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I
l&arbarB ColUfle ^Ltörarg
MRS. ANNE E. P. SEVER,
OF BOSTON,
iCUHOf 1811",
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üi^/^AJL^^l
Sitzungsberichte
der
philosophisch - philologisehen
und der
historischen Classe
der
k. b. Akademie der Wissenschaften
zu M.ünchen.
Jahrgang 1894.
Mttnchen
Verlag der E. Akademie
1895.
In Commission des 6. Franz'schen Verlags (J. Roth).
7^ UoclUl.|5.lO
/ .-• .s . --.■^ y
\
I
/■
Inhalts - üebersicht.
Die mit * bezeichneten Abhandlungen sind in den Sitsnngsberichten nicht abgedruckt.
OeffenÜkhe Süjsung der kgl. Akademie der Wissenschaften eur
Feier des 135. Stiftungstages am 28. März 1894. g^,^
V. "Pettenkofer: Einleitende Worte 149
V. Ohrist: Nekrologe 149
V. Cornelius: Nekrologe 155
Oeffentliche SUjstmg zu Ehren Semer Majestät des Königs tmd
Seiner Königl. Hoheit des Prinzregenten am 15. November 1894.
T. Fettenkofer: Eröffiiungsrede 419
Wahlen 426
Philosophisch-philologische C lasse.
Sitzung vom 13. Januar 1894.
^ y. ^hrist: Das Theater des Polyklet in Epidauros in seiner
litterar- nnd kunsthistorischen Bedeutung 1
Sitzung vom 3. Febnmr 1894.
H. Paul: Üeber die Aufgaben der wissenschaftlichen Lexiko-
g'raphie mit besonderer Rücksicht auf das deutsche
Wörterbuch 53
Sitzung vom 3. März 1894.
Wölfflin: Die neuen Aufgaben des Thesaurus linguae latinae 98
IV
Sitzung vom 5. Mai 1894.
Seite
Menrad: Ueber die neuentdeckten Genfer Homerfraji^mente
und den Wert ihrer Varianten 165
*v. Müller: Ueber Galen's verlorenes Werk vom Beweis . . 182
Sitzung vom 2. Juni 1894,
*v. Maurer: Weitere Bemerkungen über die Hui dar Saga 183
Sitzung vom 7. Juli 1894,
Carriere: Fichtes Qeistesentwickelung in den Reden über die
Bestimmung des Gelehrten 287
Sitzung vom 3, November 1894.
N. Wecklein: Die Eompositionsweise des Horaz und die
epistula ad Pisones 379
Sitzung vom 1, Dezember 1894,
V. Maurer: Ein neues Bruchstück von Södermannalagen . . 427
Krumbacher: Michael Glykas . . . i 391 (491)
Historische Classe.
Sitzung vom 13, Januar 1894,
Friedrich: üeber die Capitula Angilramni 52
*
Sitzung vom 3, Februar 1894,
*Stieve: üeber Witteisbacher Briefe, Abteilung Vm ... 92
Sitzung vom 3, März 1894,
*v. Hefner-Alteneck: Ueber die Gräber der Fürsten und
Ritter zu Heilsbronn 124
V. Rockinger: Zu einer handschriftlichen Bezeichnung des
Landrechts des sogenannten Schwabenspiegels als Nürn-
berger Recht 124
I
V
Sitzung vom 5. Mai 1894,
Seite
*Qaidde: Einfluss Papst Innocenz III. aaf das Recht der
^ deutschen Königs wähl 182
* Heigel: Beiträge zur Geschichte der Wahl Leopolds II. zum
römischen König 182
Sitzung vom 2, Juni 1894,
Dove: Corsica und Sardinien in den Schenkungen an die
Papste 183
Sitzung vom 7. Juli 1894,
H. Simonsfeld: Die Wahl Friedrichs I. Rothbart .... 239
V. Oefele: Traditionsnotizen des Klosters Kühbach .... 269
Sitzung vom 3, November 1894,
^Lossen: üeber Nuntiaturberichte und andere Akten des Vati-
kanischen Archivs als Quellen der Geschichte des Kölnischen
Kriegs 390 (490)
Sitzung vom 1, Dezember 1894.
V. Reber: üeber die Stilentwicklung der schwäbischen Tafel-
Malerei im 14. und 15. Jahrhundert 843 (443)
Einsendungen von Druckschriften 857, 561
Register 583
IV
Sitzung vom 5. Mai 1894.
^ Seite
Menrad: lieber die neuentdeckten Genfer Homerfragmente
und den Wert ihrer Varianten 165
*v. Müller: üeber Galen'a verlorenes Werk vom Beweis . . 182
Sitzung vom 2. Ju/ni 1894,
*v. Maurer: Weitere Bemerkungen über die Hui dar Saga 183
Sitzung vom 7. Juli 1894,
Carriere: Fichtes Geistesentwickelung in den Reden über die
Bestimmung des Gelehrten . : 287
Sitzung vom 3. November 1894,
N. Wecklein: Die Kompositions weise des Horaz und die
epistula ad Pisones 379
Sitzung vom 1. Dezember 1894,
V. Maurer: Ein neues Bruchstück von Södermannalägen . 427
Krumbacher: Michael Glykas . . . : 391 (491)
Historische Classe.
Sitzung vom 13, Januar 1894,
* Fried rieh: üeber die Capitula Angilrarhni 52
Sitzung vom 3. Februar 1894,
*Stieve: üeber Witteisbacher Briefe, Abteilung VllI ... 92
Sitzung vom 3. März 1894.
*.v. Hefner-Alteneck: üeber die Gräber der Fürsten und
Ritter zu Heilsbronn 124
v. Rockinger: Zu einer handschriftlichen Bezeichnung des
Landrechts des sogenannten Schwabenspiegels als Nürn-
berger Recht 124
y
Sitzung vom 5, Mai 1894.
Seite
^Quidde: Einfluss Papst Innocenz III. auf das Recht der
deutschen Königs wähl 182
*Heigel: Beiträge zur Geschichte der Wahl Leopoldfl II. zum
römischen König 182
Sitzung vom 2. Jtmi 1894,
Dove: Corsica und Sardinien in den Schenkungen an die
Päpste 183
Sitzung vom 7. Jtdi 1894,
H. Simonsfeld: Die Wahl Friedrichs I. Rothbart .... 289
y. Oefele: Traditionsnotizen des Klosters Kühbach .... 269
Sitzung vom 3. November 1894.
*Lossen: Ueber Nuntiaturberichte und andere Akten des Vati-
kanischen Archivs als Quellen der Geschichte des Kölnischen
Kriegs 390 (490)
Sitzung vom L Dezember 1894.
V. Reber: lieber die Stilentwicklung der schwäbischen Tafel-
Malerei im 14. und 15. Jahrhundert 343 (443)
Einsendungen von Druckschriften 357, 561
Register 583
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chte
der
philosophisch - philologischen
und der
historischen Classe
der
k. b. Akademie der Wissenschaften
zu JMüincherL.
1894. Heft L
Hflnchen
Verlag der E. Akademie
1894.
In Commission des 6. Frans'schen Verlags (J. Both).
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Sitzungsberichte
der
köaigl bayer. Akademie der Wissenschaften
Philosophisch-philologisclie Classe.
, ^ Sitzung vom 13. Januar 1894.
Herr v. Christ hielt einen Vortrag:
^Das Theater des Polyklet in Epidauros in
seiner litterar- und kunsthistorischen Be-
deutung.**
Der Perieget Pausanias ist in seinen Angaben über The-
ater ungewöhnlich karg, sei es dass er überhaupt den Stätten
der dionysischen Kunst weniger Interesse entgegenbrachte
als den Tempeln der Götter, sei es dass mehrere der noch
erhaltenen, in unserer Zeit wieder ausgegrabenen Theater,
wie die von Oropos, Thorikos, Eleusis, in den Quellen, von
denen unser Perieget abhing, nicht verzeichnet waren. ^) Um
. so mehr Beachtung verdient das ausnehmende Lob , das er
dem Theater des Polyklet in Epidauros spendet: Zwar über-
1) Denn dasa dieselben erst in der Zeit nach Pausanias ent-
standen seien, muss schon nach ihrer Anlage als ausgeschlossen
gelten.
1894. Phüos.-pIuloL n. bist. Gl. 1. 1
2 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 13. Januar 1894,
träfen die römischen Theater an Glanz und Schmuck alle
anderen, zwar sei auch das Theater der Arkadier in Megalo-
polis grösser, aber an Ebenmass und Schönheit komme nichts
dem Theater des Polyklet in Epidauros gleich.^) Von diesem
berühmten Theater sahen die Reisenden und Kunstfreunde
aus der Zeit vor Hellas' Wiedergeburt, wie Chandler und
Leake, nur die dürftigen Reste, die über den Boden empor-
ragten, und es gehört daher zu den grossen Verdiensten der
archäologischen Gesellschaft zu Athen, dass sie vor 13 Jahren
durch Kabbadias die Ruinen des Theaters wieder aus-
graben liess. Durch seine Bemühungen und die Nachprüfungen
von Dörpfeld ist uns jetzt ein vollkommener Einblick in
Anlage und Plan des gefeierten Baus erschlossen, der uns
zugleich eine Vergleichung mit dem älteren Dionysos-Theater
in Athen und eine Vorstellung von dem Einfluss der Schöpfung
des Polyklet auf die jüngeren Theaterbauten ermöglicht. Da
ich selbst nicht das Glück hatte, mit eigenen Augen von den
Ausgrabungen in Epidauros Kenntnis zu nehmen, so stütze
ich mich auf die Mitteilungen von Kabbadias in den
TlQaxTiYM Trig clqx- ezaiQ, 1882 und 1884*) und von Ka-
verau in Baumeister's Denkmäler des klass. Altertums
III Taf. 1814 und 1815. Aus diesen Werken wiederhole ich
auch hier auf Taf. 1 zur Bequemlichkeit der Leser den Plan
des Theaters.
Ehe ich auf die Eigentümlichkeiten der Anlage des neu-
entdeckten Theaters und die Vergleichung mit anderen The-
1) Paus. II, 27, 5 'EjiidavQioig de ioti '&eaxQov sv T(p isgcp, judhora
EfAol doxsXv "^sag ä^iov' xa juev yaQ 'Pco/naicov uioXv ö^ tt vjisQtJQXs x&v
Ttavzaxov x<p x6ö[jiq>, fieys^ei Ss 'Agxddoov x6 ev MsydXn noXei ' aQfxoviag
Ss fj xdXlovg evexa aQxixsxxcov JtoTog ig äfJiikXav UoXvxXsixcp yevoix^ av
d^idxQSCog; üoXvxXeixog ydo xai ^saxQOv xovxo xat oixrjjLia x6 JteQc<psQeg
6 Jtoii^oag rjv.
2) Die Berichte und Pläne auch bei Cavvadias, Fouilles d*Epi-
daure, Athen 1891.
Christ: Das Theater des Pelyklet in Epidauros. 3
atem eingehe, sei es mir gestattet, ein paar Punkte heraus-
zuheben, welche durch die neue Entdeckung Licht erhalten
haben.
I.
Durch ein Scholion zu dem Rhetor Aristides III 535
Dind. erfahren wir von zwei Standbildern in den Parodoi
des Theaters zu Athen: dvo elaiv avÖQiavreg Iv t(^ lid^r^vriai
^carg^ü, 0 f.tiv ix, de^icov Qef.uo'VOxXiovg ^ 6 ö' i^ Bviovvf.ia)v
MiXTiddov^ TtXtjoiov öi avraiy enaieqov Ueqarjg al^f^taXcovog.
Ferner lesen wir zur Stelle des Aristides or. XLVI p. 161, 13
MiXTiddrjv di tov ev Maqad^cdvi tcov xoqov Ta^Of.i€v ij rd^iv
Tiva; ri ^7^Xov öii tr^v tvqo tov O-edvQOv xat ov naaiv iv
y.aXu) TT^g d'iag eavai; tiX^v y' ooov oi"/, dqiöTeqoaxdzrig
avf^Q fAaXXov iq tov öb^lov TÖig ^'EXXrjOc xeQcogy in den Scholien
a. a. 0. folgende Erklärung: d^eivov ovv 7^f,iog i^eqydaaaO^ai
(fort. i^Tjyriaaad^ai)^ ort 6 x^Q^Q^ ^Vß elatjei iv Tg 0Qxi]avQ(f^
1l (ij V. 1.) iaii O^vj^iXi], e§ dqiaieqiov avxifi elai^QxeTO, iva
evqed-^ ix de^uuv tov agxovtog, Tovg ovv xaXoig twv x^QSv^
TCOV EvavTov eioiovieg iv Tolg kavTcav dgiOTBoolg^ iva Evqe^tiai
Ttqog TOV ^r^f,lov oqwvxeg, q)rjalv ovv ovTiog ' Td^of.tev tov MiX-
Tiddtjv Ttqog Tt^i O-edvQCiiy o iaziv dqiaxeqov' elva i/reicJij" to
oQioveQdv iv noXif^K^ ovx lozi xQ'^<^'^ov^ dXXd to de^iov -xdX*
Xiov xat evTiiLiov vev6f4iatai xat dvÖQeiag iaii TexfAtjQiov,
fpr^aiv OTi iv Tfji 7toXii.i(^ ovx dqiaieqooTdTrjg r(v 6 MiXTidärjg^
dXXd TOV de^iov xigcog rffeito Tolg ^'ElXrjaiv, Der Rhetor
Aristides sagte demnach in seiner gesuchten Manier: wir
werden den Miltiades in die linke, den Augen der Zuschauer
zugekehrte Reihe des Chors stellen, wiewohl er im Krieg
nicht den linken, sondern den rechten Flügel befehligte.
Der eine der Scholiasten — denn wir haben in den Scholien
oflfenbar zwei von einander abweichende Erklärungen — er-
höhte noch die Geschraubtheit der Stelle, indem er die Stand-
bilder des Miltiades und Themistokles in die Erkärang herein-
4 Sitzung der phüos.'phüöl. Classe vom 13. Januar 1894.
zog, an die der Rhetor selbst schwerlich gedacht hat. Aber
wenn auch der Scholiast, der es besser zu wissen glaubte,
nur unnütze Weisheit auskramt, so danken wir ihm doch
die wichtige Notiz, dass in der Parodos des Theaters sich
rechts und links (natürlich vom Zuschauer aus) die Stand-
bilder des Themistokles und Miltiades befanden. Die Statue
wenigstens des einen der beiden athenischen Heerführer stand
aber im Theater zu Athen schon zur Zeit des Andokides
im 5. Jahrh. (415) v. Chr. Das ersehen wir aus der Rede
des Andokides über die Mysterien c. 38, wo der Redner den
Anzeiger Diokleides Folgendes aussagen lässt: dvaatag di
7tQ(^ xp€vad-etg ty^ äqag ßadl^eiv eivai de navöiXrjvov 67t et
de Ttagä to TvqoTtvhxiov %d Jiwvvoov tjv, oq^v dvd^Qw/tovg
TtoXloig dno xov (^deiov xaraßalvovrag elg rrjv OQxtiOTqav
deiaag de avxoig elaeX&cov vtzo tt^v omäv yta&ei^ea&ai fieta^v
Tov niqvog nat Trjg arijAiyg, eqp' j 6 OTqarrjyog eariv 6 xaÄ-
novg. Es trat also Diokleides in die westliche Parodos ein
und setzte sich an der südlichen Seitenwand des Eingangs
nieder. Das erste, dass er in die westliche Parodos eintrat,
folgt daraus, dass die Verschworenen auf der anderen Seite,
von dem Odeon des Perikles her, hereinkamen, das Odeon
aber nach dem Zeugnis des Vitruv V 9, 1 östlich von dem
Theater lag. Es war also die Statue des Themistokles,
zwischen der und den Säulen der Vorhalle Diokleides sich
niedersetzte; denn diese befand sich nach dem Scholiasten
des Aristides an der rechten, d. i. westlichen Parodos. Das
zweite, dass sich Diokleides an der südlichen Flankenwand
der Parodos niedersetzte, geht aus dem Stand des Monds und
der Lage des Theaters am Südabhang der Akropolis l^ervor.
Denn zur Zeit des Vollmondes lag eben die südliche, nicht
die nördliche Flankenwand voll im Schatten.*) Aber wo
1) Von derselben südlichen Flankenwand heisst es in Aristoph.
Eccl. 496 dAA* eia Sevq^ im oxiäs iX^ovaa jiqos t6 reix^ov.
Christ: Das Theater des Polyklet in Epidauros, 5
befand sich das Pendant zam Standbild des Themistokles, die
Statue des Miltiades? Man kann von vornherein ebenso gut
an die nördliche Flankenwand der gleichen westlichen Pa-
rodos denken wie an die südliche Flankenwand der entgegen-
gesetzten östlichen Parodos. Wieseler, der hochverdiente
Begründer der scenischen Archäologie, entschied sich in seiner
letzten Schrift, Scaenica in Gott. Nachr. 1890, S. 6, für
die letztere Annahme. Dass er damit das Rechte traf, lehren
deutlich die Ruinen des Theaters von Epidauros. Dort fand
nämlich Kabbadias (Prakt. 1872 S. 18) an dem Ende der
Analemmata oder der Flankenwände des Zuschauerraumes zu
beiden Seiten je eine viereckige Platte (A u. A' auf dem Pli^n),
0,27 m hoch, 0,80 breit, 0,82 dick, aufweichen Platten, wie Kab-
badias gleich erkannte, ehedem Statuen stunden. Diesen ent-
sprachen genau die oben besprochenen Statuen des Miltiades
und Themistokles im Theater von Athen, nur dass diese sich
näher der entgegengesetzten Flankenwand der Parodos be-
funden zu haben scheinen.^) Es verlohnt sich nach dieser
sachlichen Aufklärung kaum mehr, zu fragen, wie sich der
verschrobene Scholiast des Aristides die Sache dachte. Aber
doch kann man sich noch unschwer in seine Vorstellung
hineinfinden; er verstand unter dvf^iiXr] nach dem späteren
Sprachgebrauch, worüber ich bei Fleckeisen in den Jahrb.
f. class. Phil. 1894 S. 31 f. gehandelt habe, das Gerüst, auf
dem die Schauspieler spielten, und sagte nun, dass der Chor
bei dem Einzug in die Orchestra links von der Thymele und
rechts von dem Archon einherschreite.
Nebenbei sei auch noch bemerkt, dass nach der lieber-
lieferung des Scholiasten des Aristides zur Zeit desselben
noch nicht das Proskenion nach römischer Art bis zum Mittel-
1) Das ist wenigstens das Natürliche, da Diokleides, der sich
im Schatten der südlichen Flankenwand niedersetzte, zwischen
der Säule der Vorhalle und der Stele des Themistokles sich gesetzt
haben soll.
6 Sitzung der phüosrphUöl, Glosse vom 13. Januar 1694.
punkt der Orchestra vorgerückt war. Denn damit mussten
jene Statuen ihren Platz verlieren. Wenn daher auch Nero
Neuerungen in dem alten Dionysostheater vornahm, so hat
er doch noch nicht jene totale Veränderung vorgenommen,
welche den alten Zierden des Theaters ihren richtigen Platz
nahm.
Ein zweiter Punkt wird sich kürzer abthun lassen. In
der alten Erklärung von dvf.ulr] oder ßcoi,idg Jiovvaov im
Etym. M. u. a'^rjV)] ' elra fiexa tijV OQxriaiqav ßcoindg ^v rov
^ioviaoi\ Te^tqayiovov oiy.od6i,iri(.ia nsvdv int tov f^iaov, o
Tcaleirai ^vf,uXrj naqa t6 d^veiv, hat man mit xevov nichts
rechtes anzufangen gewusst und dasselbe geradezu in das
nichtssagende xeifievov zu ändern gewagt. Auch hier bringen
die neuen Ausgrabungen des Theaters in Epidauros Licht.
Dort fand Kabbadias genau im Mittelpunkt der Orchestra
einen runden Stein, 0,71 m im Durchmesser, in dem er den
Altar oder die Thymele erkannte. Und in der That, wo
anders hätte der Altar stehen sollen oder welcher andere
von den aufgefundenen Steinen hätte einen gleichen Anspruch
auf diesen Ehrennamen? In der Mitte jenes Steines befindet
sich aber ein kreisrundes tiefes Loch, worüber Kabbadias:
iv Tip TiivTQfp (J' avTov l'xsi ßad^eiav neqiq^eQrj OTttjv^ ijzig
ovTCjg elv€ to ^livvQOv zov oXov 'kvxXov, Da haben wir ja
das lievov eni tov [.Uaov^ das wir suchten. Was es für eine
Bedeutung hatte, das ist eine andere Frage, über die sich
nur Vermutungen aufstellen lassen : entweder es bezeichnete
wirklich, wie Kabbadias annahm, den genauen Mittelpunkt
des Kreisrundes, oder es diente, wie so oft derartige Löcher,
zum Halt für das auf den Stein zu stellende Götterbild oder
den auf die Basis zu setzenden Altar.
Drittens sind mir noch von besonderer Wichtigkeit zur Auf-
klärung alter Zweifel die beiden Türen (B u. B') am Ende der
vorderen Flanken wand der beiden Parodoi gewesen. In den
Fröschen des Aristophanes spielt nämlich zwar die erste
Christ: Das Theater des PolyJclet in Epidauros. 7
Scene V. 1 — 196 oben auf der Bühne {sTtt aKrjvrjg). Nach-
dem aber Dionysos links im Hintergrund der Bühne in den
Nachen des Charon eingestiegen war, muss eine Aenderung
der Scenerie eingetreten sein, mit der zugleich eine Aen-
derung im Spielplatz der Schauspieler verbunden war. Nach-
dem nämlich Dionysos V. 270 aus dem Nachen des Charon
wieder ausgestiegen war, befand er sich nicht mehr auf der
Oberwelt, sondern in der Unterwelt. Um sich das leichter
vorzustellen, war der Phantasie des Zuschauers ein kleiner
Behelf gegeben worden : spielten die ersten 196 Verse oben
auf der Bühne, so befanden sich von V. 270 an (bis V. 415)
der Gott Dionysos und bald darauf auch sein Diener Xan-
thias unten in der Orchestra. Das haben bereits die alten
Grammatiker erkannt und, wenn auch schwankend, ange-
merkt in den Scholien zu V. 181 i^lXotwa^ai x^rj rrjv axrjnqv
xa* eivai xara rijv lixaqovalav Xifivrjv xov totxov enl tov
loyelov rj enl Tfjg OQxi^arQagy zu V. 297 q>aivovTai de om
elvai ent tov Xoyeiov^ aXX' irrt xii^q oqxr^oiqag^ iv jj 6 /lio-
vvaog eveßt)^ und zu V. 270 i.ietaßiß'krjtai ^ axiyvi] xat ye-
yovev VTtoyeiog, Das geht aber auch ganz unzweifelhaft
daraus hervor, dass V. 297 der Gott Dionysos in seiner Angst
seinen Priester um Hilfe anruft: leQev diag)vXa^6v fi\ iV w
aoi ^vfiTtovrjg. Denn der Priester des Dionysos sass bekannt-
lich mitten in der ersten Sitzreihe, und der ganze Witz ging
verloren, wenn sich nicht damals Dionysos in seiner un-
mittelbaren Nähe befand, so dass er sich zur Not neben ihn
setzen konnte, wie man zum Zechen zusammensitzt. Aber
wo befand sich Dionysos vor V. 270, und wo stieg er aus
dem Nachen? Dass die quakenden Frösche nicht auf der
Bühne gesehen wurden, sondern hinter der Bühne, verdeckt
vor den Zuschauern, ihr Begleitlied sangen, ist natürlich und
ist richtig schon von den Scholiasten angemerkt zu V. 209
oi'X OQCÜvTai ev r(f d^edtQtp ol ßaxqayjOL ovöe 6 x^Qog, aAA'
eoio&ev ^ifiovvrai Tovg ßazqcL%ovg. Aber auch der Nachen
8 Sitzung der phüos.'philoh Classe vom 13, Januar 1894.
mit Charon und Dionysos wurde schwerlich quer über die
Bühne gezogen; so etwas erforderte, wenn es nicht lächer-
lich werden und alle Illusion stören sollte, grössere tech-
nische Hilfsmittel als die alten Bühnenmechaniker damals
und überhaupt jemals im Altertum gehabt haben. Ich be-
haupte also, dass zwischen V. 207 und 270 die Bühne leer
blieb und die Zuschauer sich denken mussten, dass inzwischen
Xanthias aussen um den See herumlief und Dionysos unten
unter der Bühne über die See fuhr. Aber mit V. 270 kommt
Dionysos wieder zum Vorschein, indem er dem Fährmann
die zwei Obolen gibt und aus dem Nachen steigt. Wo ge-
schah dieses? Jedenfalls in der Nähe der linken Parodos;
denn dort kommt alsbald auch wieder Xanthias zum Vor-
schein, nachdem er inzwischen aussen ums Theater herum-
gegangen war. Den Ort genau zeigt uns jetzt die Türe B'
in der inneren Seitenwand der Parodos des Theaters in Epi-
dauros. Die war vermutlich gerade so gross wie die linke
Seitentür in der Rückwand der Bühne, so dass Dionysos
bequem in den Nachen ein- und aussteigen konnte, von dem
Nachen selbst aber nichts oder nur weniges gesehen wurde.
Vielleicht war dieses, um das noch nebenbei zu be-
merken, auch die Türe, welche der Intrigant Meidias dem
Demosthenes vernagelte, damit dessen Chor nicht auf dem
gewöhnlichen Weg aus den rückwärts liegenden Ankleide-
zimmern in die Orchestra gelangen konnte. Im allgemeinen
sah dieses auch richtig der Scholiast ülpian zu Demosth.
Mid. 17: to naQaoxrjvia q)QdTza)v' tovTeaTiv dno(pqa%TU)v
Tag ent Trjg axrjvrjg eioodovg, iva 6 x^Qog QvayycaCrjTai neqi^
livai did Trjg k'^cod-ev elaodov xat ovtio ßqadvvovrog ixeivov
Gv/.ißaivr] TcaTayeXaaO^ai Jrjßoad^ivjjv^ wiewohl er mit dem
Zusatz eirl rrjg oxr^v^g eine falsche Vorstellung einmischte.
Indes spreche ich über die Demosthenesstelle nicht mit der
gleichen Zuversicht; denn in Athen konnte vielleicht auch
weiter rückwärts in der Parodos der Chor durch eine
\
\
Christ: Das Theater des Pölyklet in Epidauros, 9
Seitentüre zunächst in die Parodos und dann in die Or-
chestra gelangen.
n.
Pausanias bewunderte zumeist, wie wir sahen, an dem
Theater des Polyklet die Schönheit und Harmonie. Die
Schönheit wird sich vornehmlich in dem künstlerischen
Schmuck des Baues, in den Bildwerken (aydlfiata), den ge-
schmackvollen Formen der Sessel und Lehnen und besonders
in der Ausstattung der Skene und des Proskenion ausge-
drückt haben. Denn auf die Ausschmückung dieser beiden
Begrenzungen der Bühne, der hinteren und vorderen Bühnen-
wand (scaenae frons und proscaenii finitio) verwandten die
Alten die meiste Sorgfalt. Von der ßühnenrückwand können
wir nicht viel sagen, da uns von derselben ausser den Fun-
damenten nicht viel erhalten ist; auch war auf dieselbe
schwerlich schon jene luxuriöse Ausstattung verwendet, die
an den römischen Theatern mehr den Blick blendete als
einen wohlthuenden, aus der Uebereinstimmung von Zweck
und künstlerischem Vermögen entspringenden Eindruck
machte. Aber von der Vorderbühnenwand, dem Proskenion,
ist so viel erhalten, dass eine vollständige Rekonstruktion
derselben möglich war (s. Kaverau bei Baumeister n. 1815).
Die Verzierung der Wand mit jonischen Halbsäulen, die
Gliederung in einen langen Mittelbau und zwei schmale,
leise vorspringende Flügel, die ebenmässige Verteilung der
3 Türen auf die 3 Teile, das für Hallenbauten bestens
passende Verhältnis von ca. 27 m. Länge und ca. 3,5 m.
Höhe, dieses alles macht den Eindruck schöner und har-
monischer Anlage. So etwas hatte das alte Theater in Athen
nicht aufzuweisen ; dort existierte ein vorderer Abschluss der
Bühne in Stein überhaupt nicht, und auch über einen künst-
lerischen Abschluss in Holz durch eine verzierte Brüstung
oder geschmackvolle Stufenanlage ist uns kein Anzeichen
erhalten.
10 Sitzung der phüosrphüoh Glasse vom 13, Januar 1894,
Wir sind schon bei der Betrachtung des Proskenion aus
dem Bereich der Schönheit im allgemeinen in die engeren Ver-
hältnisse der Harmonie hinübergeführt worden. Die aQf.iovia
hebt Pausanias an erster Stelle hervor und sie gab über-
haupt dem Bau des Polyklet sein künstlerisches Gepräge.
Verfolgen wir das im einzelnen ! Da haben wir vorerst eine
Gliederung der Cavea in 2 Stockwerke und eine Einteilung
des unteren Stockwerkes in 12, des oberen in 22 Keile (xeg-
yJöag) vermittels Rundgang (dia^o)f.ia) und Treppen (xXi-
ftaueg). Dadurch, dass in der oberen Abteilung zwischen je
2 Treppen der unteren Abteilung eine weitere Treppe in
deren Mitte angebracht wai», wurde eine ebenmässige Breite
der einzelnen Keile erreicht, die wir in Athen vermissen.
Der Umstand, dass oben die 2 äussersten Keile wegblieben
und auf solche Weise das obere Stockwerk 22 statt 24 Keile
erhielt, konnte kaum störend wirken und entsprach einem
Gesichtspunkt der praktischen Zweckmässigkeit, da in jenen
oberen Flügeln der Blick auf die Bühne durch die Para-
skenien gehindert war. Die Einteilung des unteren Stock-
werkes aber in 12 Keile, während das Theater in Athen 13
hatte, ergab eine ebenmässige Verteilung in 2 Hälften von
je 6 Keilen und Hess die mittlere Treppe in eine Linie mit
dem Centrum der Orchestra, der Mitteltüre der Buhne und
dem mittleren Gebälkträger des hinter der Bühne gelegenen
Requisitenraumes fallen. Das ergab eine besonders hübsche
Symmetrie, indem so durch die eben beschriebene Linie das
ganze Theater in allen seinen Teilen in 2 entsprechende
Hälften zerfiel. Freilich ob die Athener jener Harmonie zu
lieb ihre 13 Keile aufgegeben hätten, ist mir noch sehr
zweifelhaft. Die Symmetrie hatte nämlich auch ihre Schatten-
seite : der Mittelplatz in den Sitzreihen fiel so auf die Trep-
pen, und da man auf die Treppen keinen Sessel stellen konnte,
so konnte man in Epidauros nicht wie in Athen dem Priester
des Gottes Dionysos den Ehrensitz gerade in der Mitte der
Christ: Das Theater des Pölyklet in Epidanros. H
Throne geben. Vermutlich war dieses in Epidauros nicht
störend, da man dort kein gleich ausgebildetes Staats- und
Priesterwesen hatte, wie in Athen, und da der Oberpriester
des Asklepios auch schwerlich Lust zeigte, dem Priester des
Dionysos einen besonderen Ehrenplatz anweisen zu lassen.
In der Orchestra finde ich die Harmonie nach 2 Seiten
besonders hübsch gewahrt. Der Dionysosaltar in der Mitte
der Orchestra hatte in Athen, wenn uns die Definition im
Etym. M. TexQctycovov olxodrjfAa nevov hrl zov fiiaov und das
rautenartige Mittelstück im Orchestrapflaster einen Schluss ge-
statten, die Gestalt eines Vierecks, in Epidauros war er rund.
Das gab eine sehr schöne Harmonie, da auch die Orchestra
rund war und so der Rundung der Orchestraperipherie die
Rundung der Thymele in der Mitte der Orchestra entsprach.
Das Ebenmass trat noch mehr in die Augen, wenn um den
Altar Chöre ihre Dithyramben und Päanen sangen; denn
auch die kyklischen Chöre waren bekanntlich im Kreise auf-
gestellt und hatten davon den Namen yitxXioi %oqoi.
Bin zweiter Punkt betrifft die Erweiterung des Orchestra-
bogens nach dem Proskenion zu. Auch in Epidauros waren
die Sitzreihen der Zuschauer um ca. 2 X 15 Grad über den
Halbkreis hinaus nach vorn weiter gezogen, so dass Orchestra
und Cavea nicht mehr die Form eines Halbkreises, sondern
eines Hufeisens hatten. Das war in Epidauros wie in Atlien
offenbar in der Absicht geschehen, Platz für eine grössere
Menge von Zuschauem zu schaffen. Ebenso wollte man in
beiden Städten dadurch, dass man die Linie jenseits des
Halbkreises weiter zurückzog, verhindern, dass den rückwärts
Sitzenden durch die Vordermänner die Aussicht auf die Bühne
verkümmert werde. Aber während in Athen sich die Sitz-
reihen jenseits des Diameters in sehr unschöner Linie von
der ursprünglichen Kreislinie entfernen, geschieht dieses in
Epidauros in geringerem und deshalb weit weniger die Pro-
portionen störendem Masse. Der amerikanische Gelehrte
12 Sitzung der phüosrpfUlöl, Glosse vom 13. Januar 1894.
Capps hat bereits in dem durch die Güte des Verfassers
mir zugeschickten Aufsatz, Vitruvius and the Greek stage
(Studies in class. philol. of the university of Chicago 1893)
p. 20 richtig bemerkt, dass so die Verhältnisse des Theaters
in Epidauros sich mehr der Konstruktion des Vitrnv nähern^),
vorausgesetzt dass man, wie Capps selbst und zuvor auch Weck-
lein, Philol. 31, 438 undPetersen, Wien. Stud.Vn(1885) 181
empfohlen haben, nicht den Radius (so Oehmichen, Griech.
Theaterbau S, 15 ff. und A. Müller, Hdb. d. gr. Bühne
S» 17), sondern den Diameter in den Zirkel nimmt und mit
ihm von den Schnittpunkten des Diameters und der Peripherie
aus Kreise nach dem Proskenion zieht.») Jedenfalls hat
die Orchestra und im Zusammenhang damit auch die Cavea
in jenem über den Halbkreis hinaus verlängerten Teile in
Epidauros weit schönere und harmonischere Verhältnisse als
in Athen.
In den Seitenzugängen der Orchestra zeigt das Theater
in Epidauros wesentlich die gleiche Anlage wie in Athen;
1) Vitr. V 8 per centrum orchestrae a proscaenii regione paral-
lelos linea describitur et qua secat circinationis lineas dextra ac si-
nistra in cornihus hemicycUi centra signantur et circino conlocato in
dextro cornu, ab intervallo sinistro circumagitur circinatio ad pro-
scaenii sinistram partem. item centro conlocato in sinistro cornu, ab
intervallo dextro circumagitur ad proscaenii dextram partem.
2) Capps hat dabei, ohne zu wissen, dass Petersen a. a. 0. be-
reits dasselbe gethan, als Hauptbeweis für die Richtigkeit seiner Kon-
struktionsweise das angeführt, dass nur so dasjenige erreicht werde,
was Vitruv *als die Absicht der neuen Kreisziehung angibt : ita trtbus
centris hac descnptione ampliorem hahent orchestram Graed et scae-
nam recessiorem min^reque latitudine pulpitum. Denn die beiden
letzten Punkte, die geringere Tiefe und die weiter zurückliegende
Lage der Scene des griechischen Theaters hängen von dem ursprüng-
lichen Kreis und den in denselben eingeschriebenen Quadraten ab;
das erste aber, die grössere Weite der Orchestra, wird erst durch die
beiden neuen Kreise erreicht, aber nur, wenn sie mit dem Diameter,
nicht dem Radius geschlagen werden.
Christ: Bas Theater des Pölyklet in Epidauros. 13
neu beobachtet wird in Epidauros nur der Verschluss des
Eingangs auf beiden Seiten durch ein Doppelthor, das nicht
bloss durch seine ungewöhnlich gute Erhaltung, sondern auch
durch seine schönen Yerhältnisse gleich im Anfang die Augen
der Entdecker auf sich zog. Auch hier zeigt sich das Streben
nach harmonischer Durchführung ; es ist nicht ein einfaches
Thor, sondern ein Doppelthor, dessen beide ganz gleiche Teile
in der Mitte durch einen Zwischenpilaster getrennt sind; die
zwei Teile der Thore entsprechen den zwei Hauptteilen des
Theaters, Skene und Gavea, und den zwei Arten von Per-
sonen, die zum Spielen oder Sehen ins Theater kamen, und
Yon denen die einen durch das linke Thor zur Orchestra
und zu den Treppen der Cavea gelaugten, die andern durch
das rechte Thor auf einer Rampe zur Bühne hinauf-
gingen.
Von der Bühne habe ich bereits im yorausgehenden
Kapitel die ebenmässigen Verhältnisse der Vorderwand^ die
hübsche Verteilung der drei nach der Orchestra sich öffnen-
den Türen und die symmetrische Anlage von zwei in die
Parodoi gehenden Seitentüren besprochen. Aber hier handelt
es sich um eine weit wichtigere Frage, nämlich darum, wo
denn von den Schauspielern gespielt worden sei, ob vor dem
Proskenion, wie Dörpfeld will, oder auf der vorn von dem
Proskenion, rückwärts von der Skene begrenzten Plattform^),
wie die Anhänger der alten Lehre annehmen. Um in dieser
heftig in unseren Tagen diskutierten Frage ins Reine zu
kommen, ist es vor allem notwendig, sich über das Ver-
hältnis der Bühnenanlage in Epidauros zu dem griechischen
Logeion des Vitruv klar zu werden. Der römische Architekt
1) Mit Skene und Proskenion bezeichne ich der Einfachheit
wegen und im Anschluss an den alten Sprachgebrauch, den ich in
dem Aufsatz Bedeutungswechsel einiger auf das griech. Theaterwesen
bezüglichen Ausdrücke (Jahrb. f. class. Phil. 1894 S. 38 ff.) erörtert
habe, die hintere und vordere Bühnenwand.
14 Sitzung der johüos.-phüal, Glosse vom 13. Januar 1894,
gibt (V.8) über die Buhne folgende Bestimmung: ampliorem ha--
hent orchestram Graeci et scaenam recessiorem minoreque lati-
tudine pulpitum, quod Xoyelov appellant, ideo quod eo tragici
et comici actores in scaena peragunt^ reliqui autem artifices
suas per orchestram praestant actiones itaqtie ex eo scaenici
et ihymelici graece separatim uominantur. eius logei alti-
tudo fion minus debet esse pedum decem, non plus duodedm.
Betrachtet man unbefangen diese Worte, so wird jedermann
sofort die grosse Äehnlichkeit des yitruvischen Logeion mit
dem in Epidauros zwischen Skene und Proskenion befind-
lichen, ehedem gedielten^) Raumes erkennen. Der Architekt
von Epidauros gebrauchte zwar nicht dieselben Kreise wie
Vitruv, wie er denn auch in der Zahl der Keile, die be-
kanntlich bei Vitruv von den in den Kreis eingeschriebenen
Dreiecken und Vierecken abhängt, von dem römischen Ar-
chitekten abwich; aber die Hauptverhältnisse sind die glei-
chen. Zuerst soll die Höhe des Proskenion nach Vitruv
10 — 12' betragen; auf 12' hat aber auch Dörpfeld die Höhe
des Proskenion in Epidauros berechnet. Sodann soll das
griechische Logeion nach Vitruv weiter zurück liegen als die
römische Bühne, welche bis zum Mittelpunkt des ursprüng-
lichen Kreises heranreichte; das trifft bei dem Bühnengebäude
in Epidauros derart zu, dass das Proskenion sogar noch etwas
weiter zurück liegt, als nach der Konstruktion des Vitruv.
Drittens soll die griechische Bühne nach Vitruv weniger tief
als die römische sein, das ist, nur den Raum zwischen der
oberen Seite des in den Kreis eingeschriebenen Quadrates und der
mit ihr parallel laufenden Tangente des ursprünglichen Kreises
einnehmen; auch dieses trifft bei der Bühne in Epidauros
1) Von den Dielen selbst ist naturlich nichts erhalten, wohl aber
sind noch in dem Geison der Proskenionmauer die Oelfnungen für
Aufnahme der die Diele tragenden Balken bemerkbar ; s. Prakt. 1884
S. 48 und Tafel II 6.
Christ: Das Theater des Pölyklet in Epidauros, 15
zu ; denn die Tiefe derselben beträgt nicht ganz 3 m^), was
zu einem Kreisdurchmesser von 20 bis 24 m ein fast glei-
ches Verhältnis wie bei Vitruv ergibt. Wir sind also voll
berechtigt, anzunehmen, dass der Raum zwischen Proskenion
und Skene in Epidauros im wesentlichen dem Logeiou des
Vitruv entspricht.
III.
Vitrav V 8 in der oben ausgeschriebenen Stelle be-
zeichnet den Raum zwischen Skene und Proskenion aus-
drücklich als Xoyeiov^ auf dem die Schauspieler im grie-
chischen Theater spielten. Konnte der römische Architekt
bei dieser bestimmten, jede Fehldeutung ausschliessenden An-
gabe irren? Ist es denkbar, dass er den Ort, auf dem in
einigen Stücken Götter auftraten, mit dem Ort, wo gewöhn-
lich gespielt wurde, verwechselte? Ein Irrtum wäre möglich,
wenn Vitruv ein später Grammatiker gewesen wäre, der ohne
persönliche Anschauung seine Weisheit lediglich aus älteren
Scholiastennoiizen zusammengelesen hätte. Aber Vitruv war
kein Stubengelehrter, der ohne Zusammenhang mit der Welt
bloss in Büchern herumkramte; er war vielmehr ein Mann
der Praxis, der, wie seine von Vulgarismen wimmelnde
Sprache zeigt, sich viel besser auf sein Handwerk, als auf die
Kunst der Grammatik verstand.*) Sodann lebte Vitruv in
einer Zeit, in der es noch griechische Theater gab und noch,
griechische Dramen, Tragödien und Komödien, zur Auffuhrung
kamen, ja in der wahrscheinlich noch neue Theater in Hellas
1) Angegeben wird eine Distanz der Maaern von 2,41 -mx dazu
kommt aber für die Bühne noch die ganze Dicke der Vorder- und
eines Teiles der Rttckmauer.
2) Ich kann somit von vornherein nicht zustimmen, wenn mein
junger Freund Weissmann, Die scenische Aufführung der griech.
Dramen des 5. Jahrh. S. 78 den Vitruv durch seine 'litterarischen
Quellen' sich in Irrtümer verwickeln lässt.
16 Sitzung der philos.'phüoh Claaae vom 13. Januar 1894,
lind den hellenischen Städten Eleinasiens gebaut wurden, so
dass des Architekten Vorschriften auch noch praktische Be-
deutung hatten, wenn sich auch bis jetzt noch kein grie-
chisches Theater gefunden hat, das genau nach der Regel
des Vitruv gebaut sei. Keinesfalls wenigstens war Vitruv,
um eine Konstruktion für das griechische Theater zu ent-
werfen, auf Bücher und Notizen aus vergangener Zeit ange-
wiesen: nicht aus Grammatiken, sondern aus dem Leben der
Gegenwart zog er seine Kenntnis. Unter solchen Umständen
ist es äusserst unwahrscheinlich, dass Yitruy in einem solchen
Kardinalpunkt sich geirrt hat, oder dass er, wenn er sich ver-
sehen hätte, nicht sofort, noch vor Ausverkauf seines Buches
auf den Irrtum von seinen Zeitgenossen aufmerksam gemacht
worden wäre. Die Gegner müssten also ganz durchschlagende
Gründe vorbringen können, wenn wir uns zu einer so kühnen,
fast möchte ich sagen, unerhörten Annahme verstehen sollten.
Sind solche vorgebracht worden? Wir wollen sehen!
Man sagt, die Bühne ist zu schmal, und zieht zur Be-
leuchtung dieses Punktes ausser der Bühne von Epidauros
noch die von Oropos und vom Piräus*) heran. Der Einwand
wäre schwerwiegend, wenn auf der Bühne des Vitruv und
der genannten Städte die Lysistrate des Aristophanes oder
die Eumeniden des Aischylos oder auch nur der König Oedi-
pus des Sophokles hätten gegeben werden sollen. Chor und
Schauspieler wären auf einer so schmalen Bühne arg ins Ge-
dränge gekommen, und sicher hätte auf derselben ein Chor von
24 Chorenten keine Tänze aufführen können. Aber abgesehen
davon, dass es doch immer nur Ausnahmsfälle waren, wenn
der Chor auf der Bühne erschien — die Fälle sind aufge-
zählt und sorgsam besprochen von Bodensteiner, Szenische
Fragen im Jahrb. f. class. Phil., Suppl. XIX 684 flf. — der
1) Die Distanz der Mauern wird im Piräus auf 2,17 m. ang'e-
geben von Philios ÜQaxt. t. olqx* er. 1881 p. 55.
Christ: Das Theater des Polyklet in Epidauros. 17
Einwand besteht überhaupt nur für das Theater des 5. Jahr-
hunderts V. Chr. und nur für die Zeit, in der es einen Chor
gab und der Chor einen wesentlichen, nicht ablösbaren Teil
des Dramas bildete. Das lässt sich schon nicht mehr voll
für das 4. Jahrh. behaupten, noch weniger für die nach-
folgenden Jahrhunderte und die Zeit des Vitruv. Sieht man
aber von dem Chor ab, so hatten die 2 — 4 Schauspieler des
klassischen Dramas und auch die 2 — 5 des Plautus undTerenz
hinlänglich Platz auf der 3 m tiefen Bühne, ja umgekehrt
es stund diese geringe Tiefe mit der geringen Zahl der Schau-
spieler im besten Einklang, zumal auch das antike Theater
im Gegensatz zum modernen nur eine ganz kleine Anzahl
von Statisten oder stummen Personen zuliess. Wollte man
dagegen einwenden, dass Stücke des Aischylos, Sophokles und
Euripides auch noch nach deren Tod und auch noch zur Zeit
des Vitruv zur Aufführung kamen, so würde ich zuerst nach
Zeugen für die Aufführung der Eymeniden oder der Vögel
oder des Orestes in der Zeit des Vitruv fragen, dann aber
im allgemeinen bemerken, dass man im Altertum so gut wie
in unserer Zeit verstanden haben wird, alte Stücke so zu be-
schneiden und zurecht zu modeln, dass sie für die gegebenen
neuen Bühnenverhältnisse passten. Man wird gewiss auch
nicht bei Aufführung alter Tragödien die Senatoren aus dem
Parterre der Orchestra vertrieben haben, damit an ihrer Stelle
der Chor Platz habe und seine Reigen aufführe. Mein junger
Freund Pickard wird also vieles in seiner Dissertation, The
relative positipn of actors and chorus in the greek theatre
of the fifth Century (American Journal of Philology XIV)
streichen müssen, wenn er Zustände aus der Zeit des Aristo-
phanes und der drei Klassiker der griechischen Tragödie für
die Theorie Dörpfelds und somit indirekt gegen Vitruv ver-
werten will. Kurzum, das 5. Jahrh. v. Chr. hat vorerst,
wenn es sich darum handelt, ob Vitruv den kolossalen Irrtum
begangen habe oder nicht, ganz aus dem Spiel zu bleiben.
1894. Philos.-philol. u. hist. Cl. 1. 2
18 Sitzung der phüosrphüoh Classe vom 13, Januar 1894.
Damit ist auch schon dem zweiten Einwand der Dörpfel-
dianer die Spitze abgebrochen. Sie sagen, die Bühne des
Vitruv sei zu hoch; zu was diene eine Höhe von 10 — 12'
und wie könne dabei ein Wechselverkehr von Chor und
Schauspielern bestehen? Der Chor darf auch hier nicht in
die Diskussion gezogen werden ; der Fälle, wo Schauspieler
mit dem Chor abziehen oder sich unter den Chor mischen,
sind ausserdem so wenige, dass die betreffenden Stellen leicht
umgeändert werden konnten*), zumal Aristophanes, der die
meisten Fälle bietet, ganz ausser Betracht bleiben muss.
Denn davon, dass Stücke der alten Komödie noch nach dem
Tode der grossen alten Meister aufgeführt wurden, kann
doch gar keine Rede sein. Im übrigen hat ja in der That
die Höhe von 10 — 12' etwas auffälliges; denn so sehr es
uns im allgemeinen passend erscheint, dass der Vortragende,
mag er nun Schauspieler oder Sänger oder Redner sein,
etwas erhöht steht, so ungewöhnlich erscheint uns ein Po-
dium von 10 — 12' Höhe. Aber ein solches Bedenken ist nicht
kräftig genug, um uns in der gestellten Frage auf die Seite
der unwahrscheinlichsten aller Annahmen zu drängen. Noch
mehr sogar stösst sich mein ästhetisches Gefühl an der un-
verhältnismässigen Länge der Bühne (ca. 20 m) gegenüber
der geringen Tiefe (ca. 3 m); aber die war gefordert durch
die Weite des Theaterrunds, und das Missverhältnis konnte
leicht durch die Dekoration in der Weise gemildert werden,
dass nur das mittlere Drittel des langen schmalen Raumes
als eigentliche Bühne oder Vorplatz des königlichen Palastes
erschien.*) Aehnlich war vielleicht auch die grosse Höhe
1) Wir haben noch in unseren Texten Verse, welche in Folge
der geänderten Verhältnisse interpoliert wurden, wie Aisch. Eum. 405,
Eur. Orest. 1366 — 8, aber eine Interpolation, die mit. der Verhin-
derung des freien Verkehrs zwischen Chor und Schauspieler zusam-
menhinge, habe ich bis jetzt nicht aufstöbern können.
2) Vielleicht hängen mit jener seitlichen Begrenzung auch die
ehernen Gitter (xaXxä xdyxsXXa) zusammen, von denen das Etym. M-
Christ: Das Theater des Pölyklet in Epidaüros. 19
des Proskenion in Epidaüros und bei Vitruv in besonderen
Verhältnissen des griechischen Theaters begründet, wovon
gleich mehr.
Indirekt hat man in Verbindung mit der Theorie Her-
manns von der vor der Bühne aufzuschlagenden Thymele
gegen die Konstruktion Vitruvs den Umstand geltend ge-
macht, dass das Proskenion in Epidaüros und Oropos in der
Mitte eine Türe aufweist. Diese Türe sagt man, sei eben
diejenige gewesen, aus der die Schauspieler heraustraten, um
auf dem ebenen Platz vor dem Proskenion zu spielen. An
diesem Einwand ist das richtig, dass schwerlich je unmittel-
bar vor dem Proskenion ein mit der Bühne in Verbindung
stehendes Brettergerüst (dvfiskr]^ pulpitum) errichtet ward.
Denn damit wäre die Türe unnütz geworden und hätte der
Prachtbau des Proskenion mit seinem Säulen- und Bilder-
schmuck seine Bedeutung verloren. Aber ein solches Gerüst
hat man nur für den Chor angenommen, mit dem Wegfall
des dramatischen Chors seit dem Ende des 4. Jahrh. fiel
auch die Notwendigkeit eines solchen Gerüstes weg. Die
Türe an und für sich aber, von der im übrigen Vitruv nichts
weiss, spricht noch nicht gegen das von uns angenommene
Logeion; sie würde erst dagegen sprechen, wenn sich oben
an der Skene keine Türen befunden hätten. Nun hat man
allerdings weder in Epidaüros noch in Oropos oder dem
Piräus Reste von Türen oben in der Skenenwand ge-
funden, da von der Skene eben nur noch die Fundamente
oder unteren Maueransätze erhalten sind. Es konnten aber
recht gut Türen unten in dem Proskenion und oben auf dier
u. oxrjvi^ die Bühne seitlich begrenzt werden läset. Von den erhal-
tenen Dramen deutet eine Beschränkung der Bühne auf ein Drittel
des langgestreckten Raumes der Eingang der Elektra des Sophokles
an, indem auf dem rechten Drittel der Bühnenwand der Markt von
Arges, auf dem linken der Tempel der Hera, und nur auf dem
mittleren die Burg von Mykene dargestellt war.
2*
20 Sitzung der phüos.'phÜol. Glosse vom 13. Januar 1894.
Bühne ihre Stelle und ihren Gebrauch haben. Die Türe im
Proskenion unten erwies sich nämlich als sehr zweckmässig
für die Fälle, wo im Theater nicht oben auf der Bühne,
sondern unten in der Orchestra lyrische und anderartige
Vorstellungen gegeben wurden. Solche Falle sind aber ge-
nugsam bezeugt. So lesen wir bei Athenaios XIV 622® von
den Phallophoren, welche in der weiten Orchestra ihr necki-
sches Spiel auflPiihrten*), dass sie teils durch die Parodos,
teils durch die mittleren Türen eintraten: oi de q)aXloq)6QOi
TtaQBQYpvxai oi fiiv «x naqodov oi de '/.aza (Äsaag Tag
^vQag ßalvovreg ev ^vd-fjti^ xal Xeyoweg
aoi^ BdytX^^ i^ard« iiovaav ayhxvCpfjiev x. t. X,
eita TtQoaTQexovreg ezco&a^ov ovg av nqoeXoLvco ^ ordörjv
de enqaxTov, Aehnliches gilt von dem Musiker Asopo-
doros*), der nach der Erzählung des Athenaios*) durch dqp
Hyposkenion oder das Gelass unter der Bühne in die Or-
chestra zu einem musikalischen Agon eintrat.*) Nun wird
auch erhellen, wie Pollux dazu kam, jene Vorderwand v7to-
a^T^viov statt Ttgoaiir^viov zu nennen; denn wenn man mit
der Definition, die er IV 124 von dem Hyposkenion gibt
xo de vnoay^r^viov xioai xal dyakfiaxloig TLeycoofÄTjTO ngog
TO d-eaTQOv TeTQaf^juevoig in 6 xo Xoyelov xeljuevov, die mit
Säulen und Bildern geschmückte Bühnenvorderwand des The-
aters von Oropos zusammenstellt, so kann man nicht zweifeln,
dass der Grammatiker unter vrrooxrjviov im wesentlichen das-
1) Vgl. Harpokration u. ld^vq)aXXoi ' 'YjreQsiÖTjs ev xcp xax 'ÄQxeaTQa-
ridov' OL xovg l^v<pdXlovg sv xfj oq^'H^^Q^ oq^ov/lisvoi.
2) lieber die Lebenszeit dieses Asopodoros siehe Susemihl
Lit. d. Alexandriner II 577 An. 9.
3) Athen. XIV 631, 'AaconodcoQog 6 ^Xidöiog xQOTaXi^ofA.€vov Jiore
rivog xcöv avXr]xcdv Siaxglßcov avxog ext ev x(p vnoaHrjviqy, xi xovx* ; eijiev,
d^Xov oxi fiiya naxov yeyovev.
4) Vollständig zu berichtigen ist also Wie sei er, Griech. Theat.
253, wo es heisst: Der im Erdgeschoss belegene Raum unter der
Bühne stand regelmässig mit anderen Räumen desselben Geschosses,
nie aber mit der Orchestra unmittelbar in Verbindung.
Christ: Das Theater des Polyklet in Epidauros, 21
selbe versteht, was dort inschriftlich als tiqüoki^viov bezeichnet
ist.^) Jetzt wird es aber auch vielleicht klar werden, warum
Polyklet in Epidauros dem Proskenion die Höhe von 12'
gab. Diese Höhe empfahl sich schon von künstlerischem
Gesichtspunkt aus, weil auf solche Weise die Höhe der hallen-
artigen Vorderwand in das richtige Verhältnis zu ihrer Länge
kam; sie wurde geradezu notwendig, wenn der Kaum unter
dem Logeion als Durchgang für diejenigen Künstler diente,
welche in der Orchestra auftraten.
Noch einen Punkt muss ich hier berühren, auf den mich
Prof. Aug. Thiersch aufmerksam machte. Der kundige
Architekt, der aber auch von seinem Grossvater die Liebe
zum klassischen Altertum ererbt hat, und dem die heimische
Altertumskunde schon so vieles, wie namentlich die Kenntnis
des römischen Forums in Gampodanum verdankt, hob in einem
Gesellschaftsabend der Zwanglosen, wo ich über Dörpfelds
Entdeckungen, noch in übertriebenem Glauben an die neue
Lehre, sprach, mit Kennerblick hervor, dass die Türe des Pro-
skenion in Epidauros zu schmal für die Mitteltüre der Bühne
sei.^) Für gewöhnliche Stücke mochte wohl die Breite aus-
reichen, aber für diejenigen Stücke, wo durch jene Türe
Personen aus dem Gemach hinter der Skene herausgerollt
wurden, wie in Eur. Herc. 1029 Herakles selbst mitsamt
den von ihm gemordeten Kindern, war sie entschieden zu
schmal. Das Ekkyklema war ja überhaupt nur dadurch ent-
standen, dass einerseits die geringe Tiefe der Bühne eine
ausgedehnte Anwendung von Coulissen verbot, und anderseits
keine so langen Balken zur Verfügung stunden, um das
ganze Gemach rückwärts der Bühnenwand den Blicken der
1) Vgl. meinen oben schon erwähnten Aufsatz in Jahrb. f. cl. Phil.
1894 S. 42 und IlQaxr. r. dex- e^- 1886 Taf. III.
2) In dem Theater des Piräus hat die Mitteltüre eine Weite
von 2,10 m, in Epidauros von etwa 1,30 m, im Dionysostheater in
Athen von 1,60 m.
22 Sitzung der phüos.'phüöl. Glasse vom 13. Janitar 1894.
Zuschauer zeigen zu können; aber so schmal wird man nun
doch schwerlich die Türe gemacht haben, dass man nicht
bequem dasjenige, was man nax^hträglich den Zuschauern
zeigen wollte, herausrollen konnte.
Dörpfeld ist aber nicht bei der Negation stehen ge-
blieben, er hat für jenen Raum zwischen Skene und Pro*
skenion, nachdem er ihm seine alte Bestimmung als Logeion
abgesprochen hatte, eine neue Bestimmung ausgedacht; er soll
nicht als koyeiov ^ sondern als d-eokoyeiov gedient haben.
Das liesse sich hören, wenn die Götterbühne eine regelmässige
Verwendung im alten Theater gehabt hätte. Nun aber haben
wir in den 44 uns erhaltenen Dramen nur einen einzigen
Fall, wo eine Qötterbühne vorkommt, im Frieden des Aristo-
phanes V. 180 — 727, und selbst hier ist es mir zweifelhaft,
ob die Scene auf dem hohen Proskenion und nicht vielmehr auf
dem Dache des Bühnenhauses gespielt hat.^) Auch aus der grossen
Zahl der übrigen Stücke, von denen uns nur Fragmente er-
halten sind, wird nur eines erwähnt, das eine Qötterbühne
aufwies, die WvxooTaala des Aischylos, worüber wir bei Pol-
lux IV 130 lesen : o/ro äi xov d-eoXoyeiov ovrog VTviq zi^v
OTiTjvrv ev vxpei enKpaivovTai d-Bol log 6 Zeig aal oi Tveql av-
rov ev Wvxoozaalif. Und wegen dieser zwei Fälle, die oben-
drein bei denjenigen Dichtern vorkommen, welche den ge-
ringsten Einfluss auf die spätere Gestaltung des Dramas ge-
übt haben, sollte man eine beständige Eiurichtung getroffen
und einen Raum geschaffen haben, der in der Regel ganz
unbenutzt blieb? Geht man aber weiter und nimmt das neu
gewonnene S'eoXoyelov für alle Göttererscheinungen, auch den
deus ex machina in Anspruch, so setzt man sich in Wider-
spruch mit den besten und bestimmtesten Angaben über die
1) Die Gründe alle anzugeben, würde zu weit führen; ich be-
merke daher nur, dass die lange Auffahrt (V. 164 — 175) und die Ver-
legenheit des Herabsteigens (V. 725) auf eine grössere Höhe als die
des Logeion schliessen lassen.
Christ: Das TTieater des PolyJcUt in Epidauros. 23
Göttermaschine und das Erscheinen des deus ex machina.
PoUux IV 128 sagt nämlich ausdrücklich ^ fiijxctvri de d^eovg
SeUwoi xal r^Qcog zovg ev diqi^ BekXBQoq>6vxag r^ TleQaiag,
aal uBiTCLL Ttarä rrjv QQiaxeqav Tcdqodov vniq tt^v axrjv^ to
vifjog. Nun ist zwar Pollux nicht so zuverlässig wie Vitruv;
er lebte schier 200 Jahre später und war kein Praktiker,
sondern ein Grammatiker, der seine Kenntnis wesentlich aus
litterarischen Quellen schöpfte.^) Aber eine so bestimmte
Angabe über die Lage der iJiri%avri an der linken Parodos
über der Bühne ist, wenn auch nicht völlig für 's 5. Jahrh.
giltig, so doch sieher nicht aus der Luft gegriflfen. Mit ihr
müssen wir um so mehr rechnen, als auch der Name (irixavt^
TQayinT^^ den bereits Ps. Piaton, Clitoph. p. 407* gebraucht,
uns verbietet, bei diesen Göttererscheinungen au eine feste
Bühne, ein d^eoloyeiov, zu denken.*)
Ueberblicke ich nochmals die gegen Dörpfeld sprechen-
den Momente, so werde ich nur noch mehr in der lieber-
Zeugung bestärkt, dass man dem Vitruv schweres Unrecht
tbut, wenn man ihm einen so kolossalen Irrtum, eine so
ToUständige Verkehrung der wirklichen Verhältnisse zumutet.
Hoffentlich sind auch die achtsamen Leser zu der gleichen
Ueberzengung gekommen und werden dann auch mit mir
annehmen, dass in Epidauros die Schauspieler nicht vor dem
Proskenion auf ebener Erde spielten, sondern auf der er-
höhten Bühne zwischen Proskenion und Skene.
1) Pollux nennt seine Quellen über Bühnen Verhältnisse nicht;
seine Hanptqnelle reichte wohl ins 1. oder 2. Jahrh. v. Chr. zurück;
es liegt nahe, an Aristokles, den Zeitgenossen des Strabon, zu denken,
der über Chöre und Musik geschrieben hatte, aber der wird selbst
ältere Quellen, wie den Eratosthenes stsgl aQxalag x(Ofiq)öias benützt
haben.
2) Freilich ist die /irixavij xQayinri des Piaton von den Lexiko-
graphen (s. Wieseler, Griechisches Theater, bei Ersch u. Gruber,
S. 209 An. 38) oxrivti zQaytxrj genannt, aber nur in Folge einer Un-
genauigkeit der Grammatiker.
24 Sitzung der phÜos.'phüol. Classe vom 13. Januar 1894.
Nun können wir aber auch noch positive Zeugen an-
führen, welche das Spiel auf erhöhter Bühne, nicht auf dem
Boden der Orchestra bestätigen. Bei Wieseler, Theater-
gebäude und Denkmäler des Bühnen wesens, Taf. IX n. 15
ist eine jetzt in Neapel befindliche Vase des unteritalischen
Malers Assteas abgebildet, welche uns ein mit 5 Säulen ge-
ziertes Proskenion zeigt, auf dem oben von 4 Schauspielern
eine Burleske, vermutlich eine Parodie des auf dem Lager
ausgerenkten Prokrustes, aufgeführt wird. Die Vorderwand
mit den Säulen erinnert unwillkürlich an das Proskenion
in Epidauros. Sodann finden sich auf mehreren Vasenbildern
Unteritaliens (Wieseler IX 13 u. 14, Baumeister n. 1828,
Wien. Vorlegebl. B. III 1, III 2, III 9)^) Treppen an das
Proskenion gelehnt, auf denen Schauspieler auf die Bühne
hinaufsteigen. Dieselben Treppen zum Hinaufsteigen auf die
Bühne finden sich aber auch erwähnt bei PoUux IV 127
elosXd'OVTeg d^ yLaxa Tiqv o^x^'aT^ay ercl Tijv aurjvi^v dvaßai-
vovai did ycXiiACiiicov, und bei dem Mechaniker Athenaios
p. 29 Wesch. xaTeaxevaoav de tivsq ev TtoXioquitf nXifiOKWv
yevrj Ttaqanh/oia Tolg Tid'Sf.isvoig ev. roig d^eaTQOig nqog xd
TtQoaxr^via zdlg vTtoxqiralg. Die letztere Stelle ist besonders
wichtig, weil sich ihre Abfassungszeit annähernd bestimmen
lässt. Es lebte nämlich jener Athenaios um 180 v. Chr., nach
Ktesibios, auf den er sich beruft (p. 29, 9 W.), und vor Biton
und Heron, von denen er schweigt und deren Erfindungen
er doch hätte erwähnen müssen, wenn er nach ihnen gelebt
hätte. Also nicht erst in der römischen Kaiserseit, sondern
schon vor Vitruv gebrauchte man in den griechischen The-
atern Treppen zum Hinaufsteigen auf die Bühne; dass diese
aber eine hohe Bühne voraussetzen, braucht nicht noch erst
besonders gesagt zu werden. Nach allem dem werden wir
1) Die betreffenden Denkmäler sind insgesamt verzeichnet von
Reisch, Ztsch. f. östr. Gymn. 1887 S. 274 f.
Christ: Das Theater des Polyklet in Epidauros. 25
mit vollem Vertrauen der Nachricht des Vitruv von dem
hohen Logeion des griechischen Theaters Glauben schenken
müssen.
IV.
Nachdem wir für das Theater in Epidauros die Kon-
struktion des Bühnengebäudes und die Lage der Bühne
zwischen Skene und Proskenion festgestellt haben, können
wir nun auch zur Frage übergehen, wann und für welche
Arten von Dramen das Theater gebaut worden ist. Da die
Bühne nur 3 m tief war und der Schmuck des Proskenion
die Verdeckung desselben durch ein unmittelbar davor er-
richtetes Brettergerüst ausschloss, so war das Theater sicher
nicht für die Dramen der klassischen Periode oder des 5. Jahr-
hunderts geschaffen. Alle uns erhaltenen Dramen setzen das
Zusammenspielen von Chor und Schauspieler voraus ; sie
konnten also in Epidauros nur verstümmelt unter Weglassung
der Chorgesänge und all' der Partien, welche auf einem
gegenseitigen Verkehr von Chor und Schauspieler beruhen,
aufgeführt werden. Damit soll nicht gesagt sein, dass in
Epidauros gar keine Stücke des Sophokles und Euripides
mehr gegeben wurden; in den Stücken des Euripides aus
seiner letzten Entwicklungsperiode, wie z. B. in den Phö-
nissen, hängen die Chorpartien so wenig mehr mit dem Gang
der Handlung zusammen, dass sie leicht weggelassen oder als
blosse Zwischenspiele behandelt werden konnten. Dass man
aber in der That eine solche Streichung in späterer Zeit sich
erlaubte, berichtet uns ausdrücklich der Rhetor Dion Chry-
sostomos or. XIX p. 487 R. : t^q Tqayi^diag %ä fiiv laxvqd
cog some fiivei^ Xiyco de zd iafußela, xal tovtcov f^eQt] die^i-
aaiv iv tölq x^eoTgoig, rd de /aakaxcüreQa i^eQQvrjyte rd neql
rd fiiXr], Aber natürlich sind doch immer für eine Bühne
nicht Stücke geschrieben, welche auf ihr nur verstümmelt
aufgeführt werden konnten. Nun zeigt aber auch die Lit-
26 Sitzung der phüos.-phüöl, Clcisse vom 13. Januar 1894,
teraturgeschichte, dass im Laufe des 4. Jahrh. der Chor all-
mählich seine Stellung im Drama einbüsste und schliesslich
ganz verstummte.^) Speciell die neuere Komödie, welche seit
Alexander das griechische Theater beherrschte, hatte keinen
Chor mehr, und schon die Dichter der mittleren Komödie
sahen sich genötigt, den. Stoff zu wechseln, weil sie keine
Choregen mehr fanden, welche die Kosten der Ausrüstung
eines Chores zu tragen gewillt waren.*) In der Tragödie
scheint sich der Chor etwas länger erhalten zu haben: den
Uebergang zur chorlosen Tragödie machten diejenigen Dichter,
welche nacht Aristoteles poet. 18 p. 1456* 30 statt der Chor-
gesänge nur Zwischengesänge {ifißohiLia iJtihfj\ welche bald
in reine Flötenpiecen übergingen, einzulegen sich erlaubten.
An der Spitze dieser Neuerer stund nach Aristoteles bereits
Agathon am Schlüsse des 5. Jahrh. Solche Zwischenlieder
konnten zur Not auch auf dem Theater in Epidauros ge-
geben werden; denn diese setzten ja keinen Wechselverkehr
zwischen Chor und Bühne voraus, so dass weder durch das
Erscheinen des Chors auf der schmalen Bühne ein Gedränge
entstund, noch es überhaupt nötig war, Chor und Schau-
spieler auf demselben Gerüste oder auch nur auf zwei unter
sich zusammenhängenden Gerüsten zu postieren. Ueberhaupt
aber verursachten auf der neuen schmalen und hohen Bühne
die Chorgesänge fast geringere Schwierigkeiten als diejenigen
Partien, in denen der Chorführer mit den Schauspielern der
Bühne sprach. Denn man denke sich nur den einen der
zwei Gesprächführer 12' niedriger stehend und zu dem an-
deren hinaufschauend : welch' ein Verstoss gegen Natur und
1) Höpken, De theatro Attico quinti saeculi p. 25 bringt be-
reits die enge Bühne mit dem Verschwinden des Chors in Zusam-
menhang.
2) Platonios negi diatpogäg xcoiLiq>diag ' ol de rrfg fisarjg xco/nqtdiag
jtoit]Tat xal tag vjto'&eaeig rjfÄStyjav xal rä ;|joßtxo /nskij siageXinov , ovx
exovzeg xovg xoQ^yovg zovg läg öajidvag %oTg j^ogcvrar^ JiaQexovtag.
Christ: Das Theater des PolyMet in Epidauros. 27
Wahrheit!*) Aber wenn auch Tragödien mit Zwischenstücken
ohne grossen Anstand auch auf der neuen Bühne gegeben
werden konnten, so wird doch gewiss auch in Bezug auf den
Chor die Tragödie bald dem Vorgang der Komödie gefolgt
sein und den Chor ganz weggelassen haben. Sicher ist kein
lyrisches Fragment eines Chorgesanges aus einer Tragödie
nach Alexander auf uns gekommen. Satyrspiele zwar, in
denen neben den agierenden Personen auch Satyre vor-
kamen, schrieben noch zu Beginn des 3. Jahrh. Sositheos*)
und Lykophron (fr. 1 — 3); auch legen die Titel von drei
Tragödien des Lykophron, MaQa&civioi KaaaavdQelg ^Ixhai
(vielleicht auch nekoniöaty) die Vermutung nahe, dass in
ihnen ein Chor oder doch eine grössere Anzahl von Mara-
thonsbewohnern etc. vorgekommen sei; aber selbst wenn
diese Bürger zu einem Chor zusammentraten, so werden sie
doch nach dem Gang, den die Tragödie schon zu Aristoteles
Zeiten genommen hatte, schwerlich etwas anderes als Zwischen-
lieder oder Klagelieder gesungen haben, die nicht ein Auf-
treten der Schauspieler und des Chors auf demselben Podium
oder überhaupt nur in unmittelbarer Nähe verlangten. Das
Letztere muss man schon daraus abnehmen, dass bereits
Aristoteles poet. 12 und die peripatetischen Verfasser der
Probleme XIX 15. 30. 48 den Ort, wo die Schauspieler auf-
1) Schwierigkeit machten auf der neuen Bühne auch diejenigen
Partien, wo sich einer in der Enge (fauces) der Seiteneingänge ver-
stecken sollte, wie in Aristoph. Lysistr. 478, Aisch. Ohoeph. 20. 872,
Eur. Herc. 1081, Hec. 1081; aber hier konnte man sich leicht durch
die Seitencoulissen helfen. An denjenigen Stellen, wo jemand aus
der unteren Parodos zur Bühne heraufkommen sollte, half man sich,
wie wir oben sahen, mit Treppen, die man an die hohe Vorderwand
des Proskenion anlehnte. Ob solche Stellen bei Plautus und Terenz
vorkommen ?
2) Vgl. das Epigramm auf Sositheos A. P. VII 107 :
iHiaoo<p6Qi]a6 yaQ (bvr^Q
ä^ia 0Xiaoicov^ xal fia xoqovg Harvgcov.
3) Vgl. Welcker, Die griech. Tragödien S. 1257 f.
28 Sitzung der phUos.-pküol. Glasae vom 13. Januar 1894.
treten, von dem Standort des Chors bestimmt unterscheiden. Ganz
klar aber tritt diese Scheidung in einem Epigramm des Simias
aus dem Anfang des 3. Jahrb. uns entgegen, A. P. VII 21.
Tov ae xoßolg pieXxpavta 2o(poxXea^' ndlda 2oq>iXlov^
Tov TQayiyLTfi fiovarjg äoriqa KeytQomov,
Tvolkaxig ov ^vfiikrjaiv xat iv axtjv^ai Te^rjhig
ßhxiaog LdxaqvLTrjg maaog egexpe xofirjv.
Der Verfasser dieses Epigramms hatte schon so wenig
mehr eine Vorstellung von dem Zusammenspiel von Chor
und Schauspieler in dem alten Drama, dass er nun selbst
auch bei Sophokles aurjvrj und ^vfxshi)^ Platz der Schau-
spieler und Platz des Chores, vollständig von einander schied.
Als Verfasser des Epigramms aber ist in der Anthologie von
erster Hand Simmias {2ipi(xiov) genannt, unter dem wir mit
Meineke und Suseniihl (Gesch. d. griech. Litt, der Alexan-
drinerzeit S. 180 An. 36) den bekannten Dichter-Grammatiker
Simmias aus Rhodos verstehen. Denn der Zusatz Qrjßaiov
in 2if4iniov Orjßaiov rührt von zweiter Hand her und hätte
nicht die Billigung von Sternbach, Melet. graec. Vindob.
p. 116 verdient, da das Epigramm schon wegen der be-
rührten Theaterverhältnisse nicht in die Zeit des Sokratikers
Simias aus Theben passt; dem Interpolator aber war begreif-
licherweise aus Piaton der Thebaner Simias geläufiger als
der Grammatiker Simias aus Rhodus, so dass wir hinter dem
Zusatz nicht ein tieferes Wissen zu suchen brauchen. Ist
das richtig, so hatte man schon zu Beginn des 3. Jahrh.
die Einsicht in das innige Ineinandergreifen von Schauspieler
und Chor in der alten Tragödie und Komödie verloren und
war an das gesonderte Auftreten der Schauspieler auf der
Bühne und der Chöre auf der Thymele so gewöhnt, dass
man diese Scheidung auch auf Sophokles übertrug. Mit dem
Zurücktreten und Verschwinden des Chors aus der Tragödie
und Komödie war nämlich nicht auch der Chor überhaupt
verschwunden. Schon in der klassischen Zeit sah man nicht
Christ: Das Theater des Polyklet in Epidauros, 29
bloss in dem Drama Chöre, sondern auch in den lyrischen
Agonen, welche an den Dionysien der Aufführung von Dra-
men vorausgingen; ja damals schon v^aren diese lyrischen
Chöre von Knaben und Männern (x^Qog naidwv und xoqoq
dvÖQWv) grösser und angesehener als die tragischen. Und
als nun der Chor aus der Komödie und bald darauf auch
aus der Tragödie verschwand, so kamen diese lyrischen Chöre
mit den Zither- und Flötenspielern erst recht zu Ansehen.
Der Historiker Polybios IV 20 erzählt uns nur von Päanen
und Cantaten (i'O/uot), welche von den Arkadiern im Theater
aufgeführt wurden, und noch Plutarch, praec. ger. reip. 21
erwähnt der Choregen oder Chorleiter an den Dionysien^),
wiewohl damals Chöre in der Komödie und Tragödie längst
nicht mehr gesehen wurden.
Nachdem auf solche Weise mit dem Wegfall des Chors
im Drama und mit der Beschränkung der chorischen Agonen
auf die Aufführungen in der Orchestra eine wesentliche Aen-
derung in den Spielen des Theaters eingetreten war, haben
es die erfinderischen Künstler der Griechen nicht versäumt,
auch in dem Bau des Theaters die entsprechenden Aende-
rungen vorzunehmen. Den neuen Bedürfnissen ist unter
gleichzeitiger Berücksichtigung der künstlerischen Rücksichten
treffhch angepasst das Theater des Polyklet in Epidauros.
Wir müssen daher auch den Erbauer nicht im 5., noch in der
ersten Hälfte des 4. Jahrb., sondern in der Zeit Alexanders
oder nach Alexander suchen. Nun gab es zwei Künstler
unter dem Namen Polyklet. Der ältere Polyklet, der jüngere
Zeitgenosse des Phidias, dessen Blüte Plinius 34, 49 in die
90. Olympiade setzt, kann nach dem Gesagten der Erbauer
1) Aehnlich Maximus Tyrius VII p. 104. Auch die Agave nec-
dum commissa ciwro bei Claudian in Eutr. II 364 war sicher kein
Drama, sondern ein Singspiel.
30 Sitzung der phUos.-phüol. Glosse vom 75. Januar 1S94.
nicht gewesen sein^); zu dessen Zeit hätte ein Theater nicht
entstehen können, das nur für Dramen, die des Chors ent-
behrten, geeignet war. Der jüngere Polyklet war durch
zwei Generationen von dem älteren geschieden, da er nach
Pausanias VI 6. 1 Schuler des Naukydes war, der selbst
wieder bei dem älteren Polyklet in die Schule gegangen sein
soll und von Plinius 34, 50 in die 95. Olympiade gesetzt
wird. Die Thätigkeit dieses jüngeren Polyklet setzt Ober-
beck, Gesch. d. griecb. Plast. S. 533* zwischen Ol. 102 und
112. Das erste Datum wird dadurch gewonnen, dass Polyklet
für die neugegründete Stadt Megalopolis die Statue des Zeus
Philios arbeitete (Paus. VIII 31, 4).*) Dass aber auf der an-
deren Seite seine Thätigkeit in die Zeit Alexanders herab-
reichte, erhellt insbesondere daraus, dass die Autorschaft der
Statue des Hephästion, des Freundes Alexanders, zwischen Lysipp
und Polyklet strittig war (Plin. 34, 64). Plinius zwar, der den
älteren und jüngeren Polyklet überhaupt nicht unterschied, er-
eifert sich gegen den Anspruch des vermeintlich 100 Jahre älteren
Polyklet; aber heutzutage, wo wir auf einem Stein Thebens^)
1) Ich mu88 mich hier also in Opposition zu Brunn, Gesch. d.
griech. Künstl. I 217 setzen, der das Theater und Rundgebäude neben
dem Tempel des Asklepios zu Epidauros von dem älteren Polyklet
gebaut sein lässt; das that er aber auch, als man von dem Theater
in Epidauros noch keine genauere Vorstellung hatte.
2) Die Statue des Zeus philios wird er aber nicht gleich nach
Gründung der Stadt (Ol. 102, 3 = 369 v. Chr.) gearbeitet haben; wir
können daher mit dem Anfangs- und Schlussdatum der Künstler-
thätigkeit Polyklets weiter herabgehen, so dass er auch das Theater
in Epidauros erst gegen Ende des 4. Jahrb., ein Menschenalter nach
Lykurg, gebaut haben kann.
3) Die Epigramme des Steins, die dem Schriftcharakter nach
der 2. Hälfte des 4. Jahrh. angehören, sind zuerst veröffentlicht
worden von Foucart, Bevue arch^ol. 1875 p. 110 ff. ; für die Chrono-
logie der Polyklete hat sie verwertet Löschke in dem Aufsatz Po-
lyklet der Jüngere und Lysipp, in Arch. Zeit. 1878 S. 10 ff. Die
Statuen, zu denen die Epigramme gehören, müssen entweder vor der
Christ: Das Theater des Pölylclet in Epidauros. 31
die Namen der Künstler Polykleitos und Lysippos neben-
einander lesen, kann es uns nicht mehr befremdlich er-
scheinen, dass dieselbe Statue von den einen für Lysipp, von
den andern für Polyklet, natürlich den jüngeren, in Anspruch
genommen wurde. Dieaer jüngere Polyklet wird nun auch
der Erbauer des Theaters in Epidauros gewesen sein. Seine
Eünstlerthätigkeit zur Zeit Alexanders passt ganz für die
Anlage des Theaters und für die im Laufe des 4. Jahrb.
eingetretene Umgestaltung des griechischen Dramas. Damals
eben war aus der Komödie der Chor schon völlig ver-
schwunden, und hatten sich auch in der Tragödie die Chor-
gesänge, wenn sie überhaupt noch bestanden, von der eigent-
lichen Handlung völlig losgelöst.
Das Theater des Polyklet ist, wie es dem Charakter des
neuen Dramas bestens angepasst war, so auch in der Folge-
zeit Norm für den griechischen Theaterbau geworden. Das
erkennt man am besten aus Vitruv; denn dessen Vorschriften
über Tiefe und Höhe der Bühne stimmen im wesentlichen,
wie wir im 3. Kapitel dargethan haben, mit den Verhält-
nissen des Theaters von Epidauros überein. Auch die Artikel
des Lexikographen PoUux, wenn sie uns auch keine genauen
Masse angeben, passen doch am besten auf die Anlage und
Teile des polykletischen Baues.^) Von erhaltenen Theatern
zeigen die von Oropos*), Assos^), Eretria*) und das jüngere.
Zerstörung Thebens (935 v. Chr.) oder nach dem Wiederaufbau der
Stadt (816 V. Chr.) errichtet sein; für das erste entscheidet sichLöschke,
für das zweite Toucart und ich mit ihm.
1) Von entscheidender Bedeutung sind die Angaben des PoUux
über VTtoaxijvtov IV 124, XoyeTov und oxrjvi] IV 123, xXlfxaxeg 17 127.
2) S. ÜQaxr. r. dgx- st. 1886.
3) Dörpfeld bei A. Müller Hdb. d. gr. Bühn. 23 An. 2 und
Eaverau bei Baumeister S. 1734.
4) Die Zwischenräume der Halbsäulen des Proskenion waren in
Eretria wie in Oropos zur Aufnahme von mvaxsg bestimmt; s. Pickard
a. 0. S. 9 und Dörpfeld Berl. Philol. Woch. 1891 S. 514 f.
32 Sitzung der xihilosrphüol. Classe vom 13. Januar 1894.
aus der makedonischen Zeit stammende Theater des Piräus^)
das säulengesehmückte Proskenion und damit auch die Haupt-
Verhältnisse des Theaters von Epidauros.
Von besonderer Wichtigkeit aber ist der Umbau des
Dionysostheaters in Athen. Der Stylobat BB des Plans (Taf. II)
gehört nach dem Urteil der Techniker einer entschieden jün-
geren Periode an als der Bau A A a a A' A', der die Bühne
des Lykurg repräsentiert. Auf jenem Stylobat stunden ehe-
mals Säulen, welche mit dem Epistyl eine Höhe von ca. 12'
hatten; in der Mitte befand sich eine Türe, 1,60 m breit,
zwei andere in den beiden Flügebi rechts und links. Der
Stylobat mit seinen Säulen bildete also offenbar das Pro-
skenion ; die von diesem Proskenion und der Skene begrenzte
Bühne {Xoyeiov) war ca. 3 m tief und demnach schmäler
als der ursprüngliche Bühnenraum, der eine Tiefe von 5,70 m
hatte. Jedem muss die grosse Aehnlichkeit dieses Proskenion
und der durch dasselbe begrenzten Bühne mit dem Proskenion
und Logeion von Epidauros auffallen; niemand auch wird
leugnen wollen, dass diese Aehnlichkeit nicht auf blossem
Zufall beruhe, sondern in beabsichtigter Nachahmung ihren
Grund habe. Aber wer hat nachgeahmt, Polyklet oder der
1) Heber dieses jüngere Theater im Piräus siehe den Ausgra-
bungsbericht von Philios in ÜQaxx. x. olqx- sx. 1881 p. 47 — 61 und
1886. Schon der grössere Zwischenraum zwischen den Säulen der
Mitte, der offenbar fär eine Türe bestimmt war, beweist zur Genüge,
dass der erhaltene Stylobat (xQrjmSwfio) von 27 Platten hy mettischen
Marmors die Säulen des Proskenion zu tragen bestimmt war und
nicht, wie andere glaubten (A. Müller Hdb. d. gr. Bühne S. 23, An. 2,
Curtius-Kaupert, Karten von Attika I 67), runden Stützen des Holz-
baus zur Unterlage diente. Auffällig ist an dem Theater des Piräus
gegenüber dem des Polyklet nur das weite (2,68 m) Vorspringen der
beiden Seitenflügel, wodurch es sich, ebenso wie in den 13 Keilen
der Cavea, an den älteren Bau des lykurgischen Theaters von Athen
anschliesst. Die Zeit des Baues wird nach erhaltenen Inschriften von
den griechischen Gelehrten in die Jahre 210—160 v. Chr. gesetzt.
Chnst: Das Theater des Polyklet in Epidauros. 33
anonyme Architekt des athenischen Umbaues? Ich denke,
das kann nicht zweifelhaft sein: in Epidauros haben wir
originale Anlage in vollstem Einklang mit dem übrigen Bau;
in Athen einen späteren Umbau, der wie etwas Fremdes in
die alten Verhältnisse hineingeschoben ist. Nehmen wir
hinzu, dass die nachlässige Bauart des athenischen Proskenion
auf eine jüngere Periode als das 4. Jahrh. hinweist^), so
werden wir unbedenklich anerkennen, dass die Athener den
Musterhau des Polyklet in späterer Zeit nachgeahmt und zu
diesem Behufe ihr altes Theater nach der neuen und zur da-
mals herrschenden Gattung des Dramas besser passenden
Norm umgebaut haben.*) Es scheinen eben im Altertum
im Bau der Theater ähnliche Verhältnisse gewaltet zu haben
wie in der christlichen Zeit im Bau der Kirchen und Dome.
V.
Die Anlage des vorpolykletischen Theaters liegt eigent-
lich ausserhalb der mir hier gestellten Aufgabe; auch sind
der schwierigen und dunklen Punkte hier so viele, dass
ich mir eine völlige Aufhellung derselben nicht zutraue,
am wenigsten in einer kurzen, anhangsweisen Erörterung.
Gleichwohl ist es zur Würdigung der historischen Stellung
des polykletischen Theaters von Wichtigkeit, einen Blick
1) Pickard, a. a. 0. p. 9 bemerkt nach Dörpfeld : Der Stylobat BB
besteht aas einer Schichte Hymettus- Marmor, aber die Grundlage
ist schlecht j^emauert und einige Marmor blocke ruhen direkt auf den
rauhen Breccia- Blöcken; in den athenischen Bauten des 4. Jahrh.
kommt dieses niemals vor, man findet immer eine Schicht Kalkstein
zwischen der Breccia und dem Marmor.
2) Aus der Schilderung des Plutarcb, Demetr. 34 von dem Auf-
treten, des üemetrius Poliorketes im Theater von Athen glaube ich
abnehmen zu können, dass damals (307 v. Chr.) der Umbau noch
nicht stattgefunden hatte. Denn die geschilderten Vorgänge wollen
nicht recht für eine schmale Bühne von 3 m passen.
1894. Philo8.-phiIol. u. hist. Ol. 1. 3
34 Sitzung der phüos.-philol. Glosse vom 13. Januar 1894.
auch noch auf das zu werfen, was der Schöpfung des grossen
Meisters vorausging. Es kommi dabei fast nur das Dionysos-
Theater Athens in Betracht*); aber dasselbe hat leider durch wie-
derholte Umbauten (4 oder 5) derartige Veränderungen erlitten,
dass die Erkenntnis seiner ursprünglichen Anlage ausserordent-
lich erschwert ist. Und wenn auch Archäologen unserer Zeit,
namentlich Julius und Dörpfeld, die Fundamente der ver-
schiedenen Mauern wieder glücklich aufgedeckt und in den
Wirrwarr der Scenenbauten Licht und Ordnung gebracht
haben, so bleibt doch noch vieles unaufgehellt, zumal man-
ches, was in Epidauros in Stein ausgeführt war, in Athen
aus vergänglichem Holzwerk bestand, von dem sich auch nicht
einmal die Widerlager und Stützmauern erhalten haben.
Und doch wird gerade auf diesen Holzbau unsere Unter-
suchung wiederholt zurückgehen müssen.
Wir haben also in Athen, wie bereits am Schlüsse des
vorausgehenden Kapitels gesagt ist, deutliche Reste einer
älteren Bühne (A A a a), welche tiefer als die spätere war
und des vorderen Abschlusses durch eine steinerne Mauer
(rtQOOTLr^viov) entbehrte. Dörpfeld schreibt sie ebenso wie
die Vorderbauten der Cavea, die sogenannten Analemmata,
dem Lykurg zu, indem er annimmt, dass vor Lykurg sich
die Athener mit einem jedes Jahr frisch aufgeschlagenen
1) Berücksichtigaiig Terdieni ausserdem das Theater Ton Me-
jralopolis, welches dem 4. Jahrh. angehört und eine Mittelstellnsg
Ewischen dem athenischen und epidaurisohen einionehmen scheint.
Dasselbe irarde Tor ein paar Jahren duroh die Gesellschaft der eng-
lischen Archlologen ausir^graben. aber leider konnten «eh bis jetzt
die Engländer und DCrpteli über die Deutung der erhaltenen Beste
unvi namentlich der auf 3. ursprüngliche StTifen >ich erheb-enden Terrasse
nvch nicht einigen : <, /.^um. of Hrl\ stud. XI -97. Class. Reriew V
vl5^1^ 2SS. :Sö. Ber:. Fhil, AWvh. IS^l S. 419 u. 673, 1027. Das
ältere, bis in die ?.e:t des TbukTÜdes VIII 93 b irutufrei^^hende The-
ater des Piräas an dem Kastell Ton M.iii:.**:iA ist Ie:ier m sehr Ter-
sohlittt:« uni üb;rKu:t: sl -T-t^T. t. i '. ,'r. ISSI v 57 n.
Christ: Das Theater des Polyklet in Jüpidauros, 35
Scenengebäude aus Holz begnügten. Als Hanptbeweis für
diese Meinung führt der erfahrene Architekt die Gleichheit
der Bauweise an, indem in den Stützmauern L F H und in
den Scenenmauern A A A' A' das gleiche Material und die-
selbe Struktur sich finde. Darüber kann ich nicht urteilen,
aber verschiedene Momente machen mich sehr misstrauisch
gegen die ganze Hypothese. Die Athener sollen schier
150 Jahre erst nach Erbauung eines steinernen Theaters,
erst nach dem Verfall der tragischen Kunst dazu gekommen
sein, für die AuflFührung der schönsten Werke des attischen
Geistes ein festes Bühnengebäude herzurichten ! Sie sollen
sich 150 Jahre lang jedes Jahr, und jedes Jahr zweimal, an
den Lenäen und Dionysien, die grosse Mühe gegeben haben,
ein Bühnenhaus von Holz aufzuführen, wo ein paar aus wohl-
feilem Stein erbaute Mauern für alle Zeit genügten ! Die Holz-
bauten unserer Circusse führe man nicht zu Gunsten Dörpfelds
an; die werden an Plätzen aufgeschlagen, welche während
des übrigen Jahres anderen Zwecken dienen; in Athen war
das Theater ein heiliger Platz, der eine anderweitige Verwen-
dung ausschloss. Und wenn man den Boden des Podiums, der
naturgemäss aus Brettern bestand, jedes Jahr frisch aufzu-
schlagen für gut fand, wird man dann das Gleiche auch bei
der Skene gethan haben, die zur sicheren Handhabung der
Theatermaschinen von vornherein einen solideren Bau und
demnach einen Bau von Stein erforderte? Das. wird man
so leicht nicht bei den baulustigen und bau verständigen
Athenern annehmen dürfen. Auch die Zeugnisse, welche
uns von dem Bau des Lykurg berichten, Hyperides bei
Apsines, rhet. gr. ed. Speng. I 387 {(^xodofÄijoe to •d'caTQOv),
Plut. Vit. dec. or. VII 4 = CIA. II 240 (to ^eargov ro
JiowaiaTiov i^eiQydaaTo)^ CIA II 176 (t'ijv noirjaiv tov axa-
diov xai Tov d-edzQov tov üavad^fjvaiTiov), reden nur von dem
Ausbau des Theaters oder Zuschauerraums; und wenn man
auch das Wort ^iaxqov im weiteren Sinn, nicht im spe-
3*
36 Sitzung der phüosrphüol. Classe vom 13. Januar 1894.
ciellen Sinn von Zuschauerraum nehmen will, so nötigt, ja
berechtigt uns doch keines der Zeugnisse, dem Lykurg den
vollständigen Neubau eines steinernen Bühnengebäudes zu-
zuschreiben.
Dazu kommen verschiedene Stellen, welche uns von
Bühnenmauern und Bühnengebäuden aus der Zeit vor der
Finanzverwaltung des Lykurg (438 — 434) berichten. Dahin
rechne ich zuerst die Verrammelung der Bühnennebengebäude
(TtaQaGKrvia) durch Meidias i. J. 348, von der wir durch
Demosthenes, Mid. 17 erfahren; steinern werden freilich dort
nicht ausdrücklich die Paraskenia genannt, aber ist es nicht am
natürlichsten, bei dem ganzen Handel an ein festes Gebäude zu
denken? Sodann lesen wir bei Aristoph. Eccles. (aufgeführt
389 V. Chr.) V. 497 di.X' ela ösvq^ enl OKiSg \ kXd-ovoa TtQog to
Teix^ov I naqaßXenovaa d-aTeQip \ Ttakiv fieTaaxeva^e oavTr^v^
indem der Chorführer die Frauen auffordert, sich hinter der
vorderen Abschlussmauer der Paraskenia umzukleiden, damit
sie nicht von einem auf der Bühne gesehen würden. Frei-
lich ist auch hier die Mauer nicht als steinern ausdrücklich
bezeichnet, aber schon das Wort zeixiov weist nach seinem
gewöhnlichen Gebrauch auf Material von Stein hin. Ferner
hören wir durch Andokides de myst. 38 aus dem Jahre 415
von einer aus Säulen gebildeten Vorhalle {TtqonvXatov) vor
dem Eingang der rechten Parodos, wozu Wieseler, Scaen.
(Nachr. d. Gott. Gesell. 1890) S. 6 mit Recht bemerkt: Da
das Propyläon gewiss nicht aus Holz hergestellt war, so darf
man wohl voraussetzen, dass zu der Zeit des Andokides auch
der Zuschauerraum und ein Teil des Bühnengebäudes aus
Stein bestanden. Endlich lässt mich auch die Erwähnung
der Athenestatue auf der Götterbühne im Frieden des Ari-
stophanes V. 725, ebenso wie die Erwähnung der Bildsäule
des Themistokles in der Parodos bei Andokides de myst. 38
auf einen festen Bau des Bühnenhauses schliessen. Denn
die Worte des Aristophanes tr^öl naQ^ aixi^v Trjv ^eov sc.
Christ: Das Theater des Pohjklet in Epidauros. 37
xaraßriasi enthalten aller Wahrscheinlichkeit nach einen sce-
nischen Wink*) und sind deshalb nicht von der Göttin Eirene
zu verstehen, von der man gar nicht begriflfe, wie sie hieher
käme, sondern von der Athene-Statue im Theater, auf die
bereits der kundige Scholiast z. St. hinweist.^) Eine solche
Götterstatue auf oder an der Rückmauer*) setzt aber doch
wohl auch einen festen Steinbau voraus.
Das sind die Hauptgründe, weshalb wir nicht glauben
können, dass es vor Lykurg nur improvisierte Scenengebäude
von Holz gegeben habe. Die Thymele oder das Podium, auf
dem gespielt wurde, wird von Holz gewesen und jedes Jahr
frisch aufgeschlagen worden sein ; für die Wände des Hinter-
grundes (oKfjvi^) und der Seiten {naqaaxrivia), sowie für die
Flanken der Eingänge {naqodoC) werden wir auch im
5. Jahrh. schon stehenden Bau und steinernes Material an-
1) Auf solche seenische Winke achteten schon die alten Er-
klärer; vgl. Schol. zu Soph. El. 190 c5d'* kfitpaivei x6 ox^fia tcov vjio-
xQixcöv, und ähnlich zu 0. R. 80.
2) Nur ganz schüchtern und nur hier in den Noten wage ich
die Frage aufzuwerfen, ob nicht die Figur der Athene, welche im
Eingang des Aias den Odysseus anredet, ohne von ihm gesehen zu
werden (V. 15 xav anouixog fig\ aber nach dem Ausspruch des Scho-
liasten doch da war, mit der Statue der Athene im Hintergrund der
Bühne zusammenhängen und dem Dichter den Gedanken der ganzen
Situation eingegeben haben könne.
3) Wenn man die Phantasie spielen lassen darf, so .stunden die
Standbilder des Themistokles und Miltiades zu beiden Seiten der
Orchestra, da wo die Parodoi in dieselbe mündeten, mit der Statue
der Athene in Verbindung. Dann werden auch im Hintergrund zur
Seite des Mittelbaus der Skene, der in der Regel einen Tempel oder
Palast vorstellt, zwei Götterbilder, der Athene und des Poseidon (?)
gestanden haben. Diese Ausschmückung des Theaters fand vor 415
statt, in welches Jahr die Hermenverstümmelung fiel, kaum aber
mehrere Jahre zuvor. Denn um diese Zeit scheinen auch andere Ver-
besserungen im Theater, insbesondere die Göttermaschine und das
erhöhte Podium, eingerichtet worden zu sein.
38 SiUung der phüos.-philol. Glosse roiri 13, Januar 1894.
nehmen dürfen. Damit will ich aber nicht gesagt haben,
dass steinerne Hinter- und Seitenwände schon zur Zeit der
Einweihung des Theaters i. J. 472 vorhanden waren. Selbst
eine abschliessende Rückmaner, welche das dem Zuschauer
gegenüberliegende Segment des Orchestrakreises abschnitt,
gab es anfangs nicht. Denn mag auch Wilamowitz in
dem Aufsatz, die Bühne des Aeschjlus (Herrn. XXI 597 ff.),
zu weit gegangen sein, das bleibt doch jedenfalls an der These
des ideenreichen Forschers bestehen, dass die Schutzflehenden des
Aischylos mehr zu einer centralen Anlage der Bühne passen
und eine Bühnenrückwand nicht voraussetzen. Noch weniger
können natürlich dann in jener ältesten Zeit schon Seiten-
winde (nro^oxYjVfa) vorhanden gewesen sein; erst im Laufe
des 5. Jahrb. kamen, und zwar erst nach und nach, wie es
scheint) jene festen Umrahmungen der Buhne auf. Was wir
bezweifeln, ist zunächst nur, dass erst Lykurg das steinerne
Bühnengebäude geschaffen habe. Auf der anderen Seite
werden indes auch wir das feste Mauerwerk A A A' A' unter
dem Namen des Lykurg gehen lassen, weil es ja sicherlich
einen Bestandteil des Ivkursnsehen Theaters bildete, und weil
wir nicht wissen, in welcher Ausdehnung die einzelnen Teile
des Baus sohon vor Lvkan:r vorhanden und auss^^baut waren.
Auf die steinerne l 'mrahmuiicr der Bühne werden wir
nachher zurück kommen: hier wollen wir z'jterst den anderen
Teil der XTeberlieferar.ir vom Theaterhau des Lvkmraj be-
spnecheü* dass nämlich derselbe die Cavea c-ier das eigent-
livbe C^ajcATr aus^baiut halv, PähaoIi wird üe alte Cavea
kleii:«' irew^ifi: s^iu uni vielleicht niir lehz. der Zahl der
Phvlen entsrnfcherie Keile xa-^xivV^ umfisst haben, so dass
r«'sVj£- ••» 1*»*5 d<ÄV V*^»-*'^'««'««^'.» •• ^^»> K-" ~ ^'~* ^ -^ •"''^T'^VÄlTIrfKn ^^
i^ ««^%V «V •« AteA«4 «Av.. * 'v«.«.v.««««> 4^ «&-... &^ >v>><>. ^-K^K aV« « » JlII Vll I I
Christ: Das Theater des Polyklet in JEpidauros. 39
Das macht auch ein Blick auf den Plan und Umriss des
Theaters wahrscheinlich. Denn in unschöner Weise tritt die
Cayea und damit auch die Orchestra in den zwei äussersten
Keilen aus der ursprünglichen Kreislinie heraus (s. S. 11),
was nur bei Annahme eines nachträglichen Anbaus einiger-
massen Erklärung und Entschuldigung findet. Bedenken
könnten nur die oben S. 3 besprochenen Statuen des Mil-
tiades und Themistokles erregen; aber die konnten ja leicht
bei dem späteren Erweiterungsbau nachgerückt werden. Er-
streckte sich nun aber vor Lykurg die Cavea nicht so weit
nach vorn, so war damit auch eine grössere Weite der Seiten-
zugänge {jcaQodoi) gegeben, die uns aus scenischen Gründen
sehr erwünscht kommt. Die Paraskenien A A stehen von
den gegenüberliegenden Flankenmauern der jetzigen Cavea
nur ca. 2,8 m ab; das ist etwas wenig zum Einfahren von
Wägen, namentlich wenn, wie wir später wahrscheinlich
machen werden, der Bretterboden noch etwas über die Front
der Paraskenien hinausging. In mehreren Stücken nämlich,
Aisch. Pers. 150 (vgl. 607) u. 1000, Ag. 782, Eur. Troad.
568, El. 988, Iph. Aul. 590, kommen die neu auftretenden
Personen zu Wagen an ; der Wagen konnte aber weder quer
an dem Seiteneingang anfahren, noch in demselben sich
wenden und umkehren; dafür war unter allen Umständen
die Parodos zu eng. Auch ging es nicht wohl an, dass der
Wagen über den hohlen Bretterboden fuhr, zumal wenn der-
die Zahl der 13 Keile im Theater zu Athen mit der unter Hadrian
auf 13 gebrachten Zahl der attischen Fhylen zusammenhänge, lässt
sich jetzt nicht mehr aufrecht halten, nachdem nachgewiesen ist, dass
die 13 Keile zum Bau des Lykurg gehörten, und dass auch das The-
ater im Piräus, das aus der makedonischen Zeit stammt, 13 Keile
hatte. Auch erklärt sich die 12 -Zahl der Keile in Epidauros am
leichtesten, wenn das ältere Theater in Athen schon 13 Keile hatte
und Polyklet dieselben bloss der Symmetrie zu lieb (s. S. 10) auf 12
reducierte. Aber immerhin scheint der Grundgedanke Beundorfs
richtig zu sein.
40 Sitzung der philos.-pKüol, Clause vom 13. Januar 1894.
selbe mehrere Fuss hoch war, so dass schon das Hinauf-
und Herabfahren Verlegenheit gebracht hätte. Ein Esel
konnte ja, wie in den Fröschen des Aristophanes, über die
Diele trampeln, aber nicht so leicht wird man das Rasseln
eines mehrspännigen Wagens ertragen haben. Wir werden
also annehmen müssen, dass der Wagen an dem Podium vor-
bei vorn quer durch die Orchestra fuhr. In den Troades
zumal erheischt dieses die ganze Situation, und auch im Aga-
memnon wird dieses durch die langen Reden bis zum Aus-
steigen des Königs äusserst wahrscheinlich gemacht.^) Sollten
aber die Wägen vollständig in die Orchestra ein- und aus-
fahren, so bedurfte es einer etwas weiteren Parodos; die war
dann gegeben, wenn vor Lykurg die letzten Keile der Cavea
noch nicht vorhanden waren.')
Wir kommen zur eigentlichen Bühne, indem wir die-
selbe erst an und far sich in Bezug auf ihre räumliche Aus-
dehnung betrachten, ohne auch schon ihre Höhe und ihre
Begrenzung in Erwägung zu ziehen. Die Bühne also musste
für die Dramen des 5. Jahrb. jedenfalls so tief und so breit
sein, dass auf ihr die Schauspieler und der Chor Platz finden
konnten. Es mochte wohl schon früh, schon zur Zeit des
Aischylos der Platz unmittelbar vor der Bühnenrückwand
sich als eigentlicher Spielplatz der Schauspieler herausgebildet
haben; es mochte auch schon früh dieser Platz durch eine
kleine Erhöhung von 1 — 2 Fuss von dem grösseren, für
den Chor bestimmten Platz abgegrenzt worden sein; jeden-
falls aber stunden Chor und Schauspieler in den Tragödien
des Aischylos, Sophokles, Euripides und in den Komödien des
1) Ich nehme demnach an, dass Agamemnon, nachdem er von
der Seite eingefahren war, von der Mitte der Orchestra aas über die
Bretter (palpitam) znm Fortal des Eönigspalastes zog.
2) Indes konnte die grossere Weite sieb auch dadurch ergeben,
dass die Paiaskenien yor Lykurg kürzer waren und etwa nur 2 m statt
5 m nach vom liefen.
Christ: Das Theater des Pölyklet in Epidauros, 4:1
Aristophanes wesentlich auf dem gleichen Niveau, so dass
ohne Hindernis der eine auf den Platz des andern übertreten
konnte. Das halten wir für das sichere Ergebnis der neueren
Untersuchungen, namentlich von Capps, The stage in the
Greek theatre, New Haven 1891, Pickard, The relative
Position of actor and chorus in the Greek theatre, Baltimore
1893, Weissmann, Die scenische AuiBFührung der griechi-
schen Dramen des 5. Jahrhunderts, München 1893, Boden-
steiner, Scenische Fragen über den Ort des Auftretens und
Abgehens von Schauspielern und Chor im griechischen Drama,
Jhrb. f. class. Phil. Suppl. XIX S. 639—808.
Die erforderliche Ausdehnung war in dem Theater des
Lykurg gegeben. Denn hier stehen die Paraskenien in einer
Distanz von 20 m von einander ab und haben selbst eine
Länge von 5 m.^) Daraus ergibt sich aber ein Spielplatz
von 20 m Breite und von über 5 m Tiefe. Denn an der
Front der Paraskenien vorbei zog nicht bloss der Chor
in der Regel ein, sondern traten auch die Schauspieler in
air den Fällen auf, wo sie nicht aus dem Tempel oder den
Häusern der Rückwand heraustraten. Deshalb musste also der
Spielplatz um mehrere Fuss über die Front der Paraskenien
hinaus in die Orchestra vorgehen und um diesen Raum tiefer
sein als die Seitenmauern lang waren. Von einer Mauer aber,
welche wie in Epidauros die Bühne nach vorn begrenzt hätte,
hat sich im Lykurgos-Theater zu Athen keine Spur gefunden.
Der gleiche Raum stund auch in der Zeit vor Lykurg
für den Spielplatz zur Verfügung, auch wenn wir, wie billig,
zugeben, dass durch Lykurg ein und das andere Mauerwerk
bei dem Ausbau verändert wurde. Ein festes Proskenion
gab es natürlich in jener älteren Zeit noch viel weniger,
als in der des Lykurg; eine Verschiebung, nicht eine blosse
Ausschmückung und stärkere Fundamentierung der Skene
1) So Dörpfeld in A. Müllers Hdb. d. gr. Bühne 415.
42 Sitzung der pküos.-phüdl. Glosse vom 13. Januar 1894.
anzanebmen hat man nicht den geringsten Grund; nur in
Bezug auf die Paraskenien kann man Zweifel erheben, ob
sie überhaupt Tor Lykurg schon vorhanden waren, und wenn,
ob sie so weit vorgingen, und ob sie die gleiche Höhe mit
den Paraskenien des Lykurg hatten. Ueber den letzten Punkt
kann man überhaupt nicht urteilen, da man auch von der
Höhe der Paraskenien des Lykurg nichts weiss und nur aus
der Dicke der Grundmauern einen ungefähren Schluss ziehen
kann. Ueber den mittleren Punkt wage ich nur so viel zu
sagen, dass die erhaltenen Stücke uns nicht nötigen, so weit
(5 m) vorspringende Paraskenien anzunehmen, dass solche von
2 — 3 m Länge vollständig genügten, ja geeigneter waren,
wenn denn doch der Spielplatz über die Stime der Paraskenien
hinaus sich weiter nach der Orchestra zu ausdehnte. Dass
es aber überhaupt Paraskenia schon vor Lykurg gab, daran
halte ich mit aller Bestimmtheit fest. Die Stelle im Ein-
gang der sophokleischen Elektra V. 4 — 10, wo man nicht
bloss Paraskenien, sondern auch Dekorationen von Para-
skenien annehmen zu dürfen glaubte, führe ich nicht ins
Treffen, da man besser thun wird, den Atridenpalast, den
Heratempel und den Markt von Argos mit dem Apollo-
tempel auf drei Abteilungen der Skene zu verteilen (siehe
S. 18 An. 2). Aber ein ganz sicheres, wenn auch indirektes
Zeugnis für Paraskenien haben wir in dem Tsixiov oder der
inneren Flankenmauer der Parodos in Aristophanes Ekklesia-
zusen V. 497, von der ich bereits oben S. 36 gehandelt
habe. Denn dieses leixiov und die Skene können nicht ohne
Verbindung gewesen sein; das verstiesse gegen alle Regeln
der Baukunst.
Das reixiov diente in den Ekklesiazusen dazu, um die hinter
demselben stehenden Personen den Blicken der Leute auf der
Bühne zu entziehen; nun kommen aber noch einige andere
Fälle vor, wo jemand von den Leuten auf der Bühne nicht
gesehen wird, oder um sich den Blicken derselben zu ent-
Christ: Das Theater des Pölyklet in Epidauros. 43
ziehen, zur Seite tritt, so in Eur. Hec. 1054, 1109 — 1116.^)
Herc. 1081—1109.») Aisch. Choeph. 20. 872. Soph. Phil.
16 flf. Ai. 1044.^) Alle diese Stellen lassen vermuten, wenn
sie auch nicht in gleicher Weise wie die in den Ekklesia-
zusen der Seitenmauer ausdrücklich Erwähnung thun, dass
die durch die Parodos Eintretenden vor dem vollen Eintritt
durch eine Wand den Personen der Bühne verdeckt blieben,
und dass Clior und Bühnen personen sich hinter jene Wand
zurückziehen konnten. Daraus schliessen wir, dass schon zu
Aischylos' Zeit der Stützmauer des Zuschauerraumes gegen-
über an der entgegengesetzten Seite der beiden Parodoi eine
solche Mauer hinlief, und dass von dieser dann eine Verbin-
dungsmauer {na^aaTirpfiOv) zu der Skene oder Bühnenrück-
wand führte. Da man sich hinter der Flankenmauer verstecken
konnte, so wird sie wenigstens 7 — 8' hoch gewesen sein,
was dann selbstverständlich auch von den Paraskenien gelten
muss. Aber wenn einer selbst alle diese Schlüsse nicht gelten
lassen und dem Theater vor Lykurg Seitenmauern {iraqa-
axijvia) vollständig absprechen wollte, so bliebe doch unser
Satz von der grossen Weite der Bühne vor Lykurg zu Recht
bestehen; denn eine Breite von 20 m war schon durch die
Entfernung der beiden Enden (cornua) des Zuschauerraumes
und durch die Grösse des Durchmessers des Orchestrakreises
für alle Fälle unwandelbar bestimmt.
Wir haben damit die Umrisse und festen Umrahmungen
der attischen Bühne des 5. Jahrb. wieder gewonnen und da-
bei uns überzeugt, dass dieselbe in mehreren Punkten, ins-
besondere in der grösseren, mindestens doppelt so grossen
1) Vgl. Weissmann 27 f., wogegen Zweifel erhebt Bodensteiner 720.
2) Vgl. Wilamowitz in Ausg. zu V. 1109 und Weissman a. a. 0.
45. Der letztere durfte aber nicht auch Eur. El. 103 hieher ziehen,
(ia Orestes und Pylades, wie V. 216 zeigt, sich vielmehr hinter den
Stufen des Altars versteckt halten.
3) Vgl. Bodensteiner 716.
44 Sitzung der phäos.-phUol. Classe vom 13, Januar 1894.
Tiefe und in dem Mangel eines festen Proskenion von der
Bühne des Polyklet und Vitruv sieh unterschied. Wir könnten
eigentlich mit diesem Teil des RekonstruktionsYersuches uns
begnügen, da derselbe sämtliche in Stein ausgeführten Teile
des athenischen Theaters umfasst. Da aber die Eigentüm-
lichkeit der polykletischen Bühne nicht zum kleinsten Teil
in der grossen Höhe derselben (12') bestund, so wollen wir
doch auch noch nach der Seite hin eine Vergleichung der
beiden Bühnen versuchen, wiewohl wir hier für das athenische
Dionysos-Theater in den Monumenten gar keine, und in den
erhaltenen Dramen nur ganz schwache Anhaltspunkte haben.
Ich setze nämlich als unbestritten Toraus, dass in Athen die
Bühne, worauf Schauspieler und Chor sich bewegten, von
Holz war« wenn überhaupt eine Bühne Torhanden war. Das
Letztere leugnen bekanntlich Dorpfeld und seine Anhänger,
und ich besk^ite nicht, dass es riele, ja sehr viele Stücke
des Aiistophanes und der Tragiker gibt, bei denen man an
und für sieh mit der Annahme des Spielens auf ebener Erde
Tollstandi^r ausreicht. Aber trotzdem halte ich an der alten
Meinung vom Spiel auf den Brettern unTerrückt fest.
Schon die alte Erzählung vom Wagen des Thespis und
die Herausbildung der Komödie aus den mte^fiiiorra o^^
t\t<c^rc setzen einen erhöhten Standplatz der Spieler Torans.
Sodann behalten die Worte A. W. Schlegels, Yori. üb.
draai. Kunst I 269 ^äus der Natur der Sache erhellt und
aile Liebbücvr des Tanzes wissen, d:ias es sieh auf einer
steisemea Interla^ unbequem tanit, dass hingegen ein
eljfcsrischer nni unrerhThlrer H:Ij:K>ien den Tanrer hebt und
£\i rascben Bcweir:n:cen r-ef.'-re!:* auch h-nre n«>ch ihre
t:'.> Gelrnn^. Drittens Vracbre es in Arhen s*rh?n das Ge-
flll irs B.:drns nni iie i.i.:ur:b Teran.asste rinrahmnnsr des
altfn kreisrunIfiL Ti:ii-ulj:^e> ni:c eintni nio':: Suien bis xu
r anstciiTrnirc: MjkUerrar.i KXmK' n.^iwenisr mit sich*
^ ; : :£i7- i. i. A r. c.
Christ: Das Theater des Polyklet in JtJpidauros, 45
dass man den hohlen Innenraum mit Dielen überdeckte,
welche auf dem Mauerrand auflagen und auf denen der Chor
tanzte.
Für die Erhöhung des Standplatzes der Schauspieler
(koyeiov) haben wir sodann mehrere, ganz ausdrückliche
Zeugnisse. Obenan steht die Stelle des Piaton im Gastmahl
p. 194*^ dvaßaivovTog inl tov oxQißavTa (abto. tcüv vnoxQiTciv
TLat ßksifjavTog Evavxiov roaovzov d'eatqov (liXkovrog ini-
dei^eod^ai aavzov Xoyovg, Denn wenn auch Rohde Eh. M.
38, 255 mit Recht die Worte auf den im Odeon stattfinden-
den Proagon deutet, so spricht doch Piaton so, dass er keinen
Unterschied zwischen Odeon und Theater macht und wir das
Gestell (oxQißavta) in gleicher Weise für das Theater wie
für das Odeon in Anspruch nehmen können , ja müssen.
Zweitens lassen die Ausdrücke dvaßaivsiv und xaraßatveiv
in Aristoph. Ritt. 149, Wesp. 1342 1) 1514, Ach. 732, Eccl.
1152, Vög. 175 nur eine natürliche Erklärung zu, nämlich
die, dass der Schauspieler, wenn er von der Parodos kam,
aufsteigen, und wenn er durch die Parodos hinausgehen
wollte, hinabsteigen musste. Die vage Deutung von dva-
ßaiveiv = auftreten und Tcaraßaheiv = abtreten wurde aller-
dings auch schon im Altertum aufgestellt*), aber weder von
den alten, noch den neueren Gelehrten irgendwie ausreichend
begründet. Drittens beklagen sich eintretende Greise an drei
Stellen, Eur. El. 489, Ion 727 u. 738 ff., Herc. 119 (vgl.
Aristoph. Vög. 20 ff. 49 ff.) über die Beschwerden des steilen
1) Den Vers 1342 dvdßaivs devgo ;^^f0O/M9/AoAoVi^tov könnte man
auch auf die Erhöbung des ganzen Gerüstes, nicht bloss des Logeion
beziehen. Da aber Philokieon schon V. 1325 da ist und von Xan-
thias gesehen wird, so wird man doch, wie ich in einem Artikel
der Jahrb. f. cl. Phil, darthue, die Worte richtiger auf die specielle
Erhöhung des Logeion deuten.
2) Schol. zu Aristoph. Ritt. 149; vgl. meinen Aufsatz, Bedeu-
tungswechsel, Jahrb. f. cl. Phil. 1894 S. 47.
46 Sitzung der philos.'philol. Classe vom 13. Januar 1894.
Weges, den sie zur Bühne hinansteigen müssen. Das hatte
gewiss in den realen Verhältnissen des Theaters und nicht
in der blossen Einbildungskraft der Zuschauer seinen Rück-
halt. Es sprechen aber diese Stellen nicht bloss für die
specielle Erhöhung des eigentlichen Logeion, sondern auch
für die des ganzen Spielplatzes, da die betreflfenden Verse
von den Eintretenden gleich beim ersten Eintreten gesprochen
werden, nicht erst nachdem sie bereits eingetreten sich dem
Palast oder Tempel der Rückwand nahen. Endlich wird in
Aristoph. Lysistr. 288 der kleine Anstieg von dem Stand-
platz des Chors zu dem Logeion als Buckel (ro aifiov) be-
zeichnet, und fuhren die SchoUen z. St. noch zwei andere
Verse, ans Aristophanes^ Babyloniern und Platon's Nikai an,
in denen das Wort aifiov in gleichem Sinne vorkam, mit
welchen drei Stellen man auch noch die oben schon citierte
Stelle in Aristoph. Wesp. 1342 verbinden kann. Vielleicht
darf man den Buckel, der vom Standplatz des Chors zum
Logeion führt, auch wiedererkennen in der steinernen Um-
friedigung {ayvinevQOv ßijiaa) des heiligen Haines der Eume-
niden, auf der Oedipus in OC. 192 sich niedersetzt. Ebenso
wird man sich in Euripides' Ion denken müssen, dass die
Terrasse (yiala) vor dem Tempel höher als der übrige Platz
gelegen und mit einer oder einigen Stufen abgeschlossen war
(s. Ion 220. 520). Bodensteiner S. 699 fuhrt auch noch die
Stelle Soph. Phil. 29 an; ich will dem nicht widersprechen,
aber sehr schwer i$t es in diesem Stück zn sagen, was von
den geschilderten Lokalitäten in Wirklichkeit ausgeführt und
WIU5 bUv«5 auf der Dekonitionswand dai^^tellt war. Aber
du NtH^ptolouuvs und Philoktet in die hoch am Felsenhang
Ivtindliohe Höhle ^V. lo. 20^ selbst hineingehen (Phil. 32.
iuA\ sv> nuiss jtHien falls der hintere Teil der Bühne, der
elH>n die HöhUniw ohuunij Vv^r^teüeu sollte, höher gelegen
s^MiK als der \or\lorv>, den Odvs^seus und Xeoptolemos, als sie
von don S\^hitVou herkv^uünon. Ivtreten. Auf der anderen
Christ: Das Theater des PölyJclet in Epidauros. 47
Seite scheint aber auch die Bezeichnung des Spielplatzes mit
duT}^ ,üferrand' (Phil. 1) darauf hinzuweisen, dass wir uns
den ganzen Spielplatz und nicht bloss das Logeion oder den
rückwärts liegenden Teil desselben über den Boden der Or-
chestra erhöht denken müssen.
Die angeführten Stellen sind indirekt auch beweis-
kräftig für die Erhöhung des ganzen Spielplatzes, da bei
dem lebhaften Zusammenspiel von Schauspielern und Chor
in dem klassischen Drama beide Teile durch keine den
Verkehr hindernde Schranke geschieden sein konnten und
daher ein erhöhter Standpunkt der Schauspieler auch
einen erhöhten Standpunkt des Chors bedingte. Glück-
licher Weise zeugt aber auch die eine der Stellen Eur. Herc.
119 ff. geradezu für die Erhöhung des Chor -Standplatzes,
da dort nicht ein Schauspieler, sondern die den Chor bilden-
den Greise sich zum kräftigen Aufstieg ermahnen und sich
mit dem die Höhe mühsam hinauffahrenden Gespann ver-
gleichen.^) Ebenso spricht die Situation im Eingang der
Frösche laut dafür, dass der Spielplatz, der die Unterwelt
vorstellt, oder die Orchestra (V. 270 ff.) tiefer lag als die
Bühne (1 — 198), welche einen Platz vor den Thoren Athens
darstellte.
Der ganze Spielplatz also, auf dem Chor und Schau-
spieler ihren Platz hatten, war erhöht uüd mit Dielen be-
legt. Aber wie hoch war dieses Gerüst? Sicher nicht 12'
1) Kein Bedenken darf es erregen, dass dieser Anstieg erst in
der zweiten Strophe (V. 118 flP".) erwähnt wird, nachdem bereits mit
V. 114 der Chor die Kinder des Herakles, die sich vor dem Palast
auf der Bühne befinden, angeredet hatte. Denn dieses erklärt sieb,
wie ich bereits Jahrb. f. class. Phil. 1894 S. 28 f. zeigte, hinlänglich
daraus, dass Strophe und Antistrophe von verschiedenen Halbchören
gesungen werden. Ebenso zieht in Aristoph. Fröschen der Chor in
zwei Abteilungen auf den Tanzplatz, indem jeder beim Eintreten eine
Strophe singt (324—336 u. 340—353).
48 Sitzut^g der phüos,-philol. Glosse vom 13, Januar 1894.
wie in Epidauros; denn eine solche Höhe war einmal nicht
nötig, sodann hätte dieselbe das Aussteigen aus dem vom vor-
fahrenden Wagen im Agamemnon (V. 947. 1070) und in der
Iphigenia in Aulis (V. 616) arg behindert, endlich, und das ist
die Hauptsache, ein Teil der Zuschauer, und gerade der auf
den Ehrenplatzen in der untersten Reihe sitzende hätte die
Personen im Hintergrund der Buhne nur sehr schlecht ge-
sehen.^) Jede Höhe, die am Yorderrand des Gerüstes den
Betrag von 5 — 6' überschritt, wäre in Athen gerade so
störend für die Zuschauer gewesen wie in Rom. Auf der
anderen Seite musste man für die aus der Unterwelt empor-
steigenden Schatten^) und für die Versenkungen (avaitiiafiata
PoU. IV 132) einen unterirdischen Raum haben, hoch ge-
nug, dass die betreffenden Personen darin stehen konnten.
In derartigen Stücken also, wie in den Eumeniden des
Aischylos und der Hecuba des Euripides, bedurfte man ent-
weder unterirdischer Gänge ^), oder einer Buhne, die wenig-
stens im Hintergrund, wo die Schatten aufstiegen, 6 — T
hoch war.^) Ausserdem setzen die Stücke, in denen von den
Beschwerden des steilen Aufstiegs gesprochen ist (Eur. Herc.
EL Ion), schiefe Ebenen oder Treppen Toraus, die von den
1) Die Schwierigkeit ist anschaulich gemacht von Pickard
a. a. 0. Taf. 2.
2) Siehe Ettig, Aoheruntia. liCipz. Stud. XEI.
S) Kinen solchen hat man allerdings in Eretria und Sikyon ge-
fanden (s. Pickard 15\ aber in Athen noch nicht: eine üntersachung
des Orchestrabodens des Dionysos-Theaters ist daher, wie ich schon
an einer anderen Stelle ausvresprochen habe, im Interesse der Wissen-
schaft dringend r.u wünschen.
A) Eine Thymele von 6' hau wie ich aus Pickard nnd Dörpfeld
(HerL ThiK WvX'h. lSiH\ 462 rt'.^ ersehe, Haisrh, Attic theatre, ange-
nommen« Dürfen wir ein Poiiiura von ca. 2' Höhe für den Stand-
platt der Schauspieler annehmen« so kommen wir in die willkom-
mene Lage« die Höhe des für den Chor bestimmten Gerostes auf 4 — 5'
veTriujftnn ru kC^nnon.
Christ: Das Theater des Pölyklet in Epidauros, 49
Parodoi zu beiden Seiten auf das Gerüst führten. Nach vorn
endlich bedurfte das Gerüst der Ueberführung in die Or-
chestra vermittelst ein paar Stufen, damit in Dramen, wie
dem Frieden des Aristophanes (V. 905), Personen der Bühne
leicht von der Bühne zu Leuten des Zuschauerraumes hinab-
steigen konnten.^)
Aber waren dieses alles nun stehende Einrichtungen, die
wenn auch aus Holz gezimmert und bei jedem Dionysosfest
von neuem aufgeschlagen, doch stets dieselben Proportionen
zeigten, oder darf man sich vorstellen, dass in Athen für
jedes Stück eine neue, den jedesmaligen Verhältnissen ange*
passte Bühne hergerichtet wurde, so dass es allgemeine Nor-
men überhaupt nicht gab? Vor der letzteren Meinung, die
man oft aussprechen hört und die allerdings für die Forschung
sehr bequem wäre, muss ich entschieden warnen. Das Gerüst
war kein Pappenwerk, das man im Handumdrehen hätte
umformen können. In wenigen Minuten liess sich allerdings
durch Herablassung einer neuen Dekorationswand (jtaqaTti'
Taofid) ein Tempel in ein Haus verwandeln. Ebenso rasch
liess sich durch Verhängung der Türen und Veränderung
der Dekoration der Hintergrund zu einem Hain oder einer
Felspartie umgestalten. Auch der Altar mitsamt seinen
Stufen, dem wir in mehreren Stücken (Oed. R., Herakles,
Helena etc.) vor dem Portal des Königspalastes begegnen,
liess sich unschwer jedesmal vor Beginn der Handlung her-
beischaffen. Selbst die Meinung lehne ich nicht unbedingt
ab, dass die Erhöhung des Logeion, welche einige Komödien,
wie die Lysistrate, die Ritter, die Wespen und die Vögel
des Aristophanes voraussetzen, der wir aber in den Tra-
1) Zum Ducken, um von den Choreuten nicht gesehen zu werden,
genügten in Aristophanes Fröschen Y. 315 ein paar Stufen ebenso
gut wie eine senkrechte Brüstung, wenn man nicht gar den Dio-
nysos wo anders, etwa hinter dem Altar der Orchestra sich ver-
stecken lässt.
1894. Phi]os.-pbilol IL hiat. Ol. 1. 4
50 Sitzung der phüasrphüol. Glosse vom 13, Januar 1894.
gödien ganz entraten können, eigens für die betreffenden
Stücke durch Herbeibringung eines Podiums hergestellt
werden konnte. Aber ein Gerüst von 120 Dm wegzu-
nehmen oder nur einige Fuss tiefer zu legen, hätte eine
Arbeit von vielen Stunden gekostet; so viele Zeit hatte man
aber nicht zwischen den einzelnen Stücken, von denen immer
vier unmittelbar oder in kurzen Pausen aufeinander folgten.
Höchstens für die Komödien, die an einem anderen Tage
als die Tragödien gegeben wurden, mochte die Nachtzeit zur
Not genügen, um ein anderes Gerüst aufzuschlagen oder
wesentliche Aenderungen an demselben anzubringen. Es
mussten sich deshalb in Athen, auch wenn das Material von
Holz war, bald typische Formen für die Hauptumrisse der
Bühne herausstellen, so dass oft ohne alle Aenderung der
Scenerie das nächstfolgende Stück gegeben werden konnte,
jedenfalls nur leichte Aenderungen durch Wechsel der Vor-
hänge und Herbeischaffung einzelner Satzstücke notwendig
waren.^)
Eine zweite Schranke war in der Skenenwand gegeben,
namentlich wenn dieselbe, wie wir oben wahrscheinlich
machten, frühzeitig von Stein aufgeführt war und nicht
nach jedem Fest wieder abgebrochen wurde. Denn wurde
dieselbe auch bei den einzelnen Stücken mit einer bemalten
Draperie (naga/ierdofdaTa)^) verkleidet, so mussten doch in
1) So typisch indes war die Scenerie auch in den Dramen Athens
nicht, dass die Umrisse der Biihnenwand an sich schon auch ohne
Dekorationsvorhänge genügten, um den Ort, wo die Handlung spielte,
darzustellen. Die Yorderwand {jtQoa)ci^viov) der Bühne konnte in allen
Stücken dieselbe sein und bedurfte keiner weiteren Dekoration, nicht
80 die Rückwand (oxrjvri). Auch dieses spricht, nachträglich be-
merkt, gegen die Theorie Dörpfelds, dass das Proskenion, dessen
Schmuck keine Verhüllung duldete, die Wand war, vor der gespielt
wurde.
2) Dieselben hat vielleicht der Grammatiker bei Gramer an.
Paris. I 19 im Auge, wenn er dem Aischylos die Erfindung von ngo"
axijyia zuschreibt.
Christ: Das Theater des Pölyhlet in Epidauros, 51
der Wand selbst feste und stehende Vorrichtungen für die
Göttermaschine, Balkone, Fenster und insbesondere für die
Portale und Eingänge angebracht sein. Mit andern Worten,
die Wand selbst hatte Türen in dem alten Theater zu Athen
so gut wie in den späteren Theatern der römischen Epoche,
deren Bühnenrückwand mitsamt den 3 oder 5 Türen uns noch
erhalten ist. Diese Türen konnten aber begreiflicher Weise
nicht so leicht wie die Dekorationen und Coulissen verschoben
werden. Damit bestimmte sich aber auch, wie jedermann sieht,
die Höhe des Podiums vor der Skene oder dem Bühnenhinter-
grund. Das will ich nicht so angesehen haben, als ob nun
im ganzen 5. Jahrh. die Bühne die gleiche Höhe und die
gleichen Umrisse gehabt habe. Umgekehrt denke ich mir
eine sehr variable Bühne und finde ich sogar noch in
unseren Dramen Anzeichen von Aenderungen und Neuer-
ungen im Bau der Skene und des davor aufgeschlagenen
Gerüstes. Aber im Allgemeinen werden doch in den letzten
Jahrzehnten des 5. Jahrh. für Tiefe und Höhe der Bühne
jene Normen massgebend gewesen sein, die wir im Voraus-
gehenden kennen gelernt haben, so dass also die in einem
Bretterboden bestehende Bühne rückwärts und seitlich von
steinernen Mauern (ajci^vij und naQaaxrjvta) begrenzt war
und eine Tiefe von 5 — 7 m und eine Höhe von 5 m vorn
und 7 m rückwärts hatte.
üeberblicken wir zum Schluss nochmals den durch-
messenen Raum, so werden wir an die Stelle der zwei The-
ater-Unterschiede des Vitruv drei setzen: es unterschied sich
nicht bloss das römische Theater vom griechischen, sondern
es bestanden auch im griechischen Theater zwei gr osse Unter-
schiede; entsprechend der grossen Veränderung , die im grie-
chischen Drama durch den Wegfall des Chors eingetreten
war, gab es auch in der Anlage der griechischen Bühn e zwei
Formen, von denen die ältere aus der ursprünglichen Anlage
4*
52 Sitzung der phüos.-phüol, Clcuse vom 13. Januar 1894.
des Dionysos-Theaters in Athen und aus den Andeutungen der
uns erhaltenen Dramen restauriert werden niuss, die jüngere
in dem Theater des Polyklet uns ausgeprägt vorliegt. Merk-
würdig ist dabei, dass das römische' Theater in Folge der
ähnlichen Bühnen Verhältnisse im Wesentlichen wieder zum
griechischen Theater des 5. Jahrh. zurückkehrte. Denn wie
im 5. Jahrh. die Bühne Platz haben musste für Schauspieler
und Chor, so producierten sich auch wieder in Rom auf der-
selben Bühne Schauspieler und pantomimische Tänzer.
Historische Classe.
Sitzung vom 18. Janaar 1894.
Herr Friedrich hielt einen Vortrag:
^lieber die Capitula Angilramni'.
Die Veröflfentlichung und die Zeit derselbc^n wird vor-
behalten.
53
Sitzung vom 3. Februar 1894.
Herr Paul hielt einen Vortrag:
^lieber die Aufgaben der wissenschaftlichen
Lexikographie mit besonderer Rücksicht auf
das deutsche Wörterbuch.*
Wenn ich es unternehme, über die Aufgaben der wissen-
schaftlichen Lexikographie zu handeln, so ist es nicht meine
Absicht, den Gegenstand nach allen Seiten hin zu erschöpfen.
Ich gehe insbesondere hinweg über diejenigen Anforderungen,
die als allgemein anerkannt gelten können, und die bereits
von den besseren unter den vorhandenen Wörterbüchern
mehr oder weniger erfüllt werden.^) Dagegen möchte ich
die Aufmerksamkeit auf einige Ansprüche lenken, die unbe-
dingt erhoben werden müssen, wenn die Wortforschung zu
einer wirklichen Wissenschaft ausgestaltet werden soll, wäh-
rend dieselben doch bisher von den Wörterbüchern noch gar
nicht oder nur in ungenügender Weise befriedigt werden.
Ich gehe dabei aus von Beobachtungen, die ich an dem grossen
Deutschen Wörterbuche gemacht habe. So sehr wir auch
den Verfassern desselben für ihre mühselige Arbeit zu Danke
1) üeber die Reformbestrebungen auf dem Gebiete der lateini-
schen Lexikographie vgl. Heerdegen im 2. Bande von Iw. Müllers
Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft.
54 Sitzung der phÜos.-phüol. Glosse vom 3. Februar 1894.
verpflichtet sind und so sehr dieses Werk die meisten son-
stigen Leistungen auf lexikalischem Gebiete überragt, so
kann uns das doch nicht abhalten, auf die Mängel hinzu-
weisen, die dem Werke nichtsdestoweniger anhaften, und die
Mittel und Wege anzuzeigen, wie sich zu einer noch voll-
kommeneren Leistung gelangen lässt.
1.
Die erste Anforderung, die an ein Wörterbuch gestellt
werden muss, ist natürlich eine genügende Ausnutzung
der Quellen, unter genügender Ausnutzung verstehe ich
aber nicht eine möglichst grosse Häufung von Gitaten aus
möglichst vielen Schriftstellern. Vielmehr muss man sich
von vornherein klar machen, was durch das Wörterbuch
festgestellt werden soll, und dieser Zweck muss bei der Samm-
lung und Sichtung des Materials immerfort vorschweben.
Handelt es sich nur darum, das Verständnis von Texten zu
vermitteln, so genügt es, dass keine Wörter und keine Ver-
wendungsweisen, die einer solchen Vermittlung bedürfen,
übergangen werden. Dagegen für den Aufbau einer wirk-
lichen Wortgeschichte muss eine möglichst genaue Abgren-
zung der Sphäre des Gebrauchs für jedes Wort und jede
Verwendungsweise desselben gefordert werden.
Es bestehen innerhalb jedes Volkes eine Anzahl von
Verkehrskreisen, die sich durch XJebereinstimmung in Eigen-
heiten unter sich zusammenschliessen und gegen ausserhalb
Stehende absondern. Da ist zunächst der Gegensatz zwischen
Gemeinsprache und Mundart, der sich dadurch noch ganz
besonders kompliziert gestaltet, dass diese beiden Gegensätze
sich nicht reinlich gesondert gegenüberstehen, sondern viel-
mehr in der Regel durch eine Menge sehr abgestufte Misch-
ungen unter einander vermittelt werden. Von den Ab-
weichungen, die im Wortgebrauche zwischen den verschie-
PavA: Aufgäben der wissenschaftlichen Lexikographie, 55
denen Mundarten bestehen, reichen manche durch die Mittel-
stufen zwischen Mundart und Gemeinsprache bis in diese
selbst hinein. So sind wir in Deutschland noch ziemlich
weit von einer volligen Einheit in dieser Hinsicht entfernt,
vielmehr gibt es viele Begriffe, für die noch keine gemein-
deutsche Bezeichnung existiert, sondern nur eine süddeutsche
und eine norddeutsche oder noch mehr als zwei. Die früheren
Perioden bieten natürlich in der Literatursprache noch viel
erheblichere Verschiedenheiten. So ist dem Wörterbuche,
auch wenn es nicht dazu bestimmt ist, den spezifisch mund-
artlichen Wortschatz mit aufzunehmen, die Aufgabe gestellt,
fdr eine Menge von Abweichungen die Abgrenzung nach
der räumh'chen Erstreckung und nach dem Verhalten der
verschiedenen Bildungsschichten der Bevölkerung vorzunehmen.
Andere Unterschiede, die sich mit den mundartlichen kreu-
zen, werden durch die Verschiedenheit des Berufes erzeugt.
Es bildete sich eine besondere technische Sprache für die
einzelnen Gewerbe, Künste und Wissenschaften, deren voll-
ständige Beherrschung durch einen gewissen Grad von Sach-
kenntnis bedingt ist und darum ebenso wenig wie diese all-
gemein sein kann, die aber doch andererseits auch den ausser-
halb des engeren Kreises Stehenden nicht durchaus fremd
bleibt. Es müssen daher die technischen Ausdrücke nicht
nur als solche bestimmt werden, sondern es ist auch zu
untersuchen, wie weit sie noch als Gemeingut der Sprache
überhaupt oder als Eigentum weiterer Volksschichten ange-
sehen werden können. Aehnliche Eigenheiten wie durch die
Verschiedenheit der Berufsarbeit können auch durch die be-
sonderen Einrichtungen des geselligen Verkehrs innerhalb
einer sich mehr oder weniger abschliessenden Klasse erzeugt
werden. Man denke hier namentlich an die Studentensprache,
Es besteht ferner, auch abgesehen von etwaiger grösserer
oder geringerer mundartlicher Beimischung, ein Unterschied
zwischen der Umgangssprache und der Sprache der Literatur,
56 Sitzung der phüos.-philol. Glosse vom 3. Februar 1894,
und wieder zwischen Poesie und Prosa, und weiter zwischen
den einzelnen prosaischen und poetischen Gattungen, wozu
dann endlich die Besonderheiten des einzelnen Schriftstellers
kommen, die teils auf eigentümlicher Auswahl aus dem
überkommenen Stoffe, teils auf origineller Neugestaltung be-
ruhen können.
Sind so schon für die Beschreibung eines bestimmten
Sprachzustandes eine Menge Grenzen zu ziehen, wieviel mehr
für die Darlegung der Entwicklung innerhalb einer Periode.
Selbstverständlich muss das Entstehen und Vergehen der
Wörter und Wortbedeutungen mit besonderer Aufmerksamkeit
verfolgt werden, und müssen zu diesem Zwecke vor allem die
frühesten und spätesten Belege aufgespürt werden. Im Zu-
sammenhange damit muss auch das Häufiger- oder Seltener-
werden verfolgt werden, aber auch alle Verschiebungen in
Bezug auf die Sphäre des Gebrauchs. Da wird bald ein
Wort, das früher auf dem ganzen Sprachgebiete üblich war,
auf den engeren Kreis einer Mundart beschränkt, bald er-
weitert eins seinen Bezirk, vielleicht über das ganze Gebiet;
bald erhalten sich alte Wörter nur in technischer Sprache,
bald gewinnen technische Ausdrücke Bürgerrecht in der all-
gemeinen Literatur- und Umgangssprache; bald wird ein
edles Wort gemein, zuweilen auch ein gemeines wieder edel;
u. s. f.
Es ist klar, dass eine Feststellung des Wortgebrauches
im Deutschen, die den hier skizzierten Anforderungen ent-
spricht, nur durch ein planmässiges Zusammenarbeiten nicht
weniger Kräfte zu Stande gebracht werden kann. Für das
Deutsche Wörterbuch haben allerdings ausser den eigentlichen
Bearbeitern viele Personen Sammlungen beigesteuert, aber
leider die meisten ohne eine nur annähernd genügende Vor-
stellung von dem , was eigentlich zu leisten ist. Es wurde
zwar vieles Seltenere und vom heutigen Gebrauch Abweichende
verzeichnet, aber z. B. in Bezug auf Entstehung und Ver-
Paul: Aufgäben der wissenschaftlichen Lexikographie, 57
breitang der heute üblichen Wörter und Wortbedeutungen
war aus diesen Auszügen so gut wie nichts zu entnehmen.
So sahen sich die Bearbeiter für den wesentlichsten Teil ihrer
Aufgabe doch auf eigene Sammlungen angewiesen. Aller
Fleiss des Einzelnen konnte aber zu einer Bewältigung der
oben bezeichneten Aufgabe nicht ausreichen, selbst wenn der-
selbe die definitive Ausarbeitung noch um viele Jahre hätte
hinausschieben wollen, was ihm doch die Umstände nicht
gestatteten. Vielleicht wäre es noch nach dem Tode J. Grimms
angezeigt gewesen, zunächst von neuem umfassende Mäterial-
sammlungen vorzunehmen, wozu damals wohl die geeigneten
Kräfte zu finden gewesen wären. Jetzt, wo mehr als zwei
Drittel des Stoflfes bearbeitet ist, dürfte es wohl zu spät sein.
Wir können die Befriedigung unserer Wünsche nur von
einem ganz neuen Unternehmen erwarten. Ein solches ist
schon zum Behufe der Ausschöpfung des Materiales^) eine un-
abweisbare Notwendigkeit. Wir werden gut thun, uns dieses
schon jetzt klar zu machen, wenn auch vielleicht noch viele
Jahre vergehen werden, bevor man ernstlich daran denken
kann, Hand an's Werk zu legen. Die erste Bedingung für
das Gelingen dieses Unternehmens wird sein, dass die Samm-
lung des Materiales in ganz systematischer Weise in Angriff
genommen wird, dass sie nur sprachwissenschaftlich wohl
geschulten Kräften übertragen wird, die unter einer zentralen
Leitung alle Quellen ausziehen, die für die Feststellung des
Sprachgebrauchs von Belang sind, und zwar nach wohl-
erwogenen Grundsätzen- und unter zweckmässiger Verteilung
der verschiedenen Gebiete. Natürlich würde dabei das schon
vorhandene Deutsche Wörterbuch wesentliche Dienste leisten.
1) Hier sei auch noch darauf hingewiesen, dass fär das Deutsche
Wörterbuch vielfach unzulängliche Ausgaben benutzt sind. Die Fort-
schritte, welche in der kritischen Behandlung neuhochdeutscher Texte
schon gemacht sind und noch bald gemacht werden, müssten einem
neuen Wörterbuche sehr zu gute kommen.
58 Sitzung der phüoa.'phüol. Classe vom 3. Februar 1894,
und ein gründliches Studium desselben würde in erster Linie
zuy Vorbereitung für die Mitarbeiterscbaft gehören.
Freilich darf man nicht meinen, dass es auch mit Hülfe
der vollständigsten Ausbeutung aller Quellen gelingen kann,
für jedes Wort und jede Verwendungsweise desselben Alter
und Verbreitungsgebiet in zuverlässiger Weise zu bestimmen.
Für diejenigen, welche aus einer Zeit stammen, aus der wir
überhaupt noch keine Quellen haben, sind Altersbestimmungen
natürlich nur eventuell auf indirektem Wege zu gewinnen,
namentlich mit Hülfe der Vergleichung der verwandten
Sprachen, zuweilen auch durch die Beobachtung ihrer Laut*
form. Weiterhin fliessen zunächst die Quellen spärlich, aber
selbst wo sie schon ziemlich reichlich sind, hängt es von
mancherlei Zufälligkeiten ab, ob ein Wort (respektive eine
Bedeutung) bald, nachdem es in Gebrauch gekommen ist,
auch in den auf uns gekommenen Denkmälern Anwendung
gefunden hat. Es kommt hierbei in Betracht, dass der tra-
ditionelle Charakter der Literatur eine gewisse Beschränkt^
heit des darin zur Anwendung kommenden Wortschatzes mit
sich bringt. So lässt z. B. das Volksepos des Mittelalters,
die höfische ritterliche Erzählung und vollends der Minne-
sang eine Menge von Sprachstoflf unbenutzt. Die grösste
Mannigfaltigkeit auf lexikalischem Gebiete zeigt die Literatur
des sechzehnten Jahrhunderts, was namentlich eine Folge
der Mannigfaltigkeit der behandelten Stoffe und der reali-
stischen Art der Darstellung ist. • Später wird der Wort-
schatz zunächst wieder einförmiger, indem die mundartlichen
Elemente zurückgedrängt werden und die Literatur sich
wieder mehr in einem engen, traditionellen Kreise bewegt.
Wie lange ein Wort existieren kann, ohne in den uns er-
haltenen Quellen eine Spur zu hinterlassen, mag man aus
einigen Beispielen ersehen, bei denen die Lautgestalt ein
Kriterium für die Altersbestimmung an die Hand gibt.
Unser Wort hübsch = mhd. hübesch^ abgeleitet aus Hof und
Patd: Aufgaben der toiaaenschafüichen LexUcographie. 59
ursprunglich mit der Bedeutung „höfisch*, ist. vor dem
12. Jahrhundert nicht belegfc. Aber die Abweichung des
Wurzelvokak von dem des Grundwortes zeigt, dass es in
einer Zeit gebildet sein muss, wo die schon geraeingernia-
nische Spaltung des u in u und o sich noch nicht voIl7X)gen
hatte, und die Abweichung im Konsonanten beruht auf dem
Vernerschen Gesetz, weist also das Wort in die Zeit zurück,
wo noch der indogermanische Accent bestand. Die spezielle
Bedeutung des Wortes im Mhd. muss allerdings jüngeren
Ursprungs sein. Für das noch heute in der Jägersprache
übliche Wort Ricke ,, weibliches Reh* bringt das Wörter-
buch keinen älteren Beleg als aus dem 18. Jahrhundert,
aber das lautliche Verhältnis, in dem dasselbe zu Beh steht,
weist es in die Zeit vor der Wirkung des Vernerschen Ge-
setzes, ja in eine Periode, wo für die ursprünglichen Ab-
lautsverhältnisse in der Wortbildung noch ein sehr lebendiges
Gefühl gewesen sein muss. Die Zeit des ältesten Beleges
gestattet daher keineswegs ohne weiteres einen sicheren
Schluss auf die Zeit der Entstehung. Reichen schon für die
Altersbestimmung unsere Quellen keineswegs immer aus, so
noch viel weniger zur Umschreibung der Gebrauchssphäre
in den verschiedenen Perioden. Die verschiedenen Gegenden
eines Landes beteiligen sich ja nicht gleichmässig an der
literarischen Produktion, manche bleiben längere Zeit hin-
durch ganz un vertreten. Es fehlt vielfach an festen An-
haltspunkten dafür, wie weit die Schriftsteller sich ihres
heimatlichen Wortschatzes bedienen, wie weit sie aus andern
literarischen Vorbildern entlehnen; wozu dann noch kommt,
dass wir vielfach ihre Heimat gar nicht kennen. Es bedarf
erst komplizierter Untersuchungen, um in dieser Hinsicht
überhaupt etwas zu ermitteln, und auch diese führen oft zu
keinem Resultate.
Es gibt nur eine Epoche, für welche die Grenzen der
Gebrauchssphäre nach allen Richtungen hin vollständig ge-
60 Sitzung der pküos.-phüol. Glosse vom 3. Februar 1894,
zo^en werden können, dass ist die Gegenwart. Nicht zum
mindesten, wenn auch nicht bloss aus diesem Grunde ist es
von höchster Wichtigkeit für den Aufbau der Wortgeschichte
so gut wie für den der historischen Grammatik, die Ver-
hältnisse der Gegenwart auf das sorgfältigste zu untersuchen,
sobald überhaupt, wie es beim Deutschen der Fall ist, die
Entwickelung bis zu dieser hinreicht. Dadurch erhält man
namentlich die sicherste und vollständigste Grundlage für die
Feststellung der mundartlichen Differenzen. Nach sorgfäl-
tiger Vergleichung der älteren Quellen lässt sich davon sehr
Vieles auf frühere Jahrhunderte übertragen, und vielfach
wird es möglich, auf der Grundlage der heutigen Zustände
in den älteren Quellen das Verhältnis der mundartlichen Be-
standteile zu den schriftsprachlichen und sonstigen literari-
schen Traditionen zu bestimmen. In dem Deutschen Wörter-
buch sind im allgemeinen die vorhandenen mundartlichen
Wörterbücher verwertet. Aber einerseits haben noch lange
nicht alle Mundarten lexikalische Bearbeitung gefunden;
anderseits gehen fast alle unsere Idiotika nicht darauf aus,
die Gesammtheit des mundartlichen Wortschatzes zu ver-
zeichnen, sie führen vielmehr nur die von der Schriftsprache
abweichenden Eigenheiten auf. Man kann fast nie aus ihnen
ersehen, was von dem Bestände der Schriftsprache iu der
Mundart nicht vorhanden ist, und so sind sie z. B. für die
wichtige Frage, auf welcher mundartlichen Unterlage dieser
Bestand ruht, nicht zu gebrauchen. Eine Anzahl wirkliche
Besehreibungen mundartlichen Wortvorrats würde einem hi-
storischen deutschen Wörterbuche wesentliche Dienste leisten.
Für viele Fälle, in denen die Mundarten in der Bezeichnung
überall ausgebildeter Begriffe in charakteristischer Weise
auseinandergehen, würde sich zur Ermittelung der genauen
Grenzen das Erkundigungs verfahren empfehlen, welches sei-
nerzeit für den Wenker'sehen Sprachatlas in Anwendung ge-
bracht ist. Auch empfiehlt es sich, in viel ausgedehnterer
Paul: Aufgaben der wissenschaftlichen Lexikographie, 61
Weise, als es bisher geschehen ist, Aufzeichnungen von
lokalem Charakter heranzuziehen. Schon aus der gewöhn-
lichen Tagespresse liesse sich für das Wörterbuch Manches
entnehmen.
Ist bisher von einer Quellenausnutzung die Rede ge-
wesen, die als Ideal für eine vielleicht ferne Zukunft vor-
schweben muss, so muss jetzt auf eine Quelle hingewiesen
werden, die jeder Bearbeiter eines Wörterbuchs seiner Mutter-
sprache zur Hand hat, und die mir doch im Deutschen Wör-
terbuch nicht die genügende Berücksichtigung gefunden zu
haben scheint. Das ist das eigene Sprachgefühl. Was von
der Verwertung dieser Quelle abhält, ist wohl nichts anderes
als die philologische Angewöhnung, nichts gelten zu lassen,
als was durch schriftliche Belege gestützt ist. Allein das
eigene Sprachgefühl ist doch auch nichts Willkürliches, son-
dern etwas unter bestimmten geschichtlichen Bedingungen
Gewordenes, welches eben darum mit dem Sprachgefühl so
und so vieler anderer wesentlich übereinstimmen muss. Es
ist auch unvermeidlich, dass das Sprachgefühl des Lexiko-
graphen eine grosse Rolle spielt, indem es bei dem Verstehen
und Beurteilen der Beispiele überall mitspricht. Aber nicht
bloss diese mehr unbewusste, darum sogar mitunter irre-
führende Mitwirkung ist es, die gefordert werden muss, son-
dern eine wirklich konsequente und methodische Ausschöpfung
seines Inhaltes. Einen grossen Vorteil hat das Sprachgefühl
zunächst dadurch, dass darin unmittelbar die usuelle Bedeu-
tung der Wörter und Wortverbindungen gegeben ist, wäh-
rend in den Sprachdenkmälern eine occasionelle^) Verwendung
vorliegt, aus welcher das Usuelle auszuscheiden nicht immer
leicht, mitunter unmöglich ist. Nur ältere Wörterbücher
suchen direkt die usuelle Bedeutung zu geben, sind aber
1) Ueber die Be^jriffe »usuell* und ,occasioneir vgl. meine Prin-
cipien^ S. 66.
62 SiUung der philos.'pkUol. Glosse vom 3. Februar 1894.
natürlich, wiewohl sie unbedenklich benutzt zu werden pflegen,
nicht so zuverlässig, als das richtig beobachtete eigene Sprach-
gefübl. Es bangt mit diesem Vorteil ein anderer zusammen,
dass wir mit unserem Sprachgefühl experimentieren können.
Weiterhin gibt uns dasselbe die Möglichkeit, die Art, wie
sich die auf die Sprache bezüglichen Vorstellungen grup-
pieren, auf einem viel unmittelbareren Wege zu erkennen
als durch irgend ein anderes Mittel. Dass man freilich seinem
Sprachgefühl gegenüber Behutsamkeit anwenden muss, dass
man namentlich sich durch dasselbe nicht zu Yorscbnellen
Verallgemeinerungen verfuhren lassen darf, ist selbstverständ-
lich. Man muss eben untersuchen, wie dasselbe zu Stande
gekommen ist, wieweit es durch die Schriftsprache, wieweit
durch die bei niemandem fehlenden mundartlichen Einflüsse,
wieweit durch individuelle Gewöhnung bestimmt ist, u. s. f.
Man hat ja aber auch reichliche Gelegenheit zu kontrollieren,
inwieweit Uebereinstimmung mit fremdem, sei es schrift-
lichem oder mündlichem Sprachgebrauch stattfindet. Die
Beobachtungen an fremden Individuen werden eben um so
fruchtbarer sein, je mehr das eigene Sprachgefühl im Mittel-
punkt der Betrachtung steht und je mehr es zu klarem Be-
wußtsein gebracht ist.
Es ist wünschenswert, dass die raumlichen, zeitlichen
und sonstigen Grenzen des Sprachgebrauches im Wörter-
buche mit ausdrücklichen Worten angegeben werden, und
dass es dem Leser nicht überlassen bleibt, sie nach den ge-
gebenen Belegen selbst zu finden. Denn er kann nicht im-
mer die Heimat und das Alter aller Quellen gegenwärtig
haben, noch weniger wissen, wie dieselben zwischen Schrift-
sprache und Mundart stehen, welchen besondern Einwirkungen
sie ausgesetzt gewe^en siud, u. s. f. Was wir hier fordern,
gehört ebeu zu einer wirk lieben Verarbeitung des Materiales.
Sollte übrigens je ein Wörterbuch auf so breiter Grundlage zu
Stande kommen, wie oben gefordert ist, so würde es sich
Patd: Aufgäben der wissenschafllichen Lexikographie, 63
von selbst verbieten, das ganze Material, das zur Feststellung
der Grenzen erforderlich ist, vollständig mitzuteilen.
Etwas, was nach dieser Seite hin schon jetzt zu leisten
wäre und doch im Deutschen Wörter buche vermisst wird,
ist die durchgängige Bestimmung des gegenwärtigen gemeinen
Sprachgebrauchs. Der Leser erhält in vielen Fällen keine
Aufklärung darüber, ob eine Gebrauchsweise eines Wortes,
für die er Belege findet, noch jetzt üblich ist oder nicht.^)
Das ist entschieden zu missbilligen. Denn abgesehen davon,
dass mancher gerade zu dem praktischen Zwecke nachschlägt,
sich darüber zu vergewissern, so gehört doch die Gegenwart
gerade so gut zur Geschichte wie jede frühere Epoche und
verlangt, dass man in Bezug auf sie leiste, was man kann.
Dieser Mangel hängt offenbar zusammen mit dem Mangel
an Beobachtung des Sprachgefühls.
2.
Wir wenden uns nun zu der wichtigen technischen
Frage: in welcher Weise ist die Bedeutung der Wör-
ter anzugeben? Das älteste und roheste Verfahren, wel-
ches noch jetzt in unsern gewöhnlichen Handwörterbüchern
allgemein herrscht, besteht darin, dass man Wörter und
Redensarten einer fremden Sprache in eine dem Benutzer
bekannte Sprache übersetzt, wobei man, wenn es nötig ist,
mehrere Uebersetzungen neben einander stellt, und es dann
dem Benutzer überlässt, sich diejenige herauszusuchen, welche
für den Zusammenhang, um den es sich handelt, passt. Es
hängt dabei lediglich von dem zufälligen Verhalten der bei-
den Sprachen zu einander ab, wie viele Bedeutungen etwa
unterschieden werden , die Unterscheidungen fallen daher
auch teilweise anders aus, sobald man eine andere Sprache
1) Dasselbe ^It auch von dem kleineren Wörterbuch von Heyne.
64 Sitzung der pkUos.^phüöl, Claaae vom 3. Februar 1894,
für die Interpretation wählt. Da die als Uebersetzungen auf-
geführten Wörter sehr häufig nicht nach dem ganzen Um-
fange ihrer Bedeutung derjenigen des fremden Wortes ent-
sprechen, so erhält man auf diese Weise über den Umfang
der Bedeutung des letzteren gar keine Auskunft. Diese rohe
Interpretationsmethode hat nichtsdestoweniger im Deutschen
Wörterbuche noch eine gewisse Anwendung gefunden, indem
die Wörter, und zwar gerade die noch jetzt allgemein üb-
lichen, yielfach zunächst durch ein oder mehrere lateinische
glossiert werden. Es ist nicht einzusehen, wem damit ge-
dient sein soll, da im übrigen doch niemand das Werk be-
nützen kann, der nicht gründlich Deutsch versteht, und da
alles Genauere über den Gebrauch sich doch erst aus den
weiterhin sich anschliessenden deutsch abgefassten Erörte-
rungen oder aus den aufgeführten Beispielen ergibt. Eine
solche Beifügung des Lateinischen . ist nur angebracht , wo
es sich darum handelt, zufällig gleich lautende Wörter rasch
auseinanderzuhalten.
Anders war schon Adelung verfahren. Er bedient sich
nicht der Yermittelung des Lateinischen oder einer anderen
fremden Sprache, sondern versucht ausführliche Definitionen
in deutscher Sprache. J. Grimm verwirft dies Verfahren in
der Vorrede (S. XL) als zu umständlich. Aber die Um-
ständlichkeit wäre kein Grund zur Verwerfung, wenn mit
Hülfe derselben unsere Einsicht gefördert würde. Adelung
war gewiss von einem richtigen Gefühle geleitet. Mit der
blossen Glossierung überhebt man sich der Mühe einer Ana-
lyse der Bedeutung. Es ist zweifellos eine der ersten Pflichten
des Lexikographen, sich den Vorstellungsinhalt, der die Be-
deutung eines Wortes ausmacht, in allen seinen einzelnen
Momenten klar zu machen. Ebenso zweifellos wäre es zu
wünschen, dass er die von ihm gewonnene Klarheit über die
einzelnen Momente, aus denen sich die Bedeutung zusammen-
setzt, auf die Leser übertröge. Es fragt sich nur, ob er dies
PatU: Aufgaben der toissenschaftHiehen Lexikographie, 65
überall kann, und ob in der Form einer Definition nach der
Aristotelischen Logik. Bei der natürlichen Erlernung der
Muttersprache wird der Vorstellungsinhalt, der sich als Be-
deutung mit den einzelnen Wörtern verknüpft, durch die
sinnliche Anschauung teils direkt gegeben, teils indirekt ver-
mittelt. Das Wörterbuch vermag diese Anschauungen nicht
zu geben. Es erklärt die Wörter nur wieder durch Worte.
Mit Worten aber kann man auf die Seele des Hörenden
oder Lesenden nichts anderes wirken, als dass man Vorstel-
lungen, die sich schon früher in derselben gebildet und mit
den betreffenden Worten assoziiert haben, in das Bewusst-
sein zurückruft und dabei etwa durch eine neue Verbindung
der Worte eine neue Verbindung unter den entsprechenden
Vorstellungen erzeugt. Es gibt Wörter, deren Bedeutung
man überhaupt auf keine Weise jemandem durch andere
Wörter beibringen kann, bei denen eine Definition ein Un-
ding ist, so namentlich alle diejenigen, die eine einfache Vor-
stellung ausdrücken, wie rot, blauj süss, bitter etc. Von
der Bedeutung vieler Wörter lässt sich zwar mit Hülfe an-
derer Wörter eine gewisse Vorstellung geben, doch ohne dass
diese, auch trotz grosser Umständlichkeit, die durch Anschau-
ung zu gewinnende vollständig ersetzt. Die Bedeutung von
Tier- und Pflanzenbezeichnungen erklärt man wohl in den
Wörterbüchern durch naturwissenschaftliche Definitionen mit
Angabe der Klasse etc. Nehmen wir aber z. B. eine solche
zoologisch ganz korrekte Definition von Hund, so sind wir
weit entfernt davon, damit diejenige Vorstellung von einem
Hunde zu haben, die in dem allgemeinen Volksbewusstsein
lebt, und diese ist es doch, welche die Bedeutung des Wortes
ausmacht. Am wenigsten aber hat es Sinn, wenn man, um
nur überhaupt eine Umschreibung zu haben, Wortbedeu-
tungen umschreibt, von denen man doch voraussetzen mu&s,
dass sie jedem der Sprache Kundigen ebenso geläufig, wo
nicht geläufiger sind, als die Bedeutung der zur Umschreibung
1891 PhUo8.-philol. a. hist. Gl. 1. 6
66 Sitzung der philos.'phüöl. Glosse vom 3, Februar 1694.
angewendeten Wörter. Es kann dabei auch gar nicht aus-
bleiben, dass man sich in einem Kreise herumdreht, indem
bald A zur Erläuterung von B, bald B zur Erläuterung von
A dienen muss. Adelung ist bei seinen Definitionen sehr
sorgfaltig verfahren, aber er hat die hier angedeuteten Uebel-
stände nicht vermeiden können, woraus es sich denn auch
zum Teil erklärt, dass J. Grimm ilim hierin nicht hat folgen
mögen. In neuester Zeit hat Heyne in seinem kleineren
Wörterbuch das Adelung'sche Verfahren angewendet, aber
mit dem Unterschied, dass er sich kürzer zu sein bemüht,
und dass er sich insofern an das grosse Deutsche Wörterbach
anschliesst, als er seine Umschreibungen wie dieses die latei-
nischen üebersetzungen der Erörterung des Einzelnen voran-
stellt, um damit die Gesamtbedeutung oder die Hauptbedeu-
tung anzugeben. Was dabei herausgekommen ist, mögen
einige Beispiele zeigen. Massenhaft sind Tautologieen wie
Haarlocke „Locke des Haares**, Armspange „Spange um den
Arm** und so gewöhnlich bei Zusammensetzungen. Beispiele,
wie man sich dabei im Kreise herumdrehen kann: Bau
„Handlung des Bauens und Gebautes** — hauen „Bau haben
oder beginnen**, Köhler „der berufsmässig Kohlen brennt** —
Kohlenbrenner „Köhler**. Sehr gewöhnlich sind unvollkom-
mene Definitionen, die gerade so gut noch auf so und so
viele andere Wörter passen und mit denen niemandem ge-
dient sein kann: Affe „das bekannte Tier**, Hund „das be-
kannte Haustier**, Habicht „Name eines Raubvogels**, Htihn
„Angehöriges einer bestimmten Vogelart**. Oder es wird
eine beliebige Eigenschaft willkürlich herausgegriffen : Blei
„Name des schwersten unedlen Metalles**. Oft sind die Er-
klärungen schwerfällig und geschraubt: Hand „Greifglied
des Menschen**, Arm „das umfangende Glied des Oberkör-
pers**, Luft „das unsern Dunstkreis erfüllende Element**,
lebe^i „aus innerlicher Kraft ein Dasein fortführen**; nicht
selten ausserdem auch direkt falsch: Kohle „glühender oder
Patd: Aufgaben der wissenschaftlichen Lexikographie, 67
ausgeglühter Rest verbrennender Körper", bei welcher De-
finition, die doch nicht auf Stein- oder Braunkohle passt,
und die ausserdem eine contradictio in adjecto enthält,
naan wohl eher an Asche als an Kohle denken würde ;
schreiben , Worte zu Papier bringen", als ob man nicht auch
einzelne Buchstaben, auch Ziffern, und als ob man nicht auch
auf etwas anderes als Papier schreiben könnte. Solche un-
glücklichen Umschreibungen sind freilich nicht alle eine not-
wendige Folge aus dem eingeschlagenen Verfahren, dennoch
dürfte es klar sein, dass dabei nichts Erspriessliches heraus-
kommen kann.
Es wird zwar immer Fälle geben, in denen der
Lexikograph zu Definitionen genötigt ist, aber er wird
darauf verzichten müssen, die Vorstellungskomplexe, welche
die Bedeutungen der Wörter ausmachen , in jedem Falle
in der Seele des Lesers erst neu zu erzeugen, er wird viel-
mehr mit den bereits gebildeten und an bestimmte Wörter
angeknüpften in zweckmässiger Weise operieren. Wer ein
Wörterbuch der deutschen Sprache zunächst für Deutsche
schreibt, der setze doch getrost den in der Gegenwart all-
gemeinen Sprachgebrauch als bekannt voraus; denn er kann
doch nicht umhin, dies zu thun. Es hat für ihn gar keinen
Zweck, den eigentlichen normalen Sinn von Wörtern, wie
roty süss, Affe^ Hand^ schreiben und von vielen andern irgend-
wie zu umschreiben. Erläuterungen werden zunächst nötig,
wo es sich um etwas handelt, was nicht mehr oder nicht
allgemein üblich ist. Handelt es sich um ein Wort, welches
der allgemeinen Sprache der Gegenwart fehlt, so wird man
es in der Regel zunächst durch eines aus dieser erklären,
aber dabei nicht versäumen dürfen, sobald sich beide Wörter
nicht vollständig decken, durch eine weitere Erläuterung die
Grenzen zu bestimmen, innerhalb deren sie sich entsprechen.
Ein analoges Verfahren wird durchweg einzuschlagen sein
in Wörterbüchern wie z. B. einem lateinisch -deutschen, in
5*
68 Sitzung der phüosrphücl. Glosse vom 3. Februar 1894,
denen die zur Erläuterung verwendete Sprache von der be-
handelten verschieden ist. Handelt es sich dagegen um eine
abweichende Bedeutung eines sonst noch allgemein üblichen
Wortes, so empfiehlt es sich, neben andern Arten der Er-
läuterung, die etwa angezeigt siud, genau anzugeben, worin
diese Abweichung besteht. Diese vergleichende Art der Er-
läuterung ist nun überhaupt die einzig richtige für ein wissen-
schaftliches Wörterbuch. Sie muss überall angewendet wer-
den, wo es sich um die Bestimmung der verschiedenen Be-
deutungen eines Wortes handelt, sei es, dass dieselben gleich-
zeitig neben einander bestehen, sei es, dass sie zeitlich auf
einander folgen. Ueberall muss der Verfasser sich klar
machen und dann den Leser darauf hinweisen, worin die
üebereinstimmung und worin die Verschiedenheit besteht.
Denn damit ist schon etwas Wesentliches, oft das Wesent-
lichste geleistet für das Verständnis der Entwickelung einer
Bedeutung aus der anderen oder mehrerer aus einer gemein-
samen Grundlage. Dagegen wird unsere Erkenntnis nicht
gefördert, wenn man, wie dies häufig geschieht, die einzelnen
Bedeutungen für sich durch andere Ausdrücke umschreibt
oder übersetzt. So heisst es z. B. im Deutschen Wörterbuch
unter vergebens: ,1. ohne Erfolg frustra'^ ^ weiterhin «ohne
Vergeltung, ohne Bezahlung* (d. h. also lat. gratis). Indem
das Verhältnis dieser beiden Verwendungsweisen zu einander
nicht bestimmt wird, ist damit von vornherein jeder Versuch
zur Ermittelung der Bedeutungsentwickelung abgeschnitten;
daran liegt dann auch die Schuld, dass die abgeleitete Be-
deutung der ursprünglichen vorangestellt ist. Ebenso wenig
ist etwas für das Verständnis der Entwickelung gethan, wenn
angegeben wird, dass je in der älteren Sprache (in Resten
auch in der neueren) die Bedeutung „zu aller Zeit, immer"
hat. Hier wäre zunächst festzustellen gewesen, was auch
unter immer nicht geschehen ist, dass unser immer zwei ver-
schiedene Funktionen hat, indem es entweder auf etwas un-
Tatd: Aufgaben der wissenschafüichen Lexikographie. 69
unterbrochen Fortdauerndes gebt (vgl. ich werde immer in
Deutschland bleiben) oder auf etwas unter bestimmten Be-
dingungen sich jedesmal Wiederholendes (vgl. er schreit im-
mery wefin man ihn anrührt). Mit der letzteren berührt sich
zunächst die Bedeutung unseres je. Das Gemeinsame besteht
darin, dass beide die Beziehung auf einen beliebigen Zeit-
punkt enthalten, ausdrücken, dass kein Zeitpunkt ausge-
schlossen ist; der Unterschied ist, dass immer^) gebraucht
wird, wenn dieser beliebige Zeitpunkt als eingetreten voraus-
gesetzt wird, je^ wenn er als ein möglicherweise eintretender
gedacht wird. Wenn man sich dieses Verhältnis klar ge-
macht hat, wird man auch dazu gelangen, den Wandel im
Gebrauch von je und immer zu verstehen.
3.
Was alles bei der Darstellung der Bedeutung eines
einzelnen Wortes zu beobachten ist, will ich hier nicht
unternehmen, mit annähernder Vollständigkeit auseinander-
zusetzen, da sich der Stoff kaum erschöpfen lässt, und da
ich ausserdem nicht alles wiederholen möchte, was ich in
den Principien der Sprachgeschichte schon erörtert habe,
oder was ich in einer neuen Auflage derselben zu erörtern
gedenke. Nur auf einige praktisch wichtige Punkte möchte
ich hinweisen.
Wie schon angedeutet, ist es notwendig, das Occasionelle
in der Bedeutung, welches den Belegstellen anhaftet, loszu-
lösen und das wirklich Usuelle festzustellen. Es ist das
keineswegs immer so leicht, und darum ist es auch ein nicht
seltener Fehler, dass eine blos occasionelle Bedeutung unter-
schiedslos neben usuellen aufgeführt wird.
1) Es ist hier nur auf die Hauptfunktion von immer Rücksicht
genommen, nicht auf die Verwendung in verallgemeinernden Relativ-
sätzen {wer immer, wo immer etc.).
70 Sitzung der pMos.-pMol. Glosse vom 3, Februar 1694.
Die verschiedenen Bedeutungen eines Wortes müssen so
geschieden werden, wie sie das Sprachgefühl scheidet, nicht
nach logischen Kategorieen. Es ist selbstverständlich ein
Fehler, wenn man Unterscheidungen zu machen versäumt,
wovon wir oben ein Beispiel bei immer gehabt haben. Man
kann aber auch in den entgegengesetzten Fehler verfallen,
dass man zu viele Bedeutungen ansetzt, indem man Unter-
schiede, die sich von rein logischem Standpunkte aus machen
lassen, ohne Not als sprachliche Unterschiede behandelt. So
ist es beispielsweise gewiss nicht als Verschiedenheit der Be-
deutung anzusetzen, ob gehen von Menschen oder Tieren und
weiterhin vom Vieh oder von Pferden oder vom Wilde ge-
braucht wird; dagegen liegt eine Verschiedenheit von der
Grundbedeutung vor in der Eisenbahnzug geht nach Berlin,
weil hier von dieser nur die Vorstellung der Fortbewegung
übrig geblieben, die des Schreitens mit den Beinen ge-
schwunden ist. Die verschiedenen Bedeutungen entsprechen
auch in der Regel nicht logischen Teilungen eines allge-
meinen Begriflfes. Häufig steht eine Spezialisirung selb-
ständig neben einer allgemeineren Bedeutung, vgl. Schirm
als Regen- oder Sonnenschirm zu Schirm als nomen actionis
zu schirmen. Oder es steht umgekehrt neben der specielleren
Grundbedeutung eine abgeleitete, die ein in jener enthaltenes
Moment eingebüsst hat und darum allgemeiner geworden ist,
vgl. das soeben angeführte gehen. Nicht selten lassen sich
Scheidungen nach verschiedenen Gesichtspunkten machen, so
dass diese Scheidungen sich durchkreuzen.
Die verschiedenen Bedeutungen, die sich unterscheiden
lassen, haben nicht alle den gleichen Grad von Selbständig-
keit. So kann in einer Ableitung der Zusammenhang mit
der Grundbedeutung noch lebhafter empfunden werden als
in einer andern. Dies ist, so weit als möglich, auch im
Wörterbuche festzustellen. Es ist z. B. zu untersuchen, wie-
weit eine Metapher, soweit sie nicht überhaupt nur occa-
PatU: Aufgäben der wissenschaftlichen Lexikographie, 71
sioiiell ist, noch als solche empfunden oder schon verblasst
ist. Häufig sind wir nicht in der Lage, dies zu entscheiden,
da sich nicht immer Belegstellen darbieten, die dazu ver-
helfen. Um so sorgfältiger müssen solche beachtet werden.
Zu den Kriterien, die dabei benutzt werden können, gehört
unter andern eine Veränderung der Konstruktion. In Millers
Siegwart lesen wir noch Abneigung vofi lÄm, der zu Grunde
liegenden sinnlichen Anschauung entsprechend; wenn wir
jetzt sagen Abneigung gegen ihn , so würde dies ein ge-
nügender Beweis sein, auch wenn es nicht durch unser Sprach-
gefühl bestätigt würde, dass uns die sinnliche Grundanschau-
ung nicht mehr lebendig ist. Aehnlich verhält es sich, wenn
wir jetzt sagen sich um etwas bekümmern gegen älteres
sich mit etwas bekümmern, oder vergnügt über etwas statt
älterem mit etwas, oder Einfluss auf etwas statt älterem in
etwas?)
