte  des  homerischen  Textes  festgestellt  wurde,  nämlich 
die  durchgängige  interpolatorische  üeberarbeitung 
des  Exemplars,  dem  alle  diese  Papyri-Fragmente  angehören, 
ist  in  gleicher  Weise  hier  wie  dort  zu  konstatieren.  Während 
das  Dubliner  Fragment  unter  16  Versen  4  neue  aufweist, 
zeigen  die  69  Verse  des  VI.  Genfer  Fragmentes  11,  also  an- 
nähernd dasselbe  Verhältnis!  Auf  die  gegen  15700  Verse 
der  Ilias  gleichmässig  verteilt,  gibt  dies,  wie  Nicole  mit 
Recht  hervorhebt,  einen  Ueberschuss  von  über  2000 
(2150—2500)  Versen. 

Welchen  passenderen  Namen  nun  könnten  wir  für  eine 
solche  Ausgabe  finden  als  den  einer  exdoaig  noXvarixog^  selbst 
wenn  wir  nicht  wüssten,  dass  eine  solche  wirklich  existierte? 
In  meiner  Abhandlung  über  das  Dubliner  Fragment  habe 
ich   dasselbe    mit   der  vorher   so   rätselhaften  TToXvatixog   in 


k 


Menrad:  Die  neuentdeckten  Genfer  Homerfragmente,       181 

Verbindang  gebracht.  Diese  meine  Ansicht  findet 
Nicole  durch  die  Genfer  Funde  nun  bekräftigt:  „La 
these  de  M.  Menrad  me  parait  confirmee  en  grand  partie 
par  le  papyrus  de  Qenöve  .  .  .  L'epithöte  de  noXvöTLxog 
s^applique  merveilleusement  a  une  Iliade,  qui,  en  admettant 
pour  Tensemble  du  poeme  la  proportion  de  vers  ajoutes 
constatee  dans  Tun  et  Tautre  fragment,  compterait  environ 
2500  vers  de  plus  que  les  ^ditions  alexandrines.*  ^) 

Aber  auch  die  neuen  Genfer  Funde  können  den  Glauben 
an  die  Vorzüglichkeit  unserer  durch  den  Filter  alexan- 
drinischer  Kritik  hindurchgegangenen  Homertexte  nicht  er- 
schüttern. Angenommen,  Homer  wäre  uns  nur  in  dem 
Exemplar,  dem  unsere  Fragmente  angehören,  erhalten:  die 
zahllosen  Wucherungen  würden  seinen  Gesängen  empfind- 
lichen Eintrag  thun,  so  dass  das  horazische  ^quandoque  bonus 
dormitat  Homenis'  nur  als  sehr  gelinder  Tadel  erscheinen 
würde,  auch  wenn  die  Kritik  allen  Scharfsinn  anzuwenden 
bemüht  wäre,  die  Schlacken  rhapsodischer  Interpolation  von 
dem   echten  Golde    auszuscheiden.*)     Wenn  also  J.  Nicole 


1)  Auch  J.  y.  Leen  wen  in  seinem  nenesten  Buche 'Enchiridion 
dictionis  epicae'  praef.  p.  49  zeigt  sich  dieser  Ansicht  geneigt:  'in 
hac  (editione  noXvoxlxc(i)  lectos  fuisse  multos  versus,  quos  alia  exem- 
plaria  omittere  solerent,  snspicari  licet';  er  verwirft  anch  die  Ansicht 
Th.  Birts  (Das  antike  Buchwesen  p.  444),  dass  die  Ausgabe  von  der 
Vereinigung  von  Ilias  und  Odyssee  in  1  Bande  den  Namen  habe.  — 
Allerdings  ist  es  noch  nicht  erweisbar,  da  die  Schrift  und  besonders 
die  Orthographie  des  Dnbliner  und  Genfer  Fragmentes  so  weit 
auseinandergehen,  wie  Diels  dargethan  hat,  dass  beide  ein  und  der- 
selben ^jioXvoxix^g'^  angehörten.  Es  kann  ja  auch  mehrere  gegeben 
haben,  wie  Diels  will:  aber  ebenso  gut  kann  das  der  Schrift  nach 
jüngere  Genfer  Fragment  eine  schlechte  Kopie  aus  der  gleichen 
^noXvoTixog*  sein,  wovon  das  Dublin  er  eine  ungleich  bessere  dar- 
bietet. 

2)  Auch  Diels  a.  a.  0.  kommt  zu  dem  Schlüsse,  dass  uns  eine 
Kopie  aus  einem  Rhapsodenexemplar  vorliegt,  in  dem  noch  „der  letzte 
Rest  schöpferischer  Produktionskraft*  sich  durch  freies  Variieren  der 

1894.  Philo8.-p]iilol.  u.  hist.  Cl.  2.  13 


182         Sitzung  der  jphÜos.'phÜol.  Glosse  vom  5,  Mai  1894, 

seine  Abhandlung,  die  einen  sehr  schätzbaren  Beitrag  zur 
Geschichte  der  Ueberlieferung  des  Homertextes  stets  bilden 
wird,  mit  den  Worten  schliesst:  'nous  ne  sommes  pas  encore 
au  beut  des  surprises  que,  depuis^tant  de  siecles, .  TEgypte 
menageait  aux  hellenistes\  so  können  wir  nur  den  Wunsch 
beifügen,  sein  Eifer  möge  bald  durch  Auffindung  eines  Bruch- 
stückes von  echtem  Goldwerte,  eines  Fragments  aus  einer 
Ausgabe,  die  den  Alexandrinern  selbst  als  Muster  vorlag, 
gebührenden  Lohn  finden! 

Vulgata  mittelst  epischen  Sprachgutes  geltend  macht,  üeber  den 
Wert  der  Varianten  urteilt  er:  »Was  uns  hier  in  dem  Nicol ersehen 
Fragment  greifbar  entgegentritt,  scheint  die  Verachtung,  mit  der 
die  Alexandriner  jene  Ueberlieferung  bei  Seite  geschoben  haben,  zu 
rechtfertigen.  Denn  ich  wüsste  auch  nicht  eine  Variante  zu  nennen, 
durch  die  unser  Text  bereichert  oder  verbessert  werden  könnte.* 


Herr  von  Müller  hält  einen  Vortrag: 
„Ueber   Galen^s  verlorenes  Werk  vom  Beweis." 
Derselbe  wird  in  den    Abbandlungen    veröffentlicht   werden. 


Historische  Classe. 

Sitzung  vom  5.  Mai  1894. 
Herr  Quid  de  hält  einen  Vortrag: 

^Einfluss   Papst   Innocenz  III.    auf  das   Recht 
der  deutschen  Königswahl.'' 

Derselbe  wird  weiter  unten  veröffentlicht  werden. 

Herr  Heigel  gibt 

«Beiträge  zur  Geschichte  der  Wahl  Leopolds  II. 
zum  römischen  König." 

Dieselben  werden  in  den  Abhandlungen  veröffentlicht  werden. 


^ 


183 


Philosophisch-philologische  Classe. 

SitzHDg  vom  2.  Juni  1894. 

Herr  von  Maurer  hielt  einen  Vortrag: 

„Weitere  Bemerkungen  über  die  Huldar  Saga*", 

welcher   im  Anschlüsse  an   den  früheren   gleichfalls  in  den 
Abhandlungen  veröffentlicht  wird. 


Historische  Classe. 

Sitzung  vom   2.  Juni    1894. 

Herr  Dove  hielt  einen  Vortrag: 

„Corsica  und  Sardinien  in  den  Schenkungen 
an  die  Päpste.* 

In  die  viel  umstrittenen  Angaben  der  Vita  Hadriani 
über  die  Schenkungsversprechen,  die  der  römische  Stuhl  von 
den  karolingischen  Königen  empfangen,  ist  auch  der  Name 
Corsica  verflochten ;  neben  ihm  erscheint  in  den  kaiserlichen 
Pacten  der  Folgezeit,  welche  den  päpstlichen  Landbesitz 
bestätigen,  allerdings  nur  einmal,  überdies  an  verdächtiger 
Stelle,  der  Name  Sardinien.  Den  Schicksalen  der  letzteren 
Insel  im  früheren  Mittelalter  habe  ich  vor  Jahren  eine  Unter- 
suchung gewidmet  und  dabei  auch  die  der  ersteren  berührt;') 
über  das  wahre  Verhältniss  beider  zur  Schenkungsgeschichte 
liess  sich  indess  ein  sicheres  Urtheil  nicht  gewinnen,  solange 
man  sowohl  den  Text  jener  Pacta  überhaupt,  wie  die  Aussage 
des  päpstlichen  Biographen  als  ganz  oder  grösstentheils  gefälscht 
für  historisch  unverwerthbar  hielt.  Wenn  ich  heut  auf  diese 
besondere    Frage   zurückkomme,    so  geschieht  es  unter  sehr 

1)  De  Sardinia  insula  contentioni  inter  pontifices  Romanos  atque 
imperaiores  materiam  praebente,  Corsicanae  quoque  historiae  ratione 
adhibita  (Berlin  1866). 

13* 


184  Sitzung  der  historischen  Classe  vom  2.  Juni  1894. 

verwandelten  Umständen.  Mit  der  positiv  eindringenden 
Forschung  Ficker's*)  begann  auf  dem  Gebiete  der  Schenkungs- 
geschichte der  bisherigen  Zweifelsucht  gegenüber  eine  nach- 
haltige wissenschaftliche  Reaktion.  Der  Beweis  der  Echtheit, 
den  er  für  den  wesentlichen  Gehalt  der  kaiserlichen  Pacta 
erbrachte,  muss  für  unumstösslich  gelten,  seitdem  die  diplo- 
matische Prüfung  Sickel's^)  für  das  Privileg  Ottos  d.  Gr. 
sogar  die  äussere  Authenticität  ergeben  und  dadurch  zugleich 
für  die -Kritik  der  nur  in  später  Abschrift  erhaltenen  Ur- 
kunden Ludwigs  d.  Fr.  und  Heinrichs  II.  festen  Boden  ge- 
schaflfen  hat.  Auch  auf  die  älteren  Vorgänge  fiel  jedoch 
das  neu  verbreitete  Licht  zurück.  Vielseitige  Erörterung  hat 
zuletzt  dahin  geführt,  dass  die  jüngsten  Arbeiten  über  den 
Bericht  der  Vita  Hadriani  dessen  Zeugniss  in  Bezug  auf  die 
eigene  Zeit  für  durchaus  glaubwürdig,  d.  h.  die  Promissio 
Karls  d.  Gr.  in  dem  behaupteten  Umfange  für  wirklich  ge- 
schehen erklären,  während  sie  freilich  über  den  objektiven 
Bestand  eines  vorausgegangenen,  gleich  umfassenden  pippini- 
schen  Versprechens  einander  entgegengesetzte  Ansichten  vor- 
tragen. Zu  dieser  noch  obschwebenden  allgemeinen  DiflFerenz 
muss  auch  die  Spezialforsch ung  selbständig  Stellung  nehmen. 
Die  Natur  der  Streitfrage  erhellt  aus  ihrem  Gegenstand. 
Die  Vita  Hadriani  erwähnt  gelegentlich  kurz  ein  erstaunlich 
ausgedehntes  Schenkungs versprechen,  das  Pippin  754  auf  der 
Reichsversammlung  zu  Kiersy  dem  Papste  Stephan  IL  ver- 
brieft habe ;  sie  gedenkt  dieses  in  Zeit  und  Raum  entlegenen 
Faktums  indess  nicht  zufallig  nebenher,  sondern  bringt  das- 
selbe in  die  engste  Beziehung  zu  einem  Ereigniss,  das  sich 
an  Ort  und  Stelle  in  der  Gegenwart  zugetragen :  da  nämlich, 
wo  sie  ausführlich  und  anschaulich  erzählt,  wie  Karl  d.  Gr. 
774  bei  seinem  Osterbesuch  in  Rom  auf  Andringen  Hadrians  L, 
der  ihm  die  betreflFende  Urkunde  vorhält,  jenes  Versprechen 

2J  Forschungen  zur  Reichs-  u.  Rechtsgeschichte  Itab'ens.  II  (1869.) 
3)  Das  Privilegium  Otto  L  für  die  römische  Kirche  v.  J.  962  (1883.) 


I 


Dove :  Carsica  u.  Sardinien  in  d,  Schenkungen  an  d,  Päpste,      185 

des  Vaters,  mitverpflichtet  wie  er  durch  diesen  schon  als 
Knabe  war,  in  gleicher  Ausdehnung  ebenfalls  urkundlich 
wiederholt  und  mit  feierlichem  Eidschwur  bekräftigt.  Und 
zwar  hätten  beide  Frankenkönige,  wie  der  Berichterstatter 
augenscheinlich  dem  von  Karl  ausgestellten  Dokument  ent- 
nimmt, dem  hl.  Petrus  zugebilligt  und  zu  überweisen  gelobt: 
die  Städte  und  Landbezirke  innerhalb  einer  bestimmten  Grenz- 
linie —  per  designatum  confinium,  id  est:  a  Lunis  cum 
iusula  Corsica,  deinde  in  Suriano,  deinde  in  monte  Bardone, 
id  est  in  Verceto,  deinde  in  Parma,  deinde  in  Regio,  et  ex- 
inde  in  Mantua  atque  Monte  Silicis ;  sodann  den  gesammten 
Exarchat,  wie  er  vor  alters  war,  die  Provinzen  Venetien  und 
Istrien ;  dazu  das  ganze  Herzogthum  Spolet  und  das  Herzog- 
thum  Benevent. 

Die  Bedenken,  welche  der  einfachen  Annahme  dieses 
Berichts  im  Wege  stehen,  sind,  was  Karl  und  Pippin  je  für 
sich  betrifft  —  wenn  man  so  trennen  dürfte  —  sehr  ver- 
schiedener Art.  Dass  Karl  ein  solches  Versprechen  nicht 
erfüllt,  ja  nicht  einmal  Anstalt  dazu  getroffen  hat,  ist  gewiss; 
allein  vieles,  was  wir  sonst  über  sein  Verhalten  in  dieser 
Angelegenheit  erfahren,  liefert  zwar  nicht  den  vollständigen 
Beweis  dafür,  aber  stimmt  doch  entschieden  zu  der  Voraus- 
setzung, dass  er  ein  solches  Versprechen  nichtsdestoweniger 
wirklich  gegeben.  Wir  lesen  die  Klagen  und  Mahnungen 
Hadrians  in  dessen  Briefen  von  774 — 776,  deren  Sammlung 
und  Erhaltung  im  Codex  Carolinus  wir  der  eigenen  Fürsorge 
Karls  verdanken ;  wir  ersehen  aus  den  späteren  Schreiben  des 
Papstes  in  Verbindung  mit  dem  urkundlichen  Zeugniss  der 
Pacta,  dass  der  König  den  römischen  Stuhl  —  777/78  —  dazu 
bewogen  hat,  auf  die  Ausführung  der  wichtigsten  Theile  jener 
ungeheuren  Verheissung  zu  verzichten,  während  er  ihn  anderer- 
seits nach  und  nach  durch  eine  stattliche  Reihe  einzelner  Ein- 
räumungen, seien  es  blosse  Einkünfte,  Patrimonien,  oder  ganze 
Städte,  im  engeren  Umkreise  des  einst  versprochenen  Gebiets 


186  Süjsung  der  historischen  Glosse  vatn  2,  Juni  1894, 

einigermassen  entschädigt.  Bei  dieser  Sachlage  besteht  somit 
einzig  die  innere  Schwierigkeit,  den  Widerspruch  zwischen  frü- 
herem und  späterem  Gebaren  des  Helden  —  mag  man  nun 
Uebereilung  und  Wankelmuth,  oder  vorbedachte  Treulosigkeit 
dahinter  suchen  —  zu  erklären. 

Ganz  anders  verhält  es  sich  dagegen  mit  dem  angeb- 
lichen Versprechen  Pippins,  sobald  man  dies  allein  ins  Äuge 
fasst:  ein  dringender  Zweifel  an  seiner  Realität  entspringt 
aus  äusseren  Gründen  vergleichender  Quellenkritik.  Denn 
Pippin  hat  nicht  nur  ebenfalls,  wie  ja  die  Vita  Hadriani, 
übrigens  ohne  ein  Wort  der  Rüge,  selbst  bemerkt,  eine  so 
weitaussehende  Zusage  nicht  erfüllt;  vielmehr  scheint  auch 
dafür,  dass  er  sie  überhaupt  jemals  ausgesprochen  habe,  die 
gleichzeitige,  in  sich  wohlzusammenhängende  Ueberlieferung 
nirgend  Raum  zu  lassen.  Weder  die  fränkischen  Annalen, 
noch  die  Viten  der  zeitgenössischen  Päpste,  noch  endlich 
deren  im  Codex  Carolinus  aufbewahrte  Briefe  legen  die 
geringste  Vermuthung  nahe,  dass  es  sich  754  zwischen  ihm 
und  Rom  um  mehr  gehandelt  habe,  als  um  das  bekannte 
Programm,  das  er  alsbald  wirklich  durchgeführt:  um  die 
sogenannte  Herstellung  der  Gerechtsame  des  hl.  Petrus,  d.  h. 
die  Auslieferung  der  jüngsten  langobardischen  Eroberungen, 
einschliesslich  des  Exarchats,  an  das  päpstliche  Regiment. 
Niemand  würde  sich  daher  besinnen,  die  posthume  Erzählung 
der  Vita  Hadriani  in  Bezug  auf  Pippin  schlechtweg  zu  ver- 
werfen, bildete  nicht  die  Promissio  von  Kiersy  den  unent- 
behrlichen idealen  Hintergrund  für  die  zwanzig  Jahr  jüngere 
Promissio  von  Rom.  Der  Vortritt  Pippins,  der  Zwang,  den 
sein  Beispiel  auf  Karls  Nachfolge  ausübt,  stellt  nicht  bloss 
in  formaler  Hinsicht  den  Angelpunkt  der  ganzen  Erzählung 
dar;  er  erklärt  zugleich  dem  Wesen  nach  und  entschuldigt 
damit,  wenigstens  historisch,  das  Benehmen  des  Sohns. 
„Blosse  Confirmation*,  sagt  Ficker  kurz  und  gut,^)  , konnte 

4)  A.  a.  0.  II,  330  Anm.  9 ;  vgl.  III,  447. 


i 


Dooe:  Corsica  u.  Sardinien  in  d.  Schenkungen  an  d.  Päpste.      187 

Karl  kaum  ablehnen."  Das  Versprechen  ward  diesem  zwie- 
fach abgenöthigt,  durch  Pippin  und  Hadrian.  Dass  er  sich 
dieser  Fessel  durch  hinhaltende  Politik  wieder  zu  entledigen 
verstand,  dürfte  man  ihm  sachlich  doch  nur  dann  verdenken, 
wenn  nach  der  Kenntniss,  welche  der  fränkische  Hof  seit 
754  von  den  römischen  Zuständen  gewonnen,  die  Gründung 
eines  päpstlichen  Grossstaates  774  noch  als  vernünftige  Hand- 
lung hätte  betrachtet  werden  können.  Wird  also  die  innere 
Schwierigkeit,  die  dem  Glauben  an  Karls  Versprechen  gegen- 
über einzig  ins  Gewicht  fiel,  in  ausreichender  Weise  gehoben 
durch  den  Glauben  an  das  Versprechen  Pippins,  so  bleibt 
als  einzige  Aufgabe  übrig,  die  äussere  Schwierigkeit,  auf  die 
der  Glaube  an  das  letztere  stösst,  wo  nicht  zu  beseitigen,  so 
doch  zu  umgehen.  Eine  Lösung  dieser  Aufgabe  versuchten 
jüngst:  die  Abhandlung  von  P.  Kehr  über  „die  sogenannte 
karolingische  Schenkung  von  774",*)  und  durch  sie  angeregt 
in  origineller  Abweichung  der  Aufsatz  von  Adolf  Schaube 
„zur  Verständigung  über  das  Schenkungsversprechen  von 
Kiersy  und  Rom*.®) 

Ausgehend  von  dem  zuverlässigen  Charakter  des  geradezu 
den  Augenzeugen  verrathenden  Berichts  der  Vita  Hadriani 
über  die  Vorgänge  von  Ostern  774,  bekämpft  zunächst  Kehr 
die  auf  eine  sprachliche  Beobachtung  gegründete  Meinimg 
Scheffer-Boichorst^s,  dass  inmitten  eines  echten  Textes  einzig 
und  allein  die  anstössige  geographische  Inhaltsangabe  der 
Promissionen  auf  späterer  Interpolation  beruhe.'')    Eben  von 

5)  Histor.  Zeitschr.  LXX,  885  ff.  (1893). 

6)  Ebd.  LXXII,  193  ff.  (1894). 

7)  F.  Scheffer-Boichorat,  Pippins  and  Karls  d.  Gr.  Schenkungs- 
versprechen, Mittheil,  des  österr.  Instituts  V,  193  ff.  (1884).  —  Kehr's 
Behandlung  des  sprachlichen  Streitpunktes  bedarf  der  Ergänzung. 
Es  handelt  sich  bekanntlich  nm  den  Ausdruck  istius  Italiae  provinciae, 
der  sich  im  Bericht  der  Vita  Hadriani  in  folgender  Verbindung  findet : 
Karl  wird  ersucht,  zu  erfüllen  promissionem  illam,  quam  Pippinus  et 
ipse  Carulus  fecerant  Stephane  juniori  papae,  quando  Franciam  per- 


188  Siteufig  der  historischen  Classe  vom  2,  Juni  1894, 

dieser  Inhaltsangabe  beweist  er  vielmehr,  dass  auch  sie  aus 
der  Anschauung  staatlicher  Verhältnisse  heraus  entworfen 
ist,  wie  sie  nur  bis  774  bestanden;  wäre  sie  das  Werk 
einer  Fälschung,   so   könnte   diese  demnach  höchstens  eben 


rexit,  pro  concedendis  diversis  civitatibos  ac  territoriis  istius  Italiae 
provinciae  et  contradendis  b.  Petro  etc.  Weiter  unten  heisst  es  von 
Karl :  concessit  easdem  civitates  et  territoria,  worauf  die  geogi-aphische 
Specifikation  folgt:  per  designatum  confinium  u.  s.  w.  Pro  con- 
cedendis et  contradendis  ist  nun  nicht,  wie  Kehr  will,  zu  verbinden 
mit  quando  Franciam  perrexit,  sondern  mit  quam  (promissionem) 
fecerat  Pippinus,  denn  die  Verba  concedere  und  contradere  fordern 
diesen  als  Subjekt ;  von  Stephan  hätte  es  heissen  müssen :  Franciam 
perrexit  pro  petendis  oder  redimendis ,  wie  Panl  I.  in  der  von  Kehr 
angezogenen  Urkunde  von  769  richtig  sagt :  dum  Stephanus  ad  redi- 
mendam  cunctam  hanc  Italiam  provinciam  Franciae  properasset  regio- 
nem.  Für  die  Hauptfrage  ist  indessen  diese  grammatische  Entschei- 
dung ganz  gleichgültig.  Denn  das  easdem  civitates  et  territoria  an 
der  Spitze  der  geographischen  Uebersicht  beweist  jedenfalls,  dass  der 
Autor  deren  gesammten  Inhalt,  also  neben  alt-  oder  noch  ostrOmi- 
schen  Landschaften  auch  bis  jetzt  langobardische  unber  den  Begriff 
istius  Italiae  provinciae  subsumirt.  Diese  Bezeichnung  gehört  nun 
hier,  wie  die  ganze  Einleitung  über  Pippin  und  Stephan,  entweder 
dem  Biographen  eigen  an,  oder  ist  von  ihm  aus  der  Bestätigungs- 
urkande  Karls  herübergenommen,  in  der  natürlich  auf  den  pippi- 
nischen  Vorgang  motivirend  hingewiesen  ward.  In  der  pippinischen 
Vorlage  selbst  kann,  beiläufig  bemerkt,  weder  quando  Franciam  per- 
rexit, noch  istius  Italiae  provinciae  gestanden  haben,  denn  beides 
passt  nicht  auf  französischen,  sondern  auf  italienischen  Boden,  ista 
steht  romanisch  für  haec.  Wir  erhalten  also  die  einfache  Thatsache, 
dass  in  einem  im  April  774  zu  Rom  verfassten  Schriftstück  —  sei 
es  die  Vita  Hadriani  allein,  oder  auch  die  von  ihr  benutzte  Urkunde 
Karls  —  der  Ausdruck  Italia  provincia,  der  bisher,  wie  Scheffer 
geltend  macht,  correkt  nur  das  nichtlangobardische  Reichsitalicn 
bezeichnete,  zum  erstenmal,  wie  es  später  stets  geschah,  vermöge 
einer  zugleich  an  die  frühere  Vergangenheit  anknüpfenden  Erweite- 
rung auch  auf  das  langobardische  Gebiet  erstreckt  ward;  wobei 
nicht  zu  vergessen  ist,  dass  man  eben  in  diesem  Moment  an  der 
Curie  das  langobardische  Gebiet  als  solches  vernichtet  zu  sehen 
wünschte  und  hoffte.   Ein  umfassender  Gebrauch  von  ista  Italia  pro* 


i 


Dove:  Carsica  u.  Sardinien  in  d.  Schenkungen  an  d,  Päpste.      189 

damals ,  etwa  um  Karl  zu  täuschen ,  vorgenommen  worden 
sein.  Das  Hauptyerdienst  seiner  Arbeit  liegt  sodann  in 
der  einleuchtenden  Auslegung,  die  er  dem  zuvor  räthselhafb 
erscheinenden  Theil  jener  Inhaltsangabe  angedeihen  lässt. 
Die  wunderliche  Grenzlinie  nämlich,  von  Luni  quer  über 
Appennin  und  Po  bis  nach  Monselice,  bezieht  sich  danach 
auf  das  königliche  Langobardien  im  engeren  Sinne;  von 
diesem  schneidet  sie  rücksichtslos  ab  ein  südliches,  vornehm- 
lich Tuscien  und  die  halbe  Emilia  umfassendes  Stück,  das 
zur  Abrundung  der  übrigen,  einzeln  genannten  und  ungetheilt 
dem  Papstthum  zugesprochenen  Landschaften  bestimmt  ist 
—  der  bis  vor  kurzem  oder  noch  jetzt  byzantinischen  Ge- 
biete, Exarchat  und  Venetien-Istrien,  und  der  politisch  selb- 
ständigen langobardischen  Herzogthümer,  Spolet  und  Bene- 
vent. Um  nun,  wie  die  gesammte  geographische  Inhalts- 
angabe, so  insbesondere  auch  jenen  brutalen  Schnitt  durch 
den  Körper  des  Königreichs  von  Pavia  auf  eine  echte  Pro- 
missio  von  Kiersy  zurückführen  zu  können,  entwickelt  Kehr 
eine  Hypothese,  deren  sich,  wenngleich  in  behutsamerer 
Fassung,  schon  vor  ihm  Abbe  Duchesne  in  der  Einleitung 
zu  seiner  Ausgabe  des  Liber  Pontificalis  bedient  hatte.  ^) 
Was  dieser  von  den  päpstlichen  Biographen  des  8.  Jahr- 
hunderts überhaupt  bemerkt:  sie  lügen  nicht,  aber  sie  ver- 
schweigen —  wird  hier  speziell  auf  den  Autor  der  Vita  Ha- 
driani  angewandt:  er  habe  versäumt,  zu  erwähnen,  dass  die 
grosse  Verheissung  Pippins  nur  für  einen  bestimmten  Fall 
gegeben  ward;  einen  Fall,  der  zur  Zeit  dieses  Königs  gar 
nicht  eintrat,  dagegen  unter  Karl,    gerade  Ostern  774,  un- 


▼incia  =  dies  Land  Italien  lag  aber  um  so  näher,  wo  es  sich,  wie 
hier,  um  den  gedachten  Gegensatz  zu  illa  Francia  provincia  handelte. 
Provincia  bedeutet  Land  überhaupt ;  Stephan  IL  selbst  schrieb  755 
an  Pippin  (Jaff^,  bibl.  IV,  38)  von  seiner  Fahrt  nach  Frankreich,  er 
sei  gereist:  in  tarn  spatiosam  et  longinquam  provinciam. 
8)  Le  Liber  Pontificalis,  introdnction  p.  CCXXXVI  sqq. 


1 


190         Sitzung  der  historischen  Glosse  votn  2.  Juni  1894, 

mittelbar  bevorzustehen  schien.  Ausser  dem  nächsten  und 
eigentlichen  Zweck  der  fränkischen  Intervention,  wie  er  dann 
in  der  That  durch  die  Feldzüge  von  754  und  756  erreicht 
ward,  erwogen  nämlich  Pippin  und  Stephan  nach  Duchesne 
und  Kehr  von  vornherein  auch  den  möglichen,  obschon  nicht 
ernstlich  beabsichtigten  Ausgang,  dass  der  Krieg  zur  volligen 
Niederwerfung  und  Auflösung  des  Reiches  von  Pavia  führe. 
Für  diesen  Fall  ward  un  plan  de  partage  de  Tlt-alie  conquise, 
wie  Duchesne  es  nennt,  verabredet;  nach  Kehr^s  Definition 
ein  Zusatzvertrag,  der  das  Eventualversprechen  Pippins  ent- 
hielt, genannte  oder  durch  Abgrenzung  bestimmte  Gebiete 
Rom  zu  überlassen,  während  das  nicht  zu  dieser  päpstlichen 
Interessensphäre  gerechnete  Oberitalien  der  Annexion  ans 
Frankenreich  vorbehalten  ward.  Das  zwanzigjährige  Schweigen 
der  Quellen  über  eine  solche  Perspektive  der  Vereinbarungen 
von  Kiersy  beirrt  die  Urheber  dieser  Hypothese  nicht ;  ward 
doch  erst  774  der  Inhalt  jenes  Eventualversprechens  aktuell. 
Karl  d.  Gr.  acceptirt  dann  in  Rom  den  von  Pippin  aus- 
gestellten Wechsel,  allein  er  honorirt  ihn  zur  Verfallzeit, 
im  Besitze  von  Pavia,  nicht.  Er  macht  sich  selber  zum 
Nachfolger  der  Aistulf  und  Desiderius  und  räumt  so  die  über- 
nommene Verpflichtung  formell  aus  dem  Wege ;  denn  von 
dem  vorausgesetzten  Untergang  des  regnum  Langobardorum 
konnte  nun  nicht  die  Rede  sein,  es  hatte  bloss  den  Herrn 
gewechselt.  Duchesne  lässt  dabei  den  König  ziemlich  frivol 
in  der  Einsicht  handeln,  que  ce  qui  etait  bon  ä  prendre 
etait  bon  ä  garder;  doch  wird  er  auch  den  entscheidenden 
politischen  Motiven  ohne  kirchliches  Vorurtheil  gerecht.  Kehr 
empfindet  als  biederer  Deutscher  ein  sittliches  Missbehagen; 
er  spricht  von  einem  schlechten  Gewissen  Karls,  das  er  mit 
weitreichendem  Ahnungsvermögen  aus  den  doch  nur  einseitig 
vorliegenden  Briefen  Hadrians  « her  ausliest".^) 


9)  Vgl.  V.  Sybel  gegen  Kehr,  Hiet.  Ztschr.  LXX,  441  A. 


k 


Dooe :  Corsiea  u,  Sardinien  in  d.  Schenkungen  an  d,  Päpste,      19 1 

Die  schwachen  Stellen  in  Kehr^s  Darlegung  hat  Schaube 
geschickt  hervorgehoben.  Aufs  neue  macht  er,  SybePs  glän- 
zenden Spuren^®)  folgend,  das  argumentum  exsilentio  geltend. 
Er  wirft  ferner  mit  Recht  die  von  Kehr  umgangene  Frage 
auf,  warum  Pippin  nach  leicht  erfochtenem  Siege  nicht  we- 
nigstens einen  Anfang  mit  der  Ausführung  jenes  Zusatz- 
vertrages gemacht.  Vor  allem  aber  betont  er  treffend,  dass 
Kehr's  Analyse  der  geographischen  Inhaltsangabe  zwar  deren 
Entstehung  nach  774  —  wie  sie  Scheffer-Boichorst  wollte  — 
als  ausgeschlossen  erscheinen  lasse,  nicht  aber  ihre  Entstehung 
vor  774  beweise.*^)  Die  deshalb  von  Kehr  selber  im  Vorbei- 
gehen zugestandene  Möglichkeit  einer  gerade  774  vorge- 
nommenen Fälschung  greift  dann  Schaube  entschlossen  auf 
und  combinirt  sie  mit  Scheffer^s  Interpolationstheorie.  Nicht 
den  Biographen  oder  einen  Ueberar heiter  seines  Werks  be- 
schuldigt er  der  fälschenden  Zuthat,  sondern  den  Papst 
Hadrian  in  eigener  Person:  bereits  in  die  Karl  d.  Gr.  vor- 
gelegte und  vorgelesene  Urkunde  Pippins,  die  ursprünglich 
nur  das  sonsther  bekannte  Programm  von  754  enthielt,  sei 
jene  Aufzählung  weiter  Landgebiete  trügerisch  eingeschaltet 
worden.  Die  Vorspiegelung  einer  in  der  Hauptsache  un- 
echten Verheissung  des  Vaters  hätte  so  dem  Sohn  die  eigene, 


10)  Die  Schenkungen  der  Karolinger  an  die  Päpste;  Hist.  Ztschr. 
XLIV,  47  ff. 

11)  Doch  läset  sich  in  der  geographischen  Inhaltsangabe,  wie 
sie  die  Vita  Hadriani  bietet,  auch  nichts  entdecken,  was  ihre  Be- 
ziehung auf  764  ausschlösse.  Spolet  war  allerdings,  wie  Kehr  be- 
merkt, 761 — 66  mit  dem  Königreich  von  Pavia  vereinigt;  aber  das 
Papstthum  betrachtete  den  früheren  Zustand  der  Selbständigkeit  des 
Ducats  seinem  eigenen  Interesse  gemäss  natürlich  als  den  legitimen 
und  musste  deshalb  Spolet  764  vom  Königreich  abgesondert  aufführen. 
Auf  welche  vor  764  anzunehmende  Verkleinerung  des  spoletinischen 
Gebiets  das  et  cunctum  ducatum  Spolitinum  der  Promissio  zielt,  ist 
freilich  unbekannt;  daraus  folgt  aber  nicht,  dass  eine  solche  nicht 
stattgefunden. 


192  Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  2,  Juni  1894, 

formell  echte  Proniissio  entlockt,  aus  der  dann  der  Biograph 
Hadrians  ohne  weitere  Entstellung  schöpfte.  Erst  fern  von 
Rom  wird  Karl,  nach  Schaube,  im  Verkehr  mit  ^älteren 
Herren*  allmählich  des  ihm  gespielten  Streiches  inne;  er 
kann  den  Betrug  nicht  geradezu  beweisen,  aber  er  straft  ihn 
sehr  mit  Recht,  indem  er  das  erschlichene  Versprechen  nicht 
erfüllt.  Hier  ist  denn  ^das  schlechte  Gewissen  nur  auf  Seite 
des  Papstes*. 

Eine  Kritik  beider  Hypothesen  muss  sich  bei  dem  Stande 
unserer  Quellen  auf  die  Abwägung  von  Wahrscheinlichkeiten 
beschränken.  Ich  beginne  mit  Schaube's  Vorschlag:  er  löst 
das  Problem  dem  Anschein  nach  vollkommen  —  die  äussere 
Schwierigkeit  in  Bezug  auf  Pippin  ist  so  glatt  beseitigt,  wie 
die  innere  in  Bezug  auf  Karl.  Von  einem  nicht  vorhandenen 
Versprechen  des  ersteren  konnte  freilich  kein  Zeitgenoss  etwas 
überliefern ;  der  Wortbruch  des  letzteren  aber  wird  nicht 
bloss  historisch  erklärt,  er  erscheint  moralisch  gerechtfertigt. 
Scheflfer-Boichorst's  philologisch  lockende  Annahme  einer 
Interpolation  erhält  erst  nun  einen  fasslichen  Sinn.  Denn 
durch  Ausscheidung  des  geographischen  Passus,  der  über  die 
sonst  bezeugte  Verheissung  und  Schenkung  Pippins  so  weit 
hinausgreift,  aus  dem  Berichte  der  Vita  Hadriani  selbst  wird 
diesem  Berichte  sowohl,  wie  der  von  ihm  geschilderten  Scene 
der  Kern  ausgebrochen.  Für  die  Herstellung  des  von  seinem 
Vater  nach  der  Aussage  der  übrigen  Quellen  durch  Wort 
und  That  begründeten  päpstlichen  Besitzstandes  war  Karl 
von  vornherein  773  ins  Feld  gezogen ;  es  verstand  sich  von 
selbst,  dass  er  dieser  bereits  freiwillig  und  öffentlich  über- 
nommenen Verpflichtung  nach  dem  Siege  Genüge  leisten 
werde.  Um  Erfüllung  einer  Promissio  Pippins  von  diesem 
beschränkten  Inhalt  brauchte  daher  weder  Hadrian  im  April 
774  Karl  inständig  und  feierlich  zu  bitten  ,  noch  hätte  sein 
Biograph  den  unumgänglichen  Akt  der  Bestätigung  in  diesem 
Falle  mit  so  sichtlicher  Begeisterung  der  Nachwelt  zu  über- 


k 


Dove:  Corsica  u.  Sardinien  in  d.  Schenkungen  an  d,  Päpste.      193 

liefern  Anlass  gehabt.  Durch  Verlegung  der  vertuntheten 
Interpolation  in  die  alte  pippinische  Urkunde  wird  dagegen 
der  Apparat,  mit  welchem  der  Papst  wie  der  Erzähler  auf- 
treten, nur  allzu  begreiflich  gemacht. 

Trotzdem  betrachte  ich  Schaube's  Versuch,  auf  solchem 
Wege  eine  ,  Verständigung  über  das  Schenkungsversprechen 
von  Eiersy  und  Rom**  anzubahnen,  als  verfehlt;  anstelle  der 
beseitigten  Schwierigkeiten  setzt  er  eine  neue,  grössere.  Ich 
s^he  dabei  von  der  moralischen  Frage  gänzlich  ab;  wiewohl 
ich  die  Möglichkeit,  oder  selbst  die  hohe  Wahrscheinlichkeit, 
dass  das  Constitutum  Constantini  von  einem  curiaien  Verfasser 
gerade  aus  den  Tagen  Hadrians  herrühre,  und  dass  dieser 
Papst  sich  selbst  gelegentlich  ohne  guten  Glauben  Karl  gegen- 
über auf  jenes  erdichtete  Dokument  beziehe,  als  vollständige 
Analogie  nicht  gelten  lassen  kann.  Ich  bringe  vielmehr 
einzig  das  intellektuelle  Moment  in  Anschlag.  Nach  Schaube*s 
Vorstellung  bestand  die  wahre  Promissio  von  Kiersy  einfach 
aus  dem  von  Pippin  hernach  in  Krieg  und  Frieden  wirklich 
durchgeführten  Programm.  Seit  dieser  Promissio  waren  erst 
zwanzig  Jahre,  seit  dem  letzten  Friedensschluss  kaum  acht- 
zehn verstrichen ;  an  dem  Versprechen  hatte  Pippin  neben 
seinen  Knaben  auch  die  fränkischen  Grossen  theilnehmen 
lassen.  Politische  Correspondenz  war  seitdem  zwischen  Rom 
und  dem  fränkischen  Hof  unaufhörlich  hin  und  her  gegangen, 
die  römische  Frage  in  ihrer  weiteren  Entwickelung  hatte 
.oft  genug  dem  fränkischen  Kronrath  vorgelegen ;  Karl  d.  6r. 
selber  muss  sich  in  den  letzten  Jahren,  als  der  Conflikt  mit 
Desiderius  heraufzog,  in  den  Besitz  der  über  dieselbe  be- 
stehenden geschäftlichen  Tradition  gesetzt  haben.  Jetzt  legte 
Hadrian  die  Urkunde  von  Kiersy  —  nach  dieser  Auffassung 
doch  das  vornehmste  Aktenstück  aus  jener  Zeit,  die  Grund- 
lage alles  Späteren  —  in  einer  Versammlung  römischer  und 
fränkischer  Würdenträger  vor.  Karl  liess  die  neue  Ver- 
heissung  nach  dem  pippinischen  Muster  durch  seine  Kanzlei- 


194         Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  2.  Juni  1894, 

beamten  ausfertigen;  auch  diesmal  unterzeichneten  mit  ihm 
Bischöfe,  Aebte,  Herzoge  und  Grafen.  In  wie  erbärmlicher 
Verfassung  mussten  sich  auf  fränkischer  Seite  Menschen 
und  Dinge  befinden,  wenn  unter  solchen  Umständen  der  freche 
Schwindel  gelang!  Wie  überaus  gefährlich  wäre  dieser 
Schwindel  andererseits  gewesen,  wenn  sich  auf  jene  Erbärm- 
lichkeit doch  nicht  sicher  zählen  liess!  Und  was  soll  man 
psychologisch  sagen  zu  der  Haltung,  die  Karl  nach  der  Ent- 
deckung des  Betruges  Hadrian  gegenüber  zeitlebens  einge- 
nommen? Aus  dem  Manne,  der  das  Verdener  Blutbad  übers 
Herz  brachte,  macht  Schaube's  Hypothese  eine  der  nach- 
sichtigsten, um  nicht  zu  sagen  schwachmüthigsten  Gestalten 
der  Weltgeschichte.  Den  durchschauten  Gauner,  der  ihm 
durch  Urkundenfälschung  halb  Italien  wegzustehlen  versucht 
hatte,  ehrt  und  beschenkt  der  gute  König  nicht  allein  wieder- 
holt: er  hält  ihn,  wie  uns  Einbard  versichert,  unter  seinen 
Freunden  besonders  hoch  und  vergiesst  bei  der  Nachricht  von 
seinem  Tode  bittere  Thränen,  wie  um  einen  Bruder  oder 
lieben  Sohn  !  Ich  finde,  dass  Karl  bei  dieser  Art  von  mora- 
lischer Rettung  im  ganzen  mehr  verliert,  als  gewinnt;  die 
Schaube'sche  »Verständigung*  über  das  Faktum  von  774 
geschieht  auf  Kosten  aller  an  dem  Faktum  selbst  Bethei- 
ligten. 

Wenn  ich  demgegenüber  die  Hypothese  Kehr-Duchesne 
als  den  beisten  Vorschlag  begrüsse,  der  bisher  überhaupt  zur 
Aufklärung  über  die  doppelte  karolingische  Promission  ge- 
macht worden  ist,  so  hätte  ein  solches  Urtheil  freilich  wenig 
Werth,  wenn  ich  nicht  zugleich  jene  Ansicht  auch  durch 
eigene  Bemerkungen  zu  stützen  unternähme.  Um  mit  dem 
vornehmsten  Einwurf  gegen  die  Realität  der  grossen  Ver- 
heissung  von  Kiersy  zu  beginnen,  so  scheint  auch  mir  das 
argumentum  ex  silentio  durch  die  neue  Erklärung  wesentlich 
entkräftet.  Eine  lakonische  Geschichtschreibung,  eine  praktisch 
gestimmte  Correspondenz,  wie  die  päpstlichen  Briefe  an  Pippin 


^ 


Dove :  Corsica  u.  Sardinien  in  d.  Schenkungen  an  d.  Päpste,      195 

nach  dem  Frieden  von  Pavia,  konnten  füglich  absehen  von 
der  Erwähnung  einer  bloss  auf  dem  Pergamente  stehenden 
Idee,  eines  nicht  zur  Ausführung  gelangten  Eventualprojekts. 
Wie  aber,  wenn  von  einem  Schweigen  aller  Quellen  gar  nicht 
die  Rede  sein  kann?  Ein  öfters,  zuletzt  von  Kehr  heran- 
gezogenes Schreiben  Stephans  III.  an  den  Patriarchen  von 
Grado  aus  dem  Jahre  771  belehrt  uns,  dass  Pippin  und  die 
Seinen  neben  dem  römischen  Ducat  und  dem  Exarchat  auch 
Istrien  und  Venetien  allzeit  zu  schützen  schriftlich  gelobt 
und  den  gesicherten  Bestand  dieser  beiden  Seelande  gegen- 
über den  Langobarden  im  Frieden  von  Pavia  754  eigens 
ausbedungen  haben.  Auch  davon  steht  im  Leben  Stephans  IL, 
im  Codex  Carolinus,  in  den  fränkischen  Historien  nichts. 
Wenn  aber  der  Hauptvertrag  von  Kieirsy  ein  durch  den 
Papst  erwirktes  Schutzvei-sprechen  für  Venetien  und  Istrien 
enthielt,  das  beim  Friedensschluss  mit  Aistulf  nicht  vergessen 
ward,  so  gewinnt  die  Ansicht,  dass  in  einer  Nebenconvention 
u.  a.  die  eventuelle  Ueberweisung  dieser  Lande  an  Rom  in 
Betracht  gezogen  sei,  ohne  weiteres  an  Wahrscheinlichkeit. 
Allein  der  plan  de  partage  de  Tltalie  conquise  hat  noch  ganz 
andere,  direkte  Spuren  hinterlassen,  die  es  nur  richtig  zu 
erkennen  gilt. 

Das  Pactum  Ludovicianum  von  817  enthält  einen  durch 
die  Wiederholung  im  Ottonianum  als  echt  gesicherten  Para- 
graphen, in  welchem  Kaiser  Ludwig  gewisse  donationes  be- 
stätigt, die  Pippin  und  Karl  dem  hl.  Petrus  spontanea 
voluntate  dargebracht  —  nee  non,  heisst  es  weiter,  et  censum 
et  pensionem  seu  ceteras  dationes,  quae  annuatim  in  palatium 
regis  Langobardorum  inferri  solebant  sive  de  Tuscia  Lango- 
bardorum  sive  de  ducatu  Spoletino,  sicut  in  suprascriptis 
donationibus  continetur.  Es  folgt  dann  die  weitere  Nach- 
richt von  einer  besonderen  Convention  zwischen  Karl  und 
Hadrian,  worin  der  letztere  auf  die  genannten  Ducate  selbst 
verzichtete  —  über  die  sich  deshalb  auch  Ludwig  die  eigene 


196  Sitzung  der  historischen  Classe  vom  2,  Juni  1894. 

dominatio  vorbehält  — ,  während  dem  Papste  der  jährliche 
Empfang  der  besagten  Einkünfte  aus  Tuscien  und  Spolet 
von  neuem  durch  Karl  zugebilligt  ward.  In  der  letzt- 
erwähnten Convention  **)  erkennen  wir  seit  Ficker  den  wich- 
tigen Vertrag,  in  welchem  Hadrian  777/78  seine  bisher  an 
die  Promissio  von  Rom  geknüpfte  Hoffnung,  Spolet  und  Tuscien 
im  ganzen  zu  erwerben,  gegen  finanzielle  Entschädigung 
fallen  Hess :  statt  der  erträumten  dominatio  ward  er  mit  den 
blossen  dationes  abgefunden.  Dagegen  ist  es  bisher  nicht 
gelungen,  über  die  im  Eingang  des  Paragraphen  berührten 
älteren  Schenkungen  der  nämlichen  Renten  ins  Klare  zu 
kommen  ;^^)  mit  den  Promissionen  von  754  und  774  wagte 
man  diese  von  Pippin  und  Karl  spontanea  voluntate  collatae 
donationes  nicht   in   Verbindung   zu   bringen,^*)    und    doch 


12)  Es  waren  eigentlich  ihrer  zwei;  vgl.  die  archivalische  Notiz 
bei  Fflugk-Harttung,  Iter  Italicum  p.  85:  Garoli  Magni  conventiones 
inter  ipsam  et  Adrianam  papam  I.  super  censu,  qui  solvebatur  in 
palatio  regia  Langobardorum  ratione  Tuscie   vel  ducatus   Spoletani. 

18)  Sickel,  der  eigentlich  allein  den  Königszins  (census)  ins  Ange 
fasst,  hält  (a.  a.  0.  145  f.)  fär  möglich,  dass  dieser  noch  zu  lango- 
bardischer  Zeit  den  Päpsten  zuerkannt  und  dann  von  Pippin  und 
Karl  unter  der  allgemeinen  Rubrik  der  jura  b.  Petri  nominell  be- 
stätigt worden  sei.  Allein  die  Summe  aller  Abgaben  zweier  grosser 
Provinzen  —  das  besagt  doch  census  et  pensio  seu  ceterae  dationes 
—  hat  sicher  kein  langobardischer  König  selbst  an  Rom  überlassen; 
auch  müssten  wir  dann  die  Nennung  des  ersten  Gebers  noch  im 
Ludovicianum  wiederholt  sehen.  —  Lamprecht  (Die  römische  Frage 
von  König  Pippin  bis  auf  Kaiser  Ludwig  d.  Fr.,  1889,  S.  85  f.)  nimmt 
eine  gelegentliche  Schenkung  durch  Pippin  in  den  „Anfangsjahren 
seiner  päpstlichen  Beziehungen-"  an.  Allein  Pippin  konnte  lange- 
bardische  Einnahmen  höchstens  bei  den  Friedensschlüssen  mit  Aistulf 
verschenken,  und  unsere  Quellen  berichten  weder  hiervon  noch  davon 
etwas,  dass  in  den  späteren  Conflikten  zwischen  Rom  und  Pavia  die 
Zahlung,  was  doch  unzweifelhaft  eingetreten  wäre,  inhibirt  worden  sei. 

14)  Nur  Sybel  thut  das  (Hist.  Ztschr.  XLIV,  82)  entschieden, 
aber  negativ:  er  findet  die  Proraission  von  ganzen  Gebieten  durch 
die  Promission  von  blossen  Steuern  widerlegt. 


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Dove :  Gorsica  u.  Sardinien  in  d.  Schenkungen  an  d,  Päpste.       197 

ergiebt  sich  auf  diesem  Wege  nunmehr  die  einfache  Lösung 
des  Räthsels. 

Ward  in  Kiersy  eventuell  verabredet,  dass  bei  einer 
Auflösung  des  Reiches  von  Pavia  der  grössere  Theil  desselben 
mit  der  Hauptstadt  an  Pippin,  dagegen  der  kleinere  mit 
Tuscien  und  daneben  das  Herzogthum  Spolet  an  das  Papst- 
thum  fallen  solle:  was  lag  da  näher,  als  der  Gedanke,  die 
ideelle  Gebietstheilung  durch  eine  Regulirung  nach  finan- 
zieller Seite  hin  zu  ergänzen  ?  Der  Palast  von  Pavia  empfing 
bis  zur  Theilung  censum  et  pensionem  seu  ceteras  dationes 
auch  aus  Tuscien  und  Spolet;^*)  Pippin  versprach,  nach  der 
Theilung  als  Inhaber  von  Pavia  auf  die  Einkünfte  des  ehe- 
maligen langobardischen  Eönigthums  aus  den  an  das  Papst- 
thum  abgetretenen  Landschaften  nicht  schlechthin,  sondern 
zugunsten  des  letzteren  zu  verzichten,  und  Karl  trat  Ostern 
774  bestätigend  auch  in  diese  Verpflichtung  ein.  Es  brauchten 
dabei  in  den  Promissionen  von  Kiersy  und  Rom  die  Namen 
Tuscien  und  Spolet  nicht  gerade  auch  in  finanzieller  Hin- 
sicht eigens  aufgeführt  zu  sein;  es  genügte  dort  vielleicht 
nach  der  Aufzählung  der  an  Rom  überlassenen  Gebiete  die 
allgemeine  Festsetzung,  dass  aus  allen  diesen  Gebieten  die 
bisherigen  Revenuen  des  Paveser  Palastes  künftig  der  Peters- 
kirche zufliessen  sollten.  Erst  im  Vertrage  von  777/78,  der 
Tuscien  und  Spolet  ausschliesslich  anging,  musste  von  den 
Abgaben  dieser  Lande  speziell  die  Rede  sein;  indem  König 
Karl  diese  Abgaben  nun  zum  erstenmal  faktisch  überwies, 
empfing  der  Papst  für  den  Verzicht  auf  die  Gebietshoheit 
immerhin  eine  nennenswert  he  Entschädigung.  Die  neue, 
wirkliche  donatio  aber  geschah  in  der  Form  einer  Bestätigung 


16)  Spolet  war  761 — 56  mit  der  Krone  Pavia  vereinigt  (s.  o. 
A.  11),  wird  jedoch  anch  sonst  bei  relativer  Selbständigkeit  nicht 
frei  von  Abgabenpflicht  gewesen  sein;  besondere  Rücksicht  auf  die 
Lage  von  754  verräth  demnach  die  pippinische  Anweisung  auf  die 
dationes  Spoletinae  kaum. 

1894.   Philo8.-phüol.  u.  hiat.  CL  2.  14 


198  Sitzung  der  historischen  Classe  vom  2,  Juni  1894. 

der  frühereD  ideellen  Schenkungen,  und  das  Pactum  Lud- 
wigs d.  Fr.  nahm  diesen  Sachverhalt  aus  der  Vertragsurkunde 
von  777/78  herüber.  Ich  brauche  kaum  daran  zu  erinnern, 
dass  der  Name  donatio  oft  genug  auch  für  die  ideelle  Schen- 
kung einer  blossen  promissio  gebraucht  wird;  das  berühmte 
Capitel  der  Vita  Hadriani  selber  wechselt  mit  den  Ausdrücken 
promissio,  donationis  promissio  und  donatio  gleichgültig  ab.^^) 
Ist  meine  Auslegung  der  betreffenden  Pactenstelle  richtig,  so 
muss  es  für  die  Eehr'sche  Hypothese  entschieden  einnehmen, 
dass  sie  ein  Räthsel  lösen  hilft,  auf  das  bei  ihrer  Aufstellung 
keine  Rücksicht  genommen  worden.^'')  Auch  die  Schaube'sche 
Auffassung  freilich  Hesse  sich  mit  meiner  Interpretation  ver- 
einigen :  Hadrian  brauchte  nur  mit  seinem  territorialen  Wunsch- 
zettel zugleich  jenen  finanziellen  Nachtrag  dem  verstorbenen 
Pippin  in  die  offene  Hand  zu  schieben. 

Ich  gehe  über  zu  der  berechtigten  Frage  nach  den 
Gründen  der  von  Pippin,  im  Contrast  zu  dem  Traum  von 
einer  Eroberung  Italiens,  in  Krieg  und  Frieden  thatsächlich 
bewiesenen  Mässigung.  Das  Schweigen  der  gleichzeitigen 
Quellen  wird  hier  durch  die  bestimmte  Aussage  einer  spä- 
teren, in  solchen  Geständnissen  jedoch  sehr  beachtenswerthen, 
ausgeglichen.  Einhard  berichtet  im  Leben  Karls,  dass  der 
Krieg  von  754  von  Pippin  cum  magna  difficultate  unter- 
nommen sei:  quia  quidam  e  primoribus  Francorum,  cum 
quibus  consultare  solebat,  adeo  voluntati  ejus  renisi  sunt,  ut 
se  regem  deserturos  domumque  redituros  libera  voce  pro- 
clamarent.  Wir  haben  hier  vor  uns  die  auf  der  Reichs- 
versammlung zu  Kiersy  überstimmte  Minorität.  Ihre  Op- 
position   mochte   dem   italienischen  Krieg  überhaupt  gelten; 


16)  Wenn  der  Biograph  Hadrians  die  römische  Promissio  Karls 
ausdrücklich  propria  volnntate  geschehen  lässt,  so  möchte  ich  dabei 
doch  keinen  Vorklang  des  spontanea  voluntate  im  Pactum  Ludovici- 
annm  annehmen. 

17)  S.  Kehr  a.  a.  0.  S.  403  A.  3;  441  A.  1. 


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Dove:  Corsica  u.  Sardinien  in  d.  Schenkungen  an  d.  Päpste.      löd 

jedenfalls  war  sie  ansehnlich  und  bedrohlich  genug,  dass 
Pippin  alle  Ursache  hatte,  das  Ziel  seines  Unternehmens  bei 
der  Ausführung  so  bescheiden  zu  stecken,  als  die  Ehre  zuliess. 

Um  endlich  das  Verfahren  Karls  zu  erläutern,  so  ist  der 
stärkste  Ton  darauf  zu  legen,  dass  die  Erhebung  des  Siegers 
von  774  auf  den  Thron  der  Langobardenkönige  sich  ohne 
die  von  Duchesne  und  Kehr  aufgestellte  Hypothese  kaum 
erklären  lässt.  Nur  zögernd  eröfifnete  Karl  773,  den  Blick 
auf  Sachsen  gerichtet,  den  italienischen  Krieg;  er  unter- 
handelte wiederholt,  noch  an  der  Grenze  war  er  zur  Umkehr 
bereit  auf  die  einzige  Bedingung  hin ,  dass  Desiderius  den 
Beschwerden  Hadrians  ehrlich  und  gründlich  abhelfe.  Im 
Verlaufe  des  Krieges  mag  er  sich  mit  dem  Gedanken  an 
irgendwelche  Eroberung  mehr  und  mehr  vertraut  gemacht 
haben.  Auch  dann  aber  konnte  ihm  nichts  so  fern  liegen,  wie 
die  schliesslich  gewählte  Form  einer  Personalunion  zwischen 
Franken-  und  Langobardenreich.  Eine  solche  widersprach 
dem  dreihundertjährigen  Herkommen  seines  Volks,  wie  der 
germanischen  Anschauung  jener  Zeiten  überhaupt.  König 
und  Nation  sind  Inhaber  des  Staats,  Eroberungen  werden  zu 
beider  Händen  gemacht.^*)  Der  fränkische  Name  breitet  sich 
aus,  wie  über  die  Stämme  im  Osten  des  Rheins,  so  über 
Romanien ,  Burgundien ,  Gothien.  In  diesem  Sirme  allein 
konnte  Pippin  den  Theilungsplan  von  Kiersy  entwerfen ; 
wäre  derselbe  ausgeführt  worden,  so  hätte  die  Poebene  ein 
Theil  des  regnum  Francorum,  Longobardia  zum  Namen  einer 
fränkischen  Provinz  werden  müssen.  Noch  774  stand  diese 
staatsrechtliche  Anschauung  so  fest,  dass  die  vornehmste 
fränkische  Geschichtsquelle,  die  grossen  Annalen  von  Lorsch, 
das  Ereigniss  vom  Juni  dieses  Jahres,  indem  sie  die  Erhebung 
Karls  auf  den  Thron  von  Pavia  ignorirt,  ganz  im  alten  Stile 


18)  Belege  habe  ich  in  meiner  Schrift  ^Der  Wiedereintritt  des 
nationalen  Prinzips  in  die  Weltgeschichte"  (1890)  S.  19  f.  gesammelt. 

14* 


200  Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  2,  Juni  1894. 

verzeichnet:  ibique  venientes  omnes  Longobardi  de  cunctis 
civitatibus  Italiae  subdiderunt  se  in  dominio  domni  gloriosi 
regis  Caroli  et  Francorum.  Wann  und  wie  also  ist  die  fremd- 
artige Idee  eines  eigenen  langobardischen  Königthums  in 
Karls  Geiste  aufgestiegen  ?  Ranke  verlegt  sie  in  den  Moment 
der  üebergabe  Pavias  und  weist  ihre  Conception  den  von 
ihrem  Könige  abfallenden  Langobarden  selber  zu.  „Desiderius 
wird  aufgegeben",  sagt  er,^^)  „König  Karl  tritt  die  Regierung 
an,  das  Reich  der  Langobarden  aber  bleibt  in  seiner  Wesen- 
heit bestehen."  Die  spätere,  sagenhafte  Auffassung,  an  sich 
ebenso  natürlich  wie  nichts  beweisend,  stimmt  hiermit  über- 
ein; die  einsilbigen  gleichzeitigen  Berichte  sprechen  nicht 
dafür,  aber  auch  nicht  dagegen.  Und  denkbar  ist  es  gewiss, 
dass  der  Wunsch,  er  möge  sich  selber  ihre  Krone  aufsetzen, 
dem  Sieger  von  den  Besiegten  entgegengetragen  ward  — 
denn  was  konnte  mehr  in  ihrem  Interesse  liegen  ?  Karl  wäre 
so  zum  italienischen  Königthum  ähnlich  gelangt,  wie  zum 
römischen  Kaiserthum.  Doch  bedurfte  es  in  jenem  Fall,  wo 
eine  Ueberraschung  wider  Willen  ausgeschlossen  war,  unter 
allen  Umständen  des  eigenen  Entschlusses.  Man  kommt  also 
nicht  darüber  hinweg,  dass  Karl  den  ungewöhnlichen  Weg 
mit  bewusster  Wahl  einschlug  ;  am  wahrscheinlichsten  doch, 
weil  er  in  ihm  einen  Ausweg  aus  schwieriger  Lage  erkannte, 
und  eben  hierdurch  werden  wir  auf  die  römischen  Beziehungen 
hingewiesen. 

Die  Osterreise,  die  Karl  774  vom  Lager  vor  Pavia  aus 
nach  Rom  unternahm,  galt  Zwecken  der  Andacht.  Er  hat 
dort  dem  Papste  betheuert:  nicht,  um  Schätze,  oder  Land 
und  Leute  zu  gewinnen,  habe  er  mit  den  Seinen  die  Mühsal 
des  Feldzuges  auf  sich  genommen,  sondern  allein  für  das 
Recht  des  hl.  Petrus,,  die  Erhöhung  der  Kirche  Gottes  und 
des  Papstes  Sicherheit.*^)     Er  bezeichnet   damit   das   wahre 

19)  Weltgeschichte  V,  2  S.  124. 

20)  JaiF^,  bibl.  IV,  190. 


^ 


Dove:  Coraica  u,  Sardinien  in  d.  Schenkungen  an  d.  Päpste.    201 

Motiv,  das  ursprüngliche  Ziel  des  Krieges;  dass  er  sich  jetzt 
schon  bestimmt  ein  weiteres  gesteckt,  ist  nirgend  gesagt. 
Vermuthlich  dachte  er,  Desiderius  oder  doch  dessen  Haus 
in  abhängiger  Stellung  bestehen  zu  lassen,  nachdem  er  ihn 
zu  Abtretungen  und  Garantien  nach  der  römischen,  wie  der 
fränkischen  Seite  gezwungen.  Auf  keinen  Fall  brauchen 
wir  anzunehmen,  dass  er  damals  bereits  mit  dem  Plan  seiner 
eigenen  italischen  Thronbesteigung  umgegangen  sei;  noch 
weniger  kann,  wie  sein  späteres  Verhalten  zeigt,  eine  Wieder- 
aufnahme des  ihm  schwerlich  ganz  unbekannten  Theilungs- 
projektes  von  Kiersy  in  seiner  Absicht  gelegen  haben.  Da 
nöthigte  ihn  Hadrian  unter  Aufwand  theatralischer  Mittel 
zur  Gonfirmation  und  Erneuerung  des  pippinischen  Eventual- 
versprechens.  Selbstverständlich  geschah  diese  Erneuerung 
in  der  gleichen,  auf  den  eintretenden  Fall  beschränkten  Form. 
Karl  wird,  bevor  und  während  er  schwur,  sehr  wohl  gewusst 
und  bedacht  haben,  dass  er  sich  damit  keineswegs  zur  Herbei- 
führung jenes  Falls  verpflichtete,  die  der  Papst  in  seiner 
Ländergier  allerdings  für  das  einzig  Mögliche  hielt.  Für  den 
König  blieb  ein  vortheilhaftes,  die  künftige  Ruhe  sicherndes 
Abkommen  mit  Desiderius  noch  immer  der  nächstliegende 
Gedanke.  Daneben  aber  musste  ihm  jetzt  das  abschreckende 
Bild  einer  eventuellen  Theilung  mit  Rom  beständig  vor  der 
Seele  schweben.  Es  wäre  psychologisch  ganz  in  der  Ord- 
nung, wenn  er  gerade  nun  darüber  nachgesonnen  hätte,  ob 
sich  dieser  thörichte  Ausgang  der  Dinge  nicht  auch  noch 
anders  vermeiden  lasse,  als  durch  Schonung  des  Desiderius 
oder  seiner  Dynastie.  In  dieser  Stimmung  konnte  eine  lango- 
bardische  Anregung  den  Ausschlag  geben  zum  Beschluss  der 
Personalunion.  Ich  sehe  nicht,  wo  hier  Raum  für  Gewissens- 
bisse bleibt;  es  war  kein  Treubruch,  wie  kurz  zuvor  die  Ver- 
stossung  der  schuldlosen  langobardischen  Gemahlin.  Karl 
wird  wohl  schon  damals  im  allgemeinen  davon  überzeugt 
gewesen  sein,  dass  es  Sache  des  Papstes  sei,  wie  er  796  an 


202  Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  2.  Juni  1894. 

Leo  III.  schrieb,  gleich  Mose  für  den  Sieg  der  fränkischen 
Waffen  zur  Ehre  Gottes  zu  beten.*^)  Rom  sicher  zu  stellen 
und  reich  zu  machen,  vermochte  er  am  besten  gerade  als 
König  der  Langobarden;  für  die  Idee  eines  geistlichen  Gross- 
fürstenthums  aber  war  in  seinem  Kopfe  offenbar  kein  Raum, 
und  auch  Pippin  hätte  nach  der  Hypothese  Kehr-Duchesne 
mit  dieser  Idee  doch  eigentlich  bloss  gespielt. 

Nach  alledem  dürfen  wir  getrost  die  geographische  In- 
haltsangabe im  Bericht  der  Vita  Hadriani  auf  eine  echte, 
wenngleich  nur  eventuelle  Promission  Pippins  von  754  be- 
ziehen. In  dieser  Inhaltsangabe  begegnet  uns  nun  der  Name 
Corsica  an  bemerkenswerther  Stelle;  er  ist  dem  designatum 
confinium:  a  Lunis  cum  insula  Corsica,  deinde  in  Suriano 
u.  s.  f.  bis  Monte  Silicis,  einer  Grenzlinie,  die  im  übrigen 
Continental  verläuft,  nicht  beigesetzt,  sondern  einverleibt.**) 
Sickel,  der  das  Confinium  für  eine  Erfindung  des  Autors  der 
Vita  Hadriani  hielt,  suchte  das  Motiv  zu  dieser  eigenthüm- 
lichen  Anordnung  in  dem  Vorbild  einer  Strassenkarte  nach 
Art  der  Peutinger'schen  Tafel.  , Sieht  man  auf  letzterer*, 
sagt  er,  „Corsica  ganz  nahe  an  die  Küste  gerückt,  so  vermag 
das  vielleicht  auch  zu  erklären,  dass  es  von  dem  Biographen 
neben  dem  von  ihm  an  der  Küste  gewählten  Ausgangspunkte 
genannt  wird".*^)  Die  Benutzung  einer  solchen  Karte,  deren 
Stephan  IL  im  Frankenreich  zur  Begründung  seiner  Klage 
gegen  Aistulf  bedurfte,  werden  auch  wir  voraussetzen  müssen;**) 
doch  hat  es  mit  der  Fassung:   „von  Luni  ab,  die  Insel  Cor- 


21)  Jaffö,  bibl.  4,  356. 

22)  Der  Autor  des  Fantuzzi^schen  Fragments,  der  bei  seiner 
Fälschung  augenscheinlich  eine  Landkarte  zuzog,  warf  Corsica  rein 
geographisch  zweckmässiger  aus  der  continentalen  Linie  heraus:  In- 
cipientes  ab  insula  Corsica  eandem  insulam  integriter,  deinde  etc. 

23)  A.  a.  0.  135  A.  2. 

24)  Dem  designatum  confinium  liegt  ohne  Zweifel  eine  Strassen- 
karte  zugrunde.     Acceptirt   man   Ficker*8   einleuchtende  Conjektur, 


^ 


Dove :  Coraica  u.  Sardinien  in  ä.  Schenkungen  an  d.  Päpste.      203 

sica  eingerechnet'',  entschieden  noch  eine  andere  Bewandtniss. 
Gehörte  Gorsica  zum  Königreich  von  Pavia,  so  forderte  die 
nach  Kehr  zar  Zerlegung  dieses  Reichs  in  einen  päpstlichen 
und  einen  fränkischen  Äntheil  bestimmte  Landgrenze  von 
Luni  bis  Monselice  eine  maritime  Ergänzung,  die  am  ein- 
fachsten in  der  gewählten  Form  geschah.  War  die  Insel 
dagegen  nicht  langobardisch,  so  musste  sie,  sogut  wie  der 
Exarchat  oder  Venetien-Istrien,  von  dem  designatum  con- 
finium  abgesondert  aufgeführt  werden.  Befremden  muss  es 
daher,   dass   Kehr  in   dieser  Hinsicht  selber  einem   Zweifel 


dass  unter  Surianum  vielmebr  Sergianum  =  Sarzana  zu  verstehen 
ist  —  einem  römischen  Schreiber,  vielleicht  dem  Biographen  Hadrians, 
lag  ein  Lesefehler  nah,  da  ihm  Surianum  =  Soriano  am  eiminischen 
Berg  der  ungleich  bekanntere  Name  war  —  so  verläuft  die  Grenz- 
linie von  Luni  am  Magra  hinauf  über  den  Cisapass  nach  Parma  auf 
alter  Passstrasse,  von  dort  nach  Reggio  auf  der  Via  Aemilia;  ebenso 
führt  von  Mantua  nach  Monselice  eine  antike  Strasse,  die  dann  weiter 
nach  Padua  zieht.  Nur  zwischen  Reggio  und  Mantua  springt  die 
Linie  plötzlich  im  rechten  Winkel  willkürlich  von  der  einen  zur 
anderen  Strasse  hinüber;  gerade  hier  aber  hat  der  Text  statt  des 
sonst  eintönig  wiederholten  deinde  bezeichnenderweise:  et  exinde. 
Bei  wirklicher  Ausführung  der  Theilung  musste  die  scharfe  Ecke  bei 
Reggio  übrigens  beträchtlich  abgerundet  werden;  denn  es  versteht 
sich  von  selbst,  dass  man  eine  politische  Grenze  nicht  die  Heerstrasse 
entlang  durch  Städte  legt.  Die  genannten  civitates  konnteuN  dem 
Papst  nicht  ohne  ihre  regiones  oder  territoria  überwiesen  werden; 
ihre  Namen,  wie  man  sie  römischersei ts  den  fränkischen  Herren,  mit 
dem  Finger  dem  Strassenzug  folgend,  auf  der  Karte  wies,  bezeich- 
neten kurz  die  äussersten,  für  den  hl.  Petrus  in  Anspruch  genommenen 
Stadtgebiete.  Mit  dem  Parmesischen  und  Reggianischen  sollte  also 
die  päpstliche  Herrschaft  den  Po  erreichen,  wo  sich  dann  das  Man- 
tuanische  drüben  unmittelbar  anschloss.  Ebenso  war  mit  Luni  und 
Sarzana  zugleich  die  Lunigiana,  d.  h.  genau  ganz  Tuscien  in  die 
Schenkung  einbegriffen.  Kehr  übergeht,  ja  übersieht,  wie  es  scheint, 
diesen  nothwendigen  Unterschied  zwischen  dem  Entwurf  nach  einer 
damaligen  Karte  und  dem  praktischen  Sinn,  den  man  mit  diesem 
unbeholfenen  Ausdrucksmittel  verband. 


204  Sitzung  der  histariachen  Glosse  vom  2,  Juni  1894. 

Baum  giebt;  gegen  die  Behauptung  Duchesne^s,  dass  Corsica 
nicht  zuni  langobardischen  Reiche  gehört  habe,  weiss  er  nichts 
einzuwenden,  als  das  gleichzeitige  Bekenntniss  seines  Vor- 
gängers: Thistoire  de  la  Corse  en  ces  temps-lä  est  tres-ob- 
scure.*^)  So  dunkel,  wie  beide  annehmen,  ist  jedoch  die 
Geschichte  Corsicas  in  jenen  Zeiten  nicht. 

Wer  kennt  nicht  das  Schreiben  Hadrians  an  Karl  vom 
Mai  778,  berühmt  durch  seine  Anspielung,  vielleicht  auf  die 
Schenkung,  jedenfalls  auf  die  Legende  ConstantinsP  Das 
Schreiben  athmet  Resignation  und  Hoffiiung  zugleich.  Kein 
Wort  mehr  von  Forderung  ganzer  Länder;  statt  dessen 
werden  lediglich  Patrimonien  erbeten  und  für  diese  An- 
sprüche überdies  Rechtstitel  in  Oestalt  alter  Spezialschenkungs- 
urkunden  präsentirt.  Man  entnimmt:  Hadrian  hat  bereits 
zuvor  jenen  Verzicht  auf  Spolet  und  Tuscien  ausgestellt  und 
dafür  die  bekannte  Abfindung  empfangen.  Zugleich  aber 
muss,  wenn  auch  nicht  schriftlich,  eine  allgemeine  Verstän- 
digung erzielt  worden  sein:  Karl  hat  den  kategorischen  und 
generellen  Theil  seiner  früheren  Zusagen  —  das  Versprechen, 
die  Gerechtsame  des  hl.  Petrus  in  ganzem  Umfange  herzu- 
stellen —  aufs  neue  anerkannt  und  demgemäss  den  Papst  auf- 
gefordert, wirkliche  Rechtsansprüche  auf  Grundbesitz  u.  s.  w. 
im  langobardischen  Gebiet  bei  ihm,  dem  Herrn  desselben, 
anzumelden;  von  Gesammtforderungen  im  Stile  des  alten 
Eventualvertrags  darf  dagegen  —  auch  abgesehen  von  Tuscien 
und  Spolet  —  nicht  mehr  die  Rede  sein.  Nur  eine  derartige 
Voraussetzung  macht  die  ganze  folgende  Correspondenz  in 
ihrem  Gegensatz  zur  früheren  verständlich.  Was  fordert 
nun  Hadrian?  Guncta  alia,  quae  per  diversos  imperatores, 
patricios  etiam  et  alios  Deum  timentes  in  partibus  Tusciae, 
Spoletio  seu  Benevento  atque  Corsica  simul  et  Savinense 
patrimonio  b.  Petro  concessa  et  per  nefandam  gentem  Lango- 


25)  A.  a.  0.  419  A.  1. 


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Dove :  Corsica  u.  Sardinien  in  d,  Schenkungen  an  d.  Päpste,    205 

bardorum  per  annorum  spatia  abstulta  atque  ablata  sunt.^^) 
Der  klare  Wortlaut  lehrt,  dass  Corsica  ebenso,  wie  Tuscien, 
Spolet,  Benevent  und  die  Sabina  Jahre  lang  in  den  Händen 
der  Langobarden  gewesen  ist,  dass  diese  daselbst  mit  dem 
römischen  Kirchengut  ebenso  geschaltet  haben,  wie  in  den 
übrigen  Provinzen  ihres  Reichs.  An  Karl  als  den  Erben 
dieses  Reichs  ergeht  daher  jetzt  auch  in  Bezu^  auf  Corsica 
das  Gesuch:  ut  in  integro  ipsa  patrimonia  b.  Petro  restituere 
jubeat.  Mit  welchem  Erfolg,  wird  später  zu  zeigen  sein; 
zunächst  gilt  es,  die  so  erwiesene  Thatsache  zeitweiliger 
Langobardenherrschaft  über  Corsica  mit  unserer  sonstigen, 
allerdings  dürftigen  Kunde  von  den  früheren  Geschicken  der 
Insel  zu  vereinigen.*'') 

Corsica  fiel  zugleich  mit  Sardinien  beim  Untergänge  des 
Vandalenreichs  an  die  Byzantiner  und  bildete  mit  der  grös- 
seren Insel  zusammen  seit  534  eine  der  sieben  Provinzen  der 
afrikanischen  Präfektur.  Diese  Provinz  führte  schlechthin 
den  Namen  Sardinia,  denn  die  kleinere  Insel  ward,  wie  im 
alten  Römerreich  bis  auf  Diocletian,  als  blosser  Annex  der 
grösseren  betrachtet  und  behandelt.  So  ist  denn  auch  in 
den  Erlassen  Justinians  über  die  Organisation  der  wieder- 
erworbenen Lande*®)  von  corsicanischen  Behörden  nicht  be- 
sonders die  Rede.  Neben  dem  praeses  Sardiniae,  dem  mit 
seinen  fünfzig  Officialen  die  Civilverwaltung  obliegt,  erscheint 
der  dux  Sardiniae  insulae,  dem  es  anheimgestellt  blieb,  im 
Nothfall  auch  Corsica  militärisch  zu  sichern.  Wirklich  auf- 
getragen wird  ihm  nur  die  Cernirung  der  Barbaricini  — 
eines  durch  die  Vandalen  nach  Sardinien  verpflanzten  Berber- 
stamms —  in  den  Bergen  nordöstlich  von  Cagliari.  Selbst 
die  Hauptinsel  aber  muss  gelegentlich  von  Truppen  fast  ent- 


26)  Jaffd,  bibl.  IV,  200. 

27)  Die  Belege  für  das  Folgende  siehe  im  allgemeinen  in  meiner 
oben  A.  1  ciÜrten  Schrift. 

28)  Cod.  I,  27. 


206  Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  2.  Juni  1894, 

blösst  worden  sein:  551  besetzten  die  Gothen  Totila's  zuerst 
Corsica  ohne  irgendwelchen  Widerstand  und  darauf  auch 
Sardinien;  der  magister  militum  Johannes  musste  mehrmals 
von  Afrika  eine  Flotte  herübersenden,  um  beide  wieder  ein- 
zunehmen. Vierzig  Jahr  später,  in  den  Tagen  Gregors  d.  Gr., 
sieht  es  etwas  anders,  aber  nicht  viel  besser  aus.  Die  Lango- 
barden sind  längst  Herren  der  tuscischen  Küste;  eine  wirk- 
liche Seemacht  besitzen  sie  nicht,  aber  Corsica  lag  ihnen 
hart  vor  Augen  und  konnte  ihrer  Anfechtung  umsoweniger 
entgehen,  je  schwieriger  die  dortigen  Dinge  von  dem  fernen 
Carthago  aus  zu  übersehen  waren.  Das  byzantinische  Italien, 
wozu  damals  die  ligurische  Riviera  noch  gehörte,  kümmerte 
sich  um  die  Inseln  als  afrikanische  Dependenzen  nicht,  mit 
einziger  Ausnahme  des  Papstes.  Wie  in  Italien  und  Sicilien, 
so  verwaltete  ja  Gregor  auch  in  Sardinien  und  Corsica  einen 
reichen  Patrimonialbesitz  durch  seine  Rectoren  und  griff  des- 
halb im  Interesse  seiner  Kirche,  wie  in  dem  des  Reichs  der 
nachlassenden  Staatslenkung  in  Krieg  und  Frieden  auch  dort 
unter  die  Arme.  Aus  der  Fülle  von  Nachrichten,  die  seine 
Briefe  über  die  Zustände  der  Inseln  bringen,  hebe  ich  nur 
die  für  unsere  Frage  wesentlichen  Züge  hervor.  Schon  591 
haben  die  Langobarden  auf  Corsica  eine  bischöfliche  Kirche 
zerstört ;  für  den  Bau  eines  Klosters  daselbst  empfiehlt  Gregor 
eine  feste  Lage  hoch  überm  Meer.  596  ist  abermals  von 
feindlicher  Bedrohung  die  Rede.*^)  598  wird  selbst  Sardinien 
von  dem  gleichen  Feinde  durch  einen  verwüstenden  üeberfall 
heimgesucht;  vergebens  hatte  der  Papst  vor  solcher  Gefahr 
in  Carthago,  wie  in  Cagliari  gewarnt.  Allerdings  steht  jetzt 
nicht  bloss  auf  der  Hauptinsel  ein  Heerestheil  unter  einem 
dux  vom  Rang  eines  magister  militum:  auch  Corsica 
empfängt   ab    und    zu    eine    kleine    Besatzung    unter  einem 

29)  Hostes  schlechtweg  sind  bei  Gregor  in   diesem   Zusammen- 
hang immer  Langobarden. 


k 


Doce:  Coraica  u.  Sardinien  in  d.  Schenkungen  an  d.  Päpste,      207 

tribunus  von  Gomesrang.  Als  ausreichend  kann  die  mili- 
tärische Leistung  indessen  nicht  betrachtet  werden;  auch 
das  bürgerliche  Element  muss  eingreifen :  der  Erzbischof 
von  Cagliari  wird  von  Gregor  direkt  zur  Befestigung  Bardi- 
scher Plätze  angehalten.  Und  bei  so  geringer  Fürsorge  lastet 
der  Staat  mit  schwerem  finanziellen  Druck  auf  der  Bevölke- 
rung; bis  nach  Constantinopel  hinauf  führt  Gregor  Beschwerde 
über  die  Erpressungen,  zumal  der  judices,  der  bürgerlichen 
Magistrate;  aus  Corsica,  behauptet  er  595,  fliehen  die  pos- 
sessores  w^en  unerträglicher  Belastung  nothgedrungen  zu 
den  Langobarden!  Eine  Aussage,  die  an  ähnliche  Klagen 
Salvians  über  die  Zustände  Galliens  im  5.  Jahrhundert  er- 
innert. Die  Lage  ist  in  der  That  fast  die  gleiche :  auf  der 
einen  Seite  Raub  und  Gewaltthat  der  andringenden  Barbaren, 
auf  der  anderen  doppelter  Druck  der  Reichsgewalt. 

Trotzdem  ist  Corsica  weder  damals,  noch  im  ganzen 
folgenden  7.  Jahrhundert  einer  wahrscheinlich  gerngesehenen 
langobardischen  Occupation  unterlegen.  Solange  Afrika 
byzantinisch  blieb,  hielt  das  Reich  auch  die  westliche  See 
mit  ihren  Inseln.  Selbst  König  Rothari's  Eroberung  der 
Riviera  von  Luni  über  Genua  bis  an  die  fränkische  Provence 
schafft  für  Corsica,  das  nun  beiderseits  langobardisch  umfasst 
ist,  noch  keinen  Wandel ;  sehr  begreiflich,  da  die  Macht  des 
Staates  gleich  darauf  bis  auf  König  Liutprand  durch  innere 
Wirren  verfiel.  Das  letzte  Licht  werfen  auf  das  byzanti- 
nische Walten  über  die  Provinz  Sardinien ,  wobei  Corsica 
allemal  mitverstanden  wird,  die  Notizen  des  Papstbuches  über 
die  abendländische  Episode  Kaiser  Constans'  IL  Sardinien 
wird  unter  den  Provinzen  aufgeführt,  welche  dieser  seit  663 
von  Syrakus  aus  durch  ein  System  unerhörter  Aussaugung 
zur  Verzweiflung  trieb.  Als  sich  nach  seiner  Ermordung 
668  in  Sicilien  ein  Gegenkaiser  erhebt,  werden  behufs  all- 
gemeiner Concentration  zu  dessen  Vernichtung  auch  die 
Truppen   der   sardinischen   Provinz    dorthin   gezogen.      Wir 


208  Sitzung  der  historischen  Classe  vom  2,  Juni  1894, 

erfahren  nicht,  ob  sie,  wie  wahrscheinlich,  noch  einmal  zurück- 
kehrten; jedenfalls  aber  ist  Sardinien  —  und  damit  auch 
Corsica  —  bald  darauf,  vermuthlich  zur  Zeit  der  letzten 
Kämpfe  um  Afrika  mit  den  eingedrungenen  Arabern  um  die 
Wende  des  Jahrhunderts,  vom  Reiche  militärisch  aufgegeben 
worden  und  zwar,  da  Afrika  verloren  blieb  und  man  bald 
im  Orient  alle  Kräfte  zusammennehmen  musste,  für  immer. 
Diese  Thatsache  geht  aus  folgendem,  in  solcher  Be- 
deutung bisher  nicht  gewürdigten  Umstände  hervor.  In 
allen  übrigen,  dem  Ostreich  allmählich  abgestorbenen  hespe- 
rischen  Gliedern,  Venedig,  Neapel,  Gaeta,  Amalfi  entwickelt 
sich  die  selbständige  Lokalgewalt  aus  der  im  7.  und  8.  Jahr- 
hundert durchaus  im  Vordergrunde  stehenden  und  wirkenden 
militärischen  Magistratur:  es  entstehen  Ducate.  Auch  in 
Rom  wird  der  dux  nur  durch  den  Papst  erdrückt;  in  Ve- 
nedig und  Neapel  erscheint  er  eine  Zeitlang  auch  unter  dem 
Titel  magister  militiae.  In  Sardinien  allein  begegnen  uns 
keine  duces,  sondern  judices,  die  wir  seit  dem  9.  Jahrhundert 
als  unabhängige  Fürsten  kennen.  Papst  Leo  IV.  bittet  An- 
fang 851  Sardiniae  judicem  —  man  ersieht  nicht,  ob  den 
oder  einen  Judex  —  um  Entsendung  bewaflPheter  Schaaren 
nach  Rom.  Nikolaus  I.  zählt  ihrer  mehrere  neben  einander; 
er  schilt  864  judices  Sardiniae  cum  populo  gubernationibus 
suis  subjecto  wegen  unerlaubter  Ehen,  wie  sie  deren  bereits 
temporibus  Gregorii  papae  IV.  facere  consueverant.  Das 
Amt  ist  also  indirekt  schon  für  die  Zeit  von  827 — 844  be- 
zeugt ;  wie  es  scheint,  gleich  da  in  einer  Mehrzahl.  An  der 
oströmischen  Herkunft  des  Titels  lässt  sich  nicht  zweifeln  ;^^) 


80)  Bezeichnend  ist,  dass  noch  gegen  Ende  des  11.  Jahrhunderts 
Constantin,  Judex  von  Cagliari,  ein  Siegel  führt  mit  der  barbarisirten 
griechischen  Inschrift:  roaxavuvs  Agxovxog  (Cod.  dipl.  Sard.  t.  I, 
saec.  XT,  nr.  20).  In  den  Novellen  Juatinians  ist  aQxov  der  corre- 
spondirende  Ausdruck  für  judex,  6  xfji  ijiagxias  ägxcov  =  judex  pro- 
vinciae. 


^ 


Dove :  Corsica  u.  Sardinien  in  d,  Schenkungen  an  d.  Päpste,      209 

judex  provinciae  heisst  seit  den  späteren  Tagen  Justinians 
der  höchste  Civilbeamte,  mag  er  nun  praeses,  corrector  oder 
consularis  sein;  die  Inhaber  der  lokalen  Jurisdiction  und 
Verwaltung  unter  ihm  heissen  gleichfalls  judices.  Hat  sich 
nun  das  sardische  Fürstenthum  —  sei  es  ursprünglich  ein- 
heitlich, oder  gleich  decentralisirt  —  direkt  aus  dem  ost- 
römischen Civilamt  entwickelt  und  nicht,  wie  überall  sonst 
zu  gleicher  Zeit,  aus  dem  militärischen  Conimando  der  duces, 
so  folgt  daraus  unwiderleglich  eine  Uebergangszeit,  in  der 
die  civile  Reichsgewalt  noch  bestand,  die  militärische  dagegen 
verschwunden  war;  d.h.  Sardinien  —  mit  Corsica  —  ward 
freiwillig  militärisch  geräumt,  wie  einst  im  5.  Jahrhundert 
Britannien.  Die  spätere  Wehrkraft,  die  im  Anfang  des 
9.  Jahrhunderts  die  Sarazenen  von  Sardinien  siegreich  ab- 
schlägt, muss  im  Laufe  des  8.  einheimisch  von  dem  sich 
mehr  und  mehr  emancipirenden  Judicat  entwickelt  worden  sein. 
Es  entspricht  vollkommen  diesem  Gange  der  Dinge, 
wenn  hingegen  im  Anfang  des  8.  Jahrhunderts  die  sich  selbst 
überlassenen  Inseln  schwer  von  arabischen  Plünderern  heim- 
gesucht wurden.  710  ward  Cagliari  schauderhaft  verheert; 
etliche  Jahre  später  liess  Konig  Liutprand  dort  die  bei  jener 
Gelegenheit  entweihten  Gebeine  des  hl.  Augustin  aufkaufen 
und  feierlich  nach  Pavia  in  Sicherheit  bringen.  Dies  ist  die 
Epoche,  in  der  eine  Besitzergreifung  des  von  jeher  so  viel 
schwächeren ,  der  tuscischen  Küste  dicht  vorgelagerten  ,  der 
genuesischen  wenigstens  nahen  Corsicas  sich  leicht  und  ge- 
räuschlos vollziehen  konnte.  Sie  lag  angesichts  der  Gefahr  einer 
sarazenischen  Festsetzung  auf  der  Insel  im  Interesse  beider 
Theile.  Ebenso  natürlich  ist,  dass  das  entfernte,  grosse  Sar- 
dinien auch  von  den  Langobarden  sich  selbst  überlassen  blieb. 
Zwar  weiss  im  10.  Jahrhundert  Benedikt  von  Soracte  von 
einer  Unterwerfung  beider  Inseln  durch  Liutprand  zu  erzählen; 
allein  diese  Tradition  erklärt  sich  in  Bezug  auf  Sardinien 
aus  der  durch  Beda,  wie  später  durch  Paulus  allverbreiteten 


210  Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  2.  Juni  1894. 

Notiz  über  die  translatio  Augustini,  während  auch  in  Bezug 
auf  Corsica  Benedikts  Zeugniss  natürlich  keinen  Werth 
besitzt.^^)  Auf  eine  Occupation  gerade  durch  Liutprand,  dessen 
Geschichte  Paulus  nur  lückenhaft  kennt,  führt  uns  dagegen, 
vom  Obigen  abgesehen,  auch  die  Angabe  Hadrians,  dass  Cor- 
sica per  annorum  spatia  langobardisch  gewesen  sei,  im  Verein 
mit  der  Erwägung,  welchen  Gang  die  Geschicke  des  Reiches 
seit  dem  Tode  dieses  Königs  genommen.  Der  Verlust  aus- 
gedehnter Patrimonien  musste  dann  schon  754  Stephan  IL 
den  Wunsch  nach  dem  Erwerbe  Corsicas  nahelegen ,  und  so 
gelangte  dieser  Name  an  die  bezeichnende  Stelle  im  Text 
der   Promissionen   von  Kiersy  und  Rom. 

Nach  jenem  Schreiben  Hadrians  an  Karl  vom  Mai  778 
stand  dann  offenbar  neben  Tuscien,  Spolet,  der  Sabinaund  Bene- 
vent auch  Corsica  auf  der  Liste  der  Gebiete,  in  welchen  der  römi- 
sche Stuhl  die  Restitution  seines  Grundbesitzes  mit  einiger  Zu- 
versicht erwarten  durfte.  Nun  wissen  wir  aus  den  späteren 
Briefen  Hadrians,  wie  aus  den  unzweifelhaft  echten  Bestand- 
theilen  des  Pactum  Ludovicianum  von  einer  Reihe  von  Schen- 
kungen Karls,  die  bis  gegen  Ende  der  achtziger  Jahre,  wo 
für  uns  die  Quelle  des  Codex  Carolinus  versiegt,  nach  ein- 
ander einzeln  vollzogen  wurden.  Im  Spoletinischen  erlangt 
das  Papstthum  freilich  nichts ;  dagegen  die  kleine  Sabina  — 
die,  städtelos  wie  sie  war,  bald  als  territorium,  bald  als  Patri- 
monium bezeichnet  wird  —  ohne  Abzug.  Bei  politisch  gün- 
stiger Gelegenheit  folgt  die  Zuweisung  von  Patrimonien 
und  einzelnen  Städten  im  nördlichen  Benevent ;  im  südlichen 
Tuscien  endlich  wird  dem  hl.  Petrus  eine  ganze  Anzahl  von 


31)  Im  Vorbeigehen  sei  der  verhältnissmässig  alterthümlichen 
Legende  der  hl.  Julia  gedacht,  deren  Reliquien  Königin  Ansa,  Ge- 
mahlin des  Desiderius,  von  Corsica  in  das  von  ihr  gestiftete  Salvator- 
kloater  zu  Brescia  übertragen  Hess.  Die  Tradition  wird  historisch 
sein,  doch  beweist  sie  langobardischen  Besitz  von  Corsica  so  wenig, 
wie  die  Translation  des  Augustin  solchen  von  Sardinien. 


^ 


Dove :  Corsica  u.  Sardinien  in  d.  Schenkungen  an  d.  Päpste.      211 

civitates  eingeräumt,  deren  zusammenhängendes  Gebiet  an 
der  Küste  mit  Rosellae  und  Populonium  bis  gegenüber  Elba 
hinaufreicht.  Die  nach  dem  Schreiben  Hadrians,  das  um 
blosse  Patrimonien  bat,  überraschende  Schenkung  so  vieler 
Städte  begreift  sich  leicht,  wo  es  sich  um  Gegenden  handelte, 
in  denen  das  platte  Land  von  altem  römischen  Grundbesitz 
vollständig  durchsetzt  war.  Von  Corsica  nun  verlautet  nichts ; 
was  man  bis  788,  wo  noch  über  die  Auslieferung  jenes 
tuscischen  Litorals  verhandelt  ward,  nicht  anders  erwarten 
kann;  allein  auch  in  den  folgenden  zwanzig  Jahren  ist  es 
zu  näherer  Prüfung  der  Ansprüche,  wie  sie  der  faktischen 
lieber  Weisung  voranzugehen  pflegt,  in  dieser  Richtung  sicher 
nicht  gekommen.  Warum  nicht,  das  ergiebt  sich  deutlich 
aus  dem  tiefen  Schweigen ,  welches  die  Quellen  jener  Zeit 
über  das  Schicksal  der  Insel  überhaupt  beobachten.  Man 
empfängt  den  Eindruck,  dass  Karl  d.  Gr.  sich  ein  volles 
Menschenalter  hindurch  um  diese,  ihm  durch  die  Katastrophe 
des  Desiderius  zugefallene  maritime  Provinz  durchaus  nicht 
gekümmert,  vielleicht  nicht  einmal  formlich  Besitz  von  ihr 
ergriflfen  hat.  Die  schwache  Seite  der  fränkischen  Monarchie, 
ihre  continentale  Beschränktheit,  tritt  in  diesem  Verhältniss 
grell  zu  Tage.  Charakteristisch  ist,  dass  noch  in  dem  geo- 
graphisch eingehenden  ßeichstheilungsentwurf  für  die  Söhne 
Karls  vom  6.  Februar  806  die  Insel  geradezu  geflissentlich 
ignorirt  wird.  Für  den  Fall,  dass  der  junge  Pippin,  dem 
Italia,  quae  et  Langobardia  dicitur,  zugedacht  wird,  vor  den 
Brüdern  stirbt,  sollen  diese  das  überalpische  Land  nach  einer 
Längslinie  von  Aosta  über  Pavia,  Reggio  u.  s.  w.  usque  ad 
terminos  s.  Petri  unter  sich  theilen;  was  für  den  Rompilger 
rechts  von  dieser  Linie  liegt,  soll  Ludwig  erben,  d.  h.  das 
westliche  Oberitalien  una  cum  ducatu  Tuscano  usque  ad 
mare  australe  et  usque  ad  Provinciam.  Bis  ans  Meer  und 
nicht  weiter  —  Corsica  bleibt  als  ein  für  das  Reich  gleich- 
gültiger Besitz  unerwähnt.  Allerdings  ward  auch  der  Kirchen- 


212  Sitzung  der  historischen  Classe  wm  2,  Juni  1894. 

Staat  von  der  Theilungsmasse  ausgeschlossen,  da  diese  Divisio 
regnorum  den  Schutz  des  Papstthums  ausdrücklich  den  drei 
Brüdern  gemeinsam  zur  Pflicht  machte.  Doch  dürfte  man 
hieraus  nicht  etwa  schliessen,  dass  auch  Gorsica  intra  ter- 
minos  s.  Petri  gelegen  habe.  Die  Annahme,  dass  vielleicht 
die  ganze  Insel,  eben  als  gleichgültig  für  das  Reich,  irgend- 
wann vor  806  dem  römischen  Stuhl  nominell  geschenkt 
worden  sei,  wird,  auch  abgesehen  von  der  Analogie  der  fest- 
ländischen Donationen ,  durch  die  folgenden  Begebenheiten 
widerlegt. 

Gerade  in  diesem  Augenblick  nämlich  ging  es  mit  der 
Gleichgültigkeit  Gorsicas  für  das  continentale  Gemeinwohl 
zu  Ende.  Was  wir  für  Liutprand  ein  Jahrhundert  zuvor 
vermuthen  mussten,  steht  bei  Karl  historisch  fest :  sarazenische 
Angriffe,  diesmal  von  Spanien  ausgehend,  nöthigten  ihn,  die 
Insel  als  Aussenwerk  der  italischen  Küsten  endlich  in  den 
Bereich  seiner  Waffen  zu  ziehen.  Schon  805,  wenn  nicht 
früher,^*)  hatten  die  neuen  Anfalle  begonnen;  806,  wenige 
Monate  nach  jener  ReichstheiluDg ,  ward  Gorsica  von  den 
Mauren  so  arg  verheert,  dass  der  junge  Pippin  sich  bewogen 
fand,  ein  Geschwader  hinüberzusenden  —  wie  es  scheint, 
von  Genua  aus,  denn  Hadumar,  Graf  dieser  Stadt,  fiel  gegen 
den  Feind,  den  man  nur  noch  im  Abziehen  ereilte.  Die 
nicht  eben  erfolgreiche  Unternehmung  erregte,  ungewöhnlich 
wie  sie  war,  in  Italien  freudiges  Aufsehen ;  die  gleichzeitige 
Laugobardengeschichte  des  Godex  Gothanus  gedenkt  ihrer 
übertreibend  zu  besonderem  Lobe  Pippins.^')  Minder  zufrieden 
war  der  alte  Kaiser;  er  entsandte  807  einen  Mann  seines 
Vertrauens,  den  comes  stabuli   Burkhard,  mit  einer  Flotte 


32)  Mauris,  qui  superioribua  annia  illuc  (in  Corsicam)  praedatum 
venire  consueverant,  sagen  die  Annales  Einhardi  unter  807. 

83)  Igitur  Corsicam  insulam  a  Mauris  oppreseam  suo  jussu  ejus- 
que  exercitus  liberavit;  von  Simson  (Jahrb.  Karl  d.  Qr.  II,  375  A.  10) 
mit  Recht  gegen  Waitz  auf  806  statt  auf  807  bezogen. 


% 


Dove:  Corsica  u.  Sardinien  in  d.  Schenkungen  an  d»  Päpste.      213 

nach  Corsica,  der  dem  wiedererschienenen  Feinde  diesmal  in 
einem  dortigen  Hafen  eine  empfindliche  Niederlage  beibrachte. 
Zugleich  aber  ordnete  Karl  ein  umfassendes  System  des 
Küstenschutzes  von  Spanien  bis  ins  römische  Gebiet  gegen 
die  Sarazenen  an;  in  Italien  erhielten  König  Pippin  und 
Papst  Leo  III.  den  Befehl,  die  nöthigen  Massregeln  im  Ein- 
verständniss  mit  einander  zu  treffen.  In  einem  Schreiben 
von  Ende  März  808  verspricht  denn  auch  Leo  dem  Kaiser, 
mit  Pippin  zusammen  dahin  zu  wirken,  ut  litoraria  nostra 
ac  vestra  ab  infestatione  paganorum  et  inimicorum  nostrorum 
tuta  reddantur  atque  defensa;  Kath  und  Hülfe  vom  Kaiser 
selbst  sei  ihnen  beiden  freilich  dabei  unentbehrlich.  De 
autem  insula  Corsica,  fahrt  Leo  fort,  unde  et  in  scriptis  et 
per  missos  vestros  nobis  emisistis,  in  vestrum  arbitrium  et 
dispositum  committimus.  Atque  in  ore  posuimus  Helmen- 
gaudi comitis,  ut  vestra  donatio  semper  firma  et  stabilis  per- 
maneat  et  ab  insidiis  inimicorum  tuta  persistat  per  inter- 
cessionem  s.  Dei  genitricis  et  bb.  principum  apostolorum 
Petri  ac  Pauli  et  vestrum  fortissimum  brachium.  Et  Domino 
miserante ,  tempore  apto,  quantum  plus  celerius  valuerimus, 
per  fidelem  missum  nostrum  omni  utilitate  s.  Dei  ecclesiae 
vestrae  imperiali  potentiae  liquidius  innotescimus. 

Die  Eröffnung,  welche  der  Papst  über  Corsica  vom 
Kaiser  empfangen  hat,  kann  aus  des  letzteren  Initiative  nicht 
hervorgegangen  sein;  denn  eine  unverhoffte,  wie  auch  immer 
bedingte  Verheissung  müsste  Leo  mit  lebhaftem  Danke  be- 
grüssen,  wovon  der  Brief  an  anderen  Stellen  überfliesst. 
Augenscheinlich  hat  vielmehr  Leo  nach  der  glücklichen 
fränkischen  Expedition  von  807  nach  päpstlicher  Sitte  die 
Gelegenheit  wahrgenommen,  an  die  noch  ausstehende  Ver- 
wirklichung corsicanischer  Wünsche  und  Ansprüche  des  römi- 
schen Stuhls  zu  mahnen.  Karl  antwortet  im  allgemeinen 
tröstlich,  aber  mit  Rücksicht  auf  die  Lage  nicht  ohne  Vor- 
behalt: Zeit  und  Weise  der  Ausführung  muss  er  selber  frei 

1894.  PhiIoB.-phiIoI.  u.  bist.  Gl.  2.  15 


214         Sitzung  der  historischen  Glosse  f>om  2.  Juni  1894. 

bestimmen;  dem  Papst  bleibt  inzwischen  unbenommen,  jene 
Wünsche  und  Ansprüche  genauer  darzulegen.  Einsichtig 
bescheidet  sich  Leo ;  er  spricht  vor  allem  zuversichtlich  seine 
Hoffnung  auf  die  Unerschütterlichkeit  der  Schenkung  aus  — 
ich  entnehme  daraus,  dass  wir  hier  unter  donatio  eine  ältere, 
nicht  die  jetzige  schriftliche  Willenskundgebung  von  Seiten 
Karls  zu  verstehen  haben  ;  denn  die  Besorgniss,  die  sich 
hinter  diesem  Ausspruch  verbirgt,  ist  doch  nur  verzeihlich 
nach  lange  vergeblichem  Harren  — ;  er  vertraut  inzwischen 
in  Bezug  auf  die  Sicherung  des  Schenkungsobjektes  —  hier 
wird  donatio  plötzlich  concret  gefasst  —  auf  den  Beistand 
des  Himmels  und  des  Kaisers  starken  Arm.  Wenn  er  dann 
eifrig  eine  näher  erläuternde  Mittheilung  im  Hinblick  auf 
das  gesammte  Interease  der  Kirche  in  baldige  Aussicht  stellt, 
so  ergiebt  sich  klar,  wovon  die  Rede  ist:  von  einer  Summe 
einzelner  nutzbarer  Gerechtsame,  mit  einem  Wort  von  dem 
römischen  Patrimonium  auf  Corsica.  Kein  Gedanke  an  eine 
vorhergehende  Schenkung  der  ganzen  Insel,  wie  sie  bisweilen 
aus  diesem  Brief  herausgelesen  worden  ist;  in  diesem  Falle 
wäre  nach  des  Kaisers  jetzigem  Bescheid  für  eine  fernere, 
eingehende  Mittheilung  des  Papstes  kein  Raum  geblieben. 
Es  erhellt  des  weiteren,  dass  mit  der  jetzt  aufs  neue  von 
Karl  anerkannten  donatio  Corsicana  nicht  etwa  die  römische 
Promissio  von  774  gemeint  sein  kann ,  die  ja  ohnehin  seit 
778  beiderseits  ad  acta  gelegt  worden  war;  denn  in  ihr  war 
in  der  That  die  eventuelle  Schenkung  der  ganzen  Insel  ins 
Auge  gefasst  worden.  Die  bewusste  donatio,  eine  generelle 
Anweisung  auf  das  Patrimonium  insulae  Corsicae,  wird  man 
vielmehr  im  Rahmen  des  neuen  Abkommens  zwischen  Karl 
und  Hadrian  kurz  vor  Mai  778  zu  suchen  haben,  demzufolge 
sie,  schriftlich  vielleicht  zum  erstenmal,  in  dem  796  zwischen 
Karl  und  Leo  nach  des  letzteren  Antritt  abgeschlossenen 
Pactum  fixirt  worden  sein  wird.^*) 

34)  Die  Existenz  eines  Pactums  von  796  im  technischen  Sinne 


k 


Dove:  Corsica  u,  Sardinien  in  d,  Schenkungen  an  d.  Päpste,      215 

Die  corsicanische  Donation  war  somit  abermals  anerkannt; 
aber  von  irgendwelchem  Schritte  zu  ihrer  Verwirklichung  in 
den  Tagen  Leos  und  Karls  haben  wir  keinerlei  Kunde ;  was 
wir  wissen,  deutet  vielmehr  entschieden  auf  das  Gegentheil. 
Nach  wie  vor  zeigte  sich  der  alte  Kaiser  redlich  bemüht, 
die  mittelländischen  Küsten  gegen  sarazenische  Anfälle  sicher 
zu  stellen ;  der  Erfolg  aber  blieb  in  Bezug  auf  Corsica  über- 
aus kläglich.  Zu  Ostern  809  raubten  spanische  Mauren  dort 
eine  Bischofsstadt  dermassen  aus,  dass  sie  ausser  dem  Bischof 
selbst  nebst  ein  paar  Greisen  und  Kranken  nichts  darin  zurück- 
liessen.  810  landet  nach  den  Annales  Einhardi  eine  grosse 
Flotte  desselben  Ursprungs  an  der  Insel,  findet  keine  Schutz- 
truppe dort  und  unterjocht  sie  fast  ganz;  ja  im  nämlichen 
Jahr  lassen  dieselben  Annalen  noch  eine  zweite  Verwüstung 
stattfinden.  Im  April  812  giebt  Karl,  auf  das  Gerücht  von 
einem  bevorstehenden  Angriff  spanischer  und  afrikanischer 
Sarazenen  auf  Italien  hin,  seinem  Enkel  König  Bernhard 
zur  Leitung  der  Abwehr  einen  alten  Staatsmann,  seinen 
Vetter  Wala,  in  den  Süden  mit.  Auch  Papst  Leo  wird  von 
der  Gefahr  verständigt,  er  trifft  alle  Anstalten  zur  Bewachung 
seines  Litorals  und  kann  dem  Kaiser  am  26.  August  melden, 
dass  sein  Gebiet  verschont  geblieben.  Der  Ueberfall  hat 
statt  dessen  ein  paar  griechische  Inseln  in  den  unteritalischen 
Gewässern  getroffen,  ausserdem  Sardinien  und  Corsica.  813 
endlich  föngt  der  Graf  von  Ampurias  bei  Majorca  acht  Schiffe 


steht  ausser  Zweifel  nach  Karls  erstem  Brief  an  Leo  (Jaffa,  bibl. 
lY,  356),  wo  an  der  Stelle:  Sicut  enim  cum  beatissimo  patre  prae- 
decesBore  yestro  sanctae  patemitatis  pactum  inii,  sie  cum  beatitudine 
vestra  ejusdem  fidei  et  caritatis  inviolabile  foedus  statuere  desidero 
—  natürlich  vestrae  sanctae  patemitatis  zu  lesen  und  zu  verbinden 
ist;  vestra  sanctitas  nennt  der  König  Leo  weiter  oben  mehrfach  und 
variirt  diesen  Titel  ein  andermal  in  vestra  sanctissima  benivolentia. 
Jaff^  lässt  vestro  stehen,  verbindet  es  mit  praedecessore,  muss  dann 
aber  patemitatis  in  compaternitatis  verwandeln  und  macht  aus  dem 
einfachen  Pactum  so  ohne  Noth  einen  heiligen  Gevatterschaftsbund. 

15* 


216  Sitzung  der  historischen  Classe  vom  2.  Juni  1894, 

einer  maurischen  Flotte  ab,  die  mit  Beute  beladen  von  Cor- 
sica  heimkehrt,  und  befreit  über  ein  halbes  Tausend  gefan- 
gener Corsen  —  man  sieht,  dass  es  sich  bei  diesen  Zügen 
um  Sklavenjagd  handelt.  Zur  Rache,  wie  die  Annales  Ein- 
hardi  annehmen,  überfallen  und  verheeren  die  Feinde  Nizza 
und  das  päpstliche  Givitavecchia.  Man  raüsste  es  fast  für 
Ironie  halten,  wenn  Einhard  im  Leben  Karls  die  Wirkung 
der  maritimen  Schutzmassregeln  seines  Helden  preist  und 
diese  Einnahme  von  Givitavecchia,  die  er  auf  Verrath  zurück- 
führt, als  den  einzigen  schweren  Schaden  bezeichnet,  den 
Italien  in  Karls  Tagen  von  den  Mauren  erlitten  —  spiegelte 
sich  nicht  hier  vielmehr  theoretisch  getreu  das  praktische 
Verhalten  der  karolingischen  Monarchie:  Corsica  lag  draussen 
vor  Italien  als  ein  politischer  Wellenbrecher,  an  sich  selber 
kam  es  nicht  in  Betracht.  Dass  unter  solchen  Umstanden 
an  Feststellung  und  Auslieferung  päpstlicher  Domänen  nicht 
zu  denken  war,  liegt  auf  der  Hand. 

Sehr  merkwürdig  sticht  nun  von  der  Reihe  jämmerlicher 
Schicksale  des  karolingischen  Corsicas  die  von  den  nämlichen 
festländischen  Quellen  bezeugte  Thatsache  ab,  dass  die  seit 
hundert  Jahren  auf  ihre  eigene  Kraft  angewiesene  und  eben 
deshalb  kernhaft  entwickelte  Nachbarinsel  Sardinien  sich  in 
dieser  ganzen  Periode  der  sarazenischen  Anfälle  ununter- 
brochen siegreich  erwehrt.  Es  wäre  daher  seltsam,  zu  glauben, 
eine  sardische  Gesandtschaft,  die  815  von  Gagliari  her  Ludwig 
d.  Fr.  Geschenke  überbrachte,  habe  den  Zweck  gehabt,  „Sar- 
dinien der  Hoheit  des  Kaisers  zu  unterwerfen,  um",  wie 
Simson  mit  starkem  Euphemismus  sagt,  „seines  Schutzes 
gegen   die    Sarazenen    theilhaft   zu    werden". ^^)     Nach    der 


35)  Wenn  Simson  (Jahrb.  Ludw.  d.  Fr.  I,  60)  von  den  Sarden 
weiter  bemerkt:  .Denn  sie  waren  diesem  Feinde  auf  die  Dauer  nicht 
gewachsen,  wenn  derselbe  auch  vor  zwei  Jahren  (813)  noch  von  ihnen 
auf  das  Haupt  geschlagen  war**  —  so  traut  er  diesen  Insulanern  eine 
starke  Sehergabe  zu.     Nicht  gewachsen  zeigten  sich  die  Sarden  den 


k 


Bove :  Cornea  u.  Sardinien  in  d,  Schenkungen  an  d.  Päpste,      217 

damaligen  Lage  der  Dinge  könnte  man  dieser  Gesandtschaft 
höchstens  die  Absicht  unterlegen,  den  neuen  Kaiser  des 
Westens  um  eine  wirksamere  Cooperation  bei  der  gemein- 
schaftlichen Vertheidigung  der  tyrrhenischen  Qewässer  zu 
ersuchen,  an  der  bisher  die  Sarden  ihrerseits  allein  mit  Er- 
folg gearbeitet  hatten.  In  der  That  nahm  sich  die  fränkische 
Regierung  in  dieser  Hinsicht,  wenn  auch  nicht  sofort  — 
denn  820    werden    noch    acht  italienische  Handelsschiffe  auf 


Sarazenen  zum  ersten-  und  einzigenmal  genau  zweihundert  Jahr 
später,  als  sie  —  1015/16  —  der  Invasion  des  Emirs  Mogehid  von 
Denia  unterlagen.  Während  des  9.  und  10.  Jahrhunderts  wurden  da- 
gegen die  sarazenischen  Feindseligkeiten  allzeit  tapfer  und  glücklich 
bestanden;  die  Araber  überzeugten  sich,  wie  Amari  aus  den  Quellen 
belegt,  dass  sie  es  in  Sardinien  zu  thun  hatten  mit  uomini  indo- 
mabili,  avvezzi  a  star  sempre  con  le  armi  allato,  da  buscarsi  appo 
di  loro  piü  colpi  che  preda.  Auch  die  von  Simson  angeführte  That- 
Sache,  dass  Ludwig  d.  Fr.  am  1.  August  815  in  Frankfurt  „dem  Abte 
eines  sardinischen  Klosters,  Borgo  S.  Dalmazzo,  die  Besitzungen  des- 
selben bestätigte"*,  beweist  für  die  vermeinte  Unterwerfung  der  Insel 
weniger  als  nichts.  Denn  Borgo  S.  Dalmazzo  liegt  in  Piemont  und 
wird  nur  im  Register  zu  SickeFs  Acta  Karolina  in  der  Notiz:  „Borgo 
S.  Dalmazzo,  Italien,  Sardinien,  Provinz  Cuneo"  mit  dem  Namen 
Sardinien,  der  hier  anachronistisch  das  ehemalige  Königreich  be- 
zeichnet, in  Verbindung  gebracht.  Aus  der  Urkunde  Ludwigs  selbst, 
die  der  Königin  Theodelinde  als  Stifterin,  der  Könige  Berthari,  Gri- 
moald,  Cunipert,  Liutprand  und  Karl  als  Schenker  gedenkt,  wird 
dagegen  niemand  den  Verdacht  schöpfen,  dass  es  sich  um  eine  erb- 
liche Idiosynkrasie  der  Langobardenherrscher  handle,  sich  als  Wohl- 
thäter  eines  ihrem  Reiche  fremden  sardinischen  Klosters  aufzuspielen. 
—  Simson's  Glaiibe  an  die  Sehnsucht  der  Sarden  nach  fränkischer 
Oberhoheit  hängt  übrigens  wohl  damit  zusammen,  dass  er  nach  Döl- 
linger's  Vorgang  eine  ähnliche  Neigung  aus  dem  gleichen  Grunde 
der  Sarazenenfurcbt  auch  bei  den  Sicilianern  voraussetzt  (Jahrb. 
Karl  d.  Gr.  II,  188  f.).  Allein  diese  Ansicht  DöUinger^s  (Kaiserthum 
Karls  d.  Gr.,  Münch.  Jahrb.  1865,  359)  beruht  durchaus  auf  phantasie- 
voller Combination  und  lässt  sich  weder  mit  dem  wirklichen  Zeugniss 
der  Quellen,  noch  mit  der  Natur  der  thatsächlichen  Verhältnisse 
vereinigen. 


218  Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  2.  Juni  1894. 

der  Rückfahrt  von  Sardinien  durch  maurische  Corsaren  weg- 
genommen — ,  so  doch  allmählich  besser  zusammen.  Das 
transalpine  Königthum  des  jungen  Lothar  bezeichnet  für  die 
Behandlung  der  corsischen  Sache  einen  Wendepunkt.  825 
erliess  derselbe  zu  Marengo  ein  Capitulare  mit  eingehenden 
Bestimmungen  zur  Regelung  des  Aufgebots  italienischer  Grafen 
zum  Zuge  nach  Corsica.  Aus  den  Annales  Einhardi  ersehen 
wir  ferner,  dass  einem  unter  diesen  das  Amt  der  tutela  Cor- 
sicae  insulae  speziell  übertragen  war;  828  bekleidete  es 
Bonifaz  IL,  der  schon  823  urkundlich  als  Graf  zu  Lucca, 
nunmehr  aber  in  der  umfassenderen  Position  eines  tuscischen 
Markgrafen  erscheint.  Denn  er  entbietet  828  eine  Anzahl 
benachbarter  Grafen  zu  einer  kleinen,  aber  kühnen  Flotten- 
expedition. Man  umfährt  Corsica  und  —  das  befreundete, 
wie  es  heisst,  also  nicht  unterthänige  *^)  —  Sardinien, 
nimmt  sardische  Lootsen  an  Bord  und  wagt  eine  demonstra- 
tive Landung  in  Afrika,  nahe  bei  Carthago.  Wenn  wir 
dann  bis  846  nichts  von  neuen  Unternehmungen  des  Feindes 
in  der  Gegend  von  Corsica  und  Sardinien  hören,  so  wird 
man  sich  freilich  hüten  müssen,  die  Leistung  der  karolin- 
gischen  Obhut  über  die  erstgenannte  Insel  zu  überschätzen; 
denn  die  Sarazenen  sind  in  dieser  Zeit  mit  lohnenderen  Auf- 
gaben beschäftigt :  sie  nisten  sich  in  Sicilien  und  Unteritalien 
ein.  Indessen  das  maritime  Amt  der  tuscischen  Markgrafen 
bestand  und  arbeitete  fort:  der  weltberühmte  Ueberfall  der 
Tibermündung  durch  eine  afrikanische  Flotte,  infolge  dessen 
Ende  August  846  die  apostolische  Vorstadt  von  Rom  ver- 
wüstet ward,  war  dem  Papste  Sergius  11.  durch  ein  Warn- 
schreiben angekündigt  worden,  in  welchem  Adelvertus,  tutor 


36)  Gerade  als  freier  Zusatz  zu  den  Annales  Einhardi  ist  das 
,Sardorum  sibi  amicorum  insula"  der  nach  840  geschriebenen  Vita 
Hludowici  von  Belang,  denn  es  gilt  so  für  die  Verhältnisse  einer 
längeren  Zeit. 


Dove :  Coraica  u.  Sardinien  in  d,  Schenkungen  an  d.  Päpste.      219 

Corsicanae  insulae  —  es  ist  Adalbert  L,  Markgraf  von  Tuscien, 
Sohn  des  Bonifaz  —  genaue  Mittheilungen  über  Stärke  und 
Ziel  des  feindlichen  Seezuges  machte.'"^)  Von  da  an  wendet 
sich  allerdings  von  neuem  das  Geschick :  849  wird  das  tus- 
cische  Luni  zerstört  und  die  ganze  Riviera  verheert,  eine 
zweite  Raubflotte  erscheint,  von  den  sardinischen  Gewässern 
her,  vor  der  Tibermündung,  wo  sie  diesmal  abgeschlagen 
wird.  Die  Anstrengung  des  karolingischen  Italiens  con- 
centrirt  sich  auf  den  Schutz  des  Continents;  Papst  Leo  IV, 
bittet  Anfang  851,  wie  oben  erwähnt,  selbst  einen  Judex 
Sardiniae  um  Ueberlassung  bewaffneter  Mannschaft  „zum 
täglichen  Dienst^,  während  die  Corsen  freiwillig  „aus  Sara- 
zenenfurcht*' ihre  Heimath  massenhaft  räumen,  um  unter 
den  Schirm  St.  Peters  hinüberzuflüchten  —  der  alte  Unter- 
schied in  der  Wehrhaftigkeit  beider  Inseln.  Der  Papst  siedelt 
—  mit  Bewilligung  der  Kaiser  Lothar  und  Ludwig  —  die 
corsischen  Flüchtlinge  als  Hafenkolonie  in  Porto  an.^*) 

Blicken  wir  von  hier  aus  auf  den  Stand  der  Schenkungs- 
frage seit  dem  Tode  Karls  d.  Gr.  zurück  —  wobei  von  dem 
Pactum  Ludovicianum  von  817  aus  Gründen  der  Kritik  vor 
der  Hand  kein  Gebrauch  zu  machen  ist  — ,  so  ergiebt  sich 
folgende  Ansicht.  Von  einer  wirklichen  Einverleibung  ins 
Reich,  einer  dauernden  fränkisch-italischen  Besetzung  kann 
auch  von  814 — 851  bei  Corsica  nicht  die  Rede  sein.  Die 
Insel,  in  einem  Gesetz  Lothars  von  823  bezeichnend  als  Ver- 
bannungsort genannt,  erscheint  vielmehr  als  nicht  organi- 
sirtes  Vorland  einer  Mark,   militärisch  unter  deren  Hut  ge- 


87)  Vita  Sergii  II.  c.  44.  Tutor  ist  —  bei  der  genauen  Eennt- 
niss,  die  der  päpstliche  Biograph  vom  Inhalt  des  Briefes  zeigt  — 
für  den  offiziellen  Titel  zu  halten;  das  ab  imperatore  Corsicae  prae- 
fectus  der  Y.  Ulud.  zu  828  wird  blosse  Umformung  des  cui  tutela 
Corsicae  erat  commissa  der  Annalen  sein. 

38)  Jaffd- Wattenbach,  Regesta  Pont.  Rom.  nr.  2617:  ob  sere- 
nissimorum  Lotharii  et  Ludovici  suamque  simul  mercedem. 


220  Sitzung  der  historischen  Classe  vom  2,  Juni  1894. 

stellt;  wir  sehen  hier  die  Genesis  der  Markgrafschaft  Tuscien. 
Nach  der  Binnenseite  grenzt  diese  Landschaft  an  keinen 
Feind ;  die  Grafen  von  Lucca,  Bonifaz  und  Adalbert,  wachsen 
eben  als  tutores  Gorsicanae  insulae  zu  marchiones  Tusciae 
auf;  ihr  Amt  bezieht  sich  auf  das  nicht  occupirte,  aber  vom 
Feinde  freizuhaltende  toscanische  Meer,  die  Insel  als  vorlie- 
gendes Bollwerk  eingeschlossen.  Ob  unter  solchen  umständen 
die  808  von  Leo  III.  ersehnte,  jedoch  von  Karl  bis  auf  bessere 
Zeiten  vertagte  Ermittelung  und  Restitution  des  römischen 
Patrimoniums  auf  Corsica  endlich  stattgefunden  —  wir  wissen 
es  nicht,  aber  Ruhe  und  Müsse  hätten  sich  in  den  Jahren 
von  820 — 846  wohl  dazu  gefunden;  auch  die  Massenflucht 
der  Gorsen  in  den  Kirchenstaat  um  851  würde  eher  dafür, 
als  dawider  sprechen.  Und  in  demselben,  einem  positiven 
Glauben  immerhin  leise  zugeneigten  Zweifel  lassen  uns  nun 
die  weiteren  spärlichen  Nachrichten  aus  der  zweiten  Hälfte 
des  9.  Jahrhunderts.  Kaiser  Ludwig  IL  wandte  sein  Augen- 
merk auf  ünteritalien,  wo  der  Sarazenenkampf  am  dringend- 
sten Noth  that ;  für  Corsica  scheint  das  Reich  seitdem  keine 
Kraft  mehr  übrig  gehabt  zu  haben.  Es  ist  zwar  falsch, 
aber  charakteristisch,  wenn  die  Chronik  Regino^s  den  Herzog 
Adalgis  von  Benevent  872  auf  die  Insel  fliehen  lässt,  um 
sich  dort  eine  Zeitlang  vor  des  Kaisers  Rache  zu  verbergen. 
Was  hier  nur  erzählt  ward,  that  in  Wahrheit  hundert  Jahr 
später  mehrmals  Adalbert,  König  Berengars  IL  Sohn,  aus 
Furcht  vor  Otto  d.  Gr.;  aber  schon  Ludwig  IL  wäre  so 
wenig,  wie  Otto,  in  der  Lage  gewesen,  einen  politischen 
Flüchtling  auf  Corsica  zu  ergreifen.  Ist  demnach  für  die 
letzte  karolingische  Periode  eine  Befriedigung  der  päpstlichen 
Ansprüche  auf  corsische  Ländereien  ausgeschlossen,  so  fehlt 
es  doch  auch  jetzt  nicht  an  einer  Spur,  dass  eine  solche 
Befriedigung  bereits  in  der  vorletzten  Periode,  zur  Zeit 
Lothars  L,  stattgefunden  haben  könnte.  Noch  Papst  Stephan  V. 
(885 — 891)  erscheint  in  lebendigem  Zusammenhang  mit  den 


k 


Dove:  Corsica  u.  Sardinien  in  d.  Schenkungen  an  d,  Päpste.      22 1 

Menschen  und  Dingen  auf  Corsica.  Wir  kennen  einen  Brief 
von  ihm,  worin  er  (887/88)  einem  dortigen  Bischof  Sigibert 
einen  in  sarazenischer  Gefangenschaft  verübten  Todtschlag 
verzeiht  —  man  sieht,  dass  auch  damals  die  Angriffe  der 
alten  Feinde  noch  fortdauerten ;  in  einem  früheren  Schreiben 
(von  886)  aber  droht  er  dem  Bischof  Athanasius  von  Neapel, 
ihm  im  Falle  des  Ungehorsams  die  Saaten  zu  verwüsten  und 
die  Zufuhr  aus  anderen  Provinzen  abzuschneiden:  nam  nos 
et  Romam,  Sardiniam,  Corsicam  et  totam  Ghristianitatem 
contra  te  claudemus,  ruft  er  aus,  ut  nullo  modo  recuperare 
valeatis.*^)  Diese  ungeistliche  Prahlerei  richtet  sich  durch 
ihr  Uebermass  selbst,  auf  besonders  einflussreiche  Beziehungen 
zu  beiden  Inseln  darf  man  indessen  daraus  schliessen ;  waren 
solche  für  Sardinien  durch  den  freundnachbarlichen  Verkehr 
des  römischen  Stuhls  mit  den  Judices  gegeben,  so  könnten 
sie  für  Corsica  ganz  wohl  in  direkter  wirthschaftlicher  Ver- 
bindung bestanden  haben,  die  Drohung  mit  einem  Getreide- 
ausfuhrverbot legt  eine  solche  Annahme  nahe  genug. 

Gleich  darauf  brach  denn  freilich  auch  die  römische 
Herrlichkeit  völlig  zusammen,  und  wir  hören  fast  zwei  Jahr- 
hunderte lang  so  wenig  von  päpstlichen  wie  von  kaiserlichen 
Beziehungen  zu  Coi*sica ;  tiefes  Dunkel  bedeckt  die  barbarische 
Freiheit  der  Insel  bis  in  die  Tage  Gregors  VIT.  Vier  Jahre 
nachdem  dieser  die  Judices  Sardiniae  mit  Berufung  auf  die 
Caritas  illa,  quae  antiquis  temporibus  inter  Romanam  ecclesiam 
et  gentem  vestram  fuit,  zu  williger  Unterwerfung  ihres  Landes 
unter  die  schützende  römische  Hoheit  aufgefordert,  im  Sep- 
tember 1077  streckt  er  seine  gewaltige  Hand  auch  den  Bi- 
schöfen, Edlen,  wie  allen  Hohen  und  Niederen  auf  der  Insel 
Corsica  entgegen.  Hier  aber  ist  nicht  von  einem  alten  Bande 
der  Liebe  die  Rede,   sondern   von   Fug  und   Recht.     Scitis, 

89)  Ib.  nr.  3414:  ,Et  non  dicas,  quia,  si  domnus  apostolicus 
veniens  messes  nostras  deleverit,  habemus  alias  proyincias,  unde 
labores  habere  possimus;  nam*  etc.  —  cf.  nr.  3433. 


222  Sitzung  der  historischen  Classe  vom  2,  Juni  1894, 

fratres  et  karissimi  in  Christo  filii,  beginnt  der  Brief,  non 
solum  vobis,  sed  multis  gentibus  manifestum  esse :  insulam, 
quam  inhabitatis,  null!  mortaliam  nuUique  potestati  nisi 
s.  Romanae  ecciesiae  ex  debito  vel  jure  proprietatis  pertinere. 
In  diesem  Stile  geht  es  fort;  die  bisherigen  lokalen  Gewalt- 
haber werden  als  Eindringlinge  betrachtet,  der  Zweck  der 
päpstlichen  Ermahnung  ist:  Wiederherstellung  von  Ehre 
und  Recht  des  apostolischen  Principats  auf  Corsica.  Im 
folgenden  Jahr  erhält  der  Bischof  von  Pisa  das  beständige 
Vikariat  auf  der  Insel  mit  der  Aufgabe,  dieselbe  exclusis 
invasoribus  secundum  antiquum  morem  ad  dominium  Ro- 
manae ecciesiae  zurückzurufen;  zum  Lohn  wird  ihm  ein 
Antheil  an  den  Gerichtsgeldern  und  sonstigen  Einnahmen 
zugesprochen.  Man  beachte  wohl  den  Unterschied.  In 
Sardinien  tritt  Gregor  rein  politisch  auf;  die  Unterwerfung, 
die  er  von  den  Judices  fordert,  wird  als  Rettung  ihres 
Landes  bezeichnet:  Normannen,  Toscaner,  Lombarden, 
Deutsche  —  Mathildes  Gemahl,  Herzog  Gotfried  von  Nieder- 
lothringen ist  gemeint  —  trachten  begierig  nach  päpst- 
licher Belehnung  mit  der  Insel,  aber  Gregor  will  die  ein- 
heimischen Fürsten  vor  solcher  Gefahr  schützen  um  den 
Preis  unmittelbaren  Gehorsams  gegen  Rom.  Er  überredet 
durch  Schreckmittel,  aber  er  erhebt  keinen  Anspruch;  nur 
als  ihm  die  Judices  zu  lange  zögern,  entfährt  seiner  Un- 
geduld einmal  das  Wort,  er  werde  jus  et  honorem  s.  Petri 
nicht  länger  ungesucht  lassen.  Den  Corsen  gegenüber  be- 
steht der  Papst  dagegen  auf  einem,  durch  fremde  Usurpation 
gestörten,  aber  nichtsdestoweniger  notorischen  Herrscherrecht 
des  römischen  Stuhls.  Er  spricht  dabei  nicht  etwa,  wie 
einst  Hadrian,  von  geraubten  Patrimonien,  die,  wenn  Rom 
sie  im  9.  Jahrhundert  wiedererlangt  hatte,  im  10.  abermals 
verloren  sein  mussten ;  unter  den  reditus ,  die  er  mit  Pisa 
theilen  will,  sind  öflfentliche  Abgaben  zu  verstehen.  Er  klagt 
vielmehr  über  langwierige  Versagung  des  Dienstes,  der  Treue, 


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Dove:  Gorsica  u.  Sardinien  in  d.  Schenkungen  an  d.  Päpste.      223 

der  Unterthänigkeit ,  des  Gehorsams.  Auch  diesmal  ist  er 
mit  der  Erinnerung  an  festländische  Grafen  und  Edle  bei 
der  Hand ;' aber  diese  Toscaner  begehren  nichts  für  sich,  sie 
stehen  einzig  bereit,  dem  hl.  Petrus  die  Insel  von  den  Usur- 
patoren säubern  zu  helfen,  mit  einem  Wort:  es  gilt  eine 
legitime  Restauration.*^) 

Es  entsteht  die  Frage,  worauf  Gregor  seinen  Anspruch 
auf  ein  dominium  Gorsicae  gestützt,  ürban  II.  erklärt,  als 
er  1091  das  pisanische  Yikariat  bestätigt,  Corsica  sei,  wie 
alle  Inseln,  juris  publici  und  so  eo  ipso  durch  Constantin  an 
das  Papstthum  geschenkt.*^)  Auch  Gregor  spricht  gelegent- 
lich —  in  der  Eidesformel  für  den  deutschen  Qegenkönig  — 
de  terris  vel  censu,  quae  Constantinus  imperator  vel  Carolus 
s.  Petro  dederunt;*^)  allein  die  Folgerung  Urbans  kann  er 
nicht  gezogen  haben,  denn  sie  hätte  Sardinien  genau,  wie 
die  Nachbarinsel,  getroffen.  Auf  die  richtige  Spur  leitet  uns 
hingegen  der  Name  Karl.  Schon  die  Erzählung  der  Vita 
Hadriani  bot  die  Grundlage  für  ein  vermeintes  Recht  des 
römischen  Stuhls  auf  die  insula  Corsica  schlechthin,  während 
sie  für  die  Forderung  der  sardinischen  Hoheit  keine  Hand- 
habe lieferte.  Wieviel  mehr  musste  Gregor  erst  in  dieser 
Unterscheidung  bestärkt  werden,  wenn  die  ihm  vorliegenden 
kaiserlichen  Pacta  der  späteren  Zeit  das  gleiche  Verhältniss 
aufwiesen!  Es  eröffnet  sich  dadurch  seinesorts  ein  neuer 
Zugang  zur  Kritik  des  Textes  dieser  Pacta  selbst,  die  den 
letzten  Theil   unserer  Aufgabe  bildet. 

40)  Für  Corsica  kommen  in  Betracht  die  Briefe  Gregors:  Jaffe- 
Wattenbach  nr.  6046,  6048,  6093;  für  Sardinien:  nr.  4800,  4817,  4852, 
6184.  —  Wer  mit  den  von  Gregor  angefochtenen  invaaores  auf  Cor- 
sica gemeint  ist,  wissen  wir  nicht;  doch  sind  Besitzergreifungen  von 
Seiten  norditalienischer  Adliger  in  der  ersten  Hälfte  des  10.  Jahr- 
hunderts in  Anbetracht  der  corsicanischen  Beziehungen  Adalberts 
sehr  wahrscheinlich. 

41)  Ib.  nr.  6449. 

42)  Jaffa,  bibl.  II,  476. 


224  Sitzung  der  historischen  Clctsse  vom  2,  Juni  1894. 

Versetzen  wir  uns  zu  diesem  Ende  in  die  Situation  nach 
dem  Tode  Leos  III.  zurück.  Dessen  Nachfolger  Stephan  IV. 
begab  sich  persönlich  an  den  Hof  Ludwigs  d.  Fr.  und  er- 
langte von  ihm  im  Oktober  816  zu  Reims  die  Erneuerung 
des  vor  zwanzig  Jahren  mit  seinem  Vorgänger  vereinbarten 
Pactums  —  ganz  nach  Wunsch,  wie  die  fränkischen  Berichte 
hervorheben.  Die  Urkunde  von  816  ist  verloren;  aber  da 
Stephan  kurz  nach  der  Heimkehr  starb,  so  wird  das  alsbald 
von  Paschalis  L  von  Bom  aus  erwirkte  Pactum  sich  nirgend 
wesentlich  von  dem  vorigen  unterschieden  haben.  Eben  dieses 
Ludovicianum  vom  Frühjahr  817  ist  nun  erhalten  geblieben, 
aber  leider  nicht  im  Original;  der  in  mehreren  Abschriften 
vorliegende  Text  geht  vielmehr  nach  Sickel's  Untersuchung 
nicht  weiter  nachweisbar  zurück,  als  auf  eine  zwischen  1083 
und  1086  im  päpstlichen  Interesse  angelegte  Privilegien- 
sammlung, welche  wahrscheinlich  von  Cardinal  Deusdedit 
herrührte.  Als  echt  gesichert  ist  von  diesem  Text,  was  sich 
mit  dem  des  authentisch  überlieferten  Ottonianum  von  962 
deckt;  alles  Uebrige  muss  sich  innerlich  über  seine  Glaub- 
würdigkeit ausweisen,  und  zu  diesen  nicht  ohne  weiteres  legi- 
timirten  Bestandtheilen  des  Ludovicianum  gehört  der  Passus, 
welcher  den  Namen  Corsica  enthält.  Es  wird  nützlich  sein, 
uns  zu  fragen,  was  wir  in  diesem  Punkte  von  einer  Pacti- 
rung  des  Jahres  816/17  ungefähr  zu  erwarten  haben.  Eine 
Erwähnung  der  auf  die  Insel  bezüglichen  Donation  galt  uns 
schon  für  das  Pactum  Leos  III.  von  796  als  wahrscheinlich; 
aber  einerlei,  ob  sie  damals  stattgefunden  oder  nicht:  808 
hatte  Leo  aufs  neue  von  Karl  eine  grundsätzliche  Anerken- 
nuug  der  corsicanischen  Schenkung  erhalten ,  spätestens  also 
sein  Nachfolger  musste  deren  Einreihung  ins  Pactum  fordern 
und  erreichen.  Es  macht  dabei  gar  nichts  aus,  dass  die 
Ausführung  der  Donation  von  Karl  808  aus  Gründen,  welche 
wiederum  Leo  anerkannte,  vertagt  und  unter  den  trostlosen 
Verhältnissen   Corsicas  bis  816   gewiss  nicht   in  Angriff  ge- 


Dove :  Corsica  u.  Sardinien  in  d,  Schenkungen  an  df.  Päpste,      225 

nommen  war.  Das  Ludovicianum  bestätifj^t  an  echter  Stelle 
dem  Papsttbum  aucb  eine  Anzabl  bisher  ebensowenig  über- 
lieferter Patrimonien  in  ünteritalien  bis  nach  Calabrien  hinein. 
Nach  dem  Muster  dieser  letzteren  würde  die  Notiz  über  die 
corsicanische  Schenkung  einfach  gelautet  haben  :  et  insulae 
Corsicae  Patrimonium  ad  potestatem  et  ditionem  vestram  per- 
tinens.  Es  ist  jedoch  auch  sehr  möglich,  dass  die  von  Karl 
808  dilatorisch  gestellte  Bedingung  dabei  zum  Ausdruck 
kam,  wiederum  in  nächstliegender  Fassung  vielleicht  in 
den  Worten :  et  insulae  Corsicae  Patrimonium  etc. ,  sicut 
tempore  apto  a  missis  nostris  definietur.*')  Es  versteht  sich 
von  selbst,  dass  diese  Vorschläge  nur  beispielsweise  das  Mög- 
liche veranschaulichen  wollen;  was  aber  keinem  Zweifel 
unterliegt,  das  ist  der  Ort,  an  dem  wir  die  so  oder  so  ge- 
staltete Notiz  über  die  donatio  Corsicana  in  den  Pacten  über- 
haupt zu  suchen  haben.  Nach  dem  von  diesen  befolgten, 
theils  chronologischen,  theils  geographischen  Prinzip  der  Auf- 
zählung gehört,  wie  die  unteritalischen  Patrimonien  dem  die 
campanischen  Städte  bis  Gapua  umfassenden  Paragraphen 
angehängt  sind,  das  corsicanische  Patrimonium  offenbar  ans 
Ende  des  Paragraphen,  welcher  die  päpstlichen  civitates  im 
langobardischen  Tuscien  in  sich  begreift,  um  so  passender, 
als  deren  Reihe  an  der  Küste  mit  den  von  Karl  an  Hadrian 
zuletzt  überlassenen  Plätzen  Populonium  nnd  Rosellae  schliesst. 
An  dieser  Stelle  nun  stossen  wir  im  Ludovicianum  von  817, 
so  wie  es  die  Redaktion  von  1083/86  uns  darbietet,  auf  die 
erstaunliche  Angabe:  Populonium,  Rosellas  et  insulas  Cor- 
sicam,  Sardiniam  et  Siciliam  sub  integritate;  cum  omnibus 
adjacentibus  ac  territoriis,  maritimis,  litoribus,  portubus  ad 
suprascriptas  civitates  et  insulas  pertinentibus. 


43)  Sicut  a  missis  illius  definitum  est  heisst  es  an  einer  echten 
Stelle  des  Ludovicianum  für  die  seinerzeit  durch  karolingiscbe  Beamte 
vollzogene  Abgrenzung  des  territorium  Sabinense;  tempore  apto  be- 
gegnet z.  B.  in  dem  angeführten  Briefe  Leos  III.  von  808. 


226  Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  2.  Juni  1894. 

Dass  wir  es  hier  mit  einer  groben  Fälschung  zu  thun 
haben,  liegt  auf  der  Hand.  Selbst  formell  erkennt  man  die 
rücksichtslose  Verunechtung  des  originalen  Textes.  An  diesen 
Ort  gehörte  immerhin  auch  das  ganze  Corsica;  Sardinien, 
von  der  Qrösse  einer  eigenen  Provinz,  die  Tuscien  fern  lag 
und  niemals  langobardisch  war,  erforderte  einen  besonderen 
Absatz;  Sicilien,  von  dem  das  gleiche  gilt,  musste  überdies 
erst  hinter  dem  unteritalischen  Paragraphen  erscheinen.  Beide 
konnten  zudem,  da  sie  erst  noch  zu  erobern  gewesen  wären, 
nicht  ohne  irgendwelche  Clausel  der  Eventualität  verschenkt 
oder  bestätigt  werden.  So  spricht  das  Ottonianum  in  seinem 
süditalischen  Abschnitt  an  einer,  wahrscheinlich  zuerst  915 
im  Enthusiasmus  der  Rüstung  wider  die  Sarazenen  in  die 
Urkunde  Berengars  für  Johann  X.  aufgenommenen  Stelle  dem 
Papstthum  zu:  necnon  Patrimonium  Siciliae,  si  Dens  nostris 
illud  tradiderit  manibus.  Zur  materiellen  Kennzeichnung 
der  Fälschung  bedarf  es  vollends  keiner  langen  Rede.  Qleich 
zu  Anfang  seines  Regiments  war  Ludwig  d.  Fr.  darauf  be- 
dacht, den  von  seinem  Vater  so  eifrig  erstrebten,  so  mühsam 
erreichten  Ausgleich  mit  dem  östlichen  Eaiserthum  neu  zu 
bekräftigen  —  und  er  sollte  dem  Papstthum  Aussicht  auf 
Eroberung  Siciliens  gemacht  haben,  Eroberung  Siciliens, 
einzig  um  es  wegzuschenken?  Bisher  hatte  die  fränkisch- 
italische  Marine  nicht  einmal  Corsica  nothdürfbig  zu  schützen 
vermocht,  und  sie  sollte  im  Stande  sein,  das  starke  Sardinien 
zu  bezwingen,  wieder  nur,  um  es  dem  hl.  Petrus  in  den 
Schooss  zu  werfen?  Oder  hätte  es  sich  vielleicht  um  die 
blosse,  nicht  leicht  zu  verweigernde,  aber  auch  ebensowenig 
ernst  gemeinte  Wiederholung  der  phantastischen  Zusage  eines 
älteren  Pactums  gehandelt?  Eines  älteren  —  also  hätte 
Karl  d.  Gr.  sich  zu  einer  solchen  Zusage  bereit  finden  lassen, 
er,  der  die  Promission  von  Kiersy  und  Rom  so  ungeduldig 
von  sich  abzuschütteln  eilte?  Und  bis  in  die  Region  von 
Sardinien   und   Sicilien   hatten   sich    doch  nicht  einmal  754 


Dove:  Corsica  u.  Sardinien  in  d.  Schenkungen  an  d.  Päpste.      227 

und    774   die   begehrlichen   Träume    eines   Stephan  II.    und 
Hadrian  verstiegen! 

Jedes  Wort  wäre  hier  zuviel,  hätte  nicht  neuerdings 
ein  Gelehrter  unternommen,  die  Existenz  des  Dreiinselpassus, 
über  dessen  wahre  Herkunft  man  längst  im  Reinen  war,  im 
verlorenen  echten  Text  des  Ludovicianum  allen  Ernstes  zu 
behaupten.  Es  genügt,  das  Bild  herzusetzen,  das  sich  Lam- 
precht von  dem  betreffenden  Vorgange  gemacht.**)  Papst 
Stephan  IV.  ist  816  am  Hofe  Ludwigs  d.  Fr.,  der  „seiner 
politisch  bedurfte",  in  der  Lage,  »fern  voml  päpstlichen 
Archiv  und  allem  Material  zur  methodischen  Prüfung  seiner 
Ansprüche",  die  Aufnahme  der  Dreiinselschenkung  in  das 
neue  Pactum  „durchzusetzen".  Ohne  Anstand  ging  der  Passus 
in  unser  Ludovicianum  von  817  über.  Aber  824  „schickte 
der  Kaiser  seinen  Sohn  Lothar  nach  Rom  zur  Schlichtung 
von  'Wirren,  welche  dem  Papstthum  moralisch  wie  politisch 
schweren  Abbruch  gethan".  Damals,  bei  der  Erneuerung 
des  Pactums  mit  Eugen  II.  « zeigt  sich  ein  anderer  Geist . . . 
es  wäre  merkwürdig,  hätte  man  nicht  an  dem  Inhalt"  jenes 
Passus  „Aergerniss  nehmen  müssen.  Woher  die  enorme 
Schenkung  dieser  Inseln?"  fragt  Lothar.  „Da  man  sich  in 
Rom  befand,  so  war  es  nur  billig,  wenn  der  Papst  auf- 
gefordert ward,  Beweismaterial  herbeizuschaffen."  Nachdem 
der  Versuch  hierzu  misslungen,  wird  das  Inselpaar  Sardinien 
und  Sicilien  wieder  hinausgeworfen  und  überhaupt  eine  andere 
Version  beliebt,  in  der  allerdings  ganz  Corsica  wiederkehrt 
—  es  entsteht  die  uns  im  Ottonianum  vorliegende  Textes- 
gestalt. Und  816  wäre  es  also  nicht  merkwürdig  gewesen, 
wenn  man  kein  Aergerniss  nahm?  816  hätte  man  die  Frage 
nicht  gestellt:    woher  die  enorme  Schenkung  dieser  Inseln? 


44)  K.  Lamprecht,  Die  römische  Frage  von  König  Pippin  bis 
auf  Kaiser  Ludwig  d.  Fr.  in  ihren  urkundlichen  Kernpunkten  er- 
läutert (1889)  S.  64  f. 


228  Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  2,  Juni  1894. 

In  Reims  wäre  es  unbillig  gewesen,  wenn  der  Papst  auf- 
gefordert ward,  Beweismaterial  herbeizuscliaffen  ?  Oder  dachte 
Ludwig  d.  Fr.,  ein  Scherz  sei  des  anderen  werth,  und  in- 
struirte  seine  Kanzlei:  versprecht  ihm  die  Inseln,  kriegen 
wird  er  sie  ja  doch  nicht?  Lamprecht  räumt  ein,  dass  er 
,von  der  sehr  verlockenden  Aufgabe  abgesehen,  die  Resul- 
tate seiner  Untersuchungen  in  den  Fluss  der  geschichtlichen 
Ereignisse  zu  stellen*;**)  er  wird  sich  leicht  davon  über- 
zeugen, dass  die  eben  geschilderte  Hypothese,  zu  der  ihn 
lediglich  die  irrige  Interpretation  einer  anderen  Stelle  des 
Pactums  verführt,**)  im  Fluss  der  Ereignisse  jeglichen  Halt 
verliert. 


45)  Ebd.  S.  138. 

46)  Lamprecht  stützt  seinen  vermeinten  Beweis  auf  folgende 
Erscheinung.  An  einer  echten,  durch  die  Gongruenz  mit  dem  Otto- 
nianum  gesicherten  Stelle  des  Ludovicianum  wird  aus  den  sämmt- 
liehen,  vorher  einzeln  aufgeführten  Schenkungen  recapitulirend  und 
bestätigend  die  generelle  Summe  gezogen.  Es  heisst  da  in  zwie- 
facher Wendung:  de  suprascriptis  videlicet  provineiis,  urbibus,  civi- 
tatibuB,  oppidis,  castris,  viculis,  insulis,  territoriis  atque  patrimoniis 
nee  non  et  pensionibus  atque  censibus  —  und  gleich  darauf:  omnia, 
quae  superius  leguntur,  id  est  provincias,  civitates,  urbes,  oppida, 
castella,  territoria  et  patrimonia  atque  insulas  censusque  et  peusiones. 
Die  Erwähnung  von  insulae  glaubt  Lamprecht  hier  auf  Corsiea,  Sar- 
dinien und  Sicilien  beziehen  zu  müssen  und  schliesst  daraus,  dass 
diese  auch  im  echten  Texte  des  Ludovicianum  weiter  oben  zu  finden 
gewesen  wären.  Nun  lehrt  ein  unbefangener  Blick,  dass  die  zweite 
der  obigen  Recapitulationen  mit  einer  gewissen  Freiheit,  ja  Nach- 
lässigkeit behandelt  ist,  man  möchte  sagen:  nach  dem  stilistischen 
Grundsatze  variatio  delectat.  Urbes  und  civitates  haben  ihre  Plätze 
gewechselt,  die  Inseln  sind  hinter  die  Territorien  und  Patrimonien 
getreten,  die  castra  haben  sich  in  castella  verwandelt,  die  Binde- 
wörter atque,  nee  non  et,  atque  sind  zu  et,  atque,  que  et  geworden; 
ja  die  viculi  sind  bei  der  Wiederholung  ganz  verloren  gegangen.  Als 
diplomatisch  überlegte  Formel  kommt  also  nur  die  erste  Fassung  in 
Betracht,  die  aber  folgt  mit  aller  wünschbaren  Genauigkeit  der  stoff- 
lichen Anordnung  der  vorhergehenden  Spezialparagraphen.  Von  ganzen 


Dove:  Corsica  u.  Sardinien  in  d.  Schenkungen  an  d.  Päpste.       229 

Erwägt  man,  dass  das  Ottonianum  von  962  zwar  eine 
Schenkung  von  ganz  Corsica  kennt,  worauf  sogleich  zurück- 
zukommen sein  wird,  dass  es  dagegen  über  Sardinien  keine 
Silbe,  über  Sicilien  endlich  allein  jenen  oben  citirten  Satz 
enthält,  der  Kaiser  wolle  das  dortige  Patrimonium  restituiren, 
wenn  er  es  mit  Gottes  Hülfe  in  seine  Hände  bekomme,  so 
wird  man  die  an  dem  Ludovicianum  vorgenommene  Fälschung 
natürlich  erst  für  eine  spätere  Zeit  ansetzen.    Da  ferner  auch 


Landschaften  und  Städtegruppen  mit  ihrem  Zubehör  geht  es  hier  wie 
dort  abwärts  zu  Patrimonien  und  endlich  zu  blossen  Renten.  Wo 
erscheinen  da  nun  die  Inseln?  Die  Recapitulation  stellt  sie  hinter 
Flecken,  Burgen  und  Dörfer  unter  die  Pertinenzen  der  Stadtgebiete 
innerhalb  der  Provinzen;  ebenda  sind  sie  auch  in  den  früheren  Partien 
der  Urkunde  zu  finden.  Gleich  vom  im  römischen  Ducat  begegnet 
uns  unter  den  übrigen  römisch-tuscischen  civitates:  Perusium  cum 
tribus  insulis  suis,  id  est  majorem  et  minorem,  PuWensim  —  mag- 
giore,  minore,  Polvese,  wie  noch  heut  die  drei  kleinen  Eilande  im 
See  von  Perugia  heissen;  ferner  schliesst  der  Paragraph,  welcher  den 
Ezarchat  mit  seinen  Städten  umfasst,  mit  den  Worten :  cum  omnibus 
finibus,  territoriis  atque  insulis  terra  marique  ad  supradictas  civitates 
pertinentibus,  wobei  es  sich  um  Inselbildungen  des  Podeltas  handeln 
muss.  Dass  eben  diese  Gattung  von  Inseln  zwischen  die  viculi  und 
territoria  der  Recapitulation  gehört,  kann  nur  der  verkennen,  der  von 
Haus  aus  nach  Merkwürdigkeiten  sucht.  Corsica,  Sardinien  und  Si- 
cilien sind  keine  Landsplitter  oder  Lagunengebilde;  sie  wären  ent- 
weder zu  den  provinciae  zu  rechnen,  oder  gleich  hinter  diesen  vor 
den  Städten  als  insulae  aufzufahren  gewesen.  Alle  sonstigen  Wahr- 
nehmungen, durch  die  sich  Lamprecht  von  der  richtigen  Deutung 
abbringen  lässt,  dürften  sich  dadurch  erledigen,  dass  ein  unerbittlich 
durchgeführter  Formalismus,  wie  er  ihn  annimmt,  bei  diesen  Pacten 
nun  einmal  nicht  befolgt  worden  ist.  Soweit  sie  aber  Auffallendes 
constatiren,  stellen  sie  sich  gerade  seiner  Hypothese  am  meisten  ent- 
gegen. Denn  die  pfiffigen  Römer,  die  nach  ihm  die  Einschiebung 
des  Dreiinselpassus  ins  Pactum  von  816  widerrechtlich  durchgesetzt 
haben  sollen,  hätten  natürlich  am  ängstlichsten  dafür  sorgen  müssen, 
dass  der  fränkische  Dictator  bei  allen  generellen  Partien  der  Urkunde 
dem  neuen  Passus  gleichmässig  Rechnung  trage,  um  jeden  Wider- 
spruch oder  jede  Zweideutigkeit  säuberlich  zu  vermeiden. 

1894.   PhUo8.-phUol  u.  hist.  C1.  2.  16 


230  Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  2,  Juni  1894. 

das  Heinricianum  von  1020  noch  genau  auf  dem  Standpunkt 
des  Ottonianum  steht,  so  gelangt  man  bereits  nah  an  die 
Schwelle  der  gregorianischen  Periode,  in  die  von  jeher  aus 
inneren  Gründen  jene  Fälschung  verlegt  zu  werden  pflegte. 
1059  leistete  Robert  Guiscard  als  mit  Gottes  und  St.  Peters 
Hülfe  dux  futurus  Siciliae  dem  von  Hildebrand  geleiteten 
Papste  Nikolaus  IL  den  Treueid ;  1073  strebte  Gregor  VII., 
wie  wir  sahen,  nach  der  Unterwerfung  Sardiniens  unter  Rom, 
1077  ebenso  nach  der  Corsicas.  Indem  er  sich  dabei  jedoch 
nur  in  Bezug  auf  das  letztere  auf  ein  altes  Hoheitsrecht  des 
römischen  Stuhls  beruft,  für  Sardinien  hingegen  nur  das 
Mittel  politischer  üeberredung  der  Judices  gebraucht,  wie 
für  Sicilien  ehedem  den  freien  Bund  mit  den  Normannen, 
so  folgt  daraus,  dass  auch  ihm  persönlich  damals  von  einer 
angeblichen  Schenkung  beider  Inseln  an  Rom  durch  Kaiser- 
hand nichts  bekannt  war.*'').  Es  war  somit  umgekehrt  erst 
eine  scheinrechtliche  Consequenz  aus  der  politischen  Hand- 
lung des  Papstes  in  Bezug  auf  Sardinien,  die  ein  dienst- 
beflissener Anhänger  desselben  in  dessen  späteren  Tagen 
durch  die  Fälschung  des  Ludovicianum  gezogen  hat.  Eine 
Verlockung  dazu  bot  sich  gewissermassen  von  selber  dar. 
Wer  in  den  Pacten  Ottos  d.  Gr.  und  Heinrichs  IL,  ebenso 
in  der  Vita  Hadriani,  von  einer  Donation  der  ganzen  insula 
Corsica  las,  musste  an  der,  vielleicht  sogar  noch  bedingten  Zu- 
billigung des  blossen  Patrimoniums  im  Ludovicianum  eine  Art 
von  historisch-kritischem  Anstoss  nehmen.  Einmal  im  Zuge  der 
Nachbesserung  benutzte  er  dann  die  Gelegenheit,  auch  noch 


47)  Das  echte  LndoTicianum  kannte  Gregor  natürlich  sehr  wohl; 
er  nennt  in  dem  berühmten  Brief  an  Hermann  von  Metz  vom  15.  März 
1080  Ludwig  als  kirchlichen  Musterfürsten  neben  Constantin,  Theo- 
dosius,  Honorius  und  Karl.  Ich  bemerke,  dass  auch  in  dem  politisch 
eingehenden  Schreiben  an  Orzocco,  Judex  von  Cagliari,  vom  5.  Ok- 
tober 1080  ein  päpstliches  Recht  auf  Sardinien  von  älterem  Datum 
nicht  berührt  wird. 


Dove :  Corsica  u.  Sardinien  in  d.  Schenkungen  an  d,  Päpste.      231 

Sardinien  und  Sicilien  in  minder  gutem  Glauben,  aber  immer- 
hin mit  Rücksicht  auf  die  Erlebnisse  des  Zeitalters  an  jener, 
für  diese  Namen  weniger  passenden  Stelle  rechtsdichterisch 
unterzubringen.  Jedenfalls  aber  hat  der  Name  insula  Cor- 
sica dem  Fälscher  wenigstens  äusserlich  als  Wegweiser  ge- 
dient. Nicht  also  an  eine  absolute  Interpolation  des  ganzen 
Passus,  sondern  an  eine  Textänderung  ist  zu  denken,  von  der 
dabei  auch  die  den  Paragraphen  schliessende  Pertinenzformel 
betroffen  ward,  welche,  selbst  abgesehen  von  dem  Zusatz  et 
insulas,  durch  ihre  von  der  sonst  üblichen  Aufzählung  stark 
abweichende  Fülle  an  Seestücken,  adjacentia,  maritima,  litora, 
portus  die  Beziehung  auf  eine  Inselwelt  verräth.  Dass  eine, 
so  weitgreifende  Correctur  sich  am  Original  bequem  vornehmen 
Hess,  muss  bezweifelt  werden ;  vielleicht  ward  dasselbe  dabei 
dergestalt  verdorben,  dass  man  es  für  künftig  lieber  ganz  ver- 
schwinden liess.  Interessant  ist  die  Entdeckung  SickePs,  dass 
noch  in  jener  Privilegiensammlung  von  1083/86,  der  Mutter 
unserer  Handschriften,  die  ja  der  Zeit  der  Fälschung  über- 
aus nahe  steht,  der  Text  jener  Pertinenzformel  äusserlich 
nicht  in  Ordnung  war.*®) 


48)  Die  Worte  et  insulas  zwischen  ad  suprascriptas  civitates 
und  pertinentibus  waren  irgendwie  durch  Correctur  nachgetragen. 
Zu  beachten  ist  auch,  dass  der  Privilegiensammler  beim  Patrimonium 
Siciliae  im  Ottonianum  den  Satz  si  Dens  nostris  illad  tradiderit 
manibas  fortliess.  (Sickel  a.  a.  0.  S.  76  ff.)*  —  Zur  Datirung  der 
Fälschung  des  Ludovicianum  hebe  ich  noch  hervor:  1)  Der  Autor  des 
Fantuzzischen  Fragments,  der  von  seinen  echten  Theilen  Eenntniss 
verräth,  nennt  Sardinien  und  Sicilien  nicht;  das  Fragment  ist  jeden- 
falls ziemlich  jung,  nach  Scheffer-Boichorst  a.  a.  0.  S.  205  stammt 
es  sogar  erst  aus  der  zweiten  Hälfte  des  11.  Jahrhunderts.  —  2)  Das 
Pactum  Heinricianum  von  1020  bezieht  sich,  abweichend  vom  Otto- 
nianum, auch  auf  den  Vorgang  Ludwigs,  kannte  somit  mindestens 
ein  Ludovicianum;  es  erwähnt,  wie  gesagt,  Sardinien  und  ganz  Sicilien 
nicht.  Und  Sardinien  zur  Sprache  zu  bringen,  hätte  doch  damals 
dem  Papst  Benedikt  VIIL  besonders  nahe  gelegen,  da  auf  sein  Geheiss 
die  Insel  fünf  Jahre  zuvor  durch  Pisaner  und  Genuesen  von  der  In- 

16* 


232  Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  2,  Juni  1894, 

Wenden  wir  uns  zum  Schluss  dem  Ottonianum  von  962 
zu,  so  Hesse  sich  denken,  dass  in  diesem  noch  der  von  einer 
Pactirung  zur  anderen  fortgepflanzte  Wortlaut  der  corsica- 
nischen  Stelle  aus  dem  echten  Ludovicianum  von  816/17  zu 
lesen  stünde ;  allein  so  einfach  liegt  die  Sache  durchaus  nicht. 
Auch  hier  stehen  wir  vielmehr  vor  einer  sicher  nach  817 
vorgenommenen  Textveränderung.  Der  langobardisch-tus- 
cische  Paragraph  führt  hinter  den  letzten  Städten  Populonium 
und  Rosellae  weder  Corsica  noch  einen  anderen  Namen  mehr 
auf.  Statt  dessen  folgt  sogleich  die  Pertinenzformel  cum 
suburbanis  atque  viculis  omnibus  et  territoriis  ac  maritimis, 
oppidis,  viculis  seu  finibus  omnibus;  eine  Formel,  die  zwar 
nicht,  wie  die  des  verunechteten  Ludovicianum  auf  ausgedehnte 
Seelande  hinweist  —  denn  das  einmalige  maritimis  neben 
territoriis  schickt  sich  auch  für  das  bescheidene  toscanische 
Litoral  — ,  nichtsdestoweniger  aber  manches  Ungewöhnliche 
und  Confuse*^)  zeigt,  so  dass  man  erkennt,  dass  hier  eine 
hastige,  diplomatisch  sorglose  Umbildung  vollzogen  ist.  Der 
Ersatz  für  das  vermisste  Patrimonium  insulae  Corsicae  findet 
sich  sodann  in  einem  neu  angehängten  vollständigen  Para- 
graphen, gleich  seltsam  an  Inhalt  wie  an  Form:  Itemque  a 
Lunis  cum  insula  Corsica,  deinde  in  Suriano,  deinde  in  monte 
Bardonis,  deinde  in  Berceto,  exinde  in  Parma,  deinde  in  Regia, 


vaeion  des  Emirs  Mogebid  von  Denia  befreit  worden  war.  —  3)  Der 
kaiserliche  Fälscher  der  dem  Papste  Leo  Vlll.  zugeschriebenen  Cessio 
donationum,  die  nach  dem  März  1084  verfasst  ward  (vgl.  Weiland 
in  Mon.  Germ.  Leg.  S.  IV,  Const.  I,  p.  664),  lässt  den  Papst  wie 
Corsica,  so  auch  Sardinien  an  Otto  d.  Gr.  zurückgeben;  aber  der 
Zusammenhang  lehrt,  dass  er,  wie  Corsica  aus  der  Yita  Hadriani,  so 
Sardinien  aus  der  Biographie  Silvesters  im  Papstbuch  entnahm.  Er 
hat  weder  ein  echtes,  noch  ein  gefälschtes  Ludovicianum  zur  Hand 
gehabt  und  kann  also  für  eine  Verbreitung  des  letzteren  auch  ausser- 
halb des  gregorianischen  Kreises  um  1084  nicht  als  Zeuge  dienen. 
49)  Ueber  alle  derartigen  Fragen  ist  das  genannte  Werk  von 
Lamprecht  sehr  unterrichtend. 


Dove:  Corsica  u.  Sardinien  in  d,  Schenkungen  an  d,  Päpste.      233 

exinde  in  Mantua  atque  Monte  Silicis  atque  provincia  Ve- 
netiaruni  et  Istria;  necnon  et  cunctum  ducatum  Spolitanum 
seu  Beneventauum ;  una  cum  ecclesia  s.  Cristinae  posita  prope 
Papiam  juxta  Padum  quarto  miliario.  Die  vielfach  entstellte 
Wiedergabe  des  bekannten  Inhalts  der  alten  karolingischen 
Promission  aus  der  Vita  Hadriani  ist  in  die  engste  und  doch 
zugleich  höchst  ungeschickte  Verbindung  gebracht  mit  einer 
Notiz  über  die  Einzelschenkung  einer  bei  Pavia  gelegenen 
ßeichsabtei. 

Wie  das  Inseltrio  für  das  Ludovicianum,  so  hat  für  das 
Ottonianum  die  Einschaltung  aus  der  Vita  Hadriani  von  je 
den  Stein  des  Anstosses  gebildet;  noch  heute  hegt  der  neueste 
Herausgeber  Weiland  aus  diesem  Grunde  Zweifel  an  der  von 
Sickel  nachgewiesenen  Authentie  des  Dokuments  von  962.*®) 
Für  jeden,  der  sich  mit  uns  dem  diplomatischen  Beweise 
beugt,  kann  die  Frage  nur  die  sein,  ob  nicht  vielleicht  in 
vorottonischer  Zeit  der  Paragraph  durch  Fälschung  in  eines 
der  nach  817  abgeschlossenen  Pacten  nachträglich  einge- 
schwärzt und  sodann  in  gutem  Glauben  weitergeschleppt 
worden  sei.  Zu  Ehren  der  kaiserlichen  Unterhändler  und 
Kanzleien  gewinnt  man  bei  solcher  Annahme  herzlich  wenig, 
im  Gegentheil:  zumal  bei  der  ersten  echten  Confirmation 
wäre  so  mit  unverzeihlicher  Oberflächlichkeit  verfahren  worden. 
Und  auf  der  anderen  Seite  wäre  doch  auch  für  eine  offizielle 
Fälschung  die  Arbeit  gar  zu  schlecht ;  so  liederlich  lässt  sich 
im  Bureau  nur  mit  vollkommen  ruhigem  Gewissen  com- 
poniren  und  schreiben.  Mir  scheint  es  demnach  weit  leichter 
denkbar,  dass  es  der  Curie  zu  irgend  einer  Zeit  gelang,  in 
offener  Darlegung  ihres  Wunsches  die  Einfügung  jenes  Passus 
zu  erreichen.  An  einen  Vorgang  aus  der  ersten  Hälfte  des 
9.  Jahrhunderts  lässt  sich  dabei  freilich  nicht  glauben. 
824  erlitt  unter  unmittelbarer  Einwirkung  Lothars   in  Rom 


60)  Mon.  Germ.  Leg.  S.  IV,  Const.  I,  p.  24. 


234         Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  2.  Juni  1894, 

Eugen  II.  eine  bedeutende  Einschränkung  seiner  Befugnisse, 
wovon  wir  den  Niederschlag  noch  im  zweiten,  staatsrecht- 
lichen Theil  des  Ottonianum  vor  uns  sehen.  Wie  sollte  man 
da  gleichzeitig  in  den  territorialen  Theil  des  Privilegs  ein, 
überdies  so  kläglich  gefasstes  Excerpt  aus  dem  Liber  Ponfci- 
ficalis  zugelassen  haben,  das  nicht  nur  an  sich  unverständlich 
war,  sondern  auch  durch  Ueberweisung  des  Herzogthums 
Spolet  dem  dicht  darauf  folgenden  Verzichtparagraphen 
schnurstracks  zuwiderlief?  Wie  vertrüge  sich  endlich  der 
plötzliche  Verzicht  auf  die  ganze  Insel  Corsica  mit  der  eben 
damals  auf  Jahrzehnte  hinaus  organisirten  karolingisch-tus- 
cischen  Tutel  über  dieselbe?  Noch  an  dem  Abschluss  des 
Pactums  mit  Leo  IV.  im  Jahr  850  nahm  neben  seinem  Sohne 
Ludwig  II.  Lothar  I.  ebenfalls  selber  theil  ;*^)  es  herrschten 
also  noch  in  der  Sache  wie  in  der  Form  die  alten  Tradi- 
tionen. Auch  damals  war  das  Papstthum  seit  dem  Sara- 
zenenanfall von  846  in  gedrückter  Lage,  im  eigenen  Gebiefc 
auf  die  Hülfe  des  Kaiserthums  angewiesen.  Und  auch  da- 
mals kann  nicht  ganz  Corsica  von  den  beiden  Kaisern  auf- 
gegeben worden  sein ,  da  es  noch  851  zur  Ansiedlung  der 
flüchtigen  Corsen  in  Porto  für  Leo  IV.  der  Genehmigung 
Lothars  und  Ludwigs  bedurfte. 

Gewiss  mit  Recht  hat  dagegen  Sickel  auf  875  hin- 
gewiesen, wo  Johann  VIII.  unter  ganz  verändertem  Horizont 
sein  Pactum  aus  der  offenen  Hand  Karls  d.  K.  empfl.ng. 
Dieser  Papst  machte  von  der  säcularen  Erinnerung  an  die 
römische  Promission  Karls  d.  Gr.  auch  sonst  Gebrauch.  878 
citirte  er  auf  der  Ravennater  Synode  im  Hinblick  auf  die 
gegenwärtige  Schmälerung  des  Kirchenstaats  die  gesta,  quae 
de  eo   —   sc.  Karolo  M.  —  scripta  sunt,  d.  h.  wohl  eben  die 


61)  Vgl.  Jaffa -Wattenbach,  Reg.  Pontf.  Rom.  nr.  2652.  Von 
den  nicht  bezeugten  Pactirangen  der  Zwischenzeit  sehe  ich  der  Kürze 
halber  ab. 


Dove :  Corsica  u.  Sardinien  in  d,  Schenkungen  an  d.  Päpste,      235 

Vita  Hadriani ;  878  soll  er  in  Troyes  sogar  die  Promissionen 
Pippins  und  Karls  nebst  deren  Eiden  selber  haben  yerlesen 
lassen,  womit  indessen  wohl  ebenfalls  nur  die  Erzählung  des 
Papstbuches  gemeint  sein  wird.**)  Johann  VIII.  war  also 
ganz  der  Mann  dazu,  auch  schon  zu  Weihnachten  875  bei 
dem  so  willig  gestimmten,  den  italienischen  Dingen  fremden 
Bewerber  um  die  Kaiserkrone  um  Aufnahme  jener  Stelle  aus 
den  Gesten  seines  hochverehrten  Grossvaters  in  den  Text  des 
Pactums  anzuhalten.  Es  kommt  hinzu,  dass  die  Confirmation 
der  Einzelschenkung  der  Abtei  S.  Cristina  allem  Anschein  nach 
gleichzeitig  aufgenommen  ward ;  auch  diese  Schenkung  aber 
passt  am  besten,  wenn  nicht  einzig,  in  die  gedachte  Zeit.*^) 
Karl  d.  K.  hielt  aich  im  September  875  auf  dem  Wege 
nach  Rom  in  Pavia  auf;  die  erste  Urkunde,  die  er  dort  in 
seinem  neuen  italischen  Reiche  ausstellte,  sprach  die  Schenkung 
eines  Klosters  und  eines  Krongutes  an  den  Legaten  aus,  der 
ihm  soeben  die  Einladung  des  Papstes  nach  Rom  über- 
brachte.**) Ganz  die  Stimmung  also,  um  auch  den  hl.  Petrus 
selbst  mit  einer  Morgengabe  in  Gestalt  der  ersten  besten 
Reichsabtei  zu  überraschen.     Dass   im  Gegensatz  hierzu  der 


52)  Die  Worte  der  Synodalakten  (Mansi  XVII,  848)  klingen  zwar 
sehr  bestimmt :  deinde  promissio  regum  lecta  est,  et  sacramenta,  quae 
Pippinus  et  Carolas  obtulerunt  b.  Petro,  lecta  sunt;  allein  sie  lassen 
sich  doch  auch  von  den  Referaten  der  V.  Steph.  und  V.  Hadr.  ver- 
stehen. Ficker  denkt  an  eine  Rückforderung  und  Vernichtung  der 
Promissionsurkunden  durch  Karl  d.  Gr.;  der  Bericht  des  Papstbuches 
über  die  Katastrophe  der  Peterskirche  von  846  lässt  vermuthen,  dass 
sie  spätestens  dabei  zugrunde  gingen.  Jedenfiftlls  stammen  alle  Gi- 
tate,  die  wir  kennen,   direkt  oder  indirekt  einzig  aus  der  V.  Hadr. 

58)  Den  Connex  zwischen  beiden  Theilen  des  Paragraphen  hat 
Lamprecbt  richtig  betont;  gegen  seine  Datirung  der  Schenkung  von 
S.  Cristina  (824)  vgl.  auch  Simsen,  Zum  Priv.  Otton.  f.  d.  röm.  Kirche, 
N.  Arch.  XV,  676  ff.,  woselbst  die  Schicksale  der  Abtei  am  voll- 
ständigsten dargelegt  werden. 

64)  Dümmler,  Jahrb.  ostfr.  Reh.  P,  826. 


236  Sitzung  der  historiseJien  Glosse  vom  2,  Juni  1894. 

deutsche  König  Earlmann,  der  875  dem  Oheim  vergebens 
den  Rang  in  Italien  abzulaufen  gesucht,  das  Kloster  S.  Cri- 
stina  im  April  879  ausdrücklich  in  seinen  Schutz  nahm,  ihm 
Immunität  und  Besitz  bestätigte  und  es  neu  beschenkte,^^) 
reimt  sich  nicht  nur  vollkommen  mit  jener  Annahme,  sondern 
hilft  auch  die  Thatsache  erklären,  dass  von  päpstlicher  Ver- 
fügung über  dasselbe  später  trotz  der  in  den  Pacten  fort- 
geführten Notiz  keine  Spur  vorhanden  ist.**) 

Was  nun  Johann  VIII.  mit  der  Aufnahme  des  Passus 
aus  der  Vita  Hadriani  ins  Pactum  eigentlich,  oder  doch  zu- 
nächst bezweckt  habe,  ist  schwer  zu  sagen.  Wahrscheinlich 
wohl  überhaupt  eine  historische  Aufbesserung  der  rechtlichen 
Basis  päpstlicher  Territorialansprüche,  mit  deren  Restauration 
er,  wie  berührt,  auch  sonst  beschäftigt  war.  Dass  Corsica  dabei 
materiell  eine  besondere  Rolle  gespielt,  möchte  ich  nicht 
gerade  behaupten.  Allerdings  haben  wir  gesehen,  dass  die 
karolingischen  Beziehungen  zu  der  Insel  damals  thatsächlich 
gelöst,  die  päpstlichen  dagegen  noch  lebendig  waren,  sodass 
ein  derartiges  Motiv  für  die  an  allen  anderen  Punkten  nicht 
recht  greifbare  Schenkung  —  oder  besser:  vermeinte  Neu- 
bestätigung —  immerhin  möglich  ist.  Jedenfalls  gab  der 
Naine  der  Insel  formell  schon  damals,  wie  hernach  bei  der 
Fälschung  im  Ludovicianum,  den  Leitfaden  ab,  um  den  Ort 
für  die  Einfügung  des  neuen  Passus  auszumitteln.     War  die 


65)  Mühlbacher,  Reg.  Earol.  nr.  1498. 

66)  Doch  ertheilt  gerade  Johann  VIII.  selbst  noch  im  Oktober  879 
dem  Abte  Gisulf  persönlich  einen  kirchlichen  Auftrag;  Jaffi^Wattb. 
nr.  3801.  —  Die  Aussteller  der  späteren  Pacten  von  891  und  915, 
Wido  und  Berengar  können  die  Schenkung  von  S.  Cristina  an  Rom 
nicht  vollzogen  haben,  da  sie  über  die  Abtei  direkt  anders  verfügten; 
was  von  Wido  gilt,  trifft  natürlich  auch  Lambert,  der  das  Pactum 
von  898  schloss.  Die  gedankenlose  Bestätigung  der  Schenkung  in 
den  Pacten  durch  diese  und  die  folgenden  Kaiser  hat  dagegen  nichts 
Auffallendes. 


Ihoe :  Corsica  u.  Sardinien  in  d,  Schenkungen  an  d,  Päpste,      237 

Restitution  des  dortigen  Patrimoniums  vor  846  wirklich  er- 
folgt, 80  hätte  schon  im  Pactum  von  850  ein  etwaiger  Zu- 
satz, wie  sicut  tempore  apto  a  missis  nostris  definietur,  fort- 
fallen und  in  der  Vorlage  Ton  875  nichts  weiter  zu  finden 
sein  müssen,  als  ungefähr  die  Worte:  et  insulae  Corsicae 
Patrimonium  ad  potestatem  et  ditionem  vestram  pertinens. 
Ueberredete  Johann  den  zweiten  Karl  d.  Gr. ,  dass  statt  dessen 
passend  die  dunkel  vielsagende  Wendung  itemque  a  Lunis 
cum  insula  Corsica  u.  s.  f.  aus  den  römischen  Gesten  her- 
überzunehmen sei,  so  musste  man  aus  diesem  ungeschlachten 
Satzgefüge  freilich  einen  eigenen  Paragraphen  construiren. 
Indem  dabei  das  präcise  per  designatum  confinium  durch  ein 
leichtfertiges  itemque  ersetzt  ward,  erschien  die  uralte  Ideal- 
grenze von  754  beinahe  wie  eine  blosse  Schnur  von  Einzel- 
schenkungen in  Oberitalien;  da  fand  denn  auch  die  Abtei 
S.  Cristina  am  Po  in  demselben  Abschnitt  mit  dem  Kloster 
Berceto  auf  dem  Appennin  ein  angemessenes  Unterkommen. 
Zugleich  ward  natürlich  das  Patrimonium  insulae  Corsicae 
im  tuscischen  Paragraphen  gestrichen,  und  die  Pertinenz- 
formel  rückte  einen  Schritt  hinauf,  nicht  ohne  dabei  redaktio- 
nellen Schaden  zu  erleiden;  wie  denn  überhaupt  mit  dem 
Akt  dieser  Aenderung  die  kanzlistische  Barbarei  in  den  an- 
wachsenden Theil  der  Pacteu  eindringt,  um  darin  bis  zur 
ottonischen  Reform  von  962  zeitgemäss  zu  walten. 

Wie  dem  auch  sei,  ein  reeller  Vortheil  in  Bezug  auf 
Corsica  ward  durch  die  Einschaltung  der  alten  Zeilen  pippi- 
nischen  Angedenkens  ins  Pactum  der  Kaiser  und  Päpste  für 
die  letzteren  nicht  erreicht.  Gregor  VII.  zog  allerdings  aus 
dieser  Thatsache  seine  Folgerung,  aber  er  hätte  wohl  Cor- 
sica, wie  Sardinien,  auch  ohne  solche  Handhabe  an  sich 
gezogen.  Immerhin  stehen  beide  Inseln  in  der  Schenkungs- 
geschichte einander  lebhaft  contrastirend  gegenüber :  Sar- 
dinien geht  in  dieselbe  erst  aus  dem  gregorianischen  Ideen- 
kreise,   und    auch    da    nur    mittels    Betruges    ein;    Corsica 


238  Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  2,  Juni  1894, 

dagegen  hat  darin  von  Pippin  bis  auf  Karl  d.  K.  wenig- 
stens auf  dem  Pergament  eine  Reihe  wechselnder  Schicksale 
durchlebt.") 


67)  Nach  Abschluss  des  Satzes  erhalte  ich  die  Ende  Juli  Ter- 
öffentlichte  Schrift  von  Gastav  Schnürer :  »die  Entstehung  des  Eärchen- 
staates".  Auch  sie  schliesst  sich,  unter  Ablehnung  der  Ansicht 
Schaube's,  der  Kehr'schen  Hypothese  über  die  Promissionen  Ton 
Eiersy  und  Rom  an  und  sucht  dieselbe  ebenfalls  durch  eigene  Be- 
merkungen zu  stützen.  Für  Corsica  und  Sardinien  ist  aus  dem  Buche 
Schnürer's,  das  die  Schenkungsgeschichte  nur  bis  781  verfolgt,  nichts 
erhebliches  zu  entnehmen. 


k 


239 


Sitzung  yom  7.  Juli  1894. 

Herr  Henry  Simonsfeld  hielt  einen  Vortrag: 
,Die  Wahl  Friedrichs  I.  Rothbart.« 

Wiederholt  ist  in  neuerer  Zeit  die  Wahl  des  grossen 
Staufenkaisers  Gegenstand  kritischer  Untersuchung  gewesen. 
Anfangs  der  70er  Jahre  haben  Wetzold^)  und  Prutz,*) 
später  Giesebrecht,')  Carl  Peters,*)  Hasse*)  und  Andere 
sich  mit  dem  Thema  abgegeben ;  und  eben  während  ich  mit 
den  Vorarbeiten  zu  dieser  Untersuchung  beschäftigt  war,  hat 
Jastrow  jüngst  einen  lehrreichen  Aufsatz  darüber  veroffent- 
licht.*)  Gerade  dieser  überhebt  mich  bei  seiner  Ausführ- 
lichkeit der  Mühe,  die  Ansichten  der  genannten  einzelnen 
Forscher  nochmals  hier  im  Detail  wiederzugeben  und  alle 
die  einschlägigen  Stellen  zu  citieren. 

1)  Die  Wahl  Friedrich  I.  1872. 

2)  Kaiser  Friedrich  I.   Bd.  I.  S.  899  u.  ff. 

8)  Geschichte  der  deutschen  Eaiserzeit.  Bd.  IV.  (2.  Bearb.) 
S.  499  u.  ff. 

4)  Die  Wahl  Kaiser  Friedrichs  J.  (in  den  «Forschungen  zur 
deutschen  Geschichte'*  Bd.  XX  S.  453  u.  ff.) 

6)  Die  Erhebung  König  Friedrich  I.  (in  den  „Historischen  Unter- 
suchungen, Arnold  Schäfer ..  .gewidmet **.    1882.) 

6)  ,Die  Weifenprozesse  und  die  ersten  Regierungsjahre  Friedrich 
Barbarossas*  (in  der  «Deutschen  Zeitschrift  fOr  Geschichtswissenschaft' 
Bd.  X.  S.  71  u.  ff.  und  269  u.  ff.). 


240  Sitzung  der  historischen  Classe  vom  7.  Juli  1894. 

Worum  es  sich  dabei  —  abgesehen  von  der  Frage  nach 
dem  Datum  der  Wahl  —  handelt,  ist  bekanntlich  in  Kurzem 
Folgendes:  Inwieweit  ist  dem  Berichte  Otto's  von  Frei- 
sing über  die  Wahl  Friedrichs  Glauben  zu  schenken?  ins- 
besoudere:  Ist  Friedrich  Rothbart  von  seinem  Oheim,  dem 
sterbenden  König  Konrad  III.,  wirklich  zum  Nachfolger 
statt  dessen  eigenen  kleinen  Sohnes  designiert  worden  ?  Oder 
ist  dies  nur  hinterdrein  von  Friedrich  und  seinen  Anhängern, 
der  staufischen  Partei,  erfunden  worden? 

Während  Peters  trotz  mancher  Bedenken  eigentlich 
doch  an  dem  „Verzicht*  Konrads  festhält,  ist  namentlich 
Hasse  zu  viel  radikaleren  Ansichten  gelangt.  Ihm  ist  der 
letzte  Wille  Konrads  „fingirt",  die  Erhebung  Friedrichs  eine 
tumultuarisch  verlaufende,  geradezu  ein  Staatsstreich  ge- 
wesen. Und  dieser  Meinung  pflichtet  Lindner  in  seinem 
neuesten  Buche ^)  ausdrücklich  insoweit  bei,  dass  er  sagt: 
„Im  Grossen  und  Ganzen  erscheint  die  Wahl  Friedrichs  als 
Parteisache  oder  als  Staatsstreich*',  was  allerdings  nicht  ganz 
klar  ausgedrückt  ist.  Denn  Lindner  wird  wohl  nicht  sagen 
wollen,  dass,  wenn  Friedrichs  Wahl  eine  Parteisache  war, 
sie  zugleich  einen  Staatsstreich  bedeutete.  Lindner's  Vor- 
gänger, Maurenbrecher, ^)  dagegen  fällt  über  Hasse  das 
ürtheil,  dass  er  in  der  Anzweiflung  der  üeberlieferung 
weiter  gehe,  als  es  ihm  erlaubt  erscheine. 

Jastrow,  der  ebenfalls  von  einem  „ Vermäch tniss*  Kon- 
rads über  die  Nachfolge  Friedrichs  nichts  wissen  will,  son- 
dern die  Wahl  vor  Allem  der  politischen  Geschicklichkeit 
und  vermittelnden  Thätigkeit  Friedrich  Rothbarts  zuschreibt, 
hat  sich  mit  Hassels  Aufstellungen  nicht  weiter  abgegeben; 


1)  Die  deutschen   Königs  wählen  und  die  Entstehung  des   Eur- 
farstenthums  (Leipz.  1898)  S.  57. 

2)  Geschichte  der  deutschen  KOnigswahlen  vom  10.  bis  13.  Jahr- 
hundert (Leipz.  1889)  S.  166. 


Simonsfeld:  Die  WcM  Friedrichs  L  Eothbart.  241 

es  verlohnt  aber  schon  im  Hinblick  auf  Lindner's  Zustimmung 
wohL  dieselben  einmal  näher  zu  untersuchen. 

Es  muss  zunächst  kurz  daran  erinnert  werden,  wie  die 
hauptsächlichsten  Quellen  sich  über  die  Wahl  äussern. 
Man  kann  hier  füglich  mit  den  letzten  Bearbeitern  zwei 
Traditionen,  eine  staufische  und  eine  antistaufische, 
unterscheiden. 

Die  erstere  wird  repräsentiert  zunächst  durch  Otto  von 
Freising,  der  in  den  «Gesta  Friderici'*  lib.  I  am  Schluss 
erzählt :  Eonrad  vertraute  vor  seinem  Tode  die  Reichsinsignien 
zugleich  mit  seinem  einzigen  Sohne  seinem  Neffen  an.  Denn 
als  ein  kluger  Mann  verzweifelte  er  daran,  dass  sein  kleiner 
Sohn  (Friedrich  zählte  damals  erst  7  Jahre)  auf  den  Thron 
würde  erhoben  werden.  Daher  habe  er  für  sein  Haus  und 
für  das  Gemeinwesen  besser  zu  sorgen  geglaubt,  wenn  viel- 
mehr (statt  seines  Sohnes)  sein  Neffe  ihm  nachfolge,  der 
sich  bereits  durch  mancherlei  Thaten  einen  Namen  gemacht. 
—  Freilich  —  fährt  Otto  hierauf  im  2.  Kapitel  des  2.  Buches 
fort  —  haben  die  Fürsten  dann  nicht  aus  Rücksicht  auf 
Konrad,  sondern  im  Hinblick  auf  das  allgemeine  Wohl 
Friedrich  Rothbart  seinem  jungen  Vetter  vorgezogen, 
weil  sie  von  ihm,  als  dem  Sprossen  aus  staufischera  und 
weifischem  Blute,  als  einem  Eckstein  zweier  Wände,  die  Bei- 
legung des  verhängnissvollen  Familienzwistes,  der  auch  das 
Reich  zerrüttete,  erhofften.  Die  Wahl  sei  aus  der  eigenen 
freien  Initiative  der  Fürsten  hervorgegangen,  deren  Wahl- 
recht Otto  dabei  nachdrücklich  betont;  sie  sei  eine  ein- 
müthige  gewesen  und  habe  unter  zahlreicher  Betheiligung 
stattgefunden.  Jastrow  hebt  an  diesem  Berichte  Otto's  be- 
sonders hervor,  dass  er  nichts  von  einem  förmlichen  Ver- 
mächtnisse Konrads  über  die  Krone  enthalte  —  worauf  wir 
später  zurückzukommen  haben. 

Des  Weiteren  gehören  dann  zur  staufischen  Tradition 
erstlich    die    „poetische   Umformung  Otto's,    die  unter   dem 


242  Sitzung  der  historischen  Classe  vom  7.  Juli  1894, 

Namen  Guntheri  Ligurinus  geht*,  das  Lobgedicht  auf 
Friedrich  aus  dem  Jahre  1187,  wo  schon  deutlicher,  nach 
Jastrow,  von  einer  „Quasi -Erbeinsetzung  des  Neflfen  die 
Rede*  sei; 

zweitens  die  Kölner  Königschronik  mit  der  Notiz, 
Konrad  habe  auf  dem  Sterbebett  die  Insignien  Friedrich 
übergeben,  ihm  seinen  jungen  Sohn  anvertraut  und  ihm  ge- 
rathen,  wegen  seiner  Nachfolge  mit  den  Fürsten  zu  sprechen;^) 

drittens  die  Chronik  des  Burchard  von  Ursperg, 
der  an  einer  Stelle  erzählt:  Konrad  überliess  seinem  Neffen 
den  Thron,  indem  er  mit  ihm  festsetzte,  dass  sein  kleiner 
Sohn,  wenn  er  zu  Jahren  gekommen  wäre,  das  Herzogthum 
Schwaben  erhalten  solle;  und  an  einer  anderen  Stelle  schreibt: 
Friedrich  erhielt  die  Krone  mehr  durch  die  üebertragung 
seines  Oheims,  als  durch  die  Wahl  der  Fürsten. 

Endlich  ist  hiezu  noch  zu  zählen  ein  Schreiben  Fried- 
richs an  Kaiser  Manuel  von  Byzanz  „über  ein  Bündniss 
gegen  Roger  von  Sicilien*  (vom  März  1153),*)  worin  Fried- 
rich sich  ausdrücklich  als  von  Konrad  zum  Nachfolger  er- 
klärt hinstellt. 

Die  antistaufische  Tradition  datirt  erst  aus  etwas 
späterer  Zeit.  Als  älteste  Quelle  weiss  Jastrow  dafür  nur 
die  Halberstädter  Bisthumschronik  anzuführen,  die  aus 
dem  Ende  des  12.  Jahrhunderts  stammt;  ferner  die  Chronik 
von  St.  Clemens  in  Metz  und  die  Chronik  des  Alberich 
von   Trois  fontaines,   die   beide   in  das  13.  Jahrhundert 


1)  Man  hat  in  der  Stelle:  «Canradas  rez  apud  Babenberg  in- 
firmitate  decubans  et  diem  mortis  sibi  adesse  sentiens,  duci  Friderico, 
filio  fratris  sni,  regalia  tradidit,  filium  snum  Fridericum  adhuc  par- 
vulum  commendana  et,  ut  pro  regno  sibi  adquirendo  prineipibus 
loqueretur,  suasit*  das  ,8ibi*  für  zweideutig  erklärt;  ich  scbliesse 
mich  entschieden  mit  Peters,  Jastrow  u.  A.  der  Beziehung  auf  Fried- 
rich Rothbart  an. 

2)  Jaffd,  Bibl.  Rer.  Germ.  T,  548. 


Simonsfeld:  Die  Wahl  Friedrichs  I,  Rothbart,  243 

gehören  und  bereits  falsche  Notizen  mit  wahren  gemischt 
bringen.  Gemeinsam  ist  diesen  Quellen  die  Darstellung,  dass 
Eonrad  seinem  Sohne  das  Reich  hinterlassen,  ihn  unter  den 
Schutz  seines  nächsten  Verwandten  Friedrich  gestellt,  dieser 
aber  den  Thron  —  treulos  —  an  sich  gerissen  habe.  In 
anderen  und  späteren  Quellen  wie  bei  Gislebert  von  Mons 
oder  im  Chronicon  Laudunense  oder  im  Auctarium 
Vindobonense^)  wird  mehr  die  diplomatische  Geschicklich- 
keit oder  anderseits  Gewaltthätigkeit  Friedrichs  als  das 
Ausschlaggebende  hervorgehoben.  »Wir  lernen,"  bemerkt 
Jastrow,  „die  antistaufische  Tradition  erst  in  einer  Zeit 
kennen,  in  welcher  bereits  eine  Vermischung  der  in  Betracht 
kommenden  Ereignisse  und  Persönlichkeiten  stattgefunden 
hat"  und  sie  hat  „dann  eine  völlig  zügellose  Entwicklung 
durchgemacht". 

Was  nun  aber  Hasse  zu  seiner  oben  angegebenen 
radikalen  Ansicht  veranlasst  hat,  ist,  wie  er  bemerkt,  die 
Erwägung,  dass  man  bei  der  früheren  Betrachtung  ein  Mo- 
ment ganz  ausser  Acht  gelassen  habe:  die  Kürze  der 
Zeit  zwischen  Konrads  Tod  und  Friedrichs  Wahl. 
Konrad  ist  am  15.  Februar  1152  zu  Bamberg  gestorben, 
Friedrich  am  4.  März  darauf  —  also  kaum  3  Wochen  später 
—  zu  Frankfurt  gewählt  worden.*)  Am  dritten  Tage  nach 
dem  Tod  Konrads  ist  die  Nachricht  davon  in  Speier  gewesen 
und  erreichte  dort  die  eben  aus  Italien  zurückkehrende  Ge- 
sandtschaft, welche  Konrad  an  Papst  Eugen  im  Herbst  des 
Jahres  1151  abgeschickt  hatte  und  die  aus  dem  Erzbischof 
von  Köln,  dem  Abt  Wibald  von  Stablo-Corvey  und  dem 
Notar  Heinrich  bestand.     Das  berichtet  Wibald  selbst,   der 


1)  Bei  der  Aufzählung  Jastrow's  vermisse  ich  die  Stelle  in  den 
jOtia  Imperii*  des  Gervasius  v.  Tilbury  (Mon.  Germ.  SS.  XXVIl, 
p.  380)  yConrado  succedit  Fredericus  plus  ad  hoc  operante  strenuitate 
sua  quam  electione  Teutonicornm^ 

2)  Cf.  über  diese  beiden  Daten  den  Excurs  am  Ende. 


244  Süeung  der  historischen  Glosse  vom  7,  Jtäi  1894. 

in  einem  (später  verfassten,  undatirten)  Brief  an  Papst  Eugen 
schreibt:^)  „Als  wir  nach  Speier  kamen,  traf  uns  die  traurige 
Kunde,  dass  3  Tage  zuvor  König  Konrad  verschieden  sei". 
(Pervenientibus  nobis  Spiram  in  reditu  a  vobis,  occurrit  nobis 
fama  .  .  .  quod  tertia  illa  die  de  hac  vita  migrasset.)  Da 
die  Entfernung  zwischen  Bamberg  und  Speier  über  25  Meilen 
in  der  Luftlinie  betrage,  könne  die  Nachricht  nicht  wohl, 
wie  Jaffe  berechne,  am  17.  Februar,  sondern  wie  Janssen 
annehme,*)  erst  am  18.  Februar  in  Speier  gewesen  sein. 
„Wibald  und  der  Erzbischof",  fährt  Hasse  fort,  „fassen  als- 
bald einen  bestimmten  Entschluss:  schleunigste  Rückkehr 
nach  Köln  und  Eintritt  in  die  Wahlagitation  ebendort*. 
Denn  Wibald  berichtet^):  „Wir  fuhren  mit  grösster  Schnel- 
ligkeit nach  Köln,  damit  der  Kölner  Erzbischof  um  so  sicherer 
und  freier  sei  in  der  Sorge  für  das  Beich,  je  geschützter  er 
unter  den  Seinigen  vor  jedem  Ungestüm  einer  stürmischen 
Zusammenkunft  gewesen".  (Enavigavimus  summa  cum  cele- 
ritate  Goloniam,  ut  tanto  esset  Goloniensis  ad  providendum 
rei  publicae  cautior  ac  liberior,  quanto  esset  inter  suos  ab 
omni  turbulentae  conventionis  impetu  securior.) 

Für  einen  oder  richtiger  zwei  der  bedeutendsten  Persön- 
lichkeiten unter  den  damaligen  deutschen  Fürsten,  folgert 
Hasse  hieraus,  ihre  Rolle,  ihre  Parteinahme  sei  also  die  Ent- 
scheidung in  Speier  gefallen:  der  Kölner  Erzbischof, 
wie  Wibald  seien  für  Friedrichs  Thronkandidatur  gewonnen, 
das  Feld  ihrer  Agitation  sei  das  Gebiet  des  Niederrheins. 
Das  setze  denn  doch  bestimmte  Abmachungen  zwischen  ihnen 
und  Herzog  Friedrich  (dem  nachmaligen  König)  voraus,  führe, 
da  zu  einer  späteren  Verständigung  durch  Boten  bis  zum 
Wahltag  nicht  mehr  genUgend  Zeit  bleibe,  zu  dem  Schlüsse, 

1)  Jaffa,  Bibl.  Rer.  Germ.  I  p.  603  epiat.  376. 

2)  in  seiner  Schrift:    ,, Wibald  von  Stablo   und   Corvey  .  .  .  .* 
(Münster  1864)  S.  171. 

3)  ebendort. 


Simonsfeld:  Die  Wähl  Friedrichs  I.  Bothbart.  245 

dass  Friedrich  selbst  in  Speier  gewesen  sei  und  sich 
dort  des  Kölners  und  seiner  Begleitung  Anhang  versichert 
habe  —  wohl  gegen  entsprechende  Verheissungen.  —  Die 
schon  von  Wetzold  erhobene  »ganz  verständige"  Frage, 
warum  der  Kölner  Erzbischof  nicht  nach  Bamberg  gegangen 
sei,  wohin  König  Konrad  einen  Hoftag  ausgeschrieben,  um 
sich  dieser  Versammlung  anzuschliessen,  erhalte  hier  durch 
Wibald  ihre  Antwort:  „Der  Erzbischof  hat  am  Niederrhein 
freiere  Hand  und  ist  vor  Ueberraschungen  gesicherter* .  Von 
welcher  Seite ?  Man  hat  gemeint,  seitens  des  Mainzers,  und 
kann  dafür  anführen,  dass  der  damalige  Mainzer  Erzbischof 
erklärter  staufischer  Gegner  war,  dass  nach  altem  Reichs* 
recht  innerhalb  seiner  Erzdiözese  der  Vorrang  des  Kölners 
vor  jenem  sich  verfechten  Hess,  aber  die  Beziehung  auch  auf 
Friedrich  selber  ist  daneben  möglich  und  statthaft*. 

Bei  noch  so  beschleunigter  Reise,  argumentirt  Hasse 
weiter,  können  die  beiden  geistlichen  Fürsten,  da  die  Strom- 
länge von  Speier  bis  Köln  circa  37  Meilen  betrage,  nicht 
füglich  vor  dem  22.  Februar  in  Köln  eingetroffen  sein;  dann, 
heisse  es  bei  Wibald  weiter,^)  begannen  die  angesehensten 
Fürsten  des  Reiches  durch  Boten  und  Schreiben  eifrig  über 
die  Abhaltung  einer  Versammlung  zur  Bestimmung  über  das 
Reich  zu  verhandeln  (Ceperunt  deinde  summi  principum  sese 
per  nuncios  et  literas  de  habendo  inter  se  colloquio  pro  regni 
ordinatione  sollicitare) :  nach  Hasse  also  etwa  am  23.  Februar, 
jedenfalls  nicht  früher.  Zu  den  ,  summi  principes',  welche 
nach  Wibald  zur  Versammlung  geladen,  gehöre  zunächst  der 
Erzbischof  von  Köln  selber,  neben  ihm  dürfe  man  wohl  auf 
den  Erwählten  von  Trier  schliessen,  der  bei  der  Krönung 
am  9.  März  zu  Aachen  urkundlich  nachweisbar  sei  und  von 
Anfang  an  auf  Friedrichs  Seite  erscheine.  Die  Ladung  aber 
lautete,  um  es  kurz  zu  machen,  nach  Hasse,  nicht  auf  den 


1)  a.  a.  0. 

1894.  PhiloB.-ph11o1.  n.  hist.  Ol.  2.  17 


246  Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  7.  Juli  1894, 

4.  oder  5.  März  nach  Frankfurt,  denn  dazu  sei  die  Frist 
von  11—12  Tagen,  vom  23.  Februar  bis  4.  oder  5.  März, 
ja  viel  zu  kurz  gewesen,  sondern  —  und  das  sei  nicht  in 
in  Speier  verabredet  worden  —  auf  den  nachherigen 
Krönungstag  an  den  Niederrhein.  ,Der  Erzbischof  von 
Köln  ist  für  Friedrich  gewonnen,  er  hat  die  Königswahl 
von  Köln  aus  eingeleitet,  die  Ladungen  an  den  Nieder- 
rhein lautend  versandt,  die  Fürsten  aus  Lothringen  und 
Sachsen  sind  erschienen  und  der  ursprüngliche  Termin,  zu 
dem  entboten  war,  ist  der  Sonntag  Laetare,  der  9.  März 
gewesen,  an  welchem  nachher  die  Krönung  stattfand'.  Denn 
wenn  man  auch  die  kürzesten  Fristen  annehme,  den  denk- 
bar frühesten  Termin  für  die  Absendung  der  Ladeschreiben 
(23.  Februar),  wenn  man  auch  unter  den  Adressaten  zunächst 
nur  dichtbenachbarte  Fürsten,  also  etwa  den  Bischof  von 
Lüttich,  Herzog  Mathias  von  Oberlothringen,  Gotfried  von 
Löwen,  Heinrich  von  Namur,  die  Limburger  Heinrich  und 
Gerhard  verstehe  (die  sämmtlich  vom  9.  bis  12.  März  in 
Aachen  anwesend  waren) ,  wenn  dieselben  auch  der  Ladung 
unverzüglich  Folge  leisteten,  immer  ergebe  sich  das  Resultat, 
dass  die  ,colloquia^  (von  denen  Wibald  anderwärts  spricht, 
zu  denen  auch  er  geladen  war  und  derentwegen  er  nicht 
einmal  nach  dem  nur  12  Meilen  von  Köln  entfernten  Stablo 
reisen  konnte)^)  nicht  eher  als  in  den  letzten  Tagen  des 
Februar  oder  in  den  ersten  des  März  stattgefunden  haben 
können  und  dass  daher  die  hier,  d.  h.  nach  Hasse  am 
Niederrhein,  zu  Konferenzen  vereinigten  Fürsten  nicht  mehr 
rechtzeitig  zur  Wahl  in  Frankfurt  zum  4.  oder  5.  März 
eintreffen  konnten.  Friedrich  habe  durch  persönliche 
Verhandlungen  mit  den  süddeutschen  Fürsten  (wie  dies  z.  B. 
mit  dem  Würzburger  Bischof  urkundlich  bezeugt  ist)  ^)  diese 
gewonnen;  „auf  einer  Versammlung  derselben  wird  Friedrich 


1)  Cf.  unten  S.  253. 


Simomfeld:  Die  WaM  Friedrichs  L  Bothbart.  247 

zum  König  ausgerufen,  er  nimmt  ihre  Huldigung  entgegen, 
entlässt  sie.  Mit  geringer  Begleitung,  in  überstürzender  Eile 
—  die  20  Meilen  Stromlauf  von  Frankfurt  bis  Sinzig,  von 
da,  wo  sich  das  Qebirge  in  die  Ebene  abdacht,  12  Meilen 
(Luftlinie)  Landweg  zusammen  in  drei  Tagen  überwindend  — 
eilt  er  auf  direktestem  Wege  nach  Aachen.  Friedrich  hat 
in  schnellen  Entschlüssen  die  niederrheinische  Partei  über- 
rascht und  überrumpelt,  in  die  zur  Wahl  dorthin  ent- 
botene Versammlung  tritt  er  ein  als  schon  erwählter  König, 
nur  die  Krönung  erübrigt  noch,  auch  sie  ist  durchgesetzt 
am  Tage  nach  der  Ankunft :  die  scheinbare  Wahl  in  Frank- 
furt war  ein  echtes  Pronunciamento!" 

Dies  in  Kürze  Hasse's  Ansicht.  Sie  wirkt  —  man 
kann  es  nicht  läugnen  —  im  ersten  Augenblick  überraschend, 
blendend,  bestechend,  selbst  fast  wie  ein  Staatsstreich  oder 
ein  Pronunciamento!  Erholt  man  sich  aber  von  der  ersten 
Verblüffung  und  sieht  man  etwas  schärfer  zu,  so  wird  man 
bei  nüchterner  Prüfung  finden,  dass  die  glänzenden  Lichter, 
welche  Hasse  aufgesteckt  hat,  nur  täuschende  Irrlichter  sind. 

Also  am  15.  Februar  ist  Konrad  in  Bamberg  gestorben, 
am  17.  oder  18.  ist  die  Nachricht  davon  in  Speier,  dort  trifft 
sie  die  aus  Rom  zurückkehrende  Gesandtschaft  und  dort  trifft 
ebendieselbe  Gesandtschaft,  nach  Hasse,  auch  Herzog  Fried- 
rich, der  nachmalige  König.  Dort  oder  vielmehr  nur  dort 
hat  Friedrich,  nach  Hasse,  wegen  der  Kürze  der  Zeit  den 
Erzbischof  von  Köln  und  Wibald  von  Corvey  für  sich  ge- 
winnen können.  Unwillkürlich  fragt  man  da  doch  :  wie  kommt 
denn  Friedrich  so  kurze  Zeit  schon  nach  dem  Hinscheiden 
seines  Oheims  Konrad  nach  Speier?  Woher  wusste  denn 
Friedrich,  dass  er  gerade  an  diesem  Tage  in  Speier  den 
Erzbischof  und  Wibald  antreffen  werde?  Das  war  doch  in 
damaliger  Zeit  (ohne  die  modernen  Hilfsmittel  möchte  man 
sagen)  geradezu  unmöglich  —  oder  ein  an  das  Wunder- 
bare streifendes  Zusammentreffen.     An  eine  verabredete  Zu- 

17* 


248  Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  7.  Juli  1894, 

sammenkunft  ist  ja  gar  nicht  zu  denken.  Denn  während 
Friedrich  in  Bamberg  weilte,^)  konnte  er  ja  nicht  von  der 
Rückkehr  des  Kölners  und  Wibalds  und  deren  Eintreffen  an 
dem  oder  jenem  Tage  in  Speier  unterrichtet  sein.  Dazu 
kommt,  dass  er,  wie  wir  aus  urkundlicher  Aufzeichnung  wissen 
—  wahrscheinlich  schon  am  19.  Februar  — ,  am  5.  Tag 
nach  Konrads  Tod,  ,in  ripa  Mogi'  eine  Unterredung  mit  den  Bi- 
schöfen von  Wtirzburg  und  Bamberg  hatte.*)  Also  am  Todes- 
tage Konrads  hätte  Friedrich  von  Bamberg  aufbrechen  müssen 
nach  Speier,  um  den  Kölner  und  Wibald  zu  treffen  und  zu 
gewinnen.  Zwei  Tage  darauf  wäre  er  zu  gleichem  Zweck 
mit  dem  Würzburger  und  Bamberger  zusammengekommen: 
das  wäre  selbst  für  eine  Persönlichkeit  wie  Friedrich  Roth- 
bart doch  etwas  zu  viel  gewesen.  Wird  aber  den  Hasse- 
schen Konstruktionen  diese  Grundlage  entzogen,  dann  stürzen 
sie,  dünkt  mich,  alle  zusammen,  wie  ein  Kartenhaus.  Denn 
dann  wird  hinföllig,  was  über  die  ganze  Stellung  oder  Partei- 
nahme des  Kölners  und  Wibalds  gesagt  ist.  Wenn  der 
Kölner,  wie  wir  aus  einer  anderen  Quelle  wissen,  und  Wibald, 
wie  Friedrich  später  selbst  bestätigt  hat,  sich  Verdienste  um 
Friedrichs   Wahl   erworben    haben  ,^)    also   auf   dessen  Seite 

1)  Urkundlich  nachweisbar  ist  er  dort  allerdings  nicht;  er  ist 
nicht  genannt  nnter  den  Zeugen  in  den  letzten  Urkunden  Eonrads  III. 
vom  2.  Februar  1152,  und  Bembardi  meint  daher  (Konrad  III.  Thl.  II, 
924),  vielleicht  sei  er  erst  nach  Bamberg  berufen  worden,  als  sich  die 
Krankheit  seines  Oheims  bedenklich  steigerte.  An  der  Anwesenheit 
Friedrichs  beim  Tode  Konrads  aber  hat  noch  Niemand  gezweifelt. 

2)  Cf.  den  Exkurs  am  Ende  u.  Mon.  Boica  t.  XXX VII  (nicht  XXXVI) 
N.  XCYII  p.  66 :  Acta  sunt  haec  . .  .  quinta  die  post  obitum  domini 
Conradi  ...  in  ripa  Mogi  fluminis  inter  coUoquium,  quod  dux  Fride- 
ricus  cum  Wirzeburgensi  et  Babenbergensi  episcopis  celebravit,  qui 
dehinc  14.  die  divina  ordinatione  ac  cunctorum  principum  electione 
in  regem  elevatus  est  ad  celsa  imperii  fastigia  potenter  conscendit 
patruo  succedens. 

3)  Cf.  Wibald,  Schreiben  vom  Mai  1152  an  den  Erzbischof  von 
Köln  bei  Jaff^  1.  c.  I,  512   ep.  381 :   Princeps  noster  . . .  magna  cum 


Simonsfeld:  Die  Wahl  Friedrichs  I.  BoMart,  249 

standen,  können  sie  nicht  in  Speier  gewonnen  worden  sein ; 
sondern  dies  kann  nur  später  entweder  schriftlich  oder 
mündlich  (in  Frankfurt)  geschehen  sein ;  die  ganze  angebliche 
Agitation  derselben  am  Niederrhein  und  Ladung  dahin 
wird  damit  hinfallig. 

Dass  übrigens  Wibald  nicht,  wie  Hasse  annimmt,  fort- 
während in  Köln  oder  am  Rhein  thätig  war,  dafür  lässt 
sich,  wie  mir  scheint,  auch  eine  Aensserung  von  ihm  selbst 
anführen.  Er  schreibt^)  in  einem  (nach  Hasse)  von  Köln 
aus  oder  wenigstens  vom  Niederrhein  und  nicht  vor  dem 
23.  Februar,  wahrscheinlich  noch  etwas  später,  geschriebenen 
Briefe  an  die  Mönche  von  Hastieres,  dass  ihn  die  Fürsten 
des  Reiches  zu  der  Konferenz,  wo  über  die  Wahl  des 
künftigen  Königs  verhandelt  werden  soll,  brieflich 
aufgefordert  haben  (principes  regni  nostri  nos  ad  coUoquium 
suum,  ubi  de  ordinatione  futuri  regis  agetur,  per  litteras  evo- 
caverunt).  Das  hätte  doch  keinen  rechten  Sinn,  wenn  diese 
Ladung  von  ihm  und  dem  Kölner  selbst  ausgegangen  wäre 
und  auf  Aachen  gelautet  hätte. 

Und  weiter!  Nach  dem  Niederrhein  oder  also  genauer 
nach  Aachen,  dem  alten  Krönungsorte,  sei  die  Ladung 
erfolgt!  Das  hätte  doch  allem  und  jeglichem  Herkommen 
widersprochen!  Und  darüber  sollte  auch  gar  keine  kleinste 
Notiz  in  die  ganze  (auch  nicht  in  die  antistaufische)  Litteratur 
eingedrungen  sein?  Uebereinstimmend  hätten  von  einander 
unabhängige  Quellen  Frankfurt  als  Wahlort  bezeichnet, 
wo  eigentlich,  nach  Hasse,  nur  eine  von  Friedrich  selbst 
berufene  Versammlung  süddeutscher  Fürsten  stattgefunden? 
Und  Friedrich  hätte  diese  berufen?     Wieso?     Quo  jure? 


benivolentia  et  iocunditate  beneficii  yestri  recordatur,  quod  ei  gratis 
et  plus  quam  gratis  in  suis  ad  imperii  culmen  provectibus  exhibuistis; 
8.  auch  unten  S.  263. 

1)  Jaffa,  1.  c.  I,  496  ep.  367. 


250  Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  7,  Jiüi  1894, 

Nach  der  Darstellung  Hasse's  hätten  ferner  die  Vor- 
bereitungen zur  Königs  wähl  erst  begonnen,  als  der  Kölner 
und  Wibald  nach  Köln  zurückgekehrt  waren  (d.  h.  nicht 
vor  dem  23.  Februar).  Volle  acht  Tage  also  seit  dem  Tode 
Konrads  hätte  man  in  der  Umgebung  des  verstorbenen  Herr- 
schers und  der  zur  Nachfolge  berechtigtesten  Kandidaten  ge- 
wartet mit  den  zu  diesem  wichtigsten  Geschäfte  unerlässlichen 
Vorkehrungen !  So  lange  hätten  die  Fürsten  des  Reiches, 
die  zu  einem  Hoftag  nach  Bamberg  entboten  und  zum  Theil 
erschienen  waren,  ruhig  zugewartet  —  nur  wegen  des  Kölner 
Erzbischofs P  nur,  bis  dieser  glücklich  in  seine  Residenz 
zurückgekehrt  war?  Wenn  man  das  ,Deinde'  Wibalds 
pressen  will,^)  wäre  es  eher  noch  auf  die  Zeit  nach  dem 
Eintreflfen  der  Todesnachricht  in  Speier  zu  beziehen.  Und 
—  muss  man  weiter  einwenden  —  bleiben  zwischen  dem 
23.  Februar  und  9.  März  nicht  auch  blos  14  Tage  übrig? 
wäre  dies  bei  einer  Ladung  an  den  Niederrhein  speziell  für 
die  süddeutschen  Fürsten,  die  doch  ebenfalls  rite  zu  laden 
waren,  nicht  auch  ein  zu  kurzer  Terrain  gewesen? 

Mit  welchem  Recht  ferner  verlegt  Hasse  die  ,colloquia', 
die  Konferenzen  der  Fürsten,  ausschliesslich  an  den  Nieder- 
rhein? und  in  die  letzten  Tage  des  Februar  oder  die  ersten 
des  März?  während  wir  von  einer  solchen  in  Mitteldeutsch- 
land z.  B.  schon  von  der  zweiten  Hälfte  des  Februar  wissen  ? 

Endlich  was  die  Auffassung  Hasse's  von  der  ,turbu- 
lenta  conventio^  betrifft,  als  ob  nämlich  der  Kölner  und 
Wibald  eine  solche  von  Seiten  Friedrichs  befürchtet  hätten 
und  deshalb  schleunigst  nach  Köln  gereist  seien,  so  fragt 
man  doch  unwillkürlich,  wie  das  mit  der  Annahme  Hasse's 
zusammenstimmt,  dass  Beide  in  Speier  schon  von  Friedrich 
gewonnen  wurden.  Wenn  dies  der  Fall  war,  wovor  hatten 
sie  sich  denn  zu  fürchten  ?  durfte  jenen  Beiden  es  dann  nicht 


1)  Cf.  oben  S.  246. 


k 


Simonsfeld:  Die  WahL  Friedrichs  I.  Bothbart,  251 

völlig  gleichgültig  sein,  wie  ihr  Verbündeter  sich  etwa  der 
Unterstützung  der  übrigen  Fürsten  versicherte?  oder  musste 
es  ihnen  nicht  vielmehr  ganz  genehm  sein,  wenn  Friedrich 
auf  jegliche  Weise  auch  ihnen  in  die  Hände  arbeitete? 
Warum  also  dann  Furcht  vor  stau  fischen  Gewaltthätig- 
keiten  ?  Da  liegt  es  doch  in  der  That  näher,  bei  jenen  Worten 
Wibalds  entweder  an  Beunruhigungen  oder  Störungen  von 
anderer  Seite  zu  denken,  zumal  wenn  man  weiss,  dass  der  da- 
malige Mainzer  Erzbischof  Heinrich  ein  „erklärter  staufischer 
Gegner"  war  —  oder  man  muss  erst  recht  von  einer  Zusammen- 
kunft und  Verständigung  der  Beiden  mit  Friedrich  in  Speier 
abstrahieren.  Und  wenn  man  die  oben  angeführte  Stelle 
genauer  überlegt  und  insbesondere  die  vorhergehenden  Worte 
dazu  hält,  wird  man  wohl  eher  zu  dem  letzteren  Resultate 
gelangen.  Denn  Wibald  spricht  zuvor  von  dem  Schmerz, 
der  die  Gesandtschaft  bei  der  Trauerkunde  erfasste,  und  von 
der  Furcht  vor  der  bevorstehenden  Aenderung  im  Reiche  ,de 
metu  futurae  in  imperio  mutationis.  Enavigavimus  ita  etc/ 
Das  deutet  doch  auf  alles  Andere  eher,  als  auf  ein  damaliges 
Einvernehmen  mit  dem  nachherigen  König.  Oder  man  muss 
Wibald  für  einen  vollendeten  Heuchler  halten,  wozu  sonst 
gar  kein  Grund  vorliegt. 

Schliesslich  ist  gegen  Hasse  auch  noch  hinsichtlich  der 
Fristen  zu  bemerken,  dass  er  überall  doch  die  kürzesten 
annimmt.  Wenn  Wibald  an  Eugen  schreibt  ,tercia  illa  die^ 
sei  Konrad  gestorben,  so  liegt  der  17.  Februar  sicher  näher 
als  der  18.;  und  dass  die  Nachricht  trotz  der  25  Meilen 
Luftlinie  in  dieser  Zeit  von  Bamberg  nach  Speier  gelangen 
konnte,  wird  Jeder  zugeben.  Rechnen  wir  dann  zur  Fahrt 
von  Speier  nach  Köln  für  circa  37  Meilen  Entfernung  nicht 
volle  4  Tage,  sondern  nach  Analogie  von  Friedrichs  Reise 
von  Frankfurt  bis  Sinzig  (20  Meilen,  wofür  Hasse  selbst 
1^/a — 2  Tage  rechnet),  höchstens  3 — 4  Tage,  so  könnten  der 
Kölner  und  Wibald  allenfalls  schon  am  21.  oder  gar  20.  Fe- 


252  Sitzung  der  historischen  Glasse  vom  7.  Juli  1894, 

bruar  in  Köln  eingetroffen  sein.  Und  dann  —  oder  selbst 
wenn  sie  erst  am  22.  dort  anlangten  —  blieb  noch  Zeit 
genug  für  Beide,  von  Köln  aus  sich  mit  dem  Thronpräten- 
denten Friedrich  zu  verständigen  und  insbesondere  auch  in 
Frankfurt  zum  4.  März  zur  Wahlversammlung  einzutreffen, 
da  diese  Entfernung  —  den  Rhein  entlang  —  nach  der  An- 
gabe des  Ritters  Arnold  von  Harff  circa  35  Meilen  beträgt. 
Wenn  derselbe  dafür  dann  ebenso  viele  Stunden  Reitens  in 
Rechnung  bringt^)  und  man  nur  etwa  8  Stunden  per  Tag  rech- 
net, so  beanspruchte  die  Reise  nur  4 — 5  Tage.  Wählten  die 
Reisenden  vollends  von  Köln  nach  Frankfurt  einen  direkten 
Weg  über  Siegburg,  Wetzlar,  Friedberg,  der  nur  26  Meilen 
beträgt,  so  konnten  sie,  worauf  mich  Herr  Professor  W.  Götz 
freundlichst  aufmerksam  macht,  bequem  in  4  Tagen  in  Frank- 
furt eintreffen. 

Von  dieser  Theilnahme  der  beiden  Prälaten,  namentlich 
Wibalds,  am  Frankfurter  Tag  will  nun  freilich  Hasse  erst 
recht  nichts  wissen.  Im  Gegentheil:  gerade  in  diese  Tage, 
den  4.,  5.  März,  verlegt  er  eine  Reise  Wibalds  nach 
Stablo.  Es  muss  hier  daran  erinnert  werden,  dass  Wibald, 
im  Bereich  des  Klosters  Stablo  geboren,  dort  seine  erste  Er- 
ziehung erhielt  und  zeitlebens  diesem  Kloster,  „seiner  Mutter, 
Erzieherin  und  Amme  (wie  er  es  nannte),*)  die  ihn  mit  der 
Milch  der  Frömmigkeit  genährt  und  grossgezogen  hatte*,  die 
liebevollste  Erinnerung  und  eine  besondere  Anhänglichkeit 
bewahrt  hat.  Ist  er  ja  auch  hier,  nachdem  er  im  Kloster 
Vasor  Profess  abgelegt  hatte,  im  Jahre  1130  (9.  November) 
zuerst  mit  der  Abtwürde  bekleidet  worden.*)  Vorübergehend 


1)  Cf.  die  Pilgerfahrt  des  Ritters    Arnold  von  Harff  (1496  bis 

1499),  hrsg.  von  E.  v.  Groote  (1860),  S.  4    ,in  duytsche  lant 

sijnt  mylen  die  vns  kundlich  sijnt  gemeynlich  eyn  vre  (=  vire  =  stunde) 
rijdens  vur  eyne  myle*. 

2)  Cf.  Janssen  a.  a.  0.  S.  7. 

3)  Cf.  Janssen  S.  218. 


k 


Simonsfeld:  Die  Wahl  Friedrichs  L  BothbaH.  253 

ist  er  dann  bekanntlich  auch  vom  20.  September  bis  2.  No- 
vember 1137  Abt  von  Monte  Cassino  gewesen,^)  am  22.  Ok- 
tober 1146  ist  er  zum  Abt  von  Corvey  gewählt  worden*) 
—  ein  Amt,  das  ihm  viel  Arbeit  und  Kummer  bereitet  hat. 
Dazu  sollte  gerade  in  den  Tagen,  die  uns  beschäftigen,  eine 
neue  Würde  und  Bürde  kommen. 

Zwischen  dem  Kloster  Vasor  (Waussore  bei  Namur  in 
Belgien)  und  dem  von  diesem  gestifteten  Hasti^res  waren, 
gerade  während  Wibald  auf  der  Gesandtschaft  in  Italien 
sich  befand,  neue  Streitigkeiten  ausgebrochen.')  Nach  dem 
Tode  des  Abtes  Theoderich  von  Vasor  wollten  die  Mönche 
von  Hastieres  die  Gelegenheit  benützen  und  wieder  einmal 
versuchen  sich  unabhängig  zu  machen.  Die  Mönche  von 
Vasor  wussten  sich  keine  bessere  Hülfe  in  ihrer  Noth,  als 
Wibald,  dessen  Anhänglichkeit  an  ihr  Kloster  sie  kannten, 
zum  Abt  zu  wählen,  der  freilich  diese  Wahl  nicht  annehmen 
konnte.  Darauf  bezieht  sich  ein  (undatiertes)  Schreiben  Wi- 
balds,*)  in  welchem  unter  Anderem  der  Passus  vorkommt: 
,Ich  thue  Euch  zu  wissen,  dass  ich  augenblicklich,  in  den 
Geschäften  des  Reiches  thätig,  nach  Stablo  nicht  habe 
kommen  können.  Wenn  aber  mit  Gottes  Gnade  der  neue 
König  uns  gesetzt  ist  und  ich  von  den  öffentlichen  Geschäften 
etwas  freier  bin,  werde  ich  bereit  sein.  Euch  in  Euerer  Noth 
beizustehen  u.  s.  w.**  (Scire  autem  volumus  dilectionem 
vestram,  quod  ad  presens  in  negotiis  regni  laborantes, 
usque  Stabulaus  pervenire  non  potuimus.  Sed  ordinato  nobis 
per  omnipotentis  Dei  gratiam  novo  rege,  et  a  publicis  occu- 
pationibus  paulo  liberiores,  necessitati  vestrae  assistere  parati 
erimus.)      Also  noch    nicht    einmal    nach    seinem    geliebten 


1)  Janasen  a.  a.  0.  S.  215. 

2)  Janssen  S.  222. 

3)  Janssen  S.  172. 

4)  Jaffö  p.  494  ep.  866. 


254  Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  7,  Juli  1894, 

Stablo  hat  Wibald  wegen  der  bevorstehenden  Königswahl 
gelangen  können.  In  einem  anderen  (ebenfalls  undatierten, 
jedoch  in  der  Sammlung  der  Briefe  früher  eingereihten) 
Schreiben  an  das  Kloster  Corvey  aber,^)  in  welchem 
Wibald  seine  Bückkehr  aus  Italien  meldet  und  den  Tod 
Konrads  beklagt,  Exequien  für  denselben  anordnend,  heisst 
es:  ^Declinavimus  pauluhim  ad  Stabulensem  aeclesiam*^  ich 
bin  ein  wenig  nach  dem  Kloster  Stablo  abgeschwenkt. 

Dieses  Schreiben  will  nun  Hasse  hinter  das  vorher  er- 
wähnte an  die  Mönche  von  Vasor  gesetzt  wissen  und  be- 
hauptet, der  Abstecher  könne  nur  in  die  Zeit  um  den  4.  und 
5.  März  verlegt  werden  und  reihe  sich  auch  ganz  unge- 
zwungen in  Wibalds  Itinerar  ein ,  da  derselbe  am  9.  März 
bei  der  Krönung  Friedrichs  in  Aachen  anwesend  war,  nur 
müsse  man  ihn  nicht  um  jeden  Preis  nach  Frankfurt  zwängen 
wollen.  Nun  hat  aber  Janssen  bereits  darauf  aufmerksam 
gemacht,*)  dass  statt  jenes  Declinavimus  (Perfect)  —  decli- 
nabimus  (Futur)  zu  lesen  sei  —  wegen  des  unmittelbar 
darauf  folgenden  Nebensatzes,  „ut,  cum  eam  fuerimus  con- 
solati,  ad  vos  liberius  et  diutius  raansuri,  brevi  elapso  tem- 
pore revertamur* :  »um,  nachdem  wir  die  Brüder  in  Stablo 
getröstet  haben  werden,  in  Kürze  zu  Euch  zu  freierem, 
längerem  Aufenthalt  zurückzukehren".  Hasse  meint  dagegen, 
das  Futurum  exactum  sei  nicht  anstössig,  wenn  man  nur 
voraussetze,  dass  der  Brief  von  Stablo  selbst  aus  geschrieben 
sei.  Nun,  da  würde  man  im  gewöhnlichen  Leben  doch  nicht 
mit  Hasse  diese  Form  erwarten:  Ich  bin  nach  Stablo  ge- 
reist, und  sobald  ich  dort  die  Brüder  ermuthigt  haben  werde 
u.  s.  w.,  sondern:  ich  bin  hieher  gekommen,  ich  habe  die 
Brüder  getröstet  u.  s.  w.  u.  s.  w. 

Dazu  kommt  vielleicht,  dass  es  wohl  etwas  spät  ge- 
wesen  wäre,    wenn  Wibald   erst   am   4.  oder  5.  März   dem 


1)  Jaffa  1.  c.  p.  492  ep.  864. 

2)  a.  a.  0.  S.  171. 


^ 


Simonsfdd:  Die  WM  Friedrichs  I,  Bothbart,  255 

Kloster  Corvej  seine  Rückkehr  aus  Italien  angezeigt  und 
erst  jetzt  Exequien  angeordnet  hätte:  viel  wahrscheinlicher 
doch,  dass  dies  früher  geschehen.  Viel  ungezwungener  er- 
klären sich  —  bei  einer  früheren  Datierung  des  Briefes  und 
der  Äenderung  in  ,declinabimus'  —  auch  die  Worte  ,inter 
dolorem  amissi  tarn  excellentis  tarn  amici  principis,  inter 
sollicitudinem  futurae  de  regno  ordinationis^  „neben  dem 
Schmerz  um  den  Verlust  des  Königs  und  die  Sorge  um  die 
künftige  Wahl"  .  .  .  Worte,  die  bei  Hasse  eine  ausserordent- 
lich künstliche  und  geschraubte,  ja  sogar  unrichtige  Inter- 
pretation sich  gefallen  lassen  müssen.  Denn  mit  „solücitudo'^ 
ist  nicht  der  „Antheil"  Wibalds  an  der  bevorstehenden 
,ordinatio  de  regno*  ausgedrückt,  sondern  seine  Besorgniss  um 
die  Wahl,  wie  das  Wort  in  derselben  Bedeutung  auch  in  Wi- 
balds Schreiben  vom  März   1152  an  den  Papst  vorkommt.^) 

Kurz,  ohne  hierauf  noch  weiter  eingehen  zu  wollen, 
acceptiert  man  die  leichte  Äenderung  von  ,declinavimus*  in 
,declinabimus*,  so  braucht  man  keine  Umstellung  vorzu- 
nehmen, und  es  lässt  sich  auf  Grund  der  Korrespondenz  fol- 
gendes Bild  von  Wibalds  Thätigkeit  in  jenen  Wochen  ent- 
werfen : 

Wibald  erhält  mit  dem  Kölner  in  Speier  3  Tage  nach 
dem  Tode  Konrads  die  Trauerkunde  und  eilt  mit  diesem 
schleunigst  zu  SchiflF  nach  Köln.  Von  hier  aus  gedachte 
er  (Schreiben  an  Corvey  Nr.  364)*)  nach  Stablo  einen  Ab- 
stecher zu  machen  und  dann  nach  Corvey  sich  zu  begeben. 
Selbst  zu  dem  ersten  aber  fand  er  (Schreiben  an  Vasor 
Nr.  366)^)  augenblicklich  nicht  Zeit.  Denn  —  wie  wir  aus 
einem  dazwischen  liegenden  Schreiben  an  den  Bischof  von 
Metz  (Nr.  365)*)  erfahren  —  die  Reichsfürsten,  die  für  die 


1)  Jaff^  1.  c.  p.  603  ep.  375  Z.  13. 

2)  Jaffö,  p.  492. 

3)  Jaffa,  p.  494. 

4)  Jaff^,  p.  493. 


256  Sitzung  der  historischen  Classe  vom  7.  JM  1894, 

Wahl  des  neuen  Herrschers  häufige  Zusammenkünfte  und 
Konferenzen  unter  sich  hielten,  verlangten  Wibalds  Gegen- 
wart eben  wegen  seiner  letzten  italienischen  Gesandtschaft 
—  ,nos  pro  recenti  legatione  Italiae  abesse  non  perraittunt'  — 
und  hatten  ihn  (Schreiben  an  das  Kloster  Hastiäres  Nr.  361)^) 
schriftlich  zur  Wahlversammlung  aufgefordert.  Derselbe  hat 
denn  auch  an  der  Wahlversammlung  zu  Frankfurt  theil  ge- 
nommen. Ich  sehe  wenigstens  durchaus  keinen  Grund,  war- 
um er  dies  nicht  hätte  thun  sollen  oder  können.  Damals 
oder  vorher  schon  in  der  Zwischenzeit  ist  er  von  Friedrich 
gewonnen  worden  und  gehörte  zu  der  engeren  Zahl  derer, 
welche  an  der  Krönung  in  Aachen  theil  nehmen  durften.*) 
Dasselbe  gilt  von  dem  Kölner  Erzbischof,  für  dessen  An- 
wesenheit bei  dem  Wahlakte  in  Frankfurt  auch  die  Nachricht 
von  seinem  Auftreten  gegen  den  Friedrich  ungünstig  ge- 
sinnten Mainzer  Erzbischof  anzuführen  ist.^) 

So  muss  ich  mich  in  jeder  Weise  gegen  Hassels  Auf- 
stellungen aussprechen  und  es  kommt  mir  gerade  so  vor,  als 
ob  Hasse  sich  zu  seiner  ganzen  Auffassung  von  der  Wahl 
Friedrichs  hauptsächlich  durch  jenen  Ausdruck  ,turbulenta 
conventio'  habe  verleiten  lassen. 


Wie  schon  oben  erwähnt,  hat  Jastrow  die  Aufstellungen 
Hasse's  gar  nicht  weiter  berücksichtigt;  aber  indirekt  tritt 
er  ihnen,  soweit  sie  Wibald  betreffen,  am  Ende  seiner  Aus- 


1)  Jaft'^,  p.  495. 

2)  In  der  Urkunde  yom  18.  Mai  1162,  womit  Friedrich  Wibald 
die  Privilegien  Corvey's  bestätigt  (nachdem  er  bereits  am  9.  März 
dasselbe  für  Stablo  gethan  und  am  8.  Mai  den  Streit  zwischen  Vasor 
und  Hastieres  nach  dem  Wunsche  Wibalds  entschieden  hatte),  sagt 
Friedrich  selbst  ,ob  insignem  ipsius  fidem  ....  circa  promotionem 
nostram  in  regnum*  (s.  Stampf,  Reichskanzler  Nr.  8616,  3624,  3626). 

3)  Cf.  unten  S.  263  Anm.  1.. 


i 


Simonsfeld:  Die  WaU  Friedrichs  I.  Rothbart,  257 

führungen  doch  entgegen.  Er  charakterisierfc  Wibald^)  gut 
als  «das  rechte  Urbild  des  deutschen  Klerikers  im  Zeitalter 
des  h.  Bernhard**,  der  in  erster  Linie  Kleriker  und  erst  in 
zweiter  Reichsfürst  gewesen  sei.  Weiter  bemerkt  er  dann 
von  ihm:  »Von  der  Todesnachricht  wurde  er  in  Speier  über- 
rascht in  einer  Zeit,  als  Friedrich  I.  seine  Verhandlungen 
schon  in  die  Hand  genommen  hatte.  Wie  Wibald  sich  da- 
mals zur  Wahl  stellte,  wissen  wir  nicht.  Ob  er  die  Si- 
tuation sofort  überblickte  und  ob  vielleicht  hiermit  seine 
spätere  Andeutung  zusammenhängt,  dass  er  es  gewesen, 
der  dem  Kölner  eine  Art  Leitung  in  die  Hand  spielte  oder 
ob  er  sich  vielleicht  noch  eine  Weile  sträubte,  mit  anderen 
Worten,  ob  er  sich  schon  der  werdenden  oder  erst  der  ge- 
wordenen Mehrheit  anschloss,  vermögen  wir  nicht  zu  sagen. 
Jedenfalls  hat  er  dem  neuen  Herrn  sich  frühzeitig  genug 
zugesellt,  um  sich  werthvoU  zu  machen." 

Was  diese  Andeutung  Wibalds,  als  habe  er  dem  Kölner 
eine  Art  Wahlleitung  in  die  Hand  gespielt,  anlangt,  so  ist  mir 
absolut  unerfindlich,  wie  Jastrow  eine  solche  aus  der  von  uns 
schon  früher  (oben  S.  244)  angeführten  Stelle  in  Wibalds 
Schreiben  an  den  Papst  über  seine  und  des  Kölners  Rückkehr 
nach  Köln  herauslesen  kann.  Noch  weniger  aber,  wie  gerade 
Wibald  dazu  auch  in  der  Lage  gewesen  wäre.  Die  Worte  ,ad 
providendum  rei  publicae*,  die  hiefür  angeführt  werden  können, 
sind  so  allgemein  gehalten,  dass  man  daraus  doch  schwer- 
lich eine  üebemahme  der  Wahlleitung  folgern  darf.  — 

Wie  an  dieser  Stelle,  so  scheint  mir  Jastrow  auch  ander- 
wärts den  Worten  Gewalt  anzuthun,  zu  viel  hinein  zu  legen 
oder  heraus  zu  lesen,  was  nicht  darin  enthalten  ist.  Die 
Worte  des  Ligurinus  z.  B. 

—  nato  voluit  praeferre  nepotem. 
Nee  alienus  erit:  nulla  hie  translatio  regni, 
NuUa  sub  ignoti  redigemur  jura  tyranni 

1)  A.  a.  0.  S.  818. 


258  Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  7.  Juli  1894. 

sollen  nach  Jastrow  einen  Protest  gegen  die  (antistaufische) 
Anschauung  enthalten ,  als  ob  Friedrichs  Thronfolge  einen 
Bruch  des  Erbrechts,  eine  Uebertragung  auf  ein  anderes 
Geschlecht,  eine  ,translatio  regni^  enthalte;  davon,  dass  das 
Reich  (statt  unter  einem  bekannten  Erben)  unter  einen  un- 
bekannten neuen  Herrn  gebracht  worden  sei,  könne  nach  der 
Meinung  des  Ligurinus  keine  Rede  sein.  Ich  meine,  aber 
auch  Ligurinus  hat  an  einen  solchen  angeblichen  Protest 
nicht  entfernt  gedacht! 

Ebenso  wenig  kann  ich  finden,  dass  in  der  Ursperger 
Chronik,  wie  Jastrow  meint,  Konrads  Verraächtniss  „im 
engsten  historischen  Zusammenhang  mit  Friedrichs  Ver- 
diensten um  die  Aussöhnung  Welfs  VI.  erscheine*.  Wer 
die  betreffende  Stelle  unbefangen  liest,  wird  das  schwerlich 
zu  entdecken  vermögen.  Denn  Burchard  von  Ursperg  er- 
zählt lediglich:  „Konrad  gab  auf  den  Rath  des  Friede  stif- 
tenden Friedrich  Weif  einige  fiskalische  Einkünfte,  und  nach- 
dem so  der  Friede  geschlossen  war,  starb  er  bald  darauf  mit 
Hinterlassung  eines  kleinen  Sohnes  Friedrich,  wurde  im 
Kloster  Lorch  begraben  und  hinterHess  seinem  Neffen  Fried- 
rich den  Thron,  indem  er  mit  ihm  festsetzte,  dass  dieser 
seinem  Sohne  später  das  Herzogthum  Schwaben  übergeben 
solle.*  (Fridericus,  qui  postmodum  fuit  imperator,  fratruelis 
regis  et  filius  sororis  predicti  Welfi,  medium  se  ad  com- 
positionem  faciendam  interposuit  captivosque  duci  reddi  ac 
regem  de  caetero  securum  penes  illum  esse,  provida  delibera- 
tione  confirmavit.  Rex  ergo  accepto  consilio  Welfoni  aliquos 
redditus  de  fisco  regni  cum  villa  Merdingen  concessit,  ac  sie 
firmata  pace  ipse  rex,  relicto  filio  parvulo  Friderico,  in  brevi 
post  vita  decessit  ac  in  monasterio  Loracensi  est  sepultus  et 
Friderico  fratrueli  suo  sedem  regni  reliquit,  statuens  cum 
eodem,  ut  filio  suo,  cum  ad  annos  perveniret,  ducatum  Sue- 
viae  concederet.)    Wo  ist  da  der  enge  historische  Zusammen- 


1 


Simonsfeld:  Die  Wahl  Friedrichs  I.  Eothbart,  259 

hang  zwischen  dem  Vermächtniss  Konrads  und  Friedrichs 
Verdiensten  um  die  Aussöhnung  Welfs  VI.? 

Aehnlich  verhält  es  sich  mit  der  Halberstädter  Bis- 
thumschronik.  ,Sie  scheint  nach  Jastrow  den  Vorgang 
sich  in  der  Weise  zu  denken,  dass  Konrad  seinen  bereits  er- 
wählten Sohn  Heinrich  dem  NefiFen  Friedrich  als  Vormund 
übergibt,  dass  dieser  aber  nach  dem  Tode  Konrads  die  for- 
melle Wahl  verschleppt,  bis  sein  Mündel  inzwischen 
stirbt  und  er  sich  selbst  zum  König  wählen  lässt."  Die 
Wahl  verschleppt!  —  Nicht  eine  Silbe  davon  kommt  in 
den  Worten  der  Chronik  vor,  die  einfach  erzählt:  Konrad 
kehrt  schliesslich  erfolglos  vom  Kreuzzug  zurück  und  stirbt 
im  Jahre  1150  (statt  1152).  Seinen  Sohn,  der  noch  ein 
Knabe  war,  den  zukünftigen  König  und  die  Reichsinsignien 
übergab  er  der  Treue  des  nächsten  Erben,  des  Herzogs  von 
Schwaben;  nach  dem  Tode  des  Knaben  ist  eben  dieser 
Herzog   Friedrich    zum   König   erhoben    worden:    ,C!onradus 

Damascum   capere   non  valens tandem  ad  propria  est 

reversus,  annoque  Domini  1150  debitum  camis  persolvit. 
Qui  cum  filium  suum,  puerum  adhuc,  regem  futurum,  et  in- 
signia  imperialia  domni  Friderici,  ducis  Suevi,  qui  proximus 
eins  heres  fuit,  fidei  commendasset,  defuncto  ipso  puero,  idem 
Fridericus  dux  in  regem  est  elevatus.^  Die  Chronik  mischt 
ersichtlich  Wahres  mit  Falschem,  aber  ohne  jede  Animosität 
gegen  Friedrich. 

Endlich  kann  ich  auch  mit  Jastrow's  Interpretation  von 
Otto's  von  Freising  Bericht  mich  nicht  einverstanden  er- 
klären. Jastrow  wendet  sich,  wie  schon  früher  bemerkt,  mit 
besonderem  Eifer  gegen  die  Annahme  von  einem  förm- 
lichen Vermächtaiss  König  Konrads  zu  Gunsten  seines  Neffen 
Friedrich.  Der  ursprüngliche  Bestand  der  staufischen  Tra- 
dition, der  besonders  durch  Otto  von  Freising  vertreten  sei, 
enthalte  nichts  von  einem  solchen  Vermächtniss,  sondern 
nur  die  Thatsache  der  Uebergabe  des  Sohnes  und  der  Reichs- 


260  Sitzung  der  historischen  ClcLSse  vom  7.  Jtdi  1894. 

insignien  an  Herzog  Friedrieb.  Ja  sogar  im  Gegentbeil. 
Otto  von  Freising  lege  förmlich  dagegen  Verwahrung 
ein,  aus  der  letzten  Handlung  Konrads  mehr  zu  folgern  und 
weitergehende  Konsequenzen  zu  ziehen.  Mit  den  Worten 
,non  regis  Conradi  zelo,  sed  universitatis  boni  intuitu^  scheine 
Otto  ^wohl**  andeuten  zu  wollen,  dass  es  zu  seiner  Zeit 
schon  ein  »staufisch es  Gerede"  gegeben,  die  Wahl  sei 
„regis  Conradi  zelo*'  in  Befolgung  eines  politischen  Testa- 
mentes, sozusagen  auf  Grund  eines  Erbrechts  erfolgt;  aber 
indem  Otto  von  einer  solchen  Auffassung  seinen  Lesern  Kennt- 
niss  zu  geben  scheine,  verwahre  er  sich  dagegen,  dass 
er  dieses  Argument  geltend  mache. 

Jastrow  vergisst  dabei  vollständig,  was  Otto  zu  Anfang 
seines  Berichtes  gleich  nach  der  Meldung  von  der  Uebergabe 
der  Reichsinsignien  vorbringt:  y,Als  ein  kluger  Mann  ver- 
zweifelte Konrad  daran,  das  sein  junger  Sohn  zum  König 
erhoben  würde;  daher  glaubte  er  für  sein  Haus  und 
für  das  Reich  besser  zu  sorgen,  wenn  vielmehr  sein 
Neffe  ihm  nachfolge."  (Erat  enim  tamquam  vir  prudens 
de  filio  suo  adhuc  parvulo,  ne  in  regem  sublimaretur  quasi 
desperatus;  idcirco  et  privatae  et  rei  publicae  melius 
profuturum  judicabat,  si  is  potius,  qui  fratris  sui  iilius 
erat,  ob  multa  virtutum  suaruni  clara  facinora  sibi  succederet.) 
Ich  dächte,  deutlicher  und  klarer  hätte  Otto  von  Freising 
ein  sogenanntes  Vermächtniss  Konrads  zu  Gunsten  seines 
Neffen  Friedrich  gar  nicht  ausdrücken  können. 

Ich  sage  ein  „sogenanntes  Vermächtniss".  Wie- 
weit war  ein  solches  denn  möglich?  Was  konnte  ein  solches 
denn  enthalten?  Was  konnte  denn  Konrad  eigentlich  fest- 
setzen und  bestimmen?  Doch  wohl  nur  vor  seinem  Tode 
den  um  ihn  versammelten  Fürsten  einen  Wunsch,  eine  Mei- 
nung ausdrücken  über  die  Nachfolge,  seinen  Neffen  designieren 
und  etwa  die  anwesenden  FQrsten  dafür  gewinnen.  Die 
weitere  Entwicklung  hatte  er  nicht  in  der  Hand,   die  end- 


^ 


Simonsfeld :  Die  WM  Friedrichs  I.  Eothbart.  261 

gültige  Entscheidung  niusste  er  der  Thätigkeit  seines  Neffen 
nnd  dem  Wahlgang  selbst  überlassen.  Und  warum  Konrad 
nicht  eine  solche  Designation  sollte  haben  treffen  sollen  oder 
wollen,  vermag  ich  ebenfalls  nicht  einzusehen.  Lag  dies 
denn  damals  nicht  sehr  nahe?  Man  vergegenwärtige  sich 
doch  die  Situation.  Seit  längerer  Zeit  kränkelte  Eonrad ; 
vierzehn  Tage  vor  seinem  Tod  bereits  warf  ihn  die  Krank- 
heit auf  das  letzte  Lager  nieder:  da  sollte  er  nicht  Vor- 
kehrungen für  sein  Ende  getroffen,  sein  Haus  nicht  bestellt 
haben?  Und  war  es  da  etwas  so  Besonderes,  Widersinniges, 
wenn  er  seinen  thatkräftigen  Neffen  zum  Hüter  seines  Sohnes 
und,  soweit  er  konnte,  auch  des  Reiches  bestellte?  Sorgte 
er  nicht  in  der  That  damit  wirklich  am  besten  für  beide? 
Daran  kann  doch  wirklich  kein  Zweifel  sein,  dass  sein  kleiner 
Sohn  keip  geeigneter  Thronkandidat  für  die  damalige  Lage 
war.  Stand  nicht  zu  befürchten,  dass  Heinrich  der  Löwe 
versuchen  würde,  für  sich  selbst  die  Krone  zu  gewinnen? 
Und  würde  Friedrich  Rothbart  sich  dies  haben  gefallen 
lassen?  Wäre  die  Fortdauer  des  Bürgerkrieges  dadurch 
nicht  unvermeidlich  geworden? 

Vollends  aber  wenn,  wie  Jastrow  sehr  wahrscheinlich 
gemacht  hat,  Friedrich  damals  schon  etwa  durch  sein  ganzes 
Verhalten  und  Auftreten  die  Verständigung  mit  Heinrich 
dem  Löwen  angebahnt  hatte  ^),  musste  da  nicht  auch  König 
Konrad  sein  Neffe  Friedrich  als  der  geeignetste  Mann  für  die 
Nachfolge  erscheinen?  Warum  sich  Jastrow  gerade  so  sehr 
gegen  das  sogenannte  „Vermächtniss'^  Konrads  steift,  ist 
wirklich  nicht  einzusehen.  Gerade  hinsichtlich  desselben  mahnt 
Lindner   (der   sich   freilich  dann  nicht  konsequent  bleibt), 


1)  In  dem  Chr.  S.  Michaelis  Luneburgensis  (SS.  XXIII,  396)  wird 
Heinrich  dem  Löwen  sogar  ein  Hauptverdienst  um  die  Wahl  Fried- 
richs zugeschrieben:  Frid.  imperator  .  .  .  Henricum  ....  exheredi- 
tavit,  qui  eum  ad  imperialem  promoverat  celsitudinem, 
reddens  malum  pro  bono. 

1894.  Philos.-p1]iIo1.  u.  bist.  Gl.  2.  18 


262  Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  7.  Juli  1694, 

,der  Historiker  müsse  sich  hüten,  ohne  wirkliehen  Beweis  Je- 
manden zum  bewussten  Lügner  zu  stempeln/*)  —  was  in  erster 
Linie  dann  ja  auch  Friedrich  Rothbart  selbst  beanspruchen 
darf.  Entschieden  war  ja  mit  dem  , Vermächtnisse"  gewiss 
noch  gar  nichts.  Es  ist  mir  auch  durchaus  nicht  zweifel- 
haft, dass  sich  eine  Oppositionspartei  bildete  oder  bestand, 
welche  sich  gegen  Friedrichs  Thronkandidatur  erklarte  und 
die  des  jungen  Friedrich,  des  Söhnchens  König  Eonrads, 
vertrat.  Das  lässt  sich  ja  auch  aus  Otto^s  Bericht  selbst 
entnehmen,  wenn  er  sagt,  die  Fürsten  wollten  ,non  regis 
Conradi  zelo,  sed  universitatis  boni  intuitu'  Friedrich  Roth- 
bart dem  jungen  Friedrich  vorziehen.  Völlig  unbegreiflich 
ist,  warum  man  hinter  den  Worten  ,non  regis  Conradi  zelo* 
so  grosse  Schwierigkeiten  gesucht  hat.  Es  ist  doch  sonnen- 
klar, was  Otto  sagen  wollte:  König  Konrad  hat  durch  üeber- 
gabe  der  Reichsinsignien  seinen  Neffen  als  den  ihm  wünschens- 
werthen  Nachfolger  bezeichnet;  aber  nicht  dieser  Wunsch, 
nicht  die  Rücksicht  auf  König  Konrad  war  für  die  Reichs- 
fürsten massgebend ;  sondern  ihre  aus  freier  Wahl  getroffene 
Entscheidung  beruhte  auf  allgemeinen  Gründen,  ging  hervor 
aus  der  Erwägung  des  öffentlichen  allgemeinen  Wohles.  Ich 
finde  darin  auch  gar  keinen  Widerspruch  in  der  Darstel- 
lung Otto's,  von  welcher,  insbesondere  der  Darlegung  der 
Motive  in  Kap.  2,  übrigens  noch  Maurenbrecher  urtheilt*), 
sie  sei  eines  der  politisch  -  historischen  Meisterstücke  mittel- 
alterlicher Literatur  —  während  Hasse  behauptet,  eine  Dar- 
stellung vom  Schlage  der  Ottonischen  lasse  sich  mühelos  aus 
den  Ueberschriften  der  Formeln  (der  deutschen  Königs-  und 
der  römischen  Kaiserkrönung)  zusammenreihen,  ohne  dass  er 
freilich  selbst  sich  dieser  „mühelosen"  Beweisführung  unter- 
zogen hätte. 

Dass  ferner  in  dem   „tandem"  Ofcto's  von  Freising,  wo- 
mit er  die  schliessliche,  einraüthige  Wahl  Friedrichs  einleitet, 

1)  Gesch.  der  deutschen  Eönigswablen  etc.  S.  168,  Anm.  1. 


^ 


Simonsfeld:  Die  WM  i\%edrichs  L  Bothbart,  263 

ein  Hinweis  auf  die  vorhandene  Opposition  gefanden  werden 
kann  (obwohl  es  fraglich  ist,  ob  man  das  Wort  sehr  ur- 
gieren  darf),  haben  bereits  Andere  erwähnt.  Wir  sind  auch 
in  der  Lage,  aus  anderen  Quellen  zu  entnehmen,  von  wem 
besonders  diese  Opposition  gegen  Friedrich  Rothbarfcs  Kan- 
didatur ausgegangen  sein  dürfte.  Der  Zusatz  in  der  zweiten 
Recension  der  Kölner  Königschronik,  dass  der  Erz- 
bischof von  Mainz  gegen  Friedrich  aufgetreten  sei  und,  in- 
dem er  denselben  des  Hochmuths  und  der  üeberhebnug  be- 
schuldigte, gegen  ihn  Stimmung  zu  machen  versucht  habe^), 
verdient  um  so  mehr  Glauben,  als  dies  Verhalten  seiner  Stel- 
lung ganz  und  gar  entsprach.  Es  ist  schon  (von  Peters 
und  Wetzold)  darauf  aufmerksam  gemacht  worden,  dass 
bereits  bei  der  Wahl  Lothars  der  Mainzer  Erzbischof  dem 
staufischen  Hause  entgegen  getreten  war.  Besonders  aber 
fallt  ins  Gewicht,  dass  Heinrich  von  Mainz  bei  der  Krönung 
in  Aachen  nicht  zugegen  war  und  im  nächsten  Jahre  be- 
reits abgesetzt  wurde  —  wie  ebenfalls  die  Kölner  Chronik 
(diesmal  die  erste  Recension)  sagt  „auf  Betreiben  und  mit 
Willen  Friedrichs"*),  der  so  die  oppositionelle  Haltung  des 
Mainzers  bestrafte  —  gerade  wie  er  den  Kölner  Erzbischof 
und  Wibald  ausdrücklich  für  ihre  Verdienste  um  seine  Er- 
hebung belohnte.^)     Es  darf  ferner  nicht  vergessen  werden. 


1)  Sed  licet  favorem  multonim  haberet,  Henricus  episcopus  Ma- 
gontinensis  unanimitatem  quorundam  circa  ipsum  invectivis  quibus- 
dam  debilitare  conatus  est,  asserens,  quod  fastu  quodam  inductus 
inter  consecretales  suos  conciDatus  fuerit,  quia  regnnm  adepturus 
esset  nolentibus  omnibus  qui  adfuissent.  Cuins  objectionis  malum 
archiepiscopus  Coloniensis  mitigavit,  regem  ab  interaptamentis  ex- 
cusans  et  episcopi  molimen  anullans. 

2)  Heinricus  Magontinus  archiepiscopus  instinctu  et  volaniate 
regis  depositus  est  a  duobus  cardinalibus  .... 

3)  Cf.  oben  S.  248  und  256;  der  Antheil  des  Kölner  Erzbischofs 
(wie  des  Erwählten  von  Trier)  wird  bekanntlich  auch  in  den  Ann.  Brun- 
wilarenses  hervorgehoben  (SS.  XVI,  727:  Faventibus   archiepiscopis 

18* 


264  Sitzung  der  historischen  Classe  vom  7.  Juli  1894, 

dass  Heinrich  von  Mainz  schon  früher  einmal  —  während 
Eonrad  III.  auf  dem  zweiten  Ereuzzuge  abwesend  war  — 
im  März  1147  zu  Frankfurt  zum  Reichsverweser  für  den 
jungen  Sohn  Eönig  Eonrads  Heinrich  war  bestellt  worden.^) 
Wenn  nun  der  noch  jüngere  Bruder  dieses  Heinrichs  auf 
den  Thron  erhoben  wurde,  konnte  Erzbischof  Heinrich  von 
Mainz  sich  nicht  mit  der  stillen  Hoffnung  tragen,  auch  dies- 
mal mit  dem  nämlichen  Amte  betraut  zu  werden?^)  Und 
dies  hätte  ihm  auch  wegen  seines  gespannten  Verhältnisses  zum 
Papst  höchst  willkommen  sein  müssen,  da  er  ja  einige  Jahre 
vor  und  wiederum  ein  Jahr  nach  der  Wahl  in  einen  kano- 
nischen Prozess  verwickelt  war.  Man  hat  auch  gemeint, 
dass  Heinrich  von  Mainz  eben  wegen  dieses  Prozesses  die 
Leitung  der  Wahl  nicht  besorgt  haben  dürfte,  da  er  nirgends 
in  den  Quellen  als  Leiter  erwähnt  wird.  Doch  scheint  es 
mir  fraglich,  ob  man  von  diesem  ,argumentum  ex  silentio^ 
Gebrauch  machen  darf.  Wenn  Otto  von  Freising  an  anderer 
Stelle^)  ausdrücklich  dem  Erzbischof  von  Mainz  das  Recht  der 
Wahlleitung  zuerkennt  und  dies  auch  von  Friedrich  Rothbart 
später  selbst  betont  wird*),  möchte  man  doch  am  ersten 
glauben,  dass  Heinrich  von  Mainz  dies  Recht  damals  gleichfalls 
ausgeübt  hat;  und  damit  würde  wohl  stimmen,  dass  gerade  er 


Amoldo  II  Coloniensi,  Hillino  Treverensi  Fridericus  dux  Alemannorum 
in  regem  eligitar. 

1)  Bernhardi,  Konrad  IIL,  Th.  II,  S.  546. 

2)  Cf.  Stoewer,  Heinrich  L,  Erzbischof  von  Mainz  S.  63,  dem 
ich  hier  völlig  zustimme. 

8)  Gesta,  1,16  (17):  (Nach  Heinrichs  V.  Tod)  Igitur  Albertus  — 
nam  id  iuris,  dum  regnum  vacat,  Maguntini  archiepiscopi  ab  anti- 
quioribus  esse  traditur  —  prineipes  regni  in  ipsa  civitate  Maguntina 
tempore  autumpnali  convocat .... 

4)  Siehe  das  Antwort  •  Schreiben  der  deutschen  Bischöfe  an  Ha- 
drian  IV.  vom  Jahre  1158  bei  Rahewin,   Gesta  Friderici  Imp.  IH, 

16  (17) electionis  primam  vocem  Maguntino  archiepiscopo  .  . 

recognoscimus  (sc.  Fridericus);  cf.  Lindner  a.  a.  0.  S.  71. 


^ 


Simonsfeld:  Die  Wahl  Friedrichs  L  Bothbart.  265 

die  Thronkandidatur  des  jungen  Friedrich  aufstellen  konnte. 
Manche  haben  gemeint,  dass  die  Reichsfürsten  zur  Wahl 
eingeladen  haben :  die  ,sumnii  principes',  deren  Wibald  Erwäh- 
nung thut.  Dazu  gehörte  ja  aber  doch  sicher  auch  der  Mainzer 
Erzbischof.  Und  gerade  der  Wahlort  Frankfurt,  der  kirch- 
lich zu  Mainz  gehörte,  scheint  dem  nicht  zu  widersprechen. 

Man  hat  auch  diesen  für  auffällig  und  ungewöhnlich 
gefunden.  Eben  Lindner ^)  bemerkt,  er  erscheine  hier  „seit 
der  Karolingerzeit  zum  ersten  Male  als  Wahlstätte''.  Aber 
Lindner  vergisst,  dass  gerade  die  letzte  Königswahl  eben 
hier  stattgefunden  hatte.  König  Konrad  IIL  liess  seinen 
Sohn  Heinrich  im  März  1147*)  in  Frankfurt  zum  König 
wählen,  und  vielleicht  hat  gerade  die  Erinnerung  daran  die 
Wahl  dieses  Ortes  veranlasst,  der  übrigens  jedenfalls  der 
ganzen  Lage  nach  geographisch  der  geeignetste  war. 

Kurz  war  allerdings  die  Zwischenzeit  zwischen  Tod 
und  Neuwahl,  für  die  man  jedoch  gleichfalls  eine  Erklärung 
in  den  Umständen  finden  kann,  die  um  so  leichter  begreiflich 
ist  und  deren  Wahrscheinlichkeit  sich  vergrössert,  wenn  man 
daran  denkt,  dass  Konrads  Gesundheit  seit  längerer  Zeit  schon 
schwankend  war  und  sein  letztes  Krankenlager  14  Tage 
währte,  so  dass  man  doch  Zeit  hatte,  auf  alle  Eventualitäten 
gefasst  zu  sein  und  die  entsprechenden  Massregeln  zu  einer 
schnellen  Wahl  zu  trefifen. 

Sonst  kann  ich  nicht  finden,  dass  bei  ruhiger  Betrach- 
tung die  Wahl  Friedrichs,  soweit  wir  aus  den  Quellen  dar- 
über erfahren,  besondere  Unregelmässigkeiten  und  Unwahr- 
scheinlichkeiten  oder  Ueberraschungen  zeige,  und  ich  tbeile 
daher  durchaus  die  besonnene  Auffassung  derselben  von  G. 
Varrentrapp  in  seinem  Aufsatz  „Zur  Geschichte  der  deutschen 
Kaiserzeit*. ^)     Zu  Gunsten  Otto 's   von  Freising   möchte   ich 

1)  a.  a.  0.  S.  56. 

2)  Cf.  ßemhardi  II,  547. 

3)  In  SybeFa  HistoriBcher  Zeitechrift  Bd.  47,  S.  405—407. 


266  Sitzwig  der  historischen  Glosse  vom  7,  Juli  1894. 

ausser  Lindner^s  Spruch  ^)  noch  anführen ,  dass  seine  Meldung, 
auch  italienische  Grosse  hätten  der  Wahl  beigewohnt,  von  an- 
derer Seite,  worauf  noch  nicht  hingewiesen  worden  ist,  eine 
Bestätigung  erfahren  hat.  Nach  Hartwig*)  war  in  der 
That  Guido  Guerra  bei  der  Wahl  zugegen.  — 

Wenn  wir  nun  rekapitulieren  sollen,  so  ergäbe  sich  uns 
folgendes  Resultat: 

Eonrad  hat  allerdings,  indem  er  zugleich  mit  seinem 
kleinen  Sohne  die  Reichsinsignien  seinem  Neffen  Friedrich 
übergab,  diesen  als  den  von  ihm  gewünschten  Thronkandidaten 
bezeichnet.  Dagegen  hat  eine  Oppositionspartei,  an  deren  Spitze 
der  Erzbischof  Heinrich  von  Mainz  gestanden,  zu  Gunsten 
des  jungen  Eönigssohnes  sich  ausgesprochen.  Friedrich  Roth- 
bart hat  aber  theils  durch  seine  ganze  Stellung,  theils  durch 
eigenes  Eingreifen  so  viele  Fürsten  des  Reiches,  geistliche 
wie  weltliche  —  unter  den  ersteren  die  Erzbischöfe  von 
Köln  und  Trier,  die  Bischöfe  von  Bamberg,  Würzburg,  Basel, 
Lüttich,  Otto  von  Freising,  Abt  Wibald  von  Stablo  und 
Corvey,  unter  den  weltlichen  besonders  Herzog  Heinrich  von 
Sachsen,  Weif  VI.,  Markgraf  Albrecht,  Otto  von  Wittelsbacb, 
Berthold  von  Zähringen  —  für  sich  zu  gewinnen  vermocht, 
dass  schliesslich  (tandem)  in  Frankfurt,  dem  von  vorneherein 
in  Aussicht  genommenen  Wahlort,  die  Opposition  nicht  blos 
in  der  Minorität  blieb,  sondern  wohl  wirklich  die  einstimmige 
Wahl  Friedrich  Rothbarts  mit  Rücksicht  auf  seine  ganze 
Persönlichkeit  und  in  der  Hoffnung  auf  Beilegung  des  Bürger- 
krieges erfolgt  ist. 


1)  Cf.  oben  S.  262  Anm.  1. 

2)  in  den  „Quellen  und  Forschungen  zur  Gesch.  der  Stadt  Flo- 
renz" II,  84;  freilich  ist  dafür  kein  Beleg  angegeben. 


k 


Swionsfdd:  Die  Wahl  Friedrichs  L  Eothbart,  267 

Exkurs. 

Ich  habe  oben  als  Todestag  Konrads  den  15.  Februar, 
als  Tag  der  Wahl  Friedrichs  den  4.  März  angenommen: 
beides  bekanntlich  keineswegs  feststehende,  sicher  überlieferte 
Daten.  Ueber wiegend  wird  als  Todestag  Konrads  in  den 
Quellen  ^)  XV  kal.  Marcii  angegeben,  was  eigentlich  bei  dem 
Schaltjahre  1152  der  16.  Februar  ist  und  nur  dann  auf 
die  ,feria  sexta  proxima  a  capite  jejunii'  Ottos  von  Freising, 
d.  h.  Freitag  den  15.  Februar  stimmt,  wenn  man  auf  den 
Schalttag  keine  Rücksicht  nimmt  —  und  dies  ist  nach 
Grotefend's  Bemerkung  in  seiner  Dissertation  ^tiber  den 
Werth  der  Gesta  Friderici  imperatoris  des  Bischofs  Otto  von 
Freising  etc."*)  wohl  zulässig. 

Befolgt  man  nun  aber  konsequenter  Weise  die  näm- 
liche Zählweise  bei  der  Frage  nach  dem  Wahltag  Fried- 
richs, so  erhält  man  als  solchen  den  4.  März  —  einmal 
nach  dem  Wortlaut  des  Schreibens  Wibalds  an  Papst  Eu- 
gen ,XVII  die  post  obitum'^)  und  dann  ebenso  nach  der 
Aussage  Friedrichs  in  seinem  Schreiben  an  den  nämlichen 
Papst  ,XVII  die  post  depositionem' *)  —  wenn  man,  was 
ebenfalls  durchaus  statthaft,  ,depositio'  identisch  nimmt  mit 
,obitus'.  Denn  aus  Ducange's  Lexikon  erhellt,  dass  depo- 
sitio  hier  =  depositio  vitae.  Auf  den  nämlichen  4.  März 
wird  man  geführt  mit  der  Angabe  Otto's  von  Freising  ,tertia 
feria  post  Oculi  mei  semper'  *)  und  hat  dann  nur  dessen 
weitere  Angabe  ,111  Non.  Marcii'  umzuändern  in  ,1111  Non. 
Marcii'  —  wie  dies  auch  Cohn  schon  vorgeschlagen  hat,') 
dem  ich  hier  durchaus  beipflichte. 


1)  Cf.  Bernhardi  a.  a.  0.  II,  925. 

2)  S.  27. 

3)  Jaffe  1.  c.  p.  607  ep.  375. 

4)  Jaffd  p.  499  ep.  372. 

5)  Gesta  Friderici  II,  1. 

6)  Gott.  Gel.  Anz.  1868  S.  1051. 


k 


268  Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  7,  Juli  1894. 

Selbst  die  Angaben  in  der  Urkunde  über  das  ,coIloquium' 
Friedrichs  mit  den  Bischöfen  von  Bamberg  und  Würzburg  ^) 
ergeben  dieselben  Daten,  15.  Februar  und  4.  März,  wenn 
man  hier  das  Anfangsdatum  mitzählt,  wie  dies  Grote- 
fend  ausdrücklich  befürwortet.*)  Dann  fällt  die  Unterredung 
demgemäss  auf  den  5.  Tag  nach  dem  15.  Februar  inclusive 
=  19.  Februar  und  die  Wahl  auf  den  14.  darnach  (inclus. 
19.  Februar)  =  4.  März  (ohne  Berücksichtigung  wiederum 
des  Schalttages). 

Vom  4.  März  bis  zum  Erönungstag  (9.  März)  ergeben 
sich  dann  endlich,  in  der  gewöhnlichen  Weise  gerechnet, 
die  mehrfach  angegebenen  fünf  Tage. 


1)  Mon.  Boica  a.  a.  0.  cf.  oben  S.  248  Anm.  2. 

2)  a.  a.  0.  S.  27. 


269 


Herr  E.  Freiherr  von  Oefele  hielt  einen  Vortrag  über: 
„Traditionsnotizen  des  Klosters  Eühbach'^. 

Das  Nonnenkloster  Kühbach  nördlich  gegen  Osten  von 
Aichach  war  noch  1429  im  Besitze  eines  'Salpuchs',  welches 
Urkunden  und  Traditionsnotizen  enthielt;  von  einer  der  letz- 
teren wurde  damals  notarielle  Abschrift  genommen.^  In  der 
Folge  liess  Konrad  Peutinger  die  Königsurkunden  für  Küh- 
bach von  1011  und  1041,  die  bischöflichen  Urkunden  von 
1127  und  1153,  endlich  ein  Dutzend  Traditionsnotizen  dar- 
aus abschreiben,  worauf  er  eigenhändig  die  Jahresdaten, 
Orts-  und  Personennamen  an  den  Rändern  exponirte.  Das 
Ganze  wurde  einem  Handschriftenbande  einverleibt,  welchen 
jetzt  die  königliche  öffentliche  Bibliothek  in  Stuttgart  besitzt.^ 

Die  Traditionsnotizen  blieben,  von  obenerwähnter  ab- 
gesehen, bislang  ungedruckt.  Dennoch  ist  der  Werth  sol- 
cher Aufzeichnungen  ausser  Frage.  Da  sie  den  Gütererwerb 
eines  Hochstiftes  oder  Klosters  zumeist  überliefern,  zieht  aus 
ihnen  die  Orts-  und  die  Rechtsgeschichte  reichlichen  Gewinn. 
Auch   für  genealogische  Forschung  sind  sie  ergiebig.     Man 


1)  Monumenta  Boica  XI,  543—547;  das  Instrument  befindet  sich 
im  k.  allgemeinen  Reichsarchive. 

2)  Hist.  in  fol.  Nr.  243,  BI.  75—82;  vgl.  v.  Heyd,  Die  historischen 
Handschriften  der  königlichen  öffentlichen  Bibliothek  zu  Stuttgart  I, 
118.  Für  die  Versendung  der  Handschrift  sei  der  Bibliothekdirektion 
auch  an  dieser  Stelle  gedankt. 


270  Sitzung  der  historischen  Classe  vom  7,  Juli  1894, 

schenkte  der  *  Weifengeschichte*  ^  Glauben,  nach  deren  aller- 
dings verschleierter  Angabe  Graf  Adalbero  II.  von  Ebers- 
berg das  Kloster  Kühbach  gegründet  hätte.  Aventin  allein 
nannte  als  Stifter  die  Brüder  Adalbero  und  Udalschalk;  er 
machte  sie  aber  zu  Söhnen  Adalbero 's  I.  und  Oheimen  Adal- 
bero's  II.  von  Ebersberg.*  Nach  unseren  Notizen  verfügte 
ein  Graf  Udalschalk  an  seinem  Lebensende  zu  Gunsten  eines 
Klosters,  welches  sein  Bruder  Adalpero  in  Kühbach  errichten 
würde.  Diese  Brüder  hatten  ein  Schwesterpaar,  Liutkart 
und  Hilta  oder  Hiltegart.  Letztere  war  mit  einem  Grafen 
Adalpero,  dann  mit  einem  Grafen  Konrad  vermählt  und  hatte 
aus  erster  Ehe  zwei  Kinder,  Adalpero  und  Willibirg.  Nun 
kennen  die  Ebersberger  Geschichtsquellen  im  ebersbergischen 
Grafenhause  keinen  Udalschalk,  dagegen  allerdings  zweimal 
ein  Geschwisterpaar  Adalbero  und  Willibirg,  doch  in  beiden 
Fällen  heissen  die  Aeltern  nicht  Adalpero  und  Hiltegart, 
sondern  Ratold  und  Engelmut,  Ulrich  und  Richgard.  Dass 
auf  einem  Hoftage  zu  Regensburg  im  Mai  oder  Juni  1011* 
unmittelbar  neben  ^Adalbero  de  Chuopach  preses'  ein  ^Eber- 
hardus  comes  de  Eparesperc'  als  Zeuge  einer  Verhandlung 
erscheint,  bildet  natürlich  noch  keinen  Beweis  für  die  Ver- 
wandtschaft Beider.  Ebenso  unstichhaltig  ist  jene  Behaup- 
tung, Ulrich  von  Ebersberg,  der  Vater  Adalbero's  IL,  habe 
ja  zu  Inchenhofen  residirt,  welches  nahe  bei  Kühbach  liegt.^ 
Denn  das  'Intinchove'  der  älteren  Ebersberger  Chronik,  ^In- 


8)  Monum.  Germaniae  historica,  scriptores  XXI,  460. 

4)  Bayrischer  Chronicon  kurzer  Auszug,  Sämmtliche  Werke  1, 131. 
Ohne  Beziehung  auf  das  ebersbergische  Haus  nennt  er  A.  und  U.  als 
Stifter:  Annales  ducum  Boiariae  V,  4  und  Bayerische  Chronik  V,  11 
(S.  W.  III,  27.  V,  281). 

5)  Mon.  Boic.  VI,  10;  wegen  der  Zeitbestimmung  s.  meine  Ge- 
schichte der  Grafen  von  Andechs  S.  108. 

6)  Hirsch,  Jahrbücher  des  deutschen  Heichs  unter  Heinrich  U., 
Bd.  II,  S.  236. 


k 


V.  Oefele:  Traditionsnotieen  des  Klosters  Kühbach,  271 

choven',  wie  es  in  der  jüngeren  heissf,  ist  keineswegs  das 
heutige  Incheuhofen,  alt  ^Imichinhoven',  in  der  Nähe  der 
Paar,  sondern  Inkofen  an  der  Amper  unweit  Moosburg.  Der 
stellenweise  Qleichlaut  endlich  zwischen  dem  königlichen 
Freibriefe  für  Kühbach  von  1011  und  jenem  für  Kloster 
Ebersberg  von  1040  nöthigt  uns  nicht  zur  Annahme,  dass 
es  derselbe  Adalbero  war,  der  das  eine  und  das  andere  Pri- 
vilegium erbat.®  Ein  solcher  Gleichlaut  erklärt  sich  viel- 
mehr ungezwungen  aus  dem  Brauche  der  Kanzlei,  Konzepte 
oder  Abschriften  früherer  Diplome  als  Formulare  in  ana- 
logen Fällen  zu  benützen.  Wie  aber  kam  der  Weifen- 
chronist zu  jener  Identifizirung?  Dass  ihn  lediglich  der 
Name  Adalbero  irregeführt,  ist  unwahrscheinlich:  irgend 
eine  Verwandtschaft  zwischen  den  Ebersbergern  und  dem 
Hause  der  Stifter  von  Kühbach  muss  doch  mitgewirkt  haben. 
Sollte  e^  da  ohne  jede  Bedeutung  sein,  dass  eine  der  Hand- 
schriften seines  Werkes  —  allerdings  eine  jüngere  —  die 
Gemahlin  Adalbero's  IL  von  Ebersberg  einmal  *Hiltgardis' 
nennt?  Aber  auch  das  könnte  wieder  eine  Verwechslung 
sein  —  mit  *Liutkart\  Seine  Schwester  dieses  Namens  hat 
Udalschalk  mit  einem  Gute  zu  Langenwiesen  beschenkt,  das 
bei  kinderlosem  Ableben  ihrer  Söhne  dem  künftigen  Kloster 
zufallen  sollte;  wir  hören  aber  nicht,  dass  Kühbach  je  in 
den  Besitz  des  Gutes  gelangte.^  Dagegen  hat  Adalbero  L 
von  Ebersberg  eine  Gemahlin  Namens  Liutkart  und  auch 
mehrere  Söhne  gehabt,  deren  einer  die  Familie  fortsetzte. 
Sohin  könnte  Liutkart,  Udalschalks  und  Adalbero's  Schwester, 
jene  Verwandtschaft   vermittelt  haben,  die  den  Welfenchro- 


7)  Mon.  Germ,  hiat.,  script.  XX,  18.  XXV,  870.  Ganz  verfehlt 
ist  es,  wenn  an  ersterer  Stelle  'in  Tinchove'  gelesen  und  dieses  auf 
'Thingau'  gedeutet  wird. 

8)  So  Hirsch  a.  a.  0. 

9)  Langenwiesen  gehörte  späterhin  grösstentheils  dem  Kloster 
Hohenwart  (Steichele,  Das  Bisthum  Augsburg  IV,  897). 


272  Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  7.  JtUi  1894. 

nisten  täuschte.  —  Dass  Udalschalk  mit  dem  Freisinger  Hoch- 
stiftsvogte  und  dem  um  Hilkertshausen,  östlich  gegen  Süden 
von  Eühbach,  begüterten*^  Grafen  dieses  Namens  zur  Zeit 
der  Bischöfe  Abraham  und  Gottschalk  von  Freising  (957  bis 
1005)  identisch  ist,  halte  ich  nicht  für  ausgeschlossen.  Letz- 
terer Udalschalk  war  vielleicht  der  Sohn  des  Freisinger 
Vogtes  Papo**,  der  unsere  hinwiederum  hat  einen  Neffen 
Namens  Babo.  Verschieden  von  ihm,  dem  längst  Verstor- 
benen, müsste  dann  ein  Udalschalk  sein,  der  als  Graf  und 
Vogt  unter  Bischof  Egilbert  von  Freising  (1005-1039)  auf- 
tritt und  ebenfalls  um  Hilkertshausen  begütert  ist**;  er  lebte 
noch  im  Jahre  1033,  und  seine  Grafschaft  erstreckte  sich 
westlich  von  Kühbach  über  Aindling  und  Todtenweis.*^ 
Huschberg**  hat  diese  sämmtlichen  Udalschalke,  Graf  Hundt** 
nur  den  letzterwähnten  dem  scheirischen  Geschlechte  einge- 
reiht, aber  Beweise  hiefür  haben  sie  nicht  erbracht.  Und 
höchstens  zu  der  Annahme  einer  Verwandtschaft  der  Scheirer 
mit  den  Stiftern  von  Eühbach  reichen  die  Thatsachen  hin, 
dass  Erstere  sich  von  Witteisbach  nannten,  welches  nahe  bei 
Eühbach  liegt,  und  dass  sie  die  Vogtei  über  dieses  Eloster 
erhielten. 

Betrachten  wir  die  Traditionen  näher,  so  treten  uns  als 
eine  grössere  Gruppe  nur  jene  des  Stifterhauses  entgegen. 
Sie    gehören    wohl    alle    dem   eilften   Jahrhunderte    an,    die 

10}  Freisinger  Tauschnotiz  Nr.  1139  bei  Meichelbeck,  Bist. 
Frising.  I.  2,  481. 

11)  So  nimmt  Graf  Hundt  in  den  Abhandlungen  dieser  Classe 
XIV.  2  (1878),  21  an  mit  Berufung  auf  die  Freisinger  Tauschnotizen 
Nr.  36  und  142  im  Oberbayer.  Archive  XXXIV,  270  und  299. 

12)  Freisinger  Tauschnotiz  Nr.  1205  bei  Meichelbeck,  Hist.  Fris. 
I.  2,  606. 

13)  Mon.  Boic.  XXXI  a,  314;  XXII,  167. 

14)  Geschichte  des  Hauses  Scheiem- Witteisbach  S.  198  ff. 

15)  A.  a.  0.  S.  28. 


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1?.  Oefele:  Traditionsnotizen  des  Klosters  Kuhhach,         273 

ersten,  die  des  sterbenden  Grafen  üdalschalk  (Nr.  1),  fanden 
sicher  auch  am  Frühesten  statt. ^®  Die  Klosterstiftung  liegt 
da  noch  im  weiten  Felde.  Nur  eine  Gutsparzelle  im  Orte 
Eühbach  wird  alsogleich  zu  diesem  Zwecke  aufgelassen, 
andere  Güter  sollen  erst,  wenn  die  zunächst  damit  Bedachten 
sterben  oder  ihre  Kinder  ohne  Nachkommen  bleiben,  also  in 
unabsehbarer  Zeit,  vielleicht  auch  niemals  dem  künftigen 
Kloster  zufallen.  Die  völlige  Errichtung  eines  solchen  durch 
den  Grafen  Ädalbero  von  Kühbach  zog  sich,  wie  es  scheint, 
bis  zum  Jahre  1011  hin.^"*^  Dann  wird  für  den  Todesfall 
der  Gräfin  Hiltegart  durch  deren  Gatten  Ädalbero  eine  Güter- 
reihe an  das  Kloster  vergabt  (Nr.  6),  aber  die  Gräfin  ändert 
auf  dem  Sterbelager  die  Verfügung,  bedenkt  mit  jenen  Gü- 
tern ihre  Tochter  Willibirg,  und  nur  im  Falle  kinderlosen 
Hintrittes  dieser  soll  das  Kloster  sie  erhalten.  Dafür  soll 
aber  anderes  Gut  dessen  sofortiges  Eigen  werden.  Der  Edle 
Udakchalk  von  Elsendorf^®  hat  diese  Schenkung  auszuführen 
(Nr.  5),  er  macht  noch  eine  andere  zum  Seelenheile  Hilte- 
garts  und  ihrer  beiden  Gemahle,  wie  ihrer  Söhne  aus  erster 
Ehe  und  fügt  eine  dritte  Schenkung  bei,  zur  eigenen  Ge- 
wissensruhe wie  es  scheint  (Nr.  7).  In  ihm,  den  man  schon 
lange  als  einen  Verwandten  Kaiser  Heinrichs  H.  kennt*®, 
dürfen  wir  also  Willibirg's  Gemahl  erblicken.**^ 


16)  Im  Uebrigen  wurden  die  Traditionsnotizen  nicht  in  chrono- 
logischer Folge  zusammengeschrieben. 

17)  Das  liegt  doch  auch  in  dem  Ausdrucke  des  königlichen  Frei- 
briefes von  1011  (Mon.  Boic.  XI,  629):  'monasterium  .  .  .  pro  libitu 
perfectum*. 

18)  Südlich  gegen  Westen  von  Siegenburg. 

19)  Nach  der  Traditionsnotiz  des  Domstiftes  Augsburg  vom  Jahre 
1029  (Nagel,  Notitiae  origines  domus  Boicae  illustrantes  p.  278  s.), 
laut  welcher  'Bruno  Augustensis  episcopus  germanus  Heinrici  impera- 
toris  primi .  .  .  cognato  suo  Ovdeircalcho  de  Elillndorf .  .  .  delegavit*. 

20)  Jener  'üodalfcalch  de  Elfendorf',  der  unter  Bischof  Megin- 
ward  von  Freising  (1078—1098)  erscheint  (Meichelbeck,  Hist.  Fris.  I. 


274  Sitzung  der  histor,  Glosse  vom  7.  Juli  1894. 

Ein  weiter  reichendes  Interesse  weckt  die  Schenkung 
der  Kaiserin -Wittwe  Kunigunde  (Nr.  11).  Vielleicht  von 
ihrer  Zelle  zu  Kaufungen  aus,  also  frühestens  im  Jahre  1025, 
gedachte  sie  des  fernen  bayerischen  Klosters.  Zum  Vogte 
hat  sie  wieder  einen  Adelpero,  ihren  Bruder  wie  es  scheint, 
den  Propst  von  St.  Paulin  zu  Trier.  Durch  seine  Hand  trägt 
sie  das  volle  Recht,  Eigen thura  und  Besitz,  an  einem  Gute 
nahe  bei  Köhbach  auf  eine  Mittelsperson,  den  Edlen  Babo 
über,  der  dann  am  Kirchweihfeste  zu  Kühbach  vor  versam- 
meltem Clerus  und  Volk  Eigenthum  und  Besitz  dem  Kloster 
zuweist.  Wer  dieser  Babo  gewesen,  ob  er  der  NeflFe  des 
Grafen  Udalschalk  war,  muss  zunächst  dahingestellt  bleiben. 
Immerhin  könnte  er  jenem  Babo  zu  Grunde  liegen,  den 
Aventin  als  *Hofmaister  Kunigundens  aufführt  und  mit  dem 
vielberufenen  Grafen  Babo  von  Abensberg  identifizirt.*^  Er- 
lösung der  Seele  ihres  Gemahles,  Tilgung  eigener  Verschul- 
dung werden  als  Beweggründe  der  Schenkung  angegeben, 
als  ob  es  Etwas  zu  sühnen.  Unterlassenes  nachzuholen  gälte  — 
und  doch  hatte  die  Gunst  des  verstorbenen  Kaisers  auch  dem 
Kloster  Kühbach  nicht  gefehlt.  Denn  ich  vermag  die  Mei- 
nung nicht  zu  theilen,  dass  der  königliche  Freibrief  vom 
26.  Juni  1011  ohne  Giltigkeit  geblieben  sei,  der  König,  als 
bereits  die  Reinschrift  angefertigt,  seine  Genehmigung  zu- 
rückgezogen habe.  In  dem  Schriftstücke,  welches  auf  uns 
gekommen,  ist  allerdings  der  Vollziehungsstrich  über  die 
Mitte  des  Monogrammes  nicht  hinausgelangt.  Aber  das  ganze 
Stück  ist  offenbar  nur  eine  Nachzeichnung.**    Dass  daneben 


2,  529,  Nr.  1269),   wÄre  dann  wohl  der  Sohn  der  Willibirg  gewesen, 
der  die  Aussichten  KQhbacbs  zu  nichte  machte. 

21)  Bayrischer  Chronicon  kurzer  Auszug,  Sämmtl.  Werke  I,  167. 
Ebenso  Bayrische  Chronik  V,  18  (S.  W.  V,  285).  In  den  Annales  da- 
cum  Boiariae  V,  5  (S.  W.  III,  36)  heisst  er  'procurator  Chunegundae 
angustae*. 

22)  Der  Kopist  hat  das  Monogramm  auch  sonst  verunechtet,  in- 


17.  Oefele:  Traditionsnotizen  des  Klosters  Kükbach,         275 

noch  im  siebzehnten  Jahrhunderte  ein  Original  vorhanden 
war,  wird  durch  einige  Indorsate  ersterer  nahegelegt.  'Mer 
ain  ftift  brief  vm  das  goczhaufs'  schrieb  da  eine  Hand  des 
sechzehnten  Jahrhunderts,  und  eine  solche  des  folgenden 
setzte  bei:  *Ift  deffen  gleuchlauttender  brief  mit  anhangendem 
figil/*'*  Auch  deutet  es  auf  eine  Originalausfertigung  hin, 
wenn  der  Abdruck  in  Hundts  Metropolis  Salisburgensis,  1582, 
p.  202  'Actum  Regenesbur^*  hat,  während  die  Nachzeich- 
nung den  Ort  der  Handlung  'Regenesburch'  nennt.**  Unter 
jenen  Kühbacher  Urkunden,  welche  im  spanischen  Erbfolge- 
kriege geraubt  wurden,  dann  in  den  Besitz  des  Giessener 
Professors  Liebknecht  kamen,  der  sie  im  Jahre  1749  gegen 
Erlag  von  50  Dukaten  dem  Kloster  zurückgab,  hat  sich  das 
Original  von  1011  nicht  befunden;  ebensowenig  die  nun  auch 
vermisste  Schenkungsurkunde  König  Heinrichs  III.  vom  9.  No- 
vember 1041.  Dieses  Diplom  mit  seinem  ausserdem  nie  er- 
scheinenden Grafen  'Ilisvnc'**,   in    dessen  Bezirk   die  Sehen- 


dem  er  dem  X  eine  Form  gab,  die  ich  in  keiner   der  mir  zugäng- 
lichen Königsurkunden  Heinrichs  IL  fand;  es  ist  eigentlich  ein  Y. 

23)  In  der  That  sieht  man  drei  Löcher  im  Pergamente,  welche 
zur  Befestigung  eines  Siegels  gedient  haben  werden,  über  dessen  Be- 
schaffenheit sich  Nichts  mehr  sagen  lässt.  —  Wenn  die  zweite  Hand 
nach  'ügir  fortfUhrt:  Tchon  verteutfcht,  lauth  Jnligender  Zotl^  so 
findet  sich  der  Zettel  mit  der  'schönen  deutschen  Uebersetzung  noch 
bei  den  Kühbacher  Urkunden  im  Reichsarchive,  während  die  Nach- 
zeichnung dortselbst  dem  Kaiserselekte  eingereiht  ist.  Die  Heraus- 
geber der  Monumenta  Boica  (XXXI,  a,  287)  haben  statt  'verteutfcht* 
unbegreiflicher  Weise  'vertauscht*  gelesen  und  hierauf  Irrthümliches 
gebaut. 

24)  'Regenesbur^'  halte  ich  für  eine  Zwitterform,  hervorgegangen 
aus  dem  Zweifel  der  Kanzlei,  ob  die  Handlung  erst  zu  Regensburg 
stattgefunden,  oder  schon  'Randesbure'  d.  h.  zu  Ramspau,  nördlich 
von  Regensburg,  am  Regenflusse,  wo  der  König  auf  der  Reise  von 
Bamberg  her  sich  aufgehalten  und  Verhandlungen  gepflogen  hatte 
(Stumpf,  Reg.  1546,  1547). 

26)  Der  blosse  Name  'Ilsvnch*,  'Ilsunc  kommt  allerdings  in  Küh- 
bacher Traditionsnotizen  (Nr.  1,  7  und  11)  vor. 


276  Sitzung  der  histor.  Clasae  vom  7.  Juli  1894, 

kuDgsorte  *Brunadra'  und  ^Howerieden'  lagen,  die  sich  auch 
nicht  nachweisen  lassen,  kommt  mir  in  hohem  Grade  ver- 
dächtig vor,  wenn  auch  gegen  das  Monogramm  und  das 
Signum  speciale,  die  wir  übrigens  erst  durch  Peutingers  Ab- 
schrift kennen,  sich  Nichts  einwenden  lässt  und  Hund**  ver- 
sichert, im  Kloster  befinde  sich  das  ächte  Original,  dessen 
Siegel  durch  das  Alter  gänzlich  verderbt  sei. 

Kehren  wir  zu  dem  Reste  unserer  Traditionen  zurück! 
Die  Witteisbacher  mussten  schon  als  Vögte  des  Klosters  sich 
gegen  dasselbe  freigebig  zeigen.  Otto,  der  erste  Pfalzgraf, 
ist  es,  der  mit  Zustimmung  seiner  Familie  einige  Güter  in 
treue  Hand  legt,  die  sie  nach  dem  Tode  des  Schenkers  dem 
bedachten  Kloster  auflassen  soll.  Als  dieser  Zeitpunkt  ein- 
getreten (1156),  bewirken  drei  seiner  Söhne  den  Vollzug 
jener  Vergabung.  Die  Klostervogtei  geht  auf  den  Letzt- 
gebornen,  Otto  den  ^Jüngeren'  über  (Nr.  9,  10).  —  Aus  dem 
frommen  Drange  der  Zeit,  nach  dem  heiligen  Lande  zu  pil- 
gern, ging  eine  andere  Tradition  hervor.  Die  Freien  von 
Stein  —  Vater  und  Sohn  mit  dem  gleichen  Namen  —  die 
es  auch  nach  Jerusalem  zieht,  bedenken  für  den  Fall  ihres 
Todes  auf  der  Reise  das  Kloster  Kühbach,  wo  des  Einen 
Töchter,  des  Anderen  Schwestern  den  Schleier  genommen 
haben.  Ihr  Treuhänder  aber  muss  zum  Vollzuge  seines  Auf- 
trages schreiten,  denn  Beide  haben  die  heimische  Burg  Alt- 
mannstein nicht  wieder  gesehen  (Nr.  3).*''  —  Eine  weitere 
Nummer  (4)  zeigt  uns,  wie  gleich  den  meisten  bayerischen 
Klöstern    auch    Kühbachs    Nonnen   es   gelingt,   den    milden 


26)  Metrop.  Salisb.,  1582,  p.  202.  203. 

27)  Einer  von  ihnen  ist  wohl  der  'nobilis  homo  Otto  de  Steine', 
von  dem  eine  Tegemseer  Traditionsnotiz  bemerkt:  'ipao  in  pere- 
grinacione  iura  morti  solvente*  (Mon.  Boic.  VI,  109).  Den  Vater  halte 
ich  für  jenen  'Otto  filius  Vdalrici  de  Lapide',  durch  dessen  Hand  im 
XII.  Jahrhunderte  eine  Gräfin  von  Hohenburg  an  das  Kloster  Biburg 
tradirte  (Hund,  Metrop.  Salisb.,  1582,  p.  196). 


V.  Oefele:  Tradüionsnotieen  des  Klosters  KÜhhach,         277 

Rebensaft  des  Etschlandes  auf  billige  Weise  zu  beziehen. 
Die  Herren  von  Weineck,  jener  Burg,  die  auf  dem  Virgl- 
berge  über  Bozen  stand*®,  schicken  —  unbekannt  aus  welchem 
Grunde  —  zwei  Mägdlein  in  das  weit  entfernte  Kloster.  Ein 
Gut  in  den  Bergen  südlich  von  Bozen,  zu  Aldein  gelegen, 
bildet  ihre  Aussteuer.  Es  soll  jedoch  erst  nach  dem  Tode 
der  Geber  ganz  den  Zwecken  des  Klosters  dienen,  bis  dort- 
hin lediglich  einige  Fuder  Weines  jährlich  zinsen.  Am  Drei- 
königstage eines  ungenannten  Jahres  geschieht  die  Tradition 
in  die  Hand  eines  Richters  des  Grafen  von  Tirol  als  Vogtes 
von  Trient  und  eines  Zweiten,  der  das  Kloster  zu  vertreten 
scheint;  vermuthlich  in  Bozen,  denn  als  Zeagen  sind  neben 
Leuten  aus  Brizen  und  Gividale  sämmtliche  Weinecker  da- 
bei, die  auf  Weineck  hausen.  AU'  diese  Weinecker  bis  auf 
Wernhard  finde  ich  schon  zum  Jahre  1177*®,  Bertold  von 
Weineck  später  nie  mehr,  Wernhard  zum  ersten  Male  IISS'*^' 
Richper  von  Hötting,  der  aus  der  Andechser  Grafschaft 
Unterinnthal  stammt,  ohne  den  Richtertitel  in  den  Sechziger- 
jahren des  zwölften  Jahrhunderts.^^  Somit  gehen  wir  kaum 
irre,  wenn  wir  den  ganzen  Vorgang  um  das  Jahr  1180 
setzen.  —  Von  den  übrigen,  weniger  bedeutenden  Traditionen 
scheint  Nr.  8  noch  in  das  eilfte  Jahrhundert  zu  gehören,  weil 
die   darin  erwähnten  Personen  nicht  von  Oertlichkeiten  be- 


28)  Sie  wurde  im  Jahre  1292  durch  Graf  Meinbard  II.  von  Tirol 
zerstört  (Simeoner,  Die  Stadt  Bozen  S.  141  f.).  Von  ihr  erübrigt  noch 
ein  Wehrthurm  an  der  Nordseite  des  Yigiliaskirchleins  aaf  dem  Cal- 
varienberge  (Virglberge)  bei  Bozen,  der  einstigen  Bargkapelle  (Zeit- 
schrift des  Ferdinandeums,  1898,  S.  378).  'ürbs  Winekko*  wird  zur 
näheren  Lagebestimmnng  des  Weingutes  'Haselach'  bei  einer  Tra- 
dition desselben  an  das  Stift  Schäftlam  am  Begräbnisstage  des  Grafen 
Konrad  I.  von  Vallei  um  1175  genannt  (Mon.  Boic.  VIII,  430). 

29)  In  einer  noch  ungedruckten  Traditionsnotiz. 

30)  Im  'Codex  Wangianus',  dem  ürkundenbuche  des  Hochstiftes 
Trient,  Font.  rer.  Austr.  II.  6,  64. 

31)  Mon.  Boic.  X,  24. 

1894.   PhUoa.-phüol.  iL  hist.  Gl.  2.  19 


278  Siteung  der  histor.  Glosse  vom  7,  JtUi  1894. 

nannt  sind.  Nr.  2  und  Nr.  12  dagegen  dürften  in  das  zweite 
und  dritte  Viertel  des  zwölften  Jahrhunderts  fallen,  weil 
man  die  Aebtissinen  Kühbachs ,  welche  darin  erscheinen, 
anderwärts  in  den  Jahren  1127  und  1153  nachweisen  kann.^^ 
lieber  das  zwölfte  Jahrhundert  reichen  die  nun  folgenden 
Traditionsnotizen  schwerlich  herab. 


1«  Notum  sit  Omnibus,  presentibus  scilicet  ac  futuris, 
quod  comes  Vdalfcalcus  in  extremis  positus  tradidit  fratri 
suo  Adalperoni  partem  sui  predii  in  loco,  quod  vocatur  Chu- 
bach,  cum  mancipiis  utriusque  sexus  et  cum  omnibus  utili- 
tatibus  ad  id  pertinentibus,  eo  tenore  ut,  si  monasterium  ibi 
construat,  deo  inibi  servientes  illud  potestative  habeant. 
Sorori  autem  suae  nomine  Livtkart  tradidit  predium  Langen- 
wisen'  nuncupatum,  ea  ratione  ut  ipsa  habeat,  donec  vivat, 
et  si  filii  eius  absque  legalibus  liberis  vitam  finiant,  ipsum 
predium  ad  prefatum  cenobium  sine  omni  contradictione 
potestativae  pertineat.  Simili  modo  tradidit  alteri  sorori 
nomine  Hilta  predium  Taitingen^  nominatum,  scilicet  ut,  si 
filius  suus  Adalpero  heredem  non  habeat,  cenobium  illud 
potenter  teneat.  Eodem  tenore  tradidit  aliis  subnominatis 
predia  sie  nominata:  Baboni  suo  nepoti  Velwen',  Antrates- 
fpach*,  Wineden*,  Beren®,  Tufcinga'';  Adalperto  Mantelach^; 
Altolfo  Werinfpach®,    Emechenhvfen**^;    Walpergae   Chrage- 


32)  MoD.  Boic.  XI,  682;  XXXIII,  a,  36.  Auch  der  Tradent  in 
Nr.  2  ist  zam  Jahre  1127  beurkundet,  Mon.  Boic.  XI,  633,  wo  jedoch 
nach  dem  Originale  des  k.  allgemeinen  Reichsarchives  'Walihiahouen* 
statt  'WallerBhoven*  zu  lesen  ist. 

1)  Langenwiesen  südlich  gegen  Osten  von  Hohenwart  (2  Tai- 
ting  8.  g.  W.  V.  Aichach.  3)  Felber  (Feim)  s.  v.  Gerolsbach.  4)  An- 
dersbach 8.  g.  W.  y.  Klingen.  6)  Winden  n.  g.  0.  v.  Kühbach. 
6.  7)  Scheinen  verlesen.  8)  Mandlach  s.  g.  W.  v.  Pöttmes.  9)  Wö- 
resbach  s.  g.  0.   v.  Kühbach.        10)  Scheint  verlesen. 


ü.  Oefele:  Traditionsnotieen  des  Klosters  Kühbach.  279 

heim**;  Helmperto  Wilaha";  Marquardo  Cruti**;  Vdalfchalcho 
Harda*^,  ut  post  obitum  singulorum  bec  omnia  predia  pre- 
dicto  cenobio  in  ius  proprietatis  accedant  pro  remedio  anime 
suae  ac  parentum  suorum.  Huius  rei  testes  sunt  hü:  Adal- 
pero  comes,  Babo,  Sigemar,  Pirhtilo,  Crimolt  et  frater  eins 
Babo,  Arnolt,  Babo,  filius  eins  Eigel,  Adalhart  et  filius  eins 
Marqaart,  [Isvnch,  Vdalfcalch,  Rutpreht. 

2.  Notam  sit  tarn  presentibus  quam  futuris,  quod  no- 
biiis  homo  et  fidelis  noster  amicus  Vdalfcalch  de  Walhes- 
houen*^  tradidit  sine  omni  contradictione  predium  suum  Ro- 
tenbach*^  ad  altare  sancti  Magni  Chubach  pro  anima  sua  et 
animabus  omnium  parentum  suorum  et  debitorum.  Et  ipse 
eadem  die  hoc  snscepit  in  beneRcium  de  abbatissa  Richk[arde] 
et  congregatione  pro  denario,  quam  diu  vixerit,  si  hoc  sponte 
sua  pro  Christi  amore  non  prius  dimiserit,  et  ut  postea  ipsuni 
predium  usque  in  finem  seculi  serviat  illi  congregationi. 
Huius  rei  testes  sunt  hü:  Palatinus  comes  Otto,  Wirent, 
Marchwart  de  Laifachren*'',  Vdalrich  de  Argenfingen*®,  Diet- 
polt  de  Alginshusen  ^'^j  Perhtolt  prepositus,  Marchwart  de 
Holenbach***,  Chunrat,  Chunheri,  Aderich. 

3,  Presentibus  et  futuris  notificare  curamus,  qualiter 
quidam  ingenuus  Otto  de  Staeine  cum  filio  suo  Ottone, 
eodem  ingenio  ut  inter  cives  Jerufalera  caelestis  numerari 
mererentur,  dominici  memores  mandati :  Qui  ndt  venire  post 
me^  iollat  crucem  suam  et  sequatur  we**  in  honore  passionis 
Jhesu  Christi    ad  terrestrem    illam  Jerusalem   profecti   sunt. 


11)  Graham  (Kraham)  n.  g.  0.  v.  Tandem.  12)  Weilach  ö.  v. 
Küfabacfa.  13)  ?  Haslangkreifc  n.  g.  W.  v.  Eühbach.  14)  Hardt  n. 
V.  Weilach.  16)  Walchshofen  sw.  v.  Kühbach.  16)  Rettenbach 
nö,  V.  Kühbacb.  17)  Laisacker.  18)  Aresing  s.  g.  0.  v.  Schroben- 
hausen.  19)  Algertshausen  w.  v.  Aichach.  20)  Hollenbach  w.  v. 
Kühbach.        21)  Matth.  XVI,  24;  Luc.  IX,  23. 

19* 


280  SitBung  der  histar.  Glaaae  vom  7.  Juli  1894, 

Quoddam  ergo  predium,  quod  in  villa,  que  vocatur  Buch^^, 
possiderunt,  in  manum  Adelberti  de  Bipinesrieht*^,  lega[ta]rii 
sui,  viri  ingenui,  contradiderunt,  rogantes  ut,  postquam  de 
morte  eoruni  cognosceret,  idem  predium  ad  cenobium  sancti 
Magni  Chfibach  daret,  ea  ratione  ut  [ad]  filias  predicti  Ot- 
tonis,  sanctimoniales  eiusdem  monasterii,  usa  fructus  rediret, 
post  obitum  autem  filiarum  ad  sostentacionem  ibi  deo  ser- 
vientium  monialium  cum  omni  iure  pertineret.  Quod  idem 
legatarius  iuxta  peticionem  illorum  fideliter  complevit  et  pre- 
sente  palatino  comite  Ottone  fidem  suam  et  animas  predic- 
torum  predii  tradicione  salvavit.  Huius  rei  testes  sunt: 
Amelbreht  de  Griezpach**,  Heinrich  et  frater  eius  Tagene 
de  Perenwac**,  Werenhart  de  Lengenuelt,  Reginboto  de 
Vtencelle*®,  Dieterich  et  Arnolt  de  Fuklingen*',  Meingoz  de 
Leboltesdorff*®,  Wicfrit  de  Nuzbuhele,  Vdalrich  de  Eteief- 
hufen*®,  Hartwic  de  Wartenberc,  Otto  de  Afingen^^,  Ofcto 
de    Ecchenach^^,    Merboto,    Diether,    Friderich ,    Walchun, 

o 

Vdelfcalch,  Chunrat. 

4.  Notum  sit  tarn  presentibus  quam  futuris,  qualiter 
dominus  Wigandus  et  filius  eius  Wernhardus  quoddam  pre- 
dium, quod  situm  est  in  loco,  qui  dicitur  Aldin,  tradiderunt 
super  altare  sancti  Magni  Gh&bach  ad  solatium  puerorum 
suorum,  Mergardis  et  Irmgardis,  hac  de  causa  ut  in  ipsius 
potestate  sit  ad  persolvendum  censum  per  singulos  annos 
quatuor  carradarum  vini,  et  hec  est  peticio  filii  ipsius,  post 
obitum  vero  ipsorum  ipsi  monasterio  et  ibi  commanentibus 
perpetualiter  deservire  cum  omnibus  utensilibus,  que  in  ipso 


22)  Ober-,  ünterbuch  w.  v.  Kühbach.  23)  Pipinsried  zwischen 
Altomünster  und  Tandem.  24)  Obergriesbach  sw.  v.  Aichach. 
25)  ünterbembach  n.  g.  W.  v.  Kühbach.  26)  Autenzell  nö.  v.  Küh- 
bach. 27)  Abgegangen.  28)  ?Laber8dorf  ö.  g.  S.  v.  Kühbach 
29)  Edelshausen  n.  v.  Schrobenhauaen.  80)  Affing  n.  y.  Friedberg. 
31)  Ecknach  b.  y.  Aichach. 


V,  Oefele:  TraditionsnoHzen  des  Klosters  Kuhbach.         281 

predio  sunt.  Hec  delegatio  facta  est  YIII.  idus  Jan.  sancta 
die  epiphaniae.  Huius  rei  testes  sunt:  omnes,  qui  in  Castro 
Winekke  sunt,  Gotfcalchus,  Otto  LvgeP*,  Albanus,  Haert- 
wicus  et  frater  eius  Perhtoldus,  Keinhardus  de  Prihffen, 
Hartmannus,  Bonom  de  Sibedat,  Leman,  vir  ipsius  domini 
Wigandi,  et  Sigehardus.  Delegatio  autem  facta  est  in  manus 
Richperi  iudicis  de  Heteningen  et  Hainrich  Havchellin,  et 
ipsi  testes  sunt. 

5.  Notum  sit  omnibus  Christi  fidelibus,  tarn  futuris  quam 
presentibus,  quod  quedam  comitissa  nomine  Hiltegart  in  ex- 
tremis posita  tradidit  qüedam  predia  sua  cuidam  nobili  viro 
Vlfcalch  nomine:  Wollenmos^^  Biberbach^  cum  mancipiis 
utriusque  sexus  et  cum  omnibus  utilitatibus  ad  ea  loca  per- 
tinentibus  et  terciam  partem  vinearum  in  Rohliuga^'^  cum 
vinitoribus  et  eorum  beneficiis  et  terciam  partem  vinearum 
in  Liupheringen  *®  cum  vinitoribus  et  eorum  beneficiis  et 
iuxta  fluvium  Naba  tantum  predii,  quod  possit  persolvere  tres 
libras  nummorum,  cum  aliis  reditibns  per  manus  illius  Chä- 
bacensi  ecclesiae  contradenda  pro  requie  anime  suae  et  anima 
Adalberonis  comitis  mariti  sui  et  amborum  filiorum.  Huius 
tradicionis  est  testis  Wirnt.  Reliqua  vero  predia  sua  tradidit 
nate  suae  Willibirgae^',  ea  contraditione^®  ut  ipsa  habeat 
dum  vivat,  et  si  filios  vel  filias  genuerit,  qui  illi  superstites 
sint,  ipsi  habeant.  Si  autem  heredem  non  habeat,  predia 
eius  Parra'®,  Imechenhouen*®,  Dahfperc**,  Reifinsdorf**,  Wi- 
neda    cenobio   post   obitum   eius   in  ius   proprietatis    cedant. 


82)  D.  h.  'der  Lange*,  nach  einer  Urkunde  von  1185  bei  Bonelli, 
Notizie  II,  483.  33)  Wollomoos  (Wollemoos)  nw.  v.  Altomünster. 
34)  Biberbach  n.  g.  0.  v.  Dachau.  36)  Rehling  s.  g.  W.  v.  Aindling. 
36)  Loipfering  ö.  g.  N.  v.  Dorfen.  37)  'WiKbirge  Abschrift  v.  J.  1429. 
88)  Wohl  'condicion^,  wie  die  Abschrift  v.  J.  1429  hat.  39)  Paar 
nw.  V.  Kiihbach.  40)  Inchenhofen  nw.  v.  Kühbach.  41)  Taxberg 
ö.  g.  N.  V.  Inchenhofen.         42)  Reifersdorf  n.  g.  0.  v.  Inchenhofen. 


282  Sitzung  der  histor.  Glosse  vom  7.  Juli  1894. 

Cetera  vero  predia,  que  hie  noininetenus  non  tenentur,  in 
duo  divisit,  dimidiam  partem  Ghunrado  comiti,  dimidiani 
supradicto  monasterio.  Isdem  vero  vdelfcalch  predictas  res 
WoUenmos,  Piberbach  et  vineas  cum  vinitoribus  in  Rohlinga 
et  Liypheringa  et  predium  iuxta  Naba,  sicut  illi  traditum 
est,  potestativa  manu  sine  eontradictione^^  eidem  monasterio 
tradidit  presentibus  hiis  testibus:  Engelmar,  Wirnt,  Vdalfcalch, 
Aribo,  Aribo,  Aribo,  Aribo,  Chüno,  Sigemar,  Otto,  Otto, 
Sigepreht,  Meingozo,  Adalbero. 

6.  Notum  esse  yolumus  omnibns,  qualiter  comes  Adal- 
bero sni  iuris  prediorum  sie  nominatorum:  Barra,  Imichin- 
houen,  Wineda,  ReifingeftorfF**,  Dahfperc  tradicionem  fecit. 
Ista  scilicet  loca  ad  monasterium  sancti  Magni,  quod  situm 
est  in  loco  Chubach  dicto,  tradidit  nullo  virorum  aut  mu- 
lierum  contradicente.  Et  hoc  eo  tenore,  ut  post  obitum 
uxoris  suae  Hiltegarde  abbatissa  iam  dicti  monasterii  et  con- 
gregacio  ibidem  deo  serviens  potestativae  habeant  cum  cunctis 
possessivis  ad  ea  pertinentibus ,  ut  his  transitoriis  rebus  sus- 
tentate  in  eodem  monasterio  dei  seryicium  deinceps  impleant 
pro  remedio  animarum  sui  amborum,  Adalber.  videlicet  et 
Hiltegarde,  ac  parentum  eorum.  Huius  rei  testes  sunt  Engil- 
preh[t],  Hadapreht,  Dicito.** 

7.  Noverit  industria  oinnium  fidelium,  qualiter  quidam 
nobilis  vir  nomine  Vdalscalch  de  Elfindorf  potestativa  manu 
ad  altare  sancti  Magni  in  loco  Ghubacensi  dicto  et  sanctae 
congregationi  ibidem  deo  servienti  tradidit  tale  predium, 
quäle  habuerunt  Ghunradus  comes  et  Hiltegart  uxor  eins  in 
loco  Talenhuf*®  nominato,  cum  mancipiis  et  cum  omnibus 
iure  ad  illum   locum    pertinentibus   exceptis  filiis  Adalheri^'' 


43)  'contradiccione*  Abschrift  v.  J.  1429.  44)  'ReifingeftorfiT  Hs. 
46)  So  der  Text  der  Ha.,  Peutinger  am  Rande  'Dieto*.  46)  Thal- 
hausen 80.  V.  Aichach.        47)  'Adalheti'  Hs. 


f>.  Oefele:  TrctdUurnsnotüsen  des  Klosters  KÜhbach.         283 

prediisque  illorum.  Atque  hec  pro  redemptione  animarum 
Ghunradi  et  Hiltegarde  uxoris  eius  et  Adalperonis  comitis 
filiorumque  eius  sant  acta.  Huius  itaqne  traditionis  testes 
existunt:  Ilsunc,  Engelmar,  Vdalscalc,  Dieto,  Sigimar,  Pabo, 
Aribo,  Sigipreht,  Adalpero,  Otto.  Insuper  prefatus  Vdal- 
scalc  aliam  tradicionem  duarum  vinearum  in  loco  Perga*® 
dicto  ad  pretitulatum  altare  fecit  cum  duobus  yinitoribus  et 
axoribus  eoram,  filiis  illonim  atque  cum  illis  iugeribus,  quae 
tunc  habuerunt  ad  vinee  plantacionem.  Huius  tradicionis 
prefati  testes  apparent. 

8.  Notum  sit  Omnibus,  quod  quedam  matrona  nomine 
Wirat  euncta  sui  iuris  predia  Rutperto  filio  suo  tradidit,  eo 
tenore  ut  si  ille  absque  consociali  vel  legali  conubio  yitam 
finiat,  abbatissa  ac  congregacio  sancti  Magni  in  loco,  qui 
Yocatur  Gh&bach,  in  quo  et  sorores  ipsius  predicti  Ruberti 
deo  sunt  servientes,  potestative  habeant.  Huius  rei  testes 
sunt  Arbo,  Biligrim,  Hartman.  Werinh[er],  Werinher,  Mar- 
quart,  Erchinbolt. 

9.  Noverit  omnium  christianorum,  tam  presentium  quam 
futurorum  industria,  quod  palatinus  comes  Otto  presente  et 
consenciente  uxore  sua  Heileca  delegaverat  in  manus  Vdal- 
scalci  de  Waleheshouen  et  Vdalfcalci  de  Meisaha*®  et  Liv- 
toldi  de  Griezpach  predium  suum  in  Pr&Ie*®  situm,  quod 
Durinch  de  Parra  pro  beneiicio  habuit  de  eo,  et  mansum 
unum  Wineden  situm,  ea  condicionae  ut  ipsi  post  obitum 
predicti  Ottonis  palatini  pro  anime  suae  remedio  eadem  pre- 
dia super  altare  sancti  Magni  Gbubacb  tradant.  Huius  rei 
testes  sunt:  Ydalscalch  de  Waleheshouen,  Amelbrecht  de  Zil- 
lenhoven*^,  Perinhart  de  Vgenpurch",   Volcmar  de   Reiten, 


48)  ? Bergen  n.  ▼.  Thalbauaen.       49)  Maiaach.       60)  Priel  w.  g. 
N.  y.  Dachau.        51)  Zillhofeii.        62)  Egenbarg. 


284  Sitzung  der  histor.  Glosse  vom  7.  Juli  1894. 

Vdalrich  de  Lochufen,  Wimar  de  Alkishufen,  Heffo  de  Hade- 
prehtefhufen*^,  Heinrich  de  Euchenhouen.*^* 

10.  Noverint  fideles  omnes,  quod  beate  memorie  Otto 
comes  palatinus  mansum  unum  in  Wiueden  consenciente 
uxore  sua  et  filiis  pro  remedio  animae  suae  ad  monasteriam 
sancti  Magni  Chiibach  tradidit  per  manum  Meinhardi  de 
Meifach.**  Ipse  vero  Meinhardus  patrantibus  ac  presentibus 
filiis  predicti  Ottonis  post  obitum  patris  eorum  idem  predium 
in  potestatem  abbatissae  prefati  monasterii  et  in  usum  do- 
minarum  sine  omni  contradictione  tradidit.  Huius  rei  testes 
sunt :  Otto  palatinus  senior ,  frater  eius  Fridericus ,  Otto 
iunior,  qui  et  advocatus,  Ydalricus  de  Steine,  Altman  de 
Sigenburch,  Arbo  de  Biburch. 