Wortverbindungen können durch eine besondere Ent-
wickelung ihrer Bedeutung eine grössere oder geringere Selb-
ständigkeit gegenüber dem einfachen Worte erlangen und
müssen dann notwendig aufgeführt und charakterisiert werden.
Ein wichtiger Unterschied ist dabei zu beachten, ob eine
Wendung von dem eigentlichen Sinne des einfachen Wortes
ausgeht und erst als Ganzes uneigentlich gebraucht wird,
oder ob schon das einfache Wort in un eigentlichem Sinne
genommen wird, vgl. z. B. er sticht in ein Wespennest —
der Fürwite sticht /ihn, er steht auf eigenen Füssen — er
steht in seinem viergigsten Jahre. Verbindungen der ersteren
Art gehören notwendig hierher, nicht die der zweiten. Ein
anderer Grund, weswegen Verbindungen aufgeführt werden
müssen, ist der, dass Wörter überhaupt nur in den betreffen-
den Verbindung«! vorkommen (vgl. gewahr werden^ schadlos
halten), oder dass sie in gewissem Sinne auf bestimmte Ver-
1) Vgl. Principien der Sprachg. S. 197.
72 Sitzung der philos.'philol. Clause vom 3. Februar 1894.
bindungen beschränkt sind, die dann in der Kegel Reste
einer früheren allgemeineren Gebrauchsweise sind.
Für die historische Entwickelung der verschie-
denen Bedeutungen eines Wortes bilden natürlich die
Ermittelungen darüber, wann und wo dieselben zuerst vor-
kommen, eine unentbehrliche Grundlage, ohne die man leicht
fehl greifen kann. Selbstverständlich kommt die Etymologie
hinzu, um den Ausgangspunkt festzustellen. Als eine weitere
Vorarbeit haben wir bereits die Feststellung des logischen
Verhältnisses der einzelnen Bedeutungen zu einander be-
zeichnet. Um auszufinden, wie man sich den Gang der Ent-
wickelung vorzustellen hat, müssen die analogen Fälle dazu
dienen, sich gegenseitig aufzuhellen. Es ist Aufgabe der
Prinzipienlehre, die verschiedenen Kategorien des Bedeu-
tungswandels aus den einzelnen Fällen zu abstrahieren. Viel-
fach wird es nötig sein, Uebergangsstufen zu finden, die von
einer Bedeutung zur andern hinüberleiten. Das Günstigste
ist natürlich, wenn man solche Uebergangsstufen direkt be-
legen kann, und darauf muss man überall bei der Materialien-
sammlung ausgehen. In vielen Fällen aber ist mau darauf
angewiesen, diese Uebergangsstufen zu erschliessen, wobei es
darauf ankommt, sich die verschiedenen Möglichkeiten klar
zu machen und dann, gestützt auf Analogieen, die wahr-
scheinlichste darunter herauszufinden. Auf einige Gesichts-
punkte, die dabei in Betracht kommen, sei hier besonders
hingewiesen. Die eine Hauptart des Bedeutungswandels, die
darin besteht, dass ein neues Moment in die Bedeutung ein-
tritt, geht aus von solchen Fällen, in denen dieses Moment
sich nur occasionell einstellt, nicht eigentlich durch das be-
treflFende Wort ausgedrückt ist. Die andere Hauptart, die
darin besteht, dass gewisse Momente, die in der älteren Be-
deutung vorhanden sind, schwinden, nimmt ihren Ausgang
in der Regel von bildlicher Anwendung, worauf weiter ein-
zugehen nicht erforderlich ist, nicht selten aber auch von
Paid: Aufgäben der wiseenechaftlichen Lexikographie, 73
solchen Fällen, auf die das Wort noch in der älteren Be-
deutung nach allen ihren Momenten anwendbar ist, so aber,
dass davon nur ein Teil für den Sprechenden und Hörenden
wesentlich, der andere unwesentlich ist. Dies ist also auch
zunächst etwas Occasionelles. Beide Arten des Bedeutungs-
wandels folgen nicht selten aufeinander. So bezeichnet weil
ursprünglich nur die Gleichzeitigkeit eines Vorganges mit
dem des regierenden Satzes. Dass dabei oft auch ein Kausal-
zusammenhang stattfindet, liegt zunächst nur in der Natur
der Sache, und erst allmählich bildet sich im Sprachgefühl
die Vorstellung aus, dass dieses Kausalverhältnis durch weü
mit ausgedrückt ist. Nun bezeichnet weil zunächst Gleich-
zeitigkeit und Kausalität zusammen, indem aber vielfach das
Kausalverhältnis als das Wesentliche empfunden wird, ge-
langt man schliesslich dazu, weil auch in solchen Fällen zu
gebrauchen^ wo gar keine Gleichzeitigkeit mehr stattfindet.
Für die zweite Art des Bedeutungswandels verweise ich noch
auf fertig. Dieses kommt von Fahrte bedeutet also eigent-
lich „in einem zur Fahrt, zum Aufbruch geeigneten Zu-
stande befindlich' . Wenn jemand jetzt, von einem andern
aufgefordert ihn zu begleiten, sagt ich werde mich sogleich
fertig machen^ so bleibt er damit in der ursprünglichen Ge-
brauchssphäre des Wortes, aber doch ist der Sinn für uns
ein anderer. Es ist zunächst das Moment in den Vorder-
grund getreten, dass man mit den Vorbereitungen zum Auf-
bruch zu Ende gekommen ist, und so hat fertig allmählich
den Sinn angenommen „mit den Vorbereitungen zu etwas**,
dann überhaupt „mit einer Beschäftigung an's Ende ge-
kommen«.
Nicht selten vollzieht sich ein Bedeutungswandel zu-
nächst in einer bestimmten Verbindung, in der er allein mög-
lich ist, und gelangt dadurch zu seinem Abschluss, dass von
da aus Uebertragung auf andere Verbindungen stattfindet.
Unser ungefähr ist aus älterem ohngefähr hervorgegangen
74 Sitzung der phüoa.'phüol. Glosse vom 3, Februar 1894.
= mhd. äne gevcere^ d. h. eigentlich ^^ohne feindselige Ab-
sicht*. So könnten wir es noch fassen, wenn es z. B. bei
Luther heisst wenn er ihn ohngefähr stösst ohne Feindschaft^
Indem aber in einem solchen Falle schon durch das Verb,
eine Schädigung ausgedrückt wurde, trat in ohngefähr nur
noch die Vorstellung der Absicht hervor, nicht die der Ab-
sicht des Schädigens, und es wurde dann weiterhin in denti
Sinne „ohne Absicht**, „zufällig** auch in solchen Fällen
verwendet, wo es sich gar nicht um ein Schädigen handelt,
so schon bei Luther es begab sich ohngefähr^ dass ein Priester
dieseUnge Strasse hinabeog. Unser arg ist früher = schlimm.
Wie dieses tritt es verstärkend zu Wörtern, die an sich
etwas Böses, Unangenehmes bezeichnen, vgl. ein arges Un^
weiter^ eine arge Bosheit, ein arger Sünder^ er hat sich arg
vergangen. Eben, weil die Vorstellung von etwas Schlimmen
schon in den Wörtern, denen es beigefügt wird, liegt, er-
scheint arg wesentlich nur als eine Verstärkung. Ein wei-
terer Schritt war dann, dass arg in süddeutscher Umgangs-
sprache auch neben etwas Gutem, Angenehmem als Ver-
stärkung verwendet wurde: sie ist arg schön 9 es hat mich
arg gefreut. Auf ähnliche Weise sind eine ganze Anzahl
von Wörtern zu blossen Verstärkungen geworden , vgl.
schrecJclichy furchtbar, entsetzlich, schmählich^ höllisch, ver^
dämmt u. a.; auch sehr gehört hierher, denn es bedeutet
ursprünglich »schmerzlich**. Für einen etwas anders ge-
arteten Vorgang mag streben als Beispiel dienen. Im Mhd.
hat es die Bedeutung „sich mühen, anstrengen**, worauf
vna^er widerstreben direkt zurückzuführen ist; die jetzige Be-
deutung bat es durch die Verbindung mit na^h^ zu oder
andern Richtungsbezeichnungen erhalten; die ursprünglich
nur in dieser Verbindung ausgedrückte Beziehung auf ein
Ziel ist mit in die Bedeutung des Wortes an sich aufge-
nommen. Aehnlich verhält es sich mit trachten^ welches
ursprünglich „überlegen** bedeutet, mit sich sehnen (ursprüng-
Paul: Aufgaben der wissenschaftlichen Lexikographie. 75
lieh „Schmerz empfinden"), ferner mit schicken; ein Paquet
nach Wien schicken war ursprünglich eine Breviloquenz, es
bedeutete eigentlich «ein Paquet zurecht machen, damit es
nach Wien geschafft werde'^ ; aber jetzt ist schicken mit
senden synonym geworden.
Eine verwandte, aber doch verschiedene Erscheinung ist
es, wenn ein Wort eine Bedeutung, die es erst zusammen
rait einem andern Worte hat, auch nach Fortbleiben des-
selben behält. Unser kein hat ursprünglich die Bedeutung
des lateinischen ullus und erst mit der Negation mhd. en^
vor dem Verbum bedeutet es nullus. Da es aber in Be-
bauptungssätzen immer nur in Verbindung mit der Negation
vorkam, so heftete sich der negative Sinn daran, und man
Hess en- daneben weg wie neben den von Hause aus die
Negation enthaltenden nichts nieman etc. Aehnlich verhält
es sich mit franz. pas, point^ riens^ plus. Auch in der Be-
deutungsentwickelung von nur spielt dieser Vorgang eine
Rolle, was bisher nicht beachtet ist. Es ist entstanden aus
mhd. netocere in dem Sinne „es wäre denn" und ist zunächst
an die Stelle. des älteren wan getreten, dient also dazu, an
eine Behauptung eine Einschränkung anzuknüpfen, so noch
in nur dass = mhd. wan dais^ ferner auch in Hauptsätzen,
vgl. ich bin mit ihm zufrieden , nur müsste er etwas auf-
merksamer sein. Jedoch die normale Bedeutung von nur
für unser jetziges Sprachgefühl ist „nicht (nichts, nie, nir-
gends etc.) ausser", ursprünglich konnte nur diese Bedeu-
tung bloss durch die Verbindung mit einer vorhergehenden
Negation haben. Ein Satz wie ich habe ihn nur einmal ge--
sehen ist also hervorgegangen aus einem älteren ich hohe
ihn nie gesehen, nur einmal. So vertritt denn auch nur in
diesem Sinne mhd. niwan. Der Unterschied von nur = wan
und nur = niwan kommt uns jetzt nicht mehr zum Be-
wusstsein.
76 Sitzung der phüo8rphü6l, Glosse vom 3. Februar 1894.
Mit der Darstellung, wie eine Bedeutung aus der andern
sich ursprünglich entwickelt hat, ist es nicht immer gethan.
Es finden sich sekundäre Verschiebungen in dem Ver-
hältnis der Bedeutungen eines Wortes zu einander,
die dann auch eine ümdeutung zur Folge haben können. Diese
Erscheinung ist mit den Verschiebungen im Verhältnis mehrerer
Wörter zu einander zu vergleichen, die man als Volksety-
mologie bezeichnet. Es waltet auch hier die Tendenz, das
Vereinzelte durch Anlehnung in einen grösseren Zusammen-
hang zu bringen. Hülle und Fülle bedeutet ursprünglich
„Hüllung und Füllung*, d. h. „Kleidung und Nahrung" und
daher „was man zum Lebensunterhalt nötig hat*'; so sagt
Luther : dass wir nicht überleng (überflüssig) haben, sondern
nur Hütte und Fülle, unter Anlehnung an die gewöhnliche
Bedeutung von Fülle ist die jetzige Bedeutung der Verbin-
dung entstanden, wobei man mit Hütte keine klare Vor-
stellung verbindet. Insbesondere mag auf einen nicht seltenen
Vorgang hingewiesen werden. Gewöhnlich kann man bei
Wörtern, die eine mehrfache Bedeutung haben, doch eine
als die eigentliche Hauptbedeutung bezeichnen. Es ist die-
jenige, die, wenn das Wort ausser Zusammenhang ausge-
sprochen wird und ohne eine besondere Disposition des Hören-
den, zunächst in 's Bewusstsein tritt. Meistens ist sie mit der
Grundbedeutung identisch, jedoch keineswegs immer, indem
diese öfters seltener geworden ist, mitunter sich nur in be-
stimmten Formeln erhalten hat. Es macht sich nun die
Tendenz geltend, solche vereinzelte Reste älterer Bedeutung
an eine jüngere anzulehnen. Tadel bedeutet ursprünglich
„Fehler", „Gebrechen"; in ohne Tadel haben wir eine direkte
Fortsetzung der alten Gebrauchsweise, aber unser heutiges
Sprachgefühl erklärt sich auch diese Verbindung aus der
jetzigen Bedeutung von Tadel. Die Grundbedeutung von
Kopf „Napf" liegt zu Grunde den Zusammensetzungen
Tassenkopf Schröpfkopf^ Pfeifenkopf niemand empfindet sie
Patd: Aufgäben der wissenschafÜichen Lexikographie. 77
aber mehr darin, man wird vielmehr an eine uneigentliche
Verwendung von Kopf in dem uns geläufigen Sinne denken.
Bat bezeichnet ursprünglich ,was jemandem an Mitteln zur
Befriedigung seiner Bedürfnisse und zur Ausführung seiner
Zwecke zu Gebote steht*, so noch in Vorrat^ HaiLsrat^ ferner
aber auch in Wendungen wie zu Bäte halten, Rat schaffen,
dazu kann Rat werden, aber dem Sprachgefühl fällt es nicht
ein, dass hier etwicis anderes als die jetzt übliche Bedeutung
zu Grunde liegt. Solche und ähnliche Umdeutungen sind
im Wörterbuch zu berücksichtigen.
4.
Ich komme jetzt auf ein Gebiet, in dem das Deutsche
Wörterbuch ganz besonders zu wünschen übrig lässt. Die
Aufgaben der Wortforschung sind nicht erfüllt, so
lange die Behandlung der einzelnen Wörter eine
isolierte bleibt. Soweit ein Zusammenhang in der Ent-
wickelung besteht, muss derselbe auch dargelegt werden.
Zunächst muss der etymologische Zusammenhang durchweg
zum Ausdruck kommen. Die alphabetische Reihenfolge lässt
denselben nicht ohne Weiteres erkennen. Verschiedene Wör-
terbücher der älteren germanischen Dialekte haben daher
statt derselben geradezu eine Anordnung nach Wurzeln durch-
geführt. J. Grimm erklärt sich entschieden dagegen, einer-
seits weil dadurch das Auffinden erschwert wird, anderseits
weil die etymologischen Anschauungen mit der Zeit wechseln
and dadurch auch die Anordnung antiquiert wird. Wenn
es sich nun aber auch aus praktischen Gründen empfiehlt,
bei der alphabetischen Ordnung stehen zu bleiben, so bleibt
darum immer die Möglichkeit, den etymologischen Zusammen-
hang durch Verweise erkennen zu lassen. Dafür ist im
Deutschen Wörterbuche nur ungenügend und ohne Kon-
sequenz gesorgt, was zum Teil eine Folge der Isolierung
78 Sitzung der phUos.'phüöl. Glosse vom 3. Februar 1894.
der einzelnen Mitarbeiter gegen einander ist. Für selbst-
verständlich sollte man es halten, dass jedes Wort im Zu-
sammenhange behandelt und dass nicht die verschiedenen
mundartlichen und orthographischen Varianten desselben aus-
einander gerissen werden. Aber selbst hiergegen ist oft Ver-
stössen. J. und W. Grimm haben es sich fast geradezu zum
Prinzip gemacht, die Wörter nach der zufallig überlieferten
Lautgestalt einzuordnen. So kommt es z. B., dass viele mit
t anlautende Wörter schon unter d einmal behandelt sind,
weil sie in den älteren Quellen auch mit d geschrieben vor-
kommen. Erbse ist an sechs verschiedenen Stellen behandelt:
Arheiss, Erbeiss, Erbes, Erbis, Erbse, Erweiss. Um den
etymologischen Zusammenhang überblicken zu können, müssen
an einer bestimmten Stelle (unter dem Grundwort, wenn ein
solches vorhanden ist) alle aus der gleichen Wurzel abge-
leitete Wörter aufgeführt und bei diesen muss dann auf die
betreflFende Stelle verwiesen werden. Dessgleichen sind die
Zusammensetzungen auch unter dem zweiten Bestandteil auf-
zuführen. '
Es ist aber nicht damit gethan, dass man überhaupt
das Zusammengehörige überblicken kann; die Behandlung
desselben muss auch eine zusammenhängende sein. Man muss
z. B. ersehen, wieweit die verschiedenen Gebrauchsweisen
einer Ableitung denen des Grundwortes entsprechen, ob sie
vollständig sich decken oder ob die Ableitung nur zu einem
Teile der Verwendungs weisen des Grundwortes Analogieen
aufweist, oder ob sie diesem gegenüber eine eigentümliche
Bedeutungsentwickelung gehabt hat, u. s. w. Das Entspre-
chende gilt von den Zusammensetzungen. Die konsequente
Durchführung einer solchen Behandlung ist notwendig zur
Erkenntnis der historischen Entwickelung. Sie hat auch
einen nicht zu unterschätzenden heuristischen Wert, indem
bei einem unter mehreren verwandten Wörtern gewi&se doch
gemeinsame Züge leichter und deutlicher in die Augen
Patd: Aufgaben der loissensehaftlichen Lexikographie, 79
BpriDgen als bei andern. Sie trä^t endlich sehr zur Ver-
einfachung der Darstellung bei, indem das den verwandten
Wörtern Gemeinsame nur einmal auseinandergesetzt zu wer-
den braucht und an andern Stellen einfache Verweise ge-
ntigen, während jetzt viel Raum durch unnütze Wieder-
holungen fortgenommen wird.
Eine zusammenhängende Darstellung bedarf insbesondere
vielfach der Gebrauch von Wörtern in Zusammensetzungen,
da dabei Verhältnisse zu berücksichtigen sind, die bei dem
einfachen Worte nicht vorkommen. Hauptsächlich gilt dies
von den Partikeln in festen und unfesten Zusammensetzungen.
Was in dieser Beziehung im Deutschen Wörterbuche ge-
schehen ist, genügt mit wenigen Ausnahmen nicht. Es gilt
dabei auch die Beziehungen der beiden Bestandteile zu ein-
ander und zu den übrigen Satzteilen zu bestimmen. Um an
einem Beispiele zu zeigen , was für bisher vernachlässigte
Verhältnisse zu berücksichtigen sind, halte ich mich an die
verbalen Verbindungen mit ein. Die Bedeutung dieses Adv.
an sich ist sehr einfach. Die räumliche Beziehung, die
darin liegt, wird auf die Zeit und auf Zustände übertragen.
Es handelt sich aber auch um die Faktoren, die durch ein
in Beziehung zu einander gesetzt werden, und um die Art,
wie dies geschieht. Es kommen drei in Betracht: erstens
das, was zum Innern gemacht, hineingebracht wird; zweitens
das, was zum Aeussern, zur Umgebung gemacht wird ; drit-
tens das den Vorgang bewirkende Subjekt. Diese drei Fak-
toren sind nicht immer drei verschiedene Gegenstände. Bei
allen intransitiven Verben fallt natürlich das Subjekt mit
dem Hineingebrachten zusammen: er tritt ein. Neben den
transitiven ist das Hineingebrachte grammatisches Objekt.
Es kann dabei das Subjekt mit dem zur Umgebung Ge-
machten zusammenfallen. Dies wird in einigen Fällen ohne
nähere Angabe als selbstverständlich empfunden, ein bedeutet
also j,in das Innere des Subjekts hinein', entweder in das
80 Süeung der phüoa.-phiM. Glosse vom 3, Februar 1894,
körperliche, vgl. einatmen^ -saugeti, -schiticken, -schlürfen u. a.,
oder in das geistige, vgl. einlernen^ -studieren, -üben u. a.
In andern Fällen drückt es wenigstens die Richtung auf das
Subjekt aus, es liegt in ihm eine Vorstellung wie »in die
Tasche, die Kasse, das Haus des Subjekts^, vgl. einstecken^
-kassieren, -fordern^ -heimsen, -ernten, -sammeln, -kaufen,
-handeln, -tauschet} y -wechseln, -lösen, -laden, -berufen u. a.
Meistens aber liegt in ein keine solche Spezialisierung, und
es kann die Richtung auf einen beliebigen dritten Gegen-
stand bezeichnen. Es macht dann noch einen Unterschied,
ob die Thätigkeit sich direkt auf das grammatische Objekt
erstreckt, welches dann in etwas schon vorher Fertiges hinein-
gebracht wird, oder ob sie vielmehr eist das Aeussere her-
stellt, resp. einen Gegenstand derart modifiziert oder gestaltet,
dass er im Verhältnis zum Objekt etwas Umgebendes wird.
Beispiele für den ersten Fall sind einblasen, -binden^ -bohren,
brücken, -flicken, -flössen, -flüstern, -führen, -giessen, -hängen,
-hauchen, -hauen, -jagen, -legen, -n^engen, -misctien, -pressen,
-rammen, -reichen, -schenken, -schieben, -schicken, -schleifen,
-schieppeti , -schneidet! , -schmuggeln , -schreiben , -schütten-,
-setiden, -setzen, -spritzen, -stechen, -tauchen, -verleiben', für
den zweiten Fall eitidämmen, -fassen, -hüllen^ -kleidett,
-schtiüreti, -siegeln, -wickeln^ auch -engen. AUerdings kann
auch bei solchen Verben das Umgebende mit dem Subjekt
identisch sein; das bedarf dann aber eines besonderen Aus-
druckes durch das Refiexivpron., z. B. sie hängt sich Ohr-
ringe ein. In den angeführten Fällen könnte der Acc.
auch neben dem einfachen Verbum stehen. Aber wie andere
Richtungsbezeichnungen hat ein die Kraft, ein an sich in-
transitives Verbum transitiv zu machen oder aber ein tran-
sitives Verbum eine andere Art von Acc. r^eren zu lassen,
vgl. einbleuefi, -pauken, -prügeln, -sprecheti (z. B. Trost),
-singefi, -iuUetk, -tnauent, -näJ^ett, -riegehi^ -sddiesseti, -spin-
nen, -webeti. Besonders häufig ist ein derartiger reflexiver Acc,
PatU: Aufgäben der wissenschaftlichen Lexikographie, 81
vgl. sich einarbeiten, -beissen, -fressen^ 'kaufen, -leben, -lesen,
-saugen, -schmeicheln, 'Stehlen; daraus ergeben sich dann
Partizipia wie eingearbeitet Mitunter ist das, was zur Um-
gebung gemacht wird, im Verb, direkt ausgedrückt, indem
dasselbe eine Ableitung aus einem Subst. ist, vgl. einbalsa-
mieren, "fetten, -ölen, -saleen. Wo es einen besondern Aus-
druck findet, kann in vielen Fällen ein von ein abhängiger
Dat. verwendet werden, aber fast nur von Personen, vgl.
ihm fällt, geht, leuchtet ein; transitiv einem einprägen,
-schärfen j -jagen, -hauchen, -flössen y -wenden, -werfen etc.
Gewöhnlich wird pleonastisch eine Präp. verwendet.
In ähnlicher Weise sind bei den Zusammensetzungen
mit mit verschiedene logische Beziehungen zu unterscheiden.
Neben intransitiven Verben bezeichnet mit, dass das Subjekt
dasselbe thut wie eine, resp. mehrere Personen oder Sachen,
vgl. mitfahren, -gehen, -fallen, -essen etc. Neben transitiven
ist die gleiche Beziehung möglich, vgl. mitmachen, -thun,
'tragen, -bewohnen, -gemessen, -empfinden etc. Selten geht
die Beziehung auf das Objekt, vgl. mitschicken, daher bei
Umsetzung ins Pass. auf das Subj., vgl. mitgebohren, sub-
stantiviert Mitgefangener, -angeklagter. In andern Fällen
drückt mit aus, daps das Objekt die Bewegung des Subjekts
mitmacht, es könnte durch mit sich ersetzt werden, vgl. mit-
Iringen, -führen, -nehmen, -bekommen, -kriegen. In einem
etwas mitgeben bezieht sich mit auf das Verhältnis des Ob-
jekts zu dem Dativ.
Zur wissenschaftlichen Wortforschung gehört natürlich
auch eine Darstellung der Bedeutungsentwickelung der Suf-
fixe und der Ableitungsweisen. Man verweist dieselbe frei-
lich in die Grammatik unter die Wortbildungslehre. Aber
da man im Wörterbuch die einzelnen Fälle zu behandeln
hat, welche unter die in der Wortbildungslehre aufzustellen-
den allgemeinen Eategorieen gehören, so muss man auch
mit diesen Eategorieen operieren. Man muss dieselben also
1894. PhiloB.-philol. n. bist. 01. 1. 6
82 Sitzufig der phüosrphÜol, Glosse vom 3. Februar 1894.
im Wörterbuche behandeln, falls man nicht bereits auf eine
genügend ausgebildete Wortbildungslehre verweisen und sich
stützen kann. Sonst fehlt der Zusammenhang und man ist
zu endlosen Wiederholungen genötigt.
Doch nicht bloss zwischen dem etymologisch Zusammen-
gehörigen muss der Zusammenhang hergestellt werden. Selbst-
yerständlich müssen die sekundären Anlehnungen behandelt
werden, die sich zwischen nicht verwandten Wörtern voll-
ziehen, also das, was man gewöhnlich Volksetymologie nennt.
Es müssen aber auch alle diejenigen Zusammenhänge auf-
gedeckt werden, die nicht auf der lautlichen Seite der Wörter
beruhen, sondern nur auf der begrifflichen. Das Ideal des
Wörterbuches wie der Wortbildungslehre und der Syntax
wäre eigentlich eine doppelte Darstellung, die eine nach den
zur Verfügung stehenden lautlichen Mitteln, die andere nach
dem zum Ausdruck kommenden Vorstellungsinhalt. Die
Durchführung aber der letzteren, die auf grammatischem
Gebiete wohl möglich ist, stösst hinsichtlich des Wortschatzes
auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Ea lässt sich kein
Prinzip denken, nach dem sich die ganze Masse der zum
Ausdruck kommenden Vorstellungen ordnen liesse, nur eine
Anzahl von Gruppen liessen sich bilden; und, was die Haupt-
sache ist, diese Vorstellungen, die wir zunächst als etwas
vom sprachlichen Ausdruck Unabhängiges aufstellen müssten,
lassen sich als solche gar nicht mitteilen, es ist nur eine
indirekte, bereits an die Sprache gebundene Mitteilung mög-
lich. Man kann aber doch versuchen, wenigstens einen Teil
der Aufgabe zu lösen, und dies kann auch in einem alpha-
betisch geordneten Wörterbuch geschehen, indem bei der
Bearbeitung der einzelnen Wörter immer auf diejenigen an-
dern Rücksicht genommen wird, die zu ihnen in einer be-
grifflichen Beziehung stehen.
Zunächst kommt hier die Thatsache in Betracht, dass
mehrere Wörter die gleiche Bedeutang haben können, ent-
Paul: Aufgaben der wissenschaftlichen Lexikographie, 83
weder so, dass sich der ganze Inhalt der Bedeutung des
einen mit dem ganzen Inhalt der Bedeutung des andern
deckt, oder, was yiel häufiger ist, dass beide nur teilweise
in ihrer Bedeutung zusammen-, in einem andern Teil aus-
einander fallen. Hierbei ist es schon an sich interessant zu
konstatieren, dass für eine Vorstellung mehrere Ausdrucks-
weisen zu Gebote stehen, und es ist wichtig, genau die
Grenzen zu bestimmen, innerhalb deren es der Fall ist. Die
vollige oder teilweise Kongruenz der Bedeutung gewinnt aber
noch ein ganz besonderes Interesse, wenn wir die geschicht-
liche Entwickelung verfolgen. So häufig ein derartiger Luxus
entsteht, so selten pflegt er sich auf die Dauer zu halten.
Die eine Ausdrncksweise drängt die andere allmählich zurück
und yerdrängt sie schliesslich ganz. So kommt es, dass ein
Wort entweder ganz ausstirbt, weil ein gleichbedeutendes
sich daneben gestellt hat, oder dass es wenigstens einen Teil
seiner Funktion einbüsst, weil dieselbe von einem andern
Worte besorgt wird. Endlich geschieht es auch, dass von
zwei Wörtern ein jedes das andere aus einem Teile der ihnen
gemeinsamen Funktion herausdrängt und so eine Bedeutungs-
dififerenzierung eintritt. Ich habe über diese Erscheinungen
in Cap. XIV meiner Prinzipien der Sprachgeschichte ge-
handelt. Ist die Verdrängung eine einseitige, so ist es in
der Regel ein in jüngerer Zeit aufgekommener Ausdruck,
der einen älteren verdrängt. Wo für eine Vorstellung in
einer späteren Zeit ein anderer Ausdruck besteht als in einer
früheren, da liegt in der Regel eine Epoche dazwischen, in
welcher beide neben einander gebraucht werden. Das Auf-
kommen des neuen Ausdruckes und das Verschwinden des
älteren müssen daher, was im Deutschen Wörterbuche meist
versäumt ist, im Zusammenhange behandelt werden; sonst
fehlt ein ganz wesentliches Moment für die Erkenntnis des
Kausalzusammenhangs in der Wortgeschichte. Es ist dann
weiter zu untersuchen, ob sich noch spezielle Gründe er-
6*
84 SUsung der phOos.-pMlol. Classe vom 3. Fd^uar 1894.
mitteln lassen, warum gerade der eine Ausdruck unterge-
gangen ist, der andere sich behauptet hat.
Seltener ist der Fall, der natürlich gleichfalls im Wörter-
buch behandelt werden muss, dass ein Ausdruck untergeht,
beyor ein neuer för die betreflPende Vorstellung geschaffen
wird, so dass also der Untergang des alten eine Veranlassung
zur Entstehung des neuen wird, während in dem vorher be-
sprochenen Falle das Kausalyerhältnis ein umgekehrtes ist.
Doch nicht bloss die üebereinstimmung der Bedeutung,
die zwischen, neben und nach einander bestehenden Wör-
tern stattfindet, ist eine Veranlassung, dieselben im Zusam-
menhange zu betrachten, sondern auch schon eine gewisse
Elntsprechung der Bedeutungen, die zwischen unTerwandten
Wörtern zuweilen in analoger Weise erscheint wie zwischen
verwandten. Eis kommt vor, dass sich Formen aus ver-
schiedenen Stammen zu einem Paradigma ei^anzen, vgl. er
— «>, ich — mich — irir, stehn — gestanden^ gehn — ge-
gangcfMy bin — ist — war etc. In diesem Falle ist es üb-
lich, die betreffenden Formengruppen im Wörterbuche wie
ein Wort zu behandeln. Aehnlich pfi^ man zu verfahren,
wenn sich ein Positiv und Steigerungsformen ans verschie-
denen Stammen g^enseitig erganzen (gut — besser etc.).
Eis stehen nun aber auch nicht selten mehrere Wörter in
einem solchen Verhältnis zu einander, dass bei der Behand-
lung des einen Rücksichtnahme auf das andere mit dem-
selben Recht gefordert werden muss, wie wir dies för ety-
mol(^seh verwandte Wörter gefordert haben. ESne Anzahl
von Beispielen mag dies veranschaulichen. Leute bildet in
vielen Zusammensetzungen den Plur. zu Mann {Kaufmann etc.).
Entsprechend wie Hahn — Harne ^ König — Königin ^ wo
die Bezeichnung des weiblichen Wesens aus der des männ-
lichen durch ein Suffix absreleitet ist, verhalten sich Ochse
{Stier\ — Kuh, Eber — äiii. Mann — Weib^ Vater —
Muftery Sohn — Tochfer^ Brnder — Schwester^ Knabe —
Patd: Aufgaben der wissenschaftlichen Lexikographie. 85
Mädchen y Knecht ■— Magd^ Mönch — Nonne ^ mhd. herre
— frouwe u. a. Tod kann als nomen actionis zu sterben
betrachtet werden. Wie legen zu liegen ^ fällen zu fällen^
so fungiert stellen als Eausativum zu stehn^ machen zu sein
und werden y bringen zu A;ommen, lassen zu bleiben ^ auch
Aeftew zu steigen^ töten zu sterben; ferner die Verbindungen
£^M Grunde richten zu ^rw Gründe gehen^ jmfrieden stellen zu
WcA eufrieden geben. Analog wie 5t7^6n zu sich seteen^
liegen zu ^A legen verhält sich sein zu werden^ stehn zu
^rß^en, schweigen zu verstummen. Mit dem Verhältnis von
6rt(;arnf^, umarmen zu M;arm lässt sich das von steigen (er)-
heben zu AocA, das von sinken^ senken zu ^tV/* vergleichen.
Während sonst ein und dasselbe Wort als Adv. und als
Präp. dient, ergänzen sich ab und von derart, dass letzteres
die präpositionale Funktion zu der entsprechenden adverbialen
des ersteren hat. Eine stattliche Zahl von Paaren, die eine
gegenseitige Rücksichtnahme verlangen, bilden die Gegen-
sätze, durch deren Vergleichung man auf manches aufmerk-
sam wird, was sonst leicht übersehen wird. Hierbei ergibt
sich, dass mitunter auf der einen Seite ein Wort, auf der
anderen mehrere stehen, wodurch verschiedene Bedeutungs-
sphären des ersteren gegen einander abgehoben werden,
vgl. alt — neu, jung; dünn — dicJc^ dicht; hoch — niedrig^
tief; tief — äocä, flach oder seicht. Mittelstufen haben Ge-
gensätze nach zwei Richtungen, vgl. warm — lau — kalt;
ihre Bedeutung modifiziert sich, je nachdem der Gegensatz
zu der einen oder zu der andern Richtung hervorgehoben
wird. Viele Wörter haben keinen Gegensatz, der dem ganzen
Umfang ihrer Bedeutung entspricht, dagegen mehrere par-
tielle. Derjenige Teil ihrer Bedeutung, in Bezug auf den
sie im Gegensatz zu einem anderen Worte gestellt werden,
ist der für den Sprechenden und Hörenden wesentliche, hinter
dem, wie oben bemerkt, die übrigen ganz zurücktreten kön-
nen, wodurch eine Bedeutungsveränderung entsteht. So bildet
86 Sitzung der phüos,'phiH6l, Glosse vom 3, Februar 1894,
stehen in seiner Grundbedeutung sowohl einen Gegensatz zu
gehen und den anderen Verben der Bewegung, als zu den
Verben, die eine Ruhelage ausdrücken wie sitzen^ liegen^
hangen. Der eine oder der andere Gegensatz kann heryor-
gekehrt werden, ohne dass das Wort etwas von dem ur-
sprünglichen Inhalt seiner Bedeutung einbüsst. Jedoch die
einseitige Hervorhebung des Gegensatzes zu den Verben der
Bewegung ist die Veranlassung geworden, dass stehen auch
zur Bezeichnung des Ruhens oder des Sichbefindens an einem
Orte gebraucht wird für Gegenstände, auf die es in der
eigentlichen Bedeutung nicht anwendbar ist, vgl. die Uhr
stehty Wolken stehn am Himmel. Entsprechend kann gehn
Gegensatz zu andern Verben der Bewegung sein (fahren^
reiten etc.)i es kann aber auch einseitig zu stehn und andern
Verben der Ruhe in Gegensatz treten, und daraus entspringt
die schon oben erwähnte verallgemeinerte Bedeutung (der
Wind geht^ ich gehe mit der Past^ eu Schiffe etc.)- Eine
andere Bedeutung von gehen charakterisiert sich durch den
Gegensatz zu Xrofnmen; sie geht aus Ton der Verwendung
des Verbums für den Eintritt der Handlung. Bei den Wör-
tern, die das Geraten in einen Zustand ausdrücken, kommt
der Gegensatz zu dem vorausgehenden Zustand in Betracht.
Wo dieser ein verschiedener sein kann, ergeben sich ver-
schiedene Schattierungen der Bedeutung. Stehen^ das jetzt
einen schon vorhandenen Zustand ausdrückt, konnte ursprüng-
lich auch den Eintritt desselben bezeichnen, so noch in man-
chen Zusammensetzungen. Bei aufstehen nnn wird ein Yor-
hej^^angenes Li^en oder Sitzen vorausgesetzt, dagegen bei
stiU stehen eine vorhei^^angene Bewegung; das letztere ist
im Mhd. auch bei einfachem stdn möglich (z. B. Tristan
11805 diu scheene sirebeie aUes wider und siucnt an iege-
ttcAem trite).
Es gibt endlich eine Reihe von grosseren, zum Teil sehr
umfänglichen Wortgmppen, die durch einen gewissen Pa-
Paul: Aufgaben der wissenschaftlichen Lexikographie. 87
rallelismus iu der Funktion zusammengehalten werden. Einige
davon pflegen auch in den Grammatiken aufgeführt zu wer-
den, teils weil sie auch durch etymologische Verwandtschaft
in Wurzel oder Suffix zusammengehalten werden, teils weil
das Gemeinsame in ihrer Funktion etwas Syntaktisches ist.
Hieher gehören z. B. die verschiedenen Gruppen der Pro-
nomina: Demonstrativa, Belativa, Interrogativa , Indefinita,
bei denen zum Teil wieder Unterabteilungen zu unterscheiden
sind. Selbst bei diesen vermisst man die Berücksichtigung
des Parallelismus im Deutschen Wörterbuch wie in anderen
Werken. Dieselbe Gruppierung geht auch durch die Adverbia
hindurch und muss mit derjenigen der Pronomina in Zu-
sammenhang gebracht werden. So findet sich z. B. im
Deutschen ursprünglich auf adverbialem Gebiete so gut wie
auf pronominalem die Scheidung von zwei Reihen soge-
nannter Indefinita, die ich in meiner Mittelhochdeutschen
Grammatik § 304 besprochen habe, und auf beiden Gebieten
ist gleichmässig im Nhd. Vermischung eingetreten, nur je
hat dieselbe nicht mitgemacht. Natürlich haben auch die
Possessiva alle etwas Gemeinsames, was an einer Stelle des
Wörterbuches eingehend zu behandeln und worauf an den
andern Stellen zu verweisen wäre. Dabei wären dann auch
die Beziehungen festzustellen, welche dieselben zur Funktion
des Gen. haben. Es bestehen aber auch Beziehungen zwischen
dem Gebrauche der Possessiva und dem des Objekts neben
den Verben haben ^ geben ^ nehmen. Zu den Gruppen, die
sich durch gemeinsame Eigenheiten auszeichnen, gehören
femer die Adjektiva, die eine Quantitätsbestimmung neben
sich zulassen; es ist ihnen gemeinsam eigen, dass sie mit
einer solchen Bestimmung ein relatives, daneben ohne eine
solche ein hohes Mass bezeichnen, vgl. {drei Ftiss) lang^
(ein Pfund) schwer^ {2 Jahr) alt etc. Es haben sogar sämt-
liche auf Raumverhältnisse bezügliche Wörter etwas Gemein-
sames, und unter denselben wieder einige eine nähere Be-
88 Sitzung der phäos.'phäol. Glosse vorn 3, Februar 1894.
Ziehung zu einander. Die Uebereinstimmung zeigt sich dabei
namentlich auch in der Art, wie Uebertragung auf zeitliche,
psychologische, kausale Verhältnisse etc. stattfindet. In allen
derartigen Fällen muss man auf eine vergleichende Zusam-
menfassung ausgehen.
Ich habe oben angedeutet, dass eine Wortbildungslehre
möglich wäre, die von der Funktion ausginge. Auch zu
dieser müsste natürlich das Wörterbuch in Beziehung gesetzt
werden. In der Flexionslehre ordnet man schon lange nach
der Funktion, man reiht Formen als Genitive, Dative etc.
zusammen, auch wenn sie mit verschiedenen Suffixen gebildet
sind. In der Wortbildimgslehre pfl^ man dagegen in der
Regel von den einzelnen Suffixen und Bildungstypen auszu-
gehen, weil die Verhältnisse viel mannigfaltiger und unregel-
mässiger sind, und weil sich die Scheidung von Eategorieen
nach der Funktion nicht so voUständig und reinlich durch-
fahren lässt. Es liesse sich aber doch Manches nach dieser
Richtung hin leisten. Wir bedürften namentlich einer voll-
ständiger und feiner ausgebildeten Terminologie, welche sehr
dazu beitragen würde, das Zusammengehörige als solches er-
kennen zu lassen und die Darstellung in den Wörterbüchern
zu vereinfachen. Die wenigen aUgemeinen Termini wie
nomen ^entis, nomen actionis, causativum reichen bei weitem
nicht aus.
Einige Beispiele mögen veranschaulichen, was ich hier
im Sinne habe. Wir haben einige intransitive Verba, denen
daraus abgeleitete transitive als Eausativa gegenüber stehen,
vgl. sitsen — setzen^ liegen — legen^ fallen — fällen^ sinken
— senken^ erloschen (stark) — löschen (schwach), (er)trihken
— (er)tränhenj ersaufen — ersäufen. Die Zahl solcher Paare
war früher viel grösser und ist dadurch verringert, dass ent-
weder das eine von den beiden Wörtern untergegangen
ist, vgl. einerseits mhd. ntgen — neigen^ anderseits suAgen
(= nhd. schweigen) — sweigen (noch mundartlich Kinder
IPatä: Aufgaben der toisaenschaftlichen Lexikographie, 8^9
schweigen)^ oder dass durch eine abweichende Bedeutungs-
entwicklung der beiden das ursprüngliche Verhältnis zerstört
ist, vgl. fahren — führen^ rinnen — rennen^ genesen —
nähren. Entsprechend können sich zwei verschiedene Ab-
leitungen aus einem Adj. verbalten : erwarmen — erwärmen^
erstarken — stärken; auch diese Fälle waren früher viel
häufiger. £in anderes Mittel, solche Paare zu schaifen, die
sich in ihrer Funktion ganz analog verhalten, besteht darin,
dass man einem transitiven Verb, die Verbindung mit dem
Reflexivum gegenüberstellt. Das Verhältnis von sich wenden
zu wenden steht mit dem von sinken zu senken durchaus
auf gleicher Linie. Diese intransitiv funktionierenden Re-
fiexiva sind durchaus zu sondern, was im Deutschen Wör-
terbuch nicht geschehen ist, von solchen Fällen, wo das
Reflexivum sich nicht anders verhält als ein anderer Objektsacc,
vgl. z. B. sein Auge {der Kelch der Blume) schloss sich
gegen er schloss sich in sein Zimmer ein^ der Fluss bedeckte
sich mit Nebel gegen der Mann bedeckte sich mit seinem
JUantel; so unterscheiden sich auch sich ertränken ^ sich
ersäufen von ertrinken^ ersaufen. Vgl. ferner (sich) stellen^
bewegen^ {er)heben^ ändern^ verbessern^ ärgern und viele an-
dere. Man bildet auch sich setzen^ sich legen^ weil liegen
und sitisen in der Schriftsprache nicht mehr das Eintreten
eines Zustandes, sondern das Dauern eines solchen bezeichnen.
Drittens gibt es viele Fälle, in denen ein und dasselbe Verb,
beide Funktionen hat, was zum Teil auf sekundärer Ver-
mischung beruht, vgl. heissen^ brennen^ verderben^ heilen^
scheiden^ stürzen^ reissen^ spriteen etc. Ausser diesen grös-
seren Eategorieen gibt es vereinzelte Fälle, in denen die
Paare auf eine besondere Weise hergestellt werden: gebühren
werden ist mit Verlust des passiven Charakters Intransitivum
zu gebähren; zu verlieren fungiert entsprechend verloren
gehn, Fälle, in denen sich ganz verschiedene Stämme so
90 Sitzung der jkOas.'phiM. Glosse vom 3. Februar 1894.
ergänzen, sind oben anfgef&hrt. Analoge Eracheinangen ira
Griechischen nnd Lateinischen ergeben sich leicht.
Die verschiedenen Bildangsweisen der nomina actionis
zeigen gemeinsame Züge in Bezug auf ihre Bedeatangsent-
wickelnng. Viele entsprechen in ihrer Funktion den soeben
behandelten Reflexiven mit intransitiver Funktion, entweder
ausschliesslich, oder so, dass sie daneben auch der transitiven
Funktion des betreffenden Verbums entsprechen, vgl. von
substantivierten Infinitiven Befinden^ Benehmen^ Betragen^
Verhauen^ Bestreben^ Bemühen^ von Bildungen mit "Ung:
Stellung^ Verstellung^ Bewegung^ Regung^ Haltung, Wand-
lung, Wendung, Windung, Versammlung, Anstrengung, Be-
mühung, Verpflichtung, Hingebung, Erholung, Besinnung,
Versündigung, von andern Verhältnis, Hingabe. Der Unter-
schied zeigt sich z. B., wenn man mit einander vergleicht
die Erhebung Müllers in den Adelstand und die Erhebung
Preussens gegen Napoleon. Zu den intransitiv fungierenden
Reflexiven stellen sich vielfach die Participia in ein ähnliches
Verhältnis wie zu wirklichen Intransitiven mit Aufgabe des
passiven Charakters. Die Folge davon ist, dass auch die
nomina actionis in ein näheres Verhältnis zu den Participien
treten. Sie stehen diesen in der Bedeutung näher als den
Reflexiven, wenn sie im Gegensatz zu diesen nicht das Ein-
treten, sondern die Dauer eines Zustandes bezeichnen, vgl.
z. B. Fassung — gefasst — sich fassen. Manche entsprechen
sogar nur den adjektivisch gebrauchten Partizipien, indem
die betreffenden Reflexiva fehlen oder im Sinne nicht kor-
respondiren, vgl. vergnügt — Vergnügen, gestimmt — Stim-
mung, entzückt — Entzückung, befriedigt — Befriedigung.
Ein anderer Gesichtspunkt von erheblicher Tragweite ergibt
sich, wenn wir z. B. mit einander vergleichen die Verhand-
lungen sind im Gange und er berichtete über den Gang der
Verhandlungen. Im ersteren Falle bezeichnet Gfang das
Gehen, die Bewegung an sich im Gegensatz zum Stillstand,
Paid: Aufgaben der wissenschaftlichen Lexikographie. 91
im letzteren bezieht es sieb auf die Art und Weise des
Gehens; im ersteren Falle entspricht es der Funktion des
Verbums gehen als logischen Prädikates (vgl. die Uhr geht
gegen steht\ im letzteren der Funktion des Verbums als
Bindeglieds zwischen dem Subjekt und dem eigentlichen lo-
gischen Prädikat (vgl. die Uhr geht eu langsam^ s. Prin-
cipien S. 237). Andere Wörter, die teilweise oder durchaus
nicht mit Beziehung auf den Vorgang an sich, sondern auf
die Art und Weise des Vorgangs gebraucht werden, sind
Stande Lauf, Verlauf Fall (in diesem Falle etc.), Schlag,
(Männer von solchem Schlage), Hang, Lage, Stellung, Hal-
tung, Verhältnis, Verhalten, Benehmen, Betragen, Befinden,
Lehen. Weiterhin kommen die verschiedenen Arten in Be-
tracht, wie nomina actionis zu Ding- und Personalbezeich-
nungen werden (s. Principien S. 81. 82). Es ist klar, wie
wertvoll es sein würde, wenn man über solche sich immer
wiederholende Verhältnisse eine feste Terminologie hätte,
mit Hülfe deren man die verschiedenen Verwendungsweisen
jedes einzelnen Wortes leicht klassifizieren könnte.
Man könnte mir einwenden, dass durch Erfüllung der
hier gestellten Forderungen das Wörterbuch sich dem Cha-
rakter eines systematischen Werkes nähern müsste, wobei
dann die alphabetische Anordnung der Wörter mehr und
mehr nur noch als Index fungieren würde. Aber, abgesehen
davon, dass doch noch bei sehr vielen Wörtern die Behand-
lung eine ganz oder überwiegend isolierte bleiben müsste,
so hat dieser Einwand keine Berechtigung. Wenn man ein-
mal anerkennt, dass das Wörterbuch ein Werk von selb-
ständigem wissenschaftlichen Wert sein soll, nicht ein blosses
Hilfsmittel zum Nachschlagen bei der Lektüre, so muss man
alles nur als Fortschritt begrüssen, was von der äusserlichen,
zufölligen alphabetischen Anordnung zu einer dem realen Zu-
sammenhange entsprechenden Gruppierung hinüberführt.
92
Historische Classe.
Sitzung vom 3. Februar 1894.
Herr Stieve hielt einen Vortrag:
»Ueber Witteisbacher Briefe
Abteilung VHI.
IL
Derselbe wird in den , Abhandlungen*' veröfiFentlicht
werden.
93
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 3. März 1894.
Herr Wölfflin hielt einen Vortrag:
^Die neuen Aufgaben des Thesaurus linguae
latinae/
Wenn an den Entdeckungen und Erfindungen, welche
als der Ruhm der Neuzeit betrachtet werden, die historischen
Wissenschaften nur geringen Antheil haben können, so ist
ein neuer Standpunct, von dem aus man das längst Bekannte
betrachtet, wissenschaftlich gemessen doch nicht viel geringer
aDzuschlagen. Zugegeben, dass die Erfindungen neuer Ge-
wehre 80 rasch aufeinander folgen, dass jeweilen nach voll-
zogener Einführung eine bessere WafFe sich darbietet, so
sind wir doch in der classischen Philologie lange nicht so
conservativ, als man glauben möchte. Wir wollen nicht auf
die paar Autoren oder Schriften hinweisen, die man denn
doch in den letzten Jahrzehnten aufgefunden hat; wir wollen
auch nicht stolz darauf sein, dass es dem Lexikographen mit
angestrengtem Pleisse gelingt, ein paar hundert oder tausend
neuer lateinischer Worte zu sammeln, bezw. Wortbedeutungen
nachzuweisen : viel wichtiger ist der Gesichtspunct, unter
welchem uns jeder Lexikonartikel erscheint. Und da kann
man denn doch im Laufe der Jahrhunderte einen Fortschritt
94 Sitzung der phüos.-pküol, Glosse vom 3. März 1894.
constatieren. Die alten lateinischen Glossare stellten nur die
seltenen und umstrittenen Worte zusammen, welche der Er-
klärung bedürftig waren; wenn die bekannteren namentlich
durch den metaphorischen Gebrauch bei Dichtern verschie-
dene Bedeutungen annahmen, so wurde diess zwar verzeichnet,
wie denn tenet nach Nonius p. 412 an fünf Virgilstellen
tegit, prohibet, compescit, comprehendit, inhabitat bedeutet,
ohne dass indessen eine Entwicklung aus der Grundbedeutung
versucht worden wäre. Der Thesaurus von Stephanus suchte
eine Uebersicht über den gesammten Wortschatz zu geben
und zog nicht nur für Worte wie für Bedeutungen die Au-
toren zweiten und dritten Ranges heran, welche die älteren
Grammatiker bei Seite gelassen hatten, sondern gab auch
die Verbindungen, um dem Lateinschreibenden eine Samm-
lung guter Phrasen an die Hand zu geben. Der von Ritschi
und Halm geplante Thesaurus wollte noch mehr bieten als
die Vermittlung einer richtigen üebersetzung ; er wollte den
Gebrauch jedes lateinischen Wortes so vollständig zur Dar-
stellung bringen, dass die Unterschiede zwischen archaischem,
goldenem, silbernem und Spätlatein zu Tage treten sollten^
dass man bei dem Schwanken der handschriftlichen Ueber-
lieferung oder bei Versuchen, verdorbene Stellen durch Con-
jecturen zu heilen, sofort hätte ersehen können, ob eine la-
teinische Redensart zu einer gewissen Zeit existiert habe oder
nicht, und ob sie zu einem bestimmten Autor passe oder
ihm widerspreche. War die ganze Thätigkeit Halms auf
die Herstellung zuverlässiger Texte gerichtet, wie das über-
haupt die Signatur jener Periode war, so sollte auch der
Thesaurus ein Hilfsmittel für den Kritiker werden, und nicht
nur für die Textkritik, sondern auch für die Aechtheitskritik.
Man bedauerte damals, dass es der Philol<^e nicht vergönnt
war, diesen Schritt vorwärts zu machen, und doch wäre es
nur ein halber Schritt gewesen, so dass wir uns über das
Unterbleiben eher freuen müssen.
WÖlfflin: Aufgaben des Thesaurus linguae latinae, 95
Wenn man auch im Verlaufe der Arbeit darauf ge-
kommen wäre, zu untersuchen, ob ein Wort in der Schrift-
oder in der Volkssprache gelebt habe, so treten doch heute
die Unterschiede zwischen Litteratur und Vulgärlatein
viel schärfer hervor. Aber sicher dachte damals noch nie-
mand an die Möglichkeit, einem nach Ländern proyinciell
gefärbten Latein, einer den romanischen Sprachen entsprechen-
den Veränderung des lateinischen Sprachschatzes in Spanien,
Frankreich, Italien auf die Spur zu kommen, während heute
durch eine grosse Anzahl sicherer Beobachtungen diese Be-
trachtung nicht nur als möglich, sondern als wissenschaft-
lich nothwendig erscheint. Somit ist die lokale Verschie-
denheit der Sprache ein neu gewonnener Gesichtspunct.
Noch viel weniger hatte man damals eine Ahnung davon,
dass man nicht nur das Vorkommen, sondern auch das
Fehlen der Wörter beobachten müsse, und doch liegt es
eigentlich nahe, neben dem Zugange neuer Wörter auch den
Abgang und das Absterben der alten zu controlieren, da ja
der Romanist sich oft darüber klar werden muss, ob ein
lateinisches Wort in einer gewissen Periode noch oder schon
gelebt habe. Dass diese Forschungsmethode, wenn sie auch
mit besondern Schwierigkeiten verbunden ist, doch bei vor-
sichtiger Anwendung zu sichern Ergebnissen führt, glaube
ich an zahlreichen Beispielen erwiesen zu haben.
Durch diese drei neuen Gesichtspuncte wird aber der
Thesaurus etwas ganz Anderes, als er vor 35 Jahren hätte
werden müssen. Er wird nicht nur ein Hilfsmittel sein,
wie etwa die Logarithmen Vegas, sondern ein Werk, welches
seinem Zweck und sein Interesse in sich selbst trägt, und da-
mit wird die Lexikographie aus einer Magd eine selbst-
ständige Wissenschaft, welche das Leben jedes einzelnen
Wortes und damit die Geschichte der lateinischen Sprache
vor unseren Augen entrollt. Die Wörter leben und sterben
wie andere Organismen, wie die Blätter am Baume, nach
96 Sitzung der phüos.-phüol, Glosse vom 3. März 1894.
dem horazischen Bilde, mit dem unterschiede freilich, dass
manche Winter um Winter überdauern, selbst Jahrhunderten
und Jahrtausenden trotzen, wenn sie auch Form und Be-
deutung yerändern. Viele sterben ab, doch so, dass der Ab-
gang durch jungen Nachwuchs gedeckt wird. Aber hier
sorgt nicht, wie bei den Pflanzen, die Mutter Natur für die
Ausgleichung, sondern der Menschengeist hat durch Ein-
nahmen in dem Betrage der Ausgaben die Bilanz zu er-
halten, eine nationalökonomische Aufgabe, wie sie kein Finanz-
minister besser löst. Wir stehen vor einem grossen biolo-
gischen Probleme, welches in der Seele des Volkes und unter
Mitwirkung hervorragender Denker gelöst wird; in der Lö-
sung selbst erkennen wir das nationale Fühlen und Denken.
Dieses ist eine wissenschaftliche Aufgabe, des Schweisses der
Edlen werth. Welche Worte tragen den Keim des Todes
in sich und welche nicht? Welche äusseren Umstände be-
dingen die Erhaltung oder den Untergang? Welche Mittel
besitzt die Sprache, die entstandenen Lücken auszufüllen?
Wie hat griechische Sprache und Litteratur, wie das Christen-
thum auf das Lateinische gewirkt ? Wenn wir die Aufgabe
so fassen, so brauchen wir nicht die Einwendung zu be-
fürchten, man besitze bereits mehrere grössere Wörterbücher
der lateinischen Sprache, denn wir wollen sie nicht in ver-
mehrter und verbesserter Auflage erscheinen lassen, sondern
sie mit neuem Geiste erfüllen. Je weniger aber einem Ein-
zelnen wird beschieden sein, das Werk zu Ende zu führen,
desto mehr werde ich an die Worte des Polyb 3, 5, 8 er-
innert: ,es muss die Gunst des Schicksals hinzutreten, damit
unsere Lebensfrist ausreiche; wiewohl ich die Ueberzeugung
hege, dass, wenn mir auch etwas Menschliches begegnen
sollte, die Aufgabe nicht ungelöst bliebe, sondern wegen ihrer
Schönheit von Vielen aufgenommen würde." In grossen
Dingen aber genügt es, den rechten Weg gezeigt zu haben
und ihn ein Stück weit zu gehen.
Wölfflin: Aufgaben des Thesaurus linguae latinae, 97
Indem wir an anderer Stelle (Archiv für lat. Lexikogr.
IX. S. 1 ff.) auseinanderzusetzen gedenken, was besser ge-
macht werden kann, wenden wir uns gleich zu dem, was zu
dem alten Materiale neu hinzukommen soll, und man wird
dahin zunächst die Wörter rechnen, welche in den bisherigen
Lexicis ganz fehlen. Bisher unbekannte Worte gewinnt man
theils aus der Leetüre spätlateinischer Autoren, die noch nicht
vollständig ausgebeutet sind, theils aus neuentdeckten Schrift-
stellern, theils auch aus bisher nichtbenützten Handschriften
bekannter Texte oder durch Conjecturalkritik. Beispielsweise
fiudet sich in den Handschriften der von Prof. Karl SitÜ
soeben herausgegebenen Astrologie des Firraicus Maternus 3,
4, 1 das in den gedruckten Ausgaben übersprungene Wort
nigraster, schwärzlich, welches, verbunden mit dem aus
Glossaren bekannt gewordenen canaster (Arch. VHI 372),
aschgrau, beweist, dass die in den romanischen Sprachen so
häufigen Parbenbenennungen wie bian Castro, rossastro, ver-
dastro, franz. blanchätre, verdätre, rougeätre ihre lateinischen
Vorläufer hatten. Da wir bisher das einzige fulvaster aus
einer einzigen Stelle kannten, so wird man nunmehr, nach-
dem drei Beispiele gesichert sind, vermuthen dürfen, dass
die spätlateinische Volkssprache auch Bildungen wie rufaster
(rubeaster, russaster) gekannt habe, und dass uns nur zu-
fällig kein Beleg aus der Litteratur erhalten ist.
Können so zwei neue Beispiele ein Kapitel der Sprach-
geschichte aufhellen, so vermag ein glücklicher Fund sogar
zur Kenntniss der Sittengeschichte beizutragen. In einer
spanischen, von dem brittischen Museum erworbenen Hand-
schrift hat sich eine Predigt Augustins gefunden, in welcher
von der Himmelfahrt Christi und dem, was er uns hinter-
lassen habe, die Rede ist. Der Redner vergleicht dieses Ver-
mächtniss mit dem Geldstücke der itoria (nämlich pecunia),
welche der in die Fremde Ziehende seinen ihn geleitenden
Freunden hinterlässt, damit sie sich gütlich thun und seiner
1894. Pliü08.-plinol. n. hist. Cl. 1. 7
98 Sitzung der phüos.'phüol. Classe vom 3. Mars 1894.
gedenken sollen. Nach den beigefugten Worten sicut dici
solet muss diese uns nicht bekannte itoria, wenigstens in
Afrika, etwas ganz Gewöhnliches gewesen sein. Zur Be-
stätigung schreibt der afrikanische Bischof Optatus gegen die
Donatisten 1, 1, 1: antequam in caelum ascenderet, christianis
nobis Omnibus itoriani per apostolos pacem dereliquit; denn
so muss ohne Zweifel nach der ältesten Petersburger Hand-
schrift geschrieben werden statt des noch 1893 von Ziwsa
aufgenommenen storiam der jüngeren Handschriften, welches
als Nebenform von storea, abgeleitet von OToqswvfii^ mit
Matte, Schutzdecke, Schutzwehr erklärt wird. Vgl. Arch. VIII
139 und C. Weyman in Arch. IX 52.
Fehlen nigraster und itoria in unseren Wörterbüchern,
so trägt die Schuld nur die menschliche Schwachheit; schlim-
mer steht es, wo die Einsicht gefehlt hat.
Wollen wir das Leben und die Geschichte eines
Wortes kennen lernen, so werden wir, wie eine Biographie
mit dem Geburtstage beginnt und dem Todestage schliesst,
das erste Auftreten und das letzte Vorkommen za be-
stimmen haben, und wenn auch Beides in vielen FäUen un-
möglich ist, so muss doch unter allen Umständen geleistet
werden, was mit unsem Mitteln geleistet werden kann. Wohl
wird sich die älteste Belegstelle in der uns zufallig erhal-
tenen Litteratur ermitteln lassen, allein wer kann verbürgen,
das? das Wort nicht schon in älteren uns verlorenen Schriften
gebraucht wurvle? Und wenn wir $(^r sicher sein dürften,
d^s älteste Litteraturbeispiel gefunden zu haben, so bleibt
n<.vh die MC^^j^iohkeit, dass ein Wort lanse in der Volks-
$pr;Äche i^^K^t habe, bevc^r es in die Liueratursprache auf-
geivwnien wunie, ^^ kt-niieii wir die Nebenform von scriba,
scribo ÄT;lv^r,is er^i äx*s Orecor dem Grvissea: sie nützt uns
t'lir d:^^ iv^:r.Ä:r.:?<'ac:: Sprüchen r.:cht viel, da diese von scri-
biu^aj:^ friu:^. ecrirAin, itA*. :?<riv\Ä:.v> cebiliex haben, aber sie
xwuss viele Jahrhuiidcrte ält^er se:::, da der Xame der gens
Wölfflin: Auf gaben des Thesaurus linguae latinae. 99
Scribonia nur yon scribo abgeleitet sein kann. Verrauthlich
nannten die Soldaten ihre Fouriere und das Volk die Kanz-
listen scribones mit dem voller klingenden, dem gemeinen
Manne darum immer sympathischeren Suffixe, während die
Litteratursprache an scriba festhielt.
Könnten wir so in der Bestimmung des Alters um mehr
als ein halbes Jahrtausend irren, so kann es allerdings unter
günstigen umständen gelingen, den Geburtsact zu eonsta-
tieren. Wenn Cicero Begriffe der griechischen Philosophie
lateinisch wiedergiebt und zwar mit neugebildeten lateinischen
Wörtern, so erkennen wir in ihm den Sprachbildner; oder
wenn Lucretius und Virgil Formen schaffen, welche sie allein
in den Hexameter bringen, wie maximitas für magnitudo,
nominito für nomino, so sind sie die persönlichen Schöpfer,
mit der Einschränkung freilich, dass man nicht genau weiss,
ob ihnen darin nicht etwa schon Ennius vorangegangen
war. So hat supervacuus statt des in der älteren Prosa
üblichen supervacaneus seine Ausbreitung offenbar durch die
hexametrischen Dichter, namentlich Horaz und Ovid, ge-
funden, obschon wir den Autor, welcher diesen Schritt that,
nicht mit Namen nennen können. Vgl. Arch. VIII 561.
Pacalis von pax, wie legalis von lex, hat allem Anscheine
nach Ovid zuerst gebildet, ohne indessen Anklang zu finden,
aber nicht metri causa, sondern weil den kriegsliebenden
Römern überhaupt ein Adiectiv ,friedlich' fehlte. Adorare
anbeten verdankt man wahrscheinlich dem Virgil Georg. 1,
343. Heerdegen, Semasiol. Unters. Heft 8, S. 101.
Andere Neubildungen sind auf Rechnung des Christen-
thums zu setzen, und so gut Cicero das Unfassliche, das
QtaralrjjtTOv mit incomprehendibile übersetzte, so gut er-
zwang der owTtiQ und der fieaiTrjg des neuen Testamentes
den salvator und den mediator (Mittler), nachdem ältere
üebersetzer jenen mit servator, conservator, salutaris, saluti-
ficator, salvificator, diesen minder genau mit Sequester,
100 Sitzung der phOas^-pkOol. Glosse vorn 3. März 1894,
arbiter, Sponsor , interventor wiedergegeben hatten. Arch.
VIII 592. Münchner Sitz.-Ber. 6. Mai 1893. S. 263 S. Es
gehört übrigens mit znr Geschichte der Entwicklung, dass
ein so schönes Wort wie mediator bald auf die Bedeutung
von ,leno^ herabsinken konnte. Corp. gloss. yoI. V.
Aber wenn wir auch nicht zu dem muthmasslichen
Schöpfer eines Wortes au&teigen oder doch etwa das Jahr-
zehnt des Entstehens bezeichnen können, so müssen wir um
so soi^faltiger aufzeichnen, wo uns ein Wort zufallig in der
erhaltenen Litteratur zuerst begegnet, und das leisten unsere
Wörterbücher an hundert und tausend Stellen noch nicht.
Vesper, der Abendstem, kommt nicht zuerst bei Virgil und
Horaz vor, sondern schon bei GatuU 62, 1; aquilo, der
Kordwind, nicht bei Cicero, sondern zwei Jahrhunderte früher
bei Naevius trag. 19 R.; prognatus nicht bei Plautus, son-
dern bei Naevins in dem saturnischen Halbverse sanctns Jove
prognatus, was man wissen muss, um den Vers der Scipionen-
inschrift Gnaivod patre prognatus richtig zu würdigen.
Eximo und supplico belegen unsere Lexica zuerst mit Plau-
tus, obwohl sie schon auf der Golumna rostrata und im Car-
men saliare vorkommen.
Die letzte Stelle aber anzugeben, selbst bei Wörtern,
welche in den romanischen Sprachen unterg^angen sind,
hat far uns nur untergeordneten Werth. Wenn nämlich ge-
wisse Wörter in der Volkssprache zurücktreten und scUiess-
lich absterben, so erhalten sie sich immer noch in den
Schriften gelehrter Autoren, bei welchen sie, weil diese die
alten Klassiker studieren, fortleben. Durch diese V^etation
im Treibhause dürfen wir uns nicht tauschen lassen, und es
erwächst uns daher die neue, schwierige Pflicht, dem Unter-
gange der Wörter in der lebendigen Umgangssprache nach-
zuforschen. Hier gelten die ungebildeten Autoren mehr als
die gebildeten ; denn sie allein geben die Sprache ihrer Zeit
wieder, während diejenigen, welche eine gute Schule durch-
WÖtfflin: Aufgaben des Thesaurus linguae latinae. 101
gemacht haben, und Männer der Wissenschaft, welche lit-
terarische Quellen benützen, durch ihren Unterriebt und ihre
Leetüre beeinfiusst sind. Wo die Quellen noch erhalten sind,
wie bei Solin die Naturgeschichte des Plinius, bei Orosius
die Weltgeschichte des Justin und andere historische Werke,
da lasst sich die Sprache eines Autors scheiden in seine eigene
und die von Vorgängern übernommene; in den meisten Fällen
ist diess jedoch nicht mehr möglich. Apuleius und Ammian
haben so yiel gelesen, dass wir namentlich bei dem ersten
oft nicht entscheiden können, ob ein Wort dem afrikanischen
Latein angehört oder aus einem alten für uns verlorenen
Autor gezogen ist. Durch genaue Beobachtungen, wie sie
freilich zur Zeit noch nicht gemacht sind, kann es indessen
gelingen, das Absterben eines Wortes nachzuweisen. Saepe
ist nicht nur in den romanischen Sprachen spurlos ver-
schwunden, es muss schon in der römischen Kaiserzeit auf-
fallend zurückgegangen sein und durch subinde (souvent),
frequenter u. a. verdrängt worden sein. Denn wenn man
bedenkt, dass bei Pomponius Mela auf 3 saepe ein Dutzend
subinde treffen, in den 4 ersten Büchern der Astrologie des
Firmicus Maternus auf etwa 3 saepe annähernd 60 frequenter,
bei Cassius Felix auf 3 saepe mehr als 70 frequenter, ein
Adverb, welches Cäsar, Sallust u. A. gar nie gebraucht haben,
so zeigt diess doch wohl, dass saepe keine festen Wurzeln
mehr hatte, mögen es auch gelehrte Autoren noch so oft
gebrauchen. Oder wenn diu bei Caelius Aurelianus fehlt,
wie in den romanischen Sprachen, so erkennen wir auch
darin eine Bestätigung davon, dass die sogenannten romani-
schen Veränderungen im Sprachbestande viel weiter hinauf-
reichen. Um indessen sicher zu gehen, wird man Beobach-
tungen aus verschiedenen Autoren haben müssen, die sich
gegenseitig unterstützen.
Wir kommen auf die lokale Verbreitung. Wie uns
die Botanik lehrt, wo gewisse Pflanzen gedeihen und wo
1 02 Sitzung der phüos.-phüol, Glosse vom 3, Märe 1894.
nicht, wo sie wild wachsen und wo nicht, so hat auch die
Sprachgeschichte die Grenzen des Wortgebrauches festzu-
stellen, wenn möglich, mit Unterscheidung von Volkssprache
und Schriftsprache. Man hüte sich wohl, anzunehmen, dass
das Lateinische in allen Theilen des römischen Reiches gleich
gesprochen worden sei; im Gegentheile, so sicher es zeitliche
Unterschiede in der Latinitat giebt, ebenso sicher örtliche,
wie schon Hieronymus beobachtet hat im Commentare zum
Galaterbriefe 2, 3 : cum et ipsa latinitas et regionibus cotidie
mutetur et tempore. Schon seit vielen Jahrzehnten spricht
man von der Africitas des Äpuleius, Tertullian, Cyprian,
Arnobius u. A. und der Name klingt uns heute so bekannt,
als ob er von den Alten zur Bezeichnung einer dialectischen
Verschiedenheit gebraucht wäre, obschon Spartian nur von
der afrikanischen Aussprache des Septimius Severus (cp. 19, 9)
berichtet, nicht von Wörtern oder Structuren, welche dem
afrikanischen Latein eigenthümlich gewesen wären. Rechnen
wir dazu den Rhetor Fronto aus Cirta, so besitzen wir aus dem
2. und 3. Jahrhundert, von dem vierten gar nicht zu reden,
eine solche Anzahl von bedeutenden Schriftstellern afrika-
nischer Herkunft, dass es leicht scheint, aus einem so reichen
Stoffe ein Lexikon und eine Grammatik des afrikanischen
Lateins zu coustruieren ; eine Gefahr aber besteht darin, dass
uns Italien, Gallien, Hispanien nicht eine ähnliche Litteratur
darbietet, um eine Vergleichung anzustellen, und eine zweite
darin, dass die grosse Bedeutung der genannten Autoren eine
Einwirkung auf das Latein Europas wahrscheinlich macht;
endlich bat sich in Afrika keine romanische Sprache ge-
bildet, welche durch ihre Abweichungen von dem Italiäni-
sohen, Fninzösischen, Spanischen die Eigenthumlichkeiten des
ufrikanisoheu Lateins erkennen Hesse. Und doch kann die
Africitas, wenn sie auch noch nicht herausdesiilliert ist, un-
moi^Hoh geläusjnet wenlen, weil die punische Landessprache
nothwondig dem imjv^rtierten Latein etwas von ihrem Ge-
Wolfflin: Aufgaben des TheaainriM Unguae latinae. 103
präge aufdrücken musste. Dass Ausdrücke wie in saecula
saeculorum, caeli caelorum aus den hebräischen Psalmen
stammen, wird niemand bestreiten und daher auch Vanitas
vanitatum bei Augastin, welches Göthe gebrauchte, nicht
auffallend finden; wenn wir nun aber namentlich bei Apu-
leius und Arnobius sogenannte identische Genitive finden, wie
cupiditates libidinum, superbiae fastus, imperii iussio, was
sind sie anders als lateinische Punismen oder Semitismen,
mit dem unterschiede, dass statt der Wiederholung desselben
Substantivs ein Synonymum vorgezogen wird, wie bei proe-
lium pugnare statt pugnam pugnare? Oder wenn die semi-
tischen Sprachen statt des Comparativs den Positiv mit der
Präposition min = lat. ab gebrauchen und man im afrika-
nischen Latein statt des Ablativus comparationis doctior illo
sagt doctior ab illo, was später auch Europa annahm, so
kann jener Ausdruck allerdings die lateinische Umschreibung
begünstigt haben. Mehr möchten wir allerdings darum nicht
behaupten, weil die strenge üebertragung doctus ab ali-
quo verlangt hätte, und weil der Ablativ (Separativ) ebenso
durch ab verdeutlicht werden konnte, wie der Genitiv durch
de aufgelöst worden ist. Den Einfluss nehmen wir an, weil
doctior ab illo zuerst in Afrika auftritt; dass man aber
auch ausserhalb Afrika auf das Nämliche verfallen konnte,
beweist das mittel- und neugriechische TvlovaicüTeQog ano
uvog. Vgl. P. Geyer in den Bl. f. bayr. Gymn. W. 1891.
158. H. Ziemer, Gomparation S. 103. Donat Gr. lat. IV 433,
18 quando dico doctior illo et doctior ab illo, re vera eadem
invenitur elocutio. Damit hätten wir einen ganzen und einen
halben Punismus in dem Sinn, wie wir im Lateinischen von
Gräcismen sprechen, oder wie 'KaTayQaq>eiv OTQdvev^ia bei
Polyb (conscribere) statt des gutgriechischen xataliyeiv ein
Latinismus ist. Mag also nicht Alles Africismus sein, was
man dafür ausgegeben hat, an der Existenz der Africismen
zu zweifeln ist unmöglich. Vgl. Arch. VIII 237.
104 Sitzung der phüosrphüol, Classe vom 3, März 1894,
In neuerer Zeit hat namentlich Paulus Geyer mit Er-
folg die Aufmerksamkeit auf die lateinischen Gallicismen
gelenkt. Arch. II 25. VII 461. VIII 469. Doch lässt sich
nur ausnahmsweise eine Anlehnung an das Keltische ver-
muthen (VIII 482); in der Regel gewinnt von lateinischen
Concurrenzausdrücken einer die Oberhand in Gallien, ohne
dass man sagen könnte, warum, oder das Land bildet aus
lateinischen Elementen an die Stelle eines absterbenden
Wortes ein neues. Nur im gallischen Latein hat apud die
Bedeutung von cum angenommen, woraus sich das franzö-
sische avec = apud hoc erklärt. Also le roi avec la reine
= der König, dabei (dazu) die Königin. Dass man in Gal-
lien, wie auch in Italien und überhaupt im Osten den Com-
parativ mit plus umschrieb, statt mit magis, woran Spanien
festhält, konnte jeder Romanist sehen; ich habe zuerst als
Latinist nachgewiesen, dass schon im 5. Jahrh. Sidonius
ApoUinaris von Lyon und Alcimus Avitus von Vienne plus
in diesem Sinne gebrauchen, im Gegensatze zu dem Spanier
Orosius, welcher magis schreibt. Aber warum der Wechsel!
In Gallien und Italien nahm magis die Bedeutung einer Ad-
versativpartikel ,vielmehr, aber' an, wie franz. mais und ital.
ma zeigen; um der CoUision zu entgehen, wählte man für
den Coraparativ plus, während Spanien die Doppelbelastung
duldete, was sonst nicht im Geiste der romanischen Sprachen
ist, und mas sowohl adversativ als comparativ verwendete.
Oder wenn wir das lateinische quare mit wenig veränderter
Bedeutung im Provenzalischen zu quar, im Französischen zu
car (denn) verkürzt finden, im Italiänischen aber nicht, so
werden wir die Schlussfolgerung wagen dürfen, schon im
gallischen Latein habe quare die nämliche Function über-
nommen, wie ähnlich quippe ,denn' und ,weil', quamquam
,allerdings' und ,obschon' bedeutet, also sowohl einen Haupt-
satz als einen Nebensatz einleiten kann. Und wirklich heisst
es in einer Stelle der Aquitanierin Silvia, peregrin., welche
WÖlfflin: Aufgaben des Thesaurits linguae latmae, 105
der Excerptor Petrus Diaconus p. 33 Biant erhalten hat :
naves ibi luultae sunt; quare portus famosus est pro ad-
yenientibus ibi mercatoribus de ladia. Ebenso in den For-
mulae Senon. (Monum. Germ. bist. Y 222, 25: qui mihi
minime credit | Facta tua vidit. | lUum tibi necesse desidero,
{ Quare non amas Deo. (Denn Du liebst Gott nicht.)
Irrthümlich haben dem gallischen Latein das wegen
seiner Bedeutungsentwicklung interessante Wort baro (Baron)
Diez, Settegast (in Vollmöllers Roman. Forschungen I 240),
Körting u. A. zugewiesen und zwar auf Grund einer Notiz
der Persiusscholien zu sat. 5, 138: lingua Gallorum barones
vel yarones dicuntur seryi militum , qui utique stultissinii
sunt. Allein die Worte ,lingua Gallorum' finden sich nicht
in den Handschriften, sondern sind erklärender Zusatz des
Herausgebers Pithoeus, welcher die Scholien nicht nur in
das karolingische Zeitalter, sondern nach Frankreich setzte,
weil er eine Handschrift yon Montpellier benützte. Dieser
lokalen Beschränkung steht die Thatsache gegenüber, dass
das Wort sich ebensowohl im Italiänischen als im Spanischen
findet, und im Lateinischen mindestens schon bei Cicero.
Der yon Diez und Müllenhof (zur Lex Salica 279) yersuchten
Ableitung vom deutschen heran (q)OQeiv^ tragen) haben wir
im Archiy f. latein. Lexikographie IX 13 eine einfachere
entgegengestellt, indem wir als Ausgan gspuuct für das mo-
derne Baron nicht lat. baro = Tölpel, Pinsel, Klotz, sondern
als = Mann mit vorwiegend entwickelter Körperkraft nach-
wiesen bei Cic. diyin. 2, 144. Petron 53; 63, wo Schnell-
läufer und Athleten so genannt werden. Die Erklärung im
Corpus glossarum vol. H 27, 54 baro: dvriQ zeigt uns den
Weg, wie im Spanischen varone geradezu die Bedeutung
von ,Mann' annehmen konnte, wie schon in der lex Ripuaria
tarn baronem quam feminam. Dass das Wort im Italiänischen
(baro, barro) auch den ,Betrüger, Falschspieler' bezeichnet,
im Französischen den ,Schwindler', müssen wir, die Identität
106 Siteung der phüosrphüdl. Glosse vom 3, März 1894.
vorausgesetzt, an der übrigens kaum zu zweifeln ist, geduldig
hinnehmen ; für die Semasiologie und Völkerpsychologie aber
bleibt es höchst merkwürdig, wie ein und dasselbe Wort im
Verlaufe der Jahrhunderte und in verschiedenen Ländern,
Querkopf (varo bei Lucilius frgm. ine. 108 M.), Lastträger,
tapferer Mann, Freigeborener (lex Salica), Vasall (= pro-
ceres, in den Kapitularien Karls des Kahlen) und Betrüger
bezeichnen konnte.
Kaum hat man bisher versucht, hispanisches Latein
zu erforschen, und doch verdient das Land um so mehr Be-
rücksichtigung, als es vor Gallien der römischen Herrschaft
unterworfen worden ist. Auch ist die Gebirgsscheide der
Pyrenäen eine so starke, dass zahlreiche lateinische Ausdrücke
sich bloss auf der hiberischen Halbinsel erhalten haben. Nur
in Spanien heisst das Gesicht rostrum (Schnabel), das Bein
perna (Schinken), der Bruder germanus, essen comedere statt
manducare. In rostrum, welches wir aus Plautus und Lu-
cilius kennen, in dem ennianischen perna steckt wohl altes
Latein, welches die Legionäre der Scipionen über die Pyre-
näen getragen haben mögen. Einer der ältesten Vertreter
Hispaniens in der römischen Litteratur, der Verf. de re rustica,
Columella, nennt uns z. B. 12, 39, 2 brisa = Weintrester als
Landesausdruck, welcher sich denn auch heute noch erhalten
hat; ja sein Name selbst, Columella, bei Varro Stockzahn,
ist acht spanisch, verkürzt aus columnella, kleine Säule,
spanisch colmillo, Augzahn, wozu schon Isidor von Sevilla,
orig. 11, 1, 52 bemerkt: dentes caninos pro longitudine et
rotunditate vulgus colomellos vocant. Die Bömer haben solche
Leute Dentatus oder Dento genannt. Nur im Spanischen
und Portugiesischen heisst der Roggen, sonst secäle, Schnitt-
korn, Sichelkorn im Gegensatz zum gemähten, centenum,
vielleicht, schreibt Körting 1891, weil er hundertfältige Frucht
giebt. Nein, ganz gewiss; denn im Edictum Diocletiani de
pretiis rerum venalium 1, 3 heisst es centenum sive sicale.
WÖlfflin: Aufgäben des Thesaurus linguae latinae. 107
und Plinius n. h. 18, 40 sagt uns, das secale trage hundert-
faltige Frucht.
Natürlich hat auch Italien Manches theils selbst ge-
schaifen, theils allein erhalten. Dahin dürfte beispielsweise
das bei Diez und Körting nicht genügend erklärte Wort
balzano, weissgezeichnetes Pferd (das neufranzösische balzan
ist Lehnwort aus dem Italiänischen), gehören. Es bedurfte
hier nicht des Arabischen zur Erklärung; denn Balios ist
nicht nur ein auf griechischen Vasen vorkommender Pferde-
name, sondern schon aus Homers Ilias 16,149. 19,400 sind
uns die beiden nach der Farbe benannten Pferde SavS-og aal
BaXiog bekannt. Zu Anfang des sechsten Jahrhunderts machte
der Bischof von Pavia, Ennodius, ein Gedicht De equo badio
(kastanienbraun) et balane (Vogel CCCLV = carm. II 136
Hartel), in welcher Form, mag sie auch verdorben sein,
jedenfalls eine Weiterbildung mit dem Suffixe -an steckt.
Nach Prokop bell. Goth. 1, 18 hatte Belisar ein farbiges
{(paiog ist vieldeutig), am Kopfe aber weisses Pferd, ,welches
die Griechen OaXiov^ die Barbaren (Gothen) Bdkav nennen'.
Vgl. Thielmann im Arch. f. lat. Lexikogr. IV 601. Aus
Plautus Poen. 5, 5, 22 (baliolum) möchte man auf eine Form
*balianus schliessen.
Endlich die Hauptsache: Der Ersatz der untergehenden
Wörter. Konnte man bisher durch den Thesaurus nicht ein-
mal das Absterben eines Wortes constatieren , so noch viel
weniger, was an dessen Stelle getreten sei, weil die einzelnen
Vokabeln nach amerikanischem Zellensystem abgesperrt und
in keine Verbindung miteinander gebracht wurden, obwohl
sie doch nicht als Junggesellen, sondern in Familiengemein-
schaft leben, und doch ist neben der Production der ersten
Wörter für die einzelnen Begriffe, also gewissermassen der
Ursprache, die Ausfüllung der entstehenden Lücken eine der
grossartigsten Leistungen der Sprache, deren Sorge einem
Kriegsministeriura gleicht, welches nicht nur die Gefallenen
108 Sitzung der phüo8,'phüdl, Glosse vom 3. Mars 1894,
durch Nachschub ersetzt, sondern auch sich alle Mühe giebt,
die Kranken und Verwundeten am Leben zu erhalten.
Die Wörter werden krank durch den häufigen Gebrauch,
wie die Münzen durch das Abschleifen. Auslautende Con-
sonanten verstummen, Endsilben fallen ab, kurze Vokale im
Inlaute werden hinausgequetscht. So wurde das viersilbige
griechische ^Icodwrjg durch Aufgeben des vokalischen J la-
teinisch dreisilbig Johannes, zweisilbig mit abgeworfener En-
dung Johann, einsilbig Hans oder französisch Jean. Wenn
es aber allen Wörtern ähnlich gienge, so bekäme die Sprache
zu viel Einsilbler, die sich als vielfach homonym nicht alle
nebeneinander halten könnten. Die Sprache begegnet dieser
Einschrumpfung durch Ansetzung von Suffixen, nament-
lich der sogenannten Deminutiv- und Augmentativendungen.
Hatten diese in der klassischen Zeit den Zweck, das Nomen
in die Sphäre des Kleinen, Zierlichen, Qemüthlichen zu rücken
oder auch unter ein Vergrösserungsglas zu bringen, so dienen
sie im Spätlatein wesentlich dazu, das Wort ohne Veränderung
des Sinnes länger zn machen. Auricula muss ursprünglich
ein kleines Ohr bezeichnet haben, aber der Arzt Marcellus
Empiricus benützt die Form, während er an den dreisilbigen
Genetiven und Dativen aurium und auribus festhält, um den
zweisilbigen Formen, wie dem Dativ Singular auri, durch
auriculae aufzuhelfen (Arch. VIII 591) und schliesslich heissen
bei den Franzosen alle Ohren oreilles.
Furo, furonis muss als Schimpfwort ursprünglich einen
,Erzdieb' bezeichnet haben, wovon weiter furunculus ,ge-
meiner Diebs auch in der übertragenen Bedeutung von ,eiterndes
Geschwür', weil es die Gesundheitssäfte heimlich entzieht
(nicht = furvunculus, von furvus schwarz, wie Georges
glaubt), abgeleitet worden ist Aber in der St. Galler Epi-
touie des Ci^dex Theodosianus entspricht furone dem ein-
feohen fiir der Quelle, ist also ohne Bedeutungssteigerung
bloss verlängerte Form, wofür auch Du Gange s. v. weitere
Wölfflin: Aufgaben des Thesaurus linguae latinae. 109
Beispiele aus späteren Gesetzbüchern anführt, und das Frett-
chen, welches die Italiäner mit Deminutivsuffix furetto nen-
nen, heisst bei Isidor orig. 12, 2, 39 mit Augmentativsuffix
furo. Vgl. über cardus (Distel) und cardo Arch. IX 6.
Man konnte aber nicht nur taurus zu taurulus ver-
längern (Petron 39), man konnte aus ager, ager(u)lus, agel-
lus durch Analogie ein kräftigeres Suffix -ellus gewinnen,
welches lange Pannultima bot, und so ist denn das franzö-
sische taureau aus taurellus hervorgegangen, ohne dass
darum das Thier kleiner geworden wäre. Ja man konnte
durch Combination mehrerer Suffixe, wie -co, -lo weiteren
Silbenzuwachs schaflfen, wie sol, soliculus, ursprünglich die
liebe Sonne, aber im Französischen (soleil) die Sonne über-
haupt. Da nun auch die Adiectiva Suffixe anhängen, so bot
sich nicht nur die Möglichkeit, medius zumedianus (moyen)t
aetemus zu aeternalis (eternel) zu entwickeln, sondern die
kräftigeren Adiectivformen konnten zu Substantiven erhoben
werden, z. B. mons, montana, montagne; hiems, hiber-
num (hibemus) hiver; medicus, medicinus, medecin; pectus,
pectorina, poitrine. Aehnlich wurden kurze Adverbia durch
die Comparativ(Superlativ)form über Wasser gehalten, diu
durch diutius, saepe durch saepius oder saepissime,
welche sich an diutule (oft in den Saturnalien des Macrobius),
diuturne, saepicule, saepenumero anschliessen.
Für die Verba war das lebenserhaltende Element die
Frequentativ- oder Intensiv form. Auch hier verblasste
der Begriff der wiederholten oder der gesteigerten Thätig-
keit immer mehr, und schon zu Plautus Zeit zog der gemeine
Mann die volleren Formen auf -äre denen auf -ere vor;
denn während die Klassiker sagen tibiis c an ere, wie fidi-
bus c, finden wir bei Plautus, Nepos, Gellius und in der
Vulgata zu Lucas 7, 32 tibiis cantare, offenbar ohne Be-
deutungsunterschied. Ein solcher wird ja dadurch zur Un-
möglichkeit, dass die Yerba der dritten Conjugation ganz
HO Sitzung der phüos.-phüoh Classe vom 3. März 1894^
abstarben, wie die romanischen Sprachen zeigen: chanter
(canere), casser (quassare, quatere), jeter (iactare, iacere);
meriter (meritare, merere), dieses mit Silbenzuwachs. Dazu
kam, dass in den Zeiten der Völkerwanderung für die das
römische Reich überschwemmenden Fremden die regelmässige
erste Gonjugation leichter zu handhaben war als die unregel-
mässige dritte.
Am wenigsten war den einsilbigen Partikeln zu helfen
und sie haben daher auch die grössten Verluste erlitten:
cum als Conjunction wie als Präposition, die zahlreichen und
vieldeutigen ut, die Präpositionen ab, ob und ex, ac, vel und
seu, sed und at, quin und nam sind so gut wie spurlos ver-
schwunden, daneben auch manche zweisilbige, wie autero,
enim, quia, ergo, nisi, selbst dreisilbige wie igitur und itaque.
t Liess sich hinten kein passendes Suffix anhängen, so
konnte vom durch die ursprünglich verstärkende, aber nun-
mehr abgeschwächte Präpositionalzusammensetzung eine
Silbe gewonnen werden. In consoler gegenüber solari, de-
pouiller neben spoliare, conduire neben ducere, annoneer
neben nuntiare sind die Präpositionen nahezu zu Impondera-
bilien herabgesunken; sie können keine Wirksamkeit mehr
entfalten, weil die Simplicia abgestorben und die Composita
in ihre Stelle eingerückt sind. Natürlich ist diese Ent-
werthung schon im Lateinischen vorbereitet oder vollzogen,
namentlich ist aus con der Sinn der Gemeinschaftlichkeit
versehwunden, so wenn Megaronides im Trinummus des Plau-
tus V. 23 fr. sagt, Freunde zurechtzuweisen, sei ein undank-
bares Geschäft (aniicum castigare ob meritam noxiam), gleich-
wohl werde er aber diessmal ihm ,iüchtig^ den Kopf waschen
(concastigabo pro commerita noxia). So schreibt der Ver-
fa^^er des bellum Africum an neun Stellen nur convulnerare
wie der klassischere Caesar constant nur vulnerare. Auch
hatte schon Lucilius deraagis gebraucht, welches die Spanier
geschickt benütaEt haben, um das Compositum (demas) von
Wölfflin: Aufgaben des Thesaurus linguae latinae. 111
dem Simplex (mas) zu diflFerenzieren. In die Reihe der Prä-
positionen ist auch das uns oft fast unverständliche re ein-
zufügen, da ja nach dem Absterben von linquo das zusam-
mengesetzte relinquo dem griechischen Xeifta) entsprach;
ebenso gebrauchten Dichter gelegentlich recurvus statt cur-
vns, wenn ihnen eine Silbe fehlte. Nach dem allgemein ge-
billigten Vorgange, dass man reddere • felicem gebrauchen
konnte, auch wenn der Betreffende nicht schon früher ein-
mal glücklich gewesen war, gewöhnte sich das Spätlatein
daran, re einfach als Vorspann zu betrachten, wenn auch
seit dem Abfalle des schliessenden d (red, redoperio noch bei
Ämbrosius, Arch. VIII 278) vor folgendem Vokale die Silbe
darch Contraction verloren ging : implere, reimplere, remplir,
welches durchaus nicht , wieder füllen' bedeutet, invertere,
inversare, reinversare, renverser.
Als drittes Mittel stand die Umschreibung oder die
Auflösung in zwei Worte zu Gebote, wie longo tempore
(franz. longtemps) für diu, vereinzelt mindestens seit CatuU,
der regelmässige Stellvertreter bei Caelius Aurelianus, multo
tempore für saepe, altfranz. multemps, medio tempore,
mittlerweile statt interim, und Anderes der Art, Arch. VIII
595 f. Primum tempus statt ver, Frühling hat sich im
Französischen (printemps) erhalten, vernum tempus (neben
aestas, autumnus und hiems bei Augustin de gen. ad litt,
üb. imperf. 13, pg. 487, 20 Zycha) mit Abwerfung des Sub-
stantivs im Italiänischen , der Plural prima vera (Ephem.
epigraph. II 310, N. 409) als Femininum sing, gleichfalls
im Italiänischen, hibernum (tempus) ist gemeinromanisch.
An die Stelle von semper ist im Französischen toujours ge-
treten, an die Stelle von, medietas Mitte medius locus,
milieu, wie auch im Italiänischen und sonst.
Wenn aber alle diese Mittel versagen, so muss die Sprache
unter den Synonymen Umschau halten, ob eines abkömm-
lich sei und einspringen könne, allerdings nicht nur vorüber-
112 Sitzung der phüos.-phüaH. Glosse vom 3. März 1894.
gehend, sondern für immer, wodurch sie dazu geführt wird,
entweder einem Worte doppelte Pflichten aufzuerlegen, eine
neue zu der alten, was möglichst vermieden wird, oder durch
andere Geschäftsvertheilung unter weiteren Verwandten einen
Ausgleich zu Stande zu bringen. Wie das Recht bestimmte
Erben einsetzt oder bestimmte Personen, welche Vaterstelle
zu vertreten haben, so greift auch die sprachliche Logik auf
die nächste Nachbarschaft, auf das Allgemeinere oder das
Besondere, auf das genus oder die species. Passt dem Dichter
gladius nicht, so hilft er sich mit ferrum oder mit
mucro, Schwertspitze, Klinge, indem er den Theil für das
Ganze setzt.
Die in den romanischen Sprachen untergegangenen Sub-
stantiva urbs und oppidum hatten schon von Plautus an
(Merc. 645 civ. Eretriam, Corinthum) Concurrenz an civi-
tas, obschon diess weder Caesar noch Cicero gutheissen
wollten. Cicero versteht unter civitates Gemeinwesen, unter
urbes aneinandergebaute Häuser (pro Sestio 91) und ent-
sprechend nennt Caesar sowohl die monarchisch regierten als
die republikanischen Kleinstaaten Galliens nur civitates, nie
so die Städte, aber jene auch nie res publica, welchen Ehren-
namen er für Rom reservirt. Doch musste diesem strengeren
Sprachgebrauche zu Trotz ein Grammatiker der augusteischen
Zeit, Verrius Placcus, zugeben, dass civitas sowohl die Stadt
als auch das Bürgerrecht (ius civium) oder die Bürgerschaft
bedeuten könne. Gellius 18, 7, 5. Wie das Italiänische und
das Spanische beweist, fiel dem Worte civitas die rechtliche
Nachfolge von urbs zu. Anders in Frankreich seit der Zeit,
wo man die Landhäuser vor den Thoren, die villae, in den
erweiterten Stadtrayon hineinzuziehen begann; denn durch
diese Einverleibung der Vorstädte konnte nun auch villa zu
der Bedeutung von Stadt aufsteigen, mit der Beschränkung
freilich, dass die Altstadt oder die Innenstadt immer noch
civitas hiess, die cite von Paris, die city von London.
Wölfflini Aufgaben des Thesaurus linguae latinae, 113
So haben wir denn nicht nur verschiedene Lösungen der
Probleme nach den verschiedenen Ländern, sondern auch ver-
schiedene in verschiedenen Zeiten, und gar oft liegt zwischen
den klassisch lateinischen und den vulgär romanischen Aus-
drücken mancherlei in der Mitte, was über den Versuch
nicht hinausgekommen und für die heutige Lexikographie
in Vergessenheit begraben ist. Zwischen parvus und dem
italiänischen piccolo (franz. petit) liegen minor, minimus,
minutus, dann modicus, exiguus, pusillus, wie sich am
bequemsten aus der Uebersetzungslitteratur nachweisen lässt,
gerade wie zwischen magnus und grandis Wörter wie in-
gens, enormis, immensus. Vgl. Rönsch, semasiologische
Beiträge II 3, und Archiv f. lat. Lexikogr. IX 93. Die
Gründe dieses immerwährenden Wechsels im Sprachschatze
sind sehr verschieden, wenn auch Kürze des Wortes und Zu-
sammenfallen mit einem Homonymum die hauptsächlichsten.
Wenn mus, muris die Maus untergieng, so kann man
ebenso gut auf die Collision mit murus die Mauer, als auf
den einsilbigen Nominativ verweisen; dass das r der casus
obliqui missfiel, beweist die Neubildung für Katze, musio,
welche bei Georges fehlt, durch Papias aber und Isidor
orig. 12, 2, 38 bezeugt ist : musio appellatus, quod muribus
infestus sit; hunc vulgus catum . . . vocant. Die Deminutiv-
form, welche zu dem kleinen Thiere gut gepasst hätte, war
nicht mehr frei, weil mus cu Jus bereits doppelt, als Muskel
und als Muschel in Beschlag genommen war. So wählten
denn die Franzosen die Species Spitzmaus, sorex, souris;
die Italiäner griffen sogar in der Verzweiflung auf talpa,
der Maulwurf, ital. topo, und die Spanier nennen alle Mäuse
Ratten.
Andererseits sieht man von formeller Seite aus kaum
recht ein, warum das Wort für Krankheit, morbus, nicht
auf das Italiänische und die romanischen Sprachen überge-
gangen ist. Der Arzt vermied eben das Wort, um den
1894. PhUo8.-philo]. n. hist. 01. 1. 8
114 Sitsung der pfUhsrphüol. Glosse vom 3. März 1894.
Kranken nicht zu erschrecken ; er sprach lieber von einem
Schwächezustande, einer infirmitas (altfrauz., ital., span.),
oder einem schmerzhaften Leiden, einer *dolentia (portug.),
oder einem Uebelbefinden, einer Tcaye^ia (maladie franz. von
male habitus). Das Latein der späteren Aerzte hat aber
ausserdem noch die Ausdrücke passio, aegritudo, yitium,
welche bereits in der Mitte des vierten Jahrhunderts der
Astrolog Firmicus Maternus stark anspannt; hie und da wird
auch causa geradezu für Krankheit gebraucht. Muss nan
der Artikel morbus bei Forcellini ohne Ausblick in die Zu-
kunft schliessen, so wäre doch wohl zu wünschen, dass der
neue Thesaurus am Schlüsse, nachdem das Absterben von
morbus durch einige schlagende Angaben constatiert ist, auf
alle Concurrenzwörter yerwiese, aus welchen man dann die
Geschichte der Bezeichnungen des ,Begriflfes' zusammensetzen
könnte. Vgl. Münchner Sitz.-Ber. 3, Juü 1880, S. 386—394.
Wie der Seespiegel, wenn ein Stein hineingeworfen wird,
Kreis um Kreis zieht, bis die Lücke sich wieder ausgleicht,
so die Sprache: der Verlust des einsilbigen res wurde durch
causa (chose) gedeckt, dann konnte aber causa nicht mehr
den Qrund bedeuten (cause ist mot savant) und wurde durch
ratio, raison ersetzt; dieses selbst musste die Bedeutung von
Art und Weise aufgeben und erhielt modus (maniere) zum
Nachfolger; endlich wurde dadurch modus im Sinne von
,Mas8^ imbrauchbar und durch mensura (mesure) vertreten.
Es ist Aufgabe der Semasiologie, wenn sie dereinst entwickelt
sein wird, in dieser Hinsicht der Lexikographie zu Hülfe zu
kommen; einstweilen aber genüge es darauf hingewiesen zu
habai, dass die Wörter nicht isoliert, sondern im Zusammen-
hange mit ihrer Verwandtschaft zu behandeln sind.
Wölfflin: Aufgäben des Thesaurus Imguae latinckc. 115
Um noch an einem Beispiele zu zeigen, was wir Alles
zu leisten haben, so wählen wir das Wort ^dere essen.
Form wie Etymologie sind durchsichtig, denn es entspricht
dem griechischen edo)^ womit auch die Quantität gegeben ist
im Gegensatze zu edo = exdo, herausgeben.
Ob man nun die sogenannten unregelmässigen Formen
esse = edere, essem = ederem, est = edit, estur = editur,
edim = edam, eserim oder esserim = ederim, edundo = edendo
im Thesaurus nochmals auffuhren solle, während sie doch
bereits in der Formenlehre zu finden sind, ob alle Belege
beizuschreiben seien oder nur ausgewählte, ob nur die Namen
der Autoren oder auch die Buch-, Kapitel- und Paragraphen-
zahlen, ob diess in einem besonderen, den Wortformen von
Georges entsprechenden iBuche zusammenzustellen sei, dar-
über kann man verschiedener Ansicht sein; nothwendiger
ist jedenfalls, dass die Erklärungen der Bedeutungen aus
lateinischen Glossaren zusammengefasst werden, da diess bis-
her fehlt.
Dann wird der intransitive Gebrauch als der ältere an
den Anfang zu setzen und mit den ältesten Beispielen zu
belegen sein, z. B. mit Plautus bibite, este, namentlich mit
denjenigen, wo durch Gegensätze oder Synonyma die Be-
deutung besonders klar hervortritt; auch Cicero wird nicht
fehlen dürfen, z. B. edit et bibit iucunde. Aber ebenso wäre
der bekannte Spruch des Socrates aufzunehmen : non ut edam
vivo, sed ut vivam edo, theils weil hier das Verbum einen
anderen Gegensatz hat, theils weil Beispiele mit abge-
schlossenem Sinne den erst aus dem Zusammenhange ver-
ständlichen vorzuziehen sind und in sprichwörtlichen Redens-
arten das Gemeinlatein, befreit von jeder individuellen Fär-
bung, zum Ausdrucke zu gelangen pflegt. Klotz und Mühl-
mann, welche das Beispiel haben, führen es aus dem Citate
bei Qnintilian 9, 3, 85 an, wo auch Halm keine ältere Quelle
8*
116 Sitzung der phüosrphüoh Glosse vom 3, März 1894,
nachweist, während wir besser auf den nahezu zwei Jahr-
hunderte älteren Cornificius 4, 28, 39 zurückgreifen werden.
Nach einer neuerdings beliebten Methode würden nun
die Subjecte zu unterscheiden sein: puella, miles, Jupiter
edit u. ä., allein diess hat für den wissenschaftlichen Lexiko-
graphen durchaus keine Bedeutung, wohl aber hat der The-
saurus, was noch nicht geschehen ist, anzugeben, wie weit,
abgesehen von den Menschen, das Wort edere auf Thiere
Anwendung findet. Edere und essen im Gegensatze zu fressen
decken sich nicht, da die Thiere, welche grünes Futter fressen
(pabulum, pasci) doch nur einen Theil bilden ; Mäuse oder
Raben, welche sonst für Menschen bestimmte Speisen ge-
niessen, haben ira Lateinischen Antheil an dem edere. Ja
in den Prodigialaufzeichnungen wurde nach Liv. 30, 2, 9
von Raben berichtet: aurum edisse.
Bei der Darstellung des transitiven Gebrauches spielen
selbstverständlich die Objecte die Hauptrolle ; indessen kann
es doch kaum unsere Aufgabe sein, alle Speisen, welche ge-
gessen wurden, in einer alphabetischen oder historischen
Reihenfolge aufzuzählen. Beispiele der verschiedenen Arten
von Nahrungsmitteln, wie edere panera, caseum, carnem,
pisces, ova, mala werden genügen, da eine Uebersicht der
Reichhaltigkeit römischer Menüs in die Privat- oder Koch-
alterthümer gehört. Allenfalls mögen aus culturhistorischen
Rücksichten Delicatessen, welche erst die Kaiserzeit culti viert
hat, wie muraenas edere bei Sen. dem. 18, 2, boletos (cham-
pignons) bei Juvenal und Martial, durch die früheste Stelle
des Vorkommens zu markieren sein ; oder es mögen Gerichte,
welche halb fest, halb flüssig sind (sorbilia), wie weich ge-
sottene Eier, in den Lexikonartikel Aufnahme finden, weil
hier edere mit sorbere concurrieren kann, möglicher Weise
ein Brei (puls) in verschiedenen ' Jahrhunderten verschieden
zubereitet sein kann, wodurch sich das Verbum verändert.
Nur der noch nicht ganz ausgerotteten Vorstellung, als ob
WÖlfflin: Auf gaben des Thesaurus linguae latmae. 117
es ein Verdienst und eine Erweiterung der Philologie sei,
zu zwei Belegen von caseum edere einen dritten hinzu-
zufügen, müssen wir mit aller Entschiedenheit entgegen-
treten.
Bei dem bildlichen Gebrauche des Verbums wird vor
Allem darauf zu achten sein, ob der Tropus im Lateinischen
zuerst auftritt oder ob er im Griechischen vorgebildet ist,
wie sich das horazische si quid est animum (animara bei Ge-
orges scheint Druckfehler) offenbar an Homer anschliesst,
zumal schon Cicero Tusc. 3, 63 das homerische ov dvfiov
KctridcDv mit ipse suum cor edens übersetzt hatte. Hier ist
es ein Vorrecht der Dichter, den Sprachgebrauch zu er-
weitern, wie es Virgil, Horaz und Ovid gethan haben, und
darum müssen auch die Belege zahlreicher sein als bei dem
allgemein üblichen Gebrauche, weil hier Individuelles her-
vortritt. Wenn also unsere Lexika die Phrase des Virgil
Aen. 4, 66 est mollis flamma medullas von der Liebe der
Dido zu Aeneas anführen, so fehlt zweierlei, einmal dass die-
selbe dem älteren Catull gehört (35, 14. 66, 23), welcher
auch medullas an das Ende des Hexameters gestellt hat,
zweitens dass das Vorbild bei den Griechen zu suchen ist,
wie bei Theokrit 30, 21 6 no&og tov eaco /dvelov iad^Lei.
War das Bisherige nur Kritik der bestehenden Lexiko-
graphie, so haben wir noch auf unsere zukünftigen Aufgaben
einzugehen, üeber das erste Auftreten des Wortes können
wir uns kurz fassen, da es so alt ist als die lateinische Sprache
und bereits bei Naevius vorkommt ; dagegen ist es schwierig
und darum auch noch nicht versucht, das Ableben zu beob-
achten. Abgestorben ist edere sicherlich, da es in sämmt-
lichen romanischen Sprachen fehlt; es fragt sich nur, wann
und warum, und wie wir das beweisen sollen.
Nun fehlt sowohl in der um 525 geschriebenen Diätetik
des Anthimus als auch in den acht Büchern des afrikanischen
Arztes Caelius Aurelianus, welcher im fünften Jahrhundert
118 Sitzung der phüos.-phüdl, Glosse vom 3, März 1894.
nach Chr. schrieb, das Wort gänzlich, was unmöglich aaf
Zufall beruhen kann. Denn wenn auch Gaelius als prak-
tischer Arzt bei der Regulierung der Diät meist von dem
,Verordnen' der Speisen spricht (dandus cibus, dandi porcini
pedes, dabimus ostrea u. ä.), nicht von dem Genüsse seitens
des Kranken, so kommt doch der Begriff ,essen^ an Dutzenden
von Stellen vor, ohne dass er übrigens je mit edere ausge-
drückt wäre. Bei Anthimus wird vollends gegen 60 mal vom
Essen gesprochen. Aber schon in der um 385 geschriebenen
Reisebeschreibung der Silvia nach Jerusalem, in der doch
oft von Essen die Rede ist, wird man das Wort vergeblich
suchen, was so viel bedeutet, als dass es in der Umgangs-
sprache Galliens fehlte, während der gelehrtere Gregor von
Tours, welcher Litteratur- und Volkssprache mischt und da-
her als Massstab weniger in Betracht kommt, das Yerbum
mehrfach verwendet hat. Noch bedeutsamer indessen ist das
auffallende Zurücktreten in den um 200 entstandenen latei-
nischen Bibelübersetzungen. Denn obschon das ia&i(o der
Septuaginta (welches freilich auch frühzeitig durch TQciyoa^
nagen, zurückgedrängt worden ist) und des neuen Testa-
mentes das lateinische edere schützen musste, weil man es
liebte, griechische Wörter mit lateinischen desselben Stammes
wiederzugeben (vgl. Arch. IX 83), so ist doch edere viel
seltener als man glauben sollte, und wo es in einzelnen Re-
censionen auftritt, bieten andere Varianten und Goncurrenz-
ausdrücke. Die Vulgata des alten Testamentes hat edere
kaum 30 mal, comedere über 500 mal, und nicht selten als
Gegensatz zu bibere.
Es giebt übrigens noch andere Mittel und Wege, den
Krebsgang eines Wortes zu constatieren. Wenn der bekannte
Ausspruch des Appius Claudius Pulcher, als er die Hühner
der Auguren ersäufen liess, lautete: ut biberent, quoniam
esse nollent, nach Cic. nat. d. 2, 7 (die Stelle fehlt bei
Merguet s. v. edo, weü der Sammler esse von sam ableitete).
WÖlfflin: Aufgaben des Thesaurus Unguae latinae, 119
Val. Max. 1, 4, 3, Suet. Tib. 2, in der etwa dem dritten
Jahrhundert angehörigen Periocha Livii 19 aber: pullos, qui
cibari nolebant etc., so kann der Verfasser von der stehen-
den Ueberlieferung nur abgegangen sein, weil für seine Leser
esse nicht mehr recht verständlich war. Auch muss es ja
befremden, dass in Glossaren edere und die davon abge-
leiteten Wörter so oft erklärt werden, so Corp. gloss. V 164,
21 ff. esus, esum (Particip), 192, 7 edulium. Dieses und
Aehnliches unter Vorführung des Sprachgebrauches anderer
Autoren statistisch-tabellarisch darzustellen kann hier nicht
unsere Absicht sein; wir müssen uns vielmehr mit der That-
sache begnügen.
Nun besass das einen Tribrachys bildende edere nicht
die nöthigen Eigenschaften zum Fortleben; im Spanischen
wäre es zu ,er^ zusammen geschmolzen, da ja aus comedere
geworden ist comer; zudem aber coUidierte es, seitdem man
im dritten Jahrhundert die Quantität zu vernachlässigen be-
gonnen hatte, mit dem dactylischen edere; endlich hatte es
Nebenformen ohne Bindevokal, es, est, esse, essem, welche
mit sum zusammen fielen : Grundes genug, ein so trügerisches
Wort aufzugeben.
Den nächsten Ersatz hätte das Frequentativum esitare
bieten können, wie ja auch cantare (chanter) an die Stelle
von canere trat, iactare (jeter) an die von iacere, und zwar
ohne Unterschied der Bedeutung. Allein esitare hat, wenn
es schon behauptet wird, doch nie seine frequentative Be-
deutung ganz abgelegt und ist überhaupt zu selten ge-
braucht worden, als dass es zum Ersätze «hätte können heran-
gezogen werden.
Lieber griff man auf das unschuldige Compositum
comedere, ursprünglich zusammenessen, aufessen, so dass
nichts übrig bleibt. Die Volkssprache, welche gern über-
treibt, macht von solchen verstärkenden Zusammensetzungen
120 Sitzung der phüosrphüöl. Glosse vom 3. März 1894,
so unmässigen Gebrauch, dass sie dadurch an Werth sinken,
und wie den Franzosen conduire nichts anderes ist als ein
verlängertes ducere, ohne Betonung des Begriffes der Gemein-
schaft, gerade so konnte comedere an die Stelle von edere
treten. Und siegreich durchgedrungen ist es in Spanien und
Portugal mit comer, und schon dem Bischof von Sevilla,
dem gelehrten Isidor, fühlt man es nach, dass für ihn, wenn
er auch gelegentlich das klassische edere gebraucht, doch
comedere der Normalausdruck ist, schreibt er doch Orig. 20,
1, 1 a comesu mensa (spanisch ohne Nasal mesa); 20, 1, 21
coctum usui comestionis aptum; 20, 2, 37 favum comeditur
magis iquam hibitur; cpayelv (woher er favum ableitete)
enim comedere 10, 58; und aus dem von ihm zuerst ge-
brauchten comestibilis, essbar, hat die gelehrte Sprache des
XVI. und XVII. Jahrhunderts franz. comestibles, span. co-
mestibles abgeleitet. So stimmt das spanische Latein mit
dem modernen Spanisch. Es wäre übrigens ein Irrthum zu
glauben, dass nur auf der iberischen Halbinsel dieses Wort
als Ersatz benützt worden sei, vielmehr tritt es auch bei
Anthimus und andern Autoren kräftig auf, und wer darüber
mehr zu wissen wünscht, vergleiche nur die alten lateinischen
Uebersetzungen des Irenäus, des Hirten des Hermas, des Cle-
mensbriefes an die Korinther (Arch. IX 81 ff.) mit den grie-
chischen Originalen, um den Gebrauch und den Werth von
comedere kennen zu lernen.
Durchgedrungen ist comedere nördlich der Pyrenäen
allerdings nicht, sondern diese Länder haben das Problem
auf anderem Wege gelöst. Das ,essen* zerfällt nämlich in
drei Acte: das Beissen, was zunächst in edere lag, nach
dens = edens = odovg^ der Zahn ; das Kauen oder Mischen mit
Speichel, endlich das Schlucken. Aufgabe war es, eine Be-
zeichnung eines Theilbegriffes frei zu machen und mit der
Figur pars pro toto zum Ganzen zu erheben. Mordere konnte
nicht aushelfen, da es seinen ursprünglichen Platz zu schützen
Wölfflin: Aufgaben des Thesaurus linguae latinae, 121
hatte und auch in den romanischen Sprachen für ,beissen*
erhalten ist.
Dafür war ,kauen' mindestens doppelt besetzt, durch
mandere und das 7on manducus (vgl. cadere caducus) ab-
geleitete nianducare, und dieses letztere ist durch Bedeu-
tungserweiterung der Erbe von edere geworden, ital. man-
giare, franz. manger. Diese Verba, zu denen noch die Com-
posita commandere und commanducare hinzu kommen, identisch
mit griech. f^aaaofiai, kauen, essen, sind übrigens nicht erst
zur Zeit des Absterbens von edere zur Ausfüllung der Lücke
herangezogen worden, sondern schon die alte Volkssprache
muss sie in diesem Sinne gebraucht haben, wie mando, man-
donis bei Lucilius beweist ; desshalb besass auch das Simplex
mandere die gleichen Erbschaftsansprüche. Beispielsweise hat
der oben genannte Caelius Aurelianus mandere für essen»
manducare gar nicht, und für kauen das jüngere masti-
care. So blieb den einzelnen Autoren ein grosser Spiel-
raum übrig, die Wahl in üebereinstimmung mit dem Sprach-
gebraucfae ihres Landes und ihrer Zeit zu treffen ; doch sind
die beiden vulgären Worte für essen erst in der Kaiser-
zeit in die gute Litteratur eingedrungen. Wenn Augustus
(Suet. 76) schrieb duas bucceas manducare, so geschah diess
eben in einem Briefe, dessen volksthümliche Färbung auch
buccea verbürgt, und mit derselben Freiheit, mit welcher
er in einem andern Briefe comedere für edere gebrauchte ;
aber bei dem Naturforscher Plinius wird mandere mehr-
fach von dem Essen zubereiteter Speisen gebraucht (8, 210.
22, 92), wie bei Anderen umgekehrt von dem nicht Ge-
kochten. Siegreich ist manducare beispielsweise in den vor-
hieronymianischen üebersetzungen des neuen Testamentes und
bei der Silvia.
Von den Verben des Schluckens konnten gluttire und
[dejvorare in Betracht kommen und sind wohl auch ver-
einzelt und versuchsweise als Stellvertreter eingerückt ; schon
122 Sitzung der pkäos.-philol, Classe vom 3. März 1894,
Cicero sagte nat. d. 2, 122 von den Thieren: alia carpant,
alia Yorant, alia mandant; doch behielten die Worte in den
romanischen Sprachen die ursprüngliche Nuance ihrer Be-
deutung, wie auch Caelius Aurelianus den letzten Act mit
transTorare bezeichnet.
Wenn wir nun in den romanischen Sprachen den sau-
beren Rechnungsabschluss vor Augen haben, indem comedere
westlich und südlich der Pyrenäen fortlebt, manducare im
Osten, so ist doch damit das Ringen der Sprache von ferne
nicht zur Anschauung gebracht. Wir wollen nicht von
gustare, ysitad^ai^ sprechen, welches eine Specialitat des
Essens, unser ,kosten\ ,mit Genuss essen^ bezeichnet, auch
nicht von Wörtern wie prandere, cenare, merendare (Isidor,
orig. 20, 2, 12, eigentlich von dem Abendbrote, welches
inan erst durch die Tagesarbeit verdienen muss). Die Volks-
sprache hat auch, wie wir oben sahen, auf cibare ge-
griflFen, mit welchem Worte der Bauer das Futtern des
Viehes bezeichnete. Es hatte ja grundsatzlich keinen An-
stand, die Ausdrücke für die Thierwelt auf die Menschen
zu übertragen, wie ja auch dorsum Thierrücken (im Gegen-
satze zu tergnm) schon im Lateinischen und darnach im
Franzosischen (le dos) über die alten Grenzen ausgedehnt
worden ist, und so heisst die Essenszeit für den Kranken
bei Caelius Aurelianus acut. 2, 204. 207. chron. 1, 171
tempus cibandi, und schon früher sagte Gommodian instr.
2, 20, 19 laute cibatum für laute cenatum, wie die Stu-
denten in ihrer Sprache heute noch von ,futtem' sprechen.
Ein vulgäres Wort war auch, weil es nur bei Plautus und
Persius vorkommt, pappare, welches im Corp. gloss. II
141, 53 mit fiaaSrai^) (kauen) erklärt wird, und in den
romanischen Sprachen (Italienisch, Spanisch) zwischen ,essen'
1) Vgl. Varro de liberis edacandis bei Nonios 81, 3: cum cibom
ac potionem pappas ac buas yoeent.
WölffUn: Aufgäben des Thesaurus linguae latinae. 123
und ,fressen' schwankt. Wir wollten mit diesem einen Bei-
spiele nur darthun, wie verschlungen die Wege und wie
manigfaltig die Mittel der Sprache sind, wie viel wir daher
noch zu beobachten haben, um von den Vorgängen der
Sprachgeschichte auch nur eine oberflächliche Vorstellung
zu gewinnen. Eines aber glauben wir jetzt schon voraus-
zusehen, dass ein. grosser Theil dessen, was man romanisch
zu nennen pflegt, sich als vulgäres Spätlatein herausstellen
wird.
124
Historische Classe.
Sitzung vom 8. März 1894.
Herr v. Hefner- Alteneck hielt einen Vortrag:
»lieber die Gräber der Fürsten und Ritter zu
Heilsbronn."
Herr v. Rockin j^er hielt einen Vortrag:
^Zu einer handschriftlichen Bezeichnung des
Landrechts des sogenannten Schwabenspie-
gels als Nürnberger Recht."
Nennt sich das kaiserliche Land- und Lehenrecht in
seinem Texte selbst kurzweg Landrechtsbuch oder Lehen-
rechtsbuch wie auch Lehenbuch, ja auch für das Ganze ohne
eigene Rücksichtnahme auf diese beiden Theile einfach Land-
rechtsbuch; fuhrt es sozusagen als Titel des Werkes in seinen
zahlreichen Handschriften theils wieder diese Bezeichnungen,
theils im Hinblicke auf das darin enthaltene Recht als ge-
meines Recht des mittelalterlichen Kaiserreichs, als kaiser-
liches oder wenn man will allgemein im Reiche gang und
gäbes Recht, die des Eaiserrechts, nämlich als gewisser-
massen grosses Eaiserrecht gegenüber dem bekannten kleinen
oder lütteken Kaiserrechte, theils in naheliegender Beziehung
gleich auf eine bestimmte da namentlich herrorragende Per-
sönlichkeit die des Land- und Lehenrechtsbnches des Kaisers
RocJcinger: Der sog. Schwabenspiegel <üs Nürnberger Becht, 125
Karl des Grossen : so trifft es sich auch mehrfach, dass diese
und jene Handschriften sich noch in der Namhaftmachung
eines ganz besonderen Geltungsgebietes gefallen. So
etwa, wenn die Num. 102, die Handschrift D. 32 der Lan-
desbibliothek in Fulda, für das Lehenrechtsbuch die Bezeich-
nung als „payrische Recht** hat; oder die Num. 403, die
Num. 7702 der Hofbibliothek in Wien, dasselbe als das
„Lehenpuch des loblichen hausz Österreichs** bezeichnet; oder
die Num. 420, einst in der gräfl. v. Windhaag'schen Biblio-
thek, die gleichzeitige üeberschrift „Steyerisches Landrecht*
trug. Eigenthümlich erscheint weiter „das Registrieren des
kayserlichen Landtrecht Pfiches zu Swaben Artickelle** nach
dem Texte der Num. 29, des Manuscr. germ. in Folio 749
in der Bibliothek zu Berlin. Am auffiallendsten ist wohl die
Taufe auf „Nueren pergisch Recht** in dem Verzeich-
nisse der Artikel gleich an der Spitze der Num. 172^/a, der
prächtigen Pergamenthandschrift in Folio aus dem 14. Jahr-
hunderte, früher im Archive der Stadt Hermannstadt und
der sächsischen Nation, jetzt unter den Schätzen der freiherrl.
V. Bruckentharschen Bibliothek daselbst.
Ueber ihre Heimat ist, wie es den Anschein hat, nichts
bekannt. Nach der einlässlichen Beschreibung, welche Prof.
Dr. Gustav Lindner im Bande VI der Zeitschrift der Savigny-
stiftung für Rechtsgeschichte S. 113—119 mitgetheilt hat,
ist hoch oben auf der Innenseite des Vorderdeckels der Name
eines alten früheren Besitzers wegradirt und schlechterdings
nicht mehr zu entziffern, wie auf der Innenseite des Rück-
deckels die Jahrzahl 1453 zu lesen. Nach einer Bemer-
kung am Schlussblatte der Handschrift selbst gelangte sie
im Jahre 1481 durch den Bürgermeister und Stadtkämmerer
wie Königsrichter Magister Thomas Altemberger^), auch
Literatus genannt, nach Hermannstadt, wo sie nach Aus-
1) Ygl. über ihn Lindner a a. 0. S. 105-108.
126 Sitzung der kistar, Claase wm 3. März 1894.
weis der auf dem Schlussblatte ^) zwischen dem Bilde des
gekreuzigten Heilands in Mitte zweier unten stehenden Frauen
und dem Wappen der Stadt befindlichen bei Beeidigung der
Rathsherren benützten Formel, in welcher später die auf die
Himmelskönigin Maria und die Heiligen bezüglichen Worte
gestrichen erscheinen, auch nach Einführung der Reforma-
tion, also nach dem Jahre 1536, als Subsidiarquelle im rich-
terlichen Gebrauche gestanden ist.
Den Inhalt bildet — nach einem auf nicht eigens ge-
zählten Blättern an der Spitze befindlichen Verzeichnisse der
Artikel der drei Theile des Bandes — zunächst das Land-
recht des sogenannten Schwabenspiegels von Fol. 1
bis 106, um so mehr von Werth, als dasselbe jener Familie
angehört, welche das vollständige Werk in seiner ältesten
zur Zeit bekannten Gestalt enthält, dann das Magdeburger
Weichbildrecht von Fol. 107 — 131, endlich das Iglauer
Stadt- und Bergrecht von Fol. 132 bis an den Schluss
der im Ganzen aus 184 Blättern bestehenden Handschrift.
Den Text dieser drei Theile — mit Ausnahme des bemerkten
Verzeichnisses der Artikel — hat auf Vermittlung der philo-
sophisch-philologisch-historischen Sektion des siebenbürgischen
Museumsvereins wieder Lindner durch den Druck*) zugäng-
lich gemacht. Schade, dass in ihm einer solchen Häufung
von Künsteleien Platz eingeräumt worden ist, dass der Her-
ausgeber selbst sich zur „ Hinzufügung eines etwas lang-
athmigen Druckfehlerverzeichnisses" von S. (300) — (304) hat
enischliessen müssen, und man für diese und jene Einzel-
heiten ohne die Beiziehung der Vergleichungen mit dem Ori-
ginale, wodurch uns »X** in der Num. 5 des Jahrganges VIII
1) Vgl. a. a. 0. S. 113/114 in der Note 3 und insbesondere die
Lichtdracknachbildung in der nachher in Note 2 erwähnten Druck-
ansgabe.
2) Der Codex Altenberger, Textabdruck der Hermannstädter
Handschrift. Klausenbnrg, 1885, 8.
Bockinger: Der sog. Schwabenspiegel als Nürnberger Becht, 127
des Korrespondenzblattes des Vereins für sieben bürgische Lan-
deskunde von S. 53 — 62 zu Dank verpflichtet hat, nicht
durchkommt.
Gleich der Anfang des — wie schon bemerkt — an der
Spitze des ganzen Bandes befindlichen Verzeichnisses der Ar-
tikel ^), welches in römischen Zahlen am Rande das jeweilige
Blatt angibt, auf welchem sie stehen, spricht von dem Buche
„daz da heizet nueren pergisch Recht/ Kann hievon
so wenig für den zweiten als für den dritten Theil, das
Magdeburger V^eichbildrecht wie das Iglauer Stadt- und Berg-
recht, eine Rede sein, so bleibt eben nichts übrig, als hier
eine ganz eigenthümliche Bezeichnung für den ersten Theil,
das kaiserliche Landrecht, zu sehen.
Ist man doch einmal so neugierig und möchte gern
etwas Näheres hierüber wissen, welche Bewandtniss kann es
hiemit haben?
Ist nicht zu bestreiten, dass das kaiserliche Landrecht
wie anderwärts so auch in Nürnberg und im Gebiete der
Reichsstadt in Geltung gestanden, liegt es da nicht vielleicht
nicht ferne, insbesondere wenn man beachtet, dass sich noch
Zusätze von Art. 534 — 565 einschliesslich daran reihen, auf
die Muthmassung zu kommen, es wolle unter dem Buche
„daz da heizet nueren pergisch Recht'' nichts anderes als
einfach gewissermassen ein Handbuch eben des in Nürnberg
geltenden Rechts verstanden sein? Doch erregt manches
hiegegen Bedenken. So gleich, dass in seinem ganzen Um-
fange auch das Staats- und öffentliche Recht in eine Zu-
sammenstellung von Sätzen für ein Stadtrecht aufgenommen
erscheint. Nicht schwer wäre seine Ausscheidung nach zwei
Handschriften wieder des 14. Jahrhunderts gewesen, welche
gleichfalls ausser dem kaiserlichen Landrechte das Magde-
1) Swer an disem puech daz da heizet nueren pergisch recht
icht suechen wil, der schol sich richten nach diser achrift u. s. w.
128 Sitzung der histor. Glosse vom 3, März 1894.
burger und das Iglauer Recht enthalten, die prächtige Hand-
schrift des Stadtarchivs in Brunn und eine andere im Stadt-
archive von Danzig, welche beide unter sich im kaiserlichen
Landrechte insbesondere auch noch darin übereinstimmen,
dass gerade der Abschnitt der staatsrechtlichen Bestimmungen,
genauer die Art. LZ. 118 — 142, sich in ihnen nicht an dem
sonst gewöhnlichen Platze findet, sondern den Schluss bildet^),
also mit Leichtigkeit in Wegfall hätte gebracht werden
können. Aber einmal zeigt die Fassung des kaiserlichen
Landrechts in diesen beiden Handschriften mit der von Her-
mannstadt keinen näheren Zusammenhang, und gerade in ihr
steht der berührte für ein Stadtrecht doch keineswegs nöthige
Bestandtheil an seinem regelmässigen Orte. Abgesehen da-
von, ist es wohl wahrscheinlich, dass in einem Stadtrechte
wiederholt an verschiedenen Stellen Artikel eines und des-
selben Betreffes*) in verschiedenem Wortlaute entgegentreten,
zunächst im vorangehenden kaiserlichen Landrechte in der
sonst diesem Werke eigenthüralichen meist weiteren Fassung,
dann aber in den Zusätzen zu demselben in einer anderen
meist kürzeren? Insbesondere aber wird auch gerade der
Ausdruck ^^heissen" nicht aus dem Auge zu verlieren sein.
Da handelt es sich doch um eine technische Bezeichnung,
eine eigene sonst nicht zuständige Benennung, mit einem
Worte um etwas was einen ganz bestimmten besonderen
1) Näheres hierüber findet sich im Bande LXXV der Sitzungs-
berichte der philosophisch -historischen Klasse der kaiserlichen Aka-
demie der Wissenschaften in Wien S. 63 — 132.
2) So der Art. 167 des kaiserlichen Landrechts und der Art. 641
des Anhangs» der Art. 247 dort und der Art. 657 da, der Art. 286
dort und die Art. 548 und 549 da, die Art. 288-291 dort und die
Art. 550-556 da, der Art. 420 dort und der Art. 547 da, der Art. 421
dort und der Art. 544 da.
Zu den Art. 551--556 des Anhangs mag auch noch der Art. 393
§ 1 und 2, § 3 und 4, § 5 und 6, § 7—10, § 12 und 13 verglichen
werden.
Bockinger: Der sog. Schwabenspiegel als Nürnberger Becht. 129
Namen hat. Gewiss kann dieser Ausdruck |,heissen^ bei-
spielsweise für das Iglauer Berg- wie Stadtrecht ohne Be-
denken gebraucht werden, da es sich hiebei wirklich um das
besondere Iglauer Recht handelt, nicht blos im allgemeinen
am irgend ein Recht, das nur sonst auch in Iglau Geltung
gehabt haben mag. Wenn daher von dem Buche „daz da
heizet nueren pergisch Recht* gesprochen wird, so lässt sich
hier ohne gewaltigen Zwang an nichts anderes denken, als
an das besondere Nürnberger Recht, nicht blos im allge-
meinen an irgend ein Recht, das nur sonst auch in Nürn-
berg Geltung gehabt hat, wie allerdings beim sogenannten
Schwabenspiegel der Fall ist, der aber gemeines Land- und
Lehenrecht ist und mit allem Grunde so oder Kaiserrecht
oder wie immer heisst, der als solches allerdings wie ander-
wärts auch in Nürnberg und dessen Gebiet in Geltung stand,
aber nicht Nürnberger Recht genannt werden, nicht Nürn-
berger Recht »heissen** konnte.
Woher denn dann doch diese Bezeichnung ? Der nächste
Gedanke fällt wohl auf den bekannten glanzvollen Reichs-
tag zu Nürnberg vom Jahre 1298, den ersten unter
König Albrecht, an welchen ja hier und dort eine Bestä-
tigung des kaiserlichen Land- und Lehenrechts ge-
knüpft worden ist. Aber es dürfte doch schwer fallen, aus
den alten Nachrichten, welche über diesen Tag^) auf uns
1) In- der Chronik des Ellenhard von Strassburg, Monum.
Germ, histor. Script, tom. XVII S. 140 am Schlüsse: Convocavit Al-
bertos Eomanorum rex principes tarn clericos quam laycos apud
Nnerenberg, et de ipsorum consensu molta bona statuta statuit, per
Alsaciam Sweviam et totam terram Alamaniae publicari jussit, quae
omnia utilia et necessaria fuerunt.
In der Begensburger Fortsetzung der Niederaltacher
Annalen des Abtes Hermann, ebendort S. 419/420: Albertus
rex Romanoram celebravit curiam sollempnem cum principibus Ala-
maniae apud Numberch. Cui interfuerunt Coloniensis, Treverensis,
Mognntinus et Salzpnrgensis ardhiepiscopi, et Batisponensis , Pata-
1894. PliUo8.-pbiloL u. )ii8t. Gl. 1. 9
130 Sitzung der histor. Glosse vom 3, März 1894.
gelangt sind, aus dem Ausdrucke statuta statuere des Ellen-
hard yon Strassburg oder aus dem Ausdrucke leges edicere
in der Regensburger Fortsetzung der Annalen des Abtes
Hermann von Niederaltach, etwas anderes als den Erlass
von Bestimmungen hauptsächlich in Bezug auf den Land-
frieden, die bekannte Erneuerung des berühmten Mainzer
Reichsgesetzes aus dem Jahre 1235 und wenn man will des
Landfriedens des Königs Rudolf vom 24. März 1287, heraus-
zudeutein, welche eben auf dem Tage von Nürnberg im No-
vember 1298 erfolgt ist. Sie kennt man ja auch zur Ge-
nüge. Und wenn in der berührten Fortsetzung der Nieder-
altacher Annalen bemerkt ist, dass eben die Leges, welche
König Albrecht erliess, dortselbst unten aufgenommen sind,
so dürfte wohl Niemand hierin etwas stark Befremdendes
finden, denn einen ganz ausserordentlich ungewöhnlichen
Raum beansprucht der neue Reichslandfriede, der doch wohl
allein gemeint ist, gerade nicht ; aber wird im Ernste Jemand
glauben wollen, dass so etwas mit dem in Süd- und Mittel-
deutschland seit beinahe 40 Jahren verbreiteten umfangreichen
kaiserlichen Land- und Lehenrechte so gewissermassen an-
hangsweise beabsichtigt gewesen sein könnte?
Soll neben diesen alten Nachrichten noch einer Mit-
theilung aus den erst der zweiten Hälfte des 16. Jahrhun-
derts entstammenden Augsburger Annalen des Achilles Pir-
min Gasser von Lindau^) gedacht werden, einer insbesondere
yiensis, Frisingeiisis et alii episcopi multi; item rex Boemiae/ dux
Bawariae, Radolfas comes palatinns Beni, duces Karinthiae, et älii
nobiles mnlti. Et in eadem curia edixit leges, quae inferius costi-
nentiir. Das ist aber leider nicht der Fall. Neqne vero leguntor in
codice, ist in der Note zur Stelle selbst bemerkt.
Wiederholungen dieser Nachricht, dass der König auf dem Nürn-
berger Tage im Jahre 1298 edixit leges, finden sich weiter in den
Annalen von Osterhofen, ebendort S. 553, und in denen des Archi-
diakons Eberhard von Regensburg, ebendort S. 597.
1) Er bemerkt ~ in Mencken^s Scriptores rerum Germanicarom
Bochinger: Der sog. Schtodbenspiegel als Nürnberger Becht, 131
wegen der Bezeichnung Jus provinciale und wegen der un-
zweifelhaften Bezugnahme auf den Schluss des Art. LZ. 3,
dass der Papst am uralten deutschen Land- und Lehenrechte
nichts zu ändern vermöge, in hohem Grade interessanten
Mittheilung über die fragliche Bestätigung auf dem Nürn-
berger Tage von 1298, so ist sie für uns wieder ohne Be-
lang. Es ist wenigstens bisher nicht nachgewiesen worden,
dass sie auf anderen als den schon bemerkten Quellen be-
ruht, und wir haben es demnach mit nichts anderem zu
thuD, als mit einer persönlichen Anschauung Gasser's, die
freilich in jener Zeit ungleich verzeihlicher ist, als heute
etwa die gleichfalls nur persönlichen Anschauungen Stobbes^),
und darauf gestützt Franklin's*) wie Lindner's.*)
Indessen — lässt sich am Ende doch einwenden — neh-
men ja gerade Handschriften unseres Rechtsbuches
selbst in der unzweideutigsten Weise auf einen Nürn-
berger Reichstag und wohl keinen anderen als den
von 1298 Bezug. Diese Auslassungen sind vielleicht nicht
so einfach zu beseitigen, und doch möchte es nicht schwer
fallen, ihre ünhaltbarkeit darzuthun, denn sie beschränken
sich nicht auf eine Bestätigung des Rechtsbuches auf dem-
selben, sondern sprechen ohne weiteres von seiner Abfassung
daselbst, woran gewiss jetzt Niemand mehr glauben kann.
Wie verhält es sich denn überhaupt um die Sache? Auf
I. Sp. 1468 — bei Gelegenheit der Erwähnung, dass die „liberae
ciyitates per totam Sueviam' auf Albrechts Seite gestanden : cui terrae
jam dictns Caesar, imperata inviolabiliter servanda pace, privatas
legea, qnas vnlgo provinciale jus vocant, ad qaod infringendnm nee
ipsum papam posse leges ferre expressis verbis cautum est, non tarn
de novo tulerat quam multis jam saeculis receptas confirmaverat.
1) Geschichte der deutschen Rechtsquellen I S. 347/348.
2) Beiträge zur Geschichte der Reception des römischen Rechts
in Deutschland S. 35/36.
8) A. a. 0. S. 112.
9*
132 Sitzung der Mstor. Classe vom 3. März 1894.
eine Vorlage — allerdings zunächst nicht aus dem Jahre 1298,
sondern — aus dem Jahre 1288 fuhrt die Num. 19 zurück,
die Handschrift C IV 15 der Universitätsbibliothek von Basel,
während in der Num. 336, der Handschrift des weiland Prof.
Dr. August Ludwig Reyscher in der jetzigen Universitäts-
und Landesbibliothek von Strassburg, diese Jahreszahl ohne
Zweifel darch einen Ausfall .thusent jn dem achtesten jare*
lautet, in der verlorenen Num. 362, ehemals im Stadtarchive
und später in der Stadtbibliothek von Strassburg: tusen ior
in dem achten jore. Der Schluss der Stelle in der Num. 19
ist : Und wart es — nämlich dis buch — gemacht und voUen-
braht ze Näremberg in eira beruflEhem hofe, do' man zalt von
gottes gehurt tusent zweihundert und acht und achzig jor.
Wohl handelt es sich hier einmal überhaupt um eine falsche
Beziehung, weiter aber auch wahrscheinlich um einen Fehler
in der Jahrzahl. Die ganze Fassung, wenigstens in den
Num. 336 und 362, deutet ohne weiteres auf eine Urkunde,
deren Ausstellungsort Nürnberg, deren Zeit ein königlicher
Hoftag nach der Num. 19 vom Jahre 1288, nach den Num.
336 und 362 genauer am Montage nach Martini 1008 be-
ziehungsweise 1080, im ersten Regierungsjahre des betreffen-
den Königs 1) ist. Diese letzte Bestimmung passt nun frei-
lich für keines der drei Jahre.*) Dagegen stimmt sie voll-
kommen zu dem bekannten Reichslandfrieden des Königs
Albrecht von diesem Tage des Jahres 1298. Sein Schluss
lautet beispielsweise in der alten Abschrift im Nürnberger
1) Disze satzunge und dis reht als bievor geschriben ist ge-
schach zu Nuerenberg in dem gebotten hofe an dem mentage nach
sant Martins tag des bischoffs do men zalte von gottes geburte tusen
ior in dem achten yore — in der Num. 336 : thusent jn dem achtesten
jare — des ersten jores unsers richs.
2) Vgl. Reyscher in der Vorrede zu der von ihm vollendeten
Ausgabe des sogenannten Schwabenspiegels des Freiherm Friedrich
V. Lassberg S. 18/19.
Bockinger: Der sog. Schwabenspiegel als Nürnberger Becht 133
Stadtbuche des Kreisarchives von Mittelfranken — S. 14, K. 1,
Num. 314 — aus dem Schlüsse des 13. bis in das zweite
Viertel des 14. Jahrhunderts auf den jetzigen Pol. 107' — 111
Sp. 1 : Die^) satzunge dises frides und dises rehtes die sol
man in allen steten behalten und sol auch dar nach rihten,
wan sie von alter her komen sint und mit reht und mit gunst
und mit rate der churfursten alle gesetzet sint. Dirr brif
lind disiu satzunge als da vorgeschriben ist geschacb datz
Nurenperch in dem gepotten hove an dem mentage nach
sende Martines tag do man zalte von Christes gepurte zwelf
hundert jar neuntzik iar und in dem abten iare, des ersten
iares unsers riches. Finden sich häufig gerade in Hand-
schriften des sogenannten Schwabenspiegels diese und jene
Reichs- wie andere Landfrieden gewissermassen als ergän-
zender Anhang beigefügt, wie in den Num. 34, 121, 151,
235, 257, 293, 308, 313 u. a. der des Königs Rudolf vom
Jahre 1287, so begegnet auch der des Königs Albrecht von
1298, der ja sozusagen eine eigene Geschichte*) hat, in diesen
und jenen Handschriften, wie in den Num. 251 oder 254.
Wurden bei einer Abschriftnahme dergleichen Zuthaten weg-
gelassen, so konnte immerhin ein Schreiber gerade den be-
treffenden Schluss anstatt lediglich auf den Landfrieden auf
das ßechtsbuch selbst beziehen, und so demselben auch ohne
den Landfrieden einen Platz anweisen. War in der Vorlage
der Num. 19 etwa die Schlusszahl als xxxxviij geschrieben,
so ist beim üebersehen eines x deren Anführung von 1288
einfach genug erklärt. Haben die beiden Num. 336 und 362
noch gerade die nähere ganz und gar zutreflFende Tages-
bestimmung, so ergibt sich in ihrer Zahl ein Ausfall, ihre
1) In der Handschrift steht : Dise. Aber unter dem s ist der Til-
gusgspnnkt sichtbar.
2) Vgl. Dr. Hugo Böhlau, Nove Constitvtiones Domini Alberti,
d. i. der Landfriede v. J. 1285, mit der Glosse des Nicolaus Wurm,
Weimar 1868.
134 Sitzung der histor, Glosse vom 3, März 1894,
weitere Anführung des ersten Regierungsjahres aber stimmt
wieder vollkommen zu König Albrecht und dem Jahre 1298.
Abgesehen von der Jahrzahl, aber mit Bezug auf den Tag
von Nürnberg heisst es auch in der rothen üeberschrift vor
dem Landrechte der Num. 379, der zweitheiligen Num. 852
der Stadtbibliothek von Trier: das keiser recht buch und
das lantreht und das rechtbuch, das der konig zu Nuren-
berg mit den forsten bestetiget hett.
Nach allem was bemerkt worden ist findet sich keiner-
lei Handhabe für die Berechtigung einer Beziehung
auf den Nürnberger Reichstag im November 1298.
Und was hätte denn auch allenfalls durch eine Bestätigung da-
selbst bezweckt werden wollen ? Fassen wir nur einige ganz
nahe li^ende Fragen ins Auge. Von wem hätte eine Anregung
hiezu ausgehen sollen ? Wäre sie aus dem deutschen Süden
erfolgt, würde für den Sachsenspiegel, dessen weites Geltungs-
gebiet im Norden bekannt ist, nicht auch von irgend einer
Seite her etwas solches beansprucht worden sein ? Und wenn
in Wirklichkeit nicht, hätte man von Reichs wegen einseitig
eine Bestätigung gerade nur des sogenannten Schwaben-
spiegels vornehmen wollen oder können ? Ganz abgesehen
davon, hätte man von Reichs wegen ohne weiteres Sätze des
bekanntermassen neben dem Civil- und Strafrechte wie dem
gerichtlichen Verfahren im Rechtsbuche auch ausführlich be-
handelten Reichs- und öffentlichen Rechts, die natürlich den
Zuständen der Zeit seiner Entstehung nicht gar lange nach
der verhängnissvollen Doppelwahl des Jahres 1257 entspre-
chen, sich schon bei der Wahl des Königs Rudolf und wäh-
rend seiner Regierung wie weiterhin mehr oder minder ge-
ändert haben, im November 1298 bestätigen, gewissermassen
als zu Recht bestehend gesetzlich anerkennen können? Hat
beispielsweise der Verfasser des sogenannten Schwabenspiegels
ganz nach den Verhältnissen seiner Zeit im Art. 120 in der
bestimmtesten Abänderung des Wortlautes des Sachsen- wie
Bockinger: Der sog, Schwabenspiegel als Nürnberger Eecht. 135
des Deutschenspiegels von den vier deutschen Hauptländern
als Herzogthümem sprechen können, darunter von Schwaben,
was ja eben nach dem Tode des Königs Eonrad IV. in so
starkem Hervortreten gegenüber den Zustanden bis daher
anter seinem Sohne Eonradin wieder bis zu seinem traurigen
Ende am 29. Oktober 1268 seine vollste Richtigkeit^) hatte,
würde 30 Jahre nach der allbekannten Zersplitterung dieses
Herzogtfaums im November 1298 das Jemand noch als zu-
treffend zu erkennen oder gar von Reichs wegen zu bestä-
tigen vermocht haben? Oder wenn nach demselben Artikel
jedes von jenen vier Stammländern einen Pfalzgrafen ^) hat,
wo war dann am Schlüsse des 13. Jahrhunderts etwa der
von Baiern P Wenn im Art. 121b die Theilungen von För-
stenthümern als unzulässig gebrandmarkt sind, hat das nach
den verschiedenen Fällen, welche dem entgegen vorzugsweise
in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts^) vorgekommen
waren, an dessen Ende durch den Eönig als geltendes Recht
erklärt werden können? Wenn dann der Art. 130a die Ein-
ladung zu den Eönigswahlen ausser an die sieben hiezu be-
vorrechteten Fürsten auch noch an andere^) ergehen lässt,
so war hievon schon bei der nächsten Wahl Rudolfs und
seit ihr keine Rede mehr. Bleiben wir noch einen Augen-
blick gleich bei den Eönigswahlen selbst stehen, wenn überall
im ganzen kaiserlichen Land- und Lehenrechte einzig und
allein die Verhältnisse bei der bereits berührten vom 13. Jän-
ner und 1. April 1257 uns entgegentreten, dem Verfasser des
Rechtsbuches die nächste des Eönigs Rudolf noch ganz und
gar unbekannt ist, wie sollen jene nichts weniger als er-
1) Vgl. Rockinger, über die Abfassung des kaiserlichen Land-
ond Lehenrecbts in den Abhandlungen der historischen Klasse der
Akademie der Wissenschaften Band 18 S. 584—687.
2) Ebendort S. 649—651.
8) Ebendort S. 657.
4) Ebendort S. 623/624.
136 Sitzung der histar, Glosse mm 3. März 1894.
hebenden Verhältnisse am Anfange des Jahres 1257 nach den
inzwischen erfolgten gänzlich anders gestalteten Wahlen Ru-
dolfs, Adolfs, Albrechts selbst durch diesen bestätigt worden
sein? Wenn im sogenannten Schwabenspiegel Baiem eine
Kurstimme und das Schenkenamt ^) hat, so ist ja kein 6e-
heimniss, dass König Rudolf, nachdem ihm mehr als an
Baiem an Böhmen gelegen gewesen, gerade an dieses am
4. März 1289 beziehungsweise 26. September 1290 die Kur-
stimme und das Schenkenamt vergab, und dass gerade zu
Nürnberg im Jahre 1298 König Wenzel II. persönlich in
der denkbar höchsten Pracht*) das berührte Ehrenamt ver-
sah. Oder will man daran denken, dass das kaiserliche
Landrecht nicht an einer Stelle, sondern an verschiedenen
Orten das Verhältniss der unmittelbaren Folge der Acht auf
den Bann und umgekehrt nach Umlauf von 6 Wochen und
1 Tage*) nach dem früheren Rechte betont, so wissen wir
wieder, dass Rudolf in der Bestätigung der sogenannten Con-
foederatio cum principibus ecclesiasticis am 13. März 1275 ge-
rade die dahin zielende Bestimmung ausdrücklich ausgenom-
men hat. Von einer nachträglichen Wiederaufnahme des da-
mals für anstössig befundenen Satzes ist nichts bekannt. Soll
vielleicht jetzt der Sohn durch ein Hinterthürchen, eine Be-
stätigung des sogenannten Schwabenspiegels, auf dem aller-
dings einfachen Wege eines stillschweigenden Zugeständnisses
das alte Recht wieder haben aufleben lassen wollen? Und
bei solchen wie anderen Verschiedenheiten des Rechts nicht
lange nach dem Beginn der zweiten Hälfte des 13. Jahr-
hunderts und dem Ausgange derselben soll auf einem Reichs-
tage kurzweg eine Bestätigung eines Rechtsbuches erfolgt
1) Rockinger a. a. 0. S. 629—636.
2) Vgl. die Chronik von Colmar in den Monum. Grerman. histor.
Script. Tom. XVII S. 267: Cum pretiosissima veste et equo qui ad
mille marcaa aestimabator sedens vinum in scypho aareo porrexit.
3) Vgl. Rockinger a. a. 0. S. 668/659.
Bockinger: Der sog, Schwabenspiegel als Nürnberger Recht, 137
sein, welches jene zur Zeit seiner Abfassung in Geltung
gewesenen Zustande schildert, selbstyerständlich keine andern
schildern kann?
Und was sollte denn auch überhaupt eine dergleichen
Bestätigung bei deutschen Rechtsbüchem für einen Sinn
haben? schriftstellerischen Darstellungen des Rechts, gegen-
über den von der öffentlichen Gewalt gegebenen Ordnungen,
wobei ferner vorausgesetzt ist, dass sie auf ganze Rechtsge-
biete, nicht auf einzelne Lehren sich erstrecken, nicht minder
dass sie von ihren Verfassern zu allgemeiner Belehrung be-
stimmt waren, also bei Privatarbeiten, über deren .wunder-
baren Erfolg' so unvergleichlich der Altmeister auf diesem
Felde äusserte:
In zahllosen Abschriften, selbst über das Gebiet der
deutschen Zunge hinaus verbreitet, leiten und lenken diese
Bücher die Ueberzeugungen des Volkes, die Pindung des
Rechtes. So vermögen sie den Mangel ihrer Zeit an ein-
heimischen umfangreichen Reichs- oder Landesgesetzen,
wenn gleich in zwangloserer Weise zu decken; so ver-
binden sie überhaupt Eigenschaften, welche bei unsern
sonstigen Hauptrechtsquellen nie zusammen wiederkehren.
Vor dem fremden geschriebenen Recht haben sie den hei-
mathlichen Boden und Laut, vor den deutschen Reichs-
gesetzen die Ausdehnung des Stoffes, vor den neueren
Codificationen endlich eine Geltung voraus welche durch
politische Gränzen nirgends gehemmt wird.
Diese grossartigen deutschen Rechtsdenkmäler, welchen
Horaeyer^) ein solches Zeugniss hat ausstellen können, dar-
unter nicht an letzter Stelle unser kaiserliches Land- und
Lehenrecht, dessen Verfasser neben dem Gewohnheitsrechte
1) Die Genealogie der Handschrifben des Sachsenspiegels, in den
Abhandlungen der philosophisch-historischen Klasse der Akademie der
Wissenschaften in Berlin 1869 S. 88.
138 Sitzung der histor, Glosse vom 3. März 1894.
aus den hervorragendsten Gesetzgebungen, der mosaischen,
der justinianischen, der karolingischen , das gemeine Recht
seiner Zeit^) darzustellen unternommen hat, sollen einer Be-
stätigung durch die schwindsüchtige Eönigsmacht und die
verkommene Reichsgewalt der zweiten Hälfte des 13. Jahr-
hunderts bedurft haben?
Steht also für eine Bezugnahme auf den Nürnberger
Reichstag vom Jahre 1298 nichts zu Gebot, darf man viel-
leicht daran denken, es möge ein ähnliches Verhältniss
obwalten, wie wir es beim Rechte der Altstadt Prag
kennen? In einer grossen Sammlung von Quellen des Land-
und Lehen- wie des Stadt- Berg- und Judenrechts u. s. w.
in Böhmen und seiner Hauptstadt aus dem 13. und 14. Jahr-
hunderte, welche die auf Veranlassung des Schöffenhofes der
Altstadt Prag gefertigte Pergamenthandschrift IV 1 des dor-
tigen Stadtarchives enthält, findet sich von Fol. 97 — 148
1) In der Aufzählung der Könige und Kaiser .die ir herze und
ir sin mit allem vlize und mit ganzen triwen stalten nach rehtem
gerihte also daz ez got lobelich waere und den lüten nuzlich an libe
und an gute und an allen saelden* sind hauptsächlich genannt: der
edel keiser Justinian, unde der heilig und der werde keiser Karle,
und 8in sun der werde keiser Ludewich, und des sun der edel Leather.
die minten und vorhten got. und dar umme sazien si mit wol ver-
dähtem sinne und mit wtser meister lere elliu diu lantreht und elliu
diu l^henreht diu an disem buche sint.
Und also — heisst es dann — stet euch an disem buche keiner-
slahte lantreht noch l§henreht noch keinerslahte urteil wan als ez
von dirre getriwen keiser geböte unde von römischer phahte ge-
nomen ist.
Unde ouch elliu reht diu an disem buche stent diu habent die
keiser unde die knnge also gesezzet, daz si über elliu laut reht unde
geweer suln stn. wan swer et römisch keiser und knnc ist, dem sint
ouch von rehte elliu lant undertan diu cristenllchen gelouben hänt.
Unde swaz ouch die römischen keiser und kunge lantreht und
lehenreht gesezzet unde geboten habent, diu suln ouch von rehte
gemeine und gewönlich sin in allen den landen diu under in sint.
Bockinger: Der sog, Sehwabenspiegel als Nürnberger Becht. 139
als Prawa myesta Praiskeho wetsiho, Recht der grosseren
oder der Altstadt Prag, die böhmische Bearbeitung des kaiser-
lichen Landrechts vom Art. LZ 160 angefangen bis 377 be-
ziehungsweise 377 IL Genaueres hierüber ist aus Vorträgen
des ersten Präsidenten des Vereins für Geschichte der Deutschen
in Böhmen zu Prag, Landesadvokaten Dr. Franz Pelzel, aus
dem Anfange der Sechzigerjahre, im Besitze des genannten
historischen Vereins, in den Sitzungsberichten der philo-
sophisch-historischen Klasse der kaiserlichen Akademie der
Wissenschaften in Wien, Band 121, Abhandl. I S. 30-58
mitgetheilt, worauf nur in Kürze verwiesen sein mag. Auch
in zahlreichen sonstigen Handschriften in Prag findet sich
dieses Recht der dortigen Altstadt, wie nicht minder Hand-
schriften in Königgräz, Leitmeritz, Pilsen, Wien, Wittingau
es enthalten. Liegt da eine Herübernahme des berührten
Theiles unseres Landrechts als Recht der Altstadt Prag vor,
so ist ähnliches in Bezug auf das Recht von Nürn-
berg nicht bekannt.
Ebensowenig weiss man, was eine Mittheilung ge-
rade des letzten im Jahre 1481 auf Veranlassung
eben des Thomas Altenberger nach Hermannstadt^)
betrifft, womit sogar die Handschrift selbst in Verbindung
gebracht worden ist, in Wirklichkeit etwas hierüber. Aber
selbst angenommen, es wäre eine dergleichen Rechtsmitthei-
lang von Nürnberg nach Hermannstadt ergangen, worin an
sich einmal nichts auffallendes liegen würde, und was auf der
andern Seite im Jahre 1288 an die Reichsstadt Weissenburg
über die Behandlung von Rechtsverhältnissen zwischen Christen
und Juden ^) geschehen ist, so hätte sie ja doch nur das in
der Reichsstadt Nürnberg und ihrem Gebiete geltende be-
1) Schaler von Libloj, siebenbürgische Rechtsgeschiclite
(2. Auflage) I S. 129. Hiegegen Lindner a. a. 0. S. 111/112.
2) Archivalische Zeitschrift, neue Folge V S. 93-101.
140 Sitzung der histor. Glosse vom 3. März 1894,
sondere Recht zum Gegenstände haben können, nicht das
seit zwei Jahrzehnten über zwei Jahrhunderte in Süd- wie
Mitteldeutschland verbreitete und auch im Norden nicht un-
bekannte kaiserliche Landrecht, yon welchem ja sogar auch
eine französische und eine lateinische Bearbeitung im 14. Jahr-
hunderte entstanden war, einer der böhmischen üebertra-
gungen bereits Erwähnung geschehen ist.
Führen die bisher in Erwägung gezogenen Möglichkeiten
zu keinem annehmbaren Ergebnisse, hat man nun die Hände
in den Schoss zu legen, oder was lässt sich denn sonst etwa
für eine Lösung der Frage der eben einmal vorhandenen
Bezeichnung unseres Landrechts als Nürnberger
Recht geltend machen ?
Wie schon angeführt ist, findet sie sich nur am Be-
ginne des an der Spitze der Handschrift stehenden
Verzeichnisses der Artikel ihrer drei Theile. Kann hie-
von für den zweiten und dritten keine Rede sein, so weiss
aber auch der Text des ersten, des kaiserlichen Land-
rechts, selbst nichts hievon. Fasst man es genauer ins
Auge, so endet es in vollem Einklänge mit anderen
Handschriften mit dem Art. 533. Hieran reihen sich dann
noch ohne äusserlich sichtbare Unterbrechung die Art. 534
bis 562 einschliesslich. Dass sie zu dem Landrechte des
sogenannten Schwabenspiegels selbst in keinerlei Beziehung
stehen, würde sich einfach schon daraus ergeben, dass sie
zum Theile nichts als etwas sind was bereits an anderer
Stelle ausführlicher dortselbst aufgenommen ist, wie etwa
die Bestimmungen über Verpflichtungen der Hirten und an-
deres.^) Abgesehen davon aber handelt es sich bei all' den
betreffenden Artikeln überhaupt nicht um den sogenannten
Schwabenspiegel, sondern es liegt in ihnen nichts vor
als eine eigene Zusammenstellung von Artikeln sächsischen
1) Vgl. ob<?!tt S. 128 mit der Note 2.
BocJcinger: Der sog. Schwdbenspiegel als Nürnberger Recht. 141
Land- wie Weichbildrechts. Ihre nur allgemeine Vergleichung
mit dem Sachsenspiegel = I, dem sächsischen Weichbildrechte
des Cod. palat. 461 der Universitätsbibliothek von Heidel-
berg^) in dem Drucke des Freiherrn v. Thüngen (Heidel-
berg 1837) = II, dem Deutschenspiegel = III, dem soge-
nannten Schwabenspiegel LZ = IV hebt das über allen
Zweifel:
I
II
m
IV
584«)
III Art. 78 § 6
129
341
151c
5353)
» ,, 84 § 2
180
536*)
» „ 84 § 3
181
537 ß)
„ „ 90 § 1
167
538«)
„ » 90 § 2
168
539 "y)
» n 90 § 8
169
1) Er enthält ausser anderem, worunter eben das sächsische
Weichbildrecht, auch das Iglauer Recht. Freiherr v. Thüngen Äussert
bezüglich des Inhaltes überhaupt in der Einleitung S. 12, er sei als
eine Privatarbeit zu betrachten, welche zu dem Zwecke verfertigt
wurde, um die Hauptquellen des in Iglau geltenden Rechts in einer
einzigen Zusammenstellung beisanmien zu haben.
Der merkwürdig kurze Auszug aus dem Landrechte des soge-
nannten Schwabenspiegels, welchen Zöpü in seinen Alterthümern des
deutschen Reichs und Rechts II S. 414—430 als ,das kleinste Kaiser-
recht" veröffentlicht hat, ist einer Handschrift entnommen, welche,
wie die von Hermannstadt, jener Familie angehört, die das voll-
ständige Werk in seiner ältesten zur Zeit bekannten Gestalt enthält.
2) Der sinen herren czu tode an der notwer seines leibes siecht.
8) Swelcher man sinen herren tötet, waz der verwurket.
4) Der seinen man oder seinen mag tötet, des eigens oder lehens
er wartnnde ist.
5) Swelcher man einen menschen tötet uf dem velde.
6) Ob einem manne sin freunt oder sin mag erslagen wiert, ob
man den pegraben schuUe an gerichte oder nicht.
7) Ervellet sich ein man, oder wiert er wunt an dem wege daz
er czu dem dorfe nicht komen mag.
142
Sütung der histor. Glosse vom 3. Märe 1894.
I
II
111
IV
6401)
ni Art. 91 § 1
170«)
641»)
.. „ 78 § 7
171 3)
842
152
642«)
II Art. 68
250
189
202
5438)
» „ 40§6
266
644«)
III Art. 87 § 4
258
267
302
6467)
II Art. 46 § 4
257?
168«)
546 0)
I Art. 64 § 6
252
547 W)
III Art. 37 § 3
259
266
301
648 ")
549")
II Art. 47 § 1, 2
. „ 47 § 8
1 159
1 212
660 W)
n n 48 § 1
1 260
161 1*)
661 «)
„ n 54 § 1
]
662 18)
M „ 64 §2,3
261
\ 164
663")
n „ 54 §4
262
J
. 213
654")
„ „ 54 § 6
V
656 W)
666 ")
} n n 54 §6
} 268
165
1) Ob ein man leute herberget, und ir einer siecht den andern
cza tode in dem hus.
2) Der Anfang des Art. 171 ist noch an den Schluss von Art. 170
gt^ratben, worauf dieser mit einem Ausfalle folgt.
3) Das ein iglich mensche seinem wekvertigen gesellen nnd
seinem wiert unrechtes gewaldes helfen schol.
4) Dax ein wekrertiger man mag wol sinem mneden pherde
körn abe sneiden.
5) Ob ein gepuer sines nacbgepures kome oder sat ab vreczet
mit swinen oder mit gensen.
0) Swer des andern kom ab snidet, nnd went das ez sei syn.
7) Swer eine« mannes velt das peset ist um eret.
8) Nur der erste Sats.
0) Das kein csins man schol nicht stein gmben oder leim gruben
graben.
10^ l^r seines nacbgepures rihe intreibt mit dem seinen.
11^ Swer das rihe tribet uf eines andern mannes kom oder graz.
1^^ Ob das Tihe das nf dem kom gegangen ist ist gewesen
nnui^ohe phorxie gens oder pen?n.
IS^ Die Art, 5>0 r<^ oini»v''hI:e55slioh handeln Ton den Hirten
und dem ihr^r Hut anvertrauten Viehe*
14' DtNT erst« Sals.
Bockinger: Der sog, Schwabenspiegel als Nürnberger Recht, 143
667»)
558 2)
559*)
660«)
661«)
662»)
II Art. 28
>» it 29
III Art. 22
I II Art. 37
III Art. 89
§3
{
n
210 8)
206
207
}
III
137
238
147
IV
197 a
817^)
Fasst man hiezu noch insbesondere den Wortlaut dieser Ar-
tikel ins Auge, so muss jeder Gedanke an den — Deatschen-
spiegel beziehungsweise hauptsächlich den — sogenannten
Schwabenspiegel, der allein für uns in Betracht kommt, als
etwaige Quelle schwinden.
Steht somit der in Rede befindliche Anhang, wie man
ihn wohl nennen darf, in keinem unmittelbaren inneren
Zusammenhange mit unserem Rechtsbuche wie man
es allgemein kennt, sondern ist thatsächlich nur in zu-
fällige Verbindung hiemit gebracht, so steht dieses
auch nicht vereinzelt da. In der Nummer 65, der Hand-
schrift M 21a der Bibliothek in Dresden, schliesst sich an
den dem Art. LZ 377 II entsprechenden Artikel ,daz ist
von der ee** als Art. 369 ein Judeneid an = LZ 263, wo-
rauf als Art. 370 und 371 noch zwei Judeneide folgen,
während nun an einen nicht gezählten Artikel unter der
üeberschrift ,hic incipiunt statuta imperatoris ** aus dem
1) Ob ein man gehowen graz stilt.
2) Ob einem manne des andern habe czufleuzet in dem wazzer.
8) Nur der erste Satz.
4) Ob ein man dem andern leibet pherde oder vihe oder kleider
[czü] pescheiden tagen.
5) Ob ein man lonkent des daz er funden hat.
6) Ob ein man roubern oder deuben icht abiagt, wj er daz
schol pieten in der kirchen.
7) Qegen den Schluss.
8) Ob ein man czu der padenstuben get, und nimpt eines andern
tnannes padelachen oder swert oder anders icht.
144 Sitzung der histar. Glosse vom 3, März 1894,
Landfrieden des Königs Rudolf vom Jahre 1278 sich endlich
noch Art. 372 ^von selbgerichte* ebendorther reiht. Auch
dem eigentlichen Schlussartikel 322 des nur den ersten Theil
bis einschliesslich Art. LZ 313 von den Ketzern enthaltenden
Landrechts der Num. 214, der Bruchstücke aus dem Michaelis-
kloster in Lüneburg, in oberdeutscher Sprache, sind wieder
in fortlaufender Zählung als Art. 323 und 324 zwei anders-
woher gezogene in niederdeutscher Fassung unmittelbar an-
geknüpft. Bekannt genug ist weiter das von Scherz im
zweiten Bande von Schilter's Thesaurus antiquitatum teutoni-
carum etc. herausgegebene Landrecht der Num. 109, der so-
genannten KrafFt'schen Handschrift der Universitätsbibliothek
von Giessen Num. 972, worin an den Art. 366 = LZ 377
ein Anhang von Art. 367 — 399 geknüpft ist, zunächst von
Art. 367 — 377 nur Nachholungen von früher übergangen
gewesenen Artikeln des sogenannten Schwabenspiegels selbst,
dann aber von 378 an solche aus einer selbständigen Bear-
beitung einer Reihe von Artikeln des Sachsenspiegels, wobei
möglicherweise der Deutschenspiegel zugezogen erscheint.
Verräth in der Num. 65 noch die bei einem nicht gezählten
Artikel erhaltene Ueberschrift ^hic incipiunt statuta impera-
toris* den fremden Ursprung, und reiht sich hieran dann
Art. 372 ebendaher, so ist in den beiden anderen Fällen
der Anhang ohne irgend welche Bemerkung ohne weiteres
mit den Artikeln des vorangehenden Rechtsbuches selbst
durchgezählt. Ist ein solches Verhältniss nicht auch beim
Codex Altemberger denkbar? Tritt die Bezeichnung als
Nürnberger Recht so bestimmt entgegen, so liegt die
Annahme gewiss nicht ferne, dass in der Stammhandschrift
eben bei dem Anhange die Bemerkung «nueren pergisch
Recht" gestanden war, welche bei der in der Abschrift vor-
genommenen unmittelbaren Fortzählung der Artikel dann
hier weggelassen, aber doch in dem an die Spitze gestellten
Verzeichnisse der Artikel noch beibehalten worden
Bockinger: Der sog. Schwäbenspiegel als Nürnberger Eecht, 145
ist, freilich jetzt nicht mehr in der richtigen Beziehung
blos auf den ursprünglichen Anhang, sondern als Be-
zeichnung für das durchgezählte öanze.
Ergibt sich hiefür etwas vielleicht aus der Heimat der
Handschrift? Gerade in dieser Beziehung fehlen nach
S. 125/126 Nachrichten aus älterer Zeit. Der Name eines
früheren Besitzers ist gründlich getilgt. Zum Jahre 1453
auf der Innenseite des Rückdeckels ist weiter nichts bemerkt.
Seit dem Jahre 1481 ist sie in Hermannstadt zu Hause. Ge-
stattet sonst irgend etwas einen Schluss? In Lindner's Be-
schreibung a. a. 0. S. 116 ist in der Note 1 bemerkt, dass
die erste Initiale S des ganzen Bandes, in welcher neben
dem Kaiser, der das Scepter in der Linken und den Reichs-
apfel in der Rechten hält, wie es scheint der Pabst^) sitzt,
oben in den rothen Kopf eines Esels ausläuft, dem ein gleich-
falls rothes Kleeblatt aus dem Maule hängt. Hierin wird
man doch schwerlich eine bösartige Anspielung auf die beiden
Häupter des Reiches und der Kirche finden dürfen. Gestattet
sich allerdings der Maler der Handschrift einen ziemlich
weiten Spielplatz für seine Darstellungen, wie gleich aus der
ersten Seite des Landrechts*) zur Genüge ersichtlich ist, das
wird man ihm doch nicht ohne weiteres zutrauen dürfen,
dass er in dem Auslaufe des berührten Buchstabens S die
Gränzen, welche hier eben einmal gezogen gewesen, in so
anstossiger Weise nicht beachtet haben sollte. Man wird
also, vorausgesetzt dass es sich überhaupt hier nicht blos
um einen beliebigen Zufall handelt, eine passendere Beziehung
1) Im Hintergründe, beiden Gestalten zu Häupten, sieht man
rhombische roth-blau-goldene Felder.
Die untere Randverziening des Blattes stellt eine Jagdscene
dar, in welcher ein Jäger, das Hifthorn blasend und einen Hund an
der Leine führend, einen Hasen hetzt, welchen ein zweiter Hund
Yerfolgt.
2) Vgl. deren Lichtdruckwiedergabe in der Ausgabe Lind n er 's.
1894. FhUos.-philol. a. hist. CK 1. 10
14:6 Sitzung der histor. Claase vom 3» Märe 1894,
zu Sachen haben. So liegt denn auch wohl der Gedanke
an ein Wappenbild des Besitzers der Handschrift nicht zu
weit ab. Für Nürnberg, um welches es sich zunächst han-
deln dürfte, könnte da das Geschlecht der Eseler in Frage
kommen. Aber ihm ist ein ganzer schwarzer Esel, bald
rechts und bald links schreitend, auf rothem Balken in gol-
denem Schilde eigen, während die Helmzier ein wieder
schwarzer Eselskopf bildet, entweder rechts oder links ge-
wendet, aber stets ohne Fressgegenstand. Am nächsten
unter den Esels wappen kommt unserem Bilde, abgesehen
von der Farbe, die ja, wie vielleicht auch die Fressalie, auf
Liebhaberei des Malers zurückzuführen sein kann, das der
Familie Riedesel, nämlich ein schwarzer Eselskopf mit grüner
Distel im Maule in silbernem oder goldenem Schilde. Aber
dieses Geschlecht ist nach Mittheilungen, welche dem Vor-
tragenden durch das Kreisarchiv in Nürnberg aus seinen
Beständen wie aus denen des Stadtarchives und der Stadt-
bibliothek dortselbst und weiter des germanischen National-
museums zugegangen sind, in Nürnberg im 13. und 14. Jahr^
hunderte nicht nachweisbar. Wäre allerdings immerhin noch
denkbar, dass doch für dasselbe die Handschrift eben in
Nürnberg gefertigt worden sein könnte, ein irgendwie ver-
lässiger Grund für solche Annahme liegt nicht vor.
Lässt sich nun endlich vielleicht aus dem Inhalte des
Anhanges von Art. 534 — 562 ein Schluss auf Nürnberger
Recht ziehen? Habe ich über dieses im 13. und 14. Jahr-
hunderte keine nähere Kunde, so vermag ich jene Frage
weder mit Ja noch mit Nein sicher zu beantworten. Auch
ist von einem eigentlichen grösseren Stadtrechte hiebei keine
Rede, sondern mehr nur von einer Reihe strafrechtlicher
und polizeilicher Bestimmungen, worunter die über Beschädi-
gungen durch Vieh und über dessen Hut durch den Hirten
allein die Art. 548 — 556 bilden. Während vorher der Art. 546
das Anlegen von Stein- und Leimgruben durch Zinsleute
Bockinger: Der sog, Schwdbensjpieget als Nürnberger Becht, 147
ohne Erlaubniss des Herrn verbietet, handelt der Schluss-
artikel 562 vom Entfernen fremder Gegenstände aus den
Badstuben. Wirft man einen flüchtigen Blick in die Nürn-
berger Polizeiordnungen aus dem 13. bis 15. Jahrhunderte,
welche Baader im 63. Bande der Bibliothek des literarischen
Vereins in Stuttgart veröffentlicht hat, so betrifft dort aller-
dings unter den Bestimmungen über die Baupolizei im 13.
und 14. Jahrhunderte die Ziff. 7 S. 291 das Leimgraben,
unter denen über Gesundheits- und Reinlichkeitspolizei Ziff. 1
S. 275 die Badestuben, und handelt gegen den Schluss Ziff. 1
S. 829 von Beschädigungen „ durch sich selbst, seine Ehe-
halten oder Vieh** an fremden Gärten, Wiesen, Aeckern,
Bäumen, Holz u. s. w. bei Tag oder Nacht. Aber für einen
näheren Zusammenhang mit diesen oder jenen der bemerkten
Artikel fehlen doch Anhaltspunkte. Es muss daher eine
Entscheidung über sie als Nürnberger Recht erst den For-
schem auf diesem Gebiete überlassen bleiben.
Zur Zeit mag also, da die Bezeichnung des Nürn-
berger Rechts wenigstens im Verzeichnisse der Artikel
der Handschrift von Hermannstadt so entschieden auftritt,
bis auf weiteres das Ergebniss von 8. 140 — 145 genügen, dass
ein ursprünglich bei dem mehr besprochenen An-
hange angebracht gewesener Hinweis auf Nürnberger
Recht später da weggefallen ist, sich aber doch noch eben
im Verzeichnisse der Artikel nicht mehr in der anfangs
richtigen Beziehung blos auf die Art. 534 — 562 einschliesslich
gleich für das fortlaufend durchgezählte Ganze er-
halten hat. Es wird somit nur an ein rein äusserliches Ver-
hältniss zu denken sein, liegt ein irgendwie innerer
Zusammenhang nicht vor.
Dionysostheater zu Jllhen .
Saumeister, Denkmäler, fig i8l6a.Curtiu5. Stadtgesck.v. Jlüien .Fig.l5.
Inhalt.
Die mit * bezeicbiioten Abhandlungen sind in den Sitzungsberichten nieht abgedruckt.
Philos.'philoL Classe, Sitzung vom 13. Januar 1894.
Seite
V. Christ: Das Theater des Polyklet in Epidauros in seiner
litterar- und kunsthistorischen Bedeutung \
Historische Classe. Sitzung vom 13. Januar 1894.
^Friedrich: Ueber die Capitula Angilramni 52
Philos.-philol. Classe. Sitzung vom 3. Februar 1894.
H. Paul: Ueber die Aufgaben der wissenschaftlichen Lexiko-
graphie mit besonderer Rücksicht auf das deutsche
Wörterbuch 53
Historische Classe. Sitzung vom 3. Februar 1894.