11«  Notum  sit  Omnibus  deum  timentibus,  presentibus 
scilicet  et  futuris,  qualiter  quaedam  imperatrix  nomine  Ghune- 
gunda  pro  redemptione  anime  Heinrici  imperatoris,  sui  vero 
mariti,  propriis  quoque  pro  diluendis  culpis  quandam  curtem 
nomine  Echinaha  per  manum  sui  advocati  Adelp.  tradidit 
cuidam  nobili  viro  nomine  Babo  cum  omnibus  utensilibus 
ad  prefatam  curtem  pertinentibus,  prediis  scilicet  atque  man- 
cipiis,  terris  cultis  et  incultis,  pratis,  silvis,  pascuis,  aquis 
aquarumque  decursibus,  molendinis,  yiis  et  inviis,  quesitis  et 
inquirendis  et  cum  omnibus  appendiciis,  que  ullo  modo  no- 
minari  aut  scribi  possunt.  Eo  tenore  tradidit,  quo  preno- 
minatus  Babo  sub  honore  et  nomine  dei  genitricis  Marie  et 
sancti  Magni  confessoris  ad  monasterium  in  loco  Chubach 
constructum  in  veram  et  legitimam  traderet  dotem  deo  et 
sanctimonialibus  prenotato  in  loco  sub  regula  sancti  Benedicti 
coadunatis  in  perpetuum  servienda.  Huius  tradicionis  hü 
adhibiti  sunt  testes:    Rutpreht,  Gerolt,  Oriraolf*®,  Vdalscalc, 

63)  Habertshaasen   sw.   v.   Schrobenhausen.  54)   Eichhof en. 

55)  'Melfach*,  Text  der  Hs.,  'Meyfach*  Peutinger  am  Rande.        66)  Die 
Hs.  hat  hier  und  im  Folgenden  immer  'Qninolt'. 


V,  Oefele:  Traditiananotizen  des  Klosters  Kühbach.  285 

IlsYUC,  Dieto,  R&dolf.  Hora  eciam  ipsa,  qua  tradicio,  ut 
dixi,  sit  peracta,  prefatus^''  Babo  ab  eadem  imperatrice  Gh. 
predii  et  mancipiorum  ditatur  investitura.  Cuius  investiture 
hü  adducti  sunt  testes:  Grimolt,  Usunc,  R&dolf. 

Insuper  cognoscant  omnes,  quod  sepae  dictus  Babo  ean- 
dem  curtem  cum  mancipiis  omni  lege,  qua  sibi  ab  impera- 
trice tradita  est,  tradidit  ad  altare  sanctae  Mariae  et  sancti 
Magni,  in  die  vero,  qua  festum  dedicacionis  eiusdem  ecclesiae 
Ch&bach  celebratur,  clero  universoque  populo  astantibus. 
Hü  autem  per  aurem  tracti  sunt  testes :  Engilpreht,  Grimolt, 
Vdalscalc,  Sigemar,  Arbo,  Engilmar,  Sigiboto*®,  Rutpreht, 
Engildio,  Gerolt,  Babo,  Rudolf,  Amelpreht,  Meginhart,  Wal- 

o  

chuon,  Betto,  Vdalscalc,  Egilolf,  Sigipreht,  Recho,  Altman, 
Rudolf,  Adelhoch,  Arnolt,  Wolftrigel,  Bero,  Rihpreht,  Ruo- 
dolf,  Perhtolt,  Dietpreht,  Gebolf,  Arnolt,  Vtilo,  Ruotpreht, 
Ruopr[e]h[tJ.  Predii  autem  et  mancipiorum  eo  modo,  quo 
ipse  est  investitus,  eadem  hora,  qua  tradicionem  ante  dictam 
peregit,  ecclesiam  investivit  his  sumptis  testibus:  Engelpreht, 

o 

Arbo,  Grimolt,  Vdalscalc,  Reginprecht,  Etich,  Eginolf. 

12«  Notum  sit  Omnibus,  tam  futuris  quam  presentibus, 
quod  quidam  monasterialis  sancti  Magni  in  Chubach  nomine 
Etich  beneficium,  quo  beneficiatus  erat  ab  abbatissa  eiusdem 
loci,  pro  remedio  anime  suae  ad  usum  dominarum  ibidem 
deo  servientium  sub  testibus  resignavit.  Quod  idem  post 
mortem  suam  mater  eins  nomine  Judinta  de  Sulzpach^^  non 
iusta  fruens  potestate  yiolencia  quadam  sibi  usurpavit.  £a 
vero  lis  per  frequentem  querimoniam  domine  Adelheid[is] 
abbatissae  ita  direpta  est,  quod  domina  Judinta  unam^  in 
Echinahe,  unam  in  Trenche®^  haberet  et  duos  nummos  sin- 
gulis  annis  in  festo  sancti  Magni  abbatissae  daret,  ea  vide- 
licet  attestacione,    ne  post  mortem  eiusdem  Judinte   heredes 


67)  'prelaturf  Hs.         68)  'Digiboto*  Hs.         69)  Sulzbach  sw.  v. 
Aichach.     60)  Zu  ergänzen  'curtem*  ?     61)  TränkmUhle  sw.  v.  Aichach. 


286  Sitzung  der  Jdstar,  Glosse  vom  7,  Juli  1894. 

eias  aliquod  ius  hereditatis  de  bonis  dominarum  deo  et  sancto 
Magno  milifcancium  sibi  usurparent,  et  absque  contradictione 
bona  monasterii  monaaterio  redirent.  Huius  rei  testes  sunt: 
Liutolt  et  filius  eins  Liutolt  de  Hagenowe,  Perhtolt  de  Griez- 
pach,  Heinrich  et  fratres  eins  Tageno,  Livtolt,  Marquart  de 
Sulzpach,  Herman  de  Arbinhouen**  prepositus  et  eins  f rater 
Etich  de  Witelinespach ,  Vdalrich,  Diepolt  de  Scrobinhufen, 
Purchart  de  Parra,  Sigefrit  de  Alkeshusen,  Sigefrit  de  Hugen- 
hufen^*,   Sigefrit  de  Ghemenaten,   Diepolt  de  Sindeshufen.^* 


62)  Arnhofen.      68)  Igenhaasen  sw.  r,  Inchenhofen.      64)  Sünz- 
hausen. 


287 


Philosophisch-philologische  Classe. 

Sitzung  YOm  7.  Juli  1894. 

Herr  Carriere  hielt  einen  Vortrag: 

^Fichtes  Geistesentwickelung  in  den  Reden 
über  die  Bestimmung  des  Gelehrten.* 
Jena  1794,   Erlangen  1805,   Berlin  1811. 

„Oeffentliche  Vorträge  sind  freie  Gaben  eines  akademischen 
Lehrers;  und  zum  Geschenke  gibt  der  nicht  unedle  gern  das 
Beste,  was  er  zu  geben  vermag.''  So  sagt  Fichte  selbst  in 
der  f&nften  Vorlesung,  die  er  zu  Erlangen  1805  über  das 
Wesen  des  Gelehrten  hielt.  Seinen  Eintritt  in  das  Lehramt 
zu  Jena  erö£Fnete  er  mit  ähnlichen  Reden  neben  der  Darstel- 
lung der  Wissenschaftslehre  1794,  und  in  Berlin  1811  sprach 
er  an  der  neugegründeten  Universität  zum  drittenmale  in 
solchem  Sinn.  Wie  er  nach  eigenem  Bekenntniss  den  philo- 
sophischen Idealismus  predigte,  wie  seine  Lehre  der  Ausdruck 
seiner  Persönlichkeit  war,  so  drängte  es  ihn  zugleich  Einsicht 
und  Charakter  bildend  zu  wirken.  Wir  aber  erkennen  den 
Gang  seiner  eigenen  Entwicklung  in  diesen  Vorträgen,  und 
ich  will  versuchen  sie  in  diesem  Sinne  zu  betrachten. 

Man  kann  als  Sinn  und  Ziel  von  Fichtes  Denken  dies 
bezeichnen,  dass  er  das  wahre  Sein  und  Leben  im  Geiste, 
in  der  sich  selbstbestimmenden  Thätigkeit  sah;  in  allem  das 


288         Sitzung  der  phüosrphüöl,  Glosse  vom  7.  Juli  1894, 

Walten  des  Vernunftwillens  zu  erkennen  und  diesen  Vernunft- 
willen selbst  zu  verwirklichen  war  ihm  die  Aufgabe  der 
Wissenschaft  wie  des  Handelns;  dies  Princip  suchte  er  auf 
mannigfache  Weise  darzustellen,  davon  keine  ihm  selbst 
völlig  genügte;  er  hinterliess  es  uns  zur  Fortbildung  im  Er- 
kennen und  im  Leben.  Einen  Ausdruck  dafür  fand  er  zu- 
nächst in  Ich.  Wenn  wir  den  Satz  A  =  A  als  unmittelbar 
gewiss  und  denknothwendig  aussprechen,  so  heisst  dies  zu- 
nächst doch  nur:  wenn  A  ist,  so  ist  es  gleich  A;  wenn  wir 
aber  sagen:  Ich  =  Ich,  so  ist  dadurch  zugleich  auch  die 
Wirklichkeit,  die  Realität  dieses  Grundsatzes  dargethan.  Das 
Ich  ist  das  Sichselbstsetzende,  schöpferisch  Hervorbringende; 
es  ist  nur,  indem  es  sich  als  Ich  bestimmt;  im  Selbstbewusst- 
sein  haben  wir  die  Einheit  von  Denken  und  Sein,  und  nichts 
ist  ausser  dem  Ich,  alles  ist  nur  in  ihm  und  durch  seine 
sich  selbstbestimmende  Thätigkeit.  Aus  jenem  obersten 
Grundsatze  folgt  sofort  der  andere:  Ich  nicht  gleich  Nicht- 
Ich;  und  das  Ich  kommt  zu  seiner  eigenen  Bestimmtheit 
durch  die  Unterscheidung  vom  Nicht-Ich ;  so  ergibt  sich  der 
dritte  Satz:  Das  Ich  setzt  sich  in  ihm  selbst  ein  Nicht-Ich 
dem  Ich  entgegen;  und  es  erhält  dadurch  die  Aufgabe:  das 
Nicht-Ich  erkennend  in  sich  aufzunehmen  und  handelnd  durch 
das  Ich  zu  bilden,  so  die  Identität  herzustellen. 

Ich  möchte  hier  daran  erinnern,  wie  da  der  Leibnizische 
Gedanke  wiederkehrt:  Nichts  kommt  von  aussen  in  den  Geist, 
alles  wird  durch  ihn  in  ihm  selber  gebildet.  Auch  Kant  hat 
daran  angeknüpft,  indem  er  darauf  hinwies,  wie  der  Geist 
dabei  nach  ihm  innewohnenden  Gesetzen  verfährt.  Mit  Kant 
hält  Fichte  daran  fest:  Wir  wissen  unmittelbar  nur  von 
uns  selbst,  von  unseren  Empfindungen  und  Vorstellungen; 
die  productive  Einbildungskraft  veranschaulicht  sie  in  den 
Formen  von  Raum  und  Zeit,  und  gestaltet  die  Bilder  der 
Dinge,  die  wir  nach  den  Gesetzen  unseres  Denkens  ordnen  und 
begreifen,    und    so   gewinnen    wir   eine   in   sich   zusammen- 


Garriere:  Fichtes  Geistesentunekelung,  289 

bangende  Innenwelt.  Die  Intelligenz  trägt  diese  in  ihr  selbst, 
und  wenn  wir  zu  ibrer  Erklärung  Dinge  an  sieh,  Realitäten 
ausser  uns  annehmen,  so  sind  diese  doch  nur  etwas  von  uns 
Gedachtes,  Gedankendinge.  All  unser  Erkennen  ist  Selbst- 
erkennen, denkend  sind  wir  in  uns  beschlossen.  Daran  hielt 
Fichte  fest,  aber  es  fiel  ihm  nicht  ein  zu  behaupten:  nur 
Er,  dies  einzelne  Ich  sei  das  allein  Seiende,  in  dem  alles 
andere  nur  wie  eine  Blase  aufsteige;  jedoch  nicht  auf  dem 
Wege  der  Intelligenz,  sondern  durch  die  Thatsache  des  sitt- 
lichen WoUens  und  Thuns  suchte  und  fand  er  die  Gewiss- 
heit einer  Aussen  weit,  zunächst  lebendiger  Geister  ausser 
ihm,  und  dann  einer  Natur  als  des  realisirten  Materials  der 
Pflichterfüllung.  Weiter  betonte  er  wohl:  nicht  unser  ein- 
zelnes Ich,  sondern  die  Ichheit  sei  sein  Princip,  das  absolute 
Ich,  das  göttliche,  das  durch  seine  Selbstbestimmung  alles  in 
sich  bestimmt,  das  sich  selbst  in  die  Fülle  der  Individuen 
unterscheidet.  Das  aber  gibt  gerade  dem  ersten  Entwurf  der 
Wissenschaftslehre  das  Schwierige,  Dunkle  und  vielfach  Ge- 
quälte, dass  im  Ich  das  göttliche  und  das  menschliche  nicht 
unterschieden  werden.  So  sehr  er  einschärfte:  nur  wie  unser 
Wissen  möglich  und  wirklich  sei,  was  dessen  nothwendige 
Bedingungen  seien,  das  erörtere  die  Wissenschaftslehre;  der 
Schein  blieb  als  ob  das  Ich  die  Welt  eben  schaffe,  indem  es 
ihre  Erkenntniss  in  sich  hervorbilde.  Vom  absoluten  Ich 
gilt  es,  dass  es  durch  productive  Einbildungskraft  alles  aus 
ihm  und  in  ihm  gestaltet;  das  endliche  Ich  hat  eine  Welt 
ausser  ihm  und  ist  in  seinen  Empfindungen  wie  in  seinem 
Wirken  durch  sie  mitbedingt.  Sehr  richtig  aber  hat  Fichte 
wiederum  erkannt,  dass  wir  erst  zum  Selbstbewusstsein 
kommen,  indem  wir  Empfindungen  und  Anschauungen  in  uns 
vorbewusst  bilden  und  uns  als  Träger  und  hervorbringende 
Macht  von  ihnen  unterscheiden;  da  sie  unbewusst,  vorbewusst 
von  uns  hervorgebracht  werden,  so  erscheinen  sie  uns  als 
etwas  Gegebenes,  Objectives,   uns  Bedingendes,    während   sie 


290         Sitzung  der  philos.'phäcl,  Glosse  vom  7.  JtUi  1894, 

doch  ein  von  uns  Gebildetes  sind ;  ohne  Subject  kein  Object. 
Das  Object  ist  für  Fichte  als  das  durch  das  Subject  Gesetzte 
nun  das  Todte  im  Gegensatz  zum  Lebendigen,  das  Gemachte 
im  Unterschied  vom  Schaffenden.  Und  im  Drang  das 
Lebendige  nicht  aus  dem  Todten  hervorgehen  zu  lassen  setzte 
er  die  Thätigkeit,  das  Ich  als  solches,  als  das  Erste,  das 
Sein,  das  eigne.  Erschaffende.  Das  Ich  bringt  allerdings  als 
Ich  sich  selbst  hervor,  es  ist  der  Erzeuger  seiner  Geistigkeit; 
aber  um  dies  zu  können  muss  es  real  sein,  es  muss  ein 
Wesenkem  sein,  der  zu  sich  selbst  kommt,  im  Selbstbewusst- 
sein  seiner  inne  wird;  in  unsere  Geistigkeit  setzen  wir  uns  ein, 
unser  Selbstbewusstsein  ist  unsere  That,  aber  dazu  müssen 
wir  sein,  real  sein.  Das  hat  Fichte  später  erkannt;  jetzt, 
im  Anfang  seines  Philosophirens,  ist  ihm  die  ideale  Thätig- 
keit,  durch  welche  das  Ich  sein  Selbstbewusstsein  hervor- 
bringt, der  Grund  alles  Seins;  jetzt  ist  ihm  das  individuelle 
Ich  der  Ausgangspunct,  das  Seiende,  das  seine  Welt  und 
seinen  Gott  in  sich  trägt;  später  erfasst  er  in  Gott  den 
Quell  aller  Realität,  und  die  endliche  Persönlichkeit  wird 
nun  zum  Bilde,  zur  Erscheinungsform  des  ewigen  Wesens. 
In  der  ersten  Vorlesung  behandelte  Fichte  die  Bestim- 
mung des  Menschen  an  sich,  die  zu  erklären  die  Aufgabe 
der  ganzen  Philosophie  sei;  indem  er  auf  das  gesunde  Gefühl 
seiner  Zuhörer  baut,  stellt  er  den  Satz  des  Idealismus  auf: 
„So  gewiss  der  Mensch  Vernunft  hat,  ist  er  sein  eigener 
Zweck;  das  heisst:  er  ist  nicht  weil  etwas  anderes  sein  soll, 
sondern  er  ist  schlechthin  weil  Er  sein  soll;  er  ist  weil  er 
ist.  Dieser  Charakter  des  absoluten  Seins,  des  Seins  um  seiner 
selbst  willen,  ist  seine  Bestimmung."  Der  Mensch  ist  Ich; 
so  soll  er  sich  selbst  bestimmen  und  nie  durch  etwas  Fremdes 
sich  bestimmen  lassen;  er  soll  sein  was  er  ist,  weil  er  es 
sein  will  und  wollen  soll.  Er  soll  übereinstimmen  mit  sich 
selbst;  diese  Identität,  diese  Einigkeit  ist  die  Form  des  reinen 
Ich;    „nicht  etwa   blos   der  Wille   soll   stets   einig  mit  sich 


Carriere:  Fichtes  Geistesentwickelung,  291 

selbst  sein,  sondern  alle  Kräfte  des  Menschen,  welche  an 
sich  nur  Eine  Kraft  sind  und  blos  in  ihrer  Anwendung  auf 
verschiedene  Gegenstände  unterschieden  werden  —  sie  alle 
sollen  zu  yollkommener  Identität  übereinstimmen  und  unter 
sich  zusammenstimmen/ 

Aber  der  Mensch  ist  nicht  blos  reine  Geistigkeit  und 
Vernunft,  er  ist  auch  etwas,  er  ist  dies  im  Unterschied  von 
anderen,  er  ist  es,  insofern  auch  etwas  ausser  ihm  ist,  inso- 
fern ein  Nicht-Ich  ist.  und  dies  wirkt  ein  auf  seine  leidende 
Fähigkeit,  auf  seine  Sinnlichkeit;  er  ist  auch  ein  sinnliches 
Wesen,  aber  dadurch  soll  seine  Vernunft  nicht  aufgehoben 
werden,  vielmehr  soll  er  alles  was  er  ist  auf  seine  Vernunft 
beziehen,  er  soll  alles  was  er  ist  darum  sein,  weil  er  ein 
Ich  ist.  Seine  eigene  Natur  wie  die  Natur  ausser  ihm  ver- 
nünftig zu  gestalten  ist  nun  seine  Aufgabe,  und  in  der  Ge- 
schicklichkeit dazu  besteht  die  Cultur.  Nur  so  ergibt  sich 
die  vollkommene  Uebereinstimmung  des  Menschen  mit  sich 
selbst,  und  die  Uebereinstimmung  der  Dinge  ausser  ihm  mit 
seinen  noth wendigen  praktischen  Begriffen  —  den  Begriffen, 
welche  bestimmen  was  die  Dinge  sein  sollen  —  ist  des 
Menschen  höchstes  Ziel.  Kant  hat  es  das  höchste  Gut  ge- 
nannt. Die  Uebereinstimmung  mit  sich  selbst  ist  Güte,  die 
Uebereinstimmung  der  Dinge  mit  unserem  Willen  ist  Glück- 
seligkeit; nur  das  macht  glückselig  was  gut  ist.  Alles  Ver- 
nunftlose sich  unterwerfen,  frei  und  nach  seinem  eigenen 
Gesetz  es  beherrschen,  ist  letzter  Endzweck  des  Menschen, 
der  ewig  unerreicht  bleibt,  so  lange  der  Mensch  Mensch 
und  nicht  Gott  ist.  Als  vernünftiges,  aber  sinnlich  endliches 
Wesen  hat  er  das  Streben  nach  Vollkommenheit,  die  Ver- 
vollkommnung ist  seine  Aufgabe.  Dies  zum  beständigen 
Leitfaden  des  Lebens  durch  klare  Einsicht  für  seine  Hörer 
zu  machen  ist  Fichtes  Wille;  so  hofft  er  von  der  ihm  zu- 
stimmenden Jugend  aus  auf  immer  weitere  Kreise  der  Mensch- 
heit zu  wirken  und  das  gemeinsame  Brudergeschlecht  empor 


292         Sitzung  der  phüo8,'phüöl,  Glosse  vom  7.  Juli  1694. 

zu  heben.  Die  Förderung  der  Cultur,  die  Erhöhung  der 
Humanität  ist  für  ihn  das  Ziel  aller  Wissenschaft. 

Wie  für  Lessing  nicht  der  Besitz  der  Wahrheit,  son- 
dern das  unablässige  Ringen  nach  ihr  das  Wünschenswerthere 
schien,  so  sieht  Fichte  hier  noch  mit  Kant  in  dem  Sollen 
des  Pflichtgebots  nicht  das  Erringen  der  Vollkommenheit, 
sondern  das  fortdauernde  Streben  nach  ihr  einbegriffen;  das 
verbürgt  beiden  Denkern  unsere  Unsterblichkeit.  Die  That- 
handlung  des  Ich  ist  ihm  das  Seinsetzende,  die  Einigung 
aller  Geister  im  Denken  und  Wollen  des  Richtigen  würde 
das  reine  ewige  Gottesreich  bilden.  „Alle  Individuen  sind 
in  der  Einen  grossen  Einheit  des  reinen  Geistes  eingeschlossen* 
—  das  war  das  letzte  Wort,  mit  dem  er  am  Schluss  der 
ersten  Vorlesungen  über  die  Wissenschaftslehre  sich  den  Zu- 
hörern empfahl;  aber  er  nannte  es  den  letzten  Zweck  und 
das  unerreichbare  Ideal,  statt  richtiger  zu  sagen :  dass  es  im 
beständigen  Process  der  Selbstverwirklichung  besteht,  ein 
stets  sich  steigerndes  ist. 

Die  zweite  Vorlesung  ist  der  Bestimmung  des  Menschen 
in  der  Gesellschaft  gewidmet. 

Indem  Fichte  Winke  und  Weisungen  für  weiteres  Nach- 
denken geben  will,  macht  er  einleitend  darauf  aufmerksam, 
wie  so  Manches,  das  der  gewöhnlichen  Ansicht  selbstver- 
ständlich dünke,  von  der  Philosophie  erst  ergründet  werden 
müsse.  So  meint  man  wohl,  dass  es  vernünftige  Wesen 
ausser  uns  gebe  aus  der  Erfahrung  zu  schöpfen;  aber  diese 
lehrt  doch  nur:  dass  die  Vorstellung  von  vernünftigen  Wesen 
ausser  uns  in  unserem  empirischen  Bewusstsein  enthalten  sei; 
die  Frage  ist  aber:  ob  dieser  Vorstellung  etwas  ausser  der- 
selben entspreche,  ob  es  vernünftige  Wesen  unabhängig  von 
unserer  Vorstellung  gebe,  und  darüber  kann  die  Erfahrung 
nichts  ausmachen,  so  gewiss  als  sie  Erfahrung,  das  heisst 
das  System  unserer  Vorstellungen  ist.  Die  Erfahrung  kann 
lehren,    dass   uns  Empfindungen    gegeben   sind   ähnlich   den 


Carriere:  Fichtes  Qeistesentwickelung,  293 

Wirkungen  vernünftiger  Ursachen;  aber  nimmermehr  kann 
sie  lehren,  dass  die  Ursachen  dieser  Wirkungen  als  vernünf- 
tige Wesen  an  sich  wirklich  vorhanden  sind.  Wir  tragen 
dergleichen  Wesen  erst  in  die  Erfahrung  hinein;  wir  sind 
es,  die  gewisse  Erfahrungen  aus  dem  Dasein  vernünftiger 
Wesen  ausser  uns  erklären.  Aber  mit  welcher  Befugniss 
erklären  wir  so?  Die  Giltigkeit  dieser  Befugniss  muss  er- 
wiesen werden. 

Es  leuchtet  ein,  der  Idealismus  hat  recht:  wir  wissen 
unmittelbar  nur  von  uns  selbst,  von  unseren  Empfindungen  und 
Vorstellungen,  und  erschliessen  nach  dem  Gausalgesetz  in  uns 
eine  Welt  ausser  uns  zur  Erklärung  der  Vorgänge  in  unserem 
Bewusstsein.  Aber  von  diesem,  von  der  Intelligenz  aus, 
können  wir  nie  die  Realität  des  Gedachten  erweisen ;  nur  der 
Beweis  ist  uns  möglich:  wie  absurd,  wie  widerspruchsvoll 
es  wäre,  wenn  der  Einzelne  behaupten  wollte,  dass  alles 
andere  nur  in  ihm  vorhanden  sei.  Fichte  selbst  gab  in  der 
Sittenlehre  und  vornehmlich  in  dem  prächtigen  Werk  über 
die  Bestimmung  des  Menschen  die  Lösung  von  der  Sittlich- 
keit aus.  Eben  so  gewiss  als  unser  Sein  ist  uns  das  Sitten- 
gesetz, ist  das  Gebot  der  Pflicht,  und  dies  wäre  undenkbar, 
unerfüllbar,  wenn  nicht  vernünftige  Wesen  ausser  uns  mit 
uns  wirklich  wären;  nur  so  wird  die  Liebe,  wird  die  Ge- 
rechtigkeit wirklich.  Es  ist  der  Wille,  es  ist  die  praktische 
Vernunft,  welche  ergänzend  zum  Theoretischen  herantreten. 
Vernünftige  Wesen  ausser  uns  sind  wirklich,  weil  wir  nur 
so  unsere  sittliche  Bestimmung  erreichen,  das  Gute  verwirk- 
lichen können. 

Auch  hier  verweist  Fichte  auf  die  praktischen  Prin- 
cipien.  Der  höchste  Trieb  des  Menschen  ist  Uebereinstim- 
mung  mit  sich  selbst,  und  diese  bedingt  auch  die  Ueberein- 
stimmung  alles  andern  mit  unsern  noth wendigen  Begriffen; 
es  soll  etwas  ihnen  Entsprechendes,  ein  Gegenbild  in  der 
Welt  gegeben  sein.     Den  Begriff  des  vernünftigen  Denkens 

1894.  PhUos.-phJlol.  u.  hiat.  Gl.  2.  20 


294         Sitzung  der  phüos.-phüoL  Glosse  vom  7.  Juli  1894, 

und  Handelns  will  er  in  sich  realisiren  und  ausser  sich  reali- 
sirt  sehen;  dazu  gehört,  dass  vernünftige  Wesen  ausser  ihm 
vorhanden  seien.  Diese  kann  er  nicht  erschaffen,  aber  er 
legt  den  Begriff  derselben  seinen  Beobachtungen  des  Nicht- 
Ich  zu  Grunde.  Wo  er  zweckmässige  Thätigkeit  sieht, 
schliesst  er  auf  den  vernünftigen  Urheber;  wo  er  freie 
Handlungen  erkennt,  die  nur  als  aus  einem  Willen  zu  er- 
klären sind,  schliesst  er  auf  vernünfbigfreie  Wesen.  Nun 
gehört  es  zu  den  Gl-undtrieben  des  Menschen  in  Gesellschaft, 
in  Wechselwirkung  mit  seines  gleichen  zu  leben,  isolirt  wäre 
er  kein  ganzer  vollendeter  Mensch. 

Wechselwirkung  durch  Freiheit  ist  für  Fichte  der  Be- 
griff der  Gesellschaft.  Den  Staat  bezeichnet  er  als  das 
Mittel  zur  Begründung  einer  vollkommenen  Gesellschaft,  wo 
statt  der  Stärke  oder  Schlauheit  die  Vernunft  walte;  er  wieder- 
holt sein  bekanntes  Wort:  Zweck  aller  Regierung  sei  die 
Regierung  überflüssig  zu  machen,  —  er  wisse  nicht  in  wie 
viel  Myriaden  Jahren  das  erreicht  werde. 

Jeder  Mensch  hat  sein  besonderes  Ideal  vom  Menschen, 
nach  dem  er  die  anderen  prüft,  dem  er  sie  ähnlich  machen 
möchte.  ,In  dem  Ringen  der  Geister  mit  Geistern  siegt 
stets  derjenige,  der  der  höhere  bessere  Mensch  ist;  so  ent- 
steht durch  Gesellschaft  Vervollkommnung  der  Gattung,  und 
damit  haben  wir  die  Bestimmung  der  Gesellschaft  als  solcher 
gefunden.  Wenn  es  scheint,  als  ob  der  höhere  und  bessere 
Mensch  keinen  Einfluss  auf  den  niedern  und  ungebildeten 
habe,  so  täuscht  uns  hiebei  theils  unser  ürtheil,  da  wir  oft 
die  Früchte  auf  der  Stelle  erwarten,  ehe  das  Samenkorn 
keimen  und  sich  entwickeln  kann;  theils  kommt  es  daher, 
dass  der  Beste  vielleicht  um  so  viel  Stufen  höher  steht,  als 
der  Ungebildete,  sodass  sie  zu  wenig  Berührungspuncte  mit 
einander  gemein  haben,  zu  wenig  aufeinander  wirken  können. 
Aber  im  Ganzen  siegt  doch  der  Beste  gewiss;  —  ein  be- 
ruhigender  Trost   für   den   Freund   der  Menschen   und   der 


Garriere:  Fichtes  Geist esentfci^kelung.  295 

Wahrheit,  wenn  er  dem  offenen  Kriege  des  Lichts  und  der 
Finsterniss  zusieht.  Das  Licht  siegt  endlich  gewiss  —  die 
Zeit  kann  man  freilich  nicht  bestimmen,  aber  es  ist  schon 
ein  Unterpfand  des  Sieges,  und  des  nahen  Sieges,  wenn  die 
Finsterniss  genöthigt  ist  sich  in  einen  öffentlichen  Kampf 
einzulassen.  Sie  liebt  das  Dunkel,  sie  hat  schon  verloren, 
wenn  sie  gezwungen  ist  an  das  Licht  zu  treten." 

Der  Geselligkeitstrieb  geht  auf  Wechselwirkung,  auf 
gegenseitiges  Geben  und  Nehmen,  Leiden  und  Thun,  nicht 
auf  eine  Thätigkeit  wo  der  Andere  sich  blos  leidend  zu  ver- 
halten hätte;  er  geht  nicht  auf  Subordination,  sondern  auf 
Coordination.  Wer  die  vernünftigen  Wesen  ausser  ihm  nicht 
will  frei  sein  lassen,  der  mag  auf  ihre  Geschicklichkeit,  nicht 
auf  ihre  Vernünftigkeit  rechnen,  der  will  sie  wie  geschickte 
Thiere  beherrschen,  in  dem  ist  der  höhere  Trieb  zu  mensch- 
licher Geselligkeit  noch  nicht  erwacht,  der  steht  nicht  auf 
dem  Standpunct  der  Freiheit,  sondern  der  Sklaverei.  „Rousseau 
sagt:  Mancher  hält  sich  für  einen  Herrn  anderer,  der  doch 
mehr  Sklave  ist  als  sie;  er  hätte  noch  richtiger  sagen  können: 
Jeder,  der  sich  für  einen  Herrn  anderer  hält,  ist  selbst  ein 
Sklave.  Ist  er  es  auch  nicht  immer  wirklich,  so  hat  er  doch 
sicher  eine  Sklavenseele,  und  vor  dem  ersten  Stärkeren,  der 
ihn  unterjocht,  wird  er  niederträchtig  kriechen.**  Nur  der 
ist  frei,  der  alles  um  sich  herum  frei  haben  will.  Der 
Mensch  darf  vernunftlose  Dinge  als  Mittel  für  seine  Zwecke 
gebrauchen,  nicht  aber  vernünftige  Wesen;  auf  diese  darf 
er  nicht  wirken  wie  auf  todte  Materie  oder  Thiere;  er  muss 
auf  ihre  Freiheit  rechnen.  Er  darf  sie  nicht  einmal  wider 
ihren  Willen  weise,  tugendhaft  oder  glücklich  machen,  — 
was  jeder  ohnehin  nur  durch  eigene  Arbeit  werden  kann. 

Weiter  entwickelt  Fichte  aus  dem  Begriff  der  üeberein- 
stimmung  mit  sich  selbst  die  positive  Bestimmung  des  gesell- 
schaftlichen Triebes :  Gemeinschaftliche  Vervollkommnung, 
Vervollkommnung  unser  selbst  durch  die  frei  benutzte  Ein- 

20* 


296  Sitzung  der  phüos-phüol,  Glosse  vom  7,  Juli  1894. 

Wirkung  anderer  auf  uns,  und  Vervollkommnung  anderer 
durch  Rückwirkung  auf  sie  als  auf  freie  Wesen  ist  unsere 
Bestimmung  in  der  Gesellschaft.  Dazu  bedürfen  wir  der 
Geschicklichkeit,  die  durch  Cultur  erworben  und  erhöht  wird; 
einer  Geschicklichkeit  zu  geben,  oder  auf  andere  als  freie 
Wesen  zu  wirken,  und  einer  Empfänglichkeit  zu  nehmen, 
oder  aus  den  Wirkungen  anderer  auf  uns  den  besten  Gewinn 
zu  ziehen.  Selten  ist  Jemand  so  vollkommen,  dass  er  nicht 
durch  jeden  andern  von  irgend  einer  Seite  gefördert  werden 
könnte.  Der  Redner  schliesst  diesen  Vortrag:  »Ich  kenne 
wenig  erhabenere  Ideen,  als  die  Idee  dieses  allgemeinen  Ein- 
wirkens  des  ganzen  Menschengeschlechtes  auf  sich  selbst, 
dieses  unaufhörlichen  Lebens  und  Strebens,  dieses  eifrigen 
Wettstreits  zu  geben  und  zu  nehmen,  das  Edelste  was  dem 
Menschen  zu  Theil  werden  kann,  dieses  allgemeine  Eingreifen 
zahlloser  Räder  ineinander,  deren  gemeinsame  Triebfeder  die 
Freiheit  ist,  und  die  schöne  Harmonie,  die  daraus  entsteht. 
Wer  du  auch  seist,  so  kann  Jeder  sagen,  du,  der  du  nur 
Menschenantlitz  trägst,  du  bist  doch  ein  Mitglied  dieser 
grossen  Gemeine;  durch  welche  unzählige  Mittelglieder  die 
Wirkung  auch  fortgepflanzt  werde,  ich  wirke  darum  doch 
auf  dich,  und  du  wirkst  darum  doch  auf  mich;  keiner,  der 
nur  das  Gepräge  der  Vernunft,  sei  es  auch  noch  so  roh  aus- 
gedrückt, auf  seinem  Gesichte  trägt,  ist  vergebens  für  mich 
da.  Aber  ich  kenne  dich  nicht,  noch  kennst  du  mich:  — 
o  so  gewiss  wir  den  gemeinsamen  Ruf  haben,  gut  zu  sein 
und  immer  besser  zu  werden,  so  gewiss  —  und  daure  es 
Millionen  und  Billionen  Jahre  —  was  ist  die  Zeit?  —  so 
gewiss  wird  einst  eine  Zeit  kommen,  da  ich  auch  dich  in 
meinen  Wirkungskreis  mit  fortreissen  werde,  da  ich  auch 
dir  werde  wohlthun  und  von  dir  Wohlthaten  empfangen 
können,  da  auch  an  dein  Herz  das  meinige  durch  das 
schönste  Band  des  gegenseitigen  freien  Gebens  und  Nehmens 
geknüpft  sein  wird." 


Carriere:  Fiehtea  Geisteaenttptckelung,  297 

Die  dritte  Vorlesung  spricht  von  der  Verschiedenheit 
der  Stände  in  der  Gesellschaft.  Die  Bestimmung  des  Menschen 
an  sich  und  in  der  Gesellschaft  ist  entwickelt,  welches  ist 
die  Bestimmung  des  Gelehrten  in  der  Gesellschaft?  Die 
Beantwortung  dieser  Frage  setzt  eine  andere  voraus:  woher 
kommt  die  Verschiedenheit  der  Stände,  woher  die  Ungleich- 
heit der  Menschen  überhaupt?  Man  hat  wohl  von  den  Vor- 
theilen  gesprochen,  welche  die  verschiedenen  Stände  bringen; 
die  Frage  aber  geht  auf  ihre  Rechtmässigkeit.  Fichte  sendet 
das  Wort  voraus:  dass  in  der  Natur  kein  Theil  derselben 
dem  andern  vollkommen  gleich  sei;  es  ist  das  Princip  der 
durchgehenden  Individualisirung,  des  herrschenden  Unter- 
scheidens,  das  die  Philosophie  streng  erweise.  Ebenso  erfährt 
jedes  Wesen  verschiedene  Einwirkungen,  was  bei  der  be- 
sondem  Fähigkeit  der  Menschen  noch  mehr  Ungleichheit 
hervorbringe.  Das  Gesetz  der  völligen  Uebereinstimmung 
von  uns  selbst  fordre  gleichmässige  Entwickelung  unserer 
Anlagen,  und  der  gesellige  Trieb  tritt  hier  hilfreich  ein,  der 
Mittheilungstrieb,  krafb  dessen  jeder  den  andern  bietet,  was 
er  vorzüglich  besitzt,  und  der  Trieb  das  zu  empfangen,  was 
andere  in  sich  vorzüglich  ausgebildet  haben.  Die  Natur  hat 
jeden  einseitig  gebildet,  die  Vernunft  führt  zu  einer  Aus- 
gleichung alles  Besondem  in  der  Gemeinsamkeit,  sie  sorgt 
dafür,  dass  das  Individuum  in  der  Gesellschaft  eine  vollstän- 
dige harmonische  Bildung  empfange;  die  Vorzüge  der  Ein- 
zelnen werden  in  der  Gesellschaft  Gemeingut  zu  freiem 
Gebrauch.  Die  Natur  mag  mit  der  Vernunft  im  Kampfe 
liegen,  welche  die  äusseren  Verhältnisse  den  praktischen  Be- 
griffen der  Menschen  gemäss  zu  machen  strebt;  dem  Einzelnen 
mag  das  in  einem  besonderen  Berührungspuncte  gerathen, 
in  andern  misslingen,  wo  es  anderen  gelingt;  die  Gesell- 
schaft steht  mit  vereinten  Kräften  für  Einen  Mann,  der  Sieg 
eines  jeden  kommt  aUen  zu  gut.  So  entsteht  durch  die 
physische  Ungleichheit   der  Menschen   eine  neue  Festigkeit; 


298  Sitzung  der  phüosrphüol.  Clctsse  vom  7.  Juli  1894. 

das  Band,  das  sie  vereinigt,  der  Drang  der  Bedürfnisse  und 
ihrer  Befriedigung  selbst  schliesst  sie  zusammen,  und  so  wird 
die  Macht  der  Vernunft  durch  die  Natur  selbst  verstärkt. 

Das  Gesetz  sagt:  bilde  alle  deine  Anlagen  vernünftig 
und  gleichmässig  aus,  soweit  du  kannst,  und  unterwirf  die 
Natur  deinem  Zwecke.  Nun  wird  aber  der  Mensch  in  der 
Gesellschaft  geboren;  er  findet  die  Natur  nicht  mehr  roh, 
sondern  mannigfach  bearbeitet,  und  er  findet  Gruppen  von 
Menschen  beschäftigt  sie  in  bestimmten  Zweigen  für  den 
Gebrauch  vernünftiger  Wesen  umzubilden.  Er  findet  vieles 
gethan,  was  er  ausserdem  hätte  selbst  verrichten  müssen,  und 
nun  wird  es  ihm  zur  Pflicht  seine  Schuld  der  Gesellschaft 
abzutragen,  seinen  Platz  zu  besetzen,  um  das  Geschlecht,  das 
so  vieles  fär  ihn  gethan  hat,  seinerseits  zu  fördern.  Er  er- 
greift ein  besonderes  Fach,  für  dessen  Bearbeitung  seine 
Naturanlage  und  seine  seitherige  Bildung  ihn  geschickt 
macht,  und  wenn  er  schon  dem  Gesellschaftstriebe  des 
Mittheilens  und  Empfangens  sich  versagen  konnte,  so  tritt 
nun  in  der  Wahl  des  Standes  seine  Freiheit  in  ihr  Recht. 
Kein  Mensch  darf  zu  einem  Stande  gezwungen  oder  von 
einem  Stande  ausgeschlossen  werden.  Jede  einzelne  Hand- 
lung oder  Veranstaltung,  die  auf  solchen  Zwang  ausgeht,  ist 
unrechtmässig,  abgesehen  von  der  Unklugheit,  weil  Niemand 
die  Talente  des  anderen  vollkommen  kennt  und  ein  Glied 
dadurch  für  die  Gesellschaft  verloren  gehen  kann,  dass  es  an 
einen  falschen  Platz  gestellt  wird.  Aber  der  Zwang  ist 
ungerecht,  denn  er  setzt  unsere  Handlang  in  Widerspruch 
mit  unserem  praktischen  Begriffe  von  ihr:  wir  wollten  ein 
Glied  der  Gesellschaft  und  wir  machen  ein  Werkzeug  der- 
selben; wir  wollten  einen  freien  Mitarbeiter  an  unserm  grossen 
Plan  und  wir  machen  ein  gezwungenes  leidendes  Instrument 
desselben;  wir  tödten  den  Menschen  in  ihm  und  vergehen 
uns  dadurch  zugleich  an  der  Gesellschaft.  Wir  wählen  einen 
bestimmten  Stand  um  der  Gesellschaft  das  zu  erstatten,  was 


Carriere:  Fichtes  Geistesentwickelung,  299 

sie  fär  uns  gethan  hat.  Das  ist  unsere  Pflicht.  Keiner  hat 
das  Recht  nur  zu  seinem  Selbstgenuss  zu  arbeiten,  sich  vor 
den  Mitmenschen  zu  verschliessen  und  seine  Bildung  ihnen 
unnütz  zu  machen;  denn  durch  die  Gesellschaft  wird  es  ihm 
möglich  sie  zu  erwerben,  sie  ist  in  gewissem  Sinne  ihr 
Product,  ihr  Eigenthum,  dessen  er  die  Gesellschaft  dadurch 
beraubt,  dass  er  ihr  nicht  nützen  will.  Er  hat  die  Pflicht 
der  Gesellschaft  überhaupt  nicht  nur  nützlich  sein  zu  wollen, 
sondern  auch  nach  bestem  Wissen  seine  Bemühungen  auf 
den  letzten  Zweck  der  Gesellschaft  zu  richten,  —  auf  den: 
das  Menschengeschlecht  immer  mehr  zu  veredeln,  es  immer 
freier  vom  Zwange  der  Natur,  immer  selbständiger  zu  machen ; 
—  so  entsteht  durch  die  Ungleichheit  der  Stande  eine  neue 
Gleichheit,  nämlich  ein  gleichförmiger  Fortgang  der  Oultur 
in  allen  Individuen.  Wenn  es  nicht  immer  so  ist,  so  sollen 
wir  arbeiten,  dass  es  so  werde. 

Im  Lichte  der  entwickelten  Idee  erblicken  wir  eine  Ver- 
bindung, in  der  keiner  für  sich  arbeiten  kann,  ohne  für  alle 
zu  arbeiten,  oder  für  andere  zu  arbeiten,  ohne  es  für  sich 
selbst  zu  thun;  der  glückliche  Fortgang  Eines  Mitgliedes  ist 
glücklicher  Fortgang  für  alle,  der  Verlust  des  Einen  Verlust 
für  alle:  ein  Anblick  der  schon  durch  die  Harmonie,  die 
wir  im  Aller  mannigfaltigsten  erblicken,  uns  innigst  wohlthut 
und  unsem  Geist  mächtig  emporhebt. 

Aus  der  ruhigen  Untersuchung  erhebt  sich  Fichte  wieder 
zu  begeisterten  Schlussworten: 

Das  Interesse  steigt,  wenn  man  einen  Blick  auf  sich 
selbst  thut  und  sich  als  Mitglied  dieser  grossen  innigen  Ver- 
bindung betrachtet.  Das  Gefühl  unserer  Würde  und  unserer 
Kraft  steigt,  wenn  wir  uns  sagen:  mein  Dasein  ist  nicht 
vergebens  und  zwecklos;  ich  bin  ein  noth wendiges  Glied  der 
grossen  Kette,  die  von  der  Entwicklung  des  ersten  Menschen 
zum  vollen  Bewusstsein  seiner  Existenz  bis  in  die  Ewigkeit 


300         Sitzung  der  phüos.-phüol.  Glosse  vom  7.  Juli  1894, 

hinausgeht;  alles,  was  jemals  gross  und  weise  und  edel  unter 
den  Menschen  war,  —  diejenigen  Wohlthäter  des  Menschen- 
geschlechtes, deren  Namen  ich  in  der  Weltgeschichte  auf- 
gezeichnet lese  und  die  mehreren,  deren  Verdienste  ohne 
ihren  Namen  vorhanden  sind,  —  sie  alle  haben  für  mich 
gearbeitet,  —  ich  bin  in  ihre  Ernte  gekommen;  —  ich  be- 
trete auf  der  Erde,  die  sie  bewohnten,  ihre  segenverbreitenden 
Fussstapfen.  Ich  kann,  sobald  ich  will,  die  erhabene  Auf- 
gabe, die  sie  sich  aufgegeben  hatten,  ergreifen,  unser  gemein- 
sames Brudergeschlecht  immer  weiser  und  glücklicher  zu 
machen;  ich  kann  da  fortbauen,  wo  sie  aufhören  mussten; 
ich  kann  den  herrlichen  Tempel,  den  sie  unvollendet  lassen 
mussten,  seiner  Vollendung  näher  bringen." 

„Aber  ich  werde  aufhören  müssen  wie  sie"  —  dürfte 
sich  Jemand  sagen.  —  0  es  ist  der  erhabenste  Gedanke 
unter  allen:  ich  werde,  wenn  ich  jene  erhabene  Aufgabe 
übernehme,  nie  vollendet  haben;  ich  kann  also,  so  gewiss 
die  üebernehmung  meine  Bestimmung  ist,  ich  kann  also  nie 
aufhören  zu  wirken  und  mithin  nie  aufhören  zu  sein.  Das 
was  man  Tod  nennt  kann  mein  Werk  nicht  abbrechen;  denn 
mein  Werk  soll  vollendet  werden  und  es  kann  in  keiner  Zeit 
vollendet  werden,  mithin  ist  meinem  Dasein  keine  Zeit  be- 
stimmt, —  und  ich  bin  ewig.  Ich  habe  zugleich  mit  der 
üebernehmung  jener  grossen  Aufgabe  die  Ewigkeit  an  mich 
gerissen.  Ich  hebe  mein  Haupt  kühn  empor  zu  dem  drohen- 
den Felsengebirge  und  zu  dem  tobenden  Wassersturz  und 
zu  den  krachenden,  in  einem  Feuermeer  schwimmenden 
Wolken  und  sage:  ich  bin  ewig  und  ich  trotze  eurer  Macht. 
Brecht  alle  herab  auf  mich,  und  du  Erde  und  du  Himmel 
vermischt  euch  im  wilden  Tumulte,  und  ihr  Elemente  alle 
schäumet  und  tobet  und  zerrüttet  im  wilden  Kampfe  das 
letzte  Sonnenstäubchen  des  Körpers,  den  ich  mein  nenne,  — 
mein  Wille  allein  mit  seinem  festen  Plane  soll  kühn  und 
kalt  über  den  Trümmern  des  Weltalls  schweben;   denn   ich 


Carriere:  Fichtea  OeistesentwicJcelung.  301 

habe  meine  Bestimmung  ergriffen  und  die  ist  dauernder  als 
ihr;  sie  ist  ewig  und  ich  bin  ewig  wie  sie.* 

Indem  Fichte  sich  in  der  vierten  Vorlesung  zur  Be- 
stimmung des  Gelehrten  wendet,  fragt  er :  ob  man  ihn  nicht 
des  Eigendünkels  zeihen  werde,  wenn  er  dieselbe  als  sehr 
ehrwürdig  darstelle;  indess  die  Wahrheit  steht  dem  Philo- 
sophen höher  als  die  Bescheidenheit,  und  er  fügt  hinzu:  dass 
jeder  Stand  nothwendig  ist,  jeder  unsere  Achtung  verdient, 
und  dass  nicht  der  Stand,  sondern  die  würdige  Behauptung 
desselben  das  Individuum  ehrt,  der  Gelehrte  aber  am  be- 
scheidensten sein  müsse,  da  er  seinem  Ideal  gewöhnlich  nur 
in  weiter  Ferne  sich  nähert.  Hat  die  Entwicklung  aller 
Anlagen  der  Menschen  dahin  geführt,  dass  jeder  einem  be- 
stimmten Beruf  sich  widmet,  hier  für  das  Ganze  förderlich 
wirkt  und  dafür  die  Früchte  der  Arbeit  des  andern  mit- 
geniesst,  so  ergibt  sich  leicht,  dass  dies  die  Erkenntniss  des 
Menschen  fordert,  dass  in  uns  ein  Trieb  lebt  zu  wissen  vor- 
nehmlich das  was  Noth  thut.  Die  Kenntniss  der  Anlagen 
und  Bedürfnisse  wäre  leer  und  unnütz  ohne  die  Mittel  sie 
zu  entwickeln  und  zu  befriedigen;  und  wiederum  müssen  wir 
wissen,  auf  welcher  Stufe  die  Menschheit  steht.  Wenn  auch 
der  grosse  Gang  derselben  sich  philosophisch  bestimmen  lässt, 
die  heutige  Weltlage  muss  empirisch  oder  historisch  erkannt 
werden,  und  da  macht  die  philosophische  und  die  historische 
Wissenschaft  und  ihre  Verbindung  das  aus,  was  den  Ge- 
lehrten bedingt;  er  ist  es,  der  sein  Leben  der  Erwerbung 
und  Fortbildung  dieser  Erkenntnisse  widmet.  Für  den  Ein- 
zelnen tritt  auch  hier  wieder  Arbeitstheilung  ein,  wenn  auch 
die  Philosophie  der  empirischen  Kenntnisse  bedarf.  Der  Zweck 
des  gemeinsamen  Wissens  ist  die  gleichförmige  und  fort- 
schreitende Entwicklung  der  Menschheit,  und  demnach  die 
Bestimmung  des  Gelehrten:  oberste  Aufsicht  über  den  Fort- 
gang des  Menschengeschlechts  im  Allgemeinen  und  die  stete 
Beförderung   dieses    Fortganges.     Er   hängt   von    der   Ent- 


302         Sitzung  der  pJUlos.-phüöl.  Glosse  vom  7,  Juli  1894. 

Wicklung  der  Wissenschaft  ab,  und  wer  diese  hemmt,  der 
will  selber  nicht  weiser  und  besser  werden  und  will  darum 
auch  die  andern  daran  hindern.  Doch  alles  kanp  die  Mensch- 
heit entbehren  und  vieles  kann  man  ihr  rauben,  ohne  ihrer 
Würde  zu  nahe  zu  treten,  nur  nicht  die  Möglichkeit  der 
Vervollkommnung.  Die  Wissenschaft  selbst  ist  ein  Zweig 
der  menschlichen  Bildung;  der  Gelehrte  hat  nicht  blos  auf 
seinem  Gebiete  nach  Erkenntniss  zu  streben,  er  hat  auch 
über  die  Fortschritte  der  übrigen  Menschen  zu  wachen,  ihnen 
den  Weg  zu  bahnen.  Er  ist  für  die  Gesellschaft  da,  und 
ist  darum  verpflichtet,  die  gesellschaftlichen  Talente,  Em- 
pfänglichkeit und  Mittheilungsfertigkeit  vorzüglich  auszu- 
bilden. Er  soll  lernen,  was  in  seiner  Wissenschaft  vor  ihm 
geleistet  worden,  er  soll  sich  den  Ansichten  anderer  nicht 
verschliessen.  Er  soll  die  Menschen  zum  Gefühl  ihrer  wahren 
Bedürfnisse  bringen  und  sie  mit  den  Mitteln  der  Befriedigung 
bekannt  machen;  er  darf  auf  ihr  Wahrheitsgefühl  rechnen, 
aber  er  soll  es  läutern  und  entwickeln.  Der  Gelehrte  ist 
der  Lehrer  des  Menschengeschlechts.  Er  blickb  von  der 
Gegenwart  in  die  Zukunft,  deren  hohes  Ziel  seinem  Auge 
entgegen  strahlt,  er  kann  den  Weg  nicht  überspringen,  aber 
dafür  sorgen,  dass  kein  Stillstand  eintritt.  Er  ist  der  Er- 
zieher der  Menschheit.  Er  wirkt  auf  freie  Menschen  durch 
moralische  Mittel,  ohne  Zwang,  ohne  Täuschung.  Sein  Zweck 
ist  der  Zweck  aller:  die  sittliche  Veredlung  des  ganzen 
Menschen.  Dazu  muss  er  selber  ein  guter  Mensch  sein, 
nicht  blos  durch  Worte,  sondern  durch  sein  Beispiel  wirken. 
Er  soll  das  Salz  der  Erde  sein;  darum  soll  er  der  sittlich 
beste  Mensch  seines  Zeitalters  sein. 

Welch  glückliches  Schicksal  durch  seinen  Beruf  selbst 
zu  dem  bestimmt  zu  sein,  was  man  schon  als  Mensch  thun 
müsste;  zum  Tagewerk  seines  Lebens  eine  Arbeit  zu  haben, 
zu  der  andere  sich  Zeit  und  Kraft  absparen  müssen  um  sie 
als   süsse  Erholung   zu   gewinnen!     ,Es  ist  ein  stärkender, 


Carriere:  Fichtes  Geistesentwickelung.  303 

seelenerhebender  Gedanke,  den  Jeder  unter  Ihnen  haben  kann, 
welcher  seiner  Bestimmung  werth  ist:  auch  mir  an  meinem 
Theile  ist  die  Gultur  meines  Zeitalters  und  das  folgende  Zeit- 
alter anvertraut;  auch  aus  meinen  Arbeiten  wird  sich  der 
Gang  der  künftigen  Geschlechter,  die  Weltgeschichte  der 
Nationen,  die  noch  werden  sollen,  entwickeln.  Ich  bin  dazu 
berufen,  der  Wahrheit  Zeugniss  zu  geben;  an  meinem  Leben 
und  meinem  Schicksale  liegt  nichts;  an  den  Wirkungen 
meines  Lebens  liegt  unendlich  viel.  Ich  bin  ein  Priester 
der  Wahrheit;  ich  bin  in  ihrem  Solde;  ich  habe  mich  ver- 
bindlich gemacht  alles  für  sie  zu  thun  und  zu  wagen  und 
zu  leiden.  Wenn  ich  um  ihrer  willen  verfolgt  werde,  wenn 
ich  in  ihrem  Dienste  gar  sterben  sollte,  —  was  thät'  ich 
dann  Sonderliches,  was  thät^  ich  dann  weiter  als  was  ich 
schlechthin  thun  müsste?*' 

Ficht  weiss,  dass  ein  nervenschwaches  schlaffes  Geschlecht 
von  der  Stärke  solcher  Empfindungen  und  ihres  Ausdrucks 
wie  von  Schwärmerei  sich  abwendet;  aber  er  weiss  auch,  dass 
er  vor  einer  männlichen  Jugend  redet,  an  deren  Kraft  und 
Empfänglichkeit  er  sich  wenden  kann,  um  eine  erhebende 
Sittenlehre  den  Seelen  einzuflössen  und  einen  feurigen  Eifer 
für  ihre  grosse  Bestimmung  zu  entzünden.  Von  dem  Punkt 
aus,  auf  den  die  Vorsehung  ihn  gestellt,  möchte  er  diese 
Gesinnung  nach  allen  Richtungen  hin  verbreiten,  so  weit 
die  deutsche  Sprache  reicht,  und  weiter,  wenn  er  könnte, 
—  damit  wenn  die  hier  vereinten  Zuhörer  sich  nach  allen 
Richtungen  werden  zerstreut  haben,  er  an  allen  Enden  Männer 
wüsste,  deren  Freundin  die  Wahrheit  ist,  die  an  ihr  hangen 
im  Leben  und  Tod,  für  sie  einstehen,  um  so  den  schlau 
versteckten  Hass  der  Grossen,  das  fade  Lächeln  des  Aber- 
witzes und  den  bemitleidenden  Ausdruck  des  Eleinsinns  freudig 
zu  ertragen. 

Eine  fünfte  Rede  prüft  Rousseau^s  Behauptung  über  den 
Einfluss  der  Wissenschaften  auf  das  Wohl   der   Menschheit. 


304         Sitzung  der  phüos.^phüol.  Glosse  vom  7.  Jtdi  1894. 

Wir  setzten  die  Bestimmung  der  Menschheit  in  die 
gleichförmige  Entwicklung  ihrer  Anlagen,  in  die  Förderung 
der  Cultur,  und  fanden  den  Beruf  des  Gelehrten  darin,  dass 
er  über  diesen  Fortgang  wacht.  Dem  ist  Rousseau  mit 
scheinbaren  Gründen  und  hinreissender  Beredtsamkeit  ent- 
gegengetreten :  ihm  ist  das  Fortrücken  der  Cultur  die  einzige 
Ursache  alles  menschlichen  Verderbens,  nach  ihm  ist  kein 
Heil  für  uns  als  in  dem  Naturzustande.  Was  Rousseau 
Wahres  und  Grosses  hat,  —  und  er  gehört  zu  den  grössten 
Männern  des  Jahrhunderts  —  gründet  sich  unmittelbar  auf 
sein  Gefühl.  Aber  da  er  sein  Urtheil  auf  das  unentwickelte 
Gefühl  baut,  so  vermischt  er  Wahres  und  Falsches.  Von 
seinem  reinen  Gefühl  und  seiner  lebhaften  Einbildungskraft 
geleitet  entwarf  er  sich  in  der  Einsamkeit  ein  Bild  von  der 
Welt  und  den  Männern  der  Wissenschaft,  wie  sie  sein  sollten. 
Und  er  kam  in  die  grosse  Welt  und  sah  Menschen  ohne 
Ahnung  des  Gottesfunkens  in  ihnen  zur  Erde  gebeugt  wie 
die  Thiere  im  Dienst  ihrer  Sinnlichkeit;  der  Sinn  für  Recht 
und  Unrecht  schien  verloren,  die  Weisheit  ward  in  die  Ge- 
schicklichkeit gesetzt  den  eigenen  Vortheil  zu  erreichen,  die 
Lüste  zu  befriedigen.  Er  sah  diejenigen,  welche  die  Lehrer 
und  Erzieher  der  Nation  sein  sollten,  herabgesunken  zu  ge- 
falligen Sklaven  ihres  Verderbens,  statt  den  Ton  des  Guten 
anzugeben,  horchend  auf  den  Ton  der  herrschenden  Laster, 
bei  ihren  Untersuchungen  nicht  fragend:  was  ist  wahr,  was 
veredelt?  sondern:  was  hört  man  gern?  werde  ich  dadurch 
gewinnen,  Geld,  Ansehen,  Frauengunst?  Er  sah  das  mit- 
leidige Achselzucken  über  die  Blödsinnigen,  die  den  Geist 
der  Zeit  nicht  verständen,  sah  Talent  und  Kunst  und  Wissen 
vereinigt  zu  dem  elenden  Zweck  das  menschliche  Verderben 

• 

zu  entschuldigen,  und  den  durch  Genüsse  abgestumpften 
Nerven  noch  neue  Ergötzungen  zu  bereiten.  Das  sah  er 
und  sein  hochgespanntes  und  so  getäuschtes  Gefühl  empörte 
sich.     Es  war  das  Zeichen   einer   edlen  Seele.     Aber  in  der 


Carriere:  FicfUes  Oeistesenttoickelung,  305 

Fülle  der  bittern  Empfindungen  sah  er  nur  den  Gegenstand, 
der  sie  erregte.  Die  Sinnlichkeit  herrschte,  die  Cultur  hatte 
durch  sie  ihre  Entartungen,  ihre  Schäden;  das  solle  nicht  sein; 
da  ist  es  besser  die  Sinnlichkeit  wird  gar  nicht  entwickelt: 
kehren  wir  zum  Naturstande  zurück! 

Es  ist  wahr,  in  Rousseau^s  Naturzustande  werden  die 
Laster  nicht  herrschen,  die  ihn  empören.  Der  Mensch  wird 
essen,  wenn  ihn  hungert,  und  wenn  er  satt  ist,  wird  jeder 
ruhig  vor  ihm  essen  und  trinken  können  was  er  begehrt. 
Da  denkt  Niemand  der  Zukunft,  da  wird  das  Laster  aufge- 
hoben, aber  mit  ihm  auch  die  Tugend:  es  gibt  keine  Menschen 
mehr,  sondern  eine  neue  Thiergattung. 

Was  suchte  Rousseau  im  Naturstande,  nach  dem  er 
sich  sehnte,  den  er  anpries?  Er  fühlte  sich  selbst  durch 
mannigfache  Bedürfnisse  aufgeregt  und  eingeschränkt;  er 
war  im  Streben  nach  ihrer  Befriedigung  von  der  Bahn  der 
Rechtficbaffenheit  und  Tugend  abgeführt  worden;  hätte  er 
die  Bedürfnisse  nicht,  und  so  mancher  Schmerz  über  Nicht- 
befriedigung,  so  mancher  noch  bittrere  Schmerz  über  Be- 
friedigung derselben  durch  Unehre  wäre  ihm  erspart  worden. 
Er  sah  wie  andere  ihn  befeindeten,  weil  er  der  Befriedigung 
ihrer  Bedürfnisse  im  Weg  stand.  Der  Mensch  ist  nicht  bös 
ohne  Anreiz  dazu.  Lebte  alles  um  ihn  her  im  Naturstand, 
so  würde  er  vor  andern  in  Ruhe  bleiben,  in  ihm  selber 
ruhig  sein.  Darnach  sehnte  er  sich.  Und  wozu  wollte  er 
diese  ungestörte  Ruhe  anwenden?  Doch  wohl  zu  dem,  was 
er  auch  jetzt  that:  zum  Nachdenken  über  seine  Bestimmung 
und  seine  Pflichten,  um  dadurch  sich  selbst  und  seine  Mit- 
menschen zu  veredeln.  Wie  hätte  er  dies  im  Zustande  der 
Thierheit  vermocht?  Also  er  versetzte  unvermerkt  sich  und 
die  ganze  Gesellschaft  mit  der  ganzen  Ausbildung,  die  sie 
nur  durch  das  Herausschreiten  aus  dem  Stande  der  Natur 
erhalten  konnte,  in  denselben.  Nicht  in  Absicht  der  geistigen 
Ausbildung,    sondern  nur  um   der  Unabhängigkeit   von    den 


306  Sitzung  der  phüosrphüol,  Classe  vom  7.  JvXi  1894. 

Bedürfnissen  der  Sinnlichkeit  willen  wollte  er  die  Menschen 
in  den  Naturstand  versetzen.  Fichte  spricht  hier  einen  Ge- 
danken, den  er  sein  Lebenlang  festgehalten,  zum  erstenmal 
aus.  Der  stoische  Zug  seiner  Natur,  die  Unabhängigkeit  des 
Innern  vom  Aeussern  wirkt  mit  seinem  Glauben  an  Lebens- 
vervollkommnung zusammen.  Je  mehr  der  Mensch  seinem 
höchsten  Ziele  sich  nähert,  um  so  leichter  wird  es  ihm  seine 
sinnlichen  Bedürfnisse  zu  befriedigen.  Es  wird  ihm  stets 
weniger  Mühe  und  Sorge  machen,  sein  Leben  durch  die 
Welt  zu  bringen.  Er  wird  durch  die  Wissenschaft  die 
Kräfte  der  Natur  beherrschen  lernen,  der  Boden  wird  frucht- 
barer, selbst  das  Klima  milder,  die  Erde  freundlicher,  die 
Arbeit  leichter  werden.  Neue  Entdeckungen  und  Erfindungen 
werden  die  Erzeugnisse  des  Bodens  vervielfältigen,  den  Unter- 
halt ohne  grosse  Mühe  und  Sorge  bieten,  und  die  Herr- 
schaft der  Vernunft  lehrt  den  Menschen  höhere  Freuden 
kennen  als  die  sinnlichen;  er  wird  bereit  sein  das  Beste  mit 
Geschmack  zu  geniessen,  wenn  er  es  ohne  Verletzung  anderer 
Pflichten  haben  kann,  und  alles  zu  entbehren,  was  er  nicht 
mit  Ehren  haben  kann.  »Vor  uns  also  liegt,  was  Rousseau 
unter  dem  Namen  des  Naturstandes  und  die  Dichter  unter 
der  Benennung  des  goldenen  Zeitalters  hinter  uns  setzen.'' 
Rousseau  weiss,  dass  wir  uns  diesem  Zustande  nur  durch 
Arbeit  nähern  können  und  sollen.  Die  Natur  ist  roh  und 
wild  und  sollte  es  sein,  damit  der  Mensch  gezwungen  würde 
aus  dem  Naturzustand  herauszutreten  und  sie  zu  bearbeiten, 
damit  er  selbst  aus  einem  blossen  Naturproduct  ein  freies 
vernünftiges  Wesen  werde.  Er  bricht  den  Apfel  der  Er- 
kenntniss,  denn  er  hat  den  Trieb  Gott  gleich  zu  werden. 
Seine  Bedürfnisse  werden  entwickelt  und  so  entsteht  der 
Kampf  zwischen  ihnen  und  der  Trägheit;  nicht  das  Be- 
dürfniss  ist  der  Quell  des  Lasters,  denn  es  ist  Antrieb  zur 
Thätigkeit,  zur  Tugend;  die  Faulheit  ist  der  Laster  Quell. 
So  viel  als  möglich  zu  geniessen   und  so  wenig  als  möglich 


k 


Carriere:  Fichtes  Geistesenttnckelung,  307 

zu  tfaun  —  das  ist  das  Verlangen  der  verdorbenen  Natur, 
und  die  Laster  suchen  ihm  zu  genügen.  Es  ist  kein  Heil 
für  den  Menschen  ehe  nicht  diese  natürliche  Trägheit  mit 
Glück  bekämpft  ist,  und  ehe  nicht  der  Mensch  in  der  Thätig- 
keit  und  allein  in  der  Thätigkeit  seine  Freuden  und  all 
seinen  Genuss  findet.  Der  Schmerz,  der  mit  dem  Gefühl 
des  Bedürfnisses  verbunden  ist,  soll  uns  zur  Thätigkeit  reizen. 
Auch  der  Schmerz,  der  uns  beim  Anblick  des  menschlichen 
Elendes  befällt.  Wer  den  bittern  Unwillen  über  die  Ver- 
dorbenheit der  Welt  nicht  fühlt,  ist  ein  gemeiner  Mensch. 
Wer  ihn  fühlt,  der  soll  suchen  sich  dessen  zu  entledigen 
und  seine  Kraft  zur  Verbesserung  in  seiner  Sphäre  einzusetzen, 
—  und  er  wird  jedenfalls  den  Gewinn  seiner  Thätigkeit  in 
sich  selbst  haben.  Hier  fehlte  Rousseau.  Er  fühlte  das 
Leiden;  er  hatte  Energie  mehr  des  Leidens  als  des  Thuns; 
er  unterschätzte  die  Kraft  der  Menschheit  das  Leid  zu 
überwinden,  sich  zu  helfen.  Segen  seinem  Andenken!  Er 
hat  ein  Feuer  entzündet,  das  weiter  brennt.  Er  selbst  aber 
schwächte  die  Sinnlichkeit  statt  die  Vernunft  zu  stärken, 
die  er  in  der  Ruhe,  nicht  im  Kampf  schilderte.  Seine  durch 
Leidenschaft  irre  geführten  Liebenden  in  der  Neuen  Heloise 
werden  tugendhaft,  aber  wir  sehen  nicht  recht  wie?  Der 
allmähliche  Sieg  der  mit  der  Leidenschaft  ringenden  Vernunft 
wird  nicht  geschildert. 

Daran  knüpft  Fichte  die  Mahnung  an  seine  Zuhörer: 
sie  lernen  durch  die  Philosophie  wie  die  Menschen  sein  sollen, 
sie  werden  in  der  Welt  die  Menschen  gar  anders  finden; 
das  wird  eine  leidvolle  Erfahrung  werden.  ^Aber  lassen 
Sie  sich  durch  diesen  Schmerz  nicht  überwinden,  überwinden 
Sie  ihn  durch  Thaten."  Nicht  zum  Klagen,  nicht  zum 
Tadeln  und  Höhnen,  zum  Handeln  sind  wir  da. 

So  spricht  in  diesen  Vorträgen  nicht  blos  der  Denker, 
sondern  der  sittlich  edle  Mensch.  Das  Sittengesetz  ist  ihm 
das  Ideal,  und  soll  sich  nicht  nach  den  Umständen,  sondern 


308         Sitzung  der  phüos.'phüol.  Glosse  vom  7,  Juli  1894. 

die  Umstände  sollen  sich  nach  ihm  richten.  Die  Wissen- 
schaftslehre hat  den  Willen  als  die  innerste  Wurzel  des  Ich 
erkannt,  als  das  unmittelbar  in  uns  Erlebte.  Für  unser 
Handeln  setzen  wir  eine  objective  Welt  voraus;  sie  ist,  sagt 
Fichte,  das  versinnlichte  Material  unserer  Pflicht.  Eine  freie 
Wechselwirkung  freier  Wesen  ist  die  Bedingung  zur  Ent- 
wicklung des  Selbstbewusstseins;  der  Mensch  wird  nur  unter 
Menschen  ein  Mensch.  Die  eigene  auf  Handeln  gerichtete 
Persönlichkeit  führte  Fichte  dazu  mit  dem  Naturrecht  und 
der  Sittenlehre  die  Wissenschaftslehre  zu  ergänzen,  und  da 
finden  wir  die  Ideen  weiter  ausgeführt,  die  uns  in  den  Vor- 
lesungen mit  erster  Frische  begegnen. 

Von  der  Freiheit  geht  er  aus :  die  Wechselbeziehung  freier 
Wesen  zu  einander  ist  das  Bechtsverhältniss.  Jeder  Mensch 
erkennt  die  Freiheit  des  andern  an  und  wird  von  ihm  als 
freies  Wesen  behandelt;  jeder  beschränkt  seine  Freiheit  so, 
dass  die  Freiheit  des  andern  möglich  bleibt.  Das  geht  auf 
Handlungen  in  der  Sinnenwelt,  nicht  auf  Gesinnungen  wie 
das  Sittengesetz,  das  den  guten  Willen  fordert.  Das  Recht 
gilt  auch  ohne  diesen,  es  geht  auf  Aeusserungen  der  Freiheit, 
und  ist  erzwingbar.  Wer  die  andern  nicht  als  freie  Wesen 
behandelt,  der  verliert  damit  das  Recht  so  behandelt  zu 
werden ;  er  wird  gezwungen  seine  Handlungen  zu  beschränken. 
Das  Gesetz  ist  der  gemeinsame  Wille  der  Vernunftwesen; 
sie  vereinigen  ihre  Macht  zur  Herrschaft  des  Gesetzes  gegen 
die  Rechtswidrigkeit.  Diese  Vereinigung  zur  Rechtsichernng 
ist  der  Staat. 

Der  Staat  ist  nicht  blos  Rechtsordnung,  Gesetzgebung, 
Rechtspflege,  Verwaltung,  er  hat  auch  das  Volkswohl  im 
Auge.  Die  menschliche  Arbeit  als  Erzeugung  der  Roh- 
producte  durch  Ackerbau  und  Viehzucht,  die  Verarbeitung 
durch  Handwerk  und  Fabrik,  der  Umtausch  durch  Handel 
wird  dargestellt.  Die  Sittenlehre  fügt  hinzu:  jeden  habe  das 
Recht  und   die   Pflicht   sich   einen   Lebensberuf  zu   wählen. 


Carriere:  Fichtes  Geist esenttoickdung,  309 

Das  Gate,  die  Verwirklichung  der  Vernunft  durch  die  Frei- 
heit, wird  hier  als  Zweck  der  Welt  erkanut.  Der  Endzweck 
aller  ist  der  gleiche:  Selbständigkeit,  Freiheit,  Vemünftigkeit. 
Jeder  Einzelne  ist  Organ  des  Sittengesetzes,  das  als  Welt- 
zweck nur  verwirklicht  werden  kann,  wenn  alle  dasselbe 
wollen.  Wollen  aber  alle  dasselbe  und  stimmen  sie  überein 
im  Denken  des  Vernünftigen,  dann  , fällt  weg  Kirche  und 
Staat',  wiederholt  Fichte  auch  in  der  Sittenlehre.  Dann  ist 
das  Gottesreich  verwirklicht.  Noch  nennt  er  dies  ein  uner- 
reichbares Ideal.  Aber  auch  jetzt  soll  jeder  bei  allem,  was 
er  thut,  an  alle  denken. 

Die  sittliche  Weltordnung  war  das  Höchste  für  Fichte. 
Als  ordnendes  Princip,  nicht  als  Einrichtung,  sondern  als 
Wille  und  Vernunft  war  sie  ihm  Gott.  Das  Ich  ist  das 
freithätige,  von  allem  Aeussern  Unabhängige,  Sichselbst- 
bestimmende,  —  so  erleben  wir  es  in  uns;  es  ist  unser 
wahres  Selbst,  Freiheit  und  Vernunft.  Der  Zweck  der  Welt 
ist  die  Verwirklichung  des  Guten.  Sie  setzt  die  Natur  mit 
ihrer  Gesetzlichkeit  voraus  als  Bedingung  und  Grundlage, 
und  so  wird  Gott  als  sittliche  Weltordnung  die  einheitliche, 
Natur  und  Geist  ftir  einander  bestimmende  Macht.  ,Es  ist 
gar  nicht  zweifelhaft,  sondern  das  Gewisseste  was  es  gibt, 
ja  der  Grund  aller  andern  Gewissheit,  das  einzige  absolut 
giltige  Objective,  dass  es  eine  moralische  Weltordnung  gibt, 
dass  jedem  vernQnftigen  Individuum  eine  bestimmte  Stelle 
in  dieser  Ordnung  angewiesen  und  auf  seine  Arbeit  gerechnet 
ist;  dass  jedes  seiner  Schicksale,  insofern  es  nicht  etwa  durch 
sein  eigenes  Betragen  verursacht  ist,  Resultat  ist  von  diesem 
Plane,  dass  ohne  ihn  kein  Haar  fällt  von  seinem  Haupte 
und  kein  Sperling  vom  Dache,  dass  jede  wahrhaft  gute 
Handlung  gelingt,  jede  böse  sicher  misslingt,  und  dass  denen, 
die  nur  das  Gute  recht  lieben,  alle  Dinge  zum  Besten  dienen.* 
Ich  brauche  kaum  zu  erinnern:  das  Gute  besteht  in  der 
Gesinnung,  nicht  im  Erfolg.     Die  sittliche  Weltordnung  ist 

1894.  Philoa-philol.  n.  bist.  Gl.  2.  21 


310         Sitzung  der  phüo8,'phüoL  Classe  vom  3.  Juli  1894. 

der  nun  gewonnene  nähere  BegriflP  des  Ich  als  des  absohiten; 
wir  erstehn  und  leben  in  ihm,  das  endliche  Ich  ist  einge- 
gliedert in  die  sittliche  Weltordnung,  und  wir  helfen  sie 
verwirklichen  ^durch  die  Religion  des  freudigen  Rechtthuns*. 
Sie  ist  das  beständig  sich  selbst  realisirende  Ideal,  das  nie- 
mals fertig  ist,  sondern  in  freier  Thätigkeit  ewig  wird. 

Dass  Fichte  nun  nicht  neben  die  sittliche  Weltordnung 
einen  damit  endlichen  Gott  als  Urheber  derselben  stellte,  zog 
ihm  den  Vorwurf  des  Atheismus  zu  und  veranlasste  seine 
Uebersiedelung  nach  Berlin.  Das  Martyrium  für  die  sittliche 
Weltordnung,  das  er  muthig  auf  sich  nahm,  führte  ihn  an 
die  Stelle,  wo  er  als  Redner  an  die  deutsche  Nation  zur 
Wiedergeburt  derselben  herrlich  wirken  und  den  Ruhm  des 
Helden  gewinnen  konnte.  Zugleich  leitete  das  Erlebniss  ihn 
dazu  sich  mit  dem  Wesen  der  Religion  denkend  zu  beschäf- 
tigen, und  dies  brachte  eine  Klärung  und  Vertiefung  seiner 
Ideen  hervor,  wie  sie  nun  in  dem  herrlichen  Werk  über  die 
Bestimmung  des  Menschen  zur  Darstellung  kamen. 

Fichte  stellt  den  Realismus  oder  die  Lehre  von  der 
Natur  und  ihrer  Nothwendigkeit  zunächst  im  Hinblick  auf 
Spinoza  dar.  Alle  Dinge  stehen  in  unzerbrüchlichem  Causal- 
zusammenhange;  der  Mensch  ist  wirkende  Kraft  wie  sie, 
Product  des  allgemeinen  Weltlaufs.  Da  ist  für  Freiheit, 
für  sittliche  Selbstbestimmung  kein  Raum;  und  doch  haben 
wir  beide  in  unserem  Selbstgefühl,  doch  fordert  sie  unsere 
Vernunft.  Das  Natursystem  mag  den  Verstand  befriedigen, 
aber  die  Stimme  des  Herzens  lehnt  sich  dagegen  auf,  und 
so  haben  wir  die  Qual  des  Zweifels,  die  uns  zum  kritischen 
Idealismus  treibt.  Wir  stellen  uns  auf  uns  selbst,  wir  wissen 
blos  von  unsern  Empfindungen  und  Vorstellungen,  von  unserer 
Innenwelt,  und  wenn  wir  Dinge  als  Gründe  unserer  Em- 
pfindungen voraussetzen,  so  sind  dies  nur  von  uns  gedachte 
Gedankendinge.  Und  mein  Selbst  ist  auch  so  mein  Gedanke: 
wir  haben  keine  Realität,  weder  in  uns  noch  aasser  uns.    Es 


Carriere:  Fichtes  Oeistesentwickelung,  311 

gibt  kein  Dauerndes,  nur  einen  rastlosen  Wechsel.  Ich 
weiss  von  keinem  Sein.  ^Ich  weiss  überhaupt  nicht  und 
bin  nicht.  Bilder  sind,  sie  sind  das  Einzige,  was  da  ist  und 
sie  wissen  von  uns  nach  Art  der  Bilder:  —  Bilder  die  vor- 
überschweben, die  durch  Bilder  von  den  Bildern  zusammen- 
hängen, Bilder  ohne  etwas  in  ihnen  Abgebildetes,  ohne  Be- 
deutung und  Zweck.  Ich  selbst  bin  eins  dieser  Bilder,  ja 
ich  bin  selbst  dies  nicht,  sondern  nur  ein  verworrenes  Bild 
von  den  Bildern.  Alle  Realität  verwandelt  sich  in  einen 
wunderbaren  Traum  ohne  ein  Leben,  von  welchem  geträumt 
wird,  und  ohne  einen  Geist,  dem  da  träumt,  in  einen  Traum, 
der  in  einem  Traum  von  sich  selbst  zusammenhängt.  Das 
Anschauen  ist  der  Traum,  das  Denken  —  die  Quelle  alles  Seins, 
aller  Realität,  die  ich  mir  einbilde,  meines  Seins,  meiner 
Kraft,  meiner  Zwecke  —  ist  ein  Traum  von  jenem  Traum.* 
So  schneidend  bestimmt  er  nun  selbst  den  Idealismus, 
den  man  ihm  zuschrieb,  den  Solipsismus,  zu  dem  wir  kommen, 
wenn  wir  dem  Causalgesetz  nur  eine  Bedeutung  für  unsere 
Vorstellungen,  nicht  das  Recht  und  die  Macht  gewähren 
über  sie  hinaus  eine  Realität  der  Aussenwelt  zur  Erklärung 
unserer  Innenwelt  anzunehmen,  wenn  wir  nicht  an  dem 
lebendigen  Selbstgefühl  festhalten,  dass  wir  die  Träger,  nicht 
das  Product  unserer  Vorstellungen  sind.  Doch  war  für  Fichte 
ursprünglich  das  Ich  die  sich  selbst  bestimmende,  selbst 
setzende,  alles  in  sich  hervorbringende  Thätigkeit.  Er  fährt 
nun  fort:  Wenn  uns  das  Wissen  keine  Realität  gewährt,  so 
liegt  nicht  in  ihm,  sondern  in  unserem  Wollen  und  Thun 
unsere  Bestimmung.  Ich  bin  als  Ich  Subject  und  Object  in 
Einem,  das  Denkende  und  Gedachte  zugleich.  Ich  entwerfe 
Begriflfe  um  sie  zu  verwirklichen;  sie  sind  Zwecke,  die  ich 
ausführen  will,  Vorbilder  nicht  Nachbilder  des  Hervorzu- 
bringenden, und  so  bin  ich  reale  Thatkrafb,  die  ich  denke, 
nicht  erdenke.  Aus  der  Gewissheit,  dass  ich  handle,  Zwecke 
verwirkliche,   stammt  die  üeberzeugung   aller  Realität.     Sie 

21* 


312         Sitzung  der  phüosrphüoh  Glosse  vom  7.  JtUi  1894, 

hängt  nicht  vom  Verstand,  sondern  vom  Willen  ab.  Die 
Realität  virird  geglaubt.  Der  Glaube  drängt  dem  Sinnen- 
menschen mit  der  Geburt  sich  auf  um  die  Sinnenwelt  zu 
geni essen,  der  geistige  Mensch  glaubt  an  sie  um  das  Gute 
hervorzubringen.  In  unserem  Gewissen  haben  wir  den  Quell 
aller  Gewissheit.  Es  ist  gewiss,  dass  ich  das  Gute  thun  soll, 
und  alles  was  nothwendige  Bedingung  hierfür  ist,  mein 
eigenes  Leben,  vernünftige  Wesen  ausser  mir,  die  Sinnen  weit 
als  die  Sphäre  meines  Handelns. 

Das  Wohlsein  der  Menschen  wäre  auch  auf  dem  Weg 
des  Naturmechanismus  möglich,  das  Reich  des  Geistes  aber 
ist  Sittlichkeit  durch  Freiheit.  Wir  leben  zugleich  in  der 
Sinnen-  und  Vernunftwelt.  Unsere  That  föllt  in  die  Sinnen- 
welt, unser  Wille  wirkt  in  der  übersinnlichen,  wo  nicht  der 
Erfolg,  sondern  die  Gesinnung  gilt.  Der  gute  Wille  ist  das 
Band  beider  Welten.  Selbstthätige  Vernunft  ist  Wille.  Der 
Vernunftwille  ist  das  herrschende  Gesetz  der  höhern  Welt, 
das  geistige  Band  aller  yernünftigen  Wesen.  Durch  die 
Stimme  des  Gewissens  gibt  er  sich  mir  kund  und  umfasst 
mich  als  eins  seiner  Glieder;  durch  seinen  Gehorsam  ergreife 
ich  ihn  nnd  wirke  in  ihm,  dem  Lebensprincip  der  geistigen 
Welt.  Am  besten  fasst  ihn  die  kindliche  Einfalt,  nennt  ihn 
Vater  und  ergibt  sich  ihm  im  Glauben,  dass  er  alles  wohl 
macht.  Sein  Reich  sollen  wir  verwirklichen  helfen,  sein 
Weltplan  führt  uns  durch  Mangel  zum  Fleiss,  durch  die 
Uebel  der  Unordnung  zur  Rechtsordnung,  durch  die  Drang- 
sale des  Kriegs  zum  Frieden.  Gott  ist  das  selige  Leben 
selbst,  der  Wille,  der  sich  in  allem  entfaltet;  und  so  wird 
die  Natur  aus  der  todten  lastenden  Masse,  die  den  Raum 
ausstopft,  ein  Strom  von  Leben  und  Wesen,  so  fühlen  wir 
uns  mit  allen  Wesen  verwandt,  und  wie  die  Morgensonne 
in  tausend  Thautropfen  sich  spiegelt,  strahlt  uns  das  Ewige 
aus  allem  entgegen,  der  sich  selbstbildende,  darstellende 
Wille. 


k 


Carriere:  Fichtes  Geisteaentwickelung.  313 

Die  Vorträge,  welche  Fichte  1805  in  dem  damals  preus- 
sischen  Erlangen  hielt,  gab  er  1806  wie  eine  neue  und  ver- 
besserte Auflage  der  in  Jena  vor  12  Jahren  veröflfentlichten 
heraus.  War  in  den  Jenaer  Vorlesungen  das  menschliche 
Ich  im  Vordergrund,  so  herrscht  nun  das  göttliche.  Und 
so  beginnt  er  jetzt  sogleich  mit  dem  Satze:  die  gesammte 
Sinnenwelt  und  das  menschliche  Leben  in  ihr  ist  Offenbarung 
der  göttlichen  Idee.  Das  Leben  Gottes  ist  in  sich  thätig, 
das  Sein  lebendig,  ein  Leben  von  sich,  aus  sich,  durch  sich. 
Es  ist  das  wahrhaft  und  allein  Seiende;  es  ist  und  bleibt 
rein  in  sich  selbst  und  es  äussert  sich,  stellt  sich  dar  in  der 
Welt.  Die  in  sich  geschlossene  Einheit  entfaltet  sich  in  die 
Geisterwelt,  in  die  endlichen  Wesen,  die  an  einander  und  in 
der  Natur  ihre  Schranken  haben,  und  im  Flusse  der  Zeit  soll 
das  einheitliche  Leben  nun  aus  dem  Streit  sich  mit  Frei- 
heit bilden,  sollen  die  getrennten  Individuen  durch  eigenen 
Willen  zur  Gleichheit  der  Gesinnung  kommen.  In  der  gött- 
lichen Idee  ist  der  Weltplan  begründet,  und  die  allgemeinen 
Gesetze  des  zeitlichen  Lebens  der  Menschheit  können  wir 
daraus  erkennen,  aber  nicht  die  besondem  Ereignisse  oder 
Zustände;  denn  das  Sittengesetz  ist  nicht  wie  das  Naturgesetz 
von  zwingender  Gewalt,  sondern  ein  Gesetz  der  Freiheit,  des 
sich  selbst  bastimmenden  Thuns  und  Handelns  der  Lebendigen, 
das  an  den  Willen  sich  richtet,  und  so  ist  vieles  da,  was 
nicht  aus  der  Idee  begriffen,  sondern  eben  erfahren,  erlebt 
sein  will  und  nur  auf  dem  Wege  der  Empirie  in  das  Be- 
wusstsein  tritt.  (In  solchem  ISinn  hat  Fichte  die  grossen 
Perioden  geschichtlicher  Entwicklung  in  den  Grnndzügen  des 
gegenwärtigen  Zeitalters  aufgestellt,  im  Besondern  aber  der 
menschlichen  Freiheit  Rechnung  getragen.)  Das  menschliche 
Leben  ist  in  der  göttlichen  Idee  begründet  und  der  Mensch 
soll  die  göttliche  Idee  durch  freie  That  in  der  Welt  ver- 
wirklichen. „Die  ursprüngliche  göttliche  Idee  von  einem 
bestimmten  Standpuncte  in  der  Zeit  lässt  grösstentheils  sich 


314         Sitzung  der  phÜos.'phücl.  Glosse  vom  7.  Juli  1894, 

nicht  eher  angeben,  als  bis  der  von  Gott  begeisterte  Mensch 
kommt  und  sie  ausführt.  Der  Trieb  des  blos  natürlichen 
Daseins  geht  auf  das  Beharren  beim  Alten,  selbst  wo  die 
göttliche  Idee  sich  mit  ihm  vereinigt,  auf  die  Aufrechthaltung 
des  bisherigen  guten  Zustandes  und  höchstens  auf  kleine 
Verbesserungen  desselben;  wo  aber  die  göttliche  Idee  rein 
und  ohne  Beimischung  des  natürlichen  Antriebs  ein  Leben 
gewinnt,  da  baut  sie  neue  Welten  auf,  auf  den  Trümmern 
der  alten. 

,,  Alles  Neue,  Grosse  und  Schöne,  was  von  Anbeginn  der 
Welt  an  in  die  Welt  gekommen  und  was  noch  bis  in  ihr 
Ende  in  sie  kommen  wird,  ist  in  sie  gekommen  und  wird  in 
sie  kommen  durch  die  göttliche  Idee,  die  in  einzelnen  Aus- 
erwählten theilweise  sich  ausdrückt.^ 

Das  Leben  des  Menschen  ist  wie  das  unmittelbare  Werk- 
zeug und  Organ  der  göttlichen  Idee  in  der  Sinnenwelt,  so 
auch  der  erste  und  unmittelbare  Gegenstand  dieser  Wirk- 
samkeit. Das  Ziel  ist  unsere  Fortbildung.  So  ist  der  Staat 
gegründet  als  die  Macht,  an  welcher  der  Streit  der  indi- 
viduellen Kräfte  so  lange  sich  bricht,  bis  eine  allgemeine 
Sittlichkeit  hergestellt  worden;  jeder  individuellen  Kraft  ist 
ihre  Sphäre  angewiesen  und  sie  ist  in  derselben  zugleich 
beschränkt  und  gesichert.  Diese  Einrichtung  lag  in  der  gött- 
lichen Idee,  sie  ist  auf  Antrieb  derselben  von  begeisterten 
Menschen  in  die  Welt  eingeführt  worden;  sie  wird  erhalten 
und  vervollkommnet  werden  durch  denselben  Antrieb  bis  zu 
ihrer  Vollendung.  ,  Dieses  Vom  Streit  mit  sich  selbst  zur 
Einmüthigkeit  zu  erhebende  Menschengeschlecht  ist  noch 
überdies  mit  einer  willenlosen  Natur  umgeben,  welche  sein 
freies  Leben  beschränkt,  bedrohet  und  einengt.  So  musste 
es  sein,  damit  dieses  Leben  durch  eigene  Freiheit  seine  Ein- 
heit gewönne;  und  diese  Kraft  und  Selbständigkeit  des  sinn- 
lichen Lebens  soll  zufolge  der  göttlichen  Idee  fortschreitend 
sich  entwickeln.     Dazu  bedarf  es,   dass  die  Naturkräfbe  den 


Carriere:  Fichtes  Geistesentwickelung,  315 

menschlichen  Zwecken  unterworfen  werden,  und  damit  man 
dieses  vermöge,  muss  man  die  Gesetze,  nach  denen  diese 
Kräfte  wirken,  erkennen  und  im  voraus  die  Eraftäusserungen 
zu  berechnen  vermögen,  üeberdies  nicht  blos  nützlich  und 
brauchbar  soll  die  Natur  dem  Menschen  werden,  sie  soll  zu- 
gleich anständig  ihn  umgeben,  das  Gepräge  seiner  höheren 
Würde  annehmen  und  von  allen  Seiten  dasselbe  ihm  entgegen- 
strahlen. Diese  Herrschaft  über  die  Natur  lag  in  der  gött- 
lichen Idee  und  wird  auf  den  Antrieb  dieser  Idee  durch  Ein- 
zelne, die  von  ihr  ergriffen  werden,  unaufhörlich  erweitert.** 
Man  sieht  wie  wenig  naturfeindlich  Fichte  war,  wie 
er  auf  die  Naturwissenschaft  im  Fortschritt  der  Gesittung 
baut  und  selbst  das  Jahrhundert  einleitet,  in  dem  sie  zur 
tonangebenden  Macht  und  Blüthe  kam,  ja  wie  er  Ver- 
schönerung der  Natur  durch  die  Kunst  im  Auge  hat.  Und 
wenn  in  der  Sittenlehre  manches  herb  und  spartanisch  streng 
dünken  mochte,  wenn  er  nicht  Glück,  sondern  nur  Glück- 
würdigkeit erstreben  lehrte,  jetzt  tritt  auch  hier  die  Freude 
in  ihr  Recht.  „Der  Mensch  hat  seinen  Sitz  nicht  blos  in 
der  Sinnenwelt,  sondern  die  eigentliche  Wurzel  seines  Da- 
seins ist  in  Gott.  Von  der  Sinnlichkeit  und  ihren  Antrieben 
fortgerissen  kann  dies  Bewusstsein  seines  Lebens  in  Gott  sich 
ihm  leicht  verbergen  und  sodann  lebt  er,  welche  edle  Natur 
er  auch  übrigens  sein  möge,  in  Streit  und  Zwietracht  mit 
sich  selber,  in  Unfrieden  und  Uneinigkeit,  ohne  wahre  Würde 
und  Lebensgenuss.  Erst  wie  das  Bewusstsein  der  wahren 
Quelle  seines  Lebens  ihm  aufgeht  und  er  freudig  in  dieselbe 
sich  taucht  und  ihr  sich  hingibt,  überströmt  ihn  Friede, 
Freude  und  Seligkeit.  Es  liegt  in  der  göttlichen  Idee,  dass 
alle  Menschen  zu  dem  erfreuenden  Bewusstsein  kommen  um 
das  ausserdem  unschmackhafbe  endliche  Leben  mit  dem  unend- 
lichen zu  durchdringen  und  in  ihm  zu  geniessen:  darum 
haben  von  jeher  Begeisterte  gearbeitet  und  werden  fort- 
arbeiten dieses  Bewusstsein  in  seiner  möglichst  reinen  Gestalt 


316         Sitzung  der  phüos.'phüoL  Gleise  vom  7.  Juli  1894, 

unter  den  Menschen  zu  verbreiten.  In  denen  nun,  welche 
die  göttliche  Idee  als  Quell  und  Zweck  des  Lebens  erkennen, 
sieht  Fichte  die  Träger  eines  höheren  Daseins  und  die  Fort- 
bildner der  Welt,  sei  es,  dass  sie  diese  Einsicht  verbreiten, 
sei  es,  dass  sie  dieselbe  in  ihrem  unmittelbaren  Handeln 
bethätigen.  Diejenige  Art  der  Erziehung  und  Geistesbildung 
in  jedem  Zeitalter,  die  zur  Erkenntniss  der  göttlichen  Idee 
hinführt,  heisst  die  gelehrte  Bildung.  Sie  ist  also  das  Mittel 
für  das  Höhere:  durch  die  gelehrte  Bildung  des  Zeitalters 
hindurch  kommt  der  Gelehrte  zur  Erkenntniss  der  göttlichen 
Idee.  Auch  als  Lehrer  ist  er  nicht  unpraktisch,  denn  der 
Gegenstand  seiner  Wirksamkeit  ist  der  Sinn  und  Geist  der 
Menschen,  und  es  ist  eine  Kunst  diesen  zu  Begriffen  zu  er- 
heben. Andererseits  kann  der  Träger  der  Idee  die  Welt 
nach  derselben  gestalten,  die  rechtlichen  und  gesellschaft- 
lichen Verhältnisse  der  Menschen  unter  einander,  oder  auch 
die  sie  umgebende  und  auf  ihr  Wirken  einfliessende  Natur 
nach  der  göttlichen  Idee  des  Rechts  oder  der  Schönheit  aus- 
bilden. Wer  die  Idee  noch  nicht  besitzt,  wer  nach  ihr  strebt, 
ist  der  werdende  Gelehrte,  der  Studierende;  einzelne  Licht- 
funken springen  schon  von  allen  Seiten  ihm  entgegen  und 
schliessen  eine  höhere  Welt  vor  ihm  auf,  und  es  gilt  sie 
unter  die  Botmässigkeit  seiner  Freiheit  zu  bringen,  zum 
Ganzen  zu  verbinden.  Richtet  sich  aber  das  Streben  nicht 
auf  die  Idee,  sondern  nur  auf  die  äussere  Form  und  den 
Buchstaben  der  gelehrten  Bildung,  so  erzeugt  sich  nur  der 
angehende  oder  vollendete  Stümper.  So  streng  hält  Fichte 
an  der  Forderung  fest,  dass  der  Geist  der  Sache,  dass  das 
Seinsollende  erkannt  werde.  »Alle  philosophische  Erkennt- 
niss ist  ihrer  Natur  nach  nicht  factisch,  sondern  genetisch, 
nicht  erfassend  irgend  ein  stehendes  Sein,  sondern  innerlich 
erzeugend  und  construirend  dieses  Sein  aus  der  Wurzel  seines 
Lebens.*  Diese  Wurzel  war,  ist  und  bleibt  für  Fichte  das 
Ich,  die   sich   selbstbestimmende  Thätigkelf,   als   deren   Be- 


Carriere:  Fichtes  Geuttesentwickdung,  317 

stimmungeu  und  Thaten  die  besondern  Thatsachen  der  Erfah- 
rung Yon  Staat,  Naturorganismus,  Sittengebot,  Kunst  und 
Wissenschaft  aufgefasst  und  entwickelt  werden  sollen.  Mochte 
früher  das  Ideal,  wie  es  der  Mensch  sich  entwirft,  als  das 
Ziel  seines  Strebens,  als  bestandig  über  der  Wirklichkeit 
erhaben  schweben,  so  dass  es  als  das  niemals  Realisirte,  also 
Unrealisirbare  erscheinen  konnte,  jetzt  ist  es  ihm  ewig  ver- 
wirklicht im  göttlichen  Geiste  und  ebenso  der  Quell  wie  das 
Ziel  des  menschlichen  Strebens.  Wenn  heutige  Neukantianer 
unsere  Ideenbildung  als  Ideendichtung  bezeichnen,  so  werden 
die  Ideale  bald  für  Illusionen  erklärt  werden  und  die  ihnen 
zugeschriebene  begeisternde  Kraft  und  subjective  Wahrheit 
einbüssen,  sofern  nicht  ihre  Realität  in  Oott  behauptet  wird. 
Gerade  die  Forderung  des  genetischen  Erkennens  führt 
noch  zur  Frage:  wie  wird  und  erhält  sich  der  Gelehrte? 
Fichte  antwortet:  , Durch  die  ihm  beiwohnende,  seine  Per- 
sönlichkeit ausmachende  und  in  sich  verschlingende  Liebe 
zur  Idee.  Jedes  Dasein  hält  und  trägt  sich  selber,  und 
im  lebendigen  Dasein  ist  dies  Sichselbsterhalten  und  das 
Bewusstsein  davon  Liebe  seiner  selbst.  Die  ewige  göttliche 
Idee  kommt  hier  nun  in  einzelnen  menschlichen  Individuen 
zum  Dasein;  dieses  Dasein  der  göttlichen  Idee  in  ihnen 
umfasst  nun  sich  selber  mit  unaussprechlicher  Liebe:  und 
dann  sagen  wir,  dem  Scheine  uns  bequemend,  dieser  Mensch 
liebt  die  Idee  und  lebt  in  der  Idee,  da  es  doch  nach  der 
Wahrheit  die  Idee  selbst  ist,  welche  in  seiner  Person  lebt 
und  sich  liebt  und  seine  Person  lediglich  die  sinnliche  Er- 
scheinung dieses  Daseins  der  Idee  ist.  Diese  strenger  ge- 
fassten  Ausdrücke  und  Formeln  schliessen  das  ganze  Yer- 
hältniss  auf  und  wir  können  nun  ohne  Missverständniss  fort- 
fahren :  In  dem  wahrhaften  Gelehrten  hat  die  Idee  ein  sinn- 
liches Leben  gewonnen;  er  liebt  die  Idee;  sie  allein  ist  die 
Quelle  seiner  Freude  und  Genüsse,  das  treibende  Princip  seiner 
Gedanken  und  Handlungen. 


318         Sitzung  der  phäoa.-phüol,  Glosse  vom  7.  Juli  1894, 

Wenn  die  Klarheit  durch  Gegensätze  gewinnt  und  Fichte 
also  auch  zeigen  wird  wie  der  wahre  Gelehrte  sich  nicht 
äussere,  so  bittet  er  darin  keine  satirischen  Nebenblicke, 
keine  Gensuren  literarischer  Zustände  sehen  zu  wollen.  «Der 
Philosoph  entwirft  ruhig  seine  Construction  nach  den  aufge- 
stellten Principien,  ohne  während  dieses  Geschäftes  den 
wirklich  vorhandenen  Zustand  der  Dinge  seiner  Beachtung 
zu  würdigen  oder  des  Andenkens  desselben  zu  bedürfen  um 
die  Betrachtung  fortsetzen  zu  können;  ebenso  wie  der  Geo- 
meter  die  seinige  entwirft,  ohne  sich  zu  bekümmern,  ob 
seine  Figuren  der  reinen  Anschauung  mit  unsern  Werkzeugen 
nachgemacht  werden  können/  Seine  idealistisch-deducirende 
Weise  hat  Fichte  hier  klar  bezeichnet;  eine  inductive  Weise 
die  vom  Gegebenen  aufsteigt,  die  Vernunft  im  Thatsäch- 
liehen  aufweist,  und  darthut  wie  dasselbe  nur  zu  erklären  ist 
im  Lichte  der  Ewigkeit,  im  Zusammenhang  mit  Gott,  hat 
dabei  auch  ihr  Recht,  und  Fichte  selbst  hat  so  die  Grund- 
zfige  des  gegenwärtigen  Zeitalters  zum  Ausgangspunct  seiner 
Philosophie  der  Geschichte  genommen  und  die  Reden  an  die 
deutsche  Nation  so  gehalten,  dass  er  aus  den  geschichtlichen 
Kämpfen  der  Germanen  mit  Rom,  aus  der  Reformation  die 
Folgerungen  für  das  deutsche  Wesen  in  seiner  Bestim- 
mung zog. 

Religion,  Wissenschaft,  Kunst,  Rechtsordnung  und  die 
Naturkenntniss  mit  Naturbeherrschung  sind  die  fünf  Haupt- 
arten, wie  die  göttliche  Idee  im  Menschen  sich  äussert.  Die 
Idee  selbst  ist  es,  welche  durch  eigene  Kraft  in  den  Menschen 
ein  selbständiges  und  persönliches  Leben  sich  verscha£Ft  und 
erhält  und  vermittelst  desselben  die  Welt  nach  sich  gestaltet. 
Das  Leben  der  Idee  stellt  sich  dar  als  Liebe,  sie  bricht 
hervor  in  dem  von  der  Idee  ergriffenen  Menschen. 

Wenn  im  werdenden  Gelehrten  die  Idee  sich  zu  erfassen 
strebt,  wird  er  von  der  Ahnung  des  Wissens  ergriffen  in 
Wissbegierde,  und  über  seine  sinnlichen  Triebe  hinaus  wird 


Carriere:  Fichtes  Geistesentwichelung.  319 

die  Wahrheit  die  bewegende  Macht  seines  Innern.  Diesen 
Trieb  nach  einem  noch  nicht  klar  erkannten  geistigen  nennt 
man  Genie.  Es  ist  ein  Uebersinnliches,  nach  einem  andern 
Uebernatürlichen  Hinziehendes  im  Menschen,  welches  die 
Verwandtschaft  desselben  mit  der  geistigen  Welt  und  seine 
ursprüngliche  Heimath  in  der  geistigen  Welt  andeutet.  Ob 
man  eine  allgemeine  Genialität  als  solche  für  das  Angeborene 
nimmt,  das  durch  die  Umstände  auf  ein  besonderes  Gebiet 
gelenkt  wird,  oder  ob  man  von  Haus  aus  die  Beziehung  auf 
Poesie  oder  Philosophie,  Naturforschung  oder  Gesetzgebung 
für  gegeben  nimmt,  —  immer  wird  der  Mensch  der  vor- 
läufigen geistigen  Bildung  bedürfen  um  Stoff  zur  Entwick- 
lung und  zur  gestaltenden  Thätigkeit  zu  erlangen;  das  Genie 
bedarf  des  Fleisses,  der  ununterbrochenen  Forschung.  Man 
fragt  oft,  ob  die  natürliche  Begabung  oder  der  Fleiss  in 
den  Wissenschaften  am  meisten  fördere.  .Ich  antworte: 
beides  muss  sich  vereinigen;  für  sich  allein  und  ohne  das 
andere  taugt  keines  von  beiden.  Das  Genie  ist  ja  nichts 
anders  als  der  Trieb  der  Idee  sich  zu  gestalten,  die  Idee 
aber  hat  an  sich  keinen  Inhalt  oder  Körper,  sondern  sie 
erbaut  sich  denselben  erst  aus  den  wissenschaftlichen  Kund- 
gebungen der  Zeit,  welche  lediglich  der  Fleiss  herbeiliefert. 
Wiederum  vermag  auch  der  Fleiss  nichts  weiter  als  diese  Ele- 
mente der  zu  erbauenden  Gestalt  herbeizuschaffen;  dieselben 
organisch  zu  verbinden  und  ihr  eine  lebendige  Seele  einzu- 
hauchen vermag  er  nicht,  sondern  dies  bleibt  lediglich  der 
Idee  überlassen,  die  als  natürliches  Talent  sich  offenbart. 
Dass  die  in  dem  wahren  Gelehrten  zum  Leben  gekommene 
Idee  in  die  Welt  eingreife,  ist  ja  der  Zweck  ihrer  Gestaltung. 
Sie  soll  das  höhere  Lebensprincip  werden  und  die  innigste 
Seele  der  umgebenden  Welt;  sie  muss  daher  denselben  Körper 
angenommen  haben,  den  die  umgebende  Welt  trägt,  und  in 
demselben  wie  in  ihrer  Behausung  wohnen.**  Wo  also  die 
Bildung  des  Geistes   fehlt,   der   das   Bild   der  Welt   in   sich 


820  Sitzung  der  phüoarpMöl.  Glosse  vom  7.  Juli  1894, 

aufnimmt,  da  sind  die  Mittel  des  Einflusses  auf  sie  abge- 
schnitten, da  fehlt  die  Klarheit  in  der  Erfassung  der  Welt 
und  die  Freiheit  in  der  Herrschaft  über  die  Mittel  der  dar- 
zustellenden Idee.  Man  nennt  den  Menschen  dann  mit  Recht 
einen  Schwärmer.  Der  wahre  Gelehrte  durchblickt  aus  der 
Idee  als  seinem  einigen  Lichtpunkte  die  ganze  Wirklichkeit 
und  versteht  diese  der  Idee  gemäss  zu  machen.  „Wo  das 
Genie  nur  wirklich  eingetreten,  da  findet  sich  der  Fleiss  von 
selber,  und  vermehrt  sich  in  steter  Steigerung,  und  treibt 
den  angehenden  Gelehrten  unaufhaltsam  fort  zu  seiner  Voll- 
endung; wohingegen  der  Fleiss  sich  nicht  findet,  da  war  es 
nicht  das  Genie  und  der  Antrieb  der  Idee,  welche  zum  Vor- 
schein kamen,  sondern  etwas  Gemeines  und  Unwürdiges  an 
seiner  Stelle.*  Die  Idee  treibt  jeden,  den  sie  wirklich  er- 
grifibn,  unwiderstehlich  zu  rastloser  Wirksamkeit;  will  sie 
doch  das  Menschengeschlecht  neu  beleben.  Wo  die  Person 
bei  dem  Bewusstsein  der  Genialität  stehn  bleibt,  da  ist  weder 
Idee  noch  Genie,  sondern  lediglich  eine  hochmüthige  Natur 
vorhanden,  die  mit  verächtlichem  Seitenblick  auf  Andere 
sich  an  eigener  vermeintlicher  Herrlichkeit  weidet.  Wie  das 
gesunde  Auge  auf  den  Gegenstand  sich  richtet,  keineswegs 
auf  sich  selber  hinschielt,  so  bückt  das  Talent  auf  die  Sache, 
nicht  auf  sich;  es  weiss  in  zarter  Bescheidenheit  und  scham- 
hafter Jungfräulichkeit  nicht  von  sich  selber;  Selbstbe- 
schauung,  Selbstbewunderung,  Selbstlobpreisung  und  der  da- 
raus entspringende  Unfleiss  oder  das  Streben  nach  allerhand 
Frappantem  und  Paradoxem,  das  durch  Verschieben  und  Ver- 
schrauben  fremder  Gedanken  auf  Abenteuer  ausgeht,  —  das 
alles  ist  fern  von  wahrer  Genialität,  das  führt  zu  moralischem 
und  intellectuellem  Verderben. 

Dem  Jünger  der  Wissenschaft  räth  Fichte:  nicht  darüber 
zu  grübeln  ob  er  Genie  habe,  sondern  so  zu  handeln,  als  ob 
solches  in  ihm  vorhanden  sei,  also  mit  treuem  Fleiss,  mit 
Hingebung  des  ganzen  Gemüths  alle  die  Mittel  der  gelehrten 


Carriere:  Fichtea  Geiiftesentwickelung.  321 

Bildung  zu  ergreifen,  die  sich  ihm  darbieten.  Dann  wird 
es  sich  zeigen,  ob  er  aus  einer  klar  durchschauten  Idee  seine 
Welt  versteht  und  gestaltet,  oder  ob  er  das  Material  auf- 
gehäuft, ohne  dass  ein  Funke  der  Idee  ihm  entgegenstrahlt. 
Doch  auch  in  diesem  Fall  bleibt  ihm  das  Bewusstsein,  dass 
er  redlich  das  Seine  gethan,  und  er  ist  im  Stande  sich  als 
taugliches  Werkzeug  einem  schöpferischen  Talent  anzu- 
schliessen,  und  ohne  Neid  und  Eifersucht  der  Leitung  des- 
selben sich  hinzugeben,  also  erwerbend  die  Gewissheit  seine 
Bestimmung  nach  dem  Willen  Gottes  erfüllt  zu  haben,  als 
das  Letzte  und  Höchste,  was  in  irgend  einer  Lage  der 
Mensch  sich  erwerben  kann. 

Wo  die  Idee  mit  eigener  innerer  Kraft  den  Menschen 
ergriffen  hat,  da  treibt  sie  ihn  unauflialtsam  zum  Ziel.  Dem 
angehenden  Gelehrten  liegt  es  ob  mit  inniger  und  voller 
Rechtschaffenheit  also  zu  handeln,  als  ob  ein  Talent  in  ihm 
schlummere,  das  zu  Tag  kommen  soll.  Ist  doch  Recht- 
schaffenheit selbst  eine  göttliche  Idee,  —  die  göttliche  Idee 
in  der  allgemeinen  Gestalt,  in  der  sie. alle  Menschen  in  An- 
spruch nimmt.  Jeder  Mensch  soll  etwas  sein  und  thun,  sein 
zeitliches  Leben  soll  ein  unvergängliches  und  ewiges  Resultat 
hinterlassen  in  der  Oeisterwelt;  jedes  Individuums  Leben  ist 
ein  besonderes,  ihm  allein  zukommendes  und  von  ihm  allein 
gefordertes  Resultat.  So  betrachtet  der  Rechtschaffene  seine 
individuelle  Person  selbst  als  einen  Gedanken  der  Gottheit, 
und  so  wie  die  Gottheit  ihn  gedacht  ist  seine  Bestimmung 
und  der  Zweck  seines  Daseins.  Und  in  der  Rechtschaffen- 
heit selbst,  ihrer  Befestigung  und  Erhöhung,  in  der  Ge- 
wissensruhe und  innern  Freudigkeit,  die  sie  gewährt,  hat 
jeder  einen  guten  Erfolg,  ob  auch  das  Ziel  seiner  Arbeit 
erreicht  werde  oder  nicht;  er  treibt  mit  Rechtschaffenheit 
was  er  treibt,  das  Gelingen  überlässt  er  Gott.  Der  studie- 
rende Rechtschaffne  betrachtet  sich  als  durch  den  Gedanken 
der  Gottheit  dazu  bestimmt,  dass  die  göttliche  Idee  von  der 


322         Sitzung  der  phüos.'phüol.  Glosse  vom  7.  Juli  1894. 

Beschaffenheit  der  Welt  ihn  ergreife  und  in  ihm  eine  be- 
stimmte Klarheit  und  einen  bestimmten  Einfluss  auf  die  ihn 
umgebende  Welt  erhalte.  Dieser  Gedanke,  ob  deutlich  aus- 
gesprochen oder  nicht,  ist  die  Grundlage  und  Voraussetzung 
all  seines  Thuns:  „Ich  bin  dazu  da  und  deswegen  in  das 
Dasein  gekommen,  damit  in  mir  Gottes  ewiger  Rathschluss 
über  die  Welt  von  einer  andern,  bis  jetzt  völlig  verborgenen 
Seite  in  der  Zeit  gedacht  werde  und  Klarheit  gewinne  und 
in  die  Welt  eingreife,  sodass  er  nie  wieder  ausgetilgt  werden 
könne;  nur  diese  eine  an  meine  Persönlichkeit  geknüpfte 
Seite  des  göttlichen  Rathschlusses  ist  das  wahrhaft  Seiende 
an  mir,  alles  Uebrige  was  ich  mir  noch  beimesse,  ist  Traum 
und  Schatten;  nur  sie  ist  das  unvergängliche  in  mir,  alles 
Uebrige  wird  verschwinden  in  das  Nichts,  aus  welchem  es 
nur  scheinbar  hervorgegangen  ist."  So  bleibt  für  Fichte 
das  Sittliche  das  Wesentliche,  die  Sinnenwelt  das  Schein- 
bare, aber  der  Wesenkern  im  Menschen  ist  das  Göttliche, 
und  den  Gedanken  Gottes  als  Lebensbestimmung  zu  erkennen 
und  zu  verwirklichen  ist  die  Aufgabe  des  Menschen;  die 
sittliche  Idee  hat  ein  religiöses  Gepräge  gewonnen,  und  er 
bleibt  den  anfönglichen  Gedanken  insofern  getreu,  als  ihm 
auch  jetzt  unser  wahrhaftiges  Leben  in  der  göttlichen  Idee 
uns  fortwährend  vorkommt  als  Aufforderung  eines  Werdens, 
demnach  als  Missbilligung  unseres  jedesmaligen  stehenden 
Seins  (Gewordenseins).  Die  Erfüllung  unserer  Bestimmung 
bleibt  das  Seinsollende  für  uns.  Und  so  ehrwürdig  dem  Ge- 
lehrten aus  dem  Ursprung  der  göttlichen  Idee  die  Wissen- 
schaft, ja  so  ehrwürdig  und  heilig  er  darum  sich  selber  er- 
scheinen mag,  er  wird  sich  nicht  hochmüthig  über  andere 
erheben  wollen,  denn  der  Hochmuth  stützt  sich  auf  das 
ruhende  gewordene  Sein,  und  indem  er  etwas  zu  sein  glaubt, 
zeigt  er  dadurch,  dass  er  wahrhaftig  gar  nichts  ist,  —  sich 
nicht  als  Werdenden  auffasst.  «Der  Mensch  hat  gar  keinen 
eigenen   Werth   ausser    dem   mit  Treue    seine   Bestimmung, 


Carriere:  Fichtea  Geistesentwickelung,  323 

von  welcher  Art  sie  auch  sein  möge,   zu  erfüllen,  und  hier 
können  alle  einander  gleich  kommen/ 

„Das  eigentliche  Sichselberweg werfen  des  Menschen  be- 
steht darin,  wenn  er  sich  zum  Mittel  macht  für  ein  Zeit- 
liches und  Vergängliches  und  Sorge  und  Mühe  in  etwas 
anderes  zu  wenden  würdiget  als  in  das  Unvergängliche  und 
Ewige.  In  dieser  Rücksicht  soll  jeder  sich  selber  ehrwürdig 
und  heilig  sein,  auch  der  Studierende.**  Von  diesem  Idealis- 
mus aus  wendet  sich  Fichte  mit  unerbittlicher  Rigorosität 
gegen  alle,  welche  die  Wissenschaft  um  äussern  Zwecks 
willen  treiben,  nicht  um  Licht  und  Freiheit  für  sich  selbst 
und  für  die  Menschheit  zu  gewinnen.  Seinen  Fleiss  auf- 
wenden um  ein  gemächliches  Auskommen  und  Ansehen  bei 
den  Mitbürgern  durch  das  Studium  zu  gewinnen,  das  heisst 
ihm  arbeiten  für  das  Grab,  für  die  Vergänglichkeit,  der 
auch  alles  Sinnliche  anheimfällt;  zu  arbeiten  um  den  Neben- 
menschen nützlich  zu  werden  und  ihr  Wohlsein  zu  befördern, 
dieses  heut  beliebte  altruistische  Princip  englischer  Moralisten 
und  ihrer  deutschen  Anhänger,  heisst  ihm  Fleiss  und  Mühe 
an  das  Vergängliche  setzen,  an  Personen  und  Dinge, 
die  gar  bald  nicht  mehr  da  sein  werden.  Der  würdig 
Studierende  sagt  sich,  dass  er  da  ist  durch  einen  Gedanken 
Gottes,  aus  dem  alles  Dasein  quillt;  und  was  er  in  diesem 
.Gedanken  ist  das  bleibt  er  in  Ewigkeit,  und  dies  Ewige 
herauszuarbeiten  will  er  seine  ganze  Kraft  aufwenden.  Dazu 
hilft  ihm  die  Wissenschaft,  und  darum  was  auch  bei  ihrem 
Studium  geringfügig  oder  sonderbar  erscheinen  mag,  weist 
er  nicht  ab,  noch  nimmt  er  es  an  mit  blindem  Glauben 
oder  in  der  Hoffnung,  dass  es  ihm  doch  irgendwie  nützlich 
werden  könne,  sondern  auch  das  gehört  ihm  zu  dem  Stoffe, 
in  welchem  das  Ewige  sich  in  ihm  hervorbilden  und  Gestalt 
gewinnen  will.  Erscheint  demjenigen,  dem  es  an  Verstand 
und  Rechtschaffenheit  gebricht,  die  Wissenschaft  als  blosses 
Mittel  gewisse  irdische  Zwecke  zu  erreichen,  so  erscheint  sie 


324         Sitzung  der  phüos.-phüol.  Glosse  vom  7.  Jtäi  1894, 

demjenigen,  der  sich  mit  rechtschaffenem  Herzen  ihr  widmet, 
nicht  nur  in  ihren  höchsten  und  das  Gottliche  unmittelbar 
berührenden  Zweigen,  sondern  herunter  bis  auf  die  unschein- 
barsten Vorbereitungskenntnisse  als  etwas  in  der  ewigen  Idee 
der  Gottheit  selbst  Gedachtes  und  Beschlossenes,  und  aus- 
drücklich für  ihn  und  in  Beziehung  auf  ihn  Gedachtes,  da- 
mit sie  dadurch  ihr  Werk  an  ihm  und  vermittelst  seiner  in 
dem  ganzen  ewigen  Weltsystem  vollende."  Sein  ganzes 
Leben  hat  dadurch  Sinn  und  Bedeutung  gewonnen,  und  wie 
auch  der  äussere  Erfolg  sei,  immer  ist  es  ein  göttliches  Leben, 
und  eines  solchen  theilhaftig  zu  werden  bedarf  es  keiner 
besondem  Talente,  sondern  nur  des  guten  Willens,  dem 
unsere  höhere  Bestimmung  von  selbst  aufgeht. 

Gott  ist  die  Wahrheit,  und  in  jeder  erkannten  Wahrheit 
erlangen  wir  Theil  an  Gott;  —  in  diesem  meinem  Satz  können 
vnr  wohl  Fichtes  Darstellung  zusammenfassen.  1806  in 
Berlin  in  der  Anweisung  vom  seligen  Leben  knüpft  er  seine 
Lehre  an  den  Anfang  des  Johannesevangeliums:  Gott  ist 
der  Logos  als  die  sich  aussprechende  Vernunft  und  in  ihr 
das  Leben  der  Welt  und  das  Licht  der  Menschen.  Hier 
fügt  er  hinzu:  „Gott  hat  die  Welt  überhaupt  gedacht  nicht 
nur  wie  sie  ist  und  sich  findet,  sondern  auch  also  wie  sie 
sich  durch  sich  selbst  weiter  gestalten  soll;  im  göttlichen 
Gedanken  von  ihr  liegt  das  Princip  einer  ewigen  Fortent-' 
Wicklung  und  zwar  aus  dem  Höchsten  was  in  ihr  sich  findet, 
aus  den  vernünftigen  Wesen  in  ihr  vermittelst  der  Freiheit." 
Sollen  aber  Menschen  den  Gedanken  von  der  Welt  wie  sie 
werden  soll  realisiren,  so  müssen  sie  ihn  erkennen,  und  die 
rechten  Gelehrten  sind  es,  welche  Gott  seine  Grundgedanken 
von  der  Welt  nachdenken ;  und  dieser  Gedanke  ergreift  ihre 
Seele,  und  wird  das  eigentliche  Leben  in  ihrem  Leben;  geht 
dann  alles  Denken  des  Gelehrten  auf  geordnetem  Weg  zu 
seinem  Ziel,  so  ist  was  er  auf  diesem  Boden  thut  gut  und 
recht;  es  ist  göttliche  That.  Diese  Erscheinung  nennen  wir  Genie. 


Carriere:  Fichtes  Geisteaentwickelung.  325 

Fichte  spricht  nun  von  dem  äusseren  Leben  des  Stu- 
dierenden. Die  Auffassung  seiner  Bestimmung  als  eines 
gottlichen  Gedankens  wird  sich  ganz  von  selber  zeigen;  in 
Unschuld  und  Unbefangenheit,  ohne  dass  er  es  selber  so 
eigentlich  weiss,  indem  ein  anderes  Leben  gar  nicht  in 
seinen  Gesichtskreis  föllt.  Er  flieht  die  Berührung  mit  dem 
Gemeinen  und  unedlen.  Gemein  und  unedel  ist  was  die 
Phantasie  herabzieht  und  den  Geschmack  für  das  Heilige  ab- 
stumpft. Wenden  sich  die  Gedanken  beim  Ausruhen  zum 
Spiel  mit  sinnlichen  Ergötzlichkeiten,  so  zieht  das  uns  herab. 
Darum  suche  der  Studierende  in  der  Natur,  in  der  Kunst, 
in  der  Literatur  das  Erhabene;  das  Belächeln  des  Verkehrten 
ist  mehr  Sache  des  höheren  Alters;  erst  nach  dem  Erhabenen 
geht  uns  der  Sinn  für  das  Schöne  auf  und  der  Scherz  mit 
dem  Gemeinen.  Der  Charakter  der  Jugend  verlangt  nach 
Neuem  in  rastloser  Thätigkeit,  sie  träge  zu  sehen  ist  der 
Anblick  des  Winters  mitten  im  Frühling.  Unedel  und  ge- 
mein endlich  ist  was  uns  der  Achtung  vor  uns  selbst,  des 
Glaubens  an  uns,  des  Vermögens  beraubt  auf  uns  selbst  und 
die  Erfüllung  unserer  Vorsätze  zu  rechnen.  Wir  sollen  uns 
selber  Wort  halten  und  ausführen  was  wir  uns  aufgegeben. 
Und  wer  sich  selber  leitet,  der  gibt  sich  nicht  andern,  nicht 
der  öffentlichen  Meinung  zum  Sklaven.  Denn  wer  nur 
andern  aus  Gefölligkeit,  Schwachheit,  Trägheit  sich  an- 
schmiegt, der  hat  keinen  Glauben  an  sich  selbst  und  ist  gar 
kein  Selbst.  Aber  der  äussern  Sitte  wird  der  Studierende 
sich  fügen,  sofern  sie  gute  Sitte  ist,  in  die  er  durch  die  Er- 
ziehung hineingewachsen,  und  er  hat  Besseres  zu  thun  als 
durch  Sonderbarkeiten  sich  auffällig  zu  machen.  So  fliesst 
sein  Leben  unbescholten  und  liebenswürdig  dahin. 

Daran  reiht  sich  ein  Vortrag  über  akademische  Freiheit. 
Historisch  sei  sie  geworden  durch  den  Trieb  der  Studierenden 
sich  des  Schulzwanges  und  mancher  Dienste,  wie  des  Ghor- 
singens,    zu    entledigen.     Zu    berühmten    Lehrern    strömten 

1894.   PfaUoB.-phUol.  u.  hiBt.  Gl.  2.  22 


326         Sitzung  der  philoarphüol.  Glosse  mm  7.  JtUi  1894, 

Hörer  aus  verschiedenen  Ländern  zahlreich  zusammen;  man 
kümmerte  sich  weder  um  ihre  Fortschritte  noch  um  ihre 
Sittlichkeit.  Bei  einer  tüchtigen  Jugend  wirkte  das  als 
Antrieb  sich  ohne  Zwang  und  Aufsicht  um  so  kräftiger  aus- 
zubilden, und  die  Freiheit  darin  zu  finden  aus  eigenem  Ent- 
schluss  das  Zweckmässige  zu  thun.  In  philosophischer  Auf- 
fassung verweist  Fichte  auf  die  bürgerlichen  Gesetze,  die 
nach  allen  Richtungen  gebietend  und  verbietend  feststellen 
was  jeder  zu  thun  und  zu  lassen  hat.  Auf  die  Moralität 
der  Menschen  rechnet  der  Gesetzgeber  nicht;  er  kann  die 
noth  wendig  zu  fordernde  Freiheit  und  Sicherheit  aller  nicht 
vom  Ungewissen  abhängig  machen.  Der  Sittliche,  der  das 
Gute  und  Rechte  aus  eigenem  Willen  vollbringt,  braucht 
keine  Rücksicht  auf  Lohn  oder  Strafe;  er  braucht  kein 
äusseres  Gesetz.  Der  Gelehrte  wie  der  üngelehrte  steht  auf 
gleiche  Weise  zum  Gesetz:  sie  können  sich  über  dasselbe 
erheben,  aber  es  ist  nicht  darauf  gerechnet,  nur  auf  das  ge- 
setzgemässe  Handeln.  Ebenso  gibt  es  Forderungen  des 
Standes  und  Berufes,  die  jeder  zu  erfüllen  hat,  über  welche 
die  öffentliche  Meinung  mit  den  Mitteln  der  Ehre  und  Schande 
wacht.  Aber  eines  ist  dem  Gelehrten  eigenthümlich :  ,Er 
trägt  in  die  göttlichen  Ideen  die  Gestalt  der  künftigen  Zeit- 
alter, die  erst  werden  sollen,  in  sich,  und  er  soll  ein  Bei- 
spiel aufstellen  und  ein  Gesetz  geben  den  künftigen  Ge- 
schlechtern, welches  er  in  der  Gegenwart  oder  in  der  Ver- 
gangenheit vergebens  suchen  würde.  Die  Idee  tritt  in  jedem 
Zeitalter  heraus  in  einer  andern  Gestalt  und  begehrt  die 
umgebende  Welt  nach  sich  zu  gestalten;  es  treten  damit 
immer  neue  Verhältnisse  der  Welt  zur  Idee  und  immer  neue 
Arten  ihres  Widerstreites  hervor.  Dem  Gelehrten  entspringt 
daraus  die  Aufgabe:  die  Reinigkeit  der  Idee  mit  ihrer  Wirk- 
samkeit auf  die  Welt,  ihren  Einfluss  mit  ihrer  Würde  zu 
vereinigen.  Die  Welt  widersetzt  sich  der  neuen  Idee  oder 
sucht    sie    herabzuziehen;    doch    soll    die    Idee    verwirklicht 


Carriere:  Fiehtes  Geistesentwickelung,  327 

werden  ohne  Einbusse.  Für  die  nene  Gestaltang  derselben 
kann  kein  Gesetz,  kein  Beispiel,  auch  nicht  das  blosse  Nach- 
denken helfen;  denn  die  Denkart  der  Welt  und  was  sich 
von  ihr  erwarten  lässt  muss  in  Betracht  gezogen  werden, 
lind  hier  spricht  Fichte  das  bittre  Wort:  Wohl  alle  Männer, 
die  auf  ihre  Zeit  kräftig  gewirkt,  dürfen  ihre  Laufbahn  mit 
dem  innem  Geständniss  beschlossen  haben,  dass  sie  die  Welt 
nicht  für  so  verkehrt  oder  so  blödsinnig  gehalten,  wie  sich 
dieselbe  erwiesen.  ,Soll  etwas  gelingen,  so  bedarf  es  bei 
allem  Nachdenken  noch  eines  sicheren  Tactes,  welcher  nur 
durch  frühe  Uebung  und  Angewöhnung  gewonnen  wird.* 
Fichte  der  Sohn  hat  selber  auf  ein  , Unkünstlerisches ^  im 
Leben  des  Vaters  hingewiesen:  innerlich  gewissenhaft  und 
edeltüchtig  war  er  im  Verständniss  der  Lage  der  Dinge  und 
der  Menschen  oft  schroff  und  ohne  die  nöthige  Rücksicht 
seine  Massnahmen  ihnen  anzupassen.  Hier  sagt  er:  Der 
Gelehrte  ist  nicht  auf  fremdes  Beispiel  oder  Urtheil,  sondern 
auf  seinen  eigenen  guten  Willen  angewiesen,  und  der  muss 
kräftig  und  unerschütterlich  sein  gegen  die  Versuchungen 
auch  edler  Antriebe.  Was  ist  edler  als  der  Trieb  zu  wirken, 
Menschen  zu  begeistern,  ihren  Blick  auf  das  Heilige  zu 
richten?  Aber  man  entheiligt  das  Heilige,  wenn  man  es 
gemein  darstellt,  damit  es  an  die  Gemeinheit  komme.  Was 
ist  edler  als  die  Verachtung  alles  Gemeinen?  Aber  man  darf 
darum  doch  sein  Zeitalter  nicht  aufgeben  oder  wegwerfen, 
denn  man  soll  doch  in  ihm  das  Ideale  ausführen.  Strenge 
Wachsamkeit  über  sich  selbst,  zarte  Scham  vor  sich  selbst 
und  ein  richtiger  Blick  und  scharfer  Tact  für  das  Zweck- 
mässige werden  damit  nothwendige  Bildungselemente  des 
angehenden  Gelehrten,  da  er  bestimmt  ist  meist  in  einer 
Sphäre  zu  wirken,  wo  er  nur  auf  sich  selbst  gestellt  ist. 
Diese  Bildung  kann  er  sich  nur  erwerben,  wenn  er  in  der 
Beurtheilung  des  Zweckmässigen  frei  sich  übt,  wenn  er  seiner 
eigenen  Aufsicht  überlassen  ist.   So  soll  er  bei  Zeiten  als  ein 

22* 


328  Sitzung  der  phüos.-pküol.  Glosse  vom  7,  Juli  1894, 

Freier  und  Edler  behandelt  werden.  Der  gesittete  Mann 
wartet  nicht  bis  das  Unanständige  verboten  wird,  und  unter- 
lässt  was  der  Gemeine  sich  unbedenklich  erlaubt.  Lasse 
mau  dem  Studierenden  den  Spielraum  sich  selbst  in  die  Classe 
der  Wohlgebildeten  zu  setzen!  Das  Menschengeschlecht  soll 
ihm  einst  wichtige  Interessen  anvertrauen  können,  er  selbst 
soll  sich  in  der  Verwaltung  derselben  vertrauen;  dazu  muss 
er  geprüft  werden,  sich  selbst  prüfen.  Wer  im  Kleinen  ge- 
treu gewesen  der  wird  es  auch  im  Grossen  sein.  Und  so 
nimmt  der  Studierende,  was  auch  andere  über  akademische 
Freiheit  denken  mögen,  für  seine  Person  sie  in  dem  rechten 
Sinn:  „als  ein  Mittel  sich  selbst  rathen  zu  lernen,  V70  die  äussere 
Vorschrift  ihn  verlässt,  über  sich  selbst  wachen  zu  lernen,  wo 
kein  andrer  über  ihn  wacht,  sich  selbst  antreiben  zu  lernen, 
wo  es  keinen  äussern  Antrieb  mehr  gibt,  und  so  für  seinen 
künftigen  hohen  Beruf  sich  zu  stärken  und  zu  befestigen.* 
Nun  spricht  Fichte  vom  vollendeten  Gelehrten.  Er 
unterscheidet  ihn  zunächst  von  dem  Studierten,  der  sich 
wissenschafkliche  Bildung  angeeignet  hat  ohne  schöpferischen 
Geist  zu  offenbaren.  Auch  ein  solcher  wird  stets  die  freie 
Zeit  neben  der  Berufsarbeit  der  Wissenschaft  widmen,  und 
darnach  trachten  sich  der  Idee  zu  bemächtigen;  ohne  diese 
rastlose  Fortarbeit  wäre  manches  grosse  Talent  verloren 
gegangen,  das  gerade  bei  innerer  Gediegenheit  sich  oft  lang- 
sam entwickelt  und  im  reiferen  Alter  zur  Klarheit  kommt. 
Aber  auch  wenn  er  einem  genialeren  Manne  sich  anschliesst, 
und  die  im  Streben  nach  der  Idee  errungenen  Fertigkeiten 
in  dessen  Dienst  stellt,  »er  selbst  für  seine  Person  wird  da- 
durch nicht  zum  Mittel  herabgewürdigt,  dagegen  sichert  ihn 
seine  vom  Leben  überhaupt  gewonnene  Ansicht  auf  immer; 
er  dient  im  Geist  und  in  der  Gesinnung  lediglich  Gott,  und 
befordert  unter  der  Leitung  seines  Oberen  Gottes  Zwecke  in 
der  Menschheit."  Die  aber,  deren  Leben  selbst  das  Leben 
der  die  Welt  gestaltenden  fortbildenden  Idee  ist,  theilen  sich 


Carriere:  FUhtes  Geisteaentwiekelung.  329 

in  zwei  Hauptgattungen.  Die  erste  befasst  diejenigen,  welche 
selbständig  nach  eigenem  Begriff  die  menschlichen  Angelegen- 
heiten zu  leiten  haben,  nicht  blos  Regenten  und  Räthe  der 
Könige,  sondern  alle  welche  fär  sich  allein  oder  in  Verbin- 
dung mit  andern  über  die  ursprungliche  Ordnung  mensch- 
licher Angelegenheiten  zu  denken,  zu  beschliessen,  zu  ent- 
scheiden haben;  „sie  greifen  geradezu  ein  in  die  Welt  und 
sind  der  unmittelbare  Berfihrungspunct  Gottes  mit  der  Wirk- 
lichkeit.' Die  andern  haben  den  Beruf  die  Erkenntniss  der 
gottlichen  Idee  unter  den  Menschen  zu  erhalten,  zu  höherer 
Klarheit  und  Bestimmtheit  zu  erheben,  und  sie  in  dieser  sich 
stets  ergänzenden  und  verklärenden  Gestalt  von  Geschlecht 
zu  Geschlecht  fortzupflanzen.  Sie  sind  entweder  Erzieher 
oder  Lehrer,  oder  sie  wirken  als  Schriftsteller. 

Der  würdige  Gelehrte  will  kein  anderes  Wirken  und 
Leben  haben  als  das  der  göttlichen  Idee  in  ihm.  Dieser 
Grundsatz  bestimmt  sein  Denken  und  Handeln:  .So  wird 
begleitet  sein  ganzes  Leben  von  dem  unerschütterlichen  Be- 
wusstsein,  dass  es  einig  sei  mit  dem  göttlichen  Leben,  dass 
an  ihm  und  in  ihm  Gottes  Werk  vollbracht  werde  und  sein 
Wille  geschehe;  er  ruhet  darum  auf  demselben  mit  unaus- 
sprechlicher Liebe  und  mit  der  unzerstörbaren  Ueberzeugung, 
dass  es  recht  sei  und  gut.  Hierdurch  wird  nun  sein  Blick 
überhaupt  geheiligt,  verklärt  und  religiös;  in  seinem  Innern 
geht  ihm  Seligkeit  auf  und  in  ihr  stets  Freudigkeit,  Ruhe 
und  Stärke;  —  alles  auf  dieselbe  Weise  wie  dieses  auch  der 
üngelehrte,  ja  der  AUerniedrigste  im  Volke  durch  treue  Er- 
gebung in  Gott  und  durch  redliche  Erfüllung  seiner  Pflichten 
als  göttlichen  Willens  gleichfalls  sich  erwerben  und  geniessen 
kann,  sodass  daher  dies  keineswegs  eine  Eigen thümlichkeit 
des  Gelehrten  ist,  und  dasselbe  hier  nur  in  der  Bedeutung 
angemerkt  wird,  dass  er  dieser  religiösen  Ansicht  seines 
Lebens  gleichfalls  theilhaftig  sei  und  theilhaftig  werde  auf 
dem  angezeigten  Wege.' 


330  Sitzung  der  phäos.-phüol,  Glosse  vom  7,  JuZt  1894. 

Diese  Worte  aus  eigenem  inneren  Erleben  herausgeredet 
sind  ein  herrliches  Selbstzeugniss  Fichtes  von  seinem  reinen 
sittlichen  Willen  und  von  seiner  Religiosität;  er  der  jungst 
des  Atheismus  Angeklagte  stellt  hier  gegenüber  der  heut 
zu  Tage  auf  so  verkehrte  Art  angestrebten  Trennung  von 
Sittlichkeit  und  Religiosität  die  Einheit  beider  als  das  höchste 
Gut  des  Menschen  dar,  das  der  Arme  wie  der  Reiche,  der 
Gelehrte  wie  der  Ungelehrte  jeder  auf  seine  Weise  erwerben 
und  geniessen  kann.  In  der  leidigen  Verwechslung  von 
Religion  und  Dogmatik,  die  nun  seit  hundert  Jahren  von 
deutschen  Denkern  bekämpft  wird,  meint  man  die  Ethik 
vom  Gedanken  an  Gott  abtrennen  zu  sollen,  und  macht  den 
Nutzen  zum  Götzen,  opfert  den  deutschen  Idealismus  dem  eng- 
lischen Utilitarismus.  Nicht  auf  dogmatische  Voraussetzungen, 
sondern  auf  unser  Gewissen  wollen  wir  die  Ethik  psycho- 
logisch begründen;  aber  im  Gewissen  haben  wir  das  Band 
der  Geisterwelt,  haben  wir  die  Stimme  Gottes.  Fichte  sagt: 
„Was  der  Mensch  auch  immer  thun  möge,  so  lange  er  es 
aus  sich  selber,  als  endliches  Wesen,  und  durch  sich  selbst 
und  aus  eigenem  Rathe  thut,  ist  es  nichtig  und  zerfliasst  in 
das  Nichts.  Erst  wenn  eine  fremde  Gewalt  ihn  ergreift, 
ihn  forttreibt,  und  statt  seiner  in  ihm  lebendig  wird,  kommt 
wirkliches  und  wahrhaftes  Dasein  in  sein  Leben.  Diese 
fremde  Gewalt  nämlich  ist  immer  die  Gewalt  Gottes.  Auf 
diesen  Rath  zu  schauen  und  diesem  sich  ganz  hinzugeben 
ist  die  einzige  wahre  Weisheit  •  in  jedem  menschlichen  Ge- 
schäfte, und  darum  ganz  vorzüglich  in  dem  höchsten,  was 
dem  Menschengeschlechte  zu  Theil  wurde,  im  Berufe  des 
wahren  Gelehrten."  Statt  dessen  ,was  der  Mensch  aus  sich 
selbst  thut**  müssen  wir  setzen :  was  er  selbstsüchtig  thut,  in- 
dem er  sich  als  endliches  Ich  in  seinem  Willen  von  dem 
Unendlichen  abscheidet,  und  ohne  Rücksicht  auf  das  Allge- 
meine das  Seine  sucht.  Auch  dann  aber  ist  sein  Thun  nicht 
nichtig,  noch  zerfliesst  es  in  das  Nichts,  sondern  es  ist  böse, 


Carriere:  Fiehtes  Oeistesentwiekelung,  331 

abtrünnig  vom  Ganzen  und  widergöttlich.  Andrerseits  ist 
die  Idee  nur  in  der  Persönlichkeit  lebendig  und  thätig,  und 
wir  können  eigentlich  nicht  sagen,  dass  das  Selbst  in  ihr 
untergehen  und  sich  aufheben  solle,  sondern  dass  es  sich 
mit  ihr  erfülle  und  in  ihrer  Verwirklichung  seine  Bestim- 
mung erkenne.  Es  ist  vielleicht  mehr  ein  Wortstreit  als 
eine  sachliche  Verschiedenheit.  Wir  sollen  und  können  die 
Selbstsucht  überwinden  kraft  des  alles  durchwaltenden  Willens 
der  Liebe,  in  welchem  wir  inne  werden,  dass  wir  nicht  für 
ans  allein  sind,  sondern  Glieder  eines  höhern  Organismus  sind; 
so  behaupten  wir  unser  Selbst  in  Gott.  Fichte  selbst  sagt 
in  der  achten  Vorlesung:  „Dass  ein  Gott  sei,  leuchtet  dem 
nur  ein  wenig  ernsthaft  Nachdenkenden  über  die  Sinnenwelt 
ohne  Schwierigkeit  ein.  Man  muss  zuletzt  doch  damit  enden 
demjenigen  Dasein,  was  insgemein  nur  in  einem  andern  ge- 
gründet ist,  ein  Dasein  zu  Grunde  zu  legen,  welches  den 
Grund  seines  Daseins  in  sich  selber  habe,  und  dem  in  unauf- 
haltbarem Zeitflusse  hinfliessenden  Veränderlichen  ein  Dauern- 
des und  Unveränderliches  zum  Träger  zu  geben.  Unmittel- 
bar sichtbar  aber  und  wahrnehmbar  durch  alle  auch  äussern 
Sinne  erscheint  die  Gottheit  und  tritt  ein  in  die  Welt  in 
dem  Wandel  göttlicher  Menschen.  In  diesem  Wandel  stellt 
sich  dar  die  Unveränderlichkeit  des  göttlichen  Wesens  in 
der  Festigkeit  und  Unerschütterlichkeit  des  menschlichen 
WoUens,  das  schlechthin  durch  keine  Gewalt  von  der  vor- 
gezeichneten Bahn  abzubringen  ist.  In  ihm  stellet  sich  dar 
Gottes  innere  Klarheit  in  der  menschlichen  Erfassung  und 
Umfassung  alles  Irdischen  in  dem  Einen  das  da  ewig  dauert. 
In  ihm  stellet  sich  dar  Gottes  Wirken  nicht  gerade  in  der 
Beglückung,  sondern  in  dem  Ordnen,  Veredeln  und  Würdig- 
machen des  menschlichen  Geschlechts.  Ein  göttlicher  Wandel 
ist  der.  entscheidendste  Beweis,  den  Menschen  für  das  Dasein 
Gottes  führen  können.* 

,Wenn  du  wissen  willst  was  Gott  ist,  schau  an  was  der 


332         Sitzung  der  phüos.-phüol,  Claase  vom  7.  Juli  1894, 

von  ihm  Begeisterte  thut"  —  sagt  Fichte  in  der  Anweisung 
zum  seligen  Leben,  und  erinnert  an  das  Wort  Jesu:  wer 
mich  sieht  der  sieht  den  Vater.  Das  in  sich  Begründete, 
Dauernde,  das  die  Vernunft  denknothwendig  als  Grund  des 
Veränderlichen  und  in  anderem  Begründeten  der  Sinnenwelt 
erschliesst,  ist  damit  noch  nicht  der  geistige  Gott  der  Religion 
und  Geschichte,  das  weiss  Fichte  gewiss  auch  so  gut  wie  die, 
welche  das  uns  einwenden;  aber  thaisäcblich  ist  ihm  das 
sittliche  Leben,  das  nicht  in  einem  Naturmechanismus,  son- 
dern nur  in  einem  Willen  und  einer  Vernunftidee  seine 
Ursache  haben  kann  und  hat.  Dass  der  ewige  Lebensgrund 
Vernunft  und  Wille  ist,  das  beweist  ihm  der  von  der  Idee 
des  Ewigen  beseelte  Mensch.  Damit  aber,  in  diesem  Zu- 
sammenhang ist  in  der  Sache,  wenn  auch  noch  nicht  im  aus- 
gesprochnen  Bewusstsein  des  Denkers,  der  subjective  Idealis- 
mus überwunden,  der  das  objective  Sein  erst  setzen  sollte; 
damit  ist  das  Göttliche  nicht  blos  ein  nur  Werdendes,  Sein- 
sollendes, sondern  das  Seiende  selbst. 

Die  achte  Vorlesung  handelt  vom  Regenten  als  dem 
Gelehrten,  welcher  die  Idee  im  Leben  der  Welt  realisirt. 
Er  bedarf  dazu  der  Eenntniss  der  gegenwärtigen  Welt  in 
all  ihren  wesentlichen  Gestalten,  wie  der  Anschauung  des 
Ideals,  dem  sie  angenähert  werden  soll.  Er  muss  auf  das 
Ganze  wie  auf  die  Theile  sehen  um  nicht  durch  Fehlgriffe 
und  vermeinte  Verbesserungen  im  Einzelnen  das  Ganze  zu 
desorganisieren.  Der  untergeordnete  Sinn  hält  sich  an  das 
Bestehende  wie  an  ein  Unveränderliches,  und  in  der  That 
wirken  ja  darin  grosse  Geister  der  Vergangenheit  fort;  der 
leitende  Geist  erfasst  das  Ideal  und  die  Wirklichkeit.  Nicht 
das  sinnliche  Wohlsein  der  Menschen  in  einer  kurzen  Spanne 
der  Zeit,  sondern  ihre  Veredlung  ist  sein  Ziel;  vor  Verach- 
tung der  Menschen,  die  kräftigen  Männern  an  leitender 
Stelle  nahe  liegt,  bewahrt  ihn  sein  religiöses  Gefühl:  er 
blickt  über   das  was  die  Menschen  thatsächlich  sind   hinaus 


Carriere:  Fichtes  OetstesentwieJcelung.  333 

auf  das  was  sie  im  göttlichen  Begriffe  sind  und  demzufolge 
werden  können,  werden  sollen,  gewiss  einst  sein  werden;  er 
erkennt  sich  für  einen  Diener  der  Gottheit,  „für  eins  der 
körperlich  existirenden  Gliedmassen,  durch  welches  sie  gerade 
eingreift  in  die  Wirklichkeit.**  Und  er  weiss,  dass  er  die  An- 
schauung der  Ideen  und  die  Kraft  sie  zu  verwirklichen  sich 
nicht  gegeben,  sondern  sie  empfangen  hat,  und  dass  er  vom 
Seinigen  nichts  hinzuthnn  kann  als  den  rechtschaffenen 
Gebrauch;  er  weiss  dass  dasselbe  in  eben  dem  Masse  der 
Niedrigste  im  Volk  ebensowohl  thun  kann,  und  dass  dieser 
dann  in  den  Augen  Gottes  den  gleichen  Werth  hat.  Indem 
aber  der  Regent  seinen  Beruf  als  göttlichen  Ruf  betrachtet, 
gibt  ihm  das  auch.  Kraft  und  Recht  um  des  Ganzen  willen 
Yon  den  Einzelnen  Opfer  zu  fordern,  wie  wenn  er  einen 
gerechten  Krieg  beschliesst,  der  um  des  Vaterlands  willen 
Gut  und  Blut  der  Bürger  auf  das  Spiel  setzt.  Er  thut  es 
im  Dienste  Gottes,  der  das  Recht  auf  jedes  Leben  hat,  das 
von  ihm  ausgegangen  ist  und  zu  ihm  zurückkehrt. 

Wenn  Fichte  meint,  dass  es  einem  Edlen  eine  unwürdige 
Bestimmung  erscheinen  müsse  für  das  sinnliche  Wohl  der 
Menschen  in  der  kurzen  Spanne  Zeit  ihres  Lebens  zu  sorgen, 
so  hat  er  vergessen,  dass  ein  menschenwürdiges  Leben  in  der 
Verbindung  von  Arbeit,  Müsse  und  Genuss  eine  Grundlage 
sittlich-idealen  Strebens  und  Wirkens  ist,  und  dass  es  darum 
gewiss  auch  Sache  des  Regenten  sein  wird  dafür  zu  sorgen. 
Der  Gedanke  seiner  Jugend:  „nicht  Glück,  sondern  Glücks- 
Würdigkeit^  hat  auch  sein  Mannesalter  beseelt,  und  die 
stoische  Geringschätzung  alles  Aeussern  gegenüber  der  in 
sich  festen  tugendhaften  Innerlichkeit  ist  ihm  geblieben. 
Sein  ganzes  Leben  ist  ihm  «die  Vollziehung  des  göttlichen 
Willens  an  und  in  seiner  Person.^  Das  ist  ihm  die  religiöse 
Weihe,  und  er  fügt  hier  hinzu:  „Jedermann  bedarf  der 
Religion,  jedermann  kann  sie  an  sich  bringen,  jedermann 
erhält  mit  ihr  unmittelbar  die  Seligkeit;    ganz   vorzüglich 


334         Sitzung  der  phüoa.'phüol.  Claase  vom  7.  Jtdi  1894, 

bedarf  sie  der  Regent.  Ohne  in  ihrem  Lichte  sein  Geschäft 
zu  verklären  kann  er  es  gar  nicht  mit  gutem  Gewissen 
treiben.  Es  bleibt  ihm  nichts  übrig  als  entweder  Gedanken- 
losigkeit und  mechanische  Betreibung  seines  Geschäftes  ohne 
über  die  Gründe  und  die  Berechtigung  desselben  je  sich 
Rechenschaft  gegeben  zu  haben,  oder  Gewissenlosigkeit, 
Verstockung,  harter  Sinn,  und  Menschenhass  und  Menschen- 
yerachtung  ...  Es  ist  der  Menschheit  alles  daran  gelegen, 
dass  jene  Ueberzeogung  vom  göttlichen  Dasein,  ohne  welches 
sie  selbst  in  ihrer  Wurzel  in  Nichts  zergehen  würde,  in  der- 
selben nie  verschwinde  und  untergehe,  und  ganz  besonders 
muss  den  Regenten  als  den  höchsten  Anordnem  der  mensch- 
lichen Verhältnisse  daran  gelegen  sein.  Theoretisch  durch 
Vernunftgründe  jenen  Beweis  zu  führen  oder  über  die  Art 
dieser  Beweisführung  durch  die  zweite  Gattung  der  Gelehrten 
(die  Männer  der  Wissenschaft)  zu  richten  und  zu  wachen  ist 
nicht  ihres  Amtes;  dagegen  aber  fallt  die  factische  Beweis- 
führung durch  ihr  eignes  Leben,  und  diese  zwar  in  der 
höchsten  Instanz,  ihnen  ganz  eigentlich  anheim.  Spreche 
aus  ihrer  Verwaltung  uns  allenthalben  Festigkeit  und  Sicher- 
heit, spreche  allseitige  Klarheit,  spreche  ein  ordnender  und 
veredelnder  Geist  uns  an,  und  wir  werden  in  ihren  Werken 
Gott  sehen  von  Angesicht  zu  Angesicht  und  keines  andern 
Beweises  bedürfen;  Gott  ist,  werden  wir  sagen,  denn  sie  sind 
und  er  ist  in  ihnen.* 

Dasselbe  Ideal  stellt  nun  Fichte  auch  vom  Mann  der 
Wissenschaft  auf,  der  die  Idee  im  Begriff  darzustellen  hat, 
dessen  Beruf  es  ist  das  Bewusstsein  von  ihr  in  der  Mensch- 
heit zu  immer  grösserer  Bestimmtheit  und  Klarheit  zu  er- 
heben. Hier  gilt  es  die  Gemüther  zur  Empfänglichkeit  vor- 
zubereiten,  auf  der  Schule,  die  schon  durch  die  Lehrstoffe 
der  Sprache,  der  Geschichte  die  Seele  vom  Gemeinen  fern 
zum  Edlen  führt,  und  auf  der  Universität,  wo  nun  die  Idee 
in  den  mannigfachen  Zweigen  der  Wissenschaft  geschildert 


k 


Garriere:  Fichtes  Geisteaentwickelung.  335 

wird.  Der  mündliche  Lehrer  wird  durch  sein  Wort  wie 
durch  sein  Beispiel  wirken,  indem  er  in  seinem  Leben  sich 
von  der  Idee  beseelt  erweist.  Er  soll  die  Idee  im  Ganzen 
und  in  dem  Lehrzweig,  den  er  vorträgt,  klar  erfasst  haben, 
und  in  allem  eine  besondere  Seite  und  Gestalt  der  reinen 
Wahrheit  aufzeigen,  er  soll  sie  auf  die  mannigfaltigste  Weise 
einkleiden  um  die  Empfänglichkeit  für  sie  zu  erwecken,  mit 
dem  Eünstlertalent  des  Gelehrten  soll  er  in  jeder  Hülle  und 
Umgebung  die  Funken  der  sich  zu  gestalten  beginnenden 
Idee  anerkennen  und  zum  Lichte  führen.  Dazu  gehört  dass 
seine  Mittheilung  stets  nea  sei,  die  Spur  des  frischen  gegen- 
wärtigen Lebens  trage.  Denn  nur  das  unmittelbar  Leben- 
dige belebt.  In  frischer  Jugend  soll  er  sich  erhalten,  nichts 
sei  veraltet  und  zu  todter  Gestalt  erstarrt,  alles  aufquellend. 
In  jedem  Worte  spreche  die  Wissenschaft,  spreche  die  Be- 
gierde sie  zu  verbreiten,  spreche  die  innigste  Liebe  zu  seinen 
Zuhörern  als  den  künftigen  Dienern  der  Wissenschaft. 

Indem  Fichte  sich  in  der  zehnten  Vorlesung  zum  Lehrer 
als  Schriftsteller  wendet,  beginnt  er  mit  harten  Worten: 
Dieser  Begriff  sei  so  gut  als  unbekannt;  etwas  ganz  Un- 
würdiges usurpire  ihn.  »Hier  ist  die  eigentliche  Schande 
des  Zeitalters  und  der  wahre  Sitz  aller  seiner  übrigen  wissen- 
schaftlichen Uebel.  Hier  ist  das  Unrühmliche  rühmlich  ge- 
worden, und  wird  aufgemuntert,  geehrt  und  belohnt."  Man 
lasse  drucken  und  über  das  Gedruckte  wieder  etwas  drucken, 
an  die  Stelle  andrer  aus  der  Mode  gekommener  Zeitvertreibe 
sei  das  Lesen  getreten.  Der  neue  Luxus  fordert  immer  neue 
Modewaaren,  und  so  ist  ein  neues  Gewerbe  entstanden,  und 
bereits  ist  dieser  Nahrungszweig  übersetzt,  und  es  wird  viel 
zu  viel  Waare  geliefert.  Der  Buchverleger  bestellt  wie  ein 
andrer  Kaufmann  seine  Waare  bei  dem  Fabrikanten,  und 
der  Bücherfabrikant  arbeitet  auf  Bestellung.  Bei  dem  An- 
drang hat  einer  —  er  denkt  an  den  ihm  verhassten  Nicolai  — 
den  Gedanken   aus  vielen  Büchern  wieder  ein  einziges  fort- 


336         Sitzung  der  phüoa.-phüöl.  Gl(Mse  vom  7.  J%M  1894, 

laufendes  Buch  in  einer  Zeitschrift,  einer  gelehrten  Bibliothek, 
zu  machen,  auszuziehen  was  entweder  gediegen  ist  und 
darum  als  Ganzes  studiert  und  genossen  sein  will,  oder  was 
in  sich  werthlos  und  nichtig  ist,  und  dabei  sich  noch  als 
Beurtheiler  darüber  zu  erheben.  Indess  ein  tüchtiges  Buch 
ist  das  Werk  eines  Lebens  und  erfordert  wiederum  ein  Leben 
um  gewürdigt  zu  werden.  Nun  aber  steuern  viele  mit  und 
ohne  Namen  zu  den  Auszügen  bei,  und  setzen  und  finden 
eine  Ehre  darin  stets  auf  das  zu  merken  was  andre  gedacht 
haben,  und  damit  die  auf  Zusammenhängendes  gerichtete 
Thätigkeit  zu  unterbrechen.  Man  sagt:  dadurch  wird  das 
Publikum  angeregt  und  für  grosse  Werke  vorbereitet;  viel- 
mehr wird  es  dadurch  verkehrt,  verbildet,  für  das  Rechte 
verdorben. 