*Stieve: Ueber Witteisbacher Briefe, Abteilung Vlll ... 92
Philos.'philol. Classe. Sitzung vom 3. März 1894,
Wölfflin: Die neuen Aufgaben des Thesaurus linguae latinae 98
Historische Classe. Sitzung vom 3. März 1894.
*v. Hefner-Alteneck: Ueber die Gräber der Fürsten und
Ritter zu Heilsbronn 124
V. Rockinger: Zu einer handschriftlichen Bezeichnung des
Landrechts des sogenannten Schwabenspiegels als Nürn-
berger Recht 124
Akademische Bachdruckerei von F. Straub in München.
//•.Ci
Sitzungsberichte
der
philosophisch - philologischen
und der
historischen Classe
der
k. b. Akademie der Wissenschaften
zu JVtünchen.
1894. Heft IL
-Mflnehen
Verlag der K. Akademie
1894.
In Gomxnission des 6. Franz*schen Verlags (J. Both).
Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Oeffentliche Sitzung
zur Feier des 135. Stiftungstages
am 28. März 1894.
Die Sitzung wurde von dem Präsidenten Herrn v. Petten-
kofer eröffnet. Sodann gedachte der stellvertretende Sekretär
der philosophisch-philologischen Classe der Verluste, welche
dieselbe im letztverflossenen Jahre zu beklagen hatte.
Budolf Scholl, der unserer Akademie seit 1885 als
Mitglied angehörte, wurde am 10. Juni 1893 durch eine
höhere Macht nur allzufrüh unserem Kreis entrissen. Der
Verewigte, geboren am 1. September 1844, war ein Sohn
des ehemaligen Hallenser Professors und späteren Direktors
der Weimarischen Bibliothek Adolf Scholl. Von dem väter-
lichen Hause und der geistigen Luft der Weimarer Kreise
hatte er neben der begeisterten Liebe zu den klassischen
Stadien ein lebhaftes Interesse für die Kunst und schöne
Litteratur und einen aufgeklärten, weitblickenden Horizont
des Geistes ererbt. Seine philologischen Studien betrieb er
unter den ersten Meistern des Faches in Göttingen und Bonn ;
1891 Philo&-pliilol. n. hist. Ol. 2. 11
150 Oeffentliche Sitzung vom 2S, März 1894.
besonders war es Hermann Sauppe, dessen Tod gleichfalls
in diesem Jahre unsere Akademie betrauert, der bestimmen-
den Einfluss auf die Richtung seiner Studien übte und dem
er zeitlebens mit warmer Pietät anhing. Später setzte er
in einem mehrjährigen Aufenthalt in Italien und auf einer
zweimaligen Reise nach Griechenland in den Bibliotheken
und Museen der klassischen Länder seine Lehrjahre fort.
Seine litterarische Thätigkeit begann er mit einer kri-
tischen Neubearbeitung der Reste der Zwölftafelgesetzgebung
(1866), die durch eine von ihm gelöste Preisaufgabe der
Bonner Universität hervorgerufen wurde. Dem Gebiete des
alten Rechts und der griechisch-römischen Staatsverfassung
gehörten auch mehrere seiner späteren Arbeiten an ; dieselben
erfreuten sich so allgemeiner Anerkennung, dass er von der
Heidelberger Universität zum Doctor iuris honoris causa im
Jahre 1886 ernannt und von Mommsen zur kritischen Bear-
beitung der Novellen Justinians herangezogen wurde. Auf
dem speciellen Gebiete der Philologie und der Litteratur-
geschichte bewegte er sich in der zusammen mit Kiessling
besorgten Neuausgabe der Scholien des Asconius zu fünf
Reden Ciceros (1875), der editio princeps des Gommentars
des Neuakademikers Proclus zu Piatos Republik, den Mit-
theilungen aus Handschriften zu Lysias, Aristophanes, Phrj-
nichus u. a. Seine Hauptstärke indes lag in der Kenntnis der
griechischen Staatsaltertümer und Inschriften. Obwohl es
ihm nicht mehr vergönnt war, mit einem grösseren Werke
hervorzutreten (der Gontract zu einem Handbuch der griech-
ischen £pigraphik war bereits abgeschlossen), so sind doch
seine zahlreichen Abhandlungen, meist in unserer Akademie
gehaltene Vorträge, vor allem der über attische Gesetzgebung^
voll sicherer und weittragender Ergebnisse. Er beherrschte
den Stoff in seinem ganzen Umfange, die litterarischen Quellen
(namentlich die Redner und Historiker), wie die inschrift-
lichen; er verband in mustergiltiger Weise Akribie mit
V. Christ: Nekrolog auf Budolf Scholl l5l
Schärfe des Urteils. Das Wesen der Phratrien hat er
richtig erfasst, die Echtheit der Urkunden und Gesetze
in der Timocratea des Deinosthenes gegen Westennann
glänzend erwiesen , das Verfahren bei der Gesetzgebung
rekonstruiert und noch die Freude erlebt, dass ihm die Ent-
deckung der aristotelischen Schrift über den Staat der Athener
Recht gab; den Wert dieses grossartigen litterarischen Fundes
der Neuzeit hat er Yon Anfang an richtig erkannt, ohne
ihn zu überschätzen, und hat in die Untersuchungen über
Anlage und Quellen der Schrift vielfach teils selbst, teils
durch Arbeiten seiner Schüler entscheidend eingegriffen.
Auch sein äusserer Lebensgang war eine ununterbrochene
Reihe von Erfolgen. In Berlin habilitiert (1871), kam er
schon nach einem Jahr als Extraordinarius nach Greifswald,
stieg daselbst in Folge einer Anfrage von Innsbruck zum
Ordinarius auf, folgte dann einem Rufe nach Jena, später
nach Strassburg, zuletzt nach München an unsere Ludovico-
Maximilianea ; einen im Jahre 1890 von der Universität
Bonn an ihn ergangenen Ruf hat er in treuer Anhänglich-
keit an unsere Universität und die wissenschaftlichen wie
künstlerischen Kreise unserer Stadt abgelehnt. Dem Rudolf
gelingt Alles, pflegte der Vater zu sagen, er erreicht immer,
was er erstrebt.
Aber die äusserlichen Erfolge traten in seinem Leben
weit zurück hinter den nachhaltigeren Erfolgen, welche er
als scharfsinniger Forscher, als anregender Lehrer und opfer-
bereiter Berater jüngerer Gelehrter, und als Mensch durch
die Geradheit und Liebenswürdigkeit seines ganzen Wesens
erzielte. Ob Norddeutschland, Süddeutschland, Italien, über-
all fühlte er sich daheim, und der ihm zum Lebensbe-
dürfnis gewordene .Umgang mit Menschen beschränkte sich
nicht auf Gelehrte aller Wissenschaften, sondern dehnte sich
auch auf Künstler, Dichter und Kunstfreunde aus. Auch
in die Politik hatte er im Jahre 1868 eingegriffen, indem
11*
152 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1894.
er, damals Privatsecretär des preussischen Gesandten in
Florenz, die anonym erschienene Broschüre schrieb, Gene-
ral La Marmora und die preussisch-italienische Allianz, in
welcher er die Anklagen des italienischen Heerführers glän-
zend zurückwies. Moltke sagte von derselben, er habe in
seinem Leben nichts Feineres im Gebiete politischer Flug-
schriften gelesen, ein Urteil, welches uns erst nach Schöll's
Tod durch einen Brief an ihn bekannt geworden ist. Den
nachmaligen Kaiser Friedrich begleitete er als Kronprinzen
durch Italien, und dieser war von seinem Cicerone so sehr
entzückt, dass er ihn nicht nur bei einer zweiten Reise
wieder kommen liess, sondern ihm auch zum Danke die
Mittel zu einer Reise nach Griechenland gewährte. So wird
der weite Kreis der Fachgenossen und Nicht-Fachgenossen
den teueren Freund schmerzlich vermissen ; die Wissenschaft
aber wird trauern, dass er einen reichen Teil seines Wissens
nicht mehr schriftstellerisch zum Nutzen der Nachwelt ver-
werten konnte, sondern in sein frühes Grab mitnehmen musste.
Herrn. Sauppe, geboren in Wesenstein bei Dresden den
9. December 1809, gestorben den 15. September 1893 in
Göttingen, gehörte unserer Akademie seit dem Jahre 1852
an. Hervorgegangen war Sauppe aus der Schule Gottfr. Her-
mann^s, den er in der berühmten Epistola critica ad Hermannum
(1841) als den principem philologorum preist. Seine ent-
scheidenden Lebensjahre fielen in eine Zeit, in der noch
keine Scheidewand zwischen Gymnasium und Universität
aufgerichtet war und noch nicht landsmännische Abgeschlos-
senheit und Eifersucht den freien Verkehr der Geister hemmte.
So fand er, der geborene Sachse, seine erste Anstellung in
Zürich als Oberlehrer an der Cantonschule und Privatdocent
an der Universität (1833 — 1845), ward dann 1845 noch als
junger Mann zum Gymnasial-Direktor nach Weimar berufen,
und wirkte zuletzt, seit 1856, als Professor der klassischen
V. Christ: Nekrolog auf Herrn. Sauppe. 153
Philologie in Göttingen; der Georgia- Augusta blieb er als
eine ihrer ersten Zierden treu bis an seinen Lebensabend,
nachdem er 1865 den ehrenvollen Ruf, in Bonn an der Seite
von 0. Jahn und Ritschi zu wirken, nach kurzem Bedenken
abgelehnt hatte. Die litterarische Thätigkeit Sauppe's galt
Yorzüglich der Texteskritik der klassischen Autoren; die
Griechen und namentlich die attischen Redner standen ihm
im Vordergrund ; aber auch Plautus, Lucrez, Cicero, Velleius,
Florus verdanken seinem Scharfsinn glänzende Verbesserungen.
Sein monumentales Werk ist die gemeinsam mit Baiter be-
sorgte Gesamtausgabe der Oratores Attici (1839 — 1850), in
der er sich ebenso durch die Herstellung des unverfölschten
Textes wie durch die vollständige Sammlung der Fragmente
dauernde Verdienste erwarb. Dieser grossen Leistung gingen
teils zur Seite, teils folgten nach die Bearbeitung der neu-
aufgefundenen Reden des Hyperides, die Ausgabe des Philodem
de vitiis, die zahlreichen kritischen Beiträge zu fast allen
griechischen Autoren, insbesondere zu Antiphon, Plutarch
und zur Rhetorik des Aristoteles. Die Beschäftigung mit
den Reden führte ihn zu Studien über die Staatsverfassung
der Griechen und die Hauptquelle unserer Kenntnis derselben,
die Inschriften. Er hat zwar auf diesem Gebiet kein zu-
sammenfassendes Werk geschrieben; aber seine meist in
den Indices lectionum Gott, niedergelegten Untersuchungen
über einzelne Institutionen und Inschriften haben mehr wie
dickleibige Bände zur Aufhellung dieser Gebiete beigetragen.
Ausgezeichneter Forscher und trefflicher Schulmann zugleich
war er auch wie kein Zweiter zur Herstellung tüchtiger
Schulausgaben geschaffen, und so trat er 1848 zusammen
mit Haupt an die Spitze des grossen Unternehmens der
Weidmannischen Sammlung griechischer und lateinischer
Schriftsteller, in welcher Sammlung er selbst den Protagoras
des Piaton in mustergiltiger Weise bearbeitete. Auch über
das Altertum hinaus ging seine kritische Thätigkeit; in den
15 i Oeif entliehe Sitzung vom 28. März 1894.
Monumenta Germaniae historica bearbeitete er des Eugippius
Vita S. Severini, und in seinen Goethiana bewies er in über-
raschender Weise, dass auch bei unseren eigenen Autoren es
sich verlohne, scharf auf den Text zu sehen und nicht ge-
dankenlos über offenbare Verderbnisse weg zu lesen. Aber
so gross auch der Scharfsinn und die kritische Geschicklich-
keit Sauppe's war, mehr Anerkennung noch verdient sein
unbestochener Wahrheitssinn, seine nationale Gesinnung und
sein nie erlahmendes Streben, die klassischen Werke des
Altertums für die Heranbildung der Jugend und für die
Förderung reiner Humanität fruchtbar zu machen.
Johann Friisner, geboren am 9. April 1812 in der
Nähe von Bergen, wirkte zuerst dort als Adjunkt an der
gelehrten Schule, später als Pfarrer und Probst in Ostfinn-
marken und in Südnorwegen. Seit 1877 lebte er, auf sein
Ansuchen pensioniert, ganz seinen Studien. Die beiden Ge-
biete, auf denen sich seine litterarische Thätigkeit bewegte,
waren Sprache und Sitten der Lappländer und die altnor-
dischen Sprachen. Sein Hauptwerk „Wörterbuch über die
altnordische Sprache* erschien in erster Auflage 1862—1867.
Es ist in verbesserter zweiter Auflage jetzt bis zur Mitte des
3. Bandes gediehen, die Vollendung durch Freundeshand
gesichert. Ausgezeichnet durch vollständige Verwertung, der
Quellen, einschliesslich der Urkunden, durch umfassende Be-
nützung der neueren Litteratur, auch der in Zeitschriften
zerstreuten und deshalb schwerzugänglichen und durch sorg-
same Berücksichtigung der Bealien bildet es eine reiche
Fundgrube des zuverlässigsten Wissens.
Fritzner war seit 1864 Mitglied der wissenschaftlichen
Gesellschaft in Christiania, seit 1879 Ehrendoktor der Philo-
sophie der Kopenhagener Universität und seit 1887 auswär-
tiges Mitglied unserer Akademie.
Er starb am 17. Dezember 1893 in Christiania.
17. Cornelius: Nekrolog auf Wilhelm v. Lubke, 155
üeber die Verluste der historischen Classe machte der
ClassensecretärHerr 7. Cornelius die folgenden Mittheilungen:
Am 5. April 1893 starb zu Karlsruhe der geheime Rat
Wilhelm Ton Lübke, Professor der Kunstgeschichte an der
dortigen technischen Hochschule. Seit 1870 war er Corre-
spondent unserer Akademie.
Am 17. Januar 1826 zu Dortmund geboren, empfing
er den ersten Unterricht von seinem Vater, der Lehrer und
Organist der katholischen Gemeinde (zu Dortmund) war, und
machte namentlich in der Musik so rasche Fortschritte, dass
er schon im zwölften Lebensjahre die Orgel an des Vaters
Stelle übernehmen konnte. Vom Dortmunder Gymnasium
ging er 1845 an die Universität, nach Bonn und Berlin, zum
Studium der Philologie und Geschichte. Zu Berlin machte
er sein Probejahr, und sollte dann sofort in ein Gymnasial-
lehramt eintreten. Aber die Vorlesungen Kinkels in Bonn
und der Umgang mit Jakob Burckhardt in Berlin hatten
ihn für die Kunstgeschichte gewonnen, und er entschloss
sich, sein Leben ihr zu weihen. Durch Privatunterricht und
Zeitungsarbeit musste er den Unterhalt sich verschaffen. Sein
Glück schuf ihm das entscheidende Eingreifen seines Lands-
mannes Wilhelm Junkmann, der damals in Berlin als Ab-
geordneter weilte: dieser wies ihn auf die Erforschung der
Kunstdenkmale der Heimat und schaffte ihm die Reisekosten.
So entstand das Buch über „die Kunst des Mittelalters in
Westfalen" 1853, welches von Schnaase als Muster einer
Provinzialgeschichte bezeichnet wurde und seinen wissen-
schaftlichen Ruf begründete. In weiten Kreisen wurde er dann
vorteilhaft bekannt durch die Ausführung des zeitgemässen
Gedankens, ein Handbuch der Architekturgeschichte zu
schreiben und mit Holzschnitten zu illustrieren. Das Buch
156 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1894.
erschien 1855 und erlebte eine Reihe von Auflagen und
mehrfache Uebersetzungen. 1857 erlangte er eine amtliche
Stellung, als Nachfolger Stier's an der Bauakademie, wo er
durch klaren und lebendigen Vortrag und durch seine Fer-
tigkeit im Zeichnen sich als anziehender und erfolgreicher
Lehrer erwies. Hiermit war sein Lebensweg geebnet: er kam
1860 nach Zürich, 1866 nach Stuttgart, 1885 nach Karls-
ruhe, an allen drei Orten als Professor der Kunstgeschichte
an technischen Hochschulen. Ausgedehnte Reisen im In-
und Ausland lieferten ihm den Stoff zu einer ununterbro-
chenen Reihe grosser und kleiner Arbeiten in seinem wissen-
schaftlichen Gebiet.
Ein jüngerer Fachgenosse urteilt über den Verstorbenen:
„In einer Zeit, da das Interesse für Kunstgeschichte weitere
, Kreise zu ergreifen anfieng, trat Lübke als ein geschickter
„und gewissenhafter Vulgarisator auf, und er ist in Wahr-
„heit, wie er wohl sich gerühmt hat, „Führer für Tausende*
„geworden. Unter den hierher gehörigen Büchern sind die
„besten die Geschichte der Architektur und die Geschichte
„der Plastik. Man kann wohl sagen, dass die Litteratur
„der anderen Nationen nichts Gleichartiges besitzt. Sein
„Verdienst ist umsichtige Zusammenfassung und gefallige
„Darstellung des jeweiligen Standes der Forschung. Energie
„des Forschungstriebs fehlte ihm. Dagegen besass er neben
„grossem Fleiss einen ächten und freien Sinn für das Künst-
„lerische. Auch war sein Streben stets von einer edlen und
„humanen Gesinnung geleitet. Seine wichtigsten selbstän-
„digen Arbeiten sind die mittelalt rige Kunst in Westfalen
„und die Geschichte der deutschen Renaissance- Architektur;
„auch diese beiden mehr durch Fleiss als durch Tiefe
„ausgezeichnet; aber beide Gegenstände waren ihrer Zeit
„ziemlich terra vergine, so dass er durch seine Bearbeitung
„unserem Wissen eine wirkliche Bereicherung verschafft hat.*
Wilhelm Lübke, Lebenserinnerungen. 1891. —
Lemke, Wilh. v. Lübke in der Beilage zur All gem. Zei-
tung 1898, 19. Juli.
V. Cornelius: Nekrolog auf August v. Kluckhohn. 157
Am 19. Mai 1893 starb zu München August v« Eluck-
hohn^ Professor der Geschichte an der Universität Göttiugen.
Er war seit 1865 ausserordentliches, seit 1869 ordentliches
Mitglied der Akademie.
Er ist geboren 1832 zu Bavenhausen in Lippe-Detmold.
Sohn eines Bauern, aber durch seine Begabung über die
heimatliche Umgebung erhoben, hat er früh sich an den
harten Kampf des Lebens gewöhnt und durch rastlosen Fleiss
und nie versagenden Mut damals und später seine Ziele erreicht.
Von dem Gymnasium zu I^emgo gieng er nach Heidelberg,
wo Häusser ihn für die historischen Studien gewann, dann
zu Waitz nach Göttingen. Er hatte bereits den akademischen
Lehrstuhl zu Heidelberg bestiegen, als Sybel ihn nach
München berief, wo er durch seinen Gönner zuerst in die
Bedaction der historischen Zeitschrift, dann zu den Arbeiten
der historischen Commission gezogen wurde. Von 1859 bis
zu seinem Lebensende hat er, zuerst als Mitarbeiter Sybels,
dann als ausserordentliches, zuletzt als ordentliches Mitglied,
der historischen Commission angehört und ihr den grössten
und den bedeutendsten Teil seiner wissenschaftlichen Thätig-
keit gewidmet. Für die Abteilung der Witteisbacher Corre-
spondenzen gab er die seit 1867 erschienenen „Briefe Fried-
richs in., Churfürsten von der Pfalz" heraus, welchen sich
1879 ein darstellendes Werk, „Friedrich der Fromme, Chur-
fürst von der Pfalz, der Schützer der reformierten Kirche"
anschloss. Einige Jahre später übernahm er auf Sybels Auf-
forderung die Herausgabe der jüngeren Abteilung der deutschen
Reichstagsakten, und stellte vor seinem Tod den ersten Band
dieses Werkes fertig. Zahlreiche andere, kleinere und grössere,
Schriften sind der deutschen and vornehmlich der bayerischen
Geschichte gewidmet. Er war damit beschäftigt, eine um-
fassende Sammlung von Akten zur Geschichte des deutschen
Bauernkriegs vorzubereiten, als ihn der Tod ereilte.
Er war 1861 als Privatdozent an der Münchener üniver-
158 Oe ff entliehe Sitzung vom 28, März 1894,
sdtät eingetreten, wurde 1866 ausserordentlicher Professor an
derselben, 1869 ordentlicher Professor an der technischen
Hochschule, deren Director er 1877 für einige Jahre wurde.
1883 folgte er einem Ruf an die Universität Göttingen, doch
blieben in den letzten zehn Jahren die jährlichen Besuche
in München die Feiertage seines Lebens.
Stieve. Aug. v. Eluckhohn, in der Beilage zur
AUgem. Zeitung 1893, 10. Juli.
Am 19. Juni 1893 starb zu Strassburg Hermann Baiim-
garten, Professor der Geschichte an der dortigen üniversiiät.
Er war seit 1872 correspondierendes, seit 1887 ordentliches
Mitglied der Akademie.
Er war Sohn eines Pfarrers, geboren zu Jesse bei Wolfen-
büttel, wurde erzogen von seinem Vater im Heimatsdorf,
dann auf dem Gymnasium zu Wolfenbüttel. Seine Studien-
zeit zu Jena, Halle, Bonn, Göttingen dauerte von 1842 bis
1847, unterbrochen durch akademischen Sturm und polizei-
liches Unwetter, dann durch Krankheit. Die beginnende
Gymnasiallehrerlauf bahn, zu Braunschweig, wurde durch die
Bewegung des Jahres 1848 vielfach gestört, dann durch
den üebertritt zur Publicistik abgebrochen. Er übernahm
die Leitung der dortigen Reichszeitung und vereinigte eine
Anzahl von Führern der ehemaligen erbkaiserlichen Partei
zur Mitarbeit. Als er der Reaction weichen musste 1852,
fand er bei Gervinus in Heidelberg Zuflucht. Hier begannen,
im engen Anschluss an Gervinus, seine historischen Studien.
1854 wurde ihm die Rückkehr zu der Schullaufbahn in der
Heimat verweigert, und er musste versuchen, für längere
Dauer seine Existenz auf historische und politische Arbeiten
zu gründen. Er lebte jetzt hauptsächlich in München, zuerst als
Hülfsarbeiter von Gervinus für dessen Geschichte des 19. Jahr-
hunderts, dann in selbständiger Arbeit für die spanische Ge-
schichte in Hirzels Sammlung; daneben politisch tätig in
kleindeutschem Sinn unter Sybels Einfluss und im Anschluss
V, Cornelius: Nekrolog auf Hermann Baumgarten, 159
an Brater; eine Tätigkeit, die in Berlin, wohin 1859 die
neue Aera ihn rief, sich übermässig steigerte, ohne befrie-
digenden Erfolg zu gewähren. Endlich 1861 gelang es, ihm
Amt und Ruhe zu verschaffen, durch eine Professur der
Geschichte an der technischen Hochschule zu Karlsruhe.
Hier brachte er seine Werke über spanische Geschichte zur
Vollendung: Geschichte Spaniens zur Zeit der franzosischen
Revolution 1861; Geschichte Spaniens vom Ausbruch der
französischen Revolution bis auf unsere Tage, 1865 — 1871.
Zugleich aber begleitete er die grossen Ereignisse des Jahr-
zehntes mit einer Reihe politischer Schriften, die ihm ein
bleibendes Andenken in der Zeitgeschichte sichern. Es war
eine schöne Fügung, dass die Erfüllung der hohen Geschicke
Deutschlands, denen er in treuester Hingebung von Jugend
auf gedient hatte, ihm zugleich die Erfüllung seiner eigen-
sten Wünsche brachte, indem er an die neue Universität
zu Strassburg berufen wurde. Auf der Höhe des Lebens
angelangt, durfte er zum ersten Mal die gesammelte Kraft
auf Lehre und Gelehrsamkeit werfen, an einer Stelle, wo
diese Wirksamkeit von selbst eine eigentümliche patriotische
Färbung erhalten musste, wie sie seinem Wesen entsprach.
Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf Strassburgs hervor-
ragende Bedeutung im Reformationszeitalter; von Strassburg
aus griff er dann auf deutsche und französische Geschichte
des 16. Jahrhunderts, schrieb das siegreiche Buch »Vor der
Bartholomäusnacht*, und stellte sich zuletzt die höchste Auf-
gabe, die Geschichte Karls V. Dieses Werk, nicht unwürdig
der Vergleichung mit dem grossen Vorgänger, dem es nicht
bloss im Stoff sich annähert, sichert, obwohl zu allgemeinem
Bedauern nicht zu Ende gediehen, dem Namen des Verfassers
für immer einen hervorragenden Platz in der deutschen Ge-
schichtsschreibung.
Erich Marcks über H. Baumgarten , in der von
ihm herausgegebenen Sammlung von ßaumgartens klei-
neren politischen und historischen Schriften.
160 Oeffentliche Sitzung wm 28. März 1894,
Am 2. Juli 1893 starb zu Hermanstadt der Doctor der
Theologie, Rechte und Philosophie, QeoTg Daniel Teutsch^
Bischof der eyangelischen Landeskirche Augsburgischen Be-
kenntnisses in den Siebenbürgischen Landesteilen Ungarns.
Er war seit 1874 auswärtiges Mitglied der Akademie.
Geboren zu Schässburg 1817 12. Dez., gut vorgebildet
an dem dortigen Gymnasium, hat er seine Studien in Theo-
logie, Philologie und Geschichte vornehmlich in Berlin unter
Neander, Hanke, Ritter, Böckh, Bopp u. a. gemacht. Schon
1842 am Schässburger Gymnasium angestellt, wurde er 1850
zum Rektor desselben gewählt; dann wurde er 1863 zum
Pfarrer in Agnetheln, 1867 von der Landeskirchenversamm-
lung zum Bischof gewählt.
Die hart bedrängte Lage der kleinen deutschen Colonie
im Karpathenlaud bringt es mit sich, dass jedes lebendige
Glied des Stammes ein Kämpfer für Recht und Existenz der
Siebenbürgischen Sachsen wird; vor allen die Schulmänner
und Geistlichen. Nachdem das Recht des Volks der Gewalt
unterlegen ist, bleibt es ihre Sorge, den Besitz des Volkes
in Sprache und Bildung durch eifrige Arbeit und durch zeit-
gemässe Reformen in Schule und Kirche zu erhalten. Teutsch
ist von Anfang an in die Reihe der Kämpfer getreten, hat
auf dem Klausenburger Landtag, im Wiener Reichstag, im
ungarischen Reichstag, zuletzt als Bischof im Magnatenhaus
die Achtung der Gegner erzwungen, ist in der inneren Ar-
beit allmählich an die Spitze gekommen, als Bischof der
Kirche und als geistiger Führer seines Volkes, allgemein als
solcher anerkannt und verehrt, in Siebenbürgen sowohl als
im deutschen Mutterlande. Ein ausgezeichneter Teil seines
patriotischen Lebenswerkes war die vaterländische Forschung
und Geschichtschreibung. Seine »Sachsengeschichte* ist 1852,
in zweiter Ausgabe 1874 erschienen.
Siebenbürgiachdeutschea Tagesblatt 1898, 4. Juli —
Mitteil, des allgem. deutschen Schalvereins 1894 Jannar:
Vormeng, Gedächtnissr. f. Teutsch; Wattenbach, Ansprache.
V, Cornelius: Nekrolog auf Bichard Böpell, 161
Am 4. November 1893 starb zu Breslau der Geh. Re-
gierungsrat Bichard ROpell, Professor der Geschichte an
der dortigen Universität. Er gehörte seit 1876 als auswär-
tiges Mitglied unserer Akademie an.
Sohn eines Rechtsanwalts, geboren zu Danzig am 4. No-
vember 1808, erhielt er seine gelehrte Erziehung am Gym-
nasium seiner Vaterstadt, von wo er 1830 zum Studium der
Philologie und Geschichte nach Halle gieng. Dort durch
Leo für die historischen Studien gewonnen, war er schon
1832 im Stande, eine Schrift urkundlicher Forschung, die
Grafen von Habsburg, erscheinen zu lassen. In Berlin wurde
er ein eifriger Schüler Rankes. 1834 nach Halle zurück-
gekehrt, habilitierte er sich als Dozent der Geschichte mit
einer Schrift über den Verrat Wallensteins. Auf Friedrich
Perthes Aufforderung unternahm er eine Geschichte Polens
für die Heeren -Ukert'sche Sammlung. Der erste Band er-
schien 1840 und fand allgemeine Anerkennung. In Folge
des ward er 1841 als ausserordentlicher Professor der Ge-
schichte an die Hochschule zu Breslau berufen.
Hier liess er die Fortsetzung der Geschichte Polens
fallen, die später in andere Hände übergegangen ist. Es
galt ihm, neben dem hochberühmten Meister Stenzel sich
eine Stellung an der Universität zu schaffen, und dies ge-
lang, indem er alle Kraft auf seine Vorlesungen wandte.
Der Erfolg führte zu anderen Vorlesungen für ein reiferes
Publikum und er gewann auch hier den Ruhm der Meister-
schaft in klarem und gewandtem, geist- und kenntnissreichem
Vortrag. Dann führte ihn sein Talent als Redner und Po-
litiker in das Erfurter Parlament, auch in den preussischen
Landtag, später ins Herrenhaus. Auch in den städtischen
Angelegenheiten war er als Stadtverordneter tätig. Er ver-
nachlässigte darum keineswegs die historischen Studien. Neben
seiner fortdauernden hervorragenden Tätigkeit an der Uni-
versität hat er der Gesellschaft für vaterländische Cultur und
162 OeffenaUhe Sitzung vom 28. Märe 1894.
nach Stenzels Tod dem Verein für Schlesische Geschiclite
eine Reihe von Jahren aufopfernde Mühe gewidmet, mid eine
nicht geringe Anzahl schriftstellerischer Leistungen zeugt
von seiner eingehenden und fruchtbaren Beschäftigung mit
allgemeiner Geschichte, wie die glänzende Studie über die
orientalische Frage in ihrer geschichtlichen Entwickelung
1774 — 1830, oder mit spezifisch preussischen Fragen wie
seine Arbeiten über die Jahre 1806 — 1812. Auch zu Polen
kehrte er zurück, in seinem bedeutenden Buch über Polen
um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Aber zu grossen und
umfassenden Arbeiten ist er nicht mehr gelangt. Dagegen
blieb er, von seiner Ernennung zum ordentlichen Professor
1855 nach Stenzels Tod bis in sein hohes Alter, fast vierzig
Jahre lang, Haupt und Mittelpunkt, Anreger, Förderer und
Führer der historischen und verwandten Studien für die jüngeren
Kräfte der Universität und der Schlesischen Hauptstadt.
Nekrolog Röpells von £. Beimann in der Zeitschrift
für Geschichte und Alterthum Schlesiens, Band 28. 1894.
Am 16. Dezember 1893 starb zu Montreux Sir Robert
Barnett David Morier, Englischer Botschafter zu Peters-
burg; seit 1876 auswärtiges Mitglied der Akademie.
Geboren 1 826, war er seit 1852 in diplomatischem Dienst
beschäftigt, und zwar in Deutschland mit kurzen Unter-
brechungen bis 1876, zuletzt in München; dann wurde er
Gesandter Grossbritanniens in Lissabon, Madrid und Peters-
burg. Während seines langen Aufenthaltes in Deutschland
wurde er ein Kenner der deutschen Zustände und machte
sich vertraut mit deutscher Literatur und Wissenschaft. Er
wurde ein Freund Deutschlands. Namentlich schloss er sich
mit Vorliebe den gelehrten Kreisen an. Auf Grund seiner
Schrift Local government considered in its historical develop-
meut in Germany and England, welche eine vergleichende
Darstellung der alten deutschen und englischen Verfassung
V, Cornelius: Nekrolog auf Georg von Wyss, 163
und ihrer späteren Entwicklungen unter dem Gesichtspunkt
der Selbstregierung gibt und bis zu den Zuständen und Re-
formen der Gegenwart führt, beantragte der Rechtshistoriker
Paul von Roth seine Wahl zum auswärtigen Mitglied der
Akademie.
Am 17. Dezember 1893 starb zu Zürich Oeorg von
Wyss, Professor der Geschichte an der dortigen Universität.
Seit 1875 war er Correspondent, seit 1886 auswärtiges Mit-
glied der Akademie.
Er gehörte einer alten Züricher Familie an: sein Vater
war der Bürgermeister David von Wyss. Er ist geboren
am 31. März 1816 zu Zürich. Von dem Gymnasium der
Vaterstadt gieng er zum Studium der Mathematik und Physik
auf die Universitäten Zürich, Genf und Berlin. Durch den
Umschwung vom September 1839 zur Politik geführt, trat
er in der Presse für die conservative Partei in die Schranke,
wurde Sekretär des grossen Rats und 1842 zweiter Staats-
schreiber. 1847 zwang ihn die unterdes eingetretene Aen-
derung der politischen Lage, ins Privatleben zurückzutreten.
Die politische Beschäftigung hatte ihn zur Geschichte seiner
Vaterstadt und mit ihr zur Geschichte der Schweiz über-
haupt geführt, und diese blieb fortan seine Hauptsorge und
wurde der Hauptinhalt seines Lebens. 1850 habilitierte er
sich als Privatdocent an der Universität, 1851 begann seine
Geschichte der Abtei Zürich, die man wohl als sein Haupt-
werk bezeichnen darf, zu erscheinen. Für die von der Can-
tonsregierung über Gebühr verzögerte Beförderung — erst
1870 wurden ihm die vollen Rechte eines ordentlichen Pro-
fessors der Schweizergeschichte zugesprochen — entschädigte
ihn die Anerkennung der Fachgenossen, die ihn schon 1854
zum Präsidenten der allgemeinen geschichtsforschenden Ge-
sellschaft der Schweiz erhoben und bis zu seinem Tod, vierzig
Jahre lang, in dieser Stellung erhielten.
164 OeffeniHiehe Sitzung vom 28, Märe 1894,
Niemand hat je bescheidener von der eigenen wissen-
schaftlichen Bedeutung gedacht als Georg von Wyss: er hat
sich stets unterschätzt. In zahlreichen, gründlichen und gut-
geschriebenen Arbeiten hat er sich als den besten Kenner
der Schweizergeschichte erwiesen. Als Reprasentanten der
historischen Wissenschaft^en in der Schweiz hat ihn Waitz
zum Nachfolger Wackemagels in der deutschen historischen
Gommission vorgeschlagen. Aber allerdings liegt seine Be-
deutung nicht so sehr in dem, was er schrieb, als in dem,
was er war. Fromm und liebreich, überall hilfbereit, seinem
Vaterland so warm ergeben, dass er alles Widrige im öffent-
lichen Leben wie eine Wunde am eignen Leib empfand,
pflichtgetreu bis zur Selbstvergessenheit, heiter und weise,
waltete er unter seinen Landsleuten und Pachgenossen, Wel-
schen und Deutschen, wie ein Vater. Im Tode hinterlässt
er, sagt sein Genfer Freund, in allen Herzen ein tiefes Ge-
fühl ehrerbietiger und kindlicher Zuneigung.
Zum Andenken an Professor Dr. G. von Wyss und
dessen Gattin, Zarich 1894, insbesondere Rede Ton Gerold
Mejer von Knonau; und das .Nachwort'. — George de
Wiss, Simples notes par Pierre Yancher, Genf 1894. —
Yon Weech, G. von Wjss, in der Beilage der AUgem.
Zeitung 1894, 20. März.
165
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 5. Mai 1894.
Herr von Christ legt eine Abhandlung des Herrn
Dr. Menrad vor:
„Ueher die neuentdeckten Genfer Homer-
fragmente und den Wert ihrer Varianten.*
Jules Nicole, der sich durch die Herausgabe der Ilias-
scholien des codex Genevensis 44 auf dem Gebiete der Homer-
litteratur ein beachtenswertes Verdienst erworben hat, ver-
öffentlicht in der 1. Lieferung des 18. Jahrganges (1894)
der Pariser Revue de Philologie einige für die Genfer Bi-
bliothek angekaufte ägyptische Papyri mit mehr oder minder
vollständig erhaltenen Homerfragmenten, deren Entdeckung
schon Ende vorigen Jahres sensationell durch die Tageblätter
lief. Sie gehören den Gesängen u4^ J^ Z, A^ M, y an und
sind von J. Nicole mit rühmenswerter Akribie in Hinsicht auf
paläographisches Detail und Hervorhebung der von der Vul-
gata abweichenden Lesarten behandelt; besondere Anerken-
nung verdient seine Geschicklichkeit und Findigkeit in der
Rekonstruktion mehrerer nur in unscheinbaren Bruchstücken
erhaltener, bisher völlig unbekannter Verse. Im übrigen be-
gnügte sich Nicole mit der exakten Darstellung des That-
bestandes und fällt nur hie und da ein Urteil über Wert
oder Unwert der neuen Varianten sowie der neuen Verse,
1894. Phno8.-philo]. u. bist. Ol. 2. 12
166 Sitzung der phäos.-philol. Classe vom 5. Mai 1894,
so dass es sich der Mühe lohnt, diese vom Verfasser noch
offen gelassene Frage einer näheren Prüfung zu unterziehen;
denn nicht mit Unrecht meint der Entdecker dieser Frag-
mente, dieselben würden binnen kurzem ein ähnliches Auf-
sehen erregen wie vor drei Jahren die Entdeckung der
Dubliner Fragmente.^)
Im folgenden ist eine kritische Würdigung der Varianten
und neuen Verse versucht, wobei der Uebersicht wegen zwei
Gruppen gebildet wurden, deren eine die sachlichen Varianten
bezw. die neuen Verse enthält, während die andere bloss ortho-
graphisch-phonetische Eigentümlichkeiten in sich begreift.
I. Sachliche Yariaiiteii.
Fragment I und I[ (y 364—375 und 384—402) ent-
halten folgendes Bemerkenswerte, y 372 lautet:
y[tj]y[5 e]ldofiiyr]' d-afißfjoe de Xadg lixaiuv^
während unsere Texte ^^cifißog d' eJie Trawag löovvag bieten;
Tzetzes hat txe statt l'Ac, wohl um das 374 wiederkehrende
VXb zu variieren, wie Nicole annimmt; statt Idovtag^ das
nur HPQS haben, findet sich l^xaiovg in den übrigen Hand-
schriften. Fragen wir den Autor selbst, so finden wir T 342,
z/ 79, ß 482 das Hemistich ^afißog d' Ixcv eiaoQOOvrag^ da-
gegen ^815 ^. d' s. navxag Ldxaiovg, Der Ausdruck Xao^
LdxoLiwv unseres Fragmentes jedoch ist mit Entschiedenheit
als verfehlt abzuweisen, da derselbe nur der Ilias eigen ist
und das 'gerüstete Achäerheer' bedeutet, nicht also in der
Odyssee, zumal nicht an unserer Stelle, wo von dem fried-
lichen Pyliervolke die Rede ist, statthaft sein kann. Zu
einer Aenderung wegen des gedoppelten eXa war kein stich-
1) Vgl. über diese des Vs. Aufsatz in den Sitznngsber. 1891,
H. 4, p. 539 sq.; A. Lud wich im Sommer^Lektionskatalog der üniv.
Königsberg 1892; J. v. Leeuwen jr. in der Mnemosyne nov. ser.
vol. XX, p. 1 sq.
Menr<id: Die neuentdeckten Genfer Homer fragmente, 167
haltiger Grund vorhanden, da dasselbe 0 515/6 in noch
näherer Nachbarschaft sich findet.
y 394 lautet die Vulgata: . . TtoiXd d' ^id'rjVTj \ ^xer^
anoanivdcov^ ycovQy Jiog alyioxoio. Statt der 2. Hälfte
des letzteren Verses bietet das Fragment * — ^eXirjdea olvov
€qv9q6v\ so dass y 394^ = i 208^. Aber an letzterer Stelle
ist die nachdrückliche Hervorhebung der Güte des Weines
durch zwei Epitheta ganz anders am Platze als in ;^: handelt
es sich doch dort um den Wein, den Odysseus von Maron
zum Geschenke erhalten hatte und der nun zur Berauschung
des Poljphem dienen soll: mit echt homerischer Kunst wird
die Wirkung des Getränkes durch eine detailierte Angabe
seiner Herkunft oder Etiquette vorbereitet. An unserer Stelle
hingegen empfängt Athene, deren leibhafte Anwesenheit eben
die Anwesenden in ahnungsvollen Schauer versetzt hatte,
eine ehrenvolle Libation. Dazu kommt, dass aTvoaTtevdu) an
den beiden übrigen Stellen ^ 331 := t 288 absolut gebraucht
sich findet, ebenso in der Regel das viel häufigere artevöu},
y 400 ist die La. naq d' oX für naq d' a^* wegen des
vernachlässigten Digammas und der Wiederkehr von oi im
folgenden Verse völlig wertlos.
Während fr. III {A 44 — 60) keine Varianten aufweist,
finden sich in fr. IV und V {J 82—95 und Z 327—353) nur
solche orthographischen Charakters, worüber in Teil II ge-
handelt werden soU.
Von ganz besonderem Interesse ist hingegen das auch
dem Umfange nach bedeutendste Fragment VI, das 3 aufein-
anderfolgende Seiten {pekiöeg) umfasste, von deren erster nur
noch die Endbuchstaben entziffert werden konnten, ebenso
wie von der dritten nur noch die Anfänge, während die in
der Mitte liegende Kolonne sich einer seltenen Integrität er-
freut und namentlich durch gute Ueberlieferung völlig
neuer Verse uns einen äusserst schätzbaren Eindruck in
die Mache dieser bei dem Dubliner Fragment noch so rätsel-
12*
168 Sitzung der phüosrphüol, Classe vom 5, Mai 1894.
haften Gebilde thun läfist. Dieses Bruchstück umfasst den
Ausgang des Buches ^ und Anfangsbuchstaben der ersten
12 Verse von M. Der 2. Teil des Buches ^, die ofidia
NiatOQog %ai IlatQoyckov^ enthält bekanntlich gegen den
Schluss der langatmigen Rede des Nestor die Aufforderung
desselben an Patroklos, entweder Achill für die Wiederauf-
nahme des Kampfes zu gewinnen oder wenigstens an Stelle
des Freundes selbst, mit dessen Waffen angethan, zu Hilfe
zu kommen. Ohne eigentliche Zusage^ aber innerlich tief
erregt, entfernt sich Patroklos, um zu Achill, der ihn ent-
sandt hatte, zurückzukehren: auf halbem Wege trifft er mit
dem verwundeten Eurypylos zusammen, den er nach kurzer
Zwiesprache über den Stand des Kampfes ins Zelt trägt, um
ihn dort zu pflegen. Es sind warmempfundene, von einem
gewissen natürlichen Pathos getragene Verse, welche, mögen
sie auch nicht zu den alten Bestandteilen des Epos gehören,
wie man anzunehmen berechtigt ist, doch einen wohlge-
lungenen Abschluss des Buches ^ bilden.
Betrachten wir nun dieselben in der uns von dem Frag-
mente gebotenen Form, so zeigt sich zu unserer Ueberraschung
eine so bedeutende Anzahl von Veränderungen tief ein greifen-
der Art, dass wir verwundert fragen: wie kommt es, dass
unsere Handschriften und Scbolien von der Existenz eines
solchen Textes kaum etwas ahnen lassen?
ud 791 (TavT^ eiTioig LixiXfiL datcpQOvc^ dl xe ni^ri%ai)
endigte in der Hs. des Papyrus auf oov (mit kaum les-
barem a). Nicole sieht darin mit grosser Wahrscheinlich-
keit die Reste eines imper. aor. act. und vermutet
%avx^ elncüv ^Axii-r^i ddicpQOvt öbvqo xakeaaov.
Da jedoch devgo auf das Zelt des Nestor gehen könnte, wäre
vielleicht die Fassung
Tavz' ehrcüv l^xii-rji (fil(p noXe^ovöe TidXeaaov
Menrad: Die neuentdeckten Genfer Homerfragmente. 169
vorzuziehen, wenn nicht der Ausgangspunkt, die BuchstaVen-
reste oov, überhaupt eine zu schwache Stütze für jede Kon-
jektur bieten würden, so dass wir uns ein Urteil über Wert
oder Unwert der Variante versagen müssen.
Nach V. 795 (xa/ tivd ol naq Zrjvog B7ti(pQade norvia
jurJTijß) stand ein Vers mit dem Ausgang oyeqovxog^ worin
Nicole mit Sicherheit eine Wiederholung von A 538 (556 etc.)
aqyvQoneC^a Qhig^ ^vydzrjQ äXioio yiqowog
erkannt hat: ein müssiger, den Fortgang des ohnehin 8 Verse
umspannenden Gedankens hemmender Zusatz.
Doch nicht genug! Vor v. 796 unserer Texte
alld ae neq TtQoho)^ Sfia cJ' dilog Xaog htea^o}
stand im Papyrus schon wieder ein weiterer eingeschoben,
dessen Reste — wvid^oawv Nicole ebenso schön als über-
zeugend nach n 239 und ^421 rekonstruiert hat:
avrog fxev neveTU) vrjcSv sv dywvi d'oawv.
Trotzdem werden wir schwerlich hierin eine schätzbare Be-
reicherung unserer Vulgata erblicken können. Er trägt den
Stempel eines Rhapsodenfabrikates nur zu deutlich auf der
Stirne: der prägnante Gebrauch von dXkd (at) am Anfange
einer adversativen Apodosis war einem Sänger, wie es scheint,
etwas Befremdendes, Ungewohntes, wiewohl derselbe in der
llias sich 5 mal (^ 82, K 226, T 165, O hll, X 192) findet;
er interpolierte also einen naheliegenden, schon in der kon-
ditionalen Protasis involvierten Gedanken.
V. 796 endigt nicht aixa d' aXkog kacg eneöd^o)^ sondern
. . . hxov dvwx^ta, Nicoles Ergänzung "^tov cJ' akXov Xaov
dvcix^co (sc. enead^ai?)^ die er nach -«^189 für ausgemacht
fcertainement') hält, dürfte doch wegen der durchaus nicht
so einfachen Ellipse des Infinitivs enea&aL auf Schwierig-
170 Sitzung der phäo8,-phüöl, Classe vom 5. Mai 1894,
keilen stossen; an der beigezogenen Stelle folgt /naQvaa&ai
nach. ^) Daher mochte ich die Fassung vorziehen
da hiedurch jene Schwierigkeit beseitigt würde. Jedoch auch
in dieser Fassung konnte ein Vorzug vor der Ueberlieferung
schwerlich erkannt werden.
V. 798 xat TOI tevxea aaXd dorco rcoXefiOvde cpigeadai
endigte im Papyrus mit rj{?)Qr]xd^fjvai^ doch wohl nur der
Rest von ^wgi^x^^^of'» wie Nicole erkannt hat, der ent-
weder die Rekonstruktion
aot de öoto) wfioig td a tevxBa &o}Qrpi^&rpfai^ oder
vorschlägt. Hievon verdient die letztere den Vorzug, da der
verkürzte Dativ (Lfjioig in ersterer nicht unbedenklich ist.*)
Wiederum aber steht eine solche Fassung hinter der unserer
Handschriften zurück: während der Ausgang ^wqrjx^r^vm
( — ifiav^ — iv%€q) 13 mal bei Homer vorkommt, ist TtoXe-
fiovöe q^eQea&ai eine originelle, nur hier sich findende Ver-
bindung.
V. 804 sq. Ohne ein Wort zu erwidern, doch in tiefer
Erregung, hat Patroklos der Rede Nestors gelauscht: sogleich
macht er sich auf, um Achill Bericht über das Gesehene
und Gehörte zu erstatten. In echt epischer Einfachheit be-
gnügt sich zum Ausdruck dieses Gedankens die Vulgata der
2 Verse:
iog yaro, t<[} 5' OQa d^vfiov evl o%\&eoaiv oqivBy
ßi^ äi d^ieiv TiaQa rf^ag e/r' ^Icncidr^v i/;fiA^a.
1) Diels in seinem trefflichen Aufsatze über dieses Fragment
(in den Sitzber. d. k. pr. Akad. d. W. 1894, XIX) setzt dieses f^taQ-
rao&at statt des im folgenden V. 797 sich findenden MvQfiidövmv ein.
2) Diels a. a. 0. hat sich jedoch für die letztere entschieden.
Menrad: Die neuentdeckten Genfer Homerfragmente. 171
Die Hs. unseres Papyrus war damit nicht zufrieden: nach
beiden Versen hatte sie noch je einen aufzuweisen. Der
Rest von 804' ^naxrjoeöe^vfxo! wird von Nicole glücklich
ergänzt zu
TBiqe yoQ alvov o^og Tigadirjv^ aKaxT/OB de d^vfjov
im Stile von 11 52. Man kann gegen diese Erweiterung
allerdings nur das schon gestreifte ästhetische Moment ein-
wenden: der Vers war nicht notwendig oder wohl entbehrlich
und läuft dem ^semper ad eventum festinat' des Horaz ent-
gegen.*) um so schlimmer steht es mit 805', in dessen
freilich sehr geringen lieber blei bsein
vo a . , a , .
Nicole dennoch den Halbvers
za finden das Glück hatte. Wenn er aber den Vers nach
^ 3 ergänzt
Tov d^ evQe Ttqonaqoid^e vecüv oQd'OnqaiQaoyv
und hierein eine Anticipation sehen will, so kann ich aus
sachlichem Grunde nicht beipflichten. Patroklos macht sich
(v. 805) auf, geht v. 806 an den bekanntlich in der Mitte
des Lagers liegenden Schiffen des Odysseus vorbei und trifft
hier mit dem verwundeten Eurypylos zusammen : und in dem
dazwischen liegenden Verse soll er schon bei Achill, dessen
Gezelt am entgegengesetzten andern Ende des Lagers war,
angekommen sein? — Eher mochte der verloren gegangene
Vers das ungeduldige Warten Achills bezeichnen, also etwa
. . Idxi'kila
di]dvvovta noQOid^e vecov OQd-oxqaiqdcov,
1) Auch Di eis findet den Yers , wider den homerischen Stil
zugefugt".
172 Siteung der phüosrphilol, Glosse vom 5. Mai 1894,
Indes gilt von 805' wie von 804' ein 'parum liquet\ Eine
Zierde bildete aber auch ein solcher Vers nicht, schon weil
in 3 aufeinanderfolgenden Versen das Wort v^eg sich breit-
macht. ^)
Nach V. 807 (J^e &ewv IlaTQOKXog^ iva aq)' dyoQTq u
^ifAig te) findet sich wieder ein Neuling, gleichfalls mit
dem Ausgange ^oxQaiQdiüv. Nicole ergänzt ihn zu
%ai TiXialai^ n^ndqotd'e veuiv OQd-oxQaiQdcjv
mit Aenderung von ijiyv (808) in r^aav.^) Vielleicht war der
Hinweis darauf, dass dieser ^Versammlungsplatz^ und diese
^Malstatt' in der Mitte des Schiffslagers, eben in der Nähe der
Zelte des Odysseus, lag, in unserm Verse markiert, also etwa
. . iva oq)^ ayoßtj ze S^ifitg tb
€v fiiaaiif dedfifjto veüv oQ&oxQaiQawv
und die Hs. unseres Papyrus fuhr dann mit Vermeidung des
sprachlich verdächtigen, in der Ilias singulären ijrp^ und des
unschönen Rhythmus von 808 (ijtjv \ rj drj | . .) etwa folgender-
massen fort:
Ty (Jij xai acpi d'eüv uqoi {ma'koi^) hBzevxato ßcj/Aoi
Wiederum stehen wir vor einem Rätsel. Nur das Eine
steht fest, dass, falls die Ergänzung von og&oyiQaiQdiüv (805')
richtig ist, die Wiederholung desselben Wortes in 807' un-
erträglich ist, mag man den ^disiectis membris' der beiden
Verse noch so viel Leben einhauchen wollen.
1) Dielg hingegen will auf der Photographie die Reste
6NAYN6(J>AAA erkennen, woraus er mit Hilfe von 3 855 er-
* • • • •
gänzt dyysUijy sqecov avrig t' evövve (pdXayyag, muss aber zuge-
stehen, dass evövve in diesem Sinne unhomerisch ist. Die Anknüpfung
eines neuen Gedankens mit re scheint mir bedenklich.
2) Di eis rekonstruierte: naodoDv jtQOjioQoi^e v, 6.
Menrad: Die neuentdecJcten Genfer Homerfragmente. 173
V. 809 bietet die barbarische Form avtefioltjoe für
avTeßokfjüe: sie scheint sich der Schreiber, dem dvrißoXeiv
unverständlich war, aus fAoXeiv zurechtgelegt zu haben. Auch
Apollonios Sophista fingierte diese Form.^)
Die Variante aito ds vvoriog ^eev i[^dQiüg] in v. 811
{iir xazd de . . , — so einstimmig die Handschriften an der
Parallelstelle ^^ 715 — scheint nur ein Irrtum des Schreibers
zu sein, dem drco der nächsten Zeile bereits yorschwebte.
(üeber woTiog s. u. IL)
V. 814 heisst Patroklos Mevoizlov dylaog viog in
unserm Papyrus, eine Variante, die merkwürdigerweise auch
der Vratislaviensis b kennt. Sie ist gänzlich wertlos: der
Held führt anbestritten an 11 andern Stellen das ^kräftige^
Beiwort ^aXnifAog^^ während das ungleich schwächere ^dylaog
t'idg 26 mal, auch von Helden letzter Grösse in der Ilias
gebraucht wird. Die Aenderung erklärt sich daraus, dass
dem Schreiber cckxifAog unverständlich war, da er ja auch
V. 823 aXnag l^xaiwv nicht mehr verstand und in ein täp-
pisches rif.iaQ ^^xcciwv verschlimmerte, wobei ihm ein ^^ine
d' aiaifAOv ^f^aq lAxaiüv (©72) nebelhaft vorschweben
mochte.
Statt des stabilen Verses 815
%OLi g' 6loq)VQ6fi€vog k'rcea meqoEvxa TtQoarjvöa
hat der Papyrus den gleichfalls stabilen
iv d' aqa ol q)v xetQi^ ertog t' lyar' Ix t' ovofda^sv
Was den Vorzug verdiene, lässt sich nur einigermassen,
aber nicht entscheidend durch Erwägung des ästhetischen
Moments bestimmen, dass der erstere Vers bei heftiger,
schmerzvoller Gemütserregung gebraucht wird, hier also im
1) ed. Bekk. p. 31, 31 : avxißoXtjaai . . . eaxiv oTov dvufzoXfjoai,
ävTifAoksTv. Auch ist es nach Schol. Ven. A La. zu H 114.
174 Sitzung der phüos.-philoL Clasae vom 5, Mai 1894,
Anschluss an das vorhergehende ^ix%eiQe passend erscheint,
während letzterer mehr einer gemütvollen Teilnahme ent-
spricht und nicht, wie hier, von einem Ausrufe gefolgt zu
werden pflegt.
V. 822 kommt Eurypylos zu dem unverdienten Epi-
theton nenw^ivog durch unsem Papyrus, dem wieder 2 Hand-
schriften, C und L, beipflichten, und was weit wichtiger ist,
ein Scholion intermarginale des Ven. A notiert diese La. als
in einem Exemplar vorhanden: ^iv äXX(^ nenvvixivog , Offen-
bar war dieses identisch oder verwandt mit dem Exemplar,
dem unsere Papyri angehörten. Die Urheberschaft der Va-
riante scheint diesmal einen Rhapsoden zu treffen, der das
ßeßkrjfAivog^ das schon 809 sich findet, variieren zu müssen
glaubte. Mit Unrecht. Homer war, abgesehen von Tele-
machos (46 mal) und Antilochos (2 mal) mit dem Beiwort
nenvvfAtvog jüngeren Leuten gegenüber nicht verschwende-
risch, wohl aber erteilt er es dem ehrwürdigen Greisenalter,
einem Antenor, Pulydamas, Laertes, oder Herolden, die es
ja sein müssen, endlich dem im gereiften Mannesalter stehen-
den Meriones.
Und nun die umfangreichste Variante der neuen Funde!
Statt des einen Verses 827
(. . xiarai ßeßXrifisvoi ovrafxevol te)
XeQolv VTto Tqwwv TviJv de ad-evog OQvvzai aliv^
weist der Papyrus nicht weniger als 3 bisher völlig unbe-
kannte auf:
'Tov de ad-evog aev ogwqe
827 exTOQog og raxcc vtjag evinXeiarj tvvql KrjXeuo
827 drjiwoag Javaovg naqa div aXog avraq ^/lAifivg
827'" [fia]^Aog e[wi^] Javacov ov xrjderai ovo eXeaiQei.
Mit Recht macht Nicole darauf aufmerksam, dass durch
diese Ausführung ein lobenswerter Parallelismus zwischen
Menrad: Die neuentdechten Genfer Homer fragmente. 175
Frage und Antwort hergestellt wird: hatte doch Patroklos
sich mehr nach den Erfolgen Hektors als denen der Troer
erkundigt, 820/1
fj Q^ exL nov axTjoovai Trehiqiov ^'Ektoq^ !dxcLioi^
^ r^drj q)&laovTai vn^ avrov dovQi dafiivTeg,
Und dennoch vermag uns die Durchführung dieses Paral-
lelismus wenig zu erbauen: 827' ist im Stile von 0 507
(© 235 ist wahrscheinlich unecht). Und soll hier der Hin-
weis auf eine That Hektors, die erst im Buche 0 erzählt
wird, besonders glücklich sein an Stelle der Erwähnung
seiner gegenwärtigen Heldenthaten? 827" und 827'" aber
tragen den Stempel stümperhafter Mache so sehr an der
Stirne, dass es genügt darauf hinzuweisen, dass die Worte
avTQQ—^ekeaiQei geschmacklos aus v. 664/5 an die hier noch
geschmacklosere Phrase ^iraqa &iv^ aXog (aus v. 622) ange-
kleistert sind. Würde also im Papyrus die im Grunde an-
erkennenswerte Idee, einen Parallelismus zwischen Frage und
Antwort herzustellen, kräftig und originell durchgeführt sein,
so müsste diese Fassung fast den Vorzug verdienen, so aber
verrät sich der Interpolator nur allzu deutlich selbst. Hiezu
kommt noch ein ästhetisches Moment: für den verwundeten,
hilfebedürftigen Eurypylos ist ein längeres Verweilen bei dem
Kampf berichte durchaus unpassend; er thut recht, wenn er
möglichst bald auf seine eigene Angelegenheit zu sprechen
kommt.
Es erübrigt nur noch die Variante naoGoiv für Ttdaae
(v. 830): Nicole sucht dies Rätsel dadurch zu lösen, dass
er 831^ — 836 für einen Zwischensatz hält und die Fortsetzung
zu TtCLOffwv in dem Baume von 2 Zeilen vermutet, die zwischen
836/7 gestanden haben, aber spurlos verschwunden sind. Auch
angenommen, dass dies^e Parenthese ohne weiteres zulässig
wäre, so würde nun die ohnehin 9 Verse umspannende Periode
(828 — 836) noch durch das Bleigewicht zweier Verse beschwert
176 Sitzung der phüos.-phüol, Clasae vom 5, Mai 1894.
werden, gewiss kein empfehlenswerter Äbsehluss einer Rede
im Munde eines verwundeten Kriegers.^)
Endlich ist noch v. 848 Yax' odvvag für eox' o. unserer
Handschriften zu erwähnen: das Tempus (sedavit, nicht se-
dabat) spricht entschieden für die Vulgata.
II. Orthographiseh-phonetische Yarianten.
a) Konsonanten. Fragment I bietet die Assimilation
6fÄ ^eydgoiai (y 401), einen durch inschriflliche Zeugnisse
(z. B. ifi MeliTTj CIA. I 324a) hinlänglich bekannten Vor-
gang. Von ganz besonderem Interesse ist die Gemination
anlautender Liquida 2 mal in fr. VI: di woTiog (-^811) und
vdazi XkicQ^ (830), eine treffliche Illustration zu dem be-
kanntlich von Hartel in seinen homerischen Studien (I)
fixiertem Gesetze, dass die Längung kurzer Vokale in der
Arsis in den weitaus meisten Fällen durch die dynamische
Wirkung des folgenden Dauerlautes, zu erklären sei.
b) Vokale. Fragment IV und V sind hierin scharf von
fr. VI zu scheiden: während die beiden ersten nur den in
Handschriften so gewöhnlichen Itacismus, die Vertauschung
der I- Laute (fr. IV ofASiXov Z 86, fr. V df4g>ijdedf]e Z 329,
fAiXixioiai 343) und die gleichfalls handschriftlich und in-
schriffelich übliche Verwechslung von ai und e (fr. V fJia%aL'
aaio Z 329) aufzuweisen haben, zeigt fr. VI in dem 3 maligen
Gebrauch von ei = i; (.i^x^^^'^g -^ 831, elaav 825, ivi-
nXeiOTj 827') sowie 3 mal umgekehrt rj = ei {hinXeiarj^ TIo-
dahffiiog 833, TlatQOi^Xtiq 824) zwei graphische Besonder-
heiten von Bedeutung. In der ersteren haben wir nicht
den Diphthong fii, sondern nur einen orthographischen Aus-
druck für geschlossenes e zu erkennen, der im Jonischen und
Attischen sehr gebräuchlich war. Die zweite Besonderheit
mag wohl auch auf den Itacismus zurückgehen.
1) Di eis hingegen hält Tidoacov für ein Versehen statt des
(Imperativischen) Infinitivs jtdaosiv.
Mefirctd: Die neuentdeckten Genfer Hamerfragmente. 177
Die übrigen Varianten der Papyri sind teils metrische
Verstösse {iv Xixeaoi y 399, wi^cv ij xaiiivi 392, d-avfiaaev
— w _ 373^ Ki]lei(it A 827'), teils Irriiümer grober Art wie
ln\) A 830, fi^uvra Z 330, dr], vjt (=±= (Jj^üi:' ? Diels)
= d^ avr' A 828, q>d^u%ai = q>d^eiaovTai 821 [mit u für £,
cf. Hesych., Apoll. Rh. 3, 465, Or. Sibyll. 3, 400, Variante
Od. 0 354], ivinXslarj = iviTtQi^aei A 827', alle ohne Belang
für die Textkritik. Die Verschreibung J 85 in fr. 4
axai
wg aoa Tig eXTveaxev idcovwv
rührt von der Reminiscenz an das bekannte Hemistich ^Idciv
eg Trlrjolov ixX'kov her.
Um einen Ueberblick über das nunmehr rekonstruierte
Fragment VI zu bieten, lasse ich es hier mit sämtlichen Va-
rianten (im Drucke gesperrt) und Ergänzungen (in Klammern)
folgen.
A) Linke Kolonne.
788 [&Xk^ iv Ol qxxa^ai Ttvnivov enog tjd^ V7t]o&€ad[ai\
789 [xat Ol atjfAaiveiv' 6 de Treioerai elg d]ya&6v neq,
790 [c?g BTtetElX 6 ysQiüv, av* di Xr^^eai. di]i/ eti aal vvv
791 [tuvt elirtcüv lAxiXfji q)iX(if 7t6Xef.i6vde iidXea]aov.
792 [rig old\ ii nev o\ avv dai^ovi &xi\fji6v OQivaig
793 [naqtinwv; dyad^ri ^^ 7raQaiq>aalg e]aTiv izaiqov,
794 [6t de Tiva q^Qeat j^ai d-eonqonirpf] dXelvet
795 [xat tivd oi naq Ztjvog eneq)Q]ade Ttozvia f^^TijQ
1%' [dqyvQOTte^a Oerig^ x^^vyaTtjQ dXioi]o ycQOVTog^
795 [avTog /liv vtjiuv ^eveTta iv dy](Zvi d-odiov
796 [oild ae neq TtqoeTw^ nat eTtead-ai] Xaov dvwx^o)
791 Buppleyi ego, Nicoleum secutus qui ravt* ehtoyv 'Axt^^ct dattpQoifa
dsvQo xdXsoaovteniat'f xavx eiJiois'Axt^fii Satq?Qovi, aixs m'&rjtat vulg.
794 fort. äXetvei = dXesivsi?
795' et 795" suppl. Nicole.
796^ supplevi ego ; . . ä/ia 6' äXXog Xaog inea^co vulg. ; tov ö^ äXXov
^aov ävfox'^fo Nicole; item Di eis, qui in v. 797 fidgraa^ai pro
MvQfudovcov Bubstituit.
178 Sitzung der philos,-phüol, Glosse vom 5. Mai 1894,
797 [MvQfiid6vo)v^ eX xiv ri g>aog Javaoio\i yivrjar
798 [xat äotio lOfAOiiv xä a revxea ^]a}Qfjx^ilvc[i^
799 [av xi ae zt^ lanovteg a7ioaxwKr]o(?) noXi^ioio
800 [Tjjöicg, avajivEiaioqi d' dqriioi vug liy^aiüv
801 [cBiqo^ivoL' oXiyri de t' dvdjtvetaig no]l6^oio.
802 [^ela di x' oTtfiiJTag xexfirjoxag av\dQag oWg
803 [waaia&e nQOti oarv vccSy ano xal xkiajidcov,
804 [Sg qdtOj zfi» d' dga &vfAdv svl cnrij^Jeaaty OQivev.
804' [t6Z^€ ydg alvov o^^og xQadirjv, ajxo^iyac de ^i;jMo[v],
805 [/^^ de d-ieiv rcaqd vr^g in^ ^laxidrj]v ^x'^^^j
805' [drjO^vvovra ndqoid^e vew]v 6[Qd'OXQ]a[iQ]d[tov\.
806 [crAA* OTfi dij xard v}]ag ^Oövoar([og ^eioio
807 [f|€ ^6wv ndvQOxlog, iVa ay' ayo^ij] tc v^6fi£g tc
807' [iv fi€ao(^ dedfirjvo vewv 6Q^]oxQaiQd(ov ^
808 [?rB dr) xai <xg>i x^ecuv <f£^ot?> €T«]ret5xfft^o ßcof.ioi,
809 [tV^a Ol EvQvnvXog ßeßkfjfiivog] dvTefioXtjaev
B) Mittlere Kolonne.
810 d^oy^yrjg Evaif40y[ldrjg^ xa]id fiijQoy 6iaz<^^
811 axc^wy Ix jvoXifi[ov]' du 6 de vvoziog qeev l[dQafg]
812 äfUüv xa[i x]£yaA>;g, dno d' ekxeog dqyaXeoio
818 ai^a iii^av] xeXoQv^e' voog ye fiev efinedog [^ev],
814 zov ö[i] idtiv äxzeiqe I\Ievon[lo]v dyXadg viogj
815 tv T a^a ot yr x*'P* «/rog t' eq>az ex z ovofiaQe[v\
7d8 suppl. Nicole; xai roi revxea xaXä doirn noXsuovds fpBQso^ai vulg.
804' snppl. Nicole.
806' äuppleyi; tov 6* evg€ :rgo:wdgoi&€ vs&v og^oxQcuQdcav Nicole;
Diels, qui n'dyrsqraXa perspicere sibi videtur, supplevit dy/sAiV'
igeiov arriV t' evöt'VB qdXayya^.
807' supplevi; xai xXtaiat, crgojfdgot&f v. 6. Nicole; xaüdoiv jt. v. o.
Diels.
808 v»/*'» ^f) ^'i ^«* <»9 < ^- ^' ß' vnlgo SQspecte traditar.
809 dvTF^oXtjof vulg.
811 ivricv; vulg.; cf. infra 880.
814 tuxiiitv vulg., dyxti(v Vratial. b.
815 xa4 !>' 0x09 fo<»«fitv .^,Tfa .TifooVrra -Totxnyr^a vulg.
Menrad: Die neuentdeckten Genfer Hoinerfragmente, 179
816 o deikol [Jjavaciv Tqy^tOQeg i^ds fiiäovTeg,
817 (og aq* E^iXXere r^Xe cpiXiav nai naxqidog aYrjg
818 aaeiv sv Tgoirj Ta^eag yiivag (XQyiri drj(Ji(^.
819 aiX aye f^oi xode eine, [S\iotQEq)Bg EvqvnvÜ rjQ(og^
820 q ^' €vi Ttov ax^oovac TtetAüqtov ^'E^toq^ i^;fa£[o]t
821 [ij] i^drj q)d^eiTai (i. e. q)d^eioovxai) tvr' amov dovql
• • •
dafÄevTeg,
822 Tov dt] V7C EvQV7cv[lo]g n:errvvf,i€vog avTiov rjvda*
823 oinaTi di oyevig n[a] uqo ycXrjg, ^f^aq Idxaiüv
824 \e\üOBTai^ o[X]A' ev vijvat [fji£]lalv7]atv rceaiovrai,
825 [ol^] f^ev yaQ dr) novreg^ oaoi naqog elaav oqiotoi,
826 SV vri[val]p Tieazai ß[e]ßl7]iiievoi ovrccfievoi re
827 x^^cTtv VTto Tqcüiüv tov de a&ivog äiv ogcoge
827'^'£xro^og, dg rdxcc vf^ag sviTtXeiar] nvgi nrjXeio)
S2T* dtjicoaag Javaovg Ttaqa d'lv^ aXog' avTaq l^^iX-
levg
S2S"'[sG]d'X6g e[cüv] Javatov ov arider ai ovd^ eXeaigsi,
828 [a]n' [ef.i]€ f-tiv ad adioaov aycov eni vj]a f.teXaivav,
829 [i.ir]Qov (5' l'Jxrof/r' oiavcv, oV.' avzov 6' cäiia %eXaiv[6v\
830 [W^' v\öaxL XXieqqiy inv J' ijrrta q^dQf.iaKa ndoocov
831 [sad-Xdy rd ae] nqoxl q)aaiv ^^x^^iclog dediddxS^cct,
832 [ov XeiQO)]v edida^e, dmaiOTazog Kevvaiqcov.
833 \irp:Qot (xiv ydq noöa]XriQiog ijcJe Maxdcov
834 [tov f,tev evt xXialr]]aiv oioiLtai eXxog exovia — —
835 et 836 evanuerunt. Sequitur lacuna duoram versmim.
821 (p^ioovtai vulg.
822 d' avx* et ßsßXrjfievog vulg.; nenw^evog C, L, var. 1. schol. A.
823 UatQÖxXeig, äXxag vulg.
827 xsQolv vn6 Tqcocov' rmv ds o'&evog ogvvtai alsi vulg.
830 XiaQc^, im et Ttdaoe vulg.
831 'AxiXX^og vulg.
833 nodaXsiQiog vulg.
180 Süßung der ]Ma8»'phüol, Glosse wm 5. Mai 1894,
G) Rechte Kolonne.
Post V. 838 /r[c5g nev eoi rode €Qya; ti Qi^o^evy EvqvTivV
Homg ;]
838' prorsus evanuit: Nicole supplevit
aldoiog ve^earjTog o fie Tv^er^xe nvd-ea&ai (= 649)
848 tax' oS[vvaQ . . .] : eax' odvvag vulg.
Ceterum praeter litteras initiales verauum nihil servatur.
Werfen wir nun nochmals einen Blick auf die erstaun-
liche Fülle des uns in den yerhältnismässig geringen Frag-
menten Neugebotenen, so mfisste uns in Bezug auf unsere
bisherige üeberlieferung mit Recht das Gefühl einer bangen
Ratlosigkeit oder Skepsis beschleichen, wenn das Neue auch
ebenso gut wäre. Dass dies nicht der Fall sei, dass selbst
der einzige anerkennenswerte Ansatz (^ 827 tov de a&ivog
aiy 0Q€0Q€) durch die ungeschickte Hand des Interpolators
selbst sich als Gontrebande erweist, glaube ich im Vor-
stehenden dargethan zu haben. Eines aber, das schon in
dem Dubliner Fragmente als hochwichtiges Moment für die
Geschichte des homerischen Textes festgestellt wurde, nämlich
die durchgängige interpolatorische Ueberarbeitung
des Exemplars, dem alle diese Papyri-Fragmente angehören,
ist in gleicher Weise hier wie dort zu konstatieren. Während
das Dubliner Fragment unter 16 Versen 4 neue aufweist,
zeigen die 69 Veree des VI. Genfer Fragmentes 11, also an-
nähernd dasselbe Verhältnis! Auf die gegen 15700 Verse
der Iliiv? gleichmässig verteilt, gibt dies, wie Nicole mit
Recht hervorhebt, einen Ueberschuss von über 2000
(2150—2500) Versen.
Welchen passenderen Namen nun konnten wir für eine
jiolohe Ausgabe finden als den einer ixSooig TrokvcTixog^ selbst
wenn wir nicht wüssten. dass eine solche wirklich existierte?
In meiner AbhandlunüT über das Dubliner Fragment habe
ich das5ieUH> mit der voriier so rat^lhaften TroJivaTixog in
Menrad: Die neuentdeckten Genfer Homer fr agmente. 181
Verbindang gebracht. Diese meine Ansicht findet
Nicole durch die Genfer Funde nun bekräftigt: „La
these de M. Menrad me parait confirmee en grand partie
par le papyrus de Geneve . . . L'epithöte de TtoXvatixog
s^applique merveilleusement ä une Iliade, qui, en admettant
pour Tensembie du poeme la proportion de vers ajoates
constatee dans Tun et Tautre fragment, compterait environ
2500 vers de plus que les editions alexandrines. ** ^)
Aber auch die neuen Genfer Funde können den Glauben
an die Vorzüglichkeit unserer durch den Filter alexan-
drinischer Kritik hindurchgegangenen Homertexte nicht er-
schüttern. Angenommen, Homer wäre uns nur in dem
Exemplar, dem unsere Fragmente angehören, erhalten: die
zahllosen Wucherungen würden seinen Gesängen empfind-
lichen Eintrag thun, so dass das horazische ^quandoque bonus
dormitat Homerus' nur als sehr gelinder Tadel erscheinen
würde, auch wenn die Kritik allen Scharfsinn anzuwenden
bemüht wäre, die Schlacken rhapsodischer Interpolation von
dem echten Golde auszuscheiden.*) Wenn also J. Nicole
1) Auch J. V. Leeuwen in seinem neuesten Buche 'Enchiridion
dictionis epicae' praef. p. 49 zeigt sich dieser Ansicht geneigt: 'in
hac (editione jiolvatlxv) lectos fuisse multos versus, quos alia exem-
plaria omittere solerent, suspicari licet'; er verwirft auch die Ansicht
Tb. Birts (Das antike Buchwesen p. 444), dass die Ausgabe von der
Vereinigung von Ilias und Odyssee in 1 Bande den Namen habe. —
Allerdings ist es noch nicht erweisbar, da die Schrift und besonders
die Orthographie des Dabliner und Genfer Fragmentes so weit
auseinandergehen, wie Di eis dargethan hat, dass beide ein und der-
selben j^noXvoxixog'^ angehörten. Es kann ja auch mehrere gegeben
haben, wie Diels will: aber ebenso gut kann das der Schrift nach
jüno^ere Genfer Fragment eine schlechte Kopie aus der gleichen
j^mkvöTixog'^ sein, wovon das Dubliner eine ungleich bessere dar-
bietet.
2) Auch Diels a. a. 0. kommt zu dem Schlüsse, dass uns eine
Kopie aus einem Rhapsodenexemplar vorliegt, in dem noch „der letzte
Rest schöpferischer Produktionskraft* sich durch freies Variieren der
1894. PhiloB.-philol. u. liist. Gl. 2. 13
182 Sitzung der phüos.'pkUol, Glosse vom 5. Mai 1894.
seine Abhandlang, die einen sehr schätzbaren Beitrag zur
Geschichte der Ueberlieferang des Homertextes stets bilden
wird, mit den Worten schliesst: ^nous ne sommes pas encore
au bout des surprises que, depuis tant de siecles, l'Egypte
menageait aux heltenistes', so können wir nur den Wunsch
beifügen, sein Eifer möge bald durch Auffindung eines Bruch-
stückes von echtem Goldwerte, eines Fragments aus einer
Ausgabe, die den Alexandrinern selbst als Muster vorlag,
gebührenden Lohn finden!
Vulgata mittelst epischen Sprachgntes geltend macht, üeber den
Wert der Varianten urteilt er: ,Was uns hier in dem Nie ol ersehen
Fragment greifbar entgegentritt, scheint die Verachtung, mit der
die Alexandriner jene Ueberlieferung bei Seite geschoben haben, za
rechtfertigen. Denn ich wüsste auch nicht eine Variante zu nennen,
durch die unser Text bereichert oder verbessert werden könnte.*
Herr von Müller hält einen Vortrag:
„üeber Galen's verlorenes Werk vom Beweis/
Derselbe wird in den Abhandlungen veröffentlicht werden.
Historische Classe.
Sitzung vom 5. Mai 1894.
Herr Quid de hält einen Vortrag:
„Einfluss Papst Innoceuz HI. auf das Recht
der deutschen Königswahl.**
Derselbe wird weiter unten veröffentlicht werden.
Herr Heigel gibt
»Beiträge zur Geschichte der Wahl Leopolds II.
zum römischen König."
Dieselben werden in den Abhandlungen veröffentlicht werden.
183
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 2. Juni 1894.
Herr von Maurer hielt einen Vortrag:
„Weitere Bemerkungen über die Huldar Saga**,
welcher im Anschlüsse an den früheren gleichfalls in den
Abhandlungen veröffentlicht wird.
Historische Classe.
Sitzung vom 2. Juni 1894.
Herr Dove hielt einen Vortrag:
„Corsica und Sardinien in den Schenkungen
an die Päpste.**
In die viel umstrittenen Angaben der Vita Hadriani
über die Schenkungs versprechen, die der römische Stuhl von
den karolingischen Königen empfangen, ist auch der Name
Corsica verflochten ; neben ihm erscheint in den kaiserlichen
Pacfcen der Folgezeit, welche den päpstlichen Landbesitz
bestätigen, allerdings nur einmal, überdies an verdächtiger
Stelle, der Name Sardinien. Den Schicksalen der letzteren
Insel im früheren Mittelalter habe ich vor Jahren eine Unter-
suchung gewidmet und dabei auch die der ersteren berührt;*)
über das wahre Verhältniss beider zur Schenkungsgeschichte
liess sich indess ein sicheres Urtheil nicht gewinnen, solange
man sowohl den Text jener Pacta überhaupt, wie die Aussage
des päpstlichen Biographen als ganz oder grösstentheils gefälscht
für historisch unverwerthbar hielt. Wenn ich heut auf diese
besondere Frage zurückkomme, so geschieht es unter sehr
1) De Sardlnia insula contentioni inter pontifices Romanos atque
imperatores materiam praebente, Corsicanae quoque historiae ratione
adhibita (Berlin 1866).
13*
184 Sitzung der historischen Classe vom 2. Juni 1894.
verwandelten Umständen. Mit der positiv eiildringenden
Forschung Ficker's*) begann auf dem Gebiete der Schenkungs-
geschichte der bisherigen Zweifelsucht gegenüber eine nach-
haltige wissenschaftliche Reaktion. Der Beweis der Echtheit,
den er für den wesentlichen Gehalt der kaiserlichen Pacta
erbrachte, muss für unumstösslich gelten, seitdem die diplo-
matische Prüfung Sicker«^) für das Privileg Ottos d. 6r.
sogar die äussere Authenticität ergeben und dadurch zugleich
für die Kritik der nur in später Abschrift erhaltenen Ur-
kunden Ludwigs d. Fr. und Heinrichs II. festen Boden ge-
schaffen hat. Auch auf die älteren Vorgänge fiel jedoch
das neu verbreitete Licht zurück. Vielseitige Erörterung hat
zuletzt dahin geführt, dass die jüngsten Arbeiten über den
Bericht der Vita Hadriani dessen Zeugniss in Bezug auf die
eigene Zeit für durchaus glaubwürdig, d. h. die Promissio
Karls d. Gr. in dem behaupteten Umfange für wirklich ge-
schehen erklären, während sie freilich über den objektiven
Bestand eines vorausgegangenen, gleich umfassenden pippini-
schen Versprechens einander entgegengesetzte Ansichten vor-
tragen. . Zu dieser noch obschwebenden allgemeinen DifiFerenz
rauss auch die Spezialforsch ung selbständig Stellung nehmen.
Die Natur der Streitfrage erhellt aus ihrem Gegenstand.
Die Vita Hadriani erwähnt gelegentlich kurz ein erstaunlich
ausgedehntes Schenkungsversprechen, das Pippin 754 auf der
Reichsversammlung zu Kiersy dem Papste Stephan IL ver-
brieft habe ; sie gedenkt dieses in Zeit und Raum entlegenen
Faktums indess nicht zufällig nebenher, sondern bringt das-
selbe in die engste Beziehung zu einem Ereigniss, das sich
an Ort und Stelle in der Gegenwart zugetragen : da nämlich,
wo sie ausführlich und anschaulich erzählt, wie Karl d. Gr.
774 bei seinem Osterbesuch in Rom auf Andringen Hadrians I.,
d(M' ihm die betreffende Urkunde vorhält, jenes Versprechen
2) Forschungen zur Reichs- u. Rechtsgeschichte Italiens. II (1869.)
3) Das Privilegium Otto I. für die römische Kirche v. J. 962 (1883.)
Dave: Corsica u. Sardinien in d. Schenkungen an d. Päpste, 185
des Vaters, mitverpflichtet wie er durch diesen schon als
Knabe war, in gleicher Ausdehnung ebenfalls urkundlich
wiederholt und mit feierlichem Eidschwur bekräftigt. Und
zwar hätten beide Frankenkönige, wie der Berichterstatter
augenscheinlich dem von Karl ausgestellten Dokument ent-
nimmt, dem hl. Petrus zugebilligt und zu überweisen gelobt:
diu Städte und Landbezirke innerhalb einer bestimmten Grenz-
linie — per designatum confinium, id est: a Lunis cum
insula Corsica, deinde in Suriano, deinde in monte Bardone,
id est in Verceto, deinde in Parma, deinde in Regio, et ex-
inde in Mantua atque Monte Silicis ; sodann den gesammten
Exarchat, wie er vor alters war, die Provinzen Venetien und
Istrien ; dazu das ganze Herzogthum Spolet und das Herzog-
thum Benevent.
Die Bedenken, welche der einfachen Annahme dieses
Berichts im Wege stehen, sind, was Karl und Pippin je für
sich betrifft — wenn man so trennen dürfte — sehr ver-
schiedener Art. Dass Karl ein solches Versprechen nicht
erfüllt, ja nicht einmal Anstalt dazu getroffen hat, ist gewiss;
allein vieles, was wir sonst über sein Verhalten in dieser
Angelegenheit erfahren, liefert zwar nicht den vollständigen
Beweis dafür, aber stimmt doch entschieden zu der Voraus-
setzung, dass er ein solches Versprechen nichtsdestoweniger
wirklich gegeben. Wir lesen die Klagen und Mahnungen
Hadrians in dessen Briefen von 774 — 776, deren Sammlung
und Erhaltung im Codex Carolinus wir der eigenen Fürsorge
Karls verdanken ; wir ersehen aus den späteren Schreiben des
Papstes in Verbindung mit dem urkundlichen Zeugniss der
Pacta, dass der König den römischen Stuhl — 777/78 — dazu
bewogen hat, auf die Ausführung der wichtigsten Theile jener
ungeheuren Verheissung zu verzichten, während er ihn anderer-
seits nach und nach durch eine stattliche Reihe einzelner Ein-
räumungen, seien es blosse Einkünfte, Patrimonien, oder ganze
Städte, im engeren Umkreise des einst versprochenen Gebiets
186 Sitzung der historischen Glosse vom 2. Juni 1894.
einigermassen entschädigt. Bei dieser Sachlage besteht somit
einzig die innere Schwierigkeit, den Widerspruch zwischen frü-
herem und späterem Gebaren des Helden — mag man nun
Uebereilung und Wankelmuth, oder vorbedachte Treulosigkeit
dahinter suchen — zu erklären.
Oanz anders verhält es sich dagegen mit dem. angeb-
lichen Versprechen Pippins, sobald man dies allein ins Auge
fasst: ein dringender Zweifel an seiner Realität entspringt
aus äusseren Gründen vergleichender Quellenkritik. Denn
Pippin hat nicht nur ebenfalls, wie ja die Vita Hadriani,
übrigens ohne ein Wort der Rüge, selbst bemerkt, eine so
weitaussehende Zusage nicht erfüllt; vielmehr scheint auch
dafür, dass er sie überhaupt jemals ausgesprochen habe, die
gleichzeitige, in sich wohlzusammenhängende Ueberlieferung
nirgend Raum zu lassen. Weder die fränkischen Annalen,
noch die Viten der zeitgenössischen Päpste, noch endlich
deren im Codex Carolinus aufbewahrte Briefe legen die
geringste Vermuthung nahe, dass es sich 754 zwischen ihm
und Rom um mehr gehandelt habe, als um das bekannte
Programm, das er alsbald wirklich durchgeführt: um die
sogenannte Herstellung der Gerechtsame des hl. Petrus, d. h.
die Auslieferung der jüngsten langobardischen Eroberungen,
einschliesslich des Exarchats, an das päpstliche Regiment.
Niemand würde sich daher besinnen, die posthume Erzählung
der Vita Hadriani in Bezug auf Pippin schlechtweg zu ver-
werfen, bildete nicht die Promissio von Kiersy den unent-
behrlichen idealen Hintergrund für die zwanzig Jahr jüngere
Promissio von Rom. Der Vortritt Pippins, der Zwang, den
sein Beispiel auf Karls Nachfolge ausübt, stellt nicht bloss
in formaler Hinsicht den Angelpunkt der ganzen Erzählung
dar; er erklärt zugleich dem Wesen nach und entschuldigt
damit, wenigstens historisch, das Benehmen des Sohns.
^Blosse Confirmation**, sagt Ficker kurz und gut,*) , konnte
4) A. a. 0. II, 330 Anm. 9 ; vgl. III, 447.
J
Dooe: Gorsica u. Sardinien in d, Schenkungen an d, Päpste. 187
Karl kaum ablehnen/ Das Versprechen ward diesem zwie-
fach abgenöthigt, durch Pippin nnd Hadrian. Dass er sich
dieser Fessel durch hinhaltende Politik wieder zu entledigen
verstand, dürfte man ihm sachlich doch nur dann verdenken,
wenn nach der Kenntniss, welche der fränkische Hof seit
754 von den römischen Zuständen gewonnen, die Gründung
eines päpstlichen Grossstaates 774 noch als vernünftige Hand-
lung hätte betrachtet werden können. Wird also die innere
Schwierigkeit, die dem Glauben an Karls Versprechen gegen-
über einzig ins Gewicht fiel, in ausreichender Weise gehoben
durch den Glauben an das Versprechen Pippins^ so bleibt
als einzige Aufgabe übrig, die äussere Schwierigkeit, auf die
der Glaube an das letztere stösst, wo nicht zu beseitigen, so
doch zu umgehen. Eine Lösung dieser Aufgabe versuchten
jüngst: die Abhandlung von P. Kehr über „die sogenannte
karolingische Schenkung von 774**,*) und durch sie angeregt
in origineller Abweichung der Aufsatz von Adolf Schaube
„zur Verständigung über das Schenkungs versprechen von
Kiersy und Elom".*)
Ausgehend von dem zuverlässigen Charakter des geradezu
den Augenzeugen verrathenden Berichts der Vita Hadriani
über die Vorgänge von Ostern 774, bekämpft zunächst Kehr
die auf eine sprachliche Beobachtung gegründete Meinung
Scheffer-Boichorst's, dass inmitten eines echten Textes einzig
und allein die anstössige geographische Inhaltsangabe der
Promissionen auf späterer Interpolation beruhe.'^ Eben von
5) Histor. Zeitschr. LXX, 385 ff. (1893).
6) Ebd. LXXII, 193 ff. (1894).
7) P. Scheffer-Boichorst, Pippins und Karls d. Gr. Schenkungs-
versprechen, Mittheil, des österr. Instituts V, 193 ff. (1884). — Kehr's
Behandlung des sprachlichen Streitpunktes bedarf der Ergänzung.
Es handelt sich bekanntlich um den Ausdruck istius Italiae provinciae,
der sich im Bericht der Vita Hadriani in folgender Verbindung findet :
Karl wird ersucht, zu erfüllen promissionem illam, quam Pippinus et
ipse Carulus fecerant Stephane juniori papae, quando Franciam per-
188 Siteutig der historischen Classe vom 2. Juni 1894.
dieser Inhaltsangabe beweist er vielmehr, dass auch sie aus
der Anschauung staatlicher Verhältnisse heraus entworfen
ist, wie sie nur bis 774 bestanden; wäre sie das Werk
einer Fälschung, so könnte diese demnach höchstens eben
rexit, pro concedendis diversis civitatibus ac territoriis istiua Italiae
provinciae et contradendis b. Petro etc. Weiter unten heisst es yon
Karl : concessit easdem civitates et territcria, worauf die geogi-aphische
Specifikation folgt: per designatum confinium u. s. w. Pro con-
cedendis et contradendis ist nun nicht, wie Kehr will, zu verbinden
mit quando Franciam perrexit, sondern mit quam (promisaionem)
fecerat Pippinus, denn die Verba concedere und contradere fordern
diesen als Subjekt ; von Stephan hätte es heissen müssen : Franciam
perrexit pro petendis oder redimendis, wie Paul I. in der von Kehr
angezogenen Urkunde von 769 richtig sagt : dum Stephanus ad redi-
mendam cunctam hanc Italiam provinciam Franciae properasset regio-
nem. Für die Hauptfrage ist indessen diese grammatische Entschei-
dung ganz gleichgültig. Denn das easdem civitates et territoria an
der Spitze der geographischen Uebersicht beweist jedenfalls, dass der
Autor deren gesammten Inhalt, also neben alt- oder noch oströmi-
schen Landschaften auch bis jetzt langobardische unber den Begriff
istius Italiae provinciae subsumirt. Diese Bezeichnung gehört nun
hier, wie die ganze Einleitung über Pippin und Stephan, entweder
dem Biographen eigen an, oder ist von ihm aus der Bestätigungs-
urkunde Karls herübergenommen, in der natürlich auf den pippi-
nischen Vorgang motivirend hingewiesen ward. In der pippinischen
Vorlage selbst kann, beiläufig bemerkt, weder quando Franciam per-
rexit, noch istius Italiae provinciae gestanden haben, denn beides
passt nicht auf französischen, sondern auf italienischen Boden, ista
steht romanisch für haec. Wir erhalten also die einfache Thatsache,
dass in einem im April 774 zu Rom verfassten Schriftstück — sei
es die Vita Hadriani allein, oder auch die von ihr benutzte Urkunde
Karls — der Ausdruck Italia provincia, der bisher, wie Scbeffer
geltend macht, correkt nur das nichtlangobardische Reichsitalicn
bezeichnete, zum erstenmal, wie es später stets geschah, vermöge
einer zugleich an die frühere Vergangenheit anknüpfenden Erweite-
rung auch auf das langobardische Gebiet erstreckt ward; wobei
nicht zu vergessen ist, dass man eben in diesem Moment an der
Curie das langobardische Gebiet als solches vernichtet zu sehen
wünschte und hoffte. Ein umfassender Gebranch von ista Italia pro-
Dove: Corsica u. Sardinien in d, Schenkungen an d. Päpste, 189
damals , etwa um Karl zu täuschen , vorgenommen worden
sein. Das Hauptverdienst seiner Arbeit liegt sodann in
der einleuchtenden Auslegung, die er dem zuvor räthselhaft
erscheinenden Theil jener Inhaltsangabe angedeihen lässt.
Die wunderliche Grenzlinie nämlich, von Luni quer über
Appennin und Po bis nach Monselice, bezieht sich danach
auf das königliche Langobardien im engeren Sinne; von
diesem schneidet sie rücksichtslos ab ein südliches, vornehm-
lich Tuscien und die halbe Emilia umfassendes Stück, das
zur Abrundung der übrigen, einzeln genannten und ungetheilt
dem Papstthum zugesprochenen Landschaften bestimmt ist
— der bis vor kurzem oder noch jetzt byzantinischen Ge-
biete, Exarchat und Venetien-Istrien, und der politisch selb-
ständigen langobardischen Herzogthümer, Spolet und Bene-
vent. Um nun, wie die gesammte geographische Inhalts-
angabe, so insbesondere auch jenen brutalen Schnitt durch
den Körper des Königreichs von Pavia auf eine echte Pro-
missio von Kiersy zurückführen zu können, entwickelt Kehr
eine Hypothese, deren sich, wenngleich in behutsamerer
Fassung, schon vor ihm Abbe Duchesne in der Einleitung
zu seiner Ausgäbe des Liber Pontificalis bedient hatte. ^)
Was dieser von den päpstlichen Biographen des 8. Jahr-
hunderts • überhaupt bemerkt : sie lügen nicht, aber sie ver-
schweigen — wird hier speziell auf den Autor der Vita Ha-
driani angewandt: er habe versäumt, zu erwähnen, dass die
grosse Verheissung Pippins nur für einen bestimmten Fall
gegeben ward; einen Fall, der zur Zeit dieses Königs gar
nicht eintrat, dagegen unter Karl, gerade Ostern 774, un-
yincia = dies Land Italien lag aber um so näher, wo es sich, wie
hier, um den gedachten Gegensatz zu illa Francia provincia handelte.
Provincia bedeutet Land überhaupt ; Stephan IL selbst schrieb 755
an Pippin (Jaffe, bibl. IV, 38) von seiner Fahrt nach Frankreich, er
sei gereist: in tam spatiosam et longinquam provinciam.
8) Le Liber Pontificalis, introduction p. CCXXXVI sqq.
190 SUzung der historischen Glosse vmn 2, Juni 1894.
mittelbar bevorzustehen schien. Ausser . dem nächsten und
eigentlichen Zweck der frankischen Intervention, wie er dann
in der That durch die Feldzüge von 754 und 756 erreicht
ward, erwogen nämlich Pippin und Stephan nach Duchesne
und Kehr von vornherein auch den möglichen, obschon nicht
ernstlich beabsichtigten Ausgang, dass der Krieg zur volligen
Niederwerfung und Auflösung des Reiches von Pavia führe.
Für diesen Fall ward un plan de partage de Tlt-alie conquise,
wie Duchesne es nennt, verabredet; nach Kehr^s Definition
ein Zusatzvertrag, der das Eventualversprechen Pippins ent-
hielt, genannte oder durch Abgrenzung bestimmte Gebiete
Rom zu überlassen, während das nicht zu dieser päpstlichen
Interessensphäre gerechnete Oberitalien der Annexion ans
Frankenreich vorbehalten ward. Das zwanzigjährige Schweigen
der Quellen über eine solche Perspektive der Vereinbarungen
von Kiersy beirrt die Urheber dieser Hypothese nicht ; ward
doch erst 774 der Inhalt jenes Eventualversprechens aktuell.
Karl d. Gr. acceptirt dann in Rom den von Pippin aus-
gestellten Wechsel, allein er honorirt ihn zur Verfallzeit,
im Besitze von Pavia, nicht. Er macht sich selber zum
Nachfolger der Aistulf und Desiderius und räumt so die über-
nommene Verpflichtung formell aus dem Wege ; denn voij
dem vorausgesetzten Untergang des regnum Langobardorum
konnte nun nicht die Rede sein, es hatte bloss den Herrn
gewechselt. Duchesne lässt dabei den König ziemlich frivol
in der Einsicht handeln, que ce qui etait bon ä prendre
etait bon ä garder; doch wird er auch den entscheidenden
politischen Motiven ohne kirchliches Vorurtheil gerecht. Kehr
empfindet als biederer Deutscher ein sittliches Missbehagen;
er spricht von einem schlechten Gewissen Karls, das er mit
weitreichendem Ahnungsvermögen aus den doch nur einseitig
vorliegenden Briefen Hadrians »herausliest".^)
9) Vgl. V. Sybel gegen Kehr, Hist. Ztschr. LXX, 441 A.
Doüe : Corsiea u. Sardinien in d. Schenkungen an d, Päpste, 19 1
Die schwachen Stellen in Kehr^s Darlegung hat Schaube
geschickt hervorgehoben. Aufs neue macht er, Sybel's glän-
zenden Spuren^®) folgend, das argumentum exsilentio geltend.
Er wirft ferner mit Recht die von Kehr umgangene Frage
auf, warum Pippin nach leicht erfochtenem Siege nicht we-
nigstens einen Anfang mit der Ausführung jenes Zusatz-
vertrages gemacht. Vor allem aber betont er treffend, dass
Kehr^s Analyse der geographischen Inhaltsangabe zwar deren
Entstehung nach 774 — wie sie Scheffer-Boichorst wollte —
als ausgeschlossen erscheinen lasse, nicht aber ihre Entstehung
vor 774 beweise.^^) Die deshalb von Kehr selber im Vorbei-
gehen zugestandene Möglichkeit einer gerade 774 vorge-
nommenen Fälschung greift dann Schaube entschlossen auf
und combinirt sie mit Scheffer^s Interpolationstheorie. Nicht
den Biographen oder einen Ueberarbeiter seines Werks be-
schuldigt er der fälschenden Zuthat, sondern den Papst
Hadrian in eigener Person: bereits in die Karl d. Gr. vor-
gelegte und vorgelesene Urkunde Pippins, die ursprünglich
nur das sonsther bekannte Programm von 754 enthielt, sei
jene Aufzählung weiter Landgebiete trügerisch eingeschaltet
worden. Die Vorspiegelung einer in der Hauptsache un-
echten Verheissung des Vaters hätte so dem Sohn die eigene,
10) Die Schenkungen der Karolinger an die Päpste; Hist. Ztschr.
XLIV, 47 ff.
11) Doch läset sich in der geographischen Inhaltsangabe, wie
sie die Vita Hadriani bietet, auch nichts entdecken, was ihre Be-
ziehung auf 754 ausschlösse. Spolet war allerdings, wie Kehr be-
merkt, 751 — 56 mit dem Königreich von Pavia vereinigt; aber das
Papstthum betrachtete den früheren Zustand der Selbständigkeit des
Ducats seinem eigenen Interesse gemäss natürlich als den legitimen
und musste deshalb Spolet 754 vom Königreich abgesondert aufführen.
Auf welche yor 754 anzunehmende Verkleinerung des spoletinischen
Gebiets das et cunctum ducatum Spolitinum der Promissio zielt, ist
freilich unbekannt; daraus folgt aber nicht, dass eine solche nicht
stattgefunden.
192 Sitzung der historischen Classe vom 2. Juni 1694.
formell echte Proniissio entlockt, aus der dann der Biograph
Hadrians ohne weitere Entstellung schöpfte. Erst fern von
Rom wird Karl, nach Schaube, im Verkehr mit , älteren
Herren' allmählich des ihm gespielten Streiches inne; er
kann den Betrug nicht geradezu beweisen, aber er straft ihn
sehr mit Recht, indem er das erschlichene Versprechen nicht
erfüllt. Hier ist denn ^das schlechte Gewissen nur auf Seite
des Papstes •*.
Eine Kritik beider Hypothesen muss sich bei dem Stande
unserer Quellen auf die Abwägung von Wahrscheinlichkeiten
beschränken. Ich beginne mit Schaube's Vorschlag: er löst
das Problem dem Anschein nach vollkommen — die äussere
Schwierigkeit in Bezug auf Pippin ist so glatt beseitigt, wie
die innere in Bezug auf Karl. Von einem nicht vorhandenen
Versprechen des ersteren konnte freilich kein Zeitgenoss etwas
überliefern ; der Wortbruch des letzteren aber wird nicht
bloss historisch erklärt, er erscheint moralisch gerechtfertigt.
Scheffer- Boichorst's philologisch lockende Annahme einer
Interpolation erhält erst nun einen fasslichen Sinn. Denn
durch Ausscheidung des geographischen Passus, der über die
sonst bezeugte Verheissung und Schenkung Pippins so weit
hinausgreift, aus dem Berichte der Vita Hadriani selbst wird
diesem Berichte sowohl, wie der von ihm geschilderten Scene
der Kern ausgebrochen. Für die Herstellung des von seinem
Vater nach der Aussage der übrigen Quellen durch Wort
und That begründeten päpstlichen Besitzstandes war Karl
von vornherein 773 ins Feld gezogen ; es verstand sich von
selbst, dass er dieser bereits freiwillig und öffentlich über-
nommenen Verpflichtung nach dem Siege Genüge leisten
werde. Um Erfüllung einer Promissio Pippins von diesem
beschränkten Inhalt brauchte daher weder Hadrian im April
774 Karl inständig und feierlich zu bitten , noch hätte sein
Biograph den unumgänglichen Akt der Bestätigung in diesem
Falle mit so sichtlicher Begeisterung der Nachwelt zu aber-
Dove: Corsica u. Sardinien in d. Schenkungen an d. Päpste. 193
liefern Anlass gehabt. Durch Verlegung der vermntheten
Interpolation in die alte pippinische Urkunde wird dagegen
der Apparat, mit welchem der Papst wie der Erzähler auf-
treten, nur allzu begreiflich gemacht.
Trotzdem betrachte ich Schaube's Versuch, auf solchem
Wege eine » Verständigung über das Schenkungsversprechen
von Kiersy und Rom* anzubahnen, als verfehlt; anstelle der
beseitigten Schwierigkeiten setzt er eine neue, grössere. Ich
sehe dabei von der moralischen Frage gänzlich ab; wiewohl
ich die Möglichkeit, oder selbst die hohe Wahrscheinlichkeit,
dass das Constitutum Constantini von einem curialen Verfasser
gerade aus den Tagen Hadrians herrühre, und dass dieser
Papst sich selbst gelegentlich ohne guten Glauben Karl gegen-
über auf jenes erdichtete Dokument beziehe, als vollständige
Analogie nicht gelten lassen kann. Ich bringe vielmehr
einzig das intellektuelle Moment in Anschlag. Nach Schaube's
Vorstellung bestand die wahre Promissio von Kiersy einfach
aus dem von Pippin hernach in Krieg und Frieden wirklich
durchgeführten Programm. Seit dieser Promissio waren erst
zwanzig Jahre, seit dem letzten Friedensschluss kaum acht-
zehn verstrichen ; an dem Versprechen hatte Pippin neben
seinen Knaben auch die fränkischen Grossen theilnehmen
lassen. Politische Correspondenz war seitdem zwischen Rom
und dem fränkischen Hof unaufhörlich hin und her gegangen,
die römische Frage in ihrer weiteren Entwickelung hatte
oft genug dem fränkischen Kronrath vorgelegen ; Karl d. Gr.
selber muss sich in den letzten Jahren, als der Conflikt mit
Desiderius heraufzog, in den Besitz der über dieselbe be-
stehenden geschäftlichen Tradition gesetzt haben. Jetzt legte
Hadrian die Urkunde von Kiersy — nach dieser Auffassung
doch das vornehmste Aktenstück aus jener Zeit, die Grund-
lage alles Späteren — in einer Versammlung römischer und
fränkischer Würdenträger vor. Karl liass die neue Ver-
heissung nach dem pippinischen Muster durch seine Kanzlei-
194 Sitzung der histomchen Classe vom 2, Juni 1894.
beamten ausfertigen; auch diesmal unterzeichneten mit ihm
Bischöfe, Aebte, Herzoge und Grafen. In wie erbärmlicher
Verfassung mussten sich auf fränkischer Seite Menschen
und Dinge befinden, wenn unter solchen Umständen der freche
Schwindel gelang! Wie überaus gefahrlich wäre dieser
Schwindel andererseits gewesen, wenn sich auf jene Erbärm-
lichkeit doch nicht sicher zählen Hess! Und was soll man
psychologisch sagen zu der Haltung, die Karl nach der Ent-
deckung des Betruges Hadrian gegenüber zeitlebens einge-
nommen? Aus dem Manne, der das Yerdener Blutbad übers
Herz brachte, macht Schaube*s Hypothese eine der nach-
sichtigsten, um nicht zu sagen schwachmüthigsten Gestalten
der Weltgeschichte. Den durchschauten Gauner, der ihm
durch Urkundenfälschung halb Italien wegzustehlen versucht
hatte, ehrt und beschenkt der gute König nicht allein wieder-
holt: er hält ihn, wie uns Einhard versichert, unter seinen
Freunden besonders hoch und vergiesst bei der Nachricht von
seinem Tode bittere Thränen, wie um einen Bruder oder
lieben Sohn ! Ich finde, dass Karl bei dieser Art von mora-
lischer Rettung im ganzen mehr verliert, als gewinnt; die
Schaube'sche , Verständigung* über das Faktum von 774
geschieht auf Kosten aller an dem Faktum selbst Bethei-
ligten.
Wenn ich demgegenüber die Hypothese Kehr-Duchesne
als den besten Vorschlag begrüsse, der bisher überhaupt zur
Aufklärung über die doppelte karolingische Promission ge-
macht worden ist, so hätte ein solches Urtheil freilich wenig
Werth, wenn ich nicht zugleich jene Ansicht auch durch
eigene Bemerkungen zu stützen unternähme. Um mit dem
vornehmsten Einwurf gegen die Realität der grossen Ver-
heissung von Kiersy zu beginnen, so scheint auch mir das
argumentum ex silentio durch die neue Erklärung wesentlich
entkräftet. Eine lakonische Geschichtschreibung, eine praktisch
gestimmte Correspondenz, wie die päpstlichen Briefe an Pippin
Dove : Gorsica u. Sardinien in d. Schenkungen an d. Päpste, 1 95
nach dem Frieden von Pavia, konnten füglich absehen von
der Erwähnung einer bloss auf dem Pergamente stehenden
Idee, eines nicht zur Ausführung gelangten Eventualprojekts.
Wie aber, wenn von einem Schweigen aller Quellen gar nicht
die Rede sein kann? Ein öfters, zuletzt von Kehr heran-
gezogenes Schreiben Stephans III. an den Patriarchen von
Grado aus dem Jahre 771 belehrt uns, dass Pippin und die
Seinen neben dem römischen Ducat und dem Exarchat auch
Istrien und Venetien allzeit zu schützen schriftlich gelobt
und den gesicherten Bestand dieser beiden Seelande gegen-
über den Langobarden im Frieden von Pavia 754 eigens
aasbedungen haben. Auch davon steht im Leben Stephans IL,
im Codex Carolinas, in den fränkischen Historien nichts.
Wenn aber der Hauptvertrag von Kiersy ein durch den
Papst erwirktes Schutzversprechen für Venetien und Istrien
enthielt, das beim Friedensschluss mit Aistulf nicht vergessen
ward, so gewinnt die Ansicht, dass in einer Nebenconvention
n. a. die eventuelle. Ueberweisung dieser Lande an Rom in
Betracht gezogen sei, ohne weiteres an Wahrscheinlichkeit.
Allein der plan de partage de Tltalie conquise hat noch ganz
andere» direkte Spuren hinterlassen, die es nur richtig zu
erkennen gilt.
Das Pactum Ludovicianum von 817 enthält einen durch
die Wiederholung im Ottonianum als echt gesicherten Para-
graphen, in welchem Kaiser Ludwig gewisse donationes be-
stätigt, die Pippin und Karl dem hl. Petrus spontanea
voluntate dargebracht — nee non, heisst es weiter, et censum
et pensionem seu ceteras dationes, quae annuatim in palatium
regis Langobardorum inferri solebant sive de Tuscia Lango-
bardorum sive de ducatu Spoletino, sicut in suprascriptis
donationibus continetur. Es folgt dann die weitere Nach-
richt von einer besonderen Convention zwischen Karl und
Hadrian, worin der letztere auf die genannten Ducate selbst
verzichtete — über die sich deshalb auch Ludwig die eigene
196 Sitzung der historischen Glosse vom 2, Juni 1894.
dominatio vorbehält — , während dem Papste der jährliche
Empfang der besagten Einkünfte ans Toscien and Spolet
Yon neuem durch Karl zugebilligt ward. In der letzt-
erwähnten Convention '*) erkennen wir seit Ficker den wich-
tigen Vertrag, in welchem Hadrian 777/78 seine bisher an
die Promissio von Rom geknüpfte Hoffnung, Spolet und Tuscien
im ganzen zu erwerben , gegen finanzielle Entschädigung
fallen liess : statt der erträumten dominatio ward er mit den
blossen dationes abgefunden. Dagegen ist es bisher nicht
gelungen, über die im Eingang des Paragraphen berührten
älteren Schenkungen der nämlichen Renten ins Klare zu
kommen ;^^) mit den Promissionen von 754 und 774 wagte
man diese von Pippin und Karl spontanea voluntate coUatae
donationes nicht in Verbindung zu bringen,^*) und doch
12) Es waren eigentlich ihrer zwei; vgl. die archivalische Notiz
bei Pflugk-Harttung, Iter lialicum p. 85: Caroli Magni conventiones
inter ipsum et Adrianum papam I. super censu, qui solvebatur in
palatio regis Langobardorum ratione Tnscie vel ducatus Spoletani.
13) Sickel, der eigentlich allein den Königszins (census) ins Auge
fasst, hält (a. a. 0. 145 f ) for möglich, dass dieser noch zu lango-
bardischer Zeit den Päpsten zuerkannt nnd dann von Pippin und
Karl unter der allgemeinen Rubrik der jura b. Petri nominell be-
stätigt worden sei. Allein die Samme aller Abgaben zweier grosser
Provinzen — das besagt doch census et pensio seu ceterae dationes
— hat sicher kein langobardischer König selbst an Rom überlassen;
auch müssten wir dann die Nennung des ersten Gebers noch im
Ludovicianum wiederholt sehen. — Lamprecbt (Die römische Frage
von König Pippin bis auf Kaiser Ludwig d. Fr., 1889, S. 35 f.) nimmt
eine gelegentliche Schenkung durch Pippin in den „Anfangsjahren
seiner päpstlichen Beziehungen* an. Allein Pippin konnte lango-
bardische Einnahmen höchstens bei den Friedensschlüssen mit Aistulf
verschenken, und unsere Quellen berichten weder hiervon noch davon
etwas, dass in den späteren Conflikten zwischen Rom und Pavia die
Zahlung, was doch unzweifelhaft eingetreten wäre, inhibirt worden sei.
14) Nur Sybel thut das (Hist. Ztschr. XLIV, 82) entschieden,
aber negativ: er findet die Proraission von ganzen Gebieten durch
die Promission von blossen Steuern widerlegt.
Dove: Corsica u, Sardinien in d. Schenkungen an d, Päpste. Id7
ergiebt sich auf diesem Wege nunmehr die einfache Lösung
des ßäthsels.
Ward in Kiersy eventuell verabredet, dass bei einer
Auflösung des Reiches von Pavia der grössere Theil desselben
mit der Hauptstadt an Pippin, dagegen der kleinere mit
Tuscien und daneben das Herzogthum Spolet an das Papst-
thum fallen solle: was lag da näher, als der Gedanke, die
ideelle Gebietstheilung durch eine Regulirung nach finan-
zieller Seite hin zu ergänzen ? Der Palast von Pavia empfing
bis zur Theilung censum et pensionem seu ceteras dationes
auch aus Tuscien und Spolet ; ^*) Pippin versprach, nach der
Theilung als Inhaber von Pavia auf die Einkünfte des ehe-
maligen langobardischen Eönigthums aus den an das Papst-
thum abgetretenen Landschaften nicht schlechthin, sondern
zugunsten des letzteren zu verzichten, und Karl trat Ostern
774 bestätigend auch in diese Verpflichtung ein. Es brauchten
dabei in den Promissionen von Kiersy und Rom die Namen
Tuscien und Spolet nicht gerade auch in finanzieller Hin-
sicht eigens aufgeführt zu sein; es genügte dort vielleicht
nach der Aufzählung der an Rom überlassenen Gebiete die
allgemeine Festsetzung, dass aus allen diesen Gebieten die
bisherigen Revenuen des Paveser Palastes künftig der Peters-
kirche zufliessen sollten. Erst im Vertrage von 777/78, der
Tuscien und Spolet ausschliessUch anging, musste von den
Abgaben dieser Lande speziell die Rede sein; indem König
Karl diese Abgaben nun zum erstenmal faktisch überwies,
empfing der Papst für den Verzicht auf die Gebietshoheit
immerhin eine nennenswerthe Entschädigung. Die neue,
wirkliche donatio aber geschah in der Form einer Bestätigung
15) Spolet war 761 — B6 mit der Krone Pavia vereinigt (a. o.
A. 11), wird jedoch aach sonst bei relativer Selbständigkeit nicht
frei von Abgabenpflicht gewesen sein; besondere Kücksicht auf die
Lage von 754 verräth demnach die pippinische Anweisung auf die
dationes Spoletinae kaum.
1894. Philoa-phUoL u. hist. GL 2. 14
198 Sitzung der historischen Classe vom 2, Juni 1894.
der frühereD ideellen Schenkangen , and das Pactum Lud-
wigs d. Fr. nahm diesen Sachverhalt aus der Vertragsurkunde
von 777/78 herüber. Ich brauche kaum daran zu erinnern,
dass der Name donatio oft genug auch für die ideelle Schen-
kung einer blossen promissio gebraucht wird; das berühmte
Capitel der Vita Hadriani selber wechselt mit den Ausdrücken
promissio, donationis promissio und donatio gleichgültig ab.^^)
Ist meine Auslegung der betreffenden Pactenstelle richtig, so
muss es für die Kehr'sche Hypothese entschieden einnehmen,
dass sie ein Räthsel lösen hilft, auf das bei ihrer Aufstellung
keine Bücksicht genommen worden.^'') Auch die Schaube'sche
Auffassung freilich Hesse sich mit meiner Interpretation ver-
einigen : Hadrian brauchte nur mit seinem territorialen Wunsch-
zettel zugleich jenen finanziellen Nachtrag dem verstorbenen
Pippin in die offene Hand zu schieben.
Ich gehe über zu der berechtigten Frage nach den
Gründen der von Pippin, im Contrast zu dem Traum von
einer Eroberung Italiens, in Krieg und Frieden thatsächlich
bewiesenen Mässigung. Das Schweigen der gleichzeitigen
Quellen wird hier durch die bestimmte Aussage einer spä-
teren, in solchen Geständnissen jedoch sehr beachtenswerthen,
ausgeglichen. Einhard berichtet im Leben Karls, dass der
Krieg von 754 von Pippin cum magna difficultate unter-
nommen sei: quia quidam e primoribus Francorum, cum
quibus consultare solebat, adeo voluntati ejus renisi sunt, ut
se regem deserturos domumque redituros libera voce pro-
clamarent. Wir haben hier vor uns die auf der Reichs-
versammlung zu Kiersy überstimmte Minorität. Ihre Op-
position mochte dem italienischen Krieg überhaupt gelten;
16) Wenn der Biograph Hadrians die römische Promissio Karls
ausdrücklich propria voluntate geschehen lässt, so möchte ich dabei
doch keinen Vorklang des spontanea voluntate im Pactum Ludovici-
anum annehmen.
17) S. Kehr a. a. 0. S. 403 A. 3; 441 A. 1.
Dove: Corsica u. Sardinien in d. Schenkungen an d. Päpste. lÖd
jedenfalls war sie ansehnlich und bedrohlich genug, dass
Pippin alle Ursache hatte, das Ziel seines Unternehmens bei
der Ausführung so bescheiden zu stecken, als die Ehre zuliess.
Um endlich das Verfahren Karls zu erläutern, so ist der
stärkste Ton darauf zu legen, dass die Erhebung des Siegers
von 774 auf den Thron der Langobardenkönige sich ohne
die von Duchesne und Kehr aufgestellte Hypothese kaum
erklären lässt. Nur zögernd eröffnete Karl 773, den Blick
auf Sachsen gerichtet, den italienischen Krieg; er unter-
handelte wiederholt, noch an der Grenze war er zur Umkehr
bereit auf die einzige Bedingung hin , dass Desiderius den
Beschwerden Hadrians ehrlich und gründlich abhelfe. Im
Verlaufe des Krieges mag er sich mit dem Gedanken an
irgendwelche Eroberung mehr und mehr vertraut gemacht
haben. Auch dann aber konnte ihm nichts so fern liegen, wie
die schliesslich gewählte Form einer Personalunion zwischen
Franken- und Langobardenreich. Eine solche widersprach
dem dreihundertjährigen Herkommen seines Volks, wie der
germanischen Anschauung jener Zeiten überhaupt. König
und Nation sind Inhaber des Staats, Eroberungen werden zu
beider Händen gemacht.^*) Der fränkische Name breitet sich
aus, wie über die Stämme im Osten des Rheins, so über
Bomanien , Burgundien , Gothien. In diesem Sirme allein
konnte Pippin den Theilungsplan von Kiersy entwerfen ;
wäre derselbe ausgeführt worden, so hätte die Poebene ein
Theil des regnum Francorum, Longobardia zum Namen einer
fränkischen Provinz werden müssen. Noch 774 stand diese
staatsrechtliche Anschauung so fest , dass die vornehmste
fränkische Geschichtsquelle, die grossen Annalen von Lorsch,
das Ereigniss vom Juni dieses Jahres, indem sie die Erhebung
Karls auf den Thron von Pavia ignorirt, ganz im alten Stile
18) Belege habe ich in meiner Schrift „Der Wiedereintritt des
nationalen Prinzips in die Weltgeschichte" (1890) S. 19 f. gesammelt.
14*
200 Sitzung der historischen Clässe vom ^. Juni 1894.
verzeichnet: ibique venientes omnes Longobardi de cunctis
civitatibus Italiae subdiderunt se in dominio domni gloriosi
regis Caroli et Francorum. Wann und wie also ist die fremd-
artige Idee eines eigenen langobardischen Königthums in
Karls Geiste aufgestiegen ? Ranke verlegt sie in den Moment
der LFebergabe Pavias und weist ihre Conception den von
ihrem Könige abfallenden Langobarden selber zu. „Desiderius
wird aufgegeben*, sagt er,^^) »König Karl tritt die Regierung
an, das Reich der Langobarden aber bleibt in seiner Wesen-
heit bestehen/ Die spätere, sagenhafte Auffassung, an sich
ebenso natürlich wie nichts beweisend, stimmt hiermit über-
ein;- die einsilbigen gleichzeitigen Berichte sprechen nicht
dafür, aber auch nicht dagegen. Und denkbar ist es gewiss,
dass der Wunsch, er möge sich selber ihre Krone aufsetzen,
dem Sieger von den Besiegten entgegengetragen ward —
denn was konnte mehr in ihrem Interesse liegen ? Karl wäre
so zum italienischen Königthum ähnlich gelangt, wie zum
römischen Kaiserthum. Doch bedurfte es in jenem Fall, wo
eine üeberraschung wider Willen ausgeschlossen war, unter
allen Umständen des eigenen Entschlusses. Man kommt also
nicht darüber hinweg, dass Karl den ungewöhnlichen Weg
mit bewusster Wahl einschlug ; am wahrscheinlichsten doch,
weil er in ihm einen Ausweg aus schwieriger Lage erkannte,
und eben hierdurch werden wir auf die römischen Beziehungen
hingewiesen.
Die Osterreise, die Karl 774 vom Lager vor Pavia aus
nach Rom unternahm, galt Zwecken der Andacht. Er hat
dort dem Papste betheuert: nicht, um Schätze, oder Land
und Leute zu gewinnen, habe er mit den Seinen die Mühsal
des Feldzuges auf sich genommen, sondern allein für das
Recht des hl. Petrus, die Erhöhung der Kirche Gottes und
des Papstes Sicherheit, ^^ö) Er bezeichnet damit das wahre
19) Weltgeschichte V, 2 S. 124.
20) Jaff^, bibl. IV, 190.
Dove: Corska u, Sardinien in d. Schenkungen and. Päpste. 201
Motiv, das ursprüngliche Ziel des Krieges; dass er sich jetzt
scbon bestimmt ein weiteres gesteckt, ist nirgend gesagt.
Vermuthlich dachte er, Desiderius oder doch dessen Haus
in abhängiger Stellung bestehen zu lassen, nachdem er ihn
za Abtretungen und Garantien nach der römischen, wie der
fränkischen Seite gezwungen. Auf keinen Fall brauchen
wir anzunehmen, dass er damals bereits mit dem Plan seiner
eigenen italischen Thronbesteigung umgegangen sei; noch
weniger kann, wie sein späteres Verhalten zeigt, eine Wieder-
aufnahme des ihm schwerKch ganz unbekannten Theilungs-
projektes von Kiersy in seiner Absicht gelegen haben. Da
nöthigte ihn Hadrian unter Aufwand theatralischer Mittel
zur Confirmation und Erneuerung des pippinischen Eventual-
versprechens. Selbstverständlich geschah diese Erneuerung
in der gleichen, auf den eintretenden Fall beschränkten Form.
Karl wird, bevor und während er schwur, sehr wohl gewusst
und bedacht haben, dass er sich damit keineswegs zur Herbei-
führung jenes Falls verpflichtete, die der Papst in seiner
Ländergier allerdings für das einzig Mögliche hielt. Für den
König blieb ein vortheilhaftes, die künftige Ruhe sicherndes
Abkommen mit Desiderius noch immer der nächstliegende
Gedanke. Daneben aber musste ihm jetzt das abschreckende
Bild einer eventuellen Theilung mit Rom beständig vor der
Seele schweben. Es wäre psychologisch ganz in der Ord-
nung, wenn er gerade nun darüber nachgesonnen hätte, ob
sich dieser thörichte Ausgang der Dinge nicht auch noch
anders vermeiden lasse, als durch Schonung des Desiderius
oder seiner Dynastie. In dieser Stimmung konnte eine lango-
bardische Anregung den Ausschlag geben zum Beschluss der
Personalunion. Ich sehe nicht, wo hier Raum für Gewissens-
bisse bleibt; es war kein Treubruch, wie kurz zuvor die Ver-
stossung der schuldlosen langobardischen Gemahlin. Karl
wird wohl schon damals im allgemeinen davon überzeugt
gewesen sein, dass es Sache des Papstes sei, wie er 796 an
202 Sitzung der historischen Glosse vom 2, Juni 1894.
Leo III. schrieb, gleich Mose für den Sieg der fränkischen
Waffen zur Ehre Gottes zu beten.*^) Rom sicher zu stellen
und reich zu machen, vermochte er am besten gerade als
König der Langobarden; für die Idee eines geistlichen Gross-
fürstenthums aber war in seinem Kopfe offenbar kein Raum,
und auch Pippin hätte nach der Hypothese Kebr-Duchesne
mit dieser Idee doch eigentlich bloss gespielt.
Nach alledem dürfen wir getrost die geographische In-
haltsangabe im Bericht der Vita Hadriani auf eine echte,
wenngleich nur eyentuelle Promission Pippins von 754 be-
ziehen. In dieser Inhaltsangabe begegnet uns nun der Name
Gorsica an bemerkenswerther Stelle; er ist dem designatum
confinium: a Lunis cum insula Corsica, deinde in Suriano
u. s. f. bis Monte Silicis, einer Grenzlinie, die im übrigen
Continental verläuft, nicht beigesetzt, sondern einverleibt.**)
Sickel, der das Confinium für eine Erfindung des Autors der
Vita Hadriani hielt, suchte das Motiv zu dieser eigenthüm-
lichen Anordnung in dem Vorbild einer Strassenkarte nach
Art der Peutinger'schen Tafel. ^Sieht man auf letzterer*,
sagt er, „Corsica ganz nahe an die Küste gerückt, so vermag
das vielleicht auch zu erklären, dass es von dem Biographen
neben dem von ihm an der Küste gewählten Ausgangspunkte
genannt wird*.*^) Die Benutzung einer solchen Karte, deren
Stephan IL im Frankenreich zur Begründung seiner Klage
gegen Aistulf bedurfte, werden auch wir voraussetzen müssen;**)
doch hat es mit der Fassung: „von Luni ab, die Insel Cor-
21) Jaffe, bibl. 4, 356.
22) Der Autor des Fantuzzi'schen Fragments, der bei seiner
Fälschung augenscheinlich eine Landkarte zuzog, warf Gorsica rein
geographisch zweckmässiger aus der continentalen Linie heraus: In-
cipientes ab insula Corsica eandem insulam integriter, deinde etc.
23) A. a. 0 135 A. 2.
24) Dem designatum confinium liegt ohne Zweifel eine Strassen-
karte zugrunde. Acceptirt man Ficker's einleuchtende Conjektur,
Dove : Corsica u. Sardinien in d, Schenkungen an d, Päpste, 203
sica eingerechnet^, entschieden noch eine andere Bewandtniss.
Gehörte Corsica zum Königreich von Pavia, so forderte die
nach Kehr zur Zerlegung dieses Reichs in einen päpstlichen
und einen fränkischen Antheil bestimmte Landgrenze von
Luni bis Monselice eine maritime Ergänzung, die am ein-
fachsten in der gewählten Form geschah. War die Insel
dagegen nicht langobardisch, so musste sie, sogut wie der
Exarchat oder Venetien-Istrien, von dem designatum con-
finium abgesondert aufgeführt werden. Befremden muss es
daher, dass Kehr in dieser Hinsicht selber einem Zweifel
dass unter Surianum vielmebr Sergianum = Sarzana zu verstehen
ist — einem römischen Schreiber, vielleicht dem Biographen Hadrians,
lag ein Lesefehler nah, da ihm Surianum = Soriano am ciminischen
Berg der ungleich bekanntere Name war — so verläuft die Grenz-
linie von Luni am Magra hinauf über den Cisapass nach Parma auf
alter Passstrasse, von dort nach Reggio auf der Via Aemilia; ebenso
führt von Mantua nach Monselice eine antike Strasse, die dann weiter
nach Padua zieht. Nur zwischen Reggio und Mantua springt die
Linie plötzlich im rechten Winkel willkürlich von der einen zur
anderen Strasse hinüber; gerade hier aber hat der Text statt des
sonst eintönig wiederholten deinde bezeichnenderweise: et ezinde.
Bei wirklicher Ausführung der Theilung musste die scharfe Ecke bei
Reggio übrigens beträchtlich abgerundet werden; denn es versteht
sich von selbst, dass man eine politische Grenze nicht die Heerstrasse
entlang durch Städte legt. Die genannten civitates konnten dem
Papst nicht ohne ihre regiones oder territoria überwiesen werden;
ihre Namen, wie man sie rOmischerseits den fränkischen Herren, mit
dem Finger dem Strassenzug folgend, auf der Karte wies, bezeich-
neten kurz die äussersten, für den hl. Petrus in Anspruch genommenen
Stadtgebiete. Mit dem Parmesischen und Reggianischen sollte also
die päpstliche Herrschaft den Po erreichen, wo sich dann das Man-
taanische drüben unmittelbar anschloss. Ebenso war mit Luni und
Sarzana zugleich die Lunigiana, d. h. genau ganz Tuscien in die
Schenkung einbegriffen. Kehr übergeht, ja übersieht, wie es scheint,
diesen nothwendigen Unterschied zwischen dem Entwurf nach einer
damaligen Karte und dem praktischen Sinn, den man mit diesem
unbeholfenen Ausdrucksmittel verband.
204 Sitzung der historischen Glosse vom 2, Juni 1894,
Raum giebt; gegen die Behauptung Duchesne's, dass Gorsica
nicht zum langobardischen Reiche gehört habe, weiss er nichts
einzuwenden, als das gleichzeitige Bekenntniss seines Vor-
gängers: rhistoire de la Corse en ces temps-lä est tres-ob-
scure.*^) So dunkel, wie beide annehmen, ist jedoch die
Geschichte Gorsicas in jenen Zeiten nicht.
Wer kennt nicht das Schreiben Hadrians an Karl vom
Mai 778, berühmt durch seine Anspielung, vielleicht auf die
Schenkung, jedenfalls auf die Legende Gonstantins? Das
Schreiben athmet Resignation und Hoffnung zugleich. Kein
Wort mehr von Forderung ganzer Länder; statt dessen
werden lediglich Patrimonien erbeten und für diese An-
sprüche überdies Rechtstitel in Gestalt alter Spezialschenkungs-
urkunden präsentirt. Man entnimmt: Hadrian hat bereits
zuvor jenen Verzicht auf Spolet und Tuscien ausgestellt und
dafür die bekannte Abfindung empfangen. Zugleich aber
muss, wenn auch nicht schriftlich, eine allgemeine Verstän-
digung erzielt worden sein: Karl hat den kategorischen und
generellen Theil seiner früheren Zusagen — das Versprechen,
die Gerechtsame des hl. Petrus in ganzem Umfange herzu-
stellen — aufs neue anerkannt und demgemäss den Papst auf-
gefordert, wirkliche Rechtsansprüche auf Grundbesitz u. s. w.
im langobardischen Gebiet bei ihm, dem Herrn desselben,
anzumelden; von Gesammtforderungen im Stile des alten
Eventualvertrags darf dagegen — auch abgesehen von Tuscien
und Spolet — nicht mehr die Rede sein. Nur eine derartige
Voraussetzung macht die ganze folgende Gorrespondeuz in
ihrem Gegensatz zur früheren verständlich. Was fordert
nun Hadrian? Guncta alia, quae per diversos imperatores,
patricios etiam et alios Deum timentes in partibus Tusciae,
Spoletio seu Benevento atque Gorsica simul et Savinense
patrimonio b. Petro concessa et per nefandam gentem Lango-
26) A. a. 0. 419 A. l.
Dove : Corsica u, Sardinien in d, Schenkungen an d, Päpste, 205
bardorum per annorum spatia abstulta atque ablata sunt.^^)
Der klare Wortlaut lehrt, dass Corsica ebenso, wie Tuseien,
Spolet, Benevent und die Sabina Jahre lang in den Händen
der Langobarden gewesen ist, dass diese daselbst mit dem
römischen Kirchengut ebenso geschaltet haben, wie in den
übrigen Provinzen ihres Reichs. An Karl als den Erben
dieses Beichs ergeht daher jetzt auch in Bezug auf Corsica
das Gesuch: ut in integro ipsa patrimonia b. Petro restituere
jubeat. Mit welchem Erfolg, wird später zu zeigen sein;
zunächst gilt es, die so erwiesene Thatsache zeitweiliger
Langobardenherrschaft über Corsica mit unserer sonstigen,
allerdings dürftigen Kunde von den früheren Geschicken der
Insel zu vereinigen.*'')
Corsica fiel zugleich mit Sardinien beim Untergange des
Yandalenreichs an die Byzantiner und bildete mit der grös-
seren Insel zusammen seit 534 eine der sieben Provinzen der
afrikanischen Präfektur. Diese Provinz führte schlechthin
den Namen Sardinia, denn die kleinere Insel ward, wie im
alten Römerreich bis auf Diocletian, als blosser Annex der
grösseren betrachtet und behandelt. So ist denn auch in
den Erlassen Justinians über die Organisation der wieder-
erworbenen Lande**) von corsicanischen Behörden nicht be-
sonders die Rede. Neben dem praeses Sardiniae, dem mit
seinen fünfzig Officialen die Civilverwaltung obliegt, erscheint
der dux Sardiniae insulae, dem es anheimgestellt blieb, im
Nothfall auch Corsica militärisch zu sichern. Wirklich auf-
getragen wird ihm nur die Cernirung der Barbaricini —
eines durch die Vandalen nach Sardinien verpflanzten Berber-
stamms — in den Bergen nordöstlich von Cagliari. Selbst
die Hauptinsel aber muss gelegentlich von Truppen fast ent-
26) Jaffö, bibl. IV, 200.
27) Die Belege für das Folgende siehe im allgemeinen in meiner
oben A. 1 citirten Schrift.
28) Cod. I, 27.
206 Sitzung der historischen Glosse vom 2, Juni 1894.
blösst worden sein: 551 besetzten die Gothen Totila's zuerst
Gorsica ohne ii^endwelchen Widerstand und darauf auch
Sardinien; der magister militum Johannes musste mehrmals
von Afrika eine Flotte herübersenden, um beide wieder ein-
zunehmen. Vierzig Jahr später, in den Tagen Gregors d. Gr.,
sieht es etwas anders, aber nicht viel besser aus. Die Lango-
barden sind längst Herren der tuscischen Küste; eine wirk-
liche Seemacht besitzen sie nicht, aber Gorsica lag ihnen
hart vor Augen und konnte ihrer Anfechtung umsoweniger
entgehen, je schwieriger die dortigen Dinge von dem fernen
Garthago aus zu übersehen waren. Das byzantinische Italien,
wozu damals die ligurische Riviera noch gehorte, kümmerte
sich um die Inseln als afrikanische Dependenzen nicht, mit
einziger Ausnahme des Papstes. Wie in Italien und Sicilien,
so verwaltete ja Gregor auch in Sardinien und Gorsica einen
reichen Patrimonialbesitz durch seine Bectoren und griff des-
halb im Interesse seiner Kirche, wie in dem des Reichs der
nachlassenden Staatslenkung in Krieg und Frieden auch dort
unter die Arme. Aus der Fülle von Nachrichten, die seine
Briefe über die Zustande der Inseln bringen, hebe ich nur
die für unsere Frage wesentlichen Züge hervor. Schon 591
haben die Langobarden auf Gorsica eine bischöfliche Kirche
zerstört ; für den Bau eines Klosters daselbst empfiehlt Gregor
eine feste Lage hoch überm Meer. 596 ist abermals von
feindlicher Bedrohung die Rede.*^) 598 wird selbst Sardinien
von dem gleichen Feinde durch einen verwüstenden Ueberfall
heimgesucht; vergebens hatte der Papst vor solcher Gefahr
in Garthago, wie in Gagliari gewarnt. Allerdings steht jetzt
nicht bloss auf der Hauptinsel ein Heerestheil unter einem
dux vom Rang eines magister militum: auch Gorsica
empföiigt ab und zu eine kleine Besatzung unter einem
ä9^ Host es schlechtweg sind bei Greg<Nr in diesem Znsammen-
hang immer Langobarden.
Dave: Corsica «. Sardinien in d, Schenlcungen an d. Päpste, 207
tribunus von Comesrang. Als ausreichend kann die mili-
tärische Leistung indessen nicht betrachtet werden; auch
das bürgerliche Element muss eingreifen : der Erzbischof
von Gagliari wird von Gregor direkt zur Befestigung sardi-
scher Plätze angehalten. Und bei so geringer Fürsorge lastet
der Staat mit schwerem finanziellen Druck auf der Bevölke-
rung; bis nach Constantinopel hinauf führt Gregor Beschwerde
über die Erpressungen, zumal der judices, der bürgerlichen
Magistrate; aus Corsica, behauptet er 595, fliehen die pos-
sessores wegen unerträglicher Belastung nothgedrungen zu
den Langobarden! Eine Aussage, die an ähnliche Klagen
Salvians über die Zustände Galliens im 5. Jahrhundert er-
innert. Die Lage ist in der That fast die gleiche : auf der
einen Seite Raub und Gewaltthat der andringenden Barbaren,
auf der anderen doppelter Druck der Reichsgewalt.
Trotzdem ist Corsica weder damals, noch im ganzen
folgenden 7. Jahrhundert einer wahrscheinlich gerngesehenen
langobardischen Occupation unterlegen. Solange Afrika
byzantinisch blieb, hielt das Reich auch die westliche See
mit ihren Inseln. Selbst König Rothari's Eroberung der
Riviera von Luni über Genua bis an die fränkische Provence
schafft für Corsica, das nun beiderseits langobardisch umfasst
ist, noch keinen Wandel ; sehr begreiflich, da die Macht des
Staates gleich darauf bis auf König Liutprand durch innere
Wirren verfiel. Das letzte Licht werfen auf das byzanti-
nische Walten über die Provinz Sardinien, wobei Corsica
allemal mitverstanden wird, die Notizen des Papstbuches über
die abendländische Episode Kaiser Constans' IL Sardinien
wird unter den Provinzen aufgeführt, welche dieser seit 663
von Syrakus aus durch ein System unerhörter Aussaugung
zur Verzweiflung trieb. Als sich nach seiner Ermordung
668 in Sicilien ein Gegenkaiser erhebt, werden behufs all-
gemeiner Concentration zu dessen Vernichtung auch die
Truppen der sardinischen Provinz dorthin gezogen. Wir
208 Sitzung der historischen Glosse vom 2, Juni 1894.
erfahren nicht, ob sie, wie wahrscheinlich, noch einmal zurück-
kehrten; jedenfalls aber ist Sardinien — und damit auch
Corsica — bald darauf, vermuthlich zur Zeit der letzten
Kämpfe um Afrika mit den eingedrungenen Arabern um die
Wende des Jahrhunderts, vom Reiche militärisch aufgegeben
worden und zwar, da Afrika verloren blieb und man bald
im Orient alle Kräfte zusammennehmen musste, für immer.
Diese Thatsache geht aus folgendem, in solcher Be-
deutung bisher nicht gewürdigten umstände hervor. In
allen übrigen, dem Ostreich allmählich abgestorbenen hespe-
rischen Gliedern, Venedig, Neapel, Gaeta, Amalfi entwickelt
sich die selbständige Lokalgewalt aus der im 7. und 8. Jahr-
hundert durchaus im Vordergrunde stehenden und wirkenden
militärischen Magistratur: es entstehen Ducate. Auch in
Rom wird der dux nur durch den Papst erdrückt; in Ve-
nedig und Neapel erscheint er eine Zeitlang auch unter dem
Titel magister militiae. In Sardinien allein begegnen uns
keine duces, sondern judices, die wir seit dem 9. Jahrhundert
als unabhängige Fürsten kennen. Papst Leo IV. bittet An-
fang 851 Sardiniae judicem — man ersieht nicht, ob den
oder einen Judex — um Entsendung bewaffneter Schaaren
nach Rom. Nikolaus I. zählt ihrer mehrere neben einander;
er schilt 864 judices Sardiniae cum populo gubernationibus
suis subjecto wegen unerlaubter Ehen, wie sie deren bereits
temporibus Gregorii papae IV. facere consueverant. Das
Amt ist also indirekt schon für die Zeit von 827 — 844 be-
zeugt ; wie es scheint, gleich da in einer Mehrzahl. An der
oströmischen Herkunft des Titels lässt sich nicht zweifeln ;^^)
80) Bezeichnend ist, dass noch gegen Ende des 11. Jahrhunderfcs
Conatantin, Judex yon Cagliari, ein Siegel fuhrt mit der barbarisirten
griechischen Inschrift: roaxaviivs Agxovxog (Cod. dipl. Sard. t. I,
saec. XI, nr. 20). In den Novellen Justiniana ist ägxoctv der corre-
spondirende Ausdruck für judex, 6 x^g sjiagxtag ägxcov = judex pro-
vinciae.
Dove ; Corsica u. Sardinien in d. Schenkungen an d. Päpste, 209
judex provinciae heisst seit den späteren Tagen Jnstinians
der höchste Civilbeamte, mag er nun praeses, corrector oder
consularis sein; die Inhaber der lokalen Jurisdiction und
Verwaltung unter ihm heissen gleichfalls judices. Hat sich
nun das sardische Fürstenthum — sei es ursprünglich ein-
heitlich, oder gleich decentralisirt — direkt aus dem ost-
römischen Civilamt entwickelt und nicht, wie überall sonst
zu gleicher Zeit, aus dem militärischen Commando der duces,
so folgt daraus unwiderleglich eine Uebergangszeit, in der
die civile Reichsgewalt noch bestand, die militärische dagegen
verschwunden war ; d. h. Sardinien — mit Corsica — ward
freiwillig militärisch, geräumt, wie einst im 5. Jahrhundert
Britannien. Die spätere Wehrkraft, die im Anfang des
9. Jahrhunderts die Sarazenen von Sardinien siegreich ab-
schlägt, muss im Laufe des 8. einheimisch von dem sich
mehr und mehr emancipirenden Judicat entwickelt worden sein.
Es entspricht vollkommen diesem Gange der Dinge,
wenn hingegen im Anfang des 8. Jahrhunderts die sich selbst
überlassenen Inseln schwer von arabischen Plünderern heim-
gesucht wurden. 710 ward Cagliari schauderhaft verheert;
etliche Jahre später Hess König Liutprand dort die bei jener
Gelegenheit entweihten Gebeine des hl. Augustin aufkaufen
und feierlich nach Pavia in Sicherheit bringen. Dies ist die
Epoche, in der eine Besitzergreifung des von jeher so viel
schwächeren , der tuscischen Küste dicht vorgelagerten , der
genuesischen wenigstens nahen Corsicas sich leicht und ge-
räuschlos vollziehen konnte. Sie lag angesichts der Gefahr einer
sarazenischen Pestsetzung auf der Insel im Interesse beider
Theile. Ebenso natürlich ist, dass das entfernte, grosse Sar-
dinien auch von den Langobarden sich selbst überlassen blieb.
Zwar weiss im 10. Jahrhundert Benedikt von Soracte von
einer Unterwerfung beider Inseln durch Liutprand zu erzählen;
allein diese Tradition erklärt sich in Bezug auf Sardinien
aus der durch Beda, wie später durch Paulus allverbreiteten
210 Sitzung der Mstorischen ClcLsse wmi 2, Juni 1894.
Notiz über die translatio Augustini, während auch in Bezug
auf Corsica Benedikts Zeugniss natürlich keinen Werth
besitzt.^^) Auf eine Occupation gerade durch Liutprand, dessen
Geschichte Paulus nur lückenhaft kennt, führt uns dagegen,
vom Obigen abgesehen, auch die Angabe Hadrians, dass Cor-
sica per annorum spatia laugobardisch gewesen sei, im Verein
mit der Erwägung, welchen Gang die Geschicke des Reiches
seit dem Tode dieses Königs genommen. Der Verlust aus-
gedehnter Patrimonien musste dann schon 754 Stephan II.
den Wunsch nach dem Erwerbe Gorsicas nahelegen , und so
gelangte dieser Name an die bezeichnende Stelle im Text
der Promissionen von Kiersy und Born.
Nach jenem Schreiben Hadrians an Karl vom Mai 778
stand dann offenbar neben Tuscien, Spolet, der Sabina und Bene-
vent auch Corsica auf der Liste der Gebiete, in welchen der römi-
sche Stuhl die Restitution seines Grundbesitzes mit einiger Zu-
versicht erwarten durfte. Nun wissen wir aus den späteren
Briefen Hadrians, wie aus den unzweifelhaft echten Bestand-
theilen des Pactum Ludovicianum von einer Reihe von Schen-
kungen Karls, die bis gegen Ende der achtziger Jahre, wo
für uns die Quelle des Codex Carolinus versiegt, nach ein-
ander einzeln vollzogen wurden. Im Spoletinischen erlangt
das Papstthum freilich nichts ; dagegen die kleine Sabina —
die, städtelos wie sie war, bald als territorium, bald als Patri-
monium bezeichnet wird — ohne Abzug. Bei politisch gün-
stiger Gelegenheit folgt die Zuweisung von Patrimonien
und einzelnen Städten im nördlichen Benevent ; im südlichen
Tuscien endlich wird dem hl. Petrus eine ganze Anzahl von
81) Im Vorbeigehen sei der yerhältnissmässig alterthümlichen
Legende der hl. Julia gedacht, deren Reliquien Königin Ansa, Ge-
mahlin des Desiderius, von Corsica in das von ihr gestiftete Salvator-
kloster zu Brescia übertragen Hess. Die Tradition wird historisch
sein, doch beweist sie langobardischen Besitz von Corsica so wenig,
wie die Translation des Augustin solchen von Sardinien.
Dove : Corsica u. Sardinien in d. Schenkungen an d. Päpste. 211
civitates eingeräumt, deren zusammenhängendes Gebiet an
der Küste mit Rosellae und Populonium bis gegenüber Elba
hinaufreicht. Die nach dem Schreiben Hadrians, das um
blosse Patrimonien bat, überraschende Schenkung so vieler
Städte begreift sich leicht, wo es sich um Gegenden handelte,
in denen das platte Land von altem römischen Grundbesitz
vollständig durchsetzt war. Von Corsica nun verlautet nichts;
was man bis 788, wo noch über die Auslieferung jenes
tuscischen Litorals verhandelt ward, nicht anders erwarten
kann; allein auch in den folgenden zwanzig Jahren ist es
zu näherer Prüfung der Ansprüche, wie sie der faktischen
Ueberweisung voranzugehen pflegt, in dieser Richtung sicher
nicht gekommen. Warum nicht, das ergiebt sich deutlich
aus dem tiefen Schweigen , welches die Quellen jener Zeit
über das Schicksal der Insel überhaupt beobachten. Man
empfangt den Eindruck, dass Karl d. Gr. sich ein volles
Menschenalter hindurch um diese, ihm durch die Katastrophe
des Desiderius zugefallene maritime Provinz durchaus nicht
gekümmert, vielleicht nicht einmal förmlich Besitz von ihr
ergriffen hat. Die schwache Seite der fränkischen Monarchie,
ihre continentale Beschränktheit, tritt in diesem Verhältniss
grell zu Tage. Charakteristisch ist, dass noch in dem geo-
graphisch eingehenden ßeichstheilungsentwurf für die Söhne
Karls vom 6. Februar 806 die Insel geradezu geflissentlich
ignorirt wird. Für den Fall, dass der junge. Pippin, dem
Italia, quae et Langobardia dicitur, zugedacht wird, vor den
Brüdern stirbt, sollen diese das überalpische Land nach einer
Längslinie von Aosta über Pavia , Reggio u. s. w. usque ad
terminos s. Petri unter sich theilen; was für den Rompilger
rechts von dieser Linie liegt, soll Ludwig erben, d. h. das
westliche Oberitalien una cum ducatu Tuscano usque ad
mare australe et usque ad Provinciam. Bis ans Meer und
nicht weiter — Corsica bleibt als ein für das Reich gleich-
gültiger Besitz unerwähnt. Allerdings ward auch der Kirchen-
212 Sitzung der historischen Glosse vom ^. Juni 1894,
Staat von der Theilungsmasse ausgeschlossen, da diese Divisio
regnorum den Schutz des Papstthums ausdrücklieh den drei
Brüdern gemeinsam zur Pflicht machte. Doch dürfte man
hieraus nicht etwa schliessen, dass auch Gorsica intra ter-
minos s. Petri gelegen habe. Die Annahme, dass vielleicht
die ganze Insel, eben als gleichgültig für das Reich, irgend-
wann vor 806 dem römischen Stuhl nominell geschenkt
worden sei, wird, auch abgesehen von der Analogie der fest-
ländischen Donationen, durch die folgenden Begebenheiten
widerlegt.
Gerade in diesem Augenblick nämlich ging es mit der
Gleichgültigkeit Corsicas für das continentale Gemeinwohl
zu Ende. Was wir für Liutprand ein Jahrhundert zuvor
vermuthen mussten, steht bei Karl historisch fest : sarazenische
Angriffe, diesmal von Spanien ausgehend, nöthigten ihn, die
Insel als Aussenwerk der italischen Küsten endlich in den
Bereich seiner Waffen zu ziehen. Schon 805, wenn nicht
früher,^*) hatten die neuen Anfölle begonnen; 806, wenige
Monate nach jener ReichstheiluDg, ward Corsica von den
Mauren so arg verheert, dass der junge Pippin sich bewogen
fand, ein Geschwader hinüberzusenden — wie es scheint,
von Genua aus, denn Hadumar, Graf dieser Stadt, fiel gegen
den Feind , den man nur noch im Abziehen ereilte. Die
nicht eben erfolgreiche Unternehmung erregte, ungewöhnlich
wie sie war, in Italien freudiges Aufsehen ; die gleichzeitige
Langobardengeschichte des Codex Gothanus gedenkt ihrer
übertreibend zu besonderem Lobe Pippins.^*) Minder zufrieden
war der alte Kaiser; er entsandte 807 einen Mann seines
Vertrauens, den comes stabuli Burkhard, mit einer Flotte
32) Mauris, qui superioribus annis illuc (in Corsicam) praedatum
venire consueverant, sagen die Annales Einhardi unter 807.
33) Igitur Corsicam insulam a Mauris oppressam suo jussu ejus-
que exercitus liberavit; von Simson (Jahrb. Karl d. Gr. II, 375 A. 10)
mit Recht gegen Waitz auf 806' statt auf 807 bezogen.
Dove: Gorsica u, Sardinien in d. Schenkungen an d, Päpste. 213
nach Corsica, der dem wiedererschienenen Feinde diesmal in
einem dortigen Hafen eine empfindliche Niederlage beibrachte.
Zugleich aber ordnete Karl ein umfassendes System des
Küstenschutzes von Spanien bis ins römische Gebiet gegen
die Sarazenen an; in Italien erhielten König Pippin und
Papst Leo III. den Befehl, die nöthigen Massregeln im Ein-
verständniss mit einander zu treffen. In einem Schreiben
von Ende März 808 verspricht denn auch Leo dem Kaiser,
mit Pippin zusammen dahin zu wirken, ut litoraria nostra
ac vestra ab infestatione paganorum et inimicorum nostrorum
tuta reddantur atque defensa; Kath und Hülfe vom Kaiser
selbst sei ihnen beiden freilich dabei unentbehrlich. De
autem insula Gorsica, fährt Leo fort, unde et in scriptis et
per missos vestros nobis emisistis, in vestrum arbitrium et
dispositum committimus. Atque in ore posuimus Helmen-
gaudi comitis, ut vestra donatio semper firma et stabilis per-
maneat et ab insidiis inimicorum tuta persistat per inter-
cessionem s. Dei genitricis et bb. principum apostolorum
Petri ac Pauli et vestrum fortissimum brachium. Et Domino
miserante , tempore apto, quantum plus celerius valuerimus,
per fidelem missum nostrum onmi utilitate s. Dei ecclesiae
vestrae imperiali potentiae liqnidius innotescimus.
Die Eröffnung, welche der Papst über Gorsica vom
Kaiser empfangen hat, kann aus des letzteren Initiative nicht
hervorgegangen sein ; denn eine unverhoffte, wie auch immer
bedingte Verheissung müsste Leo mit lebhaftem Danke be-
grüssen, wovon der Brief an anderen- Stellen überfliesst.
Augenscheinlich hat vielmehr Leo nach der glücklichen
fränkischen Expedition von 807 nach päpstlicher Sitte die
Gelegenheit wahrgenommen, an die noch ausstehende Ver-
wirklichung corsicanischer Wünsche und Ansprüche des römi-
schen Stuhls zu mahnen. Karl antwortet im allgemeinen
tröstlich, aber mit Rücksicht auf die Lage nicht ohne Vor-
behalt: Zeit und Weise der Ausführung muss er selber frei
1894. PhiIos.-philol. u. bist. Cl. 2. 15
214 Sitzung der historischen Ctasse r>om 5. Juni 1894,
bestimmen; dem Papst bleibt inzwischen unbenommen, jene
Wünsche und Ansprüche genauer darzulegen. Einsichtig
bescheidet sich Leo ; er spricht vor allem zuversichtlich seine
Hoffnung auf die Unerschütterlichkeit der Schenkung aus —
ich entnehme daraus, dass wir hier unter donatio eine ältere,
nicht die jetzige schriftliche Willenskundgebung von Seiten
Karls zu verstehen haben; denn die Besorgniss, die sich
hinter diesem Ausspruch verbirgt, ist doch nur verzeihlich
nach lange vergeblichem Harren — ; er vertraut inzwischen
in Bezug auf die Sicherung des Schenkungsobjektes — hier
wird donatio plötzlich concret gefasst — auf den Beistand
des Himmels und des Kaisers starken Arm. Wenn er dann
eifrig eine näher erläuternde Mittheilung im Hinblick auf
das gesammte Interesse der Kirche in baldige Aussicht stellt,
so ergiebt sich klar, wovon die Rede ist: von einer Summe
einzelner nutzbarer Gerechtsame, mit einem Wort von dem
römischen Patrimonium auf Corsica. Kein Gedanke an eine
vorhergehende Schenkung der ganzen Insel, wie sie bisweilen
aus diesem Brief herausgelesen worden ist; in diesem Falle
wäre nach des Kaisers jetzigem Bescheid für eine fernere,
eingehende Mittheilung des Papstes kein Raum geblieben.
Es erhellt des weiteren, dass mit der jetzt aufs neue von
Karl anerkannten donatio Corsicana nicht etwa die römische
Promissio von 774 gemeint sein kann , die ja ohnehin seit
778 beiderseits ad acta gelegt worden war; denn in ihr war
in der That die eventuelle Schenkung der ganzen Insel ins
Auge gefasst worden. Die bewusste donatio, eine generelle
Anweisung auf das Patrimonium insulae Corsicae, wird man
vielmehr im Rahmen des neuen Abkommens zwischen Karl
und Hadrian kurz vor Mai 778 zu suchen haben, demzufolge
sie, schriftlich vielleicht zum erstenmal, in dem 796 zwischen
Karl und Leo nach des letzteren Antritt abgeschlossenen
Pactum fixirt worden sein wird.^*)
34) Die Existenz eines Pactums von 796 im technischen Sinne
Dave: Corska u. Sardinien in d, Schenkungen an d. Tapste. 215
Die corsicanische Donation war somit abermals anerkannt;
aber von irgendwelchem Schritte zu ihrer Verwirklichung in
den Tagen Leos und Karls haben wir keinerlei Kunde; was
wir wissen, deutet vielmehr entschieden auf das Gegentheil.
Nach wie vor zeigte sich der alte Kaiser redlich bemüht,
die mittelländischen Küsten gegen sarazenische Anfälle sicher
zu stellen ; der Erfolg aber blieb in Bezug auf Corsica über-
aus kläglich. Zu Ostern 809 raubten spanische Mauren dort
eine Bischofsstadt dermassen aus, dass sie ausser dem Bischof
selbst nebst ein paar Greisen und Kranken nichts darin zurück-
liessen. 810 landet nach den Annales Einhardi eine grosse
Flotte desselben Ursprungs an der Insel, findet keine Schutz-
truppe dort und unterjocht sie fast ganz; ja im nämlichen
Jahr lassen dieselben Annalen noch eine zweite Verwüstung
stattfinden. Im April 812 giebt Karl, auf das Gerücht von
einem bevorstehenden Angriff spanischer und afrikanischer
Sarazenen auf Italien hin, seinem Enkel König Bernhard
zur Leitung der Abwehr einen alten Staatsmann, seinen
Vetter Wala, in den Süden mit. Auch Papst Leo wird von
der Gefahr verständigt, er triffib alle Anstalten zur Bewachung
seines Litorals und kann dem Kaiser am 26. August melden,
dass sein Gebiet verschont geblieben. Der Ueberfall hat
statt dessen ein paar griechische Inseln in den unteritalischen
Gewässern getroffen, ausserdem Sardinien und Corsica. 813
endlich fängt der Graf von Ampurias bei Majorca acht Schiffe
steht ausser Zweifel nach Karls erstem Brief an Leo (Jaffa, bibl.
IV, 356), wo an der Stelle: Sicut enim cum beatissimo patre prae-
decessore vestro sanctae patemitatis pactum inii, sie cum beatitudine
vestra ejusdem fidei et caritatis inviolabile foedus statuere desidero
— natürlich vestrae sanctae patemitatis zu lesen und zu verbinden
ist; vestra sanctitas nennt der König Leo weiter oben mehrfach und
variirt diesen Titel ein andermal in vestra sanctissima benivolentia.
Jaffe lässt vestro stehen, verbindet es mit praedecessore, muss dann
aber patemitatis in compaternitatis verwandeln und macht aus dem
einfachen Pactum so ohne Noth einen heiligen Gevatterschaftsbund.
15*
216 Sitzung der historischen Glosse vom 2, Juni 1894.
einer maurischen Flotte ab, die mit Beute beladen von Cor-
sica heimkehrt, und befreit über ein halbes Tausend gefan-
gener Corsen — man sieht, dass es sich bei diesen Zügen
um Sklavenjagd handelt. Zur Rache, wie die Annales Ein-
hardi annehmen, überfallen und verheeren die Feinde Nizza
und das päpstliche Civitavecchia. Man müsste es fast för
Ironie halten, wenn Einhard im Leben Karls die Wirkung
der maritimen Schutzmassregeln seines Helden preist und
diese Einnahme von Civitavecchia, die er auf Verrath zurück-
führt, als den einzigen schweren Schaden* bezeichnet , den
Italien in Karls Tagen von den Mauren erlitten — spiegelte
sich nicht hier vielmehr theoretisch getreu das praktische
Verhalten der karolingischen Monarchie : Corsica lag draussen
vor Italien als ein politischer Wellenbrecher, an sich selber
kam es nicht in Betracht. Dass unter solchen Umständen
an Feststellung und Auslieferung päpstlicher Domänen nicht
zu denken war, liegt auf der Hand.
Sehr merkwürdig sticht nun von der Reihe jämmerlicher
Schicksale des karolingischen Corsicas die von den nämlichen
festländischen Quellen bezeugte Thatsache ab, dass die seit
hundert Jahren auf ihre eigene Kraft angewiesene und eben
deshalb kernhaft entwickelte Nachbarinsel Sardinien sich in
dieser ganzen Periode der sarazenischen Anfälle ununter-
brochen siegreich erwehrt. Es wäre daher seltsam, zu glauben,
eine sardische Gesandtschaft, die 815 von Cagliari her Ludwig
d. Fr. Geschenke überbrachte, habe den Zweck gehabt, „Sar-
dinien der Hoheit des Kaisers zu unterwerfen, um*, wie
Simson mit starkem Euphemismus sagt, „seines Schutzes
gegen die Sarazenen theilhaft zu werden *'.^^) Nach der
35) Wenn Sim8on (Jahrb. Ludw. d. Fr. I, 60) von den Sarden
weiter bemerkt: »Denn sie waren diesem Feinde auf die Dauer nicht
gewachsen, wenn derselbe auch vor zwei Jahren (813) noch von ihnen
auf das Haupt geschlagen war" — so traut er diesen Insulanern eine
starke Sehergabe zu. Nicht gewachsen zeigten sich die Sarden den
Dove : Gorsica u. Sardinien in d. Schenkungen an d. Päpste. 217
damaligen Lage der Dinge könnte man dieser Gesandtschaft
höchstens die Absicht unterlegen, den neuen Kaiser des
Westens um eine wirksamere Cooperation bei der gemein-
schaftlichen Vertheidigung der tyrrhenischen Gewässer zu
ersuchen, an der bisher die Sarden ihrerseits allein mit Er-
folg gearbeitet hatten. In der That nahm sich die fränkische
Regierung in dieser Hinsicht, wenn auch nicht sofort —
denn 820 werden noch acht italienische Handelsschiffe auf
Sarazenen zum ersten- und einzigenmal genau zweihundert Jahr
später, als sie — 1015/16 — der Invasion des Emirs Mogehid von
Denia unterlagen. Während des 9. und 10. Jahrhunderts wurden da-
gegen die sarazenischen Feindseligkeiten allzeit tapfer und glücklich
bestanden; die Araber überzeugten sich, wie Amari aus den Quellen
belegt, dass sie es in Sardinien zu thun hatten mit uomini indo-
mabili, avvezzi a star sempre con le armi allato, da buscarsi appo
di loro piü colpi che preda. Auch die von Simson angeführte That-
sache, dass Ludwig d. Fr. am 1. August 815 in Frankfurt „dem Abte
eines sardinischen Klosters, Borgo S. Dalmazzo, die Besitzungen des-
selben bestätigte* j beweist für die vermeinte Unterwerfung der Insel
weniger als nichts. Denn Borgo S. Dalmazzo liegt in Piemont und
wird nur im Register zu Sickel's Acta Karolina in der Notiz: , Borgo
S. Dalmazzo, Italien, Sardinien, Provinz Cuneo** mit dem Namen
Sardinien, der hier anachronistisch das ehemalige Königreich be-
zeichnet, in Verbindung gebracht. Aus der Urkunde Ludwigs selbst,
die der Königin Theodelinde als Stifterin, der Könige Berthari, Gri-
moald, Cunipert, Liutprand und Karl als Schenker gedenkt, wird
dagegen niemand den Verdacht schöpfen, dass es sich um eine erb-
liche Idiosynkrasie der Langobardenherrscher handle, sich als Wohl-
thäter eines ihrem Reiche fremden sardinischen Klosters aufzuspielen.
— Simson's Glaube an die Sehnsucht der Sarden nach fränkischer
Oberhoheit hängt übrigens wohl damit zusammen, dass er nach Döl-
linger's Vorgang eine ähnliche Neigung aus dem gleichen Grunde
der Sarazenenfurcht auch bei den Sicilianern voraussetzt (Jahrb.
Karl d. Gr. II, 188 f.). Allein diese Ansicht DöUinger's (Kaiserthum
Karls d. Gr., Münch. Jahrb. 1865, 359) beruht durchaus auf phantasie-
voller Combination und lässt sich weder mit dem wirklichen Zeugniss
der Quellen, noch mit der Natur der thatsächlichen Verhältnisse
vereinigen.
218 Sitzung der historischen Glosse vom 2. Juni 1894.
der Rückfahrt von Sardinien durch maurische Corsaren weg-
genommen — , so doch allmählich besser zusammen. Das
transalpine Königthum des jungen Lothar bezeichnet für die
Behandlung der corsischen Sache einen Wendepunkt. 825
erliess derselbe zu Marengo ein Capitulare mit eingehenden
Bestimmungen zur Regelung des Aufgebots italienischer Grafen
zum Zuge nach Corsica. Aus den Annales Einhardi ersehen
wir ferner, dass einem unter diesen das Amt der tutela Cor-
sicae insulae speziell übertragen war; 828 bekleidete es
Bonifaz IL, der schon 823 urkundlich als Graf zu Lucca,
nunmehr aber in der umfassenderen Position eines tuscischen
Markgrafen erscheint. Denn er entbietet 828 eine Anzahl
benachbarter Grafen zu einer kleinen, aber kühnen Flotten-
expedition. Man umfährt Corsica und — das befreundete,
wie es heisst, also nicht unterthänige ^^) — Sardinien,
nimmt sardische Lootsen an Bord und wagt eine demonstra-
tive Landung in Afrika, nahe bei Carthago. Wenn wir
dann bis 846 nichts von neuen Unternehmungen des Feindes
in der Gegend von Corsica und Sardinien hören, so wird
man sich freilich hüten müssen, die Leistung der karolin-
gischen Obhut über die erstgenannte Insel zu überschätzen;
denn die Sarazenen sind in dieser Zeit mit lohnenderen Auf-
gaben beschäftigt : sie nisten sich in Sicilien und Unteritalien
ein. Indessen das maritime Amt der tuscischen Markgrafen
bestand und arbeitete fort: der weltberühmte üeberfall der
Tibermündung durch eine afrikanische Flotte, infolge dessen
Ende August 846 die apostolische Vorstadt von Rom ver-
wüstet ward, war dem Papste Sergius 11. durch ein Warn-
schreiben angekündigt worden, in welchem Adelvertus, tutor
36) Gerade als freier Zusatz zu den Annales Einhardi ist das
„Sardorum sibi amicorum insula" der nach 840 geschriebenen Vita
Hludowici von Belang, denn es gilt so für die Verhältnisse einer
längeren Zeit.
Dave : Corsica u. Sardinien in d. Schenkungen an d. Päpste, 219
Corsicanae insulae — es ist Adalbert I., Markgraf von Tuscien,
Sohn des Bonifaz — genaue Mittheilungen über Stärke und
Ziel des feindlichen Seezuges machte.''') Von da an wendet
sich allerdings Ton neuem das Geschick : 849 wird das tus-
cische Luni zerstört und die ganze Riviera verheert, eine
zweite Raubüotte erscheint, von den sardinischen Gewässern
her, vor der Tibermündung, wo sie diesmal abgeschlagen
wird. Die Anstrengung des karolingischen Italiens con-
centrirt sich auf den Schutz des Continents ; Papst Leo IV.
bittet Anfang 851, wie oben erwähnt, selbst einen Judex
Sardiniae um Ueberlassung bewaffneter Mannschaft «zum
täglichen Dienst '', während die Gorsen freiwillig «aus Sara-
zenenfurchf* ihre Heimath massenhaft räumen, um unter
den Schirm St. Peters hinüberzuflüchten — der alte Unter-
schied in der Wehrhaftigkeit beider Inseln. Der Papst siedelt
— mit Bewilligung der Kaiser Lothar und Ludwig — die
corsischen Flüchtlinge als Hafenkolonie in Porto an.'*)
Blicken wir von hier aus auf den Stand der Schenkungs-
frage seit dem Tode Karls d. Gr. zurück — wobei von dem
Pactum Ludovicianum von 817 aus Gründen der Kritik vor
der Hand kein Gebrauch zu machen ist — , so ergiebt sich
folgende Ansicht. Von einer wirklichen Einverleibung ins
Reich, einer dauernden fränkisch-italischen Besetzung kann
auch von 814 — 851 bei Corsica nicht die Rede sein. Die
Insel, in einem Gesetz Lothars von 823 bezeichnend als Ver-
bannungsort genannt, erscheint vielmehr als nicht organi-
sirtes Vorland einer Mark, militärisch unter deren Hut ge-
37) Vita Sergii II. c. 44. Tutor ist — bei der genauen Kennt-
niss, die der päpstliche Biograph vom Inhalt des Briefes zeigt —
für den offiziellen Titel zu halten; das ab imperatore Corsicae prae-
fectns der V. Hlud. zu 828 wird blosse Umformung des cui tutela
Corsicae erat commissa der Annalen sein.
88) JafFä-Wattenbach, Regesta Pont. Rom. nr. 2617: ob sere-
nissimorum Lotharii et Ludovici suamque simul mercedem.
220 Sitzung der historischen Glasse vom 2, Juni 1894,
stellt; wir sehen hier die Genesis der Markgrafschaft Tuscien.
Nach der Binnenseite grenzt diese Landschaft an keinen
Feind ; die Grafen von Lucca, Bonifaz und Adalbert, wachsen
eben als tutores Corsicanae insulae zu marchiones Tusciae
auf; ihr Amt bezieht sich auf das nicht occupirte, aber vom
Feinde freizuhaltende toscanische Meer, die Insel als vorlie-
gendes Bollwerk eingeschlossen. Ob unter solchen umständen
die 808 von Leo III. ersehnte, jedoch von Karl bis auf bessere
Zeiten vertagte Ermittelung und Restitution des römischen
Patrimoniums auf Corsica endlich stattgefunden — wir wissen
es nicht, aber Ruhe und Müsse hätten sich in den Jahren
von 820 — 846 wohl dazu gefunden; auch die Massenflucht
der Corsen in den Kirchenstaat um 851 würde eher dafür,
als dawider sprechen. Und in demselben, einem positiven
Glauben immerhin leise zugeneigten Zweifel lassen uns nun
die weiteren spärlichen Nachrichten aus der zweiten Hälfte
des 9. Jahrhunderts. Kaiser Ludwig II. wandte sein Augen-
merk auf Unteritalien, wo der Sarazenenkampf am dringend-
sten Noth that ; für Corsica scheint das Reich seitdem keine
Kraft mehr übrig gehabt zu haben. Es ist zwar falsch,
aber charakteristisch, wenn die Chronik Regino's den Herzog
Adalgis von Benevent 872 auf die Insel fliehen lässt, um
sich dort eine Zeitlang vor des Kaisers Rache zu verbergen.
Was hier nur erzählt ward, that in Wahrheit hundert Jahr
später mehrmals Adalbert, König Berengars II. Sohn, aus
Furcht vor Otto d. Gr.; aber schon Ludwig IL wäre so
wenig, wie Otto, in der Lage gewesen, einen politischen
Flüchtling auf Corsica zu ergreifen. Ist demnach für die
letzte karolingische Periode eine Befriedigung der päpstlichen
Ansprüche auf corsische Ländereien ausgeschlossen, so fehlt
es doch auch jetzt nicht an einer Spur, dass eine solche
Befriedigung bereit^ in der vorletzten Periode, zur Zeit
Lothars L, stattgefunden haben könnte. Noch Papst Stephan V.
(885 — 891) erscheint in lebendigem Zusammenhang mit den
Bove : Corsica u. Sardinien in d, Schenkungen an d, Päpste. 22 1
Menschen und Dingen auf Corsica. Wir kennen einen Brief
von ihm, worin er (887/88) einem dortigen Bischof Sigibert
einen in sarazenischer Gefangenschaft verübten Todtschlag
verzeiht — man sieht, dass auch damals die Angriffe der
alten Feinde noch fortdauerten ; in einem früheren Schreiben
(von 886) aber droht er dem Bischof Athanasius von Neapel,
ihm im Falle des Ungehorsams die Saaten zu verwüsten und
die Zufuhr aus anderen Provinzen abzuschneiden: nam nos
et Rom am, Sardiniam, Corsicam et totam Ghristianitatem
contra te claudemus, ruft er aus, ut nullo modo recuperare
valeatis.^*) Diese ungeistliche Prahlerei richtet sich durch
ihr üebermass selbst, auf besonders einflussreiche Beziehungen
zu beiden Inseln darf man indessen daraus schliessen ; waren
solche für Sardinien durch den freundnachbarlichen Verkehr
des römischen Stuhls mit den Judices gegeben, so könnten
sie für Corsica ganz wohl in direkter wirthschaftlicher Ver-
bindung bestanden haben, die Drohung mit einem Getreide-
ausfuhrverbot legt eine solche Annahme nahe genug.
Gleich darauf brach denn freilich auch die römische
Herrlichkeit völlig zusammen, und wir hören fast zwei Jahr-
hunderte lang so wenig von päpstlichen wie von kaiserlichen
Beziehungen zu Corsica ; tiefes Dunkel bedeckt die barbarische
Freiheit der Insel bis in die Tage Gregors VII. Vier Jahre
nachdem dieser die Judices Sardiniae mit Berufung auf die
Caritas illa, quae antiquis temporibus inter Romanam ecclesiam
et gentem vestram fuit, zu williger Unterwerfung ihres Landes
unter die schützende römische Hoheit aufgefordert, im Sep-
tember 1077 streckt er seine gewaltige Hand auch den Bi-
schöfen, Edlen, wie allen Hohen und Niederen auf der Insel
Corsica entgegen. Hier aber ist nicht von einem alten Bande
der Liebe die Rede, sondern von Fug und Recht. Scitis,
39) Ib. nr. 3414: „Et non dicas, quia, si domnus apostolicus
Yeniens messes nostras deleverit, habemus alias provincias, unde
labores habere possimus; nam'' etc. — cf. nr. 3433.
222 Sitzung der historischen Classe vom 2. Juni 1694.
fratres et karissimi in Christo filii, beginnt der Brief, non
solum Tobis, sed multis gentibus manifestum esse : insulam,
quam inhabitatis, nulli mortaliam nnllique potestati nisi
s. Romanae ecclesiae ex debito vel jure proprietatis pertinere.
In diesem Stile geht es fort ; die bisherigen lokalen Gewalt-
haber werden als Eindringlinge betrachtet, der Zweck der
päpstlichen Ermahnung ist: Wiederherstellung von Ehre
und Recht des apostolischen Principats auf Corsica. Im
folgenden Jahr erhält der Bischof von Pisa das beständige
Vikariat auf der Insel mit der Aufgabe, dieselbe exclusis
invasoribus secundum antiquum morem ad dominium Ro-
manae ecclesiae zurückzurufen; zum Lohn wird ihm ein
Antheil an den Gerichtsgeldern und sonstigen Einnahmen
zugesprochen. Man beachte wohl den Unterschied. In
Sardinien tritt Gregor rein politisch auf; die Unterwerfung,
die er von den Judices fordert, wird als Rettung ihres
Landes bezeichnet: Normannen, Toscaner, Lombarden,
Deutsche — Mathildes Gemahl, Herzog Gotfried von Nieder-
lothringen ist gemeint — trachten begierig nach päpst-
licher Belehnung mit der Insel, aber Gregor will die ein-
heimischen Fürsten vor solcher Gefahr schützen um den
Preis unmittelbaren Gehorsams gegen Rom. Er überredet
durch Schreckmittel, aber er erhebt keinen Anspruch; nur
als ihm die Judices zu lange zögern, entfährt seiner Un-
geduld einmal das Wort, er werde jus et honorem s. Petri
nicht länger ungesucht lassen. Den Corsen gegenüber be-
steht der Papst dagegen auf einem, durch fremde Usurpation
gestörten, aber nichtsdestoweniger notorischen Herrscherrecht
des römischen Stuhls. Er spricht dabei nicht etwa, wie
einst Hadrian, von geraubten Patrimonien, die, wenn Rom
sie im 9. Jahrhundert wiedererlangt hatte, im 10. abermals
verloren sein mussten ; unter den reditus , die er mit Pisa
theilen will, sind öflFentliche Abgaben zu verstehen. Er klagt
vielmehr über langwierige Versagung des Dienstes, der Treue,
Dove: Corsica u, Sardinien in d. Schenkungen an d. Päpste. 223
der ünterthänigkeit , des Gehorsams. Auch diesmal ist er
mit der Erinuerung an festländische Grafen und Edle bei
der Hand ; aber diese Toscaner begehren nichts für sich, sie
stehen einzig bereit, dem hl. Petrus die Insel von den Usur-
patoren säubern zu helfen, mit einem Wort: es gilt eine
legitime Restauration.*®)
Es entsteht die Frage, worauf Gregor seinen Anspruch
auf ein dominium Gorsicae gestützt. Urban IL erklärt, als
er 1091 das pisanische Yikariat bestätigt, Corsica sei, wie
alle Inseln, juris publici und so eo ipso durch Constantin an
das Papstthum geschenkt.*^) Auch Gregor spricht gelegent-
lich — in der Eidesformel für den deutschen Gegenkönig —
de terris vel censu, quae Constantinus imperator vel Carolus
s. Petro dederunt;**) allein die Folgerung ürbans kann er
nicht gezogen haben, denn sie hätte Sardinien genau, wie
die Nachbarinsel, getroffen. Auf die richtige Spur leitet uns
hingegen der Name Karl. Schon die Erzählung der Vita
Hadriani bot die Grundlage für ein vermeintes Recht des
römischen Stuhls auf die insula Corsica schlechthin, während
sie für die Forderung der sardinischen Hoheit keine Hand-
habe lieferte. Wieviel mehr musste Gregor erst in dieser
Unterscheidung bestärkt werden, wenn die ihm vorliegenden
kaiserlichen Pacta der späteren Zeit das gleiche Yerhältniss
aufwiesen ! Es eröffnet sich dadurch seinesorts ein neuer
Zugang zur Kritik des Textes dieser Pacta selbst, die den
letzten Theil unserer Aufgabe bildet.