Niemand  wird  leugnen  dass  die  Schattenseite  des  Schrei- 
bens und  Lesens  richtig  gezeichnet  sei,  dass  der  heutige 
Journalismus  sie  noch  gar  sehr  verbreitet  und  verdunkelt 
hat.  Und  doch  wird  man  dem  Eledner  die  Lichtseite  ent- 
gegenhalten: das  Licht,  das  auf  diese  Weise  für  Millionen 
angezündet  wird,  die  Heranziehung  aller  Volksgenossen  in 
das  geistige  Leben,  zur  Betheiligung  an  den  grossen  Fragen, 
welche  die  Menschheit  bewegen.  Die  Wächter  des  Gesetzes, 
die  Fichte  im  Naturrecht  forderte,  in  einem  Ephorat  suchte, 
das  neben  der  Regierung  stehe,  statt  es  in  den  Volksver- 
tretern zu  finden,  sie  sind  doch  eigentlich  die  öffentliche 
Meinung  wie  sie  durch  die  Presse  gebildet  wird;  die  Presse 
beruft  das  ganze  Volk  zur  Versammlung,  hält  Gericht, 
warnt,  und  hütet  das  Recht.  Das  ist  ihre  ideale  Bedeutung. 
Aber  der  Schaden  der  Halbbildung  unter  den  Schreibenden 
wie  unter  den  Lesenden  ist  nicht  geringer  geworden  am 
Ende  als  am  Anfang  des  Jahrhunderts.  Um  so  wichtiger 
ist  es,  dass  sich  ihm  der  wahre  Schriftsteller  entgegenstellt, 
wie  ihn  Fichte  nun  schildert:  ,Er  soll  die  Idee  ausdrücken 
in  der  Sprache  auf  eine  allgemein  giltige  Weise,  in  der  voll- 


Garriere:  FiekUs  Geigtesentwickelung,  337 

endeten  Form.  Die  Idee  mnss  in  ihm  so  klar,  lebendig  und 
selbständig  geworden  sein,  dass  sie  selbst  in  ihm  sich  offen- 
bart in  der  Sprache,  und  dieselbe  in  ihrem  innersten  Princip 
durchdringend,  durch  ihre  eigene  Kraft  aus  ihr  einen  Körper 
sich  aufbauet.  Die  Idee  muss  selber  reden,  nicht  der  Schrift- 
steller. Alle  Willkür  des  letzteren,  seine  ganze  Individualität, 
seine  ihm  eigne  Art  und  Kraft  muss  erstorben  sein  in  seinem 
Vortrage,  damit  allein  die  Art  und  Kunst  seiner  Idee  lebe, 
das  höchste  Leben,  welches  sie  in  dieser  Sprache  und  in 
diesem  Zeitalter  gewinnen  kann.**  Da  haben  wir  bereits  bei 
Fichte  die  Personification  der  Idee,  den  mythologischen  Aus- 
druck, wie  wenn  sie  eine  thätige  Subjectivität  wäre,  während 
sie  doch  nur  den  Gehalt  und  Gedanken  einer  solchen  aus- 
drückt, —  und  dabei  die  Yerkennung  der  Individualität,  die 
bei  Fichte  ein  Gegenschlag  gegen  die  Vergötterung  des 
menschlichen  Ichs  war,  das  man  ihm  schuldgegeben.  In 
dem  Briefwechsel,  der  sich  wegen  Fichtes  Abhandlung  über 
Geist  und  Buchstab  in  der  Philosophie  entspann,  hatte 
Schiller  ihn  bereits  darauf  hingewiesen:  Schriften,  deren 
Werth  in  den  Resultaten  liegt,  werden  entbehrlich,  wenn 
der  Verstand  diese  auf  einem  leichteren  Wege  findet;  , da- 
gegen Schriften,  in  denen  ein  Individuum  lebend  sich  ab- 
drückt, nie  entbehrlich  werden  und  ein  unvertilgbares  Lebens- 
princip  in  sich  enthalten,  eben  weil  jedes  Individuum  einzig, 
mithin  unersetzlich  und  nie  erschöpft  ist.  Ich  will  nicht 
blos  meine  Gedanken  dem  andern  deutlich  machen,  sondern 
ihm  zugleich  meine  ganze  Seele  übergeben  und  auf  seine 
sinnlichen  Kräfte  wie  auf  seine  geistigen  wirken.'  Fichte 
selbst  nähert  sich  dieser  Ansicht,  wenn  er  sagt:  Das  Werk 
des  Schriftstellers  sei  in  sich  selber  ein  Werk  für  die  Ewig- 
keit. , Mögen  künftige  Zeitalter  einen  höheren  Schwung 
nehmen  für  die  Wissenschaft,  die  er  in  seinem  Werke  nieder- 
gelegt hat;  er  hat  nicht  nur  die  Wissenschaft,  er  hat  den 
ganz  bestimmten  und  vollendeten  Charakter  eines  Zeitalters 


338         Sitzung  der  phüos.-phüol.  Glosse  vom  7,  Jvli  1894, 

in  Beziehung  auf  diese  Wissenscbafb  in  seinem  Werke  nieder- 
gelegt, und  dieser  behält  sein  Interesse,  so  lange  es  Menschen 
auf  der  Welt  geben  wird.  Unabhängig  von  der  Wandel- 
barkeit spricht  sein  Buchstabe  in  allen  Zeitaltern  au  alle 
Menschen,  welche  diesen  Buchstaben  zu  beleben  vermögen, 
und  begeistert,  erhebt,  veredelt  bis  an  das  Ende  der  Tage.* 
—  Weil  eben  ein  lebender  begeisterter  Mensch  in  dem  Werke 
sich  ausgeprägt  und  durch  seine  Persönlichkeit  den  Charakter 
des  Zeitalters  selbst  bestimmt,  weil  die  Idee  in  ihm  selbst 
individuelle  Gestalt  gewonnen,  —  so  können  wir  im  Sinne 
Schillers  ergänzend  hinzufügen. 

Nachdem  Fichte  die  Reden  an  die  deutsche  Nation,  die 
Anweisung  zum  seligen  Leben  vor  gebildeten  Männern  und 
Frauen  in  Berlin  vorgetragen,  ward  die  Universität  errichtet, 
und  er  behandelte  von  neuem  die  Wissenschaftslehre  in  seinen 
Vorlesungen.  Immer  klarer  erkannte  er,  dass  das  Ich,  die 
sich  selbstbestimmende  Thätigkeit  als  das  göttliche  Leben 
einen  Kern  der  Realität  in  sich  trage;  während  er  festhielt, 
dass  das  Lebendige  nicht  aus  dem  Todten,  einem  ruhenden 
objectiven  Sein  entspringen  könne;  aber  im  Qeist,  in  der 
Thätigkeit,  trachtete  er  ein  in  sich  Gefestetes  und  Beruhendes 
zu  erfassen.  Das  Absolute  ist  ohne  Wandel  und  Wanken 
durch  sich  selbst  ein  ewiges  Werden  und  Wirken.  Es  ist 
Denken,  oder  wie  Fichte  jetzt  lieber  sagt,  Wissen;  es  ist 
Spontanität  und  Freiheit,  wie  er  stets  gelehrt;  nun  betonte 
er  die  Ruhe  in  der  Bewegung,  das  sich  selbst  gleichbleibende 
in  der  Entwicklung,  ein  Inneres  in  dem  sich  Aeussernden, 
ein  Wesen  in  der  Erscheinung  als  das  in  ihr  sich  Erschei- 
nende; das  Wissen  wird  zum  Bilde  eines  Realen,  und  in 
allen  Gebilden  der  productiven  Einbildungskraft  waltet  eine 
seiende  Actuosität,  ,ein  freies  Licht,  das  sich  erblickt  als  ein 
seiendes,  ein  seiendes,  das  auf  sich  ruht  als  freies.  Was 
heisst  Sein  anders  als  Beruhen  auf  sich,  Aufgehen  in  sich, 
absolut  mit  und  durch  sich  befriedigt P'^     So  ist  das  Wissen 


Carriere:  FidUes  Oeistesentwickdung.  339 

das  Für-sich  des  Seins,  das  Sein  nie  und  nirgends  ein  todtes, 
sondern  das  im  Wissen  sieb  Bethäiigende,  die  absolute  Ver- 
nunft. Allem  Denken  und  Wissen  als  Thäiigkeit  geht  voraus 
das  reine  Sein  des  Absoluten,  die  Möglichkeit  des  Denkens 
und  Wollens.  Einfach  mögen  wir  sagen:  Wir  müssen  sein, 
real  sein  um  denken  und  uns  selbst  als  Ich  erfassen  und  be- 
stimmen zu  können.  Das  Bewusstsein  ist  das  Fürsichsein 
des  Absoluten,  dem  sein  Ansichsein  zu  Grunde  liegt,  wie 
Fichte  wieder  selbst  betont.  So  kann  er  von  einem  Ueber- 
seienden,  Hyperabsolnten  reden,  einem  Wesen,  das  in  allem 
Wirken  sich  erhält,  die  Möglichkeit  alles  Wirkens,  die 
unendliche  Thätigkeit  des  reinen  Willens,  die  allem  bestinunten 
Wollen  vorausgeht.  Dies  ürvermogen,  diesen  stets  reinen 
seligen  Urquell  alles  Lebens  nennt  Fichte  nun  Gott. 

Alles  Mannigfaltige  auf  die  ursprüngliche  Einheit  zurück- 
zufuhren, sodass  das  Mannigfaltige  sich  durch  das  Eine  und 
das  Eine  sich  durch  das  Mannigfaltige  begreifen  lasse  — 
heisst  nun  die  Aufgabe  der  Philosophie.  Das  Absolute  nennt 
Fichte  nun  gerne  das  Licht,  das  in  sich  eins  im  Ausstrahlen 
sich  manifestirt  und  sich  selber  manifest  wird,  aber  in  aller 
Spaltung  und  Unterscheidung  doch  in  einer  Einheit  in  sich 
bestehen  bleibt,  der  fortströmende  Quell  und  die  innere 
Wahrheit  in  allem  Mannigfaltigen.  Das  Princip  aller  Wirk- 
lichkeit kommt  in  ihr  zur  Erscheinung,  das  Innere  wird  im 
Aeussem  offenbar,  das  Insichsein  des  Absoluten  ist  der  Träger 
von  allem,  sein  Sehen  und  sein  Bild  ist  seine  Bethätigung, 
und  so  ist  die  absolute  Thätigkeit  Verstand  und  W^ille,  ein 
Verstehen  ihrer  selbst.  Das  Ich  wird  hier  also  die  Be- 
thätigung und  die  Selbsterfassung  des  Seins. 

So  spricht  Fichte  in  den  Reden  an  die  deutsche  Nation 
von  Gott  als  dem  in  sich  Einen,  Unsichtbaren,  dem  Mehr 
denn  alle  Unendlichkeit,  in  dem  seine  Philosophie  das  wahre 
Sein  findet  2ieit  und  Ewigkeit  und  Unendlichkeit  erblicke 
sie   in   ihrer  Entstehung  ans  dem  Erscheinen  und  Sichtbar- 


340         Sitzung  der  phHos.-phüöl,  Classe  wm  7.  Jtdi  1894, 

werden  jenes  Einen,  als  das  Mittel,  woran  das  Einzige  das 
da  ist  sichtbar  werde,  und  worin  ihm  ein  Bild  seiner  selbst 
erbaut  werde.  Innerhalb  dieses  Bilderkreises  trete  das  un- 
sichtbare unmittelbar  heraus  als  freies  und  ursprüngliches 
Leben  des  Sehens  oder  als  Willensentschluss  eines  vernünf- 
tigen Wesens,  und  dies  erkennet  wieder  dass  es  nichts  ist 
ausser  dem  Absoluten,  dem  einzig  Wahren. 

So  ergibt  sich  als  Fichtes  Ueberzeugung :  Oott  ist  und 
nur  er  ist;  alles  besteht  und  lebt  durch  ihn  und  in  ihm; 
aber  er  geht  nicht  auf  in  der  Erscheinung,  er  bewahrt  in 
sich  ein  in  sich  ruhendes  Leben,  sein  Sein  selbst  aber  ist 
Thätigkeit,  durch  die  er  sich  bestimmt  und  erfasst. 

Diese  vertiefte  und  erweiterte  Auffassung  bildet  den 
Ausgangspunct  für  die  1811  in  Berlin  gehaltenen  fünf  Vor- 
lesungen über  die  Bestimmung  des  Gelehrten.  Er  bleibt  dem 
Grundsatz  getreu:  ^ias  Ideal  in  all  seiner  Schärfe,  Klarheit 
und  Bestimmtheit,  und  zwar  so  lebendig  und  begeistert  als 
man  kann  hinzustellen,  und  das  Streben  der  Menschen  ihm 
gleichzukommen,  wie  es  sich  auch  mit  der  Erreichung  ver- 
halte, anzufeuern  —  das  ist  das  Einzige  was  Menschen  für 
Menschen  thun  können,  und  das  Höchste. '^ 

Der  Gelehrte  ist  ein  Wisser.  Das  Wissen  ist  nicht 
blos,  wie  man  gewöhnlich  meint,  die  Abspieglung  eines 
äussern  Daseins,  es  ist  auch  praktisch,  ein  Sein  begründend, 
ein  Handeln  fordernd  und  vorzeichnend.  So  entspricht  ihm 
zunächst  kein  Gegenstand,  noch  wird  es  durch  einen  Gegen- 
stand bestimmt,  sondern  es  wird  durch  sich  selbst  gestaltend 
und  wirkt  fortbildend  auf  die  Wirklichkeit.  Wir  wollen 
machen  nicht  was  da  ist,  sondern  was  nicht  ist,  nach  einem  Be- 
griff, nach  einem  Vorbild  für  das  Sein.  Darum  wer  von 
Handeln  redet  und  die  Apriorität  des  Wissens  leugnet,  der 
widerspricht  sich  selbst  ins  eigne  Angesicht.  „Ein  prak- 
tisches Wissen  ist  also  ein  durch  sich  selbst  bestimmtes,  ein 
blosses  Gesicht,    wie    die   deutsche   Sprache   das   griechische 


k 


Carriere:  FidUes  Geistesentwiekdung,  341 

Wort  Idee  trefflich  ausdrückt,  ein  solches  das  selbst  deutlich 
sich  ankündigt  als  dasjenige  dem  die  Realität  nicht  entspreche, 
das  kein  äusseres  Dasein  habe,  sondern  nur  ein  inneres,  und 
das  mit  keinem  ausser  sich,  sondern  nur  mit  sich  selbst  über- 
einstimme: ein  Gesicht  also  aus  der  übersinnlichen  und 
geistigen  Welt,  die  durch  unser  Handeln  wirklich  werden 
und  in  die  Sinnen  weit  eingeführt  werden  soll.^  Ein  blos 
wiederholendes  Wissen  hat  diesem  werthvollen  Wissen  gegen- 
über keinen  Werth.  Der  Gelehrte  soll  nicht  blos  das  ge- 
gebene Sein  wiederholen,  sondern  Gesichte  sehen  aus  dem 
übersinnlichen  Sein.  Wer  das  Gegebene  blos  abspiegeln 
wollte,  der  gäbe  sein  eignes  Wesen  auf  und  erniedrigte  es 
zum  blossen  Schatten  von  Erscheinungen.  Das  wahre  Wissen 
ist  durch  sich  selbst  bestimmt;  «es  ist  das  Bild  des  inner- 
lichen Seins  und  Lebens  der  Gottheit;  denn  Gott  allein  ist 
das  wahrhaft  üebersinnliche  und  der  eigentliche  Gegenstand 
aller  Gesichte/  Als  Bild  Gottes  wird  das  Wissen  durch  das 
Erscheinen  Gottes  in  ihn  getragen.  Wer  nicht  in  dies  reine 
durch  sich  selbst  bestimmte  Wissen  hineinkommt,  der  weiss 
in  der  That  gar  nicht.  Die  Sinnenwelt  und  ihre  Abspieglung 
ist  nur  ein  Mittel  der  Erkennbarkeit  der  wahren  Welt  und 
soll  dazu  dienen,  dass  es  zum  Bilde  Gottes  im  Erkennen 
komme.  Das  ewige  Urbild  Gottes,  in  sich  unendlich,  ent- 
wickelt sich  in  der  Zeit,  und  ist  Grund,  Gesetz  und  Muster 
einer  immerwährenden  Fortbildung,  die  sich  als  solche  an- 
reiht an  das  vorher  Gebildete;  das  Erscheinen  Gottes  ist  ein 
ewiges  Bilden,  in  dessen  Strom  neue  Gesichte  ihren  Geist  aus 
Gott,  ihre  bildliche  und  körperliche  Gestaltung  aus  der 
Sinnen  weit  entlehnen;  sie  sind  also  bedingt  durch  die  vorher- 
gehenden Darstellungen  der  Idee  in  der  Erscheinung,  und 
so  sind  Sinnenwelt  und  übersinnliche  durchaus  vereinigt  und 
unabtrennbar,  und  bilden  nun  in  dieser  Vereinigung  ein 
ewiges  ganzes  und  wahres  Wissen.  Die  übersinnliche  Welt 
offenbart  sich  in   immer  neuen  Gestalten,  und   darum    muss 

1894.  PhUoB.pbilol.  o.  bist.  Gl.  2,  23 


342         Sitzung  der  phüos.'phüol,  Glosse  vom  7,  Juli  1894, 

eine  Sinnenwelt  ihr  immerdar  gegenüberstehen,  und  diese 
Sinnenwelt  wird  ins  Unendliche  fortgebildet  nach  Gottes 
Bilde,  und  an  sie,  wie  sie  schon  das  Gepräge  der  übersinn- 
lichen Welt  trägt,  fügt  die  neue  Offenbarung  sich  an,  und 
tritt  aus  der  Unsichtbarkeit  in  eine  neue  sichtbare  Gestalt, 
und  tritt  ein  nur  in  ein  solches  Auge,  das  an  dem  Anblicke 
der  erneuten  Gestalt  der  Sinnen  weit  schon  verklärt  ist.  Das 
göttliche  Bild  ist  aus  sich  selbst  immerfort  schöpferisch,  und 
tritt  hervor,  damit  die  Welt  nach  ihm  fortgebildet  werde, 
und  nur  in  diesem  Zusammenhange  des  Seinsollenden  mit 
dem  Gewordenen  besteht  die  Fortbildung  der  Welt  und  wird 
die  übersinnliche  als  eine  sich  fortentwickelnde  sichtbar. 
«Dies  eben  und  dies  allein  ist  der  Zweck  alles  Daseins:  dass 
Gott  verklärt  werde,  dass  sein  Bild  immerfort  in  neuer  Klar- 
heit heraustrete  in  die  sichtbare  Welt;  nur  in  dieser  Ver- 
klärung Gottes  rückt  die  Welt  weiter,  und  alles  eigentlich 
Neue  in  ihr  ist  die  Erscheinung  des  göttlichen  Wesens  in 
neuer  Klarheit;  ohne  diese  steht  die  Welt  still  und  geschieht 
nichts  Neues  unter  der  Sonne.  Und  so  wird  denn  der  Wisser 
durch  sein  thätig  gewordenes  Wissen  zur  eigentlichen  Lebens- 
kraft in  der  Welt  und  zur  Triebfeder  der  Fortsetzung  der 
Schöpfung.  Er  ist  der  eigentliche  Vereinigungspunct  zwischen 
der  übersinnlichen  und  der  sinnlichen  Welt,  das  Glied  und 
Werkzeug,  womit  die  erste  in  die  andere  eingreift."  Die 
übersinnliche  Welt  wird  indess  allen  Menschen  angeboten 
und  kann  jedem  erscheinen;  ein  von  ihr  beseeltes  Gemüth 
heisst  das  religiöse.  Es  lebt  in  der  Sinnenwelt  und  thut  was 
auch  der  sinnliche  Mensch  thun  könnte,  aber  es  thut  alles 
um  Gottes  willen,  damit  Gottes  Wille  geschehe.  In  wem 
aber  ein  neues  Gesicht  Gestalt  gewinnt,  der  soll  die  Welt 
nicht  lassen  wie  sie  ist  und  sie  tragen  um  Gottes  willen, 
sondern  er  soll  sie  anders  machen  um  Gottes  Willen  und 
bilden  nach  Gottes  Bild.  ,  Wahre  wissenschaftliche  Be- 
geisterung geht  entweder  von  der  Religion  aus  oder  sie  führt 


Carriere:  Fichtes  Geistesenttoichelung,  343 

zu  derselben  hin.*  Der  Gelehrte  wie  der  Ungelehrte  leben 
in  der  völligen  Hingabe  ihres  Willens  an  Gott;  sie  wollen 
dass  sein  Wille  geschehe;  dieser  wirkt  in  dem  einen  zur 
Erhaltung,  im  andern  zur  Fortbildung  der  Welt.  Der  Ge- 
lehrte bedarf  der  empirischen  oder  historischen  Kenntniss 
der  Welt,  denn  sonst  kann  er  sie  nicht  organisch  weiter 
bilden;  erst  durch  die  wirkliche  Erfahrung  kommt  der  Keim 
des  Geistigen  zu  der  klaren  Gestalt,  die  ihm  gestattet  in  die 
Wirklichkeit  einzugreifen. 

Von  jeher  sind  neue  Ideen  nur  Einzelnen  offenbar  ge- 
worden, die  sie  dann  den  Ändern  vermittelten.  Anfänglich 
hat  in  der  Menschheit  ein  Vernunftinstinct  gewaltet,  der 
sie  die  Worte  der  Seher  verstehen  und  sich  ihnen  anschliessen 
Hess;  die  Begeisterung  der  Propheten  genügte  als  Zeugniss 
der  Wahrheit;  man  hatte  eine  gemeinsame  Anschauung  der 
Idealwelt  wie  der  Sinnenwelt.  Und  so  entstanden  die  Religion, 
die  Künste,  durch  welche  die  Menschheit  der  Naturkräfte 
mächtig  wurde,  die  Ordnungen  des  gemeinschaftlichen  Lebens. 
So  musste  es  sein  um  einem  zweiten  Zeitalter  es  möglich  zu 
machen,  dass  es  mit  Freiheit  sich  aus-  und  fortbilde.  Was 
Fichte  früher  einem  Urvolk  zuschrieb,  von  welchem  die  Cultur 
sich  verbreitet  habe,  das  wird  jetzt  Sache  der  leitenden  Vor- 
sehung und  der  natürlichen  Vernunftanlage.  Aber  unter 
dem  Vernunftinstinct  konnte  die  Welt  nicht  bleiben.  ,Das 
Menschengeschlecht  ist  bestimmt  mit  absoluter  Freiheit  in 
jedem  Einzelnen  zu  allem  selbst  sich  zu  machen  was  es  sein 
soll,  und  nichts  in  sich  zu  behalten  das  nicht  sei  Erzeugniss 
dieser  Freiheit.  Es  soll  geistig  sein  und  zu  dieser  Geistigkeit 
sich  selbst  erheben."  Darum  zerriss  das  Band,  das  alle  unter- 
einander und  an  die  übersinnliche  Welt  knüpfte,  damit  jeder 
den  Eingang  in  diese  selbst  finde.  So  wie  die  Menschen 
fähig  sind  auf  eigenen  Füssen  zu  stehen,  werden  die  begei- 
sterten Seher  nun  Künstler  und  Dichter,  welche  die  Gesichte 

nicht  zur  Verwirklichung,  sondern  einfach  zur  Anschauung, 

23* 


344         Sitsung  der  phüosrphüöl.  Glosse  vom  7.  Juli  1894, 

znr  GemüthserhebuDg  ausprägen;  oder  in  so  fem  die  Ideen 
einen  wirklich  hervorzubringenden  Weltzustand  fordern, 
werden  die  Seher  zu  Gelehrten,  zur  Gelehrtengemeinde. 
Wirkten  die  Gottbegeisterten  früher  wie  Naturgewalt,  so 
müssen  sie  sich  jetzt  an  die  klare  Einsicht  wenigstens  der 
Mehrheit  des  Menschengeschlechts  wenden.  Sie  wissen  dass 
sie  das  absolute  Soll  für  alle  anschauen,  sie  können  ihre 
göttliche  Sendung  nicht  durch  Wunder  darthun,  und  es  ist 
das  gute  R^cht  der  Menschen,  dass  sie  den  Willen  Gottes 
nicht  wie  etwas  Fremdes  erfahren,  sondern  sie  wollen  ihn 
yemehmen  in  sich  selbst;  sie  wollen  ihn  selbst  klar  ein- 
sehen, an  ihre  Einsicht  gilt  es  also  sich  zu  wenden.  Mit 
Zwang,  mit  Täuschung  ist  nichts  mehr,  ist  auf  die  Dauer 
nichts  auszurichten,  Einsicht  muss  eingreifen  in  die  Einsicht 
und  so  in  das  Leben.  Immer  wird  die  Aufgabe  sein  neue 
Gesichte  dem  Verständniss  des  Volks  fasslich  zu  machen  in 
einem  zusammenhängenden  Leben  der  Ersten  und  Letzten. 
Dazu  müssen  die  Gelehrten  Gelehrte  erziehen,  dazu  die  Volks- 
bildung fortentwickelt  werden.  Dazu  bedarf  es  der  Gemeinde 
der  Gelehrten.  Sie  sollen  sich  und  das  Volk  einander  ent- 
gegen erziehen  zum  Wechsel  klarer  Einsicht.  Früher  ergriff 
der  Begeisterte  unmittelbar  die  Umgebung;  jetzt  muss  er 
durch  die  Vernunft,  durch  die  Wissenschaft  überzeugen.  Da 
vermag  der  Einzelne  allein  gar  wenig;  seine  Kraft  und  Eigen- 
thümlichkeit  einflössend  durch  das  Ganze  und  wiederum  sich 
fortbildend  nach  dem  Ganzen  ist  er  etwas. 

«Schon  die  Trennung  des  Dichters  vom  wissenschaftlichen 
Menschen  und  insbesondere  vom  Philosophen  beweiset,  dass 
ein  veränderter  Weltzustand  nun  eingetreten  ist  und  dass  das 
Menschengeschlecht  nach  klarer  Einsicht  ringt"  —  damit 
erkennt  Fichte  dass  ein  Weltalter  des  Geistes  eingetreten  ist, 
wie  ich  solches  in  meinem  Buch  über  die  Kunst  und  in  der 
sittlichen  Weltordnnng  dargethan;  wie  ich  dort  erörterte, 
dass  auf  das  Naturideal  des  Alterthums,  auf  das  Gemüthsideal 


Carriere:  Fiehtes  Oeistesentmekelung.  345 

seit  Buddha,  Jesus  und  Muhammed  nun  das  Ideal  des  Geistes 
in  der  Kunst  dargestellt  wird,  so  wie  wir  Natur,  Gemüth 
und  Geist  als  die  drei  Urmomente  unseres  eigenen  Lebens 
betrachten.  Waren  früher  Natureindrücke,  war  dann  die 
Religion  vorwaltend  und  bestimmend,  so  wird  seit  Cartesius 
und  Newton  die  Wissenschaft  zur  tonangebenden  Macht  in 
der  Menschheit.  Dazu  haben  Kant  und  Fichte  mit  der 
Naturforschung  hingeleitet,  und  in  Lessing,  Goethe,  Schiller, 
Byron,  Cornelius,  Beethoven  wird  auch  auf  dem  ästhetischen 
Gebiet  in  Wort,  Bild  und  Ton  die  Kunst  des  Geistes  offenbar. 

Diese  neue  Periode  der  Weltgeschichte  hat  Fichte  ver- 
standen. Er  sagt:  „In  der  ersten  Zeit  strömte  das  Gesicht 
(das  Ideale)  durch  die  Fortpflanzung  der  Begeisterung,  welche 
die  Kluft  zwischen  ihm  und  dem  wirklichen  Leben  ausfüllte, 
unmittelbar  aus  in  That;  in  der  neuen  Zeit  wendet  es  sich 
zunächst  an  die  allgemeine  klare  Einsicht  und  beabsichtigt 
zuvörderst  allgemeine  Erleuchtung,  und  erst  dieser  zufolge 
die  That.  Es  ist  jetzt  gleichsam  eine  neue  Mittelwelt  ent- 
standen, eine  Sinnen  weit  im  Innern  des  Menschen,  die  An- 
schauung der  gegebenen  Welt,  die  jeder  hat,  und  seine  Be- 
griffe von  dem  in  ihr  Begehrungswerthen ;  und  diese  neue 
Welt  ist  eingetreten  zwischen  der  ewig  sich  gleichbleibenden 
übersinnlichen  und  zwischen  der  äussern  Sinnenwelt.  Jetzt 
denken  die  Menschen  zuvor,  ehe  sie  handeln,  sie  überlegen 
und  wählen,  und  durch  dies  alles  wird  ihr  Handeln  geleitet. 
Und  so  ist  von  nun  an  die  erste  Aufgabe  die,  die  Weltan- 
schauung eines  jeden  nach  der  übersinnlichen  Ordnung  der 
Dinge  zu  bilden,  und  diese  zuerst  einzuführen  in  sein  Auge, 
von  welchem  ans  sie  leicht  sich  auch  seiner  Hand  bemäch- 
tigen wird/ 

Die  Thätigkeit  für  die  übersinnliche  Weltordnung  ist 
nun  eine  zweifache:  einmal  für  Erleuchtung  der  Wissenden 
selbst  und  des  Volks,  dann  für  die  Gestaltung  der  Lebens- 
verhältnisse nach  den  auf  dem  Boden  wirklicher  Erfahrung 


340         Sitzung  der  phüosrphüol.  Glosse  vom  7.  Jtdi  1894, 

gereiften  Einsichten.  Diese,  die  Staatsverwaltung  im  höheren 
Sinne,  soll  die  Gesellschaft  erhalten  und  vervollkommnen;  sie 
macht  die  Gelehrtenbildung  durch,  und  hat  entweder  selbst 
Gesichte  oder  verwirklicht  solche  als  Organ  des  ihr  inne- 
wohnenden Geistes.  Doch  sind  beide  Sphären  gesondert. 
Denn  was  noch  gelehrt  werden  muss  als  gefordert  durch  die 
übersinnliche  Weltordnung  ist  zur  Ausführung  im  Leben 
noch  nicht  reif,  und  was  wirklich  ausgeführt  wird  ist  nicht 
mehr  ein  blosser  Lehrsatz,  es  liegt  offen  vor  allem  Volk  und 
wird  Menschengeschichte.  Indess  auch  der  Lehrer  führt  ein 
wirksames  Leben:  er  bildet  die  Denkart,  durch  welche  der 
Wille  erleuchtet  wird;  denen  die  das  für  unpraktisch  halten 
ruft  Fichte  zu:  „Wenn  ihr  und  eure  Thaten,  die  ihr  allein 
für  That  wollt  gelten  lassen,  längst  vergessen  sein  werden, 
wird  seine  Lehre  dastehen  als  That  und  als  das  lebendigste 
und  kräftigste  Sein.* 

Die  Gelehrtenbildung  führt  den  Menschen  ins  Innere, 
und  macht  ihn  auf  dem  Boden  des  innern  Sinnes  heimisch, 
indem  sie  das  Denken  und  Wissen  als  freie  Kunst  üben 
lehrt,  und  gewohnt  im  Geistigen  frei  zu  gestalten  wird  er 
den  flüchtigen  Blitz  göttlicher  Erleuchtung  leicht  fesseln  um 
ihm  Gestalt,  Begriff  und  Wort  zu  geben;  sie  stellt  den  Ge- 
sichten einen  festen  Vorgrund  hin,  an  dem  sie  sich  brechen, 
abspiegeln  und  aufgefasst  werden  können.  Desshalb  ist  sie 
nicht  blos  Gedächtnisssache,  sondern  Bildung  des  innern 
Menschen  das  Leben  zu  sehen  und  zu  verstehen;  und  sie 
sollte  mit  der  Bildung  für  die  schöne  Kunst,  zumal  für  die 
Poesie  stets  verbunden  sein.  Jeder  Mensch  soll  einmal  selb- 
ständig werden  und  die  Leitung  seines  Lebens  selbst  über- 
nehmen; um  so  mehr  soll  es  der  Gelehrte,  welcher  ja  die 
Führung  der  Menschheit  übernehmen  soll,  —  von  diesem 
Gedanken  aus  fordert  Fichte  die  akademische  Freiheit,  wenn 
die  Zucht  der  Schule  vorangegangen,  die  den  Zögling  vom 
Gemeinen   fern  gehalten  und  aufs  £dle   gerichtet  hat.     Der 


Carriere:  Fkhtes  Geistesentwiekelting.  347 

Studierende  soll  zum  Leben  und  Wirken  in  der  Welt  wie 
sie  ist  gebildet  werden;  er  muss  sie  kennen  lernen.  Nach 
einigen  harten  Worten  weist  Fichte  die  Ansicht  zurück,  als 
solle  der  Jüngling  in  ungezügelter  Sinnenlust  das  Leben 
geniessen ;  so  werde  er  sich  verderben ;  oder  er  solle  aus- 
toben, da  jedem  ein  Mass  von  Thorheit  und  Rohheit  be- 
schieden sei.  Thorheit  und  Rohheit  wachsen,  wenn  man 
sich  ihnen  überlässt;  sie  und  Ausschweifungen  verwüsten  die 
Gesundheit  des  Leibes  und  die  Seele.  Sein  eigener  Erzieher 
soll  der  Jüngling  sein,  im  innern  Leben,  in  der  Selbstent- 
wicklung des  Geistes  Friede  und  Freude  haben.  Er  erwirbt 
die  Kenntniss  der  Welt,  er  übt  den  Verstand,  und  wenn  er 
dann  auch  keine  schöpferischen  Ideen  hat,  kein  freischaffen- 
der Künstler  wird,  so  findet  er  im  Anschluss  an  führende 
Geister  seine  Stelle  im  Leben;  denn  unsere  Bestimmung  ist 
Leben  und  Wirken. 

Fichte  fasst  in  der  Schlussvorlesung  seine  Ideen  zur 
Uebersicht  zusammen:  .Die  Weltschöpfung  aus  Gott  ist 
keineswegs  vollendet  und  Gott  zur  Ruhe  gebracht,  sondern 
das  Erschaffen  geht  immerwährend  fort  und  er  bleibt  der 
Erschaffende;  indem  ja  auch  der  unmittelbare  Gegenstand 
seiner  Schöpfung  nicht  ist  eine  träge  und  stehende  Körper- 
welt, sondern  das  freie  und  ewig  aus  sich  selbst  quellende 
Leben.  Die  eigentlich  wahre  Welt,  für  welche  allein  eine 
Körper  weit  ist,  ist  die  geistige,  das  Leben  und  Denken  der 
Menschen,  aber  als  eine  Welt,  das  ist  als  eines  Ganzen  und 
einer  Gemeinde;  denn  der  Einzelne  ist  nur  im  Ganzen  und 
hat  seine  Beziehung  auf  dieses  Ganze.  Diese  Welt  ist  es, 
welche  Gott  unmittelbar  stets  fortschafft  nach  seinem  Bilde, 
indem  er  immer  fortfährt  sein  Bild  in  ihr  zu  entwickeln  zu 
neuer  Klarheit.  Diese  geistige  Fortschöpfung  hebt  unmittel- 
bar an  in  einzelnen  Puncten  der  Geisterwelt  als  geistiges 
Gesicht;  in  diesen  Einzelnen  durchaus  sich  selbst  machend 
als  Anschauung  und   dem  Menschen   keine  Freiheit  lassend 


348         Sitzung  der  phüos.-phüöl.  Glosse  ffom  7.  Jtdi  1894. 

oder  Selbständigkeit  in  dieser  Angelegenheit  des  Gesichtes. 
Hierin  ist  der  Mensch  durchaus  nichts  durch  sich  selbst,  son- 
dern alles  durch  Gott.  In  diesem  Puncte  aber  schliesst  sich 
auch  das  unmittelbar  göttliche  Wirken,  und  von  ihm  aus 
bedient  sich  Gott  der  Freiheit  und  Selbständigkeit  des 
Menschen  um  die  Wirkung  von  dem  einzelnen  Punct  aus, 
worin  sie  hervorbrach,  fortzupflanzen  auf  das  ganze  Geschlecht. 
Die  gesammte  Geisterwelt  als  eins  genommen  ist  frei,  und 
darin  besteht  ihr  eigentliches  von  dem  Leben  Gottes  ver- 
schiedenes Leben.  Sie  liegt  als  frei  zwischen  einem  doppelten 
Sein,  zuvörderst  demjenigen,  welches  in  ihr  unmittelbar  wirkt, 
Gott,  sodann  demjenigen,  welches  sie  selbst  hervorbringen 
soll  als  das  Nachbild  jenes  ersten  Seins.  Da  wo  das  wirk- 
liche Leben  der  gesammten  Geisterwelt  geworden  ist  zum 
vollständigen  Abdruck  jenes  ersten  in  einzelnen  Puncten 
offenbarten  Seins,  ist  hervorgebracht  das  geforderte  zweite 
Sein,  —  und  die  Fortschöpfung  der  Welt  rein  von  Gott  aus 
kann  nun  weiter  schreiten.  Es  ist  die  eine  Freiheit  aller, 
der  gesammten  Gemeinde,  durch  welche  das  in  einzelnen 
Puncten  begonnene  Bild  Gottes  verbreitet  wird  über  alle. 
Es  ist  darum  eine  gemeinsame  Freiheit  des  Ganzen,  und  die 
Freiheit  der  Einzelnen  ist  nicht  abgesondert  und  beschränkt 
auf  sich  selbst,  sondern  jede  Freiheit  greift  ein  und  wirkt 
auf  die  Freiheit  der  übrigen,  und  es  ist  zwischen  der  ge- 
meinsamen Freiheit  aller  ein  gemeinsames  Band.' 

„Ein  Ich,  das  durch  seine  Selbstbestimmung  zugleich 
alles  Nicht-Ich  bestimmt*  bezeichnet  Fichte  als  Idee  der 
Gottheit  in  jenem  ersten  Wort  von  seiner  eignen  Philosophie, 
das  er  1792  in  der  Recension  des  Aenesidemus  aussprach; 
,Gott  als  Realgrund  der  Gesammtheit  der  Einzelnen  und 
das  ideale  Band  aller*  war  in  einem  Brief  an  Schelling 
der  Ausdruck  seiner  üeberzeugung  im  Sommer  1801.  Beides 
stimmt  zusammen  mit  der  eben  erwähnten  Darstellung.  Das 
Ich   ist    das    sich    selbst   Setzende,    Selbsterfassende.      Alles 


Carriere:  FicfUes  GeistesetUtoickelung,  349 

individuelle  Dasein  ist  Oebilde,  ist  Aeusserung  des  Einen, 
Ewigen,  Unendlichen,  das  in  sich  lebendig  um  anschaulich 
zu  werden  sich  in  eine  Fülle  der  endlichen  Ich  unterscheidet, 
spaltet,  weil  nur  innerhalb  der  individuellen  Form  Selbst- 
bewusstsein  und  freies  Handeln  möglich  ist.  So  lehrt  er 
1810  in  den  Thatsachen  des  Bewusstseins.  In  einem  System 
des  Naturmechanismus  als  dem  ursprünglichen  objectiven 
Sein  fand  er  keine  Stelle  fär  Freiheit  und  Sittlichkeit,  diese 
unmittelbar  gewissen  Erlebnisse.  So  erfasst  er  das  Sein  als 
sich  selbstbestimmende  Thätigkeit,  und  um  nicht  aus  dem 
Todten  das  Lebendige  hervorgehen  zu  lassen,  sondern  das 
Lebendige  als  das  Erste  und  Ursprüngliche  zu  gewinnen  war 
sein  erster  Gedanke:  Das  Ich,  das  Selbst,  dies  uns  unleugbar 
Gewisse,  ist  das  Sichselbstsetzende,  Selbstschöpferische,  und 
alles,  alles  Ändere  ist  das  in  ihm  von  ihm  Gebildete.  Um 
sich  als  Ich  selbst  anzuschauen  setzt  es  sich  das  Nicht-Ich 
entgegen,  um  es  erkennend  oder  handelnd  wieder  in  sich 
aufzunehmen  oder  nach  sich  zu  bestimmen.  So  ist  es  das 
in  sich  unterschiedne  und  mit  sich  selbst  zusammengeschlossene 
Eine.  Fichte  ging  aus  von  sich  selbst,  dem  individuellen  Ich; 
in  der  ersten  Darstellung  der  Wissenschaftslehre  aber  spielen 
das  endliche  und  unendliche  Ich  ineinander,  und  entstand 
der  Schein  als  ob  er  selbst  alles  in  sich  und  durch  sieh  her- 
vorbringe und  allein  da  sei.  Dem  setzte  er  selbst  den  Ge- 
danken Gottes  als  der  sittlichen  Weltordnung,  als  des  sich 
verwirklichenden  Vemunftwillens  entgegen,  und  bezeichnete 
nun  als  Leben  und  Liebe  was  er  früher  Ich  genannt  hatte. 
Alle  Individuen  sind  in  der  einen  grossen  Einheit  des  reinen 
Geistes  eingeschlossen  —  das  war  schon  das  letzte  Wort  der 
ersten  Wissenschaftslehre;  wenn  er  hinzufügt:  diese  Einheit, 
hergestellt  auch  durch  den  sittlichen  Willen  der  Individuen, 
sei  ein  ewig  unerreichbares  Ideal,  so  musste  er  das  Schiefe 
dieser  Fassung  selbst  inne  werden,  da  ja  das  wahrhaft 
Seiende  dann  niemals  wirklich  wäre;   was   er  sagen  wollte: 


350         Sitzung  der  phüos.'phüol.  Glosse  vom  7.  JtUi  1894, 

diese  Einheit  sei  der  fortwährende  Process  der  Selbstverwirk- 
lichuDg,  das  bezeichnete  er  durch  den  Begriff  der  sittlichen 
Weltordnung.  Das  Ich  als  sich  selbst  bestimmende  Thätig- 
keit  war  ihm  das  Seinsetzende.  Es  ist  in  der  That  das  die 
Geistigkeit  Setzende,  in  die  Geistigkeit  sich  Einsetzende, 
durch  Selbsterfassung  sich  als  Selbst  Hervorbringende;  aber 
es  kann  dies  doch  nur  sein,  wenn  es  der  Realgrund  dieser 
Thätigkeit  ist;  wir  müssen  es  als  seiend  voraussetzen,  wenn 
es  im  Selbstbewusstsein  seiner  inne  werden  soll;  nur  dass 
ihm  kein  todties  ruhendes  Sein  vorausgeht,  sondern  dass  sein 
Wesen  eben  sich  selbstbestimmende  Thätigkeit  ist.  Und 
demgemäss  suchte  Fichte  auch  den  Begriff  des  Seins,  des 
Absoluten,  nicht  als  eines  Objectiven,  Gesetzten,  Todten, 
sondern  als  Urquell  des  Lebens  und  der  Thätigkeit  zu  ge* 
winnen.  Dieser  Grund  und  Urquell  war  ihm  nun  das  Gött- 
liche, das  in  allem  sich  offenbart,  zur  Erscheinung  kommt, 
seine  Einheit  in  der  FQlle  der  individuellen  Geister  entfaltet, 
in  ihrer  Anschauung  und  als  Basis  und  Material  ihres  sitt- 
lichen Wirkens  die  Natur  gestaltet  und  in  den  individuellen 
Geistern  sich  als  Ich  erfasst,  seiner  bewusst  wird,  und  als 
das  Band  aller  lebt,  fortwährend  im  Einzelnen  durch  neue 
Offenbarungen,  Ideen,  Gesichte  sich  fortschöpferisch,  welt- 
fortbildend erweist. 

Dass  das  ewig  Eine  um  sich  selbst  anschaulich,  seiner 
selbst  inne  zu  werden  sich  zur  Mannigfaltigkeit  erschliesst 
und  entfaltet,  dass  es  nur  in  dieser  Selbstunterscheidung  sich 
als  Selbst  erfassen,  als  das  schöpferische  Eine  von  den  vielen 
Gebilden  unterscheiden  kann,  das  scheint  mir  auch  hier  der 
bleibende  Wahrheitskern.  Aber  dass  Fichte  es  nur  in  den 
Einzelwesen,  nicht  in  seiner  Einheit  selbstbewusst  sein  lässt, 
das  war  eine  selbstgezogene  Schranke,  die  ihn  stets  in  ihrem 
Bann  gehalten  hat.  Im  Centrum  seines  Denkens  und  Wir- 
kens, als  er  Gott  als  ordnendes  Princip  im  Begriff  der  sitt- 
lichen Weltordnung  erkannte,  da  sprach  er  die  verhängniss- 


Carriere:  Fichtes  GeisteaentwicJcelung.  351 

vollen  Worte:  ^was  nennt  ihr  denn  Persönlichkeit  und  Be- 
wusstsein?  Doch  wohl  dasjenige  was  ihr  in  euch  selbst  ge- 
funden, an  euch  selber  kennen  gelernt  und  mit  diesem  Namen 
bezeichnet  habt?  Dass  ihr  dieses  aber  ohne  Beschrankung 
und  Endlichkeit  schlechthin  nicht  denkt,  kann  euch  die  ge- 
ringste Aufmerksamkeit  auf  eure  Construction  dieses  Begriffes 
lehren.  Ihr  macht  sonach  dieses  Wesen  durch  die  Beilegung 
eures  Prädicats  zu  einem  endlichen,  zu  einem  Wesen  eures 
Gleichen,  und  ihr  habt  nicht,  wie  ihr  wolltet,  Gott  gedacht, 
sondern  nur  euch  selbst  im  Denken  vervielfältigt.*  Und  so 
behauptete  er  in  der  gerichtlichen  Vertheidigung  gegen  die 
Anklage  des  Atheismus:  dass  jede  Bestimmung  eine  Be- 
schränkung sei;  er  habe  gesagt:  ein  ausserweltlicher  Gott 
werde  damit  zu  einem  endlichen  Wesen  (und  dies  ist  voll- 
kommen richtig);  er  werde  es,  wenn  man  den  Begriff  von 
unserm  eigenen  begreiflichen  Bewusstsein  auf  ihn  anwende, 
da  derselbe  nothwendig  Schranken  bei  sich  führt.  In  dieser 
Bücksicht  habe  er  das  Selbstbewusstsein  Gottes  geleugnet; 
der  Materie  nach  sei  Gott  Intelligenz,  geistiges  Leben  und 
Thätigkeit.  Seitdem  ist  vielfach  behauptet  worden:  Absolut- 
heit, Unendlichkeit  und  Selbstbewusstsein  seien  einander  aus- 
schliessende  Begriffe;  unser  selbst  würden  wir  nur  in  der 
Unterscheidung  von  Andern  bewusst,  das  Unendliche  aber 
habe  nichts  Anderes  ausser  ihm.  Ich  antworte  darauf:  Auch 
wir  unterscheiden  uns  nicht  von  einem  Andern  ausser  uns, 
sondern  von  den  Empfindungen,  Anschauungen,  Vorstellungen, 
Trieben  in  uns,  indem  wir  uns  als  das  wirkende  und  allge- 
meine Eine  in  ihrer  Mannigfaltigkeit  erfassen.  Aus  unserer 
Innenwelt  erschliessen  wir  erst  eine  Aussen  weit;  das  haben 
ja  Kant  und  Fichte  gelehrt,  und  wir  kommen  zur  Absurdität 
des  Solipsismus,  wir  können  unsere  Innenwelt  nicht  erklären 
ohne  die  Realität  einer  Aussen  weit;  wir  können  uns  als 
endlich  nicht  erfassen  ohne  den  Begriff  des  Unendlichen 
hervorzubilden,  in  den  wir  erstehen  und  bestehen.    Das  ün- 


352  Sitzung  der  phüos.-phüoh  Classe  vom  3.  Juli  1894. 

endliche  aber  hat  nichts  ausser  ihm,  alles  ist  in  ihm;  der 
Unendliche,  Gott,  ist  der  allein  wahrhaft;  Seiende,  und  als 
der  sich  selbst  Bestimmende,  als  Geist  sich  selbst  Setzende 
ist  er  Selbst,  der  Vernunftwille,  der  da  weiss  was  er  will, 
der  in  allem  sich  selbst  Anschauende.  Das  Selbstbewusstsein 
von  ihm  ausschliessen  heisst  gerade  ihn  begrenzen,  be- 
schränken, zum  blossen  Object  unseres  Denkens  machen,  ver- 
endlichen.  Das  Fürsichsein,  das  Beisichselbstsein  ist  ja  keine 
Schranke  des  Seins,  sondern  die  Vollendung  des  Seins.  Wäre 
Gott  nicht  Subject,  so  wäre  er  nicht  Geist.  Aber  als  Geist 
ist  er  der  stets  sich  Personificirende,  kein  ruhendes  todtes 
Sein,  sondern  Leben  und  Thätigkeit,  wie  Fichte  wollte. 
Wenn  er  hinzusetzt:  Gott  ist  Liebe  und  Seligkeit,  so  sagt 
er  damit:  sich  fühlende  Wesenheit,  Subjectivität,  Träger  des 
Denkens  und  WoUens,  das  in  den  endlichen  Geistern  aus 
ihm  quillt,  weil  er  eben  Denken  und  Wollen,  das  heisst  der 
Denkende  und  Wollende  ist.  So  ist  auch  unser  Geist,  das 
Ich  nicht  neben  dem  Leibe,  nicht  neben  den  Vorstellungen 
und  Empfindungen,  sondern  zugleich  in  und  über  ihnen, 
nicht  aufgelöst  in  ihre  Besonderheiten,  sondern  die  sich 
mittels  ihrer  selbst  erfassende  Einheit.  Streng  genommen 
hat  ja  Fichte  das  sich  selbst  und  alles  in  sich  setzende  Ich 
als  das  göttliche  in  der  Wissenschaftslehre  dargethan,  indem 
er  von  der  Thatsache  des  Selbstbewusstseins  ausging,  sie  als 
Thathandlung  begriiBP,  und  alles  das  als  wirklich  entwickelte 
was  denknothwendige  Bedingung  oder  Voraussetzung  des 
Selbstbewusstseins  ist;  und  nicht  die  zum  All  entfaltete  Innen- 
welt des  unendlichen  Einen,  sondern  die  Realität  der  Aussen- 
welt  des  endlichen  Bewusstseins  bedurfte  der  Erklärung,  und 
wurde  geglaubt  um  der  Gewissheit  des  sittlichen  Denkens 
und  Handelns  willen,  das  ohne  sie  nicht  möglich  wäre  und 
doch  wirklich  ist.  Aber  sein  Lebenlang  war  und  blieb  ihm 
das  Göttliche  Intelligenz  und  Wille,  geistige  sich  selbst- 
bestimmende Thätigkeit,  die  mittels  ihrer  Gebilde,  der  indi- 


Carriere:  Fichtes  Geistesentwickelung.  353 

viduellen  Geister,  aber  nur  in  ihnen  zur  Selbsterscheinung, 
zum  Selbstbewusstsein  komme,  zwar  das  Einheitsband,  aber 
nicht  die  ihrer  selbst  innewerdende  für  sich  seiende  Einheit 
sei.  Als  er  Gott  den  Realgrund  der  Geisterwelt  nannte, 
war  ihm  das  (wie  er  später  sagte)  Ueberseiende,  Urreale 
oder  das  Wesen  der  Thätigkeit  noch  nicht  klar,  und  die 
endlichen  Geister  waren  nur  Gebilde  des  ewigen  Denkens 
und  WoUens  ohne  einen  Wesenkern  eigener  Realität.  Nun 
kann  aber  auch  das  endliche  Ich  gar  nicht  Gebilde  sein, 
denn  sein  Begriff  ist  ja  nach  Fichtes  eigener  genialer  An- 
schauung durchaus  Selbstbildung;  das  Selbst  kann  nichts 
Gottgeschaffenes  sein,  denn  es  ist  Selbst  nur  indem  es  als 
solches  sich  selber  setzt.  Nicht  blos  Gott,  auch  der  Mensch 
ist,  mit  Jakob  Böhme  zu  reden,  seiner  selbst  Macher.  Und 
so  werden  wir  sagen:  dass  denknothwendig  die  von  Fichte 
angenommene  ürvemunft,  die  zugleich  Urwille,  Thätigkeit 
ist,  in  ihrer  sich  selbst  bestimmenden,  sich  selbst  verwirk- 
lichenden, zum  Selbst  gestaltenden  Wirksamkeit  das  eigne 
ursprüngliche  Wesen,  das  wir  als  Quell  der  Thätigkeit  Ur- 
kraft  nennen  wollen,  zu  einem  System  von  Kräften  unter- 
scheidet und  zugleich  in  sich  geeinigt  hält,  und  dass  solche 
zur  Freiheit  und  Geistigkeit,  zur  Ichheit  berufene,  bestimmte 
lebendige  Kräfte  mit  der  gottverliehenen  Fähigkeit,  dem 
gottgegebenen  Vermögen  durch  eigne  Willensthat  sich  selbst 
erfassen,  und  so  durch  Selbstbestimmung  ihre  Bestimmung 
erreichen.  Nur  auf  diese  Weise  können  sie  frei  sein;  Frei- 
heit ist  Selbstbestimmung.  In  dieser  Erhebung  zum  Selbst, 
in  dieser  Selbsterfassung  unterscheiden  sie  sich  von  allem 
andern,  auch  von  ihrem  göttlichen  Lebensgrunde  und  seiner 
Unendlichkeit,  indem  sie  sich  als  endliches  Ich  und  doch  als 
Mittelpunet  des  Universums  setzen.  Und  hier  liegt  die  Ge- 
fahr, dass  die  Unterscheidung  in  der  Subjectivität  zur  Ab- 
scheidung wird,  dass  das  endliche  Ich  für  sich  allein  sein 
will,  sich  allen  andern  entgegenstellt,  selbstsüchtig  und  damit 


354         Sitzung  der  phüos.-phüoh  Glosse  vom  7.  Jtdi  1894. 

böse  wird.  So  sehr  Fichte  die  Schlechtigkeit  der  gemeinen 
Welt  betont,  die  Möglichkeit  und  subjective  Wirklichkeit 
des  Bösen  innerhalb  der  sittlichen  Weltordnung,  innerhalb 
des  göttlichen  allwaltenden  Vernunfbwilleus  hat  er  niemals 
klar  gemacht,  wie  er  sie  auch  als  Bedingung  für  das  Gute 
in  unserer  Gesinnung,  in  unserem  Handeln  voraussetzte.  Die 
Nothwendigkeit  einer  ürrealität,  die  er  im  unendlichen  Denken 
und  Wollen  erkannte,  die  nichts  anders  zu  sein  braucht  als 
die  Möglichkeit  und  das  Vermögen  seiner  Bethätigung,  sie 
ist  als  ein  Wesenkern  ebenso  denknothwendig  für  das  end- 
liche Ich:  es  muss  real  sein  um  durch  eigne  That  für  sich 
ideal  werden  zu  können,  die  Ichheit  in  sich  selbst  hervor- 
zubilden. Es  ist  Ich  nur  insofern  es  sich  als  solches  erfasst 
und  bestimmt,  sein  Sichselbstsetzen  ist  sein  Sein  als  Selbst; 
aber  es  muss  sein  um  sich  zur  Subjectivität  zu  erheben,  das 
Licht  des  Bewusstseins  in  sich  zu  entzünden.  Fichte  hat  so 
etwas  gewollt  und  im  Sinne  gehabt.  ,  Der  Einzelne  soll  sich 
zu  allem  dem  mit  Freiheit  machen  was  seine  Bestimmung 
ist,  er  soll  sich  selbst  zur  Geistigkeit  erheben -f'^  das  ist  sein 
eigenes  Bekenntniss;  wie  er  ebenso  gewiss  auch  für  das  Un- 
endliche das  Fürsichsein,  das  Selbstsein  in  der  ursprünglichen 
Fassung  des  Ich  aussprach.  Wenn  er  in  den  Berliner  Vor- 
lesungen seine  Weltanschauung  zusammenfassend  sagt:  Gott 
schafft  die  Geisterwelt  in  immerwährender  Fortbildung  nach 
seinem  Bilde,  und  offenbart  sich  in  den  Gesichten  einzelner 
Geister,  und  hinzufügt:  diese  Erleuchtung  sei  Gottes  That, 
der  Mensch  thue  .hier  nichts,  —  so  schliesst  er  damit  Gottes 
unmittelbares  Wirken,  und  lässt  ihn  sich  nun  der  Freiheit 
und  Selbständigkeit  der  Menschen  bedienen  um  die  Wirkung 
von  dem  einzelnen  Punct  aus  fortzupflanzen  auf  das  ganze 
Geschlecht.  In  der  Freiheit  der  Geisterwelt  findet  er  hier 
ihr  eignes  von  dem  Leben  Gottes  verschiedenes  Leben.  Also 
sind  die  Geister  doch  nicht  blos  Gebilde,  sondern  sich  selbst 
bildende  Persönlichkeiten,   die   in   ihrer  Selbsterfassung  sich 


Carriere:  Fichtes  Geistesenttoickelung.  355 

von  Gott  unterscheiden,  in  ihrem  Willen  auch  von  seinem 
Willen  sich  ablösen  und  selbstsüchtig  werden  können.  So  sollen 
auch  die  Seher  das  Bild  Gottes,  das  sich  in  ihnen  begeisternd 
entwickelt,  als  neues  Gesicht  ausbilden  zur  Verständlichkeit 
für  das  Volk,  und  darin  liegt  schon  die  selbstthätige  Ver- 
standeskunst in  der  Bearbeitung  des  Stoffes,  und  wenn 
Pichte  sagte :  der  in  der  Wissenschaft  Gebildete  werde,  geübt 
in  seinem  Gebiete  fortzugestalten,  den  flüchtigen  Blitz  der 
Erleuchtung  leicht  fesseln  und  ihm  Gestalt,  Begriff  und 
Wort  zu  geben  wissen,  so  nimmt  er  damit  das  offenbarende 
Gesicht  selbst  als  einen  Impuls  von  innen,  als  eine  Anregung, 
die  der  Mensch  selbst  erst  in  Worte  zu  fassen  und  auszubilden 
hat.  Da  wird  der  Mensch  wieder  selbstkräftig  wirkendes 
Organ  der  Gottheit,  und  wird  die  Erleuchtung  richtig 
als  ein  Mächtigwerden  des  allgemeinen  Geistes  im  endlich 
individuellen  verstanden,  eine  Offenbarung,  die  aber  ihr  Ge- 
präge durch  die  Persönlichkeit  des  Sehers,  Dichters,  Denkers 
empfangt.  Soll  nun  der  Gesichte  verleihende  Gott  sie  nicht 
selbst,  sondern  nur  mit  dem  Auge  des  begnadeten  Sehers  an- 
schauen? Und  wenn  die  Selbstsucht  nur  überwunden  werden 
kann,  weil  wir  doch  nur  Glieder  eines  höhern  Organismus 
sind,  dessen  Wesen  in  uns  waltet,  soll  der  ewige  Wille  der 
Liebe,  dessen  wir  selbst  liebend  inne  werden,  nicht  auch  an 
sich  selber  Gefühl  der  Seligkeit  sein,  wie  das  Pichte  aus- 
drücklich betont?  Er  kann  es  nur  als  Ich,  als  Subjectivität. 
Ich  habe  auf  ein  Zusammenwirken  göttlicher  und  mensch- 
licher Thätigkeit  bei  allem  Grossen  in  der  Weltgeschichte 
in  meinem  Buch  über  die  Kunst  im  Zusammenhang  der 
Culturentwicklung  hingewiesen,  ich  habe  in  der  Aesthetik 
die  Begeisterung  und  Eingebung,  von  der  die  herrlichsten 
Dichter  alter  und  neuer  Zeit  reden,  in  ihrer  Wirklichkeit 
und  Wahrheit  zu  verstehen  gesucht:  ich  freue  mich  der 
ganz  verwandten  Auffassung  bei  Pichte,  aber  ich  kann 
diese  Einsicht  nur  auf  die  Voraussetzung  gründen,   dass  der 


356         Sitzung  der  phüos.-pkUoh  Glosse  vom  7.  Juli  1894, 

göttliche  wie  der  menschliche  Geist  beide  selbstbewusste 
Subjectivität  sind,  dass  wie  der  endliche  sich  im  unendlichen 
und  der  unendliche  sich  im  endlichen  erkennt,  jeder  auch 
sein  Fürsichsein  hat,  der  göttliche  in  allem  und  zugleich 
über  allem  bei  sich  selbst  ist,  das  sich  durch  seine  Offen- 
barung selbstbestimmende,  selbsterfassende  Ich. 


357 


Yerzeichniss  der  eingelanfenen  Druckschriften 

Januar  bis  Juni  1894. 


Die  vorefarliehen  Gesellschaften  nnd  Institate,  mit  welchen  unsere  Akademie  in 
Tanschverkehr  steht,  werden  gebeten,  nachstehendes  Yerzeichniss  zugleich  als  Empfkngs- 
bestätigung  zn  betrachten. 


Von  folgenden  Gesellschaften  und  Instituten: 

Geschichtsverein  in  Aachen: 
Zeitschrift.    Band  XV.    1893.   8". 

Observatory  in  Adelaide: 
Meteorological  Observations  1886-87.     1893.    fol. 

Royal  Society  of  South  Australia  in  Adelaide: 
Tranaactions.    Vol.  XVII,  2.    1898.    8^. 

Südslavische  Akademie  der  Wissenschaften  in  Agram: 
Monumenta.    Vol.  XXIV,  XXV.     1893.    S«. 
Starine.    Vol.  XXVI.     1898.    8«. 
Ljetopis.     1893.    8». 
Bad.    Band  116.  117.     1893.    8». 

New 'York  State  Library  in  Älbany: 

73— 7Bth  annual  Report.     1891—93.    8«. 

State  Library  Bulletin.    Lejfislation  No.  4.    January  1894.    8®. 

Historischer  Verein  in  Augsburg: 
Zeitschrift.    Jahrg.  XX.     1893.    8». 

Natunvissenschaftlicher  Verein  in  Augsburg: 
31.  Bericht.     1894.    S«. 

Texas  Academy  of  Science  in  Austin : 
Tranaactions.    Vol.  I,  No.  2.     1893.    8*^. 

Johns  Hopkins  üniversity  in  Baltimore: 
Circulars.    Vol.  XIII,  No.  109-112.     1894.     4«. 
American  Journal  of  Mathematics.  Vol.  XIV,  No.  4.  Vol.  XV,  No.  1—4. 

1892/93.    8». 
The   American  Journal  of  Philology.    Vol.  XIII,   No.  4.    Vol.  XIV, 
No.  1-3.     1892/93.    B^. 

1894.  Philos.-phUol.  u.  hist.  Gl.  2.  24 


358  Verzeichniss  der  eingelaufenen  Druckschriften, 

American  Chemical  Joamal.    Vol.  XIV,   No.  8,   Vol.  XV,  No,  1 — 7. 

1892/93.    80. 
Studies  in  historical  and  political  Science.     Ser.  X,  No.  12.    Ser.  XI, 

No.  1—10.     1892/93.    8». 

Universitätsbibliothek  in  Basel: 
Schriften  der  Universität  aus  dem  Jahre  1893/94.    4k^  und  8^. 

Historisch-antiquarische  Gesellschaft  in  Basel: 
Beitrage  zur  vaterländischen  Geschichte.  N.  F.  Bd.  IV,  Heft  2.  1894.  8®. 

Naturforschende  Gesellschaft  in  Basel: 
Verhandlungen.    Band  IX,  Heft  3.     1893.    8«. 

Genootschap  van  Künsten  en  Wetenschappen  in  Batavia: 
Tydschrift.    Deel  36,  afl.  4,  6,  6.     1893.    8^. 
Notulen.    Deel  XXXI,  No.  1,  2.     1893.    8». 

Nederlandsch-Indisch  Plakaathoek   1602—1811.    Deel  XI.     1893.    8^. 
Dagh-Register  gehouden  in't  Gasteel  Batavia  Anno  1664.     1893.    4^. 

K.  serbische  Akademie  der  Wissenschaften  in  Belgrad: 

Geologija  Srbije  von  Johann  Schujo witsch.    Heft  1.     1893.    4^. 

Glas.    No.  41,  42.     1894.    8^. 

Godischniak  (Jahrbuch)  1889  u.  1890.     1890/91.    8^. 

K.  preussische  Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin: 

Corpus  inscriptionum  latinarum.     Vol.  VIII.    Supplementum,  fasc.  3. 

1893.    fol. 
Politische  Korrespondenz  König  Friedrichs  II.    Bd.  XX.    1894.    8«. 
Sitzungsberichte.     1893.     No.  39—63.     gr.  S^. 
Abhandlungen  aus  dem  Jahre  1892.    4^. 

K.  geolog.  Landesanstalt  und  Bergakademie  in  Berlin: 
Jahrbuch  für  das  Jahr  1892.     Bd.  XIII.     1893.    8®. 
Abhandlungen.    Neue  Folge.    Heft   2  mit  Atlas   in  4^  und  Heft  9, 
Theil  IL     1893.    8°. 

Physikalisch-technische  Reichsanstalt  in  Berlin: 

Wissenschaftliche  Abhandlungen.     Bd.  I.     1894.    4^. 
Ueber  die  Ziele  und   die  Tbätigkeit  der  phys.-techn.  Reichsanstalt, 
von  Dr.  Lummer.     1894.     4". 

K.  technische  Hochschule  in  Berlin: 

Hermann  Rietschel,  Der  Stand  der  wissenschaftlichen  und  praktischen 
Wohnungs-Hygiene  in  Beziehung  zur  Luft.     1894.    4^. 

Deutsche  chemische  Gesellschaft  in  Berlin: 
Berichte.    26.  Jahrg.  No.  19,  20.    27.  Jahrg.  No.  1—11.    1893/94.  8". 

Deutsche  geologische  Gesellschaft  in  Berlin: 

Zeitschrift.    Band  46,  Heft  3.     1893.    8^. 

Medizinische  Gesellschaft  in  Berlin: 
Verhandlungen.    Band  XXIV.     1894.    8«. 

Physikalische  Gesellschaft  in  Berlin: 

Fortschritte  der  Physik  im  Jahre  1887.   43.  Jahrg.  3  Bände.  1893.  8^. 


Verzeichniss  der  eingelaufenen  Druckschriften,  359 

Physiologische  Gesellschaft  in  Berlin: 
Centralblatt  für  Physiologie.    Bd.  VII,  No.  20-26.    Bd.  VIII,  1—6. 

1893/94.    8». 
Verhandlungen  der  phyaiolog.  Geaellachaffc.  Jahrg.  1893—94  No.  2—10. 

Kaiserlich  deutsches  archäologisches  Institut  in  Berlin: 
Jahrbuch.    Band  VUI,  Heft  4.    Bd.  IX,  Heft  1.     1894.    4». 

Geodätisches  Institut  in  Berlin: 
Jahresbericht  für  1892/93.     1893.    8^. 

K.  preuss.  meteorologisches  Institut  in  Berlin: 
Deutsches  raeteorologisches  Jahrbuch  för  1890.  Heft  II,  III.  1891—98.  4^ 
Ergebnisse  der  Beobachtungen  an  den  Stationen  IL  und  III.  Ordnung. 

1893,  Heft  IL     1894.    4^ 
Ergebnisse  der  Niederschlags-Beobachtungen  im  Jahre  1892.  1894.  4^. 
Bericht  über  die  Thfttigkeit  im  Jahre  1893.     1894.    8^ 

Jahrbuch  über  die  Fortschritte  der  Mathematik  in  Berlin: 
Jahrbuch.    Bd.  23.    Heft  1,  2.     1894.    8". 

Commission  für  die  Beobachtung  des  Venus-  Durchganges  in  Berlin: 
Die  VenuB-Durchgänge  1874  und  1882.    Band  V.     1893.    4'>. 

Verein  für  Geschichte  der  Mark  Brandenburg  in  Berlin: 
Forschungen    zur   Brandenburgischen    und    Prenssischen    Geschichte. 
Band  7,  I.  H&lfte.    Leipzig  1894.    8^ 

Naturwissenschaftliche  Wochenschrift  in  Berlin: 
Wochenschrift.    Band  IX,  Heft  1—6.     1894.    foL 

Zeitschrift  für  Instrumentenkunde  in  Berlin: 
Zeitschrift.  13.  Jahrg.  1893.  Heft  12.  14.  Jahrg.  Heft  1—6.  1893/94.  4^ 

Schweizerische  geologische  Commission  in  Bern: 

Beiträge  zu  einer  geologischen  Karte  der  Schweiz.  Lief.  VII  mit 
1  Karte.    Lief.  XXI  mit  Atlas.    Lief.  XXII.  Text.     1893.    4». 

Naturforschende  Gesellschaft  in  Bern: 

Mittheilungen  aas  dem  Jahre  1892.     1893.    8^. 

Allgemeine  schweizerische  Gesellschaft  für  die  gesammten  Naturwissen- 
schaften in  Bern: 

Neue  Denkschriften.     Bd.  XXXHI,  Abth.  1.    Basel  1893.    4<>. 

Verhandlungen  der  schweizerischen  naturforschenden  Gesellschaft  bei 
ihrer  Versammlung  in  Basel  den  5. — 7.  Septbr.  1892,  mit  fran- 
zösischer Uebersetzung.    Basel  1892.    8^. 

Gewerbeschule  in  Bistritz: 

XVUI.  Jahresbericht  für  das  Schuljahr  1892/93.     1893.    B9, 

B.  Deputazione  di  storia  patria  per  le  Promncie  di  Bomagna 

in  Bologna: 
Monumenti.    Serie  I.  Statuti  No.  3.  Serie  H.  Carte  No.  1.  Appendice 
ai  Monumenti  Ravennati.  Tom.  II,  disp.  IL  Ravenna  1884—86.  4^. 
Atti  e  Memorie.    IH.  Serie.    Vol.  XI,  fasc.  4-6.    1894.    4P, 
La  H.  Deputazione  di  storia  patria  per  le  provincie  di  Romagna  dalF 
anno  1860  al  1894.     1894.     8^ 

24* 


360  Verzeichniss  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Universität  in  Bann: 
Wendelin  Förster,  Freandesbriefe  von  Friedrieb  Diez.    1894,    4P, 

Naturhistorischer  Verein  der  preuss.  Rheinlande  in  Bonn: 
Yerbandlungen.    50.  Jahrgang,  II.  Hälfte.     1898.    8^. 

Sociiti  de  g^graphie  commerdale  in  Bordeaux: 
Bulletin.     1893.    No.  23,  24.     1894.     No.  1—10.     8^ 

American  Academy  of  Arts  and  Sciences  in  Boston: 
Proceeding8.    Vol.  28.     1893.    4P. 

Public  Library  in  Boston: 
Annual  Report  1893.     1894.    8®. 

Boston  Society  of  Natural  History  in  Boston: 

Proceedings.    Vol.  26,  part  1.     1893.    8®. 
Memoirs.    Vol.  IV,  No.  XI.     1893.     iP, 
Occaaional  Papers.   No.  IV.     1893.    8«. 

Meteorologische  Station  in  Bremen: 
Ergebnisse  der  meteorologischen  Beobachtungen.    4.  Jahrg.  1894.  fol* 

Naturwissenschaftlicher  Verein  in  Bremen: 
Abhandlungen.     Bd.  XIII,  1  und  Extrabeilage.     1893/94.    8<>. 

Naturforschender  Verein  in  Briknn: 
Verhandlungen.    Bd.  31.  1892.     1893.     8». 
XL  Bericht  der  meteorologischen  Commission.     1893.    8^. 

Acadimie  Boyale  de  Midecine  in  Brüssel: 

Bulletin.     IV.  Sörie.     Tom.  7,    No.   10,    11.     Tom.  8,    No.  1  — 5. 
1893/94.    8«. 

Acadimie  Boyale  des  Sciences  in  Brüssel: 
Annuaire.     1894.    60«  annäe.     8«. 

Bulletin.    63«  annöe.    3.  Sörie.  Tom.  26,  No.  12,  Tom.  27,  No.  1—5, 
1893/94.    80. 

Societe  des  Bollandistes  in  Brüssel : 
Analecta  Bollandiana.    Tom.  XIII,  fasc.  1,  2.     1894.    8«. 

K.   Ungarische  Akademie  der  Wissenschaften  in  Budapest: 
Ungarische  Revue.     1893.     Heft  10.     1894.    Heft  1—4.    gr.  8«. 

K,  Ungarisches  geologisches  Institut  in  Budapest: 
Mittheilungen.    Band  X,  Heft  4,  5.     1894.    80. 
A  m.  kir.  Földtani  intdzet  evkönyve.     Bd.  X,  Heft  5.     1894.    8°. 
Földtani  Közlönv.     Band  XXXIII,  Heft  9—12.    Band  XXXIV,  1—6. 
1893/94.     80. 

Academia  Bomana  in  Bukarest: 

Eudoxiu   de  Hurmuzaki,    Documente  privitöre   la  Istoria  Rom&nilor. 

Suppl.  I,  Vol.  6.  Suppl.  II,  Vol.  1.    Vol.  II,  part  4  und  Vol.  8. 

1893-94.     40. 
Analele.    Serie  II,  Tom.  XIV.  Sect.  literar.  u.  Sect.  scientif.  Tom.  XV, 

Part,  administrat.  und  Sect.  literar.     1893.    4^. 
Etymologicum  Magnum  Romaniae.    Tom.  III,  2.     1894.    iP. 


Verzeichniss  der  eingelaufenen  Druckschriften,  361 

Instituto  meteorölogico  in  Bukarest: 
Analele.    Vol.  VIT,  anul  1891.     1893.    4P, 

Botanischer  Garten  in  Buitenzorg  (Java): 
Verslag    omtrent  den  staat  van*s   lands  plantentuin  te  Buitenzorg 
over  het  jaar  1892.    Batavia  1894.    8®. 

Meteorological  Departement  of  the  Government  of  India  in  Calcutta: 
Indian  Meteorological  Memoira.     Vol.  VI,  part  1.    1894.    fol. 
Bainfall  Data  of  India  1892.     1893.     fol. 
Monthly  Weather  Review.     August,  September,   October,  November, 

December  1893,  January  1894.    fol. 
Meteorological  Observationa.   August,  September,  October,  November, 

December  1893,  January  1894.    fol. 

Äsiatic  Society  of  Bengal  in  Calcutta: 
Journal.    New  Series.     Vol.  62,  No.  323,  327—332.    8». 
Proceedingg.     1893  No.  8,  9,  10.     1894  No.  1.    8''. 
Annual  Address.    7th  February  1894.    8^. 

Geological  Survey  of  India  in  Calcutta: 

Records.     Vol.  XXVI,  No.  4.    Vol.  XXVIl,  part  1.    1893/94.    4P. 

Philosophicdl  Society  in  Cambridge: 

Proceedings.    Vol.  8,  No.  2.     1894.    09, 
Transactions.     Vol.  XV,  part  4.     1894.     4^ 

Ästronomical  Ohservatory  at  Harvard  College  in  Cambridge,  Mass.: 

48 th  annual  Report  for  the  year  ending  Oct.  31,  1893.    8^ 
Annais.    Vol.  25,  29.     1893.     4^ 

Museum  of  comparative  Zoology  at  Harvard  College  in  Cambridge,  Mass.: 
Bulletin.     Vol.  XXV,  No.  2,  3,  5,  6.     1893/94.    8». 
Annual  Report  1892—93.     1893.    8». 

Äccademia  Gioenia  di  scienze  naturali  in  Catania: 

Atti.    Serie  IV,  Vol.  6.     1893.    4P, 
Bullettino.    Fase.  33-35.     1893.    8<>. 

Zeitschrift  „The  Open  Court"  in  Chicago: 
The   Open   Court.    Vol.  VII,    No.  325-350.    Vol.  VIII,  361  —  365. 
1893/94.    40. 

Zeitschrift  „The  Monist*^  in  Chicago: 
The  Monist.     Vol.  4,  No.  2,  3.     1894.    8». 

„Editorial  Committee  ofDenNorske  Nordhavs-Expedition  1876—1878" 

in  Christiania: 

XXII.  Zoologi  Ophiuroidea  ved  James  A.  Grieg.     1893.    fol. 

Norske  Gradmaalings- Kommission  in  Christiania: 
Vandstandsobservationer.    Heft  5.     1893.    4^. 

Chemiker- Zeitung  in  Cöthen: 
Chemiker -Zeitung  1893,  No.  92—104.    1894,   No.  1—41,   44—47,  50, 
51.    fol. 

Universität  in  Czernowitz: 

Verzeichniss  der  Vorlesungen.    Sommer-Semester  1894.    8®. 

Die  feierliche  Inauguration  des  Rectors  am  4.  Oktober  1893.    8^. 


1 


362  Vereeichniaa  der  eingelaufenen  Druckschriften, 

Historischer  Verein  für  das  Grossherzogthum  Hessen  in  Darmskidt: 
Quartalblätter.     1893  in  4  Heften.    8^. 

Äcademy  of  natural  Sciences  in  Davenport,  Jowa: 
Proceedings.    Vol.  V,  part  2.     1893.    8®. 

Colorado  Scientific  Society  in  Denver,  Colorado: 
3  kleine  Schriften.     1893.    8^. 

The  Question  of  a  Standard  of  Value,  by  0.  J.  Frost.     1893.    09, 
The  Mode  of  occurrence  of  gold  in  the  ores  of  the  Cripple  Creek  Di- 
strict  by  Richard  Pearce.     1894.    8®. 

Verein  für  Anhaltische  Geschichte  in  Dessau: 

MittheiluDgen.     Band  6,  Tbeil  4.     1893.    8^ 

Gelehrte  Estnische  Gesellschaft  in  Dorpat: 

Sitzungsberichte  1893.     1894.    8®. 
Verhandlungen.    Band  XVI,  8.     1894.    8^. 

Union  gSographique  du  Nord  de  la  France  in  Douai: 

Bulletin.    Tom.  14.    3.  et  4.  trimestre  1893.    8^. 

Boyal  Iri-sh  Academy  in  Dublin: 

Proceedings.    III.  Ser.    Vol.  III,  No.  1,  2.     1894.    8^. 
Ti-ansactions.    Vol.  30.  part  6—12.     1893/94.    4^. 

Boyäl  Dublin  Society  in  Dublin: 

The  scientific  Transactions.  Ser.  IL  Vol.  IV,  No.  14,  Vol.  V,  No.  1—4. 
2gg2 93.    4P, 

The  scientific  Proceedings.    N.  Ser.     Vol.  VII,   part   5.     Vol.  VIII, 
part  1,  2.     1892—93.    8«. 

Scottish  Microscopical  Society  in  Edinburgh: 

Proceedings.    Session  1891—92  and  1892—93.   2  Hefte.  1891—93.  8^. 

Boyal  Society  in  Edinburgh: 

Proceedings.    Vol.  XX,  pag.  97—160.     1893.    S^. 
Transactions.    Vol.  37,  part  I,  IL    1893.    4®. 

Gymnasium  in  Eisenach: 

Jahresbericht  auf  das  Jahr  1893—94.     1894.    4^. 

K.  Akademie  gemeinnütziger  Wissenschaften  in  Erfurt: 

Jahrbücher.    N.  F.     Heft  20.     1894.    8^. 

Beate  Accademia  de'  Georgofli  in  Florenz: 

Atti.    Ser.  IV.    VoL  XVI,  8.  4.     1893.    8». 

B.  Archivio  di  Stato  in  Florenz: 

I  Capitoli  del  Comune  di  Firenze,  Inventario  e  Regesto.     Tom.  2. 
1893.    4P, 

Senckenbergische  naturforschende  Gesellschaft  in  Frankfurt  a,  M,: 
Abhandlungen.    Band  XVIII,  No.  2.     1894.    4P. 

Verein  für  Geschichte  und  Alterthumskunde  in  Frankfurt  a.  M,: 
Mittheilungen  iiber  römische  Funde  in  Heddernheim.   I.    1894.    4®. 

Naturwissenschaftlicher  Verein  in  Frankfurt  a,  0.: 
Helios.     11.  Jahrg.    No.  6—12.     1893/94.    8°. 
Societatum  Litterae.    1898.    No.  8—12.    1894.     1—3.    8». 


Verzeichniss  der  eingelaufenen  Druckaehriften.  363 

Naturforschende  Gesellschaft  in  Freiburg  i.Br.: 
Berichte.    Band  VII,  1,  2.     Band  VlII.     1893/94.    8f^. 

Universität  Freiburg  i.  d.  Schweiz: 
Index  lectionum  per  menses  aestivos  1894.    8^. 

Oe  ff  entliche  Bibliothek  in  Genf: 
Compte  renda  pour  Tann^e  1893.     1894.    8^. 

Institut  national  Genevois  in  Genf: 
Les  Chroniques  de  Geneve  par  Michel  Roset.     1894.    8^. 

Museo  dvico  di  storia  naturale  in  Genua: 
Annali.     Ser.  2  a.    Vol.  XÜI.     1893.    8°. 

Geölogicäl  Society  in  Glasgow: 
Transactiong.    Vol.  IX,  part  2.     1893.    8«. 

Oberlausitzische  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Görlitz: 
Neues  Lausitzisches  Magazin.    Band  69,  Heft  2.     1893.    8^. 
K,  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Göttingen: 
Gelehrte  Anzeigen.    1893.   No.  20—26.  1894.  No.  1—6.   8» 
Nachrichten.     1893.     No.  15—21.     1894.    No.  1.  2.    8^. 

Lebensversicherungsbank  fiir  Deutschland  in  Gotha: 

65.  RechenschafUbericht  für  das  Jahr  1893—1894.    4^ 

The  Journal  of  Comparative  Neurology  in  Granvüler 

Journal.    Vol.  III,   p.  163-182.    Vol.  IV,  p.  1—72,  No.  I  — LXXX. 
1893.    80. 

Verein  der  Aerzte  in  Steiermark  in  Graz: 
Mittheilungen.     30.  Jahrgang.     1893.    8<^. 

Naturwissenschaftlicher  Verein  für  Neu -Vorpommern  in  Greifswald: 
Mittheilungen.    26.  Jahrgang.     1893.    Berlin   1894.    8^. 

Fi^rsten-  und  Landesschtde  in  Grimma: 
Jahresbericht  1893/94.     1894.    8^. 
Haag'sche  Genootschap  tot  verdediging  van  de  christelijke  Godsdienst 

im  Haag: 
Werken.    VI.  Reeks.    Deel  V.    Leiden  1894.    8». 

K,  Instituut  voor  de  Taäl-,  Land-  en  Volkenktmde  van  NederlanJsch 

Indie  im  Haag: 
Bijdragen.    V.  Reeks.    Deel  X,  aflev.  1,  2.    1894.    8®. 

Leopoldinisch-Carolinische  Deutsche  Akademie  der  Naturforscher 

in  Halle: 
Leopoldina.     Heft  29,  No.21— 24.    Heft  30,  No.  1— 10.  1893—94.  4P, 

Deutsche  morgetdändische  Gesellschaft  in  Halle: 
Zeitschrift.    Band  47,  Heft  4.   Band  48,  Heft  1.    Leipzig  1893/94.  ^, 

Universität  Halle: 
Index  lectionum   per  aestatem  1894  habendarum,  nebst  Verzeichniss 
der  Vorlesungen.     1894.    4®. 

Thüring, 'Sachs.  Geschichts-  und  Alterthums- Verein  in  Halle: 
Neue  Mittheilungen.    Band  18.    2.  Hälfte,  Heft  1.    1893.    8^. 


364  Verseichniss  der  eingelaufenen  Druckschriften, 

Naturwissenschaftlicher  Verein  für  Sachsen  und  Thüringen  in  Halle ; 
Zeitschrift  für  Naturwissenschaften.  Bd.  66.  Heft  3,  4.  Leipzig.  1893.  8®. 

Stadt-Bibliothek  in  Hamburg: 

VerhandluDgen  zwischen  Senat  und  Bürgerschaft  1892/93.    4^. 

Handbuch  der  Hamburgischen  wissenschaftlichen  Arbeiten.  IX.  Jahrg. 
1891.  I.  und  IL  Hälfte.  X.  Jahrg.  1892.  I.  Hälfte  nebst  Bei- 
heft.    1891—93.    40. 

Mittheilungen  aus  der  Stadtbibliothek.     X,  1.     1893.    8^. 

Naturwissenschaftlicher  Verein  in  Hamburg: 
Verhandlungen  HI.    Folge  I.     1894.    8®. 

Historischer  Verein  für  Niedersachsen  in  Hannover: 
Zeitschrift.     Jahrgang  1893.    8®. 

Teylers  Godgeleerd  Genootschap  in  Harlem: 
Verhandelingen.    Nieuwe  Serie.    Deel  XIV.     1894.    8°. 

Teylers  tweede  Genootschap  in  Harlem: 
Verhandelingen.     N.  Reeks.     Deel  IV,  stuk  2.     1893.     8^. 
Jacob  Dirks,  Atlas  behoorende  bij  de  beschrijving  der  Nederlandsche 
Penningen.     Stuk  4.     1893.    fol. 

Sociiti  Hollandaise  des  Sciences  in  Harlem: 
Archives  Nderlandaises.   Tom.  27,  livr.  4,  6.  Tom.  28,  livr.  1.  1894.  8P. 

Historisch-philosophischer  Verein  in  Heidelberg: 
Neue  Heidelberger  Jahrbücher.    Jahrgang  4.    Heft  1.     1894.    8®. 

Naturhistorisch-medicinischer  Verein  in  Heidelberg: 
Verhandlungen.    N.  F.     Band  V,  Heft  2.     1894.    8« 

Institut  meteorologique  central  in  Helsingfors: 
Observations.     Vol.  VI-VIII,  livr.  I.     Vol.  XI,  livr.  I.     1893.    4^. 
Observations  möt^orologiques  1881—1888  in  4  Voll.  Kuopio.  1893.  fol. 

Verein  für  siebenbürgische  Landeskunde  in  Hermannstadt: 
Archiv.    N.  F.     Band  26,  Heft  1.     1894.    8°. 
Jahresbericht  für  das  Vereinsjahr  1892/93.     1893.     8®. 
Die  Kerzer  Abtei,  von  Lud.  Reissenberger.     1894.    4®. 

Historischer  Verein  in  und  für  Ingolstadt: 
Sammelblatt.    XVIII.  Heft.     1893.    8®. 

Medicinisch-naturwissenschaftliche  Gesellschaft  in  Jena: 

Jenaische  Zeitschrift  für  Naturwissenschaft.  Band  28,  Heft  2,  3. 
1893—94.     BP. 

Kais.  Universität  in  Kasan: 
Utschenia  Sapiski.    Vol.  61,  No.  1—3.     1894.    8®. 
2  Dissertationen  von  Krasin  und  Agababon.     1893.    8^. 

Verein  für  Naturkunde  in  Kassel: 
39.  Bericht  über  die  Jahre  1892—94.     1894.    8^ 

Universität  in  Kharkow: 
Sapiski.    Vol.  4.    1893.    8«. 
Annales.    1894.    Fase.  1.    ^. 


Verzeiehniss  der  eingelaufenen  Druckschriften.  365 

Section  midicaie  de  la  Soci^i  des  sciences  expSrim.  in  Kharkow: 
Trudy.     1891.   Teil  IT.     1892.    Teil  I.     1893.    Heft  I.     1892-94.    8^ 
Gesellschaft  für  Schleswig-Holstein-Lauenburgische  Geschichte  in  Kiel : 
Zeitschrift.     Band  28.     1893.    8<>. 

K.   Universität  in  Kiew: 

Iswestija  1893.    Band  33,  No.  12.    Band  34,  No.  1-4.    1893/94.     80. 

Äerztlich-naturwissenschaftlicher  Verein  in  Klausenburg: 

Ertesitö.    4  Hefte  vom  Jahre  1893.    ^. 

I.  Abtheilung.    Band  18.    Heft  2.  3.     1894.    8^. 

Stadtarchiv  in  Köln: 
Mittheilungen.    Heft  24.     1893.    8^. 

K.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Kopenhagen: 
M^moires.    6.  s^rie.    Section  des  Lettres.    Vol.  HI,  No.  3.    1894.   4®. 
Regesta  diplomatica  historiae  danicae.  Ser.  H,  tom.  2,  fasc.  2.  1893.  4^. 
Oversigt.     1893,  No.  2,  3.     1894,  No.  1.     1893—1894.    8". 
Skrifter.     Naturvidensk.  Afdeling.     Band  VII,  No.  8,  9.     1893.  4^. 

Gesellschaft  für  nordische  Alterthumskunde  in  Kopenhagen: 

M^moires.    Nouv.  Särie  1892.     1893.    8<>. 

Aarböger.    H.  Raakke.    Band   VIII,    Heft   8,  4.    Band  IX,    Heft  1. 
1893/94.    BP. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Krakau: 

Anzeiger.     1893,   December.     1894,  Januar,  Februar,  April,  Mai.    8®. 

Sprawozdania  komisyi  histor.   Sztuki.     Tom.  V,  fasc.  3.     1893.     fol. 

Rozprawy  wydz.  filolog.     Tom.  XIX.     1893.    49, 

Acta  rectoralia  universitatis  Cracoviensis.   Tom.  I,  fasc.  2.    1893.    4®. 

Rocznik.     Rok  1892/93.     1893.     8^. 

Biblioteka  pisarzöw  pokkich.    Tom.  25—27.     1893.    8^. 

Botanischer  Verein  in  Landshut: 

13.  Bericht  über  die  Vereinsjahre  1892—93.     1894.    8«. 

Sodete  Vaudoise  des  sciences  naturelles  in  Lausanne: 

Bulletin.    IH.  S^r.    Vol.  29,   No.  113.    Vol.  30,  No.  114.     1893.    8«. 

Mcmtschappü  van  Nederlandsche  Letterkunde  in  Leiden: 

Tijdschrift.    Deel  XÜI,   Aflev.  1,  2.     1894.    BP. 

Observatorium  in  Leiden: 

Catalogue   de   la   Bibliothäque   de   TObservatoire.      Supplement   III. 

'sGravenhage  1893.    8^. 
Verslag.     1891—92  et  1892—93.    Leyde  1892—93.    8®. 

K,  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Leipzig: 

Berichte.    Mathem.-phys.  Classe.     1893,    No.  VII,  VIU,  IX.     1894,  I. 

1894.    8». 
Berichte.    Philolog.-histor.  Classe.    1893.    IT,  IH.     1894.    8». 
Abhandlungen  der  mathem.-phys.  Classe.    Bd.  XXI,  1.     1894.     4^. 

der  philos.-hist.  Classe.     Bd.  XIV,  6.     1894.     4^ 

Astronomische  Gesellschaft  in  Leipzig: 
Vierteljahrsschrift.    Jahrgang  28.    Heft  4. 

.         29.       ,     1;     1893/94.    4». 


366  Verzeichfiiss  der  eingelaufenen  Druckschriften, 

Journal  für  praktische  Chemie  in  Leipzig: 
Journal.    Neue  Folge.    Band  48,  Heft  8—12. 

,      49,     ,      2-9.     1893/94.    SO. 

Verein  für  Erdkunde  in  Leipzig: 
Mittheilungen  1893.     1894.    8^. 

Museum  Franisco-Carolinum  in  Linz: 
52.  Bericht.     1894.    8». 

SociHi  phüosophique  in  Loewen: 
Revue  Neo-Scolastique.    I.  Ann^e,  No.  1.    1894.    8^. 

üniversüi  catholique  in  Loewen: 
Annuaire  1894.    8^. 

Recueil  de  travauz  puhli^s  par  les  membres  de  la  cooförence  d^histoire. 
Fase.  4,  5.     1891-1893.    8°. 

Zeitschrift  „La  CelliUe"  in  Loewen: 

La  Cellule,   Recueil  de  Cytologie  et  d'histologie  g^närale.    Tom.  X, 
fasc.  1.     1894.    40. 

Boyai  Institution  of  Qreat  Britain  in  London: 

Proceeding8.    Vol.  14,  part  I.     1894.    8®. 

The  English  Historicäl  Beview  in  London: 

Review.    Vol.  IX,  No.  33,  34.    1894.    8°. 

Boyal  Society  in  London: 

Proceedings.    Vol.  64,  No.  328,  329,  380.    Vol.  66,  No.  381,  332,  333. 
1894.    8^ 

22.  Ästronomical  Society  in  London: 

Monthly  Notices.    Vol.  64,  No.  2-7.     1893/94.    8«. 

Chemical  Society  in  London: 
Proceedings.     Session  1893—94.    No.  131—140.     1894.    8». 
Journal  1893.    Supplement  Number.    1894.    No.  374—879.    (Jan.  bis 

June.)    8^. 
List  of  the  Officers  and  Fellows,  April  1894.    8^. 

Geologiccd  Society  in  London: 
The  quarterly  Journal.    Vol.  49,  part  1—4.    1893.    8^. 
List.    November  Ist  1893.    8®. 

Medical  and  chirurgical  Society  in  London: 
Medico-chirurgical  Transactions.    Vol.  57.     1892.    8^. 

B.  Microscopicäl  Society  in  London: 
Journal.     1894,  part  1-3.    8^. 

Zoological  Society  in  London: 
Proceedings.     1893,  part  IV.     1894,  part  I.    8®. 
Transactions.    Vol.  13,  part  8.     1894.    4®. 

Zeitschrift  „Nature"  in  London: 
Nature.     Vol.   49,    No.   1255  —  1267,    1269,     1271  —  1278.    Vol.  50, 
No.  1279-1284.     1893/94.    40. 

12.  Accademia  delle  scienze  in  Lucca: 
Atti.    Tom.  27.     1893.    QP. 


Vereeichniss  der  eingelaufenen  Druckschriften,  367 

SocUti  gSölogique  de  Belgique  in  Lüttich: 
Annales.    Tom.  20,  livr.  i.  2.    1892/98.    8®. 

Universität  in  Lund: 
Acta  nniversitatis  Lundensis.    Tom.  29,  Abth.  I,  n.     1892/98.    4^. 

Institut  Ghrand-Ducal  in  Luxemburg: 
Publications.    Tom.  XXII.     1898.    8». 

UniversitS  in  Lyon: 
Annales.    Tom.  VI,  &8c.  8,  4.    Paris  1898  und  Lyon  1894.    8^. 

Wisconsin  Academy  of  Sciences  in  Madison: 
Transactions.    Vol.  IX,  pari  1,  2.     1898.    8". 

Wctshbum  Observatory  in  Madison: 
Publications.    Vol.  VUI.     1898.    4P, 

The  Government  Astronomer  in  Madras: 
Madras  Meridian.    Circle  Observations.    Vol.  VII.     1894.    4^. 

Beal  Äcademia  de  la  historia  in  Madrid: 
Boletin.    Tomo  XXIV,  No.  1—6.     1894.    QP. 

Societä  Storica  Lombarda  in  Mailand: 
Archivio  storico  Lombardo.    Anno  XX,  fasc.  4.     1898. 

Serie  III.    Anno  XXI,  fasc.  1,   1894.   8«. 

Societä  itdliana  di  sdenze  naturdli  in  Maüand: 
Atti.    Vol.  34,  fasc.  4.     1894.    8^. 

Literary  and  phüosophical  Society  in  Manchester: 

Memoirs    and    Proceedings.    Vol.  7 ,   No.  2,   8.     Vol.  8 ,   No.  1 ,    2. 
1898/94.    80. 

FacultS  des  sciences  in  Marseille: 
Annales.    Tom.  8,  fasc.  4.     1894.    4P. 

Tufi's  College  in  Massachusetts: 
Tufts  College  Stadies  No.  1.     1894.    ^, 

Hennebergischer  alterthumsforschender  Verein  in  Meiningen: 
Neue  Beiträge  zur  Geschiebte  deutschen  Alterthums.  Lief.  12.  1898.  8®. 

Fürsten-  und  Landesschüle  St,  Afra  in  Meissen: 
Festschrift  zur  Feier  ihres  85(yährigen  Bestehens.    1894.    4^ 

Scientific  Association  in  Meriden: 
Transactions.    Vol.  5.    1898.    8°. 

AcadSmie  in  Metz: 
M^moires.    8.  Sdrie.    Ann^e  20.     1890-1891.     1893.    QP, 

Gesellschaft  filr  Lothringische  Geschichte  und  Altertumskunde  in  Metz : 
Jahrbuch.    6.  Jahrg.     1898.    I.  Hälfte.    8^. 

Observatorio  meteorologico  central  in  MSxico: 
El  Clima  de  la  ciudad   de  Mexico  por  Mariano  B&rcena.     1898.    8^. 

Sociedad  cientifica  Antonio  Alzate  in  Mexico: 
Memorias  y  Revista.    Vol.  VII,  No.  3-10.    1898/94.    8°, 


368  Verzeiehniss  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Sociedad  de  historia  natural  in  Mexico: 
La  Naturaleza.    TL  Serie.    VoL  II,  cuad.  3  y  4.     1892.     foL 

Begia  Accademia  di  scienze  in  Modena: 
Memorie.     Serie  II,  VoL  9.     1893.     40. 

Benediktiner-Abtei  in  Montecassino : 

Pauli  Wamefridi  in  sanctam  regnlam  comment.     1880.    4^. 
Spicilegium  Gaflinense.    Tomus  I.     1893.    fol. 

Sociiti  Imperiale  des  Naturalistes  in  Moskau: 
Bulletin.     Ann^e  1893,  No.  4.     1894,   No.  1.     1894.    8». 

Deutsche  Gesellschaft  für  Anthropologie  in  Berlin  und  MiXnchen: 
Korrespondenzblatt.     1893.     No.  11,  12.     189L     No.  1-6.     4^. 

K.  Technische  Hochschule  in  München: 

Personalstand.     Somm.-Sem.  1894.    8®. 

Metropolitan-Kapitel  in  München: 

Amtsblatt  für  die  Erzdiöcese.  1893.     1894.    No.  1—12.    8<^. 
Schematismus  der  Geistlichkeit  für  das  Jahr  1894.    8^. 

Universität  in  München: 
Schriften  der  Universität  München.     1893.    4P  u.  8°. 

Historischer  Verein  von  Oberbayern  in  München: 
Monatsschrift.     1894.    No.  1 — ^5.  (Jan.— Juni.)    8®. 

Kaufmännischer  Verein  München: 
20.  Jahresbericht.    1894.    8«. 

Verein  für  Geschichte  und  Älterthumskunde  Westfalens  in  Münster: 
Zeitschrift.     Band  61.     1893.    8«. 
Ergänzungshefte.    I.     Lieferung  1.     1893.    8^ 

Accademia  delle  scienze  fisiche  e  matematiche  in  Neapel: 
Rendiconti.     Serie  2a.    Vol.  VII,  fasc.  8—12.    Vol.  VIII,  fasc.  1—5. 
1893/94.    4P. 

Historischer  Verein  in  Neuburg: 
Neuburger  KoUektaneen-Blatt.    Jahrg.  66.     1892.     1893.    8°. 

North  of  England  Institute  of  Engineers  in  Newcastle-upon-Tyne: 
Transactions.    Vol.  42,  part  5.    Vol.  43,  part  2,  3,  4.     1893.    8®. 
An  Account  of  the   Strata  of  Northumberland   and  Durham.    S-T. 
1894.    80. 

The  American  Journal  of  Science  in  New-Haven: 
Journal.    Vol.  47,  No.  277-282  (Jan.— June).     1894.    8^ 

American  Oriental  Society  in  New-Haven: 
Journal.    Vol.  XVI,  No.  1.     1894.    8°. 

Academy  of  Sciences  in  New- York: 

Annais.    Vol.  VIU,  No.  1—3.    Vol.  VII,  6-12. 
Vol.  VI.    Index  1894.     1898/94.    8«. 

American  Museum  of  Natural  History  in  New-Tork: 

Bulletin.     VoL  V.     1893.    8^. 


Verzeichniss  der  eingelaufenen  Druckschriften^  369 

American  Chemical  Society  in  New- York: 

The  Journal.    Vol.  XV,  No.  12.  XVI,  No.  1-5.  Easton.   1898/94.  8®. 

American  Geographical  Society  in  New- York: 
Bulletin.    Vol.  XXV,  No.  4,  part  1,  2. 

Vol.  XXVI,  No.  1.     1898/94.    8«. 

Germanisches  Nationalmuseum  in  Nürnberg: 
Anzeiger.    1898.    8^. 
Mittheilungen.    Jahrg.  1898.    8^. 
Katalog  der  Gemälde.    3.  Auflage.     1898.    8^. 

Verein  für  Geschichte  der  Stadt  Nürnberg: 

Jahresbericht  für  das  Jahr  1892.     1898.    8®. 
Mittheilungen.    Heft  10.     1898.    8». 

Neurussische  naturforschende  Gesellschaft  in  Odessa: 
Sapiski.    Band  XVIII,  1,  und  Mathematische  Abtheilung,    Band  XV. 
1898.    8». 

Historischer  Verein  in  Osnabrück: 

Osnabrücker  Geschichtsquellen.     Band  II.     1894.    8^. 

Geological  Survey  of  Ganada  in  Ottawa: 
Anual  Report  1890—91.   N.  S.  Vol.  V,  part  1,  2  and  Maps.  1898.  8°. 

B.  Accademia  di  scienze  in  Padua: 
Atti  e  Memorie.    Nuova  Serie.    Vol.  IX.     1898.    8». 

Societä  Veneto-Trentina  di  scienze  naturali  in  Padua: 
Atti.    Serie  IL    Vol.  1,  fasc.  2.    Anno  1894.    S^. 
Bullettino.    Tom.  V,  No.  4.     1894.    8«. 

Circolo  matematico  in  Palermo: 
Rendiconti.    Tom.  VII,  fosc.  6.    VIII,  1-4.     1898/94.     40. 

CoUegio  degli  Ingegneri  in  Palermo: 
Atti.    Anno  XVI.     1898.    Maggio— Agosto.     1898.    40. 

Academie  de  mSdecine  in  Paris: 
Bulletin.     1898,  No.  61.  1894,  No.  1-26.    8». 

AcadSmie  des  sciences  in  Paris: 

Comptes  rendus.    Tom.  117,  No.  26.     Tom,  118,  No.  1—21,  28—26. 
1898/94.     40 

Moniteur  Scientifique  in  Paris: 

Moniteur.     Livr.  626—680.     F^vrier-Juin  1894.    4». 

SociHe  de  geographie  in  Paris: 

Comptes  rendus  1898.  No.  17,  18.     1894,  No.  1—18.    8^. 

Bulletin.    VII.  Sörie.    Tom.  14.    1898.    8.  et  4.  trimestre.     1894.    8". 

SociHt  mathimatique  de  France  in  Paris: 
Bulletin.    Tom.  XXI,  No.  8,   9  et  table  des   20  premiers  volumes. 
Tom.  XXII,  No.  1,  2.  3,  4.     1898/94.    8*». 

Zeitschrift  „V Electricien"  in  Paris: 
L'filectricien.  Tom.  VI,  No.  157,  168.  Tom.  VII,  159—188.  1898/94.  4^ 


370  Vereetchniss  der  eingelaufenen  Druckschriften, 

Kaiserl.  Bu88.  Akademie  der  Wissenschaften  in  8t,  Petersburg: 

Mömoires.    Tom.  41,  No.  2 -6.     1893.    4®. 
Repertorium  für  Meteorologie.     Band  XVl.    1698.    4^. 

Botanischer  Garten    in  St.  Petersburg: 

Acta  horti  Petropolitani.     Tom.  18,  fasc.  1.     1898.    S^. 
Scripta  botanica.    Tom.  IV,  fiuc.  1.     1893.    8^. 

Kais,  russ,  archäologische  Gesellschaft  in  St,  Petersburg: 

Sapieki.    Vol.  6.    Heft  1—4.    Vol.  8.    Heft  1,  2.     1892/98.    S». 

Phy8ikal,'Chefnische  Gesellschaft  an  der  k,  Universität  in  St,  Petersburg: 

Schurnal.    Tom.  26,  No.  9.     Tom.  26,  No.  1—8.     1898/94.    8^^. 
Zum  26jähr.  Jubiläum  der  ehem.  Abteilung  der  physikalisch  -  ehem. 
Gesellschaft  (in  russ.  Sprache).     1894.    8^. 

Physikalisches  Centräl-Observatorium  in  Petersburg: 

Annalen.    Jahrg.  1892.    Theü  I,  U.     1898.    4». 

SociSti  des  naturalistes  in  St.  Petersburg: 

Travaux.    Tom.  24,  Heft  1,  2.     1894.    S». 

Sternwarte  in  St,  Petersburg: 

Publications    de    TObservatoire    Central    Nicolas.     S^rie  II,   Vol.  I. 

1898.    fol. 
Observations  de  Poulkova.    Vol.  10.    1898.    fol. 

Kaiserliche  Universität  in  St.  Petersburg: 

Protokoly  No.  48,  49.     1898/94.    8«. 

Goditschnyi  akt  (Jahres-Akt)  8.  Februar  1894.    8^. 

P.  Kokowzow,   Zur  Geschichte  der  mittelalterlichen  Philologie  und 

arab.-hebräischen  Literatur.     Band  I.     1698.    8^. 
A.  Domogarow,  Von  der  freien  Bewegung  des  Gyroskops.     1698.    8^. 

(Beide  Schriften  in  russischer  Sprache.) 

Historisch'phäolog,  Fakultät  der  Universität  St.  Petersburg: 

Sapiski.    Tom.  83.    Tom.  25,  pars  II.     1898  n.  1894.    6^. 

Academy  of  natural  Sciences  in  Philadelphia: 

Proceedings.     1898.    Part  II,  III.    GP. 

Journal.    IL  Ser.    Vol.  X,  part  1.     1894.    gr.  49. 

American  pharmaceuticcd  Association  in  Philadelphia: 
Proceedings  at  the  41^  annual  Meeting,   Chicago  August  1898.    8^. 

The  GeographicoH  Club  of  Philadelphia: 
Charter,  By-laws,  List  of  Members.  Bulletin  Vol.  1,  No.  2.   1894.  8^. 

Histori4:al  Society  of  Pennsylvania  in  Philadelj^Ua: 
The  Pennsylvania  Magazine.    Vol.  XVII,  No.  8,  4.     1893/94.    8^. 

American  philosophical  Society  in  Philadelphia: 
Proceedings.    Vol.  31,  No.  142.    1898.    8°. 

University  of  Pennsylvania  in  Philadelphia: 
CaUlogue  1698—1894.    1898.    &^. 


Verzeichniits  der  eingelaufenen  Druckschriften.  371 

Societä  Toscana  di  seienee  naturaJi  in  Pisa: 
Atti.    Memorie.    Vol.  Xm.     1894.    4© 
Atti.    Processi  verbali.    Vol.  IX,  pag.  1—61.     1894.    4<>. 

K.  Gymnasium  in  Platten: 
Jahresbericht  Aber  d.  J.  1893/94.    4^. 

Historische  Gesellschaft  für  die  Provinz  Posen  in  Posen: 

Zeitschrift.    Jahrg.  7  u.  8.     1892—93.    8<>. 
Sonder-VerOffentlichongen.    I,  1,  2.    II.    1892—98.    Sfi. 

Ästrophysikalisches  Observatorium  in  Potsdam: 
Poblikationen.    Band  IX.     1894.    4^. 

Böhmische  Kaiser  Franz  Josef  Akademie  der  Wissenschaften, 

lAtteratur  und  Kunst  in  Prag: 
Almanach.    Roinfk  IV.     1894.    8^. 
Rozprawy  (Sitzungsberichte).    1893.   Abth.  I,  II,  III.     1894.    THda  I. 

Roönfk  3.    Öfslo  1,  2.    THda  U.     Roönfk  3.    40. 
Rozprawy  (Abhandlungen).   Abth.  III.     1893.    I.     1894.    4^. 
Historick^  Archiv.     Öfslo  2.     1893/94.    4°. 

Vestnfk.    Band  II.    Heft  1—9.    Band  III.    Heft  1—6.     1893/94.    8^. 
Antonfn  Pavlic^k,  Privo  listu  z^stavnJtch  (Das  Recht  der  Hypotheken* 

briefe).     1893.    8». 
Sbfrka    pramen&v    ku   pozn4ni    liter&rniho    ^.ivota    (Sammlung    der 

Quellen  zur  Kenntniss  des  literar.  Lebens  in  Böhmen,   Mähren 

und  Schlesien).     No.  1.     1893.    S*. 
Otakar  Enkula,  0  lithiasi  (Von  der  Steinoperation).     1894.    8^. 
Bulletin  international.  Classe  des  sciences  math^matiqnes.  1.  1894.  4^. 
Aotonfn  Vesely.    Medicinskä  Rus.     1894.    40. 

ÜT.  Böhmische  Gesellschaft  der  Wissensehaften  in  Prag: 

Sitzungsberichte:  a)  Klasse  für  Philosophie  1898. 

b)  Mathem.-naturwi8sen8ch.  Klasse  1893.     1894.   8^ 
Jahresbericht  für  das  Jahr  1893.     1894.    8^. 

Gesellschaft  zur  Förderung  deutscher  Wissenschaft,  Kunst  und 

Literatur  in  Böhmen  zu  Prag: 
Rechenschaftsbericht  vom  11.  Dezember  1893.    8^. 
Georg  Bruder,  Die  Gegend  um  Saaz.     Saaz  1893.    8^. 
Aliscans  mit  Berücksichtigung  von  Wolframs  Ton  Eschenbach  Wille- 
halm, hsg.  von  Gustaf  Rollin.    Leipzig.    1894.    8®. 
Mittheilung.    No.  II.    1894.    8». 

Mathematisch-physikalische  Gesellschaft  in  Prag: 
Casopis.    Band  23,   No.  1,  2.     1893/94.    Bfi. 

Lese-  und  Redehcdle  der  deutschen  Studenten  in  Prag: 
Bericht.    Jahr  1893.    1894.    8^. 

K,  böhmisches  Museum  in  Prag: 
Casopis.    Band  67.    Heft  1—4.     1893.    8^. 

R.  K.  deutsche  Universität  in  Prag: 
Ordnung  der  Vorlesungen.    Somm.-Sem.  1894.    8^. 


372      t  '\\ Vereeichniss  der  eingelaufenen  Dmckschriften. 

Verein  für  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen  in  Prag: 
Mittheilungen.    81.  Jahrg.    No.  1—4.     1892-98.     8». 

IiMtüuto  historico  e  geographico  in  Bio  de  Janeiro: 

Revista  trimensal.     Tom.  55,  parte  II.     1893.    8^. 
Homenagem.    Sessäo   extraordinaria   em   commemora9äo   do    falleci- 
mento  de  S.  M.  o.  Snr.  D.  Pedro  II.      1892.    8«. 

Ohservatorio  in  Bio  de  Janeiro: 

Annuario  1893.    S^. 

Geological  Society  of  America  in  Bochester: 

Bulletin.    Vol.  IV.     1893.    8«. 

Beate  Accademia  dei  Lincei  in  Born: 

Annuario  1894.    8». 

Atti.    Serie  IV.    Classe  di  scienze  morali.    Vol.  IX,  parte  1  e  Vol.  X, 

p.  I.    Memorie.     1893.    4». 
Atti.    Serie  V.    Classe  di  scienze  morali.     Vol.  I,  parte  2.    Notizie 

degli  scavi   1893,   Agosto— Dicembre  e  Indice   per  Tanno  1893. 

1893.    4^ 
Atti.    Serie  V.   Classe  di  scienze  fisiche.  Vol.  II,  semestre  II,  fasc.  1,  2. 

Vol.  ni,  semestre  I,  fasc.  1-11.     1898/94.     4P, 
Bendiconti.    Classe  di  scienze  morali.    Serie  V,  Vol.  II,  fasc.  11,  12. 

Vol.  III,  fasc.  1-4.     1894.    OP. 

Accademia  Pontificia  de*  Nuooi  Lincei  in  Born : 

Atti.     Anno  46,  Sessione  III -VI.    Anno  46,  Sessione  I— VIII. 
1892/98.    40. 

B,  Comitato  geologico  d'Italia  in  Born: 

BoUettino.     1893,  No.  4.     1894,  1.     1893/94.    8^. 

Kais,  deutsches  archäologisches  Institut,  röm   Abtheüung,  in  Born: 
Mittheilungen.     Band  8,  No.  4.    Band  9,  No.  1.     1894.    8". 

JR.  Ministero  della  Istruzione  puhhlica  in  Born: 
Le  Opere  di  Galileo  Galilei.    Vol.  IV.     Firenze  1894.     40. 

B,  Societä  Bomana  di  storia  patria  in  Bom: 
Archivio.     Vol.  XVI,  fasc,  3,  4.     1893.    8». 

Bataafsch  Genootschap  der  Proefondervindelijke  Wijsbegeerte 

in  Botterdam: 

Nieuwe  Verhandelingen.    II.  Reeks,  IV.  Deel.    Stuk  I.     1893,    4<>. 

Accademia  degli  Agiati  in  Bovereto: 

Atti.     Anno  I— XL     (1883—1893.)     1893/94.    8«. 
L'Accademia  di  Rovereto  dal  1750  al  1880.     1882.     8^ 

Naturwissenschaftliche  Gesellschaft  in  St,  Gcdlen: 
Bericht  über  d.  J.  1892/93.     1893.     8«. 

Instituto  y  Ohservatorio  de  marina  de  San  Fernando  (Cadiz): 
Annales.     Seccion  II.     Aiio  1892.     1893.    fol. 

California  Academy  of  sciences  in  San  Francisco: 
Memoirs.     Vol.  II,  No.  3.     1894.    4«. 


Vereeiehnias  der  eingelaufenen  Drucksehriften.  373 

Sodeti  scientifique  du  Ghüi  in  Santiago: 
Actes.     Tom.  III,  livr.  1—8.     1898/94.    4P. 

Bosniach-Herzegowinisches  Landesmuseum  in  Sarajevo: 
Wissenschaftliche  Mittheilungen.     Band  I,  IL    Wien.    1898—94.    8^. 

Verein  für  meklefiburgische  Geschichte  in  Schwerin: 
Mecklenhurgisches  Urknndenbach.     Band  XVI.     1893.    4®. 
K,  K.  archäologisches  Museum  in  Spalato: 

Bulletino  di  archeologia.     Anno  XVI,  No.  11,  12.    XVIL  No.  1—4 
1893/94.    8«. 

Historischer  Verein  der  Pfalz  in  Speier: 
Mittheilungen.    XVIL     1893.    S^. 

Gesellschaft  für  Pomtnersche  Geschichte  in  Stettin: 
Baltische  Studien.    48.  Jahrg.     1898.    8^. 

K.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Stockholm: 

Observations  du  magn^tisme  terrestre  faites  ä  Upsala  en  1882—1883. 

1898.    4P. 
Meteorologiska  iakttagelser  i  Sverige.    Band  81  (1889).    1898.    4^. 
öfversigt.     Argang  60  (1898).     1894.    8». 
Carl  von  Linn^s  brefyexling,  af  Ewald  Ährling.    1894.    8^. 
Institut  Eoyal  Geologique  de  Subde  in  Stockholm: 
Carte  geologique  de  la  Suede.    Sdrie  Aa,   No.  108,    109.     Sdrie  Ab, 

No.  13—16,  S^rie  Bb,  No.  7,  Sörie  C,  No.  112. 

Nordisches  Museum  in  Stockholm: 
Samfundet  för  Nordiska  Museets  främjando  1891  och  1892.  1894.  S^. 
Traaniderimönster  i  Alimogestil  af  Wilhelm  Oldenburg.     1893.    fol. 

Sociiti  des  sciences  in  Strassburg: 

Bulletin  mensuel.    Tom.  XXVII,  1893,  No.  10.    Tom.  XXVIII,  1894. 
Fase.  1—4.    80. 

K.  statistisches  Landesamt  in  Stuttgart: 
Württembergische  Jahrbücher.    Jahrg.  1898.    4^. 
Württembergische  Kommission  für  Landesgeschichte  in  Stuttgart: 

Württembergische  Vierteljahrshefte  ftlr  Landesgeschichte.    II.  Jahrg. 
1893.    Heft  1-4.     1893.    8°. 

Department  of  Mines  and  Ägriculture  in  Sydney: 

Records  of  the  Geological  Survey  of  N.-South- Wales.  Vol.  III,  part  4. 

1893.    4^. 
Annual  Report  for  1893.     1894.    fol. 

The  New-South  Wales  Cfovemment  Bord  for  international  exchanges 

in  Sydney: 

The  year  Book  of  Australia  1894.    8^. 

Boyal  Society  of  New-South  Wales  in  Sydfiey: 

Journal  and  Proceedings.    Vol.  XXVII.  1893.    8**. 

Observatorio  astron&mico  naciondl  in  Tacuhaya  (MexicoJ: 

Anuario.     Ano  de  1894. 

Boletfn.    Tom.  I,  No.  16.  16.    1698/94.    4^. 

1894.  Philo8.-philoL  u.  hist  Gl.  2.  26 


374  Verzeichniss  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Deutsche  Gesellschaft  für  Natur-  und  VÖlkerJcunde  Ostasiens 

in  Tokio  (Japan): 

Mittheilungen.    Heft  53.     1894.    4P. 

Canadian  Institute  in  Toronto: 

Transactions.    Vol.  IV,  part  1.     1894.    8^. 
7th  annual  Report.     1894.    8^. 

Museo  comundle  in  Trient: 

Archivio  Trentino.     Anno  XI,  fasc.  2.     1893.     8®. 

Societä  Ädriaticä  di  scienze  naturali  in  Triest: 

Bolletino.    Vol.  XV.     1893.    8^. 

Korrespondenzblatt  für  die  Gelehrten  und  Realschulen  Württembergs 

in  Tubingen: 

Korreapondenzblatt.    40.  Jahrg.     Heft  7,  8     Tübingen  1893.    8^. 

B,  Accademia  delle  scienze  in  Turin: 

Memorie.    Ser.  H,  Vol.  43.     1893.    4«. 
Osservazioni  meteorologiche,  anno  1898.     1894.    8^. 
Atti.     Vol.  29,  disp.  1—10.     1893—94.    8^ 

Universität  in  üpsoda: 
De  Temploi  des  photogramm^tres  pour  mesurer  la  bauteur  des  naages, 

par  Ph.  Akerblom.     1894.    8^. 
Bulletin  raensuel  de  TObservatoire   m^t^orologique.    Vol.  25,  ann^ 

1893.     1893—94.     fol. 

Historisch  Genootschap  in  Utrecht: 

F.  de  Bas,  Brieven  van  Prins  Willelm  V.    s'Gravenhage  1893.    8». 
Werken.    UI.  Serie,  No.  1.    s'Gravenhage  1893.    8». 

Physiologisch  Laboratorium  der  Utrechtsche  Hoogeschool  in  Utrecht: 
Onderzoekingen,  TV.  Reeks.     Deel  3,  aflev.  1.     1894.    8°. 

B.  Istituto  Veneto  di  scienze  in  Venedig: 
Temi  di  premio  proclamati  il  20  maggio  1894.    8^. 

Nationcd  Academy  of  Sciences  in  Washington: 
Memoirs.    Vol.  VI,  part  I,  IL     1893.    4». 

Bureau  of  Education  in  Washington: 
Report  for  1889—1890.    2  Vols.     1893,    8®. 

Bureau  of  Ethnology  in  Washington: 
Bibliography  of  the  Salishan  Languages,  bjF.Const.  Pilling.  1898.  8^. 
Ninth  annual  Report  1887—1888.     1892.    4*. 
Museum  of  comparative  zoology.    Vol.  25,  No.  4.    1894.    8®. 

Smithsonian  Institution  in  Washington: 
Annual  Report  for  the  year  1890/91.     1893.     8°. 
The  internal  Work  of  the  Wind.    Bj  S.  P.  Langley.     1893.    4«. 

U,  S,  Naval  Observatory  in  Washington: 
Report  for  the  year  1892—93.     1893.    8^. 

U,  S,  Coast  and  Geodetic  Survey  in  Washington: 
Bulletin  No.  28-30.     1893—94.    8«. 
Annual  Report  for  the  year  1891.    Part  II.     1892.    8^. 


Verzeichniss  der  eingelaufenen  Druckschriften.  375 

Harzverein  für  Oeschiehte  in  Wernigerode: 
Zeitschrift.    26.  Jahrg.     189S.    8<>. 

Naturtoisaenschaftlicher  Verein  des  Harzes  in  Wernigerode: 
Schriften.    8.  Jahrgang  1893.    8^. 

K.  K,  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien: 
Sitzungsberichte,  philos.-hi8t.  Classe.   Bd.  129.     1893.    8^. 
„  mathem.-naturwissensch.  Classe. 

Abtheilung  I,  1893.  No.  1—7.  Abth.  IIa,  1898.  No.  1— 7.\,q<vq   ^ 
IIb,  1893.     .    1—7.       ,      III,  1893.     ,    1-7./^"^^-  ^• 
Denkschriften.    Philosophisch -historische  Classe,  Bd.  42.    1893.   4^. 
Archiv  für  österreichische  Geschichte.    Bd.  78,  II.    79,  I,  IL   80,  I. 

1893.    8^. 
Almanach.    48.  Jahrg.     1893.    8^. 

Mittheilungen  der  prähistor.  Kommission.    Bd.  I,   No.  3.     1893.    4^. 
14  Stück  Separat- Abdrücke   aus   den   Sitzungsberichten  der  philos.- 
hist.  Classe.     1893.    8<>. 

K.  K.  geologische  Reichsanstdlt  in  Wien: 
Jahrbuch.    Jahrg.  1891,  Heft  4.     1893.  Band  43,  Heft  2—4. 

1894,  Heft  4.     1898/94.     4^. 
Abhandlungen.    Band  XV,  Heft  4—6. 

,       VI,  II.  Hälfte:  Text  und  Tafeln. 

,       XVIII,  Heft  3.     1893.    fol. 
Verhandlungen.     1893.    No.  11-18.    1894.    No.  1—4.    4». 

K,  K.  Ghradtnessungs-Bureau  in  Wien: 
Astronomische  Arbeiten.    Band  V.     1893.  4^. 

K.  K.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien: 
Wiener  klinische  Wochenschrift  1894.    No.  1—26.    4«. 

Anthropologische  Gesellschaft  in  Wien: 
Mittheilungen.   Bd.  XXIII,  Heft  6.  Bd.  XXIV,  Heft  1,  2.  1893/94.  4*». 

Geographische  Gesellschaft  in  Wien: 
Mittheilungen.    Band  36.     1893.     8^. 

Zoologisch-botanische  Gesellschaft  in  Wien: 
Verhandlungen.    Jahrg.  1893.    Bd.  43,  Quartal  UI  u.  IV.     1893.    8^ 

Z.  K,  naturhistorisches  Hofmuseum  in  Wien: 
Annalen.     Band  VIII,  No.  3,  4.    Band  IX,  No.  1.     1893/94.    4^. 

K,  K.   Üniversitäts-Sternwarte  in  Wien: 
Annalen.     Band  VIII  u.  IX.     1892/93.    40. 

Verein  für  Nassauische  Alterthumskunde  in  Wiesbaden: 
Annalen.    Band  26.     1894.    8^. 
Magnetisches  Observatorium  der  kaiserl.  Marine  in  Wilhelmshaven: 

Beobachtungen.    Band  I,  II,  IE.    Beriin,  1890  -  93.    4«. 

Bestimmung  der  erdmagnetischen  Elemente,  von  M.  Eschenhagen. 
Berlin,  1890.    4». 

Erdmagnetische  Beobachtungen  zu  Wilhelmshaveu ,  von  E.  Eschen- 
hagen.   Hamburg,  ^1893.    4P. 


376  Verzeichniss  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Physikaiisch'inedicinische  Oeselhchaft  in  Würzburg: 
Sitzungsberichte.     Jahrg.  1898.    No.  7-9,  11,12.   1894.   No.  1— 4.  8®. 
Verhandlungen.   N.F.,  Band  27,  No.  6.  Band  28,  No.  1.  1893/94.  8». 

Schweizerische  meteorologische  CentrcdanstaUt  in  Zürich: 
Annalen.    28.  Jahrgang  1891.    (1894.)    4^. 

Antiquarische  Gesellschaft  in  Zürich: 
Mittheilungen.     Band  23,  Heft  6.    Leipzig  1894.    4^. 
Allgemeine  geschichtsforschende  Gesellschaft  der  Schweiz  in  Zürich: 
Jahrbuch  für  Schweizerische  Geschichte.     19.  Band.     1894.    8®. 

Naturforschende  Gesellschaft  in  Zürich: 
Vierteljahrschrift  Jahrg.  38,  Heft  3,  4.  Jahrg.  39,  Heft  1.  1893/94.  8^ 

Schweizerische  geodätische  Kommission  in  Zürich: 
Das  schweizerische  Dreiecksnetz.     Band  VI.     1894.    4®. 

Universität  Zürich: 
Schriften  der  Universität  aus  dem  Jahre  1893/94.   4«  u.  8^ 


Von  folgenden  Privatpersonen: 

Gabriel  Amoux  in  Paris: 

Arithm^tique  graphique.    Les  e»paces  arithmdtiques  hypermagiques. 
1894.    80. 

Dr.  Beck  in  Klosterwald,  Post  Ottobeuren: 
Die  römischen  Strassen  Regensburgs.    Ottobeuren  1894.    8^. 

Constantin  Chiru  in  Bukarest: 
Ganalisarca  riurilor  si  irigatiuni6.     1893.    8^. 

Hermann  Escher  in  Zürich: 
Georg  V.  Wyss,  Zwei  Nekrologe  von  Paul  Schweizer  und  Hermann 
Escher.     1894.    8^. 

H.  Fritsche  in  St.  Petersburg: 
Die  magnetischen  Lokalabweichungen  bei  Moskau.     1893.    8^. 

Paul  Galopin  in  Genf: 
Effets  thermiques  dus  ä  la  compression.    These.     1893.    4^. 

Hugo  Gyldin  in  Stockholm: 
Trait^  analytique  des  orbites  absolues  des  huit  planstes  principales. 
Tom.  I.     1893.    4». 

H.  Haug  in  Gotha: 

Vergleichende  Erdkunde  und  alttestamentlich  geographische  Welt- 
geschichte.   Text-  und  Eartenheft.     1894.    4^. 

i7.  G.  Isola  in  Genua: 

Storia  delle  lingue  e  litteratare  romanze.    Parte  Uly  disp.  2.   Genova 
1894.    80. 

Joseph  B.  Jack  in  Konstanz: 

Carl  Moriz  Gottsche.     1893.    8«. 

Stephanieila  paraphyllina  Jack  nov.  gen.  Hepaticarum.     1894.    8^. 


Verzeichniss  der  eingelaufenen  DrucJcschriften,  377 

Georges  Jacquemin  in  Mälzivüle  hei  Nancy: 

Emploi  rationnel  des  levures  pures  sälectioon^es  pour  Tam^oration 
des  boissons  alcooliques.     Nancy  1894.     8^. 

James  E.  Keeler  in  London: 
Physical  Observationa  of  Mars.     1893,    8^. 

J,  V,  KM  in  München: 
Repertoriam  zur  Münzkande  Bayerns.    Heft  IV.     1894.    8^. 

Ä,  Kurz  in  Augsburg: 

1.  Der  Mittelpunkt  des   hydrostatischen  Druckes  in  ebenen  Figuren. 

2.  Zur  Theorie  der  Ausdehnung  von  Hohlkörpern.   8.  Die  kleinste 

Ablenkung    im     Prisma.     4.    Ballistische    und    Stoss -Versuche. 

(4  Ausschnitte.) 
Die  thermischen  Capacitäten  der  festen  und  tropfbar  flflssigen  Körper. 

(Ausschnitt.)     1894.    8". 
Ueber   die   gleitende   und   rollende   Reibung   bei    der  Fallmaschine. 

Leipzig  1894.    8°. 

Henry  Charles  Lea  in  Philadelphia: 

The  ecclesiastical  Treatment  of  üsury.    s.  1.     1894.    8*^. 
Occult  Gompensation.    Philadelphia.     1894.    8^. 

Giuseppe  de  Leva  in  Padua: 
Storia  documentata  di  Carlo  V.    Vol.  V.     1894.    8^ 

Mrs.  Carcül  Lewis  in  London: 
The  glacial  Geology  of  Great  Britain  and  Ireland,  by  the  late  Henry 
Garvill  Lewis.     1894.    8». 

L.  Martin  in  Bindjei^  Deli: 
Neue  Lepidopteren  aus  Sumatra.     Batavia  1%93.    8^. 

Marc  Micheli  in  Genf: 
Alphonse  de  Camdolle  et  son  oeuvre  scientifique.     1893.    8^. 

Gabriel  Monod  in  Versailles: 
Revue  historique.    Tom.  54,  No.  1,  2.    Tom.  55,  No.  1.  2.    1894.   &>. 

Charles  Ä,  Oliver  in  Philadelphia: 
A  Correlation  theory  of  Color-Perception.     1884.    8°. 
8d  and  4th  annual  Report  of  the   ophtha! mological  Department  of 
the  State  Hospital  et  Norristown.     PA.  1888—89.    8«. 

Emü  Pailioppi  in  Pontresina: 
Dizionari  dels  idioms  romauntschs.    Fase.  II,  II I.  Samedan.   1894.  8^. 

Ed,  Piette  in  Saint  Quentin: 

L*^poque  ^bum^enne  et  les  races  humaines  de  la  p^riode  glyptique. 
Saint-Quentin  1894.    8^. 

/.  de  Bey-Pailhade  in  Toulouse: 
Le  temps  dreimal.     Paris  1894.    8^. 

Eugenio  Ruidiaz  y  Caravia  in  Madrid: 
La  Florida.     Su  conquista  y  colonizacion    por   Pedro  Menendez   de 
Aviles.    2  tom.     1894.    8^. 


378  Verzeichnisa  der  eingelaufenen  Druckschriften, 

B.  Schwalbe  in  Berlin: 
Die  wissenschaftliclie  Fachliteratur.     1894.    8°. 

Ferdinando  Colonna  dei  J^rincipi  di  Stigliano  in  Neapel: 
Le  grotte  del  Monte  Tabumo.    Memoria  2^».     1889.    8®. 
Noticie  storiche  di  Castelnuove  in  Napoli.     1892.    4®. 

V,  Thomsen  in  Kopenhagen: 
Dächifirement  des  inscriptions  de  rOrkhon.     1894.    8^. 

Äuglest  lischner  in  Leipzig: 
Le  Mouvement  universel.    1893.    8®. 

Victor  Bitter  von  Tschusi  zu  Schmidhoffen  in  HaXlein: 
Meine  bisherige  literarische  Thätigkeit  1865—1893.     1894.    8^ 

Giuseppe  Vincenti  in  Ivrea: 
L^insegnamento   del   sistema  fonografico  universale  a  muio.    Torino 

1890.    80 
La  fonografia  universale  Michela.    Torino  1893.    4^. 

M.  E.  Wadsworth  in  Houghton: 
A  Paper  on  the  Michigan  Mining  School.    Lansing  1894.    8^. 

Eudölf  Wolf  in  Zürich: 
Astronomische  Mittheilungen.    No.  88.     1894.    4®. 


Sitzungsberichte 

der 

königl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 


Philosophisch-philologische  Classe. 

Sitzung  vom  3.  November  1894. 

Herr  N.  Wecklein  hielt  einen  Vortrag: 

„Die    Kompositionsweise    des   Horaz    und    die 
epistula  ad  Pisones/ 

Die  Originalität  des  Ausdrucks  findet  Horaz  in  der  ge- 
schickten Verbindung  der  Worte:  dixeris  egregie,  notum  si 
callida  verbiira  reddiderit  iunctura  novum  A.  P.  47,  vgl.  242 
tautum  series  iuncturaque  poUet,  tantum  de  medio  sumptis 
accedit  honoris  (d.  i.  so  sehr  werden  durch  die  Aneinander- 
reihung und  Verbindung  die  der  Sprache  des  gewöhnlichen 
Lebens  entnommenen  Ausdrücke  geadelt).  Ebenso  empfiehlt 
Horaz  dem  Dichter,  bei  der  Wahl  eines  von  mehreren  be- 
handelten Stoffes  die  Originalität  sich  durch  die  besondere 
und  ungewöhnliche  Anlage  und  Anordnung  zu  wahren:  pu- 
blica materies  privati  iuris  erit,  si  non  circa  vilem  patulum- 
que  moraberis  orbem,  ebd.  131.  Solchen  Grundsätzen  ent- 
sprechend wendet  Horaz  in  den  Sermonen  der  Anord- 
nung des  Stoffes  und  der  Einkleidung  und  Ver- 
knüpfung der  Gedanken  besondere  Aufmerksamkeit 
zu  und  erblickt  hierin  eine  Hauptaufgabe  seiner 
Kunst.    Dieser  Vorzug  gibt  sich  am  deutlichsten  zu  erkennen 

1804.  PhJlo8.-phUol.  n.  hist.  GL  8.  26 


380     Sitzung  der  phüo8,-phüöl.  Glosse  vom  3,  November  1894, 

in  den  drei  Sermonen,  welche  das  gleiche  Thema  behandeln: 
,Das  Glück  des  Menschen  liegt  in  der  Beherrschung  der 
Leidenschaften  (perturbationes  animi),  in  der  Seelenruhe 
(aequus  animus)",  epist.  I  2,  6,  10.  Um  zunächst  von  I  6 
zu  sprechen,  so  lässt  sich  die  ganze  Epistel  als  eine  poetische 
Wiedergabe  dessen  betrachten ,  was  Horaz  aus  der  Lektüre 
von  Ciceros  Tusculanen  oder  einer  ähnlichen  Schrift  sich  an- 
geeignet hatte;  V.  1 — 8  falsa  opinio  bonorum,  9  —  11  falsa 
opinio  malorum,  12 — 14  die  aus  der  falsa  opinio  boni  vel 
mali  praesentis  vel  futuri  hervorgehenden  vier  perturbationes 
animi:  laetitia  gestiens,  cupiditas,  aegritudo,  metus  (gaudeat 
an  doleat,  cupiat  metuatne).  Darauf  folgt  der  Gedanke: 
„Wenn  man  selbst  in  dem  Streben  nach  inneren  Vorzügen 
Mass  halten  soll  (um  nicht  die  Ruhe  der  Seele  darüber  zu 
verlieren),  um  wie  viel  weniger  darf  man  sich  den  Gleich- 
mut durch  das  Streben  nach  äusseren  Gütern  stören  lassen, 
die  vergänglich  sind.*  Nach  diesem  ersten  Teile  (1 — 27) 
leitet  der  Gedanke  ,,man  mnss,  was  man  als  richtig  erkannt 
hat,  ernstlich  ins  Werk  setzen,  man  muss  also,  wenn  man 
das  Glück  des  Lebens  in  der  Tugend  findet,  sich  der  Tugend 
widmen,  wenn  in  äusseren  Gütern,  nach  diesen  streben*  zu 
dem  zweiten  Teile  der  Epistel  über,  in  welchem  die  ge wohn- 
lichen Bestrebungen  der  Menschen  (avaritia,  ambitio,  luxuria, 
voluptas)  scheinbar  so  behandelt  werden,  als  wollte  der 
Dichter  gar  nicht  die  im  ersten  Teile  dargelegte  Anschau- 
ung aufrecht  erhalten,  sondern  der  gemeinen  Auffassung 
Rechnung  tragen  und  die  besten  Mittel  und  Wege  zur  Er- 
reichung des  Erstrebten  angeben.  Aber  diese  Mittel  werden 
in  einer  Weise  ausgeführt,  dass  das  Unselige  oder  Verab- 
scheuungswürdige  solcher  Lebensweise  lebhaft  vor  Augen 
tritt:  „Wer  Reichtum  für  das  höchste  Gut  hält,  der  hat 
weder  Ruhe  noch  Rast,  weil  er  niemals  genug  bekommen 
kann.  Denn  wer  nicht  so  grossen  Ueberfluss  hat,  dass  er 
seinen  Besitz   gar  nicht  kennt,   damit  doch  auch  die  Diebe 


Wecklein:  Die  Komposkionsweiae  des  Horaz  etc,  381 

etwas  davon  haben,^)  der  muss  als  arm  erklärt  werden/ 
„Wenn  du  dem  Ehrgeiz  frönst,  masst  du  dich  der  gemeinen 
und  charakterlosen  Mittel  bedienen,  welche  dir  Ehrenstellen 
verschafFen ,  musst  dich  vor  dem  elendesten  Spiessbürger  in 
den  Staub  werfen  (trans  pondera).^  Diejenigen,  welche  der 
Gaumenlust  ergeben  sind,  werden  lächerlich  gemacht  und 
mit  den  Gefährten  des  Odysseus  verglichen,  welche  dem  Essen 
die  Heimkehr  ins  Vaterland  zum  Opfer  brachten.  Scheinbar 
wird  über  diejenigen,  welche  nichts  Höheres  als  Liebesgenuss 
kennen,  nichts  bemerkt: 

si  Mimnermus  uti  censet,  sine  amore  iocisque 
nil  est  iucundum,  vivas  in  amore  iocisque. 

Aber  in  dem  folgenden  vive,  vale  ist  vale  besonders  zu  be- 
tonen: a bleibe  gesund  dabei*.  Die  Beziehung  wird  durch 
vive  nach  vivas  deutlich  gemacht.')  Die  Epistel  zerfällt  also 
in  zwei  Teile,  von  denen  scheinbar  der  zweite  das  Gegenteil 
von  dem  verlangt,  was  der  erste  lehrt.  Unrichtig  ist  die 
Bemerkung  von  Kiessling:  „Dass  von  den  fünf  Arten  von 
Thoren,  welche  hier  aufgeführt  werden,  die  erste  und  letzte, 
die  Tugendsimpel  und  diejenigen,  welche  in  den  Armen  der 
Liebe  und  in  heiterer  Geselligkeit  das  recte  vivere  zu  finden 
hoffen,  ohne  Beimischung  schärferen  Spottes  gezeichnet  werden, 
ist  begreiflich."  Von  Tugendsimpeln  ist  nicht  im  entfern- 
testen die  Rede,  wie  die  Angabe  Eiesslings  «plagt  euch 
meinetwegen  ab  im  Hetzen  sei  es  nach  Tugend"  eine  falsche 
Auffassung  von  V.  30  f.  verrät.     Die  Vermittlung  geben  die 

1)  Diese  scherzhafte  WenduDg  bezeichnet  schlagend  das  Unnütze 
solchen  Ueberflusses.  Seltsam  nimmt  sich  die  Bemerkung  aus,  welche 
L.  Malier  zu  prosunt  furibus  (46)  macht:  »Der  Gedanke  entspricht 
den  Anschauungen  des  auf  höhere  Güter  verzichtenden  Lebemenschen, 
der,  weil  er  selbst  das  Geld  nimmt,  wo  er  es  findet,  auch  andere 
leben  l&sst.* 

2)  Schon  diese  Beziehung  muss  uns  abhalten,  mit  Ribbeck 
V.  67  f.  von  V.  66  loszureissen. 

26* 


382     Sitzung  der  phüoa.'phüoh  Glaaae  vom  3.  November  1894, 

V.  28 — 31.  In  der  zweiten  Epistel  wird  dem  Gedanken  ^den 
Leidenschaften,  den  Krankheiten  der  Seele,  welche  noch  mehr 
als  körperliche  Krankheiten  jeden  Genuss  des  Lebens  ver- 
gällen, muss  man  rechtzeitig  entgegenwirken,  damit  nicht 
unheilbare  chronische  Krankheiten  daraus  werden*  eine  Ho- 
merische Partie  vorausgeschickt,  welche  beginnt,  als  sollte 
die  ganze  Epistel  von  Homer  handeln :  ,,In  der  Sommer- 
frische habe  ich  wieder  einmal  den  Homer  gelesen,  welcher 
ein  besserer  Lehrer  der  Ethik  ist  als  unsere  grössten  Philo- 
sophen. Zeigt  uns  die  Ilias,  welche  schädlichen  Wirkungen 
aus  der  Leidenschaft  hervorgehen,  so  lernen  wir  andrerseits 
aus  der  Odyssee,  welche  heilsamen  Folgen  die  Beherrschung 
der  Leidenschaft  hat.*  Sehr  schön  wird  der  Uebergang  vom 
ersten  zum  zweiten  Teile  mit  Homerischen  Reminiscenzen 
und  Wendungen  gewonnen,  welche  den  Gedanken  ausdrücken : 
„Trotzdem  leben  wir  so  in  den  Tag  hinein  und  denken  nicht 
an  unsere  sittliche  Vervollkommnung*  (27  —  31).  In  der 
10.  Epistel,  welche  sich  als  Lob  des  Landlebens  ankündigt, 
wird  zunächst  die  Natürlichkeit  und  Einfachheit  der  länd- 
lichen Verhältnisse  dem  Zwang  und  der  Unnatur  des  Stadt- 
lebens entgegengesetzt.  Wieder  wird  durch  einen  von  diesem 
Thema  entlehnten  Gedanken  der  Uebergang  zum  zweiten 
Teil  gewonnen:  „Man  pflanzt  zwischen  den  bunten  Säulen 
der  Stadthäuser  ein  Wäldchen  und  lobt  ein  Haus,  welches 
eine  weite  Aussicht  auf  das  Land  hat.  So  bricht  die  Natur 
durch  (und  erkennt  man,  wie  man  leben  muss,  wenn  man 
naturgemäss,  also  richtig  leben  will).  Wer  in  dieser  Bezieh- 
ung das  Wahre  vom  Falschen  nicht  zu  unterscheiden  ver- 
steht, erleidet  den  empfindlichsten  Schaden  (d.  i.  kann  nicht 
glücklich  werden)*  (22 — 29).  Der  zweite  Teil  handelt  wieder 
von  der  falsa  opinio  bonorum  (si  quid  mirabere  31)  und  den 
daraus  hervorgehenden  perturbationes  animi,  laetitia  gestiens 
(quem  res  plus  nimio  delectavere  secundae  30)  und  cupiditas 
(avaritia,  ambitio)   und    führt    besonders  den  Gedanken  aus, 


WecJUein:  Die  KomposUionsioeise  des  Horaz  etc,  383 

dass  nur  derjenige,  der  nicht  an  äussere  Güter  sein  Herz 
hängt,  seine  innere  Freiheit  und  Zufriedenheit  bewahrt.  Alle 
drei  Episteln  also  zerfallen  in  zwei  Teile,  welche  durch 
eine  vermittelnde  Partie  in  Zusammenhang  gebracht 
werden.*) 

Das  Streben  nach  Neuheit  der  Anordnung  führte  dazu, 
nicht  in  gewöhnlicher  Weise  von  dem  Thema  auszugehen, 
sondern  irgend  einen  Punkt  der  Ausführung  heraus- 
zugreifen und  an  den  Anfang  zu  stellen.  Was  A.  P. 
148  von  dem  Dichter  gefordert  wird:  in  medias  res  non 
secus  ac  notas  auditorem  rapit,  das  bringt  Horaz  in  gewissem 
Sinne  auch  bei  den  Sermonen  in  Anwendung.  Wir  haben 
oben  gesehen,  wie  der  Anfang  von  epist.  I  2  den  Eindruck 
macht,  als  solle  von  der  Philosophie  des  Homer  die  Rede 
sein,  während  die  Beherrschung  der  Leidenschaften  das  Thema 
bildet.  Zu  diesem  Thema  bietet  das,  was  aus  Homer  ange- 
führt wird,  nur  das  zur  Argumentation  dienende  Beispiel. 
Sehr  überraschend  ist  der  Eingang  von  sat.  I  3  omnibus  hoc 
Vitium  est  cantoribus  etc.  Die  intolerante  Gesinnung  gegen 
Schwächen  der  Freunde,  welche  in  dieser  Satire  bekämpft 
wird,  tritt  uns  in  einem  Musterbeispiel,  welches  freilich  nur 
als  scherzhaft  aufgefasst  werden  darf,  lebhaft  vor  Augen.  In 
dem  Brief  an  Mäcenas  (I  1)  wird  das  Streben  nach  sittlicher 
Vervollkommnung  als  Anfang  aller  Weisheit  den  niedrigen, 
grundsatzlosen  und  launenhaften  Bestrebungen  der  gewöhn- 
lichen Menschen  gegenübergestellt.  Der  Dichter  beginnt  mit 
der  Ablehnung  einer  Aufforderung   zum  Dichten.     Die  Be- 


1)  Diese  Beobachtung  wird  zerstört  durch  Ribbecks  Anuahme, 
daas  X  26—41  nach  VI  66  einzusetzen  und  VI  17—27  vor  VI  67  um- 
zustellen seien.  Aber  Ribbecks  Umstellung  widerlegt  sich  schon  durch 
die  Beobachtung,  dass  i  nunc  in  VI  17  bei  dieser  neuen  Ordnung  den 
richtigen  Sinn  verliert  und  dass  der  Gedanke  von  VI  15  f.  nunmehr 
in  der  Luft  schwebt,  da  er  ohne  den  folgenden,  welcher  weggenommen 
ist,  gar  nicht  in  den  Zusammenhang  pasat. 


384     Sitzung  der  phüos.'philol,  Glosse  vom  3,  November  1894. 

gründung,  dass  es  ffir  ihn  hohe  Zeit  sei  an  etwas  Höheres 
als  an  die  Tändelei  des  Dichtens  zu  denken,  leitet  geschickt 
zum  Thema  über.  In  den  Satiren,  welche  die  Form 
eines  Gesprächs  haben,  wird  der  Dialog  ohne  wei- 
tere Vermittlung  geboten.  „Meine  Satiren  werden  ganz 
verschieden  beurteilt,  was  soll  ich  thun,  Trebatius?*  beginnt 
die  erste  Satire  des  zweiten  Buchs.  Die  dritte  hebt  an  mit 
den  Vorwürfen,  welche  der  ehemalige  Kommissionär,  nun- 
mehrige Weltweise  Damasippus  dem  Horaz  wegen  seiner 
Faulheit  im  Dichten  macht.  Schliesslich  wird  uns  die  Satire 
über  die  vier  Hauptthorheiten  der  Menschen,  die  wir  bereits 
aus  epist.  I  6  kennen,  avaritia,  ambitio,  luxuria,  voluptas, 
zu  denen  hier  als  fünfte  superstitio  kommt,  in  Form  einer 
Eapuzinade  des  stoischen  Philosophen  Stertinius  gegeben. 
Bei  V.  77  darf  man  nicht  eine  unmittelbare  Fortsetzung  der 
vorhergehenden  Worte  annehmen;  sonst  müsste  Stertinius 
den  langen  Lehrvortrag  an  der  Fabricischen  Brücke  gehalten 
haben,  was  unnatürlich  ist  und  auch  in  Widerspruch  steht 
mit  33  siquid  Stertinius  veri  crepat,  unde  ego  mira  de- 
scripsi  docilis  praecepta  haec,  tempore  quo  me  solatus  iussit 
sapientem  pascere  barbam.  Nachdem  Damasippus  erzählt 
hat,  mit  welchen  weisen  Lehren  Stertinius  ihn  abgehalten 
habe  eich  in  den  Tiber  zu  stürzen,  nimmt  er  bei  V.  77  sein 
CoUegienheft  heraus  und  liest  bis  295  den  Vortrag  des  Ster- 
tinius ab.  Sat.  II  2  ist  ein  Vortrag,  welchen  der  Dichter 
seinen  Gästen  hält.  Man  darf  annehmen,  dass  Horaz  diese 
Satire  zuerst  eingeladenen  Gästen  vor  der  Mahlzeit  vorge- 
lesen hat.  Man  hätte  nie  daran  denken  sollen,  einen  Vor- 
trag des  Ofellus  in  der  Satire  zu  sehen.  Dieser  könnte  nicht 
die  Worte  nee  mens  hie  sermo  est  etc.  (ovx  ifiog  6  ^vd'og 
xtI.)  sagen  und  der  Schluss  könnte  nicht  ohne  Vermittlung 
mit  quo  niagis  his  credas  etc.  angefügt  werden  ,  wenn  vor- 
her Ofellus  gesprochen  hätte.  Ich  bemerke  dies  nur,  weil 
in   den   neuesten   Ausgaben   von   Eiessling,   Lucian  Müller, 


Weeklein:  Die  Kampontionstoeiae  des  Horaz  etc.  385 

Orelli-Mewes,  Eeller-Häussner  V.  53  distabit  im  Texte  steht, 
während  die  best  beglaubigte  und  einzig  richtige  Lesart  di* 
stabat  ist,  welche  die  Möglichkeit,  die  Worte  dem  Ofellus 
in  den  Mund  zu  legen,  ausschliesst  (distabat  Ofello  iudice  = 
distare  iudicabat  Ofellus). 

Aus  dem  Bestreben,  durch  die  Gedankenfolge  zu  über- 
raschen, ist  auch  die  Verschleierung  des  inneren  Zu- 
sammenhangs der  Gedanken  hervorgegangen.  Sehr  richtig 
bemerkt  ein  Gelehrter  im  N.  Lausitz.  Magazin  1876  S.  354: 
,  Horaz  hat  die  Uebergänge  seiner  Gedanken  mit  solcher  Sorg- 
falt verwischt,  dass  ein  dem  gewöhnlichen  Schematismus  ähn- 
licher Gedankengang  oftmals  gar  nicht  aufzuweisen  ist/  Da- 
rum muss  man  nicht  selten  den  inneren  und  den  äusseren  Zu- 
sammenhang der  Gedanken  wohl  unterscheiden.  Die  Sat.  I,  3, 
welche  Nachsicht  gegen  die  Fehler  der  Freunde  fordert,  hat 
einen  Schluss,  welcher  von  dem  eigentlichen  Thema  ganz 
abzuweichen  scheint.  Die  Lehre  der  Stoiker,  dass  der  Weise 
als  das  Ideal  eines  Menschen  alle  guten  Eigenschaften  in 
sich  vereinige,  dass  er  reich,  gut,  schön,  König  sei,  wird 
lächerlich  gemacht.  Voraus  geht  der  Gedanke:  „Man  darf 
nicht  über  den  Schwächen  eines  Mannes  seine  Vorzüge  über- 
sehen. Wir  sollen  die  Fehler  entschuldigen  und  beschönigen, 
nicht  aber  umgekehrt  aus  guten  Eigenschafben  schlechte 
machen.  Wenn  man  die  Vorzüge  den  Fehlern  gegenüber- 
hält und  findet,  dass  die  Vorzüge  das  üeberge wicht  haben, 
soll  man  diese  für  die  Beurteilung  massgebend  sein  lassen. 
Jedenfalls  darf  man  die  Fehler  nicht  schärfer  beurteilen,  als 
es  die  Natur  des  Fehlers  fordert.  Die  diesen  Forderungen 
entgegenstehende  Theorie  der  Stoiker,  dass  alle  Fehler  gleich 
seien,  kommt  in  Konflikt  mit  dem  natürlichen  Gefühl  und 
den  Sitten  der  Menschen  und  auch  mit  der  Auffassung  des 
Nutzens  als  der  Grundlage  des  Rechts.  Da  der  Nutzen,  also 
auch  das  Recht  grösser  oder  kleiner  sein  kann,  muss  auch 
das  Unrecht   grösser   oder   kleiner  ^ein  können.     Es  ist  also 


386     Siteung  der  phüos.-phüol,  Glosse  vom  3,  November  1894, 

eine  Norm  zu  suchen,  damit  nicht  Vergehen  zu  hart  beurteilt 
werden.  Denn  dass  sie  infolge  der  Theorie  der  Stoiker  zu 
milde  wegkommen,  ist  nicht  zu  befürchten.*  Dieser  letzte 
Gedanke  wird,  um  zu  dem  angegebenen  Schluss  überzuleiten, 
so  gegeben:  „Dass  du  mit  dem  Rohrstöckchen  den  züchtigst, 
welcher  empfindlichere  Schläge  verdient  hat,  fürchte  ich 
nicht  bei  deiner  Erklärung,  Diebstahl,  Strassenraub  seien 
gleiche  Dinge,  und  bei  deiner  Drohung,  du  werdest  mit 
gleicher  Sichel  Kleines  wie  Grosses  abmähen,  w^enn  du  Herr 
auf  der  Welt  wärest  (wenn  man  dich  zum  König  machte). 
Als  Weiser  bist  du  ja  König:  wozu  wünschest  du  das  zu 
sein,  was  du  schon  bist?^  Hiemach  müsste  eigentlich  der 
Gedanke  folgen:  „Also  zeige  deine  Macht  und  räume  auf 
mit  der  Lasterhaftigkeit  der  Menschen.^  Aber  der  Dichter 
will  auf  etwas  anderes  kommen  und  wir  müssen  den  Zu- 
sammenhang aus  dem  Gesamteindruck  der  Ausführung  ent- 
nehmen. Dieser  ist  folgender:  „Die  Theorie  der  Stoiker 
von  der  Gleichheit  aller  Fehler  gehört  zu  den  Verstiegen- 
heiten, durch  welche  sich  diese  Philosophen  lächerlich  machen, 
und  steht  auf  gleicher  Stufe  mit  dem  Satze,  dass  der  Stoische 
Weise  der  Inbegriff  aller  Vollkommenheit  sei.  Solange  dieses 
Ideal  nur  in  der  Vorstellung  existiert,  wird  meine  Forderung 
liebenswürdiger  Nachsicht  gegen  Schwächen  der  Freunde  zu 
Recht  bestehen^).*'  Wie  Horaz  den  Gedanken  auseinander- 
legt und  mit  dem  beginnt,  was  nicht  mit  dem  Vorhergehenden 
zusammenhängt,  zeigt  im  Kleinen  Sat.  I  1,  68 — 72.  Nach 
dem  Gedanken  „Demjenigen,  welcher  den  Wert  des  Menschen 
nach  seinem  Reichtum  bemisst,  ist  nicht  zu  helfen.  Man 
kann  ihn  getrost  seinem  Schicksal  überlassen,  da  er  sich  in 
seiner  Beschränktheit  glücklich  fühlt*^  folgt  der  Gedanke: 
„Ein  solcher  Geizhals,    welcher  im  Ueberflusse  steht,    ohne 

1)  Schief  ist  die  Auffassung  bei  Kiessling:  .Der  eingebildete 
Stoiker,  der  über  alles  mit  demselben  groben  Hobel  hinwegföhrt, 
macht  sich  zum  Einderspotf 


Weeklein:  Die  Komposittonstoeise  des  Horag  etc.  387 

etwas  davon  za  geniessen,  ist  ebenso  lächerlich  wie  Tantalus, 
der  im  Wasser  steht  und  nicht  trinken  kann/  Horaz  beginnt 
mit  Tantalus: 

Tantalus  a  labris  sitiens  fugientia  captat 
flumina.     Quid  rides?    mutato  nomine  de  te 
fabula  narratur:  congestis  undique  saccis 
indormis  inhians,  et  tamquam  parcere  sacris 
cogeris  aut  pictis  tamquam  gaudere  tabellis, 

und  bat  durch  seine  Darstellung  vieles  Eopfiserbrechen  ver- 
anlasst mit  der  Frage,  worüber  der  Geizhals  lacht. ^)  Ich 
glaube,  dass  in  der  epistula  ad  Pisones  manche  Fragen  eben- 
so einfach  zu  lösen  sind  und  dass  die  Erkenntnis  des  Zu- 
sammenhangs viele  Schwierigkeiten  beseitigt.  Gut  bemerkt 
Mor.  Schmidt  Hör.  Blätter  S.  8:  « Unser  Horaz  ist  mehr  als 
ein  anderer  ein  Freund  der  parataktischen  Ausdrucksweise: 
er  stellt  ohne  Umstände  zwei  Bilder  nebeneinander,  ohne 
sich  auf  eine  umständliche  Erläuterung  dieser  Zusammen- 
stellung einzulassen.  Er  rechnet  eben  auf  die  schnelle 
Fassungsgabe  seiner  Leser  auch  ohne  begründenden  Kom- 
mentar". Noch  ein  Beispiel  kunstvoller  Gedankenverknüpfung 
darf  nicht  übergangen  werden.  Es  scheint  kaum  möglich, 
von  dem  Gedanken  ,die  Satire  ist  mein  Tagebuch*'  eine 
Ueberleitüng  zu  dem  Gedanken  «Die  Satire  ist  meine  WafiPe, 
die  jedoch  nicht  zum  Angriff,  sondern  zur  Abwehr  bestimmt 
ist'  zu  finden.  Doch  werden  Sat.  H  1 ,  30  diese  Gedanken 
vermitt'elt:  «Dem  Lucilius  war  die  Satire  sein  Tagebuch,  in 
welches  er  alle  angenehmen  und  unangenehmen  Erlebnisse 
eintrug,  so  dass  uns  in  seinen  Schriften  sein  ganzes  Leben 
wie  auf  einem  Yotivgemälde  dargestellt  vor  Augen  steht. 
Ihm   schliesse   ich  mich   an,   von  Geburt   ein    Lucaner   oder 

1)  Die  von  mir  im  Philol.  40  (1885)  S.  400  gegebene  Erklärung 
ist  von  0.  Weißsenfels,  Wochenschr.  f.  klass.  Philol.  1890  Sp.  S58  von 
neuem  gebracht  worden. 


388     Sitzung  der  phüos.-phüol,  Glosse  vom  3,  November  1894. 

Apulier,  wie  man's  nehmen  will.  Denn  die  Venusiner  haben 
ihre  Markung  an  der  Grenze  beider  Volkssfcämme,  dort  an- 
gesiedelt, um  einen  Einfall  in  Römisches  Gebiet  abzuwehren, 
(sind  also  von  vornherein  mit  der  Spitze  —  stilus  —  des 
Schwertes  versehen).  Aber  diese  Spitze  (des  Griffels)  wird 
kein  lebendes  Wesen  mutwillig  angreifen  und  mich  schützen 
wie  ein  Schwert  in  der  Scheide*  u.  s.  w. 

Zu  den  Freiheiten  der  Disposition  gehört  bei 
Horaz  die  selbständige  Ausführung  eines  Neben- 
gedankens und  die  Einfügung  von  Gedanken,  welche 
zwar  dem  Thema  im  allgemeinen,  nicht  aber  dem  in 
Rede  stehenden  Punkte  der  Ausführung  entsprechen. 
Sat.  I  1,  76—100  werden  die  Nachteile  der  üngenügsamkeit, 
der  Habsucht  und  des  Geizes  dargelegt,  ewige  Angst  vor 
Verlusten,  Lieblosigkeit  von  allen  Seiten,  schliesslich  sogar 
Gefahr  für  das  liebe  Leben,  wie  der  Fall  des  ümmidius  lehrt. 
Dieser  dritte  Nachteil  wird  eingeleitet  mit  einer  Mahnung, 
die  jetzt  nicht  hergehört:  „Endlich  mache  dem  Erwerb  ein 
Ende  und  je  mehr  du  besitzest,  desto  weniger  fürchte  die 
Armut  und  fange  an.  der  Arbeit  ein  Ziel  zu  setzen,  nach- 
dem du  soviel  erworben  hast,  als  du  anfanglich  verlangtest, 
damit  es  dir  nicht  ergeht  wie  einem  gewissen  ümmidius" 
u.  s.  w.  Epist.  1  2,  44  folgt  auf  die  Mahnung,  rechtzeitig 
an  seine  sittliche  Vervollkommnung  zu  denken,  da  hiebei 
aufgeschoben  aufgehoben  sei,  der  Gedanke:  „Man  thut  alles, 
um  Geld  und  Gut  zu  erwerben.  Nicht  Haus  und  Hof,  nicht 
die  schwere  Menge  Gold  und  Silber  befreit  den  kranken 
Körper  vom  Fieber,  den  Geist  von  den  Sorgen;  gesund  muss 
man  sein,  wenn  man  das  Erworbene  recht  geniessen  will.* 
Dieser  Gedanke:  „Man  spart  keine  Mühe,  um  Geld  zu  er- 
werben, und  doch  kann  man  das  Erworbene  nicht  geniessen, 
wenn  man  nicht  körperlich  und  vor  allem  geistig  gesund  ist* 
wird  unterbrochen  von  dem  V.  46  quod  satis  est  cui  con- 
tingit^  nil  amplius  optet.     Da  es  ein  vereinzelter  Vers  ist, 


i 


WecMein:  Die  KompositionsiDeise  des  Horcuf  ete,  389 

erscheint  sofort  der  Obelizon  wie  der  Harmozon  auf  dem 
Platz.  Lehrs  und  Bibbeck  tilgen  den  Vers,  Lütjohann  und 
Drewes  stellen  ihn  nach  55  oder  56  um.  Es  würde  wohl 
auch  die  vorher  behandelte  Stelle  nicht  unbehelligt  geblieben 
sein,  wenn  der  Text  es  gestattete.  Epist.  ad  Pis.  333 — 346 
wird  der  Gedanke  ausgeführt:  „Die  Dichter  wollen  entweder 
nützen  oder  ergötzen  oder  beides  zugleich  thun.  Wenn  sie 
bloss  ergötzen,  missfällt  die  Dichtung  den  älteren,  wenn  sie 
bloss  nützen,  missfallt  sie  den  jüngeren  Leuten.  Wer  also 
allen  gefallen  will,  muss  beides  zugleich  thun.**  Dieser  fest- 
geschlossene Gedanke  wird  unterbrochen  durch  die  V.  355— 340, 
in  denen  nebenbei  Vorschriften  über  das  Nützliche  und  das 
Ergötzliche  gegeben  werden.  Es  ist  zu  verwundern,  dass 
die  Harmozonten  diese  Stelle  für  gewöhnlich  unbehelligt 
lassen.  Allerdings  hat  der  erste,  Kiccoboni,  diese  Verse  aus- 
geschieden und  338—340  nach  V.  13  und  335—37  nach 
178  eingefügt.  Aber  bei  Hof  man  Peerlkamp,  Ribbeck, 
Lehrs,  Mor.  Schmidt,  Bährens  sind  die  Verse  in  dem  über- 
lieferten Zusammenhang  geblieben  und  nur  V.  337  ist  den 
Obelizonten  zum  Opfer  gefallen.  Die  Worte  quicquid  prae- 
cipies  weisen  ebenso  bestimmt  auf  idonea  vitae  wie  ficta 
voluptatis  causa  auf  iucunda  zurück,  sodass  es  schwer  ist,  die 
Verse  passender  an  einer  anderen  Stelle  unterzubringen.  In 
Sat.  I  1  wird  der  Gedanke  ausgeführt:  „Die  Ungenügsamkeit, 
welche  mit  allen  möglichen  Vor  wänden  beschönigt  wird, 
aber  ihren  wahren  Grund  im  Neide  hat,  ist  schuld  daran, 
dass  die  Menschen  so  selten  mit  ihrer  Lebensstellung  zufrieden 
sind.**  Zunächst  wird  dargelegt,  wie  die  Menschen  sich  ein- 
bilden, dass  sie  in  der  entgegengesetzten  Lebensstellung 
glücklich  werden  könnten,  und  das  Unglück  ihres  Daseins 
in  ihrem  Berufe  finden.  Dass  dieses  leere  Einbildung  ist, 
ergibt  sich  daraus,  dass  sie  einen  angebotenen  Tausch  ab- 
lehnen würden.  Im  zweiten  Teile  werden  die  Vor  wände 
und  Scheingründe  der  Ungenügsamkeit  kritisiert.    Zu  diesen 


390     Süeung  der  phüoB.-phüol.  Glosse  vom  3,  Novemb^  1894, 

gehört  auch  die  Yorstellung,  dass  der  Reichtum  den  wahren 
Wert  des  Menschen  ausmache.  Diese  Vorstellung,  die  lächer- 
lichen Geiz  hervorbringt,  wird  ausführlich  widerlegt  durch 
die  Aufzählung  der  Nachteile,  denen  der  Mensch  ausgesetzt 
ist,  welcher  nichts  Höheres  kennt  als  das  Geld.  Nach  einer 
digressio  werden  die  beiden  Teile  mit  nemo  ut  avarus  se 
probet  (108)  zusammengefasst  und  wird  der  Grund  dieser 
menschlichen  Thorheit  im  Neide  aufgedeckt.  Hiernach  kann 
ich  die  Behauptung  von  Gercke  (N.  Rhein.  Mus.  48  S.  41  f.), 
dass  diese  Satire  drei  verschiedene  Bestandteile  enthalte,  nicht 
zugeben.  Schon  die  Angabe,  dass  in  V.  1 — 22  die  Missgunst 
behandelt  sei,  verrät  eine  schiefe  Auffassung.  Der  Dichter 
bekämpft  immer  die  unablässige  Erwerbsucht,  welche  sich 
keine  Ruhe  gönnt  und  gewöhnlich  infolge  der  Furcht  durch 
den  Genuss  des  Erworbenen  die  Habe  zu  verkleinern  in 
gemeinen  Geiz  sich  verwandelt;  dieser  masslosen  Erwerbsucht 
wird  auch  hier  die  Schuld  an  der  Unbehaglichkeit  des  Da- 
seins beigemessen  und  den  Scheingründen  gegenüber  der 
wahre  Grund  derselben,  welcher  sie  an  den  Pranger  stellt, 
dargethan.  Die  am  Schluss  folgende  Erklärung,  dass  der 
Neid  der  wahre  Grund  sei,  wird  schon  vorbereitet  durch  40 

nil  obstet  tibi,  dum  ne  sit  te  ditior  alter. 
Unter  den  Scheingrtinden  der  üngenügsamkeit  wird  auch 
die  Freude  an  der  grossen  Fülle  des  Reichtums  angeführt 
(51 — 60).  Dieser  Grund  wird  kritisiert  mit  den  Worten: 
„Das  ist  geradeso  wie  wenn  einer,  der  einen  Becher  Wasser 
braucht,  sagen  wollte,  ich  will  das  Wasser  lieber  aus  einem 
grossen  Strome  als  aus  der  kleinen  Quelle  schöpfen.  Schöpft 
er  es  aus  dem  grossen  Strome,  z.  B.  aus  dem  reissenden 
Aufidus,  so  setzt  er  sich  doch  nur  der  Gefahr  aus  in  den 
Fluss  zu  fallen  und  mitfortgerissen  zu  werden/  Also  „das 
Verlangen  nach  Ueberfluss  bezweckt  keinen  Genuss  des  Lebens, 
bringt  im  Gegenteil  Gefahren  für  das  Leben*.  Darauf  folgt 
der  Satz: 


WecJdein:  Die  EomposUionsweise  des  Horaz  etc.  391 

at  qui  tantuli  eget,  quantost  opas,  is  neque  limo 
turbatam  haurit  aquam  neque  vitam  amittit  in  undis. 

Zu  limo  turbatam  bemerkt  Kiessling:  ,wie  es  bei  dem 
Schöpfen  aus  dem  grossen  Strom  nicht  anders  sein  kann/ 
Wer  kann  behaupten,  dass  man  aus  dem  Äufidus  nur  schlam- 
miges Wasser  schöpfen  kann?  L.  Müller  sagt:  »Hier  denkt 
Horaz  zunächst  an  den  flavus  Tiberis.  Auch  sonst  haben 
grosse  Ströme  selten  klares  Wasser."  Warum  soll  Horaz 
eher  an  den  Tiber  als  an  den  Aufidus  denken  ?  In  der  Aus- 
gabe von  Krüger  findet  sich  die  Note:  «neque  limo  .  .  aquam 
geht  auf  den ,  der  durch  stetes  Streben  mehr  zu  erwerben 
sich  den  Genuss  verbittert;  er  schöpft  aus  Begehrlichkeit  zu 
tief.*  Näher  kommt  dem  Richtigen  die  Anmerkung  in  der 
Ausgabe  von  Kirchner;  «Dies  bezieht  sich  auf  das  sordide 
vivere.  Wer  mit  Wenigem  sich  begnügt,  sagt  der  Dichter, 
braucht  weder  schmutzig  noch  unanständig  zu  leben  noch 
im  Jagen  nach  grossem  Gewinn  den  eigentlichen  Lebens- 
zweck zu  verlieren.**  Nur  der  Zusammenhang  und  die  Be- 
ziehung ist  in  dieser  Erklärung  noch  nicht  klargelegt.  Horaz 
sagt:  „Der  Mensch  soll  nicht  nach  mehr  streben  als  er 
braucht.  Wer  das  Wenige  was  er  zum  Leben  nötig  hat 
verlangt,  der  setzt  sich  nicht  den  Gefahren  der  masslosen 
Gewinnsucht  aus,  ohne  deshalb  in  schmutziger  Armut  leben 
zu  wollen.  Denn  wohlberechtigt  ist  das  Streben  nach  dem 
was  der  Mensch  zum  Leben  bedarf."  Der  Dichter  bringt 
also  hier  nebenbei  den  Gedanken :  auream  quisquis  medio- 
critatem  diligit,  tutus  caret  opsoleti  sordibus  tecti,  caret  in- 
videnda  sobrius  aula.  Wie  er  in  101 — 107  die  goldene 
Mittelstrasse  zwischen  Geiz  und  Verschwendung  empfiehlt, 
so  fordert  er  hier  den  Mittelweg  zwischen  cynischer  Bedürf- 
nislosigkeit und  dem  Verlangen  nach  üeberfluss  und  prunk- 
haftem Besitz.  Die  gleiche  Vorschrift  finden  wir  in  sat.  II 
2,  53  sordidus  a  tenui  victu  distabat  Ofello  iudice:  nam 
frustra   vitium   vitaveris   illud,   si  te  alio  pravum  detorseris, 


392     Sitzung  der  phüo8,-phüoh  Clasae  vom  3»  November  1894. 

wenn  auch  hier  der  als  Beispiel  angeführte  Avidienus  Canis 
ein  schmutziger  Geizhals  ist.  Noch  mehr  entspricht  unserer 
Stelle  das  zweite  Beispiel :  nee  sie  ut  simplex  Naevius  unctam 
convivis  praebebit  aquam.  Der  Gedanke,  welcher  in  neque 
limo  turbatam  haurit  aquam  liegt,  fällt  demnach  ebenso  aus 
dem  augenblicklichen  Zusammenhang  heraus  wie  die  di- 
gressio  101—107. 

Wer  Horaz  verstehen  will,  muss  immer  mit  dessen 
Humor  und  schalkhafter  Laune  rechnen.  So  hat  die  Er- 
klärung von  A.  P.  29 

qui  variare  cupit  rem  prodigialiter  unam, 
delphinum  silvis  adpingit,  fluctibus  aprum 

Schwierigkeiten  bereitet.  Döderlein  fasst  prodigialiter  in  dem 
Sinne  , wunderschön^,  während  doch  augenscheinlich  der 
Delphin  im  Walde  und  der  Eber  im  Meere  die  prodigia 
sind.  Spengel  (Philol.  IX  S.  574)  vertritt  die  Aenderung 
von  Schneidewin  una,  indem  er  prodigialiter  zu  adpingit 
zieht.  Hierin  ist  una  ziemlich  überflüssig  und  Ribbeck  be- 
zeichnet die  Cäsur  nach  dem  dritten  Spondeus  und  zwar  nach 
einem  einsilbigen  Wort  als  eine  abscheuliche.  Vahlen  (Zeit- 
schrift f.  Ost.  G.  13  S.  1  f.)  bemerkt,  dass  nicht  viel  geholfen 
sei,  wenn  an  die  Stelle  des  von  Spengel  getadelten  Gedankens 
„wer  variare  prodigialiter  will,  macht  prodigia^  der  Gedanke 
trete:  »wer  variare  will,  macht  prodigialiter  prodigia**  und 
erklärt  prodigialiter  ähnlich  wie  Döderlein:  „wer  dem  ein- 
heitlichen Stojff  eine  erstaunliche  Mannigfaltigkeit  zu  ver- 
leihen trachtet*  (Kayser  „wer  einheitlichem  Stoff  den  Reiz 
überraschenden  Wechsels  leihn  wilP).  Andere  betrachten 
mit  Jeep  (Jahrb.  f.  kl.  Philol.  109  S.  143)  rem  prodigialiter 
unam  als  Apposition  zu  dem  Folgenden:  „Wer  Abwechslung 
sucht,  der  malt,  ein  Wunder  von  Einheit,  einen  Delphin  in 
den  Wald,  in  die  Fluten  einen  Eber."  Ich  sehe  nicht  ein, 
wie  von  einer  Einheit,    wenn  auch  von  einer  unnatürlichen. 


Weeklein:  Die  Komposüionsweise  des  Haraz  etc.  393 

die  Eede  sein  soll.  Offenbar  steht  unam  im  Gegensatz  zu 
variare  (anam  rem  efficere  variam),  prodigialiter  aber  ist 
eine  scherzhafte  Prolepsis,  welche  sich  auf  den  Erfolg,  nicht 
auf  die  Absicht  des  Dichters  bezieht:  «wer  eine  einfache 
Sache  mannigfaltig  darstellen  will  auf  die  Gefahr  hin,  dass 
unnatürliche  Dinge  zum  Vorschein  kommen/  Wie  im  ein- 
zelnen,  so  zeigt  sich  auch  in  der  Einkleidung  des 
Ganzen  der  Humor  des  Dichters.  Welche  Wirkung 
mochte  die  8.  Satire  des  ersten  Buches  haben,  als  sie  in 
dem  Parke  des  Mäcenas  vor  der  Bildsäule  des  Priapus,  welche 
einen  grossen  Spalt  hatte,  zum  ersten  Male  dem  Freundes- 
kreise des  Mäcenas  vorgelesen  wurde!  Nachdem  Horaz  über 
die  menschlichen  Thorheiten  mehrfach  in  ernster  Form  ge- 
handelt hat,  fällt  es  ihm  ein,  in  Sat.  II  3  seiner  Ausfuhrung 
eine  scherzhafte  Form,  die  einer  stoischen  Tugendpredigt  zu 
geben.  Wenn  sich  der  Dichter  mit  dieser  Einkleidung  und 
mit  der  ganzen  Einführung  des  Damasippus  auch  über  die 
Stoiker  lustig  macht,  so  darf  man  doch  nimmer  glauben,  dass 
der  Inhalt  nicht  sehr  ernst  gemeint  sei  und  dass  in  der  um- 
fangreichen Satire  bloss  die  Lehrweise  der  Stoiker  verspottet 
werde.  ^) 

Das  Dargelegte  scheint  zu  genügen  zu  dem  Nachweise, 
dass  Horaz  durch  die  Art  der  Anordnung  zu  tiberraschen 
sucht,  dass  also  das  Ungewöhnliche  der  Anordnung  das  Ge- 
präge horazischer  Laune  trägt.  Ich  glaube  deshalb,  mit 
den  gewonnenen  Ergebnissen  an  die  Lösung  des  alten  Problems 
der  epistula  ad  Pisones  herantreten  und  die  Ansichten  der 
Harmozonten,  Chorizonten  und  Obelizonten  einer  Kritik  unter- 
ziehen zu  können.  Unter  den  Harmozonten,  welche  durch 
Umstellung  von  Versen  und  längeren  Partien  die  ihnen 
entsprechende  Ordnung   der  Gedanken   zu  gewinnen   suchen, 

1)  L.  Müller:  ,lch  kann  in  der  Satire  nichts  als  eine  Verspot- 
tung der  Stoiker  sehen,  ihrer  hochtrabenden  Redensarten  und  ge- 
schmacklosen Uebertreibnngen''  u.  s.  w. 


394    Süeung  der  phüoa.'phüol.  Glosse  vom  3.  November  1894. 

verstehe  ich  besonders  Hofman  Peerlkamp  (1845),  0.  Bibbeck 
(1869),  K.  Lehrs  (1869),  M.  Schmidt  (1874),  Bährens  (1879). 
Die  früheren  Yon  Riccoboni  bis  Bouhier  hat  H.  Peerlkamp 
S.  228  £F.  zusammengestellt  unter  Anfügung  genauerer  An- 
gaben über  ihre  Dispositionen.  Als  Ghorizon  ist  Faltin  auf- 
getreten (Horazstudien  I.  N.  Ruppin  1886),  welcher  die  epistula 
ad  Pisones  in  4  Briefe  zerlegt.  Derselbe  gibt  an,  dass  er 
durch  die  Bemerkungen  von  Schütz  (S.  356)  angeregt  worden 
sei,  welcher  selbst  den  Gedanken  als  unmöglich  aufgegeben 
hat  nicht  nur  wegen  der  trotz  aller  Verschiedenheit  durch- 
gängigen Gleichartigkeit  des  Tons  und  der  Grundanschauung, 
sondern  auch,  weil  schon  Quintilian  das  Werk  als  ein  ein- 
heitliches gekannt  habe.  Sowohl  Schütz  wie  Faltin  scheint 
es  entgangen  zu  sein,  dass  schon  J.  6.  Ottema  (Q.  H.  Flacci 
ep.  ad  P.  1846)  eine  ähnliche  Ansicht  vorgetragen  hat. 
Auch  ich  kenne  diese  Schrift  nur  aus  Ad.  Michaelis  de  auc- 
toribus  quos  Horatius  in  1.  de  A.  P.  secutus  esse  videatur. 
1857  p.  109,  nach  dessen  Angabe  Ottema  zwei  Briefe  scheidet, 
einen  von  196  Versen  an  den  Vater  und  die  beiden  Söhne, 
einen  von  249  Versen  an  den  älteren  Sohn.  Zu  den  Obeli- 
zonten  gehören  fast  alle  die  genannten  und  einige  andere 
z.  B.  Gruppe.  Als  eine  besondere  Eigentümlichkeit  hebe  ich 
hervor,  dass  Ribbeck  grössere  Partien  (73 — 85,  391—407) 
in  die  epistula  ad  Augustum  versetzt. 

Dass  das  Problem  der  epistula  ad  P.  noch  nicht  als 
gelöst  angesehen  werden  darf,  ergibt  sich  am  deutlichsten 
aus  der  neuesten  Ausgabe  von  L.  Müller,  nach  welcher  das 
Gedicht  in  fünf  Abteilungen  zerfallt:  1.   V.  1 — 85  Einleitung. 

2.  86 — 250  Lehre   von  der  Tragödie   und   vom  Satjrdrama. 

3.  251—332  Vergleichung  der  römischen  und  griechischen 
Dramatiker.  4.  333—365  allgemeine  Regeln  für  den  Dichter, 
immer  mit  besonderer  Rücksicht  auf  die  Tragödie.  5.  366—476 
besondere  Winke,  Verheissungen ,  Warnungen  für  den  an- 
gehenden Tragiker  Piso,   die  freilich   auch  für  viele  andere 


Wecklein:  Die  Kompositionsweise  des  Horaz  etc.  395 

Dichter  jener  Zeit  passen  mochten.  In  dieser  Einteilung 
werden,  abgesehen  davon,  dass  im  zweiten  Teile  nicht  nur 
vom  Drama,  sondern  auch  vom  Epos  die  Rede  ist  (136  £F.), 
zweimal  Partien,  welche  eng  zusammengehören  (73 — 98  und 
347 — 390)  auseinandergerissen. 

Faltin  behauptet,  dass  die  Komposition  der  ep.  ad  P. 
von  sämtlichen  Satiren  und  Episteln  wesentlich  yerschieden 
sei.  Wir  werden  zwar  später  eine  sehr  wesentliche  Ueber- 
einstimmung  finden,  aber  die  Verschiedenheit  könnte  an  und 
für  sich  nichts  anderes  beweisen  als  das  Vermögen  in  geist- 
reicher Laune  immer  neue  Formen  der  Darstellung  zu  er- 
sinnen. Es  wird  sich  nur  darum  handeln  darzuthun,  dass 
die  überlieferte  Ordnung  nicht  geradezu  als  Unordnung  er- 
scheint, dass  vielmehr  die  einzelnen  eldvXXia^  wie  Lehrs  die 
Abschnitte  passend  bezeichnet  hat,  eine  innere  Verknüpfung 
haben  und  einen  bestimmten  Gedankengang  verfolgen.  Als 
eine  der  unwahrsten  und  verwerflichsten  Behauptungen  möchte 
ich  von  vornherein  den  Satz  von  Lehrs  bezeichnen:  „Horaz 
erfand  sich  die  Form  der  Epistel,  d.  h.  die  Form  der  Form- 
losigkeit." Ich  möchte  auch  nicht  mit  Weissenfeis  (Aesthetisch- 
kritische  Analyse  der  ep.  ad  P.  von  Horaz  im  N.  Lausitz. 
Magazin  Bd.  56  S.  118  fl.)  die  Sermonenform  als  eine  Form 
betrachten,  welche  „zwanglose  Disposition,  um  nicht  zu  sagen 
Dispositionslosigkeit"  gestattet.  Richtiger  erscheint  mir  die 
Bemerkung:  „Ohne  die  zwingendste  Notwendigkeit  soll  man 
sich  nicht  entschliessen,  gegen  irgend  eine  Epistel  oder  Satire 
Horazens  die  Anklage  zu  erheben,  es  fehle  ihr  an  Zusammen- 
hang und  sie  biete  das  Bild  eines  ungegliederten  Durch- 
einander.^ Auch  die  Worte:  „Horaz  will  nicht  docieren, 
sondern  im  Tone  der  gebildeten  Unterhaltung  zu  seinen 
Lesern  reden  **  kann  man  insofern  billigen,  als  der  docierende 
Ton  nur  ein  Ausfluss  der  Laune  ist.  Dagegen  kann  man 
der  Behauptung  „die  ep.  ad  P.  hat  ihr  eigenes  Eompositions- 
gesetz.    Sie  setzt  sich  aus  vielen,  zum  Teil  sehr  kleinen  Teilen 

1894.   PhUo0.-philoI.  n.  hist.  Gl.  8.  27 


396     Sitzung  der  phüos.'philol.  Glosse  vom  3.  November  1894. 

zusammen ,  von  welchen  viele  etwas  so  Besonderes  sagen, 
dass  es  sich  unter  keinen  allgemeinen  Titel  ohne  Zwang 
fügen  will.  Damit  soll  nicht  geleugnet  werden,  dass  sich 
allgemeine  Gesichtspunkte  nachweisen  lassen,  von  denen  der 
Dichter  geleitet  ist"  nicht  ohne  weiteres  Beifall  spenden, 
weil  sich  weder  hei  Horaz  die  sehr  kleinen  Teile,  die  sich 
unter  keinen  allgemeinen  Titel  bringen  lassen,  noch  in  der 
Ausführung  von  Weissenfeis  die  allgemeinen  Gesichtspunkte 
finden  wollen.  Für  manche  Unebenheiten  sucht  Weissenfeis 
die  Erklärung  darin,  dass  einzelne  Partien  gesondert  für  sich 
entstanden  und  nachher  vom  Dichter  in  den  vorliegenden 
Zusammenhang,  wo  sie  allenfalls  erträglich  schienen,  einge- 
reiht worden  seien.  Man  könnte  sich  die  gesonderte  Abfas- 
sung einzelner  Partien  wohl  gefallen  lassen,  wenn  nur  nicht 
damit  die  »Digression  über  die  begleitende  Flöte  und  Lyra* 
entschuldigt  werden  sollte.  Wir  werden  sehen,  dass  von 
einer  Digression  keine  Rede,  eine  Entschuldigung  also  ganz 
unnötig  ist.     Doch  zur  Sache! 

Einen  Hauptangriffspunkt  bot  den  Harmozonten  unsere 
epistula  in  der  Partie  über  den  lambus  (251 — 274).  Schon 
bei  Daniel  Heinsius  haben  diese  Verse  ihren  tiberlieferten 
Platz  verlassen  müssen  und  bei  Petrini  haben  sie  die  Stelle 
erhalten,  welche  die  naturgemässe  scheint,  nach  der  Partie, 
welche  über  das  Versmass  handelt  (73—85).  Auch  H.  Peerl- 
kamp  weist  ihnen  diesen  Platz  an  und  Ribbeck  scheidet  um 
der  zweiten  Partie  willen  die  erste  aus:  „Die  Partie  über 
die  Erfinder  der  verschiedenen  Metra  mit  ihren  entsprechenden 
Dichtungsarten  (73 — 85)  kann  in  unserem  Briefe,  der  es 
wesentlich  mit  der  Theorie  des  Dramas  zu  thun  hat,  um  so 
weniger  eine  Stelle  haben,  als  weiter  unten  (251  ff.)  vom 
Jambus  in  einer  Weise  gehandelt  wird,  die  seine  vorherige 
Erwähnung  ausschliesst.*  Faltin  findet  in  der  sehr  genauen 
Ausführung  dessen,  was  80 — 83  über  den  Jambus'  angegeben 
ist,  ein  Hauptargument  für  die  Trennung  der  Epistel:  „Alles 


^ 


WecMein:  Die  Komposütanaweise  des  Horaz  etc,  397 

Bemühen ,  einen  Grund  zu  entdecken ,  warum  erst  so  spät 
und  doch  nur  für  das  Drama  diese  besondere  Ausführung 
folgt,  wenn  man  an  der  Einheit  des  Gedichtes  festhält,  muss 
notwendig  scheitern/  Aber  wenn  auch  dieser  Abschnitt  be- 
ginnt mit 

syllaba  longa  brevi  subiecta  70catur  iambus, 

so  ist  der  Jambus  das  Thema  dieses  Abschnitts  nicht  mehr 
und  nicht  weniger  als  etwa  Homer  als  das  Thema  von 
epist.  I  2  (Troiani  belli  scriptorem  etc.)  betrachtet  werden 
kann.  Von  dem  Jambus  wird  nur  gehandelt,  um  den  alten 
römischen  Dichtern  den  Vorwurf  sorgloser  Arbeit  (operae 
celeris  nimium  curaque  carentis)  und  mangelhafter  Kenntuis 
der  Kunstregeln  (ignoratae  artis)  zu  machen.  Daran  wird 
die  weitere  Bemerkung  geknüpft,  dass  den  Römern  das  feine 
Gefühl  für  die  schöne  Form  fehle  und  dass  sich  deshalb  die 
römischen  Dichter  gern  gehen  lassen,  weil  sie  auf  Nachsicht 
für  ihre  Verstösse  rechnen  können.  Es  wird  auf  die  griechi- 
schen Meister  verwiesen,  die  im  Gegensatz  zu  den  formlosen 
Werken  eines  Plautus  als  Muster  dienen  sollen.  Die  Ein- 
sicht, dass  in  diesem  Abschnitt  nicht  in  erster  Linie 
von  Metrik  die  Rede  ist,  sondern  der  Gedankengang 
beginnt,  welcher  im  Folgenden  fortgesetzt  wird,  ist 
für  die  Einteilung  der  Epistel  und  die  Auffassung 
der  Gedankenfolge   von   entscheidender  Bedeutung. 

Es  folgen  darauf  in  überraschender  Weise  kurze  ge- 
schichtliche Bemerkungen  über  das  griechische  Drama.  Aber 
wenn  man  an  die  vorhergehende  Mahnung :  vos  exemplaria 
Graeca  nocturna  versate  manu,  versate  diurna  denkt  und  den 
Vers  285  nil  intemptatum  nostri  liquere  poetae  ins  Auge 
fasst,  so  wird  die  Absicht  dieses  Abschnitts  klar  und  die 
Fortsetzung  des  Gedankengangs,  welcher  in  dem  Abschnitt 
über  den  Jambus  begonnen  worden  ist,   ergibt  sich  deutlich 

aus  den  Worten  si  non  ofFenderet  nnum  quemque  poetarum 

27* 


398     Sitzung  der  phÜ08,-philol,  Glosse  vom  S,  November  1894, 

limae  labor  et  mora.^)  Man  kann  den  Gedankengang  etwa 
so  geben:  , Unseren  gefeierten  alten  Dichtern  Accius,  Ennius, 
Plautus  fehlte  wie  den  Römern  überhaupt  der  feine  Porraen- 
siun.  Wir  müssen  uns  deshalb  an  die  griechischen  Klassiker 
halten.  Die  Griechen  haben  ja  das  Drama  ausgebildet,  auch 
das  Drama  ohne  Chor  (welches  vielleicht  manche  als  römische 
Eigentümlichkeit  betrachteten).  Und  wenn  auch  unsere 
Dichter  nicht  bloss  die  griechischen  nachgeahmt,  sondern 
durch  Behandlung  nationaler  Stoffe  über  sie  hinauszugehen 
gewagt  haben,  so  ist  doch  die  römische  Literatur  hinter  der 
griechischen  zurückgeblieben,  weil  unsere  Dichter  es  an  der 
Sorgfalt  und  Sauberkeit  der  Arbeit  fehlen  lassen.  Sie  bilden 
sich  ein,  das  geniale  Wesen  hebe  über  Studium  und  Arbeit 
hinweg.  Ich  muss  ihnen  doch  einmal  den  Standpunkt  klar 
machen.  Vor  allem  muss,  wer  ein  Dichter  werden  will, 
ordentlich  Philosophie  studieren.  Und  hat  er  sich  in  der 
Philosophie  ausgebildet,^)  muss  er  durch  Beobachtung  des 
Lebens  sich  Stoff  und  Gehalt  für  seine  Dichtungen  sammeln. 
Weit  geeigneter  für  Dichter  ist  die  ideale  Schulbildung  der 
Griechen  als  die  realistische  der  Römer."  Aus  dieser  An- 
gabe des  Gedankengangs  möge  man  entnehmen,  mit  welchem 
Rechte  der  Abschnitt  323 — 32  von  Desprez,  Petrini,  Rib- 
beck, M.  Schmidt,  Bährens  anderswohin  versetzt  worden  ist. 
Bei  den  folgenden  Versen  333 — 346  hat  auch  Lehrs  den 
„losen,  geheimen  psychologischen  Faden*  verloren,  weshalb 
er  die  Verse  nach  308  einstellt.  Aber  der  Zusammenhang 
ist  einfach  folgender:  „Der  Dichter  muss  durch  ileissiges 
Studium  der  Philosophie  und  des  Lebens  Gehalt  für  seine 
Poesie  zu  gewinnen  suchen,  denn  Schönheit  der  Form  genügt 


1)  limae  labor  et  mora  ist  ja  genau  das  Gegenteil  von  opera 
niminm  celeris  coraqae  carens. 

2)  Das  bedeutet  doctum  318.  Imitatorem  begründet  den  Ge- 
danken: ,Da  der  Dichter  imitator  ist,  muss  er  auch  das  Leben,  das 
er  nachahmen  will,  genau  beobachten." 


k 


WeckHein:  Die  Komposüionsweise  des  Horae  etc.  399 

nur  einem  Teil  der  Leser ;  wer  allen  gefallen  will,  muss  da- 
mit Reichtum  der  Gedanken  und  den  Ertrag  einer  hohen 
Weltanschauung  verbinden." 

In  dem  weiteren  längeren  Abschnitt  (347 — 390)  wird 
die  Notwendigkeit  der  Sorgfalt  und  Feile  der  Arbeit  (limae 
labor  et  mora  —  nonum  prematur  in  annum  388)  mit  dem 
Gedanken  begründet,  dass  während  im  Gebiete  des  Nütz- 
lichen auch  das  Mittelmässige  Wert  hat,  im  Reiche  des 
Schönen  nur  das  Vollkommene  gut  genug  ist  und  Mittel- 
massiges  nicht  ertragen  wird.  Dann  folgt  die  Partie  (391 
bis  407),  welche  anhebt  mit 

silvestris  homines  sacer  interpresque  deorum 
caedibus  et  victu  foedo  deterruit  Orpheus. 

Ueber  die  verkehrte  Stellung  derselben  äussert  sich  am  ent- 
schiedensten Bährens:  v.  391 — 407  cui  bono  hie  essent  et 
quid  ad  rem  facerent,  omnes  fere  prudentes  (nam  interpretum 
nihil  nescientium  turbam  mitto)  ignorabant  iuxta  cum  igna- 
rissimis:  D.  Heinsius,  Desprezius,  Bouhierus,  Ribbeckius, 
M.  Schmidtius.  Ribbeck  bemerkt:  ^Ganz  unvermittelt  tritt 
ein  jener  Bericht  über  die  kulturhistorischen  Verdienste  der 
ältesten  Griechischen  Dichter,  der  weder  in  sich  abgerundet 
ist  noch  einen  vernünftigen  Zusammenhang  mit  seiner  Um- 
gebung hat."  Dieses  Urteil  ist  um  so  auffallender,  als  mit 
dem  Schlusssatze  ne  forte  pudori  sit  tibi  Musa  Ijrae  sollers 
et  cantor  Apollo  der  Zusammenhang  deutlich  angegeben 
wird:  „Der  Dichter  darf  sich  keine  Zeit  und  Mühe  ver- 
driessen  lassen,  um  die  höchste  Vollkommenheit  zu  erreichen, 
und  wer  von  der  hohen  kulturhistorischen  Aufgabe  der 
Dichtkunst  eine  Vorstellung  hat,  wird  nicht  glauben,  dass 
er  seine  Mühe  an  einen  unwürdigen  Gegenstand  verschwende. ** 
Wenn  man  diesen  Zusammenhang  beachtet,  wird  man  nicht 
auf  den  Gedanken  kommen  mit  Döderlein  anzunehmen,  dass 
hier  speciell  von  der  lyrischen  Poesie  die  Rede  sei. 


400    Sitzung  der  phüosrphüol,  Glosse  vom  3.  November  1894. 

Die  folgende  Partie  408 — 418  ist  von  Ribbeck  u.  a. 
umgestellt  worden  (zwischen  294  und  295),  schliesst  sich 
aber  aufs  beste  an  das  Vorhergehende  an:  „Drum  lässt  sich 
die  Frage,  ob  Naturanlage  oder  Studium  den  Ruhm  des 
Dichters  begründet,  leicht  beantworten;  das  eine  ist  so  not- 
wendig wie  das  andere  und  da  unsere  Dichter  glauben,  des 
Studiums  und  der  Arbeit  entraten  zu  können,  sind  sie  dazu 
auf  das  nachdrücklichste  anzuhalten/ 

Nehmen  wir  hiezu  noch  den  vorletzten  Abschnitt,  welcher 
die  Forderung  einer  unbefangenen  Kritik  stellt  und  sehen 
wir  von  dem  humoristischen  Schluss,  welcher  am  Ende  das 
Unwesen  der  recitationes  lächerlich  macht,  ab,  so  haben 
wir  von  251  an  einen  innerlich  aufs  beste  zusammen- 
hängenden Teil,  in  welchem  zunächst  ausgeführt 
wird,  was  der  römischen  Poesie  fehlt,  worauf  ein- 
geleitet von  den  Versen:  munus  et  officium  nil  scribens 
ipse  docebo,  unde  parentur  opes,  quid  alat  formetque  poetam, 
quid  deceat,  quid  non,  quo  virtus,  quo  ferat  error  die  Dar- 
legung dessen  folgt,  was  zur  Hebung  der  romischen 
Poesie  beitragen  kann.  Das  Ganze  kann  man  etwa  in 
Folgendem  kurz  zusammenfassen:  „Den  römischen  Dich- 
tern fehlt  es  an  Sorgfalt  der  Arbeit  und  an  Wissen. 
Drum  wird  sich  die  römische  Poesie  nur  heben, 
wenn  drei  Bedingungen  erfüllt  werden,  wenn  sich 
die  Dichter  zu  fleissigem  Studium  entschliessen, 
wenn  sie  beim  Dichten  sich  lange  und  mühevolle 
Arbeit  nicht  verdriessen  lassen,  wenn  sie  die  Pro- 
dukte ihrer  Arbeit  vor  der  Veröffentlichung  erst 
einer  unbefangenen  Kritik  unterwerfen  und  die  Beor- 
derungen dieser  Kritik  allen  Ernstes  beherzigen  und 
erfüllen,  nicht  aber,  wie  es  jetzt  bei  den  recitationes 
gebräuchlich  ist,  bloss  ihrer  Eitelkeit  huldigen 
lassen.*^ 

Wer  die  ep.  ad  P.  übersieht,  wird  sofort  erkennen,  dass 


k 


WecMein:  Die  KompoakionsiDeise  des  Haraz  etc,  401 

diesem  zweiten  Teile  eine  Ausführung  gegenübersteht,  welche 
einen  wesentlich  verschiedenen  Charakter  hat.  Doch  bevor 
wir  hierauf  eingehen,    müssen  wir  erst  einzelnes  behandeln. 

•Wir  haben  uns  oben  warnen  lassen,  den  Anfangen  ein- 
zelner Abschnitte  zu  grosses  Gewicht  beizulegen  und  dar- 
nach den  Inhalt  des  Abschnitts  zu  bestimmen.  So  hat  der 
Anfang  der  Partie,  welche  die  Charakterzeichnung  behandelt 
(153-178) 

tu,  quid  ego  et  populus  mecum  desideret,  audi. 
si  plosoris  eges  aulaea  manentis  et  usque 
sessuri,  donec  cantor  „vos  plandite'^  dicat, 

zu  der  Meinung  verleitet,  dass  hier  der  besondere  Teil  an- 
hebe, welcher  das  Drama  zum  Gegenstand  habe.  Darüber 
später.  Der  Abschnitt  behandelt  die  Seite  der  Charakteristik, 
welche  Aristoteles  Poet.  15  als  to  aq^oxtov  bezeichnet.  Eine 
zweite  Seite,  to  o/naXov,  wird  unter  anderem  Gesichtspunkt 
in  Bezug  auf  die  Erfindung  neuer  Personen  126  f.  ange- 
bracht: servetur  ad  imum  qualis  ab  incepto  processerit  et 
sibi  constet.  Die  dritte  Eigenschaft  der  Charakteristik, 
welche  Aristoteles  fordert,  to  ofioiov  kann  man  114 — 118 
berührt  glauben:  intererit  multum,  divosne  loquatur  an 
heros  etc.  Aber  eben  dieser  Punkt,  dass  ^ie  Charakterzeich- 
nung an  zwei  verschiedenen  Stellen  behandelt  wird,  ist  von 
den  Harmozonten  wie  von  den  Chorizonten  aufgegriffen 
worden.  H.  Peerlkamp  stellt  156  —  178  nach  118  und  Faltin 
äussert  sich  S.  5  darüber  in  folgender  Weise:  „An  der  Spitze 
der  Vorschriften  für  den  Bühnendichter  steht  die  eingehende 
Charakteristik  der  vier  Lebensstufen  und  die  Betonung  der 
Bedeutung  der  Charakterzeichnung  überhaupt.  Von  der- 
selben Aufgabe  ist  bereits  die  Rede  in  den  V.  114 — 127. 
Ein  Vergleich  beider  Stellen  ist  lehrreich. **  Die  V.  1 19  - 127, 
welche  in  einem  anderen  Zusammenhang  stehen,  gehen  uns 
vorderhand  nichts  an.    DieV.  114— 118  schliessen  sich  aufs 


402     Sitzung  der  phüos.'phüol,  Glosse  vom  3.  November  1894» 

engste  an  99 — 113  an  und  ein  Vergleich  der  Partie  99—118 
und  153 — 178  dürfte  allerdings  lehrreich  sein.  Wie  kein 
Zweifel  ist,  dass  in  153 — 178  der  Aristotelische  Gesichts- 
punkt f^d^og  behandelt  wird,  so  lehrt  Poet.  19  kati  xaza  Ttjv 
äiavoiav  xavxa  oaa  vno  tov  loyov  del  7iaQaaxevaa&{lvai. 
f^i^Tj  de  Tovz(ov  x6  tb  dTtoöemvvvai  xat  to  Xveiv  xat  ro 
nd&7]  nagaoneva^etv  olov  eXeov  rj  q>6ßov  rj  o^yijv  xai 
oaa  Totavra  xal  ert  fAcyed^og  xal  fiixQorrjrag  zusammenge- 
halten mit 

non  satis  est  pulchra  esse  poemata:  dulcia  sunto 
et  quocunque  volent  animum  auditoris  agunto. 
ut  ridentibus  adrident,  ita  flentibus  adsunt 
humani  voltus:  si  vis  me  flere,  dolendum  est 
primum  ipsi  tibi:  tunc  tua  me  infortunia  laedent, 
Telephe  vel  Peleu;  male  si  mandata  loqueris, 
aut  dormitabo  aut  ridebo.     tristia  maestum 
Yoltum  verba  decent,  iratum  plena  minarum, 
ludentem  lasciva,  severum  seria  dictu, 

dass  der  Abschnitt  99 — 118  den  Aristotelischen  Ge- 
sichtspunkt ötavoia  zum  Gegenstand  hat.  Es  handelt 
sich  hier  nicht  um  das  Charakteristische,  sondern  um  das 
Gefühlvolle  und  die  überzeugende  Kraft  der  ^rfieig.  Damit 
werden  wir  auf  ein  Moment  geführt,  welches  sich  für  die 
Anordnung  des  ersten  Teils  unserer  Epistel  als  sehr  bedeu- 
tungsvoll erweist:  es  treten  uns  die  sechs  Aristotel- 
ischen Gesichtspunkte  für  die  Behandlung  des  Dra- 
mas entgegen:  avaraaig  tcov  TtQayfiaTCDVy  ^d^og,  didvoia^ 
Xi^ig,  fiiXogy  oxpig.  Denn  ohne  weiteres  ergibt  sich  uns  der 
Abschnitt  45—72  als  Xi^ig,  der  Abschnitt  202—219  als 
IxiXog^  Musik.  Die  Partien  1 — 37  und  119—152  enthalten 
die  avaraaig  zcov  Ttqayixdxtav.  Es  bleibt  uns  für  die  oxpig 
die  Partie  179 — 201.  Ausserdem  haben  wir  noch  den  Ab- 
schnitt über  das  Versmass  73—85,  beziehungsweise  73 — 98 


i 


Wecklein:  Die  Kompositionsweise  des  Horaz  etc.  403 

und  die  V.  38  —  44.  um  aber  über  das  Verhältnis  zu 
Aristoteles  und  den  ganzen  Charakter  des  ersten  Teils  klar 
zu  werden,  müssen  wir  einige  Bemerkungen  zu  den  einzelnen 
Partien  machen. 

Wir  beginnen  mit  dem  Abschnitt  179—201,  welcher 
sich  mit  dem,  was  Aristoteles  unter  oipig  versteht,  nicht  zu 
decken  scheint.  Denn  nach  Poet.  6  xvQiwtiQa  negl  tijV 
ansQyaaiav  tcHv  oipewv  ri  tov  aKevOTtoiov  rix^t)  Tijg  räv 
71017JTWV  ioTtv  versteht  Aristoteles  unter  oipig  vorzugsweise 
die  Scenerie.  Bei  Horaz  gibt  uns  der  Abschnitt,  welcher 
anhebt  mit 

aut  agitur  res  in  scaenis  aut  acta  refertur, 

zunächst  die  Vorschrift,  dass  drastische  Vorgänge,  deren  Vor- 
führung die  Illusion  stören  würde,  hinter  die  Bühne  verlegt 
und  durch  eine  ^ijaig  dyyeXix'q  ersetzt  werden.  Die  Beispiele 
ne  pueros  coram  populo  Medea  trucidet,  aut  humana  palam 
quoquat  exta  nefarius  Atreus,  aut  in  avem  Procne  vertatur, 
Gadmus  in  anguem  weisen  auf  griechische  Bühnenstücke  hin 
und  die  griechische  Herkunft  der  Vorschrift  folgt  aus  dem 
Schol.  zu  Aesch.  Cho.  903  ngog  avxov  zov  ^Xyia&ov,  ni- 
^avojg  di  (d.  h.  die  Worte  dienen  zur  Motivierung  des  Hi- 
neintretens), %va  fiiq  iv  q^ave^q)  i)  dvaiQeaig  yivrjrai.  Eine 
Anregung  zu  dieser  Vorschrift  lag  nicht  bloss  in  dem  Brauch 
der  Tragiker,  sondern  auch  in  den  Worten  des  Aristoteles 
Poet.  24  Ter  Ttegi  rr^v  ^'EiczoQog  diw^iv  inl  axijv^g  ovra  yehiia 
av  q)avelfj  .  ,  iv  de  Tolg  erteoiv  kavd^avei.  Die  zweite  Vor- 
schrift betriflFt  den  Umfang  eines  Stückes,  welcher  nicht  mehr 
und  nicht  weniger  als  fünf  Akte  betragen  soll.  Die  Ein- 
teilung eines  Dramas  in  fünf  Akte  hält  man  gewöhnlich  für 
römischen  Brauch  und  Ribbeck  (Die  Eöm.  Trag,  im  Zeitalter 
der  Republik.  S.  641  f.)  vermutet,  dass  die  Fünfzahl  erst  von 
Varro  festgesetzt  worden  sei.   Aber  ich  habe  schon  anderswo^) 

1)  Ueber  eine  Trilo^e  des  AeBchjlos.    Sitzungsb.  1891   S.  844. 


404     Sitzung  der  phüos.-phüöl.  Claase  vom  3,  November  1894. 

bemerkt,  dass  das  Scbol.  zu  Ariatoph.  Frö.  911  f,  iv  .  .  t^ 
Nioßfi  ^Nioßrj^  ^log  rqhov  jLUQOvg  enma&rjfiivt]  t<i)  xaq^ 
Twv  Ttaidwv  ovdiv  q)d'iyyeTaL  iyxeTiaXvfAfjiivrj,  worin  ^log  tqi- 
xov  f^eQOvg  die  Erklärung  von  t6  ägafia  r^^7j  fAeaoirj  924 
gibt,  der  Pünfzahl  der  Akte  griechischen  Ursprung  vindiciert. 
Denn  wenn  der  dritte  Teil  die  Mitte  bildet,  so  mnss  das 
Ganze  fünf  Teile  umfassen.  Die  weitere  Vorschrift  über 
den  deus  ex  machina  geht  auf  Aristoteles  Poet.  15  f^fjXf^^i 
XQrjaveov  inl  rä  l?a>  tov  d^fiarog  xt«.  zurück,  wenn  auch 
der  Inhalt  der  Vorschrift  über  das  von  Aristoteles  Gestattete 
hinausgeht.  Dass  die  folgende  Vorschrift  nee  quarta  loqui 
persona  laboret  griechischen  Ursprungs  ist,  lehrt  schon  der 
Zusammenhang  derselben  mit  dem  Gebrauche  von  drei  Schau- 
spielern und  wird  bezeugt  durch  das  Schol.  zu  Aesch.  Cho. 
898  /neTeanevaaxai  6  e^dyyeXog  etg  TlvlAörpf^  %va  ^7]  d"  Xe- 
ycoaiv.  Die  Vorschrift  über  den  Chor:  actoris  partis  chorus 
officiumque  virile  defendat  neu  quid  medios  intercinat  actus 
quod  non  proposito  conducat  et  haereat  apte  schliesst  sich 
eng  an  Aristoteles  Poet.  18  an:  tov  xoQov  eva  del  vnoXaßeiv 
rcov  v/ioxQiT civ  xai  (Äoqiov  elvai  tov  okov  xat  avvaywvi^ea&av 
f.iri  äüTCBQ  Eiginlörj  aXk^  äontq  JSbqpoxAci.  Tolg  ob  Xoinolg 
Ta  qdofjieva  ovdiv  [.laXkov  tov  (livO-ov  rj  äXXrjg  TQay(i}diag 
soTiv'  dio  ifAßohjua  ^dovaiv  ngcorov  aq^avxog  tiyad^wvog 
TOV  ToiovTov.  Der  Niederschlag  dieser  Lehre  findet  sich  des 
öfteren  in  den  Scholien ,  z.  B.  zu  Phoen.  1019  nqog  ovdiv 
TavTo'  edet  yäq  tov  xoqov  olycTioaa&ai  ötä  tov  -d-avaTOv 
Mevotxewg  r]  aTtoöixead^ai  Tiqv  evipvxlav  tov  veavioTiov^  zu 
Aristoph.  Ach.  442  EvQinidt]g  elaayei  Tovg  x^Q^S  ovtb  to 
dytolovd^a  fp^eyyofjiivovg  t^  vTto&iaei^  aXl*  lavoQtag  Ttväg 
dnayyiXXovTag^  wg  iv  Talg  0OLvlaaaig  (wtb  e^ira^uig  ävri- 
Xapißavo^ivovg  tcov  ddiytrj&evTwv,  dXXd  fxeTa^v  dvxiniTtTOVTag. 
Der  zweite  Teil  des  letzten  Scholions  betrifft  die  weitere 
Vorschrift:  ille  bonis  faveatque  et  consilietur  amice  et  regat 
iratos   et   amet   pacare  timentis.     Diese   Vorschrift  hat  die 


I 


WecJdein:  Die  Kompositionatoeiae  des  Horae  etc»  405 

zwischen  Rede  und  Gegenrede  eingelegte  oder  der  letzteren 
nachfolgende,  gewöhnlich  aus  zwei  Trimetern  bestehende 
beruhigende  Mahnung  des  Chorführers  im  Auge  wie  Soph. 
Ant.  681  f.,  724  f.,  Ai.  1091  f.,  1118  f.,  1264 f.  Die  Vor- 
Schrift,  dass  der  Chor  auf  Seite  der  Guten  stehe,  hängt  teil- 
weise auch  mit  der  Oekonomie  des  Dramas  zusammen,  weil 
der  Chor  von  Anfang  bis  Ende  auf  der  Bühne  war  und  an 
der  ganzen  Handlung  teilnahm.  Noch  mehr  ist  durch  die 
Oekonomie  die  Vorschrift  ille  tegat  commissa  bedingt,  welche 
sich  bei  Horaz  etwas  sonderbar  ausnimmt  und  moralische 
Bedeutung  zu  haben  scheint,  während  sie  ursprünglich  nur 
der  Technik  des  Dramas  gilt.  Der  Chor,  welcher  immer 
anwesend  ist,  muss  verschwiegen  sein,  weil  sonst  die  Hand- 
lung zu  Ende  wäre.  Dieses  Schweigen  ergibt  sich  häufig 
aus  der  Handlung  von  selbst  wie  in  den  Choephoren  des 
Aeschylos,  in  der  Elektra  des  Sophokles,  wenn  auch  in  dem 
letzten  Stücke  (468  f.)  der  Chor  eigens  um  Verschwiegen- 
heit gebeten  wird,  teils  wird  es  besonders  motiviert  wie  Eur. 
Med.  263,  Hipp.  712,  Iph.  T.  1052,  lou  666,  El.  273, 
Iph.  A.  542.  Mir  kommt  es  vor,  als  sei  sich  Horaz  der 
eigentlichen  Bedeutung  dieser  Vorschrift  nicht  bewusst  ge- 
wesen. Das  Uebrige:  ille  dapes  laudet  mensae  brevis,  ille 
salubrem  iustitiam  legesque  et  apertis  otia  portis  —  deosque 
precetur  et  oret  ut  redeat  miseris,  abeat  fortuua  superbis 
fordert  ethischen  Gehalt  für  die  Chorgesänge  und  hat  vor- 
zugsweise Aeschylos  und  Sophokles  im  Auge,  doch  auch 
Euripides;  denn  apertis  otia  portis  erinnert  augenscheinlich 
an  das  schöne  Chorlied  des  KQea<p6vvfig  (frg.  453):    Eigtiva 

Die  Regeln  also,  welche  Horaz  in  diesem  Abschnitt  gibt, 
gehen  zurück  auf  eine  griechische  Quelle,  welche  eine  Tech- 
nik des  Dramas  enthielt,  aus  welcher  auch  die  Alexandrini- 
schen  Erklärer  der  dramatischen  Dichter  schöpften.  Die 
Frage,  ob  die  römische  Tragödie  einen  Chor  gekannt  habe, 


406    Sitzung  der  philosrphiloh  Clasae  vom  3»  November  1894. 

ist  hier  ziemlich  müssig;  die  Vorschriften  gehen  nur  auf 
griechische  Dramen  zurück  und  Horaz  konnte  bei  seiner 
Wiedergabe  derselben  das  Verständnis  griechischer  Dramen 
bezwecken.  Der  Abschnitt  ist  lehrreich  für  die  Bestimmung 
des  Verhältnisses  zu  Aristoteles  Die  vorliegende  Theorie 
geht  von  der  Poetik  aus,  geht  aber  über  dieselbe  hinaus. 
An  die  Stelle  der  oxpig  ist  eine  äussere  Technik  des 
Dramas  gesetzt.  Wenn  wir  nach  dem  Verfasser  dieser 
neuen  Poetik  fragen,  so  gibt  uns  Porfyrio  die  Antwort:  in 
quem  librum  congessit  praecepta  Neoptolemi  tov  UaQiavov 
de  arte  poetica,  non  quidem  omnia,  sed  eminentissima. 

Durchaus  griechisches  Qepräge  hat  auch  der  folgende 
Abschnitt  über  die  Musik.  Ja  der  Hauptsache  nach  geht 
dieser  Abschnitt  zurück  auf  das  bekannte  Hyporchem  des 
Pratinas:  zig  6  d^OQvßog  ode;  ri  vade  ra  xoQevfAora;  %ig 
vßQig  e'fjioXev  eni  diovvaiada  TtoXvncLxaya  d^vfiiXav;  ifxog 
6  Bgofiwg'  ifii  del  TieXadeiv  .  .  rdv  doiöav  naTdoTaae  Iliegig 
ßaalkeiav'  6  d'  avlog  votsqov  xoQeveTW'  xal  ydq  ead^ 
vnTjgizag  xr«.  Ich  zweifle,  ob  Horaz  von  diesem  Ursprung 
seiner  Ausführung  Kenntnis  hatte.  Bei  vino  diurno  placari 
genius  festis  impune  diebus  hat  man  trotz  der  römischen 
Redensart  placari  genius  nur  an  das  Fest  der  grossen  Dio- 
nysien,  die  Choen,  zu  denken  und  die  Chorgesänge  mit  der 
allzukühnen  Sprache  und  dem  lehr-  und  orakelhaften  Inhalt 
(217  f.)  können  keine  anderen  sein  als  die  des  Aeschylos. 

Wenn  wir  an  eine  zwischen  Aristoteles  und  Horaz  in 
Mitte  liegende  Poetik  denken,  dann  begreifen  wir  auch  die 
Anordnung  der  vorausgehenden  Partien.  Die  drei  ersten 
Teile  avazaaig  zwv  nqayixdztavj  diavoia,  Xe^ig  sind 
nach  rhetorischen  Gesichtspunkten  geordnet:  dis- 
positio,  elocutio,  inventio  unter  Vorausschickung  dessen,  was 
über  das  Grundgesetz  aller  Poesie,  die  Einheit  der  Dichtung, 
zu  sagen  ist.  Die  dispositio  wird  in  einer  ganz  allgemein 
gehaltenen   Vorschrift  erledigt,   welche   sich   mehr   für   die 


I 


Wecklein:  Die  Kompositionsweise  des  Horaz  etc,  407 

Rede  als  die  Poesie  eignet :  ordinis  baec  virtus  erit  et  venus, 
aut  ego  fallor,  ut  iam  nunc  dicat  iam  nunc  debentia  dici, 
pleraque  differat  et  praesens  in  tenipus  omittat.  Was  ausser 
der  Einheit  der  Dicbtung  zur  avoTaaig  xuiv  Ttqayixatanf  ge- 
hört ^  ist  unter  den  Gesichtspunkt  der  inventio  gebracht 
(119 — 152).  Lehrreich  für  die  richtige  Auffassung  dieses 
Abschnitts  ist  die  Zusammenstellung,  welche  Adam,  Die 
Aristotelische  Theorie  vom  Epos  nach  ihrer  Entwicklung  bei 
Griechen  und  Römera  Wiesbaden  1889  gegeben  hat.  Lehrs 
stellt  136—152  nach  37,  während  doch  der  V.  132  non 
circa  yilem  patulumque  moraberis  orbem,  welchen  freilich 
Lehrs  für  eingeschoben  hält,  mit  dem  folgenden  Abschnitt 
136 — 152  und  besonders  mit  der  Vorschrift  in  medias  res 
(148)  in  engstem  Zusammenhang  steht.  In  der  eben  er- 
wähnten Abhandlung  wird  gezeigt,  wie  die  Originalität  der 
Dichtung  besonders  in  der  Abwendung  yon  dem  Tcoifj/Aa 
xvxXixovy  dem  äeiafia  öitjvexig^  wie  es  Eallimachos  nannte, 
gesucht  wurde.  Wir  haben  also  im  ganzen  Abschnitt  wieder 
griechische  Theorie,  welche  an  Aristoteles  anknüpft.  Der 
Anfang  erinnert  an  Poet.  14  Tovg  f,iiv  ow  naQeiXrjfXfiivovg 
fiVx^ovg  XvBiv  ovx  taxiv^  liyio  de  ovov  vr^v  KXvtaififjaTQav 
(XTto&avovaav  vnd  xov  ^Oqiaxov  xai  ztiv  ^EQig>vlTjv  ino  %ov 
liiXxftaiiovog,  avTOv  öi  etgioxsiv  ösl  ^<xi  %oig  TtaQaöeäofxivoig 
Xorjad-ai  xaXcig  und  an  das  9.  Kapitel  der  Poetik,  in  welchem 
der  Unterschied  des  Dichters  und  des  Historikers  behandelt 
und  von  den  TtagaäedofAevoi  fiv&oi  gesprochen  wird.  Das 
Attribut  sibi  convenientia  (119)  fordert  den  inneren  Zusammen- 
hang xatd  10  elxog  f]  to  avayualov.  Von  der  Vorschrift  ser- 
vetur  ad  imum  .  .  et  sibi  constet  ist  bereits  die  Rede  gewesen. 
Die  Verwerfung  des  Ttolrj/Äa  xvxXixdv  und  die  Empfehlung 
der  Homerischen  Anordnung  geht  zurück  auf  Poet.  23  du 
äaneq  sYnofisv  r^dtj  xot  tavrrj  d-eaniaiog  Sv  q>avBirj  "OfirjQog 
naga  zovg  aXXovg  (qui  nil  molitur  inepte  140),  T(p  f^fjöi 
Tov    noXefiOv   xaijteq   ex^vra   dqx^^    '^^^    TiXog   inixBi^aai 


408    Sitzung  der  phüosrphüol,  Glosse  vom  3,  November  1894, 

Ttoteiv  olov  Xiav  yäq  av  fiiyag  xal  ovx  evavvoTtTog  efieXkev 
eoia&ai  .  .  vvv  6^  tv  fA€Qog  dnoXaßiov  iireiaoöiotg  nexQtjTai 
av%üv  nollolg  olov  vewv  xazaXoyif)  xat  ailoig  inBiaoöioig 
olg  öiakafAßavei  tt/v  noirfiiv.  Mit  dem  Schluss  atque  ita 
Tuentitur,  sie  veris  falsa  remiscet,  primo  ne  medium,  medio 
ne  discrepet  imum  vgl.  Poet.  24  öedidaxBv  fidXiata  ^'Ofir^Qog 
xat  Tovg  olkovg  xpevd^  leyeiv  dg  dei  xre.  Eine  Horazische 
Zuthat  möchte  man  nur  in  der  Vorschrift  nee  verbo  verbum 
curabis  reddere  fidus  interpres  erkennen. 

Eigene  Gedanken  hat  Horaz  wohl  am  meisten  in  dem 
Abschnitt  über  die  li^ig  geboten;  gewiss  mit  Recht  hat 
Spengel  darin  eine  Polemik  gegen  eine  zeitgenössische  puri- 
stische Richtung  gefunden.  An  die  Sprache  ist  das  Vers- 
mass  angeknüpft.  Diese  Verbindung  ist  schon  durch  Poet.  6 
Xiyco  de  li^iv  elvai  irjv  did  ir^g  dvofiaalag  kQjLtrjveiav,  o  xai 
irrt  Tüiv  ififiiTQtov  xat  int  züv  Xoycjv  l^fit  ^ijv  arr^v  diva^ 
fiiv  nahegelegt,  rQhrt  also  wahrscheinlich  von  Neoptolemos 
her.  Was  Orion  p.  58  angibt:  ekeyog  6  ^qi^vog  did  to  <Jt' 
avTOv  Tov  ^Qtjvov  ev  Xiyeiv  tovg  xaroixofiivovg.  ev^err)v  di 
Tov  iXeyeiov  q)aoiv  ol  fiiv  tov  i/^x^o^oy,  oi  öi  Mi/,iv€Qf^0Vy 
Ol  de  KaiXivov  TtaXaiozegor.  oO-ev  nevtdfABTQOv  zw  ^Qwixfi) 
ovvifCTov  oi%  ofÄOÖQafdOtvTa  tj  tov  txqotIqov  dvvdf,teif  dXlC 
oiov  avvexTiviovTa  xat  ovvanoaßewvfjievov  Talg  tov  TcAevrij- 
aavTog  Tvxaig '  oi  d'  ioTeQOv  nQog  anavTag  ddia(p6Qwg '  ovtu) 
Jiövfiog  iv  Ti^  neqt  7roit]TÜv^  das  stimmt  so  mit  75  versibus 
impariter  iunctis  querimonia  primum,  post  etiam  inclusa  est 
voti  sententia  compos;  quis  tarnen  exiguos  elegos  emiserit 
auctor  grammatici  certant  et  adhuc  sub  iudice  lis  est  überein, 
dass  man  für  Didymos  und  für  Horaz  die  gleiche  Quelle, 
d.  h.  die  Poetik  des  Neoptolemos  annehmen  muss ,  woran 
schon  Orelli  gedacht  hat.  Die  Bemerkung  über  den  Jambus 
alternis  aptum  sermonibus  geht  zurück  auf  Poet.  4  fxdhoTa 
lexTixov  TÜv  (jieTQtav  ro  lafjißeiov  iativ.  arj^eiov  de  tovtov 
TtleiOTa  yoQ  iafißüa  XiyofAev  iv  zfj  diakextq)  tt^  nqog  dXhlikovg  xTe. 


^ 


WeMein:  Die  Kompositionnoeise  des  Horaz  etc,  409 

Die  Verbindung  der  Sprache  und  des  Versmasses  ge* 
stattet  im  folgenden  Abschnitte  89 — 98  eine  Regel  aufzu- 
stellen, welche  Sprache  und  Versmass  in  gleicher  Weise  be- 
trifiFt.  Sprache  und  Versmass,  heisst  es,  müssen  nicht  nur 
den  verschiedenen  Dichtungsarten,  sondern  auch  innerhalb 
einer  und  derselben  Dichtungsart  den  verschiedenen  Situationen 
angemessen  sein. 

Die  Verbindung  der  diavoia  mit  der  Xt^ig  entspricht 
wieder  dem  Vorgang  des  Aristoteles.  Vgl.  Poet.  19  ra  (abv 
ovv  negt  Ttjv  didvoiav  iv  roig  neql  ^rjzoQiyi^g  KBiod-a)  •  tovto 
yaQ  üdiov  juaklov  ixeivrjg  Trjg  fied^odov  und  Rhet.  II  26  eirei 
TQia  iöTiv  a  öel  nQayfiarevSijvai  negl  %dv  Xoyov^  ifreg  f.tev 
TcaQadeiyfJOTWv  aal  yviofACuv  xai  svd'VfAfjfidTOv  xal  bXiog  zwv 
neqi  tjJv  didvoiav,  odsv  re  evnogr^aofißv  xai  (og  avvd  kvaof^evy 
eiQfjad-oj. 

Hiemach  erhalten  wir  folgende  Abteilung  des  ersten 
Teils: 

1.  üeber  Einheit  der  Dichtung  (1 — 37),  avaraaig  xüv 
TTQayfidTorv. 

2.  üebergang  (38—41). 

3.  Dispositio  (42  —44),  (avaraaig  iwv  ngay^idttov), 

4.  Elocutio  (45 — 118),  li^ig  (und  fiizQOv),  didvoia, 

5.  Inventio  (119 — 152),  avaraaig  raiv  7tqayfÄdru)v, 

6.  r^^og  (158—178). 

7.  Aeussere  Technik  des  Dramas  (179 — 201),  oxpig, 

8.  ^ilog  (202—219). 

Nicht  umsonst  sind  die  zwei  Gesichtspunkte, 
welche  das  Drama  allein  oder  vorzugsweise  be- 
treffen, ans  Ende  gestellt.  Vgl.  Aristot.  Poet.  24  rd 
eYdrj  ravrd  dei  a^eiv  r'qv  inonoiiav  Tp  rgayt^diff  .  .  xat  rd 
fiigi]  €^0)  ix£Xo7toiiag  xai  oifjewg  ravrd.  Im  übrigen 
wird  kein  Unterschied  zwischen  den  einzelnen  Dich- 
tungsarten gemacht.    Es  wird  zwar  nach  dem  Vorgange 


410     Sitzung  der  pMoa.'phüol.  Glosse  vom  3.  November  1894, 

des  Aristoteles  die  Theorie  vorzugsweise  am  Drama  ent- 
wickelt (Poet.  23  TteQi  di  rfjg  difiytif^arm^g  xai  Iv  e^afjiixq(fi 
ILitfiriTixfjg  ort  dei  Tovg  fAvd-ovg  xa&dneQ  iv  Talg  tqayifdlaig 
owiOTOLvai  ÖQafjiaxiifLOvg  "Aal  neqi  fiiocv  ttqq^iv  oXtjv  xal  xe- 
Xeiav  Exovaav  o^i^v  xal  i^iioa  xat  zeXog^  iV*  äantq  t/i^ov  ^iv 
oXov  noi^  %'^v  olneiav  ridovtjv,  d^lov  xrc.),  aber  bei  passender 
Gelegenheit  (136  ff.)  tritt  auch  das  Epos  ein.  Wir  haben 
oben  gesehen,  was  dazu  verleitet  bat,  von  153  an  einen  be- 
sonderen dramatischen  Teil  anzunehmen.  Lehrs,  welcher 
dies  gleichfalls  thut,  bemerkt  dazu,  dass  auch  in  den  allge- 
meinen Vorschriften  eine  Neigung  bestehe,  die  Beispiele  aus 
dem  Drama  vorzugsweise  zu  wählen. 

Wie  wir  oben  bei  drei  Episteln  gefunden  haben,  dass 
sie  in  zwei  Teile  zerfallen,  welche  durch  eine  Partie  ver- 
mittelt werden,  so  ergeben  sich  auch  bei  der  ep.  ad 
Pison.  zwei  Hauptteile,  ein  theoretischer  und  ein 
praktischer.  Man  kann  diese  zwei  Hauptteile  noch 
näher  kennzeichnen  als  griechische  Theorie  und 
römische  Praxis.  Die  Vermittlung  gibt  hier  der 
Abschnitt  über  das  Satyrdrama  (220 — 250).*)  An  dem 
Satyrdrama  gibt  Horaz  ein  Beispiel,  wie  es  der  Dichter  an- 
fangen und  alle  Seiten  beachten  muss,  und  wenn  die  Ver- 
mutung von  Orelli,  dass  die  besondere  Behandlung  dieser 
Dichtungsart  den  älteren  Piso  als  Verfasser  von  Satyrdramen 
im  Auge  habe,  richtig  ist,  so  konnte  allerdings  kein  besserer 
Uebergang  von  der  griechischen  Theorie  zur  Kunstübung 
römischer  Dichter  gewonnen  werden. 

1)  Nur  äusserlich  stimmt  damit  die  Einteilung,  welche  Theodor 
Fritzsche  Philol.  44  S.  90  gibt,  überein.  Nach  seiner  Auffassung  ist 
der  leitende  Gedanke  der  ganzen  Dichtung  von  251  bis  zu  Ende  die 
an  den  älteren  Piso  gerichtete  Warnung,  sein  Vorhaben  Satyrdramen 
zu  schreiben  nicht  als  leichtes  Spiel  zu  betrachten.  So  soll  1—219 
der  vorbereitende  allgemeine,  251  ff.  der  specielle  persönliche  Teil, 
der  Abschnitt  über  das  Satyrdrama  die  Rekapitulation  des  allge- 
meinen Teils  und  der  Kern-  und  Mittelpunkt  der  ganzen  Epistel  sein. 


Wecklein:  Die  Kompositionsweise  des  Uoraz  etc.  411 

Im  allgemeinen  hat  schon  Spengel,  Philol.  18  S.  108 
den  Charakter  der  beiden  Teile  ähnlich  aufgefasst.  Den  In- 
halt des  ersten  Teils  kennzeichnet  er  als  Lehren,  welche  der 
Dichter  einer  Tragödie  und  des  mit  dieser  zusammenhängenden 
drama  satyricum  dem  Inhalte  (89 — 250)  wie  der  Form  nach 
(251 — 274)  zu  beobachten  habe.  „Der  zweite  Teil  dagegen 
zeigt  uns  den  Zustand  der  römischen  Poesie ,  welche  sich 
aus  der  griechischen  entwickelt  hat,  was  in  derselben  die 
römischen  Dichter  geleistet,  was  sie  gefehlt  haben.  Dieses 
gibt  dem  Horaz  Veranlassung,  sein  eigenes  Urteil  über  die 
Poesie  überhaupt  und  die  Poeten  seiner  Zeit  darzulegen 
(275 — 476)."  Auch  Döderlein  unterscheidet  einen  didakti- 
schen (1 — 365)  und  einen  paränetischen  Teil  (366  —  476). 

Michaelis  kommt  in  der  oben  angeführten  Schrift  über 
die  Quellen  des  Horaz  zu  dem  Schluss  (S.  35) ,  dass  der 
Dichter  weniges  aus  Neoptolemos,  einiges  aus  den  Schriften 
des  Piaton  und  Aristoteles,  das  Meiste  von  sich  habe.  Wir 
werden  sagen,  dass  Horaz  im  zweiten  Teile  im  allge- 
meinen selbständig  ist,  dagegen  im  ersten  Teile 
sehr  viel  oder  das  meiste  der  Poetik  des  Neopto- 
lemos verdankt.  Die  Behauptung  von  Orelli :  „Aristotelem 
non  legit  Horatius''  kann  wahr  sein. 

Da  die  richtige  Auffassung  des  Zusammenhangs  vor 
allem  von  der  Erkenntnis  der  leitenden  Gedanken  abhängt, 
welche  der  poetischen  Einkleidung  und  reichen  Ausstattung 
zu  entledigen  sind,  so  will  ich  zum  Schlüsse  versuchen  den 
Inhalt  kurz  zusammenzufassen. 

I.    Griechische  Theorie  (1—219). 

Das  Grundgesetz  einer  Dichtung  wie  irgend  eines  an- 
deren Kunstwerks  ist  organische  Einheit  und  Harmonie  der 
Teile  (1 — 23).  Das  Streben  dem  Werke  einen  einheitlichen 
Charakter   und  eine  bestimmte  Färbung  zu  geben    kann  bei 

1894.  Philos.-pliilol.  u.  bist.  Cl.  3.  28 


412     Sitzung  der  phüos.-phäöl.  Classe  vom  3.  November  1894, 

maDgelndem  Kunstverständnisse  leicht  zu  fehlerhafter  Manie- 
riertheit führen  (24 — 31).  Auch  genügt  es  nicht  bloss  ein- 
zelne Teile  sorgfaltig  auszuarbeiten;  man  muss  der  gleich- 
massigen  Vollendung   des  Ganzen  gewachsen  sein  (32 — 37). 

Um  also  auf  der  Höhe  seiner  Aufgabe  zu  stehen,  muss 
man  bei  der  Wahl  des  Stoffes  vorsichtig  zu  Werke  gehen, 
und  seinen  Kräften  nicht  zu  viel  zumuten.  Sobald  man  den 
Stoff  vollständig  beherrscht,  wird  es  weder  an  der  rechten 
Anordnung  noch  an  der  sprachlichen  Darstellung  fehlen^) 
(38—41). 

Die  Anordnung  hat  ihren  Vorzug  darin,  dass  nichts 
vorweggenommen,  dass  alles  an  der  richtigen  Stelle  gebracht 
wird  (42-44). 

Eine  Hauptwirkung  der  sprachlichen  Darstellung  liegt 
in  der  geschickten  Verbindung  der  Worte,  welche  alli»g- 
lichen  Ausdrücken  eine  originelle  Färbung  geben  kann.  Auch 
die  Bildung  neuer  Ausdrücke  ist  statthaft  zur  Bezeichnung 
neuer  Begriffe.  Nur  muss  man  massvollen  Gebrauch  hievon 
machen  und  aus  dem  Griechischen  schöpfen.  Diejenigen, 
welche  das  verpönen,  verkennen  das  Leben  der  Sprache, 
üeber  die  Geltung  neuer  und  das  Ableben  verbrauchter  Aus- 
drücke entscheidet  allein  der  Sprachgebrauch.  Die  Sprache 
der  Dichtung  ist  eine  metrische.  Das  Versmass  ist  nach  der 
Art  der  Stoffe  verschieden.  Auch  innerhalb  einer  und  der- 
selben Dichtung  wechselt  das  Versmass  nach  der  Verschie- 
denheit der  einzelnen  Formen,  worüber  man  sich  in  genü- 
gender Weise  unterrichten  muss,  und  ebenso  muss  der  Ton 
und  die  Färbung  der  Sprache  nicht  bloss  den  verschiedenen 
Dichtungsarten,  sondern  auch  innerhalb  einer  und  derselben 
Art   den   verschiedenen   Situationen    angemessen   sein.      Die 


1)  Eine  Art  propositio  zum  ersten  Teil,  wenn  einstweilen  auch 
nur  von  der  dispositio  und  elocutio,  nicht  von  der  inventio  ge- 
sprochen wird.    Vgl.  zu  306—308. 


Wecklein:  Die  Kompositionsweise  des  Horcus  etc.  413 

Sprache  muss  aber  auch  die  Erafb  der  üeberzeugung  haben 
und  imstande  sein  Gefühle  und  Empfindungen  zu  wecken. 
Es  kommt  deshalb  darauf  an,  ftir  jede  Seelenstimmung  den 
wirksamen  Ton  zu  finden  und  jeder  Person  die  entsprechen- 
den Gedanken  in  den  Mund  zu  legen.  Denn  der  Gedanken- 
kreis ist  verschieden  nach  Rang,  Alter,  Lebensstellung,  Be* 
ruf,  Herkunft  1)  (45—118). 

Die  Stoffe  sind  entweder  historisch  oder  frei  erfunden. 
Bei  historischen  Personen  hat  man  den  Charakter,  welchen 
sie  in  der  üeberlieferung  und  durch  dieselbe,  wenn  sie  all- 
gemein bekannt  ist,  in  der  Vorstellung  des  Publikums  haben, 
festzuhalten.  Bei  frei  erfundenen  Stoffen  kommt  es  darauf 
an,  einen  inneren  Zusammenhang  der  Handlung  zu  schaffen 
und  den  Charakter  der  Personen  consequent  durchzuführen. 
Es  ist  gefahrlich,  von  der  geläufigen  Form  des  Mythus  ab- 
zuweichen, viel  leichter,  den  Stoff  wie  er  überliefert  ist 
dramatisch  zu  gestalten.^)  Bei  Stoffen,  welche  schon  von 
anderen  behandelt  worden  sind,  wird  man  seine  Selbständig- 
keit dadurch  zeigen,  dass  man  nicht  die  gewöhnliche  An- 
ordnung und  den  geläufigen  Gang  der  Darstellung  einhält, 
nicht  zum  Uebersetzer  wird ,  sondern  frei  gestaltet.  Diese 
Anordnung  des  Stoffes  muss  besonders  zwei  Punkte  ins  Auge 
fassen,  sie  mass  eine  Steigerung  des  Eindrucks  bewirken  und 
den  Hörer  gleich  in  medias  res  einführen.  Was  keine  Wir- 
kung verspricht,  muss  der  Dichter  beiseite  lassen.  Beim 
Hinzudichten  darf  er  den  organischen  Zusammenhang  des 
Ganzen  nicht  aus  dem  Auge  verlieren  (119  — 152). 

Eine    Hauptwirkung    wird    erzielt    durch    naturgetreue 

1)  Ein  Fehler  gegen  diese  Regel  sind  die  philosophischen  Re- 
flexionen im  Munde  von  Ammen  bei  Enripides  Med.  119  ff.,  190  ff.. 
Hipp.  250  ff. 

2)  Ueber  proprie  commonia  dicere  d.  i.  ra  xoiva  ISicog  Xiyetv  vgl, 
den  Vortrag  über  die  Stoffe  und  die  Wirkung  der  griechischen  Tra- 
gödie S.  16. 

28* 


414    Sitzung  der  philos.-phüöl,  Glosse  'oom  3,  November  1894, 

Zeichnung  der  Charaktere.  Andere  Neigungen  und  Bestre- 
bungen zeigt  der  Knabe,  andere  der  Jüngling,  der  Mann, 
der  Greis  (153—178). 

Obwohl  das  wirksamer  ist,  was  der  Zuschauer  mit 
eigenen  Augen  sieht,  müssen  doch  gewisse  drastische  Scenen 
hinter  die  Bühne  verlegt  werden,  um  die  Illusion  nicht  zu 
stören.  —  Ein  Stück  soll  nicht  mehr  und  nicht  weniger  als 
fünf  Akte  haben.  —  Ein  deus  ex  machina  ist  nur  statthaft 
bei  einer  Verwicklang,  deren  Lösung  göttliches  Eingreifen 
erfordert.  —  Auf  der  Bühne  sollen  höchstens  drei  Personen 
sich  am  Gespräch  beteiligen.  —  Der  Chor  hat  eine  Bolle 
wie  ein  Schauspieler.  Die  Chorpartien  sollen  mit  der  Hand- 
lung in  engem  Zusammenhang  stehen.  Der  Chor  soll  auf 
der  Seite  der  Guten  stehen  und  die  Leidenschaft  der  Han- 
delnden beschwichtigen.  Die  Gesänge  desselben  sollen  hohe 
sittliche  Ideen  zum  Ausdruck  bringen.  Der  Chor  muss  ver- 
schwiegen sein  und  das  anvertraute  Geheimnis  bewahren 
(179-201). 

Die  Musik,  im  Anfang  schlicht  und  nur  zur  Begleitung 
des  Gesanges  bestimmt,  wurde  bei  der  grossstädtischen  Ent- 
wicklung und  bei  der  Zunahme  des  ungebildeten  und  zucht- 
losen Publikums  immer  rauschender  und  drängte  sich  immer 
mehr  in  die  erste  Stelle  vor ;  die  Folge  war,  dass  die  Chor- 
gesänge, deren  Text  man  doch  nicht  verstand,  immer  orakel- 
hafter im  Inhalt,  immer  kühner  und  verwegener  im  Aus- 
druck wurden  (202— 2 19).^) 


1)  Merkwördig  ist  die  Inhaltsangabe  dieses  Abschnitts  bei  Lehrs : 
«Es  hat  sich  die  Tragödie  von  kleinen  Anfängen  allmählich  —  und 
dies  kommt  ganz  besonders  im  Chore  zur  Erscheinung  —  zu  einer 
Erhabenheit  und  orakel artigen  Höhe  emporgebildet."  Man  darf  wohl 
sagen,  dass  hieyon  bei  Horaz  nichts  steht. 


WecMein:  Die  Kompositionaweiae  des  Haraz  etc.  415 

Uebergang. 

Eine  besondere  Art  der  griechischen  scenischen  Poesie 
ist  das  Satyrdrama,  welches  Erheiterung  der  Zuschauer  be- 
zweckt, aber  in  Rücksicht  auf  die  vorausgehende  Tragödie 
hierin  Mass  halten  und  die  richtige  Mitte  finden  muss  zwischen 
dem  hohen  Tone  der  Tragödie  und  dem  niederen  der  Ko- 
mödie. (Wer  also  wie  ihr,  Pisonen,  Satyrdramen  dichten 
will,  muss  ein  feines  Taktgefühl  besitzen.)  Die  ernsten  Per- 
sonen des  Satyrdramas  sollen  eine  gewisse  Würde  behaupten 
und  einen  vornehmeren  Ton  anschlagen.  Auch  die  lustigen 
Personen  wie  der  Silen  dürfen  nicht  wie  gemeine  Sklaven 
und  Dirnen  in  der  Komödie  sprechen.  Wenn  die  Ausdrücke 
auch  der  Umgangssprache  entnommen  sind,  können  sie  doch 
durch  geschickte  Verbindung  geadelt  werden  und  sich  über 
das  Alltägliche  erheben.^)  Die  Satyrn  sollen,  ihrer  Herkunft 
aus  der  Wildnis  eingedenk,  sich  nicht  zu  fein  und  stutzer- 
haft benehmen,   dürfen   aber  auch  nicht  unanständige  Zoten 


1)  Teuffei  sieht  in  dem  Abschnitt  220—250  drei  verschiedene 
Fassungen  eines  und  desselben  Gedankens,  von  denen  nur  die  erste 
226 — 233  zur  definitiven  Aufnahme  in  das  Qedicht  bestimmt  gewesen 
sei.  Spengel  (Philol.  18  S.  97  ff.,  33  S.  574  f.)  erkennt  zwar  das  Ver- 
schiedene der  drei  Partien,  will  aber  die  mittlere  234—43  nach  250 
umstellen,  weil  es  ihm  auffallend  erscheint,  dass  Horaz  in  10  Versen 
auseinandersetze,  wie  er  selbst  das  Satyrspiel  in  seinem  unterschied 
von  der  Tragödie  und  Komödie  bearbeiten  würde,  und  dann  erst  den 
Satz  aufstelle,  wie  die  satyri  nicht  reden  sollen,  was  doch  die  nächste 
Beziehung  zu  dem  habe,  was  die  tragische  Person  sprechen  soll.  Aber 
die  Vorschrift,  welche  der  Dichter  in  234 — 43  über  die  Sprache  gibt, 
bezieht  sich  nicht  auf  die  Sprache  des  Satyrdramas  überhaupt,  son- 
dern auf  die  der  ernsten  Personen  und  des  Silen.  Ueber  den  Chor 
der  Satyrn  ist  eine  besondere  Bemerkung  zu  machen,  darum  kommt 
dieser  zuletzt.  Thatsächlich  muss  sich  die  Haltung  und  Sprache  des 
Satyrchors,  der  eigentlich  allein  oder  doch  vorzugsweise  das  aus- 
gelassene Element  im  Satyrdrama  bildet,  wesentlich  von  dem  Be- 
nehmen der  übrigen  Personen  unterscheiden. 


416    Sitzung  der  phüos.-phüol.  Glosse  vom  3.  November  1894. 

reissen.^)  Den  Lazzaronis  mag  dergleichen  gefallen,  aber 
der  Dichter  hat  den  Geschmack  des  gebildeten  Publikums 
zum  Massstab  zu  nehmen  (220—250). 

IL    Römische  Praxis  (251—476). 

Freilich  fehlt  auch  dem  gebildeten  Römischen  Publikum 
der  feine  Formensinn.  Darauf  sündigen  unsere  Dichter.  Sie 
kennen  nicht  einmal  die  einfachsten  Regeln  des  Versmasses, 
z.  B.  dass  im  Trimeter  in  geraden  Füssen  ein  reiner  Jambus 
stehen  muss.  Daran  leiden  die  gefeierten  Verse  eines  Accius 
und  mit  Unrecht  werden  die  schwerfälligen  Trimeter  des 
Ennius  bewundert,  mag  nun  Unkenntnis  der  Regeln  oder 
mangelnde  Sorgfalt  daran  Schuld  tragen.  Die  Verse  des 
Plautus  sind  ebenso  kunstlos  wie  seine  Witze  unfein.  Wir 
müssen  uns  in  Bezug  auf  die  Form  die  Griechen  zum  Muster 
nehmen.  Die  Griechen  haben  das  Drama  von  seinen  ersten 
Anfangen  bis  zu  dem  Drama  ohne  Chor  ausgebildet  und  die 
römischen  Dichter  sind  in  ihre  Fusstapfen  getreten,  haben 
es  auch  durch  Aufnahme  nationaler  StofiFe  zu  einer  gewissen 
Selbständigkeit  gebracht.  Gewiss  würden  sie  hinter  den 
Griechen  nicht  zurückgeblieben  sein,  wenn  sie  sich  nicht 
sorgfaltiges  Ausfeilen  und  lange  Arbeit  yerdriessen  liessen. 
Aber  man  bildet  sich  ein,  dass  geniales  Wesen  der  Mühe 
des  Studiums  und  des  Ausfeilens  überhebe.  Und  das  geniale 
Wesen  sucht  man  in  Aeusserlichkeiten.  Wenn  es  so  leicht 
wäre,  könnte  auch  ich  ein  Dichter  werden.  Aber  lieber  nicht! 
Drum  will  ich  eine  Art  Wetzstein  machen,  der  ohne  zu 
schneiden  schärft;  ich  will,  ohne  selbst  zu  dichten,  andere 
über   ihre   Pflicht  und  Aufgabe   unterrichten,    wie   sie   sich 


1)  Gut  gibt  den  Inhalt  dieser  Verse  Ribbeck  wieder:  , Weder 
der  pöbelhafte  Jargon  der  Gasse  noch  die  gezierte  Feinheit  des  auf 
dem  Forum  der  Weltstadt  heimischen  Elegants  würde  Naturkindem 
wie  den  Faunen  zusagen." 


Weehlein:  Die  Kompositionsweise  des  Horaz  etc,  417 

vorzubereiten  und  auszubilden  haben,  welcher  Weg  zum 
Rechten,  welcher  in  die  Irre  führt  ^)  (251-308). 

Vor  allem  rauss  sich  der  Dichter  ein  gründliches  philo- 
tophisches  Wissen  aneignen,  damit  seine  Poesie  gehaltvoll 
wird.  Ihrer  idealen  Erziehung  und  Ausbildung  verdanken 
die  Griechen  die  hohe  Vollendung  ihrer  Poesie,  während^  das 
realistische  Schulwesen  der  Römer  nicht  geeignet  ist  den 
ästhetischen  Sinn  zu  wecken  und  zu  fördern.  Aus  der  Philo- 
sophie muss  der  Dichter  die  Gedanken  einer  hohen  Lebens- 
anschauung schöpfen;  denn  mit  der  poetischen  Form  allein 
kann  er  nur  der  unreifen  Jugend  gefallen;  das  gereiftere 
Alter  fordert  einen  bedeutenden  inneren  Gehalt  (309 — 346). 

Obwohl  man  manche  Fehler  verzeiht  —  freilich  ist 
schon  die  Nachsicht  der  Fehler  ein  Kennzeichen  geringer 
Achtung*)  —  und  obwohl  nicht  an  jedes  Gedicht  der  gleiche 
Massstab  angelegt  wird,^)  so  verlangt  man  doch  von  einem 
Kunstwerk,  weil  es  das  Wohlgefallen  zum  Zweck  hat,  die 
höchste  Vollkommenheit.  Denn  bei  dem  geringsten  Miss- 
fallen, welches  es  erregt,  verfehlt  es  seinen  Zweck.  Wer  das 
nicht  leisten  kann,  soll  das  Dichten  bleiben  lassen  oder 
wenigstens  nichts  veröffentlichen.  Was  zur  Veröffentlichung 
bestimmt  ist,  muss  einer  langen  und  sorgfältigen  Prüfung 
und  Ausfeilung  unterzogen  werden.  Wenn  einer  die  hohe 
Kulturaufgabe  der  Poesie  kennt,  wenn  er  beherzigt,  dass  die 


1)  Die  V.  306—308  bilden  eine  Art  propositio  zum  zweiten,  wie 
38 — 41  zam  ersten  Teil. 

2)  Ribbeck  verlangt  in  V.  358  at  für  et:  «Mit  et  würde  eine 
Inconsequenz  angedeutet  werden,  welche  zwischen  dem  verächtlichen 
Urteil  über  Chörilua  und  der  Reizbarkeit  gegen  Homerische  Schwächen 
bestehe;  vgl.  sat.  11  3,  309.  7,  23.  Davon  aber  kann  keine  Rede  sein. 
Nur  dass  das  eine  vollkommen  berechtigt,  das  andere  hingegen  höchst 
ungerecht  sein  würde,  will  Horaz  sagen.  Dazu  aber  bedurfte  es  einer 
Adversativpartikel,  at.*  Aber  bei  dem  Gedanken  «Nachsicht  ist  schon 
Geringschätzung*  ist  et  ganz  am  Platze. 

3)  Z.  B.  darf  sich  eine  KomOdie  mehr  erlauben  als  eine  Tragödie. 


418    Sitzung  der  phüosrphüol,  Clcisse  vom  3.  November  1894, 

Dichter  die  Lehrer  des  Volkes  sein  sollen,  dann  wird  er 
nicht  glauben,  dass  er  seine  Mühe  an  einen  unwürdigen 
Gegenstand  verschwende.  Die  Frage  also,  ob  Studium  und 
Arbeit  oder  Genie  den  Dichter  ausmacht,  lässt  sich  leicht 
lösen.  Das  eine  ist  so  notwendig  wie  das  andere.  Drum 
sollten  unsere  Dichter  yor  allem  die  Arbeit  nicht  scheuen 
(347—418). . 

Aber  weil  man  die  Arbeit  nicht  will,  der  allein  wahrer 
Dichterruhm  blüht,  so  begnügt  man  sich  mit  dem  Scheine 
des  Dichterruhms,  welchen  das  erkaufte  Lob  der  Schmeichler 
bietet,  uns  thut  vor  allem  eine  sachkundige  und  unbe- 
fangene, unabhängige  Kritik  not.  Diese  allein  könnte  uns 
von  dem  tollen,  lächerlichen  und  lästigen  Treiben  unserer 
Dichterlinge,  welche  sich  mit  ihren  Vorlesungen  aufdrängen, 
erlösen  (419—476). 

Dieser  Zusammenhang  der  Gedanken  sieht  nicht  darnach 
aus,  als  ob  er  aus  ungeordneten  Papieren  des  Horaz  her- 
stammte. Aus  solchen  leitet  M.  Schmidt  die  überlieferte 
Ordnung  der  Sätze  her,  um  über  die  Schwierigkeit  wegzu- 
kommen, dass  Quintilian  VIII  3,  60  die  ersten  Verse  der 
Epistel,  denen  er  selbst  nach  dem  Vorgang  Riccobonis  einen 
anderen  Platz  anweist,  mit  den  Worten  in  prima  parte 
libri  de  arte  poetica  als  Anfang  bezeugt. 


Historische  Classe. 

Herr  Lossen  hielt  einen  Vortrag: 

^lieber  Nuntiaturberichte  und  andere  Akten  * 

des  Vatikanischen  Archivs    als  Quellen  der 
Geschichte  des  Kölnischen  Kriegs.* 


419 


Oeffentliche  Sitzung 

ZU  Ehren   Seiner  Majestät    des    Königs    und    Seiner 
Königlichen  Hoheit  des    Prinz-Regenten 

am  15.  November  1894. 


Der  Präsident  der  Akademie,  Herr  M.  v.  Pettenkofer, 
eröffiiet  die  Sitzung  mit  folgender  Ansprache: 

Entsprechend  der  Qeschäftsordnung  der  kgl.  bayer.  Aka- 
demie der  Wissenschaften  finden  jährlich  zwei  öffentliche 
Sitzungen  statt,  zu  welchen  nicht  nur  Eingeladene,  sondern 
Jedermann  Zutritt  hat;  die  eine  an  einem  sogenannten  Königs- 
tage, zu  Ehren  ihres  Protectors,  die  andere  an  ihrem  Stif- 
tungstage. Die  heutige  Festsitzung  gilt  unserm  durchlauch- 
tigsten derzeitigen  Protector,  Seiner  königlichen  Hoheit  dem 
Prinz-Regenten  Luitpold  von  Bayern,  der  in  diesem  Saale 
ebenso  wohlwollend  zu  uns  niederschaut,  wie  wir  alle  ehr- 
furchtsvoll und  dankbar  zu  ihm  aufechauen. 

Zunächst  sei  mir  gestattet,  einige  Thatsachen  mitzu- 
theilen,  ans  welchen  hervorgeht,  wie  unablässig  unser  Pro- 
tector und  seine  Staatsregierung  für  die  Akademie  und  für 
die  wissenschaftlichen  Sammlungen,  welche  mit  der  Akademie 
verbunden  sind,  Sorge  tragen,  und  nebstdem  auch  zu  er- 
wähnen, was  von  anderen  Seiten  geschehen  ist,  die  Zwecke 
der  Akademie  und  des  Oeneralconservatoriums  zu  fordern. 


420  Oeffentliche  Sitzung  vom  15.  Noveniber  1894. 

Dann  wird  durch  die  HH.  Glassensecretäre  die  Ver- 
kündigung der  von  Seiner  königlichen  Hoheit  bestätigten 
Wahlen  neuer  Mitglieder  folgen  und  schliesslich  Hr.  College 
Professor  Dr.  Sohncke  die  Festrede  über  einen  allgemein 
interessirenden  Gegenstand,  über  die  Bedeutung  wissenschaft- 
licher Ballonfahrten,  halten. 

Als  ich  im  vorigen  Jahre  an  dieser  Stelle  über  aka- 
demische Ereignisse  der  vorangegangenen  Zeit  berichtete,  ge- 
dachte ich  auch  unseres  an  den  damals  versammelten  Landtag 
gerichteten  Antrages,  der  Akademie  ein  Capital  von  etwa 
500  000  eA  oder  einen  jährlichen  Zuschuss  von  20  000  «4[  zu 
bewilligen,  um  damit  wissenschaftliche  Unternehmungen  der 
drei  Classen  unserer  Akademie  zu  ermöglichen.  Regienmg 
und  Landtag  haben  in  dankenswerther  Weise  wenigstens 
einen  Theil  dieses  Antrages  sich  angeeignet  und  einen  auf 
20  Jahre  berechneten  jährlichen  Zuschuss  von  5000  cM  be- 
willigt, um  damit  die  Kosten  der  von  unserer  Akademie  im 
Bunde  mit  den  anderen  grossen  wissenschaftlichen  Körper- 
schaften Deutschlands  und  Oesterreichs  geplanten  und  bereits 
begonnenen  Bearbeitung  eines  neuen  grossen  lateinischen 
Wörterbuches  (Thesaurus  linguae  latinae)  zu  bestreiten. 
Seither  haben  die  hiefür  verbundenen  fünf  Körperschaften 
eine  eigene  Commission  für  dieses  Unternehmen  gebildet, 
zu  dereu  thätigsten  Mitgliedern  eines  der  Mitglieder  unserer 
philosophisch-philologischen  Classe,  Prof.  Dr.  v.  Wölfflin, 
gehört. 

Wir  erneuern  den  Ausdruck  unseres  lebhaften  Wunsches, 
dass  insbesondere  den  naturwissenschaftlichen  Disciplinen 
weitere  hochherzige  Spenden  des  künftigen  Budgetlandtages 
zu  Hülfe  kommen  möchten. 

Der  neu  begründete  Verband  wissenschaftlicher  Körper- 
schaften hat  seither  zwei  weitere  Delegirten- Versammlungen 
gehalten,  die  erste  im  Mai  dieses  Jahres  in  Göttingen,  die 
andere   im    September    in    Innsbruck.      Auf  beiden    wurde 


^ 


V.  Pettenkofer:  Eröffnungsrede,  421 

namentlich  der  Plan  eines  weiteren  gemeinsamen  wissen- 
schaftlichen Unternehmens ,  gleichartig  organisirte  Unter- 
suchungen über  den  Zusammenhang  der  Erdschwere  mit  den 
tektonischen  Verhältnissen  der  Erdrinde,  berathen.  In  Got- 
tingen wurde  beschlossen,  zu  diesem  Zwecke  mit  der  seit 
Jahren  bestehenden  internationalen  Commission  für  Erd- 
messung, an  der  auch  unsere  Akademie  durch  eine  eigene 
standige  Commission  betheiligt  ist,  in  Verbindung  zu  treten. 
Das  ist  nun  auch  in  Innsbruck  geschehen  und  hat  dahin 
geführt,  dass  die  vom  5.  bis  12.  September  dort  tagende 
permanente  Commission  der  internationalen  Erdmessung  sich 
bereit  erklärte,  dahin  zu  wirken,  dass  aus  ihrem  Schoosse 
eine  eigene  Section  för  das  Studium  der  Schwere  sowohl 
nach  ihrer  Intensität,  wie  auch  nach  ihrer  Richtung  gebildet 
werde,  von  welcher  Section  durch  Beiziehung  von  Geologen 
auch  die  einschlägigen  geologischen  und  geophysischen  Pro- 
bleme bearbeitet  werden  könnten. 

Von  den  vom  bayerischen  Landtag  ftlr  die  Zwecke  der 
Akademie  und  der  mit  ihr  verbundenen  wissenschaftlichen 
Sammlungen  des  Staates  weiterhin  neubewilligten  Summen 
sind  besonders  hervorzuheben:  der  Betrag  von  168000  e^ 
für  den  vollständigen  Umbau  der  Gewächshäuser  im  Botani- 
schen Garten  und  für  die  neue  Einrichtung  des  Botanischen 
Instituts,  weiter  die  für  den  Neubau  des  Physiologischen 
Hörsaales  und  den  Umbau  des  Physiologischen  Instituts  be- 
willigte Summe  von  162000  e^. 

Kleinere  Beträge,  zusammen  etwa  9400  oM,  wurden  für 
Einrichtung  oder  Ausstattung  des  Botanischen  Instituts, 
dann  der  mathematisch-physikalischen,  der  geologischen  und 
der  mineralogischen  Sammlung  im  ausserordentlichen  Etat 
bewilligt.  Der  ordentliche  Etat  der  zoologischen  Sammlung 
wurde  um  jährlich  1714  e/Ä  erhöht. 

Mit  Bedauern  muss  ich  erwähnen,  dass  der  Conservator 
der    mathematisch -physikalischen     Sammlung,     Geheimrath 


422  Oeff entliche  Sitzung  vom  15,  November  1894. 

Professor  Dr.  v.  Boltzmann,  schon  nach  einer  Wirksam- 
keit von  drei  Jahren  ans  wieder  verlassen  hat,  um  einem 
höchst  ehrenvollen  Ruf  in  seine  Heimath,  nach  Wien,  zu 
folgen.  Die  Akademie  kann,  gleich  der  mit  ihr  zu  ein- 
trächtigem Wirken  verbundenen  Ludwigs-Maximilians-Üni- 
versität,  nur  den  Wunsch  und  die  Hoffnung  aussprechen, 
dass  recht  bald  ein  dieses  Vorgängers  würdiger  Nachfolger 
sich  finden  möge. 

Eine  wesentliche  Aenderung  ist  auch  bei  dem  bis  in 
die  jüngste  Zeit  mit  dem  k.  MGnzcabinet  durch  eine  Art 
von  Personalunion  verbundenen  Museum  von  Abgüssen 
classischer  Bildwerke  erfolgt,  indem  nach  dem  Rücktritt  des 
inzwischen  verstorbenen  Conservators  der  beiden  Sammlungen, 
des  Geheimen  Raths  Professor  Dr.  v.  Brunn,  das  von  ihm 
begründete  Museum  von  Gypsabgüssen  unter  dem  neuen 
Professor  der  Archäologie  an  der  Universität  München, 
Professor  Dr.  Furtwängler,  zum  Range  eines  selbstän- 
digen Conservatoriums  erhoben  und  damit  einem  von  seinem 
Gründer  seit  langen  Jahren  gehegten  Wunsch  entsprochen 
wurde. 

Aus  dem  der  Akademie  gehörenden,  hauptsächlich  der 
Vermehrung  unserer  wissenschaftlichen  Sammlungen  dienen- 
den, leider  nur  allzu  kleinen  sogen.  Mannheimer  Reserve- 
fonds haben  seit  meinem  letzten  Bericht  die  paläontologische 
Sammlung,  das  Botanische  Institut,  das  Antiquarium  und 
die  mathematisch-physikalische  Sammlung  bescheidene  Zu- 
schüsse erhalten,  theils  zur  Vermehrung  der  Sammlungen, 
theils  zur  Anschaffung  von  Instrumenten.  Sollte  der  nächste 
Landtag  unserer  Bitte  um  Gründung  eines  neuen  akademi- 
schen Fonds  Gehör  schenken,  so  würde  uns  damit  die 
Möglichkeit  geboten,  diese  und  andere  ebensosehr  der  all- 
gemeinen Volksbildung  wie  dem  strengen  wissenschaftlichen 
Studium  dienende  Sammlungen  auf  eine  Stufe  zu  heben, 
welche  den  verwandten  Instituten  anderer  Staaten  entspricht. 


^ 


V.  Pettenhofer:  Eröffnungsrede.  423 

Inzwischen  freuen  wir  uns,  wenn  hin  und  wieder  — 
und  geschähe  es  nur  in  zehnfach  höherem  Maassstab !  —  der 
patriotische  und  wissenschaftliche  Eifer  von  einzelnen  Pri- 
vaten unsere  Staatssammlungen  bedenkt.  Von  dem,  was  im 
letzten  Jahre  auf  diese  Weise  denselben  zugekommen  ist, 
gedenke  ich  dankbar  der  Geschenke,  welche  unsere  Lands- 
leute, der  kaiserliche  Qouverneur  von  Kamerun,  Eugen 
V.  Zimmerer,  dann  Herr  Hofrath  Dr.  Martin  in  Sumatra, 
weiter  der  Afrikareisende  Dr.  Holub  in  Wien  dem  ethno- 
graphischen Museum  und  der  zoologischen  Sammlung  ge- 
macht haben.  —  Hoch  «willkommen  waren  auch  schöne  Ge- 
schenke, mit  welchen  die  HH.  Apotheker  Burger  und 
Zeichnungslehrer  Heinrich  Morin  dahier,  sodann  Professor 
Selenka  in  Erlangen  und  Apotheker  Wispauer  in  Singa- 
pore  die  zoologische  Sammlung  bedacht  haben. 

Die  zoologische  Sammlung  hat  ihrerseits  gern  zur  wei- 
teren Verbreitung  naturwissenschaftlicher  Kenntnisse  im 
Lande  beigetragen  dadurch,  dass  sie  entbehrliche  Doubletten 
verschiedenen  Gymnasien  und  anderen  Mittelschulen  zu- 
theilte. 

Auf  ihrem  engeren  Arbeitsgebiet  hat  die  Akademie 
auch  im  vergangenen  Jahre  besonders  nach  zwei  Richtungen 
hin  sich  thätig  erwiesen:  einerseits  durch  eigene  wissen- 
schaftliche Publicationen  philosophisch-philologischer,  mathe- 
matisch-physikalischer und  historischer  Art,  andererseits  durch 
Pflege  eines  sehr  ausgedehnten  Schrifbentausches  mit  zahl- 
reichen anderen  wissenschaftlichen  Instituten  und  Körper- 
schaften —  ein  Tausch,  welcher  insbesondere  der  kgl.  Hof- 
und  Staatsbibliothek  zu  gute  kommt,  der  wir  nach  altem 
Herkommen  alle  uns  nicht  doppelt  zugehenden  Publicationen 
überreichen. 

Von  den  speciellen  Unternehmungen  unserer  Akademie 
gedenke  ich  heute  auch  noch  des  seit  einer  Reihe  von  Jahren 
theils  durch  Geldmittel,  theils  durch  Arbeitskräfte  der  Aka- 


424  OeffentUche  SUeung  vom  15.  November  1894. 

demie  geförderten  Werkes,  der  Herstellung  einer  hydro- 
graphischen Karte  des  Bodensees,  eines  Unternehmens,  zu 
dem  sich  die  fünf  Uferstaaten  verbunden  hatten  und  welches 
nun  Anfangs  dieses  Jahres  zu  einem  gewissen  Abschluss 
gelangt  ist.  Die  gemeinsamen  Kosten  beliefen  sich  bis 
dahin  auf  etwa  56000  Francs;  auf  Bayern,  d.  h.  auf  unsere 
Akademie,  trafen  davon  etwa  7300  Francs  oder  5800  e/4(, 
ungerechnet  die  von  uns  besonders  gedeckten  Reisekost-en 
einzelner  Mitarbeiter  an  dem  schönen  Unternehmen.  Wenn 
wir  uns  dabei  erinnern ,  wie  schwer  es  uns  manchmal 
gewesen  ist,  einen  an  sich  so  kleinen  Betrag  an  unsem 
laufenden  jährlichen  Ausgaben  gleichsam  abzusparen,  so 
müssen  wir  immer  wieder  mit  einem  gewissen  Neid  unserer 
Genossinnen  zu  Berlin  und  Wien  gedenken,  welche  für  sich 
allein  zehnmal  grössere  wissenschaftliche  Unternehmungen  in 
die  Hand  nehmen  und  zu  Ende  führen  können. 

Ich  möchte  desshalb  schliesslich  hier  noch  beifügen, 
dass  die  reichen  Mittel,  welche  anderen  Akademien  zu  Gebote 
stehen,  nicht  allein  vom  Staate  kommen,  sondern  dass  an- 
sehnliche Theile  auch  aus  Schenkungen  von  Personen  stam- 
men, welche  unaufgefordert  wissenschaftliche  Forschungen 
und  Werke  grossmüthig  zu  unterstützen  streben.  So  besitzt 
z.  B.  die  Wiener  Akademie  durch  mehrere  testamentarische 
Verfügungen  ein  Capital  von  nahezu  200  000  Gulden  öster- 
reichischer Währung,  d.i.  gegen  400  000  e/Ä,  dessen  Zinsen 
sie  im  Sinne  der  Stifter  für  verschiedene  wissenschaftliche 
Zwecke  verwenden  kann.  Unsere  Akademie  hat  nur  ein 
einziges  Mal  einen  reichen  Geber  gei^nden ,  der  aber  kein 
Münchener,  auch  kein  Bayer,  noch  aus  einem  anderen  Theile 
von  Deutschland  ist.  Im  Jahre  1877  schenkte  uns  ein 
Grieche,  der  Bankier  Hr.  Christakis  Zographos,  zur  Förde- 
rung des  Studiums  der  griechischen  Sprache  und  Literatur 
ein  Capital  im  Betrage  von  25  000  Francs  oder  20  000  eJi. 
Mit  den  Zinsen   von   diesem  Capitale  konnten  Preisaufgaben 


k 


V.  Pettenkofer:  Eröffnungsrede,  425 

gestellt  und  die  rühmlichst  gelösten  honorirt  werden.  Zwei 
der  Preisträger,  die  HH.  Oberhummer  und  Erumbacher, 
wurden  dadurch  veranlasst,  Reisen  nach  Griechenland  imd 
in  den  Orient  zu  unternehmen  und  seltene  Handschriften  in 
auswärtigen  Bibliotheken  zu  untersuchen.  Der  Zographos- 
Fonds  gehört  ausschliesslich  unserer  philosophisch -philolo- 
gischen Glasse  zur  Verwendung;  aber  auch  die  historische 
Glasse  und  namentlich  die  mathematisch-physikalische  hätte 
viele  Wünsche  und  Aufgaben,  die  weder  durch  den  Zographos- 
Fonds,  noch  durch  den  Thesaurus  linguae  latinae  gefördert 
werden  können. 


Sodann  erfolgte  die  Verkündigung  der  durch  die  Aka- 
demie am  14.  Juli  1.  J.  vollzogenen  und  von  Sr.  Egl.  Hoheit 
dem  Prinzregenten  unter  dem  11.  November  bestätigten 
akademischen  Neuwahlen. 

Es  wurden  gewählt  und  bestätigt: 

für  die  philosophisch-philologische  Glasse: 

als  ordentliches  Mitglied: 

Herr  Dr.  Iwan  von  Müller,  Professor  der  class.  Philologie 
und  Pädagogik  an  hiesiger  Universität; 

für  die  historische  Glasse: 

als  correspondirendes  Mitglied: 

Herr  Dr.  Joseph  Langen,  Professor  der  Eirchengeschichte 
an  der  Universität  Bonn. 


l 


426  Oe/fentliche  Sitzung  wm  15.  November  1894, 

Hierauf  hielt  das  ordentliche  Mitglied  der  mathematisch- 
phisikalischen  Classe,  Professor  Dr.  Leonhard  Sohncke, 
die  Festrede 

„Ueber    die    Bedeutung    wissenschaftlicher 

Ballonfahrten/ 

Dieselbe  ist  bereits  als  besondere  Schrift  im  Verlag  der 
k.  Akademie  erschienen. 


427 


Sitzung  vom  1.  Dezember  1894. 

Herr  Krumbacher  hielt  einen  Vortrag: 
»Ueber  Michael  Qlykas." 
Derselbe  wird  weiter  unten  veröffentlicht. 


Herr  Maurer  hielt  einen  Vortrag  über: 
«Ein  neues  Bruchstück  von  Södermannalagen.'' 

Ende  Juli  dieses  Jahres  erfreute  mich  unser  auswärtiges 
Mitglied,  Professor  Dr.  Wilhelm  Meyer  in  Göttingen,  durch 
die  überraschende  Mittheilung ,  dass  sich  unter  den  Frag- 
menten, welche  Wilhelm  Müller  dem  dortigen  Deutschen 
Seminare  vermachte,  ein  solches  von  Södermannalagen  befinde. 
Nachdem  C.  J.  Schlyter  durch  mehr  als  fünfzigjährige  emsige 
Arbeit  sein  „Corpus  juris  Sueo-Gotorum  antiqui**  fertig  ge- 
stellt hatte  (1827 — 77),  war  kaum  noch  eine  Bereicherung 
des  handschriftlichen  Materiales  für  die  altschwedischen  Rechts- 
quellen zu  erwarten  gewesen;  um  so  vollkommener  war  mir 
der  Nachweis  eines  neuen  Fundes,  zumal  da  er  ein  B>echts- 
buch  betrifft,  um  dessen  handschriftliche  Ueberlieferung  es 
ziemlich  dürftig  bestellt  ist.  Ich  wandte  mich  sofort  an 
Herrn  Professor  Dr.  Moriz  Heyne  als  an  den  ersten  Vor- 
stand des  genannten  Seminars  mit  der  Bitte,  mir  die  Be- 
nützung und  Veröffentlichung  jenes  Fragmentes  gestatten  zu 
wollen.  Von  Göttingen  abwesend,  hatte  dieser  die  Güte, 
mein  Ansuchen  dem  zweiten  Seminarvorstande,  Herrn  Prof. 
Dr.  Gustaf  Roethe,  zu  übermitteln,  und  von  diesem  wurde 
das  fragliche  Bruchstück  sofort  mit  der  freundlichsten  Zuvor- 
kommenheit  an   die   hiesige  Kgl.  Hof-  und  Staatsbibliothek 

1894.  Philo«. -philol.  u.  hiBt.  CI.  .3.  29 


428     Sitzung  der  phüos.'phüöl.  Ölasse  vom  1.  Dezember  1894, 

geschickt,  auf  deren  Handschriftenzimmer  ich  dasselbe  mit 
Erlaubniss  des  Herrn  Directors  Dr.  Georg  Laubmann  und 
gefalh'gst  gefördert  durch  unser  Mitglied,  Herrn  Bibliothekar 
Friedrich  Keinz,  mit  aller  Bequemlichkeit  benützen  konnte. 
Ihnen  Allen  spreche  ich  für  die  mir  gütigst  gewährte  Unter- 
stützung hiemit  meinen  verbindlichsten  Dank  aus. 

üeber  die  Herkunft  des  Fragmentes  vermag  ich 
keinen  genügenden  Aufschluss  zu  ertheilen.  Nach  Mitthei- 
lungen, welche  ich  Herrn  Professor  Roethe  verdanke,  scheint 
dasselbe  von  Dr.  Volger  in  Wölfinghausen  bei  Eldagsen  an 
den  früheren  Oberbibliothekar  Hoeck  in  Göttingen,  und  von 
diesem  an  Professor  Wilhelm  Müller  gegeben  worden  zu  sein; 
Volger  aber  dürfte  dasselbe  entweder  aus  dem  Kloster  Ebstorf, 
oder  aus  der  Amtsregistratur  zu  Winsen  an  der  Luhe  er- 
worben haben.  Indessen  beruhen  diese  Angaben  nur  auf 
mehr  oder  minder  wahrscheinlichen  Vermuthungen  und  können 
somit  auf  volle  Zuverlässigkeit  keinen  Anspruch  erheben. 

Eine  kurze  Beschreibung  der  Handschrift  gab  mir 
bereits  bei  seiner  erster  Mittheilung  Professor  W.  Mejer  mit 
folgenden  Worten:  „1  Doppelblatt,  Pergament,  je  18 ^/a  cm 
hoch,  und  noch  11  ^a  cm  breit,  22  Zeilen,  roth  und  blau 
rubricirt,  14.  Jahrhundert,  schwedisch,  Södermannalagen 
(VI.  Bygninga  Balker,  7.  Anfang  —  9.  Mitte).**  Ich  glaube 
dieser  Angabe  noch  Folgendes  beifügen  zu  sollen.  Die  beiden, 
ursprünglich  doch  wohl  zusammenhängenden,  Blätter  der  Hs. 
sind  jetzt  von  einander  getrennt,  und  an  ihrem  inneren  Rande 
so  scharf  beschnitten,  dass  auf  IIa  die  Anfangsbuchstaben, 
und  auf  Ib  sowie  IIb  die  Endbuchstaben  mehrerer  Zeilen 
ganz  oder  theilweise  weggeschnitten  sind.  Ich  habe  in  dem 
folgenden  Abdrucke  das  Weggefallene  ergänzt,  aber  die  Er- 
gänzung durch  Klammern  bemerklich  gemacht.  —  Das  erste 
Blatt  hat  ferner  nicht  nur  in  dem  unbeschriebenen  äusseren 
Bande  einen  grösseren  Längeriss,  sondern  auch  einen  kleineren 
solchen    in   dem    beschriebenen   inneren    Rande;    das   zweite 


k 


Maurer:  Ein  neues  Bruchstüclc  von  SödermanncUagen,        42d 

Blatt  dagegen  zeigt  zwischen  der  11.  nnd  12.  Zeile  einen 
bis  in  die  Mitte  des  Blattes  hineinreichenden  Querriss,  nnd 
ausserdem  ist  auf  dessen  Vorderseite  auch  noch  ein  Theil  der 
12.  Zeile  stark  abgewetzt.  Durch  diese  wie  jene  Verletzungen 
wird  die  Lesung  einzelner  Worte  etwas  erschwert.  —  Die 
Hs.  ist  linirt  und  zwar  sind  die  3  obersten  und  untersten 
Linien  auch  über  den  Aussenrand  gezogen,  während  die 
übrigen  nur  bis  zu  einer  senkrecht  auf  diesem  stehenden 
Randlinie  reichen.  Die  Columnentitel  und  die  Capitelüber- 
schriften  sind  roth  geschrieben;  die  grossen  Initialen,  mit 
welchen  die  Capitel  beginnen,  zeigen  in  dem  einen  der  beiden 
vorkommenden  Fälle  rothe  (Ib,  Z.  7),  im  anderen  aber  rothe 
und  blaue  Farbe  (IIb,  Z.  13).  Innerhalb  der  einzelnen 
Capitel  finden  sich  einige  Male  Paragraphenzeichen  an  die 
Spitze  neuer  Sätze  gestellt  und  zwar  sind  diese  zumeist  mit 
rother  (la,  Z.  3;  Ib,  Z.  21;  IIa,  Z.  3),  in  einem  Falle  aber 
mit  blauer  Farbe  geschrieben  (la,  Z.  5).  Endlich  werden 
auch  die  Anfangsbuchstaben  der  einzelnen  Sätze  zumeist 
durch  einen  rothen  Fleck  in  denselben  hervorgehoben  (so  in 
den  Worten:  Alle,  Vm,  Hwar,  Hwar,  Stissl,  Maelse,  Sighia, 
Nu,  Synis  in  la,  Z.  1,  3,  4,  7,  9,  11,  12,  17,  20;  dann  Ei, 
Ligger,  Falz,  Alle,  in  Ib,  Z.  3,  8,  19,21;  ferner  in  Gita, 
Nu,  Ra|)e  und  Sighia,  Aker,  Ganger,  Hwem,  Falz,  Nu,  Aker, 
Stande,  Later  in  IIa,  Z.  2,  3,  7,  8,  11,  13,  14,  15,  17,  18,  21; 
endlich  in  Gange,  Stiael,  Taker,  Kan,  Tiu|)rar,  FsBller,  Tiu|>ra, 
in  IIb,  Z.  2,  3,  sowie  5,  6,  7,  8  u.  9,  dann  10  u.  12,  femer 
16,  18,  20,  sowie  20  u.  22),  einmal  aber  auch  durch  einen 
solchen  von  blauer  Farbe  (Nu,  in  la,  Z.  5);  nicht  selten 
bleibt  aber  der  grosse  Anfangsbuchstabe  eines  Satzes  auch 
ohne  jede  derartige  Auszeichnung. 

Bezüglich  des  Alters  des  Bruchstückes  dürfte  die 
von  unserem  erfahrenen  Handschriftenkenner  mir  mitgetheilte 
Zeitbestimmung  sich  vielleicht  noch  etwas  enger  begrenzen 
lassen.    Wir  wissen  aus  einer  am  8.  Maerz  1347  ausgestellten 

29* 


^30    Sitzung  der  phÜos.'pkUol.  Claase  vom  1.  Dezember  1894. 

Urkunde^),  dass  damals  das  gemeine  Landrecht  des  Königs 
Magnus  Eriksson  wenn  nicht  fertig,  so  doch  seiner  Fertig- 
stellung schon  sehr  nahe  gertickt  war;  wir  besitzen  femer 
zwei  Hss.  dieses  Landrechts,  welche  schon  um  die  Mitte  des 
14.  Jahrhunderts  geschrieben  sind^),  und  überdiess  hat 
Schlyter  bereits  durch  eine  Reihe  gleichzeitiger  Urkunden 
dargethan^),  dass  dieses  Landrecht  schon  im  Jahre  1352  in 
üpland,  in  den  Jahren  1352,  1353  und  1354  in  Oestergöt- 
land,  sowie  im  Jahre  1358  in  Södermannland  selbst  als 
kürzlich  eingeführtes  geltendes  Recht  bezeichnet  wurde.  Der 
kirchenrechtliche  Abschnitt  des  gemeinen  Landrechtes  gelangte 
in  Folge  des  hartnäckigen  Widerspruches,  welchen  ihm  der 
Episkopat  entgegenstellte,  nicht  zur  Annahme,  und  auf 
kirchenrechtlichem  Gebiete  blieben  demnach  die  älteren  Pro- 
yincialrechte  auch  fernerhin  in  Geltung,  wesshalb  denn  auch 
deren  kirchenrechtliche  Abschnitte  nach  wie  vor  fleissig  ab- 
geschrieben wurden;  insbesondere  auch  vom  Kirkiu  Balker 
des  SML.  ist  eine  grosse  Zahl  von  Pergament-  und  Papier- 
handschriften erhalten.  Dagegen  ist  nicht  wahrscheinlich, 
dass  die  weltlichen  Bestandtheile  dieses  Rechtsbuches  noch 
zu  einer  Zeit  sollten  abgeschrieben  worden  sein,  in  welcher 
sie  bereits  durch  jenes  neuere  Gesetzbuch  um  ihre  Geltung 
gebracht  worden  waren,  und  wird  man  somit  auch  die  Ent- 
stehung der  Hs.,  deren  letzten  Ueberrest  unser  Fragment 
bildet,  vor  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  setzen  müssen, 
welcher  Zeit  auch  die  beiden  anderen,  bisher  allein  bekannten 
Hs.  des  weltlichen  Rechts  angehören.  Weder  der  Charakter 
der  Schriftzüge  desselben  noch  dessen  Sprache  und  Recht- 
schreibung scheint  mir  dieser  Zeitbestimmung  zu  wider- 
sprechen; indessen  überlasse  ich  das  Urtheil  hierüber  der 
altschwedischen  Palseographie   und  Sprachlehre  Kundigeren, 

1)  Diplom,  svecan.,  V,  nr.  4148,  S.  643—44. 

2)  Schlyter,  Corp.  jur.  X,  S.  I  und  V. 

3)  Ebenda,  S.  LXIIT-IV. 


^ 


Maurer:  Ein  neues  Bruchstück  von  Södermannälagen.        431 

und  beschränke  mich  darauf  za  bemerken,  dass  man  in  der 
ersteren  Beziehung  nunmehr  in  dem  von  Emil  Hildebrand, 
Algernon  Börtzell  und  Harald  Wieseigren  heraus- 
gegebenen ersten  Hefte  ihrer  „Svenska  Skriftprof  frän 
Erik  den  Heiiges  Tid  tili  Gustaf  HI.  s*  (Stockholm, 
1894),  in  der  letzteren  Beziehung  aber  in  Robert  Larsson's 
Södermannalagens  Ljudlära  (Antiqvarisk  Tidskrift  for 
Sverige,  XH,  nr.  2,  S.  1 — 166;  Stockholm,  1891)  neue  und 
tüchtige  Hülfsmittel  besitzt,  deren  man  sich  bei  der  Prüfung 
der  Frage  mit  Vortheil  bedienen  kann. 

Ich  lasse  nun  einen  buchstäblich  genauen  Abdruck 
des  Fragmentes  folgen,  bei  welchem  ich  nur  die  in  der 
Hs.  vorfindlichen  Abkürzungen  aufgelöst,  die  ergänzten  Buch- 
staben jedoch  durch  Cursivschrift  bezeichnet  habe.  Ich  gebe 
dem  Abdrucke  eine  Auswahl  von  Varianten  auf  Grund  der 
Schlyter'schen  Ausgabe  bei,  und  zwar  mit  Unterscheidung 
der  für  diese  benützten  beiden  Hss.  A.  und  B.;  die  sämmt- 
lichen  in  Bezug  auf  die  Schreibweise  und  die  Wortformen 
bestehenden  Abweichungen  zu  verzeichnen  hielt  ich  indessen 
bei  der  Willkürlichkeit,  welche  sich  die  Schreiber  altschwe- 
discher  Hss.  in  dieser  Hinsicht  ganz  allgemein  erlauben,  um 
so  mehr  für  überflüssig,  als  sie  derjenige,  der  sie  etwa  aus 
sprachlichen  Gründen  verfolgen  zu  sollen  glaubt,  mit  geringer 
Mühe  durch  eine  Vergleichung  meines  Abdruckes  mit  der 
Schlyter'schen  Ausgabe  sich  zusammenstellen  kann.  Nur 
beispielsweise  erwähne  ich  den  schwankenden  Gebrauch  von 
(e  und  e  (doch  mit  vorherrschendem  te  in  Fr.),  von  i  und  e, 
dann  o  und  u;  ferner  von  i;  und  u?,  dann  auch  i;  oder  w 
und  u.  Ich  bemerke  femer,  dass  Fr.  öfter  das  ältere  a  fest- 
hält, wo  A.  und  B.  dafür  bereits  ce  geben,  und  zwar  nicht  nur 
in  Verbalendungen  wie  z.  B.  bsera,  gialda,  göra,  liggia,  mietas 
U.S.  w.  anstatt  berae,  giaelde,  görae,  liggi»,  mietass,  sondern 
auch  in  anderen  Endungen,  wie  z.  B.  aengia,  annar,  annat, 
bya,  fyrra,  sina,  psetta  u.  s.  w.   für   engiae,  annaer,  annaet. 


432     SiUung  der  pküos.'phüoL  Glosse  wmi  1.  Dezember  1894. 

byiaß,  fyrree,  sinas,  Jett»,  ja  selbst  fiar|)e  fÄr  fier|>e  oder 
fiserda,  mikials  für  mikiels  oder  warn  für  wffirn;  andere 
Male  steht  freilich  auch  in  Fr.  bereits  das  ce.  An  dem  aus- 
schliesslichen Gebrauche  des  p  halt  Fr.  ziemlich  consequent 
fest,  während  d  ihm  fremd  ist  und  d  in  ihm  nur  ganz  aus- 
nahmsweise für  |)  eintritt,  [wie  etwa  einmal  wadstang  ge- 
schrieben wird  neben  wa{)a  und  j  wa{)i,  oder  ganz  vereinzelt 
einmal  maed  neben  dem  regelmässigen  me|>  sich  gebraucht 
findet.  Wiederum  behaupten  sich  in  Fr.  Formen  wie  nsßmd 
oder  nsBmnd,  deld,  wald  gegenüber  dem  jüngeren  naemd, 
deld,  wald,  und  ebenso  steht  im  Anlaute  consequent  tiu|)er, 
tiuf  ra ,  tiu|)ran  gegenüber  piu|)er  u.  s.  w. ,  wie  die  Hs.  A. 
schreibt,  während  B.  wieder  tiuder  u.  s.  w.  bietet.  Ebenso 
behält  Fr.  die  Schreibung  wilder,  gialde  oder  giflßlde,  haelder, 
walda  bei  gegenüber  den  assimilirten  Formen  willer,  giselle 
oder  gielle,  hellaer,  walla,  während  freilich  auch  wieder 
hanwirke  oder  hanwerke  für  handvirki  oder  handuaerki  ge- 
schrieben wird.  Vielfach  hat  in  Fr.  das  jüngere  k  das  ältere 
c  verdrängt;  doch  ist  andere  Male  auch  das  letztere  unge- 
ändert  stehen  geblieben.  Sehr  häufig  ist  in  Fr.  das  schlies- 
sende  r  weggefallen;  so  steht  ganz  regelmässig  aepte  für 
eptir  und  iwi  für  iwir,  aber  allenfalls  auch  alle,  kiaere, 
vpkaste,  saklöse,  waBgh  für  allir,  kiaBrir,  vpcastaer,  saklösir, 
waßgher.  In  Fr.  wird  ständig  maezmanna  geschrieben,  wo 
A.  und  B.  miezmanna  bieten;  in  Fr.  steht,  Ib,  Z.  21  agha, 
wo  A.  und  B.  aghu  schreiben  (vgl.  Rydqvist,  Svenska  Sprä- 
kets  Lagar,  I,  S.  276),  und  dgl.  m.  Wenn  ich  aber  auf  die 
Verzeichnung  derartiger  Varianten  der  Raumersparniss  und 
grösseren  Uebersichtlichkeit  halber  verzichten  zu  sollen  glaube, 
so  gebe  ich  um  so  vollständiger  diejenigen,  welche  irgendwie 
geeignet  sein  könnten  auf  das  Verhältniss  der  Textesgestaltung 
in  Fr.  im  Verhältniss  zu  der  in  A.  und  B.  ein  Licht  zu 
werfen  und  glaube  ich  in  dieser  Beziehung  lieber  zu  viel 
als  zu  wenig  thun  zu  sollen,  um  Jedermann  die  Bildung 
eines  eigenen  ürtheils  zu  ermöglichen. 


^ 


Maurer:  Ein  nettes  Bruchstück  von  Södermannaiiigen.       433 

Fol.  la. 

üeberschrif t:  balkcr. 

hwar  halwe  nsemd.^)  Alle  |)e  swa  halda  lagha  wsem.^) 
8um  sagt  8ßr.  warin  saklöse  ^en  fyrra  ryuir.  böte 
III.  marker.  §.  Vm  eengia  scal  man.  lagha  warn  til 
mikials  msessu  halda.  Hwar  sum  fyrra  rywir 
5    ok  li|)um  ypkasta.  höte  sum  nii  sagt  sßr.  §.  Nu  beera. 
man  maelestang,  vt  a  flßng  sinae  oc  wadstang.  aar 
mselestang  meerkt  sßpte  rssttu  byabruti.  Hwar 
|)e  stang  stisßl.  eller  sunder  hogger.  höte.  III.  marker.  warper  ei 
takin  wi|>er.  waeri  sic^)  me^  e|)e  tolf  manna.  Stisel  man 

10    ellar  sundr  högger.  \>a,  stang.  j  wa|»i  Ständer,  höte.  III,  örse. 
Mselse  m»n  sengia  sin»  me^  stang  ok  wa|)a  septe. 
Sighia  pe^)  alle  raet  wara.   warin   saclöse.     Kan  si|)an*)  en 
8Bpte  kisersß.  stgher  sie  ei  fult  hawa.  |)a  sculu  byamaBu 
til  coma.  ok  maBp  hanum  a  sea.  wilia  |)e  hanum  ei  rast  gö 

15    ra.  ^a  scal  syn  af  sokn  naemna.  halwa  naemd®)  hwarr 
|)erre.  will  ei  pen  sak  asr  giwin  til  coma.  nsemne  |»a 
han')  syn  alla®)  sum  aepte  kiaere.    Nu  kumber  syn  til  bya. 
Jen  far  firi  sum®)  kiaBr{)e  maßlestang^®)  alaegger 
synis  afaßr|»  j  deldenne.  giaelde  ater  aepte  maB|>  mannae^^) 

20    efe  oc  sialfs  sins  mef  at  han  wilder  for**)  oc  owiis.  Sy 
nis  j  andre  giaelde  ater  ho  sum  fyr.  oc  swaeri  mej  sie  oc 
grannum^*)  sinuw.  at  han  wilder  for.  Synis  afaerp  j.  Jril^io. 


1)  AB.   halwi  nsamd  hwar   perm.  2)  A   wseme;    B.   uem 

um  acra.         8)  B.  om.   sie.         4)  AB.  f)et.  5)  AB.  om.   8i|)an. 

6)  B.  om.  Dsemnd.  7)  B.  tbsen.  8)  AB.  alla  syn.  9)  A.  add. 
eptir.  10)  In  Fr.  ateht  vor  meßlestang  noch  me\>  atanj?,  jedoch 
unterpungirt  nnd  roth  durchstrichen.  11)  AB.  ater  hö  eptir  miez- 
manna.        12)  AB.  for  willer.       !  18)  AB.  granna. 


434     Sitzung  der  phüos.-phüol.  Glosse  vom  1,  Dezember  1894, 

Pol.  Ib. 

Ueberschrift:  VI.  Bygninga. 

gialde  ater  hö  aepte  maezmanna  witnum.  me^  e|>e 
sinum.  oc.  II.  granna.  eller  nagranna  sinna  at  han  wil 
der  for.    Ei  ma  |)en  man  laenger  wilder  fara.  Hittis 
awerkat  a^)  fiarpo  deld.  böte,  III.  marker  swa  firi  faemto 

5    oc  siaBto.  ok  gisBlde  hö  ater^)  aepte  maezmanna  e|)e.  aBr 
ok')  awerkat  vm  alla*)  aeng.  wari  ei  bot  J)y  mere. 
Nu  kunwu  gar|)a  nifre  Vm  ogilda   gar{)a.  VIII*^. 
liggia.  fae  j^)  ganga  oc  scapa  göra.     Ligger  bar 
li|)  a  gar|)e.  annat  ok  |)ripia.  wiliae  synaemaBn 

10    swa  swaeria.  at  fer  synas®)  hwarte  ny  han  wirke 
aeller  forn.  ok  aeni  spiaell  gönum  gangin.  per  giaeldis 
spiaell  ater.  af  pem  sum  garpa  attu  oc  bötin  me|) 

•     firi  hwart  li|).  ^)  III.  marker.  til  |)raB8kiptis.  kunwu  lip 
a  garpe  wara.  oc  asru  brutin  ni|)er.  synis  innaen  man 

16    wa  hanwerke,  ok  witna  swa.  XII.  raaen.  waeri  |)a  bond(e) 
gar|)  sin  mep  XII.  manna  e|>e.  oc  tweggiae  manna  wi(t) 
nuw.®)  at  han  stop  faster')  oc  waelboin.  vm  byg|)a  tima. 
oc  giaelde  ater  spiaell  pe^^)  gönui»  li|)  aeru  kumin.^^)  ok 
bot  aengaß.   Falz  at  epe.   böYe.  III.  marZrer.  firi  lip  eth.  swa 

20    firi  annat  ok  |)ripia.  warfe^*)  ei  bot  J)y  mere.  at 
lij**)  aeru  flere.  §.  Alle  agha  farli|)u»n  war|)a.  sw(a) 
pen  minwae  agher^*)  j  by.  suw^*)  merae.  kan  farlip  nipre  li(g) 


1)  AB.  i.  2)  B.  om.  ater.  8)  A.  add.  si})aii.  4)  AB.  alt; 
B.  add.  gerde.  6)  AB.  add.  engiaB.  6)  AB.  synis.  7)  B.  barlid. 
8)  AB.  II.  manna  witnum  oc  XII.   manna  epe.  9)  AB.  wigher. 

10)  AB.  om.  ))e.        11)  AB.  gangin.        12)  A.  add.  ok.        13)  A.  1)6 
mere.  sBn  |)o  at  lid.        14)  B.  hauer.        16)  A.  add.  {)en. 


Maurer:  Ein  neues  Bruchstück  von  SödermanncHagen,       435 

Fol.  na. 

Ueberschrift:  Balker. 

gia.  |>a  scal  ^en  farli{)i  war|»a.  sensestuiii  gönufn  aker.^)  6ita 
byamaßn  han  wi{)er  bundit.  böte.  III.  marker,  Gita  |)e  ei  bötin 
alle   fe   sak.    ban.    een    bötae   sculde.*)   §.')  Nu   kan   nocor 

sina^)  aeng. 
til  aBnx  ssetia.  at  |)raiigalöso.  si|)an  alle  hawa  burghit 
6    hö  sinn.*)  wari  sca|)i  ogildcr.  |)eu  han  fa  um  hö  sit.®)  Sigher 
annar  {)rang  walda.  oe  annar  ei'')  wari  a®)  soknaman 
na  witnum.  Ra|)e  halwe  nsemd  hwar  pera.  Sighia  pe®) 
|)rang  walda.  wari  gild  septe  msezmanna  e{)e.  Äker 
man  iwi  aeng  osklaghnae.^®)  akcr  vm  deld  enae.  höte,  III.  market, 

10    swa  firi   andra  ok  frifio.  akcr  sifan  iwi  alla.^^)  wari**)  ei 
(s)ak  |>y*')  mere.  öanger  wif)  aku  fe  aengin.**)  J)a  scal  syn 
(a)f  sokn  naemnae.**)  wari  a  witnum  perae.*^)  hwapan  J)en 
(w)8egh  lepis.  Hwem  fe  firi  bindae.  hawi  wald  waeria 
(8i)c  me|)  twaeggiae*')  mantta  witnum.  ok  XII.  mannaepe.  Falz 

15    (a)t  efe  höie,  sum  skilt  aer.  Nu  hawer  han*®)  sie  waegh  slaghit 
(o)k*^)  hö  saman  raefst.  oc  ligg^r  a  sama  taghe.  ^en  swa  gör 
(a)ke  at  saklöso.*^)  Aker  man  iwi  aeng  oslaghna.  eller 
(a)ker  iwi  kom  oscurit.**)  Stande  firi  hanum**)  lof  eller  legha. 
(K)an  lif  atcr*^)  j  by  liggiae.**)  |)a  sculu  byamen  firi  pinge 


1)  A.  senastum  ginum  akar;  B.  sum  senatum  gOnum  aker. 
2)  A.  1)6  sac,  1)0  ei  mera  8Bn  han  ensamin  bötsB  sculdi;  B.  sac  sei  mere  etc. 
8)  Das  §  Zeichen  fehlt  in  AB.  4)  AB.  om.  sina.  6)  AB.  hö  sinu 
burghit.  6)  AB.  ogilt.  7)  ei  in  Fr.  undeutlich  eines  Risses  wegen. 
8)  AB.  add.  I)et.  9)  B.  om.  t)e.  10)  AB.  oslaghit.  11)  AB.  iwir 
eng  alt.  12)  AB.  warl)ar.  18)  A.  I)e.  14)  AB.  engin  wi})  aku 
t)erse.  16)  B.  add.  ok.  16)  {)erse  in  Fr.  undeutlich  eines  Risses 
wegen.  17)  AB.  11.  18)  AB.  man.  19)  AB.  om.  ok.  20)  A.  at 
saclOflu;  B.  saclös.  21)  B.  oscorin;  A.  iwir  com  oscorin.  22)  AB. 
add.  hwarte.  28)  AB.  ater  legha.  24)  AB,  add.  rsetter  eghande 
will  ei  at  gart)um  gGm». 


436     Sitzung  der  phäos.-pHüoL  Glosse  vom  1.  Dezember  1894, 

20    (e)ll6r  sokn  dom^'^)  tdl  taka.  gar|>sto  hans  at  saclöso  at^r 
(t)8eppa.*®)  Later  man   aeng*'')  sina  warjalösa  **)  liggias  vm 
(a)ar  eth.  halder  engin  vt  skyld*')  vppe.  hwarte  firi. 

Pol.  Hb. 

Ueberschrift:   VI.  Bygninga. 

garpum  eller  ^)  gi8Br|)um.  giwi  vt  seng*),  eller.  IIL  marker.  Sua 
vm  annat  aar  ok  J)ri|)ia.^)  Gange  pa*)  bot  til  |)r8Bskip 
tis.^)  Stiael  man  anherwe.  eller  hsefla.  Isesse  stang  eller 
krok  reep.  töma  eller  sila.  a.  aßngium  vte.  bö^e.  öre  firi  hwa(r) 
5    perae.  Stisel  pistla.  af  vragne.  böte.  III.  örse.  petta  ser  alt 
en  sak  bondans.  sökis  vt  sum  skilt  ser.  Stisel  hiul  vn 
dan  wagne.  faeller  anbyrj)  bondans.  bö^e.  III.  ör».  Stisel 
hiul  annat.  seller  all.  fiughur.  bö^e.  III.  marA;er.  Stisel  wang  me|) 
allu  re|>e.  bö^e.  IX.  marA;er.  til  |)r8Bskiptis.  Stiflßl  v.^)  husum 

eth  af 
10    |)8essum  ankostum.  bö^e.  septe.  msezmanna  or|)um.  Taker  man 
vm  antima.  wagn'')  annars.  olowandifi.  hawer  |>o  j 
liuse.  oc  ei  j  löne.^)  bö^e.  III.  marA;er.  Taker  anna  msellum. 

bö^e.  III.  örse. 
Tiufra*)  man  hsBst.  j  akre  Vm  tiu^ran  i  akruw^®)  V.^^) 
annars.  eller  hselder  warfer  |)er  in  takin  mef  tiuper 
15   staka.    seller    hseldo.    ok    synis**)    spiaell   j    akre.    bö^e.   III. 

markev,  v^arfer 

25)  AB.  doma.  26)  B.  lidtSBppa.  27)  A.  eng;   B.  eghn. 

28)  A.  wardlOsu;  B.  uardalösu.  29)  B.  eengi  utsculd;  A.  eng^n  vt 
skyllum. 

1)  AB.  add.  vt.  2)  A.  eng;    B.  eghn.  8)  AB.  annat  oc 

I)ri})i8e  ar.  4)  AB.  1)6.  5)  B.  beginnt  hier  ein  neues  Capitel, 

mit  der  Ueberschrift:  vm  ancosta  styld.  6)  AB.  vr.  7)  A.  wang; 
B.  uagn.  8)  AB.  löndum.  9)  A.  f)iul)rar;  B.  Tiudrar,  und  so 
durchaus.  10)  B.  tiudran;   A.  orsettsB  l)iu})ran.  11)  Die  Ziffer 

durchschnitten  und  nur  halb  lesbar;  doch  eher  y(Iin)  als  I(X).  12)  B. 
synas. 


Maurer:  Ein  neues  Bruchstück  von  Södermanncdagen,       437 

in  takin.  ok  sjnsBS  spiasU  aengin.^^)  wari  saklös.   Ean  spiaell 
synses.   ok**)    war|>er   ei**)   takin   maed.    w»ri   sie   mc|>   tolf 

mant2(a) 
epe.")  euer  böte,  sum  sagt  aer.  Tiufrar  a  reen   eller  a*^) 

lindu  s(wa) 
naer  at  fae*®)  bit«r  af  akre.  böte,  ater  körn,  aepte  fy  spiaell  m(e) 
20    tas.    mep   efe   ens  sins.   Faellcr   e|>.    böte.  III.  örae.   Tiu|)ra 

a  lin(du) 
annars.  war|>cr  takin  med.  hocgin  vt*^)  torwa.  oc  tiu|>(er) 
staki.  böte.  III.  örae.  ellcr  wasri  sie  me^  efe  III.  manna.  Tiu(I)) 

Prüft  man  nun  die  üeberlieferung  in  unserem  Fr.  im 
Vergleiche  zu  der  in  den  beiden  von  Schlyter  benützten  Hss., 
so  zeigt  der  erste  Blick,  dass  Fr.  sich  in  seiner  aeusseren 
Einrichtung  ganz  entschieden  an  A.  und  nicht  an  B.  an- 
schliesst.  Als  Columnentitel  setzt  naemlich  Fr.  neben  der 
Nummer  auch  noch  die  Ueberschrift  des  betreffenden  Ab- 
schnittes, wie  A.  diess  thut  (vgl.  Schlyter,  IV.  S.  II),  waehrend 
in  B.  nur  die  Nummer  gesetzt  v^ird  (ebenda,  S.  IX),  und 
auch  in  Bezug  auf  die  Eintheilung  in  Capitel  stimmt  Fr. 
mit  A.  überein,  nicht  mit  B.,  welches  zahlreichere  und  kleinere 
Capitel  hat  (ebenda,  S.  IX).  Allerdings  kommt  in  der  letz- 
teren Beziehung  nur  eine  einzige  Stelle  in  Betracht,  naem- 
lich  fol.  IIb.  not.  5,  an  welcher  Stelle  B.  ein  neues  Capitel 
beginnt,  waBhrend  diess  weder  in  A.  noch  in  Fr.  der  Fall 
ist;  aber  diese  Stelle  ist  entscheidend,  da  sie  im  ganzen  Be- 
reiche von  Fr.  die  einzige  ist,  an  welcher  die  Capiteleinthei- 
lung  in  A.  und  B.  überhaupt  von  einander  abweicht.  In 
den  Paragraphenzeichen  stimmt  Fr.  mit  den  in  Schlyter^s 
Ausgabe   aus  den  Hss.  herübergenommenen  Zeichen  zumeist 


18)  AB.  eknti.  14)  A.  om.  ok.  15)  A.  add.  in.  16)  AB. 
et>e  XII.  manna.  17)  A.  om.  a.  18)  A.  pet,  doch  war  vorher 
geschrieben:  biter;  B.  om.        19)  AB.  vp. 


438     Sitzung  der  phüos.-phüol,  Glosse  vom  1.  Dezember  1894, 

überein;   nur  einmal  (IIa,  not.  3)  steht  in  Fr.  ein  solches, 
wo  es  in  der  Ausgabe  fehlt. 

Anders  steht  die  Sache  in  Bezug  auf  die  Lesarten  im 
Texte  selbst.  Allerdings  stimmt  auch  in  Bezug  auf  diese 
an  nicht  wenigen  Stellen  Fr.  mit  A.  überein,  wsehrend  B. 
von  beiden  abweicht.  So  laesst  B.  in  la,  not.  3  sie  aus, 
ebenso  in  la,  not.  6  ncemnd^  in  Ib  not.  2  ater^  in  IIa,  not.  9 
Pe,  und  in  IIa,  not.  21  körn,  waehrend  in  A.  und  Fr.  alle 
diese  Worte  stehen,  umgekehrt  lesen  in  la,  not.  2  Fr.  und 
A.  nur  w{em,  wceme,  waehrend  in  B.  uem  um  acra  steht; 
in  Ib,  not.  4  fügt  B.  nach  den  Worten  „um  alla"  noch  gerde, 
und  in  IIa,  not.  15  ein  ok  bei,  wsehrend  diese  Worte  in 
Fr.  und  A.  gleichmaessig  fehlen.  Ferner  lesen  Fr.  und  A. 
in  la,  not.  7  übereinstimmend  Äaw,  waehrend  B.  dafür  thcen 
giebt;  in  I  b,  not.  7  lesen  Fr.  und  A  Z?J,  B.  dagegen  barlid, 
in  Ib,  not.  14  haben  Fr.  und  A.  agher,  B.  dagegen  hauer, 
in  IIa,  not.  20  geben  Fr.  und  A.  at  saklöso  oder  saclösu, 
dagegen  B.  saclös,  und  ebenda,  not.  26  steht  in  Fr.  und  A. 
tcBppa,  in  B.  aber  lidtceppa;  endlich  lesen  Fr.  und  A.  in  IIb, 
not.  12  synis,  ß.  dagegen  hat  synas.  Wenn  zwar  in  allen 
diesen  Faellen  die  Verschiedenheit  der  Lesarten  ohne  jede 
Bedeutung  für  den  Sinn  der  betreflfenden  Stellen  ist,  und 
demnach  recht  wohl  lediglich  aus  der  Willkürlichkeit  oder 
FahrlsBssigkeit  der  Schreiber  hervorgegangen  sein  kann ,  so 
Hesse  sich  aus  ihr  doch  immerhin  auf  eine  naehere  Ver- 
wandtschaft von  A.  und  Fr.  im  Gegensatze  zu  B.  schliessen, 
wenn  nur  nicht  andere  Thatsachen  diesem  Schlüsse  im  Wege 
stünden.  Zunaechst  ist  naemlich  nicht  zu  übersehen,  dass  den 
Faellen,  in  welchen  Fr.  mit  A.  gegenüber  B.  übereinstimmt, 
eine  Reihe  anderer  Faelle  gegenübersteht,  in  welchen  umge- 
kehrt Fr.  sich  an  B.  anschliesst,  und  gemeinsam  mit  diesem 
von  A.  abweicht.  Zweimal  lässt  A.  ein  Wort  aus,  welches 
Fr.  und  B.  übereinstimmend  haben ,  naemlich  ok  in  II  b, 
not.  14,  und  a  ebenda,  not.  17.     Etwas    öfter  setzt  A.  um- 


k 


Maurer:  Ein  nettes  Bruchstück  von  Södermanncdagen,       439 

gekehrt  ein  Wort  zu,  welches  in  Fr.  und  B.  gleichniaessig 
fehlt,  naemlich  eptir  in  la,  not.  9,  sipan  in  Ib,  not.  3,  ok 
ebenda,  not.  12,  und  pen  not.  15;  dann  orcettce  in  der  Ueber- 
schrift  des  9.  Gapitels,  IIb,  not.  10,  und  in  ebenda  not.  15* 
In  einigen  weiteren  FsBÜen  gebraucht  endlich  A.  andere 
Worte   oder   Redewendungen  als  Fr.  und  B. ,    wie   denn   in 

I  b,  not.  13  Fr.  und  B.  lesen  Py  mere  at  foj,  waehrend  in  A. 
steht  pe  merCy  (ßn  po  at  lip,  und  in  IIa,  not.  13  Fr.  und  B. 
py  lesen,  A.  dagegen  pe^  wozu  allenfalls  auch  noch  bemerkt 
werden  mag,  dass  Fr.  mit  B.  die  Schreibung  tiuper^  tiupra 
u.  s.  w.  gemein  hat,  waehrend  A.  consequent  piuper^  piupra 
u.  dgl.  m.  schreibt.  In  noch  weit  zahlreicheren  Fällen  weicht 
femer  Fr.  von  A.  und  B.  zugleich  ab,  sei  es  nun,  dass  diese 
letzteren  dabei  unter  sich  übereinstimmen ,  oder  dass  auch 
von  ihnen  wieder  jede  Hs.  ihren  eigenen  Weg  geht.  Nicht 
immer  handelt  es  sich  dabei  um  reine  Lappalien,  wie  etwa 
wenn  Fr.  in  IIa,  not.  17  und  an  ein  paar  spaeter  noch  zu 
besprechenden  Stellen  tvceggice  ausschreibt,  waehrend  A.  und 
B.  dafür  nur  die  Ziffer  //.  geben,  oder  um  entschiedene 
Corruptelen,  wie  IIa,  not.  10,  wo  Fr.  osklaghnte  liest  anstatt 
oslaghit^  wie  A.  und  B.  richtig  geben,  oder  II  b,  not.  6,  wo  Fr. 
nur  V  hat  anstatt  des  richtigen  vr  in  A.  und  B.,  oder  auch  la, 
not.  11,  wo  A.  und  B.  richtig  lesen:  gicelde  ater  hö  eptir 
miejsmanna  epe^  waehrend  in  Fr.  geschrieben  steht:  gieelde 
ater  aepte  mcBp  manna  cpe,  was  doch  nur  verschrieben  sein 
kann  für  maezmanna,  aber  immerhin  zeigt,  dass  auch  schon 
die  Vorlage  von  Fr.  die  Schreibung  maezmanna  und  nicht 
miezmanna  enthalten    hatte,    oder  endlich  IIa,  not.  27  und 

II  b,  not.  2,  wo  beidemale  Fr.  ceng  liest,  waehrend  A.  gleich- 
bedeutend eng^  B.  dagegen  eghn  giebt.  Beidemale  will 
Schlyter  egn  lesen  und  doch  wohl  mit  Recht,  soferne  beide 
Stellen  doch  wohl  vom  Grundeigenthum  überhaupt  und  nicht 
blos  von  Wiesen  zu  handeln  scheinen;  da  aber  die  Worte 
eng  =  aeng  und  egn  ==  eghn  sich  sehr  aehnlich  sehen ,    und 


440     Sitzung  der  phÜosrphilol,  Classe  vom  1.  Dezember  1894, 

überdiess  im  Vorhergehenden  mehrfach  von  Wiesen  die  Rede 
gewesen  war,  wird* es  sich  hier  um  eine  Mose  Corruptel 
handeln,  die  in  A.  und  Fr.  sich  selbständig  ergeben  haben 
könnte,  wenn  sie  nicht  etwa  aus  einer  gemeinsamen  Vorlage 
beider  Hss.  geflossen  war.  Ganz  abgesehen  von  derartigen 
Faßllen  sind  aber  zunaechst  wieder  einige  Stellen  zu  nennen, 
an  welchen  Fr.  ein  Wort  hat,  welches  in  A.  und  B.  fehlt; 
so  sipan  in  la,  not.  5,  pe  in  Ib,  not.  10,  sina  in  IIa,  not.  4, 
und  oÄ:,  ebenda,  not.  19.  Umgekehrt  fehlt  auch  wieder 
einigemale  in  Fr.  ein  Wort,  welches  A.  und  B.  haben,  so 
engice  in  I  b,  not.  5,  pet  in  II  a,  not.  8,  und  hwarte^  ebenda, 
not.  22,  sowie  vt  in  IIb,  not.  1.  Weiterhin  kommt  eine 
Reihe  von  Fajllen  in  Betracht,  in  welchen  Fr.  lediglich  eine 
Umstellung  von  Worten  A.  und  B.  gegenüber  zeigt,  allen- 
falls mit  einigen  kleinen  durch  diese  bedingten  Zussetzen, 
Abstrichen  oder  Versßnderungen.  Unter  diesen  Gesichtspunkt 
fallt  die  Lesung:  hwar  halwe  ncemd  gegenüber  hältvi  ncemd 
hwar  per<B  in  la,  not.  1,  syn  alla  gegenüber  alla  syn^  eben- 
da, not.  8;  ferner  wilder  for  gegenüber  for  willer ^  ebenda, 
not.  12;  ferner  X//.  manna  epe  oc  tweggim  manna  wünunt 
gegenüber  IL  manna  witnum  oc  XII.  manna  epe  in  Ib, 
not.  8 ,  burghit  hö  sinu  gegenüber  hö  sinu  burghit  in  II  a, 
not.  5,  und  wip  aku  pe  cengin  gegenüber  engin  wip  aJcu  perts^ 
ebenda,  not.  14;  endlich  annat  aar  oh  pnpia  gegenüber 
annat  oc  pripite  ar,  in  IIb,  not.  3,  und  tolf  manna  epe 
gegenüber  epe  XII,  manna^  ebenda,  not.  16.  Wieder  andere 
Male  setzt  Fr.  auch  wohl  ein  anderes  Wort  oder  eine  andere 
Flexionsform  u.  dgl.  ein  als  A.  und  B.,  wie  etwa  pe  für  pet^ 
I  a,  not.  4,  oder  grannum  für  granna,  ebenda,  not.  13,  a  für  i, 
Ib,  not.  1,  Sf/nas  für  sgnis^  ebenda,  not.  6,  faster  für  wigher^ 
not.  9,  oder  kumin  für  gangin,  not.  11;  ferner  semestum 
gönum  aker  für  senastum  ginum  akar,  wie  A.,  und  sum 
senstum  gönum  aker^  wie  B.  liest,  in  IIa,  not.  1;  scapi  ogilder 
u.  s.w.  für  ogilt  in  A.  und  B.,  ebenda,  not.  6;  iwi  alla  für  iwi 


Maurer:  Ein  neues  Bruchstück  won  Södermannalagen,       441 

eng  alt^  ebenda,  not.  11;  wari  für  tcarper^  not.  12;  han  für 
marij  not.  18;  dofn  für  doma^  not.  25,  warpaJösa  für  warp- 
lösu^  wie  A.,  und  uardalösu^  wie  B.  liest,  not.  28;  engin  vt 
sJcyld  für  cengi  utsculd^  wie  B.,  und  engin  vt  skyllum^  wie 
A.  liest,  not.  29;  Fr.  liest  ferner  pa  für  pe  in  IIb,  not.  4, 
wagn  für  u;an^  in  A.  und  uagn  in  B.,  ebenda,  not.  7,  J  lön 
für  löndum^  not.  8,  «w^tw  für  eÄn^e,  not.  13,  und  vt  für  vp, 
not.  19.  Etwas  erheblicher  noch  ist  die  Verschiedenheit  der 
Lesarten  in  ein  paar  weiteren  Stellen.  In  IIa,  not.  2  liest 
A.:  CritcB  pe  ei,  bötin  alle  pe  sac,  po  ei  mera  €en  han  ensamin 
höt<B  sculdif  und  ß. :  Gitae  pe  ei,  bötin  alle  pe  sac  ai  mera^ 
etc.  dagegen  Fr. :  Gita  pe  ei,  bötin  alle  pe  sah,  han  een  bötm 
sculde.  Ebenda,  not.  23,  liest  Fr. :  Kan  lip  ater  j  by  liggice, 
dagegen  A.  und  B  :  Kan  ater  legha  j  by  liggicB,  worauf  diese 
beiden  Hss.  noch,  not.  24,  beifügen:  rcetter  eghande  will  ei 
at  garpum  gömce^  waehrend  dieser  Zusatz  in  Fr.  fehlt,  wel- 
cher freilich  am  Sinn  der  Stelle  Nichts  ändert,  und  somit 
recht  wohl  auch  nur  durch  die  üngenauigkeit  eines  Ab- 
schreibers weggelassen  worden  sein  könnte.  Endlich  in  IIb, 
not.  18  liest  Fr.:  at  fce  biter  af  aJcre,  waehrend  in  B.  fce 
fehlt,  und  in  A.  dafür  pet  geschrieben  steht.  Da  hier  anstatt 
aj)et"  zuvor  „biter"  geschrieben  worden  war,  und  ,J)et*  so- 
mit eine  Correctur  ist,  muss  dieses  Wort  doch  wohl  schon 
in  der  Vorlage  gestanden  haben,  welche  der  Schreiber  von 
A.  benützte;  mag  sein,  dass  die  Nichtübereinstimmung  des 
neutralen  „|)et*'  mit  dem  vorhergehenden  masculinen  ^hsevSter" 
den  Schreiber  von  Fr.  oder  dessen  Vormann  zur  Einsetzung 
des  Wortes  „faß*  bestimmt  hat,  welches  allerdings  auch  nicht 
ganz  passen  will,  sofern  man  Pferde  zumeist  nicht  als  Vieh 
zu  bezeichnen  pflegt,  obwohl  diess  hinundwieder  auch  ge- 
schieht. 