40) Für Corsica kommen in Betracht die Briefe Gregors: Jaffd-
Wattenbach nr. 5046, 5048, 5098; für Sardinien: nr. 4800, 4817, 4852,
5184. — Wer mit den von Gregor angefochtenen invasores auf Cor-
sica gemeint ist, wissen wir nicht; doch sind Besitzergreifungen von
Seiten norditalienischer Adliger in der ersten Hälfte des 10. Jahr-
hunderts in Anbetracht der corsicanischen Beziehungen Adalberts
sehr wahrscheinlich.
41) Ib. nr. 5449.
42) Jaffa, bibl. II, 476.
224 Sitzung der historischen Glosse vom 2, Juni 1894.
Versetzen wir uns zu diesem Ende in die Situation nach
dem Tode Leos III. zurück. Dessen Nachfolger Stephan IV.
begab sich persönlich an den Hof Ludwigs d. Fr. und er-
langte von ihm im Oktober 816 zu Reims die Erneuerung
des vor zwanzig Jahren mit seinem Vorgänger vereinbarten
Pactums — ganz nach Wunsch, wie die fränkischen Berichte
hervorheben. Die Urkunde von 816 ist verloren; aber da
Stephan kurz nach der Heimkehr starb, so wird das alsbald
von Pasch aus I. von Rom aus erwirkte Pactwn sich nirgend
wesentlich von dem vorigen unterschieden haben. Eben dieses
Ludovicianum vom Frühjahr 817 ist nun erhalten geblieben,
aber leider nicht im Original; der in mehreren Abschriften
vorliegende Text geht vielmehr nach Sickel's Untersuchung
nicht weiter nachweisbar zurück, als auf eine zwischen 1083
und 1086 im päpstlichen Interesse angelegte Privilegien-
sammlung, welche wahrscheinlich von Cardinal Deusdedit
herrührte. Als echt gesichert ist von diesem Text, was sich
mit dem des authentisch überlieferten Ottonianum von 962
deckt; alles Uebrige muss sich innerlich über seine Glaub-
würdigkeit ausweisen, und zu diesen nicht ohne weiteres legi-
timirten Bestandth eilen des Ludovicianum gehört der Passus,
welcher den Namen Corsica enthält. Es wird nützlich sein,
uns zu fragen, was wir in diesem Punkte von einer Pacti-
rung des Jahres 816/17 ungefähr zu erwarten haben. Eine
Erwähnung der auf die Insel bezüglichen Donation galt uns
schon für das Pactum Leos III. von 796 als wahrscheinlich;
aber einerlei, ob sie damals stattgefunden oder nicht: 808
hatte Leo aufs neue von Karl eine grundsätzliche Anerken-
nung der corsicanischen Schenkung erhalten , spätestens also
sein Nachfolger musste deren Einreihung ins Pactum fordern
und erreichen. Es macht dabei gar nichts aus, dass die
Ausführung der Donation von Karl 808 aus Gründen, welche
wiederum Leo anerkannte, vertagt und unter den trostlosen
Verhältnissen Corsicas bis 816 gewiss nicht in Angriff ge-
Dove : Corsica u. Sardinien in d. Schenkungen an d, Päpste. 225
nommen war. Das Ludovicianum bestätigt an echter Stelle
dem Papstthum auch eine Anzahl bisher ebensowenig über-
lieferter Patrimonien in Unteritalien bis nach Calabrien hinein.
Nach dem Muster dieser letzteren würde die Notiz über die
corsicanische Schenkung einfach gelautet haben : et insulae
Gorsicae Patrimonium ad potestatem et ditionem vestram per-
tinens. Es ist jedoch auch sehr möglich, dass die von Karl
808 dilatorisch gestellte Bedingung dabei zum Ausdruck
kam, wiederum in nächstliegender Fassung vielleicht in
den Worten : et insulae Gorsicae Patrimonium etc. , sicut
tempore apto a missis nostris definietur.^^) Es versteht sich
von selbst, dass diese Vorschläge nur beispielsweise das Mög-
liche veranschaulichen wollen; was aber keinem Zweifel
unterliegt, das ist der Ort, an dem wir die so oder so ge-
staltete Notiz über die donatio Corsicana in den Pacten über-
haupt zu suchen haben. Nach dem von diesen befolgten,
theils chronologischen, theils geographischen Prinzip der Auf-
zählung gehört, wie die unteritalischen Patrimonien dem die
campanischen Städte bis Capua umfassenden Paragraphen
angehängt sind, das corsicanische Patrimonium offenbar ans
Ende des Paragraphen, welcher die päpstlichen civitates im
langobardischen Tuscien in sich begreift, um so passender,
als deren Reihe an der Küste mit den von Karl an Hadrian
zuletzt überlassenen Plätzen Populonium und Rosellae schliesst.
An dieser Stelle nun stossen wir im Ludovicianum von 817,
so wie es die Redaktion von 1083/86 uns darbietet, auf die
erstaunliche Angabe: Populonium, Rosellas et insulas Cor-
sicam, Sardiniam et Siciliam sub integritate; cum omnibus
adjacentibus ac territoriis, maritimis, litoribus, portubus ad
suprascriptas civitates et insulas pertinentibus.
43) Sicut a missis illius definitum est heisst es an einer echten
Stelle des Ludovicianum für die seinerzeit durch karolingische Beamte
vollzogene Abgrenzung des territorium Sabinense; tempore apto be-
gegnet z. B. in dem angeführten Briefe Leos III. von 808.
226 Sitzung der historischen Classe vom 2. Juni 1894,
Dass wir es hier mit einer groben Fälschung zu thun
haben, liegt auf der Hand. Selbst formell erkennt man die
rücksichtslose Verunechtung des originalen Textes. An diesen
Ort gehörte immerhin auch das ganze Corsica; Sardinien,
von der Grösse einer eigenen Provinz, die Tuscien fern lag
und niemals langobardisch war, erforderte einen besonderen
Absatz; Sicilien, von dem das gleiche gilt, musste überdies
erst hinter dem unteritalischen Paragraphen erscheinen. Beide
konnten zudem, da sie erst noch zu erobern gewesen wären,
nicht ohne irgendwelche Clausel der Eventualität verschenkt
oder bestätigt werden. So spricht das Ottonianum in seinem
süditalischen Abschnitt an einer, wahrscheinlich zuerst 915
im Enthusiasmus der Rüstung wider die Sarazenen in die
Urkunde Berengars für Johann X. aufgenommenen Stelle dem
Papstthum zu: necnon Patrimonium Siciliae, si Dens nostris
illud tradiderit manibus. Zur materiellen Kennzeichnung
der Fälschung bedarf es vollends keiner langen Rede. Gleich
zu Anfang seines Regiments war Ludwig d. Fr. darauf be-
dacht, den von seinem Vater so eifrig erstrebten, so mühsam
erreichten Ausgleich mit dem östlichen Kaiserthum neu zu
bekräftigen — und er sollte dem Papstthum Aussicht auf
Eroberung Siciliens gemacht haben, Eroberung Siciliens,
einzig um es wegzuschenken? Bisher hatte die fränkisch-
italische Marine nicht einmal Corsica nothdürftig zu schützen
vermocht, und sie sollte im Stande sein, das starke Sardinien
zu bezwingen, wieder nur, um es dem hl. Petrus in den
Schooss zu werfen? Oder hätte es sich vielleicht um die
blosse, nicht leicht zu verweigernde, aber auch ebensowenig
ernst gemeinte Wiederholung der phantastischen Zusage eines
älteren Pactums gehandelt? Eines älteren — also hätte
Karl d. Gr. sich zu einer solchen Zusage bereit finden lassen,
er, der die Promission von Kiersy und Rom so ungeduldig
von sich abzuschütteln eilte? und bis in die Region von
Sardinien und Sicilien hatten sich doch nicht einmal 754
Dove: Goraica u, Sardinien in d, Schenkungen an d. Päpste. 227
and 774 die begehrlichen Träume eines Stephan II. und
Hadrian verstiegen!
Jedes Wort wäre hier zuviel, hätte nicht neuerdings
ein Gelehrter unternommen, die Existenz des Dreiinselpassus,
über dessen wahre Herkunft man längst im Reinen war, im
verlorenen echten Text des Ludovicianum allen Ernstes zu
behaupten. Es genügt, das Bild herzusetzen, das sich Lam-
precht von dem bet'refifenden Vorgange gemacht.**) Papst
Stephan IV. ist 816 am Hofe Ludwigs d. Fr., der „seiner
politisch bedurfte**, in der Lage, »fem vom päpstlichen
Archiv und allem Material zur methodischen Prüfung seiner
Ansprüche*, die Aufnahme der Dreiinselschenkung in das
neue Pactum „ durchzusetzen*. Ohne Anstand ging der Passus
in unser Ludovicianum von 817 über. Aber 824 „schickte
der Kaiser seinen Sohn Lothar nach Elom zur Schlichtung
von Wirren, welche dem Papstthum moralisch wie politisch
schweren Abbruch gethan". Damals, bei der Erneuerung
des Pactums mit Eugen II. » zeigt sich ein anderer Geist . . .
es wäre merkwürdig, hätte man nicht an dem Inhalt* jenes
Passus „Aergerniss nehmen müssen. Woher die enorme
Schenkung dieser Inseln?* fragt Lothar. „Da man sich in
Rom befand, so war es nur billig, wenn der Papst auf-
gefordert ward, Beweismaterial herbeizuschaflfen.* Nachdem
der Versuch hierzu misslungen, wird das Inselpaar Sardinien
und Sicilien wieder hinausgeworfen und überhaupt eine andere
Version beliebt, in der allerdings ganz Corsica wiederkehrt
— es entsteht die uns im Ottonianum vorliegende Textes-
gestalt. Und 816 wäre es also nicht merkwürdig gewesen,
wenn man kein Aergerniss nahm? 816 hätte man die Frage
nicht gestellt: woher die enorme Schenkung dieser Inseln?
44) K. Lamprecht, Die römiache Frage von König Pippin bis
auf Kaiser Ludwig d. Fr. in ihren urkundlichen Kernpunkten er-
läutert (1889) S. 64 f.
228 Sitzung der historischen Glosse vom 2. Juni 1894.
In Reims wäre es unbillig gewesen, wenn der Papst auf-
gefordert ward, Beweismaterial herbeizascbaffen ? Oder dachte
Ludwig d. Fr., ein Scherz sei des anderen werth, und in-
struirte seine Kanzlei: versprecht ihm die Inseln, kriegen
wird er sie ja doch nicht? Lamprecht räumt ein, dass er
,,von der sehr verlockenden Aufgabe abgesehen, die Resul-
tate seiner Untersuchungen in den Fluss der geschichtlichen
Ereignisse zu stellen**;**) er wird sich leicht davon über-
zeugen, dass die eben geschilderte Hypothese, zu der ihn
lediglich die irrige Interpretation einer anderen Stelle des
Pactums verführt,*®) im Fluss der Ereignisse jeglichen Halt
verliert.
45) Ebd. S. 138.
46) Lamprecht stützt seinen vermeinten Beweis auf folgende
Erscheinung. An einer echten, durch die Gongruenz mit dem Otto-
nianum gesicherten Stelle des Ludovicianum wird aus den sämmt-
liehen, vorher einzeln aufgeführten Schenkungen recapitulirend und
bestätigend die generelle Summe gezogen. Es heisst da in zwie-
facher Wendung: de suprascriptis videlicet provinciis, urhibus, civi-
tatibus, oppidis, castris, viculis, insulis, territoriis atque patrimoniis
nee non et pensionibus atque censibus — und gleich darauf: omnia,
quae superius leguntur, id est provincias, eivitates, urbes, oppida,
eastella, territoria et patrimonia atque insulas eensusque et pensiones.
Die Erwähnung von insulae glaubt Lamprecht hier auf Gorsiea, Sar-
dinien und Sieilien beziehen zu müssen und schliesst daraus, dass
diese auch im echten Texte des Ludovicianum weiter oben zu finden
gewesen wären. Nun lehrt ein unbefangener Bliek, dass die zweite
der obigen Recapitulationen mit einer gewissen Freiheit, ja Nach-
lässigkeit behandelt ist, man möchte sagen: nach dem stilistischen
Grundsatze variatio deleetat. Urbes und eivitates haben ihre Plätze
gewechselt, die Inseln sind hinter die Territorien und Patrimonien
getreten, die castra haben sieh in eastella verwandelt, die Binde-
wörter atque, nee non et, atque sind zu et, atque, que et geworden;
ja die viculi sind bei der Wiederholung ganz verloren gegangen. ^Is
diplomatisch überlegte Formel kommt also nur die erste Fassung in
Betracht, die aber folgt mit aller wünschbaren Genauigkeit der stoff-
lichen Anordnung der vorhergehenden Spezialparagraphen. Von ganzen
Dove: Gorsica u, Sardinien in (2. Schenkungen an d. Päpste. 229
Erwägt man, dass das Ottonianum von 962 zwar eine
Schenkung von ganz Corsica kennt, worauf sogleich zurück-
zukommen sein wird, dass es dagegen über Sardinien keine
Silbe, über Sicilien endlich allein jenen oben citirten Satz
enthält, der Kaiser wolle das dortige Patrimonium restituiren,
wenn er es mit Gottes Hülfe in seine Hände bekomme, so
wird man die an dem Ludovicianum vorgenommene Fälschung
natürlich erst für eine spätere Zeit ansetzen. Da ferner auch
Landschaften und Städte^^ppen mit ihrem Zubehör geht es hier wie
dort abwärts zu Patrimonien und endlich zu blossen Renten. Wo
erscheinen da nun die Inseln? Die Recapitulation stellt sie hinter
Flecken, Burgen und Dörfer unter die Pertinenzen der Stadtgebiete
innerhalb der Provinzen; ebenda sind sie auch in den früheren Partien
der Urkunde zu finden. Gleich vom im römischen Ducat begegnet
uns unter den übrigen römisch-tuscischen civitates: Perusium cum
tribus insulis suis, id est majorem et minorem, Pulvensim — mag-
giore, minore, Polvese, wie noch heut die drei kleinen Eilande im
See von Perugia heissen ; ferner schliesst der Paragraph, welcher den
Exarchat mit seinen Städten umfasst, mit den Worten: cum omnibus
finibus, territoriis atque insuUs terra marique ad supradictas civitates
pertinentibus, wobei es sich um Inselbildungen des Podeltas handeln
muBs. Dass eben diese Gattung von Inseln zwischen die viculi und
territoria der Recapitulation gehört, kann nur der verkennen, der von
Haus aus nach Merkwürdigkeiten sucht. Corsica, Sardinien und Si-
cilien sind keine Landsplitter oder Lagnnengebilde; sie wären ent-
weder zu den provinciae zu rechnen, oder gleich hinter diesen vor
den Städten als insulae aufzuführen gewesen. Alle sonstigen Wahr-
nehmungen, durch die sich Lamprecht von der richtigen Deutung
abbringen lässt, dürften sich dadurch erledigen, dass ein unerbittlich
durchgeführter Formalismus, wie er ihn annimmt, bei diesen Pacten
nun einmal nicht befolgt worden ist. Soweit sie aber Auffallendes
constatiren, stellen sie sich gerade seiner Hypothese am meisten ent-
gegen. Denn die pfiffigen Römer, die nach ihm die Einschiebung
des Dreiinselpassus ins Pactum von 816 widerrechtlich durchgesetzt
haben sollen, hätten natürlich am ängstlichsten dafür sorgen müssen,
dass der fränkische Dictator bei allen generellen Partien der Urkunde
dem neuen Passus gleichmässig Rechnung trage, um jeden Wider-
spruch oder jede Zweideutigkeit säuberlich zu vermeiden.
1894. PhüoB.-philol. u. bist. Ol. 2. 16
230 Sitzung der historischen Classe vom 2, Juni 1894.
das Heinricianum von 1020 noch genau auf dem Standpunkt
des Ottonianum steht, so gelangt man bereits nah an die
Schwelle der gregorianischen Periode, in die von jeher aus
inneren Gründen jene Fälschung verlegt zu werden pflegte.
1059 leistete Robert Guiscard als mit Gottes und St. Peters
Hülfe dux futurus Siciliae dem von Hildebrand geleiteten
Papste Nikolaus H. den Treueid ; 1073 strebte Gregor VII.,
wie wir sahen, nach der Unterwerfung Sardiniens unter Rom,
1077 ebenso nach der Corsicas. Indem er sich dabei jedoch
nur in Bezug auf das letztere auf ein altes Hoheitsrecht des
römischen Stuhls beruft, für Sardinien hingegen nur das
Mittel politischer üeberredung der Judices gebraucht, wie
für Sicilien ehedem den freien Bund mit den Normannen,
so folgt daraus, dass auch ihm persönlich damals von einer
angeblichen Schenkung beider Inseln an Rom durch Kaiser-
hand nichts bekannt war.*''). Es war somit umgekehrt erst
eine scheinrechtliche Consequenz aus der politischen Hand-
lung des Papstes in Bezug auf Sardinien, die ein dienst-
beflissener Anhänger desselben in dessen späteren Tagen
durch die Fälschung des Ludovicianum gezogen hat. Eine
Verlockung dazu bot sich gewissermassen von selber dar.
Wer in den Pacten Ottos d. Gr. und Heinrichs IL, ebenso
in der Vita Hadriani, von einer Donation der ganzen insula
Corsica las, musste an der, vielleicht sogar noch bedingten Zu-
billigung des blossen Patrimoniums im Ludovicianum eine Art
von historisch-kritischem Anstoss nehmen. Einmal im Zuge der
Nachbesserung benutzte er dann die Gelegenheit, auch noch
47) Das echte Ludovicianiun kannte Gregor natürlich sehr wohl;
er nennt in dem berühmten Brief an Hermann von Metz vom 15. März
1080 Ludwig als kirchlichen Musterfärsten neben Constantin, Theo-
dosius, Honorius nnd Karl. Ich bemerke, dass auch in dem politisch
eingehenden Schreiben an Orzocco, Judex von Cagliari, vom 6. Ok-
tober 1080 ein päpstliches Recht auf Sardinien von älterem Datum
nicht berührt wird.
Dove : Corsica «. Sardinien in d. Schenkungen an d, Päpste. 231
Sardinien und Sicilien in minder gutem Glauben, aber immer-
hin mit Rücksicht auf die Erlebnisse des Zeitalters an jener,
für diese Namen weniger passenden Stelle rechtsdichterisch
unterzubringen. Jedenfalls aber hat der Name insula Cor-
sica dem Fälscher wenigstens äusserlich als Wegweiser ge-
dient. Nicht also an eine absolute Interpolation des ganzen
Passus, sondern an eine Textänderung ist zu denken, von der
dabei auch die den Paragraphen schliessende Pertinenzformel
betroffen ward, welche, selbst abgesehen von dem Zusatz et
insulas, durch ihre von der sonst üblichen Aufzählung stark
abweichende Fülle an Seestücken, adjacentia, maritima, litora,
portus die Beziehung auf eine Inselwelt verräth. Dass eine
so weitgreifende Correctur sich am Original bequem vornehmen
Hess, muss bezweifelt werden ; vielleicht ward dasselbe dabei
dergestalt verdorben, dass man es für künftig lieber ganz ver-
schwinden liess. Interessant ist die Entdeckung SickePs, dass
noch in jener Privilegiensammlung von 1083/86, der Mutter
unserer Handschriften, die ja der Zeit der Fälschung über-
aus nahe steht, der Text jener Pertinenzformel äusserlich
nicht in Ordnung war.*®)
48) Die Worte et insalas zwischen ad suprascriptas civitates
und pertinentibus waren irgendwie durch Correctur nachgetragen.
Zq beachten ist auch, dass der Privilegiensammler beim Patrimonium
Siciliae im Ottonianum den Satz si Deus nostris illud tradiderit
manibus fortliess. (Sickel a. a. 0. S. 76 ff.)* — Znr Datirung der
Fälschung des Ludoyicianum hebe ich noch hervor: 1) Der Autor des
Fantuzzischen Fragments, der von seinen echten Theilen Eenntniss
verräth, nennt Sardinien und Sicilien nicht; das Fragment ist jeden-
falls ziemlich jung, nach Scheffer-Boichorst a. a. 0. S. 205 stammt
es sogar erst aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts. — 2) Das
Pactum Heinricianum von 1020 bezieht sich, abweichend vom Otto-
nianum, auch auf den Vorgang Ludwigs, kannte somit mindestens
ein Ludovicianum; es erwähnt, wie gesagt, Sardinien und ganz Sicilien
nicht. Und Sardinien zur Sprache zu bringen, hätte doch damals
dem Papst Benedikt YIII. besonders nahe gelegen, da auf sein Geheiss
die Insel fünf Jahre zuvor durch Pisaner und Genuesen von der In-
16*
232 Sitzung der historischen Glosse vom 2, Juni 1894.
Wenden wir uns zum Schluss dem Ottonianum von 962
zu, so liesse sich denken, dass in diesem noch der von einer
Pactirung zur anderen fortgepflanzte Wortlaut der corsica-
nischen Stelle aus dem echten Ludovicianum von 816/17 zu
lesen stünde ; allein so einfach liegt die Sache durchaus nicht.
Auch hier stehen wir vielmehr vor einer sicher nach 817
vorgenommenen Textveränderung. Der langobardisch - tus-
cische Paragraph führt hinter den letzten Städten Populoninm
und Rosellae weder Gorsica noch einen anderen Namen mehr
auf. Statt dessen folgt sogleich die Pertinenzformel cum
suburbanis atque nculis omnibus et territoriis ac maritimis,
oppidis, viculis seu finibas omnibus; eine Formel, die zwar
nicht, wie die des verunechteten Ludovicianum auf ausgedehnte
Seelande hinweist — denn das einmalige maritimis neben
territoriis schickt sich auch für das bescheidene toscanische
Litoral —, nichtsdestoweniger aber manches ungewöhnliche
und Gonfuse^^) zeigt, so dass man erkennt, dass hier eine
hastige, diplomatisch sorglose Umbildung vollzogen ist. Der
Ersatz für das vermisste Patrimonium insulae Gorsicae findet
sich sodann in einem neu angehängten vollständigen Para-
graphen, gleich seltsam an Inhalt wie an Form: Itemque a
Lunis cum insula Gorsica, deinde in Suriano, deinde in monte
Bardonis, deinde in Berceto, exinde in Parma, deinde in Begia,
yasion des Emirs Mogehid von Denia befreit worden war. — 3) Der
kaiserliche Fälscher der dem Papste Leo VIII. zugeschriebenen Cessio
donationnm, die nach dem März 1084 verfasst ward (vgl. Weiland
in Mon, Germ. Leg. S. IV, Const. I, p. 664), lässt den Papst wie
Corsica, so auch Sardinien an Otto d. Gr. zurückgeben; aber der
Zusammenhang lehrt, dass er, wie Gorsica aus der Vita Hadriani, so
Sardinien aus der Biographie Silvesters im Papstbuch entnahm. Er
hat weder ein echtes, noch ein gefiilschtes Ludovicianum zur Hand
gi^hubt und kann also für eine Verbreitung des letzteren auch ausser-
halb des gregorianischen Kreises um 1084 nicht als Zeuge dienen.
49) Ueber alle derartigen Fragen ist das genannte Werk von
Liuuprecht sehr unterrichtend.
Dove : Carsica u. Sardinien in d, Schenkungen an d, Päpste. 233
exinde in Mantaa atque Monte Silicis atque provincia Ve-
netiarum et Istria; necnon et cunetum ducatum Spolitanum
sea Beneventanum ; nna cum ecclesia s. Gristinae posita prope
Papiam juxta Padum quarto miliario. Die vielfach entstellte
Wiedergabe des bekannten Inhalts der alten karolingischen
Promission aus der Vita Hadriani ist in die engste und doch
zugleich höchst ungeschickte Verbindung gebracht mit einer
Notiz über die Einzelschenkung einer bei Pavia gelegenen
Reichsabtei.
Wie das Inseltrio für das Ludovicianum, so hat für das
Ottonianum die Einschaltung aus der Vita Hadriani von je
den Stein des Anstosses gebildet ; noch heute hegt der neueste
Herausgeber Weiland aus diesem Grunde Zweifel an der von
Sickel nachgewiesenen Authentie des Dokuments von 962.*^)
Für jeden, der sich mit uns dem diplomatischen Beweise
beugt, kann die Frage nur die sein, ob nicht vielleicht in
vorottonischer Zeit der Paragraph durch Fälschung in eines
der nach 817 abgeschlossenen Pacten nachträglich einge-
schwärzt und sodann in gutem Glauben weitergeschleppt
worden sei. Zu Ehren der kaiserlichen Unterhändler und
Kanzleien gewinnt man bei solcher Annahme herzlich wenig,
im Gegentheil: zumal bei der ersten echten Gonfirmation
wäre so mit unverzeihlicher Oberflächlichkeit verfahren worden.
Und auf der anderen Seite wäre doch auch für eine offizielle
Fälschung die Arbeit gar zu schlecht ; so liederlich lässt sich
im Bureau nur mit vollkommen ruhigem Gewissen com-
poniren und schreiben. Mir scheint es demnach weit leichter
denkbar, dass es der Curie zu irgend einer Zeit gelang, in
offener Darlegung ihres Wunsches die Einfügung jenes Passus
zu erreichen. An einen Vorgang aus der ersten Hälfte des
9. Jahrhunderts lässt sich dabei freilich nicht glauben.
824 erlitt unter unmittelbarer Einwirkung Lothars in Rom
50) Mon. Germ. Leg. S. IV, Const. I, p. 24.
234 Sitzung der Mgtarischen Glosse vom 2. Juni 1894.
Eugen II. eine bedeutende Einschränkung seiner Befugnisse,
wovon wir den Niederschlag noch im zweiten, staatsrecht-
lichen Theil des Ottonianum vor uns sehen. Wie sollte man
da gleichzeitig in den territorialen Theil des Privilegs ein,
überdies so kläglich gefasstes Excerpt aus dem Liber Ponti-
ficalis zugelassen haben, das nicht nur an sich unverständlicli
war, sondern auch durch Ueberweisung des Herzogthums
Spolet dem dicht darauf folgenden Yerzichtparagrapben
schnurstracks zuwiderlief? Wie vertrüge sich endlich der
plötzliche Verzicht auf die ganze Insel Gorsica mit der eben
damals auf Jahrzehnte hinaus organisirten karolingisch-tus-
cischen Tutel über dieselbe? Noch an dem Abschluss des
Pactums mit Leo IV. im Jahr 850 nahm neben seinem Sohne
Ludwig II. Lothar I. ebenfalls selber theil ;^^) es herrschten
also noch in der Sache wie in der Form die alten Tradi-
tionen. Auch damals war das Papstthum seit dem Sara-
zenenanfall von 846 in gedrückter Lage, im eigenen Gebiet
auf die Hülfe des Eaiserthums angewiesen, und auch da-
mals kann nicht ganz Gorsica von den beiden Kaisern auf-
gegeben worden sein, da es noch 851 zur Ansiedlung der
flüchtigen Gorsen in Porto für Leo IV. der Genehmigung
Lothars und Ludwigs bedurfte.
Gewiss mit Recht hat dagegen Sickel auf 875 hin-
gewiesen, wo Johann VIII. unter ganz verändertem Horizont
sein Pactum aus der offenen Hand Karls d. K. empfing.
Dieser Papst machte von der säcularen Erinnerung an die
römische Promission Karls d. Gr. auch sonst Gebrauch. 878
citirte er auf der Ravennater Synode im Hinblick auf die
gegenwärtige Schmälerung des Ejrchenstaats die gesta, quae
de eo — sc. Karolo M. — scripta sunt, d. h. wohl eben die
61) Vgl. Jaffd -Wattenbach, Reg. Pontf. Rom. nr. 2652. Von
den nicht beseogten Pactiningen der Zwischenzeit siehe ich der Kürze
halber ab.
Ihve: Corsicau, Sardinien in d. Schenkungen an d. Päpste, 235
Vita Hadriani ; 878 soll er in Troyes sogar die Promissionen
Pippins und Karls nebst deren Eiden selber haben verlesen
lassen, womit indessen wohl ebenfalls nur die Erzählung des
Papstbuches gemeint sein wird.**) Johann VIII. war also
ganz der Mann dazu, auch schon zu Weihnachten 875 bei
dem so willig gestimmten, den italienischen Dingen fremden
Bewerber um die Kaiserkrone um Aufnahme jener Stelle aus
den Gesten seines hochverehrten Grossvaters in den Text des
Pactums anzuhalten. Es kommt hinzu, dass die Confirmation
der Einzelschenkung der Abtei S. Gristina allem Anschein nach
gleichzeitig aufgenommen ward ; auch diese Schenkung aber
passt am besten, wenn nicht einzig, in die gedachte Zeit.*^)
Karl d. K. hielt sich im September 875 auf dem Wege
nach Rom in Pavia auf; die erste Urkunde, die er dort in
seinem neuen italischen Reiche ausstellte, sprach die Schenkung
eines Klosters und eines Krongutes an den Legaten aus, der
ihm soeben die Einladung des Papstes nach Rom über-
brachte.*^) Ganz die Stimmung also, um auch den hl. Petrus
selbst mit einer Morgengabe in Gestalt der ersten besten
Reichsabtei zu überraschen. Dass im Gegensatz hierzu der
52) Die Worte der Synodalakten (Mansi XVII, 848) klingen zwar
sehr bestimmt : deinde promissio regum lecta est, et sacramenta, quae
Pippinus et Carolas obtulerunt b. Petro, lecta sunt; allein sie lassen
sich doch auch von den Referaten der V. Steph. und V. Hadr. ver-
stehen. Ficker denkt an eine Rückforderung und Vernichtung der
Promissionsurkunden durch Karl d. Gr. ; der Bericht des Papstbuches
über die Katastrophe der Peterskirche von 846 lässt vermuthen, dass
sie spätestens dabei zugrunde gingen. Jedenfalls stammen alle Gi-
tate, die wir kennen, direkt oder indirekt einzig aus der V. Hadr.
58) Den Connez zwischen beiden Theilen des Paragraphen bat
Lamprecht richtig betont; gegen seine Datirung der Schenkung von
S. Gristina (824) vgl. auch Simson, Zum Priv. Otton. f. d. röm. Kirche,
N. Arch. XV, 575 ff., woselbst die Schicksale der Abtei am voll-
ständigsten dargelegt werden.
54) Dümmler, Jahrb. ostfir. Reh. I^ 825.
236 Sitzung der historischen Glosse vom 2, Juni 1894.
deutsche König Karlmann , der 875 dem Oheim vergebens
den Rang in Italien abzulaufen gesucht, das Kloster S. Cri-
stina im April 879 ausdrücklich in seinen Schutz nahm, ihm
Immunität und Besitz bestätigte und es neu beschenkte,^^)
reimt sich nicht nur vollkommen mit jener Annahme, sondern
hilft auch die Thatsache erklären, dass von päpstlicher Ver-
fügung über dasselbe später trotz der in den Pacten forir
geführten Notiz keine Spur vorhanden ist.*^)
Was nun Johann VIII. mit der Aufnahme des Passus
aus der Vita Hadriani ins Pactum eigentlich, oder doch zu-
nächst bezweckt habe, ist schwer zu sagen. Wahrscheinlich
wohl überhaupt eine historische Aufbesserung der rechtlichen
Basis päpstlicher Territorialansprüche, mit deren Restauration
er, wie berührt, auch sonst beschäftigt war. Dass Corsica dabei
materiell eine besondere Rolle gespielt, möchte ich nicht
gerade behaupten. Allerdings haben wir gesehen, dass die
karolingischen Beziehungen zu der Insel damals thatsächlich
gelöst, die päpstlichen dagegen noch lebendig waren, sodass
ein derartiges Motiv für die an allen anderen Punkten nicht
recht greifbare Schenkung — oder besser: vermeinte Neu-
bestätigung — immerhin möglich ist. Jedenfalls gab der
Name der Insel formell schon damals, wie hernach bei der
Fälschung im Ludovicianum, den Leitfaden ab, um den Ort
für die Einfügung des neuen Passus auszumitteln. War die
65) Mühlbacher, Reg. Karol. nr. 1498.
56) Doch ertheilt gerade Johann VIII. selbst noch im Oktober 879
dem Abte Gisulf persönlich einen kirchlichen Auftrag; Jaffö-Wattb.
nr. 3301. — Die Aussteller der späteren Pacten von 891 und 915,
Wido und Berengar können die Schenkung von S. Cristina an Rom
nicht vollzogen haben, da sie über die Abtei direkt anders verfügten;
was von Wido gilt, triflFt natürlich auch Lambert, der das Pactum
von 898 schloss. Die gedankenlose Bestätigung der Schenkung in
den Pacten durch diese und die folgenden Kaiser hat dagegen nichts
Auffallendes.
Dove: Corsica w. Sardinien in d. Schenkungen an d, Päpste. 237
Bestitution des dortigen Patrimoniums vor 846 wirklich er-
folgt, so hätte schon im Pactum von 850 ein etwaiger Zu-
satz, wie sicut tempore apto a missis nostris definietur, fort-
fallen und in der Vorlage von 875 nichts weiter zu finden
sein müssen, als ungefähr die Worte: et insulae Corsicae
Patrimonium ad potestatem et ditionem vestram pertinens.
TJeberredete Johann den zweiten Karl d. Gr. , dass statt dessen
passend die dunkel vielsagende Wendung itemque a Lunis
cum insula Corsica u. s. f. aus den römischen Gesten her-
überzunehmen sei, so musste man aus diesem ungeschlachten
Satzgefüge freilich einen eigenen Paragraphen construiren.
Indem dabei das präcise per designatum confinium durch ein
leichtfertiges itemque ersetzt ward, erschien die uralte Ideal-
grenze von 754 beinahe wie eine blosse Schnur von Einzel-
schenkungen in Oberitalien; da fand denn auch die Abtei
S. Cristina am Po in demselben Abschnitt mit dem Kloster
Berceto auf dem Appennin ein angemessenes Unterkommen.
Zugleich ward natürlich das Patrimonium insulae Corsicae
im tuscischen Paragraphen gestrichen, und die Pertinenz-
formel rückte einen Schritt hinauf, nicht ohne dabei redaktio-
nellen Schaden zu erleiden; wie denn überhaupt mit dem
Akt dieser Aenderung die kanzlistische Barbarei in den an-
wachsenden Theil der Pacten eindringt, um darin bis zur
ottonischen Reform von 962 zeitgemäss zu walten.
Wie dem auch sei, ein reeller Vortheil in Bezug auf
Corsica ward durch die Einschaltung der alten Zeilen pippi-
nischen Angedenkens ins Pactum der Kaiser und Päpste für
die letzteren nicht erreicht. Gregor VII. zog allerdings aus
dieser Thatsache seine Folgerung, aber er hätte wohl Cor-
sica, wie Sardinien, auch ohne solche Handhabe an sich
gezogen. Immerhin stehen beide Inseln in der Schenkungs-
geschichte einander lebhaft contrastirend gegenüber : Sar-
dinien geht in dieselbe erst aus dem gregorianischen Ideen-
kreise, und auch da nur mittels Betruges ein; Corsica
238 Sitzung der historischen Glosse vom 2, Juni 1894,
dagegen hat darin von Pippin bis auf Karl d. K. wenig-
stens auf dem Pergament eine Reihe wechselnder Schicksale
durchlebt.")
67) Nach Abschluss des Satzes erhalte ich die Ende Juli ver-
öffentlichte Schrift von Gustav Schnürer : ,die Entstehung des Kirchen-
staates*. Auch sie schliesst sich, unter Ablehnung der Ansicht
Schaube's, der Kehr'sohen Hypothese über die Promissionen Yon
Eiersy und Rom an und sucht dieselbe ebenfalls durch eigene Be-
merkungen 2U stützen. Für Corsica und Sardinien ist ans dem Buche
Schnürer^s, das die Schenkungsgeschichte nur bis 781 verfolgt, nichts
erhebliches zu entnehmen.
X
'S
239
Sitzung vom 7. Jnli 1894.
Herr Henry Simons feld hielt einen Vortrag:
,Die Wahl Friedrichs I. Rothbart.«
Wiederholt ist in neuerer Zeit die Wahl des grossen
Staufenkaisers Gegenstand kritischer Untersuchung gewesen.
Anfangs der 70er Jahre haben Wetzold^) und Prutz,*)
später Giesebrecht,*) Carl Peters,*) Hasse*) und Andere
siciL mit dem Thema abgegeben ; und eben während ich mit
den Vorarbeiten zu dieser Untersuchung beschäftigt war, hat
Jastrow jungst einen lehrreichen Aufsatz darüber veröfifent-
licht.*) Gerade dieser überhebt mich bei seiner Ausführ-
lichkeit der Mühe, die Ansichten der genannten einzelnen
Forscher nochmals hier im Detail wiederzugeben und alle
die einschlägigen Stellen zu citieren.
1) Die Wahl Friedrich I. 1872.
2) Kaiser Friedrich I. Bd. I. S. 399 u. ff.
8) Geschichte der deutschen Eaiserzeit. Bd. IV. (2. Bearb.)
S. 499 u. ff.
4) Die Wahl Kaiser Friedrichs I. (in den «Forschungen zur
deutschen Geschichte* Bd. XX S. 453 u. ff.)
5) Die Erhebung König Friedrich I. (in den , Historischen Unter-
suchungen, Arnold Schäfer . . . gewidmet*. 1882.)
6) ,Die Weifenprozesse und die ersten Regierungsjahre Friedrich
Barbarossas' (in der «Deutschen Zeitschrift für GeschichtswissenBchaft"
Bd. X. S. 71 u. ff. und 269 u. ff.).
N
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N
\
^
y
240 Sitzung der historischen Glosse vom 7. Juli 1894.
Worum es sich dabei — abgesehen von der Frage nach
dem Datum der Wahl — handelt, ist bekanntlich in Kurzem
Folgendes: Inwieweit ist dem Berichte Otto's von Frei-
sing über die Wahl Friedrichs Glauben zu schenken? ins-
besondere: Ist Friedrich Rothbart von seinem Oheim, dem
sterbenden König Konrad III., wirklich zum Nachfolger
statt dessen eigenen kleinen Sohnes designiert worden ? Oder
ist dies nur hinterdrein von Friedrich und seinen Anhängern,
der staufischen Partei, erfunden worden?
Während Peters trotz mancher Bedenken eigentlich
doch an dem .Verzicht* Konrads festhält, ist namentlich
Hasse zu viel radikaleren Ansichten gelangt. Ihm ist der
letzte Wille Konrads »fingirt*, die Erhebung Friedrichs eine
tumultuarisch verlaufende, geradezu ein Staatsstreich ge-
wesen. Und dieser Meinung pflichtet Lindner in seinem
neuesten Buche ^) ausdrücklich insoweit bei, dass er sagt:
»Im Grossen und Ganzen erscheint die Wahl Friedrichs als
Parteisache oder als Staatsstreich", was allerdings nicht ganz
klar ausgedrückt ist. Denn Lindner wird wohl nicht sagen
wollen, dass, wenn Friedrichs Wahl eine Parteisache war,
sie zugleich einen Staatsstreich bedeutete. Lindner's Vor-
gänger, Maurenbrecher,*) dagegen fällt über Hasse das
Urtheil, dass er in der Anzweiflung der üeberlieferung
weiter gehe, als es ihm erlaubt erscheine.
Jastrow, der ebenfalls von einem „Vermächtniss" Kon-
rads über die Nachfolge Friedrichs nichts wissen will, son-
dern die Wahl vor Allem der politischen Geschicklichkeit
und vermittelnden Thätigkeit Friedrich Rothbart« zuschreibt,
hat sich mit Hasse's Aufstellungen nicht weiter abgegeben;
1) Die deutschen Königs wählen und die Entstehung des Kur-
fürstenthums (Leipz. 1893) S. 57.
2) Geschichte der deutschen Königswahlen vom 10. bis 13. Jahr
hundert (Leipz. 1889) S. 166.
Simonsfeld: Die Wahl Friedrichs I. Bothbart 241
es yerlohnt aber schon im Hinblick anf Lindner^s Zustimmung
wohl, dieselben einmal näher zu untersuchen.
Es muss zunächst kurz daran erinnert werden, wie die
hauptsächlichsten Quellen sich über die Wahl äussern.
Man kann hier füglich mit den letzten Bearbeitern zwei
Traditionen, eine staufische und eine antistaufische,
unterscheiden.
Die erstere wird repräsentiert zunächst durch Otto von
Freising, der in den »Gesta Friderici* lib. I am Schluss
erzählt : Konrad vertraute vor seinem Tode die Reichsinsignien
zugleich mit seinem einzigen Sohne seinem Neffen an. Denn
als ein kluger Mann verzweifelte er daran, dass sein kleiner
Sohn (Friedrich zählte damals erst 7 Jahre) auf den Thron
würde erhoben werden. Daher habe er für sein Haus und
für das Gemeinwesen besser zu sorgen geglaubt, wenn viel-
mehr (statt seines Sohnes) sein Neffe ihm nachfolge, der
sich bereits durch mancherlei Thaten einen Namen gemacht.
— Freilich — fährt Otto hierauf im 2. Kapitel des 2. Buches
fort — haben die Fürsten dann nicht aus Rücksicht auf
Konrad, sondern im Hinblick auf das allgemeine Wohl
Friedrich Rothbart seinem jungen Vetter vorgezogen,
weil sie von ihm, als dem Sprossen aus staufischem und
weifischem Blute, als einem Eckstein zweier Wände, die Bei-
legung des verhängnissvollen Familienzwistes, der auch das
Reich zerrüttete, erhofften. Die Wahl sei aus der eigenen
freien Initiative der Fürsten hervorgegangen, deren Wahl-
recht Otto dabei nachdrücklich betont; sie sei eine ein-
müthige gewesen und habe unter zahlreicher Betheiligung
stattgefunden. Jastrow hebt an diesem Berichte Otto's be-
sonders hervor, dass er nichts von einem förmlichen Ver-
mächtnisse Konrads über die Krone enthalte — worauf wir
später zurückzukommen haben.
Des Weiteren gehören dann zur staufischen Tradition
erstlich die »poetische Umformung Otto's, die unter dem
242 Sitzung der historischen Glosse vom 7, Juli 1894.
Namen Quntheri Ligurinus geht*, das Lobgedicht auf
Friedrich aus dem Jahre 1187, wo schon deutlicher, nach
Jastrow, von einer „Quasi -Erbeinsetzung des Neffen die
Rede* sei;
zweitens die Kolner Königschronik mit der Notiz,
Konrad habe auf dem Sterbebett die Insignien Friedrich
übergeben, ihm seinen jungen Sohn anvertraut und ihm ge-
rathen, wegen seiner Nachfolge mit den Fürsten zu sprechen;^)
drittens die Chronik des Burchard von TJrsperg,
der an einer Stelle erzählt: Konrad überliess seinem Neffen
den Thron, indem er mit ihm festsetzte, dass sein kleiner
Sohn, wenn er zu Jahren gekommen wäre, das Herzogthum
Schwaben erhalten solle; und an einer anderen Stelle schreibt:
Friedrich erhielt die Krone mehr durch die Uebertragung
seines Oheims, als durch die Wahl der Fürsten.
Endlich ist hiezu noch zu zählen ein Schreiben Fried-
richs an Kaiser Manuel von Bjzanz „über ein Bündniss
gegen Roger von Sicilien* (vom März 1153),*) worin Fried-
rich sich ausdrücklich als von Konrad zum Nachfolger er-
klärt hinstellt.
Die antistaufische Tradition datirt erst aus etwas
späterer Zeit. Als älteste Quelle weiss Jastrow dafür nur
die Halberstädter Bisthumschronik anzuführen, die aus
dem Ende des 12. Jahrhunderts stammt; ferner die Chronik
von St. Clemens in Metz und die Chronik des Alberich
von Trois fontairies, die beide in das 13. Jahrhundert
1) Man hat in der Stelle: ,Cunradus rex apud Babenberg in-
firmitate decubans et diem mortis sibi adesse sentiens, duci Friderico,
filio fratris sui, regalia tradidit, filium suum Fridericum adhuc par-
vulum commendans et, ut pro regno sibi adquirendo principibus
loqueretur, suasit* das ,8ibi* für zweideutig erklärt; ich schliesse
mich entschieden mit Peters, Jastrow u. A. der Beziehung auf Fried-
rich Rothbart an.
2) Jaff^, Bibl. Rer. Germ. I, 548.
Simonsfeld: Die Wähl Friedrichs I. Rothbart, 243
gehören und bereits falsche Notizen mit wahren gemischt
bringen. Gemeinsam ist diesen Quellen die Darstellung, dass
Konrad seinem Sohne das Reich hinterlassen, ihn unter den
Schutz seines nächsten Verwandten Friedrich gestellt, dieser
aber den Thron — treulos — an sich gerissen habe. In
anderen und späteren Quellen wie bei Gislebert von Mons
oder im Chronicon Laudunense oder im Auctarium
Vindobonense^) wird mehr die diplomatische Geschicklich-
keit oder anderseits Gewaltthätigkeit Friedrichs als das
Ausschlaggebende hervorgehoben. „Wir lernen,* bemerkt
Jastrow, »die antistaufische Tradition erst in einer Zeit
kennen, in welcher bereits eine Vermischung der in Betracht
kommenden Ereignisse und Persönlichkeiten stattgefunden
hat" und sie hat „dann eine völlig zügellose Entwicklung
durchgemacht*.
Was nun aber Hasse zu seiner oben angegebenen
radikalen Ansicht veranlasst hat, ist, wie er bemerkt, die
Erwägung, dass man bei der früheren Betrachtung ein Mo-
ment ganz ausser Acht gelassen habe: die Kürze der
Zeit zwischen Konrads Tod und Friedrichs Wahl.
Konrad ist am 15. Februar 1152 zu Bamberg gestorben,
Friedrich am 4. März darauf — also kaum 3 Wochen später
— zu Frankfurt gewählt worden.*) Am dritten Tage nach
dem Tod Konrads ist die Nachricht davon in Speier gewesen
und erreichte dort die eben aus Italien zurückkehrende Ge-
sandtschaft, welche Konrad an Papst Eugen im Herbst des
Jahres 1151 abgeschickt hatte und die aus dem Erzbischof
von Köln, dem Abt Wibald von Stablo-Corvey und dem
Notar Heinrich bestand. Das berichtet Wibald selbst, der
1) Bei der Aufzählung Jastrow^s yermisse ich die Stelle in den
jOtia Imperii* des Gervasius v. Tilbury (Mon. Germ. SS. XXVII,
p. 380) yConrado succedit Fredericus plus ad hoc operante strenuitate
sua quam electione Teutonicorum*.
2) Cf. über diese beiden Daten den Excurs am Ende.
244 Sitzung der historischen Classe vom 7, Jtüi 1894.
in einem (später verfassten, undatirten) Brief an Papst Engen
schreibt : ^) , Als wir nach Speier kamen, traf uns die traurige
Kunde, dass 3 Tage zuvor König Konrad verachieden sei".
(Pervenientibus nobis Spiram in reditu a vobis, occurrit nobis
fama . . . quod tertia illa die de hac vita migrasset.) Da
die Entfernung zwischen Bamberg und Speier über 25 Meilen
in der Luftlinie betrage, könne die Nachricht nicht wohl,
wie Jaffe berechne, am 17. Februar, sondern wie Janssen
annehme,^) erst am 18. Februar in Speier gewesen sein.
^Wibald und der Erzbischof*', fahrt Hasse fort, „fassen als-
bald einen bestimmten Entschluss: schleunigste Rückkehr
nach Köln und Eintritt in die Wahlagitation ebendort*'.
Denn Wibald berichtet^): «Wir fuhren mit grösster Schnel-
ligkeit nach Köln, damit der Kölner Erzbischof um so sicherer
und freier sei in der Sorge für das Reich, je geschützter er
unter den Seinigen vor jedem Ungestüm einer stürmischen
Zusammenkunft gewesen' . (Enayigavimus summa cum cele-
ritate Coloniam, ut tanto esset Coloniensis ad providendum
rei publicae cautior ac liberior, quanto esset inter suos ab
omni turbulentae conventionis impetu securior.)
Für einen oder richtiger zwei der bedeutendsten Persön-
lichkeiten unter den damaligen deutschen Fürsten, folgert
Hasse hieraus, ihre Rolle, ihre Parteinahme sei also die Ent-
scheidung in Speier gefallen: der Kölner Erzbischof,
wie Wibald seien für Friedrichs Thronkandidatur gewonnen,
das Feld ihrer Agitation sei das Gebiet des Niederrheins
Das setze denn doch bestimmte Abmachungen zwischen ihnen
und Herzog Friedrich (dem nachmaligen König) voraus, führe,
da zu einer späteren Verständigung durch Boten bis zum
Wahltag nicht mehr genügend Zeit bleibe, zu dem Schlüsse,
1) Jaflfe', Bibl. Rer. Germ. I p. 503 epist. 375.
2) in seiner Schrift: , Wibald von Stablo und Corvey . . . ."
(Münster 1854) S. 171.
3) ebendort.
Simonsfeld: Die WM Friedrichs I. Bothbart. 245
dass Friedrich selbst in Speier gewesen sei und sieh
dort des Kölners und seiner Begleitung Anhang versichert
habe — wohl gegen entsprechende Verheissungen. — Die
schon von Wetzold erhobene „ganz verständige* Frage,
warum der Kölner Erzbischof nicht nach Bamberg gegangen
sei, wohin König Konrad einen Hoftag ausgeschrieben, um
sich dieser Versammlung anzuschliessen, erhalte hier durch
Wibald ihre Antwort: „Der Erzbischof hat am Niederrhein
freiere Hand und ist vor Ueberraschungen gesicherter*. Von
welcher Seite ? Man hat gemeint, seitens des Mainzers, und
kann dafür anführen, dass der damalige Mainzer Erzbischof
erklärter staufischer Gegner war, dass nach altem Reichs-
recht innerhalb seiner Erzdiözese der Vorrang des Kölners
vor jenem sich verfechten Hess, aber die Beziehung auch auf
Friedrich selber ist daneben möglich und statthaft*.
Bei noch so beschleunigter Reise, argumentirt Hasse
weiter, können die beiden geistlichen Fürsten, da die Strom-
länge von Speier bis Köln circa 37 Meilen betrage, nicht
füglich vor dem 22. Februar in Köln eingetroffen sein; dann,
heisse es bei Wibald weiter,^) begannen die angesehensten
Fürsten des Reiches durch Boten und Schreiben eifrig über
die Abhaltung einer Versammlung zur Bestimmung über das
Reich zu verhandeln (Ceperunt deinde summi principum sese
per nuncios et literas de habendo inter se coUoquio pro regni
ordinatione soUicitare) : nach Hasse also etwa am 23. Februar,
jedenfalls nicht früher. Zu den , summi principes^ welche
nach Wibald zur Versammlung geladen, gehöre zunächst der
Erzbischof von Köln selber, neben ihm dürfe man wohl auf
den Erwählten von Trier schliessen, der bei der Krönung
am 9. März zu Aachen urkundlich nachweisbar sei und von
Anfang an auf Friedrichs Seite erscheine. Die Ladung aber
lautete, um es kurz zu machen, nach Hasse, nicht auf den
1) a. a. 0.
1894. PbiIo8.-phiIol. n. bist. Ol. 2. 17
246 Sitzung der historischen Classe vom 7, Juli 1894,
4. oder 5. März nacli Frankfurt, denn dazu sei die Frist
von 11—12 Tagen, vom 23. Februar bis 4. oder 5. März,
ja viel zu kurz gewesen, sondern — und das sei nicht in
in Speier verabredet worden — auf den nachherigen
Krönungstag an den Niederrhein. «Der Erzbischof von
Köln ist für Friedrich gewonnen, er hat die Königswahl
von Köln aus eingeleitet, die Ladungen an den Nieder-
rhein lautend versandt, die Fürsten aus Lothringen und
Sachsen sind erschienen und der ursprüngliche Termin, zu
dem entboten war, ist der Sonntag Laetare, der 9. März
gewesen, an welchem nachher die Krönung stattfand''. Denn
wenn man auch die kürzesten Fristen annehme, den denk-
bar frühesten Termin für die Absendung der Ladeschreiben
(23. Februar), wenn man auch unter den Adressaten zunächst
nur dichtbenachbarte Fürsten, also etwa den Bischof von
Lüttich, Herzog Mathias von Oberlothringen, Gotfried von
Löwen, Heinrich von Namur, die Limburger Heinrich und
Gerhard verstehe (die sämmtlich vom 9. bis 12. März in
Aachen anwesend waren) , wenn dieselben auch der Ladung
unverzüglich Folge leisteten, immer ergebe sich das Resultat,
dass die ,colloquia' (von denen Wibald anderwärts spricht,
zu denen auch er geladen war und derentwegen er nicht
einmal nach dem nur 12 Meilen von Köln entfernten Stablo
reisen konnte)^) nicht eher als in den letzten Tagen des
Februar oder in den ersten des März stattgefunden haben
können und dass daher die hier, d. h. nach Hasse am
Niederrhein, zu Konferenzen vereinigten Fürsten nicht mehr
rechtzeitig zur Wahl in Frankfurt zum 4. oder 5. März
eintreffen konnten. Friedrich habe durch persönliche
Verhandlungen mit den süddeutschen Fürsten (wie dies z. B.
mit dem Würzburger Bischof urkundlich bezeugt ist) ^) diese
gewonnen; „auf einer Versammlung derselben wird Friedrich
1) Cf. unten S. 253.
Simons feld: Die WaM Friednchs L Bothbart. 247
zam König aasgerufen, er nimmt ihre Huldigung entgegen,
entlässt sie. Mit geringer Begleitung, in überstürzender Eile
— die 20 Meilen Stromlauf von Frankfurt bis Sinzig, von
da, wo sich das Gebirge in die Ebene abdacht, 12 Meilen
(Luftlinie) Landweg zusammen in drei Tagen überwindend —
eilt er auf direktestem Wege nach Aachen. Friedrich hat
in schnellen Entschlüssen die niederrheinische Partei über-
rascht und überrumpelt, in die zur Wahl dorthin ent-
botene Versammlung tritt er ein als schon erwählter König,
nur die Krönung erübrigt noch, auch sie ist durchgesetzt
am Tage nach der Ankunft: die scheinbare Wahl in Frank-
furt war ein echtes Pronunciamento!*
Dies in Kürze Hasse's Ansicht. Sie wirkt — man
kann es nicht läugnen — im ersten Augenblick überraschend,
blendend, bestechend, selbst fast wie ein Staatsstreich oder
ein Pronunciamento ! Erholt man sich aber von der ersten
Verblüffung und sieht man etwas schärfer zu, so wird man
bei nüchterner Prüfung finden, dass die glänzenden Lichter,
welche Hasse aufgesteckt hat, nur täuschende Irrlichter sind.
Also am 15. Februar ist Konrad in Bamberg gestorben,
am 17. oder 18. ist die Nachricht davon in Speier, dort trifft
sie die aus Rom zurückkehrende Gesandtschaft und dort trifft
ebendieselbe Gesandtschaft, nach Hasse, auch Herzog Fried-
rich, der nachmalige König. Dort oder vielmehr nur dort
hat Friedrich, nach Hasse, wegen der Kürze der Zeit den
Erzbischof von Köln und Wibald von Corvey für sich ge-
winnen können. Unwillkürlich fragt man da doch : wie kommt
denn Friedrich so kurze Zeit schon nach dem Hinscheiden
seines Oheims Konrad nach Speier? Woher wusste denn
Friedrich, dass er gerade an diesem Tage in Speier den
Erzbischof und Wibald antreffen werde? Das war doch in
damaliger Zeit (ohne die modernen Hilfsmittel möchte man
sagen) geradezu unmöglich — oder ein an das Wunder-
bare streifendes Zusammentreffen. An eine verabredete Zu-
17*
248 Sitzung der historischen Classe vom 7. Juli 1894.
sammenkunft ist ja gar nicht zu denken. Denn während
Friedrich in Bamherg weilte ,i) konnte er ja nicht von der
Bückkehr des Kölners und Wibalds und deren Eintreffen an
dem oder jenem Tage in Speier unterrichtet sein. Dazu
kommt, dass er, wie wir aus urkundUcher Aufzeichnung wissen
— wahrscheinlich schon am 19. Februar — , am 5. Tag
nach Konrads Tod, ,in ripa Mogi^ eine Unterredung mit den Bi-
schöfen von Würzburg und Bamberg hatte.*) Also am Todes-
tage Konrads hätte Friedrich von Bamberg aufbrechen müssen
nach Speier, um den Kölner und Wibald zu treffen und zu
gewinnen. Zwei Tage darauf wäre er zu gleichem Zweck
mit dem Würzburger und Bamberger zusammengekommen:
das wäre selbst für eine Persönlichkeit wie Friedrich Roth-
bart doch etwas zu viel gewesen. Wird aber den Hasse-
schen Konstruktionen diese Grundlage entzogen, dann stürzen
sie, dünkt mich, alle zusammen, wie ein Kartenhaus. Denn
dann wird hinfilllig, was über die ganze Stellung oder Partei-
nahme des Kölners und Wibalds gesagt ist. Wenn der
Kölner, wie wir aus einer anderen Quelle wissen, und Wibald,
wie Friedrich später selbst bestätigt hat, sich Verdienste um
Friedrichs Wahl erworben haben,*) also auf dessen Seite
1) ürkundlicli nachweisbar ist er dort allerdings nicht; er ist
nicht genannt unter den Zeugen in den letzten Urkunden Eonrads III.
vom 2. Februar 1162, und Bemhardi meint daher (Eonrad III. Thl. II,
924), vielleicht sei er erst nach Bamberg berufen worden, als sich die
Erankheit seines Oheims bedenklich steigerte. An der Anwesenheit
Friedrichs beim Tode Eonrads aber hat noch Niemand gezweifelt.
2) Cf. den Exkurs am Ende u. Mon. Boica t. XXXVII (nicht XXXVI)
N. xcvii p. 68 : Acta sunt haec . . . quinta die post obitum domini
Gonradi ... in ripa Mogi fluminis inter colloquium, quod dux Fride-
ricus cum Wirzebnrgensi et Babenbergensi episcopis celebravit, qui
dehinc 14. die divina ordinatione ac cunctorum principum electione
in regem elevatus est ad celsa imperii fastigia potenter conscendit
patruo succedens.
3) Cf. Wibald, Schreiben vom Mai 1152 an den Erzbischof von
Eöln bei JafiFö 1. c. I, 512 ep. 381 : Princeps noster . . . magna cum
Simonsfeld: Die Wahl Friedrichs L Bothbart. 249
standen, können sie nicht in Speier gewonnen worden sein;
sondern dies kann nur später entweder schriftlich oder
mündlich (in Frankfurt) geschehen sein ; die ganze angebliche
Agitation derselben am Niederrhein und Ladung dahin
wird damit hinfallig.
Dass übrigens Wibald nicht, wie Hasse annimmt, fort-
während in Köln oder am Rhein thätig war, dafür lässt
sich, wie mir scheint, auch eine Aeusserung von ihm selbst
anfahren. Er schreibt^) in einem (nach Hasse) von Köln
aus oder wenigstens vom Niederrhein und nicht vor dem
23. Februar, wahrscheinlich noch etwas später, geschriebenen
Briefe an die Mönche von Hastieres, dass ihn die Fürsten
des Reiches zu der Konferenz, wo über die Wahl des
künftigen Königs verhandelt werden soll, brieflich
aufgefordert haben (principes regni nostri nos ad coUoquium
suum, ubi de ordinatione futuri regis agetur, per litteras evo-
caverunt). Das hätte doch keinen rechten Sinn, wenn diese
Ladung von ihm und dem Kölner selbst ausgegangen wäre
und auf Aachen gelautet hätte.
Und weiter! Nach dem Niederrhein oder also genauer
nach Aachen, dem alten Krönungsorte, sei die Ladung
erfolgt! Das hätte doch allem und jeglichem Herkommen
widersprochen! Und darüber sollte auch gar keine kleinste
Notiz in die ganze (auch nicht in die antistaufische) Litteratur
eingedrungen sein? üebereinstimmend hätten von einander
unabhängige Quellen Frankfurt als Wahlort bezeichnet,
wo eigentlich, nach Hasse, nur eine von Friedrich selbst
berufene Versammlung süddeutscher Fürsten stattgefunden?
Und Friedrich hätte diese berufen? Wieso? Quo jure?
benivolentia et iocunditate beneficii vestri recordatnr, quod ei gratis
et plus quam gratis in suis ad imperii culmen provectibus exhibaistis ;
8. auch unten S. 263.
1) JaflK, 1. c. I, 496 ep. 367.
250 Sitzung der historisehen Glosse vom 7. Jidi 1894.
Nach der Darstellung Hasse's hätten ferner die Vor-
bereitungen zur Königs wähl erst begonnen, als der Kölner
und Wibald nach Köln zurückgekehrt waren (d. h. nicht
vor dem 23. Februar). Volle acht Tage also seit dem Tode
Konrads hätte man in der Umgebung des verstorbenen Herr-
schers und der zur Nachfolge berechtigtesten Kandidaten ge-
wartet mit den zu diesem wichtigsten Geschäfte unerlässlichen
Vorkehrungen ! So lange hätten die Fürsten des Reiches,
die zu einem Hoftag nach Bamberg entboten und zum Theil
erschienen waren, ruhig zugewartet — nur wegen des Kölner
Erzbischofs? nur, bis dieser glücklich in seine Residenz
zurückgekehrt war? Wenn man das ,Deinde* Wibalds
pressen will,^) wäre es eher noch auf die Zeit nach dem
Eintreffen der Todesnachricht in Speier zu beziehen. Und
— muss man weiter einwenden — bleiben zwischen dem
23. Februar und 9. März nicht auch blos 14 Tage übrig?
wäre dies bei einer Ladung an den Niederrhein speziell für
die süddeutschen Fürsten, die doch ebenfalls rite zu laden
waren, nicht auch ein zu kurzer Termin gewesen?
Mit welchem Recht ferner verlegt Hasse die ,colloquia\
die Konferenzen der Fürsten, ausschliesslich an den Nieder-
rhein? und in die letzten Tage des Februar oder die ersten
des März? während wir von einer solchen in Mitteldeutsch-
land z. B. schon von der zweiten Hälfte des Februar wissen?
Endlich was die Auffassung Hassels von der ,turbu-
lenta conventio' betrifft, als ob nämlich der Kölner und
Wibald eine solche von Seiten Friedrichs befürchtet hätten
und deshalb schleunigst nach Köln gereist seien, so fragt
man doch unwillkürlich, wie das mit der Annahme Hasse's
zusammenstimmt, dass Beide in Speier schon von Friedrich
gewonnen wurden. Wenn dies der Fall war, wovor hatten
sie sich denn zu fürchten ? durfte jenen Beiden es dann nicht
1) Cf. oben S. 245.
Sinionsfeld: Die Wahl Friedrichs I. Bothbart, 251
völlig gleichgültig sein, wie ihr Verbündeter sich etwa der
Unterstützung der übrigen Fürsten versicherte? oder musste
es ihnen nicht vielmehr ganz genehm sein, wenn Friedrich
auf jegliche Weise auch ihnen in die Hände arbeitete?
Warum also dann Furcht vor stau fischen Oewaltthätig-
keiten ? Da liegt es doch in der That näher, bei jenen Worten
Wibalds entweder an Beunruhigungen oder Störungen von
anderer Seite zu denken, zumal wenn man weiss, dass der da-
malige Mainzer Erzbischof Heinrich ein „erklärter staufischer
Gegner* war — oder man muss erst recht von einer Zusammen-
kunft und Verständigung der Beiden mit Friedrich in Speier
abstrahieren. Und wenn man die oben angeführte Stelle
genauer überlegt und insbesondere die vorhergehenden Worte
dazu hält, wird man wohl eher zu dem letzteren Resultate
gelangen. Denn Wibald spricht zuvor von dem Schmerz,
der die Gesandtschaft bei der Trauerkunde erfasste, und von
der Furcht vor der bevorstehenden Aenderung im Reiche ,de
metu futurae in imperio mutationis. Enavigavimus ita etc/
Das deutet doch auf alles Andere eher, als auf ein damaliges
Einvernehmen mit dem nachherigen König. Oder man muss
Wibald für einen vollendeten Heuchler halten, wozu sonst
gar kein Grund vorliegt.
Schliesslich ist gegen Hasse auch noch hinsichtlich der
Fristen zu bemerken, dass er überall doch die kürzesten
annimmt. Wenn Wibald an Eugen schreibt ,tercia illa die^
sei Eonrad gestorben, so liegt der 17. Februar sicher näher
als der 18. ; und dass die Nachricht trotz der 25 Meilen
Luftlinie in dieser Zeit von Bamberg nach Speier gelangen
konnte, wird Jeder zugeben. Rechnen wir dann zur Fahrt
von Speier nach Köln für circa 37 Meilen Entfernung nicht
volle 4 Tage, sondern nach Analogie von Friedrichs Reise
von Frankfurt bis Sinzig (20 Meilen, wofür Hasse selbst
P(a — 2 Tage rechnet), höchstens 3—4 Tage, so könnten der
Kölner und Wibald allenfalls schon am 21. oder gar 20. Fe-
252 Sitzung der kiatorischen Classe vom 7, Juli 1894,
bruar in Köln eingetroflfen sein, und dann — oder selbst
wenn sie erst am 22. dort anlangten — blieb noch Zeit
genug für Beide, von Köln aus sich mit dem Thronpräten-
denten Friedrich zu verständigen und insbesondere auch in
Frankfurt zum 4. März zur Wahlversammlung einzutreffen,
da diese Entfernung — den Rhein entlang — nach der An-
gabe des Ritters Arnold von Harff circa 35 Meilen beträgt.
Wenn derselbe dafür dann ebenso viele Stunden Reitens in
Rechnung bringt^) und man nur etwa 8 Stunden per Tag rech-
net, so beanspruchte die Reise nur 4 — 5 Tage. Wählten die
Reisenden vollends von Köln nach Frankfurt einen direkten
Weg über Siegburg, Wetzlar, Friedberg, der nur 26 Meilen
beträgt, so konnten sie, worauf mich Herr Professor W. Götz
freundlichst aufmerksam macht, bequem in 4 Tagen in Frank-
furt eintreffien.
Von dieser Theilnahme der beiden Prälaten, namentlich
Wibalds, am Frankfurter Tag will nun freilich Hasse erst
recht nichts wissen. Im Gegentheil: gerade in diese Tage,
den 4., 5. März, verlegt er eine Reise Wibalds nach
Stablo. Es muss hier daran erinnert werden, dass Wibald,
im Bereich des Klosters Stablo geboren, dort seine erste Er-
ziehung erhielt und zeitlebens diesem Kloster, „seiner Mutter,
Erzieherin und Amme (wie er es nannte),*) die ihn mit der
Milch der Frömmigkeit genährt und grossgezogen hatte", die
liebevollste Erinnerung und eine besondere Anhänglichkeit
bewahrt hat. Ist er ja auch hier, nachdem er im Kloster
Vasor Profess abgelegt hatte, im Jahre 1130 (9. November)
zuerst mit der Abtwürde bekleidet worden.*) Vorübergehend
1) Cf. die Pilgerfahrt des Ritters Arnold von Harff (1496 bis
1499), hrsg. von E. v. Groote (1860), S. 4 ,in duytsche lant
sijnt mylen die vns kundlich sijnt gemeynlich eyn vre (= vire = stunde]
rijdens vur eyne myle'.
2) Cf. Janssen a. a. 0. S. 7.
3) Cf. Janssen S. 213.
Simonsfeld: Die WcM Friedrichs I. Bothbarl. 253
ist er dann bekanntlich auch vom 20. September bis 2. No-
vember 1137 Abt von Monte Cassino gewesen,^) am 22. Ok-
tober 1146 ist er zum Abt von Corvey gewählt worden*)
— ein x4mt, das ihm viel Arbeit und Kummer bereitet hat.
Dazu sollte gerade in den Tagen, die uns beschäftigen, eine
neue Würde und Bürde kommen.
Zwischen dem Kloster Vasor (Waussore bei Namur in
Belgien) und dem von diesem gestifteten Hastieres waren,
gerade während Wibald auf der Gesandtschaft in Italien
sich befand, neue Streitigkeiten ausgebrochen.^) Nach dem
Tode des Abtes Theoderich von Vasor wollten die Mönche
von Hastieres die Gelegenheit benützen und wieder einmal
versuchen sich unabhängig zu machen. Die Mönche von
Vasor wussten sich keine bessere Hülfe in ihrer Noth , als
Wibald, dessen Anhänglichkeit an ihr Kloster sie kannten,
zum Abt zu wählen, der freilich diese Wahl nicht annehmen
konnte. Darauf bezieht sich ein (undatiertes) Schreiben Wi-
balds,*) in welchem unter Anderem der Passus vorkommt:
^Ich thue Euch zu wissen, dass ich augenblicklich, in den
Geschäften des Reiches thätig, nach Stablo nicht habe
kommen können. Wenn aber mit Gottes Gnade der neue
König uns gesetzt ist und ich von den öffentlichen Geschäften
etv^as freier bin, werde ich bereit sein. Euch in Euerer Noth
beizustehen u. s. w.* (Scire autem volumus dilectionem
vestram, quod ad presens in negotiis regni laborantes,
usque Stabulaus pervenire non potuimus. Sed ordinato nobis
per omnipotentis Dei gratiam novo rege, et a publicis occu-
pationibus paulo liberiores, necessitati vestrae assistere parati
erimus.) Also noch nicht einmal nach seinem geliebten
1) Janssen a. a. 0. S. 215.
2) Janssen S. 222.
3) Janssen S. 172.
4) Jaffe p. 494 ep. 866.
254 Sitzung der historischen Glosse vom 7. Jtdi 1894.
Stablo hat Wibald wegen der bevorstehenden Königswahl
gelangen können. In einem anderen (ebenfalls undatierten,
jedoch in der Sammlung der Briefe früher eingereihten)
Schreiben an das Kloster Corvey aber,^) in welchem
Wibald seine Rückkehr aus Italien meldet und den Tod
Konrads beklagt, Exequien für denselben anordnend, heisst
es: „Declinavimus paululum ad Stabulensem aeclesiam" ich
bin ein wenig nach dem Kloster Stablo abgeschwenkt.
Dieses Schreiben will nun Hasse hinter das vorher er-
wähnte an die Mönche von Vasor gesetzt wissen und be-
hauptet, der Abstecher könne nur in die Zeit um den 4. und
5. März verlegt werden und reihe sich auch ganz unge-
zwungen in Wibalds Itinerar ein, da derselbe am 9. März
bei der Krönung Friedrichs in Aachen anwesend war, nur
müsse man ihn nicht um jeden Preis nach Frankfurt zwängen
wollen. Nun hat aber Janssen bereits darauf aufmerksam
gemacht,*) dass statt jenes Declinavimuä (Perfect) — decli-
nabimus (Futur) zu lesen sei — wegen des unmittelbar
darauf folgenden Nebensatzes , „ut, cum eam fuerimus con-
solati, ad vos liberius et diutius mansuri, brevi elapso tem-
pore revertamur" : »um, nachdem wir die Brüder in Stablo
getröstet haben werden, in Kürze zu Euch zu freierem,
längerem Aufenthalt zurückzukehren''. Hasse meint dagegen,
das Futurum exactum sei nicht anstössig, wenn man nur
voraussetze, dass der Brief von Stablo selbst aus geschrieben
sei. Nun, da würde man im gewöhnlichen Leben doch nicht
mit Hasse diese Form erwarten: Ich bin nach Stablo ge-
reist, und sobald ich dort die Brüder ermuthigt haben werde
u. s. w., sondern: ich bin hieher gekommen, ich habe die
Brüder getröstet u. s. w. u. s. w.
Dazu kommt vielleicht, dass es wohl etwas spät ge-
wesen wäre, wenn Wibald erst am 4. oder 5. März dem
1) Jaffa 1. c. p. 492 ep. 364.
2) a. a. 0. S. 171.
Simonsfeld: Die WcM Friedrichs I, Bothbart. 255
Kloster Corvey seine Rückkehr aus Italien angezeigt und
erst jetzt Exequien angeordnet hätte: viel wahrscheinlicher
doch, dass dies früher geschehen. Viel ungezwungener er-
klären sich — bei einer früheren Datierung des Briefes und
der Aenderung in ,declinabimus' — auch die Worte ,inter
dolorem amissi tani excellentis tarn amici principis, inter
soUicitudinem futurae de regno ordinationis' ^ neben dem
Schmerz um den Verlust des Königs und die Sorge um die
künftige Wahl" . . . Worte, die bei Hasse eine ausserordent-
lich künstliche und geschraubte, ja sogar unrichtige Inter-
pretation sich gefallen lassen müssen. Denn mit ,,sollicitudo*'
ist nicht der „Antheil** Wibalds an der bevorstehenden
,ordinatio de regno' ausgedrückt, sondern seine Besorgniss um
die Wahl, wie das Wort in derselben Bedeutung auch in Wi-
balds Schreiben vom März 1152 an den Papst vorkommt.^)
Kurz, ohne hierauf noch weiter eingehen zu wollen,
acceptiert man die leichte Aenderung von ,declinavimu8' in
,declinabimüs', so braucht man keine Umstellung vorzu-
nehmen, und es lässt sich auf Grund der Korrespondenz fol-
gendes Bild von Wibalds Thätigkeit in jenen Wochen ent-
werfen :
Wibald erhält mit dem Kölner in Speier 3 Tage nach
dem Tode Konrads die Trauerkunde und eilt mit diesem
schleunigst zu SchiflF nach Köln. Von hier aus gedachte
er (Schreiben an Corvey Nr. 364)*) nach Stablo einen Ab-
stecher zu machen und dann nach Corvey sich zu begeben.
Selbst zu dem ersten aber fand er (Schreiben an Vasor
Nr. 366)^) augenblicklich nicht Zeit. Denn — wie wir aus
einem dazwischen liegenden Schreiben an den Bischof von
Metz (Nr. 365)*) erfahren — die Reichsfürsten, die für die
1) Jaffe 1. c. p. 603 ep. 375 Z. 13.
2) Jaffa, p. 492.
3) Jaff^, p. 494.
4) Jaffa, p. 493.
256 Sitzung der historischen Glosse vorn 7, Juli 1894.
Wahl des neuen Herrschers häufige Zusammenkünfte und
Konferenzen unter sich hielten, verlangten Wibalds Gegen-
wart eben wegen seiner letzten italienischen Gesandtschaft
— ,nos pro recenti legatioue Italiae abesse non permittunt' —
und hatten ihn (Schreiben an das Kloster Hastieres Nr. 361)^)
schriftlich zur Wahlversammlung aufgefordert. Derselbe hat
denn auch an der Wahlversammlung zu Frankfurt theil ge-
nommen. Ich sehe wenigstens durchaus keinen Grund, war-
um er dies nicht hätte thun sollen oder können. Damals
oder vorher schon in der Zwischenzeit ist er von Friedrich
gewonnen worden und gehörte zu der engeren Zahl derer,
welche an der Krönung in Aachen theil nehmen durften.*)
Dasselbe gilt von dem Kölner Erzbischof, für dessen An-
wesenheit bei dem Wahlakte in Frankfurt auch die Nachricht
von seinem Auftreten gegen den Friedrich ungünstig ge-
sinnten Mainzer Erzbischof anzuführen ist.^)
So muss ich mich in jeder Weise gegen Hasse's Auf-
stellungen aussprechen und es kommt mir gerade so vor, als
ob Hasse sich zu seiner ganzen Auffassung von der Wahl
Friedrichs hauptsächlich durch jenen Ausdruck ,turbulenta
conventio' habe verleiten lassen.
Wie schon oben erwähnt, hat Jastrow die Aufstellungen
Hassels gar nicht weiter berücksichtigt; aber indirekt tritt
er ihnen, soweit sie Wibald betreffen, am Ende seiner Aus-
1) Jaffd, p. 495.
2) In der Urkunde vom 18. Mai 1152, womit Friedrich Wibald
die Privilegien Corvey*8 bestätigt (nachdem er bereits am 9. März
dasselbe für Stablo gethan und am 8. Mai den Streit zwischen Vasor
und Hastieres nach dem Wunsche Wibalds entschieden hatte) , sagt
Friedrich selbst ,oh insignem ipsius fidem .... circa promotionem
nostram in regnum* (s. Stumpf, Reichskanzler Nr. 3615, 3624, 3626).
3) Gf. unten S. 263 Anm. 1..
Simonsfeld: Die WaM FHedrichs I. RothbaH, 257
führungen doch entgegen. Er charakterisiert Wibald^) gut
als ,das rechte Urbild des deutschen Klerikers im Zeitalter
des h. Bernhard^, der in erster Linie Kleriker und erst in
zweiter Reichsfürst gewesen sei. Weiter bemerkt er dann
von ihm: »Von der Todesnachricht wurde er in Speier über-
rascht in einer Zeit, als Friedrich I. seine Verhandlungen
schon in die Hand genommen hatte. Wie Wibald sich da-
mals zur Wahl stellte, wissen wir nicht. Ob er die Si-
tuation sofort überblickte und ob vielleicht hiermit seine
spätere Andeutung zusammenhängt, dass er es gewesen,
der dem Kölner eine Art Leitung in die Hand spielte oder
ob er sich vielleicht noch eine Weile sträubte, mit anderen
Worten, ob er sich schon der werdenden oder erst der ge-
wordenen Mehrheit anschloss, vermögen wir nicht zu sagen.
Jedenfalls hat er dem neuen Herrn sich frühzeitig genug
zugesellt, um sich werthvoU zu machen.*
Was diese Andeutung Wibalds, als habe er dem Kölner
eine Art Wablleitung in die Hand gespielt, anlangt, so ist mir
absolut unerfindlich, wie Jastrow eine solche aus der von uns
schon früher (oben S. 244) angeführten Stelle in Wibalds
Schreiben an den Papst über seine und des Kölners Rückkehr
nach Köln herauslesen kann. Noch weniger aber, wie gerade
Wibald dazu auch in der Lage gewesen wäre. Die Worte ,ad
providendum rei publicae*, die hiefür angeführt werden können,
sind so allgemein gehalten, dass man daraus doch schwer-
lich eine Debernahme der Wahlleitung folgern darf. —
Wie an dieser Stelle, so scheint mir Jastrow auch ander-
wärts den Worten Gewalt anzuthun, zu viel hinein zu legen
oder heraus zu lesen, was nicht darin enthalten ist. Die
Worte des Ligurinus z. B.
— nato voluit praeferre nepotem.
Nee alienus erit: nulla htc translatio regni,
NuUa sub ignoti redigemur jura tyranni
1) A. a. 0. S. 318.
258 Sitzung der historischen Glosse vom 7. Jvili 1894.
sollen nach Jastrow einen Protest gegen die (antistaufische)
Anschauung enthalten , als ob Friedrichs Thronfolge einen
Bruch des Erbrechts, eine üebertragung auf ein anderes
Geschlecht, eine ,translatio regni^ enthalte; davon, dass das
Reich (statt unter einem bekannten Erben) unter einen un-
bekannten neuen Herrn gebracht worden sei, könne nach der
Meinung des Ligurinus keine Rede sein. Ich meine, aber
auch Ligurinus hat an einen solchen angeblichen Protest
nicht entfernt gedacht!
Ebenso wenig kann ich finden, dass in der Ursperger
Chronik, wie Jastrow meint, Eonrads Vermächtniss »im
engsten historischen Zusammenhang mit Friedrichs Ver-
diensten um die Aussöhnung Welfs VI. erscheine". Wer
die betreffende Stelle unbefangen liest, wird das schwerlich
zu entdecken vermögen. Denn Burchard von ürsperg er-
zählt lediglich: „Konrad gab auf den Rath des Friede stif-
tenden Friedrich Weif einige fiskalische Einkünfte, und nach-
dem so der Friede geschlossen war, starb er bald darauf mit
Hinterlassung eines kleinen Sohnes Friedrich, wurde im
Kloster Lorch begraben und hinterliess seinem Neffen Fried-
rich den Thron, indem er mit ihm festsetzte, dass dieser
seinem Sohne später das Herzogthum Schwaben übergeben
solle." (Fridericus, qui postmodum fuit imperator, fratruelis
regis et filius sororis predicti Welfi, medium se ad com-
positionem faciendam interposuit captivosque duci reddi ac
regem de caetero securum penes illum esse, provida delibera-
tione confirmavit. Rex ergo accepto consilio Welfoni aUquos
redditus de fisco regni cum villa Merdingen concessit, ac sie
firmata pace ipse rex, relicto filio parvulo Friderico, in brevi
post vita decessit ac in monasterio Loracensi est sepultus et
Friderico fratrueli suo sedem regni reliquit, statuens cum
eodem, ut filio suo, cum ad annos perveniret, ducatum Sue-
viae concederet.) Wo ist da der enge historische Zusammen-
Siinomfeld: Die Wahl Friedrichs I. Eothbart, 259
hang zwischen dem Vermächtniss Eonrads und Friedrichs
Verdiensten um die Aussöhnung Welfs VI.?
Aehnlich verhälfc es sich mit der Halberstädter Bis-
thumschronik. ,Sie scheint nach Jastrow den Vorgang
sich in der Weise zu denken, dass Konrad seinen bereits er-
wählten Sohn Heinrich dem NefiFen Friedrich als Vormund
übergibt, dass dieser aber nach dem Tode Konrads die for-
melle Wahl verschleppt, bis sein Mündel inzwischen
stirbt und er sich selbst zum Konig wählen lässt/ Die
Wahl verschleppt! — Nicht eine Silbe davon kommt in
den Worten der Chronik vor, die einfach erzählt: Konrad
kehrt schliesslich erfolglos vom Kreuzzug zurück und stirbt
im Jahre 1150 (statt 1152). Seinen Sohn, der noch ein
Knabe war, den zukünftigen König und die Reichsinsignien
übergab er der Treue des nächsten Erben, des Herzogs von
Schwaben; nach dem Tode des Knaben ist eben dieser
Herzog Friedrich zum König erhoben worden: ,Conradus
Damascum capere non Valens tandem ad propria est
reversus, annoque Doraini 1150 debitum camis persolvit.
Qui cum filium suum, puerum adhuc, regem futurum, et in-
signia imperialia domni Friderici, ducis Suevi, qui proximus
eins heres fiiit, fidei commendasset, defuncto ipso puero, idem
Fridericus dux in regem est elevatus.' Die Chronik mischt
ersichtlich Wahres mit Falschem, aber ohne jede Animosität
gegen Friedrich.
Endlich kann ich auch mit Jastrow^s Interpretation von
Otto's von Freising Bericht mich nicht einverstanden er-
klären. Jastrow wendet sich, wie schon früher bemerkt, mit
besonderem Eifer gegen die Annahme von einem förm-
lichen Vermächtniss König Konrads zu Gunsten seines NeflFen
Friedrich. Der ursprüngliche Bestand der staufischen Tra-
dition, der besonders durch Otto von Freising vertreten sei,
enthalte nichts von einem solchen Vermächtniss, sondern
nur die Thatsache der Uebergabe des Sohnes und der Reichs-
260 Sitzung der historischen (Jlasse vom 7. JtUi 1694.
insignien an Herzog Friedrich. Ja sogar im Gegen theil.
Otto von Freising lege förmlich dagegen Verwahrung
ein, aus der letzten Handlung Konrads mehr zu folgern und
weitergehende Konsequenzen zu ziehen. Mit den Worten
,non regis Gonradi zelo, sed universitatis boni intuitu^ scheine
Otto „wohl^ andeuten zu wollen, dass es zu seiner Zeit
schon ein „staufisches Gerede* gegeben, die Wahl sei
, regis Gonradi zelo* in Befolgung eines politischen Testa-
mentes, sozusagen auf Grund eines Erbrechts erfolgt; aber
indem Otto von einer solchen Auffassung seinen Lesern Kennt-
niss zu geben scheine, verwahre er sich dagegen, dass
er dieses Argument geltend mache.
Jastrow vergisst dabei vollständig, was Otto zu Anfang
seines Berichtes gleich nach der Meldung von der Uebergabe
der Reichsinsignien vorbringt: „Als ein kluger Mann ver-
zweifelte Konrad daran, das sein junger Sohn zum König
erhoben würde; daher glaubte er für sein Haus und
für das Reich besser zu sorgen, wenn vielmehr sein
Neffe ihm nachfolge.* (Erat enim tamquam vir prudens
de filio suo adhuc parvulo, ne in regem sublimaretur quasi
dftsperatus; idcirco et privatae et rei publicae melius
profuturum judicabat, si is potius, qui fratris sui filius
erat, ob multa virtutum suarum clara facinora sibi succederet.)
Ich dächte, deutlicher und klarer hätte Ofcto von Freising
ein sogenanntes Vermächtniss Konrads zu Gunsten seines
Neffen Friedrich gar nicht ausdrücken können.
Ich sage ein „sogenanntes Vermächtniss*. Wie-
weit war ein solches denn rnöglich? Was konnte ein solches
denn enthalten? Was konnte denn Konrad eigentlich fest-
setzen und bestimmen? Doch wohl nur vor seinem Tode
den um ihn versammelten Fürsten einen Wunsch, eine Miei-
nung ausdrücken über die Nachfolge, seinen Neffen designieren
und etwa die anwesenden Fürsten dafür gewinnen. Die
weitere Entwicklung hatte er nicht in der Hand, die end-
Simonsfeld: Die Wahl Friedrichs I, Bothbart. 261
gültige Elntscheidung musste er der Thätigkeit seines NefiPen
und dem Wahlgang selbst überlassen. Und warum Eonrad
nicht eine solche Designation sollte haben treflfen sollen oder
wollen, vermag ich ebenfalls nicht einzusehen. Lag dies
denn damals nicht sehr nahe? Man vergegenwärtige sich
doch die Situation. Seit längerer Zeit kränkelte Konrad ;
vierzehn Tage vor seinem Tod bereits warf ihn die Krank-
heit auf das letzte Lager nieder: da sollte er nicht Vor-
kehrungen für sein Ende getroffen, sein Haus nicht bestellt
haben? Und war es da etwas so Besonderes, Widersinniges,
wenn er seinen thatkräftigen Neffen zum Hüter seines Sohnes
und, soweit er konnte, auch des Reiches bestellte? Sorgte
er nicht in der That damit wirklich am besten für beide?
Daran kann doch wirklich kein Zweifel sein, dass sein kleiner
Sohn kein geeigneter Thronkandidat für die damalige Lage
war. Stand nicht zu befürchten, dass Heinrich der Löwe
versuchen würde, für sich selbst die Krone zu gewinnen?
Und würde Friedrich Rothbart sich dies haben gefallen
lassen? Wäre die Fortdauer des Bürgerkrieges dadurch
nicht unvermeidlich geworden?
Vollends aber wenn, wie Jastrow sehr wahrscheinlich
gemacht hat, Friedrich damals schon etwa durch sein ganzes
Verhalten und Auftreten die Verständigung mit Heinrich
dem Löwen angebahnt hatte ^), musste da nicht auch König
Konrad sein Neffe Friedrich als der geeignetste Mann für die
Nachfolge erscheinen? Warum sich Jastrow gerade so sehr
gegen das sogenannte „Vermächtniss" Konrads steift, ist
wirklich nicht einzusehen. Gerade hinsichtlich desselben mahnt
Lindner (der sich freilich dann nicht konsequent bleibt),
1) In dem Chr. S. Michaelis Luneburgensis (SS. XXIII, 396) wird
Heinrich dem Löwen sogar ein Hauptverdienst um die Wahl Fried-
richs zugeschrieben: Frid. imperator . . . Henricum .... exheredi-
tavit, qui eum ad imperialem promoverat celsitudinem,
reddens malum pro bono.
1894. Philo8.-philol. u. bist. Ol. 2. 18
262 Sitzung der historischen Glosse vom 7. JiUi 1894.
,der Historiker müsse sich hüten, ohne wirklichen Beweis Je-
manden zum bewussten Lügner zu stempeln,*^) — was in erster
Linie dann ja auch Friedrich Rothbart selbst beanspruchen
darf. Entschieden war ja mit dem »Vermächtnisse" gewiss
noch gar nichts. Es ist mir auch durchaus nicht zweifel-
haft, dass sich eine Oppositionspartei bildete oder bestand,
welche sich gegen Friedrichs Thronkandidatur erklärte und
die des jungen Friedrich, des Söhnchens König Konrads,
vertrat. Das lässt sich ja auch aus Otto's Bericht selbst
entnehmen, wenn er sagt, die Fürsten wollten ,non regis
Conradi zelo, sed universitatis boni intuitu' Friedrich Roth-
bart dem jungen Friedrich vorziehen. Völlig unbegreiflich
ist, warum man hinter den Worten ,non regis Conradi zelo*
so grosse Schwierigkeiten gesucht hat. Es ist doch sonnen-
klar, was Otto sagen wollte: König Konrad hat durch Ueber-
gabe der Reichsinsignien seinen Neffen als den ihm wünschens-
werthen Nachfolger bezeichnet; aber nicht dieser Wunsch,
nicht die Rücksicht auf König Konrad war für die Reichs-
fürsten massgebend ; sondern ihre aus freier Wahl getroffene
Entscheidung beruhte auf allgemeinen Gründen, ging hervor
aus der Erwägung des öffentlichen allgemeinen Wohles. Ich
finde darin auch gar keinen Widerspruch in der Darstel-
lung Otto's, von welcher, insbesondere der Darlegung der
Motive in Kap. 2, übrigens noch Maurenbrecher urtheilt^),
sie sei eines der politisch - historischen Meisterstücke mittel-
alterlicher Literatur — während Hasse behauptet, eine Dar-
stellung vom Schlage der Ottonischen lasse sich mühelos aus
den üeberschriften der Formeln (der deutschen Königs- und
der römischen Kaiserkrönung) zusammenreihen, ohne dass er
'freilich selbst sich dieser „mühelosen* Beweisführung unter-
zogen hätte.
Dass ferner in dem „tandem** Otto's von Freising, wo-
mit er die schliessliche, einmüthige Wahl Friedrichs einleitet,
1) Gesch. der deutschen Königswahlen etc. S. 168, Anm. 1.
Simonsfeld: Die WaM iViedrichs I. Bothbart, 263
ein Hinweis auf die vorhandene Opposition gefanden werden
kann (obwohl es fraglich ist, ob man das Wort sehr ur-
gieren darf), haben bereits Andere erwähnt. Wir sind auch
in der Lage, aus anderen Quellen zu entnehmen, von wem
besonders diese Opposition gegen Friedrich Rothbarts Kan-
didatur ausgegangen sein dürfte. Der Zusatz in der zweiten
Recension der Kölner Königschronik, dass der Erz-
bisehof von Mainz gegen Friedrich aufgetreten sei und, in-
dem er denselben des Hochmuths und der üeberhebung be-
schuldigte, gegen ihn Stimmung zu machen versucht habe^),
verdient um so mehr Glauben, als dies Verhalten seiner Stel-
lung ganz und gar entsprach. Es ist schon (von Peters
und Wetzold) darauf aufmerksam gemacht worden, dass
bereits bei der Wahl Lothars der Mainzer Erzbischof dem
staufischen Hause entgegen getreten war. Besonders aber
fällt ins Gewicht, dass Heinrich von Mainz bei der Krönung
in Aachen nicht zugegen war und im nächsten Jahre be-
reits abgesetzt wurde — wie ebenfalls die Kölner Chronik
(diesmal die erste Recension) sagt „auf Betreiben und mit
Willen Friedrichs***), dei" so die oppositionelle Haltung des
Mainzers bestrafte — gerade wie er den Kölner Erzbischof
und Wibald ausdrücklich für ihre Verdienste um seine Er-
bebung belohnte.^) Es darf ferner nicht vergessen werden.
1) Sed licet favorem multorum haberet, Henricus episcopue Ma-
guntinensis unanimitatem quorundam circa ipsum invectivis quibus-
dam debilitare conatus est, asserens, quod fastu quodam inductus
inter consecretales suos concinatus fuerit, quia regnum adepturus
esset nolentibus omnibus qui adfuissent. Cuius objectionis malum
archiepiscopus Ooloniensis mitigavit, regem ab intemptamentis ex-
casans et episcopi molimen anullans.
2) Heinricus Magontinus archiepiscopus instinctu et voluntate
regis depositus est a duobus cardinalibus ....
3) Cf. oben S. 248 und 256; der Antheil des Kölner Erzbiscbofs
(wie des Erwählten von Trier) wird bekanntlich auch in den Ann. Brun-
wilarenses hervorgehoben (SS. XVI, 727: Faventibus archiepiscopis
18*
264 Sitzung der historischen Classe vom 7. JtUi 1894,
dass Heinrich von Mainz schon früher einmal — während
Konrad III. auf dem zweiten Kreuzzuge abwesend war —
im März 1147 zu Frankfurt zum Reichsverweser für den
jungen Sohn König Konrads Heinrich war bestellt worden.^)
Wenn nun der noch jüngere Bruder dieses Heinrichs auf
den Thron erhoben wurde, konnte Erzbischof Heinrich von
Mainz sich nicht mit der stillen HoflFnung tragen, auch dies-
mal mit dem nämlichen Amte betraut zu werden ?») Und
dies hätte ihm auch wegen seines gespannten Verhältnisses zum
Papst höchst willkommen sein müssen, da er ja einige Jahre
vor und wiederum ein Jahr nach der Wahl in einen kano-
nischen Prozess verwickelt war. Man hat auch gemeint,
dass Heinrich von Mainz eben wegen dieses Prozesses die
Leitung der Wahl nicht besorgt haben dürfte, da er nirgends
in den Quellen als Leiter erwähnt wird. Doch scheint es
mir fraglich, ob man von diesem , argumentum ex silentio'
Gebrauch machen darf. Wenn Otto von Freising an anderer
Stelle^) ausdrücklich dem Erzbischof von Mainz das Recht der
Wahlleitung zuerkennt und dies auch von Friedrich Rothbart
später selbst betont wird*), möchte man doch am ersten
glauben, dass Heinrich von Mainz dies Recht damals gleichfalls
ausgeübt hat; und damit würde wohl stimmen, dass gerade er
Amoldo II Coloniensi, Hillino Treverensi Fridericu8 dux Alemannorum
in re^em eligitur.
1) Bernhardi, Konrad III., Th. II, S. 546.
2) Cf. Stoewer, Heinrich L, Erzbischof von Mainz S. 63, dem
ich hier völlig zustimme.
3) Gesta, 1, 16 (17): (Nach Heinrichs V. Tod) Igitur Albertus -
nam id iuris, dum regnum vacat, Maguntini archiepiscopi ab anti-
quioribus esse traditur — prineipee regni in ipsa civitate Maguntina
tempore autumpnali convocat ....
4j Siehe das Antwort - Schreiben der deutschen Bischöfe an Ha-
drian IV. vom Jahre 1158 bei Rahewin, Gesta Friderici Imp. Hl,
16 (17) electionis primam vocem Maguntino archiepiscopo . .
recognoscimus (sc. Fridericus); cf. Lindner a. a. 0. S. 71.
Simonsfeld: Die WätU Friedrichs I. Bothbart. 265
die Thronkandidatur des jungen Friedrieh aufstellen konnte.
Manche haben gemeint, dass die Reichs forsten zur Wahl
eingeladen haben : die ,summi principes', deren Wibald Erwäh-
nung thut. Dazu gehörte ja aber doch sicher auch der Mainzer
Erzbischof. Und gerade der Wahlort Frankfurt, der kirch-
lich zu Mainz gehörte, scheint dem nicht zu widersprechen.
Man hat auch diesen für auffällig und ungewöhnlich
gefunden. Eben Lind n er ^) bemerkt, er erscheine hier „seit
der Karolingerzeit zum ersten Male als Wahlstätte*. Aber
Lindner vergisst, dass gerade die letzte Eönigswahl eben
hier stattgefunden hatte. König Konrad lU. liess seinen
Sohn Heinrich im März 1147*) in Frankfurt zum König
wählen, und vielleicht hat gerade die Erinnerung daran die
Wahl dieses Ortes veranlasst, der übrigens jedenfalls der
ganzen Lage nach geographisch der geeignetste war.
Kurz war allerdings die Zwischenzeit zwischen Tod
und Neuwahl, für die man jedoch gleichfalls eine Erklärung
in den Umständen finden kann, die um so leichter begreiflich
ist und deren Wahrscheinlichkeit sich vergrössert, wenn man
daran denkt, dass Konrads Gesundheit seit längerer Zeit schon
schwankend war und sein letztes Krankenlager 14 Tage
währte, so dass man doch Zeit hatte, auf alle Eventualitäten
gefasst zu sein und die entsprechenden Massregeln zu einer
schnellen Wahl zu treffen.
Sonst kann ich nicht finden, dass bei ruhiger Betrach-
tung die Wahl Friedrichs, soweit wir aus den Quellen dar-
über erfahren, besondere Unregelmässigkeiten und Unwahr-
scheinlichkeiten oder Ueberraschungen zeige, und ich theile
daher durchaus die besonnene Auffassung derselben von C.
Varrentrapp in seinem Aufsatz „Zur Geschichte der deutschen
Kaiserzeit *.^) Zu Gunsten Otto's von Freising möchte ich
1) a. a. 0. S. 66.
2) Cf. ßemhardi II, 547.
3) In ByheVB Historischer Zeitechrift Bd. 47, S. 40B— 407.
266 Sitzung der historischen Glosse vom 7. Juli 1894,
ausser Lindner^s Spruch^) noch anführen, dass seine Meldung,
auch italienische Grosse hätten der Wahl beigewohnt, von an-
derer Seite, worauf noch nicht hingewiesen worden ist, eine
Bestätigung erfahren hat. Nach Hartwig*) war in der
That Guido Guerra bei der Wahl zugegen. —
Wenn wir nun rekapitulieren sollen, so ergäbe sieb uns
folgendes Resultat:
Eonrad hat allerdings, indem er zugleich mit seinem
kleinen Sohne die Beichsinsignien seinem Neffen Friedrich
übergab, diesen als den von ihm gewünschten Thronkandidaten
bezeichnet. Dagegen hat eine Oppositionspartei, an deren Spitze
der Erzbischof Heinrich von Mainz gestanden, zu Gunsten
des jungen Königssohnes sich ausgesprochen. Friedrich Roth-
bart hat aber theils durch seine ganze Stellung, theils durch
eigenes Eingreifen so viele Fürsten des Reiches, geistliche
wie weltliche — unter den ersteren die Erzbischöfe von
Köln und Trier, die Bischöfe von Bamberg, Würzburg, Basel,
Lüttich, Otto von Freising, Abt Wibald von Stablo und
Corvey, unter den weltlichen besonders Herzog Heinrich von
Sachsen, Weif VI., Markgraf Albrecht, Otto von Witteisbach,
Berthold von Zähringen — für sich zu gewinnen vermocht,
dass schliesslich (tandem) in Frankfurt, dem von vorneherein
in Aussicht genommenen Wahlort, die Opposition nicht blos
in der Minorität blieb, sondern wohl wirklich die einstimmige
Wahl Friedrich Rothbarts mit Rücksicht auf seine ganze
Persönlichkeit und in der Hoffnung auf Beilegung des Bürger-
krieges erfolgt ist.
1) Cf. oben S. 262 Anm. 1.
2) in den , Quellen und Forachungen zur Gesch. der Stadt Flo-
renz** II, 34; freilich ist dafür kein Beleg angegeben.
Simonsfeld : Die WM Friedrichs L Bothbart, 267
Exkurs.
Icli habe oben als Todestag Konrads den 15. Februar,
als Tag der Wahl Friedrichs den 4. März angenommen:
beides bekanntlich keineswegs feststehende, sicher tiberlieferte
Daten. Ueberwiegend wird als Todestag Konrads in den
Quellen ^) XV kal. Marcii angegeben, was eigentlich bei dem
Schaltjahre 1152 der 16. Februar ist und nur dann auf
die ,feria sexta proxima a capite jejunii' Ottos von Freising,
d. h. Freitag den 15. Februar stimmt, wenn man auf den
Schalttag keine Rücksicht nimmt — und dies ist nach
örotefend's Bemerkung in seiner Dissertation „über den
Werth der Gesta Friderici imperatoris des Bischofs Otto von
Freising etc.**) wohl zulässig.
Befolgt man nun aber konsequenter Weise die näm-
liche Zählweise bei der Frage nach dem Wahltag Fried-
richs, so erhält man als solchen den 4. März — einmal
nach dem Wortlaut des Schreibens Wibalds an Papst Eu-
gen ,XVII die post obitum*^) und dann ebenso nach der
Aussage Friedrichs in seinem Schreiben an den nämlichen
Papst ,XVII die post depositionem' *) — wenn man, was
ebenfalls durchaus statthaft, ,depositio' identisch nimmt mit
,obitus'. Denn aus Ducange's Lexikon erhellt, dass depo-
sitio hier = depositio vitae. Auf den nämlichen 4. März
wird man geführt mit der Angabe Otto's von Freising ,tertia
feria post Oculi mei semper' *) und hat dann nur dessen
weitere Angabe ,111 Non. Marcii* umzuändern in ,1111 Non.
Marcii' — wie dies auch Cohn schon vorgeschlagen hat,®)
dem ich hier durchaus beipflichte.
1) Cf. Bernhardi a. a. 0. II, 925.
2) S. 27.
3) Jaff^ 1. c. p. 607 ep. 375.
4) Jaffa p. 499 ep. 372.
5) Gesta Friderici II, 1.
6) Gott. Gel. Anz. 1868 S. 1051.
268 Sitzung der historischen Glosse vom 7. Juli 1894,
Selbst die Angaben in der Urkunde über das ,colloquium'
Friedrichs mit den Bischöfen von Bamberg und Würzburg ^)
ergeben dieselben Daten, 15. Februar und 4. März, wenn
man hier das Anfangsdatum mitzählt, wie dies Grote-
fend ausdrücklich befürwortet.*) Dann fällt die Unterredung
demgemäss auf den 5. Tag nach dem 15. Februar inclusive
= 19. Februar und die Wahl auf den 14. darnach (inclus.
19. Februar) = 4. März (ohne Berücksichtigung wiederum
des Schalttages).
Vom 4. März bis zum Erönungstag (9. März) ergeben
sich dann endlich, in der gewöhnlichen Weise gerechnet,
die mehrfach angegebenen fünf Tage.
1) Mon. Boica a. a. 0. cf. oben S. 248 Anm. 2.
2) a. a. 0. S. 27.
269
Herr E. Freiherr von Oefele hielt einen Vortrag über:
»Traditionsnotizen des Klosters Ktihbach*.
Das Nonnenkloster Kühbach nördlich gegen Osten von
Aichach war noch 1429 im Besitze eines 'Salpuchs\ welches
Urkunden und Traditionsnotizen enthielt; von einer der letz-
teren wurde damals notarielle Abschrift genommen.^ In der
Folge Hess Konrad Peutinger die Königsurkunden für Küh-
baqh von 1011 und 1041, die bischöflichen Urkunden von
1127 und 1153, endlich ein Dutzend Traditionsnotizen dar-
aus abschreiben, worauf er eigenhändig die Jahresdaten,
Orts- und Personennamen an den Rändern exponirte. Das
Ganze wurde einem Handschriftenbande einverleibt, welchen
jetzt die königliche öffentliche Bibliothek in Stuttgart besitzt.*
Die Traditionsnotizen blieben, von obenerwähnter ab-
gesehen, bislang ungedruckt. Dennoch ist der Werth sol-
cher Aufzeichnungen ausser Frage. Da sie den Gütererwerb
eines Hochstiftes oder Klosters zumeist überliefern, zieht aus
ihnen die Orts- und die Rechtsgeschichte reichlichen Gewinn.
Auch für genealogische Forschung sind sie ergiebig. Man
1) Monumenta Boica XI, 543—547; das Instrument befindet sich
im k. allgemeinen Eeichsarchive.
2) Hist. in fol. Nr. 243, Bl. 76—82; vgl. v. Heyd, Die historischen
Handschriften der königlichen öffentlichen Bibliothek zu Stuttgart I,
113. Für die Versendung der Handschrift sei der Bibliothekdirektion
anch an dieser Stelle gedankt.
270 Sitzung der historischen Glosse vom 7. Juli 1894,
schenkte der * Weifengeschichte' ^ Glauben, nach deren aller-
dings verschleierter Angabe Graf Adalbero IL von Ebers-
berg das Kloster Kühbach gegründet hätte. Aventin allein
nannte als Stifter die Brüder Adalbero und üdalschalk; er
machte sie aber zu Söhnen Adalbero 's I. und Oheimen Adal-
bero's IL von Ebersberg.* Nach unseren Notizen verfügte
ein Graf üdalschalk an seinem Lebensende zu Gunsten eines
Klosters, welches sein Bruder Adalpero in Kühbach errichten
würde. Diese Brüder hatten ein Schwesterpaar, Liutkart
und Hilta oder Hiltegart. Letztere war mit einem Grafen
Adalpero, dann mit einem Grafen Konrad vermählt und hatte
aus erster Ehe zwei Kinder, Adalpero und Willibirg. Nun
kennen die Ebersberger Geschichtsquellen im ebersbergischen
Grafenhause keinen Üdalschalk, dagegen allerdings zweimal
ein Geschwisterpaar Adalbero und Willibirg, doch in beiden
Fällen heissen die Aeltern nicht Adalpero und Hiltegart,
sondern Ratold und Engelmut, Ulrich und Richgard. Dass
auf einem Hoftage zu ßegensburg im Mai oder Juni 101 P
unmittelbar neben 'Adalbero de Chuopach preses' ein ^Eber-
hardus comes de Eparesperc^ als Zeuge einer Verhandlung
erscheint, bildet natürlich noch keinen Beweis für die Ver-
wandtschaft Beider. Ebenso unstichhaltig ist jene Behaup-
tung, Ulrich von Ebersberg, der Vater Adalbero's IL, habe
ja zu Inchenhofen residirt, welches nahe bei Kühbach liegt.^
Denn das 'Intinchove^ der älteren Ebersberger Chronik, 'In-
3) Monum. Germaniae historica, scriptores XXI, 460.
4) Bayrischer Chronicon kurzer Auszug, Sämmtliclie Werke 1, 131.
Ohne Beziehung auf das ebersbergische Haus nennt er A. und U. als
Stifter: Annales ducum Boiariae V, 4 und Bayerische Chronik V, 11
(S. W. III, 27. V, 281).
5) Mon. Boic. VI, 10; wegen der Zeitbestimmung s. meine Ge-
schichte der Grafen von Andechs S. 108.
6) Hirsch, Jahrbücher des deutschen Beichs unter Heinrich IL,
Bd. II, S. 236.
V. Oefele: Traditiansnatizen des Klosters Kükbach. 271
choven', wie es in der jüngeren heissf, ist keineswegs das
heutige Incheuhofen, alt 'Imichinhoven', in der Nähe der
Paar, sondern Inkofen an der Amper unweit Moosburg. Der
stellenweise Gleichlaut endlich zwischen dem königlichen
Freibriefe für Kühbach von 1011 und jenem für Kloster
Ebersberg von 1040 nöthigt uns nicht zur Annahme, dass
es derselbe Adalbero war, der das eine und das andere Pri*
vilegium erbat.® Ein solcher Gleichlaut erklärt sich viel-
mehr ungezwungen aus dem Brauche der Kanzlei, Konzepte
oder Abschriften früherer Diplome als Formulare in ana-
logen Fällen zu benützen. Wie aber kam der Weifen-
chronist zu jener Identifizirung? Dass ihn lediglich der
Name Adalbero irregeführt, ist unwahrscheinlich: irgend
eine Verwandtschaft zwischen den Ebersbergern und dem
Hause der Stifter von Kühbach muss doch mitgewirkt haben.
Sollte es da ohne jede Bedeutung sein, dass eine der Hand-
schriften seines Werkes — allerdings eine jüngere — die
Gemahlin Adalbero's IL von Ebersberg einmal 'Hiltgardis'
nennt? Aber auch das könnte wieder eine Verwechslung
sein — mit 'Liutkart*. Seine Schwester dieses Namens hat
Udalschalk mit einem Gute zu Langenwiesen beschenkt, das
bei kinderlosem Ableben ihrer Söhne dem künftigen Kloster
zufallen sollte; wir hören aber nicht, dass Kühbach je in
den Besitz des Gutes gelangte.^ Dagegen hat Adalbero I.
von Ebersberg eine Gemahlin Namens Liutkart und auch
mehrere Söhne gehabt, deren einer die Familie fortsetzte.
Sohin könnte Liutkart, üdalschalks und Adalbero's Schwester,
jene Verwandtschaft vermittelt haben, die den Welfenchro-
7) Mon. Germ, bist., Script. XX, 13. XXV, 870. Ganz verfehlt
ist es, wenn an ersterer Stelle 'in Tinchove' gelesen nnd dieses auf
'Thingan' gedeutet wird.
8) So Hirsch a. a. 0.
9) Langenwiesen gehörte späterhin grösstentheils dem Kloster
Hohenwart (Steichele, Das Bisthum Augsburg lY, 897).
272 Sitzung der historischen Glosse vom 7, Juli 1894,
nisten täuschte. — Dass XJdalschalk mit dem Freisinger Hoch-
stiftsvogte und dem um Hilkertshausen, östlich gegen Süden
von Eühbach, begüterten*® Grafen dieses Namens zur Zeit
der Bischöfe Abraham und Gottschalk yon Freising (957 bis
1005) identisch ist, halte ich nicht für ausgeschlossen. Letz-
terer XJdalschalk war vielleicht der Sohn des Freisinger
Vogtes Papo**, der unsere hinwiederum hat einen Neffen
Namens Babo. Verschieden von ihm, dem längst Verstor-
benen, müsste dann ein Udalschalk sein, der als Graf und
Vogt unter Bischof Egilbert von Freising (1005—1039) auf-
tritt und ebenfalls um Hilkertshausen begütert ist**; er lebte
noch im Jahre 1033, und seine Grafschaft erstreckte sich
westlich von Kühbach über Aindling und Todtenweis.*'
Huschberg** hat diese sämmtlichen üdalschalke, Graf Hundt**
nur den letzterwähnten dem scheirischen Geschlechte einge-
reiht, aber Beweise hiefür haben sie nicht erbracht. Und
höchstens zu der Annahme einer Verwandtschaft der Scheirer
mit den Stiftern von Kühbach reichen die Thatsachen hin,
dass Erstere sich von Witteisbach nannten, welches nahe bei
Kühbach liegt, und dass sie die Vogtei über dieses Kloster
erhielten.
Betrachten wir die Traditionen näher, so treten uns als
eine grössere Gruppe nur jene des Stifterhauses entgegen.
Sie gehören wohl alle dem eilften Jahrhunderte an, die
10) Freisinger Tauschnotiz Nr. 1139 bei Meichelbeck, Eist.
Frising. I. 2, 481.
11) So nimmt Graf Hundt in den Abhandlungen dieser Classe
XIV. 2 (1878), 21 an mit Berufung auf die Freisinger Tauschnotizen
Nr. 36 und 142 im Oberbayer. Archive XXXIV, 270 und 299.
12) Freisinger Tauschnotiz Nr. 1205 bei Meichelbeck, Hist. Fris.
I. 2, 506.
13) Mon. Boic. XXXI a, 314; XXII, 167.
14) Geschichte des Hauses Scheiem- Witteisbach S. 198 ff.
16) A. a. 0. 8. 28.
V, Oefele: Traditionsnotizen des Klosters Kühhach. 273
ersten, die des sterbenden Grafen üdalschalk (Nr. 1), fanden
sicher auch am Frühesten statt. ^^ Die Klosterstiftung liegt
da noch im weiten Felde. Nur eine Gutsparzelle im Orte
Eühbach wird alsogleich zu diesem Zwecke aufgelassen,
andere Güter sollen erst, wenn die zunächst damit Bedachten
sterben oder ihre Kinder ohne Nachkommen bleiben, also in
unabsehbarer Zeit, vielleicht auch niemals dem künftigen
Kloster zufallen. Die völlige Errichtung eines solchen durch
den Grafen Ädalbero von Kühbach zog sich, wie es scheint,
bis zum Jahre 1011 hin.^'' Dann wird für den Todesfall
der Gräfin Hiltegart durch deren Gatten Ädalbero eine Güter-
reihe an das Kloster vergabt (Nr. 6), aber die Gräfin ändert
auf dem Sterbelager die Verfügung, bedenkt mit jenen Gü-
tern ihre Tochter Willibirg, und nur im Falle kinderlosen
Hintrittes dieser soll das Kloster sie erhalten. Dafür soll
aber anderes Gut dessen sofortiges Eigen werden. Der Edle
Üdalschalk von Elsendorf ^® hat diese Schenkung auszuführen
(Nr. 5), er macht noch eine andere zum Seelenheile Hilte-
garts und ihrer beiden Gemahle, wie ihrer Söhne aus erster
Ehe und fügt. eine dritte Schenkung bei, zur eigenen Ge-
wissensruhe wie es scheint (Nr. 7). In ihm, den man schon
lange als einen Verwandten Kaiser Heinrichs II. kennt*®,
dürfen wir also Willibirg's Gemahl erblicken.*^
16) Im Uebrigen wurden die Traditionsnotizen nicht in chrono-
logischer Folge zusammengeschrieben.
17) Das liegt doch auch in dem Ausdrucke des königlichen Frei-
briefes von 1011 (Mon. Boic. XI, 529): 'monasterium . . . pro libitu
perfectam'.
18) Südlich gegen Westen von Siegenburg.
19) Nach der Traditionsnotiz des Domstiftes Augsburg vom Jahre
1029 (Nagel, Notitiae origines domus Boicae illustrantes p. 273 s.),
laut welcher 'Bruno Augustensis episcopus germanus Heinrici impera-
toris primi . . . cognato suo Ovdelfcalcho de EliQndorf . . . delegavit*.
20) Jener ''Uodalfcalch de Elfendorf', der unter Bischof Megin-
ward von Freising (1078—1098) erscheint (Meichelbeck, Hist. Fris. I.
274 Sitzung der histar, Glosse vom 7. Juli 1894,
Ein weiter reichendes Interesse weckt die Schenkung
der Kaiserin -Wittwe Kunigunde (Nr. 11). Vielleicht von
ihrer Zelle zu Kaufnngen aus, also frühestens im Jahre 1025,
gedachte sie des fernen bayerischen Klosters. Zum Vogte
hat sie wieder einen Adelpero, ihren Bruder wie es scheint,
den Propst von St. Paulin zu Trier. Durch seine Hand trägt
sie das volle Recht, Eigenthum und Besitz, an einem Gute
nahe bei Kühbach auf eine Mittelsperson, den Edlen Babo
über, der dann am Kirchweihfeste zu Kühbach vor versam-
meltem Clerus und Volk Eigenthum und Besitz dem Kloster
zuweist. Wer dieser Babo gewesen, ob er der Neffe des
Grafen Udalschalk war, muss zunächst dahingestellt bleiben.
Immerhin könnte er jenem Babo zu Grunde liegen, den
Aventin als 'Hofmaister Kunigundens auffuhrt und mit dem
vielberufenen Grafen Babo von Abensberg identifizirt.*^ Er-
lösung der Seele ihres Gemahles, Tilgung eigener Verschul-
dung werden als Beweggründe der Schenkung angegeben,
als ob es Etwas zu sühnen, Unterlassenes nachzuholen gälte —
und doch hatte die Gunst des verstorbenen Kaisers auch dem
Kloster Kühbach nicht gefehlt. Denn ich vermag die Mei-
nung nicht zu theilen, dass der königliche Freibrief vom
26. Juni 1011 ohne Giltigkeit geblieben sei, der König, als
bereits die Reinschrift angefertigt, seine Genehmigung zu-
rückgezogen habe. In dem Schriftstücke, welches auf uns
gekommen, ist allerdings der Vollziehungsstrich über die
Mitte des Monogrammes nicht hinausgelangt. Aber das ganze
Stück ist offenbar nur eine Nachzeichnung.** Dass daneben
2, 529, Nr. 1269), wäre dann wohl der Sohn der Willibirg gewesen,
der die Aussichten Kühbachs zu nichte machte.
21) Bayrischer Chronicon kurzer Auszug, Sämmtl. Werke I, 157.
Ebenso Bayrische Chronik V, 18 (S. W. V, 286). In den Annales du-
cum Boiariae V, 5 (S. W. III, 36) heisst er 'procurator Chnnegundae
augustae*.
22) Der Kopist hat das Monogramm auch sonst verunechtet, in-
V, Oefele: Traditionsnotieen des Klosters Kühbach, 275
noch im siebzehnten Jahrhunderte ein Original vorhanden
war, wird durch einige Indorsate ersterer nahegelegt. 'Mer
ain ftift brief vm das goczhaufs* schrieb da eine Hand des
sechzehnten Jahrhunderts, und eine solche des folgenden
setzte bei: ^Ift deffen gleuchlauttender brief mit anhangendem
figil/*^ Auch deutet es auf eine Originalausfertigung hin,
wenn der Abdruck in Hund's Metropolis Salisburgensis, 1582,
p. 202 'Actum RegenesburQ hat, während die Nachzeich-
nung den Ort der Handlung *Regenesburch* nennt.** Unter
jenen Kühbacher Urkunden, welche im spanischen Erbfolge-
kriege geraubt wurden, dann in den Besitz des Giessener
Professors Liebknecht kamen, der sie im Jahre 1749 gegen
Erlag von 50 Dukaten dem Kloster zurückgab, hat sich das
Original von 1011 nicht befunden; ebensowenig die nun auch
vermisste Schenkungsurkunde König Heinrichs III. vom 9. No-
vember 1041. Dieses Diplom mit seinem ausserdem nie er-
scheinenden Grafen 'Ilisvnc'*^ in dessen Bezirk die Sehen-
dem er dem X eine Form gab, die ich in keiner der mir zugäng-
lichen Königsurkunden Heinrichs IL fand; es ist eigentlich ein Y.
23) In der That sieht man drei Löcher im Pergamente, welche
zur Befestigung eines Siegels gedient haben werden, über dessen Be-
schaffenheit sich Nichts mehr sagen lässt. — Wenn die zweite Hand
nach *ligir fortföhrt: 'fchon verteutfcht, lauth Jnligender Zotl', so
findet sich der Zettel mit der 'schönen deutschen Uebersetzung noch
bei den Kühbacher Urkunden im Keichsarchive , während die Nach-
zeichnung dortselbst dem Kaisersei ekte eingereiht ist. Die Heraus-
geber der Monumenta Boica (XXXI, a, 287) haben statt 'verteutfcht'
unbegreiflicher Weise 'vertauscht* gelesen und hierauf Irrthümliches
gebaut.
24) 'RegenesburQ* halte ich für eine Zwitterform, hervorgegangen
aus dem Zweifel der Kanzlei, ob die Handlung erst zu Begensburg
stattgefunden, oder schon 'Randesbure' d. h. zu Ramspau, nördlich
von Begensburg, am Regenflusse, wo der König auf der Reise von
Bamberg her sich aufgehalten und Verhandlungen gepflogen hatte
(Stumpf, Reg. 1546, 1647).
25) Der blosse Name 'Ilsvnch*, 'Ilsunc kommt allerdings in Küh-
bacher Traditionsnotizen (Nr. 1, 7 und 11) vor.
276 Sitzung der histor, Classe vom 7, Juli 1694.
kungsorte ^Brunadra' und ^Howerieden* lagen, die sich auch
nicht nachweisen lassen, kommt mir in hohem Grade ver-
dächtig vor, wenn auch gegen das Monogramm und das
Signum speciale, die wir übrigens erst durch Peutingers Ab-
schrift kennen, sich Nichts einwenden lässt und Hund** ver-
sichert, im Kloster befinde sich das ächte Original, dessen
Siegel durch das Alter gänzlich verderbt sei.
Kehren wir zu dem Reste unserer Traditionen zurück!
Die Witteisbacher mussten schon als Vögte des Klosters sich
gegen dasselbe freigebig zeigen. Otto, der erste Pfalzgraf,
ist es, der mit Zustimmung seiner Familie einige Güter in
treue Hand legt, die sie nach dem Tode des Schenkers dem
bedachten Kloster auflassen soll. Als dieser Zeitpunkt ein-
getreten (1156), bewirken drei seiner Söhne den Vollzug
jener Vergabung. Die Klostervogtei geht auf den Letzt-
gebomen, Otto den ^Jüngeren* über (Nr. 9, 10). — Aus dem
frommen Drange der Zeit, nach dem heiligen Lande zu pil-
gern, ging eine andere Tradition hervor. Die Freien von
Stein — Vater und Sohn mit dem gleichen Namen — die
es auch nach Jerusalem zieht, bedenken für den Fall ihres
Todes auf der Reise das Kloster Kühbach, wo des Einen
Töchter, des Anderen Schwestern den Schleier genommen
haben. Ihr Treuhänder aber muss zum Vollzuge seines Auf-
trages schreiten, denn Beide haben die heimische Burg Alt-
mannstein nicht wieder gesehen (Nr. 3).*'' — Eine weitere
Nummer (4) zeigt uns, wie gleich den meisten bayerischen
Klöstern auch Kühbachs Nonnen es gelingt, den milden
26) Metrop. Salisb., 1582, p. 202. 203.
27) Einer von ihnen ist wohl der 'nobilis homo Otto de Steine',
von dem eine Tegemseer Traditionsnotiz bemerkt: 'ipso in pere-
fjrrinacione iura morti solvente* (Mon. Boic. VI, 109). Den Vater halte
ich für jenen 'Otto filius Vdalrici de Lapide', durch dessen Hand im
XII. Jahrhunderte eine Gräfin von Hohenburg an das Kloster Biburg
tradirte (Hund, Metrop. Salisb., 1582, p. 196).
V, Oefele: Traditionsnotizen des Klosters KÜhbcuih, 277
Rebensaft des Etschlandes auf billige Weise zu beziehen.
Die Herren von Weineck, jener Burg, die auf dem Virgl-
berge über Bozen stand*®, schicken — unbekannt aus welchem
Grunde — zwei Mägdlein in das weit entfernte Kloster. Ein
Gut in den Bergen südlich von Bozen, zu Aldein gelegen,
bildet ihre Aussteuer. Es soll jedoch erst nach dem Tode
der Geber ganz den Zwecken des Klosters dienen, bis dort-
hin lediglich einige Fuder Weines jährlich zinsen. Am Drei-
königstage eines ungenannten Jahres geschieht die Tradition
in die Hand eines Richters des Grafen von Tirol als Vogtes
von Trient und eines Zweiten, der das Kloster zu vertreten
scheint; vermuthlich in Bozen, denn als Zeugen sind neben
Leuten aus Brixen und Cividale sämmtliche Weinecker da-
bei, die auf Weineck hausen. AU' diese Weinecker bis auf
Wernhard finde ich schon zum Jahre 1177*®, Bertold von
Weineck später nie mehr, Wernhard zum ersten Male 1185^^°;
Richper von Hötting, der aus der Andechser Grafschaft
Unterinnthal stammt, ohne den Richtertitel in den Sechziger-
jahren des zwölften Jahrhunderts.^^ Somit gehen wir kaum
irre, wenn wir den ganzen Vorgang um das Jahr 1180
setzen. - Von den übrigen, weniger bedeutenden Traditionen
scheint Nr. 8 noch in das eilfte Jahrhundert zu gehören, weil
die darin erwähnten Personen nicht von Oertlichkeiten be-
28) Sie wurde im Jahre 1292 durch Graf Meinhard II. von Tirol
zerstört (Simeoner, Die Stadt Bozen S. 141 f.). Von ihr erübrigt noch
ein Wehrthurm an der Nordseite des Vigiliuskirchleins auf dem Cal-
varienberge (Virglberge) hei Bozen, der einstigen Burgkapelle (Zeit-
schrift des Ferdinandeums, 1893, S. 378). 'ürbs Winekke* wird zur
näheren Lagebestimmung des Weingutes 'Haselach' hei einer Tra-
dition desselben an das Stift Schäfblam am Begräbnisstage des Grafen
Konrad I. von Vallei um 1175 genannt (Mon. Boie. VIII, 430).
29) In einer noch angedruckten Traditionsnotiz.
30) Im 'Codex Wangianus', dem Urkundenhuche des Hochstiftes
Trient, Font. rer. Austr. IL 5, 64.
31) Mon. Boic. X, 24.
1894. Phfloa.-pbilol. u. bist. Gl. 2. 19
^
278 Sügung der higtar. Glosse vom 7. Jtdi 1894.
nannt sind. Nr. 2 und Nr. 12 dagegen dürften in das zweite
und dritte Viertel des zwölften Jahrhunderts fallen, weil
man die Äebtissinen Kühbachs , welche darin erscheinen,
anderwärts in den Jahren 1127 und 1153 nachweisen kann.^^
Ueber das zwölfte Jahrhundert reichen die nun folgenden
Traditionsnotizen schwerlich herab.
1. Notum sit Omnibus, presentibus scilicet ac futuris,
quod comes Vdalfcalcus in extremis positus tradidit fratri
suo Adalperoni partem sui predii in loco, quod vocatur Chu-
bach, cum mancipiis utriusque sexus et cum omnibus utili-
tatibus ad id pertinentibus, eo tenore ut, si monasterium ibi
construat, deo inibi servientes illud potestative habeant.
Sorori autem suae nomine Livtkart tradidit predium Langen-
wisen* nuncupatum, ea ratione ut ipsa habeat, donec vivat,
et si filii eins absque legalibus liberis vitam finiant, ipsum
predium ad prefatum cenobium sine omni contradictione
potestativae pertineat. Simili modo tradidit alten sorori
nomine Hilta predium Taitingen* nominatum, scilicet ut, si
filius suus Adalpero heredem non habeat, cenobium illud
potenter teneat. Eodem tenore tradidit aliis subnominatis
predia sie nominata: Baboni suo nepoti Velwen', Antrates-
fpach*, Wineden^, Beren®, Tufcinga''^; Adalperto Mantelach®;
Altolfo Werinfpach®, Emechenhvfen*^; Walpergae Chrage-
32) Mon. Boic. XI, 632; XXXIII, a, 36. Auch der Tradent in
Nr. 2 ist zum Jahre 1127 beurkundet, Mon. Boic. XI, 683, wo jedoch
nach dem Originale des k. allgemeinen Reichsarchives 'Walihishouen
statt 'Wallershoven* zu lesen ist.
1) Langenwiesen südlich gegen Osten von Hohenwart (2 Tai-
ting 8. g. W. V. Aichach. 3) Felber (Feim) s. v. Gerolsbach. 4) An-
dersbach s. g. W. v. Klingen. 5) Winden n. g. 0. v. Kühbach.
6. 7) Scheinen verlesen. 8) Mandlach s. g. W. v. Pöttmes. 9) Wö-
resbach s. g. 0. v. Kühbach. 10) Scheint verlesen.
V. Oefele: Traditionsnotizen des Klosters Kühbcnch. 279
o
heim^^; Helmperto Wilaha^*; Marquardo Cruti^'; Ydalfchalcho
Harda^^, ut post obitum singalorum hec omnia predia pre-
dicto cenobio in ins proprietatis accedant pro remedio anime
suae ac parentum suorum. Huius rei testes sunt hü: Adal-
pero comes, Babo, Sigemar, Pirhtilo, Crimolt et frater eins
Babo, Arnolt, Babo, filius eins Eigel, Adalhart et filius eins
Marquart, Ilsvnch, Ydalfcalch, Rutpreht.
2. Notam sit tarn presentibus quam futuris, quod no-
bilis homo et fidelis noster amicus YdaUcalcb de Walhes-
houen^'' tradidit sine omni contradictione predium suum Ro-
tenbach^^ ad altare sancti Magni Ghubach pro anima sua et
animabus omnium parentum suorum et debitorum. Et ipse
eadem die boc sascepit in beneficium de abbatissa Richk[arde]
et congregatione pro denario, quam diu vixerit, si boc sponte
sua pro Christi amore non prius dimiserit, et ut postea ipsum
predium usque in finem seculi serviat illi congregationi.
Huius rei testes sunt hü: Palatinus comes Otto, Wirent,
Marchwart de Laifachren^"^, Vdalrich de Argenfingen^®, Diet-
polt de Alginshusen ^^, Perhtolt prepositus, Marchwart ie
Holenbach*^, Ch&nrat, Gh&nheri, Aderich.
3. Presentibus et futuris notificare curamus, quaüter
quidam ingenuus Otto de Staeine cum filio suo Ottone,
eodem ingenio ut inter cives Jerufalem caelestis ,numerari
mererentur, dominici memores mandati : Qui vult venire post
me, tollat crucem suam et seqaatur me^^ in honore passionis
Jhesu Christi ad terrestrem illam Jerusalem profecti sunt.
11) Graham (Kraham) n. g. 0. y. Tandem. 12) Weilach ö. y.
Kühbach. 13) ? Haslangkreifc n. g. W. y. Kühbach. 14) Hardt n.
V. Weilach. 16) Walchshofen sw. y. Kühbach. 16) Rettenbach
nö. V. Kühbach. 17) Laisacker. 18) Aresing s. g. 0. y. Schroben-
hausen. 19) Algertshausen w. y. Aichach. 20) Hollenbach w. y.
Kühbach. 21) Matth. XVI, 24; Luc. IX, 23.
19*
280 Sitzung der histor. Clotsse vom 7. Juli 1894.
Quoddam ergo predium, quod in villa, que vocatur Buch^*,
possiderunt, in manum Adelberti de Bipinesrieht*^, lega[ta]rii
sui, viri ingenui, contradiderunt, rogantes ut, postquam de
morte eorum cognosceret, idem predium ad cenobiiiin sancti
Magni Chubach daret, ea ratione ut [ad] filias predicti Ot-
tonis, sanctimoniales eiusdem monasterii, usu fructus rediret,
post obitum autem filiarum ad sustentaeionem ibi deo ser-
vientium monialium cum omni iure pertineret. Quod idem
legatarius iuxta peticionem illorum fideliter complevit et pre-
sente palatino comite Ottone fidem suam et animas predic-
torum predii tradieione salvavit. Huius rei testes sunt:
Amelbreht de Qriezpach**, Heinrich et frater eins Tagene
de Perenwac**, Werenhart de Lengenuelt, Reginboto de
Vtencelle**, Dieterich et Arnolt de Fuklingen*'', Meingoz de
Leboltesdorff*®, Wicfrit de Nuzbuhele, Vdalrich de Etelef-
hufen**, Hartwic de Wartenberc, Otto de Afingen^®, Otto
de Ecchenach^^, Merboto, Diether, Friderich , Walchun,
o
Vdelfcalch, Chunrat.
4. Notum sit tam presentibus quam futuris, qualiter
dominus Wigandus et filius eins Wernhardus quoddam pre-
dium, quod situm est in loco, qui dicitur Aldin, tradiderunt
super altare sancti Magni Chubach* ad solatium puerorum
suorum, Mergardis et Irmgardis, hac de causa ut in ipsius
potestate sit ad persolvendum censum per singulos annos
quatuor carradarum vini, et hec est peticio filii ipsius, post
obitum vero ipsorum ipsi monasterio et ibi commanentibus
perpetualiter deservire cum omnibus utensilibus, que in ipso
22) Ober-, ünterbuch w. v. Kühbach. 23) Pipinsried zwischen
Altomünster und Tandem. 24) Obergriesbach sw. v, Aichach.
25) ünterbembach n. g. W. v. Kühbach. 26) Autenzell nö. v. Küh-
bach. 27) Abgegangen. 28) ? Labersdorf ö. g. S. v. Kühbach
29) Edelshausen n. v. Schrobenhausen. 80) Affing n. v. Friedberg.
31) Ecknach s. v. Aichach.
I?. Oefele: TradüiansnoHzen des Klosters KüKbach. 281
predio sunt. Hec delegatio facta est VIII. idus Jan. sancta
die epiphaniae. Hnius rei testes sunt: omnes, qui in Castro
Winekke sunt, Gotfcalchus, Otto Lvgel", Albanus, Haert-
wicus et frater eius Perhtoldus, Reinhardus de Prihffen,
Hartmannus, Bonom de Sibedat, Leman, vir ipsius domini
Wigandi, et Sigehardus. Delegatio autem facta est in manus
Richperi iudicis de Heteningen et Hainrich Havcbellin, et
ipsi testes sunt.
5. Notum sit omnibus Christi fidelibus, tarn futuris quam
presentibus, quod quedam comitissa nomine Hiltegart in ex-
tremis posita tradidit quedam predia sua cuidam nobili viro
Vlfcalch nomine: Wollenmos^®, Biberbach ^* cum mancipiis
utriusque sexus et cum omnibus utilitatibus ad ea loca per-
tinentibus et terciam partem vinearum in Rohlinga^*^ cum
vinitoribus et eorum beneficiis et terciam partem vinearum
in Liupheringen ^^ cum vinitoribus et eorum beneficiis et
iuxta fluviura Naba tantum predii, quod possit persolvere tres
libras nummorum, cum aliis reditibus per manus illius Chu-
bacensi ecclesiae contradenda pro requie anime suae et anima
Adalberonis comitis mariti sui et amborum filiorum. Huius
tradicionis est testis Wirnt. Keliqua vero predia sua tradidit
nate suae Willibirgae ^'', ea contraditione^® ut ipsa habeat
dum vivat, et si filios vel filias genuerit, qui illi superstites
sint, ipsi habeant. Si autem heredem non habeat, predia
eius Parra*®, Imechenhouen*®, Dahfperc*^, Reifinsdorf**, Wi-
neda cenobio post obitum eius in ius proprietatis cedant.
32) D. h. 'der Lange', nach einer Urkunde von 1185 bei Bonelli,
Notizie II, 483. 33) Wollomoos (Wollemoos) nw. v. Altomünster.
34) Biberbach n. g. 0. v. Dachau. 35) Rehling a. g. W. v. Aindling.
36) Loipfering ö. g. N. v. Dorfen. 37) 'Wilibirge Abschrift v. J. 1429.
38) Wohl 'condicione', wie die Abschrift v. J. 1429 hat. 39) Paar
nw. V. Kfihbach. 40) Inchenhofen nw. v. Kühbach. 41) Taxberg
ö. g. N. V. Inchenhofen. 42) Reifersdorf n. g. 0. v. Inchenhofen.
282 Sitzung der histor, Glasse vom 7, Juli 1894.
Cetera vero predia, que hie nominetenus non tenentur, in
duo divisit, dimidiam partem Chunrado comiti, dimidiam
supradicto monasterio. Isdem vero Vdelfcalch predietas res
Wollenmos, Piberbach et yineas cum vinitoribus in Rohlinga
et Liypheringa et predium iuxta Naba, sicut illi traditum
est, potestativa manu sine contradictione^^ eidem monasterio
tradidit presentibus hiis testibus : Engelmar, Wirnt, Vdalfcalch,
Aribo, Aribo, Aribo, Aribo, Ch&no, Sigemar, Otto, Otto,
Sigepreht, Meingozo, Adalbero.
6. Notum esse volumus omnibns, qualiter comes Adal-
bero sui iuris prediorum sie nominatorum: Barra, Imichin-
faouen, Wineda, Reifingeftorff**, Dahfperc tradicionem fecit.
Ista scilicet loca ad monasterium sancti Magni, quod situm
est in loco Ghubach dicto, tradidit nullo virorum aut mu-
lierum contradicente. Et hoc eo tenore, ut post obitum
uxoris suae Hiltegarde abbatissa iam dicti monasterii et con-
gregacio ibidem deo serviens potestativae habeant cum cunctis
possessivis ad ea pertinentibus , ut his transitoriis rebus sus-
tentate in eodem monasterio dei servicium deinceps impleant
pro remedio animarum sui amborum, Adalber. videlicet et
Hiltegarde, ac parentum eorum. Huius rei testes sunt Engil-
preh[t], Hadapreht, Dicito.**
7. Noverit industria omnium fidelium, qualiter quidam
nobilis vir nomine Vdalscalch de Eliindorf potestativa manu
ad altare sancti Magni in loco Chubacensi dicto et sanctae
congregationi ibidem deo servienti tradidit tale predium,
quäle habuerunt Chunradus comes et Hiltegart uxor eins in
loco Talenhuf*® nominato, cum mancipiis et cum oranibus
iure ad illum locum pertinentibus exceptis filiis Adalheri*'
43) •contradiccione* Abschrift v. J. 1429. 44) 'Reißngeftorflr Es.
46) So der Text der Hs., Peutinger am Rande 'Dieto'. 46) Thal-
hausen so. V. Aichach. 47) 'Adalheti* Hs.
V. Oefele: Traditionsnotizen des Klosters KÜhbach, 283
prediisque illorum. Atque hec pro redemptione animarum
Chanradi et Hiltegarde uxoris eius et Adalperonis comitis
filiorumque eius sunt acta. Huius itaque traditionis testes
existunt: Ilsunc, Engelmar, Vdalscalc, Dieto, Sigimar, Pabo,
o
Aribo, Sigipreht, Adalpero, Otto. Insuper prefatus Vdal-
scalc aliam tradicionem duarum vinearum in loco Perga*®
dicto ad pretitulatum altare fecit cum duobus vinitoribus et
uxoribus eorum, filiis illorum atque cum illis iugeribus, quae
tunc habuerunt ad vinee plantacionem. Huius tradicionis
prefati testes apparent.
8. Notum sit Omnibus, quod quedam matrona nomine
Wirat cuncta sui iuris predia Rutperto filio suo tradidit, eo
tenore ut si ille absque consociali vel legali conubio vitam
finiat, abbatissa ac congregacio sancti Magni in loco, qui
vocatur Chubach, in quo et sorores ipsius predicti Ruberti
deo sunt servientes, potestative habeant. Huius rei testes
sunt Arbo, Biligrim, Hartman, Werinh[er], Werinher, Mar-
quart, Erchinbolt.
9. Noverit omnium-christianorum, tarn presentium quam
futurorum industria, quod palatinus comes Otto presente et
o
consenciente uxore sua Heileca delegaverat in manus Ydal-
scalci de Waleheshouen et Vdalfcalci de Meisaha** et Liv-
toldi de Griezpach predium suum in Prule*° situm, quod
Durinch de Parra pro benelicio habuit de eo, et mansum
unum Wineden situm, ea condicionae ut ipsi post obitum
predicti Ottonis palatini pro anirae suae remedio eadem pre-
dia super altare sancti Magni Chubacb tradant. Huius rei
o
testes sunt: Vdalscalch de Waleheshouen, Amelbrecht de Zil-
o
lenhoven*^, Perinhart de Vgenpurch**, Volcmar de Eleiten,
48) ? Berten n. y. Thalhausen. 49) Maisach. 60) Priel w. g.
N. y. Dachau. 51) Zillhofen. 52) Egenbarg.
284 Sitzung der histor, Clctase vom 7. Juli 1894.
Vdalrich de Lochufen, Wimar de AikishufeD, Heflb de Hade-
prehtefhufen*', Heinrich de Euchenhouen.**
10. Noverint fideles omnes, quod beate memorie Otto
comes palatinus inansum unum in Wineden consenciente
uxore 8ua et filiis pro remedio animae suae ad monasterium
sancti Magni Ghubach tradidit per manum Meinhardi de
Meifach.** Ipse vero Meinhardus patrantibus ac presentibus
filiis predicti Ottonis post obitum patris eorum idem predium
in potestatem abbatissae prefati monasterii et in usum do-
minarum sine omni contradictione tradidit. Huius rei testes
sunt : Otto palatinus senior , frater eins Fridericus , Otto
c
iunior, qui et advocatus, Vdalricus de Steine, Altman de
Sigenburch, Arbo de Biburch.
11. Notum sit Omnibus deum timentibus, presentibus
scilicet et futuris, qualiter quaedam imperatrix nomine Chüne-
gunda pro redemptione anime Heinrici imperatoris, sui vero
mariti, propriis quoque pro diluendis culpis quandam curtem
nomine Echinaha per manum sui advocati Adelp. tradidit
cuidam nobili viro nomine Babo cum omnibus utensilibus
ad prefatam curtem pertinentibus, prediis scilicet atque man-
cipiis, terris cultis et incultis, pratis, silvis, pascuis, aquis
aquarumque decursibus, molendinis, viis et inviis, quesitis et
inquirendis et cum omnibus appendiciis, que ullo modo no-
rainari aut scribi possunt. Eo tenore tradidit, quo preno-
niinatus Babo sub honore et nomine dei genitricis Marie et
sancti Magni confessoris ad monasterium in loco Chübach
constructum in veram et legitimam traderet dotem deo et
sanctimonialibus prenotato in loco sub regula sancti Benedict!
coadunatis in perpetuum servienda. Huius tradicionis hii
adhibiti sunt testes: Rutprebt, Gerolt, Grimolt^«, Vdalscalc,
53) Habertahausen sw. v. Schrobenhausen. 54) Eichhofen.
55) 'Melfach', Text der Hs., 'Meyfach' Peutinger am Rande. 56) Die
Hs. hat hier und im Folgenden immer 'Qrunolt*.
J
ü. Oefele: Traditionsnotuen des Klosters Kühbach. 285
Ilsvnc, Dieto, Rudolf. Hora eciam ipsa, qua tradicio, ut
dixi, sit peracta, prefatus*''^ Babo ab eadem imperatrice Ch.
predii et mancipiorura ditatur investitura. Cuius invesfciture
hü adducti sunt testes: Griraolt, Ilsunc, Rudolf.
Insuper cognoscant omnes, quod sepae dictus Babo ean-
dem curtem cum mancipiis omni lege, qua sibi ab impera-
trice tradita est, tradidit ad altare sanctae Mariae et sancti
Magni, in die yero, qua festum dedicacionis eiusdem ecclesiae
Chubach celebratur, clero universoque populo astantibus.
Hü autem per aurem tracti sunt testes : Engilpreht, Grimolt,
Vdalscalc, Sigemar, Arbo, Engilmar, Sigiboto^®, Rutpreht,
Engildio, Gerolt, Babo, Rudolf, Amelpreht, Meginhart, Wal-
chuon, Betto, Vdalscalc, Egilolf, Sigipreht, Recho, Altman,
Rudolf, Adelhoch, Arnolt, Wolftrigel, Bero, Rihpreht, Ruo-
dolf, Perhtolt, Dietpreht, Gebolf, Arnolt, Vtilo, Ruotpreht,
Ruopr[e]h[t]. Predii autem et mancipiorum eo modo, quo
ipse eät investitus, eadem hora, qua tradicionem ante dictam
peregit, ecclesiam investivit bis sumptis testibus: Engelpreht,
0
Arbo, Grimolt, Vdalscalc, Reginprecht, Etich, Eginolf.
12. Notum sit omnibus, tam futuris quam presentibus,
quod quidam monasterialis sancti Magni in Chubach nomine
Etich beneficiura, quo beneficiatus erat ab abbatissa eiusdem
loci, pro remedio anime suae ad usum dominarum ibidem
deo servientium sub testibus resignavit. Quod idem post
mortem suam mater eins nomine Judinta de Sulzpach** non
iusta fruens potestate violencia quadam sibi usurpavit. Ea
vero lis per frequentem querimoniam domine Adelheid[is]
abbatissae ita direpta est, quod domina Judinta unam^^ in
Echinahe, unam in Trenche®^ haberet et duos nummos sin-
gulis annis in festo sancti Magni abbatissae daret, ea vide-
licet attestacione , ne post mortem eiusdem Judinte heredes
57) 'prelatus* Hs. 68) 'Digiboto' Hs. 59) Sulzbach sw. v.
Aichach. 60) Zu ergänzen ' curtem* V 61) Tränkmühle sw. v. Aichach.
286 Sitzung der histor, Glosse vom 7, Juli 1894.
eius aliquod ius hereditatis de bonis domiDarum deo et sancto
Magno militancium sibi usurparent, et absque contradictione
bona monasterii monasterio redirent. Huius rei testes sunt:
Liutolt et filius eius Liutolt de Hagenowe, Perhtolt de öriez-
pach, Heinrich et fratres eius Tageno, Livtolt, Marquart de
Sulzpach, Herman de Arbinhouen^^ prepositus et eius frater
Etich de Witelinespach , Vdalrich, Diepolt de Scrobinhufen,
Purchart de Parra, Sigefrit de Alkeshusen, Sigefrit de Hagen-
hufen^^, Sigefrit de Ghemenaten, Diepolt de Sindeshufen.^
62) Arnhofen. 63) Igenhausen sw. v. Inchenhofen. 64) Södz*
hausen.
287
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 7. Juli 1894.
Herr Carriere hielt einen Vortrag:
»Fichtes Geistesentwiekelung in den Reden
über die Bestimmung des Gelehrten."
Jena 1794, Erlangen 1805, Berlin 1811.
^OeflFentliche Vorträge sind freie Gaben eines akademischen
Lehrers; und zum Geschenke gibt der nicht Unedle gern das
Beste, was er zu geben vermag." So sagt Fichte selbst in
der fünften Vorlesung, die er zu Erlangen 1805 über das
Wesen des Gelehrten hielt. Seinen Eintritt in das Lehramt
zu Jena eröflftiete er mit ähnlichen Reden neben der Darstel-
lung der Wissenschaftslehre 1794, und in Berlin 1811 sprach
er an der neugegründeten Universität zum drittenmale in
solchem Sinn. Wie er nach eigenem Bekenntniss den philo-
sophischen Idealismus predigte, wie seine Lehre der Ausdruck
seiner Persönlichkeit war, so drängte es ihn zugleich Einsicht
und Charakter bildend zu wirken. Wir aber erkennen den
Gang seiner eigenen Entwicklung in diesen Vorträgen, und
ich will versuchen sie in diesem Sinne zu betrachten.
Man kann als Sinn und Ziel von Fichtes Denken dies
bezeichnen, dass er das wahre Sein und Leben im Geiste,
in der sich selbstbestimmenden Thätigkeit sah; in allem das
288 Sitzung der phüo8,-phüöl. Glosse vom 7, Jtdi 1894,
Walten des Vernunftwillens zu erkennen und diesen Vernunft-
willen selbst zu verwirklichen war ihm die Aufgabe der
Wissenschaft wie des Handelns; dies Princip suchte er auf
mannigfache Weise darzustellen, davon keine ihm selbst
völlig genügte; er hinterliess es uns zur Fortbildung im Er-
kennen und im Leben. Einen Ausdruck dafür fand er zu-
nächst in Ich. Wenn wir den Satz A = A als unmittelbar
gewiss und denknothwendig aussprechen, so heisst dies zu-
nächst doch nur: wenn A ist, so ist es gleich A; wenn wir
aber sagen: Ich = Ich, so ist dadurch zugleich auch die
Wirklichkeit, die Realität dieses Grundsatzes dargethan. Das
Ich ist das Sichselbstsetzende, schöpferisch Hervorbringende;
es ist nur, indem es sich als Ich bestimmt; im Selbstbewusst-
sein haben wir die Einheit von Denken und Sein, und nichts
ist ausser dem Ich, alles ist nur in ihm und durch seine
sich selbstbestimmende Thätigkeit. Aus jenem obersten
Grundsatze folgt sofort der andere: Ich nicht gleich Nicht-
Ich; und das Ich kommt zu seiner eigenen Bestimmtheit
durch die Unterscheidung vom Nicht-Ich ; so ergibt sich der
dritte Satz: Das Ich setzt sich in ihm selbst ein Nicht-Ich
dem Ich entgegen; und es erhält dadurch die Aufgabe: das
Nicht-Ich erkennend in sich aufzunehmen und handelnd durch
das Ich zu bilden, so die Identität herzustellen.
Ich möchte hier daran erinnern, wie da der Leibnizische
Gedanke wiederkehrt: Nichts kommt von aussen in den Geist,
alles wird durch ihn in ihm selber gebildet. Auch Kant hat
daran angeknüpft, indem er darauf hinwies, wie der Geist
dabei nach ihm innewohnenden Gesetzen verfährt. Mit Kant
hält Fichte daran fest: Wir wissen unmittelbar nur von
uns selbst, von unseren Empfindungen und Vorstellungen;
die productive Einbildungskraft veranschaulicht sie in den
Formen von Raum und Zeit, und gestaltet die Bilder der
Dinge, die wir nach den Gesetzen unseres Denkens ordnen und
begreifen, nnd so gewinnen wir eine in sich zusammen-
Carriere: Fichtes Geistesentwickelung, 289
hängende Innenwelt. Die Intelligenz trägt diese in ihr selbst,
und wenn wir zu ihrer Erklärung Dinge an sieh, Realitäten
ausser uns annehmen, so sind diese doch nur etwas von uns
Gedachtes, Gedankendinge. All unser Erkennen ist Selbst-
erkennen, denkend sind wir in uns beschlossen. Daran hielt
Fichte fest, aber es fiel ihm nicht ein zu behaupten: nur
Er, dies einzelne Ich sei das allein Seiende, in dem alles
andere nur wie eine Blase aufsteige; jedoch nicht auf dem
Wege der Intelligenz, sondern durch die Thatsache des sitt-
lichen WoUens und Thuns suchte und fand er die Gewiss-
heit einer Aussenwelt, zunächst lebendiger Geister ausser
ihm, und dann einer Natur als des realisirten Materials der
Pflichterfüllung. Weiter betonte er wohl: nicht unser ein-
zelnes Ich, sondern die Ichheit sei sein Princip, das absolute
Ich, das göttliche, das durch seine Selbstbestimmung alles in
sich bestimmt, das sich selbst in die Fülle der Individuen
unterscheidet. Das aber gibt gerade dem ersten Entwurf der
Wissenschaftslehre das Schwierige, Dunkle und vielfach Ge-
quälte, dass im Ich das gottliche und das menschliche nicht
unterschieden werden. So sehr er einschärfte: nur wie unser
Wissen möglich und wirklich sei, was dessen nothwendige
Bedingungen seien, das erörtere die Wissenschaftslehre; der
Schein blieb als ob das Ich die Welt eben schafife, indem es
ihre Erkenntniss in sich hervorbilde. Vom absoluten Ich
gilt es, dass es durch productive Einbildungskraft alles aus
ihm und in ihm gestaltet; das endliche Ich hat eine Welt
ausser ihm und ist in seinen Empfindungen wie in seinem
Wirken durch sie mitbedingt. Sehr richtig aber hat Fichte
wiederum erkannt, dass wir erst zum Selbstbewusstsein
kommen, indem wir Empfindungen und Anschauungen in uns
vorbewusst bilden und uns als Träger und hervorbringende
Macht von ihnen unterscheiden; da sie unbewusst, vorbewusst
von uns hervorgebracht werden, so erscheinen sie uns als
etwas Gegebenes, Objectives, uns Bedingendes, während sie
290 Sitzung der phäos.'phüol. Glosse vom 7. Jtdi 1894.
doch ein von uns Gebildetes sind; ohne Subject kein Object.
Das Object ist für Fichte als das durch das Subject Gesetzte
nun das Todte im Gegensatz zum Lebendigen, das Gemachte
im unterschied vom Schaffenden. und im Drang das
Lebendige nicht aus dem Todten hervorgehen zu lassen setzte
er die Thätigkeit, das Ich als solches, als das Erste, das
Sein, das eigne, Erschaffende. Das Ich bringt allerdings als
Ich sich selbst hervor, es ist der Erzeuger seiner Geistigkeit;
aber um dies zu können muss es real sein, es muss ein
Wesenkem sein, der zu sich selbst kommt, im Selbstbewusst-
sein seiner inne wird; in unsere Geistigkeit setzen wir uns ein,
unser Selbstbewusstsein ist unsere Tbat, aber dazu müssen
wir sein, real sein. Das hat Pichte später erkannt; jetzt,
im Anfang seines Philosophirens, ist ihm die ideale Thätig-
keit, durch welche das Ich sein Selbstbewusstsein hervor*
bringt, der Grund alles Seins; jetzt ist ihm das individuelle
Ich der Ausgangspunct, das Seiende, das seine Welt und
seinen Gott in sich trägt; später erfasst er in Gott den
Quell aller Realität, und die endliche Persönlichkeit wird
nun zum Bilde, zur Erscheinungsform des ewigen Wesens.
In der ersten Vorlesung behandelte Fichte die Bestim-
mung des Menschen an sich, die zu erklären die Aufgabe
der ganzen Philosophie sei; indem er auf das gesunde Gefühl
seiner Zuhörer baut, stellt er den Satz des Idealismus auf:
»So gewiss der Mensch Vernunft hat, ist er sein eigener
Zweck; das heisst: er ist nicht weil etwas anderes sein soll,
sondern er ist schlechthin weil Er sein soll; er ist weil er
ist. Dieser Charakter des absoluten Seins, des Seins um seiner
selbst willen, ist seine Bestimmung.* Der Mensch ist Ich;
so soll er sich selbst bestimmen und nie durch etwas Fremdes
sich bestimmen lassen; er soll sein was er ist, weil er es
sein will und wollen soll. Er soll übereinstimmen mit sich
selbst; diese Identität, diese Einigkeit ist die Form des reinen
Ich; , nicht etwa blos der Wille soll stets einig mit sich
Carriere: Mchtes Geistesenttoickelung, 291
selbst sein, sondern alle Kräfte des Menschen, welche an
sich nur Eine Kraft sind und blos in ihrer Anwendung auf
verschiedene Gegenstände unterschieden werden — sie alle
sollen zu yollkommener Identität übereinstimmen und unter
sich zusammenstimmen/
Aber der Mensch ist nicht blos reine Geistigkeit und
Vernunft, er ist auch etwas, er ist dies im Unterschied von
anderen, er ist es, insofern auch etwas ausser ihm ist, inso-
fern ein Nicht-Ich ist. und dies wirkt ein auf seine leidende
Fähigkeit, auf seine Sinnlichkeit; er ist auch ein sinnliches
Wesen, aber dadurch soll seine Vernunft nicht aufgehoben
werden, vielmehr soll er alles was er ist auf seine Vernunft
beziehen, er soll alles was er ist darum sein, weil er ein
Ich ist. Seine eigene Natur wie die Natur ausser ihm ver-
nünftig zu gestalten ist nun seine Aufgabe, und in der Ge-
schicklichkeit dazu besteht die Cultur. Nur so ergibt sich
die vollkommene Uebereinstimmung des Menschen mit sich
selbst, und die Uebereinstimmung der Dinge ausser ihm mit
seinen nothwendigen praktischen Begriffen — den Begriffen,
welche bestimmen was die Dinge sein sollen — ist des
Menschen höchstes Ziel. Kant hat es das höchste Gut ge-
nannt. Die Uebereinstimmung mit sich selbst ist Güte, die
Uebereinstimmung der Dinge mit unserem Willen ist Glück-
seligkeit; nur das macht glückselig was gut ist. Alles Ver-
nunftlose sich unterwerfen, frei und nach seinem eigenen
Gesetz es beherrschen, ist letzter Endzweck des Menschen,
der ewig unerreicht bleibt, so lange der Mensch Mensch
und nicht Gott ist. Als vernünftiges, aber sinnlich endliches
Wesen hat er das Streben nach Vollkommenheit, die Ver-
vollkommnung ist seine Aufgabe. Dies zum beständigen
Leitfaden des Lebens durch klare Einsicht für seine Hörer
zu machen ist Fichtes Wille; so hofft er von der ihm zu-
stimmenden Jugend aus auf immer weitere Kreise der Mensch-
heit zu wirken und das gemeinsame Brudergeschlecht empor
292 Sitzung der phüos.-phüol, Glosse vom 7. Jtdi 1894.
zu heben. Die Förderung der Cultur, die Erhöhung der
Humanität ist für ihn das Ziel aller Wissenschaft.
Wie für Lessing nicht der Besitz der Wahrheit, son-
dern das unablässige Ringen nach ihr das Wünschenswerthere
schien, so sieht Fichte hier noch mit Kant in dem Sollen
des Pflichtgebots nicht das Erringen der Vollkommenheit,
sondern das fortdauernde Streben nach ihr einbegriffen; das
verbürgt beiden Denkern unsere Unsterblichkeit. Die That-
handlung des Ich ist ihm das Seinsetzende, die Einigung
aller Geister im Denken und Wollen des Richtigen würde
das reine ewige Gottesreich bilden. »Alle Individuen sind
in der Einen grossen Einheit des reinen Geistes eingeschlossen '^
— das war das letzte Wort, mit dem er am Schluss der
ersten Vorlesungen über die Wissenschaftslehre sich den Zu-
hörern empfahl; aber er nannte es den letzten Zweck und
das unerreichbare Ideal, statt richtiger zu sagen : dass es im
beständigen Process der Selbstverwirklichung besteht, ein
stets sich steigerndes ist.
Die zweite Vorlesung ist der Bestimmung des Menschen
in der Gesellschaft gewidmet.
Indem Fichte Winke und Weisungen für weiteres Nach-
denken geben will, macht er einleitend darauf aufmerksam,
wie so Manches, das der gewöhnlichen Ansicht selbstver-
ständlich dünke, von der Philosophie erst ergründet werden
müsse. So meint man wohl, dass es vernünftige Wesen
ausser uns gebe aus der Erfahrung zu schöpfen; aber diese
lehrt doch nur: dass die Vorstellung von vernünftigen Wesen
ausser uns in unserem empirischen Bewusstsein enthalten sei;
die Frage ist aber: ob dieser Vorstellung etwas ausser der-
selben entspreche, ob es vernünftige Wesen unabhängig von
unserer Vorstellung gebe, und darüber kann die Erfahrung
nichts ausmachen, so gewiss als sie Erfahrung, das heisst
das System unserer Vorstellungen ist. Die Erfahrung kann
lehren, dass uns Empfindungen gegeben sind ähnlich den
Carriere: Fichtes Geist esentwickelung. 293
Wirkungen vernünftiger Ursachen; aber nimmermehr kann
sie lehren, dass die Ursachen dieser Wirkungen als vernünf-
tige Wesen an sich wirklich vorhanden sind. Wir tragen
dergleichen Wesen erst in die Erfahrung hinein; wir sind
es, die gewisse Erfahrungen aus dem Dasein vernünftiger
Wesen ausser uns erklären. Aber mit welcher Befugniss
erklären wir so? Die Giltigkeit dieser Befugniss muss er-
wiesen werden.
Es leuchtet ein, der Idealismus hat recht: wir wissen
unmittelbar nur von uns selbst, von unseren Empfindungen und
Vorstellungen, und erschliessen nach dem Causalgesetz in uns
eine Welt ausser uns zur Erklärung der Vorgänge in unserem
Bewusstsein. Aber von diesem, von der Intelligenz aus,
können wir nie die Realität des Gedachten erweisen ; nur der
Beweis ist uns möglich: wie absurd, wie widerspruchsvoll
es wäre, wenn der Einzelne behaupten wollte, dass alles
andere nur in ihm vorhanden sei. Fichte selbst gab in der
Sittenlehre und vornehmlich in dem prächtigen Werk über
die Bestimmung des Menschen die Lösung von der Sittlich-
keit aus. Eben so gewiss als unser Sein ist uns das Sitten-
gesetz, ist das Gebot der Pflicht, und dies wäre undenkbar,
unerfüllbar, wenn nicht vernünftige Wesen ausser uns mit
uns wirklich wären; nur so wird die Liebe, wird die Ge-
rechtigkeit wirklich. Es ist der Wille, es ist die praktische
Vernunft, welche ergänzend zum Theoretischen herantreten.
Vernünftige Wesen ausser uns sind wirklich, weil wir nur
so unsere sittliche Bestimmung erreichen, das Gute verwirk-
lichen können.
Auch hier verweist Fichte auf die praktischen Prin-
cipien. Der höchste Trieb des Menschen ist Uebereinstim-
mung mit sich selbst, und diese bedingt auch die Ueberein-
stimmung alles andern mit unsern noth wendigen Begriflfen;
es soll etwas ihnen Entsprechendes, ein Gegenbild in der
Welt gegeben sein. Den Begriff des vernünftigen Denkens
1894. PhUos.-philol. u. bist. Gl. 2. 20
294 Sitzung der phüos.-phUol. Clctsse vom 7, Jtdi 1894.
und Handelns will er in sich realisiren und ausser sich reali-
sirt sehen; dazu gehört, dass vernünftige Wesen ausser ihm
vorhanden seien. Diese kann er nicht erschaffen, aber er
legt den Begriff derselben seinen Beobachtungen des Nicht-
Ich zu Grunde. Wo er zweckmässige Thätigkeit sieht,
schliesst er auf den vernünftigen Urheber; wo er freie
Handlungen erkennt, die nur als aus einem Willen zu er-
klären sind, schliesst er auf vemünftigfreie Wesen. Nun
gehört es zu den Grundtrieben des Menschen in Gesellschaft,
in Wechselwirkung mit seines gleichen zu leben, isolirt wäre
er kein ganzer vollendeter Mensch.
Wechselwirkung durch Freiheit ist für Fichte der Be-
griff der Gesellschaft. Den Staat bezeichnet er als das
Mittel zur Begründung einer vollkommenen Gesellschaft, wo
statt der Stärke oder Schlauheit die Vernunft walte; er wieder-
holt sein bekanntes Wort: Zweck aller Regierung sei die
Regierung überflüssig zu machen, — er wisse nicht in wie
viel Myriaden Jahren das erreicht werde.
Jeder Mensch hat sein besonderes Ideal vom Menschen,
nach dem er die anderen prüft, dem er sie ähnlich machen
möchte. ,In dem Ringen der Geister mit Geistern siegt
stets derjenige, der der höhere bessere Mensch ist; so ent-
steht durch Gesellschaft Vervollkommnung der Gattung, und
damit haben wir die Bestimmung der Gesellschaft als solcher
gefunden. Wenn es scheint, als ob der höhere und bessere
Mensch keinen Einfluss auf den niedern und ungebildeten
habe, so täuscht uns hiebei theils unser Urtfaeil, da wir oft
die Früchte auf der Stelle erwarten, ehe das Samenkorn
keimen und sich entwickeln kann; theils kommt es daher,
dass der Beste vielleicht um so viel Stufen höher steht, als
der Ungebildete, sodass sie zu wenig Berührungspuncte mit
einander gemein haben, zu wenig aufeinander wirken können.
Aber im Ganzen siegt doch der Beste gewiss; — ein be-
ruhigender Trost für den Freund der Menschen und der
Carriere: Fichtes Geistesentwichelung. 295
Wahrheit, wenn er dem offenen Kriege des Lichts und der
Finsterniss zusieht. Das Licht siegt endlich gewiss — die
Zeit kann man freilich nicht bestimmen, aber es ist schon
ein Unterpfand des Sieges, und des nahen Sieges, wenn die
Finsterniss genöthigt ist sich in einen öffentlichen Kampf
einzulassen. Sie liebt das Dunkel, sie hat schon verloren,
wenn sie gezwungen ist an das Licht zu treten.^
Der Geselligkeitstrieb geht auf Wechselwirkung, auf
gegenseitiges Geben und Nehmen, Leiden und Thun, nicht
auf eine Thätigkeit wo der Andere sich blos leidend zu ver-
halten hätte; er geht nicht auf Subordination, sondern auf
Coordination. Wer die vernünftigen Wesen ausser ihm nicht
will frei sein lassen, der mag auf ihre Geschicklichkeit, nicht
auf ihre Vernünftigkeit rechnen, der will sie wie geschickte
Thiere beherrschen, in dem ist der höhere Trieb zu mensch-
licher Geselligkeit noch nicht erwacht, der steht nicht auf
dem Standpunct der Freiheit, sondern der Sklaverei. „Rousseau
sagt: Mancher hält sich für einen Herrn anderer, der doch
mehr Sklave ist als sie; er hätte noch richtiger sagen können:
Jeder, der sich für einen Herrn anderer hält, ist selbst ein
Sklave. Ist er es auch nicht immer wirklich, so hat er doch
sicher eine Sklavenseele, und vor dem ersten Stärkeren, der
ihn unterjocht, wird er niederträchtig kriechen.* Nur der
ist frei, der alles um sich herum frei haben will. Der
Mensch darf vernunftlose Dinge als Mittel für seine Zwecke
gebrauchen, nicht aber vernünftige Wesen; auf diese darf
er nicht wirken wie auf todte Materie oder Thiere; er muss
auf ihr« Freiheit rechnen. Er darf sie nicht einmal wider
ihren Willen weise, tugendhaft oder glücklich machen, —
was jeder ohnehin nur durch eigene Arbeit werden kann.
Weiter entwickelt Fichte aus dem Begriff der üeberein-
stimmung mit sich selbst die positive Bestimmung des gesell-
schaftlichen Triebes: Gemeinschaftliche Vervollkommnung,
Vervollkomnmung unser selbst durch die frei benutzte Ein-
20*
296 Sitzung der pfUha.-phüol, Glctaae vom 7, Juli 1894.
Wirkung anderer auf uns, und Veryollkommnung anderer
durch Rückwirkung auf sie als auf freie Wesen ist unsere
Bestimmung in der Qesellschaft. Dazu bedürfen wir der
Geschicklichkeit, die durch Gultur erworben und erhöht wird;
einer Geschicklichkeit zu geben, oder auf andere als freie
Wesen zu wirken, und einer Empfänglichkeit zu nehmen,
oder aus den Wirkungen anderer auf uns den besten Gewinn
zu ziehen. Selten ist Jemand so vollkommen, dass er nicht
durch jeden andern von irgend einer Seite gefordert werden
könnte. Der Redner schliesst diesen Vortrag: „Ich kenne
wenig erhabenere Ideen, als die Idee dieses allgemeinen Ein-
wirkens des ganzen Menschengeschlechtes auf sich selbst,
dieses unaufhörlichen Lebens und Strebens, dieses eifrigen
Wettstreits zu geben und zu nehmen, das Edelste was dem
Menschen zu Theil werden kann, dieses allgemeine Eingreifen
zahlloser Räder ineinander, deren gemeinsame Triebfeder die
Freiheit ist, und die schöne Harmonie, die daraus entsteht.
Wer du auch seist, so kann Jeder sagen, du, der du nur
Menschenantlitz trägst, du bist doch ein Mitglied dieser
grossen Gemeine; durch welche unzählige Mittelglieder die
Wirkung auch fortgepflanzt werde, ich wirke darum doch
auf dich, und du wirkst darum doch auf mich; keiner, der
nur das Gepräge der Vernunft, sei es auch noch so roh aus-
gedrückt, auf seinem Gesichte trägt, ist vergebens für mich
da. Aber ich kenne dich nicht, noch kennst du mich: —
o so gewiss wir den gemeinsamen Ruf haben, gut zu sein
und immer besser zu werden, so gewiss — und daure es
Millionen und Billionen Jahre — was ist die Zeit? ~ so
gewiss wird einst eine Zeit kommen, da ich auch dich in
meinen Wirkungskreis mit fortreissen werde, da ich auch
dir werde wohlthun und von dir Wohlthaten empfangen
können, da auch an dein Herz das meinige durch das
schönste Band des gegenseitigen freien Gebens und Nehmens
geknüpft sein wird.**
Öarriere: FuMes Geisteaentfpickelung» 297
Die dntte Vorlesung spricht von der Verschiedenheit
der Stände in der Gesellschaft. Die Bestimmung des Menschen
an sich und in der Gesellschaft ist entwickelt, welches ist
die Bestimmung des Gelehrten in der Gesellschaft? Die
Beantwortung dieser Frage setzt eine andere voraus: woher
kommt die Verschiedenheit der Stände, woher die Ungleich-
heit der Menschen überhaupt? Man hat wohl von den Vor-
theilen gesprochen, welche die verschiedenen Stände bringen;
die Frage aber geht auf ihre Rechtmässigkeit. Fichte sendet
das Wort voraus: dass in der Natur kein Theil derselben
dem andern vollkommen gleich sei; es ist das Princip der
durchgehenden Individualisirung, des herrschenden unter-
scheidens, das die Philosophie streng erweise. Ebenso erföhrt
jedes Wesen verschiedene Einwirkungen, was bei der be-
sondem Fähigkeit der Menschen noch mehr Ungleichheit
hervorbringe. Das Gesetz der völligen Uebereinstimmung
von uns selbst fordre gleichmässige Entwickelung unserer
Anlagen, und der gesellige Trieb tritt hier hilfreich ein, der
Mittheilungstrieb, kraft dessen jeder den andern bietet, was
er vorzüglich besitzt, und der Trieb das zu empfangen, was
andere in sich vorzüglich ausgebildet haben. Die Natur hat
jeden einseitig gebildet, die Vernunft führt zu einer Aus-
gleichung alles Besondem in der Gemeinsamkeit, sie sorgt
dafür, dass das Individuum in der Gesellschaft eine vollstän-
dige harmonische Bildung empfange; die Vorzüge der Ein-
zelnen werden in der GeseDschaft Gemeingut zu freiem
Gebrauch. Die Natur mag mit der Vernunft im Kampfe
liegen, welche die äusseren Verhältnisse den praktischen Be-
griffen der Menschen gemäss zu machen strebt; dem Einzelnen
mag das in einem besonderen Berührungspuncte gerathen,
in andern misslingen, wo es anderen gelingt; die Gesell-
schaft steht mit vereinten Kräften für Einen Mann, der Sieg
eines jeden kommt allen zu gut. So entsteht durch die
physische Ungleichheit der Menschen eine neue Festigkeit;
298 Sitzung der phÜ08,'philal. Glosse vom 7, Juli 1894.
das Band, das sie vereinigt, der Drang der Bedürfnisse und
ihrer Befriedigung selbst schliesst sie zusammen, und so wird
die Macht der Vernunft durch die Natur selbst verstärkt.
Das Gesetz sagt: bilde alle deine Anlagen vernünftig
und gleichmässig aus, soweit du kannst, und unterwirf die
Natur deinem Zwecke. Nun wird aber der Mensch in der
Gesellschaft geboren; er findet die Natur nicht mehr roh,
sondern mannigfach bearbeitet, und er findet Gruppen von
Menschen beschäftigt sie in bestimmten Zweiten für den
Gebrauch vernünftiger Wesen umzubilden. Er findet vieles
gethan, was er ausserdem hätte selbst verrichten müssen, und
nun wird es ihm zur Pflicht seine Schuld der Gesellschaft
abzutragen, seinen Platz zu besetzen, um das Geschlecht, das
so vieles für ihn gethan hat, seinerseits zu fordern. Er er-
greift ein besonderes Fach, für dessen Bearbeitung seine
Naturanlage und seine seitherige Bildung ihn geschickt
macht, und wenn er schon dem Gesellschaftstriebe des
Mittheilens und Empfangens sich versagen konnte, so tritt
nun in der Wahl des Standes seine Freiheit in ihr Recht.
Kein Mensch darf zu einem Stande gezwungen oder von
einem Stande ausgeschlossen werden. Jede einzelne Hand-
lung oder Veranstaltung, die auf solchen Zwang ausgeht, ist
unrechtmässig, abgesehen von der ünklugheit, weil Niemand
die Talente des anderen vollkommen kennt und ein Glied
dadurch für die Gesellschaft verloren gehen kann, dass es an
einen falschen Platz gestellt wird. Aber der Zwang ist
ungerecht, denn er setzt unsere Handlung in Widerspruch
mit unserem praktischen Begriffe von ihr: wir wollten ein
Glied der Gesellschaft und wir machen ein Werkzeug der-
selben ; wir wollten einen freien Mitarbeiter an unserm grossen
Plan und wir machen ein gezwungenes leidendes Instrument
desselben; wir tödten den Menschen in ihm und vergehen
uns dadurch zugleich an der Gesellschaft. Wir wählen einen
bestimmten Stand um der Gesellschaft das zu erstatten, was
Carriere: Fkihtes GeistesentwicJcelung, 299
sie für uns gethan hat. Das ist unsere Pflicht. Keiner hat
das Recht nur zu seinem Selbstgenuss zu arbeiten, sich vor
den Mitmenschen zu verschliessen und seine Bildung ihnen
unnütz zu machen; denn durch die Gesellschaft wird es ihm
möglich sie zu erwerben, sie ist in gewissem Sinne ihr
Product, ihr Eigenthum, dessen er die Gesellschaft dadurch
beraubt, dass er ihr nicht nützen will. Er hat die Pflicht
der Gesellschaft überhaupt nicht nur nützlich sein zu wollen,
sondern auch nach bestem Wissen seine Bemühungen auf
den letzten Zweck der Gesellschaft zu richten, — auf den:
das Menschengeschlecht immer mehr zu veredeln, es immer
freier vom Zwange der Natur, immer selbständiger zu machen ;
— so entsteht durch die Ungleichheit der Stände eine neue
Gleichheit, nämlich ein gleichförmiger Fortgang der Cultur
in allen Individuen. Wenn es nicht immer so ist, so sollen
wir arbeiten, dass es so werde.