Selbst  in  diesen  zuletzt  besprochenen  Faellen  steht  somit 
der  Text  von  Fr.  nicht  soweit  von  dem  in  A.  und  B.  über- 
lieferten ab,  dass  wir  genöthigt  waeren  ihm  diesem  letzteren 


442     Sitzung  der  phüo8,-phüol.  Glosse  vom  1,  Dezember  1894, 

gegenüber  eine  erhebliche  Selbständigkeit  zuzugestehen.  Es 
besteht  vielmehr  recht  wohl  die  Möglichkeit,  dass  A.,  6.  und 
Fr.  gleichmsessig  aus  einer  und  derselben  Orschrifb  herstam- 
men, deren  Eintheilung  und  Columnentitel  A.  und  Fr.  gleich- 
maessig  beibehalten  haben,  weehrend  B.  sie  eigenmächtig  ver- 
ändert  hat,  und  deren  Text  bald  A.  und  Fr.,  bald  B.  und  Fr., 
zumeist  aber  A.  und  B.  getreuer  wiedergeben.  Nicht  aus- 
geschlossen ist  aber  allerdings  auch  die  andere  Möglichkeit, 
dass  unser  Bruchstück  ein  Ueberrest  jener  selteren  „laghbok** 
sein  könnte,  welche  ein  paar  mal  erwsehnt  und  dem  von 
Schlyter  herausgegebenen  Gesetzbuche  als  einem  neueren 
gegenübergestellt  wird.^)  Leider  enthält  das  Fragment  keine 
Stelle,  welche  hierüber  eine  bestimmte  Entscheidung  zu  geben 
vermöchte;  vielleicht  ermöglicht  einmal  der  glückliche  Fund 
weiterer  Blsetter  derselben  Handschrift,  was  zur  Zeit  uns 
noch  versagt  ist! 


1)  Vergl.  zumal  Schlyter,  Juridiska  Afhandlingar,  II, 
S.  145 — 51  (1879)  und  dessen  Bemerkungen  Om  en  föregifven  ännu 
i  behau  vaerande  äldre  redaktion  af  Södermannalagen,  in 
Lunds  Univ.  Arsskr.  XVII  (1882). 


i 


343 


Historische  Classe. 

Sitzung  vom  l.  Dezember  1894. 

Herr  v.  Reber  hielt  einen  Vortrag: 

„Ueber  die  Stilentwicklung  der  schwäbischen 
Tafel-Malerei  im  14.  und  15.  Jahrhundert.** 

Die  vor  einigen  Jahren  erfolgte  Entdeckung  eines  Augs- 
burgischen Malernamens  auf  dem  vormals  dem  A.  Altdorfer 
zugeschriebenen  Rehlingen'schen  Altar  der  Galerie  zu  Augs- 
burg, und  somit  die  Versetzung  eines  Werkes  wie  einer  da- 
mit zusammenhängenden  Gemäldegruppe  aus  einer  anscheinend 
sicheren  Lokalschule  in  eine  ganz  andere^),  war  eine  erneute 
Mahnung,  nicht  blos  bei  der  Zutheilung  von  Künstlernamen, 
sondern  sogar  bei  der  Bestimmung  des  Entstehungsgebietes 
altdeutscher  Gemälde  mit  grosser  Vorsicht  vorzugehen.  Denn 
die  Entdeckung  hat  eindringlich  gezeigt,  dass  ausser  den 
manigfachen  Kreuzungen  des  Lokalstiles  in  benachbarten 
Gebieten  auch  noch  andere  schwerwiegende  Umstände  in 
Betracht  kommen,  welche  nicht  mit  der  Oertlichkeit,  sondern 
mit  der  Entwicklung  eines  Kunstzweiges  aus  verschiedenen 
anderen  Techniken  zusammenhängen,  und  gewöhnlich  zu 
wenig  gewürdigt  werden. 

Bezüglich  der  Kreuzungen  hätte  es  der  erwähnten  Mahnung 

1)  Alfred  Scfamid,   Beilage  zur  Allg.  Zeitung  1889.    Nr.  325^ 

1894.   Pbil08.-philol.  u.  bibt.  Gl.  3.  30 


344       Sitzung  der  historischen  Classe  vom  1.  Dezember  1894. 

kaum  bedurft.  Denn  wir  stehen  nicht  selten  vor  dem  Fall, 
anscheinend  Schwäbisches  in  Franken,  Fränkisches,  Rhei- 
nisches oder  Niederländisches  in  Schwaben  an  Werken  zu 
finden,  die  zweifellos  nicht  von  auswärts  her  eingeführt 
worden  sind.  Anderseits  zeigen  einige  Altarwerke,  deren 
Lieferung  inschriftlich  oder  urkundlich  von  einem  bestimmten 
Meister  oder  wenigstens  von  einem  bestimmten  Orte  ausge- 
gangen ist,  an  der  Vorder-  und  Rückseite  der  gemalten  Flügel 
so  einschneidende  Verschiedenheiten,  dass  es  nicht  angeht, 
sie  als  zweierlei  Manieren  eines  Meisters  erklären  zu  wollen. 
Denn  wenn  auch  jede  bedeutendere  Kraft  selbst  schon  im 
15.  Jahrhundert  einen  gewissen  Weg  von  Entwicklung 
durchläuft,  so  konnte  doch  der  dadurch  bedingte  Wandel, 
namentlich  wenn  er  sich  geradezu  als  Selbstentäusserung  und 
als  einüeberlaufen  in  eine  fremde  Ateliergepflogenheit  darstellt, 
doch  niemals  ein  so  plötzlicher  sein,  dass  er  sich  gleich- 
zeitig an  einem  und  demselben  Werke  deutlich  fühlbar  ge- 
macht hätte.  Solche  Verschiedenheiten  können  nur  auf  dem 
Zusammenwirken  verschiedener  Kräfte,  d.  h.  auf  der  Mit- 
wirkung von  Gehilfen  verschiedener  Schulung  beruhen.  Sie 
zeigen  aber  auch,  dass  man  zu  jener  Zeit  hinsichtlich  des 
einheitlichen  Gusses  des  Ganzen  weit  weniger  empfindlich 
war,  als  in  späteren  Perioden,  und  dass  der  eine  Bestellung 
übernehmende  Meister,  wenn  er  über  Gesellen  verfügte  und 
nicht  gezwungen  war,  das  Ganze  eigenhändig  auszuführen, 
Arbeitskräfte  benutzte,  wie  sie  sich  ihm  jeweilig  darboten, 
und  sich  keineswegs  auf  seine  Schüler  oder  auf  Gesellen, 
welche  aus  der  gleichen  Lokalschule  oder  gar  Werkstatt 
wie  er  selbst  hervorgegangen  waren,  beschränkte. 

Diese  Erscheinung  hat  ihren  Grund  in  dem  allgemein 
handwerklichen  Zuschnitt  des  damaligen  Kunstbetriebes. 
Schon  die  Verpflichtung  zu  dreijähriger  Wanderzeit  nach 
vollbrachten  drei  Lehrjahren  konnte  einem  jungen  Burschen 
die    erlernte   Richtung    unter  Umständen    wesentlich    modi- 


V.  'Reher:  StüentwicMung  der  schtoäbischen  Tafel-Malerei.    345 

fizieren.  Anderseits  veranlasste  die  Schwierigkeit  der  Er- 
werbung von  Bürger-,  Meister-  und  Ziinftrechten  manchen 
bereits  fertigen  Künstler  zu  langer  Gesellenthätigkeit,  bei 
welcher  er  sich  keineswegs  an  eine  Werkstatt  oder  Stadt 
gebunden  sah,  sondern  im  Gegentheile  gelegentlichen  Wechsel 
als  in  seinem  künstlerischen,  materiellen  und  gesellschaft- 
lichen Interesse  liegend  erkennen  mochte.  So  musste  eine 
vielbeschäftigte  Werkstatt  mitunter  wesentlich  verschiedene 
Kräfte  zugleich  in  Thätigkeit  setzen,  wobei  es  selbst  vor- 
kommen mochte,  dass  die  eine  oder  andere  jener  des  Meisters 
selbst  überlegen  war  (der  Monogrammist  R.  F.  am  Perings- 
dörffer- Altar  ^).  Auch  hat  wohl  schon  vor  dem  Schwabacher 
Altar  Wolgemut's  von  1507  mancher  Meister  seinen  per- 
sönlichen Antheil  an  der  Ausführung  auf  ein  Minimum  be- 
schränkt, ja  sich  ganz  mit  der  Anordnung  und  Ueberwachung 
begnügt,  in  welchen  Fällen  wir  jedoch  den  Unternehmer 
nur  durch  Verträge  oder  anderweitige  Zeugnisse  kennen 
lernen,  da  der  Meister  es  dann  füglich  unterliess,  die  Ge- 
mälde selbst  zu  signieren.  Wir  dürfen  sogar  annehmen, 
dass  in  den  grösseren  Werkstätten  weitgehende  Gehilfen- 
arbeit die  Regel  war,  indem  gewöhnlich  selbst  die  Schnitzer 
ihren  Antheil  unter  den  Augen,  in  der  Werkstatt  und  im 
Sold  der  Malerunternehnier  ausführten.  In  den  kleineren 
Werkstätten,  deren  Inhaber  Gesellen  zu  halten  und  zu  be- 
schäftigen weniger  oder  gar  nicht  in  der  Lage  waren,  lastete 
freilich  die  ganze  Obliegenheit  einschliesslich  der  ornamen- 
talen Arbeit  auf  den  Schultern  des  Meisters  selbst. 

Die  in  Nürnberg  in  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahr- 
hunderts noch  am  meisten  festgehaltene  stilistische  Ge- 
schlossenheit als  Lokalstil  oder  richtiger  die  dortige  Ver- 
knöcherung bei  gefesselter  Individualität,  welche  auch  einen 
Dürer  in  seiner  Lehrzeit  schwer  leiden  Hess,  entwickelte  sich 

1)  R.  Vischer,  Studien  zur  Kunstgeschichte.  Stuttgart  1886. 
S.  361  fg. 

30* 


346      Sitzung  der  historischen  Classe  vom  1.  Dezember  1894, 

in  Schwaben  nicht  in  gleichem  Maasse.  Die  schwäbischen 
Künstler  folgten  im  Ganzen  etwas  mehr  ihren  persönlichen 
Impulsen,  bildeten  sich  in  verschiedenen  Richtungen  und 
suchten  mehr  auswärts  als  die  nürnbergischen  Quattrocen- 
tisten.  Es  ist  auch  bis  zu  einem  gewissen  Grade  möglich, 
den  Wegen  nachzutasten ,  welche  die  schwäbischen  Maler 
in  ihren  Wander-  und  Gesellenjahren  einschlugen.  Ein 
Anziehungspunkt  musste  Nürnberg  sein,  das  namentlich  den 
Ulmem  nicht  oder  nicht  viel  femer  lag,  als  Rothenburg  an 
der  Tauber  oder  Nördlingen,  wenn  auch  die  Zugkraft  Nürn- 
bergs erst  um  1500  für  die  Maler  sich  nennenswerther  ge- 
staltete. Mehr  geläufig  war  den  Schwaben  immerhin  der 
Weg  in  entgegengesetzter  Richtung,  nämlich  au  den  Ober- 
rhein hauptsächlich  zwischen  Basel  und  Strassburg,  wahr- 
scheinlich auch  weiter  stromaufwärts  bis  an  den  Bodensee 
sammt  den  jenseits  angrenzenden  Gebieten.  Denn  die  durch 
das  ganze  Mittelalter  blühende  und  schliesslich  im  14.  Jahr- 
hundert aufgefrischte  Kunstthätigkeit  am  Oberrhein  kann 
an  umfang  und  Bedeutung  nur  aus  dem  Grande  unter- 
schätzt werden,  weil  die  Reformation  hier  ziemlich  radical 
im  Bildersturme  vorging  und  so  die  Nachrichten  der  greif- 
baren Belege  beraubte.  In  dritter  Richtung  dann  leitete 
der  Neckar  auf  den  Mittelrhein,  hauptsächlich  auf  Mainz 
und  Umgebung,  und  von  da  besonders  verlockend,  aber  nicht 
jedem  erreichbar  auf  den  Niederrhein  und  das  Gebiet  von 
Köln.  Dass  der  eine  oder  andere  schwäbische  Kunstjünger 
in  seinen  Wanderjahren  den  Rhein  abwärts  bis  nach  den 
Niederlanden  gelangte,  ist  wohl  sicher,  blieb  aber  Ausnahme, 
wie  wir  überhaupt  im  Gegensatze  gegen  die  landläufige 
Annahme  einen  unmittelbaren  niederländischen  Einfluss  auf 
die  nümbergischen  Quattrocentisten  geradezu  leugnen,  auf 
Schwaben  aber  nur  sehr  beschränkt  zuzugeben  vermögen. 

Der  niederländische  Einfluss  ist  ja  in  Köln  seit  Stephan 
Lochner,  den  wir  unerachtet  seiner  oberrheinischen  Herkunft 


V.  Reber:  Stüentwicklufig  der  schwäbischen  Tafel- Malerei.    347 

als  einen  Kölner  betrachten  müssen,  zweifellos,  wenn  auch 
nicht  alleinherrschend.  Die  Nachbarschaft,  wie  die  lebhaften 
Handels-  und  Verkehrsbeziehungeu  machen  ihn  an  dieser  Stelle 
auch  leicht  begreiflich  und  erklärlich.  In  Oberdeutschland 
aber  finde  ich  ihn  im  Quattrocento  nur  an  zwei  Punkten 
entschieden,  nemlich  in  Kolmar  und  Nördlingen.  M.  Schon- 
gauer  und  F.  Berlin  haben  ihn  entweder  unmittelbar  in  den 
Niederlanden  selbst  —  was  bei  dem  ersteren  das  wahrschein- 
lichere und  auch  traditionell  bezeugt  ist  —  oder  mittel- 
bar im  Gebiet  von  Köln  empfangen.  Dieser  Import  fand 
jedoch  vorerst  keine  weitere  Nahrung.  Man  kann  sich  leicht 
denken,  dass  der  oberdeutsche  Kunstjünger,  wenn  er  auch 
in  seinen  Wanderjahren  Geld  und  Muth  genug  hatte,  Köln 
und  die  Niederlande  zu  bereisen,  bei  seinen  Vorkenntnissen 
dort  keine  Beschäftigung  fand  und  sich  daher  auch  nicht 
so  lange  zu  halten  vermochte,  als  zu  einer  gründlicheren  Aus- 
bildung oder  Umbildung  erforderlich  gewesen  wäre.  Selbst 
unter  günstigen  Umständen  mochte  es  ihm  kaum  gelingen, 
viel  mehr  als  die  Oeltechnik  und  sonst  technische  Recepte  zu 
erraffen  oder  etwa  an  Gemälden  in  Kirchen  sein  Skizzenbuch 
zu  bereichem.  Gelang  es  ihm  aber  den  Bann  zu  brechen, 
so  kehrte  er,  wie  der  Meersburger  Stephan  Lochner  oder  der 
Mainzer  Memling,  überhaupt  nicht  mehr  zurück. 

Noch  verschlossener  blieb  dem  schwäbischen  Kunst- 
jünger jener  Zeit  Italien.  Der  Ruf  von  der  künstlerischen 
Ueberlegenheit  der  Apenninenhalbinsel  war  um  die  Mitte 
des  15.  Jahrhunderts  noch  kaum  nach  Deutschland  ge- 
drungen. Florenz  war  überhaupt  zu  ferne  und  der  bedeu- 
tendere Kunstaufschwung  der  norditalienischen  Städte,  vorab 
von  Venedig  und  Mailand,  datierte  erst  aus  den  letzten  De- 
zennien des  Säculums.  Zu  dem  weiten  und  beschwerlichen 
Wege  kam  übrigens  noch  die  Verschiedenheit  der  Sprache, 
welche  zwar  nicht  hinderte,  dass  von  oberdeutscher  Seite 
aus     ansehnliche    Handelsbeziehungen     eingeleitet     wurden, 


mm 


348      Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  1.  Dezember  JS94. 

welche  aber  den  weniger  weltläufig  gebildeten  Kunst- 
jünger von   dem  Abenteuer   zurückschrecken  mochte. 

Es  war  somit  das  Wandergebiet,  im  Wesentlichen  auf 
Süddeutschland  beschränkt,  nicht  allzuweit  und  Hess  die 
nutzbringendsten  Wege  fast  unbetreten.  Die  Ziele,  zu  wel- 
chen diese  geführt  hätten,  wären  auch  den  derben  Schwaben 
und  Franken  bei  der  Unreife  ihrer  Vorbildung  und  bei  der 
Herbheit  ihrer  Anschauungen  fremdartig  gewesen.  In  erster 
Linie  italienische  Kunst,  in  deren  Formensprache  sich  der 
damalige  deutsche  Kunstjünger  wohl  so  wenig  hätte  finden 
können  wie  in  die  italienische  Sprache  selbst.  Augenschein- 
lich aber  war  auch  die  Kölner  Sentimentalität  und  Süssig- 
keit  nach  Art  der  sog.  Schule  des  Meisters  Wilhelm,  ihrer 
knochigen  "und  breitspurigen  Art  so  wenig  sympathisch  wie 
die  Subtilität  der  Niederländer.  Der  Entgang  hatte  aber 
auch  seine  vortheilhafte  Seite,  denn  verhältnissmässig  wenig 
berührt  von  aussen  vermochte  der  wackere  Oberdeutsche 
seine  eigene  handwerklich  urwüchsige  gesunde  Bahn  zu 
verfolgen,  ohne  sein  Schaffen  irgendwie  in  ihm  unbequeme 
Geleise  zwängen  zu  müssen. 

Wir  können  auch  nicht  zugeben,  dass  der  niederlän- 
dische Einfiuss  der  oberdeutschen  Kunst  des  15.  Jahrhunderts 
in  soweit  die  Richtung  gab,  als  dies  durch  die  Vermittlung 
Martin  Schongauers  möglich  gewesen  wäre.  Schongauers 
Einwirkung  kann  überhaupt  nicht  so  früh  erfolgt  sein,  um 
die  landläufige  Vorstellung  von  der  Vorortschaft  Kolmars 
im  Entwicklungsgange  der  quattrocentistischen  Kunst  Ober- 
deutschlands zu  begründen.  Am  wenigsten  für  Franken, 
wo  schon  um  die  Zeit  der  Geburt  Schongauers  ein  Haupt- 
meister Nürnbergs,  Hans  Pleydenwurff,  im  Vollbesitz  jenes 
Nürnberger  Lokalstils,  der  bis  Dürer  weder  wesentlich  ver- 
ändert noch  auch  überboten  wurde,  sich  befand.  Aber  auch 
Schwaben  war  schon  vor  der  Schaffensperiode  des  grossen 
Kolmarers,  also  unabhängig  von  ihm  zu  einer  ansehnlichen 


V,  Reber:  Stäentwicklung  der  schwäbischen  Tafel-Mcderei.     349 

Leistungsfähigkeit  gelangt.  Denn  schon  vor  Scbongauers 
Geburt  hatte  Lukas  Moser  sein  tüchtiges  Altarwerk  von 
Tiefenbronn  gemalt.  Dann  war  Schongauer  wohl  noch  nicht 
mit  seiner  Ausbildung  zu  Ende  und  von  der  muthmasslicben 
Wanderschaft  in  den  Niederlanden  zurückgekehrt,  als  Hans 
Schüchlin  den  Hochaltar  in  derselben  Tiefenbronner  Dorf- 
kirche schuf,  in  welche  Moser  einen  Seitenaltar  gesetzt  hatte, 
und  ebensowenig  konnte  der  noch  nicht  zwanzigjährige 
Kolraarer  einen  Einfluss  auf  Friedrich  Herlin,  den  wir 
gleichfalls  als  Schwaben  betrachten  müssen,  ausüben,  als 
dieser  seine  frühesten  Altare  in  Nördlingen  und  Rothenburg 
an  der  Tauber  ausführte.  Es  ist  also  chronologisch  falsch, 
Schongauer  an  die  Spitze  der  ganzen  Entwicklung  zu  setzen. 
Wir  können  übrigens  auch  nicht  zugeben,  dass  er  weiterhin 
in  dem  Maasse  umbildend  und  überhaupt  stilbildend  auf  die 
Monumentalkunst  Oberdeutschlands  gewirkt  habe,  wie  dies 
gewöhnlich  angenommen  wird.  Gewiss  waren  seine  Stiche 
in  den  siebziger  Jahren  in  viele  Werkstätten  gedrungen  und 
wurden  auch  als  Vorlagen  im  Einzelnen  wie  im  Ganzen 
ausgebeutet.  Wenn  aber  auch  dies  nicht  ohne  Einfluss  auf 
Erfindung,  Gomposition,  Zeichnung,  Ausdruck  u.  s.  w.  blieb, 
so  war  dieser  Einfluss  doch  kein  im  Ganzen  und  Grossen 
stilbedingender.  Dies  konnte  er,  abgesehen  von  anderen 
später  zu  erörternden  Umständen,  schon  aus  zeitlichen 
Gründen  nicht-  mehr  sein,  denn  damals  war  der  schwäbische 
wie  fränkische  Stil  bereits  fertig  und  auf  ganz  anderen 
Wegen  zu  seiner  Oberdeutschland  beherrschenden  Eigenart 
gelangt. 

Die  Untersuchung  dieser  Wege  zwingt  uns,  zunächst 
über  das  15.  Jahrhundert  zurückgreifend,  einen  Blick  auf  die 
Lage  der  deutschen  Tafel- Malerei  und  ihr  Verhältniss  zu  den 
mittelalterlichen  Maltechniken  zu  werfen.  In  diesem  Ver- 
hältniss aber  liegt  der  Schlüssel  zur  Erklärung  mancher 
auffälligen  Erscheinung,  wie  z.  6.  die  der  täuschenden  Gleich- 


•■^50       Sitzung  der  hiMorischen  Clause  vom  1,  Dezember  1894. 

artigkeit  der  Werke  des  Schwaben  U.  Apt  und  der  Regens- 
burger Schule  des  A.  Altdorfer.  Und  was  noch  wichtiger, 
zugleich  die  Erkenntniss-Grundlage  für  die  Stadien  der  Stil- 
entwicklung der  oberdeutschen  Tafel-Malerei  des  spateren 
Mittelalters. 

Die  oberdeutsche  Tafel -Malerei  ist  verhältnissmässig 
jung.  Damit  soll  nicht  gesagt  sein,  dass  es  vor  der  zweiten 
Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  eine  solche  überhaupt  nicht  ge- 
geben hätte.  Denn  wie  schon  in  byzantinischer  Zeit,  so 
lieferte  man  auch  in  der  romanischen  und  frühgothischen 
Periode  vereinzelte  Arbeiten  der  Art,  sei  es  in  den  Ver- 
täfelungsföllungen  der  Decken  und  Wände,  oder  in  den 
Antependien  (Vorsatzstücken  der  Altartische)  oder  auch  wohl 
in  Superfrontalien  oder  Retabeln  (Altaraufsätzen).  Die  her- 
vorragendsten erhaltenen  Beispiele  aus  dem  12.  und  13.  Jahr- 
hundert müssen  allerdings  in  Niederdeutschland  gesucht 
werden,  wie  in  den  berühmten  Deckenmalereien  von  S. 
Michael  in  Hildesheim,  im  Antependium  (?)  der  Walpurgis- 
kirche  zu  Soest  (jetzt  im  Museum  des  Westphälischen  Kunst- 
vereins zu  Münster)  und  in  den  Superfrontalien  aus  Quedlin- 
burg (?) ;  (seit  1880  im  Museum  des  Westphälischen  Kunst- 
vereins in  Münster  n®  104)  und  aus  S.  Maria  zur  Wiese  in 
Soest  (jetzt  in  den  k.  Museen  zu  Berlin)  *).  Wir  kennen  keine 
anderen  sicher  vor  1300  entstandenen  Tafel  werke;  denn  die 
angeblich  gleichalten  Ketabelwerke  des  Niederrheins  und 
Westphalens  stammen  bereits  aus  dem  14.  Jahrhundert.  So 
das  Superfrontale  von  S.  Ursula  im  Wallraf-Richartz'schen 
Museum  zu  Köln,  von  welchem  nur  das  gestanzte  und  email- 
lierte Rahmenwerk  noch  der  romanischen  Periode  angehört, 
während  die  goldgründigen  Holztafeln,  mit  den  in  schwarzen 
Umrissen  ausgeführten  und  nur  in  den  nackten  Theileu 
farbig  gemalten  Figuren  sicher  erst  im  14.  Jahrhundert  an 

1)  Cl.  Heeremann  v.  Zuydwik.    Die  älteste  Tafel-Malerei  West- 
phalenü.    Mfinater  1882. 


V.  Reber:  Stüenticicklung  der  schwäbischen  Tafel- Mal  er  ei.     351 

die  Stelle  der  meiallgetriebenen  Füllungen  getreten  sind^),  was 
in  ähnlicher  Weise  auch  an  dem  Superfrontale  in  S.  Maria 
zur  Höhe  in  Soest  der  Fall  ist. ')  Für  etwas  älter  als  diese 
beiden  Malwerke  halten  wir  das  kleine  Kapellen-  oder  Haus- 
triptychon  mit  der  Kreuzigung  und  vier  Marienscenen  im 
Wallraf-Museum  zu  Köln^)  von  einem  Miniator  bald  nach  1300 
auf  goldgrundierten  Holztafeln  gemalt.  Ja  selbst  die  etwas 
jüngeren,  ihrem  Stile  nach  mit  Wandmalerei  zusammen- 
hängenden Flügelpaare  desselben  Museums  mit  den  Figuren 
des  Johannes  und  Paulus^),  wie  die  verwandten  Tafeln  mit 
der  Verkündigung  und  Darbringung  im  Tempel^)  scheinen 
noch  älter  als  die  Malereien  der  Tafel  von   S.  Ursula. 

Es  kann  nicht  in  Abrede  gestellt,  aber  auch  nicht  be- 
wiesen werden,  dass  ähnliche  Versuche  auch  in  Oberdeutsch- 
land gemacht  wurden.  So  gering  aber  der  Prozentsatz  des 
Erhaltenen  dem  einstigen  Bestände  gegenüber  in  Deutsch- 
land®) sein  mag,  so  darf  doch  angenommen  werden,  dass 
ein  figürlich  gemalter  Decken-  und  Altarschmuck   nicht  die 


1)  Kat.  W.  Müller  von  Königswinter  n«  85.  Kat.  Niesten  (1877) 
n»  106.  A.  G.  Stein,  Die  Pfarre  zur  h.  Ursula.  Köln  1880.  S.  182. 
Wir  würden  sie  fär  imitatorischen  Ersatz  älterer  NiellofüUungen 
halten,  wenn  wir  nicht  von  Domkapitular  Schnütgen  in  Köln  belehrt 
worden  wären,  dass  Niello  in  jener  Zeit  in  den  Rheinlanden  nicht 
im  Gebrauch  war. 

2)  J.  Aldenkirchen,  Die  mittelalterliche  Kunst  in  Soest.  Heraus- 
gegeben vom  Vorstand  des  Vereins  von  Alterthumsfreunden  im  Rhein- 
lande.  Bonn  1875.  —  £.  F.  A.  Münzenberger.  Zur  Kenntniss  und  Wür- 
digung der  mittelalterlichen  Altäre  Deutschlands.  Frankfurt  a.  M. 
1885—1890.     S.  28-27. 

3)  Kat.  W.  Mfiller  no  2.    Kat.  Niessen  n»  80. 

4)  Kat.  W.  Maller  n«  8.  4.    Kat.  Niessen  no  81.  82. 

5)  Kat.  W.  Müller  n»  5.  6.    Kat.  Niessen  no  38.  34. 

6)  Das  Museum  in  Bergen  besitzt  nicht  weniger  als  vier  roma- 
nische oder  romanisierende  Tafeln  norwegischer  (?)  Kunst,  welche 
als  Antependien  oder  Superfrontalien  gedient  haben  mögen.  Ge- 
fällige  Mittheilung  von  Domkapitular  Schnütgen. 


352       Sitzung  der  historischen  Classe  vom  1.  Dezember  1894. 

Regel,  sondern  dass  er  sogar  selten  war.  Vertäfelte  Decken, 
die  übrigens  vom  12.  Jahrhundert  ab  meist  durch  Gewölbe 
verdrängt  wurden,  waren,  wenn  überhaupt  farbig  geschmückt, 
so  gewohnlich  nur  ornamental  polychromiert,  und  der  Altar 
war,  wenn  die  steinerne,  manchmal  mit  einem  säulen- 
getragenen Baldachin  (Ciborium)  bedeckte  Mensa  überhaupt 
etwas  anderes  als  bewegliches  Geräth  trug,  meist  tektonisch 
und  plastisch  wie  mit  Emailarbeiten  geschmückt.  Das  Malen 
auf  Holz  blieb  in  der  Regel  Anstrich,  und  erging  sich,  wenn 
man  über  ornamentale  Färbung  von  Holzwerk,  Mobilien 
u.  s.  w.  hinausstrebte,  bis  gegen  die  Mitte  des  14.  Jahr- 
hunderts hauptsächlich  in  heraldischer  Bemal iing  von  Armatur- 
stücken. Kein  Wunder,  dass  bei  einer  so  beschränkten  Uebung 
die  Tafel-Malerei  als  Schilderei  im  eigentlichen  Wortsinne 
zu  organischer  Ausbildung  eines  eigenen  Stiles,  d.  h.  zu 
einer  mit  ihrem  Material  in  Einklang  stehenden  eigenartigen 
Erscheinung  nicht  kam,  und  ziemlich  selbstlos  an  die  Wand- 
oder Miniatur-Malerei,  in  selteneren  Fällen  an  Glas-  und 
Email -Malerei,  sonst  sogar  an  textile  und  an  plastische 
Vorbilder  sich  anschloss. 

Reicheren  Betrieb  finden  wir  in  anderen  Maltechniken. 
Von  diesen  war  freilich  die  Wandmalerei,  seit  die  Gothik 
Eingang  gefunden,  im  Vergleich  zu  der  Thätigkeit  der 
byzantinisch -romanischen  Periode  in  dem  Maasse  zurück- 
gegangen, als  die  Wandfelder  in  Folge  fortgesetzter  Zer- 
klüftung durch  die  Pfeiler  -  Construction  ihre  grossen  Er- 
streckungen eingebüsst  hatten.  Konnte  sich  an  den  Pfeilern 
der  epische  Cyklenschmuck  früherer  Zeiten  nicht  mehr  ent- 
falten, so  lag  es  nahe,  auch  hier  sich  auf  omamentale  Poly- 
chromie  zu  beschränken,  welche  sich  den  vielgliedrigen  Pro- 
filen und  verschnittenen  Wandflächen  leichter  anpassen  liess, 
als  figürliche  Gomposition.  Je  seltener  aber  bei  der  zu- 
nehmenden Wandgliederung  der  gothischen  Architektur  die 
Gelegenheit  zu  Wandgemälden  wurde,  desto  weniger  konnte 


r.  Reher:  Stüentwicklung  der  schwäbischen  Tafel- Malerei.     353 

diese  Kunstart  Schritt  halten  mit  den  übrigen  Malgebieten 
und  den  Wandmalereistil  in  organischer  Selbstständigkeit 
weiterbilden.  Sie  zehrte  daher  mehr  und  mehr  von  den 
umfänglicher  betriebenen  und  darum  ihr  stilbildend  voraus- 
geeilten anderen  Techniken,  was  sie  nicht  hinderte,  ihrer- 
seits den  zunächst  tiberwiegenden  Einfluss  auf  die  noch 
seltenere  Tafel-Malerei  zu  üben. 

Von  den  übrigen  Maltechniken  hatte  sich  seit  dem 
13.  Jahrhundert  zu  besonderer  Beliebtheit  die  Glasmalerei 
erhoben,  welche  schon  durch  ihre  musivische  Zusammen- 
setzung, durch  den  kräftigen  Verbleiungsumriss  und  durch 
die  transparenten  Farben  frühzeitig  ein  Gepräge  erhalten 
hatte,  in  welchem  Material  und  Darstellungsweise  sich  zu 
harmonischer  Einheit  und  somit  zu  selbständig  stilvoller  Er- 
scheinung verbanden.  Ihre  augenfällige,  ja  aufdringliche 
Stellung  unterstützte  ihre  in  der  gothischen  Monumental- 
kunst entschiedene  Bevorzugung,  welche  kaum  geringer  war, 
als  in  der  byzantinischen  Zeit  die  des  goldgründigen  Mosaiks. 
Diese  Bevorzugung  musste  ihr  auch  einen  ähnlich  bedeut- 
samen Einfluss  auf  die  übrigen  Maltechniken  erwirken,  wie 
ihn  einst  das  Mosaik  geübt  hatte.  Wir  finden  ihn  that- 
sächlich  dominierend  im  Stammlande  der  Gothik,  nemlich 
in  Frankreich,  und  sonst  am  meisten  in  den  von  der  fran- 
zösischen Gothik  nächstbeeinflussten  unteren  Rheinlanden. 
Und  zwar  in  den  letzteren  am  deutlichsten  in  der  Wand- 
malerei, durch  diese  in  den  Altartafeln,  und  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  auch  in  den  Miniaturen. 

Die  Miniaturen  blieben  Ausgangs  des  Mittelalters  das 
meistgepflegte  Gebiet.  In  Deutschland  im  13.  Jahrhundert 
gewöhnlich  etwas  dilettantisch  betrieben,  hatte  die  franzö- 
sische Illuminierkunst  desselben  Jahrhunderts,  wie  die  nieder- 
ländische des  14.  Säculums  eine  höchst  erfreuliche  Entwick- 
lung gefunden,  letztere  an  mehreren  Punkten  sogar  in  dem 
Maasse,    dass  vlämische    Illuministen    nicht   selten    an    den 


354       Sitzung  der  historischen  Glatsse  vom  1.  Dezember  1894. 

französischen  Königshof  wie  an  die  verwandten  Herzogshöfe 
entboten  wurden.  Dieser  Höhepunkt  fiel  freih'ch  in  die  Zeit 
kurz  Yor  der  letzten  Stunde  der  Miniaturkunst  selbst,  denn 
wie  aus  den  handschriftlichen  die  gedruckten  Bücher,  so  ent- 
sprangen bekanntlich  aus  dem  Bilderschmuck  der  Codices 
Holzschnitt  und  Kupferstich.  Ausserdem  aber  auch,  was  für 
unsere  Frage  von  höherer  Wichtigkeit  ist,  aus  dem  Vor- 
betrieb der  Illuminatoren  die  altniederländische  Tafel-Malerei. 
Denn  wenn  wir  auch  nicht  verkennen,  dass  dabei  die  Plastik 
der  Schulen  von  Tournay  und  Dijon  keineswegs  ohne  Ein- 
fluss  war,  und  dass  die  fruchtbare  Heranziehung  des  vor- 
maligen Anstrichbindemittels,  des  Oeles,  auf  das  epoche- 
machende Ereigniss  der  Erscheinung  der  van  Eyck  nicht 
wenig  einwirkte,  so  können  wir  doch  die  Behauptung  in 
keiner  Weise  beschränken,  dass  das  altniederländische  Tafel- 
bild im  Wesentlichen  als  eine  Uebertragung  der  Pergament- 
Malerei  auf  die  Hoiztafel,  mithin  der  Kleinkunst  auf  eine 
halbmonumentale  Kunst  zu  erklären  sei. 

Während  wir  aber  in  Köln  neben  Steinplastik  und 
Wandmalerei  das  Glasgemälde,  in  den  Niederlanden  die 
Miniaturkunst  als  hervorragende  Motoren  der  aufblühenden 
Tafei-Malerei  zu  bezeichnen  haben,  finden  wir  im  übrigen 
Deutschland  von  einer  Beeinflussung  des  Tafelbildes  durch 
Glas-  und  Miniaturmalerei  wenig  Spuren.  Schon  im  mittel- 
rheinischen Gebiet  überwiegt  der  Einfluss  des  Wandgemäldes 
auf  das  Tafelbild,  wenn  auch  das  um  1400  entstandene 
Altargemälde  von  Ortenberg  in  Hessen,  jetzt  in  der  gross- 
herzoglichen Galerie  zu  Darmstadt,  die  heil.  Sippe  mit  vier 
Heiligen  im  Mittelbild,  die  Geburt  Christi  und  die  drei  Könige 
auf  Flügeln  darstellend,  stilistisch  geradezu  als  Yergrösserung 
eines  Miniaturwerkes  erscheint.  Das  ist  jedoch  ein  Ausnahms- 
fall, während  sich  von  der  Uebertragung  des  Wandmalerei- 
stils auf  das  Tafelbild,  wie  sie  sich  auf  dem  ungefähr  gleich- 
zeitigen Tafelwerk  von  Seligenstadt,  die  hh.  Ottilia,  Barbara, 


I 


V.  Beber:  Stüentwicldung  der  schwäbischen  Tafel-Malerei,     355 

Agatha  and  Walpnrgis  darstellend,  zu  erkennen  gibt,  mehrere 
Belege  am  Mittelrhein  aufweisen  lassen.  Ebenso  am  Ober- 
rhein, wo  sich  übrigens  aus  der  Frtihzeit  Erhebliches  nicht 
erhalten  hat.  Seinem  Gebiet  aber  dürfen  wir  die  böhmische 
Kunst  der  zweiten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  insoferne  an- 
reihen, als  auch  der  Strassburger  Import  (Wurmser)  an  ihr  einen 
gewissen  ,^Antheil  hat.  Sie  liegt  übrigens  unserem  engeren 
Untersuchungsgebiete  zu  ferne,  um  uns  zu  einem  weitläufigen 
Eingehen  auf  ihre  den  königlichen  Berufungen  gemäss  sich 
vollziehenden  Kompromisse  oberrheinischer,  norditalienischer 
und  böhmischer  Elemente  zu  veranlassen,  doch  werden  wir 
auf  ein  sporadisches  Erscheinen  böhmischer  Kunst  in  Schwaben 
zurückkommen. 

Wenig  Spuren  einer  Abhängigkeit  von  Glasmalerei  und 
Miniaturkunst  zeigt  auch  die  fränkische  (nürnbergische)  Tafel- 
Malerei  von  ihren  kümmerlichen  Anfängen  bis  zur  Jugend- 
zeit Dürers.  Auch  diese,  in  ihrer  Frühzeit  dem  Vorbilde  der 
Wandmalerei,  dann  z.  Th.  böhmischen  und  kölnischen  Ein- 
flüssen und  seit  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  der  Schnitz- 
kunst folgend,  soll  weiterhin  nur  insoferne  in  Betracht 
gezogen  werden,  als  sie  in  die  schwäbische  Thätigkeit  ein- 
greift. Etwas  mehr  Miniaturen  -  Einfluss  darf  man  im  Ge- 
biet Bayerns  südlich  von  der  Donau,  wie  Oesterreichs  im 
engeren  Sinne,  annehmen,  in  welchen  Landen  übrigens  bis 
gegen  das  Ende  des  15.  Jahrhunderts  eine  nennenswerthe 
Thätigkeit   in   der  Tafel -Malerei   nicht   zu  konstatieren   ist. 

Dagegen  sind  wir  in  der  Lage  an  der  ältest  erhaltenen 
Tafel-Malerei  Schwabens  gothischer  Zeit  die  stilistische  Ab- 
leitung derselben  von  der  Wandmalerei  nachzuweisen.  Wir 
meinen  das  Tafelbild  im  Thürbogen  des  Sommerrefektoriums 
zu  Bebenhansen,  wohl  unmittelbar  nach  Erbauung  des  Saales 
(1335)  gemalt  und  das  einzige  gesicherte  Tafel  werk  Schwa- 
bens dieser  Frühzeit.  *)   Es  stellt  Maria  auf  dem  Thron  Salo- 

1)  Eine  gute  Aquarellkopie  im  Museum  für  vaterländische  Alter- 


356       Sitzung  der  historischen  Classe  vom  1.  Deeemher  1894, 

mons  und  ihre  Tugenden  bei  der  Verkündigung  dar.  Die 
wunderliche  auf  Albertus  Magnus^)  zurückgebende  mystisch- 
symbolische Komposition  von  der  äusseren  Gestalt  eines  spitz- 
bogigen  Tympanon  zeigt  eine  Estrade  von  sechs  Stufen,  vor 
welcher  in  der  Mitte  Salomon  in  einer  Nische  thront,  wäh- 
rend jederseits  je  sechs  Löwen  die  Stufen  emporklettern. 
Vor  und  an  den  Stufen  stehen  dann  die  allegorischen  Ge- 
stalten der  Tugenden  mit  entsprechender  Bezeichnung,  links 
von  unten  anfangend  Virginitas,  Solitudo,Humilitas  und  Miseri- 
cordia,  rechts  Obedientia,  Verecundia,  Prudentia  und  Veritas, 
über  deren  gothischen  Baldachinen  (mit  Ausnahme  der  beiden 
untersten)  sechs  Halbfiguren  mit  Spruchbändern  aus  Jesaias, 
Ezechiel,  dem  4.  Hebräerbrief  und  der  Apokalypse  angebracht 
sind.  Oben  in  der  Mitte  aber  erhebt  sich  der  von  zwei 
Löwen  (Fortitudo  und  Formido)  getragene  Thron  mit  der 
etwas  grösseren  Gestalt  Mariens,  welche  das  auf  ihren  Knieen 
stehende  Kind  hält. 

Schon  die  ganze  Anordnung  mit  den  in  flach  behan- 
delten Tabernakeln  stehenden  Figuren  ist  wandmalereiartig 
und  auch  dem  um  mehr  als  ein  halbes  Jahrhundert  älteren 
Wandgemälde  desselben  Inhalts  im  Dom  zu  Gurk  wie  ander- 
seits auch  einem  dem  Bebenhauser  Bild  annähernd  gleich- 
alten Tafelbild  aus  Wormel  bei  Paderborn,  jetzt  im  christl. 
Museum  zu  Berlin  verwandt.*)  Dagegen  würde  auch  der 
Umstand  nicht  sprechen,  wenn  das  Bild  wirklich  in  Oelfarbe 
gemalt  wäre,  wie  auf  Zeugniss  von  H.  Leibnitz  hin  von 
E.  Paulus  berichtet  wird.  Da  jedoch  durch  nachträgliche 
Befeuchtung  eines  Gemäldes  mit  Oel,  womit  vertrocknete  und 


thümer   in  Stuttgart.    Publiziert  und  erläutert  von  E.  Paulus,  Die 
Cisterzienser- Abtei  Bebenhausen,  Stuttgart  1887,  S.  116  fg. 

1)  de  laud.  Mariae  X.  2  §  24  und  Parabel  des  Bernhard  von 
Clairvaux  zu  Psalm  85.  Vgl.  F.  Piper,  Jahrbücher  für  Kunstwissen- 
schaft V.     1878. 

2)  E.  Paulus,  a.  a.  0.,  S.  118. 


V,  Beher:  Stüentwicklung  der  schtoähischen  Tafel- Malerei.    357 

taubgewordene  Tempera-  wie  Wasserfarbenbilder  wohl  öfter 
conserviert  und  wieder  farbenfrisch  gemacht  worden  sind, 
die  an  sich  nicht  einfache  Unterscheidung  von  Tempera- 
und  Oelmalerei  an  Werken  der  Frühzeit  sehr  schwierig  ge- 
macht ist,  dürfte  diese  Notiz  mit  grosser  Vorsicht  aufzu- 
nehmen sein.  Jedenfalls  ist  Vortrag  und  Maltechnik  wand- 
malereiartig: der  Umriss  eingeritzt,  die  Malerei  breit  und 
nach  Licht  und  Schatten  nur  durch  hellere  und  dunklere 
Farbe,  in  Gesichtern,  Händen,  Haaren  u.  s.  w.  sogar  nur 
durch  eingezeichnete  Linien  modifiziert,  die  Farbe  einfach 
und  unvermischt,  weiss,  schwarz,  roth,  gelb,  blau  und  saft- 
grün, ihr  Auftrag  durchaus  dünn  und  eben.  Auch  der  noch 
auf  der  Tradition  von  Musivbildem  beruhende  Goldgrund 
kann  nicht  dagegen  geltend  gemacht  werden,  wie  auch  die 
Tafel,  aus  Tannenbrettern  mittelst  Ueberklebung  mit  Leinwand 
und  Auftrag  eines  starken  Kreidegrundes  einen  dem  Wand- 
verputz  ähnlichen  Malgrund  darbot.  So  reiht  sich  denn 
dieses  Werk  völlig  gleichartig  an  die  stattliche  Reihe  von 
erhaltenen  württembergischen  Wandmalereien  von  der  Kirche 
zu  Burgfelden  bis  zu  den  Wandgemälden  von  Brenz,  Lieben- 
zell,  Neuenburg  und  Mühlhausen  am  Neckar,  wie  auch  von 
den  noch  vor  und  um  1400  entstandenen  im  bayerischen 
Schwaben,  wie  im  Grossherzogthum  Baden.  Von  einer 
eigentlichen  Tafelkunst  mit  selbständigem,  dem  Material 
entsprechenden  Stil  aber  kann  so  wenig  die  Bede  sein,  wie 
von  stilistischer  Provenienz  aus  der  Miniaturmalerei  oder 
aus  plastischen  Vorbildern. 

Neben  diesem  Werke  müssen  wir  eines  ebenfalls  noch 
dem  14.  Jahrhundert  angehörigen  Guriosums  gedenken,  nem- 
lich  eines  Altarwerkes  böhmischer  Art,  welches  sich  in  der 
1380  von  Reinhart  von  Mühlhausen,  Bürger  von  Prag,  er- 
bauten Vituskirche  zu  Mühlhausen  am  Neckar,  einem  sechs 
Kilometer  von  Cannstadt  fiussabwärts  am  linken  Ufer  liegen- 
den  Dorfe,    befindet.     Dabei    kommen   die    das    Innere   der 


358      Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  1.  Dezember  1694. 

ganzen  Kirche  bedeckenden  Wandmalereien  nicht  in  Be- 
tracht, weil  selbst  die  ältesten  noch  aus  dem  14.  Jahr- 
hundert stammenden  Theile  derselben,  wie  die  Propheten- 
und  Apostelgestalten  an  der  Schlusswand  des  Schiffs  beider- 
seits vom  Triumphbogen  oder  das  Jüngste  Gericht  über  dem 
Triumphbogen  auf  der  Chorseite  oder  die  Einzelfiguren  in 
den  Gewölbfeldern  des  Chors  mit  jenem  Altarwerk  nichts 
zu  thun  haben,  und  von  einheimischen  (geringen)  Malern 
herrühren.  Noch  weniger  die  beiden  spätgothischen  Tripty- 
chalaltäre  mit  geschnitzten  Mitteltheilen,  nemlich  der  jetzige 
Hochaltar  und  der  linke  Seitenaltar,  welche  beide  trotz  der 
Inschrift  auf  der  Rückseite  des  Hochaltarschreins  ^)  ganz  und 
namentlich  in  sämmtlichen  Malereien  dem  Anfang  des  16. 
Jahrhunderts,  der  Hochaltar  speziell  dem  Jahre  1510  an- 
gehören. 

Das  aus  der  Stifbungszeit  der  Kirche  stammende  und 
wohl  erst  bei  Anlage  des  dermaligen  Hochaltars  von  seiner 
ursprünglichen  Stelle  entfernte  Altarwerk  aber  besteht  aus 
fünf  Tafeln  aus  Tannenholz,  die  sämmtlich  beiderseits  be- 
malt sind.  Jetzt  sind  fälschlich  die  drei  Tafeln,  welche  vorne 
in  dem  Mittelbilde  den  h.  Wenzeslaus,  in  den  beiden  Seiten- 
bildern links  den  h.  Vitus,  rechts  den  h.  Sigisraund  zeigen, 
miteinander  in  einen  Rahmen  verbunden  und  so  im  Chor 
rechts  aufgestellt,  während  zwei  andere  Flügel  beiderseits 
vom  Altar  rahmenlos  an  der  Wand  lehnen.  Ursprünglich 
aber  mussten  die  Tafeln  mit  dem  h.  Vitus  und  dem  h.  Sigis- 
mund  als  bewegliche  Flügel  der  Wenzeslaus-Mitteltafel  an- 
gehängt gewesen  sein,  da  ihre  Rückseiten -Malereien,  in  der 
oberen  Hälfte  die  Krönung  Maria,  in  der  unteren  die  Ver- 
kündigung darstellend,  diese  Vorstellungen  nur  dann  richtig 


1)  C.  Grüneisen,  Uebersicht liehe  Beschreibung  älterer  Werke 
ddr  Malerei  in  Schwaben.  Besonderer  Abdmok  aus  Kunstblatt  1840 
no  96  und  98. 


V,  Eeher:  StüentwicMung  der  schwäbischen  Tafel-Malerei.    359 

gaben,  wenn  die  Flügel  das  Wenzeslausbild  bedeckend  ge- 
schlossen waren,  während  jetzt  die  beiden  Hälften  der  zwei 
Kompositionen  ihre  Figuren  nicht  blos  weit  von  einander 
entfernt,  sondern  auch  auseinander  sehend  zeigen.  Dagegen 
waren  die  beiden,  jetzt  von  dem  Triptychon  getrennten 
Tafeln    fest  mit   dem  Mittelbilde   verbunden,    und   zwar  so, 


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Schema  des  Altarwerks  von  1885  in  der  Kirche  za  MQhlhauBen  am  Neckar. 

dass  sie  die  Seiten  mit  den  Darstellungen  des  Schmerzens- 
mannes und  des  Grucifixus  nach  vorne  wandten,  während 
die  Stiftungsinschriften  mit  den  knieenden  Bildnissen  der 
Brüder  Reinhart  und  Eberhart  von  Mtihlhausen  beiderseits 
von  dem  Christus  am  Kreuz  mit  Maria  und  Johannes  dar- 
stellenden   Mittelbilde    die    Rückseite    des    Altares    bildeten. 

1894.  Philos.-phUoI.  u.  hiat.  Gl.  3.  31 


360      Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  1.  Dezember  1894. 

Das  beifolgende  Schema  gibt  den  Inhalt  der  durch  die  Flügel 
zu  yerändemden  Vorderseite  wie  der  unveränderlichen  Rück- 
seite. Ob  das  Ganze  auf  einer  Predella  stand  und  archi- 
tektonische wie  plastische  Umrahmung  und  Bekrönung  be- 
sass,  ist  nicht  sicher  bekannt.  ^)  Es  ist  übrigens  gewiss  nicht 
ganz  zufällig,  dass  die  einstige  Rückseite  ohne  wesentliche 
Restauration,  zum  Theil  freilich  in  einem  verzweifelten  Zu- 
stande blieb,  die  sieben  Tafelseiten  aber,  welche  bei  offenem 
und  geschlossenem  Altar  nach  vorne  zur  Ansicht  kamen, 
wahrscheinlich  schon  früher,  und  in  besonders  ärgerlicher 
Weise  1850  durch  den  Maler  Lamberty  erneuert  worden 
sind,  Eindruck  und  ürtheil  dadurch  beeinträchtigend  und 
störend,  dass  sich  dabei  die  einstige  Temperamalerei  in  eine 
weichliche  vertriebene  Oelmalerei  umgesetzt  hat. 

üeber  Stifter  und  Entstehungsjahr  des  Altarwerkes 
lassen  die  Inschriften  der  Flügelrückseiten  *)  keinen  Zweifel. 
Und  da  sich  die  Stifterbrüder  Bürger  von  Prag  nennen, 
einer  derselben,  der  1380  verstorbene  Eberhard  von  Mühl- 
hausen, sogar  in  den  Diensten  Karl  IV.  gestanden  war,  liegt 

1)  Die  Literatur  über  die  Kirche  von  Mühlhausen  nnd  den  Altar 
bei  £.  Paulus,  Die  Kunst-  und  Alterthumsdenkmale  im  Könifp-eich 
Württemberg.  Inventar.  S.  601.  Wir  folgen  in  Bezug  auf  die  An- 
ordnung unseren  eigenen  Erwägungen  an  Ort  und  Stelle.  Die  ge- 
ringen Maassdifferenzen  beruhen  einerseits  auf  Beschneidung  der 
modern  zusammengerahmten  drei  Bilder,  die  anscheinend  zu  geringe 
Breite  des  Mittelbildes  aber  konnte  durch  die  Stellung  der  Flügel- 
angeln ausgeglichen  gewesen  sein.  (Vgl.  vorstehendes  Schema.) 

2)  Auf  dem  linkseitigen  Flügel:  Do  man  czalt  von  cristi  ge- 
burt  I  mccclxxxv  iar  {  am  sant  wencesslaus  tag  {  wart  disse  tafel 
volbracht  |  von  dem  Erbn  Rein  |  hart  von  Mülhusen  bur  |  ger  zu  Prag 
Stifter  diss.  |  kapel  vnd  aller  an  der  |  ir  zu  gehOrd  Bittent  got  |  daz 
er  im  gnedig  sey  ame. 

Auf  dem  rechtseitigen  Flügel:  Do  man  czalt  von  cristz  |  ge- 
burt  tusent  dryhOdert  |  und  achcyg  iar  an  dem  |  fritag  vor  sant 
gyldn  I  tag  starb  Eberhart  von  |  Mülhusen  burger  czu  |  Prag  Reyn- 
hartz  Bruder  )  Stifters  disser  kapeil  {  Bittent  Got  vor  in. 


V.  Reber:  Stüentwichlung  der  schwäbischen  Tafel-Malerei.     361 

die  Annahme  nahe,  dass  sie  sich  bei  der  mit  Eberhards 
Todesjahr  zeitlich  zusammenfallenden  Eirchenstiftung  in 
Böhmen  thätiger  Künstler  bedienten.  Und  wenn  dies  sogar 
bei  dem  Eirchenbau  geschah^),  so  um  so  mehr  bei  der  Her- 
stellung von  Ältargemälden,  die  sogar  auf  böhmischem  Boden 
zur  Ausführung  kommen  konnten. 

In  der  That  ist  selbst  an  den  übermalten  Theilen  die 
böhmische  Provenienz  unverkennbar.  Namentlich  an  den 
drei  fast  lebensgross  dargestellten  böhmischen  Patronen, 
deren  breite  Gesichtstypen  mit  den  grossen  zu  stark  ins 
Profil  gesetzten  Nasen  ebenso  auf  traditionell  böhmische 
Vorbilder  zurückgehen,  wie  die  hochgezogenen  Achseln,  die 
dürftigen  Hüften,  die  Hände  mit  den  wieder  unrichtig  im 
Profil  gezeichneten  Nägeln,  die  grossen  Füsse  und  alles  Ko- 
stümliche einschliesslich  der  plastischen  Aasführung  von 
Wenzeslaus'  Kettenpanzer  mit  böhmischen  Werken  der  Zeit 
übereinstimmen.*)  Die  von  der  Restanration  unberührten 
Theile  aber,  insbesondere  das  erhaltenste  Stück  des  sonst 
sehr  beschädigten  Crucifixbildes  der  Rückseite,  nemlich  der 
Kopf  des  Johannes,  wie  auch  die  beiden  Stifterbildnisse  mit  den 
Inschriften  zeigen  ein  energisches  Naturstudium  mit  frischer 
unmittelbarer  Mal  weise  verbunden,  und  verrathen  eine  Künstler- 
hand, welche  ofifenbar  im  Anschlüsse  an  Farbenwahl  und 
Auftrag  der  Wandmalerei  markig  und  geschickt  zu  Werke 
ging.  Es  ist  eine  durchaus  grossstilige  Temperamalerei  noch 
ohne  speziellen  Tafel  bilde harakter,  aber  auch  ohne  alle  mi* 
niaturartigen  Anklänge.  Ihre  rein  malerische  Auffassung 
zeigt  auch  keinerlei  plastische  Vorbildlichkeit  und  Beein- 
flussung, weder  steinbildhauerische,  wie  die  gleichzeitigen 
Malereien  Frankreichs  und  Kölns,  noch  bronzebildnerische, 
wie   die   florentinische   Kunst,    noch    holzschnitzerische,    wie 

1)  £.  Paulus    a.  a.  0.,  S.  165  fg. 

2}  Ungenügender  Holzschnitt  bei  PauluR  a.  a.  0.,  S.  155. 

31* 


362      Sitzung  der  historischen  (Hasse  vom  i.  Dezember  1894, 

wir  sie  seit  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  im  deutschen 
Tafelbild  finden  werden. 

Es  ist  übrigens  sehr  wahrscheinlich,  dass  der  Maler  des 
Altarwerks  selbst  kein  Böhme  war.  Dabei  ist  gar  nicht  an 
Abhängigkeit  von  Tommaso  da  Mutina,  welcher  eher  ge- 
ringer erscheint,  oder  an  Zusammenhang  mit  einem  anderen 
italienischen  Maler  des  Prager  Hofes  zu  denken,  da  der  Stil 
des  Werkes  mit  jenem  der  italienischen  Quattrocentisten, 
deren  Einfluss  auf  die  böhmische  Kunst  überhaupt  kaum 
nennenswerth  war,  nichts  zu  thun  hat.  Um  so  mehr  kommt 
westdeutsche  Herkunft  unseres  Künstlers  in  Betracht.  Seit 
der  Schwabe  Peter  Arier  von  Gmünd  an  die  Spitze  der  böh- 
mischen Bauthätigkeit  getreten  war,  erscheint  die  Kunstthätig- 
keit  Böhmens  vorwiegend  deutsch.^)  Speziell  im  Gebiet  der 
Malerei  ist  es  wohl  bezeichnend,  dass  die  Satzungen  der  Prager 
Malerzeche  von  1348,  das  Privileg  Karl  IV.  für  die  Neustädter 
Schilder  von  1365  und  dessen  Erneuerung  durch  Wenzel  IV. 

von  1380  deutsch  verfasst  sind.  Die  deutschen  Maler  bil- 
deten eben  die  Mehrzahl,  wie  wir  denn  auch  von  einem  der 
beiden  Hofmaler  Karl  IV.,  nemlich  von  Nikolaus  Wurmser 
die  deutsche  Herkunft  (Strassburg)  bestimmt  wissen.  Es  ist 
auch  mehr  als  wahrscheinlich,  dass  die  deutschen  in  Prag 
wohnhaften  Stifter,  zumal  wenn  es  sich  um  eine  Stiftung 
im  deutschen  Heimathorte  mit  deutschen  Dedicationsinschriften 
handelte,  keinen  tschechischen  Künstler  für  ihren  Auftrag 
erkoren,  sowie  sie  auch,  was  aus  den  architektonischen  De- 
tails erkannt  worden  ist,  sicher  einen  Schüler  ihres  Lands- 
mannes P.  Arier  mit  dem  Kirchenbau  beauftragten.  Es 
musste  dies  keineswegs  Wurmser  selbst  sein,  der  übrigens 
damals  schon  wieder  nach  Strassburg  zurückgekehrt  war, 
aber  es  ist   sehr   glaublich,   dass  der  Maler  des  Werks  mit 


1)  J.  Neuwirth,  Geschichte  der  bildenden  Kunst  in  Böhmen  I. 
Prag  1898.     S.  236  fg. 


r>.  Reher:  Stüentwickluftg  der  schwäbißchen  Tafel-Malerei.     363 

ihm  zusammenhing.  Uebrigens  berechtigen  derlei  Möglich- 
keiten keineswegs,  aus  ihnen  Schlüsse  auf  die  Tafel-Malerei 
Strassburgs  und  damit  der  allemannisch-schwäbischen  Lande 
zu  ziehen.  Jedenfalls  aber  ist  diese  Kunst,  obwohl  ebenfalls 
mit  der  Wandmalerei  im  Stilzusammenhang,  eine  ganz  andere, 
wie  jene  der  Tympanontafel  zu  Bebenhausen,  und  auf  ihrer 
realistischen  Basis  frei  von  jeder  idealen  Typik  in  Gesichtern, 
Geberde  und-.Gewandbehandlung.  wie  sie  das  Bebenhausener 
Bild  und  die  Kölner  Kunst  jener  Zeit  zeigt.  Dazu  erscheint 
sie  entwickelter  als  die  älteste  Nürnberger  Tafel-Malerei, 
bei  welcher  der  geringe  böhmische  Einfluss  in  der  Malerei 
in  jener  Zeit,  in  welcher  Karl  IV.  die  Stadt  auffallend  be- 
günstigte und  in  derselben  die  schöne  Frauenkirche  erbaute, 
sogar  zu  verwundem  ist. 

Ein  ganz  verändertes  Bild  von  der  Stilentwicklung  der 
schwäbischen  Tafel-Malerei  entfaltet  ein  drittes,  46  Jahre 
später  entstandenes  Werk,  welches  nicht  blos  datiert,  son- 
dern auch  mit  dem  Künstlernamen  bezeichnet  und  für  seine 
Zeit  das  bedeutendste  Werk  Oberdeutschlands  ist,  wie  die 
etwa  gleichzeitigen  Altarwerke  der  Gebrüder  van  Eyck  in 
S.  Bavo  zu  Gent  und  des  Meister  Stephan  im  Dom  zu  Köln 
für  die  Niederlande  und  für  den  Niederrhein.  Es  ist  der 
Magdalenenaltar  der  Kirche  zu  Tiefenbronn,  1431  von  Lucas 
Moser  aus  dem  benachbarten  Weilderstadt  gemalt.  Es  steht 
noch  an  der  ursprünglichen  Stelle  rechts  vom  Chor  an  der 
Ostwand  des  Schiff  der  Dorf kirche  und  bildet  ein  verhältniss- 
raässig  kleines  Retabulum  von  noch  kümmerlicher  Triptychal- 
entwicklung,  etwa  3  m  hoch  und  2  m  breit  in  spitzbogiger 
Form  flach  an  die  Wand  gedrückt,  in  welche  der  kleine 
Mittelschrein  nischenartig  versenkt  ist. 

Der  Schrein  enthält  die  legendarische  Verklärung  der 
Maria  Magdalena  mit  sieben  die  Heilige  umschwebenden 
Engeln  in  plastischer  Darstellung;  auf  den  Innenseiten  der 
den  Schrein  schliessenden  Flügel  sind  die  hh.  Martha  und 


364       Sitzung  der  historist^n  Glosse  com  1.  Dezember  1894. 

Lazarus  in  ganzen  halblebensgrossen  Fignren  gemalt.  Bei 
geschlossenen  Flügeln  kommt  das  Werk  organischer  zur 
Geltung,  indem  es  vier  Scenen  aus  dem  Leben  der  Maria 
Magdalena  in  reicher  Anordnung  und  sorgfältigster  Durch- 
ffihrung  zur  Ansicht  bringt:  im  spitzbogigen  Tympanon  oben 
die  Salbung  der  Füsse  Christi  im  Hause  Simons;  auf  der 
linken  Seite  unterhalb  die  Marseillefahrt  der  hh.  Maria  Mag- 
dalena und  Martha,  mit  den  hh.  Bischöfen  Lazarus,  Maxi- 
minus und  Godonus;  im  Mittelbilde,  das  zugleich  die  Aussen- 
seite  der  beiden  Schreinflügel  bildet,  oben  die  Erscheinung 
der  h.  Maria  Magdalena  im  Schlaf  gemach  eines  heidnischen 
Fürstenpaares  und  unterhalb  ihre  in  der  Zwischenzeit  vor 
dem  Palaste  schlafenden  hh.  Genossen;  auf  der  rechten 
Seite  die  wunderbare  Kommunion  der  von  Engeln  herbei- 
getragenen Büsserin  durch  den  h.  Maximinus.  Auf  der  Pre- 
della befinden  sich  in  Halbfiguren  Christus  zwischen  den 
fünf  klugen  und  fünf  thörichten  Jungfrauen,  vor  den  ersteren 
links  das  Spruchband  venite  benedictae^  vor  den  letzteren 
rechts  ein  solches  mit  ^nescio  vos'.  Die  beiden  das  mittlere 
Legendenbild  von  den  seitlichen  trennenden  Friesleisten  zeigen 
in  seltsamer  Schrift  den  Künstlernamen, «in  offenbar  absicht- 
lich bis  zur  Unkenntlichkeit  verschnörkelter  Schrift  aber,  zum 
Theil  in  winzigen  Minuskeln  unterhalb  wiederholt  das  Ent- 
stehungsjahr und  einen  Klageruf  auf  die  Vernachlässigung 
der  Kunst  von  Seite  der  Gönner.^)  Die  1861  aufgefrischte 
Inschrift  auf  dem  Horizontalfries  unter  dem  Tympanon*) 
scheint  sich  auf  die  im  Altar  verwahrten  Reliquien  zu  be- 
ziehen.     Die   beiden  Wappen    an    den    Ecken    der    Predella 

1)  Auf  dem  rechtaeitif^ren  Friese :  Incas  .  moser .  maier  .  von .  wil . 
maister .  des  werx  .  bit .  got.  vir .  in. 

Auf  dem  linkseitigen  Friese :  schri .  kunst .  scfari .  vnd .  klag,  dich . 
ser .  din .  begert .  iecz .  niemen  mer .  so  .  o  .  we .  1431. 

2)  hie .  in  altari  honorandi .  sunt .  I  bta.  maria .  magdalena  2<>  bta. 
anthoniuB .  3^  btus  venerabilis  .  erhardus. 


('.  Reher:  StüefUwicJUung  der  schwäbischen  Tafel-Malerei,    365 

aber  deuten  auf  die  Familien  Stain  und  Helmstädt  (?)  als 
Stifter  des  Altars. 

Die  Fassung  der  Inschrift  Lucas  Moser,  Maler  von  Weil, 
lässt  nicht  annehmen,  dass  der  Ortsnamen  (wohl  Weilderstadt, 
12  Kilometer  südlich  von  Tiefenbronn)  nur  die  Herkunft  des 
Meisters  und  nicht  seinen  Thätigkeitsort  bedeute;  denn  der 
Zusatz  des  Heimathortes,  wenn  er  nicht  zugleich  auch  Schau- 
platz der  Thätigkeit  war,  pflegte  nur  mit  blossen  Taufnamen 
verbunden  zu  werden  und  hätte  ebensowenig  die  Zwischen- 
schiebung des  Wortes  ^Maler  gestattet.  Wir  kennen  übrigens 
von  der  befremdlichen  Entsagung,  mit  der  ein  Meister  von 
so  hervorragender  Bedeutung  mit  der  Enge  eines  kleinen 
Städtchens  sich  begnügte,  während  in  den  schwäbisch-alle- 
manischen  Landen  vornehmlich  Ulm,  Strassburg,  Kolmar, 
Basel,  Ravensburg  und  Eonstanz  zur  Entfaltung  seiner  über- 
legenen Kunst  reiche  Gelegenheit  geboten  hätten,  nur  die 
Thatsache,  nicht  die  Gründe.  Dass  jedoch  der  Meister  gegen 
die  Beengung  nicht  unempfindlich  war,  beweist  der  in  ver- 
zerrter Schrift  omamental  verkappte  Schmerzensschrei ,  den 
er  auf  sein  vielleicht  auch  schlecht  entlohntes  Werk  setzte. 
Wie  später  Dürer  beim  Helleraltar  „ob  der  Arbeit  sich  schier 
verzehrend*  konnte  er  auch  bei  dem  Niederschreiben  seines 
, Schreie  Kunst  und  klag  dich  sehr,  dein  begehrt  jetzt  Nie- 
mand mehr*  nicht  ahnen,  dass  gerade  damals  die  Zeit  nahe 
war,  in  der  man  diese  Kunst  auch  in  Oberdeutschland  mehr 
denn  je  begehrte. 

Wie  bezüglich  der  Lebensstellung  des  Meisters  die  In- 
schrift der  einzige  Anhalt,  so  sind  wir  zur  Zeit  auch  hinsicht- 
lich des  künstlerischen  Entwicklungsganges  desselben  ledig- 
lich auf  die  Beurtheilung  des  Werkes  selbst  angewiesen. 

Was  zunächst  den  Gesammteindruck  betrifft,  so  finden 
wir  an  den  sämmtlichen  Legendenbildern  wie  auch  an  dem 
Staffelbild  der  klugen  und  thörichten  Jungfrauen  die  sche- 
matische  Beziehungslosigkeit  der  einzelnen  Figuren  zu  ein- 


36<)       Sitzutig  der  historischen  Glosse  vom  1.  Dezember  1894. 

ander,  jene  Aktionsunfähigkeit,  wie  sie  der  monumentalen 
Kunst  seit  der  byzantinischen  Periode  eigen  war  und  Ober- 
deutschland bis  zum  Anfang  des  15.  Jahrhunderts  beherrschte, 
vollkommen  überwunden.  Die  Scenen  spielen  sich  in  ver- 
ständlicher Bewegung  ab,  Haltung  und  Geberde  erscheint 
der  jeweiligen  Situation  angemessen,  der  Bann  typischer 
Stellungen  ist  gebrochen.  Auch  die  landschaftliche  und 
bauliche  Scenerie  tritt  in  ihre  volle  Gleichberechtigung. 
Wir  werden  durch  nichts  an  musivische  Arbeiten  oder  Emai- 
lerien,  ebensowenig  aber  auch  an  Glasmalerei  gemahnt, 
und  auch  nicht  entfernt  an  Wandgemälde.  Der  Stil  des 
Meisters  schliesst  sich  daher  ebensowenig  an  die  Art  des 
Klarenaltars  und  anderer  Kölner  Arbeiten  vor  1400,  wie  an 
die  Bebenhausener  und  Mühlhausener  Tafeln  an.  Ander- 
seits ist  Mosers  Stil  ganz  malerisch  und  unbeeinfiusst  von 
Stein-  und  Holzplastik  und  auch  in  diesem  Betracht  sehr 
abweichend  von  den  niederrheinischen  und  späteren  oberdeut- 
schen Werken.  Solchen  Anklängen  gibt  der  völlige  Mangel 
des  Künstlers  an  monumentalem  Sinn  keinen  Raum,  ein 
Mangel,  der  sich  auch  deutlich  genug  darin  äussert,  dass  er 
den  beiden  Einzelfiguren  der  Innenseite  der  Flügel  am 
wenigsten  gewachsen  erscheint.  Der  kleinliche  Reichthum 
seiner  Darstellungen  mit  den  gelegentlich  geradezu  miniatur- 
artigen Figürchen,  die  unmethodische  zufällige  Komposition, 
die  novellistische  Vertraulichkeit  des  Vortrags  der  Vorgänge 
lässt  den  Künstler  augenscheinlich  vielmehr  als  zu  jenen  ge- 
hörig erkennen,  welche  von  der  Illuminierkunst  ausgehen, 
und  den  Miniaturstil  ähnlich,  wenn  auch  mit  geringerer 
kompositionellen  und  monumentalen  Veranlagung  in  die  Tafel- 
Malerei  übertragen,  wie  die  alten  Niederländer.  Darin  be- 
ruht auch  das  scheinbare  Anklingen  des  Moser^schen  Altars 
an  die  niederländischen  Werke,  von  welchen  jedoch  der  Zeit 
nach  nur  jene  der  van  Eyck  in  Betracht  kommen  können, 
da  Moser  nach  dem  Datum  seiner  Schöpfung  auch  bei  diesen 


V.  Reber:  Siüentwicklung  der  schwäbischen  Tafel- Malerei.    367 

(nachweisbar    zwischen    1420    und    1440)    zu    den    ältesten 
Schülern  gehört  haben  inüsste. 

Betrachten  wir  dann  das  Einzelne,  so  finden  wir  zunächst 
die  Gesichter  individuell  und  ausdrucksvoll  zugleich  und  ebenso 
wie  die  Hände  und  Füsse  im  Ganzen  naturrichtig  gezeichnet. 
Auch  die  Gewänder  entwickeln  sich  in  ihrer  breiten  An- 
lage naturgemäss  und  ohne  jene  schematische  Fältelung,  wie 
sie  die  romanische  und  frühgothische  Malerei  vom  Byzan- 
tinismus überkommen.  Das  Beiwerk,  wie  die  landschaftliche 
und  architektonische  Scenerie  sind  überraschend,  vorab  das 
Meer  in  seinen  fein  ausgeführten,  entschiedene  Naturbeob- 
achtung verrathenden  Wellen  und  die  perspektivisch  behan- 
delte Innen-  und  Aussenarchitektur,  welche  letztere  in  ihrer 
etwas  barocken  Zierlichkeit  der  omamentalen  und  plastischen 
Theile  geradezu  an  den  in  gleicher  Weise  wie  Moser  und 
wie  die  alten  Niederländer  aus  der  Miniaturkunst  hervor- 
gegangenen Altdorfer  erinnert.  Die  Laube,  in  welcher  sich 
die  Salbung  der  Füsse  des  Heilandes  beim  Gastmahl  des 
Simon  abspielt,  ist  von  idyllischem  Reiz,  ganz  passend  zu 
der  genrehaften  Darstellung  des  Vorgangs,  bei  der  auch  der 
meisterlich  nach  dem  Leben  gebildete  Hund  wie  ein  vor- 
treffliches Stillleben  in  der  Gestalt  eines  improvisierten  Wein- 
kühlers nicht  fehlt. 

Und  ein  entschiedenes  Talent  bewahrte  ihn  dabei  vor 
aller  dilettantischen  Ungleichheit.  Kam  er  auch  über  eine 
gewisse  Kleinlichkeit  nicht  hinaus,  die  in  der  Gedrängtheit 
der  Composition  und  in  der  übersorgfaltigen  Detailausbildung 
mehr  für  die  Pergamentblätter  eines  Passionale  oder  Legen- 
dariums  als  für  die  Holztafeln  eines  Altars  in  einem  massig 
beleuchteten  Kirch enwinkel  geeignet  erscheint,  so  wusste 
er  doch  die  Wiedergabe  seiner  Naturvorbilder  nicht  blos  mit 
rührender  Hingebung,  sondern  auch  mit  einer  Sicherheit  zu 
bewältigen,  welche  zeigt,  dass  er  auch  als  Miniaturist  nicht 
nach    der  Schablone   gearbeitet  hatte.     Völlig   frei  von  der 


368      Sitzung  der  historischen  Classe  vom  1.  Dezember  1894. 

UoDatur  der  Kopf-  und  Extremit»ten-Typen  der  Kölner,  wie 
von  der  Geziertheit  ihrer  Geberdensprache  wusste  er  über- 
dies mit  der  einfachen  Wahrheit  der  Formen  und  des  Aas- 
drucks gelegentlich  eine  Schönheit  zu  verbinden,  ^welche  den 
besten  Leistungen  der  alten  Kölner  und  Niederländer  kaum 
nachsteht.  So  in  den  Köpfen  und  Kopftüchern  der  beiden 
Jungfrauen  am  linken  Ende  der  Staffel,  in  den  schönen  und 
individuellen  Köpfen  der  weiblichen  Heiligen  der  Legenden- 
bilder, wie  in  den  würdigen  und  ausdrucksvollen  Gesichtern 
der  drei  Bischöfe.  Die  Gnippe  der  Schläfer  auf  dem  Mittel- 
bild ist  in  den  Köpfen  vorzüglich,  ebenso  jene  des  Gastmahls 
bei  Simon,  in  welchem  letzteren  Bilde  das  Sprechen,  Flüstern 
und  Lauschen  ohne  alle  Verzerrung  packend  wiedergegeben 
ist.  Dazu  kommt  die  individuellste  Abwechselung,  welche  sich 
selbst  in  der  sonst  meistens  sehr  monoton  behandelten  Dar- 
stellung der  klugen  und  thörichten  Jungfrauen  nicht  blos 
in  Gesicht,  Haltung  und  Geberde,  sondern  auch  in  Haar- 
behandlung, Kopfbedeckung  und  Bekleidung  ausspricht.  Für 
Morellianer  endlich  sei  erwähnt,  dass  die  Zeichnungseigen- 
thümlichkeit  der  von  obenher  gequetschten  Ohrmuschel  und 
deren  Schiefstellung  mit  dem  in  der  Richtung  des  Hinter- 
hauptes zurückgeschobenen  Ohrläppchen  es  nicht  schwer 
machen  könnte,  den  Meister  abermals  nachzuweisen,  wenn 
sich  eine  zweite  Arbeit  desselben  erhalten  haben  sollte. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  der  Frage,  welcher  Gegend 
Moser  seine  Schule  und  seine  bedeutende  Kunst  zu  danken 
hat,  so  können  unter  den  gleichzeitigen  bedeutenden  Kunst- 
stätten Italien,  Prag  und  Nürnberg  ganz  ausser  Betracht 
bleiben,  da  Mosers  Art  mit  keiner  von  diesen  etwas  gemein 
hat.  Näher  liegt  es,  an  Gent- Brügge  oder  an  Köln  zu 
denken.  Erinnern  aber  auch  Scenerie  und  Qeräthe  wie 
manches  andere  Detail  an  altflandrische  Kunst,  oder  ander- 
seits die  Köpfe  der  klugen  und  thörichten  Jungfrauen  der 
Predella  oder  jene  der  hh.  Magdalena  und  Martha  an  Kölner 


V.  Heber:  Stilentwicklufig  der  schwäbischen  Tafel- Malerei.    369 

Typen,  so  sind  die  Aehnlichkeiten  doch  nicht  stark  genug, 
lim  nicht  auch  aus  dem  Vorgange  der  Miniaturmalerei  er- 
klart werden  zu  können,  ohne  zur  Annahme  von  unmittel- 
baren Beziehungen  zu  den  van  Eyck  und  zu  den  Meistern 
Wilhelm  und  Stephan  zu  zwingen.  Denn  weit  entfernt  von 
den  z.  Th.  nachweisbaren  niederländischen  Entlehnungen 
eines  Friedrich  Herlen  in  Nördlingen  oder  eines  Martin 
Schongauer  in  Kolmar,  sind  die  niederländischen  und  nieder- 
rheinischen Anklänge  bei  Moser  durchaus  indirekter  Art. 
Auch  die  weichvertriebene  Malerei  und  der  dünne  auf  Oel- 
malerei  deutende  Auftr^  können  keine  direkte  Schule  be- 
weisen, da  die  Kunde  der  Oeltechnik  keineswegs  in  den  Nieder- 
landen selbst  geholt  werden  musste,  sondern  sich  auch  von 
Mund  zu  Mund  rheinaufwärts  verbreitet  haben  konnte.  Bei 
persönlichem  Besuche  Kölns  und  der  Niederlande  hätte  ein 
Mann  von  der  künstlerischen  Begabung  wie  Moser  nicht 
blind  bleiben  können  gegen  die  brillanten  mit  den  Glas- 
gemälden wetteifernden  Farben  der  dortigen  Werke,  um 
seinerseits  einer  gewissen  Tonigkeit  in  seinem  gebrochenen 
bräunlichen  Kolorit  zu  huldigen. 

Näher  liegt  als  Bildungsstätte  Mosers  das  schwäbisch- 
allemannische  Gebiet  selbst.  Hier  richten  sich  vor  Schon- 
gauers  Geburt  die  Blicke  von  selbst  auf  Ulm,  das  nicht  blos 
in  monumentaler  Kunst  damals  bereits  eine  Hauptrolle  spielte, 
sondern  auch  wohl  ebenso  in  der  Miniaturmalerei  wie  nach- 
her im  Holzschnitt.  Allein  es  fehlt  uns  an  erhaltenen  Ana- 
loga gleicher  Zeit,  und  spätere  Werke  zeigen  bereits  den 
Anschauungskreis,  dem  Schüchlin  angehört.  Wir  würden 
indess  die  unmittelbare  Schule  Mosers  eher  am  Oberrhein 
suchen,  etwa  in  dem  Weil  näher  als  Ulm  liegenden  Strass- 
burg,  wo  damals  Johann  Hirtz,  oder  in  Schlettstadt,  wo 
Hans  Tieffenthal,  oder  in  Kolmar,  wo  Kaspar  Isenmann, 
oder  in  Basel,  wo  Lauwlin  geschätzte  Werkstätten  hielten. 
Leider  sind  diese  Nansen  so  viel  wie   leerer  Klang,  seit  diq 


370      Sitzung  der  historischen  Classe  vom  1.  Dezember  1894, 

Reformation,  am  Oberrhein  so  bilderfeindlich  wie  in  Holland, 
ihre  Werke  hinweggetilgt  oder  wenigstens  aus  ihrem  Zu- 
sammenhang gerissen  hat.  Ebenso  können  wir  den  Umfang 
und  die  Leistungsfähigkeit  der  Illuminatorenschule  zu  Kon- 
stanz, die  dort  seit  dem  Concil  \ron  1414 — 1418  blühte, 
nicht  mehr  ganz  ermessen,  wenn  auch  erhaltene  Werke 
starken  Realismus  bekunden.  ^  Für  die  damalige  Eunst- 
bedeutung  des  Bodenseegebietes  aber  darf  daran  erinnert 
werden,  dass  Meister  Stephan  Lochner  (sicher  nicht  ohne  ober- 
rheinische Vorkenntnisse)  aus  demselben  nach  Köln  gelaugte. 

Es  ist  nicht  wahrscheinlich,  dass  der  Stil-Einfluss  der 
Miniaturkunst  auf  die  Tafel -Malerei  in  der  ersten  Hälfte 
des  15.  Jahrhunderts  den  älteren  Einfluss  der  Wandmalerei 
in  Oberdeutschland  so  radikal  verdrängte,  wie  diess  in  den 
Niederlanden  geschehen  war. 

Jedenfalls  aber  herrschen  beide  nach  den  datierten  Be- 
legstücken früher  als  ein  dritter  Einfluss  wesentlich  anderer 
Art,  welcher  erst  mit  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  und 
mit  dem  umfänglicheren  Aufblühen  der  oberdeutschen  Tafel- 
Malerei  an  den  Altären  in  Aufnahme  kam.  Wir  wollen 
diesen  die  zweite  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  in  Oberdeutseh- 
land  fast  ausschUessend  beherrschenden  Stil  im  Gegensatz 
gegen  den  Wandmalereistil  und  den  Miniaturstil  kurzweg 
Holzschnitzstil  nennen. 

Leider  ist  nicht  genauer  nachzuweisen,  wann  jene  Altar- 
werke mit  beweglichen  Flügeln,  Triptychen  genannt,  beliebt 
wurden,  welche  an  die  Stelle  der  unveränderUchen  Retabula 
der  Art  der  Soester  Superfrontalien  oder  an  jene  bios  plas- 
tischer Aufsätze,  Reliquiarien  etc.  etc.  getreten  sind.  Die 
Triptychen  können  jedoch  vor  den  letzten  Jahrzehnten  des 
14.  Jahrhunderts  nicht  anders  als  höchst  vereinzelt,  wie  in 
dem  oben  erwähnten  Kapellen-  oder  Hausaltärchen' ( Wallraf* 


1)  H.  Janitachek,  Geschichte  der  Malerei.    Berlin  1890,  S.  243. 


V,  Reher:  Stüentwicklung  der  schwäbischen  Tafel- Malerei,    371 

Museum  n^  30),  vorgekommen  sein.  Auch  finden  wir  sie 
um  1400,  wie  die  erhaltenen  Kölner  Altare  vom  Klaren- 
altar  bis  zum  Kölner  Dombild  oder  böhmische  Arbeiten 
zeigen,  meist  lediglich  gemalt.  Wie  für  Trag-  und  Reise- 
altarchen der  Verpackung  wegen,  so  mussten  sich  solche 
Altare  mit  beweglichen  Flügeln  auch  in  Kirchen  als  höchst 
zweckentsprechend  darstellen ,  da  sie  sich  nicht  blos  für  Fest- 
zeiten durch  OeflFhen  der  Flt^el  vergrössem,  sondern  auch 
dem  Inhalte  nach  ganz  umgestalten  liessen,  indem  die  Ge- 
mälde auf  den  Innenseiten  der  Flügel  naturgemäss  als  Fort- 
setzung des  Mittel bildes  einem,  die  Aussenseiten  aber,  welche 
beim  Seh  liessen  der  Flügel  allein  zur  Ansicht  kamen,  einem 
andern  Gyklus  von  Darstellungen  angehören  und  somit  unter 
Umständen  auf  gewisse  Anforderungen  des  Kirchenjahres 
eingerichtet  sein  konnten.  Die  Beweglichkeit  der  Flügel 
setzte  dann  die  Unterstellung  einer  gleichfalls  gemalten 
Staffel  (Predella)  voraus,  welche  das  Triptychon  über  die 
Lichter,  das  Orucifix,  die  Ganontafeln  u.  s.  w.  erhob  und  ge- 
wöhnlich einen  Mittelschrein  zur  Aufbewahrung  von  Pax- 
tafeln,  Kreuzpartikeln  und  anderen  Ostensorien  enthielt. 

Für  unsere  Frage  hochwichtig  aber  wurde  die  Um- 
wandlung des  Mittelstücks  der  Triptychen  in  einen  mit 
Holzsculpturen  gefüllten  Schrein,  wodurch  sich  der  Holz- 
plastik, welche  vor  dem  15.  Jahrhundert  neben  der  Stein- 
bildnerei  nur  eine  ganz  untergeordnete  Rolle  gespielt  hatte, 
ein  umfängliches  Thätigkeitsfeld  eröffnete,  noch  erweitert 
durch  den  Umstand,  dass  im  Streben  nach  harmonischer 
Wirkung  der  rundplastische  oder  Hochreliefschmuck  des 
Schreins  häufig  in  Flachrelief  auf  die  Innenseiten  der  Flügel 
herauswuchs. 

Die  Holzschnitzwerke  waren  ursprünglich,  was  bei  der 
jungen  Technik  natürlich  und  an  den  älteren  bis  zur 
Mitte  des  15.  Jahrhunderts  entstandenen  Werken  ersicht- 
lich   ist,     den    Steinsculpturen    nachgebildet,     welche    vor- 


372       Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  1.  Dezember  1894. 

nehmlich  in  den  Portalen  ihre  glänzende  und  dem  Material 
wie  dessen  Bearbeitungstechnik  selbständig  entsprechende 
stilistische  Entwicklung  gefunden  hatten.  Allein  bei  der 
Uebertragung  des  Steinstils  auf  Holz  war  man  einerseits 
dadurch  zu  unbefriedigenden  Wirkungen  gelangt,  dass  bei 
der  fast  ausnahmslosen  Bemalung  und  Vergoldung  der  Altar- 
Schnitzbilder  wegen  der  nöthigen  Grundierung  die  Formen 
verstumpften.  Anderseits  musste  man  bald  finden,  dass  die 
Meisselführung  in  Sandstein  zu  einer  Formensprache  geführt 
hatte,  welche  dem  Faserzuge  des  Holzes  sehr  entgegen  war. 
Denn  dieser  zwang,  um  dem  Ausschlitzen  der  Spähne  zu  be- 
gegnen, zu  scharfen  Querschnitten,  wie  auch  sonst  Werk- 
zeug und  Schnitzmesser  manche  technische  Sonderheiten  be- 
dingte, welche  bald  der  Art  des  Materials,  seiner  Behandlung 
und  seiner  Wirkung  entsprechend  die  Holzplastik  zu  einem 
speziellen  Holzschnitzstil  statt  des  ursprünglichen  Steinmeissel- 
stils  führen  musste.  Die  so  an  die  Stelle  des  früheren  flüs- 
sigen Zuges  der  Gewandfalten  und  der  weichen  Gelenke  ge- 
tretene flatternde  Knitterigkeit  und  knöcherne  Knorrigkeit 
derselben  aber  scheint  dem  Oberdeutschen  so  ansprechend 
gewesen  zu  sein,  dass  man  bald  über  das  von  Material  und 
Technik  Gebotene  hinausging.  Ja  sie  befriedigte  bei  zu- 
nehmender Ausdehnung  der  Holzschnitzerei  in  dem  Maasse, 
dass  nun  der  Stileinfluss  sich  umkehrte,  und  die  Steinplastik 
ihrerseits  sich  dem  Holzschnitzstil  auch  in  jenen  Fällen  an- 
bequemte, in  welchen  der  Meister  nicht,  wie  z.  B.  Jörg  Syr- 
lin  in  Ulm,  vorwiegend  Holzschnitzer  war.  Denn  wir  finden 
in  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  den  Holzschnitz- 
stil der  Steinarbeiten  in  Oberdeutschland  bereits  allgemein, 
am  ausgeprägtesten  aber  schliesslich  in  den  Steinarbeiten 
Adam  Kraflts,  welcher  nicht  blos  in  reinfigürlichen  Schöpf- 
ungen von  entschieden  holzschnitzartiger  Knitterigkeit  er- 
scheint, sondern  selbst  in  seinen  tektonischen  Werken,  den 
berühmten    Sakramentshäuschen ,    den    steinarchitektonischen 


V.  Beher:  StüenttoicJdung  der  sehwähiachen  Tafel-Malerei.     373 

Gesetzen   zum  Trotz  der  dünngliederigen  Tisehlergothik  der 
hölzernen  Altargehäuse  nachstrebte. 

Die  durchgängige  Farbigkeit  des  den  Haupttheil  der 
Altäre  bildenden  Schnitzwerks  musste  es,  namentlich  dann, 
wenn  die  Flügel  beiderseits  gemalt  waren  und  sonach  die 
Oemälde  der  Innenseiten  unmittelbar  neben  dem  geschnitzten 
Bildwerk  des  Schreins  zu  stehen  kamen,  nahe  legen,  zum 
Zweck  einer  harmonischen  Gesammtwirkung  die  lediglich 
gemalten  Theile  den  farbigen  Schnitzwerken  zu  assimilieren. 
Es  konnte  dies  auch  leicht  in  Form  und  Farbe  geschehen, 
wenn  man  sich  bestrebte,  statt  nach  der  Natur  (oder  neben 
dem  Naturstudium)  nach  Schnitzbildem  zu  zeichnen  und  zu 
kolorieren,  sowie  es  mit  der  Absicht  der  Imitation  schon 
die  van  Eyck  in  den  Grisaillengestalten  der  beiden  Johannes 
des  Genter  Altars  nach  Steinsculpturen  gethan.  Während 
aber  die  altniederländischen  Meister  dies  nur  nebenbei  als 
gelegentliches  Eunststückchen  anstrebten,  ohne  sich  dadurch 
in  ihrer  malerischen  Entwicklung  wesentlich  beeinträchtigen 
zu  lassen,  machten  es  die  oberdeutschen  Maler  zum  Prinzip 
der  Altarmalerei  überhaupt.  Sie  gelangten  dadurch  zu  einem 
Stil  der  Tafelmalerei,  welcher  von  jenem  der  beschriebenen 
Werke  himmelweit  abwich  und,  in  der  Laien  Vorstellung 
fälschlich  als  gothischer  Malstil  überhaupt  betrachtet,  that- 
sächlich  aber  nur  die  letzte  Phase  mittelalterlicher  Eun^t 
darstellend,  im  Wesentlichen  auf  die  kurze  Zeit  der  zweiten 
Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  beschränkt  ist.  Mosers  Altar- 
werk von  1431  zeigt  davon  noch  so  wenig,  wie  der  Tucher- 
sche  Altar  der  Frauenkirche  zu  Nürnberg. 

Genauer  datieren  und  lokalisieren  lässt  sich  diese  Wan- 
delung nicht.  Wie  aber  für  Franken  Nürnberg,  so  muss 
für  Schwaben  Ulm,  das  seit  dem  Beginn  des  Münsterbaues 
1377  einen  allmäligen  Aufschwung  in  allen  Eünsten,  vorab 
monumentaler  Art  genommen,  als  Vorort  dieser  Entwicklung 


374      Süsung  der  historischen  Classe  vom  1,  Dezember  1694. 

betrachtet  werden.^)  Freilich  können  wir  die  Malweise  der 
in  den  Steuerlisten  des  Jahres  1427  auftretenden  Ulmer 
Maler,  eines  Ackerlin,  Jos,  Lukas ^),  Martin,  Hans  Teg^nger, 
Jakob  und  Bartlome  nicht  durch  bezeichnete  Werke  belegen. 
Auch  bezüglich  des  Berlin  ist  es  sehr  unwahrscheinlich,  dass 
der  1449  und  1454  in  Ulm  erwähnte  Maler  Härlin,  viel- 
leicht der  Sohn  eines  1428  in  der  Ulmer  Hüttenrechnung 
vorkommenden  Berlin  identisch  sei  mit  dem  Nördlinger 
Friedrich  Berlin,  was  noch  weniger  mit  jenem  Maler  Berlin 
oder  Bärlin  der  Fall  ist,  der  1485-1491  (f  1494)  in  den 
Ulmer  Zinsbüchern  vorkommt*),  während  Friedrich  Berlin 
vielleicht  schon  1462  und  1463  in  Nördlingen,  sicher  aber 
1466  in  Rothenburg  ob  der  Tauber  nachweisbar  ist.  Da- 
gegen entbehrt  die  Tradition  keineswegs  alles  Orundes,  dass 
ein  Berlin  der  Schöpfer  des  grossen  das  Jüngste  Gericht 
darstellenden  Wandgemäldes  von  1471  im  Ulmer  Münster 
war.  Ja  selbst  die  Ueberlieferung,  dass  dieser  Jesse  Berlin 
geheissen,  ist  nicht  ganz  abzuweisen,  denn  wenn  auch  erst 
ein  Enkel  des  Nördlinger  Friedrich  Berlin  mit  diesem  Tauf- 
namen urkundlich  begegnet,  so  beweist  dies  keineswegs, 
dass  derselbe  Vorname  nicht  auch  schon  hundert  Jahre 
früher   einem  Ulmer  Glied  der  Familie    eigen  gewesen    sein 


1)  Grüneisen  und  Manch,  Ulms  Ennstleben  im  Mittelalter. 
Ulm  1840.  —  K.  D.  Hassler,  Ulms  Kunstgeschicbte  im  Mittelalter. 
Stuttgart  1864. 

2)  Dass  Lukas,  der  1419  in  Ulm  eine  Zahlung  für  Glasmalereien, 
und  1421  eine  solche  für  ein  „Gemäld**  erhielt  (Klemm  a.a.O.  S.  174) 
mit  Lucas  Moser  von  Weil  zu  identifizieren  sei,  ist  eine  sehr  gewagte 
Behauptung,  wie  auch  der  Schulzusammenhang  Mosers  mit  Schüch- 
lin  aus  dem  Umstände,  dass  der  erstere  1431  einen  Seitenaltar  in 
Tiefenbronn,  der  letztere  1469  den  Hochaltar  daselbst  malte,  nicht 
entnommen  werden  darf,  da  aus  den  beiderneitigen  Werken  ein  sol- 
cher keineswegs  ersichtlich  wird. 

3)  Klemm,  a.  a.  0.,  S.  95. 


V.  Beber:  Stüenttcicklung  der  schwäbischen  Tafel-Malerei,    375 

konnte,  wenn  nemlich,  was  an  sich  wahrscheinlich,  die  Ul- 
mer und  die  Nördlinger  Maler  Berlin  mit  einander  verwandt 
waren.  Ist  doch  seihst  eine  gewisse  Verwandtschaft  der 
Eunstweise  des  Ulmer  Wandgemäldes  und  der  Altarmalereien 
Friedrich  Herlins  vorhanden,  nemlich  starke  Abhängigkeit 
von  altniederländischer  Kunst  und  geringe  Berührtheit  vom 
Schnitzstil.  Der  letzte  Umstand  allein  aber  hätte  schon  ab- 
halten sollen,  das  Jüngste  Gericht  dem  Schüchlin  zuzu- 
schreiben,^) der  ausserdem  lediglich  als  Tafelmaler  thätig 
gewesen  zu  sein  scheint. 

Denn  bei  Hans  Schüchlin  von  Ulm  finden  wir  diesen 
Schnitzstil  bereits  in  voller  Entwicklung.  Damit  soll  nicht 
gesagt  sein,  dass  er  den  Weg  desselben  zuerst  betreten  habe. 
Denn  wie  es  zweifellos  ist,  dass  er  in  Nürnberg  früher, 
systematischer  und  ausschliesslicher  beschritten  worden,  so 
mögen  auch  manche  schwäbische  Maler  vor  Schüchlin  nach 
stilistischem  Zusammenhange  zwischen  den  geschnitzten  und 
gemalten  Theilen  der  Altäre  gestrebt  haben.  Aber  wir  haben 
unter  den  erhaltenen  Werken  schwäbischer  Hand  kein  früheres 
mit  Namen  und  Jahrzahl  bezeichnetes  Werk  der  Art  als  den 
von  den  Herren  von  Qemmingen  für  ihre  Begräbnisskirche 
zu  Tiefen  bronn  gestifteten  Hochaltar.  Die  an  den  Pfeilern 
der  Schreinvorderseite  angebrachten  Wappen  wie  die  am 
Sockel  der  Schreinrückseite  hinlaufende  Inschrift  lassen  über 
Entstehungszeit  und  Urheber  keinen  Zweifel.*)  Seltsames 
Zusammentreffen!  In  derselben  Dorfkirche  in  badischem 
Gebiete,  nahe  an  der  württembergischen  Grenze,  welchem 
Moser  das  einzige  erhaltene  Denkmal,  bezeichnet  und  datiert, 


1)  Merz,  Christi.  Kunstblatt  1880  n»  9.  —  Lflbke,  Zeitschrift 
fOr  bild.  Kunst.    XYIU  8.  201  fg. 

2)  Die  Inschrift  lautet:  Anno  domi  (im)  Mccclxvnii  Jare  ward 
diasi  daffel  uff  gesetz  un  gantz  uss  gemah  .  .  (uff  sant)  stefas  tag 
des  bapst  un  ist  gemacht  ze  vlm  vö  hansse  schüchlin  malern. 

1804.  PhUoB.-phiIol.  a.  bist.  GL  3.  32 


376      Sitzung  der  historischen  Classe  vom  1,  Dezember  1894, 

gewidmet,  erhebt  sich  jetzt,  fast  40  Jahre  später  auch  Schüch- 
lin's  einzig  erhaltene  Schöpfung,  welche  zugleich  bezeichnet 
und  datiert  ist. 

Die  Gegenstände  des  künstlerischen  Schmuckes  sind  die 
landläufigsten:  in  der  oberen  Hälfte  des  Schreins  die  Kreuz- 
abnahme mit  den  hh.  Katharina  und  Dorothea,  in  der  unteren 
Hälfte  die  Beweinung  Christi  mit  den  beiden  hh.  Johannes, 
zum  Theil  in  Rundfiguren,  zum  Theil  in  Hochrelief  ge- 
schnitzt; in  der  Baldachin-  und  Fialenbekrönung  des  Schreins 
stehen  die  Rundfiguren  des  Crucifixus,  der  Maria  und  des 
Apostels  Johannes.  Auf  der  Staffel  befindet  sich  der  Er- 
loser zwischen  den  Aposteln  in  Halbfiguren,  auf  den  Innen- 
seiten der  zwei  Flügel  vier  Scenen  der  Passion :  Christus  vor 
Pilatus,  Kreuzschleppung ,  Grablegung  und  Auferstehung, 
auf  den  Aussenseiten  derselben  vier  Darstellungen  aus  dem 
Marienleben:  Verkündigung,  Heimsuchung,  Geburt  Christi 
und  Anbetung  der  Könige.  Sämmtliche  genannten  Dar- 
stellungen scheinen  in  Oelfarbe  ausgeführt  oder  wenigstens 
vollendet  zu  sein.  Die  in  Temperafarbe  geroalte  Rückseite 
zeigt  am  Schrein  oben  Christophorus  und  einen  Engel  mit 
der  Wage,  unten  den  von  einem  Engel  gehaltenen  Schmerzens- 
mann, rechts  die  hh.  Sebastian  und  Margaretha,  links  die 
hh.  Antonius  Eremita  und  Brigitta,  alles  in  wenig  Modellie- 
rung mit  kräftigen  Umrissen  leicht  gemalt.  Die  Rückseite 
der  Staffel  enthält  in  besserer  Durchführung  die  Halbfiguren 
von  vier  Kirchenvätern  beiderseits  von  dem  jetzt  grössten- 
theils  beseitigten,  anscheinend  ein  Yeronicatuch  darstellenden 
Mittelstücke,  entschieden  von  derselben  Hand  wie  die  Apostel 
der  Vorderseite. 

Da  in  dem  Werke  das  seit  dem  Moser^schen  wichtigste 
für  die  Geschichte  der  schwäbischen  Stilentwicklung  vorliegt, 
so  fordert  es  eine  eingehende  Würdigung. 

Das  Schnitzwerk  ist  noch  von  sehr  massvoller  Schnitz- 
stiligkeit.   Die  nackten  Theile  zeugen  von  guter,  wenn  auch 


V.  Beher:  StüentwieJclung  der  schwäbischen  Tafel-Malerei,    377 

noch  etwas  summarischer  Naturbeobachtung,  die  Gesichter 
insbesondere  von  bemerkenswerthem  Schönheitssinn,  wie  auch 
von  der  Fähigkeit  des  Künstlers,  Geschlecht,  Alter,  Vor- 
gang und  Antheil  entsprechend  zu  Form  und  Ausdruck  zu 
bringen.  Die  Gewänder  erscheinen  zwar  schärfer  in  der 
Faltengebung  als  die  St^insculpturen ,  aber  noch  nicht  von 
der  krausen  Brüchigkeit  und  Gebauschtheit  wie  die  Nürn- 
berger Arbeiten  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts. 
Diesem  massvollen  Wesen  der  Sculpturen  entspricht  aber  von 
den  Gemälden  nur  ein  Theil.  Am  meisten  die  Darstellungen 
aus  dem  Marienleben  auf  den  Aussenseiten  der  Flügel,  welche 
bei  aller  scharfen  Formbestimmtheit  doch  von  grosser  An- 
muth  der  Bewegung  und  des  Ausdrucks,  von  hohem  Lieb- 
reiz der  Köpfe  und  sogar  von  einer  gewissen  Weichheit  der 
Geberde  sind  und  dadurch  stark  an  ähnliche  Scenen  der 
Augsburger  Schule  Uolbeins  des  Aelteren  erinnern,  welchen 
Meister  sie  übrigens  an  Unmittelbarkeit  und  Wahrheit  der 
Empfindung  übertreffen.  Denselben  Eindruck  machen  die 
weiblichen  Heiligen  wie  die  Engel  der  Schreinrückseite,  so- 
weit sie  sich  in  ihrer  etwas  flüchtigen  oberflächlichen  Tempera- 
behandlung, wie  man  sie  an  den  Rückseiten  gewöhnlich  findet, 
mit  den  sorgfältig  in  Oel  gemalten  Flügeibildern  vergleichen 
lassen,  wie  auch  die  tüchtig  gezeichneten  Gestalten  des  Chri- 
stophorus  und  des  Schmerzensmannes.  Bis  zu  einem  ge- 
wissen Grade  auch  die  Apostel  der  Vorderseite  und  die  Kir- 
chenväter der  Rückseite  der  Staffel,  obwohl  hier  neben  dem 
Greisenhaften  der  gefurchten  Gesichter  und  gebleichten  Haare 
das  sinnende  Erwägen  vorherrscht,  das  sich  in  der  Geberde 
und  in  den  schmal  geöffneten  Augen  ausspricht,  während 
anderseits  Köpfe  und  Gewänder  in  einer  Reihe  von  Zügen 
bereits  die  Art  Zeitbloms  vorgebildet  zeigen. 

Im    entschiedensten   Gegensatz   dazu,   dessen   man    sich 
schlagend   bewusst  wird,    wenn  man    nur  einen    der  Flügel 

schliesst,   am   so   zwei  Aussenbilder  neben   zwei  Innenbilder 

32* 


378      Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  1,  Dezember  1894. 

des  offengelassenen  anderen  Flügels  zu  bringen,  stehen  die 
Passionsbilder  der  Innenseiten  der  Tafeln.  Elin  solcher  Oegen- 
satz  kann  nicht  in  dem  Gegenstande  allein  beruhen,  wenn 
auch  immerhin  etwas  davon  —  man  vergleiche  den  Passions- 
cyklus  und  den  Mariencyklus  der  Aussenseiten  und  Innen- 
seiten der  Flügel  vom  Kaisheimer  Altar  Holbeins  des  Aelteren 
(Pinakothek  zu  München)  —  auf  dessen  Rechnung  gesetzt 
werden  darf.  Denn  der  Gegenstand  allein  bedingt  nicht 
diese  hartlinigen  anmuthlosen  Compositionen,  diese  unge- 
schmeidige Formensprache,  diese  zum  Theil  unschönen,  derben 
und  knochigen  Gelenke  und  Extremitäten  mit  den  schwer- 
fälligen Bewegungen  und  gespreizten  Stellungen  und  Schritten 
selbst  der  nicht  zum  Henkerchor  gehörigen  Gestalten.  Dajs 
Alles  gemahnt  so  sehr  an  den  Nürnberger  Stil  der  Playden- 
wurff-Wolgemut'schen  Werkstatt,  dass  man  die  Passionsfolge 
des  Tiefenbronner  Altars  für  Nümbergisch  halten  würde, 
wenn  sie  nicht  mit  dem  von  dem  schwäbischen  Meister  be- 
zeichneten Altar  im  Zusammenhang  stünde  und  ihrem  schwä- 
bischen Entstehungsort  nach  unzweifelhaft  gesichert  wäre. 
Ja  das  Schnitzstilige  daran  ist  um  einen  wesentlichen  Grad 
weiter  getrieben,  als  an  den  Schnitzarbeiten  des  Altares 
selbst,  welche  weit  weniger  an  die  fränkische  Art  bis  Veit 
Stoss  und  Adam  Erafft  herab  erinnern,  als  die  Passions- 
bilder an  jene  fränkischen  Malereien,  die  man  gemeinhin 
unter  dem  Sammelnamen  Wolgemut  zusammenfasst. 

Wir  sind  übrigens  in  der  Lage,  diesen  Gesammteindruck, 
welcher  unzweifelhaft  und  auch  bereits  von  mehreren  Be- 
obachtern constatiert  ist,  noch  durch  ein  bestimmtes  Ver- 
gleichsobjekt zu  sichern.  Auch  jetzt  noch  werden  unter 
den  traditionell  mit  dem  Namen  Wolgemut's  belegten  Ge- 
mälden Nürnberger  Schule  unter  dieser  Bezeichnung  be- 
stimmt festgehalten  jene  mit  1465  datierten  vier  Passions- 
tafeln  aus  der  Trinitatiskirche  zu  Hof,  welche  sich  jetzt  in 
der   Pinakothek   zu    München    befinden.     Nur   eines    dieser 


V,  Reber:  StüentwicMung  der  schwäbischen  Tafel' Malerei,    379 

Bilder,  die  Auferstehung,  deckt  sich  inhaltlich  mit  der  gleichen 
Darstellung  der  vier  Passionsbilder  in  Tiefenbronn.  Es  kann 
nun  unmöglich  Zufall  sein,  dass  diese  beiden  von  der  weitest- 
gehenden Identität  nicht  blos  in  wesentlichen  Theilen  der 
Anordnung,  sondern  auch  in  vielen  Einzelheiten  sind.  Die 
Stellung  des  Sarkophags  und  seines  verschobenen  Deckels 
ist  genau  dieselbe,  der  Auferstandene  vielfach  gleichartig, 
der  erwachende  Wächter  links  in  Gesicht  und  Geberde,  der 
kleine  auf  dem  Sargdeckel  befindliche,  das  Leichentuch  hal- 
tende Engel  fast  ganz  derselbe.  Gleiches  gilt  von  den  un- 
bedeutendsten Nebendingen,  dem  Bogenthor  und  der  Mauer 
des  Friedhofs  bis  auf  das  an  beiden  Bildern  an  gleicher 
Stelle  fehlende  Stück  der  Deckplatte,  von  den  Architekturen 
des  Hintergrundes,  der  phantastischen  Veste  und  der  Stadt 
Jerusalem,  mit  der  bogenförmig  über  einem  Hügel  empor- 
gezogenen Mauer,  ihren  Wehrthürmen  und  namentlich  dem 
am  höchsten  Punkt  gelegenen  eigenartigen  Thorthurm.  Eine 
so  schlagende  Uebereinstimmung  selbst  der  untergeordnetsten 
Nebensachen  an  der  Seite  einer  auch  sonst  unverkennbaren 
stilistischen  Uebereinstimmung  läest  sich  auch  nicht  aus  der 
Benutzung  eines  gemeinsamen  Vorbildes  erklären,  da  nament- 
lich die  Heranziehung  einer  Eupferstichvorlage  mehr  zur 
Wiedergabe  der  Hauptsachen  als  solcher  Nebendinge  geführt 
haben  müsste,  welche  in  dem  minimalen  Massstabe  eines 
Stichs  zu  diesem  Zwecke  nicht  mehr  geeignet  gewesen  wären. 
Aber  auch  abgesehen  davon  müssten  wir  es  ablehnen,  Stiche 
von  Schongauer  hiefÜr  in  Anspruch  zu  nehmen,  da  dieser 
um  1445  geborene  Meister  jenem  Nürnberger  Maler,  der 
1465  den  Hofer  Altar  zur  Aufstellung  brachte,  noch  keine 
Stich  vorläge  geliefert  haben  dürfte,  und  umgekehrt,  wie 
Janitschek^)  ausführt,  einzelne  Motive  des  Tiefen  bronner 
Altars   in   seinen   Stichen   verwerthete.     Und   noch  weniger 


1)  GeBchicbte  der  deutschen  Malerei    Berlin  1890.    S.  268. 


380      Sitzung  der  historischen  Glosse  vom  1.  Dezember  1894. 

kann  in  dem  sog.  Meister  des  Amsterdamer  Eabinets  die 
gemeinsame  Quelle  für  die  beiden  Passionen  von  Hof  und 
von  Tiefenbronn  gesucht  werden.  Kurz,  der  Maler  der 
Tiefenbronner  Passion  muss  mit  der  Herstellung  der  um  vier 
Jahre  älteren  Hofer  Passion  in  Beziehung  gestanden  haben, 
d.  h.  zur  Zeit  der  Herstellung  derselben  in  jener  nümbergi- 
schen  Werkstatt  gewesen  sein,  in  welcher  sie  entstanden  ist. 
Wir  wollen  nicht  daran  rütteln,  dass  die  Passionsseiten 
der  vier  Hofer  Tafeln  —  die  Rückseiten  sind  von  ent- 
schieden anderen  Händen^)  —  wirklich  von  Wolgemut's 
Hand  sihd^)  —  so  unsicher  uns  auch  die  Zutheilungen  an 
dessen  Eigenhändigkeit  zur  Zeit  erscheinen  — ,  wenn  man 
sich  nur  daran  erinnert,  dass  sich  diese  Urheberschaft  nur 
auf  seine  Gesellenzeit  beziehen  kann,  da  M.  Wolgemut  erst 
nach  dem  Tode  Pleydenwurffs  (1472)  dessen  Geschäftsnach- 
folger wurde.  Wie  aber  sind  dann  die  Beziehungen  der 
beiden  Passionen  zu  erklären?  Wir  folgen  natürlich  der 
Erklärung  E.  Harzen 's  ^)  nicht,  der  in  der  Erkenntniss  der 
stilistischen  Uebereinstimmung  den  nicht  bezeichneten  Hofer 
Altar  ebenfalls  dem  Schüchlin  zuschreibt.  Ernster  ist  R. 
Vischer's  Aeusserung*)  zu  nehmen,  „der  festen  üeberzeugung 
zu  sein,  dass  Schüchlin  entweder  der  Lehrer  oder  wenigstens 
ein  einflussreicher  Genosse  Wolgemut's  war. "  Freilich  halten 
wir  das  erstere  für  weniger  wahrscheinlich,  da  wir  Schüch- 
lin und  Wolgemut  in  ihren  Lebensaltern  schwerlich  weit 
genug  auseinander   setzen   dürfen,    um   fßglich  den    ersteren 


1)  ADgedeutet  von  H.  Stegmann,  üeber  das  Leben  Michel  Wol- 
gemut's. Kepertorium  f.  Kunstwissenschaft.  XIII.  Berlin  und  Stutt- 
gart 1890.     S.  68. 

2)  H.  Tbode,  Die  Malerschule  von  Nürnberg  im  XIV.  und  XV. 
Jahrhundert.    Frankfurt  1891.    S.  186. 

3)  Nachtrag,  betreifend  die  Ulmer  Maler  Hans  Schühlein  und 
Schwarz  von  Rottenburg.  Naumanns  Archiv  für  die  zeichnenden 
Künste.    VI.    Leipzig  1860.    S.  27  fg. 

4)  Studien  zur  Kunstgeschichte.    Stuttgart  1886.    S.  809. 


V.  Beber:  Stüentwieldung  der  schwäbischen  Tafel-Malerei,    381 

als  Lehrer,  den  letzteren  als  Schüler  betrachten  zu  können, 
da  ferner  das  Hofer  Passionswerk  ganz  in  dem  Qeleise  der 
Nürnberger  Werkstatt  Pleydenwarffs  sich  bewegt,  und  da 
die  Maler  jener  Periode  ihre  Lehrzeit  wohl  selten  anderswo 
als  in  ihrem  Heimathsorte  oder  in  dessen  Nachbarschaft  ver- 
brachten und  erst  in  der  Wanderzeit  ihren  Gesichtskreis  zu 
erweitern  Gelegenheit  fanden.  Jedenfalls  erscheint  uns  die 
andere  Alternative  Vischer^s,  dass  Schüchlin  ein  einflussreicher 
Genosse  Wolgemut's  gewesen  sei,  in  ihrer  die  eigentliche 
Schülerschaft  aus  dem  Spiel  lassenden  Fassung  annehmbarer 
als  die  erste,  wie  auch  als  die  Annahme  Thode^s^),  dass 
Schüchlin  als  Mitschüler  M.  Wohlgemutes  bei  H.  Pleyden- 
wurff  gelernt.  Denn  wenn  —  was  wir  bezweifeln  —  Schüch- 
lin überhaupt  schon  in  seiner  Lehrzeit  nach  Nürnberg  ge- 
langt sein  sollte,  konnten  wir  doch  nicht  wissen,  ob  er  bei 
H.  Pleydenwurff  oder  Valentin  Wolgemut  oder  einem  an- 
deren Meister  in  der  Lehre  gestanden  sei. 

Wir  haben  ja  in  Bezug  auf  Jugend,  Lehrzeit  und  Wander- 
zeit Schüchlins  keine  Nachricht.  Er  wird  in  seiner  Heimath- 
stadt Ulm  gelernt  haben,  wie  Dürer  in  Nürnbei^,  —  eine 
gegentheilige  Annahme,  nicht  diese,  müsste  bewiesen  werden. 
Bei  welchem  Meister,  ist  unflndlich,  jedenfalls  bei  keinem 
Illuministen ,  denn  seine  Art  ist  monumental.  Die  Muth- 
massung,  dass  er  bei  L.  Moser  gelernt  haben  konnte,  ist 
weder  durch  den  Thätigkeitsort  Mosers  (Weil),  noch  durch 
den  Zeitunterschied  von  fast  40  Jahren  zwischen  dem  einzig 
bekannten  Moser'schen  Altarwerk  und  dem  frühen  Werk 
Schüchlins  von  1669,  noch  auch  innerlich,  nemlich  durch 
Charakter  und  Stil  der  beiderseitigen  Kunst,  gerechtfertigt. 
Das  Nebeneinander  der  beiden  Werke  in  Tiefenbronn  be- 
weist dafür  nichts:  Moser  war  in  der  Zeit  der  Entstehung 
des  Schüchlin'schen  Altars  schwerlich  mehr  am  Leben,  auch 


1)  A.  a.  0.  S.  310. 


382      Sitzung  der  historischen  Clause  vom  1.  Dezember  1894. 

ist  es  keineswegs  nothwendig  bei  dem  an  Schüchlin  er- 
gangenen Auftrag  die  Empfehlung  Mosers  vorauszusetzen, 
da  die  Gemmingen,  denen  Ulm  kaum  unbekannt  war,  bei 
der  Stiftung  des  Altars  selbst  von  Schüchlins  Leistungs- 
fähigkeit unterrichtet  sein  konnten. 

Was  seine  Ziele  während  der  Wanderzeit  betrifiFt,  so 
ist  Italien  ganz  ausgeschlossen.  Dass  er  dann  in  Kolmar 
mit  M.  Schongauer  in  Beziehung  getreten,  erscheint,  wie 
schon  berührt,  aus  zeitlichen  Gründen  fast  unmöglich.  Denn 
Schongauer  war  zu  Anfang  der  Sechziger  Jahre  noch  kaum 
aus  den  Niederlanden  zurückgekehrt  und  später  kann  die 
Wanderzeit  des  1469  als  voller  Meister  dokumentierten 
Schüchlin  nicht  angesetzt  werden.  Wir  wissen  auch  nicht, 
wo  Schüchlin  seine  niederländischen  Einflüsse  empfangen 
hat.  Auf  direktem  Wege  wohl  nicht,  denn  auf  diesem 
hätte  er  auch  die  Kölner  Kunst  kennen  gelernt,  von  welcher 
er  keine  Spur  verräth.  Auch  erscheinen  diese  Einflüsse 
keineswegs  stark  genug,  um  eine  niederländische  Studien- 
reise während  der  Wanderzeit  zu  bedingen.  Denn  wenn 
die  stilllebenartig  behandelten  Geräthe  an  den  beiderseitigen 
Laibungen  der  Staffel  des  Tiefenbronner  Altars  an  Feinheit 
der  malerischen  Durchbildung  niederländischen  Arbeiten  kaum 
nachstehen,  so  kann  doch  nicht  geleugnet  werden,  dass  ähn- 
liche Zierlichkeit  auch  sonst  erreicht  werden  konnte,  wie 
denn  auch  das  Beiwerk  am  Moser'schen  Altar  von  bewun- 
dernswürdiger Feinheit  ist. 

Dagegen  sind  Beziehungen  Schüchlins  zu  Franken,  wohl 
ebenfalls  erst  in  der  Zeit  seiner  Wanderschaft  angeknüpft, 
unzweifelhaft.  Er  stand  sicher  in  einer  der  grösseren  Werk- 
stätten Nürnbergs  in  Arbeit,  als  er  einem  Mitgesellen  näher 
trat  und  diesen  schätzen  lernte.  Dieser  war  der  Nürnberger 
Albrecht   Rebmann,   von  dem   wir  erfahren^),    dass   er   als 

1)  A.  Klemm,  Nachtrag  zu  ,Ueber  die  beiden  Jörg  Sürlin". 
F.  Presael,  Münsterblätter  III.  u.  lY.  Heft.    Uhn  1883.    S.  174.    Vgl. 


0,  Reber:  Stüentwickluntj  der  schwäbischen  TafehMalerei.    388 

Schwager  Schüchlin's  1474  mit  diesem  den  jetzt  verschollenen 
Altar  für  den  Chor  der  Martins -Kirche  zu  Bottenburg  am 
Neckar  um  425  Galden  farbig  auszuführen  übernahm.  Das 
Verhältniss  Schüchlins  zu  Rebmann  erinnert  lebhaft  an  das 
spätere,  in  welchem  Schfichlin  zu  seinem  Schwiegersohn  Zeit- 
blom  stand,  wenn  wir  auch  auf  die  gemeinsame  Bezeichnung 
der  Altartafeln  der  Nationalgalerie  von  Budapest  nur  geringen 
Werth  legen.  In  beiden  Fällen  aber  darf  man  annehmen, 
dass  dem  Yerwandtschafts-  und  Genossen -Verhältniss  mehr- 
jähriger Gesellendienst  vorausging.  Man  darf  auch  aus  der 
Notiz  von  1474  rückläufig  folgern,  dass  Rebmann  schon 
1469  bei  Schüchlin  arbeitete,  und  zwar  noch  als  Geselle, 
weil  Schüchlin  den  Tiefenbronner  Altar  allein  signiert.  Dass 
aber  Rebmann  nicht  als  Schüler,  sondern  als  gelernter  Nürn- 
berger Maler  zu  Schüchlin  gekommen  war,  beweist  nicht 
blos  der  Stil  seiner  Nürnberger  Werkstatt,  den  er  mitge- 
bracht und  in  dem  Theile  des  Werkes,  an  welchem  ihm  eine 
weitgehende  Mitwirkung  zugewiesen  worden  war,  zum  Aus- 
druck brachte,  sondern  auch  der  umstand,  dass  er  in  der 
Weise  der  Nürnberger  Gesellen  (Handzeichnungs-Sammlung 
der  Universität  Erlangen  ^)  bestimmte  Zeichnungen  nach  unter 
seinen  Augen  und  vielleicht  sogar  unter  seiner  Betheiligung 
in  Nürnberg  ausgeführten  Werken  in  Anwendung  brachte, 
die  seine  Reminiscenzen  unterstützten.  Jedenfalls  aber  musste 
der  Meister  von  der  Mitarbeit  befriedigt  sein,  denn  sie  führte 
bald  zu  Yerschwägerung  und  Genossenschaft.  Die  durch 
Yerheirathung  begründete  neue  (schwäbische)  Heimath  und 
endlich  volle  Selbständigkeit  Rebmann*s  aber  erklärt  es  leicht, 
dass  er  als  auswärtig  niedergelassen  in  den  Nürnberger  Bürger- 
büchern nicht  vorkommt. 

Es  scheint  indess,  dass  Schüchlin  seinen  damaligen  Ge- 
Strauch, Pfalzgräfin  Mechtild  in  ihren  literarischen  Beziehungen. 
Tübingen  1888.    S.  4  und  34. 

1)  Mittheilung  von  A.  Bayersdorfer. 


384      Sitzung  der  historischen  Classe  vom  1.  Desember  1894. 

seilen  nicht  ganz  unbeschränkt  an  den  Passionsbildern  schalten 
Hess.  Es  fehlt  nämlich  keineswegs  an  Stellen,  an  welchen 
die  knarrend  harte  und  derbe  Art  der  damaligen  Nürnberger 
einer  weicheren  Behandlung,  die  starre  Unbeweglichkeit 
lebender  Bilder,  wie  sie  in  den  fränkischen  Gompositionen 
herrscht,  einem  fliessenderen  beweglicheren  Vortrag,  das 
Grimassenhafte  des  Ausdrucks  einer  wirklichen  Empfindung 
Platz  macht.  Das  besten  Falles  dramatische  Element,  das 
in  den  fränkischen  Werken  an  die  derbe  Weise  der  Zunft- 
spiele erinnert,  gelangt  dann  zu  einem  sinnigeren,  empfin- 
dungs-  und  reflexionsfähigen  Wesen  und  zu  einer  Innerlich- 
keit, die  einen  gewissen  lyrischen  Klang  hat,  wodurch  sich 
die  schwäbische  Kunst  des  15.  Jahrhunderts  von  der  frän- 
kischen ebenso  unterscheidet,  wie  die  altflandrische  von  der 
altbrabantischen.  Auch  hat  es  den  Anschein,  dass  das  kalte 
grelle  Kolorit  der  Franken  hier  einem  tieferen  und  tonigeren 
gewichen  sei,  doch  lässt  in  dieser  Beziehung  der  restaurierte 
Zustand  der  Tiefenbronner  Pa£eionsbilder  ein  sicheres  ür- 
theil  nicht  zu. 

Deutlicher  aber  als  an  diesem  in  Bezug  auf  seine  Ent- 
stehung etwas  zwitterhaften  Gyklus  erscheint  Schüchlins 
Ulmer  Schulart  und  persönlicher  Stil  an  den  übrigen  Ge- 
mälden des  Tiefenbronner  Altars.  Doch  auch  diese  zer- 
fallen in  drei  nach  Auflassung  und  Behandlung  etwas  ver- 
schiedene Gruppen.  Zunächst  erscheinen  die  beiden  Pre- 
dellenbilder der  Vorder-  und  Rückseite  von  unter  sich  ganz 
congruenter  Natur.  Von  diesen  sondern  sich  die  Marien- 
darstellungen an  den  Aussenseiten  der  Flügel  durch  ihren 
speziell  lyrischen  Charakter.  Endlich  führen  uns  die  Tempera- 
malereien der  Rückseite  den  Meister  in  mehr  flüchtiger,  skizzen- 
hafter Thätigkeit  vor. 

Die  Halbfiguren  der  Apostel  und  Kirchenlehrer  der 
beiden  Stafi^elseiten  zunächst  zeigen  die  holzplastische  Schule 
unverkennbar.  Wie  aber  bei  Schüchlins  grossem  Zeitgenossen 


17.  Beber:  Stilentwieklung  der  schwäbischen  TafeU Malerei.    385 

Jörg  Sürlin  d.  A.  stellen  die  Apoetelköpfe,  die  übrigens  von 
grosser  Mannigfaltigkeit  sind,  nicht  etwa  seelenlose  Männer- 
typen dar,  sondern  jedem  ist  eine  Ueberzeugtheit,  eine 
schwärmerische  Bingebung  und  überhaupt  eine  Innerlich- 
keit eigen,  zu  welcher  sich  kein  fränkischer  Maler  vor  Dürer 
erschwingen  konnte.  Freilich  streift  dies  manchmal  ans  Sen- 
timentale, was  jedoch,  weil  nie  zu  der  koketten  Weichlich- 
keit der  Kölner  Werke  getrieben,  die  Typen  zu  einer  höheren 
Würde  und  über  die  Modellnatur  hinaus  gelegentlich  zu  idealer 
Schönheit  erhebt.  In  den  Kirchenvätern  spricht  sich  in  erster 
Reihe  das  gesammelte  Denken  aus,  wobei  die  schwärmerische 
inspirierte  Meditation  sich  nicht  blos  in  den  halbgeschlossenen 
Augen,  sondern  auch  in  der  Neigung  der  Köpfe  wie  in  den 
sonstigen  Geberden  der  drei  schreibenden  und  des  lesenden 
Kirchenfürsten  deutlich  macht.  Die  Malerei  zeigt  ein  sicheres 
Impasto  in  der  Weise  der  Temperamalerei  ohne  jenes  Ver- 
treiben und  Verschmelzen  der  Töne,  welches  die  Gesichter 
des  Moser'schen  Altarwerks  so  kölnisch  anmuthig  erscheinen 
lässt.  Die  Modellierung  lässt  nemlich  jeden  Pinselstrich  er- 
kennen und  dessen  Zug  wie  die  betreffende  Farbe  abge- 
gränzt  unterscheiden.  Reine  Oelmalerei  möchten  wir  füg- 
lich bezweifeln. 

Zu  höherer  Entfaltung  konnte  indess  das  Wesen  des 
Meisters  in  den  vier  Bildern  aus  dem  Marienleben  an  den 
Fiügelaussenseiten  gelangen.  Vor  diesen  wird  Niemand  auch 
nur  entfernt  an  fränkische  Art,  wie  sie  z.  B.  in  der  „Ver- 
mählung der  h.  Katharina^  (Pinakothek  zu  München  n^  234) 
vorliegt,  denken  können,  während  wohl  jeder  Baschauer  sich 
sofort  an  die  Mariencyklen  des  älteren  Holbein  (Kaisheimer 
Altar  in  München  u.  A.)  oder  an  die  Basilikenbilder  (Galerie  zu 
Augsburg)  gemahnt  fühlen  wird.  Trotz  des  holzplastischen 
Grundzuges  der  Zeichnung  und  Schattengebung  ist  hier  alle 
Gespreiztheit  und  Härte  der  Stellung  überwunden,  alle  Schwer- 
fälligkeit und   Breitspurigkeit   der   Bewegung  in   vornehme 


386       Sitzung  der  histonschen  Glosse  vavi  1.  Dezember  1894. 

Gebahrung  verwandelt,  alle  starre  Eckigkeit  durch  eiuen 
milden  weichen  Zug  und  durch  entschiedene  Anmuth  er- 
setzt. Ja  diese  Anmuth  wächst  nicht  selten  zu  entschiedener 
Schönheit,  welche  ohne  die  kölnische  Geziertheit  den  lieb- 
lichen naiven  Gesichtern  wie  den  zarten  weichgelegten  oder 
auch  thätigen  Händen  mit  ihren  übrigens  normalen  Pro- 
portionen wie  auch  anderen  nackten  Theilen  zu  Gute  kommt. 
Die  Farbe  endlich  ist  heller  als  an  den  Passionsbildem,  zum 
Theil  wohl  daher  rührend,  dass  die  auf  den  Aussenseiten  der 
Flügel  befindlichen  Gemälde  mehr  dem  Licht  und  der  Sonne 
ausgesetzt  waren,  als  die  Innenbilder,  die  beim  Schliessen 
des  Schreines  der  Lichteinwirkung  ganz  entzogen  waren. 
Man  darf  den  bereits  berührten  Vergleich  vielleicht  dahin 
präzisieren,  dass  sich  die  Marienbilder  zu  den  Passionsbildern 
verhalten,  wie  Werke  Memlings  zu  den  dem  Rogier  van  der 
Weyden  zugeschriebenen,  wobei  der  Unterschied  eher  grösser 
als  kleiner  genommen  werden  muss.  Anderseits  aber  führen 
die  Marienbilder  so  lückenlos  zu  den  Mariencyklen  Hans 
Holbeins  d.  A.  hinüber,  dass  ich  keinen  Anstand  nehme,  in 
Schüclilin  den  Lehrer  Holbeins  des  Aelteren  oder  den  ein- 
fiussreichsten  Meister  von  Holbeins  Wanderzeit  zu  erkennen. 

Die  Temperamalereien  der  Rückseite  des  Schreins  end- 
lich sind  untergeordnet,  flüchtig  gezeichnet,  unter  starker 
Betonung  des  Umrisses  und  der  Zeichnungslinien  überhaupt 
mehr  in  Flächen  koloriert  und  sonach  in  ihrer  Behandlung 
Wandgemälden  verwandt.  Sie  erscheinen  jedoch  von  hohem 
Werthe  durch  den  Umstand,  dass  sie  allein  von  jeder  Re- 
stauration verschont  blieben,  und  somit  das  treueste  Abbild 
von  der  Kunst  des  Meisters  geben.  Mit  Unrecht  wird  bei 
den  Rückseiten  gewöhnlich  Gehilfenarbeit  angenommen, 
während  doch  gerade  bei  den  Rückseiten  das  Genügen  einer 
blossen  Skizziening  den  Meister  der  Zuhilfenahme  von 
Gesellenarbeit  überhob. 

Für   die  Beurtheilung   von  Schüchlin's  Kunst   sind   wir 


V.  Beber:  SiüentwicJelung  der  schtoäbischen  Tafel-Malerei.    387 

auf  den  Tiefenbronner  Altar,  das  einasig  beglaab^^  Werk 
des  Meisters,  beschrankt.  Denn  die  Bezeichnung  auf  einem 
anderen  Altarrest,  nemlich  den  zwei  Flügeln  vom  Dorfe 
Münster  bei  Mickhausen  an  der  Schmutter,  südöstlich  von 
Augsburg,  jetzt  unter  n<*  152 — 154  in  der  Nationalgalerie 
zu  Budapest,  ist  nach  Wortlaut,  Schrift  und  Farbe  sehr  ver- 
dächtig und  wenigstens  weitgehend  ergänzt  und  übermalt« 
wenn  nicht  vor  1860  völlig  neu  gemalt.^)  Man  könnte  ja 
an  den  abgesägten  und  in  ein  Mittelbild  zusammengestückten 
Aussenseiten  der  Flügel,  den  Tod  Mariens  darstellend,  Schüch- 
lin*s  Hand  vermuthen,  wenn  die  starke  Aigner^sche  Restau- 
ration überhaupt  ein  Urtheil  erlaubte,  ebenso  wie  die  Ge- 
mälde der  Flügelinnenseiten,  die  hh.  Florian,  Johannes  Bap- 
tista  und  Sebastian  auf  der  einen,  die  hh.  Papst  Gregor, 
Johannes  Ev.  und  Augustinus  auf  der  andern  Tafel,  wenn 
der  Restauration  zu  trauen  ist,  der  Art  Zeitblom's  näher 
stehen.  Uns  erschienen  bei  der  Besichtigung  der  Originale 
die  sämmtlichen  Tafeln  ziemlich  gewöhnliches  Werk  der 
Dimer  Schule. 

Da  die  sonst  urkundlich  erwähnten  Werke  Schüchlin^s 
verschollen  sind,  wird  es  den  trefflichen  Lokalforschern 
Schwabens  überlassen  bleiben  müssen,  ihren  Verbleib  oder 
ihr  Schicksal  zu  ermitteln.  Ebenso  werden  sie,  welche  doch 
schon  eine  Anzahl  von  Ulmer  Malernamen  vom  Ausgang 
des  15.  Jahrhunderts  ans  Licht  gebracht  haben,  in  abseh- 
barer Zeit  durch  archivalische  und  andere  Funde  die  muth- 
masslichen  Schüchlin^s  bestätigen  oder  widerlegen.  So  die 
grosse  Kreuzigung  in  S.  Georg  zu  Dinkelsbühl ,  die  Bewei- 
nung Christi  von  1483  auf  Schloss  Meffersdorf  in  Schlesien, 
die  Grablegung  Christi  in  der  städtischen  Galerie  zu  Barn- 


1)  und  .  von  Hans  .  Schulein.  B.  Zeitblom  zu  .  .  .  mit  gemacht 
14  .  ,  —  Tb.  Frimmel,  Kleine  Galeriestudien.  Bamberg  1892.  I.  B. 
S.  247  fg.  —  M.  Bach,  Studien  zur  Geschichte  der  Ulmer  Malerschale. 
Zeitschrift  fOr  bildende  Kunst.     1893.     S.  126  fg. 


388      Sitzung  der  historiachen  Classe  vom  1.  Dezember  1894, 

berg  n^  10  (im  Katalog  dem  Wolgemut  zugeschrieben),  die 
8  Ausschnitte  aus  sog.  typologischen  Bildern  von  Zwiefalten 
und  den  kleinen  Apostelaltar  von  Blaubeuren,  die  beiden 
letzteren  Werke  im  Museum  für  vaterländische  Alterthümer 
zu  Stuttgart. 

Für  unsere  Untersuchung  handelt  es  sich  nur  noch  um 
die  Thatsacbe,  dass  die  Schüchlin^sche  Art  von  Schnitzstilig- 
keit,  somit  ein  von  1469  an  nachweisbarer  Tafelbildstil,  in 
den  letzten  Jahrzehnten  des  15.  Jahrhunderts  fast  die  ganze 
schwäbische  Kunst  vom  Oberrhein  bis  zum  Lech  beherrscht. 
Denn  wenn  auch  einige  notorisch  oder  muthmasslich  aus 
der  Schule  Schüchlin's  hervorgegangene  Meister,  wie  der 
ülraer  B.  Zeitblom,  M.  Schwarz  von  Rottenburg,  H.  Hol- 
bein  d.  A.  von  Augsburg  und  B.  Strigel  von  Memmingen, 
sämmtlich  durch  mehr  gesicherte  Werke  wie  Schüchlin  be- 
kannt, ihrer  persönlichen  Eigenart  in  deutlicher  Unterscheid- 
barkeit Ausdruck  zu  geben  wissen,  so  bleibt  doch  auch  ihr 
Grundzug  derselbe,  wie  an  der  grossen  Zahl  von  namen- 
losen Werken.  Selbst  der  Einfluss  M.  Schongauers  ändert 
an  diesem  Schnitzstil,  dem  er  sich  vielmehr  selbst  (vielleicht 
nach  Schüchlin's  Vorgang)  unterordnet,  nichts  mehr,  wenn 
auch  seine  in  den  letzten  Jahrzehnten  des  15.  Jahrhunderts 
in  den  deutschen  Werkstätten  aufliegenden  Stiche  kompo- 
sitionell  und  zeichnerisch  belehrten  und  selbst  missbräuchlich 
ausgebeutet  wurden,  somit  von  so  weittragender  Bedeutung 
wurden,  wie  später  jene  Dürers.  Ebensowenig  das  Auftreten 
vereinzelter  Tafel-Maler,  welche  aus  der  sich  auslebenden 
Miniaturmalerei  hervorgingen,  und  das  Ueberlaufen  von  der 
letzteren  zur  Tafelkunst  nicht  verkennen  lassen  (ü.  Apt). 
Desshalb  die  grosse  und  hinter  den  fränkischen  Arbeiten  des 
sog.  Wolgemut'schen  Kreises  nur  mehr  wenig  zurückstehende 
Aehnlichkeit  fast  aller  jener  Zeit  angehörigen  schwäbischen 
Tafel-Malereien,  welche  sich  nur  durch  mehr  oder  weniger 
künstlerische    Entwicklung,    durch    die    verschiedenen    Ab- 


V,  Eeber:  StüenttoicJclung  der  scktoäbischen  Tafel-Malerei,    389 

stufungen  des  Schönheitsgeftlhls,  des  Ausdrucks  und  über- 
haupt seelischen  Inhalts,  der  Technik  u.  s.  w.  bis  zu  ge- 
sellenhafter  Rohheit  herab,  nicht  aber  durch  ihr  stilistisches 
Verhaltniss  unterscheiden. 

Möge  es  indess  der  Lokalforschung  gelingen,  fQr  man- 
ches noch  namenlose  bedeutendere  Werk,  wie  der  grosse 
Altar  in  Blaubeuren,  die  Altäre  von  Hausen  und  Lichten- 
stern  in  der  Sammlung  vaterländischer  Alterthümer  in  Stutt- 
gart, der  Apostelcyklus  der  Blasiuskirche  zu  Eaufbeuren, 
und  zahlreiche  Einzelgemälde  in  den  Galerien  von  Stuttgart, 
Karlsruhe,  Darmstadt,  Augsburg,  Nürnberg  u.  s.  w.  die  Ur- 
heber zu  entdecken  oder  wenigstens  ihre  gruppenweise  Zu- 
sammengehörigkeit nachzuweisen.  Wir  müssen  uns  bescheiden, 
aus  den  leitenden  Hauptwerken  einige  Anhaltspunkte  für  die 
Stadien  des  stilistischen  Entwicklungsganges  der  schwäbischen 
Tafel-Malerei  im  Quattrocento  geschöpft  zu  haben. 


390 


Historische  Classe. 

Der  Vortrag  von  Herrn  Lossen,  gehalten  in  der  Sitzung 
der  historischen  Classe  vom  3.  November 

„lieber  Nuntiaturberichte  und  andere  Akten 
des  Vatikanischen  Archivs  als  Quellen  der 
Geschichte  des  Kölnischen  Kriegs* 

ist  von  dem  Verfasser  vorläufig  nicht  zum  Druck   bestimmt. 


391 


Philosophisch-philologische  Classe. 

Sitzung  vom  1.  December  1894. 

Herr  Krumbacber  hielt  einen  Vortrag: 

„Michael  Glykas." 

Eine  Skizze  seiner  Biographie  und  seiner  litterarischen  Thätigkeit 
nebst  einem  unedierten  Gedichte  und  Briefe  desselben. 

H.  Taine  hat  die  Litteratargeschichte  vor  eine  schwere 
Aufgabe  gestellt.  Sie  soll,  um  zum  vollen  Verständnis  und 
zur  gerechten  Würdigung  eines  Schriftstellers  vorzudringen, 
ausser  seinen  Werken  auch  sein  ganzes  menschliches  Wesen, 
seine  innere  Entwickelung,  seine  äusseren  Lebensverhältnisse, 
ja  selbst  seine  alltäglichen  Gewohnheiten  studieren.  Taine 
selbst  hat  die  psychologische  Zergliederung  und  mikroskopische 
Erforschung  an  einigen  grossen  Schriftstellern  Englands  mit 
anerkanntem  Glück  durchgeführt  und  so  gleichsam  die  Probe 
auf  seine  Theorie  gemacht.  In  der  Geschichte  der  neueren 
Litteraturen  wird  ein  derart  vertieftes  Studium,  welches  das 
Ideal  der  wissenschaftlichen  Litteraturgeschichte  sein  rouss, 
ohne  Zweifel  noch  bedeutend  mehr  Raum  gewinnen,  und  wir 
werden  durch  ausgedehnte  und  energische  Anwendung  dieser 
Methode  gewiss  manche  Männer  noch  genauer  kennen  und 
richtiger  beurteilen  lernen.  Die  idealistische  Auffassung  wird 
freilich  darunter  Schaden  leiden  und  auch  hier  dem  Schicksal 

1894.  PliUos.-pliUol.  Q.  hl8t  Ol.  8.  83 


392     Sitzung  der  philosrphüöl,  Glosse  vom  1.  Decemher  1894, 

nicht  entgehen,    das  sie  auf  vielen   anderen   Gebieten    durch 
die  alles  zersetzende,  trocken-realistische  Objektivität  unserer 
Zeit  schon  erlitten  hat.     In  einem  gewissen  Sinne  darf  man 
daher   die  Alten   glücklich   preisen:    den    duftigen    Schleier, 
den  die  Jahrtausende  um  sie  gewoben  haben,    werden    auch 
die   schärfsten  Messer   der   neueren  Kritik   nicht   mehr  zer- 
stören können,  einfach  deshalb,  weil  dieser  Kritik  die  Mittel 
fehlen,  die  vornehmlich  in  der  glaubwürdigen  Ueberlieferung 
zahlreicher    Thatsachen    des    äusseren    und    inneren    Lebens 
bestehen.     Immerhin    aber   gibt   es    auch   in    der  alten  und 
mittelalterlichen    Litteratur    einzelne    Personen,    die   uns   in 
ihrem  Menschentum  genau  bekannt  sind,   fast  so  genau  wie 
die  allerneuesten.     Und  weiterer  Forschung  wird  es  gelingen 
noch  manche  Autoren,  die  jetzt  kaum  mehr  als  leere  Namen 
sind,   mit   Fleisch   und    Blut   auszustatten.     Es   kommt   nur 
darauf  an,  dass  sich  die  Litteraturgeschichte  auf  allen  ihren 
Gebieten,   auch  den  entlegensten,    klar  der  Aufgabe  bewusst 
werde,  aus  den  Werken  der  Schriftsteller,  aus  den  über  sie 
erhaltenen  Urteilen  und  Nachrichten    und  nicht   zuletzt  aus 
einem   umfassenden  Studium    ihrer   Zeit   und  ihrer  geistigen 
Umgebung  plastische  Charakterbilder  herauszuarbeiten.    Eines 
der  Gebiete,   auf  welchen   diese  Aufgabe   noch    grösstenteils 
gelöst  werden  muss,  ist  die  byzantinische  Litteratur.    Gerade 
sie  erschien  bis  vor  kurzem  noch  als  eine  langweilige  Gallerie 
gleichförmiger,  steifleinener  Figuren  ohne  Kraft  und  Eigen- 
art.    Dass  aber  auch  byzantinische  Litteraten  uns  menschlich 
näher    gebracht    werden    können,    haben  vor   längerer   Zeit 
L.  Fr.  Tafel  und  Neander  an  dem  scheinbar  so  uninter- 
essanten Scholiasten   Eustathios   von   Thessalonike,   Ad.  El- 
lissen  an  dem  athenischen  Erzbischof  Michael  Akominatos, 
endlich  vor  kurzem  C.  Neumann  an  dem  Philosophen  und 
Staatsmann  Michael  Psellos  glänzend  dargethan. 

Ein  Byzantiner,  der  des  Reizes  der  Individualität  zu  ent* 
hehren  schien,  ist  der  Chronist  Michael  Glykas.    Heute 


Krumhiuiher:  Michael  Glyhas.  393 

vermögen  wir  sein  Bild  schärfer  zu  zeichnen  und  einige  be- 
sondere Züge  festzustellen,  durch  die  er  sich  aus  der  langen 
Reihe  der  byzantinischen  Litteraten  deutlich  abhebt.  Wir 
verdanken  diese  Förderung  unserer  Kenntnis  teils  einigen 
in  der  letzten  Zeit  edierten  Texten,  teils  einem  Gedichte  und 
einem  Briefe,  die  als  Anhang  dieser  Studie  zum  erstenmale 
der  OefiFentlichkeit  übergeben  werden,  teils  endlich  der  Ver- 
gleichung  dieser  neuen  Werke  mit  den  schon  früher  bekannten. 
Das  Werk,  durch  welches  Glykas  seit  langer  Zeit  und 
in  weiteren  philologischen  Kreisen  bekannt  ist,  seine  Welt- 
chronik, unterscheidet  sich  von  den  übrigen  Werken  dieser 
im  grossen  und  ganzen  ziemlich  gleichförmigen  Gattung  durch 
einige  sehr  erhebliche  Eigenheiten,  Glykas  allein  unter  seinen 
Vorgängern  und  Nachfolgern  hat  den  Gedanken  gehabt,  in 
die  Schöpfungsgeschichte  die  Weisheit  des  Physiologus 
einzuflechten,  und  wir  wären  ungerecht,  wenn  wir  den  Ein- 
fall, den  trockenen  ChronikenstoflF  durch  die  im  Mittelalter 
so  beliebte  Fabelzoologie  zu  beleben,  nicht  glücklich  fänden. 
Ausser  den  Geschichten  des  Physiologus  hat  Glykas  in  seine 
Erzählung  von  der  Erschaflfung  der  Steine,  Pflanzen  und 
Tiere  naturwissenschaftliche  Kuriositäten  aus  Aelian  und 
wohl  auch  aus  anderen  Quellen  eingeschaltet.  Eine  genauere 
Untersuchung  über  diesen  Teil  der  Chronik  hat  Dr.  M.  Gold- 
staub  (München)  angestellt  und  beabsichtigt,  seine  Ergeb- 
nisse demnächst  in  einer  grösseren  Arbeit,  in  welcher  auch 
die  übrige  griechische  Physiologustradition  berücksichtigt  ist, 
der  OefiFentlichkeit  vorzulegen.  Eine  weitere  Eigentümlich- 
keit der  Chronik  besteht  in  den  ungewöhnlich  ausführlichen 
theologischen  Erörterungen,  die  grösstenteils  aus  Väter- 
stellen bestehen  und  einer  Catena  vergleichbar  sind.  Diese 
naturwissenschaftlichen  und  theologischen  Excurse  sind  bei 
Glykas  so  reichlich,  dass  der  Chronikencharakter  auf  lange 
Strecken  völlig  verloren  geht,  in  einem  höheren  Grade,  als 
das  bei  anderen  Chronisten,  selbst  bei  dem  theologischer  Dis** 

33* 


394     SitHing  der  phüoa.-phüol.  Clasae  vom  1,  Decemher  1894. 

cussion  80  ergebenen  Georgios  Monachos  der  Fall  ist.  Eine 
dritte  Eigentümlichkeit  der  Chronik  des  Olykas  besteht  in 
der  paränetischen  Einkleidung.  Er  widmet  nicht  nur 
das  Werk  seinem  Sohne,  den  er  in  dem  kurzen  Vorworte 
als  rixvov  fiov  (pürarov  anredet,  sondern  behält  die  Form 
der  belehrenden  Mitteilung  an  denselben  auch  im  Verlaufe 
des  Werkes  selbst  bei.  Er  gebraucht  dafür  Wendungen 
wie  -X^^  de  oe  xal  xovxo  eidevai . . .,  ügdaexe,  äyanrixe  . . ., 
IlQÖoxeSf  d  ßovXei . . .,  ''Oga  de  , . .,  ^Exeig  löov  . . .,  Mrj  dav- 
fia^e...,  Kal.Tomo  yvolrjg.,.,  Eldivai  dtpelXeig . , , ,  Ovdh 
tovrö  oe  Ttagadga/jeiv  ä^iov  . . . ,  El  dk  xal  rovro  fiyrag  /lexä 
rcbv  äkkcov  jüia&eiv . . .  usw.  Durch  diese  häufigen  Anreden 
entsteht  ein  vertraulicher,  persönlicher  Ton,  welcher  von  der 
sonst  in   den   Chroniken    üblichen  Erzählungsform   absticht. 

Die  Schöpfungsgeschichte  beginnt  mit  einer  grossen  dog- 
matischen Erörterung  der  Frage,  warum  Gott  die  Welt  nicht 
an  einem  Tage  geschaffen,  warum  er  zuerst  den  Himmel 
und  dann  erst  die  Erde  geschaffen  habe  usw.  In  solcher 
Weise  werden  die  Worte  der  Schöpfungsgeschichte  mit  Hilfe 
der  Kirchenväter  nach  ihrem  Wortsinn  und  ihrem  dogma- 
tischen Inhalt  erläutert.  Das  ganze  erste  Buch  erscheint 
als  ein  förmlicher  Kommentar  zur  Genesis. 

Bemerkenswert  ist  die  Stellung  des  Glykas  zur  antiken 
Philosophie.  Der  einzige  alte  Philosoph,  dessen  Ansichten 
er  ohne  abfällige  Bemerkungen  anführt,  ist  Aristoteles; 
selbst  da,  wo  er  von  ihm  abweicht,  bemerkt  er  bescheiden, 
er  wolle  die  Widerlegung  anderen  überlassen  (S.  11,  15). 
Alle  übrigen  aber  behandelt  er  noch  in  der  Weise  der 
strengsten  Kirchenväter.  Dazu  stimmt,  dass  er  unter  den 
,,Hellenen^  noch  ausschliesslich  die  „Heiden'^  versteht  und 
dass  er  die  alten  Philosophen  als  ,ljil  xevoTg  äel  fjtaxaidCovteg^ 
,aoq?ol  fikv  elvai  (pdoxovteg,  fKogav^hreg  dk  xarä  Ilavkov 
ebieiv*  usw.  bezeichnet.  Kurz,  Glykas  gehört  zu  den  eng- 
herzig Altgläubigen  und  ist  von  dem  freieren  humanistischen 


Krumhacher:  Miehctel  Glyhas.  395 

Zug,  der  seit  dem  11.  Jahrhundert  das  byzantinische  Geistes- 
leben dnrchdringt,  noch  nicht  berührt.  Man  könnte  zar 
Entschuldigung  anführen,  dass  für  die  einseitige  Beurteilung 
der  Alten  nicht  Glykas  selbst,  sondern  seine  Quellen,  denen 
er  blindlings  folge,  verantwortlich  seien.  Allein  er  trifffc 
doch  eine  selbständige  Auswahl  unter  seinen  Quellen,  und  im 
12.  Jahrhundert  hatte  das  Heidentum  —  obschon  E.  Sathas 
das  Gegenteil  beweisen  wilP)  —  so  sehr  an  Aktualität  ver- 
loren, dass  auch  ein  streng  kirchlich  gesinnter  Mann  die 
a)te,  nicht  mehr  zeitgemässe  Polemik  gegen  die  „Hellenen* 
hätte  mildem  oder  aus  den  Citaten  weglassen  können.  Schon 
hundert  Jahre  früher  hat  ein  edler  Kirchenftlrst,  dessen  Ortho- 
doxie von  niemand  bezweifelt  wird,  der  Erzbischof  Johannes 
Mauropus  von  Euchaita  seine  Stellang  zur  alten  Philo- 
sophie in  das  schöne  Epigramm  gekleidet: 

EtJieQ  Tiväg  ßovloio  T(bv  äXiorgicov 
Trjg  ofjg  äjzedijg  i^eXio&ai,  Xgcori  juov, 
nkdrcDva  xai  momaQxov  i^Hoid  jlioi' 
^Afi(p(o  ydg  eloi  xal  X6yov  xal  rov  tqötiov 
Töig  ooig  vofioig  eyyioxa  TiQoonetpvxoxeg. 
El  S*  ^yvoTjoav  cbg  ^edg  ob  rcov  ßkcav, 
'Evrav&a  rfjg  o^g  ;|j^)/aTdTiyTog  Sei  jmövov, 
AC  i]v  änavxag  dcogeäv  ocoC^iv  '^iXeig,^) 

Während  der  Erzbischof  bei  Christus  für  Plato  und 
Plntarch  Fürbitte  einlegt,  übergibt  Glykas  (S.  39  f.)  gleich 
eine  ganze  Reihe  alter  Philosophen  in  Uebereinstimmung  mit 
dem  hl.  Basilios  der  Verdammnis,  ,8ti  omtog  d^v  ngdg  rd 
/ndraia  ßXinovteg  ixövreg  Jigdg  tijv  avv&eoiv  Ttjg  äXri'&eUxg 
ä7Z€Tv<pX(iy&rjoav*,  und  spottet  (S.  40,  12  ff.)  über  die  Weisen, 

1)  MsaaicDv.  BißX.  VIT  (1894)  EiaayoyY^- 

2)  Ed.  Panl  de  Lagarde  (Abbandl.  d.  k.  GeaellBcb.  d.  Wies. 
zu  Göttingen,  28.  Bd.,  1882)  S.  24. 


396     Sitzung  der  phüosrphüol,  Glosse  vom  1.  Decemher  1894. 

welche  sich  vermassen,  die  Grösse  von  Sonne  und  Mond,  die 
Entfernung  der  Erde  vom  Monde  usw.  zu  bestimmen. 