Im Lichte der entwickelten Idee erblicken wir eine Ver-
bindung, in der keiner für sich arbeiten kann, ohne für alle
zu arbeiten, oder für andere zu arbeiten, ohne es für sich
selbst zu thun; der glückliche Fortgang Eines Mitgliedes ist
glücklicher Fortgang für alle, der Verlust des Einen Verlust
für alle: ein Anblick der schon durch die Harmonie, die
wir im AUermannigfaltigsten erblicken, uns innigst wohlthut
und unsem Geist mächtig emporhebt.
Aus der ruhigen Untersuchung erhebt sich Fichte wieder
zu begeisterten Schlussworten:
Das Interesse steigt, wenn man einen Blick auf sich
selbst thut und sich als Mitglied dieser grossen innigen Ver-
bindung betrachtet. Das Gefühl unserer Würde und unserer
Kraft steigt, wenn wir uns sagen: mein Dasein ist nicht
vergebens und zwecklos; ich bin ein nothwendiges Glied der
grossen Kette, die von der Entwicklung des ersten Menschen
zum vollen Bewusstsein seiner Existenz bis in die Ewigkeit
300 Sitzung der phüos.'phüol. Glosse vom 7. Jtdi 1894,
hinausgeht; alles, was jemals gross und weise und edel unter
den Menschen war, — diejenigen Wohlthäter des Menschen-
geschlechtes, deren Namen ich in der Weltgeschichte auf-
gezeichnet lese und die mehreren, deren Verdienste ohne
ihren Namen vorhanden sind, — sie alle haben för mich
gearbeitet, — ich bin in ihre Ernte gekommen; — ich be-
trete auf der Erde, die sie bewohnten, ihre segenverbreitenden
Fussstapfen. Ich kann, sobald ich will, die erhabene Auf-
gabe, die sie sich aufgegeben hatten, ergreifen, unser gemein-
sames Brudergeschlecht immer weiser und glücklicher zu
machen; ich kann da fortbauen, wo sie aufhören mussten;
ich kann den herrlichen Tempel, den sie unvollendet lassen
mussten, seiner Vollendung näher bringen.''
„Aber ich werde aufhören müssen wie sie" — dürfte
sich Jemand sagen. — 0 es ist der erhabenste Gedanke
unter allen: ich werde, wenn ich jene erhabene Aufgabe
übernehme, nie vollendet haben; ich kann also, so gewiss
die üebernehmung meine Bestimmung ist, ich kann also nie
aufhören zu wirken und mithin nie aufhören zu sein., Das
was man Tod nennt kann mein Werk nicht abbrechen; denn
mein Werk soll vollendet werden und es kann in keiner Zeit
vollendet werden, mithin ist meinem Dasein keine Zeit be-
stimmt, — und ich bin ewig. Ich habe zugleich mit der
üebernehmung jener grossen Aufgabe die Ewigkeit an mich
gerissen. Ich hebe mein Haupt kühn empor zu dem drohen-
den Felsengebirge und zu dem tobenden Wassersturz und
zu den krachenden, in einem Feuermeer schwimmenden
Wolken und sage: ich bin ewig und ich trotze eurer Macht.
Brecht alle herab auf mich, und du Erde und du Himmel
vermischt euch im wilden Tumulte, und ihr Elemente alle
schäumet und tobet und zerrüttet im wilden Kampfe das
letzte Sonnenstäubchen des Körpers, den ich mein nenne, —
mein Wille allein mit seinem festen Plane soll kühn und
kalt über den Trümmern des Weltalls schweben; denn ich
Carriere: Fichtes Geistesenttoickelung, 301
habe meine Bestimmung ergriffen und die ist dauernder als
ihr; sie ist ewig und ich bin ewig wie sie.*
Indem Fichte sich in der vierten Vorlesung zur Be-
stimmung des Gelehrten wendet, fragt er: ob man ihn nicht
des Eigendünkels zeihen werde, wenn er dieselbe als sehr
ehrwürdig darstelle; indess die Wahrheit steht dem Philo-
sophen höher als die Bescheidenheit, und er fügt hinzu: dass
jeder Stand nothwendig ist, jeder unsere Achtung verdient,
und dass nicht der Stand, sondern die würdige Behauptung
desselben das Individuum ehrt, der Gelehrte aber am be-
scheidensten sein müsse, da er seinem Ideal gewöhnlich nur
in weiter Ferne sich nähert. Hat die Entwicklung aller
Anlagen der Menschen dahin geführt, dass jeder einem be-
stimmten Beruf sich widmet, hier für das Ganze forderlich
wirkt und dafür die Früchte der Arbeit des andern mit-
geniesst, so ergibt sich leicht, dass dies die Erkenntniss des
Menschen fordert, dass in uns ein Trieb lebt zu wissen vor-
nehmlich das was Noth thut. Die Kenntniss der Anlagen
und Bedürfnisse wäre leer und unnütz ohne die Mittel sie
zu entwickeln und zu befriedigen; und wiederum müssen wir
wissen, auf welcher Stufe die Menschheit steht. Wenn auch
der grosse Gang derselben sich philosophisch bestimmen lässt,
die heutige Weltlage muss empirisch oder historisch erkannt
werden, und da macht die philosophische und die historische
Wissenschaft und ihre Verbindung das aus, was den Ge-
lehrten bedingt; er ist es, der sein Leben der Erwerbung
und Fortbildung dieser Erkenntnisse widmet. Für den Ein-
zelnen tritt auch hier wieder Arbeitstheilung ein, wenn auch
die Philosophie der empirischen Kenntnisse bedarf. Der Zweck
des gemeinsamen Wissens ist die gleichförmige und fort-
schreitende Entwicklung der Menschheit, und demnach die
Bestimmung des Gelehrten: oberste Aufsicht über den Fort-
gang des Menschengeschlechts im Allgemeinen und die stete
Beförderung dieses Fortganges. Er hängt von der Ent-
302 Sitzung der phüos.-phüol, Clcuse vom 7. Juli 1894,
Wicklung der Wissenschaft ab, und wer diese hemmt, der
will selber nicht weiser und besser werden und will darum
auch die andern daran hindern. Doch alles kann die Mensch-
heit entbehren und vieles kann man ihr rauben, ohne ihrer
Würde zu nahe zu treten, nur nicht die Möglichkeit der
Vervollkommnung. Die Wissenschaft selbst ist ein Zweig
der menschlichen Bildung; der Gelehrte hat nicht blos auf
seinem Gebiete nach Erkenntniss zu streben, er hat auch
über die Fortschritte der übrigen Menschen zu wachen, ihnen
den Weg zu bahnen. Er ist für die Gesellschaft da, und
ist darum verpflichtet, die gesellschaftlichen Talente, Em-
pfänglichkeit und Mittheilungsfertigkeit vorzüglich auszu-
bilden. Er soll lernen, was in seiner Wissenschaft vor ihm
geleistet worden, er soll sich den Ansichten anderer nicht
verschliessen. Er soll die Menschen zum Gefühl ihrer wahren
Bedürfnisse bringen und sie mit den Mitteln der Befriedigung
bekannt machen; er darf auf ihr Wahrheitsgefühl rechnen,
aber er soll es läutern und entwickeln. Der Gelehrte ist
der Lehrer des Menschengeschlechts. Er blickt von der
Gegenwart in die Zukunft, deren hohes Ziel seinem Auge
entgegen strahlt, er kann den Weg nicht überspringen, aber
dafür sorgen, dass kein Stillstand eintritt. Er ist der Er-
zieher der Menschheit. Er wirkt auf freie Menschen durch
moralische Mittel, ohne Zwang, ohne Täuschung. Sein Zweck
ist der Zweck aller: die sittliche Veredlung des ganzen
Menschen. Dazu muss er selber ein guter Mensch sein,
nicht blos durch Worte, sondern durch sein Beispiel wirken.
Er soll das Salz der Erde sein; darum soll er der sittlich
beste Mensch seines Zeitalters sein.
Welch glückliches Schicksal durch seinen Beruf selbst
zu dem bestimmt zu sein, was man schon als Mensch thun
müsste; zum Tagewerk seines Lebens eine Arbeit zu haben,
zu der andere sich Zeit und Kraft absparen müssen um sie
als süsse Erholung zu gewinnen! „Es ist ein stärkender,
Carriere: Fichtes Geist esentunckelung, 303
seelenerhebender Gedanke, den Jeder unter Ihnen haben kann,
welcher seiner Bestimmung werth ist: auch mir an meinem
Theile ist die Cultur meines Zeitalters und das folgende Zeit-
alter anvertraut; auch aus meinen Arbeiten wird sich der
Gang der künftigen Geschlechter, die Weltgeschichte der
Nationen, die noch werden sollen, entwickeln. Ich bin dazu
berufen, der Wahrheit Zeugniss zu geben; an meinem Leben
und meinem Schicksale liegt nichts; an den Wirkungen
meines Lebens liegt unendlich viel. Ich bin ein Priester
der Wahrheit; ich bin in ihrem Solde; ich habe mich ver-
bindlich gemacht alles für sie zu thun und zu wagen und
zu leiden. Wenn ich um ihrer willen verfolgt werde, wenn
ich in ihrem Dienste gar sterben sollte, — was thät' ich
dann Sonderliches, was thät' ich dann weiter als was ich
schlechthin thun müsste?''
Ficht weiss, dass ein nervenschwaches schlaffes Geschlecht
von der Stärke solcher Empfindungen und ihres Ausdrucks
wie von Schwärmerei sich abwendet; aber er weiss auch, dass
er vor einer männlichen Jugend redet, an deren Kraft und
Empfänglichkeit er sich wenden kann, um eine erhebende
Sittenlehre den Seelen einzuflössen und einen feurigen Eifer
für ihre grosse Bestimmung zu entzünden. Von dem Punkt
aus, auf den die Vorsehung ihn gestellt, möchte er diese
Gesinnung nach allen Richtungen hin verbreiten, so weit
die deutsche Sprache reicht, und weiter, wenn er könnte,
— damit wenn die hier vereinten Zuhörer sich nach alten
Richtungen werden zerstreut haben, er an allen Enden Männer
wüsste, deren Freundin die Wahrheit ist, die an ihr hangen
im Leben und Tod, für sie einstehen, um so den schlau
versteckten Hass der Grossen, das fade Lächeln des Aber-
witzes und den bemitleidenden Ausdruck des Eleinsinns freudig
zu ertragen.
Eine f&nfte Rede prüft Rousseau's Behauptung über den
Einfluss der Wissenschaften auf das Wohl der Menschheit.
304 Sitzung der pMos.'phÜol. Glosse vom 7. Juli 1894,
Wir setzten die Bestimmung der Menschheit in die
gleichförmige Entwicklung ihrer Anlagen, in die Förderung
der Cultur, und fanden den Beruf des Gelehrten darin, dass
er über diesen Fortgang wacht. Dem ist Rousseau mit
scheinbaren Gründen und hinreissender Beredtsamkeit ent-
gegengetreten : ihm ist das Fortrücken der Cultur die einzige
Ursache alles menschlichen Verderbens, nach ihm ist kein
Heil für uns als in dem Naturzustande. Was Rousseau
Wahres und Grosses hat, — und er gehört zu den grössten
Männern des Jahrhunderts — gründet sich unmittelbar auf
sein Gefühl. Aber da er sein ürtheil auf das unentwickelte
Gefühl baut, so vermischt er Wahres und Falsches. Von
seinem reinen Gefühl und seiner lebhaften Einbildungskraft
geleitet entwarf er sich in der Einsamkeit ein Bild von der
Welt und den Männern der Wissenschaft, wie sie sein sollten.
Und er kam in die grosse Welt und sah Menschen ohne
Ahnung des Gottesfunkens in ihnen zur Erde gebeugt wie
die Thiere im Dienst ihrer Sinnlichkeit; der Sinn für Recht
und Unrecht schien verloren, die Weisheit ward in die Ge-
schicklichkeit gesetzt den eigenen Vortheil zu erreichen, die
Lüste zu befriedigen. Er sah diejenigen, welche die Lehrer
und Erzieher der Nation sein sollten, herabgesunken zu ge-
föUigen Sklaven ihres Verderbens, statt den Ton des Guten
anzugeben, horchend auf den Ton der herrschenden Laster,
bei ihren Untersuchungen nicht fragend: was ist wahr, was
veredelt? sondern: was hört man gern? werde ich dadurch
gewinnen, Geld, Ansehen, Frauengunst? Er sah das mit-
leidige Achselzucken über die Blödsinnigen, die den Geist
der Zeit nicht verständen, sah Talent und Kunst und Wissen
vereinigt zu dem elenden Zweck das menschliche Verderben
zu entschuldigen, und den durch Genüsse abgestumpften
Nerven noch neue Ergötzungen zu bereiten. Das sah er
und sein hochgespanntes und so getäuschtes Gefühl empörte
sich. Es war das Zeichen einer edlen Seele. Aber in der
Carriere: Fichtes Geist esenttcickelung, 305
Fülle der bittem Empfindungen sah er nur den Gegenstand,
der sie erregte. Die Sinnlichkeit herrschte, die Cultur hatte
durch sie ihre Entartungen, ihre Schäden; das solle nicht sein;
da ist es besser die Sinnlichkeit wird gar nicht entwickelt:
kehren wir zum Naturstande zurück!
Es ist wahr, in Rousseau's Naturzustande werden die
Laster nicht herrschen, die ihn empören. Der Mensch wird
essen, wenn ihn hungert, und wenn er satt ist, wird jeder
ruhig vor ihm essen und trinken können was er begehrt.
Da denkt Niemand der Zukunft, da wird das Laster aufge-
hoben, aber mit ihm auch die Tugend: es gibt keine Menschen
mehr, sondern eine neue Thiergattung.
Was suchte Rousseau im Naturstande, nach dem er
sich sehnte, den er anpries? Er fühlte sich selbst durch
mannigfache Bedürfnisse aufgeregt und eingeschränkt; er
war im Streben nach ihrer Befriedigung von der Bahn der
Bechtschaffenheit und Tugend abgeführt worden; hätte er
die Bedürfnisse nicht, und so mancher Schmerz über Nicht-
befriedigung, so mancher noch bittrere Schmerz über Be-
friedigung derselben durch Unehre wäre ihm erspart worden.
Er sah wie andere ihn befeindeten, weil er der Befriedigung
ihrer Bedürfnisse im Weg stand. Der Mensch ist nicht bös
ohne Anreiz dazu. Lebte alles um ihn her im Naturstand,
so würde er vor andern in Ruhe bleiben, in ihm selber
ruhig sein. Darnach sehnte er sich. Und wozu wollte er
diese ungestörte Ruhe anwenden? Doch wohl zu dem, was
er auch jetzt that: zum Nachdenken über seine Bestimmung
und seine Pflichten, um dadurch sich selbst und seine Mit-
menschen zu veredeln. Wie hätte er dies im Zustande der
Thierheit vermocht? Also er versetzte unvermerkt sich und
die ganze Gesellschaft mit der ganzen Ausbildung, die sie
nur durch das Herausschreiten aus dem Stande der Natur
erhalten konnte, in denselben. Nicht in Absicht der geistigen
Ausbildung, sondern nur um der Unabhängigkeit von den
306 Sitzung der phüos.-phUol. Glasse vom 7, Jtdi 1894.
Bedürfnissen der Sinnlichkeit willen wollte er die Menschen
in den Naturstand versetzen. Fichte spricht hier einen Ge-
danken, den er sein Lebenlang festgehalten, zum erstenmal
aus. Der stoische Zug seiner Natur, die Unabhängigkeit des
Innern vom Aeussem wirkt mit seinem Glauben an Lebens-
vervollkommnung zusammen. Je mehr der Mensch seinem
höchsten Ziele sich nähert, um so leichter wird es ihm seine
sinnlichen Bedürfnisse zu befriedigen. E^s wird ihm stets
weniger Mühe und Sorge machen, sein Leben durch die
Welt zu bringen. Er wird durch die Wissenschaft die
Kräfte der Natur beherrschen lernen, der Boden wird frucht-
barer, selbst das Klima milder, die Erde freundlicher, die
Arbeit leichter werden. Neue Entdeckungen und Erfindungen
werden die Erzeugnisse des Bodens vervielfältigen, den Unter-
halt ohne grosse Mühe und Sorge bieten. Und die Herr-
schaft der Vernunft lehrt den Menschen höhere Freuden
kennen als die sinnlichen; er wird bereit sein das Beste mit
Geschmack zu geniessen, wenn er es ohne Verletzung anderer
Pflichten haben kann, und alles zu entbehren, was er nicht
mit Ehren haben kann. «Vor uns also liegt, was Rousseau
unter dem Namen des Naturstandes und die Dichter unter
der Benennung des goldenen Zeitalters hinter uns setzen."
Rousseau weiss, dass wir uns diesem Zustande nur durch
Arbeit nahem können und sollen. Die Natur ist roh und
wild und sollte es sein, damit der Mensch gezwungen würde
aus dem Naturzustand herauszutreten und sie zu bearbeiten,
damit er selbst aus einem blossen Naturproduct ein freies
vernünftiges Wesen werde. Er bricht den Apfel der Er-
kenntniss, denn er hat den Trieb Gott gleich zu werden.
Seine Bedürfnisse werden entwickelt und so entsteht der
Kampf zwischen ihnen und der Trägheit; nicht das Be-
dürfniss ist der Quell des Lasters, denn es ist Antrieb zur
Thätigkeit, zur Tugend; die Faulheit ist der Laster Quell.
So viel als möglich zu geniessen und so wenig als möglich
Carriere: Fiehtes GeistesenttDickelung. 307
zn thun — das ist das Verlangen der verdorbenen Natur,
und die Laster suchen ihm zu genügen. Es ist kein Heil
für den Menschen ebe nicht diese natürliche Trägbeit mit
Gluck bekämpft ist, und ehe nicht der Mensch in der Tbätig-
keit und allein in der Tbätigkeit seine Freuden und all
seinen Genuss findet. Der Scbmerz, der mit dem Gefühl
des Bedürfnisses verbunden ist, soll uns zur Tbätigkeit reizen.
Auch der Schmerz, der uns beim Anblick des menschlichen
Elendes befällt. Wer den bittern Unwillen über die Ver-
dorbenheit der Welt nicht fühlt, ist ein gemeiner Mensch.
Wer ihn fühlt, der soll suchen sich dessen zu entledigen
und seine Kraft zur Verbesserung in seiner Sphäre einzusetzen,
— und er wird jedenfalls den Gewinn seiner Tbätigkeit in
sich selbst haben. Hier fehlte Rousseau. Er fühlte das
Leiden; er hatte Energie mehr des Leidens als des Thuns;
er unterschätzte die Kraft der Menschheit das Leid zu
überwinden, sich zu helfen. Segen seinem Andenken! Er
hat ein Feuer entzündet, das weiter brennt. Er selbst aber
schwächte die Sinnlichkeit statt die Vernunft zu stärken,
die er in der Ruhe, nicht im Kampf schilderte. Seine durch
Leidenschaft irre geführten Liebenden in der Neuen Heloise
werden tugendhaft, aber wir sehen nicht recht wie? Der
allmähliche Sieg der mit der Leidenschaft ringenden Vernunft
wird nicht geschildert.
Daran knüpft Fichte die Mahnung an seine Zuhörer:
sie lernen durch die Philosophie wie die Menschen sein sollen,
sie werden in der Welt die Menschen gar anders finden;
das wird eine leid volle Erfahrung werden. „Aber lassen
Sie sich durch diesen Schmerz nicht überwinden, überwinden
Sie ihn durch Thaten.^ Nicht zum Klagen, nicht zum
Tadeln und Höhnen, zum Handeln sind wir da.
So spricht in diesen Vorträgen nicht blos der Denker,
sondern der sittlich edle Mensch. Das Sittengesetz ist ihm
das Ideal, und soll sich nicht nach den Umständen, sondern
308 Sitzung der phüos.-phüol. Ctctsse vom 7. Jtdi 1894.
die Umstände sollen sich nach ihm richten. Die Wissen-
schaftslehre hat den Willen als die innerste Wurzel des Ich
erkannt, als das unmittelbar in uns Erlebte. Für unser
Handeln setzen wir eine objective Welt voraus; sie ist, sagt
Fichte, das versinnlichte Material unserer Pflicht. Eine freie
Wechselwirkung freier Wesen ist die Bedingung zur Ent-
wicklung des Selbstbewusstseins ; der Mensch wird nur unter
Menschen ein Mensch. Die eigene auf Handeln gerichtete
Persönlichkeit führte Fichte dazu mit dem Naturrecht und
der Sittenlehre die Wissenschaftslehre zu ergänzen, und da
finden wir die Ideen weiter ausgeführt, die uns in den Vor-
lesungen mit erster Frische begegnen.
Von der Freiheit geht er aus : die Wechselbeziehung freier
Wesen zu einander ist das Bechtsverhältniss. Jeder Mensch
erkennt die Freiheit des andern an und wird von ihm als
freies Wesen behandelt; jeder beschränkt seine Freiheit so,
dass die Freiheit des andern möglich bleibt. Das geht auf
Handlungen in der Sinnenwelt, nicht auf Gesinnungen wie
das Sittengesetz, das den guten Willen fordert. Das Recht
gilt auch ohne diesen, es geht auf Aeusserungen der Freiheit,
und ist erzwingbar. Wer die andern nicht als freie Wesen
behandelt, der verliert damit das Recht so behandelt zu
werden ; er wird gezwungen seine Handlungen zu beschränken.
Das Gesetz ist der gemeinsame Wille der Vernunftwesen;
sie vereinigen ihre Macht zur Herrschaft des Gesetzes gegen
die Rechtswidrigkeit. Diese Vereinigung zur Rechtsichernng
ist der Staat.
Der Staat ist nicht blos Rechtsordnung, Gesetzgebung,
Rechtspflege, Verwaltung, er hat auch das Volkswohl im
Auge. Die menschliche Arbeit als Erzeugung der Roh-
producte durch Ackerbau und Viehzucht, die Verarbeitung
durch Handwerk und Fabrik, der Umtausch durch Handel
wird dargestellt. Die Sittenlehre fügt hinzu: jeder habe das
Recht und die Pflicht sich einen Lebensberuf zu wählen.
Carriere: Fichtes Geistesentwkkelung, 309
Das Gute, die Verwirklichung der Vernunft durch die Frei-
heit, wird hier als Zweck der Welt erkannt. Der Endzweck
aller ist der gleiche: Selbständigkeit, Freiheit, Vemünftigkeit.
Jeder Einzelne ist Organ des Sittengesetzes, das als Welt-
zweck nur verwirklicht werden kann, wenn alle dasselbe
wollen. Wollen aber alle dasselbe und stimmen sie überein
im Denken des Vernünftigen, dann „fallt weg Kirche und
Staat*, wiederholt Fichte auch in der Sittenlehre. Dann ist
das Gottesreich verwirklicht. Noch nennt er dies ein uner-
reichbares Ideal. Aber auch jetzt soll jeder T)ei allem, was
er thut, an alle denken.
Die sittliche Weltordnung war das Höchste für Fichte.
Als ordnendes Princip, nicht als Einrichtung, sondern als
Wille und Vernunft war sie ihm Gott. Das Ich ist das
freithätige, von allem Aeussern Unabhängige, Sichselbst-
bestimmende, — so erleben wir es in uns; es ist unser
wahres Selbst, Freiheit und Vernunft. Der Zweck der Welt
ist die Verwirklichung des Guten. Sie setzt die Natur mit
ihrer Gesetzlichkeit voraus als Bedingung und Grundlage,
und so wird Gott als sittliche Weltordnung die einheitliche,
Natur und Geist für einander bestimmende Macht. „Es ist
gar nicht zweifelhaft, sondern das Gewisseste was es gibt,
ja der Grund aller andern Gewissheit, das einzige absolut
giltige Objective, dass es eine moralische Weltordnung gibt,
dass jedem vernünftigen Individuum eine bestimmte Stelle
in dieser Ordnung angewiesen und auf seine Arbeit gerechnet
ist; dass jedes seiner Schicksale, insofern es nicht etwa durch
sein eigenes Betragen verursacht ist, Resultat ist von diesem
Plane, dass ohne ihn kein Haar fällt von seinem Haupte
und kein Sperling vom Dache, dass jede wahrhaft gute
Handlung gelingt, jede böse sicher misslingt, und dass denen,
die nur das Gute recht lieben, alle Dinge zum Besten dienen.*
Ich brauche kaum zu erinnern: das Gute besteht in der
Gesinnung, nicht im Erfolg. Die sittliche Weltordnung ist
1894. Philo8.-philol. u. bist. Gl. 2. 21
310 Sitzung der phÜos.-phiM, Glosse vom 3. Juli 1894.
der nun gewonnene nähere Begriff des Ich als des absoluten;
wir erstehn und leben in ihm, das endliche Ich ist einge-
gliedert in die sittliche Weltordnung, und wir helfen sie
verwirklichen »durch die Religion des freudigen Rechtthuns*.
Sie ist das beständig sich selbst realisirende Ideal, das nie-
mals fertig ist, sondern in freier Thätigkeit ewig wird.
Dass Fichte nun nicht neben die sittliche Weltordnung
einen damit endlichen Gott als Urheber derselben stellte, zog
ihm den Vorwurf des Atheismus zu und veranlasste seine
Uebersiedelung nach Berlin. Das Martyrium für die sittliche
Weltordnung, das er muthig auf sieh nahm, führte ihn an
die Stelle, wo er als Redner an die deutsche Nation zur
Wiedergeburt derselben herrlich wirken und den Ruhm des
Helden gewinnen konnte. Zugleich leitete das Erlebniss ihn
dazu sich mit dem Wesen der Religion denkend zu beschäf-
tigen, und dies brachte eine Klärung und Vertiefung seiner
Ideen hervor, wie sie nun in dem herrlichen Werk über die
Bestimmung des Menschen zur Darstellung kamen.
Fichte stellt den Realismus oder die Lehre von der
Natur und ihrer Nothwendigkeit zunächst im Hinblick auf
Spinoza dar. Alle Dinge stehen in unzerbrüchlichem Causal-
zusammenhange; der Mensch ist wirkende Kraft wie sie,
Product des allgemeinen Weltlaufs. Da ist für Freiheit,
für sittliche Selbstbestimmung kein Raum; und doch haben
wir beide in unserem Selbstgefühl, doch fordert sie unsere
Vernunft. Das Natursystem mag den Verstand befriedigen,
aber die Stimme des Herzens lehnt sich dagegen auf, und
so haben wir die Qual des Zweifels, die uns zum kritischen
Idealismus treibt. Wir stellen uns auf uns selbst, wir wissen
blos von unsern Empfindungen und Vorstellungen, von unserer
Innenwelt, und wenn wir Dinge als Gründe unserer Em-
pfindungen voraussetzen, so sind dies nur von uns gedachte
Gedankendinge. Und mein Selbst ist auch so mein Gedanke:
wir haben keine Realität, weder in uns noch aasser uns. Es
Garriere: Fichtes GeistesenttDickelung, 311
gibt kein Dauerndes, nur einen rastlosen Wechsel. Ich
weiss von keinem Sein. „Ich weiss überhaupt nicht und
bin nicht. Bilder sind, sie sind das Einzige, was da ist und
sie wissen von uns nach Art der Bilder: — Bilder die vor-
überschweben, die durch Bilder von den Bildern zusammen-
hängen, Bilder ohne etwas in ihnen Abgebildetes, ohne Be-
deutung und Zweck. Ich selbst bin eins dieser Bilder, ja
ich bin selbst dies nicht, sondern nur ein verworrenes Bild
von den Bildern. Alle Realität verwandelt sich in einen
wunderbaren Traum ohne ein Leben, von welchem geträumt
wird, und ohne einen Geist, dem da träumt, in einen Traum,
der in einem Traum von sich selbst zusammenhängt. Das
Anschauen ist der Traum, das Denken — die Quelle alles Seins,
aller Realität, die ich mir einbilde, meines Seins, meiner
Kraft, meiner Zwecke — ist ein Traum von jenem Traum.*
So schneidend bestimmt er nun selbst den Idealismus,
den man ihm zuschrieb, den Solipsismus, zu dem wir kommen,
wenn wir dem Causalgesetz nur eine Bedeutung für unsere
Vorstellungen, nicht das Recht und die Macht gewähren
über sie hinaus eine Realität der Aussenwelt zur Erklärung
unserer Innenwelt anzunehmen, wenn wir nicht an dem
lebendigen Selbstgefühl festhalten, dass wir die Träger, nicht
das Product unserer Vorstellungen sind. Doch war für Fichte
ursprünglich das Ich die sich selbst bestimmende, selbst
setzende, alles in sich hervorbringende Thätigkeit. Er fährt
nun fort: Wenn uns das Wissen keine Realität gewährt, so
liegt nicht in ihm, sondern in unserem Wollen und Thun
unsere Bestimmung. Ich bin als Ich Subject und Object in
Einem, das Denkende und Gedachte zugleich. Ich entwerfe
Begriffe um sie zu verwirklichen; sie sind Zwecke, die ich
ausführen will, Vorbilder nicht Nachbilder des Hervorzu-
bringenden, und so bin ich reale Thatkrafb, die ich denke,
nicht erdenke. Aus der Gewissheit, dass ich handle, Zwecke
verwirkliche, stammt die Ueberzeugung aller Realität. Sie
21*
312 Siteung der phüosrphüol. CloLSse mm 7, Juli 1894,
hängt nicht vom Verstand, sondern vom Willen ab. Die
Realität wird geglaubt. Der Glaube drängt dem Sinnen-
menschen mit der Geburt sich auf um die Sinnenwelt zu
gemessen, der geistige Mensch glaubt an sie um das Gute
hervorzubringen. In unserem Gewissen haben wir den Quell
aller Gewissheit. Es ist gevnss, dass ich das Gute thun soll,
und alles was noth wendige Bedingung hierfür ist, mein
eigenes Leben, vernünftige Wesen ausser mir, die Sinnen weit
als die Sphäre meines Handelns.
Das Wohlsein der Menschen wäre auch auf dem Weg
des Naturmechanismus möglich, das Reich des Geistes aber
ist Sittlichkeit durch Freiheit. Wir leben zugleich in der
Sinnen- und Vernunftwelt, unsere That föllt in die Sinnen-
welt, unser Wille wirkt in der übersinnlichen, wo nicht der
Erfolg, sondern die Gesinnung gilt. Der gute Wille ist das
Band beider Welten. Selbstthätige Vernunft ist Wille. Der
Vemunftwille ist das herrschende Gesetz der höhern Welt,
das geistige Band aller vernünftigen Wesen. Durch die
Stimme des Gewissens gibt er sich mir kund und urafasst
mich als eins seiner Glieder; durch seinen Gehorsam ergreife
ich ihn und wirke in ihm, dem Lebensprincip der geistigen
Welt. Am besten fasst ihn die kindliche Einfalt, nennt ihn
Vater und ergibt sich ihm im Glauben, dass er alles wohl
macht. Sein Reich sollen wir verwirklichen helfen, sein
Weltplan führt uns durch Mangel zum Fleiss, durch die
Uebel der Unordnung zur Rechtsordnung, durch die Drang-
sale des Kriegs zum Frieden. Gott ist das selige Leben
selbst, der Wille, der sich in allem entfaltet; und so wird
die Natur aus der todten lastenden Masse, die den Raum
ausstopft, ein Strom von Leben und Wesen, so fühlen wir
uns mit allen Wesen verwandt, und wie die Morgensonne
in tausend Thautropfen sich spiegelt, strahlt uns das Ewige
aus allem entgegen, der sich selbstbildende, darstellende
Wille.
Carriere: Fichtes Geistesentwickelung. 313
Die Vorträge, welche Fichte 1805 in dem damals preus-
sischen Erlangen hielt, gab er 1806 wie eine neue und ver-
besserte Auflage der in Jena vor 12 Jahren veröflFentlichten
heraus. War in den Jenaer Vorlesungen das menschliche
Ich im Vordergrund, so herrscht nun das göttliche. Und
so beginnt er jetzt sogleich mit dem Satze: die gesammte
Sinnenwelt und das menschliche Leben in ihr ist Offenbarung
der göttlichen Idee. Das Leben Gottes ist in sich thätig,
das Sein lebendig, ein Leben von sich, aus sich, durch sich.
Es ist das wahrhaft und allein Seiende; es ist und bleibt
rein in sich selbst und es äussert sich, stellt sich dar in der
Welt. Die in sich geschlossene Einheit entfaltet sich in die
Geisterwelt, in die endlichen Wesen, die an einander und in
der Natur ihre Schranken haben, und im Flusse der Zeit soll
das einheitliche Leben nun aus dem Streit sich mit Frei-
heit bilden, sollen die getrennten Individuen durch eigenen
Willen zur Gleichheit der Gesinnung kommen. In der gött-
lichen Idee ist der Weltplan begründet, und die allgemeinen
Gesetze des zeitlichen Lebens der Menschheit können wir
daraus erkennen, aber nicht die besondem Ereignisse oder
Zustände; denn das Sittengesetz ist nicht wie das Naturgesetz
von zwingender Gewalt, sondern ein Gesetz der Freiheit, des
sich selbst bestimmenden Thuns und Handelns der Lebendigen,
das an den Willen sich richtet, und so ist vieles da, was
nicht aus der Idee begriffen, sondern eben erfahren, erlebt
sein will und nur auf dem Wege der Empirie in das Be-
wusstsein tritt. (In solchem Sinn hat Fichte die grossen
Perioden geschichtlicher Entwicklung in den Grundzügen des
gegenwärtigen Zeitalters aufgestellt, im Besondern aber der
menschlichen Freiheit Rechnung getragen.) Das menschliche
Leben ist in der göttlichen Idee begründet und der Mensch
soll die göttliche Idee durch freie That in der Welt ver-
wirklichen. „Die ursprüngliche göttliche Idee von einem
bestimmten Standpuncte in der Zeit lässt grösstentheils sich
314 Süeung der phüoarphüd. Glosse vom 7. JM 189i.
nicht eher angeben, als bis der von Gott begeisterte Mensch
kommt und sie ausführt. Der Trieb des blos naturlichen
Daseins geht auf das Beharren beim Alten, selbst wo die
göttliche Idee sich mit ihm vereinigt, auf die Äufrechthaltung
des bisherigen guten Zustandes und höchstens auf kleine
Verbesserungen desselben; wo aber die göttliche Idee rein
und ohne Beimischung des natürlichen Antriebs ein Leben
gewinnt, da baut sie neue Welten auf, auf den Trümmern
der alten.
„Alles Neue, Grosse und Schöne, was von Anbeginn der
Welt an in die Welt gekommen und was noch bis in ihr
Ende in sie kommen wird, ist in sie gekommen und wird in
sie kommen durch die göttliche Idee, die in einzelnen Aus-
erwählten theilweise sich ausdrückt. **
Das Leben des Menschen ist wie das unmittelbare Werk-
zeug und Organ der göttlichen Idee in der Sinnen weit, so
auch der erste und unmittelbare Gegenstand dieser Wirk-
samkeit. Das Ziel ist unsere Fortbildung. So ist der Staat
gegründet als die Macht, an welcher der Streit der indi-
viduellen Kräfte so lange sich bricht, bis eine allgemeine
Sittlichkeit hergestellt worden; jeder individuellen Kraft ist
ihre Sphäre angewiesen und sie ist in derselben zugleich
beschränkt und gesichert. Diese Einrichtung lag in der gött-
lichen Idee, sie ist auf Antrieb derselben von begeisterten
Menschen in die Welt eingeführt worden; sie wird erhalten
und vervollkommnet werden durch denselben Antrieb bis zu
ihrer Vollendung. „Dieses vom Streit mit sich selbst zur
Einmüthigkeit zu erhebende Menschengeschlecht ist noch
überdies mit einer willenlosen Natur umgeben, welche sein
freies Leben beschränkt, bedrohet und einengt. So musste
es sein, damit dieses Leben durch eigene Freiheit seine Ein-
heit gewönne; und diese Kraft und Selbständigkeit des sinn-
lichen Lebens soll zufolge der göttlichen Idee fortschreitend
sich entwickeln. Dazu bedarf es, dass die Naturkräfte den
Carriere: Mchtes Oeisteaentwiekelung, 315
menschlichen Zwecken unterworfen werden, und damit man
dieses vermöge, muss man die Gesetze, nach denen diese
Kräfte wirken, erkennen und im voraus die Eraftausserungen
zu berechnen vermögen, üeberdies nicht blos nützlich und
brauchbar soll die Natur dem Menschen werden, sie soll zu-
gleich anständig ihn umgeben, das Gepräge seiner höheren
Würde annehmen und von allen Seiten dasselbe ihm entgegen-
strahlen. Diese Herrschaft über die Natur lag in der gött-
lichen Idee und wird auf den Antrieb dieser Idee durch Ein-
zelne, die von ihr ergriffen werden, unaufhörlich erweitert."
Man sieht wie wenig naturfeindlich Fichte war, wie
er auf die Naturwissenschaft im Fortschritt der Gesittung
baut und selbst das Jahrhundert einleitet, in dem sie zur
tonangebenden Macht und Blüthe kam, ja wie er Ver-
schönerung der Natur durch die Kunst im Auge hat Und
wenn in der Sittenlehre manches herb und spartanisch streng
dünken mochte, wenn er nicht Glück, sondern nur Glück-
würdigkeit erstreben lehrte, jetzt tritt auch hier die Freude
in ihr Recht. »Der Mensch hat seinen Sitz nicht blos in
der Sinnenwelt, sondern die eigentliche Wurzel seines Da-
seins ist in Gott. Von der Sinnlichkeit und ihren Antrieben
fortgerissen kann dies Bewusstsein seines Lebens in Gott sich
ihm leicht verbergen und sodann lebt er, welche edle Natur
er auch übrigens sein möge, in Streit und Zwietracht mit
sich selber, in Unfrieden und Uneinigkeit, ohne wahre Würde
und Lebensgenuss. Erst wie das Bewusstsein der wahren
Quelle seines Lebens ihm aufgeht und er freudig in dieselbe
sich taucht und ihr sich hingibt, überströmt ihn Friede,
Freude und Seligkeit. Es liegt in der göttlichen Idee, dass
alle Menschen zu dem erfreuenden Bewusstsein kommen um
das ausserdem unschmackhafte endliche Leben mit dem unend-
Uchen zu durchdringen und in ihm zu gemessen: darum
haben von jeher Begeisterte gearbeitet und werden fort-
arbeiten dieses Bewusstsein in seiner möglichst reinen Gestalt
316 Sitzung der phUo8.'phüol, Glosse vom 7. Juli 1894,
unter den Menschen zu verbreiten. In denen nun, welche
die göttliche Idee als Quell und Zweck des Lebens erkennen,
sieht Fichte die Träger eines höheren Daseins und die Fort-
bildner der Welt, sei es, dass sie diese Einsicht verbreiten,
sei es, dass sie dieselbe in ihrem unmittelbaren Handeln
bethätigen. Diejenige Art der Erziehung and Geistesbildung
in jedem Zeitalter, die zur Erkenntniss der göttlichen Idee
hinfQhrt, heisst die gelehrte Bildung. Sie ist also das Mittel
für das Höhere: durch die gelehrte Bildung des Zeitalters
hindurch kommt der Gelehrte zur Erkenntniss der göttlichen
Idee. Auch als Lehrer ist er nicht unpraktisch, denn der
Gegenstand seiner Wirksamkeit ist der Sinn und Geist der
Menschen, und es ist eine Kunst diesen zu Begriffen zu er-
heben. Andererseits kann der Trager der Idee die Welt
nach derselben gestalten, die rechtlichen und gesellschaft-
lichen Verhältnisse der Menschen unter einander, oder auch
die sie umgebende und auf ihr Wirken einfliessende Natur
nach der göttlichen Idee des Rechts oder der Schönheit aus-
bilden. Wer die Idee noch nicht besitzt, wer nach ihr strebt,
ist der werdende Gelehrte, der Studierende; einzelne Licht-
funken springen schon von allen Seiten ihm entgegen und
schliessen eine höhere Welt vor ihm auf, und es gilt sie
unter die Botmässigkeit seiner Freiheit zu bringen, zum
Ganzen zu verbinden. Richtet sich aber das Streben nicht
auf die Idee, sondern nur auf die äussere Form und den
Buchstaben der gelehrten Bildung, so erzeugt sich nur der
angehende oder vollendete Stümper. So streng hält Fichte
an der Forderung fest, dass der Geist der Sache, dass das
Seinsollende erkannt werde. »Alle philosophische Erkennt-
niss ist ihrer Natur nach nicht f actisch, sondern genetisch,
nicht erfassend irgend ein stehendes Sein, sondern innerlich
erzeugend und construirend dieses Sein aus der Wurzel seines
Lebens.* Diese Wurzel war, ist und bleibt für Pichte das
Ich, die sich selbstbestimmende Thätigkeit, als deren Be-
Carriere: FicfUes Geisteaentwickdung. 317
stimmungeu und Thaten die besondern Thatsachen der Erfah-
rung von Staat, Naturorganismus, Sittengebot, Kunst und
Wissenschaft aufgefasst und entwickelt werden sollen. Mochte
früher das Ideal, wie es der Mensch sich entwirft, als das
Ziel seines Strebens, als beständig über der Wirklichkeit
erhaben schweben, so dass es als das niemals Realisirte, also
Unrealisirbare erscheinen konnte, jetzt ist es ihm ewig ver-
wirklicht im göttlichen Geiste und ebenso der Quell wie das
Ziel des menschlichen Strebens. Wenn heutige Neukantianer
unsere Ideenbildung als Ideendichtung bezeichnen, so werden
die Ideale bald für Illusionen erklärt werden und die ihnen
zugeschriebene begeisternde Kraft und subjective Wahrheit
einbüssen, sofern nicht ihre Realität in Gott behauptet wird.
Gerade die Forderung des genetischen Erkennens führt
noch zur Frage: wie wird und erhält sich der Gelehrte?
Fichte antwortet: , Durch die ihm beiwohnende, seine Per-
sönlichkeit ausmachende und in sich verschlingende Liebe
zur Idee. Jedes Dasein hält und trägt sich selber, und
im lebendigen Dasein ist dies Sichselbsterhalten und das
Bewusstsein davon Liebe seiner selbst. Die ewige göttliche
Idee kommt hier nun in einzelnen menschlichen Individuen
zum Dasein; dieses Dasein der göttlichen Idee in ihnen
umfasst nun sich selber mit unaussprechlicher Liebe; und
dann sagen wir, dem Scheine uns bequemend, dieser Mensch
liebt die Idee und lebt in der Idee, da es doch nach der
Wahrheit die Idee selbst ist, welche in seiner Person lebt
und sich liebt und seine Person lediglich die sinnliche Er-
scheinung dieses Daseins der Idee ist. Diese strenger ge-
fassten Ausdrücke und Formeln schliessen das ganze Ver-
hältniss auf und wir können nun ohne Missverständniss fort-
fahren: In dem wahrhaften Gelehrten hat die Idee ein sinn-
liches Leben gewonnen; er liebt die Idee; sie allein ist die
Quelle seiner Freude und Genüsse, das treibende Princip seiner
Gedanken und Handlungen.
318 Sitzung der phUas.-phüol. Gltuse vom 7, Juli 1894,
Wenn die Klarheit durch G^ensätze gewinnt und Fichte
also auch zeigen wird wie der wahre Gelehrte sich nicht
äussere, so bittet er darin keine satirischen Nebenblicke,
keine Gensuren literarischer Zustände sehen zu wollen. „Der
Philosoph entwirft ruhig seine Gonstruction nach den aufge-
stellten Principien, ohne während dieses Geschäftes den
wirklich vorhandenen Zustand der Dinge seiner Beachtung
zu würdigen oder des Andenkens desselben zu bedürfen um
die Betrachtung fortsetzen zu können; ebenso wie der Geo-
meter die seinige entwirft, ohne sich zu bekümmern, ob
seine Figuren der reinen Anschauung mit unsern Werkzeugen
nachgemacht werden können. '^ Seine idealistisch-deducirende
Weise hat Fichte hier klar bezeichnet; eine inductive Weise
die vom Gegebenen aufsteigt, die Vernunft im Thatsäch-
Hchen aufweist, und darthut wie dasselbe nur zu erklären ist
im Lichte der Ewigkeit, im Zusammenhang mit Gott, hat
dabei auch ihr Recht, und Fichte selbst hat so die Grand-
züge des gegenwärtigen Zeitalters zum Ausgangspunct seiner
Philosophie der Geschichte genommen und die Reden an die
deutsche Nation so gehalten, dass er aus den geschichtlichen
Kämpfen der Germanen mit Rom, aus der Reformation die
Folgerungen für das deutsche Wesen in seiner Bestim-
mung zog.
Religion, Wissenschaft, Kunst, Rechtsordnung nnd die
Naturkenntniss mit Naturbeherrschung sind die fünf Haupt-
arten, wie die göttliche Idee im Menschen sich äussert. Die
Idee selbst ist es, welche durch eigene Kraft in den Menschen
ein selbständiges und persönliches Leben sich verschafft und
erhält und vermittelst desselben die Welt nach sich gestaltet
Das Leben der Idee stellt sich dar als Liebe, sie bricht
hervor in dem von der Idee ergriffenen Menschen.
Wenn im werdenden Gelehrten die Idee sich zu erfassen
strebt, wird er von der Ahnung des Wissens ergriffen in
Wissbegierde, und über seine sinnlichen Triebe hinaus wird
Carriere: Fichtes Geistesentwickelung, 319
die Wahrheit die bewegende Macht seines Innern. Diesen
Trieb nach einem noch nicht klar erkannten geistigen nennt
man Genie. Es ist ein Uebersinnliches, nach einem andern
Uebernatürlichen Hinziehendes im Menschen, welches die
Verwandtschaft desselben mit der geistigen Welt und seine
ursprüngliche Heimath in der geistigen Welt andeutet. Ob
man eine allgemeine Genialität als solche für das Angeborene
nimmt, das durch die Umstände auf ein besonderes Gebiet
gelenkt wird, oder ob man von Haus aus die Beziehung auf
Poesie oder Philosophie, Naturforschung oder Gesetzgebung
für gegeben nimmt, — immer wird der Mensch der vor-
läufigen geistigen Bildung bedürfen um Stoff zur Entwick-
lung und zur gestaltenden Thätigkeit zu erlangen; das Genie
bedarf des Fleisses, der ununterbrochenen Forschung. Man
fragt oft, ob die natürliche Begabung oder der Fleiss in
den Wissenschaften am meisten fordere. ,Ich antworte:
beides muss sich vereinigen; für sich allein und ohne das
andere taugt keines von beiden. Das Genie ist ja nichts
anders als der Trieb der Idee sich zu gestalten, die Idee
aber hat .an sich keinen Inhalt oder Körper, sondern sie
erbaut sich denselben erst aus den wissenschaftlichen Kund-
gebungen der Zeit, welche lediglich der Fleiss herbeiliefert.
Wiederum vermag auch der Fleiss^ nichts weiter als diese Ele-
mente der zu erbauenden Gestalt herbeizuschaffen; dieselben
organisch zu verbinden und ihr eine lebendige Seele einzu-
hauchen vermag er nicht, sondern dies bleibt lediglich der
Idee überlassen, die als natürliches Talent sich offenbart.
Dass die in dem wahren Gelehrten zum Leben gekommene
Idee in die Welt eingreife, ist ja der Zweck ihrer Gestaltung.
Sie soll das höhere Lebensprincip werden und die innigste
Seele der umgebenden Welt; sie muss daher denselben Körper
angenommen haben, den die umgebende Welt trägt, und in
demselben wie in ihrer Behausung wohnen.* Wo also die
Bildung des Geistes fehlt, der das Bild der Welt in sich
320 Sitzung der phüos.'philöl. Glosse vom 7. JtUi 1894,
aufnimmt, da sind die Mittel des Einflusses auf sie abge-
schnitten, da fehlt die Klarheit in der Erfassung der Welt
und die Freiheit in der Herrschaft über die Mittel der dar-
zustellenden Idee. Man nennt den Menschen dann mit Recht
einen Schwärmer. Der wahre Gelehrte durchblickt aus der
Idee als seinem einigen Lichtpunkte die ganze Wirklichkeit
und versteht diese der Idee gemäss zu machen. »Wo das
Genie nur wirklich eingetreten, da findet sich der Fleiss von
selber, und vermehrt sich in steter Steigerung, und treibt
den angehenden Gelehrten unaufhaltsam fort zu seiner Voll-
endung; wohingegen der Fleiss sich nicht findet, da war es
nicht das Genie und der Antrieb der Idee, welche zum Vor-
schein kamen, sondern etwas Gemeines und Unwürdiges an
seiner Stelle.* Die Idee treibt jeden, den sie wirklich er-
grifi^n, unwiderstehlich zu rastloser Wirksamkeit; will sie
doch das Menschengeschlecht neu beleben. Wo die Person
bei dem Bewusstsein der Genialität stehn bleibt, da ist weder
Idee noch Genie, sondern lediglich eine hochmüthige Natur
vorhanden, die mit verächtlichem Seitenblick auf Andere
sich an eigener vermeintlicher Herrlichkeit weidet. Wie das
gesunde Auge auf den Gegenstand sich richtet, keineswegs
auf sich selber hinschielt, so blickt das Talent auf die Sache,
nicht auf sich ; es weiss in zarter Bescheidenheit und scham-
hafter Jungfräulichkeit nicht von sich selber; Selbstbe-
schauung, Selbstbewunderung, Selbstlobpreisung und der da-
raus entspringende Unfleiss oder das Streben nach allerhand
Frappantem und Paradoxem, das durch Verschieben und Ver-
schrauben fremder Gedanken auf Abenteuer ausgeht, — das
alles ist fern von wahrer Genialität, das führt zu moralischem
und intellectuellem Verderben.
Dem Jünger der Wissenschaft räth Fichte: nicht darüber
zu grübeln ob er Genie habe, sondern so zu handeln, als ob
solches in ihm vorhanden sei, also mit treuem Fleiss, mit
Hingebung des ganzen Gemüths alle die Mittel der gelehrten
Carriere: Fichtes Geistesentwickelung. 321
Bildung zu ergreifen, die sich ihm darbieten. Dann wird
es sich zeigen, ob er aus einer klar durchschauten Idee seine
Welt versteht und gestaltet, oder ob er das Material auf-
gehäuft, ohne dass ein Funke der Idee ihm entgegenstrahlt.
Doch auch in diesem Fall bleibt ihm das Bewusstsein, dass
er redlich das Seine gethan, und er ist im Stande sich als
taugliches Werkzeug einem schöpferischen Talent anzu-
schliessen, und ohne Neid und Eifersucht der Leitung des-
selben sich hinzugeben, also erwerbend die Gewissheit seine
Bestimmung nach dem Willen Gottes erfüllt zu haben, als
das Letzte und Höchste, was in irgend einer Lage der
Mensch sich erwerben kann.
Wo die Idee mit eigener innerer Kraft den Menschen
ergriffen hat, da treibt sie ihn unaufhaltsam zum Ziel. Dem
angehenden Gelehrten liegt es ob mit inniger und voller
Kechtschaffenheit also zu handeln, als ob ein Talent in ihm
schlummere, das zu Tag kommen soll. Ist doch Recht-
sehafi^enheit selbst eine göttliche Idee, — die göttliche Idee
in der allgemeinen Gestalt, in der sie alle Menschen in An-
spruch nimmt. Jeder Mensch soll etwas sein und thun, sein
zeitliches Leben soll ein unvergängliches und ewiges Resultat
hinterlassen in der Geisterwelt; jedes Individuums Leben ist
ein besonderes, ihm allein zukommendes und von ihm allein
gefordertes Resultat. So betrachtet der Rechtschaffene seine
individuelle Person selbst als einen Gedanken der Gottheit,
und so wie die Gottheit ihn gedacht ist seine Bestimmung
und der Zweck seines Daseins. Und in der Rechtschaffen-
heit selbst, ihrer Befestigung und Erhöhung, in der Ge-
wissensruhe und innern Freudigkeit, die sie gewährt, hat
jeder einen guten Erfolg, ob auch das Ziel seiner Arbeit
erreicht werde oder nicht; er treibt mit Rechtschaffenheit
was er treibt, das Gelingen überlässt er Gott. Der studie-
rende Rechtschaffne betrachtet sich als durch den Gedanken
der Gottheit dazu bestimmt, dass die göttliche Idee von der
322 Sitzung der phüosrphüol. Clcisse vom 7. Juli 1894.
Beschaffenheit der Welt ihn ergreife und in ihm eine be-
stimmte Klarheit und einen bestimmten Einfluss auf die ihn
umgebende Welt erhalte. Dieser Oedanke, ob deutlich aus-
gesprochen oder nicht, ist die Grundlage und Voraussetzung
all seines Thuns: «Ich bin dazu da und deswegen in das
Dasein gekommen, damit in mir Gottes ewiger Rathschluss
über die Welt von einer andern, bis jetzt völlig verborgenen
Seite in der Zeit gedacht werde und Klarheit gewinne und
in die Welt eingreife, sodass er nie wieder ausgetilgt werden
könne; nur diese eine an meine Persönlichkeit geknüpfte
Seite des göttlichen Rathschlusses ist das wahrhaft Seiende
an mir, alles üebrige was ich mir noch beimesse, ist Traum
und Schatten; nur sie ist das Unvergängliche in mir, alles
XJebrige wird verschwinden in das Nichts, aus welchem es
nur scheinbar hervorgegangen ist.* So bleibt für Fichte
das Sittliche das Wesentliche, die Sinnenwelt das Schein-
bare, aber der Wesenkern im Menschen ist das Göttliche,
und den Gedanken Gottes als Lebensbestimmung zu erkennen
und zu verwirklichen ist die Aufgabe des Menschen; die
sittliche Idee hat ein religiöses Gepräge gewonnen. Und er
bleibt den anfanglichen Gedanken insofern getreu, als ihm
auch jetzt unser wahrhaftiges Leben in der göttlichen Idee
uns fortwährend vorkommt als Aufforderung eines Werdens,
demnach als Missbilligung unseres jedesmaligen stehenden
Seins (Gewordenseins). Die Erfüllung unserer Bestimmung
bleibt das Seinsollende für uns. Und so ehrwürdig dem Ge-
lehrten aus dem Ursprung der göttlichen Idee die Wissen-
schaft, ja so ehrwürdig und heilig er darum sich selber er-
scheinen mag, er wird sich nicht hochmüthig über andere
erheben wollen, denn der Hochmuth stützt sich auf das
ruhende gewordene Sein, und indem er etwas zu sein glaubt,
zeigt er dadurch, dass er wahrhaftig gar nichts ist, — sich
nicht als Werdenden auffasst. »Der Mensch hat gar keinen
eigenen Werth ausser dem mit Treue seine Bestimmung,
Carriere: Fichtes Geistesentwickelung, 323
von welcher Art sie auch sein möge, zu erfüllen, und hier
können alle einander gleich kommen/
»Das eigentliche Sichselberweg werfen des Menschen be-
steht darin, wenn er sich zum Mittel macht für ein Zeit-
liches und Vergängliches und Sorge und Mühe in etwas
anderes zu wenden würdiget als in das Unvergängliche und
Ewige. In dieser Rücksicht soll jeder sich selber ehrwürdig
und heilig sein, auch der Studierende." Von diesem Idealis-
mus aus wendet sich Fichte mit unerbittlicher Rigorosität
gegen alle, welche die Wissenschaft um äussern Zwecks
willen treiben, nicht um Licht und E'reiheit für sich selbst
und für die Menschheit zu gewinnen. Seinen Fleiss auf-
wenden um ein gemächliches Auskommen und Ansehen bei
den Mitbürgern durch das Studium zu gewinnen, das heisst
ihm arbeiten für das Grab, für die Vergänglichkeit, der
auch alles Sinnliche anheimfällt; zu arbeiten um den Neben-
menschen nützlich zu werden und ihr Wohlsein zu befördern,
dieses heut beliebte altruistische Princip englischer Moralisten
und ihrer deutschen Anhänger, heisst ihm Fleiss und Mühe
an das Vergängliche setzen, an Personen und Dinge,
die gar bald nicht mehr da sein werden. Der würdig
Studierende sagt sich, dass er da ist durch einen Gedanken
Gottes, aus dem alles Dasein quillt; und was er in diesem
Gedanken ist das bleibt er in Ewigkeit, und dies Ewige
herauszuarbeiten will er seine ganze Kraft aufwenden. Dazu
hilft ihm die Wissenschaft, und darum was auch bei ihrem
Studium geringfügig oder sonderbar erscheinen mag, weist
er nicht ab, noch nimmt er es an mit blindem Glauben
oder in der HoflEhung, dass es ihm doch irgendwie nützlich
werden könne, sondern auch das gehört ihm zu dem Stoffe,
in welchem das Ewige sich in ihm hervorbilden und Gestalt
gewinnen will. Erscheint demjenigen, dem es an Verstand
und Rechtschaffenheit gebricht, die Wissenschaft als blosses
Mittel gewisse irdische Zwecke zu erreichen, so erscheint sie
324 Sitzung der phüosrphüol, Glosse vom 7. Jidi 1894,
demjenigen, der sich mit rechtschaffenem Herzen ihr widmet,
nicht nur in ihren höchsten und das Göttliche unmittelbar
berührenden Zweigen, sondern herunter bis auf die unschein-
barsten Vorbereitungskenntnisse als etwas in der ewigen Idee
der Gottheit selbst Gedachtes und Beschlossenes, und aus-
drücklich für ihn und in Beziehung auf ihn Gedachtes, da-
mit sie dadurch ihr Werk an ihm und vermittelst seiner in
dem ganzen ewigen Weltsystem vollende/ Sein ganzes
Leben hat dadurch Sinn und Bedeutung gewonnen, und wie
auch der äussere Erfolg sei, immer ist es ein göttliches Leben.
Und eines solchen theilhaftig zu werden bedarf es keiner
besondem Talente, sondern nur des guten Willens, dem
unsere höhere Bestimmung von selbst aufgeht.
Gott ist die Wahrheit, und in jeder erkannten Wahrheit
erlangen wir Theil an Gott; — in diesem meinem Satz können
wir wohl Fichtes Darstellung zusammenfassen. 1806 in
Berlin in der Anweisung vom seligen Leben knüpft er seine
Lehre an den Anfang des Johannesevangeliums: Gott ist
der Logos als die sich aussprechende Vernunft und in ihr
das Leben der Welt und das Licht der Menschen. Hier
fügt er hinzu: „Gott hat die Welt überhaupt gedacht nicht
nur wie sie ist und sich findet, sondern auch also wie sie
sich durch sich selbst weiter gestalten soll; im göttlichen
Gedanken von ihr liegt das Princip einer ewigen Fortent-
wicklung und zwar aus dem Höchsten was in ihr sich findet,
aus den vernünftigen Wesen in ihr vermittelst der Freiheit.*
Sollen aber Menschen den Gedanken von der Welt wie sie
werden soll realisiren, so müssen sie ihn erkennen, und die
rechten Gelehrten sind es, welche Gott seine Grundgedanken
von der Welt nachdenken ; und dieser Gedanke ergreift ihre
Seele, und wird das eigentliche Leben in ihrem Leben ; geht
dann alles Denken des Gelehrten auf geordnetem Weg zu
seinem Ziel, so ist was er auf diesem Boden thut gut und
recht; es ist göttliche That. Diese Erscheinung nennen wir Genie.
Carriere: Fichtea Geiatesentwickelung. 325
Fichte spricht nun von dem äusseren Leben des Stu-
dierenden. Die Auffassung seiner Bestimmung als eines
göttlichen Gedankens wird sich ganz von selber zeigen; in
Unschuld und Unbefangenheit, ohne dass er es selber so
eigentlich weiss, indem ein anderes Leben gar nicht in
seinen Gesichtskreis fällt. Er flieht die Berührung mit dem
Gemeinen und Unedlen. Gemein • und unedel ist was die
Phantasie herabzieht und den Geschmack für das Heih'ge ab-
stumpft. Wenden sich die Gedanken beim Ausruhen zum
Spiel mit sinnlichen Ergötzlichkeiten, so zieht das uns herab.
Darum suche der Studierende in der Natur, in der Kunst,
in der Literatur das Erhabene; das Belächeln des Verkehrten
ist mehr Sache des höheren Alters; erst nach dem Erhabenen
geht uns der Sinn für das Schöne auf und der Scherz mit
dem Gemeinen. Der Charakter der Jugend verlangt nach
Neuem in rastloser Thätigkeit, sie träge zu sehen ist der
Anblick des Winters mitten im Frühling. Unedel und ge-
mein endlich ist was uns der Achtung vor uns selbst, des
Glaubens an uns, des Vermögens beraubt auf uns selbst und
die Erfüllung unserer Vorsätze zu rechnen. Wir sollen uns
selber Wort halten und ausführen was wir uns aufgegeben.
Und wer sich selber leitet, der gibt sich nicht andern, nicht
der öffentlichen Meinung zum Sklaven. Denn wer nur
andern aus Gefälligkeit, Schwachheit, Trägheit sich an-
schmiegt, der hat keinen Glauben an sich selbst und ist gar
kein Selbst. Aber der äussern Sitte wird der Studierende
sich fügen, sofern sie gute Sitte ist, in die er durch die Er-
ziehung hineingewachsen, und er hat Besseres zu thun als
durch Sonderbarkeiten sich auffällig zu machen. So fliesst
sein Leben unbescholten und liebenswürdig dahin.
Daran reiht sich ein Vortrag über akademische Freiheit.
Historisch sei sie geworden durch den Trieb der Studierenden
sich des Schulzwanges und mancher Dienste, wie des Chor-
singens, zu entledigen. Zu berühmten Lehrern strömten
1894 PhUoa-pbilol. u. hist. Gl. 2. 22
326 Süzung der philos.'phüol» Cltuse vom 7. Juli 1894.
Hörer aus yerschiedenen Ländern zahlreich zusammen; man
kümmerte sich weder um ihre Fortschritte noch um ihre
Sittlichkeit. Bei einer tüchtigen Jugend wirkte das als
Antrieb sich ohne Zwang und Au&icht um so kräftiger aus-
zubilden, und die Freiheit darin zu finden aus eigenem Ent-
schluss das Zweckmässige zu thun. In philosophischer Aufc
fassung verweist Fichte auf die bürgerlichen Gesetze, die
nach allen Richtungen gebietend und verbietend feststellen
was jeder zu thun und zu lassen hat. Auf die Moralitat
der Menschen rechnet der Gesetzgeber nicht; er kann die
nothwendig zu fordernde Freiheit und Sicherheit aller nicht
vom Ungewissen abhängig machen. Der Sittliche, der das
Gute und Rechte aus eigenem Willen vollbringt, braucht
keine Rücksicht auf Lohn oder Strafe; er braucht kein
äusseres Gesetz. Der Gelehrte wie der Ungelehrte steht auf
gleiche Weise zum Gesetz: sie können sich über dasselbe
erheben, aber es ist nicht darauf gerechnet, nur auf das ge-
setzgemässe Handeln. Ebenso gibt es Forderungen des
Standes und Berufes, die jeder zu erfüllen hat, über welche
die öffentliche Meinung mit den Mitteln der Ehre und Schande
wacht. Aber eines ist dem Gelehrten eigenthümlich: ,Er
trägt in die göttlichen Ideen die Gestalt der künftigen Zeit-
alter, die erst werden sollen, in sich, und er soll ein Bei-
spiel aufstellen und ein Gesetz geben den künftigen Ge-
schlechtern, welches er in der Gegenwart oder in der Ver-
gangenheit vergebens suchen würde. Die Idee tritt in jedem
Zeitalter heraus in einer andern Gestalt und begehrt die
umgebende Welt nach sich zu gestalten; es treten damit
immer neue Verhältnisse der Welt zur Idee und immer neue
Arten ihres Widerstreites hervor. Dem Gelehrten entspringt
daraus die Aufgabe: die Reinigkeit der Idee mit ihrer Wirk-
samkeit auf die Welt, ihren Einfluss mit ihrer Würde zu
vereinigen. Die Welt widersetzt sich der neuen Idee oder
sucht sie herabzuziehen; doch soll die Idee verwirklicht
Carriere: FicfUea Geistesentfßickelung. 327
werden ohne Einbusse. Für die neue Gestaltang derselben
kann kein Qesetz, kein Beispiel, auch nicht das blosse Nach-
denken helfen ; denn die Denkart der Welt und was sich
von ihr erwarten lässt muss in Betracht gezogen werden.
Und hier spricht Pichte das bittre Wort: Wohl alle Männer,
die auf ihre Zeit kräftig gewirkt, dürfen ihre Laufbahn mit
dem innern Geständniss beschlossen haben, dass sie die Welt
nicht für so verkehrt oder so blödsinnig gehalten, wie sich
dieselbe erwiesen. 9 Soll etwas gelingen, so bedarf es bei
allem Nachdenken noch eines sicheren Tactes, welcher nur
durch frühe Uebung und Angewöhnung gewonnen wird.^
Fichte der Sohn hat selber auf ein , Unkünstlerisches' im
Leben des Vaters hingewiesen: innerlich gewissenhaft und
edeltüchtig war er im Verständniss der Lage der Dinge und
der Menschen oft schroiF und ohne die nöthige Rücksicht
seine Massnahmen ihnen anzupassen. Hier sagt er: Der
Gelehrte ist nicht auf fremdes Beispiel oder Urtheil, sondern
auf seinen eigenen guten Willen angewiesen, und der muss
kräftig und unerschütterlich sein gegen die Versuchungen
auch edler Antriebe. Was ist edler als der Trieb zu wirken,
Menschen zu begeistern, ihren Blick auf das Heilige zu
richten? Aber man entheiligt das HeiUge, wenn man es
gemein darstellt, damit es an die Gemeinheit komme. Was
ist edler als die Verachtung alles Gemeinen? Aber man darf
darum doch sein Zeitalter nicht aufgeben oder wegwerfen,
denn man soll doch in ihm das Ideale ausführen. Strenge
Wachsamkeit über sich selbst, zarte Scham vor sich selbst
und ein richtiger Blick und scharfer Tact für das Zweck-
mässige werden damit nothwendige Bildungselemente des
angehenden Gelehrten, da er bestimmt ist meist in einer
Sphäre zu wirken, wo er nur auf sich selbst gestellt ist.
Diese Bildung kann er sich nur erwerben, wenn er in der
Benrtheilung des Zweckmässigen frei sich übt, wenn er seiner
eigenen Aufsicht überlassen ist. So soll er bei Zeiten als ein
22*
328 SUzung der phüosrphiM. Glosse vom 7. Juii 1894.
Freier und Eidler behandelt werden. Der gesittete Mann
wartet nicht bis das Unanständige verboten wird, und unter-
lässt was der Gemeine sich unbedenklich erlaubt. Lasse
man dem Studierenden den Spielraum sich selbst in die Classe
der Wohlgebildeten zu setzen! Das Menschengeschlecht soll
ihm einst wichtige Interessen anvertrauen können, er selbst
soll sich in der Verwaltung derselben vertrauen; dazu muss
er geprüft werden, sich selbst prüfen. Wer im Kleinen ge-
treu gewesen der wird es auch im Grossen sein. Und so
nimmt der Studierende, was auch andere über akademische
Freiheit denken mögen, für seine Person sie in dem rechten
Sinn: «als ein Mittel sich selbst rathen zu lernen, wo die äussere
Vorschrift ihn verlässt, über sich selbst wachen zn lernen, wo
kein andrer über ihn wacht, sich selbst antreiben zu lemeD,
wo es keinen äussern Antrieb mehr gibt, und so für seinen
künftigen hohen Beruf sich zu starken und zu befestigen."
Nun spricht Fichte vom vollendeten Gelehrten. Er
unterscheidet ihn zunächst von dem Studierten, der sich
wissenschafkliche Bildung angeeignet hat ohne schöpferischen
Geist zu offenbaren. Auch ein solcher wird stets die freie
Zeit neben der Berufsarbeit der Wissenschaft widmen, und
darnach trachten sich der Idee zu bemächtigen; ohne diese
rastlose Fortarbeit wäre manches grosse Talent verloren
gegangen, das gerade bei innerer Gediegenheit sich oft lang-
sam entwickelt und im reiferen Alter zur Klarheit kommt.
Aber auch wenn er einem genialeren Manne sich anschliesst,
und die im Streben nach der Idee errungenen B'ertigkeiten
in dessen Dienst stellt, „er selbst für seine Person wird da-
durch nicht zum Mittel herabgewürdigt, dagegen sichert ihn
seine vom Leben überhaupt gewonnene Ansicht auf immer;
er dient im Geist und in der Gesinnung lediglich Gott, und
befördert unter der Leitung seines Oberen Gottes Zwecke in
der Menschheit.* Die aber, deren Leben selbst das Leben
der die Welt gestaltenden fortbildenden Idee ist, theilen sich
Carriere: Fiehtea Geistesenttpickelung. 329
in zwei Hauptgattungen. Die erste befasst diejenigen, welche
selbständig nach eigenem Begriff die menschlichen Angelegen-
heiten zu leiten haben, nicht blos Regenten und Räthe der
Könige, sondern alle welche für sich allein oder in Verbin-
dung mit andern über die ursprüngliche Ordnung mensch-
licher Angelegenheiten zu denken, zu beschliessen, zu ent-
scheiden haben; ^sie greifen geradezu ein in die Welt und
sind der unmittelbare Berührungspunct Gottes mit der Wirk-
lichkeit." Die andern haben den Beruf die Erkenntniss der
göttlichen Idee unter den Menschen zu erhalten, zu höherer
Klarheit und Bestimmtheit zu erheben, und sie in dieser sich
stets ergänzenden und verklärenden Gestalt von Geschlecht
zu Geschlecht fortzupflanzen. Sie sind entweder Erzieher
oder Lehrer, oder sie wirken als Schriftsteller.
Der würdige Gelehrte will kein anderes Wirken und
Leben haben als das der göttlichen Idee in ihm. Dieser
Grundsatz bestimmt sein Denken und Handeln: „So wird
begleitet sein ganzes Leben von dem unerschütterlichen Be-
wusstsein, dass es einig sei mit dem göttlichen Leben, dass
an ihm und in ihm Gottes Werk vollbracht werde und sein
Wille geschehe; er ruhet darum auf demselben mit unaus-
sprechlicher Liebe und mit der unzerstörbaren üeberzeugung,
dass es recht sei und gut. Hierdurch wird nun sein Blick
überhaupt geheiligt, verklärt und religiös; in seinem Innern
geht ihm Seligkeit auf und in ihr stets Freudigkeit, Ruhe
und Stärke; — alles auf dieselbe Weise wie dieses auch der
Ungelehrte, ja der Ällerniedrigste im Volke durch treue Er-
gebung in Gott und durch redliche Erfüllung seiner Pflichten
als göttlichen Willens gleichfalls sich erwerben und geniessen
kann, sodass daher dies keineswegs eine Eigenthtimlichkeit
des Gelehrten ist, und dasselbe hier nur in der Bedeutung
angemerkt wird, dass er dieser religiösen Ansicht seines
Lebens gleichfalls theilhaftig sei und theilhaftig werde auf
dem angezeigten Wege.*
330 Sitzung der phüos.'phüol. Glosse vom 7. Juli 1894.
Diese Worte aus eigenem inneren Erleben herausgeredet
sind ein herrliches Selbstzeugniss Fichtes von seinem reinen
sittlichen Willen und von seiner Religiosität; er der jüngst
des Atheismus Angeklagte stellt hier gegenüber der heut
zu Tage auf so verkehrte Art angestrebten Trennung von
Sittlichkeit und Religiosität die Einheit beider als das höchste
Gut des Menschen dar, das der Arme wie der Reiche, der
Gelehrte wie der Ungelehrte jeder auf seine Weise erwerben
und geniessen kann. In der leidigen Verwechslung von
Religion und Dogmatik, die nun seit hundert Jahren von
deutschen Denkern bekämpft wird, meint man die Ethik
vom Gedanken an Gott abtrennen zu sollen, und macht den
Nutzen zum Götzen, opfert den deutschen Idealismus dem eng-
lischen ütilitarismus. Nicht auf dogmatische Voraussetzungen,
sondern auf unser Gewissen wollen wir die Ethik psycho-
logisch begründen; aber im Gewissen haben wir das Band
der Geisterwelt, haben wir die Stimme Gottes. Fichte sagt:
„Was der Mensch auch immer thun möge, so lange er es
aus sich selber, als endliches Wesen, und durch sich selbst
und aus eigenem Rathe thut, ist es nichtig und zerfliesst in
das Nichts. Erst wenn eine fremde Gewalt ihn ergreift,
ihn forttreibt, und statt seiner in ihm lebendig wird, kommt
wirkliches und wahrhaftes Dasein in sein Leben. Diese
fremde Gewalt nämlich ist immer die Gewalt Gottes. Auf
diesen Rath zu schauen und diesem sich ganz hinzugeben
ist die einzige wahre Weisheit in jedem menschlichen Ge-
schäfte, und darum ganz vorzüglich in dem höchsten, was
dem Menschengeschlechte zu Theil wurde, im Berufe des
wahren Gelehrten.* Statt dessen „was der Mensch aus sich
selbst thut* müssen wir setzen : was er selbstsüchtig thut, in-
dem er sich als endliches Ich in seinem Willen von dem
Unendlichen abscheidet, und ohne Rücksicht auf das Allge-
meine das Seine sucht. Auch dann aber ist sein Thun nicht
nichtig, noch zerfliesst es in das Nichts, sondern es ist böse,
i
Carriere: Fichtes Geistesentwickelung, 331
abtrünnig vom Ganzen und widergöttlich. Andrerseits ist
die Idee nur in der Persönlichkeit lebendig und thätig, und
wir können eigentlich nicht sagen, dass das Selbst in ihr
untergehen und sich aufheben solle, sondern dass es sich
mit ihr erfülle und in ihrer Verwirklichung seine Bestim-
mung erkenne. Es ist vielleicht mehr ein Wortstreit als
eine sachliche Verschiedenheit. Wir sollen und können die
Selbstsucht überwinden kraft des alles durchwaltenden Willens
der Liebe, in welchem wir inne werden, dass wir nicht für
uns allein sind, sondern Glieder eines hohem Organismus sind;
so behaupten wir unser Selbst in Gott. Fichte selbst sagt
in der achten Vorlesung: „Dass ein Gott sei, leuchtet dem
nur ein wenig ernsthaft Nachdenkenden über die Sinnenwelt
ohne Schwierigkeit ein. Man muss zuletzt doch damit enden
demjenigen Dasein, was insgemein nur in einem andern ge-
gründet ist, ein Dasein zu Grunde zu legen, welches den
Grund seines Daseins in sich selber habe, und dem in unauf-
haltbarem Zeitflasse hinfliessenden Veränderlichen ein Dauern-
des und unveränderliches zum Träger zu geben. Unmittel-
bar sichtbar aber und wahrnehmbar durch alle auch äussern
Sinne erscheint die Gottheit und tritt ein in die Welt in
dem Wandel göttlicher Menschen. In diesem Wandel stellt
sich dar die Unveränderlichkeit des göttlichen Wesens in
der Festigkeit und ünerschütterlichkeit des menschlichen
Wollens, das schlechthin durch keine Gewalt von der vor-
gezeichneten Bahn abzubringen ist. In ihm stellet sich dar
Gottes innere Klarheit in der menschlichen Erfassung und
Umfassung alles Irdischen in dem Einen das da ewig dauert.
In ihm stellet sich dar Gottes Wirken nicht gerade in der
Beglückung, sondern in dem Ordnen, Veredeln und Würdig-
machen des menschlichen Geschlechts. Ein göttlicher Wandel
ist der entscheidendste Beweis, den Menschen für das Dasein
Gottes führen können.'
,Wenn du wissen willst was Gott ist, schau an was der
332 Sitzung der phüos.-fiMlöl. Glosse vom 7, Juli 1894.
von ihm Begeisterte thut" — sagt Fichte in der Anweisung
zum seligen Leben, und erinnert an das Wort Jesu: wer
mich sieht der sieht den Vater. Das in sich Begründete,
Dauernde, das die Vernunft denknothwendig als Grund des
Veränderlichen und in anderem Begründeten der Sinnenwelt
erschliesst, ist damit noch nicht der geistige Gott der Religion
und Geschichte, das weiss Fichte gewiss auch so gut wie die,
welche das uns einwenden; aber thatsächlich ist ihm das
sittliche Leben, das nicht in einem Naturmechanismus, son-
dern nur in einem Willen und einer Vernunftidee seine
Ursache haben kann und hat. Dass der ewige Lebensgrund
Vernunft und Wille ist, das beweist ihm der von der Idee
des Ewigen beseelte Mensch. Damit aber, in diesem Zu-
sammenhang ist in der Sache, wenn auch noch nicht im aus-
gesprochnen Bewusstsein des Denkers, der subjective Idealis-
mus überwunden, der das objective Sein erst setzen sollte;
damit ist das Göttliche nicht blos ein nur Werdendes, Sein-
sollendes, sondern das Seiende selbst.
Die achte Vorlesung handelt vom B/Cgenten als dem
Gelehrten, welcher die Idee im Leben der Welt realisirt.
Er bedarf dazu der Kenntniss der gegenwärtigen Welt in
all ihren wesentlichen Gestalten, wie der Anschauung des
Ideals, dem sie angenähert werden soll. Er muss auf das
Ganze wie auf die Theile sehen um nicht durch Fehlgriffe
und vermeinte Verbesserungen im Einzelnen das Ganze zu
desorganisieren. Der untergeordnete Sinn hält sich an das
Bestehende wie an ein Unveränderliches, und in der That
wirken ja darin grosse Geister der Vergangenheit fort; der
leitende Geist erfasst das Ideal und die Wirklichkeit. Nicht
das sinnliche Wohlsein der Menschen in einer kurzen Spanne
der Zeit, sondern ihre Veredlung ist sein Ziel; vor Verach-
tung der Menschen, die kräftigen Männern an leitender
Stelle nahe liegt, bewahrt ihn sein religiöses Gefühl: er
blickt über das was die Menschen thatsächlich sind hinaus
Carriere: FicfUea Oeistesentwickelung, 333
auf das was sie im göttlichen Begriffe sind und demzufolge
werden können, werden sollen, gewiss einst sein werden; er
erkennt sich für einen Diener der Gottheit, „für eins der
körperlich existirenden Gliedmassen, durch welches sie gerade
eingreift in die Wirklichkeit.* Und er weiss, dass er die An-
schauung der Ideen und die Kraft sie zu verwirklichen sich
nicht gegeben, sondern sie empfangen hat, und dass er vom
Seinigen nichts hinzuthun kann als den rechtschaffenen
Gebrauch; er weiss dass dasselbe in eben dem Masse der
Niedrigste im Volk ebensowohl thun kann, und dass dieser
dann in den Augen Gottes den gleichen Werth hat. Indem
aber der Regent seinen Beruf als göttlichen Ruf betrachtet,
gibt ihm das auch Kraft und Recht um des Ganzen willen
von den Einzelnen Opfer zu fordern, wie wenn er einen
gerechten Krieg beschliesst, der um des Vaterlands willen
Gut und Blut der Burger auf das Spiel setzt. Er thut es
im Dienste Gottes, der das Recht auf jedes Leben hat, das
von ihm ausgegangen ist und zu ihm zurückkehrt.
Wenn Fichte meint, dass es einem Edlen eine unwürdige
Bestimmung erscheinen müsse für das sinnliche Wohl der
Menschen in der kurzen Spanne Zeit ihres Lebens zu sorgen,
so hat er vergessen, dass ein menschenwürdiges Leben in der
Verbindung von Arbeit, Müsse und Genuss eine Grundlage
sittlich-idealen Strebens und Wirkens ist, und dass es darum
gewiss auch Sache des Regenten sein wird dafür zu sorgen.
Der Gedanke seiner Jugend: „nicht Glück, sondern Glücks-
würdigkeit** hat auch sein Mannesalter beseelt, und die
stoische Geringschätzung alles Aeussern gegenüber der in
sich festen tugendhaften Innerlichkeit ist ihm geblieben.
Sein ganzes Leben ist ihm „die Vollziehung des göttlichen
Willens an und in seiner Person." Das ist ihm die religiöse
Weihe, und er fügt hier hinzu: „Jedermann bedarf der
Religion, jedermann kann sie an sich bringen, jedermann
erhält mit ihr unmittelbar die Seligkeit; ganz vorzüglich
334 Sitzung der phüos.'pkilol, Glosse vom 7. JM 1894.
bedarf sie der Regent. Ohne in ihrem Lichte sein Geschäft
zu verklären kann er es gar nicht mit gutem Gewissen i
treiben. Es bleibt ihm nichts übrig als entweder Gedanken-
losigkeit und mechanische Betreibung seines Geschäftes ohne
über die Gründe und die Berechtigung desselben je sich
Rechenschaft gegeben zu haben, oder Gewissenlosigkeit,
Verstockung, harter Sinn, und Menschenhass und Menschen- j
Verachtung ... Es ist der Menschheit alles daran gelegen,
dass jene Ueberzeugung vom göttlichen Dasein, ohne welches
sie selbst in ihrer Wurzel in Nichts zergehen würde, in der-
selben nie verschwinde und untergehe, und ganz besonders
muss den Regenten als den höchsten Anordnem der mensch- |
liehen Verhältnisse daran gelegen sein. Theoretisch durch
Vernunftgründe jenen Beweis zu führen oder über die Art
dieser Beweisführung durch die zweite Gattung der Gelehrten
(die Männer der Wissenschaft) zu richten und zu wachen ist
nicht ihres Amtes; dagegen aber föUt die factische Beweis-
führung durch ihr eignes Leben, und diese zwar in der
höchsten Instanz, ihnen ganz eigentlich anheim. Spreche
aus ihrer Verwaltung uns allenthalben Festigkeit und Sicher-
heit, spreche aUseitige Klarheit, spreche ein ordnender und
veredelnder Geist uns an, und wir werden in ihren Werken
Gott sehen von Angesicht zu Angesicht und keines andern
Beweises bedürfen; Gott ist, werden wir sagen, denn sie sind
und er ist in ihnen.*
Dasselbe Ideal stellt nun Fichte auch vom Mann der
Wissenschaft auf, der die Idee im Begriff darzustellen hat,
dessen Beruf es ist das Bewusstsein von ihr in der Mensch-
heit zu immer grösserer Bestimmtheit und Klarheit zu er-
heben. Hier gilt es die Gemüther zur Empfänglichkeit vor-
zubereiten, auf der Schule, die schon durch die Lehrstoffe
der Sprache, der Geschichte die Seele vom Gemeinen fern
zum Edlen führt, und auf der Universität, wo nun die Idee
in den mannigfachen Zweigen der Wissenschaft geschildert
Carriere: FicMes Geistesenttoickelung, 335
wird. Der mündliche Lehrer wird durch sein Wort wie
durch sein Beispiel wirken, indem er in seinem Leben sich
von der Idee beseelt erweist. Er soll die Idee im Ganzen
und in dem Lehrzweig, den er vorträgt, klar erfasst haben,
nnd in allem eine besondere Seite und Gestalt der reinen
Wahrheit aufzeigen, er soll sie auf die mannigfaltigste Weise
einkleiden um die Empfänglichkeit für sie zu erwecken, mit
dem Eünstlertalent des Gelehrten soll er in jeder Hülle und
Umgebung die Funken der sich zu gestalten beginnenden
Idee anerkennen und zum Lichte führen. Dazu gehört dass
seine Mittheilung stefcs neu sei, die Spur des frischen gegen-
wärtigen Lebens trage. Denn nur das unmittelbar Leben-
dige belebt. In frischer Jugend soll er sich erhalten, nichts
sei veraltet und zu todter Gestalt erstarrt, alles aufquellend.
In jedem Worte spreche die Wissenschaft, spreche die Be-
gierde sie zu verbreiten, spreche die innigste Liebe zu seinen
Zuhörern als den künftigen Dienern der Wissenschaft.
Indem Fichte sich in der zehnten Vorlesung zum Lehrer
als Schriftsteller wendet, beginnt er mit harten Worten:
Dieser BegriflF sei so gut als unbekannt; etwas ganz Un-
würdiges usurpire ihn. »Hier ist die eigentliche Schande
des Zeitalters und der wahre Sitz aller seiner übrigen wissen-
schaftlichen üebel. Hier ist das Unrühmliche rühmlich ge-
worden, und wird aufgemuntert, geehrt und belohnt.'' Man
lasse drucken und über das Gedruckte wieder etwas drucken,
an die Stelle andrer aus der Mode gekommener Zeitvertreibe
sei das Lesen getreten. Der neue Luxus fordert immer neue
Modewaaren, und so ist ein neues Gewerbe entstanden, und
bereits ist dieser Nahrungszweig übersetzt, und es wird viel
zu viel Waare geliefert. Der Buchverleger bestellt wie ein
andrer Kaufmann seine Waare bei dem Fabrikanten, und
der Bücherfabrikant arbeitet auf Bestellung. Bei dem An-
drang hat einer — er denkt an den ihm verhassten Nicolai —
den Gedanken aus vielen Büchern wieder ein einziges fort-
336 Sitzung der phQos.'phüdl. Clwse vom 7. JiM 1894,
laufendes Buch in einer Zeitschrift, einer gelehrten Bibliothek,
zu machen, auszuziehen was entweder gediegen ist und
darum als Ganzes studiert und genossen sein will, oder was
in sich werthlos und nichtig ist, und dabei sich noch als
Beurtheiler darüber zu erheben. Indess ein tüchtiges Buch
ist das Werk eines Lebens und erfordert wiederum ein Leben
um gewürdigt zu werden. Nun aber steuern viele mit und
ohne Namen zu den Auszügen bei, und setzen und finden
eine Ehre darin stets auf das zu merken was andre gedacht
haben, und damit die auf Zusammenhängendes gerichtete
Thätigkeit zu unterbrechen. Man sagt: dadurch wird das
Publikum angeregt und für grosse Werke vorbereitet; viel-
mehr wird es dadurch verkehrt, verbildet, für das Rechte
verdorben.
Niemand wird leugnen dass die Schattenseite des Schrei-
bens und Lesens richtig 'gezeichnet sei, dass der heutige
Journalismus sie noch gar sehr verbreitet und verdunkelt
hat. Und doch wird man dem Eledner die Lichtseite ent-
gegenhalten: das Licht, das auf diese Weise für Millionen
angezündet wird, die Heranziehung aller Volksgenossen in
das geistige Leben, zur Betheiligung an den grossen Fragen,
welche die Menschheit bewegen. Die Wächter des Gesetzes,
die Fichte im Naturrecht forderte, in einem Ephorat suchte,
das neben der Regierung stehe, statt es in den Volksver-
tretern zu finden, sie sind doch eigentlich die öffentliche
Meinung wie sie durch die Presse gebildet wird; die Presse
beruft das ganze Volk zur Versammlung, hält Gericht,
warnt, und hütet das Recht. Das ist ihre ideale Bedeutung.
Aber der Schaden der Halbbildung unter den Schreibenden
wie unter den Lesenden ist nicht geringer geworden am
Ende als am Anfang des Jahrhunderts. Um so wichtiger
ist es, dass sich ihm der wahre Schriftsteller entgegenstellt,
wie ihn Fichte nun schildert: ,Er soll die Idee ausdrücken
in der Sprache auf eine allgemein giltige Weise, in der voll-
Carriere: Fichtes Geist esentwickelung, 337
endeten Form. Die Idee muss in ihm so klar, lebendig und
selbständig geworden sein, dass sie selbst in ihm sich offen-
bart in der Sprache, und dieselbe in ihrem innersten Princip
durchdringend, durch ihre eigene Kraft aus ihr einen Körper
sich aufbauet. Die Idee muss selber reden, nicht der Schrift-
steller. Alle Willkür des letzteren, seine ganze Individualität,
seine ihm eigne Art und Kraft muss erstorben sein in seinem
Vortrage, damit allein die Art und Kunst seiner Idee lebe,
das höchste Leben, welches sie in dieser Sprache und in
diesem Zeitalter gewinnen kann." Da haben wir bereits bei
Fichte die Personification der Idee, den mythologischen Aus-
druck, wie wenn sie eine thätige Subjectivität wäre, während
sie doch nur den Gehkit und Gedanken einer solchen aus-
drückt, — und dabei die Verkennung der Individualität, die
bei Fichte ein Gegenschlag gegen die Vergötterung des
menschlichen Ichs war, das man ihm schuldgegeben. In
dem Briefwechsel, der sich wegen Fichtes Abhandlung über
Geist und Buchstab in der Philosophie entepann, hatte
Schiller ihn bereits darauf hingewiesen: Schriften, deren
Werth in den Resultaten liegt, werden entbehrlich, wenn
der Verstand diese auf einem leichteren Wege findet; „da-
gegen Schriften, in denen ein Individuum lebend sich ab-
drückt, nie entbehrlich werden und ein unvertilgbares Lebens-
princip in sich enthalten, eben weil jedes Individuum einzig,
mithin unersetzlich und nie erschöpft ist. Ich will nicht
blos meine Gedanken dem andern deutlich machen, sondern
ihm zugleich meine ganze Seele übergeben und auf seine
sinnlichen Kräfte wie auf seine geistigen wirken.** Fichte
selbst nähert sich dieser Ansicht, wenn er sagt: Das Werk
des Schriftstellers sei in sich selber ein Werk für die Ewig-
keit. „Mögen künftige Zeitalter einen höheren Schwung
nehmen für die Wissenschaft, die er in seinem Werke nieder-
gelegt hat; er hat nicht nur die Wissenschaft, er hat den
ganz bestimmten und vollendeten Charakter eines Zeitalters
338 Sittung der phüoa.'phüol. Clasae vom 7. Juii 1894.
in Beziehung anf diese Wissenschaft in seinem Werke nieder-
gelegt, und dieser behält sein Interesse, so lange es Menschen
auf der Welt geben wird. Unabhäogig von der Wandel-
barkeit spricht sein Buchstabe in allen Zeitaltem au alle
Menschen, welche diesen Buchstaben zu beleben vermögen,
und begeistert, erhebt, veredelt bis an das Ende der Tage/
— Weil eben ein lebender begeisterter Mensch in dem Werke
sich ausgeprägt und durch seine Persönlichkeit den Charakter
des Zeitalters selbst bestimmt, weil die Idee in ihm selbst
individuelle Gestalt gewonnen, — so können wir im Sinne
Schillers ergänzend hinzufügen.
Nachdem Fichte die Reden an die deutsche Nation, die
Anweisung zum seligen Leben vor gebildeten Männern und
Frauen in Berlin vorgetragen, ward die Universität errichtet,
und er behandelte von neuem die Wissenschaftslehre in seinen
Vorlesungen. Immer klarer erkannte er, dass das Ich, die
sich selbstbestimmende Thätigkeit als das göttliche Leben
einen Kern der Realität in sich trage; während er festhielt,
dass das Lebendige nicht aus dem Todten, einem ruhenden
objectiven Sein entspringen könne; aber im Geist, in der
Thätigkeit, trachtete er ein in sich Gefestetes und Beruhendes
zu erfassen. Das Absolute ist ohne Wandel und Wanken
durch sich selbst ein ewiges Werden und Wirken. Es ist
Denken, oder wie Fichte jetzt lieber sagt. Wissen; es ist
Spontanität und Freiheit, wie er stets gelehrt; nun betonte
er die Ruhe in der Bewegung, das sich selbst gleichbleibende
in der Entwicklung, ein Inneres in dem sich Aeussernden«
ein Wesen in der Erscheinung als das in ihr sich Erschei-
nende; das Wissen wird zum Bilde eines Realen, und in
allen Gebilden der productiven Einbildungskraft waltet eine
seiende Actuosität, „ein freies Licht, das sich erblickt als ein
seiendes, ein seiendes, das auf sich ruht als freies. Was
heisst Sein anders als Beruhen auf sich, Aufgehen in sich,
absolut mit und durch sich befriedigt?* So ist das Wissen
Carriere: Fichtes Geistesentunckelung, 339
das Für-sich des Seins, das Sein nie und nirgends ein todtes,
sondern das im Wissen sieh Bethätigende, die absolute Ver-
nunft. Allem Denken und Wissen als Thätigkeit geht voraus
das reine Sein des Absoluten, die Möglichkeit des Denkens
und WoUens. Einfach mögen wir sagen: Wir müssen sein,
real sein um denken und uns selbst als Ich erfassen und be-
stimmen zu können. Das Bewusstsein ist das Fürsichsein
des Absoluten, dem sein Ansichsein zu Grunde liegt, wie
Fichte wieder selbst betont. So kann er von einem Ueber-
seienden. Hyperabsoluten reden, einem Wesen, das in allem
Wirken sich erhält, die Möglichkeit alles Wirkens, die
unendliche Thätigkeit des reinen Willens, die allem bestimmten
Wollen vorausgeht. Dies ürver mögen, diesen stets reinen
seligen Urquell alles Lebens nennt Fichte nun Gott.
Alles Mannigfaltige auf die ursprüngliche Einheit zurück-
zufahren, sodass das Mannigfaltige sich durch das Eine und
das Eine sich durch das Mannigfaltige begreifen lasse —
heisst nun die Aufgabe der Philosophie. Das Absolute nennt
Fichte nun gerne das Licht, das in sich eins im Ausstrahlen
sich manifestirt und sich selber manifest wird, aber in aller
Spaltung und Unterscheidung doch in einer Einheit in sich
bestehen bleibt, der fortströmende Quell und die innere
Wahrheit in allem Mannigfaltigen. Das Princip aller Wirk-
lichkeit kommt in ihr zur Erscheinung, das Innere wird im
Aeussem offenbar, das Insichsein des Absoluten ist der Träger
von allem, sein Sehen und sein Bild ist seine Bethätigung,
und so ist die absolute Thätigkeit Verstand und Wille, ein
Verstehen ihrer selbst. Das Ich wird hier also die Be-
thätigung und die Selbsterfassung des Seins.
So spricht Fichte in den Reden an die deutsche Nation
von Gott als dem in sich Einen, Unsichtbaren, dem Mehr
denn alle Unendlichkeit, in dem seine Philosophie das wahre
Sein findet. Zeit und Ewigkeit und Unendlichkeit erblicke
sie in ihrer Entstehung aus dem Erscheinen und Sichtbar-
340 Sitzung der phüos.'phäol, Glosse vom 7. Jtdi 1894.
werden jenes Einen, als das Mittel, woran das Einzige das
da ist sichtbar werde, und worin ihm ein Bild seiner selbst
erbaut werde. Innerhalb dieses Bilderkreises trete das un-
sichtbare unmittelbar heraus als freies und ursprüngliches
Leben des Sehens oder als Willensentschluss eines vernünf-
tigen Wesens, und dies erkennet wieder dass es nichts ist
ausser dem Absoluten, dem einzig Wahren.
So ergibt sich als Fichtes Ueberzeugung : Gott ist und
nur er ist; alles besteht und lebt durch ihn und in ihm;
aber er geht nicht auf in der Erscheinung, er bewahrt in
sich ein in sich ruhendes Leben, sein Sein selbst aber ist
Thätigkeit, durch die er sich bestimmt und er^asst.
Diese vertiefte und erweiterte AufiFassung bildet den
Ausgangspunct für die 1811 in Berlin gehaltenen fünf Vor-
lesungen über die Bestimmung des Gelehrten. Er bleibt dem
Grundsatz getreu: „das Ideal in all seiner Schärfe, Klarheit
und Bestimmtheit, und zwar so lebendig und begeistert als
man kann hinzustellen, und das Streben der Menschen ihm
gleichzukommen, wie es sich auch mit der Erreichung ver-
halte, anzufeuern — das ist das Einzige was Menschen für
Menschen thun können, und das Höchste. '^
Der Gelehrte ist ein Wisser. Das Wissen ist nicht
blos, wie man gewöhnlich meint, die Abspieglung eines
äussern Daseins, es ist auch praktisch, ein Sein begründend,
ein Handeln fordernd und vorzeichnend. So entspricht ihm
zunächst kein Gegenstand, noch wird es durch einen Gegen-
stand bestimmt, sondern es wird durch sich selbst gestaltend
und wirkt fortbildend auf die Wirklichkeit. Wir wollen
machen nicht was da ist, sondern was nicht ist, nach einem Be-
grifiF, nach einem Vorbild für das Sein. Darum wer von
Handeln redet und die Apriorität des Wissens leugnet, der
widerspricht sich selbst ins eigne Angesicht. „Ein prak-
tisches Wissen ist also ein durch sich selbst bestimmtes, ein
blosses Gesicht, wie die deutsche Sprache das griechische
Carriere: Fichtea Geistesentwickelung. 341
Wort Idee trefflich ausdrückt, ein solches das selbst deutlich
sich ankündigt als dasjenige dem die Realität nicht entspreche,
das kein äusseres Dasein habe, sondern nur ein inneres, und
das mit keinem ausser sich, sondern nur mit sich selbst über-
einstimme: ein Gesicht also aus der übersinnlichen und
geistigen Welt, die durch unser Handeln wirklich werden
und in die Sinnen weit eingeführt werden soll." Ein blos
wiederholendes Wissen hat diesem werthvoUen Wissen gegen-
über keinen Werth. Der Gelehrte soll nicht blos das ge-
gebene Sein wiederholen, sondern Gesichte sehen aus dem
übersinnlichen Sein. Wer das Gegebene blos abspiegeln
wollte, der gäbe sein eignes Wesen auf und erniedrigte es
zum blossen Schatten von Erscheinungen. Das wahre Wissen
ist durch sich selbst bestimmt; ,es ist das Bild des inner-
lichen Seins und Lebens der Gottheit; denn Gott allein ist
das wahrhaft Uebersinnliche und der eigentliche Gegenstand
aller Gesichte.* Als Bild Gottes wird das Wissen durch das
Erscheinen Gottes in ihn getragen. Wer nicht in dies reine
durch sich selbst bestimmte Wissen hineinkommt, der weiss
in der That gar nicht. Die Sinnenwelt und ihre Abspieglung
ist nur ein Mittel der Erkennbarkeit der wahren Welt und
soll dazu dienen, daaa es zum Bilde Gottes im Erkennen
komme. Das ewige Urbild Gottes, in sich unendlich, ent-
wickelt sich in der Zeit, und ist Grund, Gesetz und Muster
einer immerwährenden Fortbildung, die sich als solche an-
reiht an das vorher Gebildete; das Erscheinen Gottes ist ein
ewiges Bilden, in dessen Strom neue Gesichte ihren Geist aus
Gott, ihre bildliche und körperliche Gestaltung aus der
Sinnen weit entlehnen; sie sind also bedingt durch die vorher-
gehenden Darstellungen der Idee in der Erscheinung, und
so sind Sinnenwelt und übersinnliche durchaus vereinigt und
unabtrennbar, und bilden nun in dieser Vereinigung ein
ewiges ganzes und wahres Wissen. Die übersinnliche Welt
offenbart sich in immer neuen Gestalten, und darum muss
1894. Phüos.-philol. u. hiat. Cl. 2. 23
342 Sitgung der phüos.'phüdl, Glosse vom 7. JvHi 1894.
eine Sinnenwelt ihr immerdar gegenüberstehen, und diese
Sinnenwelt wird ins Unendliche fortgebildet nach Gottes
Bilde, and an sie, wie sie schon das Gepräge der übersinn-
lichen Welt trägt, fugt die neue Offenbarung sich an, und
tritt aus der ünsichtbarkeit in eine neue sichtbare Gestalt,
und tritt ein nur in ein solches Auge, das an dem Anblicke
der erneuten Gestalt der Sinnen weit schon verklärt ist. Das
göttliche Bild ist aus sich selbst immerfort schöpferisch, und
tritt hervor, damit die Welt nach ihm fortgebildet werde,
und nur in diesem Zusammenhange des Seinsollenden mit
dem Gewordenen besteht die Fortbildung, der Welt und wird
die übersinnliche als eine sich fortentwickelnde sichtbar.
,Dies eben und dies allein ist der Zweck alles Daseins: dass
Gott verklärt werde, dass sein Bild immerfort in neuer Klar-
heit heraustrete in die sichtbare Welt; nur in dieser Ver-
klärung Gottes rückt die Welt weiter, und alles eigentlich
Neue in ihr ist die Erscheinung des göttlichen Wesens in
neuer Klarheit; ohne diese steht die Welt still und geschieht
nichts Neues unter der Sonne. Und so wird denn der Wisser
durch sein thätig gewordenes Wissen zur eigentlichen Lebens-
kraft in der Welt und zur Triebfeder der Portsetzung der
Schöpfung. Er ist der eigentliche Vereinigungspunct zwischen
der übersinnlichen und der sinnlichen Welt, das Glied und
Werkzeug, womit die erste in die andere eingreift." Die
übersinnliche Welt wird indess allen Menschen angeboten
und kann jedem erscheinen; ein von ihr beseeltes Gemüth
heisst das religiöse. Es lebt in der Sinnenwelt und thut was
auch der sinnliche Mensch thun könnte, aber es thut alles
um Gottes willen, damit Gottes Wille geschehe. In wem
aber ein neues Gesicht Gestalt gewinnt, der soll die Welt
nicht lassen wie sie ist und sie tragen um Gottes willen,
sondern er soll sie anders machen um Gottes Willen und
bilden nach Gottes Bild. , Wahre wissenschaftliche Be-
geisterung geht entweder von der Religion aus oder sie führt
Curriere: Fichtea Geistesenttoickelung. 343
zu derselben hin.* Der Gelehrte wie der üngelehrte kben
in der völligen Hingabe ihres Willens an Gott; sie wollen
dass sein Wille geschehe; dieser wirkt in dem einen znr
Erhaltung, im andern zur Fortbildung der Welt. Der Ge-
lehrte bedarf der empirischen oder historischen Kenntniss
der Welt, denn sonst kann er sie nicht organisch weiter
bilden; erst durch die wirkliche Erfahrung kommt der Keim
des Geistigen zu der klaren Gestalt, die ihm gestattet in die
Wirklichkeit einzugreifen.
Von jeher sind neue Ideen nur Einzelnen offenbar ge-
worden, die sie dann den Andern vermittelten. Anfänglich
hat in der Menschheit ein Vernunftinstinct gewaltet, der
sie die Worte der Seher verstehen und sich ihnen anschliessen
Hess; die Begeisterung der Propheten genügte als Zeugniss
der Wahrheit; man hatte eine gemeinsame Anschauung der
Idealwelt wie der Sinnenwelt. Und so entstanden die Religion,
die Künste, durch welche die Menschheit der Naturkräfte
mächtig wurde, die Ordnungen des gemeinschaftlichen Lebens.
So musste es sein um einem zweiten Zeitalter es möglich zu
machen, dass es mit Freiheit sich aus- und fortbilde. Was
Fichte früher einem ürvolk zuschrieb, von welchem die Cultur
sieh verbreitet habe, das wird jetzt Sache der leitenden Vor-
sehung und der natürlichen Vernunftanlage. Aber unter
dem Vernunftinstinct konnte die Welt nicht bleiben. »Das
Menschengeschlecht ist bestimmt mit absoluter Freiheit in
jedem Einzelnen zu allem selbst sich zu machen was es sein
soll, und nichts in sich zu behalten das nicht sei Erzeugniss
dieser Freiheit. Es soll geistig sein und zu dieser Geistigkeit
sich selbst erheben.^ Darum zerriss das Band, das alle unter-
einander und an die übersinnliche Welt knüpfte, damit jeder
den Eingang in diese selbst finde. So wie die Menschen
fähig sind auf eigenen Füssen zu stehen, werden die begei-
sterten Seher nun Künstler und Dichter, welche die Gesichte
nicht zur Verwirklichung, sondern einfach zur Anschauung,
23*
344 SitEung der phOos.'phäol, {Jlasse vom 7. Jtdi 1894.
znr Gemüihserhebung ausprägen; oder in so fem die Ideen
einen wirklich hervorzubringenden Weltzustand fordern,
werden die Seher zu Gelehrten, zur Gelehrtengemeinde.
Wirkten die Gottbegeisterten früher wie Naturgewalt, so
müssen sie sich jetzt an die klare Einsicht wenigstens der
Mehrheit des Menschengeschlechts wenden. Sie wissen dass
sie das absolute Soll für alle anschauen, sie können ihre
göttliche Sendung nicht durch Wunder darthun, und es ist
das gute Recht der Menschen, dass sie den Willen Gottes
nicht wie etwas Fremdes erfahren, sondern sie wollen ihn
yemehmen in sich selbst; sie wollen ihn selbst klar ein-
sehen, an ihre Einsicht gilt es also sich zu wenden. Mit
Zwang, mit Täuschung ist nichts mehr, ist auf die Daaer
nichts auszurichten, Einsicht muss eingreifen in die Einsicht
und. so in das Leben. Immer wird die Aufgabe sein neue
Gesichte dem Verständniss des Volks fasslich zu machen in
einem zusammenhängenden Leben der Ersten und Letzten.
Dazu müssen die Gelehrten Gelehrte erziehen, dazu die Volks-
bildung fortentwickelt werden. Dazu bedarf es der Gemeinde
der Gelehrten. Sie sollen sich und das Volk einander ent-
gegen erziehen zum Wechsel klarer Einsicht. Früher ergriff
der Begeisterte unmittelbar die Umgebung; jetzt muss er
durch die Vernunft, durch die Wissenschaft überzeugen. Da
vermag der Einzelne allein gar wenig; seine Eiraft und Eigen-
thümlichkeit einflössend durch das Ganze und wiederum sich
fortbildend nach dem Ganzen ist er etwas.
, Schon die Trennung des Dichters vom wissenschaftlichen
Menschen und insbesondere vom Philosophen beweiset, dass
ein veränderter Weltzustand nun eingetreten ist und dass das
Menschengeschlecht nach klarer Einsicht ringt" — damit
erkennt Fichte dass ein Weltalter des Geistes eingetreten ist,
wie ich solches in meinem Buch über die Kunst und in der
sittlichen Weltordnnng dargethan; wie ich dort erörterte,
dass auf das Naturideal des Alterthums, auf das Gemüthsideal
Carriere: Fichtea Geist esentwickelung. 345
seit Buddha, Jesus und Muhammed nun das Ideal des Geistes
in der Kunst dargestellt wird, so wie wir Natur, Gemüth
and Geist als die drei Urmomente unseres eigenen Lebens
betrachten. Waren frtlher Natureindrücke, war dann die
Religion vorwaltend und bestimmend, so wird seit Cartesius
und Newton die Wissenschaft zur tonangebenden Macht in
der Menschheit. Dazu haben Kant und Fichte mit der
Natnrforschung hingeleitet, und in Lessing, Goethe, Schiller,
Byron, Cornelius, Beethoven wird auch auf dem ästhetischen
Gebiet in Wort, Bild und Ton die Kunst des Geistes o£fenbar.
Diese neue Periode der Weltgeschichte hat Fichte ver-
standen. Er sagt: ^In der ersten Zeit strömte das Gesicht
(das Ideale) durch die Fortpflanzung der Begeisterung, welche
die Kluft zwischen ihm und dem wirklichen Leben ausfüllte,
unmittelbar aus in That; in der neuen Zeit wendet es sich
zunächst an die allgemeine klare Einsicht und beabsichtigt
zuvörderst allgemeine Erleuchtung, und erst dieser zufolge
die That. Es ist jetzt gleichsam eine neue Mittelwelt ent-
standen, eine Sinnenwelt im Innern des Menschen, die An-
schauung der gegebenen Welt, die jeder hat, und seine Be-
griffe von dem in ihr Begehrungswerthen; und diese neue
Welt ist eingetreten zwischen der ewig sich gleichbleibenden
übersinnlichen und zwischen der äussern Sinnenwelt. Jetzt
denken die Menschen zuvor, ehe sie handeln, sie überlegen
und wählen, und durch dies alles wird ihr Handeln geleitet,
und so ist von nun an die erste Aufgabe die, die Weltan-
schauung eines jeden nach der übersinnlichen Ordnung der
Dinge zu bilden, und diese zuerst einzuführen in sein Auge,
Yon welchem ans sie leicht sich auch seiner Hand bemäch-
tigen wird.*
Die Thätigkeit für die übersinnliche Weltordnung ist
nun eine zweifache: einmal für Erleuchtung der Wissenden
selbst und des Volks, dann für die Gestaltung der Lebens-
verhältnisse nach den auf dem Boden wirklicher Erfahrung
34(3 Sitzung der phüosrphüol. Glosse vom 7, JuU 1894.
gereiften Einsichten. Diese, die Staatsverwaltung im höheren
Sinne, soll die Gesellschaft erhalten und vervollkommnen; sie
macht die Gelehrtenbildung durch, und hat entweder selbst
Gesichte oder verwirklicht solche als Organ des ihr inne-
wohnenden Geistes. Doch sind beide Sphären gesondert.
Denn was noch gelehrt werden muss als gefordert durch die
übersinnliche Weltordnung ist zur Ausführung im Leben
noch nicht reif, und was wirklich ausgeführt wird ist nicht
mehr ein blosser Lehrsatz, es liegt offen vor allem Volk und
wird Menschengeschichte. Indess auch der Lehrer führt ein
wirksames Leben: er bildet die Denkart, durch welche der
Wille erleuchtet wird; denen die das für unpraktisch halten
ruft Fichte zu: ,Wenn ihr und eure Thaten, die ihr allein
für That wollt gelten lassen, längst vergessen sein werden^
wird seine Lehre dastehen als That und als das lebendigste
und kräftigste Sein.*
Die Gelehrtenbildung führt den Menschen ins Innere,
und macht ihn auf dem Boden des Innern Sinnes heimisch,
indem sie das Denken und Wissen als freie Kunst üben
lehrt, und gewohnt im Geistigen frei zu gestalten wird er
den flüchtigen Blitz gottlicher Erleuchtung leicht fesseln um
ihm Gestalt, Begriff und Wort zu geben; sie stellt den Ge-
sichten einen festen Vorgrund hin, an dem sie sich brechen,
abspiegeln und aufgefasst werden können. Desshalb ist sie
nicht blos Gedächtnisssache, sondern Bildung des innern
Menschen das Leben zu sehen und zu verstehen; und sie
sollte mit der Bildung für die schöne Kunst, zumal für die
Poesie stets verbunden sein. Jeder Mensch soll einmal selb-
ständig werden und die Leitung seines Lebens selbst über-
nehmen; um so mehr soll es der Gelehrte, welcher ja die
Führung der Menschheit übernehmen soll, — von diesem
Gedanken aus fordert Fichte die akademische Freiheit, wenn
die Zucht der Schule vorangegangen, die den Zögling vom
Gemeinen fern gehalten und aufs Edle gerichtet hat. Der
Garriere: Fichtes Geistesentmehelung. 347
Studierende soll zum Leben und Wirken in der Welt wie
sie ist gebildet werden; er muss sie kennen lernen. Nach
einigen harten Worten weist Fichte die Ansicht zurück, als
solle der Jüngling in ungezügelter Sinnenlust das Leben
gemessen; so werde er sich verderben; oder er solle aus-
toben, da jedem ein Mass von Thorheit und Rohheit be-
schieden sei. Thorheit und Rohheit wachsen, wenn man
sich ihnen überlässt; sie und Ausschweifungen verwüsten die
Gesundheit des Leibes und die Seele. Sein eigener Erzieher
soll der Jüngling sein, im Innern Leben, in der Selbstent-
wicklung des Geistes Friede und Freude haben. Er erwirbt
die Kenntniss der Welt, er übt den Verstand, und wenn er
dann auch keine schöpferischen Ideen hat, kein freischafifen-
der Künstler wird, so findet er im Anschluss an führende
Geister seine Stelle im Leben; denn unsere Bestimmung ist
Leben und Wirken.
Fichte fasst in der Schlussvorlesung seine Ideen zur
Uebersicht zusammen: „Die Weltschöpfung aus Gott ist
keineswegs vollendet und Gott zur Ruhe gebracht, sondern
das Erschaffen geht immerwährend fort und er bleibt der
Erschaifende; indem ja auch der unmittelbare Gegenstand
seiner Schöpfung nicht ist eine träge und stehende Körper-
welt, sondern das freie und ewig aus sich selbst quellende
Leben. Die eigentlich wahre Welt, für welche allein eine
Körper weit ist, ist die geistige, das Leben und Denken der
Menschen, aber als eine Welt, das ist als eines Ganzen und
einer Gemeinde; denn der Einzelne ist nur im Ganzen und
hat seine Beziehung auf dieses Ganze. Diese Welt ist es,
welche Gott unmittelbar stets fortschafft nach seinem Bilde,
indem er immer fortfahrt sein Bild in ihr zu entwickeln zu
neuer Klarheit. Diese geistige Fortschöpfung hebt unmittel-
bar an in einzelnen Puncten der Geisterwelt als geistiges
Gesicht; in diesen Einzelnen durchaus sich selbst machend
als Anschauung und dem Menschen keine Freiheit lassend
348 Sitzung der phüos.-phÜol. Glosse vom 7. JvAi 1894,
oder Selbständigkeit in dieser Angelegenheit des Gesichtes.
Hierin ist der Mensch durchaus nichts durch sich selbst, son-
dern alles durch Gott. In diesem Puncte aber schliesst sich
auch das unmittelbar gottliche Wirken, und yon ihm aus
bedient sich Gott der Freiheit und Selbständigkeit des
Menschen um die Wirkung von dem einzelnen Punct aus,
worin sie hervorbrach, fortzupflanzen auf das ganze Geschlecht.
Die gesammte Geisterwelt als eins genommen ist frei, und
darin besteht ihr eigentliches von dem Leben Gottes ver-
schiedenes Leben. Sie liegt als frei zwischen einem doppelten
Sein, zuvörderst demjenigen, welches in ihr unmittelbar wirkt,
Gott, sodann demjenigen, welches sie selbst hervorbringen
soll als das Nachbild jenes ersten Seins. Da wo das wirk-
liche Leben der gesammten Geisterwelt geworden ist zum
vollständigen Abdruck jenes ersten in einzelnen Puncten
offenbarten Seins, ist hervorgebracht das geforderte zweite
Sein, — und die Fortschöpfung der Welt rein von Gott aus
kann nun weiter schreiten. Es ist die eine Freiheit aller,
der gesammten Gemeinde, durch welche das in einzelnen
Puncten begonnene Bild Gottes verbreitet wird über alle.
Es ist darum eine gemeinsame Freiheit des Ganzen, und die
Freiheit der Einzelnen ist nicht abgesondert und beschränkt
auf sich selbst, sondern jede Freiheit greift ein und wirkt
auf die Freiheit der übrigen, und es ist zwischen der ge-
meinsamen Freiheit aller ein gemeinsames Band.*
^Ein Ich, das durch seine Selbstbestimmung zugleich
alles Nicht-Ich bestimmt* bezeichnet Fichte als Idee der
Gottheit in jenem ersten Wort von seiner eignen Philosophie,
das er 1792 in der Becension des Aenesidemus aussprach;
„Gott als Realgrund der Gesammtheit der Einzelnen und
das ideale Band aller* war in einem Brief an Schelling
der Ausdruck seiner Ueberzeugung im Sommer 1801. Beides
stimmt zusammen mit der eben erwähnten Darstellung. Das
Ich ist das sich selbst Setzende, Selbsterfassende. Alles
Carriere: Fiehtes Geist esenttoickelung, 349
individuelle Dasein ist Gebilde, ist Aeusserung des Einen,
Ewigen, unendlichen, das in sich lebendig um anschaulich
zu werden sich in eine Fülle der endlichen Ich unterscheidet,
spaltet, weil nur innerhalb der individuellen Form Selbst-
bewusstsein und freies Handeln möglich ist. So lehrt er
1810 in den Thatsachen des Bewusstseins. In einem System
des Naturmechanismus als dem ursprünglichen objectiven
Sein fand er keine Stelle fär Freiheit und Sittlichkeit, diese
unmittelbar gewissen Erlebnisse. So erfasst er das Sein als
sich selbstbestimmende Thätigkeit, und um nicht aus dem
Todten das Lebendige hervorgehen zu lassen, sondern das
Lebendige als das Erste und Ursprüngliche zu gewinnen war
sein erster Gedanke: Das Ich, das Selbst, dies uns unleugbar
Gewisse, ist das Sichselbstsetzende, Selbstschöpferische, und
alles, alles Andere ist das in ihm von ihm Gebildete. Um
sich als Ich selbst anzuschauen setzt es sich das Nicht-Ich
entgegen, um es erkennend oder handelnd wieder in sich
aufzunehmen oder nach sich zu bestimmen. So ist es das
in sich unterschiedne und mit sich selbst zusammengeschlossene
Eine. Fichte ging aus von sich selbst, dem individuellen Ich;
in der ersten Darstellung der Wissenschaftslehre aber spielen
das endliche und unendliche Ich ineinander, und entstand
der Schein als ob er selbst alles in sich und durch sich her-
vorbringe und allein da sei. Dem setzte er selbst den Ge-
danken Gottes als der sittlichen Weltordnung, als des sich
verwirklichenden Vernunftwillens entgegen, und bezeichnete
nun als Leben und Liebe was er früher Ich genannt hatte.
Alle Individuen sind in der einen grossen Einheit des reinen
Geistes eingeschlossen — das war schon das letzte Wort der
ersten Wissenschaftslehre; wenn er hinzufügt: diese Einheit,
hergestellt auch durch den sittlichen WiUen der Individuen,
sei ein ewig unerreichbares Ideal, so musste er das Schiefe
dieser Fassung selbst inne werden, da ja das wahrhaft
Seiende dann niemals wirklich wäre; was er sagen wollte:
350 Siteung der phüas.-phüol, Glosse vom 7. JtUi 1894.
diese Einheit sei der fortwährende Process der Selbstverwirk-
liehnng, das bezeichnete er durch den Begriff der sittlichen
Weltordnung. Das Ich als sich selbst bestimmende Thätig-
keit war ihm das Seinsetzende. Es ist in der That das die
Geistigkeit Setzende, in die Geistigkeit sich Einsetzende,
durch Selbsterfassung sich als Selbst Hervorbringende; aber
es kann dies doch nur sein, wenn es der Realgrund dieser
Thätigkeit ist; wir müssen es als seiend voraussetzen, wenn
es im Selbstbewusstsein seiner inne werden soll; nur dass
ihm kein todtics ruhendes Sein vorausgeht, sondern da&s sein
Wesen eben sich selbstbestimmende Thätigkeit ist. und
demgemäss suchte Fichte auch den Begriff des Seins, des
Absoluten, nicht als eines Objectiven, Gesetzten, Todten,
sondern als Urquell des Lebens und der Thätigkeit zu ge-
winnen. Dieser Grund und Urquell war ihm nun das Gött-
liche, das in aUem sich offenbart, zur Erscheinung kommt,
seine Einheit in der Fülle der individuellen Geister entfaltet,
in ihrer Anschauung und als Basis und Material ihres sitt-
lichen Wirkens die Natur gestaltet und in den individuellen
Geistern sich als Ich erfasst, seiner bewusst wird, und als
das Band aller lebt, fortwährend im Einzelnen durch neue
Offenbarungen, Ideen, Gesichte sich fortschöpferisch, welt-
fortbildend erweist.
Dass das ewig Eine um sich selbst anschaulich, seiner
selbst inne zu werden sich zur Mannigfaltigkeit erschliesst
und entfaltet, dass es nur in dieser Selbstunterscheidung sich
als Selbst erfassen, als das schöpferische Eine von den vielen
Gebilden unterscheiden kann, das scheint mir auch hier der
bleibende Wahrheitskern. Aber dass Fichte es nur in den
Einzelwesen, nicht in seiner Einheit selbstbewusst sein lässt,
das war eine selbstgezogene Schranke, die ihn stets in ihrem
Bann gehalten hat. Im Centrum seines Denkens und Wir-
kens, als er Gott als ordnendes Princip im Begriff der sitt-
lichen Weltordnung erkannte, da sprach er die verhängniss-
Garriere: Fichtes Geistesenttoickelung. 351
vollen Worte: »was nennt ihr denn Persönlichkeit und Be-
wusstsein? Doch wohl dasjenige was ihr in euch selbst ge-
funden, an euch selber kennen gelernt und mit diesem Namen
bezeichnet habt? Dass ihr dieses aber ohne Beschränkung
und Endlichkeit schlechthin nicht denkt, kann euch die ge-
ringste Aufmerksamkeit auf eure Construction dieses Begriflfes
lehren. Ihr macht sonach dieses Wesen durch die Beilegung
eures Prädicats zu einem endlichen, zu einem Wesen eures
Gleichen, und ihr habt nicht, wie ihr wolltet, Gott gedacht,
sondern nur euch selbst im Denken vervielfältigt/ Und so
behauptete er in der gerichtlichen Vertheidigung gegen die
Anklage des Atheismus: dass jede Bestimmung eine Be-
schränkung sei; er habe gesagt: ein ausserweltlicher Gott
werde damit zu einem endlichen Wesen (und dies ist voll-
kommen richtig); er werde es, wenn man den Begriff von
unserm eigenen begreiflichen Bewusstsein auf ihn anwende,
da derselbe nothwendig Schranken bei sich führt. In dieser
Rücksicht habe er das Selbstbe wusstsein Gottes geleugnet;
der Materie nach sei Gott Intelligenz, geistiges Leben und
Thätigkeit. Seitdem ist vielfach behauptet worden: Absolut-
heit, Unendlichkeit und Selbstbewusstsein seien einander aus-
schliessende Begriffe; unser selbst würden wir nur in der
Unterscheidung von Andern bewusst, das Unendliche aber
habe nichts Anderes ausser ihm. Ich antworte darauf: Auch
wir unterscheiden uns nicht von einem Andern ausser uns,
sondern von den Empfindungen, Anschauungen, Vorstellungen,
Trieben in uns, indem wir uns als das wirkende und allge-
meine Eine in ihrer Mannigfaltigkeit erfassen. Aus unserer
Innenwelt erschliessen wir erst eine Aussenwelt; das haben
ja Kant und Fichte gelehrt, und wir kommen zur Absurdität
des Solipsismus, wir können unsere Innenwelt nicht erklären
ohne die Realität einer Aussenwelt; wir können uns als
endlich nicht erfassen ohne den Begriff des Unendlichen
her^orzubilden, in den wir erstehen und bestehen. Das ün-
352 Sitzung der phüos.-pMlol, Classe vom 3. JtUi 1894.
endliche aber hat nichts ausser ihm, alles ist in ihm; der
Unendliche, Gott, ist der allein wahrhaft Seiende, und als
der sich selbst Bestimmende, als Geist sich selbst Setzende
ist er Selbst, der Vernunftwille, der da weiss was er will,
der in allem sich selbst Anschauende. Das Selbstbewusstsein
von ihm ausschliessen heisst gerade ihn begrenzen, be-
schränken, zum blossen Object unseres Denkens machen, ver-
endlichen. Das Fürsichsein, das Beisichselbstsein ist ja keine
Schranke des Seins, sondern die Vollendung des Seins. Wäre
Gott nicht Subject, so wäre er nicht Geist. Aber als Geist
ist er der stets sich Personificirende, kein ruhendes todtes
Sein, sondern Leben und Thätigkeit, wie Fichte wollte.
Wenn er hinzusetzt: Gott ist Liebe und Seligkeit, so sagt
er damit: sich fühlende Wesenheit, Subjectivität, Träger des
Denkens und WoUens, das in den endlichen Geistern aus
ihm quillt, weil er eben Denken und Wollen, das heisst der
Denkende und Wollende ist. So ist auch unser Geist, das
Ich nicht neben dem Leibe, nicht neben den VorstelluDgen
und Empfindungen, sondern zugleich in und über ihnen,
nicht aufgelöst in ihre Besonderheiten, sondern die sich
mittels ihrer selbst erfassende Einheit. Streng genommen
hat ja Fichte das sich selbst und alles in sich setzende Ich
als das göttliche in der Wissenschaftslehre dargethan, indem
er von der Thatsache des Selbstbewusstseins ausging, sie als
Thathandlung begriff, und alles das als wirklich entwickelte
was denknothwendige Bedingung oder Voraussetzung des
Selbstbewusstseins ist; und nicht die zum All entfaltete Innen-
welt des unendlichen Einen, sondern die Realität der Aussen-
welt des endlichen Bewusstseins bedurfte der Erklärung, und
wurde geglaubt um der Gewissbeit des sittlichen Denkens
und Handelns willen, das ohne sie nicht möglich wäre und
doch wirklich ist. Aber sein Lebenlang war und blieb ihm
das Göttliche Intelligenz und Wille, geistige sich selbst-
bestimmende Thätigkeit, die mittels ihrer Gebilde, der indi-
\
Carriere: Ficihtes Geistesentioickelung, 353
vidaellen Geister, aber nur in ihnen zar Selbsterscheinung,
zum Selbstbewusstsein komme, zwar das Einheitsband, aber
nicht die ihrer selbst innewerdende für sich seiende Einheit
sei. Als er Gott den Realgrnnd der Geisterwelt nannte,
war ihm das (wie er später sagte) üeberseiende, ürreale
oder das Wesen der Thätigkeit noch nicht klar, und die
endlichen Geister waren nur Gebilde des ewigen Denkens
und WoUens ohne einen Wesenkern eigener Realität. Nun
kann aber auch das endliche Ich gar nicht Gebilde sein,
denn sein Begriff ist ja nach Fichtes eigener genialer An-
schauung durchaus Selbstbildung; das Selbst kann nichts
Gofctgeschaffenes sein, denn es ist Selbst nur indem es als
solches sich selber setzt. Nicht blos Gott, auch der Mensch
ist, mit Jakob Böhme zu reden, seiner selbst Macher. Und
so werden wir sagen: dass denknothwendig die von Fichte
angenommene Urvernunft, die zugleich Urwille, Thätigkeit
ist, in ihrer sich selbst bestimmenden, sich selbst verwirk-
lichenden, zum Selbst gestaltenden Wirksamkeit das eigne
ursprüngliche Wesen, das wir als Quell der Thätigkeit Ur-
kraffc nennen wollen, zu einem System von Kräften unter-
scheidet und zugleich in sich geeinigt hält, und dass solche
zur Freiheit und Geistigkeit, zur Ichheit berufene, bestimmte
lebendige Kräfte mit der gottverliehenen Fähigkeit, dem
gottgegebenen Vermögen durch eigne Willensthat sich selbst
erfassen, und so durch Selbstbestimmung ihre Bestimmung
erreichen. Nur auf diese Weise können sie frei sein; Frei-
heit ist Selbstbestimmung. In dieser Erhebung zum Selbst,
in dieser Selbsterfassung unterscheiden sie sich von allem
andern, auch von ihrem göttlichen Lebensgrunde und seiner
Unendlichkeit, indem sie sich als endliches Ich und doch als
Mittelpunct des Universums setzen. Und hier liegt die Ge-
fahr, dass die Unterscheidung in der Subjectivität zur Ab-
Scheidung wird, dass das endliche Ich für sich allein sein
will, sich allen andern entgegenstellt, selbstsüchtig und damit
\
354 Sitzung der pküosrphiM. Glosse fxm 7. Juli 1894.
böse wird. So 8ehr Fichte die Schlechtigkeit der gemeinen
Welt betont, die Möglichkeit und subjective Wirklichkeit
des Bösen innerhalb der sittlichen Weltordnung, innerhalb
des gottlichen allwaltenden Vernunftwillens hat er niemals
klar gemacht, wie er sie auch als Bedingung für das Gute
in unserer Gesinnung, in unserem Handeln voraussetzte. Die
Nothwendigkeit einer Urrealität, die er im unendlichen Denken
und Wollen erkannte, die nichts anders zu sein braucht als
die Möglichkeit und das Vermögen seiner Bethätigung, sie
ist als ein Wesenkem ebenso denknothwendig für das end-
liche Ich: es muss real sein um durch eigne That für sich
ideal werden zu können, die Ichheit in sich selbst hervor-
zubilden. Es ist Ich nur insofern es sich als solches erfasst
und bestimmt, sein Sichselbstsetzen ist sein Sein als Selbst;
aber es muss sein um sich zur Subjectivität zu erheben, das
Licht des Bewusstseins in sich zu entzünden. Fichte hat so
etwas gewollt und im Sinne gehabt. , Der Einzelne soll sich
zu allem dem mit Freiheit machen was seine Bestimmung
ist, er soll sich selbst zur Geistigkeit erheben;'' das ist sein
eigenes Bekenntniss; wie er ebenso gewiss auch für das Un-
endliche das Fürsichsein, das Selbstsein in der ursprünglichen
Fassung des Ich aussprach. Wenn er in den Berliner Vor-
lesungen seine Weltanschauung zusammenfassend sagt: Gott
schafiEl die Geisterwelt in immerwährender Fortbildung nach
seinem Bilde, und oflFenbart sich in den Gesichten einzelner
Geister, und hinzufügt: diese Erleuchtung sei Gottes That,
der Mensch thue hier nichts, — so schliesst er damit Gottes
unmittelbares Wirken, und lässt ihn sich nun der Freiheit
und Selbständigkeit der Menschen bedienen um die Wirkung
von dem einzelnen Punct aus fortzupflanzen auf das ganze
Geschlecht. In der Freiheit der Geisterwelt findet er hier
ihr eignes von dem Leben Gottes verschiedenes Leben. Also
sind die Geister doch nicht blos Gebilde, sondern sich selbst
bildende Persönlichkeiten, die in ihrer Selbsterfassung sich
Carriere: Fichtes Qeistesenttoickelung. 355
von Gott unterscheiden, in ihrem Willen auch von seinem
Willen sich ablösen und selbstsüchtig werden können. So sollen
auch die Seher das Bild Gottes, das sich in ihnen begeisternd
entwickelt, als neues Gesicht ausbilden zur Verständlichkeit
für das Volk, und darin liegt schon die selbstthätige Ver-
standeskunst in der Bearbeitung des Stoffes. Und wenn
Fichte sagte : der in der Wissenschaft Gebildete werde, geübt
in seinem Gebiete fortzugestalten, den flüchtigen Blitz der
Erleuchtung leicht fesseln und ihm Gestalt, Begriff und
Wort zu geben wissen, so nimmt er damit das offenbarende
Gesicht selbst als einen Impuls von innen, als eine Anregung,
die der Mensch selbst erst in Worte zu fassen und auszubilden
hat. Da wird der Mensch wieder selbstkräftig wirkendes
Organ der Gottheit, und wird die Erleuchtung richtig
als ein Mächtigwerden des allgemeinen Geistes im endlich
individuellen verstanden, eine Offenbarung, die aber ihr Ge-
präge durch die Persönlichkeit des Sehers, Dichters, Denkers
empfängt. Soll nun der Gesichte verleihende Gott sie nicht
selbst, sondern nur mit dem Auge des begnadeten Sehers an-
schauen? Und wenn die Selbstsucht nur überwunden werden
kann, weil wir doch nur Glieder eines höhern Organismus
sind, dessen Wesen in uns waltet, soll der ewige Wille der
Liebe, dessen wir selbst liebend inne werden, nicht auch an
sich selber Gefühl der Seligkeit sein, wie das Fichte aus-
drücklich betont? Er kann es nur als Ich, als Subjectivität.
Ich habe auf ein Zusammenwirken göttlicher und mensch-
licher Thätigkeit bei allem Grossen in der Weltgeschichte
in meinem Buch über die Kunst im Zusammenhang der
Culturentwicklung hingewiesen, ich habe in der Aesthetik
die Begeisterung und Eingebung, von der die herrlichsten
Dichter alter und neuer Zeit reden, in ihrer Wirklichkeit
und Wahrheit zu verstehen gesucht; ich freue mich der
ganz verwandten Auffassung bei Fichte, aber ich kann
diese Einsicht nur auf die Voraussetzung gründen, dass der
356 Sitzung der phäosrphüol, Glosse vom 7. Jfdi 1894,
göttliche wie der menschliche Geist beide selbstbewusste
Subjectivität sind, dass wie der endliche sich im unendlichen
und der unendliche sich im endlichen erkennt, jeder auch
sein Fürsichsein hat, der göttliche in allem und zugleich
über allem bei sich selbst ist, das sich durch seine Offen-
barung selbst bestimmende, selbsterfassende Ich.
357
Yerzeichniss der eingelaufenen Druckschriften
Januar bis Juni 1894.
Die verehrlichen G^esellschaften tind Institute, mit welchen unsere Akademie in
Tanschyerkehr steht, werden gebeten, nachstehendes Verzeiohniss zugleich als Empfangs-
bestätigung zu betrachten.
Von folgenden G^esellschaften nnd Institnten:
Geschichtsverein in Aachen:
Zeitschrift. Band XV. 1893. 8".
Observatory in Adelaide:
Meteorological Observations 1886-87. 1893. fol.
Boyäl Society of South Australia in Adelaide:
Tranaactions. Vol. XVII, 2. 1893. 8».
Südslavische Akademie der Wissenschaften in Agram:
Monumenta. Vol. XXIV, XXV. 1893. 8«.
Starine. Vol. XXVI. 1893. 8«.
Ljetopis. 1893. 8».
Rad. Band 116. 117. 1893. &>.
New -York State Library in Albany:
73— 76th annual Report. 1891—93. 8^.
State Library Bulletin. Legislation No. 4. January 1894. 8®.
Historischer Verein in Augsburg:
Zeitschrift. Jahrg. XX. 1893. 8».
Natunvissenschaftlicher Verein in Augsburg:
31. Bericht. 1894. 80.
Texas Academy of Science in Austin:
Ti-ansactions. Vol. I, No. 2. 1893. 8^
Johns Hopkins üniversity in Baltimore:
Circulars. Vol. XIII, No. 109-112. 1894. 4».
American Journal of Mathematics. Vol. XIV, No. 4. Vol. XV, No. 1—4.
1892/93 8^
The American Journal of Philology. Vol. XIII, No. 4. Vol. XIV,
No. 1-3. 1892/93. 80.
1894. Philos.-philol. u. bist. Gl. 2. 24
358 Verzeichniss der eingelaufenen Druckschriften.
American Chemical Joomal. Vol. XIV, No. 8, Vol. XV, No. 1—7.
1892/98. 80.
Studies in historical and political Science. Ser. X, No. 12. Ser. XI,
No. 1—10. 1892/93. 8«.
üniversitätsbibliotheJc in Btisel:
Schriften der Universität aus dem Jahre 1898/94. 4^ und ^.
Historisch-antiquarische Gesellschaft in Basel:
Beiträge zur vaterländischen Geschichte. N. F. Bd. IV, Heft 2. 1894. 8".
Naturforschende Gesellschaft in Basel:
Verhandlungen. Band IX, Heft 8. 1898. 8^.
Genootschap van Künsten en Wetenschappen in Batavia:
Tijdschrift. Deel 86, afl. 4, 6, 6. 1893. 8®.
Notulen. Deel XXXI, No. 1, 2. 1898. 8«.
Nederlandsch-Indisch Plakaatboek 1602—1811. Deel XI. 1893. ^.
Dagh-Register gehouden in*t Casieel Batavia Anno 1664. 1893. 4*'.
K, serbische Akademie der Wissenschaften in Belgrad:
Geologija Srbije von Johann Schujo witsch. Heft 1. 1893. 4^.
Glas. No. 41, 42. 1894. 8^.
Godischniak (Jahrbuch) 1889 u. 1890. 1890/91. 8<^.
K, preussische Akademie der Wissenschaften in Berlin:
Corpus inscriptionum latinarum. Vol. VIII. Supplementum, fasc. 3.
1898. fol.
Politische Korrespondenz König Friedrichs IL Bd. XX. 1894. 8^.
Sitzungsberichte. 1893. No. 39—58. gr. 8<>.
Abhandlungen aus dem Jahre 1892. 4^.
K, geolog. Landesanstalt und Bergakademie in Berlin:
Jahrbuch für das Jahr 1892. Bd. XIIL 1893. 8®.
Abhandlungen. Neue Folge. Heft 2 mit Atlas in 4^ und Heft 9,
Theil IL 1898. 8».
Physikaiisch-technische Beichsanstält in Berlin:
Wissenschaftliche Abhandlungen. Bd. I. 1894. 4®.
Ueber die Ziele und die Tbätigkeit der phjs.-techn. Beichsanstält,
von Dr. Lummer. 1894. 4".
K, technische Hochschule in Berlin:
Hermann Rietschel, Der Stand der wissenschaftlichen und praktischen
Wohnungs-Hygiene in Beziehung zur Luft. 1894. 4^
Deutsche chemische Gesellschaft in Berlin:
Berichte. 26. Jahrg. No. 19, 20. 27. Jahrg. No. 1—11. 1893/94. 8«.
Deutsche geologische Gesellschaft in Berlin:
Zeitschrift. Band 45, Heft 3. 1893. 8«.
Medizinische Gesellschaft in Berlin:
Verhandlungen. Band XXIV. 1894. 8<>.
Physikalische Gesellschaft in Berlin:
Fortschritte der Physik im Jahre 1887. 48. Jahrg. 3 Bände. 189S. 8«.
Verzeichniss der eingelaufenen Druckschriften. 359
Physiologische Gesellschaft in Berlin:
Centralblatt für Physiologie. Bd. VII, No. 20—26. Bd. VIII, 1—6.
1893/94. 8».
Verhandlnngen der phyaiolog. GeBellachaffc. Jahrg. 1893—94 No. 2 — 10.
Kaiserlich deutsches archäologisches Institut in Berlin:
Jahrbuch. Band VIII, Heft 4. Bd. IX, Heft 1. 1894. 4».
Geodätisches Institut in Berlin:
Jahresbericht für 1892/93. 1893. 8«.
K. preuss, meteorologisches Institut in Berlin:
Deutsches meteorologisches Jahrbuch für 1890. Heft II, III. 1891—93. 4^.
Ergebnisse der Beobachtungen an den Stationen IL und III. Ordnung.
1893, Heft II. 1894. 4<>.
Ergebnisse der Niederschlags-Beobachtungen im Jahre 1892. 1894. 4^.
Bericht über die Thätigkeit im Jahre 1893. 1894. 8°.
Jdhrbuch über die Fortschritte der Mathematik in Berlin:
Jahrbuch. Bd. 23. Heft 1, 2. 1894. 8".
Commission für die Beobachtung des Venus- Durchganges in Berlin:
Die Venus-Durchg&nge 1874 und 1882. Band V. 1893. 4^
Verein für Geschichte der Mark Brandenburg in Berlin:
Forschungen zur Brandenburgischen und Preussischen Geschichte.
Band 7, I. Hälfte. Leipzig 1894. 8**.
Naturwissenschaftliche Wochenschrift in Berlin:
Wochenschrift. Band IX, Heft 1—6. 1894. fol.
Zeitschrift für Instrumentenkunde in Berlin:
Zeitschrift. 13. Jahrg. 1893. Heft 12. 14. Jahrg. Heft 1—6. 1893/94. 4^.
Schweizerische geologische Commission in Bern :
Beiträge zu einer geologischen Karte der Schweiz. Lief. VII mit
1 Karte. Lief. XXI mit Atlas. Lief. XXII. Text. 1893. 4fi.
Naturforschende Gesellschaft in Bern:
Mittheilungen aus dem Jahre 1892. 1893. Oft.
Allgemeine schweizerische Gesellschaft für die gesammten Naturwissen-
schaften in Bern:
Neue Denkschriften. Bd. XXXIII, Abth. 1. Basel 1893. 4«.
Verhandlungen der schweizerischen naturforschenden Gesellschaft bei
ihrer Versammlung in Basel den 5. — 7. Septbr. 1892, mit fran-
zösischer Uebersetzung. Basel 1892. 8^.
Gewerbeschule in Bistritz:
XVm. Jahresbericht für das Schuljahr 1892/93. 1893. 8».
B, Deputazione di storia patria per le Prouinde di Bomagna
in Bologna:
Monnmenti. Serie I. Statuti No. 3. Serie IL Carte No. 1. Appendice
ai Monumenti Ravennati. Tom. II, disp. IL Ravenna 1884 — 86. 4®.
Atti e Memorie. IIL Serie. Vol. XI, fasc. 4-6. 1894. 4^.
La R. Deputazione di storia patria per le provincie di Romagna dair
anno 1860 al 1894. 1894. 8®.
24*
360 Vereeichniss der eingelaufenen Druckschriften,
Universität in Bonn:
Wendelin Förster, Frenndesbriefe von Friedrieb Diez. 1894. 4®.
Naturhistorischer Verein der preuss, Bheinlande in Bonn:
Yerbandlungen. 50. Jahrgang, II. Hälfte. 1893. 8®.
Societe de geographie commerciaie in Bordeaux:
Bulletin. 1898. No. 23, 24. 1894. No. 1—10. 8^
American Academy of Arts and Sciences in Boston:
Prooeedings. Vol. 28. 1893. 4P.
Public Library in Boston:
Annnal Report 1893. 1894. 8^.
Boston Society of Natural History in Boston:
Proceedings. Vol. 26, part 1. 1893. 8^.
Memoirs. Vol. IV, No. XL 1893. 4P.
Occaaional Papers. No. IV. 1893. dP,
Meteorologische Station in Bremen:
Ergebnisse der meteorologischen Beobachtungen. 4. Jahrg. 1894. fol.
Naturwissenschaftlicher Verein in Bremen:
Abhandlungen. Bd. XIII, 1 und Extrabeilage. 1893/94. 8^
Naturforschender Verein in Brunn:
Verhandlungen. Bd. 31. 1892. 1893. 8».
XL Bericht der meteorologischen Commission. 1893. 8^.
Academie Boy die de Mededne in Brüssel:
Bulletin. IV. Sdrie. Tom. 7, No. 10, 11. Tom. 8, No. 1-5.
1893/94. 80.
Acadimie Royale des Sciences in Brüssel:
Annuaire. 1894. 60« annde. 8^*.
Bulletin. 68« ann^e. 3. Sörie. Tom. 26, No. 12, Tom. 27, No. 1-5,
1898/94. 80.
SociHe des Bollandistes in Brüssel:
Analecta BoUandiana. Tom. XIII, fasc. 1, 2. 1894. 8®.
K. Ungarische Akademie der Wissenschaften in Budapest:
Ungarische Revue. 1893. Heft 10. 1894. Heft 1—4. gr. 8».
K. Ungarisches geologisches Institut in Budapest:
Mittheilungen. Band X, Heft 4, 5. 1894. 8».
A m. kir. Földtani intdzet dvkönyve. Bd. X, Heft 5. 1894. S^.
Földtani Közlönv. Band XXXIII, Heft 9—12. Band XXXIV, 1-5.
1893/94. 8Ö.
Academia Romana in Bukarest:
Eudoxiu de Hurmuzaki, Documente privitöre la Istoria Romänilor.
Suppl. I, Vol. 5. Suppl. II, Vol. 1. Vol. II, part 4 und Vol. 8.
1893-94. 40.
Analele. Serie II, Tom. XIV. Sect. literar. u. Sect. scientif. Tom. IV-
Part, administrat. und Sect. literar. 1893. 49,
Etymologicum Magnum Romaniae. Tom. III, 2. 1894. 4P.
Verzeichnisa der eingelaufenen Druckschriften, 361
Instituto meteorölogieo in Bukarest:
Analele. Vol. VIT, anul 1891. 1893. 4».
Botanischer Garten in Buitenzorg (Java):
Verslag omtrent den staat van's lands plantentuin te Buitenzorg
over het jaar 1892. Batavia 1894. 8^.
Meteorölogical Departement of the Government of India in Calcutta:
Indian Meteorölogical Memoirs. Vol. VI, part 1. 1894. fol.
Bainfall Data of India 1892. 1893. fol.
Monthly Weatlier Review. August, September, October, November,
December 1893, January 1894. fol.
Meteorölogical Observations. August, September, October, November,
December 1893, January 1894. fol.
Äsiatic Society of Bengali in Calcutta:
Journal. New Series. Vol. 62, No. 323, 327—332. 8®.
Proceedings. 1898 No. 8, 9, 10. 1894 No. 1. 8".
Annual Address. 7th February 1894. 8^.
Geölogical Survey of India in Calcutta:
Recorda. Vol. XXVI, No. 4. Vol. XXVII, part 1. 1893/94. 4».
Phüosophical Society in Cambridge:
Proceedings. Vol. 8, No. 2. 1894. 8<>.
Transactions. Vol. XV, part 4. 1894. 4®.
Ästronomical Ohservatory at Harvard College in Cambridge, Mass.:
48 th annual Report for the year ending Oct. 31, 1893. 8^
Annais. Vol. 25, 29. 1893. 4^
Museum of comparative Zoology at Harvard College in Cambridge, Mass.:
Bulletin. Vol. XXV, No. 2, 3, 5, 6. 1898/94. 8».
Annual Report 1892—93. 1893. 8«.
Accademia Gioenia di scienze naturäli in Catania:
Atti. Serie IV, Vol. 6. 1893. 4P.
Bullettino. Fase. 33-36. 1893. 8».
Zeitschrift „The Open Court" in Chicago:
The Open Court. Vol. VII, No. 325-350. Vol. VIII, 351 — 355.
1893/94. 40.
Zeitschrift „The Monist" in Chicago:
The Monist. Vol. 4, No. 2, 3. 1894. 8«.
„Editorial Committee ofDenNorske Nordhavs-Expedition 1876— 1878"
in Christiania:
XXII. Zoologi Ophiuroidea ved James A. Grieg. 1893. fol.
Norske Gradmaalings-Kommission in Christiania:
Vandstandsobservationer. Heft 5. 1893. 4P,
Chemiker -Zeitung in Cöthen:
Chemiker -Zeitung 1893, No. 92—104. 1894, No. 1—41, 44—47, 50,
61. fol.
Universität in Czernowitz:
Verzeichniss der Vorlesungen. Sommer-Semester 1894. 8®.
Die feierliche Inauguration des Rectors am 4. Oktober 1893. 8^.
362 Verzeichniss der eingelaufenen Druckschriften,
Historischer Verein für das Grossherzogthum Hessen in Darmstadt:
Quartalbl&tter. 1893 in 4 Heften. BP,
Academy of natural Sciences in Davenport, Jowa:
Proceedings. Vol. V, pari 2. 1893. 8®.
Colorado Scientific Society in Denver, Colorado:
3 kleine Schriften. 1893. 8«.
The Question of a Standard of Valae, by 0. J. Frost. 1893. 8<^.
The Mode of occurrence of gold in the ores of the Cripple Creek Di-
strict by Richard Pearce. 1894. 8®.
Verein füir Änhaltische Geschichte in Dessau:
MittheiluDgen. Band 6, Tbeil 4. 1893. 8^.
Gelehrte Estnische Gesellschaft in Dorpat:
Sitzungsberichte 1893. 1894. 8<>.
VerhaDdlungen. Band XVI, 8. 1894. ^,
Union giographique du Nord de la France in Douai:
Bulletin. Tom. 14. 8. et 4. trimestre 1893. 8^.
Eoyal Irish Academy in Dublin:
Proceedings. III. Ser. Vol. III, No. 1, 2. 1894. 8«.
Ti-ansactions. Vol. 30. part 6—12. 1898/94. 4^.
Boyal Dublin Society in Dublin:
The scientific Transactions. Ser. II. Vol. IV, No. 14, Vol. V, No. 1—4.
1892—93. 40.
The scientific Proceedings. N. Ser. Vol. VII, part 6. Vol. VIII,
part 1, 2. 1892—93. 8<>.
Scottish Microscopiccä Society in Edinburgh:
Proceedings. Session 1891—92 and 1892—93. 2 Hefte. 1891—93. S».
Royal Society in Edinburgh:
Proceedings. Vol. XX, pag. 97—160. 1893. 8».
Transactions. Vol. 37, part I, IL 1893. 4^.
Gymnasium in Eisenach:
Jahresbericht auf das Jahr 1893—94. 1894. 4^.
K, Akademie gemeinnütziger Wissenschaften in Erfurt:
Jahrbücher. N. F. Heft 20. 1894. S».
Meale Accademia de* Georgofili in Florenz:
Atti. Ser. IV. Vol. XVI, 8, 4. 1893. 8».
JB. Archivio di Stato in Florenz:
1 Capitoli del Gomune di Firenze, Inventario e Begesto. Tom. 2.
1893. 40.
Senckenbergische naturforschende Gesellschaft in Frankfurt a. M.:
Abhandlungen. Band XVIII, No. 2. 1894. 40.
Verein für Geschichte und Alterthumskunde in Frankfurt a. M.:
Mittheilungen über römische Funde in Heddernheim. I. 1894. 4®.
Naturwissenschaftlicher Verein in Frankfurt a. 0.:
Helios. 11. Jahrg. No. 6—12. 1893/94. 8®.
Societatum Litterae. 1893. No. 8—12. 1894. 1—3. 8®.
Verzeichnisa der eingelaufenen Druckschriften, 363
Naturforschende Gesellschaft in Freiburg i,Br,:
Berichte. Band VII, 1, 2. Band Vm. 1893/94. 8».
Universität Freiburg i. d. Schweiz:
Index lectionum per menses aestivos 1894. 8^.
Oeffentliche Bibliothek in Genf:
Compte rendu pour Tannäe 1898. 1894. ?P.
Institut national Genevois in Genf:
Les Chroniqaes de Geneve par Michel Koset. 1894. 8^.
Museo civico di storia naturale in Genua:
Annali. Ser. 2 a. Vol. XIII. 1893. 8«.
Geological Society in Glasgow:
Transactions. Vol. IX, part 2. 1893. 8^.
Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften in Görlitz:
Neues Lansitzisches Magazin. Band 69, Heft 2. 1893. 8^.
K, Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen:
Gelehrte Anzeigen. 1893. No. 20—26. 1894. No. 1—6. 8«.
Nachrichten. 1893. No. 15—21. 1894. No. 1. 2. 8«.
Lebensversicherungsbank für Deutschland in Gotha:
65. Rechenschaftsbericht für das Jahr 1893—1894. 4P.
The Journal of Comparative Neurology in Chranvüle:
Journal. Vol. III, p. 163-182. Vol. IV, p. 1-72, No. I — LXXX.
1893. 80.
Verein der Aerzte in Steiermark in Graz:
Mittbeilungen. 30. Jahrgang. 1893. &^,
Naturwissenschaftlicher Verein für Neu -Vorpommern in Greifswald:
Mittbeilungen. 26. Jahrgang. 1893. Berlin 1894. 8®.
Fürsten- und Landesschule in Grimma:
Jahresbericht 1893/94. 1894. 8«.
Raag^sche Genootschap tot verdediging van de christelijke Chdsdienst
im Haag:
Werken. VI. Reeks. Deel V. Leiden 1894. 8®.
K. Instituut voor de Tool-, Land- en Volkenkunde van Nederlandsch
Indie im Haag:
Bijdragen. V. Reeks. Deel X, aflev. 1, 2. 1894. 8®.
Leopoldinisch-Garolinische Deutsche Akademie der Naturforscher
in Halle:
Leopoldina. Heft 29, No.21— 24. Heft 30, No. 1— 10. 1893—94. 4P.
Deutsche morgenländische Gesellschaft in Halle:
Zeitschrift. Band 47, Heft 4. Band 48, Heft 1. Leipzig 1893/94. 8<>.
Universität Halle:
Index lectionum per aestatem 1894 habendarum, nebst Verzeichniss
der Vorlesungen. 1894. 4P.
Thüring. -Sachs. Geschichts- und Alterthums- Verein in Halle:
Neue Mittheilungen. Band 18. 2. Hälfte, Heft 1. 1893. 8^
364 Verseichniss der eingelaufenen Druckschriften.
Naturwissenschaftlicher Verein für Sachsen und Thüringen in Halle:
Zeitschrift für Naturwissenschaften. Bd. 66. Heft 3, 4. Leipzig. 1893. ^.
Stadt-Bibliothek in Hamburg:
Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft 1892/93. 4^
Handbuch der Hamburgischen wissenschaftlichen Arbeiten. IX. Jahrg.
1891. I. und 11. Hälfte. X. Jahrg. 1892. I. Hälffee nebst Bei-
heft. 1891—93. 49.
Mittheilungen aus der Stadtbibliothek. X, 1. 1893. 8®.
Naturwissenschaftlicher Verein in Hamburg:
Verhandlungen III. Folge I 1894. 8®.
Historischer Verein für Niedersachsen in Hannover:
Zeitschrift. Jahrgang 1893. eP,
Teylers Godgeleerd Genootschap in Harlem:
Verhandelingen. Nieuwe Serie. Deel XIV. 1894. 8«.
Teylers tweede Genootschap in Harlem:
Verhandelingen. N. Reeks. Deel IV, stuk 2. 1893. 8^.
Jacob Dirks, Atlas behoorende bij de beschrijving der Nederlandsche
Penningen. Stuk 4. 1893. fol.
Societi Hollandaise des Sciences in Harlem:
Archives Nderlandaises. Tom. 27, livr. 4, 6. Tom. 28, livr. 1. 1894. 8«.
Historisch-philosophischer Verein in Heidelberg:
Neue Heidelberger Jahrbücher. Jahrgang 4. Heft 1. 1894. 8®.
Naturhistorisch-medicinischer Verein in Heidelberg:
Verhandlungen. N. F. Band V, Heft 2. 1894. 8«.
Institut mSteorologique central in Helsingfors:
Observations, Vol. VI— VIII, livr. I. Vol. XI, livr. I. 1893. 4»
Observations mdt^orologiques 1881 — 1888 in 4 Voll. Kuopio. 1893. fol.
Verein für siebenbürgische Landeskunde in Hermannstadt:
Archiv. N. F. Band 25, Heft 1. 1894. 8^.
Jahresbericht für das Vereinsjahr 1892/93. 1893. 8^.
Die Kerzer Abtei, von Lud. Reissenberger. 1894. 4P.
Historischer Verein in und für Ingolstadt:
Sammelblatt. XVIII. Heft. 1893. 8P.
Medidnisch-naturwissenschaftliche Gesellschaft in Jena:
Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaft. Band 28, Heft 2, 3.
1893—94. 8^.
Kais. Universität in Kasan:
Utschenia Sapiski. Vol. 61, No. 1—3. 1894. 8®.
2 Dissertationen von Krasin und Agababon. 1893. 8®.
Verein für Naturkunde in Kassel:
39. Bericht über die Jahre 1892—94. 1894. 8®.
Universität in Kharkow:
Sapiski. Vol. 4. 1893. 8«.
Annales. 1894. Fase. 1. 8^.
VerBeichniss der eingelaufenen Druckschriften. 365
Section mediccde de la SociitS des sciences expirim. in Kharkow:
Trudy. 18Ö1. Teil II. 1892. Teil I. 1898. Heft I. 1892—94. ^,
Gesellschaft für ScJUeswig-Holstein-Lauenburgische Geschichte in Kiel :
Zeitschrift. Band 23. 1893. 8<>.
K Universität in Kiew:
Iswestija 1893. Band 33, No. 12. Band 34, No. 1-4. 1893/94. 8».
Aerzilichrnaturwissenschaftlicher Verein in Klausenburg:
Ertesitö. 4 Hefte vom Jahre 1893. 8*'.
I. Abtheilung. Band 18. Heft 2, 3. 1894. 8<>.
Stadtarchiv in Köln:
Mittheilungen. Heft 24. 1893. 8».
K, Akademie der Wissenschaften in Kopenhagen:
M^moires. 6. aerie. Section des Lettrea. Vol. III, No. 3. 1894. 49,
Regesta diplomatica historiae danicae. Ser. II, tom. 2, fasc. 2. 1893. 4^.
Oversigt. 1893, No. 2, 3. 1894, No. 1. 1893—1894. 8«.
Skrifter. Naturvidenak. Afdeling. Band VII, No. 8, 9. 1893. 4».
Gesellschaft für nordische Älterthumskunde in Kopenhagen:
M^moires. Nouv. S^rie 1892. 1893. 8®.
Aarböger. II. Raakke. Band VIII, Heft 3, 4. Band IX, Heft 1.
1893/94. 8^
Akademie der Wissenschaften in Krakau:
Anzeiger. 1893, December. 1894, Januar, Februar, April, Mai. 8^.
Sprawozdania komisyi histor. Sztuki. Tom. V, fasc. 3. 1893. fol.
Rozprawy wydz. filolog. Tom. XIX. 1893. 4P,
Acta rectoralia universitatis Cracoviensis. Tom. I, fasc, 2. 1893. 4®.
Kocznik. Rok 1892/93. 1893. 8».
Biblioteka pisarzöw polskich. Tom. 25—27. 1893. 8^.
Botanischer Verein in Landshut:
13. Bericht über die Vereinsjahre 1892—93. 1894. 8°.
Societe Vaudoise des sciences naturelles in Lausanne:
Bulletin. III. Sdr. Vol. 29, No. 113. Vol. 30, No. 114. 1893. S^.
Maatschappij van Nederlandsche Letterkunde in Leiden:
Tijdschrift. Deel XIII, Aflev. 1, 2. 1894. S^.
Observatorium in Leiden:
Catalogue de la Bibliotheque de TObservatoire. Supplement III.
'sGravenhage 1893. 8«.
Verslag. 1891—92 et 1892—93. Leyde 1892—93. 8®.
K, Gesellschaft der Wissenschaften in Leipzig:
Berichte. Mathem.-phys. Classe. 1893, No. VII, VIII, IX. 1894, I.
1894 8^
Berichte.* Philolog.-histor. Classe. 1893. IT, III. 1894. 8«.
Abbandlungen der mathem.-phys. Classe. Bd. XXI, 1. 1894. 4®.
der philos.-hist. Classe. Bd. XIV, 6. 1894. 4^
Astronomische Gesellschaft in Leipzig:
Vierteljahrsschrift. Jahrgang 28. Heft 4.
29. , 1. 1893/94. 4».
366 Verzeicfmias der eingelaufenen Druckschriften,
Journal für praktische Chemie in Leipzig:
Journal. Neue Folge. Band 48, Heft 8—12.
, 49, , 2-9. 1893/94. 8«.
Verein für Erdkunde in Leipzig:
MittheiluDgen 1898. 1894. 80.
Museum Franisco-Carolinum in Linz:
62. Bericht. 1894. 8».
SocUte philosophique in Loewen:
Revne Näo-Scolastiqne. I. Annäe, No. 1. 1894. 8^.
Universite cathölique in Loewen:
Annuaire 1894. 8®.
Recueil de travanz pnblids par les membres de la conförence d'bistoire.
Fase. 4, 5. 1891-1893. 8».
Zeitschrift „La Gellule^ in Loewen:
La Gellule, Recneil de Cytologie et d'histologie g^närale. Tom. X,
fasc. 1. 1894. 40.
Boycd Institution of Ghreat Britain in London:
ProceedingB. Vol. 14, part I. 1894. 8®.
The English Historicod Beview in London:
Review. Vol. IX, No. 33, 34. 1894. 8^.
Royal Society in London:
Proceedings. Vol. 64, No. 328, 329, 380. Vol. 55, No. 331, 332, 338.
1894. 8^
B. Ästronomical Society in London:
Monthly Noticee. Vol. 54, No. 2-7. 1893/94. 8«.
Chemical Society in London:
Proceedings. Session 1893—94. No. 131—140. 1894. 8».
Journal 1893. Supplement Number. 1894. No. 374—879. (Jan. bis
June.) 8^.
List of the Officers and Fellows, April 1894. 8^.
Geological Society in London:
The quarterly Journal. Vol. 49, part 1—4. 1893. 8^.
List. November Ist 1893. 8®.
Medical and chirurgiccd Society in London:
Medico-chimrgical Transactions. Vol. 57. 1892. 8*^.
B. Microscopicdl Society in London:
Journal. 1894, part 1 - 3. 8^.
Zoological Society in London:
Proceedings. 1893, part IV. 1894, part I. 8®.
Transactions. Vol. 13, part 8. 1894. 4P.
Zeitschrift „Natur e^ in London:
Nature. Vol. 49, No. 1265 — 1267, 1269, 1271 — 1278. Vol. 50,
No. 1279—1284. 1893/94. 4«.
B, Äccademia delle scienze in Lucca:
Atti. Tom. 27. 1893. 8«.
Vergeickniss der eingelaufenen Druckschriften. 367
SociHe giölogique de Belgique in Luttich:
Annales. Tom. 20, livr. i. 2. 1892/93. 8^.
Universität in Lund:
Acta universitatis Lundensis. Tom. 29, Abth. I, II. 1892/93. 40.
Institut Grand-Ducal in Luxemburg:
Publications. Tom. XXII. 1893. 8«.
Universite in Lyon:
Annales. Tom. VI, fesc. 3, 4. Paris 1893 und Lyon 1894. 8°.
Wisconsin Äcademy of Sciences in Madisom
Transactions. Vol. IX, part 1, 2. 1893. 8«.
Wmhburn Observatory in Madison:
Publications. Vol. VIII. 1893. 4«.
Tlie Crovernment Astronomer in Madras:
Madras Meridian. Circle Observations. Vol. VII. 1894. 4^.
Beal Academia de la historia in Madrid:
Boletin. Tomo XXIV, No. 1—6. 1894. 8».
Societä Storica Lombarda in Mailand:
Arcbiyio storico Lombardo. Anno XX, fasc. 4. 1893.
„ „ , Serie III. Anno XXI, fasc. 1, 1894. 8«.
Societä italiana di scienze naturali in Mailand:
Atti. Vol. 34, fe.sc. 4. 1894. 8».
Literary and phüosophical Society in Manchester :
Memoirs and Proceedings. Vol. 7 , No. 2, 8. Vol. 8 , No. 1 , 2.
1893/94. 80.
FactdtS des sciences in Marseille:
Annales. Tom. 3, fasc. 4. 1894. 4<>.
Tuft's College in Massachusetts:
Tuffcs College Studies No. 1. 1894. 8^.
Hennebergischer alterthumsforschender Verein in Meiningen:
Neue Beiträge zur Geschichte deutschen Alterthums. Lief. 12. 1893. 8^.
Fü/rsten- und Landesschtde St. Äfra in Meissen:
Festschrift zur Feier ihres 350jährigen Bestehens. 1894. 4P.
Scientific Association in Meriden:
Transactions. Vol. 5. 1893. 8^.
Acadimie in Metz:
Memoires. 3. Sörie. Annee 20. 1890-1891. 1893. 8».
Gesellschaft für Lothringische Geschichte und Altertumskunde in Metz :
Jahrbuch. 5. Jahrg. 1893. I. Hälfte. 8«.
Observatorio meteorologico central in Mexico:
El Clima de la ciudad de Mäxico por Mariano B«arcena. 1893. 8^.
Sociedad dentifica Antonio Alzate in Mexico:
Memorias y Revista, Vol. VII, No. 3-10. 1893/94. 8«,
368 Verzeichniss der eingelaufenen Druckschriften.
Sociedad de hietoria natural in Mexico:
La Naturaleza. II. Serie. Vol. II, cuad. 3 y 4. 1892. fol.
Hegia Äccademia di scienze in Modena:
Memorie. Serie II, Vol. 9. 1893. 4^.
henediktiner-Äbtei in Montecassino :
Pauli Wamefridi in sanctam regulam comment. 1880. 4®.
Spicilegium Gasinense. Tomas I. 1893. fol.
. SociSti Imperiale des Naturalistes in Moskau:
Bulletin. Anne'e 1893, No. 4. 1894, No. 1. 1894. 8«.
Deutsche Gesellschaft für Anthropologie in Berlin und München:
Korrespondenzblatt. 1893. No. 11, 12. 1891. No. 1-5. 4^.
K, Technische Hochschule in München:
Personalstand. Somm.-Sem. 1894. 8®.
Metropolitan-Kapitel in München:
Amtsblatt für die Erzdiöcese. 1893. 1894. No. 1—12. 8«.
Schematismus der Geistlichkeit fdr das Jahr 1894. 8^.
Universität in München:
Schriften der Universität München. 1893. 4P u. 8^.
Historischer Verein von Oberbayern in München:
Monatsschrift. 1894. No. 1—5. (Jan.— Juni.) 8».
Kaufmännischer Verein München:
20. Jahresbericht. 1894. 8«.
Verein für Geschichte und AUerthumskunde Westfalens in Münster:
Zeitschrift. Band 51. 1893. 8».
Ergänzungshefte. I. Lieferung 1. 1893. 8®.
Äccademia delle scienze fisiche e matema^iche in Neapel:
Rendiconti. Serie 2a. Vol. VII, fasc. 8—12. Vol. VIII, fasc. 1-5.
1893/94. 40.
Historischer Verein in Neuburg:
Neuburger Kollektaneen-Blatt. Jahrg. 56. 1892. 1893. ^.
North of England Institute of Engineers in Newcastle-upon-Tyne:
Transactions. Vol. 42, part 5. Vol. 43, part 2, 3, 4. 1893. 8®.
An Account of the Strata of Northumberland and Durham. S-T.
1894. 80.
The American Journal of Science in New-Haven:
Journal. Vol. 47, No. 277-282 (Jan.— June). 1894. 8^
American Oriental Society in New-Haven:
Journal. Vol. XVI, No. 1. 1894. S^.
Academy of Sciences in New- York:
Annais. Vol. VIII, No. 1—3. Vol. VII, 6-12.
Vol. VI. Index 1894. 1893/94. 8®.
American Museum of Naiural History in New- York:
Bulletin. Vol. V. 1893. 8».
Verzeichniss der eingelaufenen Druckschriften. 369
American Chemical Society in New-York:
The Journal. Vol. XV, No. 12. XVI, No. 1-5. Easton. 1893/94. 8°.
American Geographical Society in Netü-York:
Bulletin. Vol. XXV, No. 4, part 1, 2.
Vol. XXVI, No. 1. 1893/94. 8®.
Germanisches Nationalmuseum in Nürnberg:
Anzeiger. 1893. 8^.
Mittheilungeo. Jahrg. 1898. 8^.
Katalog der Gemälde. 3. Auflage. 1893. 8^.
Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg:
Jahresbericht för das Jahr 1892. 1893. 8^.
Mittheilungen. Heft 10. 1893. 8^.
Neurussische naturforschende Gesellschaft in Odessa:
Sapiski. Band XVIII, 1, und Mathematische Abtheilung, Band XV.
1893. 80.
Historischer Verein in Osnabrück:
Osnabrücker Geschichtsquellen. Band II. 1894. 8^.
Geological Survey of Canada in Ottawa:
Anual Report 1890—91. N. S. Vol. V, part 1, 2 and Maps. 1893. 8°.
B. Accademia di scienze in Padua:
Atti e Memorie. Nuova Serie. Vol. IX. 1893. 8*^.
Societä Veneto-Trentina di scienze naturali in Padua:
Atti. Serie IL Vol. 1, fasc. 2. Anno 1894. 8<>.
BuUettino. Tom. V, No. 4. 1894. S^.
Circolo matematico in Palermo:
Rendiconti. Tom. VII, fasc. 6. VIII, 1—4. 1893/94. 4P.
Collegio degli Ingegneri in Palermo:
Atti. Anno XVI. 1893. Maggio— Agosto. 1893. 4P.
Academie de mSdecine in Paris:
Bulletin. 1893, No. 51. 1894, No. 1-26. 8».
Acadimie des sciences in Paris:
Comptes rendus. Tom. 117, No. 26. Tom. 118, No. 1—21, 23—26.
1893/94. 40.
Moniteur Scientifique in Paris:
Moniteur. Livr. 626—630. Fdvrier-Juin 1894. 4».
Societe de geographie in Paris:
Comptes rendus 1893, No. 17, 18. 1894, No. 1—13. 8^.
Bulletin. VII. S^rie. Tom. 14. 1893. 3. et 4. trimestre. 1894. 8".
Societe mathematique de France in Paris:
Bulletin. Tom. XXI, No. 8, 9 et table des 20 premiers volumes.
Tom. XXII, No. 1, 2, 3, 4. 1893/94. ^.
Zeitschrift „L'Electricien** in Paris:
L'filectricien. Tom. VI, No. 157, 158. Tom. VII, 159—183. 1893/94. 4^.
370 Verzeichniss der eingelaufenen Druckschriften.
K<U8erl. Bu88, Akademie der Wissenschaften in St. Peterdmrg:
Mämoires. Tom. 41, No. 2 <6. 1893. 4^.
Repertorium für Meteorologie. Band XVI. 1893. 4^.
Botanischer Garten in St. Petersburg:
Acta horti Petropolitani. Tom. 13, fasc. 1. 1893. 8«.
Scripta botanica. Tom. IV, fasc. 1. 1893. 8®.
Kais. russ. archäologische Gesellschaft in St. Petersburg:
Sapiski. Vol. 6. Heft 1—4. Vol. 8. Heft 1, 2. 1892/93. 8«.
Physikdl.'Chemische Gesellschaft an der k. Universität in St. Petersburg:
Schumal. Tom. 25, No. 9. Tom. 26, No. 1—3. 1893/94. 8^.
Zum 26 jähr. Jubiläum der ehem. Abteilung der physikalisch - ehem.
Gesellschaft (in russ. Sprache). 1894. 8^.
Physikaiisches Centrdl-Observatorium in Petersburg:
Annalen. Jahrg. 1892. Theü I, II. 1893. 49.
SocUt6 des naturalistes in St. Petersburg:
Travaux. Tom. 24, Heft 1, 2. 1894. 8<>.
Sternwarte in St. Petersburg:
Publications de TObservatoire Central Nicolas. Serie II, Vol. I.
1893. fol.
Observations de Poulkova. Vol. 10. 1893. fol.
Kaiserliche Universität in St. Petersburg:
Protokoly No. 48, 49. 1893/94. S».
Goditschnyi akt (Jahres-Akt) 8. Februar 1894. 8^.
P. Kokowzow, Zur Geschichte der mittelalterlichen Philologie nnd
arab.-hebräischen Literatur. Band I. 1893. 8^.
A. Domogarow, Von der freien Bewegung des Gyroskops. 1893. 8^.
(Beide Schriften in russischer Sprache.)
Historisch-phüolog. Fakultät der Universität St. Petersburg:
Sapiski. Tom. 33. Tom. 25, pars IL 1893 u. 1894. 8^.
Academy of natural Sciences in Philadelphia:
Proceedings. 1893. Part II, III. 8«.
Journal. IL Ser. Vol. X, part 1. 1894. gr. 4P.
American pharmaceutical Association in Philadelphia:
Proceedings at the 41^ annual Meeting, Chicago August 1893. 8^-
The GeographiccU Club of Philadelphia:
Charter, By-laws, List of Members. Bulletin Vol. 1, No. 2. 1894. 8<>.
Historical Society of Pennsylvania in Philadelphia:
The Pennsylvania Magazine. Vol. XVII, No. 3, 4. 1893/94. ^.
American philosophical Society in Philadelphia:
Proceedings. Vol. 31, No. 142. 1893. 8^.
University of Pennsylvania in Philadelphia:
Catalogue 1893—1894. 1893. 8».
Verzeichims der eingelaufenen Druckschriften, 371
Societä Toseana di scienee naturali in Pisa:
Atti. Memorie. Vol. Xm. 1894. 4».
Atti. Processi verbali. Vol. IX, pag. 1—61. 1894. 4».
K. Gymnasium in Plauen:
Jahresbericht über d. J. 1893/94. 4^.
Historische Gesellschaft für die Provinz Posen in Posen:
Zeitschrift. Jahrg. 7 u. 8. 1892—93. 8<>.
Sonder -Veröffentlichungen. I, 1, 2. II. 1892—93. SP.
Astrophysikcdisches Observatorium in Potsdam:
Publikationen. Band IX. 1894. 4».
Böhmische Kaiser Franz Josef Akademie der Wissenschaften,
Litteratur und Kunst in Prag:
Almanach. Ro<^nik IV. 1894. 8».
Rozprawy (Sitzungsberichte). 1893. Abth. I, II, III. 1894. THda I.
Ro€nik 3. Öislo 1, 2. TKda II. Rocnik 3. 4».
Rozprawy (Abhandlungen). Abth. III. 1893. I. 1894. 4®.
Historicky Archiv. Öislo 2. 1893/94. 4».
Vestnik. Band IL Heft 1—9. Band m. Heft 1-5. 1893/94. 8».
Antonin Pavlf6ek, Prävo listu zastavnfch (Das Recht der Hypotheken-
briefe). 1893. 8«.
Sbfrka pramen&v ku poznäni literdrniho zivota (Sammlung der
Quellen zur Eenntniss des literar. Lebens in Böhmen, Mähren
und Schlesien). No. 1. 1893. S\
Otakar Eukula, 0 lithiasi (Von der Steinoperation). 1894. 8^.
Bulletin international. Classe des sciences mathämatiques. I. 1894. 4^.
Antonin Vesely. Medicinsk^ Rus. 1894. 4P.
K, Böhmische Gesellschaft der Wissenschaften in Prag:
Sitzungsberichte: a) Klasse für Philosophie 1893.
b) Mathem.-naturwi88en8ch. Klasse 1893. 1894. 8^.
Jahresbericht ftlr das Jahr 1893. 1894. 8».
Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und
Literatur in Böhmen zu Prag:
Rechenschaftsbericht vom 11. Dezember 1893. 8^.
Georg Bruder, Die Gegend um Saaz. Saaz 1893. 8^.
Aliscans mit Berücksichtigung von Wolframs von Eschenbach Wille-
halm, hsg. von Gustaf Rollin. Leipzig. 1894. 8^.
Mittheilung. No. IL 1894. 8».
Mathematisch-physikalische Gesellschaft in Prag:
Casopis. Band 23, No. 1, 2. 1893/94. 8^
Lese- und Bedehalle der detitschen Studenten in Prag:
Bericht. Jahr 1893. 1894. 8«.
K. böhmisches Museum in Prag:
Casopis. Band 67. Heft 1—4. 1893. 8».
R. K, deutsche Universität in Prag:
Ordnung der Vorlesungen. Somm.-Sem. 1894. 8®.