In  den  naturwissenschaftlichen  Exkursen  behandelt  Glykas 
mit  Vorliebe  Dinge,  welche  ins  Gebiet  der  Kuriosität  gehören, 
und  namentlich.  Dinge,  die  sich  irgendwie  zu  moralisch-theo- 
logischen Deutungen  eignen.  Er  notiert  zum  Beispiel,  dass 
der  Dattelbaum  süsse  Früchte  hervorbringe,  obwohl  er  auf 
salzigem  Boden  wachse,  verfehlt  aber  nicht,  das  Gleichnis 
zu  ziehen,  dass  ebenso  wir  unverdorben  bleiben  können, 
auch  wenn  wir  mit  Schlechten  Umgang  pflegen  müssen 
(25,  16  ff.).  Er  erörtert  die  Frage,  warum  das  Meer  salzig 
sei,  während  doch  die  in  dasselbe  sich  ergiessenden  Flüsse 
trinkbares  Wasser  haben  (29,  21  ff.).  Die  in  den  soge- 
nannten lykischen  Bergen  beobachtete  Vereinigung  von  Feuer 
und  Wasser  —  es  handelt  sich  offenbar  um  heisse  Quellen 
—  verwertet  Qlykas  zur  Erklärung  der  unzertrennlichen  Ver- 
einigung der  göttlichen  und  menschlichen  Natur  in  Christo 
(33,  13  ff.).  Vor  allem  aber  ist  sein  Bestreben  darauf  ge- 
richtet, die  Zweckmässigkeit  der  Schöpfung  nachzuweisen 
und  scheinbare  Widersprüche  (wie  die  Existenz  des  Bösen) 
zu  beseitigen.  Seine  Darlegung  erhält  dadurch  den  Charakter 
einer  ausführlichen  populären  Katechese.  Man  höre  z.  B., 
wie  Glykas  die  Willensfreiheit  beweist:  ,El  yaQ  ävdyxfj  zd 
fjfiheQa  ididero,  rlvog  Svexev  xbv  olxhrjv  xexXoqpöra  juacxiCeiQ; 
diä  rl  Ttjv  yvvaixa  fAoix^v&eXoav  elg  xQvttjQiov  Mkxtig\  tva  xl 
ök  xai  TtovtiQa  Tigdricüv  alaxvvf)*;  (53,  6  ff.).  Es  ist  dieselbe 
Art  volksmässiger  Beweisführung  durch  Beispiele  aus  dem 
Leben,  wie  wir  sie  auch  im  vulgärgriechischen  Gedichte  des 
Glykas  z.  B.  V.  269  ff.  finden. 

Die  Quellen,  welche  Glykas  mit  Ostentation  zitiert,  sind 
ausser  den  heidnischen  Philosophen  die  bekanntesten  Kirchen- 
väter wie  Justin,  Basilios,  Johannes  Chrysostomos,  Theodo- 
retos,  Maximos,  Johannes  von  Damaskos,  Anastasios  Sinaites, 
auch   weniger  berühmte  wie  Patrikios  von  Prusa  usw.;   in 


Krumhacher:  Michael  Olyhaa.  397 

erster  Linie  werden  natürlich  die  Autoren  berücksichtigt, 
welche  über  das  Hezaemeron  gesehrieben  haben.  Höchst 
wahrscheinlich  aber  ist  die  Kenntnis  so  yieler  Werke  dem 
Glykas  durch  abgeleitete  Quellen  vermittelt  worden.  Be- 
merkenswert und  charakteristisch  für  seine  Geistesrichtung 
ist,  dass  er  neben  den  anerkannten  kirchlichen  Autoritäten 
auch  den  volkstümlichen  Roman  Barlaam  und  Joasaph  als 
Beleg  anführt  (167,  15),  nebenbei  bemerkt,  so,  dass  er  ihn 
offenbar  als  ein  ganz  bekanntes  Buch  voraussetzt. 

Das  zweite  Prosawerk  des  Glykas,  seine  theologischen 
Briefe,  führt  den  Titel:  Tov  ooqxoxdtov  xal  Xoyuoxdxov 
xvQov  Mixai^).  tov  rXvxä  tov  yQafifiatixov  elg  rag  dnogfag 
rtjg  'ßeiag  yQaq)rjg  koyoi.^)  Wie  dieser  Titel  zeigt,  hat  sich 
Glykas  in  den  Briefen  die  Aufgabe  gesetzt,  Dunkelheiten 
der  hl.  Schrift  aufzuklären,  Zweifel  zu  beseitigen,  scheinbare 
Widersprüche  auszugleichen.  Freunde  und  Gönner  belehrt 
er  hier  auf  ähnliche  Weise  wie  in  der  Chronik  seinen  Sohn. 
Im  zweiten  Briefe  z.  B.  (Migne  659  ff.)  erörtert  er  die  Frage, 
ob  man  auf  jene  achten  müsse,  welche  behaupten,  dass  der 
Mensch  von  Anfang  an  einen  sterblichen  Körper  hatte,  schon 
vor  dem  Sündenfalle  körperlichen  Leiden  unterworfen  war 
und  schon  im  Paradies  reale  Nahrung  genoss  und  dass  der 
Baum  der  Erkenntnis  ein  Feigenbaum  war.  Der  dritte  Brief 
(Migne  716  ff.)  handelt  fUegl  rov  önöiog  l]v  &j€  dgxrjg  S 
*AdäfjL  xard  ye  66^av  6fxov  xal  XaßinQorrjTa*,  Es  werden  hier 
also  ähnliche  ärioqUii  über  das  Paradies,  die  ersten  Menschen, 
den  Sündenfall  usw.  gelöst  wie  in  der  Chronik.  Aus  dieser 
Uebereinstimmung  der  Themen  lässt  sich  vermuten,  dass  die 
Briefe  auch  im  Detail  der  Behandlung  sich  mit  der  Chronik 
berühren.     Eine   genauere   Vergleichung   beider  Werke   be- 


1)  So  in  der  bei  Migne  wiedergegebenen  Wiener  Ha  (Migne, 
a.  a.  0.  Col.  647)  und  im  Cod.  Monac.  415,  wo  nur  tov  yQafjifjiaxiHov 
fehlt.    8.  den  Katalog  von  I.  Hardt  IV  273. 


398     Sitzung  der  phüos.-phÜol,  Classe  vom  1.  December  1894. 

stätigt  diese  Vermutung  vollauf:  Soweit  die  Themen  der 
Briefe  schon  in  der  Chronik  behandelt  waren,  hat 
Glykas  einfach  die  betreffenden  Abschnitte  der 
Chronik  in  die  Briefe  herübergenommen.  Der  eben 
erwähnte  sehr  umfangreiche  zweite  Brief,  der  bei  Migne 
Col.  660 — 713  füllt,  ist  im  grossen  und  ganzen  identisch 
mit  dem  Abschnitte  der  Chronik  162,  17  —  190,  10.  Der 
Verfasser  hat  nur,  um  ein  abgerundetes  Schriftstück  herzu- 
stellen, eine  Einleitung  und  einen  Schluss  hinzugefügt  und 
einige  Zusätze  und  Aenderungen  angebracht.  Für  die  üb- 
rigen der  bis  jetzt  veröffentlichten  Briefe  bot  die  Chronik 
weniger  Material ;  doch  hat  Glykas,  soweit  es  nur  möglich 
war,  an  die  Chronik  angeknüpft  und  öfter  Fragen,  die  in 
der  Chronik  nur  kurz  besprochen  oder  nur  angeregt  waren, 
in  den  Briefen  weiter  ausgeführt;  vgl.  z.  B.  den  12.  Brief 
(Migne  Col.  832)  mit  der  Chronik  36,  3  ff.  Ein  instruk- 
tives Beispiel  der  Benützung  der  Chronik  bietet  auch  der 
unten  besprochene  und  im  Anhange  zum  erstenmale  heraus- 
gegebene Brief  an  des  Kaisers  Nichte  Theodora. 

Die  wörtliche  Uebernahme  grösserer  Abschnitte  aus  der 
Chronik  in  die  Briefe  wurde  dadurch  noch  besonders  er- 
leichtert, dass  Glykas  schon  in  der  Chronik,  wie  oben  er- 
wähnt worden  ist,  sich  vielfach  an  eine  zweite  Person  (seinen 
Sohn)  wendet.  Daher  brauchte  er  im  Briefe  nur  den  Vocativ 
in  der  Anrede  zu  ändern;  statt  des  früheren  vertraulichen 
d)  äyantjTi  usw.  schreibt  er  jetzt  mit  Bücksicht  auf  die  Würde 
des  Adressaten  d>  legd  xe^pakrj  usw.  Manchmal  aber  bleibt 
im  Briefe  ein  Ausdruck  stehen ,  der  wohl  seinem  Sohne, 
weniger  aber  dem  Adressaten  gegenüber  am  Platze  ist 
(z.  B.  TiQÖoexe,  Migne  713  B.).  Die  Uebereinstimmung  zwischen 
Chronik  und  Brief  ist  in  den  meisten  Fällen  ziemlich  wörtlich, 
und  zuweilen  lässt  sich  sogar  eine  Lesung  der  Chronik  aus 
einem  Briefe  verbessern,  obschon  in  dieser  Hinsicht  natürlich 
die  grösste  Vorsicht  geboten  ist. 


Krumhacher:  Michiuil  Qlyk<M.  399 

Eine  abschliessende  Feststellung  des  Verhältnisses  zwischen 
den  Briefen  und  der  Chronik  wird  sich  erst  erreichen  lassen, 
wenn  eine  vollständige  kritische  Ausgabe  der  Briefe  vor- 
liegen wird.  Bis  jetzt  sind  nur  29  Nummern  und  auch  von 
diesen  einige  nur  fragmentarisch  bekannt  gemacht  (bei  Migne 
a.  a.  0.).  Zur  Herstellung  einer  brauchbaren  Ausgabe  muss 
ein  sehr  beträchtliches  Handschriftenmaterial  beigezogen  wer- 
den; denn  sowohl  die  Zahl  als  die  Reihenfolge  und  der  Be- 
stand der  Briefe  schwankt  in  den  einzelnen  Hss  sehr  erheblich: 
Der  Codex  Paris.  228,  s.  XHI,  enthält  92  Briefe  (ungenaues 
Verzeichnis  im  alten  Pariser  Katalog  H  S.  35  flF.);  der  Codex 
Taur.  193,  s.  XIV,  aus  welchem  Migne  a.  a.  0.  Col.  XXXIX  flF. 
nach  dem  Katalog  von  Pasini  I  (1749)  286  S.  die  Inhalts- 
angabe mitteilt,  enthält  oder  vielmehr  enthielt  ebenfalls 
92  Briefe,  von  welchen  die  ersten  zwei  und  der  Anfang  des 
dritten  verloren  gegangen  sind;  der  Cod.  Monac.  415,  s.  XV, 
bietet  56  Briefe;*)  der  Cod.  Riccard.  73  hat  14  Briefe;») 
die  Codd.  Vindob,  theol.  159,  232,  160  und  233  enthalten 
50,  55,  56  und  64  Briefe;^)  von  den  Codd.  der  Moskauer 
Synodalbibl.  enthält  der  Cod.  230  die  annähernd  vollständige 
Sammlung  von  90  Nummern;  dagegen  bieten  der  Cod.  434 
nur  28  und  der  Cod.  220  gar  nur  3  Nummern;  im  Cod.  435 
derselben  Bibliothek  stehen  47  Briefe  unserer  Sammlung 
unter  dem  Namen  des  Johannes  Zonaras;*)  der  am 
Schlüsse  verstümmelte  Cod.  Patm.  YF'  enthält  noch  32, 
der  Cod.  Patm.  YA'  70  Briefe;*)    der  Cod.  Athen.  382 


1)  Vgl.  den  Katalog  v.  I.  Hardt  IV  273  ff. 

2)  G.  Vitelli,  Studi  Ital.  di  filol.  class.  II  (1894)  522. 

5)  Migne  a.  a.  0.  Col.  XXX  ff. 

4)  Archimandrit  Vladimir,  Systematische  Bescbrelbung  der 
Handschriften  der  Moskauer  Synodalbibliothek  (russ.)  I  (Moskau  1894) 
274  ff.,  288  ff.,  666  ff. 

6)  7.  SaxxeXiwv,  Ilatfuaxrf  Bißho&^x^,  Athen  1890  S.  180. 


400     Sitzung  der  pMos.'phüol,  Glosse  vom  1,  Decemher  1894, 

hat  47  Briefe;^)  der  verstümmelte  Cod.  Vatic.  Palat.  Gr.  76 
enthält  noch  51  Nummern.^)  Man  sieht  aus  diesen  Proben, 
dass  die  Sammlung  später  vielfach  verkürzt  wurde.  Eine 
vollständige  Aufzählung  der  sehr  zahlreichen  Hss  liegt  ausser- 
halb des  Planes  dieser  Arbeit.  Ich  bemerke  nur  noch,  dass 
keine  mir  bekannte  Hs  mehr  als  92  Nummern  enthält,  und 
dass  mithin  die  Codd.  Paris.  228  und  Taur.  193  den  Maximal- 
bestand der  Sammlung  darstellen. 

In  einigen  jüngeren  Hss  wird  die  Briefsammlung  dem 
Johannes  Zonaras  zugeschrieben,  z.  B.  in  den  Codd.  Paris. 
1218,  saec.  XV,  und  3045,  saec.  XV,  im  Cod.  Mosq.  Synod. 
435,  saec.  XVII  (s.  o.)»  im  Cod.  Lesb.  Limon.  77a,  saec. 
XVI — XVIP)  usw.  Dass  diese  Zuteilung  auf  einem  Irrtum 
beruht,  bedarf  nach  dem  oben  Gesagten  wohl  keiner  weiteren 
Begründung.  Wenn  man  selbst  von  dem  Zeugnis  des  alten 
Paris.  228,  der  eine  Art  Corpus  von  Schriften  des  Qlykas 
darstellt,  und  von  den  meisten  übrigen  Hss  völlig  ab- 
sehen will,  so  beweist  schon  die  wörtliche  Benützung  der 
Chronik  des  Glykas,  dass  Zonaras  nicht  der  Autor  der  Briefe 
sein  kann.  Denn  erstens  konnte  Zonaras  nicht  wohl  die 
Chronik  des  Glykas  benützen,  die  ja  zum  Teil  aus  seiner 
eigenen  Weltgeschichte  geschöpft  und  also  nach  ihr  ent- 
standen ist,^)  und  zweitens  selbst  den  äusserst  unwahrschein- 
lichen Fall  angenommen,  dass  Zonaras  im  höchsten  Alter, 
zu  einer  Zeit,  in  welcher  nicht  nur  seine  eigene  Weltge- 
schichte, sondern  auch  die  zum  Teil  aus  ihr  geschöpfte  Volks- 
chronik des  Glykas  vorlag,    die  Briefe   geschrieben  habe,  so 


1)  /.  xal  A.  I.  SaxxsXlcoVt   KaxdXoyog   i&v  x^^Q^YQ^^P^^  '^V^  ^^" 
vixijs  ßtßXio^^xtjg  r^s  'EXXdSog,  Athen  1892  S.  66. 

2)  H.  Stevenson,  Codices  Manuscripti  Palatini  Graeci  Biblio- 
thecae  Vaticanae,  Rom  1886  S.  40. 

3)  A.  Fapadopulos-Kerameus,  MavQOYOQSdzeios  BißXio^xrj, 
Kpel  1884  S.  72. 

4)  Ferd.  Hirsch,  Byzantinische  Stadien,  S.  897  ff. 


Krumhacher:  Michael  CUykas,  401 

wäre  es  doch  ganz  undenkbar,  dass  er  dann  statt  zu  seinem 
eigenen  grossen  Werk  oder  zu  alten  Originalquellen,  zu  dem 
kleinen,  von  seinem  Werke  abhängigen  Volksbuch  gegriffen 
hätte.  Dazu  kommt,  dass  der  Stil  der  Briefe  durchaus 
nicht  mit  dem  des  Zonaras,  völlig  aber  mit  dem  der  Chronik 
des  Glykas  und  der  kleinen  Prosanotiz,  die  er  seinen  Ge- 
dichten beigab  (s.  u.),  übereinstimmt.  So  sind  die  charakte- 
ristischen kurzen  asyndetischen  Sätzchen  und  die  zum  Ueber- 
gang  dienenden  Fragen  wie  ^Was  geschah  nun  darauf?'' 
der  Prosanotiz  und  der  Chronik  mit  dem  unten  edierten 
Briefe  an  die  Nichte  Theodora  gemeinsam.  Die  Ueberein- 
stimmung  erstreckt  sich  auf  gewisse  dem  Glykas  eigen- 
tümliche Ausdrücke;  z.  B.  findet  man  die  Umschreibung 
ov  noXv  th  Iv  fiiocp  ^=^  ,bald  darauf^  die  dem  Leser  in  der 
erwähnten  Prosanotiz  auffällt,  ebenso  zweimal  in  dem  Briefe 
an  die  Nichte  Theodora  (s.  den  Anhang)  und  in  der  Chronik 
(508,  21 ;  596,  20).  Ein  sehr  kräftiges  Beweismoment,  wenn 
ein  solches  noch  für  nötig  gehalten  werden  sollte,  bildet 
endlich  die  Thatsache,  dass  die  dem  Glykas  eigentümliche 
Vorliebe  für  volksmässige  Sprichwörter  und  Redens- 
arten sich,  wie  im  vulgärgriechischen  Gedichte  und  in  der 
Chronik,  so  auch  in  den  Briefen  nachweisen  lässt.  Zu  den 
Belegen,  die  früher^)  beigebracht  worden  sind,  kann  ich 
heute  noch  einen  aus  einem  ungedruckten  Briefe  fügen.  In 
dem  unten  zu  besprechenden  Briefe  über  Astrologie  lesen  wir 
(Cod.  Paris.  228  fol.  96'):  lyoy  dedoixa,  jurj  xal  rö  nagoi/imdeg 
ixeivo  Ttegag  ivrav'&a  Mßfj  rö  Xeyov  ,€ixcLjU'€v  xiiva  xal  roTg 
'^riQol  naQelx^  ßori&eiav*.  Das  ist  offenbar  eine  hochgriechi- 
sche Paraphrase  des  mittelgriechischen  yolkstümlichen Spruches: 
Ei^afiev  oxvXov  xal  ißoi^^ei  tot  kvxov,  der  auch  im  Neu- 
griechischen   in    der   Form:   EXxafjLs   oxvXl  xi  ißoij'&aye  rov 


1)  ,HittelgriecbiBche  Sprichwörter*  S.  65  ff.;  228;  235  £    Dazu 
die  Nachträge  von  E.  Kartz,  Bayer.  Qjmnasialbl.  30  (1894)  186. 


402     Atzung  der  phüos.'phüdl,  Glosse  vom  1.  Deeember  1894, 

Xvxov  belegt  ist.^)  Die  Frage,  ob  die  Briefsammlung  dem 
Glykajs  oder  dem  Zonaras  gehöre,  kann  mithin  als  erledigt 
gelten.  Der  ktinftige  Herausgeber  der  Briefe,  dessen  Auf- 
gabe es  sein  wird,  sämmtliche  Hss  im  Zusammenhang  zu 
prüfen,  wird  vielleicht  auch  feststellen  können,  auf  welchem 
Grunde  die  unberechtigte  Zuteilung  an  Zonaras  beruht. 

Das  dritte  litterarische  Denkmal,  das  mit  Sicherheit  dem 
Glykas  zugeschrieben  werden  kann,  ist  der  Sprichwörter- 
katechismus. Er  ist  unvollständig  ediert  von  E.  Sathas, 
Meoaicov.  Bißkio^i^xrj  V  544 — 563;  die  von  Sathas  als  un- 
leserlich weggelassenen  Teile  habe  ich  nachgeholt  in  meinen 
,Mittelgriechischen  Sprichwörtern*  S.  112— 116.*)  Eine  Sprich- 
wörtersammlung scheint  auf  den  ersten  Blick  mit  den  zwei 
vorher  erwähnten  Werken  wenig  Gemeinschaft  zu  haben; 
eine  nähere  Betrachtung  aber  zeigt,  dass  das  Werkchen  voll- 
ständig zu  der  Geistesrichtung  passt,  die  sich  in  der  Chronik 
und  in  den  Briefen  offenbart/  Der  Zweck  ist  derselbe,  nur 
das  Mittel  ist  neu.  Wie  Glykas  schwierige  oder  kuriose 
theologische  Fragen  teils  im  Rahmen  einer  Weltgeschichte, 
teils  in  der  Form  belehrender  Briefe  behandelt  hat,  so  dient 
ihm   hier  zur  Erläuterung   gewisser  Wahrheiten   ein   längst 


1)  Belege  a.  a.  0.  S.  126;  207. 

2)  Zu  den  Hss,  die  ich  dort  benützt  habe,  sind  nachzutragen: 
1.  Cod.  Mosq.  Synod.  280,  i.  J.  1603  geschrieben,  der  vor  der 
BriefsammlaDg  des  Glykas,  wie  es  scheint  auf  einem  Schntzblatt, 
zuerst  die  zwei  naturwissenschaftlichen  Fragen  über  die  Schlange 
und  den  Hasen  (s.  meine  ,Mittelgr.  Sprichwörter*  S.  115),  dann  das 
Sprichwort  BXeTis  sig  t6  sv  firj  jid^jjg  dixa  enthält  (,Mittelgr.  Sprich- 
wörter* S.  114).  Archimandrit  Vladimir,  a.  a.  0.  S.  288.  2.  Viel- 
leicht der  Cod.  Athen.  444,  der  nach  J.  Sakkelion  und  A.  J.  Sak- 
kelion,  Kaxaloyog  x<ov  x^^QoyQ^V^'^  xfjg  k^ixfjg  ßißXio^xtjs  r^;  'EX' 
Xddog,  Athen  1892  S.  84,  Alvfyftara  ix  xov  WbXXov  enthält.  Es  ist  aber 
zweifelhaft,  ob  hier  ynlgärgriechische  Sprichwörter,  die  bekanntlich 
öfter  als  alviyftaxa  bezeichnet  und  dem  Psellos  zugesehrieben  werden, 
oder  wirkliche  R&tsel,  wie  sie  ja  auch  unter  dem  Namen  des  Psellos 
gehen,  gemeint  sind.    Mir  ist  das  Letztere  wahrsdieinlicher. 


Krumhacher:  Michciel  Qlykas.  403 

vor  ihm  in  der  katecheiischen  Praxis  sporadisch  angewandtes,  ^) 
von  ihm  aber  wohl  zuerst  systematisch  verarbeitetes  Mittel, 
das  volksmässige  Sprichwort.  Die  drei  Formen,  in  welche 
Gljkas  seine  tbeologischen  Belehrungen  gekleidet  hat,  ent- 
sprechen drei  verschiedenen  Lebensaltern:  Die  ausf&hrlichen 
Briefe  sind  an  gereifte  Personen  gerichtet,  die  unterhaltende 
Chronik  an  seinen  Sohn,  den  wir  uns  sicher  als  einen  jungen 
Mann  vorzustellen  haben,  die  Sprichwortererklärungen  endlich 
sind  fQr  den  Schulunterricht  bestimmt,  und  zwar  die  etwas 
schwerer  zu  verstehenden  metrischen  Erklärungen  für  Vor- 
gerücktere, die  einfacheren  Prosaerklärungen  für  Anfönger, 
wie  in  einer  der  Prosasammlung  vorausgeschickten  Notiz 
ausdrücklich  erklärt  wird  ^naidog  dxskovg  hi  xal  äqxifia'&ovg 
hexev*  (S.  561  ed.  Sathas).  Es  wird  sich  unten  zeigen,  dass 
die  Altersstufen,  für  welche  die  drei  Werke  berechnet 
sind,  auch  der  Abfassungszeit  entsprechen:  zuerst  ent- 
standen die  Sprichwörtererklärungen,  dann  die  Chronik,  zu- 
letzt die  Briefe. 

Der  Inhalt  der  theologischen  Erklärungen,  welchen  die 
Sprichwörter  zu  gründe  liegen,  ist  natürlich  nicht  derselbe 
wie  der  der  theologischen  Partien  der  Chronik  und  der  Briefe; 
denn  hier  war  der  Verfasser  an  bestimmte  Themen,  die  Sprich- 
wörter selbst,  gebunden.  Der  Ton  aber  ist  derselbe;  wir 
finden  anch  in  den  Sprichwörtererklärungen  die  Vorliebe  für 
allegorische  Deutung  und  die  Lust  an  spitzfindiger  Discussion; 
selbst  die  ausgesprochene  Neigung  des  Glykas  zur  natur- 
wissenschaftlichen Kuriosität,  die  in  der  Chronik  einen  so 
breiten  Baum  beansprucht,  begegnet  uns  in  einigen  den 
Sprichwörtern  angehängten  Erklärungen  seltsamer  Naturer- 
scheinungen :  Die  metrische  Sammlung  schliesst  mit  der 
Erklärung  der  Thatsache,   dass  das  Meer  salzig,   die  Fische 


1)  Ueber  frühere  Verauche  dieser  Art  a.  ,Mittelgr.  Sprichwörter* 
S.  64  f.  Dnd  0.  CruBius,  Liter.  Centralbl.  1894  Sp.  1810. 


404     Sitzung  der  phüos.-pMol.  Glosse  vom  1,  Deeemher  1894. 

aber  süss  sind  —  ein  ähnlicher  Gedanke  ist  oben  (S.  396) 
ans  der  Chronik  notiert  worden  —  und  der  Prosasammlung 
folgen  einige  Hermenien  über  die  Gründe,  warum  die  Schlange, 
der  Löwe  und  der  Hase  mit  offenen  Augen  schlafen;  Ton 
einem  dieser  drei  Tiere,  dem  Löwen,  wird  die  Eigenschaft 
des  Schlafens  mit  offenen  Augen  auch  im  Physiologus  er- 
wähnt. Dass  theologische  Erklärungen  volkstümlicher  Sprich- 
wörter auch  in  der  äusseren  üeberlieferung  mit  dem  Physiologus 
und  mit  theologischen  Schriften  eng  verbunden  erscheinen, 
habe  ich  früher  gezeigt.^) 

Mein  Nachweis,  dass  die  Autorschaft  des  Glykas  für 
die  Sprich  Wörtersammlung  nicht  bloss  durch  Thatsachen  der 
üeberlieferung,  sondern  auch  durch  innere  Gründe  denkbar 
sicher  gestützt  ist, ^)  hat  allgemeine  Zustimmung  gefunden; 
nur  das  eine  wurde  in  Frage  gestellt,  ob  Glykas  neben  der 
ausführlichen  metrischen  Sammlung  auch  noch  die  kleine 
Prosasanimlung  verfasst  haben  könne.  E.  Kurtz^)  bemerkt 
gegen  die  Zuteilung  der  Prosasammlung  an  Glykas,  dass  in 
dieser  nur  ein  Teil  der  in  der  metrischen  Sammlung  be- 
handelten Sprüche  und  zwar  in  verschiedener  Reihenfolge  und 
mit  verschiedenem  Wortlaute  wiederkehre  und  dass  die 
dürftigen,  flüchtigen  Erklärungen  in  Prosa  von  den  sorgfältig 
ausgeführten  metrischen  auffallend  abstechen;  er  hält  daher 
die  Prosasammlung  für  einen  aus  anderen  Quellen  vermehrten 
Auszug  von  späterer  Hand.  Das  Gewicht  dieser  Bedenken 
ist  nicht  zu  verkennen.  Sie  schaffen  aber  die  Thatsache  nicht 
aus  der  Welt,  dass  die  einzige  Pergamenths,  welche  eine 
vulgärgriechische  Sprichwörtersammlung  überliefert,  der  alte 
Cod.  Marc.  412,  gerade  diese  kleine  Prosasammlung  aus- 
drücklich dem  Michael  Glykas  zuschreibt  und  dass  die  Prosa- 


1)  Mittelgr.  Sprichwörter  S.  66. 

2)  Ebenda  S.  65  ff. 

8)  Bayer.  Gj^mnasialbl.  80  (1894)  180  f. 


Krumbacher:  Michael  Glykas.  405 

Sammlung  mit  der  poetischen  in  dem  ebenfalls  alten  Cod.  Paris. 
228  mitten  unter  Werken  des  Glykas  steht.  Sie  wird  also  zwar 
nicht  von  Glykas  verfasst  sein,  aber  doch  irgend  eine  nähere 
Beziehung  zu  ihm  haben ;  wie  man  sich  diese  Beziehung  zu 
denken  hat,  lässt  sich  mit  dem  bis  jetzt  bekannten  Material 
nicht  sicher,  aber  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  feststellen. 
Dazu  dient  die  kleine  Notiz,  die  im  Cod.  228  yon  der 
poetischen  zur  prosaischen  Sammlung  überleitet:  fKal  xavxa 
fihv  öiä  orlxcDV '  rä  nXeico  dk  rovrcov  xal  diä  ne^cov  i^ere^oav 
Xe^ecov  Tiaidög  ärelovg  Sri  xal  &QTifxa'&ovg  evexev,  (bg  ivrev^ 
'&ev  airröv  anoGTOfiaTioai  xä  toiavra  tov  diaXrjip'&ivTog 
ävco^ev  ßaoiXicog  ivcoTtiov,  ä  xal  ?;^oi;a«v  ovtcool/  Aus 
diesen  Worten  lässt  sich  schliessen,  dass  Glykas  die  Prosa- 
erklärungen in  einer  älteren  Quelle  vorfand  und  sie  der 
Vollständigkeit  halber  und  namentlich  mit  Rücksicht  auf 
Kinder,  für  welche  die  langen  Sätze  der  metrischen  Erklärung 
zu  schwer  waren,  nachträglich  seiner  ersten  Sammlung  bei- 
fügte, ohne  sie  derselben  durch  Umarbeitung  anzupassen. 
Dass  aber  auch  die  Prosasammlung  für  den  Kaiser  Manuel 
bestimmt  war,  zeigt  die  ausdrückliche  Erwähnung  desselben 
am  Schlüsse  der  Notiz,  nach  deren  Wortlaut  die  Erklärungen 
von  Kindern  in  Gegenwart  des  Kaisers  vorgetragen 
wurden.  Dass  im  Cod.  Barb.  II  61  nur  das  metrische 
Corpus  Aufnahme  fand,  erklärt  sich  leicht  aus  der  rohen 
Form  der  Prosaerklärungen,  die  dem  Urheber  dieses  Codex 
der  Beachtung  nicht  wert  schien. 

Die  reichhaltigsten  Beweise  der  eigentümlichen  Vorliebe 
des  Glykas  für  Sentenzen,  Sprichwörter,  sprichwörtliche  Re- 
densarten und  Vergleiche,  Märchen,  Aeusserungen  des  Volks- 
glaubens und  überhaupt  alles  Volkstümliche  enthält  das  vierte 
Werkchen  desselben,  das  vulgärgriechische  Gedicht.^) 
Den  Inhalt  bildet  eine  Bittschrift  an  den  Kaiser  Manuel 


1)  Die  Belege  in  meinen  «Mittelgr.  Sprichwörtern*  S.  54  ff. 


406     Sitzung  der  pküosrphüoL  Glosse  vom  1,  Deeemher  1894, 

Eomnenos,  die  Glykas  i.  J.  1156  im  Gefängnis  verfasst 
bat.  Aus  einer  dem  Gedichte  angehängten  Prosabemerkung 
erfahren  wir,  dass  der  Kaiser  sich  nicht  erweichen  liess, 
sondern  über  den  Gefangenen  die  Strafe  der  Blendung  ver- 
hängte. ^)  Ueber  diese  Tbatsache  berichtet  ausser  der  er- 
wähnten Prosabemerkung  des  Cod.  Paris.  228  noch  eine 
zweite,  vielleicht  von  der  Pariser  Notiz  ganz  unabhängige 
Quelle,  nämlich  der  in  den  Jahren  1470—1472  geschriebene 
Cod.  Bodl.  Miscell.  273,  der  an  zweiter  Stelle  die  Chronik 
des  Glykas,  an  erster  63  Briefe  des  Glykas  mit  folgender 
üeberschrift  enthält:  Iliva^  ovv  ^€(p  rcbv  neQiexojuivoyv  rfj 
diXrq)  TavTf]  x€<pakal(ov,  ovvere&t]  de  nagä  rov  XoyicDTdxov 
yQafifxaxixov  Mixatji  tov  rXvxä  övtog  h  raig  ^/nigaig  rov 
noQcpvQoyewi^tov  ßaodecog  xvqov  MavovijX  rov  Kojuvtjvov, 
TiaQ^  ov  xai  TV(pX(jooiv  oXfioi  ädlxiog  vTieorr].^) 

Nach  dieser  Strafe  lebte  Glykas  von  allen  Freunden 
verlassen  wie  ein  Gefangener  in  seinem  Hause.  Damals 
widmete  er  dem  Kaiser  seine  Sprichwörtererklärungen 
und  versah  das  letzte  Sprichwort  der  metrischen  Sammlung 
„Ein  Toter  hat  keinen  Freund **  nicht  übel  mit  einem  Epilog, 


1)  Vgl.  E.  Legrand,  Bibl.  gr.  vulg.  I  S.  XVI  ff. 

2)  H.  0.  Coxe,  Catalogi  codicum  Mss  Bibl.  Bodleianae  Pars  L, 
Ozonii  1868  S.  814  f.  —  Ueber  das  Vergehen  des  Glykas  äusserte 
C.  Neu  mann,  Griechische  Geschichtschreiber  nnd  Geschicbtsquellen 
im  zwölften  Jahrhundert.  Leipzig  1888  S.  51  Anm.  2,  die  Vermutung, 
dass  er  beim  Sturze  des  TheodorosStypiotes  in  die  Untersuchung 
verwickelt  wurde.  Die  Vermutung  stützt  sich  freilich  wohl  nur  auf 
das  zeitliche  Zusammentreffen  der  Verurteilung  des  Glykas  und  des 
Stypiotes:  die  Verschwörung  des  Stypiotes  wurde  i.  J.  1166  entdeckt. 
Vgl.  EinnamoB  ed.  Bonn.  184,  13  ff.;  Niketas  Akom inatos  ed. 
Bonn.  146,  6  ff.;  E.  de  Muralt,  Essai  de  Chronographie  Byzantine 
1057—1453  (1871)  S.  172,  wo  der  Verschwörer  aber  irrtümlich  Löon 
Stypiote  genannt  wird;  der  Irrtum  beruht  wohl  auf  Verwechselung 
mit  dem  Patriarchen  Leo  Styppes,  der  im  Index  des  Niketas  ed. 
Bonn.  971  fölschJich  als  Leo  Styppiota  aufgeführt  ist. 


Krumhacher:  Michael  Glyhas,  407 

in  welchem  er  sich  selbst  als  den  Toten  des  Sprichwortes 
schildert  und  den  Kaiser  anfleht,  ihn  aus  dem  dunkeln  Grabe, 
in  welchem  er  seit  5  Jahren  schmachte,  wieder  ans  Licht 
zu  ziehen.^) 

Aus  einer  ähnlichen  Lage  und  Stimmung  muss  das 
Werkchen  des  Glykas  hervorgegangen  sein,  das  im  Anhang 
zum  erstenmale  bekannt  gemacht  wird.  Es  ist  ein  aus  124 
Versen  bestehendes  Gedicht.  Das  Mafs  ist  dasselbe 
wie  im  vulgärgriechischen  Gedicht  und  in  den  Sprichwörter- 
hermenien:  der  politische  Vers.  Die  Sprache  ist  das  übliche 
byzantinische  Schriftgriechisch  wie  in  den  Sprichwörter- 
erklärungen. Das  Gedicht  steht  in  dem  schon  erwähnten  Cod. 
Paris.  228. 

Für  manche  litterarische  Fragen,  die  im  Folgenden  zur 
Behandlung  kommen,  dürfte  es  forderlich  sein,  den  Gesarat- 
inhalt dieser  wichtigen  Hs  ins  Auge  zu  fassen.  Da  die 
Beschreibung  des  alten  Catalogs^)  ungenau  und  namentlich 
wegen  der  lateinischen  Paraphrase  der  Titel  unzureichend 
ist  und  H.  Omont^)  dem  Plane  seines  Inventars  gemäss 
nur  eine  ganz  summarische,  übrigens  unvollständige  Auf- 
zählung des  Inhalts  gibt,  so  habe  ich  die  Hs  selbst  unter- 
sucht, und  die  folgenden  Mitteilungen  dürfen  als  erste  aus- 
führliche Beschreibung  des  Codex  gelten.  Der  Codex  Paris. 
228  gehört  zu  jener  durch  das  filzige  Papier,  das  Grossoctav- 
format  und  die  eigentümliche  Schnörkelschrift  ausgezeich- 
neten Hss-Gruppe,  auf  welche  ich  schon  früher*)  hingewiesen 
habe.     Die  Meinung  von  E.  Legrand, ^)   der  Codex  sei  in 


1)  S.  meine  .Mittelgr.  Sprichwörter*  S.  58  ff. 

2)  Catalogus   codd.  mss.   bibliothecae   regiae  II  (Parisiis  1740) 
36-38. 

3)  Inyentaire  sommaire  des  mss.  grecs  de  la  bibl.  nationale  I 
(1886)  26. 

4)  Mittelgriechische  Sprichwörter  S.  42'. 

5)  Bibl.  gr.  vulg.  I  S.  XV. 

1894.   Philo8.-phUol.  u.  htot.  Ol.  8.  84 


408     Sitzung  der  phHos.-phUoL  Classe  vom  1,  December  1894. 

der  ersten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  geschrieben,  ist  nach 
H.  Omonts  und  meiner  Ansicht  dahin  zu  berichtigen,  dass 
er  eher  dem  Ausgang,  jedenfalls  der  zweiten  Hälfte  dieses 
Jahrhunderts  angehört.  Der  Codex  umfasst  gegenwärtig 
214  numerierte  Blätter,  von  welchen  Blatt  5—10,  208, 
210 — 213  unbeschrieben  sind.  Fol.  1 — 10  und  das  nicht 
numerierte  Schutzblatt  sind  eine  später  vorgesetzte  Lage 
von  jüngeren  Blättern;  zur  gleichen  Zeifc  sind  auch  fol.  208 
und  210 — 213  eingefügt  worden,  um  Lücken  der  alten  Hs 
zu  bezeichnen  und  vielleicht  mit  Hilfe  einer  anderen  Hs  zu 
ergänzen,  was  jedoch  nicht  geschehen  ist.  Auf  fol.  1 — 4  hat 
eine  späte  Hand  (des  17.  Jahrb.?)  ein  Verzeichnis  der  üeber- 
schriften  der  Briefsammlung  niedergeschrieben,  oifenbar  des- 
halb, weil  in  der  alten  Hs  selbst  sowohl  das  fol.  20^ — 21' 
stehende  mit  roter  Tinte  geschriebene  Verzeichnis  der  Brief* 
Überschriften  als  die  ebenfalls  meist  mit  roter  Tinte  geschrie- 
benen Ueberschriften  im  Eontexte  der  Sammlung  sehr  ver- 
blasst  und  teilweise  unleserlich  sind.  Fol.  5 — 10,  die  wohl 
zur  Ergänzung  des  fehlenden  Anfangs  der  alten  Hs  be- 
stimmt  waren,   sind   leer.^)     Erst   mit   fol.    11    beginnt   der 


1)  Da  J.  Boivin  die  Hs  offenbar  gründlich  studierfc  und  nament- 
lich allenthalben  unleserlich  gewordene  Ueberschriften  und  Sprich- 
wOrterlemmen  am  Rande  mit  schwarzer  Tinte  wiederholt  hat,  so  kann 
man  vermuten,  dass  auch  die  Einfügung  dieser  späteren  Blätter  von 
ihm  herrflhre  und  dass  er  den  erwähnten  Pinax  auf  fol.  1—4  zwar 
nicht  selbst  geschrieben  —  die  Hand  ist  Ton  der  Boivins  verschieden 
—  aber  veranlasst  habe.  Zwar  scheint  das  , Dreiberg*- Wasserzeichen, 
welches  das  eingelegte  Papier  zeigt,  auf  eine  ältere  Zeit  (c.  1356  bis 
c.  1461)  hinzuweisen;  vgl.  C.  M.  Briquet,  Les  papiers  des  arcbives 
de  G§nes  et  lenra  filigranes,  Atti  della  socieiä  Ligure  di  storia 
patria  19  (1887)  866.  Aber  wir  sind  über  die  Geschichte  der  Wasser- 
zeichen doch  nicht  genug  unterrichtet,  um  aus  denselben  mit  Sicher- 
heit Schlüsse  zu  ziehen,  und  spätere  Wiederholungen  des  «Dreiberges*, 
sind,  wie  Briquet  selbst  a.  a.  0.  notiert,  wenigstens  bis  in  den  An- 
fang des  16.  Jahrhunderts  bezeugt  und  können  wohl  auch  noch  später 
vorgekommen  sein. 


Krwtthacher:  Michael  Qlykas,  409 

ursprüngliche  Bestand  des  Codex;  doch  sind  im  Anfang 
3  Blätter  weggefallen,  wie  sich  aus  den  teilweise  erhaltenen 
alten,  wohl  von  der  ersten  Hand  stammenden,  rechts  unten 
eingetragenen  Quaternionennummern  mit  Sicherheit  ergibt; 
als  erste  erhaltene  Nummer  finden  wir  d'  auf  fol.  32*^, 
als  zweite  e*  auf  fol.  40'',  als  dritte  g'  auf  fol.  48''  usw. 
Ueber  den  Inhalt  der  verlorenen  ersten  drei  Blätter  lässt 
sich  nichts  feststellen;  am  bedauerlichsten  ist  der  Verlust 
der  vorauszusetzenden  Ueberschrift  des  Codex.  Auch  am 
Schlosse  sind  ein  oder  mehrere  Blätter  weggefallen.  Die 
OrösseumaDse  der  Hs  sind  folgende:  Papier  274  X  170  mm, 
Schriftfläche  215— 220  X  135  — 140  mm.  Die  Zeilenzahl 
schwankt  zwischen  36  und  39.  Die  erhaltenen  Teile  haben 
folgenden  Inhalt: 

1.  Eine  (mitten  im  Satze  beginnende)  anonyme  Er- 
klärung der  ersten  G  Verse  des  12.  Kapitels  des  2.  Briefes 
an  die  Korinther  (fol.  11'). 

2.  Eine  anonyme  Erklärung  der  4  letzten  Verse  des 
13.  Kapitels  des  Briefes  an  die  Römer  (fol.  11^). 

3.  'EQjurjvEia  ix  rcöv  iQjtitjvEicbv  rov  Bovlyagiag  (bg  Iv 
ovvoxpei  elg  rag  i6'  biioroXäg  xov  äylov  djioorSXov  IlavXov 
igavio^eioa  naqä  Ntxrjxa  xov  SanoivonovXov,  Also  ein  Aus- 
zug aus  dem  bekannten  Kommentar^)  des  Theophylaktos 
Bulgarus,  verfasst  von  einem  sonst  meines  Wissens  nicht  be- 
kannten Niketas  Saponopulos,  der  aber  mit  Rücksicht 
auf  die  Zeit  des  Theophylaktos  (Ende  des  11.  Jahrb.)  und 
auf  den  übrigen  Inhalt  und  das  Alter  der  Hs  mit  Sicher- 
heit ins  12.  Jahrh.  gesetzt  werden  kann  (fol.  12'). 

4.  Tä  ijixä  JivEVfiaxa  xfjg  äQsxrjg.  Tä  xfjg  xaxiag.  Auf- 
zählung der  7  Geister  der  Tugend  (ao(pia,  ovvEoig,  yvwoig, 
EvoißEia,  ßovkrj,  laxvg,  q?6ßog)  und  des  Lasters  (yaoxQijuaQyla, 
noQVEta,  (pdaQyvQia,  ÖQyrj,  kvnr},  äxtjdkif  v7i£Qi]<pav(a)  (fol.  17^). 


1)  Ed.  bei  Migne,  Pairol.  gr.  124,  336  ff. 

34^ 


410     Sitzung  der  phüos.'phüol,  Claase  vom  1.  Deceniber  1894. 

5.  Mixor}X  xov  [tov]  OeooaXovtxtjg  xov  ßiaunoQog  rwv 
^tÖQCDv,  didaaxdkov  tcov  evayyeXUov  xal  Ttgoyxexdixov  xrjg 
fieydXrjg  ixxXrjaiag  KwvoravrivovTtdXecog  fj  Tiegl  xrjv  XEi.evxf]v 
iio/nolöytjoig  avxov,  iq)'  olg  nQOoinxcuoe  {xal)  xa&rjQif^, 
Also  der  schriftliche  Widerruf,  welchen  der  i.  J.  1156 
abgesetzte  Erzbischof  Mich{tel  von  Thessalonike  vor 
seiDem  Tode  abfasste^)  (fol.  17^). 

6.  Srifielcofia  xfjg  xa^aigeoecog  xov  naxgidQxov  Kodv- 
Gxavxivovnoksiog  xvgov  Koofiä  xov  ^Axxixrj  (so)  hd  xrjg  ßaai^ 
Xeiag  xov  Ko/ävtjvov  Mavovi^X  exovg  »gx^^*-  Also  eine  Notiz 
über  die  Absetzung  des  Patriarchen  Eosmas  Attikes^) 
i.  J.  1147  (fol.  180. 

7.  NixT^xa  ;fa^T099t;Aaxog  xov  Nixaioyg  xaxä  nolovg  xai~ 
Qovg  xal  did  xivag  alxiag  ioxio'&r}  dnb  xfjg  ixxXtjolag  Kmv- 
oxavxivovnöXeoyg  fj  'Poj/iaicov  ixxXrjoia,  Des  Chartophylax 
Niketas  von  Nikaea  Schrift  über  die  Geschichte  und  die 
Gründe  der  Kirch entrennung.  Sie  ist  nach  A.  Mai  (Nov. 
bibl.  Patr.)  wiederholt  bei  Migne,  Patrol.  gr.  t.  120,  713 
bis  720  (fol.  18^. 

8.  Tov  fAaxaqiov  EvXoyiov  inioxönov  'AXe^avögelag  ix 
xcbv   Tiegl  xrjg   äyiag  xgiddog  xal  tisqI  xrjg  '^elag   olxovo/ilag, 


1)  Der  Wid^^af  ist  ediert  bei  Leo  Allatius,  De  ecclesiae 
occid.  atque  or.  perpetua  consensione,  Köln  1648  Col.  691;  doch  hat 
der  Paris,  eine  SchlussbemerkuDg,  die  in  der  von  AUatius  benfitzten 
Hs  fehlt.    Vgl.  W.  Regel,  Fontes  rerum  Byzant.  I  1   (1892)    XVII. 

2)  Es  scheint  also,  dass  die  übliche  Benennung  dieses  Patriarchen 
fKoofiäg  'AruxSs'f  ^Cosmas  Atticus*  falsch  ist  und  sein  Familien- 
name vielmehr  Attikes  lautete.  Zu  vermuten  ,xov  ^ÄTuxfjg*  geht 
nicht  an,  da  hiemit  ein  (ganz  unmöglicher !)  ,Bischof  von  Atiika*  be- 
zeichnet würde.  Die  Benennung  'Aitixög  statt  *ATux^g  konnte  sich 
um  so  leichter  festsetzen,  als  ja  der  Patriarch  aus  Aegina  stammte. 
Zur  Entscheidung  der  Frage  wären  alle  einschlägigen  Hss  (des  Ni- 
ketas Akominatos  usw.)  zu  prüfen;  vielleicht  kommt  man  dann  zu 
einer  ähnlichen  Ueberraschung  wie  vor  einigen  Jahren  bezüglich  der 
Namensform  ,Elytaemne8tra'.  Nach  einer  vollständigeren  Hs  ist  das 
Aktenstück  ediert  bei  Leo  Allatius  a.  a,  0.    Col.  688—686. 


Krumbacher:  Michael  Glykas,  411 

a)v  ff  äQXV'  *^^  ^QXV  ^Q^  al(6v(ov  ^v  6  '&e6g,  naQexßoXaL 
Also  Aaszüge  aus  des  Eulogios,  der  580 — 607  Patriarch 
Ton  Alexandria  war,  nur  fragmentarisch  erhaltener  Schrift 
IIeqI  Ttjg  äytag  TQiddog  xal  rfjg  ^elag  olxovo/jUag  (fol.  19').*) 

9.  ntva^  rfjg  ßißXov  xov  Fkvxä  (dieser  Titel  ist  mit 
schwarzer  Tinte  von  Boivin  an  den  obern  Rand  geschrieben). 
Ein  mit  roter  Tinte  geschriebenes,  jetzt  sehr  stark  verblasstes 
und  ohne  Reagenzien  nur  noch  an  einzelnen  Stellen  lesbares 
Verzeichnis  derüeberschriften  der  Briefe  des  Glykas, 
das,  wie  oben  erwähnt,  auf  den  später  vorgesetzten  Blättern 
1 — 4  wiederholt  worden  ist  (fol.  20^). 

10.  Das  vulgärgriechische  Gedicht  des  Glykas  (fol.  21*"). 

11.  Die  oben  S.  406  erwähnte  und  S.  415  abgedruckte 
Prosanotiz  (fol.  24^). 

12.  Das  im  Anhang  miigeteilte  Glückwunsch-  und  Bitt- 
gedicht des  Glykas  (fol.  250. 

13.  Die  Sprichwörtererklärungen  des  Glykas  (fol.  26'). 

14.  Die  Briefe  des  Glykas  (fol.  29'— 214^). 

Aus  dieser  Uebersicht  geht  hervor,  dass  der  Codex  eine 
durch  ein  inneres  Band  verknüpfte  Sammlung  von  Schriften 
enthält.  Wenn  man  von  den  des  Kopfes  beraubten  und  da- 
her zunächst  nach  ihrem  Verfasser  und  ihrer  Zeit  nicht  be- 
stimmbaren Erklärungen  am  Anfang  der  Hs  absieht,  gehören 
alle  Schriften  mit  einer  einzigen  Ausnahme  (Eulogios  von 
Alexandria)  dem  12.  Jahrhundert  an  und  zwar  grösstenteils 
der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts.  Mehrere  der  Schriften 
beziehen  sich  auf  Fragen,  die  in  der  genannten  Zeit  aktuell 
waren,  z.  B.  der  Bericht  über  die  Absetzung  des  Patriarchen 
Kosmas  Attikes,   der  Widerruf  des  Erzbischofs  Michael  von 


1)  Der  Text  ist  nicht  identisch  mit  den  nach  A.  Mai  bei  Migne, 
Patrol.  gr.  t.  86,  2989  ff.  edierten  Fragmenten  und  wird  als  Beitrag 
zur  Kenntnis  des  Eulogios  von  0.  Bardenhewer  veröffentlicht 
werden.    Vgl.  desselben  Patrologie,  Freiburg  i.  B.  1894  S.  684. 


412     Sitzung  der  phüos.'philoh  Clcisse  vom  1,  Decemher  1894, 

Thesealonike,  die  Schrift  des  Niketas  Chartophylax  über  die 
Kirchentrennung.  Einen  rein  zeitgeschichtlichen  und  persön- 
lichen Charakter  haben  endh'ch  die  kleinen  Schriften  dee 
Glykas,  und  auch  seine  Briefe  beziehen  sich  zum  Teil  auf  ak- 
tuelle Streitfragen  wie  die  Berechtigung  der  von  Kaiser  Manuel 
gepflegten  Astrologie  und  die  Irrlehre  des  Michael  Sikidites 
(s.  u.),  auch  auf  zeitgenössische  Privatangelegenheiten  wie  den 
von  Kaiser  Manuels  Nichte  Theodora  begangenen  Eifer- 
suchtsmord. Kurz  der  Codex  repräsentiert  eine  vornehmlich 
von  theologischen  Interessen  bestimmte  Sammelaus  gäbe 
von  zeitgenössischen  Kommentaren,  Aktenstücken, 
Essays,  Gedichten  und  Briefen,  in  welcher  der  Löwen- 
anteil dem  Michael  Glykas  zufällt. 

Das  vulgärgriechische  Gedicht,  welches  die  Reihe  der 
Werke  des  Glykas  eröffnet,  trägt  die  Ueberschrift:  Zti^oi 
yQafjLfjLaxixov  Mixatji.  tov  FXvxä,  ovg  SyQatpe  xa  <etwa 
15  verwischte  Buchstaben)  xarsoxs^yj  xaiQÖv  ix  jiQoaayyeXlag 
XaiQExdxov  rivög  (noch  etwa  5  unleserliche  Buchstaben).  In 
der  Ueberschrift  des  folgenden  Gedichtes  (s.  den  Anbang)  wird 
der  Autor  nicht  mehr  durch  den  Namen,  sondern  durch  das 
übliche  Tov  ainov  bezeichnet.  Aus  dieser  Ueberschrift  er- 
fahren wir,  dass  Glykas  das  Gedicht  an  den  Kaiser  richtete, 
als  er  siegreich  aus  Ungarn  zurückkehrte.  Doch  ist 
im  Gedichte  selbst  weniger  von  dem  Siege  des  Kaisers  als 
von  einer  persönlichen  Angelegenheit  des  Dichters  die  Rede. 
In  den  ersten  44  Versen  allerdings  schildert  Glykas  in  dem 
schwülstigen  Tone  byzantinischer  Enkomien  den  Sieg  und 
den  Triumph  des  Kaisers ;  als  Haupteigentümlichkeit  des 
Sieges  wird  hervorgehoben,  dass  er  ohne  Blutvergiessen  und 
ohne  Kampf  errungen  ward;  die  ganze  Barbarenwelt  reichte 
dem  Kaiser  die  Hände  aus  Furcht  vor  seiner  blossen  Er- 
scheinung; beide  Parteien  sind  unversehrt  geblieben,  der 
Sieger  wie  der  Besiegte.  Kaum  aber  hat  der  Dichter  diesen 
unblutigen  Triumph  gebührend  gefeiert,  so  lenkt   er  nicht 


Krumbacher:  Michael  Olykaa,  418 

ungeschickt  in  ein  anderes  Thema  ein.  Er  preist  die  Lang- 
mut und  Milde  des  Kaisers;  Gott  selbst  verzeiht  den  Reuigen; 
so  möge  auch  der  Kaiser,  der  sein  Leben  nach  Gottes  Vor- 
bild eingerichtet  habe,  Nachsicht  üben  und  ihm  seine  Huld 
und  vor  allem  seine  güldenen  Münzen  wieder  spenden. 
Nachdem  gewisse  Leute,  so  weise  wie  Psellos,  zur  rechten 
Zeit  im  Uebermass  geerntet  haben,  möge  auch  für  andere 
noch  etwas  übrig  gelassen  werden.  Sich  selbst  vergleicht 
Glykas  mit  einem  Baume,  der  wegen  seiner  Unfruchtbarkeit 
ausgerottet  zu  werden  verdient;  der  göttliche  Gärtner  hat 
ihn  aber  so  gut  gepflegt,  dass  er  wieder  blüht  und  Früchte 
trägt,  und  zwar  nimmt  er  an  Fruchtbarkeit  zu,  je  reich- 
licher der  Kaiser  den  Strom  der  Wohlthaten  über  ihn  aus- 
giesst.  Zuletzt  erklärt  der  Supplikant,  was  er  mit  seinem 
breit  ausgesponnenen,  aber  wenig  konsequent  durchgeführten 
Vergleiche  im  Sinne  hat:  die  Früchte,  die  er  dem  Kaiser 
darbringen  will,  hat  er  —  an  Stelle  des  Baumes  tritt  auf  einmal 
wieder  der  Dichter  selbst  —  von  einer  geistigen  Wiese  ge- 
pflückt; der  Kaiser  möge  geruhen,  ihm  sein  Ohr  zu  leihen ;  denn 
sein  Geschenk  sei  nicht  für  den  Geschmack,  sondern  für  das 
Gehör  bestimmt.  Nun  folgen  die  geistigen  Früchte  d.  h.  die 
Sprichwörtererklärungen. 

In  dem  Gedichte  herrscht  dieselbe  Geistesrichtung,  na- 
mentlich dieselbe  Verbindung  von  niedriger  Schmeichelei 
mit  kühner  Zudringlichkeit,  die  auch  aus  dem  Epilog  der 
Sprichwörter  herausklingt.  Glykas  klagt  sich  grosser,  tausend- 
fachen Todes  würdiger  Verbrechen  an  und  gesteht,  dass 
er  nicht  seinen  Thaten  entsprechend  gestraft  worden  sei, 
erkühnt  sich  aber  dennoch,  den  Kaiser  nicht  nur  um  seine 
Huld,  sondern  um  möglichst  ausgiebige  materielle  Unter- 
stützung zu  bitten.  Die  Verse  werfen  ein  grelles  Licht  auf 
das  litterarische  Proletariat  von  Byzanz,  und  wir  stünden 
solchem  Missbrauch  der  Poesie  ratlos  gegenüber,  wenn  wir 
nicht  von  Prodromos,  Philes  u.  a.  ähnliche  Bittschriften  be- 


414     Sitzung  der  phüos.-phüol,  Classe  vom  1.  Decemher  1894, 

sässen,  die  an  Frechheit  des  Tones  hinter  den  Versen  des 
Glykas  nicht  zurückstehen,  an  Massenhaftigkeit  sie  weit 
übertreffen.  Auch  die  Thatsache,  dass  ein  vom  Kaiser  mit 
der  Blendung  Bestrafter  sich  doch  wieder  an  ihn  wendet, 
darf  auf  byzantinischem  Boden  nicht  auffallen.  Die  Men- 
schen haben  dort  schnell  vergessen.  Viel  weiter  als  Glykas 
ging  der  Abenteurer  Manuel  Holobolos,  der  sich  weder  durch 
die  vom  Kaiser  angeordnete  Abschneidung  von  Nase  und 
Lippen  noch  durch  die  gefürchtete  Strafe  des  Schandaufznges 
(jiojLiTii^)  abhalten  liess,  dem  strengen  Herrscher  immer 
wieder  aufs  Neue  in  schwülstigen  Versen  Weihrauch  zu 
streuen.*) 

Wie  nun  der  Bettelton  des  Gedichtes  im  allgemeinen 
an  den  erwähnten  Epilog  anklingt,  so  erinnern  uns  mehrere 
Einzelheiten  an  die  Vorliebe  des  Verfassers  für  Sprichwörter, 
naturwissenschaftliche  Kuriositäten  und  Volkstum.  V.  35 
yergleicht  Glykas  den  Kaiser  mit  dem  stets  wachen  Löwen 
—  offenbar  eine  Reminiszenz  aus  demselben  Physiologus- 
kapitel,  das  auch  im  Anhange  der  prosaischen  Sprichwörter- 
erklärung ^)  verwertet  ist.  V.  45 — 48  gebraucht  er  zwei  wohl 
der  volksmässigen  Ausdrucksweise  entnommene  Vergleiche. 
V.  64  beruft  er  sich  auf  ein  Sprichwort,  dessen  Gedanken 
er  dann  in  den  folgenden  Versen  weiter  ausführt.  Endlich 
stimmen  auch  die  namentlich  gegen  den  Schluss  des  Gedichtes 
sich  häufenden  Bilder  und  Vergleiche,  die  zum  Teil  aus  der 
hl.  Schrift  stammen,  zu  der  theologischen  Geistesrichtung 
des  Autors.  Dass  in  diesem  Gedichte  die  Zahl  der  Sprich- 
wörter und  sprichwörtlichen  Redensarten  kleiner  ist  als  im 
Vulgärgedicht,  erklärt  sich  teils  aus  seiner  Kürze,  teils  aus 
der  für  dergleichen  Zuthaten  weniger  geeigneten  Schrift- 
sprache, deren  sich  hier  der  Verfasser  befleissigt. 


1)  Vgl.  meine  Gesch.  d.  byz.  Litt.  S.  876. 

2)  Mittelgr.  Sprichwörter  S.  116. 


Ki'uinbacher:  Michael  Glykcu.  415 

Die  Untersuchung  der  Abfassungszeit  des  Gedichtes 
muss  Yon  den  in  der  Hs  selbst  enthaltenen  Mitteilungen  über 
den  Anlass  beider  Qedichte  ausgehen.  Zwischen  dem  Vulgär- 
gedicht und  dem  hier  besprochenen  steht,  wie  erwähnt,  eine 
Prosanotiz,  welche  den  Kommentar  zu  dem  ihr  vorher- 
gehenden und  die  Einleitung  zu  dem  ihr  folgenden  Oedicht 
bildet.  Da  E.  Legrand  (a.  a.  0.  S.  XYUI)  nur  den  Anfang 
der  Notiz  und  auch  diesen  nicht  ganz  genau  herausgegeben 
hat,  möge  hier  der  ganze  Text  mitgeteilt  werden  (fol.  24^): 

Kai  Tovg  fikv  vnavayvcoo^evrag  rjÖtj  oxlxovg  Sygatpev  6 
diaXriq>&slg  yga/ütfiarixog  h  <pvXaxfj  HaxdxXeiaxog  &v  i/^(pavi- 
o^fjvou  '&aQQ&v  avTOvg^)  rcp  äyUp  ßaoikei  xävrev^ev  ikev^ 
'&eQiag  rvxstv.  äXk''  ovx  etp&aoE  xal  nigag  XaßeXv  xä  rfjg 
rouxvTtjg  ßovXfjg,  äxoal  yoLQ  ovx  äya'&al  rrjvixavxa  Tiegl 
avTov  dihQExov^)  äjtavraxov  ngdg  ögyijv  iyeiQai  loxvovoai 
<....) ')  xov  äyav  inieMfj  xal  fAtiUxtov,  ylveiat  xavxa '  BaaiXtx^ 
xilevoig  d<7r)6*)  Kdixlag  vnÖTtxegog  egxexai  xal  oSxw  xaxä 
firidev  iiexao&eyxog  xov  ngäyfiaxog  xovg  Xvxv{ovg  ixeiy^og^) 
xov  Gcty/iiaxog  oßhwxai  ßagelav  xavxrjv  ino/ieivag  xal  jiqö 
iQevvffg  xijv  nalÖevoiv.  xl  x6  ijil  xovxoig;  öexetai  xijv  ini^ 
(pogdv  xQ}v  deivojv.  iavxco  XoylCexai  x6  nqax'^iv,  oi  xaxa- 
jibttei  x(p  Jid&ei,  (pigei  yevvalwg  xd.  xov  Tieigaof^ov.  oix 
ädri/JLOvei  xovxov  Svexev '  fxäXkov  ßikv  oiv  xal  xdQtxag  dixokoyel 
xcß  ovyxo>QOvvxi  xavxa  '&£(p  xal  fiexä  xov  '9elov  kiyei  Aavld' 
^Ayai^öv  fAoi,  8xi  hoTielvo^odg  fie,  ÖTtcog  äv  /nd'äa)  xd  dixai(o-- 
fxaxd  oov,^)  xavxfi'^)  xoi  xal  ^ovxIclv  doTidCexai  xal  ßlßkoig 
legaig  ivtjoxdkrjxai.  ov  Jiokv  x6  iv  fiiacp  xal  yeixovovvxeg 
avxco  xiveg  ävdgeg  ovx  dyai^ol  jueoovvxxiov  i^eyeiQovxai,  nkfjv 
ov  xd  '^ela  xaxd  xov  Aavld  iSojuokoyrjaöjuevoi  XQifiaxa,^)  x^^Q^ 


1)  Von  L e g r a n d  weggelassen.  2)  Von  Legrand  weggelassen. 
3)  Etwa  4  unleserliche  Buchstaben.  4)  Loch  im  Papier.  6)  Die  er- 
gänzte Lücke  ist  darch  ein  Loch  im  Papier  yerarsacht.  6)  Psalm 
118,  71.  7)  ravtfi  Hs  8)  Psalm  118,  13:  h  toig  x^^^^o^  f^ov  iS^irreda 
ndvja  xa  xQifjtaxa  tov  otöfiarög  oov. 


416     Sitzung  der  phil08,'phüoh  Glosse  vom  1,  Decemher  1894, 

de  '&eXovteg  ägjiaya  xard  xwv  ällorgicov  ßaleiv,  xal  di] 
nkrjQovoi  rä  rov  oxonov  xal  l^rjfiUiv  avxco  nqoodyovoiv  ov 
juixQdv,  AipoQ/iifjg  ovv  hxev'&sv  dga^d/uevog  ygätpei  arixovg 
higovg  ngdg  rov  avzöv  ßaoikia  ofiov  fikv  xal  negl  fjg  VTieatfi 
xXoTtfjg  ävaq)iQcov  avrcp,  öfiov  dk  xai  tiev^cdv  avxöv  firjxhi^) 
Toig  rd>v  tioXXcüv  Xöyoig  (bg  xal  ngöregov  naqaovQeo'&ai'  61 
xal  exovoiv  ovTCDai, 

Zunächst  wird  durch  die  Notiz  meine  frühere  Ver- 
mutung^) bestätigt,  dass  die  Blendung  an  Giykas  in  einer 
sehr  milden  Form  ausgeführt  wurde;  denn  sonst  hätte  er  sich 
nach  Vollziehung  der  Strafe  nicht  mit  den  heiligen  Schriften 
beschäftigen  können.  Die  am  Schlüsse  stehende  Nachricht, 
dass  böse  Nachbarn  in  mitternächtlicher  Zeit  ihre  räuberi- 
schen Hände  nach  dem  Gute  des  Giykas  ausgestreckt  haben 
und  dass  ihn  diese  nächtliche  Beraubung  zu  einem  zweiten 
Gedichte  an  den  Kaiser  veranlasst  und  dass  er  dieselbe  in 
diesem  Gedichte  erwähnt  habe,  passt  nicht  zu  dem  unmittelbar 
auf  die  Prosanotiz  folgenden  Lob-  und  Bittgedicht,  sondern 
nur  zum  Sprichwörterepilog,  wo  V.  347  fiF.  der  nächt- 
liche Ueberfall  ausführlich  geschildert  ist.^)  Dagegen  lässt 
sich  die  Mahnung,  der  Kaiser  möge  sich  nicht  mehr  wie 
früher  von  den  Worten  der  Menge  verlocken  lassen,  nicht 
aus  dem  Epiloge,  sondern  nur  aus  dem  Schluss  des  Lob- 
gedichtes (V.  115  ff.)  erklären,  wo  Giykas  dem  Kaiser 
nahe  legt,  er  möge  den  reichen  Fruchtbaum  seiner  Gnaden 
nicht  bloss  jenen  Leuten,  so  weise  wie  Psellos,  sondern  auch 
anderen  zugänglich  machen.  Mithin  bezieht  sich  die  Prosa- 
notiz nicht  bloss  auf  das  ihr  zunächst  folgende  Lob-  und  Bitt- 
gedicht, sondern  auch  auf  die  Sprich  Wörtererklärungen  und  den 
Epilog.    Mit  anderen  Worten:  Die  drei  Stücke  bilden,  w^as 


9)  fiff  xhi  Hs 

1)  Mittelgr.  Sprichwörter  S.  58. 

2)  Ebenda  S.  60. 


Krumbacher:  Michael  Glykas.  417 

Sathas  entgangen  ist,  ein  nicht  zu  trennendes  Ganze, 
das  von  Olykas  dem  Kaiser  Qberreicht  wurde.  Das  ei- 
gentliche Geschenk  ist  die  Sprichwörtersaramlung, 
das  Lobgedicht  ist  die  Einleitung,  das  dem  letzten 
Sprichwort  angehängte  Gedicht  der  Epilog.  Nun 
verstehen  wir  auch,  warum  die  Sprichwörterhermenien  ohne 
eigene  Ueberschrift  sich  an  das  Lobgedicht  anschliessen. 
Wie  Gljkas  im  Einleitungsgedicht  an  den  Sieg  des  Kaisers 
anknüpft,  um  zu  seiner  persönlichen  Angelegenheit  überzu- 
leiten, so  benützt  er  im  Epilog  ein  passendes  Sprichwort, 
um  das  ihm  zugestossene  Unglück  zu  erzählen  und  mit 
einer  möglichst  eindringlichen  Wiederholung  seiner  Bitte  zu 
schliessen.  Uebrigens  lasst  er  es  sich  nicht  nehmen,  auch  hier 
(V.  373)  noch  einmal  auf  den  Triumph  des  Kaisers  über 
die  V Barbaren^  hinzuweisen. 

Nun  haben  wir  zur  Bestimmung  der  Entstehungszeit 
der  Sprichwörtersammlung  mit  ihrem  Prolog  und  Epilog 
folgende  feste  Punkte:  1.  Das  vulgärgriechische  Gedicht 
wurde  abgefasst,  als  der  Kaiser  in  Cilicien  weilte,  also  im 
Jahre  1156,  wie  schon  E.  Legrand ^)  nachgewiesen  hat. 
2.  Die  Sprich  Wörtersammlung  mit  Prolog  und  Epilog  ist 
nach  dem  Vulgärgedichte  und  nach  der  Blendung  des 
Glykas  abgefasst,  wie  die  Prosanotiz  (pv  nokv  tö  h  jueoqji) 
beweist.  3.  Der  Prolog  richtete  sich  an  Kaiser  Manuel,  als 
er  von  einem  unblutigen  Triumphe  über  die  Ungarn  zurück- 
kehrte. 4.  Im  Epilog  V.  370  erwähnt  Glykas,  nachdem 
er  die  Folgen  jener  durch  sein  Vergehen  über  ihn  herein- 
gebrochenen Katastrophe  geschildert  hat,  dass  er  nunmehr 
schon  fünf  Jahre  wie  begraben  sei  und  auf  die  Wieder- 
belebung durch  des  Kaisers  Wort  harre. 

Wenn  wir  diese  fünf  Jahre  wörtlich  nehmen,  so  gelangen 
wir,  vom  Jahre  seiner  Verurteilung  1156  an  gerechnet,  auf 


1)  A.  a.  0.  S.  XVIII  f. 


418     Sitzung  der  phüos.-pMol.  Claase  vom  1.  Decemher  1894. 

das  Jahr  1161.    Sehen  wir,  wie  za  diesem  Datum  der  un* 
blutige  Triumph  fiber  die  Ungarn  passt. 

Kaiser  Manuel  hat  seine  gewaltigen  expansiven  Bestre- 
bungen zweimal  gegen  die  ungarische  Grenze  gerichtet.  Im 
Jahre  1152  eröffnete  er  gegen  König  Geza  II,  der  die  Serben 
gegen  die  Griechen  unterstützt  hatte,  einen  Krieg,  welcher 
nach  schwankenden  Kämpfen  im  Jahre  1156  durch  einen 
für  die  Griechen  nicht  ungünstigen  Frieden  abgeschlossen 
wurde.  ^)  Einige  Jahre  später  waren  es  ungarische  Thron- 
streitigkeiten, welche  Kaiser  Manuel  Gelegenheit  gaben,  sich 
abermals  um  seine  nordwestlichen  Nachbarn  zu  kümmern. 
Als  nämlich  am  31.  Mai  1161  König  Geza  II  gestorben 
war,  machten  seine  zwei  Brüder  Vladislav  und  Stephan  (IV), 
die  mit  Geza  II  zerfallen  waren  und  als  Flüchtlinge  in 
Konstantinopel  gelebt  hatten,  dem  minderjährigen  Sohne  und 
Nachfolger  Gezas,  Stephan  (III),  den  Thron  streitig,  indem 
sie  sich  auf  das  ungarische  Erbfolgegesetz  beriefen.  Kaiser 
Manuel,  dessen  Nichte  mit  Stephan  IV  vermählt  war,  trat 
zu  gunsten  des  brüderlichen  Erbrechtes  ein  und  brachte  es 
durch  sein  blosses  Erscheinen  in  der  Gegend  von  Belgrad 
nnd  durch  Bestechung  und  diplomatische  Bearbeitung  einfluss- 
reicher ungarischer  Magnaten  zu  stände,  dass  Vladislav  that- 
sächlich  anerkannt  wurde.  Dieses  Ereignis  erzählt  Niketas 
Akominatos  (ed.  Bonn,  166,  20  ff.)  mit  folgenden  Worten: 
^Ev&ev  rot  xal  diä  jutelCovog  lax^og  biißori'&rjoai,  rtp  Sre- 
q)dvcp  öeTv  6  ßaaikevg  oltj^elg  amög  xe  ix  Haqdixrjg  djidgag 
äqpixvehai  ngög  rd  UaQlaiQia,  kiyco  di}  rd  xard  BgavhCofiav 
xal  BeXeygada,  xal  tov  dd€Xq)idovv  'AXi^iov  xdv  Kovxoaxetpavov 
avv€X7ieju7iei  reo  2xEq)dvco  fietd  laxvog,  ot  xal  (bg  xdv  Xgd/iov 
xaxekaßoVf  (bg  hf\v  xd  nqbg  dg^^jy  diejiQdxxovxo,  vtiotzoi- 
ov/xevolxB  ScoQOig  xovg  fiiya  nagd  Ilalooi  dvvajbiivovg 


1)  ^?1*   Kinnamos  ed.   Bonn.  119  ff.    Niketas  Akominatos  ed. 
Bonn.  121  ff. 


Krumhaeher:  Michael  Glykas,  419 

xal  xoXaxeiq,  vnotf&elQovxeg  xai  vTiooxeoeoi  fieyi- 
oxaig  enaiQovTBg'  ijiegaivov  dk  ov&hv  fj  öaov  Bkadia^Xaßov 
rov  xov  2!r€<pdvov  xaoiyvtjTOv  Oiiwovg  elg  ägxovra  di^ao'&ai/ 
Kinnamos  (ed.  Bonn.  203,  14  ff.)  berichtet  ungefähr  das- 
selbe, nur  schweigt  er  von  den  diplomatischen  Mitteln  und 
erklärt  die  Nachgiebigkeit  der  Ungarn  aus  der  Rücksicht  auf 
das  einheimische  Erbfolgegesetz  und  aus  der  Scheu  yor  dem 
Nahen  des  Kaisers:  //arfdg  yäg  rov  jidtgiov  TiagidcDv  vofiov 
im  töv  vldv  rrjv  ägxTjv  dießlßaosv.  Ovwoi  xolwv  x6  fxiv  xi 
xovxov  aldeadjuevoi  rov  vdfxov,  xb  dk  xal  rrjv  ßaadio^g  evkafirj- 
^ivreg  ecpoöov,  2xe(pavov  xov  ^lax^ä  xrjg  ägx^g  naQaXvoavxeg 
'&axiQcp  xwv  ideXq)(bv  xcp  BXadiO'&ldßq)  ravrrjv  änedooav.  reo 
ye  fiYjv  2re(pdv(p,  (pfjjul  rtS  7tQeoßvr€Q(p,  rrjv  Ovqovju  dnexkrj- 
Qcjoav  rvxv^'  ßovkerai  dk  rovro  nagd  Ovwoig  rov  rrjv  dgx^v 
diade^oßievov  iQ/xrjveveiv  ro  övofia/  Welcher  von  beiden 
Berichten  mehr  Glauben  verdient,  kann  nicht  zweifelhaft 
sein:  der  schnelle  Erfolg  Manuels  war  offenbar  mehr  den 
von  Niketas  hervorgehobenen  Bestechungen  und  Versprech- 
ungen als  der  Scheu  vor  dem  einheimischen  Gesetz  und  vor 
der  kaiserlichen  Hoheit  zu  danken.  Das  friedliche  Verhältnis 
war  übrigens  nicht  von  langer  Dauer.  Der  unerwartete  Tod 
des  Vladislav  (im  Febr.  1162)  ermutigte  die  Anhänger  der 
Söhne  Gezas  (Stephans  III  und  Belags),  sich  von  neuem  zu 
erheben.  Vladislavs  Bruder  Stephan  (IV)  floh  nach  einer 
Niederlage  wieder  an  den  Hof  Manuels.  Bald  kam  es  zwischen 
Ungarn  und  Byzanz  zum  offenen  Kriege,  der  nach  mancherlei 
Schwankungen  erst  nach  dem  blutigen  Sieg  der  Byzantiner 
bei  Zeugmin  (1167)  durch  einen  Friedensschluss  i.  J.  1168 
seinen  Abschluss  fand.  Da  nun  Glykas  ausdrücklich  von 
einem  ohne  Blutvergiessen  errungenen  Siege  spricht,  so  ist 
es  klar,  dass  er  nur  jenen  Marsch  Manuels  in  die  Gegend 
von  Belgrad  (1161)  im  Auge  haben  konnte,  der  im  Verein 
mit  Geld  und  Diplomatie  die  Anerkennung  des  byzantinischen 
Kandidaten  zur  Folge  hatte.    Dass  Glykas  die  Dinge  in  einem 


420    Sitzung  der  phüösrphilol,  Classe  vom  1.  Decemher  1894, 

ähnlicbeo  optimistischen  Lichte  sieht  wie  Einnamos  und  die 
friedliche  Unterwerfung  d«r  »ganzen  Barbaren  weit "  aus- 
schliesslich auf  die  Scheu  vor  der  kaiserlichen  Majestät 
zurtickföhrt,  von  den  diplomatischen  Mittehi  aber  schweigt, 
ist  bei  der  Absicht  seiner  Gedichte  selbstverständlich.  Mit- 
hin ist  völlig  sicher,  dass  Glykas  den  Prolog  und 
den  Epilog  Ende  1161  oder  Anfangs  1162  abgefasst 
und  dem  Kaiser  überreicht  hat;  ob  er  auch  die  Sprich- 
wörtererklärungen erst  für  diesen  Zweck  schrieb  oder  sie 
schon  früher  in  Bereitschaft  hatte,  wissen  wir  nicht.  In 
keinem  Falle  ist  ihre  Entstehung  durch  eine  erhebliche 
Spanne  Zeit  von  dem  Prolog  und  Epilog  getrennt. 

Weitere  chronologische  Angaben  enthalten  die  Gedichte 
nicht.  Für  die  Abfassungszeit  der  Chronik  haben  wir  als 
sicheren  Terminus  post  quem  das  Jahr  1118,  mit  dem  das 
Werk  abschliesst,  als  höchst  wahrscheinlichen  Terminus  post 
quem  das  Jahr  1143,  mit  dem  das  doch  wohl  von  Glykas  selbst 
abgefasste  Eaiserverzeichnis  am  Schlüsse  des  3.  Buches  endet, 
und  als  Terminus  ante  quem  das  Jahr  1176,  aus  welchem 
nach  E.  de  Muralt*)  eine  Petersburger  Handschrift  der  Chro- 
nik stammt.  Dazu  kommt  noch  die  Thatsache,  dass  Glykas 
schon  den  Zonaras  benützt  hat  und  selbst  schon  von  Ma- 
tt ass  es,  der  unter  Kaiser  Manuel  schrieb,  benützt  worden 
ist.*)  Da  die  Chronik  aber  an  den  oifenbar  schon  im  Jüng- 
lingsalter stehenden  Sohn  des  Glykas  gerichtet  ist,  dürfen 
wir  ihre  Abfassung  nicht  über  die  Jugendwerke  des  Glykas, 
das  Vulgärgedicht  und  die  Sprichwörtersammlung,  hinauf- 
rücken, sondern  werden  sie  etwa  zwischen  1161  und  1170 
ansetzen  müssen. 

Endlich  lassen  sich  Aufschlüsse  über  die  Lebenszeit  des 
Glykas  aus  der  Adressatenliste  der  theologischen  Briefe 


1)  Essai  de  Chronographie  byzantine.    Vol.  I  (1855)  S.  XXVII. 

2)  Ferd.  Hirsch,  Byz.  Stadien  S.  896  ff. 


Krumbacher:  Michael  Glykas,  421 

gewinnen.  Die  meisten  Adreantoi  nnd  aRerdings  gänzlich 
unbekannte  oder  wenigstens  nicht  sicher  zu  identifizierende 
Personen;  doch  finden  wir  wenigstens  einige  Namen,  die 
einen  chronologischen  Anhalt  gewähren.  Um  die  verehrten 
Leser  zur  Teilnahme  an  der  Forschung  anzuregen  und  ihnen 
dieselbe  zu  erleichtern,  lasse  ich  zunächst  die  Adressatenliste 
folgen,  wie  sie  aus  Pasinis  bei  Migne,  Patr.  gr.  t.  158  Col. 
XXX  flF.  wiederholter  Beschreibung  des  Cod.  Taur.  193 
und  der  Ausgabe  einer  Anzahl  von  Briefen  aus  dem  Riccard. 
73  von  Lami  (Migne  a.  a.  0.  Col.  647—958)  hergestellt 
werden  kann.  Dabei  wird  die  Dativform  des  Originals  bei- 
behalten; dagegen  schien  es  überflüssig,  auch  die  Themen 
der  einzelnen  Briefe  und  die  Zahl  der  Briefe,  die  jedem 
Adressaten  gehören,  zu  notieren;  wer  sich  hierüber  unter- 
richten will,  sei  auf  die  angeführten  Stellen  bei  Migne  ver- 
wiesen. Die  ersten  zwei  Briefe  und  der  Titel  des  dritten 
sind  im  Cod.  Taur.  ausgefallen;  der  4.  Brief  des  Taur.  ist 
identisch  mit  dem  2.  des  Riccard.  (Migne,  Col.  660  if.). 

1.  2cJ  rijUKordTO)   juovaxco    xai   aTvklTrj   xvgco  'Icodvvfj   reo 
Zivatxri  (Cod.  Rice.  Migne  C.  648). 

2.  Tcp  Tifucordrq)  /Aovaxco  xvQcß  Ma^ljuco  rcß  ^fjLevKbTrj. 

3.  Tco  rijuicoTdio)  fiova^co  xvqcö  'Icodwrj  reo  ^Aonierrj. 

4.  Tco  rijUKordra)  ßiova^co  xvqcü  'Haäia. 

5.  Tcp  rtfiicDTdTq)  fiova^co  xvqco  rgrjyoQlq)  tö>  ^AxQOJiokhfj. 

6.  ToJ  rijUKordTO)  fiovaxip  xai  dojuEcrrixq)  xvgcß  'Hoatq. 

7.  Tco  rijuiandrcp  juovaxcp  xvgco  AXvmco  reo  iyxXeioTco. 

8.  T(p  fieyaXodo^cordrq)  /JLeydXco  haiQetdgxt]  >^VQ(p  ""Icodvvfj 
TCO  Aovxq. 

9.  Ted  Tifiicoxdxcp  /xovajifp  xvqco  'Ovovq)Qicp. 

10.  Tco  olxeicordrcp  äv&Qa>7tcp  rov  xQOtaiov  xai  äylov  fjfAcbv 
ßaaiXscog  xvgco  Nixrjfpogcp  rcp  2!ivaiTr}, 

11.  Tco  Jiavaeßdoxcp  oeßaaxco    xvgco  Kcovaxavxivco  xcp  IIa- 
XaioXdycp,  * 

12.  Tc^  xijuicjxdxq)  fiovaxco  xvgcß  2!x€q>dvq), 


422     Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  1.  Decemher  1894, 

13.  Ted  fieyäkodoSandrcp  xvQcp  ^Avdgoyixq)  reo  üalatoXdyq). 

14.  T0  Ti/üLKordTO)  fiova^cp   xvgtp  MeXerup  rcp  KqüiotiovIc^. 

15.  T(ü  xi/jLio>Taxcp  fxovaxf^  xvqco  NeiXcp, 

16.  Ted  ufiicordxq)  juovaxcß  xvgcß  Aeovn  tco  iyxkelotcp. 

17.  T(ß  fjLeyaXodo^wxdTcp   jueydXcp   haiQsidQXf]    xal   oeßaareß 
xvQcp  *Io)dvvij  T(p  Aovxq, 

18.  Tco  TifMayrdrcp  juovaxcp  xvqw  Xaglrcovi, 

19.  T(p  xifAKordtcp  juovaxcp  xvqco  NexragUp. 

20.  Tfj  TieQuio'&rJTCp  &vey)ia   rov  xgaraiov  xal  xvqov  ^/iicbv 
ßaaiXicog  xvqov  OeodcoQov. 

21.  Tcß    ävexpicp   rov   xQotaiov    xal    äyiov    ßaoiXicog    xvqov 
AXe^lov  rov (die  ErgäDzang  s.  unten). 

22.  Tco  Ti/nicoTdrcp  xal  h  Kvgico  tj/ucoy  döeXcpco  xvqco  ^Icodwfi 
Tcp  TQixa. 

23.  Tcp  ri/uicordrcp  juovaxcp  xal  do/j^eorlxco  xvQcp  NixoXdco, 

24.  Tcp  rijutcoTdrcp  fxovaxco  xvqco  ^Icoawixuo  rcp  rQa/xfjLaxixcp. 

25.  Tcp  navevTifxcp  xal  iv  KvqUo  nvevjuarixcp  fjiMov  dÖEXcpcp 
xvQcp  'Icodwri  rcp  Tgixa. 

26.  Tcp  ri/uicordrcp  juovaxcp  xvqco  Mvqcdvl 

Diese  Liste  von  Adressaten  des  Cod.  Taur. ,  die  im 
Anfang  aus  dem  Cod.  Rice,  ergänzt  ist,  stimmt  im  allge- 
meinen mit  den  andern  Hss  überein,  von  denen  wir  eine 
genauere  Kenntnis  besitzen.  Manche  Adressaten  fehlen  in 
den  verkürzten  Sammlangen,  aber  Neues  kommt  wenig  hinzu. 
Im  Cod.  Monac.  415,  s.  XV,  der  56  Briefe  enthält,  er- 
scheint fol.  234^  ein  jLieyaXodo^arog  (so)  AvÖQÖnovXog  Ila- 
XaioXdyog;  AvÖQÖTiovXog  ist  aber,  wie  andere  Hss  zeigen,  sicher 
nur  verschrieben  für  'AvÖQÖvixog  und  der  Adressat  ist  iden- 
tisch mit  Nr.  13  der  obigen  Liste,  wie  sich  schon  aus  der 
Identität  des  Briefes  selbst  ergibt.  Im  Cod.  Paris.  228, 
der  92  Briefe  enthält,  findet  man  als  neue  Adressaten  den 
Sebastokrator  Manuel  Eomnenos,  den  Kaiser  und 
einen  Mönch  Barlaam.  Einige  Adressaten  sind  im  Cod. 
Paris.  228  mit  kleinen  Abweichungen  im  Titel  genannt:  Der 


Krumbacher:  Michael  GlyJcas,  423 

Sebastos  Johannes  Dux  (Pariser  Katalog  Nr.  56)  ist 
oifenbar  identisch  mit  Nr.  8  unserer  Liste,  der  Mönch  Maxi- 
mos  mit  Nr.  2.  Tiefer  geht  die  Abweichung  in  der  üeber- 
schrift,  die  oben  als  Nr.  20  aufgezählt  ist;  Näheres  darüber 
s.  unten. 

In  der  obigen  Liste  sind  Adressaten  mit  abweichender 
Titelfassung  gesondert  aufgeführt  worden,  aber  höchst  wahr- 
scheinlich ist  Nr.  6  mit  4,  Nr.  17  mit  8,  endlich  Nr.  25 
mit  22  identisch.  Der  Mönch  Johannes  ^Aomhtjg  heisst 
im  Rice,  wenn  Lami  bzw.  Migne,  Col.  728,  nicht  irrt, 
'AomcoTYjg,  ebenso  im  Cod.  Monac.  415.  Es  handelt  sich 
aber  offenbar  um  dieselbe  Person  und  zwar  wird  wohl  die 
richtige  Namensform  ^Aanihrjg  sein,  da  verschiedene  Ange- 
hörige dieser  Familie  um  dieselbe  Zeit  vorkommen;  vgl.  Ni- 
ketas  Akom.  ed.  Bonn.  251,  17;  254,  1;  560,  7;  613,  3; 
829,  8. 

Dass  die  Adressaten  in  derselben  Briefsammlung  zuweilen 
verschiedene  Titel  tragen,  beruht  wenigstens  teilweise  auf 
der  Verschiedenheit  der  Abfassungszeit;  bei  der  Zusammen- 
stellung der  Briefe  wurden  dann  die  ursprünglichen  Auf- 
schriften unverändert  gelassen.  Zu  bemerken  ist  noch,  dass 
einige  Briefe  in  verschiedenen  Hss  verschiedene  Adressaten 
nennen.  Das  ist  wohl  durch  die  Annahme  zu  erklären,  dass 
Glykas  einen  und  denselben  Brief  zuweilen  öfter  verschickte. 
Bei  einem  Autor,  der  seine  Weisheit  so  sehr  zu  wiederholen 
liebte,^)  darf  das  nicht  wunder  nehmen.  Auf  solche  Weise 
aber  konnte  bei  den  wiederholten  Bearbeitungen  der  Sammlung, 
die  wir  annehmen  müssen,  leicht  einige  Ungleichheit  in  der 
Adressengebung  eintreten.  Bei  der  fortschreitenden  Reduk- 
tion der  Sammlung  wurden  die  Adressen  zuweilen  auch  ganz 
weggelassen.    Das  ist  z.  B.  der  Fall  in  einer  späten  Peters- 


1)  Vgl.  S.  398  f. 

1894.   Phi]oB.-philol.  u.  hist.  Ol.  8.  36 


424     Sitzung  der  phüosrphüol,  Classe  vofn  1.  December  1894. 

borger  Hs,  die  nur  13  Briefe  enthält.^)  Zu  einer  erschöpf- 
enden Darstellung  des  Thatbestandes  und  zur  Qewinnung 
einer  völlig  ausreichenden  Basis  wäre  es  natürlich  notwendig, 
sämmtliche  Hes  der  Briefe  des  Glykas  einzusehen,  was  mir 
gegenwärtig  nicht  möglich  ist.  Doch  dürfte  das  gedruckte 
Material,  das  ich  nachträglich  aus  dem  vortrefflichen  Cod. 
Paris.  228  ergänzen  und  berichtigen  konnte,  für  die  Erfor- 
schung der  aus  den  Briefen  zu  erlangenden  chronologischen 
Aufschlüsse  im  allgemeinen  genügen. 

Völlig  sicher  zu  identifizieren  ist  zunächst  der  Gross- 
hetaeriarch  und  Sebastos  Johannes  Dukas.  Es  ist 
offenbar  der  Mann,  dessen  Biographie  neulich  W.  B>egel  ge- 
zeichnet hat,^)  Johannes  Dukas  aus  der  Familie  Kamateros, 
ein  naher  Verwandter  des  Kaisers  Manuel  Komnenos,  ein 
Freund  des  Erzbischofs  Eustathios  von  Thessalonike.  Kinnamos 
(135,  15  ed.  Bonn.)  bemerkt  ausdrücklich,  dass  Johannes 
Sebastos  war;  als  Grosshetaeriarch  wird  er  bei  Kinna- 
mos, dessen  Werk  mit  1176  abschliesst,  noch  nicht  bezeich- 
net; denn  diese  Würde  erhielt  er  erst  1181.*)  Die  militärische 
und  politische  Thätigkeit  dieses  bedeutenden  Mannes  erstreckt 
sich  über  einen  Zeitraum  von  mehr  als  40  Jahren.  Schon 
i.  J.  1149  war  er  unter  den  byzantinischen  Heerführern  im 
Kriege  gegen  die  Normannen;  i.  J.  1188  führte  er  als  Aoyo- 


1)  Fr.  Vater,  Zur  Kunde  griechischer  Handschriften  in  Russ- 
land.   Jahns  Archiv  9  (1843)  5  ff. 

2)  Fontes  rerum  Byzantinarum  accuravit  W.  Regel  I  1  (1892) 
S.  YIII — X.  Zu  den  von  Regel  aufgezählten  Thats^achen  kann  noch 
gefügt  werden,  dass  Johannes  Dukas  unter  den  Teilnehmern  der 
Synode  des  Jahres  1166  war.  Vgl.  A.  Mai,  Scriptorum  veterum 
nova  coUectio  t.  IV  (1831)  38;  54. 

8)  Nach  W.  Regel  a.  a.  0.  S.  IX.  Leider  gibt  Regel  nicht  an, 
worauf  die  Kenntnis  (,magni  hetaeriarchae  dignitatem  esse  adeptum 
scimüs**)  von  diesem  Datum  beruht.  Die  Stelle  des  Niketas  318,  2, 
an  die  man  zunächst  denkt,  beweist  doch  nur,  dass  Johannes  i.  J. 
1181  Grosshetaeriarch  war,  nicht,  dass  er  es  damals  wurde. 


k 


Krumbaeher:  Michael  Glykas.  425 

'&hrig  xov  Sqojlcov  eine  Oesandtschafi  an  Friedrich  Barbarossa 
und  noch  i.  J.  1190  war  er,  jetzt  mit  der  Würde  des  He- 
ßaatoxQdxojQ  ausgezeichnet,  aktiver  General  und  befehligte 
die  Nachhut  des  byzantinischen  Heeres,  dessen  Besiegung 
durch  die  Bulgaren  er  freilich  nicht  verhindern  konnte.  Dass 
Johannes  im  Brieftitel  (Nr.  XXIII  bei  Migne)  zuerst  nur 
Grosshetaeriarch  und  erst  später  (Nr.  LUX  bei  Migne) 
auch  Sebastos  genannt  wird,  kann  nur  auf  einer  Unge- 
nau] gkeit  beruhen;  denn  dass  er  die  Würde  des  Sebastos 
früher  hatte  als  die  des  Grosshetaeriarchen,  steht  fest.  Da 
ihm  aber  die  letztere  Würde,  die  er  erst  i,  J.  1181  erhielt 
(s.  0.),  in  beiden  Briefen  zugeteilt  ist,  so  werden  sie  nicht 
vor  dieser  Zeit  geschrieben  sein.  Eine  Spätgrenze  ergäbe 
sich,  wenn  die  Kombination  Regeis, ^)  dass  Johannes  Dukas 
nach  1182  die  Grosshetaeriarchen  würde  wegen  seiner  Partei- 
nahme für  die  Kaiserin  Maria  verloren  haben  müsse,  völlig 
sicher  wäre  oder  sich  mit  Sicherheit  auf  unseren  Fall  an- 
wenden iiesse;  aber  man  darf  wohl  annehmen,  dass  Glykas 
den  schönen  Titel  auf  der  Adresse  beibehalten  hätte,  auch 
wenn  ihn  sein  hoher  Gönner  nicht  mehr  von  Rechtswegen 
führen  durfte.  In  keinem  Falle  aber  dürfen  die  beiden 
Briefe  früher  als  in  das  Jahr  1181  datiert  werden. 

Der  zweite  historisch  nachweisbare  Adressat  ist  der 
ßieyakodoSötaxog  'AvÖQÖvixog  IlaXaioiöyog,  Er  ist  zweifellos 
identisch  mit  jenem  Andronikos  Palaeologos,  der  von 
Kaiser  Andronikos  Komnenos  (1183 — 1185)  zum  Heerführer 
gegen  die  Normannen  bestimmt  wurde  (Niketas  Akomin. 
412,  10).  Zu  einer  näheren  Zeitbestimmung  ist  dieser  An- 
dronikos nicht  brauchbar ;  doch  ergibt  sich  aus  dem  Gesagten, 
dass  der  an  ihn  gerichtete  Brief  eher  im  letzten  als  im  zweiten 
Drittel  des  12.  Jahrhunderts  abgefasst  sein  wird. 

In  den  Anfang    des    13.  Jahrhunderts   scheint   uns   der 


1)  A.  a.  0.  S.  X. 

8B* 


426     Sitzung  der  phüos.'philol.  Classe  vom.  1.  Decemher  1894, 

Brief  zu  weisen,  dessen  Adresse  oben  unter  Nr.  20  angeführt 
ist.  Es  ist  der  einzige  Brief  der  Sammlung,  der  eine  Privat- 
angelegenheit betrifft  —  und  zwar  eine  sehr  dunkle.  Die 
Tolle  Ueberschrift  lautet  im  Cod.  Taur.  (Migne  a.  a.  0. 
Col.  XL VII):  Tfj  nsQuiodifjTCp  ävexpiq.  rov  xQcnaiov  xal  xvqov 
(1.  äylov)  fjfjubv  ßaoikicog  xvqov  OeodiOQOV  ädv/uovofj  otpödga 
xal  TrjV  iavTTJg  äTioyivcoaxovoj]  acorrjQiav  di^  dv  iroXiLif^oe  qnivov 
inl  rivi  yvvaixl  C^Xorvniag  Ivexev.  Wenn  der  Brief  von 
Olykas  stammt,  so  kann  der  hier  erwähnte  Kaiser  nur  Theo- 
doros  I  Laskaris  (1204 — 1222)  sein.  Damit  wäre  für  die 
Bestimmung  der  Lebenszeit  des  Glykas  ein  wichtiges  Spät- 
datum gewonnen  —  wenn  die  Ueberschrift  richtig  wäre. 
Leider  ist  sie  zweifellos  falsch.  Darauf  deutet  schon 
die  Fassung  der  Adresse:  Wo  ein  Adressat  in  Verbindung 
mit  dem  Kaiser  erscheint,  wird  nicht  der  Name  des  Kaisers, 
sondern  der  des  Adressaten  genannt;  vgl.  in  der  obigen  Liste 
Nr.  10  und  Nr.  21  (s.  S.  435).  Das  Gleiche  ist  hier  zu 
erwarten.  Zur  Gewissheit  wird  das  durch  das  Zeugnis  der 
weitaus  ältesten  Hs  der  Briefe  des  Glykas,  des  Cod.  Paris.  228. 
Zwar  nach  dem  alten  Katalog  —  im  Inventaire  von  Omont 
ist  der  Inhalt  der  Briefsammlung  nicht  spezialisiert  —  wäre 
dieser  Brief  gerichtet  „Ad  sororem  Imperatoris  dominam  Theo- 
doram'^.^)  Allein  auch  das  ist  ein  Irrtnm.  Im  Cod.  Paris.  228 
selbst,  fol.  154\  lautet  die  Adresse  völlig  deutlich  und  ohne 
die  mindeste  Spur  einer  Rasur  oder  Korrektur:  T^  Tteguto^tcp 
ävexpiq.  rov  xqaxaiov  xal  äylov  fjfiwv  ßaoiXioyg  xvgq,  Oeo- 
dcoQq  ä^vßiovof)  etc.  Ebenso  lautet  die  Adresse  in  dem  zwar 
aus  sehr  später  Zeit  (s.  XVII)  stammenden,  aber  90  Briefe 
enthaltenden  und  demnach  auf  ein  altes  vollständiges  Exemplar 
zurückgehenden  Cod.  Mosq.  Synod.  230.^)  In  den  übrigen 
Hss  ist  der  Brief,   soweit  die  Kataloge  ein  Urteil  gestatten, 


1)  Catalogus  codd.  mss.  bibliothecae  Regiae  II  (1740)  S.  87. 

2)  Archimandrit  Vladimir  a.  a.  0.  S.  290. 


Krumbaeher:  Michael  Olyhas.  427 

meist  weggelassen,  offenbar  weil  den  späteren  Redaktoren  der 
Sammlung  der  Anlass  und  Vorwurf  des  Briefes  zu  speziell 
und  zu  heikler  Natur  zu  sein  schien.  Die  einzige  feste  Grund- 
lage ist  mithin  die  Ueberlieferung  des  Cod.  Paris.  228  und 
des  Mosq.  Syn.  230.  Und  da  über  die  böse  Äffaire  selbst, 
die  dem  Briefe  zugrunde  liegt,  in  anderen  Quellen,  soweit 
ich  sehe,  nichts  berichtet  ist,  so  bleibt  nur  übrig,  zu  unter- 
suchen, welche  Kaiser  in  der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahr- 
hunderts eine  Nic)ite  Theodora  hatten  und  auf  welche  von 
ihnen  der  Brief  am  besten  passt. 

Kaiser  Manuel,  der  zuerst  in  Betracht  kommt,  hatte 
mehrere  Nichten  mit  Namen  Theodora:  1.  Theodora  Kom- 
nena,  eine  Tochter  des  i.  J.  1142  gestorbenen  Andronikos 
Komnenos,  des  zweitgeborenen  Sohnes  des  Kaisers  Johannes. 
Diese  Theodora  trat  zu  ihrem  Onkel,  dem  Kaiser  Manuel, 
in  nähere  Beziehungen,  deren  Frucht  ein  Sohn  Alexios  war. 
Im  übrigen  wird  sie  als  eine  hochmütige  und  anmassliche 
Dame  geschildert,  die  sich  mit  kaiserlichem  Gefolge  zu  um- 
geben liebte.  Auch  ihr  Söhnchen  wurde  ein  Verschwender, 
dessen  Passionen  den  kaiserlichen  Vater  schwere  Summen 
kosteten.  Du  Gange,  Fam.  Byz.  S.  182.  Niketas  Akom. 
ed.  Bonn.  136,  1  ff.;  266,  13  ff.  2.  Theodora  Komnena, 
eine  Tochter  des  Isaak  Komnenos,  des  drittgeborenen 
Sohnes  des  Kaisers  Johannes.  Sie  wurde  im  Alter  von 
13  Jahren  (um  d.  J.  1158)  mit  Konig  Balduin  III  von 
Jerusalem  yermählt  und  nach  dessen  Tode  von  Andronikos 
Komnenos,  dem  späteren  Kaiser,  entführt;  sie  begleitete  ihn 
auf  seinen  abenteuerlichen  Fahrten  unter  den  Persern  und 
Türken  und  gebar  ihm  zwei  Kinder.  Du  Gange  a.  a.  0. 
S.  183.  Niketas  Akom.  295,  2  ff.  3.  Eine  dritte  Theodora, 
die  in  mehreren  Quellen  Nichte  des  Kaisers  Manuel  genannt 
wird,  während  nicht  bekannt  ist,  von  welchem  Bruder  oder 
welcher  Schwester  sie  stammt,  vermählte  sich  mit  Bohe- 
mnnd  III    Fürsten    von    Antiochia.      In   einer   französischen 


428     Sitzung  der  phüosrphüoL  Classe  vom  1.  December  1894, 

Quelle  beisst  sie  Irene.  Du  Gange  hält  es  für  möglich, 
dass  sie  identisch  sei  mit  jener  Theodora  Eomnena,  welche 
später  den  General  Andronikos  Lapardas  heiratete,  von  dem 
Tyrannen  Andronikos  Komnenos  ins  Kloster  verwiesen,  endlich 
vom  König  von  Ungarn  zur  Gattin  erbeten  wurde,  aber  aus 
kanonischen  Gründen  (wegen  des  wenn  auch  unfreiwilligen 
Eintritts  ins  Kloster)  absagen  musste.  Du  Gange  a.  a.  0. 
S.  185.  4.  Eine  vierte  Nichte  Manuels  mit  Namen 
Theodora  war  (vor  1165)  mit  dem  Herzog  Heinrich  von 
Oesterreich  vermählt  und  starb  1182.  Von  welchem  der 
Geschwister  Manuels  sie  stammte,  ist  unbekannt.  Kinnamos 
ed.  Bonn.  236,  10  ff.     Muralt  a.  a.  0.  S.  186  und  217. 

Die  folgenden  Kaiser,  Alexios  H,  Andronikos,  Isaak  U 
Angelos,  Alexios  III  und  Alexios  IV,  hatten,  soweit  wir 
wissen,  keine  Nichte  Theodora.  Die  einzige  mit  dem  Kaiser- 
hause  nahe  verwandte  Theodora,  an  die  man  etwa  noch 
denken  könnte,  jene  Theodora  Angela,  die  i.  J.  1186 
mit  Gonrad  von  Monferrat  vermählt,  bald  aber  von  diesem 
verlassen  wurde,  war  eine  Schwester  der  Kaiser  Isaak  II 
und  Alexios  III  Angelos  und  mithin  die  Tante  des  Kaisers 
Alexios  IV.  Die  Bezeichnung  , Nichte  des  Kaisers*  stimmt 
also  für  sie  in  keinem  Falle.  Mithin  bleiben  nur  die  Nichten 
des  Kaisers  Manuel  übrig.  Welche  von  ihnen  die  Mörderin 
ist,  lässt  sich  nicht  sicher,  aber  doch  mit  grosser  Wahr- 
scheinlichkeit feststellen.  Was  zunächst  die  Konkubine 
des  Andronikos  betrifft,  so  spricht  alles  zu  ihren  Gunsten 
und  nichts  gegen  sie.  Einmal  verbrachte  sie  den  grössten 
Teil  ihres  Lebens  ferne  von  Konstantinopel  und  wird  daher 
auch  zu  den  Kreisen  der  Hauptstadt  wenig  Beziehungen 
gehabt  haben,  so  dass  ein  Brief  des  Glykas  an  sie  schon 
aus  diesem  Grunde  sehr  auffallend  wäre.  Dann  aber  ist  ihr 
ein  Eifersuchtsmord  aus  inneren  Gründen  nicht  zuzutrauen. 
Schon  als  Kind  verheiratet,  wurde  sie  nach  dem  Tode  ihres 
Gemahls   von   Andronikos  Komnenos   zur  Begleiterin   auser- 


Krumhacher:  Michael  Glykaa,  429 

koren  uud  führte  an  der  Seite  dieses  stahlharten  Ueber- 
menschen  ein  unstetes  Wanderleben  unter  den  asiatischen 
Barbaren;  selbst  eine  von  Natur  aus  leidenschaftliche  Person 
wäre  durch  diese  eigentümlichen  Lebensschicksale  wohl  bald 
milder  gestimmt  worden;  zudem  bezeugt  Niketas  Akom.  295, 
5  ff.,  dass  Andronikos  Theodoren,  die  ihm  zwei  Kinder  schenkte, 
in  treuer  Liebe  zugethan  war.  Von  der  dritten  Theodora, 
der  Gemahlin  Bohemunds  III,  ist  wenig  bekannt;  da  aber 
auch  sie  infolge  ihrer  Vermählung  den  hauptstädtischen 
Kreisen  entrückt  war,  so  ist  schwerlich  an  sie  zu  denken. 
Die  von  Du  Gange  aufgeworfene  Frage,  ob  sie  mit  jener 
Theodora  identisch  sei,  die  später  den  Andronikos  Lapardas 
heiratete  und  nach  dessen  Tode  vom  König  Ton  Ungarn  zur 
Ehe  begehrt  wurde,  kann  hier  nicht  entschieden  werden; 
wäre  sie  zu  bejahen,  so  würde  die  Annahme,  dass  sie  die 
Mörderin  sei,  völlig  ausgeschlossen;  eine  Dame,  an  der  ein 
solcher  Makel  haftete,  wäre  kaum  von  einem  König  gefreit 
worden.  Endlich  kann  auch  die  an  vierter  Stelle  genannte 
Dame,  die  bis  zu  ihrem  Tode  (1182)  als  Gemahlin  eines 
österreichischen  Herzogs  im  Abendlande  lebte,  nicht  in 
Betracht  kommen. 

So  wenig  diesen  drei  Theodoren  nach  dem,  was  wir 
von  ihrem  Charakter  und  ihren  Lebensschicksalen  wissen, 
das  im  Briefe  des  Gljkas  erwähnte  Verbrechen  zuzutrauen 
ist,  so  sehr  stimmt  dasselbe  zu  allem,  was  Niketas  Akom. 
von  der  erstgenannten  Theodora  erzählt.  Selbst  der  kleine 
Nebenumstand,  dass  Niketas  (266,  13)  sie  schlechthin  „^ 
dvtipid  OeodwQa*  nennt,  spricht  für  unsere  Annahme;  denn 
man  kann  daraus  schliessen,  dass  diese  Theodora  als  „die 
Nichte  des  Kaisers**  xar'  iSoxi^v  galt,  während  eine  von 
den  anderen  Nichten  dieses  Namens  in  der  Ueberschrift  des 
Briefes  wohl  durch  einen  Zusatz  (etwa  die  Bezeichnung  als 
Königin-  oder  Fürstin- Witwe  usw.)  differenziert  worden  wäre. 
Wie  stimmt  aber  die  Chronologie  zu  der  Identifizierung  der 


430     Sitzung  der  phüoa.'phüoh  Claase  vom  1,  December  1894. 

Maitresse  Kaisers  Manuels  mit  der  Adressatin  des  Gljkas? 
Die  Briefe  des  Glykas  sind  im  vorletzten,  teilweise  vielleicht 
im  drittletzten  Jahrzehnt  des  12.  Jahrhunderts  abgefasst 
worden.  Das  intime  Verhältnis  Manuels  zu  seiner  Nichte 
aber  begann  schon  in  den  fünfziger  Jahren  (s.  Niketas 
Akom.  136,  5  ff.);  allerdings  hat  sie  sich  lange  in  der  Gunst 
des  kaiserlichen  Oheims  zu  erhalten  gewusst;  denn  in  dem 
Rückblick,  mit  dem  Niketas  die  Schilderung  der  Regierung 
Manuels  abschliesst,  nennt  er  (266,  13  ff.)  bei  der  Erwähnung 
des  unmässigen  Aufwandes  der  Anverwandten  und  Günstlinge 
des  Kaisers  nur  die  Nichte  Theodora  und  ihren  Sohn 
ausdrücklich  mit  Namen,  während  die  übrigen  in  den  Aus- 
druck ^xal  itpe^fjg  exegoi^  zusammen gefasst  werden.  Da  nun 
die  Beziehungen  zwischen  Manuel  und  seiner  Nichte  im  An- 
fang der  fünfziger  Jahre  begannen,  so  kann  die  Zeit,  in 
welcher  neben  ihr  auch  ihr  Söhnchen  Alexios  zu  verschwenden 
anfing,  nicht  vor  Beginn  der  siebziger  Jahre  gesetzt  werden. 
Daraus  wie  aus  dem  wichtigen  Umstände,  dass  Niketas  am 
Schluss  der  Regierung  des  Manuel  noch  einmal  ausdrücklich 
auf  Theodora  zurückkommt,  wird  es  wahrscheinlich,  dass  sie 
bis  in  die  letzte  Zeit  des  Manuel  am  byzantinischen  Hofe 
die  Rolle  einer  kleinen  Pompadour  gespielt  hat.  Wenn  nun 
aber  auch  Theodora  bis  zum  Tode  Manuels  sich  in  einer 
einflussreichen  Stellung  behauptete,  so  ist  doch  nicht  daran 
zu  denken,  dass  sie  gegen  das  Ende  dieser  Elegierung  als 
eine  schon  im  kanonischen  Alter  angelangte  Dame  noch 
einen  Mord  aus  Eifersucht  beging.  Andererseits  kann  der 
Brief  wegen  der  offenkundigen  Benützung  der  Chronik  und 
wegen  seiner  Verbindung  mit  der  Sammlung  frühestens  nur 
in  das  letzte  Jahrzehnt  des  Manuel  datiert  werden.  Der 
scheinbare  Widerspruch  löst  sich  durch  die  Annahme,  dass 
der  Brief  nicht  unmittelbar  nach  dem  Morde,  sondern  viel 
später  geschrieben  worden  ist;  Anlass  des  Briefes  ist  ja  nicht 
der  Mord,  sondern  die  verzweifelte  Seelenstimmung,  welcher 


Krumhacher:  Miclniel  Glykas.  431 

sich  die  Prinzessin  wegen  ihres  Verbrechens  hingab;  diese 
Stimmung  mag  sie  überkommen  haben,  als  ihr  Gönner  Manuel 
gestorben  war  und  vielleicht  auch  körperliche  Gebrechen, 
das  Gefühl  der  Vereinsamung  usw.  sie  niederzudrücken  be- 
gannen. Weder  in  der  Ueberschrift  noch  im  Texte  des 
Briefes  findet  sich  etwas,  was  dieser  Annahme  widerspräche. 
Zu  ihren  Gunsten  aber  lässt  sich  die  Erwägung  anführen, 
dass  eine  so  stolze  und  yerschwenderische  Weltdame,  wie 
Theodora  auch  noch  gegen  das  Ende  der  Regierung  des 
Manuel  gewesen  sein  muss,  schwerlich  schon  in  dieser  Zeit 
sich  ernstlich  mit  ihrem  Seelenheil  beschäftigt  haben  wird. 
Mithin  ist  auch  dieser  Brief  höchst  wahrscheinlich  im  vor- 
letzten Jahrzehnt  des  12.  Jahrhunderts  geschrieben  worden. 
Der  Trostbrief,  welchen  Gljkas  an  die  fürstliche  Mör- 
derin richtete,  ist  in  mehr  als  einer  Hinsicht  bemerkenswert. 
Zwar  sucht  man  in  ihm  vergebens  nähere  Angaben  über  das 
Verbrechen  und  die  bei  demselben  beteiligten  Personen;  nur 
das  eine  geht  aus  dem  Texte  des  Briefes  noch  deutlicher 
hervor  als  aus  der  Ueberschrift,  dass  es  sich  nicht  etwa  nur 
um  einen  Mordplan  oder  Mordversuch,  sondern  um  einen 
wirklich  ausgeführten  Eifersuchtsmord  handelt.  Aber  höchst 
bezeichnend  für  die  Geistesrichtung  des  Glykas  wie  für  die 
moralische  Atmosphäre  des  byzantinischen  Hofes  ist  die  Art, 
wie  der  Briefschreiber  seine  temperamentvolle  Klientin  zu 
beruhigen  sucht.  Zuerst  verwendet  er  allgemeine  christliche 
Grundsätze  über  die  Vergebung  der  Sünden  usw.  und  fügt 
dazu  die  brauchbarsten  Parallelen  aus  dem  alten  und  neuen 
Testament,  besonders  einige  für  seinen  Zweck  geeignete  Aus- 
sprüche des  David.  Dann  aber  entpuppt  sich  der  Chronist 
Glykas.  Er  stöbert  nach  passenden  Exempeln  in  der  byzan- 
tinischen Geschichte.  An  Mördern,  Giftmischern  und  son- 
stigen üebelthätern  ist  in  der  langen  Gallerie  byzantinischer 
Fürsten,  Prinzen  und  Prinzessinnen  allerdings  kein  Mangel; 
Glykas  aber  braucht  erbauliche  Mörder,   er  braucht  Misse- 


432     Sitzung  der  phüosrphüöl,  Clasae  vom  1,  December  1894. 

thäter,  die  nicht  an  ihrem  Seelenheile  verzweifelten,  wie 
seine  Adressatin,  sondern  durch  Beae  und  Besserung  ihr 
Verbrechen  sühnten  und  ihre  Seele  retteten.  Er  findet  nur 
drei  solche  Beispiele  und  zwei  davon  passen  herzlich  schlecht. 
Alle  drei  aber  sind  charakteristisch  für  die  streng  kirchliche 
Gesinnung  des  Glykas  und  für  seine  Lust  an  volksmässiger 
Sagenbildung.  Dass  er  die  Geschichten,  soweit  es  ihm  nötig 
schien,  für  seinen  besonderen  Zweck  adaptierte,  versteht  sich 
von  selbst.  Trotzdem  bleibt  noch  so  viel  von  der  brutalen 
Wirklichkeit  übrig,  dass  die  kaiserliche  Dame  sich  durch  die 
Vorführung  solcher  Vergleiche  aus  dem  moralischen  Exempel- 
buch  der  Vergangenheit  recht  wenig  geschmeichelt  fühlen 
mochte.  Das  erste  Beispiel  ist  Johannes  Tzimiskes,  der 
den  vortrefflichen  Kaiser  Nikephoros  Phokas  im  Einver- 
ständnis mit  dessen  Gemahlin  Theophano  meuchlings  er- 
mordete oder,  genauer  gesagt,  durch  seine  Begleiter  ermorden 
liess,  dann  den  Thron  bestieg,  seine  Unthat  durch  Verban- 
nung der  Theophano  und  seiner  Helfershelfer,  durch  eine 
gute  Regierung,  vor  allem  aber  —  das  ist  für  Glykas  der 
Prunkmantel,  der  alles  zudeckt  —  durch  die  Aufhebung  des 
von  Nikephoros  Phokas  gegen  das  masslose  Anwachsen  der 
Klostergüter  gerichteten  Gesetzes  wieder  gut  machte,  ja,  wie 
Glykas  meint,  nach  seinem  Tode  sogar  heilig  gesprochen 
worden  wäre,  wenn  nicht  der  schwarze  Fleck  des  Mordes 
im  Wege  gestanden  wäre.  Ganz  anderer  Art  ist  das 
zweite  Exempel.  Hier  greift  Glykas  in  die  früheste  byzan- 
tinische Geschichte  zurück.  Kaiser  Theodosios  der  Grosse 
liess  wegen  eines  unbedeutenden  durch  plündernde  Soldaten 
veranlassten  Volksauflaufes  in  Thessalonike  ein  furchtbares 
Blutbad  unter  der  Bevölkerung  anrichten,  bei  welchem 
7000  Menschen  umkamen.  Dafür  wurde  er  vom  Bischöfe 
Ambrosius  von  Mailand  mit  dem  Kirchenbann  belegt;  er 
unterwarf  sich  und  gewann  durch  demütige  Reue  Verzeih- 
ung  seiner  Unthat  und  Rettung  seiner  Seele.     Man   sieht, 


Krumhacher:  Michael  Glykas,  433 

dass  das  wohl  nur  durch  eine  unglückliche  Yerwickehing 
von  umständen  und  durch  blinden  Eifer  der  ausführenden 
Organe  veranlasste  Massacre  in  Thessalonike  mit  dem  Fall, 
den  Glykas  behandelt,  wenig  Verwandtschaft  hat.  Noch 
weniger  passt  der  dritte  Fall:  Kaiser  Maurikios  spielte 
ein  römisches  Heer,  dessen  Zuverlässigkeit  ihm  verdächtig 
vorkam,  schmählich  den  Ävaren  in  die  Hände  und  weigerte 
sich  die  Gefangenen,  die  ihm  um  ein  massiges  Lösegeld  an- 
geboten wurden,  loszukaufen,  worauf  dieselben,  12000  an 
Zahl,  auf  Befehl  des  Cbagans  niedergehauen  wurden.  Später 
wurde  der  Kaiser  in  einem  Traume  von  Christus  gefragt, 
ob  er  für  seine  Scbandthat  hienieden  oder  im  Jenseits  büssen 
wolle.  Er  wählte  das  Letztere.  Den  Vollzug  der  Sühne 
übernahm  der  Tyrann  Phokas,  der  den  Maurikios  mit  seiner 
ganzen  Familie  tötete.  Glykas  scheint  selbst  gefühlt  zu 
haben,  dass  dieses  Exempel  wie  das  zweite  mit  dem  Falle 
seiner  Adressatin  wenig  Verwandtschaft  besitzt,  und  hat 
wohl  deshalb  gegen  die  chronologische  Ordnung  zuerst  den 
Tzimiskes,  dann  den  Theodosios,  endlich  den  Maurikios  als 
Beispiele  vorgeführt.  Die  Quelle  seiner  Erzählung  war  hier, 
wie  in  anderen  Briefen  (s.  S.  398),  die  eigene  Chronik; 
vielleicht  sah  er  auch  den  Autor  ein,  den  er  schon  in  der 
Chronik  ausgiebig  benützt  hatte,  den  Skylitzes;  doch  finden 
sich  alle  wesentlichen  Züge,  die  er  im  Briefe  erzählt,  in  der 
Chronik  des  Glykas  selbst.  Nach  diesen  drei  historischen 
Beispielen  folgt  als  Epilog  noch  die  erbauliche  Erzählung 
des  Palladios^)  von  dem  Jüngling  Makarios,  der  durch  eine 
fahrlässige  Tötung  seine  Seele  rettete,  und  als  Schluss- 
schnörkel  ein  Ausspruch  des  hl.  Johannes  Chrysostomos. 
Das  interessante  Schriftstück  wird  im  Anhang  aus  dem  Cod. 
Paris,  gr.  228  zum  erstenmale  der  OefiTentlichkeit  übergeben. 
Sicher  zu  bestimmen  ist  endlich  der  im  Cod.  Taur.  und 


1)  Bist.  Lansiaca  Cap.  17  =  Migne,  PatroL  gr.  t.  84  Col.  1041. 


434     Sitzung  der  phüos.'phüdl.  Glosse  vom  1,  Deeemher  1894, 

in  anderen  Hss  fehlende,  aber  in  dem  alten  Cod.  Paris.  228 
und  im  Cod.  Mosq.  Synod.  435,  wo  die  Briefe  fölschlich 
dem  Zonaras  zugeteilt  sind,  als  Adressat  des  zweiten  Briefes 
genannte  Sebastokrator  Manuel  Eomnenos.^)  An  Kaiser 
Manuel  Komnenos,  der  allerdings  vor  dem  Tode  seines  Vaters 
(1143)  Sebastokrator  war,  kann  aus  chronologischen  Gründen 
nicht  gedacht  werden.  Jener  Manuel  Komnenos,  der  von 
Einnamos  232,  3  als  Gesandter  nach  Kussland  erwähnt  wird, 
besass  nicht  die  Wtirde  des  Sebastokrator;  das  Gleiche  gilt 
von  Manuel  Komnenos,  dem  Sohne  des  tapferen  Johannes 
Batatzes,  der  1182  von  Andronikos  Komnenos  geblendet 
wurde  (Niketas  Akom.  341,  7  ff.).  Ein  Sebastokrator 
Manuel  Komnenos  begegnet  uns  erst  wieder  im  erstge- 
borenen Sohne  des  Kaisers  Andronikos  Komnenos.  Dieser 
seinem  grausamen  Vater  wenig  ähnliche,  durch  Edelsinn  und 
Gerechtigkeit  ausgezeichnete  Mann  wurde  nach  der  Ankunft 
seines  Vaters  in  Konstantinopel  i.  J.  1182  zum  Sebastokrator 
ernannt,  nach  der  Thronbesteigung  des  Andronikos  aber,  da 
er  sich  weigerte,  sich  mit  der  elfjährigen  Agnes,  der  Braut 
des  von  seinem  Vater  ermordeten  Kaisers  Alexios  U,  zu  ver- 
mählen, eingesperrt  und  des  Thronfolgerechtes  zu  gunsten 
seines  jüngeren  Bruders  Johannes  beraubt,  endlich  nach  dem 
Untergänge  seines  Vaters  Andronikos  (1185),  obschon  er  an 
dessen  Schandthaten  unschuldig  und  denselben  stets  nach 
Kräften  entgegengetreten  war,  von  Isaak  Angelos  geblendet.*) 
Mithin  kann  Manuel  die  Würde  des  Sebastokrator  nur  ganz 
kurze  Zeit,  von  1182 — 1184,  besessen  haben;  denn,  nachdem 
er  bei  seinem  Vater   in   Ungnade   gefallen   war,   hat  er  mit 


1)  Adresse  und  Ueberschrift  des  Briefes  lauten  im  Codex  Paris, 
(fol.  31'):  T(p  ayl(p  ftoi  dsaxoTjf  tq5  ceßaozoxQdxoQi  xvq^  Mavovrjk  tq> 
Kof4vi]V(^.  Ei  X6V  ^QOoixBiv  xoXg  Xiyovoiv,  oxi  stQÖoxaigov  slxe  t6  a&fia 
xax*  oiQx^S  <5  äv^QCDjtog  xai  Sri  qwoixoXg  vitixeixo  xai  ttqo  xtjs  naga- 
ßdoEKog  Jiddeoiv. 

2)  S.  Du  Gange  a.  a.  0.  S.  191. 


Krumbacher:  Michael  Glykas.  4:35 

seinen  Rechten  jedenfalls  auch  die  Würde  des  Sebastokrator 
verloren  und  nach  dem  Sturze  seines  Vaters  ist  er  geblendet 
und  schwerlich  in  seine  Würde  wieder  eingesetzt  worden. 
Der  Bnef  ist  also  sicher  nicht  vor  1182,  wahrscheinlich 
in  diesem  oder  im  folgenden  Jahre  geschrieben  worden;  ich 
sage  wahrscheinlich,  weil  die  Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen 
ist,  dass  Glykas  dem  Adressaten  seinen  einstigen  Titel  auch 
noch  in  einer  späteren  Zeit,  etwa  unter  der  Regierung  des 
Lsaak  Angelos,  zuerkannt  habe. 

Einen  guten  Stützpunkt  scheint  die  unter  Nr.  21  auf- 
geführte Adresse  zu  bieten.  Denn  der  dort  genannte  Kaiser 
Alexios  kann,  obschon  sein  Familienname  in  der  Turiner 
Handschrift  verwischt  ist,  offenbar  nur  Alexios  II  (1180  bis 
1183)  oder  Alexios  III  (1195—1203)  sein.  An  einen  Neffen 
des  Kaisern  Alexios  I  (1081 — 1118)  kann  aus  chronologischen 
Gründen  nicht  gedacht  werden;  auch  wäre  dieser  zur  Zeit 
des  Glykas  längst  gestorbene  Kaiser  nicht  mit  den  üblichen 
Epitheten  xQaraiög  und  äytog,^)  sondern  durch  das  Beiwort 
äoidijLiog^)  bezeichnet  worden.  Leider  aber  ist  entweder 
die  Angabe  bei  Pasini  oder  aber  die  Fassung  des 
Titels  in  Codex  Taur.  irrtümlich.  Wie  in  andern 
Fällen  (s.  S.  426)  wird  der  Briefschreiber  auch  hier  nicht 
den  Namen  des  Kaisers,  sondern  den  des  Adressaten  ange- 
geben haben;  und  in  der  That  lautet  die  Adresse  in  Cod. 
Paris.  228:  T(p  äverpKp  xov  XQOtaiov  xal  äyiov  fifiibv  ßaai- 
kecog  xvQ(p  'Ake^icD  rtp  Kovroareqxivq).  Damit  stimmt 
der  Cod.  Mosq.  Synod.  230  überein,   nur  dass  dort,  wenn 


1)  Der  regierende  Kaiser  wird  in  Urkunden,  Titeln  nsw.  be- 
zeichnet durch  Formeln  wie  tov  xQataiov  xal  äyiov  rffjimv  ßaaiXioag, 
xov  HQaxaiov  xal  aylov  ^ft&v  av&evxov  xai  ßaaikims  U8W.  Vgl.  Acta 
et  diplomata  VI  124,  189,  140,  144,  153,  177. 

2)  Der  yerstorbene  Kaiser  heisst  bei  einmaliger  AnfClhrang  ge- 
wöhnlich aoldifAog,  Vgl.  z.  B.  Acta  et  diplomata  VI  119,  127,  128, 
131,  139. 


486     Sitzung  der  pküosrphüöl.  Glosse  vom  1,  December  1894, 

anders  die  Angabe  des  Katalogs  zuverlässig  ist,  ganz  un- 
sinnig der  Genetiv  xvqov  ^AXe^Iov  steht.  ^)  Die  Familie 
Kontostephanos  spielte  unter  den  letzten  Komnenen  eine 
bedeutende  Rolle.*)  Zu  den  weniger  bekannten  ihrer  Mit^ 
glieder  gehört  der  Neffe  des  Kaisers  Alexios  Konto- 
stephanos. Er  war  ein  Sohn  des  Stephanos  Konto- 
stephanos und  einer  Sehwester  des  Kaisers  Manuel.  Von 
diesem  wurde  er  i.  J.  1161  zum  General  einer  Abteilung 
des  gegen  die  Ungarn  aufgestellten  Heeres  gemacht.^)  Dann 
erscheint  er  unter  den  Teilnehmern  der  i.  J.  1166  zu  Kpel 
abgehaltenen  Synode.*)  Später  hören  wir  nichts  mehr  von 
ihm.  Zwar  erwähnt  Niketas  noch  einmal  einen  Mann  dieses 
Namens,  aber  in  einem  Zusammenhange  und  in  einer  Weise, 
die  es  unmöglich  machen,  ihn  mit  dem  General  Alexios 
Kontostephanos  zu  identifizieren.  Der  Geschichtschreiber 
berichtet  nämlich  (600,  19  fiF.  ed.  Bonn.)  aus  dem  Anfang 
der  Regierung  Alexios'  III  (1195 — 1203),  „ein  gewisser* 
Alexios  Kontostephanos,  seines  Zeichens  Sterndeuter,  der 
längst  nach  der  Herrschaft  trachtete  und  zu  sagen  pflegte, 
man  habe  endlich  genug  an  den  Komnenen,  sei  vom  Volke 
zum  Kaiser  ausgerufen,  dann  aber  ins  Gefängnis  geworfen 
worden.  Hätte  Niketas  hier  den  froheren  General  Alexios 
Kontostephanos  im  Auge  gehabt,  den  er  ja  in  seinem  eigenen 
Geschichtswerk  erwähnt  hatte,  ^)  so  hätte  er  sich  nicht  des 
verächtlichen  Ausdrucks  ,ein  gewisser**  (xiva  Kovrooricpavov 
dvdjuari  ^AXe^iov)  bedienen  können.  Dagegen  scheint  sich 
auf  den  General   das  von   Du  Gange®)   edierte  Gedicht  zu 


1)  Arcbimandrit  Vladimir  a.  a.  0.  S.  290. 

2)  S.  Dn  Gange  a.  a.  0.  S.  180  f. 

8)  Einnamos  ed.  Bonn.  211,  21  £P.;  212,  12  ff.    Niketas  Akom.  ed. 
Bonn.  166,  24.    Die  letztere  Stelle  ist  oben  S.  418  angefahrt  worden. 
4)  A.  Mai,  Scriptorum  veterum  nova  collectio  t.  IV  (1831)  66. 
6)  S.  Anm.  3. 
6)  A.  a.  0.  S.  181. 


Krumh<u:her:  Michael  Glykas,  437 

beziehen,  das  in  14  Trimetern  die  Tapferkeit  eines  Alexios 
Kontostephanos  feiert.  Mit  völliger  Sicherheit  ist  mit  dem 
General  Alexios  Kontostephanos  eine  von  Fröhner  und  dann 
von  G.  Schlumberger  *)  herausgegebene  ebenfalls  in  Tri- 
metern abgefasste  Legende  eines  Bleisiegels  zu  verbinden. 
Da  wir  aber,  wie  gesagt,  aus  dem  späteren  Leben  des  Adres- 
saten nichts  Bestimmtes  wissen,  kann  er  zur  näheren  chrono- 
logischen Bestimmung  der  Briefe  nicht  verwertet  werden. 

Zu  den  Briefen,  deren  Ueberschrift  zur  Bestimmung  der 
Zeit  des  Verfassers  dienen  kann,  gehört  endlich  Nr.  40  des 
Cod.  Taur.  (Migne  a.  a.  0.  Col.  XLV):  ^AvxanokoyrjTixbv 
ix  juigovg  Tigög  xyjv  iyxeiQio'&eioav  avrtp  ygatpi^v  xov  HQOzaiov 
xal  äyiov  fjfx&v  ßaaiXicog  xvqov  Kojuvrjvov  rrjv  äjioXvd'eiaav 
ngög  riva  juovaxov  iTtifiefxxpdfxevov  ov  /uixgcbg  avxfp  did  ye  ro 
TYJg  äoTQoXoyiag  /xd'&rj/xa  xal  q)iXoveixovaav  xo  xoioüxov  avoxij- 
oao&ai  fxd'&YifjLa  (pvoixaXg  xal  yQaq)txaig  &7tode(^eat.  Etwas 
kürzer  ist  die  Fassung  des  Titels  im  Cod.  Paris.  228,  wo 
der  Brief  als  der  33.  fol.  95^ — 99^  steht:  AnoXoyYjxixov  ix 
fiSQOi^g  Tigdg  xfjv  iyx^tQio^eiaav  avxijl  ygaqrqv  xov  xgaxatov 
xal  dylov  fjfxwv  ßaoiXicog  xvqov  MavovrjX  xov  Kofivrivov  xov 
äoxQovojuixov  jua'&rjjbiaxog  Svexev,  Dass  es  sich  in  diesem 
Briefe  um  Kaiser  Manuel  handle,  hätte  man  erscbliessen 
können,  auch  wenn  der  Name  nicht  im  Pariser  Codex  aus- 
drücklich genannt  wäre.  Denn  von  Manuel  wird  authentisch 
überliefert,  dass  er  der  astrologischen  Geheim  Wissenschaft  mit 
Leidenschaft  ergeben  war;^)  Johannes  Kamateros  widmete 
ihm  ein  grosses  astrologisches  Gedicht;^)  welche  Rolle  aber 
die  von   der  Kirche  nicht  gebilligte   astrologische  Neigung 


1)  Sigillograpbie  de  TEmpire  Byzantin  S.  646.    Die  Verse  lauten: 

Kovtoazeq>dvov  xag  yQaq>ag  'AXs^lov 
'EycD  HQaxvvfo  Ko/ivrjvof;  xov  ftrjxQiy&ev. 

2)  Niketas  Akom.  ed.  Bonn.  126,  10  ff.;  200,  7  ff. 

3)  Vgl.  meine  Gesch.  d.  bjz.  Litt.  S.  868  f. 


438     Sitzung  der  phüo8,'phüol,  Glosse  vom  i.  Deceniber  1894, 

im  Leben  des  Kaisers  spielte,  geht  am  deutlichsten  daraus 
hervor,  dass  er  kurz  vor  seinem  Tode  dem  Patriarchen  einen 
schriftlichen  Widerruf  seines  astrologischen  Irrglaubens  über- 
gab: 'AlXä  xal  Tiegl  rrjg  äaxQovofilag  vjio&^xfj  tov  najQidgxov 
ßgaxvv  Tiva  'x^dQxriv  V7ieorif>iijvaro,  ngög  rrjv  evavxiav  öo^av 
fie^aQfAoo&elg-^)  Aus  dem  Titel  und  Inhalt  unseres  Briefes 
ist  zu  schliessen,  dass  Kaiser  Manuel,  was  früher  nicht  be- 
kannt war,  selbst  eine  Schrift  über  Astrologie  verfasste. 
Ueber  die  Zeit,  in  welcher  der  Brief  des  Glykas  geschrieben 
wurde,  lässt  sich  nichts  Sicheres  feststellen;  wahrscheinlich 
aber  entstand  er  in  den  letzten  Lebensjahren  Manuels;  denn 
es  ist  zu  vermuten,  dass  der  Kaiser  erst  im  vorgerückten 
Alter  und  nachdem  er  wohl  von  seiten  der  Kirche  schon 
allerlei  Vorwürfe  wegen  seiner  Verirrung  erfahren  hatte, 
anfing  sich  auch  mit  der  Theorie  der  geheimen  Wissenschaft 
eingehend  zu  beschäftigen.  Jedenfalls  aber  ist  der  Brief  vor 
dem  Tode  des  Kaisers  (24.  Sept.  1180)  abgefasst  worden. 
Was  den  Inhalt  des  Briefes  betrifiPt,  so  bekämpft  Glykas, 
natürlich  im  allerunterihänigsten  Tone,  die  astrologische  Ge- 
heimlehre; seine  Hauptargumente  entnimmt  er,  wie  gewöhn- 
lich, den  Kirchenvätern,  besonders  dem  hl.  Basilios. 

Von  den  übrigen  Adressaten  vermag  ich  keinen  derart 
zu  identifizieren,  dass  für  die  Zeitbestimmung  der  Briefe  ein 
fester  Anhaltspunkt  gewonnen  würde.  Der  in  Nr.  22  ge- 
nannte Johannes  Trichas,  der  in  Nr.  25  mit  einer  etwas 
verschiedenen  Bezeichnung  wiederkehrt,  ist  vielleicht  der  Me- 
triker Trichas.  Zu  seiner  Eigenschaft  als  , geistlicher  Bruder 
in  Christo*'  würde  es  passen,  dass  er  seinem  metrischen  Trak- 
tate einen  Hymnus  an  die  hl.  Jungfrau  vorausschickte,  in 
welchem   die   Hauptmetren  praktisch  veranschaulicht  sind.^) 

Der  Mönch  Gregorios  Akropolites  gehört  wohl  zur 
Familie  des  bekannten  Historikers  Georgios  Akropolites, 


1)  Niketas  Akom.  288,  4  ff. 

2)  Vgl.  meine  Gesch.  d.  bjz.  Litt.  S.  286. 


^ 


Krumhaeher:  Michael  GlyJcas,  439 

aber  für  die  Zeitbesidmmung  ist  damit  oatürlich  nichts  ge- 
wonnen. Auch  der  Stylit  Johannes  Sinaites  ist  nicht 
näher  bekannt.  Man  fühlt  sich  zwar  versucht  ihn  mit  jenem 
Johannes  Stylites  zu  identifizieren,  welchen  Johannes  Phokas 
in  seiner  1177  verfassten  Beschreibung  des  hl.  Landes  als 
bei  der  Laura  des  hl.  Sabbas  lebend  erwähnt;^)  aber  die 
Styliten  durften  ja  in  der  Regel  ihre  Säule*  nicht  verlassen 
und  der  Adressat  des  Glykas  heisst  ,Sinaites*  doch  wohl  des- 
halb, weil  seine  Säule  auf  dem  Sinai  war. 

Zum  Schlüsse  sei  noch  kurz  die  Frage  berührt,  wer  der 
als  Adressat  von  drei  Briefen  vorkommende  ITavoißaarog 
JEeßaGxbq  xvQig  Kcüvoravtivog  6  üaXaioXdyog  sei.  Allatius 
und  ihm  folgend  Oudinus,  Lamius  u.  a.^)  hielten  ihn  für 
identisch  mit  dem  Kaiser  Konstantin  IX  Palaeologos 
(1448 — 1453)  und  setzten  deswegen  den  Glykas  ins  15.  Jahr- 
hundert, eine  Datierung,  die  mit  Recht  längst  aufgegeben 
ist,  die  aber,  wie  es  scheint,  noch  eine  letzte  Nachwirkung 
darin  gefunden  hat,  dass  in  der  Patrologie  von  Migne  Glykas 
erst  in  einem  der  letzten  Bände,  die  den  Autoren  des  15.  Jahr- 
hunderts gewidmet  sind,  Aufnahme  gefunden  hat.  Dass  der 
seltsame  Irrtum  von  einem  Kenner  wie  Leo  Allatius  herrührt 
und  dass  er  sich  so  lange  behaupten  konnte,  gehört  zu  den 
Rätseln  in  der  Geschichte  der  byzantinischen  Philologie.  Die 
Zuteilung  der  drei  Briefe  an  den  Kaiser  Konstantin  Palaeo- 
logos ist  schon  dadurch  völlig  ausgeschlossen,   dass  sie  auch 

1)  Vgl.  Hipp.  Delehaye,  Les  Stylites.  Compte-rendu  du  3° 
congres  scientifiqae  international  des  catboliques  tenu  ä  Bruxellea 
da  3  au  8  septembre  1894,  Bruxelles  1896  S.  209. 

2)  Vgl.  Migne,  Patr.  Gr.  158  Col.  I  f.  Die  kategorische  Be- 
stimmtheit, mit  der  Oudinus  seinen  Irrtum  vorträgt,  mag  zur  Vor- 
sicht in  wissenschaftlichen  Behauptungen  mahnen:  .Ex  hac  sane  epi- 
stola  35  et  sequenti  36  et  41  ad  imperatorem  Constantinum  Palaeo- 
logum ....  clarius  luce  meridiana  constat,  quo  tempore  floruerit 
Michael  Gljcas,  anno  nimirum  1450  et  sequentibus,  non  anno  1120, 
ut  ab  Omnibus  hucusque  scriptum  est."    (Migne  a  a.  0.  Col.  XXXIV.) 

1894.   PliUos.-phUol.  u.  hist.  CI.  8.  86 


440     Sitzung  der  phüos.-phäol,  Glosse  vom  1,  Decemher  1894, 

im  Cod.  Paris.  228,  der  wenigstens  150  Jahre  vor  diesem 
Kaiser  geschrieben  worden  ist,  stehen.  Uebrigens  konnte 
Konstantin  Palaeologos  als  Kaiser  anmöglich  den  Titel  navoi- 
ßaoTog  Seßaardq  führen ;  aber  auch  vor  der  Thronbesteigung 
war  Konstantin  nicht  ITavoeßaoTog  üeßaarog,  sondern  Aea- 
noTYjg  (Phrantzes  ed.  Bonn.  118,  9;  Dukas  ed.  Bonn.  232, 
3  ff.).  Wir  vermögen  jedoch  nicht  bloss  negativ  darzuthun, 
dass  der  Palaeologe  Konstantin,  an  welchen  die  Briefe  des 
Giykas  gerichtet  sind,  nicht  der  Kaiser  dieses  Namens  sein 
kann;  der  Adressat  lässt  sich  auch  positiv  als  eine  geschicht- 
liche Person  und  zwar  als  ein  Zeitgenosse  des  Giykas  nach- 
weisen. Zwar  bei  den  Geschichtschreibern  des  12.  Jahr- 
hunderts wie  Kinnamos  und  Niketas  Akominatos  und  in 
anderen  Profanquellen  wird  ein  Pansebastos  Sebastos 
Konstantinos  Palaeologos  nicht  genannt;  sein  Andenken 
ist  aber  in  einer  kirchlichen  Quelle  erhalten.  In  der  Liste 
der  Teilnehmer  der  i.  J.  1166  zu  Kpel  abgehaltenen  Synode 
lesen  wir  ,tov  Jiavoeßdaxov  oeßaorov  xai  fxeydkov  haiqaQxov 
(sehr.  haiQiaQxov)  xvqov  recoQyiov  xov  UaXaioköyoVy  rov 
Tiavoeßdorov  oeßaorov  xai  avradekqjov  avrov  xvqov 
KcovoravTivov.^)  Konstantin  war  also  ein  Bruder  jenes 
Grosshetaeriarchen  Georgios  Palaeologos,  der  unter  Kaiser 
Manuel  i.  J.  1163  als  Gesandter  nach  Ungarn  ging.^)  Die 
zwei  Titel  ITavoeßaorog  Zeßaoxog,  von  welchen  der  letztere 
ursprünglich  nur  dem  Kaiser  zukam,  seit  dem  11.  Jahrhundert 
aber  auch  an  andere  Personen  verliehen  wurde, ')   sind  unter 

1)  A.  Mai,  Scriptonim  veteram  nova  coUectio  IV  (1881)  S.  56. 

2)  KinnamoB  ed.  Bonn.  215,  2  ff.  Mit  diesem  Georgios  scheint 
jener  Georgios  Palaeologos,  der  unter  Kaiser  Alexioa  III  (1196—1203) 
eine  Rolle  spielte  (Niketas  Akom.  593,  16;  679,  1)  nicht  identisch 
za  sein. 

8)  S.  Du  Gange,  Glossarium  med.  et  inf.  Graec.  s.  v.  2eßaax6g\ 
G.  Schlumberger,  Sigillographie  de  TEmpire  Byzantin  S.  681  ff.; 
M.  Treu,  Byz.  Z.  4  (1895)  10. 


i 


Krumhacher:  Michael  GlyTcas.  441 

Kaiser  Manuel  und  seinen  Nachfolgern  ziemlich  häufig.^) 
Wenn  nun  auch  der  Adressat  Konstantin  Palaeologos  zu 
einer  genaueren  Zeitbestimmung  nichts  beiträgt,  so  genügt 
zur  endgiltigen  Entscheidung  der  Frage,  die  sich  an  ihn 
geknüpft  hat,  der  Nachweis,  dass  er  unter  Kaiser  Manuel 
lebte.  *) 

Mithin  ergibt  sich,  dass  Glykas  einige  seiner  Briefe 
unter  der  Regierung  Kaiser  Manuels  und  zwar  wahrscheinlich 
gegen  das  Ende  derselben,  einige  nach  dem  Tode  Manuels 
geschrieben  hat.  Da  man  femer  wohl  annehmen  darf,  dass 
die  Sammlung,  wie  die  meisten  byzantinischen  Brie&amm- 
lungen,  ursprünglich  chronologisch  geordnet  war,  und  da  die 
Briefe,  welche  mit  Sicherheit  dem  drittletzten  und  vor- 
letzten Jahrzehnt  des  12.  Jahrhunderts  zugeteilt  werden 
können,    an   verschiedenen   Stellen   der   Sammlung   zerstreut 


1)  Eine  ganze  Reihe  von  Beispielen  bieten  die  Akten  der  eben 
erwähnten  Synode  bei  A.  Mai  a.  a.  0.  S.  55  ff.  Für  das  Ende  des 
12.  und  den  Anfang  des  13.  Jahrbundertii  findet  man  Belege  in  den 
Acta  et  Diplomata  VI  129  f.;  142;  179. 

2)  In  der  neueren  Litteratur  ist  die  Ansicht,  dass  Glykas  dem 
15.  Jahrhundert  angehöre,  so  gut  wie  völlig  verschwunden;  nur  der 
Archimandrit  Vladimir,  a.a.O.  S.  815,  lässt  den  Glykas  „um  1453" 
sterben  und  glaubt  S.  275  und  S.  206,  die  erwähnten  Briefe  seien  an 
den  Kaiser  Konstantin  Palaeologos  gerichtet.  An  der  letzteren 
Stelle  identifiziert  er  auch  den  Andronikos  Palaeologos  (Nr.  13 
der  obigen  Liste,  bei  Migne  Col.  XLY,  Brief  44)  mit  einem  Kaiser 
dieses  Namens  und  kommt  daher  zum  Schlüsse,  dass  die  Sammlung 
nicht  von  einem  Verfasser  herstammen  könne.  Natürlich  ist  auch 
die  Annahme,  dass  der  fieyaXo6o^6xaxog  xvgig  ^Avögovifcog  6  IIaXaioX6yog 
ein  Kaiser  sein  könne,  unzutreffend.  Derselbe  Irrtum  findet  sich 
übrigens  noch  in  einem  anderen  kürzlich  veröffentlichten  Kataloge, 
den  ,Godd.  mss.  Graeci  Ottoboniani  reo.  E.  Feron  et  F.  Battaglini,' 
Rom  1893  S.  138,  wo  ein  Brief  des  Glykas  ,ad  imperatorem  Andro- 
pulum  (Andronicum?)'  aufgeführt  ist.  Es  handelt  sich  offenbar  um 
den  oben  erwähnten  Brief,  in  dessen  Adresse  auch  der  Cod.  Monac.  415 
den  Namen  Andropulos  statt  Andronikos  bietet. 

36* 


442     Sitzung  der  phUos.'phüol,  Clctsae  vom  1,  Decemher  1894, 

sind,  so  wird  die  Sammlung  zum  grössten  Teil  in  diesem 
Zeitraum  entstanden  sein. 

Das  Gesammtbild  der  Biographie  und  der  litterarischen 
Thätigkeit  des  Glykas  dürfte  sich  also  folgen dermafsen  dar- 
stellen: Er  ist  geboren  im  ersten  Drittel  des  12.  Jahrhunderts, 
wird  1156  in  einen  nicht  näher  bekannten  politischen  Prozess 
verwickelt  und  eingekerkert,  schreibt  aus  dem  Kerker  sein 
yulgärgriechisches  Bittgedicht  an  Kaiser  Manuel  Kom- 
nenos,  wird  trotzdem  mit  leichter  Blendung  bestraft,  wendet 
sich,  infolge  seiner  Verurteilung  in  Not  und  Elend  geraten, 
i.  J.  1161  abermals  an  den  Kaiser  und  zwar  wieder  mit 
einem  volksmässigen  Werke,  der  Sprichwörtersammlung, 
der  ein  Lob-  und  Bittgedicht  in  der  Form  eines  Prooemions 
und  eines  Epilogs  beigegeben  ist,  schreibt  später,  etwa  im 
7.  Jahrzehnt  des  12.  Jahrhunderts  die  seinem  Sohne  ge- 
widmete populäre  Chronik  und  verwertet  endlich  im  8.  und 
9.  Dezennium  des  Jahrhunderts  seine  naturwissenschaftlichen 
und  theologischen  Studien,  die  schon  in  den  Sprichwörter- 
erklärungen und  in  der  Chronik  deutlich  hervortraten,  zur 
brieflichen  Beantwortung  an  ihn  wirklich  gerichteter  oder 
fingierter  Fragen;  durch  einige  dieser  Briefe  suchte  er  sich 
wohl  die  Gunst  hochgestellter  Personen  zu  erwerben  oder  zu 
erhalten,  nachdem,  wie  es  scheint,  seine  Versuche,  sich  dem 
Kaiser  selbst  zu  nähern,  endgiltig  gescheitert  waren. 

Dieses  aus  den  historischen  Thatsachen  und  Judicien 
hergestellte  Bild  entspricht  auch  der  Vorstellung,  die  wir 
uns  apriorisch  von  der  Reihenfolge  der  W^erke  zu  machen 
geneigt  sind.  Es  ist  sehr  natürlich,  dass  das  politische  Ver- 
brechen und  die  mit  ihm  zusammenhängenden  Schriften  des 
Glykas  in  die  überschäumende  Jugendzeit  fallen,  dass  er  die 
seinem  doch  wohl  schon  im  Jünglingsalter  stehenden  Sohne 
gewidmete  Chronik  als  Mann  verfasste  und  dass  er  endlich 
im  höheren  Alter  sich  ganz  der  Frömmigkeit  und  theolo- 
gischen Studien  widmete. 


Krumhacher:  Michael  Glykas.  443 

Glykas  gehört  zu  den  in  der  byzantinischen  Litteratur 
so  seltenen  Vertretern  der  volkstümlichen  Geistesrichtung, 
und  gerade  in  der  Komnenenzeit,  in  welcher  der  pedantische 
Klassizismus  jede  populäre  Regung  mit  dem  Stigma  der  Un- 
bildung brandmarkte  und  gewaltsam  niederdrückte,  ist  eine 
solche  Erscheinung  doppelt  interessant.  Es  gehörte  eine 
mutige  und  stark  ausgebildete  Individualität  dazu,  um  dem 
damals  immer  mächtiger  anwachsenden  Strome  der  antiki- 
sierenden Litteratur  und  Bildung  entgegenzutreten.  Sein  Glück 
konnte  ein  Mann  mit  so  ketzerischen  Neigungen  natürlich 
nicht  machen.  Wie  Glykas  schon  bei  Lebzeiten  am  Hofe 
und  in  der  gelehrten  Welt  nicht  durchdrang  und  zufrieden 
sein  musste,  wenn  er  einzelnen  Gönnern  seine  Briefe  widmen 
durfte,  so  wurde  er  später  von  den  anerkannten  Führern  der 
Geschichtschreibung  wie  Niketas  Akominatos  keines  Blickes 
gewürdigt.  Sein  Htterarisches  Lebenswerk  ist  nur  zu  ver- 
stehen, wenn  man  es  zusammenhält  mit  den  Bestrebungen 
und  dem  Charakter  von  Chronisten  wie  Malalas,  Theophanes 
und  Georgios  Monachos,  mit  theologischen  Autoren  wie  Jo- 
hannes Klimax,  mit  dem  er  auch  die  Vorliebe  für  das  volks- 
mässige  Sprichwort  gemeinsam  hat,^)  endlich  mit  den  An- 
hängern der  vulgärsprachlichen  Litteratur  wie  Ptocho- 
prodromos. 

Erst  hier,  nachdem  das  biographische  und  litterarische 
Bild  des  Michael  Glykas  in  den  Hauptumrissen  gezeichnet 
ist,  scheint  es  mir  geraten,  eine  Frage  zu  berühren,  die  ich 
bisher  absichtlich  bei  seite  gelassen  habe.  Niketas  Akomi- 
natos ed.  Bonn.  192,  13  — 194,22  erzählt  eine  seltsame  und 
ziemlich  mysteriöse  Geschichte,  die  einen  Beitrag  zur  Ge- 
schichte des  mittelalterlichen  Zauber-  und  Teufelglaubens 
bildet:  Kaiser  Manuel  liess  einen  gewissen  Seth  Skieros 
und   einen   gewissen   Michael  Sikidites   blenden,   weil  sie 


1)  Vgl.  meine  Mittelgr.  Sprichwörter  S.  219  ff. 


444     Sitzung  der  philos.-phUoL  Classe  vom  1.  December  1694. 

unter  dem  Vorwande  astronomischer  Studien  sich  mit  Zauberei 
und  anderem  Teufelstrug  befassten.  Skieros  hatte  durch  einen 
verzauberten  Pfirsich  eine  Jungfrau  bethört  und  entehrt;  Siki- 
dites  wurde  beschuldigt,  dass  er  durch  Teufelsgewalt  Sehende 
blind  machte,  einem  harmlosen  Schiffer  suggerierte,  sein 
Ruder  in  kleine  Stöcke  zu  zerbrechen,  und  in  einem  Bade 
die  Gäste  durch  pechschwarze  Männer  erschreckte.  Beide 
Bösewichte  lebten  noch  mehrere  Dezennien  nach  ihrer  Ver- 
urteilung, und  zwar  beschäftigte  sich  Seth  nach  wie  vor  mit 
Zauberei,  Michael  dagegen  Hess  sich  zum  Mönche  scheren 
und  verfasste  eine  Schrift  über  die  göttlichen  Sakra- 
mente, in  welcher  er,  der  göttlichen  Gaben  unwürdig,  kin- 
disches Geschwätz  zum  Besten  gab  (äregog  dh  elg  /lovaxov 
äTto'&Qi^d/bievog,  XQ^'^^  voxeqov  avyyQajußid  xi  tibqI  töjv  '^eUov 
fivoxriQlcav  ^vv^ifievog,  ä(p^xe  di^  avxov  xvvöjv  iQvyäg  6  töjv 
'&€la)v  dcoQBcov  ävd^iog).  Niketas  sagt  nicht,  wann  dieser 
Teufelsprozess  stattfand;  da  er  ihn  jedoch  zwischen  Ereig- 
nissen der  Jahre  1166  und  1167  (dem  Sturze  des  Alexios 
Protostrator  und  der  Befestigung  von  Ghliara,  Pergamon  und 
Atramyttion  ^)  erzählt,  so  ist  anzunehmen,  dass  die  Verur- 
teilung der  beiden  Zauberer  um  eben  diese  Zeit  stattfand. 
Seth  spielt  später  noch  einmal  eine  Rolle,  indem  er  i.  J. 
1185  dem  Kaiser  Andronikos  Komnenos  wahrsagt,  wer  sein 
Nachfolger  sein  werde,*)  und  in  einer  noch  späteren  Zeit 
taucht  auch  Sikidites  zum  zweitenmale  auf:  unter  dem  Patri- 
archen Georgios  Xiphilinos  (1192 — 1199)  verbreitete  sich 
eine  von  Sikidites,  wohl  in  der  oben  erwähnten  Schrift  über 
die  Sakramente,  aufgestellte  Irrlehre;  der  Nachfolger  des 
Xiphilinos  auf  dem   Patriarchenthron,   Johannes  Eamateros, 


1)  Vgl.  Muralt  a.  a.  0.  S.  190  f. 

2)  Niketaa  Akom.  442,  5  ff.  Auch  Michael  Akominatos  (ed. 
Lambros  I  78,  7  f.)  scheint  in  einem  Briefe  an  den  Patriarchen 
Michael  (1169  —  1177)  auf  unseren  Seth  anzuspielen:    ,xal  Sjteg  rovg 


Krumbacher:  Michael  Glykaa.  445 

Yerdammte  dieselbe  (um  1200)  und  sprach  über  ihren  Ur- 
heber das  Anathema  aus.  Der  Streit  drehte  sich  um  die 
Frage,  ob  der  Leib  Christi  im  Abendmahl  vergänglich  oder 
unvergänglich  sei.  Ueber  diese  Angelegenheit  berichtet  eben- 
falls Niketas  Akominatos  ed.  Bonn.  681,  17  —  685,  11,  und 
der  Umstand,  dass  er  den  Sikidites  als  yfevöojuövaxog  be- 
zeichnet (681,  22),  lässt  keinen  Zweifel  übrig,  dass  er  den 
früher  erwähnten  Sikidites  meint. 

Die  Schicksale  dieses  Michael  Sikidites  haben  zweifellos 
einige  Aehnlichkeit  mit  denen  des  Michael  Glykas:  beide 
wurden  auf  kaiserlichen  Befehl  geblendet,  bei  beiden  wurde 
die  Strafe  in  milder  Form  ausgeführt  und  beide  haben  sich 
später  mit  theologischer  Schriftstellerei  abgegeben.  Aufgrund 
dieser  Aehnlichkeiten  hält  nun  Jean  Boivin  den  Glykas 
und  den  Sikidites  für  eine  und  dieselbe  Person  und  vermutet, 
statt  des  Beinamens  ZikeXkütov,  den  Glykas  in  einigen  Hss 
der  Chronik  führe,  sei  Hikvökotov  oder  Zixvdhov  zu  lesen; 
den  Namen  Glykas  habe  Sikidites  erst  als  Mönch  angenommen. 

Es  lässt  sich  leicht  nachweisen,  dass  diese  ganze  Kom- 
bination falsch  ist.  Dass  Glykas  im  Jahre  1156  verurteilt 
und  leicht  geblendet  wurde  und  dass  er  im  Jahre  1161  seine 
Strafe  schon  fünf  Jahre  hinter  sich  hatte,  steht  völlig  sicher. 
Wäre  er  mit  Sikidites  identisch,  so  müsste  er  rückfällig  ge- 
worden und  um  das  Jahr  1167  noch  einmal  und  zwar  aber- 
mals in  milder  Form  geblendet  worden  sein.  Das  ist  nicht 
denkbar.  Noch  weniger  glaublich  aber  ist,  dass  die  an  theo- 
logischem Beiwerk  reiche  Chronik  und  die  theologischen 
Briefe  eine^  Mannes,  der  von  der  Kirche  in  aller  Form  ana- 
thematisiert worden  war,  eine  so  grosse  Verbreitung  gefunden 
hätten,  wie  das  wirklich  der  Fall  ist.  Allerdings  steht 
unter  den  Briefen  des  Michael  Glykas  einer,  der  die  erwähnte 
Irrlehre  des  Sikidites  behandelt.  Es  ist  der  59.  Brief,  dessen 
Ueberschrift  bei  Migne,  Col.  XL VIII,  notiert  ist:  ^Exi  xal 
xovro  rinoorjxai,  eite  qr&aQxri  iariv  ^  äyla  tou  Xqioxov  /leid- 


446     Sitzung  der  philosrphiloL  Clasae  vom  1.  Decemher  1894. 

Xrjtpig  ehe  xal  äqy&aQxog,  Der  Brief  ist  nicht  ediert,  aber 
schon  der  Umstand,  dass  er  in  die  weit  verbreitete  Sammlung 
überhaupt  aufgenommen  wurde,  erhebt  es  zur  völligen  Qewiss- 
heit,  dass  die  Frage  darin  im  orthodoxen  Sinne  entschieden 
ist.  Dass  aber  Glykas  eine  gerade  in  seiner  Zeit  so  aktuelle 
Frage  tiberhaupt  behandelte,  ist  doch  nur  natürlich,  üeb- 
rigens  enthält  der  Brief  eine  neue  Stütze  der  auf  grund 
anderer  Briefe  oben  aufgestellten  chronologischen  Bestim- 
mungen. Wie  Niketas  berichtet,  begann  die  erwähnte  Ketzerei 
unter  Georgios  Xiphilinos  (1192 — 1199)  sich  zu  verbreiten; 
mithin  wird  der  Brief  des  Glykas  kurz  vor  dieser  oder  in 
dieser  Zeit  verfasst  worden  sein.  Zu  den  genannten  Schwierig- 
keiten kommen  noch  manche  andere  Bedenken.  Z.  B.  hätte 
Niketas  Akominatos,  wenn  er  beide  Männer  für  identisch 
gehalten  hätte,  an  der  Stelle,  wo  er  von  der  späteren  litte- 
rarischen Thätigkeit  des  Sikidites  spricht,  doch  auch  die 
Briefe  und  namentlich  die  Chronik,  die  ihn  zunächst  inter- 
essieren musste,  schwerlich  unerwähnt  gelassen.  Endlich  ist 
zu  bemerken,  dass  man  beim  Eintritt  ins  Kloster  zwar  den 
Vornamen  wechselte  (und  zwar  in  der  Palaeologenzeit  ge- 
wöhnlich so,  dass  man  einen  Namen  wählte,  der  den  gleichen 
Anfangsbuchstaben  hatte  wie  der  frühere)^)  nicht  aber  den 
Familiennamen.  Sikidites  und  Glykas  sind  aber  zweifellos 
Familiennamen.  Kurz,  die  Annahme  Boivins  widerspricht 
allem,  was  wir  von  beiden  Männern  wissen,  und  sie  darf 
von  nun  an  mit  völliger  Sicherheit  als  beseitigt  gelten.  Mit 
völliger  Sicherheit,  obschon  in  einer  Hs  der  Chronik  Michael 
Sykidiotes  als  Verfasser  genannt  wird.  Das  ist  der  Codex 
Marc.  402,  chart.  saec.  XIII,  den  J.  Morelli*)  beschrieben 


1)  Vgl.  M.  Treu,  Maximi  nonachi  Planudis  epiatulae  S.  189, 
und  Eustathii  Macrembolitae  qaae  feruntur  aenigmata  (Progr.  Breslau 
1893)  S.  25. 

2)  lacobi  Morellii  Bibliotheca  Qraeca  et  Latina.  Tomas  Primas. 
Bassani  1802  S.  266. 


Krumhacher:  Michael  Glykas,  447 

hat.  Ueber  den  Titel  berichtet  Morelli:  ,Hunc  ununi  titu- 
lum  habet  XQOvixtj  avvro/Aog  ijtiavva^ig;  sed  annotatio  eius- 
cemodi  initio  manu  saecoli  XVI.  adscripta  est  ami]  ^  ßlßXog 
övverf^Tj  Tiagä  xov  ^tjroQMwrdroi*  xal  (pikoootpandrov  xvqiov 
Mtxaiji.  rov  ZvxidiWiTov^  Diese  Notiz,  die  eine  so  schöne 
Bestätigung  der  Hypothese  Boivins  zu  enthalten  scheint, 
kannte  der  gelehrte  Franzose  nicht;  er  konnte  sie  auch 
nicht  kennen;  denn  wohl  niemand  wird  daran  zweifeln,  dass 
die  Hand  des  16.  Jahrhunderts,  von  der  Morelli  spricht  — 
junge  griechische  Schrift  spätestens  ins  16.  Jahrhundert  zu 
setzen,  ist  noch  heute  eine  weitverbreitete  üble  Gewohnheit 
—  in  Wahrheit  eine  Hand  des  17.  oder  gar  des  18.  Jahr- 
hunderts ist  und  zwar  die  Hand  eines  Mannes,  der  die  Auf- 
stellung Boiyins  kannte  und  dieses  Wissen  in  seiner  Rand- 
notiz verwertete. 


Anhang. 

I.   Prooemion  der  SprichwOrtersammlung  des  Glykas. 

Tov  avrov  iregoi  Jigdg  tov  ßaatXia  xvq6v  MavovrjX 
rov   Kofivfjvov,    otc   iafingög    äjto    Ovyygiag    oTE(pa- 

viTTjc;  vTtiatQeyfs, 

*'Hxeig  xai  ndXiv,  ßaodev,  ixexä  kajuTiQMv  XQOJiaUov, 
fjxeig  xal  Tialiv,  XQaraii,  vlxaig  l^eore^^ihog, 
rgÖTiaia  q^eocov  äQi&juov  fihgov  vneQvixcoyra' 
ijxeig  h  xaTOQ&cojnaaiv  qaiÖQoTg  (bgaia^thog, 
6  ore<pdvotg  ävadovfievog  Tfjv  xefpalijv  fivgtoig. 
fjxeig  7rajuqHi(va)v  FonfQog,  Xdfimov  fx  rfjg  fanfQag, 
lipe  Ttafiq-aEOxaxe,  nvQ(p6Qf,  qnfaq'OQe. 
tjxeig  ^fiTv  ävalfuixrov  rrjv  vbctjv  ijnfpavlCfov' 


Abweichende   Lesang    der   Handtcbrifb   (Codex   Paris,  gr.  228 
fol.  25' — 26^):  4  wQaio/itrotg 


448     Sitzung  der  phüos.-phüöl,  Ciasee  vom  1.  December  1894, 

xal  nov  yoLQ  ;|jva«?  afßiarog,  nov  di  nokifxov  (pvotg, 

10  Sv^a  rd  ovfinav  ßägßaQov  tag  x^^Q^^  ^^*  TiQoxeivei, 
xrjv  arjv  q?QixTijv  ovviXevoiv  xai  juövtjv  vnoq)QlTtov, 
^v&a  '^gaavxfjrog  evQelv  ixvog  oix  lariv  öXcog, 
hr&a  dovXovoiv  iavrovg  ndvzeg  xai  Jtgd  JioXifxov; 
xamrjv  iyä)  TtavaXtj'^  vocb  xai  xqIvco  vlxrjv 

16  TTjv  Svev  Ttagard^ecDg,  alfidrcov  xai  rgavßidrcüv' 
ixei  ydg  6  rd  TQÖTzaiov  GxtjodjbLevog  rfjg  vixtjg 
(pd^doag  noXXovg  dneßaXe  xfp  xov  JioXe/btov  vdfjixp 
i^  ixaxiga>v  xcbv  fxegojv  neoovxag,  xgavfxaxiag, 
(bg  xd%a  xavxrjv  Xiyea&ai  vlxrjv  ^avatr/cpögov, 

20  vlxrjv  ^ßiloev/bta  Xaov,  vlxrjv  qy&ogdv  äv&gcjTKov, 
vlxrjv  ßialav,  dvoxvxfj,  vlxrjv  äxXeeoxdxrjv, 
vlxrjv  ovx  äyav  evxvxrjt  vlxrjv  äxegdeaxdxrjv, 
ivxav&a  dh  neglsoxiv  ä/LKpöxega  xd  ßiigrj, 
xai  xd  deoTtöCov  ägxiov  xai  x6  ÖedovXcojuivov. 

25  xoiavxd  ooi  xd  xgÖJiaia  vixcbvxa  ndvxa  Xoyov, 
Sgya  xai  xavxa  Jigocpavrj,  juiyiaxe  axrjjtxoxgdxog, 
(bg  äv  /xexaßovXevoao'&ai  ylvrjxai  xöig  ix^goTg  aov. 
inix^ig  oov  xovg  xegavvovg,  rdc  (pXöyag,  xovg  ngrjaxijgagt 
al'&igu  xfjv  (pgövrjoiv,  ijujivgie  rdc  X^^Q^^> 

30  öjicog  ixelvoi  x6  noXv  xfjg  vXrjg  xcbv  Jixaiojtidxcov 
xa'&VTzoondoavxeg  xd  nvg  oßiocooi  xfjg  ögyrjg  oov, 
XQVTixeig  x6  ilcpog  x6  ßgi&v,  xd  oxißagdv,  x6  fxiya, 
ÖTicog  avxoi  Jigög  IXeov  IxxaXeodfxtvol  oe 
dfxßXvvoyol  oov  x6v  &vju6v  xai  xdjLiyjwoi  Tigog  oTxxov. 

35  o  did  ßlov  ygrjyogog,  6  vrj(p(ov  '&vfxoXeayv 
elg  xov  djiovvaxdCovxa  JioXXdxig  oxrjjuaxl^Ei 
jioXXdg  äjiX(bg  Tctc  dvoxdg,  xexvd^ei  xai  7iQo<pdoeig, 
Saxe  xaigdv  Ijttoxgocprjg  Sovvai  xoTg  Ttralovol  ooi. 


i 
\ 


11  v3toq>QltTO)v  13  dovXovoa  21  dvaarvx^  24  Seonö^etv 
34  dfißXvroval  86  axijf^axlCei  mit  tj  über  ei  von  erster  Hand 
37   TsxvdCrj 


Krumbcuiher:  Michael  Glykas.  449 

ovx  fort  ng  x(bv  im  ytjg  ßXaßelg  Ix  rrjg  dgy^g  oov, 
40  et  ye  xal  ßkdßrjv  iiyei  xig  Ttjv  bie^iXevoiv  oov 

xal  rrjv  Inl  rolg  Jtralovoi  /xetglav  äneiXi^v  oov, 

ixeivog  rdv  ädQyrjrov  oldev  äyavaxrovvra, 

6  ovjbuia&tj  röig  Ttxalo/iaoi  evQcüv  oe  jLivQidxig 

xal  fieivag  ädidgi^cotog  i^  äxgag  dnovolag, 
45  ovdev  ioji  rov  juHirog  yXvxvxeQOv  h  ßUp, 

dU.d  ÖQifxv  jiQOOofiÜLovv  doxeX  roig  ^hecofiivoig' 

ovdev  Ti  (paeivdxBQOV  fjXlov  ka^jirjdövog, 

dXld  toTg  d/bißXvcoTTovoiv  Skrj  doxei  Co(p(odr)g. 

elg  rl  öi  rd  rov  juiknog,  xl  6k  xal  q?cbg  ^klov;  fol.  25' 

50  ovro)  xoXd^ei  xal  '^edg,  ovxoy  jtaQOTUxgalvei 

rovg  h  {xa)xolg  xQoylCovrag  xal  fitj  dioQ&ovixivovg 

xal  r6v  xQarfjQa  rfjg  dgyijg  rov  aiortjQdv  ixx^ei 

6  yXvxaoßidg  6  rrjg  ^ayfjg  xolg  dfAexavorjxoig, 

oimeQ  xal  ov  tt^Öc  juljurjoiv  rov  ßiov  oov  rvjtmoag 
55  xal  ygdtpag  ngdg  dQxirvjiov  ixelvov  rrjv  tpvx^^y  oov, 

yXvxvrtjg  djiaQdßiiXXsf  ßv&k  q)iXav9Qoy7ilag, 

rov  TiXrjfAjueXi^oavra  noXXd  xal  jui]  /xeravoovvra 

Sxcov  fjieVf  f} fjLeQ(i)r are,  nXrjv  S/icog  dvayxaUog, 

TzixQaCsig  ovx  dvdXoyov,  olg  inraioe,  nixQkxv, 
60  dJU'  Soov  dioQ^(6oao&at  rov  ovx  ev&vjioQovvra 

xal  xdjLLtpai  rdv  v^^avx^^  ^^*  ^^^  oxXrjQÖv  fxaXd^ai, 

xal  rl  /xagrvQcov  S^w^ev  diojuai  jieQidnrcov, 

otxo^ev  ^;fö>v  fxaQrvQa  jurj  xXhcrovra  ri]v  Jtiariv; 

fö  ^dgrvg  iq)^  iorüxg  /ioi*,  qjrjalv  fj  nagoifila' 
65  lyo)  rfjg  fifugörrfrog  xal  rfjg  ijiieixelag 

xal  rfjg  g^iXav&QWJiiag  oov  xal  rfjg  7iQa6rtjr6g  oov 

fxaQTvg  ovx  EvnaqdyQajirog  ovö^  olog  dmortio&ai. 

iyo)  juvqUov  äiia  &avdro)v  jtXrjju^eXrjoag 

39  ßXaßri^  43  svq&v  46  TtQooofiijXovv  i^Xxofieyoig  mit  co  über 
dem  ersten  o  von  erster  Hand  55  ixelvov  64  Man  erwartet  d<p^ 
iaxiaq;  denn  der  Sprach  ist,  worauf  mich  0.  Crusius  hinwies,  nnr 
eine  pretiösere  Form  des  alten  OTxo^ev  6  ^dqxvg,   Ps.  Diogen.  VII  29. 


450     Sitzung  der  phüosrphilol,  Classe  vom  1,  December  1894, 

xai  naQOQyloag  /ikv  ^edv  x6v  vtpiarov,  rdv  ävco, 
70  ovfiTiaQOQyloag  dk  &e6v  xbv  devttQOV,  rdv  xdrco, 

ro  oov  ^ecowjLLovjuevov,  fikyictov,  ^eiov  XQOxog, 

ov  xax    avräg  rag  ngd^eig  juov  rrjv  xdxcooiv  'bjiiortjv,  \ 

dAA'  iÖQijuv^o)  rfjv  i^ijv,  TTgadrare,  xaxiav,  I 

äkr  ijie^fjX'^eg  raig  ijuatg,  (plXoixre,  Jilrj/ifAeXetaig,  | 

75  8aov  iTtiox^tjvai  fie  rfjg  ngwrjv  xaxovgyiag  \ 

xal  oaxpQOVT^aavrd  noxe  ngög  l/iavxdv  axgaqr^vai, 

xal  diov  6v  xfiri'&Yjval  /le  tiqoqqiI^ov  ix  xov  ßlov, 

ola  qyvxbv  ovx  efixagnov,  qwxöv  äxav^cpögov, 

äXV  6  xakög  6  xtjjievxrjg,  6  'ßeiog  qwxrjxdjuog, 
80  ^  7tdvoo<pog  ^Xedcovdg  xovde  xov  nagaÖelcov, 

x6v  dxerdv  xdv  afxiov  avaxcov  xrjg  äxagnUxg, 

fjLYj  jtov  xal  Xd^fj  nXelovag  ßXaoxovg  dyglovg  '&ge\pag, 

xal  fiixQ^  xovxov  oxrjoag  juoi  xrjv  nalöevoiv  xrjv  '&elav, 

ijgdevoag  äXXoig  dxsxoTg  noxtfioig  xal  yovlfxoig 
86  nialvovol  jue  daxpiXibg,  xgo(pl^oig,  C<poy6voig, 

olg  dgdevöfisvog  xal  fcö  xal  xgi(po/j.ai  xal  ^dXXo) 

xfjg  ofjg  inegevxdfxevog  ir9elov  ßaoiXeiag, 

xal  xoig  iyxdgjioig  ijuavxdv  Jtage^ioovv  i^iXo) 

xaxä  x6  S^Xov  xov  Aavld  xd  nagä  die^ödovg 
90  Tcic  xcbv  vddxo)v  qwxetr^kv  xal  xovg  xagTiovg  ixxgi(pov 

X'^g  ofjg  fxe  JioXvxBVfxovog  nrjyfjg  xaxagdevovof^g 

xal  xfjg  dnelgov  x^'^oewg  x^g  nXovxoddxiÖdg  oov 

xooavxrjv  xi]v  biidooiv  ?;^o>v  etg  xä  ßeXxio) 

xal  ngooXajußdvwv  av^rjoiv  xdoov  etg  eixagniav, 
95  Soov  evgvveig  /loi  xdg  oäg  (pXißag  xfjg  eimoglag 

xal  xdg  ixxvoeig  ßXvCcig  fioi  xcbv  evegyexrj/idxcov, 


89  Psalm.  1,  3   t6  $vXov  to  jtefpvTsvfiivov  jioQa  tag  Sie^ödovg  T<5r 
vddtQjy 


69  TdVv  &v<o       70  TÖv  Hdt<o       71   ^orv/aovftevov  mit  o)   über 
dem  ersten  o  von  erster*  Hand       83  atijaaig       90  ixxQiqxov 


Krunibacher:  Michael  Olykas.  451 

ovx  äQyvgiag,  5  <paoiv,  vTzavaoro/wvjLLivag, 
(bg  ix  xiv6g  ooi  noia^ov  §hiv  äQyvQodivov, 
äXXd  XQ^oiag  SAo^  juoi  Xa/njigov  äjzoardßovoag, 

100  (og  iS  avrov  xov  noia^ov  §ieiv  XQv^ff^odivov, 
t6  odv  fikv  ovv  ßaoüeiov,  vxpianov,  i^etov  xQdtog, 
6  aritpag  ae  napißaodevg  xal  vtxaig  xaiaoxhpag 
xvxXoig  fiklov  XQOVixöig  fiaxqoXg  av/bmagexrelvai 
xal  vixag  ooi  öiOQrfoaixo  xard  xcbv  äXXoqwkcov, 

105  el  rov  komov  ToXfxrjoei  ng  ävräQai  ooi  rag  x^^Q^^* 
(bg  äjiav  x6  vjirjxoov  x^^^  /uydXrjv  x'^^^^t 
cog  änoXaveiv  xa&aqäg  elQtjvi^g  xov  Xaov  aov, 
yy  oxa^egdv  ißgdßevoag  dxajLidxotg  xafidxoig. 
dXX^  ägxi,  7ioQ<pvQ6ßXaox€,  xgdxioxe  ßaoiXecov, 

HO  xaiQog  ioxi  drjXcbaal  jLie,  JiQog  olov  divÖQOv  qwoiv 
/Luxeyxevxgioag  ijuavxöv  xal  ^evcog  imaXXd^ag 
iitjjueQCü&fjv  evyevojg  i^  dygiöxtjxdg  /lov. 
ÖJtcogag  ovv  dgeipd/uevog  x6v  dgv&fxov  öXiyag 
djio  Xeijucbvog  votjxov  x(p  xgdxei  oov  ngoo(pigw, 

116  dqji^  ov  oo<pol   WeXXoi  xiveg  xal  kn^  ixeivoig  äXXoi 
xgvyrjoai  jukv  xaxd  xaigovg  7igoe<p&aoav  eig  xögov, 
ov  ^ijv  di  xal  Xvßirjvao&ai  xovxov  xi]v  evxagjilav, 
xäv  av'&ig  Xao>g  hegoi  dghpao^ai  ßov{Xrj'&cboiv), 
ioxai  xdxeivoig  6  Xei/idrv  äqy&ovog  xagnodöxtjg, 

120  ov  xolg  TtoXXoTg  dvijußaxog  ovdi  nov  xexXeio^evog, 
dXX""  änaoi  Jtgoxei/Aevog  '&dXXo)v  elg  änav  hog. 
xal  xi  xd  Ttgootpegöjbievov ;  al  d^  av  öncbgai  noTai; 
ovyxaxaßdg  fioi  xdgioai  jLiixgdv  xdg  dxodg  oov 
xö  öojgov  ydg  elg  dxofjv,  dXX*  ovx  elg  yevoiv  xelvei. 


97  öipaotv  100  jfßvaio^/vov]  dQyvQodlyov  103  av/utagsfctlvei 
106  Xvjtov  dvxaQai  107  rcS  Xa&  10  S  dxafidrots]  dxKopiaooig  Der 
Schreiber  meinte  vielleicht:  dxofia  aoXg  112  iSfjf^eQo^v  mit  o>  über 
o  von  erster  Hand  dYQtjÖTtjTog  fiov  116  ijiixeivovg  118  ndv]  nal 
121  MXXov 


450     Sitzung  der  phüosrphilol.  Classe  vom  1,  December  1894. 

xal  Ttagogylaag  /jiv  ^edv  x6v  vtpiarov,  rdv  ävco, 

70  oi^fiTiaQOQyloag  dk  ^eöv  röv  devtegov,  töv  HÖrcOr 
t6  aov  '^ecowfjiovfAevov,  juiyiorov,  &eTov  xQatog, 
ov  xax^  avxäg  rag  ngd^eig  fxov  Ttjv  xdxcooiv  vjticnt]v, 
dlX*  idQijLtv^O}  rijv  ijuijv,  7TQa6rar€f  xaxlav, 
iXk^  iTie^TjX&eg  tälg  ijudtg,  (plXoixre,  TtXrjjLi/AeXelaig, 

75  öoov  hiiox^^vo.i  jue  Ttjg  Ttganjv  xaxovgylag 

xal  oaxpQOVT^oavrd  nore  Jigdg  ißiavrdv  axgaq)rjvai. 
xal  diov  3v  r/irj&^val  fie  ngoggi^ov  ix  rov  ßlov, 
ola  qyvxbv  ovx  eijxagjiov,  (ptndv  äxavT^cpogov, 
äiX*  6  xaXög  6  xrjTievrrjg,  6  '^eXog  q?vrtjx6/j,og, 

80  <5  ndvoo<pog  ^Xeöcovög  rovde  rov  Jiagadetaov, 
rdv  dxBTÖv  TÖV  atxiov  ovaxcbv  Tfjg  äxagnlag, 
juij  jiov  xal  Xd^  TtXelovag  ßlaorovg  dyglovg  ^ghpag, 
xal  fiexgi'  rovxov  ori^oag  jlioi  xrjv  Jialdevoiv  r^v  '&elav, 
ijgdevoag  äXXoig  dxeröig  noxl^oig  xal  yovlfioig 

86  nialvovol  jue  datpiXojg,  xgofplfioig,  Cfpoyövoig, 
olg  igdevd/xevog  xal  ^(b  xal  xgitpojuai  xal  &dXXa) 
xtjg  ofjg  ijtegevxdjuevog  iv&elov  ßaaiXeiag, 
xal  xoTg  iyxdgjioig  ißiainöv  nage^ioovv  i&iX(o 
xaxä  x6  $vXov  xov  Aavld  x6  nagä  die^ddovg 

90  xdg  xcbv  iddxayv  qwxetr&iv  xal  xot^g  xagjzovg  ixxgetpov 
xtjg  ofjg  fxe  noXvx^vjuovog  Titjyfjg  xaxagdevovof]g 
xal  x'^g  dnelgov  ;|ri;a€a>c  xi\g  jiXovxodöxiddg  oov 
xoaaikrjv  xrjv  biidooiv  ^xoyv  elg  xd  ßeXxio) 
xal  TtgooXafißdviov  av^rjoiv  xöoov  elg  evxagntav, 

95  Soor  evgvveig  fioi  xdg  odg  cpXißag  xfjg  evnoglag 
xal  xdg  ixxvoeig  ßXvC^ig  juoi  xcbv  evegyeiYj^dxcDv, 


89  Psalm.  1,  3   t6  $vXov  t6  Jteqpvtsvfiivov  Ttaga  ras  dts^öSovg  T<5r 
vSdtmv 


69  t&y  &VO)       70  TÖV  xarco       71   ^eowfiovfieyov  mit  ö>  über 
dem  ersten  o  von  erster*  Hand       83  otijaaig       90  kxxqiqxov 


Krutnbaeher:  Michael  Glykas.  451 

ovx  ägyvQiag,  8  <paoiv,  VTiavacfiOfiov^ivag, 
(bg  ix  Tivög  ooi  Tzoraßiov  §ieiv  äqyvQodivov, 
AXkä  XQ^^i^^  SXükg  jlloi  XafjmQov  änooxiXßovoag, 

100  (hg  iS  avrov  xov  nora/btov  §ieiv  ;f^vaeo5/vov. 
x6  oöv  fikv  ovv  ßaolXeiov,  vxpianov,  '9eTov  ngdrog, 
6  oxhpag  oe  Jiafißaoikevg  xal  vixaig  xaraorhpag 
xvxXoig  fjXiov  xQovixöig  fxaxqolg  ovfutaQexrelvai 
xal  vLxag  ooi  do)Qi]oaiTO  xaxä  xcbv  äXXo(pvka)v, 

105  et  Tov  koiJiov  toXjbijjoei  rig  ärrägai  ooi  xäg  x^^Q^^> 
(bg  äjiav  x6  vjitjxoov  x^Q^'^  jueydXtiv  ;|ra/|0€ev^ 
a>^  äjioXaveiv  xa&aqäg  elgi^vTjg  x6v  Xaov  oov, 
f]v  oxa^eQGLv  ißgäfievoag  äxaßidxoig  xajLidxoig. 
äXX''  QQxi,  jioQ(pvQ6ßXaox€,  xgdxiGxe  ßaaiXiwv, 

110  xaiQÖg  ioxi  drjXwoai  fie,  Tigög  oTov  divdqov  qrvoiv 
fiexeyxevxQioag  ijnavxdv  xal  ^eviog  vjiaXXd^ag 
iSt]jueQ(o&rjv  evyevcbg  i$  äyQiöxrjxdg  juov, 
ÖJidgag  ovv  ÖQSxpdfxevog  x6v  ägi^/iov  dXiyag 
änd  Xeijucbvog  votjxov  xco  xQdxei  oov  7iQoo(piQa>. 

115  ä(p^  ov  ooq?ol   WeXXoi  xiveg  xal  hc*  ixeivoig  äXXoi 
xQvyrjoai  ßikv  xaxä  xaiQovg  7iQoe(p9aoav  elg  xoqov, 
ov  fiijv  de  xal  Xvfirjvao^ai  xovxov  xyjv  evxaqnlav, 
xäv  axr&Lg  Toayg  ixegoi  dghpao&ai  ßov{Xf]^d)oiv), 
Soxai  xäxelvoig  6  Xeificjv  äcp&ovog  xagTiodöxtjg, 

120  ov  xoTg  noXXoTg  ävifxßaxog  ovöe  nov  xexXeiofievog, 
äXX'  änaoi  jiQoxel/ievog  ^dXXoyv  elg  änav  hog. 
xal  xi  xö  7iQOO(peQ6juevov ;  al  d^  av  dnaJQai  noTai; 
ovyxaxaßdg  fioi  ;|rrf^eoat  /iixQÖv  xdg  dxodg  oov ' 
xö  öcüQOv  yaQ  elg  dxorjv,  äXX^  ovx  elg  yevoiv  xelvei. 


97  S(pamv  100  ;ußt;o«o^/rov]  aQyvQodtvov  103  ovfutaQsxxlvei 
106  Xvjiov  avjoQai  107  tö)  Xam  10  S  oxa/iarot^]  dx<üf*aooig  Der 
Schreiber  meinte  vielleicht:  &x6na  ooTg  112  k^rnASQoihjv  mit  cd  über 
o  von  erster  Hand  dy^tjoTi^TÖs  f*ov  116  hiixeivovg  118  xäy\  xal 
121  ^dXXov 


452     Sitzung  der  pküosrphüdl.  Classe  vom  1.  Deeemher  1894. 

U.   Brief  des  Glykas  an  die  Prinzessin  Theodora. 

Tf]  negino^T^Tq)  äveyjiqi  tov  xQaraiov  xal  äyiov  ^ficbr 

ßaoilicDg  xvQq,  Oeodcigq,  d^vfxovof]  0(p6dQa  xal  xiiv 

iavTfjg    ä7zoyiv(ooxovofi    ocDxtjQlav    di^    Sv    iToXfirjoe 

(pövov  inl  rivi  yvvaixl  CrjXorvJtiag  ?vexev. 

Ei  xal  dediivai  jigooijxei  t6  tov  ^vdrov  al(pvl6iov  xal 
TTjv  ^juerigav  ocoTrjQlav  äjioyivcooxeiv,  et  ye  jufj  '^eQ/uoTg  xexQT^- 
jue&a  ddxQVOiv,  et  ye  firj  xarayivwoxoßiev  iaincbv,  i(p^  olg  xa&* 
ixdarriv  TtgooTtralofiev,  —  el  ydg  xal  jirj  xatä  Jiödag  fjfiTv 
5  1^5  ^^^  ^^V  l(p(o^aTai  äxe  rov  ^eov  /iaxQo^v/j,ovvrog  xal  ri^v 
fjjLL(bv  ixdexofMevov  juerdvoiav,  diX*  öxpi  noxe  ndvxwg  igxexai 
xdvxev'&ev  ?xaaxog  dgijiexai  xd  x^g  xaxlag  inlx^iga,  —  xal 
xovxo  itnlv,  Sjieg  iv  xpakfioXg  ikeyev  6  ^eiog  Javid'  *Edv  ßitj 
ijtioxgaiptjxe,    xrjv    §o^<palav   avxov    oxilßiooei,^)    xgijueiv  ovv 

10  iTil  xovxoig  xal  xaxajili^xxeo&ai  ä^iov,  8xi  xal  (poßegbv  xd 
IfATieoeTv  elg  x^^Q^^  ^eov  C^^vxog.^)  xal  8ga  xdv  ngo<pi]xtjv 
xal  ßaaiXea  Aavld,  ncbg  h  oxrif^axi  xaneivco  xal  ovvxgißfj 
xagdlag  Inoielxo  xi]v  ditjoiv'  hteiörj  ydg  ovx  l^dggei  nayxeXij 
x(bv  inxaiofJLivoyv  alxijoai  ovyx(ogT]oiv,  xov<poxigav  avxcbv  ye- 

15  veo'&ai  xr]v  xi^coglav  Ixexeve '  Kvgie,  Xiyojv,  fxi]  x(5  i^v/üiip  oov 
iXiy^ljg  jue  jutjöi  xfj  dgyfj  aov  7iaidevoi}g  f^^f  ^'"^  ^^  ß^V  ^^^ 
ivejidytjodv  jlloi  xal  ijzeoxtjgiiag  ijt^  ifik  xrjv  x^^^  oov.^) 
oxiXßwoei  fjikv  ovv,  (hg  elgrjxai,  xtjv  §o/i(pa(av  avxov  xad^ 
fj^cbv,  eiTieg,  itp^  olg  öXio&alvojLceVf  dvdXyt]xoi  fxhxoi  juevov^ev 

20  ^aJ  dvenioxgocpoi.  et  ydg  öi^fi  noxe  xov  7td'9ovg  iavxovg  djio^ 
andoojuev  xfjg  ngoxlgag  juiv  xaxiag  d(piGxd/Lievoi  xiXeov,  xijg 
de  Jtgög  dgexi]v  (pegovorjg  xal  Jtdw  Jigo^jucog  djtxdjuevoi  — 

Den  Nachweis  der  Bibelstellen  verdanke  ich  der  Liebenswürdig- 
keit meines  Freundes  Dr.  C.  Wejman. 

1)  Psalm.  7,  18      2)  Hebr.  10,  81      8)  Psalm.  87,  1-2 

Abweichende  Lesung  der  Handschrift  (Cod.  Paris,  gr.  228  fol. 
154^ — 156^):  14  i/mzaio/idvoav  doch  ist  fi  vor  nz  halb  ausgestrichen 
22  Zu  der  Ellipse  von  6dod  vgl.  Bjz.  Z.  IV  202 


Krumhacher:  Michael  Olyhas.  453 

IxxXivov  ydq,  (ptjoiv,  äjid  xaxov  xal  noltjoov  äya^dv,^)  — 
xal  TiQoodix^o^f'  flfJtäg  hii(nQi(povxag  xal  cbg  vlovg  äXtjücdg 
äyanrioei  xal  xifi^g  Sri  jioXXfjg  ä^iiooei,  gtoXi^v  te  rfjv  ngO' 
rigav  hövoei,  rdv  fxöoxov  ^oei  rdv  oitevrdv  xal  rä  SkXa 
Tidvra  TtoiYjOH,  SaaneQ  iv  evayyeXloig  ^xovoajuLev,^)  obdinoxe  B 
yäg  xovg  Jigdg  avxöv  InioxQirpovxag  ä7toaxQiq)€xai,  äXXa  naxqi- 
xaig  äyxdXaig  ola  x6v  äoanov  dyxaXlCexai,  juij  didi'&i  xolwv 
fjirjdk  x{]v  ocDXTjQlav  xijv  aijv  inoyivcoaxe'  et  yaQ  xal  tpörq) 
TiegiJiiacofAev,  ov  ;^€*ioov  ovdiv,  el  xal  xdg  xeiQag  fifjubv  di^qioig 
ßiidvcDßiev  atßiaoiv,  dXX^  idv  iniaxgaqHbßiev  6Xotpvx(og  Jtgog  10 
xvQiov,  ovx  dnooxQhffei  xovg  dqr&aXixohg  avxov  äq^^^/iicov, 
dXXd  xal  7tQoadi$€xai  deojtiivovg  fifiäg  xal  nqäov  dxevloei  xal 
fjfjLEQov'  'E7iioxQdq)r]xe  ydg  Jigdg  jue  xal  Sjitoxgaipi^ooßiai  ngdg 
vßiäg,^)  did  xov  7tgoq>i^xov  MaXaxia  Xiyei  {6)  xvgiog,  xal  fii] 
fiv9ov  fiyov  xd  Xeydfieva,  dXX^  öga  xdv  Kd'iv  ixeTvov  xal  xov  Iß 
Ad^ex  iyxXrifiaxi  jukv  öjaolco  xal  ä^(pa)  Jteguieoövxag,  ovx  i^ 
toov  di  SjLicog  xijucogrj'^ivxag  did  ye  xd  xijg  7igo&ioea}g  ävioov, 
6  fxiv  ydg  Kdiv  dnovolq.  xal  fieid  xijv  äjuagxlav  xdxoxog 
evge^elg  xfjv  i^elav  xal  ndrv  dgyrjv  dixakog  ijieondoaxo  • 
ovdi  ydg  8xi  xax^  dd€Xq>ov  ijueXhi]oe  xal  xov  C^v  avxov  20 
ddlxiog  iaxigrjoev,  ovxcog  dovjbtJia'9a>g  ifiacxlCexo  —  Jtcbg  xal 
ydg  efjieg  ovx  ^axiv  djuagxla  vixcboa  xt]v  (piXav&gcDJtlav  xov 
&eov,^)  —  dXX*  8x1  xal  (povevoag  ddeXqpöv  dvdXyrjxog  ifxeivev, 
dXX*  oxi  xal  nag*  avxov  xdv  IXeyxov  dexdjbievog  xov  '&bov 
xgvjtxeiv  lojievde  xd  &ßidgxT]jLLa'  Mtj  ydg,  (ptioi,  <pvXa^  elfil  26 
xov    dÖEXcpov    fjiov;^)    ,;    ö&ev    xal    xXövog    avx(ß    xrjvixaiha  foL  155' 

1)  Psalm.  33,  15  2)  Luk.  15,  22  f.  S)  Mal.  3,  7  (dort  im- 
oTQexpaxs  st.  hnaxQdqprixe)  4)  Derselbe  Satz  kommt  in  einer  ano- 
nymen SprichwOrterhermenie  vor  und  vielleicht  hat  ihn  Qiykas  aus 
einer  solchen  geschöpft;  s.  meine  «Mittelgr.  Sprichw.'  S.  107,  16  und 
vgl.  dazu  E.  Knrtz,  Blatter  f.  d.  bayer.  Gymnasialschulw.  1894  S.  182 
5)  Gen.  4,  9 

7  SiYYdXaig  9  JtegutSoofAsy  mit  (o  Qber  o  von  erster  Hand 
14  MaXaxio]  mx^^lov        21  dd/xcof]  dixaicos 


454     SUeung  der  ptiüos^-phUol.  Glosse  vom  U  December  1894, 

jueXdjv^)  idldoTO  rd  bivtl^tov»  rlvog  hfsxev;  Sri  x^'^Q^  avxov 
xal  jiödag  xal  näoav  äjikibg  Tfjv  loxvv  xaxä  xov  Idlov  öfiai- 
piovog  &7iXioev,  icp*  cß  xal  dixakog  6  ä^Xiog  öXoßieXeT  rgd/ijup 
xaredixäCexo.  6  dk  Adfux  ^ct^'  iavrov  Ti]v  ipfjq)ov  air&atqi^ 
6  T(og  bieveyxmv  xal  ovrcog  eIjküv  '  ^Avdga  änixTSiva  etg  tQavjtia 
Ifjiol  xal  veavloxov  elg  ßKoXcoTza  i/iiol,  xal  Sri  ix  jüikv  Kdiv 
iTudxig  ixdedbcTjTai,  ix  dk  Ädfux  ißdofirjxovrdxig  iTird,^) 
<piXav9QO}7ilag  ev&iwg  el  xal  xarddixog  ovzog  ^$Uoto.  roaavra 
xal   yäg    fj    fxexdvoia    dvvaxai   naQ*   avxcp    reo   ebiovn'    Ovx 

10  riX^ov  xaXiaai  dixalovg  äXX*  äfxaQToyXovg  elg  jLiexdvoiav^)  Sga 
rbv  ovaxavQO)'&Evxa  Xfjarrjv  rcp  xvQup  xal  rd  r^g  &&v^i!ag 
ßdgog  äjiÖQQmte'  Sga  t6v  Tfjg  jLiexavolag  loxvv  didovra  xal 
TÖ  Tfjg  &7ioyv(boe(og  vi(pog  didXve.  ov  ßiövov  yotg  ixeivog  ro 
Ttjg  fiiai(povlag  äjtevljtTeTo  julaa/ua  xarayivcooxoyv  iavrov  xal 

16  olov  ebieiv  i^ofioXoyovjxtvog  iv  avrcß  reo  oravgcp,  äXXa  xal 
rov  naQadeloov  olxrjroyQ  JiaQaxQtj/iJia  idelxvtno,  ix^ig  elg  Tiaga- 
fiv&iav  oov  xal  rbv  Xi]orrjv  ixeXvov  rbv  iv  roXg  ßiotg  rwv 
7iareQ0)v  ävaygaipdßievov,^)  xal  ncog  ydg  ovx  Ix^ig,  ebreg 
ivevYjxovra   jukv  Jigbg  roTg  iwea  rrjg   I^ojrjg  ravrijg  iarigrioe, 

20  ovyyva>ßit]v  dk  öi^  imaxofjg,  i(p^  olg  wXlo'^oev,  evqaro;  /iiij 
ovv  övoxiQdive  jurjöe  rrjv  oiorrjQtav  rrjv  orjv  äjioyivayaxe, 
xaxbv  fuv  ovv  6  q>6vog  iorl  xal  xaxcbv  xdxiorov,  xal  7ta>g 
ydg  ov  xdxiorov,  et  ye  xal  ravrojtd&eiav  inl  roTg  (povevotv 
6  JiaXaibg  xal  ^eiog  v6/iog  (bglaaro,    'O  ixxicov  ydig,  (priaiv, 

26  alßia  dv9gco7tov  ävrl  rov  aijaarog  aircov  ixxv^oerai  rb  alßui 
avroVf  5ri  iv  elxövi  ^eov  ijioirjaa  rbv  äv&gaynov})  öiä  ri  ^ 
ravra  xal  rlva  rgonov  ovrco  vevojno&errjrai ;  (bg  ivrev^ev  rovg 
juiai(p6vovg  ävaxairiCea^ai   xal  /li]   rdc  X^^Q^^  SjiXiCeiv  xard 


1)  Oen.  4,  12:  aiivoyv  fcal  tgificov  iaji  im  rijg  y^g  2)  Oen.  4,  23  f. 
8)  Luk.  6,  32  4)  Auf  welche  Geschichte  Qlykas  hier  anspielt,  ist 
mir  nicht  bekannt       6)  Oen.  9,  6 


2  dfiifiovog       19  TiQoe  toTg]  jtQos  ttjs      27  xlva  tgojiov  von  erster 
Hand  ans  t/v<  tqötico  korrigiert 


Krumbacher:  Michael  Glykas,  455 

T^^  elxövog  xov  '^eov,  rov  äv&Qihnov  drjXadi^,    xal  fii]  xomov 
XdQiv  '^avjuaCe  jurjök  töv  duiXr](p&ivTa  vdjuov  ijyov  q)0Qfiix6v' 
et  yaQ  6  elg  amrjv  ivvßQioag  trjv  äy^v^ov  elxöva  rov  huyeiot» 
ßaotkioyg  olxrQ(p  ^avdrep  xaiadixdi^exai  äte  xr\g  vß^ecog  dia^ 
ßaivovorjg  bii  rd  TiQCOTÖrvjzov,  noXXcp  juäXXov  6  rrjv  Sfixpvxov    ß 
elxöva  tov  inovQavlov  ßaoiXicog  xaxdjg  ovtou  xal  inar&Qd}^ 
ncog  äjioGT£Q7Joag  rov  C^v.    jueya  juev  ovv,  <bg  iq^tj/uev,  ö  (povog 
xax6v'  äXX^  idv  ng  xal  romo)  TtsQUieoibv  iavrov  dk  xarayvco 
xal  xa^agdv  biidelij}  juerdvoiav  ovvxQißfj  xaQÖlag  xal  Xouiaig 
eifjioiiaig   xQV^djuevog,    ovyyvco/urjv  l^  ävdyxrjg   evQijoei   naQ*  10 
avTcp  T(p  ebtdvTi  XQtmcp'    Aevre  ol  xomcövreg  xal  jutpoQrio- 
/uivoi  xäyä)  ävanavoco  v/uäg.^)    xal  ncog  ydg  ovx  ävanavoei 
rovg  TtecpoQTiojLiivovg  raTg  ä/tiaQTlaig  fjfjiäg,   ebteQ  ainög  ioriv 
6  afgiov  ti]v  &iLiaQrlav  rov  xöajbiov;^)  jnfj  orvyva^e  rolwv  jurjö^ 
im  TiXeov  oxvd'Qibna^e '  et  yaQ  xal  ßagv  q?OQrlov  InetpoQrlo&t]  lö 
ooif  et  xard  r6v  JiQotp/jrtjv  ebieiv  vneQfJQE  rrjv  xetpahjv  oov, ') 
äXXd  rovrov  x^Q^"^  I^V  ^^oraCe,  'daggovoa  dk  juäXXov  nodoeXl^e 
XM  xvQup  xal  rov  ßdgovg  avrlxa  xovfpia/udg  aoi   do&tjoerai. 
xal  rovrd   ioriv,    Sji€q   6  fiaxdqiog  eXeye   Aavlö'   *Eyd}   ebia 
*EiayoQ€Voa)  xar^  ijuov  rfjv  ävo/uav  reo  xvQixp  xal  oh  äcpfjxag  20 
rrjv  äoißeiav  rfjg  xagölag  jxov,^)  |j  äiX  öga  cpiXav&QCOTiiav  '&€ov'  fol.  155^^ 
ovre  yäg  (povog  ovre  fiotx^ia  rov  7iQoq?ririxov  ;|ra^/o/iaToc  slg 
riXog  iyvjbtvcDoe  röv  Aavid '  äfia  ydq  i^QidjAßevoe  rd  AjbidQrtjjua 
xal  Sjua  rrjv  ätpeoiv  evgaro,  xal  rov  7iQ0(ptjr€V€iv  ai^ig  äTH^Q- 
^aro.    xal  nd&ev  rovro,   dfjXov  avrög  idsi^ev  6  Aavld,   iv  olg  25 
iXeye'  Kvgte,  rd  x^^V  ^^^^  ävoi^eig  xal  rd  aro/na  juov  ävay^ 
yeXei  rrjv  aiveoiv  oov,^)  rd  x^^^V  1^^^»  äneQ  6  <p6vog  SxXetoe, 
xal  ro  ord/ua  fiov,  ojzeg  fj  /xoix^ia  oiyfjoai  nejioirjxe, 

Kai  ri  XQ^  noXXd  Xiyeiv;  rd  xQovixd  dieX^ovoa  oi^vrd- 
yfiara  noXXovg  ävevorjoEig  ixeioe  rovg  x^^Q^^  /^^  atjuaot  XQd-  30 

1)  Mattb.  11,  28  2)  Joh.  1,  29  8)  Psalm.  87,  5:  ai  dvofiiai 
fiov  vJiegfJQav  xr^y  9cs<paX^v  ftov,  woei  q>OQxlov  ßagv  ißoQVv^aav  iji'  ifie 
4)  Psalm.  81,  5      5)  Psalm  60,  17 

15  axv^dyna^e      18  xcö  von  erster  Hand  aus  xöj  korrigiert 
1894.   FhUo«.-pbUol.  XL  hUt  Gl.  S.  87 


M^'^^^roi^  ^^'^'"^.  fnxgär  t^y  dxpihiav,    oti  6  ßaai- 

^'^  X^  T^  frrn'^^   ^^p  jov    TXifiiaxrj  *Ioydwov    atry- 

^\^  ^n^*   ^'  '  '  -  n?y  /ÄK^'^^öc  xa^iaxaxai '   ov  tzoIv  tö 

^x^^''^'^*  ^^^^Z^^'  ^^^y^^  ^^^  T^ifuaxfjy  9cal  t(ü  löup 

it  M^^  "^f '     10/^^'  ^^^^^  y^Q  elvai  ovx  fj^eie  naoa  rt}^ 

^to  ^^\^f^  aifor  äyan(x>fAivov.    <iU'  ov  ipegei  rfjr  vßgtr 

ß4HfiAMf09i^ ^^  rJ<n';fV  xa^o^ai  xal  xa^'  Ictviov  ovx  ävi~ 

jO  o  ^^^^\\    ^^f  Ttjr  xagdiav,  ov  juixQCJg  äriätcu,  etg  imßovXfjr 

^^^q     ara:^^^  ^^'  9^avov  Agriei  xatd  rov  ßaaiXimg  0u}xä. 

.         j0ifxap  jj  0eo(pavib  xal  xaiQOv  dQo^afiiyti  dia  xo(fiyov 

'-  dräyei  :tgdg  rd  ßaolXeia.    ri  rd  fei2  tovroig;  iq^lmarai 

2 '  9oa   to)  <Pö>^^  ^^'  ldd(pov<;   vTiviOTTovrt,   vvnei   rov   noda 

^Tov   xal  fWCQOv    ärcLxa^ioai   JioteX.    eh  de   ng   avxixa   libv 

f,^yyeX^no^  avT(p  xaxd  rov  xgavlov  ti]v  ond^v  xarayet  xcu 

(oael  vexQOv  avrbv  xa^iora.    riva  rd  fiexd  ravra;  jiQOodyovaiv 

avröv  T(ß  Ttt^ioxfj,  /io6/iaiv  TiQootnirQißovoi,  :iXvvovaiv  vßgsot, 

20  xa}juq)dovot,    iiotr&evovoi    xal   rekevraXov  ri]v   xeqxzXijv   avrov 

d7rox6:noi*oi  xal  did  ^vgldog  rolg  naQaxoixoig  ainov  l^tipavi- 

^ovotr'  haqdooovro  ydg.    xal  ovrojg  fxiv  6  TXifxioxijg  hil  tm 

<p6y(p  rov  0a}xä  öiari&erai,    rfjg  ßaoileiag  ök   yevofievog  ly- 

xgarrjg  ovx   dnoyivwoxei  ri]v  ocortjgiav  iavrov'   xardyei   ydo 

25  avrbca  roiy  ßaoiXeUov  rijv  Seocpayd)  xal  rohg  avrdx^igag  rov 

0Q}xä  ryg  ;r(5JUft>^  i^coi^ei'    ^yvvoi   xal   rov  rojuoVf    ov   inl 

ai^y^vaei   rrjg   ixxXrjoiag  6  ^ojxäg  i&ero,    ovx   diiya  re  äUa 

^oieX  Tigdg   dnaXkayrjv   rov    iyxXrjjuarog,   8&ev  xal  rov  ^eiav 


1)  Die  Qaelle  des  Folgenden  ist  die  Chronik  des  Glykas  ed 
Bonn.  572,  U  ff.    Vgl.  SkyUtzes-Kedrenos  ed.  Bonn.  II  376,  7  ff. 


3   x^ifAioxvv       6   rCtfitaxfj       7  tZtfitoxfjy  und  80  im  folgenden 
^Uei      19  Zum  Ausdruck  jiXvvovcir  vgl.  meine  Mittelgr.  Sprich- 
wörter S.  231,  57 


Krumbaeher:  Michael  Glykas,  457 

vaov  etoo)  y^coQei  xal  naga  tov  jtarQidgxov  Uokvevxrov 
TCO  diaörjfjiaii  arigyerai  xal  elg  HOtvcovlav  nagaXafißdvezai, 
rooovxov  dk  f^v  iXe^/ticov  xal  Tnivrcov  xrjdd^evogf  coor«,  et  fir} 
16  TOV  (pdvov  juvoog  imhgexst  xal  rdig  äyloig  ahxov  öwrär- 
xeo&ai  fierd  ^dvarov.  6 

^AXkd  xal  6  fiiyag  Seodooiog^)  äTieigonkrj^ij  kadv  äovv- 
rdxTcog   ävaige^ijvai   TiagaxiOQ'ffoag   obx   &jiiyv(o   rrjv   lavrod 
owrriQiav  ovd^  äjirjyögevoe  rfj  jueravotq '  xarayivcooxei  di  /uäl^ 
Xov  iavTov  xal  dipogio/UM  vTzonbnti  xal  tö  do9kv  atrrcß  im^ 
rijAiov  ixcDv  xaradix^^^f   o&ev  xal  rfjg  iavrov  owTrjgiag  ovx  10 
äjioTvyxdret,    xal  Jigdoxeg,   el  ßoviei,  rfj  xorr'  avrdv  loroglq. 
ßaöiksvg  6  fiiyag  SeoÖdaiog  xar^  ixeivo   xaigov  rrjv  ßaoiUda 
xG)v   TiöXewv    d(pelg    ijtl   rä    xdro)  juegrj   rf]v  ögfiijv  inoisiro, 
xaTegxdjuevog  ovv  xal  xotv  rrjg  OeaoaXovtxrjg  ögiojv  äjirerai' 
ö&ev  orgaruTnai  xtvtg  tfj  noXei   ifplaravTat   x^Q^^  rivcov  XQ^^'  ^^ 
(odibv  xal  TTjvixavra  tov  öx^ov  elg  dra^lav  iyeigovatv     agnaya  fol.  lÖC 
X^^Q<^  ^ö2  ädixov  loXg  d)vioig  Ifißdilovieg.    äy&loraviai  oiv  ol 
Trjg  TtoXewg,  i^m^ovoi  Tovg  orgarianag  xal  U&oig  ßdXkovaiv 
dlX*  ovx    dvexTä   xavra    xal   no  Seodooko    doxei.    n&g   ydg, 
et  ye  xal  ngog  dgyrjv  i^fjipe  ßiäUov  amov;  ddxverai  rtjv  xag^  20 
dlav,    eig  iavrov  rd  löXfzrjfza   dexsrai,   ßagvakyel,   nlrjgovrai 
{hvfiov,  ijiiTginei  rä  Jiegl  xovrov  to>  rfjg  jidXecog  ägxovri  xal 
og  djiEgioxijtTcog  rd  ngäyfia  /neraxeigiadjuevog  neoeiv  ävdgag 
hioiTjaev  (bael   ;f«A«d<Jag   iTtrd,    änaigei   x&xei^ev  6   ßaoiXevg, 
rijv  £7tioxojti]v  Medioldvo)v  xaxiXaße  —  ndXig  dk  ^IxaXiag  xd  25 
MedidXava  — ,  C^xeT  ngoaxvvrjoecog  ivexev  dg  xov  vadv  eloeX^ 
9eiv,  dXX^  äoxox^l  Ti/g  alxfjoecog'   äv&iaxaxat  6  ^sTog  \Afißg6' 
oiog,   ngooeyyiaai   8Xa)g  xdnoig  äyioig  avxbv  ovx  iff,,    (poviov 
dfj^ev  ävdga  övxa  xal  ivayfj'  ^XXov  ßiiv  oJ)v  xal  dq^ogio/wTg 


1)  Quelle  für  das  Folgende:  Chronik  des  Qlykas  ed.  Bonn.  476, 
17  ff.    Vgl.  Kedrenos  ed.  Bonn.  I  656,  7  ff. 


4  fiiaog      14  ohf]  al       19  Nach  3t(bg  yag  scheint  ein  Wort  i»ie 
^avfia0x6v,  ^av/idaeig  nsw.  ausgefallen  za  sein 

87* 


45Ö     Sitzung  der  phüos.-phüol,  Clcisse  vom  1,  Deeember  1894, 

vavtag,  dnaXXayivtag  di  Sfjuog  di,ä  juetavolag  xov  roiovrotf 
fiidofiaxog.  xai  ngdox^g,  el  ßovXei,  jiQd  rcov  äXXcov  rfj  xatd 
xov  avxoxgdxoQa  'PcD/naiary  'Icodwrjv  xov  TXifiiox^v  iaxogiq,^) 
xaQTicooei  yaQ  ivxev^ev  ov  jutxQäv  xrjr  dxpikeiav,  oxi  ö  ßaoi- 
5  levg  0(oxäg  ov  juixgcbg  avxco  xov  TCijuiox^  ^Icodwov  avy- 
XQOxi^oavxog  iyxgaxijg  xrjg  ßaaiXeiag  xa&ioxaxai'  oi)  noXv  x6 
h  /bUoco  xal  Jidorjg  ägxijg  xaxdyei  xov  TCijtiiox^v  xal  xco  idUo 
ohtcp  TiQoofjiivEiv  noieX'  äverov  ydg  elvai  ovx  ij&eXe  Jiagä  xtjg 
ßaoiXiaorjg  dfj^ev  avxdv  äyajKÜjbievov,    äXX*  ov  (pigei  xfjv  vßgtv 

10  (5  T^ijuioxfjg,  äXl^  ^<^'^X^  xa&fjad'm  xai  xa^^  iavxdv  ovx  dve^ 
Xexai.  ddxvexai  xrjv  xagdiav,  ov  fiixga>g  dviäxat,  elg  inißoviijv 
hxevd'ev  ävdjixexai  xal  q)6vov  ägxvei  xaxä  xov  ßaoikiayg  0o}xä. 
icpiixexai  xovxov  ff  Oeocpavo)  xal  xaigov  dga^a/Liivrj  dia  xocplvov 
vr'piToc  ävdyei  ngög  xd  ßaolXeta.    xi  xd  inl  xo'vxoig;  iqHoxaxai 

lÖ  kd^gq  xco  ^(oxä  in'  iddtpovg  vnvcoxxovxi,  vvxxei  xov  nöda 
avxov  xal  juixgdv  ävaxa'dioai  Jtoiet  elg  di  xig  avxlxa  xG>v 
ovveX^6vxa)v  avxcp  xaxd  xov  xgavlov  xi]v  ond'&rjv  xaxdyei  xcu 
(boel  vexgbv  axnöv  xa'&ioxq.  xiva  xd  fxexd  xavxa;  Ttgoadyovaiv 
airtöv  xcp  T^ipiiaxfj,  fKojuovg  ngooenixgißovoif  nkvvovaiv  {jßgeat, 

20  xayjLiqydovoif  i^ov&evovoi  xal  xekevxaiov  xi]v  xecpaXrjv  avxov 
dnoxoTTcovoi  xal  did  d^vglöog  xöig  nagaxoixoig  avxov  ißjxpavi^ 
^ovotv  •  hagdaoovxo  ydg.  xal  ovxog  fiev  6  IXijuiaxijg  hil  xco 
q)6v(p  xov  0a)xd  diaxi&exai.  xrjg  ßaoiXeiag  Öh  yevdfievog  iy- 
xgaxrjg  ovx   dnoyiviboxei  xr]v  ocoxrjglav  iavxov'    xaxdyei   ydg 

25  avxlxa  xo)v  ßaaiXeuov  xrjv  Seo<pavib  xal  xovg  avxdxsigag  xov 
0(oxä  XTJg  TidXeoyg  i^coi^el'  griyvvoi  xal  xov  xofiov,  ov  enl 
ovyxvoei  xrjg  IxxXrjolag  6  ^ojxäg  ^exo,  ovx  dXiya  xe  dXXa 
TioieX  Tigög   djiaXXayrjv   xov    iyxXrjfxaxog,   8&ev  xal  xov  &eiov 


1)  Die  Qaelle  des  Folgenden  ist  die  Chronik  des  Glykas  ed 
Bonn.  672,  14  ff.    Vgl.  Skjlitzes-Kedrenos  ed.  Bonn.  II  376,  7  ff. 


3  riiftiaxvr  6  t^ifÄtax^  1  t^ifiicxrjy  und  80  im  folgenden 
12  äQxlei  19  Zum  Ausdruck  nXvvoi>ijiv  vgl.  meine  Mittelgr.  Sprich- 
wörtÄr  S.  231,  67 


Krumbaeher:  Michael  Crlplcas.  457 

vaov  €10(0  xoiQei  xal  nagd  rov  jiarQidgxov  ÜoXvevxtov 
Tö>  diaörifxaxi  oricpetai  xal  elg  xoivoyviav  naQaXafißdvetai, 
roaovTov  ök  fjv  iXeijficov  xal  ndvrcov  xrjdSfievogf  &gte,  et  jut] 
TO  rov  (pövov  juvoog  vjthgex^f  xal  roig  dyloig  avröv  owrär- 
reo'&ai  juerd  ^dvarov,  5 

*AXXd  xal  6  fiiyag  Oeodöoiog^)  dTieigojiXtj&fj  Xadv  dotfv^ 
rdxTwg   dvaiQe^rjvai   nagaxoygi^oag   oix   dniyvo)   ttjv   iavrod 
ocDTijglav  ovd^  dTtrjydgevoe  xfj  /ueravola '  xaraytvcooxei  di  fiäX- 
Xov  iavTov  xal  dq)ogioiLicp  VTionbixei  xal  x6  öo&kv  avrco  ijii^ 
tI/uiov  ixcDv  xaradixctat,  S&ev  xal  Tfjg  iavrov  ocorrjgiag  ovx  10 
djtoTvyxdyei.    xal  ngooxeg,   d  ßovXei,  rfj  xorr'  avrhv  loroglq. 
ßaoiXßvg  6  jueyag  Seodöoiog  xar'  ixeivo  xaigov  rrfv  ßaotXlda 
Tcbv   jioXsojv    d(pelg    ijil   rd    xdro}  juigrj   rijv  Sg/zrjv  inoieho, 
xaregxojLievog  oiv  xal  xayv  rfjg  OeooaXovlxtjg  ögioyv  äjirsrai' 
li^ev  orgariwrai  Tiveg  rfj  TxdXei   ifploravrai   x^Q^^  rivöjv  X9^^'  ^^ 
(oöcov  xal  rrjvixavra  rov  oxXov  elg  dra^tav  iyelgovotv  i  ägnaya  fol.  15G' 
X^^go.  xal  ädixov  roTg  wvioig  i/ußdXXovreg.    dv^loraviai  ovv  ol 
rfjg  JioXecog,  i^a)^ovai  rovg  orgaricorag  xal  Xl^oig  ßdXXovaiv 
dXX'  ovx    dvexrd   ravra   xal   rw   Seoöoouo    doxeT.    n&g   ydg, 
sT  ye  xal  Jigog  ögyrjv  i^tjtpe  jnäXXov  atndv;  ddxverai  rtjv  xag^  20 
dlaVf    elg  iavxbv  rd  röXfitjfia   dix^^^»   ßagvaXyel,   nXrjgovrai 
'ßvjuov,  Inirginei  rd  negl  rovrov  reo  rfjg  nöXecog  ägxovri  xal 
dg  djiegioxhtrcog  rd  jzgayjua  jLLeraxeigiodjuevog  neoeiv  ävögag 
htolrjosv  (boel   ;^iAid<5ac   Sjtrd.    dnaigei    xdxev&ev  6   ßaaiXevg, 
rrjv  hzioxoTirjv  MeöioXdvayv  xariXaße  —  ndXig  de  UraXiag  rd  25 
MeöiöXava  — ,  C^yr«?  ngooxvvrjoeoyg  Hvexev  elg  rdv  vaöv  eloeX^ 
^eiv,  dXX'  darox^t  rijg  alrijaewg'   dv&iorarat  6  ^eiog  'Afißgö^ 
oiog,   Jigooeyyloat   öXwg  rdnoig  dyloig  avröv  ovx  ia,    cpöviov 
Öfj&ev  ävdga  övra  xal  hayfj'  jxäXXov  jxev  ovv  xal  dq?ogiofioig 


1)  Quelle  für  das  Folgende:  Chronik  des  Qlykas  ed.  Bonn.  476» 
17  ff.    Vgl.  Kedrenos  ed.  Bonn.  I  656,  7  ff. 


4  fiioog      14  o^]  a^      10  Nach  n&g  ycLQ  scheint  ein  Wort  ^ie 
^avfiaax6vf  ^av/tidasis  nsw.  ansgefallen  zu  sein 

37* 


458    Sitzung  der  phüos.'jphüol.  Glosse  vom  1,  December  1894. 

IjujiedeT,  rl  x6  bil  rovroig;  ov  ^Qaovverat  ßaoilevg  &y'  ovx 
äjiOTZTjdq'  dixerai  rd  butlfiu)v'  xaQxeQsl  xbv  äq>OQiafioy  (hoei 
jbtfjvag  dxxd).  elra  xl;  jiQooJttjtrei '  naQaxaXei  jutjxhi  xoiaiha 
Tok/Ltrjoai'  xa&üjzioxveirai'  xd/jutrerai  6  ^eiog  ^AfißgaouK' 
5  dix^CLi  TOVTOV  jiQooTiijnovTa  xal  rcov  ijiiujuUov  IXev&eQoi  rd 
rov  hßikXov  JtQÖreQOV  vo^o&exijaayta  xal  cbg  ovx  äv  Tiore 
noiriaeie  xaxd  rivog  ijie^iXevoiv ,  et  firj  rä  xfjg  inoOeoecDg 
nQonov  xaX(bg  diaoxitpairo,  ngöaexe  kouiöv  et  ycLQ  xal  fieya 
f^v  x6  xov  ßaodeog  äfAdQXTj/na,  äXXd  xal  ju^iCcov  ?)  ixelvov 

10  fiexdvoia,  etadyei  xolwv  avxdv  iyxog  xov  '^ehv  vaov  xal  xojv 
äyiaofidxcov  avxcp  /nexadldcoai,  xaicog  ovv  inl  xovxoig  6  fiaxd^ 
Qiog  tpdXXei  Aavid'  lÖe  xrjv  xajieivcDoiv  fwv  xal  xov  xonov 
fxov  xal  ä<peg  ndaag  xäg  djLiaQxlag  fiov}) 

Ovx  fjxxov  di  xov  diakrjqr^ivxog  jxeydXov   Oeodoclov  xal 

15  6  ßaoiXevg  MavQbciog^)  imaiq)ovUf.  XQ^'^^'^  '^V'^  y^vxijv  ocoxtj^ 
giag  voxeQov  hvxe.  xal  Jtwg,  äxove,  'Pio/biäixdv  oxQaxöv  (boei 
XiXiddag  d(oöexa  ngocfdoei  dfj&ev  äjiooxaalag  nagado'&^yai  xoig 
ßaqßdQOig  inivevoev,  äiXd  xal  iva  Exaoxov  iS  ixelveov  iv 
^fjUoei  xov  vojbiiofiaxog  atxovjuevog  l^oyvrjoao&ai  ov  fikv  ovv 

20  ovö^  SXoyg  inel&exo'  o&ev  xal  ßaQßoQixfj  x^^Q^  ^^^  xeq)aidg 
dbiavxeg  dnexjLirji^oav.  xl  xd  inl  xovxoig;  ^kißexai  6  ßaoiXevg' 
ddxvexai  xrjv  xagdiav  etg  xaxdw^iv  egxexai'  ßdXXei  tioqqw 
nov  xrjv  dndyvmoiv'  hil  xbv  jnaxQÖ^vjLiov  xaxaqpevyei  ^eöv 
xa^djteQ  xivxQcp  xco  ovveidöxi  jnaaxlCexar  ixjiojunevei  xö  äfidg^ 

26  xrj/jLa'  öfjiov  xovxo  xal  xoig  7i6qq(o  Jioiet'  nQoanijixei  Öid 
yQajujudxcüv  xoig  xaxd  ;|rr6^av  öoloig  dvöqdoi  xal  TiQog  xbv 
&edv  avxovg  jueoixag  jtQoßdXXexai'  inavegxexai  6  TiQioßvg' 
'9eia  yQdfifiaxa  JZQogxojulCei'  juav&dvei  <5t'  avx(bv,  (bg  dcplexai 
fikv  avx(p  x6  ä/xdQxrjibia,  jtiex*  öduvrjg  dk  xtjg  ßaaiXelag  ixTturxei, 

1)  Psalm.  24,  18  2)  Quelle:  Chronik  dea  Glykas  ed.  Bonn. 
508,  12  ff.    Vgl.  Kedrenos  ed.  Bonn.  I  700,  6  ff.;  703,  21  ff. 

1  ifutedei  wohl  =  ifjuied^,  weshalb  ich  von  der  Aenderung  in 
i/Anedoi  Abstand  nehme  5  iXev^eQsT  mit  oi  über  et  von  erster  Hand 
6  ovxä^noxe      9  fieiCov       18  iv  ^fttav       28  TtQoxofilCei 


Krumbacher:  Michael  Olykas.  459 

ov  TioXv  x6  iv  juiaq)  xal  Svag  ögä  (poßeqöv    IlQoxd^rjrai  6 
XQiarög'    naglorarai    (bg   xardxQirog'    iTtirghterai    elneiv,    d 
TiQooxalQCog  dyde  ßovkerai  na'&eTv  fj  alcovlcog  ixeioe  xoXdCeo&ar 
ovveröjg  AjtoxQlverai'  xijv  Jigdoxatgov  aheaai  naldevoiv   i(p* 
c5  xal  äxovsi  •  Uagädore  avrdv  ^(oxq.  rcß  rvQdwq),    ävlorarai    B 
tov  vTtvov '  ovx  äTtimei  tco  Sgä/nan  *  xataXXdoüetai  tg5  ^tXm- 
Jttxcp    TTjvixavra,  ||  {3)v    iv   äotpaXei   xareTxty   eiQTcrfj   did  rd  fol.  156^ 
GToix^iov  rd  0  TiQoxardQxeiy  tov  dvofjunog  avrov,    (pYjfit}  ydq 
äTzavraxov  TteQtirgsxev,  8ti  6  Mavglxiov  diade^d/uvog  iv  roTg 
aroixeloig  tov  dvö/narog  avrov  ngoretay fiivov  Sx^i  to  0.    8&ev  10 
iv  qwlax^  dieriXei  xaxovxovjuevog  6  0iXui7iix6g,  el  xal  firjdkv 
6  Mavgixiog  ivrev^sv  &7i(i>varo.    0O)xqt  ydg  r<p  rvgdwq)  xal 
ov  red  0di7i7iix(p  rd  rrjg  ßaoiXelag  irajuievero,    iqoyrq,  rolwv 
jieqI  ^(oxä '  fiav^dvei,  rlg  ovrog  xal  nMev  iarl '  yhtiai  ravra 
xal  nigag   6    öveigog  dix^^f"    inidgdaoexai   rrjg   ßaoiXeiag   6  15 
0coxäg  xal  rbv  Mavgbciov  avrixa  n/xwgetrai  nixgcbg.    61  ydg 
Tiaiöeg  avrov  nhre  dh  5i^«c  tov  dgf&jbidv  ivwTiiov  avrov  ngö- 
regov  dvaigovvrai  xal  reXexnaiov  ovrog  ^Itpei  rrjv  xetpaXrjv  djio- 
rijuverai  firjdkv  äXXo  Xiyayv  f)  rovro'  Alxaiog  el,  xvgie,  xal  dixala 
fl  xglaig  oov.^)    S^ev  xal  rrjg  avrov  ooyrrjglag  oix  dnorvyxdvei.  20 

Mi]  orvyva^e  Xombv  firjd^  inl  nXiov  d'&vfiei  roiavra  xa* 
roaavra  xexrrj/Lievrj  rd  nagadeiyfiara.  et  di  xal  dt'  atjuarog 
ixeivog  rd  rijg  jniaKpovlag  djzeXovaaro  filaa/ia,  dXX*  otda/uev, 
Sri  rd  inifiova  ddxgva  xal  rj  iv  Jieigao/ioig  evxdgiarog  yvco/nr] 
xar^  ovökv  rov  fiagrvgixov  dievrjvoxaaiv  atjuarog,  fidv&ave  25 
ovv  ivrev^ev,  Sri  noXXal  xal  dtdq)ogoi  al  rrjg  oonrjgiag  fj^ayv 
Sdol  xal  äXXog  jukv  ovrcog,  äXXog  de  irigog  rcov  TcXrjjLijueXeicbv 


1)  Ebenso  oder  ganz  ähnlich  zitiert  Manrikios  in  den  filteren 
Quellen.  Die  Originalstelle,  Psalm.  118,  187  aber  lautet:  Alxaiog  el 
x-üQis  xal  ev'&eXg  at  xgloeig  aov, 

6  Ttagdöotai  avt&  7  <5>v]  in  der  Hs  ist  wegen  eines  Motten- 
loches nur  noch  v  zu  erkennen  7  elgrij  von  erster  Hand  aus  eigteX 
corr.  9  diaSs^dfievog  11  xaxoxov/nevoc  Vielleicht  aber  gehört  diese 
Dissimilationsform  dem   Autor      27  äXXos]  äXkcoe       27  äXXog]  äXXwg 


458    Sitzung  der  phüosrphüdl,  Glosse  vom  1,  Deceniber  1894. 

ijLuiedet  il  x6  hü  rovroig;  ov  '^Qaovvexai  ßaoiXevg  &v'  ovx 
äjiOTiTjd^'  dixerai  rd  huxifiiov'  xagtegei  xdv  &q>oQiafxbv  (baei 
/u^vag  dxtco,  eha  xl;  jiQoonijtTei'  jtaQaxaXei  fifjxiji  rotama 
TokjLiijoai'  xa'&vniaxveixai'  xä/iTtxexai  6  '&eios  ^Afißgdoiog' 
ß  dixerai  xovxov  JiQOonbvtovxa  xai  xcbv  iTztJijuUov  ilev^egol  xä 
xov  XißeXXov  7iq6x£Qov  vofio^exi^oavxa  xal  d>g  oix  äv  noxe 
Ttoirioeie  xaxd  xivog  ine^ekevoiy ,  ei  jurj  xd  xfjg  vjKy&ioeoK 
Tiganov  xcdojg  diaoxhpano,  JiQÖoexe  Xoutöv '  et  yaQ  xal  jueya 
r}v  x6  xov  ßaoiXiwg  ä/LidQxtjjbia,  äXXd  xai  fielC(ov  f)  ixelvov 

10  fxexdvoia,  elodyei  xolwv  avxöv  iyxdg  xov  &eiov  vaov  xal  xwv 
äyiaojbidxayy  avx(p  fieraöldoyai,  xaXcog  ovv  ijtl  xovxoig  6  fiaxd- 
Qiog  ^dlXei  Aavld'  "Ide  xrjv  xojieivoioiv  /iov  xal  xov  xonov 
fjLov  xal  äipeg  ndoag  xdg  AjbiaQxlag  fxov}) 

Ovx  fjxxov  dk  xov  diaXrj(fy9ivxog  fieydXov  Oeodoclov  xal 

15  o  ßaoiXevg  Mavglxiog^)  juiaKpovlq,  ;|rßavt>£ic  xijv  ywxi}v  oioxrj' 
glag  Saxegov  IxvxS'  xal  nwg,  äxove.  ^Pay/Liaixdv  axgaxöv  d>aei 
Xdiddag  dcodexa  7iQO(pdoei  drj'&ev  äjiooxaolag  nagado'&fjvai  xöig 
ßcLQßdgoig  hihevoev,  dild  xal  Eva  Sxaoxov  i^  ixeivojv  iv 
f}fjUaei  xov   vojxiofiaxog  alxovjuevog  l^oyvrjoao&ai,  ov  fihv  ovv 

20  ovd^  5Xoig  inel^exo'  8&ev  xal  ßagßagix^  X^^Q^  ^^^  xetpaidg 
änavxeg  dnexjui^&rjoav,  xi  xd  inl  xovxoig;  '&iißexai  6  ßaoiXevg' 
ddxvexai  xt]v  xagdlav  etg  xaxdw^iv  igxexai'  ßdXXei  Tiöggcu 
nov  xYjv  djidyvwoiv  Inl  xov  jnaxgd&vjuov  xaxa<pevyei  &e6v' 
xa&dneg  xivxg(p  x(p  ovveiddxi  juaaxlCexai'  ixnofinevei  xd  afjidg^ 

26  xYijxa*  dfjXov  xovxo  xal  xoig  Tiöggo)  Jioiel'  ngoonbtiei  diä 
ygafijudxcov  xoig  xaxd  ;|rr6^av  öoloig  dvdgdoi  xal  ngbg  xov 
&e6v  avxovg  jueoixag  ngoßdXXexai'  ijiavigxexai  6  ngioßvg' 
i^eta  ygdju/iaxa  ngogxojulCei '  juar&dvei  6C  avxwv,  (bg  dipiexai 
jukv  avxcp  x6  äjLidgxrj/Lia,  fiex^  ddvvt]g  dk  xrjg  ßaoiXelag  ixjihtxei. 

1)  Psalm.  24,  18       2)  Quelle:    Chronik  dea   Glykas   ed.   Bonn. 
508,  12  ff.    Vgl.  Kedrenos  ed.  Bonn.  I  700,  6  ff.;  703,  21  ff. 

1  ifjutedeV  wohl  =  ifjutedq,  weshalb  ich  von  der  Aendening  in 
i/ijtedoT  Abstand  nehme  5  iiev^eget  mit  oi  über  ei  von  erster  Hand- 
6  ovxäfinoxs       9  fuTior       18  iv  rjfiiav       28  :iQoxofi(Cei 


Krumbacher:  Michael  Qlykae,  459 

ov  TioXv  x6  iv  juiaq}  xal  Svag  ögq,  (poßeQÖv    nQox(i^r}Tai  6 
XQiox6g'    Tiaglorarai    (bg   xatdxgirog'    iniTginexai    ebieiv,    d 
Tigoaxalgcog  (Lde  ßovletai  na^eXv  fj  aliavtcog  hceioe  xoXdCea&ar 
ovvercbg  AnoxQlverai '   xijv  TtQÖoxaiQov  ahetrai  naldevoiv   l(p* 
ci  xal  äxovei '  UagädoTe  avxbv  0(oxq  r(p  rvgdwq),    dvlmaxai    B 
Tov  Stivov  '  ovx  ämmeX  tö>  ögäfian  •  xataildooerai  to5  ^iltjt- 
Tttxcp    Trfvixavxa,   1  <S)v    h   äotpaXei   xcnetxev   eigTctfj   did  rd  fol.  156^ 
OTOixeTov  xö  0  JiQoxardQxeiv  xov  dvofjunog  avrov,    (pi^jurj  yäg 
äjiavraxov  TieQiSiQexev,  Sri  6  Mavglxiov  dtade^o/xevog  iv  roTg 
cfToixeloig  xov  dvö/ucnog  avxov  ngoxetayfjiivov  ix^i  xd  0.   &9ev  10 
iv  (pvXaxfj  diexiXei  xaxovxovfievog  6  ^iXumixög,  el  xal  fiijdkv 
6  Mavglxiog  ivxev^ev  djKovaxo.    ^(ox^  ydg  x<p  xvgdwcp  xal 
ov  x(p  0i/UjiJtix(p  xä  x^g  ßaoiXelag  ixa/iitvexo.    igoyxq,  xolwv 
negl  ^wxä'  jnav^dveif  x(g  ovxog  xal  jtMev  iaxl'  yivexai  xavxa 
xal  Tiigag   6    öveigog  dixexai,    ijiidgdooexai   xijg   ßaoiXelag   6  15 
0a)xäg  xal  x6v  Mavglxiov  avxlxa  xificogeixai  nixgcbg.    ol  ydg 
Ttäideg  avxov  nivxe  dk  Svxeg  xöv  dgi'&fiov  ivconiov  airtov  ngd- 
xegov  dvaigovvxai  xal  xeXeinaTov  ovxog  ^Upei  xrjv  xe<paXf]v  dno- 
xifivexai  jutjdkv  äXXo  Xiycov  ij  xovxo '  Alxaiog  el,  xvgie,  xal  dixala 
fl  xoloig  oov})    S'&ev  xal  xrjg  airxov  amxijgiag  oix  dnoxvyxdvei,  20 

Mi]  axvyva^e  XoiJidv  fitjd^  inl  nXiov  d^v/ui  xouivxa  xal 
xooavxa  xexxrjjuivi]  xd  Ttagadeiy/jiaxa.  el  dk  xal  di^  atfxaxog 
ixeivog  x6  x^g  fiiaicpovlag  dneXovoaxo  julaofia,  dXX^  oXdafiev, 
oxi  xd  inlfiova  ddxgva  xal  f]  iv  neigaofiöig  evxdgioxog  yvwfirj 
xax^  ovökv  xov  juagxvgixov  dievrjvoxaoiv  af/LUXxog.  /idv&ave  25 
ovv  ivxev&ev,  8xi  noXXal  xal  dtd(pogoi  al  xrjg  ooDxrjgtag  ^judrv 
ödol  xal  äXXog  fikv  ovxiog,  äXXog  dk  ixigcog  xcbv  nXrj/LijLieXeiajv 


1)  Ebenso  oder  ganz  ähnlich  zitiert  Manrikioa  in  den  filteren 
Quellen.  Die  Originalstelle,  Psalm.  118,  187  aber  lautet:  Aixaiog  el 
MVQie  xal  ev&etg  al  XQlaeig  oov, 

5  jiaQ&doxai  avx&  7  {S)v]  in  der  Hs  ist  wegen  eines  Motten- 
loches nur  noch  v  zu  erkennen  7  elQxil  von  erster  Hand  aus  sIqxsX 
corr.  9  Siade^dfievog  11  xaxoxovftevog  Vielleicht  aber  gehört  diese 
Dissimilationsform  dem   Autor      27  äXXoi\  cUiXoyg       27  äXXog]  &XX(og 


460     Süzung  der  phäosrphüol.  Clasae  vom  i«  Deceniber  1694, 

avrov  äjiaXXdooerai  xal  oijze  (p6vog  otte  xi  äXXo  öeivöv  xd 
Tov  '&BOV  onXdyxvo,  xieUiv  dvvatcu.  xal  xi  XQ^I  noXXä  keyetv; 
(povcp  7Z€Qi7i€o6yx€g  noildxK;  xivkg  ov  jbiövov  oi  xaxexqi'^oav, 
äkkä  xal  fieyloxriv  ivxev'&ev  evQavxo  xrjv  dxpiXeuxv,  xal  äxove 
5  xov  Ieqov  IlaXXadlov'  ditjy^aaxo  ydg  6  ^eiog  ovxog  din^Q,^) 
8x1  vecoxeQog  xig  Maxdgiog  xovvojLia  dxovoiq)  (p6vq)  Jisguteodry 
dg  igrjfiov  icpvyev'  ivuxvxol  dirjl&ov  etxooiv  xal  dxxä)  xal  rov 
IlaXXadiov  igcoxi^aavxogt  (ndyg  avxov  6  diaioyiofxdg)  ijil  xcß 
(povo)  ixelvq)  didxeixai,   eifxaQioxeiv  eXeye  xal  Xlav  avxcß*    ei 

10  jLirj  ydg  i]v  avxog,  ovx  äv  noxe  ocoxtjQiag  hvxe,  JiQÖg  xomoig 
dk  xal  x6v  Mcüvoia  nag^yayev'  el  /jltj  xov  AlyvTtxiov  Ixxeive, 
Xiyayv,  ovx  äv  xrjv  AXyvnxov  dcpeig  Idganhevoev'  ovx  äv  eig 
^QTjiLiov  Sfpvyev'  ovx  äv  &e6jcxrjg  iyivero.  firjöelg  ovv,  el  xal 
xd   juiyioxa   JiXrjjujueXrjoeuv,    djioyivwoxexa)   noxe,    hieidi]    xoU 

lö  xiveg  h  fJi^dxfl  ^^oovxeg  xal  xgav/iaxlai  yeyovöxeg  ov  fidvov 
oix  igga^v/uirjoav  xrjv  iavx(bv  djieyvwxoxeg  Coi^^f  dXXd  xal 
dveoxTjoav,  xal  xdig  ix^goTg  avveJiXdxrjaav  xal  nag*  iXnlda 
näaav  iv  fiexoxfj  oxeq)dv(ov  yeydvaoi,  xaxd  ydg  xov  XQ^^^Q' 
grifiova  xal  '^eiov  'Icodwrjv  ov  xd  neoeiv  xaxov,  dXXd  xö  JieoeJv 

20  xal  jLirj  dvaoriyvae.*)  q)aivexai  ydg  hxev^ev,  (bg  ixovxeg  fjfieig 
elg  '&dvaxov  iavxovg  ngoöidöajuev. 


1)  Historia  Lausiaca,  Cap.  17  =  Migne,  Patrol.  Gr.  t.  84,  1041. 
2)  Gemeint  ist  wohl  die  Stelle  im  ersten  Buche  ,Ad  Theodorum  lap- 
8um':  Ov  yoß  to  neasTv  ;fa^«;rov,  aXka  to  nsodvxa  xeTo&ai  xat  /uij  ävla- 
rao&at,  Mi^e,  Patrol.  Gr.  t.  47,  285.  Den  Nachweis  dieser  Stelle  ver- 
danke ich  Herrn  Seb.  Haidaoher  in  Salzburg. 

5  TtaXadiov  (zweimal)  7  iveavtoi  von  später  Hand  in  ivtavtol 
korrigiert  8  Die  Lücke  habe  ich  nach  Palladios  ergänzt  1 1  ficooia 
16  iga&vfxrjoav  ojteyvcjteg  (vielleicht  richtig?)  20  Nach  tpaivstai  yog 
eine  leere  Rasur  in  der  Ausdehnung  von  2—8  Bnohstaben  21  Zu  xqo^ 
Sidöafisv  vpl.  PhrynichuB  ed.  Lobeck  S.  246. 


561 


Yerzeichniss  der  eingelaufenen  Drnckschriften 

Juli  bis  December  1894. 


Die  Terehrlichen  Gesellschaften  und  Institute,  mit  welchen  unsere  Akademie  in 
Tanschverkehr  steht,  werden  gebeten,  nachstehendes  Yerzeichniss  sugleieh  als  EmpftingS' 
bestätignng  zu  betrachten. 


Von  folgenden  G^esellschaften  und  Institaten: 

Boy  cd  Society  of  South  Australia  in  Adelaide: 
Transactions.    Vol.  XVIU  ibr  1893/94.     1894.    8®. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Amsterdam: 
Yerhandelingen.   Afd.  Letterkunde.      Deel    I,  No.  8. 

Afd.  Natuurkunde.    Deel  II,  No.  1—6.    8. 

,    III,  No.  1-14.    1893.    80. 
Zittingsverlagen.    Natuurkunde.    Jahrg.  1893/94.     1894.    8^. 
Verslagen  en  Mededeelingen.  Letterkunde.  %^  Keeks.  Deel  10.  1894.  8^ 
Jaarboek  1893.    8°. 
Prysvers  Phidyle.     1894.    8». 

Universität  Athen: 

Vorlesungsverzeichniss  1893/94  und   5  Schriften  in  griech.  Sprache. 
1885/93.    8». 

Peabody  Institute  in  Baltimore: 
27.  annual  Report.    June  1,  1894.    8^. 

Johns  Hopkins  üniüersity  in  Baltimore: 
Circulars.    Vol.  XIII,  No.  113.  114.    1894.    4». 
American  Chemical  Journal.  Vol.  16,  No.8.  Vol.  16,  No.  1—6.  1893/94.  8^ 
The  American  Journal  of  Philology.    Vol.  14,  No.  4.    Vol.  15,  No.  1. 

1893/94.    80. 
American  Journal  of  Mathematics.     Vol.  XVI,   No.  1—3.     1894.    4®. 
Studies  in  historical  and  political  science.     XL  Series,    No.  11.  12. 

XIL  Ser.,  No.  1-7.     1893/94.    8«. 

Bataviaasch  Genootschap  van  Künsten  en  Wetenschappen  in  Batavia: 
Verhandelingen.    Deel  47,   2.  Stuk.   Deel  48,    1.  Stuk.    1893.   4®. 
Tijdßchrift.     Deel  37,    afl.  1.  2.  3.     1893/94.    8«. 
Notulen.    Deel  31,   afl.  3.  4.     1893/94.    8^. 


562  VerzeichnUs  der  eingelaufenen  Druckschrißen. 

Koninkl,  natuurkundige  vereeniging  in  Nederlandsch  Indi^  zu  Batavia: 

Natuurkundig  Tijdachriffc.    Deel  68.     1893.    8®. 

Historischer  Verein  in  Bayreuth: 

Archiv  für  Geschichte  von  Oberfranken.    Band  19.   Heft  1.    1893.    8^ 

Serbische  Akademie  der  Wissenschaften  in  Belgrad: 

Godischnjak.   V— VII.     1891-93.    1892—94.    8*. 
Glas.   No.  48.  44.     1894.    8^. 
Spomenik.    No.  28.  24.     1894.    4<>. 

K,  preussische  Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin: 

Sitzungsberichte.     1894.    No.  1—38.     1894.    gr.  8«. 
Acta  Bomssica.     Band  I  der  Behördenorganisation.     1894.    8^. 
Abhandinngen  aus  dem  Jahre  1898.     1893.    4^. 
Politische  Korrespondenz  Friedrichs  des  Grossen.    Bd.  XXI.    1894.   8^. 
Corpus  inscriptionum  latinamm.   Tom.  VIII.  pars  II.  Snppl.  1894.  fol. 
Tom.  VI,  pars  4,  fasc.  1.     1894.    fol. 

K,  geolog,  Landesanstalt  und  Bergakademie  in  Berlin: 

Abhandlungen  zur  geologischen  Spezialkarte  von  Preussen.    Band  X, 
Heft  6  u.  7.     1894.    4«. 

Permanente  Commission  der  intemaiionalen  Erdmessung  in  Berlin: 

Verhandlungen  der  1893  in  Genf  abgehaltenen  Gonferenz.  Berlin  1894. 4^. 

Deutsche  chemische  Gesellschaft  in  Berlin: 
Berichte.    27.  Jahrg.,  No.  12-18.    1894.    8^. 

Deutsche  geologische  Gesellschaft  in  Berlin: 

Zeitschrift.    Bd.  46,  Heft  4.    Bd.  46,  Heft  1.  2.     1893/94.    8». 

Physiologische  Gesellschaft  in  Berlin: 

Centralblatt  für  Physiologie.    Bd.  VIII,  No.  7—19.     1894.    8». 
Verhandlungen.    Jahrg.  1893/94,  No.  11—18.     1894.     8«. 

Kaiserlich  deutsches  archäologisches  Institi^  in  Berlin: 
Jahrbuch.    Band  IX,  Heft  2.  3.    1894.    4^. 

K,  Geodätisches  Institut  in  Berlin: 
Jahresbericht  1893/94.     1894.    8^. 

Feier  des   100  jährigen  Geburtstages   des  Generallieutenants  Dr.  J. 
J.  Baeyer.     1894.    4P, 

K,  preuss.  meteorologisches  Institut  in  Berlin: 

Ergebnisse  der  Beobachtungen  an  den  Stationen  II.  und  III.  Ordnung. 

1894,  Heft  I. 
Ergebnisse   der   magnetischen   Beobachtungen    in   Potsdam    in   den 

Jahren  1890  u.  1891.     1894.    4^. 

Jahrbuch  über  die  Fortschritte  der  Mathematik  in  Berlin: 

Jahrbuch.    Bd.  XXUI,  Heft  3.    1894.    8". 

Curatorium  der  Savigny-Stiftung  in  Berlin: 

Vocabularium  jnrisprudeniiae   Romanae  jussu   instituti   Savigniani. 
Faso.  I.     1894.    4P. 


Verzeichniss  der  eingelaufenen  DruehsehHften,  563 

Verein  für  Geschichte  der  Mark  Brandenburg  in  Berlin: 
Forschungen    zur   Brandenburgischen    und   Preossischen   Geschichte. 
Band  VII,  2.  H&lfte.    Leipzig  1894.    8^ 

Naturtoiasenschaftliche  Wochenschrift  in  Berlin: 
Wochenschrift.   Bd.  IX,  Heft  7—10.  Juli  bis  Oktober.  Berlin  1894.  fol. 

Zeitschrift  für  Instrumentenkunde  in  Berlin: 
XIV.  Jahrgang  1894.    Heft  7—11.    4». 

Allgemeine  geschichtsforschende  Gesellschaft  der  Schweiz  in  Bern: 
Quellen  zur  Schweizer  Geschichte.    Band  XIY.    Basel  1894.    8°. 

Schweizerische  Naturforschende  Gesellschaft  in  Bern: 
Verhandlungen.     76.  Jahresversammlung   in   Lausanne  1893.    Nebst 
französischer  üebersetzung.    Lausanne  1893.    8^. 

Naturforschende  Gesellschaft  in  Bern: 
Mittheilungen.    Jahrg.  1893.     1894.    8». 

Schweizerische  geologische  Kommission  in  Bern' 
Beiträge  zur  geologischen  Karte  der  Schweiz.     Lief.  VIII,   Suppi.  I. 
Lief.  XXIV,  Theil  3.    1893/94.    4«. 

Historischer  Verein  des  Gantons  Bern: 
Archiv.     Band  XIV,  2.     1894.    8». 

Gewerbeschule  in  Bistritz: 
XIX.  Jahresbericht  für  1893/94.     1894.    8^. 

B.  Deputazione  di  storia  patria  per  le  Provinde  di  Bomagna 

in  Bologna: 
Atti  e  Memorie.    HI.  Serie.    Vol.  XII,  fasc.  1—3.    1894.    80. 

Universität  in  Bonn: 
Schriften  aus  d.  J.  1893/94  in  4«  u.  8». 

Verein  von  Alterthumsfreunden  im  Bheinlande  zu  Bonn: 
Jahrbücher.    Heft  96.    1894.    4«. 

Societe  de  geographie  commerdale  in  Bordeaux: 
Bulletin.     1894.    No.  11—22.    8^ 

Schlesische  Gesellschaft  für  vaterländische  Cültur  in  Breslau: 
71.  Jahresbericht  für  das  Jahr  1893.     1894.    8». 

Historisch 'Statistische  Sektion  der  mährischen  Äckerbau- Gesellschaft 

in  Brunn: 

Schriften.    Band  28.     1894.    S^. 

Xotizenblatt  1893.   No.  1—12.    4». 

Eunstarchäologische  Aufnahmen  aus  Mähren  von  Alois  Franz.  1894.  4^. 

Äcadimie  Boycde  de  Medecine  in  Brüssel: 

Bulletin.     IV.  S^rie.     Tome  8,  No.  6-10.     1894.    8^. 
M^moires  couronn^.    Collection  in  S^.    Tome  XIH.     1894.    8^. 

Academie  Boy  die  des  Sciences  in  Brüssel: 

Bulletin.    8«  Sär.    Tome  27,  No.  6.   Tome  28,  No.  7—11.    1894.    8«. 

Societi  des  Bollandistes  in  Brüssel: 

Analecta  Bollandiana.    Tom.  XIII,  fasc.  3,  4.    1894.    8^. 


^^^  Vergeii^*^^  ^^  eingdaufenenZ Druckschriften. 

SocUti  entofnölogique  de  Beigigue  in  Brüssel: 

Annales.    Tome  87.    1893.    8^. 

Mämoires  II.    E.  Brenske,  Die  Melolonthiden.     1894.    8^. 

K.  Ungarische  Akademie  der  Wissenschaften  in  Budapest: 

Mathematische  n.  naturwissenschaftliche  Berichte  aus  Ungarn.  Bd.  XI,  2. 

Berlin  1894.    8^ 
Ungarische  Revue.    1894.    Heft  5-8.    8«. 

K,  Ungarische  geölogisehe  Anstaut  in  Budapest: 

Földtani  Közlöny.     Band  XXIV,  Heft  6-10.     1894.    8^ 

Evkönyo.    Band  X,  6.    XI,  1.  2.     1894.    8«. 

Mittheilungen  aus  den  Jahrbüchern.    Band  X,  6.     1894.    8^. 

Statistisches  Bureau  der  Hauptstadt  Budapest: 

Publikationen.    XIX.  XXV,  1.     1894.    4^ 

Gust.  Thirring,  Geschichte  des  statistischen  Bureaus  von  Budapest. 
Berlin  1894.    8». 

Botanischer  Garten  in  BuUenzorg: 

Verslag  over  het  jaar  1893.     1894.    4». 

MededeeÜDgen  uit'slands  Plantentuin.   No.  XI— XIII.    1894.   4». 

Institut  MHeorologique  de  Boumanie  in  Bukarest: 

Analele.    Tom  8,   anul  1892.    1894.    4». 

Sociite  Linnienne  de  Normandie  in  Caen: 

M^moires.    Vol.  18,  fasc.  1.    1894.    4«. 

Meteorological  Department  of  the  Government  of  India  in  Cälcutta: 

Monthly  Weather  Review.    February — June.     1894.     fol. 
Meteorolog.  Observations.    February — June.     1894.    fol. 
Memorandum  on  the  snowfall  in  the  mountain  districts.  Simla  1894.  fol. 
India  Weather  Review.     Annual  Summary  1893.     1894.    fol. 
Report  on  the  Administration  1898 — 94.     1894.    fol. 

Äsiatic  Society  of  Bengal  in  Cälcutta: 

Bibliotheca  Indica.    N.  Ser.    No.  834-846.    1893/94.    80. 
Proceedings.    1894.   No.  II— VII.     1894.    8». 
Journal.    New  Series.    No.  333—337.     1894.    8«. 

Geological  Suroey  of  India  in  Cälcutta: 

Records.    Vol.  27,  part  2.    Vol.  XXVIII,    part  3.     1894.    &>, 
Memoirs.   Palaeontologia  Indica.    Series  IX,  Vol.  II,  part  1.  1893.  fol. 
Manual  of  the  Geology  by  R,  D.  Oldham.   2.  Edition.     1893.    4P. 

Philosophical  Society  in  Cambridge: 
Proceedings.    Vol.  VIII,  part  3.     1894.    8^ 

Museum  of  comparative  zoohgy  in  Cambridge,  Mass: 

Bulletin.    Vol.  26,  No.  7—11.    1894.    S». 

K.  Sächsisches  meteorologisches  Institut  in  Chemnitz: 

Deutsches  meteorologisches  Jahrbuch  für   1893.    Abtheilung  I  u.  II. 
1894.    40. 


Verzeichnüs  der  eingelaufenen  Druckschriften,  565 

Field  Columbian  Museum  in  Chicago: 
Guide.     1894.    &>. 

Zeitschrift  „The  Open  Court"  in  Chicago: 
The  Open  Court.    Vol.  VIII,  No.  356-363,  366—381.     189i.    4». 

Zeitschrift  ^The  Monist"  in  Chicago: 
The  Moniat.    VoL  IV,   No.  4.    Vol.  V,   No.  1.    1894.    8«. 

K.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Christiania: 

Forhandlinger  for  1893.    No.  1—21.     1894.    8«. 
Overeigt  i  1893.     1894.    8^, 

Norwegische  Commission  der  Europäischen  Chradmessung  in  Christiania: 

0.  E.  Schlötz,  Resultate  der  1893  ausgeführten  Pendelbeobachtungen. 
1894.    80 

Universität  in  Christiania: 

Aarsberetning  1891-92.     1892    93.     1893-94.    Q^, 

.Jahrbuch  des  meteorolog.  Instituts  für  1891.    1893.    4^. 

Archiv  for  Mathematik.    Band  XV,  4.  XVI,  1-4.    1892-93.    8». 

Nyt  Magazin  for  Naturvidenskabeme.     Vol.  33,  Heft  1 — 5.    Vol.  34, 

Heft  1  u.  2.     1892—93.    8«. 
Annaler  1892,  1898.    S\ 

Th.  Kjerulf,  £n  Raekke  norske  Bergarter.     1892.    4^. 
A.  Chr.  Bang,  Dokumenter  og  Studier,   den   lutherske  Eatekismus* 

historie.  I.     1893.    8<>. 

Historisch^antiquarische  Gesellschaft  in  Chur: 
23.  Jahresbericht.    1893.    8. 

Natur  forschende  Gesellschaft  Chraubündens  in  Chur: 
Jahresbericht.    N.  F.    37.  Band.     1894.    8^. 

Chemiker-Zeitung  in  Cöthen: 
Chemiker-Zeitung  1894.    48.  49.  52.  58-75.  78-101.    fol. 

Academia  naciondl  de  ciencias  in  Cördoba  (Bep.  Argentina): 
Boletin.  Tom  X 11,  1.3.4.  XIII,  1—4.  Buenos  Aires.  1890.  1892/93.  8«. 

Oficina  meteorologica  Argentina  in  Cördoba  (Bep,  Argent.J: 
Anales.    Tom  IX.   parte  1.  2.    Buenos  Aires  1893/94.    4®. 

Universität  Czernowitz: 

Verzeichniss  der  Vorlesungen.   W.  S.    1894/95.     1894.    8°. 
Uebersicht  der  akadem.  Behörden  im  Studienjahre  1894/95.  1894.   8^. 

Naturforschende  Gesellschaft  in  Danzig: 
Schriften.    N.  F.    Bd.  VIII,   Heft  8.  4.     1894.     8^. 

Historischer  Verein  in  Darmstadt: 
Archiv  fQr  Hessische  Geschichte.    N.  F.    Band  I,  Heft  2.     1894.    8^. 

jßcole  polytechniqiAe  in  Delft: 
Annalea     Tome  VIII,   livre  1.  2.    Leide  1894.    4». 


566  Verzeichniss  der  eingelaufenen  Druekachriffen. 

Colorado  Scientific  Society  in  Denver: 
R.  C.  Hills,   Ore  deposits   of  Camp  Ployd  District,   Tooele  County, 

Utah  1894.    8®. 
F.  .0.  Knight,  A  suspected  new  mineral  from  Gripple  Creek.  1894.  8^. 

Verein  für  Änhaltische  Geschichte  in  Dessau: 
MittheiluDgen.     Band  VII,     1.     1894.    8®. 

Naturforscher-Gesellschaft  hei  der  Universität  Turjew  (DorpatJ: 

Sitzangsberichte.    Bd.  X,  2.  1893.     1894.    89. 

Archiv  für  die  Naturkunde  Liv-,  Esth-  und  Kurlands.    Bd.  X,   S.  4. 
1893-94.    80. 

Universität  Turjew  (Dorpat): 
Schriften  aus  dem  Jahre  1898/94.    4°  u.  8®. 

Union  giographique  du  Nord  de  la  France  in  Douai: 
Bulletin.    Tome  XV.   trimestre  1.  2.     1894.    S^. 

K.  Sächsischer  Alterthutnsverein  in  Dresden: 
Jahresbericht  1893/94.     1894.    8®. 

Neues  Archiv  für  sächsische  Geschichte  und  Alterthumskunde.  Bd.  XV. 
1894.    8». 

Verein  für  Erdkunde  in  Dresden: 
XXIV.  Jahresbericht.    1894.    8®. 

K.  norske  Videnskabers  Selskah  in  Drontheim: 
Skrifter.    1892.    1893.    8«. 

Boyal  Iri^h  Academy  in  Dublin: 
The  Transactions.    Vol.  30,   part  13.  14.     1894.    4°. 

Naturidssenschaftlicher  Verein  PoUichia  in  Dürkheim: 

Mittheilungen.    61.  .Tahrgang,  No.  7.     1893.    8^. 

Der  Drachenfels  bei  Dürkheim  a.  d.  H.  von  C.  Mehlis.  Neustadt  1894.  8®. 

Boyal  College  of  Physicians  in  Edinburgh: 

Reports.     Vol.  V.    1894.    Q^, 

Boyal  Society  in  Edinburgh: 

Proceedings.     Vol.  20,  pag.  161—304.    1894.    8«. 

Geological  Society  in  Edinburgh: 

Transactions.    Vol.  VII,  1.     1894.    8®. 

Scottish  Microscopicdl  Society  in  Edinburgh: 

Proceedings.    Session  1893—94.     1894.    8^. 

Boyal  Physical  Society  in  Edinburgh: 

Proceedings.    Session  1892—93  u.  1893—94.    1893/94.    8^. 

Lehr-  und  Erziehungsanstalt  in  Maria-Einsiedeln: 

Jahresbericht  für  das  Jahr  1893/94.     1894.    4^. 

Verein  für  Geschicfite  und  Älterthümer  der  Grafschaft  Mansfeld 

in  Eisleben: 
Mansfelder  Blätter.    8.  Jahrg.     1894.    8^. 

Naturforschende  Gesellschaft  in  Emden: 
78.  Jahresbericht  pro  1892/93.    1894.    8^ 


Verzeiehniss  der  eingelaufenen  Druckschriften.  567 

Universität  Erlangen; 
Schriften  der  Universität  aus  dem  Jahre  1893—94  in  4fi  a.  8^. 

Becde  Accademia  dei  Geargoßi  in  Florenz: 
Atti.    IV.  Ser.   Vol.  17,   disp.  1.  2.    1894.    Q^. 

Btblioteca  naeionäle  centrale  in  Florenz: 

Catalogo  dei  manoscritti  *gianici  della  Biblioteca  nazionale  centrale 
di  Firenze  per  Franc.  L.  Pallä.    No.  1--4.    1894.    4^. 

Senckenbergische  naturforschende  Gesellschaft  in  Frankfurt  a/M. : 

Bericht.     1894.    8^ 

Abhandlungen.    Band  XVIII,  3.     1894.    40. 

Verein  für  Geschichte  und  Älterthumskunde  in  Frankfurt  a/M.: 

Inventare  des  Frankfurter  Stadtarchivs.     Band  IV.     1894.    gr.  8^. 

Physikalischer  Verein  in  Frankfurt  ajM.: 

Jahresbericht  für  das  Jahr  1892/93.     1894.    8^. 

Naturwissenschaftlicher  Verein  in  Frankfurt  a/O,: 

Helios.     1894.    No.  1—6.    8®. 
Societatum  Literae.    1894.   No.  4—9.    8®. 

Universität  Freiburg  i.  Br,: 
Schriften  der  Universität.     1893/94  in  4»  u.  8«. 

BreisgaU'Verein  Schau  in^s  Land  in  Freiburg: 
Schau  in*s  Land.    20.  Jahrlauf,  Heft  1.  2.     1894.    fol. 

Institut  National  Genevois  in  Genf: 
Bulletin.    Tome  32.     1894.    8^. 

Observatoire  in  Genf: 

Rääum^  m^tdorologique  de  Tannde  1893  pour  Genbve  et  le  Grand 
Saint-Bernard.     1894.    8*. 

Universität  in  Genf: 

Schriften  aus  dem  Jahre  1893/94. 

Botanischer  Garten  in  Gent: 
Botanisch  Jaarboek.     VI.  Jaargang.    1894.    8^. 

Universitäts 'Bibliothek  in  Giessen: 
Schriften  der  Universität  Giessen  aus  dem  Jahre  1893/94  in  4^  u.  8^. 

Oberlausitzische  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Görlitz: 
Neues  Lausitzisches  Magazin.     Band  70,  Heft  1.     1894.    8^. 

K,  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Göttingen: 
Abhandlungen.    Band  89. 

a)  Historisch-philologische  Classe. 

b)  Mathem.-pbys.  Classe.     1894.     4P, 

Gelehrte  Anzeigen.    1894.   No.  7—12.    Juli  bis  Dezember.    1894.    4P, 
Nachrichten.    Mathem.-phys.  Classe.    1894.    No.  3.    4^. 
.  Philol.-hist.  Classe.    1894.    No.  2.  3.    4^. 

K,  Gesellsehafl  der  Wissenschaften  in  Gothenburg: 
Handlingar.     Heft  26—29.     1891—94.    8». 


568  Verzeicknisa  der  eingelaufenen  Druckschriften, 

The  Journal  of  Comparative  Neurology  in  Oranvüle  (Ohio): 
The  Journal.    Vol.  IV,  p.  73—192.     1894.    8^ 

Steieiinärkisdier  Landesaussehuss  in  Chraz: 
82.  Jahresbericht  des  Stoiermärk.  Landesmuseums  Joanneum.  1894.  8^. 

Historischer  Verein  für  Steiermark  in  Graz: 
Mittheilungen.    Heft  42.     1894.    8<>. 
Beiträge  zur  Kunde  steierm&rki scher  Geschichtsquellen.     26.  Jahrg. 

1894.    80. 
Uebersicht  der  in  den  periodischen  Schriften  des  historischen  Vereins 

für  Steiermark  bis  1892  veröffentlichten  Aufsätze.     1894.    8^. 

Naturwissenschaftlicher  Verein  für  Steiermark  in  Graz: 
Mittheilungen.    Jahrg.  1893.   (Heft  30.)     1891.    8^ 

Gesellschaft  für  Pomm ersehe  Geschichte  in  Greifswald: 

Pommersche  Genealogien.    Bd.  4.    Herausg.  von  Th.  Pjl.    1895.    8^. 

Fürsten-  und  Landesschule  in  Grimma: 

A.  Weinhold,    Bemerkungen    zu    Piatons   Gorgias   als   Schullektüre. 
(Programm.)     1894.    4^. 

K.  Instituut  voor  de  Taal,  Land-  en  Volkenkunde  van  Nederlandsch 

Indie  im  Haag: 

Bijdra^en.    V.  Reeks.    Deel  X,  afl.  8,  4.    1894.    8^. 

Naamlijst  der  leden  op  1.  Juni.     1894.    8^. 

Alb.  C.  Kruyt,  Woordenlijat  van  de  Baree-Taal.     1894.    8^. 

Ministerie  t^an  Kolonien  im  Haag: 

Pithecanthropus  erectus:  Eine  menschenähnliche  Uebergangsform  aus 
Java.    Von  Eng.  Dubois.    Batavia  1894.    4P, 

Nova  Scotian  Institute  of  Science  in  Halifax: 

The  Proceedings  and  Transactions.  II.  Series.  Vol.  I,  part  8.   1893.   8^. 

Leopoldinisch'Carolinische  Deutsche  Akademie  der  Naturforscher 

in  Halle: 
Leopoldina.    Heft  30,    No.  11—20.     1894.    4^. 

Deutsche  morgenländische  Gesellschaft  in  Halle: 
Zeitschrift.    Band  48,  Heft  2.  3.    Leipzig  1894.    8«. 

Universität  Halle: 
Schriften  der  Universität  a.  d.  J.  1893/94  in  4^  u.  8». 
Thüring, -Sachs,  Verein  für  Erforschung  des  vaterländisdien  Alterthums 

in  Halle: 

Neue  Mittheilungen.    Band  XVIII,  der  II.  Hälfte  Schlussheft.  1894.  8^, 

Naturwissenschaftlicher  Verein  für  Sachsen  und  Thüringen  in  Halle : 

Zeitschrift  für  Naturwissenschaften.    Band  66.    Heft  5.  6.    Band  67, 

Heft  1-4.     Leipzig.    1894.    8^ 

Stadt-Bibliothek  in  Hamburg: 
Von  den  Hamburger  wissenschaftlichen  Anstalten  im  J.  1893  heraus- 
gegebene Schriften  in  4^  und  8^. 

Verein  für  Hamburgisehe  Geschichte  in  Hamburg: 
Zeitschriflk.    Band  IX,  3.     1894.    89. 


i 


Verzeichniss  der  eingelaufenen  Druckschriften,  569 

Geschichtsüerein  in  Hanau: 
Festachrift  za  seiner  50jährigen  Jubelfeier.     1894.    4^ 

Naturhistorische  Gesellschaft  in  Hannover: 
42.  und  43.  Jahresbericht.     1894.    8^. 

Historischer  Verein  für  Niedersachsen  in  Hannover: 
Zeitschrift.    Jahrgang  1894.    8^. 

Teylers  tweede  Oenootschap  in  Harlem: 
Verhandelingen.     N.  R.   deel  III,    stuk  3   in   8^  und   Atlas,   5^  stuk 
in  fol.    1891. 

Musee  Teyler  in  Harlem: 

Archives.    Ser.  IL    Vol.  IV,  Partie  2.     1894.     4«. 

Sociiti  Hollandaise  des  Sciences  in  Harlem: 
Archives  N^erlandaises.    Tome  28,  livre  2—4.    1894.    8^. 

üniversitätS'Bibliothek  in  Heidelberg: 
Schriften  der  Universität  a.  d.  J.  1893/94  in  8^. 

Historisch-philosophischer  Verein  in  Heidelberg: 
Neue  Heidelberger  Jahrbucher.    Jahrg.  IV,   Heft  2.     1894.    8^^. 

Commission  geölogique  de  la  Finlande  in  Helsingfors: 
Carte  g^logique  de  la  Finlande.   Livr.  25.  26.  avec  2  cartes.   1894.  8^. 

Finländisciie  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Helsingfors: 

Acta  societatis  seien tiarum  fennicae.    Tom.  XIX.     1893.    4^ 

Oefversigt  af  Förhandlingar.   XXXV.    1892-98.    1893.    8«. 

Bidrag  tili  kännedomafFinlands  Natur  och  Folk.  Heft  52. 53.  1893.  8^. 

Societe  de  geographie  de  Finlande  in  Helsingfors: 
Fennia.    IX.  XI.     1894.    8^. 

Ästrophysikdlisches  Observatorium  zu  Hereny  (Ungarn): 
Meteorologische  Beobachtungen  im  Jahr  1891.     Budapest  1894.    4^. 

Verein  für  siebenbürgische  Landeskunde  in  Herrn annstadt: 

Jahresbericht  fSr  das  Jahr  1893/94.     1894.    8®. 

Archiv  des  Vereins.    N.  F.     Band  XXVI,  1.  2.     1894.    8«. 

Siebenbürgischer  Verein  für  Naturwissenschaften  in  Hermannstadt: 
Verbandlungen  und  Mittbeilungen.    43.  Jahrgang.     1894.    8^. 

Vogtländischer  Alterthumsforschender  Verein  in  Hoherdeuben: 
61.-64.  Jahresbericht.     1894.    8^. 

Ungarischer  Karpathen- Verein  in  Iglö: 
Jahrbuch.    21.  Jahrgang.     1894.    8^. 

Ferdinandeum  in  Innsbruck: 
Zeitschrift.    3.  Folge.    Heft  38.     1893.    8». 

Naturwissenschaftlich-medizinischer  Verein  in  Innsbruck: 
Berichte.    XXI.  Jahrg.    1892/93.     1894.    8**. 

Medicinisch-naturwissenschaftliche  Gesellschaft  in  Jena: 

Jenaische  Zeitschrift  für  Naturwissenschaft.    Bd.  28,  Heft  4.    Bd.  29, 
Heft  1.'   1894.    8®. 


570  Vergeieknias  der  eingelaufenen  Druckeehriften. 

Centralhureau  für  Meteorologie  in  Baden  zu  Karlsruhe: 
Jahresbericht  für  das  Jahr  1893.     1894.    4<>. 

GroBsherzoglich  technische  Hochschule  in  Karlsruhe: 
Schriften  aus  d.  J.  1898/94  in  4»  a.  8^ 

Sociite  physico-matMmatique  in  Kasan: 
Bulletin.    2«  Serie.    Tom.  IV,  No.  1.  2.    1894.    8». 

Kaiserliche  Universität  in  Kasan: 

Jubil&umsschrift  zu  der  hundertjährigen  Geburtfltagsfeier  N.  Lobatsch- 

ewaki's.     1894.    4^. 
Utscbenia  Sapiski.'  Tom.  61,  Heft  4-6.    1894.    &^.  ' 

2  Dissertationen  (von  Troizky  und  Goluben)  in  russischer  Sprache. 

1894.    8«. 

Universität  in  Kiel: 

Schriften  aus  d.  J.  1893/94  in  4^  u.  8». 

K,  Universität  in  Kiew: 

Iswestija.    Tom.  34.  No.  6—10.     1894.    8«. 

Universite  Imperiale  in  Kharkow: 

Annales.    Tome  3.     1894.    8^. 

Annales.  1894.  Heft  2.  Nebst  2  Abhandlungen  in  russ.  Sprache.  1894.  8^. 

Geschichtsverein  für  Kärnthen  in  Klagenfurt: 
Jahresbericht  für  1893.     1894.    8«. 

Archiv  iür  vaterländische  Geschiebte.     17.  Jahrg.     1894.    8^. 
Carinthia.  I.    84.  Jahrg.,  No.  1—6.     1894.    8«. 

Aerztlich-naturwissenschaftlicher  Verein  in  Klausenburg: 
Ertesitö.    IL  Abth.    Band  19,  Heft  1.  2.    1894.    8^. 

Stadtarchiv  in  Köln: 
Mittheilungen.     Heft  25.     1894.    8^. 

Physikalisch-ökonomische  Gesellschaft  in  Königsberg: 
Schriften.    34.  Jahrgang.    1893.    4<>. 

Universität  Königsberg : 
Schriften  der  Universität  aus  d.  J.  1893/94  in  4^  u.  8^. 

K  Akademie  der  Wissenschaften  in  Kopenhagen: 
0  versigt.    1894.   No.  2.    8«. 

Gesellschaft  für  nordische  Alterthumskunde  in  Kopenhagen: 
Aarböger.    IL  Raekke.    9.  Band,  2.  Hälfte.     1894.    8®. 

Geneaiogisk  Institut  in.  Kopenhagen : 
L.  H.  F.  de  Fine  Olivarius,  Stamtavler  over  Slaegterne  Olivarius  og 
de  Fine.     1894.    4P, 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Krakau: 

Monumenta  medii  aevi  historica.    Tom.  XIII.     1894.    49. 
Sprawozd.  komisyi  fizyograf.     Tom.  28.     1893.     8®. 
Rozprawy  wydz.  matemat.     Tom.  26.     1893.    8®. 
Zbior  wiad.  do  Antropologii.    Tom.  17.     1893.    8^. 
Anzeiger.     1894.    Juni,  Juli,  Oktober,  November.    8^. 
Biblioteka  pisarzöw  polskich.    Tom.  28.     1893.    8^. 


1 


Verzeiehnias  der  eingelaufenen  Druckaehlriften,  571 

Hieioriseher  Verein  in  Landshtit: 
Verhandlangen.    Band  80.    1894.    8^. 

SoeUti  cPhistoire  de  la  Suisse  Bomande  in  Laitsanne: 
M^moires  et  Documenta.    Tome  88.    1894.    8^. 

Maatschappij  van  Nederlandsche  Letterkunde  in  Leiden: 

Tijdschrift.    XIII.  Deal,   Aflev.  3,  4.   und  Register  zu  Deel  I— XII. 

1894.    80. 

Handelingen  en  Mededeelingen  1898—1894.    1894.  8^. 

Levensberichten  der  afgestorven  medeleden.    1894.  8^. 

Archiv  der  Mathematik  und  Physik  in  Leipeig: 

Archiv.    II.  Reihe,  Theil  XIII,  Heft  1.  2.    1894.    8". 

Ästronotnische  Gesellschaft  in  Leipzig: 

Vierteljahrsschrift".    Jahrgang  29,  Heft  2.     1894.    8^. 

Katalog  der  aatronom.  Qesellachaft.    I.  Abth.,  6  Stück.    1894.   4^^. 

Deutsehe  Gesellschaft  zur  Erforschung  vaterländischer  Sprache  und 

Alterthümer  in  Leipzig: 

Mittheilungen.    Band  IX,  Heft  1.     1894.    Q^. 

K,  sächsische  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Leipzig: 

Abhandlungen:   a)  Philol.-hist.  Classe.    Band  XIV,  6.  7.    XV,  1. 

b)  math.-phys.  Classe.   Band  XXI,  2.    1894.   40. 
Berichte  der  philol.-hiat.  Classe.     1894.   I.    8^. 

Journal  für  praktische  Chemie  in  Leipzig: 

Journal.    N.  Folge.     Band  49,   Heft  10—12.     Band  50,    Heft  1—12. 
1894.    8». 

K.  K,  Bergakademie  in  Leoben: 

Programm  für  das  Jahr  1894/95.     1894.    8^^. 

Ägricultural'Experiment  Station,  TJvdversity  of  Nebraska  in  Lincoln: 
7^  annual  Report  for  1898.     1894.    8<>. 

Zeitschrift  „La  Celluie"  in  Loewen: 
La  Cellale.    Tome  X,  2.     1894.    4<>. 

2he  Ägent-general  for  New  South -Wales  in  London: 

An  Australian  Language  as  spoken  by  the  Awabakal,  by  L.  E.  Threlkeld. 
Sydney  1892.    8^. 

British  Association  for  the  Advancement  of  Science  in  London: 

Report  on  the  68^  Meeting.    1894.    8^. 

The  English  Ristoricdl  Review  in  London: 
Histor.  Review.    Vol.  IX,   No.  36,  86.     July  and  October  1894.    8°. 

Royal  Society  in  London: 
Philosophical  Transactione.    Vol.  184.   Ä.  B.     1894.    4*. 
List  of  Fellows.   80.  Novbr.  1898.    4«. 
Gatalogue  of  Scientific  Papers.    Vol.  X.     1894.    4^. 
Proceedings.    Vol.  65,  No.  834,  836.   Vol.  66,  No.  386—889.    1894.  80. 

R,  Astronomical  Society  in  London: 
Montbly  Notices.  Vol.  64,  No.  89    Vol.  66,  No.  1.     1894.    8". 

1894.    PbUo8.-philoL  u.  biBt.  Gl.  3.  88 


572  Vereeiehniss  der  eingelaufenen  Driickschriften, 

Chemicai  Society  in  London: 

Journal.   No.  380—886.    July— December  1894.    8^. 
Proceedings.    No.  141.  142.     Session  1898—94  and  1894—95.    8^. 

Linnean  Society  in  London: 

The  Journal:  a)  Zoology,  No.  156—157. 

b)  Botany,  No.  177  und  205—208.     1894.    S^ 
The  Transactions:   IN  Serie: 

a)  Zoology.  Vol.  V,  _part  9— 11.  Vol.  VI,  part  1.  2. 

b)  Botany.     Vol.  III,    part  9  —  11.     Vol.   IV,    part  1. 
1898—94.    40. 

Proceedings.    October  1898,  May  1894.    1898/94.    8®. 

List  1898/94.    8». 

Gatalogue  of  the  Library.    Part  IL   Periodicals.    1898.    8^. 

Medicäl  and  chirurgical  Society  in  London: 
Medico-Chirurgical  Transactions.     Vol.  76.  77.     1898/94.    8°. 
Gatalogue  of  the  Library.    Supplement  VII.     1893.    8^. 

Boyal  Microscopical  Society  in  London: 
Journal.    1894.   part  4.  6.    8^. 

Zoologicai  Society  in  L    don: 
Proceedings.    1894.   Part  U.  III.    &*. 
Transactions.    Vol.  XIII,  9.    1894.    4<>. 

Zeitschrift  „Nature"  in  London: 
Nature.    Vol.  60,  No.  1286—1308.    1894.    4«. 

Sociiti  gklogique  de  Belgique  in  Luttich: 
Annales.    Tome  21,  livr.  1.  2.    1898/94.    8^. 

Historischer  Verein  der  fünf  Orte  in  Luzern: 
Der  Geschichtsfreund.    49.  Band.    Stans  1894.    8^. 

(Government  Museum  in  Madras: 
BuUetin.   No.  1.  2.     1894.    8^ 

Beal  Academia  de  la  historia  in  Madrid: 
Boletin.    Tomo  25,  cuad.  1—6.    1894.    8^. 

Naturwissenschaftlicher  Verein  in  Magdeburg: 

Jahresbericht  und  Abhandlungen.    1898/94.    I.  Halbjahr.     1894.     8^ 
Festschrift  zur  Feier  des  25  jähr.  Stiftungstages  des  Vereins.    1894.   8^. 

Fondazione  scientifica  Cagnola  in  Mailand: 
Atti.    Vol.  XI,    1891/92.     1898.    8^. 

Beale  Istituto  Lombarde  di  Scienze  in  Maäand: 
Rendiconti.    Ser.  IL   Vol.  25.    1892.    8^. 
Memorie:  a)  Glasse  di  scienze  storicbe.    Vol.  19,  fasc.  1. 

b)  Glasse  di  scienze  matematiche.    Vol.  17,  fasc.  2.  1892.  4^ 

Societä  Storica  Lombarda  in  Mailand: 
Archivio  storico  Lombardo.    Ser.  III.    Anno  XXI,  fasc.  2.  8.    1894.  dP. 

Literary  and  philosophiccU  Society  in  Manchester: 
Memoirs  and  Proceedings.    IV.  Ser.    Vol.  8,   No.  8.    1894.    8*. 


Verzeichniss  der  eingelaufenen  Druckschnften,  573 

Verein  für  Naturkunde  in  Mannheim: 
66.— 60.  Jahresbericht.    1894.    8®. 

üniversitätS'Bibliothek  in  Marburg: 
Schriften  der  Universität  Marburg  a.  d.  J.  1893/94  in  4^»  n.  8«. 

Hennebergischer  alterthumsforschender  Verein  in  Meiningen: 
Neue  Beiträge.    Lieferung  XIU.    1894.    S^. 

Verein  für  Geschichte  der  Stadt  Meissen  in  Meissen: 
Mittheilungen.    Band  3,  Heft  2.  8.     1893.    8^. 

AcadSmie  in  Metz: 
M^moires.    73«  ann^e  1891/92.     1894.    S®. 

Gesellschaft  für  lothringische  Geschichte  in  Metz: 
Jahrbuch.     6.  Jahrgang,  2.  Hälfte.     1894.    4^. 

Observatorio  meteorologico  central  in  Mexico: 
Boletin.    Mensual.    Tomo  III,  No.  6.    1894.    4^ 

Sociedad  cientifica  Antonio  Älzate  in  Mexico: 
Memorias.    Tomo  VII,  No.  11—12.    1894.    8^^. 

Sociedad  de  geografia  y  estadistica  in  Mexico: 
Boletin.    IV»  äpoca.  Tomo  2,  No.  11.  12.  Tomo  3,  No.  1.  2.   1894.   8». 

Societä  dei  naturalisti  in  Modena: 
Atti.    Ser.  III.   Vol.  XII,  Anno  27,  fasc.  8.    1894.    8^. 

Sociiti  Imperiale  des  Naturalistes  in  Moskau: 
Bulletin.    1894.   No.  2.    8«. 

Statistisches  Amt  der  Stadt  München: 
Die  Büchersammlung  der  städtischen  Kollegien  Münchens.   1894.   8^. 

Deutsche  Gesellschaft  für  Anthropologie  und  Urgeschichte  in  Berlin 

und  Mündien. 
Correspondenzblatt.    1894.   No.  6—8.    München.    4^. 

K.  TechniscJie  Hochschule  in  Münc^n: 

Programm  für  das  Studienjahr  1894/95.     1894.    8*. 
Bericht  für  das  Studienjahr  1898/94.     1894.    4«. 
Personalstand.    Winter.-Sem.  1894/96.     1894.    BP, 

Metropolitan-Kapitel  München-Preising  in  München: 
Amtsblatt  der  ErzdiOcese  München  und  Freising.   No.  16—28«    8^. 

K.  Staatsministerium  des  Innern  für  Kirchen-  und  Schulangelegenheiten 

in  München: 

Geognostische  Jahreshefte.    Jahrg.  VI.    1898.   Cassel  1894.   gr.  8^. 
5.  Bericht  über  die  Thätigkeit  der  phjsikal.-techn.  Reichsanstalt. 
Berlin  1894.    8«. 

Universität  in  München: 

Schriften  der  Universität  aus  dem  Jahre  1894  in  4^  u.  8^. 

Aerztlicher  Verein  München: 

Sitzungsberichte.    IIT.    1898.     1894.    8». 

38* 


574  Verzeichniss  der  eingelaufenen  Druckschriften, 

Bayerischer  Dampfkessel-Bevisione' Verein  in  JHünchen: 
24.  Jahresbericht  1898.    1894.    8^. 

Historischer  Verein  in  München: 

Monatsschrift.    1894.    No.  7—12.    Juli— Dezember.    8^^. 
Oberbayerisches  Archiv.    Band  48,  Heft  1.  2.     1893/94.    dP, 

Westfälischer  Provinziälverein  in  Münster: 
21.  Jahresberkht  für  1892/93.     1893.    8^. 

Äccademia  delle  scienze  fisiche  in  Neapel: 
Rendiconto.    Serie  IL    Vol.  VIII,  fasc.  8—10.    1894.    4^. 

Societä  Bedle  in  Neapel: 

Atti   della   R.  Äccademia   di   scienze   morali   e  politiche.     Vol.  26. 

1893/94.    80. 
Rendiconto  dell*  Äccademia  di  scienze  morali  e  politiche.  Anno  31.  82. 

1892/93.    80. 
Atti  della  R.  Äccademia  delle  scienze  fisiche.  Ser.  IL  Vol.  6.   1894.  4^. 
Rendiconto  dell*  Äccademia  delle  scienze  fisiche.     Ser.  IL     Vol.  8, 

fasc.  6  e  7.     1894.    4^. 

Zoologische  Station  in  Neapel: 
Mittheilungen.    Bd.  XI,  8.    Berlin  1894.    8». 

American  Jou/mal  in  New-Haven: 

The  American  Journal  of  Science.     Vol.  48,   No.  283—288.    July— 
December.    1894.    8^. 

Observatory  of  the  Tale  üniversity  in  Neto-Haven; 
Report  for  the  year  1893/94.     1894.    8^. 

American  Oriental  Society  in  Neto-Haven: 
Proceedings  at  New-York.   March  29—81.     1894.    8®. 

North  of  England  Institute  of  Mining   and  Mechanicäl  Engineers 

in  Newcastle-upon-Tyne: 

Transactions.     Vol.  43,  No.  6.  6.    Vol.  44.  No.  1.     1898/94.    8®. 
Annual  Report  of  the  Council  for  1898/94.    1894.    8^. 
Report  of  the  Proceedings   of  the  flameless  explosives  Committee. 
Part  I.     1894.    8». 

Academy  of  Sciences  in  New-York: 
Annais.    Vol.  VIÜ,  No.  4.    1894.    8«. 

Afnerican  Museum  of  Natural  History  in  New-York: 
Annual  Report  for  the  jear  1893.     1894.    8^. 

State  Museum  in  New-York: 

45^  and  46^  a^ual  Report  for  the  year  1891  and  1892.    Albany. 

1892/93.    80. 
Bulletin.    Vol.  8,  No.  11.    Albany  1898.    8®. 

American  Chemical  Society  in  New-York: 
The  Journal.    Vol.  XVI,  No.  6—12.    Easton  1894.    80. 

American  Geogräphical  Society  in  New-York: 
Bulletin.    Vol.  26,  No.  2,  3.     1894.    8«. 


Vergeichniss  der  eingelaufenen  Druckschriften.  575 

Nederlandsch  Botanische  Yereeniging  in  Nijmegen: 

Nederlandsch  kruidkuxidig  Archief.    II.  Ser.  Deel  VI,  Stak  3.  1894.  8^ 

Naturhistorische  Oesellsehaft  in  Nürnberg: 

Abhandlungen.    Band  X,  Heft  2.    1894.    8<>. 

Komiti  für  die  Hans-Sachs-Feier  in  Nürnberg: 

'  Hans  Sachs   zum   400  jährigen   Geburfcsjubiläum   des  Dichters.     Von 
Ernst  Mumenhoff.     1894.     8^. 

Neurussische  naturforschende  Gesellschaft  in  Odessa: 
Sapiski.    Tom.  XVIII,  2.    1894.    8». 

Organisation   de   Tätude   climaterique  de  la  Russie  par  Elossovsky. 
1894.    40. 

Boyäl  Society  of  Canada  in  Ottawa: 

Proceedings  and  Transactions.    Vol.  XI,  for  the  year  1893.    1894.    4^. 

The  Badclifß  Observatory  in  Oxford: 
Radcliffe  Gatalogue  of  Store  1890.     1894.    40. 

Societä  Veneto-Trentina  di  scienze  naturaüi  in  Padua: 
Atti.    Ser.  IL    Vol.  2,  fasc.  1.     1895.    8«. 

Gircolo  matematico  in  Palermo: 
Rendiconti.    Tom.  VIII,  6.  6.     1894.     gr.  8<>. 

CoUegio  degli  Ingegneri  in  Palermo: 
Atti.    Annato  17.    1894.   Gennaio— Aprile.    4^. 

Äcadimie  de  medecine  in  Paris: 
Bulletin.     1894,  No.  27-61.    8^ 

Äcadimie  des  sciences  in  Paris: 
Comptes  rendus.    Tome  119,  No.  1—25.    1894.    4^. 

Sodeti  mathimatique  de  France  in  Paris: 
Bulletin.    Tome  XXII,  No.  5—8.     1894.    8». 

SociitS  de  giographie  in  Paris: 

Bulletin.    VII.  Sär.   Tom.  15.    1«  et  2«  trimestre.    1894.    8®. 
Comptes  rendus  1894,  No.  14—17.    8°. 

Moniteur  Scientifique  in  Paris: 

Moniteur.    4«  Sör.   Tome  VIII,  2«  partie,  livre  631— 636.  Juillet-Ddc. 
1894.    40. 

Zeitschrift  „L'Jälectricien"  in  Paris: 

L'filectricien.    2«  Sär.    Tome  VIÜ,  No.  184—208.    Paris  1894.    4». 

Äcadimie  Imperiale  des  sciences  in  St.  Petersburg: 
Bulletin.    Nouv.  Sdr.    Tome  IV,  No.  1.  2.     1894.    4P. 
Bulletin.    V«  Särie.    Tome  I,  No.  1—8,    1894.    4^ 
Mämoires.    Tom.  39.  41,  No.  6-9.    42,  No.  1-11.    1898/94.    4P. 
Byzantina  Chronika.    Tom.  1,  Heft  1.    1894.    4^. 

ComitS  giologique  in  St.  Petersburg: 
Bulletins.    Vol.  XII,  No.  3—7  et  Supplement  au  T.  XII.     1893.    8«. 
M^moires.    Vol.  IV,  No.  8.     1898.    4P. 

Kais.  russ.  mineralogische  Gesellschaft  in  St.  Petersburg: 
Verhandlungen.    IL  Serie.    Band  XUI.     1893.    8^ 


576  Vergeichniss  der  eingelaufenen  Druckschrißen. 

Fhysikdl, 'Chemische  Gesellschaft  an  der  kais,  Universität  St,  Petersburg: 
Schurnal.    Tom.  XXVI,  4-7.    1894.    S«. 

SociitS  des  naturdlistes  in  St»  Petersburg: 
Travaux.    Sectäon  de  Botanique.    Vol.  XXIV.    1893/9 i.    8°. 
Ghemitscheskaja  Laboratoria.    1894.    8^. 

Kaiserliche  Universität  in  St.  Petersburg: 

Sapiski.    Tom.  34.     1894.    8^. 

Uebersicht  der  Wirksamkeit  der  naturwissenscbaftlichen  Gesellscbafb 

in  St.  Petersburff  1868  -1893.    (In  russ.  Sprache.)     1898.    8°. 
Oboscenie.    (Vorlesnngskatalofir  1894/96.)    1894.    8^. 

Äcademy  of  natural  Sciences  in  Philadelphia: 
Proceedings.    1894,  part  I.    1894.    8^. 

The  Oriental  Club  of  Philadelphia: 
Oriental  Stadies.     1888-1894.    Boston  1894.    &>. 

Historical  Society  of  Pennsylvania  in  Philadelphia: 
The  Pennsylvania  Magazine.   Vol.  18,  No.  1.    1894.   8<>. 

American  philosophical  Society  in  Philadelphia: 
Proceedings.    Vol.  33,  No.  144.  146.    1894.    8°. 

Societä  Toscana  di  scienze  naturali  in  Pisa: 
Atti.    Processi  verbau.    Vol.  IX,  pag.  63—132.     1894.    4». 

Älterthums' Verein  in  Plauen: 
Mittheilongen.     10.  Jahresschrift  auf  die  Jahre  1893/94.     1893.    &^. 

K,  geodätisches  Institut  in  Potsdam: 
Polhöhenbestimmungen  im  Harzgebiet.    1887—1891.   Berlin  1894.  4^. 

Böhmische  Kaiser  Franz  Josefs  Akademie  in  Prag: 
Rozprawy.    TKda  II.   Roönik  III,  «slo  1.  2.     1894.    4«. 

,  m.      ,     III.    ,    2. 

Historicky  Archiv.    Cfslo  4.  6.     1894.    4». 

Bulletin  international.  Gl.  des  sciences  math^m.  I.     1894.    4^. 

V&tnfk.    Ro^nik  III.  öfslo  6.     1894.    4». 

Sbirka  pramenfio  etc.    Skupina  I.   Rada  2.   Cislo  1.    1894.    4^ 

Gesellschaft  zur  Förderung  deutscher  Wissenschaft,  Kunst  und 

Literatur  in  Böhmen  in  Prag: 

Uebersicht  Über  die  Leistungen  der  Deutschen  Böhmens  im  Jahre  1892. 
1894.    8^ 

Mathematisch-physikalische  Gesellschaft  in  Prag: 
Gasopis.    Band  23,  Heft  3—6.     1894.    BP. 

K,  böhmisches  Miiseum  in  Prag: 
Pamätky  archaeologickä  a  mfstopisnä.    Bd.  XVI,  3—6.     1893.    4<^. 

K.  K  Stemuoarte  in  Prag: 

Magnetische    and    meteorologische    Beobachtungen    im   Jahre   1898. 
64.  Jahrg.     1894.    40. 

K.  K.  detUsche  Carl-Ferdinands -Universität  in  Prag: 
Ordnung  der  Vorlesungen.    Winter-Sem.  1894/96.    8^. 
Personalstand.    Studienjahr  1894/96.    8^^. 


Verzeichniss  der  eingelaufenen  Druckschriften,  577 

Verein  für  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen  in  Prag: 
Mittheilangen.    Jahrg.  82.    No.  1-4.    1898.    8<>. 

Historischer  Verein  in  Begensburg: 
Verhandlungen.    Bd.  46.     1894.    S^. 

Naturwissenschaftlicher  Verein  in  Begensburg: 
Berichte.    IV.  Heft.    1894.    8« 

Instituto  historico  e  geographica  in  Bio  de  Janeiro: 
Revista  trimensal.    Tomo  56,  parte  I.     1898.    8^. 

Geologicdl  Society  of  America  in  Bochester: 
Bulletin.    Vol.  5.     1894.    8«. 

Beäle  Aceademia  dei  Lincei  in  Born: 
Atti.    Serie  V.    Glasse  di  seien ze  morali.   Vol.  II,  parte  2.   Notizie  degli 

scavi.    Gennaio — Agosto.    1894.    4P, 
Atti.  Ser.  V.  Glasse  di  scienze  fisiche.  Rendiconti.  Vol.  III.  Semestre  1, 

fasc.  12,     Semestre  2,  fasc.  1—8.     1894.    4P, 
Rendiconti.    Glasse  di  scienze  morali.    Serie  V.    Vol  3,   fasc.  5—9. 

1894.    eP, 

Rendiconti  delV  adunanza  solenne  del  8  Giugno.     1894.    4^. 

Äcccidemia  Pontificia  d^  Nuovi  Lincei  in  Born: 
Atti.     Anno  47.     Sessione  I.  II.  III.     1894.    4^. 

Biblioteca  Apostolica  Vaticana  in  Born: 

Studi  e  documenti  di  storia  e  diritto.    Anno  XIV,  fasc.  1—4.  1898.  4^. 
Godices  manoscripti  graeci  Ottoboniani  Bibliothecae  Vaticanae,   re- 
censuerunt  E.  Feron  et  F.  Battaglini.     1898.    4^. 

ComUato  geologico  d'Itälia  in  Born: 
Bollettino.    Anno  1894,  No.  2.  8.    8^. 

Kais,  deutsches  archäologisches  Institut  in  Born: 
Mittheilungen.    Römische  Abtheilung.    Band  IX,  2.  8.     1894.    8^^. 

Societä  Italiana  delle  scienze  in  Born: 
Memorie  di  Matematica.    Serie  III.    Vol.  8.  9.    Napoli  1892/98.    4^ 

B,  Societä  Bomana  di  storia  patria  in  Born: 
Archivio.     Vol.  XVII,  fasc.  1.  2.    1894.    BP. 

Ufficio  centrale  meteorölogico  itailiano  in  Born: 

Annali.    Vol.  XXII,  parte  1.   1890.   Vol.  XIV,   p.  1.    1892.   Vol  XV. 
p.  1.    1898.    1894.    40. 

Universität  Bostock: 
Schriften  aus  dem  Jahre  1898/94  in  4P  u.  8». 

lAck  Observatory  of  the  University  of  California  in  Sacramento: 
PubUcations.    Vol.  H.    1894.    40. 

Academy  of  Science  in  St,  Louis: 
Transactions.    Vol.  VI,  No.  9—17.    1898/94.    8P, 

Essex  Institute  in  Salem: 
Bulletin.    Vol.  26.    1894.    8°. 


i 


578  Vereeichniss  der  eingelaufenen  Druckschriften. 


< 


K.  K.  Staats-Crymnasium  in  Salzburg: 
Programm  für  das  Jahr  1898/94.     1894.    Sf^. 

Gesellschaft  für  Salzburg  er  LandesJcunde  in  Salzburg: 
Mittheilungen.    84.  Vereinajahr.     1894.    &>. 

Historischer  Verein  in  8t.  Gallen: 

Mittheilungen  zur  vaterländischen  Geschichte.     XXV.    1894.    8®. 
ürkandenbuch  der  Abtei  St.  Gallen.    Theil  IV,  3.     1894.    4P.  ^ 

Abt  Berchtold  von  Falkenstein  von  Placid  Butler.     1894.    4^. 

Instituto  y  Observatorio  de  marina  de  San  Fernando  in  Cadix: 
Almanaque  näutico  para  1895.    Madi-id  1894.    8^. 

Geographical  Society  of  California  in  San  Francisco: 
Bulletin.    Vol.  IL     1894.    May.    SP.  ' 

Observatorio  astronömico  in  San  Salvador: 
Observaciones  meteorologicas.    Oct.— Dez.  1892.    1894.    8®. 

SocUti  scientifique  du  Chüi  in  Santiago: 
Actes.     Tome  3,  livr.  4.  6.    Tome  4,  livr.  1.  2.     1894.    4«. 

Commissäo  geographica  e  geologiea  i  Säo  Paido  CBrasüien): 
Boletin.    Dados  climatologicos.    1890—1892.    3  Hefte.    1893.    8. 
Gontribu9oes  para  a  archeologia.   Heft  1.     1893.    8*^. 

Histor.  Verein  für  das  Württemberg ische  Franken  in  Schwäbisch- Hall : 
Württembergisch  Franken.     Neue  Folge  V.     1894.    8^^. 

Verein  für  mecklenburgische  Geschichte  in  Schwerin: 
Jahrbücher.    69.  Jahrgang.     1894.    8®. 

China  Branch  of  the  Boyal  Asiatic  Society  in  Shanghai: 
Journal.    N.  S.    Vol.  26.     1891/92.     1894.    S^. 

Meteorologische  CentrcUstation  in  Sophia  (Bulgarien): 
Bulletin  mensuel  mät^orologique  de  Bulgarie.    1894.    Jan. — Sept.    4^. 

Bosnisch-Herzegovinisches  Landesmuseum  in  Sarajevo: 

Die  prähistorischen  Fundstätten  von  V.  Radimsky.     1891.    4^. 
Römische  Strassen  in  Bosnien  und  der  Hercegovina  von  Ph.  Ballif. 
Th.  I.    Wien  1893.    fol. 

K,  K,  archäologisches  Museum  in  Spdlato: 
Bullettino  di  archeologia.    Anno  17.    1894.   No.  6—7.    8^. 

Historischer  Verein  der  Pfalz  in  Speier: 
Mittheilungen.    XVIII.     1894.    S».  ^ 

Schwedische  Akademie  der  Wissenschaften  in  Stockholm: 

Handlingar.    Band  26,  Heft  1.  2.    1892-94.    4<>. 
Bihang  tili  Handlingar.     Band  XIX  in  4  Abtheil.     1894.    8^. 
Meteorologiska  iakttagelser.    Bd.  82.   (1890.)     1894.    4P. 
Lefnadstockningar.    Band  III,  2.     1894.    8^. 

K,  öffentliche  Bibliothek  in  Stockholm: 
Sveiiges  offentliga  bibliotek  Aceessions-Katalog  VIII.    1898.    1894.  8®. 


Verzeichniss  der  eingelaufenen  Druckschriften.  579 

SociiU  des  acienees  in  Strassburg: 
Bulletin  menrael.    Tome  28,  fasc.  5.  6.     1894.    8^. 

Universität  Strassburg: 
Schriften  aus  dem  Jahre  1898/94  in  4P  u.  QP, 

Australasian  ÄssocicUion  for  the  Advancement  of  Science  in  Sydney : 
Report.    Vol.  V.  Adelaide  Session.    1893.    8®. 

Department  of  Mines  in  Sydney: 
Records  of  the  Geological   Survey   of  New -South -Wales.     Vol.  IV, 
part  1.    1894.    4^. 

Geological  Suroey  of  New-South-Wdles  in  Sydney: 

Records.    Vol.  IV,  part  2.     1894.     4«. 

Observatorio  astronömico  nadondl  in  Tacubaya  (MexicoJ: 

Bolctin.    Tom.  I,  No.  17-19.     1894.    4<>. 
Annario.    Ano  XV.    Mexico.     1894.    4^. 

College  of  Science,  Imperial  üniversity,  Japan,  Tokio. 
The  Journal.    Vol.  VI,  4.    VII,  1.    VIII,  1.    1894.    4«. 
Deutsche  Gesellschaft  für  Natur-  und  Völkerkunde  Ostasiens  in  Tokio: 
Mittheilungen.    Band  VI.    Suppl.  Heft  1.    Heft  64.     1894.    fol. 

Tufts  College  Mass.: 
Tufta  College  Studies  No.  III.    1894.    4». 

üniversitätS'Bibliothek  in  Tübingen: 
Schriften  der  Universität  Tübingen  a.  d.  J.  1893/94  in  4^  u.  8». 

E,  Accademia  delle  scienze  in  Turin: 
Atti.    Vol.  29,  disp.  11—16.     1894.    Q^. 
Memorie.    Ser.  ü,  tom.  44.     1894.    4<>. 

Comiti  mSteorölogique  internationdl  in  Upsäla: 
Extrait  des  procfes-verbaux  de  la  I*"®  rdunion  k  Üpsal  en  Aoüt  1894.    8*^. 

Sociäi  Boyale  des  Sciences  in  Upsala: 
Nova  Acta.    Ser.  III.    Vol.  XVI.    1893.    4^. 

Universität  in  Upsala : 
Schnften  aus  d.  J.  1893/94  in  4^  u.  8^. 

Sociite  provinciaie  des  Arts  et  Sciences  in  Utrecht: 

Verslag.    1893.    8°. 

Aanteckeningen  van  Sectie-vergaderingen.     1893.    8^. 
L.  A.  van  Langeraad,  De  Nederlandsche  Ambassade-Kapel  te  Par\J8. 
2.  Voll.  s'Gravenhage.    1893.    8^. 

American  Historicdl  Association  in  Washington: 
Annual  Report  for  the  jear  1892  and  1893.     1893/94.    8^. 

Bureau  of  Ethnology  in  Washington: 

Tenth  annual  Report  1888—89,  by  J.  W.  Powell.     1893.    4P, 
The  Maya  Year,  by  Cyrus  Thomas.     1894.    &>, 
Bibliography  of  the  Wakashan  Languages,  by  F.  C.  Pilling.   1894.   8^. 
The  Pamunkey  Indians  of  Virginia,  by  J.  H.  Pollard.    1894.    8. 


580  Vereeichniss  der  eingelaufenen  Druckschriften, 

Smühsonian  Institution  in  Washington: 

Annual  Report,  to  July  1892.     1893.    8^. 

Surgeon  Gener ai,   U,  S,  Army  in  Washington: 

Index  Catalogue.    Vol.  XV.     1894.    4°. 

Harzverein  für  Geschichte  in  Wernigerode: 

Zeitschrift.    27.  Jahrg.     1894.    8«. 

Kaiserliche  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien: 

Mittheilungen  aus  dem  Vatikanischen  Archive.    Band  II.     1894.    8^. 

K.  K.  geologische  Beichsanstalt  in  Wien: 

Verhandlungen.    1894.    No.  6—9.    49. 

K,  K.  Gesellschaft  der  Äerzte  in  Wien: 

Wiener  klinische  Wochenschrift.     1894.    No.  27-52.    4^. 

Anthropologische  Gesellschaft  in  Wien: 

Mittheilungen.    Band  24,  Heft  3—5.     1894.    4«. 

Zoologisch-botanische  Gesellschaft  in  Wien: 

Verhandlungen.    Jahrg.  1894.    Band  44,    I.  u.  II.  Quartal.    8^. 

Oesterreichische  Gradmessungs-Kommission  in  Wien: 

Verhandlungen  über  die  am  11.  und  13.  April  1894  abgehaltenen 
Sitzungen.     1894.    8^. 

K,  K,  naturhistorisches  Hofmuseum  in  Wien: 

Annalen.    Band  IX,  No.  2.     1894.    4^. 

V.  Kuffnerische  Sternwarte  Wien: 

Publikationen.    Band  Hl    1894.    4P. 

K.  K.  Universität  in  Wien: 

Jahrbuch  für  das  Studienjahr  1893/94.     1894.    8^. 

Uebersicht  der  akademischen  Behörden   für  das  Studienjahr  1894/95. 

1894.    80. 
Oeffentliche  Vorlesungen.    Sommer-Sem.  1894.    Winter-Sem.  1894/96. 

1894.    S^. 
Die  feierliche  Inauguration  des  Rektors  am  8.  Nov.  1894.    8^. 

Verein  zur  Verbreitung  naturtoissenschaftlicher  Kenntnisse  in  Wien: 

Schriften.    34.  Bd.    Jahrg.  1893/94.     1894.    8». 

Naturtoissenschaftlicher  Verein  an  der  Universität  Wien: 

Mittheilungen  für  das  Jahr  1893/94.     1894.    8". 

Nassauischer  Verein  für  Naturkunde  in  Wiesbaden: 

Jahrbücher.    Jahrg.  1847.     1894.    8^. 

Naturforschende  Gesellschaft  in  Zürich: 

Vierteljahrsschrift.    Jahrg.  39,  Heft  2.     1894.    8®. 


Verzeichniss  der  eingelaufenen  Druckschriften.  581 

Von  folgenden  Privatpersonen: 

Franz  Ludwig  Baumann  in  Donaueschingen: 
Geschichte  des  Algäus.    Band  III,    Kempten  1804.    8^. 

A,  Brül  in  Tübingen: 
Die  EntwickluDg  der  Theorie  der  algebraischen  Funktionen.     Berlin 
1898.    8«. 

Franz  Bücheier  in  Bonn: 

Anthologia  latina.    Pars  II,  fasc.  1.    Leipzig  1895.    8^. 

Haiimann  Caviezel  in  Chur: 
Litteratura  veglia  (rhaeto-romanscha).     1894.    8^. 

Carlo  Cipolla  in  Turin: 
Ricerche  sull*  antica  biblioteca  del  monastero  della  Novalesa.  1894.  8^. 

Sälvatore  de  Crescenzo  in  Neapel: 

Saggio  di  una  scala  normale  del  pensiero  astratto.    1893.    8^. 

B.  Fresenius  in  Wiesbaden: 

Ueber  die  SchwankuDgen  im  Gehalte  der  Mineralwasser.    1894.    8^. 

Ernst  Haeckel  in  Jena: 

Systematische  Phylogenie  der  Protisten  und  Pflanzen.    Th.  I.    Berlin 
1894.    8». 

L,  Harperath  in  Cördoba.    (Rep,  ÄrgentJ: 
Die  Weltbildung.    Köln  1894.    8«. 

P.  de  JSeen  in  B^iissel: 
5  Separatabdrücke   aus   dem  Bulletin   de   TAcad.  R.   des   Sciences, 
physikalischen  Inhalts.     1894.    8^. 

Professor  Hegewald  in  Meiningen: 
Introdaction  au  discours  sur  Tunit^  de  Täspöce  humaine.    1894.    8^. 

W.  J,  Hoffmann  in  Philadelphia: 
Gshicht  fun  da  altä  Tsaitä  in  Pensilfani.    By  W.  J.  Hofmann.  1894.  Q^. 

J,  B,  Jach  in  Konstanz: 
Hepaticae  in  insulis  Vitiensibus  et  Sarooanis  lectae.    Sep.- Abdruck. 
1894.    8». 

James  E.  Keeler  in  London: 

On  the  Spectra  of  the  Orion  Nebula.    s.  1.     1893.    8^. 

Friedrich  Keim  in  München: 
Hans  Sachsens  Zeitgenossen  und  Nachfolger  im  Meistergesang.    Nürn- 
berg 1894.    8*. 

Albert  wm  Kölliker  in  Würzburg: 
Der  feinere  Bau  des  sympathischen  Nervensystems.  Würzburg  1894.  8^. 
Ueber  den  Fornix  longus   von  Foral   und  die  Riechstrahlungen  im 

Gehirn  des  Kaninchens.    Strassburg  1894.    8^. 
Ueber  die  feinere  Anatomie  des  sympathischen  Nenrensyst-ems.    Wien 
1894.    8®. 

M.  E,  Lemoine  in  Paris: 
4  Abhandlangen  über  (Geometrie.    1894.    8^. 


582  Verzeichniss  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

G,  Lorentzen  in  Bamberg: 
Ueber  die  Untcrsachung  der  Scalen  eines  Heliometers.    1894.    8^. 

Se,  Hoheit  Prinz  Albert  von  Monaco  in  Monaco: 
R^saltats  des  Campagnes  scientifiques.  feisc.  VII.    1894.    gr.  4^.  i 

Gabriel  Monod  in  Versailles:  " 

Revue  historiqae.    Tome  56,  No.  1.  2.    Paris  1894.    8^.  | 

Gifford  Pinchot  in  New -York: 

Biltmore  Forest,  the  propei-ty  of  Mr.  George  W.  Vanderbilt.    Chicago 

1893.  8». 

jS^.  Riefler  in  München: 

Die  FräcisioBs-Uhren.     1894.    gr.  8^. 

Andreas  Schmid  in  München: 

Geschichte  des  Georgianums  in  München.    Regensbarg  1894.    8^. 
Festbericht  über  die  IV.  Centenarfeier  des  Georgianums.    Augsburg 

1894.  80. 

August  Tischner  in  Leipzig: 

Le  pouvoir  grossissant  de  Tatmosph^re.    1892.    8^. 

Älbrecht  Weber  in  Berlin: 
Vedische  Beiträge.    1894.    4^. 

Henry  Wüde  in  London:  i 

Ueber  den  Ursprung  der  elementaren  Körper  und  über  einige  neue  ^ 

Beziehungen  ihrer  Atomgewichte.    London  1892.    4®.  1 

A,  Wolf  er  in  Zürich: 

Astronomische  Mittheilungen.    No.  84.    1894.    8^. 


58S 


Namen-Register. 


Baamgarten   168. 
Bronn  y.   422. 

Carriere   287. 
Christ  y.    1.   149. 
Cornelius  y.   166. 

Doye  188. 

Friedrich   62. 
Fritzner   164. 

Hcfner-Alteneck  y.    124. 
Heigel    182. 

Klackhohn    167. 

Erumbacher   427.   891  (491).* 

Langen   426. 
Lossen   418. 
LQbke   166. 

Maurer  y.   188.  427. 
Menrad  166. 
Morier    162. 
Maller  y.    182.  426. 


*   Die  eingeklammerten  Zahlen  sind  diejenigen,  welche  auf 
Bogen  30-87  an  die  Stelle  von  843-400  hfttten  gesetzt  sein  sollen. 


584  Namen- Eegister, 

Oefele  v.   269. 

Paul   53. 

Pettenkofer  v.    149.  419. 

Quidde    182. 

Reber  v.    843  (443). 
Rockinger  v.    124. 
Röpell    161. 

Sauppe  152. 
Scholl   149. 
Simonsfeld    239. 
Sofancke  426. 
Stieve   92. 

Wecklein   379. 
Wölfflin  420. 
Wyss  V.    163. 


585 


Sach- Register. 


Aufgaben  der  wissenichaftlichen  Lezikographi«  nrit  hncnderer  UAck' 
sieht  auf  das  deatsche  WMerimcb  tos  Paul  65— 4^L 

Corsica  und  Sardinien  in  den  Schenknngen  aa  die  nptfUi  wf/n  l)or*^ 
188—238. 

Ein  nenes  Bruchstfick  von  Sddermannala^eD  won  UMorer  i27-''44U, 

Fichtes  Geistesentwicklnng  in  den  B<d«n  über  dm  lk$Ümmunff  dtm 
Gelehrten  von  Carriere  287—966, 

Handschriftliche  Bezeichnung  des  Landraebtsdes  uof^enMnnitm  8';biral/^' 
Spiegels  als  NOmberger  Recht  ?on  ftocklng^r   124-147. 

SompositioDsweise  des  Horaz  und  die  epistala  ad  PiiM>nes  von  W<'><;)p 
lein  379-418. 

Michael  Glykas  von  Kmmbacher  391—400  (491-560). 

Nekrologe  149—164. 

Neuentdeckte  Genfer  Homerfragmente  und  der  Wert  Ihrer  Varianttfrn 
von  Menrad    165  -  182. 

Oeffentliche  Sitzung  419    426.