372 I Verzeichniss der eingelaufenen Druckschriften.
Verein für Gespickte der Deutschen in Birnen in Trag:
Mittheilungen. 31. Jahrg. No. 1—4. 1892—93. 8«.
Instituto historico e geographico in Bio de Janeiro:
Revista trimensal. Tom. 55, parte II. 1893. 8^.
Homesagem. SessSo exlraordinaria em commemoni^So do falleci-
mento de S. M. o. Snr. D. Pedro IL 1892. 8^
Observatorio in Bio de Janeiro:
Annaario 1893. 8^.
Geological Society of America in Bochester:
Bulletin. Vol. IV. 1893. 8«.
Beäle Äccademia dei Lincei in Born:
Annuario 1894. 8».
Atti. Serie IV. Classe di scienze morali. Vol. IX, parte 1 e Vol. X,
p. I. Memorie. 1893. 4^.
Atti. Serie V. Classe di scienze morali. Vol. I, parte 2. Notizie
degli scavi 1893, Agosto — Dicembre e Indice per Tanno 1893.
1893. 4^
Atti. Serie V. Classe di scienze fisiche. Vol. 11, semestre II, fasc. 1, 2.
Vol. m, semestre I, fasc. l-H. 1893/94. 4P.
Rendiconti. Classe di scienze morali. Serie V, Vol. II, fasc. 11, 12.
Vol. III, fasc. 1-4. 1894. 89.
Äccademia Pontificia de' Nuovi lAncei in Born:
Atti. Anno 45, Sessione III -VI. Anno 46, Sessione I — VIII.
1892/93. 40.
B. Comitato geologico d'Italia in Born:
Bollettino. 1893, No. 4. 1894, 1. 1893/94. 8^.
Kais, deutsches archäologisches Institut, röm. Abtheüung, in Born:
Mittheilungen. Band 8, No. 4. Band 9, No. 1. 1894. 8*».
B. Ministero della Istruzione puhUica in Born :
Le Opere di Galileo Galilei. Vol. IV. Pirenze 1894. 4».
B. Societä Bomana di storia patria in Born:
Archivio. Vol. XVI, fasc. 3, 4. 1893. 8^.
Bataafsch Genootschap der Broefondervindelijke Wijsbegeerte
in Botterdam:
Nieuwe Verhandelingen. IL Reeks, IV. Deel. Stuk L 1893. 4^.
Äccademia degli Ägiati in Bovereto:
Atti. Anno I— XL (1883—1893.) 1893/94. 8«.
L^Accademia di Rovereto dal 1750 al 1880. 1882. 8^
Naturwissenschaftliche Gesellschaft in St. Gallen:
Bericht über d. J. 1892/93. 1893. 8P.
Instituto y Observatorio de marina de San Fernando (Cadiz):
Annales. Seccion IL Ano 1892. 1893. fol.
California Äcademy of sdences in San Francisco:
Memoirs. Vol. [I, No. 3. 1894. 4».
Verzeichniss der eingelaufenen Druckschriften, 373
Society sdentifique du Chili in Santiago:
Actes. Tom. III, livr. 1-3. 1898/94. 4«.
Bosnisch'Herzegowinisches Landesmuseum in Sarajevo:
Wissenschaftliche Mittheilungen. Band I, II. Wien. 1893—94. 8®.
Verein für meklenburgische Geschichte in Schwerin:
Mecklenburgisches ürkundenbuch. Band XVI. 1893. 4®.
K. K, archäologisches Museum in SpaJato:
Balletino di archeologia. Anno XVI, No. 11, 12. XVII, No. 1—4.
1893/94. 8°.
Historischer Verein der Pfalz in Speier:
Mittheilungen. XVII. 1893. 8».
Gesellschaft für Pommersche Geschichte in Stettin:
Baltische Studien. 43. Jahrg. 1893. 8^.
K. Akademie der Wissenschaften in Stockholm:
Observations du magnätisme terrestre faites ä Upsala en 1882 — 1883.
1893. 40.
Meteorologiska iakttagelser i Sverige. Band 31 (1889). 1893. 4^.
öfversigt. Irgang 60 (1893). 1894. 8«.
Carl von Linnäs brefvexling, af Ewald Ährling. 1894. 8^.
Institut Boyal GSologique de Suede in Stockholm:
Carte gdologique de la Suede. S^rie Aa, No. 108, 109. Serie Ab,
No. 13—15, Sdrie Bb, No. 7, Serie C, No. 112.
Nordisches Museum in Stockholm:
Samfundet for Nordiska Museets främjando 1891 och 1892. 1894. 8^.
Träsniderimönster i Allmogestil af Wilhelm Oldenburg. 1893. fol.
Societi des sciences in Strasshurg:
Bulletin mensuel. Tom. XXVII, 1893, No. 10. Tom. XXVIII, 1894.
Fase. 1—4. 8».
K, statistisches Landesamt in Stuttgart:
Württembergische Jahrbücher. Jahrg. 1893. 4^.
Württemhergische Kommission für Landesgeschichte in Stuttgart:
Württembergische Vierteljahrshefte fflr Landesgeschichte. II. Jahrg.
1893. Heft 1-4. 1893. 8«.
Department of Mines and Ägricülture in Sydney:
Records of the Geological Survey of N.-South- Wales. Vol. III, part 4.
1893. 4<>.
Annual Report for 1893. 1894. fol.
The NeW'South Wales Government Bard for international exchanges
in Sydney:
The year Book of Australia 1894. 8®.
Boyal Society of New-South Wales in Sydney:
Journal and Proceedings. Vol. XXVII. 1893. 8®.
Observatorio astronömico nacional in Tacubaya (MexicoJ:
Anuario. Ano de 1894.
Boletfn. Tom, I, No. 15. 16. 1893/94. 4^.
1894. Philo8.-phi]ol. u. bist. Gl. 2. 25
374 Verzeichniss der eingelaufenen Druckschriften.
Deutsche Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens
in Tokio (Japan):
Mittheilungen. Heft 53. 1894. 4<>.
Canadian Institute in Toronto:
Transactions. Vol. IV, part 1. 1894. BP,
7th annual Report. 1894. 8®.
Museo comunale in Trient:
Archivio Trentino. Anno XI, faec. 2. 1893. 8«.
Societä Adriaticä di scienze naturali in Triest:
Bolletino. Vol. XV. 1893. 8^.
Korrespondenzblatt für die Gelehrten und Bedlschulen Württembergs
in Tübingen:
Korrespondenzblatt. 40. Jahrg. Heft 7, 8 Tübingen 1893. S^.
B. Accademia delle scienze in Turin:
Memorie. Ser. H, Vol. 43. 1893. 4P.
Osseryazioni roeteorologiche, anno 1893. 1894. 8^.
Atti. Vol. 29, disp. 1—10. 1893—94. 8^,
Universität in Upsaia:
De Temploi des photogrammetres pour mesnrer la hanteur des naages,
par Ph. Akerblom. 1894. QP.
Bulletin mensuel de rObseryatoire m^t^orologiqne. Vol. 25, annee
1893. 1893—94. fol.
Historisch Genootschap in Utrecht:
F. de Bas, Brieven van Prins Willelm V. s'Gravenhage 1898. S«
Werken. HL Serie, No. 1. s'Gravenhage 1893. 8^.
Physiologisch Laboratorium der Utrechtsche Hoogeschool in Utrecht:
Onderzoekingen, TV. Reeks. Deel 3, aflev. 1. 1894. 8®.
B. Istituto Veneto di scienze in Venedig:
Temi di premio proclamati il 20 maggio 1894. 8^.
National Academy of Sciences in Washington:
Memoirs. Vol. VI, part I, II. 1893. 4«.
Bureau of Education in Washington:
Report for 1889—1890. 2 Vols. 1893. 8^.
Bureau of Ethnology in Washington:
Bibliographj of the Salishan Languages, by F. Const. Pilling. 1893. 8^.
Ninth annual Report 1887—1888. 1892. 4*. |
Museum of comparative zoology. Vol. 25, No. 4. 1894. 8®.
Smithsonian Institution in Washington:
Annual Report for the year 1890/91. 1893. 8P.
The internal Work of -the Wind. By S. P. Langley. 1893. 4°. |
U S, Naval ObseiDatory in Washington: j
Report for the year 1892—93. 1893. 8°.
U, S, Coast and Geodetic Survey in Washington:
Bulletin No. 28—30. 1893—94. 8P. i
Annual Report for the year 1891. Part II. 1892. 8^.
Verzeichniss der eingelaufenen Druckschriften. 375
Harzverein für Geschichte in Wernigerode:
Zeitschrift. 26. Jahrg. 1898. 8».
Naturwissenschaftlicher Verein des Harzes in Wernigerode:
Schriften. 8. Jahrgang 1893. 8^.
K, K, Akademie der Wissenschaften in Wien:
Sitzungsberichte, philos.-hist. Classe. Bd. 129. 1893. 8^.
M mathem.-naturwissensch. Classe.
Abtheilung I, 1893. No. 1— 7. Abth. IIa, 1898. No. 1— 7.\,ßQQ qo
IIb, 1893. , 1—7. , m, 1893. , 1-7./*^^^- ^•
Denkschriften. Philosophisch-historische Classe, Bd. 42. 1898. 4®.
Archiv für österreichische Geschichte. Bd. 78, IL 79, I, IL 80, I.
1893. 8».
Almanach. 43. Jahrg. 1898. 8<>.
Mittheilungen der prähistor. Kommission. Bd. I, No. 3. 1893. 4^.
14 Stück Separat- Abdrücke ans den Sitzungsberichten der philos.-
hist. Classe. 1893. 8^.
K. K. geologische Eeichsanstält in Wien:
Jahrbuch. Jahrg. 1891, Heft 4. 1893. Band 43, Heft 2—4.
1894, Heft 4. 1893/94. 4^.
Abhandlungen. Band XV, Heft 4—6.
, VI, IL Hälfte: Text und Tafeln.
, XVIII, Heft 3. 1893. fol.
Verhandlungen. 1893. No. IJ— 18. 1894. No. 1—4. 4».
K. K, Chradmessungs-Bureau in Wien:
Astronomische Arbeiten. Band V. 1893. 4P.
K, K. Gesellschaft der Aerzte in Wien:
Wiener künische Wochenschrift 1894. No. 1—26. 4».
Anthropologische Gesellschaft in Wien:
Mittheilungen. Bd. XXIH, Heft 6. Bd. XXIV, Heft 1, 2. 1893/94. 4®.
Geographische Gesellschaft in Wien:
Mittheilungen. Band 86. 1893. 8^.
Zoologisch-botanische Gesellschaft in Wien:
Verhandlungen. Jahrg. 1893. Bd. 43, Quartal lU u. IV. 1893. S»-
K, K, naturhistorisches Hofmuseum in Wien:
Annalen. Band VIII, No. 3, 4. Band IX, No. 1. 1893/94. 4^.
K. K. üniversitätS'Sternwarte in Wien:
Annalen. Band VIII u. IX. 1892/93. 4P.
Verein für Nassauische Alterthumskunde in Wiesbaden:
Annalen. Band 26. 1894. 8^.
Magnetisches Observatorium der kaiserl. Marine in Wilhelmshaven:
Beobachtungen. Band I, II, III. Berlin, 1890-93. 4P.
Bestimmung der erdmagnetischen Elemente, von M. Eschenhagen.
Berlin, 1890. 4«.
Erdmagnetische Beobachtungen zu Wilhelmshaven, von E. Eschen-
hagen. Hamburg, 1893. 4P,
376 Verzeichni88 der eingelaufenen DrtAckschriften.
PhysikäHsch-medicinische Gesellschaft in Würzburg:
Sitzunfjreberichte. Jahrg. 1898. No. 7-9, 11, 12. 1894. No. 1—4. 8».
Verhandlungen. N. F., Band 27, No. 6. Band 28, No. 1. 1893/94. 8«.
Schweizerische meteorologische Centralanstalt in Zürich:
Annalen. 28. Jahrgang 1891. (1894.) 4^.
Antiquarische Gesellschaft in Zürich:
Mittheilungen. Band 23, Heft 6. Leipzig 1894. 4^.
Allgemeine geschichtsforschende Gesellschaft der Schweiz in Zürich:
Jahrbuch för Schweizerische Geschichte. 19. Band. 1894. 8°.
Naturforschende Gesellschaft in Zürich:
Vierteljahrschrift. Jahrg. 38, Heft 3, 4. Jahrg. 39, Heft 1. 1893/94. 8°.
Schweizerische geodätische Kommission in Zürich:
Das schweizerische Dreiecksnetz. Band VI. 1894. 4^.
Universität Zürich:
Schriften der Universität aus dem Jahre 1893/94. 4» u. 8^
Von folgenden Privatpersonen:
Gabriel Amoux in Paris:
Arithmdtique graphique. Les espaces arithm^tiques hypermagiques.
1894. 80.
Dr. Beck in Klosterwaid, Post Ottoheuren:
Die römischen Strassen Regensburgs. Ottobeuren 1894. 8®.
Constantin Chiru in Bukarest:
Canalisarca riurilor si irigatiuniö. 1893. 8^.
Hermann Escher in Zürich:
Georg V. Wyss, Zwei Nekrologe von Paul Schweizer und Hermann
Escher. 1894. 8^.
H, Fritsche in St. Petersburg:
Die magnetischen Lokalabweichungen bei Moskau. 1893. 8®.
Paid Galopin in Genf:
Effets thermiques dus ä la compression. These. 1893. 4^.
Hugo GyldSn in Stockholm:
Trait^ analytique des orbites absolues des huit planstes principales.
Tom. I. 1893. 4».
H, Haug in Gotha:
Vergleichende Erdkunde und alttestam entlich geographische Welt-
geschichte. Text- und Kartenheft. 1894. 4^.
J, G. Isola in Genua:
Storia delle lingue e litterature romanze. Parte HI, disp. 2. Genova
1894. 8«.
Joseph B. Jack in Konstanz:
Carl Moriz Gottsche. 1893. 8^.
Stephanieila paraphyllina Jack nov. gen, Hepaticarum. 1894. S^.
Verzeiehniss der eingelaufenen Druckschriften, 377
Georges Jacquemin in MahSvüle bei Nancy:
Emploi rationnel des levnres pures s^lectionnäes pour ramdlioration
des boissons alcooliques. Nancy 1894. 8^.
James E, Keeler in London:
Physical Observations of Mars. 1893, 8^.
J. V, Kuli in München:
Repertorium zur Münzkunde Bayerns. Heft IV. 1894. 8®.
A. Kurz in Augsburg:
1. Der Mittelpunkt des hydrostatischen Druckes in ebenen Figuren.
2. Zur Theorie der Ausdehnung von Hohlkörpern. 3. Die kleinste
Ablenkung im Prisma. 4. Ballistische und Stoss -Versuche.
(4 Ausschnitte.)
Die thermischen Capacitäten der festen und tropfbar flüssigen Körper.
(Ausschnitt.) 1894. 8*.
üeber die gleitende und rollende Reibung bei der Fallmaschine.
Leipzig 1894. 8^.
Henry Charles Lea in Philadelphia:
The ecclesiastical Treatment of Usury. s". 1. 1894. 8^.
Occult Compensation. Philadelphia. 1894. 8^.
Giuseppe de Leva in Padua:
Storia documentata di Carlo V. Vol. V. 1894. 8P.
Mrs. Caroül Lewis in London:
The glacial Geology of Great Britain and Ireland, by the late Henry
Carvill Lewis. 1894. 8».
L, Martin in Bindjei, Deli:
Neue Lepidopteren aus Sumatra. Batavia 1893. 8^.
Marc Micheli in Genf:
Alphonse de Candolle et son oeuvre scientifique. 1893. 8^.
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Revue historique. Tom. 64, No. 1, 2. Tom. 66, No. 1. 2. 1894. 8P.
Charles A, Oliver in Philadelphia:
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Dizionari dels idioms romauntschs. Fase. II, lU. Samedan. 1894. 8^.
Ed. Piette in Saint Quentin:
L'^poque ^um^enne et les races humaines de la p^riode glyptique.
Saint-Quentin 1894. S^.
J. de Bey-Paühade in Toulouse:
Le temps dreimal. Paris 1894. 8^.
Eugenio Buidiaz y Caravia in Madrid:
La Florida. 8u conquista y colonizacion por Pedro Mendndez de
Aviles. 2 tom. 1894. 8^.
378 Verzeichni88 der eingelaufenen Dnicksehriften,
B. Schwalbe in Berlin:
Die wissenschaftliche Fachliteratur. 1894. 8^
Ferdinando Colonna dei Principi di Stigliano in Neapel:
Le ^otte del Monte Tabumo. Memoria 2^. 1889. 8^
Noticie storiche di Gastelnuoye in Napoli. 1892. 4^.
V, Thomsen in Kopenhagen:
D^hifirement des inscriptions de TOrkhon. 1894. 8^.
August lischner in Leipzig:
Le Mouvement uniyersel. 1893. 8^.
Victor Ritter von Tschusi zu Schmidhoffen in HaUein:
Meine bisherige literarische Thätigkeit 1866—1893. 1894. 8^
Giuseppe Vincenti in Ityrea:
Uinsegnamento del sistema fonografico universale a mano. Torino
1890. 80.
La fonografia universale Michela. Torino 1893. 4^.
M, JE. Wadsworth in Houghton:
A Paper on the Michigan Mining School. Lansing 1894. 8^.
Budolf Wolf in Zürich:
Astronomische Mittheilungen. No. 83. 1894. 4^.
Inhalt.
Die mit * bezeichneten Abhandlttngen aind in den Sitzungsberichten nicht abgedmekt.
Oeffentliche Sitzung der Tcgl. Akademie der Wissenschaften zur
Feier des 135. Stiflungstages am 28, März 1894. g^.^
V. Pettenkofer: Einleitende Worte U9
V. Christ: Nekrologe 149
V. Cornelius: Nekrologe 155
Phüos.'philol. Classe, Sitzung vom 5. Mai 1894.
Menrad: Ueber die neuentdeckten Genfer Homerfragmente
und den Wert ihrer Varianten 165
*v. Müller: Ueber Galen*8 verlorenes Werk vom Beweis . » 182
Historische Classe. Sitzung vom 5. Mai 1894.
*Qaidde: Einfluss Papst Innocenz III. auf das Recht der
deutschen Eönigswahl 182
^Heigel: Beiträge zur Geschichte der Wahl Leopolds IL zum
römischen König 182
Phüos.'philol. Classe. Sitzung vom 2. Juni 1894.
*v. Maurer: Weitere Bemerkungen über die Huldar Saga . 183
Historische Classe. Sitzung vom 2, Jtmi 1894.
Dove: Corsica und Sardinien in den Schenkungen an die
Päpste 183
Historische Classe. Sitzung vom 7. Juli 1894.
H. Simonsfeld: Die Wahl Friedrichs L Rothbart .... 239
V. Oefele: Traditionsnotizen des Klosters Kühbach .... 269
Philos.'philol. Classe. Sitzung vom 7. Juli 1894.
Carriere: Fichtes Geistesentwickelung in den Reden über die
Bestimmung des Gelehrten 287
Einsendung von Druckschriften 357
Akademische Buchdrackerei von F. Straub in München.
s
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Sitzungsberichte
der
philosophisch - philologischen
und der
historischen Classe
der
k. b. Akademie der Wissenschaften
zu JVlünchen.
1894. Heft III.
' Mflnchen
Verlag der K. Akademie
1895.
In Commission des 6. Franz*schen Verlags (J. Both).
,4-V^ - _. "■'"■-•'-N
V \
Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 3. November 1894.
Herr N. Wecklein hielt einen Vortrag:
^Die Kompositionsweise des Horaz und die
epistula ad Pisones.*
Die Originalität des Ausdrucks findet Horaz in der ge-
schickten Verbindung der Worte: dixeris egregie, notum si
callida verbum reddiderit iunctura novum A. P. 47, vgl. 242
tautum series iuncturaque poUet, tantum de medio sumptis
accedit honoris (d. i. so sehr werden durch die Aneinander-
reihung und Verbindung die der Sprache des gewöhnlichen
Lebens entnommenen Ausdrücke geadelt). Ebenso empfiehlt
Horaz dem Dichter, bei der Wahl eines von mehreren be-
handelten Stoffes die Originalität sich durch die besondere
und ungewöhnliche Anlage und Anordnung zu wahren: pu-
blica materies privati iuris erit, si non circa vilem patulum-
que moraberis orbem, ebd. 131. Solchen Grundsätzen ent-
sprechend wendet Horaz in den Sermonen der Anord-
nung des Stoffes und der Einkleidung und Ver-
knüpfung der öedanken besondere Aufmerksamkeit
zu und erblickt hierin eine Hauptaufgabe seiner
Kunst. Dieser Vorzug gibt sich am deutlichsten zu erkennen
1894. Pliilos.-phUol. u. bist. Gl. 3. 26
380 Sitzung der johüos.-phüöl. Glosse vom 3, Novetnber 1894,
in den drei Sermonen, welche das gleiche Thema behandeln:
yDas Glück des Menschen liegt in der Beherrschung der
Leidenschaften (perturbationes animi), in der Seelenruhe
(aequus animus)'', epist. I 2, 6, 10. Um zunächst von I 6
zu sprechen, so läset sich die ganze Epistel als eine poetische
Wiedergabe dessen betrachten, was Horaz ans der Lektüre
Ton Giceros Tusculanen oder einer ähnlichen Schrift sich an-
geeignet hatte; V. 1 — 8 falsa opinio bonorum, 9 — 11 falsa
opinio malomm, 12 — 14 die aus der falsa opinio boni vel
mali praesentis Tel futuri hervorgehenden vier perturbationes
animi: laetitia gestiens, cupiditas, aegritndo, metus (gaudeat
an doleat, cupiat metuatne). Darauf folgt der Gedanke:
,Wenn man selbst in dem Streben nach inneren Vorzügen
Mass halten soll (um nicht die Ruhe der Seele darüber zu
verlieren), um wie viel weniger darf man sich den Gleich-
mut durch das Streben nach äusseren Gütern stören lassen,
die vergänglich sind.* Nach diesem ersten Teile (1—27)
leitet der Gedanke «man muss, was man als richtig erkannt
hat, ernstlich ins Werk setzen, man muss also, wenn man
das Glück des Lebens in der Tugend findet, sich der Tagend
widmen, wenn in äusseren Gütern, nach diesen streben' zu
dem zweiten Teile der Epistel über, in welchem die gewöhn-
lichen Bestrebungen der Menschen (avaritia, ambitio, luxuria,
voluptas) scheinbar so behandelt werden, als wollte der
Dichter gar nicht die im ersten Teile dargelegte Anschau-
ung aufrecht erhalten, sondern der gemeinen Auffassung
Rechnung tragen und die besten Mittel und Wege zur Er-
reichung des Erstrebten angeben. Aber diese Mittel werden
in einer Weise ausgeführt, dass das Unselige oder Verab-
scheuungswürdige solcher Lebensweise lebhaft vor Augen
tritt: „Wer Reichtum für das höchste Gut hält, der hat
weder Ruhe noch Rast, weil er niemals genug bekommen
kann. Denn wer nicht so grossen üeberfluss hat, dass er
seinen Besitz gar nicht kennt, damit doch auch die Diebe
WecJdein: Die KamposUionsweise des Horaz etc. 381
etwas davon haben,^) der muss als arm erklärt werden/
„Wenn du dem Ehrgeiz frönst, masst du dich der gemeinen
und charakterlosen Mittel bedienen, welche dir Ehrenstellen
verschaffen, musst dich Tor dem elendesten Spiessbürger in
den Staub werfen (trans pondera).* Diejenigen, welche der
Gaumenlust ergeben sind, werden lächerlich gemacht und
mit den Gefährten des Odysseus verglichen, welche dem Essen
die Heimkehr ins Vaterland zum Opfer brachten. Scheinbar
wird über diejenigen, welche nichts Höheres als Liebesgenuss
kennen, nichts bemerkt:
si Mimnermus uti censet, sine amore iocisque
nil est iucundum, vivas in amore iocisque.
Aber in dem folgenden vive, vale ist vale besonders zu be-
tonen: ^bleibe gesund dabei*. Die Beziehung wird durch
vive nach vivas deutlich gemacht.*) Die Epistel zerfallt also
in zwei Teile, von denen scheinbar der zweite das Gegenteil
von dem verlangt, was der erste lehrt. Unrichtig ist die
Bemerkung von Kiessling: „Dass von den fünf Arten von
Thoren, welche hier aufgeführt werden, die erste und letzte,
die Tugendsimpel und diejenigen, welche in den Armen der
Liebe und in heiterer Geselligkeit das recte vivere zu finden
hoffen, ohne Beimischung schärferen Spottes gezeichnet werden,
ist begreiflich." Von Tugendsimpeln ist nicht im entfern-
testen die Rede, wie die Angabe Kiesslings »plagt euch
meinetwegen ab im Hetzen sei es nach Tugend* eine falsche
Auffassung von V. 30 f. verrät. Die Vermittlung geben die
1) Diese scherzhafte Wenduog bezeichnet schlagend das Unnütze
solchen Ueberflusses. Seltsam nimmt sich die Bemerkung ans, welche
L. Müller zu prosunt faribus (46) macht: »Der Gedanke entspricht
den Anschauungen des auf höhere Güter verzichtenden Lebemenschen,
der, weil er selbst das Geld nimmt, wo er es findet, auch andere
leben lässt.**
2) Schon diese Beziehung muss uns abhalten, mit Ribbeck
V. 67 f. von V. 66 loszureissen.
26*
382 Sitzung der phüos.-phüol. Gl<MBe vom 3. November 1894.
V. 28 — 31, In der zweiten £pistel wird dem Gedanken »den
Leidenschaften, den Krankheiten der Seele, welche noch mehr
als körperliche Krankheiten jeden Genuss des Lebens ver-
gäUen , mnss man rechtzeitig entgegenwirken , damit nicht
unheilbare chronische Krankheiten daraus werden*^ eine Ho-
merische Partie vorausgeschickt, -welche beginnt, als sollte
die ganze Epistel von Homer handeln : „In der Sommer-
frische habe ich wieder einmal den Homer gelesen, welcher
ein besserer Lehrer der Ethik ist als unsere grössten Philo-
sophen. Zeigt uns die Ilias, welche schädlichen Wirkungen
aus der Leidenschaft hervorgehen, so lernen wir andrerseits
aus der Odyssee, welche heilsamen Folgen die Beherrschung
der Leidenschaft hat/ Sehr schön wird der Uebergang vom
ersten zum zweiten Teile mit Homerischen Reminiscenzen
und Wendungen gewonnen, welche den Gedanken ausdrücken:
„Trotzdem leben wir so in den Tag hinein und denken nicht
an unsere sittliche Vervollkommnung* (27 — 31). In der
10. Epistel, welche sich als Lob des Landlebens ankündigt,
wird zunächst die Natürlichkeit und Einfachheit der länd-
lichen Verhältnisse dem Zwang und der Unnatur des Stadt-
lebens entgegengesetzt. Wieder wird durch einen von diesem
Thema entlehnten Gedanken der Uebergang zum zweiten
Teil gewonnen: „Man pflanzt zwischen den bunten Säulen
der Stadthäuser ein Wäldchen und lobt ein Haus, welches
eine weite Aussicht auf das Land hat. So bricht die Natur
durch (und erkennt man, wie man leben muss, wenn man
naturgemäss, also richtig leben will). Wer in dieser Bezieh-
ung das Wahre vom Falschen nicht zu unterscheiden ver-
steht, erleidet den empfindlichsten Schaden (d. i. kann nicht
glücklich werden)* (22 — 29). Der zweite Teil handelt wieder
von der falsa opinio bonorum (si quid rairabere 31) und den
daraus hervorgehenden perturbationes animi, laetitia gestiens
(quem res plus nimio delectavere secundae 30) und cupiditas
(avaritia, ambitio) und führt besonders den Gedanken aus,
WecMein: Die Kompositionsweise des Horaz etc, 383
dass nur derjenige, der nicht an äussere Qüter sein Herz
hängt, seine innere Freiheit und Zufriedenheit bewahrt. Alle
drei Episteln also zerfallen in zwei Teile, welche durch
eine vermittelnde Partie in Zusammenhang gebracht
werden.^)
Das Streben nach Neuheit der Anordnung führte dazu,
nicht in gewöhnlicher Weise von dem Thema auszugehen,
sondern irgend einen Punkt der Ausführung heraus-
zugreifen und an den Anfang zu stellen. Was A. P.
148 von dem Dichter gefordert wird: in medias res non
secns ac notas auditorem rapit, das bringt Horaz in gewissem
Sinne auch bei den Sermonen in Anwendung. Wir haben
oben gesehen, wie der Anfang von epist. I 2 den Eindruck
macht, als solle von der Philosophie des Homer die Rede
sein, während die Beherrschung der Leidenschaften das Thema
bildet. Zu diesem Thema bietet das, was aus Homer ange-
führt wird, nur das zur Argumentation dienende Beispiel.
Sehr überraschend ist der Eingang von sat. I 3 omnibus hoc
Vitium est cantoribus etc. Die intolerante Gesinnung gegen
Schwächen der Freunde, welche in dieser Satire bekämpft
wird, tritt uns in einem Musterbeispiel, welches freilich nur
als scherzhaft aufgefasst werden darf, lebhaft vor Augen. In
dem Brief an Mäcenas (I 1) wird das Streben nach sittlicher
Vervollkommnung als Anfang aller Weisheit den niedrigen,
grundsatzlosen und launenhaften Bestrebungen der gewöhn-
lichen Menschen gegenübergestellt. Der Dichter beginnt mit
der Ablehnung einer Aufforderung zum Dichten. Die Be-
1) Diese Beobachtung wird zerstört durch Ribbecks Annahme,
dass X 26—41 nach VI 66 einzusetzen und VI 17—27 vor VI 67 um-
zustellen seien. Aber Ribbecks Umstellung widerlegt sich schon durch
die Beobachtung, dass i nunc in VI 17 bei dieser neuen Ordnung den
richtigen Sinn verliert und dass der Gedanke von VI 15 f. nunmehr
in der Luft schwebt, da er ohne den folgenden, welcher weggenommen
ist, gar nicht in den Zusammenhang passt.
384 Sitzung der phtlo8,-phil6l, Glosse vom 3, November 1894.
gründung, dass es für ihn hohe Zeit sei an etwas Höheres
als an die Tändelei des Dichtens zu denken, leitet geschickt
zum Thema über. In den Satiren, welche die Form
eines Gesprächs haben, wird der Dialog ohne wei-
tere Vermittlung geboten. .Meine Satiren werden ganz
verschieden beurteilt, was soll ich thun, Trebatius?*" beginnt
die erste Satire des zweiten Buchs. Die dritte hebt an mit
den Vorwürfen, welche der ehemalige Kommissionär, nun-
mehrige Weltweise Damasippns dem Horaz wegen seiner
Faulheit im Dichten macht. Schliesslich wird uns die Satire
über die vier Hauptthorheiten der Menschen, die wir bereits
aus epist. I 6 kennen, ayaritia, ambitio, luxuria, voluptas,
zu denen hier als fünfte superstitio kommt, in Form einer
Eapuzinade des stoischen Philosophen Stertinius gegeben.
Bei V. 77 darf man nicht eine unmittelbare Fortsetzung der
vorhergehenden Worte annehmen; sonst müsste Stertinius
den langen Lehrvortrag an der Fabricischen Brücke gehalten
haben, was unnatürlich ist und auch in Widerspruch steht
mit 33 siquid Stertinius veri crepat, unde ego mira de-
scripsi docilis praecepta haec, tempore quo me solatus iussit
sapientem pascere barbam. Nachdem Damasippus erzählt
hat, mit welchen weisen Lehren Stertinius ihn abgehalten
habe sich in den Tiber zu stürzen, nimmt er bei V. 77 sein
GoUegienheft heraus und liest bis 295 den Vortrag des Ster-
tinius ab. Sat. II 2 ist ein Vortrag, welchen der Dichter
seinen Gästen hält. Man darf annehmen, dass Horaz diese
Satire zuerst eingeladenen Gästen vor der Mahlzeit vorge-
lesen hat. Man hätte nie daran denken sollen, einen Vor-
trag des Ofellus in der Satire zu sehen. Dieser konnte nicht
die Worte nee meus hie sermo est etc. (ovx ifAog 6 fiv&oq
xtI.) sagen und der Schluss könnte nicht ohne Vermittlung
mit quo magis his credas etc. angefügt werden , wenn vor-
her Ofellus gesprochen hätte. Ich bemerke dies nur, weil
in den neuesten Ausgaben von Kiessling, Lucian Müller,
Wechlein: Die Kompositionsweise des Horae etc. 385
Orelli-Mewes, Keller-Häussner V. 53 distabit im Texte steht,
während die best beglaubigte und einzig richtige Lesart di*
stabat ist, welche die Möglichkeit, die Worte dem Ofellas
in den Mund zu legen, ausschliesst (distabat Ofqllo iudice =
distare iudicabat Ofellus).
Aus dem Bestreben, durch die Gedankenfolge zu über-
raschen, ist auch die Verschleierung des inneren Zu-
sammenhangs der Gedanken hervorgegangen. Sehr richtig
bemerkt ein Gelehrter im N. Lausitz. Magazin 1876 S. 354:
,Horaz hat die üebergänge seiner Gedanken mit solcher Sorg-
falt verwischt, dass ein dem gewöhnlichen Schematismus ähn-
licher Gedankengang oftmals gar nicht aufzuweisen ist.'' Da-
rum muss man nicht selten den inneren und den äusseren Zu-
sammenbang der Gedanken wohl unterscheiden. Die Sat. I, 3,
welche Nachsicht gegen die Fehler der Freunde fordert, hat
einen Schluss, welcher von dem eigentlichen Thema ganz
abzuweichen scheint. Die Lehre der Stoiker, dass der Weise
als das Ideal eines Menschen alle guten Eigenschaften in
sich vereinige, dass er reich, gut, schön, König sei, wird
lächerlich gemacht. Voraus geht der Gedanke: „Man darf
nicht über den Schwächen eines Mannes seine Vorzüge über-
sehen. Wir sollen die Fehler entschuldigen und beschönigen,
nicht aber umgekehrt aus guten Eigenschafken schlechte
machen. Wenn man die Vorzüge den Fehlern gegenüber-
hält und findet, dass die Vorzüge das Uebergewicht haben,
soll man diese für die Beurteilung massgebend sein lassen.
Jedenfalls darf man die Fehler nicht schärfer beurteilen, als
es die Natur des Fehlers fordert. Die diesen Forderungen
entgegenstehende Theorie der Stoiker, dass alle Fehler gleich
seien, kommt in Konflikt mit dem natürlichen Gefühl und
den Sitten der Menschen und auch mit der Auffassung des
Nutzens als der Grundlage des Rechts. Da der Nutzen, also
auch das Recht grösser oder kleiner sein kann, muss auch
das Unrecht grösser oder kleiner sein können. Es ist also
386 Sitzung der phüos.-phüol. Classe wm 3. November 1894.
eine Norm zu suchen, damit nicht Vergehen zu hart beurteilt
werden. Denn dass sie infolge der Theorie der Stoiker zu
milde wegkommen, ist nicht zu befürchten.* Dieser letzte
Qedanke wird, um zu dem angegebenen Schluss überzuleiten,
so gegeben: ,Dass du mit dem Rohrstockchen den züchtigst,
welcher empfindlichere Schläge verdient hat, fürchte ich
nicht bei deiner Erklärung, Diebstahl, Strassenraub seien
gleiche Dinge, und bei deiner Drohung, du werdest mit
gleicher Sichel Kleines wie Grosses abmähen, wenn du Herr
auf der Welt wärest (wenn man dich zum König machte).
Als Weiser bist du ja König: wozu wünschest du das zn
sein, was du schon bist?*' Hiemach müsste eigentlich der
Gedanke folgen: „Also zeige deine Macht und räume auf
mit der Lasterhaftigkeit der Menschen." Aber der Dichter
will auf etwas anderes kommen und wir müssen den Zu-
sammenhang aus dem Gesamteindruck der Ausführung ent-
nehmen. Dieser ist folgender: ^Die Theorie der Stoiker
von der Gleichheit aller Fehler gehört zu den Verstiegen-
heiten, durch welche sich diese Philosophen lächerlich machen,
und steht auf gleicher Stufe mit dem Satze, dass der Stoische
Weise der Inbegriff aller Vollkommenheit sei. Solange dieses
Ideal nur in der Vorstellung existiert, wird meine Forderunof
liebenswürdiger Nachsicht gegen Schwächen der Freunde zn
Recht bestehen^).* Wie Horaz den Gedanken auseinander-
legt und mit dem beginnt, was nicht mit dem Vorhergehenden
zusammenhängt, zeigt im Kleinen Sat. I 1, 68 — 72. Nach
dem Gedanken .Demjenigen, welcher den Wert des Menschen
nach seinem Reichtum bemisst, ist nicht zu helfen. Man
kann ihn getrost seinem Schicksal überlassen, da er sich in
seiner Beschränktheit glücklich fühlt* folgt der Gedanke:
^Ein solcher Geizhals, welcher im üeberflusse steht, ohne
1) Schief ist die Auffassung bei Kiessling: .Der eingebildete
Stoiker, der über alles mit demselben groben Hobel hinwegf&hrt,
macht sich zum Einderspott.'^
Weeklein: Die Kompositionsweise des Horaz etc. 387
etwas davon zu geniessen, ist ebenso lächerlich wie Tantalus,
der im Wasser steht und nicht trinken kann.' Horaz beginnt
mit Tantalus:
Tantalus a labris sitiens fugientia captat
flumina. Quid rides? rautato nomine de te
fabula narratur: congestis undique saccis
indormis inhians, et tamquam parcere sacris
cogeris aut pictis tamquam gaudere tabellis,
und hat durch seine Darstellung vieles Kopfzerbrechen ver-
anlasst mit der Frage, worüber der Geizhals lacht. ^) Ich
glaube, dass in der epistula ad Pisones manche Fragen eben-
so einfach zu lösen sind und dass die Erkenntnis des Zu-
sammenhangs viele Schwierigkeiten beseitigt. Gut bemerkt
Mor. Schmidt Hör. Blätter S. 8: „Unser Horaz ist mehr als
ein anderer ein Freund der parataktischen Ausdrucksweise:
er stellt ohne Umstände zwei Bilder nebeneinander, ohne
sich auf eine umständliche Erläuterung dieser Zusammen-
stellung einzulassen. Er rechnet eben auf die schnelle
Fassungsgabe seiner Leser auch ohne begründenden Kom-
mentar". Noch ein Beispiel kunstvoller Gedankenverknüpfung
darf nicht übergangen werden. Es scheint kaum möglich,
von dem Gedanken „die Satire ist mein Tagebuch" eine
üeberleitung zu dem Gedanken „Die Satire ist meine WaflFe,
die jedoch nicht zum AngriflF, sondern zur Abwehr bestimmt
ist* zu finden. Doch werden Sat. H 1 , 30 diese Gedanken
vermittelt: „Dem Lucilius war die Satire sein Tagebuch, in
welches er alle angenehmen und unangenehmen Erlebnisse
eintrug, so dass uns in seinen Schriften sein ganzes Leben
wie auf einem Votivgemälde dargestellt vor Augen steht.
Ihm schliesse ich mich an, von Geburt ein Lucaner oder
1) Die von mir im Philol. 40 (1885) S. 400 f?egebene Erklärung
ist von 0. Weisaenfels, Wochenschr. f. klass. Philol. 1890 Sp. 353 von
neuem gebracht worden.
388 Sitzung der phüaarphüol, Glosse vom 3, November 1894,
Apulier, wie man*s nehmen will. Denn die Yenasiner haben
ihre Markung an der Grenze beider Yolksstamme , dort an-
gesiedelt, um einen Einfall in Römisches Gebiet abzuwehren,
(sind also von Tomherein mit der Spitze — stilus — des
Schwertes versehen). Aber diese Spitze (des Griffels) wird
kein lebendes Wesen mutwillig angreifen und mich schützen
wie ein Schwert in der Scheide' u. s. w.
Zu den Freiheiten der Disposition gehört bei
Horaz die selbständige Ausführung eines Neben-
gedankens und die Einfügung von Gedanken, welche
zwar dem Thema im allgemeinen, nicht aber dem in
Rede stehenden Punkte der Ausführung entsprechen.
Sat. I 1, 76 — 100 werden die Nachteile der Ungenügsamkeit,
der Habsucht und des Geizes dargelegt, ewige Angst vor
Verlusten, Lieblosigkeit von allen Seiten, schliesslich sogar
Gefahr für das liebe Leben, wie der Fall des ümmidius lehrt.
Dieser dritte Nachteil wird eingeleitet mit einer Mahnung,
die jetzt nicht hergehört: „Endlich mache dem Erwerb ein
Ende und je mehr du besitzest, desto weniger fürchte die
Armut und fange an. der Arbeit ein Ziel zu setzen, nach-
dem du soviel erworben hast, als du anfanglich verlangtest,
damit es dir nicht ergeht wie einem gewissen ümmidius'
u. s. w. Epist. I 2, 44 folgt auf die Mahnung, rechtzeitig
an seine sittliche Vervollkommnung zu denken, da hiebei
aufgeschoben aufgehoben sei, der Gedanke: „Man thut alles,
um Geld und Gut zu erwerben. Nicht Haus und Hof, nicht
die schwere Menge Gold und Silber befreit den kranken
Körper vom Fieber, den Geist von den Sorgen; gesund muss
man sein, wenn man das Erworbene recht geniessen will*
Dieser Gedanke: „Man spart keine Mühe, um Geld zu er-
werben, und doch kann man das Erworbene nicht geniessen,
wenn man nicht körperlich und vor allem geistig gesund ist'
wird unterbrochen von dem V. 46 quod satis est cui con-
tingit, nil amplius optet. Da es ein vereinzelter Vers ist,
Wecklein: Die Kompositiansweise des Horaz etc. 389
erscheint sofort der Obelizon wie der Harmozon auf dem
Platz. Lehrs und Ribbeck tilgen den Vers, Lütjohann und
Drewes stellen ihn nach 55 oder 56 um. Es würde wohl
auch die vorher behandelte Stelle nicht unbehelligt geblieben
sein, wenn der Text es gestattete. Epist. ad Pis. 333—346
wird der Gedanke ausgeführt: ^ Die Dichter wollen entweder
nützen oder ergötzen oder beides zugleich thun. Wenn sie
bloss ergötzen, missfällt die Dichtung den älteren, wenn sie
bloss nützen, missfallt sie den jüngeren Leuten. Wer also
allen gefallen vrill, muss beides zugleich thun.^ Dieser fest-
geschlossene Gedanke wird unterbrochen durch die V. 355—340,
in denen nebenbei Vorschriften über das Nützliche und das
Ergötzliche gegeben werden. Es ist zu verwundern, dass
die Harmozonten diese Stelle für gewöhnlich unbehelligt
lassen. Allerdings hat der erste, Riccoboni, diese Verse aus-
geschieden und 338—340 nach V. 13 und 335—37 nach
178 eingefügt. Aber bei Hof man Peerlkamp, Eibbeck,
Lehrs, Mor. Schmidt, Bährens sind die Verse in dem über-
lieferten Zusammenhang geblieben und nur V. 337 ist den
Obelizonten zum Opfer gefallen. Die Worte quicquid prae-
cipies weisen ebenso bestimmt auf idonea vitae wie ficta
voluptatis causa auf iucunda zurück, sodass es schwer ist, die
Verse passender an einer anderen Stelle unterzubringen. In
Sat. I 1 wird der Gedanke ausgeführt: „Die Ungenügsamkeit,
welche mit allen möglichen Vor wänden beschönigt wird,
aber ihren wahren Grund im Neide hat, ist schuld daran,
dass die Menschen so selten mit ihrer Lebensstellung zufrieden
sind/ Zunächst wird dargelegt, wie die Menschen sich ein-
bilden, dass sie in der entgegengesetzten Lebensstellung
glücklich werden könnten, und das Unglück ihres Daseins
in ihrem Berufe finden. Dass dieses leere Einbildung ist,
ergibt sich daraus, dass sie einen angebotenen Tausch ab-
lehnen würden. Im zweiten Teile werden die Vorwände
und Scheingründe der Ungenügsamkeit kritisiert. Zu diesen
390 SUeung der phüos.-phüol. Clasae vom 3. November 1894.
gehört auch die Vorstellung, dass der Reichtum den wahren
Wert des Menschen ausmache. Diese Vorstellung, die lacher-
lichen Geiz hervorbringt, wird ausführlich widerlegt durch
die Aufzählung der Nachteile, denen der Mensch ausgesetzt
ist, welcher nichts Höheres kennt als das Geld. Nach einer
digressio werden die beiden Teile mit nemo ut avarus se
probet (108) zusammengefasst und wird der Grund dieser
menschlichen Thorheit im Neide aufgedeckt. Hiernach kann
ich die Behauptung von Gercke (N. Rhein. Mus. 48 S. 41 f.),
dass diese Satire drei verschiedene Bestandteile enthalte, nicht
zugeben. Schon die Angabe, dass in V. 1—22 die Missgunst
behandelt sei, verrät eine schiefe Auffassung. Der Dichter
bekämpft immer die unablässige Erwerbsucht, welche sich
keine Ruhe gönnt und gewöhnlich infolge der Furcht durch
den Genuss des Erworbenen die Habe zu verkleinern in
gemeinen Geiz sich verwandelt; dieser masslosen Erwerbsucht
wird auch hier die Schuld an der Unbehaglichkeit des Da-
seins beigemessen und den Scheingründen gegenüber der
wahre Grund derselben, welcher sie an den Pranger stellt,
dargethan. Die am Schluss folgende Erklärung, dass der
Neid der wahre Grund sei, wird schon vorbereitet durch 40
nil obstet tibi, dum ne sit te.ditior alter.
Unter den Scheingründen der üngenügsamkeit wird auch
die Freude an der grossen Fülle des Reichtums angeführt
(51 — 60). Dieser Grund wird kritisiert mit den Worten:
„Das ist geradeso wie wenn einer, der einen Becher Wasser
braucht, sagen wollte, ich will das Wasser lieber aus einem
grossen Strome als aus der kleinen Quelle schöpfen. Schöpft
er es aus dem grossen Strome, z. B. aus dem reissenden
Aufidus, so setzt er sich doch nur der Gefahr aus in den
Fluss zu fallen und mitfortgerissen zu werden.** Also „das
Verlangen nach Ueberfluss bezweckt keinen Genuss des Lebens,
bringt im Gegenteil Gefahren für das Leben*, Darauf folgt
der Satz:
WecMein: Die Kompositionsweise des Horaz ete, 391
at qui tantuli eget, quantost opas, is neque limo
turbatam haurit aqaam neque vitam amittit in undis.
Zu limo turbatam bemerkt Eiessling: ,wie es bei dem
Schöpfen aus dem grossen Strom nicht anders sein kann/
Wer kann behaupten, dass man aus dem Aufidus nur schlam-
miges Wasser schöpfen kann? L. Müller sagt: »Hier denkt
Horaz zunächst an den flavus Tiberis. Auch sonst haben
grosse Ströme selten klares Wasser/ Warum soll Horaz
eher an den Tiber als an den Aufidus denken ? In der Aus-
gabe von Krüger findet sich die Note: »neque limo . . aquam
geht auf den , der durch stetes Streben mehr zu erwerben
sich den Genuss verbittert; er schöpft aus Begehrlichkeit zu
tief." Näher kommt dem Richtigen die Anmerkung in der
Ausgabe von Kirchner; »Dies bezieht sich auf das sordide
vivere. Wer mit Wenigem sich begnügt, sagt der Dichter,
braucht weder schmutzig noch unanständig zu leben noch
im Jagen nach grossem Gewinn den eigentlichen Lebens-
zweck zu verlieren/ Nur der Zusammenhang und die Be-
ziehung ist in dieser Erklärung noch nicht klargelegt. Horaz
sagt: »Der Mensch soll nicht nach mehr streben als er
braucht. Wer das Wenige was er zum Leben nötig hat
verlangt, der setzt sich nicht den Gefahren der masslosen
Gewinnsucht aus, ohne deshalb in schmutziger Armut leben
zu wollen. Denn wohlberechtigt ist das Streben nach dem
was der Mensch zum Leben bedarf." Der Dichter bringt
also hier nebenbei den Gedanken : auream quisquis medio-
critatem diligit, tutus caret opsoleti sordibus tecti, caret in-
videnda sobrius aula. Wie er in 101 — 107 die goldene
Mittelstrasse zwischen Geiz und Verschwendung empfiehlt,
so fordert er hier den Mittelweg zwischen cynischer Bedürf-
nislosigkeit und dem Verlangen nach Ueberfluss und prunk-
haftem Besitz. Die gleiche Vorschrift finden wir in sat. II
2, 53 sordidus a tenui victu distabat Ofello iudice: nam
frustra vitium vitaveris illud, si te alio pravum detorseris,
392 Sitsung der phüos.'phiQol. daaae vom 3, November 1894.
wenn auch hier der als Beispiel angeffihrte Avidienus Canis
ein schmutziger Geizhals ist. Noch mehr entspricht unserer
Stelle das zweite Beispiel : nee sie ut simplex Naevius unctam
conyiyis praebebit aquam. Der Gedanke, welcher in neqne
limo turbatam haurit aquam liegt, fallt demnach ebenso aas
dem augenblicklichen Zusammenhang heraus wie die di-
gressio 101 —-107.
Wer Horaz verstehen will, muss immer mit dessen
Humor und schalkhafter Laune rechnen. So hat die Er-
klärung Ton A. P. 29
qui variare cupit rem prodigialiter unam,
delphinum silvis adpingit, fluctibus aprum
Schwierigkeiten bereitet. Döderlein fasst prodigialiter in dem
Sinne «wunderschön", während doch augenscheinlich der
Delphin im Walde und der Eber im Meere die prodigia
sind. Spengel (Philol. IX S. 574) vertritt die Aenderung
von Schneidewin una, indem er prodigialiter zu adpingit
zieht. Hierin ist una ziemlich tiberflüssig und Ribbeck be-
zeichnet die Cäsur nach dem dritten Spondeus und zwar nach
einem einsilbigen Wort als eine abscheuliche. Vahlen (Zeit-
schrift f. Ost. G. 13 S. 1 f.) bemerkt, dass nicht viel geholfen
sei, wenn an die Stelle des von Spengel getadelten Gedankens
„wer variare prodigialiter will, macht prodigia* der Gedanke
trete: „wer variare will, macht prodigialiter prodigia ** und
erklärt prodigialiter ähnlich wie Döderlein: „wer dem ein-
heitlichen Stojff eine erstaunliche Mannigfaltigkeit zu ver-
leihen trachtet** (Kayser „wer einheitlichem Stoff den Beiz
überraschenden Wechsels leihn will"). Andere betrachten
mit Jeep (Jahrb. f. kl. Philol. 109 S. 143) rem prodigialiter
unam als Apposition zu dem Folgenden: „Wer Abwechslung
sucht, der malt, ein Wunder von Einheit, einen Delphin in
den Wald, in die Fluten einen Eber." Ich sehe nicht ein,
wie von einer Einheit, wenn auch von einer unnatürlichen,
Wecklein: Die Kampoaitionsweise des Horaz etc. 393
die Rede sein soll. Offenbar steht iinam im Gegensatz zu
variare (unam rem efficere variam), prodigialiter aber ist
eine scherzhafte Prolepsis, welche sich auf den Erfolg, nicht
auf die Absicht des Dichters bezieht: ,,wer eine einfache
Sache mannigfaltig darstellen will auf die Gefahr hin, dass
unnatürliche Dinge zum Vorschein kommen.* Wie im ein-
zelnen, so zeigt sich auch in der Einkleidung des
Ganzen der Humor des Dichters. Welche Wirkung
mochte die 8. Satire des ersten Buches haben, als sie in
dem Parke des Mäcenas vor der Bildsäule des Priapus, welche
einen grossen Spalt hatte, zum ersten Male dem Freundes-
kreise des Mäcenas vorgelesen wurde! Nachdem Horaz über
die menschlichen Thorheiten mehrfach in ernster Form ge-
handelt hat, fällt es ihm ein, in Sat. II 3 seiner Ausführung
eioe scherzhafte Form, die einer stoischen Tugendpredigt zu
geben. Wenn sich der Dichter mit dieser Einkleidung und
mit der ganzen Einführung des Damasippus auch über die
Stoiker lustig macht, so darf man doch nimmer glauben, dass
der Inhalt nicht sehr ernst gemeint sei und dass in der um-
fangreichen Satire bloss die Lehrweise der Stoiker verspottet
werde. ^)
Das Dargelegte scheint zu genügen zu dem Nachweise,
dass Horaz durch die Art der Anordnung zu überraschen
sucht, dass also das Ungewöhnliche der Anordnung das Ge-
präge horazischer Laune trägt. Ich glaube deshalb, mit
den gewonnenen Ergebnissen an die Lösung des alten Problems
der epistula ad Pisones herantreten und die Ansichten der
Harmozonten, Ghorizonten und Obelizonten einer Kritik unter-
ziehen zu können. Unter den Harmozonten, welche durch
Umstellung von Versen und längeren Partien die ihnen
entsprechende Ordnung der Gedanken zn gewinnen suchen,
1) L. Müller: ,Ich kann in der Satire nichts als eine Verspot-
tung der Stoiker sehen, ihrer hochtrabenden Redensarten und ge-
schmacklosen Uebertreibungen" u. s. w.
394 Süßung der phüo8,'phü6l. Classe vom 3, November 1894,
▼erstehe ich besonders Hofman Peerlkamp (1845), O. Bibbeck
(1869), K. Lehrs (1869), M. Schmidt (1874), Bährens (1879).
Die früheren von Riccoboni bis Bouhier hat H. Peerlkamp
S. 228 ff. zusammengestellt unter Anfügung genauerer An-
gaben über ihre Dispositionen. Als Chorizon ist Faltin auf-
getreten (Horazstudien I. N. Ruppin 1886), welcher die epistola
ad Pisonas in 4 Briefe zerlegt. Derselbe gibt an, dass er
durch die Bemerkungen von Schütz (S. 356) angeregt worden
sei, welcher selbst den Gedanken als unmöglich aufgegeben
hat nicht nur wegen der trotz aller Verschiedenheit durch-
gängigen Gleichartigkeit des Tons und der Grundanschauung,
sondern auch, weil schon Quintilian das Werk als ein ein-
heitliches gekannt habe. Sowohl Schütz wie Faltin scheint
es entgangen zu sein, dass schon J. G. Ottema (Q. H. Flacci
ep. ad P. 1846) eine ähnliche Ansicht vorgetragen hat.
Auch ich kenne diese Schrift nur aus Ad. Michaelis de auc-
toribus quos Horatius in 1. de A. P. secutus esse videatur.
1857 p. 109, nach dessen Angabe Ottema zwei Briefe scheidet,
einen von 196 Versen an den Vater und die beiden Söhne,
einen von 249 Versen an den älteren Sohn. Zu den Obeli-
zonten gehören fast alle die genannten und einige andere
z. B. Gruppe. Als eine besondere Eigentümlichkeit hebe ich
hervor, dass Ribbeck grössere Partien (73—85, 391—407)
in die epistula ad Augustum versetzt.
Dass das Problem der epistula ad P. noch nicht als
gelöst angesehen werden darf, ergibt sich am deutlichsten
aus der neuesten Ausgabe von L. Müller, nach welcher das
Gedicht in fünf Abteilungen zerfällt: 1. V. 1—85 Einleitung.
2. 86 — 250 Lehre von der Tragödie und vom Satyrdrama.
3. 251 — 332 Vergleichung der römischen und griechischen
Dramatiker. 4. 333—365 allgemeine Regeln für den Dichter,
immer mit besonderer Rücksicht auf die Tragödie. 5. 366—476
besondere Winke, Verheissungen , Warnungen für den an-
gehenden Tragiker Piso, die freilich auch für viele andere
Wecklein: Die Kompositionsweise des Horaz etc. 395
Dichter jener Zeit passen mochten. In dieser Einteilung
werden , abgesehen davon , dass im zweiten Teile nicht nur
vom Drama, sondern auch vom Epos die Bede ist (136 ff.),
zweimal Partien, welche eng zusammengehören (73 — 98 und
347 — 390) auseinandergerissen.
Faltin behauptet, dass die Komposition der ep. ad P.
von sämtlichen Satiren und Episteln wesentlich verschieden
sei. Wir werden zwar später eine sehr wesentliche Ueber-
einstimmung finden, aber die Verschiedenheit könnte an und
für sich nichts anderes beweisen als das Vermögen in geist-
reicher Laune immer neue Formen der Darstellung zu er-
sinnen. Es wird sich nur darum handeln darzuthun, dass
die überlieferte Ordnung nicht geradezu als Unordnung er-
scheint, dass vielmehr die einzelnen elivklia^ wie Lehrs die
Abschnitte passend bezeichnet hat, eine innere Verknüpfung
haben iind einen bestimmten Gedankengang verfolgen. Als
eine der unwahrsten und verwerflichsten Behauptungen möchte
ich von vornherein den Satz von Lehrs bezeichnen: „Horaz
erfand sich die Form der Epistel, d. h. die Form der Form-
losigkeit.* Ich möchte auch nicht mit Weissenfeis (Äesthetisch-
kritische Analyse der ep. ad P. von Horaz im N. Lausitz.
Magazin Bd. 56 S. 118 ff.) die Sermonenform als eine Form
betrachten, welche „zwanglose Disposition, um nicht zu sagen
Dispositionslosigkeit** gestattet. Richtiger erscheint mir die
Bemerkung: „Ohne die zwingendste Notwendigkeit soll man
sich nicht entschliessen, gegen irgend eine Epistel oder Satire
Horazens die Anklage zu erheben', es fehle ihr an Zusammen-
hang und sie biete das Bild eines ungegliederten Durch-
einander." Auch die Worte: „Horaz will nicht docieren,
sondern im Tone der gebildeten Unterhaltung zu seinen
Lesern reden** kann man insofern billigen, als der docierende
Ton nur ein Ausfluss der Laune ist. Dagegen kann man
der Behauptung „die ep. ad P. hat ihr eigenes Kompositions-
gesetz. Sie setzt sich aus vielen, zum Teil sehr kleinen Teilen
1894. Phüos.-philol. u. bist. Ol. 8. 27
396 Sitzung der phüos.'pküol, Glosse vom 3, November 1894.
zusammen, von welchen viele etwas so Besonderes sagen,
dass es sieh unter keinen allgemeinen Titel ohne Zwang
fügen will. Damit soll nicht geleugnet werden, dass sieh
allgemeine Gesichtspunkte nachweisen lassen, von denen der
Dichter geleitet ist* nicht ohne weiteres Beifall spenden,
weil sich weder bei Horaz die sehr kleinen Teile, die sich
unter keinen allgemeinen Titel bringen lassen, noch in der
Ausführung Yon Weissenfeis die allgemeinen Gesichtspunkte
finden wollen. För manche Unebenheiten sucht Weissenfeis
die Erklärung darin, dass einzelne Partien gesondert für sich
entstanden und nachher vom Dichter in den yorliegenden
Znsammenhang, wo sie allenfalls erträglich schienen, einge-
reiht worden seien. Man könnte sich die gesonderte Abfas-
sung einzelner Partien wohl gefallen lassen, wenn nur nicht
damit die .Digression über die begleitende Flöte und Lyra"
entschuldigt werden sollte. Wir werden sehen, dass von
einer Digression keine Rede, eine Entschuldigung also ganz
unnötig ist. Doch zur Sache!
Einen Hauptangriffspunkt bot den Harmozonten unsere
epistula in der Partie über den larabus (251 — 274). Schon
bei Daniel Heinsius haben diese Verse ihren überlieferten
Platz verlassen müssen und bei Petrini haben sie die Stelle
erhalten, welche die naturgemässe scheint, nach der Partie,
welche über das Versmass handelt (73 — 85). Auch H. Peerl-
kamp weist ihnen diesen Platz an und Ribbeck scheidet um
der zweiten Partie willen die erste aus: »Die Partie über
die Erfinder der verschiedenen Metra mit ihren entsprechenden
Dichtungsarten (73 — 85) kann in imserem Briefe, der es
wesentlich mit der Theorie des Dramas zu thun hat, um so
weniger eine Stelle haben, als weiter unten (251 ff.) vom
Jambus in einer Weise gehandelt wird, die seine vorherige
Erwähnung ausschliesst.* Falfcin findet in der sehr genauen
Ausführung dessen, was 80—83 über den Jambus angegeben
ist, ein Hauptargument för die Trennung der Epistel : „ Alles
Wecklein: Die Kompositionsweise des Horaz etc, 397
Bemühen, einen Grund zu entdecken, warum erst so spät
und doch nur für das Drama diese besondere Ausführung
folgt, wenn man an der Einheit des Gedichtes festhält, muss
notwendig scheitern/ Aber wenn auch dieser Abschnitt be-
ginnt mit
syllaba longa brevi subiecta vocatur iambus,
so ist der Jambus das Thema dieses Abschnitts nicht mehr
und nicht weniger als etwa Homer als das Thema von
epist. I 2 (Troiani belli scriptorem etc.) betrachtet werden
kann. Von dem Jambus wird nur gehandelt, um den alten
römischen Dichtern den Vorwurf sorgloser Arbeit (operae
celeris nimium curaque carentis) und mangelhafter Kenntnis
der Eunstregeln (ignoratae artis) zu machen. Daran wird
die weitere Bemerkung geknüpft, dass den Römern das feine
Gefühl für die schöne Form fehle und dass sich deshalb die
römischen Dichter gern gehen lassen, weil sie auf Nachsicht
für ihre Verstösse rechnen können. Es wird auf die griechi-
schen Meister verwiesen, die im Gegensatz zu den formlosen
Werken eines Plautus als Muster dienen sollen. Die Ein-
sicht, dass in diesem Abschnitt nicht in erster Linie
Yon Metrik die Rede ist, sondern der Gedankengang
beginnt, welcher im Folgenden fortgesetzt wird, ist
für die Einteilung der Epistel und die Auffassung
der Gedankenfolge von entscheidender Bedeutung.
Es folgen darauf in überraschender Weise kurze ge-
schichtliche Bemerkungen über das griechische Drama. Aber
wenn man an die vorhergehende Mahnung : vos exemplaria
Graeca nocturna versate manu, versate diurna denkt und den
Vers 285 nil intemptatum nostri liquere poetae ins Auge
fasst, so wird die Absicht dieses Abschnitts klar und die
Fortsetzung des Gedankengangs, welcher in dem Abschnitt
über den Jambus begonnen worden ist, ergibt sich deutlich
aus den Worten si non offenderet unum quemque poetarum
27*
398 Atzung der pfUlos^-philoi. Ciasse vom 8, November 1894.
limae labor et mora.^) Man kann den Gedankengang etwa
so geben: « Unseren gefeierten alten Dichtern Accias, Ennius,
Plautus fehlte wie den Römern überhaupt der feine Formen-
siun. Wir müssen uns deshalb an die griechischen Klassiker
halten. Die Griechen haben ja das Drama ausgebildet, auch
das Drama ohne Chor (welches vielleicht manche als römische
Eigentümlichkeit betrachteten). Und wenn auch unsere
Dichter nicht bloss die griechischen nachgeahmt, sondern
durch Behandlung nationaler Stoffe über sie hinauszugehen
gewagt haben, so ist doch die römische Literatur hinter der
griechischen zurückgeblieben, weil unsere Dichter es an der
Sorgfalt und Sauberkeit der Arbeit fehlen lassen. Sie bilden
sich ein, das geniale Wesen hebe über Studium und Arbeit
hinweg. Ich muss ihnen doch einmal den Standpunkt klar
machen. Vor allem muss, wer ein Dichter werden will,
ordentlich Philosophie studieren. Und hat er sich in der
Philosophie ausgebildet,*) muss er durch Beobachtung des
Lebens sich Stoff und Gehalt für seine Dichtungen sammeln.
Weit geeigneter für Dichter ist die ideale Schulbildung der
Oriechen als die realistische der Römer.** Aus dieser An-
gabe des Gedankengangs möge man entnehmen, mit welchem
Rechte der Abschnitt 323—32 von Desprez, Petrini, Rib-
beck, M. Schmidt, Bährens anderswohin versetzt worden ist.
Bei den folgenden Versen 333 — 346 hat auch Lehrs den
^losen, geheimen psychologischen Faden" verloren, weshalb
er die Verse nach 308 einstellt. Aber der Zusammenhang
ist einfach folgender: „Der Dichter muss durch fleissiges
Studium der Philosophie und des Lebens Gehalt für seine
Poesie zu gewinnen suchen, denn Schönheit der Form genügt
1) limae labor et mora ist ja genau das Gegenteil von opera
nimium celeris curaque carens.
2) Das bedeutet doctum 318. Imitatorem begründet den Ge-
danken: „Da der Dichter imitator ist, muss er auch das Leben, das
er nachahmen will, genau beobachten.*
WecJdein: Die Kompositionsweise des Horaz etc, 399
nur einem Teil der Leser ; wer allen gefallen will, muss da-
mit Reichtum der Gedanken und den Ertrag einer hohen
Weltanschauung verbinden."
In dem weiteren längeren Abschnitt (347 — 390) wird
die Notwendigkeit der Sorgfalt und Feile der Arbeit (limae
labor et mora — nonum prematur in annum 388) mit dem
Gedanken begründet, dass während im Gebiete des Nütz-
lichen auch das Mittelmässige Wert hat, im Reiche des
Schönen nur das Vollkommene gut genug ist und Mittel-
massiges nicht ertragen wird. Dann folgt die Partie (391
bis 407), welche anhebt mit
silvestris homines sacer interpresque deorum
caedibus et victu foedo deterruit Orpheus.
Ueber die verkehrte Stellung derselben äussert sich am ent-
schiedensten Bährens: v. 391 — '407 cui bono hie essent et
quid ad rem facerent, omnes fere prudentes (nam interpretum
nihil nescientium turbam mitto) ignorabant iuxta cum igna-
rissimis: D. Heinsius, Desprezius, Bouhierus, Ribbeckius,
M. Schmidtius. Ribbeck bemerkt: „Ganz unvermittelt tritt
ein jener Bericht über die kulturhistorischen Verdienste der
ältesten Griechischen Dichter, der weder in sich abgerundet
ist noch einen vernünftigen Zusammenhang mit seiner Um-
gebung hat.'' Dieses Urteil ist um so auffallender, als mit
dem Schlusssatze ne forte pudori sit tibi Musa lyrae sollers
et cantor Apollo der Zusammenhang deutlich angegeben
wird: „Der Dichter darf sich keine Zeit und Mühe ver-
driessen lassen, um die höchste Vollkommenheit zu erreichen,
und wer von der hohen kulturhistorischen Aufgabe der
Dichtkunst eine Vorstellung hat, wird nicht glauben, dass
er seine Mühe an einen unwürdigen Gegenstand verschweade."
Wenn man diesen Zusammenhang beachtet, wird man nicht
auf den Gedanken kommen mit Döderlein anzunehmen, dass
hier speciell von der lyrischen Poesie die Rede sei.
400 Sitzung der phüos,'phüol, Glosse vom 3, November 1894.
Die folgende Partie 408 — 418 ist von Ribbeck u. a.
umgestellt worden (zwischen 294 und 295), schliesst sich
aber aufs beste an das Vorhergehende an : .Drum lässt sich
die Frage, ob Naturanli^e oder Studium den Ruhm des
Dichters begründet, leicht beantworten; das eine ist so not-
wendig wie das andere und da unsere Dichter glauben, des
Studiums und der Arbeit entraten zu können, sind sie dazu
auf das nachdrücklichste anzuhalten/
Nehmen wir hiezu noch den vorletzten Abschnitt, welcher
die Forderung einer unbefangenen Kritik stellt und sehen
wir von dem humoristischen Schluss, welcher am Ende das
Unwesen der recitationes lächerlich macht, ab, so haben
wir von 251 an einen innerlich aufs beste zusammen-
hängenden Teil, in welchem zunächst ausgeführt
wird, was der römischen Poesie fehlt, worauf ein-
geleitet von den Versen: munus et officium nil scribens
ipse docebo, unde parentur opes, quid alat formetque poetam,
quid deceat, quid non, quo virtus, quo ferat error die Dar-
legung dessen folgt, was zur Hebung der römischen
Poesie beitragen kann. Das Ganze kann man etwa in
Folgendem kurz zusammenfassen: „Den römischen Dich-
tern fehlt es an Sorgfalt der Arbeit und an Wissen.
Drum wird sich die römische Poesie nur heben,
wenn drei Bedingungen erfüllt werden, wenn sich
die Dichter zu fleissigem Studium entschliessen,
wenn sie beim Dichten sich lange und mühevolle
Arbeit nicht verdriessen lassen, wenn sie die Pro-
dukte ihrer Arbeit vor der Veröffentlichung erst
einer unbefangenen Kritik unterwerfen und die For-
derungen dieser Kritik allen Ernstes beherzigen und
erfüllen, nicht aber, wie es jetzt bei den recitationes
gebräuchlich ist, bloss ihrer Eitelkeit huldigen
lassen/
Wer die ep. ad P. übersieht, wird sofort erkennen, dass
WecJdein: Die Kompositionsweise des Horaz etc, 401
diesem zweiten Teile eine Ausführung gegenübersteht, welche
einen wesentlich verschiedenen Charakter hat. Doch bevor
wir hierauf eingehen, müssen wir erst einzelnes behandeln.
Wir haben uns oben warnen lassen, den Anfangen ein-
zelner Abschnitte zu grosses Gewicht beizulegen und dar-
nach den Inhalt des Abschnitts zu bestimmen. So hat der
Anfang der Partie, welche die Charakterzeichnung behandelt
(153—178)
tu, quid ego et populus mecum desideret, audi.
si plosoris eges aulaea manentis et usque
sessuri, donec cantor „vos plandite^ dicat,
zu der Meinung verleitet, dass hier der besondere Teil an-
hebe , welcher das Drama zum Gegenstand habe. Darüber
später. Der Abschnitt behandelt die Seite der Charakteristik,
welche Aristoteles Poet. 15 als to äq^ioTTOv bezeichnet. Eine
zweite Seite, t6 OfjiaXov^ wird unter anderem Gesichtspunkt
in Bezug auf die Erfindung neuer Personen 126 f. ange-
bracht: servetur ad imum qualis ab incepto processerit et
sibi constet. Die dritte Eigenschaft der Charakteristik,
welche Aristoteles fordert, to o^oiov kann man 114 — 118
berührt glauben: intererit multum, divosne loquatur an
heros etc. Aber eben dieser Punkt, dass die Charakterzeich-
nung an zwei verschiedenen Stellen behandelt wird, ist von
den Harmozonten wie von den Chorizonten aufgegriffen
worden. H. Peerlkamp stellt 156 — 178 nach 118 und Faltin
äussert sich S. 5 darüber in folgender Weise : „ An der Spitze
der Vorschriften für den Bühnendichter steht die eingehende
Charakteristik der vier Lebensstufen und die Betonung der
Bedeutung der Charakterzeichnung überhaupt. Von der-
selben Aufgabe ist bereits die Rede in den V. 114 — 127.
Ein Vergleich beider Stellen ist lehrreich.** Die V. 119-127,
welche in einem anderen Zusammenhang stehen, gehen uns
vorderhand nichts an. Die V. 114—118 schliessen sich aufs
402 Sitzung der phüosrphüol, Glosse vom 3. November 1894.
engste an 99 — 113 an und ein Vergleich der Partie 99—118
und 153—178 dürfte allerdings lehrreich sein. Wie kein
Zweifel ist, dass in 153 — 178 der Aristotelische Gesichts-
punkt i^^og behandelt wird, so lehrt Poet. 19 eari Ttavd tiJv
äidvoiav Tavra ooa vno tov Xoyov del TtaQaaxevaa&rjyaL
lieqri de xovxwv t6 te dnodeinvivai xat zo kveiv xal to
nad-ri nagaOTteva^eiv olov sXeov fj q)6ßov ij oqyriv %al
ooa Toiavta xat exi fieye&og xat fÄixQotrjTag zusammenge-
halten mit
non satis est pulchra esse poemata: dulcia sunto
et quocunque volent animum auditoris agunto.
ut ridentibus adrident, ita flentibus adsunt
humani yoltus: si vis me flere, dolendum est
primum ipsi tibi: tunc tua me infortunia laedent,
Telephe vel Peleu; male si mandata loqueris,
aut dormitabo aut ridebo. tristia maestum
voltum verba decent, iratum plena minarum,
ludentem lasciva, severum seria dictu,
dass der Abschnitt 99 — 118 den Aristotelischen Ge-
sichtspunkt äidvoia zum Gegenstand hat. Es handelt
sich hier nicht um das Charakteristische, sondern um das
Gefühlvolle und die überzeugende Kraft der ^rjoeig. Damit
werden wir auf ein Moment geführt, welches sich für die
Anordnung des ersten Teils unserer Epistel als sehr bedeu-
tungsvoll erweist: es treten uns die sechs Aristotel-
ischen Gesichtspunkte für die Behandlung des Dra-
mas entgegen: avavaaig riov nqayfidTVJv, ^^og, äidvoia^
li^ig, iiiXog, oipig. Denn ohne weiteres ergibt sich uns der
Abschnitt 46—72 als Xi^ig, der Abschnitt 202—219 als
f^elog, Musik. Die Partien 1—37 und 119—152 enthalten
die ovaxaoig rwv Ttgayf^drcov. Es bleibt uns für die oipig
die Partie 179—201. Ausserdem haben wir noch den Ab-
schnitt über das Versmass 73—85, beziehungsweise 73—98
Wecklein: Die Kompositionsweise des Horaz etc. 403
und die V. 38-— 44. Um aber über das Verhältnis zu
Aristoteles und den ganzen Charakter des ersten Teils klar
zu werden, müssen wir einige Bemerkungen zu den einzelnen
Partien machen.
Wir beginnen mit dem Abschnitt 179—201, welcher
sich mit dem, was Aristoteles unter oxpig versteht, nicht zu
decken scheint. Denn nach Poet. 6 nvqiojTeqa neqi rijV
aireQyaalav tüv oipewv ri tov aycevOTtOLOV zexvrj rijg tüv
TtoifjTcav ioTiv versteht Aristoteles unter oipig vorzugsweise
die Scenerie. Bei Horaz gibt uns der Abschnitt, welcher
anhebt mit
aut agitur res in scaenis aut acta refertur,
zunächst die Vorschrift, dass drastische Vorgänge, deren Vor-
führung die Illusion stören würde, hinter die Bühne verlegt
und durch eine ^fjaig dyyehxi^ ersetzt werden. Die Beispiele
ne pueros corara populo Medea trucidet, aut humana palam
quoquat exta nefarius Atreus, aut in avem Procne vertatur,
Cadmus in anguem weisen auf griechische Bühnenstücke hin
und die griechische Herkunft der Vorschrift folgt aus dem
Schol. zu Aesch. Cho. 903 ngog avTOv tov ^Xyiod^ov. ni-
^avüg di (d. h. die Worte dienen zur Motivierung des Hi-
neintretens), Hva ^ij iv q>aveqii> ij avaiQeaig yevrjrai. Eine
Anregung zu dieser Vorschrift lag nicht bloss in dem Brauch
der Tragiker, sondern auch in den Worten des Aristoteles
Poet. 24 Tci neqi rrjv ^'ExzoQog dico^iv ercl axrjvfß ovza yeXöia
av (paveirj , . iv de xdig erteaiv Xavd^dvei, Die zweite Vor-
schrift betrifft den Umfang eines Stückes, welcher nicht mehr
und nicht weniger als fünf Akte betragen soll. Die Ein-
teilung eines Dramas in fünf Akte hält man gewöhnlich für
römischen Brauch und Ribbeck (Die Rom. Trag, im Zeitalter
der Republik. S. 641 f.) vermutet, dass die Fünfzahl erst von
Varro festgesetzt worden sei. Aber ich habe schon anderswo^)
1) üeber eine Trilogie des Aeschylos. Sitzungsb. 1891 S. 344.
404 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 3, November 1894.
bemerkt, dass das Schol. zu Aristoph. Frö. 911 f. fy . . Tg
Nioßfj ^Nioßfj^ ?wg TQitov i^iQOvg snma&fifievr] t^> rogx^
Twv Ttaidtav ovdiv q>d^iYYetai iyKeKaXv^fievr]^ worin eug TQi-
tov fiiQOvg die Erklärung von to dqafjia rfirj fueGoirj 924
gibt, der Ftinfzahl der Akte griechischen Ursprung vindiciert.
Denn wenn der dritte Teil die Mitte bildet, so muss das
Ganze fünf Teile umfassen. Die weitere Vorschrifk über
den deus ex machina geht auf Aristoteles Poet. 15 iuij^ay^
XQfjoviov ini ra e^w %ov d^fjiaxog xre. zurück, wenn auch
der Inhalt der Vorschrift über das von Aristoteles Gestattete
hinausgeht. Dass die folgende Vorschrift nee quarta loqui
persona laboret griechischen Ursprungs ist, lehrt schon der
Zusammenhang derselben mit dem Gebrauche von drei Schau-
spielern und wird bezeugt durch das Schol. zu Aesch. Cho.
898 fiezeanevaaTai 6 i^dyyeXog elg TlvXddrjv^ %va fiiij d* Xi-
ycoaiv. Die Vorschrift über den Chor : actoris partis chonis
officiumque virile defendat neu quid medios intercinat actus
quod non proposito conducat et haereat apte schliesst sich
eng an Aristoteles Poet. 18 an: tov xoQov tva del vnoXaßeh
Tcov vjionQircov nal fAOQiov eivai tov oXov nat ovvaywvi^eaO^at
fiij äaneq EiqiTrldr] äXX' woneQ SocpoxXel. Tolg de koiTtdig
TCt ^dofieva oiäsv /naHov rou ^vO-ov rj aXXrjg Tgayc^diag
iaTiv äio ifißoXijua qdovaiv nqcoxov dq^avxog ^ya&covog
TOV ToiovTOv. Der Niederschlag dieser Lehre findet sich des
öfteren in den Scholien, z. B. zu Phoen. 1019 nQog ovdev
TavTo' edei yoQ tov x^gov olycTiaaa&ai did tov S-dvaTOv
Mevomecog tf aTtoöexeod-ai Tiqv eiipvxiav tov veavioinov ^ zu
Aristoph. Ach. 442 EvQinidtjg elaccyei Tovg x^QOvg ot^r« rd
dnoXov^a q)d^eyyofievovg tj^ vnod^eoeiy dXV ioTOQiag Tivag
anayyiXXovTag, cSg iv Toig Ootviaoaig ovtb if-utad^üg avTi-
XafAßavofievovg tcov ddmTj&evTiov, dXXd fiexa^v avTiTtiTtTOvrag.
Der zweite Teil des letzten Scholions betriflPt die weitere
Vorschrift: ille bonis faveatque et consilietur amice et regat
iratos et amet pacare timentis. Diese Vorschrift hat die
Wecklein: Die Kompositionsweise des Horaz etc, 405
zwischen Rede und Gegenrede eingelegte oder der letzteren
nachfolgende, gewöhnlich aus zwei Trimetern bestehende
beruhigende Mahnung des Chorführers im Auge wie Soph.
Ant. 681 f., 724 f., Ai. 1091 f., 1118 f., 1264 f. Die Vor-
schrift, dass der Chor auf Seite der Guten stehe, hängt teil-
weise auch mit der Oekonomie des Dramas zusammen, weil
der Chor von Anfang bis Ende auf der Bühne war und an
der ganzen Handlang teilnahm. Noch mehr ist durch die
Oekonomie die Vorschrift ille tegat commissa bedingt, welche
sich bei Horaz etwas sonderbar ausnimmt und moralische
Bedeutung zu haben scheint, während sie ursprünglich nur
der Technik des Dramas gilt. Der Chor, welcher immer
anwesend ist, muss verschwiegen sein, weil sonst die Hand-
lung zu Ende wäre. Dieses Schweigen ergibt sich häufig
aus der Handlung von selbst wie in den Choephoren des
Aeschylos, in der Elektra des Sophokles, wenn auch in dem
letzten Stücke (468 f.) der Chor eigens um Verschwiegen-
heit gebeten wird, teils wird es besonders motiviert wie Eur.
Med. 263, Hipp. 712, Iph. T. 1052, Ion 666, El. 273,
Iph. A. 542. Mir kommt es vor, als sei sich Horaz der
eigentlichen Bedeutung dieser Vorschrift nicht bewusst ge-
wesen. Das Uebrige: ille dapes landet mensae brevis, ille
salubrem iustitiam legesque et apertis otia portis — deosque
precetur et oret ut redeat miseris, abeat fortuna superbis
fordert ethischen Gehalt für die Chorgesänge und hat vor-
zugsweise Aeschylos und Sophokles im Auge, doch auch
Euripides; denn apertis otia portis erinnert augenscheinlich
an das schöne Chorlied des KQeaqfOvvrjg (frg. 453): ElQYjva
ßaS-VTvXovTs aal xailiota ^andgcov ^ewv xrc.
Die Regeln also, welche Horaz in diesem Abschnitt gibt,
gehen zurück auf eine griechische Quelle, welche eine Tech-
nik des Dramas enthielt, aus welcher auch die Alexandrini-
schen Erklärer der dramatischen Dichter schöpften. Die
Frage, ob die römische Tragödie einen Chor gekannt habe,
406 Sitzung der pküos.-phüol. Olasse vom 3. November 1894.
ist hier ziemlich müssig ; die Vorschriften gehen nur auf
gn-^chische Dramen zurück und Horaz konnte bei seiner
Wiedergabe derselben das Verständnis griechischer Dramen
bezwecken. Der Abschnitt ist lehrreich für die Bestimmung
des Verhältnisses zu Aristoteles Die vorliegende Theorie
geht von der Poetik aus, geht aber über dieselbe hinaus.
An die Stelle der oipig ist eine äussere Technik des
Dramas gesetzt. Wenn wir nach dem Verfasser dieser
neuen Poetik fragen, so gibt uns Porfyrio die Antwort: in
quem librum congessit praecepta Neoptolemi tov IlaQiavov
de arte poetica, non quidem omnia, sed eminentissima.
Durchaus griechisches Gepräge hat auch der folgende
Abschnitt über die Musik. Ja der Hauptsache nach geht
dieser Abschnitt zurück auf das bekannte Hyporchem des
Pratinas: tig 6 ^OQvßog ode; ri zdöe rd xoQBvixara; Tig
vßqig €fiolev ini Jiovvoiada TtoXvTtdraya &v(jLiXav\ ifiog
6 Bqofjiiog' ifii del yLthtöeiv . . tdv doiddv KaTeoraoe Ilieglg
ßaaiXeiav* 6 d' avXog varegov xoqevETO)' xai ydq eod^
vnrjQaTag xte. Ich zweifle, ob Horaz von diesem Ursprung
seiner Ausführung Kenntnis hatte. Bei vino diürno placari
genius festis impune diebus hat man trotz der römischen
Redensart placari genius nur an das Fest der grossen Dio-
nysien, die Choen, zu denken und die Chorgesänge mit der
allzukühnen Sprache und dem lehr- und orakelhaften Inhalt
(217 f.) können keine anderen sein als die des Aeschylas.
Wenn wir an eine zwischen Aristoteles und Horaz in
Mitte liegende Poetik denken, dann begreifen wir auch die
Anordnung der vorausgehenden Partien. Die drei ersten
Teile ovoxaaig zwv ngay^dzcovy didvoia, Xi^ig sind
nach rhetorischen Gesichtspunkten geordnet: dis-
positio, elocutio, inventio unter Vorausschickung dessen, was
über das Grundgesetz aller Poesie, die Einheit der Dichtung,
zu sagen ist. Die dispositio wird in einer ganz allgemein
gehaltenen Vorschrift erledigt, welche sich mehr für die
Wecklein: Die Kompositionsweise des Horaz etc. 407
Bede als die Poesie eignet : ordinis haec virtus erit et venus,
aut ego fallor, ut iam nunc dieat iam nunc debentia dici,
pleraque differat et praesens in tempus omittat. Was ausser
der Einheit der Dichtung zur ovoxaaig zciv 7tQay/ddr(ov ge-
hört, ist unter den Gesichtspunkt der inventio gebracht
(119 — 152). Lehrreich für die richtige Auffassung dieses
Abschnitts ist die Zusammenstellung, welche Adam, Die
Aristotelische Theorie vom Epos nach ihrer Entwicklung bei
Griechen und Römern Wiesbaden 1889 gegeben hat. Lehrs
stellt 136—152 nach 37, während doch der V. 132 non
circa vilem patulumque moraberis orbem, welchen freilich
Lehrs für eingeschoben hält, mit dem folgenden Abschnitt
136 — 152 und besonders mit der Vorschrift in medias res
(148) in engstem Zusammenhang steht. In der eben er-
wähnten Abhandlung wird gezeigt, wie die Originalität der
Dichtung besonders in der Abwendung von dem 7toiri(jia
TivxXixovy dem aeia/Äa dirjvexig^ wie es Kallimachos nannte,
gesucht wurde. Wir haben also im ganzen Abschnitt wieder
griechische Theorie, welche an Aristoteles anknüpft. Der
Anfang erinnert an Poet. 14 Tovg fiiv ovv TtaQeiXrjfiiAevovg
fiv^ovg Xveiv ovx toviVy Xeyo) äe oiov Tiqv KXvTaifirjOtQav
anod-avovaav und %ov ^Oqiavov xai Tr)v ^Eqi^vXtjv vtco tov
lihiiiaiwvog, av%6v de €VQiay.eiv öel xai TÖig naqadeöoiJievoig
X^o&ai ^aXüg und an das 9. Kapitel der Poetik, in welchem
der Unterschied des Dichters und des Historikers behandelt
und von den naQadedofxtvoi iav&ol gesprochen wird. Das
Attribut sibi convenientia (119) fordert den inneren Zusammen-
hang yLata x6 eWog rj z6 avayTcaiov. Von der Vorschrift ser-
vetur ad imum . . et sibi constet ist bereits die Bede gewesen.
Die Verwerfung des Ttoirjf^a hvkXihov und die Empfehlung
der Homerischen Anordnung geht zurück auf Poet. 23 du
äoTiBQ eiTtOfiev rjcJjj aal TavTt] d-eaniaiog Sv qxxveitj ^'OfxtjQOg
naQcc TOvg aXXovg (qui nil molitur inepte 140), T(^ ^tjöi
TOV TtoXefiov ycatTCEQ ixovca aq%riv xai TaXog Bntxei^aai
408 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 3. November 1894.
Ttoieiv okov Uav yaQ av fiiyag xal ovn svavvoTtrog i'fiekkv
koea&ai . . vvv d' tv fjiqog dnoXaßtiv ineiGodioig xexQ^ai
auTwv noXlolg olov vewv xavaXoytp Tcat ailotg eTcewoöloig
olg diahzpLßavBi Tr]v Ttoirfliv. Mit dem Schluss atque ita
inentitur, sie veris falsa remiscet, primo ne medium, medio
ne discrepefc imum vgl. Poet. 24 dedidaxev fidhava "^'Ofir^g
xal Tovg okXovg xpetörj Xiyeiv cig dei xzk. Eine Horazische
Zuthat möchte man nur in der Vorschrift nee verbo verbum
curabis reddere fidus interpres erkennen.
Eigene Gedanken hat Horaz wohl am meisten in dem
Abschnitt über die Xe^ig geboten; gewiss mit Recht hat
Spengel darin eine Polemik gegen eine zeitgenössische puri-
stische Richtung gefunden. An die Sprache ist das Yers-
mass angeknüpft. Diese Verbindung ist schon durch Poet. 6
Xiycj de Xe^iv elvai tijv dia r-^g ovofiaaiag kQjurjveiav, o xod
€7tt Twv Bfi(Ai%qiov Hat eni twv Xoycjv exet rtjv avTT(v dvva-
ixiv nabegelegt, rührt also wahrscheinlich von Neoptolemos
her. Was Orion p. 58 angibt: eXeyog 6 d^Qrjvog öiq to dt'
avTOv Tov d-QYjvov ev Xayeiv tovg xaTOixo/^ivovg, evQe^r^v ds
%ov eXeyelov q>aalv oi /u«V tov ifp;ftAoxoi', oi de MlfiveQiiov,
Ol de KaiXivov jtaXaiozeQOv. od-ev nevTafjiBTQOv xio ^Qwiii(p
avvf^Ttrov oix OfAodgaiAOvvza rj tov Tcqoteqov ävva^ei, diX
ovov avv€K7tveovTa xal avva/roaßevvvfievov Talg tov TekevTr^'
aavTog Tvxaig ' oi d' vOTeQOv nqog artavTag ddiacpoQcog ' ovtw
/lldvfiog ev t<^ neqi ttoititcüv^ das stimmt so mit 75 versibus
impariter iunctis querimonia primum, post etiam inclusa est
voti sententia compos; quis tarnen exiguos elegos emiserit
auetor grammatici certant et adhuc sub iudice lis est überein,
dass man für Didymos und für Horaz die gleiche Quelle,
d. h. die Poetik des Neoptolemos annehmen muss , woran
schon Orelli gedacht hat. Die Bemerkung über den Jambus
alternis aptum sermonibus geht zurück auf Poet. 4 (xaXiara
keKTixov Tiöv /aeTQwv t6 la/xßel6v eativ, arjfAsiov de tovtov'
TtkeloTa yoQ iafißela XeyofiBv ev t^ diaXexTip ttj nqog oiXriXovg xtI.
Wechlein: Die Kompositionsweise des Horaz etc. 409
Die Verbindung der Sprache und des Yersmasses ge-
stattet im folgenden Abschnitte 89 — 98 eine Regel aufzu-
stellen, welche Sprache und Yersmass in gleicher Weise be-
trifft. Sprache und Yersmass, heisst es, müssen nicht nur
den yerschiedenen Dichtungsarten, sondern auch innerhalb
einer und derselben Dichtungsart den Terschiedenen Situationen
angemessen sein.
Die Verbindung der diavoia mit der Xi^ici entspricht
wieder dem Vorgang des Aristoteles. Vgl. Poet. 19 ra fiev
ovv 7T€Qi Trjv ötdvoiav ev rolg rcegi ^r]TOQiy,^g xeiod-co ' tovto
ydq idiov /^aXlov incelvr^g Tijg ixed^oSov und Rhet. II 26 bttbI
TQia iaziv a dei 7tQayfiaTevd"qvai negl tov Xoyov^ VTveg iiev
TtaQadeiyf.id'ccov xat yvwpiojv xai evd'Vf^irjfAaTCJv ytat oXcog tüv
neql rrjv diavoiavy o&ev re evnoQrjüOfuev nai cog avtd XvaofAev,
Hiernach erhalten wir folgende Abteilung des ersten
Teils:
1. Ueber Einheit der Dichtung (1 — 37), ovataaig xwv
nqayiAatwv,
2. Uebergang (38—41).
3. Dispositio (42—44), {avoTaaig twv ngayfidtiov),
4. Elocutio (45 — 118), li^ig (und ixetqov)^ äidvoia.
5. Inventio (119 — 152), ovaraoig tcov rrqayiidiiov,
6. ri&og (158—178).
7. Aeussere Technik des Dramas (179 — 201), oxpig.
8. lAiXog (202—219).
Nicht umsonst sind die zwei Gesichtspunkte,
welche das Drama allein oder vorzugsweise be-
treffen, ans Ende gestellt. Vgl. Aristot. Poet. 24 to
ädri Tavrd dei e'xsiv tiJv Bnonouav rp TQay(i)di<ic . . xa« td
[iiqrj s^io f,ieXo7toiiag xat oipecog tavzd. Im übrigen
wird kein Unterschied zwischen den einzelnen Dich-
tungsarten gemacht. Es wird zwar nach dem Vorgange
410 Sitzung der pMo8,-phüol, Glosse vom 3, November 1894,
des Aristoteles die Theorie vorzugsweise am Drama ent-
wickelt (Poet. 23 TtBQi de trjg dirjyrjfiaTix^g xal iv i^apistqf^
fUfirjTiiifjg Ott del zovg fAv^ovg na^aTieQ iv zaig TQayqidiaig
awiardvai dQaßAOTinovg xat ntql iJtiav jiQa^iv oXrjv xai te-
leiav exövaav o^x^^ ^<xi (jiiaa xal tiXog^ iV äoneg ^^ov ev
olov Ttoifj rrjv olneiav tldovtjv, df^kov xr€.), aber bei passender
Gelegenheit (136 iF.) tritt auch das Epos ein. Wir haben
oben gesehen, was dazu verleitet hat, von 153 an einen be-
sonderen dramatischen Teil anzunehmen. Lehrs, welcher
dies gleichfalls thut, bemerkt dazu, dass auch in den allge-
meinen Vorschriften eine Neigung bestehe, die Beispiele aus
dem Drama vorzugsweise zu wählen.
Wie wir oben bei drei Episteln gefunden haben, dass
sie in zwei Teile zerfallen, welche durch eine Partie ver-
mittelt werden, so ergeben sich auch bei der ep. ad
Pison. zwei Hauptteile, ein theoretischer und ein
praktischer. Man kann diese zwei Hauptteile noch
näher kennzeichnen als griechische Theorie und
römische Praxis. Die Vermittlung gibt hier der
Abschnitt über das Satyrdrama (220— 250).*) An dem
Satyrdrama gibt Horaz ein Beispiel, wie es der Dichter an-
fangen und alle Seiten beachten muss, und wenn die Ver-
mutung von Orelli, dass die besondere Behandlung dieser
Dichtungsart den älteren Piso als Verfasser von Satyrdramen
im Auge habe, richtig ist, so konnte allerdings kein besserer
Uebergang von der griechischen Theorie zur Kunstübung
römischer Dichter gewonnen werden.
1) Nur äusserlich stimmt damit die Einteilang, welche Theodor
Fritzsche Philol. 44 S. 90 gibt, überein. Nach seiner Auffassung ist
der leitende Gedanke der ganzen Dichtung von 251 bis zu Ende die
an den älteren Piso gerichtete Warnung, sein Vorhaben Satyrdramen
zu schreiben nicht als leichtes Spiel zu betrachten. So soll 1—219
der vorbereitende allgemeine, 251 ff. der specielle persönliche Teil,
der Abschnitt über das Satyrdrama die Rekapitulation des allge-
meinen Teils und der Kern- und Mittelpunkt der ganzen Epistel sein.
r
Wechlein: Die Kompositionsweise des Soraz etc. 411
Im allgemeinen hat schon Spengel, Philol. 18 S. 103
den Charakter der beiden Teile ähnlich aufgefasst. Den In-
halt des ersten Teils kennzeichnet er als Lehren, welche der
Dichter einer Tragödie nnd des mit dieser zusammenhängenden
drama satyricum dem Inhalte (89 — 250) wie der Form nach
(251 — 274) zu beobachten habe. »Der zweite Teil dagegen
zeigt uns den Zustand der römischen Poesie , welche sich
aus der griechischen entwickelt hat, was in derselben die
römischen Dichter geleistet, was sie gefehlt haben. Dieses
gibt dem Horaz Veranlassung, sein eigenes Urteil über die
Poesie überhaupt und die Poeten seiner Zeit darzulegen
(275 — 476).* Auch Döderlein unterscheidet einen didakti-
schen (1 — 365) und einen paränetischen Teil (366 --476).
Michaelis kommt in der oben angeführten Schrift über
die Quellen des Horaz zu dem Schluss (S. 35) , dass der
Dichter weniges aus Neoptolemos, einiges aus den Schriften
des Piaton und Aristoteles, das Meiste von sich habe. Wir
werden sagen, dass Horaz im zweiten Teile im allge-
meinen selbständig ist, dagegen im ersten Teile
sehr viel oder das meiste der Poetik des Neopto-
lemos verdankt. Die Behauptung von Orelli: „Aristotelem
non legit Horatius'^ kann wahr sein.
Da die richtige Auffassung des Zusammenhangs vor
allem von der Erkenntnis der leitenden Gedanken abhängt,
welche der poetischen Einkleidung und reichen Ausstattung
zu entledigen sind, so will ich zum Schlüsse versuchen den
Inhalt kurz zusammenzufassen.
I. Griechische Theorie (1—219).
Das Grundgesetz einer Dichtung wie irgend eines an-
deren Kunstwerks ist organische Einheit und Harmonie der
Teile (1 — 23). Das Streben dem Werke einen einheitlichen
Charakter und eine bestimmte Färbung zu geben kann bei
1894. Philos.'phi)ol. u. hist. Cl. 3. 28
412 Sitzung der pkäos.'phüdl. Glosse Wim 3. November 1894.
mangelndem Kunstverständnisse leicht zu fehlerhafter Manie-
riertheit führen (24—31). Auch genügt es nicht bloss ein-
zelne Teile sorgfältig auszuarbeiten; man muss der gleich-
massigen Vollendung des Ganzen gewachsen sein (32 — 87).
um also auf der Höhe seiner Aufgabe zu stehen, muss
man bei der Wahl des Stoffes vorsichtig zu Werke gehen,
und seinen Kräften nicht zu viel zumuten. Sobald man den
Stoff vollständig beherrscht, wird es weder an der rechten
Anordnung noch an der sprachlichen Darstellung fehlen^)
(38—41).
Die Anordnung hat ihren Vorzug darin, dass nichts
vorweggenommen, dass alles an der richtigen Stelle gebracht
wird (42—44).
Eine Haupt Wirkung der sprachlichen Darstellung liegt
in der geschickten Verbindung der Worte, welche alltäg-
lichen Ausdrücken eine originelle Färbung geben kann. Auch
die Bildung neuer Ausdrücke ist statthaft zur Bezeichnung
neuer Begriffe. Nur muss man massvollen Gebrauch hieven
machen und aus dem Griechischen schöpfen. Diejenigen,
welche das verpönen, verkennen das Leben der Sprache.
Ueber die Geltung neuer und das Ableben verbrauchter Aus-
drücke entscheidet allein der Sprachgebrauch. Die Sprache
der Dichtung ist eine metrische. Das Versmass ist nach der
Art der Stoffe verschieden. Auch innerhalb einer und der-
selben Dichtung wechselt das Versmass nach der Verschie-
denheit der einzelnen Formen , worüber man sich in genü-
gender Weise unterrichten muss, und ebenso muss der Ton
und die Färbung der Sprache nicht bloss den verschiedenen
Dichtungsarten, sondern auch innerhalb einer und derselben
Art den verschiedenen Situationen angemessen sein. Die
1) Eine Art propositio zum ersten Teil, wenn einstweilen auch
nur von der dispositio und elocutio, nicht von der inventio ge-
sprochen wird. Vgl. zu 306—308.
Wechlein: Die Kamposittonstoeise des Horaz etc. 413
Sprache muss aber auch die Kraft der Ueberzeugung haben
und imstande sein Gefühle und Empfindungen zu wecken.
Es kommt deshalb darauf an, für jede Seelenstimmung den
wirksamen Ton zu finden und jeder Person die entsprechen-
den Gedanken in den Mund zu legen. Denn der Gedanken-
kreis ist verschieden nach Rang, Alter, Lebensstellung, Be-
ruf, Herkunft*) (45—118).
Die Stoffe sind entweder historisch oder frei erfunden.
Bei historischen Personen hat man den Charakter, welchen
sie in der üeberlieferung und durch dieselbe, wenn sie all-
gemein bekannt ist, in der Vorstellung des Publikums haben,
festzuhalten. Bei frei erfundenen Stoffen kommt es darauf
an, einen inneren Zusammenhang der Handlung zu schaffen
und den Charakter der Personen consequent durchzuführen.
Es ist geföhrlich, von der geläufigen Form des Mythus ab-
zuweichen, viel leichter, den Stoff wie er überliefert ist
dramatisch zu gestalten.^) Bei Stoffen, welche schon von
anderen behandelt worden sind, wird man seine Selbständig-
keit dadurch zeigen, dass man nicht die gewöhnliche An-
ordnung und den geläufigen Gang der Darstellung einhält,
nicht zum üebersetzer wird , sondern frei gestaltet. Diese
Anordnung des Stoffes muss besonders zwei Punkte ins Auge
fassen, sie muss eine Steigerung des Eindrucks bewirken und
den Hörer gleich in medias res einführen. Was keine Wir-
kung verspricht, muss der Dichter beiseite lassen. Beim
Hinzudichten darf er den organischen Zusammenhang des
Ganzen nicht aus dem Auge verlieren (119 — 152).
Eine Hauptwirkung wird erzielt durch naturgetreue
1) Ein Fehler gegen diese Regel sind die philosophiBchen Ke-
flexionen im Munde von Ammen bei Euripides Med. 119 ff., 190 ff..
Hipp. 250 ff.
2) üeber proprie communia dicere d. i. ra xoivä Idlcog Xsyeiv vgl,
den Vortrag über die Stoffe und die Wirkung der griechischen Tra-
gödie S. 16.
28*
414 Sitzung der pMos.-pkÜdl. Olwse vom 3. NovewAer 1894,
Zeichnung der Charaktere. Andere Neigungen und Bestre-
bungen zeigt der Knabe, andere der Jüngling, der Mann,
der Grei« (153—178).
Obwohl das wirksamer ist, was der Zuschauer mit
eigenen Augen sieht, müssen doch gewisse drastische Scenen
hinter die Bühne verlegt werden, um die Illusion nicht zu
stören. — Ein Stück soll nicht mehr und nicht weniger als
fünf Akte haben. — Ein deus ex machina ist nur statthaft;
bei einer Verwicklung, deren Losung göttliches Eingreifen
erfordert. — Auf der Bühne sollen höchstens drei Personen
sich am Gespräch beteiligen. — Der Chor hat eine Bolle
wie ein Schauspieler. Die Chorpartien sollen mit der Hand-
lung in engem Zusammenhang stehen. Der Chor soll auf
der Seite der Guten stehen und die Leidenschaft der Han-
delnden beschwichtigen. Die Gesänge desselben sollen hohe
sittliche Ideen zum Ausdruck bringen. Der Chor muss ver-
schwiegen sein und das anvertraute Geheimnis bewahren
(179-201).
Die Musik, im Anfang schlicht und nur zur Begleitung
des Gesanges bestimmt, wurde bei der grossstädtischen Ent-
wicklung und bei der Zunahme des ungebildeten und zucht-
losen Publikums immer rauschender und drängte sich immer
mehr in die erste Stelle vor ; die Folge war, dass die Chor-
gesänge, deren Text man doch nicht verstand, immer orakel-
hafter im Inhalt, immer kühner und verwegener im Aus-
druck wurden (202—219).^)
1) Merkwürdig ist die Inhaltsangabe dieses Abschnitts bei Lahrs:
a£s hat sich die Tragödie von kleinen Anfängen allmählich — und
dies kommt ganz besonders im Chore zur Erscheinung — zu einer
Erhabenheit und orakel artigen Höhe emporgebildet.* Man darf wohl
sagen, dass hievon bei Horaz nichts steht.
Wecklein: Die Kotnposüionsweise des Horaz etc. 415
Uebergang.
Eine besondere Art der griechischen scenischen Poesie
ist das Satyrdrama, welches Erheiterung der Zuschauer be-
zweckt, aber in Rücksicht auf die vorausgehende Tragödie
hierin Mass halten und die richtige Mitte finden muss zwischen
dem hohen Tone der Tragödie und dem niederen der Ko-
mödie. (Wer also wie ihr, Pisonen, Satyrdramen dichten
will, muss ein feines Taktgefühl besitzen.) Die ernsten Per-
sonen des Satyrdramas sollen eine gewisse Würde behaupten
und einen vornehmeren Ton anschlagen. Auch die lustigen
Personen wie der Silen dürfen nicht wie gemeine Sklaven
und Dirnen in der Komödie sprechen. Wenn die Ausdrücke
auch der Umgangssprache entnommen sind, können sie doch
durch geschickte Verbindung geadelt werden und sich über
das Alltägliche erheben.^) Die Satyrn sollen, ihrer Herkunft
aus der Wildnis eingedenk, sich nicht zu fein und stutzer-
haft benehmen, dürfen aber auch nicht unanständige Zoten
1) Teuffei sieht in dem Abschnitt 220—250 drei verschiedene
Fassungen eines und desselben Gedankens, von denen nur die erste
225 — 233 zur definitiven Aufnahme in das Gedicht bestimmt gewesen
sei. Spengel (Philol. 18 S. 97 ff., 33 S. 574 f.) erkennt zwar das Ver-
schiedene der drei Partien, will aber die mittlere 234-~43 nach 250
umstellen, weil es ihm auffallend erscheint, dass Horaz in 10 Versen
auseinandersetze, wie er selbst das Satyrspiel in seinem Unterschied
von der Tragödie und Komödie bearbeiten würde, und dann erst den
Satz aufstelle, wie die satyri nicht reden sollen, was doch die nächste
Beziehung zu dem habe, was die tragische Person sprechen soll. Aber
die Vorschrift, welche der Dichter in 234 — 43 über die Sprache gibt,
bezieht sich nicht auf die Sprache des Satyrdramas überhaupt, son-
dern auf die der ernsten Personen und des Silen. Ueber den Chor
der Satyrn ist eine besondere Bemerkung zu machen, darum kommt
dieser zuletzt. Thatsäohlich muss sich die Haltung und Sprache des
Satyrchors, der eigentlich allein oder doch vorzugsweise das aus-
gelassene Element im Satyrdrama bildet, wesentlich von dem Be-
nehmen der übrigen Personen unterscheiden.
416 Sitzung der phUos.-phüol Glosse vom B, November 1894.
reissen.^) Den Lazzaronis mag dergleichen gefallen, aber
der Dichter hat den Geschmack des gebildeten Publikums
zum Massstab zu nehmen (220—250).
IL Römische Praxis (251—476).
Freilich fehlt auch dem gebildeten Römischen Publikum
der feine Formensinn. Darauf sündigen unsere Dichter. Sie
kennen nicht einmal die einfachsten Regeln des Versmasses,
z. B. dass im Trimeter in geraden Füssen ein reiner Jambus
stehen muss. Daran leiden die gefeierten Verse eines Accius
und mit Unrecht werden die schwerfalligen Trimeter des
Ennius bewundert, mag nun Unkenntnis der Regeln oder
mangelnde Sorgfalt daran Schuld tragen. Die Verse des
Plautus sind ebenso kunstlos wie seine Witze unfein. Wir
müssen uns in Bezug auf die Form die Griechen zum Muster
nehmen. Die Griechen haben das Drama von seinen ersten
Anfangen bis zu dem Drama ohne Chor ausgebildet und die
römischen Dichter sind in ihre Fusstapfen getreten, haben
es auch durch Aufnahme nationaler StofiFe zu einer gewissen
Selbständigkeit gebracht. Gewiss würden sie hinter den
Griechen nicht zurückgeblieben sein, wenn sie sich nicht
sorgfältiges Ausfeilen und lange Arbeit verdriessen liessen.
Aber man bildet sich ein, dass geniales Wesen der Mühe
des Studiums und des Ausfeilens überhebe. Und das geniale
Wesen sucht man in Aeusserlichkeiten. Wenn es so leicht
wäre, könnte auch ich ein Dichter werden. Aber lieber nicht!
Drum will ich eine Art Wetzstein machen, der ohne zu
schneiden schärft; ich will, ohne selbst zu dichten, andere
über ihre Pflicht und Aufgabe unterrichten, wie sie sich
1) Gut gibt den Inhalt dieser Verse Bibbeck wieder: .Weder
der pöbelhafte Jargon der Gasse noch die gezierte Feinheit des auf
dem Forum der Weltstadt heimischen Elegants würde Natarkindem
wie den Faunen zusagen.*
Wecklein: Die KomposUionsweise des Horaz etc, 417
vorzubereiten und auszubilden haben, welcher Weg zum
Rechten, welcher in die Irre führt ^) (251-308).
Vor allem muss sich der Dichter ein gründliches philo-
sophisches Wissen aneignen , damit seine Poesie gehaltvoll
wird. Ihrer idealen Erziehung und Ausbildung verdanken
die Griechen die hohe Vollendung ihrer Poesie, während das
realistische Schulwesen der Römer nicht geeignet ist den
ästhetischen Sinn zu wecken und zu fördern. Aus der Philo-
sophie muss der Dichter die Gedanken einer hohen Lebens-
anschauung schöpfen; denn mit der poetischen Form allein
kann er nur der unreifen Jugend gefallen; das gereiftere
Alter fordert einen bedeutenden inneren Gehalt (309 — 346).
Obwohl man manche Fehler verzeiht — freilich ist
schon die Nachsicht der Fehler ein Kennzeichen geringer
Achtung^) — und obwohl nicht an jedes Gedicht der gleiche
Massstab angelegt wird,*) so verlangt man doch von einem
Kunstwerk, weil es das Wohlgefallen zum Zweck hat, die
höchste Vollkommenheit. Denn bei dem geringsten Miss-
fallen, welches es erregt, verfehlt es seinen Zweck. Wer das
nicht leisten kann, soll das Dichten bleiben lassen oder
wenigstens nichts veröflFentlichen, Was zur Veröffentlichung
bestimmt ist, muss einer langen und sorgfältigen Prüfung
und Ausfeilung unterzogen werden. Wenn einer die hohe
Kulturaufgabe der Poesie kennt, wenn er beherzigt, dass die
1) Die V. 306—808 bilden eine Art propositio zum zweiten, wie
38 — 41 zam ersten Teil.
2) Ribbeck verlangt in Y. 868 at für et: „Mit et würde eine
Inconsequenz angedeutet werden, welche zwischen dem verächtlichen
Urteil über GhOrilus und der Reizbarkeit gegen Homerische Schwächen
bestehe; Tgl. sat. II 3, 809. 7, 28. Davon aber kann keine Rede sein.
Nur dass das eine vollkommen berechtigt, das andere hingegen höchst
ungerecht sein würde, will Horaz sagen. Dazu aber bedurfte es einer
Adversativpartikel, at.* Aber bei dem Gedanken «Nachsicht ist schon
Geringschätzung* ist et ganz am Platze.
8) Z. B. darf sich eine Komödie mehr erlauben als eine Tragödie.
418 Sitzung der phüos.-phiM, Clcuae vom 3. November 1894.
Dichter 'die Lehrer des Volkes sein sollen, dann wird er
nicht glauben, dass er seine Mühe an einen unwürdigen
Gegenstand verschwende. Die Frage also, ob Studium und
Arbeit oder Genie den Dichter ausmacht, lässt sich leicht
losen. Das eine ist so notwendig wie das andere. Drum
sollten unsere Dichter vor allem die Arbeit nicht scheuen
(347—418).
Aber weil man die Arbeit nicht will, der allein wahrer
Dichterruhm blüht, so begnügt man sich mit dem Scheine
des Dichterruhms, welchen das erkaufte Lob der Schmeichler
bietet. Uns thut vor allem eine sachkundige und unbe-
fangene, unabhängige Kritik not. Diese allein könnte uns
von dem tollen, lächerlichen und lästigen Treiben unserer
Dichterlinge, welche sich mit ihren Vorlesungen aufdrängen,
erlösen (419—476).
Dieser Zusammenhang der Gedanken sieht nicht darnach
aus, als ob er aus ungeordneten Papieren des Horaz her-
stammte. Aus solchen leitet M. Schmidt die überlieferte
Ordnung der Sätze her, um über die Schwierigkeit wegzu-
kommen, dass Quintilian VIII 3, 60 die ersten Verse der
Epistel, denen er selbst nach dem Vorgang Biccobonis einen
anderen Platz anweist, mit den Worten in prima parte
libri de arte poetica als Anfang bezeugt.
Historische Classe.
Herr Lossen hielt einen Vortrag:
»Ueber Nuntiaturberichte und andere Akten
des Vatikanischen Archivs als Quellen der
Geschichte des Kölnischen Kriegs.*
419
Oeflfentliche Sitzung
zu Ehren Seiner Majestät des Königs und Seiner
Königlichen Hoheit des Prinz-Regenten
am 15. November 1894.
Der Präsident der Akademie, Herr M. v. Pettenkofer,
eröJSnet die Sitzung mit folgender Ansprache:
Entsprechend der Geschäftsordnung der kgl. bayer. Aka-
demie der Wissenschaften finden jährlich zwei öffentliche
Sitzungen statt, zu welchen nicht nur Eingeladene, sondern
Jedermann Zutritt hat; die eine an einem sogenannten Königs-
tage, zu Ehren ihres Protectors, die andere an ihrem Stif-
tungstage. Die heutige Festsitzung gilt unserm durchlauch-
tigsten derzeitigen Protector, Seiner königlichen Hoheit dem
Prinz-Regenten Luitpold von Bayern, der in diesem Saale
ebenso wohlwollend zu uns niederschaut, wie wir alle ehr-
furchtsvoll und dankbar zu ihm aufschauen.
Zunächst sei mir gestattet, einige Thatsachen mitzu-
theilen, aus welchen hervorgeht, wie unablässig unser Pro-
tector und seine Staatsregierung für die Akademie und für
die wissenschaftlichen Sammlungen, welche mit der Akademie
yerbunden sind, Sorge tragen, und nebstdem auch zu er-
wähnen, was von anderen Seiten geschehen ist, die Zwecke
der Akademie und des Generalconservatoriums zu fordern.
420 Oeffentliche Sitzung vom 15. November 1894.
Dann wird durch die HH. Classensecretare die Ver-
kQndigang der von Seiner königlichen Hoheit bestätigten
Wahlen neuer Mitglieder folgen und schliesslich Hr. College
Professor Dr. Sohncke die Festrede über einen allgemein
interessirenden Gegenstand, über die Bedeutung wissenschaft-
licher Ballonfahrten, halten.
Als ich im vorigen Jahre an dieser Stelle über aka-
demische Ereignisse der vorangegangenen Zeit berichtete, ge-
dachte ich auch unseres an den damals versammelten Landtag
gerichteten Antrages, der Akademie ein Capital von etwa
500 000 «^ oder einen jährlichen Zuschuss von 20 000 eJi zu
bewilligen, um damit wissenschaftliche Unternehmungen der
drei Classen unserer Akademie zu ermöglichen. Regierung
und Landtag haben in dankenswerther Weise wenigstens
einen Theil dieses Antrages sich angeeignet und einen auf
20 Jahre berechneten jährlichen Zuschuss von 5000 oM be-
willigt, um damit die Kosten der von unserer Akademie im
Bunde mit den anderen grossen wissenschaftlichen Körper-
schafben Deutschlands und Oesterreichs geplanten und bereits
begonnenen Bearbeitung eines neuen grossen lateinischen
Wörterbuches (Thesaurus linguae latinae) zu bestreiten.
Seither haben die hiefür verbundenen fünf Körperschaften
eine eigene Commission für dieses Unternehmen gebildet,
zu deren thätigsten Mitgliedern eines der Mitglieder unserer
philosophisch-philologischen Classe, Prof. Dr. v. Wölfflin,
gehört.
Wir erneuem den Ausdruck unseres lebhaften Wunsches,
dass insbesondere den naturwissenschaftlichen Disciplinen
weitere hochherzige Spenden des künftigen Budgetlandtages
zu Hülfe kommen möchten.
Der neu begründete Verband wissenschaftlicher Körper-
schaften hat seither zwei weitere Delegirten-Versammlungen
gehalten , die erste im Mai dieses Jahres in Göttingen , die
andere im September in Innsbruck. Auf beiden wurde
V. Pettenkofer: Eröffnungsrede, 421
namentlich der Plan eines weiteren gemeinsamen wissen-
schaftlichen Unternehmens , gleichartig organisirte Unter-
suchungen über den Zusammenhang der Erdschwere mit den
tektonischen Verhältnissen der Erdrinde, berathen. In Göt-
tingen wurde beschlossen, zu diesem Zwecke mit der seit
Jahren bestehenden internationalen Commission für Erd-
messung, an der auch unsere Akademie durch eine eigene
ständige Commission betheiligt ist, in Verbindung zu treten.
Das ist nun auch in Innsbruck geschehen und hat dahin
geführt, dass die vom 5. bis 12. September dort tagende
permanente Commission der internationalen Erdmessung sich
bereit erklärte, dahin zu wirken, dass aus ihrem Schoosse
eine eigene Section für das Studium der Schwere sowohl
nach ihrer Intensität, wie auch nach ihrer Richtung gebildet
werde, von welcher Section durch Beiziehung von Geologen
auch die einschlägigen geologischen und geophysischen Pro-
bleme bearbeitet werden könnten.
Von den vom bayerischen Landtag für die Zwecke der
Akademie und der mit ihr verbundenen wissenschaftlichen
Sammlungen des Staates weiterhin neubewilligten Summen
sind besonders hervorzuheben: der Betrag von 168000 cJI
für den vollständigen Umbau der Gewächshäuser im Botani-
schen Garten und für die neue Einrichtung des Botanischen
Instituts, weiter die für den Neubau des Physiologischen
Hörsaales und den Umbau des Physiologischen Instituts be-
willigte Summe von 162000 e4!.
Kleinere Beträge, zusammen etwa 9400 tJi, wurden für
Einrichtung oder Ausstattung des Botanischen Instituts,
dann der mathematisch-physikalischen, der geologischen und
der mineralogischen Sammlung im ausserordentlichen Etat
bewilligt. Der ordentliche Etat der zoologischen Sammlung
wurde um jährlich 1714 »^ erhöht.
Mit Bedauern muss ich erwähnen, dass der Conservator
der mathematisch -physikalischen Sammlung, Geheimrath
422 OeffenÜuAe Süzung vom 15. November 1894,
Professor Dr. v. Boltzmann, schon nach einer Wirksam-
keit von drei Jahren ans wieder verlassen hat, um einem
höchst ehrenvollen Rnf in seine Heimath, nach Wien, zu
folgen. Die Akademie kann, gleich der mit ihr zu ein-
trächtigem Wirken verbundenen Ludwigs-Maximilians-Üni-
versitat, nur den Wunsch und die Hoffiiung aussprechen,
dass recht bald ein dieses Vorgängers würdiger Nachfolger
sich finden möge.
Eine wesentliche Aenderung ist auch bei dem bis in
die jüngste Zeit mit dem k. MSnzcabinet durch eine Art
von Personalunion verbundenen Museum von Abgüssen
classischer Bildwerke erfolgt, indem nach dem Bücktritt des
inzwischen verstorbenen Gonservators der beiden Sammlungen,
des Geheimen Baths Professor Dr. v. Brunn, das von ihm
begründete Museum von Gypsabgüssen unter dem neuen
Professor der Archäologie an der Universität München,
Professor Dr. Furtwängler, zum Range eines selbsfön-
digen Conservatoriums erhoben und damit einem von seinem
Gründer seit langen Jahren gehegten Wunsch entsprochen
wurde.
Aus dem der Akademie gehörenden, hauptsächlich der
Vermehrung unserer wissenschaftlichen Sammlungen dienen-
den, leider nur allzu kleinen sogen. Mannheimer Reserve-
fonds haben seit meinem letzten Bericht die paläontologische
Sammlung, das Botanische Institut, das Antiquarium und
die mathematisch-physikalische Sammlung bescheidene Zu-
schüsse erhalten, theils zur Vermehrung der Sammlungen,
theils zur Anschaffung von Instrumenten. Sollte der nächste
Landtag unserer Bitte um Gründung eines neuen akademi-
schen Fonds Gehör schenken, so würde uns damit die
Möglichkeit geboten, diese und andere ebensosehr der all-
gemeinen Volksbildung wie dem strengen wissenschaftlichen
Studium dienende Sammlungen auf eine Stufe zu heben,
welche den verwandten Instituten anderer Staaten entspricht.
V. Pettenkofer: IBröffnungsrede. 428
Inzwischen freuen wir uns, wenn hin und wieder —
und geschähe es nur in zehnfach höherem Maassstab ! — der
patriotische und wissenschaftliche Eifer von einzelnen Pri-
vaten unsere Staatssammlungen bedenkt. Von dem, was im
letzten Jahre auf diese Weise denselben zugekommen ist,
gedenke ich dankbar der Oeschenke, welche unsere Lands-
leute, der kaiserliche Gouyerneur von Kamerun, Eugen
y. Zimmerer, dann Herr Hofrath Dr. Martin in Sumatra,
weiter der Afiikareisende Dr. Holub in Wien dem ethno-
graphischen Museum und der zoologischen Sammlung ge-
macht haben. — Hochwillkommen waren auch schöne Oe-
schenke, mit welchen die HH. Apotheker Burg er und
Zeichnungslehrer Heinrich Morin dahier, sodann Professor
Selenka in Erlangen und Apotheker Wisp au er in Singa-
pore die zoologische Sammlung bedacht haben.
Die zoologische Sammlung hat ihrerseits gern zur wei-
teren Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse im
Lande beigetragen dadurch, dass sie entbehrliche Doubletten
verschiedenen Gymnasien und anderen Mittelschulen zu-
theilte.
Auf ihrem engeren Arbeitsgebiet hat die Akademie
auch im vergangenen Jahre besonders nach zwei Richtungen
hin sich thätig erwiesen: einerseits durch eigene wissen-
schaftliche Publicationen philosophisch-philologischer, mathe-
matisch-physikalischer und historischer Art, andererseits durch
Pflege eines sehr ausgedehnten Schriftentausches mit zahl-
reichen anderen wissenschaftlichen Instituten und Körper-
schaften — ein Tausch, welcher insbesondere der kgl. Hof-
und Staatsbibliothek zu gute kommt, der wir nach altem
Herkommen alle uns nicht doppelt zugehenden Publicationen
überreichen.
Von den speciellen Unternehmungen unserer Akademie
gedenke ich heute auch noch des seit einer Reihe von Jahren
theils durch Geldmittel, theils durch Arbeitskräfte der Aka-
424 Oeffentliehe Sitgung vom 15. November 1894.
demie geforderten Werkes, der Herstellung einer hydro-
graphischen Karte des Bodensees, eines Unternehmens, zu
dem sich die fünf Uferstaaten verbunden hatten und welches
nun Anfangs dieses Jahres zu einem gewissen Abschloss
gelangt ist. Die gemeinsamen Kosten beliefen sieb bis
dahin auf etwa 56000 Francs; auf Bayern, d. h. auf unsere
Akademie, trafen dayon etwa 7300 Francs oder 3800 e^,
ungerechnet die 7on uns besonders gedeckten Reisekosten
einzelner Mitarbeiter an dem schönen Unternehmen. Wenn
wir uns dabei erinnern , wie schwer es uns manchmal
gewesen ist, einen an sich so kleinen Betrag an unsem
laufenden jährlichen Ausgaben gleichsam abzusparen, so
müssen wir immer wieder mit einem gewissen Neid unserer
Genossinnen zu Berlin und Wien gedenken, welche für sich
allein zehnmal grössere wissenschaftliche Unternehmungen in
die Hand nehmen und zu Ende führen können.
Ich möchte desshalb schliesslich hier noch beifügen,
dass die reichen Mittel, welche anderen Akademien zu Gebote
stehen, nicht allein vom Staate kommen, sondern dass an-
sehnliche Theile auch aus Schenkungen von Personen, stam-
men, welche unaufgefordert wissenschaftliche Forschungen
und Werke grossmüthig zu unterstützen streben. So besitzt
z. B. die Wiener Akademie durch mehrere testamentarische
Verfügungen ein Capital von nahezu 200 000 Gulden öster-
reichischer Währung, d. i. gegen 400 000 e^, dessen Zinsen
sie im Sinne der Stifter für verschiedene wissenschaftliche
Zwecke verwenden kann. Unsere Akademie hat nur ein
einziges Mal einen reichen Geber gefunden, der aber kein
Münchener, auch kein Bayer, noch aus einem anderen Theile
von Deutschland ist. Im Jahre 1877 schenkte uns ein
Grieche, der Bankier Hr. Christakis Zographos, zur Förde-
rung des Studiums der griechischen Sprache und Literatur
ein Capital im Betrage von 25 000 Francs oder 20 000 Jl.
Mit den Zinsen von diesem Capitale konnten Preisaufgaben
V, Pettenkofer: Eröffmmgsrede. 425
gestellt und die rühmlichst gelösten honorirt werden. Zwei
der Preisträger, die HH. Oberhummer und Krumbacher,
wurden dadurch veranlasst, Reisen nach Griechenland und
in den Orient zu unternehmen und seltene Handschriften in
auswärtigen Bibliotheken zu untersuchen. Der Zographos-
Fonds gehört ausschliesslich unserer philosophisch -philolo-
gischen Glasse zur Verwendung; aber auch die historische
Classe und namentlich die mathematisch-physikalische hätte
viele Wünsche und Aufgaben, die weder durch den Zographos-
Fonds, noch durch den Thesaurus linguae latinae gefördert
werden können.
Sodann erfolgte die Verkündigung der durch die Aka-
demie am 14. Juli 1. J. vollzogenen und von Sr. Egl. Hoheit
dem Prinzregenten unter dem 11. November bestätigten
akademischen Neuwahlen.
Es wurden gewählt und bestätigt:
für die philosophisch-philologische Glasse:
als ordentliches Mitglied:
Herr Dr. Iwan von Müller, Professor der class. Philologie
und Pädagogik an hiesiger Universität;
für die historische Classe:
als correspondirendes Mitglied:
Herr Dr. Joseph Langen, Professor der Kirchengeschichte
an der Universität Bonn.
426 Oeffentlushe Sitzung wm 15, November 1894,
Hierauf hielt das ordentliche Mitglied der mathematisch-
phisikalischen Classe, Professor Dr. Leonhard Sohncke,
die Festrede
„lieber die Bedeutung wissenschaftlicher
Ballonfahrten/
Dieselbe ist bereits als besondere Schrift im Verlag der
k. Akademie erschienen.
427
bitzung vom 1. Dezember 1894.
Herr Krumbacher hielt einen Vortrag:
„Ueber Michael Glykas/
Derselbe wird weiter unten veröflPentlicht.
Herr Maurer hielt einen Vortrag über:
»Ein neues Bruchstück von Södermannalagen/
Ende Juli dieses Jahres erfreute mich unser auswärtiges
Mitglied, Professor Dr. Wilhelm Meyer in Göttingen, durch
die überraschende Mittheilung , dass sich unter den Frag-
menten, welche Wilhelm Müller dem dortigen Deutschen
Seminare vermachte, ein solches von Södermannalagen befinde.
Nachdem C. J. Schlyter durch mehr als fünfzigjährige emsige
Arbeit sein „Corpus juris Sueo-Gotorum antiqui** fertig ge-
stellt hatte (1827 — 77), war kaum noch eine Bereicherung
des handschriftlichen Materiales für die altschwedischen Rechts-
quellen zu erwarten gewesen; um so willkommener war mir
der Nachweis eines neuen Fundes, zumal da er ein Rechts-
buch betrifift, um dessen handschriftliche üeberlieferung es
ziemlich dürftig bestellt ist. Ich wandte mich sofort an
Herrn Professor Dr. Moriz Heyne als an den ersten Vor-
stand des genannten Seminars mit der Bitte, mir die Be-
nützung und Veröffentlichung jenes Fragmentes gestatten zu
wollen. Von Göttingen abwesend , hatte dieser die Güte,
mein Ansuchen dem zweiten Seminarvorstande, Herrn Prof.
Dr. Gustaf Roethe, zu übermitteln, und von diesem wurde
das fragUche Bruchstück sofort mit der freundlichsten Zuvor-
kommenheit an die hiesige Egl. Hof- und Staatsbibliothek
1894. PhUos.-philol. u. hist. Gl. 3. 29
428 SUeung der f^os.-phüol. Classe vom 1. Dezember 1894,
geschickt, auf deren Handschrifbenzimmer ich dasselbe mit
Erlaubniss des Herrn Directors Dr. Georg Laubmann und
gefaUigst gefordert durch unser Mitglied, Herrn Bibliothekar
Friedrich Eeinz, mit aller Bequemlichkeit benützen konnte.
Ihnen Allen spreche ich für die mir gütigst gewährte Unter-
stützung hiemit meinen verbindlichsten Dank aus.
Ueber die Herkunft des Fragmentes vermag ich
keinen genügenden Aufschluss zu ertheilen. Nach Mitthei-
lungen, welche ich Herrn Professor Roethe verdanke, scheint
dasselbe von Dr. Volger in Wölfinghausen bei Eldagsen an
den früheren Oberbibliothekar Hoeck in Göttingen, und von
diesem an Professor Wilhelm Müller gegeben worden zu sein;
Volger aber dürfte dasselbe entweder aus dem Kloster Ebstorf,
oder aus der Amtsregistratur zu Winsen an der Luhe er-
worben haben. Indessen beruhen diese Angaben nur auf
mehr oder minder wahrscheinlichen Vermuthungen und können
somit auf volle Zuverlässigkeit keinen Anspruch erheben.
Eine kurze Beschreibung der Handschrift gab mir
bereits bei seiner erster Mittheilung Professor W. Meyer mit
folgenden Worten: ,1 Doppelblatt, Pergament, je 18^/2 cm
hoch, und noch ll^acm breit, 22 Zeilen, roth und blau
rubricirt, 14. Jahrhundert, schwedisch, Södermannalagen
(VI. Bygiiinga Balker, 7. Anfang — 9. Mitte).** Ich glaube
dieser Angabe noch Folgendes beifügen zu sollen. Die beiden,
ursprünglich doch wohl zusammenhängenden, Blätter der Hs.
sind jetzt von einander getrennt, und an ihrem inneren Rande
so scharf beschnitten, dass auf IIa die Anfangsbuchstaben,
und auf Ib sowie IIb die Endbuchstaben mehrerer Zeilen
ganz oder theilweise weggeschnitten sind. Ich habe in dem
folgenden Abdrucke das Weggefallene ergänzt, aber die Er-
gänzung durch Klammern bemerklich gemacht. — Das erste
Blatt hat ferner nicht nur in dem unbeschriebenen äusseren
Bande einen grösseren Längeriss, sondern auch einen kleineren
solchen in dem beschriebenen inneren Rande; das zweite
Maurer: Ein neues Bruchstück von Södermannatagen. 429
Blatt dagegen zeigt zwischen der 11. und 12. Zeile einen
bis in die Mitte des Blattes hineinreichenden Querriss, und
ausserdem ist auf dessen Vorderseite auch noch ein Theil der
12. Zeile stark abgewetzt. Durch diese wie jene Verletzungen
wird die Lesung einzelner Worte etwas erschwert. — Die
Hs. ist linirt und zwar sind die 3 obersten und untersten
Linien auch über den Aussenrand gezogen, während die
übrigen nur bis zu einer senkrecht auf diesem stehenden
Randlinie reichen. Die Columnentitel und die Capitelüber-
schriften sind roth geschrieben; die grossen Initialen, mit
welchen die Capitel beginnen, zeigen in dem einen der beiden
vorkommenden Fälle rothe (Ib, Z. 7), im anderen aber rothe
und blaue Farbe (IIb, Z. 13). Innerhalb der einzelnen
Capitel finden sich einige Male Paragraphenzeichen an die
Spitze neuer Sätze gestellt und zwar sind diese zumeist mit
rother (la, Z. 3; Ib, Z. 21 ; IIa, Z. 3), in einem Falle aber
mit blauer Farbe geschrieben (la, Z. 5). Endlich werden
auch die Anfangsbuchstaben der einzelnen Sätze zumeist
durch einen rothen Fleck in denselben hervorgehoben (so in
den Worten: Alle, Vm, Hwar, Hwar, Stiasl, MselsB, Sighia,
Nu, Synis in la, Z. 1, 3, 4, 7, 9, 11, 12, 17, 20; dann Ei,
Ligger, Falz, Alle, in Ib, Z. 3, 8, 19, 21; ferner in Gita,
Nu, Ra|)e und Sighia, Aker, Ganger, Hwem, Falz, Nu, Aker,
Stande, Later in IIa, Z. 2, 3, 7, 8, 11, 13, 14, 15, 17, 18, 21;
endlich in Gange, Stiael, Taker, Kan, Tiufrar, Fseller, Tiu|)ra,
in IIb, Z. 2, 3, sowie 5, 6, 7, 8 u. 9, dann 10 u. 12, femer
16, 18, 20, sowie 20 u. 22), einmal aber auch durch einen
solchen von blauer Farbe (Nu, in la, Z. 5); nicht selten
bleibt aber der grosse Anfangsbuchstabe eines Satzes auch
ohne jede derartige Auszeichnung.
Bezüglich des Alters des Bruchstückes dürfte die
von unserem erfahrenen Handschriftenkenner mir mitgetheilte
Zeitbestimmung sich vielleicht noch etwas enger begrenzen
lassen. Wir wissen aus einer am 8. Maerz 1347 ausgestellten
29*
430 Sitzung der phüos.'phÜoh Classe vom 1. Dezember 1894,
Urkunde^), dass damals das gemeine Landrecht des Königs
Magnus Eriksson wenn nicht fertig, so doch seiner Fertig-
stellung schon sehr nahe gertickt war; wir besitzen femer
zwei Hss. dieses Landrechts, welche schon um die Mitte des
14. Jahrhunderts geschrieben sind^), und tiberdiess hat
Schlyter bereits durch eine Reihe gleichzeitiger Urkunden
dargethan^), dass dieses Landrecht schon im Jahre 1352 in
üpland, in den Jahren 1352, 1353 und 1354 in Oestergöt-
land, sowie im Jahre 1358 in Södermannland selbst als
kürzlich eingeführtes geltendes Recht bezeichnet wurde. Der
kirchenrechtliche Abschnitt des gemeinen Landrechtes gelangte
in Folge des hartnäckigen Widerspruches, welchen ihm der
Episkopat entgegenstellte, nicht zur Annahme, und auf
kirchen rechtlichem Gebiete blieben demnach die älteren Pro-
vincialrechte auch fernerhin in Geltung, wesshalb denn auch
deren kirchenrechtliche Abschnitte nach wie vor fleissig ab-
geschrieben wurden; insbesondere auch vom Kirkiu Balker
des SML. ist eine grosse Zahl von Pergament- und Papier-
handschriften erhalten. Dagegen ist nicht wahrscheinlich,
dass die weltlichen Bestandtheile dieses Rechtsbuches noch
zu einer Zeit sollten abgeschrieben worden sein, in welcher
sie bereits durch jenes neuere Gesetzbuch um ihre Geltung
gebracht worden waren, und wird man somit auch die Ent-
stehung der Hs., deren letzten Ueberrest unser Fragment
bildet, vor die Mitte des 14. Jahrhunderts setzen müssen,
welcher Zeit auch die beiden anderen, bisher allein bekannten
Hs. des weltlichen Rechts angehören. Weder der Charakter
der Schriftzüge desselben noch dessen Sprache und Recht-
schreibung scheint mir dieser Zeitbestimmung zu wider-
sprechen; indessen überlasse ich das ürtheil hierüber der
altschwedischen Palseographie und Sprachlehre Kundigeren,
1) Diplom, svecan., V, nr. 4148, S. 643—44.
2) Schlyter, Corp. jur. X, S. I und V.
3) Ebenda, S. LXIIT-IV.
Maurer: Ein neues Bruchstück von Södermannälagen. 431
und beschränke mich darauf zu bemerken, dass man in der
ersteren Beziehung nunmehr in dem von Emil Hildebrand,
Älgernon Börtzell und Harald Wieseigren heraus-
gegebenen ersten Hefte ihrer „Svenska Skriftprof frän
Erik den Heiiges Tid tili Gustaf HI. s* (Stockholm,
1894), in der letzteren Beziehung aber in Robert Larsson's
Södermannalagens Ljudlära (Antiqvarisk Tidskrift for
Sverige, XII, nr. 2, S. 1 — 166; Stockholm, 1891) neue und
tüchtige Hülfsmittel besitzt, deren man sich bei der Prüfung
der Frage mit Vortheil bedienen kann.
Ich lasse nun einen buchstäblich genauen Abdruck
des Fragmentes folgen, bei welchem ich nur die in der
Hs. vorfindlichen Abkürzungen aufgelöst, die ergänzten Buch-
staben jedoch durch Cursivschrift bezeichnet habe. Ich gebe
dem Abdrucke eine Auswahl von Varianten auf Grund der
Schlyter'schen Ausgabe bei, und zwar mit Unterscheidung
der für diese benützten beiden Hss. A. und B. ; die sämmt-
lichen in Bezug auf die Schreibweise und die Wortformen
bestehenden Abweichungen zu verzeichnen hielt ich indessen
bei der Willkürlichkeit, welche sich die Schreiber altschwe-
discher Hss. in dieser Hinsicht ganz allgemein erlauben, um
so mehr für überflüssig, als sie derjenige, der sie etwa aus
sprachlichen Gründen verfolgen zu sollen glaubt, mit geringer
Mühe durch eine Vergleichung meines Abdruckes mit der
Schlyter 'sehen Ausgabe sich zusammenstellen kann. Nur
beispielsweise erwähne ich den schwankenden Gebrauch von
{e und e (doch mit vorherrschendem ee in Fr.), von i und c,
dann o und u; ferner von v und w?, dann auch v oder w
und u. Ich bemerke ferner, dass Fr. öfter das ältere a fest-
hält, wo A. und B. dafür bereits ee geben, und zwar nicht nur
in Verbalendungen wie z. B. baera, gialda, göra, liggia, mietas
u. s. w. anstatt beraa, giaelde, göraß, liggisö, mietaes, sondern
auch in anderen Endungen, wie z. B. aengia, annar, annat,
bya, fyrra, sina, |)8ötta u. s. w. für engiae, annaer, annaet.
432 Sitzung der phüos.'phüöl, Glosse vom 1, Dezember 1894.
byi», fyrreB, sinsB, ^tt», ja selbst fiarpe fBr fierje oder
fisarda, mikials für mikiels oder warn für wsBrn; andere
Male steht freilich auch in Fr. bereits das te. An dem aus-
schliesslichen Gebrauche des p hält Fr. ziemlich consequent
fest, während d ihm fremd ist und d in ihm nur ganz aus-
nahmsweise für p eintritt, [wie etwa einmal wadstang ge-
schrieben wird neben wapa und j waji, oder ganz vereinzelt
einmal maed neben dem regelmässigen me|> sich gebraucht
findet. Wiederum behaupten sich in Fr. Formen wie nsBmd
oder neemnd, deld, wald gegenüber dem jüngeren naemd,
deld, wald, und ebenso steht im Anlaute consequent tiu^er,
tiujra , tiu|)ran gegenüber piujer u. s. w. , wie die Hs. A.
schreibt, während B. wieder tiuder u. s. w. bietet. Ebenso
behält Fr. die Schreibung wilder, gialde oder giaelde , haelder,
walda bei gegenüber den assimilirten Formen willer, giselle
oder gielle, hellser, walla, während freilich auch wieder
hanwirke oder hanwerke für handvirki oder handuserki ge-
schrieben wird. Vielfach hat in Fr. das jüngere k das ältere
c verdrängt; doch ist andere Male auch das letztere unge-
ändert stehen geblieben. Sehr häufig ist in Fr. das schlies-
sende r weggefallen; so steht ganz regelmässig septe für
eptir und iwi für iwir, aber allenfalls auch alle, kisere,
vpkaste, saklöse, waegh für allir, kiaerir, vpcastaßr, saklösir,
wsBgher. In Fr. wird ständig msezmanna geschrieben, wo
A. und B. miezmanna bieten; in Fr. steht, Ib, Z. 21 agha,
wo A. und B. aghu schreiben (vgl. Rydqvist, Svenska Sprä-
kets Lagar, I, S. 276), und dgl. m. Wenn ich aber auf die
Verzeichnung derartiger Varianten der Baumersparniss und
grösseren üebersichtlichkeit halber verzichten zu sollen glaube,
so gebe ich um so vollständiger diejenigen, welche irgendwie
geeignet sein könnten auf das Verhältniss der Textesgestaltung
in Fr. im Verhältniss zu der in A. und B. ein Licht zu
werfen und glaube ich in dieser Beziehung lieber zu viel
als zu wenig thun zu sollen, um Jedermann die Bildung
eines eigenen Urtheils zu ermöglichen.
Maurer: Ein nettes Bruchstück von Södermannaiagen. 433
Fol. la.
Ueberechrift: balkar.
hwar halwe nsemd.^) Alle Je swa halda lagba wsern.*)
8um sagt 8Br. warin saklöse Jen fyrra ryuir. böte
III. marker. §. Ym aengia scal man. lagha warn til
mikials mssssii halda. Hwar sum fyrra rywir
5 ok lijam ypkasta. höte sum nii sagt aer. §. Nu basra.
man maelestang. yt a aeng sinae oc wadstang. aer
maelestang maerkt aepte raettu byabruti. Hwar
Je stang stiaDl. eller sunder hogger. bd7e. HL marfeer. war Jer ei
takin wijer. waeri sic^) mej eje tolf manna. Stiael man
10 eller sundr hogger. [)a stang. j waji stander. bö^e. IIL öraB.
Msel» m»n sengia sinae mej stang ok waja septe.
Sighia Je^) alle raet wara. warin saclöse. Kan sijan^) en
aepte kiaerae. sigher sie ei fult hawa. Ja sculu byamaßn
til coma. ok maej hanum a sea. wilia Je hanum ei raet gö
15 ra. Ja scal syn af sokn naemna. halwa naemd®) hwarr
Jerre. will ei Jen sak aer giwin til coma. naemne Ja
han'') syn alla®) sum aepte kiaere. Nu kumber syn til bya.
|)en far firi sum^) kiaerje maelestang^®) alaegger
synis afaerj j deldenne. giaelde ater aepte maej mannae^^)
20 eje oc sialfs sins mej at han wilder for**) oc owiis. Sy
nis j andre giaelde ater hö sum fyr. oc swaeri meJ sie oc
grannuw*^) sinum. at han wilder for. Synis afaerj j. Jrijio.
1) AB. halwi nsemd hwar l>ersd. 2) A wserne; B. uem
um acra. 8) B. om. sie. 4) AB. {)et. 6) AB. om. sipan.
6) B. om. Dsemnd. 7) B. theen. 8) AB. alla syn. 9) A. add.
eptir. 10) In Fr. steht vor msßlestang noch mß{) stanj?, jedoch
onterpungirt und roth durchstrichen. 11) AB. ater hö eptir miez-
manna. 12) AB. for willer. 18) AB. granna.
434 Sitzung der phüos.-philol, Glosse vom 1, Dezember 1894.
Fol. Ib.
üeberschrift: VI. Bygninga.
gialde ater bö aepte msBzmanna witnum. mep ej^e
sinum. oc. IL granna. ell^ nagranna sinna at ban wil
der for. Ei ma |>eD man laeng^r wilder fara. Hittis
awerkat a*) fiarpo deld. böte, III. marker swa firi faemto
5 oc siseto. ok gisBide bö ater^) aepte maezmanna epe. aer
ok') awerkat vm alla*) aßng. wari ei bot py mere.
Nu kunwu gar|)a nijre Vm ogilda garj^a. VIII^
liggia. fse j ') ganga oc scaf^a göra. Ligg<?r bar
li{> a gar|)e. annat ok |)ri|»ia. wiliae synsemsen
10 swa swaeria. at Jer synas®) bwarte ny ban wirke
aeller forn. ok aeru spiaell gönum gangin. |>6r giaeldis
spiaell ater. af |)em sum garpa attu oc bötin mep
firi hwart lif. '^) III. marker, til fraeskiptis. kunwu lij
a gar|)e wara. oc aeru brutin ni|)er. synis innaen man
16 na banwerke. ok witna swa. XII. raaen. waeri |)a bond(e)
gar^ sin me^ XII. manna e|>e. oc tweggiae mantta wi(t)
num.®) at ban stop faster®) oc waelboin. vm bygfa tima.
oc giaelde ater spiaell pe^*^) gönum lij) aeru kumin.^^) ok
bot aengae. Falz at e|)e. bö^e. III. marker. firi lif etb. swa
20 firi annat ok fripia. warfe^*) ei bot Jy mere. at
lij)^') aeru flere. §. Alle agba farlijum war|>a. sw(a)
j^en minnae agher^*) j by. suw^*) merae. kan farlif nifre H(g)
1) AB. i. 2) B. om. ater. 8) A. add. Bi})aii. 4) AB. alt;
B. add. gerde. 5) AB. add. engisB. 6) AB. eynis. 7) B. barlid.
8) AB. II. manna witnum oc XII. manna epe. 9) AB. wigher.
10) AB. om. I)e. 11) AB. gangin. 12) A. add. ok. 13) A. fe
mere. aen |)o at lid. 14) B. hauer. IB) A. add. |)en.
Maurer: Ein neues Bruchstück von Södermannalagen, 435
Fol. na.
Ueberschrift: Balker.
gia. |>a scal |)6d farli|>i warj^a. senaestum gönum aker.^) Gita
byamsen han wiper buwdit. böte. III. marker, Gita J>e ei bötin
alle pe sak. han. een bötaB sculde.*) §.^) Nu kan nocor
sina*) seng,
til aBnx ssetia. at |»rangalöso. si|>an alle hawa burghit
5 hö sinn.*) wari scafi ogildcr. Jen han fa um hö sit.®) Sighcr
annar |>rang walda. oc annar ei*^) wari a^) soknaman
Tia witnum. Ra|)e halwe naßmd hwar pera. Sighia pe^)
|>rang walda. wari gild aepte msezmanna epe. Aker
man iwi aeng osklaghnae.*®) aker vm deld enas. höte, IIL marker,
10 swa firi andra ok pripio. aker sifan iwi alla.^^) wari^*) ei
(8)ak |)y^*) mere. Ganger wif) aku I)e aengin.^*) pa scal syn
(a)f sokn naemnae.^*) wari a witnum ferae.^®) hwajan Jen
(w)aBgh lejis. Hwem Je firi bindae. hawi wald waeria
(si)c mej twaeggiae^'^) manwa witnuw. ok XU. manna eje. Falz
16 (a)t eje höte. sum skilt aer. Nu ha wer han^*) sie waegh slaghit
(o)k ^®) hö saman raefst. oc ligger a sama taghe. Jen swa gör
(a)ke at saklöso.*^) Aker man iwi aeng oslaghna. eller
(a)ker iwi körn oscurit.*^) Stande firi hanum**) lof eller legha.
(K)an lij ater*^) j by liggiae.**) Ja sculu byamen firi Jinge
1) A. seoastum ginum akar; B. sum senatum gönum aker.
2) A. pe sac, ^o ei mera »n han ensamin bötsa sculdi ; B. sac SQi mere etc.
3) Das § Zeichen fehlt in AB. 4) AB. om. sina. 5) AB. hö sinu
burghit. 6) AB- ogilt. 7) ei in Fr. undeutlich eines Risses wegen.
8) AB. add. t)et. 9) B. om. |)e. 10) AB. oslaghit. 11) AB. iwir
eng alt. 12) AB. warl)ar. 18) A. {)e. 14) AB. engin wi^) aku
I)erae. 15) B. add. ok. 16) l)erse in Fr. undeutlich eines Risses
wegen. 17) AB. IL 18) AB. man. 19) AB. om. ok. 20) A. at
^aclösu; B. saclös. 21) B. oscorin; A. iwir com oscorin. 22) AB.
add. hwarte. 23) AB. ater legha. 24) AB. add. rsetter eghande
will ei at garjum gömse.
436 Sitzung der pkUosrphüol. Glosse vom 1, Dezember 1894.
20 (e)ller sokn dom*^) til taka. garj^to hans at sacldso ater
(t)8Bppa.**) Later man aeng*'') sina warpalösa") liggi» vm
(a)ar eth. halder engin vt skyld*') vppe. hwarte firi.
Fol. nb.
Ueberschrift: VI. Bygninga.
garpum ellcr^) giserjtum. giwi vt aeng*). eller. III. markeT. Sua
vm annat aar ok |)ril)ia.*) Gange |>a*) bot til |>r8Bskip
tis.^) StisBl man anherwe. eller bsefla. Isesse stang eller
krok reep. töma eller sila. a. sBngium vte. böte, öre firi hwa(r)
6 |)er8e. Stisel pistla. af wagne. böte. III. orae. |)etta ser alt
en sak bondans. sökis vt sum skilt 8Br. Stisel biul vn
dan wagne. faeller anbyrp bondans. böte. III. örsB. Stisel
biul annat. seller all. fiughur. böte, III. marÄ;er. Stiael wa,ng me^
allu repe. böte, IX. marÄer. til praeskiptis. Stisel v.^) husuw
eth af
10 paessum ankostura. bö^e. aepte. maezmanna orpum. Taker man
vm antima. wagn'') annars. olowandis. hawer |>o j
liuse. oc ei j löne.®) bö^e. III. marfeer. Taker anna msellam.
bö7e. III. örse.
Tiufra^) man bsest. j akre Vm tia|)ran i akruw^®) V.^^)
annars. eller haelder warper per in takin mej) tiu{)er
15 staka. aeller haeldo. ok synis**) spiaell j akre. bö^e. III.
marÄrer. warper
25) AB. doma. 26) B. lidtflsppa. 27) A. eng; B. eghn.
28) A. wardlösu; B. uardalösn. 29) B. sengi utsculd; A. engin vt
skyllnm.
1) AB. add. vt. 2) A. eng; B. eghn. S) AB. annat oc
t)rit)i8e ar. 4) AB. |>e. 5) B. beginnt hier ein neues Gapitel,
mit der Ueberschrift: vm ancosta styld. 6) AB. vr. 7) A. wang;
B. nagn. 8) AB. löndam. 9) A. {)iut)rar; B. Tiadrar, und so
durchaus. 10) B. tiudran; A. orsBtt» l>iul)ran. 11) Die Zifer
durchschnitten und nur halb lesbar; doch eher y(Iin) als I(X). 12) B.
synas.
Maurer: Ein neues Bruchstück von Södermanndlagen. 437
in takin. ok synsBS spiaell sengin.*^) wari saklös. Kan spiaell
synsBS. ok**) warper ei*^) takin msed. wseri sie me|) tolf
mann(a)
e|>e.*®) eller höte. sum sagt aer. Tiu|)rar a reen eller a*''^)
lindu s(wa)
naBr at fse^®) biter af akre. höte. ater körn, aepte jjy spiaell m(e)
20 tas. me^ ej)e ens sins. Faeller e|). höte, III. örae. TiuJ)ra
a lin(du)
annars. warj)er takin med. hocgiri vt*^) torwa. oc tiuj)(er)
staki. höte. III. örae. eller waeri sie me^ e|)e III. manna. Tiu(p)
Prüft man nun die üeberlieferung in unserem Fr. im
Vergleiche zu der in den beiden von Schlyter benützten Hss.,
so zeigt der erste Bliek, dass Fr. sich in seiner aeusseren
Einrichtung ganz entschieden an A. und nicht an B. an-
schliesst. Als Columnentitel setzt naemlich Fr. neben der
Nummer auch noch die Ueberschrift des betreffenden Ab-
schnittes, wie A. diess thut (vgl. Schlyter, IV. S. II), waehrend
in B. nur die Nummer gesetzt wird (ebenda, S. IX), und
auch in Bezug auf die Eintheilung in Capitel stimmt Fr.
mit A. überein, nicht mit B., welches zahlreichere und kleinere
Capitel hat (ebenda, S. IX). Allerdings kommt in der letz-
teren Beziehung nur eine einzige Stelle in Betracht, naem-
lich fol. IIb. not. 5, an welcher Stelle B. ein neues Capitel
beginnt, waehrend diess weder in A. noch in Fr. der Fall
ist; aber diese Stelle ist entscheidend, da sie im ganzen Be-
reiche von Fr. die einzige ist, an welcher die Capiteleinthei-
lung in A. und B. überhaupt von einander abweicht. In
den Paragraphenzeichen stimmt Fr. mit den in Schlyter's
Ausgabe aus den Hss. herübergenommenen Zeichen zumeist
18) AB. eknti. 14) A. om. ok. 15) A. add. in. 16} AB.
e|)e XII. manna. 17) A. om. a. 18) A. |)et, doch war vorher
geschrieben: biter; B. om. 19) AB. vp.
438 Sitzung der phüos.-phüd. Glosse vom 1. Dezember 189^,
überein; nur einmal (IIa, not. 3) steht in Fr. ein solches,
wo es in der Ausgabe fehlt.
Anders steht die Sache in Bezug auf die Lesarten im
Texte selbst. Allerdings stimmt auch in Bezug auf diese
an nicht wenigen Stellen Fr. mit A. überein, waehrend B.
von beiden abweicht. So lassst B. in la, not. 3 sie aus,
ebenso in I a, not. 6 ntemnd, in I b not. 2 ater^ in II a, not. 9
Je, und in IIa, not. 21 korn^ waehrend in A. und Fr. alle
diese Worte stehen. Umgekehrt lesen in la, not. 2 Fr. und
A. nur tc€ef7i^ uxBrne^ waehrend in B. wem um acra steht;
in Ib, not. 4 fügt B. nach den Worten „um alla" noch gerde^
und in IIa, not. 15 ein ok bei, waehrend diese Worte in
Fr. und A. gleichmaessig fehlen. Ferner lesen Fr. und A.
in la, not. 7 übereinstimmend Aaw, waehrend B. dafür ihm
giebt; in Ib, not. 7 lesen Fr. und A ZkJ, B. dagegen harlÜy
in Ib, not. 14 haben Fr. und A. agher^ B. dagegen hauer^
in IIa, not. 20 geben Fr. und A. at saklöso oder saclösu,
dagegen B. saclös, und ebenda, not. 26 steht in Fr. und A.
tceppa^ in B. aber lidtcßppa; endlich lesen Fr. und A. in IIb,
not. 12 synis^ B. dagegen hat synas. Wenn zwar in allen
diesen Faellen die Verschiedenheit der Lesarten ohne jede
Bedeutung für den Sinn der betreffenden Stellen ist, und
demnach recht wohl lediglich aus der Willkürlichkeit oder
Fahrlaessigkeit der Schreiber hervorgegangen sein kann, so
liesse sich aus ihr doch immerhin auf eine naehere Ver-
wandtschaft von A. und Fr. im Gegensatze zu B. schliessen,
wenn nur nicht andere Thatsachen diesem Schlüsse im Wege
stünden. Zunaechst ist naemlich nicht zu übersehen, dass den
Faellen, in welchen Fr. mit A. gegenüber B. übereinstimmt,
eine Reihe anderer Faelle gegenübersteht, in welchen umge-
kehrt Fr. sich an B. anschliesst, und gemeinsam mit diesem
von A. abweicht. Zweimal lässt A. ein Wort aus, welches
Fr. und B. übereinstimmend haben, naemlich ok in IIb,
not. 14, und a ebenda, not. 17. Etwas öfter setzt A. um-
Maurer: Ein nettes Bruchstück von Södermannalagen, 439
gekehrt ein Wort zu, welches in Fr. und B. gleichniaessig
fehlt, naemlich eptir in la, not. 9, sipan in Ib, not. 3, ok
ebenda, not. 12, und Pen not. 15; dann orcettce in der üeber-
schrift des 9. Gapitels, IIb, not. 10, und in ebenda not. 15*
In einigen weiteren Faellen gebraucht endlich A. andere
Worte oder Redewendungen als Fr. und B. , wie denn in
I b, not. 13 Fr. und B. lesen py mere at Up^ waehrend in A.
steht Pe mere, cen po at lip, und in IIa, not. 13 Fr. und B.
py lesen, A. dagegen pe, wozu allenfalls auch noch bemerkt
werden mag, dass Fr. mit B. die Schreibung tiuper, tiupra
u. s. w. gemein hat, waehrend A. consequent piuper, piupra
u. dgl. m. schreibt. In noch weit zahlreicheren Fällen weicht
ferner Fr. von A. und B. zugleich ab, sei es nun, dass diese
letzteren dabei unter sich übereinstimmen, oder dass auch
von ihnen wieder jede Hs. ihren eigenen Weg geht. Nicht
immer handelt es sich dabei um reine Lappalien, wie etwa
wenn Fr. in IIa, not. 17 und an ein paar spaeter noch zu
besprechenden Stellen tvceggice ausschreibt, waehrend A. und
B. dafür nur die Ziffer II, geben, oder um entschiedene
Corruptelen, wie II a, not. 10, wo Fr. osJclaghnce liest anstatt
oslaghit, wie A. und B. richtig geben, oder IIb, not. 6, wo Fr.
nur V hat anstatt des richtigen vr in A. und B., oder auch la,
not. 11, wo A. und B. richtig lesen: gicelde ater hö eptir
mieemanna epe, waehrend in Fr. geschrieben steht: gicelde
ater cepte mcep manna epe, was doch nur verschrieben sein
kann für msezmanna, aber immerhin zeigt, dass auch schon
die Vorlage von Fr. die Schreibung maezmanna und nicht
miezmanna enthalten hatte, oder endlich IIa, not. 27 und
II b, not. 2, wo beidemale Fr. eeng liest, waehrend A. gleich-
bedeutend eng, B. dagegen eghn giebt. Beidemale will
Schlyter egn lesen und doch wohl mit Recht, soferne beide
Stellen doch wohl vom Grundeigenthum überhaupt und nicht
blos von Wiesen zu handeln scheinen; da aber die Worte
eng = aeng und egn = eghn sich sehr aehnlich sehen , und
440 Sitsung der pMlosrphüdl. Glasse vom 1. Dezember 1894,
tiberdiess im Vorhergehenden mehrfach von Wiesen die Rede
gewesen war, wird 'es sich hier um eine blose Corruptel
handeln, die in A. und Fr. sich selbständig ergeben haben
könnte, wenn sie nicht etwa aus einer gemeinsamen Vorlage
beider Hss. geflossen war. Ganz abgesehen Ton derartigen
Pallien sind aber znnsechst wieder einige Stellen zu nennen,
an welchen Fr. ein Wort hat, welches in A. und B. fehlt;
so sipan in la, not. 5, pe in Ib, not. 10, sina in IIa, not. 4,
und oft, ebenda, not. 19. Umgekehrt fehlt auch wieder
einigemale in Fr. ein Wort, welches A. und B. haben, so
engite in I b, not. 5, pet in II a, not. 8, und hwarte^ ebenda,
not. 22, sowie vt in IIb, not. 1. Weiterhin kommt eine
Reihe von Faellen in Betracht, in welchen Fr. lediglich eine
Umstellung von Worten A. und B. gegenüber zeigt, allen-
falls mit einigen kleinen durch diese bedingten Zusaetzen,
Abstrichen oder Veraenderungen. Unter diesen Gesichtspunkt
föUt die Lesung: hwar halwe ncefnd gegenüber hälwi naemd
hwar Perm in la, not. 1, syn alla gegenüber alla syn, eben-
da, not. 8; ferner wilder for gegenüber for willer ^ ebenda,
not. 12; ferner XII. manna epe oc tweggicB manna wUnum
gegenüber II. manna witnum oc XII. manna epe in Ib,
not. 8, burghit hö sinu gegenüber hö sinu burghit in IIa,
not. 5, und wip akupe cengin gegenüber engin tvip ahuper<s^
ebenda, not. 14; endlich annat aar oh pHpia gegenüber
annat oc pripice ar^ in IIb, not. 3, und tolf manna epe
gegenüber epe XII. manna^ ebenda, not. 16. Wieder andere
Male setzt Fr. auch wohl ein anderes Wort oder eine andere
Flexionsform u. dgl. ein als A. und B., wie etwa pe für pet^
la, not. 4, oder grannum für granna^ ebenda, not. 13, a für i,
Ib, not. 1, synas für synis^ ebenda, not. 6, faster für toigher^
not. 9, oder kumin für gangin ^ not. 11; ferner semestum
gönum aker für senastum ginum akar, wie A., und sunt
senstum gönum aker^ wie B. liest, in II a, not. 1 ; scapi ogilder
u. s.w. für ogilt in A. und B., ebenda, not. 6; iwi alla för iwi
Maurer: Ein neues BrtichstücJc wm Södermannalagen. 441
eng alt^ ebenda, not. 11; wari für warper^ not. 12; han für
«iow, not. 18; do7n für doma^ not. 25, warpalösa für warp-
lösu, wie A., und uardälösu,, wie B. liest, not. 28; engin vt
skyld für cengi utsculd^ wie B., und engin vt skyUum^ wie
A. liest, not. 29; Fr. liest ferner pa für pe in IIb, not. 4,
wagn für 2(;an^ in A. und uagn in B., ebenda, not. 7, J lön
für löndum^ not. 8, cengin für ein^c, not. 13, und t;^ für v/>,
not. 19. Etwas erheblicher noch ist die Verschiedenheit der
Lesarten in ein paar weiteren Stellen. In IIa, not. 2 liest
A.: Gitcd pe ei, bötin alle pe sac, po ei mera cen han ensamin
hötce sculdiy und B.: Gitce pe ei, bötin alle pe sac mi mera^
etc. dagegen Fr. : Gita pe ei^ bötin alle pe sak^ han een bötee
sculde. Ebenda, not. 23, liest Fr. : Kan lip ater j by liggice^
dagegen A. und B. : Kan ater legha j by liggice^ worauf diese
beiden Hss. noch, not. 24, beifügen: rcetter eghande will ei
at garpum gömce^ wsehrend dieser Zusatz in Fr. fehlt, wel-
cher freilich am Sinn der Stelle Nichts ändert, und somit
recht wohl auch nur durch die üngenauigkeit eines Ab-
schreibers weggelassen worden sein könnte. Endlich in IIb,
not. 18 liest Fr.: at fte biter af akre^ waehrend in B. fce
fehlt, und in A. dafür pet geschrieben steht. Da hier anstatt
»J)et** zuvor „biter** geschrieben worden war, und „Jet" so-
mit eine Correctur ist, muss dieses Wort doch wohl schon
in der Vorlage gestanden haben, welche der Schreiber von
A. benützte; mag sein, dass die Nichtübereinstimmung des
neutralen »fet** mit dem vorhergehenden masculinen „hsester"
den Schreiber von Fr. oder dessen Vormann zur Einsetzung
des Wortes „fae" bestimmt hat, welches allerdings auch nicht
ganz passen will, sofern man Pferde zumeist nicht als Vieh
zu bezeichnen pflegt, obwohl diess hinundwieder auch ge-
schieht.
Selbst in diesen zuletzt besprochenen Faellen steht somit
der Text von Fr. nicht soweit von dem in A. und B. über-
lieferten ab, dass wir genöthigt waeren ihm diesem letzteren
442 Süßung der phiha.'phüol. Glosse vom 1, Dezember 1891,
gegenüber eine erhebliche Selbständigkeit zuzugestehen. Es
besteht yielmehr recht wohl die Möglichkeit, dass A., B. und
Fr. gleichmsessig aus einer und derselben Urschrift herstam-
men, deren Eintheilung und Columnentitel A. und Fr. gleich-
msessig beibehalten haben, während B. sie eigenmaechtig ver-
ändert hat, und deren Text bald A. und Fr., bald B. und Fr.,
zumeist aber A. und B. getreuer wiedergeben. Nicht aus-
geschlossen ist aber allerdings auch die andere Möglichkeit,
dass unser Bruchstück ein üeberrest jener aelteren „laghbok"
sein könnte, welche ein paar mal erwsehnt und dem Yon
Schlyter herausgegebenen Gesetzbuche als einem neueren
gegenöbergestellt wird. ^) Leider enthält das Fragment keine
Stelle, welche hierüber eine bestimmte Entscheidung zu geben
vermöchte; vielleicht ermöglicht einmal der glückliche Fand
weiterer Blsetter derselben Handschrift, was zur Zeit uns
noch versagt ist!
1) Vergl. zumal Schlyter, Juridiska Afhandlingar, II,
S. 145 — 61 (1879) und dessen Bemerkungen Om en föregifven ännu
i beh&ll vsßrande äldre redaktion af Södermannalagen, in
Lunds Univ. Arsskr. XVII (1882).
ir
Historische Classe.
Sitzung vom 1. Dezember 1894.
Herr v. Reber hielt einen Vortrag:
„Ueber die Stilentwicklung der schwäbischen
Tafel-Malerei im 14. und 15. Jahrhundert/
Die vor einigen Jahren erfolgte Entdeckung eines Augs-
burgischen Malernaraens auf dem vormals dem A. Altdorfer
zugeschriebenen Rehlingen'schen Altar der Galerie zu Augs-
burg, und somit die Versetzung eines Werkes wie einer da-
mit zusammenhängenden Gemäldegruppe aus einer anscheinend
sicheren Lokalschule in eine ganz andere^), war eine erneute
Mahnung, nicht blos bei der Zutheilung von Künstlernamen,
sondern sogar bei der Bestimmung des Entstehungsgebietes
altdeutscher Gemälde mit grosser Vorsicht vorzugehen. Denn
die Entdeckung hat eindringlich gezeigt, dass ausser den
manigfachen Kreuzungen des Lokalstiles in benachbarten
Gebieten auch noch andere schwerwiegende Umstände in
Betracht kommen, welche nicht mit der üertlichkeit, sondern
mit der Entwicklung eines Kunstzweiges aus verschiedenen
anderen Techniken zusammenhängen, und gewöhnlich zu
wenig gewürdigt werden.
Bezüglich der Kreuzungen hätte es der erwähnten Mahnung
1) Alfred Schmid, Beilage zur Allg. Zeitung 1889. Nr. 325.
1894. Phüos.-phJlol. u. hist. Cl. 3. 30
o44 Sitzung der historischen (Jlasse vom i. Dezember 1894.
kaum bedurft. Denn wir stehen nicht selten Tor dem Fall,
anscheinend Schwäbisches in Franken, Fränkisches, Rhei-
nisches oder Niederländisches in Schwaben an Werken zu
finden, die zweifellos nicht von auswärts her eingeführt
worden sind. Anderseits zeigen einige Altarwerke, deren
Lieferung inschriftlich oder urkundlich von einem bestimmten
Meister oder wenigstens von einem bestimmten Orte ausge-
gangen ist, an der Vorder- und Rückseite der gemalten Flügel
so einschneidende Verschiedenheiten, dass es nicht angeht,
sie als zweierlei Manieren eines Meisters erklären zu wollen.
Denn wenn auch jede bedeutendere Kraft selbst schon im
15. Jahrhundert einen gewissen Weg von Entwicklung
durchläuft, so konnte doch der dadurch bedingte Wandel,
namentlich wenn er sich geradezu als Selbstentäusserung und
als einüeberlaufen in eine fremde Ateliergepflogenheit darstellt,
doch niemals ein so plötzlicher sein, dass er sich gleich-
zeitig an einem und demselben Werke deutlich fühlbar ge-
macht hätte. Solche Verschiedenheiten können nur auf dem
Zusammenwirken verschiedener Kräfte, d. h. auf der Mit-
wirkung von Gehilfen verschiedener Schulung beruhen. Sie
zeigen aber auch, dass man zu jener Zeit hinsichtlich des
einheitlichen Gusses des Ganzen weit weniger empfindlich
war, als in späteren Perioden, und dass der eine Bestellung
übernehmende Meister, wenn er über Gesellen verfügte und
nicht gezwungen war, das Ganze eigenhändig auszuführen,
Arbeitskräfte benutzte, wie sie sich ihm jeweilig darboten,
und sich keineswegs auf seine Schüler oder auf Gesellen,
welche aus der gleichen Lokalschule oder gar Werkstatt
wie er selbst hervorgegangen waren, beschränkte.
Diese Erscheinung hat ihren Grund in dem allgemein
handwerklichen Zuschnitt des damaligen Kunstbetriebes.
Schon die Verpflichtung zu dreijähriger Wanderzeit nach
vollbrachten drei Lehrjahren konnte einem jungen Burschen
die erlernte Richtung unter Umständen wesentlich modi-
V. Heber: Stilentwicklung der schwäbischen Tafel-Malerei. 345
fizieren. Anderseits veranlasste die Schwierigkeit der Er-
werbung von Bürger-, Meister- und Zimftrechten manchen
bereits fertigen Künstler zu langer Gesellenthätigkeit, bei
welcher er sich keineswegs an eine Werkstatt oder Stadt
gebunden sah, sondern im Gegentheile gelegentlichen Wechsel
als in seinem künstlerischen, materiellen und gesellschaft-
lichen Interesse liegend erkennen mochte. So musste eine
vielbeschäftigte Werkstatt mitunter wesentlich verschiedene
Kräfte zugleich in Thätigkeit setzen, wobei es selbst vor-
kommen mochte, dass die eine oder andere jener des Meisters
selbst überlegen war (der Monogrammist R. F. am Perings-
dörffer- Altar ^). Auch hat wohl schon vor dem Schwabacher
Altar Wolgemat's von 1507 mancher Meister seinen per-
sönlichen Antheil an der Ausführung auf ein Minimum be-
schränkt, ja sich ganz mit der Anordnung und Ueberwachung
begnügt, in welchen Fällen wir jedoch den Unternehmer
nur durch Verträge oder anderweitige Zeugnisse kennen
lernen, da der Meister es dann füglich unterliess, die Ge-
mälde selbst zu signieren. Wir dürfen sogar annehmen,
dass in den grösseren Werkstätten weitgehende Gehilfen-
arbeit die Regel war, indem gewöhnlich selbst die Schnitzer
ihren Antheil unter den Augen, in der Werkstatt und im
Sold der Malerunternehmer ausführten. In den kleineren
Werkstätten, deren Inhaber Gesellen zu halten und zu be-
schäftigen weniger oder gar nicht in der Lage waren, lastete
freilich die ganze Obliegenheit einschliesslich der ornamen-
talen Arbeit auf den Schultern des Meisters selbst.
Die in Nürnberg in der zweiten Hälfte des 15. Jahr-
hunderts noch am meisten festgehaltene stilistische Ge-
schlossenheit als Lokalstil oder richtiger die dortige Ver-
knöcherung bei gefesselter Individualität, welche auch einen
Dürer in seiner Lehrzeit schwer leiden Hess, entwickelte sich
1) ß. Vischer, Studien zur Kunstgeschichte. Stuttgart 1886.
S. 361 fg.
30*
346 SUzung der JUstoriachen Classe vom 1. Dezember 1894.
in Schwaben nicht in gleichem Maasse. Die schwäbischen
Künstler folgten im Ganzen etwas mehr ihren persönlichen
Impulsen, bildeten sich in verschiedenen Richtungen und
suchten mehr auswärts als die nürnbergischen Qnattrocen-
tisten. Es ist auch bis zu einem gewissen Grade möglich,
den Wegen nachzutasten , welche die schwäbischen Maler
in ihren Wander- und Gesellenjahren einschlugen. Ein
Anziehungspunkt musste Nürnberg sein, das namentlich den
Ulmem nicht oder nicht viel femer lag, als Rothenburg an
der Tauber oder Nördlingen, wenn auch die Zugkraft Nürn-
bergs erst um 1500 für die Maler sich nennenswerther ge-
staltete. Mehr geläufig war den Schwaben immerhin der
Weg in entgegengesetzter Richtung, nämlich an den Ober-
rhein hauptsächlich zwischen Basel und Strassburg, wahr-
scheinlich auch weiter stromaufwärts bis an den Bodensee
sammt den jenseits angrenzenden Gebieten. Denn die durch
das ganze Mittelalter blühende und schliesslich im 14. Jahr-
hundert aufgefrischte Kunstthätigkeit am Oberrhein kann
an Umfang und Bedeutung nur aus dem Grunde unter-
schätzt werden, weil die Reformation hier ziemlich radieal
im Bildersturme vorging und so die Nachrichten der greif-
baren Belege beraubte. In dritter Richtung dann leitete
der Neckar auf den Mittelrhein, hauptsächlich auf Mainz
und Umgebung, und von da besonders verlockend, aber nicht
jedem erreichbar auf den Niederrhein und das Gebiet von
Köln. Dass der eine oder andere schwäbische Kunstjünger
in seinen Wanderjahren den Rhein abwärts bis nach den
Niederlanden gelangte, ist wohl sicher, blieb aber Ausnahme,
wie wir überhaupt im Gegensatze gegen die landläufige
Annahme einen unmittelbaren niederländischen Einfluss auf
die nürnbergischen Quattrocentisten geradezu leugnen, auf
Schwaben aber nur sehr beschränkt zuzugeben vermögen.
Der niederländische Einfluss ist ja in Köln seit Stephan
Lochner, den wir unerachtet seiner oberrheinischen Herkunft
V. Reher: Stüentwicklung der schwäbischen Tafel -Malerei. 347
als einen Kölner betrachten mtissen, zweifellos, wenn auch
nicht alleinherrschend. Die Nachbarschaft, wie die lebhaften
Handels- und Verkehrsbeziehungen machen ihn an dieser Stelle
auch leicht begreiflich und erklärlich. In Oberdeutschland
aber finde ich ihn im Quattrocento nur an zwei Punkten
entschieden, nemlich in Eolmar und Nördlingen. M. Schon-
gauer und F. Berlin haben ihn entweder unmittelbar in den
Niederlanden selbst — was bei dem ersteren das wahrschein-
lichere und auch traditionell bezeugt ist — oder mittel-
bar im Gebiet von Köln empfangen. Dieser Import fand
jedoch vorerst keine weitere Nahrung. Man kann sich leicht
denken, dass der oberdeutsche Kunstjünger, wenn er auch
in seinen Wanderjahren Geld und Muth genug hatte, Köln
und die Niederlande zu bereisen, bei seinen Vorkenntnissen
dort keine Beschäftigung fand und sich daher auch nicht
80 lange zu halten vermochte, als zu einer gründlicheren Aus-
bildung oder Umbildung erforderlich gewesen wäre. Selbst
unter günstigen Umständen mochte es ihm kaum gelingen,
viel mehr als die Oeltechnik und sonst technische Recepte zu
erraffen oder etwa an Gemälden in Kirchen sein Skizzenbucb
zu bereichern. Gelang es ihm aber den Bann zu brechen,
so kehrte er, wie der Meersburger Stephan Lochner oder der
Mainzer Memling, überhaupt nicht mehr zurück.
Noch verschlossener blieb dem schwäbischen Kunst-
jünger jener Zeit Italien. Der Ruf von der künstlerischen
Ueberlegenheit der Apenninenhalbinsel war um die Mitte
des 15. Jahrhunderts noch kaum nach Deutschland ge-
drungen. Florenz war überhaupt zu ferne und der bedeu-
tendere Kunstaufschwung der norditalienischen Städte, vorab
von Venedig und Mailand, datierte erst aus den letzten De-
zennien des Säculums. Zu dem weiten und beschwerlichen
Wege kam übrigens noch die Verschiedenheit der Sprache,
welche zwar nicht hinderte, dass von oberdeutscher Seite
aus ansehnliche Handelsbeziehungen eingeleitet wurden,
348 Sitzung der historischen (Vasse vom 1. Dezember 1894.
welche aber den weniger weltläufig gebildeten Kunst-
jünger von dem Abenteuer zurückschrecken mochte.
Es war somit das Wandergebiet, im Wesentlichen auf
Süddeutschland beschränkt, nicht allzuweit und liess die
nutzbringendsten Wege fast unbetreten. Die Ziele, zu wel-
chen diese geführt hätten, wären auch den derben Schwaben
und Franken bei der Unreife ihrer Vorbildung und bei der
Herbheit ihrer Anschauungen fremdartig gewesen. In erster
Linie italienische Kunst, in deren Formensprache sich der
damalige deutsche Kunstjünger wohl so wenig hätte finden
können wie in die italienische Sprache selbst. Augenschein-
lich aber war auch die Kölner Sentimentalität und Süssig-
keit nach Art der sog. Schule des Meisters Wilhelm, ihrer
knochigen und breitspurigen Art so wenig sympathisch wie
die Subtilität der Niederländer. Der Entgang hatte aber
auch seine vortheilhafbe Seite, denn verhältnissmässig wenig
berührt von aussen vermochte der wackere Oberdeutsche
seine eigene handwerklich urwüchsige gesunde Bahn zu
verfolgen, ohne sein Schaffen irgendwie in ihm unbequeme
Geleise zwängen zu müssen.
Wir können auch nicht zugeben, dass der niederlän-
dische Einfluss der oberdeutschen Kunst des 15. Jahrhunderts
in soweit die Richtung gab, als dies durch die Vermittlung
Martin Schongauers möglich gewesen wäre. Schongauers
Einwirkung kann überhaupt nicht so früh erfolgt sein, um
die landläufige Vorstellung von der Vorortschaft Kolmars
im Entwicklungsgange der quattrocentistischen Kunst Ober-
deutschlands zu begründen. Am wenigsten für Franken,
wo schon um die Zeit der Geburt Schongauers ein Haupt-
meister Nürnbergs, Hans Pleydenwurff, im Vollbesitz jenes
Nürnberger Lokalstils, der bis Dürer weder wesentlich ver-
ändert noch auch überboten wurde, sich befand. Aber auch
Schwaben war schon vor der Schaffensperiode des grossen
Kolmarers, also unabhängig von ihm zu einer ansehnlichen
V, Beher: StüentwicMung der schwäbischen TafeUMalerei. 349
Leistungsfähigkeit gelangt. Denn schon vor Schongauers
Geburt hatte Lukas Moser sein tüchtiges Altarwerk von
Tiefenbronn gemalt. Dann war Schongauer wohl noch nicht
mit seiner Ausbildung za Ende und von der muthmasslichen
Wanderschaft in den Niederlanden zurückgekehrt, als Hans
Schfichlin den Hochaltar in derselben Tiefenbronner Dorf-
kirche schuf, in welche Moser einen Seitenaltar gesetzt hatte,
und ebensowenig konnte der noch nicht zwanzigjährige
Kolraarer einen Einfluss auf Friedrich Berlin, den wir
gleichfalls als Schwaben betrachten müssen, ausüben, als
dieser seine frühesten Altäre in Nördlingen und Rothenburg
an der Tauber ausführte. Es ist also chronologisch falsch,
Schongauer an die Spitze der ganzen Entwicklung zu setzen.
Wir können übrigens auch nicht zugeben, dass er weiterhin
in dem Maasse umbildend und überhaupt stilbildend auf die
Monumentalkunst Oberdeutschlands gewirkt habe, wie dies
gewöhnlich angenommen wird. Gewiss waren seine Stiche
in den siebziger Jahren in viele Werkstätten gedrungen und
wurden auch als Vorlagen im Einzelnen wie im Ganzen
ausgebeutet. Wenn aber auch dies nicht ohne Einfluss auf
Erfindung, Composition, Zeichnung, Ausdruck u. s. w. blieb,
so war dieser Einfluss doch kein im Ganzen und Grossen
stilbedingender. Dies konnte er, abgesehen von anderen
später zu erörternden Umständen, schon aus zeitlichen
Gründen nicht mehr sein, denn damals war der schwäbische
wie fränkische Stil bereits fertig und auf ganz anderen
Wegen zu seiner Oberdeutschland beherrschenden Eigenart
gelangt.
Die Untersuchung dieser Wege zwingt uns, zunächst
über das 15. Jahrhundert zurückgreifend, einen Blick auf die
Lage der deutschen Tafel-Malerei und ihr Verhältniss zu den
mittelalterlichen Maltechniken zu werfen. In diesem Ver-
hältniss aber liegt der Schlüssel zur Erklärung mancher
aufiälligen Erscheinung, wie z. B. die der täuschenden Gleich-*
'^•^)0 Sitzufnj der historischen Cltisse vom 1, Dezember 1894,
artigkeit der Werke des Schwaben ü. Apt und der Regens-
burger Schule des A. Altdorfer. Und was noch wichtiger,
zugleich die Erkenntniss-Grundlage für die Stadien der Stil-
entwicklung der oberdeutschen Tafel-Malerei des späteren
Mittelalters.
Die oberdeutsche Tafel -Malerei ist verhältnissmässig
jung. Damit soll nicht gesagt sein, dass es vor der zweiten
Hälfte des 14. Jahrhunderts eine solche überhaupt nicht ge-
geben hätte. Denn wie schon in byzantinischer Zeit, so
lieferte man auch in der romanischen und frühgothischen
Periode vereinzelte Arbeiten der Art, sei es in den Ver-
täfelungsfüllungen der Decken und Wände, oder in den
Antependien (Vorsatzstücken der Altartische) oder auch wohl
in Superfrontalien oder Retabeln (Altaraufsätzen). Die her-
vorragendsten erhaltenen Beispiele aus dem 12. und 13. Jahr-
hundert müssen allerdings in Niederdeutschland gesucht
werden, wie in den berühmten Deckenmalereien von S.
Michael in Hildesheim, im Antependium (?) der Walpurgis-
kirche zu Soest (jetzt im Museum des Westphälischen Kunst-
vereins zu Münster) und in den Superfrontalien aus Quedlin-
burg (?) ; (seit 1880 im Museum des Westpliälischen Kunst-
vereins in Münster n® 104) und aus S. Maria zur Wiese in
Soest (jetzt in den k. Museen zu Berlin)^). Wir kennen keine
anderen sicher vor 1300 entstandenen Tafel werke; denn die
angeblich gleichalten Ketabelwerke des Niederrheins und
Westphalens stammen bereits aus dem 14. Jahrhundert. So
das Superfrontale von S. Ursula im Wallraf-Richartz'schen
Museum zu Köln, von welchem nur das gestanzte und email-
lierte Rahmen werk noch der romanischen Periode angehört,
während die goldgründigen Holztafeln, mit den in schwarzen
Umrissen ausgeführten und nur in den nackten Theilen
farbig gemalten Figuren sicher erst im 14. Jahrhundert an
1) Cl. Heereraann v. Zuydwik. Die älteste Tafel-Malerei West-
phalesB. Münster 1882.
v.Beher: Stüentwiclclung der schwäbischen Tafel-Malerei. 351
die Stelle der metallgetriebenen Füllungen getreten sind^), was
in ähnliclier Weise auch an dem Superfrontale in 8. Maria
zur Höhe in Soest der Fall ist. ■) Für etwas älter als diese
beiden Malwerke halten wir das kleine Kapellen- oder Haus-
triptychon mit der Kreuzigung und vier Marienscenen im
Wallraf-Museum zu Köln*) von einem Miniator bald nach 1300
auf goldgrundierten Holztafeln gemalt. Ja selbst die etwas
jüngeren, ihrem Stile nach mit Wandmalerei zusammen-
hängenden Flügelpaare desselben Museums mit den Figuren
des Johannes und Paulus*), wie die verwandten Tafeln mit
der Verkündigung und Darbringang im Tempel*) scheinen
noch älter als die Malereien der Tafel von S. Ursula.
Es kann nicht in Abrede gestellt, aber auch nicht be-
wiesen werden, dass ähnliche Versuche auch in Oberdeutsch-
land gemacht wurden. So gering aber der Prozentsatz des
Erhaltenen dem einstigen Bestände gegenüber in Deutsch-
land^) sein mag, so darf doch angenommen werden, dass
ein figürlich gemalter Decken- und Altarschmuck nicht die
1) Kat. W. Müller von Königswinter n^ 86. Kat. Nieesen (1877)
no 106. A. G. Stein, Die Pfarre zur h. Urania. Köln 1880. S. 132.
Wir würden sie für imitatorischen Ersatz älterer Niellofüllungen
halten, wenn wir nicht von Domkapitular Schnütgen in Köln belehrt
worden wären, dass Niello in jener Zeit in den Rheinlanden nicht
im Gebrauch war.
2) J. Aldenkirchen, Die mittelalterliche Kunst in Soest. Heraus-
gegeben vom Vorstand des Vereins von Alterthumsfreunden im Rhein-
lande. Bonn 1875. — E. F. A.Münzen berger. Zur Kenntniss und Wür-
digung der mittelalterlichen Altäre Deutschlands. Frankfurt a. M.
1885-1890. S. 23-27.
3) Kat. W. Müller n© 2. Kat. Niessen no 30.
4) Kat. W. Müller n® 3. 4. Kat. Niessen no 31. 32.
5) Kat. W. Müller no 5. 6. Kat. Niessen no 33. 34.
6) Das Museum in Bergen besitzt nicht weniger als vier roma-
nische oder romanisierende Tafeln norwegischer (?) Kunst, welche
als Antependien oder Superfrontalien gedient haben mögen. Ge-
fällige Mittbeilung von Domkapitular Schnütgen.
352 Sitzung der historischen Glosse vom 1, Dezember 1894.
Kegel, sondern dass er sogar selten war. Vertäfelte Decken,
die übrigens vom 12. Jahrhundert ab meist durch Gewölbe
verdrängt wurden, waren, wenn überhaupt farbig geschmückt,
so gewöhnlich nur omamental polychromiert, und der Altar
war, wenn die steinerne, manchmal mit einem säulen-
getragenen Baldachin (Ciborium) bedeckte Mensa überhaupt
etwas anderes als bewegliches Geräth trug, meist tektonisch
und plastisch wie mit Emailarbeiten geschmückt. Das Malen
auf Holz blieb in der Regel Anstrich, und erging sich, wenn
man über ornamentale Färbung von Holzwerk, Mobilien
u. s. w. hinausstrebte, bis gegen die Mitte des 14. Jahr-
hunderts hauptsächlich in heraldischer Bemal ung von Armatur-
stücken. Kein Wunder, dass bei einer so beschränkten Uebung
die Tafel-Malerei als Schilderei im eigentlichen Wortsinne
zu organischer Ausbildung eines eigenen Stiles, d. h. za
einer mit ihrem Material in Einklang stehenden eigenartigen
Erscheinung nicht kam, und ziemlich selbstlos an die Wand-
oder Miniatur-Malerei, in selteneren Fällen an Glas- und
Email -Malerei, sonst sogar an textile und an plastische
Vorbilder sich anschloss.
Reicheren Betrieb finden wir in anderen Maltechniken.
Von diesen war freilich die Wandmalerei, seit die Gothik
Eingang gefunden, im Vergleich zu der Thätigkeit der
byzantinisch -romanischen Periode in dem Maasse zurück-
gegangen, als die Wandfelder in Folge fortgesetzter Zer-
klüftung durch die Pfeiler - Construction ihre grossen Er-
streckungen eingebusst hatten. Konnte sich an den Pfeilern
der epische Cyklenschmuck früherer Zeiten nicht mehr ent-
falten, so lag es nahe, auch hier sich auf omamentale Poly-
chroraie zu beschränken, welche sich den vielgliedrigen Pro-
filen und verschnittenen Wandflächen leichter anpassen liess,
als figürliche Composition. Je seltener aber bei der zu-
nehmenden Wandgliederung der gothischen Architektur die
Gelegenheit zu Wandgemälden wurde, desto weniger konnte
V. Reber: Stilentwicklung der schwäbischen Tafel-Malerei. 353
diese Kanstart Schritt halten mit den übrigen Malgebieten
und den Wandmalereistil in organischer Selbstständigkeit
weiterbilden. Sie zehrte daher mehr und mehr von den
umfänglicher betriebenen und darum ihr stilbildend voraus-
geeilten anderen Techniken, was sie nicht hinderte, ihrer-
seits den zunächst überwiegenden Einfluss auf die noch
seltenere Tafel-Malerei zu üben.
Von den übrigen Maltechniken hatte sich seit dem
13. Jahrhundert zu besonderer Beliebtheit die Glasmalerei
erhoben, welche schon durch ihre musivische Zusammen-
setzung, durch den kräftigen Verbleiungsumriss und durch
die transparenten Farben frühzeitig ein Gepräge erhalten
hatte, in welchem Material und Darstellungsweise sich zu
harmonischer Einheit und somit zu selbständig stilvoller Er-
scheinung verbanden. Ihre augenfällige, ja aufdringliche
Stellung unterstützte ihre in der gothischen Monumental-
kunst entschiedene Bevorzugung, welche kaum geringer war,
als in der byzantinischen Zeit die des goldgründigen Mosaiks.
Diese Bevorzugung rausste ihr auch einen ähnlich bedeut-
samen Einfluss auf die übrigen Maltechniken erwirken, wie
ihn einst das Mosaik geübt hatte. Wir finden ihn that-
sächlich dominierend im Staramlande der Gothik, nemlich
in Frankreich, und sonst am meisten in den von der fran-
zösischen Gothik nächst beeinflussten unteren Rheinlanden,
und zwar in den letzteren am deutlichsten in der Wand-
malerei, durch diese in den Altartafeln, und bis zu einem
gewissen Grade auch in den Miniaturen.
Die Miniaturen blieben Ausgangs des Mittelalters das
meistgepflegte Gebiet. In Deutschland im 13. Jahrhundert
gewöhnlich etwas dilettantisch betrieben, hatte die franzö-
sische Illuminierkunst desselben Jahrhunderts, wie die nieder-
ländische des 14. Säculums eine höchst erfreuliche Entwick-
lung gefunden, letztere an mehreren Punkten sogar in dem
Maasse, dass vlämische Illuministen nicht selten an den
*'o4 Sitzung der higtorischen Clause vom 1. Dezember 1894.
französischen Königshof wie an die verwandten Herzogshöfe
entboten wurden. Dieser Höhepunkt fiel freilich in die Zeit
kurz vor der letzten Stunde der Miniaturkunst selbst, denn
wie aus den handschriftlichen die gedruckten Bücher, so ent-
sprangen bekanntlich aus dem Bilderschmuck der Codices
Holzschnitt und Kupferstich. Ausserdem aber auch, was für
unsere Frs^e von höherer Wichtigkeit ist, aus dem Vor-
betrieb der Illuminatoren die altniederländische Tafel-Malerei.
Denn wenn wir auch nicht verkennen, dass dabei die Plastik
der Schulen von Tournay und Dijon keineswegs ohne Ein-
fluss war, und dass die fruchtbare Heranziehung des vor-
maligen Anstrichbindemittels, des Oeles, auf das epoche-
machende Ereigniss der Erscheinung der van ICyck nicht
wenig einwirkte, so können wir doch die Behauptung in
keiner Weise beschränken, dass das altniederländische Tafel-
bild im Wesentlichen als eine Uebertragung der Pergament-
Malerei auf die Holztafel, mithin der Kleinkunst auf eine
halbmonumentale Kunst zu erklären sei.
Während wir aber in Köln neben Steinplastik und
Wandmalerei das Glasgemälde, in den Niederlanden die
Miniaturkunst als hervorragende Motoren der aufblühenden
Tafel-Malerei zu bezeichnen haben, finden wir im übrigen
Deutschland von einer Beeinflussung des Tafelbildes durch
(ilas- und Miniaturmalerei wenig Spuren. Schon im mittel-
rheinischen Gebiet überwiegt der Einfluss des Wandgemäldes
auf das Tafelbild, wenn auch das um 1400 entstandene
Altargeraälde von Ortenberg in Hessen, jetzt in der gross-
herzoglichen Galerie zu Darmstadt, die heil. Sippe mit vier
Heiligen im Mittelbild, die Geburt Christi und die drei Könige
auf Flügeln darstellend, stilistisch geradezu als Vergrösserung
eines Miniaturwerkes erscheint. Das ist jedoch ein Ausnahms-
fall, während sich von der Uebertragung des Wandmalerei-
stils auf das Tafelbild, wie sie sich auf dem ungefähr gleich-
zeitigen Tafel werk von Seligenstadt, die bh, Ottilia, Barbara,
V. Reher: Stüentwicklung der schwäbischen Tafel-Malerei. 355
Agatha und Walpiirgis darstellend, zu erkennen gibt, mehrere
Belege am Mittelrhein aufweisen lassen. Ebenso am Ober-
rhein, wo sich übrigens aus der Prühzeit Erhebliches nicht
erhalten hat. Seinem Gebiet aber dürfen wir die böhmische
Kunst der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts insoferne an-
reihen, als auch der Strassburger Import (Wurmser) an ihr einen
gewissen Antheil hat. Sie liegt übrigens unserem engeren
üntersuchungsgebiete zu ferne, um uns zu einem weitläufigen
Eingehen auf ihre den königlichen Berufungen gemäss sich
vollziehenden Kompromisse oberrheinischer, norditalienischer
und böhmischer Elemente zu veranlassen, doch werden wir
auf ein sporadisches Erscheinen böhmischer Kunst in Schwaben
zurückkommen.
Wenig Spuren einer Abhängigkeit von Glasmalerei und
Miniaturkunst zeigt auch die fränkische (nürnbergische) Tafel-
Malerei von ihren kümmerlichen Anfangen bis zur Jugend-
zeit Dürers. Auch diese, in ihrer Frühzeit dem Vorbilde der
Wandmalerei, dann z. Th. böhmischen und kölnischen Ein-
flüssen und seit der Mitte des 15. Jahrhunderts der Schnitz-
kunst folgend , soll weiterhin nur insoferne in Betracht
gezogen werden, als sie in die schwäbische Thätigkeit ein-
greift. Etwas mehr Miniaturen - Einfluss darf man im Ge-
biet Bayerns südlich von der Donau, wie Oesterreichs im
engeren Sinne, annehmen, in welchen Landen übrigens bis
gegen das Ende des 15. Jahrhunderts eine nennenswerthe
Thätigkeit in der Tafel -Malerei nicht zu konstatieren ist.
Dagegen sind wir in der Lage an der ältest erhaltenen
Tafel-Malerei Schwabens gothischer Zeit die stilistische Ab-
leitung derselben von der Wandmalerei nachzuweisen. Wir
meinen das Tafelbild im Thürbogen des Sommerrefektoriums
zu Bebenhausen, wohl unmittelbar nach Erbauung des Saales
(1335) gemalt und das einzige gesicherte Tafelwerk Schwa-
bens dieser Frühzeit. ^) Es stellt Maria auf dem Thron Salo-
1) Eine gute Aquarellkopie im Museum für vaterländische Alter-
356 Sitzung der hUtarischen Classt^ vom 1. Dezember 1894.
iDons und ihre Tugenden bei der Verkündigung dar. Die
wunderliche auf Albertus Magnus^) zurückgehende mystisch-
symbolische Komposition von der äusseren Gestalt eines spitz-
bogigen Tympanon zeigt eine Estrade Yon sechs Stufen, vor
welcher in der Mitte Salomon in einer Nische thront, wäh-
rend jederseits je sechs Löwen die Stufen emporklettern.
Vor und an den Stufen stehen dann die allegorischen Ge-
stalten der Tugenden mit entsprechender Bezeichnung, links
von unten anfangend Virginitas, Solitudo,Humilitas und Miseri-
cordia, rechts Obedientia, Verecundia, Prudentia und Veritas,
über deren gothischen Baldachinen (mit Ausnahme der beiden
untersten) sechs Halbfiguren mit Spruchbändern aus Jesaias,
Ezechiel, dem 4. Hebräerbrief und der Apokalypse angebracht
sind. Oben in der Mitte aber erhebt sich der von zwei
Löwen (Fortitudo und Formido) getragene Thron mit der
etwas grösseren Gestalt Mariens, welche das auf ihren Knieen
stehende Kind hält.
Schon die ganze Anordnung mit den in flach behan-
delten Tabernakeln stehenden Figuren ist wandmalereiartig
und auch dem um mehr als ein halbes Jahrhundert älteren
Wandgemälde desselben Inhalts im Dom zu Gurk wie ander-
seits auch einem dem Bebenhauser Bild annähernd gleich-
alten Tafelbild aus Wormel bei Paderborn, jetzt im christl.
Museum zu Berlin verwandt.*) Dagegen würde auch der
Umstand nicht sprechen, wenn das Bild wirklich in Oelfarbe
gemalt wäre, wie auf Zeugniss von H. Leibnitz hin von
E. Paulus berichtet wird. Da jedoch durch nachträgliche
Befeuchtung eines Gemäldes mit Oel, womit vertrocknete und
thümer in Stuttgart. Publiziert und erläutert von E. Paulus, Die
Cisterzienser- Abtei Bebenhausen, Stuttgart 1887, S. 116 fg.
1) de laud. Mariae X. 2 § 24 und Parabel des Bernhard von
Clairvaux zu Psalm 86. Vgl. F. Piper, Jahrbücher für Kunstwissen-
schaft V. 1873.
2) E. Paulus, a. a. 0., S. 118.
V. Reber: StüentwicMung der schwäbischen Tafel-Malerei. 357
tanbgewordene Tempera- wie Wasserfarbenbilder wohl öfter
conserviert und wieder farbenfrisch gemacht worden sind,
die an sich nicht einfache Unterscheidung von Tempera-
und Oelmalerei an Werken der Frühzeit sehr schwierig ge-
macht ist, dürfte diese Notiz mit grosser Vorsicht aufzu-
nehmen sein. Jedenfalls ist Vortrag und Maltechnik wand-
malereiartig: der ümriss eingeritzt, die Malerei breit und
nach Licht und Schatten nur durch hellere und dunklere
Farbe, in Gesichtern, Händen, Haaren u. s. w. sogar nur
durch eingezeichnete Linien modifiziert, die Farbe einfach
und unvermischt, weiss, schwarz, roth, gelb, blau und saft-
grün, ihr Auftrag durchaus dünn und eben. Auch der noch
auf der Tradition von Musivbildern beruhende Goldgrund
kann nicht dagegen geltend gemacht werden, wie auch die
Tafel, aus Tannenbrettern ndttelst üeberklebung mit Leinwand
und Auftrag eines starken Kreidegrundes einen dem Wand-
verputz ähnlichen Malgrund darbot. So reiht sich denn
dieses Werk völlig gleichartig an die stattliche Reihe von
erhaltenen württembergischen Wandmalereien von der Kirche
zu Burgfelden bis zu den Wandgemälden von Brenz, Lieben-
zell, Neuenburg und Mühlhausen am Neckar, wie auch von
den noch vor und um 1400 entstandenen im bayerischen
Schwaben, wie im Grossherzogthum Baden. Von einer
eigentlichen Tafelkunst mit selbständigem, dem Material
entsprechenden Stil aber kann so wenig die Rede sein, wie
von stilistischer Provenienz aus der Miniaturmalerei oder
aus plastischen Vorbildern.
Neben diesem Werke müssen wir eines ebenfalls noch
dem 14. Jahrhundert angehörigen Guriosums gedenken, nem-
lich eines Altarwerkes böhmischer Art, welches sich in der
1380 von Reinhart von Mühlhausen, Bürger von Prag, er-
bauten Vituskirche zu Mühlhausen am Neckar, einem sechs
Kilometer von Cannstadt flussabwärts am linken Ufer liegen-
den Dorfe, befindet. Dabei kommen die das Innere der
358 Sitgung der historischen Glosse i>om 1. Dezember 1894.
ganzen Kirche bedeckenden Wandmalereien nicht in Be-
tracht, weil selbst die ältesten noch aus dem 14. Jahr-
hundert stammenden Theile derselben, wie die Propheten-
und Apostelgestalten an der Schlusswand des Schiffe beider-
seits vom Triumphbogen oder das Jüngste Gericht über dem
Triumphbogen auf der Ghorseite oder die Einzelfigaren in
den Oewolbfeldern des Chors mit jenem Altar werk nichts
zu thun haben, und von einheimischen (geringen) Malern
herrühren. Noch weniger die beiden spätgothischen Tripty-
chalaltare mit geschnitzten Mi ttelth eilen, nemlich der jetzige
Hochaltar und der linke Seitenaltar, welche beide trotz der
Inschrift auf der Rückseite des Hochaltarschreins ^) ganz und
namentlich in sämmtlichen Malereien dem Anfang des 16.
Jahrhunderts, der Hochaltar speziell dem Jahre 1510 an-
gehören.
Das aus der Stiftungszeit der Kirche stammende und
wohl erst bei Anlage des dermaligen Hochaltars von seiner
ursprünglichen Stelle entfernte Altarwerk aber besteht aus
fünf Tafeln aus Tannenholz, die sämmtlich beiderseits be-
malt sind. Jetzt sind fälschlich die drei Tafeln, welche vorne
in dem Mittelbilde den h. Wenzeslaus, in den beiden Seiten-
bildern links den h. Vitus, rechts den h. Sigismund zeigen,
miteinander in einen Kalimen verbunden und so im Chor
rechts aufgestellt, während zwei andere Flügel beiderseits
vom Altar rahmenlos an der Wand lehnen. Ursprünglich
aber mussten die Tafeln mit dem h. Vitus und dem h. Sigis-
mund als bewegliche Flügel der Wenzeslaus-Mitteltafel an-
gehängt gewesen sein, da ihre Rückseiten -Malereien, in der
oberen Hälfte die Krönung Maria, in der unteren die Ver-
kündigung darstellend, diese Vorstellungen nur dann richtig
1) C. Grüneisen, Uebersichtliche Beschreibung älterer Werke
der Malerei in Schwaben. Besonderer Abdruck aus Kunstblatt 1840
n<> 96 und 98.
V. Reber: Stilentwicklung der schwedischen Tafel-Malerei. 359
gaben, wenn die Flügel das Wenzeslansbild bedeckend ge-
schlossen waren, während jetzt die beiden Hälften der zwei
Kompositionen ihre Figuren nicht blos weit von einander
entfernt, sondern auch auseinander sehend zeigen. Dagegen
waren die beiden, jetzt von dem Triptjchon getrennten
Tafeln fest mit dem Mittelbilde verbunden, und zwar so,
CFPEN. VORDERSEITE. GESCHLOSSEN
\
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Kmnan^^ Mariae
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Hänhari
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Schema des Altarwerks von 1385 in der Kirche za Mühlbaason am Neckar.
4
dass sie die Seiten mit den Darstellungen des Schmerzens-
mannes und des Crucifixus nach vorne wandten, während
die Stiftungsinschriften mit den knieenden Bildnissen der
Brüder Reinhart und Eberhart von Mühlhausen beiderseits
von dem Christus am Kreuz mit Maria und Johannes dar-
stellenden Mittelbilde die Rückseite des Altares bildeten.
1894. Philo8.-pbilol. u. bist. Ci. 3.
31
360 Sitzung der hisiamchen Glosse vom 1. Dezember 1894.
Das beifolgende Schema gibt den Inhalt der durch die Flügel
zu yerändemden Vorderseite wie der unveränderlichen Rück-
seite. Ob das Ganze auf einer Predella stand und archi-
tektonische wie plastische Umrahmung und Bekrönung be-
sass, ist nicht sicher bekannt. ^) Es ist übrigens gewiss nicht
ganz zufallig, dass die einstige Rückseite ohne wesentliche
Restauration, zum Theil freilich in einem verzweifelten Zu-
stande blieb, die sieben Tafelseiten aber, welche bei offenem
und geschlossenem Altar nach vorne zur Ansicht kamen,
wahrscheinlich schon früher, und in besonders ärgerlicher
Weise 1850 durch den Maler Lamberty erneuert worden
sind, Eindruck und ürtheil dadurch beeinträchtigend und
störend, dass sich dabei die einstige Temperamalerei in eine
weichliche vertriebene Oelmalerei umgesetzt hat.
üeber Stifker und Entstehungsjahr des Altarwerkes
lassen die Inschriften der Fitigelrückseiten *) keinen Zweifel.
Und da sich die Stifterbrüder Bürger von Prag nennen,
einer derselben, der 1380 verstorbene Eberhard von Mühl-
hausen, sogar in den Diensten Karl lY. gestanden war, liegt
1) Die Literatur über die Eircbe yod Mühlhausen and den Altar
bei £. Paulus, Die Kunst- und Alterthumsdenkmale im Eönigreich
Württemberg. Inventar. S. 601. Wir folgen in Bezug auf die An-
ordnung unseren eigenen Erwägungen an Ort und Stelle. Die ge-
ringen Maassdifferenzen beruhen einerseits auf Beschneidung der
modern zusammengerahmten drei Bilder, die anscheinend zu geringe
Breite des Mittelbildes aber konnte durch die Stellung der Flügel-
angeln ausgeglichen gewesen sein. (Vgl. vorstehendes Schema.)
2) Auf dem linksei tigen Flügel: Do man czalt von cristi ge-
burt I mccclzxxv iar { am sant wencesslaus tag | wart disse tafel
volbracht | von dem Erbn Rein | hart von Mülhusen bur | ger zu Prag
Stifter diss. | kapel vnd aller an der | ir zu gehörd Bittent got | daz
er im gnedig sej ame.
Auf dem rechtseitigen Flügel: Do man czalt von cristz | ge-
hurt tusent dryhüdert | und achcyg iar an dem | fritag vor sant
gyldn I tag starb Eberhart von | Mülhusen burger czu | Prag B^yn-
hartz Bruder | Stifters disser kapell | Bittent Got vor in.
V. Beben Stüentwichlung der schwäbischen TafeUMcUerei. 361
die Annahme nahe, dass sie sich bei der mit Eberhards
Todesjahr zeitlich zusammenfallenden Eirchenstiftung in
Böhmen thätiger Künstler bedienten, und wenn dies sogar
bei dem Kirchenbau geschah*), so um so mehr bei der Her-
stellung von Altargemälden, die sogar auf böhmischem Boden
zur Ausführung kommen konnten.
In der That ist selbst an den übermalten Theilen die
böhmische Provenienz unverkennbar. Namentlich an den
drei fast lebensgross dargestellten böhmischen Patronen,
deren breite Gesichtstypen mit den grossen zu stark ins
Profil gesetzten Nasen ebenso auf traditionell böhmische
Vorbilder zurückgehen, wie die hochgezogenen Achseln, die
dürftigen Hüften, die Hände mit den wieder unrichtig im
Profil gezeichneten Nägeln, die grossen Füsse und alles Ko-
stumliche einschliesslich der plastischen Ausführung von
Wenzeslaus' Kettenpanzer mit böhmischen Werken der Zeit
übereinstimmen.*) Die von der Restauration unberührten
Theile aber, insbesondere das erhaltenste Stück des sonst
sehr beschädigten Crucifixbildes der Rückseite, nemlich der
Kopf des Johannes, wie auch die beiden Stifterbildnisse mit den
Inschriften zeigen ein energisches Naturstudium mit frischer
unmittelbarer Mal weise verbunden, und verrathen eine Künstler-
hand, welche oflfenbar im Anschlüsse an Farben wähl und
Auftrag der Wandmalerei markig und geschickt zu Werke
Pfing. Es ist eine durchaus grossstilige Temperamalerei noch
ohne speziellen Tafel bildcharakter, aber auch ohne alle mi-
niaturartigen Anklänge. Ihre rein malerische Auffassung
zeigt auch keinerlei plastische Vorbildlichkeit und Beein-
flussung, weder steinbildhauerische, wie die gleichzeitigen
Malereien Frankreichs und Kölns, noch bronzebildnerische,
wie die florentinische Kunst, noch holzschnitzerische, wie
1) E. Paulus a. a. 0., S. 155 fg. -
2) Ungenügender Holzschnitt bei Paulus a. a. 0., S. 155.
31*
362 Süeung der historisdien Classe vom 1. Dezember 1894.
wir sie seit der Mitte des 15. Jahrhunderts im deutschen
Tafelbild finden werden.
Es ist übrigens sehr wahrscheinlich, dass der Maler des
Altarwerks selbst kein Böhme war. Dabei ist gar nicht an
Abhängigkeit von Tomroaso da Mutina, welcher eher ge-
ringer erscheint, oder an Zusammenhang mit einem anderen
italienischen Maler des Prager Hofes zu denken, da der Stil
des Werkes mit jenem der italienischen Quattrocentisten,
deren Einfluss auf die böhmische Kunst überhaupt kaum
nennenswerth war, nichts zu thun hat. Um so mehr kommt
westdeutsche Herkunft unseres Künstlers in Betracht. Seit
der Schwabe Peter Arier von Gmünd an die Spitze der böh-
mischen Bauthätigkeit getreten war, erscheint die Kunstthätig-
keit Böhmens vorwiegend deutsch.^) Speziell im Gebiet der
Malerei ist es wohl bezeichnend, dass die Satzungen der Prager
Malerzeche von 1348, das Privileg Karl IV. für die Neustädter
Schilder von 1365 und dessen Erneuerung durch Wenzel IV.
von 1380 deutsch verfasst sind. Die deutschen Maler bil-
deten eben die Mehrzahl, wie wir denn auch von einem der
beiden Hofmaler Karl IV., nemlich von Nikolaus Wurmser
die deutsche Herkunft (Strasshurg) bestimmt wissen. Es ist
auch mehr als wahrscheinlich, dass die deutschen in Prag
wohnhaften Stifter, zumal wenn es sich um eine Stiftung
im deutschen Heimathorte mit deutschen Dedicationsinschrifben
handelte, keinen tschechischen Künstler für ihren Auftrag
erkoren, sowie sie auch, was aus den architektonischen De-
tails erkannt worden ist, sicher einen Schüler ihres Lands-
mannes P. Arier mit dem Kirchenbau beauftragten. Es
musste dies keineswegs Wurmser selbst sein, der übrigens
damals schon wieder nach Strasshurg zurückgekehrt war,
aber es ist sehr glaublich, dass der Maler des Werks mit
1) J. Neuwirth, Geschichte der bildenden Kunst in Böhmen I.
Prag 1893. S. 236 fg.
1
V. Reher: Stüentwicklung der schwäbischen Tafel-Malerei. 363
ihm zusaiümenhing. TJebrigens berechtigen derlei Möglich-
keiten keineswegs, aus ihnen Schlüsse auf die Tafel-Malerei
Sfcrassburgs und damit der allemannisch-schwäbischen Lande
zu ziehen. Jedenfalls aber ist diese Kunst, obwohl ebenfalls
mit der Wandmalerei im Stilzusammenhang, eine ganz andere,
wie jene der Tympanontafel zu Bebenhausen, und auf ihrer
realistischen Basis frei von jeder idealen Typik in Gesichtern,
Geberde und Gewandbehandlung, wie sie das Bebenhausener
Bild und die Kölner Kunst jener Zeit zeigt. Dazu erscheint
sie entwickelter als die älteste Nürnberger Tafel-Malerei,
bei welcher der geringe böhmische Einfluss in der Malerei
in jener Zeit, in welcher Karl IV. die Stadt auffallend be-
günstigte und in derselben die schöne Frauenkirche erbaute,
sogar zu verwundern ist.
Ein ganz verändertes Bild von der Stilentwicklung der
schwäbischen Tafel-Malerei entfaltet ein drittes, 46 Jahre
später entstandenes Werk, welches nicht blos datiert, son-
dern auch mit dem Künstlernamen bezeichnet und für seine
Zeit das bedeutendste Werk Oberdeutschlands ist, wie die
etwa gleichzeitigen Altarwerke der Gebrüder van Eyck in
S. Bavo zu Gent und des Meister Stephan im Dom zu Köln
für die Niederlande und für den Niederrhein. Es ist der
Magdalenenaltar der Kirche zu Tiefenbronn, 1431 von Lucas
Moser aus dem benachbarten Weilderstadt gemalt. Es steht
noch an der ursprünglichen Stelle rechts vom Chor an der
Ostwand des SchiflFs der Dorf kirche und bildet ein verhältniss-
raässig kleines Retabulum von noch kümmerlicher Triptychal-
entwicklung, etwa 3 ra hoch und 2 m breit in spitzbogiger
Form flach an die Wand gedrückt, in welche der kleine
Mittelschrein nischenartig versenkt ist.
Der Schrein enthält die legendarische Verklärung dei*
Maria Magdalena mit sieben die Heilige umschwebenden
Engeln in plastischer Darstellung; auf den Innenseiten der
den Schrein schliessenden Flügel sind die hh. Martha und
3(34 SUzung der historischeH Glosse com 1, Dezember 1894.
Lazarus in ganzen halblebensgroäsen Fignren gemalt. Bei
geschlossenen Flügeln kommt das Werk organischer zur
Geltung, indem es vier Scenen aus dem Leben der Maria
Magdalena in reicher Anordnung und sorgfaltigster Durch-
führung zur Ansicht bringt: im spitzbogigen Tympanon oben
die Salbung der Füsse Christi im Hause Simons; auf der
linken Seite unterhalb die Marseillefahrt der hh. Maria Mag-
dalena und Martha, mit den hh. Bischöfen Lazarus, Maxi-
minus und Godonus; im Mittelbilde, das zugleich die Aussen-
seite der beiden Schreinfiügel bildet, oben die Erscheinung
der h. Maria Magdalena im Schlafgemach eines heidnischen
Fürstenpaares und unterhalb ihre in der Zwischenzeit vor
dem Palaste schlafenden hh. Genossen; auf der rechten
Seite die wunderbare Kommunion der von Engeln herbei-
getragenen Büsserin durch den h. Maximinus. Auf der Pre-
della befinden sich in Halbfiguren Christus zwischen den
fünf klugen und fünf thörichten Jungfrauen, vor den ersteren
links das Spruchband ^venite benedictae\ vor den letzteren
rechts ein solches mit ^nescio vos\ Die beiden das mittlere
Legendenbild von den seitlichen trennenden Friesleisten zeigen
in seltsamer Schrift den Künstlernamen, in offenbar absicht-
lich bis zur Unkenntlichkeit verschnörkelter Schrift aber, zum
Theil in winzigen Minuskeln unterhalb wiederholt das Ent-
stehungsjahr und einen Klageruf auf die Vernachlässigung
der Kunst von Seite der Gönner.^) Die 1861 aufgefrischte
Inschrift auf dem Horizontalfries unter dem Tympanon^)
scheint sich auf die im Altar verwahrten Reliquien zu be-
ziehen. Die beiden Wappen an den Ecken der Predella
1) Auf dem rechtseitiffen Friese: lucas . moser . maier . von . wil.
maister . des werx . bit . got. vir . in.
Auf dem linkaeitigen Friese : sehn . kunst . schri . vnd . klag . dich .
ser . din . begert . iecz . niemen mer . so . o . we . 1431.
2) hie. in altari honorandi . sunt. I bta. maria . magdalena 2^ bts.
anthonius . 8^ btus venerabilis . erbardos.
V, Reher: StüentwicJdung der schwäbischen Tafel- Malerei, 365
aber deuten auf die Familien Stain und Helmstädi (?) als
Stifter des Altars.
Die Fassung der Inschrift Lucas Moser, Maler von Weil,
lässt nicht annehmen, dass der Ortsnamen (wohl Weilderstadt,
12 Kilometer südlich von Tiefenbronn) nur die Herkunft des
Meisters und nicht seinen Thätigkeitsort bedeute; denn der
Zusatz des Heimathortes, wenn er nicht zugleich auch Schau-
platz der Thätigkeit war, pflegte nur mit blossen Taufnamen
verbunden zu werden und hätte ebensowenig die Zwischen-
schiebung des Wortes ^Maler gestattet. Wir kennen übrigens
von der befremdlichen Entsagung, mit der ein Meister von
so hervorragender Bedeutung mit der Enge eines kleinen
Städtchens sich begnügte, während in den schwäbisch-alle-
manischen Landen vornehmlich Ulm, Strassburg, Eolmar,
Basel, Ravensburg und Eonstanz zur Entfaltung seiner über-
legenen Kunst reiche Gelegenheit geboten hätten, nur die
Thatsache, nicht die Gründe. Dass jedoch der Meister gegen
die Beengung nicht unempfindlich war, beweist der in ver-
zerrter Schrift ornamental verkappte Schmerzensschrei , den
er auf sein vielleicht auch schlecht entlohntes Werk setzte.
Wie später Dürer beim Helleraltar „ob der Arbeit sich schier
verzehrend ** konnte er auch bei dem Niederschreiben seines
„Schreie Kunst und klag dich sehr, dein begehrt jetzt Nie-
mand mehr'* nicht ahnen, dass gerade damals die Zeit nahe
war, in der man diese Kunst auch in Oberdeutschland mehr
denn je begehrte.
Wie bezüglich der Lebensstellung des Meisters die In-
schrift der einzige Anhalt, so sind wir zur Zeit auch hinsicht-
lich des künstlerischen Entwicklungsganges desselben ledig-
lich auf die Beurtheilung des Werkes selbst angewiesen.
Was zunächst den Gesammteindruck betrifft, so finden
wir an den sämmtlichen Legendenbildern wie auch an dem
Staffelbild der klugen und thörichten Jungfrauen die sche-
matische Beziebungslosigkeit der einzelnen Figuren zu ein-
366 Sitzung der historischen Classe vom 1. Dezember 1894.
ander, jene Aktionsunfafaigkeit, wie sie der monumentaleD
Kunst seit der byzantinischen Periode eigen war und Ober-
deutschland bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts beherrschte,
vollkommen überwunden. Die Scenen spielen sich in ver-
ständlicher Bewegung ab, Haltung und Geberde erscheint
der jeweiligen Situation angemessen, der Bann typischer
Stellungen ist gebrochen. Auch die landschaftliche und
bauliche Scenerie tritt in ihre volle Gleichberechtigung.
Wir werden durch nichts an musivische Arbeiten oder Emai-
lerien, ebensowenig aber auch an Glasmalerei gemahnt,
und auch nicht entfernt an Wandgemälde. Der Stil des
Meisters schliesst sich daher ebensowenig an die Art des
Elarenaltars und anderer Kölner Arbeiten vor 1400, wie an
die Bebenhausener und Mühlhausener Tafeln an. Ander-
seits ist Mosers Stil ganz malerisch und unbeeinflusst von
Stein- und Holzplastik und auch in diesem Betracht sehr
abweichend von den niederrheinischen und späteren oberdeut-
schen Werken. Solchen Anklängen gibt der völlige Mangel
des Künstlers an monumentalem Sinn keinen Raum, ein
Mangel, der sich auch deutlich genug darin äussert, dass er
den beiden Einzelfiguren der Innenseite der Flügel am
wenigsten gewachsen erschein! Der kleinliche Reichthum
seiner Darstellungen mit den gelegentlich geradezu miniatur-
artigen Figürchen, die unmethodische zufällige Komposition,
die novellistische Vertraulichkeit des Vortrags der Vorgänge
lässt den Künstler augenscheinlich vielmehr als zu jenen ge-
hörig erkennen, welche von der Illuminierkunst ausgehen,
und den Miniaturstil ähnlich, wenn auch mit geringerer
kompositionellen und monumentalen Veranlagung in die Tafel-
Malerei übertragen, wie die alten Niederländer. Darin be-
ruht auch das scheinbare Anklingen des Moser'schen Altars
an die niederländischen Werke, von welchen jedoch der Zeit
nach nur jene der van Eyck in Betracht kommen können,
da Moser naoh dem Datum seiner Schöpfung auch bei diesen
D. Beber: StüentwicMung der schwäbischen Tafel -Maierei. 367
(nachweisbar zwischen 1420 und 1440) zu den ältesten
Schülern gehört haben müsste.
Betrachten wir dann das Einzelne, so finden wir zunächst
die Gesichter individuell und ausdrucksvoll zugleich und ebenso
wie die Hände und Füsse im Ganzen naturrichtig gezeichnet.
Auch die Gewänder entwickeln sich in ihrer breiten An-
lage naturgemäss und ohne jene scheraatische Fältelung, wie
sie die romanische und frühgothische Malerei vom Byzan-
tinismus überkommen. Das Beiwerk, wie die landschaftliche
und architektonische Scenerie sind überraschend, vorab das
Meer in seinen fein ausgeführten, entschiedene Naturbeob-
achtung verrathenden Wellen und die perspektivisch behan-
delte Innen- und Aussenarchitektur, welche letztere in ihrer
etwas barocken Zierlichkeit der omamentalen und plastischen
Theile geradezu an den in gleicher Weise wie Moser und
wie die alten Niederländer aus der Miniaturkunst hervor-
gegangenen Altdorfer erinnert. Die Laube, in welcher sich
die Salbung der Püsse des Heilandes beim Gastmahl des
Simon abspielt, ist von idyllischem Reiz, ganz passend zu
der genrehaften Darstellung des Vorgangs, bei der auch der
meisterlich nach dem Leben gebildete Hund wie ein vor-
treffliches Stillleben in der Gestalt eines improvisierten Wein-
kühlers nicht fehlt.
Und ein entschiedenes Talent bewahrte ihn dabei vor
aller dilettantischen Ungleichheit. Kam er auch über eine
gewisse Kleinlichkeit nicht hinaus, die in der Gedrängtheit
der Gomposition und in der übersorgfilltigen Detailausbildung
mehr für die Pergamentblätter eines Passionale oder Legen-
dariums als für die Holztafeln eines Altars in einem massig
beleuchteten Kirch enwinkel geeignet erscheint, so wusste
er doch die Wiedergabe seiner Naturvorbilder nicht blos mit
rührender Hingebung, sondern auch mit einer Sicherheit zu
bewältigen, welche zeigt, dass er auch als Miniaturist nicht
nach der Schablone gearbeitet hatte. Völlig frei von der
368 Sitsung der historischen Glosse vom 1, Dezember 1894.
Unnatar der Kopf- und Extremiiaten-Typen der Kölner, wie
von der Geziertheit ihrer Geberdensprache wusste er über-
dies mit der einfachen Wahrheit der Formen und des Aus-
drucks gelegentlich eine Schönheit zu verbinden, welche den
besten Leistungen der alten Kölner und Niederlander kaum
nachsteht. So in den Köpfen und Kopftüchern der beiden
Jungfrauen am linken Ende der Staffel, in den schönen und
individuellen Köpfen der weiblichen Heiligen der Legenden-
bilder, wie in den würdigen und ausdrucksvollen Gesichtern
der drei Bischöfe. Die Gruppe der Schläfer auf dem Mittel-
bild ist in den Köpfen vorzüglich, ebenso jene des Gastmahls
bei Simon, in welchem letzteren Bilde das Sprechen, Flüstern
und Lauschen ohne alle Verzerrung packend wiedergegeben
ist. Dazu kommt die individuellste Abwechselung, welche sich
selbst in der sonst meistens sehr monoton behandelten Dar-
stellung der klugen und thörichten Jungfrauen nicht blos
in Gesicht, Haltung und Geberde, sondern auch in Haar-
behandluug, Kopfbedeckung und Bekleidung ausspricht. Für
Morellianer endlich sei erwähnt, dass die Zeichnungseigen-
thümlichkeit der von obenher gequetschten Ohrmuschel und
deren Schiefstellung mit dem in der Richtung des Hinter-
hauptes zurückgeschobenen Ohrläppchen es nicht schwer
machen könnte, den Meister abermals nachzuweisen, wenn
sich eine zweite Arbeit desselben erbalten haben sollte.
Wenden wir uns nun zu der Frage, welcher Gegend
Moser seine Schule und seine bedeutende Kunst zu danken
hat, so können unter den gleichzeitigen bedeutenden Kunst-
stätten Italien, Prag und Nürnberg ganz ausser Betracht
bleiben, da Mosers Art mit keiner von diesen etwas gemein
hat. Näher liegt es, an Gent- Brügge oder an Köln zu
denken. Erini^em aber auch Scenerie und Geräthe wie
manches andere Detail an altflandrische Kunst, oder ander-
seits die Köpfe der klugen und thörichten Jungfrauen der
Predella oder jeoe der hh, Magdalena und Martha an Kölner
V. Reher: Stilentwicklufig der schwäbischen Tafel- Mal er ei. 369
Typen, so sind die Aehnlichkeiten doch nicht stark genug,
um nicht auch ans dem Vorgange der Miniaturmalerei er-
klärt werden zu können, ohne zur Annahme von unmittel-
baren Beziehungen zu den van Eyck und zu den Meistern
Wilhelm und Stephan zu zwingen. Denn weit entfernt von
den z. Th. nachweisbaren niederländischen Entlehnungen
eines Friedrich Herlen in Nördlingen oder eines Martin
Schongauer in Eolmar, sind die niederländischen und nieder-
rheinischen Anklänge bei Moser durchaus indirekter Art.
Auch die weichvertriebene Malerei und der dünne auf Oel-
malerei deutende Auftrag können keine direkte Schule be-
weisen, da die Kunde der Oeltechnik keineswegs in den Nieder-
landen selbst geholt werden musste, sondern sich auch von
Mund zu Mund rheinaufwärts verbreitet haben konnte. Bei
persönlichem Besuche Kölns und der Niederlande hätte ein
Mann von der künstlerischen Begabung wie Moser nicht
blind bleiben können gegen die brillanten mit den Glas-
gemälden wetteifernden Farben der dortigen Werke, um
seinerseits einer gewissen Tonigkeit in seinem gebrochenen
bräunlichen Kolorit zu huldigen.
Näher liegt als Bildungsstätte Mosers das schwäbisch-
allemannische Gebiet selbst. Hier richten sich vor Schon-
gauers Geburt die Blicke von selbst auf Ulm, das nicht blos
in monumentaler Kunst damals bereits eine Hauptrolle spielte,
sondern auch wohl ebenso in der Miniaturmalerei wie nach-
her im Holzschnitt. Allein es fehlt uns an erhaltenen Ana-
loga gleicher Zeit, und spätere Werke zeigen bereits den
Anschauungskreis, dem Schüchlin angehört. Wir würden
indess die unmittelbare Schule Mosers eher am Oberrhein
Sachen, etwa in dem Weil näher als Ulm liegenden Strass-
burg, wo damals Johann Hirtz, oder in Schlettstadt , wo
Hans Tieffenthal, oder in Kolmar, wo Kaspar Isenmann,
oder in Basel, wo Lauwlin geschätzte Werkstätten hielten.
Leider sind diese Namen so viel wie leerer Klang, seit di^
370 Sitzung der historischen Classe vom i. Dezember 1894.
Reformation, am Oberrhein 80 bilderfeindlich wie in Holland,
ihre Werke hinweg^etilgt oder wenigstens aus ihrem Zu-
sammenhang gerissen hat. Ebenso können wir den Umfang
und die Leistungsfähigkeit der Illuminatorenschule zu Kon-
stanz, die dort seit dem Concil 7on 1414 — 1418 blühte,
nicht mehr ganz ermessen, wenn auch erhaltene Werke
starken Realismus bekunden.*) Für die damalige Kunst-
bedeutung des Bodenseegebietes aber darf daran erinnert
werden, dass Meister Stephan Lochner (sicher nicht ohne ober-
rheinische Vorkenntnisse) aus demselben nach Köln gelaugte.
Es ist nicht wahrscheinlich, dass der Stil-Einfluss der
Miniaturkunst auf die Tafel «Malerei in der ersten Hälffce
des 15. Jahrhunderts den älteren Einfluss der Wandmalerei
in Oberdeutschland so radikal verdrängte, wie diess in den
Niederlanden geschehen war.
Jedenfalls aber herrschen beide nach den datierten Be-
legstücken früher als ein dritter Einfluss wesentlich anderer
Art, welcher erst mit der Mitte des 15. Jahrhunderts und
mit dem umfänglicheren Aufblühen der oberdeutschen Tafel-
Malerei an den Altären in Aufiiahme kam. Wir wollen
diesen die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts in Oberdeutsch-
land fast ausschliesseud beherrschenden Stil im Gegensatz
gegen den Wandmalereistil und den Miniaturstil kurzweg
Holzschnitzstil nennen.
Leider ist nicht genauer nachzuweisen, wann jene Altar-
werke mit beweglichen Flügeln, Triptychen genannt, beliebt
wurden, welche an die Stelle der unveränderlichen Retabula
der Art der Soester Superfrontalien oder an jene blos plas-
tischer Aufsätze, Reliquiarien etc. etc. getreten sind. Die
Triptychen können jedoch vor den letzten Jahrzehnten des
14. Jahrhunderts nicht anders als höchst vereinzelt, wie in
dem oben erwähnten Kapellen- oder Hausaltärchen (Wallraf-
1) H. Janitachek, Geschichte der Malerei. Berlin 1890, S. 243.
V, Beber: StüentwicMung der schwäbischen Tafel-Malerei. 371
Museum n** 30), vorgekommen sein. Auch finden wir sie
um 1400, wie die erhaltenen Kölner Altäre vom Klaren-
altar bis zum Kölner Dombild oder böhmische Arbeiten
zeigen, meist lediglich gemalt. Wie für Trag- und Reise-
altärchen der Verpackung wegen, so mussten sich solche
Altäre mit beweglichen Flügeln auch in Kirchen als höchst
zweckentsprechend darstellen , da sie sich nicht blos für Fest-
zeiten durch Oeffnen der Flügel vergrössern, sondern auch
dem Inhalte nach ganz umgestalten liessen, indem die Ge-
mälde auf den Innenseiten der Flügel naturgemäss als Fort-
setzung des Mittelbildes einem, die Aussenseiten aber, welche
beim Schliessen der Flügel allein zur Ansicht kamen, einem
andern Cyklus von Darstellungen angehören und somit unter
Umständen auf gewisse Anforderungen des Kirchenjahres
eingerichtet sein konnten. Die Beweglichkeit der Flügel
setzte dann die Unterstellung einer gleichfalls gemalten
Staffel (Predella) voraus, welche das Triptychon über die
Lichter, das Crucifix, die Canontafeln u. s. w. erhob und ge-
wöhnlich einen Mittelschrein zur Aufbewahrung von Pax-
tafeln, Kreuzpartikeln und anderen Ostensorien enthielt.
Für unsere Frage hochwichtig aber wurde die Um-
wandlung des Mittelstücks der Triptychen in einen mit
Holzsculpturen gefüllten Schrein, wodurch sich der Holz-
plastik, welche vor dem 15. Jahrhundert neben der Stein-
bildnerei nur eine ganz untergeordnete Rolle gespielt hatte,
ein umfängliches Thätigkeitsfeld eröffnete, noch erweitert
durch den Umstand, dass im Streben nach harmonischer
Wirkung der rundplastische oder Hochreliefschinuck des
Schreins häufig in Flachrelief auf die Innenseiten der Flügel
herauswuchs.
Die Holzschnitzwerke waren ursprünglich, was bei der
jungen Technik natürlich und an den älteren bis zur
Mitte des 15. Jahrhunderts entstandenen Werken ersicht-
lich ist, den Steinsculpturen nachgebildet, welche vor-
872 Sitzung der historischen Glosse vom 1. Dezember 1894.
nehmlich in den Portalen ihre glänzende und dem Material
wie dessen Bearbeitungstechnik selbständig entsprechende
stilistische Entwicklung gefunden hatten. Allein bei der
üebertragung des Steinstils auf Holz war man einerseits
dadurch zu unbefriedigenden Wirkungen gelangt, dass bei
der fast ausnahmslosen Bemalung und Vergoldung der Altar-
Schnitzbilder wegen der nöthigen Grundierung die Formen
verstumpften. Anderseits musste man bald finden, dass die
MeisselfQhrung in Sandstein zu einer Formensprache geführt
hatte, welche dem Faserzuge des Holzes sehr enl^egen war.
Denn dieser zwang, um dem Ausschlitzen der Spähne zu be-
gegnen, zu scharfen Querschnitten, wie auch sonst Werk-
zeug und Schnitzmesser manche technische Sonderheiten be-
dingte, welche bald der Art des Materials, seiner Behandlung
und seiner Wirkung entsprechend die Holzplastik zu einem
speziellen Holzschnitzstil statt des ursprünglichen Steinmeissel-
stils führen musste. Die so an die Stelle des früheren flüs-
sigen Zuges der Gewandfalten und der weichen Gelenke ge-
tretene flatternde Enitterigkeit und knöcherne Enorrigkeit
derselben aber scheint dem Oberdeutschen so ansprechend
gewesen zu sein, dass man bald über das von Material und
Technik Gebotene hinausging. Ja sie befriedigte bei zu-
nehmender Ausdehnung der Holzschnitzerei in dem Maasse,
dass nun der Stileinfluss sich umkehrte, und die Steinplastik
ihrerseits sich dem Holzschnitzstil auch in jenen Fällen an-
bequemte, in welchen der Meister nicht, wie z. B. Jörg Syr-
lin in Ulm, vorwiegend Holzschnitzer war. Denn wir finden
in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts den Holzschnitz-
stil der Steinarbeiten in Oberdeutschland bereits allgemein,
am ausgeprägtesten aber schliesslich in den Steinarbeiten
Adam Eraffks, welcher nicht blos in reinfigürlichen Schöpf-
ungen von entschieden holzschnitzartiger Enitterigkeit er-
scheint, sondern selbst in seinen tektoniscfaen Werken, den
berühmten Sakramentshäuschen , den steinarchitektonischen
ü. Reher: Stüentwicklung der schwäbischen Tafel-Malerei. 373
Gesetzen zum Trotz der dünngliederigen Tischlergothik der
hölzernen Altargehäuse nachstrebte.
Die durchgängige Farbigkeit des den Haupttheil der
Altäre bildenden Schnitz werks musste es, namentlich dann,
wenn die Flügel beidei'seits gemalt waren und sonach die
Gemälde der Innenseiten unmittelbar neben dem geschnitzten
Bildwerk des Schreins zu stehen kamen, nahe legen, zum
Zweck einer harmonischen Gesammtwirkung die lediglich
gemalten Theile den farbigen Schnitz werken zu assimilieren.
Es konnte dies auch leicht in Form und Farbe geschehen,
wenn man sich bestrebte, statt nach der Natur (oder neben
dem Naturstudium) nach Schnitzbildern zu zeichnen und zu
kolorieren, sowie es mit der Absicht der Imitation schon
die van Eyck in den örisaillengestalten der beiden Johannes
des Genter Altars nach Steinsculpturen gethan. Während
aber die altniederländischen Meister dies nur nebenbei als
gelegentliches Eunststückchen anstrebten, ohne sich dadurch
in ihrer malerischen Entwicklung wesentlich beeinträchtigen
zu lassen, machten es die oberdeutschen Maler zum Prinzip
der Altarmalerei überhaupt. Sie gelangten dadurch zu einem
Stil der Tafelmalerei, welcher von jenem der beschriebenen
Werke himmelweit abwich und, in der Laienvorstellung
fälschlich als gothischer Malstil überhaupt betrachtet, that-
sächlich aber nur die letzte Phase mittelalterlicher Kunst
darstellend, im Wesentlichen auf die kurze Zeit der zweiten
Hälfte des 15. Jahrhunderts beschränkt ist. Mosers Altar-
werk von 1431 zeigt davon noch so wenig, wie der Tucher-
sche Altar der Frauenkirche zu Nürnberg.
Genauer datieren und lokalisieren lässt sich diese Wan-
delung nicht. Wie aber für Franken Nürnberg, so muss
für Schwaben Ulm, das seit dem Beginn des Münsterbaues
1377 einen allmäligen Aufschwung in allen Künsten, vorab
monumentaler Art genommen, als Vorort dieser Entwicklung
874 Sügung der kistaristhen Glosse vom 1. Dezember 1894,
betrachtet werden.^) Freilich können wir die Mal weise der
in den Steuerlisten des Jahres 1427 auftretenden Ulmer
Maler, eines Ackerlin, Jos, Lukas*), Martin, Hans Tegginger,
Jakob und Bartlome nicht durch bezeiclmete Werke belegen.
Auch bezüglich des Herlin ist es sehr unwahrscheinlich, dass
der 1449 und 1454 in Ulm erwähnte Maler Härlin, viel-
leicht der Sohn eines 1428 in der Ulmer Htittenrechnung
vorkommenden Herlin identisch sei mit dem Nördlinger
Friedrich Herlin, was noch weniger mit jenem Maler Herliu
oder Härlin der Fall ist, der 1485-1491 (f 1494) in den
ülmer Zinsbüchern vorkommt*), während Friedrich Herlin
vielleicht schon 1462 und 1463 in Nördlingen, sicher aber
1466 in Rothenburg ob der Tauber nachweisbar ist. Da-
gegen entbehrt die Tradition keineswegs alles Grundes, dass
ein Herlin der Schöpfer des grossen das Jüngste Gericht
darstellenden Wandgemäldes von 1471 im Ulmer Münster
war. Ja selbst die Ueberlieferung, dass dieser Jesse Herlis
geheissen, ist nicht ganz abzuweisen, denn wenn auch erst
ein Enkel des Nördlinger Friedrich HerUn mit diesem Tauf-
namen urkundlich begegnet, so beweist dies keineswegs,
dass derselbe Vorname nicht auch schon hundert Jahre
früher einem Ulmer Glied der Familie eigen gewesen sein
1) Grüneisen und Manch, Ulms Eunstleben im Mittelalter.
Ulm 1840. — K. D. Hassler, Ulms Kunstgeschichte im Mittelalter.
Stattgart 1864.
2) Dass Lukas, der 1419 in Ulm eine Zahlung für Glasmalereien,
und 1421 eine solche für ein .Gemäld** erhielt (Klemm a.a.O. S. 174)
mit Lucas Moser von Weil zu identifizieren sei, ist eine sehr gewagte
Behauptung, wie auch der Schulzusammenbang Mosers mit Schüch-
lin aus dem Umstände, dass der erstere 1431 einen Seitenaltar in
Tiefenbronn, der letztere 1469 den Hochaltar daselbst malte, nicht
entnommen werden darf, da aus den beiderseitigen Werken ein sol-
cher keineswegs ersichtlich wird.
3) Klemm, a. a. 0., S. 95.
V. Beber: Stüentwicklung der schwäbischen Tafel-Malerei. 375
konnte, wenn nemlicb, was an sich wahrscheinlich, die ül-
mer und die Nördlinger Maler Berlin mit einander verwandt
waren. Ist doch selbst eine gewisse Verwandtschaft der
Kunstweise des ülmer Wandgemäldes und der Altarmalereien
Friedrich Herlins vorhanden, nemlich starke Abhängigkeit
von altniederländischer Kunst und geringe Berührtheit vom
Schnitzstil. Der letzte Umstand allein aber hätte schon ab-
halten sollen, das Jüngste Gericht dem Schüchlin zuzu-
schreiben,^) der ausserdem led^lich als Tafelmaler thätig
gewesen zu sein scheint.
Denn bei Hans Schüchlin von Ulm finden wir diesen
Schnitzstil bereits in voller Entwicklung. Damit soll nicht
gesagt sein, dass er den Weg desselben zuerst betreten habe.
Denn wie es zweifellos ist, dass er in Nürnberg früher,
systematischer und ausschliesslicher beschritten worden, so
mögen auch manche schwäbische Maler vor Schüchlin nach
stilistischem Zusammenhange zwischen den geschnitzten und
gemalten Theilen der Altäre gestrebt haben. Aber wir haben
unter den erhaltenen Werken schwäbischer Hand kein früheres
mit Namen und Jahrzahl bezeichnetes Werk der Art als den
von den Herren von Gemmingen für ihre Begräbnisskirche
zu Tiefenbronn gestifteten Hochaltar. Die an den Pfeilern
der Schreinvorderseite angebrachten Wappen wie die am
Sockel der Schreinrückseite hinlaufende Inschrift lassen über
Entstehungszeit und Urheber keinen Zweifel.*) Seltsames
Zusammentreffen! In derselben Dorfkirche in badischem
Gebiete, nahe an der württembergischen Grenze, welchem
Moser das einzige erhaltene Denkmal, bezeichnet und datiert,
1) Merz, Christi. Kunstblatt 1880 n« 9. — Lübke, Zeitschrift
für bild. Kunst. XVm S. 201 fg.
2) Die Inschrift lautet: Anno dorn! (im) Mccclzviin Jare ward
diasi daffel uff gesetz un gantz uss gemah . . (uff sant) stefas tag
des bapst un ist gemacht ze vlm vö hansse schüchlin malern.
1894. Philos.-philol. n. hist. Gl. 3. 32
376 Sitsung der MOorigehen Glosse vom 1, Dezember 1894.
gewidmet, erhebt sich jetzt, fast 40 Jahre später auch Schüch-
lin^s einzig erhaltene Schöpfung, welche zugleich bezeichnet
und datiert ist.
Die Gegenstande des künstlerischen Schmuckes sind die
landläufigsten: in der oberen Hälfte des Schreins die Kreuz-
abnahme mit den hh. Katharina und Dorothea, in der unteren
Hälfte die Beweinung Christi mit den beiden hh. Johannes,
zum Theil in Rundfiguren, zum Theil in Hochrelief ge-
schnitzt; in der Baldachin* und Fialenbekrönung des Schreins
stehen die Rundfiguren des Crucifixus, der Maria und des
Apostels Johannes. Auf der Staffel befindet sich der Er-
loser zwischen den Aposteln in Halbfiguren, auf den Innen-
seiten der zwei Flügel vier Scenen der Passion : Christus yor
Pilatus, Kreuzschleppung , Grablegung und Auferstehung,
auf den Aussenseiten derselben vier Darstellungen aus dem
Marienleben: Verkündigung, Heimsuchung, Geburt Christi
und Anbetung der Könige. Sämmtliche genannten Dar-
stellungen scheinen in Oelfarbe ausgeführt oder wenigstens
Tollendet zu sein. Die in Temperafarbe gemalte Rückseite
zeigt am Schrein oben Christophorns und einen Engel mit
der Wage, unten den von einem Engel gehaltenen Schmerzens-
mann, rechts die hh. Sebastian und Margaretha, links die
hh. Antonius Eremita und Brigitta, alles in wenig Modellie-
rung mit kräftigen Umrissen leicht gemalt. Die Rückseite
der Staffel enthält in besserer Durchführung die Halbfiguren
von vier Kirchenvätern beiderseits von dem jetzt grossten-
theils beseitigten, anscheinend ein Yeronicatuch darstellenden
Mittelstücke, entschieden von derselben Hand wie die Apostel
der Vorderseite.
Da in dem Werke das seit dem Moser*schen wichtigste
für die Geschichte der schwäbischen Stilentwicklung vorliegt,
so fordert es eine eingehende Würdigung.
Das Schnitzwerk ist noch von sehr massvoller Schnitz-
stiligkeit. Die nackten Theile zeugen von guter, wenn auch
V, Beher: Stüentwieklung der schwäbischen Tafel-Malerei. 877
noch etwas suminarischer Naturbeobachtung, die Gesichter
insbesondere von bemerkenswerthem Schönheitssinn, wie auch
von der Fähigkeit des Künstlers, Geschlecht, Alter, Vor-
gang und Antheil entsprechend zu Form und Ausdruck zu
bringen. Die Gewänder erscheinen zwar schärfer in der
Faltengebung als die Steinsculpturen , aber noch nicht von
der krausen Bruchigkeit und Gebauschtheit wie die Nüm*
berger Arbeiten der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts.
Diesem massvollen Wesen der Sculpturen entspricht aber von
den Gemälden nur ein Theil. Am meisten die Darstellungen
aus dem Marienleben auf den Aussenseiten der Flügel, welche
bei aller scharfen Formbestimmtheit doch von grosser An-
muth der Bewegung und des Ausdrucks, von hohem Lieb"*
reiz der Köpfe und sogar von einer gewissen Weichheit der
Geberde sind und dadurch stark an ähnliche Scenen der
Augsburger Schule Holbeins des Aelteren erinnern , welchen
Meister sie übrigens an Unmittelbarkeit und Wahrheit der
Empfindung übertreffen. Denselben Eindruck machen die
weiblichen Heiligen wie die Engel der Schreinrückseite, so-
weit sie sich in ihrer etwas flüchtigen oberflächlichen Tempera-
behandlung, wie man sie an den Rückseiten gewöhnlich findet,
mit den sorgfältig in Oel gemalten Flügelbildern vergleichen
lassen, wie auch die tüchtig gezeichneten Gestalten des Ghri-
stophorus und des Schmerzensmannes. Bis zu einem ge-
wissen Grade auch die Apostel der Vorderseite und die Kir-
chenväter der Rückseite der Staffel, obwohl hier neben dem
Greisenhaften der gefurchten Gesichter und gebleichten Haare
das sinnende Erwägen vorherrscht, das sich in der Geberde
und in den schmal geöffneten Augen ausspricht, während
anderseits Köpfe und Gewänder in einer Reihe von Zügen
bereits die Art Zeitbloms vorgebildet zeigen.
Im entschiedensten Gegensatz dazu, dessen man sich
schlagend bewusst wird, wenn man nur einen der Flügel
schliesst, um so zwei Aussenbilder neben zwei Innenbilder
32*
378 Süßung der histariaehen Glosse vom 1. Dezember 1894.
des offengelassenen anderen Flügels za bringen, stehen die
Passionsbilder der Innenseiten der Tafeln. Ein solcher Gegen-
satz kann nicht in dem Gegenstande allein beruhen, wenn
auch immerhin etwas davon — man vergleiche den Passions-
cyhlus und den Mariencyklus der Aussenseiten und Innen-
seiten der Flügel vom Kaisheimer Altar Holbeins des Aelteren
(Pinakothek zu München) — auf dessen Rechnung gesetzt
werden darf. Denn der Gegenstand allein bedingt nicht
diese hartlinigen anmuthlosen Compositionen, diese unge-
schmeidige Formensprache, diese zum Theil anschönen, derben
und knochigen Gelenke und Extremitäten mit den schwer-
falligen Bewegungen und gespreizten Stellungen und Schritten
selbst der nicht zum Henkerchor gehörigen Gestalten. Das
Alles gemahnt so sehr an den Nürnberger Stil der Playden-
wurff-Wolgemut*schen Werkstatt, dass man die Passionsfolge
des Tiefenbronner Altars für Nümbergisch halten würde,
wenn sie nicht mit dem von dem schwäbischen Meister be-
zeichneten Altar im Zusammenhang stünde und ihrem schwä-
bischen Entstehungsort nach unzweifelhaft gesichert wäre.
Ja das Schnitzstilige daran ist um einen wesentlichen Grad
weiter getrieben, als an den Schnitzarbeiten des Altares
selbst, welche weit weniger an die fränkische Art bis Veit
Stoss und Adam Krafft herab erinnern, als die Passions-
bilder an jene fränkischen Malereien, die man gemeinhin
unter dem Sammelnamen Wolgemut zusammenfasst.
Wir sind übrigens in der Lage, diesen Gesammteindruck,
welcher unzweifelhaft und auch bereits von mehreren Be-
obachtern constatiert ist, noch durch ein bestimmtes Ver-
gleichsobjekt zu sichern. Auch jetzt noch werden unter
den traditionell mit dem Namen Wolgemut's belegten Ge-
mälden Nürnberger Schule unter dieser Bezeichnung be-
stimmt festgehalten jene mit 1465 datierten vier Passions-
tafeln aus der Trinitatiskirche zu Hof, welche sich jetzt in
der Pinakothek zu München befinden. Nur eines dieser
V, Reher: Stüentwieklung der schwäbischen Tafel-Maierei, 379
Bilder, die Auferstehung, deckt sich inhaltlich mit der gleichen
DarsteUung der vier Passionsbilder in Tiefenbronn. Es kann
nun unmöglich Zufall sein, dass diese beiden von der weitest-
gehenden Identität nicht blos in wesentlichen Theilen der
Anordnung, sondern auch in vielen Einzelheiten sind. Die
Stellung des Sarkophags und seines verschobenen Deckels
ist genau dieselbe, der Auferstandene vielfach gleichartig,
der erwachende Wächter links in Gesicht und Geberde, der
kl^ne auf dem Sargdeckel befindliche, das Leichentuch hal-
tende Engel fast ganz derselbe. Gleiches gilt von den un-
bedeutendsten Nebendingen, dem Bogenthor und der Mauer
des Friedhofs bis auf das an beiden Bildern an gleicher
Stelle fehlende Stück der Deckplatte, von den Architekturen
des Hintergrundes, der phantastischen Veste und der Stadt
Jerusalem, mit der bogenförmig über einem Hügel empor-
gezogenen Mauer, ihren Wehrthürmen und namentlich dem
am höchsten Punkt gelegenen eigenartigen Thorthurm. Eine
so schlagende Uebereinstimmung selbst der untergeordnetsten
Nebensachen an der Seite einer auch sonst unverkennbaren
stilistischen Uebereinstimmung lässt sich auch nicht aus der
Benutzung eines gemeinsamen Vorbildes erklären, da nament-
lich die Heranziehung einer Eupferstichvorlage mehr zur
Wiedergabe der Hauptsachen als solcher Nebendinge geführt
haben müsste, welche in dem minimalen Massstabe eines
Stichs zu diesem Zwecke nicht mehr geeignet gewesen wären.
Aber auch abgesehen davon müssten wir es ablehnen, Stiche
von Schongauer hiefür in Anspruch zu nehmen, da dieser
um 1445 geborene Meister jenem Nürnberger Maler, der
1465 den Hofer Altar zur Aufstellung brachte, noch keine
Stich vorläge geliefert haben dürfte, und umgekehrt, wie
Janitschek^) ausführt, einzelne Motive des Tiefenbronner
Altars in seinen Stichen verwerthete. Und noch weniger
1) Geschichte der deutschen Malerei. Berlin 1890. S. 268.
380 Sitzung der historiadten Glosse vom 1. Dezember 1894,
kann in dem sog. Meister des Amsterdamer Eabinets die
gemeinsame Quelle für die beiden Passionen von Hof und
Ton Tiefenbronn gesacht werden. Kurz, der Maler der
Tiefenbronner Passion muss mit der Herstellung der um vier
Jahre älteren Hofer Passion in Beziehung gestanden haben,
d. h. zur Zeit der Herstellung derselben in jener nümbergi-
schen Werkstatt gewesen sein, in welcher sie entstanden ist.
Wir woUen nicht daran rütteln, dass die Passionsseiten
der vier Hofer Tafeln — die Rückseiten sind von ent-
schieden anderen Händen^) — wirklich von Wolgemut's
Hand sind') — so unsicher uns auch die Zutheilungen an
dessen Eigenhändigkeit zur Zeit erscheinen — , wenn man
sich nur daran erinnert, dass sich diese Urheberschaft nur
auf seine Gesellenzeit beziehen kann, da M. Wolgemut erst
nach dem Tode PleydenwurflEs (1472) dessen Geschäftsnach-
folger wurde. Wie aber sind dann die Beziehungen der
beiden Passionen zu erklären? Wir folgen natürlich der
Erklärung E. Harzen 's') nicht, der in der Erkenntniss der
stilistischen Uebereinstimmung den nicht bezeichneten Hofer
Altar ebenfalls dem Schüchlin zuschreibt. Ernster ist R.
Vischer's Aeusserung^) zu nehmen, ^der festen Ueberzeagung
zu sein, dass Schüchlin entweder der Lehrer oder wenigstens
ein einflussreicher Genosse Wolgemut's war." Freilich halten
wir das erstere für weniger wahrscheinlich, da wir Schüch-
lin und Wolgemut in ihren Lebensaltern schwerlicli weit
genug auseinander setzen dürfen, um ftiglich den ersteren
1) Angedeutet von H. Stegmann, Ueber das Leben Michel Wol-
gemut's. Kepertorium f. Kunstwissenschaft. XIII. Berlin und Stutt-
gart 1890. S. 63.
2) H. Thode, Die Malerschule von Nürnberg im XIV. und XV.
Jahrhundert. Frankfurt 1891. S. 136.
3) Nachtrag, betreffend die ülmer Maler Hans Schuhlein und
Sch-warz von Rottenburg. Naumanns Archiv für die zeichnenden
Künste. VI. Leipzig 1860. S. 27 fg.
4) Stadien zur Kunstgeschichte. Stuttgart 1886. S. 809.
V. Reber: Stüentwicklung der schwäbischen Tafel-Malerei, 381
ak Lehrer, den letzteren als Schüler betrachten zu können,
da femer das Hofer Passionswerk ganz in dem Geleise der
Nürnberger Werkstatt Pleydenwurffs sich bewegt, und da
die Maler jener Periode ihre Lehrzeit wohl selten anderswo
als in ihrem Heimathsorte oder in dessen Nachbarschaft ver-
brachten und erst in der Wanderzeit ihren Gesichtskreis zu
erweitern Gelegenheit fanden. Jedenfalls erscheint uns die
andere Alternative Vischer's, dass Schüchlin ein einflussreicher
Genosse Wolgemut's gewesen sei, in ihrer die eigentliche
Schülerschaft aus dem Spiel lassenden Fassung annehmbarer
als die erste, wie auch als die Annahme Thode^s^). dass
Schüchlin als Mitschüler M. Wohlgemut's bei H. Pleyden-
wurflF gelernt. Denn wenn — was wir bezweifeln — Schüch-
lin überhaupt schon in seiner Lehrzeit nach Nürnberg ge-
langt sein sollte, könnten wir doch nicht wissen, ob er bei
H. PleydenwurflF oder Valentin Wolgemut oder einem an-
deren Meister in der Lehre gestanden sei.
Wir haben ja in Bezug auf Jugend, Lehrzeit und Wander-
zeit Schüchlins keine Nachricht. Er wird in seiner Heimath-
stadt Ulm gelernt haben, wie Dürer in Nürnberg, — eine
gegentheilige Annahme, nicht diese, müsste bewiesen werden.
Bei welchem Meister, ist unfindlich, jedenfalls bei keinem
Illuministen , denn seine Art ist monumental. Die Muth-
massung, dass er bei L. Moser gelernt haben könnte, ist
weder durch den Thätigkeitsort Mosers (Weil), noch durch
den Zeitunterschied von fast 40 Jahren zwischen dem einzig
bekannten Moser'schen Altarwerk und dem frühen Werk
Schüchlins von 1669, noch auch innerlich, nemlich durch
Charakter und Stil der beiderseitigen Kunst, gerechtfertigt.
Das Nebeneinander der beiden Werke in Tiefenbronn be-
weist dafür nichts: Moser war in der Zeit der Entstehung
des Schüchlin'schen Altars schwerlich mehr am Leben, auch
1) A. a. 0. S. 310.
882 Sitzung der historischen Glosse vom 1. Dezember 1894.
ist es keineswegs nothwendig bei dem an Schüchlin er-
gangenen Auftrag die Empfehlung Mosers yorauszusetzen,
da die Gemmingen, denen Ulm kaum unbekannt war, bei
der Stiftung des Altars selbst von Schüchlins Leistungs-
fähigkeit unterrichtet sein konnten.
Was seine Ziele während der Wanderzeit betrifft, so
ist Italien ganz ausgeschlossen. Dass er dann in Eolmar
mit M. Schongauer in Beziehung getreten, erscheint, wie
schon berührt, aus zeitlichen Gründen fast unmöglich. Denn
Schongauer war zu Anfang der Sechziger Jahre noch kaum
aus den Niederlanden zurückgekehrt und später kann die
Wanderzeit des 1469 als voller Meister dokumentierten
Schüchlin nicht angesetzt werden. Wir wissen auch nicht,
wo Schüchlin seine niederländischen Einflüsse empfangen
hat. Auf direktem Wege wohl nicht, denn auf diesem
hätte er auch die Kölner Kunst kennen gelernt, von welcher
er keine Spur verräth. Auch erscheinen diese Einflüsse
keineswegs stark genug, um eine niederländische Stadien-
reise während der Wanderzeit zu bedingen. Denn wenn
die stilUebenartig behandelten Geräthe an den beiderseitigen
Laibungen der Staffel des Tiefenbronner Altars an Feinheit
der malerischen Durchbildung niederländischen Arbeiten kaum
nachstehen, so kann doch nicht geleugnet werden, dass ähn-
liche Zierlichkeit auch sonst erreicht werden konnte, wie
denn auch das Beiwerk am Moser'schen Altar von bewun-
dernswürdiger Feinheit ist.
Dagegen sind Beziehungen Schüchlins zu Franken, wohl
ebenfalls erst in der Zeit seiner Wanderschaft angeknüpft,
unzweifelhaft. Er stand sicher in einer der grösseren Werk-
stätten Nürnbergs in Arbeit, als er einem Mitgesellen näher
trat und diesen schätzen lernte. Dieser war der Nürnberger
Albrecht Rebmann, von dem wir erfahren^), dass er als
1) A. Klemm, Nachtrag zu ,üeber die beiden Jörg SürlinV
F. Pressel, Münsterblätter III. u. IV. Heft. Ulm 1883. S. 174. Vgl.
V. Reber: Stüentwicklung der schwäbischen Tafel- Maler ei, 383
Schwager Schüchlin^s 1474 mit diesem den jetzt verschollenen
Altar für den Chor der Martins -Kirche zu Rottenburg am
Neckar um 425 Gulden farbig auszuführen übernahm. Das
Yerhältniss Schüchlins zu Rebmann erinnert lebhaft an das
spätere, in welchem Schüchlin zu seinem Schwiegersohn Zeit-
blom stand, wenn wir auch auf die gemeinsame Bezeichnung
der Altartafeln der Nationalgalerie von Budapest nur geringen
Werth legen. In beiden Fällen aber darf man annehmen,
das« dem Verwandtschafts- und Genossen -Verhältniss mehr-
jähriger Gesellendienst vorausging. Man darf auch aus der
Notiz von 1474 rückläufig folgern, dass Rebmann schon
1469 bei Schüchlin arbeitete, und zwar noch als Geselle,
weil Schüchlin den Tiefenbronner Altar allein signiert. Dass
aber Rebmann nicht als Schüler, sondern als gelernter Nürn-
berger Maler zu Schüchlin gekommen war, beweist nicht
blos der Stil seiner Nürnberger Werkstatt, den er mitge-
bracht und in dem Theile des Werkes, an welchem ihm eine
weitgehende Mitwirkung zugewiesen worden war, zum Aus-
druck brachte, sondern auch der Umstand, dass er in der
Weise der Nürnberger Gesellen (Handzeichnungs-Sammlung
der Universität Erlangen ^) bestimmte Zeichnungen nach unter
seinen Augen und vielleicht sogar unter seiner Betheiligung
in Nürnberg ausgeführten Werken in Anwendung brachte,
die seine Reminiscenzen unterstützten. Jedenfalls aber musste
der Meister von der Mitarbeit befriedigt sein, denn sie führte
bald zu Verschwägerung und Genossenschaft. Die durch
Verheirathung begründete neue (schwäbische) Heimath und
endlich volle Selbständigkeit Rebmann's aber erklärt es leicht,
dass er als auswärtig niedergelassen in den Nürnberger Bürger-
büchern nicht vorkommt.
Es scheint indess, dass Schüchlin seinen damaligen Ge-
Straach, Pfalzgräfin Mechtild in ihren literarischen Beziehungen.
Tübingen 1888. S. 4 und 34.
1) Mittheilung von A. Bayersdorfer.
1
384 Süzung der Mstorischen Gltisse vom 1, Dezember 1894.
seilen nicht ganz unbescbnlnkt an den Passionsbildern schalten
Hess. Es fehlt nämlich keineswegs an Stellen, an welchen
die knarrend harte und derbe Art der damaligen Nürnberger
einer weicheren Behandlung, die starre Unbeweglichkeit
lebender Bilder, wie sie in den fränkischen Compositionen
herrscht, einem fliessenderen beweglicheren Vortrag, das
Orimassenhafto des Ausdrucks einer wirklichen Empfindung
Platz macht. Das besten Falles dramatische Element, das
in den fränkischen Werken an die derbe Weise der Zunfb-
spiele erinnert, gelangt dann zu einem sinnigeren, empfin-
dungs- und reflexionsfahigen Wesen und zu einer Innerlich-
keit, die einen gewissen lyrischen Klang hat, wodurch sich
die schwäbische Kunst des 15. Jahrhunderts von der frän-
kischen ebenso unterscheidet, wie die altflandrische von der
altbrabantischen. Auch hat es den Anschein, dass das kalte
grelle Kolorit der Franken hier einem tieferen und tonigeren
gewichen sei, doch lässt in dieser Beziehung der restaurierte
Zustand der Tiefenbronner Passionsbilder ein sicheres Ur-
theil nicht zu.
Deutlicher aber als an diesem in Bezug auf seine Ent-
stehung etwas zwitterhaften Cyklus erscheint Schüchlins
ülmer Schulart und persönlicher Stil an den übrigen Ge-
mälden des Tiefenbronner Altars. Doch auch diese zer-
fallen in drei nach Auffassung und Behandlung etwas ver-
schiedene Qruppen. Zunächst erscheinen die beiden Pre-
dellenbilder der Vorder- und Bückseite von unter sich ganz
congruenter Natur. Von diesen sondern sich die Marien-
darstellungen an den Aussenseiten der Flügel durch ihren
speziell lyrischen Charakter. Endlich führen uns die Tempera-
malereien der Rückseite den Meister in mehr flüchtiger, skizzen-
hafter Thätigkeit vor.
Die Halbfiguren der Apostel und Kirchenlehrer der
beiden Stafi^elseiten zunächst zeigen die holzplastische Schule
unverkennbar. Wie aber bei Schüchlins grossem Zeitgenossen
V, Beben Stilentwicklung der schwäbischen TafeUMalerei. 385
Jörg Sürlin d. A. stellen die Apostelköpfe, die übrigens von
grosser Mannigfaltigkeit sind, nicht etwa seelenlose Männer-
typen dar, sondern jedem ist eine üeberzeugtheit, eine
schwärmerisclie Hingebung und überhaupt eine Innerlich-
keit eigen, zu welcher sich kein fränkischer Maler vor Dürer
erschwingen konnte. Freilich streift dies manchmal ans Sen-
timentale, was jedoch, weil nie zu der koketten Weichlich-
keit der Kölner Werke getrieben, die Typen zu einer höheren
Würde und über die Modellnatur hinaus gelegentlich zu idealer
Schönheit erhebt. In den Kirchenvätern spricht sich in erster
Reihe das gesammelte Denken aus, wobei die schwärmerische
inspirierte Meditation sich nicht blos in den halbgeschlossenen
Augen, sondern auch in der Neigung der Köpfe wie in den
sonstigen Oeberden der drei schreibenden und des lesenden
Kirchenfürsten deutlich macht. Die Malerei zeigt ein sicheres
Irapasto in der Weise der Temperamalerei ohne jenes Ver-
treiben und Verschmelzen der Töne, welches die Gesichter
des Moser'schen Altarwerks so kölnisch anmuthig erscheinen
lässt. Die Modellierung lässt nemlich jeden Pinselstrich er-
kennen und dessen Zug wie die betreffende Farbe abge-
gränzt unterscheiden. Reine Oelmalerei möchten wir füg-
lich bezweifeln.
Zu höherer Entfaltung konnte indess das Wesen des
Meisters in den vier Bildern aus dem Marienleben an den
Flügelaussenseiten gelangen. Vor diesen wird Niemand auch
nur entfernt an fränkische Art, wie sie z. B. in der „Ver-
mählung der h. Katharina" (Pinakothek zu München n® 234)
vorliegt, denken können, während wohl jeder Beschauer sich
sofort an die Mariencyklen des älteren Holbein (Kaisheimer
Altar in München u. A.) oder an die Basilikenbilder (Galerie zu
Augsburg) gemahnt fühlen wird. Trotz des holzplastischen
Grundzuges der Zeichnung und Schattengebung ist hier alle
Gespreiztheit und Härte der Stellung überwunden, alle Schwer-
falligkeit und Breitspurigkeit der Bewegung in vornehmQ
«386 Sitgung der JUstorischen Cltuse vom 1, Dezember 1894.
Gebahrung verwandelt, alle starre Eckigkeit durch eiuen
milden weichen Zug und durch entschiedene Anmuth er-
setzt. Ja diese Anmuth wächst nicht selten zu entschiedener
Schönheit, welche ohne die kölnische Geziertheit den lieb-
lichen naiven Gesichtern wie den zarten weichgelegten oder
auch tbätigen Händen mit ihren übrigens normalen Pro-
portionen wie auch anderen nackten Theilen zu Gute kommt.
Die Farbe endlich ist heller als an den Passionsbildem, zum
Theil wohl daher rührend, dass die auf den Aussenseiten der
Flügel befindlichen Gemälde mehr dem Licht und der Sonne
ausgesetzt waren, als die Innenbilder, die beim Schliessen
des Schreines der Lichteinwirkung ganz entzogen waren.
Man darf den bereits berührten Vergleich vielleicht dahin
piüzisieren, dass sich die Marienbilder zu den Passionsbildern
verhalten, wie Werke Memlings zu den dem Regier van der
Weyden zugeschriebenen, wobei der Unterschied eher grösser
als kleiner genommen werden muss. Anderseits aber führen
die Marienbilder so lückenlos zu den Mariencyklen Hans
Holbeins d. A. hinüber, dass ich keinen Anstand nehme, in
Schüchlin den Lehrer Holbeins des Aelteren oder den ein-
flussreichsten Meister von Holbeins Wanderzeit zu erkennen.
Die Temperamalereien der Rückseite des Schreins end-
lich sind untergeordnet, flüchtig gezeichnet, unter starker
Betonung des Umrisses und der Zeichnungslinien überhaupt
mehr in Flächen koloriert und sonach in ihrer Behandlung
Wandgemälden verwandt. Sie erscheinen jedoch von hohem
Werthe durch den Umstand, dass sie allein von jeder Re-
stauration verschont blieben, und somit das treueste Abbild
von der Kunst des Meisters geben. Mit Unrecht wird bei
den Rückseiten gewöhnlich Gehilfenarbeit angenommen,
während doch gerade bei den Rückseiten das Genügen einer
blossen Skizzierung den Meister der Zuhilfenahme von
Gesellenarbeit überhob.
Für die Beurtheilung von Schüchlin's Kunst sind wir
V. Heber : Siüentwicklung der schwäbischen Tafel-Malerei, 387
auf den Tiefenbronner Altar, das einzig beglaubigte Werk
des Meisters, beschränkt. Denn die Bezeichnung auf einem
anderen Altarrest, nemlich den zwei Flügeln vom Dorfe
Münster bei Mickhausen an der Schmutter, südöstlich von
Augsburg, jetzt unter n® 152 — 154 in der Nationalgalerie
zu Budapest, ist nach Wortlaut, Schrift und Farbe sehr ver-
dächtig und wenigstens weitgehend ergänzt und übermalti
wenn nicht vor 1860 völlig neu gemalt.^) Man könnte ja
an den abgesägten und in ein Mittelbild zusammengestückten
Aussenseiten der Flügel, den Tod Mariens darstellend, Schüch-
lin's Hand vermuthen, wenn die starke Aigner^sche Restau-
ration überhaupt ein ürtheil erlaubte, ebenso wie die Ge-
mälde der Flügelinnenseiten, die hh. Florian, Johannes Bap-
tista und Sebastian auf der einen, die hh. Papst Gregor,
Johannes Ev. und Augustinus auf der andern Tafel, wenn
der Restauration zu trauen ist, der Art Zeitblom's näher
stehen. Uns erschienen bei der Besichtigung der Originale
die sämmtlichen Tafeln ziemlich gewöhnliches Werk der
ülmer Schule.
Da die sonst urkundlich erwähnten Werke Schüchlin's
verschollen sind, wird es den trefflichen Lokalforschern
Schwabens überlassen bleiben müssen, ihren Verbleib oder
ihr Schicksal zu ermitteln. Ebenso werden sie, welche doch
schon eine Anzahl von Ulmer Malemamen vom Ausgang
des 15. Jahrhunderts ans Licht gebracht haben, in abseh-
barer Zeit durch archivalische und andere Funde die muth-
masslichen Schüchlin's bestätigen oder widerlegen. So die
grosse Kreuzigung in S. Georg zu Dinkelsbühl, die Bewei-
nung Christi von 1483 auf Schloss Meffersdorf in Schlesien,
die Grablegung Christi in der städtischen Galerie zu Bam-
1) und . von Hans . Schulein. B. Zeitblom zu . . . mit gemacht
14 . , — Th. Frimmel, Kleine Galeriestudien. Bamberg 1892. I. B.
S. 247 fg. — M. Bach, Studien zur Geschichte der Ulmer Malerschule.
Zeitschrift für bildende Kunst. 1893. S. 126 fg.
388 Sitzung der historischen Clanse wm 1» Deeeniber 1894.
berg n^ 10 (im Katalog dem Wolgemat zugeschrieben), die
8 Ausschnitte aus sog. typologischen Bildern yon Zwiefalten
und den kleinen Apostelaltar von Blaubeuren, die beiden
letzteren Werke im Museum für vaterländische Alterthümer
zu Stuttgart.
Für unsere Untersuchung handelt es sich nur noch um
die Thatsache, dass die Schüchlin^sche Art von Schnitzstilig-
keit, somit ein von 1469 an nachweisbarer Tafelbildstil, in
den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts fast die ganze
schwäbische Kunst vom Oberrhein bis zum Lech beherrscht
Denn wenn auch einige notorisch oder muthmasslich aus
der Schule Schüchlin^s hervorgegangene Meister, vrie der
ülraer B. Zeitblom, M. Schwarz von. Rottenburg, H. Hol-
bein d. A. von Augsburg und B. Strigel von Memmingen,
sämmtlich durch mehr gesicherte Werke wie Schüchlin be-
kannt, ihrer persönlichen Eigenart in deutlicher Unterscheid-
barkeit Ausdruck zu geben wissen, so bleibt doch auch ihr
Grundzug derselbe, wie an der grossen Zahl von namen-
losen Werken. Selbst der Einfluss M. Schongauers ändert
an diesem Schnitzstil, dem er sich vielmehr selbst (vielleicht
nach Schüchlin's Vorgang) unterordnet, nichts mehr, wenn
auch seine in den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts
in den deutschen Werkstätten aufliegenden Stiche kompo-
sitionell und zeichnerisch belehrten und selbst missbräuchlich
ausgebeutet wurden, somit von so weittragender Bedeutung
wurden, wie später jene Dürers. Ebensowenig das Auftreten
vereinzelter Tafel-Maler, welche aus der sich auslebenden
Miniaturmalerei hervorgingen, und das üeberlaufen von der
letzteren zur Tafelkunst nicht verkennen lassen (ü. Apt).
Desshalb die grosse und hinter den fränkischen Arbeiten des
sog. Wolgemut'schen Kreises nur mehr wenig zurückstehende
Aehnlichkeit fast aller jener Zeit angehörigen schwäbischen
Tafel-Malereien, welche sich nur durch mehr oder weniger
künstlerische Entwicklung, durch die verschiedenen Ab-
V. Beber: Stilentwicklung der schwäbischen Tafel-Malerei, 389
stufangen des Schönheitsgefühls, des Ausdrucks und über-
haupt seelischen Inhalts, der Technik u. s. w. bis zu ge-
sellenhafter Rohbeit herab, nicht aber durch ihr stilistisches
Verhältniss unterscheiden.
Möge es indess der Lokalforschung gelingen, für man-
ches noch namenlose bedeutendere Werk, wie der grosse
Altar in Blaubeuren, die Altäre von Hausen und Lichten-
stem in der Sammlung vaterländischer Alterthümer in Stutt-
gart, der Apostelcyklus der Blasiuskirche zu Kaufbeuren,
und zahlreiche Einzelgemälde in den Galerien von Stuttgart,
Karlsruhe, Darmstadt, Augsburg, Nürnberg u. s. w. die Ur-
heber zu entdecken oder wenigstens ihre gruppenweise Zu-
sammengehörigkeit nachzuweisen. Wir müssen uns bescheiden,
aus den leitenden Hauptwerken einige Anhaltspunkte für die
Stadien des stilistischen Entwicklungsganges der schwäbischen
Tafel-Malerei im Quattrocento geschöpft zu haben.
390
Historische Classe.
Der Vortrag von Herrn Lossen, gehalten in der Sitzung
der historischen Classe vom 3. November
^lieber Nuntiaturberichte und andere Akten
des Vatikanischen Archivs als Quellen der
Geschichte des Kölnischen Kriegs^
ist von dem Verfasser vorläufig nicht zum Druck bevstimrat.
391
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 1. December 1894.
Herr Krumbacher hielt einen Vortrag:
„Michael Glykas.**
Eine Skizze seiner Biographie und seiner litterarischen Thätigkeit
nebst einem unedierten Gedichte und Briefe desselben.
H. Taine hat die Litteraturgeschichte vor eine schwere
Aufgabe gestellt. Sie soll, um zum vollen Verständnis und
zur gerechten Würdigung eines Schriftstellers vorzudringen,
ausser seinen Werken auch sein ganzes menschliches Wesen,
seine innere Entwickelung, seine äusseren Lebensverhältnisse,
ja selbst seine alltäglichen Gewohnheiten studieren. Taine
selbst hat die psychologische Zergliederung und mikroskopische
Erforschung an einigen grossen Schriftstellern Englands mit
anerkanntem Glück durchgeführt und so gleichsam die Probe
auf seine Theorie gemacht. In der Geschichte der neueren
Litteraturen wird ein derart vertieftes Studium, welches das
Ideal der wissenschaftlichen Litteraturgeschichte sein rauss,
ohne Zweifel noch bedeutend mehr Baum gewinnen, und wir
werden durch ausgedehnte und energische Anwendung dieser
Methode gewiss manche Männer noch genauer kennen und
richtiger beurteilen lernen. Die idealistische Auffassung wird
freilich darunter Schaden leiden und auch hier dem Schicksal
1894. PbUoa.-phflo1. u. bist Gl. 8. 38
392 Sitzung der philos.-phäöl. Clcissevam 1, December 1894,
nicht entgehen, das sie auf vielen anderen Gebieten durch
die alles zersetzende, trocken-realistische Objektivität unserer
Zeit schon erlitten hat. In einem gewissen Sinne darf man
daher die Alten glücklich preisen: den duftigen Schleier,
den die Jahrtausende um sie gewoben haben, werden auch
die schärfsten Messer der neueren Kritik nicht mehr zer-
stören können, einfach deshalb, weil dieser Kritik die Mittel
fehlen, die vornehmlich in der glaubwürdigen üeberlieferung
zahlreicher Thatsachen des äusseren und inneren Lebens
bestehen. Immerhin aber gibt es auch in der alten und
mittelalterlichen Litteratur einzelne Personen, die uns in
ihrem Menschentum genau bekannt sind, fast so genau wie
die allerneuesten. Und weiterer Forschung wird es gelingen
noch manche Autoren, die jetzt kaum mehr als leere Namen
sind, mit Fleisch und Blut auszustatten. Es kommt nur
darauf an, dass sich die Litteraturgeschichte auf allen ihren
Gebieten, auch den entlegensten, klar der Aufgabe bewusst
werde, aus den Werken der Schriftsteller, aus den ober sie
erhaltenen Urteilen und Nachrichten und nicht zuletzt aus
einem umfassenden Studium ihrer Zeit und ihrer geisidgen
Umgebung plastische Charakterbilder herauszuarbeiten. Bines
der Gebiete, auf welchen diese Aufgabe noch grösstenteils
gelöst werden muss, ist die byzantinische Litteratur. Gerade
sie erschien bis vor kurzem noch als eine langweilige Gallerie
gleichförmiger, steifleinener Figuren ohne Kraft und Eigen-
art. Dass aber auch byzantinische Litteraten uns menschlich
näher gebracht werden können, haben vor längerer Zeit
L. Fr. Tafel und Neander an dem scheinbar so uninter-
essanten Scholiasten Eustathios von Thessalonike, Ad. El-
lissen an dem athenischen Erzbischof Michael Akominatos,
endlich vor kurzem C. Neumann an dem Philosophen und
Staatsmann Michael Psellos glänzend dargethan.
Ein Byzantiner, der des Reizes der Individualität zu ent-
behren schien, ist der Chronist Michael Glykas. Heute
Krumhacher: Michael Glykas, 893
vermögen wir sein Bild schärfer zu zeichnen und einige be-
sondere Züge festzustellen, durch die er sich aus der langen
Reihe der byzantinischen Litteraten deutlich abhebt. Wir
verdanken diese Förderung unserer Kenntnis teils einigen
in der letzten Zeit edierten Texten, teils einem Gedichte und
einem Briefe, die als Anhang dieser Studie zum erstenmale
der OefFentlichkeit übergeben werden, teils endlich der Ver-
gleichung dieser neuen Werke mit den schon früher bekannten.
Das Werk, durch welches Glykas seit langer Zeit und
in weiteren philologischen Kreisen bekannt ist, seine Welt-
Chronik, unterscheidet sich von den übrigen Werken dieser
im grossen und ganzen ziemlich gleichförmigen Gattung durch
einige sehr erhebliche Eigenheiten. Glykas allein unter seinen
Vorgängern und Nachfolgern hat den Gedanken gehabt, in
die Schöpfungsgeschichte die Weisheit des Physiologus
einzuflechten, und wir wären ungerecht, wenn wir den Ein-
fall, den trockenen Chronikenstoff durch die im Mittelalter
so beliebte Fabelzoologie zu beleben, nicht glücklich fanden.
Ausser den Geschichten des Physiologus hat Glykas in seine
Erzählung von der Erschaffung der Steine, Pflanzen und
Tiere naturwissenschaftliche Kuriositäten aus Aelian und
wohl auch aus anderen Quellen eingeschaltet. Eine genauere
Untersuchung über diesen Teil der Chronik hat Dr. M. Gold-
staub (München) angestellt und beabsichtigt, seine Ergeb-
nisse demnächst in einer grösseren Arbeit, in welcher auch
die übrige griechische Physiologustradition berücksichtigt ist,^
der Oeffentlichkeit vorzulegen. Eine weitere Eigentümlich-
keit der Chronik besteht in den ungewöhnlich ausführlichen
theologischen Erörterungen, die grösstenteils aus Väter-
stellen bestehen und einer Catena vergleichbar sind. Diese
naturwissenschaftlichen und theologischen Excurse sind bei
Glykas so reichlich, dass der Chronikencharakter auf lange
Strecken völlig verloren geht, in einem höheren Grade, als
das bei anderen Chronisten, selbst bei dem theologischer Dis-
33*
394 Süeung der phüoa.-phiM. Glosse w>m 1. December 1894.
cussion 80 ergebenen Georgios Monachos der Fall ist. Eine
dritte Eigentümlichkeit der Chronik des Glykas besteht in
der paränetischen Einkleidung. Er widmet nicht nur
das Werk seinem Sohne, den er in dem kurzen Vorworte
als rixvov fiov <plXxaxov anredet, sondern behält die Form
der belehrenden Mitteilung an denselben auch im Verlaufe
des Werkes selbst bei. Er gebraucht daf&r Wendungen
wie Xqy) de oe xal xovxo sldSvai . . ., ÜQÖoexe, äyajif^xs . . .,
ITgöaxeg, et ßovXei . . ., "Oga de , , ,, '^x^^ ^^^ • • •' ^V ^^^~
jbtaCe . . ., Kai xovxo yvolrjg . . ., El&ivai öq)eiXetg . . ., Ov&e
xovx6 oe nagadgapieiv ä^iov . , ., El dk xal xovxo l^rixelg /lexä
xwv äXXojv jua'&eiv . . . usw. Durch diese häufigen Anreden
entsteht ein vertraulicher, persönlicher Ton, welcher von der
sonst in den Chroniken üblichen Erzählungsform absticht.
Die Schopfungsgeschichte beginnt mit einer grossen dog-
matischen Erörterung der Frage, warum Gott die Welt nicht
an einem Tage geschafifen, warum er zuerst den Himmel
und dann erst die Erde geschaffen habe usw. In solcher
Weise werden die Worte der Schöpfungsgeschichte mit Hilfe
der Kirchenväter nach ihrem Wortsinn und ihrem dogma-
tischen Inhalt erläutert. Das ganze erste Buch erscheint
als ein förmlicher Kommentar zur Genesis.
Bemerkenswert ist die Stellung des Glykas zur antiken
Philosophie. Der einzige alte Philosoph, dessen Ansichten
er ohne abfällige Bemerkungen anführt, ist Aristoteles;
selbst da, wo er von ihm abweicht, bemerkt er bescheiden,
er wolle die Widerlegung anderen überlassen (S. 11, 15).
Alle übrigen aber behandelt er noch in der Weise der
strengsten Kirchenväter. Dazu stimmt, dass er unter den
^Hellenen* noch ausschliesslich die , Heiden* versteht und
dass er die alten Philosophen als ,&nl xevoTg äel jnaxaidCovxeg',
,ooq)ol fiev elvai qxioxovxeg, jucoQav&evxeg de xaxä HavXov
ebieW usw. bezeichnet. Kurz, Gljkas gehört zu den eng-
herzig Altgläubigen und ist von dem freieren humanistischen
Krumhacher: Michael Glyhas. 395
Zug, der seit dem 11. Jahrhundert das byzantinische Geistes-
leben durchdringt, noch nicht berührt. Man könnte zur
Entschuldigung anführen, dass für die einseitige Beurteilung
der Alten nicht Glykas selbst, sondern seine Quellen, denen
er blindlings folge, verantwortlich seien. Allein er trifft
doch eine selbständige Auswahl unter seinen Quellen, und im
12. Jahrhundert hatte das Heidentum — obschon K. Sathas
das Gegenteil beweisen wilP) — so sehr an Aktualität ver-
loren, dass auch ein streng kirchlich gesinnter Mann die
alte, nicht mehr zeitgemässe Polemik gegen die „ Hellenen'
hätte mildern oder aus den Citaten weglassen können. Schon
hundert Jahre früher hat ein edler Kirchenfürst, dessen Ortho-
doxie von niemand bezweifelt wird, der Erzbischof Johannes
Mauropus von Euchaita seine Stellung zur alten Philo-
sophie in das schöne Epigramm gekleidet:
EmcQ nväg ßovkoio rcbv äkkorgicov
Trjg OYJg äjteiXfjg e^eXeod^ai, Xgcore fiov,
nXdrcova xal lIXovTaQxov e^ikoiö fxoi'
'!Ajbi(p(o yoLQ eloc xal koyov xal xbv xqotzov
Tocg oöig vojaoig lyyiora jiQooJiecpvxdrsg.
Ei d^ YjyvoYioav (bg '&e6g ov rcov öXa)v,
^Evxavd-a rfjg ofjg j^QYiöTOTrixog deT juövov,
AC fjv äjiavrag dcoQsäv oco^eiv d'ei.eig,^)
Während der Erzbischof bei Christus für Plato und
Plutarch Fürbitte einlegt, übergibt Glykas (S. 39 f.) gleich
eine ganze Reihe alter Philosophen in Uebereinstimniung mit
dem hl. Basilios der Verdammnis, ,8ri ovrcog ö^v ngög rd
/idraia ßkhiovreg ixövreg nQog rrfv ovv&eaiv rrjg äXrj&eiag
anErvq)Xd)'&Yiaav* , und spottet (S. 40, 12 ff.) über die Weisen,
1) Meaaimv. BißX. VII (1894) Eloaycoyrj.
2) Ed. Paul de Lagarde (Abbandl. d. k. Gesellsch. d. Wiss.
zn Göttiogen, 28. Bd., 1882) S. 24.
396 Sitgung der pküos.'pftüol. Glosse tnwl 1. December 1894.
welche sich vermassen, die Grosse von Sonne und Mond, die
Entfernung der Erde vom Monde usw. zu bestimmen.
In den naturwissenschaftlichen Exkursen behandelt Glykas
mit Vorliebe Dinge, welche ins Gebiet der Kuriosität gehören,
und namentlich Dinge, die sich irgendwie zu moralisch-theo-
logischen Deutungen eignen. Er notiert zum Beispiel, dass
der Dattelbaum süsse Früchte hervorbringe, obwohl er auf
salzigem Boden wachse, verfehlt aber nicht, das Gleichnis
zu ziehen, dass ebenso wir unverdorben bleiben können,
auch wenn wir mit Schlechten Umgang pflegen müssen
(25, 16 ff.). Er erörtert die Frage, warum das Meer salzig
sei, während doch die in dasselbe sich ergiessenden Flüsse
trinkbares Wasser haben (29, 21 ff.). Die in den soge-
nannten lykischen Bergen beobachtete Vereinigung von Feuer
und Wasser — es handelt sich offenbar um heisse Quellen
— verwertet Gljkas zur Erklärung der unzertrennlichen Ver-
einigung der göttlichen und menschlichen Natur in Christo
(33, 13 ff.). Vor allem aber ist sein Bestreben darauf ge-
richtet, die Zweckmässigkeit der Schöpfung nachzuweisen
und scheinbare Widersprüche (wie die Existenz des Bösen)
zu beseitigen. Seine Darlegung erhält dadurch den Charakter
einer ausführlichen populären Katechese. Man höre z. B.,
wie Glykas die Willensfreiheit beweist: ,Ei yäg ävdyxjj rä
fjIXETEQa idedero, xlvog evexev xbv olxhi]v xexXotpora fiaoTi^eig^
6ia xl xijv yvvaixa fxoix^v&eioav elg xQixiJQiov eXxeig; tva xi
de xal novtjQa TtQaxxcov alaxvv]]^; (53, 6 ff.). Es ist dieselbe
Art volksmässiger Beweisführung durch Beispiele aus dem
Leben, wie wir sie auch im vulgärgriechischen Gedichte des
Glykas z. B. V. 269 ff. finden.
Die Quellen, welche Glykas mit Ostentation zitiert, sind
ausser den heidnischen Philosophen die bekanntesten Kirchen-
väter wie Justin, Basilios, Johannes Chrysostomos, Theodo-
retos, Maximos, Johannes von Damaskos, Anastasios Sinaites,
auch weniger berühmte wie Patrikios von Prusa usw.; in
Krumhaeher: Michael Glyhaa. 397
erster Linie werden natürlich die Autoren berücksichtigt,
welche über das Hexaemeron geschrieben haben. Höchst
wahrscheinlich aber ist die Kenntnis so vieler Werke dem
Glykas durch abgeleitete Quellen vermittelt worden. Be-
merkenswert und charakteristisch für seine Geistesrichtung
ist, dass er neben den anerkannten kirchlichen Autoritäten
auch den volkstümlichen Roman Barlaam und Joasaph als
Beleg anführt (167, 15), nebenbei bemerkt, so, dass er ihn
offenbar als ein ganz bekanntes Buch voraussetzt.
Das zweite Prosawerk des Glykas, seine theologischen
Briefe, führt den Titel: Tov ooipcordTov xal Xoytcordrov
?evQOv MixatjX rov rXvxä rov yQafJLfxaxi/KOV eig rag äjtOQlag
rtjg '&eiag ygacp^g köyoi.^) Wie dieser Titel zeigt, hat sich
Glykas in den Briefen die Aufgabe gesetzt, Dunkelheiten
der hl. Schrift aufzuklären, Zweifel zu beseitigen, scheinbare
Widersprüche auszugleichen. Freunde und Gönner belehrt
er hier auf ähnliche Weise wie in der Chronik seinen Sohn.
Im zweiten Briefe z. B. (Migne 659 ff.) erörtert er die Frage,
ob man auf jene achten müsse, welche behaupten, dass der
Mensch von Anfang an einen sterblichen Körper hatte, schon
vor dem Sündenfalle körperlichen Leiden unterworfen war
und schon im Paradies reale Nahrung genoss und dass der
Baum der Erkenntnis ein Feigenbaum war. Der dritte Brief
(Migne 716 ff.) handelt fllegl rov öndiog fjv M ägxrjg o
''Adäfi xard ye dö^av 6/iov xal XafxnQorrjra* , Es werden hier
also ähnliche änoglai über das Paradies, die ersten Menschen,
den Sündenfall usw. gelöst wie in der Chronik. Aus dieser
Uebereinstimmung der Themen lässt sich vermuten, dass die
Briefe auch im Detail der Behandlung sich mit der Chronik
berühren. Eine genauere Vergleichung beider Werke be-
1) So in der bei Migne wiedergegebenen Wiener Hs (Migne,
a. a. 0. Col. 647) und im Cod. Monac. 415, wo nur tov yqafjifiaxixov
fehlt. S. den Katalog von I. Hardt IV 273.
398 Sitzung der phäos.'phüol. Classe vom 1. Deeember 1894,
stätigt diese Vermatung vollauf: Soweit die Themen der
Briefe schon in der Chronik behandelt waren, hat
Glykas eiufach die betreffenden Abschnitte der
Chronik in die Briefe herübergenommen. Der eben
erwähnte sehr umfangreiche zweite Brief, der bei Migne
Col. 660 — 713 fnllt, ist im grossen und ganzen identisch
mit dem Abschnitte der Chronik 162, 17—190, 10. Der
Verfasser hat nur, um ein abgerundetes Schriftstück herzu-
stellen, eine Einleitung und einen Schluss hinzugefügt und
einige Zusätze und Aenderungen angebracht. Für die üb-
rigen der bis jetzt veröffentlichten Briefe bot die Chronik
weniger Material; doch hat Olykas, soweit es nur möglich
war, an die Chronik angeknüpft und öfter Fragen, die in
der Chronik nur kurz besprochen oder nur angeregt waren,
in den Briefen weiter ausgeführt; vgL z. B. den 12. Brief
(Migne Col. 832) mit der Chronik 36, 3 ff. Ein instruk-
tives Beispiel der Benützung der Chronik bietet auch der
unten besprochene und im Anhange zum erstenmale heraus-
gegebene Brief an des Kaisers Nichte Theodora.
Die wörtliche Uebernahme grösserer Abschnitte aus der
Chronik in die Briefe wurde dadurch noch besonders er-
leichtert, dass Glykas schon in der Chronik, wie oben er-
wähnt worden ist, sich vielfach an eine zweite Person (seinen
Sohn) wendet. Daher brauchte er im Briefe nur den Vocativ
in der Anrede zu ändern; statt des früheren vertraulichen
CO äycLJitjre usw. schreibt er jetzt mit Rücksicht auf die Würde
des Adressaten d) legd xeqjaXtj usw. Manchmal aber bleibt
im Briefe ein Ausdruck stehen, der wohl seinem Sohne,
weniger aber dem Adressaten gegenüber am Platze ist
(z. B. TiQoaexe, Migne 713 B.). Die üebereinstimmung zwischen
Chronik und Brief ist in den meisten Fällen ziemlich wörtlich,
und zuweilen lässt sich sogar eine Lesung der Chronik aus
einem Briefe verbessern, obschon in dieser Hinsicht natürlich
die grösste Vorsicht geboten ist.
Krumbacher: Michael GlyJcas. 399
Eine abschliessende Feststellung des Verhältnisses zwischen
den Briefen und der Chronik wird sich erst erreichen lassen,
wenn eine vollständige kritische Ausgabe der Briefe vor-
liegen wird. Bis jetzt sind nur 29 Nummern und auch von
diesen einige nur fragmentarisch bekannt gemacht (bei Migne
a. a. 0.). Zur Herstellung einer brauchbaren Ausgabe muss
ein sehr beträchtliches Handschriftenmaterial beigezogen wer-
den; denn sowohl die Zahl als die Reihenfolge und der Be-
stand der Briefe schwankt in den einzelnen Hss sehr erheblich:
Der Codex Paris. 228, s. XHI, enthält 92 Briefe (ungenaues
Verzeichnis im alten Pariser Katalog H S. 35 flF.); der Codex
Taur. 193, s. XIV, aus welchem Migne a. a. 0. Col. XXXIX ff.
nach dem Katalog von Pasini I (1749) 286 ff. die Inhalts-
angabe mitteilt, enthält oder vielmehr enthielt ebenfalls
92 Briefe, von welchen die ersten zwei und der Anfang des
dritten verloren gegangen sind; der Cod. Monac. 415, s. XV,
bietet 56 Briefe; *) der Cod. Riccard. 73 hat 14 Briefe;»)
die Codd. Vindob. theol. 159, 232, 160 und 233 enthalten
50, 55, 56 und 64 Briefe;^) von den Codd. der Moskauer
Synodalbibl. enthält der Cod. 230 die annähernd vollständige
Sammlung von 90 Nummern; dagegen bieten der Cod. 434
nur 28 und der Cod. 220 gar nur 3 Nummern; im Cod. 435
derselben Bibliothek stehen 47 Briefe unserer Sammlung
unter dem Namen des Johannes Zonaras;*) der am
Schlüsse verstömmelte Cod. Patm. IT" enthält noch 32,
der Cod. Patm. YA' 70 Briefe;») der Cod. Athen. 382
1) Vgl. den Katalog v. I. Hardt IV 273 ff.
2) G. Vitelli, Studi Ital. di filol. class. II (1894) 522.
8) Migne a. a. 0. Col. XXX ff.
4) Archimandrit Vladimir, Systematische Beschreibung der
Handschriften der Moskauer Synodalbibliothek (russ.) I (Moskau 1894)
274 ff., 288 ff., 655 ff.
5) Y. SaxxeXlcov, Uatfiiax^ Bißlio^i^xTj, Athen 1890 S. 180.
400 8Ü£ung der phüoe.-phüdl, dasse vom 1, Deeemher 1894.
bat 47 Briefe;^) der yerstOmmelte Cod. Yatic. Palat. Gr. 76
enthält noch 51 Nummern.') Man siebt aus diesen Proben,
dass die Sammlung später vielfach verkürzt ¥rurde. Eine
vollständige Aufzählung der sehr zahlreichen Hss liegt ausser-
halb des Planes dieser Arbeit. Ich bemerke nur noch, dass
keine mir bekannte Hs mehr als 92 Nummern enthält, und
dass mitbin die Codd. Paris. 228 und Taur. 193 den Maximal-
bestand der Sammlung darstellen.
In einigen jüngeren Hss wird die Briefsammlung dem
Johannes Zonaras zugeschrieben, z. B. in den Codd. Paris.
1218, saec. XV, und 3045, saec. XV, im Cod. Mosq. Synod.
435, saec. XVII (s. o.), im Cod. Lesb. Limon. 77a, saec.
XVI — XVIP) usw. Dass diese Zuteilung auf einem Irrtum
beruht, bedarf nach dem oben Gesagten wohl keiner weiteren
Begründung. Wenn man selbst von dem Zeugnis des alten
Paris. 228, der eine Art Corpus von Schriften des Qlykas
darstellt, und von den meisten übrigen Hss völlig ab-
sehen will, so beweist schon die wörtliche Benützung der
Chronik des Glykas, dass Zonaras nicht der Autor der Briefe
sein kann. Denn erstens konnte Zonaras nicht wohl die
Chronik des Glykas benützen, die ja zum Teil aus seiner
eigenen Weltgeschichte geschöpft und also nach ihr ent-
standen ist,^) und zweitens selbst den äusserst unwahrschein-
lichen Fall angenommen, dass Zonaras im höchsten Alter,
zu einer Zeit, in welcher nicht nur seine eigene Weltge-
schichte, sondern auch die zum Teil aus ihr geschöpfte Volks-
chronik des Glykas vorlag, die Briefe geschrieben habe, so
1) /. pcai A. I. 2oLHxeXi(ov, KazdXoyog t<5v /eigoy^d^?«»»' Tfjg i^
viHfjg ßißXio^xTjg r^s 'ElXddog, Athen 1892 S. 66.
2) H. Stevenson, Codices Manuscripti Palatini Graeci Biblio-
thecae Vaticanae, Rom 1886 S. 40.
3) A. Papadopulos-Kerametis, MavQOYOQÖdtstog BißXio^xij,
Kpel 1884 8. 72.
4) Ferd. Hirsch, Byzantinische Stadien, S. 897 ff.
Krufnbacher: Michael Glykcut, 401
wäre es doch ganz undenkbar, dass er dann statt zu seinem
eigenen grossen Werk oder zu alten Originalquellen, zu dem
kleinen, von seinem Werke abhängigen Volksbuch gegriffen
hätte. Dazu kommt, dass der Stil der Briefe durchaus
nicht mit dem des Zonaras, völlig aber mit dem der Chronik
des Glykas und der kleinen Prosanotiz, die er seinen Ge-
dichten beigab (s. u.), übereinstimmt. So sind die charakte-
ristischen kurzen asyndetischen Sätzchen und die zum Ueber-
gang dienenden Fragen wie „Was geschah nun darauf?**
der Prosanotiz und der Chronik mit dem unten edierten
Briefe an die Nichte Theodora gemeinsam. Die Ueberein-
stimmung erstreckt sich auf gewisse dem Glykas eigen-,
tümliche Ausdrücke; z. B. findet man die Umschreibung
ov noXv rö h jLieoq) = ,bald darauf, die dem Leser in der
erwähnten Prosanotiz auffällt, ebenso zweimal in dem Briefe
an die Nichte Theodora (s. den Anhang) und in der Chronik
(508, 21; 596, 20). Ein sehr kräftiges Beweismoment, wenn
ein solches noch für nötig gehalten werden sollte, bildet
endlich die Thatsache, dass die dem Glykas eigentümliche
Vorliebe für volksmässige Sprichwörter und Redens-
arten sich, wie im vulgärgriechischen Gedichte und in der
Chronik, so auch in den Briefen nachweisen lässt. Zu den
Belegen, die früher^), beigebracht worden sind, kann ich
heute noch einen aus einem ungedruckten Briefe fügen. In
dem unten zu besprechenden Briefe über Astrologie lesen wir
(Cod. Paris. 228 fol. 96'): iyco dedoixa, jurj xal rö nagotjaicbdeg
ixeivo Tiegag ivrav'&a Xdßrj rö keyov ,eixoLf^£V xvva xalxoXg
d^riQol nageix^ ßoTJ'^eiav'. Das ist offenbar eine hochgriechi-
sche Paraphrase des mittelgriechischen volkstümlichen Spruches:
El^afiev oxvXov xal eßorj'&ei rov Xvxov, der auch im Neu-
griechischen in der Form: EXx(Xfxe oxvXl xi ißorid^aye rov
1) »Mittelgriechische Sprichwörter* S. 65 fF.; 228; 235 f. Dazu
die Nachträge von E. Kartz, Bayer. Gymnasialbl. 30 (1894) 136.
402 Sitsung der pküoa.'phüdl, Glasne vom 1, Deeember 1894,
kvHOv belegt ist.^) Die Frage, ob die Briefsammlung dem
Glykas oder dem Zonaras gebore, kann mithin als erledigt
gelten. Der künftige Herausgeber der Briefe, dessen Auf-
gabe es sein wird, sämmtliche Hss im Zusammenhang zu
prüfen, wird vielleicht auch feststellen können, auf welchem
Grunde die unberechtigte Zuteilung an Zonaras beruht.
Das dritte litterarische Denkmal, das mit Sicherheit dem
Glykas zugeschrieben werden kann, ist der Sprichwörter-
kate chismns. Er ist unvollständig ediert von E. Sathas,
Aleaauov, BißXia&i/jxrj V 544 — 563; die von Sathas als un-
leserlich weggelassenen Teile habe ich nachgeholt in meinen
,Mittelgriechischen Sprichwörtern' S. 1 12 — 116.*) Eine Sprich-
wörtersammlung scheint auf den ersten Blick mit den zwei
vorher erwähnten Werken wenig Gemeinschaft zu haben;
eine nähere Betrachtung aber zeigt, dass das Werkchen voll-
ständig zu der Geistesrichtung passt, die sich in der Chronik
und in den Briefen offenbart. Der Zweck ist derselbe, nur
das Mittel ist neu. Wie Glykas schwierige oder kuriose
theologische Fragen teils im Rahmen einer Weltgeschichte,
teils in der Form belehrender Briefe behandelt hat, so dient
ihm hier zur Erläuterung gewisser Wahrheiten ein längst
1) Belege a. a. 0. S. 125; 207.
2) Zu den Hss, die ich dort benützt habe, sind nachzutragen:
1. Cod. Mosq. Synod. 2S0, i. J. 1603 geschrieben, der vor der
BriefsammluDg des Glykas, wie es scheint auf einem Schutzblatt,
zuerst die zwei naturwissenschaftlichen Fragen über die Schlange
und den Hasen (s. meine ,Mittelgr. Sprichwörter* S. 115), dann das
Sprichwort BXins elg t6 ev fxrj szd^fjg dexa enthält (,Mittelgr. Sprich-
wörter* S. 114). Archimandrit Vladimir, a. a. 0. S. 288. 2. Viel-
leicht der Cod. Athen. 444, der nach J. Sakkelion und A. J. Sak-
kelion, KatdXoyos t&v xeigoyQdqxov tfjg s^ixrjs ßißkio^xtjg x'^g 'EX-
Xdöog, Athen 1892 S. 84, Alvlytiaxa ix %ov WsXXov enthalt. Es ist aber
zweifelhaft, ob hier vulgärgriechische Sprichwörter, die bekanntlich
öfter als aiviy/nara bezeichnet und dem Psellos zugeschrieben werden,
oder wirkliche Rätsel, wie sie ja auch unter dem Namen de« Psellos
gehen, gemeint sind. Mir ist das Letztere wahrscheinlicher.
Krumhacher: Michael Glykas, 403
vor ihm in der katechetischen Praxis sporadisch angewandtes, ^)
von ihm aber wohl zuerst systematisch verarbeitetes Mittel,
das Yolksmässige Sprichwort. Die drei Formen, in welche
Glykas seine theologischen Belehrungen gekleidet hat, ent-
sprechen drei verschiedenen Lebensaltern: Die ausführlichen
Briefe sind an gereifte Personen gerichtet, die unterhaltende
Chronik an seinen Sohn, den wir uns sicher als einen jungen
Mann vorzustellen haben, die Sprichwörtererklärungen endlich
sind für den Schulunterricht bestimmt, und zwar die etwas
schwerer zu verstehenden metrischen Erklärungen für Vor-
gerücktere, die einfacheren Prosaerklärungen für Anfänger,
wie in einer der Prosasammlung vorausgeschickten Notiz
ausdrücklich erklärt wird ,naid6g äreXovg hi xal aQTifxa'&ovg
evexev' (S. 561 ed. Sathas). Es wird sich unten zeigen, dass
die Altersstufen, für welche die drei Werke berechnet
sind, auch der Abfassungszeit entsprechen: zuerst ent-
standen die Sprich Wörtererklärungen, dann die Chronik, zu-
letzt die Briefe.
Der Inhalt der theologischen Erklärungen, welchen die
Sprichwörter zu gründe liegen, ist natürlich nicht derselbe
wie der der theologischen Partien der Chronik und der Briefe;
denn hier war der Verfasser an bestimmte Themen, die Sprich-
wörter selbst, gebunden. Der Ton aber ist derselbe; wir
finden auch in den Sprichwörtererklärungen die Vorliebe für
allegorische Deutung und die Lust an spitzfindiger Discussion;
selbst die ausgesprochene Neigung des Glykas zur natur-
wissenschaftlichen Kuriosität, die in der Chronik einen so
breiten Raum beansprucht, begegnet uns in einigen den
Sprichwörtern angehängten Erklärungen seltsamer Naturer-
scheinungen : Die metrische Sammlung schliesst mit der
Erklärung der Thatsache, dass das Meer salzig, die Fische
1) üeber frühere Versuche dieser Art s. ,Mittelgr. Sprichwörter*
S. 64 f. und 0. Crusiu», Liter. Oentralbl. 1894 Sp. 1810.
404 Sitzung der phihs.'phücl. Glosse vom 1, Decemher 1894.
aber süss sind — ein ähnlicher Gedanke ist oben (S. 396)
aus der Chronik notiert worden — und der Prosasammlnng
folgen einige Hermenien über die Gründe, warum die Schlange,
der Lowe und der Hase mit offenen Augen schlafen; von
einem dieser drei Tiere, dem Löwen, wird die Eigenschaft
des Schlafens mit offenen Augen auch im Physiologns er-
wähnt. Dass theologische Erklärungen volkstümlicher Sprich-
wörter auch in der äusseren Ueberlieferung mit dem Physiologus
und mit theologischen Schriften eng verbunden erscheinen,
habe ich früher gezeigt.^)
Mein Nachweis, dass die Autorschaft des Glykas für
die Sprich Wörtersammlung nicht bloss durch Thatsachen der
Ueberlieferung, sondern auch durch innere Gründe denkbar
sicher gestützt ist,*) hat allgemeine Zustimmung gefunden;
nur das eine wurde in Frage gestellt, ob Glykas neben der
ausführlichen metrischen Sammlung auch noch die kleine
Prosasani mlung verfasst haben könne. E. Kurtz^) bemerkt;
gegen die Zuteilung der Prosasammlung au Glykas, dass in
dieser nur ein Teil der in der metrischen Sammlung be-
handelten Sprüche und zwar in verschiedener Reihenfolge und
mit verschiedenem Wortlaute wiederkehre und dass die
dürftigen, flüchtigen Erklärungen in Prosa von den sorgfaltig
ausgeführten metrischen auffallend abstechen; er hält daher
die Prosasammlung für einen aus anderen Quellen vermehrten
Auszug von späterer Hand. Das Gewicht dieser Bedenken
ist nicht zu verkennen. Sie schaffen aber die Thatsache nicht
aus der Welt, dass die einzige Pergamenths, welche eine
vulgärgriechische Sprichwörtersammlung überliefert, der alte
Cod. Marc. 412, gerade diese kleine Prosasammlung aus-
drücklich dem Michael Glykas zuschreibt und dass die Prosa-
1) Mittelgr. Sprichwörter S. 66.
2) Ebenda S. 66 ff.
8) Bayer. Gymnasialbl. 80 (1894) 130 f.
Krumbacher: Michael Olykas, 405
samminng mit der poetischen in dem ebenfalls alten Cod. Paris.
228 mitten unter Werken des Qlykas steht. Sie wird also zwar
nicht von Glykas verfasst sein, aber doch irgend eine nähere
Beziehung zu ihm haben ; wie man sich diese Beziehung zu
denken hat, lässt sich mit dem bis jetzt bekannten Material
nicht sicher, aber mit grosser Wahrscheinlichkeit feststellen.
Dazu dient die kleine Notiz, die im Cod. 228 von der
poetischen zur prosaischen Sammlung überleitet: ,Kal rama
fiev did arlxcov* rd jiXelco dk rovrcov xai diä nel^wv i^exe'&rioav
Xs^ecov naiddg dreXovg exi xai &QTifxa'&ovg evexev, (bg evrev-
'&ev avTÖv änooxofxaxioai rä xoiavra rov diaXrjcp'&evrog
ävco'&ev ßaoiXecog ivwjtiov, ä xai Mxovoiv ovxcooU Aus
diesen Worten lässt sich schliessen, dass Qlykas die Prosa-
erklärungen in einer älteren Quelle vorfand und sie der
Vollständigkeit halber und namentlich mit Rücksicht auf
Kinder, für welche die langen Sätze der metrischen Erklärung
zu schwer waren, nachträglich seiner ersten Sammlung bei-
fügte, ohne sie derselben durch Umarbeitung anzupassen.
Dass aber auch die Prosasammlung für den Kaiser Manuel
bestimmt war, zeigt die ausdrückliche Erwähnung desselben
am Schlüsse der Notiz, nach deren Wortlaut die Erklärungen
von Kindern in Gegenwart des Kaisers vorgetragen
wurden. Dass im Cod. Barb. II 61 nur das metrische
Corpus Aufnahme fand, erklärt sich leicht aus der rohen
Form der Prosaerklärungen, die dem Urheber dieses Codex
der Beachtung nicht wert schien.
Die reichhaltigsten Beweise der eigentümlichen Vorliebe
des Glykas für Sentenzen, Sprichwörter, sprichwörtliche Re-
densarten und Vergleiche, Märchen, Aeusserungen des Volks-
glaubens und überhaupt alles Volkstümliche enthält das vierte
Werkchen desselben, das vulgärgriechische Gedicht.^)
Den Inhalt bildet eine Bittschrift an den Kaiser Manuel
1) Die Belege in meinen «Mittelgr. Sprichwörtern* S. 54 ff.
406 SÜBung der pfUUM.-phüol. Clasae vom 1. December 1894.
Komnenos, die Glykas i. J. 1156 im Gefängnis verfasst
hat. Aus einer dem Gedichte angehängten Prosabemerkung
erfahren wir, dass der Kaiser sich nicht erweichen Hess,
sondern über den Gefangenen die Strafe der Blendung ver-
hängte. ^) lieber diese Thatsache berichtet ausser der er-
wähnten Prosabemerkung des Cod. Paris. 228 noch eine
zweite, vielleicht von der Pariser Notiz ganz unabhängige
Quelle, nämlich der in den Jahren 1470 — 1472 geschriebene
Cod. Bodl. Miscell. 273, der an zweiter Stelle die Chronik
des Glykas, an erster 63 Briefe des Glykas mit folgender
üeberschrift enthält: Illvai ovv '&€0 xwv TieQiExofievoiv rfj
dUrcp tavxfi xeqxiXaUov, avvexi&ri de Tiagä xov XoyKordtov
yga/i/jiaTixov MixoLi]k xov rkvxä ovrog ev xcug YjfjLSQatg xov
7iOQ(pvQoyew/jxov ßaaiXicog xvqov Mavovi^i. xov Ko/Livr]vov,
Tiag^ ov xal xv(pi.(ooiv oTjbioi ädlxcDg vjiioxi],^)
Nach dieser Strafe lebte Glykas von allen Freunden
verlassen wie ein Gefangener in seinem Hause. Damals
widmete er dem Kaiser seine Sprichwörtererklärungen
und versah das letzte Sprichwort der metrischen Sammlung
,,Ein Toter hat keinen Freund^ nicht übel mit einem Epilog,
1) Vgl. E. Legrand, Bibl. gr. vulg. I S. XVI ff.
2) H. 0. Coxe, Catalogi eodicam Mss Bibl. Bodleianae Pars I.,
Oxonii 1858 S. 814 f. — Ueber das Vergehen des Glykas äusserte
C. N^eumaon, Griechische Geschichtschreiber und Geschicbtsquellen
im zwölften Jahrhundert, Leipzig 1888 S. 51 Anm. 2, die Vermutung,
dass er beim Sturze des Theodoros Stjpiotes in die Untersuchung
verwickelt wurde. Die Vermutung stützt sich freilich wohl nur auf
das zeitliche Zusammentreffen der Verurteilung des Glykas und des
Stypiotes: die Verschwörung des Stypiotes wurde i. J. 1156 entdeckt.
Vgl. Einnamos ed. Bonn. 184, 13 ff.; Niketas Akom inatos ed.
Bonn. 145, 6 ff.; E. de Muralt, Essai de Chronographie Byzantine
1057—1453 (1871) S. 172, wo der Verschwörer aber irrtümlich Leon
Stypiote genannt wird; der Irrtum beruht wohl auf Verwechselung
mit dem Patriarchen Leo Styppes, der im Index des Niketas ed.
Bonn. 971 fälschlich als Leo Styppiota aufgeführt ist.
Krumhacher: Michael Glykas. 407
in welchem er sich selbst als den Toten des Sprichwortes
schildert und den Kaiser anfleht, ihn aus dem dunkeln Grabe,
in welchem er seit 5 Jahren schmachte, wieder ans Licht
zu ziehen.^)
Aus einer ähnlichen Lage und Stimmung muss das
Werkchen des Glykas hervorgegangen sein, das im Anhang
zum erstenmale bekannt gemacht wird. Es ist ein aus 124
Versen bestehendes Gedicht. Das Mafs ist dasselbe
wie im vulgärgriecbischen Gedicht und in den Sprichwörter-
hermenien: der politische Vers. Die Sprache ist das übliche
byzantinische Schriftgriechisch wie in den Sprichwörter-
erklärungen. Das Gedicht steht in dem schon erwähnten Cod.
Paris. 228.
Für manche litterarische Fragen, die im Folgenden zur
Behandlung kommen, dürfte es forderlich sein, den Gesamt-
inhalt dieser wichtigen Hs ins Auge zu fassen. Da die
Beschreibung des alten Catalogs^) ungenau und namentlich
wegen der lateinischen Paraphrase der Titel unzureichend
ist und H. Omont^) dem Plane seines Inventars gemäss
nur eine ganz summarische, übrigens unvollständige Auf-
zählung des Inhalts gibt, so habe ich die Hs selbst unter-
sucht, und die folgenden Mitteilungen dürfen als erste aus-
führliche Beschreibung des Codex gelten. Der Codex Paris.
228 gehört zu jener durch das filzige Papier, das Grossoctav-
format und die eigentümliche Schnörkelschrift ausgezeich-
neten Hss-Gruppe, auf welche ich schon früher*) hingewiesen
habe. Die Meinung von E. Legrand, ^) der Codex sei in
1) S. meine ,Mittelgr. Sprichwörter" S. 58 ff.
2) Catalogus codd. mss. bibliothecae regiae II (Parisiis 1740)
35—38.
8) Inventaire sommaire des mss. grecs de la bibl. nationale I
(1886) 26.
4) Mittelgriechische Sprichwörter S. 42.
5) Bibl. gr. vulg. I S. XV.
1894. PhUo8.-phUo]. u. hist. Cl. S. 34
1
408 Sitzung der jaitilos.'philol, Classe vom 1. December 1894.
der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts geschrieben, ist nach
H. Omonts und meiner Ansicht dahin zu berichtigen, dass
er eher dem Ausgang, jedenfalls der zweiten Hälfte dieses
Jahrhunderts angehört. Der Codex umfasst gegenwärtig
214 numerierte Blätter, von welchen Blatt 5—10, 208,
210 — 213 unbeschrieben sind. Pol. 1 — 10 und das nicht
numerierte Schutzblatt sind eine später vorgesetzte Lage
von jüngeren Blättern; zur gleichen Zeit sind auch fol. 208
und 210 — 213 eingefügt worden, um Lücken der alten Hs
zu bezeichnen und vielleicht mit Hilfe einer anderen Hs zu
ergänzen, was jedoch nicht geschehen ist. Auf fol. 1 — 4 hat
eine späte Hand (des 17. Jahrb.?) ein Verzeichnis der Ueber-
schriften der Brie&ammluug niedergeschrieben, offenbar des-
halb, weil in der alten Hs selbst sowohl das fol. 20^ — 21'
stehende mit roter Tinte geschriebene Verzeichnis der Brief-
Überschriften als die ebenfalls meist mit roter Tinte geschrie-
benen Ueberschriften im Kontexte der Sammlung sehr ver-
blasst und teilweise unleserlich sind. Fol. 5 — 10. die wohl
zur Ergänzung des fehlenden Anfangs der alten Hs be-
stimmt waren, sind leer.^) Erst mit fol. 11 beginnt der
1) Da J. Boivin die Hs offenbar gründlich stadierfc und nament-
lich allenthalben unleserlich gewordene Ueberschriften und Sprich-
wörter lemmen am Rande mit schwarzer Tinte wiederholt hat, so kann
man vermuten, das3 auch die Einfügung dieser späteren Blätter von
ihm herrühre und dass er den erwähnten Pinaz auf fol. 1 — 4 zwar
nicht selbst geschrieben — die Hand ist von der Boivins verschieden
— aber veranlasst habe. Zwar scheint das ,Dreiberg*- Wasserzeichen,
welches das eingelegte Papier zeigt, auf eine ältere Zeit (c. 1356 bis
c. 1461) hinzuweisen; vgl. C. M. Briquet, Les papiers des archives
de GSnes et lenra filigranes, Atti della societä Ligure di storia
patria 19 (18S7) 366. Aber wir sind über die Geschichte der Wasser-
zeichen doch nicht genug unterrichtet, um aus denselben mit Sicher-
heit Schlüsse zu ziehen, und spätere Wiederholungen des , Dreiberges',
sind, wie Briquet selbst a. a. 0. notiert, wenigstens bis in den An-
fang des 16. Jahrhunderts bezeugt und können wohl auch noch spater
vorgekommen sein.
Kt'umbacher: Michael GlyJcas. 409
ursprüngliche Bestand des Codex; doch sind im Anfang
3 Blätter weggefallen, wie sich aus den teilweise erhaltenen
alten^ wohl von der ersten Hand stammenden, rechts unten
eingetragenen Quaternionennummern mit Sicherheit ergibt;
als erste erhaltene Nummer finden wir 6' auf fol. 32',
als zweite e' auf fol. 40'', als dritte g' auf fol. 48' usw.
üeber den Inhalt der verlorenen ersten drei Blätter lässt
sich nichts «feststellen; am bedauerlichsten ist der Verlust
der vorauszusetzenden Ueberschrift des Codex. Auch am
Schlüsse sind ein oder mehrere Blätter weggefallen. Die
Grössenmafse der Hs sind folgende: Papier 274 X 17(3 mm,
Schriftfläche 215— 220 X 135 — 140 mm. Die Zeilenzahl
schwankt zwischen 36 und 39. Die erhaltenen Teile haben
folgenden Inhalt:
1. Eine (mitten im Satze beginnende) anonyme Er-
klärung der ersten 6 Verse des 12. Kapitels des 2. Briefes
an die Korinther (fol. 11').
2. Eine anonyme Erklärung der 4 letzten Verse des
13. Kapitels des Briefes an die Römer (fol. 11^).
3. 'EQjurjvela ex xcov egjurjveian' xov BovXyagiag (bg iv
ovvoipei Eig rag id' InioToXäg rov ayiov äjiooroXov IldvXov
iQavio'd'sloa Jiagd NixrjTa rov 2!ajio)vo7iovXov, Also ein Aus-
zug aus dem bekannten Kommentar^) des Theophylaktos
Bulgarus, verfasst von einem sonst meines Wissens nicht be-
kannten Niketas Saponopulos, der aber mit Rücksicht
auf die Zeit des Theophyluktos (Ende des 11. Jahrh.) und
auf den übrigen Inhalt und das Alter der Hs mit Sicher-^
heit ins 12. Jahrb. gesetzt werden kann (fol. 12').
4. Tä Sjctol Ttvevjuara rrjg äQsrfjg. Td rfjg xaxlag. Auf-
zählung der 7 Geister der Tugend (oocpia, ovveoig, yvöjoig,
evoißeia, ßovkri, toxvg, <p6ßog) und des Lasters (yaojQijuaQyia,
TtOQvda, (fikaQyvQtxi, ögyi], kvnrj, äxrjdia, vneQrjipavia) (fol. 17^).
1) Ed. bei Migne, Patrol. gr. 124, 335 ff.
34*
410 Sitzung der phüos.-pfUlol. Glosse vom i. December 1694.
5. Mixaiji rov [xov] ßeaaalopbeijg tov fiabnoQog^ rwv
^TÖgcDv, didaaxdXov rcbv evayyeXUov xal TtQCorexdixov rfjg
fuydXfjg ixxXfjaüxg Kwvtnavnvovnöi^cog ^ negl r^v rekevriiv
iSojnokdytioig avrov, iqj' olg TtQOoiTvzcuoe {xal) xa&f]Qe^.
Also der schriftliche Widerruf, welchen der i. J. 1156
abgesetzte Erzbischof Michael von Thessalonike vor
seinem Tode abfasste^) (fol. 17^).
6. ZrifieUofia rijg xa^aigiaecog xov naxQidgxov Kcov-
cxavxivovTtöleaK xvqov Koafiä xov *Axxixfj (so) inl xfjg ßaai-
Xeiag xov Kofxvrivov MavovijX exovg yg%vE* Also eine Notiz
über die Absetzung des Patriarchen Eosmas Attikes*)
i. J. 1147 (fol. 18').
7. Nixr\xa xaqxoqyvXaxog xov Nixaicog xaxä nolovg xai-
Qovg xal did xlvag alxiag ioxio^ &ji6 x'^g Ixxkrioiag Kmv-
axavxiyovndXecog i^ 'Poifjuucov ixxXtjola. Des Chartophylax
Niketas von Nikaea Schrift über die Geschichte und die
Gründe der Eirchentrennung. Sie ist nach A. Mai (Nov.
bibl. Patr.) wiederholt bei Migne, Patrol. gr. t 120, 713
bis 720 (fol. 18^).
8. Tov jbiaxoQlov Evkoylov ijtioxdjiov 'AXe^avögeuzg ex
xcjv negl xfjg äyiag xgiädog xal jieqI xrjg '^elag obcovo/juagj
1) Der Widerruf ist ediert bei Leo Allatius, De ecclesiae
occid. atqne or. perpetua conseneione, Köln 1648 Col. 691; doch bat
der Parii. eine Schlussbemerkong, die io der toh Allatius benflizten
Hs fehlt. Vgl. W. Regel, Fontes renim Bjzant. I 1 (1892) XVII.
2) Es scheint also, dass die übliche Benennung dieses Patriarchen
,Koofiäe *Äftix6g*, »Cosmas Atticos* falsch ist und sein Familien-
name vielmehr Attikes lautete. Zu vermuten ^tov *Amxtjg' geht
nicht an, da hiemit ein (ganz unmöglicher !) ^Bischof von Attika' be-
zeichnet würde. Die Benennung 'Artixöe statt 'Azjix^g konnte sich
um so leichter festsetzen, als ja der Patriarch aus Aegina stammte.
Zur Entscheidung der Firage wären alle einschlägigen Hss (des Ni-
ketas Akominaios usw.) zu prüfen; vielleicht kommt man dann zu
einer ähnlichen Ueberraschung wie vor einigen Jahren bezQglich der
Namensform «Elytaemnestra*. Nach einer vollständigeren Hs ist das
Aktenstück ediert bei Leo Allatius a. a. 0. Gol. 683-686.
Krumbacher: Michael Glykas. 411
<5r ^ oQxij' 'Ev äQxfi ^Q^ atc6v(ov fjv 6 '&e6g, naQSxßokai
Also Auszüge aus des Eulogios, der 580 — 607 Patriarch
von Alexandria war, nur fragmentarisch erhaltener Schrift
IleQl trjg dylag rgiddog xal rfjg '^eiag olxovofxUig (fol. 19^).^)
9. niva^ Tfjg ßißXov rov FXvxä (dieser Titel ist mit
schwarzer Tinte von Boivin an den obern Rand geschrieben).
Ein mit roter Tinte geschriebenes, jetzt sehr stark verblasstes
und ohne Reagenzien nur noch an einzelnen Stellen lesbares
Verzeichnis derUeberschriften der Briefe des Glykas,
das, wie oben erwähnt, auf den später vorgesetzten Blättern
1 — 4 wiederholt worden ist (fol. 20^).
10. Das vulgärgriechische Gedicht des Glykas (fol, 21^).
11. Die oben S. 406 erwähnte und S. 415 abgedruckte
Prosanotiz (fol. 24^).
12. Das im Anhang mitgeteilte Glückwunsch- und Bitt-
gedicht des Glykas (fol. 25'').
13. Die Sprichwörtererklärungen des Glykas (fol. 26^).
14. Die Briefe des Glykas (fol. 29'-— 214^).
Aus dieser Uebersicht geht hervor, dass der Codex eine
durch ein inneres Band verknüpfte Sammlung von Schriften
enthält. Wenn man von den des Kopfes beraubten und da-
her zunächst nach ihrem Verfasser und ihrer Zeit nicht be-
stimmbaren Erklärungen am Anfang der Hs absieht, gehören
alle Schriften mit einer einzigen Ausnahme (Eulogios von
Alexandria) dem 12. Jahrhundert an und zwar grösstenteils
der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Mehrere der Schriften
beziehen sich auf Fragen, die in der genannten Zeit aktuell
waren, z. B. der Bericht über die Absetzung des Patriarchen
Kosmas Attikes, der Widerruf des Erzbischofs Michael von
1) Der Text ist nicht identisch mit den nach A. Mai bei Migne,
Patrol. gr. t. 86, 2939 ff. edierten Fragmenten und wird als Beitrag
zur Kenntnis des Eulogios von 0. Bardenhewer veröffentlicht
werden. Vgl. desselben Fatrologie, Freiburg i. B. 1894 S. 534.
412 Sitzung der phüos,-phüol, Glasse vom 1. December 1694,
Thessalonike, die Schrift des Niketas Chartophylax über die
Eirchentrennung. Einen rein zeitgeschichtlichen und person-
lichen Charakter haben endlich die kleinen Schriften des
Glykas, und auch seine Briefe beziehen sich zum Teil auf ak-
tuelle Streitfragen wie die Berechtigung der von Kaiser Manuel
gepflegten Astrologie und die Irrlehre des Michael Sikidites
(s. u.), auch auf zeitgenössische Privatangelegenheiten wie den
von Kaiser Manuels Nichte Theodora begangenen Eifer-
suchtsmord. Kurz der Codex repräsentiert eine vornehmlich
von theologischen Interessen bestimmte Sammelausgabe
von zeitgenössischen Kommentaren, Aktenstücken,
Essays, Gedichten und Briefen, in welcher der Löwen-
anteil dem Michael Glykas zufällt.
Das vulgärgriechische Gedicht, welches die Reihe der
Werke des Glykas eröffnet, trägt die Ueberschrift : -Srt^oi
yQajujLiarixov Mij^aijk rov rXvxä, ovg eyQatpe xa (etwa
15 verwischte Buchstaben) xateoxs^ xaigöv ix nQooayyeXiag
Xaigexdxov rivog (noch etwa 5 unleserliche Buchstaben). In
der Ueberschrift des folgenden Gedichtes (s. den Anhang) wird
der Autor nicht mehr durch den Namen, sondern durch das
übliche Tov avrov bezeichnet. Aus dieser üeberschrifb er-
fahren wir, dass Glykas das Gedicht an den Kaiser richtete,
als er siegreich aus Ungarn zurückkehrte. Doch ist
im Gedichte selbst weniger von dem Siege des Kaisers als
von einer persönlichen Angelegenheit des Dichters die Rede.
In den ersten 44 Versen allerdings schildert Glykas in dem
schwülstigen Tone byzantinischer Enkomien den Sieg und
den Triumph des Kaisers; als Haupteigentümlichkeit des
Sieges wird hervorgehoben, dass er ohne Blutvergiessen und
ohne Kampf errungen ward; die ganze Barbarenwelt reichte
dem Kaiser die Hände aus Furcht vor seiner blossen Er-
scheinung; beide Parteien sind unversehrt geblieben, der
Sieger wie der Besiegte. Kaum aber hat der Dichter diesen
unblutigen Triumph gebührend gefeiert, so lenkt er nicht
Krumhacher: Michael Glykas. 413
ungeschickt in ein anderes Thema ein. Er preist die Lang-
mut und Milde des Kaisers; Gott selbst verzeiht den Reuigen;
so möge auch der Kaiser, der sein Leben nach Gottes Vor-
bild eingerichtet habe, Nachsicht üben und ihm seine Huld
und vor allem seine güldenen Münzen wieder spenden.
Nachdem gewisse Leute, so weise wie Psellos, zur rechten
Zeit im üebermass geerntet haben, möge auch für andere
noch etwas übrig gelassen werden. Sich selbst vergleicht
Glykas mit einem Baume, der wegen seiner Unfruchtbarkeit
ausgerottet zu werden verdient; der göttliche Gärtner hat
ihn aber so gut gepflegt, dass er wieder blüht und Früchte
trägt, und zwar nimmt er an Fruchtbarkeit zu, je reich-
licher der Kaiser den Strom der Wohlthaten über ihn aus-
giesst. Zuletzt erklärt der Supplikant, was er mit seinem
breit ausgesponnenen, aber wenig konsequent durchgeführten
Vergleiche im Sinne hat: die Früchte, die er dem Kaiser
darbringen will, hat er — an Stelle des Baumes tritt auf einmal
wieder der Dichter selbst — von einer geistigen Wiese ge-
pflückt; der Kaiser möge geruhen, ihm sein Ohr zu leihen ; denn
sein Geschenk sei nicht für den Geschmack, sondern für das
Gehör bestimmt. Nun folgen die geistigen Früchte d. h. die
Sprichwörtererklärungen.
In dem Gedichte herrscht dieselbe Geistesrichtung, na-
mentlich dieselbe Verbindung von niedriger Schmeichelei
mit kühner Zudringlichkeit, die auch aus dem Epilog der
Sprichwörter herausklingt. Glykas klagt sich grosser, tausend-
fachen Todes würdiger Verbrechen an und gesteht, dass
er nicht seinen Thaten entsprechend gestraft worden sei,
erkühnt sich aber dennoch, den Kaiser nicht nur um seine
Huld, sondern um möglichst ausgiebige materielle Unter-
stützung zu bitten. Die Verse werfen ein grelles Licht auf
das litterarische Proletariat von Byzanz, und wir stünden
solchem Missbrauch der Poesie ratlos gegenüber, wenn wir
nicht von Prodromos, Philes u. a. ähnliche Bittschriften be-
414 Sitzung der pfiüos^^pküol. Classe vom 1. Deceniber 1894,
sässen, die an Frechheit des Tones hinter den Versen des
Glykas' nicht zurückstehen, an Massenhafügkeit sie wät
übertreffen. Auch die Thatsache, dass ein vom Kaiser nit
der Blendung Bestrafter sich doch wieder an ihn wendet,
darf auf byzantinischem Boden nicht auffallen. Die Men-
schen haben dort schnell vergessen. Viel weiter als Glykas
ging der Abenteurer Manuel Holobolos, der sich weder durch
die vom Kaiser angeordnete Abschneidung von Nase und
Lippen noch durch die gefürchtete Strafe des Schandaufznges
{nofjmri) abhalten liess, dem strengen Herrscher immer
wieder aufs Neue in schwülstigen Versen Weibrauch zu
streuen. ^)
Wie nun der Bettelton des Gedichtet im allgemeinen
an den erwähnten Epilog anklingt, so erinnern uns mehrere
Einzelheiten an die Vorliebe des Verfassers für Sprichworter,
naturwissenschaftliche Kuriositäten und Volkstum. V. 35
vergleicht Glykas den Kaiser mit dem stets wachen Löwen
— offenbar eine Reminiszenz aus demselben Physiologus-
kapitel, das auch im Anhange der prosaischen Sprichwörter-
erklärung^) verwertet ist. V. 45 — 48 gebraucht er zwei wohl
der volksmässigen Ausdrucksweise entnommene Vergleiche.
V. 64 beruft er sich auf ein Sprichwort, dessen Gedanken
er dann in den folgenden Versen weiter ausführt. Endlich
stimmen auch die namentlich gegen den Schluss des Gedichtes
sich häufenden Bilder und Vergleiche, die zum Teil aus der
hl. Schrift stammen, zu der theologischen Geistesrichtang
des Autors. Dass in diesem Gedichte die Zahl der Sprich-
wörter und sprichwörtlichen Redensarten kleiner ist als im
Vulgärgedicht, erklärt sich teils aus seiner Kürze, teils aus
der für dergleichen Zuthaten weniger geeigneten Schrift-
sprache, deren sich hier der Verfasser befleissigt.
1) Vgl. meine Gesch. d. byz. Litt. S. 375.
2) Mittelgr. Sprichwörter S. 116.
Krumbacher: Michael öiykoß, 415
Die Untersuchung der Abfassungszeit des Gedichtes
muss von den in der Hs selbst enthaltenen Mitteilungen über
den Anlass beider Gedichte ausgehen. Zwischen dem Vulgär-
gedicht und dem hier besprochenen steht, wie erwähnt, eine
Prosanotiz, welche den Kommentar zu dem ihr vorher-
gehenden und die Einleitung zu dem ihr folgenden Gedicht
bildet. Da E. Legrand (a. a. 0. S. XVIII) nur den Anfang
der Notiz und auch diesen nicht ganz genau herausgegeben
hat, möge hier der ganze Text mitgeteilt werden (fol. 24^):
Kai Tovg juev vTtavayvcoo&svrag rjörj oxixovg ^Qatpev 6
diaXriqyd'elg yga/üLfiarixog iv (pvXaxfj xardxXeiaxog &v ejjxpavt'
c&fjvai '&aQQcbv amovg^) xcp äylcp ßaoiXei xävrev'&ev ikev-
'd'eQiag rvxsiv, äkX'^ ovx etpd'aoe xal neQag Xaßeiv xä XYJg
roia&tf]g ßovitjg, äxoai yäg ovx äya'&al xrjvixavxa tisqI
avxov öi€TQ€xov^) änavxaxov Jigog ÖQyijv lyeigai loxvovoai
<. . . .)^) x6v äyav atieixfj xal jbieiXlxiov, ylverai xavxa ' BaoiXixr]
xiXevoig ä{n)b^) Kdixlag vndüvtsQog EQ%^ai xal oSxco xaxä
jbLTjdev i^etao'&ivxog xov jigäyfiaxog xovg kvxviovg ix€T)vog^)
xov adjuaxog oßivvvxai ßageiav xavxrjv inofitlvag xal jzqö
iQevvfjg xijv naidevoiv, xl x6 inl xovxoig; dexBxai xrjv ini^
(poQOLv xd>v deivcbv, iavxco XoyiCexai xö nqax'^iv, ov xaxa-
Tiuvtei xcp Tta&ei. q>eQei yewalayg xä xov neiQaofwv, ovx
adrjfjiovei xovxov svexev ' fiäkXov fxhv ovv xal xo.Qixag dfiokoyel
xcp ovyxcoQovvxi xavxa d'Ecp xal fiexä xov d'eiov Xiyei Aavld'
"Aya'&ov fxoi, oxi hanelvcoodg jue, onoyg äv jLid'&CD xd dixaid)^
fxaxd oov.^) xavxfi'^) xoi xal Yiovx^oy doJidCexai xal ßißXoig
IßQaig evrjoxdkYjxai, ov nokv xd ev fiiocp xal yeixovovvxeg
aincp xiveg ävÖQeg ovx äya'&ol jLieoovvxxtov i^eyelQOVxai, 7iki]v
ov xd 'd'sTa xaxd xov Aavld i^ojuokoyrjoojLievoi xQlfiaxa,^) x^^Q^
1) Von Legrand weggelassen. 2) Von Legrand weggelassen.
3) Etwa 4 unleserliche Buchstaben. 4) Loch im Papier. 5) Die er-
gänzte Lücke ist durch ein Loch im Papier verursacht. 6) Psalm
118, 71. 7) ravri] Hs 8) Psalm 118, 13: iv roTg ;ue/Jl«a« fMV i^^yyeda
Tidvxa xä xQifiata rov ox6fjiax6g oov.
416 Sitzung der philo8,'phü6l, Claaae vom 1. December 1894,
de "^Hovreg ägnaya xard rcbv äUorgicov ßaXelv. xai dij
TtXtjQovm rä rov oxonov xal l^rifjdav avzcß nQoodyovaiv ov
fiiXQOLV, ätpoQjbiijg oiv ivtev^ev dgaSd/ievog yQdq)ei arixovg
iregovg ngbg töv aviop ßaoilia öjnov fisv xal juqi ^g vTieatT]
xkonrjg äraq^igary airteß, dfiov 6k xal nev^aiv avxbv juir^xhi^)
TÖtg rcbv noXXdyy idyoig (bg xal jigoxegov Tia^aovQeo'&cu' 61
xal exovoiv ovriooL
Zanächst wird durch die Notiz meine frühere Ver-
mutung^) bestätigt, dass die Blendang an Glykas in einer
sehr milden Form ausgeführt wurde; denn sonst hätte er sich
nach Vollziehung der Strafe nicht mit den heiligen Schriften
beschäftigen können. Die am Schlüsse stehende Nachricht,
dass böse Nachbarn in mitternächtlicher Zeit ihre räuberi-
schen Hände nach dem Gute des Glykas ausgestreckt haben
und dass ihn diese nächtliche Beraubung zu einem zweiten
Gedichte an den Kaiser veranlasst und dass er dieselbe in
diesem Gedichte erwähnt habe, passt nicht zu dem unmittelbar
auf die Prosauotiz folgenden Lob- und Bittgedicht, sondern
nur zum Sprichwörterepilog, wo V. 347 ff. der nächt-
liche Ueberfall ausführlich geschildert ist.^) Dagegen lässt
sich die Mahnung, der Kaiser möge sich nicht mehr wie
früher von den Worten der Menge verlocken lassen, nicht
aus dem Epiloge, sondern nur aus dem Schluss des Lob-
gedichtes (V. 115 ff.) erklären, wo Glykas dem Kaiser
nahe legt, er möge den reichen Fruchtbaum seiner Gnaden
nicht bloss jenen Leuten, so weise wie Psellos, sondern auch
anderen zugänglich machen. Mithin bezieht sich die Prosa-
notiz nicht bloss auf das ihr zunächst folgende Lob- und BiU-
gedicht, sondern auch auf die Sprich Wörtererklärungen und den
Epilog. Mit anderen Worten: Die drei Stücke bilden, was
9) fJiri xhi Hs
1) Mittelgr. Sprichwörter S. 58.
2) Ebenda S. 60.
Krumbacher: Michael Glykaa, 417
Sathas entgangen ist, ein nicht zu trennendes Ganze,
das von Glykas dem Kaiser überreicht wurde. Das ei-
gentliche Geschenk ist die Sprichwörtersammlung,
das Lobgedicht ist die Einleitung, das dem letzten
Sprichwort angehängte Gedicht der Epilog. Nun
verstehen wir auch, warum die Sprich wörterhermenien ohne
eigene üeberschrift sich an das Lobgedicht anschliessen.
Wie Glykas im Einleitungsgedicht an den Sieg des Kaisers
anknüpft, um zu seiner persönlichen Angelegenheit überzu*
leiten, so benützt er im Epilog ein passendes Sprichwort,
um das ihm zugestossene Unglück zu erzählen und mit
einer möglichst eindringlichen Wiederholung seiner Bitte zu
schliessen. Uebrigens lässt er es sich nicht nehmen, auch hier
(V. 373) noch einmal auf den Triumph des Kaisers über
die „Barbaren* hinzuweisen.
Nun haben wir zur Bestimmung der Entstehungszeit
der Sprichwörtersammlung mit ihrem Prolog und Epilog
folgende feste Punkte: 1. Das vulgärgriechische Gedicht
wurde abgefasst, als der Kaiser in Cilicien weilte, also im
Jahre 1156, wie schon E. Legrand ^) nachgewiesen hat.
2. Die Sprichwörtersammlung mit Prolog und Epilog ist
nach dem Vulgärgedichte und nach der Blendung des
Glykas abgefasst, wie die Prosanotiz {ov noXv x6 h fieotp)
beweist. 3. Der Prolog richtete sich an Kaiser Manuel, als
er von einem unblutigen Triumphe über die Ungarn zurück-
kehrte. 4. Im Epilog V. 370 erwähnt Glykas, nachdem
er die Folgen jener durch sein Vergehen über ihn herein-
gebrochenen Katastrophe geschildert hat, dass er nunmehr
schon fünf Jahre wie begraben sei und auf die Wieder-
belebung durch des Kaisers Wort harre.
Wenn wir diese fünf Jahre wörtlich nehmen, so gelangen
wir, vom Jahre seiner Verurteilung 1156 an gerechnet, auf
1) A. a. 0. S. XVIII f.
418 Sitzung der phüos.-philol, Classe vom 1. December 1894.
das Jahr 1161. Sehen wir, wie za diesem Datum der un-
blutige Triumph fiber die Ungarn passt.
Kaiser Manuel bat seine gewaltigen expansiven Bestre-
bungen zweimal gegen die ungarische Grenze gerichtet. Im
Jahre 1152 eröffnete er gegen König Geza II, der die Serben
gegen die Griechen unterstützt hatte, einen Krieg, welcher
nach schwankenden Kämpfen im Jahre 1156 durch einen
für die Griechen nicht ungünstigen Frieden abgeschlossen
wurde. ^) Einige Jahre später waren es ungarische Thron-
streitigkeiten, welche Kaiser Manuel Gelegenheit gaben, sich
abermals um seine nordwestlichen Nachbarn zu kümmern.
Als nämlich am 31. Mai 1161 König Geza II gestorben
war, machten seine zwei Brüder Vladislav und Stephan (IV),
die mit Geza U zerfallen waren und als Flüchtlinge in
Konstantinopel gelebt hatten, dem minderjährigen Sohne und
Nachfolger Gezas, Stephan (III), den Thron streitig, indem
sie sich auf das ungarische Erbfolgegesetz beriefen. Kaiser
Manuel, dessen Nichte mit Stephan IV vermählt war, trat
zu gunsten des brüderlichen Erbrechtes ein und brachte es
durch sein blosses Erscheinen in der Gegend von Belgrad
und durch Bestechung und diplomatische Bearbeitung einflnss-
reicher ungarischer Magnaten zu stände, dass Vladislav that-
sächlich anerkannt wurde. Dieses Ereignis erzählt Niketas
Akominatos (ed. Bonn, 166, 20 ff.) mit folgenden Worten:
^Ev&ev TOI xal did fxei^ovog ioxvog ijcißof]'&fjoai reo 2re-
(pdvcp deiv 6 ßaoiXevg oii]^eig avrög xe ix 2aQdiHi\g ajidQag
ätpixvehat ngdg rd üaQlatQia, Xiyci) dij rd xatd BQavlrCoßav
xal BeliyQada, xal rov ddeXipidovv 'Aü^iov röv KovToaxe<pavov
avvexnefxnei reo Zreipdvcp fxerd Ioxvog, oT xal d)g rov XQdfxov
xarekaßov, <hg hvjv rd nQog dQxi]v diejZQdrrovro, VTConoi-
ovfxevoire dcoQoig rovg jueya nagd Ilalooi dvvajuevovg
1) Vgl. EinnaiDos ed. Bonn. 119 ff. Niketas Akominatos ed.
Bonn. 121 ff.
Krumhacher: Michael Olykas, 419
xai xoXaxeia vjioip'&elQovreg xal inooxBoeat fxsyl^
oxaig ijtaiQovreg' ensQaivov de ovdev f) 8aov BXadio'&kaßov
rdv rov 2'teq)dvov xaoiyvrjtov Ovvvovg elg ag^ovra di^ao'&ai/
Kinnamos (ed. Bonn. 203, 14 ff.) berichtet ungefähr das-
selbe, nur schweigt er von den diplomatischen Mitteln und
erklärt die Nachgiebigkeit der Ungarn aus der Rücksicht auf
das einheimische Erbfolgegesetz und aus der Scheu vor dem
Nahen des Kaisers: flax^äg ydg rov ndxQiov naQiöcbv vofiov
ijil töv vl&v TTjv äQXfjv dießlßaoev, Ovwoi toiwv tö jlUv ti
Tovrov aldeodjbievoi rov vdfiov, x6 de xal rrjv ßaoilecog evkaßt]^
'd'evreg e<podov, 2xeq)avov xov 'laxCä xfig dgx'^g miQaXvoavxeg
'&axiQcp xa)v &6eX(p(bv xcß BXadio'&Xdßcp xavxYjv äjiedooav, xcp
ye fjLrjv 2!xe<pdv(p, qyrjfü xcp JtQeoßvxeQO), xyjv Ovqovju ojiexXri'
Qcooav xv'xrjv» ßovXexai de xovxo nagä Ovwoig xov xrjv ägx^jv
diadeSojuevov eQfxrjveveiv x6 ovofxaJ Welcher von beiden
Berichten mehr Glauben verdient, kann nicht zweifelhaft
sein: der schnelle Erfolg Manuels war offenbar mehr den
von Niketas hervorgehobenen Be3techungen und Versprech-
ungen als der Scheu vor dem einheimischen Gesetz und vor
der kaiserlichen Hoheit zu danken. Das friedliche Verhältnis
war übrigens nicht von langer Dauer. Der unerwartete Tod
des Vladislav (im Febr. 1162) ermutigte die Anhänger der
Söhne Gezas (Stephans III und Belags), sich von neuem zu
erheben. Vladislavs Bruder Stephan (IV) floh nach einer
Niederlage wieder an den Hof Manuels. Bald kam es zwischen
Ungarn und Byzanz zum offenen Kriege, der nach mancherlei
Schwankungen erst nach dem blutigen Sieg der Byzantiner
bei Zeugmin (1167) durch einen Friedensschluss i. J. 1168
seinen Abschluss fand. Da nun Glykas ausdrücklich von
einem ohne Blutvergiessen errungenen Siege spricht, so ist
es klar, dass er nur jenen Marsch Manuels in die Gegend
von Belgrad (1161) im Auge haben konnte, der im Verein
mit Geld und Diplomatie die Anerkennung des byzantinischen
Kandidaten zur Folge hatte. Dass Glykas die Dinge in einem
420 Sitgung der pkäos.-pkUol, Classe vom i. Decemher 1894,
ähnlichen optimistischen Lichte sieht wie Kinnamos und die
friedliche Unterwerfung der ^ ganzen Barbaren weit '^ aus-
schlieaslich auf die Sehen vor der kaiserliclien Majestät
zurflckfQhrt, von den diplomatischen Mitteln aber schweigt,
ist bei der Absicht seiner Gedichte selbstverständlich. Mit-
hin ist völlig sicher, dass Glykas den Prolog und
den Epilog Ende 1161 oder Anfangs U62 abgefasst
und dem Kaiser überreicht hat; ob er auch die Sprich-
wörtererklärungen erst für diesen Zweck schrieb oder sie
schon früher in Bereitschaft hatte, wissen wir nicht. In
keinem Falle ist ihre Entstehung durch eine erhebliche
Spanne Zeit von dem Prolog uud Epilog getrennt.
Weitere chronologische Angal)en enthalten die Gedichte
nicht. Für die Abfassungszeit der Chronik haben wir als
sicheren Terminus post quem das Jahr 1118, mit dem das
Werk abschliesst, als höchst wahrscheinlichen Terminus post
quem das Jahr 1143, mit dem das doch wohl von Glykas selbst
abgefiisste Eaiserverzeichnis am Schlüsse des 3. Buches endet,
und als Terminus ante quem das Jahr 11 76, aus welchem
nach E. de Muralt*) eine Petersburger Handschrift der Chro-
nik stammt. Dazu kommt noch die Thatsache, dass Glykas
schon den Zonaras benützt hat und selbst schon von Ma-
nasses, der unter Kaiser Manuel schrieb, benützt worden
ist.^) Da die Chronik aber an den offenbar schon im Jüng-
lingsalter stehenden Sohn des Glykas gerichtet ist, dürfen
wir ihre Abfassung nicht über die Jugendwerke des Glykas,
das Vxdgärgedicht und die Sprichwörtersammlung, hinauf-
rücken, sondern werden sie etwa zwischen 1161 und 1170
ansetzen müssen.
Endlich lassen sich Aufschlüsse über die Lebenszeit des
Glykas aus der Adressatenliste der theolo<?ischen Briefe
1) Essai de Chronographie byzantine. Vol. I (1855) S. XXVII.
2) Ferd. Hirsch, Byz. Studien S. 896 ff.
Krumbacher: Michael QlyUas, 421
gewinnen. Die meisten Adressaten sind allerdings gänzlich
unbekannte oder wenigstens nicht sicher zu identifizierende
Personen; doch finden wir wenigstens eii'iige Namen, die
einen chronologischen Anhalt gewähren. Um die verehrten
Leser zur Teilnahme an der Forschung anzuregen und ihnen
dieselbe zu erleichtern, lasse ich zunächst die Adressatenliste
folgen, wie sie aus Pasinis bei Migne, Patr. gr. t. 158 CoL
XXX ff. wiederholter Beschreibung des Cod. Taur. 193
und der Ausgabe einer Anzahl von Briefen aus dem Riccard.
73 von Lami (Migne a. a. 0. Col. 647—958) hergestellt
werden kann. Dabei wird die Dativforra des Originals bei-
behalten; dagegen schien es überflüssig, auch die Themen
der einzelnen Briefe und die Zahl der Briefe, die jedem
Adressaten gehören, zu notieren; wer sich hierüber unter-
richten will, sei auf die angeführten Stellen bei Migne ver-
wiesen. Die ersten zwei Briefe und der Titel des dritten
sind im Cod. Taur. ausgefallen; der 4. Brief des Taur. ist
identisch mit dem 2. des Riccard. (Migne, Col. 660 ff.).
1. Tcp rijUKOTärcp fxovaxco xal otvXirrj xvqco 'Icodvvrj reo
Zivakfi (Cod. Rice. Migne C. 648).
2. T(p Tifjitondrcp juovax(p xvqco Ma^ijuco rcp UfAevidjirj.
3. T(p TifjiKDxdxcp fiova^cp xvqco Ucodwrj reo 'Aanihrj.
4. Tcp rijutcordrcp juovax(p xvqco "Haatq.
5. Tcß Tifjiicordxcp fJLOva^cp xvqio rQrjyoQicp rcp AxQonokkif,
6. Tcp Ttjuicordrcp juovaxco xai dojueorlxcp xvqco '^Haatq.
7. Tcp rifiiCDtdrcp fjiovaxcp xvqco Akvmcp reo iyxksiOTCp.
8. Tcp fieyakodo^coxdrcp jueydXcp exaiQeidQXfJ xvQcp ^latdvvrj
xco Aovxa.
9. Tcp xijuicoxdxcp juovaxcp xvqco 'Ovovq)Qicp.
10. Tcp oixeicoxdxcp ävd'Qcojicp xov xQaxaiov xal aylov ri/LLcbv
ßaoikecog xvqco NixrjcpoQCp xco 2!ivatxf],
11. Tcp navoeßdoxcp oeßaoxco xvQcp Kcovoxavxivcp xco iJa-,
kaioXoycp,
12. Tcp xijLiicoxdxcp juovaxcp xvQcp Sxecpdvcp,
422 SUMung der pkOos^-pküol. Clasae wm 1. Deeemher 1894.
13. T<p ßjieyaXodo(ondt{p xvgcf^ 'Avögavucq) rtp IIaicuok6y<p,
14. T(ß xifjuan6x<p jnavaxcß xvQfp Mekeiicp T{p Kgironoviio.
15. Tcp xifumxdxtp fiovax<p xvgcp Neücp.
16. Tcß xijuuoxdxcfi fiova^cp xvQ<p Aiovxi x(3 iyxXdorcp.
17. TV fisy(jJio6oi<ox6x(p jusyälq) haigeidgxfj xal aeßaarw
xvQ€ß *Ia)dvvjj rqü» Aovxi;^,
18. Tcp xifiuüxdxq) fiovaxfß xvQ€p Xaghcovi,
19. Tcp xtjuicoxdxq) fiovaxfp xvgcß NexxoQiq).
20. T^ ntQmo^Yfxfp ävetpiq xov xgaxatov xal xvqov fjfjubv
ßaoikiü}Q XVQOV Oeodd>Qov.
21. Tcp dvetifup xov xgcnaiov xal äylov ßaaiMcog xvqov
'Aieilov xov (die Erganzang s. unten).
22. Tfp xi/ucordxcp xal h KvQup fjfAcbv ddeixpco xvQcp ^IcodwTj
xcp Tgixqi*
23. Tcp xifucüxdxcp fiovaxfp xal doßucnbccp xvQcp Nixokdcp.
24. Tcp xifxwndxcp fiovaxco xvqco 'Icoawixicp xcp rQajujbtaxixcp,
25. Tcp navevxlficp xal h KvQup nvevfiaxtxfp fjficbv ddeXcpcp
xvQCp ^Icodwfi xcp Tgixq-.
26. T0 xifiiondxcp fiovaxco xvQCp Mvqcovi.
Diese Liste von Adressaten des Cod. Taur. , die im
Anfang aus dem Cod. Rice, ergänzt ist, stimmt im allge-
meinen mit den andern Hss überein, von denen ^ir eine
genauere Kenntnis besitzen. Manche Adressaten fehlen in
den verkürzten Sammlangen, aber Neues kommt wenig hinza.
Im Cod. Monac. 415, s. XV, der 56 Briefe enthält, er-
scheint fol. 234^ ein fieyaXodo^axog (so) ^AvÖQonovXog üa-
XaioXoyog ; AvÖQonovXog ist aber, wie andere Hss zeigen, sicher
nur verschrieben für ^AvÖQovixog und der Adressat ist iden-
tisch mit Nr. 13 der obigen Liste, wie sich schon aus der
Identität des Briefes selbst ergibt. Im Cod. Paris. 228,
der 92 Briefe enthält, findet man als neue Adressaten den
Sebastokrator Manuel Eomnenos, den Kaiser und
einen Mönch Barlaam. Einige Adressaten sind im Cod.
Paris. 228 mit kleinen Abweichungen im Titel genannt: Der
Kruwhacher: Michael Glyhas, 423
Sebastos Johannes Dux (Pariser Katalog Nr. 56) ist
offenbar identisch mit Nr. 8 unserer Liste, der Mönch Maxi-
mos mit Nr. 2. Tiefer geht die Abweichung in der Üeber-
schrift, die oben als Nr. 20 aufgezählt ist; Näheres darüber
s. unten.
In der obigen Liste sind Adressaten mit abweichender
Titelfassung gesondert aufgeführt worden, aber höchst wahr-
scheinlich ist Nr. 6 mit 4, Nr. 17 mit 8, endlich Nr. 25
mit 22 identisch. Der Mönch Johannes ^Aomerrjg heisst
im Rice.,, wenn Lami bzw. Migne, Col. 728, nicht irrt,
Aojticorrjg^ ebenso im Cod. Monac. 415. Es handelt sich
aber offenbar um dieselbe Person und zwar wird wohl die
richtige Namensform 'Aonihfjg sein, da verschiedene Ange-
hörige dieser Familie um dieselbe Zeit vorkommen; vgl. Ni-
ketas Akom. ed. Bonn. 251, 17; 254, 1; 560, 7; 613, 3;
829, 8.
Dass die Adressaten in derselben Briefsammlung zuweilen
verschiedene Titel tragen, beruht wenigstens teilweise auf
der Verschiedenheit der Abfassungszeit; bei der Zusammen-
stellung der Briefe wurden dann die ursprünglichen Auf-
schriften unverändert gelassen. Zu bemerken ist noch, dass
einige Briefe in verschiedenen Hss verschiedene Adressaten
nennen. Das ist wohl durch die Annahme zu erklären, dass
Glykas einen und denselben Brief zuweilen öfter verschickte.
Bei einem Autor, der seine Weisheit so sehr zu wiederholen
liebte,^) darf das nicht wunder nehmen. Auf solche Weise
aber konnte bei den wiederholten Bearbeitungen der Sammlung,
die wir annehmen müssen, leicht einige Ungleichheit in der
Adressengebung eintreten. Bei der fortschreitenden Reduk-
tion der Sammlung wurden die Adressen zuweilen auch ganz
weggelassen. Das ist z. B. der Fall in einer späten Peters-
1) Vgl. S. 398 f.
1894. Phi]oB.-phUol. u. hist. Gl. 3. 35
424 Sitzung der philos.-philol, Classe rotit i. Decemher 1894.
burger Hs, die nur 13 Briefe enthält.^) Zu einer erschöpf-
enden Darstellung des Thatbestandes und zur Gewinnung
einer völlig ausreichenden Basis wäre es natürlich notwendig,
sämmtliche Hss der Briefe des Glykas einzusehen, was mir
gegenwärtig nicht möglich ist. Doch dürfte das gedruckte
Material, das ich nachträglich aus dem vortrefflichen Cod.
Paris. 228 ergänzen und berichtigen konnte, für die Erfor-
schung der aus den Briefen zu erlangenden chronologischen
Aufschlüsse im allgemeinen genügen.
Völlig sicher zu identifizieren ist zunächst der Gross-
hetaeriarch und Sebastos Johannes Dukas. Es ist
offenbar der Mann, dessen Biographie neulich W. Regel ge-
zeichnet hat,^) Johannes Dukas aus der Familie Kamateros,
ein naher Verwandter des Kaisers Manuel Eomnenos, ein
Freund des Erzbischofs Eustathios von Thessalonike. Einnamos
(135, 15 ed. Bonn.) bemerkt ausdrücklich, dass Johannes
Sebastos war; als Grosshetaeriarch wird er bei Kinna-
mos, dessen Werk mit 1176 abschliesst, noch nicht bezeich-
net; denn diese Würde erhielt er erst 1181.'^) Die militärische
und politische Thätigkeit dieses bedeutenden Mannes erstreckt
sich über einen Zeitraum von mehr als 40 Jahren. Schon
i. J. 1149 war er unter den byzantinischen Heerführern im
Kriege gegen die Normannen; i. J. 1188 führte er als Aoyo-
1) Fr. Vater, Zar Kunde griechischer Handschriften in Rnss-
land. Jahns Archiv 9 (1843) 5 ff.
2) Fontes renim Byzantinarum accuravit W. Regel I 1 (1892)
S. YIII — X. Zn den von Kegel aufgezählten Thatsachen kann noch
gefQgt werden, dass Johannes Dukas nnter den Teilnehmern der
Synode des Jahres 1166 war. Vgl. A. Mai, Scriptorum veterum
nova coUectio t. IV (1831) 88; 54.
8) Nach W. Regel a. a. 0. S. IX. Leider gibt Regel nicht an,
worauf die Kenntnis (.magni betaeriarchae dignitatem esse adeptum
scimus'^) von diesem Datum beruht. Die Stelle des Niketas 313, 2,
an die man zunächst denkt, beweist doch nur, dass Johannes i. J.
1181 Grosshetaeriarch war, nicht, dass er es damals wurde.
Krumbaeher: Michael Qlykas. 425
'^exrjg xov dgojuov eine Qesandtschafb an Friedrich Barbarossa
und noch i. J. 1190 war er, jetzt mit der Würde des Ue-
ßaoToxQdroDQ ausgezeichnet, aktiver General und befehligte
die Nachhut des byzantinischen Heeres, dessen Besiegung
durch die Bulgaren er freilich nicht verhindern konnte. Dass
Johannes im Brieftitel (Nr. XXIII bei Migne) zuerst nur
Grosshetaeriarch und erst später (Nr. LIII bei Migne)
auch Sebastos genannt wird, kann nur auf einer Unge-
nauigkeit beruhen; denn dass er die Würde des Sebastos
früher hatte als die des Grosshetaeriarchen, steht fest. Da
ihm aber die letztere Würde, die er erst i. J. 1181 erhielt
(s. 0.), in beiden Briefen zugeteilt ist, so werden sie nicht
vor dieser Zeit geschrieben sein. Eine Spätgrenze ergäbe
sieh, wenn die Kombination Regeis, ^) dass Johannes Dukas
nach 1182 die Grosshetaeriarchen würde wegen seinier Partei-
nahoie für die Kaiserin Maria verloren haben müsse, völlig
sicher wäre oder sich mit Sicherheit auf unseren Fall an-
wenden liesse; aber man darf wohl annehmen, dass Glykas
den schönen Titel auf der Adresse beibehalten hätte, auch
wenn ihn sein hoher Gönner nicht mehr von Rechtswegen
führen durfte. In keinem Falle aber dürfen die beiden
Briefe früher als in das Jahr 1181 datiert werden.
Der zweite historisch nachweisbare Adressat ist der
jueyakodo^&taTog 'ÄvÖQOvixog IlaXaioXoyog, Er ist zweifellos
identisch mit jenem Andronikos Palaeologos, der von
Kaiser Andronikos Komnenos (1183—1185) zum Heerführer
gegen die Normannen bestimmt wurde (Niketas Akomin.
412, 10). Zu einer näheren Zeitbestimmung ist dieser An-
dronikos nicht brauchbar ; doch ergibt sich aus dem Gesagten,
dass der an ihn gerichtete Brief eher im letzten als im zweiten
Drittel des 12. Jahrhunderts abgefasst sein wird.
In den Anfang des 13. Jahrhunderts scheint uns der
1) A. a. 0. S. X.
35^
426 Sitzung der phüosrphÜdl. Classe vom 1, Decemher 1894.
Brief zu weisen, dessen Adresse oben unter Nr. 20 angeführt
ist. Eis ist der einzige Brief der Sammlang, der eine Privat-
angelegenheit betrifft — und zwar eine sehr dunkle. Die
volle Ueberschrifb lautet im Cod. Taur. (Migne a. a. 0.
Col. XLVII): Tjj Tiequio^Tcp ävetpiq xov xQOtaiov xal xvqov
(1. äylov) fjfjubv ßaoiXi(og xvqov OsoÖwqov o&vjjlovoyi oqpoÖQa
xal rrjv iavrijg AnoyivfOGXovofi owrrjQlav di' ov hok/irjoe q>6vov
im uvi yvvaixl C^korvTiiag ivexev. Wenn der Brief von
Glykas stammt, so kann der hier erwähnte Kaiser nur Theo-
doros I Laskaris (1204 — 1222) sein. Damit wäre für die
Bestimmung der Lebenszeit des Glykas ein wichtiges Spät-
datum gewonnen — wenn die Ueberschrift richtig wäre.
Leider ist sie zweifellos falsch. Darauf deutet schon
die Fassung der Adresse: Wo ein Adressat in Verbindung
mit dem Kaiser erscheint, wird nicht der Name des Kaisers,
sondern der des Adressaten genannt; vgL in der obigen Liste
Nr. 10 und Nr. 21 (s. S. 435). Das Gleiche ist hier zu
erwarten. Zur Gewissheit wird das durch das Zeugnis der
weitaus ältesten Hs der Briefe des Glykas, des Cod. Paris. 228.
Zwar nach dem alten Katalog — im Liventaire von Omont
ist der Inhalt der Briefsammlung nicht spezialisiert — wäre
dieser Brief gerichtet ,Ad sororem Imperatoris dominam Theo-
doram'.^) Allein auch das ist ein Irrtum. Im Cod. Paris. 228
selbst, fol. 154^, lautet die Adresse völlig deutlich und ohne
die mindeste Spur einer Rasur oder Korrektur: T^ neQuio^xco
ävey^iä rov XQaxaiov xal äyiov ^ßiöav ßaoiXetog xvga Oeo-
dcoga ä^vjuovof] etc. Ebenso lautet die Adresse in dem zwar
aus sehr später Zeit (s. XVII) stammenden, aber 90 Briefe
enthaltenden und demnach auf ein altes vollständiges Exemplar
zurückgehenden Cod. Mosq. Synod. 230.*) In den übrigen
Hss ist der Brief, soweit die Kataloge ein Urteil gestatten.
1) Catalogüs codd. mss. bibliothecae Regiae II (1740) S. 37.
2) Archimandrit Vladimir a. a. 0. S. 290.
i
Krumhacher: Michael GlyJcas, 427
meist weggelassen, ofiFenbar weil den späteren Redaktoren der
Sammlung der Anlass und Vorwurf des Briefes zu speziell
und zu heikler Natur zu sein schien. Die einzige feste Grund-
lage ist mithin die Ue herlief er ung des Cod. Paris. 228 und
des Mosq. Syn. 230. und da über die böse AfiFaire selbst,
die dem Briefe zugrunde liegt, in anderen Quellen, soweit
ich sehe, nichts berichtet ist, so bleibt nur übrig, zu unter-
suchen, welche Kaiser in der zweiten Hälfte des 12. Jahr-
hunderts eine Nichte Theodora hatten und auf welche von
ihnen der Brief am besten passt.
Kaiser Manuel, der zuerst in Betracht kommt, hatte
mehrere Nichten mit Namen Theodora: 1. Theodora Kom-
nena, eine Tochter des i. J. 1142 gestorbenen Andronikos
Komnenos, des zweitgeborenen Sohnes des Kaisers Johannes.
Diese Theodora trat zu ihrem Onkel, dem Kaiser Manuel,
in nähere Beziehungen, deren Frucht ein Sohn Alexios war.
Im übrigen wird sie als eine hochmütige und anmassliche
Dame geschildert, die sich mit kaiserlichem Gefolge zu um-
geben liebte. Auch ihr Söhnchen wurde ein Verschwender,
dessen Passionen den kaiserlichen Vater schwere Summen
kosteten. Du Gange, Fam. Byz. S. 182. Niketas Akom.
ed. Bonn. 136, 1 ff.; 266, 13 ff. 2. Theodora Komnena,
eine Tochter des Isaak Komnenos, des drittgeborenen
Sohnes des Kaisers Johannes. Sie wurde im Alter von
13 Jahren (um d. J. 1158) mit König Balduin III von
Jerusalem vermählt und nach dessen Tode von Andronikos
Komnenos, dem späteren Kaiser, entführt; sie begleitete ihn
auf seinen abenteuerlichen Fahrten unter den Persern und
Türken und gebar ihm zwei Kinder. Du Gange a. a. 0.
S. 183. Niketas Akom. 295, 2 ff. 3. Eine dritte Theodora,
die in mehreren Quellen Nichte des Kaisers Manuel genannt
wird, während nicht bekannt ist, von welchem Bruder oder
welcher Schwester sie stammt, vermählte sich mit Bohe-
mnnd III Fürsten von Antiochia. In einer französischen
1
428 Sitzung der pkäosrphüöl. Classe vom 1, Decemher 1894,
Quelle heisst sie Irene. Du Gange hält es für möglich,
dass sie identisch sei mit jener Theodora Komnena, welcbe
spater den General Andronikos Lapardas heiratete, von dem
Tyrannen Andronikos Komnenos ins Kloster verwiesen, endlich
vom König von Ungarn zur Gattin erbeten wurde, aber aus
kanonischen Gründen (wegen des wenn auch unfreiwilligen
Eintritts ins Kloster) absagen musste. Du Gange a. a. 0.
S. 185. 4. Eine vierte Nichte Manuels mit Namen
Theodora war (vor 1165) mit dem Herzog Heinrich von
Oesterreich vermählt und starb 1182, Von welchem der
Geschwister Manuels sie stammte, ist unbekannt. Kinnamos
ed. Bonn. 236, 10 ff. Muralt a. a. 0. S. 186 und 217.
Die folgenden Kaiser, Alexios II, Andronikos, Isaak II
Angelos, Alexios III und Alexios IV, hatten, soweit wir
wissen, keine Nichte Theodora. Die einzige mit dem Kaiser-
hause nahe verwandte Theodora, an die man etwa noch
denken könnte, jene Theodora Angela, die i. J. 1186
mit Conrad von Monferrat vermählt, bald aber von diesem
verlassen wurde, war eine Schwester der Kaiser Isaak II
und Alexios III Angelos und mithin die Tante des Kaisers
Alexios IV, Die Bezeichnung , Nichte des Kaisers* stimmt
also für sie in keinem Falle. Mithin bleiben nur die Nichten
des Kaisers Manuel übrig. Welche von ihnen die Mörderio
ist, lässt sich nicht sicher, aber doch mit grosser Wahr-
scheinlichkeit feststellen. Was zunächst die Konkubine
des Andronikos betrifft, so spricht alles zu ihren Gunsten
und nichts gegen sie. Einmal verbrachte sie den grössten
Teil ihres Lebens ferne von Konstantinopel und wird daher
auch zu den Kreisen der Hauptstadt wenig Beziehungen
gehabt haben, so dass ein Brief des Glykas an sie schon
aus diesem Grunde sehr auffallend wäre. Dann aber ist ihr
ein Eifersuchtsmord aus inneren Gründen nicht zuzutrauen.
Schon als Kind verheiratet, wurde sie nach dem Tode ihres
Gemahls von Andronikos Komnenos zur Begleiterin auser-
Krumbacher: MicJuiel Glykas. 429
koren und führte an der Seite dieses stahlharten lieber-
menschen ein unstetes Wanderleben unter den asiatischen
Barbaren; selbst eine von Natur aus leidenschaftliche Person
wäre durch diese eigentümlichen Lebensschicksale wohl bald
milder gestimmt worden; zudem bezeugt Niketas Akom. 295,
5 ff., dass Andronikos Theodoren, die ihm zwei Kinder schenkte,
in treuer Liebe zugethan war. Von der dritten Theodora,
der Gemahlin Bohemunds III, ist wenig bekannt; da aber
auch sie infolge ihrer Vermählung den hauptstädtischen
Kreisen entrückt war, so ist schwerlich an sie zu denken.
Die von Du Gange aufgeworfene Frage, ob sie mit jener
Theodora identisch sei, die später den Andronikos Lapardas
heiratete und nach dessen Tode vom König von Ungarn zur
Ehe begehrt wurde, kann hier nicht entschieden werden;
wäre sie zu bejahen, so würde die Annahme, daas sie die
Mörderin sei, völlig ausgeschlossen; eine Dame, an der ein
solcher Makel haftete, wäre kaum von einem König gefreit
worden. Endlich kann auch die an vierter Stelle genannte
Dame, die bis zu ihrem Tode (1182) als Gemahlin eines
österreichischen Herzogs im Abendlande lebte, nicht in
Betracht kommen.
So wenig diesen drei Theodoren nach dem, was wir
von ihrem Charakter und ihren Lebensschicksalen wissen,
das im Briefe des Glykas erwähnte Verbrechen zuzutrauen
ist, so sehr stimmt dasselbe zu allem, was Niketas Akom.
von der erstgenannten Theodora erzählt. Selbst der kleine
Nebenumstand, dass Niketas (266, 13) sie schlechthin „^
ävey)iA Oeodcoga'^ nennt, spricht für unsere Annahme; denn
man kann daraus schliessen, dass diese Theodora als ,ydie
Nichte des Kaisers** xar' l^oxrjv galt, während eine von
den anderen Nichten dieses Namens in der Ueberschrift des
Briefes wohl durch einen Zusatz (etwa die Bezeichnung als
Königin- oder Fürstin- Witwe usw.) differenziert worden wäre.
VV^ie stimmt aber die Chronologie zu der Identifizierung der
430 Süzung der phüos.-phüol. Clane wm 1, December 1894.
Maitresse Kaisers Manuels mit der Adressatin des Olykas?
Die Briefe des Gljkas sind im vorletzten, teilweise vielleicht
im drittletzten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts abgefasst
worden. Das intime Verhältnis Manuels zu seiner Nichte
aber begann schon in den fünfziger Jahren (s. Niketas
Akom. 136, 5 ff.); allerdings hat sie sich lange in der Gunst
des kaiserlichen Oheims zu erhalten gewusst; denn in dem
Rückblick, mit dem Niketas die Schilderung der Regierung
Manuels abschliesst, nennt er (266, 13 ff.) bei der Erwähnung
des unmässigen Aufwandes der Anverwandten und Günstlinge
des Kaisers nur die Nichte Theodora und ihren Sohn
ausdrücklich mit Namen, während die übrigen in den Aus-
druck ^xal iipe^fjg htQoi^ zusammen gefasst werden. Da nun
die Beziehungen zwischen Manuel und seiner Nichte im An-
fang der fünfziger Jahre begannen, so kann die Zeit, in
welcher neben ihr auch ihr Sohnchen Alexios zu verschwenden
anfing, nicht vor Beginn der siebziger Jahre gesetzt werden.
Daraus wie aus dem wichtigen Umstände, dass Niketas am
Schlnss der Regierung des Manuel noch einmal ausdrücklich
auf Theodora zurückkommt, wird es wahrscheinlich, dass sie
bis in die letzte Zeit des Manuel am byzantinischen Hofe
die Rolle einer kleinen Pompadour gespielt hat. Wenn nun
aber auch Theodora bis zum Tode Manuels sich in einer
einflussreichen Stellung behauptete, so ist doch nicht daran
zu denken, dass sie gegen das Ende dieser Regierung als
eine schon im kanonischen Alter angelangte Dame noch
einen Mord aus Eifersucht beging. Andererseits kann der
Brief wegen der offenkundigen Benützung der Chronik und
wegen seiner Verbindung mit der Sammlung frühestens nur
in das letzte Jahrzehnt des Manuel datiert werden. Der
scheinbare Widerspruch löst sich durch die Annahme, dass
der Brief nicht unmittelbar nach dem Morde, sondern viel
später geschrieben worden ist; Anlass des Briefes ist ja nicht
der Mord, sondern die verzweifelte Seelenstinomung, welcher
Krumbacher: Michael GlyJcae, 431
sich die Prinzessin wegen ihres Verbrechens hingab; diese
Stimmung mag sie überkommen haben, als ihr Gönner Manuel
gestorben war und vielleicht auch körperliche Gebrechen,
das Gefühl der Vereinsamung usw. sie niederzudrücken be-
gannen. Weder in der üeberschrift noch im Texte des
Briefes findet sich etwas, was dieser Annahme widerspräche.
Zu ihren Gunsten aber lässt sich die Erwägung anführen,
dass eine so stolze und verschwenderische Weltdame, wie
Theodora auch noch gegen das Ende der Regierung des
Manuel gewesen sein muss, schwerlich schon in dieser Zeit
sich ernstlich mit ihrem Seelenheil beschäftigt haben wird.
Mithin ist auch dieser Brief höchst wahrscheinlich im vor-
letzten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts geschrieben worden.
Der Trostbrief, welchen Glykas an die fürstliche Mör-
derin richtete, ist in mehr als einer Hinsicht bemerkenswert.
Zwar sucht man in ihm vergebens nähere Angaben über das
Verbrechen und die bei demselben beteiligten Personen; nur
das eine geht aus dem Texte des Briefes noch deutlicher
hervor als aus der üeberschrift, dass es sich nicht etwa nur
um einen Mordplan oder Mordversuch, sondern um einen
wirklich ausgeführten Eifersuchtsmord handelt. Aber höchst
bezeichnend für die Geistesrichtung des Glykas wie für die
moralische Atmosphäre des byzantinischen Hofes ist die Art,
wie der Briefschreiber seine temperamentvolle Klientin zu
beruhigen sucht. Zuerst verwendet er allgemeine christliche
Grundsätze über die Vergebung der Sünden usw. und fügt
dazu die brauchbarsten Parallelen aus dem alten und neuen
Testament, besonders einige für seinen Zweck geeignete Aus-
sprüche des David. Dann aber entpuppt sich der Chronist
Glykas. Er stöbert nach passenden Exempeln in der byzan-
tinischen Geschichte. An Mördern, Giftmischern und son-
stigen Uebelthätern ist in der langen Gallerie byzantinischer
Fürsten, Prinzen und Prinzessinnen allerdings kein Mangel;
Glykas aber braucht erbauliche Mörder, er braucht Misse-
432 SÜMung der phäosrphäol. Classe vom 1. Decemher 1894.
thäter, die nicht an ihrem Seelenheile verzweifelten, wie
seine Adressatin, sondern darch Reue und Besserung ihr
Verbrechen söhnten und ihre Seele retteten. Er findet nur
drei solche Beispiele und zwei davon passen herzlich schlecht.
Alle drei aber sind charakteristisch für die streng kirchliche
Gesinnung des Glykas und für seine Lust an volksmässiger
Sagenbildung. Dass er die Geschichten, soweit es ihm nötig
schien, für seinen besonderen Zweck adaptierte, versteht sich
von selbst. Trotzdem bleibt noch so viel von der brutalen
Wirklichkeit übrig, dass die kaiserliche Dame sich durch die
Vorführung solcher Vergleiche aus dem moralischen Exempel-
buch der Vergangenheit recht wenig geschmeichelt fühlen
mochte. Das erste Beispiel ist Johannes Tzimiskes, der
den vortrefiFlichen Kaiser Nikephoros Phokas im Einver-
ständnis mit dessen Gemahlin Theophano meuchlings er-
mordete oder, genauer gesagt, durch seine Begleiter ermorden
liess, dann den Thron bestieg, seine Unthat durch Verban-
nung der Theophano und seiner Helfershelfer, durch eine
gute Regierung, vor allem aber — das ist für Glykas der
Prunkmantel, der alles zudeckt — durch die Aufhebung des
von Nikephoros Phokas gegen das masslose Anwachsen der
Klostergüter gerichteten Gesetzes wieder gut machte, ja, wie
Glykas meint, nach seinem Tode sogar heilig gesprochen
worden wäre, wenn nicht der schwarze Fleck des Mordes
im Wege gestanden wäre. Ganz anderer Art ist das
zweite Exempel. Hier greift Glykas in die früheste byzan-
tinische Geschichte zurück. Kaiser Theodosios der Grosse
liess wegen eines unbedeutenden durch plündernde Soldaten
veranlassten Volksauflaufes in Thessalonike ein furchtbares
Blutbad unter der Bevölkerung anrichten, bei welchem
7000 Menschen umkamen. Dafür wurde er vom Bischöfe
Ambrosius von Mailand mit dem Kirchenbann belegt; er
unterwarf sich und gewann durch demütige Reue Verzeih-
ung seiner Unthat und Rettung seiner Seele. Man sieht,
Krumhacher: Michael Glykaa, 433
dass das wohl nur durch eine unglückliche Verwickelung
von Umständen und durch blinden Eifer der ausführenden
Organe veranlasste Massacre in Thessalonike mit dem Fall,
den Glykas behandelt, wenig Verwandtschaft hat. Noch
weniger passt der dritte Fall: Kaiser Maurikios spielte
ein römisches Heer, dessen Zuverlässigkeit ihm verdächtig
vorkam, schmählich den Avaren in die Hände und weigerte
sich die Gefangenen, die ihm um ein massiges Lösegeld an-
geboten wurden, loszukaufen, worauf dieselben, 12000 an
Zahl, auf Befehl des Chagans niedergehauen wurden. Später
v\rurde der Kaiser in einem Traume von Christus gefragt,
ob er für seine Schandthat hienieden oder im Jenseits büssen
wolle. Er wählte das Letztere. Den Vollzug der Sühne
übernahm der Tyrann Phokas, der den Maurikios mit seiner
ganzen Familie tötete. Glykas scheint selbst gefühlt zu
haben, dass dieses Exempel wie das zweite mit dem Falle
seiner Adressatin wenig Verwandtschaft besitzt, und hat
wohl deshalb gegen die chronologische Ordnung zuerst den
Tzimiskes, dann den Theodosios, endlich den Maurikios als
Beispiele vorgeführt. Die Quelle seiner Erzählung war hier,
wie in anderen Briefen (s. S. 398), die eigene Chronik;
vielleicht sah er auch den Autor ein, den er schon in der
Chronik ausgiebig benützt hatte, den Skylitzes; doch finden
sich alle wesentlichen Züge, die er im Briefe erzählt, in der
Chronik des Glykas selbst. Nach diesen drei historischen
Beispielen folgt als Epilog noch die erbauliche Erzählung
des Palladios^) von dem Jüngling Makarios, der durch eine
fahrlässige Tötung seine Seele rettete, und als Schluss-
schnörkel ein Ausspruch des hl. Johannes Chrysostomos.
Das interessante Schriftstück wird im Anhang aus dem Cod.
Paris, gr. 228 zum erstenmale der Oeffentlichkeit übergeben.
Sicher zu bestimmen ist endlich der im Cod. Taur. und
1) Hist. Lauaiaca Cap. 17 = Migne, Patrol. gr. t. 34 Col. 1041.
434 Sitzung der phÜos.'phüdl. Classe vom 1, Decemher 1894.
in anderen Hss fehlende, aber in dem alten Cod. Paris. 228
und im Cod. Mosq. Synod. 435, wo die Briefe falschlich
dem Zonaras zugeteilt sind, als Adressat des zweiten Briefes
genannte Sebastokrator Mannel Komnenos.^) An Kaiser
Manuel Eomnenos, der allerdings vor dem Tode seines Vaters
(1148) Sebastokrator war, kann aus chronologischen Gründen
nicht gedacht werden. Jener Manuel Komnenos, der von
Kinnamos 232, 3 als Gesandter nach Russland erwähnt wird,
besass nicht die Würde des Sebastokrator; das Gleiche gilt
Ton Manuel Eomnenos, dem Sohne des tapferen Johannes
Batatzes, der 1182 von Andronikos Komnenos geblendet
wurde (Niketas Akom. 341, 7 ff.). Ein Sebastokrator
Manuel Eomnenos begegnet uns erst wieder im erstge-
borenen Sohne des Eaisers Andronikos Eomnenos. Dieser
seinem grausamen Vater wenig ähnliche, durch Edelsinn und
Gerechtigkeit ausgezeichnete Mann wurde nach der Ankunft
seines Vaters in Eonstantinopel i. J. 1182 zum Sebastokrator
ernannt, nach der Thronbesteigung des Andronikos aber, da
er sich weigerte, sich mit der elfjährigen Agnes, der Braut
des von seinem Vater ermordeten Eaisers Alexios II, zu ver-
mählen, eingesperrt und des Thronfolgerechtes zu gunsten
seines jüngeren Bruders Johannes beraubt, endlich nach dem
Untergänge seines Vaters Andronikos (1185), obschon er an
dessen Schandthaten unschuldig und denselben stets nach
Eräften entgegengetreten war, von Isaak Angelos geblendet.*)
Mithin kann Manuel die Würde des Sebastokrator nur ganz
kurze Zeit, von 1182 — 1184, besessen haben; denn, nachdem
er bei seinem Vater in Ungnade gefallen war, hat er mit
1) Adresse und Ueberschrift des Briefes lauten im Codex Paris,
(fol. 31'): T<p äyiq) fioi deaji6tfi xtp aeßaatoxQatOQi xvQ<p MavovrjX r<p
Kofivi]v<p. El XQV y^Qoaexeiv toVg Xiyovaiv, ou jtQooxaiQov stxe t6 omfJta
xax^ dgxag 6 äv&QcoTtog xai ou <pvaixoXg vnixeixo xai jiqo xfjg naQa-
ßdoecog na-&eoiv.
2) S. Du Gange a. a. 0. S. 191.
Krumbaeher: Michael GlyJccts, 435
seinen Rechten jedenfalls auch die Würde des Sebastokrator
yerloren und nach dem Sturze seines Vaters ist er geblendet
und schwerlich in seine Würde wieder eingesetzt worden.
Der Brief ist also sicher nicht vor 1182, wahrscheinlich
in diesem oder im folgenden Jahre geschrieben worden; ich
sage wahrscheinlich, weil die Möglichkeit nicht ausgeschlossen
ist, dass Gljkas dem Adressaten seinen einstigen Titel auch
noch in einer späteren Zeit, etwa unter der Regierung des
Isaak Angelos, zuerkannt habe.
Einen guten Stützpunkt scheint die unter Nr. 21 auf-
geführte Adresse za bieten. Denn der dort genannte Kaiser
Alexios kann, obschon sein Familienname in der Turiner
Handschrift verwischt ist, offenbar nur Alexios II (1180 bis
1183) oder Alexios III (1195—1203) sein. An einen Neffen
des Kaisers Alexios I (1081 — 1118) kann aus chronologischen
Gründen nicht gedacht werden; auch wäre dieser zur Zeit
des Glykas längst gestorbene Kaiser nicht mit den üblichen
Epitheten xQaxaiög und äyiog,^) sondern durch das Beiwort
äoldifjiog^) bezeichnet worden. Leider aber ist entweder
die Angabe bei Pasini oder aber die Fassung des
Titels in Codex Taur. irrtümlich. Wie in andern
Fällen (s. S. 426) wird der Briefschreiber auch hier nicht
den Namen des Kaisers, sondern den des Adressaten ange-
geben haben; und in der That lautet die Adresse in Cod.
Paris. 228: Tt^ äveyjKp xov xQotaiov xal äyiov fifA&v ßaoi-
keoyg xvQip 'AkeSio) rip KovxooTeq)dvcp, Damit stimmt
^er Cod. Mosq. Synod. 230 überein, nur dass dort, wenn
1) Der regierende Kaiser wird in Urkunden, Titeln usw. be-
zeicbnet durch Formeln wie xov xQaxaiov xal äyiov ^ficov ßaaiXswg,
zov xQataiov xai äyiov ^fxiov av'&evxov xal ßaatXeo)g usw. Vgl. Acta
et diplomata VI 124, 139, 140, 144, 153, 177.
2) Der verstorbene Kaiser heisst bei einmaliger Anführung ge-
wöhnlich äoidifiog. Vgl. z. B. Acta et diplomata VI 119, 127, 128,
181, 139.
I
436 Sitzung der phüosrphUd. Glosse tom 1, Deeember 1894.
anders die Angabe des Katalogs zuverlässig ist, ganz un-
sinnig der Genetiv xvqov 'AXe^iov steht. ^) Die Familie
Kontostephanos spielte unter den letzten Eomnenen eine
bedeutende Rolle.*) Zu den weniger bekannten ihrer Mit-
glieder gehört der Neffe des Kaisers Alexios Konto-
stephanos. Er war ein Sohn des Stephanos Konto-
stephanos und einer Schwester des Kaisers Manuel. Von
diesem wurde er i. J. 1161 zum General einer Abteilung
des gegen die Ungarn aufgestellten Heeres gemacht.^) Dann
erscheint er unter den Teilnehmern der i. J. 1166 zu Kpel
abgehaltenen Synode.*) Später hören wir nichts mehr von
ihm. Zwar erwähnt Niketas noch einmal einen Mann dieses
Namens, aber in einem Zusammenhange und in einer Weise,
die es unmöglich machen, ihn mit dem General Alexios
Kontostephanos zu identifizieren. Der Geschichtschreiber
berichtet nämlich (600, 19 ff. ed. Bonn.) aus dem Anfang
der Regierung Alexios' III (1195 — 1203), »ein gewisser*
Alexios Kontostephanos, seines Zeichens Sterndeuter, der
längst nach der Herrschaft trachtete und zu sagen pflegte,
man habe endlich genug an den Komnenen, sei vom Volke
zum Kaiser ausgerufen, dann aber ins Gefängnis geworfen
worden. Hätte Niketas hier den früheren General Alexios
Kontostephanos im Auge gehabt, den er ja in seinem eigenen
Geschichtswerk erwähnt hatte,*) so hätte er sich nicht des
verächtlichen Ausdrucks ,ein gewisser* (nva Kovrocrtiipavov
övdfiari *AXi^iov) bedienen können. Dagegen scheint sich
auf den General das von Du Gange®) edierte Gedicht zu
1) Archimandrit Vladimir a. a. 0. S. 290.
2) S. Du Gange a. a. 0. S. 180 f.
3) Kinnamos ed. Bonn. 211, 21 ff.; 212, 12 ff. Niketas Akom. ed.
Bonn. 166, 24. Die letztere Stelle ist oben S. 418 angeführt worden.
4) A. Mai, Scriptornm veteram nova collectio t. IV (1831) 55.
5) S. Anm. 3.
6) A. a. 0. S. 181.
Kritmhacher: Michael Glyhas. 437
beziehen, das in 14 Trimetern die Tapferkeit eines Älexios
Kontostephanos feiert. Mit völliger Sicherheit ist mit dem
General Alexios Kontostephanos eine von Fröhner und dann
von G. Schlum berger ^) herausgegebene ebenfalls in Tri-
metern abgefasste Legende eines Bleisiegels zu verbinden.
Da wir aber, wie gesagt, aus dem späteren Leben des Adres-
saten nichts Bestimmtes wissen, kann er zur näheren chrono-
logischen Bestimmung der Briefe nicht verwertet werden.
Zu den Briefen, deren Ueberschrift zur Bestimmung der
Zeit des Verfassers dienen kann, gehört endlich Nr. 40 des
Cod. Taur. (Migne a. a. 0. Col. XLV): 'AvtajioXoyrjrixdv
ex fJLEQOvg TtQog rrjv iyxeiQiO'&eToav airtfiß yQafprjv xov xQOtaiov
xal äylov '^jucov ßaaiXscog xvqov KofAVYfvov rrjv ojiokv&eioav
TiQÖg riva fiova^ov ijtijuejutpdjbievov ov juixgcog avnp did ye rö
rrjg äoxQoXoyiag fxdz&rjfxa xal (piXovtixovoav rö xoiovxov ovoxrj^
oao'&ai jud'ßfjjua (pvoixdig xal ygacpixaig änodei^eoi. Etwas
kürzer ist die Fassung des Titels im Cod. Paris. 228, wo
der Brief als der 33. fol. OS"" — 99^ steht: AnoXoyrjxixov ex
jucQOvg TiQog xrjv iyx^iQto'&eioav aixip yQa(pi]v xov XQaxaiov
xal äyiov ^/id>v ßaoiXecog xvqov MavovrjX xov Kojuvrjvov xov
äoxQovofjiixov fjLadifjfjiaxog evexev. Dass es sich in diesem
Briefe um Kaiser Manuel handle, hätte man erschliessen
können, auch wenn der Name nicht im Pariser Codex aus-
drücklich genannt wäre. Denn von Manuel wird authentisch
überliefert, dass er der astrologischen Geheim Wissenschaft mit
Leidenschaft ergeben war;*) Johannes Kamateros widmete
ihm ein grosses astrologisches Gedicht;^) welche Rolle aber
die von der Kirche nicht gebilligte astrologische Neigung
1) Sigillograpbie de TEmpire Byzantin S. 646. Die Verse lauten:
KovtooTe<pdvov rag yQaqpag 'AXe^iov
'Eyd} XQaxvvco Kofivrjvov rov f*rjtQÖ{^6v.
2) Niketas Akom. ed. Bonn. 126, 10 ff.; 200, 7 ff.
3) Vgl. meine Gesch. d. byz. Litt. S. 368 f.
438 Skiung der phüos.-pküol, Glosse vom 1, December 1894.
im Leben des Kaisers spielte, gebt am deutlicbsten daraas
hervor, daas er kürz vor seinem Tode dem Patriarchen einen
scbriftlieben Widerruf seines astrologischen Irrglaubens über-
gab : *AXkd xai negl r^g äaxQovoßiiag vno&riHfi xov tuitqiäqxov
ßgajiyv riva ;|jd^Tiyv VTieatjfitjvaio, ngog rr^v ivavtiav dd^av
jbte&agjuoo^eig.^) Aus dem Titel und Inhalt unseres Briefes
ist zu schliessen, dass Kaiser Manuel, was früher nicht be-
kannt war, selbst eine Schrift über Astrologie verfasste.
lieber die Zeit, in welcher der Brief des Glykas geschrieben
wurde, lässt sich nichts Sicheres feststellen; wahrscheinlich
aber entstand er in den letzten Lebensjahren Manuels; denn
es ist zu verrnnten, dass der Kaiser erst im vorgerückten
Alter und nachdem er wohl von seiten der Kirche schon
allerlei Vorwürfe wegen seiner Yerirrung erfahren hatte,
anfing sich auch mit der Theorie der geheimen Wissenschaft
eingehend zu beschäftigen. Jedenfalls aber ist der Brief vor
dem Tode des Kaisers (24. Sept. 1180) abgefasst worden.
Was den Inhalt des Briefes betrifft, so bekämpft Glykas,
natürlich im allerunterthänigsten Tone, die astrologische Qe-
heimlehre; seine Hauptargumente entnimmt er, wie gewöhn-
lich, den Kirchenvätern, besonders dem hl. Basilios.
Von den übrigen Adressaten vermag ich keinen derart
zu identifizieren, dass für die Zeitbestimmung der Briefe ein
fester Anhaltspunkt gewonnen würde. Der in Nr. 22 ge-
nannte Johannes Trichas, der in Nr. 25 mit einer etwas
verschiedenen Bezeichnung wiederkehrt, ist vielleicht der Me-
triker Trichas. Zu seiner Eigenschaft als „geistlicher Bruder
in Christo" würde es passen, dass er seinem metrischen Trak-
tate einen Hymnus an die hl. Jungfrau vorausschickte, in
welchem die Hauptmetren praktisch veranschaulicht sind.*)
Der Mönch Gregorios Akropolites gehört wohl zur
Familie des bekannten Historikers Georgios Akropolites,
1) Niketas Akom. 288, 4 ff.
2) Vgl. meine Gesch. d. byz. Litt. S. 286.
Krumhacher: Michael Glykaa, 439
aber ftir die Zeitbestimmung ist damit natürlich nichts ge-
wonnen. Auch der Stylit Johannes Sinaites ist nicht
näher bekannt. Man fühlt sich zwar versucht ihn mit jenem
Johannes Stjlites zu identifizieren, welchen Johannes Phokas
in seiner 1177 verfässten Beschreibung des hl. Landes als
bei der Laura des hl. Sabbas lebend erwähnt;^) aber die
Styliten durften ja in der Regel ihre Säule nicht verlassen
und der Adressat des Glykas heisst ,Sinaites^ doch wohl des-
halb, weil seine Säule auf dem Sinai war.
Zum Schlüsse sei noch kurz die Frage berührt, wer der
als Adressat von drei Briefen vorkommende Ilavoeßaaxog
2eßa<nbg xvQig KcovGTavrlvos 6 UaXaioXöyog sei. Allatius
und ihm folgend Oudinus, Lamius u. a.^) hielten ihn für
identisch mit dem Kaiser Konstantin IX Palaeologos
(1448 — 1453) und setzten deswegen den Glykas ins 15. Jahr-
hundert, eine Datierung, die mit Recht längst aufgegeben
ist, die aber, wie es scheint, noch eine letzte Nachwirkung
darin gefunden hat, dass in der Patrologie von Migne Glykas
erst in einem der letzten Bände, die den Autoren des 15. Jahr-
hunderts gewidmet sind, Aufnahme gefunden hat. Dass der
seltsame Irrtum von einem Kenner wie Leo Allatius herrührt
und dass er sich so lange behaupten konnte, gehört zu den
Rätseln in der Geschichte der byzantinischen Philologie. Die
Zuteilung der drei Briefe an den Kaiser Konstantin Palaeo-
logos ist schon dadurch völlig ausgeschlossen, dass sie auch
1) Vgl. Hipp. Delehaye, Les Stylites. Compte-rendu du 3°
congres scientifiqae international des catholiques tenu ä Bruxelles
du 3 au 8 septembre 1894, Bruxelles 1895 S. 209.
2) Vgl. Migne, Patr. Gr. 158 Col. I f. Die kategorische Be-
stimmtheit, mit der Oudinus seinen Irrtum vorträgt, mag zur Vor-
sicht in wissenschaftlichen Behauptungen mahnen: «Ex hac sane epi-
stola 35 et sequenti 36 et 41 ad imperatorem Gonstantinum Palaeo-
logum .... clarius luce meridiana constat, quo tempore floruerit
Michael Gljcas, anno nimirum 1450 et sequentibus, non anno 1120,
ut ab Omnibus hucusque scriptum est/ (Migne a a. 0. Col. XXXIV.)
1894. PhUoB.-phüol. n. hiat. Gl. 8. 36
440 Sitzung der phUaarphüol. Ciasee tom 1, December 1894.
im Cod. Paris. 228, der wenigstens 150 Jahre vor diesem
Kaiser gesehrieben worden ist, stehen, üebrigens konnte
Konstantin Palaeologos als Kaiser unmöglich den Titel navoe-
ßamog Seßaardq führen ; aber auch vor der Thronbesteigung
war Konstantin nicht Tlavöeßaarog Seßaarog, sondern Aeo-
noTYig (Phrantzes ed. Bonn. 118, 9; Dukas ed. Bonn. 232,
3 fiF.). Wir vermögen jedoch nicht bloss negativ darzuthun,
dass der Palaeol<^ Konstantin, an welchen die Briefe des
Glykas gerichtet sind, nicht der Kaiser dieses Namens sein
kann; der Adressat lässt sich auch positiv als eine geschicht-
liche Person und zwar als ein Zeitgenosse des Glykas nach-
weisen. Zwar bei den Geschichtschreibern des 12. Jahr-
hunderts wie Kinnamos und Niketas Äkominatos und in
anderen Profanquellen wird ein Pansebastos Sebastos
Konstantinos Palaeologos nicht genannt; sein Andenken
ist aber in einer kirchlichen Quelle erhalten. In der Liste
der Teilnehmer der i. J. 1166 zu Kpel abgehaltenen Synode
lesen wir ,rov Ttavaeßdorov oeßaorov xal jueydXov haiQOLQxov
(sehr. eraiQidgxot^) hvqov reoyQyiov xov üaXaioXoyov, tov
navoeßäoTov oeßaorov xal avradeXipov avrov xvqov
Koivoravrivov.^) Konstantin war also ein Bruder jenes
Grosshetaeriarchen Georgios Palaeologos, der unter Kaiser
Manuel i. J. 1163 als Gesandter nach Ungarn ging.*) Die
zwei Titel Tlavoeßaoxog Heßaorog, von welchen der letztere
ursprünglich nur dem Kaiser zukam, seit dem 11. Jahrhundert
aber auch an andere Personen verliehen wurde, ') sind unter
1) A. Mai, Scriptorum veterum nova coUectio IV (1881) S. 56.
2) Kinnamos ed. Bonn. 215, 2 ff. Mit diesem Georgios scheint
jener Georgios Palaeologos, der unter Kaiser Alexios III (1195—1203)
eine Rolle spielte (Niketas Akom. 593, 16; 679, 1) nicht identisch
za sein.
3) S. Du Gange, Glossarium med. et Inf. Graec. s. v. 2eßa<n6g\
G. Schlumberger, Sigillographie de TEmpire Byzantin S. 581 ff.;
M. Treu, Byz. Z. 4 (1895) 10.
Krumhaefier: Michael Glykas. 441
Kaiser Manuel und seinen Nachfolgern ziemlich häufig.^)
Wenn nun auch der Adressat Konstantin Palaeologos zu
einer genaueren Zeitbestimmung nichts beiträgt, so genügt
zur endgiltigen Entscheidung der Frage, die sich an ihn
geknüpft hat, der Nachweis, dass er unter Kaiser Manuel
lebte.»)
Mithin ergibt sich, dass Glykas einige seiner Briefe
unter der Regierung Kaiser Manuels und zwar wahrscheinlich
gegen das Ende derselben, einige nach dem Tode Manuels
geschrieben hat. Da man ferner wohl annehmen darf, dass
die Sammlung, wie die meisten byzantinischen Briefsamm-
lungen, ursprünglich chronologisch geordnet war, und da die
Briefe, welche mit Sicherheit dem drittletzten und vor-
letzten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts zugeteilt werden
können, an verschiedenen Stellen der Sammlung zerstreut
1) Eine ganze Reihe von Beispielen bieten die Akten der eben
erwähnten Synode bei A. Mai a. a. 0. S. 55 ff. Für das Ende des
12. und den Anfang des 13. Jahrhunderts ündet man Belege in den
Acta et Diplomata VI 129 f.; 142; 179.
2) In der neueren Litteratnr ist die Ansicht, dass Glykas dem
15. Jahrhundert angehöre, so gut wie völlig verschwunden; nur der
Archimandrit Vladimir, a. a. 0. S. 815, lässtden Glykas „um 1453'*
sterben und glaubt S. 275 und S. 296, die erwähnten Briefe seien an
den Kaiser Konstantin Palaeologos gerichtet. An der letzteren
Stelle identifiziert er auch den Andronikos Palaeologos (Nr. 13
der obigen Liste, bei Migne Col. XLV, Brief 44) mit einem Kaiser
dieses Namens und kommt daher zum Schlüsse, dass die Sammlung
nicht von einem Verfasser herstammen könne. Natürlich ist auch
die Annahme, dass der fieyaXodo^oxaxog xvgig Hvöqovixos 6 JlaXaioXoyog
ein Kaiser sein könne, unzutreffend. Derselbe Irrtum findet sich
übrigens noch in einem anderen kürzlich veröffentlichten Kataloge,
den ,Godd. mss. Graeci Ottoboniani rec. E. Feron et F. Battaglini,'
Rom 1893 S. 138, wo ein Brief des Glykas ,ad imperatorem Andro-
pulum (Andronicum?)* aufgeführt ist. Es handelt sich offenbar um
den oben erwähnten Brief, in dessen Adresse auch der Cod. Monac. 415
den Namen Andropulos statt Andronikos bietet.
86*
442 Sitzung der phüos.'pküdl, Glosse vom 1, Decemher 1894,
sind, so wird die Sammlung zum grössten Teil in diesem
Zeitraum entstanden sein.
Das Gesammtbild der Biographie und der litterarischen
Thätigkeit des Glykas dürfte sieh also folgendermafsen dar-
stellen: Er ist geboren im ersten Drittel des 12. Jahrhunderts,
wird 1156 in einen nicht näher bekannten politischen Prozess
verwickelt und eingekerkert, schreibt aus dem Kerker sein
Yulgärgriechiscbes Bittgedicht an Kaiser Manuel Kom-
nenos, wird trotzdem mit leichter Blendung bestraft, wendet
sich, infolge seiner Verurteilung in Not und Elend geraten,
i. J. 1161 abermals an den Kaiser und zwar wieder mit
einem volksmässigen Werke, der Sprichwörtersammlung,
der ein Lob- und Bittgedicht in der Form eines Prooemions
und eines Epilogs beigegeben ist, schreibt später, etwa im
7. Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts die seinem Sohne ge-
widmete populäre Chronik und verwertet endlieh im 8. und
9. Dezennium des Jahrhunderts seine naturwissenschaftlichen
und theologischen Studien, die schon in den Sprichwörter-
erklärungen und in der Chronik deutlich hervortraten, znr
brieflichen Beantwortung an ihn wirklich gerichteter oder
fingierter Fragen; durch einige dieser Briefe suchte er sich
wohl die Gunst hochgestellter Personen zu erwerben oder zu
erhalten, nachdem, wie es scheint, seine Versuche, sich dem
Kaiser selbst zu nähern, endgiltig gescheitert waren.
Dieses aus den historischen Thatsachen und Indicien
hergestellte Bild entspricht auch der Vorstellung, die wir
uns apriorisch von der Reihenfolge der Werke zu machen
geneigt sind. Es ist sehr natürlich, dass das politische Ver-
brechen und die mit ihm zusammenhängenden Schriften des
Gljkas in die überschäumende Jugendzeit fallen, dass er die
seinem doch wohl schon im Jünglingsalter stehenden Sohne
gewidmete Chronik als Mann verfasste und dass er endlich
im höheren Alter sich ganz der Frömmigkeit und theolo-
gischen Studien widmete.
j
Krumbacher: Michael Glykas. 443
Glykas gehört zu den in der byzantinischen Litteratur
so seltenen Vertretern der volkstümlichen Geistesrichtang,
und gerade in der Eomnenenzeit, in welcher der pedantische
Klassizismus jede populäre Regung mit dem Stigma der Un-
bildung brandmarkte und gewaltsam niederdrückte, ist eine
solche Erscheinung doppelt interessant. Es gehörte eine
mutige und stark ausgebildete Individualität dazu, um dem
damals immer mächtiger anwachsenden Strome der antiki-
sierenden Litteratur und Bildung entgegenzutreten. Sein Glück
konnte ein Mann mit so ketzerischen Neigungen natürlich
nicht machen. Wie Glykas schon bei Lebzeiten am Hofe
und in der gelehrten Welt nicht durchdrang und zufrieden
sein musste, wenn er einzelnen Gönnern seine Briefe widmen
durfte, so wurde er später von den anerkannten Führern der
Geschichtschreibung wie Niketas Äkominatos keines Blickes
gewürdigt. Sein litterarisches Lebenswerk ist nur zu ver-
stehen, wenn man es zusammenhält mit den Bestrebungen
und dem Charakter von Chronisten wie Malalas, Theophanes
und Georgios Monachos, mit theologischen Autoren wie Jo-
hannes Klimax, mit dem er auch die Vorliebe für das volks-
mässige Sprichwort gemeinsam hat,^) endlich mit den An-
hängern der vulgärsprachlichen Litteratur wie Ptocho-
prodromos.
Erst hier, nachdem das biographische und litterarische
Bild des Michael Glykas in den Hauptumrissen gezeichnet
ist, scheint es mir geraten, eine Frage zu berühren, die ich
bisher absichtlich bei seite gelassen habe. Niketas Äkomi-
natos ed. Bonn. 192, 13 — 194,22 erzählt eine seltsame und
ziemlich mysteriöse Geschichte, die einen Beitrag zur Ge-
schichte des mittelalterlichen Zauber- und Teufelglaubens
bildet: Kaiser Manuel Hess einen gewissen Seth Skieros
und einen gewissen Michael Sikidites blenden, weil sie
1) Vgl. meine Mittelgr. Sprichwörter S. 219 ff.
444 Sitzung der phüosrphüol, Classe vom 1. Decemher 1894,
unter dem Vorwande astronomischer Studien sich mit Zauberei
und anderem Teufelstrug befassten. Skieros hatte durch einen
verzauberten Pfirsich eine Jungfrau bethört und entehrt; Siki-
dites wurde beschuldigt, dass er durch Teufelsgewalt Sehende
blind machte, einem harmlosen Schiffer suggerierte, sein
Ruder in kleine Stticke zu zerbrechen, und in einem Bade
die Gäste durch pechschwarze Männer erschreckte. Beide
Bösewichte lebten noch mehrere Dezennien nach ihrer Ver-
urteilung, und zwar beschäftigte sich Seth nach wie Tor mit
Zauberei, Michael dagegen Hess sich zum Mönche scheren
und verfasste eine Schrift über die göttlichen Sakra-
mente, in welcher er, der göttlichen Gaben unwürdig, kin-
disches Geschwätz zum Besten gab (Sregog dk elg jxovajw
äno'&giSdßievog, XQ^^ varegov avyyqafifid xt negi töjv '^eUov
fxvarrjQlcDv ^vv&e^evog, ä(pfjx€ di* avrov xvv&v igvydg 6 rwv
^elcov do}Qeibv ävä^iog). Niketas sagt nicht, wann dieser
Teufelsprozess stattfand; da er ihn jedoch zwischen Ereig-
nissen der Jahre 1166 und 1167 (dem Sturze des Alexios
Protostrator und der Befestigung von Chliara, Pergamon und
Atramyttion^) erzählt, so ist anzunehmen, dass die Verur-
teilung der beiden Zauberer um eben diese Zeit stattfand.
Seth spielt später noch einmal eine Bolle, indem er i. J.
1185 dem Kaiser Andronikos Eomnenos wahrsagt, wer sein
Nachfolger sein werde,*) und in einer noch späteren Zeit
taucht auch Sikidites zum zweitenmale auf: unter dem Patri-
archen Georgios Xiphilinos (1192 — 1199) verbreitete sich
eine von Sikidites, wohl in der oben erwähnten Schrift über
die Sakramente, aufgestellte Irrlehre; der Nachfolger des
Xiphilinos auf dem Patriarchenthron, Johannes Eamateros,
1) VgL Muralt a. a. 0. S. 190 f.
2) Niketas Akom. 442, 5 ff. Auch Michael Akominatos (ed.
Lambros I 78, 7 f.) scheint in einem Briefe an den Patriarchen
Michael (1169 — 1177) auf unseren Seth anzuspielen: ,«a« ojtsQ tovs
Krumhacher: Michael Glykas, 445
verdammte dieselbe (um 1200) und sprach über ihren Ur-
heber das Änathema aus. Der Streifc drehte sich um die
Frage, ob der Leib Christi im Abendmahl yergänglich oder
unvergänglich sei. Ueber diese Angelegenheit berichtet eben-
falls Niketas Akominatos ed. Bonn. 681, 17 — 685, 11, und
der Umstand, dass er den Sikidites als rpevdofjtövaxog be-
zeichnet (681, 22), lässt keinen Zweifel übrig, dass er den
früher erwähnten Sikidites meint.
Die Schicksale dieses Michael Sikidites haben zweifellos
einige Aehnlichkeit mit denen des Michael Glykas: beide
wurden auf kaiserlichen Befehl geblendet, bei beiden wurde
die Strafe in milder Form ausgeführt und beide haben sich
später mit theologischer Schriftistellerei abgegeben. Auf grund
dieser Aehnlichkeiten hält nun Jean Boivin den Glykas
und den Sikidites für eine und dieselbe Person und vermutet,
statt des Beinamens 2!ixeXic6rov, den Glykas in einigen Hss
der Chronik führe, sei 2ixvdi(x)Tov oder Hixvdixov zu lesen;
den Namen Glykas habe Sikidites erst als Mönch angenommen.
Es lässt sich leicht nachweisen, dass diese ganze Kom-
bination falsch ist. Dass Glykas im Jahre 1156 verurteilt
und leicht geblendet wurde und dass er im Jahre 1161 seine
Strafe schon fünf Jahre hinter sich hatte, steht völlig sicher.
Wäre er mit Sikidites identisch, so müsste er rückfällig ge-
worden und um das Jahr 1167 noch einmal und zwar aber-
mals in milder Form geblendet worden sein. Das ist nicht
denkbar. Noch weniger glaublich aber ist, dasa die an theo-
logischem Beiwerk reiche Chronik und die theologischen
Briefe eines Mannes, der von der Kirche in aller Form ana-
thematisiert worden war, eine so grosse Verbreitung gefunden
hätten, wie das wirklich der Fall ist. Allerdings steht
unter den Briefen des Michael Glykas einer, der die erwähnte
Irrlehre des Sikidites behandelt. Es ist der 59. Brief, dessen
üeberschrift bei Migne, Col. XL VIII, notiert ist: ^Exi xal
Tovxo YfnoQYixai, ehe (pd'aQxrj ioxiv f} äyia xov Xqigxov juerd^
1
446 Sitzung der pkRosrphäol. Classe vom 1. Deceniber 1894.
Irjyng ehe xal äq^agrog. Der Brief ist nicht ediert, aber
schon der Umstand, dass er in die weit verbreitete Sammlung
überhaupt aufgenommen wurde, erhebt es zur Tölligen öewiss*
heit, dass die Frage darin im orthodoxen Sinne entschieden
ist. Dass aber Glykas eine gerade in seiner Zeit so aktuelle
Frage überhaupt behandelte, ist doch nur natürlich. Ueb-
rigens enthält der Brief eine neue Stütze der auf grand
anderer Briefe oben aufgestellten chronologischen Bestim-
mungen. Wie Niketas berichtet, begann die erwähnte Ketzerei
unter Georgios Xiphilinos (1192 — 1199) sich zu verbreiten;
mithin wird der Brief des Glykas kurz vor dieser oder in
dieser Zeit yerfasst worden sein. Zu den genannten Schwierig-
keiten kommen noch manche andere Bedenken. Z. B. hätte
Niketas Akominatos, wenn er beide Männer für identisch
gehalten hätte, an der Stelle, wo er von der späteren litte-
rarischen Thätigkeit des Sikidites spricht, doch auch die
Briefe und namentlich die Chronik, die ihn zunächst inter-
essieren musste, schwerlich unerwähnt gelassen. Endlich ist
zu bemerken, dass man beim Eintritt ins Kloster zwar den
Vornamen wechselte (und zwar in der Palaeologenzeit ge-
wöhnlich so, dass man einen Namen wählte, der den gleichen
Anfangsbuchstaben hatte wie der frühere)^) nicht aber den
Familiennamen. Sikidites und Glykas sind aber zweifellos
Familiennamen. Kurz, die Annahme Boivins widerspricht
allem, was wir von beiden Männern wissen, und sie darf
von nun an mit völliger Sicherheit als beseitigt gelten. Mit
völliger Sicherheit, obschon in einer Hs der Chronik Michael
Sykidiotes als Verfasser genannt wird. Das ist der Codex
Marc. 402, chart. saec. XIII, den J. Morelli*) beschrieben
1) Vgl. M. Treu, Maximi monachi Flanudis epistulae S. 189,
und Eustathii Macrembolitae quae feruntur aenigmata (Progr. Breslau
1893) S. 25.
2) lacobi Morellii Bibliotheca Graeca et Latina. Tomus Primus.
Bassani 1802 S. 266.
Krumhficher: Michael Glyhas, 447
hat. Ueber den Titel berichtet Morelli: „Hunc unum titu-
lum habet XQovixij ovvrojuog iniavva^ig; sed annotatio eius-
cemodi initio manu saeculi XVI. adscripta est avrrj tj ßißXog
ovvers&tj naga rov ^rjzoQixoyrdrov xal (pikoooqxoxdxov xvqiov
Mixar]k rov JJvxiökotov,'^ Diese Notiz, die eine so schöne
Bestätigung der Hypothese Boivins zu enthalten scheint,
kannte der gelehrte Franzose nicht; er konnte sie auch
nicht kennen; denn wohl niemand wird daran zweifeln, dass
die Hand des 16. Jahrhunderts, von der Morelli spricht —
junge griechische Schrift spätestens ins 16. Jahrhundert zu
setzen, ist noch heute eine weitverbreitete üble Gewohnheit
— in Wahrheit eine Hand des 17. oder gar des 18. Jahr-
hunderts ist und zwar die Hand eines Mannes, der die Auf-
stellung Boivins kannte und dieses Wissen in seiner Rand-
notiz verwertete.
Anhang.
I. Prooemion der Sprichwörtersammlung des Glykas.
Tov avTov ETEQOi TiQog rov ßaaiXea xvgöv Mavovrjk
rov KojuvrjvöVf ore XajujtQÖg äno OvyyQiag oreqpa-
vlrrjg vTteorQsipe.
"Hxeig xal jidhv, ßaodev, juerä kajUTZQcbv rgoTzalcov,
fjxeig xal nähv, xQaraii, vixaig e^earejütjuivog,
rQonaia cpeQCOv agid^fiov juergov vneQvixcovra'
rjxeig iv xaroQd^cojuaoiv cpaiÖQoTg coQal'ojbievog,
5 orecpdvoig ävadov/ievog rrjv xeqjakrjv jbtVQioig.
YJxeig naficpaivoiv eojtsQog, XdjUTtcov ex rfjg eoTiSQag,
€(p€ najucpaeorars, JtvQcpoQe, cpaeacpoQe.
TJxeig rifiiv ävalfjuaxrov rrjv vlxi]v ificpavlCcov '
Abweichende Lesnng der Handschrift (Codex Paris, gr. 228
fol. 25' — 25''): 4 d>Qaia/zsvoig
450 Sitzung der pkäosrphSol. Glosse vom 1. December 1894.
xal nagogylaag juev ^e6v rov vtpiorov, tbv ävco,
70 av/uragogylaag dk 9eov x6v öt&ieQov, rbv xdtco,
x6 abv ^ecDWßiovfievov, fieyiarov, ^eiov xQarog,
ov xax airräg rag ngd^etg fiov rrjv xdxoyaiv V7is<nr}v,
äX3C iÖQijtivSü} Tfjv ijuifv, Jigadtate, xaxiav,
äiX^ ine^fjl&tg raXg i/mtg, (püoixre, nirijLifieXeiaig,
75 Saov inioxs^fjvai fie xtjg 7iQ(oipf xaxovgylag
xal oüxpQOvrjoavxd Ttoxs ngog Ifiavxbv axQatp^vai.
xal diov 3v xfirj&'^vai fie tiqoqqiI^ov ix xov ßlov,
oTa (pvxdv ovx eVfxaQnov, qnnbv äxav^(p6QOV,
äU.^ 6 xaXog 6 xi]7i€tnr]g, 6 ^eiog qjvxtixofiogy
80 b 7iAvoo<pog fieleöcovbg xovds xov nagadeujov,
xbv bxerbv xbv aixiov ovoxgdv xtjg äxagnlag,
fiYj Ttov xal X&&fi nkelovag ßXaoxovg Aygiovg &Q€y}ag,
xal fJf^XQ^ xovxov axrjoag ßioi xrjv nalöevoiv xrjv ^etav,
fJQÖevoag äXXoig bxexoig noxlßioig xal yovifioig
86 Tiialvovol fiE day>iX<bg, xQoq)ifioig, Cfpoyovoig,
olg Agdevöfieyog xal ^d> xal xQefpofxai xal d'dXXo)
xrjg ofjg vTteQevxb/xevog h'&elov ßaoiXelag.
xal xolg iyxdgjzotg ifiaxnbv naQe^ioovv e&eXco
xaxd xb ivXov xov Javld xb nagd dieibdovg
90 T^dg x&v vddxcDv qyvxsv&kv xal xovg xagnovg ixxgecpov
x^g orjg jue noXvx^vfiovog Jtrjyfjg xaxagdevovorjg
xal xtjg ojielgov ;uva«ö>c xtjg jiXovxodoxidög oov
xooavxtjv xrjv hiiöooiv ^x^"^ ^*^ ^^ ßeXxUo
xal JigooXajußdvcov avitjoiv xooov eig evxagnLav,
95 oaov evgvveig fiot rdg" odg (pXißag xtjg evTiogiag
xal xdg ixxvoeig ßXv^eig juoi xq)v evsgyerrjjudxcov,
89 Psalm. 1, 3 ro fvAov z6 jis(pvTSvf4.evov jtoQa tag dis^ödovs z&v
vddtcov
69 T<5r ävco 70 t&v xatm 71 •^sowfiovfisvov mit o) über
dem ersten o von erster Hand 83 axrjoaig 90 ixxQeqfxov
Krunibaeher: Michael Glykas. 451
ovK äQyvQcag, o (paoiv, vjiavacrüo/jiov /levag,
(bg ex Tivog ooi noxafiov qeeiv &QyvQodivov,
allä xQvoeag 5Xag juoi XajujiQov änooxiXßovoag,
100 dyg i^ avrov xov noxajjiov qssiv %Qvoiodlvov,
x6 obv jukv ovv ßaoiXetov, vipioxov, d'eTov xQOxog,
6 oxexpag ae najußaodevg xal vlxaig xaxaoxhpag
xvxXoig YjUov xQOVixoTg juaxQoTg ovfuiaQexxeivai
xal vixag ooi dcDQi^oaixo xaxä xcbv äXXoq?vk(ov,
105 sl xov iouiov xoXfxr}oei xig avxäQai ooi xäg xelQag,
(bg äjtav x6 vmqxoov x^Q^'^ jLieydXi^v x^^Q^^'^f
(bg äjioXaveiv xad'aqäg eiQijvfjg xov Xaov oov,
i]v oxa'&eQOLv eßQaßevoag dxajudxoig xajudxoig.
dXX^ äQxi, noQ(pvQ6ßXaox€, xgdxioxe ßaoiXecov,
110 xaiQog eoxi drjXwoai jue, TiQÖg oiov devÖQOv (pvotv
juexeyxsvxQioag i/iavxdv xal ^evo)g vnaXXd^ag
i^rj/LceQci'd'riv evyevöjg i^ dyQioxrjxög /llov.
ÖTKogag ovv ÖQetpdjuevog xov dQi§judv öXiyag
OTid Xsi/xöyvog vorjxov x(p xgdxei oov 7iQOO(peQ(o.
115 d(p^ ov oo(pol WeXXoi xiveg xal in^ ixeivotg äXXoi
XQvytjoai fxkv xaxä xatQOvg nQoe(pd'aoav elg xöqov,
ov jurjv de xal Xvjui^vao'&ac xovxov xrjv evxaQnlxxv,
xäv av'&ig lo(og exeqoi ÖQeipaod'ai ßov{Xi]'d'(boiv),
Soxai xäxelvoig 6 Xeijucov ä(pd'ovog xaQnoddxtjg,
120 ov xoig TzoXXolg dvijußaxog ovöe nov xexXeiojbtivog,
äXX'' äjtaoi TiQoxeifJLevog ß'dXXcov elg änav exog.
xal xi xö 7iQoo(peQ6fievov ; ai ö^ av ojiöjQat noZai;
avyxaxaßdg /uoi x^Q^^^^ fiLXQÖv rdg dxodg oov '
xö d(OQOv ydg elg dxofjVf äXX^ ovx elg yevoiv xeivei.
97 6<paoiv 100 ;fßt;a«o5»'ov] dgyvQodivov 103 ovfiJtaQsxtivsi
105 Xvjtov avTagat 107 reo Aoc5 103 dxafxdrois] dxcofiaooig Der
Schreiber meinte vielleicht : dx6f4a ooTg 112 k^rifisQo^v mit (o über
o von erster Hand dyQTjötrjTog fiov 115 snsxelvovg 118 xdv\ xal
121 ^dXXov
452 Sügung der pkOoB.-phüol. Clasae vorn 1, Deeemher 1894.
n. Brief des Glykas an die Prinzessin Theodora.
Tfj neQiJio&tJTcp ävexpiq, rov xQaraiov xal äyiov ^/iicbv
ßaoiXicDS xvgq, 0€odd>Qq, ä'&vßiovo]] o<p6dQa xal Tfjv
lavr^g änoyivcoaxovofj acortjQiav di^ 8v iToXjLifjoe
q)6vov inl tivi yvvaixl C^XorvJiiag evexev.
El xal dedihat nQOorjxei t6 rov ^vdrov aiqrylSiov xal
TTjv fifiexiQav awrrjQlav äjioyivcooxeiv, et ye fii} ^egfioig xexQ^-
fie&a ddxQVOiv, et ye ßii] xarayivcioxo^ev eavrwv, i(p^ ok xad^
ixäarrjv TigooTnaloßiev, — el ydg xal ßiij xarä nodag fifiiv
5 fj '^eUx dixtj itphtaxai äre rov ^eov fiaxgo&vfiovyiog xal rijv
fjjbiöjv Ixdeyofiivov juerdvotav, AXX* iy/i nore Jidyxoyg egx^ai
xdvrev&ev ixaarog dginetai xd rijg xaxlag ijiixBiga, — xal
rovTO iarlv, Sneg h ipakjuöig MXeyev 6 '&eiog Aavld' *Edv jbii]
iniorgacpfjre, rtjv ^ojLKpatav avrov ariXßiboei,^) rgsfieiv ovv
10 ^l Tovroig xal xaraTtii^Treo'&ai ä^iov, Sri xal (poßsgöv tö
€/i7ieo€iv eig x^^Q^^ ^eov l^wvrog,^) xal Sga rov Tigoqn^rtjv
xal ßaotXea Aavld, nibg iv axi^f^ari rcmeivip xal avvrgißfj
xagdtag inomro rijv ditjoiv' iTieidrj ydg ovx i&dggei Jtavrslfj
rwv i7traiajLL€V€ov alrtjoai ovyxiogfjoiv, xovcpotegav avrwv ye-
16 veo^ai rtjv rijuayglav Ixheve' Kvgie, keyoyv, ju^ reo dvfico oov
iXey^rjg fie jurjök rfj ogyfj aov naidevofjg jus, Sri rd ßiXrj oov
iveTidyrjodv fioi xal ineorrfgi^ag Iti* ijbih rrjv X^^^ oov,^)
oriXßiboEi jbLsv ovv, (bg slgrjrai, rrjv gofKpalav avrov xad^
rjjucbv, €i7ieg, e(p^ olg öXtod^alvofxev, dvdXytjrot fxhnoi jbtsvov/iev
20 ^oi dvemorgoq)oi. el ydg oipe note rov nd'&ovg iavrovg dno-
ondoofiev r7\g ngotegag fxhv xaxlag d(piordfji€voi rekeov, rfjg
de Tigög dgerriv (pegovorig xal jidvv Jtgo&vjuwg ojvtdfievot —
Den Nachweis der Bibelstellen verdanke ich der Liebenswürdig-
keit meines Freundes Dr. G. Wejman.
1) Psalm. 7, 13 2) Hebr. 10, 81 8) Psalm. 37, 1-2
Abweichende Lesung der Handschrift (Cod. Paris, gr. 228 fol.
154^ — 166^): 14 efjutjaiafievo>v doch ist jn vor -Tiz halb ausgestricheti
22 Zu der Ellipse von öSov vgl. Byz. Z. IV 202
Rrumhacher: Michael Glylcäs. 453
MxxXivov yäg, (prjotv, änd xaxov xal Tioirjaov äyad-öv,^) —
xal TiQoodexcrai fjfiäg iniGXQetpovxag xal wg vlovg äkrj'&tbg
äya7tijo€i xal Tififjg ort noXirjg ä^icoaei, öroXi^v re rrjv tiqo-
xBQav svdvaei, röv juooxov '^vosi xov oirevrdv xal rd äXXa
Tzdvra notYjoei, oocmeg iv evayyeXioig '^xovoajütev.^) ovöenoTe 5
yaQ Tovg ngög avrov enKnQecpovxag &JiooTQeq>ei:ai, aXXä naxQi-
xaXg ayxdkaig ola xov äocoxov dyxaXiCexai, fxi] de&td'i xoiwv
fjLrj&e xrjv ocoxrjQlav xrjv ofjv äjtoyivcooxe' ei ydg xal (povco
jzsQiTieacojuev, ov xbIqov ov&ev, el xal xdg x^^Q^^ fjfAxbv ä'&cpoig
juidvcojuev atjbuxoiv, dil^ idv ijtioxQaipcbjbtev 6kcnpvx(og nQog 10
xvgiov, ovx dnoaxQhpei xohg dcp'&aX/iovg avxov ä(p'''^/id)v,
dXM xal TtQOodi^exai deojuivovg fjfmg xal ngäov äxevioei xal
fjfjLBQOv' ^E7tiaxQd(pr]xe ydg nqog jäe xal ejitoxQaqyj^aojbtai ngdg
v/uäg,^) did xov 7tQO(prjxov Makaxia Xeyei (6) xvQiog. xal jufj
juv'&ov fjyov xd Xeyofieva, dkX^ oQa xov KäCv exetvov xal xov 15
Ad/iex eyxXrjibiaxi juev öjuoicp xal äjbi(pco nsQiJteoovxag, ovx i^
loov de ojüLCog xijLLCOQrj'&evxag did ye xd xfjg jtQO'&eoecog ävioov.
6 juev ydg Kd'iv dnovolq. xal fiexd xijv ajuagxlav xdxoxog
evQB&elg xtjv '&eiav xal ndw dgyrjv öixaicog ejieojtdoaxo '
ovde ydg oxi xax^ ddelq)ov ijueihrjoe xal xov I^fjv avxov 20
ddixcog voxeQrjoev, ovxcog dovfjma'&cjg ijuacxl^exo — jrd>? xal
ydg etji€Q ovx eoxiv d/iaQxia vixcboa xtjv cpdav&QComav xov
i?€ov,*) — dXX^ oxi xal cpovevaag ddekcpöv dvdXyrjxog efieivev,
dXX\ 6x1 xal nag* avxov xov eXeyxov dexdjuevog xov '&eov
xQVTtxeiv eonevöe xd dfxaQXYifia' Mrj ydg, (prjoi, cpvXa^ eijul 25
xov ddBX(pov juov;^) \\ o'&ev xal xXövog avxcp xrjvixavxaM. 155'
\) Psalm. 83, 15 2) Luk. 15, 22 f. 8) Mal. 8, 7 (dort im-
oxQsxpaxe st. ijtiazQcicprjTe) 4) Derselbe Satz kommt in einer ano-
nymen Sprichwörterhermenie vor und vielleicht hat ihn Glykas aus
einer solchen geschöpft; s. meine ,Mittelgr. Sprichw.* S. 107, 15 und
vgl. dazu E. Kurtz, Blätter f. d. bayer. Gymnasialschulw. 1894 S. 182
5) Gen. 4, 9
7 dyyalais 9 iasQutiqofisv mit a> ober o von erster Hand
14 MaXaxia] f^ixctiov 21 ddincos] diKoiwg
454 Süeung der phüo8,'philol. Glosse «om i. Beeemher 1894,
fieX&v^) idldoto xd hintfuov, rivog hfsxev; Sri x^^Q^^ avrov
xal 7i6dag xal näaav anXoK Tfjv la^vv xaxä rov idiov öficu-
fiovog oiTtXtoev, i<p* c^ xal dixauog 6 ä&hog öko/iekei rgöfio)
xatedixdCero. 6 de Adfiex >«o#' eavxov rifv y}^q)ov av&aiQE-
6 T(oc hi€veyx(bv xal ovtmg eItkov ^ÄvÖQa änexreiva eig TQavfia
ifiol xal veavloxov etg fia>k(ona ijuol, xai Sri ix juhv Käiv
ijtidxig ixdedbcfixai f ix dk Adfiex ißdojbLfjxovxäxig inxd,^)
(piXav&Q(onlag ev'&icog el xal xaxddocog ovxog ^iiayro. roaavta
xal y&Q i} jLtexdvoia övvaxai naq* avx(p x(p ebiovxi' Ovx
10 fjX'&ov xaüaai dixalovg dAA' ofiaQxioXovg eig juexdvoiav.^) oqa
rov ovaxavQü}'&ivxa Xfiaxtjv x<p xvgUp • xal xb xfjg a^vfiSag
ßdqog AjidQQutte* Sga xov x'^g fiexavovag loxvv öidövxa xal
xö x^g äTtoyvc&aecog viipog öidXve. ov ßiövov ydg ixeivog xo
xijg ^aupovlag djievbixeto fuaoßia xaxayivcooxcov eavxov xal
15 olov ebiuv i^ofioXoyovfievog iv avx<p xcß oxavgco, äXiä xal
xov TtaQadeioov olxtjxcag naQaxQfjfJ^ iöelxwxo. exetg eig naga-
/tiv&iav aov xal xov Xfjaxifv ixeivov xov iv xöig ßioig xwv
Ttaxegiov ävayQaipofxevov,^) xal ntbg ydq ovx exeig, emsQ
ivevTjxovxa fihv ngog xoTg ivvia xfjg i^oyfjg xavxrjg ioxeQrjoe,
20 ovyyviojbLrjv ök öi* vTtaxofjg, icp* olg (bUo'^oev, evgaxo; jui}
o^ övaxeQCuve firide xtjv ocoxrjQlav xrjv otjv djioyivoyoxe.
xaxöv jbtiv ovv 6 <p6vog ioxl xal xaxwv xdxiaxov. xal jzöjg
ydg ov xdxioxov, ei ye xal xavxondd'euiv im xolg (povevoiv
6 Tzalaiög xal i^eiog vöjuog (OQiaaxo, 'O ixxicov ydg, (prjoiv,
25 aljLia äv^gconov ävxl xov ai/Liajog avxov ixxv'&rjoexai xb al/ia
avxov, 8x1 iv elxovi "^eov ijioirjoa xov äv&Qcojiov.^) did xi de
xavxa xal xlva xqojiov ovxco vevo/jLod'irfjxai; cbg ivxev'&ev xovg
fiiai(p6vovg ävaxaixi^eo'&ai xal /lltj rdg^ X^^Q^^ önkiCeiv xaxä
1) Gen. 4, 12: axivoDV xal tgifAcav eou im tilg yijg 2) Gen. 4, 2Sf.
S) Luk. 5, 32 4) Auf welche Geschichte Glykas hier anspielt, ist
mir nicht bekannt 5) Gen. 9, 6
2 6f4£/*ovog 19 agog tois] nQog jfjg 27 liva tgonov von erster
Hand ans tlvi xQonco korrigiert
i
Krumhacher: Michael Glyhas. 455
T^ff eixdvog rov '&eov, rov äv&QC&Jtov driXadrj, xal /nrj rovrov
XOLQiv d'avfxa^e firjde rov diaki]qyd'€Vta vö/uov fiyov q?0Qrix6v'
€1 yoLQ 6 €ig avTTjv ivvßQioag rfjv äxpv%ov elxova tov hiiyeiov
ßaodecog olxtQcp d'avaxcp xaTadixdCerai äre rfjg vßQccog dia-
ßaivovorjg inl xb 7iq(ot6tv71ov, JioXXcp fiäkkov 6 rtjv ejbiipv/ov 6
elxova TOV enovQavlov ßaaikicog xaxöjg ovrco xal äjiav&QO)-^
Ticog äjiooreQrjoag tov ^rjv. fJLeya juev ovv, (bg eq)i]iuev, 6 (povog
xaxov' äXX^ idv rig xal xomco jtsQuteocbv iavrov de xarayvco
xal xa'&aQOLV ejitdei^rj jüterdvoiav avvxQißfj xaQÖiag xal kouiaig
evjioilaig ^Qi^odfievog, ovyyvcojurjv ei ävdyxrjg evQrjoei naQ* 10
avrcp rcp ebiovxi Xqiotco' Aeme cl xoTticbvreg xal necpOQtio-
jLLevoi xdyo) ävanavoo) v/iäg,^) xal Jicbg yoLQ ovx ävaTtavoei
Tovg 7ie(poQxiofiivovg raXg äjbbaQriaig '^juäg, emeQ avrdg eoriv
6 aigcov rtjv äjuagriav rov xoojbiov;^) jurj oxvyva^e xoivvv jurjö^
enl Ttkeov oxv&QconaCe ' et yäq xal ßagv cpoQxiov ejie^OQxiod'rj 15
ooi, ei xaxä xbv TiQocpi^xrjv emeTv vneQfJQe xrp^ xeq?aki^v aov, ^)
äXkä xovxov xdQiv /irj öloxa^e, '^aggovoa de /uäkkov Jioooek'&e
xcp xvqUo xal xov ßdgovg avxixa xov(pioiJL6g ooi So'&ijoexai.
xal xovxo eoxiv, oneQ 6 juaxdQiog ekeye Aavid' 'Eyo) eljia
'EiayoQevo(ü xax^ efiov x^v dvo/uav xcp xvgiq) xal oh ä(pfjxag 20
xfjv äaeßeiav xfjg xagdiag juov.^) \\ äkV oqa cpikav&QOiTiiav d'eov' fol. 155'
ovxe yaQ (pövog ovxe fioixeia xov jiQoqjtjxixov xagiofiaxog elg
xekog eyvjLLvcDoe xbv Aavid ' äjua yäg ed'Qidfißevoe xb äjbtdQxrjjua
xal äßia xfjv äcpeaiv evQaxo, xal xov JiQocprjxeveiv av'&ig äjn^Q-
^axo. xal jto'&ev xovxo, d'^kov avxbg edeiSev 6 Aavid, ev 61g 2Ö
ekeye' KvQie, xä x^^V A*^^ ävol^eig xal xb axo/Lca juov ävay-
yekei xyjv aXveoiv oov, ^) xd x^^V f^^'^> äneq 6 (povog exkeiae,
xal xb oxöjbia /xov, oneg 17 fioixela oiyfjoai TteTZOitjxe,
Kai XI xQ'h ^okkd keyeiv; xd xQovixd diekd'ovoa ovvxd-
yjuaxa nokkovg dvevQiqoeig ixeioe xovg x^^Q^^ f^ aijuaoi XQ^' ^0
1) Matth. 11, 28 2) Joh. 1, 29 3) Psalm, 37, 5: ai avofxCai
firOV vjisQfJQav T^v xstpaX^v fiov, coaei (poQtiov ßagv ißagvv&tjoav est* sfis
4) Psalm. 31, 5 5) Psalm 50, 17
15 oxv^(o7ta^s 18 HÖJ von erster Hand aus jjoi korrigiert
1894. Philo8.-pliUo]. u. hist. Gl. 3. 37
456 Sitzung der phÜosrjMci. Clasae vom 1, Deceniber 1891,
vavxag, änaXlayivTag dk Sficog diä jueravoiag xov toiovtov
fiidojuarog, xal Tigdax^g, d ßovXei, tzqo x(bv äXXcov rrj xaxä
tdv avToxQdroQa 'Poyfiaicov 'Icoäwtjv röv TXifjitaxrjv iöxoQia})
xaQTtcoaei yaQ hneir&ev ov fxixqäv rrjv dxpiXeiav. Sri 6 ßaoi-
5 Xtbg ^(oxäg ov juixgdyg avtco xov IXifiiaxvj 'Icodwov atfy-
xQoxifjoavxog iyxgaxtjg xfjg ßaoiXeiag xa'&ioxaxai' ov noXv xb
iv jbteaq) xal ndafjg ägxrjg xaxdyei xdv TCiß^iaxtjv xal xcß Iduo
otxcp TiQOGfJLeveiv Ttotei' ävexov yäg elvai ovx fj'&EXe nagd xrjg
ßaaiXiaatjg d'^'&ev avxöv äyoTKbfievov. dJlA' ov (pigei xfjv vßgiv
10 ö T^ißuoxfjg, dXi^ ^^^X^ xa'&ijo'&ai xal xa'&^ iavxAv oix avi-
Xerai, ddxverai xfjv xagdiav, ov juixgcbg aviäxai, elg IjiißovX^v
hrtev^ev dvaTttetai xal (povov dgxvei xaxd xov ßaoiXecog 0o)xä.
itpiXxerai xovxov 'fj Oeotpavd) xal xaigov dgaSafievfj did xo<plvov
wxxog Avdyei ngog xd ßaaiXeia. xi x6 inl xovxoig; iq>iaxaxai
18 Xd^ga xcß ^cDxa in^ idd(povg vnvcoxxovxi, vvxxsi xov noda
avxov xal fitxgov dvaxa'&loai jzoiet elg de xig avxlxa xwv
avveX'&ovxcov avxco xaxd xov xgaviov xrjv ond'&rjv xaxdyei xal
(boel vexgov avxov xa^ioxq. xiva xd fiexd xavxa; ngoodyovaiv
avxov TCü» TCijuioxfj, fiwfiovg Jigooejiixglßovai, jiXvvovoiv vßgeoi,
20 xcDjucpdovüi, i^ov^evovai xal xeXevxalov xrjv xeq?aXf]v avxov
djioxoTtxovai xal did '^x^giöog xoTg Jiagaxoixoig avxov ijuKpavi-
Covaiv ' hagdooovxo ydg. xal ovxcog jukv 6 TXiiMoxfjg im xco
(pdvcp xov 0a)xä diaxi&exai. xrjg ßaoiXelag de yevöjuevog ey-
xgaxrjg ovx dnoytvcooxei xrjv ocoxrjgiav iavxov' xaxdyei ydg
25 avxixa xcöv ßaoiXeicov xrjv Seotpavä) xal xovg amö^eigag xov
0o)xä xrjg jiöXecog i^oy&eT' giqyvvoi xal xov xofxov, ov hü
ovyxvoei xfjg exxXrjoiag 6 0cüxäg e&exo, ovx öXiya xs äXXa
noieX Jigög äjiaXXayrjv xov iyxXi^juaxog, o'&ev xal xov d'eiov
1) Die Qaelle des Folgenden ist die Chronik des Glykas ed
Bonn. 672, 14 ff. Vgl. Skylitzes-Kedrenos ed. Bonn. II 375, 7 ff.
3 x^ifiioxvv 5 T^ifitaxri 7 r^ifiioxrjv und so im folgenden
12 dgriei 19 Zum Ausdruck nXvvovaiv vgl. meine Mittelgr. Sprich-
wörter S. 231, 57
Krumbacher: Michael Glykas. 457
vaov eioo) xoyQel xai naQa xov jzarQidgxov üoXvevxxov
Tcp diaörifxarL orSiperai xal etg xotvcovlav naQaXafxßdvsxai.
rooovrov de fjv eXerifjiCDV xai jidvrcov xrj66fiEvog, Sors, et [xr]
TO Tov (povov jbivaog vTtexQexe, xal roTg äyioig avrbv ovvrdx-
reo'&ai juerd d'dvarov, 5
^AXXä xal 6 [jLeyag Oeodöoiog^) äTteiQonXfj'd'fj laöv äovv-
rdxrcog ävaiQC'&'^vai TzagaxcoQT^oag ovx dnsyvco rfjv eavrov
oojrrjQiav ovd^ äjirjyÖQsvoe xfj jueravoiq ' xarayivcboxet de juäX-
Xov eavrov xal dtpoQio/uco vnonbttei xal rö do'&ev avtcp eni-
rijuiov ixcüv xaradexerai, od-ev xal rfjg eavrov ooyrrjQlag ovx 10
äjiorvyxdvei. xal ngdoxeg, et ßovXei, rfj xar^ avrbv loroQla.\\
ßaoikevg 6 fxeyag Seodooiog xar' ixeivo xaiQov rrjv ßaoMda
rcbv TioXeoyv d(pelg im rd xdrco f^egi] rijv ogjurjv enoieTro.
xareQxofxevog ovv xal rcbv rrjg OeaoaXovlxrjg öqIwv änrerai'
O'&ev orgaricbral riveg rfj noXei e(pioravrai xdgiv rivcbv XQ^^' ^^
ojöcbv xal rTjvixavra rov oxXov etg dra^iav eyeiQovoiv || aQnaya fol. 156'
;^e7^a xal äöixov rdig (hvloig ejLtßdXXovreg. dv&ioraviai ovv ol
rfjg TioXewg, e^a>d'ovoi rovg orgaricorag xal Xl&oig ßdXXovoiv
dXX"* ovx dvexrd ravra xal reo &eodoolcp doxet ncbg ydg,
et ye xal ngög ögyrjv i^rjipe juäXXov avrov; ddxverat rrjv xag- 20
diav, eig iavröv rd roXfXYjfia dexexat, ßagvaXyet, nXrjQOvrat
'fh)fjLov, intrQenet rd negl rovrov reo rfjg noXecog äQxovrt xal
og dneQioxenroyg ro ngäy/bta jbteTaxetQtod/btevog neoelv ävdgag
ejtoifjoev cboel ;|jtA«d^ag ejcrd. dnaiget xdxev&ev 6 ßaotXevg,
rrjv ejitoxonrjv MedtoXdvcov xareXaße — nöXig de ^IraXiag rd 25
MedtoXava — , ^rjreX jiQooxvvijoecog evexev etg rov vaöv etoeX-
'9'etv, dXX"* doroxel rfjg atrijoecog' dv&torarai 6 &eTog 'Afißgo-
oiog, TiQooeyyioat oXcog ronotg dytotg avrbv ovx ea, <p6viov
dfjd'ev ävdqa övra xal evayfj' fxäXXov jutev ovv xal dipoQtojiiotg
1) Quelle für das Folgende: Chronik des Glykas ed. Bonn. 476,
17 ff. Vgl. Kedrenos ed. Bonn. I 556, 7 ff.
4 /iioog 14 ovv] av 19 Nach ncbg yag scheint ein Wort wie
^avfiaoTov, '&avfzdasig usw. ausgefallen zu sein
37*
458 SitMung der fhäoa.'phiM. Clasie wm 1. Decemher 1894.
ifjuiedeL rl rd inl xovxoig; ov ^Qaavverai ßaoilevg Sv ovx
inonridq,' dixerai rd buxlfiiov' xagregei röv ä<poQiafwv woel
ju^vag dxTCO. eha xl; ngoonbitei* TtaQaxalei fAfjxiti xoiavxa
roljLifjoat' xa&vTtioxveirai' xd/iTnevat 6 '^eiog 'A/ußgöaiog'
8 dexBtai rovTov JiQoonvmovta xal tö>v htvtifiUov ekEv&eQoi xä
röv XißiiXov TtQ&teQov vojuo&ettjaavxa xal d>g ovx äv Jiote
noii^oeie xard rivog ine^eXevaiv , ei /itj rd jfjg vno&eaemg
nQWnov xaixbg dtaoxhpatro. nqdaexB Xoindv * el yctg xal fiiya
fiv t6 tov ßaoiXiwg &fidQxrifAa, äXkä xal jueiCcov y ixelvov
10 fierdvota, elodyu xolwv avxov irrög tov ^^elov vaov xal xwv
äyiaojj^drcov avt(p /ueradldcDoi. xaXcbg oiv ijil rovroig o fiaxä-
Qiog yfdXXei Aavlö' ^Ide r^v rajieiva)otv fiov xal röv xonov
fiov xal äq?eg ndoag xäg dfjLaQtiag fiov})
Oix fJTTOv de tov diaXfjqr&ivTog /leydXov Oeoöoolov xai
16 o ßaoiXevg Mavglxiog^) jutaupoviq. XQ^"^^ '^V'^ y^vx^jv ocDxrj-
gtag vategov Irvxe. xal ncog, äxove. 'Pcofxaixöv orgarov (baei
XiXiddag dcidexa nQtxpdaei dfji^ev dnoaiaoiag nagado'&fjvai, roig
ßagßdgoig hiivtvoev, äXkd xal eva Exatnov ii ixeivojv h
flfjdaei TOV rofilofiaxog ahovfievog i^ayyi^oaa&ai ov /bikv ovv
20 oöd' oXcog hiel&eto' &^€v xal ßagßaQixfj x^^^^ ^^^ x€q?aidg
&7iavteg äjierju^'&fjoav, ri to im xovroig; 'äXißexai 6 ßaoiXsvg' *
ddxvexai xr}v xagdiav eig xaxdw^iv egxexai' ßdXXsi jiöqqcd
710V xtjv djioyvcooiv ijil xdv fjLaxQd'&vfjiov xaxaipevyet '^eöv
xai9dji€Q xivxQ(p xcß ovveidöxi jiiaoxlCexar ixjtojujievei x6 afidq-
26 xfjjtia' dfjXov xovxo xal xoTg TtÖQQCO noiei' ngoanijtxei öia
yQafifidx(ov xoXg xaxd x^^Q^^ öoioig ävägdoi xal ngög xdv
^eöv avxovg ßieoixag jigoßdXXexai' inaveQX^^^ o Jigeoßvg'
#e£a yQdfXfiaxa JiQogxoßiiCei' fiav&dvei dC avxarv, (bg ätplexai
jaev avxcp x6 äjbLdQxrjjbLa, jtiex^ ödvvrjg ök xfjg ßaotXeiag exjtijixei.
1) Psalm. 24, 18 2) Quelle: Chronik des Gljkas ed. Bonn.
508, 12 ff. VrI. Kedrenos ed. Bonn. I 700, 6 ff.; 703, 21 ff.
1 ifiJtedeT wohl = iftjtedq, weshalb ich von der Aendening in
ifAJtedoT Abstand nehme 5 ikev^egsT mit oi über si von erster Hand
6 ovxäfmoxe 9 fiet^ov IS iv tjfiiav 28 nQOxofiKst
J
Krumbaeher: Michael Glykas, 459
ov noXi) rb iv fieocp xal övaq ogä tpoßeQOv' ÜQoxd'&rjTai 6
XQiOTÖg* Tiagiararai cbg xardxQirog' invcQbiexai ebielv, el
Jigoaxalgcog a)de ßovXetai na&eiv fj aicovicog exetos xoXdCeo'&ar
ovvercbg äjioxQiverai' rrjv ngdoxaigov aheirai natdevoiv i(p^
CO xal äxovei ' Uagadore avrdv 0ü)xä reo rvQdwq), ävUnatai 6
rov vTtvov ' ovx äTiicnei reo oQdßiari ' xaraXXdooerai reo 0ikiJi-
Tiixcd xrjvixavxa, || {o)v iv äoepaXei xareixsv elQXTfj diä tö fol. 156'
OTOixsTov TO $ TtQoxardgxeiv rov dvofAarog avxov, 9^/^^ y^Q
anavxaxov TteQietQexev, ou 6 Mavglxiov diade$6/ievog ev xolg
GTOixdoig Tov dvöjuarog avxov ngoxeray fihov ^x^i x6 0. od'ev 10
iv qwXaxfj diexeXei xaxovxovfievog 6 ^iXuiTiixdg, el xal fjLtjdkv
6 MavQixiog ivxevd'ev aTicovaxo. 0(oxq yäg xcp xvgdvvq) xal
ov x(p ^tXutTiixcp xd xfjg ßaoiXeiag ixafiievexo. iQWxq xolwv
jisqI 0(oxä ' juav&dvei, xig ovxog xal nd'&ev ioxi ' ylvexai xavxa
xal Jiigag 6 oveiQog dexExai, iniÖQdooexai x'^g ßaaiXelag 6 Ib
0ü)xäg xal xov Mavgbciov avxtxa xifiwQeixai nixQcbg. ol ydg
Ttaideg avxov nevxe de Svxeg xov dgid'fjLOv ivconiov avxov tiqö-
xeQOV ävaiQovvxai xal xeXevxaTov ovxog ^l(pei xrjv xefpaXrjv dno^
xijuvexat, fjurjöev äXXo Xeycov fj xovxo' Alxaiog el, xvQie, xal dixala
fj xQiotg oov}) &&ev xal xfjg avxov ooyxrjQiag oix änoxvyxdveL 20
Mi] axvyvaCe XoiJiöv jutjd^ inl nXeov ädv/iei xoiavxa xal
xoaavxa xexxrjfievYj xd nagaöeiyfxaxa, et de xal di^ atfiaxog
ixeivog xb xfjg fjuaicpoviag dneXovoaxo fxiaofJLa, dXX* oida/uev,
oxi xd inlfiova ödxgva xal fj iv neigaofioTg evxdgioxog yvcbfiri
xax^ ovöev xov fxagxvgixov öievrjvoxaaiv aXjuaxog, fidv&ave 25
ovv ivxev'&ev, oxi noXXal xal öidcpogoi al xtjg ooxrjQtag fjfjLibv
ööol xal äXXog juev ovxcog, äXXog dk eregofg xcbv nXrnjifieXeubv
1) Ebenso oder ganz ähnlich zitiert Maurikios in den filteren
Quellen. Die Originalstelle, Psalm. 118, 187 aber lautet: Alxaiog si
XVQ18 xal BV'&sTg ai xgloeig oov.
5 naQadoxai amat 7 <d)v] in der Hs ist wegen eines Motten-
loches nur noch v zu erkennen 7 siQxij von erster Hand aus eiQxeX
corr. 9 diads^dfievog 11 xaxoxov/isvog Vielleicht aber gehört diese
Dissimilationsform dem Autor 27 äXXog] a^Jlco^ 27 äXXog] äXXoog
458 Sitzung der phüos.'phüöl, Glasae vom 1. Decemher 1894.
ifjLTcedet, rl tö ijil Tovroig; ov d'Qaovveiai ßaoiXehg Sv ovx
änonrida' dexetai rd eTcvtifxiov xaQXSQel rdv äq)OQiofi6v (boei
jw^vag oxTCo. eha xl; nQoonbttei' naQaxaXei /irjxhi roiama
Tokfxfjoat' xa'dvjtioxvshai ' xd/iTtretai 6 'd'eTog ^A/ißgöoiog'
ß dsx£Tai xovxov TiQoonmxovxa xal xd>v ETCixifimv ikev&eQoi xä
xov XißeXXov TiQoxeQOV vojuo'&etrjoavxa xal d)g ovx äv ncne
noirjoeie xaxd xivog ene^ekevöiv, el jät] xä xrjg v7io&eoe(og
nQonov xaXcbg dtaaxhpaixo. ngooexe XovJidv ' ei yaQ xal /iieya
fjv xb xov ßaoiXecog äjLLdQxrjjua, äXXd xal /ütetCcov tj exelvov
10 juexdvoia. etodyei xolwv avxdv svxog xov d'elov vaov xal xcöv
äyiaojudxüyv avxco jLisxadidcooi. xaXcbg ovv ml xovxoig 6 jbtaxd"
Qtog y^dXXsi Aavlö' ^Ide xrjv xojtelvoyoiv fwv xal xov xojiov
juov xal äq)eg Jidoag xdg afxaqxlag jjlov})
Ovx ^'^'^ov dk xov diaXrjq)'&svxog fieydXov Oeodoolov xal
15 6 ßaoiXsvg MavQixiog^) jutaiq)ovia ;^^avi?€ig xijv tpvxiiv oa}xr}'
Qiag voxBQOV exvx^- 9ial Ticbg, äxove, 'PcojLiaixdv oxqaxov d)oel
XiXtddag dcodexa 7iQO(pdoei ÖYJ'&ev ojzooxaolag Jiagado'&fjvai xoTg
ßaqßdQoig inivevoev, dXXd xal eva exaoxov i$ exeivoiv iv
fifuoei xov vojuiojuaxog alxovfxevog i^ayvi^oao'&ai ov fihf ovv
20 ovS* oXcog inet&eto' öd-sv xal ßaqßaQixfj x^^Q^ ^^^ xetpaXdg
änavxeg äjiexjLtij'&rioav, xl x6 inl xovxoig; '&Xißexai 6 ßaoiXevg'
ddxvexai xfjv xagdlav eig xaxdvv^iv SQxsrai' ßdXXsi tioqqco
710V xrjv änoyvcooiv ijil xov fxaxgd'&v fxov xaxaq)€vyei '&e6v'
xa'&dneQ xevxQcp xcp ovveMxi jLiaoxlCexar exnofjunevei xb äjudQ^
26 xf]jLia' dfjXov xovxo xal xoTg tiöqqo) tioieZ' JiQoonbixei did
yQajujudxcov xoTg xaxd x^^Q^'^ oaloig dvÖQdoi xal Jigög xov
'&e6v avxovg fieoixag jigoßdXXexai' hiaveQxsxai 6 jcgiaßvg'
'd'eia yQdjUjuaxa JiQogxojulCei* fiavd'dvei di' avxcov, d>g ätpieiai
juev avxcp x6 äjudQxrjjLLa, juex^ odvvtjg de xrjg ßaoiXeiag exnbtxei,
1) Psalm. 24, 18 2) Quelle: Chronik des Glykas ed. Bonn.
508, 12 ff. Vgl. Kedrenos ed. Bonn. I 700, 6 ff.; 703, 21 ff.
1 IfjutedeT wohl = ifiJisöq, weshalb ich von der Aenderung in
iftneSoZ Abstand nehme 5 kXev&sQsX mit ot, über e< von erster Hand
6 ovxäfMtoxe 9 fjist^ov 18 Iv "^filov 28 TtQOXofiiCei
561
Yerzeichniss der eingelaufenen Druckschriften
Juli bis December 1894.
Die yerehrlichen Gosellschaften und Institute, mit welchen unsere Akademie in
Tauschverkehr steht, werden gebeten, nachstehendes Yerzeichniss zugleich als Empfsings-
bestätigung zu betrachten.
Von folgenden Gesellschaften nnd Institnten:
Boy dl Society of South Äustrdlia in Adelaide:
Transactions. Vol. XVIII for 1893/94. 1894. 8®.
ÄJcademie der Wissenschaften in Amsterdam:
Verhandelingen. Afd. LetterkuDde. Deel I, No. 8.
Afd. Natuurkunde. Deel II, No. 1—6. 8.
, III, No. 1-14. 1893. 80.
Zittingsverlagen. Natuurkunde. Jahrg. 1893/94. 1894. 8».
Verslagen en Mededeelingen. Letterkunde. 3« Keeks. Deel 10. 1894. 8°.
Jaarboek 1893. 8®.
Prijsvers Phidyle. 1894. 8».
Universität Athen:
Vorlesungsverzeichniss 1893/94 und 5 Schriften in griech. Sprache.
1885/93. 8».
Peahody Institute in Baltimore:
27. annual Report. June 1, 1894. 8^.
Johns Hopkins üniversity in Baltimore:
Circulars. Vol. XIII, No. 113. 114. 1894. 4«.
American Chemical Journal. Vol. 15, No.8. Vol. 16, No. 1—6. 1893/94, 8».
The American Journal of Philology. Vol. 14. No. 4. Vol. 15, No. 1.
1893/94. 80.
American Journal of Mathematics. Vol. XVI, No. 1—3. 1894. 4®.
Studies in historical and political science. XL Series, No. 11. 12.
XIL Ser., No. 1-7. 1893/94. 8«.
Bataviaasch Genootschap van Künsten en Wetenschappen in Batavia:
Verhandelingen. Deel 47, 2. Stuk. Deel 48, 1. Stuk. 1893. 4^
Tijdschrift. Deel 37, afl. 1. 2. 3. 1893/94. 8».
Notulen. Deel 31, afl. 3. 4. 1893/94. 8«.
460 Sitzung der phüos.^phüol, Classe vom 1. December 1894.
avTOv äjiaXXdöoerai xal ovre (p6vog ovxe xi äXko öeivöv rä
xov '&eov onkdyxvoL xXeUiv dvvaxai, xal xi XQV ^oXXä kiyeiv;
q)6vq) 7Z€QUi€o6vx€g JioXXdxig xivkg ov fi6vov ov xaxexQid"i]öaVj
äXXä xal jueyUjxrjv ivxev'&ev evgavxo xrjv oxpei^iav. xal äxove
6 xov legov IlaXkadLov' dirjyi^öaxo yäg 6 '&eiog ovxog ävrJQ,^)
6x1 vedneQog xig Maxdgiog xovvofxa äxovokp q}6vcp neQuisaäjv
eig eQfjjLiov etpvyev ' iviavxol dirjk&ov eXxooiv xal öxxo} xal xov
üakkadiov iQWXtjoavxog, {ncbg avxov 6 diakoyia/idg) hü xw
(p6v(p ixeivq) didxenai, £v;ta^eoT€<V eXeye xal Xiav avx(p' et
10 ju^ri yäg ^v avxog, ovx äv noxe oü)xrjQlag exvx^- ngög xovxoig
de xal xov Mcovoia JtOQrjyayev et jurj xov Alyvjtxiov exxeive,
Xiya)v, ovx äv xi]v AXyvTtiov ätpelg idganhevaev' ovx äv eig
SQfjßwv iqyvyev ovx äv '&€67ixf]g iyevexo, jurjöelg ovv, ei xal
xd fxiyiGxa nXYifJLfiekqoeiev, djioyLVCOOxhco noxe, ineidij xai
16 xiveg h judxf] neadvxeg xal xQavfiaxlxu yeyovöxeg ov fiovov
ovx igga^v/irjoav xrjv iavxwv dneyvoixoxeg ^0)riVj aXXd xal
dvioxi]oav, xal xolg ix'^Qoig ovvenXdxrioav xal naq* ekjiiöa
näoav h /^exoxfj axeipdvcov yeyövaoi, xaxä ydg xov XQ^^^Q-
QYjfjLova xal '&eiov ^IcDdvvfjv ov xö neoeTv xaxov, äXkd x6 Jieoeiv
20 xal fiYj dvaoxrjvaiy) <pa(vexai ydg ivxevd'ev, (bg exovxeg fifieiq
eig '^dvaxov eavxovg ngodiödaßiev.
i
1) Historia Lausiaca, Cap. 17 = Migne, Patrol. Gr. t. 34, 1041.
2) Gemeint ist wohl die Stelle im ersten Buche ,Ad Theodorum lap-
sam': Ov yag x6 tisobTv xaXenoVf aXXa to neaovxa xsTa^ai xal fitf dvia-
taa^ai, Mif^e, PatroL Gr. t 47, 285. Den Nachweis dieser Stelle ver-
danke ich Herrn Seb. Haidach er in Salzburg.
5 JtaXaSlov (zweimal) 7 sveavxoi von später Hand in sviavxol
korrigiert 8 Die Lücke habe ich nach PalladioB ergänzt 11 ncaaia
16 iga^fiijoav aneyvclyvse (vielleicht richtig?) 20 Nach fpaivexai yag
eine leere Rasur in der Ausdehnung von 2 — 8 Buchstaben 21 Zu jiqo-
Sidoaf^ev vgl. Phrynichus ed. Lobeck S. 245.
i
561
Yerzeichniss der eingelaufenen Druckschriften
Juli bis December 1894.
Die Yorehrlichen Gesellschaften und Institute, mit welchen unsere Akademie in
Tanschrerkehr steht, werden gebeten, nachstehendes Yerzeichniss zugleich als Empfangs-
bestätigung zu betrachten.
Von folgenden Gesellschaften nnd Instituten:
Boyäl Society of South Äustrdlia in Adelaide:
Transactions. Vol. XVIII for 1893/94. 1894. 8®.
Akademie der Wissenschaften in Amsterdam:
Verhandelingen. Afd. Letterkunde. Deal I, No. 8.
Afd. Natuurknnde. Deel II, No. 1—6. 8.
, III, No. 1-14. 1893. 8«.
Zittingaverlagen. Natuurkunde. Jahrg. 1893/94. 1894. 8^.
Verslagen en Mededeelingen. Letfcerkunde. 3® Keeka. Deel 10. 1894. 8^
Jaarboek 1893. 8^.
Prijsvers Phidyle. 1894. 8».
Universität Athen:
Vorlesungsyerzeichniss 1893/94 und 5 Schriften in griech. Sprache.
1886/93. 8».
Feahody Institute in Baltimore:
27. annual Report June 1, 1894. 8^.
Johns Hopkins üniversity in Baltimore:
Circulars. Vol. XIII, No. 113. 114. 1894. 4«.
American Chemical Journal. Vol. 15, No.8. Vol. 16, No. 1—6. 1893/94. 80.
The American Journal of Philology. Vol. 14, No. 4. Vol. 15, No. 1.
1893/94. 80.
American Journal of Mathematics. Vol. XVI, No. 1—3. 1894. 49.
Studies in historical and political science. XL Series, No. 11. 12.
XII. Ser., No. 1-7. 1893/94. 8».
Bataviaasch Genootschap van Künsten en Wetenschappen in Batavia:
Verhandelingen. Deel 47, 2. Stuk. Deel 48, 1. Stuk. 1893. 4^
Tijdschrift. Deel 37, afl. 1. 2. 3. 1893/94. 8«.
Notulen. Deel 81, afl. 3. 4. 1893/94. 80.
562 Verzeichniss der eingelaufenen Druckschriften,
KoninJcl. n(Uuurkundige vereeniging in Nederlandseh Indie zu Batavia:
Nataurkandig Tijdschnfb. Deel 63. 1898. 09.
Historischer Verein in Bayreuth:
Archiv für Geschichte von Oberfranken. Band 19. Heft 1. 1893. 8<^.
Serbische Akademie der Wissenschaften in Belgrad:
Godischiyak. V— VH. 1891-98. 1892—94. 8®.
Glas. No. 43. 44. 1894. 8^.
Spomenik. No. 23. 24. 1894. 4^.
K. preussische Akademie der Wissenschaften in Berlin:
Sitzungsberichte. 1894. No. 1—38. 1894. gr. 8^.
Acta Borussica. Band I der Behördenorganisation. 1894. 8^.
Abhandlungen aus dem Jahre 1893. 1893. 4P,
Politische Korrespondenz Friedrichs des Grossen. Bd. XXI. 1894. 8^.
Corpus inscriptionum latinarum. Tom. VIII. pars II. Sappl. 1894. fol.
Tom. VI, pars 4, fasc. 1. 1894. fol.
K, geolog, Landesanstalt und Bergakademie in Berlin:
Abhandlungen zur geologischen Spezialkarte von Preussen. Band X,
Heft 6 u. 7. 1894. 4«.
Permanente Cammission der internationalen Erdmessung in Berlin:
Verhandlungen der 1893 in Genf abgehaltenen Gonferenz. Berlin 1894. 4^.
Deutsche chemische Gesellschaft in Berlin:
Berichte. 27. Jahrg., No. 12-18. 1894. 8«.
Deutsche geologische Gesellschaft in Berlin:
Zeitschrift. Bd. 46, Heft 4. Bd. 46, Heft 1. 2. 1893/94. 09,
Physiologische Gesellschaft in Berlin:
Centralblatt für Physiologie. Bd. VIII, No. 7—19. 1894. B9,
Verhandlungen. Jahrg. 1893/94, No. 11—18. 1894. 8«.
Kaiserlich deutsches archäologisches Institut in Berlin:
Jahrbuch. Band IX, Heft 2. 3. 1894. 4^.
K, Geodätisches Institut in Berlin:
Jahresbericht 1893/94. 1894. 80.
Feier des 100 jährigen Geburtstages des Generallieutenants Dr. J.
J. Baeyer. 1894. 4®.
K, preuss, meteorologisches Institut in Berlin:
Ergebnisse der Beobachtungen an den Stationen II. und HL Ordnung.
1894, Heft I.
Ergebnisse der magnetischen Beobachtungen in Potsdam in den
Jahren 1890 u. 1891. 1894. 4^.
Jahrbuch Ober die Fortschritte der Mathematik in Berlin:
Jahrbuch. Bd. XXIII, Heft 3. 1894. 8\
Curatorium der Samgny-Stiftung in Berlin:
Vocabularium jurisprudentiae Romanae jussu instituti Savigniani.
Fasc. I. 1894. 4P.
Verzeichniss der eingelaufenen Druckschriften, 563
Verein für Geschichte der Mark Brandenburg in Berlin:
Forschungen zur Brandenburgischen und Frenssischen Geschichte.
Band VII, 2. Hälfte. Leipzig 1894. 8®,
Naturwissenschaftliche Wochenschrift in Berlin:
Wochenschrift. Bd. IX, Heft 7—10. Juli bis Oktober. Berlin 1894. fol.
Zeitschrift für Instrumentenkunde in Berlin:
XIV. Jahrgang 1894. Heft 7—11. 4».
Allgemeine geschichtsforschende Gesellschaft der Schweiz in Bern:
Quellen zur Schweizer Geschichte. Band XIV. Basel 1894. 8^.
Schweizerische Naturforschende Gesellschaft in Bern:
Verhandlungen. 76. Jahresversammlung in Lausanne 1893. Nebst
französischer Uebersetzung. Lausanne 1898. 8^.
Naturforschende Gesellschaft in Bern:
Mittheilungen. Jahrg. 1898. 1894. 8^.
Schweizerische geologische Kommission in Bern'
Beiträge zur geologischen Karte der Schweiz. Lief, VIII, Suppl. I.
Lief. XXIV, Theil 3. 1893/94. 4«.
Historischer Verein des Gantons Bern:
Archiv. Band XIV, 2. 1894. 8«.
Gewerbeschule in Bistrite:
XIX. Jahresbericht für 1893/94. 1894. 8».
B. Deputazione di storia patria per le Provincie di Eomagna
in Bologna:
Atti e Memorie. III. Serie. Vol. XII, fasc. 1—3. 1894. 8^.
Universität in Bonn:
Schriften aus d. J. 1893/94 in 4^ u. 8«.
Verein von Alt erthums freunden im Bheinlande zu Bonn:
Jahrbücher. Heft 96. 1894. 4».
Societi de geographie commerciale in Bordeaux:
Bulletin. 1894. No. 11—22. 8^
Schlesische Gesellschaft für vaterländische Cuitur in Breslau:
71. Jahresbericht für das Jahr 1893. 1894. 8^.
Historisch- statistische Sektion der mährischen Ackerbau- Gesellschaft
in Brunn:
Schriften. Band 28. 1894. 8^.
Notizenblatt 1893. No. 1—12. 4«.
Eunstarchäologische Aufnahmen aus Mähren von Alois Franz. 1894. 4^.
Acadimie Boyale de Midedne in Brüssel:
Bulletin. IV. Sdrie. Tome 8, No. 6-10. 1894. 8».
Mämoires couronn^s. Gollection in 8®. Tome XIII. 1894. 8®.
Academie Boyale des Sciences in Brüssel:
Bulletin. 8« Sör. Tome 27, No. 6. Tome 28, No. 7—11. 1894. 8».
SociSte des Böllandistes in BriMsd:
Analecta Bollandiana. Tom. XIII, fasc. 3, 4. 1894. 8®.
^^^ FerwicA«*»« ^^ eingdaufenenlDruckaehriften.
SoeUti entomologique de BeJgique in Brüssel:
Anoales. Tome 87. 1898. 8^.
Mdmoires IT. E. Brenske, Die Melolontbiden. 1894. 8^.
K. Ungarische Akademie der Wissenschaften in Budapest:
Mathematische u. natarwissenschaftliche Berichte aus Ungarn. Bd. XI, 2.
Berlin 1894. 8^^.
Ungarische Revne. 1894. Heft 5—8. 8«.
K, Ungarische geologische Anstalt in Budapest:
Földtani Közlöny. Band XXIV, Heft 6—10. 1894. 8^
Evkönjo. Band X, 6. XI, 1. 2. 1894. 8».
Mittheilangen aus den Jahrbüchern. Band X, 6. 1894. 8^.
Statistisches Bureau der Hauptstadt Budapest:
Publikationen. XIX. XXV, 1. 1894. 4^
Qast. Thirring, Geschichte des statistischen Bureaus von Budapest.
Berlin 1894. 8».
Botanischer Garten in Buüemorg:
Verslag over het jaar 1893. 1894. 49.
Mededeelingen uit'slands Plantentuin. No. XI— XIII. 1894. 4».
Institut MHeorölogique de Eoumanie in Bukarest:
Analele. Tom 8, anul 1892. 1894. 4P.
SociitS LinnSenne de Normandie in Caen:
M^moires. Vol. 18, fasc. 1. 1894. 4«.
Meteorclogicäl Department of the Ghvernment of India in Cälcutta:
Monthly Weather Review. February — June. 1894. fol.
Meteorolog. Observations. February — June. 1894. fol.
Memorandum on the snowfall in the mountain districts. Simla 1894. fol.
India Weather Review. Annual Snmmary 1893. 1894. fol.
Report on the Administration 1893 — 94. 1894. fol.
Asiatic Society of Bengcd in Cälcutta:
Bibliotheca Indica. N. Ser. No. 834-846. 1893/94. 8«.
Proceedings. 1894. No. 11— VII. 1894. 8®.
Journal. New Series. No. 833—387. 1894. 8\
Gedogical Suroey of India in Cälcutta:
Records. Vol. 27. part 2. Vol. XXVIII, part 3. 1894. 8^.
Memoirs. Palaeontologia Indica. Series IX!, Vol. II, part 1. 1893. fol.
Manual of the Geology by R. D. Oldham. 2. Edition. 1893. 4°.
Phüosophical Society in Cambridge:
Proceedings. Vol. VIII, part 3. 1894. 8«.
Museum of comparative zoology in Cambridge, Mass:
Bulletin. Vol. 2B, No. 7—11. 1894. S».
K. Sächsisches meteorologisches Institut in Chemnitz:
Deutsches meteorologisches Jahrbuch fQr 1898. Abtheilung 1 u. ü.
1894. 40.
Verzeichniss der eingelaufenen Druckacfmften, 565
Field Cdluwibian Museum in Chicago:
Guide. 1894. 80.
Zeitschrift „The Open Court'' in Chicago:
The Open Court. Vol. VIII, No. 856-363, 366—381. 1894. 4«.
Zeitschrift „The Monist'' in Chicago:
The Monist. Vol. IV, No. 4. Vol. V, No. 1. 1894. 8«.
K. Gesellschaft der Wissenschaften in Christiania:
Forhandlinger for 1893. No. 1—21. 1894. 8®.
Oversigt i 1893. 1894. 8».
Norwegische Commission der Europäischen Gradmessung in Christiania:
0. £. Schlötz, Resultate der 1893 ausgeführten Fendelbeobachtungen.
1894. 80.
Universität in Christiania:
Aarsberetning 1891-92. 1892 93. 1893-94. 8».
.Jahrbuch des meteorolog. Instituts für 1891. 1893. 4^.
Archiv for Mathematik. Band XV, 4. XVI, 1—4. 1892-93. 8».
Nyt Magazin for Naturvidenskaberne. Vol. 33, Heft 1 — 5. Vol. 34,
Heft 1 u. 2. 1892—93. 8°.
Annaier 1892, 1898. 8».
Th. Kjerulf, En Raekke norske Bergarter. 1892. 4«.
A. Chr. Bang, Dokumenter og Studier, den lutherske Katekismns*
historie. I. 1898. 8<>.
Historisch-antiquarische Gesellschaft in Chur:
23. Jahresbericht. 1893. 8.
IJatur forschende Gesellschaft Chraubiliidens in Chur:
Jahresbericht. N. F. 37. Band. 1894. 8^.
Chemiker-Zeitung in Cöthen:
Chemiker-Zeitung 1894. 48. 49. 62. 68—76. 78-101. fol.
Äcademia nacionäl de ciencias in Cördöba (Rep. Argentina):
Boletin. Tom XII, 1.3.4. XIII, 1—4. Buenos Aires. 1890. 1892/93. 8«.
Oficina meteorologica Argentina in Cördoha (Bep, Argent.J:
Anales. Tom IX. parte 1. 2. Buenos Aires 1893/94. 4^.
Universität Czernowitz:
Verzeichniss der Vorlesungen. W. S. 1894/96. 1894. 8^.
Uebersicht der akadem. Behörden im Studienjahre 1894/95. 1894. 8^.
Naturforschende Gesellschaft in Danzig:
Schriften. N. F. Bd. VIII, Heft 8. 4. 1894. 8«.
Historischer Verein in Darmstadt:
Archiv für Hessische Geschichte. N. F. Band I, Heft 2. 1894. 8°.
jßcöle polytechnique in Delft:
Annalea Tome VIII, livre 1. 2. Leide 1894. 4^.
456 Sitzung der phUoarphüdl. Glosse vom 1, December 1894,
^ vavrag, djiakXayevrag dk Sjbuog diä fxeiavoiag rov toiovrov
/ fiidafiaxog. xal Ttgöax^g, ^^ ßovkei, tcqö rwv älXcov rrj xaiä
töv avTOXQ&zoQa 'Pco/uaicov *I(odwrjv xbv TXi/JUOxrjv iaroQiq.^)
xaQ7id>OEi yoLQ ivrev'&ev ov fxixQov rtfv dxpiXeiav, on 6 ßaai-
5 Xthg 0coxäg ov ßiixgcbg avrcp xov TCijuiax'^ 'Icodwov avy-
xQOxijaavTog iyxgaxijg xrjg ßaodetag xa^iaxaxai' ov noXv xb
Iv jJiBocp xal 7tdot]g dgx'^g xaxdyei xbv Tl^ijjiiaxfjv xal xco idUp
otxo) TiQoofjiiveiv noiei' ävetov yäq elvai ovx rj'&eXe nagä xfjg
ßamUooYig drj'&ev avxbv dyan(i)fAevov. aXV ov q)€Q€i xfjv vßgtv
10 o T^ifuaxYJg, aX3C fjov^fj xa&^o^ai xal xad' eavxbv ohx dve-
X^ai, ddxvexai xrjv xagdiav, ov jLLixQoyg äviäxai, elg inißovkijv
hxevd^ev ävdnxsxai xal (pövov ägxvet xaxä xov ßaoiXewg 0Q)xä.
iipeixexai xovxov ij Geotpavo) xal xaiQOv dga^a/LLevt] dia xo<pivov
wxxbg dvdyei nqbg xd ßaoiXeia. xi xb im xovxoig; i<piGxaxai
16 Xd'&gq xcß ^Q)xq in' idd<povg vnvcoxxovxi, vvxxsi xbv noda
avxov xal fiixgbv dvaxa'&ioai noieX, elg de xig avxuca xwv
ovveXi^ovxcov avxco xaxd xov xgaviov xrjv oJtd'&rjv xaxdyei xal
(bael vexgbv avxbv xa'&iaxq. xiva xd fxexd xavxa; ngoodyovoiv
avxbv xco TCijuioxfjf /uco/iovg nQooenixQlßovai, nXvvovoiv vßgeoij
20 xQ)juq>dovoi, i^ov&evovoi xal xeXevxaiov xrjv xecpaXrjv avxov
djtoxoTixovoi xal did '^i^gidog xoTg Jiagaxoixoig avxov ijLKpavi-
Covoiv ' ixagdooovxo ydg. xal ovxoyg /lev 6 Tl^ifuoxrjg im xco
(povcp xov 0(oxä diaxt&exai. xrjg ßaoiXelag de yevo/uevog iy-
xgaxrjg ovx djioyivcooxei xr]v acoxrjgtav iavxov' xaxdyei ydg
25 avxixa x<bv ßaoiXeliov xi]v 0eo(pavd) xal xovg amö^eigag xov
0a>xä xrjg jiöXecog i^io'd'ei' grjyvvoi xal xbv xojuov, ov im
ovyxvoei xfjg ixxXrjolag 6 0(oxäg e'&exo, ovx dXlya xe äXla
Tioiei Jtgbg dnaXXayriv xov iyxXijjnaxog, &&ev xal xov '&eiov
1) Die Quelle des Folgenden ist die Chronik des Glykas ed
Bonn. 572, 14 flF. Vgl. Skylitzes-Kedrenos ed. Bonn. 11 375, 7 ff.
3 t^ifiiaxvv 5 r^ifiiaxv 7 rCifitoxfjv und so im folgenden
12 dgriei 19 Zum Ausdruck tzXvvovoiv vgl. meine Mittelgr. Sprich-
wörter S. 231, 57
i
Krumbacher: Michael Glylcas. 457
vaov eioo) x^Q^^ ^^* naQO, xov Ttargidgxov IJokvevxrov
reo diadi^juari öxetpexai xal sig xoivcovlav TtaQaXajußdvsrai.
ToaovTov de fjv eXeijjucov xal ndvxcov xYiödfievog, Sore, ei jurj
ro Tov (pövov fivöog vTiergexSf xal ro7g äyioig avxov ovvrär-
reod'ai juerä d'dvaTov, 5
^AkXä xal ö jueyag Oeodooiog^) äjteiQOTiXfj'd'^ Xaöv äovv-
xdxTcog avaiQE'&YJvai jtagaxcoQfjoag ovx aneyvco rrjv eavrov
oa)TrjQiav ovd^ äTtrjyo^svos rfj /xeiavola ' xarayivcooxsi de juäX-
Xov eavrov xal ätpogiajuco vnonijzrei xal ro dod'hv avrco ini-
rljutov ixcbv xaradexerai, S&ev xal rfjg eavrov ocorrjQlag ovx 10
ojiorvyxdvei. xal JtQOoxeg, et ßovXei, rfj xar^ avröv loroQtq.[\
ßaoiXevg o fieyag Oeodooiog xar' ixetvo xaigov rrjv ßaoMda
rcbv Ttokecüv äcpelg enl rä xdrco juegt} rijv og/xrjv ijtoieTro.
xaregxojuevog ovv xal rwv rfjg 0eooaXovixr}g ogicov änrerai'
o'&ev orgaricbrai riveg rfj jiöXei iiploravrai x^Q^'^ rtvcbv XQ^^' ^^
a>da>v xal rrjvixavra rov ox^ov elg dra^tav eyeigovoiv || ägnaya fol. 156'
X^iga xal ädixov roTg (hvioig e/ußdXXovreg. dr&ioraviat ovv ol
rrjg noXeoyg, i^wd-ovoi rovg orgaricorag xal kv&oig ßdkXovoiv
du' ovx dvexrä ravra xal reo &eodooicp doxet ncbg ydg,
et ye xal ngög dgyrjv i^fjipe juäXXov avröv; ddxverai rrjv xag- 20
diav, elg iavrov ro roXjurjjua dex^rai, ßagvaXyet, TtXrjgovrai
'd'Vjuov, enirgeTiei rä negl rovrov reo rfjg nokeeog ägxovri xal
og dnegioxeTtteog ro ngay/ua jueraxeigiodjuevog neoelv ävdgag
eTioirjoev ebael ;fei<(j!(5ag ejird. aTcalgei xdxeW'ev 6 ßaoiXevg,
rYjv ejiioxoTiijv MedioXdveov xareXaße — noXig de ^IraXiag rä 25
MedioXava — , I^rireT Tigooxvvi^oeeog evexev elg rov vaov eloek-
d'eXv, älV doroxst xrjg alrrjoeeog' äv&iorarai 6 &eTog 'Ajußgo-
oiog, ngooeyyioai okeog rojioig äyloig avröv ovx eä, epoviov
ÖYJ'&ev ävöga ovra xal evayrj' juäXkov juev ovv xal dcpogioiJLoXg
1) Quelle für das Folgende: Chronik des Glykas ed. Bonn. 476,
17 ff. Vgl. Kedrenos ed. Bonn. I 556, 7 ff.
4 fxioog 14 ovv] ad 19 Nach Jtwg yag scheint ein Wort wie
^avfiaarov, '&avfxdasig usw. ausgefallen zu sein
37*
458 Sitzung der fhüos.-philol. Claaae vom 1. Decemher 1894,
ijunedet rl t6 Inl jomoig; ov '^gacvretai ßaoiXevg &v' ovx
inonridif' dix^tai tö hwilfiiov' xagreQel rdv aq)OQiofiov woel
/i'^vag ÖHX(o, elra xl; Jigoonljnei' jtaQaxaXei firjxhi rotaiha
TokjLi'^oai' xa&v7iioxv€itai' xdjLutretai 6 '&eTog 'Afißgooiog'
ß di^BTai xovtov TZQoonbvxovxa xai xibv hiixifitoiv sXev&eQoi xa
xov XißiXXov TtQ&ieqov vofxo&exrioavxa xai (bg ovx äv naii
noirioeie xaxd xivog Ine^iXevmv , ei ßii] xd x^g vno&eoeiog
TtQonov xaXibg diaoxeipaixo, ngdaex^ iomöv ei ydg xai jbuya
f]v xd xov ßaaiXiwg äfidQxrifia, dXkd xai /üteiCoyv rj exetvov
10 fiexdvoia, eladyei xolwv avxöv ivxog xov '&elov vaov xai x&v
äyiaofidxcov avxip ßiexadldayai, xaXmg ovv bil xovxoig 6 fiaxd-
Qiog ipdJÜiei Aavld' Ide xrjv xanslvcoolv fwv xai xov xonov
fiov xai äq>€g ndoag xdg djuiagxiag fiov.^)
Ovx fjxxov dk xov diaXfjcp&ivxog fieydlov Oeodoalov xai
15 6 ßaaikevg Mavglxiog^) fAUxupovlq, XQ^'^^^ ^^'' ipvx^v ocoxrj-
Qiag vaxBQOv Sxvxs- xai nebg, äxove. 'Pco/üLaixöv oxgaxöv d)oei
XiXiddag dibdexa TiQotpdoei dfj'&ev djioaxaalag naqado'&fjvai xoig
ßagßdQOig inivevaev, dkXd xai Uva exaaxov i$ exelvoiv ev
fjfjiiou xov vofxlüfiaxog alxovfievog i^covi^oao'&ai ov fiev ovv
20 ovS* oXoyg Inet&exo' o&ev xai ßagßagixfj x^^'Q^ "^^S" xetpaXäg
änavxeg änexfXYi'9riaav. xi x6 inl xovxoig; '^Xißexai 6 ßaaiXsvg'
ddxvexai xtjv xagdiav elg xaxdw^iv eQx^xar ßdXXei jzoqqo)
nov xfjv dnöyvoDaiv' inl xov juaxQÖ'd'vjuov xaxatpevyei '&e6v'
xa&djieg xivxgcp xcß ovvetdöri jbuzcfxlCexai' exTiofinevei xd ä/bidQ-
25 Ttjjma' drjXov xovxo xai xoig tzoqqco noiel' TtQoonbvtei did
yQajLijudtoiv xoig xaxd x^^Q^'^ oaioig dvÖgdoi xai ngbg xov
^eöv avxovg fAsokag ngoßdXXerai' enaveQxerai 6 ngeoßvg'
d£ta ygdfjifiaxa TCQogxojulCei' fjLav&dvei dC avx(bv, cbg dcpUrai
fjLSv avxcp xd dfidQxrjjbia, fiet* ödvvrjg dk x'^g ßaoiXeiag ixjitJtxei.
1) Psalm. 24, 18 2) Quelle: Chronik des Glykas ed. Bonn.
B08, 12 ff. Vgl. Kedrenos ed. Bonn. I 700, 6 ff.; 703, 21 ff.
1 sfmsSeT wohl = kfAnsöq, weshalb ich von der Aenderung in
ifÄJisdoT Abstand nehme 5 iXev^eQet mit oi über £< von erster Hand
6 ovxäfinoxe 9 fisX^ov 18 iv "^iilav 28 7fQoxo/ii(et
Krumbacher: Michael Glykas, 459
ov noXv x6 iv fieoco xal dvag ogä (poßeQOV IlQoxd'&fjTai 6
XgiGTÖg* nagiaratai cbg xardxQirog' iTtirghierai elnelv, et
JTQooxalgcog Sde ßovXerat nad'eiv fj aicovicog ixeioe xoM^eo'&ar
ovvercbg äjioxQiverai' rr]v JiQÖoxaiQov aheirai naldevoiv* i(p^
CO xal äxovsi ' üagadote avrbv 0coxä xcp rvQdwq). äviorarai 5
tov vTtvov ' ovx oTticfret reo ogdjüLaTi * xarakXdooerai reo ^ikui-
Ttixeö rrjvixavra, || (o)v iv aoepaXei xareTx^v elQxrfj didi ro fol. 156'
oroij^Eiov rö $ TtgoxardQxetv rov övo/iarog avrov, (f^/^^ yotg
OTcavraxov TzegihQexsv, ort 6 Mavgixiov diade^öjusvog iv roZg
oroixeloig rov dvöjuarog avrov ngoreray fxevov exet rö 0, o&ev 10
ev (pvXaxfj diereXet xaxovxovjuevog o ^iXmnixdg, ei xal jLifjdev
6 MavQixiog ivrevd'ev äneovaro. ^eoxä ydg reo rvgdvvcp xal
ov reo ^iXuinixep rä rrjg ßaotXeiag irajuievero, igeora rolvvv
Ttegl 0eoxä * fiav^dvei, rig ovrog xal jiMev iori ' yiverai ravra
xal negag 6 öveigog öexerai, inidgdooetai rrjg ßaoiXelag d 15
0eoxäg xal rov Mavglxiov avrixa ri/ieogeirai nixgebg, ol ydg
Tcaideg avrov nevre de Svreg rov dgv&fxbv iveojtiov avrov ngo^
regov ävaigovvrai xal reXevraiov ovrog ^lepei rrjv xe(paXr]v äjio-
rifiverai jurjöev äXXo Xeycov rj rovro' Alxaiog eJ, xvgce, xal dixaia
fj xgioig oov}) o&ev xal rrjg avrov oeorrjglag ovx änorvyxdveL 20
Mi] orvyva^e Xombv jutjd^ inl nXeov ädvjmei rotavra xa^
rooavra xexrr/juevi] rd nagaÖeiy/xara, et de xal ÖC aXfxarog
ixeivog ro rrjg fxiaiepovkig dneXovoaro julaojLta, dAA' oidajuev,
ort rd imfjiova ödxgva xal f] iv neigaofioXg evxdgienog yvebfiri
xar^ ovdev rov fxagrvgixov dievrjvoxdoiv aifjuarog, jLidvd'ave 25
ovv ivrev'&evy ort noXXal xal öidepogoi al rrjg oeorrjgiag fifxebv
odol xal äXXog juev ovreog, äXXog Öi eregeog rebv TzXrjjujueXetebv
1) Ebenso oder ganz ähnlich zitiert Maurikios in den älteren
Quellen. Die OriginaUtelle, Psalm. 118, 137 aber lautet: Aixaiog sc
xvQis xai syd-sTg al xgiaeig oov,
5 nagdöotai avico 7 <o>v] in der Hs ist wegen eines Motten-
loches nur noch v zu erkennen 7 eigz^ von erster Hand aus siqtsT
corr. 9 diads^df*€vog 1 1 xaxoxoviAevog Vielleicht aber gehört diese
Dissimilationsform dem Autor 27 aXXog'] äXXcog 27 äXXog] äXXmg
Ljof, CUasse vom 1, Decetiiber 1894.
^f.(f .**^-** j^ai oCtc w6vog ovxe u äXko deivbv id
't,rt' *'''"'^. ' .ffo xiemv dvvaxai. xai xi %qyj 7toU.ä keyeiv;
,tn' '^"" <0af^^^ noXXdxig xtvkg ov fiovov ov xaxexQi&tjoav,
^ o*v* '^?' ^fyiatfiv ivxev'&ev evqavxo xijv dxpeXeiav, xai äxove
ti^*' p JJaiXablov ' ditjy^oaxo ydg 6 'ßeiog ovxog avriQ, ^)
^ ^*" ^ffQog xig Maxdgiog xovvojua äxovoup q?6vco JicQuieacbv
^ fyfi/iov s(pvyev ' iviavxol di^l&ov etxooiv xai öxxco xai xov
nfjjUadiov igcoxi^aavxog, {jicbg avxov 6 diakoyiojbidg) im xw
(Toycp ^^^iy(p didxeixai, evx'OLQi'O^^'iv eXeye xai Xiav avxcß' ei
10 M^ y^Q ^^ avxög, ovx äv noxe ocoxrjQiag exvx^' ngog xovxoig
de xai xbv Mcovoia naQijyayev' et jurj xov Aiyvjtxiov exxeive,
Ji£yo)v, ovx äv X7]v AXyvjtxov ätpeig idQajtetevoev' ovx äv elg
egrjfjiov eqwyev ovx äv 'd'eoTzxfjg iyevexo, /üttjÖeig ovv, d xai
xd fxeyiaxa jiXtjjujueXi^oeiev , djioyiva}oxhco Jioxs, Ijteidrj xai
IB xiveg iv fidxfl neoovxeg xai XQavjxaxlai yeyovdxeg ov /xovov
ovx igqa'&vfjiYioav xrjv iavxa>v aneyvoixoxeg l^oiYjv, äXXd xai.
ävsGXfjaav, xai xoig ix,'&Qoig avvenXdxriaav xai naq* iXjiida
näoav iv f^exo^fj axeq)dva)v yeyovaoi. xaxd ydg xov xqvöoq-
QYifjiova xai d'Eiov 'laydvvtjv ov xd neoeiv xaxov, äXXd xö neoelv
20 xai juf] ävaoxYjvai?') (palvetai ydg ivtevd'ev, (bg ixövxsg ^fieig
elg '&dvaxov iavxovg TtQodidoajuev.
4
1) Historia Lausiaca, Cap. 17 = Migne, Patrol. Gr. t. 34, 1041.
2) Gemeint ist wobl die Stelle im ersten Buche ,Äd Theodonim lap-
sam*: Ov yog x6 TtsaeTv ;i;aA«jroV, dXXa to nsoovta xeTo^ai xai fitj dvia-
rao^ai, Mi|?ne, Patrol. Gr. t. 47, 285. Den Nachweis dieser Stelle ver-
danke ich Herrn Seb. Haid acher in Salsbnrg.
5 JtaXadlov (zweimal) 7 ivsavxoi von später Hand in ivtavroi
korrigiert 8 Die Lücke habe ich nach Palladios ergänzt 11 fimoia
16 iga^fiijaav <br«yvd>wff (vielleicht richtig?) 20 Nach (paivezai yag
eine leere Rasur in der Ausdehnung von 2—3 Buchstaben 21 Zu siqo-
diSöafiev vjf?l. Pbfynichus ed. Lobeck 8. 245.
561
Yerzeichniss der eingelaufenen Druckschriften
Juli bis December 1894.
Die verehrlichen Gosellschaften und Institute, mit welchen unsere Akademie in
TanschTerkehr steht, werden gebeten, nachstehendes Yerzeichniss zugleich als Empi^ngs-
bestätigung zu betrachten.
Von folgenden Gesellschaften und Instituten:
Boy cd Society of South Äusträlia in Adelaide:
Transactions. Vol. XVIII for 1893/94. 1894. 8«.
Akademie der Wissenschaften in Amsterdam:
Verhandelingen. Afd. Letterkunde. Deel I, No. 3.
Afd. Natuurkunde. Deel II, No. 1—6. 8.
, III, No. 1-14. 1893. 80.
Zittingsverlagen. Natuurkunde. Jahrg. 1893/94. 1894. 8«.
Verslagen en Mededeelingen. Letterkunde. 3« Ueeka. Deel 10. 1894, 8®.
Jaarboek 1893. 8°.
Prijsvers Phidyle. 1894. 8^.
Universität Athen:
Vorlesungsverzeichniss 1893/94 und 5 Schriften in griech. Sprache.
1885/93. 8».
Feabody Institute in Baltimore:
27. annual Report. June 1, 1894. 8^.
Johns Hophins üniversity in Baltimore:
Circulars. Vol. XIII, No. 113. 114. 1894. 4».
American Chemical Journal. Vol. 15, No.8. Vol. 16, No. 1—6. 1893/94. 8«.
The American Journal of Philology. Vol. 14. No. 4. Vol. 15, No. 1.
1893/94. 80.
American Journal of Mathematics. Vol. XVI, No. 1—3. 1894. 4®.
Studies in historical and political science. XL Series, No. 11. 12.
XIL Ser., No. 1-7. 1893/94. 80.
Bataviaasch Genootschap van Künsten en Wetenschappen in Batavia:
Verhandelingen. Deel 47, 2. Stuk. Deel 48, 1. Stuk. 1893. 4®.
Tijdschriffc. Deel 37, afl. 1. 2. 3. 1893/94. 80.
Notulen. Deel 81, afl. 3. 4. 1893/94. 8«.
572 Verseiehmsa der eingdaufenen Drueksehriften,
Chemiecil Society in London:
Journal. No. 880—886. Joly— December 1894. 8^.
Proceedings. No. 141. 142. Sesaion 1893—94 and 1894—96. QP.
Linnean Society in London:
The Journal: a) Zoology, No. 166—167.
b) Botany, No. 177 und 206—208. 1894. 8».
The Transaciions: 11^ Serie:
a) Zoology. Vol. V, part 9—11. Vol. VI, part 1. 2.
b) Botany. Vol. UI, part 9 — 11. Vol. IV, part 1.
Iggo Ol ^0
Proceedings. October 1898, May 1894. 1893/94. 8^
List 1893/94. 89,
Catalogue of the Library. Part II. Periodicals. 1893. 8^.
Medical and chirurgicai Society in London:
Medice- Chirnrgical Transactions. Vol. 76. 77. 1893/94. 8^.
Catalogue of the Library. Supplement VII. 1893. 8^.
BoycU Mieroscopical Society in London:
Journal. 1894. part 4. 6. 8<^.
Zooiogieai Society in London:
Proceedings. 1894. Part U. IH. 8*.
Transactions. Vol. XIII, 9. 1894. 4^
Zeitschrift „Nature" in London:
Nature. Vol. 60, No. 1286—1308. 1894. 4».
SocOtS giölogique de Selgique in LütticH:
Annales. Tome 21, liyr. 1. 2. 1898/94. 8^.
Historischer Verein der fünf Orte in Ltutern:
Der Geschichtsfreund. 49. Band. Stans 1894. 8^.
Government Museum in Madras:
Bulletin. No. 1. 2. 1894. 8^.
Becd Äcademia de la historia in Madrid:
Boletin. Tomo 26, cuad. 1—6. 1894. 8^.
NatunpissenschafÜicher Verein in Magdeburg:
Jahresbericht und Abhandlungen. 1893/94. I. Halbjahr. 1894. 8^.
Festschrift cur Feier des 26 jähr. Stiftungstages des Vereins. 1894. 8^.
FondazioY^ scientifica Gagnola in Maücmd:
Atti. Vol. XI, 1891/92. 1893. 8^.
Beale Isftituto Lomhardo di Sdenze in Maüand:
Rendiconti. Ser. II. Vol. 26. 1892. SP.
Memorier a) Glasse di scienze storicbe. Vol. 19, fasc. 1.
b) Classe di scienze matematiche. Vol. 17, fasc. 2. 1892. 4P.
Societä Storica Lomharda in Maüand:
Arcbivio storico Lombarde. Ser. III. Anno XXI, fasc. 2. 3. 1894. 8^.
Literary and phüosophicdl Society in Manchester:
Memoirs and Proceedings. IV. Ser. Vol. 8, No. 3. 1894. 8".
Verzeichniss der eingelaufenen Drueksehriften. 573
Verein für Naturkunde in Mannheim:
66.-60. Jahresbericht. 1894. 8^.
üniversUäts-BibliotJieh in Marburg:
Schriften der üniyersiiAt Marburg a. d. J. 1898/94 in 4^ n. 8®.
Hennebergischer cdterthumsforschender Verein in Meiningen:
Neue Beiträge. Lieferung XIII. 1894. 8«.
Verein für Geschichte der Stadt Meissen in Meissenr
Mittheilungen. Band 3, Heft 2. 3. 1893. 8«.
Äcadimie in Metz:
M^moires. 73« annde 1891/92. 1894. 8^
Gesellschaft für lothringische Geschichte in Metz:
Jahrbuch. 5. Jahrgang, 2. Hälfte. 1894. 40.
Observatorio meteorölogico centrcd in Mexico:
Boletin. Mensual. Tomo IIl, No. 6. 1894. 4<>.
Sociedad cientifica Antonio Älzate in Meocieo:
Memorias. Tomo VII, No. 11—12. 1894. 80.
Sociedad de geografia y estadistica in Mexico:
Boletin. IV* äpoca. Tomo 2, No. 11. 12. Tomo 3, No. 1. 2. 1894. 8«.
Sodetä dei naturalisti in Modena:
Atti. Ser. HI. Vol. XII, Anno 27, fasc. 3. 1894. 8«.
SoditS Imperiale des Naturaiistes in Moskau:
Bulletin. 1894. No. 2. 8«.
Statistisches Amt der Stadt Mimchen:
Die Büchersammlnng der städtischen Kollegien Münchens. 1894. 8^.
Deutsche Gesellschaft für Anthropologie und Urgeschichte in Berlin
und Münä^n.
Correspondenzblatt. 1894. No. 6—8. München. 4P.
K. Teehniscl^ Hochschule in München:
Programm für das Studienjahr 1894/95. 1894. ^.
Bericht für das Studienjahr 1893/94. 1894. 4^.
Personalstand. Winter.-Sem. 1894/96. 1894. 8^.
Metropolitan-Kapitel München- Preising in München:
Amtsblatt der Erzdiöcese München und Freising. No. 16— 2S. 8^.
K. Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten
in München:
Geognostische Jahreshefte. Jahrg. VI. 1893. Cassel 1894. gr. 8^.
5. Bericht über die Thätigkeit der physikal.-techn. Reicfasanstalt.
Berlin 1894. 80.
Universität in München:
Schriften der Universität aus dem Jahre 1894 in 49 u. 8^.
Aerztlicher Verein München:
Sitzungsberichte. IlT. 1893. 1894. 8^.
38*
574 Verßeiehniss der eingelaufenen Drttcksehriften.
Bayerischer DampfkesseUBevisions-Verein in München:
24. Jahresbericht 1898. 1894. 8^.
Historischer Verein in München:
Monatsschrift. 1894. No. 7—12. Juli— Dezember. 8^.
Oberbayerisches Archiv. Band 48, Hefb 1. 2. 1893/94. 8^.
Westfälischer Provinzialverein in Münster:
21. Jahresbericht für 1892/93. 1893. 8^
Accademia delle scienze fisiche in Neapel:
Rendiconto. Serie II. Vol. VIII, fasc. 8—10. 1894. 4P,
Societä BeaJe in Neapel:
Atti della R. Accademia di scienze morali e politiche. Vol. 26.
1893/94. 8«.
Rendiconto dell* Accademia di scienze morali e politiche. Anno 31. 32.
1892/93. 8P.
Atti della R. Accademia delle scienze fisiche. Ser. II. Vol. 6. 1894. 4^.
Rendiconto deir Accademia delle scienze fisiche. Ser. U. Vol. 8,
fasc. 6 e 7. 1894. 4^.
Zoologische Station in Neapel:
Mittheilungen. Bd. XI, 8. Berlin 1894. 8».
American Journal in New-Haven:
The American Journal of Science. Vol. 48, No. 283—288. July—
December. 1894. 8^.
Observatory of the Ydle üniversity in New-Haven:
Report for the year 1898/94. 1894. 8«.
American Orientäl Society in New-Haven:
Proceedings at New-York. March 29—31. 1894. 8^^.
North of England Institute of Mining and Mechanicdl Engineers
in Newcastle-upon-Tyne :
Transactions. Vol. 43, No. 6. 6. Vol. 44, No. 1. 1893/94. 8<>.
Annual Report of the Council for 1893/94. 1894. 89,
Report of the Proceedings of the flameless explosives Committee.
Part I. 1894. 8».
Acttdemy of Sciences in New-York;
Annais. Vol. VÜI, No. 4. 1894. 8».
American Museum of Natural History in New-York:
Annaal Report for the year 1893. 1894. 8^.
State Museum in New-York:
46^ and 46^ annual Report for the year 1891 and 1892. Albany.
1892/93. 80.
Bulletin. Vol. 3, No. 11. Albany 1893. 8®.
American Chemical Society in New-York:
The Journal. Vol. XVI, No. 6—12. Easton 1894. 8».
American Geographicäl Society in New-York:
Bulletin. Vol. 26, No. 2, 3. 1894. 89,
Verzeichniss der eingelaufenen Druckschriften, 575
Nederlandsch Botanische Vereeniging in Nijmegen:
Nederlandsch kruidkundig Archief. IL Ser. Deel VI, Stuk 3. 1894. 8®,
Naturhistorische Gesellschaft in Nürnberg:
Abhandlungen. Band X, Heft 2. 1894. S^.
Komiti für die Hans-Sachs-Feier in Nürnberg:
Hans Sachs zum 400 jährigen Geburtsjubiläum des Dichters. Von
Ernst Mumenhoff. 1894. 8®.
Neurussische naturforschende Gesellschaft in Odessa:
Sapiski. Tom. XVIII, 2. 1894. 8».
Organisation de Tdtude climaterique de la Russie par Klossovsky.
1894. 40.
Royal Society of Ganada in Ottawa:
Proceedings and Transactions. Vol. XI, for the year 1893. 1894. 4^.
The Badcliffe Observatory in Oxford:
Radcliffe Catalogue of Stars 1890. 1894. 4».
Societä Veneto-Trentina di scienze naturali in Padua:
Atti. Ser. H. Vol. 2, fasc. 1. 1895. 8».
Circolo matematico in Palermo:
Rendiconti. Tom. VIII, 5. 6. 1894. gr. 8».
CöUegio degli Ingegneri in Palermo:
Atti. Annata 17. 1894. Gennaio— Aprile. 4^.
Äcademie de medecine in Paris:
Bulletin. 1894, No. 27—51. 8«.
Äcademie des sciences in Paris:
Comptes rendus. Tome 119, No. 1—25. 1894. 4^.
Sociiti mathimatique de France in Paris:
Bulletin. Tome XXII, No. 5—8. 1894. 8».
Societe de geographie in Paris:
Bulletin. VII. Sör. Tom. 15. 1«^ et 2^ trimestre. 1894. 8«.
Comptes rendus 1894, No. 14—17. 8^.
Moniteur Scientifique in Paris:
Moniteur. 4® Sör. Tome VIII, 2« partie, livre 631— 636. Juillet-Dec.
1894. 40.
Zeitschrift „L^J^lectricien" in Paris:
L'jßlectricien. 2^ Sör. Tome VIH, No. 184—208. Paris 1894. 4».
Äcademie Imperiale des sciences in St. Petersburg:
Bulletin. Nouv. Ser. Tome IV, No. 1. 2. 1894. 4P,
Bulletin. V« S^rie. Tome I, No. 1—8. 1894. 4».
Mämoires. Tom. 39. 41, No. 6-9. 42, No. 1-11. 1893/94. 4P,
Byzantina Chronika. Tom. 1, Heft 1. 1894. 4<>.
Comite geologique in St, Petersburg:
Bulletins. Vol. XII, No. 3—7 et Supplement au T. XII. 1893. 8».
M^moires. Vol. IV, No. 3. 1898. 4P.
Kais. russ. mineralogische Gesellschaft in St, Petersburg:
Verhandlungen. II. Serie. Band XIII. 1893. 8^
576 VerMeichnis8 der eingelaufenen Druckschriften,
Physikälrchemiaehe Gesellschaft an der kais. Universität St, Petersburg:
Schumal. Tom. XXVI, 4-7. 1894. 8».
SociiU des naturaiistes in St. Petersburg:
Travaux. Section de Botoniqoe. Vol. XXIV. 1893/91. 8^.
Chemitscheskaja Laboratoria. 1894. 8^.
Kaiserliche Universität in St. Petersburg:
Sapiski. Tom. 84. 1894. 8^'.
Uebersicht der Wirksamkeit der naturwissenschaftlichen Gesellschaft
in St. Petersbarg 1868 -1898. (In mss. Sprache.) 1893. 8^.
Oboscenie. (Vorlesungskatalog 1894/95) 1894. S^.
Äcademy of natural Sciences in Philadelphia:
Proceedings. 1894, part I. 1894. 8^.
The Oriental Club of Phäadelphia:
Oriental Studies. 1888—1894. Boston 1694. BP.
Historical Society of Pennsylvania in Philadelphia:
The Pennsylvania Magazine. Vol. 18, No. 1. 1894. 8^.
American philosophical Society in Philadelphia:
Proceedings. Vol. 33, No. 144. 146. 1894. 8^.
Soeietä Toscana di scienze naturali in Pisa:
Atti. Processi yerbali. Vol. IX, pag. 63—132. 1894. 49.
AlterthumS'Verein in Plauen:
Mittheilnngen. 10. Jahresschrift auf die Jahre 1893/94. 1893. 8^.
K. geodätisches Institut in Potsdam:
Polhöhenbestimmongen im Harzgebiet. 1887—1891. Berlin 1894. 4^.
Böhmische Kaiser Franz Josefs Akademie in Prag:
Bozprawy. THda II. Ro6nik III, ^islo 1. 2. 1894. 4^.
, III. , III. , 2.
Historick^ Archiv. Cislo 4. 5. 1894. 4».
Bulletin international. Gl. des sciences mathem. I. 1894. 4^.
Vgstnfk. Roönik III. öfslo 6. 1894. 4«.
Sbtrka pramenfio etc. Skupina I. Rada 2. Cislo 1. 1894. 4®.
Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und
Literatur in Böhmen in Prag:
Uebersicht über die Leistungen der Deutschen Böhmens im Jahre 1892.
1894. 8^
Mathematisch-physikalische Gesellschaft in Prag:
Casopis. Band 23, Heft 3-6. 1894. 8«.
K. böhmisches Museum in Prag:
Pam&tky archaeologickä a mfstopisnä. Bd. XVI, 3—6. 1893. 4^.
K. K. Sternwarte in Prag:
Magnetische und meteorologische Beobachtungen im Jahre 1893.
64. Jahrg. 1894. 4P.
K. K. deutsche Carl-Ferdinands- Universität in Prag:
Ordnung der Vorlesungen. Winter-Sem. 1894/96. 8^.
Personalstand. Studienjahr 1894/95. 8^.
Verzeickniss der eingelaufenen Druckschriften* 577
Verein für Geschichte der Deutschen in B^n^en in Prag:
Mittheilungen. Jahrg. 32. No. 1-4. 1893. 8».
Historischer Verein in Begensburg:
Verhandlungen. Bd. 46. 1894. 8«.
Naturwissenschaftlicher Verein in Begensburg:
Berichte. IV. Heft. 1894. 8^.
InsOtuto historico e geographica in Bio de Janeiro:
Revista trimensal. Tomo 66, parte 1. 1893. 8^.
Geological Society of America in Bochester:
Bulletin. Vol. 6. 1894. 8«.
Beale Accademia dei Lincei in Born:
Atti. Serie V. Classe di scienze morali. Vol. II, parte 2. Notizie degli
scavi. Gennaio — Agosto. 1894. 4®.
Atti. Ser. V. Classe di scienze fisiche. Rendiconti. Vol. III. Semestre 1,
fasc. 12, Semestre 2, fasc. 1—8. 1894. 4».
Rendiconti. Classe di scienze morali. Serie V. Vol 3, fasc. 5—9.
1894. 8^.
Rendiconti delV adunanza solenne del 8 Giugno. 1894. 4^.
Accademia Pontifida de' Nuovi Lincei in Born:
Atti. Anno 47. Sessione I. II. III. 1894. 4P.
Biblioteca Äpostolica Vaticana in Born:
Studi e documenti di storia e diritto. Anno XIV, fasc. 1—4. 1893. 4^.
Codices manuscripti graeci Ottoboniani Bibliothecae Vaticanae, re-
censuerunt E. Feron et F. Battaglini. 1893. 4^.
Comitato geölogico d'Italia in Born:
BoUettino. Anno 1894, No. 2. 3. 8^.
Kais, deutsches archäologisches Institut in Born:
Mittheilungen. Römische Abtheilung. Band IX, 2. 3. 1894. 8®.
Societä Italiana delle scienze in Born:
Memorie di Matematica. Serie III. Vol. 8. 9. Napoli 1892/93. 40.
B, Societä Bomana di storia patria in Born:
Archivio. Vol. XVII, fasc. 1. 2. 1894. 8®.
Uffido centrale meteorologico italiano in Born:
Annali. Vol. XXII, parte 1. 1890. Vol. XIV, p. 1. 1892. Vol XV.
p. 1. 1893. 1894. 40.
Universität Bostock:
Schriften aus dem Jahre 1893/94 in 4P u. 8^.
lAck Observatory of the üniversity of California in Sacramento:
Publications. Vol. ü. 1894. 4«.
Academy of Science in St, Louis:
Transactions. Vol. VI, No. 9—17. 1893/94. 8^.
Essex Institute in Salem:
Bulletin. Vol. 26. 1894. 8».
578 Vergeichnisa der eingelaufenen Druckschriften.
K, K. Staate-Gymnasium in Salzburg:
Programm fQr das Jabr 1893/94. 1894. 8^.
Gesellschaft für Salzhurger Landeskunde in Salzburg:
Mittheilangen. 34. Yereinsjahr. 1894. 8^.
Historischer Verein in 8t, Gallen:
Mittheilangen zur TaterländiBchen Geschichte. XXY. 1894. 8®.
Urkandenbuch der Abtei St. Gallen. Theil IV, 3. 1894. 4».
Abt Berchtold yon Falkenstein von Placid Butler. 1894. 4».
Institute y Observatorio de marina de San Fernando in Cadix:
Almanaqne niutico para 1895. Madrid 1894. 8^.
Geographical Society of California in San Francisco:
Bulletin. Vol. II. 1894. May. 8<>.
Observatorio astron6mico in San Salvador:
Obseryaciones meteorologicas. Oct. — Dez. 1892. 1894. 8®.
SoeiHh scientifique du Chili in Santiago:
Actes. Tome 3, livr. 4. 6. Tome 4, livr. 1. 2. 1894. 4P.
Commissäo geographica e geologica i Säo Paulo CBrasüienJ:
Boletin. Dados climatologicos. 1890—1892. 8 Hefte. 1893. 8.
Contribu^oes para a archeologia. Heft 1. 1893. 8^.
Histor, Verein für das Württembergische Franken in Schwäbisch-llall:
Württembergisch Franken. Nene Folge V. 1894. 8«.
Verein für mecklenburgische Geschichte in Schwerin:
Jahrbücher. 59. Jahrgang. 1894. 8®.
CTiina Branch of the Eoyal Äsiatic Society in Shanghai:
Journal. N. S. Vol. 26. 1891/92. 1894. 8«.
Meteorologische Centralstation in Sophia (Bulgarien):
Bulletin mensuel m^t^orologique de Balgarie. 1894. Jan. — Sept. 4^.
Bosnisch-Herzegovinisches Landesmuseum in Sarajevo:
Die prähistorischen Fundstätten von V. Kadimskj. 1891. 4P.
Römische Strassen in Bosnien und der Hercegovina von Ph. Ballif.
Th. I. Wien 1893. fol.
K. K. archäologisches Museum in Spalato:
BuUettino di archeologia. Anno 17. 1894. No. 5—7. 8®.
Historischer Verein der "Pfalz in Speier:
Mittheilungen. XVIII. 1894. 80.
Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm:
Handlingar. Band 26, Heft 1. 2. 1892-94. 4».
Bihang tili Handlingar. Band XIX in 4 Abtheil. 1894. 8^.
Meteorologiska iakttagelser. Bd. 32. (1890.) 1894. 4^.
Lefnadstockningar. Band III, 2. 1894. 8^.
K. öffentliche Bibliothek in Stockholm:
Sveriges offentliga bibliotek Accessions-Katalog VIII. 1893. 1894. 8®.
Verzeichniss der eingelaufenen Druckschriften, 579
Sociite des sciences in Strassburg:
Bulletin mensuel. Tome 28, fasc. 5. 6. 1894. 8^,
«
Universität Strassburg-,
Schriften aus dem Jahre 1898/94 in 4» u. S^.
Austrälasian Association for the Ädvancement of Science in Sydney :
Report. Vol. V. Adelaide Session. 1893. 8^
Department of Mines in Sydney:
Records of the Geological Survey of New -South -Wales. Vol. IV,
part 1. 1894. 4<>.
Geological Survey of New-South- Wales in Sydney:
Records. Vol. IV, part 2. 1894. 40.
Observatorio astronömico nacionäl in Tacubaya (Mexico):
Boletin. Tom. I, No. 17-19. 1894. 4P.
Anuario. Ano XV. Mexico. 1894. 4®.
College of Science, Imperial üniversity^ Japan, Tokio.
The Journal. Vol. VI, 4. VII, 1. VIII, 1. 1894. 4».
Deutsche Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens in Tokio:
Mittheilungen. Band VI. Suppl. Heft 1. Heft Ö4. 1894. fol.
Tufts College Mass.:
Tufts College Studies No. III. 1894. 40.
Üniversitäts-Bibliothek in Tiibingen:
Schriften der Universität Tübingen a. d. J. 1893/94 in 4° u. S^.
E. Äccademia delle scienze in Turin:
Atti. Vol. 29, disp. 11—15. 1894. 8^.
Memorie. Ser. H, tom. 44. 1894. 4^.
Comiti miteorologique international in üpsala:
Extrait des procfes-verbaux de la pe rdunion a Upsal en Aoüt 1894. 8^.
SociUe Boyale des Sciences in üpsala:
Nova Acta. Ser. III. Vol. XVI. 1893. 4».
Universität in Üpsala:
Schriften aus d. J. 1898/94 in 4^ u. 8».
Sociite provinciale des Ärts et Sciences in Utrecht:
Verslag. 1898. 8».
Aanteckeningen van Sectie-vergaderingen. 1893. 8^.
L. A. van Langeraad, De Nederlandsche Ambassade-Eapel te Parijs.
2. Voll. s'Gravenhage. 1893. 8^.
American Historical Association in Washington:
Annual Report for the year 1892 and 1893. 1893/94. 8^.
Bureau of Ethnology in Washington:
Tenth annual Report 1888—89, by J. W. Powell. 1893. 4°.
The Maya Year, by Cyrus Thomas. 1894. 8».
Bibliography of the Wakashan Languages, by F. C. Pilling. 1894. 8^.
The Pamunkey Indians of Virginia, by J, H. PoUard. 1894. 8.
580 Verzeichniaa der eingelaufenen Druckschriften,
Smüheanian Institution in Washington:
Annual Report, to July 1892. 1898. 8^.
Surgeon General, ü. 8. Army in Washington:
Index Catalogue. Vol. XV. 1894. 49,
Harzverein für Geschichte in Wernigerode:
Zeitschrift. 27. Jahrg. 1894. S».
Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien:
Mitthei langen aus dem Vatikanischen Archive. Band 11. 1894. 8^.
K, K, geologische Beichsanstalt in Wien:
Verhandlungen. 1894. No. 6—9. 4°.
K, K. Gesellschaft der Aerzte in Wien:
Wiener klinische Wochenschrift. 1894. No. 27—52. 4«.
Anthropologische Gesellschaft in Wien:
Mittheilongen. Band 24, Heft 8—5. 1894. 4<^.
Zoologisch-botanische Gesellschaft in Wien:
Verhandlungen. Jahrg. 1894. Band 44, I. u. II. Quartal. 8^.
Oesterreichische Gradmessungs-Kommission in Wien:
Verhandlungen über die am 11. und 18. April 1894 abgehaltenen
Sitzungen. 1894. 8^.
K, K. naturhistorisches Hofmuseum in Wien:
Annalen. Band IX, No. 2. 1894. 4^.
V. Kuffnerische Sternwarte Wien:
Publikationen. Band ni. 1894. A^.
K, K. Universität in Wien:
Jahrbach für das Studienjahr 1893/94. 1894. 8^.
Uebersicht der akademischen Behörden für das Studienjahr 1894/95.
1894. 80.
Oeffentliche Vorlesungen. Sommer-Sem. 1894. Winter-Sem. 1894/96.
1894. 8®.
Die feierliche Inauguration des Rektors am 8. Nov. 1894. 8^.
Verein zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse in Wien:
Schriften. 34. Bd. Jahrg. 1893/94. 1894. 8».
Naturunssenschaftlicher Verein an der Universität Wien:
Mittheilungen für das Jahr 1893/94. 1894. 8^.
Nassauischer Verein für Naturkunde in Wiesbaden:
Jahrbücher. Jahrg. 1847. 1894. 8^.
Naturforschende Gesellschaft in Zürich:
Vierteljahrsschrift. Jahrg. 39, Heft 2. 1894. 8®.
Verzeichniss der eingelaufenen Druckschriften. 581
Von folgenden Privatpersonen:
Franz Ludwig Baumann in Donaueschingen:
Geschichte des Algäus. Band III, Kempten 1894. 8^.
Ä, BriU in Tübingen:
Die Entwicklung der Theorie der algebraischen Funktionen. Berlin
1893. 80.
Franz Bücheier in Bonn:
Anthologia latina. Pars II, fasc. 1. Leipzig 1895. 8^.
Haiiimann Caviezel in Chur:
Litteratura veglia (rhaeto-romanscha). 1894. 8^.
Carlo Cipolla in Turin:
Ricerche sull* antica biblioteca del monastero della Novalesa. 1894. 8^.
Sälvatore de Crescenzo in Neapel:
Saggio di nna scala normale del pensiero astratto. 1893. 8^.
E, Fresenius in Wiesbaden:
lieber die Schwankungen im Gehalte der Mineralwasser. 1894. 8®.
Ernst JSaeckel in Jena:
Systematische Phylogenie der Protisten und Pflanzen. Th. I. Berlin
1894. 80.
L. Harperath in Cördoba. (Rep. ÄrgentJ:
Die Weltbildung. Köln 1894. 8«.
P. de Hßen in Brüssel:
5 Separatabdrücke aus dem Bulletin de TAcad. R. des Sciences,
physikalischen Inhalts. 1894. 8^.
Professor Hegewald in Meiningen:
Introduction au discours sur Tunitä de Tespece humaine. 1894. 8^.
W. J, Hoff mann in Philadelphia:
Gshicht fun da altä Tsaitä in Pensilfani. By W. J. Hofmann. 1894. 8«.
J, B, Jack in Konstanz:
Hepaticae in insulis Yitiensibus et Samoanis lectae. Sep.-Abdruck.
1894. 80.
James E. Keeler in London:
On the Spectra of the Orion Nebula. s. 1. 1893. 8^.
Friedrich Keinz in München:
Hans Sachsens Zeitgenossen und Nachfolger im Meistergesang. Nürn-
berg 1894. 8^
Albert von KÖlliker in Würzburg:
Der feinere Bau des sympathischen Nervensystems. Wtirzburg 1894. 8®.
Ueber den Fornix longus von Foral und die Riechstrahlungen im
Gehirn des Kaninchens. Strassburg 1894. 8^.
üeber die feinere Anatomie des sympathischen Nervensystems. Wien
1894. 8°.
M, E, Lemoine in Paris:
4 Abhandlungen über Geometrie. 1894. 8^.
582 Verseichniss der eingelaufenen Druckschriften,
G, Lorentzen in Bamberg:
Ueber die Untiersachimg der Scalen eines Heliometers. 1894. 8^.
8e. Hoheit Prinz Albert von Monaco in Monaco:
Resultats des Campagnes scientifiques. fasc. VII. 1894. gr. 4^.
Gabriel Monod in Versailles:
ßevue historique. Tome 66, No. 1. 2. Paris 1894. 8^.
Gifford Pinchot in New -York:
Biltmore Forest, the propei-ty of Mr. George W. Vanderbilt. Chicago
1893. 80.
8. Biefler in München:
Die PrÄcisions-ühren. 1894. gr, 8^.
Andreas Schmid in München:
Geschichte des Georgianums in München, ßegensburg 1894. 8^.
Festbericht über die IV. Centenarfeier des Georgianums. Augsburg
1894. 8«.
August Tischner in Leipzig:
Le pouvoir grossissant de Tatmosph^re. 1892. 8^.
Albrecht Weber in Berlin:
Yedische Beiträge. 1894. 4^.
Henry Wüde in London:
üeber den Ursprung der elementaren Körper und über einige neae
Beziehungen ihrer Atomgewichte. London 1892. 4^.
A, Wolf er in Zürich:
Astronomische Mittheilungen. No. 84. 1894. 8^.
583
Namen-Eegister.
Baumgarten 158.
Brunn v. 422.
Carriere 287.
Christ V. 1. 149.
Cornelius y. 155.
Dove 188.
Friedrich 52.
Fritzner 154.
Hefner- Alteneck v. 124.
Heigel 182.
Kluckhohn 157.
Krumbacher 427. 391 (491). *
Langen 425.
Lossen 418.
Lübke 155.
Maurer v. 183. 427.
Menrad 165.
Morier 162.
Müller y. 182. 425.
* Die eingeklammerten Zahlen sind diejenigen, welche auf
Bogen 30-37 an die Stelle von 343—460 hätten gesetzt sein sollen.
584 Namen- Begister,
Oefele v. 269.
Paul 58.
Pettenkofer v. 149. 419.
Qoidde 182.
Beber ▼. 843 (443).
Rockinger y. 124.
Böpell 161.
Sanppe 162.
Scholl 149.
Simonsfeld 239.
Sohncke 426.
Stieve 92.
Wecklein 879.
WölflFlin 420.
Wyss V. 163.
585
Sach-Kegister.
Aufgaben der wissenschaftlichen Lexikographie mit besonderer Rück-
sicht auf das deutsche Wörterbuch von Paul 68—91.
Corsica und Sardinien in den Schenkungen an die Päpste von Dove
188—238.
Ein neues Bruchstück von Södermannalagen von Maurer 427—442.
Fichtes Geistesentwicklung in den Reden über die Bestimmung des
Gelehrten von Carriere 287—866.
Handschriftliche Bezeichnung des Landrechts des sogenannten Schwaben-
spiegels als Nürnberger Recht von Rockinger 124 — 147.
Kompositionsweise des Horaz und die epistula ad Pisones von Weck-
lein 379-418.
Michael Glykas von Krumbacher 391—460 (491—560).
Nekrologe 149—164.
Neuentdeckte Genfer Homerfragmente und der Wert ihrer Varianten
von Menrad 165 - 182.
Oeffentliche Sitzung 419 426.
586 Sack-Register,
Stilentwicklanfi^ der schwäbischen Tafelmalerei im 14. und 16. Jahi^
hundert von Reber 348—389 (443—489).
Theater des Polyklet in Bpidaams von Christ 1—52.
Thesaoms lingaae latinae, die neuen Aufgaben desselben von Wölfflin
93-128.
Traditionsnotizen des Klosters Eflhbach von Oefele 269—286.
Wahl Friedrichs I. Bothbart von Simonsfeld 239-268.
Inhalt.
Die mit * bezeichiioten Abhandlungen und in den Sitsiingsberiehten nicht abgedmekt.
PlUlos.-philol. Classe. Sitzung vom 3. November 1894.
Seite
N. Wecklein: Die Komposit ionsweise des Horaz und die
epistula ad Pisones 379
Historische Classe. Sitzung vom 3. November 1894.
*Lossen: Ueber Nnntiatarberichte und andere Akten des Vati-
kanischen Archivs als Quellen der Geschichte des Kölnischen
Kriegs 390 (490)
OeffcntUche Sitzung zu Ehren Seiner Majestät des Königs und
Seiner Königl. HoJieit des Prinzregenten am 15. November 1894.
V. Pettenkofer: Eröffnungsrede 419
Wahlen 425
Philos.-philol. Classe. Sitzung vom 1. Dezember 1894.
V. Maurer: Ein neues Bruchstück von Södermannalagen . . 427
Krumbacher: Michael Glykas 391 (491)
Historische Classe. Sitzung vom 1. Dezember 1894.
V. Reber: Ueber die Stilentwicklung der schwäbischen Tafel-
Malerei im 14. und 15. Jahrhundert ...... 343 (443)
Einsendung von Druckschriften 561
Eegister 583
Akadomische Buchdruckerei von F. Straub in München.
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